»Er ist unser Friede«: Karl Barths christologische Grundlegung der Friedensethik im Gespräch mit John Howard Yoder 9783666564109, 9783525564103, 9783647564104

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»Er ist unser Friede«: Karl Barths christologische Grundlegung der Friedensethik im Gespräch mit John Howard Yoder
 9783666564109, 9783525564103, 9783647564104

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie

Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz Band 144

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Marco Hofheinz

»Er ist unser Friede« Karl Barths christologische Grundlegung der Friedensethik im Gespräch mit John Howard Yoder

Mit einer Abbildung

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56410-3 ISBN 978-3-647-56410-4 (E-Book) Ó 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: g Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Unseren Kindern Daniel, Hanna, Amelie und Jakob

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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0. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Explikation der Themenstellung der Untersuchung unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes . . . . . . . . . 1.1. Die christologische Grundlegung theologischer Friedensethik in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Die Friedensethik K. Barths als Forschungsgegenstand . . . . . 1.3. Zu Disposition und Titel der Untersuchung . . . . . . . . . . . 2. Das methodische Verfahren der Untersuchung: K. Barths Friedensethik ins Gespräch bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Methodologische Bemerkungen zum methodischen Verfahren . 2.2. Die Gesprächskonstellationen der Untersuchung . . . . . . . . 2.2.1. Erste Gesprächskonstellation: Der Paradigmenstreit in der aktuellen friedensethischen Debatte im deutschsprachigen und angelsächsischen Diskurskontext 2.2.2. Zweite Gesprächskonstellation: Auseinandersetzung mit den Kritikern der Barthschen Grundlegung der Ethik . . 2.2.3. Dritte Gesprächskonstellation: Bezugnahme auf J.H. Yoder – J.H. Yoder als »freier Schüler« K. Barths . . . . . 3. Der Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik K. Barths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Vorbemerkungen zum heuristischen Begriffsraster und zur Theologie-Politik-Konnexion bei K. Barth . . . . . . . . . . . . 3.2. Kontexte der Friedensethik K. Barths: Hinführung zu einem Entdeckungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die politische Zeitgenossenschaft K. Barths . . . . . . . . . . . 3.4. Einführung in den theologischen Begründungszusammenhang der Friedensethik K. Barths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.4.1. Gnadenwahl als Friedenswahl. Friedensethische Implikationen der Erwählungslehre K. Barths . . . . . . 3.4.2. Schöpfung als Friedensordnung. Friedensethische Implikationen der Schöpfungslehre K. Barths . . . . . . 3.4.3. Die Erfüllung des Bundes als Weltfrieden. Friedensethische Implikationen der Versöhnungslehre K. Barths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Christologische Grundlagen der Friedensethik Karl Barths 1. Die Anrufung Gottes im Namen Jesu als freier Grundakt des Friedenstiftens. Die Bedeutung von Karl Barths theologischem Namens-, Gebets- und Freiheitsverständnis für die christologische Grundlegung seiner Friedensethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwände der Kritiker K. Barths gegen seine christologische Grundlegung der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Name statt Prinzip: Die Nennung des Namens Jesus Christus als präventive Gegenbewegung zur Profanisierung des lebendigen Christus zum regulierenden Material-, Erkenntnis- und Formalprinzip der Friedensethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Christus als Grund. Die christologische Begründung der Friedensethik ohne »Materialprinzip Christologie« . . . . . . 2.2. Christus als Erkenntnisprinzip? Der Name Jesus Christus als Referenzmittel und der Hinweischarakter theologischer Rede vom Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: J.H. Yoders Zugang zur Ethik über die Positivität der Kirche und seine Ablehnung einer allgemein zugänglichen Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Christus als Formalprinzip? Der grund-sätzliche Referenzcharakter christologisch begründeter Ethik . . . . . 3. Die ecclesia orans als ecclesia efficaciter laborans. Zur ethischen Valenz des Friedensgebetes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Doppeltstrukturiertes Freiheitsverständnis: Des Menschen Befreiung zum guten Werk des Friedensstiftens . . . . . . . . . . 5. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. »Lasst euch versöhnen mit Gott«. Die friedensethische Relevanz von Karl Barths Heiligungskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die friedensethische Relevanz von K. Barths Heiligungskonzeption. 1.1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.2. Die Wirklichkeit der Heiligung als Wirklichkeit des neuen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Heiligung als Geschehen exklusiver und inklusiver Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4. Einai en Christo¯. Das Sein des neuen Menschen als Sein des homo pacis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Die vektorielle Verschränkung von Rechtfertigung und Heiligung im Rahmen der Versöhnungslehre . . . . . . . . . . 1.6. Die subjektive Seite der Heiligung: Einstimmen als Modus der participatio Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7. K. Barths Infragestellung des Schematismus von Indikativ und Imperativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8. Die christliche Versöhnungsbitte: »Lasset euch versöhnen mit Gott« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9. Kirche als vorläufige Darstellung der ganzen in Christus versöhnten Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Friede Gottes als Frieden auf Erden. K. Barths chalcedonensisches Modell der Handlungsträgerschaft . . . . . . . 2.1. Doppelte Handlungsträgerschaft und das chalcedonensische Denkmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Chalcedonensische Aspekte des unterschiedenen Beieinanders von göttlichem und menschlichem Friedenshandeln . . . . . . 2.2.1. Asymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Intimität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Abschließende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vicit agnus noster, eum sequamur. Die Nachfolgekonzeptionen Karl Barths und John H. Yoders im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Kreuz des Christus politicus als Darstellung der Gewaltlosigkeit Gottes bei J.H. Yoder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Darstellung des irdischen Jesus bei K. Barth und J.H. Yoder . . 3.1. Die recapitulatio des Weges Jesu als Christus politicus bei J.H. Yoder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Der »königliche Mensch«. Die Darstellung des Weges Jesu bei K. Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Analogie und Differenz in der Darstellung des irdischen Jesus bei K. Barth und J.H. Yoder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4. Nachfolge als imitatio bei K. Barth und J.H. Yoder . . . . . . . . . . 4.1. Nachfolge als schöpferische Nachfolge des freien Menschen bei K. Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Nachfolge als imitatio crucis und die Staurozentrik der Mimesis bei J.H. Yoder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Die Nachfolge- als Nachahmungskonzeption bei K. Barth und J.H. Yoder im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. K. Barths Nachfolgekonzeption im Rahmen seiner Stellvertretungschristologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Das große Kreuz Christi und das kleine Kreuz der Nachfolgenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Die Vorordnung der inklusiven Stellvertretungschristologie in K. Barths Nachfolgekonzeption und Yoders primär soziales Versöhnungsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Humanitas Christi. Zur Lehre von der An- und Enhypostasie als präzisierender Bestimmung des Gegenstandes der Nachfolge nach Karl Barths Versöhnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Ansatz der »hohen Christologie« J.H. Yoders bei der humanitas Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. K. Barths Rückgriff auf die klassische Christologie in seiner Versöhnungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Korrelation von An- und Enhypostasie. Eine dogmengeschichtliche Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. K. Barths Rezeption altkirchlicher Christologie . . . . . . . . . Exkurs: K. Barths Rezeption neutestamentlicher Präexistenzaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. »Das Menschliche aller Menschen«. Das Objekt der assumptio carnis und die universale Tragweite der Menschlichkeit Christi nach K. Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Wahrer Gott und wahrer Mensch: Der Triumph des Chalcedonense in einer dialektischen Verhältnisbestimmung . 4. Die theologische Bedeutung der Lehre von An- und Enhypostasie für die Grundlegung der Friedensethik als Nachfolgeethik . . . . . 4.1. Die Valenz der Negation. Die theologische Bedeutung der Anhypostasielehre für die Grundlegung der Friedensethik als Nachfolgeethik bei K. Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.2. Die Valenz der Position. Die theologische Bedeutung der Enhypostasielehre für die Grundlegung der Friedensethik als Nachfolgeethik bei K. Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie J.H. Yoders. Eine Problemanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Konzeptionelle Konkretionen zur christologischen Grundlegung der Friedensethik Karl Barths 1. Entdecken und begründen. Die analogia fidei und die friedensethische Urteilsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Analogiebildungen unter Willkürverdacht. K. Barths politische Ethik im Zwielicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. K. Barths »Schema« der Sach- und Verlaufsstruktur politisch-ethischer Urteile aus theologischer Perspektive . . . . . Exkurs: Die geistliche Atombombe. K. Barth und der status confessionis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Erkennbarkeit des Gebotes Gottes und die Dispositionen der politisch-ethischen Urteilsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Unterminiert K. Barths Verständnis des Gebotes Gottes sein Urteilsschema? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. K. Barths Gebrauch der analogia fidei im Entdeckungszusammenhang der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Der Begründungs- und Entdeckungszusammenhang von Theologie und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Die analogia fidei – eine deduktive Argumentationsform? . . 4.3. Die Valenz von Analogiebildungen im Entdeckungszusammenhang der Ethik . . . . . . . . . . . . 4.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Der Grenzfall – ein casus christologicus? Metakritische Bemerkungen zur Barth-Yoder-Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. K. Barth und sein mennonitischer Schüler J.H. Yoder. Einleitende biographische Bemerkungen zum Verhältnis beider . . . . . . . . . 2. J.H. Yoder – der »bessere« Barthianer? J.H. Yoders »interne« Kritik an K. Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Der Ansatzpunkt von J.H. Yoders Kritik an Barths Gebrauch des Grenzfallbegriffs auf dem Hintergrund seiner Barthrezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. J.H. Yoders Gravamina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.2.1. Kasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Voluntarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3. »Lesser-evil«-Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. K. Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls . . . 3.1. Grenzfall: Wort Gottes – Gebot Gottes – Jesus Christus . . . 3.1.1. Gebotsethische Organisationszusammenhänge der »Kirchlichen Dogmatik« . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Schöpfungsethische Organisationszusammenhänge der »Kirchlichen Dogmatik« . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Die Schweizer Landesverteidigung im Zweiten Weltkrieg als »Grenzfall«. K. Barths Verteidigung des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Der integrative Zusammenhang der drei Grundbegriffe der Rechtsstaatlichkeit: Recht, Frieden und Freiheit . . 3.2.3. K. Barths Interpretation der Schweizer Neutralität . . . 3.2.4. Der »politische Gottesdienst« als politisch-ethischer Argumentationszusammenhang . . . . . . . . . . . . . 3.2.5. Die Judenfrage als der Testfall der Rechtsstaatlichkeit . 3.3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. »Jetzt ist’s genug«. Karl Barths Rezeption der Kriterien des gerechten Krieges im Atomzeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. K. Barths Friedensethik im Spannungsfeld der friedensethischen Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Zur Ausgangsfrage: Karl Barth – ein heiliger oder ein gerechter Krieger? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. K. Barths Absage an moderne Kreuzzüge . . . . . . . . . . . . 2. Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei K. Barth auf dem Hintergrund seines Naturrechtsverständnisses . . . . . . . . . . . . 2.1. Inwiefern »gerecht«? K. Barths Gebrauch des Begriffs »gerechter Krieg« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Konsonanz oder Dissonanz? K. Barth und das Naturrecht . . . 2.3. Die Rezeption der Kriteriologie des gerechten Krieges bei K. Barth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Die Bedeutung des Naturrechtsverständnisses für die Lehre vom gerechten Krieg bei K. Barth . . . . . . . . . 2.3.2. Formale und inhaltliche Eigentümlichkeiten der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.3.3. K. Barths Applikation der bellum-iustum-Kriteriologie unter den Bedingungen des voratomaren und des atomaren Zeitalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der gerechte Krieg und die Gehorsamsverweigerung. Zur Notwendigkeit einer Einbettung der bellum-iustum-Kriteriologie in den Kontext einer Widerstandslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. »Be Honest in Just-War-Thinking!« John H. Yoders Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der konzeptionelle Rahmen von J.H. Yoders Rezeption . . . . . . Exkurs: Inwiefern können Christenmenschen Staatsdiener sein? Die Beteiligung an staatlichen Institutionen nach J.H. Yoder . . . . . . . 2. J.H. Yoders dekonstruktives Interesse: Being Honest in Just-War-Thinking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik an der Just-War-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Just-War-Tradition statt Lehre vom gerechten Krieg . . . . . 3.2. Die Kriterien der Just-War-Tradition . . . . . . . . . . . . . . 3.3. J.H. Yoders Kritik an der Just-War-Tradition . . . . . . . . . Exkurs: »Whose ›Just‹ War? Which Peace?« S. Hauerwas’ Kritik an der Just-War-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. (Re-)Konstruktion der Just-War-Tradition . . . . . . . . . . . . . 4.1. J.H. Yoders Ingebrauchnahme des Relativismusarguments . . 4.2. Die Entwicklungsgeschichte der Just-War-Tradition nach J.H. Yoder. Eine duale Narration zwischen Subversion und Affirmation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Ekklesio-ethische Resonanzen in J.H. Yoders Rezeption der Just-War-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: R. Hütters ekklesio-ethische Rezeption der Just-War-Tradition. Eine Problematisierung des Verhältnisses von Nationalstaat und Kirche im Horizont transnationaler Strukturen . 4.4. Rechtsethische Resonanzen in J.H. Yoders Rezeption der Just-War-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stärken und Grenzen von J.H. Yoders Rezeption der Just-War-Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Si non vis bellum para pacem. Impulse Karl Barths für die aktuelle friedensethische Debatte im Paradigmenstreit zwischen »gerechtem Krieg« und »gerechtem Frieden« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. »Neue Kriege«? Die Aktualität der Friedensethik K. Barths exemplifiziert anhand seiner Kriegsdefinition . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2. Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg? Einwände und Erwiderungen zur Forderung nach einer Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg im deutschsprachigen Diskurskontext . . . . . . . 2.1. Der Utopismusvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Der Vorwurf semantischer Verschleierung der Wiederkehr der Lehre vom gerechten Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Der Vorwurf des Rechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ansätze zum Konzept eines »gerechten Friedens« bei K. Barth . . . 4. K. Barths Beitrag zur Theoriebildung der theologischen Friedensethik. Eine programmatische Schlussbemerkung . . . . . . 4.1. Die Aufgabe einer theologischen Friedensethik: Die friedensstiftende Kraft von Recht und Kirche ethisch reflektieren. K. Barths doppelte Akzentsetzung . . . . . . . . . 4.2. Theologische Friedensethik als Rechtsethik . . . . . . . . . . . Exkurs: Politisch-ethisches Denken unter der conditio saecularis? K. Barths säkulares Staatsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Theologische Friedensethik als kirchliche Ethik . . . . . . . . . 4.3.1. Die politische Verantwortung der Christengemeinde . . . 4.3.2. Der Friedensauftrag der Kirche . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3. Mitarbeit am Friedensbegriff. Konzeptionelle Abschlussbemerkung zu einer rechtsethisch-inklusiven und christologisch fundierten kirchlichen Ethik . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Diese Studie hat eine lange und verworrene Genese. Ich habe es mir mit ihrem Gegenstand nicht leicht gemacht und mich ihr gleich in mehreren Anläufen gewidmet. Flankiert wurde meine Untersuchung sicherlich nicht zufällig durch Studien zur theologischen Friedensethik Johannes Calvins, die ich inzwischen gesammelt vorlegen konnte.1 Calvin hat als Lehrer Barths einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf diesen ausgeübt. Nachdem mich noch im Studium Prof. Dr. Reinhard Hütter und Prof. Dr. Stanley Hauerwas D.D. während eines unvergesslichen Studienaufenthaltes an der Duke University (Durham, North Carolina) im Sommer 1998 auf die Spur von Barth und Yoder gesetzt und diese Untersuchung angeregt hatten, widmete ich mich ihr direkt im Anschluss an das Erste Theologische Examen (2000) in einem ersten Anlauf unter Anleitung von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Eberhard Busch. Ein Stipendium seitens der Studienstiftung des Deutschen Volkes, der ich für ihre Unterstützung bleibend dankbar bin, ermöglichte mir einen ersten intensiven Zyklus der Beschäftigung (inklusive eines erneuten mehrwöchentlichen Aufenthalts an »Duke«). Dieser erste Anlauf wurde unterbrochen durch meine Promotion zur biomedizinethischen Thematik der In-vitro-Fertilisation2 und das Vikariat. Als Assistent konnte ich in Bern die Fäden später wiederaufnehmen und diese Studie unter Anleitung von Prof. Dr. Wolfgang Lienemann recht zügig zu Ende führen. Im Sommer 2010 habilitierte ich mich mit ihr an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Für die Drucklegung wurde die ursprüngliche Habilitationsschrift überarbeitet. Den genannten Personen, die mich auf diesem Weg begleiteten und mir in ganz unterschiedlicher Weise und Intensivität zu Lehrern wurden, habe ich sehr zu danken: Zunächst Reinhard Hütter und Stanley Hauerwas dafür, dass sie mich in die Theologie John Howard Yoders eingeführt und mein Projekt auf alle 1 M. Hofheinz, Johannes Calvins theologische Friedensethik, ThFr 41, Stuttgart 2012. 2 Ders., Gezeugt, nicht gemacht. In-vitro-Fertilisation in theologischer Perspektive, EThD 15, Münster 2008.

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Vorwort

erdenkliche Weise gefördert haben; sodann Eberhard Busch dafür, dass er meine ersten Anläufe begleitete und schließlich im Berner Habilitationsverfahren das Zweitgutachten übernahm. Ihm verdanke ich viele Einsichten in die Theologie Karl Barths. Entscheidend wurden für mich meine Berner Lehrjahre bei Wolfgang Lienemann, der mir die rechtsethische Denkungsart erschlossen hat und mich als seinen Assistenten in großzügigster Weise förderte. Außer den genannten Personen sind eine ganze Reihe von weiteren Personen zu nennen, die das Entstehen dieser Arbeit begleitet haben: Prof. Dr. Jürgen Fangmeier (1931 – 2013), dem ich seit dem Beginn meines Studiums an der KiHo Wuppertal sehr verbunden war, mein amerikanischer Freund Prof. Dr. Peter Browning (Drury College), unser ehemaliger Gemeindepfarrer Wilhelm Hofius in Siegen-Eiserfeld, die Berner Freunde Prof. Dr. Frank Mathwig und Prof. Dr. Matthias Zeindler, Prof. Dr. George Hunsinger (Princeton), Prof. Dr. Heinrich Assel (Greifswald), Prof. Dr. J. Christine Janowski und Prof. Dr. Torsten Meireis (beide Bern), Prof. Dr. Hans Günther Ulrich (Erlangen), sowie in besonderer Weise Prof. Dr. Georg Plasger (Siegen). Sehr gefreut hat es mich, dass diese Arbeit mit dem J.F. Gerhard Goeters-Preis der »Gesellschaft für die Geschichte des Reformierten Protestantismus e.V.« ausgezeichnet wurde. Für großzügige Druckkostenzuschüsse danke ich der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, der Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer, der Karl Barth-Gesellschaft, dem Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, der Schweizerischen Reformationsstiftung und dem Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), für selbstloses Korrekturlesen jeweils von Auszügen dieser Arbeit Pfr. Jens Heckmann, PD Dr. Stefan Heuser, Claudia Hofheinz, Prof. Dr. Frank Mathwig, Raphaela Meyer zu Hörste-Bührer, Jörn Neier, Dr. Frederike van Oorschot, Prof. Dr. Georg Plasger und Prof. Dr. Matthias Zeindler. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Gunther Wenz und Prof. Dr. Christine Axt-Piscalar für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe »Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie«, sowie Frau Silke Hartmann und Herrn Jörg Persch für die verlegerische Betreuung. Ohne die Unterstützung meiner Familie, der Eltern in Feudingen, der Schwiegereltern in Eiserfeld, meinem Bruder Timo und vor allem meiner Frau Dörte hätte ich diese Untersuchung niemals abschließen können. Unseren Kindern Daniel, Hanna, Amelie und Jakob ist diese Arbeit gewidmet. Hannover, im September 2013

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Marco Hofheinz

0.

Einleitung

1.

Explikation der Themenstellung der Untersuchung unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes

1.1.

Die christologische Grundlegung theologischer Friedensethik in der Gegenwart

In einer seiner nachgelassenen Nachkriegserzählungen, den Lesebuchgeschichten, schreibt der »Trümmerliterat« Wolfgang Borchert (1921 – 1947): »Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Haus. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot. Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter. Warum nicht, fragte der Soldat.«1 Ähnlich fragte der Berliner Theologe Friedrich-Wilhelm Marquardt (1928 – 2002), als im Rahmen des sog. »zweiten Golfkriegs« zu Beginn des Jahres 1991 der Satz der Ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam (1948) »Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein«2 seines Erachtens unreflektiert wiederholt wurde: »Wer seid Ihr denn eigentlich immer noch, daß Ihr so genau über Gottes Willen Bescheid wißt? […] Woher weißt du eigentlich, daß Kriege nach Gottes Willen nicht mehr sein dürfen?«3 Diese Rückfrage nach dem »Warum nicht?« markiert einen Klärungsbedarf, der auch und vielleicht sogar gerade in Friedenszeiten besteht. Wenn in Kriegszeiten getötet werden darf, warum sollte das Töten nach dem Krieg, gleichsam von einer Sekunde auf die andere, verboten sein? – so die provozierende Rückfrage der Borchertschen Erzählung. Offensichtlich ist nicht nur die 1 W. Borchert, Das Gesamtwerk, 317. 2 W.A. Visser’t Hooft (Hg.), Die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen Bd. 5, 117. 3 F.-W. Marquardt, zit. nach W. Huber, Die tägliche Gewalt, 103. Zu Marquardts eigener Begründung vgl. seine Auslegung der »noachidischen Gebote«, insbesondere zum Verbot des Blutvergießens ders., Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? Bd. 1, 200 – 335, insbes. 305 – 314.

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Einleitung

Praxis, sondern auch die Theorie des Tötungsverzichtes keineswegs selbstverständlich. Dies lässt sich exemplarisch anhand der radikalen Moralkritik Friedrich Nietzsches (1844 – 1900), des selbsternannten »erste[n] Immoralisten« und »Vernichter par excellence«4, demonstrieren, der jene scheinbare Selbstverständlichkeit in Frage stellt: Die Vermeidung von Krieg ist ihm zufolge eine Maxime der Sklavenmoral, ein genuin egoistisches Verlangen des Schwachen:5 »[S]ein gründlichstes Verlangen geht darnach, dass der Krieg, der er ist, einmal ein Ende habe; das Glück erscheint ihm, in Übereinstimmung mit einer beruhigenden (zum Beispiel epikurischen oder christlichen) Medizin und Denkweise, vornehmlich, als das Glück des Ausruhens, der Ungestörtheit, der Sattheit, der endlichen Einheit, als ›Sabbat der Sabbate‹, um mit dem heiligen Rhetor Augustin zu reden, der selbst ein solcher Mensch war.«6 Nietzsche kann sogar soweit gehen, das Tötungsverbot für lebens- weil elitenfeindlich zu erklären: »[E]s ist unmoralisch im tiefsten Verstand zu sagen: du sollst nicht tödten…«7 Der »Ethik der Vornehmheit« bzw. dem »Immoralismus« schadet der Krieg nicht, vielmehr entspricht er gerade dem moralanalogen Verhalten der exzeptionell Vornehmen, die nur gegenüber ihresgleichen Pflichten haben: Vornehme »sind nach Aussen hin […] nicht viel besser als losgelassne Raubthiere.«8 Die radikale Infragestellung der Evidenz des Tötungsverbotes belegt die Notwendigkeit, nach Gründen für ein solches Verbot zu fragen. Die Geschichte des Miss- und Gebrauchs »ethischer« Argumentationsfiguren zur Rechtfertigung von Krieg, Terror und Gewalt – sei es im Zuge einer Sklaven- oder Herrenmoral – verweist auf das Erfordernis, diese Rückfragen zugleich in den Horizont der Frage nach der Erkennbarkeit dieser Gründe zu rücken: »Woher weißt du eigentlich …?« So fragt F.-W. Marquardt und benennt damit die noetische Zielrichtung der Frage nach entsprechenden Gründen für ein Tötungsverbot. Marquardts Rückfrage ist – etwas genauer betrachtet – theologischer Natur. Der Berliner Theologe bezieht sie auf das Gebot Gottes. Sie bewegt sich im Horizont des sechsten Gebots: »Du sollst nicht töten« (Ex 20,13; Dtn 5,17). Folgt man der alten, etwa beim Genfer Reformator Johannes Calvin nachzulesenden Regel, dass jedes Verbot im Rahmen der Dekalogsauslegung in ein Gebot zu

4 Vgl. F. Nietzsche, KStA 6, 366 (Ecce homo). Vgl. a. a. O., 365: »Umwerthung aller Werthe: das ist meine Formel für einen Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit, der in mir Fleisch und Genie geworden ist.« 5 Vgl. ders., KStA 13, 219 (Nachgelassene Fragmente): »[A]lle großen Bewegungen, Kriege usw. bringen die Menschen dazu, sich zu opfern: es sind die Starken, die auf diese Weise fortwährend ihre Zahl vermindern… [E]s ist der Egoismus der Schwachen, der das Lob des Altruismus geschaffen hat…« Vgl. auch ders., KStA 5 (Jenseits von Gut und Böse), 219 f. 6 A.a.O., 120 f. 7 Ders., KStA 13, 594 (Nachgelassene Fragmente). 8 Ders., KStA 5, 274 (Zur Genealogie der Moral).

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Explikation der Themenstellung

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transformieren ist,9 so wäre zu diskutieren, ob man die negativ formulierte Themenstellung etwa in die ins Positive gewendete Ausgangsfrage verwandeln könnte: »Warum soll Frieden gestiftet werden bzw. woher weiß ich, dass Frieden gestiftet werden soll?« Man kann diese positiv gefasste Frage wohl als die grundlegendste aller friedensethischen Fragestellungen bezeichnen. Sie geht – salopp formuliert – ans »Eingemachte«, indem sie die Grundlagen allen friedensethisch verantworteten Handelns er- und hinterfragt. Im Sinne einer Leitfrage ist auch die vorliegende Untersuchung dieser Frage gewidmet. Ihrer Zielsetzung nach will sie die Grundlagen der theologischen Friedensethik in konstruktiver Absicht erund befragen. Dies soll allerdings nicht gleichsam im luftleeren Raum erfolgen, sondern anhand eines konkreten theologischen Entwurfs, nämlich dem des Schweizer Theologen Karl Barth (1886 – 1968), des wohl bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts,10 dessen Werk von seinem profilierten Ansatz her auch im Blick auf seinen (friedens-)ethischen Entwurf eine klare Positionierung erwarten lässt. Ihn gilt es im Folgenden mit der Frage nach der theologischen Grundlegung seiner Friedensethik zu konfrontieren. Es mag – mit Chr. Frey gesprochen – durchaus so sein, dass es »[v]iele Menschen […] als Zumutung [empfinden], ihre sittlichen Urteile oder Standorte zu begründen.«11 Und auch die zeitdiagnostische Auskunft W. Pannenbergs mag zutreffen, dass sich die »Aufgabe einer Grundlegung der Ethik in einem gegenüber normativen Argumentationen skeptisch gewordenen Zeitalter«12 stellt. Die Einschätzung der Grundlegungsaufgabe der Friedensethik dürfte sich darin wohl kaum von der der allgemeinen Ethik unterscheiden. Der amerikanische Sozial- und Moralphilosoph M. Walzer hat sich – die exponierte, ja exzeptionelle Stellung der Friedensethik im Bereich nicht nur der politischen, sondern der gesamten Ethik hervorhebend – gar zu dem Urteil verstiegen: »Krieg ist die härteste Bewährungsprobe – wenn für diesen Bereich umfassende und in sich schlüssige moralische Urteile möglich sind, sind sie überall möglich.«13 Unabhängig davon, ob man Walzers Urteil zustimmen mag oder nicht, wird man kaum bestreiten können, dass sich die Aufgabe einer Grundlegung auch in Bezug auf die Friedensethik stellt.14 9 In seiner Auslegung des sechsten Gebots rekurriert J. Calvin (Harmonie des 2. bis 5. Buches Mose, 616) auf den Grundsatz, »daß dem Verbot gegensätzlich ein entsprechendes Gebot zu entnehmen ist« – »praeceptis negativis (ut vocant) subesse contrarium affirmationem«; CO 24,611 f. 10 Vgl. zu diesem Urteil Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths, 12 f. 11 Ders., Theologische Ethik, 229. 12 W. Pannenberg, Grundlagen der Ethik, 5. 13 M. Walzer, Gibt es den gerechten Krieg?, 17. 14 Zur aktuellen friedensethischen Debatte im Bereich der Philosophie vgl. G. Brücher, Fragen über Krieg und Frieden, 236 – 262.

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Einleitung

Es gehört zur Unabweisbarkeit der friedensethischen Grundlegungsfrage, dass sie Rückfragen provoziert. Dies gilt auch für die theologische Friedensethik. So fragt man sich etwa: Geht denn das überhaupt – Friedensethik theologisch »Grund« zu legen und friedensethische Aussagen zu begründen? Welche theologische Basis, welches Fundament könnte einem friedensethischen Urteil zugrunde liegen? Produziert nicht bereits die Themenstellung das Missverständnis, als könnten wir Menschen titanenhaft den Frieden, womöglich gar den Frieden Gottes, mit dem es die theologische Friedensethik schließlich zu tun hat, »begründen«? Gründet nicht aller Frieden, sofern er wahrer und nicht fauler Frieden ist, unmittelbar im Frieden Gottes und gerade nicht unseren mehr oder weniger unsicheren menschlichen Friedenskonstruktionen und -bemühungen? Ja, wie hängen überhaupt der Friede Gottes und der Friede zwischen den Menschen zusammen?15 Nach U.H.J. Körtner etwa besteht eines der Grundprobleme aller friedensethischen und friedenspolitischen Diskussionen in der »Mehrdeutigkeit des Friedensbegriffs. Seine Bedeutungsvielfalt macht ihn zu einem Schlüsselbegriff, verführt aber auch zu Unschärfen und Äquivokationen, zum suggestiven Gebrauch und zum ideologischen Missbrauch.«16 Gegenüber derlei Verführungen macht Körtner die »eschatologische Differenz zwischen dem Weltfrieden im politischen Sinne und dem Reich Gottes«17 geltend: »Eine Friedensethik, die zwischen innerweltlichem Friedenshandeln und eschatologischem Frieden Gottes nicht zu unterscheiden weiß, leistet der Moralisierung christlicher Glaubensinhalte Vorschub. Frieden im umfassenden Sinne des Wortes bleibt eine die Grenzen des Machbaren transzendierende Gabe.«18 Im Raum von Kirche werden solche und ähnliche grundlegenden Fragen bis in die Gegenwart hinein gestellt und ihr theologischer Klärungsbedarf hervorgehoben. So mahnt Körtner »eine biblische und theologische Begründung christlicher Friedensethik anstelle eines hemmungslosen Pragmatismus«19 an. So dringend es geboten sei, »über zeitgemäße, den veränderten Rahmenbedingungen angepasste Instrumente der Sicherheitspolitik zur Befriedung, vor allem aber zur Verhinderung gewalttätiger Konflikte nachzudenken«, so unverzichtbar sei es, »sich über die allgemeinen Ziele friedenspolitischen Handelns zu verständigen. Es reiche nicht aus, »wenn lediglich über Strategien der Friedenssicherung oder Konfliktlösung diskutiert und der Streit zwischen pazifis15 W. Joest, Der Friede Gottes und der Friede auf Erden, 110 – 153. 16 U.H.J. Körtner, Evangelische Sozialethik, 178. 17 Ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 4; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 369. 18 Ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 6; ders., Flucht in die Rhetorik, 13; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 376. 19 Ders., Flucht in die Rhetorik, 13.

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Explikation der Themenstellung

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tischen und militärischen Optionen neu ausgelegt« werde. Die friedensethische und sicherheitspolitische Diskussion gerate »in falsche Alternativen, solange ihre grundlegenden Ziele im Unklaren«20 blieben. Eine solche Reflexion ist auch im Blick auf die kirchliche Diskussion erforderlich, damit diese nicht in der »Fülle von Appellen, die sich um eine Begründung drücken«21, untergeht.22 Den Klärungsbedarf in Sachen theologischer Grundlegungsfragen sei kurz anhand der aktuellen EKD-Denkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen« (2007) verdeutlicht.23 Auch in diesem wichtigen kirchlichen Dokument tritt die Grundlegungsfrage als Frage nach der Grundlage zu Tage, auf die sich kirchliche Stellungnahmen zu den aktuellen friedensethischen Herausforderungen stellen und stützen können. Die aktuelle EKD-Friedensdenkschrift fragt nach der »genuin christliche[n] Friedensverantwortung […] in ihrer biblischen und theologischen Begründung«24, nachdem sie zuvor die aktuellen Friedensgefährdungen durch globale sozioökonomische Probleme, Staatsversagen und Zerfall politischer Gemeinschaften, Bedrohungen durch Waffengewalt, kulturelle und religiöse Gefährdungsfaktoren sowie Schwächung des Multilaterialismus thematisiert hatte.25 Ohne größere Umschweife steuert die EKD-Denkschrift auf eine christologische Qualifikation des Friedens Gottes zu, den die Kirche in der Welt zu vergegenwärtigen und zu bezeugen habe. Dieser Friede Gottes wird seinem Wesen nach als »Friede[] Christi«26 bestimmt. Seine Vergegenwärtigung erfolge in jeder Feier des christlichen Gottesdienstes und sein Erleben in der Feier des Heiligen Abendmahls.27 Die EKD-Denkschrift verweist bezüglich ihrer christologischen 20 Ders., Evangelische Sozialethik, 177. 21 Chr. Frey, Theologische Ethik, XI. 22 Nach D. Lange (Ethik in evangelischer Perspektive, 18) besteht »das Defizit in der evangelischen Ethik […] entgegen dem ersten Eindruck primär nicht in der Ratlosigkeit gegenüber konkreten aktuellen Einzelfragen, sondern in der Behandlung der Grundprobleme. […] aufs Ganze gesehen bietet der Diskussionsstand ein höchst verwirrendes Bild, und gar nicht selten hat man sogar den Eindruck, als ob das schlichte Bekenntnis zu einer bestimmten theologischen Richtung bereits als ausreichende Begründung gelten solle.« 23 Zur Diskussion vgl. die diversen Beiträge in: C. Hauswedell (Hg.), Frieden und Gerechtigkeit, sowie U. Duchrow, Von oben herab, 50 – 52; J. Fischer / J.-D. Strub, Abschied vom gerechten Krieg, 11 – 13; W. Härle, Ethik, 408 – 428; M. Haspel, Gerechter Friede, 43 – 46; W. Huber, Von der gemeinsamen Sicherheit zum gerechten Frieden, 147 – 170, bes. 162 – 165; Chr. Polke, Gottes Friede – gerechter Friede, 149 – 168; H.-R. Reuter, Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 163 – 168; ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 36 – 43; J.-D. Strub, Der gerechte Friede, bes. 75 – 97; S. Widmann, Die Wirklichkeit ist das Sakrament des Gebotes. Zur Vorgeschichte, Entstehung und Rezeption dieser Denkschrift vgl. E. Pausch, »Aus Gottes Frieden leben«, 74 – 91. 24 Kirchenamt der EKD (Hg.), Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, 28. 25 Vgl. a. a. O., 14 – 27. 26 A.a.O., 28. 27 Vgl. a. a. O., 29.

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Einleitung

Bestimmung des Friedensbegriffs gesamtbiblisch auf die messianische Erwartung eines »Friedensfürsten« (Jes 9,5), die Friedensverkündigung des den Hirten erscheinenden Engels bei Jesu Geburt (Lk 2,14), die Seligpreisung der Friedensstifter in der Bergpredigt (Mt 5,9) und die Friedensgabe des sich von seinen Jüngern verabschiedenden johanneischen Christus (Joh 14,27) sowie den Friedensgruß des Auferstandenen (Joh 20,19.21.26).28 Die EKD-Denkschrift bestimmt den »Frieden auf Erden« im Sinne der »weihnachtlichen« Friedensdeklamation des Engels (Lk 2,14) als »irdische Entsprechung«29 zur »Ehre Gottes in der Höhe«. Die christologische Begründungsstruktur, wie sie die EKD-Denkschrift präsentiert, lautet näherhin: »Weil Gott in Christus Frieden stiftet, können Christenmenschen inmitten einer von Gewalt entstellten Welt aus diesem Frieden leben.«30 Die Friedensstiftung in Christus wird offensichtlich als Ermöglichungsgrund einer irdischen Friedensexistenz verstanden: »Quelle menschlicher Friedensfähigkeit und Grundlage jedes wahrhaften Friedens ist nach christlicher Überzeugung die versöhnende Zuwendung Gottes, die die gestörte Beziehung der Menschen zu ihm zurechtbringt und menschliche Schuld nicht zurechnet (2Kor 5,19; Röm 5,10 f.).«31 Das göttliche Friedenstiften erfährt eine versöhnungstheologische Explikation anhand des stellvertretenden Sühnetodes Christi als deren Interpretament.32 Dabei liegt die versöhnungsethische Pointe in der Interpretation der Versöhnung in Christus als Bedingung der Möglichkeit menschlicher Versöhnung. In diesem theologischen Begründungsgefüge tritt zugleich eine Entsprechungssemantik vor Augen, wonach die Vertikale gleichsam auf der Horizontalen abgebildet werden soll, wobei die Vertikale zugleich als conditio sine qua non der entsprechenden interhumanen Versöhnungspraxis verstanden wird: »Die von Gott gewährte Versöhnung mit ihm ermöglicht ein entsprechendes neues Verhältnis der Menschen untereinander, das sich zeichenhaft in der christlichen Gemeinde realisiert und ihr als umfassender Dienst der Versöhnung (2Kor 5,18) aufgetragen ist.«33 An anderer Stelle wird die Rede von der göttlichen Versöhnung als Ermöglichungsgrund überboten, wenn es dort ungleich fulminanter heißt: »Wer aus

28 29 30 31 32

Vgl. a. a. O., 28. A.a.O., 28. A.a.O., 29. A.a.O., 45 f. Vgl. a. a. O., 46: »Der christliche Glaube versteht den Kreuzestod Jesu als endgültigen und unwiderruflichen Friedensschluss Gottes mit der gesamten Schöpfung und als grundsätzliche Überwindung menschlicher Feindschaft (Kol 1,19 f.; Eph 2,14 ff.).« 33 Ebd. Kursivierung: M.H.

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Explikation der Themenstellung

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diesem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein.«34 Die EKDDenkschrift konstatiert auch hier einen Zusammenhang zwischen dem Frieden Gottes (Antezedens), der in Christus gestiftet wurde, und dem Frieden auf Erden (Konsequenz): Aus dem Leben aus Gott (modus ponens) folgt das Eintreten für den Frieden in der Welt.35 Der Umkehrschluss eines syllogismus practicus: »Wer nicht für den Frieden in der Welt eintritt [modus tollens; M.H.], der lebt auch nicht aus Gott«, wird indes nicht formuliert. Der konstatierte Begründungszusammenhang ist offensichtlich kein notwendiger, aber doch (anders als im vorausgehenden Fall) mehr als ein bloß möglicher. Folgt man der Kantschen Urteilstafel wird man dieses Urteil als ein assertorisches Urteil bestimmen können, d. h. als ein Urteil, »wo man das Bejahen oder Verneinen« weder »als bloß möglich (beliebig) annimmt« (problematisches Urteil), noch »es als notwendig ansieht« (apodiktisches Urteil), sondern »es als wirklich (wahr) betrachtet«36 wird. Die Modalität der beiden angeführten Urteile aus der EKD-Denkschrift, die – in Kantscher Terminologie – ein problematisches und ein assertorisches Urteil darstellen, divergiert, wenngleich die Versöhnung in beiden Fällen als effektives, den Menschen veränderndes Geschehen interpretiert wird. Die theologischen Urteile, die im Blick auf die christliche Friedensverantwortung begründende Funktion haben sollen, variieren, ohne einander explizit zu widersprechen. Es ist offensichtlich nicht leicht, eine entsprechende theologische Begründung auf eine Formel zu bringen. Dass eine Begründung in theologisch verantworteter Weise nicht remoto Christo erfolgen kann, daran allerdings lässt die EKDDenkschrift in ihren begründungspraktischen Variationen keinen Zweifel. Dass das Konzept des »gerechten Friedens« anhand dieses friedensethischen Schlüsselbegriffes und dieser Leitkategorie namentlich unter Abstraktion vom Geschehen der Versöhnung Gottes mit der Welt in Jesus Christus entfaltet werden kann, wird bestritten. Insofern hat sich die Denkschrift durchaus eine christologische Konzentration im Blick auf ihre theologische Grundlegung auferlegt. Es ist – wie W. Huber in seinem Vorwort zur EKD-Friedenserklärung betont – der Friede Gottes, welcher »Grund und Horizont allen menschlichen Bemühens um den Frieden«37 bildet. Oder mit H.-R. Reuter, einem der Hauptautoren der EKD-Denkschrift, gesprochen: »Als Quelle menschlicher Frie34 A.a.O., 28. 35 Vgl. W. Huber, Von der gemeinsamen Sicherheit zum gerechten Frieden, 162: »Weil Christen aus Gottes Frieden leben, treten sie für den Frieden in der Welt ein.« 36 I. Kant, KrV, B 100. Während Kant in seiner Urteilstafel (vgl. a. a. O., B 95) drei Urteilsformen in der Urteilsklasse der Modalität nennt, kennt die formale Logik diesbezüglich nur zwei Urteilsformen. 37 W. Huber, Vorwort, in: Kirchenamt der EKD (Hg.), Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, 10.

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Einleitung

densfähigkeit gilt die durch den menschgewordenen Gott schon jetzt gewährte Versöhnung der Menschen mit ihm untereinander (Eph 2,14 – 19). Dieser Frieden ist somit für menschliches Handeln unverfügbar, aber keineswegs bedeutungslos.«38

1.2.

Die Friedensethik K. Barths als Forschungsgegenstand

Was die Begründung der Friedensethik aus einem versöhnungsethischen Paradigma heraus betrifft, so nimmt die Konzeption Karl Barths im 20. Jahrhundert zweifellos eine exponierte Stellung ein. Dies gilt nicht zuletzt im Blick auf seine eminent ökumenische Wirkung.39 Wenn man einmal von Dietrich Bonhoeffer40 und Hans Joachim Iwand41 absieht, der mit seinem versöhnungstheologischen Ansatz stark von Barth beeinflusst und geprägt ist, so dürfte sich im 20. Jahrhundert niemand mit einer strengeren christologischen Konzentration den friedenspolitischen und friedensethischen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts zugewandt haben als Barth. Nichtsdestotrotz ist Barths Friedensethik, gerade auch in wirkungsgeschichtlicher Perspektive betrachtet, nicht unumstritten. So bemerkt etwa D. Lange: »Es ist aus ihr in den Nachkriegsjahren der Typus einer Bekenntnisethik erwachsen, die in mehr oder weniger deutlichem Anschluß an Barth die ›protestantische Linke‹ der letzten Jahrzehnte geprägt hat. Diese Gruppierung verband – und verbindet – unter hohem Autoritätsanspruch eine dankenswerte Wachsamkeit gegenüber Wiederbelebungsversuchen nationalkonservativer Ordnungstheologie mit oft recht unkritischen und undifferenzierten Voten für den Sozialismus und Pazifismus.«42 Direkt auf Barth bezogen hält W. Lienemann fest: »Unter den Theologen unseres Jahrhunderts kenne ich keinen, der wie Karl 38 H.-R. Reuter, Was ist ein gerechter Frieden?, 177. 39 T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung; K. Hoffmann, Die große ökumenische Wegweisung; P. Scherle, Fragliche Kirche; W.A. Visser’t Hooft, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 121 – 136. 40 Zur Friedensethik Bonhoeffers vgl. Vgl. S. Hauerwas, Performing the Faith, 33 – 72; M. Heimbucher, Christusfriede – Weltfrieden; W. Krötke, Barmen – Barth – Bonhoeffer, 403 – 422; J. v. Lüpke, Frieden im Kampf um Gerechtigkeit und Wahrheit, 13 – 28; R. Mokrosch, Was heißt »Frieden stiften«?, 108 – 181; H.-R. Reuter, Vom christlichen Pazifismus zum aktiven Widerstand, 15 – 42; Chr. Tietz, War Dietrich Bonhoeffer Pazifist?, 28 – 40; H.-E. Tödt, Theologische Perspektiven nach Dietrich Bonhoeffer, 126 – 129. 41 Zur Friedensethik Iwands vgl. neben dem Quellenband »Frieden mit dem Osten. Texte 1933 – 1959« G.C. Den Hertog, Befreiende Erkenntnis, 422 – 433.466 – 501; M. Hoffmann, Bezeugte Versöhnung, 241 – 251; B. Klappert, Versöhnung, Reich Gottes und Gesellschaft, 341 – 369; G. Plasger, Frieden als Dienst der Versöhnung, 143 – 161; P.P. Sänger, Die eine Menschheit, 132 – 143. 42 D. Lange, Ethik in evangelischer Perspektive, 40.

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Barth mit äusserster historischer Sensibilität die spezifisch christliche Friedensverantwortung reflektiert hätte.«43 Betrachtet man auf dem Hintergrund dieser Bemerkung den gegenwärtigen Stand der Barthforschung mit friedensethischem Interesse, so kann man ein paradox erscheinendes Phänomen wahrnehmen, was die Disproportionalität der »Barthiana« im Blick auf Primär- und Sekundärliteratur betrifft: Einerseits wird man mit W. Lienemann kaum um den Befund umhin können, dass »kein Thema der Ethik Barth zeitlebens so intensiv und unausgesetzt umgetrieben hat wie die Frage der Friedenssicherung und des politischen Widerstandes«44. Andererseits muss man angesichts einer wenig erfolgreichen Suche nach entsprechender Sekundärliteratur zu diesem Thema konstatieren, dass die Barthsche Friedensethik bislang kaum wahrgenommen wurde. Die beiden einzigen, neben kleineren Publikationen erschienenen Monographien zur Thematik stammen aus dem angelsächsischen Sprachraum: Das ist zum einen die Edinburgher Dissertation von David E. Roberts »Hope in Times of War«, die sich der theologischen Bewertung des Krieges bei Barth und H. Richard Niebuhr widmet, und zum anderen das Buch »Karl Barth and the Problem of War« (1970) aus der Feder des aus täuferisch-mennonitischer Tradition stammenden amerikanischen Theologen John H. Yoder. Daneben liegen nur kleinere Studien in Aufsatzform zur Thematik vor.45 Hic Rhodus, hic salta! – diese Forderung legt sich angesichts besagter Disproportionalität nahe.

43 W. Lienemann, Rechtsschutz und Gewaltprävention, 7 44 Ders., Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 173. Ähnlich G. Hunsinger, Karl Barths Witz und Weisheit, 80: »Barth [erachtete] bestimmte politische Nöte als äußerst dringlich, besonders die Gefahren des Militarismus und den gefährdeten Weltfrieden. Die Drohung der Atomwaffen lastete schwer auf seinem Gewissen«. 45 Aus dem deutschsprachigen Bereich sind mir an Publikationen bekannt: D. Baumann, Militärethik, 272 – 276; E. Busch, Verantwortung für den Frieden, 70 – 83; H. Falcke, Aspekte der gegenwärtigen Friedensdiskussion beleuchtet durch Karl Barths Friedensethik, 175 – 191; ders., Der prekäre Grenzfall, 31 – 41; G.J. Heering, Karl Barth und das Problem des Krieges, 440 – 454; D. Kinkelbur, Theologie und Friedensforschung, 34 – 42; B. Klappert, Einführung: K. Barth, 86 – 98; ders., Versöhnung und Befreiung, 252 – 284; W. Lienemann, Reich und Geschichte, 372 – 379; A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 236 – 253. Vgl. auch H. Thielicke, Die Atomwaffe als Frage an die christliche Ethik, 11 f. Was den angelsächsischen Sprachraum angeht, sei verwiesen auf: J.R. Bowlin, Barth and Werpehowski on War, 83 – 95; D. Clough, Ethics in Crisis, 89 – 103; ders., Fighting at the Command of God, 214 – 226; C. Green, Freedom for Humanity, 99 – 102; J.T. Johnson, Just War Tradition and the Restraint of War, 338 f.; R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 225 – 239, O. O’Donovan, Karl Barth and Ramsey’s »Use of Power«, 1 – 30; D. Okholm, Defending the Cause of the Christian Church, 144 – 162; R. Williams, Barth, War, and the State, 170 – 190; W. Werpehowski, Karl Barth and Just War, 60 – 82; ders., Karl Barth and Politics, 237 – 240; J.H. Yoder, The Pacifism of Karl Barth.

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Einleitung

Dieses Forschungsdesiderat soll in der vorliegenden Untersuchung zur christologischen Grundlegung der Friedensethik K. Barths zumindest partiell eingelöst werden. Dabei wird die reife Gestalt der Friedensethik Barths im Zentrum des Untersuchungsinteresses stehen und nicht etwa die friedensethischen Überlegungen des »frühen Barth«. Der Versuch einer Rekonstruktion der Genese der »verschlungenen Pfade«46 von Barths (Friedens-)Ethik etwa in einer Art »diachronem Durchmarsch« durch die verschiedenen Stationen von Barths Leben und Denken hindurch soll hier also nicht vorgelegt werden. Ein solches Unternehmen, das beim kindlichen Bleisoldatenspiel47 ansetzen könnte, um die Bestandsaufnahme über frühe studentische Wahrnehmungen des »unerträglichen Militarismus«48 in Deutschland bis etwa hin zu Äußerungen des greisen Barths »[g]egen den Krieg und die Kriegsführung der mit Westdeutschland verbündeten Amerikaner in Vietnam«49 zu entfalten, wäre sicherlich durchaus sinnvoll und lohnend. Und es wäre töricht, bestreiten zu wollen, dass sich bereits zur Zeit von K. Barths pfarramtlicher Tätigkeit in Safenwil eine reiche materiale Grundlage für ein solches Unterfangen etwa in seinen Predigten aus der Zeit des Ersten Weltkriegs50, Briefen u. a. an seine theologischen Lehrer oder auch einigen Gelegenheitsschriften aus der damaligen Zeit sowie seinem ersten Römerbriefkommentar (1919) finden ließen.51 Das Gegenteil ist der Fall, wie bereits J. Fählers Untersuchung »Der Ausbruch des 1. Weltkrieges in Karl Barths Predigten 1913 – 1915«52, Barths Briefwechsel mit Martin Rade,53 daneben 46 H. Fischer, Systematische Theologie, 111. 47 Vgl. K. Barth, Autobiographische Skizzen aus dem Fakultätsalbum der Ev.-Theol. Fakultät in Münster (1927), in: K. Barth / R. Bultmann, Briefwechsel 1922 – 1966, 302: »Das Bleisoldatenspiel war mir und meinen Brüdern eine mit Ausdauer und Sachlichkeit betriebene ernste Beschäftigung. Vier Jahr lang habe ich in einem der in der Schweiz damals und teilweise noch heute bestehenden Kadettenkorps eine ziemlich regelrechte militärische Ausbildung empfangen und brachte es trotz dürftiger Leistungen im Scharfschießen zum Grad eines Feldwebels.« Vgl. E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 27 f. 48 K. Barth, Zofingia und sociale Frage, 73. Vgl. dazu: F. Jehle, Lieber unangenehm laut als angenehm leise, 32 – 35. 49 K. Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 520 (Brief an Adolf Grau vom 16. 4. 1966). Vgl. auch ders., Gespräche 1964 – 1968, 207.219.229.245.408.413.513. 50 Zur Verarbeitung der Katastrophe des Ersten Weltkrieges besonders in der Literatur vgl. M. Trowitzsch, Karl Barth heute, 203 – 216. 51 Einzubeziehen wäre dabei auch Barths retrospektivische Deutung der Krisis des Ersten Weltkrieges, wie er sie etwa in der 2. Ausgabe seines Römerbriefkommentares (1922) vorgenommen hat. Vgl. etwa K. Barths (Römerbrief II, 494 ff.534 f.) Auslegung von Röm 12,18: »Sofern es von euch aus möglich ist, haltet Frieden mit allen Menschen!«, und dazu: W.M. Ruschke, Entstehung und Ausführung der Diastasentheologie, 80.198 – 204. 52 Vgl. auch H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 101 – 103; F.-W. Marquardt, Barths Safenwiler Predigten, 377 – 396; G. Pfleiderer, Karl Barths praktische Theologie, 251 f.; W.M. Ruschke, Entstehung und Ausführung der Diastasentheologie, 158 – 175; D. Schellong, Barth lesen, 16 – 21; ders., Theologie nach 1914, 451 – 468; C. van der Kooi, Anfängliche Theologie, 63 – 68; J. Zengel, Erfahrung und Erlebnis, 94 – 104.

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aber auch K. Barths Stellungnahme zu Militärflugzeugen54 und ein Blick in Barths Kommentierung von Röm 12,21 – 13,8a veranschaulicht.55 Indes ist eine Beschränkung auf den sog. mittleren und späteren Barth aus zweierlei Gründen angezeigt: Zum einen bringt der Gegenstand der Untersuchung ein solches Beschränkungspostulat mit sich, insofern die »christologische Konzentration« nach Barths eigener Aussage sein Werk erst in den 1930er Jahren prägte.56 Zum anderen gibt die Fülle der vorliegenden Untersuchungen, die im Blick auf die von Barth empfundene Nötigung zu einer theologischen Grundlagenrevision insbesondere auch die theologische Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges in Auseinandersetzung mit Barths liberalen Lehrern A. von Harnack57, W. Herrmann58 und M. Rade berücksichtigen,59 keinen Anlass dazu, hier erneut zu forschen bzw. bereits Erforschtes zu reproduzieren.

53 Vgl. Chr. Schwöbel (Hg.), Karl Barth – Martin Rade, 94 – 146, und dazu: Chr. Schwöbels Einleitung (a. a. O., 27 – 35); H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 103 – 113; G. Pfleiderer, Karl Barths praktische Theologie, 252 – 261; H. Ruddies, Karl Barth und Martin Rade, 298 – 306; M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 144 – 149. Zum Hintergrund vgl. W. Härle, Der Aufbruch der 93 Intellektuellen und Karl Barths Bruch mit der liberalen Theologie, 207 – 244, und zur Auseinandersetzung mit W. Härles nicht zuletzt aufgrund erweiterter Quellenlage revisionsbedürftiger theologiegeschichtlicher Darstellung H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 104 ff.; H.-A. Drewes, Die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack, 191 f.; W.M. Ruschke, Entstehung und Ausführung der Diastasentheologie, 169 – 175. Vgl. auch G. Hunsinger, Disruptive Grace, 319 f.; D. Schellong, Barth lesen, 86 ff.; J. Zengel, Erfahrung und Erlebnis, 94 – 104. 54 K. Barth, Gegenrede betreffend Militär-Flugzeuge, 485 – 493. 55 Dort lässt K. Barth (Römerbrief I, 509) Paulus etwa bemerken: »Daß Ihr Christen mit Monarchie, Kapitalismus, Militarismus, Patriotismus und Freisinn nichts zu tun habt, ist so selbstverständlich, daß ich es gar nicht zu sagen brauche. […] Das Göttliche darf nicht politisiert und das Menschliche nicht theologisiert werden, auch nicht zugunsten der Demokratie und Sozialdemokratie.« Ähnlich ders., Der Christ in der Gesellschaft, 6. 56 So K. Barth, Der Götze wackelt, 185 f. (How My Mind Has Changed). Selbst wenn man mit B.L. McCormack (Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, 327 f.) eine erste »christologische Kehre« in Barths dialektischer Theologie im Mai 1924 anhand von Barths sog. »Göttinger Dogmatik« festmachen will, so fällt diese Phase, die McCormack als erste, pneumatozentrische Phase im Zeichen einer anhypostatisch-enhypostatischen Christologie von einer zweiten, christozentrischen Phase (ab 1936) abgrenzt (vgl. a. a. O., 453 ff.), zeitlich deutlich hinter die Zeit der theologischen Aufarbeitung des ersten Weltkrieges in den beiden Römerbriefkommentaren zurück. 57 Vgl. dazu: D. Braun, Der Ort der Theologie, 11 – 49; H.-A. Drewes, Die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack, 191 f.; G. Hunsinger, Disruptive Grace, 319 – 337; G. Obst, Veni Creator Spiritus, 40 – 76; T. Schlegel, Theologie als unmögliche Notwendigkeit, 139 – 146; Chr. Schwöbel, Theology, 23 f. 58 Vgl. H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 112 f.; Ch. Chalamet, Dialectical Theologians, 65 – 98; B.L. McCormack, Karl Barth’s Critically Realistic Theology, 49 – 68; H. Ruddies, Karl Barth und Wilhelm Herrmann, 52 – 89; J. Zengel, Erfahrung und Erlebnis, 67 – 72. 59 Zu den kriegstheologischen Deutungsmustern um 1914 und zur Rechristianisierung des

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Einleitung

Anders verhält es sich hingegen hinsichtlich des Forschungsinteresses am mittleren und späteren Barth. Mit Blick auf das Gesamt der Ethik Barths hat Chr. Frey zu Recht festgestellt: »Systematisch-analysierende Darstellungen der Ethik Karl Barths fehlen im Grunde noch.«60 Auch Chr. Gestrich bezeichnet die Ethik Barths als »traditionell […] vernachlässigt«61. Dies dürfte in der Tat der Fall sein und zwar aller Hinweise zum Trotz, die – wie etwa derjenige D. Bonhoeffers – besagen, dass Barths »ethische[] Ausführungen, soweit sie existieren, […] ebenso bedeutsam wie seine dogmatischen«62 sind. Die Ethik des Schweizer Theologen stellt nach wie vor ein »Pejorativum« der Barthforschung dar. Widmet man sich dem literarischen Makrokontext von K. Barths opus magnum, der Kirchlichen Dogmatik (KD), innerhalb welcher er seine Friedensethik entfaltet, so wird man der Beobachtung E. Buschs hinsichtlich der Rezeption derselben nur zustimmen können, dass nämlich »die einst viel diskutierten Bände der Schöpfungslehre (KD III/1 – 4) [in der neueren Forschung] nur noch wenig zur Kenntnis genommen worden sind. Aber auch zur Versöhnungslehre (KD IV/ 1 – 4) finden sich wenige Abhandlungen.«63 Besondere Aufmerksamkeit liegt in der dargebotenen Untersuchung auf dem Gespräch mit der nordamerikanischen Barthforschung. Diese bewegt sich »auf ausgesprochen hohem Niveau [und wirkt] sich überaus konstruktiv auf die Gegenstandskonzentration der amerikanischen Systematischen Theologie«64 aus.65 In der Tat lässt sich beobachten, dass sich längst »das Zentrum der aktiven Barthforschung und Barthrezeption in die USA zu verlagern«66 begonnen hat. Hinsichtlich eines transatlantischen Brückenschlags stellt die in beiden theologischen Kontexten verortete Rezeption der Theologie Barths ein wichtiges

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66

Nationalismus in dieser Zeit vgl. H.-R. Reuter, Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 59 – 66. Fernerhin: W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 135 – 219. Chr. Frey, Vernunftbegründung in der Ethik, 35. Chr. Gestrich, Lebenskunst als Thema der Ethik Barths, 55. D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 480. Zum Verhältnis von K. Barth und D. Bonhoeffer vgl. u. a. B. Klappert, Theologie im Kontext, 75 – 82; A. Pangritz, Karl Barth in der Theologie Dietrich Bonhoeffers. E. Busch, Weg und Werk, 430. R. Hütter, »After Dogmatics«?, 1110. Vgl. auch H. Assel, Aporien und Charaktere evangelischer Theologie, 11. Zur »Barthrenaissance« in Nordamerika vgl. vor allem B.L. McCormack, Orthodox and Modern, 281 – 284; G. Dorrien, The Barthian Revolt in Modern Theology, 1 – 13. Einen kurzen Überblick über die sog. postliberale Barthrezeption (H. Frei, G. Lindbeck, S. Hauerwas, G. Hunsinger) und zur Rezeption der Barthschen Ethik (R.E. Willis, J.M. Gustafson. N. Biggar, J. Webster) vermittelt D. Müller, Karl Barth, 216 – 228.230 – 242. Die neusten Monographien zur Ethik Barths von D. Clough (Ethics in Crisis), D. Haddorff (Christian Ethics as Witness), J.L. Mangina (Karl Barth on the Christian Life), G. McKenny (The Analogy of Grace), P.T. Nimmo (Being in Action), M. Rose (Ethics with Barth) und A. J. Spencer (Clearing a Space for Human Action) werden dort allerdings noch nicht berücksichtigt. Vgl. fernerhin: A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 11 – 29. So R. Hütter (»After Dogmatics«?, 1110) unter Berufung auf H.-A. Drewes.

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Verständigungsinstrumentarium dar, dem auch im Blick auf den friedensethischen Diskurs zwischen den Kontinenten eine geradezu heuristische Funktion zukommen könnte. Was die Theologie Barths als gemeinsamen Bezugspunkt betrifft, ist es umso bedauerlicher, dass »sich die Forschungen in den verschiedenen Sprachräumen isoliert voneinander vollziehen (obwohl im ganzen die engl[ischen Barthforscher] mehr die deutschen wahrnehmen als umgekehrt)«67.

1.3.

Zu Disposition und Titel der Untersuchung

Wie ihr Titel ausweist, beabsichtigt die vorliegende Untersuchung, die christologische Grundlegung der Friedensethik Barths zu rekonstruieren. Dementsprechend steht die gesamte Untersuchung unter dem Oberbegriff »Grundlegung«. Sie umfasst abgesehen von der Einleitung (0.) neun zusammenhängende Studien, die auch als Einzelstudien aus sich heraus verständlich sein sollen. Diese neun Studien sind wiederum recht locker in zwei große Abschnitte unterteilt: Der erste Abschnitt (Teil I.) widmet sich den christologischen Grundlagen von Barths Friedensethik, der zweite Abschnitt (Teil II.) konzeptionellen Konkretionen. Beide Teile verhalten sich – anders als man zunächst vermuten könnte – nicht wie Grundlegung und Entfaltung bzw. Konstitution und Applikation zueinander. Eine solche Zuordnung würde dem komplexen Charakter der Friedensethik K. Barths nicht gerechnet, die, wie noch gezeigt werden soll, keineswegs einfach nur durch die Anwendung ihres Grundes konstituiert wird. Im ersten Teil der Untersuchung wird bereits in der ersten Studie (Kap. I.1.) dargelegt, inwiefern K. Barth eben keine solchen christologischen Prinzipien zu entwickeln beabsichtigt, die deduktiv auf bestimmte Situationen und Herausforderungen angewandt werden können. Ohne den Grundlegungszusammenhang zu verlassen, weisen die fünf Studien im zweiten Teil der Untersuchung einen höheren Grad an friedensethischer Konkretion und Zuspitzung auf, insofern sie etwa mit der Frage nach der Zuordnung von Barths Friedensethik zur aktuell vieldiskutierten Konzeption eines »gerechten Krieges« (Kap. II.3. und Kap. II.4.) und eines »gerechten Friedens« (Kap. II.5.) in stärkerem Maße materialethische Fragen berühren als dies im ersten Abschnitt (Teil I.) der Fall ist. In Proportionalität dazu bestätigen die der analogia fidei und der Argumentationsfigur des Grenzfalls gewidmeten Kap. II.1. und II.2. in stärkerem Maße, dass 67 E. Busch, Weg und Werk Karl Barths in der neueren Forschung, 286. Eine Ausnahme bilden in gewisser Weise die beiden großen Emder Barth-Kongresse in den Jahren 2003 und 2008. Vgl. M. Beintker u. a. (Hg.), Karl Barth in Deutschland (1921 – 1935); ders. u. a. (Hg.), Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935 – 1950).

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Einleitung

mit den Ausführungen im Teil II. der christologische Grundlegungszusammenhang nicht verlassen wird, welcher den Konkretionen ihre theologische Konsistenz und Validität verleiht. Insofern kann man dem Duktus der Kapitel eine gewisse klimaktische Entwicklung hin zu größerer materialethischer Konkretion entnehmen. Was den Titel der vorliegenden Untersuchung betrifft, so bedarf dieser näherer Erläuterungen: Für Barth ist der »Frieden« eine christologisch zu fassende Kategorie, die ihren eigentlichen Ort innerhalb der Versöhnungslehre hat.68 So drängt sich – versucht man die Grundlegung der Friedensethik Karl Barths auf den Begriff zu bringen – die in der sozialethischen Theoriebildung gängige Nomenklatur »christologische Begründung« auf. Der gewöhnliche Sprachgebrauch »christologische Begründung« legt aber die irregeleitete Vorstellung nahe, als ginge es Barth in seiner Friedensethik darum, friedensethische Urteile dadurch zu begründen, dass sie auf übergeordnete Prinzipien zurückgeführt werden, aus denen sie logisch zwingend ableitbar sind. Schaut man sich etwa den Rekurs auf Barths ethische Position in den aktuell gebräuchlichen Ethik-Lehrbüchern an, so fällt auf, dass die Barthsche Gestalt der Ethikgrundlegung zumeist unter dem Stichwort »christologische Begründung« figuriert.69 Neben »Königsherrschaft Christi«70 oder »Gebotsethik« firmiert Barths Ansatz oftmals als einer der »klassischen« Ansätze von Grundtypen evangelischer Ethik unter dieser Rubrik. Dabei besitzt der Begriff »christolo-

68 Barth unternimmt den Versuch, die grundlegenden friedensethischen Fragen im Rahmen der Versöhnungslehre zu klären. Dementsprechend erteilt er in der Einleitung seiner Versöhnungslehre die für seine Begründung friedensethischer Aussagen höchst bedeutsame Auskunft: »Daß die Versöhnung göttlicher Souveränitätsakt ist, das bedeutet das Verbot, sie von irgendwoher ableiten oder irgend etwas aus ihr ableiten zu wollen, bedeutet aber vor allem das Gebot, sie in ihrer ganzen Unbegreiflichkeit als geschehen gelten zu lassen […], sie, ohne an ihr vorbei oder über sie hinauszudenken, konsequent ernst zu nehmen. Sie und sie allein ist der Ort, von dem aus man christlich vorwärts und rückwärts denken kann, von dem aus christliche Gottes- und Menschenkenntnis möglich ist«. K. Barth, KD IV/1, 85. 69 Vgl. etwa M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik, 6.27 (dort wird der Begriff »Begründung« in Anführungsstriche gesetzt; M. Honecker (Einführung in die Theologische Ethik, 31) kann auch von Barths »christologischer Grundlegung der Ethik« sprechen); U.H.J. Körtner, Evangelische Sozialethik, 162; H. Kress / K.-F. Daiber, Theologische Ethik – Pastoralsoziologie, 56; W.E. Müller, Argumentationsmodelle der Ethik, 221; ders., Evangelische Ethik, 16; T. Rendtorff, Ethik I, 178; W. Schöpsdau (Wie der Glaube zum Tun kommt, 55) spricht von »christologischer Ethik«, D. Lange (Ethik in evangelischer Perspektive, 33) von einer »exklusive[n] Begründung der Ethik in der Christusoffenbarung« und W. Pannenberg (Grundlagen der Ethik, 69) von einem »christozentrischen Begründungsansatz«. Hingegen Chr. Frey u. a. (Repetitorium der Ethik, 258) von »christologische [r] Grundlegung«. 70 Vgl. dazu: H. Lindenlauf, Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christ«. Fernerhin: W. Härle, Ethik, 457 f.

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gische Begründung« für die meisten Ohren offenbar keinen guten Klang. Er ist eher negativ besetzt und wird oft pejorativ gebraucht.71 Bereits gegen Ende der 1980er Jahre bemerkte J. Moltmann einen weitgehenden Verzicht auf sog. christologische Begründungsmuster : »In der Tat weisen die bekannten Muster christlicher Ethik auch fast keine christologische Begründung mehr auf. Die Ethik des Naturrechts, die säkulare Ethik der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre, die Ethik der Ordnungen, sei es der Schöpfungsordnungen, der Erhaltungsordnungen oder der auf einen Noahbund begründeten Notordnungen, sind ohne direkte Begründungen in einer Christologie konzipiert. Die christologischen Begründungen sind, wenn überhaupt, nur indirekt und diskret.«72 Moltmann fällt hier – nota bene – ein deskriptives Urteil, im Anschluss an das er selbst die Notwendigkeit einer genuin christlichen Ethik des »Ernstnehmen[s] des ›Weges Jesu‹«73 hervorhebt, die die Messianität Jesu74 im Blick auf die ethische Theoriebildung nicht verspielt: »Gibt es kein spezifisches christliches Ethos, dann ist das Christusbekenntnis selbst in Frage gestellt, denn dann kann Jesu Botschaft nicht ethisch in einem öffentlichen Sinne gemeint sein. […] zum Christusbekenntnis zu Jesus [gehört] auch die praktische Nachfolge auf dem messianischen Weg seines Lebens und also eine kenntlich zu machende christliche Ethik.«75

71 Vgl. M. Honecker, Themen und Tendenzen der Ethik, 75: »Formeln wie ›christologische‹ Begründung, ›kirchliche‹ Ethik (R. Hütter, B. Wannenwetsch), biblische Begründung sind oft eher Ausdruck von Verlegenheit als sachliche Begründung.« 72 J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, 137. 73 A.a.O., 138. 74 Mit G. Lohfink (Schwerter zu Pflugscharen, 206) betont J. Moltmann (Der Weg Jesu Christi, 138): »Zum Messias gehört unabdingbar die gesellschaftliche Veränderung der Welt, die im Volk des Messias ihren Ort hat. Zum Messias gehört unabdingbar der Friede, den er bringt. Kommt dieser Friede nicht – und zwar gesellschaftlich greifbar –, dann ist auch der Messias nicht gekommen.« 75 A.a.O., 137 f. Es verwundert übrigens nicht, dass Moltmann in direktem Anschluss an diese Bemerkung auf das Werk des mennonitischen Theologen John H. Yoder zu sprechen kommt, das in dieser Untersuchung noch eingehend thematisiert werden soll (vgl. Kap. I.3., II.2. und II.4.). J.H. Yoder (Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 40) hat eine radikale, nämlich exklusiv christologische Konzentration im Blick auf die Ethik gefordert: »[E]s ist heidnisch, wenn man neben Jesus Christus andere Maßstäbe gelten läßt. Es geht hier […] um das Christusbekenntnis überhaupt.« Im Blick auf das ökumenische Gespräch hat J.H. Yoder (The Royal Priesthood, 191) die integrierende Funktion dieser exklusiven Konzentration geltend gemacht: »If […] one claims rigorously that the only normative point of orientation can and must be the Jesus of the New Testament witness, then there is no one in the ecumenical conversation whom this excludes, except those who might choose to exclude themselves by their commitment to a specific hierarchy or a special doctrine. For Christian pacifists to appeal to Jesus alone is to strengthen their case in conversation with other Christians as over against less worthy kinds of argumentation to which they are often drawn.«

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Einleitung

Ob es sich jedoch beim Terminus »christologische Begründung« um eine glückliche bzw. der bezeichneten »Sache« angemessene Begriffswahl handelt, kann m. E. mit guten Gründen bestritten werden. In dieser Untersuchung wird der Vorschlag unterbreitet, im Blick auf die Barth bewegende Frage nach dem Fundament der Friedensethik statt von Barths »christologischer Begründung der Friedensethik« konsequent von seiner »christologischen Grundlegung der Friedensethik« zu sprechen.76 Mir scheint diese terminologische Abgrenzung aus mehreren Gründen angebracht zu sein. Die mangelnde Adäquanz des Begriffs »christologische Begründung« wird zum einen aus Barths eigenem Sprachgebrauch (1.) und zum anderen aus der Konnotation dieses Begriffs (2.) ersichtlich. Beide Gründe sollen im Folgenden erläutert werden: 1. K. Barths Gebrauch des Begriffes »christologische Begründung« ist äußerst reserviert zu nennen. Nur sporadisch kann er von der »christologischen Begründung der Anthropologie«77, der »christologische[n] Begründung des Begriffs der Ewigkeit«78, der christologischen Begründung der Prädestinationslehre79 oder der »christologischen Begründung […] der Versöhnungslehre«80 sprechen. In Bezug auf die Ethik verwendet Barth in seinem gesamten Oeuvre nur an einer einzigen Stelle explizit den Begriff »christologische Begründung« und zwar in seiner Schrift »Rechtfertigung und Recht« (1938). Dort gebraucht er diese Nomenklatur nur sehr indirekt dazu, seinen eigenen Ansatz zu benennen. Er gebraucht ihn nämlich, um die Lücke zu kennzeichnen, die die reformierten Väter – Barth verweist namentlich auf Zwingli und Calvin – in Bezug auf den Teil ihres Bekenntnisses hinterlassen haben, der das Verhältnis von göttlicher Rechtfertigung und menschlichem Recht, von der Verkündigung Jesu und dem Amt und der Autorität der Obrigkeit betrifft.81 Diese Lücke intendiert Barth zu schließen. Insofern ist die Rede von einem indirekten Gebrauch des Terminus »christologische Begründung« zur Kennzeichnung des eigenen Ansatzes sicherlich gerechtfertigt. In dem Gespräch K. Barths mit den Kirchlichen Bruderschaften in Württemberg (15. Juli 1963) taucht besagter Terminus zwar auch auf, jedoch referiert K. Barth ihn nur und weist auf ihn als Fremd- und nicht etwa Eigenkennzeichnung seines Ansatzes hin. Zunächst zitiert Barth ebendort den Schluss76 Auch F. Lohmann (Zwischen Naturrecht und Partikularismus, 58) und D. Schellong (Barmen II und die Grundlegung der Ethik, 491) sprechen explizit von Barths »Grundlegung« der Ethik. Vgl. ebenfalls E. Jüngel, Erwägungen zur Grundlegung evangelischer Ethik, 234 – 245. 77 K. Barth, KD III/2, 97. So auch a. a. O., 64.248. Vgl. auch a. a. O., 627. 78 Ders., KD II/1, 719. 79 Vgl. ders., KD II/2, 214. 80 Ders., KD IV/3, 425. 81 Ders., Rechtfertigung und Recht, 7.

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Explikation der Themenstellung

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passus der 5. These der Barmer Theologischen Erklärung: »›Sie‹ – die Kirche – ›vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.‹«82 Anschließend kommentiert Barth: »Sehen Sie, das war nun, ganz schüchtern angedeutet, das, was dann später die christologische Begründung des Staates genannt wurde.«83 Barth spielt mit dieser Bemerkung auf den Titel des gleichlautenden Aufsatzes »Zur christologischen Begründung des Staates« von E. Brunner an, der im »Kirchenblatt für die reformierte Schweiz« (1943) erschien.84 Dort stellt Brunner Barths Schrift »Rechtfertigung und Recht« in Grundzügen dar und unterzieht sie seiner Kritik. Eingangs bemerkt Brunner : In neuester Zeit wurde »der Versuch gemacht […], über die ›naturrechtliche‹ Staatslehre der Reformatoren zu einer ›christologischen Begründung‹ des Staates vorzustoßen. Wenn dieser Versuch tatsächlich geglückt ist [was Brunner bestreitet; M.H.], […] so handelt es sich hier […] um eine Grundfrage des christlichen Glaubens, deren gewaltige praktische Bedeutung jedermann ohne weiteres einleuchtet und die darum vor die größte Öffentlichkeit gehört.«85 Barth selbst hat Brunners Aufsatz als Bruch ihres »Burgfrieden[s]«86 und »Polemik«87 empfunden.88

82 Zit. nach ders., Gespräche 1963, 52 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 83 Ebd. 84 Zum wechselhaften Verhältnis von Barth und Brunner vgl. E. Busch, »Mit dem Anfang anfangen«, 349 – 362; J.E. O’Donovan, Man in the Image of God, 433 – 459; J.W. Hart, The Barth-Brunner Correspondence, 19 – 43; G. Sauter, Theologisch miteinander streiten, 267 – 284. Zu Brunners Ethik vor allem M. Zeindler, Emil Brunner (1889 – 1966), 85 – 103, und zum zeitgeschichtlichen Hintergrund F. Jehle, Emil Brunner ; T.K. Kuhn, Emil Brunner und die »Geistige Landesverteidigung« in der Schweiz 1933 – 1945, 297 – 310. 85 E. Brunner, Zur christologischen Begründung des Staates, 2. 86 K. Barth – Emil Brunner, Briefwechsel 1916 – 1966, 330 (Brief Barths vom 12. Januar 1943). 87 Ebd. So auch a. a. O., 331. 88 Barths Brief vom 12. Januar 1943 an Brunner verdeutlicht sein Empfinden: »Du hast nun – indem seit dem Erscheinen von ›Rechtfertigung und Recht immerhin schon viereinhalb Jahre verflossen sind – mit deinem Veto gegen die bewusste ›Grundlagenerschütterung‹ so lange an dich halten können. Ich meinerseits habe zu all deinen naturrechtlichen Aufstellungen vor und in dieser Zeit auch nichts gesagt, sondern dich (unter sicher nicht geringerem inneren Protest) reden lassen. […] Hattest Du es nötig, […] den langweiligen, nützliche Zeit und Aufmerksamkeit unnütz verzehrenden, innerlich und äußerlich völlig aussichtslosen Barth-Brunner-Streit aufs neue vor die ›größte Öffentlichkeit‹ zu ziehen? Mußte das sein? […] Wir leben wie Elephant und Walfisch in verschiedenen Räumen. Ein austauschendes Miteinanderreden ist da einfach unmöglich.« Zur »animalischen« Metaphorik, die Barth auch häufig im Hinblick auf R. Bultmann bemühte vgl. H. Hübner, Der Walfisch – der Elephant – und Heinrich Schlier, 293 – 303. E. Brunner replizierte wenige Tage später : »Du kannst es ja wohl meinem Aufsatz anmerken, daß er ganz und gar am sachlichen Problem orientiert ist und darum alle polemischen Ausfälle und Akzente meidet. […] Es mußte einmal klargestellt werden, daß es sich hier wirklich nicht um Zwingli versus Luther, sondern um neue Lehre gegen Reformation handelt, und, nach meiner Erkenntnis, damit auch um

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Einleitung

Der von Brunner gebrauchte Begriff »christologische Begründung« ist im Zusammenhang seiner Kritik an dem Barth zugeschriebenen ungerechtfertigten Angriff auf die reformatorische Auslegung von Röm 13 zu verstehen, die 400 Jahre lang »das Verhältnis der Gläubigen zum Staat«89 geprägt habe. Brunners Kritik könnte Barths Reserve gegenüber diesem Begriff verstärkt haben. 2. Der Begriff »christologische Begründung« legt falsche Assoziationen nahe. Das gilt nicht zuletzt aufgrund der großen Bedeutungsvielfalt dieses Begriffs.90 Nach F. Lohmann suggeriert er etwa, dass das zu Begründende als fertiger Komplex vorausgesetzt werden kann, für den man nur noch nach Gründen suchen muss.91 Barth zufolge repräsentiert christliche Ethik aber keineswegs einen solchen fertigen Komplex. Vielmehr soll dieser Komplex ja erst fertiggestellt werden und zwar auf einer den gesamten Komplex schlechthin, d. h. durchgängig konstituierenden Grundlage. Aufgrund der von Barth betonten Durchgängigkeit bzw. das Gesamt bestimmenden Prägekraft des Grundes wird die gesamte Untersuchung unter den Oberbegriff »Grundlegung« gestellt. So formuliert Barth in den »Prolegomena« seiner »Kirchlichen Dogmatik« die ihn leitende methodische Grundregel: »Man kann nicht nachträglich christozentrisch reden, wenn man es nicht schon im Ansatz getan hat«92. Der Ansatz bzw. Grund legt die theologische Rede fest, so dass man nachträglich nicht anders reden kann, zumindest dann nicht, wenn man keine Kontradiktionen erzeugen will, die das »Lehrgebäude« zum Einsturz zu bringen drohen. Bemüht man die architektonische Metapher des Hausbaus, so bringt der Begriff »Grundlegung« zum Ausdruck, dass das Fundament über das ganze Haus einschließlich seiner Ausmaße bestimmen soll. Die Rede von »Barths christologischer Grundlegung« entspricht eher dem Anliegen K. Barths als der Begriff »christologische Begründung«. Zum anderen evoziert der Begriff »christologische Begründung« die Vorstellung, als sei Barths Grundlegung der (Friedens-)Ethik auf die Begründung von Normen wie etwa das Gebot »Du sollst nicht töten« fixiert. In der Normenfixierung manifestiert sich insofern ein Reduktionismus, als dass Normen keineswegs hinreichend erklären, wie ethische Urteile zustande kommen. Sie

89 90 91 92

neue Lehre gegen Bibellehre.« K. Barth – Emil Brunner, Briefwechsel 1916 – 1966, 332 (Brief Brunners vom 16. Januar 1943). E. Brunner, Zur christologischen Begründung des Staates, 2. Vgl. dazu: Chr. Frey, Vernunftbegründung in der Ethik, 38 f.; F. Kambartel, Philosophie der humanen Welt, 44 – 58. So F. Lohmann, Zwischen Naturrecht und Partikularismus, 16: »Der Begründungsbegriff gibt insofern dem zu Begründenden den Primat, als es als fertiger Komplex, für den nun nach Gründen gesucht wird, vorausgesetzt wird.« K. Barth, KD I/2, 135.

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setzen etwa die perspektivisch erfolgende Wahrnehmung von Situationen voraus.93 Was die Normenbegründung betrifft, so bedarf es freilich noch einiger weit (er) ausholender Erläuterungen: die Geltung von Normen wird in der Regel als begründungsbedürftig, aber auch -fähig angesehen.94 So ist etwa L. Kohlberg in seiner berühmten Untersuchung zur Entwicklung des moralischen Urteils den unterschiedlichen Begründungen moralischer Normen anhand von sog. Dilemma-Geschichten nachgegangen und hat die unterschiedlichen Begründungsformen in drei Niveaus mit je zwei Stufen eingeteilt.95 Hinsichtlich der Form moralischer Begründungen spricht Kohlberg auch von der Struktur moralischer Urteile. Auch auf diese beziehen sich im Zusammenhang der Ethik »Begründungen«, ja man wird festhalten können, dass Normen spezifische Ausprägungen von Urteilen darstellen. Der Begriff »christologische Begründung« legt die Vorstellung nahe, dass Urteile dann als »christologisch begründet« gelten können, wenn sie nach einer bestimmten Norm gebildet werden, die ihrerseits durch ihren Bezug auf die Lehre von Christus evident sind.96 Das Prinzip dieser Ethik wäre dann in ihr zu finden.97 Doch kann eine solche Argumentationsstrategie, die Normenbegründung in bzw. mit der Lehre von Christus zu betreiben beansprucht, wirklich überzeugen? Von einer im Rahmen theologischer Argumentation erzielten Übereinstimmung bezüglich ihrer Geltung wird man im Blick auf die bis in die Gegenwart reichenden christologischen Diskussionen wohl kaum sprechen können. 93 Vgl. J. Fischer, Wahrnehmung als Proprium und Aufgabe christlicher Ethik, 91 – 118; M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 108 – 115; F. Mathwig, Ethik in einer »Welt ohne Letztbegründungen«, 345 – 381. 94 Vgl. J. Fischer, Leben aus dem Geist, 98 – 106; M. Haspel, Sozialethik in der globalen Gesellschaft, 109 – 114. 95 Vgl. u. a. L. Kohlberg, Die Psychologie der Moralentwicklung; ders., Zur kognitiven Entwicklung des Kindes, 47 – 83. 96 Nach O. Höffe (Art. Begründung, 22 f.) ist der Bezug auf ein Prinzip im Rahmen von Begründungen zugleich reduktiv und deduktiv. Dies entspricht dem zweiteiligen Prozess, den eine philosophisch zufriedenstellende Begründung darstellt: »Der erste Teil ist reduktiv : Nach der Vorfrage, warum es überhaupt normative Anforderungen braucht, sucht man in einer Selbstreflexion des sittlichen Bewußtseins dieses auf sein Prinzip und Kriterium zurückzuführen. […] Der zweite Teil ist deduktiv : Mit Hilfe der genannten Kriterien kann man Handlungsmaximen, somit auch unsere Alltagsurteile auf die Sittlichkeit hin prüfen und sie bestätigen oder revidieren.« 97 F. Kambartel (Art. Begründung, 393) hat darauf hingewiesen, dass eine »einseitige Orientierung vor allem an einer als Ensemble deduktiver Theorien aufgefassten Mathematik dazu geführt [hat], Begründungsschritte stets als Ableitungen aus keiner Begründung fähigen Axiomen bzw. Hypothesen zu verstehen, wobei allenfalls die Möglichkeit einer empirischen Überprüfung der aus den Axiomen bzw. Hypothesen abgeleiteten Konsequenzen besteht.«

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Einleitung

Wenn »christologische Begründung« mit dem Bezug auf ein solches Prinzip gleichzusetzen wäre, so stünde man damit vor dem Problem der Pluralität christologischer Auffassungen, die als einheitliches Prinzip nur schwerlich zu taugen scheinen. Doch selbst wenn man hypothetisch davon ausginge, dass die Christologie als einheitliche Größe bzw. Lehrgestalt vorläge, so bestünde weiterhin das Problem ihrer Tauglichkeit als höchste Norm oder letztes Prinzip. Die Letztbegründbarkeit markiert hier ein offenes, dilemmatisches Problem, dem der Anspruch auf ein letztes, unhintergehbares Prinzip ausgesetzt ist, das einerseits nicht mehr begründet werden kann (sonst wäre es kein letztes Prinzip) und andererseits begründet werden muss (sonst wäre es unbegründet).98 In diesem Dilemma spiegelt sich zugleich das »Problem des Anfangs«99 wider, wonach in der (Fundamental-)Philosophie bzw. (Fundamental-)Theologie eben nicht voraussetzungslos angefangen werden kann, aber auch nicht willkürlich darf. Im Blick auf die Assoziation falscher Vorstellungen, die durch den Begriff »christologische Begründung« ausgelöst werden, ist schlussendlich noch ein weiterer Gesichtspunkt zu nennen, nämlich der der Gebotsethik. Das Gebot Gottes, welches nach Barth den Namen Jesus Christus trägt,100 kann – anders als der Begriff »christologische Begründung« insinuiert – nicht begründet werden,101 weil es ein unbedingtes Gebot ist. So bemerkt Barth im Blick auf den, der das Gebot Gottes vernommen hat: »Er weiß, daß das Gebot Gottes auf kein anderes Gebot begründet und also auch aus keinem anderen abzuleiten, an keinem anderen zu messen, von keinem anderen her auf seine Gültigkeit zu

98 Im sog. »Begründungsstreit«, der seit Ende der 1960er Jahre u. a. um die Idee der Letztbegründung grassiert, hat H. Albert (Traktat über kritische Vernunft, 11 – 15) im Blick auf deduktive Begründungsbemühungen das sog. »Münchhausen-Trilemma« formuliert, wonach die Suche nach einem archimedischen Punkt entweder im infiniten Regress, dem logischen Zirkel oder dem willkürlichen Abbruch endet. 99 W. Kamlah / P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 15. Nach den beiden Begründern der sog. »Erlanger Schule« kranken im Blick auf epistemische Begründungen alle »klassischen Bemühungen des neuzeitlichen Fundamentalismus […] daran, daß sie in aller Arglosigkeit eine Metaphysik bereits zum unerkannten Fundament haben – eine geschichtliche Erfahrung, die auf die Frage führt, ob es denn nicht trotz allem möglich sein sollte, einen metaphysikfreien, einen standpunktfreien Anfang des Denkens zu finden.« 100 Vgl. K. Barth, KD II/2, 785: »Es [das Gebot Gottes; M.H.] ist das Gute der von Gott regierten Geschichte und Nachgeschichte seines Gnadenbundes, das Gute der ewigen göttlichen Gnadenwahl, das Gute, das den Namen Jesus Christus trägt«. 101 Vgl. J. Fischer, Leben aus dem Geist, 98: »Anders als bei einem Gebot, welches einerseits aufgrund seines kategorischen Anspruchs nicht begründungsfähig ist und welches andererseits innerhalb der Perspektive einer Hermeneutik des Hörens sich selbst zur konkreten Situation in Beziehung setzt, kann bei einer Norm oder bei einer Regel sowohl nach der Begründung für ihre Geltung als auch nach der Berechtigung ihrer Anwendung auf eine konkrete Situation gefragt werden.«

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prüfen ist, daß der Mensch sich dieses Gebot in keiner Weise sagen, sondern eben nur gesagt sein lassen kann.«102 Barth orientiert sich in seiner Grundlegungsvorstellung an dem paulinischen Satz: »Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus« (1Kor 3,11). Dass dieser Grund gelegt ist, besagt nach Barth für die christliche Gemeinde: »Mit Jesus Christus aber kann sie sich nicht auseinandersetzen. Sie existiert, indem Er existiert. Sie gehört von ihrem Grund, von Haus aus, zu Ihm. Er ist ihr Sein in einem Grunde. Er ist ja das Wort, in welchem Gott sie anredet, sich ihr zuerkennen gibt, sich von ihr vernehmen läßt: die Selbstverkündigung seiner schöpferischen, versöhnenden und erlösenden Tat.«103 Abschließend gilt es, die differentia specifica von »christologischer Begründung« und »christologischer Grundlegung« – den Ertrag sichernd – festzuhalten. Worin unterscheiden sich also beide? Um es auf den Punkt zu bringen: Während unter dem Stichwort »christologische Begründung« meist nur Normen bzw. Urteile in den Blickwinkel ethischer Reflexion unter christologischen Gesichtspunkten genommen werden, fragt die christologische Grundlegung kardinaler nach der Konstitution des moralischen Subjektes, genauer : nach dessen Gegründet-Sein in Christus.104 Urteile105 bzw. Normen werden mit der Frage

102 K. Barth, KD II/2, 579. Vgl. ders., Das christliche Leben, 3 f.: Die Ethik darf »keine angeblich natürlich-vernünftigen oder angeblich der Bibel oder der christlichen Tradition entnommenen zeitlosen Wahrheiten als selbstverständliche Voraussetzungen übernehmen oder ihrerseits proklamieren, die dann selbstherrlich zwischen Gott und den Menschen hineintreten würden – keine allgemeinen Regeln, deren Auslegung und Anwendung im Einzelnen und Konkreten eine offene Frage bliebe, in deren Beantwortung von Fall zu Fall dann die spezielle Ethik ihre Aufgabe fände. Gottes Gebot und was es als Anspruch, Entscheidung und Gericht für den Menschen bedeutet, ist nicht die zeitlose Wahrheit eines allgemeinen Prinzips oder einer Sammlung von solchen, sondern der konkrete Inhalt des je besonderen Ereignisses zwischen Gott und Mensch in seiner geschichtlichen Wirklichkeit. Und es ist, wo und wann immer es ergeht und in des Menschen Gehorsam oder Ungehorsam seine Antwort findet, gefüllte, präzise Weisung und also nicht eine leere Form, die der Füllung und Präzisierung erst bedürfte.« Hier, in der »Unbefangenheit« des freien, nicht in »ein uns verfügbares allgemeines Gesetz« (a. a. O., 5; vgl. a. a. O., 8) hinein zu bannendes Gebietens Gottes und des im entsprechenden menschlichen Handelns liegt der (fundamental-)ethische Ansatzpunkt für ein Gespräch mit dem sog. »Non-Foundationalism« im angelsächsischen Sprachraum vor. Vgl. etwa C.E. Gunton. No Other Foundation, 61 – 79; S. Hauerwas (Hg.), Theology Without Foundations; J.S. Johnson, The Mystery of God, 166 – 175; G. Ward, Barth, Modernity, and Postmodernity, bes. 280 – 284. 103 K. Barth, KD IV/3, 901. 104 Auf die grundlegende Bedeutung des en Christo¯-Seins für die Ethik K. Barths haben nachdrücklich H. Kirsch (Zum Problem der Ethik in der kritischen Theologie Karl Barths, 224 – 253) und D. Schellong (Barmen II und die Grundlegung der Ethik, 491 – 521, bes. 493.502 f.506.515 ff.) hingewiesen. Vgl. auch G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 114 – 137.

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Einleitung

nach Barths Grundlegung der Friedensethik ebensowenig ausgeblendet wie Handlungen, zumal das moralische Subjekt, dessen Sein in Christus gründet, als solches urteilt und handelt und als solches eben auch Gegenstand der Grundlegung von Barths Ethik ist. Die Frage nach dem Gegründet-Sein in Christus umschreibt die Barth im eigentlichen Sinne beschäftigende Ausgangsfrage der Friedensethik, die er auch dann fokussiert, wenn er selbst die Begründungsterminologie bemüht: »Die entscheidende Sicherheit, die wir auf diesem Weg nötig haben, muß und wird in dem Ausgangspunkt bestehen, der auch hier zu wählen ist und dem auch hier die schlechterdings beherrschende Stellung und Funktion zukommen muß. Es ist derselbe, von dem aus schon das erste Problem der Versöhnungslehre zu entfalten war : das Problem des versöhnten Menschen ist wie das des versöhnenden Gottes in der Christologie begründet und kann nur in dieser Begründung legitim gestellt, entfaltet und beantwortet werden.«106 Barth bedient sich in diesem Zitat zwar der Begründungsterminologie.107 Dass er mit ihrem Gebrauch allerdings auf die Konstitution des ethischen Subjektes als dem in Christus versöhnten Menschen abzielt, wie sie in dieser Untersuchung unter dem Stichwort »christologische Grundlegung« fokussiert wird, dürfte spätestens mit der Fortsetzung des Zitats deutlich werden: »In der Identität des Sohnes Gottes mit dem Menschensohn Jesus von Nazareth: in dem, was dieser Mensch als solcher war, getan hat und was ihm als einem solchen widerfahren ist, hat es [das Problem des versöhnten Menschen; M.H.] seine Wurzel. In und mit seiner Erniedrigung (als Gottessohn) ereignet sich wiederum seine Erhöhung (als Menschensohn). In dieser seiner Erhöhung ist exemplarisch vorgebildet und dynamisch begründet, was in der Versöhnung des Menschen mit Gott als Erhöhung des Menschen Ereignis wird und zu erkennen ist. In seiner Gemeinschaft mit Gott und so in unserer aktuellen Gemeinschaft mit ihm, diesem Einen, kommt es zu unserer Gemeinschaft mit Gott, zu jener Bewegung des Menschen von unten nach oben, von sich selbst zu Gott hin. Es ist primär und eigentlich dieses menschliche Subjekt, das, indem es Objekt der freien und befreienden Gnade Gottes wird, im Geschehen der Versöh-

105 Dementsprechend widmet sich das Kap. II.1. dieser Untersuchung der friedensethischen Urteilsbildung K. Barths. 106 K. Barth, KD IV/2, 19. 107 K. Barths eigener Gebrauch des Begründungsbegriffs dürfte hier als Verwirrung stiftend empfunden werden, da er einen denkbar weiten, unstrengen, d. h. nicht auf Urteile bzw. Aussagen beschränkten Begründungsbegriff gebraucht, der sich darin nicht mit dem terminologischen Begriffsraster dieser Untersuchung deckt. Dies besagt allerdings keineswegs, dass in dieser Untersuchung die Verwendung des Begriffs »begründen« und des mit ihm verbundenen semantischen Wortesfeldes generell ausgeschlossen werden soll. Der Begriff »begründen« wird lediglich im Vergleich zu dem der »Grundlegung« in einem engeren Sinne gebraucht und für Urteile (Normen eingeschlossen) bzw. Aussagen reserviert. Vgl. E. Maurer, Was heißt »biblisch begründen«?, 1; G. Sauter, Begründung theologischer Aussagen, 299 – 308; B. Schüller, Die Begründung sittlicher Urteile.

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Das methodische Verfahren der Untersuchung

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nung nicht nur Objekt bleibt, sondern handelndes Subjekt werden darf. In ihm wird der Mensch zum neuen, mit Gott versöhnten Menschen.«108

Dieser Mensch ist das Subjekt der Ethik Barths. Seine »Ethik betrifft also« – wie Chr. Frey überaus zutreffend festgestellt hat – »die grundlegende Neubestimmung unseres Seins, aus der das Tun folgt.«109 Nach dieser Neubestimmung hat eine der christologischen Grundlegung der Friedensethik Barths gewidmete Untersuchung zu fragen. Mit dem gesamten Handeln des Christenmenschen resultiert auch sein friedensethisches Urteil aus seinem Sein in Jesus Christus. Dieses Sein in Jesus Christus ist durch das Versöhnungsgeschehen konstituiert. Aus diesem Sein in Christus heraus erwächst kritische Zeitgenossenschaft: »Die Zeitgenossenschaft der christlichen Gemeinde ist in ihrer Christusbeziehung verwurzelt und kann überhaupt nur auf diesem Boden wachsen. […] Zeitgenossenschaft ist nämlich nicht Kumpanei mit der Zeit und ihren Attitüden – allein die Ausrichtung auf Christus verleiht seiner Gemeinde die Souveränität, in der sie als Zeitgenossin hilfreich zu werden vermag.«110

2.

Das methodische Verfahren der Untersuchung: K. Barths Friedensethik ins Gespräch bringen

2.1.

Methodologische Bemerkungen zum methodischen Verfahren

Meine Untersuchung möchte u. a. die eingangs111 beschriebene Forschungslücke im Bereich von K. Barths Friedensethik schließen helfen. Dabei geht es mir nicht um einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der »unendlichen Geschichte« der Barthinterpretation, sondern um eine problemorientierte Zuspitzung der Barthschen Friedensethik im Blick auf eine christologisch verantwortbare Grundlegung und Entfaltung derselben. Ich lese Barths theologische Ausführungen im Verfolgen einer bestimmten Spur, wobei mich K. Barths praktisches friedenspolitisches Engagement vor, in und nach dem zweiten Weltkrieg weniger aus Liebe zum historischen Detail, sondern vielmehr aus genuin theologischem Erkenntnisinteresse beschäftigt; insofern nämlich, als dass der historische Kontext den Entdeckungszusammenhang für Barths friedensethische Aussagen bildet. Der Rekonstruktion der theologischen Grundlegung seines friedenspolitischen Engagements gilt mithin mein Interesse, nicht der Rekonstruktion der 108 109 110 111

K. Barth, KD IV/2, 19. Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths, 175. Dort z. T. kursiv. M. Beintker, »Das Volk Gottes im Weltgeschehen«, 105 f. Vgl. Abschnitt 0.I.2. der vorliegenden Untersuchung.

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Einleitung

historischen Genese der Friedensethik Barths von dessen theologischen Anfängen an bis hin zur reifen Gestalt der »Kirchlichen Dogmatik«. Solche Rekonstruktionen haben oftmals etwas Gefährliches an sich. Sie dienen bisweilen der Historisierung Barths, die sich die Aktualität seiner Theologie vom Leibe halten möchte. Auch hier gilt, was der Philosoph H.-G. Gadamer allgemein im Blick auf Texte sagt, die Aussagen mit Wahrheitsanspruch enthalten: »Der Text, der historisch verstanden wird, wird aus dem Anspruch, Wahres zu sagen, förmlich herausgedrängt«112. Das Historisierungsbemühen dient oftmals dazu, die Geltungsansprüche der Theologie Barths zu dispensieren.113 Wenn wir also Barths Theologie und Friedensethik einfach kontextualisieren wollen, ohne dabei zu fragen, was er uns heute zu sagen hat, nehmen wir den Wahrheitsanspruch von Theologie, so wie Barth sie betrieb, nicht ernst. Was eine Positionierung der vorliegenden Untersuchung anhand ihres methodischen Verfahrens betrifft, so versucht sie, die Skylla einer konsequenten Historisierung und die Charybdis einer kontextvergessenen konstruktiven Rezeption zu vermeiden.114 Die Waagschale der Barth-Forschung neigt sich dabei sicherlich zugunsten der historisch-genetischen Forschung.115 Die im weiteren Gang der Einleitung zu entfaltende Unterscheidung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang116 soll zur Vermeidung der beiden Extreme beitragen, also einerseits davor schützen, Barths Theologie konsequent zu historisieren, um sich so vor den theologischen Herausforderungen seines Denkens zu schützen.117 Sie soll andererseits die Berechtigung historischer (nicht historisierender!) Barthforschung in ihrer Bezogenheit auf den Begründungszusammenhang seines theologischen Denkens herausstellen. 112 H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, 287. 113 Vgl. dazu: S. Holtmann (Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien, 259 – 329), der das Historisierungsbemühen als leitende Intention der Barth-Deutung F.W. Grafs herausarbeitet. Vgl. auch ders., Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Die Deutungen, 342 – 346. 114 Vgl. F. Lohmann, Gewissheit der Erkenntnis, 148. 115 So G. Etzelmüller, Realistische Rede vom Jüngsten Gericht, 259: »Wer die gegenwärtige Barth-Forschung überblickt, wird den Eindruck gewinnen, dass diese sich zunehmend auf die historisch-genetische (oder auch modernitätstheologische) Rekonstruktion von Barths Theologie konzentriert, dabei aber eine konstruktive Rezeption dieser Theologie, das inhaltliche Gespräch mit ihr, in den Hintergrund tritt.« 116 Vgl. zu den termini technici »Begründungs- und Entdeckungszusammenhang« den Abschnitt 0.3. der vorliegenden Untersuchung. 117 Vgl. E. Busch, Weg und Werk Karl Barths in der neueren Forschung, 281: »Die Distanz [zur Theologie K. Barths; M.H.] zeigt sich auch im Trend zu einer Historisierung seines Werks.« E. Busch (a. a. O., 283) fügt – diesen Trend partiell würdigend – hinzu: »Obwohl die Gefahr nicht zu verkennen ist, daß durch die Erklärung einer ›zeitgeschichtlichen Bedingtheit‹ leicht jene Fremdheit seiner Theologie voreilig gelöst wird, können wenigstens im Prinzip Vergegenwärtigungen des historisches Kontextes veranschaulichen, daß seine Theologie dialogischer und aktueller war, als sie manchen unter dem Verdikt des ›Neo-Orthodoxen‹ erschien.«

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Das methodische Verfahren der Untersuchung

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Dabei wendet sich letzteres Bemühen gegen den Versuch, Barths Theologie zu einer zeitlosen Theologie zu stilisieren. Damit würde die Zeitgenossenschaft Barths in den verschiedenen (tages-)politischen Konfigurationen gleichsam aus einem missverstandenen theologischen Impetus heraus ignoriert, der vielfach sicherlich lediglich politisches Desinteresse kaschieren möchte. Wache, kritische Zeitgenossenschaft gehört aber mit ihren politischen Implikationen für Barth ebenso konstant wie essentiell zur Theologie hinzu und kann von ihr nicht vollständig abstrahiert werden. Im Blick auf die beiden genannten Extreme, die also zugleich eine zweifache Gefahr anzeigen, gilt es Barths qualifizierten, keineswegs apolitisch konturierten Begriff theologischer Zeitgenossenschaft zu beachten, der sich als Interpretament der Unterscheidung von Entdeckungs- und Begründungszusammenhang eignet.118 Barths Verständnis von theologischer Zeitgenossenschaft betrifft dabei auch, wie gezeigt werden soll, die theologische Friedensethik. Die vorliegende Arbeit versucht das inhaltliche Gespräch mit Barths christologischer Grundlegung der Friedensethik zu führen. In der Bezogenheit auf diesen Gegenstandsbereich liegt neben ihrer der Friedensethik geltenden Sachorientierung zugleich ihre dem Oeuvre Barths verpflichtete Werkorientierung. Sie möchte in einer spezifischen Weise die Friedensethik K. Barths ins Gespräch, d. h. in den gegenwärtigen friedensethischen Diskurs, einbringen und stellt sich dazu bewusst in den Dienst einer konstruktiven Rezeption derselben. Da nun aber Barths Ethik im Allgemeinen insbesondere hinsichtlich ihres christologischen Ansatzes durch eine Menge von Vorurteilen regelrecht verstellt ist, erweist sich eine konstruktive Rezeption als äußerst belastet. Im Interesse einer konstruktiven Rezeption versucht die vorliegende Untersuchung dieser schweren Hypothek entgegenzuwirken, die Barths Ethik gegenüber verschlossene Reserve zumindest partiell aufzubrechen und eine unverstelltere Lektüre der Friedensethik des Basler Theologen anzubahnen. Die vorliegende Untersuchung versteht sich hinsichtlich ihrer Pragmatik und von ihrem Eigenanspruch her demnach als eine Art Propädeutik zur konstruktiven Rezeption der Friedensethik Barths, wobei sie sich durchaus dessen bewusst ist, dass sie damit selbst bereits integraler Bestandteil eines solchen konstruktiven Rezeptionsprozesses ist. Sie spurt einen möglichen Diskurs nicht nur vor, sondern will bereits von ihrer intentionalen Anlage her diskursiv bzw. diskursförmig sein. Die dem konstruktiven Interesse untergeordnete Pragmatik bringt es unweigerlich mit sich, dass die folgenden Ausführungen eher apologetisch als kritisch erscheinen. Näheres Hinsehen verrät freilich im Blick auf die Tiefen-

118 Vgl. den Abschnitt 0.3.3.3. der vorliegenden Untersuchung.

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Einleitung

grammatik der vorliegenden Studien das metakritische119 Leitkriterium der eingenommenen Forschungsperspektive. Im Unterschied zu einem apologetischen Unterfangen beabsichtigt die vorliegende Studie keineswegs, die Kritik an der Friedensethik Barths zu destruieren, um als Kritik an der Kritik einer unkritischen, rein affirmativen Barthrezeption Platz zu verschaffen. Sie will den Rezeptionsprozess vielmehr dahingehend steuern, dass sie ihn vor einer von Aversionen geleiteten, negativen Vereinseitigung schützt und ihn hinsichtlich einer größeren Vielfalt der Wahrnehmung öffnet, die sich auch dem positiven, innovativen und unabgegoltenen Potential des Barthschen Denkens für den friedensethischen Diskurs nicht verschließt. Aus diesem Grund will sie nachprüfen und in diesem Sinne versteht sie sich als metakritisch. Die metakritische Stoßrichtung120 spiegelt sich in den verschiedenen Gesprächskonstellationen wider. Als metakritisch ist etwa die erste Gesprächskonstellation zu charakterisieren, wie sie im letzten Kap. (II.5.) dieser Untersuchung entfaltet und durch die Kap. II.3. und II.4. vorbereitet wird. Wenn dort nach K. Barths Impulsen für die aktuelle friedensethische Debatte im Paradigmenstreit zwischen »gerechtem Krieg« und »gerechtem Frieden« gefragt wird, so kann der Bezug auf die Debatte metakritisch genannt werden, insofern er sich kritisch-nachprüfend und unterscheidend zu dem (zumindest vom wissenschaftlichen Eigenanspruch der Protagonisten her) kritisch geführten Diskurs verhält. Dieser metakritische Bezug gilt auch für die zweite und dritte Ge119 Bei diesem Begriff handelt es sich um einen Neologismus, den der Publizist und Schriftsteller Johann Georg Hamann (1730 – 1788) prägte. Er hat sich – wie O. Bayer (Zeitgenosse im Widerspruch, 57) herausarbeitet – »als meta-criticus bezeichnet: als Nach-prüfer und Nach-richter. Das Kompositum macht darauf aufmerksam, daß der Kritiker nicht autark ist, sondern sich auf Vorgegebenes bezieht, als nach-liest, dabei aber in Freiheit urteilt. Dies geschieht in einem Urteil, das in einem vor allem eschatologisch zu präzisierenden Sinne ein vorläufiges Urteil und in diesem Sinne ein Vor-urteil ist.« Der Begriff hat sich im Zusammenhang von Hamanns Replik auf I. Kants erste Kritik herauskristallisiert, wobei sich der heutige Gebrauch »vom Anlaß seiner Prägung abgelöst« (E. Heintel, Art. Metakritik, 1172) hat. Noch einmal O. Bayer (Metakritik in nuce, 305) dazu: »Metakritik kann das Verfahren Hamanns, seines Redens und Denkens überhaupt heißen, insofern es nur im genauen, reflektierten, eingestandenen Bezug auf Vorher-Gesagtes und Vorher-Gedachtes urteilt, nicht aber in einem angeblich reinen Selbstbezug, der sich vorurteilslos, traditionsunabhängig dünkt oder sich jedenfalls so stilisiert, wie man dies klassisch bei Descartes beobachten kann. Obwohl also ›Metakritik‹ (in einem weiteren Sinne) das Verfahren, die Methode Hamanns überhaupt heißen kann, ist es doch bedeutsam, daß Hamann zu diesem Wort erst im Zuge der Auseinandersetzung mit Kants KrV findet. ›Metakritik‹ begegnet bei Hamann und damit überhaupt in der Geschichte erstmals in einem Brief an Herder vom 7. Juli 1782. Das Wort ist eine Erfindung Hamanns und gehört seitdem zum gängigen philosophischen Vokabular.« Vgl. etwa T.W. Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. 120 E. Jüngel (Die theologischen Anfänge, 88) hat Barths Theologie in ihrer Kritik an der historischen Kritik als eine »metakritische Theologie« bzw. »hermeneutische Metakritik« bezeichnet.

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Das methodische Verfahren der Untersuchung

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sprächskonstellation, wie sie in den Kap. I.1. und II.1. sowie den Kap. I.3., I.4. und II.2. dieser Untersuchung entfaltet wird. Diese Gesprächskonstellationen betreffen die vielfältigen Kritiken an Barths Grundlegung der Ethik (Kap. I.1. und II.1.) und die radikalpazifistische Kritik von Barths mennonitischem Schüler John H. Yoder (Kap. I.3., I.4. und II.2.) an der Friedensethik seines Lehrers. Um diese Kritiken beurteilen zu können, wird in Kap. I.2. ein eigenes Kapitel dazwischengeschoben, das Barths Redimensionierung des Friedensbegriffs zum Gegenstand hat und in seiner Komposition nicht in gleicher direkter Weise von einer Gesprächskonstellation betroffen ist wie wie die übrigen Kapitel. Metakritisch ist indes nicht nur das methodische Verfahren der Untersuchung zu nennen, sondern auch Barths und Yoders eigener Bezug auf die Tradition. Schüler-Lehrer-Verhältnisse, wie sie in der Gesprächskonstellation Yoder-Barth zu Tage treten, können insofern metakritischer Natur sein, als dass der Bezug auf das vom Lehrer Vorgegebene, Vorher-Gesagte und Vorher-Gedachte ja nicht im unkritischen Nachbeten und Wiederholen bestehen muss.121 Er kann vielmehr im eigenständigen, aber nicht traditionsunabhängigen (sofern man die Lehre des Lehrers als Tradition begreift) und autoritätsvergessenen, nach-prüfenden Urteilen Ausdruck finden. Solchermaßen agieren »frei« zu nennende Schülerinnen und Schüler. Genau diese Freiheit der Schülerschaft zeigt sich bei J.H. Yoder in Relation zum Denken seines Lehrers K. Barth. Diese dritte Gesprächskonstellation nimmt in der Untersuchung zweifellos den prominentesten Platz ein und durchzieht implizit alle Teile der Untersuchung, d. h. nicht nur die Kapitel, in denen ausdrücklich auch von John H. Yoder die Rede ist. Genau dieser Umstand spiegelt sich in der Titelwahl der Untersuchung wider. Bei meinem Versuch, die oft kontroversen Argumentationen von Barth und Yoder in dieser dominierenden dritten Gesprächskonstellation kritisch zu rekonstruieren und zu würdigen, entsteht, wenn man so will, gleichsam eine vierte Gesprächskonstellation: Im Gespräch mit Barth und Yoder beziehe ich selbst Stellung. Diese vierte Gesprächskonstellation wird als solche in der Gliederung nicht eigens hervorgehoben, erfolgt aber durchgehend in der Untersuchung. Die Art von deren Komposition schließt gewisse Überschneidungen ein, führt aber hoffentlich nicht zu Doppelungen. Allerdings kommt, wer die Arbeit als Ganze liest, nicht umhin, vor und zurück zu blättern, um sich des Gesamtzusammenhangs zu vergewissern.

121 Vgl. O. Bayer, Autorität und Kritik, 5: »Eine Metakritik hat das Verhältnis von Autorität und Kritik aufzuklären und dafür zu sorgen, daß die Verkrampfung gelöst wird, in der die Autorität keine Kritik und Kritik keine Autorität zuläßt.«

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Einleitung

Die Gesprächskonstellationen der Untersuchung

2.2.1. Erste Gesprächskonstellation: Der Paradigmenstreit in der aktuellen friedensethischen Debatte im deutschsprachigen und angelsächsischen Diskurskontext Um den Frieden wird gestritten122 – nicht nur im deutschsprachigen, sondern auch im angelsächsischen Diskurskontext.123 Im Blick auf Stilfragen der friedensethischen Auseinandersetzung hat es die Irenik ungleich schwerer als die Polemik.124 Man muss wahrlich kein Bellizist sein, um eine konfrontative und provokative Arbeitsweise zu wählen, wie etwa das Beispiel des amerikanischen Theologen Stanley Hauerwas beweist, der zum »Krieg gegen den Krieg«125 aufruft und einige seiner friedensethischen Beiträge aus friedenskirchlicher Perspektive in einem Aufsatzband mit dem sprechenden Titel »Dispatches from the Front«126 etikettiert.

122 Zeugnis von diesem Streit gibt etwa die literarische Inszenierung, die dem Buch »Faith and Force. A Christian Debate about War« von D.L. Clough / B. Stiltner zugrunde liegt. 123 Davon zeugt nicht zuletzt die ungewöhnliche Heftigkeit der Debatte, die J.B. Elshtains Buch »Just War Against Terrorism« (2002) auslöste. Unter Berufung auf Augustin und die Lehre vom gerechten Krieg verteidigt Elshtain (a. a. O., 61) dort die US-geführte Militäroperation, die 2001 zum Sturz der Taliban geführt hat: »Examing the evidence, we can see that the U.S. military response in Afghanistan clearly meets the just [war criteria]«. In ihrem Rezensionsartikel »War, Peace & Jean Bethke Elshtain« bezeichnen der Theologe S. Hauerwas und sein katholischer Kollege P.J. Griffiths, der sich übrigens – anders als Hauerwas – explizit als »Nicht-Pazifisten« bezeichnet – dieses Buch als »nothing more than an uncritical justification of the ideology of America as empire« und als »a deeply ideological work rather than one of careful and critical thought« (a. a. O., 41). Nicht weniger harsch fiel J.B. Elshtains (http://print.firstthings.com/ftissues/ft0401/correspondence.html) Reaktion aus, die von der »cruel, even slanderous, nature of the Hauerwas/Griffiths collaboration« sprach und Hauerwas’ Pazifismus scharf attackierte: »I quite agree that we should all be grateful that neither Griffiths nor Hauerwas are military men if this example is characteristic of their approach to enemies – as I have clearly become by their own reckoning.« 124 In den 1980er Jahren hatte D. Ritschl (Zur Logik der Theologie, 340) einen »neuen Stil theologischer Arbeit« gefordert: »Polemische Theologie und Verharren auf Positionen haben abgewirtschaftet. Wir müssen lernen, kritisch und zugleich zärtlich miteinander umzugehen, wenn wir gegenüber den Gläubigen und anderen Mitmenschen eine sinnvolle, aufbauende Funktion wahrnehmen wollen. Nur eine irenische Theologie hat in der Ökumene eine Zukunft.« 125 S. Hauerwas, Ohne Feind kein Christentum, 63. 126 Vgl. ders., Dispatches from the Front, 18: »The military imagery contained in this book’s titel is meant to challenge the widespread assumption that pacifists are passive. […] Nonviolence is not an end in itself but is intrinsic to the Christian practice of reconciliation that requires the exposure of falsehood in the hopes of our becoming a people capable of worshiping God faithfully. Those committed to Christian non-violence do not seek conflict, but in a world that has learned to call violence order, they know they cannot avoid confrontation.«

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Das methodische Verfahren der Untersuchung

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Fragt man indes danach, wie sich die Frontenbildung in inhaltlich-positioneller Hinsicht gestaltet, so verläuft sie momentan im Blick auf den angelsächsischen und den deutschen Diskurskontext entlang unterschiedlicher Paradigmenkonstellationen. Im deutschen Sprachraum wird vor allem um die Konstellation der beiden Paradigmen »gerechter Krieg« und »gerechter Frieden« gestritten.127 Den friedensethischen Diskursen im anglo-amerikanischen Sprachraum lag und liegt bis auf den heutigen Tag weitestgehend als Paradigmenkonstellation die Triangulation »Pacifism – Just War – Jihad«128 zugrunde. In ausdifferenzierteren Schemata taucht neben Pacifism und Jihad der Begriff »Realism« als Gegenüber zum »Just War« auf. So rekurrieren sechzig amerikanische Intellektuelle (u. a. J.B. Elshtain, A. Etzioni, F. Fukuyama, R.P. George, S. Huntington, J.T. Johnson, M.L. Stackhouse, M. Walzer und J. Witte, Jr.) in ihrem transatlantischen Briefwechsel mit deutschen Kolleginnen und Kollegen, der sich anhand der umstrittenen Erklärung »What We’re Fighting For«129 (2002) entzündete, auf ein entsprechendes ViererSchema, das folgende Definitionen darbietet: »Moralische und intellektuelle Einstellungen zum Thema Krieg lassen sich in vier grundlegende Kategorien unterteilen. Der Pazifismus beurteilt jeden Krieg als moralisch verwerflich. Der Realismus erklärt, dass es in Kriegen im Wesentlichen um Macht und Eigennutz geht, weshalb es ziemlich unerheblich sei, sie moralisch zu beurteilen. Der Heilige Krieg oder Kreuzzug geht davon aus, dass Gott – oder eine säkulare Weltanschauung mit ähnlich unbedingtem Anspruch – dazu ermächtigen kann, gegen Nicht-Gläubige Gewalt anzuwenden, ja sie zu töten. Und der Gerechte Krieg fordert, allgemein gültige Kriterien der Moral auf je spezifische Situationen anzuwenden, um zu entscheiden, ob der Einsatz von Gewalt moralisch gerechtfertigt ist.«130 127 Zur Dokumentation der Debatte vgl. M. Hofheinz, Gerechter Krieg?, 151 – 174; J.-D. Strub, Gerechter Friede. 128 Bezeichnend ist etwa der Titel »Between Pacifism and Jihad. Just War and Christian Tradition«, den der amerikanische Theologe J.D. Charles einem seiner jüngsten Bücher gab, in dem er sich für eine Ausdifferenzierung der Lehre vom gerechten Krieg ausspricht. Treffend bemerkt M. Haspel, Justification of Force in the Trans-Atlantic Debate, 103: »Many Anglo-American scholars see the just war tradition covering the middle ground between (absolute) pacifism on the one hand and realism / bellicosity on the other.« 129 Abgedruckt u. a. als Appendix in: J.B. Elshtain, Just War against Terror, 182 – 207. Die Replik der Kolleginnen und Kollegen »›Eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens sieht anders aus‹. Eine (deutsche) Antwort auf das Manifest »Gerechter Krieg gegen den Terror« von 60 amerikanischen Intellektuellen, unter : http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/the men/Terrorismus/antwort.html. Zur Debatte vgl. G. Beestermöller u. a. (Hg.), »What we’re fighting for …« – Friedensethik in der transatlantischen Debatte; K. Ambros / J. Arnold (Hg.), Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, 5 – 41; T. Jähnichen, »Gerechter Krieg« gegen den Terror?, 239 – 250. 130 Ist die Anwendung von Gewalt jemals moralisch gerechtfertigt? Amerikaner antworten

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Einleitung

Bereits die Charakterisierung der einzelnen Positionen indiziert, dass die Unterzeichnenden der Erklärungen, unter denen sich führende anglo-amerikanische Friedensforscher wie J.T. Johnson131 und M. Walzer132 befinden, die Lehre vom gerechten Krieg innerhalb dieses Vierer-Schemas, also in positioneller Abgrenzung zum Realismus, Pazifismus und zur Kreuzzugsidee, am stärksten befürworten. Wie bereits in ihrer umstrittenen Erklärung »What We’re Fighting For« bringen die amerikanischen Intellektuellen in ihrem Antwortschreiben unter expliziter Berufung auf die Lehre vom gerechten Krieg133 in frappierender Unbekümmertheit ihre Unterstützung für den von der damaligen US-amerikanischen Regierung (Bush-Administration) geführten »Just War against Terror« zum Ausdruck134 ; unbekümmert deshalb, weil sie der Strittigkeit bzw. Mehrdeutigkeit dieser keineswegs homogen ausgeprägten »Lehre« und ihrer Kriteriologie nicht oder kaum Rechnung tragen. Es ist bezeichnend, dass sich Befürworter und Befürworterinnen wie Gegner und Gegnerinnen des sog. zweiten (1991) wie des dritten Golfkrieges bzw. IrakKrieg (2003) gleichzeitig auf sie berufen und für ihr eigenes Urteil in Anspruch nehmen. Während etwa J.T. Johnson im Fall des zweiten Golfkrieges alle Kriterien erfüllt sah,135 widersprechen ihm seine Kollegen A. Geyer136 und J.H. Yoder137 vehement.138 Ähnliches gilt im Blick auf den sog. »dritten Golfkrieg«: Waren sich M. Walzer und J.B. Elsthain als Unterzeichnende der Erklärung

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135 136 137 138

deutschen Kollegen, 1151. Implizit liegt dieses Schema auch S. Hauerwas’ (Dispatches from the Front, 141 – 146) kurzem Abriss zur Entwicklung der theologischen Friedensethik im Nordamerika des 20. Jahrhunderts zugrunde. Vgl. die als Standardwerke in der friedenspolitischen Debatte geltenden Werke: J.T. Johnson, Ideology, Reason, and the Limitation of War (1975); ders., Just War Tradition and the Restraint of War (1981). Vgl. M. Walzers »Klassiker« »Just and Unjust Wars. A Moral Argument with Historical Illustrations« (1977) und dazu: S. Krause / K. Malowitz, Michael Walzer zur Einführung, 33 – 57. Vgl. What We’re Fighting for, 188 – 192. Vgl. a. a. O., 192: »Organized killers with global reach now threaten all of us. In the name of universal human morality, and fully conscious of the restrictions and requirements of a just war, we support our government’s, and our society’s, decision to use force of arms against them. […] We fight to defend ourselves, but we also believe we fight to defend those universal principles of human rights and human dignity that are the best hope for humankind. One day, this war will end.« Vgl. J.T. Johnson, Just War Tradition and the War in the Gulf, 134 f. Vgl. A. Geyer, Just War and the Burdens of History, 135. Vgl. J.H. Yoder, Just War Tradition, 295 – 298. Yoder lässt sich aus heuristischen Gründen auf die Kriteriologie ein, ohne freilich seine friedenskirchlich-pazifistische Haltung zu verleugnen. Vgl. zu den beiden Golfkriegen auch die Analysen von D.L. Clough / B. Stiltner, Faith and Force, 175 – 219; Ch. Reed, Just War?, 62 – 138.

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»What we are fighting for« im Fall der Intervention in Afghanistan (2001) noch einig, so bricht ihr Konsens hinsichtlich des dritten Golfkrieges auseinander.139 Der transatlantische Briefwechsel zwischen den amerikanischen Intellektuellen und ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen zeigt einmal mehr, dass sich das Paradigma des »gerechten Friedens« im angelsächsischen Diskurskontext nicht in gleicher Weise wie im deutschsprachigen Kontext durchgesetzt und etabliert hat.140 Dies überrascht insofern, als dass die stark pazifistisch konnotierte Rede vom »gerechten Frieden« in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ökumenischen und nicht etwa spezifisch deutschen Gesprächszusammenhängen im Rahmen des sog. »Konziliaren Prozesses«141 (für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung) aufkam.142 Seit Ende der 1980er Jahre ist der »gerechte Friede« als programmatischer Topos in kirchlichen Verlautbarungen anzutreffen, aber in der gegenwärtigen evangelischen Ethik bislang kaum systematisch entfaltet worden.143 Im Juli 1986 wurde auf einer Tagung des Exekutivkomitees des Lutherischen Weltbundes in München die Forderung laut: »An die Stelle der Lehre vom ›Gerechten Krieg‹ soll eine Lehre vom ›Gerechten Frieden‹ treten.«144 Eine Konsultationstagung zur »Theologie des gerechten Friedens«145 im Dezember 1987 in Bad Boll sollte diese Forderung aufnehmen und »erste Ansätze für einen ökumenischen Frieden […] entwickeln, die der Forderung des biblischen Schalom entspricht – der Einheit von Frieden und Gerechtigkeit.«146 Die Ökumenische Versammlung in Dresden nahm im April 1989 diesen Impuls zu einer tiefgreifenden Umgestaltung und konzeptionellen Neuorientierung ökumenischer Friedensethik und globaler Sicherheitspolitik auf: »Mit 139 M. Walzer (Arguing about War, 151) summiert: »The administration’s war is neither just nor necessary.« Vgl. auch a. a. O., 161: »[T]he threat that Iraq posed could have been met with something less than the war we are now fighting. And a war fought before its time is not a just war.« Anders hingegen J.B. Elshtain in dem »Epilog to the 2004 Edition« ihres Bestsellers »Just War Against Terror«, 182 – 192. 140 W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 120) weist aber darauf hin, dass sich die Lehre vom gerechten Frieden auch in den USA entwickelt und verweist auf die UCC (United Church of Christ), die sich heute programmatisch als »just peace church« versteht. So auch M. Haspel, Die »Theorie des gerechten Friedens« als normative Theorie internationaler Beziehungen, 210. Vgl. dazu: S. Thistlethwaite (Hg.), A Just Peace Church. Siehe auch M. Kaldor, From Just War to Just Peace, 255 – 273. D.L. Cloughs und B. Stiltners Studie »Faith and Force« schließt mit dem eindringlichen Plädoyer: »Work for peace with justice.« A.a.O., 244. Dort kursiv. 141 Vgl. einführend W. Lienemann, Art. Konziliarer Prozeß, 1664 f. 142 Vgl. zur ökumenischen Diskussion um den »gerechten Frieden« ders., »Gerechter Friede« als Auftrag der Ökumene, 1 – 12. 143 So H.-R. Reuter, Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 36. 144 Zit. nach W. Lienemann, Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden?, 260. 145 Dokumentiert in: G. Planer-Friedrich (Hg.), Frieden und Gerechtigkeit. 146 G. Planer-Friedrich, Theologie des gerechten Friedens, 13.

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der notwendigen Überwindung der Institution des Krieges kommt auch die Lehre vom gerechten Krieg, durch welche die Kirchen den Krieg zu humanisieren hofften, an ein Ende. Daher muß schon jetzt eine Lehre vom gerechten Frieden entwickelt werden, die zugleich theologisch begründet und dialogoffen auf allgemein menschliche Werte bezogen ist. Dies im Dialog mit Andersglaubenden und Nichtglaubenden zu erarbeiten, ist eine langfristige ökumenische Aufgabe der Kirchen.«147 Die jüngste Friedensschrift der katholischen Bischöfe in Deutschland, die bezeichnenderweise den Titel »Gerechter Friede« (2000) trägt, greift den soeben zitierten Passus explizit auf und verstärkt damit die Forderung nach einer »ethisch begründete[n] Neuorientierung der Friedenspolitik, deren Hauptakzent und Zielperspektive wir [die deutschen Bischöfe; M.H.] in programmatischer Kürze mit dem Titel des vorliegenden Schreibens zum Ausdruck bringen: Gerechter Frieden.«148 Abgesehen vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK)149 hat auch die EKD die Entwicklung einer Lehre vom »gerechten Frieden« seit den 1990er Jahren bis hin zur aktuellen EKD-Friedensdenkschrift »Aus Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen« (2007) befürwortet und gefördert. Wichtige Etappen waren dabei die EKD-Texte »Schritte auf dem Weg des Friedens. Orientierungspunkte für Friedensethik und Friedenspolitik« (1993) und »Friedensethik in der Bewährung. Eine Zwischenbilanz« (2001), in denen ausdrücklich begrüßt wird, dass »der Lehre vom gerechten Krieg insgesamt […], wie ein Blick auf ihre Entwicklung in Ethik und Völkerrecht zeigt, aus guten Gründen der Abschied gegeben«150 wurde. Dem korrespondiert die Betonung der Notwendigkeit einer grundlegenden friedensethischen Orientierung am Leitbegriff des gerechten Friedens.151 So kann auch W. Huber in seinem Vorwort zur aktuellen EKD-Friedensdenkschrift im Blick auf deren »Leitbild des gerechten Friedens«152 akzentuieren: »Auch die Herausforderung durch den modernen internationalen Terrorismus rechtfertigt 147 Kirchenamt der EKD (Hg.), Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, 32 f. 148 Die deutschen Bischöfe, Gerechter Friede (27. September 2000), Nr. 1. Zur Diskussion dieser Erklärung vgl. die diversen Beiträge in: H.-G. Justenhoven / R. Schumacher (Hg.), »Gerechter Friede« – Weltgemeinschaft in der Verantwortung. 149 Vgl. dazu das Handbuch: K. Raiser / U. Schmitthenner (Hg.), Gerechter Friede, in dem nicht nur der am Ende der »Dekade zur Überwindung von Gewalt« (2001 – 2010) stehende »Ökumenische Aufruf zum gerechten Frieden« vorgestellt wird, sondern im Anhang (193 – 248) auch wichtige Stationen auf dem Weg zur Friedenskonvokation in Kingston, Jamaika (2011) dokumentiert werden. Vgl. dazu auch: F. Enns, Ökumene und Frieden, 167 – 246. Fernerhin: M. Hofheinz, »Die Botschaft hör’ ich wohl …«, 531 – 559. 150 Kirchenamt der EKD (Hg.), Schritte auf dem Weg des Friedens, 19. Vgl. dass. (Hg.), Friedensethik in der Bewährung, 69. 151 Vgl. etwa a. a. O., 68. 152 Kirchenamt der EKD (Hg.), Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, 13.

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[…] keine Wiederbelebung der Lehre vom ›gerechten Krieg‹. Vielmehr bewährt sich gerade in einer solchen Situation die Ausrichtung aller friedenspolitischen Überlegungen an der Leitidee des ›gerechten Friedens‹.«153 Den Hintergrund dieser Bemerkung W. Hubers bilden die friedensethischen Äußerungen einiger deutscher Sozialethiker, wie etwa U.H.J. Körtner oder M. Honecker, deren Stellungnahmen W. Huber das Plädoyer für eine Rückkehr zum gerechten Krieg entnimmt.154 Der inhaltlichen Auseinandersetzung mit deren Kritik am Paradigma der »gerechten Friedens« in Form einer Impulse K. Barths aufnehmenden Metakritik sind die ihr vorbehaltenen Ausführungen im Kapitel II.4. dieser Untersuchung gewidmet. 2.2.2. Zweite Gesprächskonstellation: Auseinandersetzung mit den Kritikern der Barthschen Grundlegung der Ethik Zieht man in Betracht, dass es seit Anbruch der Neuzeit »bis heute nicht wieder zu einer Übereinkunft in der Grundlegung der evangelischen Ethik gekommen«155 ist – vorausgesetzt, dass es eine solche Übereinkunft jemals gegeben haben sollte –, so kann es nicht überraschen, dass der von Barth eingeschlagene Weg einer christologischen Grundlegung der Ethik nicht allgemein mitgegangen wurde. Ja, man wird im Blick auf die Gegenwart konstatieren können, dass er aktuell von den wenigsten evangelischen Ethikerinnen und Ethikern als tatsächlich begehbar eingeschätzt wird.156 Die Phalanx der Kritikerinnen und Kritiker Barths ist denkbar breit157 und reicht von einem modernitätstheoretischen Einspruch gegen Barths theologische Bearbeitungsform der Moderne 153 154 155 156

A.a.O., 9. W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 113 – 130. D. Schellong, Art. Ethik, 415. W. Pannenberg (Grundlagen der Ethik, 98) hat geltend gemacht, dass Barths »christologische[] Begründungen für anthropologische und auch für ethische Aussagen nur als Ausdruck eines christlichen Glaubensstandpunktes erscheinen und den Sachverhalten selbst äußerlich blieben. Das Maß an Evidenz, das Barths an-thropologische und ethische Aussagen haben, besitzen sie nicht wegen der christologischen Ableitung, sondern aus anderen, bei Barth oft nicht behandelten Gründen.« Ähnlich urteilt auch H. Fischer (Systematische Theologie, 120 f.) mit Blick auf das Verhältnis von christologischer Begründung und politischer Ethik bei Barth: »[O]hne jede theologische oder christologische Begründung, orientiert Barth die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat am demokratischen Rechtsstaat. […] in der berühmten Schrift ›Christengemeinde und Bürgergemeinde‹ sagt Barth […] nicht etwas Neues, er sagt das Alte nur auf neue Weise, mit nachgeschobener christologischer Begründung.« 157 Vgl. W. Krötke, Gott und Mensch als »Partner«, 161: »Hier melden sich nicht irgendwelche vereinzelten Stimmen, die irgendein Sonderanliegen betreiben wie das Recht der Neuzeit oder die Bedeutung Luthers. Hier meldet sich eine ganze theologische Landschaft, in die Barths Theologie heute zu stehen kommt.«

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bzw. Neuzeit, wie er in der sog. Münchener Barthdeutung artikuliert wurde und insbesondere das Verhältnis der Subjektivität Gottes zur Realisierung von Freiheit betrifft, bis hin zu einem z. T. (etwa bei O. Bayer) sehr neuzeitkritischen, sich auf Luther berufenden Fundamentaleinwand gegen einen christologischen Monismus, der die Antithetik der Gotteserfahrung und die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium »in das Christusgeschehen hinein«158 versenke und begrabe.159 Es kann hier nicht darum gehen, das gesamte Panorama der kritischen Reaktionen auf Barths Theologie aufzuzeigen, welches zumindest partiell bereits gut erschlossen worden ist.160 Vielmehr muss ich mich an dieser Stelle darauf beschränken, schlaglichtartig und skizzenhaft einige Einwände und kritische Anfragen, die Barths Grundlegung der Ethik gelten, zu benennen. Schärfere Konturierungen dieser kritischen Momente sind den einzelnen Studien vorbehalten, die deren Essenz herauszuarbeiten versuchen und sich mit den Einwänden auseinandersetzen. Der Bonner Ethiker M. Honecker, selbst einer der schärfsten Kritiker Barths, nennt zwei Einwände, die gegen den Ansatz der Ethik K. Barths geltend gemacht werden: »(a) Einwände werden gegen die Beanspruchung der Christologie, der Christusoffenbarung erhoben, sofern darin auch die Erkenntnis der Wirklichkeit eingeschlossen sein soll. Epistemologisch wird also die Herleitung von ethischer Einsicht aus der Offenbarung kontrovers diskutiert. (b) Neben der Offenbarungslehre Barths wird vor allem die Leistungsfähigkeit und Stringenz der Methode der Analogie, der ›analogia fidei‹ in Zweifel gezogen: Kann man aus biblischen oder christologischen Aussagen mit Hilfe des Verfahrens der Analogie, der ›Glaubensentsprechung‹ inhaltliche ethische Forderungen gewinnen und herleiten?«161 Der erste Einwand wird etwa von W. Pannenberg erhoben, der Barths extremen neuzeitlichen Dezisionismus bemängelt: »Zur Begründung seines [Barths] Redens von Gott blieb hier nur noch der Ausweg einer unvermittelten Setzung, die, als Selbstsetzung Gottes gemeint, sich doch angesichts der Strittigkeit göttlicher Wirklichkeit unvermeidlich als arbiträre Setzung der Subjek-

158 G. Ebeling, Karl Barths Ringen mit Luther, 544. 159 Vgl. dazu die auf recht divergierenden Luther-Interpretationen beruhenden Barth-Kritiken von G. Ebeling (Karl Barths Ringen mit Luther, 428 – 573), A. Peters (Gesetz und Evangelium, 105 – 144) und O. Bayer (Theologie, 310 – 388). 160 Vgl. zur sog. »Münchener Barthdeutung« S. Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien; ders., Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Die Deutungen, 331 – 347; A. Siller, Kirche für die Welt, 24 – 45. Zur lutherischen Barth-Kritik vgl. E. Maurer, BarthRezeption bei lutherischen Theologen in Deutschland, 367 – 386; J. Webster, Barth’s Moral Theology, 151 – 178. 161 M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik, 31.

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tivität des Theologen darstellen mußte.«162 Bei Barth manifestiere sich eine Vernunftfeindlichkeit,163 die sich auf die Offenbarung Gottes in Christus als übernatürliche Autorität berufe und sich mit ihrem autoritären Offenbarungsanspruch den »Fragen kritischer Rationalität«164 entziehe: »Gott [erscheint bei Barth; M.H.] als ein nur durch eine irrationale, objektiv unbegründete, also willkürliche Entscheidung des Menschen zugänglicher Inhalt unseres Denkens«165. Der zweite Einwand wurde in vielfältigen Variationen vorgebracht. Hier sei exemplarisch auf T. Rendtorffs Kritik an Barths Vorordnung der Dogmatik vor die Ethik verwiesen: »Die unmittelbare Vorordnung der Dogmatik hat […] in der theologischen Ethik zu teilweise absonderlichen Ableitungen ethischer Urteile aus dogmatischen Vorstellungen Anlaß gegeben, die mit der Berufung auf die Autorität der Dogmatik erlaubt schienen.«166 Rendtorff sieht in dieser Grundentscheidung Barths eine der Neuzeit nolens volens verpflichtete und in ihr verhaftet bleibende »Wendung gegen [deren] Autoritätskritik«167 im Namen der Autorität Gottes gegeben: »Die Modernität dieses Vorgangs liegt darin, daß damit die ethische Subjektivität des Menschen der ›unaufhebbaren Subjektivität Gottes‹ unterstellt werden sollte.«168 Rendtorff geht nicht so weit, dass er im Blick auf die Subjektproblematik als dem eigentlichen Nerv von Barths theologischen Neubestimmungen von einer Substitution der Subjektivität des Menschen zugunsten der absoluten Subjektivität Gottes spricht. Die Wahrnehmung des partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Gott und seinem Bundespartner, dem Menschen, aber wird von Rendtorffs einseitiger Fokussierung des beschriebenen Superioritätsgefälles überblendet.169 Bündig formuliert, lautet Rendtorffs Kritik an Barths Ethik-Grundlegung:

162 W. Pannenberg, Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland, 199. 163 Diese Vernunftfeindlichkeit betrifft nach Pannenberg insofern Barths »christologische Begründung«, als begründendes Reden auch vernünftiges Reden genannt werden kann. Vgl. W. Kamlah / P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 128: »Wir nennen einen Menschen vernünftig, der dem Mitmenschen als seinem Gesprächspartner und den besprochenen Gegenständen aufgeschlossen ist, der ferner sein Reden nicht durch bloße Emotionen und nicht durch bloße Traditionen oder Moden, sondern durch Gründe bestimmen läßt.« 164 W. Pannenberg, Stellungnahme zur Diskussion, 291. 165 Ders., Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland, 202. 166 T. Rendtorff, Art. Ethik VII., 512. Vgl. ders., Ethik I, 46 – 49. 167 Ders., Art. Ethik VII., 512. 168 Ebd. 169 Dies hat W. Krötke (Gott und Mensch als »Partner«, 158 – 175) gezeigt. Vgl. K. Barth, Das christliche Leben, 28: »Anfang und […] Ziel seiner [des Christen; M.H.] Existenz ist [es]: als Gottes Partner beteiligt an der Geschichte des von diesem begründeten und fortgeführten Gnadenbundes« zu sein.

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»Während […] Barth in seinen Anfängen Gott und Mensch als Konkurrenten auf der gleichen Ebene sah und mit dieser antithetischen Anthropologisierung des Gottesgedankens als Herrschersubjekt der kritisierten Aufklärung deutlich Tribut zollte, gewinnt dieses Verhältnis in den christologischen Vermittlungsschritten der Kirchlichen Dogmatik eine sehr viel differenziertere Struktur. Was der Barthschen Theologie nicht gelungen ist, das ist die Klärung des Wirklichkeitsstatus der Ethik über ihre Subjektbestimmung hinaus. Insofern bleibt sie hinter dem durch Hegel und Schleiermacher schon einst bestimmten Niveau zurück und verharrt, vor allem in ihren weitreichenden kirchlichen Wirkungen, in einer Appellhaltung des Aufrufs, der Kritik und des Sollens, die sich auch in der politischen Ethik in einer Anspruchshaltung äußert, die den Erweis ihrer realen ethischen Vermittlungsfähigkeit nicht antreten kann. Die thematische Entwicklung der Ethik ist hier über die Affirmation der Dogmatik, nicht wesentlich hinausgekommen und hat dazu geführt, daß die Bedeutung Barths für die Ethik über die deutschsprachige Theologie nicht hinausgelangt ist.«170

Die Renaissance des dezidiert dogmatischen Bewusstseins bei Barth habe im Bereich seiner politischen Ethik zu arbiträr anmutenden Deduktionen geführt, die lediglich die große Verlegenheit von Barths christologischer Begründung der Ethik kaschieren würde, der zufolge eine solche Begründung nämlich »inhaltlich völlig offengelassen«171 werden müsse. Die der Vorordnung der Dogmatik vor die Ethik korrespondierende Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz bringe es nämlich mit sich, dass bei Barth Ethik nur als eine Ermächtigung des Menschen zum Handeln konzipiert und »in der Folge das ethische Urteil in hohem Maße der religiösen Beliebigkeit«172 ausgeliefert werde. De facto habe sich »im Gefolge der Barthschen Theologie […] eine Moralisierung der Christologie«173 ergeben. Nicht zuletzt um dem induzierten Verdacht auf christologische Deduktion zu entkommen, vollziehen viele Ethikerinnen und Ethiker der Gegenwart eine »Kehrtwende« und schreiben der Anthropologie eine »Sockelfunktion«174 gegenüber der Ethik und Sozialethik zu. Mit Blick auf die anthropologisch begründete Friedensethik »gründet« das Friedensverständnis dementsprechend in einer Lehre vom homo pacis, vom »Mensch[en] als Wesen des Friedens«175. Doch der Verdacht drängt sich auf, dass man damit versucht, die Anthropologie gegen 170 171 172 173 174

T. Rendtorff, Art. Ethik VII., 512. Ders., Ethik I, 178. Ebd. A.a.O., 84. D. Ritschl, Thesen zur Neuorientierung christlicher Anthropologie, 134.141. Vgl. auch W. Pannenberg, Grundlagen der Ethik, 86.102 ff. 175 E. Jüngel, Zum Wesen des Friedens, 57. Jüngel begründet seine »theologische Anthropologie des Friedens« gleichwohl insofern indirekt christologisch, als dass er den Menschen als ontologisch vom Indikativ des Friedens Gottes zehrendes Wesen bestimmt (ebd.) und gerade diesen Indikativ des Friedens von Röm 5,1 her christologisch begründet sieht. Vgl. a. a. O., 60.

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die Christologie auszuspielen.176 Die Anthropologie scheint jedenfalls vielen anschlussfähiger an die Human- und Sozialwissenschaften zu sein als die Christologie. Chr. Freys Forderung nach einer »christologische[n] Grundlegung der Ethik«177, die er als »eine Antwort auf das Scheitern des Projektes der Aufklärung«178 versteht, kann – auf diesem Hintergrund betrachtet – wohl kaum als repräsentativ gelten, sondern setzt einen Kontrapunkt zu den Themen und Tendenzen, die die gegenwärtige Grundlagendiskussion179 in der Ethik dominieren: »Schlüssel zu einer theologischen Ethik ist […] heute, vielleicht eindeutiger als je zuvor, die Christologie. Vom Sein, Handeln, Reden Jesu Christi müssen wir ausgehen, um die schöpfungsgemäßen Grundzüge des Lebens zu identifizieren und in der Hoffnung auf Gott auch unsere Zukunft zu gewinnen.«180 Die Emphase K. Barths, wonach dem gekreuzigten Jesus Christus als dem »Axiom aller Axiome«181 auch und gerade für die Grundlegung der Friedens176 Dem Verfahren, Anthropologie und Christologie gegeneinander auszuspielen, korrespondiert die Gegenbewegung, die beide ebenfalls dichotomisiert, nun aber zugunsten der Christologie bzw. der Theozentrik optiert. Dies ist etwa beim amerikanischen Ethiker J.M. Gustafson (Ethics from a Theocentric Perspective I, 83) der Fall, der beklagt, dass »[r] eligion and God have been put in the service of human needs. Theology continues to assure human beings that the Deity serves to fulfill particular human desires.« Gustafson begrüßt Barths Theozentrik, kritisiert aber zugleich, dass Barth mit seiner Betonung der Bundespartnerschaft des Menschen zu stark anthropozentrisch verhaftet bleibe. Vgl. a. a. O., 95; ders., Ethics from a Theocentric Perspective II, 28 f.35. Im Spiegel der Gustafsonschen Kritik deutet sich bereits an, dass Barth falsche Dichotomisierungen gerade überwinden will. Barth wendet sich mit anderen Worten nicht gegen die Anthropologie, sondern fragt nach dem rechten Zugang zu ihr, der sich ihm mit dem Ansatz bei Jesus Christus als dem wahren Menschen erschließt. Vgl. zur Anthropologie Barths H. Hollenstein, Die Anthropologie – ein Plädoyer für ein vernachlässigtes Thema, 1 – 6; W. Krötke, The Humanity of the Human Person in Karl Barth’s Anthropology, 159 – 176; D.J. Price, Karl Barth’s Theology in Light of Modern Thought, 97 – 164; W. Schoberth, Einführung in die theologische Anthropologie, 97 ff.; M. Zeindler, Der wirkliche Mensch, 257 – 275. 177 Chr. Frey, Theologische Ethik, 104. 178 Ebd. 179 Vgl. M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik, 23: »Die entscheidende Frage an die evangelische Ethik in ihrer Beziehung zur allgemeinen Ethik ist […], was überhaupt Ethik theologisch begründet. Hier befindet man sich bis heute in einer Grundlagendiskussion.« 180 Chr. Frey, Theologische Ethik, 115. 181 K. Barth, KD IV/1, 382. Ders., KD III/2, 560.573; ders., Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 23: »Das Bekenntnis ›Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!‹ hat aber [wenngleich keine magische Kraft, so doch; M.H.] als einfachste Gestalt des apostolischen Zeugnisses, insofern die Kraft Tatsachen zu schaffen, als es dieses Zeugnis und damit auch seinen Gegenstand auf den Plan führt, in Erinnerung ruft, zur Diskussion stellt, als Ausgangspunkt alles christlichen Denkens sichtbar macht.« Zur »Axiomatik« K. Barths vgl. M. Trowitzsch, Die Zeit Jesu Christi, 138 f.

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Einleitung

ethik axiomatische Valenz zukommt, trifft in der gegenwärtig theologischen Landschaft auf breite Skepsis. Gerade eine christologische Grundlegung der Ethik erscheint vielen als konzeptionell und sprachlich binnenkirchlich gebunden und somit als dialogunfähig:182 »Vernachlässigung des sachlichen Details, Eindeutigkeits- und Konformitätsdruck, gesellschaftliche Isolation« – so charakterisiert etwa E. Herms die »Schwächen des christozentrischen Ansatzes«183. Der Berliner Theologe W. Krötke nennt hingegen den Einwand, »eine offenbarungstheologische oder christozentrische Denkweise könne den Herausforderungen, vor denen die Kirche und Theologie heute in der religiösen Situation der pluralistischen Gesellschaft und weltweit stehen, nicht gerecht werden«184, unumwunden ein »Klischee«185. Eine christologisch grundgelegte Ethik scheint indes in den Augen vieler vom »Szenario« einer in isolierte Partikularität mündenden Tribalisierung bedroht zu sein: Überlässt sie nicht im strategischen Interesse an der eigenen Selbstimmunisierung die Grundlegung der Ethik nahezu vollständig der Moralphilosophie186 und flüchtet sie nicht im Zuge eines binnenkirchlichen Reduktionismus in ein »gruppeninterne[s] Sprachspiel«187 ? Der Barthsche Ethiktypus scheint Äußerungen, wie die des Berliner Philosophen V. Gerhardt zu bestätigen und zu unterstützen: Religiöse Motive »kommen als Gründe für die Rechtfertigung ethischer Prinzipien schon deshalb nicht in Betracht, weil sie nicht die Allgemeinheit des begrifflichen Wissens haben. Nach der Religionskritik der Sophisten war bereits den antiken Begründern der Ethik klar, dass der Glaube nicht ausreicht, den ethischen Gründen die erforderliche Reichweite zu geben. Denn die Ethik muss von und vor jedermann Geltung beanspruchen können.«188 Für V. Gerhardt gibt es »[i]m Interesse an einer Begründung der Ethik […] keinen Grund, nach den Besonderheiten einer religiösen Ethik zu fragen.«189 Mit dem Stichwort »Universalität« bzw. »Universalisierungspostulat« benennt Gerhardt freilich ein Reizwort auch und gerade in den moralphilosophischen Diskursen. Sprach I. Kant in der Einleitung zur ersten Auflage seiner 182 Vgl. E. Herms, Art. Ethik V., 1614: »Die Orientierung an einem betont christozentrischen Wirklichkeitsverständnis, v. a. aber die Zuspitzung des christlichen Ethos auf den Vollzug von Aktionen mit Bekenntnis- bzw. Zeichencharakter unter nur lockerer Bindung an die formalen Regeln der Handlungsrationalität führten zur Erschwerung der Verständigung und Kooperation mit den Führungsschichten in Wirtschaft, Politik und Recht«. Dort z. T. Abkürzungsgebrauch. Vgl. auch D. Ritschl, Thesen zur Neuorientierung christlicher Anthropologie, 132. 183 E. Herms, Ethik V., 1615. 184 W. Krötke, Barmen – Barth – Bonhoeffer, 10. 185 Ebd. 186 Vgl. S. Grotefeld, Rationalität, Vernunft und Moralbegründung, 85 f. 187 M. Honecker, Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 104. 188 V. Gerhardt, Protestantische Ethik, 49. 189 Ebd.

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»Kritik der reinen Vernunft« mit Blick auf die Erkenntnistheorie vom »Kampfplatz Metaphysik«190, so scheint die Vielfalt und Divergenz neuerer Ansätze in der Praktischen Philosophie den Begriff »Kampfplatz Moralbegründung« zu rechtfertigen. Das positionelle Panorama ist denkbar weit gespannt – in jedem Fall weiter als V. Gerhardts Bemerkung suggeriert. Es kann mittels Etikettierungen wie »Kommunitarismus« einerseits und »Liberalismus«191 andererseits in seinen Koordinaten nur schwer abgesteckt und hinreichend erfasst werden. Chr. Frey stellt unter Berufung auf den moralphilosophischen Diskurs fest: »Mit den Kommunitaristen (z. B. Michael Walzer) ist festzuhalten, dass ein universales Ethos nicht von Anfang an gegeben ist – und dasselbe gilt für die Vernunft. Jedes Ethos entsteht unter partikularen Umständen«192. Dies gelte gleichermaßen für ein kirchliches wie jedes andere Ethos – auch das Universalität beanspruchende. In ähnlicher Weise grenzt sich unter direkter Berufung auf Barth M. Leiner gegenüber einem apologetisch motivierten Rekurs auf das allgemeine Bewusstsein als Instanz theologischer Legitimation ab: »Theologie und theologische Ethik kann nicht durch Berufung auf das allgemeine ethische Bewusstsein apologetisch seinen [sic!] Platz verteidigen, sondern sie muss bei ihrer Aufgabe bleiben, was eben auch heißt, dass bis in die Grundbegriffe von Gut und Böse, Güter, Tugenden und Pflichten hinein, die theologische Ethik grundsätzlich andere, und nur manchmal parallele Wege geht wie die philosophische Ethik. Kurzum: Barths Ethik hat für heute den […] Impuls dazu gegeben, eine spezifisch christliche theologische Ethik konsequent zu entwickeln.«193 Ähnlich heißt es bei H. Ruddies: »Barths dezidiert dogmatische Ethik verzichtet zwar auf den Anschluß an eine allgemeine philosophische Ethik, aber sie ist nach ihrem eigenen Anspruch keine theologische Regionalethik, weil sie eine universale Geltung beansprucht, ohne in abstrakter Form verallgemeinerbar zu sein. Als dogmatische Ethik bringt sie den Allgemeinheitsaspekt der philosophischen Ethik so zur Darstellung, indem sie sich nicht von ihm bestimmen läßt, aber auch nicht auf ihn verzichtet, sondern indem sie ihn transformiert.«194

190 Vgl. I. Kant, KrV, A 8. 191 Zur Kommunitarismus/Liberalismus-Debatte s. W. Reese-Schäfer, Grenzgötter der Moral, und die Beiträge in: A. Honneth (Hg.), Kommunitarismus. Von theologischer Seite vgl. J. Fischer, Über moralische und andere Gründe, 118 – 157; J. v. Soosten, Gerechtigkeit ohne Solidarität?, 47 – 61. 192 Chr. Frey, Eine erweiterte Verantwortungsethik, 87. Zitatwiedergabe nach der gewöhnlichen Umlautschreibweise. 193 M. Leiner, Zur Bedeutung der Ethik Karl Barths für heute, 54. 194 H. Ruddies, Ethik als theologisches Problem, 251.

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Dieser Verhältnisbestimmung von philosophischer und theologischer Ethik, die sicherlich mancher Fachvertreterin und manchem Fachvertreter zu stark prinzipialistisch enggeführt erscheint, kann man die Auffassung W. Krötkes hinzugesellen, der nachdrücklich den dialogeröffnenden Charakter der Barthschen Theologie betont: »Gerade sein [Barths] Verzicht auf eine aus der allgemeinen und vielleicht sogar religiösen Weltwahrnehmung sich ergebenden Begründung der theologischen Ethik hat die positive Bedeutung der Stärkung freier, vernünftiger Weltwahrnehmung. Der Dialog mit den empirischen Wissenschaften und auch mit der Philosophie wird darum auch nicht verboten, sondern im Gegenteil theologisch allererst sachgerecht ermöglicht.«195 Mit derartigen auf Barth rekurrierenden Auskünften erweist sich aber der von ihm geprägte Ethiktypus in den Augen vieler Kritiker als Spielart eines »kirchlichen Kommunitarismus«196, dessen Partikularismus alle Allgemeingültigkeitsansprüche zu begraben scheint. Die sog. »kirchlichen Kommunitaristen« selbst insistieren freilich vehement darauf, dass das »Dass« von Allgemeingültigkeitsansprüchen von ihnen keineswegs bestritten, wohl aber das »Wie« der Einlösung derselben hinterfragt werde. So bemerkt etwa J. Milbank: »Die eigentliche Frage lautet also nicht: Universale Vernunft oder lokales religiöses Vorurteil?, sondern: In welcher Weise wollen wir universal sein?«197 Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Einer der »geistigen Väter«198 des sog. »kirchlichen Kommunitarismus«, der bereits mehrfach erwähnte mennonitische Theologe J.H. Yoder199, der bezeichnenderweise zugleich Schüler K. Barths 195 W. Krötke, Die Schöpfungsordnungen im Lichte der Christologie, 24. 196 E. Arens, Kirchlicher Kommunitarismus, 487 – 500. Vgl. auch U.H.J. Körtner, Evangelische Sozialethik, 58. Zur Kritik an diesem Begriff: S. Hauerwas, Dispatches from the Front, 156 – 163; H.G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben, 600 f. 197 J. Milbank, Podiumsdiskussion, in: C. Gestrich (Hg.), Ethik ohne Religion?, 73. Vgl. auch A. Rasmusson, Church as Polis, 271 – 274. R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 285) stellt explizit fest: »Indem die Gemeinde durch ihre Vollzüge bezeugt, was allen Menschen gilt, umreißt sie den Raum der Freiheit des Menschen vor Gott, der allen Menschen offen steht. Indem sich kirchliche Ethik streng auf diesen Raum bezieht, redet sie von dem, wozu alle Menschen berufen sind, d. h. was vom Evangelium her für alle Menschen gilt. Gerade indem der Geltungsbereich ihrer parakletischen Aussagen auf die Kirche begrenzt bleibt, umgreift die Reichweite des Zeugnisses der Kirche die gesamte Menschenwelt.« 198 So R. Mayer (Rezension zu R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 182), demzufolge »die geistigen Linien zurück auf die Position des mennonitischen Theologen John H. Yoder [gehen], der im Rahmen der friedenskirchlichen Ethik die Kirche als gewaltfreie Gemeinschaft dem Staat gegenüberstellt. Von Yoder führen die Einflüsse über Hauerwas zu Hütter.« 199 J.H. Yoder (For the Nations, 49) lehnt eines solche Selbstbezeichnung ab, zumal er den »Kommunitaristen« vorwirft: »They will not risk the challenge of telling the world that servanthood, enemy love, and forgiveness would be a better way to run a university, a town, or a factory. They pull back on the grounds that only they have already experienced the

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ist, betont gerade die universale Reichweite des eigentlichen Gegenstandes christologischer Reflexion: »The particularity of incarnation is the universality of the good.«200 Das Christusereignis sei ein einmaliges geschichtliches Ereignis, das in seiner räumlichen und zeitlichen Partikularität eine universale Reichweite besitze, wenngleich der Geltungsbereich dieser assertorischen Aussage auf die Kirche Jesu Christi beschränkt sei. Auch K. Barth, auf den als den Kritisierten abschließend verwiesen sei, betont den Christen in Norwegen in seiner Rundfunkansprache im April 1942 gegenüber : »Christus ist als der Messias Israels der Heiland der ganzen Welt, der als Haupt seiner Kirche der Herr aller Mächte und Gewalten im Himmel und auf Erden ist.«201 In diesem Bekenntnis sieht Barth im Blick auf seinen Gegenstand zugleich die Partikularität, die mit Jesu Funktion als Messias Israels und Haupt der Kirche akzentuiert wird, und die Universalität, die Barth mit Jesu Herrschaft als gegeben erachtet, miteinander vermittelt.202 An dieses Bekenntnis ist nach Barth die Kirche im Blick auf ihre Existenzform in ihrer Sendung in die Welt gebunden: »Daß er [Jesus Christus; M.H.] gerade als der König Israels und Herr seiner erwählten Gemeinde der Heiland der Welt ist, das ist nun aber entscheidend auch für den Sinn der merkwürdigen Sonderexistenz der Christen als seiner Brüder und also als Kinder Gottes.«203

2.2.3. Dritte Gesprächskonstellation: Bezugnahme auf J.H. Yoder – J.H. Yoder als »freier Schüler« K. Barths Auch eine weitere Gesprächskonstellation, die den Gang der vorliegenden Untersuchung bestimmen wird, ergibt sich aus ihrem Gegenstand, der Friedensethik K. Barths. Im 20. Jahrhundert hat sich bislang wohl niemand intensiver mit derselben auseinandergesetzt als der bereits erwähnte mennonitische Theologe John Howard Yoder (1927 – 1997).204 Und umgekehrt wird man wohl auch festhalten können, dass nur sehr wenige nicht-friedenskirchliche Theologen in vergleichbarer Weise wie Barth »das Zeugnis der Historischen Friedenskirchen ernst genommen und als entscheidende Infragestellung des Weges der ›kon-

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power and novelty of that threefold evangelical cord in the worship and ministry of the church. They affirm integrity but at the cost of witness.« Ders., The Priestly Kingdom, 62. Vgl. dazu: M. Zeindler, Die Kirche des Kreuzes, 79 f.83 ff. K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 330 (Brief an die Christen in Norwegen vom März 1942). Die Spezifika dieser Vermittlungsfigur hat G. Plasger (Die relative Autorität des Bekenntnis bei Karl Barth, 139 – 142; Particularity in Universality, 267 – 279) herausgearbeitet. K. Barth, Das christliche Leben, 158. Vgl. zu dieser Gesprächskonstellation C.A. Carter, The Politics of the Cross, 61 – 90; M.G. Cartwright, Radical Reform, Radical Catholicity, 16 f.; G. Hunsinger, Disruptive Grace, 114 – 128; P.T. Kroeker, Is a Messianic Political Ethic Possible?, 143 – 147; J. Wm. McClendon, Witness, 44; A. Rasmusson, The Politics of Diaspora, 88 – 111.

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stantinischen‹ Kirchen zur Geltung gebracht«205 haben. In Bezug auf diese Gesprächskonstellation wird ein Schüler-Lehrer-Verhältnis ansichtig.206 Barths mennonitischer Schüler J.H. Yoder hat eine fulminante und insbesondere im angelsächsischen Sprachraum äußerst wirkmächtige Kritik207 an Barths Einführung des sog. »Grenzfalls« als mögliche Ausnahme vom prinzipiellen Tötungsverbot entfaltet. Yoders Vorarbeiten zu seiner Kritik gehen auf seine Basler Studientage zurück, also jene Zeit, als Yoder für das »Mennonite Central Committee« in Frankreich Kinderheime für Kriegswaisen betreute und gleichzeitig in Basel unter Ernst Stähelin über »Die Gespräche zwischen Täufern und Reformatoren 1523 – 1538«208 – so der Untertitel der Dissertation – promovierte.209 Sämtliche englischsprachigen Studien210 zu Barths Friedensethik

205 W. Lienemann, Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 173. 206 Als Resümee seines eingehenden, wenngleich überprüfungsbedürftigen Barth-Yoder-Vergleichs hält C.G. Carter (The Politics of the Cross, 89) fest: »What has emerged is that Yoder has combined in a creative manner aspects of his Anabaptist theological heritage with the theological method of Karl Barth to construct an approach to social ethics that is clearly postliberal. […] The narrative approach to scripture, the rejection of natural theology, and the identification of ethics and dogmatics as two sides of the same coin appear to have come from Barth. Yoder’s high Christology and his concept of ethics as obedience were reinforced and clarified by Barth. The church-world-distinction and the concept of the church’s mission as witness are found in Barth’s thought, but Yoder develops and clarifies them. The emphasis on pacifism as rooted in the narrative history of Jesus Christ represents a definite development and extension, though not a contradiction, of the overall trajectory of Barth’s thought.« Im Blick auf Yoders Basler Studienzeit bemerkt M.T. Nation (Editor’s Foreword, IX): »[N]o theological teacher at Basel during Yoder’s time there was more captivating and influential than Barth.« 207 R.B. Hays (The Moral Vision of the New Testament, 284) bezeichnet Yoders Studie als »an incisive analysis of Barth’s ethic« und S. Hauerwas (With the Grain of the Universe, 203) konstatiert in seinen »Gifford Lectures«: »John Howard Yoder’s Karl Barth and the Problem of War […] remains the best critique of Barth, not only on the issue of non-violence but on Barth’s understanding of the status of the state.« 208 J.H. Yoder, Täufertum und Reformation in der Schweiz I. Ein zweiter Band, den Yoder gewissermaßen als die dogmengeschichtliche Quintessenz im Zuge seines Doktoratsstudiums verfasst, allerdings nicht mit seiner Dissertation eingereicht hat, erschien im Jahr 1968 unter dem Titel »Täufertum und Reformatoren im Gespräch. Dogmengeschichtliche Untersuchung der frühen Gespräche zwischen Schweizerischen Täufern und Reformatoren«. 209 Vgl. M.T. Nation, John Howard Yoder, 17 f. Vgl. J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 17: »The earlier drafts of this text were prepared at Basel in the course of my doctoral studies in the faculty of theology. A text substantially similar to the present one was read by Professor Barth in the summer 1957. After a conversation following that reading, a number of points in the original text were changed to guard against misunderstandings. Such clarifications have been incorporated into the present text.« 210 Überblicke zur aktuellen englischsprachigen Barth-Forschung hinsichtlich Barths theologischer Ethik vermitteln A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 11 – 29; H.G. Ulrich, Karl Barths Darstellung theologischer Ethik, 279 – 294.

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beziehen sich auf Yoders Kritik.211 Neben einem Vergleich der nachfolgeethischen Grundlegung der Friedensethik bei Barth und Yoder (Kap. I.3.) – einschließlich deren christologischer Tiefendimensionierungen (Kap. I.4.) – stellt eine metakritische Auseinandersetzung mit Yoders Barthkritik die Intention einer weiteren Studie (Kap. II.2.) innerhalb dieser Untersuchung dar. Es geht dabei um ein metakritisches Nach-Prüfen der Kritik Yoders an Barth.212 Daneben lassen sich in konstruktiver Hinsicht – wie anhand seiner Rezeption der sog. »Lehre« vom gerechten Krieg gezeigt werden soll (Kap. II.4.) – von Yoder her Impulse für eine doppelte Ausrichtung einer sich als Rechtsethik und kirchliche Ethik ausdifferenzierenden theologischen Friedensethik gewinnen. In dieser Untersuchung wird entsprechend ihrer Themenstellung und ihres daraus resultierenden Gegenstandsbereichs vor allem die Christologie Yoders fokussiert, seine Ekklesiologie hingegen nur en passant thematisiert, insofern Yoder das christliche Friedenszeugnis in der grundlegenden ekklesiologischen Orientierung am Friedenshandeln Jesu Christi verwurzelt sieht. Außerdem hat bereits F. Enns in seiner Heidelberger Dissertation die Ekklesiologie Yoders hinsichtlich ihrer Beziehung zur Ethik einer eingehenden kritische Würdigung unterzogen und vier ihrer zentralen Aspekte herausgearbeitet,213 nämlich erstens die Unterscheidung zwischen Kirche und Welt, aus der wiederum die Distinktion zwischen konstantinischer Kirche und Freikirche resultiert, zweitens die Betonung der örtlichen Gemeinde als hermeneutischer Gemeinschaft, die als nachfolgende Zeugnis- und Dienstgemeinschaft missionarisch nach außen gerichtete und für die von Gott geliebte Welt proexistierende, sichtbare Kirche ist, drittens die Hervorhebung der genuin ethisch zu verstehenden Praktiken der Kirche als Gemeinschaft auf dem Weg (ecclesia viatorum) und viertens der Akzent auf der Katholizität der als christuszentrierte congregatio verstandenen Kirche, deren Einheit »im prozeduralen Charakter des Kircheseins und -werdens begründet«214 liegt. Was sein eigenes theologisches Werk angeht, so gehörte Yoder keineswegs zu den Barthadepten. Yoder rang ein Leben lang mit Barths Oeuvre als Referenz211 Vgl. J. R. Bowlin, Barth and Werpehowski on War, Presumption, and Exception, 83 – 95; D. Clough, Ethics in Crisis, 89 – 98; ders., Fighting at the Command of God, 214 – 226; R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 225 – 239; D.L. Okholm, Defending the Cause of the Christian Church, 144 – 162; D.E. Roberts, Hope in Times of War, 71 – 80.87 ff.; W. Werpehowski, Karl Barth and Just War, 60 – 82; R. Williams, Barth, War and the State, 170 – 190. Fernerhin: G. McKenny, The Analogy of Grace, 270 – 274. 212 W. Lienemanns (Karl Barth 1886 – 1968, 52) Desiderat, dass »[d]ie Beziehungen BarthYoder […] eine eingehende Analyse wert« wären, kann hier nur partiell bzw. selektiv eingelöst werden. 213 Vgl. F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 155 – 200, sowie M. Zeindler, Die Kirche des Kreuzes, 63 – 88. 214 F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 192.

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punkt eigener Forschungsanstrengungen. Obwohl er in seinem Oeuvre kontinuierlich auf Barth Bezug nimmt, blieb Yoder gleichwohl ein eigenständiger Friedensethiker in der Tradition der Historischen Friedenskirchen, zu denen neben seiner eigenen Konfession, den Mennoniten, auch die Quäker sowie die Kirche der Brüder (Church of the Brethren) gehören. Gemeinsam betonen die Historischen Friedenskirchen die (Kreuzes-)Nachfolge Christi und sie haben deshalb vielfach (keineswegs jedoch durchgängig)215 den Kriegdienst, manchmal auch Kriegsteuern abgelehnt und für diese Verweigerungen oft Leid und Martyrium hinnehmen müssen.216 Als consensus mennoniticus gelten in Anlehnung an die sog. »Schleitheimer Artikel«217 (1527) folgende Merkmale konfessioneller Identität: »die Taufe auf das Bekenntnis des Glaubens, die Wehr- und Eidesverweigerung, die Ablehnung, sich am ›schmutzigen Geschäft‹ der Politik zu beteiligen, und die strenge Praxis der Gemeindezucht.«218 Yoder selbst lehnt den Terminus »Historische Friedenskirchen« als Selbstprädikation zwar nicht explizit ab, zieht ihm aber im Anschluß an G.H. Williams219 den Begriff »radical reformation« vor, da der Begriff »Historische Friedenskirchen« dazu verleite, ausschließlich »war and peace issues«220 zu thematisieren. Im ekklesiologischen Modell dreier konzentrischer Kreise, deren äußerster Kreis die Freikirchen (»free-churches«)221 repräsentieren, welche zugleich die Peripherie des zweiten, engeren Kreises der sog. »believer’s churches« 215 Im Nationalsozialismus etwa wurde der ererbte Pazifismus weitestgehend »gleichgeschaltet« bzw. aufgegeben. Vgl. H.-J. Goertz, Nationale Erhebung und religiöser Niedergang, 259 – 289; D.G. Lichdi, Die Mennoniten im Dritten Reich. F. Enns (Mennoniten, 366) spricht davon, dass »das Prinzip der Wehrlosigkeit am Beginn des 19. Jahrhunderts praktisch vollständig aufgegeben und nur noch der individuellen Gewissensentscheidung überlassen« war. 216 So etwa E. Geldbach, Art. Friedenskirchen, 1389. Vgl. auch R. Dellsperger / M. van Wijnkoop Lüthi, »… vom Weg der Gewalt befreit«, 108; H. Fast, Art. Mennoniten, 360; Chr. Windhorst, Art. Friedenskirchen, 647. 217 »Brüderliche Vereinigung etlicher Kinder Gottes, sieben Artikel betreffend« (1527), in: H. Fast (Hg.), Der linke Flügel der Reformation, 60 – 71. 218 H.-J. Goertz, Das schwierige Erbe der Mennoniten, 189. Vgl. auch F. Enns, Mennoniten, 365; H. Fast, Art. Mennoniten, 358. 219 G.H. Williams, The Radical Reformation. 220 J.H. Yoder, The Unique Role of the Historic Peace Churches, 136. Vgl. ders., The Contemporary Evangelical Revival and the Peace Churches, 84 f.: »The traditions of Mennonites since the early sixteenth century, Friends since the seventeenth, and Brethren in Christ since the early eighteenth, have in common the conviction that killing and military service are incompatible with the Christian calling.« So auch ders., The Historic Peace Churches, 107: »What is definitional is their historic stand on war, namely that it is morally unacceptable, even for good causes.« 221 Als differentia specifica führt J.H. Yoder (The Unique Role of the Historic Peace Churches, 136) an, dass die »free churches« »[i]n spite of the fact that they practice infant baptism […] have, or mean to have, a disciplined membership maintained by a meaningful confirmation and discipline practice.«

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(Kennzeichen: Ablehnung der Kindertaufe und kongregationalistische Kirchenstrukturen) bilden, verortet Yoder die Mennoniten im innersten Kreis der »radical reformation group« und zwar zusammen mit Quäkern, Brethren und anderen kirchlichen Gruppen, die sich dem Erbe der radikalen Reformation verpflichtet wissen würden und von denen daher gelte: »Here the free-church and believer’s church logic is carried to its consistent conclusion by separating the ethics of the Christian community from those of the state and committing Christians to reject war and coercion, even when the state does not.«222 Die Bevorzugung des Terminus »radical reformation« verweist auf Yoders ausgeprägtes historisches Bewusstsein und seinen starken denkerischen Rückbezug auf die Anfänge seiner eigenen Konfession. Dem Erbe des frühen Täufertums, in dessen Tradition er seine Theologie wurzeln sieht, weiß er sich verpflichtet. So stehen am Beginn seiner akademischen Vita und seines wissenschaftlichen Oeuvres vor allem zahlreiche Beiträge zur Erforschung der anfänglichen Täufergeschichte,223 insbesondere der Bruchstelle zwischen Zwingli und seinem radikalen Schülerkreis um Konrad Grebel und Felix Manz,224 wobei Yoder – was die positionell-inhaltliche Ausrichtung seiner Forschungsarbeiten betrifft – der älteren225, sog. normativ-typologischen Täuferforschung zugerechnet wird.226 222 Ebd. Als Gemeinsamkeiten dieser Gruppe nennt J.H. Yoder (The Historic Peace Churches, 109) folgende konsensuellen Elemente: »[V]oluntary membership […], local congregational responsibility […], independence of civil government […], identifying the church as the community rather than the clergy« […], rejection of violence of war.« Vgl. ders., The Priestly Kingdom, 106 f. 223 Ein Überblick über die Publikationen Yoders zur Täufergeschichte findet sich bei H. Jekker, John H. Yoders Beitrag zur Erforschung der Täufergeschichte, 158 ff. Vgl. auch C.A. Snyder, Doing History with Theological Ethics in Mind, 3 – 32. 224 Vgl. J.H. Yoder, Täufertum und Reformation im Gespräch, 204: »Sucht man den Bruchpunkt, an dem die Täufer sich von der Reformation trennten, so geht es zuerst um die Gemeinde, ihre Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit«. 225 Zur älteren Täuferforschung, wie sie vor allem in der sog. »Bender-School« (nach dem Kirchenhistoriker Harold. S. Bender, dem Lehrer und Mentor J.H. Yoders, benannt) betrieben wurde, bemerkt H.-J. Goertz (Das schwierige Erbe der Mennoniten, 191 ff.) kritisch-würdigend: »Das polemisch verzerrte, gehässige Bild, das Altgläubige und Reformatoren von den Täufern gezeichnet hatten, wurde zerstört und durch ein anderes ersetzt: das Bild einer bibelgläubigen und friedfertigen, bekennenden und leidensbereiten Bruderschaft, einer von der Obrigkeit gelösten Kirche. […] Das normative Täufertum, wenn es für das Täufertum des 16. Jahrhunderts schlechthin stehen soll, ist ein Mythos oder eine Illusion. Es ist von dem überformt, was in der Gegenwart gelten soll. […] Die neuere Forschung hat ein anderes Bild vom Täufertum gezeichnet. Am Anfang stand keine homogene, vielmehr eine heterogene Bewegung, die nicht aus einer einzigen Wurzel in der Schweiz erwachsen war, sondern aus mehreren: in der Schweiz, in Mittel- und Oberdeutschland und in Niederdeutschland bzw. den Niederlanden. Die Polygenese stellt sich jedem Versuch in den Weg, distanzloses Einvernehmen zwischen dem Täufertum einst und dem Mennonitentum heute herzustellen, denn welches Täufertum ist das eigentliche, echte,

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Letzterer wurde seit den 1970er Jahren insbesondere seitens der sog. »revisionistischen«, stärker sozialgeschichtlich orientierten und den polygenetischen Ursprung des Täufertums hervorhebenden Täuferforschung (K. Deppermann, H.-J. Goertz, J.M. Stayer u. a.) eine Idealisierung des Zürcher Täufertums vorgeworfen, welches im Zuge konfessionalistischer Historiographie zur Norm für ein »echtes« Täufertum stilisiert werde: »Was nicht in dieses Konzept einer freiund freiwilligkeitskirchlichen, von allem Anfang an friedlich-gewaltlosen, von der Welt abgesonderten, leidensbereiten und dem Schriftprinzip streng verpflichteten Bewegung passte, das wurde als untäuferisch ausgeschieden.«227 Bei Yoder zeigt sich dies daran, dass er etwa den »Schwertler« B. Hubmaier nicht als eigentlichen Täufer anerkennt.228 Yoder konzentriert sich in seinen täufergeschichtlichen Studien nahezu ausschließlich auf die Anfangszeit des Täufertums und die Gruppe der sog. Schweizer bzw. Schleitheimer Brüder, die Yoders eigener theologischer Akzentsetzung auf den »pacifism of the messianic community«229 entspricht, also auf eine an radikaler Kreuzesnachfolge orientierte, von Hingabe- und Leidensbereitschaft für den als Gewaltverzicht praktizierten Christusgehorsam beflügelte Bekenntnisgemeinschaft. Der wohl nicht unbegründete Verdacht von Retrojektionen drängte sich gegenüber dem von Yoder geteilten Ansatz normativer Täuferforschung auf. Die eigenen theologischen Prämissen werden – überspitzt formuliert – gleichsam in die Quellen eingetragen und bestimmen so die Deutung der Genese des (Proto-)Täufertums. Wenngleich sich also Yoder seit seinen theologischen Anfängen intensiv an der Debatte um die Entstehung und Formation des Schweizer Täufertums beteiligt hat230, so verraten bereits seine Täuferstudien sein eigentliches Interesse,

226 227

228 229 230

normative: das bibeltreue, freikirchliche oder das apokalyptisch-rachsüchtige, das pazifistische oder das militant-revolutionäre? Historisch lässt sich diese Frage nicht entscheiden.« Vgl. K. Deppermann u. a., From Monogenesis to Polygenesis, 82 – 122. Vgl. F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 133 f.; A. Strübind, Eifriger als Zwingli, 122. H. Jecker, John H. Yoders Beitrag zur Erforschung der Täufergeschichte, 163. Jecker (ebd.) übt Kritik an Yoder : »Meines Erachtens allzu undifferenziert und unkritisch sieht Yoder im frühen Schweizer Täufertum das effektiv als verwirklicht an, was ihm von seinen biblischen Überzeugungen her Kern des Evangeliums und von seiner Gegenwartsanalyse her Gebot der Stunde zu sein scheint.« Vgl. J.H. Yoder, Balthasar Hubmaier and the Beginnings of Swiss Anabaptism, 5 – 17; ders., Täufertum und Reformation in der Schweiz I, 58 – 63.79 – 89.176 f. Ders., Nevertheless, 133. Dort z. T. kursiv. H.-J. Goertz (Das schwierige Erbe der Mennoniten, 193) weist darauf hin, dass das Täufertum, welches diesem traditionellen Bild noch am nächsten kam, zwar das Schleitheimer Täufertum sei, fügt aber hinzu: »Doch auch in ihm finden sich noch Spuren seiner revolutionären Herkunft. Der dualistische Rigorismus und die Verweigerungsattitüde werden in den Schleitheimer Artikeln zwar auf den kirchlichen Bereich eingeschränkt, erklären sich aber aus einer grundsätzlichen Solidarität mit dem ›gemeinen Mann‹ im Kampf um politische, soziale und religiöse Befreiung. Aus diesem Grund wurde auch dieses

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das der theologischen Reflexion dessen gilt, was friedenskirchliche Existenz ausmacht. Yoder nimmt neben (und vielfach auch gebrochen in Gestalt) seiner täufergeschichtlichen Studien die aktuellen sozialethischen Herausforderungen der Gegenwart wahr, die er vor dem Hintergrund der Geschichte seiner eigenen konfessionellen Identität zu beantworten versucht. Da Yoder allerdings die Bezugnahme auf das traditionsübergreifende und konfessionelle Identitäten transzendierende biblische Zeugnis von dem Kreuzesgehorsam Jesu Christi als das Konstitutivum seiner eigenen Tradition erachtet, wendet sich sein theologisches Denken als Suche nach einer andere Denominationen inkludierenden Geschwisterschaft bewusst nach außen, d. h. hin zu denjenigen, die der Bezug auf dieses Zeugnis vereint bzw. vereinen sollte. Auch eine Kritik an der eigenen mennonitischen Konfession findet in jenem Bezug bei Yoder ihren Ermöglichungsgrund.231 Mit dem Namen Yoders ist innerhalb des Mennonitentums unlöslich eine Öffnung hin zu ökumenischem Engagement und überhaupt zu einer Theologie verbunden,232 die sich nicht in der vornehmlichen Besinnung auf die eigenen Anfänge erschöpft. Yoders Beitrag dazu, dass in einer »Kirche der Laien« der einst diffamierte »Gelehrte« rehabilitiert wurde, ist wohl kaum zu überschätzen. Gleichwohl wirkt Yoders Theologie in ihrer sprachlichen Gestalt aufgrund ihrer besonderen Idiomatik bzw. aufgrund des gepflegten »frommen« Jargons als Fremdkörper in der akademischen Welt. Yoder bedient sich oftmals irritierend freimütig der »Sprache Kanaans« (vgl. Jes 19,18), wie sie als christliche Gruppensprache auch in den Zusammenkünften mennonitisch-freikirchlicher Kreise verwendet wird und stark durch das Vokabular traditioneller Bibelübersetzungen geprägt ist. Soziologisch geurteilt, kann man ihr das Interesse an Identitätsstiftung nach innen wie nach außen abspüren. Daneben haben auch Begegnungen im Rahmen der Ökumene Yoders Sprache und Denken ihr besonderes Gepräge verliehen,233 das sich also keineswegs in konfessioneller Selbstbezogenheit erschöpft, sondern Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Traditionen erkennen lässt, ohne die mennonitische Perspektive der eigenen Wahrnehmung zu verleugnen. heute harmlos anmutende Täufertum von den Obrigkeiten als aggressiver und bedrohlicher Angriff auf die Grundordnung ihrer Zeit empfunden und verfolgt.« 231 Vgl. etwa J.H. Yoder, Anabaptist Vision and Mennonite Reality, 1 – 46. 232 So auch W. Klassen, John Howard Yoder and the Ecumenical Church, 77 f.; M.T. Nation, John Howard Yoder, XIX. 233 Yoders Erfahrungen spiegeln sich etwa in seinen unter dem Titel »The Royal Priesthood. Essays Ecclesiological and Ecumenical« (hg. v. M.G. Cartwright) erschienen Aufsatzsammlung wieder. Vgl. a. a. O., insbes. 143 – 320, und fernerhin ders., The Ecumenical Movement and the Faithful Church, 1 – 43; On Christian Unity, 165 – 183. Vgl. dazu: M.G. Cartwright, Radical Reform, Radical Catholicity, 1 – 49; F. Enns, Der kritische »ökumenische Imperativ« in der Theologie John Howard Yoders, 139 – 151; M.T. Nation, John Howard Yoder, 77 – 108.

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In gewisser Weise bildete Yoders frühe Beschäftigung mit den Gesprächen zwischen Täufertum und Reformation so etwas wie die Initialzündung für sein weiteres ökumenisches Engagement. Glen Stassen urteilt zutreffend, dass diese Gesprächskonstellation Yoder ein Leben lang begleitet hat, ja dass sein ganzes akademisches Schaffen so etwas wie eine beständige Wiederaufnahme dieser Thematik bildete: »Yoder argues that the Anabaptists did not withdraw. They engaged in some thirty public debates and discussions with the Zwinglian and Calvinist reformers, and the wanted to continue the dialogue. It was the magisterial reformers who withdrew from the debates. It was the magisterial reformers who resorted to the power of the state to force the Anabaptists out of the discussion and out of participation in society. Yoder’s who life was a resumption of that discussion, a participation in scholarly debates, and a defense of young Mennonites and others from being pushed out of participation by the dominant, Ivy League, mainstream discussants.«234 Yoder vertrat die Mennoniten bereits in jungen Jahren international, etwa auf den sog. Puidouxkonferenzen (1955 – 1973), den ersten offiziellen Gesprächen zwischen den Kirchen des linken Flügels der Reformation und den reformatorischen Mehrheitskirchen.235 Die von außen kommende Frage nach der Stimme der Historischen Friedenskirchen im ökumenischen Dialog hat Yoder, der vielfach in solchen Gesprächszusammenhängen als deren Repräsentant fungierte, auf seine Weise als Entfaltung des mennonitischen Friedenszeugnisses zu beantworten versucht.236 Yoder bemerkt dazu: »I was assigned to represent the denomination’s convictions regarding Christian pacifism, in ecumenical conversations in Europe. As befits that context my articulation of the pacifist witness has been predominantly dialogical, addressing issues in the terms in which they are put by others rather than explicating my own views or those of the historic peace churches. The value of such a dialogical denominational format is that it educates one in respect for the thought systems of others. Its liability is that it exposes one to being misinterpreted by others as though one represented a ›pure type‹ which they can use as a foil.«237 Yoders eigener Aussage und seinem Selbstanspruch zufolge ist seine Friedensethik, die er als friedenskirchliches Zeugnis versteht, dialogisch angelegt. 234 G. Stassen, Introduction: Jesus Is No Sectarian, 13. 235 Dokumentiert von D.F. Durnbaugh (Hg.), On Earth Peace. Vgl. zu den einzelnen Konferenzen: F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 223 – 235. Zu Yoders Rolle vgl. D.F. Durnbaugh, John Howard Yoder’s Role in ›The Lordship of Christ Over Church and State‹ Conferences, 371 – 386. 236 Vgl. zum biographischen Hintergrund M.T. Nation, John Howard Yoder, Ecumenical NeoAnabaptist, 1 – 23 (= ders., John Howard Yoder, 1 – 29); ders., He Came Preaching Peace, 65 – 76. 237 J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 1.

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Das methodische Verfahren der Untersuchung

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Dieses möchte er einer größeren Öffentlichkeit erschließen, die allzumal über die täuferisch-mennonitische Konfessionsfamilie hinausgeht. Ein Großteil von Yoders Pubikationen, die auf den ersten Blick als interkonfessionelle Streitschriften in kontroverstheologischer Absicht erweisen mögen, zeigen jedoch bei genauerer Lektüre, dass bei Yoder keine abgrenzenden und polemischen Absichten im Vordergrund stehen. Ihm geht es vielmehr um ein Ernstnehmen der Unterschiede und auch der eigenen Schwächen. Viele seiner Beiträge sind zugleich auch als Beitrag zum innermennonitischen Gespräch zu verstehen. Vor allem aber ist Yoder bemüht, sich möglichst intensiv auf sein konkretes Gegenüber und dessen Gesprächsprämissen einzulassen: »Ecumenical encounter is defined by the recognition that if we differ from fellow-beliefers in our concrete decisions about action, we probably differ too in the kinds of logical and historical paths whereby we got these contradictory conclusions. Respectful dialogue therefore demands the exercise of entering into one’s interlocutor’s stance and story in search of some common court of appeal before which the clashing claims of the two (or more) holistically opposed positions might be adjudicated, or for some shared experience to which both of us might relate.«238 Das übergeordnete Ziel des ökumenischen Gesprächs kann Yoder zufolge nur darin bestehen, das Friedenszeugnis der Kirche im Dialog schärfer zu profilieren und sich die Implikationen dessen neu zu vergegenwärtigen, was es heißt, Friedenskirche Jesu Christi zu sein. Gesprächsgegenstand werden immer wieder die Lebensformen der Nachfolge Jesu sein, wie sie sich in dieser Kirche ausgestalten. Zeugnis der ökumenischen Weite seines Denkens und Wirkens gibt nicht zuletzt seine langjährige Lehrtätigkeit an der katholischen Universität Notre Dame in Indiana,239 die er bis zu seinem Tod im Alter von 70 Jahren im Dezember 1997 wahrnahm.240 Wohl nicht zu Unrecht ist Yoder als »zweifellos die profilierteste mennonitische Stimme des 20. Jahrhunderts«241 bezeichnet worden: »Yoder war ein Vordenker sowohl hinsichtlich der friedenskirchlichen Theologie und Identität der Mennoniten als auch im Blick auf ihren Platz in der Ökumene.«242 238 Ders., When War Is Unjust, IX. 239 Vgl. zur Einrichtung eines Lehrstuhls für Yoder den Kommentar von E. Geldbach (Freikirchen, 215): »[W]elch ein ökumenisches Zeichen!« 240 Yoders ehemaliger römisch-katholischer Kollege D. Christiansen (A Roman Catholic Response, 102) würdigt dessen Wirken: »[H]is influence on my generation of Catholic moral theologians has been profound. His witness as a theologian in the peace-church tradition is highly esteemed, and the seriousness with which he has carried out his role as a friendly critic of just-war thinking has without doubt contributed to sharpening its formulation and application in the American Catholic setting.« 241 H. Gerber, Die Mennoniten weltweit – eine Friedenskirche in der Ökumene, 292. 242 A.a.O., 293. Ähnlich auch F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 155.

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Einleitung

Sein Werk, von dem ein großer Teil wie etwa seine Christologie oder seine Hermeneutik jetzt erst, also posthum erscheint, macht zur Zeit in Amerika Furore,243 nicht zuletzt vermittelt durch Yoders einstigen Kollegen und eigentlichen »Entdecker« S. Hauerwas.244 Dieser setzt Yoder in seinen unter dem Titel »With the Grain of the Universe« erschienenen Gifford-Lectures gleichsam die Krone auf.245 Ein Werk, das seine Gedanken zusammenfasst, hat Yoder leider nie geschrieben. Seine zahlreichen Schriften sind in der Regel aus konkreten Anlässen ad hoc entstanden. Auf Yoders Eigenständigkeit bzw. »Eigenartigkeit« abhebend, charakterisieren ihn N. Murphy und B.J. Kallenberg trefflich als »a walking set of contradictions: a Mennonite theologian who studied under Barth and ended his career teaching at the University of Notre Dame; a proactive pacifist who tirelessly advanced the ›modest proposal‹ that Christians refrain from killing each other as the first step toward abolishing war ; a sectarian (by Ernst Troeltsch’s standards) who advocated strong social action (Yoder himself both served Mennonite relief and mission agencies throughout Europe and Algeria as well as spent twenty years working in various capacities for the World Council of Churches); a church historian who is as much postmodern as he is pre-modern by virtue of his affirmation that Jesus’ life and teachings, including the prohibition of killing, are normative for us today.«246

243 Einen Überblick zur aktuellen Yoder-Debatte gewährt P.T. Kroeker, Is a Messianic Political Ethic Possible?, 141 – 174. 244 Hauerwas selbst wird von H. Bedford-Strohm (Kirche – Ethik – Öffentlichkeit, 11) beschrieben als »gerade im Hinblick auf die Verbindung von Ekklesiologie und Ethik und die Konsequenzen für das Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit gegenwärtig einer der kontroversesten Theologen überhaupt. In seinen Büchern verbinden sich das Erbe der Theologie Karl Barths und die Rezeption friedenskirchlicher Ekklesiologie mit einer scharfen Kritik des politischen und sozialphilosophischen Liberalismus, dazu gewürzt mit der Direktheit und Emotion des hemdsärmeligen Texaners.« 245 Vgl. S. Hauerwas, With the Grain of the Universe, 218 – 225. Das Lebenswerk J.H. Yoders in seiner Bedeutung für die friedensethische Tradition im Amerika des 20. Jahrhunderts – wie es theologisch durch W. Rauschenbusch, die Niebuhr-Brüder, P. Ramsey und J.M. Gustafson geprägt wurde – resümierend, stellt S. Hauerwas es als Kulminationspunkt derselben dar : »Yoder in many ways represents the diverse strands of the tradition in their most powerful form. Like Rauschenbusch, he makes Jesus unavoidable for how one thinks about ethics; he shares Reinhold Niebuhr’s profound realism; he is as theocentric as H. Richard Niebuhr ; he is as serious about the ethics of war as Ramsey ; and he strives for Gustafson’s clarity«. S. Hauerwas, Christian Ethics in America (and the JRE), 70 f. 246 N. Murphy / B.J. Kallenberg, Anglo-American Postmodernity, 37.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

3.

Der Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik K. Barths

3.1.

Vorbemerkungen zum heuristischen Begriffsraster und zur Theologie-Politik-Konnexion bei K. Barth

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Es wurde bereits im Zusammenhang der Explikation von Zielsetzung und Themenstellung dieser Untersuchung (Abschnitt 0.1.3.) darauf hingewiesen, dass von ihrem Bezug auf den Gegenstand der christologischen Grundlegung der Friedensethik K. Barths her die Verwendung des Begriffs »begründen« und des mit ihm verbundenen semantischen Wortfeldes keineswegs ausgeschlossen ist. Der Begriff »begründen« wird lediglich im Vergleich zu dem der »Grundlegung« in einem engeren Sinne gebraucht und für Urteile und Aussagen reserviert. Um das heuristische Begriffsraster der Untersuchung noch ein wenig transparenter zu machen, möchte ich einige begriffsgeschichtliche Klärungen herbeiführen, was den Gebrauch des Begriffes »Begründungszusammenhang« angeht, der in dieser Untersuchung bereits verschiedentlich verwendet wurde und als eine Art Leitbegriff fungiert. Sein Gebrauch legt übrigens auch die Frage nach einem komplementären Begriff nahe. In der wissenschaftstheoretischen Debatte wird zwischen einem Begründungszusammenhang und einem Entdeckungszusammenhang etwa im Blick auf philosophische Texte unterschieden: »Philosophische Texte sind Argumentationen, die diskursive Begründungszusammenhänge einer Problemlösung herstellen. Diese Begründungszusammenhänge (manchmal auch ›Rechtfertigungszusammenhänge‹ genannt) sind nicht identisch mit dem Weg, auf dem der Autor die Problemlösung gefunden hat. Dies ist der ›Entdeckungszusammenhang‹, der in der Regel in philosophischen Texten nicht dargelegt wird – im Gegensatz zum (nachträglich erstellten) Begründungszusammenhang.«247 Die Gegenüberstellung der beiden Termini insistiert darauf, »daß die Berechtigung eines Geltungsanspruchs (Begründung, Rechtfertigung) niemals durch die Beschreibung der psychosozialen Umstände seiner Entstehung begründet und widerlegt werden kann«248. Im Anschluss an H. Reichenbach, der in seinem Werk »Experience and Prediction« (1938) erstmalig zwischen »context of justification« und »context of discovery« zu unterscheiden lehrte,249 ist diese wissenschaftstheoretische Differenzierung von G. Sauter in die Theologie eingeführt worden: »Der ›Entde247 W.D. Rehfus, Art. Begründungszusammenhang, 271. 248 C.F. Gethmann / K. Lorenz, Art. Entdeckungszusammenhang / Begründungszusammenhang, 331. 249 H. Reichenbach, Experience and Prediction, 3 ff.

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Einleitung

ckungszusammenhang‹ theologischer Aussagen umfaßt theoretisch alle Faktoren, die auf irgendeine Weise Einsichten befördern oder zu Entdeckungen beitragen, die sich als bedeutsam erweisen.«250 Gegenüber dem verbreiteten wissenschaftstheoretischen Sprachgebrauch, der den Entdeckungszusammenhang »als Ensemble der unübersehbaren Vielfalt psychischer, sozialer, religiöser und anderer Momente, die auf das Denken in mehr oder minder kontrollierter Form einwirken, die aber die Einbettung dieses Denkens in das ›Leben‹ entdecken helfen« versteht, nennt Sauter vorzugsweise »ein theoretisch strukturiertes Modell, welches theologisch mögliche Erkenntnisse (oder auch Ansätze dafür) umreißt, ohne sie damit schon begründen zu können«251, »Entdeckungszusammenhang«. Als Entdeckungszusammenhang kann man im weitesten Sinne mit M. Weinrich das Leben selbst bezeichnen, das »nicht erst als ein Ort der ›Anwendung‹ der Theologie in Betracht [kommt], sondern […] bereits als ein entscheidender Entdeckungshorizont für die jeweils neu zu bearbeitenden Fragestellungen und Perspektiven der Theologie. Ihr Denkbedarf erwächst aus den Fragen und Konflikten des gelebten Glaubens, der weniger an einer möglichst vollständigen und systematisch stimmigen Dogmatik interessiert ist als vielmehr an begründeten und plausiblen Perspektiven für die jeweils zu bestehenden Herausforderungen.«252 Der theologische »Begründungszusammenhang« ist hingegen nach Sauter »anderer Art als der geschichtliche, kulturelle, soziale Entdeckungszusammenhang«253. Von jenem gilt: »Theologische Gründe sind derart miteinander verbunden und vielfach verschränkt, daß sie einen Zusammenhang ergeben, den theologischen Begründungszusammenhang. Er vereinigt in sich sämtliche grundlegenden Aussagen, soweit sie in theologischen Denkerfahrungen bislang gewonnen worden sind«254. Im Folgenden soll die Grundintention Sauters, wonach »die Gewinnung theologischer Aussagen [nicht] mit ihrer Begründung zu verwechseln« ist, aufgegriffen und für eine recht verstandene »kontextuelle Interpretation« der politischen Ethik K. Barths fruchtbar gemacht werden.255 Es geht dabei um die 250 251 252 253 254 255

G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 333. Dort kursiv. Ders., Eschatologische Rationalität, 177 f. M. Weinrich, Theologie und Biographie, 7 f. G. Sauter, Eschatologische Rationalität, 180. Vgl. auch a. a. O., 184. Ders., Zugänge zur Dogmatik, 244. Dort kursiv. Sauter selbst hat diese Differenzierung – anders als dies im Anschluss an ihn etwa D. Ritschl (Zur Logik der Theologie, 292 ff.) und R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 241 ff.) taten – zwar nicht explizit für die Ethik geltend gemacht, aber doch implizit angelegt, insofern er beispielsweise »zwischen Begründung und Gewinnung ethischer Aussagen unterschieden« (G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 109; so auch a. a. O., 107) wissen will. Im Blick auf Barth bemerkt G. Sauter (Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 338) richtig: »Verschiedenartige Entdeckungs-

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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Anwendung der besagten wissenschaftstheoretischen Distinktion auf jene »dornige Frage«256 – nicht nur, aber auch der Barth-Forschung –, wie sich zeitgeschichtlicher Kontext und theologische Aussagen zueinander verhalten. Beim Entdeckungszusammenhang ist an den historischen Kontext der Theologie K. Barths zu denken, also auch jene politischen Umstände, unter denen seine Theologie zustande kam. Dazu bemerkt E. Busch im Anschluss an G. Sauter sachgemäß: »Der historische Kontext ist für Barth also allenfalls ›Entdeckungszusammenhang‹, aber nicht ›Begründungszusammenhang‹ für die theologische Aussage, die als solche jedoch dann auch Bedeutung für eine neue Beleuchtung jenes Entdeckungszusammenhangs bekommt. So kann man nicht von Barths politischen Stellungnahmen auf seine Theologie schließen, sondern nur umgekehrt.«257 Mit dieser notwendigen Unterscheidung soll – auch wenn dies prima vista kontraintuitiv erscheinen mag – der Entdeckungszusammenhang keineswegs im Blick auf theologisch-ethische Urteilsbildung für belanglos erklärt werden.258 Im Gegenteil! Es kommt vielmehr auf die rechte Zuordnung beider Größen an, die die Reflexion auf beide Zusammenhänge voraussetzt.259 Inzwischen hat sich auch wissenschaftstheoretisch die Einsicht durchgesetzt, dass eine »Begründung bzw. Rechtfertigung […] in methodisch verteidigbarer Weise nämlich nur durch den Nachvollzug (Rekonstruktion) derjenigen Schritte ausgeführt werden [kann], die ausgehend von lebensweltlich immer schon beherrschten sprachlichen und technischen Handlungen zu dem Geltungsanspruch hingeführt haben.«260 Insofern ist eine Indifferenz gegenüber den politischen Umständen, unter denen Barth theologische Aussagen traf, kontraindiziert. Verschiedentlich wurde in der neueren Barth-Forschung261 gleichermaßen die Notwendigkeit und

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zusammenhänge, wie sie durch politische und andere Theorien präsentiert werden, dürfen nicht zum theologischen Begründungszusammenhang werden. Ist dieser Unterschied einmal klar, kann man sich je nach Lage der Dinge – und besonders dann, wenn kein Weltanschauungskampf das Feld beherrscht – freimütig Entdeckungszusammenhängen zuwenden. In solchen Zusammenhängen hat Karl Barth zeitlebens gedacht.« Zum Begriffspaar Entdeckungs- und Begründungszusammenhang vgl. auch M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 472 – 476. E. Busch, Weg und Werk Karl Barths in der neueren Forschung, 283. A.a.O., 283 f. So auch M. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 13. So nachdrücklich G. Sauter, Was heißt »Evangelische Theologie«?, 115. Diesbezüglich gilt es den Hinweis G. Sauters (ebd.) zu bedenken: »[J]e ergiebiger Entdeckungszusammenhänge sein mögen, in denen wir auf ›Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten‹ stoßen, desto wichtiger ist es, nicht unter der Hand solche Funde mit theologischer Begründung zu verwechseln und die mitentdeckten Verpflichtungen zur ›Quelle der Verkündigung‹ (Barmen I) werden zu lassen.« C.F. Gethmann / K. Lorenz, Entdeckungszusammenhang / Begründungszusammenhang, 329. Vgl. etwa H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 12; E. Busch, Theologie und Biographie, 325 – 339; M. Freudenberg, Karl Barth und die reformierte Theologie, 12 f.; B.

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Möglichkeit betont, K. Barths Theologie im Kontext262 zu interpretieren. Zu Recht hat etwa M. Weinrich hervorgehoben, »wie sehr und wie selbstverständlich Barth ein ›Kontexttheologe‹ gewesen ist, der stets aufmerksam die historischen und gesellschaftlichen Bewegungen und Entwicklungen in seiner Theologie berücksichtigt.«263 Den interpretatorischen Ansatz eines kontextuellen Verstehensversuchs vollzieht auch B. Klappert,264 und zwar indem er in einer Gegenbewegung zu einem alle politischen, sozialen und kirchlichen Kontexte der Theologie Barths ausscheiden wollenden Abstraktionsbemühen eine solche Barth-Interpretation initiieren und etabliert sehen möchte, die die Wechselwirkungen von Barths theologischem Werk und ihren aktuellen politischen und biographischen Bezügen berücksichtigt. Diesen Ansatz exemplifiziert Klappert anhand der Versöhnungslehre Barths (KD IV/1 – KD IV/4, Fragment). Eine vermeintlich zeitlossystematische Barth-Lektüre negiert – sei es unbewusst oder intentional – die »konkrete Kontextualität«265 der Theologie Barths. Wie ist diese jedoch zu verstehen? Klappert hebt den »Subjektcharakter der theologischen Arbeit gegenüber dem Prädikatscharakter des politischen Kontextes«266 hervor. Zugleich grenzt Klappert seinen kontextuellen Verstehensversuch gegenüber einem Kontext und Theologie einander korrelativ bei- und nebenordnenden methodischen Verfahren ab, welches den Primat der Theologie einebnet und die Theologie an den Kontext ausliefert267: »Barth kontextuell zu verstehen, heißt

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Klappert, Versöhnung und Befreiung, IXf.; G. Obst, Veni Creator Spiritus, 356; G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 7; M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, bes. 140 – 144.209 f. Der Begriff »Kontext« wird hier in einem weiteren Sinne gebraucht und schließt hier die besonderen zeitgeschichtlichen Umstände ein, die ein Entdeckungszusammenhang umfasst. G. Sauter (Zugänge zur Dogmatik, 335; vgl. auch ders., Wissenschaftstheoretische Kritik der Theologie, 308 – 315.356) unterscheidet davon den Begründungszusammenhang als »Kontext« im strengen Sinne: »Der theologische Begründungszusammenhang ist ›Kontext‹ im strengen, präzisen Sinne eines sprachlichen Zusammenhanges, in dem wir uns bewegen, der unabgeschlossen bleibt – und der doch so kohärent und konsistent ist, daß er einzelne Argumente trägt und auszuscheiden erlaubt, was nicht stichhaltig ist. In ihm wird der Gegenstand christlicher Theologie ausgesagt, soweit wir seine Erstreckung zu fassen vermögen«. M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 143. Vgl. B. Klappert, Versöhnung und Befreiung. Warum Klappert (a. a. O., X: »Barths Predigten, Kommentare, Exegesen und Grundsatzschriften wie ›Christengemeinde und Bürgergemeinde‹ – sowie seine aktuell-polemischen Schriften und ›Offenen Briefe‹ sind der konkrete Kontext der Kirchlichen Dogmatik.«) im Vorwort zu diesem Band den Begriff »Kontext« auf bestimmte literarische Gattungen reduziert, leuchtet mir nicht ein und widerspricht auch seiner Rede von der Ost-West-Frage als dem »existentiellen Kontext der Versöhnungslehre Karl Barths«. A.a.O., 97; ders., Theologie im Kontext, 76. M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 143. B. Klappert, Theologie im Kontext, 76; ders., Versöhnung und Befreiung, 97. Vgl. die berechtigte Warnung von G. Obst (Veni Creator Spiritus, 360): »Allzuleicht droht

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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aber : ihn nicht korrelativ mißzuverstehen. Denn die auch von Barth in den 50er Jahren gemachten korrelativen Erfahrungen verdichten sich in der Versöhnungslehre zu der unumkehrbaren kontextuellen Aussage von der Versöhnung im Kreuz Christi als der Verunmöglichung eines absoluten Feindverhältnisses zwischen Ost und West – heute!«268 Es gehe nicht um eine vom politischen bzw. zeitgeschichtlichen Kontext, man kann auch sagen: vom Entdeckungszusammenhang her erfolgende »Bewahrheitung von außen, sondern nur um eine von dem Gegenstand der Theologie selbst vorgezeichnete und diesem entsprechende Bewährung nach außen«269. Der Differenzierung zwischen Theologie und Kontext gemäß der räumlichen Metaphorik von Innen und Außen korrespondiert die zwischen Theologie und Politik gemäß der zeitlichen Metaphorik von Zugleich und Nacheinander. Das entscheidende Charakteristikum der kontextuellen Theologie Barths besteht nach Klappert darin, dass Barth »das sachliche Zugleich der Unterscheidung des Theologischen vom Politischen (1. Schritt) und der Beziehung der Theologie auf die Politik (2. Schritt) immer auch als ein zeitliches Zugleich [versteht]. Ja, kontextuelle Theologie meint noch mehr : Die notwendige Unterscheidung des Theologischen vom Politischen (1. Schritt) steht immer zugleich im Dienst des notwendigen und rechten Bezugs des Theologischen auf das Politische«270. Diese dichte, sequenzierte Darstellung der Theologie-Politik-Konnexion durch Klappert basiert auf einer Reihe von Grundüberzeugungen: Sie bestehen zum einen in der gewichtenden »Unterscheidung zwischen dem Theologischen als Subjekt und dem Politischen als Prädikat«271 und zum anderen in der Verbindung von Theologie und Politik im Sinne des »Zugleichs von theologischer Konzentration und expliziter politischer Implikation«272. Letztere setzt wiederum die Einsicht von der »Untrennbarkeit des Politischen vom Theologischen«273 im Sinne eines Implikationsverhältnisses voraus, das es gemäß Klappert mittels kontextueller Interpretation explizit zu machen gilt. Indem Klappert beide Grundüberzeugungen Barths interpretatorisch zur Geltung bringen und sie nicht gegeneinander ausspielen will, schließt er eine gleichgewichtige Korrelation von Theologie und Politik, Theologie und Kontext, Begründungs- und Entdeckungszusammenhang ebenso aus wie eine Auflösung dieses Zusammenhangs. Diese von Klappert dargelegten Grundüberzeugungen Barths, sind –

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der für die theologische Arbeit notwendige Gegenwartsbezug umzuschlagen in die Anpassung an den herrschenden Zeitgeist, verkehrt sich die theologische Durchdringung des Kontextes in die Auslieferung der Theologie an den Kontext.« B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 99. A.a.O., 26. A.a.O., 213. Dort z. T. kursiv. A.a.O., 212 f. A.a.O., 212. Dort kursiv. Ebd.

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wie ich meine und wie noch im Detail zu zeigen sein wird – nicht von der Hand weisen. Auf sie stützt sich die vorliegende Untersuchung und sie sollen aufgrund ihrer untersuchungsleitenden Funktion nun hinreichend transparent gemacht werden. Vielfach ist bereits betont worden, dass »der Theologe und ›Politiker‹ Karl Barth untrennbar zusammengehören«274. Zu fragen ist freilich, wie diese Zusammengehörigkeit, die Theologie-Politik-Konnexion, präzise zu verstehen ist. Um noch einmal die Pointe deutlich zu markieren, wie B. Klappert sie zu Recht setzt, und zwar diesmal mit der trefflichen Bemerkung E. Jüngels: »Das Politische ist für Barth zwar Prädikat der Theologie, die Theologie aber niemals Prädikat des Politischen.«275 Barths gesamter Theologie liegt eine TheologiePolitik-Konnexion und zwar streng in dieser Zuordnung zugrunde. Es gilt zu betonen: »Das Wort der Theologie zur ›Sache‹ ist ein politisches Wort«276. Das Politische erweist sich bei Barth keineswegs als das Konstitutionsprinzip der Theologie, sondern vielmehr als Implikat des Wortes Gottes in dessen unmittelbarem Wirklichkeitsbezug.277 Ein überliefertes Diktum Barths bringt es auf den Punkt: »Da wo theologisch geredet wird, wird implizit auch immer politisch geredet.«278 Das Wort der Theologie zur Sache ist für Barth kein exklusiv politisches, aber eben immer auch ein politisches Wort. Mit M. Machovec gesprochen, ist die Frage nach Gott bei Barth »auch immer die Frage nach dem menschlichen Handeln.«279 Barth denkt auch in politicis theologisch:280 »Nicht politisches Allotria in einem vom Glauben getrennten Raum, sondern Gehorsam dem Gebot Gottes gegenüber ist das Zentrum politischer Entscheidung des Christen. Sie kann als Zeugnis von Christen an Christen (und Nichtchristen!) nur dann lichtvoll und gewichtig sein, wenn sie ihren Grund im Evangelium, im befreiten und befreienden Glauben an die in Jesus Christus schon geschehene, vollkommen vollbrachte Versöhnung 274 So etwa U. Dannemann, Theologie und Politik im Denken Karl Barths, 24. 275 E. Jüngel, Die theologischen Anfänge, 126. So auch M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 160. 276 U. Dannemann, Theologie und Politik im Denken Karl Barths, 127. 277 So auch M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 160: Das Politische »ist kein Konstitutionsprinzip, sondern ein Implikat, das sich aus dem Wirklichkeitsbezug des Evangeliums ergibt und sich jeweils situationsspezifisch entfaltet. Nur dann nämlich findet es seine Korrespondenz zum Auftrag der christlichen Gemeinde, ansonsten aber beraubte es sich seines Rechtstitels und wäre nichts anderes als ein kirchliches Duplikat dessen, was die Welt ohnehin schon weiß.« 278 Zit. nach E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 305. Vgl. auch D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 23. 279 M. Machovev, Marxismus und dialektische Theologie, 111. 280 Vgl. E. Wolf, »Politischer Gottesdienst«, 300: »Karl Barth hat sich […] stets darum bemüht, gerade bei dem ihm abgenötigten politischen Handeln die theologische Existenz nicht zu verlieren.«

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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der Welt mit Gott hat. Es geht hierbei für den Christen wie für die anderen um die praktische Bestätigung des Bundes Gottes mit seinem Volk, um die Erkenntnis und das Tun seines Gebotes«281. Die universal-kosmische Dimension der Versöhnung, die Barths theologische Arbeit akzentuiert, geht weit über den gesellschaftlichen Bereich hinaus, erweist sich aber auch und gerade in diesem gesellschaftstranszendenten »Über-Hinaus« als eminent gesellschaftsrelevant, also als nicht nur als per accidens, sondern per se politisch.282 Jeder Versuch, Barths Theologie von einem bestimmten politischen Konzept oder Programm – und sei es das des Sozialismus – her erklären zu wollen, geht an seinem von der Theologie herkommenden Ansatz vorbei.283 Barth ging es nicht – wie M. Weinrich zu Recht akzentuiert – »um eine Synthese von Theologie und Politik, sondern um konsequente Theologie in der Welt«284. Als genuin theologisches Denken schließt Barths Denken stets den politischen Bereich mit seinen spezifischen Belangen ein. So betonte Barth kurz vor seinem Tod rückblickend, dass seine »ganze Theologie immer eine starke politische Komponente hatte, ausgesprochen oder unausgesprochen.«285

3.2.

Kontexte der Friedensethik K. Barths: Hinführung zu einem Entdeckungszusammenhang

Weil in der Tat die Theologie für Barth Subjektcharakter hat, der politische Kontext hingegen Prädikatscharakter,286 soll im Folgenden auch primär die 281 K. Kupisch, Karl Barth in Selbstzeugnissen und Dokumenten, 116. 282 Zur Abgrenzung gegenüber der sog. politischen Theologie vgl. M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 209. Fernerhin: R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 75. 283 Vgl. K. Barth, KD IV/3, 959: »Sie [die christliche Gemeinde; M.H.] kann sich also z. B. nicht neben ihrer Verkündigung der Botschaft von Jesus Christus auch noch für die Verbreitung der Erkenntnis dieses und jener höheren oder niederen Welten, auch noch für eine bestimmte Natur- oder Kulturdeutung, auch noch für die Geltung einer bestimmten (westlichen oder östlichen!) Geschichts-, Gesellschafts- oder Staatsphilosophie und der ihr entsprechenden Ethik einsetzen.« 284 M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 210. Dementsprechend hebt M. Beintker (Die politische Verantwortung der Christengemeinde im Denken Barths, 160) hervor, dass man das direkte politische Zeugnis der christlichen Gemeinde gemäß Barth »nicht gleich als ein ›opus alienum‹ charakterisieren muß, wohl aber als ein opus derivatum zu begreifen haben [wird], als ein opus consequens ex praedicatione evangelii.« Vgl. auch E. Hübner, Monolog im Himmel?, 81: »Es sollte nicht vergessen werden, daß Barths politisches Engagement aus der Mitte seiner Theologie erwuchs. Viele, die heute so tun, als hätten sie es erfunden, und die von Theologie nicht viel oder nichts mehr halten, könnten hier für ihre theologische und politisch-gesellschaftliche Existenz lernen.« 285 K. Barth, Letzte Zeugnisse, 21. 286 Vgl. ders., Der Götze wackelt, 205 (How My Mind Has Changed): »Mein eigentliches In-

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Frage nach dem Subjekt im Vordergrund stehen, wobei allerdings – wie gesagt – das Prädikat und damit der Entdeckungszusammenhang der Theologie Barths im Allgemeinen und seiner Friedensethik im Besonderen keineswegs ausgeklammert werden. Dass auch K. Barths Friedensethik einen spezifischen Entdeckungszusammenhang hat, besagt zunächst einmal schlicht und salopp formuliert: Sie ist nicht »steil von oben herab« vom Himmel auf die Erde gefallen. Barth wollte sie keineswegs ort- und zeitlos entfaltet wissen.287 Er hat seine Theologie im Allgemeinen und seine Friedensethik im Besonderen nicht ohne Bezug auf ihren historischen Kontext dargelegt. Eine angemessene Barth-Interpretation wird deshalb – will sie seiner Theologie gerecht werden – mit der nötigen Kontextsensibilität vorgehen müssen.288 Dies betrifft vor allem die Auswahl der Quellen. So sollen im Folgenden nicht nur die einschlägigen Passagen der »Kirchlichen Dogmatik« interpretiert, sondern auch solche Gelegenheitsschriften Barths zur Untersuchung herangezogen werden, die Stellungnahmen zu den aktuellen Herausforderungen der damaligen Zeit beinhalten: »Stellungnahmen dieser Art sind nachdrücklich zu berücksichtigen, wenn man die theologische Theorie der Ethik innerhalb der ›Kirchlichen Dogmatik‹ interpretiert.«289 Es ist also danach zu fragen: Wie sieht der politische Kontext der Friedensethik Barths aus? Im Folgenden sollen drei Kontexte der Friedensethik Barths in aller Kürze benannt – nota bene: wirklich nur benannt und nicht etwa in der spezifischen Verwobenheit von allgemeiner Zeitgeschichte und Barths persönlicher Lebensgeschichte analysiert und dargestellt – werden,290 die für Barth existentiell

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teresse galt doch auch in dieser Zeit meiner nun einmal übernommenen und in bestimmtem Sinn angefaßten Aufgabe im spezifisch theologischen Bereich. Sie führte mich in die Ausarbeitung der ›Kirchlichen Dogmatik‹ nach einer die Lehre von der Schöpfung abschließenden Teildarstellung der christlichen Ethik zu der in bisher drei Stücken entfalteten Lehre von der Versöhnung und damit in die lebendige Mitte aller Probleme theologischer Erkenntnis.« Vgl. ders., KD III/4, 587: »Das zeitlose oder überzeitliche, das dem Zeitgeschehen ausweichende, das neutrale Evangelium wäre sicher nicht das reine Evangelium, und ihr [der Gemeinde; M.H.] Zeugnis wäre gerade dann, wenn es bloß abstrakt evangelisch sein wollte, nicht nur kein prophetisches, sondern ein falsches prophetisches Zeugnis.« Nach A. MacIntyre (Der Verlust der Tugend, 25) lässt sich die moralische Krise der Gegenwart, wie sie in der Unordnung der Moralsprache zum Ausdruck kommt, u. a. an der »hartnäckig unhistorischen Behandlung der Moralphilosophie« festmachen: »Noch immer behandeln wir allzu oft die Moralphilosophen der Vergangenheit als Teilnehmer an einem einzigen Streitgespräch mit einem relativ gleich bleibenden Thema, behandeln etwa Plato, Hume und Mill, als wären sie Zeitgenossen von uns und auch untereinander gewesen. Das führt zu einer Abhebung dieser Autoren von der kulturellen und sozialen Umgebung, in der sie lebten und dachten; die Geschichte ihrer Ideen unterstellt eine falsche Unabhängigkeit von der restlichen Kultur.« H.E. Tödt, Karl Barths Ethik, 12. Nach W.M. Ruschke (Entstehung und Ausführung der Diastasentheologie, 204) hat ein entsprechender Querschnitt zum Thema Krieg und Frieden folgende entscheidende Ab-

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aufs Höchste bedeutsam waren.291 Bezeichnenderweise nimmt Barth im friedensethischen Abschnitt seiner »Ethik der Schöpfungslehre« (KD III/4) explizit auf sie Bezug: a. Der Erste Weltkrieg und seine theologische Verarbeitung Zu Beginn des besagten Abschnittes kommt Barth auf den internationalen Sozialistenkongreß zu Basel und das allzu vollmundig am Vorabend des Ersten Weltkrieges verabschiedete »Basler Manifest« zu sprechen: »Es geschah im Sommer 1912, daß im Münster zu Basel die Sozialisten aller Länder sich selbst und der Welt feierlich genug versicherten, daß sie sich dem Ausbruch jedes neuen Krieges wirksam zu widersetzen wissen würden.«292 Faktisch kam es jedoch mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges zum Zusammenbruch der sog. »Zweiten Internationalen« (1889 – 1914). Für den Safenwiler Pfarrer Karl Barth bedeutete der Ausbruch des Ersten Weltkrieges293 – wie er nachträglich mitteilt – ein »doppeltes Irrwerden«: »einmal an der Lehre meiner sämtlichen theologischen Meister in Deutschland, die mir durch das, was ich als ihr Versagen gegenüber der Kriegsideologie empfand, rettungslos kompromittiert erschien – sodann am Sozialismus, von dem ich gutgläubig genug noch mehr als von der

schnitte zu untersuchen: »1914/18: Barth als neutraler Beobachter ; 1939/45: Barth als von außen Beteiligter im Kampf gegen einen totalitären und faschistischen Staat; 1946ff: Barth in Abwehr gegen eine Symbiose von Antikommunismus, Restauration, Militarismus und Christentum; 1958: Barths striktes Nein zu einem Atomkrieg«; auch H. Ruddies (Unpolitische Politik?, 174) identifiziert diese drei Kontexte, allerdings allgemein in Bezug auf Barths Theologie im Verhältnis zur Politik; z. T. quer dazu liegt die Phaseneinteilung von G. Pfleiderer (Das »prophetische Amt« der Theologie, 120 – 137; vgl. ders., Karl Barths praktische Theologie, 139 – 465). Der dritte von Ruschke identifizierte Kontext ist allerdings zeitlich vorzudatieren, wenn nicht die unmittelbaren Nachkriegsäußerungen sowie verschiedene Konfliktkonstellationen im »Kalten Krieg« bzw. »Ost-West-Konflikt« in der Zeit zwischen 1945 und 1956 und nach 1958 (vgl. dazu überblicksartig: F. Jehle, Lieber unangenehm laut als angenehm leise, 105 – 128; D. Koch, Offene Briefe Karl Barths zum OstWest-Konflikt, 474 – 490) unter den Tisch fallen sollen, zu denen etwa Barths Auseinandersetzung mit Markus Feldmann im »Berner Kirchenstreit« (1949 – 1951) gehört. Vgl. dazu: D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann. 291 Etappen wie etwa K. Barths (vgl. Ethik I, 257 – 269) implizite Bezugnahme auf die Pazifismus-Debatte der 1920er Jahre, die in der »Christlichen Welt« geführt wurde (vgl. dazu: M. Basse, Ehrfurcht vor dem Leben, 220 f.) oder seine Stellungnahme zur nationalsozialistischen Hetzkampagnen gegen den Hochschulamtaspiranten Pfr. G. Dehn (»Fall Dehn«) (vgl. A. Mühling, Karl Ludwg Schmidt, 105) sind gegenüber den drei Kontexten von ephemerem Rang bzw. – wie der »Fall Dehn« – als Vorschein der kommenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus einem der drei genannten Kontexte zuzuordnen. 292 K. Barth, KD III/4, 515. 293 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 98 ff.; W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit, 135 – 219; H.-R. Reuter, Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 59 – 66.

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christlichen Kirche erwartet hatte, daß er sich jener Ideologie entziehen werde, und den ich zu meinem Entsetzen in allen Ländern das Gegenteil tun sah.«294 Beide Ereignisse, den dies ater295 der Solidarisierung des Großteils seiner theologisch liberalen Lehrer296 mit der Kriegspolitik Kaiser Wilhelm II. und den Zusammenbruch des internationalen Sozialismus im Zusammenhang der nationalistischen Kriegsbegeisterung, bestimmt Barth mehrfach als das auslösende Moment für die Entstehung seines umorientierten theologischen Denkens.297 Die mobil machende Kriegsbegeisterung hat Barth wohl konkret vor Augen, wenn er in KD III/4 davon spricht, dass die Kirche entgegen der allgemeinen Aufregung und Propaganda die Stimme der »ruhigen Vernunft« einzubringen und mit ihrem Wort zur Lage der »ruhige Ort« zu sein hat, von dem aus geltend gemacht werden kann, »daß der Krieg nicht absolut, wohl aber relativ, nicht prinzipiell, wohl aber praktisch weithin vermeidlich ist.«298 Der manifesten Verknüpfung nationalistischer Anliegen mit dem geschichtlichen Handeln Gottes gilt nicht zuletzt das Pathos von Barths Einspruch gegen M. Rades und W. Herrmanns Gott bellizistisch vereinnahmende Erlebnistheologie,299 wie er in jener doppelten Tautologie zum Ausdruck kommt, derer Barth sich in seinem Vortrag »Kriegszeit und Gottesreich« (November 1915) bediente:

294 K. Barth, Autobiographische Skizze (1927), zit. nach K. Barth – R. Bultmann, Ein Briefwechsel 1922 – 1966, 306 f. Vgl. ders., Nachwort, 293: »Und dann brach der 1. Weltkrieg aus […]. Eine ganze Welt von theologischer Exegese, Ethik, Dogmatik und Predigt, die ich bis dahin für grundsätzlich glaubwürdig gehalten hatte, kam damit und mit dem, was man damals von den deutschen Theologen sonst zu lesen bekam, bis auf die Grundlagen ins Schwanken.« 295 Ders., Evangelische Theologie im 19. Jahrhundert, 6. 296 Zur Ablösung von der liberalen Theologie vgl. etwa Chr. Chalamet, Dialectical Theologians, 85 – 98; G. Dorrien, The Barthian Revolt in Modern Theology, 14 – 46; W. Härle, Der Aufruf der 93 Intellektuellen und Karl Barths Bruch mit der liberalen Theologie, 207 – 224; J.G. Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus; G. Pfleiderer, Karl Barths praktische Theologie, 139 – 261; H. Ruddies, Karl Barth und die Liberale Theologie; B. McCormack, Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, 31 – 125; Chr. Schwöbel, Einleitung, 9 – 56; I. Spieckermann, Gotteserkenntnis, 56 – 71; C. van der Kooi, Anfängliche Theologie; F. Wittekind, Geschichtliche Offenbarung und die Wahrheit des Glaubens, 210 – 252; J. Zengel, Erfahrung und Erlebnis. Einen kurzen Überblick zum Stand der inzwischen kaum noch überschaubaren Diskussion gibt T. Schlegel, Theologie als unmögliche Notwendigkeit, 26 ff. 297 Vgl. auch K. Barth, Evangelische Theologie im 19. Jahrhundert, 6; ders., Nachwort zur Schleiermacher-Auswahl, 293. 298 Ders., KD III/4, 526. 299 Vgl. Ch. Chalamet, Dialectical Theologians, 85 f.: »What shocked Barth was the way German theologians used God to defend a nationalistic view and a sinful act. […] Barth was profoundly disturbed by the way God was used as a tool for war propaganda«. So auch a. a. O., 92.

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»Welt ist Welt. Aber Gott ist Gott«300. Bereits in seinem Brief vom 31. August 1914 fragte Barth seinen verehrten Lehrer Martin Rade: »[W]arum lassen Sie […] Gott nicht aus dem Spiele? Meinetwegen durch völliges Schweigen«301. b. »Kirchenkampf« und Zweiter Weltkrieg Massiv virulent, ja eminent existentiell wird Barths Beschäftigung mit dem Problem des Krieges in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Im Namen der »Freiheit des Evangeliums« machte Barth als Bonner und nach seiner Suspendierung302 als Basler Theologieprofessor Front gegen eine Anpassung an die NS-Ideologie, etwa in Gestalt der jungreformatorischen Bewegung303 und der Deutschen Christen.304 Barth bemerkt rückblickend hinsichtlich der theologischen Lehren, die er während dieser Zeit zog: »[I]ch hatte in diesen [den dreißiger ; M.H.] Jahren zu lernen, daß die christliche Lehre ausschließlich und folgerichtig und in allen ihren Aussagen direkt und indirekt Lehre von Jesus Christus als von dem uns gesagten lebendigen Wort Gottes sein muß«305. Berühmt geworden ist der Wortlaut von Barths zehn Tage vor dem Münchener Abkommen verfasstem Brief an seinen Prager Kollegen J. Hrom‚dka, wonach jeder tschechische Soldat, der gegen Hitler kämpft, dies auch für die Kirche Jesu Christi tut.306 300 K. Barth, Kriegszeit und Gottesreich. Zit. nach E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 99. Vgl. dazu auch: C. van der Kooi, Karl Barths zweiter Römerbrief und seine Wirkungen, 63. 301 K. Barth, Offene Briefe 1909 – 1935 (Brief an M. Rade vom 31. August 1914), 28. M. Rades Replik (a. a. O., 36 f.; Brief M. Rades an K. Barth vom 5. September (oder Oktober) 1914) bestätigte Barth in seiner Anfrage: »Eines entgeht Ihnen: das Erlebnis. Wie schon ich das Erlebnis dieses Krieges nicht so habe wie der Soldat, der mit an die Front ging, oder auch mancher andere, der wichtigen Ereignissen näher war als ich. […] Für eine so überwältigende Sache gibt es nur Einen möglichen Grund und Urheber : Gott.« 302 Vgl. dazu: H. Assel, »Barth ist entlassen …«, 445 – 475. 303 Vgl. M. Hüttenhoff, Theologische Opposition 1933, 425 – 444; G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 154 – 161. 304 Wie K. Scholder (Die Kirchen und das Dritte Reich Bd. 1, 547) trefflich bemerkt, ging es Barth in dieser Zeit in der Auseinandersetzung mit der jungreformatorischen Bewegung und den Deutschen Christen »nicht um die Frage, ob die politische Entscheidung der deutschen Theologie für den Nationalsozialismus richtig war, und auch nicht um die Frage, ob die Theologie denn überhaupt politisch urteilen könne, sondern ganz allein darum, ob dieses politische Urteil auf eine theologisch richtige Weise zustandegekommen war.« 305 K. Barth, Der Götze wackelt, 185 (How My Mind Has Changed). 306 Vgl. ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 113 (Brief an J. Hrom‚dka vom 19. September 1938). In diesem nicht zuletzt seitens deutscher Kirchenleitungen starken Protest erregenden Brief vom 19. 9. 1938 schreibt K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 114): »Dennoch wage ich es zu hoffen, daß die Söhne der alten Hussiten dem überweich gewordenen Europa dann zeigen werden, daß es auch heute noch Männer gibt. Jeder tschechische Soldat, der dann streitet und leidet, wird es auch für uns – und, ich sage es heute ohne Vorbehalt: er wird es auch für die Kirche Jesu Christi tun, die in dem Dunstkreis der Hitler und Mussolini nur entweder der Lächerlichkeit oder der Ausrottung verfallen kann.« Einen Monat später stellte K.

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Weitaus weniger bekannt dürfte die Tatsache sein, dass Barth nicht nur die »Freiheit der gelehrten Feder«307 in seinen ökumenischen Sendschreiben an Christenmenschen in aller Welt für sich in Anspruch nahm, sondern selbst als 54-Jähriger mit dem Gewehr in der Hand zur Verteidigung der Schweizer Nordgrenze erschien. Barth bemerkt rückblickend: »Ich bin in diesen Jahren schweizerischer geworden als ich es je gewesen war und von mir selbst erwartet hätte. […] Wir hatten ja nicht nur für uns selbst zu viel zu verlieren – wir hatten auch für ein künftiges Europa zu viel zu hüten und zu bewahren, als daß man auch nur einen Augenblick hätte zweifeln dürfen: dieser Widerstand mußte geleistet werden. […] wir hatten uns, in uns selbst zusammengerollt wie ein Igel, in jedem Sinn, unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu behaupten. Es galt einfach geduldig und mutig zu sein und immer wieder zu werden. So fand man mich in dieser Zeit als Mitglied einer Art Geheimorganisation für die innere Abwehr im Fall einer Invasion. So war ich als Mitglied eines ›Hilfswerks für die Bekennende Kirche in Deutschland‹ einer der Mitarbeiter des rührigen Pfarrers Paul Vogt, der die ausländischen, insbesondere die jüdischen Flüchtlinge mit einer unendlichen und doch in vielen Fällen erfolgreichen Mühe betreut hat. So habe ich aber auch auf eigene Faust gegen Hitler und für die schweizerische Freiheit geredet und geschrieben, so gut ich es vermochte und so weit mir die Polizei und Zensur unserer vorsichtigen Regierung dazu den Atem ließen. So bin ich aber mit 54 Jahren auch noch ziemlich regelrecht Soldat geworden – kein allzu tüchtiger und gefährlicher Kämpfer wahrscheinlich, aber immerhin bewaffneter und exerzierter Soldat, und habe als solcher am Rhein, auf dem Jura und anderswo Wache gestanden und nach Hitlers höllischen Scharen Ausschau gehalten.«308

Auf diesem geschichtlichen Hintergrund ist sicherlich auch Barths Bemerkung in KD III/4 bezüglich der Schweizer Landesverteidigung zu lesen: »Ich möchte nicht versäumen, hier beiläufig zu erklären, daß ich heute diesen Fall [des äußersten Notstandes, der von Gottes Gebot her gesetzt und gegeben sein kann; M.H.] z. B. gegenüber einem Angriff auf die Unabhängigkeit, Neutralität und territoriale Integrität der Schweizerischen Eidgenossenschaft für gegeben halten und mich heute entsprechend äußern und verhalten würde.«309 Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 145) in einem Brief vom 26. 10. 1938 an Pfr. G.J. Derksen, Holland, klar, dass damals für die Tschechoslowakei »die Pflicht der Selbstbehauptung und also der militärischen Verteidigung seiner bisherigen Grenzen« entstanden sei und sie »mit solcher Selbstbehauptung rebus sic stantibus eine Frage der politischen Freiheit in Europa zu beantworten« gehabt hätte. Die Kirche sei insofern involviert, als dass »[d]er politische Raum, den sie allein bejahen, gutheißen und wollen kann, […] aber der der Ordnung und der Freiheit« sei. Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. die Darstellung von M. Rohkrämer (Karl Barth in der Herbstkrise 1938, 521 – 545), der auch A. Pangritz (Politischer Gottesdienst, 215 – 223) folgt. Vgl. auch E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 6 – 18. 307 I. Kant, Über den Gemeinspruch, A 265. 308 K. Barth, Der Götze wackelt, 193 (How My Mind Has Changed). 309 Ders., KD III/4, 529.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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In dieser Untersuchung liegt ein Hauptaugenmerk auf dieser für Barths friedensethische Urteilsbildung so bedeutsamen Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, ohne dass gleichzeitig der Ost-West-Konflikt ausgeblendet werden soll, auf dem ein weiteres Hauptaugenmerk liegen wird.310

c. Der sog. »Kalte Krieg« Einen dritten Kontext der Friedensethik Karl Barths und zwar in ihrer reifen, ausgeführten Gestalt, wie der späte Barth sie in der »Kirchlichen Dogmatik«, insbesondere seiner Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) und der unvollendet gebliebenen Versöhnungslehre (KD IV/1-IV/4, Fragment) präsentiert, bildete der sog. »Kalte Krieg« bzw. die »Ost-West-Frage«.311 Treffend betont B. Klappert: »Die Ost-West-Frage ist der weltgeschichtliche, die daraus erwachsene Anfechtung ist der existentielle Kontext der Versöhnungslehre Karl Barths.«312 Im Rückblick auf die betreffende Zeit weist Barth seiner Versöhnungslehre in seinem autobiographischen Aufsatz »How My Mind Has Changed« ihren Ort zu: »Es war die Ost-West-Frage, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges uns alle, und so auch mich begleitet und beschattet hat. Eben in dieser Frage konnte und kann ich mit der großen Mehrheit der mich umgebenden Geister nicht einig gehen. Nicht, daß ich für den östlichen Kommunismus im Blick auf seine bisherige Selbstdarstellung irgendeine Zuneigung aufzubringen vermöchte; ich ziehe es entschieden vor, nicht in seinem Bereich leben zu müssen, und wünsche es auch keinem anderen, dazu gezwungen zu sein. Ich sehe aber nicht ein, daß es politisch oder gar noch christlich geboten oder erlaubt sein soll, solcher Abneigung und Ablehnung die Folgen zu geben, die man ihr im Westen seit fünfzehn Jahren in zunehmender Schärfe gegeben hat. Ich halte den prinzipiellen Antikommunismus für das noch größere Übel als den Kommunismus selber.«313 310 Hinsichtlich beider Kontexte gilt in ihrem Verhältnis zueinander: »Im Leben Barths nimmt die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus zweifellos eine herausragende Stellung ein, wie sie wohl keiner anderen zeitgeschichtlichen Herausforderung zukommt. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass Barth in anderen Fragen weniger entschieden votiert hätte. Sondern es soll nur angezeigt werden, daß sich Barth an dieser Stelle theologisch am entschiedensten herausgefordert gefühlt hat. Einerseits wird das seinen Grund darin gehabt haben, daß es sich hier nicht um eine potentielle, sondern um eine sich gegenwärtig ereignende, alles zerfressende Bedrohung gehandelt hat, in deren Wahrnehmung und Einschätzung Barth andererseits relativ einsam dastand, so daß er nicht damit rechnen konnte, daß von einer anderen Seite aus das je Notwendige gesagt werden würde. Insofern liegt sein Widerstand gegen den Faschismus durchaus nicht einfach auf einer Linie mit seinem Widerstand gegen die atomare Bewaffnung«. M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 223. 311 Vgl. D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 74 – 88.119 – 124; B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 97 ff.; D. Koch, Offene Briefe Karl Barths zum Ost-WestKonflikt, 474 – 490; H. Ruddies, Unpolitische Politik?, 173 – 197. 312 B. Klappert, Theologie im Kontext, 76. 313 K. Barth, Der Götze wackelt, 201 (How My Mind Has Changed).

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Barths Warnung vor dem Antikommunismus314, seine beharrliche Betonung der nicht unter dem Begriff »Totalitarismus«315 zu kaschierenden Differenz zwischen dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus brachte Barth freilich den Vorwurf des Kryptokommunismus ein und verwickelten ihn in den 1950er Jahren in »weitere Schwierigkeiten«316. Den bereits mehrfach erwähnten friedensethischen Abschnitt aus KD III/4 verfasste Barth in jener Zeit, genauer gesagt: im Jahr 1951, also mitten im Koreakrieg (1950 – 1953), der spätestens mit dem Eingreifen der USA und Chinas die Rolle eines Stellvertreterkrieges bekam und den Antagonismus der politischen Systeme, also einerseits der Staaten China und Sowjetunion und andererseits der kapitalistischen Staaten unter Führung der USA, offenbar werden ließ. Die Wiederbewaffnung der sich mit Südkorea stark identifizierenden Bundesrepublik Deutschland kritisiert Barth in KD III/4 scharf, indem er sie in die bellizistische Tradition des Nationalprotestantismus einreiht, mit dessen Kriegsethik »der zweite Weltkrieg […] beginnen [konnte]«: »Nun zählen wir 1951 und schon haben wir bei Anlaß der Frage der deutschen Remilitarisierung ähnlichen verderblichen Unsinn wiederum zu hören und zu lesen bekommen.«317 Barth erachtete die deutsche Remilitarisierung im Westen als Ausdruck der Furcht und weigerte sich beharrlich, ein positives Wort zur Aufrüstung gegenüber einer Bedrohung seitens der Sowjetunion zu sprechen: »Die (gut oder schlecht begründete) Entschlossenheit zur Abwehr des drohenden Stalinschen Kommunismus, um die es heute geht, ist im Westen Gemeingut. Ihre Verstärkung und Intensivierung durch ein christliches Wort ist überflüssig. In dieser Hinsicht schläft heute niemand. Im Gegenteil: in dieser Hinsicht herrscht heute eine allgemeine Überwachheit, Nervosität, Angst und Aufregung, ein allgemeines lautes Denken und Reden in großen Schlagworten, das der gebotenen und nötigen Entschlossenheit in dieser Sache bestimmt nicht zugute kommt. 314 Zum Antikommunismus, der in der Kontinuität des Nationalprotestantismus steht, vgl. H.R. Reuter, Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 68.71 – 74. Zum Wandel des militärischen und politischen Rahmen nach 1945 vgl. W. Lienemann, Frieden, 45 – 57. 315 Barths Zurückhaltung mit politischen Urteilen gegenüber der Sowjetunion erschien – wie E. Brunner (in: K. Barth, Offene Briefe 1945 – 1958, 150) in einem Brief an Barth im Juni 1948 schrieb – »denen unverständlich, die grundsätzlich keinen Unterschied sehen zwischen dem kommunistischen und irgendeinem anderen, z. B. nationalsozialistischen Totalitarismus.« Zum Totalitarismus könne »die Kirche nur unbedingt, unmissverständlich und leidenschaftlich nein sagen« (a. a. O., 151). Vgl. auch R. Niebuhr, Why Is Barth Silent on Hungary?, 108 – 110.236.330 f.453 – 455. 316 K. Barth, Der Götze wackelt, 201 (How My Mind Has Changed). Intern, d. h. in seinen Briefen an betreffende Theologen, übte Barth entschiedene Kritik an einer kirchlichen Identifikation mit dem kommunistischen System im »Ostblock«. Vgl. E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 449; F. Jehle, Lieber unangenehm laut als angenehm leise, 113 – 128. 317 K. Barth, KD III/4, 523.

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Das christliche Wort heute muß dahin lauten, daß wir uns nicht fürchten sollen.«318 Gegenüber der Sowjetunion, die keine Hitler vergleichbare aggressive militaristische Außenpolitik betreibe, sei vor allem eine aktive Sozialpolitik, d. h. ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit als Reflex auf die soziale Frage angezeigt.319

3.3.

Die politische Zeitgenossenschaft K. Barths

Die denkbare knappe Illustration der drei Kontexte mag dazu dienen, die Zeitbezogenheit der Theologie K. Barths skizzenhaft zu veranschaulichen. Eine solche Annäherung an den Entdeckungszusammenhang der Theologie Barths ist keineswegs überflüssig. Grundsätzlich gilt es nämlich – mit D. Schellong gesprochen – zu beachten: »Auch wenn Barth innerhalb seiner späteren Theologie deren Abhängigkeit vom Erleben des 1. Weltkrieges heruntergespielt hat, sind wir gehalten, uns die Zeitbezogenheit seiner wie aller Theologie klarzumachen – erfahren wir doch immer stärker, daß ein Ignorieren der Zeitgebundenheit die Theologie nicht freier macht, sondern unfreier, weil dann diese Abhängigkeit nicht ins Bewußtsein gehoben und also auch nicht der offenen Diskussion, Prüfung und Verarbeitung ausgesetzt werden kann.«320 Betrachtet man die Genese von Barths theologischem Denken einschließlich dessen politischer Implikationen, so wird man dessen gewahr, dass es nicht das Resultat der Applikation eines vorgefertigten theologischen Wissensfundus oder Repertoires an Überzeugungen auf eine bestimmte Situation darstellt, die ein unbeteiligter und unberührter Theologe aus seinem theologischen Elfenbeinturm heraus vornimmt. Barth hat etwa die friedensethischen Parameter und Koordinaten seiner Grenzfallsbestimmung nicht am Reißbrett einer weltabgeschiedenen Studierstube entworfen, in der er wie einst Hieronymus im Gehäuse hockte und das Dasein einer in abstrakten Reflexionsprozessen versunkenen 318 Ders., Offene Briefe 1945 – 1968, 207 (Brief vom 17. 10. 1950 an W.-D. Zimmermann). 319 Vgl. a. a. O., 210.212. 320 D. Schellong, Theologie nach 1914, 451. Die Zeitbezogenheit aller Theologie hat zutreffend M. Weinrich (Der Katze die Schelle umhängen, 140) hervorgehoben: »Theologie [steht] mitten in den Auseinandersetzungen und Konflikten des Lebens und unterliegt auch allen Gefährdungen und Versuchungen, denen der sein Leben gestaltende Mensch ausgesetzt ist. Sie sucht nicht erst einen Brückenschlag zwischen einer an sich zeitlosen Wahrheit und den Besonderheiten der jeweiligen historischen Situation, sondern sie befindet sich immer schon – ob eingestanden oder uneingestanden – in ›Zeitgenossenschaft‹. […] Theologie gibt es nur im Horizont der Herausforderungen der Zeit. Theologie bleibt ›Theologie für die Zeit‹. Sie ist überhaupt nur bedeutungsvoll, weil das Evangelium unter den sich stets verändernden Zeitumständen angemessen bezeugt werden muß. Gott selbst ist ›erschienen in der Zeit‹ und sucht den Menschen dort auf, wo er lebt. Diese ›Zeitgenossenschaft‹ des Evangeliums hält auch die Theologie durch die Zeiten hindurch in Bewegung.«

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reinen Schreibtischexistenz fristete. Vielmehr handelt es sich um das in einer Situation eigener kirchlicher und politischer Verantwortung erzielte Ergebnis einer denkerischen Verarbeitung konkreter theologischer Zeitgenossenschaft. Bereits in seinem »Tambacher Vortrag« (1919) bemerkt Barth im Blick auf die Ausrichtung des christlichen Glaubens: »Es gibt kein Erwachen der Seele, das etwas anderes sein könnte als ein ›mitleidend Tragen der Beschwerden der ganzen Zeitgenossenschaft‹«.321 Selbst ein entschiedener Kritiker Barths wie W.D. Marsch gesteht ihm zu: »Dieser Zeuge Christi ist sein Leben hindurch ein fröhlicher, kritischer, zorniger, sehr bewußt mitdenkender und keineswegs resignierter Zeit-Genosse geblieben.«322 Hinter dem Begriff der Zeitgenossenschaft verbirgt sich – wie M. Weinrich323 einsichtig gemacht hat – Barths Verständnis theologischer Existenz in ihrer politischen Konturierung. Bei diesem Konzept wird einmal mehr deutlich, dass Barth seine politische Ethik in den Horizont des Christusgeschehens eingebettet sieht. Barths Zeitgenossenschaft will nämlich theologisch,324 genauer gesagt: christologisch verstanden werden.325 Diese Pointierung findet sich bereits im »Tambacher Vortrag«, dessen Titel »Der Christ in der Gesellschaft« Barth kontraintuitiv dahingehend auslegt, dass er Christus als den Christ identifiziert, dessen Rolle in der Gesellschaft zu durchdenken sei: »Der Christ – wir sind wohl einig darin, daß damit nicht die Christen gemeint sein können: weder die Masse der getauften, noch etwa das erwählte Häuflein der Religiös-Sozialen, noch auch die feinste Auslese der edelsten frömmsten Christen, an die wir sonst denken mögen. Der Christ ist der Christus. Der Christ ist das in uns, was wir nicht sind, sondern Christus in uns.«326 Dieser Hinwendung zu Christus entspricht beim späten Barth in seiner Auslegung des prophetischen Amtes Christi327 die Differenzierung in die erste und zweite Linie unserer menschlichen Zeitgenossenschaft: »Wir sind nicht in erster Linie Zeitgenossen der großen und kleinen Personen der Welt- und Kultur- oder auch der Kirchengeschichte, von deren Leben, Taten und Meinungen, von deren Unternehmungen und Vollbringungen wird durch die Zeitung und durch das Radio mehr oder weniger authentisch unterrichtet werden. Wir sind in erster Linie Zeitgenossen Jesu Christi«328. Von uns gilt wie von Pontius Pilatus und Kaiser Tiberius: »[N]icht er [Jesus Christus; M.H.] ist ihr Zeitgenosse – sie sind die seinigen.«329 321 K. Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 14. 322 W.-D. Marsch, Gerechtigkeit im Tal des Todes, 169. 323 Vgl. M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 185 – 225, bes. 199 f.205 f.; ders., Der Katze die Schelle umhängen, 140 – 214; ders., Kirche glauben, 114 – 132, bes. 117 ff. Vgl. fernerhin M. Beintker, »Das Volk Gottes im Weltgeschehen«, 95 – 111; D. Clausert, Theologischer Zeitbegriff und politisches Zeitbewußtsein, bes. 252 – 313; G. Obst, Veni Creator Spiritus, 38.351 – 385. M. Weinrich (Ökumene am Ende?, 143) kennzeichnet seine Barth-Lesart wie

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Während Barth vorher – vor allem in den Prolegomena der Kirchlichen Dogmatik – den Akzent auf die Vergleichzeitigung als unsere Integration in die Geschichte Jesu Christi, der Propheten und Apostel legte und betonte,330 dass ihre Gegenwart zu unserer Zeit wird, so tritt in der Versöhnungslehre »die Umkehrung dieser Perspektive in den Vordergrund: Jetzt ist es Jesus Christus, der als unser Zeitgenosse zu uns kommt.«331 Unsere Zeit wird zu seiner Gegenwart.332 Barth thematisiert nun also die Horizontverschmelzung zwischen Jesus Christus und unserer Zeit von der Seite des Menschen her. Er fokussiert

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folgt: »Entgegen allen Vorwürfen in Richtung Neoorthodoxie, Neoscholastik oder ›Offenbarungspositivismus‹, die gegen Karl Barth erhoben wurden, lese ich seine umfängliche ›Kirchliche Dogmatik‹ weithin als den Versuch einer zeitgenössischen Ausdifferenzierung unseres Fragens nach dem auferstandenen Christus. Es geht Barth in seinen Überlegungen, die an jedem Punkt stets um das Ganze kreisen, immer neu um das Austragen der Spannung, die sich zwischen der Gewißheit des ›Gegenstandes‹ der Theologie – als einer Gewissheit des Glaubens – und seiner von uns zu formulierenden Klarheit auftut. Diese unüberwindbare Spannung bleibt der existentielle Ort, an dem die Notwendigkeit und Unabschließbarkeit von Theologie gleichzeitig angezeigt wird.« Vgl. auch ders., Der Katze die Schelle umhängen, 171. Vgl. M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 149. So auch G. Obst, Veni Creator Spiritus, 352: »Barth interpretiert […] den Begriff der Zeitgenossenschaft christologisch und hebt ihn so gegenüber einem allgemeinen Verständnis hervor: Zeitgenossenschaft bedeutet Existenz in der Verheißung der Gegenwart des auferstandenen Jesus Christus.« Vgl. M. Beintker, »Das Volk Gottes im Weltgeschehen«, 110. K. Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 3 f. Vgl. zur Bedeutung des prophetischen Amtes für die Theologie Barths insgesamt A. Siller, Kirche für die Welt, insbes. 115 – 159; J. Webster, Barth’s Moral Theology, 125 – 150. M. Weinrich (Christus als Zeitgenosse, 201) bemerkt treffend summarisch: »Indem Christus in seinem prophetischen Amt die im hohepriesterlichen und königlichen Amt vollzogene Versöhnung vergegenwärtigt, rückt die Gegenwart ganz und gar in das Licht seiner Gnade. Das ist das zentrale Geschehen der Gegenwart als die ereignishafte Vergegenwärtigung der Geschichte, die als solche eine konsequente Vergeschichtlichung der Gegenwart bedeutet – eben: Jesus Christus ist bei uns und handelt an uns nicht nur als Herr der Geschichte, sondern als dieser eben auch alle Tage, d. h. jeden Tag, auch heute, weshalb es uns möglich ist, tatsächlich in einem ernst zu nehmenden Sinne von Gegenwart zu sprechen.« K. Barth, KD IV/3, 419. Ders., KD IV/2, 178. Vgl. H.-G. Geyer, Karl Barths Umgang mit der Osterbotschaft, 65. Vgl. ders., KD I/2, 65 und dazu: M. Beintker, »Das Volk Gottes im Weltgeschehen«, 109: »Indem sich uns Gott offenbart […], macht er uns zu ›Zeitgenossen Christi‹; indem er uns jener erfüllten Zeit ›gleichzeitig‹ macht, holt er uns gewissermaßen in die Geschichte Jesu Christi, der Propheten und der Apostel hinein.« Ebd. M. Beintker (ebd.) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Gedanke, wonach »sich Jesus Christus uns zu unserem Zeitgenossen macht, […] in der Kirchlichen Dogmatik erstmals in § 47.1 (»Jesus, der Herr der Zeit«) auftaucht: Als »Herr der Zeit« macht sich Jesus Christus immer, »wo Menschen lebten, leben und leben werden […] zu ihrem Zeitgenossen: anders denen, die mit ihm leben, anders denen, die vor ihm lebten, anders denen, die nach ihm leben werden – aber allen zum Zeitgenossen, weil für Gott und für sie alle lebend, darum ihnen allen gleichzeitig«. K. Barth, KD III/2, 528.

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»Des Menschen Berufung«333 und blickt damit in unsere Gegenwart, als deren Herr und Zeitgenosse sich Jesus Christus freilich auch erweist. Dass Christus als »sein eigener Prophet«334, d. h. Subjekt seiner eigenen Vergegenwärtigung (im Geist), unser aller Zeitgenosse ist – actualiter ist und nicht nur war und/oder sein wird – das bedeutet:335 Er ist weder einfach nur vergangene Geschichte, auf die wir in der Erinnerung nostalgisch zurückblicken, noch einfach erwartete Zukunft, die wir mehr oder weniger heiß ersehnen oder bangen Blicks im Sinne einer bedrohlichen Größe als ausstehend erwarten. Vielmehr prägt uns Christi gegenwärtige Präsenz in der Gestalt der Verheißung des Geistes. Barth fokussiert mit seinem Konzept von Zeitgenossenschaft also den Christus praesens, die keineswegs defizitär zu nennende,336 volle Präsenz des lebendigen Christus in der Verheißung des Geistes. Der auferstandene Christus ist als Prophet geistesgegenwärtig – dies besagt die zweite Gestalt seiner Parusie spitzensatzartig nach der von Barth inaugurierten Lehre von der dreifachen Parusie Jesu Christi.337 Nur vermittelt über Christus, den »Zeitgenossen aller Menschen«338, sind wir Zeitgenossen der übrigen Menschheit. Die Gebrochenheit dieses indirekten Bezuges verdeutlicht die wahren Herrschafts- und Loyalitätsverhältnisse auf Erden und widerstrebt sämtlichen Assimilationsbestrebungen, die dem Zeitgeist gelten. Die Gegenwart seiner Zeitgenossenschaft bestimmt die unsrige objektiv, so dass wir jene subjektiv im Vollzug unseres Tuns und Lassens gelten lassen dürfen: »[D]as ist sicher, daß auch er, auch unser heutiger Tag ein Tag des lebendigen Jesus Christus ist. […] im Vollsinn des Wortes ein Tag seiner Wiederkunft, seines neuen Kommens in Herrlichkeit, jetzt und hier in der Mitte der Zeiten, die unser Ort ist, ein Tag in der Geschichte seiner Prophetie, des fortgehenden Werkes seiner Selbstkundgebung, der Offenbarung dessen, was, als er zuvor kam, in seinem Leben, Reden und Wirken, Leiden und Sterben zu seiner

333 Vgl. ders., KD IV/3, § 71. Barth kann die Berufung gar als geistgewirkte Neuschöpfung des Menschen verstehen. Vgl. a. a. O., 586 und dazu: M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 210 f. 334 K. Barth, KD IV/1, 151. 335 Mit dem prophetischen Amt Jesu Christi fokussiert K. Barth – wie M. Weinrich (Christus als Zeitgenosse, 191) gezeigt hat – »nicht die Materialität der Christologie, sondern die konkret-geschichtliche Reichweite ihrer Aktualität.« 336 Die zweite Gestalt der Parusie Christi im Heiligen Geist ist nach K. Barth (KD IV/3, 412) »nicht weniger wirklich als damals und dort, im Osterereignis, sein Kommen zu seinen Jüngern – auch nicht weniger wirklich als dereinst, in seinem Kommen in dessen letzter abschließender Gestalt, als Richter der Lebendigen und Toten«. 337 Vgl. M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 197; ders., Das prophetische Amt Jesu Christi, 116 f.119. 338 K. Barth, KD IV/3, 572.

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Zeit, für die Welt, für alle Menschen als Gottes Tat geschehen und vollbracht ist«339. Die Präsenz des auferweckten Christus duldet keine Zuschauermentalität des Unbeteiligtseins340 am Tun und Treiben auf Erden, sondern stellt uns als Zeitgenossen Christi unausweichlich hinein in die Versöhnungsgeschichte Gottes mit den Menschen: Es ist uns Menschen als der versöhnten Kreatur Raum und Zeit gewährt, »Christus in seinem noch unabgeschlossenen Kampf (über dessen Ausgang kein Zweifel besteht, den er aber noch führen will) zu begleiten«, d. h. »mitzukämpfen, kurz: ihm nachzufolgen«341 oder anders gesagt: »an der der Saat ihrer Versöhnung folgenden Ernte nicht nur als Zuschauer, sondern aktiv teilzunehmen«342. Partizipation erwächst aus dieser Zeitgenossenschaft. Als Partizipation an der Prophetie Jesu Christi ist diese Zeitgenossenschaft zugleich Zeitgenossenschaft im Sinne einer aktiven, kritisch-engagierten, niemals jedoch dem Zeitgeist hörigen Anteilnahme am Zeitgeschehen. Damit wird – wie M. Weinrich herausgearbeitet hat – die Zielrichtung und Zielbestimmung der Versöhnungslehre Barths evident: »Wenn Barth zunächst stets die Exklusivität der Christologie betont, und in ihr alle theologische Erkenntnis verwurzelt, so zielt doch alles – wenn es mehr als ein unverbindliches Gedankenspiel sein soll – auf die Inklusivität der Christologie.«343 Barths Verständnis der Zeitgenossenschaft Jesu Christi repräsentiert im dritten Band von Barths Versöhnungslehre das denkerische Instrumentarium, die inklusive Dimension der Christologie nachdrücklich herauszustreichen, die vermittelt über den Partizipationsgedanken344 ethisch bedeutsame Impulsmodulationen für solches friedensstiftendes Tun promulgiert, das dem Perfektum der in Christus geschehenen universalen Versöhnung folgt. Es geht um die Frage nach der Gegenwart des Auferstandenen im Leben des Christenmenschen, denn »[d]ie

339 340 341 342 343 344

A.a.O., 418 f. Vgl. a. a. O., 291: »das alte Spiel […] der Zuschauerei«. A.a.O., 381. Vgl. auch a. a. O., 749. A.a.O., 383. M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 188. Vgl. K. Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 17: »Und wer könnte die Auferstehung sehen, ohne selber teilzunehmen, selber ein Lebendiger zu werden und in den Sieg des Lebens einzutreten?« Vgl. auch ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 347 f. (An meine Freunde in den Niederlanden, Juli 1942): »Wir schlafen ja immer wieder, auch nachdem uns der Herr einmal und zweimal geweckt hat wie damals seine Jünger. Er aber ist für ihre wie für unsere Sünde in den Tod gegangen, und daß er erweckt wurde von den Toten durch die Macht seines Vaters, davon leben wir, ob wir wachen oder schlafen. Nur daß wir ja daran nicht denken, uns dessen nicht trösten und erfreuen können, ohne alsbald neu aufzuwachen und mit ihm tapfer zu leben als an seinem Tage. Wer nicht daran denkt und darum nicht tapfer ist, der denke daran, daß Jesus Christus von den Toten auferstanden ist!«

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Wirklichkeit en Christo¯ wird geprägt durch die Gegenwart des Auferstandenen, und allein ihm gegenüber ist Gehorsam im Konkreten möglich.«345 Die Gegenwart des auferstandenen und wiederkommenden Christus will also auch in ihrer ethischen Valenz bedacht sein. Barths Interpretation der Zeitgenossenschaft Jesu Christi als unser aller Zeitgenosse bringt ja gerade zum Ausdruck, dass sie unsere irdisch-geschichtlichen Verhältnisse elementar betrifft. Barths Überlegungen zielen auf die politische Existenz der christlichen Gemeinde bzw. die ethische Kontur von deren Leben:346 Es geht ihm um »die konkrete Bestimmung der Existenz der Gemeinde durch die Gegenwart des lebendigen und herrschenden Christus«347. Diese hat nach Barth nicht in einem »unartikulierte[n] Brummen frommer Worte«348 ihr Bewenden, sondern sie wagt es, »heiße Eisen anzurühren [und] [v]erbindliche Schritte für den Frieden«349 zu gehen. Von der christlichen Gemeinde gilt nach Barth im Blick auf ihr Christusverhältnis: »Glaubt sie an Ihn, dann existiert sie in der Entschlossenheit bestimmter Entscheidungen im Weltgeschehen.«350 Zu solchen distinkten Entscheidungen befähigt nach Barth der Christusglauben in seiner wirklichkeitserschließenden Kraft.351 Er steuert nämlich die Wahrnehmung der Wirklichkeit:352 Der Ort des Glaubens »ist der Ausgangspunkt für die Einübung rechter Wahrnehmung der geschöpflichen Welt in ihrer natürlich-geschichtlichen Verfassung, und insofern ist das Wirklichkeitsverständnis der Schlüssel zu Barths Politikverständnis. Die Versöhnung von Gott und Mensch konstituiert nicht nur die bleibende Fremdheit, die unaufhörliche Sorge des Christen in dieser Welt, sondern sie macht den Blick frei für eine unverstellte Wahrnehmung der Welt. Sie aber wird sich nach Barth vorwiegend in zwei 345 D. Schellong, Barmen II und die Grundlegung der Ethik, 516. 346 So M. Weinrich, Das prophetische Amt Jesu Christi, 121. Vgl. ders., Christus als Zeitgenosse, 214. 347 A.a.O., 187. 348 K. Barth, KD IV/3, 932. 349 Ebd. 350 A.a.O., 824. 351 Vgl. ders., Eine Schweizer Stimme, 172 f. (Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit, November 1940): »Wer nicht glaubt, der wird sich in der Schweiz inmitten der heutigen Weltlage vor dem, was zu sehen ist, gewiß lieber beide Augen verschließen und wird gewiß auch alles Moralische, von dem wir sprachen, für schöne, aber unausführbare Ideen halten. Es braucht aber nicht irgend einen, sondern den rechten Glauben dazu, um heute klar zu sehen und um das Rechte zu wollen und auch zu tun.« 352 M. Weinrich (Christus als Zeitgenosse, 196) weist darauf hin, dass »Barth die prophetisch eröffnete Glaubenserkenntnis sogar als Versöhnungsgeschehen bezeichnen [kann] (cf. [KD] IV/3, 249), denn sie bedeutet den tatsächlichen Wechsel von der Seite des Widerstandes gegen die Geschichte der Versöhnung auf die Seite des versöhnten Menschen, sie bedeutet Aufgabe des Kampfes der Lüge gegen die Versöhnung und vorbehaltlose Teilnahme am Kampf gegen die Entstellungsversuche der Lüge. Das ist die Metanoia, zu der die Erkenntnis der Realgeschichte Jesu Christi führt«.

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Hinsichten betätigen: theoretisch als Entmythologisierung und Entideologisierung der Welt, insofern es ihr Geschick ist, absolute Sinnsetzungen zu produzieren und daraufhin periodische Sinnkrisen zu erleiden. Und praktisch als Kooperation zur Erhaltung der Welt, insofern es ihre Bestimmung ist, die Bühne der immer neuen Begegnungsgeschichte von Gott und Mensch zu sein und auch zu bleiben.«353

Bei Barth tritt mit der Wahrnehmung ein Problem in den Blick,354 dessen man sich im ethischen bzw. metaethischen Diskurs erst in jüngerer Zeit widmete.355 J. Fischer hat etwa in seinem programmatischen Aufsatz »Wahrnehmung als Proprium und Aufgabe christlicher Ethik«356 in Auseinandersetzung mit H.E. Tödts »Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsbildung«357 für eine wahrnehmungsorientierte Ethik plädiert, die die Frage nach der Wahrnehmung der Wirklichkeit als die ethische Grundfrage begreift.358 Fischers Plädoyer geht dabei über Tödts normorientiertes Bemühen um eine Integration der Wahrnehmung in den ethischen Urteilsprozess hinaus und wendet sich explizit gegen die Dominanz normethischer Entwürfe, die er in handlungstheoretische Aporien verstrickt sieht.359 Ethische Urteile zehren, wie J. Fischer geltend macht, von der Wahrnehmung als der entscheidenden, die ethischen Urteile dirigierenden Voraussetzung, zumal nicht erst eine Norm die Vermittlung von Situation und Handlung leiste, sondern diese bereits zuvor in der Wahrnehmung der Situation erfolgt sei.360 Insofern bedürfe es der Rekonstruktion jener strukturellen Merkmale, die der ethischen Reflexion bzw. dem moralischen Urteil zugrunde liegen würden, d. h. 353 H. Ruddies, Unpolitische Politik?, 179. 354 Vgl. dazu auch die treffliche Bemerkung von H.J. Iwand, Predigtmeditationen, 550: »Die Wirklichkeit sehen, wie sie ist, das hieße, die Welt vom Kreuz Christi sehen. Die in der Versöhnung und in der Botschaft von der Versöhnung (diese Doppelheit bildet die Einheit der Tat Gottes in Jesus Christus) kundgemachte Wirklichkeit duldet kein zweites Bild neben sich.« 355 Vgl. M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 108 – 115. 356 J. Fischer, Wahrnehmung als Proprium und Aufgabe christlicher Ethik, 91 – 118. Im Anschluss an J. Fischer und H.E. Tödt hat F. Mathwig (Technikethik – Ethiktechnik, 211 – 289) die Frage der Wahrnehmung ausführlich als ethisches Problem thematisiert. 357 H.E. Tödt, Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung, 21 – 48. 358 Vgl. J. Fischer, Wahrnehmung als Proprium und Aufgabe christlicher Ethik, 91. Auch die amerikanischen Theologen S. Hauerwas / W.H. Willimon (Resident Aliens, 88) weisen darauf hin, dass bereits die Perzeption einer bestimmten Situation und die damit erfolgende Konstituierung eines Sachverhalts ein genuin ethischer und kein vorethischer Akt ist, so dass ethisches Fragen bereits im Bereich der Wahrnehmung anzusetzen habe: »So the primary ethical question is not, What ought I now to do? but rather, How does the world really look?« 359 Handlungstheoretische Aporien in der Ethik zeichnet F. Mathwig (Technikethik – Ethiktechnik, 212 – 221) anhand des verantwortungsethischen Entwurfs von H. Jonas und der Position T. Rendtorffs nach. 360 Vgl. J. Fischer, Wahrnehmung als Proprium und Aufgabe christlicher Ethik, 95 f.

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Einleitung

auf der Ebene der expliziten Urteile implizit wirksam und der Wahrnehmung geschuldet seien. Fischer zufolge handelt es sich bei der Wahrnehmung mithin um eine dem menschlichen Handeln selbst vorausgehende, vorgegebene Bedingung, von der abhängt, welche konkrete Handlungsorientierung etwa in Gestalt von Handlungsnormen im Handlungsablauf überhaupt greift. Die zentrale These J. Fischers besagt, »daß das Tun und Verhalten sein entscheidendes Motiv in der Wahrnehmung hat. Der Mensch verhält sich der Wirklichkeit entsprechend, die er wahrnimmt, und eben darum ist die Wahrnehmung die primäre ethische Aufgabe.«361 Wenngleich sich diese These Fischers nicht explizit bei Barth finden lässt, so hat doch Barth diese Ebene ethischer Urteilsbildung in seinen versöhnungsethischen Ausführungen keineswegs ausgeklammert, sondern ihre christologische Prägung in seiner Weise zum Ausdruck zu bringen versucht. Barths aktuelle Stellungnahmen – etwa in der Zeit des Zweiten Weltkriegs – verraten bei genauem Hinsehen im Blick auf Barths christologisch fundierte (Gebots-)Ethik, dass sie nicht einfach Gebote aufzählt, sondern uns die Wirklichkeit erschließen will, »in der wir vor Gott und zusammen mit den Mitmenschen entscheiden, handeln und auch etwas lassen (also: nicht tun) dürfen.«362 Die Wahrnehmungsorientierung der Ethik Barths, die auf die wirklichkeitserschließende Kraft der Auferstehung Jesu Christi verweist, darf nicht aus dem Blickfeld genommen werden, wenn man von der christologischen Grundlegung einer Friedensethik bei Barth spricht. So schlägt sich die christologische Pointierung von Zeitgenossenschaft in Barths ethischem Denken bereits auf der Ebene unserer Wahrnehmung nieder. Die Wahrnehmung ist durch den »Vorrang der Wirklichkeit des auferstandenen Christus«363 vor allen anderen wahrnehmungsverzerrenden und irritationsfördernden Faktoren geprägt. Treffend pointiert Chr. Link im Blick auf die Wahrnehmungsorientierung, wie sie Barths Versuch einer christologischen Grundlegung der Ethik eigen ist: »[N]iemals ging es nur um das, was wir die ›Bewältigung‹ einer vorgefundenen Situation nennen, vielmehr kam es immer auch zu einer Sichtöffnung derart, dass die Lage sich auf einmal in einem ganz anderen Licht darstellte und Handlungsalternativen sich auftaten, an die bisher niemand gedacht hatte.«364 Diese Sichtöffnung ereignet sich nach Barth in einer österlichen Perspektive, aus der heraus es ethisch zu urteilen gilt. 361 A.a.O., 117. Vgl. W. Schoberth, Art. Welt/Weltwahrnehmung, 1737: »Das Handeln eines Menschen ist nicht einfach seine subjektive Wahl, sondern vollzieht sich im Rahmen seiner Wahrnehmung, die sozial und kulturell strukturiert ist.« 362 Chr. Frey, Eine erweiterte Verantwortungsethik, 86. Hier Zitatwiedergabe in der gewöhnlichen Schreibweise der Umlaute. 363 M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 186. 364 Chr. Link, »Fiat iustitia« – Karl Barth als Zeitgenosse, 92.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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Mit seinem Verständnis der Zeitgenossenschaft versucht Barth die »Tragweite der Auferstehung, die zentrale Bedeutung von Ostern«365 auch ethisch zu ermessen. In der österlichen Perspektive, nach der uns in Jesus Christus, dem Sieger, ein lebendiger Zeitgenosse begegnet, erschließen sich uns die wahren Herrschaftsverhältnisse und Machtproportionen auf Erden. Der Auferstandene rückt diese zurecht: »Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden« (Mt 28,18). Barth kommentiert in seinem Brief nach Großbritannien (Ostern 1941): »Von daher, daß dieses Wort die Wahrheit ist, blicken Sie und blicke auch ich auf die Ereignisse und Gestalten unserer Zeit und möchten Sie und ich diesen Ereignissen und Gestalten gegenüber unsere Verantwortlichkeit wahrnehmen.«366 Auf dem Hintergrund der Wahrnehmung der Weltwirklichkeit in österlicher Perspektive, d. h. im Lichte der Auferstehung Jesu Christi von den Toten, ist Barths vielzitierter Brief an die Christen in Großbritannien und insbesondere jene umstrittene Bemerkung zu lesen: »Der klare Wille Gottes macht das Einstehen für diesen Krieg zu einer Sache des christlichen Gehorsams. Kann man das so bestimmt sagen? Wir Christen müssen es darum in aller Bestimmtheit sagen, weil die Welt, in der wir leben, der Ort ist, wo Jesus Christus von den Toten auferstanden ist […]. Es ist die Welt […] im Innersten und auch im Äußersten dadurch bestimmt, daß Gott den Namen Jesu Christi über alle Namen erhoben hat: daß in ihm sich beugen müssen alle Knie derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind. Weil das wahr ist, darum ist die Welt, in der wir leben, nicht irgend ein finsterer Raum, in welchem das Schicksal oder der Zufall regieren, in welchem alle möglichen ›Mächte und Gewalten‹ sich ungescheut und grenzenlos ausleben und austoben dürften. […] Wir würden die Auferstehung Jesu Christi verachten und sein Regiment zur Rechten des Vaters verleugnen, wir könnten auch in der Kirche, in unserer Anbetung Gottes, in unserer Verkündigung und in unserem Hören seines Wortes, in unserem persönlichen Glauben, Lieben und Hoffen keine ruhige Stunde mehr haben, keinen Trost und keine Kraft mehr finden, wir müßten vor Gott und seinen Engeln und allen Kreaturen in Schanden dastehen, wenn wir die schon geschehene Heiligung der Welt, in der wir leben, vergessen, wenn wir nicht um Jesu Christi willen den Koboldsgeistern entschlossen und mutig gegenüber treten würden.«367

365 M. Weinrich, Das prophetische Amt Jesu Christi, 119. 366 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 282 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 367 A.a.O., 286 ff. Ebenso heißt es in K. Barths (Eine Schweizer Stimme, 264) Artikel »Die protestantischen Kirchen in Europa« vom September 1942: »Gerade auf der Linie des genuin christlichen Glaubens an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, des Glaubens daran, daß ihm alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden, kann man zum deutschen Nationalsozialismus tatsächlich weder Ja, noch Ja und Nein, sondern nur von ganzem Herzen und in ganzer Entschlossenheit Nein sagen.«

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Einleitung

Barths Ausführungen basieren auf einem wahrnehmungsorientierten christologischen Ethikansatz, der sich als eine auferstehungstheologische Topologie charakterisieren lässt. Barth macht die Auferstehung Jesus Christi zum einen als den Standort der Wahrnehmung geltend, als den Ort, »von dem wir Christen auch in unserer heutigen Entscheidung herkommen müssen, wenn sie eine christliche Entscheidung sein soll und wenn wir in ihr einig und fest bleiben sollen.«368 Und zum anderen bestimmt Barth die Welt als Ort der Auferstehung Jesu Christi. Diese doppelte Ortsangabe verleiht seiner auferstehungstheologischen Topologie ihr Gepräge. Die Welt ist als Schöpfung durch die Auferstehung schon jetzt geheiligt für seine Wiederkunft, für das Neuwerden des Himmels und der Erde.369 Gegenüber der Realgeschichte der Auferstehung bleiben die »im Rahmen der Möglichkeiten des Menschen entworfenen Geschichten Fiktivgeschichten […], weil sie an der Realität des gegenwärtigen Versöhnungshandelns Jesu Christi vorbeigehen.«370 Auch Hitler gehört als »Koboldsgeist«371 in diesen Bereich der Fiktivgeschichten. Auch im Blick auf Hitler gilt: »Er [Jesus Christus; M.H.] lebt, handelt, er redet als dieser Zeitgenosse – gewiß ganz anders als unsere sämtlichen anderen Zeitgenossen, aber darum nicht weniger real, recht verstanden: unendlich viel realer als sie.«372 Indem Barth auf Jesus Christus als den realeren Zeitgenossen, ja auf Jesus Christus, den als das Realissimum dieser Superlativ des Siegers auszeichnet,373 verweisen kann, hat Barth der welttragenden und wirklichkeitsstiftenden Bedeutung des Auferstehungsereignisses als Bestandteil des universalen Versöhnungsgeschehens Rechnung getragen und den Druck der Bedrängnis durch Hitlers scheinbar ungebrochenes und unbrechbares Expansionsstreben in finsterer Zeit heilsam relativiert. Aus dem österlichen Aktionshorizont ergeben sich diese weltgeschichtlichen Relativierungen und Depotenzierungen der historisch-politischen Antagonismen, die die Wirklichkeit zu determinieren scheinen.374 Auch die uns bedrängende Gegenwart steht im Zeichen von Christi Gegenwart: »Es geht […] um das ›Vivit‹ nicht als Potentialität, sondern als Aktualität, 368 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 291 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 369 A.a.O., 287. 370 M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 196. 371 Vgl. etwa K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 288 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 372 Ders., KD IV/3, 579. 373 Vgl. ders., KD IV/3, § 69.3. 374 Vgl. H. Ruddies, Unpolitische Politik?, 179 f.: »[D]as christliche Leben [darf] grundsätzlich nicht in die Potentiale der politisch-historischen Antagonismen dieser Welt eingelagert werden […]; und das bedeutet sodann, daß es Aufgabe des christlichen Lebens in dieser Welt ist, sich aktiv an der Depotenzierung dieser antagonistischen Potentiale zu beteiligen.«

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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nicht als ›Angebot und Möglichkeit…, sondern als Wirklichkeit‹«375. Die Geschichte Jesu Christi ist nicht vergangene Siegergeschichte376 oder erledigte Kampfesgeschichte, sondern als Geistesgeschichte im Entscheidenden Aktualgeschichte.377 Nicht nur unsere Individual-, sondern die gesamte Weltgeschichte steht als Universalgeschichte im Zeichen der Realgeschichte seiner wirksamen Gegenwart, die alles trägt und erleuchtet: »[D]aß Er als das Licht des Lebens, als das Wort vom Gnadenbund, aber auch als der künftige Richter der Lebendigen und der Toten eben in dieser Stunde tätig durch unsere Mitte geht: er als unser aller Hoffnung, er in der allen Menschen zugewendeten Verheißung des Geistes« – das ist nach Barth »unverhältnismäßig viel wichtiger, einschneidender, folgenschwerer als Alles, was die Menschheit im Osten und im Westen und was jedem Einzelnen von uns als Heil und Unheil mit oder ohne unser Zutun widerfahren mag«378.

3.4.

Einführung in den theologischen Begründungszusammenhang der Friedensethik K. Barths

Die Einleitung (Kap. 0.) abschließend, soll nun komplementär zu den Ausführungen zum Entdeckungszusammenhang der Friedensethik K. Barths deren Begründungszusammenhang skizziert werden. Die »Kirchliche Dogmatik« wird zu diesem Zweck als kohärenter und konsistenter sprachlicher Zusammenhang herangezogen, innerhalb dessen sich ein Verbund friedensethisch grundlegender Aussagen und Argumentationen finden lässt. Dieser kann im Folgenden nicht umfassend rekonstruiert, sondern nur ansatzweise, den Bänden der »Kirchlichen Dogmatik« folgend, als eine Art vorläufiger Verstehenshorizont für die weitere Untersuchung umrissen werden. Für den Begründungszusammenhang der Friedensethik K. Barths gibt seine Bundestheologie einen teleologischen Referenzrahmen vor, der wohlgemerkt nicht mit dem entelechischen Wirklichkeitsverständnis des Aristoteles als metaphysischer Ethik-Grundlage zu verwechseln ist. Barth zufolge ruht theologische Ethik nicht auf dem Fundament des substanzmetaphysischen Denkens auf, 375 M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 190, unter Verweis auf K. Barth, KD IV/2, 296. 376 Treffend M. Weinrich (Christus als Zeitgenosse, 194): »Die Beschreibung der Gegenwart des Auferstandenen kommt nicht mit der Feststellung des bereits errungenen Sieges aus, sie bleibt als Proklamation des Indikativs im Sinne von Zustand unterbestimmt, so lange sie sich nicht auf das Drama seines gegenwärtigen Siegens, auf das aktuelle Geschehen seiner Geschichte einläßt.« 377 Vgl. a. a. O., 193 – 199. 378 K. Barth, KD IV/3, 419. Vgl. M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 150 f.

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Einleitung

wonach jede Substanz die Zielbestimmung ihres Daseins in sich selbst trägt. Barths teleologisches Wirklichkeitsverständnis ist vielmehr bundestheologischer Art und das heißt: »Gottes Selbsterweis allein begründet eine teleologische Perspektive«379. Das teleologische Paradigma einer substanzhaft denkenden Metaphysik fällt für Barth unter das Verdikt einer natürlichen Theologie, die eine allgemein plausible Sittlichkeit auf einem solchen Fundament meint begründen zu können. Diese basiert mit dem entelechischen Verständnis alles Seins auf falschen noetischen Voraussetzungen: »Weil das Natürliche nicht von sich aus eine es überschreitende (auf das Heil gerichtete) Teleologie erkennen läßt, wird im Bund Gottes mit den Menschen indirekt auch die gesamte Geschichte teleologisch ausgerichtet: Gottes Wille im Bund erlaubt erst die Identifizierung der Schöpfung«380. Barth entwirft also – mit E. Busch gesprochen – eine »neue Föderaltheologie«381. Dadurch, dass Barth den in Christus erfüllten Bund als Weltziel bestimmt, wird die Beziehung von Bund und Welt als teleologen bzw. teleologisch gefasst. Im Folgenden soll versucht werden, den teleologischen Referenzrahmen zu skizzieren, innerhalb dessen die Friedensethik Barths verortet ist.382 Mit diesem recht rudimentären Versuch, der die detaillierte Darstellung der Grundlegung von Barths Friedensethik den beiden Hauptteilen der Untersuchung vorbehält, ist gleichsam auch ein erster orientierender Rundgang durch die »Legomena« der »Kirchlichen Dogmatik« intendiert, der ansatzweise die friedensethischen Bezüge und Implikationen derselben transparent werden lässt.

3.4.1. Gnadenwahl als Friedenswahl. Friedensethische Implikationen der Erwählungslehre K. Barths Die Friedensethik von ihrem Ursprung her zu entfalten, bedeutet für Barth: sie von der »ewigen Gnadenwahl Gottes« her als der Aufnahme in den Bund zu konzipieren. Barth entfaltet die Lehre von der Gnadenwahl in der Erwählungslehre; und zwar als der »Summe des Evangeliums«383. Bereits von Anfang an beschließt Gott in Christus, dass er den Menschen zum Partner, zum Bundes379 Chr. Frey, Vernunftbegründung in der Ethik, 35. 380 A.a.O., 46. 381 E. Busch, Der eine Gnadenbund Gottes, 341 – 354; ders., Unter dem Bogen des einen Bundes, bes. 437 – 491. Vgl. auch B. Klappert, Die Öffnung des Israelbundes für die Völker, 331 – 348; H.-W. Pietz, Das Drama des Bundes. 382 D.L. Migliore (Commanding Grace, 5) hat vom »Covenantal Context of Barth’s Theological Ethics« gesprochen. Ähnlich auch J. Webster, Barth’s Ethics of Reconciliation, 2. 383 K. Barth, KD II/2, 1.9.11.13.25.35.67.98.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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genossen haben will. In Christus, dem erwählten Menschen, erwählt Gott als erwählender Gott »für sich selbst die Gemeinschaft mit dem Menschen« und zugleich den Menschen »zur Gemeinschaft mit sich selber«384. Dass Christus zugleich Subjekt und Objekt der Erwählung ist,385 deutet Barth friedenstheologisch dahingehend, dass er Eph 2,14: »Er ist unser Friede«, nicht nur auf das Versöhnungs-, sondern bereits auf das Erwählungsgeschehen bezieht: Christus »ist nicht nur der Versöhner zwischen Gott und den Menschen: indem er ja zuerst der Friede zwischen beiden ist. Und so ist er nicht nur Gewählter, sondern selbst Wählender.«386 Die Aktivität der Erwählung wird von Barth als Friedensaktivität Christi gedeutet, mehr noch: Christus wählt in der Gnadenwahl den Frieden. Er erweist sich in der Urentscheidung der Gnadenwahl als personifizierter Frieden, indem er als der den Frieden wählende Sohn Gottes Gehorsam leistet und damit das will, was der Vater will: den Frieden; und zwar nicht nur will, sondern auch wählt. Denn in der Erwählung Christi zum erwählten Menschen, zum Objekt der Erwählung wählt der dreieinige Gott als Subjekt der Erwählung nichts anderes als den Frieden. Christi Erwählt-Werden und sein Erwählen entsprechen sich und zwar im tertium comparationis der Entsprechung, nämlich dem Frieden: »Eben seinem Gewähltwerden entspricht aufs Genaueste sein eigenes Wählen. In diesem Frieden des dreieinigen Gottes ist er nicht weniger ursprüngliches Subjekt jener Wahl als er ihr ursprüngliches Objekt ist. Und nur in diesem Frieden Gottes kann er dann auch ihr Objekt sein, d. h. ganz und gar nicht seinen, sondern des Vaters Willen vollstrecken, wird er als Mensch wählend die Wahl Gottes bestätigen und gewissermaßen wiederholen.«387 Barths Rede vom »Frieden des dreieinigen Gottes«, verdeutlicht gerade dadurch, dass sie erwählungstheologisch expliziert wird: »Der Friede des dreieinigen Gottes ist also nicht der Friede eines in sich ruhenden Gottes, sondern der Friede des durch sich bewegten Seins Gottes. ›Ruhe‹ ist dieser Friede als Bewegung, mithin der Ruhe eines unbewegten Bewegers unvergleichbar!«388 Darin, dass Gott, der des Menschen nicht bedarf und ohne ihn sein kann, doch ohne ihn, ohne eine partnerschaftliche Beziehung zu und mit ihm nicht sein will, besteht das Evangelium. In der Bezeugung dieses Beschlusses Gottes summiert sich die gute Botschaft.389 Der Bund Gottes gibt präzise den Inhalt und das Ziel der Gnadenwahl an. Damit steht das Sein des Menschen von Anfang an, 384 385 386 387 388 389

A.a.O., 177. Vgl. W. Kreck, Grundentscheidungen in Karl Barths Dogmatik, 193 – 201. K. Barth, KD II/2, 112. Ebd. E. Jüngel, Gottes Sein ist im Werden, 87. Vgl. K. Barth, IV/3, 133: »[E]s gibt zwar eine Gottlosigkeit des Menschen, es gibt aber laut des Wortes von der Versöhnung keine Menschenlosigkeit Gottes«.

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Einleitung

mit dem Beschluss der Gnadenwahl unter der Zielbestimmung, Bundespartner Gottes und damit Zeuge seiner Herrlichkeit zu werden.390 Die Bezeugung der Bundesgnade Gottes markiert das Telos kreatürlicher Existenz. Der Bund ist zugleich das Bewährungsfeld menschlichen Handelns: »Dieser sein erwählter Mensch soll« – und diese Bestimmung gibt den Inhalt des Gebotes Gottes, mit dem die Ethik nach Barth zu tun hat, in seiner allgemeinsten Form wieder – »als Zeuge seiner Herrlichkeit zugleich das offenbaren, bestätigen und wahrmachen, was Gott positiv ist und will, zugleich aber auch das, was Gott nicht ist und nicht will.«391 3.4.2. Schöpfung als Friedensordnung. Friedensethische Implikationen der Schöpfungslehre K. Barths Nicht nur innerhalb der Gotteslehre, sondern auch innerhalb der Schöpfungslehre wird die Teleologie der Wirklichkeit von Barth wahrgenommen und bundestheologisch expliziert.392 Die Teleologie der geschöpflichen Wirklichkeit

390 Die transsubjektive Bestimmung des Menschen, sein Telos, ist bei Barth anders als bei Aristoteles nicht im entelechischen Wirklichkeitsverständnis enthalten und kann deshalb auch nicht aus intersubjektiv feststellbaren Phänomenen wie etwa dem Glücksstreben oder dem Vernunftvermögen erkannt werden. Gleichzeitig besitzt der Mensch als Teil der geschöpflichen Wirklichkeit nach Barth unzweifelhaft ein Telos. Doch dieses kann nicht von der Schöpfung her als ein der »Wirklichkeit immanente[s] Telos« (ders., KD IV/1, 51) abgeleitet werden, sondern es wurzelt in Gottes Gnadenwahl, d. h. darin, »daß Gott sich selbst [in Jesus Christus; M.H.] zum Genossen und Freund des Menschen und daß er den Menschen zu seinem Genossen und Freund erwählt und bestimmt hat. Das ist Gottes Gnadengedanke, Gnadenwille, Gnadenbeschluß im Blick auf die Welt, bevor sie war« (a. a. O., 53). Für das aristotelische Wirklichkeitsverständnis gilt hingegen: »Mit Gedanken und Sätzen über ein angeblich erreichbares und erreichtes Telos der immanenten Entwicklung des geschöpflichen Seins kann man dem Telos und damit auch dem Anfang, der in Jesus Christus offenbar wird, nicht gerecht werden. Es wird nun einmal nicht zu übersehen sein, daß das Neue Testament im Blick auf Jesus Christus von einer neuen Schöpfung (Gal. 6, 15, 2. Kor 5, 17), von einem nach Gott geschaffenen neuen Menschen (Eph. 4, 24), nicht von einem höchsten Weiterleben des Menschen, sondern von seiner ›neuen Geburt‹ (Joh. 3, 3), ja von einem neuen Himmel und einer neuen Erde (Apok. 21, 1, 2. Petr. 3, 13) redet und daß es Jesus Christus selbst nicht als die Vollendung und höchste Gestalt des ersten Adam gepriesen, sondern in scharfer Gegenüberstellung (›Der erste Mensch ist von der Erde, irdisch, der zweite Mensch ist vom Himmel‹) den ›letzten‹ Adam genannt hat (1. Kor. 15, 44 f.).« A.a.O., 52. 391 Ders., KD II/2, 152. 392 Vgl. ders., KD IV/1, 8: »Es ist die Bestimmung des Heils für den Menschen und des Menschen für das Heil Gottes Ur- und Grundwille, der Sinn und der Grund seines Schöpferwillens […] damit es ein für das Heil, zu einem vollkommenen Sein, zur Teilnahme an seinem eigenen Sein bestimmtes, von ihm verschiedenes Wesen gebe, weil er als der in Freiheit Liebende beschlossen hat, Heilsgnade zu üben – und um dieser Heilsgnade einen Gegenstand, um sich selbst als deren Empfänger einen Partner zu geben, darum, zum

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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verdankt sich nach Barth der »Teleologie des göttlichen Werkes«393, wie es sich in der Geschichte des Bundes seinen Manifestationsort erhält bzw. Ereignis wird. Die Geschichte des Bundes und die in sie integrierte Geschichte der Schöpfung haben eine entscheidende pneumatologische Voraussetzung, garantiert doch der Heilige Geist als vinculum amoris und vinculum pacis Gottes Gnadenwahl und das in ihr enthaltene Ziel der Schöpfung, der Versöhnung und der Erlösung394 : »Dieser Gnadenratschluß und Gottes darauf begründeter Schöpfungswille hat aber seine notwendige innere Voraussetzung darin, daß die Einheit, die Liebe und der Friede zwischen Gott dem Vater und dem Sohn dadurch nicht etwa getrübt und gestört, sondern vielmehr überschwänglich verherrlicht wird, daß Gottes Wort Fleisch wird, daß Gott in seinem Sohn des Menschen Elend auf sich nimmt und wiederum des Menschen Erlösung zu seiner eigenen Sache macht«395. Das perichoretische Miteinander des dreieinen Gottes versteht Barth sowohl ad intra, also im Bereich der immanenten Trinitätslehre, als auch ad extra, also auch im Bereich der historischen oder ökonomischen Trinitätslehre, als Frieden. Der »Gott des Friedens« (1Kor 14,33; 2Kor 13,11) ist eben Barth zufolge ad intra kein anderer als ad extra. Gott entspricht sich selbst vielmehr gerade darin, dass er im tätigen Friedensstiften ad extra sein inneres friedensbewegtes Sein ad intra et ab intra vollzieht. Barth versteht die Schöpfung als materiale Voraus-Setzung des Bundes, als »die Erstellung des Raumes für die Geschichte des Gnadenbundes.«396 Die Bezogenheit des Bundes auf die Schöpfung und umgekehrt entfaltet Barth anhand seiner berühmten Doppelthese »in einem wechselseitigen differenzierten Begründungs- und Bedingungszusammenhang«397: »Die Schöpfung ist der äußere […] Grund des Bundes«398 (These 1) und: »Der Bund ist der innere Grund der Schöpfung«399 (These 2). Die erste These besagt, dass »[d]ie Absicht und also auch der Sinn der Schöpfung […] die Ermöglichung der Geschichte des Bundes Gottes mit dem Menschen [ist], die in Jesus Christus ihren Anfang, ihre Mitte und ihr Ende hat«400. Die zweite These besagt – wiederum in Barths eigenen Worten –, »[d]aß der Bund das Ziel der Schöpfung ist«401.

393 394 395 396 397 398 399 400 401

vornherein mit diesem Ziel und in dieser Absicht schafft, erhält und regiert Gott den Menschen.« Ders., KD III/3, 56. Vgl. ders., KD IV/2, 412: »Der Heilige Geist ist […] der Anwalt des Friedens«. Vom Heiligen Geist als vinculum pacis spricht Barth auch in: Das christliche Leben, 145. Ders., KD III/1, 62. Vgl. dazu: D.L. Migliore, Vinculum Pacis, 140 f.145.148. K. Barth, KD III/1, 46. H.T. Goebel, Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 349. K. Barth, KD III/1, 107. A.a.O., 261. A.a.O., 44. Dort kursiv. A.a.O., 362. So auch u. a. a. a. O., 106. B. Krause (Leiden Gottes – Leiden des Menschen,

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Einleitung

In aristotelischer Terminologie ausgedrückt,402 bildet die Schöpfung die causa materialis des Bundes, also dessen materielle Grundlage, ebenso wie der Bund die causa finalis der Schöpfung, sprich: deren Zweckbestimmung, das »Worumwillen« der Schöpfung bildet.403 Man wird jedoch, was den Gebrauch der aristotelischen Terminologie betrifft, sehr vorsichtig agieren müssen und nicht vorschnell vereinnahmen dürfen: Das Ergebnis von E. Jüngels Untersuchung zur Barthschen Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gesetz404 lässt sich nämlich in Bezug auf den Gebrauch aristotelischer Interpretamente auch auf die Relation von Bund und Schöpfung übertragen. Barth bewegt sich nämlich weder hier, noch dort im Rahmen aristotelischer Metaphysik. Dies wird evident, wenn man seinen Gebrauch des Begriffspaars »Form« und »Materie« betrachtet, der keineswegs der aristotelischen Zuordnung von forma und materia entspricht, wonach die forma das Wesen jeden Dings konstituiert:405 »War die Schöpfung der äußere Grund des Bundes, so war er ihr innerer Grund. War sie seine formale, so war er ihre materiale Voraussetzung.«406 Als Mittel zum Zweck der Ermöglichung der Bundesgeschichte ist die Schöpfung der erste Schritt auf dem Weg zum Ziel des Bundes. Sie repräsentiert den Anfang der Bundesgeschichte: »Das Besondere der Schöpfung besteht aber darin, daß sie unter Gottes Werken das erste ist.«407 Dieses erste Werk Gottes, die Schöpfung, bestimmt K. Barth als den Frieden: »Die Schöpfung ist der Friede: der Friede zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf und der Friede zwischen den Geschöpfen untereinander.«408 Die Schöpfung des Kosmos durch Gott sieht den Fall, jenen Friedensbruch, der die Zerstörung der mit der Schöpfung aufgerichteten Friedensordnung in ihrer korrelativen Dreidimensionalität als

402 403 404 405 406 407 408

215.217) bemerkt akkurat: »Obwohl Schöpfung und Bund nicht identisch sind, Welt und Heil immer noch differieren, muß aber die Weltgeschichte als teleolog auf die Erfüllung der Bundesgeschichte (samt ihrer eigenen Teleologie!) hingeordnet verstanden werden […]. Sie [die Weltgeschichte; M.H.] ist noch unterwegs zum Bund, und das umso mehr, als die Bundesgeschichte selbst noch unterwegs ist (Teleologie der Herrschaft des Auferstandenen zwischen Versöhnung und Erlösung) […]. Die teleologe Beziehung zwischen Bund und Welt (Bund = Weltziel) dient Barth also – verstehen wir recht – dazu, die offenbarungstheologisch-bundestheologische Sinndeutung der Welt nicht im Sinn einer analogia entis statisch festzuschreiben, sondern in Entsprechung zum erfüllten Bund und seiner Teleologie als ›im Werden‹ begriffen zu verstehen (analogia relationis).« Vgl. Aristoteles, Met. V/2, 1013a 24 ff., 1013b 21 ff. E. Jüngel (Die Möglichkeit theologischer Anthropologie, 544) bestimmt das Verhältnis von Bund und Schöpfung als das »von ermöglichender Möglichkeit und ermöglichter Möglichkeit«. Vgl. ders., Zum Verhältnis von Kirche und Staat nach Karl Barth, 98. So auch E. Busch, Die große Leidenschaft, 169. Aristoteles, Met. Z 7, 1032b 1 f. K. Barth, KD III/1, 262. K. Barth, KD III/1, 45. A.a.O., 235.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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Friedensordnung zwischen Gott und Mensch, Mensch und Mitmensch, Mensch und Tier bedeutet, keineswegs vor. In der postlapsarischen Zeit, die Barth als »Zeit der göttlichen Gnadenbundes«409 charakterisiert, erinnert das Verbot des Menschenmordes und das Verbot des Blutgenusses geschlachteter Tiere an diese praelapsarische Zeit, mithin also daran, dass Gott den Frieden und das allein ihm gehörige kreatürliche Leben will und gutheißt. Im Blick auf Barths Verständnis dieses teleologischen Verhältnisses von Schöpfung und Bund ist es entscheidend, dass er dieses Verhältnis weder als Identität noch als Nicht-Identität, sondern als das der Analogie beschreibt. Die Schöpfung ist Barth zufolge »die unmittelbare Entsprechung und Inkraftsetzung des göttlichen Vorsatzes, mit der Offenbarung seiner Herrlichkeit anzuheben.«410 H.T. Goebel kommentiert präzise: »[D]ie Schöpfung entspricht dem Bund, sofern sie sein äußerer Grund und er ihr innerer Grund ist, sofern sie seine Vorbereitung und technische Ermöglichung, sein Schauplatz ist und sofern sie selbst seine Vorbildung, sein Offenbarungszeichen, sein Sakrament ist. So läßt sich die Schöpfung verstehen als das analogatum des Bundes, das sein analogans hinter sich hat als seinen Anfang und seinen inneren Grund und seine innere Notwendigkeit, und das sein analogans vor sich hat als sein Ziel und als die Geschichte, zu deren Ermöglichung und Ereignung es da ist. Diese Umklammerung der Schöpfung durch den Bund als des analogatum durch das analogans gilt nicht nur von der Schöpfung als Akt, sondern gilt auf seine Weise auch von dem Geschöpf in seinem natürlichen Dasein und Sosein«.411 Nicht von sich aus, sondern dadurch, dass Gott den Bund als das Geschehen der Offenbarung seiner Herrlichkeit will und in Kraft setzt, entspricht die Schöpfung dem Bund. Die Schöpfung entspricht dem Bund dadurch, dass der Bundesgott die Schöpfung als das analogatum des Bundes zu seinem analogans in Entsprechung setzt. Gott selbst setzt die Schöpfung als das erste Werk der Bundesgeschichte voraus, und nicht die Schöpfung sich selbst dem Werk des Bundesgottes. Ein solcher Gedanke kann nach Barth nur im Modus des »als ob« einer pervertierten Ursprungsrelation, d. h. in einem deren Unumkehrbarkeit leugnenden Irrealis artikuliert werden. Die Schöpfung erschließt sich als Wirklichkeit nicht aus sich selbst, nicht etwa aufgrund einer Partizipation des Geschöpfs am Sein Gottes – wie es nach K. Barth die analogia entis will –, sondern wird in der Geschichte des bundesgemäßen Tuns der kooperierenden Bundespartner erschlossen:

409 A.a.O., 236. 410 A.a.O., 45. 411 H.T. Goebel, Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 350 f. Vgl. E. Busch, Die große Leidenschaft, 192.

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Einleitung

»Das Tertium der Entsprechung zwischen Schöpfung und Bund liegt also in dem, was Gott und sein Geschöpf tun, nicht in dem, was sie sind. Die Analogie begründet – in signifikantem Unterschied namentlich zur katholischen Lehrüberlieferung – keine Teilhabe der Kreatur an Gottes Sein. Sie hat nicht die Struktur der Analogia entis, sondern die wesentlich differenziertere Struktur der Analogia relationis. Denn es sind keine irgendwie vorfindlichen Größen, die hier in eine Beziehung zueinander gesetzt werden, sondern Geschehensvorgänge, lebendige Vollzüge: auf Seiten Gottes der Entschluß, zu einem außer ihm in ein Verhältnis des Bundes zu treten, auf Seiten des Geschöpfes die Bereitschaft und Eignung, diese Partnerschaft zu realisieren und ihren Sinn zu vollziehen. Unter dem Aspekt des Anfangs wie unter dem des Zieles – beides als Vollzugsformen ihres Werdens begriffen – ist die Schöpfung das analogatum des Bundes.«412

Was das teleologische Seins- und Wirklichkeitsverständnis anbetrifft, das Barth auch in der Schöpfungslehre bundestheologisch expliziert, so wird man es im wörtlichen Sinne als en-tel-echisch (en telei echein) charakterisieren können: Der das Ziel der Schöpfung bildende Bund richtet als lebendiges Ereignis alles Sein auf ihn aus. So war es nach Barth der Bund, »der als das der Schöpfung und dem Geschöpf gesetzte Ziel [telos] im voraus auch die Schöpfung nötig machte und bedingte, auch das Geschöpf bestimmte und begrenzte.«413 Barth kann sogar sagen, dass das Geschöpf »durch seine ganze Natur […] für diesen Bund bestimmt und disponiert« ist. Diese kreatürliche Disposition hat jedoch – wie Chr. Link trefflich bemerkt – »den Charakter einer geschichtlichen Hinwendung.«414 Disposition meint bei Barth im Unterschied zum aristotelisch-metaphysischen Entelechieverständnis nicht das Insichhaben, das Eingestiftet-Sein eines Zieles als angelegtes Vermögen, als angelegte Vollkommenheit des Seienden. Das Sein ist für Barth kein prozesshaftes Werden, das seinen Zweck schon keimhaft in sich trägt.415 Eine »geschichtslose Vorwahrheit«416 gibt es für Barth in der Schöpfung bzw. als Geschöpf ebenso wenig wie einen Gott der geschichtlichen Abstraktion, d. h. einen Gott einer statischen, von aller Geschichte abstrahierten Metaphysik, da schon die Ermöglichung, Vorbereitung und Grundlegung des göttlichen Seins und Verhaltens im Gnadenbund den Charakter einer konkreten geschichtlichen Besonderheit, Einmaligkeit und Bestimmtheit des Seins hat. Barth versteht – so E. Jüngel – »die Geschichtlichkeit als Konstitutiv des Seins, die Geschichte als Konstitutiv der Schöpfung […]. Das zu verstehen ist jedoch nur möglich, weil die Geschichtlichkeit von der Geschichte Jesu Christ […] her ermöglicht ist«417. 412 413 414 415 416 417

C. Link, Schöpfung, 264 f. K. Barth, KD III/1, 262. C. Link, Schöpfung, 278. Vgl. Aristoteles, Met. VII/ 9, 1034a 34 f. K. Barth, KD III/1, 71. E. Jüngel, Die Möglichkeit theologischer Anthropologie, 544. Dort z. T. kursiv.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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Wenn Barth den Bund als inneren Grund der Schöpfung, also als deren Ziel und Sinn bestimmt, dann bestimmt er zugleich die Geschichte Jesu Christi als deren Ziel und Sinn und zwar so, dass der Mensch in dieser Geschichte als Geschichte der Erfüllung des Bundes nicht die Rolle des unbeteiligten Zuschauers spielt, sondern »als Subjekt einer eigenen Geschichte dabei, und zwar nicht umsonst, nicht als passiver Zuschauer, nicht als bloßes Objekt, sondern sinnvoll beteiligt dabei ist.«418

3.4.3. Die Erfüllung des Bundes als Weltfrieden. Friedensethische Implikationen der Versöhnungslehre K. Barths Damit tritt nun das Geschehen der Erfüllung des Bundes und somit die »›dynamologische‹ Interpretation des göttlichen Versöhnungswerkes in der Geschichte Jesu Christi«419 bei K. Barth in den Blick. Bezüglich der Geschichtlichkeit des Menschen wird mit der Erfüllung des Gnadenbundes nun auch die Geschichtlichkeit des Menschen erfüllt und zwar so, dass sich im Geschehen der inkludierenden und exklusiven Stellvertretung, in dem der Richter an unserer Stelle tritt und sich richten lässt,420 die wahre Geschichte des Menschen, seine eigene Geschichte der Vernichtung des Sünders in Einheit mit dem »Geburtstag des neuen Menschen«421 ereignet.422 Der Mensch begreift im Glauben, dass »seine wahre Geschichte in ihm [Jesus Christus] geschehen ist«423 : »Das geschah damals und dort auf Golgatha. Wir waren dabei«424. Ist Christus »der Mensch, in welchem der Friede Tatsache ist«425, dann bedeutet »unsere Teilnahme an seinem Sein«426, die er selbst verwirklicht hat und die wir deshalb nicht mehr verwirklichen müssen, dass er auch unser Friede und unser Heil ist: »Der Friede zwischen Gott und uns Menschen und das uns Menschen zukommende Heil ist hier kein Allgemeines, sondern dieses Besondere als solches: das Konkrete, das mit dem Namen Jesu Christi und mit keinem anderen Namen anzuzeigen ist. Denn er, der diesen Namen trägt, ist selbst der Friede, ist selbst das Heil. Der Friede und das Heil können also gerade nur in ihm erkannt und darum nur unter seinem Namen verkündigt werden.«427 418 419 420 421 422 423 424 425 426 427

K. Barth, KD III/3, 54. H.-G. Geyer, Karl Barths Umgang mit der Osterbotschaft, 59. K. Barth, IV/1, § 59.2. A.a.O., 285. Vgl. G. Etzelmüller, … zu richten die Lebendigen und die Toten, 194. K. Barth, KD IV/1, 707. A.a.O., 325. A.a.O., 11. A.a.O., 14. A.a.O., 21 f. Vgl. ders., KD IV/2, 310.

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Einleitung

Das Ereignis der Versöhnung ist in theologischer Hinsicht die Bedingung der Möglichkeit adäquater friedensethischer Aussagen. Eine theologische Begründung friedensethischer Aussagen, die von der Versöhnung Gottes in Jesus Christus abstrahiert, entzieht sich des Grundes allen Redens von Gott und muss in sich als unbegründet zusammenbrechen, weil sie sich nicht auf den wahren Frieden als Versöhnung Gottes mit uns bezieht. Mit H.-G. Geyer gesprochen, gilt gerade deshalb für die Friedensethik: »Die Realität der Versöhnung in der Geschichte Jesu Christi ist für K. Barth die unbedingbare Voraussetzung eines adäquaten christlichen Nachdenkens in dogmatischer wie in ethischer Hinsicht.«428 Mit dem Versöhnungsgeschehen als der Ins-Recht-Setzung des von Anfang an erwählten Bundespartners bricht die teleologische Dynamik der Bundesgeschichte aber keineswegs ab. Sie wird auch keineswegs einfach perpetuiert, sondern will als Perfektum, als bereits erfüllte Bundesgeschichte anerkannt, erkannt und bekannt werden. Die »Kraft der Auferstehung Jesu Christi«, die aus der Erfüllung des Bundes als Stiftung des ewigen Friedens resultiert und daran erkennbar ist429, »daß sie den Menschen zugleich, miteinander, in den Frieden mit Gott, in den Frieden mit den Menschen und in den Frieden mit sich selbst treibt«430, will sich entfalten: Der Welt »Versöhnung schließt ein Vorwärts! in sich. Indem Gott sich mit sich selber versöhnt hat, hat er ihr eine entsprechende Zukunft geschenkt: Erlösung von jenem Gefälle zum Tode hin, Erlösung als Verewigung ihres zeitlichen, als Verjenseitigung ihres diesseitigen Lebens, als Überkleidung ihres vergänglichen Wesens mit Unvergänglichkeit, ihrer Menschlichkeit mit seiner, der göttlichen Herrlichkeit, Vollendung seiner Schöpfung durch die neue Schöpfung ihrer Gestalt im Frieden mit ihm, die auch die Gestalt ihres Friedens in und mit sich selber sein wird.«431 Nach Barth gelangt der Bund »nicht erst in seiner eschatologischen Selbstvollendung, d. h. in seiner universalen Offenbarung, zur Erfüllung, vielmehr greift er als in Christus schon erfüllter Bund auf seine universale Vollverwirklichung aus. Der erfüllte Bund ist 428 429 430 431

H.-G. Geyer, Karl Barths Umgang mit der Osterbotschaft, 57. Vgl. K. Barth, KD IV/1, 727. Ders., KD IV/2, 352. Ders., KD IV/3, 363. Dort z. T. kursiv. B. Klappert (Promissio und Bund, 270) betont zu Recht, dass die Bundesgeschichte Barth zufolge zwar eine »Apokalypsis der Versöhnung und des erfüllten Bundes« impliziere, »aber Apokalypsis des erfüllten Bundes meint bei Barth zugleich Neuschöpfung an den Dingen«. K. Barth (Der Götze wackelt, 111) antwortet in dem Interview »Brechen und Bauen« (1947) auf die Frage, ob am jüngsten Tag etwas Neues entstünde mit Verweis auf 2 Petr 3,13 (»Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt«): »Wer wohnt, wo Gerechtigkeit ist, bleibt im Frieden. Das ist das, dessen wir warten. […] Das Ende ist wohl das Ziel, aber es ist das Ziel Gottes, nicht das Ziel einer Entwicklung des Geschöpfes. Es ist die Enthüllung Christi, um die es geht.« Vgl. ders., KD IV/1, 283; KD IV/3, 757; KD IV/4, 219.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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die Selbstdurchsetzungsgeschichte des Gekreuzigten und Auferweckten, in der sich die Bundeserfüllung der Welt bezeugt und sich als Versöhnung und Erneuerung in der Weltwirklichkeit Raum schafft.«432 Damit ist das Werk des Heiligen Geistes angesprochen, der als »verlängerter Arm«433 Jesu Christi vom Vater und dem Sohn in die Welt gesandt wird, um »mit der Beute, dem Gewinn unseres Glaubens, unserer Erkenntnis, unseres Gehorsams, zu ihm zurückzukehren: nicht um dann bei ihm zu bleiben, sondern um zu neuer Einbringung solcher Beute wieder und wieder zu uns hin auszugehen, um also zwischen ihm und uns Kommunikation zu begründen, eine Geschichte wechselseitigen Gebens und Nehmens zu eröffnen.«434 Als Christus praesens will der Geist erneut unter uns Frieden stiften, indem er Menschen aus ihrer Einsamkeit und Vereinsamung in die Gemeinde als Ort der Bezeugung des »Gott mit uns« führt. Denn: »Der einsame Mensch ist der potentielle und in irgend einer feinen oder groben Form auch der aktuelle Feind aller Anderen«435. Für K. Barths Seins- und Wirklichkeitsverständnis ist nun charakteristisch, dass das Sein seine teleologische Dynamik nicht im metaphysisch-entelechischen Sinne in sich selbst trägt, sondern dass seine teleologische Dynamik aus dem neuen Kommen des Zuvor-Gekommenen resultiert. Unser Sein ist ein Sein im neuen Kommen des schon Gekommenen, in der Zeit der »Herrlichkeit des Mittlers«. Die »Zukunft des Gekommenen« (W. Kreck) dynamisiert gleichsam das Sein: »Unser Sein ist durch Ostern zu einem Sein im Neuen Kommen Jesu Christi geworden, zu einem Sein in seiner wirksamen Gegenwart. Er hat uns zu seinen Zeitgenossen gemacht; unsere Zeit ist Implikat seiner Parusie […]. Unser Sein ist zu einem Stehen in diesem Neuen Kommen Jesu Christi geworden – mögen wir Menschen nun dessen inne sein oder nicht. Für die aber, die dieses Neuen Seins durch die Kraft des Heiligen Geistes inne geworden sind, kann das nur die parteiliche Teilnahme am Kampf der Wahrheit des Neuen Seins für dessen Wirklichkeit und gegen jene Logik sein, der wir als Menschen des alten Äons unterworfen waren und der wir uns zu unterwerfen noch und immer wieder versucht sind.«436 Die Zwischenzeit zwischen Versöhnung und Erlösung437, oder besser : zwischen der ersten Parusie Jesu in der Auferweckung des Gekreuzigten und der

432 433 434 435 436 437

B. Krause, Leiden Gottes – Leiden des Menschen, 212. K. Barth, KD IV/2, 361. Ders., KD IV/3, 486. Ders., KD IV/2, 474. Vgl. dazu: E. Busch, »Der Mensch ist nicht allein«, 241. H.-G. Geyer, Karl Barths Umgang mit der Osterbotschaft, 64 f. Das Perfektum der Versöhnung und die noch ausstehende Erlösung fallen bei K. Barth (vgl. u. a. KD I/1, 430; KD IV/3, 366) keineswegs ineinander.

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Einleitung

dritten Parusie Jesu als Christus venturus438 in seiner letzten Wiederkunft hat als Zeit der Prophetie Jesu Christi im Heiligen Geist »den Charakter eines echten Kampfesgeschehens«439. Diese Zeit ist die Zeit der »teleologisch-dynamisch [en]«440 Herrschaft des gekreuzigten und auferweckten Christus als schöpferischer Durchsetzung und Bewährung der Versöhnung in einer Kampfesgeschichte. Die gesamte Bundesgeschichte ist gekennzeichnet durch den Kampf gegen das Nichtige441 in seiner Lügenexistenz, so dass man – wie H.-W. Pietz gezeigt hat – vom »Drama des Bundes« sprechen kann: »Der Eindruck eines ›undramatischen‹ Charakters der Theologie Karl Barths wird nur entstehen können, wenn man es bei Barth als Prinzip ansieht, daß die ganze Geschichte vom ›Ursprung in Gottes Willen und Dekret her wie ein Pfeil deren Ziel und Ende entgegenfliegt‹.«442 Die teleologische Dynamik der Bundesgeschichte expliziert K. Barth in einer dramatischen Denkform. Der Kampf ist noch im Gange,443 die bereits versöhnte Welt noch im Unfrieden mit sich selbst. Für die Glieder der christlichen Gemeinde gilt: »Die Dynamik der Teleologie, in der Jesus Christus im Tun seines prophetischen Werkes seinen Weg geht, erlaubt ihnen nichts anderes, als stets 438 Vgl. zur Lehre von der dreifachen Parusie Jesu Christi G. Etzelmüller, … zu richten die Lebendigen und die Toten, 227 – 234; K. Hafstad, Wort und Geschichte, 240 – 282; M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 197 f. und vor allem G. Oblau, Gotteszeit und Menschenzeit, 203 – 300, bes. 296 f. Oblau führt den Nachweis, dass einerseits die teleologische Perspektive Barths auch in seinem Spätwerk bestimmend bleibt und dass Barth andererseits »in seiner theologischen Spätphase die fatale Alternative von Teleologie und Axiologie überwindet und die Vorzüge beider eschatologischer Richtungen miteinander versöhnt.« A.a.O., 7. Vgl. auch a. a. O., 297. 439 K. Barth, KD IV/3, 453. Unter Verweis auf die zielgerichtete Kampfesgeschichte widerspricht B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 70; vgl. auch a. a. O., 123.354) nachdrücklich G. Sauters (Einführung in die Eschatologie, 76; Zukunft und Verheißung, 127: »Erfüllung kommt in Enthüllung zutage. Die Apokalypsis beherrscht die Eschatologie, eine Publikation dessen, was ontisch, von Gott aus, sub specie Dei zu sagen ist.«) Interpretation der Eschatologie Barths: »Man hat es Barth zum Vorwurf gemacht, daß er das Ziel des messianischen Befreiungskampfes Jesu Christi als Apokalypse und Enthüllung des perfectums universaler Versöhnung und also der universalen Rechtfertigung und Heiligung aller Menschen verstanden hat. Aber dabei wird nicht nur übersehen, daß die messianische Prophetie Jesu Christi, die die vollbrachte Versöhnung offenbart, selber noch den Prozeß einer Kampfesgeschichte von einem Anfang zu einem noch ausstehenden Ziel durchläuft […]. Es wird dabei auch übersehen, daß, gerade auch exegetisch geurteilt, der Bund, d. h. die wechselseitige Freiheitsbeziehung Gottes zum Menschen und die des Menschen zu Gott, den Exodus übergreift: Gott stellt sich im Exodus als der Gott der Väter vor. So daß auch das Ziel der Ansage des neuen Exodus immer ›nur‹ die erneuerte Bundesbeziehung zwischen dem Namen, Jahwe, und seinem Volk Israel sein wird.« Vgl. auch J. Webster, Barth’s Moral Theology, 77 – 97; M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 195 f. 440 K. Barth, KD IV/3, 192. 441 Vgl. M.D. Wüthrich, Gott und das Nichtige. 442 H.-W. Pietz, Das Drama des Bundes, 94. 443 Vgl. K. Barth, KD IV/3, 301.

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Entdeckungs- und Begründungszusammenhang der Friedensethik

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aufs Neue aufzubrechen.«444 Das teleologisch-dynamische Denken bricht bei Barth mit der Auferweckung als dem ontischen Grund und dem noetischen Zugang der Versöhnung nicht ab. Die Versöhnung, von Barth als des Menschen Rechtfertigung als Partner des erfüllten Bundes und des Menschen Heiligung zum Partner des erfüllten Bundes entfaltet, ist kein Ende, auch keine restitutio ad integrum, sondern ein Anfang: »Es hat (nämlich) des Menschen Rechtfertigung und es hat seine Heiligung ein bestimmtes Wozu und Wohin.«445 Von diesem »Wozu und Wohin« gilt: »Das eschatologisch-universale Ziel der sich als ›munus propheticum‹ Jesu Christi fortsetzenden Bundesgeschichte ist ihre Selbstvollendung als Versöhnungsgeschichte in der Erlösung der Welt.«446 Nachdem wir nun abschließend sozusagen mit wenigen Pinselstrichen unter bewusster Ausblendung der materialethischen bzw. explizit friedensethischen Passagen der Kirchlichen Dogmatik (in den der allgemeinen (II/2, §§ 36 – 39) und speziellen Ethik (III/4, §§ 74 – 78; IV/4 Fragment, §§ 74 – 78) gewidmeten und trinitätstheologisch als Gebot des Gottes, des Schöpfers, Versöhners und Erlösers konzipierten Bänden)447 die teleologische Dynamik von Barths »neuer Föderaltheologie« nachgezeichnet haben und dabei entdeckten, dass Barth sein Friedensverständnis in einem dezidiert bundestheologischen Rahmen entfaltet, ja, seine Friedenstheologie als Bundestheologie und seine Bundestheologie als Friedenstheologie entwickelt, wenden wir uns nun den beiden Hauptteilen (I. und II.) der Untersuchung zu.

444 445 446 447

A.a.O., 396. Ders., KD IV/1, 119. B. Krause, Leiden Gottes – Leiden des Menschen, 212. Vgl. K. Barth, Das christliche Leben, 9 und dazu: N. Biggar, Barth’s Trinitarian Ethic, 212 – 227.

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I. Christologische Grundlagen der Friedensethik Karl Barths

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1.

Die Anrufung Gottes im Namen Jesu als freier Grundakt des Friedenstiftens. Die Bedeutung von Karl Barths theologischem Namens-, Gebets- und Freiheitsverständnis für die christologische Grundlegung seiner Friedensethik

1.

Einwände der Kritiker K. Barths gegen seine christologische Grundlegung der Ethik

K. Barths christologische Grundlegung der Ethik ist in Bezug auf die ethische Theorie- und Urteilsbildung alles andere als unumstritten. Bemüht man sich um eine grobe Summierung der gegen sie erhobenen Einwände, so lassen sich drei wirkmächtige Vorwürfe eruieren, die bis in die Gegenwart hinein kolportiert werden. Da diese vielfach als eine Art »Vademecum« wirken und einen unvoreingenommenen Zugang zu seiner politischen Ethik versperren,1 seien sie bereits zu Beginn dieser Untersuchung kurz aufgegriffen und schlaglichtartig benannt. Die vorgebrachten Kritiken sollen hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt und analysiert werden, um anschließend im Detail widerlegt zu werden. Vielmehr geht es im Folgenden darum, sie als eine Art Aufhänger zu gebrauchen, um in die Problemkonstellationen der christologischen Grundlegung der Barthschen Friedensethik einzuführen. 1. Der erste Vorwurf, der etwa von M. Honecker erhoben wurde, besagt: Barths Theologie liefert die Ethik schutzlos dem Problem des christologischen Konstruktivismus bzw. Prinzipialismus aus.2 So führe Barth die Christusoffenbarung als ein konstruktives Prinzip in die theologische Ethik ein und meine, »alle für die Theologie wichtigen Aussagen auf einen einzigen Erkenntnisgrund zurückführen zu können und zu müssen.«3 Epiphänomen bzw. Folgeproblem dieses christologischen Konstruktivismus sei ein willkürlicher Gebrauch von Analogien, die gleichsam rhapsodischen Einfällen gleich würden: »Die Thematik der Analogie stellt sich als ethisches Problem erst aufgrund des christo1 Vgl. E. Hübner, »Monolog im Himmel«?, 64. 2 Vgl. M. Honecker, Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 97 – 111. Vgl. auch ders., Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi, 72 – 99. Ebenso H. Kress, Evangelische Sozialethik vor dem Problem der neuzeitlichen Säkularisierung, 137 ff. Vgl. auch W. Härle, Sein und Gnade, 313 ff. 3 Vgl. M. Honecker, Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 100. Dort kursiv.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

logischen Konstruktivismus, [der] Inanspruchnahme der Christusoffenbarung als der ethischen Antwort schlechthin.«4 Ethische Urteilsbildung solle nach Barths Vorstellung durch den Rückgriff auf ein einziges Prinzip geleistet werden, wogegen M. Honecker programmatisch einwendet: »Ethisches Urteil entsteht […] durch ein Zusammenwirken verschiedener Komponenten; es ist nicht aus einem Prinzip, aus einem Grundsatz zu deduzieren.«5 Es gehe nicht an, die Vielfalt der Wirklichkeit unter »eine einzige Norm, ein Prinzip zu zwingen.«6 2. Der zweite Vorwurf wurde in populärwissenschaftlicher, dafür aber umso wirkmächtigerer Weise von H. Zahrnt erhoben und besagt, dass Barths gesamte Theologie einem »Monolog im Himmel«7 gleiche, bei dem der Mensch eigentlich nur dem »ewige[n] Glockenspiel der Dreieinigkeit«8 lauschen dürfe9 : »Schuld an [dem] theologischen ›Höhenflug‹ Barths trägt nicht seine christologische Konzentration, sondern seine Ansiedlung dieser christologischen Konzentration im Himmel, die nochmalige Konzentration der christologischen Konzentration auf einen innertrinitarischen Vorgang. […] Die göttliche Dreieinigkeit hat in der Ewigkeit ein Drama geschaffen und unter sich, unter ihren drei Personen, uraufgeführt. Nun soll dieses Drama wie im Himmel auch auf Erden gespielt werden. Zu diesem Zweck schafft sie sich die Welt als Bühne und den Menschen als Zuschauer.«10 Der Bezug auf den Menschen, etwa auch in seiner politischen Situation,11 fehle der Theologie Barths in ihrer Geschichtslosigkeit, was – wie Zahrnt im Anschluss an R. Niebuhr12 betont – fatale Folgen für die Ethik zeitige: »Trotz aller 4 A.a.O., 106. Vgl. ders., Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi, 89. 5 Ders., Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 109. Dort kursiv. Vgl. ders., Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi, 91: Gegenwärtige theologische Sozialethik »kann nicht mehr einfach aus Prinzipien Anweisungen für den Einzelfall deduzieren, sondern sie muß in einer stetig sich wandelnden Welt neue, konkrete, christliche Verhaltensmuster finden.« 6 Ders., Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 110. 7 H. Zahrnt, Die Sache mit Gott, 141 – 154. Vgl. zur Barth-Interpretation von H. Zahrnt die Analyse von E. Hübner, Monolog im Himmel, 63 – 86. E. Hübner (a. a. O., 86) urteilt scharf: »Die Barth-Interpretation von Zahrnt dokumentiert, auf den Verfasser bezogen, einen Umgang mit seinem Gegenstand, der ebenso von Vorurteil wie von Leichtfertigkeit beherrscht wird.« 8 H. Zahrnt, Die Sache mit Gott, 154. 9 W. Härle (Sein und Gnade, 121) hat diesen Vorwurf dahingehend modifiziert, dass der Mensch bei Barth theologisch gesehen nur eine Marionette sei, die »Handpuppe« eines Bauchredners. Vgl. dazu hingegen: W. Krötke, Gott und Mensch als »Partner«, 158 – 175. 10 H. Zahrnt, Die Sache mit Gott, 142. 11 Auch W.-D. Marsch (Gerechtigkeit im Tal des Todes, 174) fragt kritisch, »ob sich […] ein christlicher Gehorsam im Sinne Barths nicht nolens volens von der politischen Situation überhaupt dispensieren muß. Denn: kann es eine politische Vernunft geben, die von vornherein darauf verzichtet, sich wirklich hineinzubegeben in die Situation?« 12 Vgl. R. Niebuhr, We Are Men and Not God, 1138 – 1140.

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Einwände der Kritiker gegen Barths Grundlegung der Ethik

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gegenseitigen Versicherung geht es Barth in der Theologie doch nicht um einen echten Dialog, sondern seine Theologie ist ebenso monologisch wie die Offenbarung Gottes, von der sie handelt. Was dieser Theologie des Wortes Gottes fehlt, ist der Bezug des Wortes auf die Situation, sowohl auf die konkrete Existenz des einzelnen Menschen, als auch auf die geschichtliche Entwicklung der ganzen Welt, und damit die Korrelation von menschlicher Frage und göttlicher Antwort. Dieser Theologie der Zuwendung Gottes zum Menschen fehlt die Zuwendung zum konkreten Menschen.«13 Ironischerweise zielt der Vorwurf des frühen S. Hauerwas an Barths Adresse in die umgekehrte Richtung, zumal seine Gebotsethik zu starkes Gewicht auf die einem Entscheidungsproblem zugrunde liegende Situation lege.14 Mit der Prädominanz von moralischer Situation und Entscheidung werde der tugendethisch in den Blick zu nehmenden Charakter des Entscheidungsträgers ausgeblendet.15 3. Im Namen der Freiheit des Menschen ist im Rahmen der sog. »Münchener Barth-Deutung«16 Einspruch gegen Barths Ethikkonzeption erhoben worden.17 13 H. Zahrnt, Die Sache mit Gott, 153 f. 14 Zur Auseinandersetzung mit dem Hauerwas-Vorwurf vgl. den Abschnitt II.1.3. der vorliegenden Untersuchung. 15 Vgl. S. Hauerwas, Character and the Christian Life, 177: »[T]he formal features of Bultmann’s and Barth’s ethics have prepared the way and context for the development of situation ethics. Bultmann and Barth, for different reasons, refuse to translate their theological insights into discernible forms of the moral life. Situation ethics has been able to step into this vacuum, as in a superficial way situation ethics seems to articulate logically the ethical implications of Bultmann’s and Barth’s theology. For example, the centrality of the language of command in Bultmann’s and Barth’s ethics is associated primarily with the language of decision-ethics is concerned with what we do rather than what we are.« So auch J.Wm. McClendon, Narrative Ethics and Christian Ethics, 383. Vgl. auch R.R. Reno, Stanley Hauerwas, 305. 16 Zur sog. »Münchener Barth-Deutung« vgl. die umfassende Untersuchung von S. Holtmann (Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien), der ein Panorama der unterschiedlichen, von T. Rendtorffs Deutung ausgehenden Ansätze der Barth-Interpretation aufzeigt, das von F. Wagner, F.W. Graf bis hin zu D. Korsch und G. Pfleiderer reicht. B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 338 – 343) kontrastiert eine »Münchener« und eine »Berliner Barth-Deutung« (H. Gollwitzer, F.-W. Marquardt, P. Winzeler). Vgl. auch D. Korsch, Dialektische Theologie nach Karl Barth, 80. M. Beintker (Die politische Verantwortung der Christengemeinde im Denken Barths) weist darauf hin, dass sich diese beiden Barth-Deutungen im Blick auf die politische Ethik trotz ihrer Kontraposition näher stehen, »als ihren Urhebern und jeweiligen Sympathisanten wahrscheinlich lieb ist.« Im Fall der Berliner Barth-Deutung »würde ein sozialistisch bzw. marxistisch strukturiertes Theorie-Praxis-Verhältnis zu den Konstitutionsbedingungen des Barthschen Denkens gehören. Es lasse sich nicht zufällig bis in die theologische Interpretation des Gottesgedankens zurückspiegeln und setze von daher das Engagement für den Umsturz ungerechter Verhältnisse ins Recht« (a. a. O., 149 f.). Hinsichtlich der »Münchener Barthdeutung« bemerkt M Beintker (a. a. O., 150): »Die Politikbestimmtheit des Barthschen Denkens läßt sich indessen auch andersherum fixieren, dann – vice versa – als Politik-Theologie-Konnexion mit unerwünschten Wirkungen ins Bild

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Dies gilt etwa für F. Wagner Totalitarismus-These, wonach »die inhaltliche Struktur der Barthschen Theologie nicht nur dem Sozialismus, sondern auch dem Faschismus und seiner Theoriebildung verwandt ist«18, womit Wagner einen in Barths Theologie vermeintlich auszumachenden »Zwang zur Gleichschaltung«19 meint. Dies gilt aber auch für F.W. Grafs These vom Antiliberalismus des »Weimarer Barth«, welche Graf gekoppelt mit einem Plädoyer für »eine Historisierung der Barth-Interpretation«20 entfaltet hat.21 Den Ausgangspunkt, ja gleichsam das Gründungsdokument der Münchener Barth-Deutung stellt allerdings T. Rendtorffs22 Aufsatz »Radikale Autonomie Gottes«23 dar.24

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gebracht: Barth erscheint in dieser Perspektive als der große Antiliberale und Kulturpessimist, dessen Denken in einem zutiefst gestörten Verhältnis zur Neuzeit befangen sei und folgerichtig autoritär (faktisch demokratieschädigend) gewirkt habe. Der Streit, der um die Sachlogik der expliziten Aussagen Barths auszutragen wäre, wird als Streit um die jeweils vermuteten gesellschaftspolitischen Hintergrundannahmen seines Denkens geführt. Dabei kann man sicher Interessantes zu Tage fördern. Ob man so aber auch dem theologischen Anspruchsniveau des Barthschen Denkens Gerechtigkeit widerfahren lassen kann? Auf jeden Fall sollte man es nicht vorschnell ermäßigen.« M. Beintker (ebd.) hinterfragt beide Deutungen m. E. treffend und gibt zugleich methodisch das zum Ziel (einer theologisch angemessenen Deutung Barths) führende Instrumentarium an: »Der aussichtsreichste Weg scheint immer noch die geduldige Textlektüre zu sein, die selbst dann zu einem herausfordernden Unternehmen wird, wenn der Interpret ganz unprätentiös und konventionell vorgeht.« Vgl. T. Rendtorff, Zur Krise und Kritik des neuzeitlichen Liberalismus, 567 f.: »Der Bezugspunkt, auf den sich die Auseinandersetzung mit Barth bezieht, ist […] die Kritik am neuzeitlichen Autonomie- und Freiheitsverständnis, sofern dieses unmittelbar fürs individuelle menschliche Subjekt in Anspruch genommen wird.« F. Wagner, Theologische Gleichschaltung, 41. A.a.O., 42. F.W. Graf, »Der Götze wackelt«?, 422. Dort kursiv. Auf die Gegendarstellung H.E. Tödts (Karl Barth, der Liberalismus und der Nationalsozialismus, 536 – 551) reagiert F.W. Graf (Der Weimarer Barth, 555) mit Verweis auf seinen methodischen, an modernisierungstheoretischen Fragestellungen einer kritischen Sozialgeschichtsschreibung und Wissenschaftsgeschichtsforschung orientierten Zugang zur Zeitgeschichte und sein wissenschaftliches Ethos als Historiker, das demjenigen des Theologen H.E. Tödt zuwider laufe: »H.E. Tödt vertritt ein von unmittelbarer Zeitgenossenschaft geprägtes, stark moralisches Geschichtsbild, das wesentlich an Werturteilen aus der Zeit des Kirchenkampfes orientiert ist.« Dazu bemerkt A. Rasmusson (Theology in the Weimarer Republic and the Beginning of the Third Reich, 160) berechtigterweise: »This type of rhetoric is, of course, common in the academy. I do history, you do politics, theology, and so on. But it is quite disingenuous, especially in this case. The history writing of the Rendtorff-Graf type is so obviously embedded in a theological program. It is quite unavoidable. What is questionbegging is the description of one’s own approach as rigorously historical and the opponents’ as moralistic and theological.« Zu Rendtorffs Barth-Interpretation vgl. S. Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien, 21 – 172; M. Laube, Theologie und neuzeitliches Christentum, 452 – 485, A. Rasmusson, Historiography and Theology, 155 – 180, und vor allem Chr. Link, Theologie auf der Höhe der Zeit?, 229 – 245. Vgl auch ders., Bleibende Einsichten von Tambach, 333 – 346. In: T. Rendtorff, Theorie des Christentums, 161 – 181. So S. Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien, 21.

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Einwände der Kritiker gegen Barths Grundlegung der Ethik

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Rendtorff bemüht sich darum, das Freiheitsverständnis Barths in seine eigene Theorie des Christentum einzuzeichnen, um es – in Rendtorffs eigenen Worten – statt zu destruieren »auf dem Wege der Integration in eine neue Deutung der Theologie der Neuzeit kritisch ›aufzuheben‹.«25 Rendtorff benennt die Intention seiner Interpretation der »Kirchlichen Dogmatik« in der Fluchtlinie seiner eigenen Theorie des Christentums als In-Schutz-Nahme der Barthschen Theologie vor solchen Verehrern, die in ihr eine »Repristination vorneuzeitlicher Theologie«26 erblicken würden. Barths Theologie führe nicht hinter die Einsichten der Aufklärung zurück, sondern repräsentiere eine Etappe bzw. Vorstufe auf dem Weg des Fortschritts der Christentumsgeschichte bzw. der neuzeitlichen Realisationsgeschichte von Freiheit. Als Etappe bzw. Vorstufe leide Barths Konstruktion von Subjektivität am Ort des Gottesbegriffs allerdings noch daran, dass das Handeln des Menschen und mit ihn die Ethik zugunsten der »radikalen Autonomie Gottes« entwertet werde: »Der völlige Sieg der Autonomie ist erst erreicht, wo das Handeln des Menschen stillgelegt ist.«27 Rendtorff trifft diese Einschätzung vor allem im Blick auf die frühe Theologie Barths zur Zeit des zweiten Römerbriefes (1922). Allerdings zeigt sich bei genauerer Hinsicht, dass Rendtorff auch den Barth der »Kirchlichen Dogmatik«, der die Christologie als dogmatische Fassung des Autonomieproblems konzipiere,28 in den Blick nimmt. Rendtorff meint, eine ekklesiologische Variation des Gedankens einer Aufhebung der Autonomie des Menschen zugunsten derjenigen Gottes erkennen zu können. Diese vermeintliche Erkenntnis ist freilich – bei Lichte betrachtet – wiederum auf Rendtorffs eigene Fortführung der neologischen Separation von »Kirchlichkeit und Christlichkeit« hin transparent: »Jesus Christus kann sehr wohl seine eigenen, direkten Wege zum Menschen gehen. Er ist auf die Kirche nicht angewiesen. […] Das christologische Prinzip bedeutet also potentiell die Liquidation, die Auflösung der Kirche.«29 25 26 27 28 29

T. Rendtorff, Selbstdarstellung, 67. Ders., Theorie des Christentums, 174. A.a.O., 170. Vgl. a. a. O., 173. A.a.O., 178. Von einer Auflösung der Ekklesiologie zugunsten der Christologie kann freilich mitnichten bei Barth gesprochen werden. Vielmehr wird man umgekehrt mit H.-P. Grosshans (Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 114) konstatieren können, »daß durch die vollkommene christologische Bestimmtheit der Kirche die Ekklesiologie nicht aufgehoben, sondern aufgewertet wird, da der Kirche damit eine eminent soteriologische Bedeutung zukommt. Denn die Kirche ist die Form, in der Jesus Christus irdischgeschichtlich existiert und handelt.« Oder mit J.L. Mangina (Bearing the Marks of Jesus, 272) gesprochen: »Christ’s being enfolds that of the church«. Wie C. O’Grady (The Church in the Theology of Karl Barth, 254) darüber hinaus deutlich gemacht hat, ist die Ekklesiologie Barths bereits in seiner Erwählungslehre fest verankert: »As surely as Jesus Christ was elected from and to all eternity as the Verbum incarnandum in His concrete humanity and visibility, so surely in the same Jesus Christ God has elected His community from and to all

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Die Ausführungen dieses Kapitels setzen sich kritisch mit den gegen Barths christologische Grundlegung der Ethik vorgebrachten Einwänden auseinander. Sie folgen der thematischen Trias: Name (2.1.) – Gebet (2.2.) – Freiheit (2.3.), mithin also jenen Stichworten, denen sich die drei oben genannten Einwände zuordnen lassen und die ein Gliederungsprinzip des gesamten vorliegenden Kapitels (I.1.) vorgeben. Besagte Trias folgt zugleich der Überschrift dieses Kapitels: Die Anrufung Gottes im Namen Jesu als freier Grundakt des Friedenstiftens.

2.

Name statt Prinzip: Die Nennung des Namens Jesus Christus als präventive Gegenbewegung zur Profanisierung des lebendigen Christus zum regulierenden Material-, Erkenntnis- und Formalprinzip der Friedensethik

2.1.

Christus als Grund. Die christologische Begründung der Friedensethik ohne »Materialprinzip Christologie«

»Barths Ethik ist fundiert in seiner Christologie.«30 So hält es das kulturelle Gedächtnis fest. Zu fragen ist freilich, inwiefern dies tatsächlich der Fall ist. Wie sieht etwa Barths christologische Fundierung der Friedensethik aus? Kann man wirklich von einem christologischen Prinzipialismus sprechen, wie M. Honeckers Einwand insinuiert? K. Barths christologische Grundlegung der Friedensethik lässt sich als Explikation von 1Kor 3,11 verstehen: »Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus«.31 Im Sinne einer »konsequenten Exegese«32, d. h. einer nach biblischen Einsichten fragenden und sie eternity in its very being ad extra, in its visibility and worldliness.« Vgl. dazu auch: W. Krötke (Die Kirche als »vorläufige Darstellung«, 87), der auf K. Barths (KD IV/1, 769) Bemerkung verweist, wonach es in der Orientierung an der in Christus konzentrierten Geschichte Gottes mit der Menschheit »kein legitimes Privatchristentum« gibt. Zur Ekklesiologie Barths vgl. fernerhin Abschnitt I.2.1.9. der vorliegenden Untersuchung. 30 W. Lienemann, Reich und Geschichte, 373. So auch C. Green, Freedom for Humanity, 99: »Barth’s ethic of peace is grounded christologically, for the command of Jesus that we should love our enemies (Matt. 5:44) is rooted in God’s being and action in the incarnation, cross, and resurrection.« 31 Vgl. M. Trowitzsch, Karl Barth heute, 86. 32 So hat E. Jüngel (Gottes Sein ist im Werden, 123 (Epilegomena 1975)) die Dogmatik gelegentlich genannt: »Meine Paraphrase des Barthschen Gottesverständnisses war im Unterschied zur derzeitigen Unbekümmertheit, die sich die systematische Theologie hinsichtlich ihrer exegetischen Grundlagen weithin glaubt leisten zu können, von der Prämisse geleitet, daß Dogmatik konsequente Exegese ist. Unter dieser Voraussetzung habe ich Barths Kirchliche Dogmatik gelesen und wollte ich meine Ausführungen verstanden wis-

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Name statt Prinzip

bedenkenden Dogmatik,33 will Barth beachtet wissen, dass Jesus Christus selbst und nicht etwa die Christologie in diesem erkenntnisleitenden Bibelwort als Grund identifiziert wird. Dieser Umstand ist auch für Barths Friedensethik von grundlegender Bedeutung: Sie gründet nicht auf dem vermeintlichen fundamentum inconcussum34 einer Christologie, also keineswegs auf einer lehrhaften Darstellung des Bekenntnisses zu Jesus Christus bzw. einer mehr oder weniger definiten, Person und Werk Jesu Christi betreffenden Reflexionsgestalt theologischer Lehre, die gleichsam als universales Erkenntnisprinzip postuliert werden könnte. In seiner Reaktion auf den Vortrag »Vom Primat der Christologie«35, den sein Freund Hans Joachim Iwand im Jahr 1956 auf der Tagung der »Gesellschaft für Evangelische Theologie« hielt, bemühte sich K. Barth darum, dies klarzustellen: »Es geht nicht um Christologie, auch nicht um Christozentrik und christologische Orientierung, sondern es geht um Ihn selber. Und alle Beschäftigung mit Christologie […] kann doch nur kritische Hilfsarbeit sein, um zu dem Punkt vorzudringen, wo es dann geschehen mag, dass es heißt wie bei den Jüngern auf dem Berg der Verklärung: ›Sie sahen niemand denn Jesum allein‹.«36 In dem unter dem Titel »Das christliche Leben« erschienenen Fragment der Versöhnungsethik Barths kommt die Direktheit des für alle christliche Lehre konstitutiven Christusbezuges wohl am deutlichsten zum Ausdruck: »Er ist das Neue – Er das in kein System menschlicher Begrifflichkeit einzufangende, nur eben in Gleichnissen offenbare und erkennbare Geheimnis – Er der in konkreter Tat inmitten der irdischen Geschichte handelnde Gott. Er ist der, der die, die ihn erkennen, zu gehorsamem Wollen und Tun aufruft und doch allem menschlichen – auch allem noch so ernst und fromm christlichen Wollen und Tun, der auch dem Wort und Werk der christlichen Kirche gegenüber frei ist und bleibt – eben als ihr freier Herr der Ursprung, Gegenstand und Inhalt ihres Zeugnisses an die Welt. Er ist die totale und definitive Begrenzung der menschlichen Ungerechtigkeit und Unordnung, der dämonischen Zwischenwelt der entfesselten Gewalten: ihr Überwinder, der siegreiche

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sen.« Vgl. zum Verständnis dieses Syntagmas M. Weinrich, »Die neue Welt in der Bibel«, 437 ff. Nach Barth wäre »konsequente Exegese« wohl nicht anders zu betreiben als eingedenk des Bekenntnis zu Jesus Christus als der »selbstverständliche[n] Voraussetzung des biblischen Zeugnisses« (K. Barth, Credo, 45). Man wird bezüglich der daraus erwachsenden Lesart mit R.B. Hays (The Moral Vision of the New Testament, 236) von Barths »christocentric reading of biblical ethics« sprechen können. Hays zufolge gilt: »[C]hristocentric reading of biblical ethics causes Barth, in his discussion of war, to place an unusually heavy emphasis on peacemaking as the calling of the church.« R. Descartes (Meditationen I/1, 15) möchte bekanntlich mit seiner Suche nach dem fundamentum inconcussum bei einem absoluten Nullpunkt des Denkens anfangen und »von den ersten Grundlagen an neu beginnen«, um »für etwas Unerschütterliches und Bleibendes in den Wissenschaften festen Halt [zu] schaffen«. H.J. Iwand, Christologie, 464 – 479. K. Barth zit. nach E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 426.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Feind aller Feindschaft der Menschen gegen Gott, gegeneinander und gegen sich selbst. Er war das damals in seiner Geschichte, auf seinem zu seiner Zeit betretenen und bis zum Ende begangenen Weg nahe herbeigekommene Reich Gottes. Man muß betonen: Er – kein noch so hohes oder tiefes Es also! Keine transzendente Lichtwelt etwa, kein ursprüngliches und letztverbindliches Moralgesetz, kein in sich ruhender und bewegter Seinsgrund als Ursprung und Ziel alles Seienden, keine neue, als bessere oder beste sich durchsetzende Weltanschauung, Pädagogik und Politik, aber auch kein in seiner vollkommenen Liebe, Reinheit, Demut usw. exemplarischer oder in seiner Originalität faszinierender Inbegriff menschlichen Personlebens – und schließlich auch keine den Triumph der Gnade triumphal proklamierende christliche Dogmatik und also auch keine Lehre über ihn, keine Christologie also und so auch keine Lehre vom Reiche Gottes! Sondern schlicht und exklusiv Er selbst: Gottes Werk zum Heil der Welt, nämlich zu ihrer Versöhnung mit Gott vollziehend und vollendend«.37

Barth spielt hier auf die Klarstellung an, zu der er sich durch G.C. Berkouwers monographische Darstellung seiner Lehre von der Gnadenwahl unter dem Titel »Der Triumph der Gnade« veranlasst sah. Barth hebt in seiner Replik ebenfalls den Derivatcharakter der seinen Ansatz vermeintlich kennzeichnenden Schlagworte »Christozentrismus« und »Christologie« hervor : »Ob wohl der Titel und also das Stichwort auch lauten könnte: ›Der Triumph der Gnade‹? Das könnte in der Tat dasselbe anzeigen, was hier anzuzeigen ist. Ist doch der Begriff ›Gnade‹ zweifellos eine zutreffende, tiefe und an ihrem Ort notwendige Umschreibung des Namens Jesu. Indem Jesus siegt, triumphiert die in ihm erschienene Gnade Gottes (Tit. 2, 11). Aber die Aussage, um die es hier geht, ist so zentral und so gewaltig, daß es besser ist, den Namen Jesu nicht nur zu umschrieben, sondern zu nennen. ›Triumph der Gnade‹ könnte mindestens den Eindruck erwecken, als ob hier die Überlegenheit und der Sieg eines Prinzips, eben der ›Gnade‹ über ein anderes, das dann wohl als das Böse, die Sünde, der Teufel, der Tod zu charakterisieren wäre, angezeigt sein sollte. Es geht aber nicht um den Vorrang, Sieg und Triumph eines Prinzips – und wenn dieses das Prinzip der Gnade wäre! – sondern um den der lebendigen Person Jesu Christi! Genau genommen nicht die Gnade, sondern genau genommen Er als ihr Träger, Bringer und Offenbarer ist der Sieger, ist das Licht, das von der Finsternis nicht überwältigt wird, vor dem die Finsternis vielmehr zurückweichen, um endlich und zuletzt ihrerseits von ihm überwältigt zu werden.«38

Als in den 1950er und 1960er Jahren das Schlagwort von der »christologischen Konzentration« grassierte, betonte Barth – sich gegenüber diesem Begriff zwar nicht verweigernd, wohl aber seinem inflationär-leichtfertigen und unüberlegten Gebrauch gegensteuernd, dass es sich dabei um einen terminus derivatus handelt, man sich also bewusst machen müsse, dass besagte Konzentration

37 K. Barth, Das christliche Leben, 435 – 437. 38 Ders., KD IV/3, 197 f.

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Name statt Prinzip

»schon etwas Abgeleitetes ist, nur eine theologische Artikulationsweise, Ausdruck dafür, daß Jesus Christus selbst das A und O des Handelns Gottes ist«39. Dieser Derivatcharakter soll nach Barth auch die theologisch qualifizierte Rede vom Frieden prägen. Sie kann ihre Logik nur aus dem Handeln Gottes in Jesus Christus gewinnen. Auf Jesus Christus selbst hin hat die Friedensethik in einer nach-denkenden Denkbewegung zu re-flektieren,40 da allein vom ihm gilt: »In seiner Lebenstat siegt, behauptet und offenbart sich der Friede der Schöpfung. Er ist und offenbart das Trotzdem! des dem Chaos überlegenen Schöpfers, das Durchhalten seines guten Schöpferwillens. In Ihm siegt, behauptet und offenbart sich aber darüber hinaus der Friede des Bundes, die Solidarität Gottes mit dem Menschen, seine vollkommene Zusammengehörigkeit seines Volkes mit ihm, der seiner Gnade entsprechende Dank der menschlichen Kreatur und so die Teleologie der göttlichen Erhaltung und Regierung der Geschöpfwelt.«41 Geht es Barth um den lebendigen Christus und nicht die Bannung dieses lebendigen Christus »in Prinzipien, in Gedankengebäude[] und Systeme[], in Pläne[] und Programme[], in Träume[] und Ideologie, die wir zur Ehre Gottes entwerfen«42, dann darf er keiner christologischen Prinzipialisierung der Friedensethik das Wort reden, da auch die Christologie selbst zur Produktionsstätte von Jesusbildern, zur systematisierten Projektion des eigenen Ichs zu einem »Jesus-Götzen« bzw. »Kultobjekt Jesus« degenerieren kann.43 Anders als M. Honecker behauptet, setzt Barth keinen theologischen Grundbegriff, auch nicht den der Christologie, »an den Anfang der ethischen Reflexion, von dem her dann geurteilt wird.«44 39 D. Schellong, Barth lesen, 61 f. 40 Die Denkbewegung der gesamten Theologie ist für K. Barth (vgl. z. B. KD I/1, 93; Einführung in die evangelische Theologie, 26) eine nach-denkende. Im Zuge seiner AnselmAuslegung (vgl. Fides quaerens intellectum, 40 f.) arbeitet Barth heraus, dass das intelligere bei Anselm als intus legere (nach-denken) zu verstehen ist. Vgl. Anselm von Canterbury, Proslogion I,82: »desidero aliquatenus intelligere veritatem tuam, quam credit et amat cor meum.« K. Barth (Fides quaerens intellectum, 53) verfolgt nach eigener Aussage die »Absicht, das verborgene Gesetz des Glaubensgegenstandes […] nachdenkend selber zu denken, es eben damit aufzuweisen und so […] zu erkennen: die noetische ratio wird zur Entdeckung der ontischen ratio, indem sie ihr folgt«. Vgl. M. Beintker, Die Dialektik in der »dialektischen Theologie« Karl Barths, 185 f.; ders., …alles Andere als ein Parergon, 107 – 112; E. Jüngel, Provozierende Theologie, 47; W. Lienemann, Grundinformation Theologische Ethik, 56; Chr. Link, Fides quaerens intellectum, 98 f. 41 K. Barth, KD IV/2, 186. 42 Ders., Vier Predigten, 39. 43 Das gilt insbesondere dann, wenn man unter »Christologie« bereits die rekonstruierte Lehre des »historischen Jesus« versteht. Vgl. dazu die instruktiven Ausführungen D. Schellongs (Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?, 28 ff.). Fernerhin: O. Hofius, Die Frage nach dem »historischen Jesus« als theologisches Problem, 79 – 115; K. Wengst, Der wirkliche Jesus?. 44 M. Honecker, Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 109.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Auch für die Christologie gilt grundsätzlich: »Die Wahrheit, um die es der Theologie geht, entzieht sich prinzipiell der Möglichkeit, von Lehre umfaßt zu werden, geht es doch um den lebendigen Christus und die von ihm regierte Welt.«45 Und ebenso gilt auch und in gleicher Weise für alle Christologie und Theologie Treibenden: »Gefangene eines Prinzips und Systems, heiße es, wie es wolle, sind dem Kampf gegen den Götzendienst nicht gewachsen, weil sie selber noch Götzendienst treiben.«46 Wenn im Folgenden der Begriff »Christologie« gebraucht wird, so wird unter Christologie stricte dictu die Explikation des Namens Jesus Christus als dem concretissmum der Gottesoffenbarung verstanden,47 d. h., dass der adjektivische bzw. substantivische Gebrauch von »christologisch« bzw. »Christologie« eingedenk des Prinzipienvorbehalts K. Barths bzw. seiner Relativierung der Rede von der »Christologie« geschieht. Freilich fällt nicht jede Ausprägung von Christologie per se unter das Verdikt des Götzendienstes, wohl aber eine solche Christologie, die aus der Christologie ein Prinzip macht: »Auch aus der Christologie ist kein Prinzip zu machen. Wenn man eine große Wahrheit ungeschützt heraushebt, so entsteht Häresie. Die Wahrheit ist auch [durch] die ›Christozentrik‹ nicht in Besitz zu nehmen – wie wenn ein Kind mit dem Weihnachtsgeschenk davonläuft. Eine Christozentrik als Prinzip ist abwegig. Man gibt Gott die Ehre, wenn man ihn so sein läßt, wie er sich gegeben hat, als Vater, Sohn und heiliger Geist.«48 Wird Jesus Christus in ein christologisches Prinzip transformiert, so verliert er die Lebendigkeit eines handelnden Subjektes:49 »Jesus Christ

45 M. Weinrich, Kirche glauben, 120. Ebenso ders., Christus als Zeitgenosse, 209. 46 K. Barth, Vier Predigten, 45. 47 Vgl. T. Rendtorff, Theorie des Christentums, 173: »Die Kirchliche Dogmatik ist durch und durch christologische Dogmatik. […] Denn das einzige, was der christliche Theologe guten Gewissens und ohne Hemmungen sagen kann, wenn er der radikalen Autonomie Gottes erkenntnistheoretisch und seinsmäßig gerecht zu werden versucht, ist Jesus Christus. […] [D]as einzige, was man wirklich guten Gewissens sagen könne, sei der Name Jesus Christus.« 48 K. Barth, Gespräche 1959 – 1962, 130 (Gespräch mit Vertretern der Herrnhuter Brüdergemeine am 12. 10. 1960). Barths eigene Äußerungen setzen das wirkungsgeschichtliche Empfinden gegenüber seiner als »Christomonismus« desavouierten Theologie ins Unrecht. Dazu bemerkt G. Sauter (Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 343) luzide: »Die Formel ›Christomonismus‹ ist, wenn man sie recht versteht, nicht ein Schlag- oder gar Schimpfwort für eine Christus-Begeisterung, die das Blickfeld verengt (dann müsste man von ›Christomanie‹ sprechen), sondern sie kennzeichnet ein philosophisches, im engeren Sinne systematisches Programm. ›Monismus‹ ist die Letztbegründung aller Wirklichkeit aus einem Prinzip, im Gegensatz zum Dualismus, der zwei einander entgegengesetzte letzte Gründe der Wirklichkeitserklärung annimmt.« 49 Insofern der »lebendige Christus« als das christologische concretissimum bestimmt wird, erweist sich die Beobachtung H. Stickelbergers (Ipsa assumptione creatur, 63) als zutreffend: »Barths Prinzipienfeindlichkeit hat ihre Wurzeln im christologischen concretissimum«.

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Name statt Prinzip

is not a principle«50, sondern »vielmehr eine lebendige, und zwar die mit Anspruch und der Autorität Gottes auftretende, redende und handelnde menschliche Person.«51 Treffliche Christologie folgt der Selbstbewegung ihres Gegenstandes und zwar wissend, dass dieser, sprich: der lebendige Christus nicht in den logos apophantikos gleichsam hinein gebannt werden will und kann. Selbst der Begriff »Christologie« kann ihn nicht fassen. Deshalb sollte sich die Theologie hüten, den Begriff »Christologie« so zu gebrauchen, als könnte sie in einem Begriff sozusagen in nuce alles zusammenziehen und als hätte sie mit der Nennung dieses Begriffs bereits alles gesagt. Als eine Art Weltformel oder Generalnenner eignet er sich nicht. Wie alle semantisch auf Christus verweisenden Begriffe, bemisst sich seine Adäquanz daran, ob und inwiefern er geeignet ist, »die Fülle der Gegenwart Jesu Christi in aller Vielfalt menschlicher Erfahrung wahrzunehmen.«52 Rekurriert man auf die seit W.M.L. de Wette in der theologischen Prinzipienlehre gebräuchliche Rede vom Materialprinzip als der Erkenntnisquelle, aus der jedweder Inhalt der Theologie gewonnen werden kann, so wird man im Blick auf Barth mit G. Sauter feststellen können: »Zwar kommt die Theologie nicht ohne Begriffe aus, aber der Theologe muß sich des Risikos bewußt sein, das er eingeht, indem er sie gebraucht. Begriffe dürfen sozusagen nicht gerinnen. Barths Dogmatik hat deshalb auch kein ›Materialprinzip‹, wie es viele Theologen im 19. Jahrhundert nannten: etwa die Rechtfertigungslehre oder das Reich Gottes. Nicht einmal der Versöhnungsbegriff ist ein solches Materialprinzip für Barths Theologie«53. Auch die Friedensethik, die sich als christologisch grundgelegt begreift, wird Jesus Christus nicht auf das festlegen, ihn nicht zu dem formieren dürfen, was sie als das Wahre und Gute, als Friedfertigkeit und Friedensdienst versteht, um Jesus Christus zum Inbegriff und zur Idee all dessen zu deklarieren. Barth hat gerade deshalb auf eine »christologische Konzentration«54 in der Ethik gedrängt, »weil er damit jeder Welterklärung, jeder ›Weltanschauung‹ in Kirche und Theologie als Quelle christlicher Verkündigung wehren wollte«55. Barth tat dies allerdings – wie gesagt – in vollem Bewusstsein dessen, dass selbst dieser Ausdruck »doch nur einen Vordergrund«56 bezeichnet: »Die gedankliche Bewegung dieser Konzentration, als solche wichtig genug, stellt ihrerseits etwas Nach-

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G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 211. K. Barth, KD IV/3, 808. G. Sauter, Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 344. So G. Sauter (a. a. O., 340). K. Barth, Der Götze wackelt, 186 (How My Mind Has Changed). G. Sauter, Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 344. M. Trowitzsch, Nachkritische Schriftauslegung bei Karl Barth, 95.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

trägliches dar (wie alle Theologie), lediglich eine Erwiderung: sie erwidert sich dem freien Entgegenkommen Jesu Christi selbst.«57

2.2.

Christus als Erkenntnisprinzip? Der Name Jesus Christus als Referenzmittel und der Hinweischarakter theologischer Rede vom Frieden

Dafür, dass Jesus Christus kein Prinzip ist, keine instrumentell-methodische Grundlage innerhalb eines theologischen Begründungszusammenhangs, steht Barth zufolge Jesu Name: »Wäre er ein Prinzip und nicht ein Name, der eine Person bezeichnet, so müsste man sagen: er ist schon das Erkenntnisprinzip dieser Botschaft. Wo es zwischen Mensch und Mensch tatsächlich zur Kommunikation des Berichtes von dem in ihm und durch ihn Geschehenen kommt, da ist er selber auf dem Plan und in Aktion, da macht er sich selbst erkennbar und bekannt.«58 G. Hunsinger bemerkt: »The ›name‹ of Jesus Christ differs from any theoretical or ›systematic‹ conception of his person, Barth believes, for ›only by his name‹ can the two antithetical statements (that the man Jesus is fully God and that the eternal Son is fully human as this man) be spoken together […]. For Barth the ›name‹ (and thus the narrative in which it is embedded and from which it is inseparable) functions to embrace the whole ineffability of Christ’s person in a way that no system or conception possibly can.«59 Wenn man Jesus Christus im Blick auf die Grundlegung von Friedensethik nur als principium cognoscendi versteht, dann verkehrt man die christliche Botschaft nach Barth zu »einer zwar von ihm [Jesus Christus; M.H.] gelehrten, aber in sich selbst gerechten, sich selbst genügenden Frömmigkeit und Moral«60. Dann bliebe Jesus Christus der Friedensethik gewissermaßen nur äußerlich. Sie wäre gleichsam nur akzidentiell, nicht aber substantiell von ihm geprägt. Als Erkenntnisprinzip der Botschaft, dass Gott mit uns (Immanuel) ist, wäre er zwar Ursprung einer Erkenntnis; einer Erkenntnis jedoch, die sich verselbständigt, die die Bindung an ihn verloren hätte und zur bloßen Gewohnheit, zum Habitus etwa des friedlichen oder versöhnlichen Zusammenlebens geworden wäre. In einem umfassenden Sinne aber wäre Jesus Christus und mit ihm die Botschaft, dass Gott mit uns ist, dann nicht mehr bestimmend. Er würde gleichsam profanisiert und banalisiert.

57 58 59 60

Ebd. K. Barth, KD IV/1, 17. G. Hunsinger, Disruptive Grace, 136. K. Barth, KD IV/1, 21.

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Name statt Prinzip

Was leistet demgegenüber der Name? K. Barths eigene Auskunft lautet: »Der Name Jesus Christus bezeichnet nun aber darum die ganze Kraft der christlichen Botschaft, weil eben er auch ihren ganzen Inhalt bezeichnet, weil sie in ihrer Mitte, die auch für ihren Umkreis maßgebend ist, Botschaft eben von ihm, und so die Botschaft von dem Geschehen jenes ›Gott mit uns‹ ist.«61 Der Name steht als Eigenname zu seinem Träger in einer deiktischen Beziehung.62 Er bezieht als Referent seine Kraft aus der Referenz, genauer : nicht aus dem Referenzakt als solchem, sondern von dem Referenten selbst.63 Der Name Jesus Christus partizipiert als Referenzmittel an ihm, dem lebendigen Christus selbst. Der christlichen Botschaft ist der Name Jesus Christus darum keine semantisch offene Chiffre, kein Symbol oder Siglum, welches eine von Christus zu abstrahierende 61 A.a.O., 18. Im Rahmen der Versöhnungslehre geht Barth über das hinaus, was er in den Prolegomena der Kirchlichen Dogmatik als namenstheologische Pointe der Offenbarungslehre festhalten konnte: Es ist »der Name Jesus Christus als solcher gerade in seiner ganzen scheinbaren Leerheit als bloßer Name, der als solcher gar keinen Inhalt ausspricht, kein Prinzip, keine Idee, keine Wahrheit, sondern nur das Zeichen […] für eine Person« (ders., KD I/2, 13). Im Blick auf diese Aussage charakterisiert E. Maurer (Sprachphilosophische Aspekte in Karl Barths »Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik«, 48 f.) ihre sprachlogisch relevanten Aspekte angemessen, wenn er bemerkt: »Eben indem der Name den Gegenstand nicht nachzeichnet – wie dies eine Aussage mindestens intendiert –, vermag er ihn ›vollmächtig‹ zu vertreten. Eben indem er sich auch nicht auf den Gegenstand beziehen könnte, ist er davor gesichert, Fiktion zu sein.« Maurer interpretiert Barth hier unter Bezugnahme auf S.A. Kripkes (Name und Notwendigkeit) kausale Referenztheorie, derzufolge keine begrifflichen Bestimmungen die Bedeutung des Namens (Jesus Christus) festlegen. In der Versöhnungslehre macht K. Barth über die Herstellung onomasiologischer Bezüge hinreichend deutlich, dass der Name nicht nur das Zeichen für eine Person ist, sondern – wenn man so will – das »gezeichnete« bzw. »gekennzeichnete« Zeichen, »eben wirklich das Immanuelzeichen und also […] das von Gericht und von Gottes Gnade in seinem Handeln mit seinem Volk redet« (KD IV/1, 19). Der Name Jesus Christus referiert also selbst wiederum auf die Geschichte Israels (Immanuel – »Gott mit uns« (Jes 4,14; 8,8.10; Mt 1,23); Jesus – Jehoschuah – »Gott hilft« (Mt 1,21 f). Vgl. a. a. O., 3 f. 62 In Bezug auf das prophetische Amt Jesu Christi nennt K. Barth (KD IV/3, 265) sieben inhaltliche Bestimmungen der Geschichte der Prophetie Jesu Christi, deren deiktische Tragweite durch den Namen letztlich überboten wird: »Es dürfte außer dem Namen Jesus Christus kein Wort, keinen Namen, kein Wort, keinen Begriff zur Bezeichnung dieser ihrer Einheit geben. Keine von ihnen kann denn auch auf eine andere Wirklichkeit als auf die Jesu Christi selbst hinweisen wollen.« Letztlich erweist sich die Nennung des Namens als Hinweis auf ihn als allein erschöpfend und adäquat. 63 Vgl. K. Barth, KD IV/3, 49 f.: »Es geht um sein [Jesu Christi; M.H.] Dasein unter einem ganz bestimmten Namen, der ihn kennzeichnet und von allem Anderen, was da ist, unterscheidet, mit dem er zu beschreiben und unter dem er anzureden ist. Er ist ihm weder zufällig noch willkürlich – er ist ihm überhaupt nicht beigelegt und angehängt. Er selbst spricht ihn – und spricht sich in ihm aus, äußert mit seiner Nennung sein Inneres: nicht mehr und nicht weniger als sein Wesen, gibt in und mit ihm kund, zu wissen und zu verstehen, wer und was er ist – seine Person, seinen Willen, sein Werk. Alle wirkliche Bekanntschaft mit ihm beruht darauf, daß er sich selbst vorstellt. Kein Anderer kann ihn darin ersetzen. Er bedarf dessen auch nicht. Er ist da und durchbricht, indem er da ist, von sich aus die Verschlossenheit seines Daseins, um es, um sich selbst kund zu tun.«

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

andersbestimmte Sache etikettiert oder dekoriert. Der Name Jesus Christus ist vielmehr strikt und unauflöslich mit der Geschichte des Trägers dieses Namens verknüpft, so dass die im Bericht über die Geschichte des Namensträgers verwendeten Begriffe und Ideen, zu denen auch der Begriff »Friede« gehört, »ihren Sinn gerade nur von dem Träger dieses Namens und seiner Geschichte her empfangen können und nicht umgekehrt, eine selbständige, von einem anderweitigen Vorverständnis her begründete Bedeutung und Rolle hier also nicht haben […]. Sie können gerade nur der Umschreibung dieses Namens dienen: des Namens Jesus Christus.«64 Vom Namen Jesus Christus hat die Friedensethik demzufolge auszugehen, will sie in ihren Aussagen und Urteilen als »begründet« gelten. Geht sie aber von ihm aus, dann ist sie Barth zufolge zugleich eminent und elementar biblisch, denn sie bezieht sich auf Jesus Christus als den »[a]lles beherrschenden Gegenstand« der Schrift, indem sie sich im Vollzug ihrer Urteilsbildung zu diesem Namen bekennt: »Nicht abstrakt um das Bekenntnis zu irgendwelchen ›biblischen Wahrheiten‹ also, sondern um das Bekenntnis zu diesem Namen, zu dieser konkreten Wahrheit der Schrift, mit der alles, was sie bezeugt, steht und fällt, von der her Alles, was sonst Inhalt der Bibel ist, seinen Ort und Sinn bekommt.«65 Friedensethik muss und kann als christologisch grundgelegte Friedensethik auf den lebendigen Christus hin sprechen. Sie wird das, was sie zu sagen hat, als Hinweis auf den lebendigen Christus, als Bezeugung seines Namens verstehen,66 von dem gilt: »Unter diesem Namen [Jesus Christus] und in dieser Person hat Gott dem Feind, die gottwidrige und unmenschliche Gewalt in der Welt ein für 64 Ders., KD IV/1, 16. Vgl. zur Verknüpfung des Namens »Jesus Christus« mit der Geschichte Jesu Christi auch ders., KD IV/2, 118: »In jedem theologischen Zusammenhang, in welchem direkt oder indirekt der Name ›Jesus Christus‹ zu nennen ist – und es gibt keinen, in welchem er nicht an entscheidender Stelle zu bedenken wäre! – ist nach unserer Voraussetzung diese Geschichte gemeint: die Tat Gottes, in welcher Gottes Sohn mit dem Menschen Jesus von Nazareth identisch wird und also menschliches Wesen mit seinem göttlichen vereinigt und also das menschliche in Gemeinschaft mit dem göttlichen erhebt – die Tat Gottes, in welcher er sich selbst erniedrigt, um den Menschen zu erhöhen.« 65 Ders., KD III/4, 91 f. 66 Mit der Bezeugung des Namens Jesus Christus wird die ewige Liebe Gottes bezeugt, die allen Menschen in Jesus Christus zugewendet ist. Vgl. ders., KD II/2, 215. Was nach K. Barth (KD IV/2, 867. Dort z. T. kursiv.) vom Begriff der »Liebe« gilt, gilt entsprechend auch vom Begriff des »Friedens«: »Dieses Handeln des wahren Gottes und des wahren Menschen in seiner Einheit ist die im Neuen Testament bezeugte Liebe Gottes. Man kann sie mit keinem abstrakten Begriff, man kann sie nur mit dem Namen Jesus Christus adaequat bezeichnen. Mit der Nennung dieses Namens aber ist sie als die in seiner Geschichte mit dem Volk Israel anhebende, in seiner Geschichte mit jenem Menschen aus Israel vollendete Tat an Israel, an der Welt, an allem Menschen. Man kann in allem, was über die Liebe Gottes zu sagen ist, nur diesen Namen, nur die Wirklichkeit der Geschichte Jesu Christi auslegen. Man würde bei jedem Schritt, auf welchem man sich von der Auslegung dieses Namens entfernen würde, an der Wirklichkeit der Liebe Gottes vorbeireden.«

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Name statt Prinzip

allemal unmöglich gemacht, so daß sie am jüngsten Tage in ihrer ganzen stolzen Erhebung und Offenbarung nur noch zu spät kommen kann, so daß sie es ist, die dort die Schlacht verloren haben wird, noch bevor sie begonnen hat. […] Dieser Name ist ein göttlicher und ein menschlicher Name und so ist diese Person eine göttliche und menschliche Person, Gottessohn und Menschensohn in Einem und eben so ›uns geboren‹ am Kreuz von Golgatha. Dazu geboren und gegeben, […] dass wir uns unter diesen Namen stellen und in dieser Person verbergen sollen und dürfen.«67 Auf der Grundlage dieses namensbezogenen Selbstverständnisses gliedert sich die Friedensethik als Disziplin in den Kanon der Theologie ein, deren gesamtes Reden von Gott Hinweischarakter hat. Eine solchermaßen »integrierte« Friedensethik weiß darum: »Der Friede zwischen Gott und uns Menschen und das uns Menschen zukommende Heil ist hier kein Allgemeines, sondern dieses Besondere als solches: das Konkrete, das mit dem Namen Jesu Christi und mit keinem anderen Namen anzuzeigen ist. Denn er, der diesen Namen trägt, ist selbst der Friede, ist selbst das Heil. Der Friede und das Heil können also gerade nur in ihm erkannt und darum nur unter seinem Namen verkündigt werden.«68 Auf dem Hintergrund der Kantschen Definition, wonach die Erkenntnis aus Prinzipien so zustande kommt, dass »ich das Besondere im allgemeinen durch Begriffe erkenne«69, wird transparent, dass Christus bei Barth nicht als Erkenntnisprinzip der Friedensethik firmiert, da der Name Jesus Christus nicht das Allgemeine, sondern das Besondere ist. Bei Kant meint Erkenntnis aus Prinzipien synthetische Erkenntnis aus Begriffen. Der für Barths Friedensethik grundlegende Satz »Er ist unser Friede« (Eph 2,14) ist hingegen nach der Logik von Barths namenstheologischen Überlegungen ein analytischer und kein synthetischer Satz.70 Der Friede als Prinzip, als Idee, als allgemeine Wahrheit ist – anders gesagt – für Barth wie alle Prinzipien, Ideen und allgemeine Wahrheiten nur als Prädikat an diesem Subjekt und zwar als im Subjekt bereits enthaltenes Prädikat bedeutsam. Barth versteht das Friedensbekenntnis mithin als Implikat des Christusbekenntnisses und nicht umgekehrt. Das Friedensbekenntnis ist Implikat dieses Christusbekenntnisses, welches durch den die gesamte Wirklichkeit (auch des Friedens) definierenden und vertretenden Namen Jesus Christus zusammengefasst wird. Wenn aber nun – wie dargelegt – Jesus Christus kein Prinzip ist, sondern ein Name, dann ist Jesus Christus auch nicht mit jenen ersten Prinzipien der Phi67 68 69 70

Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 14. Ders., KD IV/1, 21 f. I. Kant, KrV, B 357. Vgl. zur analytisch-synthetisch-Disjunktion I. Kant, KrV, B 10 f.

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losophie zu identifizieren, wie sie etwa R. Descartes in seinen Überlegungen zur Erkenntnisbegründung darlegt.71 Jene Prinzipien sind nach Descartes doppelt konditioniert, insofern sie klar und evident sein sollen, d. h. dem methodischen Zweifel standhalten und darüber hinaus eine deduktive Erkenntnis von anderen Dingen ermöglichen müssen. Insofern der Name nicht zum allgemeinen Ausgangspunkt von Deduktionen taugt, sind Zweifel gegenüber dem weit verbreiteten Vorwurf anzumelden, dass sich K. Barths christologische Grundlegung der Ethik tatsächlich auf den Gebrauch eines deduktiven Urteilsschemas reduzieren lässt. Auch im Hinblick auf eine Friedensethik, die sich in rechter Weise, also im Christus vivus gegründet weiß, gilt nach einem der »Letzten Zeugnisse« K. Barths: »Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie ›Gnade‹ [oder ›Friede‹; M.H.], sondern ist ein Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade und er ist das Letzte, jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie. Wir können ihn nicht ›einfangen‹. Aber wir haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich in meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmendem Maße, diesen Namen hervorzuheben und zu sagen: dort …! Es ist in keinem Namen Heil, als in diesem Namen.«72

Exkurs: J.H. Yoders Zugang zur Ethik über die Positivität der Kirche und seine Ablehnung einer allgemein zugänglichen Ethik In Yoders Theologie findet sich zwar kein namenstheologisches Präventiv gegenüber methodischen Selbstaneignungstendenzen. Gleichwohl grenzt er sich ebenfalls entschieden gegenüber Letztbegründungsversuchen ab. So kritisiert Yoder die Neigung, einen sog. metaethischen Standpunkt zu postulieren bzw. Ethik mit einer vorgeordneten Meta-Ethik beginnen zu lassen, die erste, unhintergehbare Prinzipien für die Disziplin zu ermitteln versucht.73 Yoder wendet sich dezidiert gegen den Anspruch, »through some prior definitional (›foun71 Vgl. R. Descartes, Von der Methode, IV, 25 – 33 (4. Teil: Fundamente der Metaphysik) und dazu: P. Prechtl, Art. Prinzip, 468. Vgl. auch I. Kant, KrV, B 357: »So ist denn jeder Vernunftschluß eine Form der Ableitung einer Erkenntnis aus einem Prinzip.« 72 K. Barth, Letzte Zeugnisse, 30 f. 73 So J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 7: »Often a study of theological ethics seeks to ground the discipline in a description of the warrants which need to be found for dealing which it the way one does: i. e., what some call ›meta-ethics.‹ Such an argument discusses the nature of ethical language, what it means to be talking about ethics, and details the other presuppositions and subcomponents of the meaning of moral discourse within an intelligently selfcritical community. The assumption is that such examination is in some sense prior to the teachers’ or the communities’ right or capacity to do ethics. One must first ›lay a groundwork,‹ in a realm that might be called ›fundamental moral theology.‹ It is thought that if that were not laid out first, then moral activity would be without foundation.«

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Name statt Prinzip

dational,‹ methodological, ›meta-ethical‹) move to have avoided the pitfall of particular identity, or to have sheltered itself against the challenges of the relativists.«74 Einen universalen Zugang zur Ethik im Sinne eines Prinzipienuniversalismus lehnt Yoder ab, da er die unbedingte, historische Kontingenz des ethischen Zugangs überspiele, der jedoch de facto jede Ethik unterworfen sei. Allein auf Vernunftgründen und unabhängig von sozialen und historischen Partikularitäten lasse sich keine Ethik entwickeln, da diese immer eingebunden sei in das Geflecht von moralischen Überzeugungen einer gewachsenen Gemeinschaft. Yoder zufolge gibt es nichts »Vor-Ethisches« im Sinne eines Grundes für die Ethik, der allgemein einsichtig wäre. Diese Überzeugung macht Yoder zu einem bekennenden Letztbegründungsgegner, der seine eigene Perspektivität nicht einfach nur als »glaubensethisch«75 ausweist, sondern im Sinne der »posture of radical reformation«76 kenntlich macht. Yoder argumentiert, dass sog. metaoder fundamentalethische Gesichtspunkte erst dann in Erscheinung treten, wenn eine konkrete Gemeinschaft moralische Richtlinien bzw. Regelwerke festlegt. Anlass zu fundamentalethischen Debatten bestehe in einer solchen Gemeinschaft (»community of moral discourse«77) immer dann, wenn verschiedene Richtlinien bzw. Regeln im Blick auf konkret anstehende Probleme konfligieren.78 Yoder zufolge lassen sich solche Konflikte aber nicht lösen, indem ein regulierendes Formal-, Material- oder Erkenntnisprinzip festlegt wird, das den Entscheidungsprozess lenkt und zu einer Stellungnahme führt, zumal die Suche nach einem solchem Prinzip gleichsam ad infinitum verläuft.79 Dieser Umstand

74 Ders., Walk and Word, 79. Vgl. ders., On Not Being Ashamed of the Gospel, 290. 75 Vom Typus »christliche Glaubensethik« spricht E. Schockenhoff, Grundlegung der Ethik, 350. 76 J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 5. 77 Ders., Walk and Word, 83. 78 Vgl. a. a. O., 84: »I submit that a methodological debate which makes a difference for concrete choices would be more illuminating than one whose argument can be carried out without reference to cases. This contradicts directly the assumption which often dictates the flight to the level of methodology, namely the ›liberal‹ notion that if questions of method or procedure could be discussed first, in a more abstract or ›purer‹ or less conflictual form, then differences about concrete behavior would thereby already be partly resolved.« 79 Vgl. ders., On Not Being Ashamed of the Gospel, 289: »It is the search to avoid particularity by some mental move of definition or some kind of empirical data-gathering is by the nature of things a wasted effort. It cannot be done, whether we analyze the challenges with psychological, sociological, or linguistic tools. There is no non-particular place to stand. Any claim to have access to a kind of truth which is by definition the same for everyone is epistemologically pre-modern. The theory of truth exemplified by and assumed ever since Lessing, which can claim to put the ›particularity‹ of others in a box only because it thinks that its own ›necessary truths of reason‹ are universal, is in fact no less in a box itself.«

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kennzeichnet die Letztbegründungsaporie eines ethischen »foundationalism«80. Der Anspruch, einen universalen ethischen Standpunkt einzunehmen, ist in Yoders Augen lediglich das Abbild für den Provinzialismus der eigenen status quo.81 Auch hält es Yoder für wenig sinnvoll, exklusiv ein bestimmtes »Idiom« zu verordnen, zu dem oftmals etwa die »Ethiktypen« Tugend-, Pflichten- oder Güterethik82 stilisiert wurden.83 Auch der Gebrauch solch formaler Schablonen könne nicht darüber hinweg täuschen, dass es ein festes Prinzip im Sinne eines primum principium84 oder eines fundamentum absolutum inconcussum veritatis85 nicht gibt: »There is no ›scratch‹ to which one can go back to begin, anymore than there is any ›onion per se‹ to be reached by peeling off one after another the

80 Zum sog. »foundationalism« vgl. ders., Meaning after Babble, 134 f. Fernerhin: F. Schüssler Fiorenza, Foundational Theology, 285 – 289; R.F. Thiemann, Revelation and Theology, 16 – 46; N. Murphy, Introduction, 9 – 16; G. Hunsinger, Disruptive Grace, 223 f.; ders., Postliberal Theology, 43. 81 So fasst S. Hauerwas (Christian Existence Today, 74) Yoders Kritik am Prinzipienuniversalismus zusammen: »From Yoder’s perspective such ›universal‹ starting points cannot help but reflect the provincialism of the status who which the practical moral reasoning of Christians must always be expected at some point to subvert.« 82 Bereits F.D.E. Schleiermacher (Über die wissenschaftliche Behandlung des Tugendbegriffs, 356) betont die Bezogenheit dieser Ethiktypen, wenn er feststellt, »daß nämlich die drei gepaarten Begriffe, Gutes und Übel, Tugend und Laster, pflichtmäßiges und pflichtwidriges Handeln, sich so gegeneinander verhalten, daß jedes Paar für sich allein in seiner Vollständigkeit gedacht, das Sittliche ganz setzt und ganz aufhebt, so daß auch die übrigen Paare notwendig mit gesetzt sind; auf die Weise, daß, sind alle Güter gesetzt, die in sittlichem Sinne so können genannt werden, dann notwendig, so wie alle Übel demselben Sinne ausgeschlossen sind, so hingegen alle Tugenden als vorhanden gedacht werden müssen, und alle pflichtmäßigen Handlungen«. Vgl. auch ders., Die christliche Sitte, 77 – 81. W. Lienemann (Grundinformation Theologische Ethik, 36; dort kursiv) fordert dementsprechend: »Eine heute vertretbare philosophische oder theologische Ethik sollte in der Lage sein, sehr unterschiedliche Ansätze, Aspekte und Dimensionen der Fragen nach Ethos und Moral (Sittlichkeit und Moralität) zu berücksichtigen und konstruktiv zu integrieren. Güter-, Pflichtenund Tugendethik bilden komplementäre Zugangsweisen und Teile einer integrativen Ethik.« Ähnlich M. Haspel, Sozialethik in der globalen Gesellschaft, 32 f. H.-R. Reuter (Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 37) interpretiert entlang dieser Trias auch die neue EKDFriedensdenkschrift. 83 Vgl. J.H. Yoder, Walk and Word, 87: »Instead of seeking to settle on the one right idiom, the greater value will inhere in the skills of mixing and matching according to the shape of a particular debate. The exercise of that skill, within the complementarity of the various components of adequate moral discourse, might be called a virtue; but will also be a duty, and it will also be useful.« 84 Vgl. Aristoteles, EN VI/3, 1139b 18 – 37. 85 Im Blick auf die Erkenntnisfähigkeit fand R. Descartes dieses sichere Fundament im Grundsatz des cogito ergo sum. Vgl. R. Descartes, Meditationen II/8, 25: »Was aber bin ich demnach? Ein denkendes Wesen! Was heißt das? Nun, – ein Wesen, das zweifelt, einsieht, bejaht, verneint, will, nicht will und das sich auch etwas bildlich vorstellt und empfindet.«

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layers of flesh. What must replace the prolegomena search for ›scratch‹ is the confession of rootedness in historical community.«86 Sogenannte metaethische oder fundamentalethische Diskurse zeigen Yoder zufolge indes nur eines, dass nämlich die Vorfindlichkeit einer Gemeinschaft als Faktum unhintergehbar ist: »The life of the community is prior to all possible methodological destillations.«87 Yoder zieht daraus den Schluss: »[T]here is no escape from the recognition of the community-dependent quality of moral knowledge«88. Angesichts aller erfolglosen Versuche,89 die Relativität und Partikularität von Begründungen und Zugängen zu umgehen, konstatiert Yoder : »[C]ommunion works as an epistemology.«90 Indes hat Yoder nicht irgendeine Gemeinschaft im Blick, schon gar nicht eine virtuelle Allgemeinheit, etwa die Gesprächsgemeinschaft aller vernünftig denkenden Menschen,91 sondern es geht ihm um ethische Rechenschaftsfähigkeit innerhalb der Gemeinschaft derer, denen die Prüfung des Willens Gottes (vgl. Röm 12,2) aufgetragen ist. An ihre Stelle darf Yoder zufolge nicht die deduktive Anwendung einer vermeintlich universal gültigen Regel (etwa des kategorischen Imperativs)92 oder eines Prinzip treten, das den offenen Kommunikationsprozess umgehen möchte (vgl. 1Kor 14,26). Das schließt die Wertschätzung »profaner« vernunftgesteuerter Erkenntnisse und deren Inanspruchnahme durch diese Gemeinschaft Yoder zufolge keineswegs aus, betont aber die Notwendigkeit ihrer theologischen Erschließung und Beurteilung in einem theologischen Erkenntniszusammenhang: »Yet both in the order of knowing and in the order of valuing, the priority of the faith does not exclude or deny everything else. Insights which are not contradictory to the truth of the Word incarnate are not denied but affirmed and subsumed within the confession of Christ.«93

86 J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 7. Das Element des unableitbar Ursprünglichen findet sich auch bei H. Arendt (Über die Revolution, 265) als Bestimmung des politischen als initiatorischem Handeln wieder : »Jeder Anfang birgt in sich ein Element völliger Willkür. Nicht nur befindet er sich außerhalb der Kausalitätskette, in der jede Wirkung sofort als Ursache weiterer Entwicklungen verläßlich determiniert ist, er ist überhaupt nicht eigentlich abzuleiten – wäre er es, so wäre er kein Anfang – und erscheint daher, was Zeit und Raum betrifft, gleichsam aus einem Nirgendwo«. 87 J.H. Yoder, Walk and Word, 82. 88 Ders., Meaning after Babble, 125. 89 Vgl. ders., The Priestly Kingdom, 7: »[T]o reformulate what much Western intellectualism has considered to be a necessary or promising search for ›scratch‹ does not transcend particularity or relativity, as some other ›constructive‹ approaches project the claim to do.« 90 Ders., Walk and Word, 83. 91 Vgl. G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 315. 92 R. Hütter (The Twofold Center of Lutheran Ethics, 40) spricht diesbezüglich von einer »colonization by the Kantian paradigm«. 93 J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 11.

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Der Ankündigung, seine eigenen denkerischen Voraussetzungen offen zu legen, kommt Yoder nach, indem er die epistemologische und axiologische Priorität der Kirche betont: »The church precedes the world epistomologically. We know more fully from Jesus Christ and in the context of the confessed faith than we know in other ways. The meaning and validity and limits of concepts like ›nature‹ or of ›science‹ are best seen not when looked at alone but in light of the confession of the lordship of Christ. The church precedes the world as well axiologically, in that the lordship of Christ is the center which must guide critical value choices, so that we may be called to subordinate or even to reject those values which contradict Jesus.«94 Aufgrund seiner Weigerung bei Letztbegründungen oder auch nur generellen Begründungsstrategien Zuflucht zu nehmen, wird Yoder oftmals dem sog. »antifoundationalism« zu gerechnet.95 Diesem sind freilich bestimmte Gefahren inhärent, die auch in Yoders Argumentation ansichtig werden. Die erste Gefahr ist die eines Immanentismus bzw. einer Selbstabschließung96, der die theologische Ethik rein als kirchliche Binnenreflexion zur Selbststeuerung der Kirche versteht und dabei die Frage, was den kirchlichen Sprachgebrauch außerhalb seines Funktionierens begründet, ausklammert.97 Die Externität des Handelns Gottes geht aber verloren,98 wenn nur der faktische Sprachgebrauch, der innerhalb einer Gruppe erlernt und weitergegeben wird, von Interesse ist. Yoder verweist im Anschluss an den Johannesprolog (Joh 1,1 – 18) auf das Ereignis der sich selbst mitteilenden Inkarnation, das Menschen erfasst und zum Zeugnisgeben veranlasst: »The ground for the transcultural intelligibility of the meaning of Jesus is not an a priori semantic move made by methodologically preoccupied intellectuals (or apologetically concerned missionaries, for that matter). It is a set of first century events, which some of its interpreters call Incarnation. ›Incarnation‹ is not first a concept in communication theory ; it is the code word for the uniquely theocentric palestinian jewish man Jesus, communicating God to us.«99 Dieses Ereignis der Inkarnation hat Yoder zufolge eine universale Reichweite, wenngleich sein Geltungsbereich100 auf die Gemeinschaft der Gläubigen be94 95 96 97

Ebd. Vgl. etwa Ch.K. Huebner, A Precarious Peace, 65; N. Murphy, Introduction, 22 f. Vgl. P. Dabrock, Evangelische Fundamentaltheologie als responsive Rationalität, 124. Auf diese Gefahr hat G. Sauter (Zugänge zur Dogmatik, 314 f.) in umsichtiger Weise aufmerksam gemacht. 98 Treffend B. Wannenwetsch, Gottesdienst als Lebensform, 26: »[D]ie christliche Ethik [hat] immer wieder dort ihren Ausgang zu nehmen, wo Menschen von der Selbstmitteilung Gottes erfaßt werden.« 99 J.H. Yoder, On Not Being Ashamed of the Gospel, 295. 100 Zum Unterschied von Reichweite und Geltungsbereich vgl. G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 236 – 240. Fernerhin: R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 285.

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grenzt und sein unmittelbarer historischer Entdeckungszusammenhang im Judentum des ersten Jahrhunderts101 partikular ist: »The particularity of incarnation is the universality of the good.«102 In der Bezeugung dieses seiner Reichweite nach universalen, weil alle Menschen betreffenden Ereignisses, dessen Geltungsbereich jedoch zugleich auf die Gläubigen bzw. die Kirche als Gemeinschaft derselben begrenzt ist, besteht nach Yoder das Telos menschliches Handelns. Weil solches Handelns auf den Geltungsbereich der Inkarnationsaussage bezogen ist, ist eine auf dieses Handeln hin reflektierende Ethik ihrem Wesen nach kirchliche Ethik. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Yoders ethischer Zugang dem Lager der sog. »kirchlichen Kommunitaristen«103 zugerechnet wurde. Die »universale Partikularität«104 charakterisiert Yoder zufolge nicht nur das Ereignis der Inkarnation, sondern zugleich die dieses Ereignis bezeugende Kirche Jesu Christi, wobei mit der Partikularität dieses Ereignisses zugleich dessen Externität für die Kirche als Zeugen- und Zeugnisgemeinschaft schlechthin konstitutiv ist. Yoder bemüht sich mit dem Verweis auf die Inkarnation bzw. das Wort, das Jesus und nicht einfach Kirche wurde (vgl. Joh 1,14), den Immanentismusverdacht von sich zu weisen. Den Yoderschen Leitgedanken der »partikularen Universalität« hat M. Zeindler präzise zusammengefasst, wenn er ausführt: »Die Kirche Christi, so Yoder, ist auf der einen Seite eine entschieden partikulare Gemeinschaft. Sie verdankt sich einem geschichtlich lokalisierbaren Geschehen […]. Die Kirche ist [zugleich] wesentlich universale Kirche. In den Worten Yoders: ›Die Botschaft kann nicht im Ghetto bleiben, weil die gute Nachricht von Natur aus für und über die Welt ist.‹ Auch dieser Weltbezug ist aber christologisch fundiert, nämlich im Glauben, dass der Herr der Gemeinde auch der Herr der Welt ist. Daraus folgt, 101 H.-J. Kraus (Systematische Theologie, 143) hat die Partikularität und Universalität der Inkarnation israeltheologisch in folgender Weise pointiert, um damit die Erwählung des Volkes Israel zugunsten der ganzen Welt zu betonen: »Gott kommt in Israel zur Welt.« Dort kursiv. 102 J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 62. 103 Vgl. dazu überblicksartig: E. Arens, Kirchlicher Kommunitarismus, 487 – 500; H. Bedford-Strohm, Theological Ethics and the Church, 175 – 186; M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 547 – 559; A. Rasmusson, Ecclesiology and Ethics, 180 – 194; W. Schöpsdau, Wie der Glaube zum Tun kommt, 55 – 59. Ob der Begriff »kirchlicher Kommunitarismus« glücklich gewählt ist, lässt sich indes bezweifeln. So etwa H.G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben, 316. Auch J. Webster (Locality and Catholicity, 1 – 17) betont, dass gegen die Nomenklatur »communitarian Christianity« theologisch auf die Lokalität und Katholizität der Kirche hinzuweisen sei. 104 M. Zeindler (Die Kirche des Kreuzes, 79) hat diesen paradoxen Begriff eingeführt, um den ekklesiologischen Ansatz Yoders zu umschreiben. G. Plasger (Die relative Autorität des Bekenntnisses, 139) spricht in ähnlicher Weise von »Universalität in der Partikularität«. So auch ders., Universality in Particularity, 267 – 279.

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dass der Weltbezug der Kirche ebenso wesentlich ist wie ihre Weltdistanz, und dass sie ihr Kirchesein auch in dem Maße aufgibt, da sie diesen Weltbezug verliert. Man muss die Sache im Sinne Yoders aber noch einmal schärfer formulieren. In der Kirche stehen nicht nur Partikularität und Universität gleich ursprünglich beieinander, das eine ist vielmehr die Vollzugsform des anderen […]. Konkret: Die gute Botschaft von Gottes erneuerndem handeln gelangt in der Gestalt jener Gemeinschaft in die Welt, in welcher dieses Handeln sich bereits vollzieht. Und da das Handeln Gottes wesentlich ein gemeinschaftsstiftendes Handeln ist, ist diese Form diejenige, die diesem Handeln adäquat ist. […] Gottes Liebe, so könnte man überspitzt formulieren, kann nur universal zur Geltung kommen, indem sie partikular wirkt. Die Partikularität der christlichen Gemeinde ist die Form, in welcher Gottes Liebe universal wirksam wird.«105 Damit tritt nun eine zweite Gefahr in Erscheinung, die mir bei Yoder ungleich stärker gegeben zu sein scheint als erstere, und zwar die eines ekklesiologischen Positivismus. Sie geht bei Yoder mit der Vorstellung von der Kirche als Christus prolongatus einher. Ein ekklesiologischer Positivismus droht vor allem dann, wenn die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche aufgegeben wird, wie Yoder dies fordert.106 Die Positivität der Kirche dominiert dann und verselbständigt sich gegenüber über ihrem Herrn. Indes wird man Yoder fairer Weise keinen offenkundigen kirchlicher Triumphalismus vorwerfen können, denn Kirche bleibt bei Yoder »Kirche des Kreuzes«107, die als Gemeinschaft derer, die Christus auf seinem Weg ans Kreuz nachfolgen, leidende Kirche ist. Yoder zufolge wollen die sog. »foundationalists« gerade diese Leiden umgehen: »Rejection [vgl. Joh 1,11], according to the ›news‹ brought by Jesus and his witnesses, is part of validation. This is where the foudationalists cannot follow. They want to tailor their message for a ›world out there‹ which they trust will be willing to and will in fact have to listen, reasonably, as long as our tongue is not alien or odd. The Good News of the Logos, on the other hand, accepts as the price of its communicability that it must suffer at the hands of the addresses. Readiness to bear their hostility is part of the message.«108 Indes zeichnet sich die Gefahr eines ekklesiologischen Positivismus in Yoders Argumentation insbesondere dort ab, wo er den Gedanken der »fullness of 105 M. Zeindler, Die Kirche des Kreuzes, 79 f. Dort z. T. kursiv. Das Zitat im Zitat stammt von J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 55. 106 Vgl. ders., The Royal Priesthood, 53 – 64. 107 Vgl. M. Zeindler, Die Kirche des Kreuzes, 69: »Auf John Howard Yoder werden vielerlei Typologien angewandt: Er gilt als Vertreter einer Kirche von Glaubenden (›believer’s church‹, ›free church‹), einer starken Differenz von Kirche und Welt (›otherness of the church‹) oder einer pazifistischen Tradition. All diese Typologien sind in Bezug auf Yoder theologisch unergiebig, wenn sie nicht als Ausdruck eines Verständnisses von Kirche begriffen werden, das sich ganz am Kreuz Christi orientiert.« 108 J.H. Yoder, On Not Being Ashamed of the Gospel, 293.

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Name statt Prinzip

Christ« artikuliert und 2Kor 4,10 f. und Kol 1,24 in seiner Auslegung dahingehend engführt,109 dass er Jesus Christus von der Kirche abhängig macht. Yoder betont eben nicht nur : »Es ist selbstverständlich, und wir wollen es nie vergessen, dass das Kreuz der Gemeinde ohne Jesus keinen Sinn haben würde«110, sondern formuliert auch umgekehrt: »Aber wir wagen es zu wenig, mit der Schrift auch das andere zu sagen, dass ohne das Kreuz der Gemeinde das Kreuz Christi entleert wird.«111 Yoder kommt zu dem Schluss: »Das Kreuz der Gemeinde ist also die Verlängerung des Kreuzes Christi, wie die Gemeinde als solche sein weiterlebender Leib ist.«112 Wenn in Kol 1,24, dem Vers, auf den Yoder sich vor allem beruft, hingegen betont wird, dass die Leiden des Apostels die Drangsal Jesu für seine Kirche ergänzen bzw. vollenden,113 so ist hingegen ein zweifaches zu beachten: zum einen, dass von den Leiden des Apostels und nicht denen der Kirche die Rede ist: »Die Leiden des Apostels gehören zur einmaligen Würde seines Amtes. Das betont hervorgehobene ›Ich‹ unterscheidet daher Paulus von allen anderen Gliedern der Gemeinde.«114 Auch in 2Kor 10,11 verweist Paulus entsprechend Kol 1,24 auf seine Leiden.115 Zum anderen bleibt die Differenz zwischen den Leiden Christi und des Apostels im Kolosserbrief im Blick: »Selbstverständlich ist dabei dem Leiden des Apostels keine sühnende Bedeutung zugeschrieben, kraft derer es mit dem Leiden Christi gleichwertig würde.«116 Um es auf den Punkt zu bringen: Yoder droht hinsichtlich des Verhältnisses von Christus und Kirche außer Acht zu lassen, dass »zwischen beiden ein unumkehrbares Verhältnis«117 herrscht. Das heißt im Blick auf eine theologisch sachgemäße Ingebrauchnahme der biblischen Rede von der Gemeinde als dem Leib Christi: »Sie [die Gemeinde; M.H.] ist als sein Leib auf ihn angewiesen – und nicht umgekehrt. Nur weil und wenn Jesus Christus da ist, ist auch sie da als seine Gemeinde – und nicht umgekehrt. Hier darf es keine Umkehrung geben. Die hätte eine Vermischung von Christus und Kirche zur Folge und würde so eine selbstherrliche, weil sich selbst mit Christus verwechselnde Kirche heraufführen.«118 Genau darin bestand bereits die Problematik der These des römisch-katholischen Theologen Johann Adam Möhler, an die Yoder unbewusst 109 Vgl. ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 46; ders., Die Politik Jesu, 111. 110 Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 13 f. 111 A.a.O., 14. 112 A.a.O. 46. 113 Vgl. ders., Die Politik Jesu, 86.214. 114 E. Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon, 116 f. 115 So auch J. Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, 135. 116 A.a.O., 226. 117 E. Busch, Reformiert, 182. 118 Ebd.

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anknüpft: Die Kirche ist »der unter den Menschen […] fortwährend erscheinende, […] ewig sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben«119. Demgegenüber ist die Einmaligkeit des Ereignisses der Inkarnation Jesu zu betonen. In diesem Ereignis manifestiert sich die bleibende Differenz zwischen Christus und der Kirche,120 welche wieder die Voraussetzung dafür bildet, dass die Kirche ihn »mit ihrer Botschaft wie mit ihren Ordnung« (Barmen III) bezeugen kann.121

2.3.

Christus als Formalprinzip? Der grund-sätzliche Referenzcharakter christologisch begründeter Ethik

An Stelle eines Prinzips oder einer Norm steht also der Name als vollmächtige Vertretung des lebendigen Christus. Der Name Jesus Christus befiehlt nichts anders als zu hören. Er führt sich als das konkrete Gebot ein, zu hören122 – und zwar auf den Namen Jesus Christus, denn Herkunft und Inhalt des Gebotes Gottes des Versöhners sind »ausgesprochen in dem Namen Jesus Christus.«123 Hinsichtlich des methodischen Verfahrens christlicher Ethik stellt Barth fest: »Christliche Ethik beginnt also nicht mit dem, was man Besinnung nennen könnte, sondern christliche Ethik beginnt mit einem Hören«124 – dem Hören auf 119 J.A. Möhler, Symbolik, 333. 120 M. Weinrichs (Ökumene am Ende?, 83 – 121) Typologie der drei großen ökumenischen Traditionsströme zufolge ist von den verschiedenen Metaphern des Neuen Testaments für die römisch-katholische Kirche »die Vorstellung von der Kirche als dem ›Leib Christi‹ besonders kennzeichnend« (a. a. O., 100). Weinrich (a. a. O., 102) verweist auf den »Katechismus der Katholischen Kirche«, München 1993, 238: »Christus und die Kirche bilden somit den ›ganzen Christus‹ [Christus totus]. Die Kirche ist mit Christus eine.« Weinrich (ebd.) führt dazu aus: »In deutlichem Unterschied zur orthodoxen Tradition wird die qualitative Differenz von Haupt und Leib im Rahmen des römisch-katholischen Selbstverständnisses so bestimmt, daß ein Verständnis der Kirche ausgeschlossen ist, nach dem sie als ein unmittelbar sichtbares Handeln Gottes selbst anzusehen ist. Aber aufgrund ihrer körperlichen Intimität und Unverbrüchlichkeit mit Christus und durch ihre besondere Beauftragung kommt ihr eine singuläre, heilsvermittlerische Privilegierung zu.« 121 Vgl. E. Busch, Credo, 248. 122 Es lassen sich hier interessante Berührungspunkte zu F. Rosenzweigs »Stern der Erlösung« (207) entdecken: Der Name, der sich gibt, hat vielmehr die Form des »unmittelbar in einem entspringenden, gesprochenen, vernommenen und vollzogenen Gebots«. Vgl. H. Assel, Geheimnis und Sakrament, 241: »Der Name führt sich ein als konkretes Gebot: zu hören! Er führt sich ein unter dem Namensvokativ : ›Höre, Israel!‹, ›Abraham!‹ (Gen 22,1), ›Mose, Mose!‹ (Ex 3,4), ›Samuel!‹ (1Sam 3,4.6.8.10). Der Name als Vokativ befiehlt nichts – außer zu hören.« Zum Verhältnis von Rosenzweig und Barth vgl. H. Assel, Gottes Namen nennen, 8 – 33. 123 K. Barth, Ethik II, 135. 124 Ders., Christliche Ethik, 6.

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den Namen Jesus Christus.125 Barth konzipiert seine Gebotsethik – mit anderen Worten – als eine Ethik der Aufmerksamkeit, deren christologische Konzentration gleichsam eine Vorstufe zum Ereignis des Redens Gottes126 bildet: »Beabsichtigt ist fortwährende Aufgeschlossenheit, ein in Richtung auf Gott so weit wie möglich ungesichertes Denken: eine Theologie zur Anwesenheit, zur Geistesgegenwart Jesu Christi hin – eine sich genau dorthin kehrende, sich genau dafür offen haltende, darum bittende, sich insofern immer wieder bekehrende Theologie.«127 Indem Ethik mit dem Hören des Namens Jesus Christus beginnt, ist sie rechte Ethik, nämlich eine solche Ethik, die nach Barths Definition nichts anderes ist als »Unterweisung in der Kunst des richtigen Fragens nach Gottes Willen und des offenen Hörens auf sein Gebot«128. Beginnt Ethik aber in der beschriebenen Weise am beschriebenen Ort des Hörens, dann ist sie nicht der Kontingenz des freien Anfangens oder Nicht-Anfangens ausgeliefert, sondern fängt mit dem Anfang an. Fängt sie aber so an, dann entspricht sie in ihrem Anfangen dem nach 1Kor 3,11 grundgelegten Grund und widmet sich so in theologisch angemessener Weise dem »Problem des Anfangs«129 sowie der aus ihm resultierenden Forderung nach einem Neubeginn des Denkens a primis fundamentis (R. Descartes): Die Eigentümlichkeit der theologischen Ethik »und ihr Vorsprung bestehen aber in dem Namen Jesu Christi, mit dem sie den Grund und das Recht des göttlichen Anspruchs anzugeben vermag. Eben darüber, daß sie diesen Vorsprung innezuhalten hat, wird sie gar nicht eifersüchtig genug wachen können. Es gibt keinen Ernst, keine Wucht, keine Entschiedenheit, in der sie das Gebot Gottes vertreten könnte, mit der sie es gut zu machen vermöchte, wenn sie diesen Vorsprung eingebüßt haben sollte. Wir 125 Wie N. Biggar (Hearing God’s Command, 102) dargelegt hat, spielt »[t]he concept of knowing what is right by hearing God’s command« in der gesamten Ethikkonzeption Barth eine entscheidende Rolle. 126 Vgl. G. Sauter, Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 337: »Es gilt, mit Gottes Rede anzufangen (und zu bedenken, daß dies weder ein freigewählter Ausgangspunkt noch der archimedische Punkt menschlicher Reflexionen sein kann!), um nicht erst viel später zum springenden Punkt zurückzukehren, wenn es womöglich zu spät ist, zu spät vielleicht auch für ein redliches Argumentieren!« 127 M. Trowitzsch, Nachkritische Schriftauslegung bei Karl Barth, 96. Mit M. Jacob (… noch einmal mit dem Anfang anfangen, 606) kann man im Blick auf Barths lebenslang suchende und sich dem initium theologiae zuwendende Denkbewegung, wie sie in der bekannten Wendung »mit den Anfang anfangen« (vgl. K. Barth, Einführung in die evangelische Theologie, 182) zum Ausdruck kommt, würdigend festhalten: »Es zeugt von der Offenheit seines Denkens, das von Anfang an antwortendes Entsprechen zum Anfang aller Theologie sein und bis zuletzt verantwortliches Sprechen vom Anfang aller Theologie bleiben wollte.« Diese Parole gebrauchte K. Barth (Predigten 1916, 118) bereits im Jahre 1916. Vgl. auch ders., Das christliche Leben, 49. 128 A.a.O., 52. 129 W. Kamlah / P. Lorenzen, Logische Propädeutik, 15.

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hatten die Frage nach dem Grund und Recht des göttlichen Anspruchs zuerst zu stellen und zu klären, weil es hier um den Prüfstein alles Folgenden geht. Wir werden unter keinen Umständen mit irgend einem anderen Grund und Recht als dem des gnädigen Gottes, dem Grund und Recht des Namens Jesu Christi weiterdenken und weiterreden dürfen. Jeder Schritt seitab von diesem Weg wäre per se ein Schritt ins Unbegründete.«130

Ist die theologische Ethik und mit ihr die Friedensethik hinsichtlich ihrer christologischen Grundlegung in ihrem Bezug auf den Namen Jesus Christus fundamentiert, der wiederum kein Prinzip bezeichnet, so folgt daraus, dass die reformatorische Maxime »solus Christus« Barth zufolge kein ethisches Prinzip meint: »Es liegt vielmehr ein grundsätzliches Mißverständnis vor, wenn man auch nur an einer sachlich entscheidenden Stelle meint, Barths Überlegungen liefen auf klar konturierte Prinzipien zu. Und so gibt es auch kein regulierendes Formalprinzip, das zuverlässig von den theologischen Aussagen zu entsprechenden gesellschaftlichen Stellungnahmen führt«131. Auch die analogia fidei repräsentiert – wie noch zu zeigen sein wird – kein solches Formalprinzip, auch wenn der gegen sie erhobene Vorwurf eben dies unterstellt, als würde Barth – mit I. Kant gesprochen – »durch leere Vernünftelei von den bloßen formalen Prinzipien des reinen Verstandes einen materialen Gebrauch«132 machen. Wenn nun aber die theologische Ethik allein in ihrem Bezug auf den Namen Jesus Christus Grund gelegt werden kann und dieser Name kein Prinzip ist, so gründet sie gleichsam in dem grundlosen Grund, für den der Name Jesus Christus steht. Sie gibt sich der grundstürzenden Verfügungsgewalt Jesu Christi ungesichert preis. In dieser Offenheit partizipiert sie an dem »Grund«, der Person Jesus Christus. Dies will die Paradoxie vom »grundlosen Grund« zum Ausdruck bringen. Die Begründung resultiert aus der begründenden Kraft des Grundlosen, indem sie am lebendigen Christus partizipiert, dessen bewegende Gegenwart jedes Prinzip in seiner Starrheit fundamental erschüttert. Eine wirklich christologische Grundlegung der Ethik beansprucht – mit G. Sauter gesprochen – »den allein soteriologisch geltend zu machenden Grund christlichen Lebens kenntlich zu machen: aber nicht im Sinne einer Verifikation des Heils durch Handeln, sondern durch das theologisch unumgängliche Wagnis, menschliches Seins vor Gott mit menschlichen Worten zu umschreiben, ohne 130 K. Barth, KD II/2, 628. 131 So M. Weinrich, Kirche glauben, 131. »Grundsätzlich« – so M. Weinrich (ebd.) weiter – »bleibt doch zu fragen, ob es überhaupt ein solches, unsere Entscheidungen lenkendes Formalprinzip geben kann, oder ob nicht vielmehr die Frage danach oder gar die dilatorische Fixierung darauf bereits ein Hinweis auf ein Ausweichmanöver bzw. den eigenen schwachen Geist ist, der am Ende dem Glauben weniger zutraut, als unseren eigenen Regiebedürfnissen, die eben nach der Regel und nicht nach Christus fragen.« Vgl. ders., Christus als Zeitgenosse, 194.221. 132 I. Kant, KrV, B 88.

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damit dieses Sein selbst zu begründen. Darin besteht ihr ethischer – und auch politischer! – Charakter.«133 Die christologische Grundlegung der (Friedens-)ethik zeigt den Referenzcharakter des menschlichen Friedenshandelns an, welches dem Friedenshandeln Gottes entspricht. Sie kann dies aber nur tun, weil und insofern menschliches Friedenshandeln seinerseits von dem Bezug auf das ihm vorausgehende und vorausgesetzte Friedenshandeln Gottes in Christus lebt. Theologische Friedensethik kann also allein von der Voraus-Setzung aus zu reflektieren beginnen, die Gott selbst in seinem Friedenshandeln in dem lebendigen Christus geschaffen hat und schafft. So allein wird eine Fundamentierung der Friedensethik ermöglicht. Insofern ist die sich auf den lebendigen Christus beziehende,134 auf das präsentische »Vivit« nicht als Potentialität, sondern als Aktualität, nicht als »Angebot und Möglichkeit […], sondern als Wirklichkeit«135 verweisende christologische Grundlegung der Friedensethik gerade durch einen Grundlegungsverzicht gekennzeichnet. Gemeint ist der Verzicht auf einen eigenmächtigen, den bereits gelegten Grund ignorierenden, also an Christus vorbei agierenden Grundlegungsversuch. Die als Verzicht auf jedes eigenmächtige Grundlegungsbemühen zu verstehende Nichtbegründung in einem Prinzip, die eben auf Grund des schützenden Namens nicht erfolgen kann und sich in einer grundlegenden Nichtbegründbarkeit manifestiert, ist so grundlegend für Barths Friedensethik. Da der Grund, auf den der Name referiert, bereits gelegt ist, kann sich eine auf ihn bezogene Friedensethik nach Barth getrost als grundgelegt betrachten. Sie ist durch den Namen Jesus Christus dispensiert von allen Letztbegründungsbemühungen. Der gelegte Grund ist zwar tragfähig und sicher,136 aber nicht bewegungsunfähig, bezeichnet er doch den lebendigen Christus. Seiner Selbstbewegung gilt es zu

133 G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 102. 134 Vgl. K. Barth, IV/3, 48 f.: »Es kann dem gegenüber, daß Jesus Christus lebt, von Seiten keines Menschen etwas Anderes als Gehör, Gehorsam, Nachfolge in Frage kommen: Teilnahme in einem solchen Nachvollzug, in welchem er gerade kein Eigenes zu äußern, auszudrücken, hervorbringen, in welchem er sich nur eben angesichts dessen, was ihm in diesem Gegenüber widerfährt, verantworten kann und schuldigerweise zu verantworten hat.« 135 Ders., KD IV/2, 296. Vgl. M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 190; ders., Kirche glauben, 116. 136 K. Barth (KD IV/2, 185) bezeichnet Jesus Christus »als irdische Wirklichkeit ersten und höchsten Grades: als konkrete Grenze, als konkretes Maß und Kriterium aller anderen irdischen Wirklichkeit, als Erstes und Letztes, was zu sehen und zu bedenken, von dem her dann auch alles Andere zu sehen und zu bedenken ist, als das Geschöpf, den Menschen (den ›Erstgeborenen der ganzen Schöpfung‹ nennt ihn Kol. 1, 15), im Blick auf den erst zu lernen ist, was das Geschöpf, was der Mensch ist, als das unbedingt Sichere inmitten des Ozeans des wenig Sicheren und Unsicheren.«

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folgen,137 um sich in sie hineinziehen zu lassen.138 Er ist der eigentliche »Gegenstand« der Theologie, wobei deren Wissenschaftlichkeit – wie K. Barth bereits A. von Harnack entgegenhielt – »ihre Gebundenheit an die Erinnerung [ist], daß ihr Objekt zuvor Subjekt gewesen ist und immer wieder werden 137 In seinem Tambacher Vortrag »Der Christ in der Gesellschaft« (1919) versucht K. Barth die zu vollziehende Bewegung der Theologie, die sich in die Bewegung ihres Gegenstandes hineinnehmen lässt, mit dem Gebrauch der Metapher vom »Augenblicksbild eines Vogels im Fluge« (a. a. O., 9; vgl. a. a. O., 10) zu umschreiben. Sie steht für das »Moment einer Bewegung« (ebd.). Sie hat keinen festen Standort. Gerade in seiner Ortlosigkeit ist er verortet, in der Unfixierbarkeit fix. Exakt dies charakterisiert »den archimedischen Punkt« (a. a. O., 18). Die Bewegung wird von Barth identifiziert als »die Bewegung der Gottesgeschichte oder anders ausgedrückt: die Bewegung der Gotteserkenntnis, die Bewegung, deren Kraft und Bedeutung enthüllt ist in der Auferstehung Jesu Christi von den Toten. […] Gottesgeschichte muß geschehen in Taten und Erweisungen, Gotteserkenntnis muß gegeben werden in zwingender, eröffnender, sich unmittelbar bewährender Einsicht und Rede, Leben muß gelebt werden in einem lebendigen Leben – was sollen sonst alle Worte über das Wort? Dieses Missliche erlebt der Philosoph, wenn er den Ursprung verkündigt, in welchem Erkennen und Handeln, Sein und Sollen eins ist. Dieses Missliche erleben wir, wenn wir von der Wirklichkeit des lebendigen Gottes zeugen. Stellt uns in die Kraft des Ursprungs! Stellt uns in die Wirklichkeit Gottes« (a. a. O., 9 f.). Was uns Menschen gleichsam dynamisiert und an einen standortlosen Standort versetzt, den allein unser permanentes Bewegt-Sein einnehmen kann, ist die participatio an der leiblichen Auferstehung Christi von den Toten (vgl. a. a. O., 12). Denn gerade das »Ich lebe und ihr sollt auch leben!«, die Kraft seiner Auferstehung (»Jesus lebt«), überwindet »[d]ie unselige Statik eines konstanten Verhältnisses zwischen Gott und Mensch« (a. a. O., 19). Die »Kraft der Auferstehung« als die Kraft des lebendigen Christus »gebiert« sozusagen das Tun, auch und gerade das friedensstiftende Tun des Menschen, die performatio als participatio, denn »wer könnte die Auferstehung sehen, ohne selber an ihr teilzunehmen, selber ein Lebendiger zu werden und in den Sieg des Lebens einzutreten?« (a. a. O., 17; vgl. a. a. O., 37). Der durchgängige Gebrauch der Metapher vom »Vogel im Fluge« im Werk K. Barths indiziert, dass Barth sein Verständnis von Theologie im Sinne einer Bewegung, die der Bewegung ihres lebendigen Gegenstandes folgt, nicht revoziert hat: »Barth wollte sich zeitlebens nie von einem methodischen Prinzip, sondern allein vom ›bewegten Stoff‹ der Theologie leiten lassen […]. Der Theologe soll sich also in der Darstellung der Bewegung selber bewegen. In diesem Sinne ist Barth auch in der Kirchlichen Dogmatik dialektischer Theologe geblieben: nie nimmt er einen endgültigen Standpunkt ein, von dem aus er das ganze theologische Panorama zeichnet, sondern er schreitet in unablässigem Fragen, Antworten und erneutem Fragen fort, spricht selbst Einwände aus und befindet sich sozusagen mit seinen eigenen Argumenten im Gespräch, ohne sich jedoch in ein Selbstgespräch zu verlieren« (G. Sauter, Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 339). Die Metapher vom »Vogel im Flug« findet sich u. a. beim »jungen Barth« in: Römerbrief I, 384.291; Römerbrief II, 194, und beim »späten Barth« u. a. in: Einführung in die evangelische Theologie, 16; Gespräche 1959 – 1962, 17 (Gespräch mit Vertretern der Gemeinschaften vom 6. 10. 1959). 138 Vgl. bereits ders., Römerbrief I, 344: »Probleme werden gelöst und auf Formeln gebracht, Teilnahme will nichts anderes, als am Ende ihrer Wege, auch ihrer Gedankenwege, neu anfangen. So ist uns Gott selbst entgegengetreten. Er ist die Liebe. Er ist selbst nicht fertig, sondern in freiester, lebendigster Bewegung. Er ist die Güte, die alle Morgen neu ist. In diese Bewegung will er uns hineinziehen.« Wie Chr. Link (Fides quaerens intellectum, 79) zu Recht bemerkt, will Barths Theologie »nur eines tun: der Bewegung folgen, in der zuvor Gott selbst sich an den Menschen und seine Welt gebunden hat«

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muß«139. Dementsprechend verweist Barth in seiner Gotteslehre auf Gott in seiner Rolle als initiatorisches Subjekt des Anfangs aller Erkenntnis und verweigert sich insofern etwa dem cartesianischen Ansatz,140 das zweifelnd fragende Subjekt selbst zum Ausgangspunkt des Denkens zu machen: »Der Anfang unserer Erkenntnis Gottes […] ist nicht ein Anfang, den wir mit ihm machen können. Es kann immer nur der Anfang sein, den er mit uns gemacht hat«141. Weil Gott in Christus selbst den voraussetzungslos und unbegreiflichen, sich zur Welt hin öffnenden Anfang gemacht hat, deshalb soll die Theologie und mit und in ihr die theologische Friedensethik auf alle gegenläufigen Bemühungen verzichten,142 sich in ihrem Vollzug einen absoluten Grund geben zu wollen. Sie darf sich als grundgelegt verstehen und aus diesem Verständnis heraus der Urteilsbildung als Vollzug des Hörens auf den Namen Jesus Christus widmen.143 Nur als in Jesus Christus gegründete Ethik kann sie Barth zufolge auch in ihrer Urteilsbildung begründete Urteile fällen. Ihr Begründungszusammenhang wird – anders als der etwa von M. Honecker formulierte Konstruktivismus- und Prinzipialismusvorwurf gegen Barth besagt – nicht durch ein Prinzip und die aus ihm deduzierten Ableitungen konstituiert, der dann nachträglich als »christologisch« prädiziert wird, sondern er ist das Transparent des GegründetSeins en Christo¯. Wie noch zu zeigen sein wird, intendiert und liefert K. Barth keine »christologische Begründung« der Friedensethik im Sinne einer bestimmten Argumentationsstrategie, sondern eine Friedensethik des GegründetSeins in Jesus Christus: »Jeder, der in Christus ist, ist ein neues Geschöpf; das Alte ist vergangen – siehe, Neues ist geworden« (2Kor 5,17).

139 K. Barth, Ein Briefwechsel mit Adolf von Harnack, 62. Vgl. dazu: Chr. Link, Fides quaerens intellectum, 85; ders., Bleibende Einsichten von Tambach, 340: »Gott als Subjekt, als bewegende Kraft einer Geschichte, die, unsere Erwartungen, Vormeinungen und Maßstäbe durchkreuzend, beim Menschen ankommt – Barth spricht von ›Gottesgeschichte‹ –: das ist die Entdeckung, die methodische Wende von Tambach.« 140 Vgl. dazu die berühmte Wendung cogito ergo sum von R. Descartes, Von der Methode, IV/ 1, 26: »[I]ndem ich erkannte, daß diese Wahrheit: ›ich denke, also bin ich‹ so fest und sicher ist, dass die ausgefallensten Unterstellungen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermöchten, so entschied ich, daß ich sie ohne Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suchte, ansetzen könne.« 141 K. Barth, KD II/1, 213. 142 Vgl. Chr. Link, Fides quaerens intellectum, 92 f.: Die Theologie »kann ihre Voraussetzung nicht selber begründen. Darin liegt ihre Grenze.« 143 Vgl. H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 226; H. Assel, Geheimnis und Sakrament, 154.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Die ecclesia orans als ecclesia efficaciter laborans. Zur ethischen Valenz des Friedensgebetes

Neben dem namenstheologischen gibt es noch ein zweites Präventiv gegenüber jenen methodischen Selbstaneignungstendenzen, wie sie sich in der Transformation des lebendigen Christus zu einem deduktiven Material-, Erkenntnis- und Formalprinzip manifestieren, von dem man sich vielfach eine Regulation für friedensethische Urteilsbildung erhofft. Eine enge sachliche Parallele zum Präventiv des Namens findet sich in Barths Ausführungen zur ethischen Relevanz des Gebets.144 Dies überrascht keineswegs. Das Gebet145 ist ja konstituiert durch die Anrufung des Namens. Das Gebet ist – mit Chr. Link gesprochen – »der (wenn auch oft misslingende) Versuch, den Namen selber zu nennen, nicht nur Bedeutungen (›Vorstellungen‹) mitzuteilen.«146 Das Gebet veranschaulicht nach Barth den Grundcharakter der Ethos, der in der mit leeren Händen erfolgenden Anrufung Gottes bzw. der Bitte um seine im menschlichen Handeln orientierende Weisung besteht. Als der – vermittelt über das Ethos – die Ethik in ihrem Gesamt prägende147 Grundakt menschlichen Handelns geht die Anrufung allem weiteren Tun – auch dem prinzipienbildenden Handeln voraus. Damit wird von Barth »a limine ausgeschlossen, dass ein allgemeines Prinzip individueller bzw. materieller Observanz zum Grundprinzip der Ethik erhoben wird. Barths Ethik kennt kein übergeordnetes Modell oder Axiomensystem, aus dem dann die einzelnen Fälle bzw. Sätze zu deduzieren sind.«148 Nun könnte man jedoch vermuten, dass sich gerade aufgrund der engen sachlichen Parallelität zwischen beiden Präventiven ein Konkurrenz- und nicht etwa ein Komplementärverhältnis besteht. Beide, Gebet und Name, scheinen zunächst den Anfang der Ethik zu markieren. Denn schließlich gilt – wie N. Biggar festhält – nicht nur in Bezug auf den Namen, sondern auch das Gebet: »Barth’s concept of God’s command […] brings worship and prayer right into the very heart of Christian ethics. For Barth, authentic ethos is not separable from correspondent practice; so the genuine assumption of the dispositions of humility, penitence and gratitude necessarily expresses itself in acts of worship

144 Vgl. M. Weinrich, Kirche glauben, 131: »Barth sichert seine Überlegungen zur Ethik vor allen Selbstzueignungstendenzen dadurch, daß er sie im Gebet verwurzelt und immer wieder das Gebet als entscheidenden Grundakt bezeichnet.« 145 Zu Barths Gebetslehre vgl. die Darstellungen von O. Herlyn, Religion oder Gebet, bes. 67 – 129; Chr. Svinth-Vaerge Pöder, Doxologische Entzogenheit. 146 Chr. Link, Das Bilderverbot als Kriterium theologischen Redens von Gott, 34 f. 147 Berechtigterweise bemerkt J.L. Mangina, Karl Barth on the Christian Life, 173: »While not every act of the Christian is invocation, this is the representative activity that gives ›meaning, direction, and purpose‹ to everything he or she does.« 148 H. Ruddies, Anrufung Gottes, 20.

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and, par excellence, prayer.«149 Konkurrieren also das Gebet und der Name Jesus Christus nicht hinsichtlich ihrer präventiven Funktion? In dem unter dem Titel »Das christliche Leben« posthum erschienen Fragment zur Ethik der Versöhnungslehre, die K. Barth als Ethik der Anrufung Gottes entfaltet, akzentuiert er, dass das menschliche Handeln mit der »bittenden Anrufung des gnädigen Gottes«150 beginnt: »Unser Vater!« Die Anrufung Gottes, die als Antwort auf das zuvor ergangene Befehlswort: »Rufe mich an!« (Ps 50,15) erfolgt,151 umschreibt dabei keineswegs die Anfangseinmaligkeit eines initialen Aktes, sondern den »Grundakt des christlichen Ethos«152, den »Grundakt« des »sich im Glauben betätigenden Gehorsams«153. Bereits der Begriff des Ethos indiziert: Das gesamte christliche Leben vollzieht sich gleichsam gewohnheitsmäßig in der Anrufung Gottes.154 Nach Auskunft Barths ist sie »das im Bereich des Bundes normale«155 Tun, das alles menschliche Tun begleitet. Gerade die Treue des Menschen als Bundespartner Gottes konkretisiert sich in der Treue der Anrufung Gottes: »Eben dieses Leben in der Anrufung wird des Menschen christliches Leben sein: sein Leben […] in der Treue.«156 Die scheinbare Konkurrenz löst sich in dem Moment auf, da man nach dem Objekt der Anrufung fragt und sich den Zusammenhang der Anrufung Gottes mit dem Vokativ »Vater« und dem Herrennamen verdeutlicht, auf welchem letztlich der angedeutete Zusammenhang von Gebet und Ethik nach K. Barth basiert. Das Gebet als das gebotene Tun des Menschen wird nämlich im Namen Jesu Christi vollzogen: »Das heißt ja ›in seinem Namen‹: unter seiner Führung und Verantwortung, in der Einheit unseres Bittens mit dem seinigen, im Gehorsam gegen die Aufforderung dieses einen Menschen, aber nun auch getragen durch seine Kraft als die des Sohnes, durch seine Einheit mit dem Vater.«157 Die Anrufung Gottes des Vaters im Gebet als anfänglichem Handeln steht insofern nicht in Konkurrenz zum Herrennamen, als dass der Name des Sohnes die Bedingung der Möglichkeit der Anrufung des Vaters ist. Der Name Jesus Christus ist allem menschlichen Tun, auch und gerade dem guten, weil gebo149 N. Biggar, Hearing God’s Command and Thinking about What’s Right, 105 f. 150 K. Barth, Das christliche Leben, 67. 151 Vgl. a. a. O., 69: »Das Befehlswort: ›Rufe mich an!‹ (Ps. 50,15) verstehen wir nun also als den Grundsinn alles göttlichen Gebietens und die nach diesem Befehlswort sich richtende Anrufung an den Grundsinn alles menschlichen Gehorsams.« 152 A.a.O., 167. 153 Ders., KD III/3, 320. 154 K. Barth (KD II/2, 569) leitet den Begriff Ethik »von e¯thos (Wohnung, Stall)« ab, so dass Ethik zunächst »Lehre von der Gewohnheit, dem Herkommen, der Sitte« bedeutet. Ähnlich Aristoteles, EN II/1, 1103a 17 f. 155 K. Barth, Das christliche Leben, 67. 156 A.a.O., 69. 157 Ders., KD III/4, 119.

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tenen Tun des Menschen vorgegeben, so dass die Bitte an den Vater, die Barth als »reine Bitte« versteht: »Heilige du selbst deinen Namen« (vgl. Joh 12,28), nur im Namen des Sohnes erfolgen kann, der zwar mit dem Vater eins (Joh 9,31), dessen Name aber vom Namen des Vaters unterschieden ist.158 Jesus »begründete die Anrufung Gottes des Vaters damit, er machte sie für die Seinen damit verbindlich, daß er selbst sie als Erster ins Werk setzte, daß er ihnen also, indem er selbst tat, was er von ihnen forderte, exemplarisch voranging, vielmehr : indem er damit solches Tun von ihnen forderte, daß er selbst ins Werk setzte. Er nahm sie hinein in die Bewegung seines eigenen Betens.«159 Jesus Christus ist der exemplarisch-modellhafte Mensch, der das Geforderte, die Anrufung Gottes, tat und den Bund Gottes von menschlicher Seite her erfüllte, wobei er seine exemplarische Funktion nicht als purus homo160, sondern nur als der Sohn des Vaters, dessen menschliche Natur der Seinsweise des Sohnes Gottes enhypostasiert ist, ausüben kann.161 Seine exemplarische Funktion als vere homo erhält also den Charakter einer vermittelnden Funktion aufgrund der Wahrnehmung seiner Funktion als vere deus, so dass sich in der Wahrnehmung des exemplarischen Funktion des vere homo gerade die »wahre Göttlichkeit seines Seins«162 bewährt, ja erweist, und wir Mensch durch den Mittler Jesus Christus, den wahren Menschen und wahren Gott, »in das Verhältnis zu Gott versetzt«163 werden. Weil Jesus Christus als der Mittler die Menschen in die Bewegung seines eigenen Betens hineingenommen hat und sie so an seiner eigenen Geschichte teilnehmen lässt, ist Nachfolge als das dem Tun Jesu entsprechende Tun, das im Nach- und Mitvollzug dieser seiner Bewegung besteht, möglich: »Und wenn die Geschichte Jesu Christi kein vergangenes Phänomen, wenn er als Subjekt dieser dort und damals geschehenen Geschichte von den Toten auferstanden und in der Macht seines Heiligen Geistes heute und hier der lebendige Herr seiner Gemeinde und so der Christen ist, dann war er nicht nur, sondern dann ist er heute und hier der Mann, der in jener Bewegung zu Gott dem Vater hin, der an der Stelle und so an 158 Vgl. H. Assel, Geheimnis und Sakrament, 363. 159 K. Barth, Das christliche Leben, 100. 160 Zum Begriff des purus homo vgl. O. Hofius, Die Frage nach dem »historischen Jesus« als theologisches Problem, 94, der eine Reihe von Belegen des Begriffsgebrauchs bei Luther anführt. 161 Treffend bemerkt H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 52: »Das Gebot zum Beten ist die hermeneutische Anleitung zur existentiellen Aktualisierung des ›ontologischen Zusammenhang[s] zwischen dem Menschen Jesus einerseits und allen anderen Menschen andererseits‹ den Barth dogmatisch vermittels der Lehre von An- und Enhypostasie der menschlichen Natur in der Person Jesu Christi gelehrt hat.« Zur Figur von Anund Enhypostasie vgl. Kap. I.4. der vorliegenden Untersuchung. 162 K. Barth, Das christliche Leben, 108. 163 A.a.O., 99.

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der Spitze aller Menschen in der Anrufung des Vaters existiert. Und dann ergeht eben damit, daß er Dieser war und ist, das für Alle, die ihn als ihren Herrn erkennen und anerkennen, verbindliche Gebot – das erste aller Gebote, es ihm nachzutun, in seine Anrufung Gottes des Vater mit einzustimmen.«164

Wenn Menschen das tun, was Jesus Christus im Gehorsam tat, nämlich zu beten, dann tun sie Barth zufolge bereits das Gute. Sie tun es als einzelne oder als Gemeinde im Namen Jesu Christi: Das Gebet ist »mit gleichem Ernst Gemeinschaftshandlung der christlichen Gemeinde und Tathandlung des christlichen Individuums.«165 Von Barths Verständnis des Gebets als dem charakteristischen Handeln des Christen166 her kann man der eingangs erwähnten und nun kurz zu rekapitulierenden Kritik H. Zahrnts begegnen. Diese hat eine zweifache Pointe: Sie moniert zum einen die durch Barths monologischen Offenbarungsverständnis generierte fehlende Berücksichtigung der Situation des Menschen. Und sie bemängelt zum anderen die ihr korrespondierende »Geschichtslosigkeit« der Theologie Barths, die aus der Reduktion der Offenbarung auf ein innertrinitarisches Selbstgespräch Gottes resultiere. Den »Erdboden« der Geschichte lasse diese Theologie eines »abstrakte[n] Monismus«167 gleichsam hinter sich. Bleibt also – um mit F. Nietzsches »Zarathustra« zu sprechen – Barths Theologie nicht der Erde treu?168 Verdeutlicht man sich die zentrale Stellung insbesondere des Gebets in Barths Theologie, so wird man Zahrnts These in Zweifel ziehen müssen. Das Gebet stellt – wie im Folgenden veranschaulicht werden soll – einen im Blick auf die Friedensethik bedeutsamen Bezugspunkt für eine Auseinandersetzung mit Zahrnts weitverbreiteter Kritik sowohl an der Monologizität als auch der Geschichtslosigkeit bzw. mangelnden Erdverbundenheit der Theologie Barths dar. Im Akt dieser situationsbezogenen Kommunikation mit Gott, die das Gebet repräsentiert, spitzt sich die Problemstellung des konkreten Erdbezugs und der Korrelation von menschlicher Frage und göttlicher Antwort zu. Insofern lässt sich am Gebet mehr als nur rein exemplarisch demonstrieren, dass auch für Barth eine Theologie ohne Bezug auf die

164 A.a.O, 100 f. 165 H. Ruddies, Anrufung Gottes, 8. So auch J.L. Mangina, Karl Barth on the Christian Life, 173. 166 Vgl. K. Barth, KD III/3, 299 f.: »Daß gerade der christliche Gehorsam das Gebet in sich hat, bedeutet zunächst dies, daß ja eben das Gebet die intimste und kräftigste Form der christlichen Tat ist«. 167 H. Zahrnt, Die Sache mit Gott, 144. 168 Vgl. F. Nietzsche, KGA 4, 15 (Also sprach Zarathustra): »Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.«

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Situation, auf die konkrete Existenz des einzelnen wie die Entwicklung der ganzen Welt ein Monolog wäre.169 Gott hingegen monologisiert Barth zufolge nicht, vielmehr ist er fähig zu hören: »Anrufung des Vaters ist im Neuen Testament […] ein lautes oder stilles Reden. Indem da geredet wird, […] wird offensichtlich damit gerechnet, daß der Angerufene hört, mehr noch: daß mit dem an ihn ergehenden Anruf sein eignes Anrufen beantwortet wird – daß also auch er […] Einer ist, der als solcher – ›mit sich reden läßt‹.«170 J.L. Mangina kommentiert diesen Passus, der dem ZahrntVorwurf stracks widerspricht, adäquat: »Here it becomes clear that Christian address to God is not realized in the depths of the self, but rather in concrete utterance, audible speech (or even singing). Nor is the obedience to the command an end in itself. Rather, it marks out our entry into a real conversation; it is characteristic of the biblical God that he does not simply speak, but also listens.«171 Auch der Zahrntsche Vorwurf der »Geschichtslosigkeit« der Theologie Barths erweist sich im Blick auf die gebetstheologische Konzeption Barths als hinfällig. Denn es geht im Gebet bzw. bei der Anrufung Gottes um die »frei gewährte Teilnahme an seinem [Gottes; M.H.] Sein und Leben«172. Das Leben Gottes ist aber in seinem Kern »die Geschichte seiner Versöhnung mit den Menschen als Durchsetzung des Bundes und der ewigen Erwählung.«173 An dieser Geschichte partizipiert der Mensch als Bundespartner Gottes, so dass man – mit J. Webster – festhalten kann: »[T]he history of God and humanity is a history with two subjects and agents.«174 Der versöhnten Kreatur sind nach Barth der Raum und die Zeit der Geschichte dazu gegeben, »an der der Saat ihrer Versöhnung fol-

169 Vgl. E. Hübner, »Monolog im Himmel«?, 74. 170 K. Barth, Das christliche Leben, 82 f. Vgl. auch ders., KD IV/3, 1012. 171 J.L. Mangina, Karl Barth on the Christian Life, 174. Wie Mangina anhand der Struktur der Paragraphen 77 und 78 des »Christlichen Lebens« gezeigt hat, ist Barth Gebetstheologie dialogisch angelegt und beschreibt »a dialog between God and his human covenant partner« (a. a. O., 176). Vgl. dazu auch die subtilen Überlegungen von J. Webster, Barth’s Ethics of Reconciliation, 175 – 191. 172 K. Barth, Das christliche Leben, 141. Als Beleg sei fernerhin auf folgende Aussage K. Barths (KD III/3, 322) in der Schöpfungslehre verwiesen, die von der realen Anteilnahme des Beters an Gottes Weltherrschaft spricht und besagt, »daß eben das Geschehen da droben, hoch über allem Kreaturgeschehen und also auch über dem christlichen Verhalten auch in der Form des Gebetes, sich diesem gewissermaßen entgegenneigt, in dieses eingeht, sich mit diesem vereinigt, so daß das christliche Verhalten, indem es eine kreatürliche Bewegung ist und bleibt, an Gottes Weltherrschaft Anteil bekommt, so daß eben Gottes Weltherrschaft nicht nur dort droben, sondern nun eben auch da drunten, auch im Verhalten des Christen ihren Ort hat und Ereignis wird.« 173 H. Ruddies, Anrufung Gottes, 15. 174 J. Webster, Barth’s Ethics of Reconciliation, 187.

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genden Ernte nicht nur als Zuschauer, sondern aktiv teilzunehmen«.175 Dementsprechend heißt es im »Christlichen Leben«: »Was er mit ihnen und für sie will, das ist darum Geschichte, lebendiger Umgang und Verkehr zwischen ihm und ihnen, aber auch zwischen ihnen und ihm. Daß sie diesen Verkehr auch ihrerseits aufnehmen und pflegen, ihre Partnerschaft mit ihm in dieser Geschichte realisieren, seine Vaterschaft und ihre Kindschaft in Wort und Tat zur Sprache bringen möchten – das ist es, wozu er sie aufruft, indem er ihnen gebietet, ihn anzurufen – wenn er will, daß ihr ganzes Leben zu solcher Anrufung werde.«176

Im Kontext der vorliegenden Untersuchung ist nun das Gebet um den Frieden nicht zuletzt im Blick auf die Zahrntsche Kritik von besonderer Relevanz. Die Frage des Friedensgebets wird für Barth lebens- und zeitgeschichtlich insbesondere im Zweiten Weltkrieg virulent und zwar in verschiedener Hinsicht. Zum einen fragt Barth selbst nach dem angemessenen Inhalt des Gebets um den Frieden. Barth fragt konkret nach dem Friedensbegriffs, der ihm in seiner Allgemeinheit präzisierungs- und konturierungsbedürftig zu sein scheint. So heißt es in Barths Brief vom 7. 10. 1939 an W. Visser’t Hooft: »Sollen die Kirchen jetzt wieder einfach um den Frieden in blanco beten (1938, in den Tagen von München haben sie es bekanntlich getan), oder bewußt und bestimmt um einen gerechten Frieden und deshalb bewusst und bestimmt (den Willen Gottes, der auch die beste Sache unterliegen lassen kann, vorbehalten!) um den Sieg dieser und nicht jener Waffen?«177 An Christen in Frankreich schreibt Barth ungefähr zeitgleich: Die Kirchen »sollen heute in aller Bußfertigkeit und Nüchternheit um einen gerechten Frieden beten und in derselben Bußfertigkeit und Nüchternheit allem Volk bezeugen, daß es nötig und der Mühe wert ist, für diesen gerechten Frieden zu streiten und zu leiden.«178 Zum anderen wird Barth in puncto Gebetspraxis um theologischen Rat gefragt, etwa von Christen in den von Deutschland besetzten Niederlanden, die wissen möchten, ob es legitim sei, das kirchliche Gebet für ihre Königin fallen zu lassen.179 Barth antwortet: »Unbedingt Nein! Das Gebet für die Königin war euch hoffentlich in den Zeiten, da es erwünscht war, keine romantische Spielerei und auch nicht die Angelegenheit sentimentalen Patriotismus, sondern ein ernstliches Bekenntnis zu dem von Gott eingesetzten rechten Staat, dessen Exponent bei euch das Haus Oranien ist. […] Ihm [dem 175 K. Barth, KD IV/3, 383. 176 Ders., Das christliche Leben, 137. 177 K. Barth – Willem Adolf Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930 – 1968, 108 f. (Brief vom 7. 10. 1939). 178 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 217 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939). Zur Konzeption des »gerechten Friedens« vgl. Kap. II.5. der vorliegenden Untersuchung. 179 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 90 f.

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Nationalsozialismus] hat die Kirche nach wie vor und unter allen Umständen das Bekenntnis zum rechten Staat und eben damit das ganze christliche Bekenntnis entgegenzusetzen. Das heute unerwünschte Gebet für die Königin ist heute die konkrete Form dieses Bekenntnisses. Es darf heute um keinen Preis unterbleiben. Es ist articulus stantis et cadentis ecclesiae.«180

Barth interpretiert das Gebet für die Königin unter den entsprechenden historischen Umständen als einen subversiven Akt, ja als Akt eines politisch wirkenden und wirksamen Widerstandes.181 Barth befürwortet dementsprechend die Beteiligung an der Arbeit niederländischen Widerstandsorganisationen gegen das NS-Regime und zwar unter Verweis auf die Kompatibilität solchen Engagements mit dem Gebet für die Königin: »Wer nun die Widerstandsabsicht und die Widerstandsarbeit jener Organisation fördern kann, der soll es tun. Seine Beteiligung am Gebet für die Königin und also am kirchlichen Bekenntnis wäre nicht aufrichtig, wenn er es nicht täte.«182 Das Gebet für die Obrigkeit183 ist Barth zufolge – der diesen Gedanken erstmalig in seinen Edinburgher GiffordLectures (1938) ausführt – konstitutiver Bestandteil des politischen Gottesdienstes184 der Kirche, so dass Barth im Anschluss an 1Tim 2,1 – 4 die Notwendigkeit des Gebets für die Obrigkeit betonen kann, »wer und wie sie auch sei«185. Hinsichtlich einer tyrannischen Obrigkeit fragt Barth suggestiv : »Müßte dann das Gebet für diese Regierung, ohne aufzuhören, für ihre Personen und ihre Bekehrung, für ihr ewiges Heil vor Gott einzutreten, nicht doch ganz schlicht zum Gebet um ihre Beseitigung als politische Machthaber werden? Und

180 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 348 f. (An meine Freunde in den Niederlanden, Juli 1942). 181 Vgl. H. Ruddies, Anrufung Gottes, 10: »Das Gebet ist in seiner Ausrichtung auf Gott immer auch eine soziale, ja eine politische Tat.« 182 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 350 (An meine Freunde in den Niederlanden, Juli 1942). 183 Vgl. dazu: G. Wainwright, Praying for Kings, 217 – 235. M. Beintker (Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 162) bestimmt die Fürbitte für den Staat im Blick auf deren Status in der politischen Ethik K. Barths als den »vornehmste[n] politische[n] Dienst der christlichen Gemeinde«. Vgl. K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 31: »Das Gebet für die Träger der Staatsgewalt gehört zum eisernen Bestand ihrer [der Kirche; M.H.] eigenen Existenz«, und a. a. O., 37: »Überblickt man die im Neuen Testament an die Christen gerichteten Mahnungen hinsichtlich ihres Verhältnisses zum Staate, so ist es gewiß berechtigt, die I. Tim 2, 1 ausgesprochene Mahnung zur Fürbitte als die intimste und als die alle anderen zugleich umfassende und radikalisierende in den Mittelpunkt zu stellen […]. Weit entfernt davon, daß der Staat Gegenstand der Anbetung werden könnte, ist er, sind seine Vertreter und Träger vielmehr dessen bedürftig, daß für sie gebetet wird. Daß dies geschieht, das ist, grundsätzlich und umfassend gesagt, die Leistung der Kirche für den Staat.« 184 Vgl. zu Konzeption des »politischen Gottesdienstes« die Ausführungen im Abschnitt II.2.3.2.4. der vorliegenden Untersuchung. 185 K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 213.

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wie würden wir dann, diesem Gebet entsprechend, auch handeln müssen?«186 Wiederum tritt hier der distinkte, irreduzible Zusammenhang von Gebetsinhalt und politischer Praxis hervor. Ihn nicht auseinander zu reißen, mahnt Barth entschieden an: »Eines aber darf nicht geschehen: wir dürfen nicht darum beten und wir dürfen es auch nicht wollen, daß uns der Gehorsam gegen Gott auch in diesem weltlichen Bereich, daß uns der politische Gottesdienst mit seinen Entscheidungen als solcher erspart bleibe. Und wir werden, da wir einmal für ihn in Anspruch genommen sind, vor keiner seiner Konsequenzen, wenn sie von uns gefordert ist, die Flucht ergreifen dürfen.«187 Das Gebet, wie Barth es in den Blick nimmt, repräsentiert also summa summarum kein erdenthobenes, monologisch ausgerichtetes Konzept im Sinne der Barth-Kritik H. Zahrnts, sondern es umschreibt die erdverbundene und situationsbezogene Praxis des freien und aufrichtigen Gesprächs mit Gott, das eminent politische Wirkung zeitigt:188 Das Gebet führt »von einem bescheidenen, aber bestimmten politischen Denken und Handeln gewiß nicht weg, sondern in einen zielbewussten Kampf erst recht«189 hinein. Das gilt in zugespitzter Weise für das Friedensgebet. Die Gemeinde bittet »in der sozietären Struktur eines Wir, in das inkorporiert jedes Ich gerade nicht ›mein Vater‹, sondern eben ›Unser Vater‹ betet«190, auch in seinem Namen um den Frieden: Dona nobis pacem.191 Indem sie dies tut, bekennt sie sich als Gemeinde vor der Welt zum Frieden und wirkt als Zeugin des Gottes des Friedens. Die Gemeinde bezeugt damit, dass nur er allein das zu geben vermag, um das sie bittet: »Herr, gib uns deinen Frieden« (vgl. Num 6,26). Und sie bezeugt mit dieser Bitte um seinen Frieden die Differenz, ja Gebrochenheit zwischen dem Frieden Gottes und dem Frieden auf Erden: »[I]ndem der Unterschied solchermaßen konkret zum Ausdruck kommt« – so E. Jüngel Barth paraphrasierend – »wird er auch schon als ein positives Verhältnis zur Geltung gebracht. 186 A.a.O., 214. 187 A.a.O., 215 f. 188 Vgl. H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 52: »Die Anrufung Gottes ist Verkörperung des unableitbaren Faktums der Freiheit jedes einzelnen – und wird doch im Plural, kommunitär, als Vaterunser gesprochen. Auf Dauer könnte diese Freiheit zur Anrufung Gottes nur um den Preis des Selbstwiderspruchs einzeln, privat erfolgen. Der kommunitäre Plural jedoch macht den Vollzug der Anrufung eo ipso zu einem öffentlichen, politischen Ereignis, ja zur kühnen Antizipation eines Aktes, zu dem in Jesus Christus alle Menschen bestimmt sind«. 189 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 250 (Eine Frage und eine Bitte an die Protestanten von Frankreich, Oktober 1940). 190 E. Jüngel, Anrufung Gottes als Grundethos christlichen Handelns, 321. 191 K. Barth (KD III/4, 530) interpretiert die Zuwendung der christlichen Kirche zu einem Staatsvolk, das in den Notstand geraten ist, als »Anleitung zum Gebet, das dann gewiß nicht in der Anruf eines heidnischen Geschichts- und Schlachtengottes bestehen, das dann gewiß immer wieder aus dem Dona nobis pacem! Herkommen und in dieses einmünden wird.«

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Denn indem Menschen den von ihnen unterschiedenen Gott um eine von ihrem Tun unterschiedene Tat bitten und so – ›senkrecht von unten‹! – anrufen, tun sie ihrerseits bereits das der erbetenen göttlichen Tat Entsprechende.«192 Im Akt der Anrufung Gottes handelt der Mensch als ein dem friedensstiftend tätigen Gott entsprechender friedenstiftender Täter und bewährt sich so als cooperator Dei in mundo. Denn indem der Mensch Gott um seinen Frieden bittet, hat er Anteil am großen weltverändernden Eingreifen Gottes: »Die Hände zum Gebet falten, ist der Anfang der Auflehnung gegen die Unordnungen der Welt.«193 Das Gebet kann demzufolge in friedensethischer Hinsicht eine »materiale« Funktion erfüllen, die in der Ausrichtung des Handelns nach dem Inhalt des Gebet besteht: Das menschliche Handeln ist dann rechtes Handeln, wenn es dem Inhalt des Gebets entspricht: lex orandi – lex vivendi; lex orandi – lex agendi.194 Diese Sequenz195 lässt sich an Barths gebetstheologischem Eintreten für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat196 veranschaulichen. Im Rahmen einer Reihung von Schlussfolgerungen formuliert Barth in seinem Wipkinger Vortrag »Die Kirche und die politische Frage von heute« (1938): »Wenn es wahr ist, daß die Kirche im Gegensatz zum Nationalsozialismus um ihre eigene Wiederherstellung und Erhaltung und darum auch um die Wiederherstellung und Erhaltung des rechten Staates zu beten hat [lex orandi; M.H.], dann folgt daraus, daß ihre Bezeugung Jesu Christi als Aufruf zur Buße den Aufruf zur Mitarbeit an dem, was dieser doppelten Wiederherstellung und Erhaltung dient, in sich schließt [lex 192 E. Jüngel, Anrufung Gottes als Grundethos christlichen Handelns, 321. 193 K. Barth; Diktum überliefert und zitiert nach J.M. Lochman, Rechenschaft über einen theologischen Weg, 197. Vgl. K. Barth, Das christliche Leben, 361: »Die entscheidende und, recht verstanden, alles Weitere in sich schließende Aktion ihres Aufstands gegen die Unordnung ist die Anrufung Gottes in der zweiten Bitte des Herrengebetes: ›Es komme dein Reich!‹« Zur ethischen Relevanz des Friedensgebets vgl. auch G. Wainwright, Doxology, 428 f. 194 Hierbei handelt es sich um K. Barths (Das christliche Leben, 77.282) Modifikation der dem Augustinverehrer Prosper von Aquitanien zugeschriebenen Kurzformel lex orandi – lex credendi. Vgl. zu dieser Formel auch G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 158 – 167; G. Wainwright, Gottesdienst als »Locus Theologicus«, 253 ff. In G. Wainwrights (Doxology, 218 – 283) eigenem, unter dem programmatischen Namen »Doxology« erschienen Entwurf einer »Systematischen Theologie« avanciert besagte Kurzformel zum organisierenden Materialprinzip. 195 Vgl. auch J.L. Mangina Karl Barth on the Christian Life, 177; J. Webster, Barth’s Ethics of Reconciliation, 175 f. 196 Vgl. K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 139 (Brief vom 24. 10. 1938 an A. Tromp-De Jong): »Die Kirche muß darum beten und darum muß sie auch dafür arbeiten, daß der Staat nach innen und außen ein rechter Staat sei. Zum rechten Staat gehört auch, daß er den Frieden schützt: aber eben schützt und zwar den Frieden, der der Gerechtigkeit und der Freiheit dient und in Gerechtigkeit und Freiheit zustande kommt. […] Wenn der Staat den Frieden nicht mehr anders schützen kann, dann muß er ihn mit dem Schwert schützen. Die Kirche wird darum beten und dafür arbeiten, daß das nicht nötig werde.«

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vivendi bzw. lex agendi; M.H.].«197 Wenig später heißt es: »Wenn wir ernstlich um die Dämpfung und Beseitigung des Nationalsozialismus und also um die Wiederherstellung von Kirche und Staat beten [lex orandi; M.H.], dann sind wir eo ipso aufgerufen, das Menschenmögliche für das, um was wir beten, selber zu tun [lex vivendi bzw. lex agendi; M.H.]. Wieder wäre das ein faules unnützes Gebet, in w[e]lchem man sich diesem Aufruf entziehen könnte und wohl gar wollte.«198

Der Leitsatz des § 78 (»Der Kampf um menschliche Gerechtigkeit«) des »Christlichen Leben« (KD IV/4, Fragment) lautet – um ein weiteres Beispiel anzuführen – dementsprechend: »Die Christen bitten Gott, daß er seine Gerechtigkeit auf einer neuen Erde unter einem neuen Himmel erscheinen und wohnen lasse. Unterdessen handeln sie ihrer Bitte gemäß als solche, die für das Walten menschlicher Gerechtigkeit, d. h. für die Erhaltung und Erneuerung, für die Vertiefung und Erweiterung der von Gott angeordneten menschlichen Sicherungen menschlichen Rechtes, menschlicher Freiheit, menschlichen Friedens auf Erden verantwortlich sind.«199

Die Beispiele ließen sich geradezu beliebig vermehren,200 in denen Barth verdeutlicht, dass »zu einem rechten Gebet unmittelbar die Bereitschaft und der Wille gehören, auch konkret zu verwirklichen, worum gebeten wird, soweit man dies jedenfalls tatsächlich und energisch vermag.«201 Für Barth gehören Beten und Arbeiten202 (ora et labora) nicht im Sinne eines unbestimmten Korrelationszusammenhangs mehr oder weniger eng zusammen.203 Vielmehr besteht 197 198 199 200

K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 97. A.a.O., 101. Ders., Das christliche Leben, 347. Vgl. etwa a. a. O., 361 f.: »Anrufung Gottes in und mit dieser Bitte [Es komme dein Reich; M.H.] – des Menschen gehorsames Tun in dieser Vertikale impliziert aber (als desselben Menschen gehorsames Tun) die Horizontale einer ihr entsprechenden menschlichen und also vorläufigen Haltung und Handlungsweise im Bereich der Freiheit, die ihnen, indem sie um das Kommen des Reiches bitten dürfen, schon jetzt und hier, schon diesseits der Erfüllung dieser Bitte gegeben ist. Das Bitten um das Kommen des Reiches dispensiert sie [die Bittenden; M.H.] also nicht davon, vorläufig: in ihren eigenen menschlichen Gedanken, Worten und Werken, gegen die Unordnung aufzustehen und in Kampf zu treten. Im Gegenteil: sie könnten diese Bitte gar nicht beten, ohne, indem sie das tun, hin- und emporgerissen zu werden zu solchem ihr entsprechenden eignen und also vorläufigen, aber in diesem Bereich nicht minder ernsthaften Tun.« An anderer Stelle heißt es: »Die zweite Bitte tapfer beten heißt: dieser Bewegung und Wendung folgen – heißt: keine andere Wahl mehr haben, als nach vorwärts nicht nur zu blicken, sondern zu leben und also zu denken, zu reden, zu handeln«. A.a.O., 454. 201 W. Lienemann, Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 167. 202 In extremis kann dies bedeuten, wie K. Barth (Des Christen Wehr und Waffen, 29) im Jahr 1940 hervorhebt: »Es besteht vielmehr Anlaß, […] zu beten und zu arbeiten – auch zu arbeiten, was in diesem Fall leider heißen muß: zu schießen.« Vgl. dazu die Ausführungen zu Barths Grenzfall-Konzeption im Kap. II.2. der vorliegenden Untersuchung. 203 Vgl. D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 139.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Barths Pointe in der Unumkehrbarkeit ihres Verhältnisses: Nur als Konsequenz des Gebets ist Arbeit theologisch angemessen konzipierbar. »Kann ein ernsthaftes Gebet auf die Länge ohne die entsprechende Arbeit bleiben? Kann man Gott um etwas bitten, das man nicht in den Grenzen seiner Möglichkeiten herbeizuführen im selben Augenblick entschlossen und bereit ist? Kann man also beten, daß der Staat uns erhalten, und zwar als Rechtsstaat erhalten bleiben oder zum Rechtstaat wieder werden möchte, ohne sich in eigener Person in eigener Besinnung und mit eigener Tat dafür einzusetzen, daß dies geschehe, ohne mit der Schottischen Konfession den ernstlichen Willen zu haben und zu bekennen: vitae bonorum adesse, tyrannidem opprimere, ab infirmioribus vim improborum defendere, ohne also gegebenen Falles mit Zwingli auch damit zu rechnen, daß solche Machthaber, die untrüwlich und usser der schnur Christi faren wurdind, ›mit Gott entsetzt‹ werden müssen?«204

Auch das Gebet für den Frieden wird Barth zufolge nicht unverbindlich bleiben, in die Diastase von »Ja im Wort« und »Nein in der Tat« auseinanderbrechen und »in ein unartikuliertes Brummen frommer Worte übergehen«, welches Barth wie folgt ironisiert: »Gebet für den Frieden: ja, aber unverbindliches Gebet! Verbindliche Schritte für den Frieden: nein, sollte es darauf ankommen, dann Rückzug in die Neutralität, in den sicheren Abstand von den fatalen Problemen und den noch fataleren Problemlosigkeiten der jeweiligen Gegenwart, dann aufs neue mächtige, wahre und gewiß auch aufrichtig gemeinte, aber eben in ihrer stumpfen Allgemeinheit ohnmächtige Beteuerung, daß Jesus Christus auferstanden sei, am letzten Tag wiederkommen und Alles gut machen werde und daß der Glaube an ihn der Sieg sei, der die Welt überwinde!«205

Diese gebetsethische Einsicht bringt Barth in einer Radioansprache am 25. Mai 1952, als mit der Remilitarisierungsdebatte ein Kulminationspunkt des »Kalten Krieges« erreicht war, in schlichten Worten zur Sprache, indem er auf die damals drängende Frage: »Was sollen wir denn tun?« antwortet:206 »Unser erster und vielleicht auch wichtigster Beitrag zum Weltfrieden wird also schon darin bestehen müssen, daß wir Gott bitten, er möge diese Männer [die in Washington und im Kreml über Krieg und Frieden zu beschließen haben; M.H.] und denen, auf die sie hören, Weisheit und Verstand und viel Erbarmen mit den Völkern, die ihrer Führung anvertraut sind, ins Herz geben. Aber nun ist es auch in dieser Sache so, daß, wer selber nichts tun wollte, auch nicht recht beten könnte. Und so ist es erfreulich, daß offenbar viele sich heute fragen, was sie als Beitrag zum Weltfrieden an ihrem bescheidenen Ort als das gerade ihnen Gebotene tun sollten.«207 204 205 206 207

K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 44 f. Ders., KD IV/3, 932. Vgl. E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 396 – 401. K. Barth, Der Götze wackelt, 159 (Was sollen wir denn tun?, 1952) ). K. Barth (Briefe 1961 – 1968,126) beendet seinen Brief an H. Kuwada (Tokio) vom 22. 1. 1963 mit der Be-

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Die ecclesia orans als ecclesia efficaciter laborans

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Das Gebet erweist sich nach Barth in konkurrenzloser Weise als die wirksamste Einflussnahme auf die jeweils vorherrschende Machtkonstellation. Insbesondere die Fürbitte ist eine friedenspolitisch höchst brisante Handlung (vgl. 1Tim 2,2), weil sich die Glieder der Christengemeinde in ihr als die bereits gegenwärtig der Friedenswirklichkeit in Jesus Christus entsprechenden Subjekte erweisen, die mit der Friedensbitte anerkennen, dass sie nicht die diese Wirklichkeit beherrschenden und den »ewigen Frieden« erst hervorbringenden Subjekte sind, als die sich Menschen in titanenhaftem Übermut allzu oft stilisier(t)en. Das Gebet der Gemeinde entpuppt sich als ein Wort des Widerstandes gegen diesen Wahn, aus dem aufgrund seines unumgänglichen Scheiterns der Jammer über das Elend der friedlosen Welt zwangsläufig resultieren muss. Das Friedensgebet der Christengemeinde stimmt hingegen in diesen Jammer nicht mit ein. Es ist vielmehr eine Sprachhandlung des praktischen Widerstandes gegen dieses Jammern über den irdischen status quo und als solche zugleich Ausdrucksform der politischen Existenz der Gemeinde Jesu Christi. Sie ruft mit ihrem Friedensgebet nicht zur Passivität auf, sondern vollzieht betend in aktiver Weise die Einstimmung in die Friedenswirklichkeit Jesu Christi, die als solche Teil des Handelns für den Frieden auf Erden ist. Es gilt festzuhalten: Barth bemüht – formal betrachtet – die Denkfigur der Implikation, um den Zusammenhang von Gebet und Arbeit, Bitte und Handeln, Anrufung und Tat zu bestimmen: Die Bitte um den Frieden »impliziert das Gebot, in dieser Sache auch das Unsrige zu tun«208. Inhaltlich heißt dies für Barth, dass die Menschen gleichsam als Konsequenz aus dem Implikationsverhältnis mit großer Leidenschaft »in der Welt, in der Kirche zuerst aber in ihrem eigenen Herzen und Leben um den Vorrang der Geltung seines Wortes«209 in Gestalt des Gebots eifern sollen. Die Bitte um den Frieden ist Barth zufolge nicht nur ein an Gott adressierter Appell, er möge den Frieden auf Erden durchsetzen. Die Friedensbitte impliziert bereits als »Voraussetzung und Folge«210 ein Ethos – Barth spricht von »menschlicher Haltung und Handlung«211 –, das auf den Frieden bezogen ist. Aus diesem (friedens-)ethisch auszumittelnden und zu reflektierenden Ethos heraus und auf dieses hin wird die Friedensbitte artikuliert. Der Ort nun, wo dieses Ethos beheimatet ist und wo sich auch in materialer

208 209 210 211

merkung: »Lassen wir dort wie hier das unsere persönliche ›Friedensbewegung‹ sein: unser Gebet, unser Studium im Dienste des vollendeten Werkes und des gesprochenen Wortes Gottes, dessen Kraft und Licht die einzige, aber siegreiche Friedenshoffnung ist.« Ders., Das christliche Leben, 282. Vgl. ders., Gespräche 1959 – 1962, 139 (Gespräch mit Vertretern der Herrnhuter Brüdergemeine vom 12. 10. 1960): »Aus dem Beten für die Obrigkeit folgt die politische Mitarbeit.« Ders., Christliche Leben, 180. Dort kursiv. H. Ruddies, Anrufung Gottes, 22. K. Barth, Das christliche Leben, 183.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Hinsicht friedensethische Einsicht einstellt, ist nach Barth der kirchliche Diskurs.212 Bereits die der Friedensbitte inhärierende Bitte um eine Antwort auf die Frage, wie eine Einstimmung in Gottes friedensstiftendes Tun konkret aussehen soll und kann, bezieht die Gemeinde in die Herstellung gerechterer und friedvollerer Verhältnisse auf Erden mit ein und macht damit den diskursiven Charakter der Friedensethik K. Barths transparent:213 »Das entscheidende Werk, die bewegende Kraft ihres [der Christen; M.H.] tätigen Widerstehens und Angreifens wird in ihrer Ergebung bestehen, das entscheidende Werk ihrer Hände darin, daß sie Alles – wirklich Alles, das Große und das Kleine – in die Hände Gottes legen.«214 Dadurch, dass das Gebet der Beginn des Handelns derer ist, die nicht wissen, was sie beten, geschweige denn tun sollen (vgl. Röm 8,26), und die den Vater anrufen und das Gebot Gottes als Gesetz des Evangeliums zu hören bekommen und mithin Weisung empfangen, wird der materiale Gehalt dessen, was zu tun ist, jeweils neu bestimmt. Und dies besagt via negationis nichts anderes, als dass besagter materiale Gehalt eben nicht durch ein allgemeines Prinzip vorbestimmt wird, das die nomothetische Potenz der praktischen Vernunft generiert,215 wenngleich die praktische Vernunft im Blick auf die friedensethische Urteilsbildung keineswegs aus- sondern unumgehbar eingeschlossen ist.216 Im praktischen Vollzug des Gebets wird die Differenz von menschlichem und göttlichem Tun in aller Gebrochenheit »in seiner größten Strenge und Reinheit erfahren«217, zumal der Mensch ja nicht um das Handeln Gottes bitten müsste, wenn er selbst göttlich handeln könnte: »Die Gebetshandlung ist deshalb so entscheidend, weil durch sie alles andere Handeln in den rechten Horizont seiner Bedürftigkeit dem Handeln Gottes gegenüber gerückt wird.«218 Im Gebet rea212 H. Ruddies (Anrufung Gottes, 23) spricht salopp, aber nicht unzutreffend vom »christlichen Palaver«. 213 So auch G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 162. 214 K. Barth, KD IV/2, 153. Vgl. auch M. Weinrich, Kirche glauben, 152 f. 215 Vgl. I. Kant, KpV, A 55 f.: »Denn reine, an sich praktische Vernunft ist hier unmittelbar gesetzgebend […]. Doch muß man, um dieses Gesetz ohne Missdeutung als gegeben anzusehen, wohl bemerken, dass es kein empirisches, sondern das einzige Faktum der reinen Vernunft sei, die sich dadurch als ursprünglich gesetzgebend (sic volo, sic iubeo) ankündigt […]. Reine Vernunft ist für sich allein praktisch, und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen.« 216 Nachweise dazu werden in Kap. II.1. der vorliegenden Untersuchung geliefert. Anders M. Honecker, Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi, 89 f. 217 E. Jüngel, Anrufung Gottes als Grundethos christlichen Handelns, 321. Vgl. auch H.G. Ulrich, Gebet, 19: »In ihm [dem Tun des Betens; M.H.] lernt der Beter, Gottes Handeln von seinem eigenen zu unterscheiden.« 218 So R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 83) unter Bezugnahme auf K. Barth, KD IV/3, 1012: »Indem sie [die Gemeinde; M.H.] betet, bekennt sie, daß ihr ganzes

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Doppeltstrukturiertes Freiheitsverständnis

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giert die Gemeinde gleichsam affirmativ auf die Frage: »Was hast du, das du nicht empfangen hast?« (1Kor 4,7), indem sie sich bittend vor Gott dazu bekennt, dass sie nichts »tun kann, ohne sich von ihm die Hände zu solchem Geben füllen zu lassen«219. Gerade im Blick auf die Friedensethik gilt: »Indem der Mensch Gott um sein Handeln bittet, tut der Mensch mehr als er sonst tun könnte. Das Gebet ist also das größte und wichtigste Werk, was überhaupt getan werden kann.«220 Oder in K. Barths eigener Diktion: »Immer nur die ecclesia orans kann und wird die ecclesia efficaciter laborans, die ihrer Verantwortlichkeit wirklich entsprechende Gemeinde sein.«221

4.

Doppeltstrukturiertes Freiheitsverständnis: Des Menschen Befreiung zum guten Werk des Friedensstiftens

Für Barth ist das Gebet »zwingendes Gebot und strikter Befehl.«222 Als Gebot Gottes fordert und verpflichtet mich das Gebet im Namen Jesu Christi – »mich selbst für Jesus, meine eigene Unterordnung unter diesen Namen und sein Recht. Daß ich diesem Namen und seinem Recht untergeordnet leben dürfte, das ist die große Erlaubnis, die es mir gibt, die große Befreiung, die es vollzieht. Es verpflichtet mich auf diesen einen Namen und sein Recht. Und diese Verpflichtung greift über alle Verhaltensweisen und Leistungen als solche hinweg nach mir selbst.«223 Aussagen wie diese weisen darauf hin, dass die Subjektivität des Menschen in höchstem Maße vom Gebet betroffen ist, ja, dass das Gebet geradezu als eine »subjekt-konstituierende[] Sprachhandlung«224 verstanden werden will. Das Selbst wird konstituiert, aber nicht einfach fremdbestimmt oder gar vergewaltigt. Vielmehr insistiert Barth darauf, dass es sich beim Gebet um ein »Werk der Freiheit«225, ja um den konstitutiven Freiheitsakt des Menschen handelt:

219

220 221 222 223 224 225

Tun nur Zeugendienst sein kann, der als solcher gänzlich auf seine Bestätigung durch den angewiesen ist, den sie zu bezeugen hat«. K. Barth, KD IV/3, 890 f. Treffend hält W. Lienemann (Karl Barth 1886 – 1968, 38) fest: »[A]uch der ›alte‹ Barth hielt an der frühen Grundunterscheidung fest, derzufolge das Gottesreich und sein Kommen ausschließlich Sache Gottes selber sind. Gerade das Gebet um das Kommen des Reiches erweist, dass dieses nicht in und an menschlichem Wollen und Handeln liegt«. So im Anschluss an K. Barth G. Plasger, Weisung des Gebets, 115. K. Barth, KD IV/3, 891. Ders., KD III/4, 102. Ders., KD II/2, 678. H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 52. Vgl. J.L. Mangina, Karl Barth on the Christian Life, 177: »Prayer is thus the beginning of the formation of the Christian as agent.« K. Barth, Das christliche Leben, 178.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

»Es ist aber Beten gerade der freie Akt des Menschen, in welchem er der Freiheit Gottes gegenüber seiner eigenen Freiheit den Vortritt zugesteht, aber auch in seiner eigenen Freiheit nachfolgt, in welchem er sich daraufhin zu Gott in Beziehung setzt, daß er weiß, daß er das von sich aus nicht kann, daß er aber von Gott aus dazu befugt und befähigt ist, in welchem er es darum – und eben das geschieht, indem das Gebet Dank und Bitte ist – der Freiheit Gottes anbefiehlt, ihn den Menschen in seiner eigenen Freiheit in seine Nachfolge aufzunehmen und also, indem er ihm vorangeht, auf seinem Weg mitzunehmen. Beten wir, so wenden wir uns an Gott mit dem Zugeständnis, daß wir dessen nicht mächtig sind, weil wir Gottes nicht mächtig sind, aber auch in dem Vertrauen, daß wir eben dazu nun doch eingeladen und fähig gemacht sind. Insofern ist das Gebet geradezu die Urform aller menschlichen Freiheitsakte in der Kirche, die Urform, die sich also solche in allen anderen Freiheitsakten wiederholen muß.«226

In »geradezu definitorischer Form« bringt K. Barth hier den »eminent wichtige[n] Gedanke[n]«227 zur Sprache, der »alle weiteren Bestimmungen zur Sache als ihr[en] cantus firmus«228 prägt: »[D]as Gebet ist die paradigmatisch subjektive Tat, in der der Mensch seine eigene Freiheit als unverdientes Geschenk dadurch empfängt, daß er auf die Struktur der Selbstbehauptung verzichtet und in Gottes Zustimmung zu seiner Existenz selber einstimmt.«229 In diesem Grundakt der Freiheit, der zugleich einen »Grundakt des christlichen Gehorsams«230 darstellt, gehorcht und folgt der Mensch dem Gebot Gottes. Gebet als Gebot und als Werk der Freiheit – diese Doppelbestimmung bildet Barth zufolge keineswegs einen Widerspruch. Das Beispiel des Gebets veranschaulicht nachdrücklich, dass Gebot und Freiheit in Barths Ethik zu Korrelatbegriffen avancieren: Das Gebet wird als die wesentliche Ausdrucksform freiheitlichen Handelns, ja als die Urform aller menschlichen Freiheitsakte und zugleich als Gebot und Befehl Gottes verstanden. Beide Aussagen werden von Barth bewusst parallel geschaltet: »Der Grund zum Beten ist die Freiheit des Menschen vor Gott«231 – »das Gebet [hat] seinen Grund wirklich in Gottes Befehl und Gebot«232. Die Freiheit des Menschen und das Gottes Gebot bilden in einem den Grund des Gebets und der aus ihm resultierenden Konstitutionserfahrung des Selbst: »Das Gebet ist das Ereignis der freien Selbstentsprechung der endlichen Subjektivität zum Grund ihrer Freiheit«233. Im Gebet geschieht exakt das, was den Sinn und die Würde menschlichen Handelns ausmacht: der Grund menschlicher Freiheit wird angezeigt. Im Gebet fängt der Mensch mit leeren 226 227 228 229 230 231 232 233

Ders., KD I/2, 782. W. Lienemann, Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 167. H. Ruddies, Anrufung Gottes, 16. Ebd. K. Barth, Das christliche Leben, 148. Ders., KD III/4, 101. A.a.O., 104. H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 50.

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Doppeltstrukturiertes Freiheitsverständnis

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Händen »jedes Mal mit dem Anfang«234 an. Er weiß sich immer wieder neu in seiner Bedürftigkeit auf die Quelle alles Guten als den Grund der Freiheit und des Gebots zurückgeworfen. Die Korrelation von Gebot und Freiheit als Grundlage der Explikation einer Gebotsethik als Freiheitsethik mutet einem »modernen« Verständnis von Freiheit im Sinne von Autonomie ultimativ oxymorontisch an. Muss nicht jegliches moralische Gesetz, das in Bezug auf die Subjektkonstitution als extern gegenüber dem Selbst daherkommt, zwangsläufig heteronom erscheinen? Untergräbt es nicht als externes Gesetz das selbstlegislatorische Wesen der menschlichen Freiheit? I. Kant insistiert darauf, dass das »Du sollst« des moralischen Gesetzes keine Fremdbestimmung ist und dass insofern in seiner Moralphilosophie alles andere als eine antinomistische Pointe vorliegt.235 Der Anspruch Barths, eine Freiheitsethik zu entfalten, versteht sich gewiss nicht von selbst.236 So nimmt es nicht Wunder, dass sich etwa T. Rendtorffs Kritik an Barth, der die Autonomie vom Menschen abziehe und auf Gott übertrage, daran entzündete. Die umstrittene Frage nach der Neuzeitlichkeit der Theologie K. Barths betrifft vor allem mit der neuzeitlichen Subjektivitätstheorie deren Freiheitskonzeption. Nach M. Weinrich ist Barth im Blick auf sein Freiheitsverständnis »am meisten missverstanden und am schärfsten attackiert«237 worden. Dies zeige, »daß man ihn an seinen Grundentscheidungen vorbei zu verstehen versucht, wohl vor allem, um der allgemeinen Feier des bürgerlichen Subjektes nicht die theologische Weihe entziehen zu müssen.«238 Rendtorffs Barth-Interpretation basiert H. Anzinger zufolge auf einem Begriff von Autonomie als dem »spezifisch bürgerliche[n] Bewußtsein individueller Unabhängigkeit, wie es sich der klassischen Theorie des Besitzindividualismus zufolge in der Abgrenzung gegenüber anderen Teilnehmern am allgemeinen Konkurrenzkampf herausbildet.«239

234 K. Barth, KD III/4, 107. 235 Nach Kants (KpV, A 5 (Anm.)) transzendentalphilosophischer Zuordnung ist eine Erkenntnis der Freiheit ohne das Gesetz und ein Sein des Gesetzes ohne Freiheit nicht möglich: »[D]ie Freiheit [ist] die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit«. 236 W. Lienemann (Grundinformation Theologische Ethik, 76) zufolge gilt dies freilich aus der Perspektive nicht-theologischer Ethikerinnen und Ethiker für jede theologische Ethik. 237 M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 204. 238 Ebd. M. Weinrich (ebd.) fährt neuzeitkritisch fort: »Tatsächlich aber ist das neuzeitliche Subjekt in seiner hemmungslosen Selbstfeier längst nicht mehr auf irgendwelche religiösen Weihen angewiesen, so daß die andauernden theologischen Ovationen wohl nur verräterisch annoncieren, in welcher Koalition die Theologie glaubt, ihren Geltungsdrang befriedigen zu können.« 239 H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 255.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Gegenüber einem primär negativen Freiheitsverständnis, das die wahre Freiheit als Befreiung von jeglicher Heteronomie, also als »Freiheit […] zu sich selbst, als Vermögen individueller Selbstverwirklichung«240, muss das Barthsche Freiheitsverständnis tatsächlich als Gefährdung verstanden werden. Insofern wird man Chr. Link zustimmen können: »Barth [hat] das Freiheitsbewußtsein der Neuzeit, ihre ›Autonomie‹, wie kein anderer in die Schranken gewiesen.«241 Barth akzentuiert in seinem gleichnamigen Aufsatz das »Geschenk der Freiheit« und wendet sich damit gegen jenes prometheische bzw. autopoietische Freiheitsverständnis,242 wonach Freiheit mit der willentlichen Selbstsetzung des Menschen, der auf sich selbst aus ist, in eins gesetzt wird. Barth betont: In »seiner eigenen Freiheit schenkt Gott dem Menschen seine, die menschliche Freiheit.«243 Barth zufolge ist die Freiheit also Geschenk und das heißt, dass genuine Freiheit sich nur empfangen, nicht aber selbst setzen kann: »Wir gehen davon aus, daß des Menschen Freiheit das Geschenk Gottes, die ihm frei gemachte Zuwendung seiner Gnade ist. Daß der Mensch frei ist, kann in keinem Sinn 240 M. Theunissen, Der Gebetsglaube Jesu und die Wirklichkeit des Christseins, 16. M. Theunissen (ebd.) kennzeichnet das neuzeitliche Freiheitsverständnis wie folgt: »Die neuzeitliche Philosophie betrachtet die Freiheit in einer auf charakteristische Weise verkürzenden Perspektive. Zunächst einmal schaltet sie die reale gesellschaftliche Freiheit weithin ab. Sodann engt sie die Freiheit des einzelnen in der Regel auf einen Aspekt ein, auf den sie sich auch dort beschränkt, wo sie auf die Freiheit aller einzelnen und in diesem Sinne auf gesellschaftliche bedacht ist. Sie begreift Freiheit fast ausschließlich als Freiheit des Menschen zu sich selbst, als Vermögen individueller Selbstverwirklichung«. 241 Chr. Link, Schöpfung, 329. H.E. Tödt (Karl Barths Ethik, 18) gibt dieser Würdigung in zugespitzter Weise eine dezidiert gegen T. Rendtorffs These gerichtete Stoßrichtung: »Es darf nicht überraschen, wenn man diesen [von M. Theunissen dargestellten; M.H.] unkommunikativen Autonomie- und Freiheitsbegriff als typisch neuzeitlichen Barth unterstellt und wenn man annimmt, daß Barth ihn radikalisiert auf Gott übertragen habe, daß dann im Ergebnis jene Vorstellungen von einer zwanghaften Herrscher-Freiheit Gottes herauskommen […]. Hier handelt es sich offensichtlich um die traditionelle Verengung der Frage nach dem Selbstsein, die Theunissen aufgezeigt hat. Im Gegenzug dazu wird es nötig sein, auch Freiheit kommuniktaiv zu fassen«. 242 Zum autopoietischen Freiheitsverständnisses der Moderne vgl. R. Hütter, Bound to Be Free, 111 – 167. Kennzeichnend für das Freiheitsverständnis des Liberalismus ist nach K. Barth (Der Götze wackelt, 80 (Reformation als Entscheidung, 1933)), dass er die Autopoiesie auch auf den Glauben bezieht und auch ihn damit zum Objekt des eigenen Optionalismus degradiert, statt ihn als »das Wunder des heiligen Geistes, den sich keiner nehmen kann«, zu verstehen: »Das ist aber der Liberalismus in der Kirche: man wählt den Glauben, aus Gründen, mit Ernst und Überzeugung, aber man wählt ihn als eine seiner eigenen Möglichkeiten […]. Man bekennt sich zu ihm, aber man will doch die vielen anderen Möglichkeiten neben dem Glauben auch nicht übersehen, die man ja in derselben Freiheit auch wählen könnte. Man will gewiß Gott und nur Gott dienen, aber man will das nun doch wieder von jener höheren Warte aus tun, von der aus gesehen auch der Dienst Mammons eine erste Möglichkeit ist. Es triumphiert, auch und gerade indem man nun doch Gott dienen will, die eigene Freiheit, in der man grundsätzlich in der Mitte steht.« A.a.O., 82. 243 Ders., Das Geschenk der Freiheit, 342.

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Doppeltstrukturiertes Freiheitsverständnis

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anders gesagt werden als in der Meinung, daß es ihm von Gott gegeben ist, frei zu sein. Des Menschen Freiheit ist das Ereignis in jener Geschichte, der Heilsgeschichte, und hört nicht auf, das Ereignis zu sein, in welchem der freie Gott es dem Menschen gibt und in welchem es der Mensch von ihm empfängt, frei zu sein. Darin ist Gott selbst für den Menschen frei, daß er ihm das gibt: seinerseits, nicht in göttlicher, aber in seiner menschlichen Weise recht frei zu sein.«244

Freiheit, die nach Barth dem Menschen nur offenbart werden kann,245 verdankt sich nicht der eigenen Gesetzgebung – etwa des absolut verstandenen Ichs J.G. Fichtes246 –, sondern dem freien Gott. Als geschenkte Freiheit des freien Gottes ist die Freiheit nach Barth bedingte Freiheit, die anders als beim jungen J.G. Fichte nicht in sich selbst seinen Ursprung findet und aus sich selbst heraus die spontane, autonome Initiative ergreift.247 Barth antwortet auf Fichtes spekulative Emphase eines Absolutismus der Freiheit, sprich: auf dessen Radikalisierung des Freiheitsgedankens zur vollständigen Absolutheit des Ichs, nun keineswegs248, indem er sozusagen rein antithetisch die Absolutheit des Ichs mit der Absolutheit Gottes kontrastiert und schließlich eintauscht, wie T. Rendtorffs Barth-Interpretation nahe legt. Barth verfällt auch nicht einfach dem entgegengesetzten Extrem, indem er nun statt – wie im Idealismus des jungen Fichte – das primäre Sein des Menschen als Grund und Ursprung seiner selbst, d. h. als 244 Ebd. 245 Suggestiv fragt K. Barth (Das Geschenk der Freiheit, 338): »Woher wollten wir denn wissen, daß es so etwas wie Freiheit überhaupt gibt und was sie sein möchte, wenn uns nicht Gottes Freiheit als die Quelle und das Maß aller Freiheit, von ihm selbst uns zugewendet, vor Augen stünde?« Gottes Freiheit und mit ihr des Menschen Freiheit sind also offenbar, ja, die Offenbarung ist nach K. Barth (Letzte Zeugnisse, 39 f.) Prädikat der Freiheit Gottes: »Die Offenbarung ist ja selber das Geschenk und das Werk der Freiheit. Ihr Ursprung ist die Freiheit Gottes: Gott ist frei in seiner Gnade, dass er sich uns Menschen zuwendet. Und wenn ich das vernehme, kann ich nicht anders, als darauf als ein freier Mensch zu reagieren. Also das wäre ein falscher Gegensatz: Offenbarung oder Freiheit! Ich werde nicht ein Knecht, sondern ich werde frei, indem ich auf die Offenbarung dieses Gottes höre.« Im Akt und Ereignis der Offenbarung gibt die Freiheit das Primäre ihres Wesens preis, dass sie nämlich primär nicht negative (Abgrenzungs-)Freiheit (»Freiheit von«), sondern positive (Gestaltungs-)Freiheit (»Freiheit zu«) ist. Denn die Offenbarung ist immer die ereignishafte Realisierung der Freiheit Gottes, der frei ist, sich zu offenbaren. Im Akt und Ereignis der Offenbarung schenkt Gott Freiheit und zwar primär als die konkrete, bestimmte (Gestaltungs-)Freiheit (»Freiheit zu«), nun von menschlicher Seite aus auf seine Offenbarung zu hören, sie zu empfangen. Das Ereignis der Offenbarung des freien Gottes konstituiert die Geschichte des zur Freiheit befreiten Menschen als Heilsgeschichte (vgl. Gal 5,1). 246 Wie H.-G. Geyer (Norm und Freiheit, 45 f.) ausführt, brachte Fichte »eine erhebliche Radikalisierung des kantischen Standpunktes, indem er die Freiheit des Ichs als reine Tathandlung zum Ursprung und Prinzip aller Wirklichkeit überhaupt gemacht hat.« Vgl. M. Gillespie, Nihilism before Nietzsche, 84 f. 247 Vgl. J.G. Fichte, SW IV (Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, 1798), 153: »Ich soll frei handeln, damit ich frei werde.« 248 Vgl. a. a. O., 229 ff. und dazu: F. Mildenberger, Freiheitsverständnisse und ihre Folgen, 334 ff.; ders., Biblische Dogmatik III, 60 – 74.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

absolute Freiheit, zu charakterisieren249, das Sein des Menschen als absolute Unfreiheit deklariert. Als würde die absolute Freiheit Gottes alle menschliche Freiheit eliminieren. Indem Barth vielmehr die Freiheit als Geschenk des freien Gottes zu verstehen lehrt, dessen »eigene Freiheit als seine Freiheit für den Menschen zu erkennen«250 ist, führt Barth den Freiheitsbegriff als einen Beziehungsbegriff ein. Barth versteht Freiheit als »kommunikative Freiheit«251 und nicht als Faktum des Selbstbewusstseins eines letztlich einsamen Ichs als (Un-) Grund der Freiheit. In T. Rendtorffs unter der Nomenklatur »Radikale Autonomie Gottes« vorgetragenen Barth-Kritik wird dieses der Sache nach bei Barth profilierte Freiheitsverständnis vernachlässigt. Dazu bemerkt W. Lienemann: »›Radikale Autonomie‹ kann nicht einmal mehr von Gott ausgesagt werden, weil Gott sich selbst – aus Freiheit und in Liebe – zum Bundespartner der Geschöpfe bestimmt hat. In dieser Partnerschaft und durch sie ist zugleich die geschöpfliche Freiheit konstituiert, die Freiheit der Kinder Gottes. Sie kann und soll betätigt werden im menschlichen Mittun am Wirken Gottes […]. Vor allem hat er [Barth; M.H.], wohl eingedenk Hegels Dictum, daß Gott nicht neidisch ist, darauf insistiert, dass es zwischen der Freiheit Gottes und der freien menschlichen Verantwortung schlechterdings keine Konkurrenz geben könne – zwischen Gott und den Menschen findet kein Nullsummenspiel statt, bei dem der eine nur auf Kosten des anderen gewinnen könnte; das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf ist vielmehr ein Verhältnis kommunikativer Freiheit, denn der Freiheit Gottes für sein Geschöpf antwortet die Freiheit des Menschen für Gott.«252 249 Vgl. J.G. Fichte, SW VI (Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, 1794), 295 f. 250 K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 336. Kurvisierung: M.H. 251 Diesen Begriff hat ursprünglich M. Theunissen (Sein und Schein, 46) in Auseinandersetzung mit der Hegelschen Logik profiliert: »Kommunikative Freiheit bedeutet, daß der eine den anderen nicht als Grenze, sondern als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung erfährt.« Zur theologischen Rezeption dieses Terminus vgl. u. a. W. Huber, Der Protestantismus und die Ambivalenz der Moderne, 251; H.E. Tödt, Art. Freiheit, 1358, und im Anschluss an beide H. Bedford-Strohm, Gemeinschaft aus kommunikativer Freiheit, bes. 359 – 460. Vgl. auch H.G. Ulrich (Art. Freiheit, 508), der »kommunikative Freiheit« trefflich als die Realisierung von »Freiheit im inhaltlich bestimmten Zusammenleben«, als »eine Lebensform der Koexistenz und der Proexistenz, eine Lebensform des Miteinander und des Für-Andere […], eine solche die in der ausdrücklichen Koexistenz und Proexistenz besteht, und nicht auf allgemeinen Übereinkünften beruht« (ders., Heiliger Geist und Lebensform, 76), beschreibt und das kommunikative Freiheitsverständnis mit dem liberalen Freiheitsverständnis kontrastiert, wonach Freiheit die »Freiheit von Einzelnen [meint; M.H.], die ihre Grenzen an dem je andren findet oder an einer umgreifenden Ordnung, innerhalb deren jeder Mensch den ihm zukommenden Freiheitsspielraum haben soll.« Ders., Art. Freiheit, 508. 252 W. Lienemann, Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 169 f. Bereits H.E. Tödt (Karl Barths Ethik, 18 f.) hat Barths Begriff von Freiheit mit dem kommunikativer Freiheit in Verbindung gebracht.

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Doppeltstrukturiertes Freiheitsverständnis

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Der Begriff der Freiheit verweist bei Barth auf ein relationales Geschehen: »Gottes eigene Freiheit ist die Souveränität der Gnade, in der er sich für den Menschen erwählt und entscheidet, und also ganz und gar als Gott des Menschen der Herr ist.«253 Gott ist als der Gott, der a se ist, pro nobis und das heißt: frei für den Menschen. Gottes Freiheit findet ad extra ihren heilsökonomischen Ausdruck, weil Gott innertrinitarisch, d. h. ad intra »selbst primär ›frei für‹ ist – der Vater für den Sohn, der Sohn für den Vater in der Einheit des Heiligen Geistes, der eine Gott für den Menschen als sein Schöpfer, als der Herr des Bundes mit ihm, als der Inaugurator und Vollender seiner Geschichte als Heilsgeschichte.«254 Gottes Freiheit besteht darin, den Menschen seinerseits mit Freiheit zu beschenken, damit der Mensch frei wird. Im Blick auf Rendtorffs Barth-Interpretation bedeutet dies: »Wenn Rendtorff […] meint, der Zielpunkt des von Barth inaugurierten Prozesses einer neuen Aufklärung sei ›nicht die Freiheit und Autonomie des Menschen, sondern die Freiheit und Autonomie Gottes‹, so verkennt schon diese Alternative Barths Intention. Denn dies zielt explizit auf die in der Freiheit Gottes begründete Freiheit des Menschen.«255 Gerade in seiner trinitätstheologischen Fundamentierung erweist sich Barths Freiheitsverständnis als kommunikatives Freiheitsverständnis, denn es ist das nach-denkende Verstehen des Wesens und der Existenz dessen, der ad intra kein anderer als ad extra ist und von dem eben deshalb – mit dem Antisozinianer J.A. Comenius gesprochen – gilt: Deus non est solitarius – Deus est summe communicativus.256 J. Webster kommentiert Barths Ausführungen treffend: »God’s freedom is a predicate of his trinitarian being. Crucially, for Barth, it is as this triune God that God is free for us. Because God is Father, Son and Spirit, his sovereign freedom is neither abstract nor monadic, but ›relational freedom‹. And further, because God’s immanent Trinitarian relatedness is not closed but self-giving in the majestic acts of the incarnation of the Son and the sending of the Spirit, it is a freedom which grounds and does not suppress the creature’s freedom. As the Trinitarian God, God is ›partner to himself‹; and ›this understanding of God as a partner in himself has serious consequences for the understanding of humanity as partner. That humanity is elected by 253 K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 336. 254 A.a.O., 344. 255 H. Anzinger, Glaube und kommunikative Praxis, 255. Anzinger trifft diese Aussage im Blick auf den ersten Römerbrief Barths. Sie aber auch hinsichtlich der reifen Gestalt von K. Barths Theologie. 256 J.A. Comenius, zit. nach J.M. Lochman, Rechenschaft über einen theologischen Weg, 194. Vgl. K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 338: »Es ist die ihm [Gott; M.H.] eigene Freiheit, in der er auch dem Menschen Freiheit schenkt, laut seiner Offenbarung allererst sein von ihm selbst erwähltes und bestimmtes Sein als Vater und Sohn in der Einheit des Heiligen Geistes. So ist sie keine abstrakte Freiheit. So ist sie auch nicht die Freiheit eines Einsamen. So wird auch die dem Menschen geschenkte Freiheit nicht in irgend einer Einsamkeit vor Gott zu suchen und zu finden sein. In Gottes eigener Freiheit ist Begegnung und Gemeinschaft«.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

this God in no way means humanity’s disqualification. Rather, humanity is elected by one who knows partnership intimately, and whose intention’ is to set humanity on its feet.«257

Das »Geschenk der Freiheit« besagt: Freiheit ist darum eine Grundbestimmung der menschlichen Existenz, weil und insofern sie eine Grundbestimmung des göttlichen Seins ad intra et ad extra ist. Freies menschliches Seins erweist sich dementsprechend als ein Sein in Beziehung, als relationales Sein, weil und insofern es durch die Beziehung des freien Gottes zum Menschen Grund gelegt ist. Bezüglich letzterer gilt nach Barth: »Der Begriff eines Gottes ohne den Menschen ist dann in der Tat so etwas wie der eines hölzernen Eisens.«258 Ist also Freiheit nach K. Barth primär und prioritär kommunikative Freiheit, so doch nicht ausschließlich nur positiv-kommunikative Freiheit (»Freiheit zu und für«259), sondern eben auch negativ-emanzipatorische Freiheit (»Freiheit von«260) im Sinne von Abgrenzungsfreiheit. Ihr negativ-emanzipatorischer Aspekt erweist sich wiederum als innertrinitarisch fundamentiert und resultiert aus dem a se-Sein Gottes, der seinerseits des Menschen nicht bedarf, also in seiner Gnadenwahl frei ist von aller Fremdbestimmung und der doch in seinem freien, nicht extern konditionierten Wesen als der »in der Freiheit Liebende«261 nicht ohne den Mensch sein will. Die negativ-emanzipatorische (Abgrenzungs-) Freiheit ist das notwendige Implikat und nur als solches auch die Kehrseite des »Ja« Gottes: »Nur in und mit diesem Ja verneint er dann auch, erklärt und erweist er sich also auch ›frei von‹ allem ihm Fremden und Feindseligen.«262 Um beides aussagen zu können, das a se-Sein und das pro nobis-Sein Gottes, gebraucht K. Barth einen doppelt aspektuierten statt einen eindimensionierten Freiheitsbegriff.263 Gottes Gesetzgebung bedeutet nach Barth keine »leere Po257 J. Webster, Barth’s Moral Theology, 106 f. 258 A.a.O., 339. Das Pathos der Theologie K. Barths (Letzte Zeugnisse, 21) resultiert aus ihrem Gegenstand: »Die Theologie, in der ich entscheidend probiert habe, aus der Bibel zu schöpfen, ist für mich nie eine private Sache gewesen, etwas der Welt und dem Menschen Fremdes, sondern ihr Gegenstand ist: Gott für die Welt, Gott für den Menschen, der Himmel für die Erde.« 259 Ders., Das Geschenk der Freiheit, 339. 260 Ebd. 261 Vgl. ders., KD II/1, § 28: »Gottes Sein als der Liebende in der Freiheit«. Vgl. zum theologischen Gebrauch dieser »Formel« als Übersetzung des Gottesnamens (Ex 3,14) aus exegetischer Perspektive H.-J. Hermisson, Gottes Freiheit – Spielraum des Menschen, 136 – 140. 262 K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 344. 263 H.T. Goebel (Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 281 – 299) hat die »sachliche Nähe« (a. a. O., 299) zwischen Barths und Luthers Freiheitsverständnis adäquat herausgearbeitet, auf die bereits die Parallelität der Doppelaspektuierung der »Freiheit eines Christenmenschen« (1520) in Luthers berühmter Doppelthese hinweist: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch

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Doppeltstrukturiertes Freiheitsverständnis

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sitivität eines Gebietens«264, kein reines »Dass« des Gebietens ohne Inhalt. Sie bedeutet indes für den Menschen, jedenfalls den freien Menschen, keine Heteronomie im Sinne eines Despotentums – hoc volo, sic iubeo, sit [stat] pro ratione voluntas.265 Indem der Befreier Gott gerade als freier Gott »sich selbst Gesetz ist«266, offenbart er das Wesen seines Gesetzes als Freiheit. Der Raum der Freiheit, den der Mensch mit dem Empfang des Geschenkes der Freiheit betritt, ist kein leerer Raum, keine »leere Form«267, sondern die Form, deren Inhalt das Gesetz ist. Ist aber das Gesetz der Inhalt der Freiheit und die Freiheit die Form des Gesetzes, so bedeutet dies, dass »Freiheit im Ereignis des Gehorsams [gegenüber dem Gebot Gottes, M.H.] vollzogen werden kann.«268 Deshalb besteht die libertas christiana gerade im Gehorsam gegenüber dem Gebot Gottes:269 »[I]ndem Gott selbst es geltend macht, auslegt und anwendet, indem er selbst des Menschen Gesetz ist,« ist dieses Gesetz »[v]erpflichtend und bindend, schützend und wegweisend, heilsam und tröstlich, die Garantie der Ordnung und des Friedens«270.

Dieses Gesetz meint – paulinisch gesprochen – »das Gesetz des Geistes« (ho nomos tou pneumatos; Röm 8,2), mit dem Paulus den neuen Wandel im Geist, das neue Sein in Christus (en Christo¯ Ie¯sous) kennzeichnet. Es umschreibt die Lebensform der freien Kinder Gottes.271 Hier deutet sich bereits die christologische Pointe des Freiheitsverständnisses Barths an, die bei ihm in erwählungstheologischer Vermittlung expliziert wird: Dass Freiheit die Gestalt des Gesetzes, d. h. Gebotsgehorsam gestaltete Freiheit meint und dass das Gesetz der Gehalt der Freiheit ist, Freiheit also immer Gebotsgehorsam beinhaltet – diese Doppelthese findet Barth zufolge allein in Jesus

264 265 266 267 268

269

270 271

ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Vgl. WA 7, 21,1 – 4. Vgl. zur besagten Schrift auch E. Jüngel, Zur Freiheit eines Christenmenschen, 84 – 160. K. Barth, KD II/2, 629. Juvenal, Satiren VI, 223. Vgl. I. Kant, KpV, A 56. C. Schmitt (Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, 52) meinte mit dieser Parole im Dritten Reich den »Führergrundsatz« rechtfertigen zu können. K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 344. A.a.O., 353 f. A.a.O., 356. Vgl. a. a. O., 346: »Seine [des freien Menschen] Freiheit besteht in der gerade ihm geschenkten Freudigkeit zum Gehorsam.« E. Wolf (Sozialethik, 173) spricht in sachlicher Übereinstimmung mit K. Barth von »der Freiheit des Glaubensgehorsams gegen sein [Gottes; M.H.] Gebot.« Im Sinne Barths urteilt R. Hütter (The Twofold Center of Lutheran Ethics, 33): »Christian freedom is the embodiment of practicing God’s commandments as a way of life. It is necessary to reintroduce this positive and substantive notion of Christian freedom because in modern Protestant ethics ›freedom‹ has come to be understood primarily as ›negative‹ freedom. It is seen as a freedom ›from‹ and not as a freedom ›for.‹« K. Barth, KD IV/1, 501. Vgl. ders., KD III/4, 746: »Als dieses Vaters Kind bei diesem Vater sein, das ist aber Freiheit«.

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Christus, der »das Werk und die Offenbarung der Freiheit«272 und zugleich die Erfüllung und Offenbarung des Gesetzes Gottes, ja, »das uns wirklich gegebene Gesetz Gottes«273 ist, ihr vollgültiges Interpretament. In der Existenz Jesu Christi »begegnet uns Gottes Gebot«274 in der Gestalt des freien Menschen. In ihm, Jesus Christus, der nach der erwählungstheologischen Doppelthese Barths nicht nur erwählter freier Mensch, sondern auch der erwählende Gott ist, fallen Theonomie und Autonomie in einer Person zusammen. Denn der erwählende Gott vollzieht in seiner Gnadenwahl den theonomen Akt seiner Erwählung und der erwählte Mensch erweist sich darin als freier Mensch, dass er in einem Akt der Autonomie nun seinerseits in Entsprechung zur Gnadenwahl Gottes Gott erwählt: »Es schafft sich der erwählende Gott als solcher den Menschen zu seinem Gegenüber, das seinerseits ihn erwählen und damit als der erwählte Mensch sich bewähren und betätigen darf und wird, das eben im Glauben die Selbsthingabe Gottes in ihrem doppelten Sinn annehmen und auf Grund dieser Selbsthingabe sein eigenes Leben haben wird. Es ist also ganz schlicht, aber auch ganz umfassend die Autonomie des Geschöpfs, die im Akte der ewigen göttlichen Erwählung ursprüngliches Ereignis ist und legitime Wirklichkeit wird.«275

Anders als T. Rendtorffs These von der »Radikalen Autonomie Gottes« nahe legt, kann und darf die Freiheit Gottes Barth zufolge nicht gegen die des Menschen ausgespielt werden, wenn anders das erwählungstheologisch profilierte und zugleich christologisch konturierte Freiheitsverständnis Barths nicht verzerrt und interpretatorisch gegen den Strich gebürstet werden will.276 Mit J. Webster kann im Blick auf T. Rendtorffs Barth-Kritik festgehalten werden: »If we take seriously these conceptual revisions and the depiction of God as trinitarian and covenantal which underlies them, then it becomes less plausible to suggest that Barth’s doctrine of God’s freedom is built around a notion of autonomous selfhood«277. Die Freiheit Gottes und des Menschen trägt nach Barths erwählungstheologischer Explikation jener spezifischen Konfiguration der Zwei-Naturen-Lehre, 272 273 274 275

Ders., Das Geschenk der Freiheit, 341. Ders., Ethik II, 118. A.a.O., 121. K. Barth, KD II/2, 194. Vgl. a. a. O., 198: »Das läßt sich ja wirklich nur als Akt verstehen und beschreiben, weil es in sich selber ganz und gar Akt ist: die Theonomie Gottes, die als solche die Autonomie will und beschließt, dieses Wählen Gottes, dieses menschliche Gewähltwerden, das als solches als menschliches Wählen Ereignis wird, in welchem nun doch auch der Mensch sich selbst wählen, bestätigen und betätigen darf und soll«. 276 Vgl. C.E. Gunton, Barth, the Trinity, and Human Freedom, 322: »[T]he weight of Barth’s conception of freedom, both human and divine, rests upon the doctrine of election«. So auch W. Lienemann, Karl Barth (1886 – 1968), 44; H.E. Tödt, Karl Barths Ethik, 11. 277 J. Webster, Barth’s Moral Theology, 107.

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wonach Christus zugleich Subjekt und Objekt der Erwählung ist, einen Namen, den Namen Jesus Christus. Nach Ausweis des Erwählungsgeschehens ist »in Jesus Christus […] Gott frei zum Menschen hin und der Mensch frei zu Gott hin.«278 Der Name Jesus Christus ist »sozusagen der Ort, der Bezirk […], in welchem ihr [der Seinigen; M.H.] ganzes Reden und Tun sich abspielen soll«279. Christenmenschen sind – wie Barth in einer Predigt im Jahr 1934 sagen kann –»Jesus verantwortlich und eben darum niemandem sonst verantwortlich«280. Als solche sind sie »ganz gebundene und eben darum in dieser Bindung freie Menschen.«281 Zu dieser Bindung und damit zur Freiheit gehört der Blick auf und das Sich-Ausrichten an Christus (vgl. Hebr 12,2), welche für die christliche Ethik schlechthin konstitutiv sind: »Alles was in ihr [der christlichen Ethik] im Blick auf das Gebot des die Welt mit sich selbst versöhnenden Gottes zu entfalten sein wird, werden ja nur Konkretionen des Sichausrichtens, des Blicks auf Jesus sein können, dessen die Christen darum fähig sind, weil ihnen die Freiheit dazu gegeben ist.«282 Weil und insofern des Menschen geschöpfliche Freiheit ganz in der Freiheit Gottes gründet, ist Gottes Freiheit »das Maß aller Freiheit«283. Anhand dieses Maß(stab)es der Freiheit Gottes, die die Quelle aller menschlichen Freiheit ist, kann die Freiheit des Menschen als wahre Freiheit bestimmt, d. h. auf Übereinstimmung im Verhältnis zur Freiheit Gottes hin überprüft werden: »Frei wird und ist er [der Mensch; M.H.], indem er sich selbst in Übereinstimmung mit der Freiheit Gottes wählt, entscheidet und entschließt.«284 Zwischen Gottes Freiheit und der Freiheit des Menschen etabliert K. Barth damit ein ethisch relevantes Entsprechungsverhältnis, das in dialektischer Zuordnung sowohl die Gebrochenheit als auch die Widerspruchslosigkeit zwischen menschlicher und göttlicher Freiheit prononciert.285 Das Werk der Freiheit Gottes und das Werk der Freiheit des Menschen fallen weder zusammen, so dass man sie verwechseln könnte,286 noch stehen sie zueinander in einem Widerspruch.287 In ethischer Hinsicht bedeutet dieses Entsprechungsverhältnis im Blick auf den Menschen die Befreiung von einem blinden Optionalismus als Spielart eines ethischen Indifferentismus, der gegenüber der Vielfalt an Wahlmöglichkeiten kapituliert: »Es kann […] des Menschen Freiheit [in Entsprechung zur Freiheit 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287

H. Gollwitzer, Glaube als Dank, 408. K. Barth, KD I/1, 420. Ders., Predigten 1921 – 1935, 345 (Predigt vom 24. 11. 1934 zu Mt 14,22 – 33). Ebd. Ders., KD IV/2, 603. Ders., Das Geschenk der Freiheit, 338. A.a.O., 343. So M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 204. Vgl. K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 341. Vgl. a. a. O., 344.

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Gottes; M.H.] doch wohl nur sekundär und nachträglich die Freiheit von irgendwelchen Beschränkungen und Bedrohungen – sie muß primär eine ›Freiheit für‹ sein.«288 Der Mensch wird demzufolge frei für seinen Mitmenschen in Entsprechung zu und dank der Menschfreundlichkeit Gottes (Tit 3,4),289 die ihn aus seiner reinen Ich-Bezogenheit290 zur Mitmenschlichkeit und einem Leben mit Gott befreit. Freiheit ist für K. Barth zentral die Freiheit im Leben mit Gott und den Mitmenschen.291 Damit ist sie keine unbestimmte Offenheit und Ungebundenheit, wie es ein libertinistisches Freiheitsverständnis nahe legt, sondern eine durch die Freiheit Gottes heilsam bestimmte und begrenzte Freiheit: »Die dem Menschen geschenkte Freiheit ist Freiheit in dem so, in dem durch Gottes eigene Freiheit abgesteckten Raum, nicht anders.«292

288 Ebd. Hinsichtlich des paulinischen Freiheitsverständnisses bemerkt M. Konradt (Die Christonomie der Freiheit, 69), »dass es nicht genügt, Freiheit monoperspektivisch als Freiheit von etwas in den Blick zu nehmen.« 289 Nach K. Barth (ebd.) wird der Mensch erst durch das Geschenk der Freiheit zur Mitmenschlichkeit befreit: »Indem ihm Gott Freiheit schenkt, wird er auch und zuerst frei dazu, nicht mehr, aber auch nicht weniger als eben menschlich zu sein.« 290 Vgl. J.G. Fichte, SW VI (=Bestimmung des Gelehrten), 296: »Der Mensch soll seyn, was er ist, schlechthin darum, weil er ist, d. h. alles was er ist, soll sein reines Ich, auf seine blosse Ichheit bezogen werden; alles, was er ist, soll er schlechthin darum seyn, weil er ein Ich ist; und was er nicht seyn kann, weil er ein Ich ist, soll er überhaupt gar nicht seyn.« Diese IchBezogenheit Fichtes ist nach dem geistesgeschichtlichen Urteil K. Barths (Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 319 f.) die Ursache dafür, dass Novalis »über Fichte hinaus das Nicht-Ich als Du verstanden wissen [wollte]. Ihm fehlte bei Fichte eben die Liebe. Die Liebe versteht das Nicht-Ich als Du, indem sie es als geliebtes und liebendes Du versteht.« In seiner »Wissenschaftslehre« von 1794 führt J.G. Fichte (SW I, 144) zwar aus, dass eine Synthesis von Ich und Nicht-Ich vollzogen wird, die statt von der begrifflichen Reflexion von der Anschauung geleistet wird, doch vollzieht sich diese Synthese so, dass das Ich als absolutes und nicht als durch das Nicht-Ich begrenzte Ich »als Eins und als Alles, allein übrig bleiben [muss; M.H.].« K. Barth (Das Geschenk der Freiheit, 344) setzt antithetisch dagegen: Des Menschen Freiheit »kann nicht wohl als des Menschen Freiheit zu seiner Selbstbehauptung, Selbsterhaltung, Selbstrechtfertigung, Selbsterrettung – und wäre sie die seines Selbst in dessen höchster Eigentlichkeit – verstanden werden.« 291 Vgl. H.G. Ulrichs (Art. Freiheit, 507; Ethische Rechenschaft als Praxis der Freiheit, 52; Die »Freiheit der Kinder Gottes«, 15; Heiliger Geist und Lebensform, 77) Definition der »Freiheit als Leben mit Gott«. Der Erlanger Ethiker unterscheidet in hilfreicher Weise zwischen »solchen Ansätzen, die die christliche Freiheit als die Freiheit ›des Menschen‹ und seine Befreiung zu begreifen suchen, und solchen, in denen deutlich bleibt, daß ›Freiheit‹ in einem ausdrücklich Leben mit Gott besteht, in dem sich die Befreiung vollzieht. Zu diesem Leben mit Gott gehört das Gebet, das Hören des Wortes Gottes, die Hinwendung zum Nächsten und die darin beschlossene ethische Rechenschaft. Der Christ ist aufgefordert, dies alles zu tun. Darin findet er seine Freiheit vor. Darin besteht die Konkretheit seiner Freiheit« (ders., Ethische Rechenschaft als Praxis der Freiheit, 53). Nach allem, was bislang ausgeführt wurde, dürfte hinreichend deutlich geworden sein, dass Barths Freiheitsverständnis nach dieser »Typologie« dem letztgenannten »Typ« zuzuordnen ist. 292 K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 345.

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Der Mensch wird in Gestalt seiner Freiheit im Leben mit Gott und seinen Mitmenschen aus seiner Einsamkeit herausgerissen, die die Signatur des in Permanenz latent kriegerischen, weil einsamen Menschen trägt. Einsame Existenz ist nach Barth inhumane Existenz, die den Keim des Unfriedens in sich trägt. »In Gottes eigener Freiheit ist [hingegen] Frieden«293, so dass Gott mit dem Geschenk der Freiheit zugleich diesen Frieden schenkt. Dies heißt nun allerdings nicht, dass das Werk göttlichen Friedens mit dem Werk des menschlichen Friedens zusammenfällt und beide in Folge dessen austauschbar bzw. wechselseitig substituierbar sind. Vielmehr bleiben das Friedenhandeln Gottes und das des Menschen in der Gebrochenheit ihrer Bezogenheit ebenso wie das göttliche und das menschliche Werk der Freiheit unterschieden, wenn sie auch nicht in ein beziehungsloses Nebeneinander auseinanderfallen.294 Ihre Übereinstimmung besteht im Geschenk- und das heißt Gabecharakter des Friedens Gottes, in den der Menschen nun seinerseits einstimmen kann und darf, indem er sich beschenken lässt.295 »Es gibt« – wie K. Barth sagt – »eine Causa Dei in der Welt«, deren Essenz darin besteht, dass Gott »den Frieden, nicht die Unordnung«296 will. Mit dem Geschenk der Freiheit hat Gott den Menschen für den mit dem Werk des Friedens als Werk der Dankbarkeit zu leistenden Dienst an der Causa Dei in der Welt freigemacht297. In friedensethischer Hinsicht besteht das Geschenk der Freiheit in der Befreiung zu einem Leben in Frieden: »Die Welt ist befreit zu einem Leben des Menschen mit Gott als seinem Vater und mit dem Mitmenschen als seinem Bruder und so befreit zu einem Leben, das den Krieg in jeder Form überflüssig macht, aufhebt und ausschließt.«298 Das Wissen um diese Befreiung ist es, was die Welt nach Barth im Blick auf ein friedvolles Zusammenleben braucht: »Was die Welt braucht, ist die revolutionäre Erkenntnis, daß sie durch die Liebe, in der Gott sie geliebt hat, befreit ist von der unseligen Notwendigkeit, ihr Heil in irgendwelchen nationalen, politischen, wirtschaftlichen oder moralischen Prinzipien, Idealen und Systemen (westlicher oder östlicher Art!) und darum unvermeidlich im kalten und heißen Krieg zu suchen.«299

293 A.a.O., 338. 294 Vgl. dazu die ausführlicher dargelegte chalcedonensische Verhältnisbestimmung in Kap. I.2. der vorliegenden Untersuchung. 295 Vgl. ders., KD IV/1, 499: »Er [der Mensch] ist freier Mensch – frei denkend, beschließend und handelnd – indem er es dabei [bei Gottes Entscheiden und Richten] sein Bewenden haben läßt.« 296 Ders., Das Geschenk der Freiheit, 347. 297 Vgl. a. a. O., 349. 298 Ders., Briefe 1961 – 1968, 125 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada) 299 Ebd.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

Im Werk des Friedenstiftens bewährt sich die vom freien Gott geschenkte Freiheit zum menschlichen Gehorsam seines Bundesgenossen. Die Freiheit des Bundesgenossen Gottes manifestiert sich in der Freiheit zum guten Werk des Friedensstiftens, das – wie alle guten Werke300 – Frucht des Handelns Gottes am Menschen ist (Gal 5,22).301 So ist das friedensstiftende Werk des Menschen vom (Friedens-)Werk Gottes geprägt. Im Friedensstiften findet die »Freiheit eines Christenmenschen« als Freiheit zu echtem menschlichen Gehorsam Ausdruck in der Gestalt ihrer Antwort auf Gottes Geschenk der Freiheit. In der Praxis des Friedensstiftens konkretisiert sich diese Freiheit eines Christenmenschen. Kann man – wie K. Barth hinsichtlich der Grundlegung evangelischer Ethik betont – die dem Menschen gegebene Freiheit das »ihm gegebene Gesetz oder Gebot«302 nennen, weil die Bestimmtheit, in der der freie Mensch handelt, aus dem Wesen und Charakter der ihm geschenkten Freiheit folgt, so tut der Mensch das Gute, wenn sein Handeln der ihm geschenkten Freiheit zum Friedensstiften entspricht. Die Bestimmtheit des menschlichen Handelns als genuin friedensstiftendes Handeln resultiert aus der ihm geschenkten Freiheit und damit aus dem Freiheit und (mit ihr) Frieden stiftenden Handeln Gottes selbst.

5.

Schlussbemerkung

Die nun zu einem vorläufigen Abschluss gelangte Darstellung hat drei Elemente zur Sprache gebracht, die für Barths christologische Grundlegung der Friedensethik charakteristisch sind. Ihr Zusammenhang lässt sich mit der Überschrift dieses Kapitels umschreiben: »Die Anrufung Gottes im Namen Jesu als freier Grundakt des Friedenstiftens.« Darum geht es Barth in seiner christologischen Grundlegung der Ethik. Keines dieser in der Überschrift wiederkehrenden Elemente ist im Blick auf ihren jeweiligen Status verzichtbar und aus ihrem Zusammenhang, dem Zusammenhang von Barths christologischer Grundlegung der Friedensethik, lös- bzw. isolierbar. Alle drei Elemente wollen weder einzeln noch zusammen als ein höchstes Prinzip verstanden werden. 300 Vgl. K. Barths »Lob der Werke«, wonach der Glaube das Tun guter Werke nicht überflüssig macht, sondern sie freisetzt: »Daß er [der Christenmensch; M.H.] als Gerechter seines Glaubens unter Ausschluß aller Werke lebt, das wird er – hier dürfte die eigentümliche Rechtfertigungslehre des Jakobusbriefs eingreifen – gerade in seinen Werken bewähren und bezeugen.« Ders., KD IV/1, 701. Vgl. dazu: E. Busch, Das Bekenntnis zu Jesus Christus, 42. 301 Vgl. H.G. Ulrich, Freiheit der Kinder Gottes, 17; ders., Art. Gute Werke II: Ethisch, 1346: »Sie [gute Werke; M.H.] können […] nicht dazu dienen, bei Gott ein Verdienst zu erwerben. Diese Abgrenzung läßt eine Ethik der guten Werke nicht hinter sich, sondern eröffnet erst eine solche.« Dort z. T. Abkürzungsgebrauch. H.G. Ulrich (ebd.) bezeichnet das Friedenstiften explizit als gutes Werk. 302 K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 350.

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Schlussbemerkung

Vielmehr sind sie je auf ihre Art als ein Präventiv zu verstehen, dem Hören auf Gottes Gebot einen bestimmten Ursprung vor- oder überzuordnen bzw. die Person des lebendigen Christus durch ein Prinzip zu substituieren. Nur insofern kann man diese drei Elemente als Grundlagen der Friedensethik K Barths bezeichnen. Besagte Elemente sollen sicherstellen, dass friedensethische Urteilsbildung bzw. Rechenschaft offen gehalten wird: »Wer von vornherein daran gebunden ist, einer spezifischen Begründungsstrategie zu folgen oder eine ›Legitimation‹ zu geben oder gar für sich selbst zu brauchen, ist zur ethischen Rechenschaft nicht frei.«303 Eine solche Offenheit gehört zur pistis ex akoe¯s (Röm 10,17),304 wie sie für das Sein in Christus kennzeichnend ist; dem Sein in Christus als dem »Standpunkt, von dem her wir Urteile fällen können und dürfen.«305 Dieser Standpunkt darf – nota bene – nicht mit dem archimedischen Punkt verwechselt werden. Während Archimedes wähnte, er könne ganz alleine die Erde anheben, wenn er nur einen festen Punkt und einen ausreichend langen Hebel hätte, ist das Sein in Christus ein bewegtes Sein, insofern es am lebendigen Christus partizipiert. Barth versteht den lebendigen Christus im Sinne von 1Kor 3,11 mit Paulus als den bereits grundgelegten Grund.306 Eine christologische Grundlegung der Friedensethik hat demzufolge nach Barth zu bedenken, dass sie selbst nicht diese Grundlage legen kann oder muss, sondern an ihr partizipieren kann. Christus ist dementsprechend nicht einfach Objekt der Grundlegung einer Friedensethik bzw. eines fundamentalethischen Handelns. Vielmehr kommt es nach Barth darauf an, Christi Status als Subjekt im Blick auf eine solche Grundlegung anzuerkennen. Eine christologische Grundlegung der Friedensethik hat – mit anderen Worten – im Denken geltend zu machen, sprich: darauf hin zu reflektieren, dass 303 H.G. Ulrich, Was heißt »ethische Kompetenz«, 236. 304 In seiner Untersuchung zum Denkweg des jungen K. Barth bemüht sich der niederländische Theologe C. van der Kooi (Anfängliche Theologie, 15) um den Nachweis, dass sich K. Barth seit seinen theologischen Anfängen »gegen den Versuch einer epistemischen Versicherung der Wahrheit des Glaubens außerhalb des Glaubens aufgelehnt hat. Mit anderen Worten: Barth opponiert gegen eine Form des Begründens, die aus dem allgemeinen Erfahrungshorizont Gründe anführt, die die Wahrheit des christlichen Glaubens unterstützen oder zumindest plausibel machen.« Glaubensbeweise hält K. Barth (Die Theologie und der heutige Mensch, 383 f.), wie er bereits im Jahr 1930, also noch vor Erscheinen des ersten Bandes der »Kirchlichen Dogmatik« schroff erklärt, für gänzlich ausgeschlossen: »Kein Nachweis steht dem Theologen zu Gebot, mittels dessen er sich selbst oder andern beweisen könnte, daß er nicht Grillen fängt, sondern Gottes Wort vernimmt und bedenkt.« Diese entschiedene Ablehnung betrifft auch die Ethik, insofern sie nach dem Wort Gottes in Gestalt des Gebotes Gottes fragt. Vgl. auch W. Werpehowski, Narrative and Ethics in Barth, 336: »Barth justifies theological positions without reference to a universal ground of rationality outside the internal logic of Christian faith.« 305 Chr. Frey, Eine erweiterte Verantwortungsethik, 90. Zitatwiedergabe nach der gewöhnlichen Umlautschreibweise. 306 Vgl. dazu etwa: W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther, 298.

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Die Anrufung Gottes als freier Grundakt des Friedenstiftens

es darauf ankommt, handelnd in Christi eigenes friedensethisches Handeln einzustimmen, es mithin gelten zu lassen. Barth zufolge denkt eine christologische Grundlegung der Friedensethik einer bereits vorgegebenen Wirklichkeit nach: dem in Christus gestifteten Frieden bzw. Christus, der unser Friede ist (Eph 2,14). Der Standpunkt, von dem aus sich dieser christologische Konstitutionszusammenhang der Friedensethik erschließt, ist Barth zufolge nicht der des vermeintlich neutralen Moralbeobachters einer bestimmten philosophischen oder theologischen Ethik,307 sondern der eines im Glauben an Christus teilhabenden Subjektes, von dem gilt: »Nun lebe nicht ich, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,2). Aus diesem Leben in Christus heraus fällen Christenmenschen (friedens)ethische Urteile, die insofern als »christologisch begründet« gelten können. Von diesem Standpunkt aus erschließt sich die Wirklichkeit neu, in der und auf die hin es zu handeln gilt. Auf diesen Standpunkt, der im folgenden Kapitel (I.2.) näher bestimmt werden soll, bezieht sich die christologische Grundlegung der Friedensethik.

307 Vgl. W. Lienemann, Karl Barth (1886 – 1968), 48.

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2.

»Lasst euch versöhnen mit Gott«. Die friedensethische Relevanz von Karl Barths Heiligungskonzeption

1.

Die friedensethische Relevanz von K. Barths Heiligungskonzeption

1.1.

Einleitung

Die Freiheit im Leben mit Gott und den Mitmenschen ist – wie wir im vorausgehenden Kapitel (I.1.) sahen – der Standort friedensethischen Urteilens.1 Ohne das Geschenk der Freiheit zu berücksichtigen, kann sich friedensethische Urteilsbildung in einem theologischen Begründungszusammenhang nicht angemessen vollziehen. Das friedensethische Urteilen ist – wie wir noch sehen werden – eingefügt in das neue Sein des freien Menschen, der nach Barth der homo pacis ist. In der Freiheit zu leben, macht die neue Lebensform des Seins in Christus aus.2 »In Christo«, dem Raum der Freiheit, erweist sich der Mensch als zur trefflichen friedensethischen Urteilsbildung befähigt. In diesem Gegründetsein kann er die Praxis friedensethischer Rechenschaft in Form begründeter Urteile bewältigen. Wie sieht nun das neue Sein des freien Menschen nach Barth aus, abgesehen davon, dass es geprägt ist durch die Anrede Gottes in Gestalt des Gebots? Wie lebt der mit Gott versöhnte Mensch als die »neue Kreatur«, die – und damit ist bereits ihre wesentliche Bestimmung genannt – Zeugnis gibt vom Versöhnungshandeln Gottes in Christus? Wodurch ist das freie Leben mit Gott gekennzeichnet? Indem christlich-theologische Friedensethik so fragt, reflektiert sie auf die »Wirklichkeit des neuen Menschen«3 hin. Der neue Mensch – so die Auskunft Barths – »ist der zentrale Inhalt des Evangeliums. […] Der neue Mensch ist das 1 Vgl. G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 101: »So also begründet die Soteriologie die Ethik: sie befreit zur ethischen Urteilsbildung.« 2 Es geht bei dieser Lebensform auch – wie M. Konradt (Die Christonomie der Freiheit, 74) im Anschluss an Gal 2,4 deutlich macht – »um die Freiheit, keinen Bestimmungen zu unterliegen, die dem Sein in Christus nicht entsprechen«. 3 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 4 – 31.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

ganze Evangelium.«4 Weil Jesus Christus selbst der neue, wahre Mensch ist (vgl. Joh 19,30), kann Barth feststellen: »[D]er neue Mensch […] ist die Substanz dieses Namens. Jesus Christus bezeugen heißt: diesen neuen Menschen bezeugen.«5 Dass die christliche Friedensethik auf die Wirklichkeit des neuen, versöhnten Menschen hin reflektiert, besagt nichts anderes, als dass ihre eigentliche theologische Aufgabe im »Vollzug menschlicher Daseinsanalyse«6 besteht.7 K. Barth Friedensethik erweist sich – mit anderen Worten – als eine Ethik des neuen, mit Gott versöhnten Menschen.8 Die Rede vom neuen Menschen als homo pacis bezeichnet den eigentlichen Skopus von Barths im Rahmen der Versöhnungslehre verorteter Friedensethik. Diese These gilt es im Folgenden zu entfalten. Diesbezüglich wird die Aufmerksamkeit auf den Topos der Heiligung zu richten sein, insofern nämlich gilt: In Jesus Christus, dem »wahren, dem neuen Menschen, dem zweiten Adam [ist] aller Menschen Heiligung geschehen und wirklich«9. Um den Skopus der Barthschen Friedensethik nicht zu verfehlen, bedarf es der Explikation des versöhnungstheologischen Begründungszusammenhangs bzw. Auslegungshorizontes, in den die Rede vom »neuen Menschen« bei Barth eingebettet ist.10 Dieser soll im Folgenden nachgezeichnet werden, wie 4 5 6 7

A.a.O., 9. So auch a. a. O., 17 f. A.a.O., 13. E. Wolf, Sozialethik, 16. Barth will dies allerdings nicht im Sinne einer exklusiven Anthropozentrik verstanden wissen, die die übrige Kreatur ausschließt. Unter Berufung auf Jak 1,18 stellt K. Barth (Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 29 f.) klar, dass der »neue Mensch« »ein Anfang seiner Kreaturen« ist: »Also ein Anfang der ganzen Kreatur, des Universums kündigt sich an in dem, was die Christen, weil Gott für sie ist, sein dürfen und tatsächlich sind. Daß sie diese Ankündigung sind, das ist der Sinn ihrer Existenz.« 8 Hinsichtlich dieser Bestimmung des Menschen (als in Christus neuer Mensch) ist insbesondere E. Wolf (Sozialethik, § 2: »Der wirkliche – neue – Mensch als Ziel der ethischen Forderung und als Subjekt des ethischen Handelns«) seinem Lehrer K. Barth gefolgt. Im Zentrum von Wolfs Ansatz steht die Überlegung, dass die Rechtfertigung durch den Glauben sachlich die »Verwandlung zum wahren Menschen nach dem in Christus enthüllten Bild dieses wahren Menschen, also Verwandlung zum Ebenbild Christi« (a. a. O., 19) bedeutet. Vgl. auch ders., Menschwerdung des Menschen, 119 – 138. Im Blick auf die paulinische Ethik hat U. Schnelle (Theologie des Neuen Testaments, 294 f.; so auch ders., Paulus, 629) in Übereinstimmung mit Wolf herausgearbeitet, dass Paulus »seine Ethik nicht vom erkennenden und handelnden, von der Vernunft und der Sittlichkeit bestimmten Subjekt her [entwirft], sondern […] entsprechend der Gesamtkonzeption seiner Theologie als Ausgangspunkt die Vorstellung der Teilhabe am neuen, von der Macht der Sünde getrennten Sein [wählt].«. Treffend bemerkt U. Schnelle (Paulus, 631; Theologie des Neuen Testaments, 296): »Die Ethik thematisiert die Handlungsaspekte des neuen Seins, das ein Leben im Raum des Christus ist.« Dort kursiv. 9 K. Barth, KD IV/2, 173. 10 Vgl. ders., KD IV/1, 284: »Die Versöhnung ist […] positiv : die Beseitigung dieses Unrechts durch die Existenz des einen gehorsamen und also freien Menschen. Er ist ›der neue Mensch‹.« Dort z. T. kursiv.

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Die friedensethische Relevanz von Barths Heiligungskonzeption

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Barth ihn in seiner Lehre von der Heiligung entwickelt. In ihr »geht [es] um den von der Wirklichkeit Gottes beanspruchten tatsächlichen Menschen«11. K. Barth konstatiert: »Das Geschehen der Versöhnung der Welt mit Gott hat […] nicht nur die Gestalt der Rechtfertigung dieses Menschen, der ihm zugesprochenen Vergebung seiner Sünden, seiner freien Aufnahme in die Kindschaft Gottes, sondern auch die seiner Heiligung, seiner ebenso gnädigen Beanspruchung, Begabung und Einsetzung zum Gehorsam, zum Dienst, zum Werk.«12

1.2.

Die Wirklichkeit der Heiligung als Wirklichkeit des neuen Menschen

Barth entfaltet seine Friedensethik als Darlegung des christlichen Lebens, das von der Erfahrung des versöhnenden, friedensstiftenden Handelns Gottes geprägt ist. Der homo pacis ist Barth zufolge der versöhnte Mensch: »Das ist versöhntes, befriedetes Menschsein im weitesten Sinne: Menschsein versöhnt mit Gott und darum versöhnt im Verhältnis der Menschen untereinander, im individuellen Selbstverhältnis und im Verhältnis von Mensch und Natur.«13 In dispositioneller bzw. konzeptioneller Hinsicht gilt für Barth: »Der eigentliche systematische Ort der Friedensethik ist die Versöhnungslehre.«14 Das versöhnende Handeln Gottes stellt Barth unter den drei Aspekten der Rechtfertigung (KD IV/1, § 61), Heiligung (KD IV/2, § 66) und Berufung (KD IV/3, § 71) dar, wobei es sich bei diesen Aspekten wohlgemerkt um verschiedene Momente des einen Heilsgeschehens handelt. Das Heilsgeschehen bildet einen in sich differenzierten, weil verschieden aspektuierten Zusammenhang.15 Der Heiligung kommt dabei im Vergleich zu den beiden anderen Aspekten eine M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 174. K. Barth, KD IV/2, 827. W. Krötke, Die Kirche als »vorläufige Darstellung«, 84. So H. Falcke, Aspekte der gegenwärtigen Friedensdiskussion, 180 f.; ders., Der prekäre Grenzfall, 35. Vgl. auch K. Barth, KD IV/1,20 f.: »Daß er selbst [Jesus Christus] ist, lebt, regiert, handelt, wahrer Gott und wahrer Mensch, der Friede und das Heil ist, das sagt sie [die christliche Botschaft] in ihrer Mitte als Lehre von der Versöhnung.« Was aber meint »Versöhnung«? Bereits in den Prolegomena zur »Kirchlichen Dogmatik« verdeutlicht Barth, dass zwar auch die Versöhnung nicht das Materialprinzip der Theologie darstellt, sondern wie alle Begriffe im besten Fall nur auf den lebendigen Christus hinweisen kann. Gleichwohl bezeichnen die Begriffe »Versöhnung« und »Offenbarung« Barth zufolge dieselbe Sache: »Sofern Gottes Offenbarung als solche vollzieht, was nur Gott vollziehen kann, nämlich die Wiederherstellung der von uns zerstörten, ja vernichteten Gemeinschaft des Menschen mit Gott, sofern Gott im Faktum seiner Offenbarung seine Feinde als seine Freunde behandelt, ja sofern im Faktum der Offenbarung Gottes Feinde seine Freunde sind, ist die Offenbarung selbst die Versöhnung. Wie umgekehrt Versöhnung, die Wiederherstellung jener Gemeinschaft, die im Zorn über den Zorn triumphierende Barmherzigkeit Gottes nur die Gestalt des Mysteriums haben kann, das wir eben als Offenbarung bezeichnen.« Ders., KD I/1, 430. 15 Ders., KD IV/2, 569.

11 12 13 14

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

besondere ethische Dignität zu.16 Im Vergleich zur Rechtfertigung des Menschen als dem Urteil Gottes17 und zur Berufung des Menschen als Verheißung Gottes18 erweist sich die Heiligung des Menschen durch den Heiligen Geist im Sinne ihres ihr von Barth zugeordneten Interpretaments der »Weisung« als am stärksten ethisch konnotiert.19 Im Rahmen der »in der Geschichte der reformatorischen Großkirchen oft an den Rand geschobene[n]«20 – und zwar zugunsten einer isolierten Rechtfertigungslehre – Lehre von der Heiligung thematisiert K. Barth das neue Leben des mit Gott versöhnten Menschen: »Es geschieht des Menschen Versöhnung mit Gott auch in der Gestalt, daß Gott ihn, dem gegenüber er sich als Gott und den er sich selbst gegenüber als Menschen neu ins Recht gesetzt hat, als einen neuen Menschen auf den Plan führt – wir sagen: ›in der neuen Existenzform eines ihm getreuen und darum ihm wohlgefälligen und von ihm gesegneten Bundesgenossen‹. ›Ich will euer Gott sein‹: das ist des Menschen Rechtfertigung. ›Ihr sollt mein Volk sein‹: das ist seine Heiligung.«21

Dass Gott in Jesus Christus einen neuen Menschen auf den Plan geführt hat, bedeutet die Erhebung des Menschen, genauer : »die Erschaffung von dessen

16 Vgl. M. Weinrich, Die religiöse Verlegenheit der Kirche, 149: »Die Versöhnungsethik erörtert das Tun des geheiligten Menschen«. 17 K. Barth (KD IV/1, 102) definiert: »Rechtfertigung meint entscheidend eben das in Jesus Christus, in seinem Tod und in seiner Auferstehung vollzogene und offenbarte Urteil, das Nein und das Ja, in welchem Gott sich dem bundbrüchigen Menschen gegenüber ins Recht setzt, in welchem er ihn nämlich zu sich hin umkehrt und so mit sich selber versöhnt. Er tut es durch die Vertilgung des alten, durch die Erschaffung eines neuen Menschen.« 18 Im Zusammenhang der Thematisierung von »Des Menschen Berufung« (KD IV/3, § 71) kommt Barth allerdings auf den in friedensethischer Hinsicht bedeutsamen Ruf Gottes zu sprechen, der in die Nachfolge führt (vgl. a. a. O., 602). Vgl. dazu den Abschnitt I.3. dieser Untersuchung. 19 Vgl. ders., IV/2, 404 f. Bezeichnenderweise kommt Barth im Zusammenhang mit dem dritten Aspekt (KD IV/2, 416 – 422) der Weisung, nämlich der »Unterweisung« (erster Aspekt: Einweisung (KD IV/2, 405 – 410); zweiter Aspekt: Zurechtweisung a. a. O., 410 – 415), auch explizit auf die Aufgabe der theologischen Ethik zu sprechen, nämlich nach der Unterweisung durch den Heiligen Geist zu fragen. Vgl. ders., KD IV/2, 416, und dazu: E. Busch, Die große Leidenschaft, 243. 20 So C. Frey, Die Theologie Karl Barths, 247. K. Barth (vgl. KV IV/2, 572) nimmt von diesem Urteil J. Calvin aus. 21 K. Barth, KD IV/2, 565. In der Bezugnahme auf die Existenzform des Menschen sind starke Bezüge des versöhnungsethischen Ansatzes K. Barths zum schöpfungsethischen Ansatz H.G. Ulrichs (Wie Geschöpfe leben, 42) gegeben, die durch das Denken von Ulrichs Lehrer E. Wolf vermittelt sind: »Evangelische Sozialethik hat das Zeugnis von der Existenzform ›politia Christi‹ genannt: die öffentliche Bekundung, Erprobung und Mitteilung der menschlichen Existenzform, wie sie in Jesus Christus beschlossen ist. In Jesus Christus ist erschienen, worin sich die menschliche Existenz erfüllt. Deshalb ist die evangelische Ethik und Sozialethik Zeugnis. Sie ist Zeugnis von dieser in Jesus bezeugten Neuschöpfung.«

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Die friedensethische Relevanz von Barths Heiligungskonzeption

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neuer Existenzform als Gottes getreuer Bundesgenosse«22, welche Barth mit dem Begriff der »Heiligung« umschreibt. In ethischer Hinsicht misst K. Barth der Existenzform des neuen Menschen kriteriologische Valenz bei: Sie »ist […] das dauernd wirksame Kriterium der Echtheit dessen, was sich Christentum nennt«23. Dies ist nun auch in friedensethischer Hinsicht bedeutsam. Denn wenn wir verstehen wollen, was es heißt, in Christus Frieden zu haben (Röm 5,8; Eph 2,14), müssen wir bei dem in der Heiligung wurzelnden Selbstverständnis ansetzen: »bei der Klarheit des Selbstverständnisses, in welchem die neutestamentlichen Menschen sich selbst nicht mehr für sich, abstrakt, von der Existenz Jesu Christi gelöst und entfernt, nicht in irgend einer besseren Zukünftigkeit, sondern als jetzt und hier in der Wurzel ihres geschöpflichen Seins durch die Existenz Jesu Christi getragen, bestimmt und in Anspruch genommen wissen«24. K. Barth greift hier einen Grundgedanken paulinischer Ethik auf, den U. Schnelle wie folgt umschreibt: »Ausgangspunkt und Begründung der Ethik ist bei Paulus die Lebens- und Handlungseinheit des neuen Seins als Teilhabe am Christusgeschehen. Jesus Christus begründet und prägt zugleich das Leben der Christen, die ihrerseits in der Kraft des Geistes im Raum des Christus leben und dem neuen Sein in ihren Handlungen entsprechen.«25 In seiner Studie »Die Wirklichkeit des neuen Menschen« (1950) entfaltet K. Barth gleichsam in nuce den versöhnungsethischen Leitgedanken des neuen Menschen im engen Anschluss an besagte paulinische (und deuteropaulinische) Konzeption.26 Barth entnimmt der paulinischen (und deuteropaulinischen) Anthropologie folgende Grundcharakteristika des »neuen Menschen«, die Barth in mehrfacher theologischer Dimension entfaltet: 1. in protologisch-schöpfungstheologischer Dimension a) Der »neue Mensch« offenbart als neu ins Dasein gerufene Kreatur »die ursprüngliche Übereinstimmung zwischen Gott dem Schöpfer und seinem Geschöpf, welche der Sinn der ganzen Schöpfung war und allem zum Trotz auch geblieben ist.«27

22 23 24 25

K. Barth, KD IV/2, 565. Dort kursiv. So auch a. a. O., 581.584. Ders., Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 10. A.a.O., 20. Vgl. ders., Das christliche Leben, 240. U. Schnelle, Die Begründung und Gestalt der Ethik bei Paulus, 122. Dort z. T. kursiv. So auch ders., Paulus, 635. 26 Vgl. u. a. 2Kor 5,17; Gal 3,27 f.; 4,19; 6,15; Röm 6,6; 13,14; Eph 4,17 – 24; Kol 3,9 ff. Zu den Deuteropaulinen vgl. U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, 513 f.526 ff. 27 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 4.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

b) Er ist »die Wiederherstellung des ersten in der Person des zweiten Adam«28 (1Kor 15,45; vgl. Röm 5,12 f.). c) Er ist »der ›nach Gott‹ geschaffene Mensch, die in Konformität mit ihrem Schöpfer existierende Kreatur«29. Er ist »das Gott dankbare Geschöpf« und »die ihm entsprechende, ihm konforme Kreatur«30. 2. in auferstehungstheologisch-eschatologischer Dimension a) Er ist »Ursprung und Anfang der neuen Weltzeit, in der Gott ›alles in Allem‹ sein wird« (1Kor 15,28). b) »Er ist neu als der ›innere Mensch‹ (Eph. 3, 16) im Gegensatz zum äußeren Menschen auch des Christen im Anbruch der neuen Weltzeit, der sich nach 2. Kor 4, 16, während der äußere zugrunde geht, von Tag zu Tag erneuert.«31 c) Das Ereignis der Auferstehung Jesu von den Toten ist als solches »seine Offenbarung als der neue Mensch«32. Was nun die Barthsche Rede von dem in dieser Weise charakterisierten »neuen Menschen« betrifft, so präzisiert Barth diese hinsichtlich a) des Status und b) des Modus dieser Rede: a) Der Status der Rede vom »neuen Menschen« ist sozusagen durch eine doppelstellige Identitätsaussage entsprechend der Zwei-Naturen- respektive Zwei-Stände-Lehre gekennzeichnet: Jesus Christus ist als der wahre, sich erniedrigende Gott auch der neue, erhöhte Mensch33 und »in ihm« ist zugleich der gerechtfertigte, geheiligte und berufene Mensch der »neue Mensch«. Der Begriff des »neuen Menschen« koinzidiert also einerseits mit der Selbstbezeichnung Jesu als »Menschensohn« und zugleich mit der Bestimmung des wahren Seins des Christenmenschen »in Christus«: »In ihm [Jesus Christus] wird der Mensch zum neuen, mit Gott versöhnten Menschen.«34 Das Sein des neuen Menschen ist 28 29 30 31 32

A.a.O., 6. Vgl. auch a. a. O., 15. A.a.O., 17. A.a.O., 5. A.a.O., 8. A.a.O., 22. Vgl. ders., KD IV/2, 334 f.: »Er [Jesus Christus; M.H.] macht […] in der Offenbarung seines Seins als der neue Mensch auch uns in einem neuen menschlichen Sein offenbar, in und mit seinem Leben aus dem Tode auch das unsrige als in ihm gerettetes, in die verlorene Gemeinschaft mit Gott gnädig, aber gerade so höchst real neu eingesetztes Leben: unsere Aufrichtung!« Vgl. auch ders., Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 17: »Hier, in seiner Auferstehung, wird die Gleichung offenbar : dieser Mensch ist der neue Mensch – der Mensch, in welchem Gott, indem er sich aufs tiefste demütigte, alle seine und unsere Feinde überwand, und in welchem der Mensch, aufs höchste erhoben, Gottes Gefährte und seines ganzen Reichtums teilhaftig war.« 33 Ders., KD IV/2, 173 f.: »[A]ls der wahre Sohn Gottes [ist Jesus Christus] auch der Menschensohn, der wahre, der neue, der königliche Mensch«. Dort z. T. kursiv. 34 Ders., Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 19.

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Die friedensethische Relevanz von Barths Heiligungskonzeption

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in Jesus Christus schon Wirklichkeit. In diese Wirklichkeit hinein ist der neue Mensch gestellt. b) Der Modus der Rede vom »neuen Menschen« erweist sich als gekennzeichnet durch die Dialektik des »schon jetzt« und »noch nicht«35, d. h. durch die spezifische Vermittlung perfektischer, präsentischer und futurischer Seinsaussagen, die alle drei zeitlichen Dimensionen umfasst. Einerseits gilt: »[D]er neue Mensch ›ist geschaffen‹. Er ist also da, vorhanden, gegenwärtig; er ist vollendete und offenbare Tatsache. Er braucht nicht erst zu kommen oder realisiert zu werden. […] Der neue Mensch ist schon da.«36 Barth akzentuiert: »[D]as Alte ist vergangen, Neues ist geworden, Gott war, die Welt mit sich selbst versöhnend, in Christus, und die an diesen glauben, sind nicht verloren, sondern haben das ewige Leben. Der neue Mensch, der den Bund hält, ist geboren, existent und offenbar. Und also: wir haben Frieden mit Gott; und das ohne alle ›Ungesichertheit‹! Gerade diese geschehene Veränderung der menschlichen Situation, gerade dieses […] schlechthin gegenwärtige Sein ist das Geheimnis des in Jesus Christus mit Gott versöhnten Menschen«37. Andererseits liegt die Wirklichkeit der nova creatura (2Kor 5,17; Gal 6,15) in einer noch nicht erlösten Welt vor : »Noch kennen wir ihn und also auch den neuen Menschen erst in jener vorläufigen und begrenzten Gestalt. Noch leben wir ja im Schatten – nur im Schatten, aber sehr empfindlich im Schatten! – der Sünde, die in Jesus Christus schon vergeben und weggenommen, des Todes, der in ihm schon überwunden ist.«38 Die Rede vom neuen Menschen ist als christologische immer auch eschatologische Rede. Die Erkenntnis der Wirklichkeit des neuen Menschen »ist Erkenntnis im Glauben: nicht mehr (wie die der ersten Jünger in den 40 Tagen nach Ostern) und noch nicht (wie die der ganzen Kreatur am Jüngsten Tage) im 35 K. Barth beruft sich dabei nicht nur auf die paulinische Dialektik, sondern versucht, das gesamte Zeugnis des Neuen Testaments zu berücksichtigen. Vgl. insbes. a. a. O., 30 f. Zum eschatologischen Referenzrahmen der paulinischen Ethik vgl. R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 19 – 27 (zur Dialektik des »Schon jetzt« und »Noch nicht« insbes. a. a. O., 24 f). Vgl. auch das Kap. 2: »Die Apokalypse der neuen Schöpfung. Zur paulinischen Rede vom ›neuen Menschen‹« in meiner Studie: M. Hofheinz, Apokalyptik im biomedizinethischen Diskurs, 19 – 31. 36 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 8. Vgl. a. a. O., 20: »[W]enn wir nach der Weisung des Neuen Testamentes zurückblicken und zurückweichen, dann stoßen wir gerade da (an Stelle unserer vermeintlichen Wirklichkeitserfahrung) auf jenes Perfekt der Wirklichkeit des neuen Menschen in Jesus Christus, von der her alle und jede Furcht für unsere Gegenwart und Zukunft, für die des Menschen, für die der Gemeinde und der Welt ausgeschlossen, radikal ausgelöscht wird. Das Perfekt heißt: ›Es ist vollbracht‹ (Joh. 19, 30).« 37 Ders., KD IV/1, 96. 38 Ders., Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 28. Vgl. a. a. O., 14: »Mit Christus verborgen in Gott (Kol. 3, 3) ist die Wirklichkeit des neuen Menschen auch auf Erden Ereignis und wird sie auch auf Erden in ihrer ganzen Universalität offenbar werden.«

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Schauen.«39 Barth unterscheidet entsprechend seiner Lehre von der dreifachen Parusie Christi zwischen der jetzigen und der künftigen Gegenwart (Parusie) des neuen Menschen.40 Er kennzeichnet den Ort, an dem wir uns gegenwärtig befinden, in temporärer Hinsicht als den »zwischen den Zeiten«41. Entsprechend dieser Barthschen »Topologie« der Zeit ist auch unsere Erkenntnis und Erfahrung der Wirklichkeit Jesu Christi als der des neuen Menschen in der Zeit des Übergangs, der »Endzeit« »begrenzt« und »beschränkt«: »Wohlverstanden: nicht seine Wirklichkeit ist beschränkt! Das ›Es ist vollbracht‹ gilt objektiv in seiner ganzen Wahrheit und Tragweite. Aber unsere Erkenntnis und Erfahrung dieser Wirklichkeit, ihrer Wahrheit und Tragweite, im hic et nunc unseres christlichen Glaubens ist dadurch beschränkt, daß wir weder mit den ersten Jüngern den auferstandenen Jesus in unserer Mitte haben, noch auch mit der ganzen Kreatur in der direkten und endgültigen Anschauung seiner Herrlichkeit stehen. Der Sieg ist gewonnen, aber noch nicht proklamiert. Das Matt des Gegners ist nicht mehr aufzuhalten, aber er darf die Partie noch zu Ende spielen, um jedermann zu überzeugen, daß er geschlagen ist. Die Uhr ist abgelaufen, aber das Pendel muß noch ausschwingen.«42

Als »Formen« der Präsenz dieser Wirklichkeit des neuen Menschen bezeichnet Barth das apostolische Zeugnis, die Existenz der Gemeinde, das Individuum in seinem »verborgene[n] Leben des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung«43, den bedürftigen Nächsten und das durch die göttliche Vorsehung qualifizierte Geheimnis der Geschichte.44 Individuelles, kirchliches und weltliches Menschenleben – keiner dieser Bereiche ist von der Gestaltwerdung des neuen Menschen in den genannten »Formen« ausgenommen, dessen Sein man in Anlehnung an G. Hunsinger zusammengefasst und formelhaft als »real, verborgen, zukünftig verheißen und von universaler Reichweite« (»real, hidden, yet to come, and universal in scope«45) bestimmen kann. 39 A.a.O., 23. 40 Vgl. a. a. O., 30. 41 Auch R.B. Hays (The Moral Vision of the New Testament, 25) spricht von »Paul’s vision of Christian existence between the times«. So auch U. Schnelle (Paulus, 549): »Die neue Zeit zwischen den Zeiten«. 42 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 23. 43 A.a.O., 25. 44 Vgl. a. a. O., 23 – 27. 45 Vgl. G. Hunsingers (How to Read Karl Barth, 135 f.) treffliche Zusammenfassung: »Salvation, then, is understood in Barth’s objectivist soteriology to be real, hidden, yet to come, and universal in scope. ›Real‹ or ›actual‹ describes the truth or status in Christ. It describes the state of affairs or objective situation brought about in Jesus Christ by the divine intervention on our behalf. Our salvation is defined by the ontological connection that Jesus Christ has established with us, so that our being before God can only be understood as our being in him. ›Hidden‹, however, describes the noetic situation of our status in Christ. The ontological connection that runs from him to us does not run noetically from us to him. We cannot perceive it by looking at ourselves, but only by looking to him by faith. Faith alone can

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Die friedensethische Relevanz von Barths Heiligungskonzeption

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Den Modus der Präsenz dieser »Formen« bestimmt Barth als Gottes »eigenes, freies, selbstmächtiges Werk«46 : »Seine Gegenwart ist, unabhängig von allem menschlichen Wollen und Laufen, seine eigene Aktion in der Kraft seiner Auferstehung. Sie ist es, die im Neuen Testament die Aktion des Heiligen Geistes heißt.«47 Besagter modus praesentiae kann also nicht anders als pneumatologisch in den Blick gefasst werden: Wo auch immer der neue Mensch in Erscheinung tritt, ist nach Barth der Heilige Geist am Werk. Demzufolge repräsentiert die Wirklichkeit des neuen Menschen als christologisch zu reflektierende Wirklichkeit zugleich eine pneumatologisch zu fassende Wirklichkeit. Eine christologische Bestimmung des »neuen Menschen« darf eo ipso nicht gegen eine pneumatologische ausgespielt werden.48

1.3.

Heiligung als Geschehen exklusiver und inklusiver Stellvertretung

Jesus Christus ist der neue Mensch, der – wie Barth mit 1Kor 1,30, dem einleitenden Bibelwort zu Barmen II und Calvins Lieblingsbibelvers, betont – uns zur Heiligung gemacht ist.49 Bereits diese Aussage erweist sich für Barths Verständnis des menschlichen Status im Blick auf das Heiligungsgeschehen als

46 47 48 49

perceive the connection, and it does so solely by trusting in the truth and promise of the revelation which discloses that the connection is indeed actual. ›Yet to come,‹ moreover, describes the future and ultimate convergence of the ontic and noetic situations. The ontological connection that is valid even now will not always remain hidden, but will one day be made manifest to sight in just the same actuality that it was always already visible to faith. This future manifestation of the ontological connection will not be the disclosure of an immanent process of transformation that had gotten under way within us here and now. It will, rather, be disclosure of an immanent process of transformation that had gotten under way within us here and now. It will, rather, be the disclosure of the inexpressible divine gift that we were mysteriously drawn into, partaking in the drastic and miraculous transformation that took place on our behalf in the death and resurrection of Jesus Christ. It will, that is, be the disclosure of his history as our history. ›Universal in scope,‹ finally, describes the global and historical reach of salvation as it is valid and effective in Christ. The universality of salvation means that, by definition, salvation is valid and effective for us regardless of our faith (or lack of faith), of our love (or lack of love), and of our hope (or lack of hope). Salvation is valid and effective for all, because it has been actualized in Jesus Christ on behalf of all and in the place of all. The puzzle that not all receive this gift by faith, and that those who do, do so only very imperfectly, does not infringe on salvation’s objective validity and effectivenss for all. It only means that it behooves us all the more to cling in faith, hope, and love to the object of our salvation (Jesus Christ), not only for our own sakes, but for the sake of the entire world.« Zum Aspekt des »real« vgl. im Detail a. a. O., 116 – 119, des »hidden« a. a. O., 119 – 124, des »yet to come« a. a. O., 124 – 128, und des »universal in scope« a. a. O., 128 – 135. K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 27. Dort kursiv. Ebd. Zum Zusammenhang von Christologie und Pneumatologie bei Barth vgl. insbes. G. Hunsinger, Disruptive Grace, 148 – 185. Vgl. K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 18.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

kennzeichnend. Mit der Heiligung gerät ihm zufolge die Umkehr des Menschen zu Gott in den Blick, wohlgemerkt aber als ein Zuwendungsgeschehen, dessen eigentliches Subjekt Gott selbst in Jesus Christus ist, der den Menschen heiligt, »indem Er sich ihm seiner Sünde zum Trotz zuwendet, wieder seiner Sünde zum Trotz seinerseits sich selbst zuwendet.«50 Dass Gott Subjekt und nicht Objekt der Versöhnung ist,51 dieser für Barths Versöhnungslehre grundlegende Satz gilt auch für seine Lehre von der Heiligung. In der Unumkehrbarkeit dieser Subjekt-Objekt-Relation koinzidieren die beiden Aspekte der Versöhnung, Rechtfertigung und Heiligung, insofern Gott den rechtfertigungs- wie heiligungsbedürftigen Menschen als Objekt rechtfertigt und heiligt. Gottes versöhnendes facere umschließt als das eine umfassende Heilsgeschehen demnach sein iustificare wie sanctificare. Mithin repräsentiert nicht nur die Rechtfertigung des Menschen ein Geschehen der inklusiven Stellvertretung, in welchem Gott in Christus als das Subjekt des Geschehens an die Stelle des Menschen tritt und in dem einen Menschen Jesus Christus die Rechtfertigung aller Menschen heraufführt,52 sondern auch die Heiligung. In die Heiligung des einen königlichen Menschen ist nach Barth unserer aller Heiligung eingeschlossen. Im Blick auf uns alle gilt de iure: »als alter Mensch in Jesus

50 Ders., KD IV/2, 565. 51 Das Schema »objektiv/subjektiv« wird bereits von A. Ritschl (Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung Bd. 3, 573 f.) im Anschluss an F.C. Baur primär dazu gebraucht, die Differenz zwischen einem anselmischen und einem abaelardischen Typus der Versöhnung anzuzeigen. Vgl. dazu auch G. Auléns (Die drei Haupttypen des christlichen Versöhnungsgedankens, 501 – 538) nur sehr begrenzt hilfreiche Typologie, insbesondere die Differenzierung zwischen dem lateinischen und idealistischen Typus der Versöhnung. H. Ruddies (Christologie und Versöhnungslehre, 177 f.) greift das Subjekt/Objekt-Schema auf, um »die doppelte Struktur mit einer präzisen Binnenrelation« von Barths Verständnis des Versöhnungswerkes Christi zu skizzieren: »1. Das ganze Werk der Versöhnung ist Tat Gottes des Versöhners als ›Bewegung von oben nach unten‹ (IV/2, 2) (= obj. Aspekt der Versöhnungslehre). 2. Das ganze Werk der Versöhnung ist Sein des versöhnten Menschen als ›Bewegung von unten nach oben‹ (a. a. O.) ([=] subj. Aspekt der Versöhnungslehre). Und dabei gilt: Der zweite, der subjektive Aspekt der Versöhnung ist das Telos des ersten, objektiven Aspektes; und der erste, objektive Aspekt ist der Grund des zweiten, subjektiven Aspekts. Mit anderen Worten: Der subjektive Aspekt der Versöhnungslehre ist Implikat des objekten Aspektes und d. h.: Dem notwendigen diskursiven, methodischen Nacheinander der beiden Aspekte der Versöhnungslehre kann und darf kein sachliches Auseinander der beiden Aspekte folgen bzw. entsprechen.« 52 K. Barth (Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 16) umschreibt das Stellvertretungsgeschehen als »Austausch«: »In Jesus hat sich der große ›Austausch‹ (die katallage) ereignet, die in unseren Übersetzungen von 2. Kor. 5, 19 die ›Versöhnung‹ (der Welt mit Gott durch Gott selber) heißt. Was ist das für ein ›Austausch?‹ In Jesus hat Gott selbst sich an die Stelle der Welt, des Menschen, an unsere eigene Stelle gesetzt. Das ist Gottes entscheidende Intervention zu unseren Gunsten.«

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Christus gestorben und als neuer Mensch in Jesus Christus geschaffen und lebendig«53. Barth ordnet die Begriffe Heiligung und Erhöhung entsprechend der Verschränkung von Soteriologie (Rechtfertigung und Heiligung) und Christologie (Zwei-Stände- und Zwei-Naturen-Lehre) einander zu: »Die Beute des göttlichen Erbarmens, der Ertrag des Versöhnungsgeschehens ist der erhöhte, der in Kraft der ihm widerfahrenden Erhebung neue, der Gott nicht mehr ferne, sondern nahe Mensch, der doch auch als solcher, gerade als solcher, ein Mensch wie wir, der Erstgeborene einer neuen Menschheit, der zweite Adam, der doch unser ältester Bruder ist, in dessen Erhöhung die unsrige schon geschehen ist.«54 Dieses Inklusionsverhältnis verweist auf den »ontologische[n] Zusammenhang zwischen dem Menschen Jesus einerseits und allen anderen Menschen andererseits«55. Im Aufweis dieses Zusammenhangs, der für das Seins des neuen Menschen schlechthin konstitutiv ist, besteht die Pointe der Heiligungslehre Barths in ihrer christologischen Verankerung:56 In der Heiligung des einen Menschensohnes ist die Heiligung aller Menschen de jure Ereignis geworden: »[N]ach Barth ist in Jesus Christus die Rechtfertigung und Heiligung aller bereits geschehen und wirksam, weil er als der erniedrigte Sohn Gottes zugleich der geheiligte Mensch ist, an dem wir andern Anteil haben.«57 Dementsprechend interpretiert Barth die Zentralaussage »Jesus Christus ist der neue Mensch« zugleich exklusiv und inklusiv : »Nur in Ihm [hat Gott die Welt versöhnt mit sich selber (2Kor 5,19); M.H.]: die Antwort ist also exklusiv. Durch die Gegenwart des neuen Menschen in Jesus Christus sind alle anderweitigen Vorstellungen vom Menschen teils relativiert, teils geradezu widerlegt. Die Antwort ist aber auch inklusiv. Denn indem der neue Mensch in Jesus Christus gegenwärtig und wirklich ist, ist er es – kraft der Bedeutung, Macht und Aktion dieser Person als des ›Hauptes‹ und ›Herrn‹ – auch für seinen ›Leib‹, die Kirche, und durch den Dienst seiner Kirche für die ganze Welt.«58

1.4.

Einai en Christo¯. Das Sein des neuen Menschen als Sein des homo pacis

Eine christologische Grundlegung der Friedensethik kann wie jede einen bestimmten Lebensbereich fokussierende Ethik im Sinne Barths nur auf das Sein 53 Ders., KD IV/1, 105. 54 Ders., KD IV/2, 114. So auch pointiert a. a. O., 336: »[D]as Leben des neuen, wahren Menschen [ist] auch […] das unsrige! […] In seinem Tod [sind] auch wir in einen neuen Anfang gestellt!« 55 A.a.O., 305. 56 Vgl. H. Lindenlauf, Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christi«, 132. 57 W. Kreck, Grundfragen der Dogmatik, 332. 58 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 13.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

en Christo¯ abheben. Wie C.E. Gunton hervorhebt, gilt nämlich im Blick auf die Barthsche Ontologie: »[F]or Barth, the fundamental reality of our being is our indwelling in Christ.«59 Der »neue Mensch« ist – wie gesagt – der en Christo¯ geheiligte Mensch, der als kaine¯ ktisis im Raum60 der von Gott geschenkten Freiheit lebt und von dieser Freiheit en Christo¯ Gebrauch macht und exakt darin als Neuschöpfung »neuschöpferisch« an Christus partizipiert, dass er seiner Weisung gehorsam ist. Dieser Gehorsam ist ein höchst aktives menschliches Tun, ein von Gott en Christo¯ hervorgerufenes und Gott verantwortliches menschliches Tun. Der göttliche Performativ der Heiligung substituiert also keineswegs das menschliche Handeln, sondern ermöglicht und formt das dem Heilshandeln Gottes entsprechende menschliche Handeln in seiner Ausrichtung. Ganz im Sinne Barths formuliert H.J. Iwand: »Versöhnung heißt also, daß uns Gott im Opfer Jesu Christi einen realen Seinsgrund geschaffen hat, auf Grund dessen wir sie annehmen, weil wir in diesem Versöhnungstode Jesu angenommen sind.«61 Die Gabe der Heiligung begabt den Menschen zu einem konformen Leben der Heiligung. Sie ruft die neue Lebensgestalt der kaine¯ ktisis hervor. Das Leben des geheiligten freien Menschen ist in das Heilshandeln Gottes einbezogen, indem jenes in all seinen Bezügen in Anspruch genommen wird und Weisung für ein Leben in Freiheit erhält. Barth setzt die Heiligung zu dem »Geschenk der Freiheit« – und zwar in seiner doppelten Aspektuierung! – in Beziehung und umschreibt sie als »seine Befreiung von seinem [des Menschen; M.H.] unheiligen Wesen und für den Dienst im Bund mit ihm«62. Einai en Christo¯ besagt als »prägnante Kurzdefinition des Christseins«63 nicht mehr und nicht weniger, als dass sich das Versöhnungsgeschehen als Befreiungsgeschehen in nobis ereignet.64 Genau dies bringt die paulinische Metapher von der »Neuschöpfung« zum 59 C.E. Gunton, No Other Foundation, 65. Vgl. G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 114: »›In Christ‹ is the key indicator of Barth’s soteriological objectivism.« 60 Von exegetischer Seite hat etwa U. Schnelle (Paulus, 548; Theologie des Neuen Testaments, 253) darauf hingewiesen, dass die Grundbedeutung von en Christo¯ »lokal-seinshaft zu verstehen« ist. 61 H.J. Iwand, Zur Versöhnungslehre, 221. 62 K. Barth, KD IV/2, 582. Kursivierung: M.H. 63 U. Schnelle, Paulus, 548; ders., Theologie des Neuen Testaments, 253. 64 Als Zusammenfassung dessen, was en Christo¯ meint, vgl. K. Barth, KD I/2, 261 f.: »›In Christus‹ will aber sagen: In ihm mit Gott versöhnt, in ihm also von Ewigkeit erwählt, in ihm berufen, in ihm gerechtfertigt und geheiligt, unsere Sünde in ihm zu Grabe getragen, unser Tod in seiner Auferstehung überwunden, unser Leben mit ihm verborgen in Gott, in ihm alles, was für uns, an uns und durch uns geschehen muß, schon geschehen, im voraus erledigt und in Ordnung gebracht, in ihm Kinder im Hause des Vaters durch Gnade wie er es von Natur ist. Was von uns zu sagen ist, kann nur in Umschreibung und Erläuterung unseres Seins in ihm gesagt werden. Nicht als eine Umschreibung und Erläuterung eines Seins, das wir an sich und für sich hätten. Eben darum kann die subjektive Wirklichkeit der Offenba-

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Ausdruck. Dieses Geschehen ist im Sinne der exklusiven Stellvertretung ein Geschehen, das keine menschliche cooperatio in der Heilsbeschaffung zulässt, weil dieses Heil extra nos im Christusereignis erwirkt wurde; und zwar im Christusereignis als demjenigen Geschehen, dessen geschichtliche Positivität und Faktizität aller menschlichen Initiative schlechthin vorausgeht und von allen »humanen« Vermittlungsbemühungen unabhängig bleibt. Als Geschehen extra nos ist das Christusgeschehen zugleich im Sinne der inklusiven Stellvertretung ein Geschehen pro nobis, ein regelrechtes Geschenk für uns, eben das »Geschenk der Freiheit«. Beide Dimensionen des Christusgeschehens, das extra nos und das pro nobis, spitzt Barth auf die Dimension des in nobis hin zu65 : Das extra nos erwirkte und pro nobis vollzogene Christusgeschehen stiftet die christliche Existenz, das Sein des neuen Menschen, des homo pacis66 in der Geschichte Jesu Christi: »Der Christ ist ein Mensch, in dessen Leben Jesus Christus als das Subjekt jener seiner Geschichte hineingetreten, dessen anerkannter, erkannter und bekannter Herr Er geworden ist, dem er eben damit aktiven Anteil an jener seiner Geschichte gegeben hat. So wurde und so ist Jesus Christus, seine Geschichte, die Begründung der christlichen Existenz: sie und nur sie. Von ihm, von seiner Geschichte, von ihrer Existenz kommt der Christ her, auf sie blickt er zurück. Sie ist der Boden, auf dem er steht und geht. Sie ist die Luft, in der er atmet. Sie ist das Wort, das er vor, über und nach allen anderen Worten in den Ohren hat. Sie ist das Licht – das eine, aber unvergleichlich helle Licht – das ihm leuchtet.«67

Der reiche Metapherngebrauch, zu dem Barth hier greift, um den in der Geschichte Jesu Christi liegenden Ursprung und Anfang des christlichen Lebens adäquat zu umschreiben, indiziert die Schwierigkeit, das Geheimnis dieses Ursprungs, der göttlichen Wendung, in der ein Mensch ein Christ wird, und somit des christlichen Lebens selbst adäquat zu umschreiben. Barth spricht rung nicht als solche zu einem christlichen Thema werden. Sie ist eingeschlossen in deren objektiver Wirklichkeit. […] Denn durch Christus werden wir gewiß nichts anderes sein als eben das, was wir in Christus sind. Und der Heilige Geist, der uns in die Wirklichkeit der Offenbarung einbezieht und hineinnimmt, indem er tut, was wir nicht tun können, indem er unsere Augen, Ohren und Herzen öffnet, hat uns gewiß auch nichts anderes als eben dies zu sagen: daß wir durch Christus in Christus sind. Und also haben wir uns eben dies und grundsätzlich gar nichts anderes als dies sagen zu lassen: daß wir […] eingeladen und aufgefordert sind, uns von da, immer wieder nur von da aus zu verstehen.« 65 Vgl. zu diesem »präpositionalen Dreiklang« K.G. Steck, Versöhnung oder Entfremdung, 28 f. 66 Der neue, mit Gott versöhnte Mensch ist der homo pacis, insofern tatsächlich gilt: »Gott war, die Welt mit sich selbst versöhnend in Christus, und die an diesen glauben, sind nicht verloren, sondern haben das ewige Leben. Der neue Mensch, der den Bund hält, ist geboren, existent und offenbar. Und also: wir haben Frieden mit Gott: und das ohne alle ›Ungesichertheit‹!« K. Barth, KD IV/1, 96. 67 Ders., KD IV/4, 15.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

bezeichnenderweise von einem Rätsel und einem Geheimnis, vor dem wir stehen.68 Kaum änigmatisch und wenig unklar dürfte hingegen sein, dass sich das Einai en Christo¯ nach Barth keineswegs auf ein Nacheifern Jesu reduzieren lässt, allzumal die von Barth stark betonte stellvertretungs- bzw. inklusionschristologische Dimension des Christusgeschehens gerade diesen Reduktionismus abwehrt,69 aus dem geradezu zwangsläufig eine völlige Ethisierung der Soteriologie resultieren muss. Wenn Barth etwa feststellt: »[C]hristliches Leben, Treue gegen Gott als freie Tat und Verhaltensweise eines Menschen hebt an mit dem, was in den Tagen des Augustus und Tiberius auf dem Weg von der Krippe zu Bethlehem zum Kreuz auf Golgatha als das para theo¯ nach dem Ermessen Gottes Mögliche wirklich geworden ist«70, so wird eine inklusionschristologische Aussage getroffen, die das neue Sein in Christus nicht auf eine Vorbildfunktion von Jesus als homo pacis beschränkt. In der Geschichte Jesu Christi kommt es zu einer der Treue Gottes entsprechenden Treue eines Menschen. Jedoch lässt sich das pro nobis keineswegs darauf reduzieren, dass seine Treue vorbildlich war. Anders gesagt: Wenngleich Barths Friedensethik – wie wir noch sehen werden71 – vorbildchristologische Motive aufweist, so wendet sie sich doch pointiert gegen eine Vorordnung der Vorbild- vor eine Stellvertretungs- bzw. Inklusionschristologie oder gar eine Substitution dieser durch jene. Die angesprochene Schwierigkeit besteht hingegen präzise in der affirmativen Umschreibung »der in der Geschichte Jesu Christi geschehenen göttlichen Wendung als dem Ursprung und Anfang des christlichen Lebens«72. Lässt sich so vom christlichen Leben reden, dass diese Wendung ein göttliches Geschehen ist, eigenes menschliches Handeln damit aber nicht ausschließt? Lässt es sich sprachlich so fassen, dass zum Ausdruck kommt, dass das Handeln des freien Menschen in Christus gründet ohne doch mit dem Handeln Gottes – etwa im Sinne einer Emanation aus Gottes Handeln – identisch zu sein? Wie J. Webster betont, will Barth gerade eine solcher Rede entsprechende Handlungstheorie entfalten: »From the beginning of the ethics of reconciliation, it is clear that Barth is seriously at odds with a theory of human action which would 68 Vgl. a. a. O., 19 f. und dazu: G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 189 – 202. 69 Vgl. K. Barth, KD IV/4, 23 f.: »Nicht indem der Mensch als sein eigener Befreier an die Stelle Jesu Christi, sondern indem Christus an die Stelle des Menschen tritt, um ihn daselbst zu befreien, kommt es zur Begründung des christlichen Lebens. […] Indem Jesus Christus an die Stelle des Menschen tritt, an seiner Stelle […] Gott treu ist, macht er, macht durch ihn Gott den Menschen frei, ihm seinerseits treu zu werden.« 70 A.a.O., 18 f. 71 Vgl. Abschnitt I.3.4. der vorliegenden Untersuchung. 72 K. Barth, KD IV/4, 19.

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make what human beings do a mere extension, emanation or even mediation of what God does«73. Via negationis kann man relativ »einfach« vom christlichen Leben, vom Sein in Christus, reden: »Jede Beschreibung des christlichen Lebens, die ihm einen anderen Grund als diesen [in Christus] zuschreiben wollte, könnte nur die Beschreibung eines über seiner Wurzel abgehauenen Baumes sein: was auch aus ihm werde, eigenes Leben kann er gerade nur in der Einheit mit seiner Wurzel haben. Gerade eigenes Leben eines Menschen ist als christliches Leben nur möglich und wirklich in seiner Einheit mit seinem Ursprung in Jesus Christus.«74 Die Sprache gebricht hingegen unter dem affirmativen Bemühen, denn, um eine treffliche Formulierung E. Jüngels zu gebrauchen: »[I]n Christo ist gegenüber allen Zusammenhängen, in denen Wörter sonst gebraucht werden, ein eschatologisch neuer Zusammenhang gegeben, der allen in diesem Zusammenhang gebrauchten Wörtern notwendig eine neue Bedeutung gibt. Der Zusammenhang, der durch den Namen Jesu Christi angesagt wird, ist aber, da er keine eigenen Wörter zur Bezeichnung der ihm eigenen Sachverhalte mit sich bringt, auf Wörter aus anderen Seinszusammenhängen angewiesen, die dann in dem gegenüber allen Weltzusammenhängen eschatologisch neuen Zusammenhang en Christo¯ als Metaphern fungieren müssen. Die Sprache des Glaubens ist durch metaphora konstituiert.«75

Die Existenzform des neuen Menschen besteht darin, im Gleichnis zu leben, weil – mit T. Mann gesprochen – »im Gleichnis leben zu dürfen eigentlich Freiheit bedeute[t]«76. Den neuen Menschen kennzeichnet, dass er »nur noch im Gleichnis Jesu Christi als des für ihn Gestorbenen und Auferstandenen Mensch sein kann und will. […] Er betätigt sich darin als Christ, daß er gerade nur noch im Gleichnis Jesu Christi, seines Todes und seiner Auferstehung – beides: in herzlicher mortificatio und in herzlicher vivificatio da sei kann und will.«77 Diese beiden Begriffe, mortificatio und vivificatio, bezeichnen zwei Aspekte, die dem negativen und positiven Charakter »des stellvertretenden Seins und Tun Christi selber (als dem analogans)«78 entsprechen, und sie »bezeichnen den Anfangsund Zielpunkt des Weges, auf dem das Leben des Christen – des Jesus Christus im Glauben erkennenden Menschen – das analogatum, die Parallele, das Gleichnis – nur das, aber genau das! – seines ihn rechtfertigenden Seins und Tuns werden und sein muß.«79 73 74 75 76 77 78 79

J. Webster, Barth’s Moral Theology, 169. K. Barth, KD IV/4, 19. E. Jüngel, Metaphorische Wahrheit, 110. T. Mann, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull, 73. K. Barth, KD IV/1, 860. A.a.O., 861. Ebd.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Das Sein des neuen Menschen vollzieht sich im Spannungsfeld von mortificatio, die mit der Buße, dem Leid und der Reue gegenüber dem alten Adam »das christliche Dransein nach seiner negativen Seite«80 betont, und vivificatio, die im Blick auf das in Christus erworbene Heil und die damit gegebene Hoffnung die getroste, starke und freudige Zuversicht des Glaubens akzentuiert. Diese Zuversicht findet Ausdruck in einem umfassenden Friedenshandeln, das Denken, Sagen und Tun umgreift: »Ich darf auch meine paar Gedanken im Frieden denken, meine paar Worte im Frieden sagen, meine paar Werke im Frieden tun.«81 Das Sein des neuen Menschen wird von Barth als jene Integrationsbewegung gekennzeichnet, die beide Momente, mortificatio und vivificatio, zu integrieren vermag, ohne mit der Skylla einer »[b]öse[n] Theologie eines Ausgreifens nach der Gleichheit mit Jesus Christus, eines Perfektionismus, der Unterschied zwischen mir und ihm nicht wahrhaben wollte«82, und der Charybdis einer »bösen Theologie des Beharrens in der Ungleichheit zwischen mir und Jesus Christus, des frommen Schlummerkissens, die es bei der Feststellung meines Unterschiedes von ihm sein Bewenden haben lassen wollte«83, in Berührung zu kommen. Die Kennzeichnung dieses Verlauf »mitten hindurch« vollzieht Barth in der perspektivischen Differenzierung zwischen dem Blick auf das Selbst und dem Blick auf Jesus Christus: »Es hätte wirklich […] keinen Sinn, wollte ich mir vormachen, daß meine Geschichte mit der Jesu Christi koinzidiere, daß also die Sünde und der Tod in mir keine Gewalt mehr über mich hätten. Im Blick auf mein Sein in Jesus Christus darf und soll ich das wohl, im Blick auf mich selbst werde ich das besser nicht behaupten. In ihm habe ich nämlich wohl, in mir selbst habe ich aber gar nicht überwunden: von ferne nicht!«84 In der Erkenntnis des Glaubens, paulinisch gesprochen: »im Glauben, nicht im Schauen« (2Kor 5,7), ist der glaubende Mensch allerdings »ein neues Subjekt«, »ein Anderer, als wenn er nicht glaubte«85. Als neuer Mensch, dem in Christus eine Überwindung des alten Seins widerfahren ist und der im Glauben dessen Überwindung erkennen darf, existiert der Christ »in Analogie, bei aller Unähnlichkeit in Ähn80 81 82 83

A.a.O., 863. A.a.O., 865. A.a.O., 862. Ebd. Vgl. a. a. O., 864: »Böse Theologie einer angemaßten Gleichheit mit Jesus Christus, einer falschen, weil eigenmächtigen Heilsgewißheit, in der ein Mensch das durchaus anders haben möchte und anders haben zu können meint!« 84 A.a.O., 862. Vgl. a. a. O., 865: »Böse Theologie einer in der Ungleichheit mit Jesus Christus verharrenden, einer von ihm nun doch wieder weg und auf eine von ihm unveränderte Situation des Menschen blickenden, einer nun doch wieder auf irgend eine grobe oder feine Werkgerechtigkeit zurückfallende Heilsungewißheit!« 85 A.a.O., 863.

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Die friedensethische Relevanz von Barths Heiligungskonzeption

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lichkeit, bei aller Ungleichheit in Parallele und Entsprechung zu ihm« und stellt »in aller Bescheidenheit ein Gleichnis seines [Christi] Seins und Tuns«86 dar. Dieser neue Mensch ist nach Barth ein homo pacis, »ein im Verhältnis zu Gott und den Menschen und sich selbst ernstlich und letztlich friedlicher Mensch: friedlich, weil gehalten von dem, in welchem er schon hergestellt, in welchem er schon Gottes gerechter und beschützter Bundespartner ist. Indem er – gewiß von schwerster Problematik umgeben und darum in höchster Anspruchslosigkeit – ein solcher Mensch ist, ist er nun doch eine Antwort auf das, was nicht in ihm, aber für ihn in Jesus Christus geschehen und offenbart ist. Er ist auch in diesem seinem positiven Dransein Abbild, Parallele, Gleichnis seines Seins und Tuns für ihn: in tiefster Unvollkommenheit Reflex seiner Vollkommenheit, kleines Licht in seinem großen Lichte.«87

1.5.

Die vektorielle Verschränkung von Rechtfertigung und Heiligung im Rahmen der Versöhnungslehre

Des Menschen Heiligung vollzieht sich demnach nicht als Selbstheiligung – etwa im Modus des Appells an die Selbstheiligungskräfte des Menschen, sondern resultiert aus der participatio Christi,88 »der Teilnahme der Heiligen an der Heiligkeit Jesu Christi«89. Barth wendet sich damit gegen ein weit verbreitetes Rechtfertigung- und Heiligungsverständnis, demzufolge die Rechtfertigung als Gabe Gottes das Prius und die Heiligung das vom Menschen nun nach Erhalt der Gabe anzuwendende Posterius darstellt. Den sich dergestalt artikulierenden Indikativ-Imperativ-Schematismus, der die Logik des berühmten Zinzendorfschen Diktums: »Das tat ich für dich. Was tust du mich?«90 auf das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung appliziert, durchbricht Barth mit seiner Interpretation der Heiligung im Sinne eines inklusiven Geschehens. Barth wendet sich damit gegen die Reinstallation einer gleichsam durchs Hintertürchen wieder eingeführten Werkgerechtigkeit, die auf einem Verständnis der Heiligung als einem »von uns ins Werk zu setzen[den]«91 Tun des Menschen (und nicht etwa Gottes!) basiert. Hierbei würde es sich um ein inverses, die Heiligung der Rechtfertigung vorordnendes Schema handeln, demzufolge die Heiligung eben nicht »ganz auf des Menschen Heiligung vor Gott«92 beruht, sondern umgekehrt. 86 87 88 89 90 91 92

Ebd. A.a.O., 867. Vgl. zum Motiv der participatio vgl. D.L. Migliore, Participatio Christi, 286 – 307. K. Barth, KD IV/2, 586. Zit. nach K. Barth, a. a. O., 584. Ebd. A.a.O., 565. Dort kursiv.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Barth verwehrt sich strictissime gegenüber dieser sachlogischen Pervertierung, indem er Rechtfertigung und Heiligung durch Betonung ihres inklusiven Charakters nun nicht einfach parallelisiert, sondern ihr Verhältnis im Sinne eines differenzierten Zusammenhangs gerade dadurch präzisiert, dass er die Simultanität des doppelt aspektuierten Heilsgeschehens, d. h. das Zugleich von Rechtfertigung und Heiligung, betont. In ihrer Simultanität sind Rechtfertigung und Heiligung als Bewegung gleichsam von oben nach unten und unten nach oben vektoriell verschränkt, wobei diese vektorielle Verschränkung exakt der Doppelbewegung des Seins Jesu Christi als wahrem Gottes- und wahrem Menschensohn (traditionelle Denkfigur : Zwei-Naturen-Lehre) sowie dem Korrespondenzverhältnis von Erniedrigung und Erhöhung bzw. göttlichem Exodus (»Der Weg des Sohnes Gottes in die Fremde«) und menschlichem Reditus (»Die Heimkehr des Menschensohnes«) entspricht (traditionelle Denkfigur : ZweiStände-Lehre).93 Die Wahrnehmung dieser simultanen Sachordnung erschließt Barth perspektivisch: Aus struktureller Perspektive kommt der Rechtfertigung der Primat gegenüber der Heiligung, aus teleologischer Perspektive hingegen der Heiligung der Primat gegenüber der Rechtfertigung zu. Der Struktur des Heilsgeschehens nach ist nämlich die Rechtfertigung der Ermöglichungsgrund der Heiligung, weil der Mensch kraft dessen, »daß er von Gott vor ihm gerechtfertigt wird, [er] auch von ihm geheiligt«94 wird. Bemüht man hingegen ein teleologisches Denkschema in Bezug auf das Heilsgeschehens, so wird mit Blick auf den für teleologisches Denken konstitutiven Relationszusammenhang von Zweck und Mittel evident, dass die Heiligung der Rechtfertigung gegenüber übergeordnet ist, weil Gott den Menschen rechtfertigt, um ihn zu heiligen. Der Zweck der Rechtfertigung ist demnach die Heiligung, das Frei-Werden für Gott; das Mittel und damit der ontische Ermöglichungsgrund der Heiligung ist hingegen die Rechtfertigung als »des Menschen Freispruch«95 durch Gott. Folglich führt Barth keine Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Heiligung im Sinn einer zeitlichen Stufung »eines psychologisch-biographischen Werdegangs der

93 Vgl. H. Ruddies, Christologie und Versöhnungslehre bei Karl Barth, 178. Zutreffend bemerkt H. Lindenlauf, Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christi«, 131: »Rechtfertigung und Heiligung werden als untrennbar zusammengehörende und doch real unterschiedene soteriologische Aspekte des Versöhnungshandelns Gottes begründet durch die Untrennbarkeit, aber reale Unterschiedenheit der christologischen Aspekte Erniedrigung und Erhöhung, denen sie jeweils entsprechen. In dieser Zuordnung fällt der Ton wiederum auf deren Teleologie: Wie die Erhöhung Jesu Christi in seiner Erniedrigung gründet, so zielt auch die Rechtfertigung auf die in der Rechtfertigung wurzelnde Heiligung.« 94 K. Barth, KD IV/2, 574. 95 So die Überschrift von § 61.3 (KD IV/1).

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Die friedensethische Relevanz von Barths Heiligungskonzeption

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christlichen Existenz«96 durch, die er vielmehr als Spielart einer ordo-salutisLehre kritisiert.97 Das simul von Über- und Unterordnung umschreibt nicht die chronologische, sondern die sachliche Ordnung des Zugleichs von Rechtfertigung und Heiligung und damit die Doppelthese, die Barth als Antwort auf die Frage nach ihrer angemessenen Verhältnisbestimmung gibt: »Die Heiligung ist nach Barth beides: die Folge und das Ziel der Rechtfertigung und ist so zugleich unsere Ausrüstung zur Bezeugung des Evangeliums in der ›Welt‹, auf dem Weg hin zur Vollendung des Reiches Gottes.«98 In Christus sind de jure alle Menschen versöhnt, gerechtfertigt und geheiligt, während sich dies de facto nur von der zum Glauben erweckten Gemeinde sagen lässt, die als »heiliges Volk heiliger Menschen«99 konkret der Welt und allen anderen Menschen als de jure, aber nicht de facto versöhnten Menschen gegenüber gestellt ist: »Indem die Gemeinde durch das Zeugnis ihres ›entsprechenden‹ Gehorsams die de iure über die ganze Welt und alle Menschen ausgerichtete Herrschaft Jesu Christi bekennt, stellt sie in Wort und Tat die Bestimmung aller Menschen zur participatio Christi vorläufig und zeichenhaft dar.«100

1.6.

Die subjektive Seite der Heiligung: Einstimmen als Modus der participatio Christi

Nach Barth besteht Heiligkeit in der Teilnahme an Christi Heiligkeit.101 Deshalb bildet die auf Christus reflektierende Christologie den Definitionsort einer Lehre von der Heiligung. Was aber bedeutet »Heiligung« im Sinne der participatio Christi und zwar der participatio sanctitate Jesu Christi im Blick auf den Menschen und sein Tun? »Wie kommt es« – mit K. Barths eigenen Worten gesprochen – »zur Teilnahme der Heiligen, des besonderen Volkes Gottes in der Welt also, an der Heiligkeit Jesu Christi – wie also zu der ihnen de facto widerfahrenden Heiligung?«102 Verliert nicht – so mag man etwa in Anlehnung an T. Rendtorff einwenden103 – die Heiligung jegliche (friedens-)ethische Valenz 96 97 98 99 100 101 102 103

Ders., KD IV/3, 582. Vgl. auch ders., KD III/4, 698. Vgl. ders., IV/2, 567.569; ders., KD IV/3, 581 f. E. Busch, Bekenntnis zu Jesus Christus, 46. K. Barth, KD IV/2, 579. H. Lindenlauf, Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christi«, 135. Vgl. K. Barth, KD IV/2, 585. A.a.O., 589. Vgl. zur Auseinandersetzung mit T. Rendtorff Abschnitt I.1.4. der vorliegenden Untersuchung.

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dadurch, dass Barth das heiligende Handeln Gottes als Subjekt der Heiligung hervorhebt und damit die für menschliches Handeln relevante subjektive Seite der Heiligung aus- oder zumindest abzublenden scheint? Wäre dem wirklich so, dann würde sich gleichsam ein ethischer Doketismus in Barths Theologie manifestieren.104 In der Tat betont Barth zwar : »Heiligung im Sinne des Neuen Testaments ist ganz und gar ein Werk Gottes. Es kommt nicht in Frage, daß der Mensch sich selbst heiligt.«105 Barth fährt aber unter Verweis auf den responsorischen Charakter der Heiligung im gleichen Atemzug fort: »Er wird geheiligt, und nun hat er auf das, was Gott tut, zu antworten. Es ist das Wort, das den Menschen heiligt. ›Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe‹. Bitte, wenn das gesagt wird, kann sich der Mensch daraufhin nicht auf die faule Haut legen. Er muß es sich gesagt sein lassen, und darüber kommt es zum menschlichen Handeln. Es entspricht dann Gottes Werk das Werk des Menschen, sein Glaube, sein Gehorsam, seine Liebe, seine Hoffnung, vor allen Dingen auch seine letamoia, seine Umkehr.«106

Barth konzipiert die Heiligung gerade darin als inklusive Heiligung, dass er sie als Handeln Gottes am Menschen charakterisiert, das den Menschen in seiner unmittelbaren und wörtlich zu nehmenden In-Anspruch-Nahme einschließt. Gott gestaltet die Heiligung nicht als selbstreferentiellen Akt, der sich unter Ausschluss des Menschen, also exklusiv als göttliche Selbstheiligung vollzieht, sondern Jesus Christus heiligt sich inklusiv-stellvertretend für sie (Joh 17,19), so dass die Menschen nun auch tatsächlich de jure und/oder de facto geheiligt sind. Der Mensch wird insofern gerade nicht in die Rolle des Unbeteiligten gedrängt, als dass die Heiligung ein Geschehen an ihm ist, das als worthaft-performatives Geschehen niemand anderen als ihn anspricht, ihn so in Anspruch nimmt und in seinen Dienst stellt. Als wirkmächtiges und wirkkräftiges Geschehen, das direkten Anredecharakter hat, erlaubt und ermöglicht es die menschliche Einstimmung: »Das bedeutet nun aber, daß in und mit seiner Heiligung auch die unsrige schon vollzogen ist, von uns – das allein kann die Sache unseres Verhaltens sein – gerade nur dankbar erkannt und respektiert werden kann: in jenem vorläufigen Lob, dessen Darbringung den Sinngrund der Existenz seines Volkes, seiner Gemeinde und aller ihrer Glieder ausmacht. Nicht durch unser Erkennen und Respektieren, nicht durch das 104 J. Webster (Barth’s Moral Theology, 169) hält hingegen zu Recht im Blick auf Barths Handlungstheorie fest: »[E]thical docetism is ruled out of order, and the place of the acting person secured.« 105 So K. Barth (Gespräche 1959 – 1962, 183) im Gespräch mit Methodistenpredigern am 16. 5. 1961. 106 A.a.O., 183 f. Vgl. D.E. Roberts, Hope in Times of War, 64: »Humans can only respond to God’s Command.«

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arme Lob, das wir ihm darbringen, werden wir geheiligt, sind wir (womöglich durch uns selbst dazu gemacht) Heilige, sondern weil und indem wir in jenem Einen schon Heilige sind, sind wir zu jenem Tun aufgerufen, und daß wir es sind – nicht in uns, aber in jenem Einen in höchster Realität sind – das ist der Grund jenes Tuns und der Gegenstand unserer Erkenntnis, unseres Respektes und unseres Lobes. Die Erschaffung der neuen Existenzform des Menschen als Gottes Bundesgenosse steht also, auch was uns angeht, nicht erst vor uns. Wir haben sie nicht erst durch Nachvollzug in Kraft zu setzen. Wir kämen zu spät, selbst wenn wir – was wir nicht sind – dazu in der Lage wären. Genau so, wie wir mit einer Nacherschaffung des Himmels und der Erde, selbst wenn wir solchen Werkes fähig wären, hoffnungslos zu spät kämen: uns kann ja nur übrig bleiben, unter dem von Gott geschaffenen Himmel auf der von ihm gut geschaffenen Erde zu leben! Und so: des Menschen neue Existenzform als geschaffen, unsere Heiligung als vollzogen einzusehen und gelten zu lassen und uns danach auszurichten!«107

Das Gelten-Lassen, das Ausrichten nach dem und das Einstimmen in das Heiligungshandeln Gottes umschreiben den Modus der menschlichen Teilnahme an der Heiligkeit Jesu Christi.108 Auf diese Art setzten die Heiligen aber nun nicht etwa die de jure zuvor allen Menschen widerfahrene Heiligung nun auch de facto in Kraft. Die de jure/de facto-Unterscheidung Barths umschreibt keine Distinktion zwischen einer dogmatischen und ethischen Dimension der Heiligung, gleichsam zwischen deren passiv empfangenem Apriori und dem aktiv zu bewährenden Aposteriori. Auch den latenten Synergismus, wonach die Heiligen »die Tragweite seiner Existenz für sich selber (aber damit auch für alle Menschen!) erst zu realisieren hätten«109, verneint Barth kategorisch: »Es geht bei der Besonderheit ihrer Existenz nicht (oder eben auch das nur nachträglich!) um ihr Verstehen, Deuten, Interpretieren seiner Existenz und ihrer Tragweite. Es geht um deren ihnen nicht verborgen gebliebene, sondern offenbar gewordene Selbstinterpretation. Sie ist ihre Heiligung, konstituiert ihre Existenz als die des besonderen Volkes Gottes in der Welt. Läßt sie doch ihre eigene Existenz nicht unberührt, wird doch in ihr die grundlegende Entscheidung offenbar, die auch über sie schon gefallen ist. Nötigt sie sie doch, sofort auch sich selbst neu, ihrer bisherigen unterdrückten Wahrheit gemäß, zu interpretieren. […] Er aber, der Heilige, hat, indem er ihnen als solcher nicht verborgen blieb, sondern offenbar, als ihr lebendiger Herr gegenwärtig wurde, seine Hand auf ihr kreatürliches und sündiges Sein, Denken, Tun und Lassen gelegt, hat sie in Anspruch genommen, hat sie damit als die sündigen Kreaturen, die sie sind, zu Zeugen seiner Heiligkeit und so und insofern zu seinen Mitheiligen gemacht. Er hat sie, ihr ganzes Sein, Tun und Lassen – wir müssen nun den Spitzensatz unserer christologischen Grundlegung (§ 64.4) aufnehmen: unter seine Weisung gestellt. Das Neue Testament nennt das: er hat sie erreicht und berührt in der 107 K. Barth, KD IV/2, 584. Dort z. T. kursiv. Vgl. a. a. O., 406 f. 108 Vgl. U. Schnelle, Paulus, 644: »Die paulinische Paraklese zielt auf ein Leben im Einklang mit dem Christusgeschehen«. So auch ders., Theologie des Neuen Testaments, 302. 109 K. Barth, KD IV/2, 589.

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belebenden Macht seines Heiligen Geistes, in der er sich anderen Menschen als der, der er ist, offenbart und bekannt macht, sie eben damit unter seine Weisung stellt, sie eben auch als die Seinigen, als Zeugen seiner Herrlichkeit in Anspruch nimmt. Der Heilige Geist ist der lebendige Herr Jesus Christus selbst im Werk der Heiligung seines besonderen Volkes in der Welt.«110

Dieses nicht um seiner Länge, sondern seines demonstrativen Effektes willen angeführte Zitat verdeutlicht den Übergang in Barths Denken: den vom Handeln Gottes zu dem des Menschen, von der Soteriologie zur Ethik. Der Vollzug dieses Übergangs in Barths Denken lässt sich nur schwerlich formelhaft fixieren. Der seit R. Bultmann111 in der theologischen Kategorienbildung üblich gewordene Schematismus von Indikativ und Imperativ wird gesprengt,112 zumindest insofern er den Anschein eines methodischen Zweischritts, nämlich von geschenkter passio und gestaltend antwortender actio erweckt:113 Gott hat gegeben – etwa den Frieden – und der Mensch hat – diesen Frieden – nun zu bewähren und zu gestalten.114 Nach dieser Logik, die von der Gabe zur Bewährung respektive Gestaltung verläuft, steht der Mensch als ethisches Subjekt an der Schnittstelle von Gabe und Bewährung, so dass er – gleichsam sich selbst überlassen – nun diesen Übergang selbständig vollziehen muss.115 110 A.a.O., 590. 111 Vgl. R. Bultmann, Das Problem der Ethik bei Paulus, 123. Vgl. auch ders., Theologie des Neuen Testaments, 335.553 u. ö. 112 Zur Tragfähigkeit und aktuellen Diskussion des Modells »Indikativ-Imperativ« vgl. K. Backhaus, Evangelium als Lebensraum, 10 – 14; M. Konradt, Neutestamentliche Wissenschaft und Theologische Ethik, 274 – 279; R. Zimmermann, Jenseits von Indikativ und Imperativ, 260 – 284. R. Zimmermann (a. a. O., 265) plädiert dafür, dass man sich »innerhalb der exegetischen Wissenschaft vom Indikativ-Imperativ-Modell als leitendem Begründungsmuster der paulinischen Ethik nun endgültig verabschieden [sollte], da es letztlich mehr Probleme schafft, als es lösen konnte.« 113 R. Zimmermann (a. a. O., 264) stellt die Sachgemäßheit des Indikativ-Imperativ-Modells grundlegend in Frage: »– Das Indikativ-Imperativ-Schema führt eine künstliche Trennung ein, die das von Paulus als Einheit Dargestellte retrospektivisch zergliedert.– Das Modell suggeriert eine wie auch immer geartete zeitliche und logische Vorordnung des Indikativs vor den Imperativ.– Das Schema ist reduktionistisch und starr und widerspricht somit der Dynamik und Vielfalt paulinischer Handlungsbegründung.– Die Frage nach dem Verhältnis von Können und Sollen steht nicht im Zentrum der paulinischen Ethik.« Ähnlich U. Schnelle (Paulus, 630; Theologie des Neuen Testaments, 295), der die künstliche Zergliederung des »umfassende[n] Seins- und Lebenszusammenhang[s]« moniert. 114 Nach R. Bultmann (Das Problem der Ethik, 140) hingegen ist der Imperativ als Forderung selbst Teil des Heilshandeln Gottes (Indikativ): »Ist aber das ganze Sein des Gerechtfertigten durch die charis bestimmt, so auch der Imperativ, unter dem er steht. […] Wie also die im Imperativ sich aussprechende sittliche Forderung für ihn Gottes Gebot ist, so ist die der Forderung entsprechende Haltung des Gehorsams zugleich Gabe Gottes, gewirkt durch das pmeOla, ohne daß die Forderung dadurch ihren imperativischen Charakter verliert.« 115 H.G. Ulrich (Rechtfertigung und Ethik, 48 – 64; vgl. auch ders., Eschatologie und Ethik, 165 – 174) hat adäquat herausgearbeitet und kritisiert, dass diese »Logik« der Formel »Indikativ und Imperativ« bzw. »von der Gabe zur Aufgabe/Bewährung« nicht etwa nur den

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Barths »Logik« der (Friedens-)Gabe Gottes funktioniert anders. Denn mit der Gabe ist der Mensch nicht aus dem Handeln Gottes entlassen und auf sich selbst gestellt. Mit seinem Insistieren auf der Heiligung betont Barth vielmehr, dass Jesus Christus auch und gerade darin für uns eintritt, dass er uns über den Empfang des Rechtfertigungsurteils hinaus in Anspruch nimmt. Das Heiligungsgeschehen besagt, dass eine unlösbare Beziehung zu Jesus Christus fortbesteht. Mit dem Zuspruch sind wir zugleich in Anspruch genommen: »Wer wir als die Menschen vor Gott, als neue Menschen im Urteil Gottes sind, muß zugleich als Einweisung in ein bestimmtes Leben, als durch das Urteil Gottes entschiedene Leben, und somit paränetisch ausgesprochen werden. Das bedeutet keine Einebnung der Soteriologie in die Ethik, sondern ist nur als ein Zugleich von Verheißung für den Menschen und Anweisungen für sein Verhalten auszudrücken.«116 Demzufolge versagt der etablierte Schematismus von Indikativ – Imperativ, insofern er auf der Logik einer ratio disjunctionis basiert, die einen Anspruch ohne Zuspruch oder einen Zuspruch ohne Anspruch artikuliert.

1.7.

K. Barths Infragestellung des Schematismus von Indikativ und Imperativ

Die christologische Grundlegung der Friedensethik ist im Sein in Christus, d. h. in derjenigen Existenzform der Christusbeziehung117 zu suchen, die den Lebensund Handlungsvollzug der nova creatura bestimmt. Das hat, wie bereits angedeutet, Auswirkungen auf die gängige Verhältnisbestimmung von Indikativ und anhand der Leitfrage: »Wie führe und gestalte ich das Leben, das mir Gott gegeben hat?«, entwickelten ethischen Entwurf T. Rendtorffs (Ethik I) prägt, sondern auch in vielen kirchlichen Verlautbarungen wiederkehrt: »Die Frage jedoch, wie wir mit Gott leben und mit ihm leben können, haben wir mit dieser Formel schon hinter uns gelassen – und zugleich damit, welche andere Form des Lebens sich damit verbindet« (H.G. Ulrich, Rechtfertigung und Ethik, 50). H.G. Ulrich plädiert gegenüber dieser Logik, nach der »die Erwartung des Handelns Gottes am Menschen und auch für diese Welt […] keinen Platz mehr [hat]« (a. a. O., 52) für eine »andere Logik, die des Zeugnisses von dem, was Gott getan hat« (ebd.) und tut. Diese Logik sieht er signifikanterweise in einer Ethik konzeptualisiert, deren Gegenstand die Heiligung ist. Die »Ethik der Heiligung« (a. a. O., 57.59) versteht Ulrich »als die Darlegung menschlichen Lebens in der Erfahrung und Erwartung des Handelns Gottes« (a. a. O., 54), als Darlegung, »wie den Menschen als Geschöpfe Gottes, als die neuen Geschöpfe leben.« A.a.O., 63. 116 So G. Sauter (Was heißt »christologische Begründung«?, 103) distinkt im Sinne Barths in Abgrenzung gegenüber dem Vorwurf der »Ethisierung« soteriologischer Aussagen im Gefälle der Barthschen Denkbewegung. 117 K. Backhaus (Evangelium als Lebensraum, 20) hat nachdrücklich auf die Christusbeziehung als Grundlage paulinischer Handlungsbegründung verwiesen, zugleich aber darauf aufmerksam gemacht, dass die christologische Begründung bei Paulus immer mit der Pneumatologie engstens verknüpft ist: »›Im Geist sein‹ formuliert als theologische Befindlichkeit, was ›in Christus sein‹ als personale Beziehung beschreibt.«

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Imperativ. So hält der Neutestamentler K. Backhaus fest: »Das Verhältnis von Christologie und Ethik läßt sich nicht primär im Indikativ und Imperativ konjugieren: das Haupt-Wort steht im ›Lokativ‹ und lautet Christus.«118 Diese Aussage hätte sicherlich K. Barths ungeteilte Zustimmung gefunden und entspricht im Vollsinn seiner Infragestellung des beliebten Interpretationsschemas. Wie sieht nun diese Infragestellung im Rahmen von Barths Heiligungslehre aus? Entsprechend seiner Zuordnung von Evangelium und Gesetz wäre Barth zufolge ein Zuspruch ohne Anspruch und ein Anspruch ohne Zuspruch ein ausgesprochener Widerspruch:119 »Die Heiligung ist also immer Gabe und Aufgabe zugleich, wobei doch die Aufgabe eigentlich nur darin bestehen kann, die Gabe immer wieder und immer besser zu empfangen, so daß der Imperativ ›Seid heilig!‹ nur die Realisierung des Indikativs sein kann: ›Ich bin heilig‹ (1. Petr. 1, 16).«120 Auch im Blick auf die Wirklichkeit des neuen Menschen streicht Barth heraus, dass die Bibel sowohl indikativisch also auch imperativisch von ihr redet: »›Zieht ihn an!‹ ruft der Apostel den Christen zu. Aber er kann ebenso gut sagen: ›Ihr habt ihn schon angezogen‹. Seine Existenz steht weder bei diesem Indikativ noch bei diesem Imperativ in Frage. Beide kommen vielmehr von seiner Existenz her, und das ist es, was beide gehaltvoll und kräftig macht.«121 Das Leben in der Heiligung wird von Barth als ein Leben charakterisiert, das sowohl unter der Signatur des Indikativs: »Du bist gestorben! Du lebst als neue Kreatur in Christus!«, als auch unter der des Imperativs steht: »Zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Herrlichkeit« (Eph 4,24; vgl. Gal 3,27; Kol 3,9 f.). Dementsprechend hält Barth fest: »Das Leben unter dieser Verheißung und unter diesem Gesetz ist das christliche Leben: das Leben in der Heiligung.«122 Eine Gabe des anspruchslosen Zuspruchs wäre nach Barth als contradictio in adjecto gerade darin defizitär, dass sie der Weisung an den Beschenkten ermangelt. Die Heiligung besagt hingegen: Wir Menschen haben durch die Rechtfertigung keinen Status erhalten, der uns nicht mehr mit dem schöpferischen Handeln Gottes verbunden sein lässt, sondern wir stehen als geheiligte Heilige weiterhin unter dem Anspruch Gottes und sollten uns nicht einbilden, ihn zu unserem Heil und nicht Unheil verlassen zu können. Die Weisung erwächst unmittelbar aus dem Anspruch, ohne mit diesem ununterscheidbar identisch zu sein.123 118 A.a.O., 13. 119 Zum Verhältnis von Evangelium und Gesetz vgl. Abschnitt II.2.3.1.1. der vorliegenden Untersuchung. 120 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 25. 121 A.a.O., 9. 122 A.a.O., 25. 123 Vgl. ders., KD IV/2, 591: »›Heilige‹ sind nach dem, was wir nun gehört, diejenigen Men-

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In diesem Sinne ist das Wort Gottes selbst als ein wirkmächtiges und wirkkräftiges Geschehen (verbum efficax) zu verstehen, das seine eigene Dynamik als Performanz aus sich heraus freisetzt. Denn es spricht den Menschen so an und es heiligt ihn in der Kraft des Heiligen Geistes so, dass er ihm antwortend entsprechen kann. Dieses Wort ist nach Barth der lebendige Christus selbst. Es erweist sich für das Heiligungsgeschehen als charakteristisch, dass der Imperativ nicht auf den Indikativ folgt,124 sondern dass der Indikativ sofort auch als Imperativ wirkt: »Die Wirklichkeit des neuen Menschen ist überall da, wo dieser Indikativ und in und mit ihm dieser Imperativ vernommen wird.«125 So kann und wird aus dem Indikativ das veränderte Handeln erwachsen,126 welches darin besteht, dass der Mensch dem Anspruch Gottes dankbaren Gehorsam leistet. Genau dies heißt einai en Christo¯ : Der Christ lebt im Raum der Freiheit in und aus einer unlöslichen Beziehung zu Jesus Christus heraus, der ihn in allem, was er tut und unterlässt, nicht aus seinem Anspruch entlässt. Der Mensch ist »in Christus« versetzt worden und »in Christus« der gerechtfertigte, geheiligte, wiedergeborene Mensch (1Kor 1,30), eine Neuschöpfung (2Kor 5,17). Das Wissen darum, dass in dem einen Menschen Jesus Christus die Heiligung aller Menschen schon vollzogen ist, welches selbst bereits Resultat der Heiligung ist, ruft »nach ihrem [der Menschen; M.H.] Glauben und ihrer Liebe«127 . Barth kann sogar feststellen, dass gerade die »a priori widerfahrene Heiligung« der Existenz des versöhnten Menschen einen »teleologischen Sinn«128 hat. Dies ist freilich keine spezifisch güterethische Argumentation, die die Heiligung im Sinne eines Gutes sozusagen als Fernziel ausgibt, um dem Leben eine teleologische Dynamik zu verleihen. Vielmehr resultiert die teleologische Dynamik aus dem Heilsgeschehen der Heiligung selbst, deren Echo und Spiegel das in das heiligende Handeln Gottes einstimmende, korrespondierende Handeln des Menschen sein kann und will. Mit J. Webster gesprochen: »God’s gracious divine action both constitutes human persons as agents, and furnishes a prototype to

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schen, deren Existenz dadurch affiziert, grundsätzlich verändert, neu bestimmt ist, daß sie in einer Zuwendung des einen Heiligen seine Weisung empfangen. Er schafft die Heiligen, indem er ihnen Weisung gibt. Der Ausdruck könnte als zu schwach, vielleicht als zu äußerlich und darum ineffektiv erscheinen im Verhältnis zu dem, was er beschreiben soll. Aber das Wort ›Weisung‹ redet schon an sich sehr gehaltvoll und auch dynamisch genug von einer dem Menschen widerfahrenden Einweisung in eine bestimmte, ihm neue Situation, von einer Zurechtweisung, die er sich gefallen lassen muß, von einer Anweisung zu bestimmtem Verhalten, die ihm damit gegeben wird.« Vgl. G. Strecker, Theologie des Neuen Testaments, 189. K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 25. Vgl. zu Barths performativem Heiligungsverständnis das Resultat von C. Landmessers exegetischer Untersuchung zum Kontext des sog. Philipperhymnus in Phil 1,27 – 2,18, die den bezeichnenden Titel trägt: »Der paulinische Imperativ als christologisches Performativ« (vgl. bes. 546.573 – 577). K. Barth, KD IV/2, 587. A.a.O., 589.

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which human action corresponds and in which correspondence its goodness is found. Thereby, Barth seeks to exclude sole causality on the part of either God or the human agent, proposing instead that the moral field is a diverse pattern of correspondences or analogies, or similarities and dissimilarities, between the actions of God and human actions.«129 In seinem Gespräch mit Methodistenpredigern, aus dem bereits zitiert wurde, bemerkt Barth: »Indikativ und Imperativ […] habe ich jahrzehntelang in den Ohren gehabt. Man kann aber solche Formeln nicht so brauchen, daß man fein säuberlich trennt und sagt: da ist Indikativ, da ist Imperativ. Nehmen wir die Weihnachtsgeschichte! Dort sagt der Engel den Hirten auf dem Felde: ›Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren‹ [Lk. 2,10 f.]. Das ist ein Indikativ, der sofort als ein Imperativ gewirkt hat. Denn sogleich sagten sie: ›Lasset uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist‹ [Lk 2,15]. Wenn der Indikativ eine Verkündigung der ›großen Taten Gottes‹ in Jesus Christus ist [vgl. Act. 2,11], dann gibt es keinen stärkeren Imperativ als diesen Indikativ. So würde ich nicht reden: vom Heilsangebot Gottes, vom Indikativ haben wir nun gehört; lasst uns nun zur Annahme des Heils, zum Imperativ kommen! Plötzlich ist man da vom Evangelium wieder beim Gesetz. Es wäre viel gewonnen, wenn wir nie anders imperativisch reden würden als so, daß wir den Indikativ aussprechen und andererseits nie indikativisch, ohne dass der Indikativ eine Spitze gegen den Menschen zeigt und ihn trifft als Einladung, Befehl und Berufung. [Die] Gabe Gottes bringt immer [eine] Aufgabe mit sich.«130

Barth verbindet Gottes Handeln und das Handeln des Menschen aufs engste, jedoch so, dass der Imperativ – auch als passiver Imperativ – seine Funktion als Aufforderung nicht verliert, mithin seinen appellativen Charakter behält. Sehr wohl versteht Barth das Heiligungsgeschehen als eine Wirkung des Wortes, als ein Performativ, genauer : als christologisches Performativ. Das von Christus ausgehende Wort schafft nämlich wirksam und heilvoll und zwar präzise als das Wort dessen, der selbst in seiner Person der ewige Logos ist.131 Dieses Gotteswort 129 J. Webster, Barth’s Moral Theology, 177. 130 K. Barth, Gespräche 1959 – 1962, 187 f. Im Gespräch mit Vertretern der Gemeinschaftsbewegung am 6. 10. 1959 betont K. Barth (a. a. O., 16 f.) ebenfalls den differenzierten Zusammenhang von Indikativ und Imperativ : »Jawohl, Indikativ und Imperativ oder, wie die alte Dogmatik sagte: Beschaffung und Aneignung des Heils sind zwei Eckpfeiler ; beides muß zusammengesehen werden. […] Ich bin aber [der] Meinung, daß sie beiden Pfeiler nicht zusammengerückt (in eins [gesetzt]) werden dürfen. […] Kann man denn beides in einem sagen? Wir können eben nie in einem Wort alles sagen. Wir dürfen und können auch dieses beides nicht zusammen aussprechen. Es sei denn, wir sprechen den Namen Jesus Christus aus! Nur in Jesus Christus ist nicht zu unterscheiden zwischen objektiv und subjektiv, zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen Indikativ und Imperativ.« 131 Vgl. als Beleg ders., KD IV/2, 592: »[D]ie von der Existenz des königlichen Menschen Jesus ausgehende Macht oder Aussaat, die Kritik und Gestaltung, mit der er in das Dasein der

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suspendiert aber keineswegs die menschliche Handlung.132 Die Soteriologie avanciert nicht zum Ethik-Surrogat. Der Indikativ macht den Imperativ nicht überflüssig, sondern setzt ihn in Kraft, so dass die Aufforderung, im Sinne der Weisung verstanden, der Modus ist, in dem Menschen die Heiligung zuteil wird. Auch dies ist als klares Indiz dafür zu werten, dass der Mensch als Handlungsagent bei Barth keineswegs christologisch nivelliert wird. Barth verwahrt sich strikt gegenüber einer »›christomonistisch‹ zu nennende[n] Lösung«133 und einer dieser entsprechenden Vorstellung von einer göttlichen Allkausalität (»divine sole causality«134): Dieser irrigen Vorstellung zufolge wird – wie Barth ausführt – »das in nobis, die Befreiung des Menschen selbst als ein unselbständiger Annex, als bloße Spiegelung der von Jesus Christus in seiner Geschichte und also extra nos vollbrachten Befreiungstat verstanden […] – laut derer also Jesus Christus als das allein eigentlich handelnde und wirkende Subjekt im Grunde einsam auf dem Plan stünde. Eine Antwort könnte dann die Treue des von ihm verschiedenen Menschen nicht sein. Sie wäre dann nicht sein eigenes freies Tun, sondern ein Moment oder eine Erscheinung der in Jesus Christus vollbrachten Tat Gottes selber. Sie wäre dann kein Akt seines menschlichen, durch Gottes Gnade erweckten und ermächtigten, aber von ihm selbst geleisteten dankbaren Gehorsams, sondern ein passives Partizipieren des Menschen an dem, was in Jesus Christus Gott allein täte: selber ein göttliches, nicht ein von Gott hervorgerufenes und Gott verantwortliches menschliches Tun.«135

Nach der Barthschen Verhältnisbestimmung von Soteriologie und Ethik ist gerade der Indikativ darin als christologisches Performativ zu verstehen, dass er in seinem Kern nicht eine Ausstattung oder Begabung, sondern das rettende Heilshandeln meint, das den Imperativ in Kraft setzt und somit überhaupt erst die Bedingung der Möglichkeit schafft, dem Tun Gottes handelnd zu entsprechen. Der Imperativ zielt wohl ganz auf diese praktische Entsprechung des Gehorsams ab, ohne mit ihr in eins zu fallen.136 Darin sind Indikativ und Im-

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Menschen eingreift, die er seinen Heiligen macht, [ist] nicht etwa eine mechanische oder organische oder sonst wie physikalische oder gar magische Kraftwirkung […], sondern die Kraft seines in göttlicher Autorität und darum erleuchtend und fruchtbar und wirksam gesprochenen Wortes. Die Heiligung der Heiligen durch den Heiligen geschieht in der dem Wesen des Sohnes Gottes, der der ewige Logos ist, und in der dem Verhältnis des Menschensohnes zu anderen Menschen angemessenen Weise: Er redet – gewaltig, mit seinen Worten nicht nur, sondern mit seinen Taten, mit seiner ganzen Existenz, Alles umfassend mit seinem Tode – aber er redet.« So auch E. Busch, Bekenntnis zu Jesus Christus, 35: »[D]ie Gnade Gottes [muss], um reine Gnade zu sein, nicht die menschliche Aktivität notwendig stillsetzen.« So auch ders., Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, 91. K. Barth, KD IV/4, 20. J. Webster, Barth’s Moral Theology, 169.173 K. Barth, KD IV/4, 20 f. Darin scheint mir die wesentliche Differenz zwischen Barths Gedankenführung und dem interessanten Rekonstruktionsversuch paulinischer Theologie durch C. Landmesser (Der

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perativ Umschreibungen der schöpferisch heiligenden Tat Gottes, durch die die angesprochenen Menschen mit dem heilvollen Handeln Gottes in Verbindung gebracht werden. Gott selbst schafft und wirkt als Subjekt der Heiligung schöpferisch handelnd die Heiligung, die participatio Christi (Gen. sub.), die als ein für allemal vollbrachtes Heilsgeschehen die participatio Christi (Gen. obj.) von subjektiver Seite aus zugänglich macht, ja auf diese abzielt. Von subjektiver Seite aus betrachtet, meint Heiligung als participatio Christi: sich Gottes heiligendes Handeln gefallen zu lassen,137 sprich: zu empfangen: »Barth ist daran interessiert, daß da, wo Gott handelt, auch der Menschen – gerade auch, indem er empfängt – als Handelnder auf dem Plan ist.«138

1.8.

Die christliche Versöhnungsbitte: »Lasset euch versöhnen mit Gott«

Soteriologie und Ethik umschreiben verschiedene Perspektiven auf den differenzierten Zusammenhang des Versöhnungshandelns Gottes und des freien menschlichen Versöhnungshandelns. Barth veranschaulicht diesen Zusammenhang an dem für seine friedensethische Theoriebildung höchst relevanten paulinischen Imperativ katallage¯te to¯ theo¯.139) Er beinhaltet – so Barth – in nuce die ganze christliche Ethik.140 Die Versöhnungsbitte ist für Barth zwar integraler

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paulinische Imperativ als christologisches Performativ, bes. 575 f.) zu bestehen, der jedoch den freien Gehorsamsaspekt des menschlichen Handelns unterschlägt und damit letztendlich dem Barthschen Verdikt des »Christomonismus« verfällt, insbesondere dann, wenn er das Begriffspaar »appellativ« und »performativ« alternativ gebraucht, um festzustellen, dass der paulinische Imperativ »das heilvolle, wirksame und schöpferische Wort Gottes selbst [ist], das schafft und bewirkt, wozu es auffordert« (a. a. O., 574): »Der Mensch kann dann aber auch zu dieser Neuschöpfung nichts hinzufügen, indem er etwa einem Imperativ entsprechen würde. Dies gilt auch für einen solchen Imperativ, von dem gesagt wird, er gründe im Indikativ des Heilsgeschehens« (a. a. O., 576). Landmessers Paulusauslegung steht de facto in starker Affinität zum Versöhnungsverständnis H.F. Kohlbrügges (1803 – 1875), der – wie K. Barth (Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 586) trotz aller Würdigung kritisch bemerkt – der Tendenz nach die Versöhnung auf das Rechtfertigungsgeschehen reduziert, weil die Heiligung als Teil der Rechtfertigung in dieser aufzugehen scheint: »Ihm [Calvin im Gegensatz zu Kohlbrügge; M.H.] verschwindet der Gehorsam nicht im Glauben, die Heiligungsgnade nicht in der Rechtfertigungsgnade […]. Es soll nicht gesagt sein, daß das alles bei Kohlbrügge wirklich verschwindet, aber daß die Gefahr dieses Verschwindens droht«. Vgl. auch H.G. Ulrich, Rechtfertigung und Ethik, 59: »Heilig sein heißt […], sich Gottes Handlung und Urteil gefallen lassen.« E. Jüngel, Evangelium und Gesetz, 206. So auch J. Webster, Barth’s Moral Theology, 177. In Übereinstimmung mit Barth stellt G. Sauter (Was heißt »christologische Begründung«?, 101) fest: »Soteriologie und Ethik sind nicht zu trennen, aber auch nicht zu vermengen«. »›Lasset euch versöhnen mit Gott!‹ – das ist in einem Satz die ganze christliche Ethik.« K. Barth, Christliche Ethik, 15. Dass diese Bitte einen zentralen Sitz im Leben K. Barths hatte, belegt die biographische Bemerkung H.J. Iwands (Ausgewählte Predigten, 286 f. (Predigt

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Bestandteil des Heiligungsgeschehens, denn sie formuliert mit ihrem Anspruch zugleich eine Weisung für menschliches Handeln. Jedoch wendet sich Barth gegen ein deterministisches Verständnis menschlichen Handelns, das dieses als direkte Wirkung des einen Handelns Gottes allein von diesem her erfassen und göttliches und menschliches Handeln damit zu einem kausalen Nexus kurzschließen würde: »Die Bitte, der Aufruf: ›Lasset euch versöhnen mit Gott!‹ (2. Kor 5,20) wäre dann durch das in Jesus Christus allmächtig gewordene Geschehen der Versöhnung des Menschen mit Gott zum vornherein hinfällig und überflüssig gemacht, müsste als Aufruf zu einem völlig eitlen Tun geradezu bedenklich erscheinen. Die Frage nach dem Beginn eines dem menschlichen Handeln Gottes entsprechenden menschlichen Handelns wäre dann damit gelöst, dass es als gegenstandslos durchschaut wäre. Alle Anthropologie und Soteriologie wäre dann verschlungen in die Christologie. So haben nun die neutestamentlichen Zeugen auch in ihren am weitesten gehenden Aussagen, so hat auch Gal. 2, 19 f. gerade nicht gedacht und geredet. Zu einem solchen ›Subjektivismus von oben‹ finden wir uns durch sie nicht eingeladen.«141

Zugleich stellt Barth bezüglich des versöhnenden Werkes des Heiliges Geistes fest, den Barth den »Anwalt des Friedens«142 nennt: »Er [der Heilige Geist; M.H.] ist Gott, der zum Menschen kommt, und zwar so zu ihm kommt, daß er ihm als der die Welt und in der Welt gerade ihn mit sich selbst versöhnende Gott ofzu 2Kor 5,19 – 21 vom 20. 4. 1957)): »Es war kurz nach dem Ende des letzten Krieges. Zum erstenmal waren wir in einer zerstörten, mitteldeutschen Stadt wieder zusammen, viele Freunde und Brüder der Bekennenden Kirche, viele von ihnen, die nicht mehr geglaubt hatten, daß sie sich jemals wiedersehen würden. Da war Martin Niemöller, der solange im KZ von uns getrennt war, da waren die Brüder, die aus den Gefängnissen Berlins kamen, in denen sie hart am Tode vorbeigingen, da war auch der Mann unter uns, der durch die Absperrung Deutschlands so lange von uns getrennt war, Karl Barth, dessen Wort uns in den Jahren der Entscheidung so viel bedeutet hatte. Und als wir dann zum Abendmahl gingen, zum ersten Abendmahl nach all den Jahren der Trennung und des Grauens, stand dieses Wort aus dem 2. Korintherbrief über uns, und wir haben uns gelobt, unser Dienst soll von nun an nichts anderes sein, als dieses Bitten: So bitten wir euch nun an Christi Statt, lasset euch versöhnen mit Gott.« H. J. Iwand (Predigtmeditationen, 554) selbst interpretiert den passiven Imperativ : »Lasset euch versöhnen mit Gott« ebenfalls im Sinne eines differenzierten Zusammenhangs von göttlicher Handlung, der gegenüber der Mensch zugleich ganz passiv und ganz aktiv im Sinne einer einstimmenden menschlichen Handlung ist: »Die Selbstversöhnung des Menschen ist und bleibt seine, wenn auch versteckte und verdeckte, unausrottbare Religion. Davon Abstand nehmen, das ein für allemal begraben, sich wirklich versöhnen lassen, in dieser einmal nicht mehr aktiv, sondern passiv sein (justitia passiva!), das ist mit dem Imperativ katallage¯te to¯ theo¯ gemeint. Nicht nur irgendein ›den Riegel wegschieben‹, wie man sagt, also etwa Gott kein Hindernis in den Weg legen, nein, nicht so, sondern die totale Wendung des Herzens ist gefordert, die Glaube heißt. Lasset Gott in Christo euren Versöhner sein, und gebt jedem anderen Versöhnungs- und Rechtfertigungsglauben, den ihr in euch tragt, den Abschied. Die Gerechtigkeit, die allein vor Gott besteht, ist seine eigene – keine menschliche, sei sie, wie sie sei.« 141 K. Barth, KD IV/4, 20 f. 142 Ders., KD IV/2, 412.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

fenbar wird – so also, daß das, was er als solcher für ihn ist und tut, zum Wort wird, das der Mensch hören kann und tatsächlich hört – so also, daß der Mensch sich mit ihm versöhnen lässt (2Kor 5,20). Gottes Selbstzeugnis macht das, was Gott tut, zu diesem dem Mensch gesagten, zu diesem vom Menschen vernommenen und angenommenen Wort. Der Heilige Geist ist Gott in diesem seinem Selbstzeugnis: Gott in dieser den Menschen zu fruchtbarer, lebendiger Erkenntnis seines Tuns erweckenden Macht.«143 Barth legt die Versöhnungsbitte, die grammatikalisch in der Form eines Aorists Imperativ Passiv erscheint, als ein passivum divinum aus, welches das Handeln Gottes betont. »Lasset euch versöhnen mit Gott« heißt für Barth: »Lasst euch Gottes neuschaffendes Handeln gefallen«144. In etwas freierer Paraphrase formuliert, heißt dies: Lasst euch das neue Sein der Kinder Gottes schenken. Ergebt euch ganz dem Friedenshandeln Gottes. Lasst euch zum neuen Menschen, zum wahren Menschen, zum homo pacis in Christus aufrichten. Lasst euch in eurem Widerstand, auch und gerade in seinen bewaffneten Ausdrucksformen, von Christus überwinden.145 Das Wort von der Versöhnung, welches die Gemeinde Jesu Christi »an Christi Statt« in Ausübung der diakonia te¯s katallage¯s ausrichtet und auszurichten

143 Ders., KD IV/1, 722. 144 So auch G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 235. 145 In der strengen Akzentuierung des befreienden Handelns Gottes unterscheidet sich die Versöhnungsbitte »Lasset euch versöhnen mit Gott« vom aktiven Imperativ eines humanistisch motivierten Pazifismus, wie er etwa in Bertha v. Suttners Appell: »Die Waffen nieder!« zum Ausdruck kommt. B. v. Suttner legt in ihren »Lebenserinnerungen« dar, dass sie in ihrem zweibändigen Roman »Die Waffen nieder!« (1889), einem nach dem Urteil K. Barths (KD III/4, 515; vgl. ders., Ethik I, 269) »bewegende[n] Buch«, den im Buchtitel artikulierten Imperativ in narrativer Form entfalten möchte: »Der Friedensliga wollte ich einen Dienst leisten – wie konnte ich das besser tun, als indem ich ein Buch zu schreiben versuchte, das ihre Ideen verbreiten sollte? Und am wirksamsten, so dachte ich, konnte ich das in Form einer Erzählung tun. Dafür würde ich sicherlich ein größeres Publikum finden als für eine Abhandlung. In Abhandlungen kann man nur abstrakte Verstandesgründe darlegen, kann philosophieren, argumentieren und dissertieren, aber ich wollte anderes: ich wollte nicht nur, was ich dachte, sondern was ich fühlte – leidenschaftlich fühlte –, in mein Buch legen können, dem Schmerz wollte ich Ausdruck geben, den die Vorstellung des Krieges in meine Seele brannte« (Lebenserinnerungen, 215). B. v. Suttner weist den Titel ihres Buches als einen programmatischen Titel, als eine »Losung« (a. a. O., 218) aus und bemerkt dazu: »Der Titel umfaßt in drei Worten den ganzen Zweck des Buches. Auch an dem Titel darf keine Silbe geändert werden« (ebd.). Die österreichische Schriftstellerin gründet ihren Appell – und darin besteht, ähnlich wie bei L.N. Tolstoi (vgl. B. Kollmann, Selig sind die Friedensstifter, 92) der Schwachpunkt ihres pazifistischen Ansatzes – in einem geradezu unbegrenzten Optimismus hinsichtlich der sittlichen Fähigkeiten des Menschen, den sie in ihrer »Schilderung eines Edelmenschen« heroisiert. Dies »wurde mir« – so B. v. Suttner (a. a. O., 217) – »dadurch erleichtert, daß mir für dessen Charakter der eigene Gatte Modell stand.«

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hat,146 wenn sie friedensstiftend tätig sein will, umfasst beides, indikativische wie imperativische Sprachmodi: »Gott hat versöhnt«! und zugleich: »Lasset euch versöhnen mit Gott!« Sie umfasst aber beides im Sinne eines differenzierten Zusammenhangs, so dass beide Redeweisen nicht zwei getrennte voneinander unabhängige Worte bilden, die aber in zwei deutlich distinguierten Sprechakten artikuliert werden können. Die Kirche bezeugt beides, die in Christus vollendete Wirklichkeit und die Möglichkeit praktischer Einstimmung in diese Wirklichkeit, indem sie Zuspruch wie Anspruch explikativ zur Sprache bringt – den Zuspruch, der nicht anspruchsfrei, und den Anspruch, der nicht zuspruchslos ist. Die Kirche wird die Versöhnungsbitte so zur Sprache bringen wollen, dass ihre Sprechakte auf die Versöhnungswirklichkeit hin transparent sind. In Gestalt ihrer Bitte wird sie jedem Menschen, sogar dem Mörder, unterstellen, dass er de iure schon mit Gott in Christus versöhnt ist, auch wenn er selbst sich dessen keineswegs bewusst sein mag. Seine noetische Ignoranz konstituiert weder die ontische Valenz der in Christus vollbrachten Versöhnung noch destruiert sie sie. Genau dies weiß die Kirche nach Barth. Sie unterscheidet sich darin von der unwissenden Welt. Das heißt nun nicht, dass die Kirche die Welt in ihrer Ablehnung, selbst der sich strikt und heftig gebärdenden, nicht ernst nimmt und verkennt. Sie kennt die Welt besser als diese sich selbst kennt, denn sie nimmt die wahre Wirklichkeit der Welt wahr, indem sie die Versöhnungswirklichkeit ernst nimmt, die das wahre Wesen der Welt ausmacht. Um der unwissenden versöhnten Welt willen will die Kirche, »in Sichtbarkeit, in Bestimmtheit, in jener ganzen Menschlichkeit […] so und als solche die verkörperte Bitte sein, die Bitte an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!«147 146 Vgl. K. Barth, Gespräche 1959 – 1962, 19. G. Sauter (Zugänge zur Dogmatik, 220. Dort kursiv) spricht in Bezug auf die Berufung der Kirche zum Dienst an der Versöhnung von der Kirche als »Dienstgemeinschaft der Versöhnung der Welt mit Gott«, die sich im »Füreinander-Dasein«, in der »Versöhnung von Starken und Schwachen« bewährt. A.a.O., 225. Dort z. T. kursiv. 147 K. Barth, Der Götze wackelt, 45 (Die Not der Evangelischen Kirche, 1931). »[M]ehr als bitten« – so H.J. Iwand (Kirche und Gesellschaft, 246) – »kann [die Kirche] nicht«, will sie den Gliedern der Gesellschaft Freiheit in Bezug auf die Kirche geben, um so erkennbar werden zu lassen, dass die Zugehörigkeit zu ihr Gnade ist. Die Kirche wird dementsprechend die beiden Imperative »Lasset euch versöhnen mit Gott« (2Kor 5,20) und cogite intrare (vgl. Lk 14,23) nicht verwechseln dürfen. Eine Bevormundung im Umgang mit den Adressaten der Versöhnungsbitte ist auch nach K. Barth (KD I/2, 487 f.) ausgeschlossen: »Das Zeugnis im christlichen Sinn des Begriffs ist der Gruß, mit dem ich […] meinen Nächsten zu grüßen habe, die Bekundung meiner Gemeinschaft mit dem, in welchem ich einen Bruder Jesu Christi und also meinen eigenen Bruder zu finden erwarte […]. Ein Zeuge wird seinem Nächsten gerade nicht zu nahe treten […]. Zeugnis gibt es nur im höchsten Respekt vor der Freiheit der göttlichen Gnade und darum auch im höchsten Respekt vor dem Anderen, der von mir gar nichts, sondern alles von Gott zu erwarten hat«. Vgl. dazu auch die anschauliche Umschreibung der »Gestik der wehrlos Bittenden« durch

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Die Kirche verkörpert die Versöhnungsbitte umso authentischer, je mehr sie selbst in ihrer sichtbaren (Rechts-)Gestalt und gottesdienstlichen Bestimmtheit der Versöhnungswirklichkeit entspricht. Die Kirche wird beides, die Versöhnungswirklichkeit und die Versöhnungsbitte, so explizieren, dass »das Ganze nicht den Charakter der Verkündigung eines Gesetzes, sondern den eines apostolischen Ermahnens und Bittens an Christi Statt (2 Kor. 5,20), den Charakter einer Verkündigung des Evangeliums«148 bekommt. Indem die Kirche beides in dieser Weise tut, ist sie bereits friedensstiftend tätig. Nötig ist dieser Welt Barth zufolge beides: »das Zeugnis von der Versöhnung der Welt mit Gott – um mit 2Kor 5 zu reden – und eine diesem Zeugnis entsprechende Politik.«149 Aber »auch die Gemeinde hat es« – so Barth nachdrücklich – »nötig, sich noch mit Gott versöhnen zu lassen«150, d. h. sich den Imperativ selbst gesagt sein zu lassen, denn er bringt die faktisch bereits vollzogene Versöhnung, den Frieden zwischen Gott und Mensch, auch ihr paränetisch in Erinnerung. Mit H.-G. Geyer gesprochen, der ganz im Sinne Barths festhält: »Von Gott durch seinen Sohn in die Welt gesandt, hat die Kirche Jesu Christi in ihr und für sie die bestimmte Mission zu erfüllen, allen Völkern dieser Erde das ›Wort der Versöhnung‹ (2Kor 5,19) auszurichten und jeden Einzelnen […] zu dem neuen Leben der Gotteskindschaft in der Bruderschaft Jesu Christi einzuladen. […] [D]ie Kirche Jesu Christi [darf] auf dem Weg ihrer Sendung in die Welt bei keinem ihrer Schritte den unwandelbaren Stern ihrer Berufung zum ›Dienst der Versöhnung‹ aus dem Blick verlieren, und – was noch wichtiger ist – sie muß es auch nicht, obwohl ihr dieser Dienst in einer Welt aufgetragen ist, der nichts mehr fehlt und nichts fremder ist als die Wahrheit und die Wirklichkeit ihrer Versöhnung mit Gott, wiewohl ihr doch mit dem Kreuz auf Golgatha deren unauslöschliches Siegel eingeprägt ist. Gerade deshalb aber kann und soll sie durch die Sendung der Kirche Jesu Christi jederzeit konkret mit der wahren Wirklichkeit ihres eigenen Seins in der hingebenden Liebe Gottes konfrontiert werden.«151

Wo dieses Wort von der Versöhnung artikuliert wird, wird nach Barth implizit auch friedenspolitisch geredet.152 Das Wort von der Versöhnung selbst besitzt

148 149 150 151 152

G. Sauter (Zugänge zur Dogmatik, 235): »Die Bittenden exponieren sich. Sie haben Unerhörtes mitzuteilen: etwas, das sie nie und nimmer aufdrängen, durch bloße Überredung vermitteln könnten. Gottes Versöhnungshandeln läßt sich nicht ansinnen, Die Bitte macht wehrlos gegenüber den Gebetenen und ihrer Reaktion. Die Bittenden werden verwundbar. Ihr Bitten kann Versöhnung nicht erzielen, sondern verweist die Gebetenen auf Gott – werden sie sich dies gefallen lassen?« So K. Barth (Briefe 1961 – 1968, 537) in seinem Brief vom 28. 11. 1968 an Kardinal Cicognani, in dem er zur päpstlichen Enzyklika »Humanae Vitae« Stellung nimmt. So ganz im Sinne Barths H.G. Ulrich, Rechtfertigung und Ethik, 52. K. Barth, Gespräche 1959 – 1962, 21 (Gespräch mit Vertretern der Gemeinschaften am 6. 10. 1959). H.-G. Geyer, Wahre Kirche?, 474.490. Vgl. E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 305; D. Ficker-Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 23.

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nämlich eine eminent politische Komponente. Barth kehrt dies klar heraus, redet damit aber keineswegs einer Unterordnung des Versöhnungswortes unter übergeordnete politische Direktiven oder Paradigmen das Wort. So sehr sich Barth dessen bewusst ist, dass da, wo theologisch geredet immer auch politisch geredet wird, so sehr verweigert er sich gegenüber einer Interpretation des Wortes von der Versöhnung im Rahmen einer distinkten politischen Theorie, welche die primär theologische Abkünftigkeit und Ausrichtung solcher Rede leugnet oder camoufliert und damit einem in eklatanter Weise banalisierenden Reduktionismus gleichkommt: »Sie [die christliche Gemeinde; M.H.] muß es strikte ablehnen, sich auf eine politische ›Linie‹ festlegen zu lassen […]. Sie wird heute vielleicht sehr konservativ, morgen vielleicht sehr fortschrittlich, ja revolutionär zu reden haben – oder umgekehrt. Sie darf kein Programm haben, weil sie einen lebendigen Herrn hat, dem sie in den verschiedensten Umständen und Situationen immer neu zu dienen hat.«153 Um dies beispielhaft zu veranschaulichen, sei auf Barths Brief an den amerikanischen Kirchenmann Samuel M. Cavert im Oktober 1942 verwiesen, der auf den Kriegseintritt Amerikas Bezug nimmt. Barth erteilt in diesem Dokument einer politischen Vereinnahmung der Versöhnungsbotschaft eine klare Absage: »Identifikation der Kirche mit einer politischen Sache? Nein, unter keinen Umständen und auch nicht in den bescheidensten Grenzen! Darum handelt es sich wirklich in keiner Weise, daß die Kirche sich selbst mit irgendeiner politischen Sache, also z. B. mit der der Alliierten auch nur von ferne identifizierte und also ihre Aufgabe darin suche, zu den schrecklichen Geräuschen, die nun um den ganzen Erdball gehen müssen, die nötige religiöse Begleitmusik zu machen.«154 Wenn das Wort von der Versöhnung der Welt mit Gott durch Christus gepredigt wird, dann – so Barth weiter – »wird davon keine Rede sein können, daß sie [die Kirche; M.H.] den Krieg, seine Ursachen, Probleme, Aufgaben und Aussichten zum Thema ihrer Predigt und die Verpflichtung zum Militärdienst, zum Ankauf von Kriegsanleihen und dergl. zum Inhalt ihrer Ermahnungen macht.«155 Barth wehrt sich entschieden gegen eine Synthetisierung von Politik und Theologie. Diese müsse in eine Ideologisierung des Evangeliums hineinmünden. Barth geht es aber – wie M. Weinrich adäquat herausstreicht – nicht »um eine Synthese von Theologie und Politik, sondern um konsequente Theologie in der Welt«156. In diesem Sinne betont Barth in besagtem Brief nach Amerika: 153 K. Barth, Christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen, 44. 154 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 380 f. (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). 155 A.a.O., 378. 156 M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 210. Diese entscheidende Differenz erschließt den ideologiekritischen Charakter der Barthschen Friedensethik. Mit ihrer Hilfe

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Wenn die Pfarrer in vollem Umfang das Wort von der Versöhnung predigen, also auch »über die alleinige Königsherrschaft Jesu Christi, über seinen menschlichen Ursprung im Volke Israel, über seinen Triumph über alle Mächte und Gewalten, über Gottes in ihm beschlossene Wohltaten der Kirche und des Staates, über die völlige Unmöglichkeit, hier und dort zwei verschiedenen Herren zu dienen, über die Freiheit und über den Dienst der durch den heiligen Geist erzeugten Kinder Gottes«, dann werden sie, die Pfarrer, »ganz von selbst: in einfacher, strenger Auslegung der biblischen Texte (und in der Regel sogar ohne die Dinge ausdrücklich zu nennen) auch gegen Hitler, Mussolini und Japan, gegen den Antisemitismus, die Staatsvergötterung, die Unterdrückungsund Einschüchterungsmethoden, den prinzipiellen Militarismus, gegen die ganze Lüge und das ganze Unrecht des Nationalsozialismus und des Faschismus in seiner europäischen und asiatischen Gestalt und damit von selbst (und ohne ›Politik auf die Kanzel zu bringen‹) für den rechten Staat und auch für eine ehrlich entschlossene Kriegsführung reden.«157

Das Politische ist für Barth zwar ein Prädikat des Wortes von der Versöhnung, aber das Wort von der Versöhnung niemals Prädikat des Politischen.158

1.9.

Kirche als vorläufige Darstellung der ganzen in Christus versöhnten Menschheit

Barth kann die Kirche als »die verkörperte Bitte« bezeichnen, »die Bitte an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!«159 Er bindet damit die Kirche aufs lässt sich eine deutliche Trennungslinie zwischen den Varianten der Friedensethik einer konzeptionell »politischen Theologie« und einer von Barth in den Blick genommenen versöhnungstheologisch konzipierten Ethik des Politischen ziehen. Unter »politischer Theologie« ist demnach eine Theologie zu verstehen, welche den Begriff »Frieden« in ein umfassendes politisches Paradigma einordnet und damit dem theologischen Bezugsrahmen des Versöhnung schaffenden Handelns Gottes überordnet bzw. aus diesem herauslöst. Vgl. dazu etwa C. Schmitts (Der Begriff des Politischen, 13 f.) theologische Fundierung seines Begriffs des Politischen als Unterscheidung zwischen Freund und Feind und J.B. Metz’ (Glaube in Geschichte und Gesellschaft, XI) Programm einer politischen Theologie als apologetisch orientierter Fundamentaltheologie. Im Anschluss an R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 75; vgl. auch H.G. Ulrich, Eschatologie und Ethik, 277 – 298; D. Schellong, Jenseits von politischer und unpolitischer Theologie, 304 – 312) sei betont: Es geht bei der Distinktion zwischen politischer Theologie und Ethik keineswegs um ein Herunterspielen der fraglos vorhandenen und zentralen politischen Implikationen des Heilshandelns Gottes und des ihm zugeordneten kirchlichen Zeugnishandelns, sondern um die Abgrenzung gegenüber einer theologisch nicht relativierten Totalität eines vorweg eingeführten politischen Paradigmas, das die friedensethische Bedeutung des Versöhnungshandelns Gottes gar nicht erst in den Blick kommen lässt. 157 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 379 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). 158 Vgl. dazu den Abschnitt 0.3.1. der vorliegenden Untersuchung. 159 K. Barth, Der Götze wackelt, 45 (Die Not der Evangelischen Kirche, 1931).

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Engste an Christus:160 »Das Sein und Werk Jesu Christi in der Gestalt des Seins und Werkes seines Heiligen Geistes ist also die ur- und vorbildliche Existenz der Christenheit«161. Diese an entsprechende Bestimmungen Schleiermachers162 erinnernde Aussage hat friedensethische Implikationen. Sie betrifft die Sendung der Gemeinde in die Welt, die der Art der Sendung Christi durch den Vater entsprechen soll. Besteht das Ziel der Sendung Jesu in Gottes Versöhnung der Welt, so hat sie sich an dieser Sendung zum Dienst der Versöhnung auszurichten (vgl. Joh 17,18): »Den bedingungslosen Frieden Gottes mit seiner Menschheit aus Juden und Heiden auf seiner Erde und unter seinem Himmel zu begründen, ist die Mission Jesu Christi in dieser Welt gewesen und so geblieben, daß sie die Basis und Richtschnur für die Sendung seiner Kirche geworden ist.«163 Bei Barth wird man dementsprechend die Ekklesiologie nicht gegen die Christologie ausspielen können. Vielmehr hat die Ekklesiologie ihren Ursprung und ihr Maß in der Christologie164 : Ubi Christus, ibi ecclesia.165 In einer Predigt Barths aus dem Jahr 1934 heißt es etwa: »Uns ist damit gesagt: die Kirche Jesu Christi ist der Ort, wo es eine Bindung gibt, durch die das Tun der Menschen bestimmt ist, eine Bindung, über die es keine Diskussion gibt, die wir uns nicht erwählt haben, von der wir uns auch nicht frei machen können, eine Bindung, in der wir dann aber auch Sicherheit und Trost haben, unseren Weg zu gehen so, wie es recht ist. Jünger Jesu sind Menschen, die Jesus verantwortlich sind und eben darum niemandem sonst verantwortlich, ganz gebundene und eben darum und in dieser Bindung freie Menschen.«166 160 Die Zugehörigkeit zu Christus ist – wie K. Barth (Das christliche Leben, 123) mit seiner Auslegung von Mt 5,9 im Lichte von Eph 2,14 betont – entscheidend für die seliggepriesenen Friedensstifter : »Gibt es nun Menschen, die im Neuen Testament Empfänger und Träger und insofern Bringer und Stifter dieses Friedens, eire¯nopoioi genannt werden können, dann doch schwerlich anders als in ihrer Zugehörigkeit zu dem, in welchem dieser Friede ursprünglich Ereignis und offenbar wurde, der Eph. 2, 14 ›unser Friede‹ in Person genannt wird. Ist nun Dieser […] der ursprüngliche Sohn Gottes, dann möchten auch die zu ihm gehörigen, die ihm dienenden eire¯nopoioi ›Söhne Gottes‹ zu nennen und als solche selig zu preisen sein.« 161 K. Barth, KD IV/1, 83. Vgl. a. a. O., 162 ff. 162 H.-P. Grosshans (Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 116) hat zu Recht auf diese Nähe hingewiesen. F.D.E. Schleiermacher (Der christliche Glaube 2, § 127.3, 282 f.) versteht die Kirche als »Organismus Christi« und spricht davon, dass sie »in ihren wesentlichen Tätigkeiten auch das Abbild der Tätigkeiten Christi sein« muss. 163 H.-G. Geyer, Wahre Kirche?, 471. 164 H.T. Goebel (Die Frage nach der wahren Kirche, 138) weist zu Recht darauf hin, »dass die Materialität und Formalität der Erkenntnis der Person und des Werkes Jesu Christi in der gottmenschlichen Geschichte der Versöhnung maßgeblich wird für die Gegenständlichkeit und die Struktur der Lehre von der Kirche in der Dogmatik.« 165 Dem Aufweis dieses Zusammenhangs dient die gesamte Studie von K.J. Bender, Karl Barths’s Christological Ecclesiology, bes. 95 – 287. Vgl. auch ders., Karl Barth’s Doctrine of the Church, 84 – 116. 166 K. Barth, Predigten 1921 – 1935, 345 (Predigt vom 24. 11. 1934 zu Mt 14,22 – 33).

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Wenn von der Kirche Jesu Christi in so prononcierter Weise die Rede ist, wie dies bei Barth festzustellen war, so stellt sich zugleich die Frage, von welcher Kirche er dabei eigentlich spricht: Von der empirischen oder der geglaubten Kirche, von unsichtbarer oder sichtbarer Kirche?167 Diesbezüglich sind bis in Barths eigenen Schülerkreis hinein Irritationen entstanden. So bemerkt etwa D. Schellong, Barth habe nie deutlich machen können, welche Kirche so sei, wie er sie definiere.168 K.-W. Dahm hat behauptet, dass bei Barth »die real existierende Kirche […] kaum in Erscheinung« trete und zwar »im Gegensatz zu der so positiven Darstellung der unsichtbaren«169. Mustert man das Arsenal seiner ekklesiologischen Denkmöglichkeiten und Redeweisen, so fällt auf, dass sich Barth den soeben formulierten Alternativen

167 H.-P. Grosshans (Die Kirche, 59 – 63; 84 – 89) hat den Nachweis geführt, dass diese Unterscheidung auf Zwingli zurückgeht. Die Distinktion ist ökumenisch hochgradig umstritten. J.H. Yoder (The Royal Priesthood, 57) zufolge handelt es sich bei dieser Distinktion um das Resultat eines sich in der Reformationszeit erneut durchsetzenden Konstantinismus: »[T]he doctrine of the invisibility of ›the true church‹ sprang up in order to permit the affirmation that on some level somewhere the difference between belief and unbelief, i. e., between church and world, still existed. But this distinction had become inivisible, like faith itself. Previously Christians had known as a fact of experience that the church existed but had to believe against appearances that Christ ruled over the world. After Constantine one knew as a fact of experience that Christ was ruling over the world but had to believe against the evidence that there existed ›a believing church.‹ Thus the order of redemption was subordinated to that of preservation, and the Christian hope turned inside out.« Vgl. a. a. O., 60 f.63.70 f. M. Weinrich (Kirche bekennen, 45 f.) hingegen hält besagte Distinktion als eine reformatorische Grundentscheidung für unverzichtbar : »Im ökumenischen Kontext bekommt die unsichtbare bzw. verborgene Kirche als die geglaubte Kirche regelmäßig schlechte Karten. Zweifellos kann die Berufung auf die verborgene Kirche Ausdruck eines nachlässigen Verhältnisses zur sichtbaren Kirche und unserer Verantwortung für sie sein. Umgekehrt bleibt im Blick auf die sichtbare Kirche nüchtern darauf hinzuweisen, dass auch bei genauerem Hinsehen das, worauf es ankommt, nicht sichtbar wird. Es kann nur geglaubt werden, dass das, was da sichtbar ist, die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche ist, denn keines dieser Attribute lässt sich unmittelbar mit einer eindeutigen Darstellungsgestalt identifizieren. […] Den entscheidenden Grund für dieses Festhalten an der reformatorischen Option sehe ich darin, dass allein auf diesem Weg der prinzipielle Vorrang der in und von Christus begründeten Kirche vor unseren geschichtlichen Darstellungsversuchen unterstrichen wird. Das impliziert die ökumenisch höchst bedeutungsvolle Einsicht, dass der Leib Christi unseren Verwirklichungsbemühungen um die Kirche nicht etwa mehr oder weniger bestätigend hinterherkommt, sondern diesen immer schon voraus ist, und wir sind es, die hinter seiner Wirklichkeit mit einer Fülle von Vorbehalten zurückbleiben.« 168 Vgl. D. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 65. Vgl. auch H. Gollwitzer, Reich Gottes und Sozialismus bei Karl Barth, 347.377 – 383. 169 K.-W. Dahm, Identität und Realität der Kirche, 81. Ähnlich N.M. Healy (The Logic of Karl Barth’s Ecclesiology, 263): »Barth avoids the error of a one-sided sociological description of the church’s identity by making the opposite error, presenting us with a one-sided doctrinal description.« Vgl. ders., Karl Barth’s Ecclesiology Reconsidered, 287 – 299.

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gegenüber verweigert. In seiner Bonner Vorlesung (SS 1946) zum apostolischen Glaubensbekenntnis hält Barth – den Passus »credo ecclesiam« auslegend – fest: »Indem Menschen da und dort im Heiligen Geist sich sammeln, entsteht da und dort sichtbare christliche Gemeinde. Man wendet den Begriff des Unsichtbaren am besten nicht auf die Kirche an; wir haben alle Neigung, damit abzugleiten in der Richtung einer civitas platonica oder irgend eines Wolkenkuckucksheims, in dem die Christen innerlich und unsichtbar vereinigt sind, während die sichtbare Kirche abgeschätzt wird. Im apostolischen Glaubensbekenntnis ist nicht ein unsichtbares Gebilde gemeint, sondern eine sehr sichtbare Zusammenkunft, die ihren Anfang nimmt bei den zwölf Aposteln. Die erste Gemeinde war eine sichtbare Schar, die einen sichtbaren, öffentlichen Aufruhr erregte. Wenn die Kirche nicht diese Sichtbarkeit hat, dann ist sie keine Kirche.«170

Barth lässt hier keineswegs »das Schlachthorn gegen die sichtbare und die Schalmei für sie unsichtbare Kirche«171 ertönen. Er redet keiner »Flucht vor der real existierenden Kirche in eine unsichtbare Kirche«172 das Wort. Barth votiert vielmehr entschieden gegen den »ekklesiastischen Doketismus«173, als sei die unsichtbare Kirche die wahre Kirche.174 Die sich versammelnde Gemeinde existiert sichtbar (ecclesia visibilis) in Raum und Zeit und hat als »das Werk des Heiligen Geistes […] eine konkret irdisch-geschichtliche Hervorbringung und Gestalt«175. Ist die irdisch-geschichtlich Kirche jedoch auch als solche wahrnehmbar? Kann ihr wahres Sein als Geboren-Sein aus dem Wort Gottes,176 als Mit-Sein mit Christus erkannt werden? Diesbezüglich manifestiert sich ein grundsätzliches Problem, das Barth durchaus bemerkt. Barth identifiziert es als ein noetisches, nicht jedoch als ein ontisches Problem. Das Problem besteht darin, dass nur der Glaube das wahre, im Handeln Gottes gründende Sein der sichtbaren Kirche, das »Geheimnis gerade des Sichtbaren«177 erkennt. Barth führt im Blick auf dieses durch geistliche Blindheit bedingte Problem die Rede von der unsichtbaren Kirche (ecclesia invisibilis) ein. Diese hat aber im eigentlichen Sinne keine on170 K. Barth, Dogmatik im Grundriß, 166 f. Vgl. ders., Credo, 127: »Die wahre Kirche in diesem Sinne, d. h. aber der wahre Bestand derer, die Glieder am Leibe Christi sind, wird immer nur Gott bekannt sein. Die göttliche Erwählung ist die Grenze der uns bekannten Kirche, der ecclesia visibilis. Eben diese Grenze ist aber auch ihr Ziel. Sie ist gemeint, wenn wir bekennen: credo ecclesiam. Wir blicken damit nicht hinaus über die uns bekannte, also über die sichtbare Kirche auf irgendeine civitas platonica. Denn eben dazu, societas electorum zu sein, ist gerade die sichtbare Kirche berufen.« 171 Ders., Der Götze wackelt, 48 (Die Not der Evangelischen Kirche, 1931). 172 E. Busch, Die Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, 86. 173 K. Barth, KD IV/1, 729. 174 So auch M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 212; ders., Kirche glauben, 122. 175 K. Barth, KD IV/1, 729. 176 Vgl. ebd. 177 A.a.O., 730.

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tische, sondern nur eine noetische Valenz. Sie bildet nur das noetische, genauer gesagt: das der natürlichen menschlichen Erkenntnis sich verdankende Korrelat des Ontischen, das nur dem Glauben als solches erkennbar ist: »[W]as da nun eigentlich geschieht, was da nun in Wahrheit ist, das ist nicht Allen, das ist auch den Christen als ihren Gliedern nur in ganz besonderer Weise sichtbar, sonst aber unsichtbar.«178 Wenig später heißt es bei Barth: »[D]as Sein der Gemeinde als die ›lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus‹, ruft nach dem Sehen des Glaubens und ist nur ihm zugänglich, allem anderen Sehen aber unzugänglich.«179 Die Rede von der unsichtbaren Kirche stellt gleichsam die Reaktion auf den geistlich blinden, aus natürlicher menschlicher Erkenntnis resultierenden Blick auf die irdisch-geschichtliche Existenz der Kirche dar. H.-P. Grosshans bemerkt in seiner Interpretation der Ekklesiologie Barths prägnant: »[I]n der Rede von der unsichtbaren Kirche geht es um die Wahrnehmung dessen, was die Kirche in Wahrheit ist. Keineswegs hat es bei der Rede von der unsichtbaren Kirche jedoch darum, hinter oder neben der sichtbaren Kirche eine zweite, die eigentliche Kirche wahrzunehmen.«180 Nach Barth verbietet sich eine reifizierende Rede von einer zweiten, koexistierenden unsichtbaren Kirche, die einen größeren Realismus als den des glaubenden Sehens für sich beansprucht. Denn eine solche vermeintlich fromme, die Kirche spiritualisierende Rede bildet nur das Sediment der geistlichen Blindheit. Gleichwohl kann Barth von der unsichtbaren Kirche reden und zwar deshalb, weil er die natürliche menschliche Erkenntnis, die Empirie ernst nehmen und sie nicht verteufeln möchte. So spricht er im uneigentlichen Sinne von der unsichtbaren Kirche. Von Barth her verbietet sich aber – wie M. Weinrich berechtigterweise konstatiert hat – nicht nur »jede Spiritualisierung der Kirche«, sondern ebenso »deren Identifikation mit ihrer jeweiligen institutionellen Gestalt.«181 Auch eine solche, im Namen der Empirie vollzogene Identifikation ist geistlich blind zu nennen. Egal ob eine solche Identifikation in soziologischem, psychologischem, historischem oder kulturtheoretischem Gewande daherkommt, sie kann die »lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus« nicht erkennen, sondern lediglich eine fromme Gemeinschaft bzw. Religionsgesellschaft. Damit aber wird das wahre Wesen dessen übersehen, was Kirche ausmacht, weil dieses nur dem Glauben offenbar ist. Wandeln wir aber im Glauben und nicht im Schauen (2Kor 5,7), so kann auch die wahre Kirche nur geglaubt und nicht gesehen bzw. nur im Glauben gesehen werden. Weil diese 178 A.a.O., 731. 179 A.a.O., 733. »Lebendige Gemeinde des lebendigen Jesus Christus« – so lautet zugleich der Untertitel einer Schrift K. Barths (Kirche, 3 – 23) aus dem Jahr 1947. 180 H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 110. 181 M. Weinrich, Kirche glauben, 122.

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eschatologische Differenz besteht, ist die Rede von der unsichtbaren Kirche als uneigentliche Rede nach Barth nicht sinnlos. Sie bringt einen »kritischen Vorbehalt«182 gegenüber der irdisch-geschichtlichen Gestalt von Kirche zur Sprache. Es gibt also in der Ekklesiologie K. Barths – wenn man so will – ein ExtraCalvinisticum, das die Differenz zwischen wahrer Kirche und ihrer Erscheinung festhält. Diese wird von Barth deutlich durch die Rede von den Analogien zwischen beiden angezeigt, die zwar keinen äquivoken, aber auch keinen univoken Charakter haben: »Ist das, was sie [die Kirche; M.H.] ist, ihr Geheimnis, ihr geistlicher Charakter, nicht ohne Manifestation und Analogien in ihrer allgemein sichtbaren Gestalt, so gibt es keine solchen allgemein sichtbaren Manifestationen und Analogien, in denen sie sich unzweideutig darstellen würde.«183 Besagte Differenz ist aber – um es noch einmal zu betonen – »eine Differenz im Erkennen und nicht […] eine Unterscheidung im Sein der Kirche. Es gibt nur die eine (sichtbare) Kirche. Es gibt nicht noch neben oder in der empirischen Kirche und ihren Vollzügen die Kirche als Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden. Barths Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche problematisiert nicht die Einheit der Kirche, sondern soll anzeigen, daß es zwei Weisen bzw. Perspektiven gibt, die Kirche zu erkennen, die beide zu ihrer vollen Erkenntnis unverzichtbar sind: zum einen kann die Kirche in der Perspektive der empirischen Erkenntnis nur als ein irdisch-geschichtliches und kulturelles Phänomen und zum anderen in der Perspektive der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen wahrgenommen werden.«184 Es geht nicht um eine Akzentsetzung (entweder Setzung des Akzents auf die sichtbare, empirische oder die unsichtbare, geglaubte Gemeinde), sondern um eine perspektivisch differenzierte Wahrnehmung der einen Wirklichkeit Kirche. Beide Perspektiven sind unentbehrlich und irreduzibel. Barth geht es um beide und gerade deshalb arbeitet er die Besonderheit letzterer theologisch profiliert heraus, um so die Limitierung ersterer zu verdeutlichen. Barth streitet also mit seiner Distinktion in zwei unterschiedliche Perspektiven keineswegs ab, dass die Kirche auch Bestandteil der Geschichte und Kultur ist. Er möchte keineswegs die Verfahren aus Soziologie, Psychologie, Historie und Kulturtheorie diskreditiert wissen, sondern nur deren Verabsolutierung entgegenwirken. Barth wendet sich gegen eine Reduktion auf deren Dimensionen der Wahrnehmung von Kirche. Ihnen gegenüber geht es Barth entscheidend um die »dritte Dimension«185, auf die sich die Existenz der Kirche erstreckt. Die große 182 183 184 185

K. Barth, KD IV/1, 737. A.a.O., 733. H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 111. Barth, KD IV/1, 732.

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geistliche Versuchung, das Damoklesschwert, »das immer und überall über der ecclesia visibilis hängt«186, besteht darin, dass sie selbst ihre konkrete, geschichtliche Gestalt für ihr Sein hält. Damit versucht sie, ihren institutionellen Bestand religiös zu überhöhen und zu verbrämen, ja regelrecht zu deifizieren. Die dritte Dimension bleibt hier nicht mehr offen.187 Sie wird mit der empirischen Gestalt gleichsam kurzgeschlossen. In Wahrheit hingegen transzendiert die dritte Dimension die empirische Gestalt, so dass allein der die empirische Gestalt transzendierende Glaube das Geheimnis der Kirche, ihr wahres Wesen in der irdisch-geschichtlichen Existenz der Kirche zu erkennen vermag, welches darin besteht, dass der lebendige Christus in ihr irdisch-geschichtlich existiert. In ihm hat sie ihr wahres Sein.188 Barth kann sogar von der»realen Identität des einen Heiligen […] mit der Gemeinschaft der Heiligen auf Erden«189 sprechen. Der Satz Barths, wonach die berufene Gemeinde sein Leib, d. h. seine eigene »irdisch-geschichtliche Existenzform«190 ist, hat freilich große Irritationen ausgelöst und stieß bisweilen auf entschiedene Ablehnung.191 Seine identifikatorische Zuspitzung zu der Aussage: »Jesus Christus ist die Gemeinde«192, bereitet theologisches Unbehagen, um nicht zu sagen einige mit dem Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche oder bestimmter evangelischer Konventikel in Verbindung gebrachte Bauchschmerzen,193 wenngleich Barth betont, dass dieser Satz nicht umgekehrt werden darf.194 Die Verstehensschwierigkeit wird sicherlich dadurch verursacht, dass Barth in seinen ekklesiologischen Ausführungen vielfach nicht hinreichend deutlich macht, in wel-

186 A.a.O., 734. 187 Vgl. a. a. O., 735. 188 Treffend bemerkt H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 113: »Die Kirche ist ein Handeln Gottes, das in ihrer sichtbaren Gestalt verborgen ist und das sie immer wieder zu dem macht, was sie ist. Insofern geht ihr Sein nicht auf in der Kirche. Die Kirche verfügt nicht über ihr eigenes Sein, sie verfügt nicht über sich selbst. Das Sein der Kirche liegt außerhalb ihrer selbst. […] Das Sein der Kirche ist nach Barths Auffassung ein ihr entzogenes Geschehen, das an ihr geschieht und für das sie sich immer offen halten muß, wenn sie Kirche sein will. Barth hat die Ekklesiologie gewissermaßen als ein offenes System konzipiert, insofern er auf eine theoretische Grundlegung der Kirche verzichtet und an die Stelle einer begrifflichen Wesensbestimmung der Kirche, an der sich jede konkrete Gestalt von Kirche orientieren könnte, einen Verweis auf ein Handeln Gottes setzt. Ihr Existenz und ihr wahres Sein ist und bleibt Gottes Tat.« 189 K. Barth, KD IV/2, 743. 190 Ders., KD IV/3, 780. 191 Vgl. etwa W. Krötke, Die Kirche als »vorläufige Darstellung«, 88. Vgl. auch J.L. Mangina, Karl Barth, 155. 192 K. Barth, KD IV/2, 741. 193 Vgl. H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 112. 194 Vgl. dazu den Abschnitt I.1.2.2. (Exkurs) dieser Untersuchung und die dort formulierten kritischen Anfragen an J.H. Yoder.

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chem modus loquendi er sich jeweils bewegt.195 Dafür kann man ihn zweifellos kritisieren. Der Satz, dass Jesus Christus die Gemeinde ist, ist jedenfalls ein Satz, der streng und ausschließlich im Modus der eigentlichen Rede gesprochen wird, der – mit anderen Worten – das Sehen des Glaubens artikuliert. Dies will beachtet sein. Denn wenn es sich um einen Satz uneigentlicher Rede handeln würde, dann läge schlicht und ergreifend der oben beschriebene Versuch einer Sanktionierung, ja Deifizierung vor, gegen den sich Barth entschieden wendet. Barth verwickelt sich jedoch keineswegs in einen Selbstwiderspruch, da die Differenz, die wir mit dem Begriff ekklesiologisches Extra-Calvinisticum markiert haben, sich nicht auf eine vermeintliche Differenz zwischen Christus und wahrer Kirche, sondern auf die zwischen wahre Kirche bzw. Jesus Christus und irdisch-geschichtliche Gestalt der Kirche bezieht. Barth geht es darum, dass die Kirche ihrem wahren, d. h. im Glauben wahrgenommenen, und wirklichen196, d. h. vom Heiligen Geist gewirkten Sein entspricht: »Der Mensch betritt im Glauben an die ecclesia invisibilis das Arbeitsund Kampffeld der ecclesia visibilis«197. Barth intendiert mit seiner genuin theologisch qualifizierten Rede von Kirche die Mit- und Umgestaltung der Kirche zu dem, was sie bereits in Wahrheit ist: eine von Gott her in Ewigkeit zum Zeugnis seiner Herrlichkeit erwählte und berufene Gemeinde, eine Versammlung von versöhnt lebenden, Frieden stiftenden und die universale Versöhnung der gesamten Menschheit vorwegnehmend darstellenden Menschen. Im Lichte dieser ekklesiologischen Bestimmung kann Barth zum Teil recht heftige Kritik an der sog. »real existierenden Kirche« üben: »Ich suche die […] vorliegende Schuld an dem die Welt immer noch und immer aufs neue bedrohenden Unheil weniger in den den Menschen zur zweiten Natur gewordenen Verkehrtheiten als darin, daß die christlichen Kirchen in allen Erdteilen so träge waren in der Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe, den Menschen jene objektive Wirklichkeit des Heils und damit auch des Friedens durch ihr Wort und Beispiel in der dieser großen Sache angemessenen Klarheit und Bestimmtheit, Freudigkeit und Folgerichtigkeit zu verkündigen.«198

195 Vgl. G. Sauter, Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 338: »Aus der Scheu vor jeder Reflexion, die sich vielleicht gegenüber dem ›theologischen Stoff‹ hätte verselbständigen können, hat Barth manche Klärungen nicht vollzogen, die es wohl erleichtert hätten, seine Absichten immer klar genug zu erkennen und diese Absichten in der Durchführung unmissverständlich wiederzufinden.« 196 Vgl. K. Barth, KD IV/2, 695. Zur Rede von der »wirklichen Kirche« vgl. bes. W. Krötke, Perspektiven der Ekklesiologie Karl Barths, 125 – 129. 197 K. Barth, KD IV/1, 730. 198 Ders., Briefe 1961 – 1968, 125 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada).

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Was im Blick auf einen effektiven Friedens- und Versöhnungsdienst der Kirche geschehen müsste, ist Barth zufolge dies: »Es müßten die Völker – und das geht die Christen und die christlichen Kirchen selbst an! – so zum Glauben an Jesus Christus gerufen werden, daß ihnen die Augen und Ohren aufgehen müßten, daß sie der Erkenntnis der Wirklichkeit des Heils und damit auch des Friedens nicht widerstehen und ausweichen könnten, daß ihnen die unumstößliche Wahrheit des Bundes zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mitmensch als Gesetz ihres Handelns ins Herz und Gewissen geschrieben würde. Was geschehen müßte, wäre dies: daß die Christen und die christlichen Kirchen die Völker so zum Glauben an Jesus Christus rufen würden. Wie sollten sie sie aber zu diesem Glauben rufen können, solange sie seiner Wahrheit selber nicht ganz anders, viel bestimmter, nüchterner und mutiger als heute gewiß sind? Was heute im Interesse des Friedens geschehen müßte, das wäre in erster Linie eine Erweckung, eine innere Erneuerung, eine geistliche Reformation und insofern eine Bekehrung der Christen und der christlichen Kirchen selber – ihre Bekehrung zur Wahrheit ihrer eigenen Botschaft.«199

Als das gegenwärtig vordringlichste Erfordernis umschreibt Barth die Umkehr der Kirche zur Wahrheit und zum Tun ihrer eigenen Botschaft. Der Kirche fällt nach Barth in epistemischer Hinsicht eine entscheidende Aufgabe zu, die Aufklärungsaufgabe des prophetischen Amtes, welche sich präzise auf die Überwindung des Grabens zwischen der ontischen Wirklichkeit und der noetischen Wirklichkeit(swahrnehmung) bezieht, von dessen Existenz die geistlich blinde Welt200 im Gegensatz zur Kirche – gerade hierin besteht ihr noetischer Vorsprung bzw. die eigentliche Kirche/Welt-Differenz – nichts weiß, aber doch um der Erhaltung ihrer selbst willen, d. h. um des Friedens als ihrer Überlebensbedingung willen, wissen sollte: »Was die Welt braucht, ist die revolutionäre Erkenntnis, dass durch die Liebe, in der Gott sie geliebt hat, befreit ist von der unseligen Notwendigkeit, ihr Heil in irgendwelchen nationalen, politischen, wirtschaftlichen oder moralischen Prinzipien, Idealen und Systemen (westlicher oder östlicher Art!) und darum unvermeidlich im kalten oder heißen Krieg zu suchen. Die Welt ist befreit zu einem Leben des Menschen mit Gott als seinem Vater und mit dem Mitmenschen als seinem Bruder und so befreit zu einem Leben, das den Krieg in jeder Form überflüssig macht, aufhebt und ausschließt.«201

199 A.a.O., 126. 200 Vgl. ders., KD IV/3, 880: »Die wirkliche Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinschaft, in der es Menschen geben wird, um die Welt, wie sie ist, zu wissen. Die Welt weiß nicht um sich selber«. Ebenso J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 11: »The church precedes the world epistomologically.« 201 K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 125 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada).

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Damit sind wir im Grunde genommen bereits bei der in friedensethischer Hinsicht wesentlichen Bestimmung der Kirche durch Barth angelangt, nämlich ihrer Bestimmung als »vorläufige Darstellung der ganzen in ihm [Jesus Christus; M.H.] gerechtfertigten Menschwelt«202, als »vorläufige Darstellung der in ihm geschehenen Heiligung der ganzen Menschheit«203 und als »vorläufige Darstellung der in ihm ergangenen Berufung der ganzen Menschenwelt, ja aller Kreatur«204. Als solche Darstellung von Rechtfertigung (KD IV/1, § 61), Heiligung (KD IV/2, § 66) und Berufung (KD IV/3, § 71) ist sie – wie die Leitsätze der drei ekklesiologischen Paragraphen der Versöhnungslehre veranschaulichen – Darstellung der Versöhnung der Welt durch Gott. Die bereits erbrachte, aber noch zu bezeugende Versöhnung der Menschenwelt ist der Gegenstand der Darstellung. Darstellung heißt – mit anderen Worten –, dass die Kirche die Versöhnung nicht erbringt, sondern sie als durch Gott für alle verwirklicht bezeugt.205 Es geht bei diesem Zeugnis206 bzw. dieser Darstellung freilich nicht um die Selbstdarstellung der Kirche, wenn anders eine sich selbst darstellende Kirche »Scheinkirche«207 wäre. Vielmehr geht es um die »Darstellung (der Selbstdarstellung!) Jesu Christi und der in ihm geschehen Taten Gottes«208. Die Selbstdarstellung Jesu Christi, der sein eigener authentischer Zeuge209 ist, ermöglicht erst eine solche Darstellung.210 Die Kirche partizipiert an der Selbstdarstellung Jesu Christi. Allerdings will gegenüber jedem enthobenen, weltflüchtigen und Christus für sich vereinnahmenden Enthusiasmus, der keinen eschatologischen Vorbehalt gelten lassen will, bedacht sein: »Freilich macht die vorwegnehmende Darstel202 203 204 205 206

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Ders., KD IV/1, 718 (aus dem Leitsatz von § 62). Dort kursiv. Ders., KD IV/2, 695 (aus dem Leitsatz von § 67). Dort kursiv. Ders., KD IV/3, 780 (aus dem Leitsatz von § 72). Dort kursiv. So auch D. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 65. W. Krötke (Die Kirche als »vorläufige Darstellung«, 84) präzisiert den Begriff »Zeugnis« und spricht – implizit Barmen III (»Kirche hat […] mit ihrer Botschaft wie mit der Ordnung […] zu bezeugen«) aufnehmend – vom »Wort- und Existenzzeugnis« der Kirche, das sich nicht nur auf ihre Rede von der Versöhnung, sondern auch »das Zeugnis ihres Lebens und die Art und Weise ihres Existierens« bezieht. K. Barth, KD IV/2, 698. Ders., KD II/2, 226. Vgl. ders., KD IV/3, Kap. 16: »Jesus Christus, der wahrhaftige Zeuge«. Vgl. auch die gleichlautende Überschrift von § 70.1. Wie J.L. Mangina (Bearing the Marks of Jesus, 280) bemerkt, weist die Barthsche Verhältnisbestimmung von Christi Selbstzeugnis und dem menschlichen Christuszeugnis (der Bibel) ein chalcedonensisches Muster auf: »This is a typically Chalcedonian gesture in Barth: Christ’s witness to himself and the human witness of the bibel constitute a differentiated, asymmetrical unity, in which the human element (in this case, scripture) is secondary but not superfluous.« Vgl. zum chalcedonensischen Grundmuster der Theologie Barths den Abschnitt I.2.2. des vorliegenden Kapitels. Vgl. H.T. Goebel, Die Frage nach der wahren Kirche, 139: »Die Wirklichkeit Jesu Christi lässt sich nicht darstellen – wie im Leben der Gemeinde nicht, so auch nicht in der Kirchlichen Dogmatik – ohne deren sich selbst darstellende Wahrheit.« So auch ders., Die Entbehrlichkeit der Kirche für die Welt, 38.

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lung der mit Gott und untereinander versöhnten Menschheit durch die Kirche diese nicht selbst zu einer societas perfecta. Es geht Barth darum, die Kirche so zu glauben, wie sie im Lichte Gottes erscheint und wie diese Versammlung der Glaubenden von Gott qualifiziert wird. Dies gilt ganz ähnlich auch im Blick auf den einzelnen Menschen, der im Glauben als von Gott gerechtfertigter, geheiligter und berufener Mensch wahrgenommen wird – und zugleich als ein Sünder.«211 Wenn Barth von »Darstellung« spricht, nimmt er die Funktionsbestimmung der Kirche als ihre Existenzbestimmung in den Blick. In dieser Darstellung der Versöhnung besteht der Zweck ihrer Erwählung212, der Sinn ihrer Existenz, das Wozu ihres Daseins. Die darstellende Praxis der Kirche besteht in der Anzeige der durch Gott in Christus erbrachten Versöhnung. W. Krötke hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Barth bei seiner Verwendung des Begriffs der Darstellung »augenfälligerweise nicht auf die ihm bekannte Verwendung der Kategorie des darstellenden Handelns bei F. Schleiermacher Bezug [nimmt]. Sie drückt bei Schleiermacher im Unterschied zum reinigenden und verbreitenden Handeln bekanntlich ja eine gewisse Ruhe des frommen Selbstbewusstseins aus. Auch für eine solche Ruhe kann Barth im Unterschied zur Hektik kirchlichen Betriebes durchaus plädieren.«213 Was die Provenienz des Begriffs der »Darstellung« angeht, verweist Krötke auf das Metaphernfeld des Theaters: »Sein [Barths; M.H.] Begriff der ›Darstellung‹ aber ist eher der Welt des Theaters entlehnt. Er drückt den Ablauf eines dramatischen Geschehens aus. Die Kirche hat mitten in der Welt, die noch 211 H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 110. 212 Vgl. K. Barth, KD II/2, 226 f. Vgl. dazu: K.J. Bender, Karl Barth’s Christological Ecclesiology, 95 – 129. 213 W. Krötke, Die Kirche als »vorläufige Darstellung« 84. Krötke spielt auf F.D.E. Schleiermachers (Die christliche Sitte nach den Grundsa[e]zen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt) sog. »Sittenlehre« an, die in die beiden voluminösen Teile »Das wirksame Handeln« (97 – 501; wiederum differenziert in »reinigendes Handeln« (217 – 290) und »verbreitendes Handeln« (291 – 501)) und »Das darstellende Handeln« (502 – 705) unterteilt ist. Beim darstellenden Handeln geht es um das Handeln in der »inneren Sphäre oder Kirche« (620 – 705) sowie in der »äußeren oder allgemein geselligen Sphäre« (vgl. dazu das Gliederungsschema in H.-J. Birkner, Schleiermachers Christliche Sittenlehre, 108). Das darstellende Handeln zeichnet sich dadurch aus, dass Lust und Unlust des Menschen in ein schwebendes Verhältnis gebracht werden, während beim reinigenden Handeln die Unlust über die Lust und beim verbreitenden Handeln die Lust über die Unlust die Oberhand behält. Darin, dass durch das darstellende Handeln in dieser Konstellation der endgültige Zustand der Seligkeit in unvollkommener Weise vorabgebildet wird, besteht eine interessante Parallele zu Barth, insofern bei ihm die Kirche die eschatologisch vollständig durch das Heilshandeln Christi bestimmte Menschenwelt darstellt. Zur Kategorie des »darstellenden Handelns« bei Schleiermacher vgl. ders., Sittenlehre, 502 – 516 (»Charakteristik des darstellenden Handelns«) und dazu: H.-J. Birkner, Schleiermachers Christliche Sittenlehre, 105 – 112; Chr. Frey, Die Ethik des Protestantismus, 137 – 143.

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immer von unversöhnten, sündigen Menschheit geprägt ist, und selbst angefochten vom Nichtigen existiert, schon die neue, versöhnte Menschheit darzustellen.«214 Die Funktion der Kirche, ihr Dienst der Versöhnung besteht also in der »Darstellung«: Mimesis – wie H.-G. Geyer215 in Fortführung216 des Barthschen Gedankengangs ausgeführt hat und dabei – wie Barth – das theatrische Metaphernfeld bedient: »In welch schiefes Licht […] die Subjekte mimetischer Praxis geraten, lehrte das fahrende Volk der Schausteller und Gaukler jenseits der Barriere bürgerlicher Anständigkeit längst zu sehen.«217 Geyer spielt mit dieser historischen Reminiszenz auf die »Fremdlingschaft«218 der Kirche an, die ebenfalls ein Motiv in der Ekklesiologie Barths repräsentiert.219 Denn gerade weil die Kirche in ihrer Darstellungs- bzw. Zeugnisexistenz für die Welt als Adressat ihrer Versöhnungsbotschaft »ekzentrisch«220 da ist, mithin also keinen Selbstzweck bildet, sondern sich der Welt durch das Sein und Werk des für sie gestorbenen Christus verpflichtet weiß, unterscheidet sie sich von dieser – und zwar durch das geistgewirkte Wissen um die Versöhnung und darum auch um das wahre, nämlich versöhnte Wesen der Welt:221 »Sie [die Christen; M.H.] sind nicht zu ihrem Vergnügen und zu ihrer Ehre die abgesonderte Minderheit, die sie allerdings sind. Sie sind es gerade zur Verrichtung des Dienstes, in den sie gestellt sind […] zur Ausrichtung des Zeugnisses von den 214 W. Krötke, Die Kirche als »vorläufige Darstellung«, 84. Zur dramatischen Denkform bei Barth vgl. H.-W. Pietz, Das Drama des Bundes. Dort wird der Begriff der »Darstellung« zwar in die dargelegte Interpretationslinie eingereiht, aber leider nicht näher entfaltet. Pietz bemerkt lediglich en passant: Der Begriff »Darstellung« »kann durch die Beachtung der dramatischen Denkform Barths eine deutliche Präzisierung erhalten« (a. a. O., 91). 215 Vgl. vor allem H.-G. Geyer, Wahre Kirche?, 470 – 495, bes. 477.480 – 484.493. Geyer hat vor allem das Motiv der Feindesliebe in der Kategorie der mimetischen Praxis zu explizieren versucht. Vgl. a. a. O., 487 – 495. 216 Die Geyersche Fortführung hat H.T. Goebel (Die Frage nach der wahren Kirche, 138 – 158) eindrücklich dargestellt. Vgl. auch Chr. Link, Mimetische Praxis, 133 – 147. 217 H.-G. Geyer, Wahre Kirche?, 481. 218 K. Barth, KD IV/4, 185. Vgl. ders., KD IV/3, 18 f.; Das christliche Leben, 156 ff. 219 Vgl. E. Busch, Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, 84 f. Vgl. auch M. Trowitzsch, Karl Barth heute, 416 – 420. 220 K. Barth, KD IV/3, 872. Im Blick auf das Dasein der Kirche für die Welt bemerkt M. Beintker (»Das Volk Gottes im Weltgeschehen«, 102) richtig: »Proexistenz ist de facto als ein grundlegender ekklesiologischer Wesenszug zu betrachten. Indem die Gemeinde für ihre konkrete Umwelt da ist, wiederholt sie auf ihre Weise gleichnishaft die Proexistenz ihres Herrn.« Vgl. auch M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 188 f. 221 Vgl. E. Busch, Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, 95: »[W]as die Kirche doch von Anderem unterscheidet, ist, daß in ihr erkannt wird, daß Gott die Welt in Christus versöhnt hat. Der Unterschied von Kirche und übriger Welt liegt darin und nicht etwa darin, daß der Mensch in ihr das Heil hat und außerhalb von ihr nicht. […] Die besondere Mündigkeit, von der Barth spricht, hat darin ihren Grund, daß das, was die Glieder der Kirche auszeichnet, ihre Erkenntnis der Wirklichkeit der Versöhnung ist.« So auch M. Beintker, »Das Volk Gottes im Weltgeschehen«, 103.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

ihnen offenbaren Werken Gottes, vom Bund, von der Versöhnung, vom Frieden, den er in Jesus Christus zwischen sich und der Welt aufgerichtet hat.«222 Die Kirche ist Welt,223 aber aufgrund der noetischen Differenz zwischen Welt und Kirche »der Ort in der Welt, an dem dieser die Augen über sich selbst aufgehen, an dem ihrer Unwissenheit über sich selbst ein Ende gemacht wird: der Ort, an dem die Welt sich selbst, wie sie wirklich ist, in Wahrheit erkennen darf.«224 Die Kirche ist darin vorläufige Darstellung, dass sie mit ihrem Wissensvorsprung das Ziel des versöhnten, befriedeten Menschenseins, zu dem auch die Kenntnis derselben gehört, vorwegnimmt und der Welt damit gleichsam voraus läuft. Gleichwohl kann sie als vorläufige Darstellung das damit in den Blick genommene Eschaton im Rahmen des Menschenmöglichen nur antizipieren: »Die Gemeinde stellt dieses neue, ihrer Erwählung durch Gott entsprechende Leben vorwegnehmend für die ganze Menschheit dar : ein Leben in der Gemeinschaft, im Bund mit Gott. Es gehört wesentlich zu dem neuen, vom Versöhnungsgeschehenen unterbrochenen und bestimmten Leben, daß die Menschen sich als in der Gemeinde Jesu Christi Versammelte vorfinden und als vorwegnehmend darstellen und repräsentieren, wozu die ganze Menschenwelt in Jesus Christus von Gott erwählt ist: zu einem Leben in der Gemeinschaft mit Gott.«225 D. Schellong hat zutreffend davon gesprochen, dass Barth der christlichen Gemeinde damit eine »avantgardistische[] Rolle«226 zuschreibt: »Er versteht die Gemeinde streng bezogen auf die Welt, und zwar auf die Welt mit ihrem deformierten Freiheitsstreben, mit ihrer von Liebe und Brüderlichkeit verschiedenen neuzeitlichen Freiheit des Eigennutzes, mit der Vorherrschaft eines unmenschlichen Sachzwangs.«227 Die christliche Gemeinde ist als vorläufige Darstellung der ganzen mit Gott versöhnten Menschheit »in den Dienst an der Menschheit gestellt [und] hat […] der Menschheit ein Beispiel zu geben für das, was die Menschheit werden soll.«228 Das Ziel der Menschheit, welches die Kirche repräsentiert, ist das Sein in Christus, welches als ein befriedetes Leben mit Gott 222 K. Barth, Das christliche Leben, 158. 223 Vgl. D. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 64: »Das Eigentümliche der Kirche ist nicht, daß sie aus der Welt herausgehoben ist, sondern daß sie selber Welt ist – ja erst sie ist richtig, d. h. richtig gewordene Welt, Anfang der zur Brüderlichkeit befreiten Gesellschaft.« Zur Weltlichkeit der Kirche vgl. ausführlicher M. Weinrich, Die religiöse Verlegenheit der Kirche, 147 – 160; ders., Kirche glauben, 59 – 65. 224 K. Barth, KD IV/3, 880. 225 H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 109. 226 D. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 62. H. Gollwitzers (Reich Gottes und Sozialismus bei Karl Barth, 347.378) Redeweise von der »avangardistischen Kadergruppe« ist wohl eher dem Zeitgeist der 1970er Jahre geschuldet. 227 D. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 62 f. 228 A.a.O., 63.

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und in Gemeinschaft mit dem Nächsten bereits auf Erden vorläufig manifest wird. In ihm realisiert die Menschheit das Versöhnungsgeschehen subjektiv. Genau darum geht es einer Friedensethik, die die Kirche als vorläufige Darstellung der einen in Christus versöhnten Menschheit versteht: um eine subjektive Realisierung der in Christus vollbrachten Versöhnung, die die Gewaltantagonismen, Destruktionspotentiale und Feindschaftsschematismen der Welt – Geyer spricht von der »weltgeschichtliche[n] Kette [der] wahnsinnig-sinnlose[n] Wiederholung des Brudermordes am Anfang der Weltgeschichte«229 – heilsam unterbricht und das neue Leben heraufführt. Denn genau dort, wo dies subjektiv realisiert wird, »verändert sich nach Barths Auffassung auch die menschliche Kultur und der weitere Verlauf der Geschichte«230. Dieser ekklesiologische Zusammenhang umschreibt eine grundlegende Einsicht der Friedensethik Barths, die – insofern sie konzeptionell auf diesen Zusammenhang ausgerichtet ist – als eine genuin kirchliche Friedensethik bezeichnet werden kann.231 Weil sie aus ihrem christologischen Grundlegungsverständnis heraus bei Christus als dem lebendigen Herrn der lebendigen Gemeinde und dem Sein in ihm ansetzt,232 setzt sie zugleich bei der von ihrem Versöhnungsauftrag an der Welt her zu verstehenden Kirche an.233 Aus der Christusbezogenheit einer solchen kirchlichen Friedensethik resultiert ihre Weltbezogenheit, d. h. ihre universale Ausrichtung.234 Als solche Friedensethik bringt sie den grundlegenden Auftrag der Kirche an und in der Welt zur Sprache, der ganz auf die Mitteilung der Botschaft von der Versöhnung der Welt ausgerichtet ist, um deren vorläufiger Darstellung willen die Kirche einzig und allein existiert:

229 H.-G. Geyer, Wahre Kirche?, 491. 230 H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 109. 231 Zum Programm ein »kirchlichen Ethik« im Allgemein vgl. neben den Ausführungen im Abschnitt II.5.4.3. der vorliegenden Untersuchung meine Ausführungen in: M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 547 – 575, und zum Programm einer »kirchlichen Friedensethik« im Besonderen ders., Friedenstiften, 378 – 395; Friedenstiften als kirchliche Praktik, 40 – 57. Zu K. Barths Darstellung einer kirchlichen Ethik vgl. bes. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 25 – 105; J.L. Mangina, The Stranger as Sacrament, 322 – 339. 232 M. Konradt (Die Christonomie der Freiheit, 67) hat dementsprechend darauf hingewiesen, dass »das ›In – Christus-Sein‹ bei Paulus nicht Chiffre eines individualistischen Heilsverständnisses [ist], sondern […] in ekklesiologische Zusammenhänge hinein ausgelegt« wird. 233 Vgl. D. Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit, 63: Barth versteht die Gemeinde »von ihrem Dienstauftrag an der Welt und von ihrer exemplarischen Gestalt für die Welt her«. 234 W. Krötke (Die Kirche als »vorläufige Darstellung«, 83.84) hat zutreffend vom »universalen Zuschnitt der Ekklesiologie« Barths gesprochen und davon, dass sie ein »universales Menschheitsziel« in den Blick nehme. Dort (an beiden Stellen) kursiv.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

»Die Kirche soll der Welt mitteilen und mit ihrer eigenen Existenz darstellen, daß Gott, der Schöpfer von allem, mit den Menschen in Jesus Christus einen den Bund mit Israel erneuernden Bund geschlossen hat und mit ihnen zusammenleben will. Daraus folgt, daß die ganze Menschenwelt gerechtfertigt, geheiligt und berufen ist. Und daraus folgt, daß die ganze Menschenwelt nicht nur mit Gott versöhnt ist, sondern auch untereinander versöhnt leben soll. Die Kirche soll der Welt mitteilen und auch an sich selbst darstellen, daß ein gemeinsames, versöhntes Leben aller Menschen nicht nur wünschenswert, sondern der in Jesus Christus offenbar gewordenen Herrschaft Gottes möglich ist, ja, nicht nur möglich ist, sondern bereits Wirklichkeit ist und es nun nur noch darauf ankommt, sich auf diese Wirklichkeit einzustellen, sie anzuerkennen und ihr entsprechend zu leben.«235

2.

Der Friede Gottes als Frieden auf Erden. K. Barths chalcedonensisches Modell der Handlungsträgerschaft

2.1.

Doppelte Handlungsträgerschaft und das chalcedonensische Denkmuster

Was die Heraufführung des neuen Menschen als Wirklichkeit des homo pacis in ekklesiologischer Hinsicht bedeutet, fasst Barth wie folgt zusammen: »[I]n seiner [Jesu Christi] Dahingabe für die Menschen ist doch […] der von Gott abgefallene und mit seinem Nächsten und sich selbst zerfallene Mensch […] ans Kreuz geschlagen und in den Tod gegeben worden, ist ein neuer, im Gehorsam gegen Gott freier Mensch geboren worden und auf den Plan getreten. Gottes Tat in Jesus Christus ist die klare Entscheidung für diesen neuen, mit Gott in Frieden lebenden und darum die Güte seiner Schöpfung ehrenden Menschen und für die in seiner Existenz verwirklichte neue Weltgestalt – eben darum gegen jenen alten Mensch und die Weltgestalt, die mit dessen Beseitigung nur noch vergehen kann. Diese in Jesus Christus gefallene Entscheidung sieht seine Gemeinde. An sie hält sie sich. Ihr folgt sie. Sie folgt ihr inmitten des Weltgeschehens und in den Grenzen der ihr gegebenen Möglichkeiten – aber sie folgt ihr nicht als müßiger Zuschauer, sondern in tätigem Gehorsam. Sie folgt ihr gewiß nicht in einem großen, absoluten, sondern in vielen kleinen, relativen Schritten – aber sie folgt ihr.«236

Das damit angesprochene Thema der Nachfolge soll im nächsten Kapitel (I.3.) eingehend thematisiert werden. Zunächst aber gilt es, die dem Modell der Nachfolge zugrunde liegende und von ihm in bestimmter Hinsicht beantwortete Frage nach dem Verhältnis von göttlichem und menschlichem Handeln aufzugreifen, die mit der bereits mehrfach angeklungenen Rede von der objektiven 235 H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 118 f. 236 K. Barth, KD IV/3, 822. Vgl. ders., Christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen, 34.

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Der Friede Gottes als Frieden auf Erden

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und subjektiven Seite der Heiligung zur Disposition steht. In Auseinandersetzung mit T. Rentorff und H. Zahrnt wurde im vorausgehenden Kapitel (vgl. I.1.3. und I.1.4.) und im ersten Teil des vorliegenden Kapitels (I.2.1.) herausgearbeitet, dass es Barth keineswegs darum geht, das menschliche Handeln zugunsten der »radikalen Autonomie Gottes« still zu stellen. Explizit stellt Barth klar : Die Ethik »darf – ›der Geist weht, wo er will‹ (Joh. 3, 8) – weder der freien Verfügungsgewalt Gottes hinsichtlich des konkreten Sinns und Inhalts seines Gebietens noch der freien Verantwortlichkeit des menschlichen Handelns zu nahe treten. Sie hat die Unmittelbarkeit des Verkehrs zwischen dem gebietenden Gott und dem ihm gehorsamen oder ungehorsamen Menschen zu respektieren.«237 In Barths versöhnungsethischen Ausführungen ist nun – darauf hat D.L. Migliore zu Recht aufmerksam gemacht – zweifellos »eine pneumatologische Dimension der Harmonisierung und Koordinierung göttlicher und menschlicher Aktivität« zu erkennen, »die nicht von der christologischen Dimension getrennt werden kann.«238 Für Barth ist der Heilige Geist die das göttliche und menschliche Tun koordinierende, harmonisierende und vereinigende Kraft, wie sie insbesondere in der Tat des Glaubens anschaulich wird: »Sind die Christen die Menschen, denen Jesus Christus als dieser neue, wahre Mensch und in ihm ihre eigene schon vollbrachte Heiligung offenbar und gegenwärtig ist, die sich ihm als ihrem erstgeborenen Bruder zugeordnet, als ihrem dazu von Ewigkeit her eingesetzten König untergeordnet wissen, dann existieren sie, wie total in der Tat jenes Empfangens und also des Glaubens, so ebenso total in der Tat, in der sie diese ihre Zuordnung und Unterordnung dem von Gott erhöhten Menschen Jesus gegenüber bestätigen dürfen und müssen: nicht aus eigenem Antrieb und nicht aus eigenem Können, aber eben in der belebenden Macht des Heiligen Geistes, in der Einheit dieser zweiten Tat mit jener ersten.«239

In Barths Erörterung des Topos der Heiligung bündelt sich sein Bemühen, weder das Handeln Gottes noch das Handeln des Menschen un(ter)bestimmt zu lassen. Diesem Bemühen korrespondiert das komplementäre Bemühen, nicht nur die Relata, sprich: das göttliche und menschliche Handeln, sondern auch die Relation als solche zu bestimmen. Beiden komplementären Bemühungen, die Barths Konzept einer doppelten Handlungsträgerschaft kennzeichnen, kann man – wie Barth vorführt – nur unter Anwendung eines chalcedonensischen Denkmusters bzw. Modells gerecht werden. Dieses bezieht sich auf das sog. »Chalcedonense«, genauer gesagt: die auf dem vierten ökumenischen Konzils von Chalcedon (451 n. Chr.) getroffene Lehrentscheidung, die das volle Gott- und Menschensein (vere deus / vere homo) 237 Ders., Das christliche Leben, 3. 238 D.L. Migliore, Vinculum Pacis, 148. 239 K. Barth, KD IV/2, 827 f.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Christi in Personeinheit zur Sprache bringt;240 und zwar mit jener das Verhältnisses von Christi göttlicher und menschlicher Natur beschreibenden Formel, die sowohl die Integrität als auch die Einheit der Naturen sichern und umgekehrt deren Vermischung und Trennung verhindern will: »ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird«.241 Expliziert wird dies mit den letztgenannten vier Attribute mit Alpha-Privativum: asygchyto¯s, atrepto¯s, adiaireto¯s und achoristo¯s. Barth zufolge artikuliert das Konzil von Chalcedon mit seiner Lehrentscheidung die Tiefenstruktur des biblischen Christuszeugnisses selbst. Das Neue Testament kann im Lichte dieser Lehrentscheidung besser gelesen und verstanden werden,242 wobei gilt: »A Chalcedonian reading is guided not only by a minimalistic definition of Christ’s two natures in themselves, but to be fleshed out more thoroughly by attending to the New Testament itself, but also by a certain conception of how these two natures are related in one and the same person. Chalcedon proposes that when Christ’s two natures met, they did so ›without separation or division‹ and ›without confusion or change.‹ Neither his deity nor his humanity surrendered their defining characteristics, and yet they converged to form an indissoluble unity. […] the Chalcedonian formulations are notable for their open-textured reticence. Note that they are negatively rather than positively phrased. Neither separation nor confusion is tolerable. No more is said about how Christ’s two natures are related than to rule out these unacceptable extremes. Each nature retained its integrity while engaging the other in the closest of communions. The relation of Christ’s two natures, as stated by Chalcedon, suggests an abiding mystery of their unity-in-distinction and distinction-in-unity.«243

Was genau meint nun die Bezeichnung »chalcedonensisches Modell« bzw. »chalcedonensisches Denkmuster«? G. Hunsinger hat in mehreren Studien den Nachweis geführt, dass es sich hierbei nicht nur um ein von Barth in Zustimmung zu einer bestimmten altkirchlichen Lehrentscheidung gebrauchtes denkerisches Hilfsmittel zur Interpretation der Zwei-Naturen-Lehre handelt, sondern gleichsam um Barths theo-logische Grundoperation dogmatischer und ethischer Reflexion handelt, die seine gesamte Theologie durchzieht.244 240 Vgl. zum Chalcedonense A. Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, 751 – 775. 241 DH 302. 242 Vgl. G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 203 f. 243 Ders., Disruptive Grace, 133. Hunsinger spricht adäquat vom regulativen »minimalism of Chalcedon« (ebd.): » Chalcedonian Christology […] demarcates a region in which there is more than one place to take up residence. The region is defined by certain distinct boundaries.« A.a.O., 132. 244 Vgl. a. a. O., 131 – 147; ders., How to Read Karl Barth. Vgl. auch D. van Deusen Hunsinger, Theology and Pastoral Counseling, 62 – 75; B.L. McCormack, Orthodox and Modern, 201 – 233; H. van Loon, Karl Barth und Chalkedon, 162 – 182.

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»[T]hroughout the Church Dogmatics Barth continually makes use of what might be called the ›Chalcedonian pattern.‹ Indeed, it is probably safe to say that no one in the history of theology ever possessed a more deeply imbued Chalcedonian imagination. The Chalcedonian pattern, formally speaking, is a pattern of unity (›without separation or division‹), differentiation (›without confusion or change‹), and asymmetry (the unqualified conceptual precedence of the divine over the human nature of Jesus Christ). […] In large ways and in small, […] this pattern is regulary, if often implicitly, brought to bear in Barth’s argumentation, both critically and constructively.«245

Die Frage ist nun, ob dieses Denkmuster auch einen passenden Schlüssel zur Bestimmung des Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Versöhnungshandeln darstellt? Liefert das chalcedonensische Modell auch eine »Lösung« für diese »Problemstellung«? D.L. Migliore hat genau dies implizit behauptet: »Göttliches und menschliches Handeln stehen im Lichte der Menschwerdung nicht von Natur aus in Konflikt oder Wettbewerb miteinander ; vielmehr sind sie vereint ohne Vermischung, Wechsel, Trennung oder Teilung.«246 Das chalcedonensische Modell eröffnet demnach im Blick auf die Ethik die Möglichkeit, scheinbare Antinomien miteinander zu verschränken, so dass statt einem Verharren in einer bloßen Antithetik abstrakter Begrifflichkeit Bewegung in die begrifflich gefasste Handlungstheorie kommt. Angewendet auf göttliches und menschliches Handeln meint »chalcedonensisches Modell«: Die Relata menschliches und göttliches Handeln werden so bestimmt, dass sie sich zugleich in ihrer irreduziblen Identität fundamental voneinander unterscheiden und übereinstimmen. Die diffizile Relation von göttlichem und menschlichem Handeln wird von Barth als asymmetrisch und in dieser Asymmetrie zugleich als entsprechungsfähig entfaltet. Besagte Relation erweist sich nur jenseits derjenigen Extreme als beschreibbar, die sich als zu einseitig erweisen und zu ihrer Überwindung kreativ und überraschend aufeinander bezogen werden, um so gleichsam das »Planquadrat« operationalen Vorgehens abzustecken. Barths »Lösung« bewegt sich im Zwischenraum alternativer Disjunktionen – zwischen einer platten Identifikation von menschlichem und göttlichem Handeln, zwischen einer christomonistischen Lösung (»Subjektivismus von oben«247), in der alles menschliche Handeln aus göttlichem Handeln emaniert, alle Anthropologie und Soteriologie mithin in objektive Christologie, die gleichsam einen göttlichen Determinismus chiffriert, aufgelöst wird, und zwischen einer anthropomonistischen Lösung (»Subjektivismus von unten«248), nach der die radikale Subjektivität des in seiner Nomothetik autonom handelnden Menschen Gottes Tun aufhebt: 245 246 247 248

G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 85. D.L. Migliore, Vinculum Pacis, 148. K. Barth, KD IV/4, 21. Kursivierung: M.H. A.a.O., 22. Kursivierung: M.H.

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»The Chalcedonian pattern« – so G. Hunsinger summierend – »is used to specify counterpositions that would be doctrinally incoherent (and also incoherent with scripture). ›Without separation or division‹ means that no independent human autonomy can be posited in relation to God. ›Without confusion or change‹ means that no divine determinism or monism can be posited between divine and human actions (or better, none that is not asymmetrical). It also means that the two cannot be posited as utimately identical.«249

Die Denkfigur der asymmetrischen Komplementarität bzw. des differenzierten Zusammenhangs nach dem Modell von Chalcedon begegnet sozusagen intentional präventiv zwei Gefahren, nämlich der einer Apotheose des Menschen und der einer sündenpessimistischen Ergebenheit: Dadurch, dass diese Denkfigur auf der Asymmetrie zwischen göttlichem und menschlichen Handeln insistiert und diese Unterschiedlichkeit, die auf der Unterschiedenheit der Handlungssubjekte basiert, auch gar nicht erst durch einen dichten Sprachnebel zu kaschieren versucht, in dem dann alles Handeln »grau« erscheint, begegnet sie der Gefahr einer theologischen Überhöhung, Übersteigerung und letztlich Überforderung des Handelns von Christinnen und Christen. Ebenso wendet sie sich gegen die Gefahr einer theologischen Unterschätzung, Unterbewertung und Unterforderung des Handelns von Christinnen und Christen. Das chalcedonensische Modell bzw. Denkmuster meint keineswegs einfach nur das endlose, Pink-Pong-artige dialektisch-komplementäre, oszillierende Hin und Her zwischen den skizzierten Extremen, sondern beschreibt das verschlungene Ineinander von dialektischen Bewegungen, in die unser Handeln hineingezogen wird, so dass es »zur wechselseitigen Durchdringung der einander ausschließenden Perspektiven«250 kommt. Dies verdeutlicht die folgende Formulierung aus der Tauflehre K. Barths, die »auf der Schwelle« lokalisiert ist, nämlich genau dort, wo sich der Übergang der Entfaltung von der »Geisttaufe« als der Selbstmitteilung des Heil schaffenden Handelns Gottes im Geist und der »Wassertaufe« als einstimmendem Zeugnishandeln des Menschen manifestiert:251 »Die beiden Momente der Begründung des christlichen Lebens – das ›objektive‹ und das ›subjektive‹ – sind ebenso genau zusammen zu sehen wie zu unterscheiden. Nur indem (1) die göttliche Wendung die menschliche Entscheidung als die Umkehr aus der Untreue zur Treue gegen Gott möglich macht und erfordert – und nur indem (2) diese 249 G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 204. Vgl. a. a. O., 224: »Indeterminism exalts the creature at the expense of God; determinism exalts God at the expense of the creature; and dialectical identity exalts the two at the expense of each other (insofar as the creature is divinized or God is humanized as the cost of systematic coordination).« 250 E. Maurer, Rezension zu G. Hunsinger, Disruptive Grace, 955. 251 Auf die kontextuelle Verortung des Zitats weist mit Recht R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 101) hin.

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menschliche Entscheidung ganz und gar in jener göttlichen Wendung ihren Ursprung hat, kommt es zur Begründung christlichen Lebens, zur Existenz eines Gott treuen Menschen. Und nur indem man Beides in dieser differenzierten Einheit sieht, kann man es verstehen. Die Tat Gottes in diesem Ereignis will also streng als solche – und die Tat des Menschen in demselben Ereignis will ebenso streng als solche verstanden sein. Jedes dieser beiden Momente für sich, aber auch in ihrem Zusammenhang und damit das Ganze dieses Ereignisses würde mißdeutet, wenn sie entweder getrennt oder, statt unterschieden, in einer Mischung oder in einer Identität beider gesehen würden. […] Aber eben damit ist gesagt, daß es in dem einen Ereignis der Begründung des christlichen Lebens hier und dort um ein je ganz verschiedenes Handeln zweier unaufhebbar verschiedener Subjekte geht: dort ganz um das Handeln des dem Menschen zugewendeten Gottes – hier, durch jenes ermöglicht und hervorgerufen, ganz um das des Gott zugewendeten Menschen. Dort um Gottes mit seiner Gabe ausgesprochenes Wort und Gebot, hier um den dem Menschen als Empfänger der Gabe Gottes aufgegebenen und von ihm zu leistenden Gehorsam seines Glaubens. Ohne diese Einheit beider in ihrer Unterscheidung gibt es keine christliche Ethik. Und diese Unterscheidung beider in ihrer Einheit einzusehen, ist gerade hier wichtig, wo wir es mit dem Anheben des Verhältnisses zwischen dem in seiner Gnade gebietenden Gott und dem verantwortlichen Tun des diesem Gott dankbaren Menschen und so mit der Begründung des christlichen Lebens zu tun haben – wo es also um die Weichenstellung geht, von deren genauer Richtigkeit nachher alles weitere ethische Überlegen abhängen wird.«252

Bei diesem Zitat handelt es sich gleichsam um eine dichte Beschreibung der »Lösung«. Barth inauguriert eine theologische Handlungstheorie, die das »Beieinander« von Gottes und des Menschen Handeln im Sinne eines »unterschiedenen Beieinanders« zu umreißen versucht, so dass beidem, der Unterschiedenheit und dem Beieinander, Rechnung getragen wird. Das Zeugnishandeln des Menschen, das reaktiv in Gottes Handeln einstimmt und darin das christliche Leben als Dankbarkeit ausweist,253 ist nach Barth ein solches Handeln, das beidem Genüge leistet. 252 K. Barth, KD IV/4, 45. 253 Vgl. ders., KD IV/1, 543: »Wozu ist der Mensch verbunden und verpflichtet? Offenbar gerade nur dazu, sich diese Zuwendung Gottes gefallen zu lassen, in der ihr entsprechenden Freiheit, Freudigkeit und Friedlichkeit zu existieren, und eben darin nur eben dankbar zu sein. ›Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht‹ (Matth. 11, 30). Da ist wirklich keine Überforderung. Da hat die Forderung ganz und gar den Charakter einer Erlaubnis, da mutet Gott ja dem Menschen wirklich nichts ihm Fremdartiges zu, sondern gerade nur das, daß er sei, was er ist: der von ihm geliebte Mensch, daß er sich aus freien Stücken bekenne als der, dem er sich aus freien Stücken zuerst zugewendet hat.« Vgl. zur »Dankbarkeit« als Grundbegriff der Barthschen Ethik H. Gollwitzer, Glaube als Dank, 396 – 408. Vgl. dazu auch K. Barth, KD IV/1, 43: »Wo auf Seiten Gottes nur seine freie Gnade und diese nur als Wohltat in Frage kommt, da kann für den andern Bundespartner, dem Gott in solcher Gnade zugewendet ist, gerade nur das Danken das Richtige sein, dieses aber als das unbedingt und unausweichlich Gebotene. […] Gnade und Dankbarkeit gehören zusammen wie Himmel und Erde. Gnade ruft der Dankbarkeit wie die Stimme dem Echo. Dankbarkeit folgt der Gnade wie der Donner dem Blitz. Gewiß nicht laut eines Zwanges dieser Begriffe

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Barth etabliert durch Anwendung des chalcedonensischen Denkmusters auf die Relation von göttlichem und menschlichem Handeln ein Entsprechungsverhältnis zwischen beiden. Dazu, dass das Handeln des Menschen dem Handeln Gottes entsprechen kann, dazu sind wir in dem Christusgeschehen extra nos, pro nobis und in nobis befreit worden, indem Gott die Möglichkeit, ihm untreu zu bleiben, unmöglich macht: »Untreue gegen Gott wird, indem Jesus Christus pro nobis und also in nobis auf den Plan tritt, eine uns aberkannte und also nicht weiter zu realisierende Möglichkeit, mit der wir nicht mehr rechnen können, die wir durch Gottes in uns selbst sich erhebenden allmächtigen Widerspruch eliminiert, die wir uns genommen sehen […]. Das ist unsere Befreiung durch die in der Geschichte Jesu Christi geschehene göttliche Wendung.«254 Im Christusgeschehen befreit Gott den Mensch zur Freiheit eines mündig sich verantwortenden Christenlebens (vgl. Gal 5,1), indem er die Untreue als Gestalt der Sünde zur »unmöglichen Möglichkeit«, zum schlechterdings Absurden depotenziert, mit dem sich der sündige Mensch »nur unmöglich«255 macht. Im Spiegel des (Friedens-)Handelns Gottes erkennt er sein untreues Verhalten als das Gottes Handeln nicht entsprechende Handeln, das jenseits der ihm von Gott in Christus ermöglichten Möglichkeit des Entsprechungshandelns, also im Bereich des Nichtigen vegetiert.256 Das zuvorkommende Handeln Gottes im Geist ermöglicht das diesem entsprechende menschliche Handeln, indem es diese Möglichkeit eröffnet und in Kraft setzt, ohne dabei ein Konkurrenzverhältnis zwischen beiden zu etablieren, das eines der Handlungssubjekt seiner Handlungsträgerschaft beraubt bzw. diese ausschaltet. Die Allwirksamkeit Gottes, die Barth betont, schließt nicht die Handlungsträgerschaft des Menschen aus, degradiert ihn also mitnichten zu einem bloßen Handlungsobjekt göttlichen Herstellens. Und die antwortende Tat des Menschen tritt als eine dem Handeln Gottes entsprechende Tat nicht in Konkurrenz zu diesem, sondern stimmt vielmehr in diese ein. Genau zu solcher Tat hat das Tun Gottes befreit. Damit führt sie eine doppelte Handlungsträgerals solcher. Wir reden von der Gnade Gottes, der für den Menschen Gott ist, und von der Dankbarkeit des Menschen als seiner Antwort auf diese seine Gnade. Hier jedenfalls gehören beide so zusammen, daß allein die Dankbarkeit der Gnade entsprechen, daß aber eben diese Entsprechung der Gnade nicht ausbleiben kann. […] Hier kommt für den Menschen eben nur Dankbarkeit in Frage; hier ist aber eben Dankbarkeit die vom Menschen notwendig zu vollziehende Entsprechung.« Vgl. auch zum nicht-vergewaltigenden Charakter der Gnade E. Busch, Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, 92; W. Krötke, Gott und Mensch als »Partner«, 158 – 175. 254 K. Barth, Extra nos, 26 (= KD IV/4, 24). 255 Ders., KD IV/1, 465 u. ö. 256 Zur Bezeichnung der von Gott nicht gewollten uneigenständigen Wirklichkeit des Nichtigen als »unmögliche Möglichkeit« vgl. ders., KD III/3, 405 u. ö. Dazu umfassend: M.D. Wüthrich, Gott und das Nichtige.

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Der Friede Gottes als Frieden auf Erden

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schaft, eine regelrechte Duplizität der Aktanten, auf den Plan. Gottes neuschaffendes Handeln erneut und installiert auch die Handlungssubjektivität des Menschen neu: »Der Mensch bleibt nicht nur Handelnder in Gottes Handeln, er wird vielmehr als solcher durch Gottes Handeln an ihm neu in Kraft gesetzt, indem er in die Freiheit geführt wird, Gott an ihm handeln zu lassen und dieses Handeln selbst handelnd zu bejahen. Indem Gott den Menschen ›neuschafft‹, handelt der Mensch selbst.«257 In Barths eigenen Worten: »Die göttliche Wendung, in deren Vollzug einer ein Christ wird, ist ein Ereignis echten Verkehrs zwischen Gott und Mensch. Und so gewiß dieser in Gottes Initiative seinen Ursprung hat, so gewiß wird der Mensch in ihm nicht übergangen, sondern als eigenständiges Geschöpf Gottes ernst genommen – nicht überrannt und überwältigt, sondern auf seine Füße gestellt – nicht entmündigt, sondern mündig gesprochen und auch als mündig behandelt. Es löscht als die Geschichte Jesu Christi des Menschen Lebensgeschichte nicht aus, sondern von jener her wird diese seine neue – aber seine eigene neue Lebensgeschichte. Es wird also die Treue gegen Gott, zu der er aufgerufen wird, nicht nur so etwas wie eine Emanation der Treue Gottes, sondern wirklich seine eigene Treue, seine Entscheidung und Tat sein.«258

257 R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 102. R. Hütter (vgl. a. a. O., 279 – 282) macht das chalcedonensische Denkmuster im Anschluss an Barth für das Programm einer ethischen Ekklesiologie bzw. kirchlichen Ethik fruchtbar, indem er letztere gleichsam in eine Handlungstheorie einlagert, die auf besagtem Denkmuster basiert. 258 K. Barth, Extra nos, 26 f. (= KD IV/4, 25). In ähnlicher Weise wie Barth kann auch H.J. Iwand (Zur Versöhnungslehre) akzentuieren, dass unter inklusionschristologischem Vorzeichen die subjektive Seite der Versöhnung nicht eliminiert, sondern erst in rechter Weise installiert wird. Der Dienst der Versöhnung, den Iwand in Entsprechung zu Barth als den »Dienst der Kirche« (a. a. O., 217) versteht, besteht auch für Iwand (a. a. O., 219 f.) in »der Aufforderung und der Einladung: ›Laßt euch versöhnen mit Gott‹. Die Art und Weise, wie Gott das Werk der Versöhnung an uns heranbringt, geschieht in der Form der Bitte (wie im Abendmahl), zu nehmen, was er für uns bereitet hat. Auch das zeigt eine neue Lage an. Unsere Existenz haben wir uns nicht wählen können, wir haben sie als unsere Bestimmung empfangen. Bei unserer ersten Schöpfung, wenn wir so sagen dürfen, sind wir nicht mitbeteiligt gewesen, da sprach Gott und es geschah. So soll es jetzt nicht sein. Gott will uns dabei haben als die Genossen seines Bundes, als solche, die in seine Hand einschlagen und das Ja des Menschen, des Menschen im neuen Bunde, dazu sprechen, ein Ja, mit dem wir auf das Nein Gottes, auf seine Nichtanrechnung im Glauben antworten und die Versöhnung als Gottes Gnadenurteil annehmen. Gott selbst will seinen Bund mit freien weil befreiten Menschen schließen. Das freie Ja zu seiner Gnade soll das Tor sein, durch das wir ins neue Leben treten […]. Es ist sehr wesentlich, daß dieser Akt der Freiheit in der Kirche nicht verloren geht, denn mit ihm würde die Freude und das Aktuelle der Begegnung mit der Gnade Gottes schlechthin verloren gehen.«

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220 2.2.

»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Chalcedonensische Aspekte des unterschiedenen Beieinanders von göttlichem und menschlichem Friedenshandeln

Als Prüfstein (»test case«259) für seine These vom chalcedonensischen Grundmuster der Theologie K. Barths wendet G. Hunsinger dieses handlungstheoretisch auf Barths Verständnis des göttlich-menschlichen Zusammenwirkens an. In formaler Hinsicht lassen sich bei Barth gemäß G. Hunsinger – entsprechend den eingangs genannten einzelnen Grundmustern (asymmetry, differentiation, and unity) – drei Formalaspekte unterscheiden, als da wären: Asymmetrie, Intimität und Integrität. Sie umschreiben gleichsam die Koordinaten des handlungstheoretischen Anwendungsfeldes »chalcedonensisches Modell«: »[a] Asymmetry is in evidence when Barth speaks of God as absolutely preceding and of humanity as only following, of God as ruling and of humanity as ruled, of what is above and of what is below, of God as transcendent and humanity as lowly. [b] Intimacy is in evidence when we hear of divine actions coinciding with human actions (and vice versa), of their coexistence and coinherence, of their basic unity, of their historical interconnection, of their combination and unity rather than their separation and division (›without separation or division‹ being a direct Chalcedonian allusion), of their ›living divine-human unity.‹ [c] Integrity, finally, is in evidence when we hear of the two coexisting and coinhering without any confusion or mixture (another direct allusion) and without transformation of the one into the other (also a standard Chalcedonian remark).«260

Da es sich – wie gesagt – um Formalaspekte handelt, bedürfen sie gleichsam der »Materialisierung« auf materialethischem Anwendungsgebiet. Im Folgenden soll diese Anwendung des chalcedonensischen Modells bzw. Denkmusters anhand der Friedensethik Barths paradigmatisch vorgeführt werden, um die Leistungsfähigkeit des von Hunsinger nachgewiesenen Interpretaments für eine sachgemäße Darstellung des Barthschen Verständnisses von friedensstiftendem Handeln exemplarisch zu demonstrieren. Zu diesem Zweck wende ich mich neben dem Fragment der Versöhnungsethik Barths (»Das christliche Leben«; KD IV/4) vor allem einem bedeutsamen Dokument der Barthschen Versöhnungsethik zu, nämlich dem bereits mehrfach zitierten Brief Barths an seinen japanischen Kollegen H. Kuwada vom 22. 01. 1963,261 in dem – wie B. Klappert zu Recht feststellt – »im Kern das Anliegen und die Elemente der Versöhnungslehre K. Barths zusammengefaßt sind«262. 259 G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 185. 260 A.a.O., 186 f. 261 In: K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 123 – 127. Zur Barth-Rezeption in Japan und Korea vgl. Y. Amano, Karl Barths Ethik der Versöhnungslehre, 6 – 18.181 – 206; H.-B. Choi, Die Politische Ethik der protestantischen Theologie, 211 – 273. 262 B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 273.

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Der Friede Gottes als Frieden auf Erden

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2.2.1. Asymmetrie Unter dem Aspekt der Asymmetrie wird nach G. Hunsinger »[t]he ontological difference in order between divine and humans actions (which for Barth is ineradicable)«263 fokussiert. Während unter den Aspekten der Intimität und der Integrität den chalcedonensischen Attributen adiaireto¯s und achoristo¯s (»ungetrennt und ungeteilt«) sowie asygchyto¯s und atrepto¯s (»unvermischt und unverwandelt«) Genüge getan wird, geht es beim Aspekt der Asymmetrie um die Vorrangigkeit des Friedenshandelns Gottes und die Nachrangigkeit des menschlichen Friedenshandelns. Unter diesem Aspekt gilt es demzufolge Barths konzeptionelle Vorordnung des Friedens Gottes in Christus gegenüber dem Frieden auf Erden in den Blick zu nehmen. In dem asymmetrischen Verhältnis zwischen beiden Größen liegt – wie Barth in seinem Brief an H. Kuwada ausführt – die Notwendigkeit begründet, zwischen der großen Friedensbewegung Gottes zugunsten der Menschen in Jesus Christus und den kleinen Friedensbewegungen der Menschen zu unterscheiden.264 Um die Asymmetrie, die regelrechte Gebrochenheit zwischen göttlichem und menschlichem Versöhnungshandeln zu extrapolieren, extrahiert Barth zunächst begriffsgeschichtlich, »dass der Begriff ›Frieden‹ in der für Sie [gemeint ist H. Kuwada] wie für mich maßgebenden heiligen Schrift identisch ist mit dem sehr viel umfassenderen Begriff des ›Heils‹.«265 Barth orientiert sich am umfassenden biblischen Friedensbegriff, wie nicht nur der Kuwada-Brief, sondern auch seine biblische Besinnung in dem unter dem Titel »Das christliche Leben« erschienenen Fragment der Versöhnungsethik zeigt. In ihm reflektiert Barth auf den Gnaden- und Friedenswunsch aus dem Präskript, genauer gesagt: der salutatio der paulinischen Briefe: »›Friede‹ ist nicht nur der Gegensatz zu allem Händel, Streit und Krieg zwischen den Menschen in der Gemeinde und wohl auch in der Welt. ›Friede‹ wird im apostolischen 263 G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 208. 264 Vgl. K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 123.126. Vgl. dazu auch K. Barth, Das christliche Leben, 468, wo er von der »kleine[n] menschliche[n] Gerechtigkeit [spricht], die im Unterschied, aber in Entsprechung zu der großen, die Gott geübt hat, übt und noch üben wird, ihr [der Christen; M.H.] Teil und ihre Sache ist.« 265 K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 124 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada). Vgl. ders., KD IV/2, 350 f.: »Wir können sie [die Auferstehung] dem biblischen Begriff von ›Frieden‹ entsprechend auch einfach die Kraft des Heils nennen. Aber das Heil besteht ja im Geschehen der Versöhnung und also in einer Heilung: der Heilung des Risses, der Schließung der Todeswunde, an der die Menschheit – offen oder heimlich jeder Mensch – leidet. Sie besteht in der Aufhebung der Gegensätze: des Menschen zu Gott zuerst, damit aber auch des Menschen zum Menschen und nicht zuletzt des Menschen zu sich selbst. So heißt ›Heil‹ eben doch ›Frieden‹.« Vgl. dazu: H. Falcke, Aspekte der gegenwärtigen Friedensdiskussion, 181; ders., Der prekäre Grenzfall, 35: »Friede ist für ihn [Barth] eine Auslegungskategorie des Heils in Christus«. Vgl. auch H.E. Tödt, Frieden, 261.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Gruß nicht umsonst immer in Zusammenstellung mit ›Gnade‹ und offenbar als Bezeichnung von deren Frucht gebraucht. Ziemlich durchgehend ist der Begriff in großer Nähe zu oder geradezu gleichbedeutend mit dem des mit der Erscheinung des Messias unwiderstehlich kommenden Heils, der in Jesus Christus vollendeten Versöhnung der Welt mit Gott [gebraucht]. So ist ›Friede‹ auch das Wort, mit dem der auferstandene Jesus die Seinigen grüßt (Luk. 24, 36; Joh. 20, 19 ff.). Diesen seinen, den in ihm hergestellten Frieden läßt er, gibt er ihnen (Joh. 14, 27). Diesen Frieden werden sie auf das hin, was er zu ihnen geredet hat, in ihm haben (Joh. 16, 33).«266

Der Begriff »Frieden« wäre für Barth semantisch völlig unterbestimmt, wenn man ihn via negationis lediglich als »Abwesenheit von Krieg« definierte. Das biblische Verständnis von shalom bzw. eire¯ne¯ erweist sich als sehr viel umfassender und qualitativ gehaltvoller als ein solch defizitärer Friedensbegriffs im Sinne eines Gegenbegriffs zum Krieg.267 Dementsprechend käme es Barth zufolge einem begrifflichen Reduktionismus gleich, wollte man behaupten, dass »eine fruchtbare ›Friedensbewegung‹ sich im Kampf gegen den Krieg und für eine nicht kriegerische Ordnung der Beziehungen zwischen den Völkern erschöpfen kann.«268 Würde man dies unterstellen, so würde man nicht nur das »Heil« in biblischer Semantik zu einer rein politischen Kategorie profanisieren, sondern auch das (Friedens-)Politische gleichsam »phänomenologisch« vollkommen unterbestimmt lassen, indem man es lediglich auf einen Zustand bezöge, den man als »Nicht-Krieg« nicht einmal begrifflich positiv fassen würde. Bezogen lediglich auf eine bestimmte Erscheinungsform von Gewalt, müsste politisches Handeln gleichsam zu einer ziel- und damit orientierungslosen Unternehmung degenerieren. Barth wendet sich damit keineswegs grundsätzlich gegen die verschiedenen menschlichen Friedensbewegungen, sondern er möchte diese in Wahrnehmung einer genuin kritischen Solidarität über sich selbst aufklären, indem er optional die Alternative zwischen einer »fruchtbaren« und »unfruchtbaren« Friedensbewegung benennt.269 Erstere erschöpft sich – wie gesagt – nicht im Kampf gegen den Krieg, sondern tritt auch für gerechte Verhältnisse ein.270 Fruchtbar wird sie vor allem dann sein und wirken, wenn sie um das asymmetrische Verhältnis ihrer selbst (als menschlicher Friedensbewegung) zu der Friedensbewegung 266 K. Barth, Das christliche Leben, 122 f. 267 R. Albertz (Schalom und Versöhnung, 16) weist aus exegetischer Perspektive nachdrücklich auf die Diskrepanz zwischen dem Friedensbegriff des Alten und Neuen Testaments und dem in politischen Diskussionen gebrauchten, »modernen« Friedensbegriff hin, der mit diesem »nur teilweise […] in Deckung zu bringen ist.« Vgl. zur begriffsgeschichtlichen Diskussion u. a. M. Hofheinz, Friedenstiften, 378 – 395; E. Otto, Krieg und Frieden; K. Wengst, Pax Romana. 268 K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 124 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada). 269 Vgl. ebd. 270 Vgl. dazu den Abschnitt II.5.3. der vorliegenden Untersuchung.

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Der Friede Gottes als Frieden auf Erden

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Gottes (seiner großen Versöhnung) weiß, die allen menschlichen Friedensinitiativen vorausgeht und Heil im umfassenden Sinne bedeutet. Im »Christlichen Leben« verweist Barth auf den holistischen Begriff von Frieden als Synonym für »Heil«, wie er im paulinischen Gnaden- und Friedenswunsch als dreirelationales Geschehen zur Sprache kommt: »Eire¯ne¯ – mit charis zusammen im apostolischen Gruß (Röm. 1, 7 u. ö.) in einem Atem genannt – ist das durch die Gottesgnade der Versöhnung geordnete Dransein des Menschen vor Gott, mit seinem Mitmenschen und mit sich selbst.«271 Barth verweist diesbezüglich auf die Weihnachtsgeschichte und die Friedensbotschaft des Engels auf dem Felde: Die Dreirelationalität des Friedens »ist prägnant umschrieben in dem nach Luk. 2, 13 f. von der ›Menge der himmlischen Heerscharen‹ in der Geburtsnacht Jesu Christi angestimmten Gotteslob: Das ist die Absicht und der Ertrag der in ihm geschehenen Versöhnung, der Gnadenbund in seiner endgültigen Verwirklichung: daß miteinander, als Eines und Dasselbe, Ereignis wurde und ist: die Ehre Gottes in der Höhe seiner Souveränität und Heiligkeit und in der Tiefe, auf Erden, der den Menschen seines Wohlgefallens von ihm verschaffte Friede, ihr Friede mit ihm und untereinander und in sich selbst.«272

Frieden wird hier als »Ertrag der Versöhnung« definiert. Es geht Barth dabei wohlgemerkt um den Frieden Gottes. Dieser entfaltet sich in den drei Relationen von Gott, Mitmensch und Selbst. Das menschliche Handeln ist hier direkt noch nicht im Blick. Der Friede Gottes impliziert auch den Frieden auf Erden, sofern es beim Frieden Gottes um das umfassende Heil geht: Im Blick auf die verschiedenen Relationen Gott – Mensch – Selbst spricht Barth von den verschiedenen Friedensdimensionen: »[D]ie Kraft der Auferstehung Jesu Christi ist daran zu erkennbar, daß sie den Menschen zugleich, miteinander, in den Frieden mit Gott, in den Frieden mit den Menschen und in den Frieden mit sich selbst treibt. Der Friede, den sie verbreitet, ist unteilbar. […] Wo es an der Wirkung auch nur in einer dieser drei Dimensionen fehlte – auch nur vorläufig fehlte, so daß die Frage offen bliebe, ob und wie sie sich auch in den beiden andern auswirken möchte – da wäre eine andere Kraft am Werk – die Kraft eines Friedens, der irgend ein fauler Frieden wäre, auch wenn er sich unterdessen in der oder jener Richtung noch so lieblich auswirkte.«273 Der Frieden auf Erden verdankt sich dem vorrangigen Versöhnungshandeln Gottes und nicht dem im wahrsten Sinne des Wortes »nachfolgenden« Frie-

271 K. Barth, Das christliche Leben, 33. 272 A.a.O., 45. 273 Ders., KD IV/2, 352.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

denshandeln des Menschen.274 Im Blick auf diese Vorordnung heißt es im »Christlichen Leben«: »Frieden mit sich selbst kann und wird er [der Mensch; M.H.] gerade nur haben, indem er Frieden mit Gott findet. Und Frieden mit Gott kann er gerade nur finden, indem er ihm, der in seinem Wort zu ihm redet, gegen sich selbst – nämlich gegen seine ganze Tendenz zum Frieden zwischen Licht und Finsternis – Recht – und also, auf ihn hoffend, sich selbst Unrecht gibt.«275

Es ist in friedensethischer Hinsicht überaus wichtig, die Vorordnung des göttlichen Friedenshandelns zu betonen. Denn wer die asymmetrische Relation zwischen göttlichem und menschlichem Versöhnungshandeln berücksichtigt, der wird Barth wohl kaum ein ungebrochenes Begründungsgefälle unterstellen dürfen, so als ließe sich die Begründungsstrategie der Barthschen Versöhnungsethik auf den simplen Nenner bringen: »Weil Gott in Jesus Christus die Welt versöhnt hat, deshalb soll das Handeln des Christen auf Versöhnung gerichtet sein.«276 Unterzieht man diesen – wie gesagt – mit Barthscher Versöhnungsethik keineswegs kongruenten bzw. koinzidierenden Satz einer Analyse, so ergibt sich Folgendes: Im Vordersatz wird auf eine bestimmte Tatsache göttlichen Handelns Bezug genommen, dessen ungebrochene Übertragung auf menschliches Handeln dann anschließend erfolgt. Der Nachsatz formuliert damit die direkte Konsequenz für das menschliche Handeln, wobei die »Begründung« gleichsam das schlichte Resultat einer »Abbildung« der horizontalen auf der vertikalen Handlungsebene ist. Diese minimalverkürzte Form ethischer Urteilsbildung 274 Dass der Frieden auf Erden zunächst Gottes eigene Sache ist, bringt die Christenheit in der Bitte um das Kommen des Reiches Gottes zum Ausdruck: Diese Bitte ist »darin eine reine Bitte, daß sie sich an Gott als an den wendet, bei dem ganz allein es steht, daß sein Reich, d. h. er selbst als König und Herr komme, der menschlichen Ungerechtigkeit in ihren beiden Dimensionen und der Herrschaft der Dämonen dazu durch sein Eingreifen ein Ende mache, Frieden auf Erden schaffe unter den Menschen seines Wohlgefallens [vgl. Luk. 2, 14].« Ders., Das christliche Leben, 423. 275 A.a.O., 317 f. Der Abfall von Gott führt nach Barth auf Seiten der Menschen zum Abfall voneinander : Die Not der »alle menschlichen Verhältnisse und Beziehungen innerlich und äußerlich beherrschende[n] und durchdringende[n], vergiftende[n] und zerrüttende[n] Unordnung […] entsteht in der Ungerechtigkeit ihres Abfalls von Gott, der als solcher auch ihren Abfall voneinander, die Verwandlung ihres ihrem Sein mit Gott entsprechenden Miteinander in ein allgemeines Ohneeinander und Gegeneinander unvermeidlich nach sich zieht. In der Beleidigung Gottes begriffen, können sie sich auch gegenseitig nur beleidigen, können sie sich auch untereinander nicht gerecht werden, nicht freigeben, nicht im Frieden miteinander leben. In und mit der Sünde Adams, der sein will wie Gott, ist die Sünde Kains, der Mord des Bruders, schon beschlossen [vgl. Gen. 3, 5; 4, 8]. Die Bestätigung und Wiederholung dieser doppelten Geschichte ist die Weltgeschichte.« A.a.O., 359 f. 276 Diese Art von Pseudo-Begründungen sind nach J. Fischer (Theologische Ethik und Christologie, 481) weit verbreitet in der theologischen Ethik.

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Der Friede Gottes als Frieden auf Erden

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umschreibt im Grunde nichts anderes als eine Spielart des sog. naturalistischen Fehlschlusses277: Die »Direktapplikation« erweist sich als die Deduktion von Sollens-Aussagen aus Tatsachen-Aussagen. Bei Barth wird – wie noch anhand seines Vortrages »Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens« (1952) im Einzelnen vorgeführt werden soll278 – hingegen nicht der »glatte« Weg vom Friedenshandeln Gottes in Jesus Christus hin zum menschlichen Friedenshandeln im Kontext irdischer Macht- und Gewaltkonstellationen eingeschlagen, sondern der »gebrochene« Weg friedensethischer Urteilsbildung betreten.279 In geometrischer Metaphorik gesprochen: Die Asymmetrie von göttlichem und menschlichem Friedenshandeln bildet in Barths Friedensethik sozusagen das systemimmanente Präventiv gegenüber einer verkürzt urteilsethischen Praxis. Aus der Spiegelung der horizontalen auf die vertikale Handlungsebene kann nach Barth in Ermangelung der Bedingung der Möglichkeit keine Achsensymmetrie resultieren, weil die Gegenstände selbst asymmetrische Gebilde darstellen. 2.2.2. Intimität Gottes Friedenshandeln und menschliches Friedenshandeln sind nicht nur streng zu unterscheiden, da ein »unendlich qualitativer Abstand« zwischen beiden besteht, sondern beide bilden – wohlgemerkt unter der Prämisse dieses unendlich qualitativen Abstandes! – einen Zusammenhang, eine Einheit. Davon handelt der Aspekt der Intimität: vom Miteinander und Ineinander göttlichen und menschlichen Friedenshandelns, von ihrer Einheit und Verbundenheit statt Trennung.280 So kann Barth feststellen: »Das Heil, das den Frieden unter den Völkern in sich trägt, ist aber das, was sie am Ende Ihres [gemeint ist wiederum H. Kuwada; M.H.] Briefes als Gottes ›große Versöhnung‹ bezeichnen: die Versöhnung der Welt mit Gott, die die Versöhnung der Menschen untereinander in sich schließt.«281

Der Frieden auf Erden (Frieden zwischen Mensch und Mitmenschen) ist ein Implikat des Heils,282 welches wiederum nach Barths begriffsgeschichtlichem 277 Vgl. dazu: A. MacIntyre, Geschichte der Ethik im Überblick, 229 – 247; ders., Der Verlust der Tugend, 81 – 88; aus theologischer Perspektive: W. Schwartz, Analytische Ethik und christliche Theologie, 102 – 115; A.J. Torrance, On Deriving ›Ought‹ from ›Is‹, 167 – 190. 278 Vgl. Kap. II.1. der vorliegenden Untersuchung. 279 In Bezug auf H.J. Iwands Friedensethik hat G. Plasger (Frieden als Dienst der Versöhnung, 158 f.) diesen Einspruch gegenüber gängigen Interpretationen formuliert. 280 Vgl. G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 187. 281 K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 124 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada). 282 K. Barth (Das christliche Leben, 405 f.) kann variierend auch vom Frieden als Implikat des Kommens des Reiches Gottes sprechen, um zu verdeutlichen, dass der Frieden als Zustand

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

Urteil ein Synonym für Gottes »große Versöhnung« repräsentiert.283 Wie nach Barth das Politische Prädikat der Theologie, die Theologie aber nicht Prädikat des Politischen ist,284 so ist auch der Frieden auf Erden Prädikat dieser großen Versöhnung, die große Versöhnung aber niemals Prädikat des Friedens auf Erden. Die große Versöhnung, die Barth synonym mit dem Begriff des Friedens Gottes gebraucht, steht als genus proximum dem Frieden auf Erden bleibend gegenüber. Zugleich aber geht von der großen Versöhnung definitorische Kraft aus, die den Frieden auf Erden überhaupt erst definibel erscheinen lässt. Was nach Barth vom Begriff der »Liebe« als Definiendum zu sagen ist, gilt entsprechend auch vom Begriff der Liebe: »Wir wissen nicht, was Liebe ist. Wir haben zu lernen, indem wir Gott zu erkennen lernen. Seine Liebe ist eine andere als die menschliche. Und wir werden uns offen halten müssen dafür, daß sie unserem Begriff von Liebe widerspricht.«285 Ohne das genus proximum der »großen Versöhnung« bliebe »der Frieden auf Erden« Definiendum ohne Definiens, Interpretandum ohne Interpretament. Als differentia specifica, also als spezifisches, innerhalb ein und derselben Gattung vorfindliches arteigenes Unterscheidungsmerkmal, sprich: als spezifizierende Artkennzeichnung,286 fungiert der Verweis auf die spezifischen Relationen: Während der Frieden auf Erden (als Implikat des Friedens Gottes) das Verhältnis Mensch – Mitmensch betrifft, betrifft der Frieden mit Gott bzw. der Frieden im Himmel (ebenfalls als Implikat des Friedens Gottes) das Verhältnis Gott – Mensch. Barth schreibt an H. Kuwada:

283 284 285 286

unzureichend erfasst ist, sondern ein prozessural-dynamisches Geschehen meint: Gott »kommt und mit ihm jener ›Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens‹ (Luk. 2, 14), d. h. unter den von ihm erwählten, geschaffenen, geliebten, geretteten und bewahrten Menschen. Dieser Friede auf Erden, verwirklicht, indem Gott selbst als König und Herr kommt und ihn schafft und aufrichtet, ist das Reich Gottes. […] Das Reich Gottes ist nicht auszusagen. Es ist gerade nur wirklich, indem es geschieht, daß Gott selbst als König und Herr kommt, Gerechtigkeit in unserem Verhältnis zu ihm und in unseren Verhältnissen zueinander begründet und so den Frieden auf Erden schafft. Und es ist gerade nur darin wahr, d. h. als wirklich erkennbar, daß Gott selbst sich in diesem seinem Kommen und Schaffen offenbart, redet und von Menschen vernommen wird.« Vgl. zum Verhältnis von Eschatologie und Frieden bei Barth W. Lienemann, Reich und Geschichte, 372 – 379. H.W. Wolff (Jesaja 53 im Urchristentum, 28) umschreibt den Begriff shalom (Jes 53,5) in Übereinstimmung mit K. Barth als die »Fülle des mit Gott versöhnten Lebens«. Vgl. auch O. Hofius, Paulusstudien, 12 f.73. Vgl. dazu Abschnitt 0.3.1. der vorliegenden Untersuchung. K. Barth, Gottes Gnadenwahl, 50. Nach der klassisch aristotelischen Definitionslehre bedarf es zu einer Begriffsbestimmung neben der Angabe des genus proximum immer auch der differentia specifica. Aristoteles, Topik I/8, 103b 15 f.; ders., Topik (latinus) VI/5, 143a 15: definitio fiat per genus proximum et differentia specifica.

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Der Friede Gottes als Frieden auf Erden

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»In Jesus Christus sind Gott und Mensch, sind aber auch die Menschen und ihre Mitmenschen schon friedlich, nicht als Feinde, sondern als treue Gefährten und Genossen beieinander. In ihm ist das Heil schon gegenwärtig und wirksam. In ihm ist uns diese Gabe Gottes schon gegeben – wartet sie nur darauf, von uns ergriffen zu werden.«287

Dass der Friede als die große Versöhnung in Christus Gabe Gottes und zwar Gottes bereits gegebene Gabe ist,288 das besagt via negationis zweierlei: a) Der Friede ist keine »schöne Idee«. K. Barth schreibt an seinen Kollegen H. Kuwada: »Was der Welt fehlt, ist die Erkenntnis und das Bewußtsein der menschlichen Verantwortlichkeit gegenüber der Tatsache, daß der Friede keine schöne Idee ist, sondern die Wirklichkeit, die Gott selbst inmitten der Weltgeschichte geschaffen und sichtbar gemacht hat. Der Jammer ist, daß die Völker ihr gegenüber mit geschlossenen Augen und Ohren dahinleben. Solange sie aber die Gabe Gottes nicht sehen und hören, können und werden sie sie nicht ergreifen, und solange sie sie nicht ergreifen, muß es mit vielen anderen Übeln auch immer wieder zum Krieg kommen.«289

Interessanterweise fällt hier mit dem Begriff der »Idee« ein Zentralbegriff der Philosophie Platons, der bekanntlich über das Verhältnis der Einzeldinge der Sinnenwelt (Abbild) zu ihren Ideen (Urbild) nachdachte.290 Bezeichnenderweise grenzt Barth den Friedenbegriff explizit von der Vorstellung einer »schönen Idee« ab. Bereits auf dem Hintergrund dieser Bestimmung entstehen Zweifel an

287 K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 124 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada). 288 Vgl. ders., Das christliche Leben, 99: Frieden ist »als sein [Christi; M.H.] Werk und seine Gabe zu verstehen und zu bezeichnen«. K. Barth (a. a. O., 35) kann auch vom »geschenkten Frieden« sprechen und von dem auf menschlicher Friedensbedürftigkeit basierenden dreirelationalen Widerfahrnis des Menschen als »Gottes und seines Nächsten und sein eigener Feind«: »Daß der Mensch durch das Ja der Gnade Gottes ist, was er ist, schließt nun aber in sich: er ist dessen nicht würdig, von Gott bejaht, geliebt, erwählt, mit ihm versöhnt, durch ihn gerechtfertigt, geheiligt, berufen zu werden und zu sein, Frieden zu haben und zu halten, ein freier Mensch sein zu dürfen. Er ist dessen schlechthin bedürftig, daß ihm Solches widerfährt. Es widerfährt ihm, daß er dieser Mensch sein darf, ohne, ja gegen sein Verdienst, nicht aus seinem Vermögen, sondern in seinem Unvermögen und diesem zum Trotz, nicht indem er dessen wert, sondern indem er dessen ganz und gar nicht wert ist. Indem es ihm widerfährt, wird also auch aufgedeckt, wer und was er ist, sein und bleiben müßte, wenn es ihm nicht widerführe: Gottes und seines Nächsten und sein eigener Feind, ein ausgesprochen Ungerechter und Unheiliger, ein gänzlich Unberufener und also friedlos, kein freier, sondern ein gefangener Mann. Darf er durch Gottes Gnade sein Ja vernehmen und von ihm leben, so findet er sich offenbar eben damit angeklagt, Einer zu sein, der sonst und von sich aus gerade nur Gottes Nein verdiente und vernehmen könnte und an dessen verzehrender Gewalt sterben müßte.« A.a.O., 34. 289 Ders., Briefe 1961 – 1968, 124 f. (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada). 290 Vgl. zur platonischen Ideenlehre etwa Platons Spätdialog »Parmenides«, 128c – 135b.

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der Tragfähigkeit des Platonismusvorwurfs, der insbesondere gegen Barths politische Ethik erhoben wurde.291 Barth versteht unter dem Frieden Gottes bzw. der großen Versöhnung indes keine Idee im Sinne eines Ur- oder Musterbildes, dem die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit nicht oder nur unvollkommen entspricht. Barth setzt vielmehr die Wirklichkeit der Versöhnung voraus: »Es geht um die Versöhnung, die von Gott selbst in der Geschichte Jesu Christi, in seinem Leben und Sterben, schon vollbracht und in seiner Auferstehung von den Toten schon offenbart ist. Es geht also um die Versöhnung, die nicht erst von uns vollzogen werden muß, sondern von Gott schon aufgerichtet ist und deren Licht nicht erst von uns angezündet werden muß, sondern als Gottes Licht schon leuchtet.«292

Barth hat auch die Kirche keineswegs platonisierend gedacht, wenn er sie als Repräsentantin der durch das Versöhnungshandeln bestimmten Menschheit definiert. Denn auch die Kirche repräsentiert kein unmöglich zu realisierendes Ideal. Vielmehr setzt Barth bereits die Versöhnungswirklichkeit voraus, die von der Kirche dargestellt wird.293 Der Friede auf Erden ist keineswegs – sozusagen als Einzelding der Sinnenwelt – nur Abbild zum Urbild bzw. zur Idee des Friedens Gottes, sondern der Frieden auf Erden ist bereits mit dem Frieden Gottes geben. K. Barth folgt streng der weihnachtlichen Friedensbotschaft Lk 2,14, wonach der Frieden auf Erden Implikat des Heilsgeschehens ist, das mit der Inkarnation anhebt. Barth spricht – H. Kuwada zustimmend – vom Frieden als einer »Gabe Gottes, die wie in einer versöhnten Beziehung zwischen Gott und 291 So etwa O. Bayer, Theologie, 364 f.; vgl. auch a. a. O., 313.321 f.335.358. Eine Rezeption der Philosophie Platons schlägt sich neben der Rezeption vieler anderer Philosopheme unterschiedlichster Provenienz unzweifelhaft bei Barth nieder. Die kritische Freiheit dazu nahm sich Barth, der einerseits gelassen darauf hinweisen konnte, dass eine von allem Idealismus gereinigte Theologie »nichts anderes als ein paganistisches Monstrum sein« könne (K. Barth, Schicksal und Idee in der Theologie, 374; vgl. dazu: D. Schellong, Ein gefährlichster Augenblick, 122 ff.), und gleichzeitig deutlich machte, dass »das theologische Denken nicht an eine bestimmte Philosophie gebunden werden« darf. So D. Schellong (Es geht in der Theologie um unser Gottesverhältnis, 17 f.), der auch darauf hinweist, dass der Platonismus-Vorwurf gegen Barth bereits seit Ende der 1920er bis etwa Mitte der 1960er Jahre populär war und zumeist recht undifferenziert ausfiel, indem man Barth pauschal idealistische Denkmuster nachsagte. So unterlässt es auch O. Bayer zu klären, wie Barths Platon-Rezeption sich faktisch gestaltete, inwiefern K. Barth etwa durch die Platon-Interpretation seines »Philosophenbruders« Heinrich Barth beeinflusst wurde und worin sich Barth kritisch von Platon abgrenzte. Vgl. zur Arbeitsgemeinschaft von Karl und Heinrich Barth zur Zeit der Entstehung der beiden Römerbriefkommentare M. Beintker, Die Dialektik in der »dialektischen Theologie« Karl Barths, 222 – 231; J.F. Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus, bes. 400 – 403, und B.L. McCormack, Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, 216 – 226. 292 K. Barth, Brief 1961 – 1968, 124 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada). 293 Vgl. H.-P. Grosshans, Universale Versöhnung im geschichtlichen Vollzug, 115.

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den Menschen, so auch in einer entsprechend versöhnten Beziehung zwischen Mensch und Mitmensch«294 besteht. Es handelt sich um die Wirklichkeit der großen Versöhnung Gottes in Jesus Christus, die bereits vollbracht und – weil sie bereits am Kreuz vollbracht (Joh 19,30) und in der Auferstehung Jesu Christi schon offenbar wurde – nun auch gegenwärtig in Kraft ist:295 Die Versöhnung der Welt mit Gott »und also dieser Friede ist offenbar in Jesu Christi Auferstehung von den Toten. Und so ist deren Kraft die Kraft, Frieden zu verbreiten: auf Erden den im Himmel beschlossenen, vom Himmel auf die Erde gekommenen, und auf der Erde schon geschlossenen Frieden.«296 Dass Gott in Christus »alle seine und unsere Feinde« überwunden hat, bedeutet nach Barth im Resultat die Befriedung der Welt mittels dieser Entfeindung: »Nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Krieg hat nun ein Ende.«297 Der Frieden ist demzufolge bereits in Christus Wirklichkeit: »Er ist unser Friede« (Eph 2,14). Diese Christusprädikation ist nach Barth zugleich – wie gezeigt wurde – im Sinne der uns einschließenden Heiligung als inklusive Christusprädikation zu verstehen,298 ja sogar als Weltprädikation, wobei diese unter der conditio der de iure/de facto-Distinktion steht. De facto gilt von den Christenmenschen, was de iure für alle Menschen gilt: »Sie haben die Freiheit, keine Feinde zu kennen, vor denen sie sich fürchten müssen.«299 Keine Feinde zu kennen, bedeutet, sich nicht fürchten zu müssen, und so kann K. Barth im sog. »Kalten Krieg« den Betroffenen immer wieder zurufen: »Fürchtet euch nicht!«300 Dieser auf »Entängstigung«301 abzielende und die »absolute[] Grundlosigkeit«302 der Feindschaft anzeigende Zuruf repräsentiert gleichsam das Motto der von Barth intendierten Aufklärung über die realen Herrschaftsverhältnisse, die mit der Versöhnung der Welt in Christus einhergehen. 294 K. Barth, Brief 1961 – 1968, 123 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada). 295 Vgl. auch die Akzentuierung der Friedenswirklichkeit als die die gesamte Weltgeschichte bestimmende Wirklichkeit durch H.J. Iwand, Ausgewählte Predigten, 285 (Predigt vom 20. 4. 1957 zu 2Kor 5,19 – 21): »Eigentlich müßte, wenn wir den Apostel recht verstehen, der Karfreitag der große Freudentag der Welt sein, wir dürfen uns gar nicht versammeln hinter verschlossenen Türen, sondern müßten selbst hinausgehen und alle hereinholen, damit sie es auch hören und vernehmen, daß heute Friede ist, Friede in Gottes großem, weitem Königreich, Freude auf der ganzen Erde! Friede gerade im Zeichen und Angesicht des einen Menschen, des Menschen Jesus Christus, der da am Kreuz hängt.« 296 K. Barth, KD IV/2, 350. 297 EG 179,1 (»Allein Gott in der Höh sei Ehr«). 298 Vgl. Abschnitt I.2.1.3. der vorliegenden Untersuchung. 299 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 29. 300 Barth leitet aus den globalen Gefahren im Ost-West-Konflikt – insbesondere für Mitteleuropa aufgrund seiner exponierten geostrategischen Lage – keine »Heuristik der Furcht« ab. Anders als für H. Jonas (Das Prinzip Verantwortung) bedarf es für Barth keines »neuen kategorischen Imperativs«, der gleichsam zukunftsgerichtet gegen die gegenwärtige Kri-

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Gleichwohl gilt, wie H.-G. Geyer hervorhebt: »[D]ie Erfahrungen des geschichtlichen Lebens sprechen noch immer eher mehr für die Richtigkeit der Hypothese vom Kampf ums Dasein oder vom Krieg als dem Vater aller Dinge als für die Wahrheit des ›Wortes von der Versöhnung‹ (2Kor 5,19) – wenn für Wahrheit, wie selbstverständlich, empirische Plausibilität genommen wird.«303 Da aber Wahrheit und empirische Plausibilität nicht in eins fallen, sondern die Versöhnung die Wirklichkeit zu ihrer Wahrheit gebracht hat und deshalb als wahre Wirklichkeit bezeichnet werden kann, gilt fernerhin nach Barth: Die Versöhnungswirklichkeit kann durch den keineswegs zu marginalisierenden Umstand, dass die Menschheit seit Jahrtausenden – mit Hobbes gesprochen – im »Krieg aller gegen alle«304 lebt, keineswegs aufgehoben werden. Vielmehr muss – noch einmal mit H.-G. Geyer gesprochen – festgehalten werden: »Wenn diese Welt durch die Passion des Sohnes und die Aktion des Vaters am Kreuz Jesu Christi endgültig Gottes Welt geworden ist, dann hat allen Organisationen, Instrumentarien, Strategien und Praktiken ›todesmutiger‹ Feindschaft und liebloser Feindseligkeit mit der Todesstunde Jesu Christi auf Erden bereits die letzte Stunde geschlagen.«305

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sensituation entworfen wird, sich also vorrangig an den vorhandenen Ängsten orientiert: »Es ist Vorschrift, primitiv gesagt, daß der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung« (a. a. O., 70). D.h. nun nicht, dass Barth blind gegenüber der Menschheitsbedrohung etwa durch atomare Waffen war, sondern dass Barth im Gegenteil darauf insistiert: Erst auf der Grundlage des Heilszuspruchs Jesu Christi »Fürchte dich nicht!« ist eine sachgemäße Situationsanalyse möglich, die die Wirklichkeit in ihrer Wahrheit erst wahrnimmt, d. h. also das Perfectum der Versöhnung aus Angst vor den Atomwaffen nicht ausblendet, sondern gerade auf dem Hintergrund der Versöhnungswirklichkeit gegen die Atombewaffnung plädiert und protestiert. Zur theologischen Auseinandersetzung mit H. Jonas’ Prinzip der Verantwortung vgl. auch W. Lienemann, Hoffnung aus der Ohnmacht; H.G. Ulrich, Hoffnung und Verantwortung, 26 – 37. So M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 160.163; ders., »Das Volk Gottes im Weltgeschehen«, 101. H.-G. Geyer, Wahre Kirche?, 492. Dort kursiv. Ders., Anfänge zum Begriff der Versöhnung, 212. Geyer (ebd.) fährt fort: »Bis zur Stunde vermag die Betrachtung der Geschichte des Menschengeschlechts nicht einen einzigen überlegenen Beweisgrund gegen den Satz aufzubieten, daß die Sprache der Weltgeschichte die Sprache des Brudermordes und Brüderlichkeit nur die Ideologie seiner Agenten sei.« Der Krieg aller gegen alle (bellum omnium in omnes) ist nach T. Hobbes (De cive I,12) der natürliche Zustand, der aus dem natürlichen Recht aller »auf alles« (De cive I,10) folgt. K. Barths (Briefe 1961 – 1968, 124 f.) Formulierung aus seinem Brief an H. Kuwada: »Der Jammer ist, daß die Völker ihr [der Friedenswirklichkeit; M.H.] gegenüber mit geschlossenen Augen und Ohren dahinleben«, mag auf den ersten Blick ähnlich pessimistisch anmuten. Dass Barths Ausführungen hingegen im Gegensatz zu Hobbes nicht auf eine Prinzipialisierung des Bösen oder einen Legalismus hinauslaufen, welche sich nach Hobbes aus der Notwendigkeit des Zwangs und der Kontrolle durch den Staat ergeben, auf den die Menschen ihr natürliches Recht zur Bändigung des unaustilgbar Gemeinschaftswidrigen und Apolitischen in ihrer Natur übertragen, dürfte anhand der folgenden Ausführungen evident werden. H.-G. Geyer, Wahre Kirche?, 491.

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In seinem 1949 gehaltenen Vortrag »Die Kirche zwischen Ost und West« bemerkt K. Barth mit Blick auf den sich damals immer stärker herauskristallisierenden Antagonismus der Blocksysteme, den Barth durch die Versöhnung in Christus verunmöglicht sieht und ihm deshalb mit einem »entschlossene[n] Nein«306 und einem »energische[n] Ruf zum Frieden«307 begegnet:308 »Wir werden vor allem zu bedenken haben, daß wir über einen Vorgang wie diesen [gemeint ist die Frontbildung zwischen Ost und West; M.H.] als Christen zwar erschrecken mögen, daß wir uns aber nicht eigentlich darüber wundern und entsetzen, daß wir uns inmitten dieses Vorganges unter keinen Umständen fürchten können.«309 Dementsprechend beantwortet Barth auch in seiner Radioansprache mit dem Titel »Was sollen wir denn tun?« (1952) die damit gestellte Ausgangsfrage: »Ich denke vor allem, wir sollten nicht soviel Angst haben: vor den bösen Absichten des andren nämlich! Natürlich kann man in der heutigen Welt Angst haben. Aber man kann noch manches, was man dann eben doch nicht tun soll. Wer heute Angst hat, der will eigentlich schon den Krieg, und das merkt dann der andere, – ob seine Absichten gut oder böse seien –, bekommt auch Angst und will dann auch den Krieg.«310

b) Der Friede ist kein utopisches Ideal.311 Weil der Friede bereits Wirklichkeit ist, deshalb bedarf es nicht der Beschreibung De optimo statu rei publicae deque nova insula Utopia als literarische Inszenierung eines bestimmten Vorstellungsmusters mit Gebrauchswert, also nicht der Proklamation eines ortlosen Ortes, eines imaginierten Fernzieles, das im leitbildgesteuerten Vorgriff den status quo transzendiert. Anders als etwa bei Thomas Morus ist gerade nicht die Renaissance-Utopie der kritische Maßstab für die gegenwärtige Friedenswahrnehmung und Friedensgestaltung,312 sondern die Wirklichkeit des Friedens K. Barth, Der Götze wackelt, 129 (Die Kirche zwischen Ost und West, 1949). Ebd. Vgl. B. Klappert, Theologie im Kontext, 78; ders., Versöhnung und Befreiung, 99. K. Barth, Der Götze wackelt, 128 (Die Kirche zwischen Ost und West, 1949). A.a.O., 160 (Was sollen wir denn tun?, 1952). Gegen den Einzug utopischen Denkens in die theologische Friedensethik macht H.G. Ulrich (Frieden als Thema einer Ethik des Politischen, 82; so auch a. a. O., 78) geltend, dass mit der biblischen Vorstellung vom Frieden als »Frucht der Gerechtigkeit« (Jes 32,17) die konkrete Bedingung zu friedensstiftendem politischem Handeln genannt ist: »Besonders wichtig ist vor allem die Erkenntnis, daß Friede eine ›Frucht der Gerechtigkeit‹ ist – was nichts anderes besagt, als daß der Friede keine Utopie ist, sondern – im Medium der Gerechtigkeit – realisiert werden kann. Gerechtigkeit ist die konkrete Bedingung, die dem politischen Handeln anvertraute Bedingung, Frieden zu ›schaffen‹.« Zur Kritik an einer utopischen Eschatologie, die von einer pneumatologischen Eschatologie abzugrenzen ist, vgl. auch R. Hütter, Ecclesial Ethics, the Church’s Vocation, and Paraclesis, 435. 312 Vgl. T. Morus, Utopia, 120: »Den Krieg verabscheuen die Utopier aufs höchste als etwas ganz Bestialisches, womit sich jedoch keine Art wilder Bestien so beständig beschäftigt wie der Mensch. Entgegen der Sitte beinah aller Völker halten sie nichts für so unrühmlich, als 306 307 308 309 310 311

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Gottes selbst. Die Utopie als »Kritik dessen, was ist, und […] Darstellung dessen, was sein soll«313, erweist sich für Barth als überflüssig, denn die Erde gestaltet sich nicht als Schauplatz eines idealen Gemeinwesens, sondern als Ort des vollbrachten Versöhnungshandelns Gottes in Christus. Weil »er unser Friede ist« (Eph 2,14) und wir in ihm Frieden haben, deshalb gilt: Der Friede ist nicht »ohne Ort«, kein »Nicht-Ort« (u-topisch). Er ist kein Ausdruck für die Irrealität eines fiktiven Schauplatzes. Er umschreibt kein phantastisch-unwirkliches »Nirgendsland«. Deshalb ist der Friede auch anders als die Utopie nicht dazu verdammt, »in den Spott des Politikers mit Gründen zu verfallen«314, der mit dem Frieden eine »Träumerei eines überspannten Kopfs«315 assoziieren mag.316 Ebenso wenig ist er dazu verdammt, mit einer bestimmten historischen Machtkonstellation, die politischem Kalkül entspringt, etwa der Pax Romana oder gegenwärtig der Pax Americana identifiziert zu werden: »Weil er sich ›bewacht‹ weiß durch den Frieden Gottes, der höher ist alle Vernunft (Phil. 4, 7), darum – und nicht wegen irgendwelcher direkter Bedenken – kann die Pax Romana einem Paulus ›nicht als ein Allerletztes‹ imponieren.«317 Die biblische Botschaft von der bereits erfolgten Versöhnung der Welt in Christus und nicht die Projektion eines utopischen Bewußtseins bzw. die ideengeschichtliche Propagierung einer ethischen Norm bildet die Basis von Barths Haltung zum Weltfrieden. Denn weil der Friede Gottes Gabe ist, deshalb können Menschen diese Gabe ergreifen, um ergreifend einzustimmen in den Frieden Gottes. Wo solches geschieht, da wird die Intimität des göttlichmenschlichen Zusammenwirkens im Friedenshandeln, mithin eine Koinzidenz (nicht nur Koexistenz!) von menschlichem und göttlichem Friedenshandeln im Sinne der chalcedonensischen Attribute adiaireto¯s und achoristo¯s318 transparent. Das Zugleich von Integrität und Intimität bzw. – um in der Terminologie des Chalcedonense zu bleiben – von »unvermischt und unveränderlich« einerseits und »ungetrennt und unteilbar« andererseits erhält unter diesem Aspekt sprachlichen Ausdruck. Es geht bei diesem Aspekt um das Mit- und Ineinander

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im Krieg Ruhm zu suchen«. Christlicher Friedensutopismus sah gerade in der messianischen Weissagung der Völkerwallfahrt zum Zion (Jes 2,2 – 4) eine »getaufte« Umschreibung von »Utopia«. So lautet das geistesgeschichtliche Urteil E. Blochs (Das Prinzip Hoffnung, 578): »Hier [Jes 2,4; Mi 4,3 f.] ist das Urmodell der pazifizierten Internationale, die den Kern der Stoa-Utopie ausmacht: mit realem Einfluß lag die Jesajas-Stelle [sic!] sämtlichen christlichen Utopien zugrunde.« M. Horkheimer, Anfänge der bürgerlichen Geschichtsphilosophie, 244 f. I. Kant, Streit der Fakultäten, A 157. Ebd. Vgl. H.-G. Geyer, Anfänge zum Begriff der Versöhnung, 212: »Sehnsucht nach Frieden ist nicht an sich schon Bereitschaft oder Fähigkeit zum Frieden«. K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 25 f. Vgl. ders., Das christliche Leben, 377. DH 302.

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von göttlichem und menschlichem Friedenshandeln ohne Verwechslung oder Vermischung beider Größen und ohne Verwandlung der einen Größe in die andere, was entweder zu einer Profanisierung des Friedenshandelns Gottes oder zu einer Vergöttlichung des menschlichen Friedenshandelns führen würde.

2.2.3. Integrität Der Aspekt der Integrität bringt die chalcedonensischen Attribute asygchyto¯s und atrepto¯s und damit den distinguierenden Charakter als einen Wesenszug des chalcedonensischen Paradigmas im Allgemeinen und der Barthschen Zuordnung von göttlichem und menschlichem Versöhnungs- und Friedenshandeln im Besonderen zur Sprache. Dadurch, dass hier sehr wohl auch unterschieden wird, kann Barth den Unfrieden auf Erden wahrnehmen, statt ihn realitätsblind zu bagatellisieren. Es gilt also im Blick auf beide Größen nicht nur die Verbundenheit (Intimität), sondern auch die Unterschiedlichkeit (Integrität) zu betonen. Von letztem Aspekt war implizit vielfach schon unter dem Aspekt der Asymmetrie die Rede, so dass hier eine erneute Nennung lediglich wiederholenden Charakter hätte und an dieser Stelle eher zusammenfassende Bemerkungen angezeigt sind. Der wesentliche Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Friedenshandeln besteht darin, dass die Gabe der »großen Versöhnung« göttlichem Friedenshandeln entspringt, ja göttliches Friedenshandeln ist, in das menschliches Friedenshandeln lediglich einstimmen bzw. ihm entsprechen kann. Die Integrität (Unterschiedlichkeit) wie die Intimität (das Mit- und Ineinander) von göttlichem und menschlichem Friedenshandeln sind Barth zufolge durch die göttliche Gabe des einen Friedens gegeben, von dem Barth als Perfectum und Futurum sprechen kann.319 Gott gibt diesen einen Frieden als Frieden zwischen Gott und Mensch und Mensch und Mitmensch so, dass menschliches Friedenshandeln, wenn es in dieses sich in der einen Friedensgabe realisierende Friedenshandeln Gottes einstimmt, zugleich Frieden mit Gott und Frieden mit dem Mitmenschen sucht und für ihn sorgt: »Sie [die Kirche; M.H.] glaubt und verkündigt den Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft und der eben darum die menschliche Vernunft umfaßt und beieinander hält, der dafür sorgt, 319 Vgl. K. Barth, Das christliche Leben, 468 f.: Die Christen »kennen ja den Gott, der dem Menschen Recht, Würde, Freiheit, Frieden und Freude schon geschaffen hat und in Herrlichkeit noch schaffen will und wird. […] Sie leben ja auch nicht von dem Besseren, das ihnen dabei sicher auch nicht einfach abgeht und das sie gelegentlich auch Anderen zugute auf den Plan zu stellen in der Lage sein mögen, sondern ganz allein von der Hoffnung und also von der Verheißung, daß Menschenrecht und Menschenwürde, Freiheit, Frieden und Freude keine Chimäre, sondern von Gott in Jesus Christus schon verwirklicht ist und in ihrer Verwirklichung endlich und zuletzt wieder in ihm offenbar werden wird.«

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daß wir nicht auf Grund unvernünftiger Vernünfteleien übereinander herfallen, der also auch für den menschlichen Frieden sorgt.«320 Indem menschliches Friedenshandeln göttlichem auf diese Weise entspricht, verhalten sich göttliches und menschliches Friedenshandeln »unvermischt und unveränderlich« sowie »ungetrennt und unteilbar« zueinander. Eine Vermischung von göttlichem und menschlichem Friedenshandeln wird ebenso unterbunden, wie eine Trennung des göttlichen und des menschlichen Friedenshandelns vermieden wird. Weder erfolgt eine Dichotomisierung der einen Friedensgabe zu einem Frieden zwischen Gott und Mensch einerseits und zu einem Frieden zwischen Mensch und Mitmensch andererseits, noch eine Vereinheitlichung, die die Unterscheidung in die doppelte Aspektuierung bzw. Relationierung von Frieden zwischen Gott und Mensch sowie Frieden zwischen Mensch und Mitmensch etwa durch Duplikation eines Aspekts in Frage stellt. Mittels des chalcedonensischen Grundmusters bringt Barth die Integrität des Friedenshandelns im Intimität und Integrität wahrenden Zusammenwirken von Gott und Mensch zur Sprache. Hätte Barth nicht an dieser Integrität festgehalten, sondern das göttliche und das menschliche Friedenshandeln einseitig entweder identifiziert oder separiert, dann hätte er nicht in den Schrecken des Zweiten Weltkrieges davon sprechen können, dass der Krieg auf Erden in Christi Frieden seine Grenze findet. So aber kann Barth den »Christen in Deutschland« in seiner »Weihnachtsbotschaft«321 im Jahr 1941 über den Londoner Rundfunk die Verheißung zusprechen: »Das ist die große Verheißung, uns Christen gegeben, aber für die ganze Welt gültig: daß es keine menschliche Lüge, Anmaßung und Unordnung gibt, die nicht in seiner Wahrheit, in seiner Gerechtigkeit und in seinem Frieden ihre Grenze hätte. Das ist unsere große Freiheit, in der Welt – auch in der Welt des politischen Geschehens – darum keine Angst haben zu müssen, weil er [Christus; M.H.] sie überwunden hat.«322

Wenn anders das Friedenshandeln Gottes mit dem des Menschen deckungsgleich wäre, müssten auch das kriegerische Handeln Gottes und das des Menschen deckungsgleich sein. Weil Barth hingegen menschliches und göttliches Handeln unterscheidet, kann er auch zwischen dem kriegerischen Handeln des Menschen und dem Friedenshandeln Gottes unterscheiden und auf der Grundlage dieser Unterscheidung beide so zueinander in Beziehung setzen, dass beide »Wirklichkeiten« – weil einander wechselseitig begrenzend – in einem Spannungsverhältnis nebeneinander bestehen. Hätte Barth beide voneinander 320 Ders., Der Götze wackelt, 141 (Die Kirche zwischen Ost und West, 1949). 321 Vgl. zum zeitgeschichtlichen Hintergrund E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 407 – 444; ders., Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrates, 182 f. 322 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 325 (An die Christen in Deutschland, Weihnachten 1941).

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separiert, so wäre es infolgedessen unmöglich gewesen, beide zueinander in Beziehung zu setzen. Dass nicht nur eine »Wirklichkeit«, also entweder das kriegerische Handeln des Menschen oder das Friedens- bzw. Versöhnungshandeln Gottes, besteht, lässt sich zugleich tröstend (parakletisch) und ermahnend (paränetisch) zur Sprache bringen: Es gibt neben der Wirklichkeit des Krieges auch die diese Realität relativierende wahre Wirklichkeit des Friedens Gottes in Christus; es gilt, das Nebeneinander von Kriegs- und Friedenswirklichkeit, das einen deutlichen Widerspruch markiert, zugunsten der Friedenswirklichkeit aufzuheben. Der Impetus, den Barths Friedensethik gibt, zielt darauf ab, dass die bereits versöhnte Welt in Konformität zu ihrem wahren Wesen gebracht wird. Auch für Gottes Friedenshandeln gilt mithin: »Sein Handeln kreist nicht um sich selbst, sondern es zielt auf unser Handeln, auf eine Konformität unseres Handelns mit dem seinigen.«323 Dementsprechend gilt wiederum für die Friedensethik: Sie »bedenkt die konkrete Konformität des Glaubens mit der von Gott ins Werk gesetzten und verheißenen Wirklichkeit.«324

2.3.

Abschließende Bemerkung

Summierend lässt sich festhalten: Barths Vorstellung vom Zusammenhang göttlichen und menschlichen Friedens- und Versöhnungshandelns ist von einem durch das Chalcedonense vorgegebenen Denkmuster geprägt. Die handlungstheoretische Zuordnung geht von einem Verhältnis der Asymmetrie, Intimität und Integrität zwischen Gottes und des Menschen Friedens- und Versöhnungshandeln aus.325 Das Friedens- und Versöhnungshandeln gehört mithin zu jenem Tun, das Barth in jener das chalcedonensische Paradigma mustergültig entfaltenden Bemerkung wie folgt charakterisiert: »Es ist vielmehr Gottes eigenes Tun, das als solches auch in dem besten menschlichen Tun, z. B. auch in dem Tun des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche nicht aufgeht, sich auch nicht mit ihm vermischt, geschweige denn identifiziert, das auch ihm gegenüber selbständig, frei bleibt und gerade in dieser seiner Reinheit und Freiheit Gottes gnädiges, versöhnendes und endlich erlösendes Tun ist: im christlichen Glauben als solchem dankbar, freudig und demütig zu bejahen, von der christlichen Kirche als solcher kühn und streng zu verkündigen, aber ohne, sei es dem Tun des Glaubens, sei es dem der Kirche, gleich zu werden. Und so ist es umgekehrt kein solches göttliches Werk, zu dessen Anheben, Fortgang und Vollendung irgendwelche menschliche Mitwirkung in Frage käme und postuliert werden müßte, das wohl ohne Beistand von 323 K. Barth, Evangelium und Gesetz, 7 f. 324 M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 174. 325 Vgl. G. Hunsinger, How to Read Karl Barth, 223.

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»Lasst euch versöhnen mit Gott«

irgendwelchen Menschen gar nicht zu Stand und Wesen kommen könnte. Es ist vielmehr ganz allein Gottes Werk, das vom Menschen, indem es ihm offenbar wird, wohl im Glauben erkannt, dankbar begrüßt und gepriesen und dann bezeugt und verkündigt, in keinem Sinn aber in eigenen Betrieb übernommen, durch sein eigenes Tun gefördert, ergänzt und womöglich verbessert werden könnte.«326

Um Barths Verhältnisbestimmung von göttlichem und menschlichem Friedenshandeln abschließend zu würdigen, halte ich Folgendes fest: Durch die friedensethische Anwendung der des chalcedonensischen Denkmusters gelingt Barth ein Doppeltes: das Friedenshandeln Gottes und das menschliche Friedenshandeln auf Erden können versöhnungsethisch im Sinne eines differenzierten Zusammenhangs so expliziert werden, dass beide weder im Sinne eines Zwei-Sphären-Denkens voneinander isoliert, noch im Sinne eines unkritischen Einheitsdenkens einfach miteinander identifiziert werden. Barths Theorie des Friedenshandelns verhält sich also nach zwei Seiten hin kritisch: a) gegenüber einer Perpetuierung des Unfriedens, die aus einem Zwei-Sphären-Denken resultiert, das fatalistisch die Welt den Übeln des Unfriedens, den Mächten des Nichtigen, überlasst, gerade so aber eine praktische Prinzipialisierung des Bösen betreibt, und b) gegenüber einer Perpetuierung des Unfriedens, die aus einem Einheitsdenken resultiert, welches den Unfrieden nur als Derivat des einen umfassenden Friedens interpretiert und damit verharmlost. Insbesondere die Betonung des Gabe-Charakters des Friedens wendet sich gegen eine Verharmlosung des Unfriedens, die jenes prometheische Pathos produziert, demzufolge der Mensch selbst den »ewigen Frieden« herstellen kann. Barths Friedensethik zeichnet sich diesem autopoietischen Pathos gegenüber durch ein Pathos des kritischen Neins zu den Extremen aus. Letzteres erschöpft sich aber nicht in der Destruktion, sondern vermag auch das konstruktive Ja zum Ausdruck zu bringen, das das Nein zu den Extremen einschließt. Dieses je nach Situation und Casus affirmativ oder negierend daherkommende Pathos ist das Pathos der positiven Freiheit. Barths Theorie des Friedenshandelns bewegt sich damit im Zwischenraum – dem Raum der in Christi bereiteten Freiheit – zwischen den aufgezeigten Extremen, ohne ihren Absolutismen nach irgendeiner Seite zu erliegen. Sie ist in diesem Zwischenraum verortet und will dort den »Kurs« zwischen Skylla und Charybdis hindurch halten. Im Blick auf menschliches Friedenshandeln betont sie die ermöglichende und orientierte Kraft der sich selbst vermittelnden Versöhnungsbotschaft, des »vollendeten Werkes und des gesprochenen Wortes Gottes, dessen Kraft und Licht die einzige, aber siegreiche Friedenshoffnung ist.«327

326 K. Barth, Das christliche Leben, 410. 327 Ders., Briefe 1961 – 1968, 126 (Brief vom 22. 1. 1963 an H. Kuwada).

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3.

Vicit agnus noster, eum sequamur. Die Nachfolgekonzeptionen Karl Barths und John H. Yoders im Vergleich

1.

Einleitung

Wie wir im vorausgegangenen Kapitel (I.2.) gesehen haben, geht Barth im Blick auf seine christologische Grundlegung der Friedensethik von der »Wirklichkeit des neuen Menschen« aus: »Sie ist vertrauenswürdiger als jede andere Wirklichkeit.«1 Der neue Mensch als homo pacis und nicht etwa der allgemein sittliche Mensch umschreibt das eigentliche Subjekt der Friedensethik Barths, die in diesem Sinne als theologische Anthropologie, genauer : christologisch explizierte Theanthropologie zu verstehen ist. Indem sie nach Jesus Christus als dem neuen Menschen fragt, in dem das Sein des neuen Menschen als homo pacis zugleich gesetzt ist, markiert sie den Ort, an dem die wahre, gemeinsame Geschichte von Gott und Mensch als die Geschichte ihrer Versöhnung beginnt. Die Aussage, dass Jesus Christus unser Friede ist (Eph 2,14), verweist auf seine Person, d. h. deren Status als neuer Mensch, und zugleich auf sein Werk der Heiligung, das im Friedenstiften resultiert (vgl. Eph 2,15). Gott stiftet in Jesus Christus Frieden, indem er den »neuen Menschen« in dem dreifach aspektuierten Versöhnungsgeschehen der Rechtfertigung, Heiligung und Berufung heraufführt. Die Wirklichkeit des neuen Menschen umschreibt die in und durch Christus neu geschaffene Existenz des homo pacis, dessen Menschsein sich im Raum von Kirche und, weil im Raum von Kirche, darum auch im Raum der Welt realisiert. Friedensethik gründet als Ethik des neuen Menschen als homo pacis in der Wirklichkeit der umfassenden Partizipation an Jesus Christus, wie sie für das Sein der nova creatura konstitutiv ist. Dass der neue Mensch sein Sein in Christus hat, besagt Barth zufolge, dass er in Christi Nachfolge versetzt ist: »Ein neuer, der wahre Mensch, ist in Jesus Christus dynamisch auf den menschlichen Plan getreten, Umkehr und Nachfolge nicht nur anbietend, sondern in der belebenden Macht seines Heiligen

1 K. Barth, Die Wirklichkeit des neuen Menschen, 8.

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Vicit agnus noster, eum sequamur

Geistes in die Umkehr und Nachfolge rufend und versetzend.«2 Insofern der Begriff »Nachfolge« bei Barth in engstem Zusammenhang mit dem der Wirklichkeit des neuen Menschen steht, kommt eine Untersuchung zur christologischen Grundlegung der Friedensethik Barths, die diese Grundlegung in besagter Wirklichkeit fundamentiert sieht, nicht umhin, diesen zentralen Begriff der Friedensethik Barths zu thematisieren. Mit dem Begriff »Nachfolge« ist freilich nicht nur ein zentrales Thema der Barthschen Ethik, sondern christlicher Ethik im Allgemeinen benannt. Insofern Jesu Wirken ohne seine Aufforderung, ihm nachzufolgen (Mt 4,19 ff.; 19,21; Mk 2,14 u. ö.), nicht nachvollziehbar ist, überrascht es nicht, dass der Begriff »Nachfolge« zu einem Zentral- bzw. Leitbegriff der christlichen Ethik wurde. Dass Jesus in Nachfolge und Jüngerschaft gerufen hat, war und ist weder exegetisch3 noch systematisch-theologisch umstritten. Bis heute umschreibt »Nachfolgeethik« eine der Grundlinien christlicher Ethik.4 Bis heute ist freilich auch massiv umstritten, was Jesu Ruf in die Nachfolge in concreto meint.5 Gleichwohl stellt der konkretionsbezogene Dissens den grundsätzlichen Konsens nicht in Frage: »Die Frage nach der Aufgabe von Christen wird in der Geschichte der christlichen Ethik beider Konfessionen bis heute nicht selten mit dem Gebot der Nachfolge beantwortet: ›Nachfolge‹ wird geradezu als ein Synonym für die Praxis christlichen Lebens verwendet.«6 Indes ist die mit dem Stichwort »Nachfolgeethik« umschriebene Grundlinie christlicher Ethik im Bereich protestantischer Ethik nicht besonders stark ausgeprägt, so dass E. Wolf7 und J. Moltmann in Anlehnung an A. Runestam vom »Stiefkind der Reformation«8 sprechen. 2 Ders., KD IV/2, 827. 3 Vgl. R. Kramer, Grenzen einer Nachfolge-Ethik, 61 – 72; U. Luz, Art. Nachfolge Jesu I. Neues Testament, 678 – 686; W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, 51 – 57. 140 – 146 u. ö.; D. Sim, Art. Nachfolge Christi I. Neues Testament, 4 – 6; G. Strecker, Art. Nachfolge 1. Neues Testament, 593 f. 4 So H.G. Ulrich, Art. Nachfolge III. Ethisch, 10. 5 So W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, 51. Vgl. E. Lohse, Theologische Ethik, 134 f. 6 H. Kuhlmann, Sie folgten nach und dienten ihm, 528. Zur Rolle der Nachfolgeethik im evangelisch-katholischen Dialog vgl. W. Schöpsdau, Wie der Glaube zum Tun kommt, 16 – 24. 7 E. Wolf (Schöpferische Nachfolge?, 240) hat darauf hingewiesen, dass das, »[w]as in der neueren Grundlagendebatte christlicher Sozialethik unter dem eilig zum Schlagwort entwerteten Versuch ›christologischer Begründung‹ auf den Plan tritt, […] recht verstanden, nichts anderes als ein erneutes Aufgreifen eines schon in der Reformation angelegten Verständnisses der Nachfolge als das Wort- und Tatzeugnis für seine im Verborgenen wirkliche Königsherrschaft [bedeutet].« Vgl. M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik, 145: »Die Orientierung an der Nachfolge Christi gilt im Unterschied zu den Leitbegriffen Naturrecht und Gewissen als Begründung einer spezifisch christlichen Ethik.« 8 E. Wolf, Schöpferische Nachfolge?, 231; J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, 138. Vgl. ders., Politische Theologie – Politische Ethik, 180 ff.; ders., Wer ist Christus für uns heute?, 44 f.

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Einleitung

Eine Ethik der Nachfolge Christi erachtet J. Moltmann als das bleibende Desiderat des »linken Flügels der Reformation«, namentlich der Täufer (und in ihrer Tradition wiederum der Mennoniten und »Brüdergemeinden« gegenüber den reformatorischen Großkirchen).9 Einzig D. Bonhoeffer habe sich in der deutschen Theologie der Gegenwart dieses Themas angenommen.10 Im Vorwort zur deutsche Ausgabe des einflussreichen Buches »The Politics of Jesus«11 (1972; 2 1994) des mennonitischen Theologen John H. Yoder stellt Moltmann die Behauptung auf,12 dass »[a]uch die neue Begründung der christlichen Ethik auf die 9 Nach der berühmten »Anabaptist Vision« von Yoders mennonitischem Lehrer, dem Kirchengeschichtler H.S. Bender (1897 – 1962), umfasste das Leitbild des frühen Täufertums drei wesentliche Merkmale: »[F]irst, a new concept of the essence of Christianity as discipleship; second, a new conception of the church as brotherhood; and third, a new ethics of love and non-resistance« (H.S. Bender, The Anabaptist Vision, 14). Prioritär sei dabei die Nachfolgekonzeption gewesen: »It was a concept which meant the transformation of the entire way of life of the individual believer and of society so that it should be fashioned after the teachings and example of Christ« (ebd.). Benders Trias wurde zum Leitbild für die Mehrheit des Mennonitentums der Nachkriegszeit (vgl. F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 132 f.; ders., Mennoniten, 367 f.; H.-J. Goertz, Das schwierige Erbe der Mennoniten, 191; L. Gross, The Locus of Mennonite Spiritual Intelligence, 271 – 282; S. Hauerwas, In Good Company, 65 – 78; A.N. Keim, The Anabaptist Vision, 239 – 255; zum biographischen und zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. A.N. Keim, Harold S. Bender 1897 – 1962, 306 – 331), ist aber auch außerhalb dieser Konfession im Sinne einer normativen Vision wirkungsgeschichtlich – sei es bewusst oder unbewusst – stark rezipiert worden. Vgl. auch W. Lienemann (Frieden, 130), der die Benderschen Merkmale als die »drei Grundelemente des Zeugnisses der Historischen Friedenskirchen« benennt und betont, dass im Zentrum der freikirchlichen Existenz der Historischen Friedenskirchen »eine sehr elementare Gestalt der Christusnachfolge« (a. a. O., 198) steht. Gleichsam einen Re-Visionsversuch hat J.Wm. McClendon (Ethics, 26 – 34) mit seiner »baptist Vision« vorgelegt. 10 Vgl. J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, 138. Neben Bonhoeffer haben auch R. Strunk (Nachfolge Christi) und J.B. Metz (Zeit der Orden?) den Nachfolgebegriff ins Zentrum ihrer ethischen Reflexionen gestellt. Vgl. zu diesen Entwürfen die kritischen Erwägungen von H. Kuhlmann, Sie folgten nach und dienten ihm, 529 – 533. H. Kuhlmann (a. a. O., 527 – 549) hat selbst einen instruktiven Versuch einer Revision des Nachfolgebegriffs unternommen, der bei solchen neutestamentlichen Texten seinen Ausgangspunkt nimmt, die von der Nachfolge von Frauen berichten. 11 Zur Interpretation vgl. vor allem R. Hütter, The Church, 27 – 54, und R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 239 – 253. Vgl. zu Hays’ Darstellung auch J.H. Yoders (To Hear the Word, 155 – 163) Replik. 12 Der Einfluss Yoders auf Moltmann wäre eine eigenständige Untersuchung wert. Manchen Hinweis liefert die Untersuchung von A. Rasmusson, The Church as Polis, 136 – 148 u. ö. Unter dem deutlich erkennbaren Einfluss Yoders fordert J. Moltmann (Politische Theologie – Politische Ethik, 192) die protestantischen Landeskirchen dazu auf, »[e]ine Friedenskirche [zu] werden: Je mehr die Kirche von einer an den Staat gebundenen Kirche zu einer freien Kirche wird, desto klarer kann ihr Friedenszeugnis, und desto eindeutiger kann ihr Einsatz für den Frieden werden. Wir glauben, daß die Kirche Jesu Christi eine Friedenskirche ohne sektiererische Abgrenzung von der Welt werden kann. Sie wird zu einer Friedenskirche in dem Maße, wie sie Christus, und zwar Christus allein als ihren und aller Welt Frieden bekennt und die notwendigen Konsequenzen aus diesem Bekenntnis zieht.«

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Vicit agnus noster, eum sequamur

Herrschaft Christi über das ganze Leben (Karl Barth) […] den irdischen Jesus und die Nachfolge zurücktreten«13 lasse. So nachdrücklich man Moltmanns Desiderat im Blick auf eine Ausprägung der Nachfolgeethik im Grundsatz sicherlich zustimmen kann, so entschieden wird man seinem theologie- und ethikgeschichtlichen Urteil bezüglich Barth widersprechen müssen. Wie im Folgenden anhand eines Vergleichs zwischen Barth und Yoder gezeigt werden soll, hat auch Barth – und zwar unter Berufung auf D. Bonhoeffer14 – eine distinkte Ethik der Nachfolge im Rahmen seiner Versöhnungslehre entwickelt. Demzufolge kann Yoder im Blick auf die Entfaltung dieser Grundlinie christlicher Ethik nicht nur als geistesgeschichtlicher Nachkomme der frühen Täufer (vor allem Zürcher Provenienz), sondern bei aller Unterschiedlichkeit konzeptioneller Ausprägungen im Einzelnen cum grano salis auch als Schüler Karl Barths bezeichnet werden.15 Wie wir sehen werden, stellt Yoders nachfolgeethische Konzeption den wohl bedeutendsten Versuch einer theologischen Weiterentwicklung der täuferischen Tradition im 20. Jahrhundert dar. Im Folgenden wird seine im deutschsprachigen Raum weitestgehend unbekannte Konzeption im Vergleich zu Barth dargestellt. Ein Vergleich zwischen beiden Positionen bietet sich in methodischer Hinsicht an, insofern er im Blick auf die zu erhebenden Unterschiede weiterführende Erkenntnisse ermöglicht, die die Besonderheiten und das Profil der Barthschen Konzeption deutlicher hervortreten lassen als dies allein bei einer Einzelanalyse der Fall wäre.

2.

Das Kreuz des Christus politicus als Darstellung der Gewaltlosigkeit Gottes bei J.H. Yoder

Wie wohl kaum ein anderer Theologe hat John H. Yoder in seinem nachfolgeethisch konzipierten Werk darauf aufmerksam gemacht,16 dass die als Christo13 J. Moltmann, Vorwort, 6. 14 So auch W. Lienemann (Grundinformation Theologische Ethik, 97), der zu Recht darauf hinweist, dass sich gerade im Blick auf die Nachfolge wohl die größte Nähe zwischen den Ethiken Bonhoeffers und Barths feststellen lässt. Vgl. K. Barth, KD IV/2, 604. 15 Vgl. Abschnitt I.2.2.3. dieser Untersuchung. 16 J.H. Yoder konzipiert seine Nachfolge-Ethik als eine genuin christliche Ethik, d. h. eine Ethik für Christenmenschen: »Christian ethics is for Christians« (ders., The Royal Priesthood, 62). Seine Nachfolgekonzeption sieht Yoder an einen Minderheitenstatus gebunden: »Christian discipleship is for a minority in that it presupposes the recourse of faith: the assurance of forgiveness, the counseling and accepting fellowship of the Christian brotherhood, the presence of the Holy Spirit as source of insight and motivation, a changed attitude of the regenerate will« (ders., For the Nations, 112). Allerdings wird Yoder nicht müde zu betonen, dass sich eine Nachfolgeethik keineswegs eines universalen Anspruchs entschlage, vielmehr

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Das Kreuz des Christus politicus

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logie ins Auge zu fassende Theologie17 mit der Nachfolge Jesu ein genuin politisches Thema zum Gegenstand hat, so dass eine streng gegenstandsbezogen arbeitende Theologie selbst in Jesu Nachfolge tritt und in diesem Sinne zu einer »politischen Christologie« wird.18 Für Yoders eigenes Politikverständnis ist dabei seine Charakterisierung der »Politics of Jesus« als Antipolitik kennzeichnend.19 Diese Charakterisierung basiert freilich auf einem Politikbegriff, wie ihn M. Weber in seinem berühmten Vortrag »Politik als Beruf« (1919) klassisch entfaltet hat, wonach dem Staat als politischem Verband das Mittel physischer Gewaltsamkeit eigentümlich ist.20

17 18 19

20

gelte es, diesen im Sinne des konkreten, sprich: partikularen Universalen zu erheben, wie es im Ereignis der Inkarnation selbst in Erscheinung trete und dementsprechend auch konstruktiv-konzeptionelle Berücksichtigung finden müsse: »The particularity is the universality of the good« (ders., The Priestly Kingdom, 62). Unter Beachtung dieser fundamentalen inkarnationstheologischen Aussage erweist sich der von Yoder betonte Weltbezug der als klar identifizierbare, freiwillige Bekenntnisgemeinde konzipierten Kirche als christologisch fundiert. Im Blick auf I. Kants kategorischen Imperativ bemerkt J.H. Yoder (The Royal Priesthood, 175): »[I]f by Kant’s statement we mean, ›I can only ask radical discipleship of myself if I would wish it for everyone,‹ it makes sense. But the question as usually phrased means rather, ›What would happen if everyone were a conscientious objector while most people were still not Christian disciples?‹ This is an eventuality that we have no reason to ›fear,‹ for it won’t happen. It is most unrealistic to think that such a calculation would ever be the basis for making our decisions. We must make our decisions on the assumption that most of the world is not going this way, for it does not share our faith.« Bezeichnenderweise hat Yoder den möglichen Aufriß einer projektierten Dogmatik in seiner posthum erschienenen »Einführung in die Christologie« entfaltet. Vgl. J.H. Yoder, Preface to Theology, 407 – 413. Vgl. H.G. Ulrich, Kirchlich-politisches Zeugnis vom Frieden Gottes, 149 f. Yoders Politikverständnis liegt – auch terminologisch – quer zu den heutigen politologischen Diskussionen, insofern es heute üblich ist, zwischen »polity« (Institutionen), »policy« (politische Programme) und »politics« (politische Aktivitäten) zu unterscheiden. Vgl. U. v. Alemann, Art. Politik, 1804: »In der jüngeren deutschen Politikwissenschaft hat man die Suche nach dem verbindlichen Wesensbegriff der Politik weitgehend aufgegeben und sieht Politik grundsätzlich mehrdimensional strukturiert. Aufgrund eines Vorschlages von Karl Rohe hat Politik nach dieser Auffassung erstens eine institutionelle Dimension, die durch Verfassung, Rechtsordnung und Tradition bestimmt wird (polity), zweitens eine prozessurale Dimension, wodurch die Formen der Willensbildung und Interessenvermittlung in einem Staat durch Parteien, Verbände, Medien konturiert wird [sic!] (politics) und schließlich drittens eine inhaltliche Dimension, die auf Ziele, Aufgaben und Gegenstände von Politik verweist und die Aufgabenerfüllung von Politik bestimmt (policy). Alle drei – instititionelle Formen als polity, die inhaltliche Dimension als policy und der prozessurale Verlauf als politics – machen zusammen das aus, was man als Politik bezeichen kann.« Dort z. T. Abkürzungsgebrauch. Zu Webers Politikbegriff bemerkt W. Lienemann (Gewalt, Macht, Recht, 155) treffend: »Zwar erweitert Weber diese Ausgangsbestimmung [wie sie Weber im Anschluss an das Diktum L. Trotzkis vornimmt: ›Jeder Staat wird auf Gewalt gegründet‹; M.H.] auf die Charakterisierung eines Idealtypus ›Staat‹ hin und betont vor allem die erfolgreiche Beanspruchung des Monopols legitimer physischer Gewaltsamkeit, doch wirkungsgeschichtlich entscheidend wurde nicht Webers subtil verfolgte Frage nach der Legitimität, sondern die These vom für ›den‹ Staat spezifischen Mittel physischer Gewalt. Ich glaube mich nicht zu

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Gemessen an einem solchen Begriff von Politik, dessen Bildung im Gefälle von Gewalt und Macht21 erfolgt, repräsentiert die jesuanische Politik der Gewaltlosigkeit zwar keine A-Politik,22 wohl aber eine Anti-Politik.23 Das meint: eine Politik, die gewissermaßen indirekt dadurch eine enorme politische Wirkung entfaltet, dass sie nicht an der Gewaltausübung und dem üblichen Kampf um die Macht teilnimmt: »Daß die [von Jesus ausgehende; M.H.] Bedrohung nicht von bewaffneter, gewalttätiger Revolte ausging und daß sie die Machthaber nichtsdestoweniger so in Verlegenheit brachte, daß sie zu illegalen Vorgehensweisen Zuflucht nehmen mußten, ist ein Beweis der politischen Relevanz gewaltfreier Taktik«24. Die Macht dieser Politik wird nur im Rahmen der Dialektik von Macht und Ohnmacht verständlich. Es geht – mit anderen Worten – um eine Politik, die auch ohne Macht (im Sinne von Gewalt) mächtig ist und sich gerade in der Ohnmacht des Kreuzes als wirkliche Macht erweist. Diese wirkliche Macht

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sehr zu irren, wenn ich meine, dass diese Rede vom ›staatlichen Gewaltmonopol‹ bis auf den heutigen Tag nicht nur in anarchistischen Kreisen so verstanden wird, als sei physische Gewaltsamkeit das entscheidende Merkmal von Staatlichkeit schlechthin.« M. Weber (Wirtschaft und Gesellschaft, 28) definiert Macht als »die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«. H. Arendt (Macht und Gewalt, 36) kritisiert Webers »Gleichsetzung von Macht und Gewalt« und möchte stattdessen Macht und Gewalt unterschieden wissen. Anders als die Gewalt ziele Macht als die Fähigkeit zum gemeinsamen kommunikativen Handeln auf den mehrheitlich gefundenen Willen ab. Zur Diskussion vgl. auch W. Palaver, Macht und Gewalt, 191 – 211; B. Wannenwetsch, The Liturgical Origin of the Christian Politeia, 323 – 340. Eine apolitische Haltung bezeichnet J.H. Yoder (vgl. For the Nations, 222 f.) als faktisch unmöglich. So sei eine Haltung, die sich bewusst als apolitisch geriere, gerade darin eminent politisch, dass sie den status quo stabilisiere. G. Theissen (Die politische Dimension des Wirkens Jesu, 112 – 122), der in seinen exegetischen Recherchen zu ähnlichen Ergebnissen wie Yoder gelangt (vgl. a. a. O., 118: »Jesus vertrat demonstrativ Gewaltlosigkeit, weckte aber gleichzeitig die Erwartung, ein messianischer Herrscher zu sein.«), hat den Begriff »Symbolpolitik« für Jesu Wirken geprägt: »In Erwartung der Herrschaft Gottes hat er [Jesus] auch politisch gewirkt. Dabei ist bei ihm das Ziel aller zivilen Bemühungen in der Politik erkennbar, die Gewalt in der Politik zurückzudrängen und zu zähmen. Jesus gehört in den Diskurs der Menschheit um Macht und Gewalt. Sein politisches Handeln will Gewalt minimieren, führt den Kampf um die Macht mit legitimierender und delegitimierender Symbolpolitik und will auch die Machtlosen zum Symbol von Gewalt erheben. Sein Wirken hat eine politische Dimension – und das gilt sogar dann, wenn man den engeren Politikbegriff [M. Webers; M.H.] zugrunde legt« (a. a. O., 122). A. Grözinger (Toleranz und Leidenschaft, 205), der Theißens Begrifflichkeit in seinen homiletischen Erwägungen zur politischen Predigt aufnimmt, umschreibt »Symbolpolitik« als »ein Wirken, das unverkennbar ›politisch‹ wirkt und dennoch im ›Politischen‹ nicht aufgeht. Diese Symbolpolitik beschreibt auf der einen Seite die Strukturen irdischer Politik, vor allem ihre Machtbasis, sehr genau und ermöglicht auf der anderen Seite einen Blick auf die Politik, den das Politische aus sich selbst heraus nicht freisetzen kann«. Der hier verwendete Begriff »Symbolpolitik« ist zu unterscheiden von der heute üblich gewordenen Rede von den »symbolic uses of politics«, insofern diese meist pejorativ verstanden wird und eine »bloß« symbolische Politik meint, die folgenlos bzw. manipulativ sei. J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 54.

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bringt sich so zur Geltung, dass diejenigen, die als Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu leben, in die Freiheit versetzt werden, ganz aus ihr, und das heißt nach Yoder : ohne Gewalt zu leben.25 Diese Antipolitik ist also nur scheinbar a-politisch, in Wirklichkeit aber entfaltet sie eine wirkmächtige subversive Kraft, die die »normale« Machtpolitik herausfordert und zwar – wie Yoder betont – zum Heil der Politik und der Nationen.26 Eine solche Anti-Politik richtet sich mithin nicht gegen die Nationen, sondern kommt ihnen zugute. Ihre politische Relevanz beruht darauf, »daß Gewaltlosigkeit und Nichtnationalismus relevant sind für die polis, d. h. für die Strukturierung menschlicher Gruppenbeziehungen, und daß sie daher aus sich selbst heraus politisch sind.«27 Eine solche Antipolitik, der zufolge »Kreuz und Krone Alternativen«28 bezeichnen, tangiert die machtpolitischen Interessen der Herrschenden nicht nur peripher, sondern direkt, elementar und eminent, wie Yoder etwa in seiner Auslegung der Zinsgroschenperikope (Lk 20,20 – 26) und des bekannten Jesuslogions: »So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist« (Mk 12,17 par), demonstriert: »[D]as ›vergeistigte‹ Bild eines Jesus, dessen einziges politisches Anliegen darin besteht, klarzustellen, daß er mit Politik nichts zu tun hat, [wird] durch die schiere Tatsache zurückgewiesen, daß sich diese Frage stellen konnte. Im Kontext seiner Antwort bedeutet ›das, was Gottes ist‹ offensichtlich nichts ›Geistliches‹; die Zuordnung ›dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist‹, verweist vielmehr auf Forderungen oder Vorrechte, die sich überschneiden oder miteinander konkurrieren, so daß die Notwendigkeit besteht, sie voneinander zu trennen. Die Bereiche Caesars

25 Vgl. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 199. 26 Yoders letzter, zu Lebzeiten erschienener Aufsatzband mit dem programmatischen Titel »For the Nations« dient der Widerlegung des vielfach gegen ihn erhobenen Vorwurfs, seine Nachfolgeethik befürworte eine soziale Rückzugsstrategie. In der Einleitung zu diesem »Spätwerk« prononciert J.H. Yoder (a. a. O., 6): »Each of the following essays argues, though each in a somewhat different key, that the very shape of the people of God in the world is a public witness, or is ›good news,‹ for the world, rather than first of all rejection or withdrawal.« Bei Lichte besehen, setzt sich aber nicht erst dieses »Spätwerk«, sondern bereits Yoder gesamtes Oeuvre mit diesem Vorwurf auseinander. Vgl. etwa ders., The Priestly Kingdom, 11 f.: »That discipleship means social withdrawal is a caricature projected by Troeltsch and the Niebuhrs, on grounds related to their own assumptions, not drawn from historical facts. By definition the disciple, like her/his Lord, is in the world although not of it. The style and the shape of the disciple’s social pressure will be more critical, more flexible, less conformist and less patient, than the ›responsible involvement‹ advocated by the majority traditions. That greater critical independence may include an occasional radical opposition. It may result in the disciples’ being outvoted or excluded, which itself is a strong form of social participation. It will not withdraw a priori, as if obedience were thought to apply to some other world than this rebellious one.« 27 Ders., Die Politik Jesu, 47. 28 A.a.O., 40.

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und Gottes liegen nicht auf verschiedenen Ebenen, so daß es nie zu einem Zusammenstoß kommen könnte; beide befinden sich in derselben Arena.«29

In friedenskirchlich-täuferischer Tradition stehend, entfaltet Yoder seine Nachfolgeethik entlang der Gewaltlosigkeit als Kennzeichen der christlichen Lebensform. Die Gewaltlosigkeit repräsentiert Yoder zufolge nicht nur ein wichtiges oder zentrales sozialethisches Thema, sondern insofern die Essenz der Nachfolge, als dass diese die Essenz der »Politics of Jesus« bildet: »Gewaltlosigkeit ist die Grammatik«30, die das Denken, Handeln und Verhalten von Christenmenschen leiten soll, weil und insofern sie die Grammatik des Wirkens Jesu Christi ist, dem nachzufolgen Christenmenschen und christliche Theologie berufen sind. Nachzufolgen heißt für Yoder gewaltlos zu leben und gewaltlos zu leben wiederum politisch zu sein. Gewaltlosigkeit will dabei keineswegs als Kennzeichen einer freischwebenden Existenz religiös oder politisch besonders Begabter verstanden werden. Sie ist vielmehr eingebettet in eine »messianic community«31, die als freiwillige, geschwisterliche Gemeinschaft der Gläubigen eine Polis sui generis repräsentiert: »Ein Lebensstil, dessen Charakteristikum die Gründung einer neuen Gemeinschaft und die Ablehnung jeglicher Gewalt ist: das ist das Thema der neutestamentlichen Verkündigung, vom Anfang bis zum Ende«32. Yoders Verständnis dieser Gemeinschaft bzw. Kirche erweist sich ganz am Kreuz Jesu Christi orientiert: Die Kirche Jesu Christi ist die Kirche des Kreuzes, d. h. die Gemeinschaft derjenigen, die Jesus Christus auf seinem Weg ans Kreuz nachfolgen.33 Der Explikation des staurozentrischen Nukleus seiner Ekklesiologie gilt die zentrale These von Yoders Buch »The Politics of Jesus«, wonach das Kreuz Christi »das Modell für die soziale Wirklichkeit der Christen«34 ist. Das Kreuz repräsentiert den ultimativen Kulminationspunkt jenes Gehorsamsweges

29 A.a.O., 49 f. So auch ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 15. Ähnlich K. Wengst, Pax Romana, 76 – 80. Vgl. auch W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, 119 ff.; K. Barth, KD IV/2, 196. 30 H.G. Ulrich, Kirchlich-politisches Zeugnis vom Frieden Gottes, 149. 31 J.H. Yoder (Nevertheless, 135) kennzeichnet seinen eigenen pazifistischen Ansatz als »pacifism of the messianic community«, was in sozialethischer Hinsicht bedeute: »[W]e move the focus of ethical concern from the individual to the human community experience in its shared life [as] a foretaste of God’s kingdom.« Vgl. N. Blough, Geschichte und Theologie im Werk John Howard Yoders, 39: »Die täuferische ›Nachfolge Christi‹ ist […] nicht eine Nachahmungsethik für Individualisten, sondern ein soziales und gemeinschaftliches Werk des Leibes Christi, der Gemeinde.« 32 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 219. 33 Dies betont zu Recht M. Zeindler (Die Kirche des Kreuzes, 69) in seinem zur Einführung in Yoders Denken empfohlenen Aufsatz. 34 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 219.

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Jesu Christi,35 den der irdische Jesus36 ging und der Yoder zufolge präzise darin bestand, »not to rule the world violently«37. In seiner Auslegung des sog. Philipperhymnus (Phil 2,6 – 11) akzentuiert Yoder nicht nur die christo-logische, sondern auch die genuin theo-logische Valenz der Selbsterniedrigung (Phil 2,8), die ihm zufolge auch für die Gotteslehre höchste Relevanz besitzt: »[S]elf-emptying is not only what Jesus did. It is not only what the eternal divine Son did. If it is that, then it is the very nature of God. The Creator of the universe is a servant. The Almighty loves his enemies.«38 Gott erweist sich im Kreuz Jesu Christi als ein politischer Gott, dessen Politik sich selbst im Kreuz als Politik der Feindesliebe enthüllt. Feindesliebe kennzeichnet seine Herrschaft und umschreibt den Modus ihrer (Selbst-)Durchsetzung. Nachfolge dient ihrer Funktion nach der Darstellung der Regierungsweise Gottes, wie er sie im Kreuz Christi erschließt. Das Kreuzesgeschehen umschreibt das Selbsterschließungsgeschehen Gottes in Jesus Christus. Deshalb ist die Nachfolge genau auf Christi Kreuz bezogen, weil Gott sich hier im Gehorsam dessen offenbart, dem es nachzufolgen gilt. »[V]on der Nachfolge her denken«39 heißt für Yoder vom Kreuz Christi her zu denken. Yoder entwirft seine Nachfolgeethik als eine Ethik der im Kreuz erfolgten Berufung zum Dienst der Feindesliebe: »We are not called to love our enemies in order to make them our 35 Yoder (a. a. O., 58) spricht vom Kreuz als dem »Höhepunkt dieses neuen Regimes« einer neuen Möglichkeit menschlicher, sozialer und daher politischer Beziehungen. 36 Wenn hier vom »irdischen Jesus« gesprochen wird, so liegt diesem Sprachgebrauch die dogmatisch notwendige Distinktion zwischen demselben als Umschreibung des Lebens Jesu von der Geburt bis zur Auferstehung und dem »historischen Jesus« als Umschreibung des Ergebnisses der Erschließung Jesu in der historischen Rekonstruktion zugrunde. Vgl. O. Hofius, Die Frage nach dem »historischen Jesus« als theologisches Problem, 80 f.: »Der Ausdruck ›der historische Jesus‹ wird in der Forschung ganz überwiegend als ein Synonym zu den Begriffen ›der irdische Jesus‹ und ›der vorösterliche Jesus‹ verwendet, und er meint dann wie diese den Menschen Jesus von Nazareth in seiner irdisch-geschichtlichen Existenz. Demgegenüber scheint es mir um der begrifflichen und sachlichen Klarheit willen geboten zu sein, zwischen den Termini ›irdischer Jesus‹ bzw. ›vorösterlicher Jesus‹ einerseits und ›historischer Jesus‹ andererseits präzise zu unterscheiden. Ich wähle deshalb […] die folgende Terminologie: Mit den Begriffen ›der irdische Jesus‹ bzw. der ›vorösterliche Jesus‹ bezeichne ich den irdisch-geschichtlichen Menschen Jesus von Nazareth, und dieser ist ebenfalls gemeint, wenn ich von ›Jesus‹ oder von ›Jesus von Nazareth‹ spreche. Unter dem ›historischen Jesus‹ verstehe ich den irdisch-geschichtlichen Menschen Jesus von Nazareth, wie ihn die historische Forschung mittels der historisch-kritischen Methode zu rekonstruieren sucht und rekonstruiert.« Zur Notwendigkeit dieser Distinktion vgl. auch H. Diems (Der irdische Jesus und der Christus des Glaubens, 219 – 232) Tübinger Antrittsvorlesung (1957) und im Anschluss an dieselbe W. Kreck (Die Frage nach dem historischen Jesus als dogmatisches Problem, 94), D. Schellong (Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?, 35) und P. Stuhlmacher (Biblische Theologie I, 48 f.). 37 J.H. Yoder, He Came Preaching Peace, 93. 38 Ebd. 39 Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 40.

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friends. We are called to act out love for them because at the cross it has been effectively proclaimed that from all eternity they were our brothers and sisters.«40 Im Kreuz zeigt sich gemäß Yoder, wie Gott die seit dem Sündenfall in der Welt virulente Gewaltfrage beantwortet und wie er die Gewaltfrage durch die ihm Nachfolgenden beantwortet wissen will: »Christ is agape; self-giving, nonresistant love. At the cross this nonresistance, including the refusal to use political means of self-defense, found its ultimate revelation in the uncomplaining and forgiving death of the innocent at the hands of the guilty. This death reveals how God deals with evil; here is the only valid starting point for Christian pacifism or nonresistance. The cross is the extreme demonstration that agape seeks neither effectiveness nor justice and is willing to suffer any loss or seeming defeat for the sake of obedience. But the cross is not defeat. Christ’s obedience unto death was crowned by the miracle of the resurrection and the exaltation at the right hand of God.«41

Der Sieg Christi wird von Yoder im Rückgriff auf den in der Johannesoffenbarung42 (als dictum probans dient Yoder Off 5,12) verwendeten Christustitel »das Lamm«43 (to arnion) als Sieg des geschlachteten Lammes prädiziert. Vicit agnus noster – so lautet der Untertitel der englischen Originalausgabe von Yoders Buch »The Politics of Jesus«, mit dem Yoder zugleich das (später von der Herrnhuter Brüdergemeine übernommene) Motto der alten Brüder-Unität (unitas fratrum) rezipiert, zu deren Symbol das siegreich triumphierende Lamm mit der Siegesfahne trotz oder besser : gerade wegen ihrer vielfachen Verfolgungen wurde. Auf dem Bischofssiegel,44 wie es heute noch von den Herrnhutern gebraucht wird, ist das die Siegesfahne tragende Lamm mit der Umschrift versehen: »Vicit agnus noster, eum sequamur.« Das Lamm mit dem Schächtschnitt am Hals, welches trotz tödlicher Wunde zugleich als messianischer Sieger (vgl. Off 5,6) 40 Ders., For the Nations, 210 f. 41 Ders., The Royal Priesthood, 147. 42 Eine mit der Yoders vergleichbare Interpretation der Johannesoffenbarung entwickelt K. Wengst, Erfahrungen und Bilder von Krieg und Frieden in der Offenbarung des Johannes, 98 – 116; ders., Die Macht des Ohnmächtigen, 173 – 178; ders., Pax Romana, 147 – 166; ders., »Wie lange noch?«. Vgl. auch B.K. Blount, Reading Revelation Today, 398 – 412; R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 169 – 185; M. Mayordomo, Gewalt in der Johannesoffenbarung als Problem ethischer Kritik, 45 – 69. 43 Zur exegetischen Diskussion, ob to arnion mit Widder oder Lamm übersetzt werden soll, vgl. O. Hofius, Neutestamentliche Studien, 241 – 250; P. Stuhlmacher, Das Lamm Gottes – eine Skizze, 529 – 542. 44 Bischof Dr. Hellmut Reichel (Königswald) hat mir in seinem Brief vom 30. 1. 2003 freundlicherweise die Auskunft erteilt, dass das älteste Unitätssiegel mit dieser Umschrift nicht erst im Ordinationszeugnis von Johannes Chodowiecky vom 3. Mai 1643 zu finden ist, das im Staatsarchiv Posen aufbewahrt wird, sondern in den Protokollen der Generalsynoden bzw. Konvente von Orla (1633), Wlodawa (1634) und Thorn (1636), die im Archiv des reformierten Konsistoriums in Warschau lagern.

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triumphiert und den Seinen vorangeht,45 bildet das christologische Zentralmotiv im Denken J.H. Yoders. Die Verbindung dieser beiden Aspekte, die das Spezifikum dieses neuen spätneutestamentlichen Entwurfs ausmacht,46 erweist sich zugleich als das schlechthin grundlegende christologische Charakteristikum der Nachfolgekonzeption Yoders. Es ist die spezifische Verbindung der Sieges- und der Leidens-Konnotation des Lammmotivs, der Yoder in staurozentrischer Perspektive die Aufmerksamkeit seiner christologia politica widmet: »Gott sieht im Verzicht und im Akzeptieren der Niederlage den Sieg.«47 Die auf Gewalt verzichtenden Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi erweisen sich – wie das Lamm Gottes – als die in ihrer Schwäche Starken und Siegreichen.48 Sie partizipieren am Sieg Christi, dem sie in der Nachfolge dienen und an dessen universaler Weltherrschaft sie eschatologisch teilhaben: »The victory of the Lamb through his death seals the victory of the church. The church’s suffering, like the Master’s suffering, is the measure of the church’s obedience to the self-giving love of God. Nonresistance is right, in the deepest sense, not because it works, but because it anticipates the triumph of the Lamb that was slain.«49 Nachfolgen heißt für Yoder – wie er im Anschluss an Off 5,10 formuliert: »To Serve Our God and to Rule the World«50. Yoders apokalyptisches Geschichtsverständnis51 nimmt hier, beim geschlachteten Lamm, das vom Kreuz aus Geschichte macht, seinen Ausgangspunkt.52 Die Welt apokalyptisch zu betrachten, heißt sie im Lichte des mit der Auferstehung Jesu enthüllten und offenbarten Sieges zu sehen, was wiederum bedeutet: »To see history doxologically«53. Die Apokalypse bezeichnet im wörtlichen Sinne nämlich nach Yoder

45 46 47 48

49 50 51 52 53

Zum Siegesmotiv in der Johannesapokalypse vgl. J.-W. Taeger, Gesiegt!, 23 – 46. So ders., Art. Lamm (Gottes), 50. J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 212. Vgl. ders., For the Nations, 129: »[I]n the biblical hope [is] no correlation between the ultimate victory of God and the immediate prosperity or power of the saints. In fact, in the most important cases, the correlation is negative: It is the Lamb who was slain who is worthy to receive power. It is the victim who will see the victory. This negative correlation applies also, expressly, to the ethnic and cultural identity of the people of God.« Vgl. auch a. a. O., 236: »The Lamb that was slain is worthy to receive power. The path of Christ, the political commitment to truth, servanthood, proclamation, and suffering love, is despite appearances the channel of the power of God.« Ders., The Royal Priesthood, 151. A.a.O., 128. J.H. Yoder (Die Politik Jesu, 212) spricht sogar von einer »Geschichtsphilosophie« (philosophy of history). Adäquat F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 160: Yoder plädiert dafür, »den Ausgangspunkt aller Geschichtsinterpretation im doxologischen Bekenntnis der Johannesapokalypse zu wählen.« J.H. Yoder, The Royal Priesthood, 128. So auch a. a. O., 130.132 f.137. Zu Yoders Geschichtsverständnis vgl. C. Baecher, Friedenstheologie und Eschatologie im Denken von

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nichts anderes als die Enthüllung und Offenbarung des Triumphes des Lammes.54 Die Christusnachfolgenden, die – wie ihr ihnen vorangehender Herr55 – darauf verzichten, die Welt mit Gewalt zu lenken, steuern sie in Wirklichkeit, indem sie das durch den Sieg des Lammes ermöglichte und dem Triumph des Kreuzes entsprechende Leben der Gewaltfreiheit führen. Die Ziel-Mittel-Relation des Handelns der Nachfolgenden wird nicht durch ein Gewalt miteinbeziehendes Effektivitätskalkül gesteuert,56 sondern sie unterliegt der Effizienz der Weltherrschaft des geschlachteten Lammes: »Jesus verzichtete in erster Linie nicht auf Gewalt, sondern auf den Zwang zum guten Zweck, der immer wieder die Mittel heiligt und die Menschen dazu verleitet, die Würde anderer zu verletzen. Es geht nicht darum, all seine gerechten Ziele zu erreichen, ohne das Mittel der Gewalt zu gebrauchen. Nur wenn wir auch bereit sind, unsere gerechten Ziele aufzugeben, wenn sie sich nicht mit gerechten Mitteln erreichen lassen, haben wir teil am triumphierenden Leiden des Lammes.«57

Yoder interpretiert den faktischen Gewaltgebrauch, aber auch die »Lehre« von dessen rechtmäßiger Inanspruchnahme (bellum-iustum-Tradition) handlungstheoretisch als den verzweifelten Versuch, die Dinge eigenmächtig in den Griff zu bekommen und die Geschichte gewaltsam in die richtige Richtung zu lenken,58 wohingegen der Seher Johannes im Sinne einer Märtyrertheologie das Vertrauen in die providentielle Kraft Gottes hervorhebe, die in denen mächtig sei, die im Einklang mit der story des gewaltlos siegenden Lammes leben. Dementsprechend charakterisiert Yoder den von ihm propagierten Pazifismus nicht als bloß vordergründigen, sondern fundamentalen Pazifismus, der nicht nur das Versagen von Gewaltmitteln zur Herstellung von Gerechtigkeit beklagt, sondern dessen christologisches Fundament über die Ebene der Mittel hinausgehend auch die »Diktatur« der Zwecke betrifft, die angeblich alle Mittel heiligen: »Wenn es stimmt, daß dem Lamm die Ehre gebührt, dann darf man den sogenannten christlichen Pazifismus nicht nur auf der Ebene der Mittel verstehen, so als behaupte

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John H. Yoder, 124 – 137; P.T. Kroeker, The War of the Lamb, 295 – 310; J.A. Sider, To See History Doxologically ; D. Toole, Waiting for Godot in Sarajevo, 205 – 235. Vgl. J.H. Yoder, Ethics and Eschatology, 123. Vgl. ders., Die Politik Jesu, 211. Ders., For the Nations, 135: »If the Lamb that was slain was worthy to receive power, then no calculation of other non-lamblike roads to power can be ultimately authentic.« Vgl. a. a. O., 192; ders., Die Politik Jesu, 207. A.a.O., 213. Vgl. a. a. O., 212: »Seine [Jesu] Selbsterniedrigung, seine Demut und sein Gehorsam bis in den Tod bestehen gerade in seinem Verzicht auf Herrschaft in seiner deutlichen Abkehr von der Verpflichtung, durch das Lenken der Geschichte in die richtige Richtung wirksam zu sein.«

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der Pazifist, er könne alle traditionellen Kriegsziele ohne Gewalt genauso gut oder gar noch besser erreichen. In manchen Fällen mag ein solcher Pazifismus durchaus recht behalten. Doch es kann auch schiefgehen. Christlicher Pazifismus, der eine theologische Basis im Wesen Gottes und im Wirken Jesu Christi hat, zerbricht die berechnende Verbindung zwischen unserem Gehorsam und der Orientierung auf den Erfolg: der Sieg Gottes erwächst aus der Auferstehung und nicht aus erfolgreicher, effektiver Herrschaft oder abgesichertem Überleben.«59

Das Pathos einer apokalyptischen Ethik kann nach Yoder nur im Einstimmen in dieses providentielle Handeln Gottes bestehen, wie es sich ultimativ im Kreuz Christi erschlossen hat.60 Das Projekt einer sich selbst als rational, pragmatisch und/oder realistisch stilisierenden Verantwortungsethik, die den hybriden Anspruch vertrete, spezifische Verhaltensweisen von deren Resultaten her beurteilen zu können, verwirft Yoder hingegen als pseudorealistisch bzw. pseudopragmatisch, da sie mit der Ratio und Pragmatik des Kreuzes kollidiere, welche der Geschichte ihren Sinn verleihe.61 Der Schlüssel zum »Erfolg« im Sinne eines Triumphes des Guten liegt Yoder zufolge nicht in der Abschätzung und Berechnung desselben mittels eines bilanzierenden Folgen-Nutzen-Kalküls, sondern im schlichten Kreuzesgehorsam als dem Weg, durch den Gott Geschichte geschrieben und auf dem das Lamm letztendlich triumphiert hat:62 »The point that apocalyptic makes is not only that people who wear crowns and who claim to forster justice by the swords are not as strong as they think – true as that is: we still sing, ›O where are Kings and Empires now of old that went and came?‹ It is that people who bear crosses are working with the grain of the universe. One does not come to that belief by reducing social process to mechanical and statistical models, nor by winning some of one’s battles for the control of one’s own corner of the fallen world.

59 A.a.O., 215. 60 Vgl. ders., Ethics and Eschatology, 123: »The crucifixion of Jesus, described by the evangelists as model for the readiness of his disciples to suffer, is transmuted in the first vision of John into the sovereignty of the slain lamb as key to the cosmic mystery. The reason John is told to weep is that the death of the lamb has purchased a new people to share in his reign; they share in his cosmic rule by participating in his historic martyrdom. Martyrdom is not defeat but victory. It is victory not merely in the stoic sense of internal dignity, the integrity of the one who can keep ›hanging in there‹ whatever it costs; it is in fact what moves the world. Any claimed ›pragmatic‹ or ›realistic‹ claim to validate particular behaviours by their results must collide with this testimony.« 61 Vgl. ders., Die Politik Jesu, 209: »Das [die Aussage in Off 5,12, wonach das geschlachtete Lamm würdig ist, die Macht zu empfangen; M.H.] ist für Johannes kein unergründliches Paradox, sondern eine positive und inhaltliche Bekräftigung, daß das Kreuz und nicht das Schwert, Leiden und nicht brutale Gewalt den Sinn der Geschichte bestimmt. Der Schlüssel zum Gehorsam des Gottesvolkes ist nicht Effektivität und Erfolgsorientierung, sondern Geduld«. 62 Vgl. a. a. O., 214.

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One comes to it by sharing the life of those who sing about the Resurrection of the slain Lamb.«63

Die deiktische, d. h. auf das Kreuz Christi verweisende und damit Zeugnis gebende Existenzweise der Kirche Jesu Christi bestimmt Yoder als genuin doxologisch, insofern sie in ihren Praktiken mit dem Kreuz zugleich auf den gewaltlosen Sieg Jesu verweist: »The life of the church’s character is doxological. Not only does the church proclaim God as worthy, as sovereign, but also as victor.«64 In Gestalt der Gewaltlosigkeit ist die Nachfolge auf Gottes Feindesliebe hin transparent, indem sie den Gewaltgebrauch in rebus politicis kontrastiert. Darin besteht ihre eigentliche Funktion, nämlich den Entdeckungszusammenhang für die Feindesliebe Gottes zu bilden. Gewaltlosigkeit präsentiert demzufolge keinen Selbstzweck, sondern sie erweist sich als staurozentrisch eingebettet in den theologischen Funktionszusammenhang einer kontrapunktischen Darstellung der Regierungsweise Gottes: »Gott herrscht über seine Schöpfung nicht durch Zwang, sondern durch ein Kreuz«65. Das Kreuz Jesu repräsentiert die göttliche Kontraindikation zur Durchsetzung von Politik mit den Mitteln der Gewalt. So kann der Yodersche Pazifismus nicht ohne christologischen Repräsentationszusammenhang gedacht und verstanden werden.

3.

Die Darstellung des irdischen Jesus bei K. Barth und J.H. Yoder

3.1.

Die recapitulatio des Weges Jesu als Christus politicus bei J.H. Yoder

J. Moltmann hat darauf hingewiesen, dass eine Nachfolgeethik eng mit einer bestimmten Ausprägung von Christologie korreliert ist: »Menschen aber, die in der Fremde der Geschichte existieren und auf der Suche nach Leben sind, brauchen eine Christologie der Wandernden (christologia viatorum). Das ist eine Christologie des Weges (christologia viae), die über sich hinausweist und Menschen auf die Zukunft Christi ausrichtet, damit sie auf dem Wege Christi bleiben und vorangehen. […] Nicht zuletzt lädt jeder Weg dazu ein, ihn zu beschreiten. ›Der Weg Jesu Christi‹ ist nicht nur eine christologische, sondern auch eine ethische Kategorie. Wer auf den Weg Christi tritt, wird erkennen, wer 63 Ders., Armaments and Eschatology, 58. Dieser Passage hat S. Hauerwas den Titel seiner Gifford-Lectures »With the Grain of Universe« entnommen. Vgl. a. a. O., 6. Vgl. fernhin: J.H. Yoder, The War of the Lamb, 62.179. 64 Ders., The Royal Priesthood, 123. Dort z. T. kursiv. 65 So unter Aufnahme des geschichtstheologischen Grundaxioms Yoders S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen, 165. Vgl. dazu auch: R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 219.

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Die Darstellung des irdischen Jesus bei Barth und Yoder

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Jesus wirklich ist; und wer Jesus als den Christus Gottes wirklich glaubt, der folgt ihm auf seinem Wege. Christologie und Christopraxis finden im ganzheitlichen Erkennen Christi zueinander.«66 Von der Metapher des Weges hat aber nicht erst Moltmann in seinem Entwurf »Der Weg Jesu Christi«67 Gebrauch gemacht und im Rahmen dieser Christologie Dogmatik und Ethik eng miteinander verzahnt, sondern vor ihm bereits K. Barth in seiner Versöhnungslehre, deren Paragraph 59.1 bezeichnenderweise den Titel »Der Weg des Sohnes Gottes in die Fremde« trägt. Aber auch außerhalb dieses Paragraphen rekurriert Barth immer wieder auf die Wegmetaphorik, um das Wesen der Nachfolge zu bestimmen. Barth bemerkt definitorisch: »›Nachfolge‹ beschreibt das Verhältnis zwischen Jesus und seinen Jüngern, wie es sich gehört, als eine so ihm und nur ihm eigentümliche Geschichte. Jesus geht – der Jünger geht auch, beide auf demselben Weg – so jedoch, daß Jesus den gemeinsam zu gehenden Weg wählt und auf ihm vorangeht. Der Christ geht auf dem von Jesus gewählten Weg hinter ihm her, tritt in seine Fußstapfen (1. Petr. 2, 21). Er glaubt an Jesus – aber nicht in theoretischer Allgemeinheit als an einen guten Führer, neben dem auch andere in Frage kommen könnten, sondern als an den, der unvermeidlich gerade sein Führer ist, der ihm keine andere Wahl läßt als die, auf dem von ihm gewählten Weg hinter ihm herzugehen. […] Indem er ihm gehorcht, bekennt er sich aber auch zu ihm – auch das offenbar nicht theoretisch – ob er es auch mit Worten zu tun haben wird, ist eine Frage zweiter Ordnung – dafür aber um so unzweideutiger, indem er sich faktisch vor aller Welt auf den von Jesus gewählten Weg begibt und sein eigenes Verhältnis zu ihm und damit sich selbst verbindlich, unwiderruflich kenntlich macht, daß er sich ihm anschließt«68.

Auch J.H. Yoder hat in seinem bereits mehrfach zitierten Buch »The Politics of Jesus«, dessen deutsche Übersetzung beredter Weise den Untertitel »Der Weg des Kreuzes« trägt, die Wegmetaphorik aufgegriffen und sich um eine Darstellung des Weges Jesu anhand des Lukasevangeliums bemüht. Dieses wohl wirkmächtigste Werk Yoders ist der Exposition des Weges Jesu ans Kreuz als eines Weges der politischen Gewaltlosigkeit gewidmet. In ihm verfolgt Yoder eine prononcierte, solenne Doppelstrategie: Zum einen intendiert er, »ein Verständnis von Jesus und seinem Dienst zu skizzieren, aus dem die direkte Bedeutung Jesu für die Sozialethik ersichtlich wird«69 ; zum anderen möchte er »zeigen, daß Jesus […] nicht nur relevant, sondern auch normativ ist für eine zeitgenössische christliche Sozialethik«70. 66 J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, 11 f. 67 Vgl. zum gesamten Entwurf Moltmanns B. Klappert, Worauf wir hoffen, 103 – 138; G. Plasger, Hope in our Lord Jesus Christ?, 247 – 263. 68 K. Barth, KD IV/3, 615 f. 69 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 21. 70 Ebd.

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Der ersten, eher neutestamentlich-exegetischen Aufgabe, die Relevanz Jesu für die Sozialethik aufzuspüren, geht Yoder anhand einer Auslegung zentraler Passagen des Lukasevangeliums nach,71 der zweiten, eher systematisch-theologischen Aufgabe, indem er in dem weit gespannten Spektrum biblisch-theologischer Einzelthemen (etwa zur Bedeutung des Jobeljahrs,72 zum alttestamentlichen JHWH-Krieg,73 zu Beispielen erfolgreichen gewaltfreien Widerstandes, wie sie Josephus präsentiert,74 zur Mächte- und Gewaltenlehre einer im Anschluss an H. Berkhof vorgetragenen kosmischen Christologie,75 zu den neutestamentlichen Haustafeln,76 zum Staatsverständnis in Röm 13,77 zur paulinischen Rechtfertigungslehre78 und zum apokalyptischen Geschichtsverständnis der Johannesoffenbarung79 nebst dem programmatischen Eröffnungskapitel zur Möglichkeit einer messianischen Ethik, das die Eklipse Jesu in der gegenwärtigen Sozialethik thematisiert) immer wieder gehaltvolle theologisch-ethische Reflexionen zwischenschaltet.80 Diese illustrieren in gewisser Weise den Weg Jesu. Sie dienen, genauer gesagt, der biblisch-theologischen Vergewisserung auf dem von den Jüngern beschrittenen Weg der Nachfolge. In seinen Ausführungen zu besagten Einzelthemen demonstriert Yoder, dass die verschiedenen neutestamentlichen (nicht-synoptischen) Schriftsteller diesen Weg Jesu nicht etwa theologisch zu kontrastieren gedenken, ihn auch nicht etwa eigenmächtig fortschreiten bzw. fortschreiben, sondern ihn angesichts der virulenten ethischen Herausforderungen ihrer Zeit als weisungsstark und orientierungsfähig darzustellen intendieren. Die neutestamentlichen Schriftsteller beanspruchen Yoder zufolge selbst, auf diesem sich auch im Blick auf die verschiedenen sozialethischen Problemstellungen bewährenden Weg Jesu zu wandeln, sprich: nachzufolgen.

71 Vgl. a. a. O., 25 – 58 (Kap. 2: »Das Königreich kommt«). Dabei geht Yoder (a. a. O., 85) davon aus, »daß bei sorgfältiger Detail- und Kontextauslegung der Evangelien das Bild eines ethisch-sozialen Jesus zum Vorschein kommt, dessen Worte und Wirken, Leben und Tod eine außergewöhnliche Form des Engagements in der Welt entwerfen und verwirklichen«. 72 Vgl. a. a. O., 59 – 69. 73 A.a.O., 70 – 80. 74 A.a.O., 81 – 84. 75 A.a.O., 122 – 145. Leider berücksichtigen die beiden wichtigen Beiträge von T. Zeilinger (Zwischenräume – Theologie der Mächte und Gewalten) und M. Hailer (Gott und die Götzen) Yoders Beiträge zur Debatte nicht. 76 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 146 – 171. Vgl. zur aktuellen Diskussion den Forschungsüberblick von J. Woyke, Die neutestamentlichen Haustafeln. 77 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 172 – 188. 78 A.a.O., 189 – 204. 79 A.a.O., 205 – 219. 80 So etwa in der »Zwischenbilanz« (Kap. 6), a. a. O., 85 – 102, sowie dem Kap. 7 (»Der Jünger Jesu und der Weg Christi«), a. a. O., 103 – 121.

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Die Darstellung des irdischen Jesus bei Barth und Yoder

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Yoder greift auf die dynamische Kategorie des Weges zurück, um das gesamte Leben des irdischen Jesus als Ausrichtung auf sein Kreuz erscheinen zu lassen und um unser Handeln ethisch dementsprechend auszurichten, so dass wir »in the way of Christ«81 agieren. Diese Kategorie interpretiert seinen Weg durchgängig im Blick auf sein Ziel: »Jesus akzeptiert das Kreuz als sein Schicksal, er bewegt sich darauf zu, provoziert es sogar, obwohl er anders gekonnt hätte. Er nimmt das Kreuz aus freiem Willen auf sich, und er warnt seine Jünger, falls sie sich beim Betreten desselben Weges der Kosten weniger bewußt sein sollten«82. Die Metapher des Weges bildet gleichsam das Integral des Lebens Jesu, das sich auf jenen Integrationsbereich bezieht, den Yoder im Lukasevangelium durch die Ankündigung der Geburt Jesu (Lk 1) und die Schilderung seiner Hinrichtung und Erhöhung (Lk 23,1 – 24,53) markiert sieht. Die markanten Stationen, die Yoder nachzeichnet, sind nach der chronologischen Reihenfolge des Lukasevangeliums geordnet: a) das Magnifikat der Maria (Lk 1,46 – 55), jener berühmte Lobgesang, in dem sich Maria »wie eine Makkabäerin anhört«83 und der Angekündigte als »ein Urheber radikalen sozialen Wandels«84 dargestellt wird; b) die Berufungs- und Versuchungsgeschichte Jesu (Lk 3,21 f.; 4,1 – 13), wobei Yoder die Berufung Jesu in seiner Taufe als Beauftragung interpretiert, »in der Geschichte, in Palästina, der messianische Diener zu sein, der Träger des guten Willens und der Verheißung Gottes«85 ist, und die Versuchungen wiederum als ausgeschlagene »Wege zum Königtum.«86 81 Ders., For the Nations, 111. Dort kursiv. 82 Ders., Die Politik Jesu, 119. 83 A.a.O., 25. Zur politischen Valenz des Magnifikats vgl. etwa R. Feldmeier, Die synoptischen Evangelien, 118 ff., der in der in ihm beschriebenen Umkehrung der Wirklichkeitsordnung eine »Kurzfassung der lukanischen Theologie« (a. a. O., 119) sieht: »Kein Evangelium spricht so oft von Erbarmen, Frieden, Heil und Gnade wie gerade das dritte, und es meint damit auch die Neuordnung der Welt durch die Erhöhung der Niedrigen, die mit Jesus beginnt – von der Geburt Jesu durch eine unbedeutende galiläische Frau außerhalb der menschlichen Herberge bis zur Auferweckung des von den Menschen Verworfenen« (a. a. O., 120). Ungleich kritischer beurteilt K. Wengst (Pax Romana, 112 – 131) die Theologie des Lukas, die die Pax Romana in ihrer tatsächlichen Rolle beschönige und damit »historisch und theologisch eine Ungeheuerlichkeit« (a. a. O., 121) begehe. Vgl. auch W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, 162 f. 84 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 26. Vgl. W. Lienemann, Frieden, 34: »Wohl kein biblischer Text bringt diese urchristliche Anti-Politik so scharf zum Ausdruck wie der Lobgesang Marias (das ›Magnificat‹, Lk 1,46 – 49). Dieser Hymnus preist ja den Umsturz aller menschlichen Vorstellungen von Oben und Unten durch die Barmherzigkeit Gottes, der die Gewalthaber vom Thron stösst und die Niedrigen erhebt. Darin entfaltet sich die subversive Kraft der Gewaltfreiheit eines neuen Glaubens, der einen neuen Himmel und eine neue Erde erwartet. Die ›eschatologische‹ Hoffnung auf ein letztes, ›endzeitliches‹ Handeln und Eingreifen Gottes fordert die ›normale‹ Machtpolitik ungleich schärfer, weil auf einer vollkommen unvergleichbaren Ebene heraus als der übliche politische Kampf um Einfluss und Positionen.« 85 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 29.

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c) Jesu Antrittspredigt in Nazareth (Lk 4,14 – 27), in der Jesus Yoder zufolge, der hier eine These von A. Tromc¦ übernimmt, im Jahr 26 n. Chr. als Auftakt zum Reich Gottes im Anschluss an Lev 25 ein Jobeljahr ausgerufen hat: Das Land soll brach liegen, die Schulden erlassen, die Sklaven freigelassen und der Familienbesitz zurückerstattet werden.87 d) die Berufung der zwölf Apostel (Lk 6,12 – 16), die gemäß Yoder als »ausdrückliche Gründung einer neuen sozialen Wirklichkeit«88 Jesu Antwort »auf die organisierte Opposition«89 darstellt, sowie die Feldrede (Lk 5,17 – 49) als Entwurf einer »Ethik, die sich leiten läßt durch die beiden Kernpunkte der Nachahmung, des Nachvollzugs von Gottes grenzenloser Liebe zu seinen rebellischen Kindern […] und der auffälligen Verschiedenheit zum normalen ›Naturrechts‹-Verhalten anderer«90 (Lk 6,32 ff.). e) die Abschlusserzählungen zu Jesu Wirken in Galiläa (Lk 9), die dem sog. lukanischen Reisebericht (9,51 – 19,27) vorgeschaltet sind und in denen »[d]as Kreuz beginnt sich abzuzeichnen, nicht als rituell vorgeschriebenes Instrument zur Versöhnung, sondern als die politische Alternative zu Rebellion und Quietismus«91. f) verschiedene Erzählungen von Jesu Weg nach Jerusalem; Yoder nennt unter dem Stichwort »Der Preis der Nachfolge« explizit Lk 12,49 – 13,9; 14,25 – 36. Hier wird das Feuer auf Erden, das Jesus anzuzünden gekommen ist (Lk 12,49), als Umschreibung der Aufrichtung einer »Kontrastgesellschaft«, einer alternativen Herrschaftsstruktur zur Regierungsweise der Könige geschildert: »Jünger sein, heißt, den Lebensstil zu teilen, dessen Höhepunkt das Kreuz ist. […] Die Alternative dazu, wie die Könige die Völker regieren, ist nicht ›Spiritualität‹, sondern Dienen.«92 g) die Tempelreinigung (Lk 19,36 – 46), in der sich laut Yoder der messianische Anspruch manifestiert, »den Jesus in der gewaltlosen Übernahme des heiligen Ortes erhebt«93, womit implizit bereits behauptet wird, dass man sich nicht auf eine Peitsche Jesu »als Präzedenzfall für den Gebrauch von Gewalt durch Christen berufen«94 kann. Nach Yoder gehört es »zum Wesen der

86 Ebd. 87 Vgl. a. a. O., 59; ders., For the Nations, 202 f.227 f. Diese vier Vorschriften führt Yoder im Einzelnen a. a. O., 59 – 69, aus. Vgl. auch a. a. O., 34 – 37. Der Jobeljahr-These schließt sich J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, 139 – 143, unter expliziter Berufung auf Yoder an. 88 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 38. 89 Ebd. 90 A.a.O., 39. 91 A.a.O., 40. 92 A.a.O., 43. 93 A.a.O., 46. 94 A.a.O., 47.

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neuen Ordnung, daß sie, obwohl sie die alte verdammt und ablöst, dies nicht mit deren Waffen tut.«95 h) die Gethsemaneperikope (Lk 22,39 – 53), die Yoder im Sinne der letzten Versuchung Jesu zum »messianischen« Gewaltgebrauch versteht: »[Z]um letzten Mal winkt die Möglichkeit des Kreuzzuges. Wiederum sieht Jesus diese Möglichkeit als reale Versuchung. Wiederum weist er sie zurück.«96 i) die lukanische Schilderung von Jesu Hinrichtung und Erhöhung (Lk 23 – 24), welche sich nach Yoder dadurch auszeichnet, dass beide, Hinrichtung und Erhöhung, zusammenfallen, »das Kreuz selbst [also] als Erfüllung der Königsverheißung gesehen wird«97: »Das Kreuz ist nicht ein Umweg oder eine Hürde auf dem Weg zum Königreich, noch ist es der Weg zum Königreich; es ist das Kommen des Königreiches.«98 Yoder intendiert mit dieser rudimentären Darstellung des Weges Jesu, dessen politischen Charakter und wiederum dessen Relevanz zu demonstrieren, wobei sich diese Intention und ihre Realisierung im faktischen Gebrauch der Yoderschen Leitkategorie der Messianität99 widerspiegelt. Wenn Yoder seine nachfolgeethische Konzeption explizit als »messianische Ethik« qualifiziert, dann liegt dieser Qualifikation ein spezifischer Gebrauch des Messias-Begriffs zugrunde, der sich implizit gegen jene Messiaserwartung wendet, nach der ein endzeitlicher Heilskönig zu erwarten ist, der ein irdisches Reich des Friedens und der Gerechtigkeit mit Gewalt aufrichten und die (römische) Besatzungsmacht aus dem Land jagen wird.100 Auf einer solchen Messiaserwartung basiert nach Yoder die zelotische Option einer bewaffneten Revolution.101 Der Messiasbegriff, den Yoder gebraucht, um seine eigene Konzeption zu charakterisieren, trägt der Ablehnung des bewaffneten Aufstandes der »Eiferer« durch Jesus Rechnung. Jesus ging gemäß Yoder stattdessen den originär revolutionären Weg ans Kreuz, welcher die Königreichsverheißung nicht durch menschlichen Gewaltgebrauch korrumpiert, sondern diese im Kreuz selbst erfüllt sieht.102 Yoder rekurriert auf die Vorstellung vom leidenden Messias, den er alttestamentlich – etwa im vierten Gottesknechtslied (vgl. Jes 53,12)103 – präformiert 95 96 97 98 99 100 101 102 103

A.a.O., 48. A.a.O., 53. A.a.O., 56. Ebd. Zum Gebrauch der Kategorie des Messianischen in der gegenwärtigen dogmatischen, sich im Kontext des christlich-jüdischen Dialogs bewegenden Diskussion vgl. U.H.J. Körtner, Theologia messianica, 347 – 369. Vgl. J.H. Yoder, For the Nations, 205. Vgl. ders., Die Politik Jesu, 80. Vgl. a. a. O., 56. Vgl. ders., For the Nations, 86: »That lordship is servanthood, that he who empties himself

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sieht:104 »[D]as Leiden des Messias [ist] die Einsetzung des Königreiches«105. Yoder interpretiert das Prädikat »Messias« im Sinne eines genuin christologischen Hoheitstitels, ohne allerdings dessen traditionsgeschichtliche Bezüge verkennen zu wollen. Er gebraucht den Messiasbegriff in einem titularen Sinne, der an der Person Jesu orientiert ist, für dessen Verständnis sich aber der alttestamentlich-frühjüdische Traditionshintergrund als unentbehrlich erweist: »Was ›Messias‹ heißt, legt dann allerdings der Gekreuzigte und Auferstandene selbst und er allein aus«106. Dass es zu einer »völligen Neufassung des ›Messias‹Begriffs kommt, die den Rahmen der alttestamentlich-frühjüdischen Begriffsbestimmung unvergleichlich übersteigt«107, ist Yoder allerdings nur insofern zu konzedieren bereit, als dass dieser alttestamentlich-frühjüdische Begriffsgebrauch »does not have a highly focused meaning«108. Yoder grenzt seinen Messiasbegriff semantisch nicht generell vom alttestamentlich-frühjüdischen Begriffsgebrauch ab, sondern nur gegenüber der zelotischen Vorstellung von

104

105 106 107 108

unto death is elevated to the right hand of the Father, is not a gnostic redemption cult historicized; it is the career of YHWH’s Servant doxologized.« Vgl. ders., Die Politik Jesu, 50. Dies ist exegetisch freilich umstritten. Nach O. Hofius (Ist Jesus der Messias?, 123) handelt es sich beim vierten Gottesknechtslied (Jes 52,12 – 53,12) um ein nichtmessianisches Zeugnis. Vgl. ders., Neutestamentliche Studien, 70 – 107. Zur Diskussion vgl. den Band B. Janowski / P. Stuhlmacher (Hg.), Der leidende Gottesknecht. J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 56. O. Hofius, Ist Jesus der Messias?, 122, im Sinne Yoders. So O. Hofius (ebd.). Anders etwa P. Stuhlmacher, Der messianische Gottesknecht, 119 – 140. J.H. Yoder, Preface to Theology, 73. In biblisch-theologischer Hinsicht ist insbesondere dem späten Yoder daran gelegen, in starkem Maße die Kontinuität zwischen alttestamentlich-frühjüdischen und neutestamentlichen Traditionen zu betonen. So vertritt Yoder in seinem posthum erschienen Werk »The Jewish-Christian Schism Revisited« (a. a. O., 112) die These: »Our central argument has been to read the history from the beginning, and to discover that according to the way in which Jesus and also Paul expected and intended the Rule of God to proceed, the Jewish-Christian schism was not to have happened.« S. auch a. a. O., 192. Vgl. ders., For the Nations, 141 f.: »He [Jesus] claimed only to renew and fulfill, in the light of the original creation, of Moses and the prophets, what had already been commanded and promised, already betrayed. […] Jesus ›renews‹ by judging in the light of the Hebrew hope. He ›fulfills‹ by bringing the nations into that heritage, moving beyond Jewish ethnicity yet doing so in a forward direction, with and not against its earlier momentum.« Vgl. auch ders., The Priestly Kingdom, 54: »[W]e cannot say about this new communication move […] that it leaves Judaism behind. That would be anachronism again; the writers of these texts [Joh 1,1 – 14; Hebr 2,8 f.; 3,1 f.5 f.; Kol 1,15 – 20] and the singers of the hymn in Philippians [2,6 – 11] were all Jews. They were proclaiming the pertinence and the priority of the meaning-frame of messianic Judaism […]. A handful of messianic Jews […] refused to contextualize their message by clothing it in the categories the world held ready. Instead, they seized the categories, hammered them into other shapes, and turned the cosmology on its head, with Jesus both at the bottom, crucified as a common criminal, and at the top, preexistent Son and creator, and the church his instrument in today’s battle.«

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einem endzeitlichen, die Theokratie gewaltsam herstellenden König Israels. Yoder tut dies, indem er das Prädikat »Messias« als Kreuzestitulus bestimmt.

3.2.

Der »königliche Mensch«. Die Darstellung des Weges Jesu bei K. Barth

Auch in der Versöhnungslehre K. Barths spielen die nachfolgeethischen Leitkategorien des Weges und der Messianität eine entscheidende Rolle, wenn auch in latenterer Weise als dies bei Yoder der Fall ist. Was die Leitkategorie des Weges betrifft, so wird dies unmittelbar evident, wenn man sich veranschaulicht, dass Barth die Geschichte der Versöhnung als den Weg Jesu Christi erzählt und zwar in einer zweifachen Weise: Zum einen in KD IV/1 als den Weg des Sohnes Gottes in die Fremde (§ 59.1), welcher eingebettet ist in die Gehorsamsgeschichte des Sohnes Gottes (§ 59), in der Gott in seiner Selbsterniedrigung in Jesus Christus sein wahres Gottsein erweist; zum anderen in KD IV/2 als Weg der Heimkehr des Menschensohnes (§ 64.2), der wiederum eingeschlossen ist in die Geschichte von der Erhöhung des Menschensohnes (§ 64). Im Zusammenhang dieser in ihrem entgegengesetzten Richtungssinn bzw. ihrer vektoriellen Verschränkung zweifach zu erzählenden Geschichte, die uns selbst in ihrer versöhnenden Kraft einschließt, also gerade in ihrer Exklusivität inklusiv ist, kommt Barth auf den »königlichen Menschen« (§ 63.4) zu sprechen. Barth charakterisiert ihn als den messianischen Menschen, in dessen messianischer Geschichte Gott für alle Menschen Geschichte macht. In Jesus Christus ereignet sich aber nicht nur die in zweifacher Weise (KD IV/ 1 und 2) zu erzählende Geschichte der Versöhnung, sondern zugleich auch die Geschichte ihrer Offenbarung (KD IV/3), so dass die sich in Jesus Christus ereignende Geschichte der Versöhnung in zweifacher, nämlich ontischer und noetischer Aspektuierung dargestellt wird. In den Erscheinungen des Auferstandenen offenbart sich Jesus Christus als das Licht des Lebens und als die Ankunft der Zukunft des erlösenden Reiches Gottes (§ 69). Die Auferstehung Jesu von den Toten proklamiert nicht nur das Urteil Gottes als des deus pro mundo über den Gekreuzigten und damit über Israel und die Völkerwelt (KD IV/ 1, § 59.3), sondern sie erweist auch die übergreifende Macht des königlichen Menschen in seinem inklusiven und repräsentativen Charakter auf alle Menschen (KD IV/2, § 64.4). Zugleich versteht Barth den Auferstandenen als seinen eigenen Zeugen, der als überzeugender Zeuge von den verschiedenen Gestalten der bezeugenden Zeugen (Schrift, Kirche, Lichter in der Profanität) zu unterscheiden ist. Die mit dem Verweis auf Weg und Messianität terminologisch angezeigten Gemeinsamkeiten weisen bereits darauf hin, dass der KD-Abschnitt zum königlichen Menschen (§ 63.4) in Bezug auf einen Barth-Yoder-Vergleich sehr

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interessant sein könnte. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, ist hier tatsächlich eine große Nähe, aber zugleich auch Differenz zwischen Barth und Yoder zu beobachten, die insbesondere das Bild vom irdischen Jesus bei beiden betrifft. Barth stellt nun freilich besagten Abschnitt nicht unter den Titel der »irdische« oder gar der »historische« Jesus, sondern wählt – entsprechend seiner Intention, »die Dreiämterlehre nachgerade zu einem strukturbildenden Element seiner Versöhnungslehre«109 zu gestalten – im Anschluss an die Tradition vom munus regium die Überschrift »Der königliche Mensch«. Mit dieser Rubrizierung sind bereits wichtige hermeneutische Grundentscheidungen im Blick auf Barths Darstellung des irdischen Jesus gefallen, die das Verstehen 1. des Christusprädikats vere homo110 und 2. des messianischen Charakters seines Wirkens betreffen. Was den messianischen Charakter des Wirkens Jesu betrifft, so interpretiert Barth die Existenz und das Leben Jesu von Nazareth im Lichte »der neutestamentlichen Botschaft als Interpretation der alttestamentlichen«111. Der neutestamentlichen Botschaft folgend, bedient sich Barth zur Darstellung des Persongeheimnisses Jesu Christi der Kategorien der alttestamentlichen Gesalbten.112 Barth kann also, indem er vom »königlichen Menschen« spricht, Existenz und Leben Jesu von Nazareth im Gefälle alttestamentlicher Erwartungen des Messias explizieren. Jesus Christus wird – wie K. Barth sagen kann – »als Israels Messias der Erretter der Welt«113. B. Klappert hat dementsprechend in seiner Barth-Interpretation darauf hingewiesen, dass der Begriff »der königliche Mensch« mit dem Terminus »der messianische Mensch« identisch ist.114 Man 109 M. Freudenberg, Vom dreifachen Amt Christi, 84. Barth liefert eine originelle und innovative Verknüpfung der drei traditionell getrennten christologischen Denkfiguren von den zwei Naturen, den beiden Ständen und den drei Ämtern Jesu Christi, um die Bedeutung der Person Jesu zu entfalten, deren Sein sich aus ihrem Handeln erschließt (esse sequitur operari): »In seinem priesterlichen Amt ist Jesus Christus darin der wahre Gott, dass er sich selbst erniedrigt und sich dienend der Menschheit zuwendet (KD IV/1). In seinem königlichen Amt ist er darin der wahre Mensch, dass er von Gott in die Gemeinschaft mit ihm erhöht wird und so der königliche Mensch ist (KD IV/2). Und in seinem prophetischen Amt ist er in der Einheit von wahrem Gott und wahrem Mensch darin der Bürge und Zeuge seiner eigenen Person und seines eigenen Werkes, dass er sich im Heiligen Geist der Menschheit selbst vergegenwärtigt (KD IV/3)« (ebd.). Das prophetische Amt versteht Barth als das Noetische des Ontischen der beiden anderen Ämter (hohepriesterliches und königliches Amt). Vgl. dazu die Graphik zum Aufbau der Barthschen Versöhnungslehre in: E. Jüngel, Art. Karl Barth, 265. 110 Die Entfaltung dieser hermeneutischen Grundentscheidung erfolgt im nächsten Kapitel (I.4.3.4.) dieser Untersuchung aufgrund ihrer Bedeutsamkeit in eigenständiger Weise. 111 K. Barth, KD IV/2, 173. 112 So auch M. Freudenberg, Das dreifache Amt Christi, 73. 113 K. Barth, KD IV/2, 288. 114 So B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 57. Vgl. auch T. Gorringe, Karl Barth: Against Hegemony, 235 ff.

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wird freilich hinsichtlich einer solchen Aussage nicht aus dem Blick verlieren dürfen, dass nach Barths Verständnis Jesus Christus selbst und er allein in Person und Werk auslegt, was »Messias« heißt. Gemäß der Messiaserwartung seiner Jünger verlief Jesu Weg als Antiklimax: »herunter von jenen Höhepunkten, von Jesu Offenbarwerden als Israels Messias […] und hinein in […] Leiden und Tod des einen Gerechten«115. Die neutestamentliche Botschaft interpretiert die alttestamentliche Botschaft auch im Blick auf das, was »Messias« wirklich heißt. »Messias« ist – mit anderen Worten – ein Prädikat Jesu Christi und Jesus Christus kein Prädikat des Messianischen.116 Unter diesem Vorzeichen kann Barth theologischen Gebrauch von der Kategorie des Messianischen machen, wenn er etwa vom wirkmächtigen und wirkkräftigen Reden Jesu als »messianische[r] Tat«117 spricht,118 durch welche etwa »das neue Jahr des Herrn (Luk. 4, 18 f.) nicht nur angezeigt wird, sondern anbricht«119. Im Zusammenhang von Jesu Messianität erfolgt auch Barths Hinweis, dass Jesu Worte im performativen Sinne nicht nur deiktischen bzw. apophantisch-enthüllenden, sondern (neu-)schöpferischen Charakter haben. Sie sind – mit Luther gesprochen – als verbum efficax und das bedeutet nach Barth als verbum regis (und nur so wiederum als verbum rectum auch verbum regens) Vollzug seiner Messianität: »[E]r vollzieht, indem er redet. Was er ausruft, das wird in dem Augenblick, in dem er das tut, Wirklichkeit.«120 Wenn Jesus Christus etwa in Eph 2,17 als derjenige prädiziert wird, der den Frieden verkündigte, und zugleich in Eph 2,14 als derjenige, der »unser Friede« ist, so zeigt 115 K. Barth, KD IV/2, 281 f. 116 So droht in B. Klapperts Interpretation der Begriff des »Messianischen« in seiner Übertragung etwa auf die übrigen Ämter (der »messianische« Hohepriester und der »messianische« Prophet) so stark ausgeweitet zu werden (vgl. a. a. O., 53 – 95, bes. 57 – 69), dass dieser Begriff zu einer immer konturloser erscheinenden, das Gesamt von Person und Werk Jesu Christi übergreifenden Deutekategorie wird, die ausschließlich die Kontinuität von altund neutestamentlicher Botschaft benennt. Die umgekehrte Gefahr, einseitig nur die Diskontinuität zu betonen, sehe ich in O. Hofius’ Thesen »Ist Jesus der Messias Israels?« (a. a. O., 125) gegeben, wenn er »eine völlige Neuqualifizierung des ›Messias‹-Begriffs« in der neutestamentlichen Botschaft gegenüber der alttestamentlichen und frühjüdischen Messiaserwartung konstatiert. Zur Kritik an Hofius’ Thesen vgl. P. Stuhlmacher, Der messianische Gottesknecht, 139 f. 117 K. Barth, KD IV/2, 227. 118 Vgl. H.J. Iwand, Glauben und Wissen, 200, der wie Barth auf Ps 33,9 rekurriert: »Seine Worte sind nicht ›Deuteworte‹, sondern ›Tatworte‹, ›er spricht, so geschieht’s‹. […] Wenn aber das Wort Gottes im Unterschied zu unserem menschlichen Wort diesen apophantischen Charakter, also den ein Sein in seinem Grunde enthüllenden Charakter nicht hat, weil es gar nicht auf ein Seiendes bezogen ist, sondern wenn es diesen Ruf-Charakter hat, der das Nicht-Seiende ins Dasein ruft, dann müsste die Begegnung mit ihm dem ersten Schöpfungstage gleichen!« 119 K. Barth, KD IV/2, 227. 120 Ebd.

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sich hier nach Barth eine die »messianische Heils- und Friedenszeit«121 qualifizierende Koinzidenz zwischen dem Inhalt der von Jesus gebrachten Nachricht und ihm selbst als ihrem Überbringer.122 Das Verkündete wird in ihm Ereignis, die Botschaft gewinnt im Boten Gestalt. Barth kann des Weiteren – in Übereinstimmung mit Yoder – von der Taufe Jesu als dem »Beginn seines messianischen Weges«123 sprechen, ebenso wie er in seiner Auslegung des Passus »wie im Himmel so auf Erden« der Unservater-Bitte »Dein Wille geschehe« (Mt 6,10) Jesu Einzug in Jerusalem als »messianischen Einzug« bezeichnen kann, wobei Barth eine spiegelbildliche Entsprechung zwischen dem Wort der Jüngermenge »Im Himmel Frieden und Ehre in der Höhe« (Lk 19,38) und dem weihnachtlichen »et in terra pax« der Engel (Lk 2,14) beobachtet. Bezeichnenderweise betont Barth allerdings in seiner Exegese, dass »das Geschehen auf Erden, die Fülle der eben hier Ereignis gewordenen Machttaten, gekrönt und bestätigt in dem nun stattfindenden messianischen Einzug«124, seine himmlischen Voraussetzungen hat, die im Hintergrund stehen. Nur als vere deus – und nicht etwa von dieser Voraussetzung isoliert und abgetrennt – ist Jesus Christus der »königliche Mensch«, der Messias Israels.

3.3.

Analogie und Differenz in der Darstellung des irdischen Jesus bei K. Barth und J.H. Yoder

In Barths Darstellung des »königlichen Menschen« finden sich aber nicht nur im Blick auf die großen nachfolgeethischen Leitkategorien des Weges und der Messianität, sondern auch im Detail zahlreiche Entsprechungen zu Yoders Darstellung der »Politik Jesu«. Was etwa den politischen Charakter des Auftretens Jesu betrifft, so betont auch Barth die kritisch-scheidende Funktion bzw. die polarisierende Wirkung, die von Jesus als Friedensstifter vom Anfang seines Wirkens an ausging: »Das Dasein des königlichen Menschen Jesus war nach dem Lobgesang der ›Menge der himmlischen Heere‹ von Luk. 2, 14 wie in der Höhe identisch mit der Ehre Gottes, so auf Erden identisch mit dem ›Frieden unter den Menschen als dem Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens‹. Aber eben dieser Friede, realisiert und vollzogen in der Menschenwelt, der das göttliche Wohlgefallen nur trotzdem, nur als freie Gnade zugewendet sein kann, realisiert und vollzogen in seinem Kreuzestod, forderte er, dieser Mensch inmitten aller anderen Menschen, Wahl und Entscheidung, vollzog er Scheidung, indem er da war. So hat denn auch Lukas (12, 51) die Tradition nicht unterdrückt, 121 122 123 124

A.a.O., 218. Vgl. ebd. Ders., KD III/3, 508. A.a.O., 521.

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nach der Jesus gesagt hat: ›Ihr meint, ich sei gekommen, der Erde Frieden zu geben? Nicht so, sondern ich sage euch: Zwiespalt (diamerismon)!‹ Das ›Schwert‹ heißt es Matth. 10, 34«125.

Ebenso wie Yoder die Leidensdimension126 des messianischen Wirkens Jesu verdeutlichen und in diesem Gefälle den Tod am Kreuz als Sieg bzw. Jesu »condescension [as] his glory«127 ausweisen kann, akzentuiert auch Barth: »[I]ndem er [Jesus Christus] den Weg in sein Leiden und in seinen Tod antrat und zu Ende ging – da nicht weniger, sondern in der rückschauenden Erinnerung ganz klar : gerade da«128 richtet er seine Herrschaft auf und übt sie aus. Des Weiteren lässt sich beobachten: Ebenso wie Yoder bestimmt auch Barth das Kreuz »als Merkmal der ganzen Existenz, der ganzen Gottähnlichkeit, des ganzen Handelns des Menschen Jesus«129. Und in sachlicher Übereinstimmung mit Yoder kann auch Barth hervorheben: Jesu »Kreuzigung war nicht nur nicht die Katastrophe, sondern sie war (nicht erst in der Sicht des Paulus, sondern schon in der der evangelischen Überlieferung) das Telos seines Daseins.«130 Das Kreuz ist bereits Christi Königsthron,131 seine »Krönung«132, die Klimax seines Weges133, nämlich »Licht, Macht, Herrlichkeit, Verheißung und Erfüllung zugleich, Hoffnung künftiger und Ereignis schon gegenwärtiger Befreiung, Vergebung der Sünden und jetzt und hier schon ewiges Leben.«134 Yoder durchaus vergleichbar – allerdings ohne dessen apokalyptisches Geschichtsbild zu übernehmen –, akzentuiert auch Barth den Sieg des Lammes, 125 Ders., KD IV/2, 176. 126 Auch K. Barth (KD IV/1, 181) betont den »Charakter der ganzen Geschichte des Menschen Jesus als Leidensgeschichte«. 127 J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 62. 128 K. Barth, KD IV/2, 180. 129 A.a.O., 276. B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 151) spricht zutreffend von Barths Verständnis des Kreuzes als dem »Integral der Geschichte Jesus Christi« bzw. als dem »Interpretationszentrum der Gottessohnschaft Jesu« (a. a. O., 150). 130 K. Barth, KD IV/2, 182. So auch a. a. O., 279: »[D]as Kreuz ist wohl das Ende und der Abbruch des Weges Jesu, eben als das aber zugleich sein Ziel und Abschluß.« 131 W. Kreck (Die Versöhnungslehre Karl Barths als kritische Anfrage an den Heidelberger Katechismus, 3) beobachtet aufmerksam die johanneische Pointe bzw. Ausrichtung der Barthschen Paradoxien, die für seine Rezeption der Zwei-Stände-Lehre charakteristisch sind: »Gottes Herrlichkeit gerade in seiner Erniedrigung bis zum Tod am Kreuz und des Menschen Hoheit in seinem Gehorsam kraft seines Angenommenseins durch Gott. Erniedrigung und Erhöhung sind nach diesem Verständnis nicht eigentlich zwei aufeinander folgende Akte eines Dramas, wie es Philipper 2 in dem bekannten Christushymnus beschrieben wird, sondern sie schieben sich (zeitlich) gewissermaßen ineinander – ähnlich der Rede des Johannesevangeliums, das bereits [in] dem auf Erden Wandelnden, Fleischgeworden, ja, dem Gekreuzigten den Erhöhten mit den Augen des Glaubens zu sehen vermag. Das Kreuz ist, wie Barth sagt, bereits Christi bzw. Gottes Königsthron«. 132 So K. Barth, KD IV/2, 677. 133 A.a.O., 285. 134 A.a.O., 292. Dort z. T. kursiv.

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welches »als das geschlachtete Lamm vor Gottes Thron ist.«135 Und ähnlich wie Yoder136 bringt auch Barth in einer Reihe von Paradoxien die sub specie contrarii erscheinende Königsherrschaft Jesu Christi zur Sprache: »Sein Königtum ist ohne den Glanz und die Gewalt, die Ausdehnung und Dauer auch nur des kleinsten der menschlichen Reiche, die es doch alle in den Schatten und gänzlich in Frage stellt. Seine Macht ist vor den Menschen in seiner Ohnmacht, seine Herrlichkeit vor ihnen in seiner Geringfügigkeit, sein Sieg vor ihnen in seiner Niederlage, schließlich in seinem Leiden und Sterben als ausgestoßener Verbrecher verborgen. Er, der allein Reiche, ist unter ihnen als der ärmste Mensch. Er hat als der erhöhte Menschensohn die Erniedrigung des Sohnes Gottes nicht verleugnet, sondern getreulich und bis aufs letzte dargestellt und nachgebildet.«137

In Knechtsgestalt (Phil 2, 7) offenbart sich der königliche Mensch als Herr, indem er mit Gott übereinstimmt, als Mensch »analog zur Existenzweise Gottes«138 existiert und zwar als »nach Gott« (kata theon) Geschaffener (Eph 4, 24). Der königliche Mensch stimmt auch darin mit Gott überein, dass er dessen wunderliches Los teilt, »das Gott in seinem Volk und in der Welt zufällt: der von den Menschen Übersehene, Vergessene, gering Geschätzte, Verachtete zu sein«139. In ihm, dem königlichen Menschen, dem »Parteigänger der Armen«140, zeigt sich – sowohl nach Barth als auch nach Yoder – Gottes Parteigängerschaft mit den Armen,141 die Barth in dreifacher Hinsicht präzisiert:142 a) primär als Parteinahme für die ökonomisch Armen, b) als Parteinahme für die geistlich Armen (Zöllner und Sünder) und c) als Parteinahme für die heilsgeschichtlich Armen (die in die Bundesgeschichte Gottes mit Israel einbezogene Völkerwelt)143 : »Es ist eben durchgehend und, der Konkretion der Begriffe Reichtum und Armut unbeschadet, in umfassendem Sinn so, daß die Hungrigen, Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Gefangenen Jesu Brüder ind, in denen er selbst er135 A.a.O., 172. 136 Vgl. J.H. Yoders (For the Nations, 236) Prädikation des Lammes als »slain yet alive, defeated yet victorious.« 137 K. Barth, KD IV/2, 186. 138 A.a.O., 185. 139 A.a.O., 186. 140 A.a.O., 200. 141 Vgl. J.H. Yoder, The Original Revolution, 16: »[W]hatever it is that God is about to do, it will be good news for the poor, bad news for the proud and the rich; it will be change, including changed economic and social relations.« Ähnlich ders., The Priestly Kingdom, 57. 142 Der Begriff »Mammon« schließt nach K. Barth (KD IV/2, 189) auch den »Besitz an Macht und Gewalt« ein. 143 Im Sinne dieser Trias systematisiert B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 127) den Abschnitt KD IV/2, 188 – 191. Vgl. auch H. Stickelberger, Die Menschlichkeit des Erhöhten, 199.

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kannt oder eben nicht erkannt wird«144. Auch Yoder prononciert »the identification of Christ with the poor«145 und zwar – wie auch Barth – exakt im Zusammenhang der Antrittspredigt Jesu in Nazareth (Lk 4): »Ohne Zweifel nahm Jesus um des Gottesreiches willen freiwillige Armut an, und er befahl seinen Jüngern, ihr Kapital im Sinne des J[o]beljahres zu verteilen«146. Jesu Parteigängerschaft für die Schattenexistenzen, diese »merkwürdige Affinität«147 verweist nach Barth auf seine »Gemeinschaft und Konformität mit diesem in der Welt armen Gott«148, aus der heraus der königliche Mensch mit der Gründung einer neuen, distinkten und alternativen (später als Kirche bezeichneten) Gemeinschaft »jene Umwertung aller Werte«149 vollzieht, die Yoder als die »original revolution«150 bezeichnen kann. Auch Barth hebt den »ausgesprochen revolutionären Charakter seines [des Menschen Jesus; M.H.] Verhältnisses zu den in seiner Umgebung gültigen Wertordnungen und Lebensordnungen«151 hervor. Er möchte jedoch diese Aussage nicht prinzipialisiert wissen. Der königliche Mensch, der in der Tiefe menschlichen Elends der erhöhte, neue Mensch ist, tritt zwar in eine entschiedene, fundamentale Opposition zu diesen Werten und Ordnungen, jedoch nicht um eine eigene ideologische Front aufzurichten, sondern um ihnen das (in ihm im Sinne der autobasileia einbrechende) Reich Gottes als dessen große Revolution gegenüber zu stellen: »Er [Jesus] vertrat, verteidigte und verfocht kein Programm: weder ein politisches, noch wirtschaftliches, noch ein moralisches, noch ein religiöses, weder ein konservatives noch ein fortschrittliches. Er machte sich bei den Vertretern aller solcher Programme, ohne daß er eines von ihnen besonders bekämpfte, gleich verdächtig und mißliebig. Er stellte – und das war das tief Beunruhigende seiner Existenz nach allen Seiten – alle Programme, alle Prinzipien in Frage. Und er tat das zunächst einfach damit, daß er jenen Ordnungen gegenüber, um die positiv oder negativ um ihn her gestritten wurde, eine merkwürdige – man muß gerade hier wieder sagen: eine königliche Freiheit hatte und an den Tag legte.«152 144 145 146 147 148 149 150

K. Barth, KD IV/2, 189. J.H. Yoder, For the Nations, 111. Ders., Die Politik Jesu, 68. K. Barth, KD IV/2, 188. Ebd. Ebd. J.H. Yoder, The Original Revolution, 28. Vgl. ebd.: »Jesus created around Himself a society like no other society mankind had ever seen«. 151 K. Barth, KD IV/2, 191. 152 Ebd. Barth bestimmt Jesu Haltung als die eines »gelassenen Konservativismus« (a. a. O., 193) gegenüber den familiären, ökonomischen und politischen Verhältnissen seiner Zeit, die er weder prinzipiell aberkennt, noch anerkennt: »[E]r [geht] über einen vorläufigen und beschränkten Respekt gegenüber den bestehenden und gültigen Ordnungen – um nicht zu sagen: über ihre vorläufige und beschränkte Duldung nicht hinaus[…]. Jesus anerkannte

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Dies betrifft Barth zufolge Pharisäer, Römer, Essener und alle sonstigen religiösen und/oder politischen Parteiungen der damaligen Zeit gleichermaßen, übrigens auch den von Yoder unter Berufung auf die »Politik Jesu« vertretenen Pazifismus der messianischen Gemeinschaft. Auch er ist von der königlichen Freiheit, die der königliche Mensch walten ließ, nicht ausgenommen, sondern radikal in Frage gestellt. Damit sind wir nun bei der entscheidenden Differenz zwischen den nachfolgeethischen Konzeptionen Barths und Yoders angelangt. Barths Rekurs auf die königliche Freiheit ist nämlich darin als Infragestellung der Yoderschen Konzeption zu verstehen, dass sie mit allen Programmen auch das Programm des Pazifismus der messianischen Gemeinschaft und mit allen Prinzipien auch das Prinzip der Gewaltlosigkeit in Frage stellt. Der lebendige Jesus Christus darf nach Barth theologisch nicht zu einem Prädikat eines übergeordneten Pazifismus oder einer die theologisch-ethische Urteilsbildung regierenden Grammatik der Gewaltlosigkeit werden. In der Tradition Calvins und seiner Entfaltung der Drei-Ämter-Lehre stehend, macht Barth gegenüber solchen Vereinnahmungen die libertas christiana als Kennzeichen der vita christiana geltend.153 Im Genfer Katechismus von 1545 beantwortet Calvin die Frage, was uns Christi Königsamt bringt, wie folgt: »Durch seine Wohltat sind wir zu einem frommen und heiligen Leben in Freiheit der Gewissen befreit […] worden.«154 Dementsprechend kennzeichnet Barth den königlichen Menschen, den »Erstgeborenen der ganzen Schöpfung« (Kol 1,15), »im Blick auf den erst zu lernen ist, was Geschöpf, was der Mensch ist,«155 als denjenigen, der »Anderen die Freiheit dazu gibt, […] in seine Nachfolge einzutreten.«156 Der königliche Mensch ist »der Bringer des Reiches Gottes als des Reiches der Freiheit.«157 Die Freiheit des Reiches Gottes, die der königliche

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sie, er rechnete mit ihnen, er unterstellte sich ihnen und wies auch die Seinen an, sich ihnen zu unterstellen – indem er über ihnen stand« (a. a. O., 195). Vgl. auch a. a. O., 197. J.K. Riches (Art. Nachfolge Jesu III, 700) weist zu Recht darauf hin, dass bei Barth die Unterordnung der Gläubigen unter Christus, die mit der Nachfolge einhergeht, »die Freiheit des Christen nicht [beeinträchtigt]: Der Ruf ist in Gottes unumschränkter Gnade gegründet und wird vom Gläubigen in Freiheit angenommen.« CStA 2,28 f.: »Nempe quod eius beneficio ad pie sancteque vivendum vindicati in libertatem conscientiarum«. Treffend bemerkt M. Freudenberg, Das dreifache Amt Christi, 78: »Calvin setzt beim königlichen Amt den Akzent auf das christologisch fundierte und pneumatologisch initiierte Befreiungsgeschehen. Christliches Leben ist per definitionem befreites Leben, das den lebensfeindlichen Gewalten zu trotzen vermag. Es liegt auf der Hand, dass sich von hier aus Implikationen für die Existenz der christlichen Gemeinde – für ihre Ethik, aber auch für ihre Hoffnung – nahe legen.« Zum Freiheitsverständnis J. Calvins vgl. auch ders., Zum Antworten geschaffen, 148 – 153; H. Scholl, Reformation und Politik, 14 – 24. K. Barth, KD IV/2, 185. Ebd. B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 126. Dort kursiv.

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Mensch als errettende Wirklichkeit mit seiner Freiheitsbotschaft bringt,158 »diese als solche, die von jenen Ordnungen her gesehen so gar nicht unter irgend eine Kategorie zu bringen war, machte ihn zu einem Revolutionär, dem an Radikalität keiner von denen, die vor ihm waren und nach ihm kamen, an die Seite zu stellen ist.«159 Nach Yoder macht zwar auch die Freiheit des Reiches Gottes Jesus zum Revolutionär, jedoch beschreibt er diese Freiheit ausschließlich als Freiheit zum Gewaltverzicht und keineswegs als diejenige Freiheit, die notfalls auch den Verzicht auf den Gewaltverzicht bedeuten kann. Yoder zufolge schließt also die Freiheit des Reiches Gottes Gewaltgebrauch aus, während sie nach Barth diesen in einem Grenzfall160 auch einschließen kann. Die vita christiana kennt gemäß Barth die Beschränkung durch den von Yoder vertretenen Pazifismus nicht. Vielmehr gilt nach Barth auch im Blick auf diesen: »Von einer grundsätzlichen Auflehnung gegen die Römerherrschaft oder gegen die des Herodes, aber auch von einem grundsätzlichen Anti-Imperialismus und Anti-Militarismus findet man in den Evangelien keine Spur.«161 Dabei lässt Barth ebenso wie Yoder nicht den geringsten Zweifel daran, dass das Reich Gottes von und in Jesus Christus als Friedensreich installiert und inauguriert wurde. So spricht Barth explizit von »dem Kommen seines [Gottes] Reiches als dem Reich des Friedens auf Erden, der Versöhnung der Welt mit ihm selber«162. Der KD-Abschnitt zum »königlichen Menschen« kulminiert darin, dass Barth das punctum saliens, in welchem der königliche Mensch Jesus Gott selbst widerspiegelt und abbildet, als Gottes Erbarmen, Evangelium, Friedensreich und Versöhnung bestimmt. Hierin findet das in Jesus Christus gegebene göttliche Ja zum Menschen seinen Ausdruck: »Der Mensch Jesus ist entscheidend darin ›nach Gott geschaffen‹, daß er als Mensch das Werk und die Offenbarung des Erbarmens Gottes, seines Evangeliums, seines Friedensreiches, seiner Versöhnung, daß er in diesem Sinn Gottes geschöpfliche, irdische, menschliche Entsprechung ist.«163

158 159 160 161 162 163

Vgl. K. Barth, KD IV/2, 214 – 274. A.a.O., 192. Vgl. zum sog. »Grenzfall« Kap. II.2. der vorliegenden Untersuchung. A.a.O., 194. A.a.O., 201. Ebd. Vgl. a. a. O., 186: »Er bildet Gott ab, er ist als Mensch seine eiko¯n (Kol. 1, 15). Er ist im menschlichen Raum im gleichen Sinn teleios, auf dasselbe Ziel ausgerichtet wie sein Vater im himmlischen (Matth. 5, 48). In Ihm geschieht dessen Wille auf Erden, wie er im Himmel geschieht (Matth. 6, 10). In seiner Lebenstat siegt, behauptet und offenbart sich der Friede der Schöpfung.«

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Barth möchte mit seiner nachfolgeethischen Konzeption zu einer Ethik der Freiheit164 vorstoßen bzw. jene als eine solche entwerfen. Und so will er auch die Weisungen der Bergpredigt »wieder nicht als sein [Jesu] Gesetz, aber als sein[en] freie[n] Aufruf zur Freiheit« verstanden wissen – »dahin, daß auch sie [seine Jünger] dem Bösen nicht widerstehen, sich nach der rechten auch auf die linke Wange schlagen, daß sie dem, der nach ihrem Rock verlangte, auch den Mantel lassen, und mit dem, der sie eine Meile weit bemühen sollte, gleich zwei gehen sollten – und weiter dahin, daß auch sie (Matth. 7, 1 f.), wollten sie nicht selber gerichtet werden, nicht richten sollten – und weiter dahin, daß auch sie (Matth. 5, 43 f.) ihre Feinde lieben und für ihre Verfolger beten sollten«165. Im Blick auf Barths Auslegung der Bergpredigt, die auch die Seligpreisung der Friedensstifter einschließt,166 hebt W. Lienemann berechtigterweise die Vielfältigkeit der Nachfolge hervor: »Besonders Barth hat immer daran festgehalten, daß das Neue Testament keine einheitlichen Regeln für den Umgang der Christen mit den Mächten und Gewalten dieser Welt aufstellt; [d]arum hat Barth die Prävalenz der Bergpredigt nie umgemünzt in einen prinzipiellen Pazifismus; er überliefert aber die frühesten Antworten von Christen auf den ›Ruf der Freiheit‹ und zeigt, daß diese Antworten nicht selbstverständlich und uniform, sondern Resultat harter Auseinandersetzungen und Ausdruck verschiedener Situationen waren. Ihre Einheit haben diese Antworten allein in dem Ursprung, der sie in die Nachfolge rief.«167

4.

Nachfolge als imitatio bei K. Barth und J.H. Yoder

4.1.

Nachfolge als schöpferische Nachfolge des freien Menschen bei K. Barth

E. Wolf, der sich wie kaum ein zweiter Lutherforscher im Kontakt mit den Historischen Friedenskirchen der Frage nach einer lutherischen Rezipierbarkeit des Nachfolgemotiv168 gewidmet hat,169 weist darauf hin, dass in Bezug auf die 164 T. Gorringe (Karl Barth: Against Hegemony, 225) bezeichnet »[t]he doctrine of reconciliation [as] a massive exposition of the claim that ›Jesus means freedom‹.« 165 K. Barth, KD IV/2, 199. 166 Vgl. a. a. O., 210 f. 167 W. Lienemann, Gewalt und Gewaltverzicht, 72 f. Ähnlich H. Kuhlmann, Sie folgten nach und dienten ihm, 546: »Nachfolge kann verschieden motiviert sein, verschieden beginnen und verschiedene Formen annehmen. Zwischen dem Motiv, dem Beginn und der Form der Praxis, nachzufolgen, besteht kein mechanisches Verhältnis.« 168 Zum Gesamt der Thematik des Abschnittes I.3.4. vgl. M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 427 – 433. 169 Vgl. E. Wolfs Beiträge zu den ersten beiden Puidoux-Konferenzen in: D.F. Durnbaugh (Hg.), On Earth Peace, 123 – 127.147 – 153. Zum imitatio Christi-Verständnis bei Luther und

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Nachfolge »die Freiheit des Glaubens das Regiment führen«170 muss. Wolf spricht deshalb – die freiheitliche Grundierung der Nachfolge betonend – in seinem Aufsatz mit dem programmatischen Titel »Schöpferische Nachfolge?« von der »›schöpferische[n] Aufgabe‹ der Nachfolge«171. Ebenso wie sein Schüler E. Wolf versteht auch K. Barth Nachfolge als die freiheitliche Lebensform der Kinder Gottes. Beide intendieren, anders gesagt, eine nicht-gesetzliche Auslegung der Nachfolge.172 Dementsprechend betont K. Barth in dem Abschnitt »Der Ruf in die Nachfolge« (§ 66.3): »Wer sein [Jesu] Jünger wird, wird durch ihn ein freier Mann«173. Um die Gefahr der gesetzlichen Selbstüberforderung wissend, stellt Barth klar : »Es gibt […] kein neues Gesetz der Revolution, dem seine Jünger nun ebenso unterworfen wären wie die Anderen dem alten Gesetz des von den falschen Absolutheiten beherrschten Kosmos. […] Es gibt nur Jesu neues Gebieten in seinem Verhältnis zu je diesem von ihm erwählten Menschen, in je dieser von ihm bestimmten Zeit und Situation. Dieses sein neues Gebieten ist die konkrete Gestalt, in der er je diese Menschen, je jetzt und hier in seine Nachfolge ruft und also heiligt.«174 Das diesem Gebieten entspringende Gebot versteht Barth als das sich im Akt des Gebietens ereignende mandatum concretissimum. Der Ruf in die Nachfolge hat »die Form des den Menschen treffenden Gebotes Jesu«175 und »die Gestalt der dem Menschen konkret widerfahrenden Gnade«176. Indem der Ruf in die Nachfolge sich als dieses mandatum concretissimum (und nicht bloß als consilium evangelicum) ereignet, widerfährt dem Menschen Gnade. Diese Gnade dispensiert nicht von der ethischen Urteilsbildung, sondern befreit zu derselben. Dadurch, dass der Ruf in die Nachfolge als Gestalt der Gnade hic et nunc in Form des konkretesten Gebotes ergeht, also alles andere als inhaltsleer ist, muss der getroffene Mensch keine Zuflucht bei bestimmten Prinzipien und/oder Programmen nehmen, wie etwa dem »Programm einer christlichen Lebensgestaltung nach dem Buchstaben des in den neutestamentlichen Evangelien vorgezeichneten Vorbildes des Lebens Jesu«177, das Barth der mittelalterlichen Tradition der imitatio Christi zuschreibt.178 Der »einfältige

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verschiedenen Lutheranern vgl. auch R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 207 – 211. E. Wolf, Schöpferische Nachfolge?, 241. A.a.O., 239. Vgl. K. Barth, KD IV/2, 613. A.a.O., 616. A.a.O., 619. A.a.O., 605. Vgl. dazu die Ausführungen zum Verhältnis von Evangelium und Gesetz im Abschnitt II.2.3.1.1. der vorliegenden Untersuchung. Ebd. A.a.O., 603. Vgl. zur mystisch-devotionalen Tradition U. Köpf, Das Ideal der Nachfolge Christi im abendländischen Mittelalter, 121 – 139.

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Gehorsam«, mit dem Barth – Bonhoeffer folgend – die Nachfolge umschreibt, würde verleugnet, wenn wir etwa aus den Sätzen der Bergpredigt »ein Normgebilde machten, das wir zu ›kopieren‹ unternähmen.«179 Jesus fordert nicht situations- und kontextinvariant ein und dasselbe Tun. Er bezieht den Gehorsam Barth zufolge nicht auf seinen illic et tunc, sondern seinen hic et nunc ergehenden Ruf. Diese gebotsethische Überzeugung Barths basiert auf der Einsicht: Wenn wir heute exakt das täten, was die Jünger damals taten, würden wir nicht das tun, was sie damals taten. Wir würden damit eben nicht notwendigerweise Jesus nachfolgen, sprich: seinem Ruf Gehorsam leisten. Barth grenzt die im Rahmen einer christlichen Ethik der Freiheit anzuvisierende Nachfolge ab von der »Anerkennung und Übernahme eines Programms, eines Ideals, eines Gesetzes, [das als] solches zu verwirklichen [ist]. Nachfolge ist nicht die Ausführung eines dem Menschen von Jesus mitgeteilten und zur Nachachtung empfohlenen Planes individueller oder sozialer Lebensgestaltung.«180 Ein solches Programm, Ideal und/oder Gesetz würde den lebendigen Christus181 und seinen Ruf substituieren zugunsten einer Christusidee, einer Christologie oder eines christozentrischen Gedankensystems.182 Nachfolge besagt hingegen nach Barth, »daß dieser und dieser Mensch, dem es gegeben wird, zu dem kommen, dem nachlaufen, mit dem sein soll, der es [das Gebot: ›Folge mir nach!‹; M.H.] gibt.«183 Grundsätzlich hält Barth fest: »Es gibt kein rechtes Tun außer der Bindung an ihn«184. Dies gilt nun auch im Blick auf Barths Nachzeichnung der großen Linien, wie er sie in den neutestamentlichen Logien von der Nachfolge der Jünger festgehalten sieht und die er nicht im Sinne besagter Programme, Ideale und/oder Gesetze missverstanden wissen möchte. Als Linien sind sie nämlich keineswegs mit dem mandatum concretissimum bzw. mandatum evangelicum identisch, wenngleich sich das konkrete und konkreten Gehorsam fordernde Gebieten Jesu einzelnen Menschen gegenüber sicherlich auf einer dieser Linien bewegen wird.185 Zuversichtlich formuliert Barth: »Eine Abweichung von jenen Hauptlinien wird […] bestimmt nicht in Frage kommen.«186

179 O. Weber, Karl Barths Kirchliche Dogmatik, 265. 180 K. Barth, KD IV/2, 607. 181 Christus ist – wie K. Barth (a. a. O., 909) vermerkt – »kein vom Menschen bequem zu kopierender und damit faktisch zu meisternder Götze, sondern sein lebendiger Herr und Heiland«. Zum lebendigen Christus vgl. Abschnitt I.1.2. der vorliegenden Untersuchung. 182 Vgl. K. Barth, KD IV/2, 606. 183 A.a.O., 607. 184 A.a.O., 620. 185 Vgl. a. a. O., 619.625. 186 A.a.O., 626.

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Als solche Hauptlinien187 des Nachfolgeaufrufs Jesu nennt Barth das mit dem Kommen des Reiches Gottes einhergehende a) Lossagen von der Bindung an Besitz; b) Zerbrechen dessen, was unter Menschen Ehre schafft; c) Beenden der fixen Idee von Notwendigkeit und Heilsamkeit der Gewalt; d) Auflösen der allzu selbstverständlichen familiären Bindungen; e) Durchstoßen des absolut gesetzten Nomos der Religion, der frommen Welt; f) Auf-sich-Nehmen des Kreuzes als Krönung alles Gebotenen. Es handelt sich bei diesen Hauptlinien nach Barth um die Facetten eines zusammengehörigen Bildes des »königlichen Menschen«, das selbst formative Valenz besitzt und dessen Einprägen das neutestamentliche Kerygma selbst gebietet. Würde man diese Linien allerdings deterministisch verstehen, also so, als wäre damit der Inhalt des hier und heute ergehenden Rufes festgelegt,188 so wäre dieses Verständnis mit dem Wesen des mandatum concretissimum schlechterdings inkompatibel, über dessen Inhalt der lebendige, sich nicht durch projizierte Bilder seines Tuns fixieren und einschließen lassende Herr selbst in seiner aktuellen Begegnung mit dem Menschen entscheidet. Die nachgezeichneten Linien haben nach Barth insofern noetisch-epistemologische Relevanz, als dass sie ein Erkennen der Stimme Jesu erlauben: »Daß es seine Stimme ist, die uns ruft, das werden wir allerdings daran erkennen, daß es bei dem, was von uns verlangt ist, unter allen Umständen um einen auf den angezeigten neutestamentlichen Linien tätlich, innerlich und äußerlich zu vollziehenden, dem Einbruch des Reiches Gottes entsprechenden und ihn bezeugenden Bruch mit den großen Selbstverständlichkeiten unserer Umgebung und so der Welt insgemein handeln wird: um eine Gestalt des freien Tuns, das Paulus Röm 12, 2 mit dem Imperativ : me¯ sysche¯matizesthe to¯ aio¯ni touto¯ beschrieben hat.«189

187 Vgl. zur Nachzeichnung der großen Linien a. a. O., 620 – 625, und dazu: Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths, 251. 188 Vgl. K. Barth, KD IV/2, 625: »Es könnte uns aber wieder von ihm – und also bestimmt auf denselben Linien – auch ganz Anderes, viel mehr vielleicht, oder in ganz neuer Anwendung und Konkretion geboten sein als ihnen. Da könnte es dann Ungehorsam sein, uns daran genügen zu lassen, sie [die Jünger] nachzuahmen: Ungehorsam und nicht etwa ›einfältiger Gehorsam‹ – denn den sind wir Ihm schuldig, der damals sie rief, heute uns ruft.« 189 Ebd.

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4.2.

Nachfolge als imitatio crucis und die Staurozentrik der Mimesis bei J.H. Yoder

Was nun Yoders Nachfolgekonzeption betrifft, so bestimmt der mennonitische Theologe »Nachfolge« im Gegenüber zu einem inflationären Gebrauch dieses Begriffs, der »uns heute weithin zu bekannt, zu geläufig und billig geworden [ist], als daß wir verständen, worum es bei der Nachfolge geht.«190 Nachfolge meint Yoder zufolge immer die »kreuztragende Nachfolge der Gemeinde, das Weiterleben Christi in seinen Gliedern durch seinen Geist«191. Die kreuztragende Nachfolge kontrastiert Yoder mit der zelotischen Option, die er – wie bereits erwähnt – als die große Versuchung Jesu interpretiert, seine Messianität etwa durch ein Brotwunder zu beweisen: »Ein anderer Weg stand ihm offen, den er hätte gehen können und der ihm das Kreuz erspart hätte, nämlich der Bemächtigung des Staates.«192 Nachfolge vollzieht sich demnach in Entsprechung zur Wahl Jesu als Wahl zwischen dem kreuztragenden Weg und jenem zweiten Weg, den Yoder im Sinne der Versuchsgeschichte als das teuflische Angebot des Erwerbs von Weltherrschaft versteht. Dieser zweite Weg ist Yoder zufolge der Weg der Gewalt bzw. der auf ihr basierenden Errichtung eines Königtums. Jesus jedoch »wählte das Kreuz und verwarf das Königtum«193, so dass Nachfolge Gewaltverzicht und die Verweigerung einer Beteiligung an jenen Formen des Staatsdienstes bedeutet,194 die mit Gewaltgebrauch einhergehen: »Wenn er

190 J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 12. So auch R. Strunk, Nachfolge Christi, 242: »Es gibt kaum einen zweiten Begriff in der kirchlichen Frömmigkeitssprache und in der Theologie, der ebenso beliebt und zugleich ebenso verdorben ist wie der Begriff ›Nachfolge Christi‹.« 191 J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 13. 192 A.a.O., 21 f. 193 A.a.O., 21. 194 Wie M. Zeindler (Die Kirche des Kreuzes, bes. 75 – 80) gezeigt hat, sollte man nicht den Fehler begehen und aus Yoders negativer Haltung zum gewaltbewehrten Staatsdienst auf eine vermeintlich sektiererische Grundeinstellung der kirchlichen Selbstisolation gegenüber der weiteren Gesellschaft schließen und Yoder mit der Vorwurf einer Wagenburgmentalität oder einer Ghettoisierungsstrategie überziehen. Zum einen sind nämlich Staat und Gesellschaft zwei zu unterscheidende, keineswegs deckungsgleiche Größen, die in je spezifischer Weise das Gegenüber von Kirche bilden; und zum anderen sollte man nicht übersehen, dass Yoder – insbesondere mit seinem »Jeremianischen Modell« – im Anschluss an das jeremianische Diktum: »Suchet der Stadt Bestes« (Jer 29,7) den Gedanken der weltbezogenen Proexistenz der Kirche in ihrer Distinktheit im Raum der als Diaspora verstandenen Gesellschaft stark macht. So vor allem Yoder in dem Aufsatz »See How They Go with Their Face to the Sun«, in: ders., For the Nations, 51 – 78 (= ders., The JewishChristian Schism Revisited, 183 – 204). Vgl. dazu auch: F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 163 f.; H.G. Ulrich, Kirchlich-politisches Zeugnis vom Frieden Gottes, 160 f.; B. Wannenwetsch, Rezension zu J.H. Yoder, For the Nations, 118 – 122. Das Evangelium selbst entfaltet J.H. Yoder (The Priestly Kingdom, 55) zufolge die Dynamik, die die Kirche

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[Jesus], der vollkommene Gerechte, diese beiden Möglichkeiten nicht zugleich wählen konnte und das Staatswesen lieber in Pilatus’ Händen ließ, wenn er auf Staatsgewalt verzichtete, um das Kreuz zu wählen, so ist das der letzte Beweis für die Unvereinbarkeit beider Dienste. Sogar Gott selbst, in der Gestalt des Sohnes, kann sie nicht in einem Menschen vereinen.«195 Wenn Yoder betont, dass sich die Nachfolge exklusiv auf den Weg des Kreuzes bezieht, so möchte er mit dieser Aussage seine Nachfolgekonzeption gegenüber solchen vorbildchristologischen Argumentationsfiguren absichern, die Nachfolge als ein auf das »Vorbild Jesus« in jeder Hinsicht bezogenes und darum entschränktes imitari propagieren. So grenzt Yoder sich entschieden gegenüber einer individualethisch verstandenen imitatio Christi ab, die versucht, das Tun Jesu rein äußerlich zu kopieren. Yoder hält fest, »daß die imitatio nirgends als allgemeine pastorale oder moralische Leitlinie gilt. Das Neue Testament kennt keine franziskanische Verherrlichung des Barfußwanderns. Sogar dort, wo Paulus für das Zölibat eintritt, kommt es ihm nicht in den Sinn, sich auf Jesu Vorbild zu berufen. Auch seine eigene Vorliebe für die Selbstversorgung begründet er nicht damit, daß Jesus jahrelang ein Dorfhandwerker war. […] Das Konzept der Nachahmung wird im Neuen Testament gerade in den Punkten nicht angewandt, wo franziskanische und romantische Frömmigkeit es am hingebungsvollsten zu praktizieren suchten.«196 Yoder verneint freilich nicht einfach das nicht nur bei Platon und Aristoteles entfaltete,197 sondern auch biblisch reich bezeugte Mimesis-Motiv.198 Vielmehr arbeitet Yoder heraus, dass die bestimmte Entsprechung, um die es im neutestamentlichen Sprachgebrauch geht,199 im Kreuzesgeschehen ihren Schlüssel bzw. ihre Pointe hat.200 Ausschließlich in Bezug auf das Kreuz verpflichtet das Neue Testament Yoder zufolge zur imitatio Christi: »Nur in einem Punkt, nur bei einem Thema ist Jesus unser Vorbild: in seinem Kreuz.«201 Das imitari wird somit fokussiert und auf das Kreuz als »the very point of normativity of Jesus’

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in die Welt hinaus treibt: »The message cannot remain in the ghetto because the good news by its very nature is for and about the world.« Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 22. Ders., Die Politik Jesu, 87. Vgl. G. Gebauer / Chr. Wulf, Mimesis, 44 – 89. Vgl. etwa H.D. Betz, Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi; E. Larsson, Art. mimeo¯mai ktl., 1053 – 1057. Vgl. J.H. Yoder, The Royal Priesthood, 148: »Every strand of New Testament literature testifies to a direct relationship between the way Christ suffered on the cross and the way the Christian, as disciple, is called to suffer in the face of evil (Matt. 10:38; Mark 10:38 f.; 8:34 f.; Luke 14:27).« Von exegetischer Seite bestätigt dies etwa O. Merk, Nachahmung Christi, 206: »Um dieses Kreuzigungsgeschehen geht es bei der ›Nachahmung Christi‹, um nicht mehr und auch nicht weniger. Es geht um das Unnachahmbare, das theologisch und ethisch nicht einholbar ist und gerade darin Grund unseres Heils bleibt.« J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 87.

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life for the church«202 beschränkt. Eine betont strenge Staurozentrik kennzeichnet Yoders Aufnahme des Mimesis-Motivs in seine Nachfolgeethik: »Es gibt nur einen Bereich, in dem das Konzept der Nachahmung gilt – aber da gilt es für die gesamte neutestamentliche Literatur, und, was noch auffälliger ist, es gibt keine Parallelen auf anderen Gebieten: es geht um die konkrete gesellschaftliche Bedeutung des Kreuzes in der Beziehung zu Feindschaft und Macht. Dienen ersetzt Herrschaft, Vergebung überwindet Feindseligkeit. So – und nur so – verpflichtet uns neutestamentliches Denken, ›Jesus ähnlich zu sein‹.«203 Wofür aber steht das von Yoder als Metapher exklusiv ins Zentrum der Nachfolge gestellte Kreuz? Schaut man sich den Gebrauch dieser Metapher genauer an, so wird man schnell feststellen, dass er polyvalenten Charakter hat:204 Zum einen repräsentiert das Kreuz vordergründig im Sinne einer politischen Strafe das geschichtliche Resultat von Jesu nonkonformistischem Wirken, welches das Kreuz als Exekutionsart nach sich zog.205 Diese Vordergründigkeit kann Yoder zugleich durch eine theologische Deutung dieses Resultats als »Ergebnis des moralischen Zusammenstoßes mit den die Gesellschaft beherrschenden Mächten«206 mächtetheoretisch vertiefen. Zum anderen steht das Kreuz bei Yoder für Jesu spezifisches Leiden, also gerade nicht für beliebige Formen von Schmerzen oder Kummer : »Jesu Kreuz war kein unerklärliches, unverschuldetes Übel, das ihn zufällig traf wie eine Krankheit, [ein] Gewitter oder [ein] Erdbeben. […] Das Kreuz war vielmehr ein Leiden, dem Jesus hätte aus dem Weg gehen können. Es war der Preis des Gehorsams mitten in einer aufständischen Welt. So wird es auch für uns sein.«207 Die letzte, nachklappende Bemerkung, die das Kreuz gleichsam prolongiert, verweist auf die besondere ekklesiologische Konnotation des Kreuzes, das von Yoder auch als grundlegende nota ecclesiae verstanden wird: »Das Kreuz der Gemeinde ist […] eine Verlängerung des Kreuzes Christi, wie die Gemeinde als solche sein weiterlebender Leib ist.«208 Des Weiteren kann Yoder das Kreuz auch eschatologisch als »die gesellschaftliche 202 R. Hütter, The Church, 42. 203 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 121. 204 Den polyvalenten Charakter hat insbesondere R. Hütter (The Church, 40 ff.) in seiner Yoder-Interpretation herausgearbeitet. 205 Vgl. J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 116; ders., For the Nations, 206 f. 206 Ders., Die Politik Jesu, 119. 207 Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 47. So auch ders., For the Nations, 147. Gemäß J.H. Yoder (The Royal Priesthood, 87) haben die frühen Zürcher Täufer von H. Zwingli gelernt, »[that] ›the cross‹ is to be understood much more narrowly as that kind of suffering that comes upon one because of loyalty to Jesus and nonconformity to the world.« So auch a. a. O., 86: »[S]uffering […] is not the result of misbehaviour but of conformity with the path of Christ.« 208 Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 46. J.H. Yoder (Royal Priesthood, 88) spricht auch vom Kreuz als »participation in the character of the saving work of Christ«.

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Wirklichkeit der kommenden Ordnung, wie sie einer widerstrebenden Welt dargestellt wird«209, bzw. als das »Kommen des Königreiches«210 interpretieren. Als prävalent erweist sich freilich die ethische Interpretation des Kreuzes als »the meaning of his [Jesus’] moral teaching«211. Yoder entfaltet – mit anderen Worten – eine durchgängig politisch-ethisch verstandene Staurologie. All die genannten Aspekte umfasst das Kreuz als Metapher für die normative »Essenz« der Politik Jesu. Aus der Polyvalenz des Gebrauchs dieses Begriffs resultiert demnach, dass der Gegenstand der Nachahmung nicht nur beschränkt, sondern zugleich ausgeweitet wird. Daraus folgt wiederum, dass das von Yoder als exklusiver Gegenstand der Nachahmung ausgewiesene Kreuz zugleich besagt: »[E]s gibt kein allgemeingültiges Rezept der Nachahmung Jesu.«212 Dies gilt auch für die Gewaltlosigkeit, die ja die Gestaltwerdung der Nachahmung nur via negationis zur Sprache bringt. Überhaupt wäre es verkürzt zu behaupten, dass Nachfolge im Sinne der imitatio crucis bei Yoder nur Gewaltlosigkeit meint. Was die einzelnen Praktiken der Nachfolge betrifft, so weist Yoder, der in dieser Hinsicht keineswegs zur Monomanie neigt, ein weites Spektrum von kirchlichen Kernpraktiken aus, die sich alle unter dem Begriff »Nachfolge« subsumieren lassen bzw. als deren Konkretisierung im gemeindlichen Leben zu verstehen sind, etwa das Binden und Lösen,213 das Brotbrechen, die Taufe, die charismatisch strukturierte Teilhabe am Leib Christi und der geistgeleitete Diskurs.214 Gewaltlosigkeit ist dabei kein weiteres, zusätzliches Thema innerhalb dieses Spektrums, sondern die deren Umschreibung zugrunde liegende »Grammatik«. Alle kirchlichen Kernpraktiken, in denen Yoder zufolge das christlich-kirchliche Leben besteht, konzipiert er dementsprechend als Realisations- und Ausdrucksformen von Gewaltlosigkeit. Sie sind als solche Praktiken des Friedens, der sich im Vollzug dieser Praktiken gleichsam als Vorgeschmack des noch ausstehenden universalen Friedens beständig ereignet,215 und sie repräsentieren gleichsam die einzelnen sich wiederholenden und

209 210 211 212 213 214

Ders., Die Politik Jesu, 88. A.a.O., 56. Vgl. ders., For the Nations, 211. Ders., The Royal Priesthood, 184. Ders., Die Politik Jesu, 120. Vgl. den gleichnamigen Aufsatz J.H. Yoders in: ders., The Royal Priesthood, 323 – 358. Zur Exposition dieser »five practices of the Christian community before the watching world« vgl. J.H. Yoders Buch »Body Politics« und seine Aufsätze »Sacrament as Social Process« in: ders., The Royal Priesthood, 359 – 373; »The Hermeneutics of Peoplehood«, in: ders., The Priestly Kingdom, 14 – 45. Siehe dazu auch die Zusammenfassung in der Darstellung der Ekklesiologie Yoders von F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 179. 215 Vgl. J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 94.

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kontinuierlich einzuübenden Schritte auf dem Weg der Nachfolge, welchen Yoder im Gesamt als Weg der Gewaltlosigkeit kennzeichnet.216

4.3.

Die Nachfolge- als Nachahmungskonzeption bei K. Barth und J.H. Yoder im Vergleich

Unterzieht man die beiden Nachfolgekonzeptionen Barths und Yoders einem Vergleich, so tritt deren Differenz hinsichtlich der Frage nach Gewaltlosigkeit deutlich zu Tage. Es wäre nun ignorant, wenn man Yoder bezüglich einer Bestimmung dieser Differenz eine Berücksichtigung, Barth hingegen eine Vernachlässigung der Gewaltlosigkeit vorwerfen würde. Wie bereits anklang, identifiziert Barth nämlich als eine der großen Hauptlinien »der konkreten Gestalten des Gebotes Jesu und des ihm zu leistenden Gehorsams« die »Bezeugung des Reiches Gottes als des Ende der fixen Idee von der Notwendigkeit und Heilsamkeit der Gewalt.«217 Barth brandmarkt entschieden den circulus vitiosus der Gewalt, aus dem auszutreten Jesus seinen Säbel zückenden Jünger bei seiner Verhaftung im Garten Gethsemane aufgefordert hat: »Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen« (Mt 26,52). Barth kommentiert: »Die Ablehnung solcher Aktion eines Jüngers ist überall eindeutig. Sie gehört nicht zu seinem Zeugendienst. Sie widerspricht ihm. So will Jesus nicht verteidigt sein.«218 Die nahe liegende Frage nach der grundsätzlichen Legitimität der Selbstverteidigung greift Barth dann auch explizit auf: »[S]oll er [der Jünger] sich überhaupt nicht verteidigen? Es scheint in der Tat alles darauf hinauszulaufen, daß er das überhaupt nicht tun, sich nur eben wie ein Schaf mitten unter die Wölfe senden lassen soll.«219 Als einschlägiges dictum probans der Wehrlosigkeit von Jesu Jüngern rekurriert Barth hier auf Mt 10,16, wonach Jesus seine Jünger wie Schafe mitten unter die Wölfe sendet – wie Schafe, so bemerkt Barth, und »nicht als Wolfshunde, die den Wölfen, mit ähnlich kräftigem Gebiß wie sie versehen, allenfalls gewachsen sein möchten, sondern als solche Lebewesen, die den Wölfen gegenüber als Kämpfer überhaupt nicht in Betracht kommen können, sondern nach menschlichem Ermessen von jenen nur gejagt und gefressen werden können.«220

216 Vgl. R. Hütter, The Church, 44: »[T]he life of nonresistance (as life of the cross) is not a merely contingent trait of the church, but its very essence«. 217 K. Barth, KD IV/2, 621. 218 Ders., KD IV/3, 724. 219 Ebd. 220 A.a.O., 722.

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Barth reklamiert außerdem das Gebot der Feindesliebe für seine Identifikation des entschiedenen Widerspruchs des Reiches Gottes gegen alle verborgenen und offenkundigen Reiche der Gewalt als Aufhebung jeder Freund-Feind-Beziehung zwischen Mensch und Mensch.221 Diese Aufhebung sei jedoch nicht mit einer allgemeinen, prinzipialisierten Regel oder einem christlichen System gleichzusetzen, da sie im Nachfolgegehorsam als Reflex auf die konkrete Weisung des in die Nachfolge Rufenden erfolge. Dementsprechend könne man »im Sinne des Neuen Testaments nicht prinzipiell, [sondern] nur praktisch Pazifist sein.«222 Prinzipieller Pazifist zu sein, bedeutet jedoch nach Barth, die »Grammatik« der Gewaltlosigkeit und nicht die konkrete Weisung durch das Gebot Gottes menschlichem Handeln und seiner ethischen Beurteilung zugrunde zu legen. Solche Weisung aber ist für K. Barth die einzige theologisch verbindliche Rechtsgrundlage eines christlichen Pazifismus. Barth zufolge fällt auch die Gewaltlosigkeit unter jene Moralbegriffe, die er bereits in seiner sog. »Münsteraner Ethik« im gebotsethischen Sinne fundamentalkritisch anvisiert: »[D]er Weg Jesu zum Kreuz […] ist [das], was als der konkrete Sinn der geforderten Konformität der Seinigen mit ihm ins Auge zu fassen ist. Man darf hier keinerlei Moralbegriffe an die Stelle dieser ganz konkreten Weisung setzen: weder das Gottvertrauen noch die Menschenliebe, weder den sittlichen Ernst noch die sittliche Freiheit, noch auch die Herzensreinheit Jesu. Es geht nicht um Jesu Charakter, sondern ganz eindeutig um Jesu Werk und Weg. Jesus nachfolgen heißt nicht werden wie Jesus, heißt nicht diese und diese an ihm auffallende[n] Tugenden sich aneignen, sondern mit ihm auf dem Wege, auf seinem Wege sein.«223 Der Weg Jesu darf nicht zu einem Prädikat der Gewaltlosigkeit werden, vielmehr ist die praktische (nicht prinzipielle) Gewaltlosigkeit im Sinne der Barthschen »Hauptlinien« bzw. »Richtungen« der Nachfolge ein Prädikat des Weges Jesu. Der Weg Jesu darf nicht auf ein Prinzip der Gewaltlosigkeit reduziert werden, da ein solches nicht nur reduktionistisch, sondern entfremdend, ja wesensfremd wäre. Der Weg wäre andernfalls nicht mehr der Weg des lebendi221 Vgl. ders., KD IV/2, 622. 222 Ebd. G. Hunsinger (Disruptive Grace, 127) meint in Bezug auf solche und ähnliche Bemerkungen Barths eine Diskontinuität in dessen Denken feststellen zu können: »In the course of reflecting on the meaning of sanctification, Barth did move very far in a pacifist direction; he did so in a way for which it would seem he had not always programmatically anticipated; and he did so in a way which would probably have required him to revise or supplement some of his ideas about political praxis. I cannot imagine Barth repeating his 1938 saying about Czech soldiers against Germany dying for the sake of Christ, nor can I quite imagine him enlisting so enthusiastically in the Swiss border guard if he were to remain true to the statement cited on the use of force.« Vgl. dazu meine anderslautenden Ausführungen im Abschnitt II.2. der vorliegenden Untersuchung. 223 K. Barth, Ethik II, 131.

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gen Jesus Christus und damit auch kein Weg der Freiheit. Hier wird nun also die mit Yoders Grammatik der Gewaltlosigkeit keineswegs vollständig kompatible Barthsche Grammatik der Freiheit ansichtig. Auf den Weg der Freiheit bezieht sich Barth zufolge das mimetische Verhalten, welches die rechte Nachfolge hinter dem lebendigen Christus und eben keinem Prinzip her kennzeichnet. Dieser Weg ist nicht der Weg der »Anpassung an die Welt«224, an die arge Welt, zu der hin es zwar auch eine imitatio gibt, wohlgemerkt aber eine solche, die »das Ärgernis des Kreuzes, die Bedrohung mit Verfolgung, unter der die, die an den Gekreuzigten glauben, immer stehen werden«225, umgeht. Formal kann zwar auch Yoder in das Freiheitspathos Barths einstimmen, indem er akzentuiert: »Sie [die Nachfolge] ist Folge, nicht Mittel unserer Christusgemeinschaft. Sie ist die Gestalt der christlichen Freiheit, nicht ein neues Gesetz.«226 Jedoch erweist sich Yoders Freiheitspathos nicht als so weitreichend und tiefgreifend, dass es seine Grammatik der Gewaltlosigkeit in Frage stellte. Vielmehr lässt es diese unberührt. Sie bezeichnet den entscheidenden Differenzpunkt der Nachfolgekonzeptionen Yoders und Barths, der seinem mennonitischen Schüler diesbezüglich nicht folgen kann, sondern seinen Dissens anmelden und artikulieren muss. Anders als Yoder kann Barth die Gewaltlosigkeit nicht zum Dreh- und Angelpunkt christlicher Existenz stilisieren. Sie bleibt bei ihm vielmehr ein Thema unter anderen Themen, freilich der im Blick auf die Nachfolge Christi zentralen Themen. Der Weg Jesu umfasst Barth zufolge auch dieses, wenngleich aber eben mehr als nur dieses Thema. Legt man die Grammatik der Gewaltlosigkeit der theologischen Explikation der Politik Jesu zugrunde, so überrascht es kaum, dass Jesus – wie in der entsprechenden Rekonstruktion Yoders – als gewaltloser Rabbi erscheint, dessen Praktiken der Gewaltlosigkeit das Wirken Gottes repräsentieren. Die Grammatik hat als Regelwerk der Sprache ja regulative Funktion und als Formenlehre selbst formative Valenz. Barths Logik zufolge handelt es sich bei einer von dieser Grammatik geleiteten Darstellung des irdischen Jesus um eine petitio principii. Sie erfolgt entsprechend der Rekonstruktion des sog. historischen Jesus, zu der – gemäß Barth – bereits A. Schweitzer in seiner »Geschichte der Leben-JesuForschung« das Entscheidende bemerkte227: »So fand jede folgende Epoche der Theologie ihre Gedanken in Jesus, und anders konnte sie ihn nicht beleben. Und nicht nur die Epochen fanden sich in ihm wieder : jeder einzelne schuf ihn nach 224 Ders., KD IV/1, 717. 225 Ebd. 226 J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 48. Vgl. ders., The Royal Priesthood, 148: »Nonresistance is […] not a matter of legalism but of discipleship, not ›thou shalt not‹ but ›as he is, so are we in this world‹ (1 John 4:17)«. 227 So etwa K. Barth, Gespräche 1964 – 1968, 55 (Gespräch mit Tübinger »Stiftlern« vom 2. 3. 1964). Vgl. auch a. a. O., 175 (Interview von C.F.H. Henry mit K. Barth am 30. 5. 1964).

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seiner eigenen Persönlichkeit. Es gibt kein persönlicheres historisches Unternehmen, als ein Leben-Jesu zu schreiben.«228 Nicht ohne Sarkasmus bemerkt D. Schellong im Blick auf die Renaissance der Rückfrage nach dem historischen Jesus, wie sie in der Schule Rudolf Bultmanns inauguriert und heftig diskutiert wurde: »Die Färbung im einzelnen wechselt: In den fünfziger Jahren merkte man dem historischen Jesus das Studium der Existentialphilosophie an, die hat er wieder verlernt, dafür hat sein Engagement für Sozialarbeit zugenommen, einige Zeit lang konnte er auch kulturpolitisch aufrührerisch sein, und inzwischen besteht kein Zweifel mehr an seinem Feminismus, der auch verschiedener Facetten fähig ist. Wenn man Lust dazu hätte, könnte man die Schwankungen im öffentlichen Bewusstsein seit den fünfziger Jahren an dem nachzeichnen, was aus den wenigen ›echten‹ Aussprüchen Jesu herausgedeutet wird. Der ›historische Jesus‹ kommt mir vor wie ein Chamäleon: Auf welche Farbe man ihn setzt, die nimmt er an.«229 Der Tendenz nach dürfte Barth wohl eine ähnliche Projektionsgefahr in Yoders Darstellung des »pazifistischen Jesus« gesehen haben, wenngleich dieser nach eigener Aussage nicht einen »historischen Jesus« hinter dem »geschichtlichen, biblischen Jesus« (M. Kähler)230 zu suchen intendiert. Aber auch hinsichtlich der Yoderschen Rekapitulation des Weges Jesu stellt sich die Frage, ob es sich bei dieser Rekonstruktion nicht um eine Konstruktion handelt. Freilich wird man auch Barth diese Anfrage nicht ersparen dürfen. Unbenommen dieser Differenz in puncto Gewaltlosigkeit gibt es eine tiefgreifende Übereinstimmung zwischen Yoder und Barth: Beide akzentuieren, dass die Nachfolge »unter der Direktion seines Kreuzes«231 erfolgt. Auch sind sie sich grundsätzlich einig: Es kann nicht angehen, den geschichtlichen bzw. irdischen Jesus aus dem Begründungszusammenhang der theologischen Ethik auszublenden. Eine Christologie kann unter Absehung vom geschichtlichen Jesus nicht zum Ausgangspunkt christlicher Ethik gemacht werden. Im Sinn eines Korrektivs ist vielmehr entgegen anders lautenden Tendenzen nach dessen 228 A. Schweitzer, Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 48. 229 D. Schellong, Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?, 29. Ähnlich bemerkt H.J. Iwand, Die Gegenwart des Kommenden, 37: »Der ›historische Jesus‹ ist in unserer Hand, nicht mehr wir in der seinigen.« O. Hofius (Die Frage nach dem »historischen Jesus« als theologisches Problem, 87) kommt zu dem Ergebnis, »dass für keine denkbare Gestalt des ›historischen Jesus‹ mit hinreichenden Gründen der Anspruch erhoben werden kann, dass mit ihr der irdische Jesus in seiner Wirklichkeit erfasst sei. Jede Rekonstruktion ist hier vielmehr in Wahrheit eine freihändige Konstruktion, die einer tragfähigen Quellenbasis entbehrt und auf der Wahl von Kriterien beruht, deren Angemessenheit keineswegs über jeden Zweifel erhaben ist.« Vgl. Fernerhin: K. Wengst, Der wirkliche Jesus?, 7 f. 230 M. Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus. Vgl. dazu: K. Wengst, Der wirkliche Jesus?, 113 – 128. 231 K. Barth, KD IV/2, 292. Dort z. T. kursiv.

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friedensethischer Bedeutung zu fragen.232 Dabei geht es beiden keineswegs darum, ihre christologischen Überlegungen zur ethischen Relevanz des geschichtlichen Jesus auf eine Vorbildchristologie zulaufen zu lassen oder eine oberflächliche imitatio-Vorstellung theologisch salonfähig zu machen. So grenzen sich beide sehr bewusst und entschieden gegenüber einem rein äußerlichen Kopieren des Tuns Jesu ab: Yoder, indem er die imitatio auf die imitatio crucis beschränkt, und Barth, indem er in Bezug auf eine Nachahmung bzw. Mimesis nicht von einer Darstellung spricht, die 1:1 abbildet, sondern von »Richtung« und »Linie«, die in der Nachfolge ohne Preisgabe an eine Gesetzlichkeit oder Beliebigkeit233 orientiert.234 Dies wird bei Barth besonders in seinen liebesethischen Ausführungen im Rahmen seiner Lehre von der Heiligung evident,235 in denen er so eindrücklich wie wohl an keiner anderen Stelle seiner »Kirchlichen Dogmatik« sowohl das Mimesis- als auch das Freiheitsmotiv aufnehmen und beide interpretatorisch aufs Engste aufeinander beziehen, ja sie korrelieren kann.236 Es geht in der Heiligung – wie Barth feststellt – auch »um die Entscheidung für eine bestimmte Richtung der menschlichen Lebensbewegung und um des Menschen Aufbruch in diese[] Richtung«237, nämlich darum, »der Liebe, in der Gott ihn [den sündigen Menschen; M.H.] in Überwindung seiner Trägheit und seines Elends zu sich gezogen und aufgerichtet hat, in tätiger Hingabe an ihn und an den Mit-

232 Dieses Interesse verbindet auch S. Hauerwas mit Barth und Yoder. Vgl. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 187. 233 Die Gefahr der Beliebigkeit und des Indifferentismus besteht m. E., wenn man mit M. Honecker (Einführung in die Theologische Ethik, 140) aus Furcht vor »Gesetzlichkeit« betont: »Solches Symbolhandeln [als das die christliche Nachfolge zu verstehen ist; M.H.] läßt sich nicht in allgemeine Regeln fassen und institutionalisieren. Es ist jeweils einmaliges, persönliches Verhalten und nicht auf generelle Grundsätze zurückzuführen.« 234 Vgl. K. Barth, KD IV/2, 909: Weil sich der/die Nachfolgende dem lebendigen Christus und nicht einer toten Figur hingibt, »kann es auch im Tun der Liebe als einer Beantwortung, Entsprechung, Nachahmung der Liebe Gottes nicht um die Erstellung eines starren Gegenbildes, vielleicht in Gestalt einer nach bestimmten Gesichtspunkten und Regeln ein für allemal fixierten Lebensform gehen.« 235 Vgl. a. a. O., 825 – 953 (§ 68: »Der Heilige Geist und die christliche Liebe«) und dazu: C.J. Simon, What Wondrous Love Is This?, 143 – 158. 236 G. Hunsinger (Disruptive Grace, 39) bemerkt zutreffend »a strong element of imitation« in Barths liebesethischen Ausführungen, und ebenso zutreffend beschreibt Hunsinger – abgesehen davon, dass er den Freiheitsbegriff unberücksichtigt lässt – das argumentationsstrategische Vorgehen Barths, der die imitatio vor ihrer Degenerierung zum Moralismus bewahren möchte: »The imitation of Christi, in the context of Barth’s ethics, is not seen as an essentially external relationship that the Christian accomplishes by his or her own power. […] The needed power is received only as it is continually sought by the believer and given by Christi in the ongoing history of their relationship. The idea of imitation is thus contextualized by the ideas of participation, fellowship, and witness.« 237 K. Barth, KD IV/2, 827.

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menschen als Gottes Zeuge zu entsprechen.«238 Die Begriffe »Entsprechung« und »Nachahmung« werden von Barth geradezu synonym verwendet und auf die Liebe bezogen, wie Eph 5,1 f. als die für Barth in diesem Zusammenhang zentrale biblische Textstelle nahe legt:239 »So werdet nun Nachahmer (mime¯tai) Gottes als (seine) geliebten Kinder, und wandelt in der Liebe, dem entsprechend (katho¯s) wie Christus euch liebte und sich für euch dahingegeben hat Gott zur Gabe und zum Opfer.«240 Der Mensch ist – wie Barth akzentuiert – durch die Liebe Gottes dazu frei gemacht worden,241 dass »es in seinem Leben zu einer Nachahmung von Gottes Liebe kommen darf.«242 In der Nachahmung der Liebe Gottes, die als mimetische Darstellung zugleich den »unendlichen qualitativen Unterschied«243 zwischen Gott und Mensch kenntlich macht,244 also eine spezifische Korrespondenz zwischen Darstellung und Darzustellendem zur Sprache bringt, gewinnt die Freiheit Ausdruck; und zwar in Gestalt einer spezifischen Freiheit, die Barth als die Entsprechung des Liebeshandelns der Christenmenschen zu dem Liebeshandeln Gottes in Christus versteht.245 Indem das freiheitliche Handeln des Menschen nachahmend in aller Unähnlichkeit dem Handeln Gottes entspricht, bezeugt es die Freiheit Gottes als die Freiheit desjenigen, der der in Freiheit Liebende und in der Liebe Freie ist. Im freien Tun des Nachahmens, das dem Tun Gottes entspricht, wird dem Nächsten die Liebe Gottes in spiegelbildlicher Gebrochenheit mitgeteilt. Anders gesagt, kommt die Freiheit Gottes im liebenden Tun einer als Liebesdienst verstandenen Nachahmung indirekt zum Ausdruck. Freiheit und Liebe werden demnach von Barth in Bezug auf die Nachahmung als Korrelatbegriffe gebraucht246 und wiederum präzise als solche mit dem Be238 A.a.O., 825 (Leitsatz § 68). Dort kursiv. 239 F. Lohmanns (Zwischen Naturrecht und Partikularismus, 401) Einwand gegenüber S. Hauerwas’ Imitatio-Ethik, dass sie »nicht bloß [eine] Christus-, sondern gar Gottesnachfolge!« propagiere, lässt freilich Eph 5,1 f. außer Acht. 240 Übersetzung nach K. Barth, KD IV/2, 885. Vgl. a. a. O., 933. 241 Vgl. a. a. O., 882. 242 A.a.O., 889. 243 Vgl. ders., Römerbrief II, XX. 244 Hinsichtlich des Entsprechungsverhältnisses zwischen göttlicher und menschlicher Liebe gilt nach K. Barth (KD IV/2, 855): »Es bleibt bei der großen Verschiedenheit der Ordnung, der Natur, der Bedeutsamkeit der göttlichen und der menschlichen Liebe. Es bleibt also dabei, daß diese jene nicht wiederholen, nicht repräsentieren, es ihr nicht gleichtun, sondern ihr, indem sie ihr nachfolgt, nur eben ähnlich sein, aber abbildlich und gleichnishaft entsprechen kann.« So auch a. a. O., 891. 245 Vgl. R. Hütter, Evangelische Ethik, 209: »Es legt sich also durchaus nahe, Nachahmung Christi […] als das menschliche Tun zu verstehen, das dem Handeln Gottes darin entspricht, daß es dieses zur Mitteilung bringt.« 246 K. Barth führt beide Begriffe bereits in der Gotteslehre (KD II/1, § 28: »Gottes Sein als der Liebende in der Freiheit«) ein, wo er die Mitte des göttlichen freien Liebens als Jesus Christus bestimmt. Zur Auslegung vgl. Barths Fazit a. a. O., 361, und ders., KD IV/2, 857 ff.

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griff der »Entsprechung« belegt. Von der durch den geheiligten, neuen Menschen ausgeübten Liebe, die ihrem Wesen nach als Nachahmung, Entsprechung zur freien Liebe Gottes verstanden werden will, gilt: »Die Liebe ist ein freies Tun.«247 Zu solcher freien Liebe ist der Mensch in der Nachfolge aufgerufen, nämlich »dazu aufgerufen, der Bewegung, in der Gott begriffen ist, als Mensch zu folgen: als Mensch, und also abbildend, gleichnishaft zu tun, was Gott urbildlich, original tut. Das tut er, indem er liebt: frei, aber nicht ohne, sondern mit gutem Grund. Dieser gute Grund seines Liebens im Lieben Gottes geht also seinem Lieben voran: unabhängig davon, ob er ihm mit seinem Lieben folge oder nicht folge und erst recht unabhängig von der Vollkommenheit oder Unvollkommenheit, in der er das tut.«248 Gottes Liebe ist Barth zufolge Grund und Voraussetzung menschlicher Liebe.249 Gott schenkt sich dem Menschen und macht ihn so zur Entsprechung bzw. Nachahmung frei, so dass dieser infolgedessen zum Spiegel seines eigenen, göttlichen Tuns wird.250 Gottes schöpferische Liebe führt die menschliche Liebe bereits auf den Plan, so dass Barth die im Indikativ-Imperativ-Schema251 gefangene Vorstellung, »daß diese [Liebe] vom Menschen erst zu fordern wäre«252, dispensiert und demissioniert sieht. Indem Barth unter der Voraussetzung der der menschlichen Liebe vorgeordneten und diese auf den Plan führenden Liebe Gottes beide zueinander in ein Entsprechungsverhältnis setzt, pointiert er zugleich, dass es in ethischer Hinsicht darauf ankommt, das eigene Liebeshandeln von Gottes Liebeshandeln bestimmt sein zu lassen und in diesem als Raum der Freiheit zu bleiben. Diesen Raum der Freiheit, in dem sich die Nachahmung des Handelns Gottes ereignet, umschreibt Barth als die Gemeinschaft mit Gott, die »Frieden und Freude«253 heißt. Als in diesem Raum Befindlicher »kann er [der Mensch] Frieden halten«254. Anders gesagt, denkt und entfaltet Barth in Übereinstimmung mit Yoder die imitatio im Rahmen des Theologumenons der participatio, der Teilhabe an Christus,255 die das Seins des Menschen als nova creatio bzw. Kind Gottes umschreibt: »Wem von Gott das widerfährt, daß er ihn liebt, und also: sich an und für ihn hingibt, […] der wird durch solche Tat Gottes ein anderer Mensch, kein zweiter Gott, wohl aber ein solcher Mensch, den Gott so wie es ist – und allem, was er sonst ist zum Trotz – in Gemeinschaft mit sich selber versetzt, dessen Existenz er damit neu, so radikal und 247 248 249 250 251 252 253 254 255

Ders., KD IV/2, 854. So auch a. a. O., 890.907 u. ö. A.a.O., 854. Vgl. a. a. O., 885. Vgl. a. a. O., 883. So auch ders., KD IV/1, 111 f. Vgl. den Abschnitt I.2.1.7. der vorliegenden Untersuchung. Ders., KD IV/2, 886. A.a.O., 895. A.a.O., 901. J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 53: »[W]e are called to enter into […] the self-emptying and the death – and only by that path, and by grace, the resurrection – of the Son«.

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total neu bestimmt hat, daß man die mit ihm vorgegangene Veränderung nur als neue Schöpfung oder Geburt beschreiben kann. Darin besteht aber die Neuheit seiner Existenz, daß er, indem Gott selbst sich ihm schenkt, durch Gott geprägt, mit Matth. 5, 45 zu reden: ein ›Kind Gottes‹ und als solches frei wird, was Gott tut, in seinem Tun nachzubilden, sein Tun zu einer Entsprechung des Tuns dieses seines Vaters zu gestalten.«256

Als Ermöglichungs- und Realisationsgrund der imitatio nennt auch Yoder die Teilhabe (participatio) am Leib Christi.257 Nachfolge heißt für ihn primär participatio und erst sekundär und auch nur in dem dargelegten eingeschränkten Sinne imitatio, nämlich imitatio crucis: »Es geht in der Nachfolge nicht so sehr um ein Gebot, Christus gleich zu werden oder ihm gleich zu handeln, sondern zunächst um eine Begründung des Handelns durch das Teilhaben am Wesen Christi. Daher ist jede Kritik fehl am Platze, die die Nachfolge lächerlich machen will, indem sie fragt, ob wir nicht auch Jesu Ehelosigkeit, seinen Zimmermannsberuf und sein Barfußgehen nachäffen müßten. Es geht nicht um eine gesetzliche Nachahmung Christi, sondern um ein Teilhaben an ihm. Wir sind schon zuvor in seinem Leibe, nicht erst durch die Nachfolge. Die Nachfolge ist Folge, nicht Mittel unserer Christusgemeinschaft.«258

Mit dieser Akzentuierung des participatio-Gedankens verdeutlicht auch Yoder, dass es einer recht verstandenen imitatio crucis darum zu tun ist, im menschlichen (Liebes-)Handeln dem (Liebes-)Handeln Gottes so zu entsprechen, dass jenes damit in diesem (als Raum der Freiheit) verbleibt. Nur aufgrund der participatio ist und wird conformitas möglich und wirklich. Indem sich Christenmenschen in der Teilhabe an Christus auf Gottes (Liebes-)Handeln einlassen, werden sie, was sie sind: Christus gleichförmig.

256 K. Barth, KD IV/2, 882. 257 Nachfolge als participatio – so lautet das konsensfähige Ergebnis, über das auf der 2. Puidoux-Konferenz in Iserlohn (1957) zwischen den evangelischen Landeskirchen und den Kirchen des linken Flügels der Reformation Einigkeit erzielt werden konnte: »Christ calls us into discipleship as active and suffering participation in him. Discipleship is therefore not to be understood as imitation (imitatio) but as participation (participatio), that is, in it justification and sanctification exist side by side. Thus, legalism as well as arbitrariness are eliminated« (D.F. Durnbaugh (Hg.), On Earth Peace, 184). J.H. Yoder hatte in seinem Referat (in: Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 37 – 53) auf besagter Konferenz exakt diesen gemeinsamen Schnittpunkt extrapoliert. Vgl. dazu auch: F. Enns, Friedenskirche in der Ökumene, 226. 258 J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 48.

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5.

K. Barths Nachfolgekonzeption im Rahmen seiner Stellvertretungschristologie

5.1.

Das große Kreuz Christi und das kleine Kreuz der Nachfolgenden

Mit dem Rekurs auf den participatio-Gedanken verdeutlichen Barth und Yoder, dass der Nachfolge bzw. Nachahmung keine heilsschaffende Funktion zukommt, weil ihr das heilsschaffende (Liebes-)Handeln Gottes vorausgeht. Der Gedanke der Werkgerechtigkeit findet weder in Barths noch in Yoders Nachfolgekonzeption ein Residuum.259 Nachfolge heißt für Barth und Yoder – wie gezeigt wurde – participatio, sich Gottes Handeln gefallen zu lassen und in diesem Handeln zu bleiben, indem man ihm in bestimmter Weise entspricht, nämlich so, dass in der Nachahmung des Handelns Gottes in Christus dieses Handeln mitgeteilt wird.260 Im Blick auf Yoders Nachfolgekonzeption kann man unter Berufung auf Barth die kritische Anfrage stellen, ob Yoder mit seiner Interpretation der participatio als Prolongatur des Kreuzes Christi nicht über das Ziel hinausschießt: »Das Kreuz der Gemeinde ist also eine Verlängerung des Kreuzes Christi, wie die Gemeinde als solche sein weiterlebender Leib ist.«261 Yoder interpretiert diese Aussage dahingehend, dass er von der »Teilhabe am Leiden Christi«262 spricht und dieses Motiv gar als »einen Schlüsselgedanken der Frömmigkeit und Ethik«263 deklamiert. Dies geschieht vor allem unter Berufung auf Kol 1,24: »[I]ch fülle an seiner Statt an meinem Fleische aus, was den Trübsalen Christi noch fehlte, zugunsten seines Leibes, der die Kirche ist.« Yoder verallgemeinert: »Every strand of New Testament literature testifies to a direct relationship between the way Christ suffered on the cross and the way the Christian, as disciple, is called to suffer in the face of evil«264. Barth hingegen weigert sich strictissime diese direkte Beziehung zu konzedieren: »Das Kreuz Christi ist sein Kreuz, getragen und gelitten für Viele, aber nicht von diesen Vielen, geschweige denn von Allen und Jedem, sondern an ihrer

259 Nachdrücklich hält J.H. Yoder (For the Nations, 209) fest: »His [Jesus’] followers will live from, not toward, the victory of Christ. Our life is to proclaim, not to produce, the new world.« 260 R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 202 f.) hat mit Recht darauf hingewiesen, dass zur Präzisierung des Entsprechungs- bzw. Nachahmungsgedankens die Mitteilungskategorie geeignet ist. K. Barth (vgl. KD IV/2, 924 f. u. ö.) selbst gebraucht diesbezüglich den Begriff »Zeugnis«. 261 J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 46. 262 Ders., Die Politik Jesu, 87. 263 A.a.O., 86. 264 Ders., The Royal Priesthood, 148. Vgl. ders., Die Politik Jesu, 214.

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Stelle vom Ihm ganz allein.«265 Die Exklusivität des Kreuzesgeschehens will Barth in seiner Versöhnung stiftenden Funktion nicht durch den Partizipationsgedanken in Frage gestellt wissen. Barth deutet vielmehr die Exklusivität des Kreuzes als Inklusivität. Das Kreuztragen der Nachfolgenden geschehe – und darin bestehe ihre Würde266 – »keineswegs als ein Nachvollzug seiner Kreuzigung, sondern eben: in Entsprechung zu ihr – in der Ähnlichkeit, die dem dem Meister nachfolgenden Jünger zukommt, nicht in Gleichheit, geschweige denn in Identität mit ihm.«267 Teilhabe an den Leiden Christi besteht nach Barth einzig in der Entsprechung. Dementsprechend bestimmt Barth die Relation zwischen dem Kreuz Christi und dem seiner Jünger im Sinne jener Formel aus der scholastischen Analogielehre, wie sie auf dem 4. Laterankonzil (1215) gebraucht wurde: magna similitudo in maiore dissimilitudine, nämlich als »Ähnlichkeit in großer Unähnlichkeit«268. Die Beziehung zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Leiden sei auch nach Kol 1,24 eine »indirekte«269, zumal hier nur betont würde, dass »die Gemeinde als der ›Leib‹, d. h. als die irdisch-geschichtliche Darstellung und Gestalt der Gegenwart und Aktion als ihres Hauptes in einer irdisch-geschichtlichen Entsprechung auch seiner ›Trübsale‹, seines Kreuzesleides zu existieren hat«270 und der Apostel als »Botschafter an Christi Statt« (2Kor 5,20) exakt diese spezifische Relation bezeugen solle, die zwar eine »höchst reale Entsprechung, aber nichts Anderes, nicht mehr als das, keine Wiederholung, keine Re-Präsentation des Kreuzes Christi«271 sei. Warum insistiert Barth so massiv auf dieser Differenz? Ihm ist im Entscheidenden an dem extra nos der geschehenen Versöhnung gelegen, die ihm zufolge nur so pro nobis wirksam wird. Deshalb akzentuiert Barth: »Ihr [der Christen] Leiden ist ja gewiß auch nicht der kleinste Beitrag zur Versöhnung der Welt mit Gott.«272 Barth unterscheidet mit allem Nachdruck zwischen dem großen Kreuz Christi und dem kleinen Kreuz der ihm Nachfolgenden. Er entwickelt seine Konzeption einer Nachfolgeethik mit anderen Worten innerhalb der Koordinaten einer sekundären Kreuzestheologie, der die primäre Kreuzestheologie vorgeordnet ist: 265 K. Barth, KD IV/2, 678. 266 Zu Recht betont G. Hunsinger, Disruptive Grace, 40: »The dignity of the Christian’s cross is the dignity of a witness to Jesus Christ. Christians do not repeat the saving work of Christ.« 267 K. Barth, KD IV/2, 679. 268 A.a.O., 684. Vgl. H. Gollwitzer, Befreiung zur Solidarität, 205; E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 387. 269 K. Barth, KD IV/2, 680. 270 Ebd. 271 A.a.O., 679. 272 A.a.O., 683.

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»Es geht nicht um das Kreuz Christi: dieses ist getragen, ein für allemal, und braucht von keinem Anderen fernerhin getragen zu werden. Identifizierung mit ihm, Nachvollzug seines Leidens und Sterbens kommt nicht in Frage. Es geht aber darum, je das eigene Kreuz, je die eigene Anfechtung, je die so oder so der eigenen Existenz bestimmte Todesgrenze zu ertragen und so, ein Jeder genau als der, der er ist, Jesus nachzufolgen, ›in seinen Fußstapfen‹ hinter ihm her zu gehen (1. Petr. 2, 21). […] Das ist – nicht die primäre, aber die sekundäre Kreuzestheologie der Evangelien, die dann auch bei Paulus und in den anderen Briefen ihre genaue Entsprechung hat. Sie darf mit der primären, die ganz und gar ausschließlich die Theologie des Kreuzes Jesu ist, nicht verwechselt und nicht vermischt – sie kann und darf aber auch nicht von ihr getrennt und abgespalten werden. Sie ist nicht mit jener zusammen der Ausdruck eines allgemeinen Gebotes, für dessen Erfüllung dann jene wohl nur das große Exempel wäre. Es folgt aber auf das Wort vom Kreuz Jesu bei denen, die es hören, notwendig die Antwort des kleinen Kreuzes, das sie, die ihn erkennen, die ihm als die Seinen nachfolgen dürfen, auf sich zu nehmen und zu tragen ihrerseits willig, bereit und frei sind.«273

5.2.

Die Vorordnung der inklusiven Stellvertretungschristologie in K. Barths Nachfolgekonzeption und Yoders primär soziales Versöhnungsverständnis

Imitatio meint bei Barth nicht die Verwandlung und Veränderung, die in der Identifikation des/der Imitierenden mit einem Vor- oder Urbild geschieht (immutatio),274 sondern imitatio meint gleichsam das Echo auf das Versöhnungsgeschehen, welches dadurch zustande kommt, dass sich Christus im Akt der inklusiven Stellvertretung mit dem Sünder/der Sünderin identifiziert.275 Die Stellvertretungslehre nun entwickelt Barth entlang des in Anlehnung an Frage 52 des Heidelberger Katechismus entfalteten Motivs vom Richter als des an unserer Stelle Gerichteten:276 Der Richter tritt an die Stelle der Sünder, wird für sie 273 A.a.O., 292 f. 274 Nach H. Hollenstein (Engel, Models und der Apostel Paulus, 131) lassen sich drei Aspekte unterscheiden: »1. das Bild, Vorbild, Abbild (imago); 2. das nacheifernde, nachstrebende Motiv (die aemulatio); 3. die Verwandlung und die Veränderung, die in der Identifikation mit dem anderen geschieht (die immutatio).« 275 Vgl. K. Barth, KD IV/1, 457: »[D]er Mensch der Sünde hat keine Möglichkeit, sich selbst als solchen zu überwinden, keine Freiheit, sich aus dem alten Menschen, der er ist, in den neuen zu verwandeln, der er werden soll, als Jener zu sterben, um als Dieser zu leben. Durch Gottes Gnade ganz allein steht er in diesem Übergang vom Sünder zum Gerechten, widerfährt ihm diese Verwandlung, wird er also errettet. ›Durch Gottes Gnade‹ heißt aber : es widerfährt ihm, indem Gott in Jesus Christus für ihn eintritt, an seiner Stelle handelt. In Ihm ist jener Übergang, ist diese seine Verwandlung, ist seine Errettung Wirklichkeit.« 276 Der Heidelberger Katechismus (hg. v. O. Weber, 33) antwortet auf die Frage 52: »Was tröstet dich die Wiederkunft Christi, zu richten die Lebendigen und die Toten?«: »Daß ich in aller Trübsal und Verfolgung mit aufgerichtetem Haupt eben des Richters, der sich zuvor dem Gericht Gottes für mich dargestellt und alle Vermaledeiung von mir hinweggenommen hat,

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gekreuzigt, leidet und stirbt stellvertretend für sie. In Modifikation des bei Augustin und in anderer Weise wiederum bei Calvin entwickelten Gedankens der doppelten Prädestination führt Barth aus, dass in Jesus Christus, dem Verworfenen und Aufgerichteten, über unser aller Verwerfung und Rettung, Unheil und Heil entschieden und die zerbrochene Rechtsordnung des Bundes wiederhergestellt ist.277 Die Versöhnung wird von Barth als die des ursprünglichen Bundes- bzw. Erwählungswillens Gottes beschrieben, so dass die Erwählungslehre nach Barth als Tiefendimension der Versöhnungslehre verstanden werden will.278 Auf die Frage, was Jesus Christus pro nobis heißt, gibt Barth unter Rückgriff auf besagtes stellvertretungstheologische Motiv des Richters als des an unserer Stelle Gerichteten vier zusammenhängende Antworten: »Er trat als der Richter an unsere Stelle. Er trat an unsere Stelle als Gerichteter. Er wurde gerichtet an unserer Stelle. Er hat an unserer Stelle das Rechte getan.«279 Barths materiale Entfaltung280 des vierfachen pro nobis demonstriert die zentrale Stellung der Stellvertretungslehre innerhalb seiner Versöhnungslehre. Bei Yoder hingegen tritt der Stellvertretungsgedanke zurück.281 Das mag damit zusammenhängen, dass Yoder die Gestalt einer kruden rechtfertigungsund stellvertretungstheologischen Dispensierung der (beim irdischen Jesus ansetzenden) nachfolgeethischen Konzeption vor Augen hatte. Diese karikiert und persifliert Yoder wie folgt: »Jesus kam doch wohl, sein Leben für die Sünden der Menschen zu geben. Das Werk der Versöhnung oder das Geschenk der Rechtfertigung, wodurch Gott den Menschen befähigt, wieder Gemeinschaft mit ihm zu haben, ist ein gerichtlicher Akt, eine Gnadengabe. […] Genauso wie Schuld nicht heißt, sündige Handlungen begangen zu haben, so hat auch Rechtfertigung nichts mit richtigem Verhalten zu tun. Wie der Tod Jesu unsere Rechtfertigung bewirkt, ist ein göttliches Wunder und Geheimnis; wie Jesus starb, oder wie sein Leben aussah, das zu diesem Tod führte, ist daher für die Ethik nicht von Belang.«282

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282

aus dem Himmel gewärtig bin«. Zur Auslegung vgl. E. Busch, Der Freiheit zugetan, 166 – 176. Vgl. K. Barth, KD IV/1, 231 – 311 (§ 59.2). So B. Klappert, Die Rezeption Calvins in Barths Kirchlicher Dogmatik, 71. K. Barth, KD IV/1, 300. B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 96 – 117) hat diese vier Aspekte der Versöhnung im Kreuz anschaulich nachgezeichnet. Zur Kritik an Barths Konzeption vgl. S. Brandt, Opfer als Gedächtnis, 285 – 303. Wenngleich es sich bei der Stellvertretung um einen randständigen Gedanken handelt, tilgt Yoder ihn freilich keineswegs vollständig. Vgl. etwa J.H. Yoders (For the Nations, 208) Rekurs auf Jesu priesterlichen Dienst, den er ausübt »by sacrificing himself«, sowie J.H. Yoders Entfaltung des priesterlichen Amtes in: ders., Preface to Theology, 281 – 327 (Kap. 12: »Christ as Priest: Atonement«). Ders., Die Politik Jesu, 18. Vgl. a. a. O., 190: »Der Akt der Rechtfertigung oder das Gerechtfertigtsein vor Gott hat daher keinerlei Bezug zu einer objektiven oder empirischen Gerechtigkeitsleistung auf Seiten des Menschen.« Ähnlich a. a. O., 202: »Weil Paulus nicht

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Es liegt die Vermutung nahe, dass diese Karikatur bzw. Persiflage Yoder den Zugang zu einer solchen stellvertretungschristologischen Explikation der Ethik versperrte, wie sie etwa Barth vornahm. Yoder leugnet jedoch keineswegs dieses »›traditionelle‹ Element«283. Er wendet sich nach eigener Aussage nur gegen eine heilsindividualistische bzw. individualethische Engführung der Rechtfertigungslehre, die die »sozialen oder kosmischen Dimensionen«284 der Rechtfertigung verneint. Yoder denkt diesbezüglich an eine Reduzierung von »Versöhnung« und »Rechtfertigung« auf das pro me einer persönlichen Heils- bzw. Errettungserfahrung, wohingegen 2Kor 5,17 seinem originären griechischen Wortlaut nach nicht den neuen, wiedergeborenen Menschen anvisiere, sondern »kosmisch« die ganze Welt: »Ist jemand in Christus, so ist die ganze Welt neu«285. Der paulinische Akzent liegt hier nach Yoder nicht auf einer metaphysischen oder ontologischen Veränderung des Individuums, sondern »on transforming the perspective of one who has accepted Christ as life context.«286 Yoder wendet sich zugleich entschieden gegen ein Versöhnungsverständnis wie dasjenige Albrecht Ritschls,287 wonach Vergebung und Rechtfertigung auf eine Art psychische Befreiung des Individuum zur Teilnahme am ethischen Prozess herunter gebrochen und Rechtfertigung und Ethik im Verhältnis von »prelude and sequence«288 gedacht werden.289 Yoder beruft sich diesbezüglich auf Karl Barths Sohn Markus Barth (1915 – 1994), der viele Jahre in Nordamerika als Neutestamentler gewirkt hat.290 Dieser habe die Rechtfertigung als Akt des »Zurechtrückens« (set right; right-setting) gelehrt,291 was z. B. in dessen Exegese von Eph 2,11 – 22 deutlich werde, in der Rechtfertigung zum Synonym für Friedensstiften, konkret: für das Niederreißen der Mauer zwischen Juden und

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Jesus und Rechtfertigung keine Sozialethik ist, deshalb hat der Weg Jesu für unsere Zeit seine Verbindlichkeit verloren, so lautete jedenfalls der klassische Standpunkt.« A.a.O., 204. Als solche traditionellen Elemente nennt Yoder u. a. »Jesus als Sühneopfer«. A.a.O., 191. A.a.O., 200. Erneut verteidigt hat J.H. Yoder seine Auslegung von 2Kor 5,17 in dem Aufsatz »The Apostle’s Apology Revisted«, in: ders., To Hear the Word, 9 – 27. Vgl. auch R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 20. Ders., The Politics of Jesus, 223. Die deutsche Übersetzung ist ungenau, wenn sie von »der Verwandlung der Perspektive derer« spricht, »die Christus als ihren Kontext akzeptiert haben.« Ders., Die Politik Jesu, 200. Zu A. Ritschl vgl. K. Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 598 – 605; W. Pannenberg, Problemgeschichte der neueren evangelischen Theologie in Deutschland, 124 – 130; R. Slenczka, Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi, 236 – 252; G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit Bd. 2, 63 – 118. J.H. Yoder, The Politics of Jesus, 221. Vgl. a. a. O., 198. Die deutsche Übersetzung verfährt äußerst fehlerhaft, wenn sie z. B. Albrecht Ritschl kurzerhand zu Albert Ritschel mutieren lässt oder »psychic release« mit »psychisches Ventil« übersetzt. Vgl. dazu im Original: J.H. Yoder, The Politics of Jesus, 221. Vgl. M. Barth, Rechtfertigung. Vgl. J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 197.201. Im Original: ders., The Politics of Jesus, 220.225.

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Griechen avanciere. Yoder folgt M. Barth in dessen Interpretation von Eph 2. Auch Yoder interpretiert Versöhnung primär als soziales Ereignis.292 Er betont jedoch, dass er keineswegs behaupten wolle, »Rechtfertigung sei nur sozial«293. Im Sinne des biblischen schalom-Begriffs sei Rechtfertigung allein aus Gnade als beides, nämlich »morality as well as […] ›salvation‹«294, zu verstehen. Um Klarstellung bemüht, fährt Yoder fort: »Wir widersprechen einer bestimmten polemischen Anwendung der traditionellen Lehre, die sie dazu benutzte, die ethische und soziale Dimension auszuschließen. Indem wir Autoren zitieren, die die fehlenden Dimensionen wiederentdeckt haben, streiten wir die persönliche Dimension nicht ab. Wir streiten allerdings ab, daß man am angemessensten darüber spricht, wenn man vom Rest abstrahiert, wie es bestimmte westliche Traditionen neuer[e]n Datums angenommen haben.«295

Indem Yoder allerdings die Stellvertretungslehre in seinen Ausführungen an den Rand drängt, relativiert er de facto ihre Bedeutung, auch wenn er solches nicht intendiert. Aussagen wie z. B. die, dass »das Friedenstiften durch den Abbruch der Trennmauer […] selbst die Erschaffung einer neuen Menschheit [bedeu292 Vgl. ders., Die Politik Jesu, 196: »Das ist das Werk Christi: er rettet nicht nur individuelle Seelen und befähigt sie zur gegenseitigen Liebe; er stiftet Frieden, reißt die Mauer ein und bildet damit eine neue Gemeinschaft aus zwei verschiedenen Gruppen von Menschen, von denen die eine unter dem Gesetz gelebt hatte, die andere nicht.« Vgl. dazu auch: F. Enns, Das Rechtfertigungsgeschehen in der Interpretation der Mennoniten, 173 f., der im Blick auf Yoders Auslegung von Eph 2 festhält: »Paulus ging es nicht um die Aufhebung der Feindschaft zwischen dem gerechten Gott und den gegen das Gesetz verstoßenden Menschen. Vielmehr schafft Gott durch die Überwindung der Trennmauer (das jüdische Gesetz) zwischen Juden und Griechen in Christus eine neue Menschheit. Rechtfertigung wird zum sozialen Ereignis, weil vorher Getrenntes versöhnt wird, Juden und Griechen, Mann und Frau, Sklave und Freier, etc. (Gal 3,28).« 293 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 192. Im Blick auf das von ihm als »lutherisch« identifizierte Verständnis der Rechtfertigung allein aus Gnade durch Glauben macht J.H. Yoder (For the Nations, 211) geltend: »Jesus and the early disciples did not let that understanding dictate for them only what to do about ›salvation,‹ in the sense of the present integrity or the ultimate destiny of the soul. They applied it as well to shalom as the social historical purpose of YHWH.« 294 A.a.O., 214. 295 Ders., Die Politik Jesu, 192. Ähnlich a. a. O., 204: »Wir wiederholen […] unsere Versicherung […], eine solche neue Einseitigkeit […] nicht [zu] beabsichtig[en]. Uns geht es darum, das Neue Testament gegen den Ausschluß des ›messianischen Elements‹ zu verteidigen. Die Einseitigkeit liegt auf Seiten der Tradition, nicht auf unserer Seite. Die traditionellen Auffassungen behaupten, daß Jesus, weil er als Opfer anzusehen sei, nicht König sein könne, oder weil in Jesus das Wort Fleisch geworden sei, könne er nicht menschliches Vorbild sein.« J.H. Yoder (a. a. O., 192) konzediert, dass seine Ausführungen in »Die Politik Jesu« »nicht die ganze Breite des paulinischen Rechtfertigungsdenkens« abdecken, sondern nur danach fragen, »inwieweit dieses Denken tatsächlich die Argumente gegen eine ›messianische Ethik‹ unterstützt.« Diese Bemerkung betrifft m. E. allerdings das gesamte Oeuvre Yoders.

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tet]«296, avancieren nur allzu schnell zu einem Substitut, das die Stellvertretungsdimension des Versöhnungsgeschehens nicht nur zurücktreten lässt, sondern verdrängt. Barth hingegen schärft die zentrale Rolle der Stellvertretungslehre im Gesamt der Versöhnungslehre ein. So bemerkt er im Blick auf die Disposition seiner »Kirchlichen Dogmatik«, dass »ja auch schon die ganze, der Versöhnungslehre vorangehende Theologie an dieser, der theologia crucis [hing], in dem besonderen Licht, in dem sie als Lehre von der Stellvertretung […] zu entfalten war.«297 Die Versöhnungslehre hängt an der theologia crucis298 und damit an der Stellvertretungslehre – wohlgemerkt die Versöhnungslehre als Mitte und innerstes Zentrum der Dogmatik, in deren Peripherie etwa die Lehre von der Schöpfung und der Erlösung (Eschatologie) angesiedelt sind.299 Was Nachfolge meint, kann gemäß Barth nicht ohne das für die Versöhnung konstitutive Stellvertretungsgeschehen gedacht und verstanden werden. Christus ist auch bei ihm exemplum bzw. Vorbild, aber eben nicht nur, sondern erst darum und daraufhin, dass er zuvor in seinem Kreuzestod stellvertretend für uns eintrat. Eine Vorbildchristologie hat gemäß Barth nur dann eine Berechtigung, wenn sie einer inklusiven Stellvertretungschristologie nach- und nicht vorgeordnet wird.300 Die Vorbildchristologie darf – gerade wenn sie auf das Leben Jesu bezogen sein will – die Stellvertretungschristologie nicht substituieren, zumal dessen Darstellung in den Evangelien aus der Perspektive des göttlichen »Muß«, d. h. im Lichte von Kreuz und Auferstehung erfolgt, die für das Geschehen inkludierender Stellvertretung konstitutiv sind:301 »Es ist wahr, daß Jesus Christus auch der uns exemplarisch vorangehende, uns den Weg zeigende Mitmensch ist, daß es auch eine Nachfolge Christi, eine Gemeinschaft mit ihm und insofern eine Existenz des Christen mit ihm gibt. […] Er ist der uns exemplarisch vorangehende, uns den Weg weisende Mitmensch daraufhin und in Kraft dessen, daß er ›für uns‹ ist: in einem ›für uns‹, da sich mit keinem ›mit uns‹ zur Deckung bringen läßt, durch das Alles hier in Frage kommende ›mit uns‹ vielmehr – gewissermaßen von außen her – begründet sein, aus dem alle Nachfolge allererst ihren Sinn und ihre Kraft 296 A.a.O., 196. 297 K. Barth, KD IV/1, 300. 298 Vgl. B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 143: »Die theologia crucis bildet […] den Ort und den Rahmen der Modifikation und Aktualisierung der traditionellen Christologie bei Barth: Das Ineinander von Christologie und Versöhnungslehre impliziert und interpretiert die Zweinaturen- und Zweiständelehre.« 299 Vgl. K. Barth, KD II/2, 95: »Die ganze Dogmatik hat nichts Höheres noch Tieferes, sie hat nichts wesentlich Anderes zu sagen als dies: das ›Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber‹ (2. Kor 5, 19)«. 300 So auch nachdrücklich M.L. Frettlöh, Der auferweckte Gekreuzigte und die Überlebenden sexueller Gewalt, 99. 301 Vgl. O. Hofius, Neutestamentliche Studien, 3 – 18, bes. 18; P. Stuhlmacher, Biblische Theologie II, 310.

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empfangen muß. Nachfolge, christliches Sein mit ihm beruht auf der Voraussetzung, kann nur von der Voraussetzung her vollzogen werden, daß Jesus Christus schon in sich selbst für uns ist: ohne daß wir mit ihm sind, ohne allen Nach- und Mitvollzug seines Seins – im Gegenteil (Röm. 5, 6 f.): da wir noch Schwache, Gottlose, Feinde waren. Er wird also nicht erst ›für uns‹, indem es bei uns zu irgendwelchen Nach- und Mitvollzügen kommt, sondern er ist ›für uns‹, unabhängig von der Beantwortung der uns allerdings gestellten Frage nach solchem Mit- und Nachvollzug, in sich selber. Das Heilsereignis geschah dort, damals, in Ihm, uns so für uns. In Ihm, als das damals und dort geschehene umgreift es uns, begründet es dann auch Gemeinschaft, ruft es dann auch nach Nachfolge, aber nicht so, daß es in unserem Gehorsam gegen diesen Ruf zum Heilsereignis erst würde oder in unserem Ungehorsam das Heilsereignis gar nicht wäre, sondern so, daß es uns zwar als das in Ihm für uns geschehene Heilsereignis immer wieder vor die Frage nach unserem Gehorsam oder Ungehorsam stellt, in sich selbst aber das für uns geschehene Heilsereignis ist und bleibt, wie auch unsere Antwort auf seine Frage lauten möge.«302

K. Barth hält mit allem Nachdruck daran fest: »Es wird keine weiteren Christusse geben«303. Somit betont er das ephapax (Hebr 7, 27; 9,12; 10, 10; vgl. 9, 28; Röm 6, 10)304 des Stellvertretungsgeschehens als Gottes Voraus-Setzung der Nachfolge. Nachfolge ist für Barth nur aufgrund des Geschehens der Stellvertretung und zwar in seiner doppelten Aspektuierung als Geschehen der exklusiven und inklusiven Stellvertretung möglich. Exklusive Stellvertretung besagt, dass die Stellvertretung pro nobis und zwar extra nos und contra nobis geschah, so dass wir Menschen in Bezug auf die Stellvertretung bzw. die Erfüllung des Bundes als ein für allemal vollzogene und gültige Taten Gottes in keiner Weise heilssynergistisch tätig sein können, und dennoch in das Stellvertretungsgeschehen eingeschlossen sind. Nachfolge basiert auf dieser exklusiven Stellvertretung mit ihrer inklusiven Implikation. Nachfolge setzt also Christi Stellvertretung nicht erst imitatorisch in Kraft305 : »Nicht für ihm ähnliche oder es ihm gleichtuende, sondern für diese und für uns als solche Menschen [deren Repräsentanten die Jesus Christus am Karfreitag umgebenden menschlichen Figuren sind; M.H.] ist er, den Tod erleidend, und in diesem Erleiden der eine Gehorsame, vor Gott eingetreten, hat er uns, hat er die Welt mit Gott versöhnt. Er ganz allein hat das getan. Daß dem so ist, und daß das erkannt wird, darauf beruht erst alle Nachfolge, alle Gemeinschaft unseres Seins und Tuns mit dem seinigen.«306

302 K. Barth, KD IV/1, 251 f. 303 Ders., KD II/2, 642. 304 Vgl. z. B. ders., KD IV/1, 81: »Sie [die Versöhnung; M.H.] bedarf keiner Wiederholungen, auch keiner Verlängerungen und Vervollständigungen. Sie ist gerade [eine] einmalige Geschichte«. 305 Vgl. D. Schellong, Barmen II und die Grundlegung der Ethik, 516. 306 K. Barth, KD IV/1, 457.

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Vicit agnus noster, eum sequamur

Barth bietet keine vorbildchristologische Deutung des stellvertretenden und inklusiven Sühneopfers Jesu Christi an, aus der ein Selbstrechtfertigungs- und Selbstheiligungsbemühen resultiert,307 welches das ephapax des Stellvertretungsgeschehens umläuft. Damit würde das »Mitgekreuzigtsein« (vgl. Röm 6,6; Gal 2,19 u. ö.) und das »Mitauferwecktwerden« (vgl. 1Kor 15,16; Kol 2,12; 3,1 u. ö.), ja das gesamte inklusive Geschehen von Rechtfertigung und Heiligung dispensiert. Dadurch dass die Vorbildlichkeit bzw. das Exemplarische Jesu bei Barth gerade nicht zum Interpretament des Kreuzestodes in seiner Heil schaffenden Funktion wird, ist er vor der Gefahr gefeit, Nachfolge implizit oder explizit im Gefälle einer Wiederholung desselben erscheinen zu lassen. Das Rechnen mit einer Wiederholbarkeit des Stellvertretungsgeschehens von Seiten des Menschen würde eine Apotheose des Menschen308 bedeuten, weil sie gleichsam das Gott-Sein des Menschen voraussetzen müsste, der kraft dieses Gott-Seins das Stellvertretungsgeschehen eigeninitiativ inszenieren bzw. realisieren könnte. In Bezug auf das Kreuzesgeschehen besteht nach Barth hingegen ein Hiatus zwischen Gott und Mensch – nicht in dem Sinne, dass das Sterben und Auferstehen Christi nichts mit dem Menschen und seiner Sündenwirklichkeit zu tun hätte, eine Inklusion des Menschen in dieses Geschehen also ausgeschlossen wäre, sondern vielmehr in dem Sinne, dass dieses Geschehen als das schlechthin inklusive Ereignis nur an uns (in nobis) und uns zugute (pro nobis) geschehen kann, weil »Gott in Christus« war und Gott den, der im Unterschied zu uns Menschen seinem Ursprung und Wesen nach auf die Seite Gottes gehört, als den, »der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht hat« (2Kor 5,21)309. Barth interpretiert das pro nobis – wie bereits dargelegt – als extra nos mit

307 Gegen die Vorstellung von einer mystischen Entleerung (»mystische Nacht«) als Nachbildung des Leidens und Sterbens Christi wendet K. Barth (KD IV/1, 702) ein: »Es bedeutet […] einen Rückfall in die Vorstellung von einem den Menschen per se rechtfertigenden Glauben, wenn man die in ihm [dem Glauben; M.H.] allerdings stattfindende Nachbildung des Werkes Christi als ein von Menschen zum Vollzug seiner Rechtfertigung zu leistendes Werk, als eine ihm in diesem Sinn gestellte Aufgabe beschrieben und also den Grund der Demut des Glaubens und seine Exklusivität allen Werken des Menschen gegenüber in der Notwendigkeit solcher [mystischen] Entleerung, in einer sich so verstehenden Theologie der imitatio Christi suchen wollte.« 308 Gegen die These von einer Apotheose des Menschen Jesus von Nazareth gibt K. Barth (KD IV/1, 177) zu bedenken, dass sie »ja jedenfalls in der palästinensischen Urgemeinde, im direkten Bereich des alttestamentlichen Gottesbegriffs […] ohnehin ein Unding war« und »angesichts der Tatsache, daß es keine christliche Gemeinde ohne das Alte Testament gegeben hat – auch in der hellenistischen Christenheit nicht […] nicht durchführbar sein konnte«. Vgl. zu diesem Zitat F.-W. Marquardt, Exegese und Dogmatik in Karl Barths Theologie, 663. 309 Zur Interpretation von 2Kor 5,21 im Sinne einer metaphorischen Prädikation bzw. im Sinne der These Luthers: Christus factum est peccatum metaphorice vgl. H. Assel, Sünde, 202 – 207.

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Barths Nachfolgekonzeption

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inklusiver Implikation.310 Diese Interpretation erfolgt als Entfaltung der unumkehrbaren Sequenz: extra nos – pro nobis – in nobis. In Yoders Interpretation der paulinischen Rechtfertigungslehre treten die stellvertretungschristologischen Kautelen, mit denen Barth seine Nachfolgekonzeption versehen hat, zurück und machen seine Konzeption theologisch ungleich angreifbarer als die seines Lehrers Barth. Dass der Feindesliebe und Gewaltfreiheit einschließende »messianische Lebensstil«, als den Yoder das Leben in der Nachfolge kennzeichnet, nicht einfach eine steile ethische Forderung an den Menschen ist, sondern im Versöhnungsgeschehen seinen Ermöglichungsgrund hat311 – diese auch von Yoder grundsätzlich geteilte und für jede theologisch verantwortbare Nachfolgekonzeption schlechthin unverzichtbare Prämisse, tritt bei Yoder in dem Maße in den Hintergrund und droht von ihm in dem Maße verkannt zu werden, in dem er die Versöhnung als ein soziales Phänomen auf Kosten der theologischen Stellvertretungsdimension dieses Geschehens interpretiert. Dass das Versöhnungsgeschehen die Bildung von gelingenden sozialen Beziehungen zwischen den Menschen impliziert, gilt es in der Tat mit Yoder hervorzuheben. Diese Pointierung kann jedoch nur dann theologisch sachgemäß erfolgen, wenn man gleichzeitig betont, dass aus dem Geschehen der inkludierenden Stellvertretung als der Versöhnung des Menschen durch Gott auch eine Veränderung der zwischenmenschlichen Relationen resultiert, die den Frieden auf Erden elementar betrifft.

310 Dies hat B. Klappert (Die Auferweckung des Gekreuzigten, 272 – 277) eindrucksvoll in seiner Bonner Dissertation herausgearbeitet. 311 So F. Enns, Das Rechtfertigungsgeschehen in der Interpretation der Mennoniten, 175, im Anschluss an Yoder.

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4.

Humanitas Christi. Zur Lehre von der An- und Enhypostasie als präzisierender Bestimmung des Gegenstandes der Nachfolge nach Karl Barths Versöhnungslehre

1.

Einleitung

Die reichlich konstruiert und spekulativ anmutende Lehre von der An- und Enhypostasie der menschlichen Natur Christi bezeichnet zugleich das Recht und die Grenze der Anwendung des für die Nachfolgeethik zentralen Imitationsgedankens. Das Theologumenon von der An- und Enhypostasie markiert demzufolge einen diakritischen Punkt, an dem sich die christologisch legitime von der christologisch illegitimen Ingebrauchnahme des Imitationsgedankens (unter-)scheidet. Diese These soll im folgenden Kapitel entfaltet werden, das damit zugleich die Ausführungen zur Nachfolgeethik im vorausgehenden Kapitel (I.3.) vertieft und präzisiert. Die Lehre von An- und Enhypostasie betrifft nämlich in elementarer Weise die christologischen Prämissen, auf denen der Gebrauch des Mimesis-Motivs in Gestalt des Imitationsgedankens basiert. Es stellt sich, was die christologischen Prämissen betrifft, etwa in Bezug auf die Zwei-Naturen-Lehre die Frage, ob Jesus Christus, sofern an seiner von der Alten Kirche distinguiert bekannten Gottheit festgehalten wird, von menschlicher Seite überhaupt nachgeahmt werden kann. Das vere deus scheint nämlich die imitatio Christi zu verhindern, während das vere homo die Nachahmung geradezu suggeriert. In diesem Sinne ist wohl auch die Aussage J.H. Yoders zu interpretieren: »The ordinariness of the humanness of Jesus is the warrant for the generalizability of his reconciliation.«1 Das Versöhnungsparadigma bezieht sich dabei, wie im letzten Kapitel anhand Yoders primär sozial ausgerichteten Versöhnungsverständnisses gezeigt wurde, auf die sich als imitatio crucis vollziehende Nachfolge. Jesus muss gleichsam Mensch sein, damit wir Menschen ihn in Bezug auf sein Kreuz imitieren und mittels imitatio crucis Gottes Versöhnung der Welt in Christus entsprechen können. Mit dieser Prämisse, nach der Jesu menschliche Natur Garant einer die imitatio crucis fokussierenden Nachfolgethik ist, bewegt sich Yoder zumindest der 1 J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 62.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Tendenz nach in spezifischer Weise im Gefälle des vollends in der Neuzeit und Aufklärung beschrittenen Weges einer Neuinterpretation der Gottheit Jesu im Sinne einer besonderen Qualität des Menschen Jesus von Nazareth. G.E. Lessing brachte im Jahr 1780 diesen neuzeitlichen Ansatz auf seinen jesuanischen Punkt, der sich für eine Ausprägung der Christologie im Gefolge der Aufklärung als konstitutiv erwies: »Ob Christus mehr als Mensch gewesen, das ist ein Problem. Daß er wahrer Mensch gewesen, wenn er es überhaupt gewesen; daß er nie aufgehört hat, wahrer Mensch zu sein: das ist ausgemacht.«2 Der religiös und sittlich besonders qualifizierte ideale Mensch verdrängte in der Konsequenz dieser jesuanischen Grundentscheidung den in metaphysische Begrifflichkeit gefassten Gottmenschen.3 Das Interesse an der Historizität des Lebens Jesu von Nazareth trat an die Stelle der Betonung von Präexistenz4 und/oder Schöpfungsmittlerschaft Christi.5 Ob sich indes die Betonung der Idealität der humanitas Christi in Bezug auf die imitatio Christi tatsächlich als anschlussfähiger erweist als ein Insistieren auf die Gottheit Jesu, ist keineswegs ausgemacht. K. Barth hat dies zumindest mit seiner Zuwendung zur Lehre von der An- und Enhypostasie fundamental in Frage gestellt, wie gezeigt werden soll. Barth stellt die Frage, ob man mit der Betonung der Idealität Jesu tatsächlich mehr gewinnt, als etwa mit dem Chalcedonense bereits gewonnen wurde. Auch mit der Idealisierung des Menschen Jesu soll ja ein »zugleich« angezeigt werden, nämlich die Simultanität von Gleichheit und Ungleichheit: dass er ein Mensch ist wie wir, insofern uns gleich 2 G.E. Lessing, Die Religion Christi (1780), 711. 3 J. Fischer (Wahrer Gott und wahrer Mensch, 166) verweist beispielhaft auf F.D.E. Schleiermachers rekonstruktive Erschließung der Idealität Jesu als Bedingung der Möglichkeit gegenwärtigen frommen Bewusstseins. 4 A. v. Harnack (Dogmengeschichte I, 704 f.) stigmatisiert die Dogmen- und Theologiegeschichte als eine »Geschichte der Verdrängung des historischen Christus durch den präexistenten (des wirklichen durch den gedachten)«. Im Zuge seiner These von der verfremdenden »Hellenisierung« des Christentums kritisiert er, dass »diese scheinbare Bereicherung Christi einer Verarmung gleich[kam], weil sie die volle menschliche Persönlichkeit Christi in Wahrheit strich«. Laut A. v. Harnack (Das Wesen des Christentums, 125 u. ö.) führte es zu einem verhängnisvoll unsittlichen Intellektualismus, dass die Reformation »die alten Dogmen von der Trinität und den zwei Naturen in das Evangelium hinein« nahm. Zu erinnern ist auch an die »Leben-Jesu-Forschung«, die nach A. Schweitzer (Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, 620) auszog, »um den historischen Jesus zu finden, und meinte, sie könnte ihn dann, wie er ist, als Lehrer und Heiland in unsere Zeit hineinstellen. Sie löste die Bande, mit denen er seit Jahrhunderten an den Felsen der Kirchenlehre gefesselt war, und freute sich, als wieder Leben und Bewegung in die Gestalt kam und sie den historischen Menschen Jesus auf sich zukommen sah. Aber er blieb nicht stehen, sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige zurück.« 5 Zu den »jesulogischen« Entwürfen der damaligen Zeit vgl. die Darstellung von U. Gerber, Christologische Entwürfe, 47 – 132; U. Kühn, Christologie, 218 – 224; G. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit Bd. 1, 113 ff.

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Einleitung

ist; und dass er ein vollkommen idealer Mensch ist und insofern ganz anders ist als wir. Der Glaube an den idealen Menschen, genauer : die summa humanitas Christi dürfte deshalb keineswegs die Imitierbarkeit stärker sichern als die Akzentuierung der Gottheit Christi, zu der sich sein Jünger Thomas mit der Anrede bekennt: »Mein Herr und mein Gott« (Joh 20,28; vgl. 1Joh 5,20).6 Die sich ungleich radikaler als die Betonung der Idealität Jesu darstellende dogmatische Konsequenz, die in der Aussage: »vere homo est mere homo« kulminiert, widerspricht unzweideutig dem biblischen Christuszeugnis. Es wird deutlich, dass einerseits die Betonung der Idealität des vere homo die Imitierbarkeit Jesu keineswegs ermöglicht und andererseits die Verleugnung des vere deus nur gegen die Christusbotschaft der Bibel vollzogen werden kann.7 So erweist sich die Akzentuierung des vere deus bei einem gleichzeitigen Insistieren auf der Imitierbarkeit Jesu Christi, verstanden als vere deus und vere homo, als theologisch unaufgebbar. Wie kann dies aber angehen? So lautet die Ausgangsfrage dieses Kapitels. Wie kann die imitatio Christi als ein ethisches Grundmotiv zugleich mit der dogmatischen Zentralaussage von der Gottheit Jesu Christi betont werden? Letztere sagt doch offenkundig eine imitationsverhindernde Andersartigkeit Jesu in Bezug auf uns Menschen aus? Schließen sich damit diese beiden Grundannahmen nicht gegenseitig aus?

6 R.E. Brown (Jesus, bes. 34 – 38) verweist bezüglich des Bekenntnisses zur Gottheit Jesu mit Nachdruck auf Joh 1,1 und Hebr 1,8 f. sowie mit weniger Nachdruck auf Joh 1,18; Röm 9,5; Tit 2,13; 1Joh 5,20 und 2Petr 1,1 hin. P. Stuhlmacher (Biblische Theologie II) identifiziert nicht nur das Christuszeugnis in den Johannesschriften (so etwa a. a. O., 219.282), sondern auch im Hebräerbrief (vgl. a. a. O., 85), in den Petrusbriefen und dem Judasbrief (vgl. a. a. O., 75 – 78.109), den Paulusbriefen (vgl. a. a. O., 308), der Paulusschule (vgl. a. a. O., 4 – 27) und den synoptischen Evangelien (zu Mt vgl. a. a. O., 161; zu Mk vgl. a. a. O., 136 – 147; zu Lk vgl. a. a. O., 192) als »Hochchristologie« und stellt bezüglich seiner Ausgangsfrage nach der »Mitte der Schrift« fest, »daß die Hauptzeugen des Neuen Testaments gemeinsam den einen Gott bekennen, der sich in seinem einen, mit ihm wesensgleichen Sohn abschließend geoffenbart und in ihm das Heil der Welt heraufgeführt hat«. Vgl. auch die vielfältigen Belege, die O. Hofius (Neutestamentliche Studien, bes. 54 – 56.223 – 240.334 f.363 – 368) erbringt, um Jesus Christus, als den, der seinem Ursprung und Wesen nach auf die Seite Gottes gehört, als die »Mitte der Schrift« (a. a. O., 332) zu extrapolieren. O. Hofius (a. a. O., 334 Anm. 11) beruft sich dabei explizit auf K. Barths (KD IV/1, 185 f.) Aussage: »Nun ist ja dieser eine Mensch – es ist, wie wenn jener alttestamentliche Rahmen gefüllt, aber auch sofort gesprengt würde – der Sohn Gottes, der mit Gott dem Vater eins und also selbst Gott ist.« Vgl. auch K. Barth, KD IV/1, 140, und dazu: B. Klappert, Die Auferweckung des Gekreuzigten, 102 f. 7 K. Barth (KD IV/1, 196 – 199) wendet sich explizit gegen eine Preisgabe des vere deus etwa im Sinne einer »kenotischen« Auslegung von Phil 2,7b, wonach die Selbsterniedrigung des Sohnes Gottes in die »Knechtsgestalt« als »Entgöttlichung Gottes« zu verstehen ist. Vgl. B. Klappert, Die Auferweckung des Gekreuzigten, 172 – 175.

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2.

Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Der Ansatz der »hohen Christologie« J.H. Yoders bei der humanitas Christi

Was Yoders christologischen Ansatz betrifft, so wird man im Blick auf eine theologiegeschichtlich sachgemäße Einordnung nicht vorschnell urteilen dürfen, zumal er die Gottheit Jesu – etwa aus Interesse einer Sicherung der Imitierbarkeit Jesu heraus – keineswegs leugnet. Bei Lichte betrachtet, entwirft Yoder keine »low Christology«. Insbesondere in seinem posthum erschienenenen Werk »Preface to Theology. Christology and Methode« (2002) zerstreut er diesen Eindruck. G.L. Stassen bemerkt: »Yoder’s theology insists at its core that the Jesus who teaches, confronts, and heals in first-century Palestine is the full revelation of God, of God’s character, real nature, and will. It is not a Platonic Christology in which God the Father is a different character (eternally, unchanging, incapable of suffering, and incapable of wrath, while Jesus is historical, suffering, and confrontational).«8 In Übereinstimmung mit Stassen geben S. Hauerwas und A. Sider Yoders christologische Überzeugung wieder : »A high Christology is a prerequisite for the renewal of a believer’s church.«9 Dementsprechend distinkt arbeitet Yoder in »Preface to Theology« – wie an keiner anderen Stelle seines Oeuvres – das biblische Zeugnis von der Präexistenz Jesu Christi, der Schöpfungsmittlerschaft, der soteriologischen Valenz von Gottes Handeln in und durch Jesu Tod, aber auch der »menschlichen« Seite der Existenz Jesu mit ihren realen Versuchungen und Jesu realem »Wachstum« heraus. Dabei will er die altkirchlichen Bekenntnisse vor allem im Blick auf die Zwei-Naturen-Lehre an den neutestamentlichen Standards im Sinne eines Verifikationsprozesses gemessen und geprüft wissen.10 Yoder gelangt zu dem Ergebnis: »The creeds are helpful as fences, but affirming, believing, debating for, and fighting for the creeds are probably things on which a radical Anabaptist faith would not concentrate. Yet that gives us even less reason to join […] in fighting against the creeds.«11 In seiner Rekonstruktion der Christologie-Genese im Urchristentum hebt Yoder hervor, »[that] ›high christology‹ is present in the oldest documents we have«12, wohingegen sich erst in späteren Texten, sprich: den Evangelien, die indispensable Affirmation der »earthliness of the man Jesus«, der »story of his

8 G.L. Stassen, Rezension zu J.H. Yoder, Preface to Theology, 519. 9 S. Hauerwas / A. Sider, Introduction, 19. 10 Vgl. J.H. Yoder, Preface to Theology, 135: »There must be testing; there has to be a verification process. You have to check whether what we say today fits with Christ«. 11 A.a.O., 223. Zur Bekenntnishermeneutik Yoders vgl. A.E. Weaver, Missionary Christology, 423 – 439. 12 J.H. Yoder, Preface to Theology, 139.

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Der Ansatz der »hohen Christologie« Yoders

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doings« und der »memories of his own words«13 niederschlage.14 Yoder rekurriert vor allem auf den aus präpaulinischer Tradition stammenden Philipperhymnus (Phil 2,6 – 11), der die Dialektik von »servanthood« (im Sinne des vierten Gottesknechtsliedes) und »lordship« eindrucksvoll zur Sprache bringe: »In Hebrew usage, Lord was the name used to replace the name of God. Thus this is the highest title that could conceivably be given a person in either of those language realms. […] God’s exaltation of Jesus will bring it about that all creation, the whole universe, will be subject to him. […] And it is the meaning of the exaltation that has already begun. He is now Lord.«15 Gewissermaßen als ontologische Bedingung der Möglichkeit dieses kosmischen, in universaler Proskynese kulminierenden Sieges Christi führt Yoder die »hochchristologischen« Theologumena an: »[B]ehind the cosmic victory, enabling it, there is affirmed (without a parallel in the synoptic Gospels) what later confession called preexistence, co-essentiality with the Father, possession of the image of God, and the participation of the Son in creation and providence«16. Allein wenn man sich diese Aussage vergegenwärtigt, wird man der Haltlosigkeit jener Behauptung gewiss, wonach Yoder der Vertreter einer »low christology« ist. Darunter kann man mit G. Hunsinger eine solche Christologie verstehen, »that reduces Jesus to little more than a moral exemplar«17. Eine solche Christologie ist einer solchen Sichtweise bedürftig, »in which his incarnation, atoning death, and resurrection are taken seriously.«18 Neben der die göttliche Dignität akzentuierenden kosmischen Herrschaft Christi, die unabhängig von ihrer Anerkennung durch die Kreatur besteht, impliziert der Philipperhymnus Yoder zufolge zwei weitere Behauptungen, nämlich »renunciation, or acceptance of humiliation, or obedience« sowie »the genuine humanity of this person«19, wobei beide Behauptungen insofern einander zugeordnet sind, als sie die Erniedrigung (status exinanitionis) betref-

13 A.a.O., 140. 14 Vgl. ders., That Household We Are, 6: »[T]he development of the Christology of pre-existence and kenosis, far from being the product of whimsical imagination, or of ahistorical and unjewish speculation, represents the product of an aggression by the bearers of the story of the crucified man Jesus, in all his Jewish particularity, against the religious cosmovisions of the wider world, whose sages thought their systems could swallow anything that could come along.« 15 Ders., Preface to Theology, 85. 16 Ders., The Priestly Kingdom, 53. Dass diese »hochchristologischen« Theologumena in den synoptischen Evangelien keine Parallele hätten, kann mit Fug und Recht bestritten werden. Vgl. nur, was etwa die Präexistenz Christi angeht, P. Stuhlmacher, Biblische Theologie II, 120.137 f.161. 17 G. Hunsinger, Disruptive Grace, 29. 18 Ebd. 19 J.H. Yoder, Preface to Theology, 84.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

fen.20 Diesen zweiten Aspekt hebt Yoder besonders hervor: »There is no idea of just playing at being a man, but a total humanity even to the point of death. Here is the language of servanthood. He took the form of a slave.«21 Beide Akzente, die – in der Terminologie der altprotestantischen Orthodoxie formuliert – die beiden Stände Christi meinen, entdeckt Yoder auch in den ersten beiden Kapiteln des Hebräerbriefes wieder, nämlich das »concept of divine Sonship« und das »[of] being human«22. In seinen Exegesen hebt Yoder immer wieder beides hervor, das wahre Mensch- und das wahre Gottsein Jesu Christi, anders gesagt: »his identity with God and his identity with humanity«23. Für Yoders eigenen christologischen Ansatz ist indes charakteristisch, dass er den konsequenten Kreuzesgehorsam in der Knechtsgestalt Jesu betont, welche ihn zur Herrschaft akkreditiere.24 Demzufolge muss man christologisch beim Menschsein Jesu in Knechtsgestalt, sprich: beim irdischen Jesus ansetzen, um seine Person und sein Werk zu verstehen und sachgerecht zu explizieren. Anhand dieses Ansatzes »von unten« her, der – wie gezeigt – keineswegs mit einer »low Christology« identifiziert werden darf,25 versucht Yoder vor allem der Gefahr einer »doketischen Christologie« zu begegnen, die ausschließlich die Präexistenz, Schöpfungsmittlerschaft, Kreuz und Auferstehung betont, im Blick auf diese Theologumena aber von der Person und dem Wirken des geschichtlichen Jesus absieht. Interpretiert Yoder besagte Theologumena vom irdischen Jesus ausgehend, so wird Jesu Leben eo ipso zum hermeneutischen Schlüssel dafür, wie diese zu verstehen sind. Sie bezeichnen Funktionen und bilden Interpretamente des geschichtlichen Menschseins Jesu in dessen ethischer Relevanz: »Offenbarung finden wir nicht in einer an Christus orientierten Geschichtstheorie, sondern in dem Menschen aus Nazareth, von dem wir sonst bekennen, daß er wirklich Gottes Sohn war. Offenbarung ist in Jesus Christus also nicht nur zu finden, weil er als ›Logos‹ bei der Schöpfung beteiligt war, nicht nur, weil er bei seiner Fleischwerdung die Welt mit ihrer Not ›annahm‹; nicht nur, weil die Rechtfertigung durch seinen Tod uns zum verantwortlichen Handeln freimacht, weil die Auferstehung das Leben bejaht oder weil seine Erhöhung ihn zum Herrn der Welt gemacht hat. […] Es sind Oberbegriffe, 20 In Yoders »Dreiklang« klingt demzufolge nur in einem entfernten, schwachen Sinne das Drei-Stufen-Schema (Präexistenz, Erniedrigung und Erhöhung) bzw. die Drei-StufenChristologie an, wie es exegetisch vielfach in den Christushymnen des Neuen Testaments wiederentdeckt wurde. Vgl. etwa J. Roloff, Neues Testament, 320 f. 21 J.H. Yoder, Preface to Theology, 84. 22 A.a.O., 117. 23 Ebd. 24 Vgl. C.A. Carter, The Politics of the Cross, 65. 25 Sachgemäß bemerkt C.A. Carter (a. a. O., 65): »Yoder’s call to follow Jesus in the way of peace has no rationale if Jesus is merely a human teacher. In other words, the validity of his ethics logically requires a high Christology.«

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Der Ansatz der »hohen Christologie« Yoders

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die richtig und nützlich sind, aber uns noch nicht sagen, wie wir in der Welt zu handeln haben. Als allgemeine Begriffe brauchen sie die Füllung durch die Geschichtlichkeit Jesu Christi.«26

Der Ansatz beim Menschsein Jesu bzw. beim irdischen Jesus folgt gemäß Yoder der dogmatischen Interessenlenkung bzw. steuernden Kraft der Inkarnationslehre, die auf die politische Valenz seines Wirkens abzielt: »Die politische Existenz des Fleischgewordenen, d. h. die Entscheidungen Jesu angesichts seiner politischen Probleme, sind Offenbarungen des Gebotes Gottes für den Bereich der Politik.«27 Wenn Yoder inkarnationstheologisch von Jesus als dem Christus politicus spricht, dann meint dies: Jesus war nicht einfach nur ein homo politicus, sondern er ist präzise als verus homo auch und gerade homo politicus: »Jesus ist […] von Anfang bis Ende der politische Mensch.«28 Als »Stern und Kern« der Christologie leitet die Inkarnationslehre gemäß Yoder die theologische Ethik dazu an, sich eben hier im Sinne einer Nachfolgeethik von dem für ihre Grundlegung zentralen Geschehen leiten zu lassen: »The criterion of Christian ethics is not effectiveness but incarnation.«29 Es überrascht nicht, dass Yoder seine »Konzeption« als »a missionary ethic of incarnation«30 bezeichnet und von der »normativeness of the incarnation«31 oder »moral priority of the incarnation«32 spricht. Aufgrund der Inkarnationslehre, die eine ethisch pointierte, konsequente Auslegung des vere homo geradezu postuliert, wird die Berechtigung der Feststellung von S. Hauerwas und A. Sider evident: »Yoder refused to separate Christology from discipleship«33. Die Inkarnation hat ihm zufolge auch unmittelbar ethische Valenz, denn sie bringt »God’s reaching into human reality« zur Sprache, »to say what we must do and what we must leave behind.«34 Die Inkarnation versteht Yoder als die göttliche Initiative, die es uns erlaubt, »to trace the reality of human obedience«35 – und zwar anhand von Jesu Kreuzesgehorsam. Die prioritäre Bedeutung der Inkarnation besteht also darin, dass sie auch und gerade in ethischer Hinsicht revelatorische Dignität besitzt: »[T]he humanity of Jesus is a revelation of the purpose of God for a person who wills to do God’s will.«36 Die Inkarnation hat fernerhin in ihrer normativen Valenz zu26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 41. Ebd. Dort kursiv. A.a.O., 44. Kursivierung: M.H. Ders., For the Nations, 108. Dort Großschreibung. Ders., The Priestly Kingdom, 44. Dort z. T. kursiv. A.a.O., 87. Ders., For the Nations, 109. S. Hauerwas / A. Sider, Introduction, 15. J.H. Yoder, The Royal Priesthood, 172. Ebd. A.a.O., 185. Dort kursiv.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

gleich auch motivatorische Kraft: »Identifying with the incarnation as not only the standard but also the motivation and the power for Christian obedience will mean that when exercising a social critique, the Christian will identify himself with the ›other,‹ the enemy.«37 Die ontologisch-metaphysische Bedeutung der Inkarnation tritt hingegen bei Yoder zurück: »The concept of Incarnation, God’s assuming human nature, has often made us direct our thought to metaphysics; asking how it can be that the human nature and the divine nature can be present together in one person. Whether this substantial miracle be joyously affirmed, as in the Athanasian tradition, or found unthinkable, […] it seems agreed by all that metaphysics is the question. But when, in the New Testament, we find the affirmation of the unity of Jesus with the Father, this is not discussed in terms of substance but of will and deed. It is visible in Jesus’s perfect obedience to the will of the Father. It is evident in Jesus that God takes the side of the poor. It is evident in Jesus that when God comes to be King, Jesus rejects the sword and the throne, taking up instead the whip of cords and the cross. The gospel is that God does this for his enemies. Then if this is what God is revealed to be doing, this is by the same token a revealed moral imperative for those who would belong to and obey God.«38

Diese Akzentuierung mag mancher/m als penetrante Ethisierung der Christologie erscheinen. Für Yoder hingegen lässt sich Glaube nicht als »Theorie« von der Praxis des Gehorsams separieren, ebenso wenig wie sich die Versöhnungslehre allein in forensischen oder juridischen Kategorien fassen lässt, die die geschichtliche Dimension von Christi Gehorsam gegenüber dem ihn sendenden Vater außer Acht lassen.39 Christologie und Christopraxie gehören nach Yoder untrennbar zusammen.40 Die Inkarnationslehre ist Yoder zufolge auch im Blick auf ihre ethische Pointierung nicht mit einer Adoptionschristologie zu verwechseln, sondern erweist sich als dieser entgegengesetzt: »›Inkarnation‹ hieß ursprünglich nicht (wie heute in einigen Geschichtstheologien oder in einigen Spielarten anglikanischer Theologie), daß Gott die ganze menschliche Natur, so wie sie ist, mit seinem Gütesiegel versieht und damit die gefallene Natur als Offenbarung anerkennt. Das Gegenteil ist der Fall; Gott hat die menschlichen Definitionen dessen, was menschlich ist, durchbrochen und in Jesus eine neue kreative Definition gegeben.«41 Was menschlich ist, das haben wir nach Yoder dort zu lernen, wo Gott sich in Jesus Christus offenbart, indem er Mensch wird und sich 37 38 39 40

Ders., For the Nations, 110. Ders., The Royal Priesthood, 185. So S. Hauerwas / A. Sider, Introduction, 15. So auch J. Moltmann, Der Weg Jesu Christi, 139. So auch ders., Wer ist Christus für uns heute?, 44. 41 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 91. So auch ders., For the Nations, 89: »[T]he man Jesus incarnated and thereby redefined the divine purpose.«

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

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damit allen Menschen als der verus homo in seiner unabdingbaren und – wie seine Auferstehung demonstriert – bis heute unabgegoltenen ethischen Relevanz vor Augen stellt. Als doktrinale Ausdruckdrucksform dieser fundamentalen Einsicht interpretiert Yoder die Trinitätslehre, die sich darin gleichsam als Implikat der Inkarnationschristologie erweist, dass sie den christologischen Weg der Gotteserkenntnis in einen monotheistischen oder besser : monolatrischen Gottesbegriff einzeichnet: »›Dreieinigkeit‹ meinte ursprünglich nicht drei Arten der Offenbarung: den Vater, der durch die Schöpfung, den Geist, der durch die Erfahrung spricht; und den Sohn, dessen Worte und Beispiel durch die beiden anderen relativiert werden. Es ging vielmehr darum, eine Sprache zu finden und Definitionen zu schaffen, damit Christen, die nur an einen Gott glauben, bekräftigen können, daß er sich am angemessensten und verbindlichsten in Jesus erkennen läßt.«42 Verstanden als die eigentliche Tiefendimension von Christologie und Trinitätstheologie fungiert die Inkarnationslehre somit als Grundlage der Nachfolgeethik Yoders. Sie umschreibt jene innertrinitarisch verwurzelte und sich heilsökonomisch explizierende »Bewegung« Gottes zum Menschen hin, die zugleich als ethisches fundamentum und movens fungiert, indem sie den Incarnatus als den Gegenstand der Nachfolge ausweist und den Menschen gleichsam auf seine Spur setzt. Yoder fragt suggestiv : »Was wird aus der Behauptung der Menschwerdung, wenn Jesus nicht als Mensch normative Bedeutung hat? Wenn er Mensch ist, aber nicht Vorbild, ist das nicht die alte ebionitische Häresie? Wenn er irgendwie Autorität ist, aber nicht in seiner Menschlichkeit, ist das nicht etwa ein Gnostizismus?«43

3.

K. Barths Rückgriff auf die klassische Christologie in seiner Versöhnungslehre

3.1.

Die Korrelation von An- und Enhypostasie. Eine dogmengeschichtliche Skizze

Auch nach K. Barth kann die Widerspruchsfreiheit in Bezug auf die beiden berechtigten theologischen Anliegen, der Betonung sowohl der Gottheit Jesu als auch der imitatio Christi, gewahrt bleiben. Doch anders als dies bei Yoder der Fall ist, liefert Barth zufolge ausgerechnet das äußerst skurril44 anmutende und 42 Ders., Die Politik Jesu, 91. 43 A.a.O., 20 f. 44 F.D.E. Schleiermacher (Der christliche Glaube 2, § 97.2, 63) bezeichnet beispielsweise den

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

als spekulatives Spitzenprodukt der altkirchlichen45 und altprotestantisch-orthodoxen46 Überlieferung verschriene Theologumenon von der An- und Enhypostasie47 der menschlichen Natur den Schlüssel dazu,48 auf biblischem

45 46

47

48

»Satz, daß die menschliche Natur Christi an und für sich unpersönlich sei oder keine eigene Subsistenz habe, sondern nur durch die göttliche subsistiere, in diesem scholastischen Gewand [als] sehr dunkel und unbeholfen«. Vgl. A. Grillmeier, Jesus der Christus Bd. 2/2, 63 – 69.204 – 208. Dem altprotestantischen Lehrstück De persona Christi folgt K. Barth (KD IV/2, 38 – 129) in § 64.2 (»Die Heimkehr des Menschensohnes«) unter Aufnahme a) der Lehre von der An- und Enhypostasie (a. a. O., 47 – 52), b) der unio personalis (a. a. O., 52 – 63), c) der communio naturarum (a. a. O., 63 – 74) und d) der communicatio idiomatum (a. a. O., 73 – 129). Vgl. dazu: H. Schmid, Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 197 – 211 (§ 32 f.) und H. Heppe / E. Bizer, Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche, 323 – 354 (Locus XVII). Zur lutherischen Barockdogmatik vgl. die Darstellung des christologischen Systems J. Gerhards bei R. Schröder (Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik, 98 – 211; zur Lehre von An- und Enhypostasie vgl. a. a. O., 164 – 166.179 ff.) und die Ausführungen F. Mildenbergers (Biblische Dogmatik I, 119 – 122) zur christologischen Denkfigur bei D. Hollaz. R. Hütter (Theologie als kirchliche Praktik, 181 ff.) hat in origineller, gleichwohl theologisch nicht ganz unproblematischer Weise einen analogen Gebrauch der christologischen termini technici im Bereich der Pneumatologie bzw. Ekklesiologie eingeführt. Er kann von der pneumatologischen Enhypostasie kirchlicher Kernpraktiken – gemeint sind die sieben »Heiltümer« aus Luthers Spätschrift »Von den Konziliis und Kirchen« (WA 50, 628 – 643) – im Heiligen Geist sprechen, die also genau dort als poiemata des Geistes enhypostatisch subsistieren. Leider stellt Hütter diesbezüglich keine Bezüge zwischen Ekklesiologie und Christologie her, was gerade in Bezug auf die Lehre von An- und Enhypostasie von K. Barth (vgl. KD IV/2, 63 f.) her durchaus nahe gelegen hätte, sondern gebraucht diese als eine »neutrale« Denkkategorie. Barth hingegen vermag zu zeigen, dass dieser christologische Gedanke, gerade wenn er der Christologie nicht entrissen wird, als solcher andere theologische Topoi betrifft und beleuchtet. Dies hat geradezu mustergültig E. Maurer (Sprachphilosophische Aspekte) in seiner sprachphilosophischen Untersuchung zu den »Prolegomena« der »Kirchlichen Dogmatik« gezeigt. Maurer überträgt die Relation zwischen den beiden Naturen Jesu Christi zwar auch in gewisser Weise auf das Verhältnis von Zeichen und Offenbarung, Name und Träger, Wort und Gegenstand, Form und Inhalt. Er weitet aber den »christologischen Topos« (vgl. a. a. O., 53 f.) zu einem »semantischen Topos« (a. a. O., 72) aus, indem er diese »Übertragung« bzw. »Ausweitung« zu einer »anhypostatischen Semantik« (a. a. O., 31.128.187 – 191.203 ff.) in K. Barths eigener Offenbarungslehre nachzuzeichnen vermag, welche selbst »christologische Kategorien in logisch-semantische umformt« (a. a. O., 59). Anhypostatisch ist die Relation von Gehalt und Gestalt sprachlicher Gebilde insofern, als dass der Gehalt sprachlicher Gebilde nicht von diesen Gebilden ablösbar ist. Dass K. Barths Rezeption der Lehre von An- und Enhypostasie im Blick auf die Genese seiner Theologie von entscheidender Bedeutung ist, hebt B.L. McCormack (Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, 366) mit Recht hervor: »Barth’s adaption of the anhypostaticenhypostatic Christology marked a watershed in his development.« Es verwundert daher nicht, dass besagte Lehre zum kontroverstheologischen Gegenstandsbereich des Ringens um das Barthsche Erbe wurde, wie etwa die kritische Auseinandersetzung mit F.-W. Marquardts (Theologie und Sozialismus, 265 – 275.398 – 404) »gattungsgeschichtlicher Interpretation« (a. a. O., 267) dieser Lehre durch Barth im Rahmen der gattungsgeschichtlichen Ontologie L. Feuerbachs zeigt. H. Diem (Die Christologie Karl Barths, 138 – 157, bes. 144 – 154; vgl. auch H. Stickelberger, Ipsa assumptione creatur, 127 – 132) wirft Marquardt vor,

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

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Fundament zu denkerisch verantwortbaren Aussagen bezüglich einer Nachfolgeethik zu gelangen und zwar solchen Aussagen, die weder das Mimesis-Motiv der Gottheit Jesu, noch die Gottheit Jesu dem Mimesis-Motiv gedanklich opfern. Die neutestamentlich postulierte Nachahmung des sich selbst erniedrigenden Christus ist – wie Barth am »Gesetz der tapeinophrosyne¯«49 (vgl. Phil 2,6) bzw. dem biblisch bezeugten »durchgehende[n] Zug nach unten«50 verdeutlicht – »die indirekte, die nachträgliche neutestamentliche Bezeugung der wahren Gottheit Christi«51: »Wahre Gottheit ist im Neuen Testament das Sein in der schlechthinnigen Freiheit der Liebe und also das Sein des Hohen, der nicht nur auch, sondern gerade in seiner Niedrigkeit hoch, allmächtig, ewig, heilig, gerecht und herrlich ist. Die direkte neutestamentliche Bezeugung solcher, dieser Gottheit Christi ist die Bezeugung des Menschen Jesus selbst als des für uns Fleisch gewordenen, leidenden, gekreuzigten und gestorbenen Gottessohnes, die Botschaft von Christus als dem Gekreuzigten«52.

Das Mimesis-Motiv und der Akzent auf der Gottheit Jesu korrelieren einander, wobei diese Korrelation mithilfe der An- und Enhypostasielehre in theologisch sachgemäßer Weise explizierbar wird. Den unmittelbaren Anlass zur Ausbildung der An- und Enhypostasielehre lieferte zur Zeit der Alten Kirche die im Chalcedonense nur via negationis beschriebene Einheit der Naturen Jesu Christi. Diese Einheit sollte in ihrer Unterschiedenheit dadurch gedanklich näher gebracht werden, dass man sie auf der Ebene der Hypostasen veranschlagte. Man bemühte sich nun, die unvermittelbaren Naturen auf der Ebene der Hypostasen begrifflich zu vermitteln.53 Diese Vermittlungsarbeit, die his-

49 50 51 52 53

dass bei dessen Umgang mit dem Begriffspaar An- und Enhypostasie »unter der Hand die ›Anhypostasie‹ einfach wegfällt« (a. a. O., 146) und die Lehre von der Fleischwerdung dadurch pervertiert wird. F.-W. Marquardts (Theologie und Sozialismus, 267) These besagt, dass Barth »auf eine Erweiterung und Ergänzung der christologischen Anhypostasie (der Anhypostasie der menschlichen Natur Jesu Christi) durch eine anthropologische Enhypostasie zu[steuert]: der Enhypostasie der humanitas, der kollektiven ›Gattung Mensch‹ in der Person des fleischgewordenen Wortes.« In dieser Behauptung, dass die Gattung Mensch enhypostatisch in Christus existiert (vgl. a. a. O., 271), manifestiert sich nach H. Diem (Die Christologie Karl Barths, 148) eine »theologia naturalis ohne Christologie«, die nichts anderes als die »Vergottung oder Vergottungsfähigkeit der Gattung Mensch« betreibe. K. Barth, KD IV/1, 206. A.a.O., 207. A.a.O., 209. Ebd. K. Beyschlag (Grundriß der Dogmengeschichte II, 176 f.) identifiziert als »die beiden offenen Zentralfragen des chalcedonischen Dogmas […] a) das begriffliche Verhältnis der physischen Zwei-Naturigkeit Christi zur hypostatischen Einheit und b) die Realität der christologischen Personeinheit angesichts ihrer gott/menschlichen Doppelnatur«. Auch A.M. Ritter (Dogma und Lehre in der Alten Kirche, 269) bezeichnet in terminologischer Hinsicht das Verhältnis von ousia, physis und hypostasis als »ungeklärt«. Vgl. ebenfalls A. Adam, Lehrbuch der Dogmengeschichte I, 365; E. Mühlenberg, Art. Christologie, 723; G.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

torisch zuerst von sog. Neuchalcedonensern um Leontius von Byzanz und Leontius von Jerusalem geleistet wurde und konkret der Eigenart jener Einheit von göttlichem Logos und menschlicher Natur galt, erfolgte anhand der Vorstellung der An- und Enhypostasie der menschlichen Natur Jesu Christi im Logos.54 K. Barth greift dieses Bemühen im 20. Jahrhundert auf und expliziert die Lehre von An- und Enhypostasie als einen differenzierten Zusammenhang, wobei er die Zusammengehörigkeit beider Theologumena dadurch zum Ausdruck bringt, dass er die Enhypostasie als die mit der Anhypostasie »indirekt« Mitbehauptete sieht, und die Anhypostasie umgekehrt als die Kehrseite der Enhypostasie versteht.55 Es handelt sich demzufolge auch nach Barth um Korrelatbegriffe innerhalb des christologischen Topos der assumptio carnis. Die Anhypostasie besagt innerhalb dieses Zusammenhangs das Negative: Die menschliche Natur Jesu Christi subsistiert nicht unabhängig, sondern stets und ausschließlich im Logos. Das heißt: Die menschliche Natur existiert nicht selbständig »für sich«, losgelöst vom Logos. Sie existiert ohne Personcharakter, wobei unter Person (persona) hier präzise ein selbständiges Wesen bzw. eine selbständige »Substanz« (lat. substantia; gr. ousia56) verstanden wird57, also etwas, das aus sich und in sich besteht und nicht hinzugekommenes Merkmal (»Akzidens«; gr. symbebe¯kos58) eines anderen ist. Die menschliche Natur ist keine Hypostase (hypostasis)59. Eine vom Logos unterschiedene Hypostase der menschlichen Natur wird damit ausgeschlossen. Sie hat – um das lateinische Äquivalent des Begriffs »Hypostase« zu benutzen – keine Subsistenz, keinen Bestand an und in sich. Sie subsistiert aber »enhypostatisch« im Logos. Genau dies, nämlich die positive Kehrseite der Anhypostasie, bringt die sog. Enhypo-

54 55 56 57 58 59

Wenz, Chalcedon 451 – Wahrer Gott und wahrer Mensch, 20 ff. und vor allem R.W. Jenson, Systematic Theology I, 132 f. Vgl. den für die Vorstellung von An- und Enhypostasie zentralen Text bei Leontius Byzantius, Contra Nestorianos et Eutychianos I (MPG 86/I, 1276 f.) und dazu die Übersetzung von S. Otto, Person und Subsistenz, 192. Vgl. K. Barth, KD I/2, 178; ders., KD IV/2, 53. Zur Definition von »Substanz« in der aristotelischen Kategorientafel als selbständigem »Insich-Sein« und damit als Grund der Möglichkeit aller Prädikate bzw. Prädikation vgl. Aristoteles, Met. D 8, 1017b 13 f.; Z 1, 1028a 10 – 31. Vgl. die »klassische« Definition des spätantiken Philosophen Boethius (Trin. 3,1 – 5; MPL 46, 1343 C): »persona est naturae rationalis individua substantia«. Vgl. zur Definition von »Akzidens« als Gegensatz zur Substanz und als Inbegriff der Unselbständigkeit Aristoteles, Met. K 8, 1064b 13 – 30; E 2, 1026b 21. Dies betont K. Barth, KD IV/2, 52: »Mit hypostasis, persona, war eben gemeint: die selbständige Existenz (die propria subsistentia) seiner Menschlichkeit, Anhypostasie, impersonalitas, meint also: sie hat keine solche selbständige Existenz. Ihre hypostasis ist, longe eminentior, die des Logos, keine andere. Als Mensch existiert Jesus Christus, weil und indem Jener existiert, weil und indem Er sich menschliches Wesen zu eigen macht, es in die Einheit mit sich selbst aufnimmt und erhebt. Er existiert also als Mensch unmittelbar in und mit dem einen Gott in der Existenzweise seines ewigen Sohnes und Logos: nicht anders, nicht abgesehen von dieser.«

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

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stasie zum Ausdruck. Durch den Gebrauch des Adjektivs enhypostatos wird betont: Die menschliche Natur ist nicht »nichts«, sondern existiert in Relation zur einen Person Jesus Christus, in dem sie »enhypostatisch« existiert, ja mehr noch: subsistiert, indem sie, die menschliche Natur, im göttlichen Logos ihre Selbständigkeit (subsistentia) findet.60

3.2.

K. Barths Rezeption altkirchlicher Christologie

Ansatz und Methode der Christologie K. Barths wären freilich verkannt, würde man sie schlicht als unkritische Rezeption der altkirchlichen (Inkarnations-) Christologie charakterisieren.61 Dass Barth die klassische Christologie nicht unkritisch rezipiert bzw. ungebrochen prolongiert, wird u. a. in seiner Interpretation der chalcedonensischen Zwei-Naturen-Lehre deutlich.62 Barth wehrt der Naturenspekulation, die Anlass zu kritischen Rückfragen an das Chalcedonense gab, indem er den Begriff der Natur gleichsam in die Wegmetaphorik aufnimmt bzw. in sie einbettet. Der Basler Theologe umschreibt die göttliche und die menschliche Natur Jesu Christi dadurch, dass er erstere als »Weg des Sohnes Gottes in die Fremde« (KD IV/1, § 59.1) und die zweite als »Heimkehr des Menschensohnes« (KD IV/2, § 64.2) darstellt. In seinem Weg in die Niedrigkeit – dem entspricht der status exinanitionis in der Zwei-Stände-Lehre63 der altprotestantischen Dogmatik – erweist Jesus Christus sein wahres Gottsein, ebenso wie im Weg der Erhöhung – dem entspricht wiederum der status exaltationis – sein wahres Menschsein. Die Zwei-Stände-Lehre fungiert mithin als Interpretament der Zwei-Naturen-Lehre. Damit soll die Wahrheit der alten ZweiNaturen-Lehre, das Miteinander von Gott und Mensch in Jesus Christus zwar festgehalten, zugleich aber aus seiner Statik befreit werden.64 Die Zwei-Naturen60 K. Barth, KD I/2, 178: »[D]ie menschliche Natur bekommt kraft des egeneto, d. h. kraft der assumptio Dasein (Subsistenz) im Dasein Gottes, nämlich in der Seinsweise (Hypostase, ›Person‹) des Wortes. Diese göttliche Seinsweise gibt ihr im Ereignis der Unio Dasein, und so hat sie konkretes eigenes Dasein.« 61 So mit B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 142 gegen H. Dembowski, Grundfragen der Christologie, 122, und H. Grass, Die Christologie der neueren Systematischen Theologie, 132. Auch H. Vogel (Ecce homo, 128) spricht davon, dass Barth »auf weite Strecken den Acker der so sorgfältig gepflügten und dankbar rezipierten Tradition geradezu umpflüg[t]«. 62 Nach G. Plasger (Reformed Theology in Germany in the Twentieth Century, 63) sind theologiegeschichtlich zwei fundamentale Entscheidungen Barths als Neuerungen der christologischen Lehrbildung zu benennen: zum einen Barth Neuinterpretation der chalcedonensischen Zwei-Naturen-Lehre und zum anderen die konsequente Anwendung des Stellvertretungsgedankens anhand der Interpretationsfigur vom »gerichteten Richter«. 63 Vgl. H. Heppe / E. Bizer, Die Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche, 387 – 403; H. Schmid, Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 243 – 261. 64 So zu Recht W. Kreck, Die Lehre von der Versöhnung, 85.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Lehre ist – wie B. Klappert den entscheidenden Neuansatz der Ineinssetzung von Christologie und Versöhnungslehre bei Barth treffend charakterisiert – »ein Implikat der Doppelbewegung des Versöhnungsgeschehens«65, die mit den beiden wegmetaphorisch explizierten »Ständen« Jesu Christi als versöhnendem Gott (Subjekt der Versöhnung) und als versöhntem Menschen (Objekt der Versöhnung) zur Sprache kommt. Die Christologie Barths ist kein Explikat der Zwei-Naturen-Lehre oder der Zwei-Stände-Lehre66, sondern diese umgekehrt ein Implikat der im Rahmen der Versöhnungslehre explizierten Christologie. Nicht das klassisch in Gestalt der zwei Naturen gefasste Wesen Jesu Christi, sondern Gottes versöhnendes Handeln in und an ihm möchte Barth beschreiben. Barths christologisches Denken setzt – wie die Wegmetaphorik zum Ausdruck bringt – bei der konkreten, einzigartigen Geschichte Jesu Christi ein und bemüht sich darum, die traditionellen Seinsaussagen der Zwei-Naturen-Lehre zwar nicht zu eliminieren, sie aber in Geschehensaussagen zu kleiden. Den Rechtsgrund dieser theologischen Operation bezeichnet Barth zufolge das korrelative Verhältnis von Sein und Geschichte Jesu Christi: Jesu Christi Sein ist seine Geschichte und seine Geschichte sein Sein. Christus ist, was er tut.67 Akt und Sein werden von Barth der christologischen Denkform nach im Blick auf die Geschichte Jesu Christi in eins gesetzt,68 indem Barth betont, dass das einmalige, in Raum und Zeit Geschehene der Geschichte Jesu Christi ohne aufzuhören, geschichtliches Ereignis zu sein, Gottes ewigem Willen, seiner ewigen Geschichte mit uns, seinem Sein gleichkommt. Jesu Christi Sein umschreibt nicht – wie in der altkirchlichen Christologie – einfach nur ein Person-Sein, das die Voraussetzung und Ermöglichung seines Werkes bildet. Während die traditionelle Zwei-Naturen-Lehre von der Person Jesu Christi unter Abstraktion von ihrem Werk redet, indem sie zuerst von Jesu Christi göttlicher und menschlicher Natur, seinem Sein als Gott und Mensch spricht, um dann erst sein Werk oder Amt zu fixieren, möchte Barth diese Scheidung gerade nicht praktizieren. Person und Werk, Sein und Geschichte Jesu Christi, esse und operari sind bei Barth eng miteinander verklammert.

65 B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 143. 66 Vgl. ebd.: »Was für die Zweinaturenlehre gilt, gilt auch für die Rezeption der Zweiständelehre. Die Koinzidenz der beiden Stände, die Interpretation des Kommens Gottes von der Erniedrigung und der Menschheit Jesu von der Erhöhung her sind nach Barth Implikate des Kreuzesgeschehens in seiner zeitlich koinzidierenden Doppelbewegung von versöhnendem Gott und versöhntem Menschen: der versöhnende Gott kommt in Jesus Christus als der wahre, sich erniedrigende Gott; der versöhnte Mensch ist Jesus der wahre, erhöhte Mensch.« So auch a. a. O., 145. 67 Vgl. K. Barth, KD IV/1, 140. 68 Vgl. ders., KD IV/2, 120.

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

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Die moderne Kritik an der altkirchlichen Spekulation indirekt rezipierend, vergeschichtlicht Barth gleichsam die substanzontologischen Aussagen über göttliche und menschliche Substanz und ihr die Person Jesu Christi konstituierendes Einssein.69 Nicht das Einssein, sondern die Einswerdung, nicht die Vereinbarkeit, sondern die Vereinigung (Fleischwerdung) hat nach Barth theologisch zu interessieren. Denn wer Jesus Christus ist, das kann nach Barth nicht abgeleitet werden aus einem abstrakten Person-, Wesens-, Natur- bzw. Substanzbegriff, ebenso wenig wie die Frage, wer Gott und wer der Mensch ist, von einem abstrakten Gottes- bzw. Menschenbegriff her beantwortet werden kann. Barth zufolge kann dies nur aus Jesu Christi Weg in die Fremde und aus der Jesu Gehorsam widerfahrenden und mit Ostern sichtbar werdenden Erhöhung des wahren Menschen(sohnes) abgelesen werden. Die Geschichte Jesu Christi, bei der das theologische Denken einzusetzen hat, umschreibt Barth als das biblisch bezeugte Geschehen, welches die altkirchliche Begriffsbildung geradezu sprengt. Barth bemüht sich um Rückübersetzung in Geschichte, weil Jesus Christus nichts anderes als diese Geschichte ist:70 »Erst in dieser Rückübersetzung der statischen Inkarnationschristologie in eine an Kreuz und Auferweckung und ihrer Integralbedeutung orientierte geschichtliche Dynamik ist das Spezifikum der Barthschen Rezeption und Modifikation traditioneller Christologie zu sehen.«71 Solche Rück-Übersetzung kehrt gleichsam zurück zu dem Geschehen, das sich in Jesus Christus ereignet hat. Sie hat – wie alles legitime Reden von Gott 69 So auch W. Kreck, Die Versöhnungslehre Karl Barths als kritische Anfrage an den Heidelberger Katechismus, 3. B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 144) beschreibt Barths Interpretation der Zwei-Naturen- und Zwei-Stände-Lehre zutreffend als »Vergeschichtlichung der traditionellen Christologie aus der Mitte der am Kreuz orientierten Barthschen Versöhnungslehre«. 70 Vgl. K. Barth, KD IV/2, 118: »In jedem theologischen Zusammenhang, in welchem direkt oder indirekt der Name ›Jesus Christus‹ zu nennen ist – und es gibt keinen, in welchem er nicht an entscheidender Stelle zu bedenken wäre! – ist nach unserer Voraussetzung diese Geschichte gemeint: die Tat Gottes, in welcher Gottes Sohn mit dem Menschen Jesus von Nazareth identisch wird und also menschliches Wesen mit seinem göttlichen vereinigt und also das menschliche in die Gemeinschaft mit dem göttlichen erhebt – die Tat Gottes, in welcher er sich selbst erniedrigt, um den Menschen zu erhöhen. Das Subjekt Jesus Christus ist diese Geschichte. Sie ist der Inhalt des ewigen göttlichen Willens und Dekrets. Indem sie geschieht, geschieht die Versöhnung der Welt mit Gott.« 71 B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 144. Vgl. auch H. Ruddies, Christologie und Versöhnungslehre bei Karl Barth, 178: »Barth vollzieht […] eine geschichtliche Dynamisierung des ganzen traditionellen Lehrstoffes: Während das ›vere Deus‹ und das ›munus sacerdotale‹ der Selbsterniedrigung Jesu Christi koordiniert werden, werden das ›vere homo‹ und das ›munus regale‹ mit seiner Erhöhung verbunden. Daß es sich gleichwohl um einen einzigen Geschehensvollzug handelt, bekundet der dritte Aspekt der Versöhnungslehre, dem die Einheit von wahrem Gottsein und wahrem Menschsein Jesu Christi zugeordnet ist, wie sie im munus propheticum bezeugt ist.«

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

– nachträglichen bzw. nach-denkenden Charakter, indem sie das einstige und doch bleibend aktuelle Geschehen verfolgt und nachzuvollziehen versucht. Als nachträgliche Interpretation kann diese Rückübersetzung auf das Geschehen der gottmenschlichen Aktion hinweisen und ihm entsprechen. Die Geschichte Jesu Christi, der auf diese Weise nach-gedacht und entsprochen wird, aktualisiert gleichsam selbst als entscheidende Referenzgröße die auf sie referierenden ontischen bzw. ontologischen Vorstellungen.72 Dies bringt Barth zum Ausdruck, wenn er davon spricht, dass Jesus Christus sein eigener Zeuge ist. Dabei wird die Geschichte Jesu Christi von Barth »als einmaliges, damals und dort sich ereignendes Geschehen verstanden, aber da sie einmündet in die Auferweckung Jesu Christi von den Toten und damit als gottmenschliche Geschichte qualifiziert ist, kann sie weder als bloß historisches Faktum registriert noch in die Überzeitlichkeit einer Idee verwiesen werden. Eben dieses geschichtliche Faktum erweist sich, wie Barth sagen kann, als Faktor, d. h. als nicht in dieser zeitlichen Begrenzung aufgehend, sondern als alle Zeit übergreifend.«73 Exkurs: K. Barths Rezeption neutestamentlicher Präexistenzaussagen K. Barths kritische (Neu-)Interpretation der altkirchlichen Christologie, wie sie soeben ansatzweise umschrieben wurde, kann an seiner Rezeption der neutestamentlichen Präexistenzaussagen veranschaulicht werden.74 Hier zeigt sich, dass Barth zwar nicht vollständig auf traditionelle Seinsaussagen verzichten will

72 Nach K. Barth (KD IV/2, 120) fordert Jesus Christi und damit seine Geschichte als der von der Schrift bezeugte Gegenstand ein Müssen, ein kategorisches Gesetz: »Es gibt aber […] ein Müssen, dem sich die alte Christologie in einer nicht gut zu heißenden und also nicht nachzuahmenden Weise entzogen hat. Das Gesetz des Denkens und Redens über einen bestimmten Gegenstand kann offenbar weder eine noch so mächtige Überlieferung sein, laut derer es durchaus nur in dieser und dieser Form verlaufen dürfte, noch auch eine allgemeine Vorstellung von dem, was als Gedanke und Aussage vollziehbar ist, sondern ganz allein sein Gegenstand selber, dieser aber als kategorisches Gesetz. Er fordert, daß ihm nachgedacht und daß er ausgesagt werde. […] Und nun soll in der Christologie, wie der Name sagt, über Jesus Christus nachgedacht und geredet werden. Nun ist also Er hier forderndes Gesetz des Denkens und Redens. […] Wer aber ist Er? Der Gottes- und Menschensohn, der als solcher göttlichen und menschlichen Wesens ist, hat die alte Christologie mit Recht geantwortet. Eine Christologie, die nicht diese Antwort gäbe, hätte gar nicht Ihn zum Gegenstand, sondern irgend ein phantastisches Gottwesen oder irgend ein ebenso phantastisches Menschenwesen. Indem wir mit der alten Christologie zunächst nur diese Antwort geben können, bleiben wir in Kontinuität mit ihr verbunden, nehmen wird ihre Erkenntnis auf, auch wenn wir ihr eine ganz andere Gestalt geben müssen. Eben das müssen wir aber tatsächlich tun.« 73 W. Kreck, Karl Barth, 114 f. 74 Zur gesamten Problematik vgl. ders., Grundentscheidungen in Karl Barths Dogmatik, 222 – 236.

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und kann, dass ihm aber gleichwohl an einer Neuinterpretation derselben durch die Geschichte Jesus Christi gelegen ist. Barth hält an den neutestamentlichen Präexistenzaussagen fest. Bezeichnenderweise trennt er den Präexistenten nicht vom geschichtlichen Jesus Christus, dem Incarnatus. Beide dürfen nicht voneinander separiert werden. Wo immer dies geschieht, wird die Präexistenzlehre spekulativ. K. Barth kann zwar auch zwischen einem logos asarkos und einem logos ensarkos unterscheiden, ja er muss dies sogar tun, insofern es das Erwählungsgeschehen von der Erfüllung des Bundes in der Versöhnung zu unterscheiden gilt. Freilich trennt er hier keineswegs. Er bestätigt, dass es sich bei der Vorstellung vom logos asarkos um eine höchst problematische, letztlich spekulativ-ontologische Abstraktion vom deus incarnatus handelt, die im Regress von Gott in seiner Christusoffenbarung auf ein zeitliches Zuvor-Sein Gottes schließt. Diesbezüglich spricht K. Barth explizit vom einem »leere[n] Begriff, den wir dann bestimmt mit allerlei Inhalten willkürlicher Invention zu füllen uns veranlaßt sähen«, vom »Deus absconditus«, ja von einem »selbstgemachten Götterbild«75. Dennoch etabliert Barth den problematischen Begriff des logos asarkos76 gerade darum,77 weil er in der irdischen Geschichte Jesu den Ausgangspunkt sachgemäß nach-denkender Theologie sieht, der in Entsprechung zum neutestamentlichen Christuszeugnis nach hinten hin »freigehalten« werden muss, um die Erwählungsaussagen nicht in einen Adoptianismus entgleiten zu lassen, um also sagen zu können, dass nicht erst die Geburt den terminus a quo des Seins des Logos und der Erwählung des Menschen Jesus von Nazareth angibt. Die Präexistenz ist als Umschreibung der Existenz des logos asarkos die Voraussetzung der Kontinuität zwischen Altem und Neuem, der Garant der Aussage, dass niemand anderes als der Logos Fleisch wurde. Barth bezeichnet die Fleischwerdung als »das Werk einer neuen Tat Gottes«, als »ein schlechthin neues Geschehen«78 und markiert damit gleichwohl eine Differenz von Altem und Neuem, die die Unterscheidung von logos asakos und logos ensarkos ausdrückt. Dabei sind jedoch beide aufeinander bezogen gedacht: Das Neue (Sein des Logos im Fleisch als Umschreibung der Existenz des Menschen Jesus von Nazareth) resultiert aus der Kraft des Alten, dem Gesetzt-Sein der Fleischwerdung in Gottes 75 Alle Zitate: K. Barth, KD IV/1, 55. Vgl. auch ders., KD IV/2, 35.111; KD II/2, 185 ff. 76 Die Ablehnung des logos asarkos durch K. Barth ist ebenso heftig kritisiert worden (vgl. z. B. H.U. von Balthasar, Karl Barth, 255) wie sein – wenn auch eingeschränkter – Gebrauch (so z. B. H. Dembowski, Grundfragen der Christologie, 116 – 122). 77 Obwohl Barth sich keineswegs an einem vorgängigen Gottesbegriff zur Bestimmung des Christusgeschehens orientiert, so kann er doch zwischen einem logos ensarkos und einem logos asarkos unterscheiden und letzteren im Sinne eines problematischen, aber unentbehrlichen Grenzbegriffs etablieren. Vgl. K. Barth, KD III/1, 58 f. So auch G. Plasger, Art. Präexistenz, 1541. 78 K. Barth, KD IV/2, 39.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

ewiger Erwählung. Der Begriff logos asarkos umschreibt diese Dimension des Erwählungsgeschehens. Er bringt also das für die assumptio carnis unentbehrliche prius zum Ausdruck: Das Sein des Logos »ist jenseits des mit dem Anfang anhebenden Werdens. Durch ihn, kraft seines Seins gibt es ein Werden […]. Sein Sein als solches ist aber kein werdendes«79. In seiner Auslegung des Johannesprologs bemerkt K. Barth: »Das dreimalige e¯n in Joh. 1, 1 hat mehr als axiomatische Kraft. Es weist auf ein ewiges und auf ein zeitliches Geschehen: auf ein ewiges in der Gestalt der Zeit, auf ein zeitliches mit dem Gehalt der Ewigkeit.«80 Im zugleich affirmativen und negativen und in diesem Sinne dialektisch-differenzierten Gebrauch des logos-asarkos-Begriffs manifestiert sich bei Barth der Versuch, die assumptio carnis als ein zeitliches und ewiges Geschehen zu explizieren, das die Dialektik von Zeit und Ewigkeit widerspiegelt, die Fleischwerdung also weder als ewiges Geschehen in Zeitlosigkeit, mithin also doketisch erscheinen lässt, noch demselben als zeitlichem Geschehen die Valenz der Ewigkeit raubt, sprich: der Kraft des Kontingenten aussetzt. Als Absicherung des logos asarkos vor der impliziten Gefahr eines unsachgemäßen Begriffgebrauchs fungiert dabei Barths »Theologie der Zeit«, in der er zu einer gleichzeitigen Betonung der Prä- und Postexistenz Jesu Christi sowie der Inkarnation gelangt, indem er Jesus Christus als den »Herrn der Zeit« bestimmt.81 Die Fleischwerdung des Logos umschreibt nach K. Barth den Weg Jesu »von Bethlehem nach Golgatha«82, ist also als die »knappste Zusammenfassung der Jesusgeschichte«83 zu betrachten. Zugleich ist die assumptio carnis als Umschreibung des irdischen Lebens Jesu eine ewige Geschichte, da das Leben Jesu in Gottes Erwählung »vor der Grundlegung der Welt ersehen«84 wurde, das Leben Jesu mithin »vorzeitlichen« Charakter besitzt und nun auch »nachzeitliche[]« Gültigkeit hat, da Gottes Erwählung nicht einfach abbricht oder in irgendeinem Ergebnis zur Ruhe kommt.85

79 Ders., Erklärung des Johannesevangeliums, 23. 80 Ders., KD II/2, 104 f. 81 Vgl. ders., KD III/2, 556 f.: »Der Mensch Jesus war schon, bevor er war. Es war schon die Zeit vor seiner Zeit, schon die Zeit, da diese erst seine künftige Zeit war – eben weil sie seiner Zukunft entgegeneilte –, auch seine Zeit, die Zeit seines Gewesenseins […]. Der Mensch Jesus war, indem er ist und sein wird. Es ist auch die Zeit nach seiner Zeit […] eben als die Zeit seiner Vergangenheit, als die von ihm herkommende Zeit – auch die Zeit seiner immer neuen Gegenwart, auch die Zeit seines neuen Kommens und so wiederum seine Zeit.« Zu Barths Zeitverständnis vgl. G. Hunsinger, Disruptive Grace, 186 – 209; M. Trowitzsch, Karl Barth heute, 378 – 385; ders., Die Zeit Jesu Christi, 134 – 151. 82 K. Barth, KD III/2, 573. 83 H. Stickelberger, Ipsa assumptione creatur, 42. 84 K. Barth, KD IV/2, 37. 85 Vgl. ders., KD II/2, 202.

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

3.3.

311

»Das Menschliche aller Menschen«. Das Objekt der assumptio carnis und die universale Tragweite der Menschlichkeit Christi nach K. Barth

Nach Barth handelt es sich bei dem Lehrstück von der An- und Enhypostasie keineswegs um ein peripheres, sondern um ein notwendiges Theologumenon, an dem Entscheidendes hängt: »nicht weniger als dies, daß wir es in Jesus Christus nicht mit einem Menschen, in den Gott sich verwandelt hätte, sondern unverwandelt und unmittelbar mit Gott selbst zu tun haben – und nicht weniger als die Einheit, in der er als Gottes Sohn Mensch, als Mensch Sohn Gottes ist – und schließlich nicht weniger als die universale Tragweite und Bedeutung seiner Existenz für die aller anderen Menschen.«86 Der Begriff der An- bzw. Enhypostasie ist für Barth zur Umschreibung des »große[n] Geheimnis[ses]«, des »christliche[n] sacramentum« des ephanero¯the¯ en sarki (1Tim 3,16) schlicht »unvermeidlich«87. Mit ihm lässt sich das Inkarnationsgeschehen sachgemäß umschreiben und zwar als die Annahme einer von Gott, dem Sohn, »dazu erwählte[n] und zubereitete[n] konkrete[n] Möglichkeit menschlichen Seins und Wesens«, der er »damit Wirklichkeit verleiht, daß er sich selber zu ihrer Wirklichkeit macht.«88 Der Sohn Gottes nimmt als handelndes Subjekt also nicht einen homo, sondern die humanitas, nicht nur einen Menschen, sondern »das Menschliche aller Menschen«89 in die Existenzeinheit mit sich selbst und seinem göttlichen Sein auf. Aufgenommen wird ebenso wenig »die Idee des Menschlichen« in seiner anschauungslosen Allgemeinheit wie die besondere Existenz eines menschlichen Individuums, sondern »das allen Menschen gemeinsame Wesen«90, »dasjenige Sein und Wesen, diejenige Art und Natur, die die aller Menschen ist, die sie alle als Menschen auszeichnet und von anderen Geschöpfen unterscheidet.«91 Gegenstand der assumptio carnis ist »die konkrete Möglichkeit der Existenz eines Menschen«92 und nicht die Wirklichkeit eines Individuums. Es handelt sich insofern um eine konkrete Möglichkeit, als es sich um die Möglichkeit »in einer bestimmten, dazu von ihm erwählten und zubereiteten individuellen Gestalt«93 handelt, um die »konkrete Möglichkeit der Existenz eines Menschen, die der 86 87 88 89 90 91 92 93

Ders., KD IV/2, 53. Ebd. Ebd. A.a.O., 52. A.a.O., 74. A.a.O., 51 f. A.a.O., 52. A.a.O., 51. So K. Barth bereits in KD I/2, 178: »[N]icht einen Menschen, sondern menschliche Natur, menschliches Sein, also nicht ein zweites Daseiendes, sondern eine zweite Daseinsmöglichkeit, nämlich die eines Menschen, hat das ewige Wort sich zu eigen gemacht und ihm damit sein eigenes Dasein gegeben.«

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

konkreten Möglichkeit der Existenz aller Menschen gleich sein wird, in deren Verwirklichung er wie wir, unser Bruder sein wird. Weil es unser Sein und Wesen, unsere Art und Natur ist, die der Sohn Gottes in dieser einen von ihm bestimmten, erwählten und zubereiteten konkreten Möglichkeit menschlicher Existenz verwirklichen wollte und verwirklicht hat, darum geht seine Existenz als menschliche, seine Existenz als dieser eine Mensch unmittelbar alle Menschen an, bedeutet seine Inkarnation in der ganzen Einzigkeit, in der sie in Jesus Christus Ereignis ist, die Verheißung der grundlegenden Veränderung und Bestimmung dessen, was wir alle als Menschen sind.«94 Möglichkeit und Wirklichkeit erscheinen hier als Kategorien der Barthschen »Modallogik«, wobei diese Unterscheidung innerhalb der Kategorie der Modalität der sachgemäßen Umschreibung der theologischen Sachordnung von menschlichem Sein (esse) und Wesen (essentia) im Allgemeinen und dem Sein und Wesen Jesu Christi im Speziellen, mithin der Umschreibung des sachlichen Gefälles zwischen Anthropologie und Christologie dient. Die Wirklichkeit ist der Möglichkeit insofern sachlich vorgeordnet, als dass das von Jesus Christus angenommene Wesen nur eine konkret-individuelle Möglichkeit war und ist, die allein durch ihn ihre Existenz erhielt und Wirklichkeit wurde. Erst durch seine Aktualität und Faktizität wird die Möglichkeit zur Möglichkeit. Was Möglichkeit und damit das wahre Wesen des Menschen überhaupt ist, ergibt sich nämlich erst aus ihrer Verwirklichung in Jesus Christus. Das Wesen bzw. die Natur, die Jesus Christus annimmt, ist seiner Wirklichkeit als Mensch zwar vorausgesetzt, aber nur als Möglichkeit und zwar nicht als irgendeine unbestimmte Möglichkeit als solche, sondern als Wirklichkeit, deren Konkretion sich erst aus der Wirklichkeit seines aktualen Seins ergibt. Vor und abgesehen von seiner, Jesu Christi, Aktualität besitzt die Möglichkeit nicht einmal das, was sie zu einer »realen« Möglichkeit macht, nämlich Potentialität im Sinne einer individuellen Möglichkeit. Die konkrete Möglichkeit als wahre Menschen in der Wirklichkeit des Bundes zu existieren, ergibt sich für uns sündige Menschen nur aus der Wirklichkeit Jesu Christi »als die der in ihm verwirklichten konkreten Möglichkeit gleiche der Verheißung nach.«95 Nur er selbst, Jesus Christus, der Sohn Gottes, bestimmt als Subjekt seiner Geschichte das menschliche Sein und Wesen, nicht umgekehrt. Das menschliche Wesen bzw. das menschliche Sein ist selbst in der »Modalitätskategorie« der Möglichkeit Prädikat des Subjektes in dessen Wirklichkeit. Nicht eine übergeordnete Möglichkeit – etwa die Idee des Menschlichen – bestimmt und leitet die Geschichte Jesu Christi, sondern in seiner Geschichte 94 Ders., KD IV/2, 52. 95 H.T. Goebel, Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 186.

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

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widerfährt auch dem menschlichen Sein und Wesen Geschichte, die dieses menschliche Sein und Wesen überhaupt erst für alle Menschen zu einer konkreten Möglichkeit werden lässt; und zwar vollzieht sich dieses »Widerfahrnis« in der Doppelbewegung der Geschichte Jesu Christi als Bewegung Gottes zum Menschen (als Weg des Sohnes Gottes in die Fremde) und des Menschen zu Gott (Heimkehr des Menschensohnes): »[D]iese Geschichte ist die Erhebung der menschlichen Natur in die Wahrheit ihres Wesens. Dieses wahre Wesen des Menschen als von Gott in Ewigkeit gewollte Geschichte verstanden[,] geht, sofern es sich um die inkludierende Geschichte Jesu Christi handelt, der Existenz aller anderen Menschen sachlich voraus: […] das in der Geschichte Jesu Christi verwirklichte wahre Wesen aller (erwählten) Menschen [geht] der Verwirklichung der Wahrheit ihrer Existenz voraus – im Unterschied zur Geschichte Jesu Christi selbst, mit dessen Existenz als Mensch im Logos die Wahrheit menschlichen Wesens allererst verwirklicht wird, des Wesens, das er als ›die konkrete Möglichkeit der Existenz eines Menschen‹ angenommen hat.«96

In Bezug auf die oben genannte Ordnung geht also die christologische Sequenz von Existenz und Essenz der anthropologischen Sequenz von Essenz und Existenz voraus.97 Das Primat der Wirklichkeit gegenüber der Möglichkeit,98 der Grundsatz des Vorrangs der Existenz vor der Essenz gilt allein von der Geschichte Jesu Christi her und avanciert – anders als etwa in der auf dem aristotelischen Primat des Aktiven gegenüber dem bloß Möglichen basierenden Seinslehre des Aquinaten – nur insofern zu einem allgemeinen anthropologischen bzw. ontologischen Spitzensatz, als die Geschichte Jesu als Geschichte der Wirklichkeit und Wahrheit der Versöhnung inklusiven Charakter besitzt. Der Unterschied zwischen Jesus Christus und allen übrigen Menschen wird mit beiden Sequenzen benannt. Sie umschreiben mit anderen Worten die Wirklichkeitsordnung des Bundes, die als »Tauschordnung«99 dadurch konsti96 A.a.O., 185. 97 H.T. Goebel (ebd.) fasst den christologischen Sachverhalt des Menschseins Jesu Christi und den anthropologischen Sachverhalt des Menschseins aller Menschen in die äußerst treffliche Formel: »Für das Menschsein Jesu Christi gilt der sachliche Vorrang seiner wirklichen Existenz vor seiner wahren Essenz. Für das Menschsein der anderen Menschen gilt der Vorrang ihrer wahren Essenz vor ihrer wirklichen Existenz in der Wahrheit.« 98 Vgl. zum Primat der Wirklichkeit gegenüber der Möglichkeit H.J. Iwand, Christologie, 455: »›Das Wort ward Fleisch‹ – als Überschrift, als Prolog über dem Erdenwirken Jesu – heißt also, daß dieses Wort, hinter das zurückzugehen hieße, hinter Gott selbst zurückzugehen, das Subjekt der Geschichte ist, daß also diese Geschichte nur als A und O aller Geschichten gehört, begriffen und ausgelegt werden kann. Es gehört also wohl zu diesem durch das Wort qualifizierte ›ward‹ (egeneto), daß das Ereignis hier seiner eigenen Möglichkeit vorangeht, daß es also nicht als zuvor möglich begriffen werden kann, ehe es denn Realität ist, vielmehr birgt die Realität als solche in sich die Möglichkeit ihrer selbst.« 99 Vgl. K. Barth, KD IV/2, 21: »Die Wiederherstellung und Erneuerung des Bundes zwischen Gott und Mensch besteht in diesem Vertauschen: Gottes exinanitio, Erniedrigung, gegen des

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

tuiert ist, dass Jesus Christus die Möglichkeit wahren Menschseins im unwahren Menschsein annimmt, indem er sündiges Fleisch annimmt, sündlos100 in tätiger Übereinstimmung mit dem Bundeswillen Gottes lebt und so seine Geschichte der menschlichen Natur bzw. dem menschlichen Wesen als deren bzw. dessen Geschichte widerfahren lässt, und damit in die Übereinstimmung mit dem Bundeswillen Gottes erhebt. Die Gnade des Ursprungs von Jesu Sein als Menschensohn, die darin besteht, dass seine Existenz als Mensch mit der Existenz Gottes in seinem Sohn identisch ist, »bedeutet und bewirkt gerade nur – dies freilich in höchster Notwendigkeit und Wirksamkeit – die Erhebung seines menschlichen Wesens«101; und zwar »[i]n diejenige Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen, in denjenigen Dienst der göttlichen Tat, in diejenige Entsprechung zu Gottes Gnade, in den Stand derjenigen Dankbarkeit also, die sich von daher als die einzige Möglichkeit ergibt, daß dieser Mensch ja eben von dort – von jenem Willen, jener Tat, jener Gnade Gottes her – und zwar allein von dorther bestimmt – von dorther, indem er existiert, dem göttlichen Wesen nicht mittelbar, sondern unmittelbar und unauflöslich konfrontiert ist.«102

3.4.

Wahrer Gott und wahrer Mensch: Der Triumph des Chalcedonense in einer dialektischen Verhältnisbestimmung

Christus war eine Existenz in solchem Dienst, solcher Übereinstimmung und Dankbarkeit Barth zufolge möglich, weil Gott in ihm und er darum zugleich wahrer Mensch und wahrer Gott war und ist. Barth bringt diesen einmaligen Umstand als ontologische Dialektik mit der Aussage zur Sprache: »Er ist, weil und indem er Gottes Sohn ist, dasselbe, was wir sind, ganz anders als wir.«103 Das dialektische Verhältnis von »ganz gleich und ganz ungleich«104, welches für Christi Verhältnis zu uns Menschen charakteristisch ist, bedeutet einerseits: Jesus Christus ist uns gleich in unserer menschlichen Natur in ihrer Doppelbestimmung, d. h. zum einen in unserer spezifischen Geschöpflichkeit, unserer

100

101 102 103 104

Menschen exaltatio, Erhöhung. Gott ging in die Fremde, der Mensch kehrte heim. In dem einen Jesus Christus geschah Beides.« So auch ders., KD IV/1, 80. Vgl. zur Sündlosigkeit Jesu K. Barths (KD IV/2, 103) Aussage, dass der Menschensohn »in seinem non peccare und non posse peccare die Bruderschaft mit uns, die Gemeinschaft mit unserem wahren menschlichen Wesen [bewährt], die wir unsererseits mit unserem peccare und posse peccare und non posse peccare fortwährend zerbrechen.« Jesus war gemäß K. Barth (KD IV/1, 237) keineswegs »immun gegen die Sünde. Er hat sie, ohne gegen sie immun zu sein, nicht getan.« Ders., KD IV/2, 100 f. A.a.O., 101. A.a.O., 28 f. A.a.O., 28.

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

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geschöpflichen Art (humanitas), die uns von Gott, Engeln und Tieren unterscheidet, und zum anderen in dem, was »Fleisch« meint, unserer Bestimmung und Prägung durch Sünde und Tod. Diese menschliche Natur in ihrer Doppelbestimmung, die adamitische Menschennatur, »hat Gottes Sohn, indem er Mensch wurde, angenommen, als ihr Träger war und ist er der Mittler und Versöhner zwischen Gott und uns. In diesem doppelten Sinn also war und ist Jesus Christus ›wahrer Mensch‹.«105 Andererseits: Jesus Christus ist nicht nur ein wahrer Mensch, sondern der wahre Mensch; d. h. derjenige eine und einzige Mensch, in dem sich unsere Bestimmung und Prägung durch Sünde und Tod als »Unnatur« und unsere geschöpfliche Art als »Natur« geoffenbart hat. Was »Fleisch«, »menschliche Natur« und »menschliches Wesen« und »Menschlichkeit« also eigentlich bedeuten, das können wir nicht aufgrund einer allgemeinen Anthropologie wissen, die einer Noetik des a priori folgt, sondern erst ex post und zwar seitdem er, Jesus Christus, Mensch war und ist106. Für diese The-Anthropologie107 ist eine Noetik des a posteriori konstitutiv108 : Wir können vom Menschen nur reden, indem wir von Christus reden.109 Will man den Menschen verstehen, so muss man »den Menschen überhaupt von der Menschheit Christi her verstehen«110. Gilt dieser Satz, so geschieht die neuzeitliche Verwerfung der Zwei-NaturenLehre als sachgemäßem Interpretament der Christuswirklichkeit letztlich auf 105 A.a.O., 26. Vgl. a. a. O., 28: »Eben die Situation des Menschen, der Gottes gutes Geschöpf und der Fleisch ist, hat Gottes Sohn, indem er Mensch wurde, sich zu eigen gemacht. Er ist mit uns in dieser doppelt bestimmten Situation. Und eben so ist er wahrer Mensch.« 106 Vgl. a. a. O., 27. Zur christologischen Begründung der Anthropologie vgl. ders., KD III/2, 64 f.247 f.273 f.349 f. 372.695.769 f. 107 Zum Gebrauch dieses Begriffs vgl. etwa K. Barth, Gespräche 1964 – 1968, 159.161 f.164.176.183. Vgl. auch ders., KD IV/2, 9: »[S]ie [die Schrift des Alten und Neuen Testaments; M.H.] setzt […] nicht abstrakt Gott, sondern gerade mit Gott auch den Menschen in jene Mitte.« Vgl. auch H. Stickelberger, Ipsa assumptione creatur, 119: »Nicht Barths Christologie, sondern eine von der Christologie abstrahierte Anthropologie ist doketisch!« 108 Die Vorordnung der Christologie vor die Anthropologie reflektiert sich darin, dass K. Barth die Explikation der communio naturarum als Modalitätsbestimmung der unio personalis folgen lässt und damit auf der Ebene der »Architektur« seiner »Kirchlichen Dogmatik« verdeutlicht: Die Personheit ist nicht durch zwei abstrakt gedachte Naturen konstituiert, sondern erst die Person Jesu Christi selbst gibt uns die Frage nach den beiden Naturen auf. Somit bildet die Zwei-Naturen-Lehre den Kommentar zur unio hypostatica und nicht umgekehrt. So auch H.T. Goebel, Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 184; H. Stickelberger, Ipsa assumptione creatur, 142 f. 109 Vgl. dagegen R. Bultmann, Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?, 28: »[W]ill man von Gott reden, so muß man offenbar von sich selbst reden.« Vgl. auch a. a. O., 33: »[W]enn gefragt wird, wie ein Reden von Gott möglich sein kann, so muß geantwortet werden: nur als ein reden von uns.« Im Dissens zu Barth steht auch F.-W. Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? Bd. 3, 306. 110 K. Barth, KD II/2, 610.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Kosten der Anthropologie. Wenn in der Inkarnation Jesu nicht ein menschliches Individuum, sondern »das Menschliche aller Menschen« in die Einheit mit Gott erhoben wird, dann ist Jesus Christus der uns am nächsten stehende, d. h. der in seinem Menschsein als wahrer Mensch für jeden Menschen bedeutungsvollste Mensch. Er kann sich nämlich nicht, so wird apodiktisch festzuhalten sein, aufgrund seines an- und enhypostatischen Seins vom Menschsein entfremden – im Unterschied zu uns Menschen. Jesus Christus ist uns also auch, indem er vere homo ist, ganz ungleich. Das vere homo sagt also sensu proprio nicht nur die Gleichheit, sondern immer beides aus: Gleichheit und Ungleichheit. Entgegen der dogmatisch vielfach vorgenommenen Identifikation des vere homo mit der Gleichheit (mit uns Menschen) und des vere deus mit der Ungleichheit, korrigiert Barth diesen kurzschlüssigen Schematismus, indem er die Ungleichheit auch und gerade in Bezug auf das vere homo unterstreicht: »Seine [Jesu Christi] Ungleichheit uns gegenüber besteht also, wohlverstanden, nicht nur darin, daß er, was wir nicht sind, Gottes Sohn, selber wahrer Gott ist. Sie besteht vielmehr eben darum, weil er Gottes Sohn ist, in der Ungleichheit auch seiner und unserer Menschlichkeit.«111 Diese Ungleichheit geht darauf zurück, dass »sich Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf in dieser Einheit [von Gott und Mensch in Christus; M.H] nicht so zueinander verhalten wie in anderen Menschen«112. Der Unterschied besteht also – komprimiert ausgedrückt – darin, »daß Er im Unterschied zu uns Anderen allen nur als Gottes Sohn auch ein wirklicher Mensch ist, daß also von einer eigenen, selbständigen Existenz seiner Menschlichkeit keine Rede sein kann.«113 Besagte Differenz ist keine unheilvolle Differenz, die Jesus Christus und uns Menschen hoffnungslos voneinander isoliert, ja theologisch separiert. Denn nur weil er dasselbe, was wir sind, ganz anders ist als wir sind, eben als wahrer Gott der wahre Mensch ist, »dessen Geschichte sich als eine menschliche Geschichte in ihrer Totalität, in seiner freien, spontanen inneren Übereinstimmung mit dem Willen, Ratschluß und Tun Gottes und also als Dienst Gottes«114 zuträgt und kundgibt, eröffnet sich nun für uns Menschen die Möglichkeit, in der Nachfolge Jesu in Wahrheit als Menschen zu existieren. Die Eröffnung dieser Möglichkeit meint nichts anderes als den Dienst Gottes an den Menschen. Die Menschwerdung Gottes zielt auf die Menschwerdung des Menschen. Wenn die besagte Differenz nicht als eine in sich differenzierte Differenz bestünde, als Differenz, die nicht nur einfach Ungleichheit zwischen Jesus Christus und uns Menschen zum Ausdruck bringt, sondern das Zugleich von 111 112 113 114

Ders., KD IV/2, 28. Ders., KD I/2, 177. Ders., KD IV/2, 53. A.a.O., 31. Vgl. a. a. O., 74 f.

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Barths Rückgriff auf die klassische Christologie

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Ungleichheit und Gleichheit, dann würde sich die konkrete Möglichkeit wahren Menschseins nicht aus der Wirklichkeit der Existenz Christi ergeben, sondern dann wäre seine Existenzwirklichkeit lediglich die Wirklichkeit der unmöglichen Möglichkeit der sündigen Menschen.115 Mithin gäbe es aber keine Möglichkeit, in Wahrheit als Mensch zu existieren. Da nun aber eine in sich differenzierte Differenz zwischen Christus und uns besteht, kann und wird die Existenzwirklichkeit der Menschen »der Verheißung nach überführt werden in die Verwirklichung wahren Menschseins, sofern sie umschlossen ist von seiner ihr Sein einschließenden Geschichte der Erwählung und Erhöhung des Menschseins, der Geschichte, die als Verheißungsgeschichte der Wahrheit ihres Seins und Wesens sich ihnen zusagt, um ihre Existenzwirklichkeit zu verändern, dh um sie in die Entsprechung zur ihnen zugesagten Wahrheit ihres Seins zu bringen.«116 »Die Heimkehr des Menschensohnes« (§ 64.2), die mit dem »Weg des Sohnes Gottes in die Fremde« (§ 59.1) unter dem entgegengesetzten Aspekt identisch ist, kulminiert in der in Jesu Christi Fleisch »allem Fleisch widerfahrenden communicatio gratiarum, [der] Erhebung des menschlichen Wesens in die Gemeinschaft der theia physis«117 (2Petr 1,4), insofern, als dass als »Beute des göttlichen Erbarmens«118 bzw. als »Ertrag des Versöhnungsgeschehens«119 der neue Mensch »kraft der ihm widerfahrenden Erhebung«120 auf den Plan tritt. Als neuer, Gott naher, weil erhöhter Mensch ist er »ein Mensch wie wir, der Erstgeborene einer neuen Menschheit, der zweite Adam, der doch unser ältester Bruder ist, in dessen Erhöhung die unsrige schon geschehen ist.«121 Das inklusive Geschehen der Erhöhung unseres Wesens, das Barth als Heiligung bezeichnet, ist in Jesus Christus bereits Ereignis geworden, so dass jetzt schon gilt: »Mit Ihm ist unser Leben verborgen – noch nicht offenbart, noch also nicht auf Erden, sondern ›droben‹, in ihm zu suchen, aber mit ihm realiter schon geborgen und aufgehoben in Gott (Kol. 3, 1 f), hinaufgehoben in seine Herrlichkeit, Ehre, Würde und Majestät.«122 115 Vgl. ders., Unterricht in der christlichen Religion I, 193: »Die menschliche Natur, die der Sohn in sich aufnimmt, mit seiner Person vereinigt, ist nun allerdings im Gegensatz dazu die allen menschlichen Persönlichkeiten gemeinsame Natur, das Wesen des Menschen, sein Leib- und Seele-Sein mit aller Beschränktheit und Schwachheit, die das bedeutet, die ›Knechtsgestalt‹ (vgl. Phil. 2,7) dieses Wesens, nur ohne die Sünde (vgl. Hebr. 4,15), die ja eben nicht zum Wesen des Menschen gehört, sondern nur eine unveräußerliche Bestimmung des Wesens des uns bekannten gefallenen, im Widerspruch stehenden Menschen ist.« 116 H.T. Goebel, Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 186. 117 K. Barth, KD IV/2, 114. 118 Ebd. 119 Ebd. 120 Ebd. 121 Ebd. 122 Ebd.

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4.

Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Die theologische Bedeutung der Lehre von An- und Enhypostasie für die Grundlegung der Friedensethik als Nachfolgeethik

Der Explikation der in sich differenzierten Differenz dient K. Barths Rekurs auf die Lehre von An- und Enhypostasie. Ihre Funktion ist in ihrem Zusammenhang gleichsam »doppelstellig«, denn sie betrifft sowohl die Gleichheit als auch die Ungleichheit zwischen Jesus Christus und uns, indem sie einem doppelten Missverständnis entgegentritt, das die Interpretation des Satzes »Das Wort ward Fleisch« (Joh 1,14a) aus dem Johannesprolog betrifft. Barth bestimmt diese Funktion als »die Abwehr der Vorstellung eines doppelten Daseins Christi: als Logos und als Mensch, eine Vorstellung, die notwendig entweder auf den Doketismus oder auf den Ebionitismus zurückführen mußte.«123 Die assumptio carnis bedeutet weder, dass der Logos in der Fleischwerdung aufgehört hat, »im Vollsinn des Wortes Gott zu sein«124, noch dass »mittelst [sic!] einer Vereinigung göttlichen und menschlichen Seins und Wesens ein Drittes entstanden wäre«125, wobei der Logos weder totus deus noch totus homo gewesen wäre, sondern ein »Zwischenwesen«, statt »Gottmensch in der Weise, daß er Gott und Mensch ist.«126 Der Präzisierung dieser Kopula »und« gilt die Lehre von der An- und Enhypostasie, d. h. sie ist auf die Eigenart der Einheit von Gott und Mensch in Christus bezogen, welche in der Annahme des menschlichen Fleisches die Tat des Logos, ein Handeln des dreieinigen Gottes ist, des einen in den drei Seinsweisen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.127 Mit der assumptio carnis umschreibt K. Barth somit das zentrale Datum der Menschheitsgeschichte als trinitarisches opus ad extra, von dem – wie von allen opera ad extra – gilt: sunt indivisa128 :

123 124 125 126 127

Ders., KD I/2, 178. A.a.O., 175. A.a.O., 176. Ebd. Bereits in der Trinitätslehre der »Göttinger Dogmatik« extrahiert K. Barth (Unterricht in der christlichen Religion I, 189) die zweite Person der Trinität als Subjekt der Inkarnation: »Es handelt sich um den Sohn Gottes, die zweite Person der Gottheit, die Mensch wird. Gott wird nicht platterdings Mensch. Wohl ist die ganze Trinität Subjekt der Offenbarung, der Menschwerdung; der Vater als der ›fons actionis‹, der Sohn als ihr ›medium‹, der Geist, durch den sich die Empfängnis des Sohnes in der Jungfrau vollzieht, als ihr ›terminus‹, aber das Ergebnis ist nicht die menschgewordene Trinität, sondern der menschgewordene Logos.« Mit J.H. Heidegger (vgl. H. Heppe / E. Bizer, Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche, 332) akzentuiert K. Barth (Unterricht in der christlichen Religion I, 192): »Nicht ›deitas caro facta‹, […] sondern ›logos, sermo, caro factus‹.« 128 Vgl. ders., KD IV/2, 46 f. und ders., KD I/1, 395: »Alles Wirken Gottes, wie wir es aufgrund

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Die theologische Bedeutung der Lehre von An- und Enhypostasie

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»Es, das ewige Wort, kraft seines eigenen Willens und Vermögens wie kraft des Willens und Vermögens des Vaters und des Heiligen Geistes, wird Fleisch. Die Einheit, in die die menschliche Natur aufgenommen wird, ist also die Einheit mit dem Worte und nur insofern – weil dieses Wort das ewige Wort ist – die Einheit der menschlichen mit der göttlichen Natur. Das ewige Wort ist aber mit dem Vater und dem Heiligen Geist der unveränderliche Gott selber und also keiner Verwandlung oder Vermischung fähig. Die Einheit mit ihm, jenes ›Werden‹ des Wortes, kann also nicht die Entstehung eines Dritten zwischen Wort und Fleisch, sondern nur die Annahme des Fleisches durch das Wort bedeuten.«129

4.1.

Die Valenz der Negation. Die theologische Bedeutung der Anhypostasielehre für die Grundlegung der Friedensethik als Nachfolgeethik bei K. Barth

Mit der Lehre von An- und Enhypostasie versucht Barth die Einheit von Gott und Mensch in Christus so zu explizieren, dass die Einheit tatsächlich auch als Einheit dargestellt wird, was Barth zufolge nur unter Explikation der Unterschiedenheit innerhalb dieser Einheit im Sinne eines »differenzierten Zusammenhangs« möglich ist. Differenziert man innerhalb des dogmatischen Zusammenhangs von An- und Enhypostasie hinsichtlich der theoriebildenden Leistungsfähigkeit der einzelnen Theologumena, so gilt für die Lehre von der Anhypostasie: Ihre Valenz liegt in der Negation. Mit dem anhypostatischen Charakter des Menschseins Jesu wird die Beschränkung des christologischen Ansatzes auf das geschichtlichen Menschsein Jesu im Sinne einer »Christologie von unten« abgelehnt. Denn ein solcher Ansatz setzt voraus, dass ein Verständnis des Menschen Jesus unabhängig von einem Verständnis des Sohnes Gottes gewonnen werden kann. Nach Barth hingegen hat das wahre Verstehen des Menschen Jesus immer schon ein Verstehen des Sohnes Gottes zur Voraussetzung, wonach der ewige Sohn Gottes Mensch und nicht etwa ein zuvor bereits existierendes menschliches Individuum mit dem Sohn Gottes identifiziert wird.130 Nichts anderes als die Unumkehrbarkeit der Ursprungs- und Wesensrelation von Gottes- und Menschensohn betont K. Barth mit seinem Rekurs seiner Offenbarung begreifen müssen, ist ein einziger in allen seinen drei Seinsweisen zugleich und gemeinsam erfolgender Akt.« 129 Ders., KD I/2, 176. Vgl. ders., KD IV/1, 196. 130 Adäquat formuliert D. Schellong, Barth lesen, 63: »Gesagt ist damit [mit der Lehre von der Anhypostasie; M.H.], daß der Mensch Jesus nicht zuerst als menschliches Individuum existierte und daß dann Gott dieses Individuum angenommen und sich mit ihm identifiziert habe, vielmehr existiert der Mensch Jesus nur dadurch und darin, daß der ewige Sohn Gottes Mensch wird.« Fernerhin H.T. Goebel, Jesus Christus und die Religion(en), 76: »[A]ls bestimmter Mensch existiert der Mensch Jesus nur in dem Geschehen seiner von Gott vollzogenen Einheit mit Gottes Sohn«.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

auf die Lehre von der Anhypostasie, wenn er feststellt: »Nur als Gottessohn, aber eben als solcher, existiert Jesus Christus auch menschlich«131. Die Lehre von der Anhypostasie wendet sich gegen einen Adoptianismus jeglicher jesulogischer Spielart132, auch gegen den geistchristologischer Provenienz. Womit keineswegs gesagt werden soll, dass jede Geistchristologie adoptianisch ausfällt, sondern nur, dass es unter den geistchristologischen Entwürfen auch adoptianische gibt.133 Das vere deus ist Barth zufolge kein Prädikat des Menschseins Jesu, sondern weil gilt: »Die menschliche Natur Christi hat keine eigene Persönlichkeit«134, ist die Menschlichkeit Jesu vielmehr ein Prädikat des Sohnes Gottes. Im Blick auf den Sohn Gottes als Subjekt dieses Prädikats hält Barth fest: »Man kann ein Prädikat nicht gut ohne sein Subjekt sehen, verstehen, darstellen wollen. Die Menschlichkeit Jesu an sich und als solche wäre aber ein Prädikat ohne Subjekt. Und völlig unmöglich mußte, sofern sie gemacht wurde – und sie wurde z. T. sehr ernsthaft gemacht – die Zumutung sein, diesem im leeren Raum schwebenden Prädikat eine religiöse Bedeutsamkeit zuzuerkennen, zu ihm in ein religiöses Verhältnis zu treten«135. Mit seiner positiven Rezeption der Lehre von der Anhypostasie wendet sich Barth gegen den historischen Auflösungsversuch der das vere deus und das vere homo akzentuierenden dogmatischen Christologie, wie er in der Neuzeit besonders im Gefolge des divinus homo von Fausto Sozzini etwa bei Spinoza, Locke, den Deisten, Neologen und im theologischen Kantianismus unternommen wurde.136 Die Anhypostasie verwehrt Barth zufolge den damals er-

131 K. Barth, KD IV/2, 100. Vgl. ders., KD I/2, 323 f. 132 Vgl. ders., KD I/2, 163. 133 So lautet auch das Ergebnis der Untersuchung von M. Press, Jesus und der Geist. Vgl. auch M. Hofheinz, Der geistgesalbte Christus, 337 – 356. 134 K. Barth, Unterricht in der christlichen Religion I, 193. Dort kursiv. 135 Ders., KD IV/2, 113. 136 Zur theologiegeschichtlichen Rekonstruktion vgl. J. Rohls, Mensch versus Gott, 50 – 60. In theologiegeschichtlicher Hinsicht urteilt K. Barth (Unterricht in der christlichen Religion I, 109): »Man mag von dieser paradoxen These, der sogenannten Anhypostasie der menschlichen Natur Christi, denken, wie man will, soviel ist sicher, daß man klüger getan hätte, statt sich darüber aufzuregen, ein bißchen über ihren Sinn nachzudenken. Statt dessen stürzte man sich vom 18. Jahrhundert ab von allen Seiten eifriger ausgerechnet auf den Menschen Jesus von Nazareth als solchen, auf den Heros, die religiöse Persönlichkeit, sein inneres Leben, sofern es uns anschaulich wird, seine Gott-, Welt- und Lebensanschauung, auf den ›schönsten Herrn Jesus‹, um ausgerechnet hier : in dem lehrenden, liebenden, leidenden Jesus als solchen – die Akzente konnten verschieden verteilt werden –, aber jedenfalls in dem Lebenden, nicht in dem Gekreuzigten und Auferstandenen wie Paulus und die Reformatoren, die Offenbarung zu suchen.« Ähnlich urteilt H.J. Iwand (Christologie, 155 f.) theologiegeschichtlich über den apologetischen Idealisierungsversuch, »unter Preisgabe der christologischen Dogmen Jesus als das Vorbild und Urbild des

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wünschten exklusiven Zugang zur »Christologie« beim Nazarener als vere homo: etwa bei der vollkommenen Weisheit, Moral oder bei dem Gottesbewusstsein Jesu als Heros der Menschheit bzw. Urbild des frommen, religiösen Menschen. K. Barth folgert aus der Anhypostasielehre, »daß aller Jesuskult, alles Suchen der Offenbarung im Fleische Christi an sich, ob man sich nun an Leib und Seele halte, nicht nur Kreaturvergötterung, sondern auch gegenstandslos ist«137. Sehr konturiert grenzt sich Barth mit seinem Rekurs auf die Lehre von der Anhypostasie gegenüber neuzeitlichen Versuchen des Entwurfs einer Biographie, eines Lebens- und Charakterbildes Jesu ab, da in ihnen das Entscheidende fehle, nämlich »die vertikale Bewegung, in der Jesus Christus wirklich ist, die Geschichte, in der der Sohn Gottes Menschensohn wird, menschliches Wesen annimmt, um so, in dieser seiner Tat, Mensch zu sein. In dieser Bewegung von oben nach unten präsentiert er sich selbst als Gottes Werk und Offenbarung durch den Heiligen Geist: als der in der Beziehung seiner Gottheit zu seiner Menschheit lebendige Jesus Christus.«138 Das Biographie-Konstrukt ist nach Barth immer der Konstruktionsversuch eines purus homo, wobei dieses Rekonstruktionsbemühen in fataler Weise der erfolglosen Suche der Jünger am Ostermorgen gleicht, die sich fragen lassen müssen: »Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten« (Lk 24,5)?139 Barths Antwortet lautet mit den Evangelisten: »Er ist nicht hier, er ist auferstanden« (Lk 24,6; Mt 28,6; Mk 16,6). Bereits in seinem Briefwechsel mit seinem alten Lehrer Adolf von Harnack bemerkte Barth: »Wer es etwa noch nicht weiß (und wir wissen es alle immer noch nicht), daß wir Christus nach dem Fleische nicht mehr kennen, der mag es sich von den kritischen Bibelwissenschaften sagen lassen: je radikaler er erschrickt, um so besser für ihn und die Sache.«140 Der biographische Rekonstruktionsversuch »analogisiert« Jesus in methodischer Hinsicht mit uns Menschen. Man muss ihn, um seiner historisch-biographisch »habhaft« zu werden, ausschließlich als unseresgleichen begreifen, ohne dabei die Ungleichheit zwischen ihm und uns, den Punkt schlechthinniger Analogielosigkeit zu beachten.141 Der biographische Zugriff auf Jesus basiert eo

137 138 139

140 141

sittlichen Menschen retten zu können«, den er als »Verrat[] Jesu an die Humanität« aus Scham vor dem Kreuz interpretiert. K. Barth, Unterricht in der christlichen Religion I, 194. Ders., KD IV/2, 113. Vgl. dazu den gleichnamigen Aufsatz von D. Schellong (Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?, bes. 2 – 5), der explizit die kritischen Impulse von K. Barth aufnimmt. Vgl. auch ders., Barth lesen, 63 f.; O. Hofius, Die Frage nach dem »historischen Jesus« als theologisches Problem, 87 – 102; K. Wengst, Der wirkliche Jesus?, 125. K. Barth, Fünfzehn Antworten an Herrn Professor von Harnack, 13. Vgl. dazu die Paraphrase von G. Hunsinger, Disruptive Grace, 330. Zum Verhältnis Barth-von Harnack vgl. H.-A. Drewes, Die Auseinandersetzung mit Adolf von Harnack, 189 – 203. Nach E. Troeltsch (Über historische und dogmatische Methode in der Theologie, 732) ist

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ipso auf der Prämisse des »etsi testimonium assumptionis carnis non daretur«. Dies alles bedeutet mitnichten ein Plädoyer für eine einfache Rückkehr zum alten Dogma, vielmehr repräsentiert Barths Wiederaufnahme der Lehre von Anund Enhypostasie eine Gestalt der Christologie, die durch die läuternde Kritik der Zwei-Naturen-Lehre hindurchgegangen ist und diese nun (weg-)geschichtlich entfaltet.142 K. Barths inkarnationstheologischer Ansatz impliziert eine »Prädikatentheorie«, derzufolge Jesu Christi Menschheit »nur Prädikat seiner Gottheit oder also besser, konkret gesagt: sie […] nur das in unbegreiflicher Herablassung angenommene Prädikat des an uns handelnden Wortes [ist], das der Herr ist.«143 Ebenso ist auch die Gottheit selbst Prädikat des Logos, also nicht nur die Menschheit bzw. das menschliche Sein, wenngleich die Gottheit im Unterschied dazu das »ursprüngliche[] Prädikat«144 des Logos darstellt. Wenn nach Barths »Prädikatentheorie« die Hypostase des inkarnierten Logos das Subjekt aller Aussagen über Jesus Christus – auch den irdischen Jesus von Nazareth – ist, dann wird nicht von Jesus von Nazareth als einem purus homo gesprochen werden können. Dann ist vielmehr eine Differenz zwischen allen puri homines und Jesus Christus markiert worden, die in Bezug auf das Objekt der Nachfolge von entscheidender Bedeutung ist: Gegenstand der Nachfolge, damit aber auch der Nachahmung, der imitatio, ist nicht Jesus Christus als purus homo, sondern kann nur der lebendige Jesus Christus, das fleischgewordene Wort, der verus homo, sein, also der, der »nicht nur durch Gott und nicht nur mit Gott lebt, sondern selbst Gott ist«, der »also keine Wirklichkeit, keine Existenz neben Gott hat«, der »nicht auch noch selbständig und an sich da ist«, sondern von dem gilt, »daß seine Wirklichkeit, seine Existenz, sein Dasein schlechterdings das Gottes historische Kontingenz nur auf der methodischen Grundlage der Anwendung der Analogie zu erfassen. 142 B.L. McCormack (Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, 359) bemerkt zu Recht: »[I]t should be noted that in presupposing the Self-revelation of God in Jesus Christ, Barth was placing the orthodox Christology of the fifth century on an entirely new foundation.« B.L. McCormack identifiziert die Barthsche Abgrenzung Selbstoffenbarung und Offenbarung im Anschluss an W. Pannenberg als genuin modern, fügt aber betreffs einer Distinktion zwischen Barth und Hegel bzw. den Hegelianern hinzu, dass Barth »does not begin speculatively, with an a priori construction, but rather, with an a posteriori reflection on what God has shown Himself to be in Jesus Christ. That is the crucial difference between an idealistic conception of ›Self-revelation‹ an a critically realistic one.« Die Barthsche Innovation gegenüber der altkirchlichen Orthodoxie besteht m. E. primär darin, dass er die altkirchliche Christologie aus der Statik ihrer metaphysischen Fesseln befreit, indem er Christologie als die Geschichte der gleichzeitigen Erniedrigung des Gottessohnes und Erhöhung des Menschensohnes entfaltet und in diesem doppelt aspektuierten Geschehen die Versöhnung des Menschen mit Gott als »exemplarisch vorgebildet und dynamisch begründet« (K. Barth, KD IV/2, 19) einzeichnet. 143 Ders., KD I/2, 178. 144 A.a.O., 176.

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selbst, des in seinem Wort handelnden Gottes ist.«145 Der Gegenstand der Nachfolge kann nicht der purus homo sein, denn dieser hat »an und für sich« (kat’ heauto) – und eben dies betont Barth mit der Aufnahme die Lehre von der Anhypostasie auf das Nachdrücklichste – nie existiert: »Dieses die Natur des Menschen verkörpernde Individuum hat an sich nie und nirgends existiert. Die Menschheit (obwohl sie Leib und Seele, obwohl sie Individuum ist), ist nichts an sich Bestehendes, Reales, sie ist z. B. nicht schon vor der Vereinigung mit dem Logos gewesen, und sie hat keinerlei selbständige Bedeutung neben ihm, außer ihm. Wer also in der Idee der Menschheit an sich die Offenbarung sehen will, der greift gerade nach dem, was an sich nicht nur bedeutungslos, sondern nichts ist, und ebenso wer die Offenbarung in dem menschlichen Individuum Jesus an sich sucht. Beide greifen notwendig ins Leere: diese Idee, die Idee der Menschheit, und dieses Individuum, das sie verkörpert, sind keinen Augenblick zu abstrahieren von ihrem Angenommensein in die Person des Logos. Das göttliche Subjekt, das sich mit ihnen eint, macht sie zur Offenbarung.«146

Die Nachfolge kann sich mithin nicht auf Jesus Christus, sofern er unter Ausschluss seiner Gottheit Mensch ist, beziehen, sondern nur auf den, der gerade darum wahrer Mensch ist, weil er selbst seinem Ursprung und Wesen nach Gott und darum auch wahrer Mensch ist. Gerade diese Differenz zwischen Jesus Christus und allen anderen Menschen, welche exakt darin besteht, dass Jesus Christus als wahrer Gott auch wahrer Mensch ist, verhindert nicht die Nachfolge, sondern ermöglicht sie erst. Die Differenz bzw. Ungleichheit betrifft nämlich auch – wie bereits festgestellt wurde – das Menschsein, indem es die Gottheit betrifft, in dem Sinne nämlich, dass er, Jesus Christus, der wahre Mensch ist und wir es nicht sind. Wir können Jesus Christus gerade darum nachfolgen, weil er exklusiv als wahrer Gott und wahrer Mensch das getan hat, was wir nicht tun können, nämlich uns mit Gott im Akt inkludierender Stellvertretung zu versöhnen. Wenn der Menschensohn als Menschensohn und also menschlich »überhaupt nur in der Tat Gottes« existiert, nämlich »indem er zuerst der Sohn Gottes ist«147, dann richtet sich die Nachfolge nicht auf eine abstrahierte Menschlichkeit hin aus, in der sich nichts anderes als die vermeintliche Menschlichkeit des Selbst spiegelt, sondern dann wird es in der Nachfolge darum gehen, in der Menschwerdung Jesu Gottes Tat zu sehen, d. h. in der konkreten Menschlichkeit Jesu Christi »Gott zu erkennen, zu ehren, zu lieben, anzubeten.«148 Die Nachfolge, die wahrhaft dadurch gekennzeichnet ist, dass sie niemand anderem als Jesus Christus, dem »Abbild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15; vgl. 2Kor 4,4; Hebr 145 146 147 148

Alle Zitate innerhalb dieses Satzes finden sich a. a. O., 178. Ders., Unterricht in der christlichen Religion I, 193. A.a.O., 113. A.a.O., 112.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

1,3) und nicht dem Abbild des eigenen expektorierten Selbst, nachfolgt, ist durch Transparenz gekennzeichnet: Sie gibt die Menschlichkeit Gottes zu erkennen. Sie ist daraufhin durchsichtig, dass die Menschlichkeit Jesu und damit indirekt auch die Menschlichkeit der Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu von Gott her und zwar in Gottes Tun ihre Ehre, Würde und Majestät bekommt, »an der vorbeizusehen dem, der ihn erkennt, ehrt, liebt und anbetet, nicht möglich, deren dankbare Anerkennung vielmehr in aller ihm zugewandten Erkenntnis, Ehrung, Liebe und Anbetung notwendig eingeschlossen ist.«149

4.2.

Die Valenz der Position. Die theologische Bedeutung der Enhypostasielehre für die Grundlegung der Friedensethik als Nachfolgeethik bei K. Barth

Das über Jesus Christus als verus deus Ausgesagte heißt nun nach Barth keineswegs, dass damit eine letztlich »doketische« Anschauung genährt würde, die an der Geschichte Jesu Christi, seinem irdischen Dasein und Sosein desinteressiert wäre. K. Barth grenzt sich vielmehr entschieden von doketischen Vorstellungen ab, die Christi »Menschheit zu einer bloßen Erscheinung, seine Gottheit darum zu einer bloßen Idee, eben damit aber die in ihm geschehene Versöhnung zu einer philosophischen Theorie oder zu einem Mythus«150 verflüchtigen. Barth insistiert darauf, dass Jesu Menschlichkeit in der dogmatischen und ethischen Reflexion »nicht zum Verschwinden gebracht« werden dürfe, ebenso wenig wie dies im Neuen Testament (vgl. z. B. Lk 2,52; Mk 13,31; Hebr 5,7; das Gethsemane-Gebet und die Versuchungsgeschichte Jesu) geschehe: »Denn unsichtbar bliebe dann Jesus Christus als der Bruder aller Menschen, der als solcher, der auch in der Schwachheit seines menschlichen Wesens der Sohn Gottes, Gegenstand des ganzen väterlichen Wohlgefallens und der Fülle des göttlichen Geistes teilhaftig war. Wurde das Wort Fleisch, wurde Gott Mensch, wie sollte es dann anders sein, als daß er, als dieser Mensch in einer menschlichen Geschichte existierend, einen Weg gemacht, auf diesem Weg menschlich entbehrt hat, menschlich angefochten und bewegt wurde, eines nur relativen Wissens und Könnens teilhaftig war, ›gelernt‹, gelitten hat und gestorben ist? Eben als dieser Mensch war Jesus von Nazareth ›der Sohn des Vaters, Gott von Art‹.«151

Auch die Lehre von der An- und Enhypostasie eliminiert solche Aussagen der synoptischen Tradition nicht, verletzt also keineswegs – wie etwa P. Althaus meinte – »das wahre Menschsein Jesu und damit die Echtheit der Menschwer149 Ebd. 150 Ders., KD IV/2, 26. 151 A.a.O., 105.

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Die theologische Bedeutung der Lehre von An- und Enhypostasie

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dung«152, sondern ermöglicht vielmehr erst die theologisch legitime Rede von der wahren Menschlichkeit Jesu Christi. Denn ebenso wie die Lehre von der Anhypostasie das Negative expliziert, so ist mit der Lehre von der Enhypostasie ein Positivum formuliert:153 »Es ist wohl so, daß das Menschliche überall nur in Gestalt wirklicher Menschen existiert. Solche Existenz wird ja auch dem Menschen Jesus nicht abgestritten, sondern eben mit dem positiven Begriff der Enhypostasie zugesprochen.«154 Der Mensch Jesus subsistiert »enhypostatisch« im Logos. Im Logos geht der Mensch Jesus nicht seiner Menschlichkeit, das Fleisch nicht seiner Fleischlichkeit verlustig. Die Selbständigkeit des Menschen Jesus bleibt aber nicht einfach nur unbeschädigt. Man wird auch nicht sagen können: Indem der Mensch Jesus in einem anderen und nur dort existiert, nämlich dem Logos, erhält und gewinnt er erst durch dieses geschichtliche »In-dem-Logos-Existieren« seine Selbständigkeit im Sinne von Subsistenz.155 Der Modus der Existenz Jesu wäre dann zwar richtig umschrieben, die Genese aber in eine tendenziell adoptianische Terminologie gekleidet worden. Außerhalb des Logos hat der Mensch Jesus niemals existiert. Dies besagt die Lehre von der Anhypostasie als Negativaussage. Die Enhypostasie hingegen »besagt das Positive: die menschliche Natur bekommt kraft des egeneto, d. h. kraft der assumptio Dasein (Subsistenz) im Dasein Gottes, nämlich in der Seinsweise (Hypostase, ›Person‹) des Wortes. Diese göttliche Seinsweise gibt ihr im Ereignis der unio Dasein, und so hat sie konkretes eigenes Dasein. Sie ist enhypostatos.«156 Dieser Gewinn von konkretem, eigenem Dasein resultiert aus dieser spezifischen Inhärenz. »Für sich« genommen geht das Menschsein Jesu Christi dessen verlustig, was es konstituiert, nämlich des »Seins-im-Logos«. Es verliert so die Subsistenz.157 152 P. Althaus, Christliche Wahrheit, 444 f. 153 Das Negativum der Anhypostasielehre und das Positivum der Enhypostasielehre besagt in nuce summiert: »Die menschliche Natur Christi hat keine eigene Persönlichkeit, sie ist anhypostatos, in dieser Formel muß diese Bestimmung gipfeln, oder positiv gewendet: sie ist enhypostatos, sie hat Persönlichkeit, Subsistenz, Realität nur in ihrer Einigung mit dem Logos Gottes.« K. Barth, Unterricht in der christlichen Religion I, 193. 154 Ders., KD IV/2, 53. 155 H.T. Goebel (Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 188) weist zu Recht darauf hin: »Die Aussage über die ›Selbständigkeit‹ der menschlichen Existenz Jesu Christi im Logos ist die Aussage über die Geschichte seiner Existenz in der Existenzeinheit mit dem Sohn (IV/2, 28), über das, was aus der angenommenen menschlichen Existenzmöglichkeit wurde: die Existenzwirklichkeit des wahren, freien, sündlosen Menschen in der Lebenstat der Bundeserfüllung«. 156 K. Barth, KD I/2, 178. 157 H. Stickelberger (Ipsa assumptione creatur, 163) hat die These von der Analogie zwischen dem enhypostatischen Sein des Menschen Jesus im Logos und dem enhypostatischen Sein des mündig-freien (selbständigen) Menschen en Christo¯ aufgestellt. Demgegenüber betont K. Barth (KD IV/2, 56) die generische »Einzigartigkeit« der unio personalis (immediata) Jesu Christi. In einer solchen Analogisierung, wie Stickelberger sie in gelehrter

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Weise durchführt, sieht Barth die notwendige Unterscheidung zwischen beiden nicht gewahrt. So bezeichnet die Analogisierung der unio personalis Jesu Christi mit der unio mystica, »der Gnadengegenwart, in der Gott im christlich-religiösen Erlebnis und Verhältnis sich selbst einem jeden Menschen schenken bzw. jeden Menschen in die Lebenseinheit mit sich selbst aufnehmen kann«, nach K. Barth (a. a. O., 59) eine »unheimlich fruchtbar[e] theologische Möglichkeit« (ebd.), die er als »die heimliche via regia aller neuprotestantischen Christologie« (a. a. O., 60) identifiziert. In ihr sieht Barth die Vor- und Überordnung der Christuswirklichkeit gefährdet und er ist keineswegs bereit eine Transitivität von analogans und analogatum als Implikat dieser Analogisierung zu konzedieren: »Irgendwo auf diesem Weg konnte und mußte sich dann wohl auch die Frage aufdrängen: ob sich das Verhältnis zwischen unio hypostacia und unio mystica nicht auch umkehren ließe und, genau besehen, tatsächlich besser umzukehren sei: ob sich nicht die unio mystica als das eigentliche und Grundphänomen, als das analogans, die unio hypostatica in Jesus Christus aber als das sekundäre, das analogatum, als das vorstellungsmäßige oder mythologische Abbild der unio mystica, des in uns selbst sich abspielenden religiösen Geschehens zu verstehen sei« (ebd.)? K. Barth (a. a. O., 62) kommt zu dem Ergebnis: »Daß die Existenz Gottes in seinem Sohne auch die Existenz eines Menschen wurde und ist, die unio hypostatica als die Grundgestalt des Christusgeschehens also, scheint nach all den nun angestellten Erwägungen aller formalen Analogien zu entbehren.« Nun will H. Stickelberger die von Barth verurteilte Umkehrung keineswegs vollziehen, sondern plädiert mit K. Barth (a. a. O., 61) entschieden dafür, »den Christen von Christus her« statt »Christus noch und noch einmal vom Christen« her zu interpretieren. Damit befürwortet Stickelberger sicherlich wie Barth »eine die Distanz wahrende Mystik« (a. a. O., 61) gemäß Gal 2,20. Während aber K. Barth (KD IV/2, 61 f.) aus der Aussage, dass »die unio personalis in Jesus Christus selbst und allein die wirkliche unio mystica ist«, wiederum folgert, dass »sich dann aber der Vergleich zwischen beiden wiederum erübrigen würde«, zieht H. Stickelberger diese Konsequenz nicht. Stickelbergers ungemein lesenswerte Interpretation geht exakt da über Barth selbst hinaus, wo er im Anschluss an E. Jüngel (vgl. Jesu Wort und Jesus als Wort Gottes, 135 – 142) die Anhypostasie positiv interpretiert, statt »als Negativabzug der Enhypostasie ohne eigenen Wert, […] als ein von der Enhypostasie zu unterscheidendes Positivum […], nämlich als die Tatsache, daß Jesus gerade deswegen als Mensch wirklich existiert, weil er sein Dasein nicht aus sich selbst und nicht für sich selbst hat« (H. Stickelberger, Ipsa assumptione creatur, 158). Während nach Barth also der Begriff in seiner ontologischen Bedeutung ausschließlich die Negativität bezeichnet, dass nämlich die menschliche Natur keine Subsistenz durch sich und in sich selber hat, findet bei Stickelberger (und Jüngel) durch die besagte Analogisierung eine Ausweitung bzw. Umdeutung des Begriffs der Anhypostasie basierend auf einer allgemeinen existentialontologischen Voraussetzung (vgl. die Rede von der »exzentrischen« Existenz (Ek-sistenz) und den »expropriierten Menschen« bei H. Stickelberger, Ipsa assumptione creatur, 179) statt, die den Begriff der »Anhypostasie« überhaupt erst analogiefähig macht. Aus der Sicht Barths evoziert diese Analogisierung deshalb – wie H.T. Goebel (Vom freien Wählen Gottes und des Menschen, 198) herausgearbeitet hat – die Anfrage, ob »gerade die unvergleichliche Besonderheit des Menschseins des Logos, die im Denken zu wahren der Anhypostasiegedanke in der Tradition doch aufgeboten wurde, verschliffen wird.« Denn gleichnisfähig ist nach K. Barth (KD IV/2, 62 f.) allein das Bundesverhältnis zwischen Gott und Mensch, nicht aber die schlechthin analogielose »Grundwirklichkeit« und »Mitte« des Bundes, nämlich Jesus Christus selbst. In Jesus Christus handelt es sich nämlich »um ein Geschehen und Sein […], das, wie es als Gottes unmittelbare Offenbarung überhaupt für sich selber spricht, so auch selber für seine Unvergleichlichkeit, oder positiv : dafür, daß es gerade nur sich selbst analog ist, und also wohl aus sich selbst, aber eben nur aus sich selbst, verstanden werden kann.« A.a.O., 62.

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K. Barth kann sogar soweit gehen, dass er die Negation der Position unterordnet. Er formuliert das in der Lehre von Anhypostasie negativ Explizierte um des Positiven willen, das in der Lehre von der Enhypostasie fixiert wird. Die Enhypostasie wird damit gleichsam als causa finalis (Endursache) der Anhypostasie qualifiziert: »Daß das Fleisch Christi an sich kein Dasein habe, das behauptete ihre negative These um der positiven willen: das Fleisch hat sein Dasein durch das Wort und in dem Wort, welches der als Offenbarer und Versöhner handelnde Gott selber ist. In diesem ihrem ursprünglichen Sinn verstanden ist gerade diese (nur scheinbar abstruse) Lehre in ausgezeichneter Weise dazu geeignet, die von der Hl. Schrift bezeugte Wirklichkeit Jesus Christus als die Wirklichkeit eines göttlichen Herrschaftsaktes in seiner Einmaligkeit und Einzigartigkeit gegenüber allem sonstigen Geschehen zu erläutern und damit als eine dem Glauben durch die Offenbarung vorgehaltene Wirklichkeit zu charakterisieren. Kraft des ewigen Wortes existiert Jesus Christus als Mensch von Fleisch und Blut, in unserem Bereich, als unseresgleichen, als geschichtliche Erscheinung. Er existiert aber als solcher nur kraft des göttlichen Wortes.«158 Insofern, als die Negation um der Position willen formuliert und auf dem zweiten konstantinopolitanischen Konzil (553 n. Chr.) dogmatisiert wurde159, um das vere homo zu sichern, stellt die Lehre von der Enhypostasie den Skopus der Lehre von An- und Enhypostasie dar160. Insofern aber der Mensch Jesus nicht ohne den Logos wäre, das vere homo nicht ohne die Akzentuierung des vere deus formuliert und dogmatisiert hätte werden können, welches wiederum die Lehre von der Anhypostasie schützt, insofern also letztendlich der Logos selbst das »Sein-in-ihm« ermöglicht, repräsentiert er die causa efficiens (Wirkursache) der Fleischwerdung. Damit wäre wiederum die Lehre von der Anhypostasie der eigentliche Skopus der Lehre von An- und Enhypostasie161. Man wird die Lehre von An- und Enhypostasie deshalb entweder nur als skopuslos oder den Skopus als doppelstellig bezeichnen können, um zum Ausdruck zu bringen, dass Anund Enhypostasie in ihrem theologischen Gebrauch »nur als notwendige Beziehungsbegriffe sinnvoll sind, von denen nicht nur einer durch den anderen ergänzt und erweitert werden kann.«162 In diesem wechselseitigen Zusammenhang fungiert die Lehre von beiden Theologumena als Interpretament der inkarnationstheologischen Explikation der Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus als dem vere deus und vere homo. Barth legt auf das vere homo ebenso viel Gewicht wie auf das vere deus: 158 Ders., KD I/2, 180. 159 Vgl. DH 426. 160 So etwa E. Jüngel, Jesu Wort und Jesus als Wort Gottes, 135; O. Weber, Grundlagen der Dogmatik II, 143. 161 So etwa H.-J. Kraus, Systematische Theologie, 388. 162 H. Diem, Karl Barths Christologie, 153.

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»Die Wirklichkeit der in ihm [Jesus Christus] geschehenen Versöhnung steht und fällt mit jenem ebenso wie mit diesem. Wäre Jesus Christus nicht auch wahrer Mensch, wie hätte sich dann der wahre Gott in ihm herabgelassen, wie stünde er dann als der Sohn und in der Mach Gottes wirklich an unserer Stelle, wie täte er dann das für uns, was nur Gott an unserer Stelle für uns tun kann?«163 Für Barth gilt deshalb: »Es ist Jesu Christi Menschheit kein sekundäres, kein eventuelles, kein nachträglich hinzukommendes und dann auch wieder vorübergehendes und verschwindendes, kein bloß vermittelndes – sie ist mit seiner Gottheit zusammen integrierendes Moment des Christusgeschehens.«164

Der irdische Jesus steht mit seiner menschlichen Lebensgeschichte und seinem zeitlichen Sein für Barth im Zentrum seines dogmatischen und ethischen Interesses und zwar exakt deshalb, weil das Christusgeschehen eine Tat Gottes ist, die als solche eine menschliche Geschichte, nämlich die Geschichte des wahren Menschen, in sich schließt. Insofern nun eine unauflösliche Einheit der menschlichen Geschichte Jesu mit der Tat Gottes im Christusgeschehen vorliegt, ist die Geschichte des wahren Menschen die Existenz des Menschen Jesus. Das irdische Leben Jesu darf mithin nicht abgelöst betrachtet werden von der Tat Gottes, wie sie sich in seiner ewigen Gnadenwahl manifestiert. Denn die menschliche Geschichte Jesu ist mit der Tat Gottes »Inhalt des ewigen Beschlusses und Willens Gottes. Mit jener war auch diese ›vor Grundlegung der Welt ersehen‹«165. In Barths Bezugnahme auf Gottes Gnadenwahl wird die Funktion der Erwählungslehre als Tiefendimension der Versöhnungslehre evident, da die inhaltliche Bestimmung von Gottes ewiger Gnadenwahl in Christus zum Interpretament der Zwei-Naturen-Lehre avanciert. Die Notwendigkeit des Begriffs der wahren Menschheit Jesu Christi sieht Barth nämlich in der Urentscheidung der göttlichen Gnadenwahl grundgelegt; und zwar insofern, als Jesus Christus nicht nur als Subjekt der Erwählung (er, der ewige Sohn, erwählt den Menschensohn), sondern auch als Objekt der Erwählung (er, der Menschensohn, wird vom Sohn Gottes erwählt) gedacht wird. Die Geschichte des Christusgeschehens, die ja nichts anderes als das Geschehen der Erwählung darstellt, ist »am Anfang aller Wege und Werke Gottes und so im Anfang aller Dinge bei Gott und mit Gott selber : im Urgrund aller Realität«166 verortet. Diese Verortung an geschichtlich exponiertem Platz nimmt der Geschichte Jesu Christi den ihr neuzeitlich beigelegten »Geschmack« des Kontingenten, der »zufälligen Geschichtswahrheit«167. Sie »beseitigt den letzten Schein von Zufälligkeit, Äußer163 164 165 166 167

K. Barth, KD IV/2, 25. A.a.O., 37. Ebd. Barth zitiert hier Eph 1,4. Vgl. zur Auslegung O. Hofius, Paulusstudien II, 234 – 246. K. Barth, KD IV/2, 36. G.E. Lessing, Ueber den Beweis des Geistes und der Kraft, 39.

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Die theologische Bedeutung der Lehre von An- und Enhypostasie

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lichkeit, Beiläufigkeit und Entbehrlichkeit, mit dem man gerade das im engeren Sinn Geschichtliche des Christusgeschehens so leicht umgeben sieht.«168 Auch der Existenz des irdischen Jesus kommt mithin Offenbarungscharakter zu, und zwar nicht nur im akzidentiellen, sondern im substanziellen Sinne, da die Existenz des Menschen Jesus – so Barth expressis verbis – zur »Substanz« des Christusgeschehens gehört: »Es ist also diese menschliche Geschichte nicht nur ein Offenbarungsmodus, oder ein Offenbarungsvehikel, dem gegenüber das, was offenbart wird, ein Höheres, nämlich ein Unweltliches, ein rein Göttliches, Ewiges, Geistliches wäre, von dem dann jene menschliche Geschichte nicht nur unterschieden, sondern getrennt werden könnte und geradezu müßte«169. Die Aussage, dass das Wunder der Fleischwerdung, der unio hypostatica »in seinem Menschsein, zu suchen und zu finden ist, daß keine andere Gestalt und Erscheinung im Himmel und auf Erden außer dem einen Kind in der Krippe, außer dem einen Mann am Kreuz, das Wort ist, das wir zu hören, dem wir Glauben und Gehorsam zu schenken, an das wir uns zu klammern haben, daß jede Frage nach ihm, die vorbeigeht an Jesus von Nazareth, an Christi Menschsein, notwendig und gänzlich an ihm, dem Wort, und damit an Gott selbst vorbeifragt, weil das Wort und damit Gott selbst für uns nicht da ist und nicht außerhalb des Menschseins Christi«170 – diese Aussage hat für K. Barth fundamentale ethische Relevanz. Die Aussage bezieht sich wohlgemerkt nach K. Barth – und dies kann kaum genug betont werden – auf sein Menschsein, d. h. das wirkliche Menschsein, welches dieses Kind in der Krippe und dieser Mann am Kreuz als Sohn Gottes hat. Besagte Aussage bezieht sich also nicht auf das Menschsein eines purus homo. Bezöge sie sich darauf, dann würden nur zufällige, jeder Notwendigkeit entbehrende Ereignisse ins Auge gefasst. Die theologische Erkenntnisordnung verliefe dann immer noch vom Allgemeinen (dem Menschsein) zum Besonderen (dem Menschsein Jesu), gleichsam von der Anthropologie zur Christologie als deren bloßem Epiphänomen. K. Barth verdeutlicht nachdrücklich, dass »die Solidarität und Brüderlichkeit Jesu Christi mit allen anderen Menschen nicht etwa von ›unten‹, vom historischen Jesus her, sondern konsequent von der assumptio carnis und von der An- und Enhypostasie der menschlichen Natur her verständlich«171 ist.

168 K. Barth, KD IV/2, 36. 169 A.a.O., 36 f. 170 Ders., KD I/2, 181. So auch M. Luther (WA 10/I, 208,22 ff.; Kirchenpostille, 1522): »Die menscheytt [Christi] were keyn nutz, wenn die gottheyt nit drynnen were, doch widderumb will unnd mag gott nit fundenn werden denn durch und ynn dißer menscheyt«.) 171 H. Stickelberger, Ipsa assumptione creatur, 14.

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5.

Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie J.H. Yoders. Eine Problemanzeige

Im Unterschied zu Barth macht Yoder trotz des gemeinsamen inkarnationstheologischen Ansatzes und seiner ethischen Pointierung keinen Gebrauch von dem altkirchlichen Theologumenon der An- und Enhypostasie der menschlichen Natur Christi. Aus diesem Verzicht Yoders resultiert manches Missverständnis, das seine Aussagen erzeugt haben und das hätte verhindert werden können, wenn er – seinem Lehrer K. Barth folgend – die Lehre von der An- und Enhypostasie rezipiert hätte. Immer wieder wurde gegen Yoder der Vorwurf erhoben, er betreibe mit seinem Ansatz bei der Menschlichkeit Jesu eine »Jesulogie von unten«, die eher dem neuzeitlich-liberalen Christologieparadigma entspräche, als mit den altkirchlichen Bekenntnissen kompatibel zu sein.172 Yoder intendiert nach eigener Aussage »[a] rooting of pacifism in the person of Jesus«173 bzw. »[a] deepening of the recourses for ethics to be found in the person of Jesus«174. Eine solche Vertiefung bilde vor allem gegenüber einer vorbildchristologischen Vereinnahmung der Morallehre des »guten Menschen Jesus« in bestimmten pazifistischen Traditionen ein notwendiges Korrektiv. Yoder insistiert, dass seine »vorgeschlagene Sicht Jesu radikaler an Nicäa oder Chalcedon anschließt als andere Auffassungen.«175 Yoder betont mit Nachdruck: »[T]o affirm the normativeness of discipleship is simply classical«176. Retrospektiv bemerkt Yoder zur Intention seines Buches »The Politics of Jesus«: »There my point was that that book’s emphasis on the concrete historical-political humanity of the Jesus of the Gospel accounts was compatible with the classic confession of the true humanity of Christ (i. e., the core meaning of ›incarnation‹), whereas those who deny that humanity (or its normative exemplarity) in favour of some more ›spiritual‹ message are implicitly Docetic. Secondly I argued that the New Testament’s seeing Jesus as example is a necessary correlate of what later theology called his divine sonship (the other side of ›incarnation‹), in such a way that those who downgrade the weight of Jesus’ example, on the grounds that his particular social location or example cannot be a norm, renew a counterpart of the old ›Ebionitic‹ heresy. This is a small sample of a wider claim: the convictions argued here do not admit to being categorized as a sectarian oddity or a prophetic exception. Their appeal is to classical catholic Christian convictions properly understood.«177

172 173 174 175 176 177

Vgl. C.A. Carter, The Politics of the Cross, 66 f. J.H. Yoder, The Royal Priesthood, 186. A.a.O., 185. Ders., Die Politik Jesu, 94. Ders., The Priestly Kingdom, 8. A.a.O., 9.

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Die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie Yoders

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Yoder beansprucht demzufolge, dass seine christologischen Ausführungen den dogmatischen Grundentscheidungen der altkirchlichen Bekenntnisse, namentlich von Nicäa und Chalcedon,178 nicht widersprechen und er weder einer doketischen noch ebionitischen Häresie erliege. Würden nämlich »die schon immer geltenden Aussagen der Kirche über Jesus als Wort des Vaters, als wahrer Gott und Mensch, ernster genommen«179, dann müsste die Normativität Jesu für die Sozialethik längst zum theologisch anerkannten und etablierten Allgemeingut avanciert sein. Eine solche Anerkennung sei schließlich nichts anderer als der logische Reflex auf die in den altkirchlichen Bekenntnissen proklamierte Zwei-Naturen-Lehre. Explizit wird denn auch von Yoder die Zwei-Naturen-Lehre als Funktion und Interpretament des geschichtlichen Menschseins Jesu herangezogen: »Man missversteht das Verhältnis der beiden Naturen Christi, wenn man die politische Seite seiner menschlichen Existenz abstreifen will. Wenn man, wie der erwähnte Einwand es tut, die politischen Entscheidungen Jesu als keine echten menschlich-politischen Entscheidungen betrachtet, nennen wir das Doketismus (Verneinung der wahrhaftigen Menschheit Christi). Man kann auch diese Entscheidungen als wirklich und echt anerkennen, und ihnen doch jeglichen Offenbarungscharakter absprechen. Das nennt die Dogmatik Ebionismus (Verneinung der wahrhaftigen Gottheit Christi). Nach der Ansicht des Neuen Testaments war Jesu Tod kein metaphysisches Ereignis an sich, wie manche Versöhnungslehre es darstellt, sondern eine vollkommene ethische Tat, der Höhepunkt seines Gehorsams (Hebr. 5, 8 ff.; Phil. 2).«180

Zweifellos ist es die doketische Front, an der Yoder kämpft. Er betont mit anderen Worten das vere homo des Nicänums in Übereinstimmung mit Barth im Sinne eines verus homo. So, nämlich als Betonung der Willensoffenbarung Gottes in dem jüdischen Menschen Jesus, will Yoder auch das Chalcedonense verstanden wissen: »The doctrine of the two natures of the divine Son, enshrined in the formulae of Chalcedon, has come to be a metaphysical puzzle. Yet what these notions originally meant, and should still mean, is that God takes history so seriously that there is no more adequate definition of God’s eternal purposes than in the utterly human historicity of the Jew Jesus.«181 178 Summa summarum lässt sich mit dem Yoder-Interpret C.A. Carter (The Politics of the Cross, 66) festhalten: »Yoder explicitly claims to have a ›high‹ Christology rooted in Nicene and Chalcedonian orthodoxy.« 179 J.H. Yoder, Die Politik Jesu, 94. 180 Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 45. 181 Ders., For the Nations, 218. Ähnlich formuliert W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie, 334: »Die Einheit Jesu mit Gott, des konkret geschichtlichen, in vieler Hinsicht immer wieder rätselhaften und doch so unverwechselbar charakteristischen Jesus von Nazareth mit dem Gott der Bibel, des AT, den Jesus Vater nannte, diese Einheit kann nur in der historischen Besonderheit des Menschen Jesus, seiner Botschaft und seines Geschickes, gefunden werden«.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Yoder kann allerdings das vere homo auch in seinem originären Sinn als Betonung des vollen Menschseins Jesu geltend machen. Als solches widerspricht es seiner Auffassung nach vehement jener Verweigerungshaltung, Jesus nachzufolgen, die sich darauf beruft, dass er nicht im Vollsinn menschlich oder politisch gewesen sei: »The full humanity of Jesus means that whatever else might be the grounds we might adduce for not following his ethical guidance, his not being fully human, or his being human but apolitical, is one which will not wash.«182 Das vere homo besagt gemäß Yoder, dass Jesus politisch war. Dementsprechend betont der mennonitische Theologe die eminent politische Relevanz »of confessing with the Creed that it is Jesus who for us and who for our liberation was made human. This is the New Testament refutation of the definition of Jesus as apolitical.«183 Wenn Yoder das vere homo sozusagen als Ermöglichungsgrund der Nachfolge interpretiert, dann haftet dieser Interpretation allerdings ein theo-logisches Problem an: Wenn man betont, dass wir Menschen Jesus nachfolgen können, weil er das geworden ist, was wir sind, dann avanciert unser Menschsein gleichsam zum Definiens seines Menschsein und sein Menschsein zum Definiendum unseres Menschseins.184 Die Christologie degeneriert damit aber gleichsam zum Interpretandum der Anthropologie.185 Die Anthropologie wird eo ipso aus dem Anspruch entlassen, konsequent christologisch interpretiert zu werden.186 Die Christologie wird über die Anthropologie in die Theologie eingeholt, statt – dem Pilatuswort: Ecce homo! (Joh 19,5) folgend – umgekehrt.187 Die simultane, mit dem vere homo einhergehende Akzentuierung des verus homo soll bei Yoder diesen Eindruck verhindern, als wäre unser Menschsein im Blick auf seinen theologischen Status dem Menschsein Jesu über- statt untergeordnet. Diesbezüglich zeigt sich das über weite Strecken in Yoders Oeuvre wiederkehrende Problem, dass er das verus homo wie das vere homo oft iso-

182 J.H. Yoder, For the Nations, 138. 183 Ebd. 184 K. Barth (KD IV/2, 26) kann wohlgemerkt einschärfen: »Jede gesunde christologische Überlegung wird wie von einer Jesu Christi Gleichheit mit Gott aussagenden Erklärung des vere Deus, so auch von einer seine Gleichheit mit uns aussagenden Erklärung des vere homo ausgehen müssen, wird sich ihrer auch immer wieder zu erinnern, sie wird dem auch in allen ihren Folgesätzen aufs strengste Rechnung zu tragen haben.« Diese Gleichheit mit uns kommt aber – wie ausgeführt wurde – enhypostatisch zustande. 185 K. Barth (KD III/2, 47) hält dagegen: »Indem der Mensch Jesus das offenbarende Wort Gottes ist, ist er die Quelle unserer Erkenntnis des von Gott geschaffenen menschlichen Wesens«. 186 Vgl. W. Schoberth, Einführung in die Anthropologie, 114: »In ihrer Ausrichtung auf Jesus Christus, in dem der neue Mensch Gottes erschienen ist, findet die theologische Anthropologie Grundlinien einer realistischen Rede vom Menschen.«.Vgl. auch a. a. O., 129. 187 Vgl. H. Hollenstein, Die Anthropologie, 4.

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Die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie Yoders

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liert,188 beide – genauer gesagt – getrennt vom vere deus expliziert. Die Verbindung von Gottheit und Menschheit im inkarnierten Logos, sprich: die Personeinheit, markiert demzufolge das eigentliche Problem in Yoders christologischen Ausführungen. Diese Problemanzeige besagt nun keineswegs, dass Yoder die Gottheit bzw. das volle Gottsein (vere deus) Jesu leugnet, was – wie eingangs demonstriert wurde – mitnichten der Fall ist. Gegenüber diesem Missverständnis gilt es Yoder in Schutz zu nehmen. Gleichwohl reflektiert er die Zwei-Naturen-Lehre nicht in ausreichendem Maße, vor allem nicht hinsichtlich der Verbindung der beiden Naturen, so dass sich immer wieder Aussagen finden, die einen nestorianischen Klang besitzen. So stellt Yoder etwa fest: »The Christ by whose standard the spirits are tested, as 1 John 4 makes especially clear, is the earthly Jesus. Our criteria must be not merely ›christological‹ in some vague, cosmic sense, but ›jesulogical.‹«189 Yoder ergänzt: »[T]he humanity is what counts.«190 Oftmals gewinnt man bei Yoder den Eindruck, als spiele Yoder beide Naturen Christi gegeneinander aus, etwa wenn er betont: Jesus Christus sei »[a] person from whose full humanity must be derived and by whose own personal obedience must be tested every effort to state Christian ethical guidance in terms of ›norms‹ and ›principles.‹ Only as descriptions of who he was do our phrases have any substance or any authority.«191 Wo dies aber geschieht, dass die Menschheit Jesu auf Kosten der Gottheit Jesu betont wird, da kann sich der Eindruck manifestieren, als würde über die je eigenständigen Hypostasen des einen Gottes als Vater, Sohn (Logos) und Heiliger Geist hinaus eine vierte Hypostase angenommen, nämlich die Hypostase der menschlichen Natur des Sohnes. Mit dieser Problemanzeige in Bezug auf Yoder soll nun keineswegs dem Monophysitismus das Wort geredet werden. Vielmehr wird man festhalten können, dass die Lehre von der Enhypostasie jene notwendige Klärung herbeiführte, wonach die (in Chalcedon) formulierte Annahme zweier eigenständiger Naturen eben nicht – wie die Monophysiten meinten – zwingend zur Annahme zweier Personen bzw. Hypostasen führen muss. Dem monophysitischen Einwand, dass das Beharren auf zwei eigenständigen Naturen im fleischgewordenen Logos die Personeinheit gefährdet, kann – wie Barths Rekurs auf besagte Lehre zeigt – nur unter Aufnahme der Lehre von An- und Enhypostasie wirksam begegnet werden, wonach die menschliche 188 Vgl. W. Kreck, Grundentscheidungen in Karl Barths Dogmatik, 236: »Gerade er [Barth] hat, indem er die alte christologische Erkenntnis von der An- und Enhypostasie auf den Leuchter stellte, vor jeder Isolierung und Vergötzung der menschlichen Natur Christi […] gewarnt.« 189 J.H. Yoder, For the Nations, 241. 190 Ebd. 191 A.a.O., 109.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

Natur keine eigene Hypostase hat, also nicht unabhängig vom Logos gedacht werden kann (Anhypostasie), sondern sich nur im göttlichen Logos zu verwirklichen vermag (Enhypostasie). Wohlgemerkt widerspricht Yoder der Lehre von An- und Enhypostasie nicht. Auch wendet er sich an keiner Stelle expressis verbis gegen sie. Seine Aussagen lassen sich auch im Sinne dieser von Barth als zentral eingestuften Lehre interpretieren, doch leider versäumt es Yoder, sie in seine eigenen Ausführungen in homogener Weise zu integrieren. Auch in seinem posthum erschienenen Werk »Preface to Theology« (2002), das manches Missverständnis Yoders aufklärt und Fehleinschätzungen korrigiert, gelingt ihm dies allenfalls partiell. So kann Yoder die altkirchlichen Lehrentscheidungen zu Jesu Person und Werk in seinen dogmen- und theologiegeschichtlichen Ausführungen referieren192 und er nennt die beiden Termini An- und Enhypostasie in diesem Zusammenhang auch explizit,193 jedoch scheint er die Tragweite dieser christologischen Grundentscheidung weder wirklich erkannt, noch in sein eigenes Denken »eingeholt« zu haben. Yoder kann zwar in seiner Auslegung der trinitätstheologischen Konzilsentscheide von Nizäa (325) feststellen: »He [Christ] is not just a mixture, but this divine hypostasis genuinely became a man«194, damit aber ist der differenzierte Zusammenhang von Gottheit und Menschheit in Christus noch nicht erklärt und auch nicht vor Missverständnissen geschützt, insofern sich diese Aussage sowohl monophysitisch als auch nestorianisch vereinnahmen lässt. Yoder belässt es auch eher bei einem – durchaus trefflichen – Referat der christologischen Ergebnisse des Konzils von Chalcedon (451), als dass er sie konstruktiv in seinem eigenen christologischen Denken entfaltet: »A doctrine that says we ›perceive the divine begetting of the Son, eternally according to the deity, and according to the humanity perceive the two natures as neither mixed nor separated,‹ tell us something we should not say. We should not say they are mixed. We should not say the human nature is lost in the divine, or vice versa. We should not tear the two apart and have two Jesuses walking side by side, then one of them leaving and the other one staying, or the one dying and the other ascending.«195

Yoder trifft damit in bekenntnishermeneutischer Hinsicht sicherlich die Intention des Chalcedonense, man hat allerdings nicht immer – wie die obigen Zitate zeigen – den Eindruck, dass er sie in der christologischen Fundamentierung seiner nachfolgeethischen Konzeption stringent durchhält bzw. konsequent anwendet. Yoders Akzentuierung des vere homo bzw. verus homo wirkt oft 192 193 194 195

Vgl. ders., Preface to Theology, 210 – 223 (Kap. 9: »Chalcedon and the Humanity of Jesus«). Vgl. a. a. O., 210. A.a.O., 202. A.a.O., 223.

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Die Zwei-Naturen-Lehre in der Christologie Yoders

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isoliert und inhomogen, weil er es zumeist unterlässt klarzustellen, dass Jesus Christus nur vere homo bzw. verus homo ist, weil und insofern er zugleich Gottes Sohn und als solcher vere deus ist. Mit Barth gesprochen, ist Jesus Christus als Herr der Knecht (KD IV/1), nicht nur als Knecht der Herr (KD IV/2): »[D]er Sohn Gottes [ist] auch der Menschensohn: der Menschensohn Jesus von Nazareth.«196 Seine Menschensohnschaft lässt sich – mit anderen Worten – nicht von seiner Gottessohnschaft abstrahieren oder gar trennen. Nicht als purus homo ist Jesus von Nazareth der Menschensohn, der verus homo, der wahre, der neue, der zweite Adam, »in welchem aller Menschen Heiligung geschehen und wirklich ist«197, sondern als Sohn Gottes. Jesus ist verus homo qua deus! Barth zufolge geht das Neue Testament von diesem Faktum in seiner Darstellung der Existenz und Geschichte Jesu aus und zwar im Gegensatz zu dem exegetischen Bemühen, die Biographie des »historischen Jesus«198 zu rekonstruieren.199 Die Pointe der von Barth stark gemachten Lehre von der Anhypostasie besteht gerade darin, der impliziten Behauptung, dass die menschliche Natur Christi eine eigene Persönlichkeit habe, entschieden zu widersprechen. Vorbildfunktion besitzt die menschliche Natur, weil sie enhypostasisch im göttlichen Logos verwirklicht ist. Eine »Jesulogie von unten« hingegen, die dem Menschen Jesus als purus homo etwa aufgrund eines vorbildlichen Verhaltens der Gewaltlosigkeit Würde-Titel zuschreiben kann, wäre Barth zufolge Kreaturvergötterung, geradezu eine Art »Führerkult«. Dergleichen möchte Yoder – wie man gewiss kaum genug hervorheben kann – nicht betreiben. Ihm zufolge ist Christus eben vere homo et vere deus. Oftmals lässt Yoder aber leider unexpliziert, dass und inwiefern er beides zugleich ist, der Herr als Knecht und der Knecht als Herr. Der im Rückgriff auf die Lehre von An- und Enhypostasie von Barth explizierte christologische Zusammenhang der Zwei-Naturen-Lehre betrifft nun auch in elementarer Weise die Ethik: Die Frage nach der ethischen Valenz des irdischen Lebens Jesu kann nicht unter Abstraktion von der hypostatischen Union gestellt werden, sondern nur unter Voraussetzung derselben. Nur unter dieser Voraussetzung bleibt nämlich das Zufällige der Geschichtlichkeit Jesu ausgeschlossen. Barth identifiziert diese Voraussetzung demzufolge als prima 196 Ebd. 197 Ebd. 198 Vgl. J. Blank, Karl Barth und die Frage nach dem irdischen Jesus, 176 – 191; D.L. Migliore, The Problem of the Historical Jesus in Karl Barth’s Theology. 199 Wie B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 148) zu Recht betont, war es Barth aufgrund der in allen neutestamentlichen Schriften bezeugten Gottessohnschaft Jesu Christi »unmöglich, sich an der Rückfrage nach dem ›historischen Jesus‹ zu beteiligen.« Vgl. a. a. O., 156.

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Zur Lehre von der An- und Enhypostasie

veritas, wenn er davon spricht, dass wir es »in der Menschheit Jesu Christi ebenso wie in seiner Gottheit […] mit solcher Wahrheit zu tun [haben], auf die von keiner höheren her auch nur der leiseste Schatten von Zufälligkeit und Nebensächlichkeit fallen kann.«200 Wendet man sich unter dieser Voraussetzung dem irdischen Leben Jesu zu,201 dann verlieren auch die Taten und Worte Jesu den Charakter des Kontingenten, den Geschmack moralischer Belanglosigkeiten, dann wird vielmehr seine politische Praxis, seine umfassende Lehre in Wort und Tat, normativ verbindlich. Somit aber avanciert diejenige Praxis, die seiner Praxis folgt, zur »Orthopraxie«. Genau hier wird die Scharnierstelle zur christologisch fundamentierten Friedensethik J.H. Yoders sichtbar. Für den mennonitischen Theologen bezeichnen Versöhnung und Frieden(sstiften) nichts anderes als die »Orthopraxie« Gottes in Jesus Christus. Exakt hier wird auch die Plausibilität der theologischen Maxime: »Keine Christologie ohne Christopraxis, keine Christopraxis ohne Christologie«202 evident, die Yoders friedensethischen Aussagen in pazifistisch-täuferischer Tradition zugrunde liegt.

6.

Fazit

Wenn K. Barth die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus als »eine Einheit in der Ungleichheit, in der Unterschiedenheit«, als eine »streng dialektische Einheit«203 zur Sprache bringt, wird bei seiner Interpretation der Einheit erneut das chalcedonensische Muster seines Denkens ansichtig. Exakt diese »dialektische Verschiedenheit und Einheit des Göttlichen und Menschlichen in 200 K. Barth, KD IV/2, 37 f. 201 K. Barth (a. a. O., 38) folgert: »Und wenn wir es in der Menschheit Jesu Christi mit solcher Ursprungs- und Grundwahrheit zu tun haben, ist auch darüber entschieden, daß dieser Eine nicht nur einer neben den vielen anderen Menschen, nicht nur ein absonderlicher Fall für sich ist, durch dessen Existenz die der Anderen nicht notwendig bestimmt, sondern nur zufällig, nur möglicherweise und auch dann nicht innerlich, nicht von ihrem Sein als Menschen her, sondern nur äußerlich und beiläufig berührt wäre. Existiert er als Gegenstand der ewigen Gnadenwahl am Anfang aller Wege und Werke Gottes, dann heißt das: Er, dieser wahre Mensch, ist der Eine, dessen Existenz die aller anderen Menschen notwendig angeht, in der auch über sie entschieden, durch die sie als seine Mitmenschen innerlich, von ihrem Sein als Menschen her bestimmt, in welchem und für welchen auch sie erwählt sind. […] Er kann ihnen dann mehr sein als Beispiel Er kann dann (und das ist es doch, was er in der Versöhnung tut) für Gott bei ihnen und für sie bei Gott eintreten. Es kann dann seine Geschichte ihrer aller Heilsgeschichte sein.« 202 Diese Formel selbst stammt nicht originär von J.H. Yoder, sondern ist von J. Moltmann (vgl. Der Weg Jesu Jesu, 139; Wer ist Christus für uns heute?, 44) in enger Anlehnung an Yoder entwickelt und formelhaft zugespitzt worden. Zum Vergleich der politischen Ethik Yoders und Moltmanns s. A. Rasmusson, The Church as Polis, bes. 10 – 28.70 ff. 203 K. Barth, Unterricht in der christlichen Religion I, 170.

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Fazit

Christus, wie man sie zu Chalcedon statuierte«204, muss berücksichtigt werden, wenn Jesus Christus als Gegenstand der Nachfolge und damit zum Dreh- und Angelpunkt einer Nachfolgeethik bestimmt wird, die in kirchlichem Rahmen einüben will in die mimetische Praxis des Friedenstiftens. Eine Ethik der Nachfolge, die sich an einem vom vere deus und der Ensarkie abstrahierten purus homo orientiert und gewisse Praktiken als Essenz seines Menschsein verabsolutiert, ist ebenso ausgeschlossen wie eine Nachfolgeethik, die zwar Christi Gottheit bekennt, ihn aber nicht als Gegenstand der Nachfolge gewinnen kann, weil er als Gott der metaphysischen Transzendenz in fleischloser Gestalt über der Erde schwebt. Die Geschlossenheit des Verhältnisses von vere homo und vere deus – wie sie die Lehre von An- und Enhypostasie pointiert – wäre in beiden Fällen missachtet. Die Lehre von An- und Enhypostasie besitzt für die skizzierte Nachfolgeethik darin die Funktion eines präventiven Instrumentariums, dass sie gegenüber ebionitischen und doketischen Fehlinterpretationen absichert. Beiden gegenüber warnt Barth zu Recht: »Das Verhältnis müßte insofern ein geschlossenes bleiben, als das Gottsein nie als das Eigentliche, als der Inhalt vom Menschsein gesondert, darüber erhoben (werden) und das Menschsein nie etwa ein vom Gottsein gesondertes, unter eigenem Gesetz stehendes Eigenleben bezeichnen dürfte. Die Ungleichung, die Verschiedenheit dürfte also von keiner Seite aus zu einer Zerreißung der Einheit führen. Sonst wäre wieder geleugnet, entweder daß Gott uns begegnet oder daß Gott uns begegnet.«205 Die Wahrheit der Wirklichkeit Jesu Christi lässt sich nach Barth in der sachgemäßesten, weil dem Gegenstand selbst angemessensten Weise »chalcedonenisch« explizieren; und zwar so, dass die beiden »idealtypischen« Linien des Neuen Testaments, die synoptische und die johanneische, ebenso wie die beiden großen reformatorischen »Schulen«, die lutherische und die reformierte206, nicht im Sinne einer totalvermittelnden Einheitstheologie »in schönem Gleichgewicht« synthetisiert, sondern als »gegenseitige[r] Ruf und als gegenseitige Frage« zur Sprache gebracht werden, in dem sich das »eine Geheimnis selbst spiegelt«207: ho logos sarx egeneto.

204 A.a.O., 189. Dort z. T. kursiv. 205 A.a.O., 170. 206 K. Barth bezieht sich auch den Streit um die unio personalis seu hypostatica (insbesondere das sog. Extra-Calvinisticum und das zweite Genus der communicatio idiomatum, das genus majestaticum). Vgl. zum lutherisch-reformierten Dissens im 17. Jahrhundert: ders., KD I/2, 178 – 186; ders., KD IV/2, 54 – 64.71 – 74.79.82 – 93.97 – 99.115 – 117, und B.L. McCormack, Karl Barth’s Critically Realistic Dialectical Theology, 363 – 366. 207 K. Barth, KD I/2, 187.

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II. Konzeptionelle Konkretionen zur christologischen Grundlegung der Friedensethik Karl Barths

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1.

Entdecken und begründen. Die analogia fidei und die friedensethische Urteilsbildung

1.

Analogiebildungen unter Willkürverdacht. K. Barths politische Ethik im Zwielicht

Wie im ersten Teil (I.) dieser Untersuchung gezeigt wurde, setzt K. Barth göttliches und menschliches Friedenshandeln zueinander in Beziehung. Er bestimmt ihr Verhältnis als ein analoges: Das Friedenshandeln des neuen Menschen in Christus entspricht dem Friedenshandeln Gottes. Insofern mit dem »neuen Menschen« Jesus Christus gemeint ist, dürfte diese Aussage evident sein, da Gottes Friedenshandeln im Sinne trinitarischer Gottesrede nicht abstrahiert vom Friedenshandeln Christi zum Ausdruck gebracht werden kann. Besagtes Entsprechungsverhältnis ist demnach relational-trinitarischer Natur. Diese Verhältnisbestimmung wurzelt offenkundig in dem, was Barth die analogia relationis nennt, zugleich auf die sog. analogia operationis bezieht und doch von ihr unterscheidet. Die Rede von Jesus Christus als unserem Frieden betrifft beide Gestalten von Analogie, sowohl die analogia relationis, verstanden als die Möglichkeit, geschöpfliche Mitmenschlichkeit als Ebenbildlichkeit Gottes zu erfassen, als auch die analogia operationis, welche sich auf das Entsprechungsverhältnis zwischen göttlichem und menschlichem Handeln bezieht.1 Die analogia fidei umfasst bei Barth als analogia relationis die Erkenntnistheorie und als analogia operationis die gesellschaftliche Praxis. Eine Reduktion des Analogiebegriffs auf Epistemologie oder Ethik wäre sachlich unzutreffend.2 Beides betont Barth; einerseits: 1 Vgl. J. Track, Art. Analogie, 614. 2 Von daher erweisen sich sowohl diejenigen Spielarten der Barth-Interpretation als kurzschlüssig, die gleichsam auf rein epistemologischer Ebene nach der rein formalen Gestalt der Analogie fragen, als auch diejenigen, die ausschließlich nach der materialen Gestalt des »Gleichnisses«, sprich: der politischen Option, fragen. H. Gollwitzer (Reich Gottes und Sozialismus bei Karl Barth, 363) beklagt m. E. zu Recht die Separation von Erkenntnistheorie und gesellschaftlicher Praxis bzw. dogmatischen und ethischen Aussagen, reserviert aber zugleich den Begriff der analogia fidei in problematischer Weise für die theoretische Ebene

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Entdecken und begründen

Jesus Christus ist als »unser Friede« (Eph 2,14) das wahre Gleichnis Gottes (analogia relationis); und andererseits: das Handeln des Menschen soll dem Handeln seines Friedens, nämlich Jesus Christus, entsprechen (analogia operationis). Beide Aussagen gründen allein in der Ur-Analogie als dem ontologischen und logischen Ermöglichungsgrund sowohl der erkenntnistheoretischen als auch der ethisch-praktischen Analogie: »Gottes Zuwendung zur Menschheit in Jesus Christus [wird] als die Ur-Analogie verstanden, d. h. als die wahre Entsprechung des Menschseins Jesu (im Verhältnis zu allen Menschen) zum Gottsein Gottes (im Verhältnis zu dem einen Menschen Jesus), durch die alle als Analogien zu Gottes Sein und Wirken möglichen innerweltlichen und primär menschlichen Seinsverhältnisse ontologisch begründet und logisch bestimmbar werden.«3

Weil Jesus Christus der Seins- und Erkenntnisgrund aller Analogie ist, deshalb kann und soll sich nach Barth auch die ethische und also auch die politischethische bzw. friedensethische Urteilsbildung per analogiam fidei vollziehen und zwar in Gestalt der analogia operationis: dem Versöhnungshandeln Gottes und lotet zu undifferenziert die ethische Valenz der analogia fidei, den Modus der Bezogenheit von dogmatischen und ethischen Begriffen aus: »[D]ie Begriffe ›Gleichnis‹ und ›Entsprechung‹ haben zentrale Bedeutung für Barths Theologie. Es ist bezeichnend für die idealistische Denkart der akademischen Theologie, daß nicht diese Begriffe, sondern das erkenntnistheoretische Korrelat, der Begriff der Analogie, bisher im Mittelpunkt der BarthDiskussion und -Interpretation standen. In Wirklichkeit geht das ganze Gefälle Barthschen Denkens auf die christliche Praxis, auf Glauben als praxisbestimmendes Element, nicht auf Glauben als Ermöglichung dogmatischer Aussagen – das ist nur Durchgang zur Praxis. Analogia fidei ist Entsprechung auf der theoretischen, ›Gleichnis‹ auf der Ebene der gesellschaftlichen Praxis, und jene Entsprechung ist um dieser willen nötig, zu ihrer Begründung und Sicherung, zu dem praktische rechten Geschehen des christlichen Lebens.« Wenn Gollwitzer von dem gesellschaftliche Praxis begründenden Status der analogia fidei spricht, wird m. E. die Gefahr einer allzu eilfertigen Transformation dogmatischer Aussagen in ethische Appelle bzw. einer Degenerierung des intensionalen Gehalts eines dogmatisch reflektierten Begriffs zum appellativ-suggestiven Totalbegriff heraufbeschworen. Es droht unkenntlich zu werden, ob eine politische Anschauung von der Konstitution der Wirklichkeit theologisch transformiert werden oder die Theologie politische Aussagen generieren soll. Barth war – wie gesagt – an der Unumkehrbarkeit der Theologie-Politik-Relation gelegen, die insbesondere beim »späten«, sich nach wie vor auf Barth berufenden Gollwitzer bisweilen unkenntlich zu werden droht. Vgl. dazu G. Sauters (Was heißt »christologische Begründung«?, 112) Postulat: »Zurück von den Analogien zur analogia fidei!«, welches wohlgemerkt darauf beruht, dass analogia fidei Sauter zufolge einen primär ethischen Begriff meint: »Der primär ethische Begriff der analogia fidei bezeichnet also das Glaubensurteil, das die Erkenntnis des Willens Gottes gleichursprünglich mit der Erkenntnis des verwirklichten und zugleich verheißenen Heils gewinnt. Und die Gewinnung ethischer Aussagen gehört in die Ekklesiologie, weil die Kirche der Ort des kommunikativen Urteils theologischer Ethik ist: der Ort des Consensus über die Verheißungen Gottes.« 3 H.-G. Geyer, Art. Analogia fidei, 214. Vgl. E. Jüngel, Die Möglichkeit theologischer Anthropologie, 212: »Das Sein des Menschen Jesus ist der Seins- und Erkenntnisgrund aller Analogie.« Dort kursiv.

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Analogiebildungen unter Willkürverdacht

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soll und kann das Versöhnungshandeln des Menschen entsprechen. Diese Entsprechung meint für Barth – wie wir sahen – ein in das Handeln Gottes einstimmendes Mitsprechen des göttlichen Jas der Versöhnung: »Das ist sicher, daß Gott auch das Ja und das Nein, das er in seiner Versöhnung spricht, nicht allein sprechen, daß er auch hier nicht ohne den Menschen sein, sondern ihn an seiner Sache beteiligen will: nicht als einen zweiten Gott, sondern als Menschen, aber in seiner Nachfolge, als seinen Mitarbeiter! Er will, daß er – und das ist die Bedeutung des Bundes für den Menschen – sein göttliches Ja und Nein mitspreche. Eben dazu ruft er ihn auf, indem er sich ihm verbündet. Und eben dazu schenkt er ihm Freiheit.«4

Im Sinne der analogia operationis, um die es in den folgenden Ausführungen gehen soll, ist die Analogie im Sinne einer urteilsbezogenen Praxis Bestandteil der »subjektiven Seinsweise der christlichen Gemeinde in eschatologischer (bzw. endgeschichtlicher) und historischer (bzw. innergeschichtlicher) Hinsicht.«5 »Entsprechung« will dementsprechend – wie H.-R. Reuter klarstellt – »als historisch-praktischer Begriff verstanden sein […]: Es geht um die handlungsrelevante Entdeckung der Gleichnisfähigkeit und -bedürftigkeit der menschlichen Rechtsordnung für die göttliche Gerechtigkeit. Letztlich plädiert Barth für eine von der Christenheit ins Spiel zu bringende geschichtliche Rechtsvernunft, die sich in der regulativen Perspektive des Evangeliums der Vorläufigkeit ihrer Prinzipien und der Offenheit der Freiheitsgeschichte bewusst bleibt, ohne die materiale Affinität zum rationalen Naturrecht der Neuzeit (Rousseau!) zu leugnen.«6 Nach geradezu standardisierter Auffassung ist allerdings die Analogie das umstrittenste Kapitel Barthscher Ethik. Sie wird vielfach mit einer deduktiven Argumentationsform identifiziert. Die im Sinne einer statisch-deduktiven Urteilsethik verstandene politische Ethik Barths fällt oftmals unter das Verdikt des schlechthin Arbiträren. Ihre »christologisch« mittels des methodischen Instrumentariums der analogia fidei abgeleiteten Urteile würden gänzlich der Evidenz ermangeln.7 Beinahe pars pro toto kann H. Kress feststellen: »Barth [geht] von einem problematischen deduktiven Modell konzentrischer Kreise aus, das ethische Einsichten für den Staat, als dem äußeren Kreis, mit Hilfe der Glaubensanalogie aus Vorgaben herleitet, die erst der Kirche als dem inneren, um Christus gezogenen Kreis einsichtig sind. […] Sowohl lassen sich die Ein4 5 6 7

K. Barth, Das Geschenk der Freiheit, 348. A.a.O., 180. H.-R. Reuter, Art. Recht/Rechtstheologie/Rechtsphilosophie V., 240. Vgl. J.H. Yoder, The Basis of Barth’s Social Ethics, 142: »The analogies which he [Barth] provides as samples are so strangely inconsistent and lacking in parallelism, that this strange part of the pamphlet [Christengemeinde und Bürgergemeinde; M.H.] got the most attention and the least credence.« So auch ders., Behold My Servant Shall Prosper, 150; ders., Karl Barth, Post-Christendom Theologian, 183 f.

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deutigkeit und Plausibilität dogmatisch deduzierter Aussagen zu ethischen Fragen bestreiten, wie auch ein auf diese Weise gewonnenes ethisches Urteil klerikalistisch und autoritativ zu werden droht und in einen argumentativen Dialog schwer einzubringen ist; es besteht dann die Gefahr, daß sich die theologische Ethik in ihrer dogmatischen Fassung auf keine Diskussion mehr einläßt.«8 Diese Einschätzung legt die Forderung nahe, das impulsgeberische Redogmatisierungsbemühen Barths in Bezug auf pragmatisch-ethische Urteile der politischen Vernunft gleichsam zu enttarnen, welche von dem Schweizer Theologen nach Kress offenbarungstheologisch überformt wurden, um die eigenen Urteile gegenüber anderslautenden pragmatisch-ethischen Einsichten zu immunisieren. Barths Denken theologiegeschichtlich einordnend, bemerkte bereits P. Tillich, dass Barth, »da er jede konkrete Wahrheit direkt von der höchsten Wahrheit abzuleiten versucht, wenn er z. B. die Pflicht, Hitler mit Krieg zu überziehen, direkt von der Auferstehung ableitet, […] auf ein Denken zurück[fällt], das man neuorthodox nennen kann und das alle Tendenzen zu einer Repristinationstheologie in Europa stärken mußte.«9 Auch K.-W. Dahm benennt in Bezug auf die Lehre von der Königsherrschaft Jesu Christi die Schwierigkeit, »die Frage zu beantworten, welche positiven Kriterien und konkreten Gestaltungsimpulse sich denn aus der Herrschaft-Christi-Theologie gewinnen lassen.«10 Dahm weiter : »Die von Barth selbst in ›Christengemeinde und Bürgergemeinde‹ (1946) vorgeschlagene Methode, ›per analogiam fidei‹ aus neutestamentlichen Bestimmungsmerkmalen der Christengemeinde im Sinne von Gleichnissen sozialethische Kriterien für die wesenhaft gleichnisbedürftige Bürgergemeinde, also die menschliche Gesellschaft abzuleiten, hat sich schon wegen der eklektischen Willkür bei der Auswahl gleichnisfähiger Bibelworte nicht bewährt und wird heute kaum noch vertreten.«11 8 So H. Kress, Evangelische Sozialethik vor dem Problem der neuzeitlichen Säkularisierung, 137 f., im Anschluss an T. Rendtorff, Ethik I, 22. 9 P. Tillich, Systematische Theologie I, 12. E. Busch (Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrats, 183) hält diesem Vorwurf Tillichs entgegen: »Die Kritik verkennt, daß Barth in dieser Sache keineswegs unter Absehung von der konkreten Situation ihr einfach eine aus einem Dogma deduzierte ethische Entscheidung übergestülpt hat. Das lag ihm schon darum fern, weil er damals z. B. im ›Nationalen Widerstand‹ mit ›säkularen‹ Persönlichkeiten kooperierte, denen er seine theologische Begrüdnung nicht aufnötigen mußte, um mit ihnen höchst praktisch zu kooperieren. Der Unterscheid zu Tillich liegt nicht darin, daß die theologische Erkenntnis in eine bestimmte Situation zu vermitteln ist, sondern darin, daß nach Barth die Theologie bei Analyse dieser Situation ihre christliche Erkenntnis nicht suspendieren kann.« 10 K.-W. Dahm, Zwischen Götzenkritik und Gestaltungsauftrag, 149. 11 Ebd. Vgl. auch a. a. O., 162 f. Zugleich hält K.-W. Dahm würdigend fest, dass der christologische Ansatz Barths zweifellos geholfen hat, »überkommene protestantisch-ethische Engführungen, insbesondere die Behauptung einer ethischen Eigengesetzlichkeit von Politik,

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Im Lichte dieser kritischen Voten gewinnt man geradezu den Eindruck, als ließe sich Barths christologische Grundlegung der politischen Ethik auf den Gebrauch eines methodisch insuffizienten statisch-deduktiven Urteilsschemas reduzieren. Es wird zu prüfen sein, ob sich das insinuierte deduktive Urteilsschema hinsichtlich seiner christologischen Begründung einer Friedensethik tatsächlich bei Barth findet. Es stellt sich mithin die Frage, in welcher Weise er die der Insuffizienz bezichtigte Analogisierung anwendet. Barths Urteilsbildung scheint derart unterkomplex, simplifizierend12 und willkürlich zu sein, dass bisweilen – wie etwa von M. Honecker – in Zweifel gezogen wird, ob sich Barth überhaupt eines methodisch abgesicherten oder ausgewiesenen Urteilsschemas bediene: »[D]ie Rückführung der ethischen Thematik auf die ›Frage nach dem menschlichen Gehorsam‹ [KD II/2, 594] gegenüber Gottes Wort und Gebot erübrigt methodische Überlegungen, wie denn überhaupt die Frage nach dem Guten angemessen zu stellen und zu klären sei. An die Stelle methodischer Besinnung tritt ein prophetisches Zeugnis, das freilich nicht mehr methodisch kontrolliert und geprüft werden kann.«13 Ebenso urteilt W.-D. Marsch: »Rationale Situationsanalyse, politisches Kalkül oder auch nur eine genauere Klärung des eigenen ideologischen Bewusstseins ist nach Barth nicht mehr Aufgabe einer christlichen Ethik. So bleibt es bei diesem ›prophetischen‹ Andeuten, Zusprechen, Ermuntern und Ermahnen.«14 Ein solches Votum lässt Barth im Grunde als einen okkasionalistischen Situationsethiker oder gar als eine Art emotiver Non-Kognitivist erscheinen,15 der

12

13 14

15

Wirtschaft oder Technik, zu überwinden und wirkungskräftige theologische Impulse für die christliche Gemeinde und für den einzelnen Christen gesetzt, gesellschaftliche Verantwortung in einem demokratischen Gemeinwesen wahrzunehmen, sich also, wie man alltagssprachlich sagte, kräftig in das gesellschaftliche Leben einzumischen« (a. a. O., 150 f.). Vgl. auch M. Honecker, Grundriß der Sozialethik, 29 f.; W.-D. Marsch, Gerechtigkeit im Tal des Todes, 176.178 f. So etwa M. Honecker, Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 108: »Gerade eine Reflexion auf die Komplexität ethischer Realität nötigt daher zur Abkehr von einem axiomatisch-deduktiven Ansatz, auch in der theologischen Ethik, und zwar aus methodischen Gründen. Karl Barths These der Einheit von Evangelium und Gesetz erweist sich, konfrontiert man sie mit einer heutigen ›humanistischen‹ Ethik, methodisch und sachlich als unzulänglich.« So auch ders., Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi, 89. Ders., Das Problem des theologischen Konstruktivismus, 105 f. W.-D. Marsch, Gerechtigkeit im Tal des Todes, 184. So auch M. Honecker, Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi, 90: »Methodisch verursacht die deduktive Herleitung sozialethischer Normen aus dem Bekenntnis der Königsherrschaft Christi den Verzicht auf eine induktive Erfassung der politischen und gesellschaftlichen Realitäten, die gegenwärtig ethisch zu verantworten sind. Vernunft und Empirie erhalten bei der Begründung solcher christologischer Sozialethik keine eigenständige Bedeutung. Die werden durch Prophetie überspielt.« Zum Emotivismus vgl. A. MacIntyre, Geschichte der Ethik im Überblick, 236 ff.; ders., Der Verlust der Tugend, 19 – 56. Im Blick auf Barth vgl. J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 48.

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die Notwendigkeit von Prinzipien und Normen für die ethische Urteilsbildung entweder bewusst verkennt oder fahrlässig übersieht. Beides sei gleichermaßen fatal: »Ohne Prinzipien, Normen ist eine Deutung und Bewertung von Situationen nicht möglich. Wer sich grundsätzlich nicht an Maßstäben orientieren will, kann in Entscheidungs- und Konfliktsituationen nur blind, irrational und dezisionistisch entscheiden.«16 Auf dem Hintergrund eines Dezisionismus- und Irrationalismusvorwurfs17 geraten nicht zuletzt auch K. Barths politische Äußerungen, ja seine gesamte politische Zeitgenossenschaft ins Zwielicht. Der homo politicus18 Karl Barth, der wohl wie »kein zweiter deutschsprachiger Theologe – vielleicht mit Ausnahme Dietrich Bonhoeffers – für die Freiheit und gegen den Totalitarismus, für den zu ›stiftenden‹ Weltfrieden und gegen den Wahnsinn von Nationalismus, Aufrüstung und – später – atomare Abschreckung, für den Rechts- und Sozialstaat und gegen ein politisch zahn- und folgenloses Christentums gekämpft«19 hat, wird gleichsam zum homo absconditus. Die Fragestellung, die diesem Abschnitt der Untersuchung zugrunde liegt, spitzt 16 M. Honecker, Einführung in die Theologische Ethik, 13. 17 Der Dezisionismus-Vorwurf ist meines Wissens zuerst von W.-D. Marsch (Gerechtigkeit im Tal des Todes, 175) gegen Barth erhoben worden: »Religiös motivierter Dezisionismus! Bewußt ›exoterischer‹ Pragmatismus!« Zustimmung erhielt Marsch u. a. von M. Honecker, Weltliches Handeln unter der Herrschaft Christi, 89. Zu Marschs Barth-Interpretation vgl. H. Ruddies, Unpolitische Politik?, 173 – 197. 18 Zur kontroversen Diskussion um das rechte Verstehen des homo politicus K. Barth vgl. zum einen den sog. »Marquardt-Streit«, der das Verhältnis von Theologie und Sozialismus bei Barth betrifft (dazu: U. Dannemann, Theologie und Politik im Denken Karl Barths; H. Gollwitzer, Reich Gottes und Sozialismus bei Karl Barth; T.J. Gorringe, Karl Barth: Against Hegemony ; G. Hunsinger (Hg.), Karl Barth and Radical Politics; F.-W. Marquardt, Theologie und Sozialismus; W. Schmithals (Hg.), Gutachten und Stellungnahmen zu der Habilitationsschrift von Dr. Friedrich-Wilhelm Marquardt »Theologie und Sozialismus, das Beispiel Karl Barths«; eine Bibliographie zum Streit hat A. Pangritz, Art. F.W. Marquardt, 908 ff., erstellt), und zum anderen den Streit, der sich an Barths Haltung zur Weimarer Republik entzündet hat (dazu: F.-W. Graf, Der Götze wackelt?, 422 – 441; ders., Der Weimarer Barth, 555 – 566; H. Ruddies, Unpolitische Politik?, 173 – 197; H.E. Tödt, Karl Barth, der Liberalismus und der Nationalsozialismus, 536 – 551; G. van Norden, Die Weltverantwortung der Christen neu begreifen, 5 – 90; P. Winzeler, Widerstehende Theologie). Weit weniger »hitzig«, aufgeregt und polemisch verlief die Diskussion um den Theologie-Politik-Zusammenhang zwischen 1933 und 1938, genauer : um die Zuordnung von Barths Schrift »Theologische Existenz heute« (1933) und dem Wipkinger Vortrag »Die Kirche und die politische Frage von heute« (1938), d. h. vor allem um die sachgemäße Interpretation des Barthschen Spitzensatzes »Theologie treiben als wäre nichts geschehen« (vgl. Theologische Existenz heute!, 3) im Kontext des Nationalsozialismus. Vgl. E. Busch, Als wäre nichts geschehen, 134 – 140; B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 204 – 215; A. Pangritz, Politischer Gottesdienst, 215 – 247; G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 178 – 183; A. Rasmusson, Deprive them of their Pathos, 369 – 391; D. Schellong, Alles hat seine Zeit, 61 – 80; H. Stoevesandt, Was heißt »theologische Existenz«?, 147 – 177; M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 168 – 178; ders., Karl Barths Kampf gegen die religiöse Versuchung des Nationalsozialismus, 125 – 145. 19 W. Lienemann, Karl Barth (1886 – 1968), 34 f.

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Barths »Schema« politisch-ethischer Urteile

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sich mithin zu: Auf welcher Basis hat K. Barth zu den politisch-moralischen Problemen seiner Zeit Stellung genommen? Wie gelangt K. Barth zu seinen politisch-ethischen Urteilen?20

2.

K. Barths »Schema« der Sach- und Verlaufsstruktur politisch-ethischer Urteile aus theologischer Perspektive

Gemäß W. Lienemann urteilt K. Barth auf einer dreifachen Grundlage: »(1) unter der Voraussetzung eines möglichst unvoreingenommenen Hörens auf das biblische Zeugnis in seiner reichen Mannigfaltigkeit ebenso wie in seiner hier und jetzt systematisch zu erhellenden Klarheit, (2) aufgrund einer möglichst unbefangenen Beobachtung und Analyse der tatsächlichen geschichtlichen Gegebenheiten, und (3) im Versuch einer urteilsbildenden Synthese der verschiedenen Gesichtspunkte, in der Regel nach intensiver und auch kontroverser Beratung mit guten Freunden.«21 Dieser Dreiklang ist freilich noch nicht als explizit methodisch reflektierte Form ethischer Urteilsbildung zu identifizieren,22 geschweige denn eine Theorie der Ethik zu nennen. Gleichwohl deuten sich mit diesem Dreiklang bereits Regeln für die Bildung eines Urteils an, das nach D. Ritschl idealtypisch in einem Dreischritt, nämlich »in der Wahrnehmung des Problems [Schritt 1; M.H.], in der Reflexion über die Beurteilungs- und 20 Es wird hier von politisch-ethischen Urteilen gesprochen, um anzuzeigen, dass es Barth um solche Urteile geht, die der ethischen Reflexion auf dem Handlungsfeld des Politischen entspringen. Die Urteile selbst sind Barth zufolge als ethisch zu bezeichnen, weil sie als methodisch geordnete Reflexion nicht auf der Ebene des Ethos (im Sinne von Stetigkeiten, Gewohnheiten), sondern der Ethik als »Theorie« und zwar »Theorie einer Praxis« erfolgen. Vgl. ders., KD II/2, 609: »Nur auf diese durchaus nicht ruhende, sondern geschehende, durchaus nicht allgemeine, sondern höchst besondere Wirklichkeit hin unternimmt es die theologische Ethik auf die ethische Frage Antwort zu geben. Ihre Theorie ist schlechterdings die Theorie dieser Praxis. Weil diese Praxis stattfindet, weil sie sich der Aufmerksamkeit auf diese Praxis nicht entziehen kann, in der Anschauung dieser Praxis bildet die theologische Ethik ihre Begriffe.« Auf der Ebene der Ethik (und nicht des Ethos) wird die Frage nach der »Richtigkeit« von Stetigkeiten bzw. Gewohnheiten thematisiert: Die ethische Frage ist »die Frage nach dem Grunde und der Möglichkeit dessen, daß es in der Menge und Vielfältigkeit der menschlichen Handlungen auch Handlungsweisen, d. h. gewisse Stetigkeiten, gewisse Gesetze, Regeln, Gewohnheiten, Kontinuitäten gibt. Es ist die Frage nach der Richtigkeit dieser Stetigkeiten« (ders., KD II/2, 569). Barths Ethikverständnis ist im Sinne dieser Bestimmung keineswegs als vormodern zu qualifizieren. Vgl. E. Tugendhat, Antike und moderne Ethik, 41: »Daß man etwas als richtig oder gut hinnimmt, weil es durch Sitte so vorgegeben ist, ohne es selbst als richtig oder gut ausweisen zu können, finde ich unakzeptabel; es widerspräche nicht nur einer modernen Idee von Philosophie, sondern dem, was schon seit Sokrates Philosophie heißt: radikale Rechenschaft abgeben.« 21 W. Lienemann, Karl Barth (1886 – 1968), 43. 22 Vgl. P. Bubmann, Naturrecht und christliche Ethik, 273: »Barth läßt eine konsistente Theorie ethischer Urteilsbildung, die seine Konkretionen wirklich abdeckte, vermissen.«

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Handlungsmöglichkeiten [Schritt 2; M.H.] sowie in der Bemühung um die Verifikation der gewählten Möglichkeiten [Schritt 3; M.H.]«23 besteht. Das Hören des biblischen Zeugnisses sowie die Beobachtung und Analyse der tatsächlichen Gegebenheiten wären beide – grob geurteilt – wohl am ehesten den Ritschlschen Schritten 1 und 2 zuzuordnen, der Versuch einer urteilsbildenden Synthese wohl dem Schritt 3. Eine Ausdifferenzierung dieses Schemas wurde in verschiedenen Schemata ethischer bzw. sittlicher Urteilsbildung vorgenommen, als deren Prominentestes wohl das Urteilsschema von H.E. Tödt24 gelten kann. Als Schema der Sach- und Verlaufsstruktur sittlicher Urteile umfasst es die Sequenz von sechs Schritten, die Tödt als Sachmomente bezeichnet, nicht zuletzt um zu verdeutlichen, dass die Urteilsbildung keinen geradlinigen Weg solcher Schritte darstellt, die nur einmalig getan werden, sondern einen »iterative[n] Prozeß«25 : »1. Wahrnehmung, Annahme und Bestimmung des anfallenden Problems als eines sittlichen. 2. Analyse der Situation, in welcher das Problem die Betroffenen herausfordert. 3. Erwägen der Verhaltensoptionen, die als Antwort auf ein Problem geeignet und sittlich geboten erscheinen. 4. Auswahl und Prüfung von Normen, Gütern und Perspektiven, die für die Wahl unter möglichen Verhaltensoptionen angesichts eines Problems relevant sind. 5. Prüfung der sittlich-kommunikativen Verbindlichkeit wählbarer Verhaltensoptionen. 6. Urteilsentscheid als integraler, das heißt kognitiver, voluntativer und identitätsrelevanter Akt und als in Verhalten umzusetzende Antwort auf das Problem.«26 Dieses sechsstuftige Urteilsschema ist in seinen verschiedenen Entwicklungsphasen immer wieder rezipiert, kritisiert und modifiziert worden.27

23 D. Ritschl, Zur Logik der Theologie, 291 f. 24 H.E. Tödt, Versuch zu einer Theorie ethischer Urteilsbildung [1977], 80 – 93; Kriterien ethischer Urteilsfindung [1979], 31 – 80; ders., Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung [1988], 21 – 48. Zur Distinktion zwischen ethischen und sittlichen Urteilen bei Tödt vgl. dessen nomenklatorische Bemerkung a. a. O., 25: »Reflexionen auf der wissenschaftlichen Ebene (Theorieebene) über sittliche Probleme nenne ich also ›ethisch‹. Darum spreche ich von einer ethischen Theorie (Wissenschaftsebene) sittlicher Urteile (Vollzugsebene).« Dort z. T. kursiv. 25 A.a.O., 29. 26 Ders., Die Zeitmodi in ihrer Bedeutung für die sittliche Urteilsbildung, 53. 27 J. Fischer, Leben aus dem Geist, 226 – 245; ders., Theologische Ethik, 239 – 250; ders., Wahrnehmung als Proprium und Aufgabe christlicher Ethik, 91 – 118; Chr. Frey, Humane Erfahrung und selbstkritische Vernunft, 200 – 213; ders., Theologische Ethik, 229 – 239; W. Härle, Ethik, 207 – 227; E. Herms, Gesellschaft gestalten, 44 – 55; O. Höffe, Ethik und Politik, 394 – 403; D. Lange, Ethik in evangelischer Perspektive, 508 – 521; W. Lienemann, Widerstand gegen den Ausbau der Kernenergie, 259 – 289; Chr. Link, Überlegungen zum Problem der Norm in der theologischen Ethik, 188 – 199; F. Mathwig, Technikethik – Ethiktechnik, 221 – 244; H. Ringeling, Ethische Normativität und Urteilsfindung, 402 – 425.

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Barths »Schema« politisch-ethischer Urteile

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Es ist nun äußerst interessant zu beobachten, dass Barth im Jahr 1952 aus Anlass der in Deutschland äußerst heftig geführten Remilitarisierungsdebatte und der sich an ihr entzündenden status-confessionis-Diskussion28 mit seinem Aufsatz »Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens«29 einen Text veröffentlichte, in dem sich durchaus einzelne Sachmomente des Tödtschen Urteilsschema finden. Man wird Barths Text zwar nicht zum unmittelbaren Vorläufer des Tödtschen Urteilsschemas stilisieren können, jedoch ist auch dort ein freilich sehr rudimentäres Schema der Urteilsbildung ausgeprägt.30 Am Horizont der Barthschen Ausführungen zeichnet sich die Tödtsche Intention ab, ein operationales Schema für die Bildung ethisch begründeter Urteile zu entwickeln.31 Dies ist ethikgeschichtlich umso erstaunlicher, wenn man berücksichtigt, dass sich erst »Mitte der 70er Jahre […] das Interesse der ethischen Urteilsbildung im engeren Sinne«32 zuwendete. Vorher befand sich die ethische Urteilsbildung »in einem vortheoretischen Stadium, sie [wurde] vollzogen, der Vollzug aber nicht selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion gemacht. Ein Schritt in Richtung auf eine wissenschaftlich reflektierte ethische Urteilsbildung erfolgt[e] durch die analytische Ethik als Metaethik.«33 Den entscheidenden Anstoß, gleichsam die Initialzündung zu einer theologischen Aufarbeitung der Thematik gab H.E. Tödts erster »Versuch zu einer Theorie ethischer Urteilsfindung« (1977). Ein Vergleich zwischen den beiden »Urteilsschemata« H.E. Tödts und K. Barths, wenn man Barths rudimentäres Schema denn so nennen möchte, ist im Blick auf seine politisch-ethische Urteilspraxis äußerst aufschlussreich. Dabei soll von Tödts Letztfassung (1988) seines Urteilsschemas ausgegangen werden. Natürlich muss man hinsichtlich eines solchen Vergleichs die unterschiedlichen Motive der Entstehung bzw. die divergierenden »Sitze im Leben« 28 Vgl. dazu: W. Huber / H.-R. Reuter, Friedensethik, 166 – 186; W. Lienemann, Frieden, 89 – 101, und vor allem U. Möller, Im Prozeß des Bekennens. 29 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 3 – 19. Vgl. dazu: H. Gollwitzer, Die politische Gemeinde in der christlichen Welt, 3 – 60; G. McKenny, The Analogy of Grace, 230 – 235.274 f.; G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 185 – 189. 30 Ein »Schema« im Sinne der Tödtschen Definition als »methodisch geordnete Grundrißdarstellung des Sich-verhaltens-zu, wie es sich in Akten wie dem sittlichen Urteil vollzieht« (H.E. Tödt, Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung, 29), lässt sich bei Barth eindeutig identifizieren. 31 Zum Einfluss Barths auf Tödt vgl. H.E. Tödt, Theologie lernen und lehren mit Karl Barth. 32 W. Härle, Art. Ethische Urteilsbildung, 1634. Zu den Hemmnissen seitens der evangelischen Ethik vgl. H.E. Tödt, Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung, 46 f. Eine wesentliche Rolle dürfte dabei die Furcht vor einer Kasuistik gespielt haben, wie sie mit der römisch-katholischen Moraltheologie in Verbindung gebracht wurde. So Chr. Frey, Theologische Ethik, 229. 33 W. Härle, Art. Ethische Urteilsbildung, 1634.

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beider Urteilsschemata berücksichtigen und sich verdeutlichen, dass H.E. Tödt sein Schema zur Analyse von biblischen Weisungen und Fall-Berichten aus Beratungsgesprächen sowie zur Orientierung bei der methodischen Erarbeitung von Gutachten oder Publikationen erarbeitet.34 Barth hingegen arbeitet mit einem spezifisch und dezidiert ekklesiologischen Fokus, indem er nämlich ausgehend vom politischen Auftrag der Kirche nach der Begründung einer im Gehorsam gegenüber dem Evangelium gefällten politischen Stellungnahme der Kirche »als organisierte[r] Körperschaft«35 zur Wiederbewaffnung Deutschlands fragt.36 K. Barth geht dabei von der Trägheit der Institution Kirche aus und der frustrierenden Erfahrung, dass sie offensichtlich nur selten dazu in der Lage ist, eine einmütige, eindeutig »Ja« oder »Nein« lautende Einscheidung zu fällen und diese dann pointiert und konsequent in der Öffentlichkeit zu vertreten. Deshalb wendet er sich der Frage zu, wie einzelne Gemeindeglieder, die oftmals die Avantgarde der Kirche bilden, ihrer individuellen christlichen Verantwortung gerecht werden und zu einer begründeten Stellungnahme gelangen können. Handlungssubjekt ist in K. Barths Urteilsschema demzufolge der einzelne Christ im Raum der Kirche. Barth kennzeichnet diese als den Ort, wo die politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens fällt. Diese Entscheidung wird Ereignis auf der »Grenze zwischen der Welt und dem Gottesreich […]: nur eben dort, wo der gesunde Menschenverstand die Sprache des Heiligen Geistes und der Heilige Geist die Sprache des gesunden Menschenverstandes redet«37. Barth möchte nun gleichsam den Beitrag elaborieren, den ein Individuum zur konkreten Wahrnehmung des »politischen Auftrages der Kirche«38 leisten kann. Die auch als Diskursgemeinschaft verstandene Kirche, die als eigene distinkte Öffentlichkeit im Raum der gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit existiert, bildet den Ausgangs- und Zielpunkt seiner Überlegungen. Den Referenzrahmen des Barthschen Urteilsschema repräsentiert demzufolge eine kirchliche Ethik bzw. eine diskursive »ethische Theorie« der Kirche.39 Bezüglich der von ihm in den Blick genommenen kirchlichen Stellungnahme führt Barth aus: »Zu einer solchen Stellungnahme, zu einem politischen Pro oder Contra, kommt es bei einem Christen offenbar in der Weise, daß er [der 34 Vgl. H.E. Tödt, Versuch einer Theorie ethischer Urteilsfindung, 82. 35 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 5. 36 Den Anlass zu einer erweiterten Fassung seines Urteilsschemas bildete für H.E. Tödt (Kriterien evangelisch-ethischer Urteilsfindung [1979], 31) nach einer Erstfassung im Jahr 1977 der »Gemeinsame Brief der katholischen und evangelischen Bischöfe in BadenWürttemberg an die Gemeinden zu Fragen der Kernenergie« vom 15. 2. 1977. 37 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 15. 38 A.a.O., 3. 39 Diesen Referenzrahmen hat R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 25 – 105, nachgezeichnet. Vgl. dazu den Abschnitt II.5.4.3. der vorliegenden Untersuchung.

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einzelne Christ; M.H.] sich – darin mit allen seinen sonstigen Mitbürgern in der gleichen Lage – die in der zur Diskussion stehenden Sache zu bedenkenden Gründe und Gegengründe gewissenhaft, möglichst vollständig und nüchtern vor Augen hält, sie in ihrem Gehalt und Gewicht gegeneinander stellt, für und gegeneinander reden läßt – genau so, wie er das auch bei irgend einer anderen, auch bei einer ›privaten‹ Lebensentscheidung tun wird. Er wird ihren Gehalt und ihr Gewicht zu ›ermessen‹ suchen.«40 Einem Irrationalismus redet Barth hier keineswegs das Wort. Vielmehr macht er sich den »Wahlspruch der Aufklärung«41, das sapere aude aus I. Kants berühmter »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« zu eigen, indem er bezüglich der Bildung politischer Argumente,42 die »auf Verstandeserwägungen«43 beruhen, geradezu emphatisch dazu aufruft, dass man »den Mut haben muß, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen«44. Barth umschreibt hier die sich qua Verstandeserwägung vollziehende Prüfung aller zur Diskussion stehenden Sachargumente. Da die politischen Argumente auf Verstandeserwägungen beruhen und »Beantwortungen von Ermessensfragen«45 sind, von denen keine »in der Bibel oder im Katechismus«46 steht, sind die Gemeindeglieder hinsichtlich einer solchen Prüfung auch mit allen nicht zur Gemeinde Gehörenden verbunden. In diese Verstandeser40 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 6 f. 41 Vgl. I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, A 481. 42 Als solche Argumente führt K. Barth (Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 7) exemplarisch an: »[F]ür die die deutsche Remilitarisierung [spricht :] – die Notwendigkeit, einer militärischen Bedrohung Westeuropas durch den Osten mit einer umfassenden militärischen, auch vom westdeutschen Volk zu ergreifenden Gegenmaßnahme zu begegnen – Westdeutschlands Angewiesensein auf seine Integration in die übrige westliche Welt und insbesondere auf das Interesse und Wohlwollen des seinen ›Wehrbeitrag‹ fordernden Amerikaners – die Aussicht auf Westdeutschlands künftige Gleichberechtigung (vielleicht europäische Führung?) auf Grund dieses Wehrbeitrages – die Aussicht auf eine friedliche, aber mit nach Osten mindestens drohender fester Hand und darum erfolgreich zu führende Auseinandersetzung über Ostdeutschland und dessen (bzw. Gesamtdeutschlands) künftige Grenzen. Demgegenüber die Argumente gegen dieses Unternehmen[:] – die einen dritten Weltkrieg heraufbeschwörende, dem Frieden sicher nicht dienende Herausforderung Rußlands, das sich bis jetzt jedenfalls nach Westen keiner militärischen Bewegung schuldig gemacht hat – die höchste Wahrscheinlichkeit, daß eine deutsche Remilitarisierung praktisch nur auf Kosten einer demokratischen Entwicklung des deutschen Volkes und um den Preis einer Wiederkehr des alten deutschen ›Militarismus‹ etc. zu haben sein wird – die mit der Remilitarisierung zu vollziehende vorläufige Preisgabe der Menschen des deutschen Ostens und die Möglichkeit einer dauernden Konsolidierung der deutschen Entzweiung – die Gewißheit, daß die westdeutsche Remilitarisierung gerade die allein wirksame Abwehr des Kommunismus: die Herstellung einer besseren, sozialen Gerechtigkeit praktisch unmöglich machen wird.« 43 A.a.O., 8. 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Ebd.

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wägungen sind nicht nur geisteswissenschaftliche, sondern auch human- und naturwissenschaftliche Forschungen eingeschlossen.47 Unterlegt man Barths Umschreibung das Tödtsche Urteilsschema, so wäre in diesem der vierte Schritt erreicht, nämlich die »Prüfung von Normen, Gütern und Perspektiven«. Das heißt zugleich, dass im Vergleich zu Tödt bei Barth die analytischen Zwischenschritte eines differenzierten Urteilsgang,48 nämlich die Wahrnehmung, Annahme und Bestimmung eines Problems als eines sittlichen (1. Sachmoment), die Situationsanalyse (2. Sachmoment), die Erwägung der Verhaltensoptionen (3. Sachmoment) sowie die Auswahl und Prüfung von Normen, Gütern und Perspektiven (4. Sachmoment) nicht erwähnt bzw. ausgeführt, sondern gleichsam zu einem Moment bzw. Schritt zusammengezogen werden. Barth schildert gewissermaßen nur das Resultat dieses (Kontraktions-)Schrittes, wonach nämlich zwei in Pro und Contra unterteilte und hinsichtlich ihrer politischen Plausibilität gewichtete Reihen von Argumenten vor dem urteilenden Individuum stehen. Anders verhält es sich nun mit den beiden folgenden Schritten in der Sachund Verlaufsstruktur des Urteilsfindungsprozesses. Die von Tödt in der Letztfassung seines Urteilsschemas genannten Sachmomente, die »Prüfung der sittlich-kommunikativen Verbindlichkeit von Verhaltensoptionen« (5. Sachmoment) und der »Urteilsentscheid« (6. Sachmoment), lassen sich auch in Barths Schema cum grano salis wiederfinden. Allerdings zeigt sich im Blick auf die Prüfung sittlich-kommunikativen Verbindlichkeit der Verhaltensoptionen eine signifikante Differenz. Während Tödt vor dem Hintergrund des gravierenden Problems der Partikularität von Normen die Vorstellung bloß subjektiv gültiger, singulärer sittlicher Urteile als contradictio in adjecto strictissime zurückweist,49 unterstellt Barth exakt dies im Blick auf den von der universalen Reichweite zu unterscheidenden partikularen Geltungsbereich ethischer Urteile.50 Es wäre wohl aufgrund der zuletzt genannten Distinktion zwischen dem Geltungsbereich und der Reichweite solcher Urteile, aber auch theologischer Aussagen im Allgemeinen kurzschlüssig,51 Tödt als den »Universalisten« und 47 Dies ist mit W. Lienemann (Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 158) gegenüber »einem immer noch begegnenden Vorurteil gegenüber Barths Dogmatik und Ethik« festzuhalten, wonach diese »mit innerer Notwendigkeit die sachgerechte Berücksichtigung human- und naturwissenschaftlicher Forschungen und Einsichten« ausschließe. 48 Vgl. Chr. Frey, Vernunftbegründung in der Ethik, 44. 49 So sachgemäß in seiner Charakterisierung des Tödtschen Schemas F. Mathwig, Technikethik – Ethiktechnik, 228. 50 Vgl. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 284 f.; G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 139 – 142; ders., Universality in Particularity, 267 – 280. 51 Vgl. zu dieser Distinktion M. Hofheinz, Friedenstiften als kirchliche Praktik, 48; G. Sauter, Zugänge zur Dogmatik, 237 f.

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Barth als den »Partikularisten« oder »Kommunitaristen« darzustellen. Die gesamte christliche Ethik geht Barth zufolge zwar von einem partikularen Ausgangspunkt aus, nämlich der Offenbarung Gottes in Jesus Christus, beansprucht aber nichtsdestotrotz universale Gültigkeit.52 Sachgemäßer ist es deshalb, K. Barth als einen genuin kirchlichen Ethiker zu charakterisieren, der Tödt offenkundig insofern nicht (nur) sein wollte,53 als sein Urteilsschema (besonders im fünften Urteilsschritt) das Christsein des Urteilenden nicht voraussetzt: »Jeder Mensch sollte in dieser Situation und unter gleichen lebensgeschichtlichen Voraussetzungen sich so verhalten, wie es der in Aussicht genommene Urteilsentscheid gebietet; denn etwas, was uns unbedingt angeht, ist nicht dem Belieben des Individuums anheimgestellt, sondern realisiert den Bezug auf ein Maßgeblich-Letzteres, welches zugleich die Einheit der Menschen in ihrer Menschlichkeit gewährleistet.«54 Während Tödt in Tillichscher Terminologie von dem spricht, »was uns unbedingt angeht«55, macht Barth die kirchlich-ethische Perspektive und seinen christlichen Gottesbegriff explizit: Der Christ »wird das [Urteilen] aber nicht – darin unterscheidet er [der Christ; M.H.] sich von seinen Mitbürgern – in einem von seinem Glauben getrennten Raum, sondern vor Gott – nicht vor irgend einem, sondern vor dem im Evangelium von Jesus Christus zur Welt, zur Gemeinde und so auch zu ihm redenden Gott tun. Er wird nach der Entscheidung – nicht der Willkür und auch nicht der menschlichen Klugheit, sondern der Freiheit im Gehorsam gegen dieses Gottes Gebot fragen.«56 Den gemäß Tödtscher Zählung fünften Schritt der Urteilsbildung charakterisiert Barth als die Unterscheidung der Geister (1Kor 12,10). Hinsichtlich der Schilderung des Vollzugs jenes fünften Schritts macht Barth erneut die Differenz zwischen den Gemeindegliedern und den nicht zur Gemeinde Gehörenden explizit: Der Christ »wird sich aber darin von Anderen unterscheiden, daß er auf die in diesen beiden [nach Pro und Contra geordneten und qua Verstandeserwägungen gewichteten; M.H.] Argumentenreihen redenden Geister, auf die in ihnen wahrnehmbaren Gedankengänge, Richtungen und Gesichter achtet. Das 52 E. Jüngel (Anrufung Gottes als Grundethos christlichen Handelns, 329) hat zu Recht auf die »›praktische‹ Universalität« von Barths Ethik hingewiesen. Vgl. auch E. Wolfs (Sozialethik, 142) hellsichtiges Diktum: »Die Bergpredigt gilt den Jüngern, und zwar für alle Menschen.« 53 Vgl. H.E. Tödt, Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung, 29: »Meine Überlegungen sind insofern von vornherein theologischer Art, als die in der Orientierung an der christlichen Beantwortung der letzten Sinnfrage erfolgen. Sie berühren sich aber mit jeder ethischen Reflexion, welche sich von einem obersten, uns unbedingt angehenden sittlichen Kriterium leiten läßt«. Dieses Kriterium bestimmt H.E. Tödt (a. a. O., 28) als »Humanität oder sittliche Existenz«. 54 A.a.O., 40. 55 P. Tillich, Systematische Theologie I, 247. 56 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 7.

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steht nun allerdings in der Bibel: daß der Christ im kleinen wie im großen Zeitgeschehen mit dem Walten von Geistern, und zwar von verschiedenen, guten und bösen Geistern, daß er sie, geleitet durch den heiligen Geist des Wortes Gottes und an dessen Maß sie messend, zu unterscheiden, und daß er sich in seiner eigenen Haltung, dieser Unterscheidung entsprechend, einzurichten habe: nicht so oder auch anders also, sondern so und nicht anders!«57 Dieser Schritt der Urteilsbildung ist also gemäß K. Barth für den Urteilsentscheid (6. Schritt nach H.E. Tödt) entscheidend, in dem Tödt zufolge »eine (urteilende) kognitive Einsicht und ein (willentlicher) verhaltensbestimmter Entschluß zusammenkommen.«58 Während bei H.E. Tödt der 5. und 6. Schritt stark voneinander abgesetzt werden, indem er u. a. akzentuiert, dass der Urteilsentscheid »ein konstruktiver Verhaltensentwurf [ist], der in kreativer Synthese die Sachmomente zusammenbringt«59, spricht Barth im Blick auf den Urteilsentscheid nicht von die Kreativität der Synthesebildung, sondern der Gehorsamsfrage, wobei Barth unter Gebotsgehorsam das pathische Sich-selbstBestimmen-Lassen von dem als Gottes Gebot Gehörten versteht. Wie Barth grenzt sich zwar auch Tödt deutlich gegenüber dem Verdacht ab, den Urteilsentscheid zu einem Akt dezisionistischer Willkür zu stilisieren. Tödt tut dies, indem er betont, dass es zum einen um kognitive Einsicht geht, und dass zum anderen der Urteilende »ein Verhalten nur als sittlich sich zu eigen machen [kann], wenn es mit dem im Urteilsakt Erkannten vereinbar ist«60. Jedoch gewährt dieses »Kompatibilitätsprinzip« jenen Ermessensspielraum, den Barth im Blick auf die Eindeutigkeit des Gebotes hic et nunc vermieden wissen will. Ihm zufolge ist – anders als bei Tödt – nur eine bestimmte Entscheidung im Gehorsam gegenüber dem bestimmten Gebot Gottes möglich. Bei Lichte betrachtet, entspricht freilich dem Tödtschen Kompatibilitätsprinzip Barths stetiger Vorbehalt besser, zukünftiger Belehrung. Gerade indem Barth immer wieder auf das hic et nunc des Gebotsgehorsams und der Entscheidung hinweist,61 relativiert er diesen bzw. diese. So spricht Barth betont vom »Wissen um die tiefe Fragwürdigkeit und Gebrechlichkeit, Vorläufigkeit und Relativität auch des Besten, was Menschen mit seinem Wollen und Vollbringen, seinem Ja oder Nein, konkret anstreben kann und erreichen wird«62. Wo Tödt jetzt Ermessensspielraum sieht, besteht bei Barth die Revisionsmöglichkeit in der Zukunft.63 57 58 59 60 61 62 63

A.a.O., 8. H.E. Tödt, Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsfindung, 41. Ebd. A.a.O., 42. Vgl. etwa K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 8 f. A.a.O., 15. Zur Revidierbarkeit der Lehre nach Barth vgl. W. Lienemann, Hören, Bekennen, Kämpfen,

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Die Differenzen zwischen Tödt und Barth erweisen sich als durch Barths Verständnis des Gebots als mandatum concretissimum bedingt,64 weshalb Barth den nach Tödtscher Zählung fünften und sechsten Urteilsschritt auf das Engste verbindet und zwar zugunsten des fünften Urteilsschritts: »Hier hat er [der Christ; M.H.] auf Gottes Gebot zu hören, hier recht und nicht falsch zu wählen; zwischen einem Besseren und einem Schlechteren nicht nur, sondern seinem christlichen Glauben gemäß (›nach der Analogie des Glaubens‹ Röm 12,6) und also im Sinn des Deuteronomiums zwischen Leben und Tod, zwischen Gott und den Abgöttern. Hier steht er mitten im Feld der Verstandes- und Ermessensfragen vor der Gehorsamsfrage.«65 Diese Sequenz ist nun im Blick auf K. Barths Gebotsverständnis äußerst bedeutsam. Das Zitat macht evident, dass das mandatum concretissimum keineswegs die Wahlmöglichkeit bzw. Wahlfreiheit des Menschen eliminiert, auch wenn diese Wahl faktisch eine Wahl zwischen den beiden Alternativen Gehorsam oder Ungehorsam, Leben und Tod, Gott und Abgott bedeutet. Es gibt nach Barth mehrere Handlungsoptionen, aber alle Optionen sind entweder Ausdruck des Gehorsams oder des Ungehorsams. Tertium non datur! Barth umschreibt diesen Dual betont distinktiv : »Je eine und nur eine Möglichkeit und diese in aller nur denkbaren Bestimmtheit ihrer inneren und äußeren Modalität, also je eine Entscheidung und diese mit Inbegriff aller der Gedanken, Worte und Bewegungen, in denen wir sie vollziehen, ist das uns in jedem Augenblick gegebene Gebot Gottes.«66

Exkurs: Die geistliche Atombombe. K. Barth und der status confessionis Man kann bisweilen den Eindruck gewinnen, als platziere Barth jede einzelne strittige ethische Frage unter dem Damoklesschwert des status confessionis, das gleichsam über allen ethischen Urteilen zu hängen und mit jedem Urteilsentscheid tatsächlich herunter zu sausen scheint. Barth konzediert jedoch keineswegs, dass mit allen politischen Entscheidungen und ethischen Urteilen ein 556: »Sie [die Autorität jeder Konfession; M.H.] ist immer ›Autorität unter dem Wort‹, einerseits aus der Erfahrung der Kirche in harten Entscheidungen erwachsen, andererseits nur vorläufiger Art in der Erwartung neuen Hörens, künftiger Belehrung und vollmächtigeren Bekennens. Eine vollendete, unüberbietbare und unveränderbare Konfession ist ›ein eschatologischer Begriff‹«. Vgl. K. Barth, KD I/2, 737. 64 So etwa ders., KD II/2, 738. Vgl. auch ders., KD IV/1, 553. 65 Ders., Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 8. Vgl. E. Wolf, Sozialethik, 160: »Nachfolge muß im Entscheidungsfall jeweils den ersten und gültigen Satz bestimmen, und alle anderen Erwägungen der Vernunft, die – bei den sogenannten Ermessensfragen – notwendig und gefordert sind, haben dann ihren sinnvoll verantwortbaren Ort unter ihr. Denn auch bei ihnen muß die Freiheit des Glaubens das Wort führen«. 66 K. Barth, KD II/2, 739.

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status confessionis gegeben ist. Vielmehr spricht er lediglich davon, dass das »Ethos des politischen status confessionis«67 grundsätzlich auch im Normalfall und nicht nur im Ausnahmefall gilt. Damit wird gleichsam der Normalfall menschlichen Tuns und Handelns als »Ernstfall«68 deklariert und in jedem und für jeden »Fall« der casus confessionis proklamiert, ähnlich wie bei M. Luther, wenn er davon spricht, dass all unser Tun Bekenntnis sei (tota nostra operatio confessio est)69. In diesem Sinne soll der status confessionis das Ethos, d. h. die Gewohnheit oder die Sitte des Christenmenschen sein, wobei Barth sich durchaus darüber im Klaren ist, dass die noetische Valenz des Tuns als eines Bekenntnisses,70 sprich: die Erkennbarkeit des gewöhnlichen Tuns als Bekennen bzw. Bekenntnis selten gegeben ist: »Es wird sich schon hier um klare Unterbrechungen des gewöhnlichen menschlichen Tuns und Lassens handeln müssen, wenn gerade dem gewöhnlichen menschlichen Tun und Lassen der Charakter des Bekenntnisses und Zeugnisses nicht ganz abgehen sollte.«71 Den eigentlichen status confessionis allerdings erachtet Barth erst dann als gegeben,72 wenn die Kirche als Bekennende73 und nicht nur der bzw. die Einzelne

67 Ders., Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 19. 68 Vgl. K. Barths (ebd.) suggestiv-pejorative Bemerkung: »Was wäre das für eine Ethik, die gerade das Ethos des politischen status confessionis und also gerade den Ernstfall, auf den sie zielen müßte, nur als Ausnahmefall […] gelten lassen sollte!« 69 WA 57, 137,5. Vgl. dazu: W. Huber, Folgen christlicher Freiheit, 249 – 269; G. Scharffenorth, Den Glauben ins Leben ziehen, 39 ff. 70 Zu Barths Lehre vom Bekenntnis, wie er sie vor allem in KD I/2 (§ 20.2: Die Autorität unter dem Wort) als »Kommentar zum status confessionis der Bekennenden Kirche« (so W. Lienemann, Hören, Bekennen, Kämpfen, 546) verfasst entfaltet, vgl. a. a. O., 537 – 558; G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 111 – 147.193 – 215. 71 K. Barth, KD III/4, 81. Die Kirchlichen Bruderschaftler in Württemberg warnt er in seinem Gespräch mit ihnen am 15. 7. 1963: »Machen Sie nicht zu heftigen Gebrauch von diesem Begriff! Nicht zu oft!« Ders., Gespräche 1963, 84. 72 Vgl. ders., KD III/4, 86. Dort prononciert Barth den pathischen Charakter des Bekennens im status confessionis: »Das uns gebotene Bekennen darf, muß und wird da Ereignis werden, wo ein Mensch dessen gewahr wird, dass sein Glaube – oder vielmehr der Glaube der christlichen Gemeinde, sei es in deren Mitte, sei es von der Welt her, mit dem Phänomen des Unglaubens, des Aberglaubens, des Irrglaubens konfrontiert und von daher in Frage gestellt ist und wo es diesem Menschen gegeben ist, mit seinem Wort Einspruch – den positiven Einspruch des Glaubens – dagegen einzulegen. […] Es ist aber immer ein besonderes Ereignis, wenn das so geschieht, dass ein Einzelner oder mehrere oder viele Einzelne dieser latent immer wieder bestehenden Konfrontierung und Infragestellung konkret gewahr werden müssen. Dann und nur dann sind sie in der Situation, in der ihnen das Bekennen zur Ehre Gottes geboten ist, in der sie aufgerufen sind, in der Freiheit vor ihm als seine Zeugen das Wort zu ergreifen. Der status confessionis ist also kein Dauerzustand. Wer beständig Märtyrer sein wollte, würde es sicher gar nie werden, weil er offenbar nicht wüßte, daß Martyrium, Zeugnis, ein Tun ist, das nur auf Grund besonderer Berufung in besonderer Situation Ereignis werden kann. Man kann diese Situation auch nicht herbeiführen und

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im Raum der Kirche an seinem bzw. ihrem Zeugnis gehindert wird.74 Hinsichtlich der kirchlichen Einheit sah Barth den status confessionis im Jahr der Barmer Theologischen Erklärung (1934) in Anbetracht der Situation der Bekennenden Kirche als sehr viel eindeutiger gegeben als im Jahr 1958 in der Atomwaffendiskussion. Das geht insbesondere aus K. Barths Brief vom 18. 4. 1958 an den westfälischen Präses E. Wilm hervor, der die berühmte 10. These75 der Kirchlichen Bruderschaften zur Frage der atomaren »Bewaffnung«76 betrifft und von einer Beschränkung der »Freiheit der kirchlichen Verkündigung«77 als der conditio sine qua non des status confessionis spricht.78 Im Band III/4 (§ 52.3: »Das Bekenntnis«) seiner »Kirchlichen Dogmatik« führt K. Barth eine Disjunktion ein, die seine komplexe und diffizile Behandlung der Frage nach dem status confessionis erhellt. Barth fragt dort zunächst suggestiv : »Wer könnte denn behaupten, daß er sich immer und überall im status confessionis befinde?«79 K. Barth bedient sich im Anschluss an diese Frage einer ratio disjunctionis, die zwischen einem latenten, indirekten status confessionis und einem manifesten, direkten differenziert, wenn er betont, dass »der latente und indirekte status confessionis auch höchst manifest und direkt werden kann

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konstruieren, man kann also überhaupt nicht Märtyrer sein wollen.« Dort z. T. kursiv. Vgl. auch ders., KD I/2, 698. Wie G. Plasger (Fehlende Klarheit, 235 – 244; Die relative Autorität des 149 – 154) gezeigt hat, war eine entsprechende Einheit der sich konstituierenden Bekennenden Kirche im Jahr 1933 noch nicht klar gegeben, so dass Barth ein Bekenntnis aufgrund »fehlender Klarheit« ablehnte. Vgl. U. Möller, Im Prozeß des Bekennens, 177. K. Barth, Zehn Thesen Thesen zur Frage der atomaren »Bewaffnung«: »Ein gegenteiliger Standpunkt der Neutralität dieser Frage gegenüber ist christlich nicht vertretbar. Beides bedeutet die Verleugnung aller drei Artikel des christlichen Glaubens und den Bruch mit der einen, heiligen, allgemeinen Kirche.« Zit. nach B. Klappert / U. Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden, 99. K. Barth selbst war der anonyme Verfasser der Zehn Thesen. Vgl. dazu: K. Barths (Offene Briefe 1945 – 1968, 440 – 444) Brief an H. Simon vom 25. 9. 1958. Zu Barths Einstellung zur Atomwaffenfrage vgl. B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 252 – 284; R. Williams, Barth, War, and the State, 170 – 174; J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 133 – 137; ders., The Pacifism of Karl Barth, 12 f. K. Barth, Brief an Ernst Wilm vom 18. 4. 1958: »Kirchenspaltung? Nein, die Eingabe erinnert gerade mit dieser These jedermann an die gefährdete, zu erhaltende, bzw. zu erneuernde Einheit der Kirche. Eine ›Scheidung‹ könnte in der Synode oder sonst nur von der anderen Seite kommen, wenn diese die Eingabe ihrerseits für ›christlich nicht vertretbar‹ erklären und dieser Erklärung entsprechend kirchenregimentliche Maßnahmen gegen die Unterzeichner ergreifen würden, die die Freiheit der kirchlichen Verkündigung im Sinne der Eingabe beschränken sollten.« Zit. nach U. Möller, Im Prozeß des Bekennens, 399. Treffend W. Lienemann, Hören, Bekennen, Kämpfen, 556: »Gewiß soll man nie voreilig den status confessionis proklamieren oder ihn mit dem Dauerzustand konfessorischer Aufgeregtheit verwechseln, aber man darf ihm auch nicht ausweichen, wenn er faktisch eingetreten ist als Widerstand gegen die Freiheit von Wort und Dienst in der Kirche.« K. Barth, KD III/4, 81.

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und tatsächlich wird«80. Barth zufolge verrät »das Ausbleiben jedes manifesten und direkten status confessionis […], daß er auch latent und indirekt gar nicht vorhanden ist.«81 Der latente und indirekte status confessionis war für Barth in den 1950er Jahren mit dem Ruf in die Entscheidung gegeben, nicht jedoch der manifeste und direkte status confessionis, der ja erst im Moment entsprechender kirchenregimentlicher Maßnahmen greift, die die Freiheit der kirchlichen Verkündigung elementar betreffen. Mit U. Möller gilt es demnach festzuhalten: »Der Ruf der Kirche in die Entscheidung des Bekennens durch ein unzweideutiges Zeugnis der bereits aktuell Bekennenden ist für K. Barth nicht identisch mit der Feststellung des status confessionis.«82 Dieser Ruf in die Entscheidung, zu dessen »Erschallen« Barth bereits in der Remilitarisierungsdebatte im Jahr 1952 und nicht erst in der Atomaffendiskussion im Jahr 1958 selbst als Einzelner im Raum der Kirche beigetragen hat, liegt dem Text »Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens« zugrunde. Dort rekurriert er mehrfach auf die Kategorie des status confessionis,83 ohne diesen freilich zu proklamieren, wozu er als einzelner Christenmensch ja gar nicht befugt ist, sondern was nur die Kirche als Gemeinwesen der Jesus Christus Bekennenden vermag. Dass Barth sein Urteilsschema anhand der Remilitarisierungsfrage, also einer Frage exemplifiziert hat, in der auch die Ausstattung mit Atomwaffen zumindest mittelfristig auf dem Spiel stand, war sicherlich im Blick auf die kriteriologische Klarheit seiner Lehre vom status confessionis eine – wirkungsgeschichtlich betrachtet – unglückliche Wahl, die für mancherlei Irritationen sorgte. Denn im Blick auf die Atomwaffen sah Barth ja nur insofern den status confessionis gegeben, als dass mit Massenvernichtungsmitteln, die einen vielfachen »overkill« ermöglichen, das »Ende allen Lebens« auf dem Spiele stand, mit dem selbstverständlich auch die Freiheit der Verkündigung (im Zuge der Tötung auch des Verkündigers und der Gemeinde) eliminiert worden wäre: »Es geht nicht um Prinzipien oder Ideologien und Systeme. Es geht ums Leben. Es geht um sie, die Menschen.«84 So formuliert K. Barth sein persönliches »Bekenntnis« in einer Radioansprach am »Karfreitag 1957«. Durch die Verquickung des Urteilsschemas mit der Atomwaffenfrage konnte sehr leicht der Eindruck entstehen, als würde Barth den status confessionis im Blick auf jedes ethisch virulente Problem als gegeben erachten. In seinem Gespräch mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg (15. 7. 1963) mahnt 80 81 82 83 84

Ebd. Ebd. U. Möller, Im Prozeß des Bekennens, 177. Vgl. K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 9.19. Ders., Es geht um das Leben (Karfreitag 1957). Zit. nach B. Klappert / U. Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden, 99. Vgl. dazu: B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 261 f.

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Die Erkennbarkeit des Gebotes Gottes

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K. Barth hinsichtlich dieses naheliegenden Missverständnisses: »Wir wollen vielleicht nicht allzu fanatisch sein mit unserm status confessionis und uns den vielleicht vorbehalten für Situationen, wo uns nun wirklich die Pistole auf die Brust gesetzt wird! […] der status confessionis […] ist sozusagen die geistliche Atombombe, und man kann fürchterliche Verheerungen damit anrichten …«85

3.

Die Erkennbarkeit des Gebotes Gottes und die Dispositionen der politisch-ethischen Urteilsfindung

Die Erkenntnis des Gebotes Gottes bzw. das Hören auf dasselbe ist K. Barth zufolge weder selbstverständlich, noch ist sie in unkonzentrierter Beiläufigkeit oder im Einverständnis der um dasselbe bemühten Menschen zu erzielen. Barth rechnet mit einem Dissens im Raum der Kirche hinsichtlich der Frage,86 wie das Gebot in Bezug auf eine Situation bzw. ein konkretes, politisch-ethisch virulentes Problem lautet. Der Basler Theologe kalkuliert ein, »daß die Christen in dieser und dieser politischen Situation nicht beieinander, sondern vorläufig gegeneinander stehen: hier die, für die die Stunde der Glaubens- und Gehorsamsentscheidung noch gar nicht geschlagen zu haben scheint – dort die, die sie im Glauben so, dort die, die sie, scheinbar in demselben Glauben, ganz anders vollziehen zu müssen glauben.«87 Damit ist die Einheit des Glaubens in Frage gestellt, wobei Barth diese Infragestellung keineswegs als problematisch, sondern notwendig, ja als Ausdruck der Lebendigkeit von Kirche sogar wertschätzt: »Die Einheit des Glaubens ist nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen, und deswegen sind die Entscheidungen einzelner Christen auch keine Aufhebung, sondern letztlich Bestätigung der kirchlichen Einheit. Sie wollen ja die ganze Kirche aufrufen, ihre Neutralität aufzugeben und zur gleichen Entscheidung zu kommen. Ob ihr Aufruf zurecht geschehe, ist damit noch nicht entschieden, wohl aber hat die ganze Kirche und auch jedes ihrer Glieder, wenn sie denn die vorhandene und zu suchende Einheit ernst nehmen, diesen Aufruf zu prüfen.«88 Barth leugnet weder das Phänomen des innerkirchlichen Pluralismus, noch zeigt er sich an einer binnenkirchlichen Monokultur interessiert.89 Im Sinne des von Barth entwickelten dynamischen Einheitsverständnisses, 85 K. Barth, Gespräche 1963, 85 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 86 N. Biggar (The Hastening that Waits, 7) charakterisiert Barths gesamte Ethik angemessen als »an Aid to Hearing«. 87 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 9. Vgl. dazu: M. Weinrich, Kirche glauben, 126. 88 G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 188. 89 So auch M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 164.

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das stets auf die Erneuerung der Einheit durch fruchtbare Krisiszeiten hindurch abzielt, wird deutlich, dass ihm zufolge das Gebot nicht gleichsam »senkrecht von oben« vom Himmel fällt. Vielmehr bedarf es der Prüfung dessen, »was der Wille Gottes ist« (Röm 12,2), und diese Prüfung kann gemäß Barth »nicht oft, nicht streng und nicht genau genug vollzogen werden«90. Dazu gehört gleichsam axiomatisch, dass die Prüfung tatsächlich ergebnisoffen91 erfolgt: »Es kann sein, daß nach der Prüfung zu erkennen ist, daß vorher nicht genug verstanden worden ist und jetzt eindeutiges und klares Verhalten gefordert ist. Es kann aber auch sein, daß die Kirche und ihre Glieder nach der Prüfung genau das Gegenteil zu sagen haben, weil sie neue Einsichten gewonnen haben. Und es kann drittens der Fall sein, daß kein eindeutiges Gebot zu erkennen ist, das auszurechnen ist, daß also eine kirchliche Stellungnahme nicht möglich ist, soll sie mehr als eine Ermessensfrage sein.«92 Im Zusammenhang dieser Prüfung fällt nun im Anschluss an die paulinische Wendung »nach der Analogie des Glaubens« (Röm 12,6) der höchst strittige Analogiebegriff. Diese textstrategische Verortung ist bereits ein Hinweis darauf, dass die Analogie des Glaubens in einem spezifischen Zusammenhang mit der »Prüfung des Willens Gottes«93 steht. Barth will sie offenkundig als ein Instrumentarium zu eben jener Prüfung verstanden wissen. Das Wählen soll sich – so Barth – gemäß dem christlichen Glauben des Urteilenden, genauer : »nach der Analogie des Glaubens« vollziehen. Dabei sind mehrere formale Bedingungen und Voraussetzungen – Barth spricht explizit von einer »Reihe von höchsten Anforderungen«94 – zu beachten, die er semantisch mit drei Begriffspaaren aus der »dispositional language«95 umschreibt:96 Erstens soll ein Höchstmaß von politischer Nüchternheit und theologischer Einsicht walten: »Nüchternheit in der Sicht der in Rechnung zu stellenden sachlichen Faktoren – und Einsicht bei deren Zusammenschau und Beurteilung«97. Zweitens bedarf es eines Höchstmaßes an Mut und Demut im Urteilsvollzug: Mut dazu, eine geistliche Einsicht und die ihr entsprechende Entscheidung als 90 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens 12. 91 K. Barth (a. a. O., 15) kann sogar superlativisch von einem »Höchstmaß von Offenheit« sprechen. 92 G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 188. 93 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 13. 94 A.a.O., 14. 95 So N. Biggar, The Hastening that Waits, 129. 96 Die »dispositional language« schlägt sich übrigens auch in dem vielzitierten Satz K. Barths (KD III/4, 525) nieder: »Es braucht aber christlichen Glauben, Verstand und Mut dazu – und dazu ist die christliche Kirche, die christliche Ethik da, solchen zu beweisen – den Völkern und Regierungen zuzurufen, dass umgekehrt der Friede der Ernstfall ist«. Kursivierung: M.H. 97 Ders., Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 14.

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Gehorsam gegen Gott zu verstehen, und Demut im Wissen um die Vorläufigkeit und Relativität auch der besten menschlichen Urteile. Drittens und abschließend nennt Barth »ein Höchstmaß von neutestamentlicher Freudigkeit und alttestamentlicher Strenge: Freudigkeit von innen und nach außen, weil die politische Entscheidung als Zeugnis von Christen an Christen (und Nicht-Christen!) nur dann lichtvoll und gewichtig sein kann, wenn sie ihren Grund im Evangelium, im befreiten und befreienden Glauben an die in Jesus Christus schon geschehene, vollkommen vollbrachte Versöhnung der Welt mit Gott hat – und Strenge gegen sich selbst und Andere, weil es in solcher Entscheidung für sie wie für die Anderen um die praktische Bestätigung des Bundes Gottes mit seinem Volk, um die Erkenntnis und das Tun seines Gebotes geht.«98 Die Bildung der drei Begriffspaare erinnert an die aristotelische Tugendlehre,99 genauer gesagt: die Mesotes-Lehre der »Nikomachischen Ethik«,100 d. h. die Lehre von der rechten Mitte (mesote¯s), mit der Aristoteles den praktisch-deliberativen Status der Tugenden hervorhebt.101 Ebenso wie Aristoteles arbeitet auch Barth mit Gegensatzpaaren. Barth rezipiert Aristoteles in der ihm eigenen Weise, indem Barth die Vermittlung der beiden Extreme anders als Aristoteles nicht als die mittels phronetisch-kreativer Kompetenz erzielte Gewinnung der rechten Mitte zwischen den Extremen beschreibt,102 sondern als das dialektische Zugleich beider Extreme: »Als Zeugnis von Christen an Christen (und NichtChristen!) kann die politische Entscheidung nur in dem Maß sprechen und 98 A.a.O., 16 f. 99 Eine weitere partielle Übereinstimmung zwischen Barth und Aristoteles besteht darin, dass nicht nur Aristoteles in der Ethik, die er von den theoretischen Wissenschaften unterscheidet, welche es ihm zufolge mit notwendigen, epistemischen Erkenntnissen zu tun haben, mit dem Wahrscheinlichkeits- und Möglichkeitsstatus einzelner Handlungen rechnet, sondern auch Barth, insofern er das Hören des Wortes Gottes keineswegs mit diesem selbst identifiziert. 100 Vgl. dazu die kontroversen Interpretationen von U. Wolf (Über den Sinn der Aristotelischen Mesoteslehre, 83 – 108) und L.A. Kosman (Being Properly Affected, 103 – 116). Im Blick auf Aristoteles urteilt E. Tugendhat (Antike und moderne Ethik, 41) ablehnend: »Man kann wohl sagen, daß das Kriterium des sittlich Richtigen, das Aristoteles angibt: die Ausgewogenheit, so unbestimmt bleibt, daß es seine Bestimmtheit faktisch durch das durch die Sitte seiner Zeit Vorgegebene gewinnt […]. Er hat durchaus einen Begründungsanspruch erhoben, aber es war einer, der letztlich nicht greifen konnte.« 101 Das Gesamt des Barthschen Ethikentwurfs als eine Tugendethik zu charakterisieren, wie dies W. Werpehowski (Narrative and Ethics in Barth, 348) tut, dürfte trotz der nachweisbaren tugendethischen Elemente überzogen sein. 102 Vgl. Aristoteles, EN II/5, 1106a 30 – 35: »Ich nenne die Mitte einer Sache dasjenige, was denselben Abstand von beiden Enden hat, und was überall und immer eines ist; die Mitte im Bezug auf uns ist das, was weder Übermaß noch Mangel ist. Dieses ist nicht eines und nicht in jedem Fall dasselbe. So ist etwa 10 viel und 2 wenig, und so wird der Sache nach 6 als die Mitte genommen. Denn der Abstand zwischen beiden Enden ist derselbe.« Übersetzung nach O. Gigon.

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einleuchten, als sie auch diese Dialektik [Mut und Demut; M.H.] sichtbar macht.«103 Barth charakterisiert dieses dialektische Zugleich als eine »wunderliche Spannung«104, die nicht nach der einen oder der anderen Seite hin aufgelöst werden darf. Vielmehr kommt es Barth zufolge darauf an, »in dieser Einheit des scheinbar Widersprechenden Gottes Zeuge«105 zu sein. Die beiden Extreme sollen sich zugleich begrenzen und bekräftigen. Anders als Aristoteles, der die Ermittlung der tugendhaften Mitte zwischen den Extremen als das Ergebnis einer im Prozess der ethischen Urteilsbildung mittels der phrone¯sis erzielten abwägenden Reflexion beschreibt,106 belässt es Barth dabei, die sechs Anforderungen als »Haltungen« bzw. »Dispositionen« zu kennzeichnen; wohlgemerkt wiederum nicht im Sinne des aristotelischen Tugendbegriffs (arete¯s), wonach eine Tugend »jene feste Grundhaltung [ist], von der aus [der Handelnde; M.H.] tüchtig wird und die ihm eigentümliche Leistung in vollkommener Weise zustande bringt«107. Von vollkommenen Leistungen zu sprechen, verbietet sich für Barth aufgrund ihres Gabecharakters.108 N. Biggar formuliert diesbezüglich konzise: »The causation of good human conduct is not to be conceived in mechanical terms: for it is not the case that, once set in motion, human virtue thereafter proceeds under its own momentum. The gift here is not detachable from the Giver. Human virtue should not be thought of as possessed in any simple or absolute fashion. Rather, it is best understood as the symptom of a dynamic relationship with God.«109 Was die Struktur der von Barth ins Auge gefassten »Dispositionen« oder »Haltungen« angeht, so sind sie anders als die aristotelischen Tugenden keine festen charakterlichen Dispositionen (hexis) oder dauerhaften Charakterzüge,110 sondern sie zeichnen sich durch eine »mittelfristige« Stetigkeit aus, insofern der 103 104 105 106 107 108

K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 16. Ebd. Ebd. So J.-P. Wils / D. Mieth, Tugend, 185. Aristoteles, EN II/5, 1106a 21 – 24. Übersetzung nach F. Dirlmeier. Die drei eingegossenen (infusa), nicht erworbenen (acquisita) Tugenden »Glaube«, »Liebe« und »Hoffnung«, die bei Thomas von Aquin (STh II – II, q. 1 – 44) als virtutes theologicae die Trias der theologischen Tugendlehre bilden, zeichnen sich nach K. Barth (Ethik I, 98 f.) dadurch aus, »daß sie ein wirkliches Verhalten und Tun des Menschen bezeichnen und nun doch ein solches, das in keinem Sinn eine Leistung des Menschen, sondern – so gewiß der Mensch damit steht und fällt, daß er glaubt, liebt und hofft, so gewiß er aufgerufen wird, dies zu tun – im strengsten Sinn ein Werk, ja das Werk Gottes am Menschen ist«. Vgl. dazu die »klassische« Definition des Lombarden, die von der Tugend als einer Qualität des Geistes spricht, welche Gott ins uns, ohne unser Zutun bewirkt: »Virtus est qualitas mentis, qua recte vivitur, qua nullus male utitur, quam Deus in nobis sine nobis operatur«. Petrus Lombardus, Sent. II, dist. 27, cap. 27. So auch Thomas von Aquin, STh I – II q. 55 a.4. 109 N. Biggar, The Hastening that Waits, 131 f. 110 Vgl. Aristoteles, EN II/4 f., 1106a 12 – 14.

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Terminus »Charakter« für Barth ein eschatologischer Begriff ist. Nochmals N. Biggar : »Moral character is not only teleological but eschatological. The fulfilment of our reconciliation with God, and so of our divine vocation, lies in front of us, not behind us, and in God’s hands, not ours. […] We possess our character as Christian, sanctified, holy, and therefore moral, only in hope. Our moral character is given, but only in faith. In practice, therefore, it depends on acts of invocation in which we call upon God to make his future into our present. […] For Barth, the formation of good character depends precisely upon our refusal to take the ›goodness‹ of our character as given. Indeed, it consists essentially in our repeated obedience to the command of God’s grace and so to ›the discipline of the new beginning of our life and understanding.‹ There is continuity and growth in the moral life of the Christian, but only epiphenomenally, only as a byproduct of our repeated obedience«111. Die von Barth als Epiphänomene des Gebotsgehorsams beschriebenen Anforderungen oder »mittelfristigen« Stetigkeiten sind auch darin mittelfristig stetig, dass sie den gesamten Verlauf der Urteilsbildung begleiten, wobei sie in 111 N. Biggar, The Hastening that Waits, 136.138. Dort z. T. kursiv. Biggar repliziert mit seinen Ausführungen direkt auf den Vorwurf des frühen S. Hauerwas’ (Christian Life and Character, 136.151 – 157.169 – 177; so auch im Anschluss an Hauerwas R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 85 f.), Barths Handlungsträgerschaftskonzept sei atomistisch und aktualistisch (so vehement P.T. Nimmo, Being in Action, u. a. 63), d. h. es kenne keine Kontinuität und kein Wachstum (»growth-in-continuity«). So auch R.E. Willis, The Ethics of Karl Barth, 265: »The being of the Christian, as act, is dependent at all points on the contingency of God’s action through the Holy Spirit, an action which never allows God to become man’s possession, but which underlines man’s continual need to wait openly for the event of grace.« Vgl. zur Auseinandersetzung mit Hauerwas auch W. Werpehowski, Command and History in the Ethics of Karl Barth, 298 – 320. Vgl. K. Barths (Das christliche Leben, 4 f.) eigene Aussage: »Spezielle Ethik hat wohl auf die Souveränität des göttlichen Gebietens, sie hat aber auch auf seine Konstanz, auf die Treue Gottes gegen sich selbst und gegen den Menschen – und sie hat wohl auf die Einmaligkeit und Einzigkeit jedes einzelnen Aktes menschlichen Gehorsams und Ungehorsams, sie hat aber auch auf die Kontinuität des menschlichen Seins, Verhaltens und Tuns zu achten und hinzuweisen: wohl auf den Ereignischarakter jeder Begegnung Gottes mit dem Menschen, des Menschen mit Gott, aber auch darauf, daß dieses Ereignis sich im Zusammenhang der Geschichte Gottes mit diesem Menschen, aber auch seiner Geschichte mit allen anderen Menschen abspielt. Seine Begegnungen mit den Menschen sind wohl lauter einzelne, aber darum keine isolierten Punkte, sondern Punkte in einer Linie. Sie darf nicht unterlassen, den Charakter sichtbar zu machen, der dem göttlichen Gebieten, dem Treiben des Heiligen Geistes im Unterschied zu dem Treiben von allerlei anderen Geistern auf alle Fälle eigentümlich ist, und damit auch den Maßstab, an dem das menschliche Handeln hinsichtlich seiner Richtigkeit oder Unrichtigkeit auf alle Fälle gemessen ist. Sie darf das freie Gebieten Gottes nicht so beschreiben, als ob es sich in ihm um die Zumutungen und Antriebe einer Vielheit von Göttern, Ideen und Mächten handeln könnte – und das menschliche Handeln nicht so, als ob es wohl auch in einer unkonturierten Fülle zufälliger oder willkürlicher Einzelakte bestehen könnte.« Mehrfach wendet sich K. Barth (a. a. O., 5 f.) explizit gegen den Vorwurf, eine reine »Kairosethik« zu betreiben.

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den verschiedenen Sachmomenten bzw. Schritten ihre je spezifische Wirksamkeit entfalten; so etwa die politische Nüchternheit hinsichtlich der Verstandeserwägungen und die theologische Einsicht (keine allgemeine phrone¯sis als »dianoetische« Tugend des rationalen Seelenteils,112 die sich gleichwohl als kognitives Vermögen auf die Gestalt des praktischen Lebens und somit die Ausprägung eines guten Charakters bezieht)113 hinsichtlich der Unterscheidung der Geister. Über die Verstandeserwägungen und die Unterscheidung der Geister gemäß der Analogie des Glaubens hinaus, hält also bei Barth ein weiteres deliberatives Moment Einzug in die Theoriebildung. Denn die Anforderungen oder Dispositionen besitzen insofern kriteriologische Funktion, als dass sie undialektische Einsichtigkeiten zugunsten des dialektischen Zugleichs auszuschließen intendieren und damit als eine Art Metakriterium »über« den einzelnen Sachmomenten bzw. Schritten der Urteilsfindung fungieren, das aber sehr wohl mit in den Urteilsentscheid einfließt:114 »Aus anderen Zusammenhängen ihres eigenen Glaubenslebens wird es ja auch ihnen [den Christen; M.H.] bekannt sein, daß gerade ein Gott gehorsames Denken, Reden und Handeln immer in der Einheit jenes scheinbaren Widerspruchs verlaufen, großen Mut und große Demut in gegenseitiger Begrenzung nicht nur, sondern in gegenseitiger Bekräftigung in sich vereinigen wird. Begegnen sie ihnen auch in der ihnen zunächst nicht annehmbaren politischen Entscheidung anderer Christen, so kann das nicht

112 Vgl. Aristoteles, EN II/1, 1103a. Zum Status der Phronesis bei Aristoteles vgl. T. Ebert, Phronesis, 165 – 185. 113 Vgl. Aristoteles, EN VI/4, 1140a. 114 Dies lässt sich z. B. anhand von K. Barths (KD III/4, 514) Beurteilung des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 nachweisen, dessen Durchführung Barth zufolge einer entsprechenden »Disposition« oder »Haltung« ermangelte: »Das Attentat scheiterte schlicht daran, daß niemand es ausführen wollte, ohne das Nachher zu erleben, das heißt aber niemand unter rücksichtslosem Einsatz seines eigenen Lebens. Wegen derselben Hemmung mußte später (als es schon lange zu spät war!) auch der Versuch des Grafen Claus von Stauffenberg am 20. Juli 1944 mißlingen. Man wird diese Männer wegen dessen, was Kordt ihre (auch seine eigene) ›Unzulänglichkeit‹ nennt, nicht anklagen dürfen. Nur daß man dieser Hemmung offenbar entnehmen muß: ein klarer kategorischer Befehl Gottes zu jener Tat lag für sie nicht vor, sonst hätten sie jene Hemmung, die ja mit Ethik nichts zu tun hatte, bei ihnen überwinden müssen. Wiederum wird man sie aber auch nicht deshalb anklagen dürfen, daß sie dieses Attentat allen Ernstes erwogen, ja in aller Form beschlossen hatten. Genau in solcher Situation konnte es Gottes Gebot sein – wer will sagen, ob es damals nicht doch vorlag und nur überhört wurde? – ad liberationem patriae tyrannum occidere [Barth rekurriert hier auf das Diktum Thomas von Aquins: ›Wenn eine Zuflucht zu einem Höhergestellten nicht möglich ist …, dann nämlich wird einer, der zur Befreiung des Vaterlandes einen Tyrannen tötet, gelobt‹], konnte es gebotener Gehorsam sein, dies tatsächlich zu vollenden.« Zu Barths Einschätzung der deutschen Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus vgl. auch Barths Brief vom 29. 6. 1968 an C. Zuckmayer, in: C. Zuckmayer / K. Barth, Späte Freundschaft, 66 f.

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gegen, sondern nur für diese sprechen.«115 Integraler Bestandteil des Barthschen Urteilsschema ist mithin eine Mesoteslehre sui generis. In den solchermaßen skizzierten Gesamtzusammenhang gehört nun die Analogie hinein. So, wie Barth die Analogie hier einführt, ist sie innerhalb dieses Gesamtzusammenhangs dem fünften Sachmoment bzw. Schritt im Rahmen des Tödtschen Schemas der Sach- und Verlaufsstruktur sittlicher Urteile zuzuordnen. Diese Verortung will bedacht sein und beachtet werden, wenn im Folgenden danach gefragt wird, wie Barth den Umgang mit Analogien entfaltet. Es kommt – mit anderen Worten – darauf an, den spezifischen Zusammenhang, in dem Barth Analogien lokalisiert, genau zu bestimmen, wenn dieselbe wirklich verstanden werden soll. Und diesbezüglich lässt sich noch Genaueres ausführen als das bislang Gesagte.

Exkurs: Unterminiert K. Barths Verständnis des Gebotes Gottes sein Urteilsschema? Bevor der Umgang mit Analogien näher untersucht werden soll, bedarf es zunächst noch der exkurshaften Klärung einer Zwischenfrage, die zu Beginn dieses Kapitels bereits implizit aufgeworfen wurde: Unterminiert nicht Barths Verständnis des Gebotes Gottes als Ereignis das Urteilsschema? Dem Barthschen Urteilsschema inhäriert eine größere Komplexität, als dass man es auf die Formel bringen könnte: Das Gebot Gottes, verstanden als sein Gebieten im Hier und Jetzt, löst den ethischen Konflikt nicht auf, sondern beendet ihn umgekehrt, indem es aus der Reflexion in den einfältigen Gehorsam ruft.116 Nein, das Gebot Gottes ruft nach K. Barth nicht mitten aus der Reflexion im Sinne eines abrupten, autoritär verfügten Reflexionsabbruches heraus, sondern schließt gewissermaßen an sie an. Barth beschreibt den Prozess der Urteilsfindung bis zu einem bestimmten Punkt, nämlich bis zu dem unverfügbaren Moment der Ereigniswerdung des Gebotes Gottes: »Der Weg des Ethikers Barth kann so beschrieben werden, dass er die aktuellen ethischen Probleme in handgreiflichen Konflikten entdeckt, nach und nach zu Klärungen durchdringt, bis er dessen inne wird, dass es die Gegenwart des gnädigen Gottes ist, welche die Menschen ergreift und dazu einlädt, selbst zu Zeugen dieser befreienden Gnade 115 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 16. 116 Vgl. U.H.J. Körtner, Ethische Konflikte von heute, 80. Problematisch ist an Barths Verständnis des göttlichen Gebietens nach Körtner, »dass es im Anschluss an Kierkegaard und den dialogischen Personalismus eine intrapersonale Lösung des ethischen Konfliktes entwickelt, die auf der interpersonalen Ebene in autoritäre Geltungsansprüche umschlägt.« Vgl. auch I. Klaer, Sinn und Geltungsweise sittlicher Normen, 50 f.

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zu werden.«117 Dem entspricht – wie W. Lienemann verdeutlich hat – signifikanter Weise Barths eigenes methodisches Vorgehen: »In den ethischen Konkretionen der ›Kirchlichen Dogmatik‹ führt er die Leser nach Möglichkeit genau bis an den Punkt, wo die eigene Entscheidung unabweisbar wird, aber niemand mehr für jemand anderen einstehen kann. Hier hütet sich Barth, in die Freiheit des Menschen [und Gottes!; M.H.] bevormundend einzugreifen. Diese feine, aber für die Wahrung der Freiheit so unendlich wichtige Grenze hat Barth stets äusserst sorgfältig geachtet.«118 Auch im sog. »Grenzfall«, auf den noch näher einzugehen sein wird,119 gilt, dass rationale Reflexion keineswegs obsolet ist und dementsprechend in der Urteilsfindung nicht übersprungen oder ausgelassen werden darf. Vielmehr ist sie zunächst durchzuführen, so dass nach ihr, d. h. im Anschluss an sie, letztinstanzlich auf Gottes Gebot zu hören ist und dieses dann auch entscheidet: »Nicht das größere oder geringere Gewicht der menschlichen Gründe entscheidet in dieser Sache – geschweige denn das, was Dritte als solche Gründe meinen wahrnehmen zu können und gutheißen oder ablehnen zu sollen, sondern ganz allein das Urteil Gottes, auf das ein Jeder in jeder wirklichen oder denkbaren Situation nach Erwägung aller menschlichen Gründe und Gegengründe letztinstanzlich hören muß.«120 Dass Barths Gebotsethik keineswegs unter Berufung auf eine göttliche Autorisierung bestimmter menschlicher Handlungen jede rationale Reflexion zu umgehen intendiert, soll im Folgenden anhand einiger längerer Zitate Barths exemplifiziert werden, die den sog. »Grenzfall« im Schwangerschaftskonflikt betreffen.121 Hinsichtlich des »Problem[s] der absichtlichen Schwangerschaftsunterrechung (abortus, Abtreibung der Leibesfrucht)« macht Barth etwa deutlich, dass es Situationen gibt, »in denen die Tötung keimenden Lebens nicht Mord, sondern geboten ist«122. Diese Situationen werden nach Barth aber solche sein, »in welchen alle Gründe, die für seine Erhaltung sprechen, genau bedacht und zur Geltung gekommen sind, 117 W. Lienemann, Karl Barth (1886 – 1968), 55. 118 A.a.O., 53. Vgl. ders., Hören, Bekennen, Kämpfen, 558: »Die fälligen Konkretionen vorwegnehmen zu wollen, ist nicht Aufgabe der Dogmatik; wohl aber kommt ihr, als einem Zeugendienst unter anderen, zu, bis an jene Schwelle zu führen, von der an jede kirchliche Gegenwart die ihr zukommende besondere Verantwortung im Hören, Bekennen und Kämpfen wahrzunehmen hat.« So auch D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 137 f. 119 Vgl. zu Barths Begriff des »Grenzfalls« Kap. II.2. der vorliegenden Untersuchung. 120 K. Barth, KD III/4, 470. 121 Vgl. dazu Chr. Kohler-Weiss’ (Schutz der Menschwerdung, 37 – 84) eingehende Analyse der Thematisierung des Schwangerschaftsabbruchs bei K. Barth. Fernerhin: A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 218 – 230. 122 K. Barth, KD III/4, 480.

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in welchen als ultima ratio gerade nur noch die Schwangerschaftsunterbrechung übrig bleibt: wo nicht alle Ausweichmöglichkeiten ins Gewicht gefallen sind, da wird gemordet, wenn man sich für diese entscheidet. Sie werden seltene Situationen sein: je mehr sie sich häufen, je mehr sie zu einer Art zweiter Regel werden, desto dringender ist zu vermuten, daß kollektive und individuelle Übertretung und Schuld im Spiele sind. Sie werden Situationen sein, in welchen eigentlich alle Beteiligten in großer Einsamkeit und Verborgenheit vor Gott sich verantworten und von daher ihre Entscheidung vollziehen müßten: kommt sie nicht von daher, ist sie nur das Ergebnis ihrer subjektiven Reflexion und ihrer Verständigung untereinander, dann dürfte es schon daraus klar sein, daß es sich um den echten Grenzfall, in welchem jenes Tun erlaubt und geboten ist, nicht handelt. Im Umkreis der damit angedeuteten Kautelen aber gibt es solche Situationen.«123 Barth spricht von der Dialektik des Wagens und Wägens, in der sich die Entscheidung zwischen Leben und Leben zu vollziehen habe. Diese Entscheidung unterliege zwar keinem menschlichen Gesetz, es müssten aber trotzdem vier Bedingungen gewährleistet sein, um diese Entscheidung legitimerweise als tatsächlich von Gott geboten zu betrachten: »1. um diese Sache – Leben gegen Leben – nicht um ein Anderes, um nichts Geringeres als um dieses Letzte muß es allen Beteiligten gehen, wenn die Entscheidung keine Fehlentscheidung, das beschlossene Tun nicht dennoch Mord (am Kind oder an der Mutter!) sein soll. Dann 2.: Ein gewissenhaftes Wägen, aber auch ein entschlossenes Wagen in einem gebundenen und gerade so freien Gewissen wird dabei auf alle Fälle stattfinden müssen. Wo hier unsorgfältig und in irgend einer Richtung unsauber reflektiert und unter innerem Schwanken entschieden wird, da dürfte die Sünde vor der Tür stehen. Dann noch einmal (3.): wo dieses Wägen und Wagen nicht vor dem Angesicht Gottes und in der Verantwortung ihm gegenüber stattfände, wie sollte es da Gehorsam, wie sollte da sein Inhalt gut und recht sein, auch wenn es nach der einen oder anderen Seite menschlich noch so begründet und gerechtfertigt erschiene? Und endlich (4.): weil dieses Wägen und Wagen, das Rechnen mit dem Gegebensein des Grenzfalles unter allen Umständen so gefährlich ist, darum wird es anders als im Glauben, daß Gott vergeben möchte, was jetzt menschlich gesündigt werden könnte, in der nötigen Gewissheit und Freudigkeit vor ihm bestimmt nicht vollzogen werden können.«124

123 Ebd. 124 A.a.O., 482.

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Entdecken und begründen

4.

K. Barths Gebrauch der analogia fidei im Entdeckungszusammenhang der Ethik

4.1.

Der Begründungs- und Entdeckungszusammenhang von Theologie und Ethik

G. Sauter hat im Blick auf die konstitutiven Zusammenhänge, innerhalb derer sich theologische Reflexion bewegt, die wissenschaftstheoretische Unterscheidung zwischen Begründungs- und Entdeckungszusammenhang in die Theologie eingeführt und u. a. für die Fragestellung fruchtbar gemacht, welchen begrenzten Beitrag Analogien zur politisch-ethischen Urteilsbildung leisten (können).125 G. Sauter setzt das umstrittene Problem der Analogiebildung in Beziehung zu dieser Distinktion in Begründungs- und Entdeckungszusammenhang und zwar mit dem erklärten Ziel, die »ethische Bedeutung von ›Analogien‹ wieder klarzustellen und die mit ›analogia fidei‹ gemeinte Entsprechung zum Glauben von einem Begriff der Analogie abzugrenzen, nach dem es um die materiale, abbildhafte Entsprechung ethischer Erfordernisse zum Sein und Handeln Gottes gehen soll.«126 Sauter intendiert mit dieser Klarstellung eine Abgrenzung einer berechtigten »christologischen Begründung« ethischer Urteile von jenem Wildwuchs ungebundenen Analogisierens, das die Gewinnung und Begründung ethischer Urteile in theologischer Verantwortung semantisch »kurzschließen« will und damit die christologische Grundlegung einer theologischen Ethik in Misskredit gebracht hat: »Es [ein solch ungebundenes Analogisieren; M.H.] meint, auf Theorien ethischer Verhältnisse verzichten zu können, weil es Situationserkenntnis durch assoziationsträchtige Bezeichnungen gewinnt oder zu gewinnen vermeint. Es verkennt, daß sprachliche Analogien nicht Situationen erschließen, sondern aus Situationen stammen, daß sie also kontextabhängig sind und daher der urteilenden Erkenntnis bedürfen. Ethische Erkenntnis wird durch Analogisierungen gefährdet, wenn ›Analogien‹ nichts weiter als Brückenbegriffe zwischen theologischer Sprachtradition und aktueller ethischer Orientierung sind; bei genauerem Zusehen enthüllen sie sich nur zu oft als Aequivokationen, also als Scheinbeziehungen, die sich auf den Gleichklang von Wörtern stützen.«127 Was ihren argumentativen Status betrifft, so können Analogiebildungen nach G. Sauter für die ethische Urteilsbildung nur heuristische Funktion haben,128 125 Vgl. Abschnitt 0.3. der vorliegenden Untersuchung. 126 G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 105. 127 A.a.O., 108. So auch ders., Hypothesen in der theologischen Ethik, 288 f.; E. Maurer, Sprachphilosophische Aspekte, 320. 128 Nach J.H. Yoder (Behold My Servant Shall Prosper, 150) haben Analogien lediglich illustrative bzw. affirmative Funktion: »You can illustrate something by analogy or you can

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Barths Gebrauch der analogia fidei

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indem sie unsere Wahrnehmung leiten: »Sie können auf eine ethische Situation hinweisen, auf Aufgaben aufmerksam machen, die des Urteils bedürfen. Analogien sind günstigstenfalls der Anlaß zur Erkenntnis und der Ansatz einer Beschreibung möglicher Beziehungen, deren Bezüglichkeit selber erst und allein durch das Glaubensurteil festgestellt werden kann und mitteilbar wird.«129 G. Sauter definiert Analogiebildungen dementsprechend als »sprachliche Versuche, die unsere ethische Realität mit dem Ziel erfassen, diese Beschreibung theologisch zu prüfen. Zu diesem Zweck sind sie hilfreich, sie dienen der situationsbezogenen Erkenntnis und der Klärung von Begriffen, an denen wir unser Handeln orientieren.«130 Analogien gehören – anders gesagt – in den vom Begründungszusammenhang zu unterscheidenden Entdeckungszusammenhang ethischer Urteile. Analogiebildungen erweisen sich für die Gewinnung ethischer Urteile oftmals als hilfreich, bisweilen sogar als notwendig, niemals jedoch für ihre Begründung als hinreichend. Sauter rekurriert mit seinen kritischen Bemerkungen zur Verwendung des Analogiebegriffs auf den politisch-ethischen Gebrauch, der vielfach unter Berufung auf K. Barth von ihm gemacht wurde.131 Um die mich im Folgenden beschäftigende Frage zu klären, ob diese Berufung auf Barth zu Recht oder zu Unrecht erfolgte, ist es unumgänglich, Barths eigene Ingebrauchnahme von Analogien zu eruieren. Dabei wird sich – um die These der folgenden Ausführungen vorwegzunehmen – zeigen, dass sich Barths Elaborationen durchaus mit G. Sauters kritischen Einwänden decken. Die vielfach kritisierte Analogiebildung repräsentiert nach Barth zwar ein Instrumentarium, um einen Begründungszusammenhang zwischen göttlichem und menschlichem Friedenshandeln herzustellen, beansprucht aber keineswegs, diesen schon qua Analogiebildung hergestellt zu haben. Vielmehr intendiert Barth mit der Analogiebildung einzig und allein, theologische und politische Begriffe in einen Entdeckungszusammenhang zu rücken, innerhalb dessen es überhaupt erst heuristisch möglich ist, die Beziehung zwischen den Begriffen zu prüfen bzw. Begründungsstrukturen zu entdecken. Analogien sind mithin vorläufige »Kurzformeln«, Präliminarien der Beziehung zwischen Gottes

reinforce a belief, which is already congenial, by observing structural symmetry. But you cannot prove to an unwilling listener the relevance of any particular argument from analogy. You will disagree precisely at the point of whether the two cases have in common that third something which would make them genuinely parallel for the purposes of providing the point at issue.« So auch ders., Karl Barth and the Problem of War, 100. 129 G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 107. 130 A.a.O., 108 f. 131 G. Sauter (Selbstdarstellung, 224) wendet sich aber durchaus, wenngleich vorsichtig und zurückhaltend, gegen Barth selbst und nicht nur den sog. »Barthianismus«.

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Geschichte und menschlichem Handeln, die im Entdeckungszusammenhang politisch-ethischer Urteilsbildung verortet sind.132

4.2.

Die analogia fidei – eine deduktive Argumentationsform?

Auf dem Hintergrund der Sauterschen Abgrenzung gegenüber einem statischen System für willkürliche christologische Deduktion wird man sich der vielfach kritisierten Hauptthese, dem »theologischen Spitzensatz«133 aus Barths Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946) mit besonderer Sensibilität zuwenden, der da lautet: »Sie [die Christengemeinde; M.H.] unterscheidet und wählt unter den sich jeweils bietenden politischen Möglichkeiten unter Zurückstellung und Ablehnung der anderen immer diejenige, in deren Realisierung ein Gleichnis, eine Entsprechung, eine Analogie, das Spiegelbild dessen sichtbar wird, was den Inhalt ihres Bekenntnisses und ihrer Botschaft bildet.«134 Es scheint so, als habe Barth mit diesem theologischen Spitzensatz ein operationalisierbares Handlungskriterium gewonnen, das sich etwa in ethischen Entscheidungskonflikten als Handlungsorientierung bewähren könnte. Den Beurteilungsmaßstab, man kann auch sagen: die Norm für richtiges oder falsches Handeln, bildet die Entsprechung zum Inhalt des christlichen Bekenntnisses und der Botschaft der Christengemeinde, in Bezug zu denen eine Widerspruchsfreiheit135 bestehen soll, die der Voraussetzung nach durch menschliches Unterscheiden und Wählen hergestellt werden kann, welches als grundsätzliche Variable (Wahl- und d. h. Gestaltungsmöglichkeit) der als bekannt postulierten semantisch relativen Konstante von Bekenntnis und Botschaft gegenübersteht. Indem sich im Rahmen der Christengemeinde die politisch-ethische Praxis des Wählens und Unterscheidens vollzieht, wird durch sie die Gestaltung der Bürgergemeinde zum Gleichnis des Reiches Gottes in Gang gebracht, da die Funktion, welche die Christengemeinde innerhalb der Bürgergemeinde wahrnimmt, illuminativ bzw. aufklärerisch ist. Ihrem Auftrag gemäß erinnert die Christengemeinde in Wahrnehmung ihrer politischen Mitverantwortung die Bürgergemeinde an das Reich Gottes (Barmen V). Sie tut dies, indem sie im politisch-ethischen Entscheidungsfall so optiert, dass durch die Realisierung ihrer Option ihr Handeln auf den Inhalt ihres Be132 Vgl. T. Vogel, Unterweisung in der Kunst des richtigen Fragens, 132. 133 E. Jüngel, Zum Verhältnis von Kirche und Staat, 127. Auch H. Lindenlauf (Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christi«, 226) identifiziert den Abschnitt 14 als das sachliche Zentrum des Vortrages »Christengemeinde und Bürgergemeinde«. 134 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 66. 135 Vgl. dazu das nachträglich in H.E. Tödts »Versuch einer ethischen Theorie sittlicher Urteilsbildung« (41 f.) installierte Element der »Korrespondenzkontrolle«.

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kenntnisses und ihrer Botschaft hin transparent wird. Dabei ist sie – und hier zeigt sich wieder einmal die Dominanz der geradezu als Leitkategorie gebrauchten Lichtmetapher für das Denken Barths – nicht selbst das Licht, sondern sie partizipiert an diesem Licht, welches ihr ebenso wie der Bürgergemeinde bereits leuchtet, wenngleich diese dafür blind ist, jene es hingegen teilweise erkennt. Das handlungsleitende Interesse der Christengemeinde besteht aufgrund ihres noetischen Vorsprungs nun darin, dass sie die Strahlkraft jenes Lichtes durch ihre eigene Existenz nicht absorbiert, sondern in all ihrem Handeln zugunsten der Erleuchtung und zu Ungunsten der Verdunklung des bestehenden Zusammenhangs zwischen dem politischen Bereich und der Heilsund Gnadenordnung Gottes entscheidet; und zwar sowohl die Christengemeinde in ihrer kollektiven Identität als auch das christliche Individuum als Glied dieses »Leibes«, für welches der zitierte »theologische Spitzensatz« zum subjektiven Grundsatz des Handelns, sprich: zur Maxime wird. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe, der tatkräftigen und politisch höchst relevanten Erinnerung an das Licht als das gemeinsame konstituierende Zentrum der konzentrischen Kreise von Christengemeinde und Bürgergemeinde im Raum der Königsherrschaft Jesu Christi,136 basiert auf der Gleichnisfähigkeit und Gleichnisbedürftigkeit der Bürgergemeinde bzw. des Staates. Barth versteht unter Gleichnisfähigkeit die der Bürgergemeinde gegebene Fähigkeit dazu, die die Christengemeinde konstituierende Wahrheit und Wirklichkeit als Licht »indirekt, im Spiegelbild zu reflektieren«137. Er interpretiert die Gleichnisbedürftigkeit als die bürgergemeindliche Armut ihrer geistlichen Blindheit. Dabei ist die Bürgergemeinde aufgrund der Unkenntnis ihrer analogischen Bezogenheit als göttliche Anordnung (ordinatio)138 auf das Gekommensein und Kommen des Reiches Gottes in Jesus Christus »aufs höchste gefährdet«139 und deshalb der Erinnerung daran bedürftig. 136 In der fast zeitgleich zum Erscheinen seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« im Sommersemester 1947 in Bonn gehaltenen Vorlesung »Die christliche Lehre nach dem Heidelberger Katechismus« betont Barth wie bereits in »Rechtfertigung und Recht« (vgl. etwa 19 – 23) in Auslegung der Frage 50 des Heidelberger Katechismus im Sinne von Barmen II die Universalität der Königherrschaft Jesu Christi, durch den »als das haupt seiner Christlichen kirchen […] der Vatter alles regiert« (BSRK 695,35 f.): »Sein Reich hat kein Ende: es hat nicht etwa seine Grenze in den Mauern der Kirche, an den Kreisen der Christen. Der Kyrios der ecclesia ist auch der Herr des Kosmos« (K. Barth, Die christliche Lehre nach dem Heidelberger Katechismus, 73). Vgl. auch ders., KD II/2, 632; E. Busch, Art. Königsherrschaft, 1587. 137 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 65. Zum philosophischen Gebrauch der Spiegelmetapher vgl. den Versuch des Neopragmatisten R. Rorty (Der Spiegel der Natur), die »aufklärerische« Vorstellung von »mind« als »mirror of nature« zu dekonstruieren. 138 So K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 54; ders., Rechtfertigung und Recht, 6. 139 Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 66.

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Ist mit alldem jedoch wirklich schon eine grundsätzliche, alle einzelnen Entscheidungsfälle übergreifende Handlungsanweisung gewonnen, wie die einleitenden Bemerkungen zunächst suggerierten? Beansprucht K. Barth tatsächlich, eine solche Handlungsanweisung im umfassenden Sinne gegeben zu haben? Man wird hier – will man Barths Verständnis politischer Ethik gerecht werden – sehr differenziert argumentieren müssen. Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass er die geistliche Erkenntnis in den Raum der Christengemeinde verweist und damit die Urteilsbildung, die geistlich nicht blind, sondern per analogiam fidei (kata te¯n analogian te¯s pisteo¯s), also nach dem Kriterium des Glaubens (Röm 12,6) verfährt, von normativen Totalaussagen abgrenzt. Der zitierte Spitzensatz hat, wenngleich er keine normative Totalaussage darstellt, gleichwohl normative Valenz. Er stellt ein Grundmuster dar, das – abgesehen von seiner Verortung im Raum der Christengemeinde – unabhängig von wechselnden Umständen, Situationsfaktoren und individuellen Umständen des Handelns bleibt. Es ist nun für ein angemessenes Verständnis der analogia fidei unerlässlich, sich klarzumachen, dass Barth dieses Grundmuster als Regel der Scheidung der Geister versteht. Barth verortet die analogia fidei – mit anderen Worten – innerhalb des spezifischen Zusammenhangs des von ihm skizzierten Urteilsschemas. Genau dies ist in der bisherigen Barthinterpretation nicht oder zumindest zu wenig beachtet worden. Barth aber hat aus gutem Grunde seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« die wichtige Schrift »Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens« hinzugesellt, um auf auftretende Missverständnisse zu reagieren. Letztere sind nämlich zu einem großen Teil mangelnder Beachtung dessen geschuldet, dass das von Barth entwickelte Grundmuster keine »kontextfreie Norm« präsentiert, sondern dem Sachmoment bzw. Schritt der Unterscheidung der Geister innerhalb der Sach- und Verlaufsstruktur politisch-ethischer Urteile zugeordnet ist. Isoliert man das von Barth anvisierte Grundmuster, so erscheint der Rekurs auf dieses Grundmuster dem Plädoyer für ein solches »kasuistisches« Subsumptionsmodell gleichzukommen, das nur den casus, die Norm und das Urteil kennt. So verstanden, scheint Barths Modell der analogia fidei hoffnungslos defizitär zu sein. Denn es bzw. sie würde dann unexpliziert lassen, dass das situationsbzw. kontextinvariante Grundmuster für ethisch reflektiertes Handeln im Kontext der Kirche als solches zur situativen Umsetzung geistgeleiteter praktischer Urteilskraft bedarf. Diese trägt den Besonderheiten der jeweiligen Situation im einheitlichen bzw. uneinheitlichen Gesamtzusammenhang mit anderen Situationen sowie dem Handlungsvermögen in der Kraft des Heiligen Geistes Rechnung. Dem normativen Grundmuster müsste also noch eine konkrete Anwendungsinterpretation zur Seite gestellt werden, damit Handlungen situationsadäquat erfolgen, denn die Christengemeinde ist schließlich – so Barth

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nachdrücklich – »nicht irgendeinem Naturrecht, sondern ihrem lebendigen Herrn verpflichtet. Sie denkt, redet und handelt darum gerade nie ›prinzipiell‹. Sie urteilt vielmehr geistlich und darum von Fall zu Fall.«140 Ohne einen notwendigen prüfenden Zwischenschritt können keine Handlungsanweisungen gewonnen werden und können auch keine auf Urteilen basierenden Handlungsanweisungen als begründet und ihrer Begründetheit als handlungsorientierend gelten. Nun repräsentiert das von Barth entwickelte Grundmuster aber die Regel der Unterscheidung der Geister innerhalb des Schemas der Sach- und Verlaufsstruktur politisch-ethischer Urteile, d. h. dass ihm die Sichtung und das Ordnen politischer Argumente in Bezug auf ein in der Kirche umstrittenes, ja einen Dissens hervorrufendes politisches Problem bereits vorausgegangen ist. Das wiederum heißt: Es bedarf in diesem Sinne nicht der oben beschriebenen Umsetzung (»kasuistisches« Subsumptionsmodell), insofern die Anwendungsinterpretation durch die Bestimmung bzw. Prüfung der Situation bzw. des »Falls« im Rahmen der politischen Argumentation bereits erfolgte. Die politische Urteilsbildung ist aber damit für Barth noch keineswegs abgeschlossen, sondern sie bedarf der theologischen Prüfung im Rahmen der Unterscheidung der Geister, zu der die analogia fidei die Regel liefert. Weil das Politische Implikat bzw. Prädikat des Theologischen ist (und nicht umgekehrt), muss dieser weitere Schritt, der gleichsam das Theologische ins Spiel bringt, erfolgen. Er ist das Resultat der Barthschen These von der »Immanenz des Politischen im Theologischen«141. Die Umsetzung des normativen Grundmusters, sprich: des theologischen Spitzensatzes der politischen Ethik Karl Barths, erfolgt im Sinne eines Handlungsgrundsatzes nun so, dass sich die Analogierealisierung im praktischen Einzelfall heuristisch über Analogisierung vollzieht, die die Beziehung zwischen dem Inhalt des Bekenntnisses bzw. der Botschaft der Christengemeinde und der politisch-argumentativ, aber eben noch nicht theologisch geprüften Situation ansatzweise zu beschreiben versucht. Diese Beschreibungen müssen allerdings noch beurteilt bzw. geprüft werden, nicht zuletzt am Metakriterium der im Urteilsprozess eingenommenen dialektischen oder eben undialektischen »Haltung«. Während die Prüfung in den Begründungszusammenhang der Ethik hineingehört, ist die der Wahrnehmung dienende Analogisierung dem Entdeckungszusammenhang der Ethik zuzuordnen. In letzterem geht es um ein mit 140 So K. Barth (Offene Briefe 1945 – 1968, 159) in seiner Replik auf Emil Brunner in »Theologische Existenz ›heute‹. Antwort an Emil Brunner« (1948). Auch in »Christengemeinde und Bürgergemeinde« unterstreicht K. Barth (a. a. O., 60), dass die Christengemeinde in gesellschaftspolitischen Fragen situativ bzw. kontextuell (»von Fall zu Fall«, »von Situation zu Situation«) urteilt. 141 E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 311.

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Hilfe von Analogiebildungen sich vollziehendes Wahrnehmen, das als solches bereits ein Urteilen impliziert: »Der Entdeckungszusammenhang selbst ist m.a.W. bereits der Raum der ethischen Urteilsbildung.«142 H.-R. Reuter bemerkt treffend: »[E]ine Ethik der Entsprechungen [ist] nicht darauf aus […], die ihr zur Gestaltung aufgegebene Wirklichkeit zu deduzieren, sondern sie zu entdecken.«143

4.3.

Die Valenz von Analogiebildungen im Entdeckungszusammenhang der Ethik

Wann immer Barth von Analogiebildungen Gebrauch macht, so ist ihm an der Unumkehrbarkeit der Superiorität des analogans gegenüber dem analogatum gelegen. Exakt in dieser Unumkehrbarkeit der Priorität besteht ihm zufolge die differentia specifica gegenüber einer »Geschichtsphilosophie«144 und zugleich das formale Spezifikum des »unterschiedenen Beieinanders«, der Dialektik der Unterschiedenheit und Einheit von göttlichem und menschlichem Friedenshandelns, mithin des chalcedonensischen Denkmusters K. Barths.145 Indem 142 R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 246. 143 H.-R. Reuter, Liebet eure Feinde, 175. 144 Vgl. dazu den Brief K. Barths (Offene Briefe 1945 – 1968, 276 – 289) vom 16. 09. 1951 an den ungarischen Bischof A. Bereczky, in dem Barth diesem vorwirft, aus der »Bejahung des Kommunismus ein Stück christlicher Botschaft, einen Glaubensartikel zu machen« (a. a. O., 279), mithin »Geschichtsphilosophie« (282; vgl. auch 284) zu treiben. Vgl. insbesondere zur zeitgeschichtlichen Einordnung dieses Briefes im sog. »Feldmann-Streit« E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 396 – 399; F. Jehle, Lieber unangenehm laut, 123 – 128; D. Koch, Offene Briefe Karl Barths zum Ost-West-Konflikt, 474 – 490; und vor allem D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 119 – 147. 145 In materialer Hinsicht bemerkt K. Barth (Briefe 1961 – 1968, 151 f.) in seinem Brief vom 10. Juli 1963 an J.L. Hrom‚dka: »Um was es mir im Verhältnis zu dir ging und geht, ist schlicht dies: daß ich nun einmal, seit ich hier in der Schweiz meine Erfahrungen mit dem ›Religiösen Sozialismus‹ von Kutter und Ragaz machte, seit ich dann 1921 nach Deutschland kam und dort die Jahre 1933 f. miterlebte, höchst allergisch reagiere gegen alle Identifikationen, aber auch gegen alle solche Parallelisierungen und Analogisierungen des theologischen und des sozial-politischen Denkens, in welchen die Superiorität des analogans (des Evangeliums) gegenüber dem analogatum (den politischen Einsichten und Ansichten der betreffenden Theologen) nicht eindeutig, sauber und unumkehrbar festgehalten und sichtbar bleibt. Wo deren Verhältnis umkehrbar wird, da rede ich – ich habe das in meinem letzten Brief immerhin nicht getan! – von einer die Theologie und die christliche Verkündigung beeinträchtigenden ›Geschichtsphilosophie‹.« Bereits in seinem »Abschied« von »Zwischen den Zeiten« wies K. Barth (Der Götze wackelt, 68 f.) im Jahr 1933 auf die Unumkehrbarkeit der Theologie-Politik-Relation hin, indem er den Verdacht, dass »hinter meinem theologisch-kirchlichen Urteil entscheidend doch nur mein politisches Denken über die Vorgänge dieses Jahres stehe«, mit Verweis auf seine Distanzierung vom Religiösen Sozialismus ausräumt: »Aber wenn ich wirklich von daher zu interpretieren wäre, dann hätte ich wohl schwerlich den deutschen Religiös-Sozialen so gründlich das Konzept ver-

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Barth auf der Unumkehrbarkeit besagter Relation insistiert, wehrt er sich gegen ein deduktives Missverständnis seiner politischen Ethik, wonach seine (friedens-)ethischen Urteile von den uneingestandenen und nicht-transparenten Prämissen einer politischen Theorie oder gar Ideologie kausal abkünftig sind. In Bezug auf Analogisierungen bildet immer das göttliche Handeln in Jesus Christus als Inhalt des Bekenntnisses bzw. der Botschaft der Christengemeinde das analogans und menschliches Handeln auf politischem Handlungsfeld das analogatum, welches sich über ein analogon als tertium comparationis entwickeln lässt. An einer zwölfgliedrigen Beispielreihe von Gleichnissen des Reiches Gottes in der Bürgergemeinde führt Barth dies paradigmatisch vor.146 Von diesen Beispielen gilt: »Das sind Beispiele christlich politischen Unterscheidens, Urteilens, Wählens, Wollens, Sicheinsetzens: Beispiele von Gleichnissen, Entsprechungen, Analogien des in der Christengemeinde geglaubten und verkündigten Reiches Gottes im Raum der äußerlichen, relativen, vorläufigen Fragen des Lebens der Bürgergemeinde.«147 Auf diese Beispiele bezieht sich die vielfach geübte Kritik an den vermeintlichen Ableitungen, die willkürlich erscheinen. Größtenteils ist dabei von den Kritikern Barths sein eigener Hinweis übersehen worden, dass er kein System christologischer Deduktion etablieren möchte.148 Der Weg vom analogans über dorben, wie dies schon 1919 nach dem unverdächtigen Zeugnis von Leonhard Ragaz geschehen ist, dann hätte meine theologisch-kirchliche Affinität zum Marxismus, Liberalismus etc. doch auch in den berüchtigten 14 Jahren irgendwie sichtbar werden müssen, dann müßten in dieser Zeit, und ich füge hinzu: auch in diesem Jahr 1933 meine politisch überwiegend ganz anders als ich eingestellten Zuhörer irgendetwas von diesem bösen kausalen Zusammenhang meiner Theologie gemerkt und sich entsprechend verhalten haben.« 146 Vgl. K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 67 – 74 (Abschnitt 15 – 26) und zur Orientierung die »Synopse« von H. Lindenlauf, Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christi«, 239 f., sowie die Ausführungen in Abschnitt II.5.3. dieser Untersuchung. 147 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 74. 148 A. Rich (Wirtschaftsethik I, 164; vgl. auch J. Moltmann, Politische Theologie – Politische Ethik, 149 ff.) adressiert beispielsweise den Vorwurf an Barth, durch seine christologische Fundierung der staatlichen Ordnung in problematischer Weise »direkt vom Absoluten her relative, weil geschichtliche Ordnungen zu begründen und daraus unmittelbar Maßstäbe für die Weltgestaltung zu gewinnen«, mit dem Resultat, »doch zu keiner wirklichen Annahme des Relativen [zu] gelangen«. Rich hat mit seinem Vorwurf einer christokratischen Überlegitimation der staatlichen Ordnung und des Relativen generell – wie B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 311 f.321) nachweist – Barths Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946) außer Acht gelassen und ausschließlich dessen frühere Schrift »Rechtfertigung und Recht« (1938) berücksichtigt, wobei mit Klappert hinsichtlich des Vorwurfs einer christologischen Verklärung bzw. theologisch-religiösen Überhöhung der gesellschaftlich-politischen Verhältnisse festzustellen ist: »[D]ie Ausführungen Barths in ›Christengemeinde und Bürgergemeinde‹ (1946) bestimmen die Gleichnisfähigkeit gesellschaftlicher und staatlicher Ordnung nicht deduktiv, sondern als gegenüber der politischen und gesellschaftlichen Vernunft explizierbare und vermittelbare, menschliche und

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das analogon zum analogatum verläuft nach Barth keineswegs deduktiv,149 sondern im Sinne einer letztgültig nicht systematisierbaren Epistemologie des Prophetischen: »Der Weg von hier nach dort verlangt auf der ganzen Linie christliche, geistliche, prophetische Erkenntnis.«150 Dieses Erfordernis resultiert aus dem Wesen des analogans selbst, nämlich aus der teleologischen Dynamik des kommenden Reiches Gottes, das seinerseits Prädikat des lebendigen Christus ist. Um sich von ihr ergreifen zu lassen, bedarf es nach Barth eines »gute[n] Teil[s] einfachen, gesunden Menschenverstandes« und »eine[s] Funken[s] von Prophetie«151. Und gerade weil es auch um prophetische Erkenntnis geht, relativiert Barth seine Beispielreihe, indem er feststellt, »daß die Übersetzungen und Übergänge von dort nach hier im Einzelnen immer diskutabel, mehr oder weniger einleuchtend sein werden, daß das, was dazu zu sagen ist, den Charakter von unverbesserlichen Beweisen nicht tragen kann.«152 Ja, Barth fordert explizit dazu auf: »Man überbiete also das hier Gesagte durch größere Weite, Tiefe und Genauigkeit!«153 Fernerhin wurde von manchem eilfertigen Kritiker nicht nur die attestierte

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also nur indirekte Entsprechung zu der Gerechtigkeit der kommenden Herrschaft Gottes« (a. a. O., 312). Von der Kritik A. Richs ist neben den eingangs erwähnten kritischen Stimmen M. Honeckers, H. Kress’ etc. die direkt auf Barths Analogiebeispiele in »Christengemeinde und Bürgergemeinde« Bezug nehmende Kritik H. Thielickes (Theologische Ethik I, 417 f.) zu unterscheiden, der Barth mit dem Vorwurf konfrontiert, »jeden einzelnen Zug des Politischen« christologisch fundieren und erklären zu wollen, indem er mittels »ausgefallener Gedankenmanöver« eine »formalistische Analogie zwischen Christologie und Politik« herstelle und damit eine »unmögliche christologische analogia entis« vertrete. Vgl. auch H. Zahrnt, Die Sache mit Gott, 200. Bereits I. Kant (KdU, B 449 f.) weist darauf hin, dass ein Analogieschluss nur auf der Basis der »Einerleiheit des Grundes« legitim ist, dass man aber »aus dem, worin sie [zwei Dinge: analogans und analogatum; M.H.] ungleichartig sind, nicht von einem nach der Analogie auf das andere schließen, d. i. dieses Merkmal des spezifischen Unterschiedes auf das andere übertragen« kann. Zur Bestimmung des analogon (tertium comparationis) ist deshalb die Bestimmung des »Punkte[s] der Ungleichartigkeit« (B 451) wichtig. K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 74. Vgl. a. a. O., 78 f.: »Dieses Evangelium, dessen Inhalt der König und sein jetzt verborgenes, einst zu offenbarendes Reich ist, ist von Haus aus politisch, und wenn es in Predigt, Unterricht und Seelsorge in rechter Auslegung der heiligen Schrift und in rechter Anrede an den wirklichen (christlichen und nicht-christlichen) Menschen verkündigt wird, notwendig prophetisch-politisch. Explikation und Applikation in jenen Vergleichs- und Entscheidungspunkten in einer mit keiner anderen zu verwechselnden Richtung und Linie wird da – ob in direkter oder indirekter Beleuchtung der politischen Tagesfragen – notwendig stattfinden, wo die Christengemeinde zum Dienst an diesem Evangelium versammelt ist.« Kursivierung: M.H. Ders., Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 14. Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 74. Zu Recht stellt M. Weinrich (Christus als Zeitgenosse, 223) fest: »Der Umstand, dass die christliche Existenz darauf gründet, daß Christus ›sein eigener Prophet‹ ist, bleibt als ein weiterer Hinweis zu werten, daß der Analogiegedanke für die Ethik nicht hinreichend ist«, also bei Barth »keineswegs zu dem alles bestimmenden ethischen Schlüsselbegriff wird«. K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 74.

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»Vorläufigkeit« der Beispiele ignoriert, sondern der allgemein-programmatische Charakter der Beispiele übersehen.154 Danach haben die genannten Beispiele zwar richtungsweisenden Charakter für konkrete politische Entscheidungen, sie beanspruchen aber keineswegs, hinreichende materiale Konkretionen des formalen Grundmusters ethisch verantwortbaren Handelns zu sein. Das Analogiekriterium ist nach Barth notwendig aber nicht hinreichend für politisch-ethische Urteile, die das Resultat der politisch-ethischen Urteilsbildung darstellen. Mit Analogisierungen sind geprüfte Urteile noch nicht gewonnen.155 Die jeweiligen Urteile müssen vom Inhalt des Bekenntnisses der Christengemeinde und ihrer Botschaft her erst im Begründungszusammenhang der Ethik geprüft werden, d. h. es gilt sie so zu begründen, dass die Konsistenz zwischen ihnen und diesem Bekenntnis bzw. dieser Botschaft erkennbar wird, so dass sie sich in diesen Urteilen spiegeln. Analogisierungen gehören mithin in den vom Begründungszusammenhang zu unterscheidenden Entdeckungszusammenhang der Ethik. In Barths politischer Ethik manifestiert sich also im praktischen Vollzug ihrer Ausführung die wissenschaftstheoretisch grundlegende Differenzierung zwischen beiden, auch wenn diese nominell nicht als solche firmiert. Doch auch auf textueller Ebene wird diese Differenzierung signalisiert, wenngleich scheinbar nur en passant. So betont Barth in Bezug auf seine zwölf Beispiele: »Noch konkreter könnte nur in Form von Nennung und Begründung einzelner geschichtlich bestimmter Stellungnahmen geredet werden.«156 Dies besagt, dass Barth keineswegs beansprucht, mittels Analogisierung bereits eine hinreichende Begründung politisch-ethischer Urteile geliefert zu haben. Die Analogisierung vollzieht sich als Hypothesenbildung in Aussageform.157 Insofern fällt die Gewinnung politisch-ethischer Urteile bei Barth nicht mit ihrer Begründung zusammen, ihre Geltung nicht mit ihrer Genese. Die kommunikative Urteilsbildung im Raum der Kirche ist nämlich mit der Analogisierung noch keineswegs abgeschlossen, wenngleich sie in Bezug auf ihren Entdeckungszusammenhang damit beginnt. Insofern trägt Barth auch in seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« dem berechtigten wissenschaftstheoretischen Anliegen G. Sauters Rechnung. Bis in die Termi154 Darauf weist auch E. Jüngel (Zum Verhältnis von Kirche und Staat, 132) hin. 155 Vgl. G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 106: »[E]s ist der christologischen Begründung gerade eigentümlich, sich auch hier vorerst zurückzuhalten und es nicht zu voreiligen Folgerungen, Veranschaulichungen und Materialisationen kommen zu lassen, die zu unzulässigen Rückschlüssen verleiten könnten.« 156 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 74. 157 G. Sauter (Hypothesen in der theologischen Ethik, 288) stellt fest: »Die Formulierung von Hypothesen ist […] ein Akt der Verantwortung dessen, was im Bekenntnis zu Gott ausgesagt wird.«

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nologie hinein wird evident, dass K. Barth die Differenz von Begründungs- und Entdeckungszusammenhang für die Entfaltung politischer Ethik beachtet;158 und zwar wiederum so, dass er die Unterscheidung der Zusammenhänge, aber nicht ihre Trennung vollzieht.159 Barth insistiert darauf, dass es sich (gemäß seines teleologisch-dynamischen statt statisch-deduktiven Modells) »in der christlichen Politik zwar nicht um ein System, aber auch nicht um je und dann zu realisierende Einzelfälle, sondern um eine stetige Richtung, um eine kontinuierliche Linie doppelseitiger Entdeckungen, um einen Zusammenhang von Explikationen und Applikationen handelt.«160 Christengemeinde und Bürgergemeinde bilden demzufolge den Zusammenhang von zwei zu unterscheidenden Personalverbänden, der in Bezug auf den Urteilsbildungsprozess konstituiert ist durch den Entdeckungszusammenhang politisch-ethischer Urteile für den Einzelfall. Es bedarf des In-Bezie158 Auch an der Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« lässt sich G. Sauters (Das richtige Denken ist das Prinzip der Verwandlung, 337 f.) Hypothese verifizieren: »Karl Barth hat sich immer wieder neu mit eiserner Konsequenz darum bemüht, den theologischen Begründungszusammenhang zu unterscheiden von allem, was der Theologie an Herausforderungen und Antworten, an Problemen und Einsichten zuwächst. Die Theologie kann viele Entdeckungen machen (darauf kommt Barth ja in KD IV/3 zu sprechen), sie kann von anderen Wissenschaften, von politischen Bewegungen, auch aus religiösen Bemühungen manches erfahren – aber sie kann aus alledem nicht den Gegenstand der Theologie lernen. Verschiedenartige Entdeckungszusammenhänge, wie sie uns durch politische und andere Theorien präsentiert werden, dürfen nicht zum theologischen Begründungszusammenhang werden. Ist dieser Unterschied einmal klar, kann man sich je nach Lage der Dinge – und besonders dann, wenn kein Weltanschauungskampf das Feld beherrscht – freimütig Entdeckungszusammenhängen zuwenden. In solchen Zusammenhängen hat Karl Barth zeitlebens gedacht. Die Schwierigkeit, sein Denken nachzuvollziehen und mit seiner Hilfe selbständig zu denken, rührt daher, daß Barth die Unterscheidung von Begründungs- und Entdeckungszusammenhang nie ausdrücklich vollzogen hat.« 159 Im Namen sog. kontextueller theologischer Entwürfe ist die Separation von Begründungsund Entdeckungszusammenhang in der theologischen Rezeption dieser wissenschaftstheoretischen Grundunterscheidung bei G. Sauter zugunsten eines »fließenden Übergangs« kritisiert worden (vgl. z. B. Chr. Dahling-Sander, Die kritische Rezeption kontextueller theologischer Entwürfe, 83 f.). Ungeklärt bleibt allerdings, welches Präventiv gegenüber einem Zerfließen des »fließenden Übergangs« sich etwa von Seiten kontextueller theologischer Entwürfe bildet. Zu fragen wäre weiterhin, ob »Unterscheiden« für Sauter – statt Separation – nicht vielmehr In-Beziehung-Setzen heißt. G. Sauter (Eschatologische Rationalität, 186) kennt jedenfalls ein »Scharnier« zwischen beiden Zusammenhängen: »Der Consensus wird häufig gleichsam das Scharnier zwischen beiden bilden, dann nämlich, wenn die doxologische Einstimmung und die argumentative Übereinstimmung zusammentreffen und ineinander übergehen«. Zum anderen verweist G. Sauter (a. a. O., 196) – auch das ist zu beachten – auf das »strukturalistische Theorienkonzept« (J.D. Sneed, W. Stegmüller) für naturwissenschaftliche Forschung als Parallele für seine theologische Rezeption dieser Unterscheidung, wobei jene das komplexe Zusammenspiel verschiedener, nicht voneinander ableitbarer Kontexte betont. Vgl. zu Sauters Consensus-Theorie auch M. Hofheinz, Die Herausforderung der Historischen Friedenskirchen, 127 – 147. 160 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 74. Kursivierung: M.H.

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hung-Setzens von beiden Personalverbänden, wobei dieses In-Beziehung-Setzen als Analogisierung vonstatten geht, in deren Vollzug es zur Wechselwirkung des beiderseitigen Entdeckens kommt. Vorläufige Zielvorgabe ist dabei das Entdecken eines analogatums zum analogans eines bestimmten göttlichen Handelns in Jesus Christus in Bezug auf ein bestimmtes politisches Problem. Die Entdeckung versteht Barth auch als eine »christliche, geistliche, prophetische Erkenntnis«161. Das Geistliche bzw. Prophetische konkurriert keineswegs mit dem Rationalen, sondern ist die Ausprägung einer Rationalität sui generis. Im Vollzug der Analogisierung zwischen göttlichem und menschlichem Handeln kommt es zu einer Wechselwirkung doppelseitiger Entdeckung, was sicherlich meint, dass bei der vom Ausgangspunkt göttlichen Handelns in Jesus Christus ausgehenden Suche nach dem analogatum das menschliche Handeln zunächst in einem Moment das analogatum bildet, im nächsten Moment aber bereits zum analogans für göttliches Handeln als analogatum wird. So entsteht eine oszillierende Bewegung der dialektischen Wechselwirkung von Explikation und Applikation, die der präzisierenden Bestimmung ethisch angemessenen menschlichen Verhaltens auf dem politischen Handlungsfeld dient. Im Vollzug dieser Bewegung tritt ein solches Handeln immer konturierter und konkreter in Erscheinung und so kann so phänomenologisch exakter erfasst werden. Gewisse Fixpunkte in diesem Prozess bilden erstens die Tradition und (dieser übergeordnet) zweitens die biblische Botschaft in ihrer »Eindeutigkeit«. Dies wird evident, wenn man den doppelten Begriffsgebrauch berücksichtigt, der sich in Barths Verwendung des Terminus »Richtung und Linie«162 manifestiert. Barth spricht wiederholt zum einen von einer »Richtung und Linie der im politischen Raum zu vollziehenden christlichen Entscheidungen«163 oder der »Richtung und Linie des christlich politischen Unterscheidens, Urteilens, Wählens, Wollens und sich Einsetzens«164, die sich als Tradition in der Ge161 Ebd. 162 Der terminus technicus »Richtung und Linie« (a. a. O., 60.62.65.75.79) hat in seinen unterschiedlichen Nuancierungen wirkungsgeschichtlich in der Sozialethik von H. Gollwitzer (vgl. etwa ders., Befreiung zur Solidarität, 153) bis O. Bayer (vgl. ders., Theologie, 370; Freiheit als Antwort, 302) Karriere gemacht. Letzterer bemerkt: »In dieser Gewissheit, [dass das Böse nicht bleibt; M.H.] in dem Glauben an den schon gewährten Frieden Gottes dürfen wir auch wagen, intensiv nach denjenigen Möglichkeiten des politischen Handelns zu suchen, die in der Bewegung und Richtung liegen, die der Friede Gottes vorgibt« (ebd.). Auch Chr. Frey (Vernunftbegründung in der Ethik, 42) führt die Verwendung des für seine Konzeption theologischer Ethik zentralen Begriffs »Perspektive« auf Barths Terminus »Richtungen und Linien« zurück. Im Rahmen der Versöhnungslehre (K. Barth, KD IV/2, 619 – 626) versucht Barth, die »Richtung und Linie« des konkreten Gebietens Jesu und des ihm in der Nachfolge zu leistenden Gehorsams auszuziehen. 163 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 60. So auch a. a. O., 62. Vgl. auch a. a. O., 79. 164 A.a.O., 65.

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schichte der Entscheidungen bzw. des Unterscheidens, Urteilens etc. herauskristallisiert. Der Terminus »Richtung und Linie« steht also für die Stetigkeit der Ausrichtung solcher Entscheidungen, Urteile etc. und widerspricht der immer wieder unterstellten Dominanz des Aktualismus in der Ethik Barths.165 Zum anderen kann der Terminus »Richtung und Linie« bei Barth auf die biblische Botschaft verweisen. Mit seiner Hilfe expliziert Barth, dass die Beschreibung des göttlichen Handelns und mithin die oszillierende Bewegung exakt hier ihren Ausgang nimmt: »Man wird dabei bestimmt gewahr werden, daß man auf diesem Weg durchaus nicht etwa Alles und Jedes begründen und ableiten kann. Die Eindeutigkeit der biblischen Botschaft wird nämlich dafür sorgen, daß auch ihre Explikationen und Applikationen sich in einer stetigen Richtung und in einer kontinuierlichen Linie bewegen müssen.«166 Die biblische Botschaft gibt die »Richtung und Linie« der dialektischen Bewegung vor. Sie orientiert im Prozess der Analogisierung. Und weil sie in diesem Prozess orientiert, deshalb stellt sie zugleich die Bedingung der Möglichkeit von Handlungsorientierung dar. Denn ebenso wie die biblische Botschaft Orientierung auf einem bestimmten politischen Handlungsfeld gewährt, das Barth in einem seiner zwölf Beispiele anvisiert, so gewährt sie auch in Falle der übrigen elf Paradigmen Orientierung, so dass sich gleichsam in der Summe eine stetige Linie und Richtung für menschliches Handeln in rebus politicis herauskristallisiert. Man mag kritisch an- und rückfragen, ob Barth seine Darlegung dieser Argumentationsstrategie nicht teilweise im praktischen Vollzug der Ausprägung seiner »fidelen« zwölf Gleichnisse in unzulässiger Weise abkürzt; und zwar dadurch, dass er die Analogisierung jeweils über eine einzelne begriffliche Entsprechung vollzieht, die sich bei genauerer Analyse als assoziative Äquivokation entpuppt, auf die dann unter Umständen das Diktum Luthers zutreffen könnte: »Omnis aequivocatio mater errorum«167. Die Problematik eines solches Vorgehens, welches das analogon (tertium comparationis) nicht exakt extrapoliert, zeigt jedoch bereits Barth selbst an, indem er auf die biblische Botschaft hinweist, in deren Kontext die Begriffe, die als analogans und analogatum fungieren, intensional gehaltvoll und damit theologisch bedeutsam werden. So merkt denn auch E. Maurer im Anschluss an G. Sauter an: »Die Fragwürdigkeit solcher Entsprechungen, die sich zumeist als assoziative Äquivokationen herausstellen, ergibt sich aber bereits daraus, daß Begriffe erst im Zusammenhang und auf einer biblischen Linie theologisch bedeutsam werden können. Soll die differenzierte Anwendung eines intensio165 P.T. Nimmo, Being in Action, vertritt besonders vehemt den Ansatz aktualistischer Ethik unter Berufung auf Barth. 166 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 74 f. 167 WA 39/II, 28,28 (Disputatio de sententia: Verbum caro factum est, 1539). Vgl. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles I, cap. 33 f.

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nalen Gehaltes wirklich als applicatio gelten, so darf andererseits eine ebenso differenzierte Situations- und Handlungsanalyse nicht fehlen.«168 Analogiebildungen bedürfen – mit anderen Worten – einer festen Verortung innerhalb eines Urteilsschemas, das die Sach- und Verlaufsstruktur politisch-ethischer Urteile umschreibt. Die eigentliche Problematik einer Analogisierung besteht nicht in der Analogisierung als solcher, zumal diese in ihrer begrenzten heuristischen Funktion sehr hilfreich und notwendig für die (friedens-)ethische Urteilsbildung bzw. die Gewinnung politisch-ethischer Urteile ist, sondern in einer Analogisierung, deren Geltungsbereich als unbegrenzt eingestuft wird, so als wäre mittels Analogiebildung als Applikation des ethischen Grundmusters ein »hartes« Handlungskriterium genannt, die ethische Urteilsbildung damit aber abgeschlossen und ein ethisches Urteil in Bezug auf alle möglichen Situationen hinreichend begründet. Diese Auffassung wurzelt letztlich in einer sprachphilosophisch »ungebrochenen« und in dieser »Ungebrochenheit« naiven Entsprechungs-Semantik, die die »Gebrochenheit« zwischen göttlichem und menschlichem Handeln begrifflich zu überbrücken können meint: »Die Entsprechung empirischer Situationen, Verhältnisse und Verhaltensweisen zu dem, was von Gott her gilt, steckt« – so G. Sauter hellsichtig – »nicht in den gleichlautenden Begriffen, mit denen wir die Wahrheit des Evangeliums und das ethisch Mögliche und Nötige bezeichnen. Sonst würden wir der Sprache überlassen, wie Analogien realiter entstehen […]. Ein solches ungebundenes Analogisieren kann nur – und dies ist für die Gewinnung ethischer Aussagen wichtig – an beziehungsreichen Begriffen interessiert sein, an bedeutungsgeladenen Wörtern, die nur entfaltet zu werden brauchen, um ethische Beziehungen herzustellen (Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden) […]. Entsprechung meint jedoch einen kommunikativen Vorgang, der zu einem Wirklichkeitsurteil führt: im Überprüfen der vermuteten Beziehungen unseres Handelns und Redens zu Gottes Reden und Handeln. Die Verheißungen, die wir nachsprechen, und die Vorschriften, nach denen wir uns richten, sollen zur Übereinstimmung kommen.«169 Der Frieden ist eine solche Verheißung, die dem Volk Gottes als Zuwendung der Gnade im Widerspruch und in der Finsternis des Weltgeschehens »über dem Abgrund leuchtet.«170 Mittels der Analogisierung wird der Christusbezug der Wirklichkeit angezeigt, indem die Wirklichkeit des Handelns Gottes im Weltgeschehen zu einer bestimmten Form menschlichen Handelns in Beziehung

168 E. Maurer, Sprachphilosophische Aspekte, 320. 169 G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 107 f. 170 K. Barth, KD IV/3, 812.

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Entdecken und begründen

gesetzt wird, die vermutlich mit der »Verheißung des Friedens«171 übereinstimmt.

4.4.

Zusammenfassung

Bezieht man die von K. Barth vor allem in seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946) beschriebene analogia fidei auf das von ihm sechs Jahre später in seiner Schrift »Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens« (1952) entwickelte Schema der Sach- und Verlaufsstruktur politischethischer Urteile, so tritt die Leistungsfähigkeit seiner Konzeption politischer Ethik konturiert ins Blickfeld. Die von Barth beschriebene analogia fidei ist, wie gezeigt wurde, bei Weitem zu komplex und zu differenziert, als dass sie den gegen sie erhobenen, standardisierten Vorwurf eines willkürlichen Deduktionsmodells rechtfertigen würde. Solange der mit der differenzierten Zuordnung und Unterscheidung von »Christengemeinde und Bürgergemeinde« einhergehende und ihr entsprechende differenzierte Argumentations- und Urteilsgang Barths nicht wahrgenommen wird, bleibt gleichnamige Schrift die »unbekanntbekannte[] Schrift Barths«172. Sie demonstriert die Unverzichtbarkeit von Analogiebildungen für die (friedens-)ethische Urteilsbildung. Barth beansprucht keineswegs, mit Analogiebildungen hinreichende Begründungen politisch-ethischer Urteile liefern zu können. Analogiebildungen gehören in den auf die Wahrnehmung bestimmter Probleme bezogenen Entdeckungszusammenhang der Ethik hinein, der von ihrem Begründungszusammenhang zu unterscheiden ist, in welchem die Prüfung politisch-ethischer Urteile erfolgt. Analogiebildungen sind für K. Barth sprachliche »Versuche, die unsere ethische Realität mit dem Ziel erfassen, diese Beschreibung theologisch zu prüfen. Zu diesem Zweck sind sie hilfreich, sie dienen der situationsbezogenen Erkenntnis und der Klärung der Begriffe, an denen wir unser Handeln orientieren.«173 Die von Barth gebildeten Analogien sind Urteile mit begrenztem Geltungsanspruch, unvollständige Beschreibungen der Beziehung zwischen dem Handeln von Christinnen und Christen und dem Versöhnungshandeln Gottes, mithin eben als Hypothesen zu verstehen. Die ethische Urteilsbildung bedarf solcher explizierten Hypothesen,174 weil sich nur 171 Ebd. 172 Chr. Frey, Vernunftbegründung in der Ethik, 45. 173 G. Sauter, Was heißt »christologische Begründung«?, 109. Vgl. ders., Eschatologische Rationalität, 172: »Jedes Analogisieren, jedes Suchen nach Entsprechungen kann nur zu der Frage führen, wie sich unsere Tat zu Gottes Handeln in Wahrheit verhält.« 174 Vgl. dazu auch: ders., Hypothesen in der theologischen Ethik, 302: »Wie dieser Friede zu erreichen und zu wahren ist, muß ethisch ausgesagt werden: mit Hilfe von Hypothesen, die

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Barths Gebrauch der analogia fidei

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dann, wenn der Beziehung Ausdruck verliehen worden ist, der diskursive Kommunikationsprozess der Prüfung vollziehen kann, auf den die Analogien aufgrund ihres vorläufigen Aussagecharakters angewiesen sind. Zugleich steuern sie den Kommunikationsprozess, indem sie die konkrete Vorgabe für diesen bilden, auf die er sich also beziehen sollte. Als solche Vorgabe bringen die Analogien beispielhaft zur Geltung, dass politisch-ethische und mit ihr friedensethische Urteilsbildung nicht unabhängig von der theologischen Erkenntnis des gnädigen Versöhnungshandelns Gottes zu haben ist. Denn Analogien sind die als Hypothesen zu verstehenden Konkretiserungsversuche des Zusammenhangs von Christologie und Ethik, so dass im Zuge einer »induktiven Beweisführung« einem Auseinanderreißen von beiden das Auseinanderreißen der konkreten Analogien vorausgehen müsste, bevor ihre grundsätzliche Inadäquanz, die sachlogische Unzulänglichkeit ihrer Bildung behauptet würde. Der Gebrauch, den Barth von Analogiebildungen macht, ist – wie gezeigt wurde – also nicht vorbehaltlos. Analogien haben Vorläufigkeitscharakter, weil sie Hypothesen sind, die um ihrer Bewährung willen an und in Einzelsituationen und Handlungszusammenhängen gebildet werden, also der Überprüfung noch offen stehen. Aufgrund seines Vorbehaltes gegenüber der Begründung politisch-ethischer Urteile durch die deduktive Ableitung ethischer Aussagen aus dogmatischen Begriffen, begrenzt Barth ihren Gebrauch. Mittels dieses limitierten Gebrauchs gelingt es ihm aber, auf die Bezogenheit von Christengemeinde und Bürgergemeinde, göttlichem und menschlichem Handeln im Raum der erleuchteten Königsherrschaft Jesu Christi hinzuweisen, sie anzuzeigen: »Was grundsätzlich sichtbar zu machen war und ist, ist die Möglichkeit und Notwendigkeit des Vergleichs der beiden Räume und der in diesem Vergleich vom ersten Raum hinüber in den zweiten Raum zu vollziehenden Entscheidungen.«175 Für die friedensethische Wahrnehmung der politischen Verantwortung der Christengemeinde kann die sich per analogiam fidei vollziehende Entdeckung der Vergleichbarkeit der aufeinander bezogenen Räume nur bedeuten, »daß wir unsere Urteile auch im Felde der Friedenspolitik nicht für bloße Ermessensurteile halten, sondern sie entschieden an unseren Glauben zurückbinden. Nur so entgehen wir der großen Versuchung der Christenheit, den Frieden Gottes in die Jenseitigkeit abzuschieben […]. Wer sich aber in Gottes Friedensbewegung hineinstellt, der kann nicht vergessen, daß Gott durch das Kreuz Jesu Christi der Welt Frieden gibt.«176 aussagen, was dem Handeln aus Glauben möglich ist.« Vgl. auch ders., Überlegungen zu einem weiteren Gesprächsgang, 162 f. 175 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 75. 176 H.E. Tödt, Gottesfrieden und Weltfrieden, 121.

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2.

Der Grenzfall – ein casus christologicus? Metakritische Bemerkungen zur Barth-Yoder-Debatte

1.

K. Barth und sein mennonitischer Schüler J.H. Yoder. Einleitende biographische Bemerkungen zum Verhältnis beider

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, entschloss sich K. Barth, der bereits Monate zuvor zum militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufgerufen hatte, zu einer besonders nachdrücklichen zeichenhaften Handlung. Barths Biograph E. Busch notiert: »Um mit einem Zeichen seine Aufrufe zum Widerstand zu unterstreichen, meldete sich Barth, obwohl er seit Jugendjahren aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert war, fast 55jährig, zum Schweizer Militärdienst. […] Barth wurde im ›bewaffneten Hilfsdienst‹ einer Einheit zugeteilt, deren Aufgabe es war, bei einem Angriff auf die Schweiz im grenznahen Bereich die deutsche Armee für eine Weile am Vormarsch zu hindern, damit sich unterdessen die Schweizer Hauptarmee im ›Reduit‹ der Alpenfestung sammeln könne. Die Einheit wäre, wie deren Gliedern bewusst war […], in diesem Fall ›geopfert‹ worden. Welchen Zeichenwert für Barth seine Soldatenuniform hatte, zeigt sich z. B. darin, daß er in einem von der Schweizer Zensur geöffneten und in Kopie in den Akten von Pilet-Golaz übernommenen Brief vom 19. 6. 1942 an Bischof Bell von Chichester diesem ein Foto von sich in Uniform zusandte mir dem Vermerk: ›resist the evil at all means‹. […] Am 7. 4. 1939 gründete er mit Politikern verschiedener Couleur die Untergrundorganisation ›Nationaler Widerstand‹, die gegen den Strom der anpassungsgeneigten eigenen Regierung schwimmen, im Fall eines deutschen Angriffs diese absetzen und den Partisanenkampf organisieren wollte.«1 1 E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 347 f. Dass K. Barth sich der Aussicht auf seinen eigenen Tod als Soldat dieser Einheit für den Fall eines deutschen Angriffs voll bewusst war, spricht aus seiner Beschreibung der rechten »Verteidigungsgesinnung« in seinem am 30. 6. 1940 gehaltenen Vortrag »Der Dienst der Kirche an der Heimat«: »Halten wir unseren Gott für unsere Macht, dann werden wir nämlich mit dem Zweifel an unserem eigenen Vermögen, mit der Scheu vor den großen Zahlen und Mitteln der Anderen, mit der Angst vor dem Tode und auch mit der Sorge, wie Alles herauskommen möchte – ich will nicht sagen: fertig werden, wohl aber recht umzugehen wissen, so, daß uns das Alles nicht lähmen und irre machen kann.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

E. Busch kommentiert: »Erstaunliche Tätigkeiten für einen, der eher dem Pazifismus nahestand«2 ! Weniger erstaunlich als vielmehr konsequent dürfte hingegen die Tatsache einzuschätzen sein, dass Barth seine damaligen Tätigkeiten in seinen Ausführungen zu Frieden und Krieg in der Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) aus der Retrospektive des Jahres 1951 in einer bestimmten Weise rechtfertigte. Der Schweizer Theologe tut dies unter Rekurs auf die Argumentationsfigur des sog. »Grenzfalls«, mit deren Gebrauch er eine seitdem vor allem in kirchlichen Verlautbarungen vielfach rezipierte Kategorie in die friedensethische Debatte einführte.3 Die Rezeption dieser Kategorie ist freilich auch dadurch erleichtert worden, dass auch D. Bonhoeffer sie in seinem Ethikfragment im Blick auf die ultima ratio des Krieges gebraucht und ebenso wie K. Barth hinsichtlich ihres Gebrauchs einschärft: »Alles wird im tiefsten Grund verkehrt, wenn aus dem Grenzfall das Normale […] gemacht wird.«4 […] Man hat von unserem General [Guisan] das schöne Wort gehört: ›Besser getröstet sterben als trostlos leben.‹ Das ist die Gesinnung, die unsere Heimat braucht, um unter allen Umständen recht und wirksam verteidigt zu werden« (a. a. O., 20). Vgl. dazu auch K. Barths autobiographische Bemerkungen in: ders., How My Mind Has Changed, 193 f. 2 E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 348. Vgl. ders., Karl Barths Lebenslauf, 317: »Barth, dem man bislang oft ›Pazifismus‹ vorgeworfen hatte, mußte sich jetzt, z. T. sogar von Freunden, als ›Militarist‹ anklagen lassen.« 3 Die Rede vom Grenzfall kehrt in den aktuellen EKD-Stellungnahmen wieder : In der Erklärung »Schritte auf dem Weg des Friedens« (1994) wird die Frage eingehend thematisiert, »ob der Einsatz militärischer Gewalt, der im Prinzip verwerflich ist, gleichwohl ethisch und rechtlich als Ausnahmefall, als Grenzfall gerechtfertigt […] werden kann« (a. a. O., 18). Dort heißt es: »Um deutlich zu machen, daß der Einsatz militärischer Gewalt eine zwar offenzuhaltende, aber nur mit größter Zurückhaltung und nach sorgfältiger Prüfung in Anspruch zu nehmende Handlungsoption ist, wird er als ›ultima ratio‹, d. h. als äußerste Erwägung oder Maßnahme bezeichnet. In dieser Formulierung kommt sachgemäß zum Ausdruck, daß Gewaltanwendung zum Schutz des Friedens ethisch gesehen den Grenzfall darstellt. Es ist darüber zu wachen, daß der Grenzfall wirklich Grenzfall bleibt. Denn das Offenhalten dieses Grenzfalls kann dazu führen, daß die Gewichte des politischen Handelns verschoben werden und der Einsatz militärischer Gewalt alles Interesse auf sich zieht und zum vorrangigen Thema der Politik wird. Eine ultima ratio, die faktisch über die politische ratio regiert, hört auf, ultima ratio zu sein« (a. a. O., 17 f.). Diese Aussage greift einschließlich des terminus technicus »Grenzfall« die Zwischenbilanz »Friedensethik in der Bewährung« (2001) (a. a. O., 73) auf. Vgl. auch die aktuelle EKD-Denkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen«, 72. H.-R. Reuter (Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 165) bedient sich des Begriffs »Grenzfall« in einem dezidiert rechtsethischen Rahmen: »Da Recht mit Zwangsbefugnis verbunden ist, sind im Rahmen einer rechtsbasierenden Friedensordnung Grenzfälle nicht auszuschließen, in denen sich die Frage nach einem zur Erhaltung des Rechts erlaubten Gewaltgebrauch stellt.« 4 D. Bonhoeffer, Ethik, 273. Es steht zu vermuten, dass Bonhoeffer die Kategorie des »Grenzfalls« von K. Barth übernommen hat und eigenständig auf die ultima ratio des Krieges applizierte, zumal Barth diese Kategorie – ohne sie allerdings auf den Krieg zu beziehen – bereits in seiner sog. »Münsteraner Ethik« verwandt hat (vgl. K. Barth, Ethik II, 329) und Bonhoeffer diese frühen Ethikvorlesungen Barths kannte (so Chr. Frey, Gottes Gebot und das Postulat universaler Humanität, 50). Erstmalig gebraucht K. Barth (Erklärung des Johannes-Evangeliums, 383 f.) diesen Begriff in seiner Münsteraner Vorlesung zum Johannes-

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Barth und sein mennonitischer Schüler Yoder

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Wohlgemerkt bringt Barth diese Kategorie erst in seine Argumentation ein, nachdem er zuvor konstatierte, dass »das rigorose Nein der pazifistischen Ethik fast unendlich viel für sich hat, fast überwältigend stark ist.«5 Auch kritisiert er die Generation seiner theologischen Lehrer (namentlich Th. Haering, W. Herrmann, A. Schlatter) sowie seine Zeitgenossen P. Althaus und E. Brunner dafür, dass »sie sich alle von jener relativen Kraft der pazifistischen These so gänzlich unangerührt zeigten, daß ihnen offenbar weder die Dringlichkeit des sechsten Gebots, noch die nackte Wirklichkeit des Krieges so deutlich vor Augen stand, daß sie zunächst einmal einfach an seine Abscheulichkeit denken mußten – wohl also dies, daß sie – alle offenbar in der Besorgnis, doch nur ja nicht als ›Schwärmer‹ zu erscheinen – mit seiner Möglichkeit mit solcher erschütternden Selbstverständlichkeit und Sicherheit rechneten, daß sie, wenn sie vom Staat oder vom Volk oder von der Geschichte redeten, den Krieg als etwas ebenso Natürliches vor Augen haben konnten, wie wenn es sich etwa um die Polizei handeln würde.«6 Bemerkenswert ist an diesem Zitat, dass Barth die Abgrenzungsangst gegenüber den pazifistischen »Schwärmern« regelrecht geiselt und zwar als Prolongatur »nachkonstantinische[r] Kriegstheologie«7 und als »Kehrseite einer einseitigen Bejahung des militanten Machtstaates«8. Gegenüber der jahrhundertealten Angst vor der »Schwärmerei« und der die Kirchengeschichte faktisch über weite Strecken bestimmenden unkritischen Rechtfertigung von Krieg hebt Barth das Recht des Pazifismus hervor. Barth spricht jedoch – nota bene! – in Abgrenzung gegenüber bellizistisch-militaristischer Kriegsideologie von der »relativen Kraft der pazifistischen These«9 und dem »Wahrheitsmoment der pazifistischen These«10. Trotz aller Sympathie für den Pazifismus – und insbesondere den christlich motivierten seitens der sog. Historischen Friedenskirchen11 – konzediert Barth den »Grenzfalls«, in dem ein Krieg der militärischen

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evangelium (Wintersemester 1925/1926) im Zusammenhang seiner Kommentierung von Joh 8,42b: »Wäre Gott euer Vater, so liebet ihr mich«. Barth kommentiert: »Darum geht es in der Gotteskindschaft: den Vater erkennen, seinen Willen tun wollen, oder objektiv (6. Kapitel) von ihm gezogen und gelehrt zu sein, wobei wir wieder daran denken, daß der Vater Gott ist, sofern er jedem Menschen per se nahe und bekannt ist. Aber auch das Umgekehrte gilt: wer diesen Gott erkennt, seinen Willen tun will, der ist sein Kind, und die entsprechende Nation, der unmögliche, der schauerliche Grenzfall: wer ihn nicht erkennt, seinen Willen nicht tun will, der ist nicht sein Kind, dessen Vater ist er nicht. Erst am Schluß von v 47 wird diese Negation, dieser Grenzfall mit dürren Worten namhaft gemacht.« Ders., KD III/4, 520. A.a.O., 523 f. A.a.O., 527. B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 255. K. Barth, KD III/4, 523. Kursivierung: M.H. A.a.O., 527. Vgl. dazu etwa das Gespräch, welches K. Barth (Gespräche 1964 – 1968, 418 – 438) im Rahmen seines Besuches der »Europäischen Mennonitischen Bibelschule« am 13. 12. 1967

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Verteidigung zu bejahen sei: »Ich möchte nicht versäumen, hier beiläufig zu erklären, daß ich heute diesen Fall z. B. gegenüber einem Angriff auf die Unabhängigkeit, Neutralität und territoriale Integrität der Schweizerischen Eidgenossenschaft für gegeben halten und mich entsprechend äußern und verhalten würde.«12 Pazifismus ist Barth zufolge zwar einem Militarismus klar und unzweideutig vorzuziehen, allerdings hebe diese Prävalenz nicht die Problematik des »unzulänglichen ethischen Absolutismus«13 auf, die dem prinzipiellen Pazifismus anhafte.14 Pazifisten sind Barth zufolge »keine freien Menschen«15, sondern Gefangene ihres eigenen ethischen Absolutismus, den der Basler Theologe

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auf dem Bienenberg bei Basel führte. Bereits in seiner Göttinger Vorlesung »Die Theologie Zwinglis« (Wintersemester 1922/1923) hatte Barth eine für die damalige Zeit bemerkenswerte Würdigung des Täufertums vollzogen, auf die auch Barths Schüler H. Gollwitzer (Einiges zu Eberhard Arnold und den Bruderhöfen, 119) als wegweisende Einschätzung verweist. Barth verurteilt dort das Täufertum nicht einfach in üblicher Manier als »Krankheit der Reformation« (K. Barth, Die Theologie Zwinglis, 234), sondern bemerkt, dass, wenn man die Schwärmer als solche Krankheit bezeichne, der Kranke »die Reformation selbst« sei, »und zwar die ganze Reformation« (ebd). Barth richtet die selbstkritische Bemerkung bzw. Anfrage an die Adresse der reformatorischen »Großkirchen«: »Wir möchten, unter dem Eindruck der Reformatoren und ihrer Werke stehend, aburteilen über die Schwärmer und ihr seltsames Treiben und werden doch nicht leugnen können, daß auch auf ihrer Seite nicht nur menschlich edle, sympathische Gestalten standen, sondern auch berechtigte, notwendige Motive vertreten oder wenigstens wichtige, nicht zu übersehende Anliegen angemeldet [wurden]. Wer berechtigt uns, die Märtyrer der Reformation zu feiern und den Tod eines Felix Manz in Zürich oder eines Michael Servet in Genf weniger zu respektieren? Auch sie starben unter Anrufung des höchsten Namens, unerschüttert und um ihres Glaubens willen. Wer berechtigt uns, den Kampf der Reformatoren um die reine Lehre absolut höher zu werten als den Kampf der Täufer um das reine Leben? Ist das letztere nicht zumindest auch eine sehr ernste Angelegenheit?« (a. a. O., 233 f.). In seinem Brief vom 18. 10. 1998 hat mir Prof. Dr. J. Fangmeier (Wuppertal) als Zeitzeuge mitgeteilt: »›Mennonitische Barthianer‹ sind durchaus vorstellbar. Ich entsinne mich gut an ein Gegenbeispiel, einen deutschen Theologiestudenten H.F., der von sich erzählte, er habe sich vom Mennoniten- zum Luthertum bekehrt. Als er das auch K. Barth mitteilte, war der fast entsetzt; für das Gegenteil hätte er Sympathie aufgebracht!« K. Barth, KD III/4, 529. A.a.O., 524. Der Verkündigungsauftrag der Kirche ist K. Barth (a. a. O., 526) zufolge weder auf einen Prinzipialismus der Vermeidbarkeit, noch der Unvermeidbarkeit festzulegen: »Die Kirche existiert in diesem Aeon, sie hat also nicht den Auftrag, zu verkündigen, daß der Krieg prinzipiell unvermeidlich und also prinzipiell gerechtfertigt sei, daß es in diesem Aeon nicht anders sein könne und also in Ordnung gehe, wenn es immer wieder Kriege gebe, an denen dann selbstverständlich auch die Christen teilzunehmen hätten. Auch in einer Welt, in der die Völker und Staaten in Sachen jener cura prior [der Herstellung einer für Alle sinnvollen und gerechten Lebensordnung; M.H.] immer erst in den ersten Stadien und sicher nie und nirgends am Ziel eines langes Weges sein werden, muß es praktisch von ferne nicht immer so sein, daß es Krieg gibt, geschweige denn, daß die Kirche das Recht und den Auftrag hätte, zu diesem Müssen von vornherein und dann praktisch jedes Mal konkret Ja zu sagen.« A.a.O., 536.

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Barth und sein mennonitischer Schüler Yoder

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prinzipienethisch interpretiert. Prinzipienethisches bzw. deontologisches Denken geht davon aus, dass die Darstellung und Begründung allgemeiner und unabdingbarer Grundsätze des Handelns auf einem unbedingt und uneingeschränkt verpflichtenden Gebot, einem Müssen (to deon) beruht. Diesem ethischen Paradigma sieht Barth den Pazifismus einer prinzipiellen Ablehnung des Krieges verpflichtet,16 die Barth als »Auflehnung gegen Gottes Gebot«, und zwar gegen das »hier und jetzt« ergehende »Gebot des lebendigen Gottes«17, interpretiert. So schreibt Barth am 24. 10. 1938 an die Niederländerin A. Tromp-de Jong, eine Vertreterin des Vereins »Kirche und Frieden«: »Wenn das Programm von ›Kirche und Frieden‹ im Sinne einer kirchlichen Bejahung eines unbedingten Pazifismus zu verstehen war, dann war es theologisch von Anfang an unmöglich. Die Kirche kann das Gebot Gottes mit keinem Prinzip, mit keinem ›ismus‹ identifizieren, mit dem Pazifismus so wenig wie mit dem Militarismus. Die Kirche kann und muß wohl den Frieden verkündigen; sie muß aber in jeder neuen Situation neu offen sein dafür, aus Gottes Wort zu hören, was jeweilen [sic!] unter Frieden zu verstehen ist. Sie kann sich also nicht darauf festlegen, daß dieser Friede durchaus und unter allen Umständen darin bestehen müsse, daß nicht geschossen wird.«18 Barths einschlägige Ausführungen im Rahmen seiner Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4), die uns im Folgenden beschäftigen sollen, blieben von pazifistischer Seite nicht unwidersprochen. Auch dies erstaunt wiederum nicht, zumal der Vorbehalt, den der Begriff »Grenzfall« ausdrücken soll, auch Barths Vorbehalt gegenüber den Pazifisten zur Sprache bringt. Insofern dieser Vorbehalt aus jenem resultiert, gilt konsequenterweise von beiden: »Es wird aber die Anwendung dieses Vorbehaltes, das Zurückgreifen auf ihn und das ihm entsprechende Sichbescheiden immer nur den Charakter einer ultima ratio, eines Grenzfalles, haben.«19 16 H. Bedford-Strohms (Gottes Versöhnung und militärische Gewalt, 211) Charakterisierung des deontologischen Pazifismus dürfte dem Barthschen Verständnis entsprechen: »Für den deontologischen Pazifismus scheidet die Anwendung militärischer Gewalt von vornherein aus, weil die unbedingte Pflicht zur Gewaltfreiheit dies ausschließt. Maßgeblich für seinen Lösungsvorschlag ist von daher nicht, welches Ergebnis die Analyse von Vorgeschichte und Verlauf des in Frage stehenden Konfliktes und der damit verbundenen Zielkonflikte ergibt, sondern maßgeblich ist allein die Vorgabe, dass alle aktiven Schritte im Umgang mit diesem Konflikt von Gewaltfreiheit geprägt sein müssen. Sofern der deontologische Pazifismus sich christlicher Motivation verdankt, verweist er häufig auf biblische Texte, von denen her die Gewaltfreiheit als verbindliche Lebensorientierung angesehen wird. Insbesondere die Gebote der Bergpredigt Jesu werden hier häufig angeführt.« Zur aktuellen Pazifismusdebatte vgl. B. Bleisch / J.-D. Strub (Hg.), Pazifismus; J.-D. Strub / S. Grotefeld (Hg.), Der gerechte Friede zwischen Pazifismus und gerechtem Krieg, 23 – 141. 17 K. Barth, KD III/4, 536. 18 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 138 f. 19 Ders., KD III/4, 389.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Barths mennonitischer Schüler John H. Yoder hat – wie bereits mehrfach erwähnt – eine fulminante und insbesondere im angelsächsischen Sprachraum äußerst wirkmächtige Kritik20 an Barths Einführung des sog. »Grenzfalls« als mögliche Ausnahme vom prinzipiellen Tötungsverbots entfaltet. Eine metakritische Auseinandersetzung mit derselben stellt die Intention dieses Kapitels der Untersuchung dar. Es geht mir im Folgenden um ein Nach-Prüfen der Kritik Yoders an Barth, gewissermaßen eine Kritik der Kritik Yoders an Barth, also um eine Entgegnung bzw. Replik auf dessen kritische Einwände. Dabei stelle ich keineswegs in Abrede, dass die Pazifismus-Kritik Barths trotz aller Berechtigung zum einen sehr pauschal ausfällt, weil sie nicht hinreichend zwischen den durchaus recht unterschiedlichen Pazifismus-Typen differenziert,21 sondern – von wenigen Ausnahmen abgesehen22 – unterschiedslos von dem Pazifismus spricht, zum anderen eine noch stärkere Würdigung erfordert hätte, als Barth selbst sie de facto vorgenommen hat. K. Barths Kennzeichnung der Seinsweise der christlichen Gemeinde als vorläufige Darstellung der einen in Christus versöhnten Menschheit hätte es durchaus nahegelegt, pazifistisch motivierten Gewaltverzicht als vorläufige Anzeige, Abbildung bzw. als ein Gleichnis der vollständig aufgedeckten und vollendeten Versöhnungswirklichkeit zu verstehen. K. Barths Schüler H. Gollwitzer ist – wie ich an anderer Stelle zu zeigen versucht habe23 – bezüglich einer solchen Würdigung deutlich über seinen Lehrer hinausgegangen, indem er etwa dem radikalen Gewaltverzicht der Historischen Friedenskirchen eine Erinnerungsfunktion an das Reich Gottes zuspricht. In ähnlicher Weise kann auch J. Ebach festhalten: Der prinzipielle Pazifismus »bleibt ein notwendiges Zeichen, ein Zeichen dafür, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass die Gewalt nicht das letzte Wort behalten wird, dass die Alternative der Gewaltlosigkeit nicht preisgegeben werden darf an die Sachzwänge. […] Wenn es die konsequenten Pazifisten nicht mehr gibt, dann geht die Erinnerung daran verloren, dass sich die Kette der Gewalt nicht unendlich fortsetzen darf.«24 H.-R. Reuter wendet die Metapher vom »Licht der Welt« (Mt 5,14) auf Gruppen wie die Mennoniten an und nennt »die Bereitschaft von 20 R.B. Hays (The Moral Vision of the New Testament, 284) bezeichnet Yoders Studie als »an incisive analysis of Barth’s ethic« und S. Hauerwas (With the Grain of the Universe, 203) konstatiert in seinen »Gifford Lectures«: »John Howard Yoder’s Karl Barth and the Problem of War […] remains the best critique of Barth, not only on the issue of non-violence but on Barth’s understanding of the status of the state.« 21 J.H. Yoder etwa unterscheidet in seiner Studie »Nevertheless. Varieties of Religious Pacifism« zwischen 21 verschiedenen Pazifismus-Spielarten. 22 Vgl. etwa K. Barth, KD IV/2, 622: »Man kann im Sinn des Neuen Testamentes nicht prinzipiell, nur praktisch Pazifist sein. Es sehe aber Jeder zu, ob er es, in die Nachfolge gerufen, vermeiden kann und unterlassen darf, praktisch Pazifist zu werden!« 23 Vgl. M. Hofheinz, Die Herausforderung der Historischen Friedenskirchen, 127 – 147. 24 J. Ebach, »Selig sind die Friedensstifter«?, 129 f.

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Barth und sein mennonitischer Schüler Yoder

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Christen, heute schon ohne den Schutz von Waffen zu leben, […] ein prophetisches Zeugnis und Zeichenhandeln […], das der politischen Kultur der Stadt auf dem Berge (Mt 5,14) zur symbolischen Präsenz verhilft.«25 Bereits als Barth den späteren Band III/4 seiner »Kirchlichen Dogmatik« im WS 1950/51 als Vorlesung vortrug, saß J.H. Yoder im Hörsaal.26 Einen Tag vor seinem Rigorosum (am 5. 7. 1957) bei Barth soll Yoder – der Legende nach27 – seinem Lehrer seine kritische Studie zum friedensethischen Abschnitt besagten Bandes vorgelegt haben. Diese Legende wird durch einen noch unveröffentlichten Brief Yoders vom 14. 6. 1957 an Barth gestützt, in dem sich Yoder bei Barth dafür entschuldigt, »dass ich nicht weiter zum englischen Kolloquium erscheine, aber besonders dafür, dass ich Ihr Angebot, mit Ihnen meine Behandlung Ihrer Stellung zum Krieg besprechen zu dürfen, noch nicht angenommen habe.«28 Allerdings versieht Yoder seinen Brief mit einigen Bemerkungen, die – wie er schreibt – »schon die Überreichung hätten begleiten sollen«. Offensichtlich hatte Yoder seine kritische Studie bereits vorher Barth übergeben. Dieser Brief ist aber keineswegs nur als werkgeschichtliche Marginalie interessant, sondern noch in anderer Hinsicht äußerst aufschlussreich. 25 H.-R. Reuter, Liebet eure Feinde, 186 f. Komplementär dazu verhalte sich die davon zu unterscheidende Handlungsweise von Christenmenschen, die bereit seien, um der Friedenssicherung willen notfalls Gewalt zu gebrauchen. Reuter nennt sie das »Salz der Erde« (Mt 5,13). Vgl. a. a. O., 185 – 187. 26 J.H. Yoder (The Royal Priesthood, 166) gibt seinen damaligen Eindruck retrospektiv (1957) wie folgt wieder : »For most of an hour his [Barth’s; M.H.] argument was categorical, condemning practically all the concrete causes for which wars have been and may be fought. The students became more and more uneasy, especially when he said that pacifism is ›almost infinitely right.‹ Then came the dialectical twist, with the idea of a divine vocation of selfdefense assigned to a particular nation and a war that Switzerland might fight was declared – hypothetically – admissible. First there was a general release of tension in a mood of ›didn’t think he’d make it,‹ then applause. What is significant here is the difference between what Barth said and what the students understood. Even though a consistent application of Karl Barth’s teaching would condemn all wars except those fought to defend the independence of small Christian republics, and even though Barth himself now takes a position categorically opposed to nuclear weapons, calling himself in fact ›practically pacifist,‹ every half-informed Christian thinks Karl Barth is not opposed to war.« 27 Mir wurde diese Legende von Stanley Hauerwas (Duke University) mitgeteilt. Vgl. M.T. Nation, Editor’s Foreword, X: »The original book, Karl Barth and the Problem of War, as Yoder says, goes back to the summer of 1957. The original fortyseven page essay was written while Yoder was taking six courses, completing his doctoral thesis, and preparing to move back to the U.S. at the end of the summer, having lived in Europe for eight years. With encouragement from others Yoder, more than ten years later, expanded this original essay into the book, which was then included in Abingdon Press’s series, ›Studies in Christian Ethics‹.« 28 J.H. Yoder, Brief an Karl Barth vom 14. 6. 1957 (Karl-Barth-Archiv Basel). Über Barths »englisches Kolloquium«, an dem Yoder – wie auch an Barths französischsprachigen Kolloquium teilnahm, informiert aus eigener Anschauung J.D. Godsey, Barth as a Teacher, 202 – 214.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Und zwar liefert Yoder dort eine konzise Zusammenfassung seiner »strong and impassioned critique«29 an Barths Implementierung des Grenzfallbegriffs in seine friedensethische Argumentation: »Es ist die Grundthese meiner Arbeit, dass die Bejahung des Krieges als eines möglichen Grenzfalles für den man sich bereithalten solle, nicht mit Ihren eigenen theologischen Ansätzen [überein]stimmt. Jedes Mal, da ich es versuche, die Begründung dieses Grenzfalles aufzufinden und ernstzunehmen, sei es in den Prolegomena, sei es in den allgemeinen Aussagen über das Leben, sei es im Passus über den Krieg oder in der näheren Begründung einer konkreten Entscheidung, muss ich feststellen, dass der Karl Barth, der solche Argumente braucht, nicht der wirkliche Karl Barth ist. Wenn Sie also das Gefühl haben, dass ich an Ihnen vorbeischiesse, dann sind Sie im Begriff, mir Recht zu geben. Nur besteht der Unterschied, dass ich das bewusst tue, anhand der Quellen, während Sie an den christlichen Pazifisten vorbeischiessen, in der Meinung, sie zu treffen. Die Frage, die mich eher interessiert, ist, ob die Position, von der aus ich die Kritik gegen jene Begründungen des Kriegsgebots richte, nicht der Ihrigen näher steht. […] Damit ist wieder gesagt, was in dem vervielfältigten Begleitmemorandum gesagt wurde; jener Text, obwohl er hauptsächlich von Mennoniten gelesen werden soll, will […] keineswegs eine täuferische, sondern eine ›barthianische‹ Kritik darstellen. Hätte ich wirklich unerbittlich-polemisch vorgehen wollen, so [hätten; M.H.] mir angesichts jener Leserschaft ganz andere Mittel zur Verfügung gestanden. Ich hätte die Fragenkomplexe ›Gemeinde / Welt‹ oder ›Autorität der Schrift‹ oder ›Responsability‹ aufrollen können und damit, teils schlüssig, auch teils kurzschlüssig, ein viel leichteres Spiel haben können.«30

2.

J.H. Yoder – der »bessere« Barthianer? J.H. Yoders »interne« Kritik an K. Barth

2.1.

Der Ansatzpunkt von J.H. Yoders Kritik an Barths Gebrauch des Grenzfallbegriffs auf dem Hintergrund seiner Barthrezeption

Dass sich Yoder »so comprehensively«31 mit einer Passage aus der Kirchlichen Dogmatik beschäftigt, die – wie Barth selbst im Gespräch mit den Kirchlichen Bruderschaften in Württemberg am 15. 7. 1963 retrospektiv konzediert – »nicht einer der allerglücklichsten Abschnitte in der Kirchlichen Dogmatik«32 ist,33 29 So D. Clough, Fighting at the Command of God, 214. 30 J.H. Yoder, Brief an Karl Barth vom 14. 6. 1957 (Barth-Archiv). Orthographisch leicht angepasst. 31 So D. Clough, Fighting at the Command of God, 214. 32 K. Barth, Gespräche 1963, 65. Freilich kann Barth auch zu diesem Abschnitt bemerken: »Es ist zumindest viel Gutes drin, was nützlich zu lesen ist – nach wie vor! Ich habe damals auch das sehr gründlich überdacht und formuliert; es ist nicht nur so hingeschmettert, sondern es war eine wohlüberlegte Sache. Also – ganz verwerfen kann ich es auch jetzt noch nicht.«

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wird auf dem konfessionellen Hintergrund seiner Zugehörigkeit zur freikirchlich-mennonitischen Kirche nachvollziehbar. Die Mennoniten gehören bekanntlich zu den sog. Historischen Friedenskirchen, »die Kriege und jede Art von Gewaltanwendung als mit dem Geist Jesu Christi und der Nachfolge unvereinbar ablehnen und Ersatzdienste organisieren.«34 Obwohl Yoder betont, dass er eine »barthianische Kritik«, d. h. systemimmanente Kritik gleichsam mit Barth gegen Barth, zu entfalten intendiert,35 so überrascht es keineswegs, dass Yoder Barth im Blick auf die Konnexivität von Grenzfallargumentation und zweitem Glaubensartikel kritisiert: »We are driven […] to conclude that the Grenzfall is not a formal concept with validity in the discipline of ethics. It is simply the label which Barth has seen fit to attach to the fact that, in some situations, he considers himself obliged to make a choice which runs against what all the formal concepts of his own ethics would seem to require. Barth has not constructed in the Grenzfall a reliable method of theological ethics in which it would be possible to found either logically or with relation to the revelation of God in Christ the advocacy of certain deviant ways of acting, such as killing when killing is otherwise forbidden. He has simply found a name for the fact that in certain contexts he is convinced of the necessity of not acting according to the way God seems to have spoken in Christ.«36

Gerade weil Yoder den neuralgischen Punkt in Barths Grenzfallbestimmung im s.E. unausgeführten Zusammenspiel von Christologie und Ethik sieht, muss er Barth in Bezug auf dessen eigenen Ansatz einer christologischen Grundlegung der Ethik Inkonsistenz und Inkonsequenz vorwerfen. Genau in dieser von Barth hinsichtlich seiner Grenzfallbestimmung unterlassenen Grundlegung der Ethik vom zweiten Glaubensartikel her erblickt Yoder das eigene täuferisch-freikirchliche Erbe, dem er sich verpflichtet weiß. Insofern interpretiert Yoder seinen Lehrer – und dies stellt das eigentliche Charakteristikum, ja Proprium der Yoderschen Barthrezeption dar – in der Fluchtlinie seiner eigenen Konfessionszugehörigkeit. Insofern erweist sich sowohl die Distinktion Yoders in interne 33 O. O’Donovan (Karl Barth and Ramsey’s »Use of Power«, 1 – 30, bes. 3.14) greift dieses Eingeständnis Barths auf und kritisiert dessen friedensethischen Ausführungen in KD III/4 als unklar und kriterienlos. Vgl. J.R. Bowlin, Barth and Werpehowski on War, Presumption, and Exception, 83: »Barth’s remarks on war, justice, and exception in the special ethics of his Church Dogmatics III/4 come burdened with all kinds of trouble and woe, all sorts of antinomies and contradictions. About this, nearly all commentators agree.« 34 So E. Geldbach, Freikirchen, 214. 35 J.H. Yoder (Karl Barth and the Problem of War, 55) beschreibt sein methodisches Vorgehen wie folgt: »The only feasible approach is […] to speak in terms of what might be called a ›Barthian pacifism,‹ seeking to meet Barth’s arguments within the framework of his own system, accepting the norms and the understanding of the task of Christian ethics which he prescribes, and then asking whether his view of war as eventually possible is consistent with his own standards.« 36 A.a.O., 73 f.

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und externe Kritik als auch der Hinweis, dass er ausschließlich eine interne Kritik exerziere,37 als irreführend, zumal Yoder gerade dann, wenn er als »Barthianer« zu urteilen vorgibt, zugleich in täuferischer Tradition bzw. nach eigenem Verständnis urteilt. Ein »täuferischer Barthianer« zu sein, bedeutet für Yoder nicht, ein hölzernes Eisen zu sein. Fernerhin kann man kritisch anfragen, ob es sich bei der von Yoder als externe Kritik deklarierten kritischen Anfrage, ob Barth nicht aus der Ausnahme eine Regel mache, indem er den als ultima ratio ausgewiesenen Grenzfall zugleich zur Legitimationsgrundlage für die Ausrüstung der Armee, eine allgemeine Dienstpflicht und letztlich auch der gesamten Militärindustrie mache, wirklich um externe Kritik handelt. Denn Barth selbst streicht ja sowohl das Exzeptionelle des Grenzfalles heraus als auch die Notwendigkeit der Grenzfallvorbereitung durch die Militärindustrie. Auch und gerade als »Barthianer« muss man Barth im Blick auf dieses spannungsreiche, »systemimmanente« Moment fragen, ob er damit nicht gleichsam die Büchse der Pandora öffnet, sprich: zum extensiven Gebrauch der ultima ratio einlädt.38 K. Barth hat in seinen Ausführungen zum Krieg im Rahmen seiner Auslegung des Tötungsverbotes die Maxime des Vegetius Renatus »si vis pacem, para bellum«39 in ein »si vis pacem, para pacem« in friedensethisch zweifellos wegweisender Manier umgewandelt und als Interpretament dieser Maxime seine Rede vom »Ernstfall Frieden«40 eingeführt. Angesichts dieser Akzentuierung stellt sich in der Tat die Frage, ob der »Ernstfall Frieden« im Zuge der permanenten Grenzfallvorbereitung nicht doch wieder zum »Ernstfall Krieg« degeneriert.41 Hier besteht offenkundig eine Spannung. Man wird allerdings fragen müssen, ob diese Spannung nicht im Sinne Barths als eine produktive Spannung zu interpretieren ist, die sich für die Aufgabe der rechtsethischen Gestaltung des 37 Vgl. ders., The Pacifism of Karl Barth, 25: »We raise them [the internal questions; M.H.] here not as representative of some other theology (›pacifist,‹ ›sectarian,‹ or other) starting from some other center than his own, but rather by asking whether it is the most authentic and original Barth whom we are hearing as he approaches, but rejects, an integral pacifism.« 38 Dies hat etwa H. Falcke (Der prekäre Grenzfall, 31 f.) getan: »Die Schwäche dieser Begriffe – Grenzfall und ultima ratio werden stets wechselseitig gebraucht – liegt darin, daß sie aus sich selbst heraus ihrem extensiven, entgrenzenden Mißbrauch nicht zu wehren vermögen. Die ultima ratio militärischer Gewalt – erst einmal konzediert – legitimiert Rüstungsetats und Rüstungsexport, den faktischen Vorrang militärischer vor ziviler Konfliktbearbeitung, die Dominanz des Militärischen in der Sicherheitspolitik, sie wird zur Büchse der Pandora. Diese Erfahrung wiederum bestärkt den prinzipiellen Pazifismus, der nur mit einem ›in principiis obsta!‹ dieser Gefahr beikommen zu können meint.« Vgl. ders., Aspekte der gegenwärtigen Friedensdiskussion beleuchtet durch Karl Barths Friedensethik, 178. 39 Vegetius Renatus, Epitome re militaris, B 3, Prolog. 40 K. Barth, KD III/4, 525. 41 Auf diese Spannung hat D. Clough (Fighting at the Command of God, 224) nachdrücklich aufmerksam gemacht.

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Yoder – der »bessere« Barthianer?

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Friedens geradezu als konstitutiv erweist. »Die Herstellung einer für Alle sinnvollen und gerechten Lebensordnung«42, die Barth fordert, kann ja weder ohne das eine noch das andere auskommen. Insofern wird jene vorläufige Lebensordnung von Barth ja gerade als ein solches Spannungsfeld umschrieben. Die rechte »Spannungsverteilung« versucht er durch die Betonung des exzeptionellen Charakters des Grenzfalls zu fixieren: »Nur wenn die Aktionsräume der Friedensgestaltung und zivilen Konfliktbearbeitung ausgelotet und ausgefüllt werden, besteht die Chance, daß der Einsatz militärischer Gewalt wirklich Grenzfall bzw. ultima ratio wird und bleibt.«43 Um auf Yoders Barthrezeption zurückzukommen, so lässt sich jedenfalls feststellen: Ob in der Tauflehre mit ihrer Ablehnung der Kindertaufe (KD IV/4: Fragment),44 in der Ekklesiologie45 mit der Akzentuierung des exemplarischen Charakters der Kirche in ihrer Rechtsgestalt (KD IV/2, § 67.4: »Die Ordnung der Gemeinde«)46 oder eben dem sich in seiner Heiligungskonzeption (KD IV/2, § 66: »Des Menschen Heiligung«) christologisch zuspitzenden Plädoyer Barths für einen »praktischen Pazifismus«47 – immer sieht Yoder seinen Lehrer der Sache nach in Richtung des Täufertums marschieren und vermag dementsprechend eine »free church tendency«48 bzw. »evolving free church ecclesiology«49 bei Barth zu identifizieren. Yoder charakterisiert Barth nach eigener Aussage »not by the way in which he did and did not continue the lines set by his heritage, but by where he was going, even though – by the nature of the case – such a reading of the implicit trajectory must be based on an unfinished story.«50 42 K. Barth, KD III/4, 526. 43 H. Falcke, Der prekäre Grenzfall, 31. 44 J.H. Yoder (Karl Barth: How His Mind Kept Changing, 170 f.) erkennt in Barths Betonung des ethischen Charakters der Kirche in der Zuspitzung seiner Tauflehre eine Bestimmung des Taufaktes als Konstitution einer sichtbaren Kontrastgesellschaft: »The mature rejection of paedobaptism in Vol. IV moves deeper to see baptism as the confessional act constituting the visible countercultural community, distinct by its very nature from the rest of the world (or its religions), which infant baptism tends to sanctify.« 45 Vgl. ders., The Basis of Barth’s Social Ethics, 143: »To say that the order of the gathered community must be derived from Christology is itself a free church move.« 46 Vgl. ders., Karl Barth: How His Mind Kept Changing, 170: »[T]he order enabled by the gospel is the paradigm for what God intends for all humankind.« Dem Abschnitt zur Kirchenordnung hat Yoder in seinem Oeuvre besondere Aufmerksamkeit gewidmet und ihn affirmativ rezipiert. So z. B. ders., For the Nations, 15 – 36; ders., Helpful and Deceptive Dualism, 74 ff.; ders., Karl Barth, Post-Christendom Theologian, 187 f.; ders., The Royal Priesthood, 102 – 126. 47 Vgl. K. Barth, KD IV/2, 622. Barths Ethik der Versöhnungslehre zeichnet sich nach Yoder gegenüber den früheren Ausführungen Barths in der Gotteslehre (KD II/2) dadurch aus, dass sie »increasingly substantial and Christological [sic!]« konzipiert sei. J.H. Yoder, The Basis of Barth’s Social Ethics, 146. 48 Ders., Karl Barth: How His Mind Kept Changing, 170. 49 Ders., The Basis of Barth’s Social Ethics, 147. 50 Ders., Karl Barth: How His Mind Kept Changing, 168 f.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Yoder versteht Barth »as being on the way to what Anglo-Saxon ecclesiological thinking calls the Free Church.«51 Weil Barth dieses Ziel seines Weges niemals erreicht habe, kennzeichnet Yoder den theologischen Denkweg seines Basler Lehrers als »incomplete pilgrimage«52. Überspitzt formuliert, hätte Barth nach Yoder Freikirchler (»free churchman«53) in täuferischer Tradition werden müssen, wenn er konsequent gewesen wäre und länger gelebt hätte. Zumindest bildet das täuferische Freikirchentum gemäß Yoder den Fluchtpunkt von Barths theologischer Entwicklung: »The free church position is intrinsically unfinished. […] Nonetheless there is no other characterization of the ductus of his growth. […] Since IV/2 there is no refuting his commitment to the free church vision.«54 Vor dem Hintergrund dieser identifizierten freikirchlichen Tendenz Barths entfaltet Yoder auch seine Kritik an Barths Grenzfallbestimmung, die im Folgenden eingehend dargestellt und analysiert werden soll. Auch in puncto Friedensethik bestimmt Yoder die differentia specifica zwischen einem von ihm als genuin christlich erachteten Pazifismus und Barths friedensethischen Ausführungen präzise als jenen Nukleus der Urteilsbildung, den Barths eigener Ansatz zwar impliziere, den der Basler Theologe aber weder vollständig noch stringent ausgearbeitet habe.55 Betrachtet man den Gesamtduktus von Yoders »rigorous yet respectful critique«56 genauer, so fällt zunächst auf, dass sie mit einer Würdigung beginnt. Ihren Ausgangspunkt bildet die Beobachtung, dass sich Barth in größter Nähe zum Pazifismus bewegt,57 ja eine Position einnimmt, die Yoder nicht nur als »almost pacifist«58 bzw. »relative pacifism«59 qualifizieren kann, sondern in theologiegeschichtlicher Hinsicht als bahnbrechend und beispiellos charakterisiert: »It is no exaggerating to say that in the pages devoted to the question of war Barth offers a criticism of the belligerent tradition of official Christianity which unprecedented and unparalleled from the pen of the occupant of any official European chair of theology. He denounces the doctrine of just war as an ›intolerable deformation,‹ affirms that pacifists are ›almost infinitely right‹ in their refusal of war. He denounces all of the reasons traditionally invoked to justify certain wars and to glorify the military, going to the 51 A.a.O., 169. 52 Ebd. 53 Ders., The Basis of Barth’s Social Ethics, 142: »Barth is a free churchman because of his doctrine of revelation, which demands that he recognize that belief can unite in community only those who respond to the Word.« 54 Ders., Karl Barth: How His Mind Kept Changing, 171. So ders., The Basis of Barth’s Social Ethics, 145. 55 So ders., Karl Barth and the Problem of War, 118. 56 A.a.O., 7. 57 So a. a. O., 19. Vgl. auch a. a. O., 38.51.81. 58 Ders., The Pacifism of Karl Barth, 17. 59 Ders., Karl Barth and the Problem of War, 52.

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Yoder – der »bessere« Barthianer?

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point of saying, with Jeremiah, that even the existence of a state is not necessarily worthy of defense by this means.«60

Yoder will seine Kritik präzise auf dem Hintergrund dieser Würdigung, d. h. gleichsam als innerpazifistische Kritik verstanden wissen. Yoder deklariert seine Kontroverse mit Barth explizit als »a debate to be carried on within the pacifist camp, between one position which is pacifist in all the general statements it can make but announces in advance that it is willing to make major exeptions, and another position, nearly the same in theory, which is not able to affirm in advance the possibility of the exceptional case.«61 In dieses »Camp« wurde Barth Yoder zufolge durch »his determination to rethink everything in the light of Jesus Christ«62 geführt. Als Problematik des »Grenzfalls« arbeitet Yoder in einer Art semantischer Analyse den christologisch unqualifizierten Gebrauch heraus, den Barth von diesem Begriff mache. Dieser sei dreifach bestimmt: Zum einen sei der Grenzfall »sign and safeguard of God’s sovereignty«63. Barth gesamter theologischer Denkbewegung zufolge dürfe die Freiheit Gottes nicht unter das Joch eines kategorischen »Du sollst nicht töten« im Sinne eines absoluten Prinzips, also eines prinzipiellen Pazifismus gezwängt werden. Der »Grenzfall« würde als Ausnahme(regelung) genau diesen Freiraum gewährleisten, indem er als Grenzfall das Prinzip begrenze. Zum zweiten fungiere der »Grenzfall« »as sign and safeguard of human responsibility«64 Ebenso wenig wie die Freiheit Gottes dürfe die Freiheit des Menschen durch ein abstraktes Prinzip, das kategorische Anwendung erfahre, in Frage gestellt werden. Auch hier halte der Grenzfall im Sinne einer begrenzenden »Leerstelle« den Raum frei für ein Handeln außerhalb des Prinzips. Und drittens sei der »Grenzfall« »the key to a casuistic based upon a renovated doctrine of just war«65. Obwohl sich Barth gegen Kasuistik ausspreche und diese entschieden ablehne, betreibe er sie nolens volens, da diese als »study of cases«66 in der friedensethischen Urteilsbildung unumgänglich sei.67 Der

60 Ders., The Pacifism of Karl Barth, 16. J.H. Yoder (Karl Barth and the Problem of War, 15) spricht an anderer Stelle von Barths friedensethischen Ausführungen als »an innovation unparalleled in mainstream Protestant theology«. So auch a. a. O., 38: »To say that war is worse than other kinds of killing already means a revolution in theological ethics.« 61 A.a.O., 52. 62 Ders., The Pacifism of Karl Barth, 30. 63 A.a.O., 17. So auch ders., Karl Barth and the Problem of War, 66. 64 Ders., The Pacifism of Karl Barth, 18. So auch ders., Karl Barth and the Problem of War, 68. 65 Ders., The Pacifism of Karl Barth, 19. So auch ders., Karl Barth and the Problem of War, 68. 66 Ders., The Pacifism of Karl Barth, 19. 67 Auch N. Biggar (Barth’s Trinitarian Ethic, 220 ff.; A Case For Casuistry in the Church, 36.46; The Hastening that Waits, 40 f.44 f.) hat diesen Kritikpunkt wiederholt gegen Barths Kasuistikkritik geltend gemacht.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Grenzfall sei eben auch ein Fall, und zwar ein solcher, dem Barth eine modifizierte Lehre vom gerechten Krieg unterlege.68 Barth diffundiert und konfundiert nach Yoders Beobachtung die drei Bedeutungsebenen des Grenzfallbegriffs und versuche aus der daraus resultierenden Begriffsverwirrung argumentatives Kapital zu schlagen: »Gathering together under one heading three meanings thus diverse or even contradictory, moving from one to the other en route without saying so, makes possible for Barth the conclusions at which he arrives in Volume III/4. The ›limiting case‹ is first of all justified by definitions a. and b.; then it is applied in form c.«69 Yoder beklagt aber nicht nur die begriffliche Diffusion und Konfusion, sondern moniert zugleich, dass sich bei Barth auf allen drei Ebenen ein christologisch unqualifizierter Begriffsgebrauch manifestiere. Die unchristologische Rede vom Grenzfall sei also keineswegs das Resultat von Konnotationsverlusten, die aus einer Übertragung des Begriffs auf die drei verschiedenen Ebenen oder aus der Diffusion bzw. Konfusion der Ebenen entstehe, sondern vielmehr das Ergebnis dessen, dass Barth auf keiner einzigen Ebene seiner christologischen Denkform treu bleibe. Der Grenzfallbegriff bei Barth sei mithin dreifach christologisch unbestimmt bzw. dreifach unchristologisch bestimmt. Damit ist der Hauptvorwurf Yoders an Barths Adresse benannt, den Yoder in seiner Argumentation in gleichsam immer neuen Variationen artikuliert und reproduziert. Einige Stichworte zu den einzelnen Varianten sind bereits in Yoders vermeintlicher Entschlüsselung des Barthschen Begriffsgebrauch genannt worden. Sie werden im Folgenden aufgegriffen und zu einer Art Synopse der wesentlichen »Gravamina« Yoders zusammengestellt.

2.2.

J.H. Yoders Gravamina

Es treten bei Yoder drei thematische Komplexe seiner Kritik an Barth in Erscheinung. Sie lassen sich plakativ unter die Rubriken 1. Kasuistik (2.2.1.), 2. Voluntarismus (2.2.2.), 3. »Lesser-evil«-Logik (2.2.3.) und 4. natürliche Theologie subsumieren, die gleichzeitig die an Barth gerichteten Vorwürfe benennen. Im Folgenden sollen die Einzelvorwürfe vorgestellt und anschließend (II.2.3.) metakritisch erörtert werden. Der Vorwurf der natürlichen Theologie, den Yoder im Zusammenhang mit Barths Rezeption der Kriterien des gerechten Krieges erhebt, wird allerdings aus dispositionellen Gründen erst im nächsten Kapitel (II.3. unter II.3.2.2.) traktiert. Die Kritik Yoders gipfelt in dem Ge68 Vgl. zu Barths Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg den Abschnitt II.3. der vorliegenden Untersuchung. 69 J.H. Yoder, The Pacifism of Karl Barth, 21.

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Yoder – der »bessere« Barthianer?

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samtvorwurf, dass Barth sich eben dieser vier gleichsam als ethische Theoriebausteine fungierenden Elemente als einer Art Surrogat für die unterlassene christologische Konzipierung des Grenzfalls bediene, von der er hätte Gebrauch machen müssen, wenn er sich nicht den Vorwurf der Inkonsequenz hätte einhandeln wollen: »One of the things which theologians have learned from Barth, in his critique of all philosophies of religion and all theologies which did not start with revelation, is to respond with a great deal of suspicion when presented with a timeless truth which can be abstracted from the concrete work of Christ. The theologian will be wary of importing philosophical, rational criteria of truth from somewhere other than salvation history. Yet in his discussion of the problem of war, this is precisely what Barth does.«70 Barth wird diesem Vorwurf zufolge in seinem Rekurs auf alle vier Elemente seiner eigenen ethischen Konzeption oder besser : seinen eigenen Axiomen untreu. Diese Axiome Barths lauten gemäß Yoder : »1. The norm of theology is the revelation of God in Jesus Christ. Other considerations such as arguments from Christian tradition, from ›nature‹ or ›self-evidence,‹ or from philosophical ethics, have no place as ultimate standards; a large part of the task of theology is to counteract the autonomy of such extraneous elements of thought. 2. […] Ethics participates fully in the bindingness and the objectivity of the ›queen of the sciences,‹ for it deals not simply with man as he is, but with Jesus Christ, perfect Man, God’s first and last Word to man. 3. Christian ethics must respect full the concrete situation in which man hears the call to obedience; valid ethical discourse is inseparable from accurate knowledge of historical realities and of the available alternatives.«71

Yoders Gesamtvorwurf besagt nun, dass Barth sich einer Metabasis eis allo genos schuldig macht, indem er fremde, ja vorher als theologisch illegitim gekennzeichnete Axiome in seinen friedensethischen Argumentationsgang eintrage. Yoder charakterisiert dies als »shifting of concepts«72.

2.2.1. Kasuistik Yoder zufolge ist Barths Position darin inkonsistent, dass er einerseits Kasuistik verwerfe und dementsprechend pejorativ von ihr spreche, andererseits aber selbst in einem bestimmten Sinne Kasuistik praktiziere. Barth kolportiere lediglich ein Zerrbild von Kasuistik, indem er ausschließlich offenkundig fehlgeleitete Formen von Kasuistik präsentiere, nämlich einerseits eine »pharisäi70 Ders., Karl Barth and the Problem of War, 111. 71 A.a.O., 55 f. 72 A.a.O., 113.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

sche« und andererseits eine »jesuitische« Variante von Kasuistik: »The ›Pharisee,‹ to use that term as Christians have defined it by caricature, has built a series of rules as to what is forbidden, and seeks to justify himself by abstaining from it. There is a second kind of casuistry which is generally identified, also through caricature, with the Jesuit. The ›Jesuit,‹ too asks, ›is this act forbidden?‹ Then he finds ways for saying that, although it is forbidden, he may commit the act and still be justified.«73 Diese beiden Spielarten der Kasuistik erwiesen sich darin im Gebrauch als fehlgeleitet, dass sie als Instrumentarien der Selbstrechtfertigung dienen würden, um sich ein »gutes Gewissen« zu verschaffen. Auf dem Hintergrund dieses Zerrbildes verwerfe Barth den Pazifismus als Erscheinungsweise dieser fehlgeleiteten Kasuistik. Verstehe man allerdings unter Kasuistik jene Schulung der Urteilskraft, die aus der Einübung der Anwendung einer moralischen oder rechtlichen Norm auf einen konkreten Einzelfall resultiere, so könne man nur zu dem Ergebnis kommen, dass Barth selbst Kasuistik praktiziere, wenn er das Konzept des Grenzfalls einführe: »The extreme case is a concept of cas-uistry [sic!]. […] If casuistry, in the sense of deduction from valid general value judgments including concern for their overlapping or conflict with other values, were to be completely eliminated, then there would be no reason why the extreme case (Grenzfall) should be at the border (Grenze). […] The fact that the only examples Barth can find of conceivable extreme cases are precisely extreme cases, where in the nature of the situation one value seems to be competing with another, is a demonstration that he cannot escape casuistry. […] The question therefore is not whether or not to use casuistry, but whether or not the casuistic process with which one attempts to evaluate a decision is being manipulated fairly, in honest realization of its limitations, in clarity as to its norms, with flexibility to meet new situations, and with a constant readiness to submit every value judgment to the examination of one’s brothers.«74

In Yoders Kritik werden hier in ersten Andeutungen Ansätze dessen erkennbar, was S. Hauerwas in engem Anschluss an Yoder »narrative Kasuistik«75 genannt hat. Dabei geht es um eine Kasuistik, die als integraler Bestandteil einer kirchlichen Ethik, ja als kirchliche Ethik im Vollzug zu verstehen ist und die auf einer »hermeneutic of peoplehood«76 basiert. Intendiert wird – in Yoders eigenen Worten – eine Kasuistik, von der gilt: »[I]t comes to the situation prepared with certain criteria derived from the Christian community’s past experience with God’s revelation, instead of coming empty-handed and deciding extempora73 A.a.O., 60. 74 A.a.O., 62 f. 75 Vgl. dazu: S. Hauerwas, Christian Existence Today, 67 – 87; ders., Selig sich die Friedfertigen, 179 – 200; R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 239 – 265. 76 Vgl. J.H. Yoder, The Priestly Kingdom, 15 – 45.

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Yoder – der »bessere« Barthianer?

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neously on the basis of the possibilities and interests which seem in the moment to be at stake.«77 Gegen die in dieser Weise von Yoder beschriebene Kasuistik hat Barth allerdings, schaut man sich dessen Beurteilung der Kasuistik näher an, nichts einzuwenden. Yoder übersieht m. E. in seiner Darstellung der Kasuistikkritik Barths, dass sich der Schweizer Theologe nicht einfach pauschal gegen Kasuistik wendet und sie auch nicht rundherum ablehnt,78 sondern ihr zum einen durchaus eine particula veri zuschreiben kann und zum anderen zwischen einer praktischen Kasuistik und einer theoretischen, systematischen Kasuistik differenziert.79 Der Begriff »Kasuistik« ist ein zutiefst erklärungsbedürftiger Begriff,80 der es erfordert, dass man seine Verwendungsweise bei Barth zu eruieren versucht. Die particula veri der Kasuistik besteht Barth zufolge in zweierlei: Erstens darin, »daß jeder Mensch sich von einem Moment und Akt seines Handelns zum anderen im casus conscientiae befindet.«81 Mit der Anwendung eines allgemeinen Gesetzes auf besondere Gewissenfälle hat es auch die Kasuistik zu tun, wobei Barth mit seiner Kritik nicht das »Dass« der Anwendung, sondern das Wesen des allgemeinen Gesetzes anvisiert, welches appliziert wird. Handelt es sich – anders gesagt – um das Gebot Gottes oder um ein solches allgemeines Gesetz, das in der Überzeugung kompiliert wurde, dass Gottes Gebot etwa in Gestalt des Naturrechts, der Bibel oder der Tradition objektiv, d. h. als »bekannter Gesetzestext«82 vorgegeben ist? Es ist jene Überzeugung als Voraussetzung des »erschlichenen allgemeinen Gesetzes«83 und damit der Kasuistik, die Barth kritisiert. Barths Auffassung zufolge ist das Gebot Gottes nicht mit einer allgemeinen Regel im Sinne eines bekannten Gesetzestextes zu identifizieren, sondern es ist darunter das sich als allgemeines Gebot Gottes für alle Menschen zugleich als ganz besonderes, konkretes, spezielles Gebot ereignende Gebieten Gottes zu verstehen.84 Eben so fällt Barth zufolge die Entscheidung 77 Ders., Karl Barth and the Problem of War, 63. 78 So treffend Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths, 205. 79 Exakt diese Distinktionen haben weder J.H. Yoder noch N. Biggar (The Hastening that Waits, 40 f.) in ihrer Replik auf Barths Kasuistikkritik beachtet. Letzterer urteilt insofern allzu eilfertig, wenn er Barths Kasuistikkritik als »a misconception« (a. a. O., 41) bzw. als »nourished by the traditional Protestant prejudice« (a. a. O., 45) abqualifiziert. Vgl. ders., Barth’s Trinitarian Ethic, 220: »Barth […] misunderstood casuistry.« Barths Porträt der Kasuistik umfasst wesentlich mehr als nur die Stigmatisierung eines »closed, rationalistic ethical system which allows no room for the highly individual, vocational dimension of moral deliberation«. Ders., The Hastening that Waits, 163. 80 So nachdrücklich R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 253. 81 K. Barth, KD III/4, 8. 82 A.a.O., 5. 83 A.a.O., 7. 84 Vgl. a. a. O., 11: »Es [das Gebot Gottes; M.H.] wird dem Menschen gerade nicht nur allgemein und formell, sondern in konkreter Fülle, in inhaltlicher Bestimmtheit gegeben«.

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menschlichen Handelns in jedem der »Gewissensfälle«, »daß Gottes allgemeines Gebot für alle Menschen in jeder Lage als solches auch das ganz besondere, konkrete, spezielle Gebot für diesen und diesen Menschen im ›Gewissensfalle‹ seiner besonderen Lage ist und also das Maß, an dem die Güte oder Bosheit seines Handelns gemessen ist.«85 Zweitens besteht die particula veri der Kasuistik im »Dreinreden« als einer möglichen,86 ganz konkreten Gestalt des Gebotes Gottes: »Es kann nämlich so sein – und es wird immer wieder so sein – daß eben jetzt und hier das allgemeine Gebot Gottes in seiner konkreten speziellen Zuspitzung dahin lautet, daß dieser Mensch jenem dreinreden, jener von diesem sich dreinreden lassen soll, daß eben jetzt und hier das Gebot Gottes vom Einen zum Anderen ausgerichtet, vom Anderen durch den Einen vernommen werden muß, daß also gerade der Gewissensfall, in dem jeder für sich steht, für beide jetzt dies bedeutet, daß sie miteinander reden, aufeinander hören sollen.«87 Wichtiger noch als die von Barth beobachtete particula veri der Kasuistik ist sein explizites Plädoyer für »eine praktische Kasuistik, eine Kasuistik im Ereignis, eine Kasuistik des prophetischen Ethos«88, die der christlichen Freiheit Ausdruck verleiht und fallweise neu entscheidet, anstatt Entscheidungen aus Obersätzen abzuleiten.89 Die praktische Kasuistik besteht »in dem gar nicht zu vermeidenden Wagnis […], Gottes konkretes spezielles Gebot jetzt und hier so und so zu verstehen, sich selbst dementsprechend konkret und speziell so oder so zu entscheiden und auch Andere zu solcher konkreter spezieller Entscheidung aufzurufen.«90 Eine solche praktische Kasuistik ist integraler Bestandteil des Barthschen Urteilsschemas, wie es im vorausgehenden Kapitel (II.1.) nachgezeichnet wurde. Wenn Barth in seiner wegweisenden Schrift »Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens« (1952) von dem »Wählen« spricht »zwischen einem Besseren und einem Schlechteren nicht nur, sondern seinem [des Christenmenschen; M.H.] christlichen Glauben gemäß (›nach der Analogie des Glaubens‹ Röm 12,6)«91, so wird damit nichts anderes als jene praktische Kasuistik umschrieben, die das unvermeidbare Wagnis darstellt. Die Analogiebildung will präzise als Hilfsmittel praktischer Kasuistik verstanden werden. Insofern ist Barths Rede von der »praktischen Kasuistik« keineswegs als ein 85 A.a.O., 8. 86 Vgl. M. Hofheinz, »Dreinreden« – Explorationen zur ethischen Valenz prophetischer Rede, 127 – 184. 87 K. Barth, KD III/4, 8. 88 Ebd. Dort z. T. kursiv. 89 Insofern Barth diese praktische Kasuistik befürwortet, betreibt er – anders als J.H. Yoder und N. Biggar (Hearing God’s Command and Thinking About What’s Right, 112) behaupten – keineswegs »covertly« Kasuistik. 90 K. Barth, KD III/4, 8 f. 91 Ders., Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 8.

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uneingelöster Programmbegriff zu verstehen, sondern als indirekter Hinweis auf dieses andernorts ausführlicher erörterte heuristische Instrumentarium ethischer Urteilsbildung, ja letztlich als Verweis auf Barths Urteilsschema. Von dieser praktischen Kasuistik unterscheidet Barth die theoretische, systematische Kasuistik. Gegen sie richtet sich Barths Veto: »Theoretische, systematische Kasuistik aber, kasuistische Ethik ist ein Unternehmen, in welchem der Mensch, auch wenn er sich auf Gottes Gnade berufen sollte, aus dem Geschehen, aus der Freiheit und auch aus der Gefährdung des Ereignisses gerade heraustreten, sich gewissermaßen aufs Trockene bringen möchte, um dort, wissend um Gut und Böse, wie Gott zu sein.«92 Die theoretische Kasuistik unterzieht Barth seiner beißenden Kritik, indem er ihr a) die annihilatio Dei bzw. Apotheose des Menschen,93 b) eine falschen Prämissensetzung, nämlich die Stilisierung des Gebotes Gottes zu einer »moralischen Allgemeinwahrheit«94 und c) die Destruktion menschlicher Freiheit95 vorwirft. Diese Gestalt der Kasuistik hat Barth im Blick, wenn er bemerkt: »Der Weg der Kasuistik ist grundsätzlich ungangbar«96. Barth wendet sich gegen Kasuistik, insofern sie zum einen eine »Fixierung des göttlichen Gebotes in eine[n] großen oder kleinen ethischen Gesetzestext« praktiziert und zum anderen »eine Methode und Technik der Anwendung dieses Textes auf die Fülle der Bedingungen und Möglichkeiten des Handelns aller Menschen«97 wählt. Nicht die Methode der Anwendung als solche wird von Barth kritisiert, sondern nur die Methode der Anwendung dieses Textes, der nämlich als allgemeines Gesetz zwischen die göttliche Entscheidung und die eigene bzw.

92 Ders., KD III/4, 10. Dort z. T. kursiv. 93 Vgl. a. a. O., 9: »Wenn die spezielle Ethik zur Kasuistik wird, so bedeutet das, daß der Ethiker sich selbst auf den Thron Gottes setzen, Gut und Böse unterscheiden und je als solches beurteilen will: nicht erst Anderen, sondern sich selbst gegenüber. Er macht sich selbst an der Stelle zum Herrn, König und Richter, wo nur Gott das sein kann.« 94 A.a.O., 13. Vgl. a. a. O., 11: »Und nun macht die kasuistische Ethik eben – ob sie an einer Tradition oder an einer naturrechtlichen Konzeption oder auch biblizistisch orientiert sei – die sachlich unbrauchbare Voraussetzung, das Gebot Gottes sei eine allgemeine Regel, eine leere Form oder vielmehr ein Gefüge solcher Regeln und Formen. Es sei also, wie es bei einem menschlichen Gesetz in der Tat der Fall ist, der besonderen konkreten Füllung durch die Anwendung bedürftig, um als Gebot in Kraft zu treten.« Das Gebot Gottes ist aber Barth zufolge nicht abstrakt, sondern konkret, eben mandatum concretissimum. So etwa ders., KD II/2, 738. 95 Vgl. ders., KD III/4, 12: »Kasuistische Ethik bedeutet aber auch einen Übergriff in der Richtung des unter Gottes Gebot gestellten wirklichen Handelns des Menschen, eine Zerstörung der christlichen Freiheit, in der dieses allein ein gutes Handeln sein kann. Gottes Gebot ist nämlich in der ganzen konkreten Füllung und Zuspitzung, in der es je und je auf den Menschen zukommt, ein Appell an dessen Freiheit.« 96 A.a.O., 7. 97 A.a.O., 9.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

die anderer »hineingeschoben«98 wird. Genau dagegen richtet sich die vor Polemik nicht zurückscheuende Wucht der Barthschen Kasuistikkritik. Über den Grad der sachnotwendigen Differenzierung, der notwendig ist, um dem Phänomen der Kasuistik in seinen theologiegeschichtlichen Erscheinungsformen in der katholischen Moraltheologie, aber auch im Puritanismus gerecht zu werden und ein einigermaßen zuverlässiges theologiegeschichtliches Urteil zu fällen, kann man streiten und wird man im Blick auf Barths bisweilen recht pauschale Urteile streiten müssen.99 Man sollte allerdings nicht verkennen – wie dies J.H. Yoder leider tut –, dass Barth keineswegs in Abrede stellt, dass ein methodisch geordnetes Vorgehen der Anwendung von Rechtsregeln und Normen auf konkrete Einzelfälle für die Urteilsbildung unverzichtbar sind. Mit Chr. Frey gesprochen: »Ärzte und Richter müssen Fälle (casus) unter allgemeine Gesichtspunkte subsumieren. Auch sittliche Urteile haben die Aufgabe, Norm (eine allgemeine Regel) und Situation (den konkreten Fall und sein Umfeld) in einen einsichtigen Zusammenhang zu bringen.«100 Das von Barth entwickelte Urteilsschema zeigt ja gerade, dass er selbst weder auf die Entwicklung von Methoden der Kasuistik verzichten wollte und konnte, soweit darunter die zu seiner »Theorie« der ethischen Urteilsbildung gehörenden Verfahren verstanden werden. Wogegen Barth etwas einzuwenden hat, ist eine prinzipiengeleitete Ethik bzw. Kasuistik, die als solche das Ereignis des Gebotes Gottes ausschließt. Es geht Barth in seiner Kasuistikkritik weniger allgemein um die »Geschlossenheit« der Kasuistik als logisches System bzw. »epitome of ethical rationalism«101, als vielmehr um die Verhinderung eines im Namen der Kasuistik angestrebten Ausschlusses des Gebotes Gottes als Ereignis. Eine ethische Aufnahme und Reflexion von Normen ist aber mitnichten, auch wenn dies bisweilen von der Situationsethik suggeriert wird,102 apriori mit dieser Form von Kasuistik gleichzusetzen. 2.2.2. Voluntarismus Yoder hält Barths Grenzfallkonzeption und dessen Verständnis vom Gebot Gottes als Ereignis für unvereinbar. Die Auskunft, dass der Grenzfall durch Gottes Anordnung, sprich: sein Gebieten eintrete, sei inkonsistent. Denn anders als das Gebot Gottes, das sich Barth zufolge unvorhersagbar und unkalkulierbar ereigne, gelte vom Grenzfall: »[It] does not emerge unpredicted at a point where 98 A.a.O., 10. 99 Zum »Phänomen« der Kasuistik vgl. vor allem den interessanten theologiegeschichtlichen Abriss von N. Biggar, A Case of Casuistry in the Church, 29 – 51. 100 Chr. Frey, Theologische Ethik, 230. 101 N. Biggar, Barth’s Trinitarian Ethic, 220; ders., The Hastening that Waits, 40. 102 So Chr. Frey u. a., Repetitorium, 14.

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concrete problems turn out on inspection to be otherwise insoluble; the concrete cases are, rather, found to fit the place prepared for them by systematic exposition.«103 Den Widerspruch zwischen dem unvorhersagbaren Gebot Gottes als Ereignis und dem Apriori des Grenzfalls »löst«. Yoder dahingehend auf, dass er konstatiert: »The exception (or at least its possibility) is in advance affirmed, or at least expected, for reasons drawn not so much from the nature of the case or from the content of Christian revelation or from an unequivocal Word of God here and now, as simply Barth’s presupposition that there can be no valid generalization.«104 Die eigentliche Differenz zwischen Barths und einem christlichen Pazifismus, wie Yoder selbst ihn vertritt, sieht der mennonitische Theologe im Apriori des Grenzfalls gegeben, d. h. darin, dass Barth vor aller Erfahrung vom Grenzfall als Ausnahme von der allgemeinen Regel »Du sollst nicht töten« bzw. »Ehrfurcht vor dem Leben« ausgeht. Einen solchen »a priori case for exceptions«105 ist Yoder zu konzedieren nicht bereit. Von einem Grenzfall könne immer erst a posteriori gesprochen werden und zwar genau dann, wenn Gott das Töten als Abweichung von der allgemeinen Regel gebiete. Die Grenzen des Wertes von Leben würden dementsprechend von Gottes eigenem Gebot bzw. Gebieten gesetzt.106 Exakt einen solchen Fall vermag Yoder im Blick auf die Weltgeschichte bislang nicht zu erkennen, wobei er Barths Annahme in Bezug auf eine solche Abweichung für begründungspflichtig erklärt,107 da er die Ausnahme von der Regel, sprich: das Töten unter bestimmten Umständen befürworte. Dann, aber auch nur dann, wenn ein solches Gebieten Gottes erfolge, sei er bereit, von der allgemeinen Regel »Du sollst nicht töten« abzuweichen, insofern sei der von ihm vertretene Pazifismus nicht als prinzipialistisch zu prädizieren.108 »Dienstbarer Knecht« (M. Luther) eines Prinzips sei nicht er, sondern vielmehr Barth selbst, insofern der Basler Theologe den Grenzfall durch das ihm zugebilligte Apriori 103 104 105 106 107

J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 113. A.a.O., 65. A.a.O., 63. So a. a. O., 68. Barth hat J.H. Yoder (a. a. O., 61 f.) zufolge die Frage zu beantworten: »On what grounds does anyone advocate, as being positive Christian obedience, any other action than that which is consistent with the general line of Christian revelation?« So auch a. a. O., 114. 108 Vgl. a. a. O., 113: »[I]f God commands Karl Barth to go to war he should certainly obey, but what they [the pacifists; M.H.] have not yet seen is that this was truly a command of God.« Ähnlich argumentiert F. Enns (Die Suche nach Alternativen zur Gewalt, 31), wenn er moniert, dass wir angesichts der tagespolitischen Herausforderungen friedensethisch nicht so tun sollten, »als sei alles nur auf prinzipieller Ebene zu verhandeln«, und gleichzeitig darauf hinweist: »Mich überzeugen politische und theologische Argumentationen bislang nicht, die unter militärischem Eingreifen wiederum das Töten von Zivilisten billigend in Kauf nehmen« (a. a. O., 34). Kursivierung: M.H. Vgl. ders., Militärisches Eingreifen als »ultima ratio«?, 61.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

gleichsam zum Prinzip erhebe und sich dadurch in einen Selbstwiderspruch verwickle: »[T]he principle that every principle must have an exception is a contradiction in terms«109. Exakt darin bestünde die Aporie der Grenzfallkonzeption, dass sie sich als »form of the rejection of all principles«110 verstünde, zugleich aber mit der Behauptung, »that there must be an exception to every rule«111, ein neues Prinzip errichte. Damit aber täte er genau das, was er den Pazifisten vorwerfe, nämlich Gottes Freiheit zu verneinen, die nach Auffassung Barths auch darin bestehen könne, einen Krieg zu gebieten.112 Das dem Vorwurf an die Pazifisten unterlegte Freiheitsverständnis Barths, sein Rekurs auf die Freiheit Gottes zur Rechtfertigung des Grenzfalls, erweist sich Yoder zufolge in einer zweifachen Hinsicht als problematisch: Erstens sei dieses Freiheitsverständnis inkonsequent und zweitens bewege es sich im Rahmen von Barths gebotsethischer Konzeption zu stark in die Richtung eines Voluntarismus. Inkonsequent sei Barth in seiner Berufung auf die Freiheit Gottes insofern, als dass er diese in Bezug auf einen vermeintlich pazifistischen Prinzipialismus geltend mache, dabei allerdings außer Acht lasse, dass er selbst die Souveränität des Gebietens Gottes massiv beschränke. So beschränke Barth diese auf den in ganz bestimmter Weise gekennzeichneten Grenzfall, dessen Eintreten etwa auf einen sogenannten »Verteidigungsfall« begrenzt sei. Warum aber, so fragt Yoder suggestiv, kann Gott nicht auch einen Atomkrieg gebieten? Gemäß Barths Freiheitsverständnis müsste er eben dies können. Außerdem sei zu fragen, ob nicht das Apriori des Grenzfalls, d. h. das Konstatieren einer Ausnahme noch vor dem Akt bzw. Ereignis des Gebietens, Gottes Freiheit nicht stärker beeinträchtige als der vermeintliche pazifistische Prinzipialismus.113 Barths Freiheitsverständnis, wie er es im Rahmen seiner Gebotskonzeption entfalte, neige – um den zweiten Vorwurf Yoders aufzugreifen – zu stark in Richtung eines Voluntarismus. Yoder gebraucht diesen Begriff zwar nicht explizit, aber doch der Sache nach. Explizit spricht er davon, dass Barth »the sovereignty of God in terms parallel to those of modern pagan existentialism« verstehe, »in which human freedom is understood as being free from God, and according divine freedom is understood as God’s being free from any commitment to men.«114 Der Sache nach besagt dieser mit der Parallelisierung von Barths heidnischem Existentialismus und seinem Freiheitsverständnis einhergehende Vorwurf, dass Barth in der Darstellung der Freiheit Gottes zu der 109 110 111 112 113

J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 66. A.a.O., 65. Ebd. Vgl. a. a. O., 113. Vgl. zum gesamten Absatz ders., Karl Barth and the Problem of War, 70; ders., The Pacifism of Karl Barth, 26. 114 Ders., Karl Barth and the Problem of War, 67. Vgl. a. a. O., 115.

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Vorstellung einer potentia Dei absoluta neige. Den Hintergrund dieses Vorwurfs, den Yoder allerdings – wie gesagt – weder explizit benennt noch illustriert, bildet die im spätmittelalterlichen Voluntarismus vollzogene Unterscheidung zwischen Gottes unbegrenzten Möglichkeiten (potentia Dei absoluta) und seiner faktischen Selbstfestlegung auf eine bestimmte Schöpfungs- und Heilsordnung (potentia Dei ordinata),115 wie sie sich etwa bei Wilhelm von Ockham findet.116 Gemäß Yoder wird Gottes Gebieten von Barth als kontingentes Geschehen verstanden und so in die Nähe eines willkürlichen Willensaktes gerückt, der den Weg des Kreuzes, den Gott in Jesus Christus gegangen ist, völlig unberücksichtigt lasse.117 Gerade in der Gebotsethik schlage sich Barths Freiheits- und Souveränitätsverständnis,118 das ansonsten seine Offenbarungstheologie kennzeichne, nicht nieder : »The doctrine of revelations affirms, especially in the thought of Barth, that in Jesus Christ God who is free has tied himself down. His liberty is not a state of ahistorical indefinability ; it is rather manifested in that it has pleased Him to speak, once for all, in His Son. If He speaks tomorrow, we shall recognize Him by the fact that His word will be the same as yesterday and today.«119 Wenn dem so wäre, wenn also Yoders Vorwurf tatsächlich zutreffen würde, dann wäre Barth in der Ethik hinter seine eigene grundlegende Revision der traditionellen Rede von Gottes Allmacht120 vor allem in deren prononcierter Unterscheidung zwischen potestas und potentia zurückgefallen. Freie Willkür ordnet Barth nämlich als »unmögliche Möglichkeit« der »potentia an sich«121 zu, 115 Vgl. W.J. Courtenay, Art. Potentia absoluta/ordinata, 1157 – 1162. 116 Vgl. zu Ockham K. Bannach, Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei W. v. Ockham, und zum gesamten spätmittelalterlichen bzw. hochscholastischen Kontext J.P. Beckmann, Allmacht, Freiheit und Vernunft, 275 – 293. 117 Vgl. ebenfalls zum gesamten Absatz J.H. Yoder, The Pacifism of Karl Barth, 26. 118 Darin, der Souveränität Gottes gerecht zu werden, besteht – wie F. Lohmann (Zwischen Naturrecht und Partikularismus, 64; Karl Barth und der Neukantianismus, 361 – 375) betont – das Barths gesamte Theologie leitende Anliegen, das er in der Tat christologisch pointiert: »Daß uns die souveräne Entscheidung Gottes über alle unsere Entscheidungen in Jesus Christus real und objektiv gegenübersteht, das ist […] das Kriterium aller Kriterien ethischer Besinnung« (ders., KD II/2, 737). Die Souveränität der göttlichen Entscheidung kann demzufolge nicht von Jesus Christus abstrahiert werden. 119 J.H. Yoder, The Pacifism of Karl Barth, 27. Ähnlich auch ders., Karl Barth and the Problem of War, 70: »If God’s sovereignty is understood as the royal condescension of Christ rather than in speculation about pure infinity, then crucifixion (the willing abandonment of the genuine values incarnated in the one just Man) and resurrection (the triumph of love over a predictable impossibility) are the modes of the exercise of sovereign authority. […] It is difficult to see how a denial of this would honor God more than the pacifist claim that, if we have once understood God in Jesus Christ, we have no room for predicting exceptions, or even for affirming the possibility of unpredictable exceptions.« 120 Vgl. K. Barth, KD II/1, § 31.2: »Gottes Beständigkeit und Allmacht«, 551 – 685. 121 Ders., Dogmatik im Grundriß, 54.

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die es als »Macht an sich«, welche Barth unumwunden als böse bezeichnet,122 von der potestas zu unterscheiden gelte: »Die Macht Gottes ist von Hause aus die Macht des Rechtes. Sie ist nicht blosse potentia, sondern potestas, also legitime, im Recht begründete Macht.«123 Dementsprechend nachdrücklich verdeutlicht Barth in seinem Exkurs zur Unterscheidung von potentia absoluta und potentia ordinata, dass Gottes potentia nicht als Willkürmacht verstanden werfen darf. Denkbar scharf kritisiert Barth Luther dafür, dass er »von seinem Deus absconditus gelegentlich so geredet hat, als ob er darunter die so verstandene potentia absoluta oder vielmehr : inordinata verstanden hätte. Aus der Wundermacht neben oder hinter der im Rahmen einer gewissen Regelmäßigkeit betätigten ist jetzt eine Willkürmacht neben und hinter einer sich zufällig entsprechend dem wirklichen Werk Gottes betätigenden Ordnungsmacht geworden. In diesem Sinn verstanden ist die ganze Unterscheidung völlig unerträglich geworden.«124 Fällt nun dieser Vorwurf an Luthers Adresse ironischer Weise auf Barth selbst zurück? Die Berechtigung des Yoderschen Vorwurfs ist m. E. jedoch in Frage zu stellen. Zunächst wird man jedoch festhalten müssen: Barth macht in der Tat den Willen Gottes stark. So betont er, dass die dem Menschen mit der biblischen Ermahnung »Du sollst nicht töten!« gebotene Ehrfurcht vor dem Leben ihr Maß im »Wille[n] Gottes des Schöpfers selbst, der sie gebietet«125, hat. Dementsprechend pointiert Barth: »Ehrfurcht vor dem Leben wird […], wenn sie Gehorsam gegen Gottes Gebot ist, auf den freien Willen dessen Rücksicht nehmen, dessen Leihgabe das Leben ist.«126 Ja, Barth kann sogar sagen, dass »sie [die Ehrfurcht vor dem Leben; M.H.] limitiert [ist] durch das, was Gott von dem von ihm erwählten und berufenen Menschen haben will.«127 Diese Aussage ist allerdings unpräzise und bringt das, was Barth eigentlich zur Sprache bringen will, nur unzureichend zum Ausdruck. Barth möchte nämlich nicht sagen, dass das Gewollte als das Resultat des Willens Gottes die Grenze der objektiv von Gott gebotenen Ehrfurcht vor dem Leben markiert, 122 Vgl. ebd.; ders., KD II/1, 589. 123 Ders., Dogmatik im Grundriß, 55. Vgl. ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 72; ders., KD II/1, 591: »Die Füllung und Bestimmung des Machtbegriffs von diesem Subjekt her hat die konkrete Bedeutung, daß Gottes Macht niemals bloß als physische, sondern immer zugleich als moralisch-juristische Möglichkeit, nie bloß als potentia, sondern immer zugleich als potestas zu verstehen ist. Gottes Gewalt geht nie und nirgends vor Recht, sondern immer und überall mit dem Recht.« 124 A.a.O., 608 f. 125 Ders., KD III/4, 388. So hat auch das biblische Gebot »Du sollst nicht töten!«, durch welches Barth den »Schutz des Lebens« (KD III/4, § 55.2) geboten sieht, »sein inneres Maß im Willen des Schöpfergottes«. A.a.O., 453. 126 A.a.O., 388 f. 127 A.a.O., 388.

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sondern vielmehr die Grenze dessen, was von Menschen subjektiv als Inhalt dieses Gebots verstanden wird. Die Notwendigkeit dieser Distinktion geht aus Barths eigener Klarstellung hervor, die den vermeintlichen Willkürcharakter des göttlichen Gebietens elementar betrifft: »Wie sehr immer das, was wir unter dieser Ehrfurcht und also unter dem uns gebotenen Lebenswillen verstehen zu müssen meinen, durch Gottes freien Willen und durch des Menschen Bestimmung für ein anderes künftiges Leben begrenzt und relativiert sein möge: das wird solche Relativierung nie bedeuten, daß der Mensch aus dieser Ehrfurcht entlassen würde! Der eine Gott, der allerdings der Herr über Leben und Tod, der Geber dieses und des zukünftigen Lebens ist, wird vom Menschen unter allen Umständen, in jeder denkbaren Modifikation auch Ehrfurcht vor dem Leben fordern.«128 Barth stellt klar : Es geht »nicht um eine Beugung des Gebots, nicht um eine Ausnahme von der Regel, […], sondern immer nur um die Beugung dessen, was er, indem er es als Aufforderung zum Lebenswillen vernahm, als Gehorsam ihm gegenüber verstehen und leisten zu sollen meinte. Es [geht] um ein neues, tieferes Verständnis des Willens zum Leben«129. In dem von Gott objektiv Gewollten wird also kein Vorbehalt gegenüber seinem eigenen Gebot, sondern nur gegenüber einer Prinzipialisierung dessen manifest, was wir subjektiv als den Inhalt dieses Gebotes erachten. Es ist präzise dieser Vorbehalt, der seine Anwendung wiederum im Grenzfall findet. Hier hat die Anwendung des sich in ihm manifestierenden Vorbehalts »immer nur den Charakter einer ultima ratio«130. Der Grenzfall ist mithin nicht der Fall, in dem das Gebot der Ehrfurcht vor dem Leben zugunsten eines anderen Gebotes aufgehoben wäre oder Gott die Gültigkeit seines Gebotes begrenzt hätte. Gott widerspricht sich also nicht. »Es ist also nicht so«, wie Barth nachdrücklich festhält, »daß uns die Ehrfurcht vor dem Leben in gleicher Weise abwechselnd geboten

128 A.a.O., 389. 129 A.a.O., 390. 130 Ebd. Barth spricht in diesem Zusammenhang von dem »schwierige[n] Problem dieses Grenzfalles« (a. a. O., 454), welches darin besteht, dass der Grenzfall weder apriori ausgeschlossen, noch dieser Fall bedenkenlos eingeräumt werden kann: »Darin besteht seine Schwierigkeit: er kann einerseits nicht einfach ausgeschlossen sein, weil man unmöglich leugnen darf, daß Gott als der Herr des Lebens dessen Schutz auch in der allerdings höchst seltsamen Gestalt fordern kann, daß es nicht länger erhalten und gefördert, sondern abgeschlossen und beendigt werden soll. Es kann und darf aber dieser Grenzfall eben nur als solcher, als ultima ratio, wirklich als seltsamster Fall und also nur unter Anwendung allergrößter Reserve, nur nach Erschöpfung aller in Frage kommenden anderen Möglichkeiten auch nur ins Auge gefaßt, geschweige denn als gegeben angesehen werden, weil man ebenso unmöglich leugnen darf, daß das Gebot, das Leben zu schützen, in seinem einfachen, in jenem zunächst auf der Hand liegenden Sinn uns zweifellos auf dessen Erhaltung und Verteidigung, auf die Bejahung und nicht auf die Verneinung seiner zeitlichen Fortdauer hinweist«. Ebd.

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und nicht geboten wäre.«131 Gott, dessen Sein und Wirken nach Barth nicht zu trennen sind, ist selbst vielmehr gerade in der ungebrochenen und ununterbrochenen Kontinuität des Gebietens dieses Gebotes der »Ehrfurcht vor dem Leben« treu und gerade deshalb wird er »den Menschen nie freigeben dazu, es dem Leben – seinem eigenen und dem Anderer gegenüber – anders zu halten. Gleichgültigkeit, Mutwillen, Willkür und Alles, was der Haltung der Ehrfurcht sonst entgegengesetzt sein mag, wird als die dem Menschen gebotene oder auch nur erlaubte Haltung nie in Frage kommen können.«132 Mit der argumentativen Demonstration dessen, dass Gott sich selbst nicht widerspricht, wehrt sich Barth implizit gegen den Voluntarismusvorwurf, denn der Selbstwiderspruch weist ja geradezu den willkürlichen Charakter verschiedener Akte ein und derselben Handlung wie etwa der des Gebietens aus. Sowenig Barth Gottes omnipotentia als Willkürfreiheit konzipiert, so wenig abstrahiert er dessen Gebieten von der sich selbst treu bleibenden Machtvollkommenheit. Barth zufolge ist die im Fundamentalwiderspruch zur Willkür stehende Beständigkeit das entscheidende Merkmal von Gottes Allmacht.133 Diese Beständigkeit kennzeichnet auch sein Gebieten, insofern es ein Gebieten ist, das auch im Grenzfall keine »exception to the rule« bildet, »but rather one that stands on the outer margins of ist fulfilment.«134 Der Grenzfall ist auch deshalb im wörtlichen Sinne als Grenzfall zu verstehen, weil sich das Gebieten Gottes innerhalb der von ihm selbst gesetzten Grenzen bewegt, welche hingegen die der Selbstbegrenzung135 abholde potentia Dei absoluta als solche sprengen muss. Der vom Menschen geforderte Gehorsam ist Barth zufolge keine Unterwerfung unter einen Willkürgott, sondern der gebietende Gott ist der sich beständig in den Grenzen seines Gebotes bewegende und darin sich selbst und dem Menschen gegenüber treue Gott. Es gilt mithin festzuhalten: Der Grenzfall »bedeutet also von ferne nicht so etwas wie eine Grenze des Gebots«, vielmehr bleibt dieses auch und gerade in ihm »unbedingt geboten«136. Der Grenzfall umschreibt Barth zufolge gerade denjenigen Fall, in dem der Vorbehalt gegenüber unseren subjektiven Festlegungen des Gebotes Gottes auf petrefakte Inhalte zur Anwendung gelangt. In ihm gebietet Gott keine Suspension oder Transgression seines Gebots der Ehrfurcht vor dem Leben, »but rather an unusual mode of keeping it.«137 Im 131 132 133 134 135

A.a.O., 389. Ebd. Vgl. ders., KD II/1, 587: »Eben als der Beständige ist er [Gott] allmächtig.« N. Biggar, The Hastening that Waits, 34. Zum Motiv der Selbstbegrenzung Gottes bei Barth vgl. T. Gundlach, Selbstbegrenzung Gottes und die Autonomie des Menschen, 231 – 267. 136 K. Barth, KD III/4, 453. 137 N. Biggar, The Hastening that Waits, 34.

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Grenzfall wird »die Ehrfurcht vor und der Wille zum Leben dann praktisch auch sehr wunderlich, sehr paradoxe Formen annehmen«138, und gerade dies sorgt für Irritationen, produktive Irritationen, die gerade so als Stimulus für ethisches Lernen fungieren können.139 Dies hat auch bei Yoder Irritationen hervorgerufen, die sich allerdings zu einem Missverständnis Barths bezüglich seines Gebrauchs einer »quasi-mathematical logic« summieren, »which moves from ›do not kill‹ to ›respect life‹ to ›do kill out of respect for life‹«140. Barth beschreibe den Grenzfall als denjenigen Fall, in dem Gott zu töten gebiete, und stelle gleichzeitig klar, dass in diesem Fall das Gebot »Ehrfurcht vor dem Leben« nicht verletzt, sondern befolgt werde. Genau dies, dass im Grenzfall mit dem Töten keine Substitution, sondern eine konsequente Applikation des sechsten Gebots erfolge, ist Yoder nicht bereit zu konzedieren. Diese argumentative Operation basiere »on the quasi-mathematical axiom that quantities equal to a third quantity are equal to one another. This can be done with ›z equals y‹ and ›y equals z,‹ because ›y‹ is the same in both. But does the abstract ›respect life‹ have the same meaning in both imperatives?«141 Yoder rekurriert hier implizit auf die aristotelische Syllogistik, die sich mit eben jenen Schlussformen befasst, die in der modernen formalen Logik der einstelligen Prädikatenlogik zugerechnet werden. In der Terminologie aristotelischer Syllogistik ausgedrückt, präsentiert sich Barths »Logik« Yoder zufolge als Logik des apodeiktischen (deduktiven), aus drei Urteilen bestehenden Schlusses, wonach die Conclusio aus zwei, jeweils aus Subjekt- und Prädikatbegriff (= S und P) sowie der Kopula bestehenden Prämissen (protasis) abgeleitet wird. Gemäß Yoder liegt der Grenzfallkonzeption ein ungültiger Schluss zugrunde. So müsse der Mittelbegriff (horos mesos = M), sprich: die »Ehrfurcht vor dem Leben«, der die Verbindung zwischen den Prämissen und dem Schlusssatz herstellt, als gemeinsam vorkommender Begriff im Blick auf eine Äquivokation in Frage gestellt werden. Weil dies der Fall sei, läge ein halblogischer Trugschluss vor, insofern Barth zwar gültige syllogistische Schlußarten verwende, aber durch die Äquivokation in den Prämissen, genauer gesagt: im Mittelbegriff, der nicht in der Conclusio erscheint, die richtige logische Schlußart verderbe. Versucht man den von Yoder Barth unterstellten Trugschluss zu »formalisieren« bzw. schematisch darzustellen, so ergibt sich Folgendes: 138 K. Barth, KD III/4, 390. 139 Dies hebt N. Biggar (The Hastening that Waits, 34) zu Recht hervor: »God’s extraordinary command may meet us as a stranger, but it is not in fact a sheer outlaw. It baffles moral reason; but it baffles it into learning. It is not, therefore, irreducibly exceptional. It startles systematic ethics with something that it has not comprehended; but it does so in order that the ethical system might yet extend or refine its grasp.« 140 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 112. 141 Ebd.

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Prämisse 1: M (Ehrfurcht vor dem Leben) ist P (nicht töten) Prämisse 2: S (töten im Grenzfall) ist M (Ehrfurcht vor dem Leben) Conclusio: S (töten im Grenzfall) ist P (nicht töten)

Yoder verneint die Validität dieses Schlusses, weil er dem »Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch« (principium contradictionis) als einem Grundsatz, ja einem der wichtigsten Prinzipien der Logik zuwider erfolge.142 Mit ihm ist die Verhältnisbestimmung von terminus maior (Oberbegriff), sprich: P, und terminus minor (Unterbegriff), sprich: S, nicht kompatibel. Aussagen, die in einem kontradiktorischen Verhältnis zueinander stehen, können nicht zugleich wahr sein. Yoders Formalisierung bzw. sein Schema krankt daran, dass er die logisch in Subjekt-Kopula-Form auszudrückenden Urteilssätze nur hinsichtlich ihrer Qualität, nicht aber hinsichtlich ihrer Quantität unterscheidet, was Barth jedoch in seinen Ausführungen sehr wohl tut. Während die Qualität von Urteilen die Bejahung und Verneinung bestimmt, legt die Quantität die Allgemeinheit oder Partikularität fest, so dass sich die vier Möglichkeiten von Urteilssätzen ergeben, nämlich allgemein bejahende (alle S sind P: SaP), allgemein verneinende (kein S ist P: SeP), partikulare bejahende (einige S sind P: SiP) und die partikular verneinenden Urteile (einige S sind nicht P: SoP).143 Bereits ein Blick auf die Urteilstafel Kants144 sowie seine Kategorientafel145 hätte Yoder dafür sensibilisieren können, dass die Kategorie der Quantität ebenso wie die der Qualität (und zwar gemäß der Kantschen Urteilstafel neben der der Relation und Modalität) für die Bestimmung von Urteilen entscheidend ist. De facto unterstellt Yoder gemäß der oben dargestellten »Formalisierung«, dass Barth allgemeine Urteile trifft (alle S sind P: SaP; »a« steht also für allgemein bejahende Urteile). In Zeichen gefasst, unterstellt Yoder Barth folgende Urteilsfigur, in der mit der ersten Prämisse eine Regel, in der zweiten Prämisse ein Fall dieser Regel und in der Conclusio eine Anwendung dieser Regel auf diesen Fall entfaltet wird: MaP: M (Ehrfurcht vor dem Leben) ist P (Nicht-Töten) SaM: Jedes S (Töten im Grenzfall) ist M (Ehrfurcht vor dem Leben) SaP: Jedes S (Töten im Grenzfall) ist P (Nicht-Töten)

Wenn man Barth hingegen gerecht werden will, muss man peinlich genau darauf achten, mit welchen Quantitäten er operiert. So weist er eben mit allem Nach142 Vgl. P. Stekeler-Weithofer, Art. Satz vom (ausgeschlossenen) Widerspruch, 1202 – 1205. 143 Vgl. dazu und zum Folgenden: T. Bucher, Einführung in die angewandte Logik, 170 – 204; I.M. Copi, Einführung in die Logik, 106 – 109; G. Patzig, Art. Schluß, 1251 – 1260; A. Pfänder, Logik, 288 – 320. 144 Vgl. I. Kant, KrV, B 95. 145 A.a.O., B 106.

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druck darauf hin, dass nicht allgemein (also im Sinne von MaP: Jedes M [Ehrfurcht vor dem Leben] ist P [nicht töten]) Ehrfurcht vor dem Leben gleichbedeutend mit »nicht töten« ist, sondern »nur« oder besser (im Sinne Yoders): »immerhin« in 99 % aller Fälle, also in allen Fällen abgesehen vom Grenzfall. Oder anders ausgedrückt: Töten im Krieg ist fast nie mit der »Ehrfurcht vor dem Leben« bzw. dem sechsten Gebot vereinbar und der Grenzfall kann ebenso wenig als gegeben vorausgesetzt werden. Insofern liegen die Pazifisten Barth zufolge zu 99 % richtig. Es gibt aber auch das eine Prozent ungehorsamen Nichttötens, das nicht aus Ehrfurcht vor dem Leben, sondern aus prinzipialistischer »Verstockung« gegenüber Gottes Tötungsgebot geschieht. Dieser praktische Ungehorsam gegenüber Gott ereignet sich Barth zufolge im Grenzfall. Dass die zweite, von Yoder angeführte Prämisse (Jedes S [töten im Grenzfall] ist M [Ehrfurcht vor dem Leben]) hingegen auch nach Barth ein allgemeines Urteil im Sinne von SaM darstellt, wird man nicht bestreiten können, da der Grenzfall ja gemäß Barth per definitionem derjenige Fall ist, in dem das Töten aus Gebotsgehorsam, sprich: aus Ehrfurcht vor dem Leben geschieht. Demzufolge würde sich dann ein gegenüber der Yoderschen Formalisierung modifiziertes Schema abzeichnen, wobei maior (Obersatz) und minor (Untersatz) sowie Subjekt- und Prädikatbegriff (S und P) wechseln und das für partikular verneinende Urteil stehende Zeichen »o« gebraucht werden muss, um Barths Grenzfallkonzeption gerechter zu werden, als Yoders verkürzte Wiedergabe dies tut: PaM: Jedes P (Töten im Grenzfall) ist M (Ehrfurcht vor Leben) SoM: Einige S (Nicht-Töten) sind nicht M (Ehrfurcht vor dem Leben) SoP: Einige S (Nicht-Töten) sind nicht P (Töten im Grenzfall)

Damit wäre der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch umgangen, Yoders Kritik widerlegt und Barths Grenzfallkonzeption als logisch konsistent rehabilitiert. Und eben dies nimmt Barth für sich in Anspruch, wie sein Interpret N. Biggar m. E. zu Recht hervorhebt: »He [Barth] insists that it is not simply a contradiction of the relevant rule, but rather an unusual meaning of it. […] with respect to the possibility of an extraordinary command of God to take human life, Barth denies that it implies a ›limitation of the Sixth Commandment‹.«146 146 N. Biggar, The Hastening that Waits, 33. Vgl. K. Barth, KD III/4, 453 f.: Die Ehrfurcht vor dem Leben »bezieht sich ja nur darauf, daß das menschliche Leben keine absolute Größe, kein absoluter Wert, nicht ein Art zweiter Gott ist, sondern daß auch der ihm gebührende Schutz geleitet, limitiert, bestimmt sein muß durch den, der ihn gebietet: durch den, der der eine wirkliche Gott, das höchste Gut, der Herr des Lebens ist. Sie bedeutet also nur, daß der uns gebotene Schutz des Lebens im Verhältnis zu dem zu Schützenden mit dessen Begrenztheit rechnen muß. Er kann nicht schlechterdings nur einen Modus haben, nicht nur in einfacher Behauptung, Erhaltung, Verteidigung des Lebens sich äußern wollen. Das sind freilich die auf der Hand liegenden und zuerst zu beachtenden Formen seines Vollzugs. Und

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Zugleich muss man aber m. E. hinterfragen, ob der Versuch einer Formalisierung der Barthschen Urteile überhaupt seiner Art Theologie zu treiben, vor allem: seinem modus loquendi theologicus gerecht wird, zeigt doch Barths analoge Rede von Gott und Mensch, dass er gerade kein theologischer Denker des »est« bzw. der Identität ist. Dies hat selbstverständlich auch Konsequenzen für das Verständnis der Kopula und damit natürlich auch für das Verständnis von Urteilssätzen, die nun einmal in der Subjekt-Kopula-Form ausgedrückt werden. Gerade gegenüber der Identifikation des Handelns Gottes mit einem menschlichen Tun erweist sich analoge Rede als reserviert. So kann das Gebieten Gottes, welches Barth zufolge für den Grenzfall konstitutiv ist, nicht mit menschlichem Handeln – und sei es das Handeln im Gehorsam gegenüber diesem Gebieten – identifiziert werden. Es bleibt eine letzte Differenz; so auch zwischen P (Töten im Grenzfall) und M (Ehrfurcht vor dem Leben). Davon betroffen sind allerdings nicht nur solche allgemeinen Urteile, seien sie bejahend oder verneinend, sondern jedes Urteil, insofern eben jedes Urteil von der Kopula Gebrauch macht. Berührt sind deshalb von dem Modus analoger Rede ebenfalls der Untersatz (SoM) und die Conclusio (SoP). Diese letzte Differenz, die dem Modus analoger Rede entspricht, kann zumindest in der präsentierten formalisierten Form von Urteilssätzen nicht zum Ausdruck gebracht, sprich: fixiert werden. Darin erweist diese sich vielmehr als begrenzt. Und gerade deshalb ist es m. E. zweifelhaft, ob sie Barth wirklich gerecht wird, wobei eine solcher Versuch der Formalisierung von Barths Urteilen durchaus heuristische Funktion in Bezug auf die Barthinterpretation haben kann, wie hoffentlich in hinreichender Weise demonstriert wurde. 2.2.3. »Lesser-evil«-Logik Abgesehen von Kasuistik und Voluntarismus nehme Barth, so Yoder, zur Rechtfertigung der Schweizer Landesverteidigung im Zweiten Weltkrieg Zuflucht bei einer dritten Argumentationsfigur, die er ebenso wie die beiden erstgenannten de iure ablehne, aber de facto praktiziere. Gemeint ist die Logik des geringeren Übels, die Barth allerdings nicht adäquat anwende: »Barth’s systematic arguments, his criticism of casuistry, and his concept of the Grenzfall really do not in themselves suffice to prove that war should be advocated, but simply leave room for war to be considered necessary on other grounds. It is only es werden zunächst immer wieder und auf so weit hinaus wie möglich sie und nur sie es sein, in denen er sich darstellen wird. Es kann aber, da das menschliche Leben eine relative Größe, ein begrenzter Wert ist, sein Schutz ultima ratione auch in seiner Preisgabe und Dahingabe bestehen. Es kann die Verteidigung des Lebens, in welchem er sich, bis diese Grenze erreicht ist, darstellen soll, unter Umständen, wenn der gebietende Gott es so haben will, auch zerbrechen und abbrechen müssen. Dann und nur dann, aber dann allen Ernstes, wenn Gott als der Herr des Lebens es nun eben so und nicht anders haben will!«

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here, where his argument is stated in the form of a concrete choice between two evils, that we find Barth at the point where his own reasoning roots.«147 Yoder umschreibt die von ihm identifizierte »Lesser-evil«-Logik Barths wie folgt: »If we are given a choice between two possibilities, and if those two possibilities are the only open possibilities, then the less evil of the two is the absolute best that is available and therefore the right choice. It is the evil in the sense of pain and imperfection, but it is the right action. It is not sin in the sense of culpable omission or commission. But as soon as it can be shown that there is a third possibility, which by concrete analysis of history is not automatically to be excluded, than the less evil of the first two options may be second best of the three and is by the same logic no longer right.«148

Die beiden Übel, zwischen denen es laut dieser binären Logik Barths zu wählen gelte, würden die Anerkennung der Herrschaft Hitlers oder die Vorbereitung der militärischen Selbstverteidigung darstellen. Widerstand oder Ergebung, Selbstverteidigung gegen Hitler oder bedingungsloses Abtreten des nationalen Existenzrechtes – so laute die Barthsche Alternative. Tertium non datur! Diese Zuspitzung erachtet Yoder für simplifizierend. Die Politik Jesu, die Yoder als »dritten Weg« jenseits von gewaltbewehrtem Widerstand und quietistischer Ergebung kennzeichnet, wird demzufolge von Barth übergangen.149 Dementsprechend wirft Yoder Barth vor, keine potentielle »Lösung« jenseits dieser Alternative in sein Denken einzubeziehen. Yoder vermag in Barths gesamtem Schrifttum aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs keine Indizien dafür zu finden, dass Barth vor der Proklamation des Grenzfalls als ultima ratio alle möglichen Mittel einer friedlichen Konfliktbeilegung ausgeschöpft habe. Barth falle hinter dieses Erfordernis der bellum-iustum-Tradition zurück, das Yoder als das erste Kriterium der »Lesser-evil-Logik« anführt. Fatal sei vor allem, dass Barth keine Methoden des gewaltfreien Widerstandes in den Blick nehme bzw. in den Abwägungsprozess mit einbeziehe.150 Bevor dies aber nicht erfolgt sei, dürfe man kein tertium non datur konstatieren. Barth verkenne diesbezüglich seine Begründungspflicht. Die Notwendigkeit eines Krieges zur Rettung des Schweizer Staates werde von Barth ungeprüft vorausgesetzt, dabei sei es durchaus auch denkbar, dass eine Nation wie die Schweiz im bewussten Verzicht auf einen Kampf um Leben oder Tod ihre Identität bewahren kann, auch wenn sie ihre politischen Strukturen aufgibt.151 Auch damit, dass bei Gott alle Dinge möglich sind (Mt 19,26), rechne Barth offensichtlich nicht. Dies gelte auch im Blick auf politische Optionen, wie nicht zuletzt Jesu alternativer 147 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 83. 148 A.a.O., 85. 149 W. Wink (vgl. u. a. Engaging the Powers, bes. 173; The Powers That Be, bes. 144) hat diesen Ansatz des »Tertium datur« weiterentwickelt. 150 Vgl. J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 85. 151 Vgl. a. a. O., 86 f.

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Weg jenseits der Alternative von pharisäischer und sadduzäischer Option, der Akzeptanz einerseits und der zelotischen Option des gewaltsamen Widerstandes andererseits zeige.152 So kommt Yoder zu dem vorläufigen Ergebnis: »The whole ›lesser evil‹ argument is in reality an attempt to ›tie God down,‹ to deny on the ground of human insight the availability of a saving alternative.«153 Als zweites Kriterium der »Lesser-evil«-Logik nennt Yoder unter Rekurs auf die bellum-iustum-Tradition das der Erfolgswahrscheinlichkeit.154 Demzufolge dürfe ein kleines Übel nur dann in Kauf genommen werden, wenn als wahrscheinlich abzusehen sei, dass dadurch ein größeres Übel vermieden werde. Genau gegen diesen Grundsatz aber verstoße Barths Plädoyer für die Selbstverteidigung der Schweiz, die nach der deutschen Invasion in Frankreich (1940) keinerlei realistische Aussicht auf einen militärischen Erfolg gehabt habe: »As soon as one loses a war, one must suffer both evils: both the killing and the loss of sovereignty. Certainly, then, the path has been chosen has not brought the lesser evil. Thus it must be proved, if we are to accept this argument at all, that military defense or readiness for military defense is itself going to be effective – at least that it can argue a preponderant probability of effectiveness. Otherwise it is certainly not the lesser evil. Assuming for the moment that Barth was right that it is better to kill, or to be ready to kill, a certain number of Germans than to have Hitler’s state engulf Switzerland, it is immediately obvious that killing the Germans and letting Swiss people nevertheless be killed and Switzerland be engulfed in Hitler’s state, then not as an unwilling protectorate but as a conquered enemy, is still less acceptable.«155

Genau dieses pragmatisch-realistische Kalkül umgehe Barth, indem er sich in einer Art Kurzschlussreaktion auf die Position eines gebotsethischen Absolutismus zurückziehe und mit dem für denselben typischen existentialistischen Unterton behaupte: »Es dürfte eben das das sehr tief begründete und sehr sprechende Kriterium dafür sein, ob der Notstand, in welchem der Krieg unvermeidlich ist, wirklich vorliegt: wo das Wagnis des Krieges doch nur unter gewissen Bedingungen hinsichtlich des Erfolges ins Auge gefaßt wird, wo man noch nach den Aussichten fragen kann, wo man den Entschluß zum Kriege von den größeren und geringeren Chancen abhängig macht, die man zu haben oder nicht zu haben meint, da ist man von dem her, was zu verteidigen wäre, und also von Gott her offenbar nicht kategorisch zu diesem Entschluß aufgefordert, da könnte man offenbar auch anders, da befindet man sich nicht in jenem Notstand, da würde man also von der Sache besser Abstand nehmen.«156

152 153 154 155 156

Vgl. ders., For the Nations, 169 – 174. Ders., Karl Barth and the Problem of War, 88. Vgl. a. a. O., 89. A.a.O., 90. K. Barth, KD III/4, 530.

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Yoder – der »bessere« Barthianer?

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Barth bleibt also gemäß Yoder seiner eigenen »Lesser-evil«-Logik nicht treu, sondern umgeht sie an diesem Punkt gebotsethisch. Hätte er sie konsequent angewandt, so hätte er – Yoder zufolge – die Frage nicht beantworten können, warum ausgerechnet für eine kleine westliche Demokratie wie die Schweiz die Landesverteidigung gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland geboten sei. Als drittes Kriterium der »Lesser-evil«-Logik führt Yoder als pragmatisches Argument die Bereitschaft an, Verantwortung für Konsequenzen zu übernehmen. Diejenigen, die sich auf die »Lesser-evil«-Logik zur Rechtfertigung eines Krieges berufen würden, müssten auch bereit sein, nicht nur für kurz- und mittelfristige, sondern auch für solche langfristigen Effekte die Verantwortung zu tragen, die außerhalb der ursprünglichen Intention lägen. Yoder zufolge verweist besagte Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme wiederum zurück auf die bellum-iustum-Kriteriologie, insofern diese die Folgenkalkulation propagiere: »The argument that war is a lesser evil, if it be valid, must then involve not only weighing the hypothetical sufferings of a captured Switzerland against the deaths of Swiss and Germans which would be brought about by a war. It must go further and promise that the postwar situation which will thereby be created will be better than the postcrisis situation which would have come into being had there been no war. This kind of political guarantee is far from being as simple as Barth’s use of the lesser-evil argument would seem.«157 Als viertes und letztes Kriterium der »Lesser-evil«-Logik rekurriert Yoder auf eine Wert(rang)ordnung, die notwendig sei, damit Entscheidungen den Charakter von ethisch verantwortbarem Tun und nicht von Willkür haben. Das rationale ethische Kalkül einer Werteordnung vermisst er allerdings bei Barth: »An ethical, yes, a theological judgment has been made when Barth assumes without argument that the existence of a state dedicated to justice is of greater value than all the lives that it could cost to maintain that state in existence.«158 Dieses eschatologische Werturteil Barths basiere auf allem anderen als einer objektiven Werteordnung, die wiederum die Voraussetzung einer auf Wertvorzugsregeln basierenden Güterabwägung sei. Das Barthsche Kalkül würde die nationale Unabhängigkeit und das Leben von Menschen einander gegenüberstellen und nicht etwa das Leben vieler gegenüber dem Leben weniger. So spiele die Rettung der Juden vor Hitler in Barths Argumentation keinerlei Rolle: »The argument that resistance to Hitler would cost fewer lives than would permitting him to attain his aims, since Hitler’s aims involved the extermination of certain classes of people, is a conceivable argument, but it is not Barth’s, since the defense of Switzerland, which was the purpose of the war for which he was ready, 157 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 92. 158 A.a.O., 92 f.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

did not include intrinsically either the defeat of Hitler or the saving of the Jews.«159 Außerdem würde Barth die Abwägung zwischen einem geringeren und größeren Übel ohne Berücksichtigung des Handlungsagenten vornehmen. Denn im Krieg seien die Zurückschlagenden es, die töten und die große Übel zufügen würden, für das sie Verantwortung trügen, wohingegen sie in der Sklaverei einer in den Blick zu nehmenden Hitlerherrschaft das Unrecht der Versklavung nicht selbst verübten, sondern als Werk des Tyrannen erleiden würden. Auch sei Barths Behauptung, es könne sein, daß Menschen eines Staates »mit dem Eigenleben ihres Staates – vielleicht mit der Form des durch ihn garantierten rechtlich geordneten Gemeinschaftslebens – etwas aufzugeben hätten, was nun eben nicht aufgebbar ist, was ihnen wichtiger sein muß als die Sicherung ihres Lebens vor dem Sterben, eben damit dann aber auch wichtiger als die Sicherung des Lebens derer, die ihnen leider eben das nehmen wollen«160, alles andere als eine spezifisch christliche Bemerkung. Sie propagiere keineswegs im Sinne der jesuanischen Paränese die Hingabe des eigenen Leben zugunsten des Nächsten bzw. des Feindes, sondern vielmehr das Töten desselben zugunsten der eigenen »Sache«. Barth blende – entgegen seinem eigenen Anspruch – ein christologisches Argumentationsmuster in der Friedensethik vollständig aus, ja unterminiere und konterkariere es. Genau an diesem Punkt greife hingegen der staurozentrische Einspruch eines genuin christlichen Pazifismus: »The cross of Jesus Christ is for the New Testament the normative answer to the problems of survival for the individual as well as for God’s people. Until we see more clearly how Barth grounds positively the importance of the state as over against the Christian duty of loving and sacrificial service, and over against the cost of another war in killing, lying, burning, pillaging, and raping, we are incapable of knowing on what grounds he wishes to be taken seriously.«161 Auch diese in Argumentationsgängen vorgetragene Kritik verlangt nach einer metakritischen Auseinandersetzung. Zunächst einmal wird man grundsätzlich fragen müssen, ob Barth überhaupt eine »Lesser-evil«-Logik vertritt. Schließlich handelt es sich bei der »Lesser-evil«-Logik um ein Interpretament, das Yoder und nicht Barth selbst gebraucht. Zu fragen ist bereits im Blick auf die Grundlegungsebene der Gebotsethik K. Barths, ob sich die Identifikation einer Handlungsoption als »geringeres Übel« überhaupt mit dem gebotsethischen Dual Gebot oder Nicht-Gebot bzw. Gehorsam oder Ungehorsam als kompatibel erweist oder eine solche Identifikation nicht vielmehr das Kompositum »geringeres Übel« ausschließt. Insofern Barth das Gebotene als das Gute identi159 A.a.O., 93. 160 K. Barth, KD III/4, 529. 161 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 99.

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Yoder – der »bessere« Barthianer?

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fiziert, muss man fragen, ob ein Übel und sei es – komparativisch geurteilt – ein geringeres Übel überhaupt als Gebot Gottes firmieren kann. Würde sich Barth demzufolge de facto einer »Lesser-evil«-Logik bedienen, so wäre dies in der Tat selbstwidersprüchlich. Allerdings sind die vier Indizien, die J.H. Yoder nennt, m. E. nicht stichhaltig. Dies betrifft zunächst den Vorwurf, Barth habe vor der Proklamation des Grenzfalls als ultima ratio keineswegs alle möglichen Mittel einer friedlichen Konfliktbeilegung ausgeschöpft, zumindest lasse sein Schrifttum aus den Jahren 1938 – 1945 dies nicht erkennen. Dieser Vorwurf übersieht m. E., dass Barth in seiner Einschätzung der Unvermeidbarkeit von Krieg nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen schmerzvollen (Vertreibungs-)Erfahrungen162 mit dem nationalsozialistischen Regime bereits vor dem Jahr 1938 bestärkt wurde. Der Nationalsozialismus hatte nach Barths Einschätzung inzwischen sein wahres Gesicht und d. h. das Gesicht eines notorischen Unrechtsstaates gezeigt.163 Als in besagtem Jahr »die bis dahin mehr oder weniger offene Diskriminierung von Juden durch den deutschen Staat in deren systematische Verfolgung umschlug«164, war sich Barth in seiner Einschätzung sicherer denn je. Auf diesem Hintergrund der sich zuspitzenden Judenverfolgung sind Barths Äußerungen aus dem Jahr 1938 und ist nicht zuletzt auch sein Barth an J. Hrom‚dka gerichteter Brief zu verstehen.165 Außerdem ist bezüglich des implizit von Yoder angesprochenen Gebrauchs des ultima-ratio-Kriteriums durch Barth zu beachten, dass zwar alle anderen Möglichkeiten als Krieg ausgeschöpft sein müssen, dass jedoch – bei Unvermeidbarkeit des Krieges – »sehr schnell gehandelt werden [muss], um Menschenleben retten zu können. Dann darf nicht endlos abgewartet werden.«166 Auch auf dem Hintergrund der sich inzwischen in der friedensethischen Debatte abzeichnenden Unterscheidung zwischen einer temporalen und einer sachlichen (qualitativen) Interpretation des Terminus »ultima ratio«167 kann man Barths Äußerungen zum Krieg, insbesondere seine entschiedene Ablehnung der sog. »Appeasement-Politik« lesen.168 162 163 164 165 166 167

Vgl. insbes. H. Assel, »Barth ist entlassen …«, 445 – 475. So auch G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 180. E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 313. So E. Busch (a. a. O., 315). W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 115. Vgl. M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 125 f.; Kirchenamt der EKD (Hg.), Schritte auf dem Weg des Friedens, 18. 168 Vgl. K. Barths (Der Götze wackelt, 188 f. (How My Mind Has Changed)) unmittelbar vor Beginn des Zweiten Weltkrieges getätigte Aussage: »Unterdessen hat sich das antichristliche und damit antihumane Wesen des Nationalsozialismus noch viel deutlicher offenbart, gleichzeitig aber auch sein Einfluß und seine Macht im übrigen Europa unheimlich verstärkt. Die Lüge und die Brutalität, aber auch die Dummheit und die Angst

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Was die »Erfolgswahrscheinlichkeit« betrifft, die Yoder als ein weiteres Kriterium der bellum-iustum-Lehre anführt, das Barth außer Acht lasse, so zeigt sich hier bereits – wie im nächsten Kapitel (II.3.) noch auszuführen sein wird –, dass Barth nicht einfach den systematischen Zusammenhang der klassischen bellum-iustum-Lehre übernimmt, wonach alle Kriterien erfüllt sein müssen, um den Einsatz militärischer Gewalt als rechtfertigbar anzusehen. Seine Transformation des traditionellen Systems zeigt sich im relativen Offenhalten von allgemeinen ethischen Prüfkriterien rechtserhaltender Gewalt. Barth präsentiert mit anderen Worten keinen festen Kanon fixer Prüfkriterien unabhängig von jedem konkreten politisch-rechtlichen Anwendungskontext, sondern er bleibt absichtlich unspezifisch, um sie für die Konkretisierung und Präzisierung im Blick auf unterschiedliche Kontexte offen zu halten.169 Mit seinem dritten Einwand gegen Barth variiert Yoder das bellum-iustumKriterium der vernünftigen Aussicht auf Erfolg insofern, als dass er es hinsichtlich einer post-bellum-Situation auf die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für Kriegsfolgen bezieht. Diesbezüglich wird man biographisch auf K. Barths Einsatz für das Nachkriegsdeutschland verweisen dürfen. Bereits gegen Ende des Krieges wandte sich Barth der neuen Fragestellung eines Wiederaufbaus Deutschlands zu: »Karl Barth, der zu Ende der 30er Jahre und am Anfang der 40er Jahre unermüdlich zum Widerstand – auch zum bewaffneten Widerstand – gegen Deutschland aufgerufen hatte, gab seinen politischen Interventionen eine neue Richtung: Auch das jetzt am Boden liegende deutsche Volk verdient Menschlichkeit und nicht nackte Rachsucht.«170 Bereits in seinem Dürrenrother Vortrag führte Barth kurz nach der Invasion der Alliierten in der Normandie aus: »[W]enn der deutsche Kriegerstaat unschädlich gemacht am Boden liegen wird, dann wird es unsere Sache nicht sein können, wo Gott gerichtet hat, nochmals zu richten. Wer in den vergangenen Jahren vor den Deutschen keine Angst gehabt hat, der wird nun die Freiheit haben, ihnen in den kommenden Jahren auch nicht mehr grollen zu müssen.«171 Um noch ein zweites eindrückliches Beispiel der besonderen Verbundenheit Barths mit dem Nachkriegsdeutschland zu nennen, sei auf seinen Stuttgarter Vortrag »Ein Wort an die Deutschen« vom 2. 11. 1945 verwiesen, bei dem es sich um das erste öffentliche Auftreten eines zivilen »Ausländers überhaupt vor eiwachsen und sind längst über die Grenzen Deutschlands hinausgewachsen. Und Europa versteht die Gefahr nicht, in der es steht. Warum nicht? Weil es das erste Gebot nicht versteht, weil es nicht sieht, daß der Nationalsozialismus die bewußte, prinzipielle und systematische Übertretung eben des ersten Gebotes bedeutet.« 169 Anders als Barth optiert aktuell etwa M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 70. 170 F. Jehle, Lieber angenehm laut als unangenehm leise, 107. 171 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 331 (Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen, 23. 7. 1944).

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Yoder – der »bessere« Barthianer?

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nigen tausend Menschen«172 nach dem Krieg handelte. Im Bewusstsein der ihm dadurch übertragenen Botschafterfunktion, die er selbst anhand des biblischen Vergleichs »mit der Taube des Noah […], die mit einem Ölblatt im Schnabel in die einsam auf dem Wasser fahrende Arche zurückkehrte«173, beschreibt, vergewissert Barth seine Zuhörer seiner ungebrochenen Verbundenheit und Freundschaft: »Ich weiß aber, daß ich im Geist und Namen von vielen guten Schweizern rede, wenn ich Ihnen sage, daß wir für die Deutschen offen sind, daß wir noch und nun erst recht ihre Freunde sein wollen.«174 Abschließend sei kurz darauf hingewiesen, dass ich mich mit dem vierten, doppelten Vorwurf Yoders im Folgenden (II.2.3.) in extenso auseinandersetzen werde, demzufolge Barth seiner Argumentation keine solide Wert(urteils)ordnung (Überordnung des abstraktes Gutes »Staat« gegenüber menschlichem Leben; Aussparen der Rettung von Juden im Argumentationszusammenhang) zugrunde gelegt hat und sich de facto von christologischen Grundlegungsversuchen distanziert. Ich möchte hier nur kurz anmerken, dass es für Barth ein Kategorienfehler darstellt, von Menschen im Zusammenhang von Werten und Gütern zu sprechen, zumal sie Würde haben.175 Auf solche Würdeträger bzw. ihren Schutz bezieht sich die Rechtsstaatlichkeit, die Barth – wie noch zu zeigen sein wird – als engen Verweisungszusammenhang von Frieden, Freiheit und Recht entfaltet. Barths Argumentation, die diesbezüglich klar und eindeutig in Kantscher Tradition steht,176 entzieht sich im Blick auf Menschen als 172 K. Herbert, Kirche zwischen Aufbruch und Tradition, 87. Vgl. dazu auch: E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 343. 173 K. Barth, Der Götze wackelt, 87 (Ein Wort an die Deutschen, 1945). 174 A.a.O., 88. Vgl. auch ders., Eine Schweizer Stimme, 350 (Die Deutschen und wir, Januar/ Februar 1945): »Und nun ist das, was die Deutschen heute, an dem so dunklen Wendepunkt ihres Weges nötig haben, ganz einfach dies: Freunde.« Vgl. dazu: E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 336 ff. 175 Vgl. I. Kants (GMdS, BA 77) Rede vom »Reich der Zwecke« in der »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten« bzw. seine klassische Definition des Begriffs der Würde als eines Komplementärbegriffs (Würde als Komplement zum Preis): »Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.« 176 K. Barth (Christliche Ethik, 11 f.) kann in Bezug auf die Kantsche Selbstzweckformel feststellen, dass der Königsberger Philosoph hier »als Christ geredet« habe: »Für die christliche Ethik kann der Mensch niemals […] nur Mittel zum Zweck sein, sondern ihr ist er der Zweck selber, der Endzweck.« Barth begründet diese Aussage – notabene! – christologisch: »Ihr [der christlichen Ethik; M.H.] ist der elendeste Mensch, weil er ein Mensch ist, wichtiger als die herrlichste Sache. Warum? Weil der Mensch so herrlich ist, ein so gutes Wesen? Nein, aber darum, weil Gott ihn damit geehrt und ausgezeichnet hat, daß er selbst seinesgleichen wurde.« Barths These lässt sich in Bezug auf Kant »dogmengeschichtlich« dahingehend belegen, dass die Aussage, der Mensch sei um seiner selbst willen geschaffen, bereits der altprotestantisch überlieferten Schöpfungslehre entsprach. Vgl. z. B. J.A. Quenstedts Aussage: »Finis intermedius est hominum utilitas. Omnia enim Deus fecit

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Würdeträgern der Logik einer Güterabwägung und damit den Dilemmata, die etwa mit einer Güterkollision bzw. der Gleichrangigkeit von Gütern verbunden sind.177

3.

K. Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls

3.1.

Grenzfall: Wort Gottes – Gebot Gottes – Jesus Christus

Yoder kommt in seiner kritischen Untersuchung zu Barths Friedensethik und speziell seiner Grenzfallbestimmung zu dem negativen Ergebnis: »[N]either the statement in CD III/4 that a people can have a special relationship to God, nor the argument in the wartime writings that the protection of the political structure of a relatively more just state is a duty for Christians, has been founded upon Christian revelation. Here Barth has permitted himself to remove ethics from the field of dogmatics. What he began by labeling the freedom of God has turned out to be the autonomy of pragmatic political judgment.«178 Yoder beruft sich mit seinem Urteil auf zwei literarische Zusammenhänge, die dieses Negativergebnis s.E. stützen, nämlich zum einen Barths Bestimmung des Grenzfalls in KD III/4 und zum anderen auf Barths gesammelte Vorträge und öffentliche Äußerungen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.179 Beide literarischen Zusammenhänge bedürfen, insofern Yoder auf sie rekurriert, einer metakritischen Evaluation, die in den folgenden beiden Abschnitten (3.1. und 3.2.) dieses Kapitels vollzogen werden soll. Der inhaltliche Vorwurf, dass Barth entgegen seiner Intention, die Ethik in die Dogmatik zu reintegrieren, isolierte politisch-ethische Urteile fälle, wiegt schwer und bezieht sich auf den gesamten theologischen Begründungszusammenhang von Barths Urteilen, insofern es Barth zufolge der propter hominem, hominem autem propter se ipsum.« Zit. nach H. Schmid, Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche, 120. 177 Vgl. dazu: M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 373 f. W. Huber (Die tägliche Gewalt, 105) urteilt: »Leben läßt sich nicht gegen Leben abwägen«. Vgl. H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 26.248. Chr. Frey (Protestantische Ethik und Güterabwägung, 71) stellt fest: »Nicht alle Fälle lassen sich im Vergleich oder durch Abwägen konsensfähiger Güter bestimmen bzw. einer sittlichen Entscheidung zuführen. […] Dann gilt es die Ebene des Gütervergleichs zu verlassen und nicht nach einem Gut unter anderen, sondern nach dem Guten in der Gestalt der Integrität eines Lebens (einschließlich seines Sterbens) zu fragen«. 178 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 114 f. Ähnlich unter Berufung auf Yoder R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 238: »Curiously, however, in Barth’s discussion of war and killing his christocentric hermeneutic recedes into the background, while nonscriptural factors, such as the independence and integrity of the nation-state, come surprisingly to the fore as warrants for exceptions to the rule of prohibiting killing.« 179 K. Barth (Eine Schweizer Stimme, 6 (Vorwort)) spricht von »theologisch-politischen Traktaten«, wie er sie in seiner Schrift »Eine Schweizer Stimme« gesammelt hat.

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Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls

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»Zusammenhang der Dogmatik [ist], der die Ethik vor willkürlichen Behauptungen, Begründungen und Folgerungen schützt, der ihr erlaubt, einen sicheren Weg zu fruchtbaren Erkenntnissen zu gehen.«180 Yoders Vorwurf, dass es Barth nicht gelänge, seine friedensethischen Aussagen zum Grenzfall als christologische Argumentation zu profilieren und zu plausibilisieren, erfordert es also erneut, den theologischen Begründungszusammenhang von Barths Friedensethik in den Blick zu nehmen, und zwar diesmal anders als in der Einleitung dieser Untersuchung (0.3.4.) nicht allgemein, sondern unter einer bestimmten Perspektive bzw. Fragestellung. Da Yoders grundsätzliche Kritik an Barth das Verhältnis des für den Grenzfall konstitutives Gebietens zu Jesus Christus betrifft, ist es zunächst notwendig, das Verhältnis von Gottes Gebot und Jesus Christus zu fokussieren, um dann danach zu fragen, ob ein Zusammenhang zwischen der Relation Jesus Christus und Gebot einerseits und dem Grenzfall andererseits besteht und wie sich dieser ggf. konkret gestaltet. Die beiden Ausgangsfragen der folgenden Abschnitte lauten mithin zum einen: Was hat das Gebieten Gottes mit Jesus Christus tun (3.1.1.)? Und zum anderen: Inwiefern ist der Grenzfall ein casus christologicus (3.1.2.)? Bezüglich der ersten Fragestellungen muss eine Hinwendung zu den Organisationszusammenhängen von K. Barths Grundlegung der Ethik erfolgen, wie Barth sie im achten Kapitel der Kirchlichen Dogmatik (KD II/2) entfaltet. Dort geht es im Rahmen der Gotteslehre um eine allgemeine theologische Ethik, die »gewissermaßen nach oben blickend« bzw. »allgemein zu verstehen [versucht], daß und inwiefern es durch das Handeln Gottes in seinem Gebot zu des Menschen Heiligung und also zu einem guten menschlichen Handeln kommt«181. Besagtes Kapitel ist bezeichnenderweise mit der Überschrift »Das Gebot Gottes« versehen. Hinsichtlich der zweiten Fragestellung bedarf es einer Inspizierung der speziellen Ethik und ihrer Organisationszusammenhänge, wie Barth sie im Zusammenhang und als Abschluss der Lehre von der Schöpfung entwickelt (KD III/4). Die spezielle Ethik blickt »gewissermaßen nach unten: auf den handelnden […] Menschen« und fragt »nach der Heiligung, sofern sie dem Menschen von dem in seinem Gebot an ihm handelnden Gott her widerfährt, nach dem Guten, das in seinem Handeln unter Gottes Gebot wirklich und erkennbar wird.«182

180 Ders., KD III/4, 1. 181 A.a.O., 2. 182 A.a.O., 3. Dort z. T. kursiv.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

3.1.1. Gebotsethische Organisationszusammenhänge der »Kirchlichen Dogmatik« Der Grenzfall ist Barth zufolge dadurch gekennzeichnet, dass sich das Gebot Gottes in einer spezifischen Weise ereignet; und zwar so, dass das gebotene Tun in signifikanter Weise abweicht von der allgemeinen Richtung und Linie göttlichen Gebietens. Das den Grenzfall konstituierende Gebieten Gottes hat mit anderen Worten als Abweichung von dieser Richtung und Linie Ausnahmecharakter. Nicht dem Gebieten als solchem, d. h. als Form oder besser Gestalt des Wortes Gottes eignet Ausnahmecharakter, sondern dessen spezifischem Inhalt. Das Gebot umschreibt die den Menschen in Anspruch nehmende, ihn heiligende Gestalt des Wortes Gottes. Dementsprechend fixiert Barth die Aufgabenbestimmung der Ethik: »Fragen wir zunächst nach der Begründung der Ethik, so stellt sich uns als erste Aufgabe von selbst die: das Wort Gottes zu verstehen und darzustellen als Subjekt unserer eigenen, des Menschen, Inanspruchnahme, in seinem Charakter als das den Menschen heiligenden Gebot.«183 Die nach Barth in die Dogmatik integrierte Ethik hat mit der Dogmatik ihren Gegenstand gemeinsam,184 nämlich die »im Worte Gottes begründete[] und vollzogene[] Beziehung zwischen dem wahren Gott und dem wahren, d. h. aber dem ganzen und also gerade dem handelnden Menschen«185. Auf dem Hintergrund der Bestimmung des Gebotes Gottes als einer spezifischen Gestalt des Wortes Gottes lässt bereits die erste These der Barmer Theologischen Erklärung

183 Ders., KD II/2, 607. Do auch ders., KD III/4, 2: »Die Aufgabe der (theologischen Ethik) ist das Verständnis des Wortes Gottes als Gottes Gebot.« 184 Vgl. zu Barths Verhältnisbestimmung von Dogmatik und Ethik ders., KD I/2, 875 – 890: »Dogmatik als Ethik«. Folgendermaßen bestimmt Barth das Verhältnis beider zu Beginn seiner Ethik der Schöpfungslehre: »Die Frage nach dem Worte Gottes in der christlichen Verkündigung und also die Dogmatik umfaßt notwendig auch die ethische Frage, das heißt die Frage nach dem, was ein gutes menschliches Handeln sein möchte. Denn die christliche Verkündigung ist die Botschaft von Jesus Christus, von der in ihm erschienenen und tätigen Gottesgnade. Er ist das Wort Gottes, nach dem in der Dogmatik gefragt wird. Sie fragt also nach dem in ihm von Ewigkeit begründeten und in der Zeit vollzogenen Bund zwischen dem wahren Gott und dem wahren Menschen. Der wahre Mensch ist aber der handelnde, und zwar der gut handelnde Mensch, wie auch der wahre Gott der handelnde, und zwar der gut handelnde Gott ist. Indem die Dogmatik nach dem Handeln und seiner Güte frägt [sic!], muß sie notwendig und durchgehend auch nach dem handelnden Menschen und nach der Güte seines Handelns fragen. Sie hat das Problem der Ethik zum vornherein in Sicht und kann es legitimerweise nie aus der Sicht verlieren. Umgekehrt kann die ethische Frage – jedenfalls, wenn sie christlich, theologisch sinnvoll gemeint und verstanden ist – nur im Rahmen oder jedenfalls im sachlichen Zusammenhang der Dogmatik richtig gestellt und beantwortet werden. Der wahre Mensch und sein gutes Handeln kann ja nur vom wahren handelnden Gott und seiner Güte her, nur in dessen lebendigem Wort in Sicht kommen.« Ders., KD III/4, 1. 185 Ders., KD I/2, 881.

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Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls

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(1934) erahnen,186 dass zwischen dem Gebot Gottes und Jesus Christus ein Zusammenhang besteht.187 Denn dort wird Jesus Christus in personalisierter Rede als das »Wort Gottes« prädiziert, »das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.« Bezogen auf die soeben zitierte Aufgabenbestimmung der Ethik bedeutet dies, dass sie Jesus Christus als das Gebot Gottes zu verstehen und darzustellen bemüht sein soll: »Er [Jesus Christus; M.H.] ist als wahrer Gott und wahrer Mensch eben die konkrete Realität und Wirksamkeit des göttlichen Gebotes«188. Damit wäre – vermittelt über das Wort-Gottes-Verständnis – bereits der gesuchte Zusammenhang zwischen dem Grenzfall und Jesus Christus hergestellt, für dessen Homogenität zudem auch die zweite These der Barmer Theologischen Erklärung (1934) spricht. Dort wird Jesus Christus wiederum in personalisierter Rede als Gottes »Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden« und »mit gleichem Ernst« auch als »Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben« prädiziert. Jesus Christus, das eine Wort Gottes, ist zugleich Zuspruch und Anspruch, Evangelium und Gesetz bzw. Gebot. Im Sinne dieser Interpretation inhäriert der zweiten Barmer These der Zusammenhang, ja die wahre Ordnung des Verhältnisses von »Evangelium und Gesetz«189, die für Barth »zum 186 N. Biggar, Hearing God’s Command and Thinking about What’s Right, 108: »Barth’s concept of hearing God’s command is not to be abstracted from his doctrine of the Word of God and of its relation to Holy Scripture. God’s command is God’s Word in its imperative form«. So auch a. a. O., 111. Diese Bestimmung ist verkürzt, insofern sie weder Barths Behandlung des Indikativ-Imperativ-Schemas (vgl. Abschnitt I.2.1.7. der vorliegenden Untersuchung), noch der Dialektik von Evangelium und Gesetz (vgl. Abschnitt II.2.3.1.1. der vorliegenden Untersuchung) gerecht wird. 187 Im Anschluss an K. Barth haben W. Kreck (vgl. Grundfragen christlicher Ethik, 76 – 104) und F. Mildenberger (vgl. § 25: »Jesus Christus als Gebot Gottes: Die Verwirklichung des wahren Menschseins in Jesus als Kriterium der Humanität« in Mildenbergers im WS 1977/ 78 gehaltener Vorlesung »Christologie«, 231 – 241) Jesus Christus explizit als das Gebot Gottes prädiziert. K. Barth (Ethik II, 121) selbst hat Christus bereits in seiner »Münsteraner Ethik« als »das menschgewordene Gesetz« bezeichnet bzw. festgestellt: »In der Kraft seiner Gottheit, aber als wahrer Mensch tritt er für uns ein, ist er das Wort der freien Güte Gottes gegen uns. Wiederum in der Kraft seiner Gottheit, aber als wahrer Mensch ist er auch Gebot Gottes.« A.a.O., 137. Dort z. T. kursiv. 188 Ders., KD IV/1, 50. So auch a. a. O., 56. 189 Vgl. ders., KD II/2, 567: »Das eine Wort Gottes ist Evangelium und Gesetz: kein Gesetz für sich und unabhängig vom Evangelium, aber auch kein Evangelium ohne Gesetz. Es ist Evangelium nach seinem Inhalt, Gesetz nach seiner Form und Gestalt. Es ist zuerst Evangelium und dann Gesetz. Es ist das Evangelium, das das Gesetz enthält und in sich schließt wie die Bundeslade die Tafeln am Sinai. Aber es ist beides: Evangelium und Gesetz.« Mit der Vorordnung des Evangeliums vor das Gesetz akzentuiert Barth: Der gebietende Gott ist »auf jeden Fall der im Evangelium bereits mit dem Menschen verkehrende, mithin der gnädige Gott« (E. Jüngel, Anrufung Gottes als Grundethos christlichen Handelns, 327). Der Gehorsam, den das Gebot fordert und der das Handeln des Menschen als gut ausweist (vgl. K. Barth, KD III/4, 2: »Der Mensch handelt gut, sofern er der gehorsame Hörer des Wortes und Gebotes Gottes ist. Das aus und durch Gottes Wort kommende Hören des Wortes und

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eisernen Bestand«190 seiner Dogmatik gehört und den Ansatz für eine christliche Ethik einschließt.191 Versucht man diesen rudimentär skizzierten Zusammenhang präzisierend zu explizieren, so wird man den Ereignischarakter, der dem Gebot Gottes nach Barth eignet, nicht übersehen dürfen. Denn wie bereits dargestellt wurde, handelt es sich bei der Rede vom Gebot Gottes als Ereignis um einen bewusst und keineswegs beiläufig gewählten, zentralen »Ausdruck grundlegender theologischer Einsichten und Entscheidungen.«192 Diese besondere Pointierung der Kategorie des Gebotes Gottes ist grundlegend für Barths gesamten Ethikansatz, und dementsprechend programmatisch formuliert er : »Daß und inwiefern dieses Gebieten Gottes Ereignis ist, wird die theologische Ethik als Erstes zu zeigen und als grundlegenden und alles umfassenden Satz zu entfalten haben. Das ist die besondere ethisch-dogmatische Aufgabe, die wir hier, im Rahmen der Gotteslehre, vor uns haben. Wie werden nicht genug Gewicht darauf legen können, daß unter dem beherrschenden Prinzip der theologischen Ethik, unter dem heiligenden Gebot Gottes – dem entsprechend, daß wir Gott selbst nicht anders kennen denn als handelnden Gott – ein göttliches Handeln – und also eben ein Ereignis, nicht eine seiende, sondern eine geschehende Wirklichkeit zu verstehen ist.«193 Der genuin christologische Charakter der Grundlegung der Ethik bei Barth zeigt sich nun darin, dass Barth auch diese Rede vom Gebot Gottes als genuin christologisch qualifizierte Rede entfaltet. Das Gebot Gottes ereignet sich nämlich in der Weise, dass der Mensch in ein »Gegenüber und Zusammensein [als erwählender Gott und erwählter Mensch; M.H.] mit Jesus Christus versetzt«194 wird. Durch das Versetzt-Werden in präzise diese Beziehung widerfährt dem menschlichen Handeln seine Bestimmung, fällt die Entscheidung über die Güte des menschlichen Handelns. Diese Beziehung wird in zweifacher Weise qualifiziert, nämlich einerseits als Gegenüber und andererseits als Zusammensein, wobei diese Differenzierung der Beziehung aus der Zwei-NaturenLehre resultiert. Der Mensch wird mit anderen Worten in ein Gegenüber versetzt, insofern Jesus Christus als wahrer Gott Geber des Gebotes ist, durch das

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Gehorsamwerden ist des Menschen Heiligung.«), wird von Barth als der »Gehorsam des freien Menschen gegen den freien Gott« (ders., KD II/2, 623) gekennzeichnet. Das Gebot will als Einladung verstanden sein: Der Mensch »muß nicht gehorchen, er darf es« (ders., KD III/4, 747). Ders., KD IV/3, 427. So E. Busch, Die große Leidenschaft, 161. H. Lindenlauf (Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christi«, 126) bemerkt zu Recht, dass man Barths Grundlegung der Ethik »als weiterführenden Kommentar seiner These aus ›Evangelium und Gesetz‹ lesen kann.« W. Lienemann, Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 155. K. Barth, KD II/2, 608 f. A.a.O., 609.

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Gott sich zu erkennen gibt. Zugleich spricht Barth von der Versetzung in ein Zusammensein mit Jesus Christus, das dadurch zustande kommt, dass Jesus Christus wahrer Mensch und als solcher mit uns zusammen ist. Unsere Beziehung zu Jesus Christus ist im Sinne dieser Differenzierung zweifach relationiert. Vergegenwärtigt man sich zudem, dass die Zwei-Naturen-Lehre bei Barth im Sinne der Prädizierung Jesu Christi als »erwählender Gott« und »erwählter Mensch«195, d. h. als Subjekt und Objekt der Erwählung, Interpretament der Lehre von Gottes Gnadenwahl ist, so wird nicht nur evident, warum Barth die Lehre vom Gebot Gottes in direktem Anschluss an die Lehre von Gottes Gnadenwahl entfaltet,196 sondern auch, wie Jesus Christus gleichsam in die Ethik kommt.197 Die Gnadenwahl selbst kann nach Barth als »Summe des Evangeliums«198, als Gebot Gottes, nämlich als der Zuspruch verstanden werden, der gemäß der Dialektik von Evangelium und Gesetz uno actu in Anspruch nimmt.199 Die Ethik ist als Lehre vom Gebot Gottes Implikat der Gotteslehre, insofern die Gnadenwahl, in und durch die Gott sich bestimmt, als der dem Anspruch vorgeordnete200 Zuspruch bzw. als das dem Gesetz (als »Gestalt des Evangelium«201 oder auch »Form des Evangeliums«202) vorgeordnete Evangelium zu verstehen ist.203 195 Vgl. a. a. O., 110. Vgl. auch a. a. O., 1. Leitsatz § 32: »Die Erwählungslehre ist die Summe des Evangeliums, weil dies das Beste ist, was je gesagt und gehört werden kann: daß Gott den Menschen wählt und also auch für ihn der in Freiheit Liebende ist. Sie ist in der Erkenntnis Jesus Christi begründet, weil dieser der erwählende Gott und er erwählte Mensch in Einem ist. Sie gehört darum zur Lehre von Gott, weil Gott, indem er den Menschen wählt, nicht nur über diesen, sondern in ursprünglicher Weise über sich selbst bestimmt.« Dort kursiv. Zur Erwählungslehre Barths vgl. M.L. Frettlöh, Das Ja vor jeder Frage, 103 – 146; G. Gloege, Zur Prädestinationslehre Karl Barths, 77 – 132; M. Gockel, Barth and Schleiermacher on the Doctrine of Election; W. Kreck, Grundentscheidungen in Karl Barths Dogmatik, 188 – 283; B. McCormack, Die Summe des Evangeliums, 541 – 66; W. Sparn, »Extra Internum«, 44 – 75; H. Stoevesandt, Prädestination und Geschichte, 55 – 74; M. Zeindler, Erwählung, 80 – 95. 196 Vgl. K. Barth, KD II/2, 564: »Die Lehre von Gottes Gnadenwahl ist das eine und die Lehre von Gottes Gebot ist das andere Element des rechten, christlichen Begriffs vom Bunde Gottes mit dem Menschen.« 197 Vgl. W. Lienemann, Karl Barth (1886 – 1968), 44: »Der Ausgangspunkt von Barths Ethik fällt mit dem innersten Kreis seiner Theologie zusammen: der Neufassung der Erwählungslehre aufgrund der Selbsterschliessung und Erkennbarkeit Gottes in Jesus Christus allein.« 198 K. Barth, KD II/2, 1. 199 Vgl. a. a. O., 567. 200 Vgl. ders., Evangelium und Gesetz, 1: »Wer von unserem Thema [Evangelium und Gesetz; M.H.] recht reden will, der muß zuerst vom Evangelium reden.« Vgl. a. a. O., 6: »Wir haben […] an zweiter Stelle vom Gesetz zu reden.« Vgl. dazu auch: ders., KD IV/2, 250: Jesu Tun ist »allererst kräftiges, realisierendes Evangelium: dann und von da aus erst das neue Gesetz, das sein begangenes Sündigen verurteilt, neues Sündigen ihm verwehrt und also das Tor schließt, durch das das Chaos in sein Dasein eingebrochen ist.« 201 Ders., KD II/2, 564. Leitsatz zu § 36: »Ethik als Aufgabe der Gotteslehre«.

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Der im Sinne der Zwei-Naturen-Lehre verstandene Jesus Christus verkörpert als erwählender Gott und erwählter Mensch den essentiellen Zusammenhang von Evangelium und Gesetz,204 so dass in der Zwei-Naturen-Lehre als Interpretament der Erwählungslehre zugleich auch als Interpretament der Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gesetz fungiert: »Wir haben in dem einen Bild Jesu Christi wie das Evangelium, das uns mit Gott versöhnt, uns erleuchtet und tröstet, so auch das im Unterschied zu allen anderen, selbst gefundenen oder selbst erdachten Gesetzen wirklich bindende und verpflichtende Gesetz. An dieses Gesetz hält sich die theologische Ethik«205 Ist Ethik als die Lehre vom Wort Gottes, sofern es Gebot ist, zu verstehen und das Gebot Gottes wiederum als »die Heiligung oder Inanspruchnahme«206, die dem erwählten Menschen durch den ihn erwählenden Gott widerfährt, so erweist sich Jesus Christus als der das Gebot gebende Gott und als der durch das Gebot in Anspruch genommene, geheiligte Mensch schlechthin konstitutiv für das Verständnis des Gebotes Gottes und somit auch für die Ethik. Ja, Jesus Christus ist der eigentliche Gegenstand der Ethik, insofern er in einem ganz spezifischen Sinne selbst Gottes Gebot ist. Jesus Christus ist das Gebot Gottes, 202 Ders., Evangelium und Gesetz, 9 f.: »[D]as Gesetz ist nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist. Gerade dieser Inhalt erzwingt diese Form, die Form, die nach Gleichform ruft, die gesetzliche Form. Gnade heißt, wenn sie offenbar, wenn sie bezeugt und verkündigt wird, Forderung und Anspruch an den Menschen. […] So also ist das Gesetz im Evangelium wie die Tafeln vom Sinai in der Bundeslade, so, daß das Evangelium immer als offenbares, als verkündigtes, als den Menschen angehendes im Gesetz, in der Krippe und in den Windeln der Gebote, des Gebotes und Gebietens Gottes ist.« E. Jüngel (Evangelium und Gesetz, 195) fasst dies thetisch wie folgt zusammen: »1. Was als Gesetz Gottes in Betracht kommt, entscheidet allein das Evangelium. 2. Es gibt kein Evangelium, das nicht sofort als Gesetz den Menschen auch beansprucht. 3. Das Evangelium ist das dem Menschen Gottes Gnade zusprechende Wort Gottes. 4. Das Gesetz ist das den Menschen für Gottes Gnade beanspruchende Wort Gottes. 5. Im Gesetz äußert sich das ›inhaltlich‹ als Indikativ der Gnade zu verstehende Evangelium in der ›Form‹ des gnädigen Imperativs.« Zur Interpretation des Inhalt-Form-Schemas bei Barth vgl. außerdem B. Klappert, Promissio und Bund, 78 – 96 und vor allem E. Jüngel, Zum Verhältnis von Kirche und Staat nach Karl Barth, 96 – 103. Jüngel führt dort den Nachweis, dass Barth in seiner Verwendung des Form-Begriffs nicht dem aristotelischen, sondern dem neuzeitlichen Sprachgebrauch folgt. 203 Vgl. H. Lindenlauf, Karl Barth und die Lehre von der »Königsherrschaft Christi«, 125 f.: »Schon die Stellung der ethischen Grundlegung im Rahmen der Gotteslehre nach der Lehre von Gottes Gnadenwahl ist bezeichnend und macht – als Konsequenz der in der Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gesetz getroffenen Grundentscheidungen – vollends deutlich, daß es sich bei der Aufgabe theologischer Ethik insgesamt um nicht anderes handeln kann als um die Lehre von ›Gottes Gebot‹.« Vgl. auch B. Klappert, Promissio und Bund, 63: »Theologische Ethik, die Lehre von Gottes Gebot, gehört wie die Erwählungslehre zur Lehre von Gott selber.« 204 Vgl. F. Lohmann, Zwischen Naturrecht und Partikularismus, 65. 205 K. Barth, KD II/2, 598. 206 A.a.O., 567.

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insofern er als wahrer Gott Geber des Gebotes und in seinem vollkommenen Gebotsgehorsam nicht nur der Empfänger, sondern stellvertretend für alle Menschen der Erfüller des Gebotes Gottes und des Bundes Gottes mit seinem Volk Israel und der Kirche ist. Aus diesem Konstitutionszusammenhang resultieren Konsequenzen im Blick auf das Erkennen des Gebotes Gottes. Denn Jesus Christus ist nicht nur der Seins- bzw. Realgrund, sondern auch der Erkenntnisgrund des Gebotes Gottes: »Sie [die Ethik als Lehre von Gottes Gebot; M.H.] ist […] in der Erkenntnis Jesu begründet«207. Das Gebot kann und will in Jesus Christus erkannt werden, insofern dieses durch Jesu Christi stellvertretend für alle Menschen vollzogene Erfüllung allererst definitiv offenbar wurde. Mit B. Klappert gesprochen: »[D]as christologische Zugleich von endgültiger Erfüllung und definitiver Offenbarung des Gebotes ist der Skopus der Aussagen Barths«208. Jesus Christus ist – so noch einmal Klappert – »für Barth […] als die Erfüllung der Bundesgeschichte Gottes mit dem Menschen der Definitionsort des Gebotes Gottes.«209 Die christologische Koinzidenz von endgültiger Erfüllung und definitiver Offenbarung des Gebotes bei Barth verweist auf die Zusammengehörigkeit von Seins- und Erkenntnisgrund des Gebotes Gottes in Jesus Christus. Da das Gesetz in Jesus Christus stellvertretend erfüllt und damit allererst offenbar wurde, wird die christliche Ethik nicht an der Art und Weise dieses, seines Erfüllens uninteressiert vorbeisehen können und dürfen: »Wir müssen« – so Barth – »Gottes Gebot nur da suchen, wo es den Schleier aller menschlichen Meinungen und Theorien über den Willen Gottes selber zerrissen, sich selber unzweideutig kundgegeben, wo er sich als Gnade und damit in seiner Wahrheit sichtbar gemacht hat. Wir müssen es nur in dem suchen, was in Bethlehem, was zu Kapernaum und Tiberias, was in Gethsemane und auf Golgatha, was im Garten des Joseph von Arimathia geschehen ist. In diesem Geschehen hat Gott sein Gebot ausgesprochen. Hören wir es hier, dann steht es begründet und legitimiert vor uns. Wir müssen, was Gott mit und von uns will, nur ablesen lernen aus dem, was er für uns getan hat.«210 Bereits in seiner kleinen Schrift »Evangelium und Gesetz« (1935) stellte Barth fest: »Von dieser Tatsache, daß Jesus Christus, indem er die ›erschienene Gnade Gottes‹ (Tit 2,11) war, zugleich die Gebote des Gesetzes gehalten hat, werden wir, wenn es um die Definition des Gesetzes geht, auf keinen Fall abstrahieren dürfen; wir werden vielmehr von ihr auszugehen haben. Sie wird nicht nur das Kriterium bilden, an dem wir alle von uns selbst gebildeten Gesetzes- und 207 208 209 210

A.a.O., 564. B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 172. So auch a. a. O., 182. A.a.O., 174. K. Barth, KD II/2, 621.

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Normbegriffe zu messen haben. Sie wird auch der Kanon sein müssen zur Interpretation alles dessen, was uns im Alten und Neuen Testament als Gesetz begegnet; das Entscheidende, das eigentlich Gemeinte in jedem großen oder kleinen, inneren oder äußeren Gebot haben wir abzulesen aus der Erfüllung, die jedes von ihnen in Jesus Christus gefunden hat.«211 Ergänzend zur Bestimmung Jesu Christi als Seins- und Erkenntnisgrund des Gebotes Gottes manifestiert sich in Barths christologischer Rede vom Gebot Gottes bezeichnenderweise auch der Rekurs auf den Ereignisbegriff. Das Gebot Gottes »gründet« nicht nur in Jesus Christus, sondern ereignet sich auch in ihm: »Des Menschen Heiligung und Inanspruchnahme für Gott, die Erfüllung seiner Vorherbestimmung in seiner Selbstbestimmung zum Gehorsam, Gottes Urteil über den Menschen und sein Befehl an ihn in leibhaftiger Vollstreckung – das Alles ist ja hier, in Jesus Christus Ereignis. Das Gute – hier geschieht es: wahrhaftig das kritisch verstandene Gute jenseits alles dessen, was gut zu heißen bloß vorgibt.«212 Bereits in seiner »Münsteraner Ethik« bestimmt Barth Jesus Christus als das Ereignis des Gebots Gottes: »In dem uns die Existenz dieses Menschen [Jesus Christus; M.H.] zum Gebot wird, begegnet uns Gottes Gebot; in der Existenz dieses Menschen ist Gottes Gebot an uns wirklich. Und eben indem es uns so begegnet, indem es in der Existenz dieses Menschen wirklich ist, ist es das wahre vor allen Verwechslungen und Vertauschungen gesicherte Gottesgebot. Es könnte nicht göttlicher sein, als es in diesem Menschen menschlich wird.«213 Man beachte hier Barths Tempusgebrauch: Das Gebot Gottes war nicht nur in Jesus Christus Ereignis, sondern ist es. Barth nimmt also keineswegs ausschließlich den irdischen Jesu in den Blick, sondern spricht vom lebendigen Christus, vom Christus praesens. Da, wo Gottes Gebot Ereignis wird, ereignet sich Jesus Christus als solcher und zwar »in, mit und unter«214 ihm. Gottes Gebieten ist in Jesus Christus präsent, ohne jedoch mit dem Gebieten bzw. dem Gebot Gottes identisch zu sein. Die Unverfügbarkeit Jesu Christi wird von Barth nicht nur dadurch akzentuiert, dass er mit dem Gebrauch der Kategorie des Ereignisses in Bezug auf das Gebot Gottes die Unverfügbarkeit des gebietenden Handelns Gottes betont, insofern sich das Gebot Gottes eben als Gestalt des Wortes Gottes ereignet – ubi et quando visum est Deo. Nein, der lebendige Christus ist Barth zufolge eben auch darin vital, dass er sich ereignet, ohne dass er selbst von den Ereignissen selbst subsumiert bzw. absorbiert wird und ohne dass die Ereignisse dadurch irgendetwas ermangeln. Die Ereignis211 212 213 214

Ders., Evangelium und Gesetz, 7. K. Barth, KD II/2, 573. Ders., Ethik II, 121. Dort z. T. kursiv. Zu K. Barths Gebrauch der »in, mit und unter«-Formel zur Umschreibung der Präsenz des Wortes Gottes vgl. z. B. ders., KD I/1, 11.

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struktur eignet Barth zufolge dem Wort und damit dem Gebot Gottes in besonderer Weise, weil und insofern sie der Wirklichkeit des lebendigen Jesus Christus in der Einheit von Sein und Handeln215 entspricht. Die Ethik versucht dieses immer wieder begegnende Ereignis zu bedenken, aber es bleibt doch unverfügbar und insofern ein Geheimnis.216 Damit ist ein wesentliches Charakteristikum des Grenzfalls umschrieben. Wir stehen hier also am Übergang zu Barths Ausführungen zum Grenzfall im Rahmen der speziellen Ethik, genauer : der Ethik der Schöpfungslehre. Bevor wir uns jedoch diesem zuwenden, soll zunächst ein Zwischenfazit gezogen werden: Wie wir gesehen haben, bleibt Barth in seiner Grundlegung der allgemeinen Ethik (KD II/2) seiner eigenen Forderung nach einem christologischen Erschließungsansatz auch in der Ethik treu, insofern er Jesus Christus als den Seins- und Erkenntnisgrund des Gebotes Gottes sowie als das Ereignis des Gebotes Gottes selbst expliziert. Als Quintessenz aus der Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gebot kann Barth die Ethik als Lehre von Gottes Gebot auf das konkrete Christusgeschehen als den »archimedischen Punkt«217 beziehen. Was die Grundlegung der Barthschen Ethik betrifft, kann insofern kein Indiz für die Berechtigung des Yoderschen Einspruchs ermittelt werden, wonach eine christologische Abstinenz in Barths Argumentation zu monieren ist. Doch darf dieses Urteil nur als vorläufig gelten, da nun noch zu prüfen sein wird, ob denn der Grenzfall selbst von Barth als casus christologicus konzipiert ist.

3.1.2. Schöpfungsethische Organisationszusammenhänge der »Kirchlichen Dogmatik« Die Argumentationsfigur des »Grenzfalls« selbst thematisiert Barth nicht in seiner Grundlegung der theologischen Ethik bzw. der allgemeinen theologischen Ethik, die im Rahmen der Kirchlichen Dogmatik die Gotteslehre abschließt (KD II/2), sondern erst in der speziellen Ethik als Lehre vom Gebot des Schöpfers (KD III/4). Hier geht es Barth um die Inanspruchnahme des Menschen durch Gottes Gebot, insofern »wir sind und leben«218. Nachdem Barth den Begriff »Grenzfall« im Zusammenhang seines Eheverständnisses im Abschnitt zu »Mann und

215 Vgl. dazu das Urteils H. W. Freis (Karl Barth, 169) über Barth: »No theologian ever saw these two aspects of Christology, the being and the activity of Jesus Christ, in closer integration. They are but two differing descriptions, where we have no single description, of the ›self-enacted parable‹«. 216 Vgl. W. Lienemann, Das Gebot Gottes als »Ereignis«, 157. 217 K. Barth, Das christliche Leben, 425. 218 Ders., KD I/2, 986.

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Frau«219 (KD III/4, § 54.1) und seiner Thematisierung des Verhältnisses von »Eltern und Kinder[n]« (KD III/4, § 54.2) eher beiläufig fallen ließ,220 führt er ihn im theologischen Zusammenhang der »Freiheit zum Leben« (KD III/4, § 55) und zwar speziell in der Auslegung des sechsten Gebots in dem auf A. Schweitzers221 ethisches Prinzip bzw. seinen prinzipiellen Ansatz rekurrierenden Abschnitt »Die Ehrfurcht vor dem Leben« (KD III/4, § 55.1) ein. Barth bezeichnet das sechste Gebot (»Du sollst nicht töten!«) des mosaischen Dekalogs als »die explizite biblische Form«222 des Gebots der Ehrfurcht vor dem Leben und als dessen »letzte Zuspitzung«: »Was als Ehrfurcht vor dem Leben gefordert ist, wird in dieser Formel in letzter Zuspitzung ausgesprochen: das menschliche Leben soll als von Gott in besonderer Absicht gegeben und als unter Gottes besonderen Schutz gestellt betrachtet und eben darum mit heiliger Scheu behandelt werden.«223 Mit dem Gebot der Ehrfurcht vor dem Leben versucht Barth die positive Implikation dessen zur Sprache zu bringen, was das biblische Gebot negativ als »nicht töten« expliziert.224 Im anschließenden Abschnitt »Der Schutz des Lebens« (KD III/4, § 55.2) wendet sich Barth verschiedenen ethischen Themen bzw. Problemen zu, nämlich: dem Selbstmord bzw. der Selbsttötung,225 Mord und Totschlag,226 der absichtlichen Schwangerschaftsunterbrechung bzw. der Abtreibung der Leibesfrucht,227 dem sog. »lebensunwerten Leben«,228 der Euthanasie,229 der Notwehrtötung,230 der Todesstrafe231 und dem Krieg232. Barth tut dies in der Absicht, den Wortlaut und Wortsinn des sechsten Gebots näher zu erläutern. Die Sequenz der Themen ist insofern klimaktisch aufgebaut, als dass sich der Radius der Auswirkungen und Betroffenheit, die mit den in Frage gestellten ethischen Problemen einhergehen, immer mehr ausweitet: Zunächst geht es nur um die Frage nach der möglicherweise berechtigten Auslöschung des eigenen Lebens, dann des Lebens anderer Menschen und schließlich des Lebens aller Menschen 219 Vgl. dazu: J.C. Janowski, Zur paradigmatischen Bedeutung der Geschlechterdifferenz, 13 – 60. 220 Vgl. K. Barth, KD III/4, 257.297. 221 Bezüglich A. Schweitzers Verhältnis zu K. Barth vgl. M. Basse, Ehrfurcht vor dem Leben, 211 – 225. Dort (Anm. 2) auch Lit.! 222 K. Barth, KD III/4, 390. 223 Ebd. 224 Vgl. a. a. O., 453. 225 Vgl. a. a. O., 456 – 470. 226 Vgl. a. a. O., 471 ff. 227 Vgl. a. a. O., 473 – 482. 228 Vgl. a. a. O., 483 f. 229 Vgl. a. a. O., 484 – 488. 230 Vgl. a. a. O., 488 – 499. 231 Vgl. a. a. O., 499 – 515. 232 Vgl. a. a. O., 515 – 538.

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im Krieg: »Es ist ein Illusion, wenn man meint, daß irgend Jemand unverbindlich dabei sein und bloß zuschauen könne.«233 Dieser Klimax korrespondiert die zunehmende »Strenge der Fragestellung«234, die schließlich in der Beurteilung des Krieges kulminiert, in dem »auf breitester Front ungefähr Alles getan werden [muß], was Gott verboten hat«235. Das Recht des Krieges, »wenn davon […] überhaupt die Rede sein kann, […] muß in noch strengerer Reserve und Vorsicht in Betracht gezogen werden als dies schon im Blick auf Selbsttötung, Abtreibung, Todesstrafe usw. nötig war«236. Barth kann sogar jedes Ja auf die Frage nach der Berechtigung von Krieg als falsch bezeichnen, »das nicht die Anerkennung in sich schließt, daß es auch in extremis noch ganz erheblich viel schwerer sein wird, hier auch nur ein limitiertes Ja zu sagen, als es […] etwa in der Frage der Selbsttötung, der Abtreibung, der Notwehr usw. an der äußersten Grenze ins Auge gefaßt werden kann«237. Die Thematisierung der einzelnen Problemfelder erfolgt jeweils unter einer zweifachen Fragestellung: Barth fragt danach, welche Bedeutung das sechste Gebot für diese Themen erstens im Regelfall und zweitens im Grenzfall besitzt, in dem der »Schutz des Lebens« in der »Preisgabe und Dahingabe« des Lebens bestehen kann und nicht wie im Regelfall jenen »zunächst auf der Hand liegenden Sinn« der »einfache[n] Behauptung, Erhaltung und Verteidigung des Lebens«238 hat. Im Ergebnis hält Barth die Möglichkeit, dass ein Grenzfall gegeben sein könnte, im Blick auf das sog. »lebensunwerte« Leben und die Euthanasie für ausgeschlossen, und zwar weil hier nicht »Leben gegen Leben« stehe, sondern zwischen Leben und Tod zu wählen sei: »Wo Leben gegen Leben auf dem Spiel steht, wie in der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung, da kann in Übereinstimmung mit dem Gebot gefragt und geantwortet werden. Wie aber soll das da geschehen, wo es um die Wahl zwischen einem – ob zwar leidenden – Leben und dem Tod gehen soll? Bleibt also, Alles wohl überlegt, etwas Anderes übrig, als auch von der in dieser Absicht und Gestalt zu administrierenden ›Euthanasie‹ zu sagen: sie ist vor dem Gebot Gottes auf keinen Fall zu rechtfertigen, im Gehorsam gegen Gottes Gebot wird diese Aktion nicht zu unternehmen und durchzuführen sein?«239 Die Tatsache, dass Barth für manche ethischen Problemfelder die Möglichkeit des Grenzfalls nicht zugesteht, betrifft einen zentralen Gesichtspunkt der Yo233 234 235 236 237 238 239

A.a.O., 516. A.a.O., 471. A.a.O., 520. A.a.O., 519. A.a.O., 520. A.a.O., 454. Dort sind auch alle übrigen Zitate dieses Satzes zu finden. A.a.O., 488.

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derschen Kritik, nämlich das Apriori des Grenzfalls. Metakritisch wird man gegen Yoders Kritik einwenden müssen, dass Barth offenkundig nicht axiomatisch von einem Apriori des Grenzfalls ausgeht. Barth konzediert keineswegs die Möglichkeit des Grenzfalls für alle individual- und sozialethischen Themen- und Problemfelder, sondern er thematisiert zunächst die unabdingbare Frage nach der Möglichkeit eines Grenzfalls. Zieht man einmal mehr Kants Urteilstafel aus heuristischen Gründen heran,240 so wird man feststellen können: Yoder beschreibt die Modalität des Barthschen Urteils in Bezug auf den Grenzfall nicht adäquat. Barth urteilt eben – anders als Yoder behauptet – nicht assertorisch: »Es gibt auf jedem ethischen Problemfeld die Möglichkeit eines Grenzfalls«, sondern Barth sagt: »Es ist möglich, dass es auf verschiedenen ethischen Problemfeldern und dann vielleicht auch in deren Summe die Möglichkeit eines Grenzfalls gibt«. Barth fällt mit anderen Worten kein assertorisches (es ist in der Tat so, dass S P ist)241, sondern ein problematisches Urteil (es ist möglich, dass S P ist). Die Möglichkeit, dass Gott das Töten gebietet, wird von Barth nicht einfach für jedes ethische Problem vorausgesetzt, sondern es muss ihm zufolge zunächst für jedes ethische Problem(feld) neu theologisch exploriert werden, ob es sich bei der Möglichkeit eines solchen Gebietens um eine mögliche oder unmögliche Möglichkeit handelt. Nur so lässt sich hinsichtlich des Grenzfalls »von der Möglichkeit Gottes und seines besonderen Gebietens«242 theologisch angemessen reden. Der Status der Barthschen Aussage in Bezug auf sog. »lebensunwertes« Leben und Euthanasie ist demzufolge der einer unmöglichen Möglichkeit, wohingegen der in Bezug auf alle anderen von Barth aufgeführten Problemfelder der einer möglichen Möglichkeit ist. In diesem Fall ist anders als in jenem mit einer von Gott möglicherweise gebotenen Tötung zu rechnen. Dies gilt nun auch für den Grenzfall des gebotenen Krieges, den Barth als »Notstand«243 kennzeichnet.244 Als Beleg für die These, dass Barth vom Grenzfall bzw. Krieg als möglicher Möglichkeit spricht, mag hier folgende Frage Barths dienen, die in ihrer formalen Struktur »Es kann sein, dass es sein kann!« der des problematischen Urteils entspricht: »Warum ist die Möglichkeit zuzugeben, daß dieser Grund [gemeint ist jener Kriegsgrund, wonach ein Volk oder Staat die Preisgabe seiner Selbständigkeit nicht verantworten kann; M.H.] im Lichte des Gebotes Gottes ein berechtigter Grund zum Krieg, ein aus diesem Grund geführter Krieg also in 240 241 242 243 244

Vgl. I. Kant, KrV, B 95. S = Subjekt; P = Prädikat. K. Barth, KD III/4, 480. A.a.O., 527.529. Vgl. a. a. O., 537: »[E]s gibt – wenn auch selten genug – verantwortbare, notwendige, gebotene Kriege, und wo es um einen solchen geht, da soll die Kirche sogar Allen voran sein, das einzusehen und auszusprechen«.

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seiner ganzen Schrecklichkeit, die auch ihm nicht fehlen wird, ein ›gerechter Krieg‹ sein kann?«245 Auch im Fall einer unmöglichen Möglichkeit bleibt die »Möglichkeit des Grenzfalls […] die Möglichkeit Gottes selbst.«246 Die Souveränität Gottes wird dadurch keineswegs eingeschränkt, insofern diese – wie gezeigt247 – eben keine Willkürfreiheit, sondern eine sich bindende, sich selbst (auf den Bund mit den Menschen) festlegende Freiheit ist. Barths Modalitätsbestimmungen sind somit wesentlich präziser als Yoder sie wahrnimmt. Nichtsdestotrotz wird man die partielle Berechtigung von Yoders grundsätzlicher Kritik an Barth insofern nicht verkennen dürfen, als man in besagtem Abschnitt zum Thema »Krieg« in KD III/4 (515 – 538) den Namen Jesus Christus vergeblich sucht. Hier unterlässt es Barth leider, durch eine explizite Bezugnahme auf den Weg und das Werk Jesu Christi zu demonstrieren,248 welche Bedeutung die Erfüllung des sechsten Gebots durch Jesus Christus für die Friedensfrage und die konkrete Erkenntnis des Gebots Gottes im Grenzfall hat. Barth hätte hier seinen christologisch begründeten ethischen Grundsatz gleichsam vom Kopf auf die Füße stellen können, welcher besagt: »Der Mensch Jesus, der das Gebot Gottes erfüllt, gibt nicht, sondern ist durch Gottes Gnade die Antwort auf die durch Gottes Gnade gestellte ethische Frage.«249 Natürlich wird man diesbezüglich berücksichtigen müssen, dass Barth den Weg und das Werk Jesu Christi nicht in der Schöpfungs-, sondern der Versöhnungslehre (KD IV/2) thematisiert.250 Diese ist bei Barth »der umfassende und vollständige Auslegungshorizont der Geschichte Jesu Christi«251. Und insofern wäre im Blick auf die Gesamtdisposition der »Kirchlichen Dogmatik« im Sinne Barths zurückzufragen, ob die Schöpfungsethik wirklich der angemessene konzeptionelle Rahmen für das theologisch ebenso legitime wie ambitionierte Unterfangen einer Entfaltung der Friedensethik von Weg und Werk Jesu Christi her ist. Die für diese Aufgabenstellung geradezu prädestinierte Versöhnungsethik (KD IV/4) blieb bekanntermaßen leider Fragment. Diese Beobachtungen dürfen allerdings nicht den Blick für die dispositionelle 245 246 247 248

A.a.O., 528 f. A.a.O., 470. Vgl. Abschnitt I.1.4. der vorliegenden Untersuchung. Vgl. K. Barth, Erklärung des Philipperbriefes, 58: »Seinen [Jesu Christi; M.H.] Gang anschauen heißt unmittelbar, ohne daß eine besondere Applikation nötig wäre, das Gebot anschauen, das in seiner Gemeinde in Kraft steht.« 249 Ders., KD II/2, 573. So auch W. Kreck, Grundfragen christlicher Ethik, 77: »Jesus Christus ist die Antwort auf die Frage nach dem Willen, dem Gebot Gottes.« 250 Vgl. R.B. Hays, The Moral Vision of the New Testament, 238: »How would Barth have dealt with war under the heading of ›The Command of God the Reconciler?‹ Such a discussion might have compelled Barth to some rather different conclusions, more consonant with his professed determination to find the form and content of ethics in the person of Jesus Christ.« 251 H. Ruddies, Christologie und Versöhnungslehre bei Karl Barth, 175.

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und konzeptionelle Anlage (des Grenzfalls) versperren, wie dies in Yoders Auslegung geschehen ist, der den christologischen Auslegungshorizont des sechste Gebots bei Barth de facto verkennt und die Organisationszusammenhänge der Ethik Barths innerhalb der »Kirchlichen Dogmatik« nicht genau genug in den Blick nimmt. Barth hat nämlich auch den Grenzfall in Bezug auf das Problemfeld des Krieges insofern genuin christologisch bestimmt, als er ihn »an sich«, also problemfeldunabhängig, ab ovo erstens gebotsethisch konzipiert hat und zweitens auf das »konstituierende[] Faktum[] der Inkarnation«252 bezieht: »[E]s ist die Geburt Jesu Christi als solche die Offenbarung des Gebotes als Gebot der Ehrfurcht vor dem Leben. Sie offenbart ja jene ewige Erwählung und Liebe Gottes. Sie unterscheidet das Menschenleben unübersehbar von allem, was im Himmel und auf Erden ist und geschieht. Sie gibt ihm in jeder, auch der zweifelhaftesten Gestalt, den Charakter des Einmaligen, Einzigartigen, Unwiederholbaren, Unersetzlichen. Sie entscheidet darüber, daß es ein Vorzug, ein Gut, ein Wert ist, als Mensch da sein zu dürfen. Sie charakterisiert das Leben als die unvergleichliche und nicht wiederkommende Gelegenheit zum Lobe Gottes. Und eben damit erhebt sie es zu einem Gegenstand der Ehrfurcht.«253

Die Fleischwerdung Jesu ist der Erkenntnisgrund, die ratio cognoscendi dieses Gebotes, weil Gott sich in der Fleischwerdung Jesu zum menschlichen Leben bekannt hat:254 Bei der Ehrfurcht vor dem Leben geht es »nicht um ein Etwas, es geht um ihn, den vor Gott und in der Mitte von seinesgleichen wirklichen Menschen, um sein seelisch-leibliches, sein individuelles Dasein, seine Bewegung in der Zeit, seine Freiheit, um ihn in seiner Ausrichtung auf Gott und in seiner Solidarität mit den Anderen. Es geht darum, daß ein Jeder sein Dasein und das jedes anderen Menschen in Ehrfurcht behandle. In Ehrfurcht darum, weil es Gott gehört, seine Leihgabe, seine Wohltat ist: als solche darin zu erkennen, daß Gott selbst sich in Jesus Christus so unzweideutig und völlig zu ihm bekannt hat.«255 Die Ehrfurcht vor dem Leben wird erst »in der Erkenntnis der Vereinigung Gottes mit der Menschheit in Jesus Christus zum Gebot«256. Barth betrachtet das menschliche Leben als durch die Inkarnation Jesu Christi ausgezeichnet, so dass er das Gebot der Ehrfurcht vor dem Leben – anders als etwa 252 K. Barth, KD III/4, 385. 253 A.a.O., 384 f. 254 Vgl. a. a. O., 385: »[D]as Menschenleben selbst und als solches erscheint hier, in der Person des Menschen Jesus, als die Sache, um die es Gott geht und um die es in seinem Dienst dann auch dem Menschen selbst gehen soll.« 255 A.a.O., 386. So auch a. a. O., 453: »Das menschliche Leben – das eigene und das fremde – gehört Gott; es ist seine Leihgabe, seine Wohltat: so gewiß sich Gott in Jesus Christus, in der Inkarnation seines Wortes eindeutig und völlig zu ihm bekannt hat. Darum gebührt ihm Ehrfurcht«. 256 A.a.O., 385.

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A. Schweitzer – in dieser Auszeichnung und nicht naturalistisch durch das Leben selbst grundgelegt sieht.257 Barths inkarnationstheologische Argumentation wird leider von Yoder ausgeblendet, ebenso wie die »unverkennbar kräftigste retardierende Bedeutung«258, die dem neutestamentlichen Christuszeugnis in Bezug auf den Schwertgebrauch Barth zufolge zukommt. Barth fasst von seiner inkarnationstheologischen Argumentation her und aus kreuzes- bzw. stellvertretungstheologischer Perspektive heraus durchaus den Rigorismus eines prinzipiellen Pazifismus als ernsthafte friedensethische Option auf Grundsatzebene ins Auge, wenn er bemerkt: »[W]elche Tragweite muß […] erst dem neutestamentlichen Kerygma zukommen, das in seiner Mitte ja dahin lautet, daß in dem einen Jesus Christus Gott selbst ein Menschenleben gelebt hat, und daß dieser eine Mensch für alle, nämlich für die Sünden aller Menschen getötet worden ist! Kann es, von da aus gesehen, eine berechtigte Tötung eines Menschen durch einen anderen, ein notwendiges, ein gebotenes Auslöschen von Menschenleben überhaupt noch geben? Wozu, nachdem in der Auslöschung dieses einen Menschenlebens das für Alle Nötige und Rechte schon geschehen ist?«259

Die radikalpazifistische Konsequenz eines prinzipiellen bzw. absoluten Tötungsverbots zieht Barth gleichwohl nicht. Er klammert aber die hier gebrauchte inkarnations- und kreuzes- bzw. stellvertretungstheologische Argumentationsfigur keineswegs durch seinen Rekurs auf den Grenzfall unvermittelt aus, sondern gebraucht sie im Sinne einer Verschärfung des ultima-ratio-Charakters des Grenzfalls.260 Als eine solche Verschärfung kommt die Christologie – abgesehen von ihrer gebotsethischen Fundamentierung – in Barths Grenzfallkonzeption zum Tragen: »Das Gebot ›Du sollst nicht töten!‹ kommt in der neutestamentlichen Zuspitzung, in der wir es zu hören und zu verstehen haben, so auf uns zu, daß wir bei allen in Frage kommenden Einzelproblemen den Grenzfall zwar nicht ganz ausschließen, wiederum aber seinen Charakter als Grenzfall nicht scharf genug geltend machen, Alles, was dagegen spricht, daß er gegeben sein könnte, nicht deutlich genug werden hervor-

257 258 259 260

So auch Chr. Kohler-Weiss, Schutz der Menschwerdung, 43. K. Barth, KD III/4, 456. Ebd. Vgl. ebd.: »[D]as ist sicher, daß der Schutz des Menschenlebens vor willkürlicher Auslöschung – einerseits von der Inkarnation, von der Identität des gekommenen Reiches mit dem Menschensohn, andererseits eben von dessen für die Sünden der Welt geschehenen Kreuzigung her – im Neuen Testament eine Schärfe und einen Nachdruck gewonnen hat, die einfach dazu zwingen, bei der Frage: Was sollen wir tun? die Grenze zwischen der vielleicht ultima ratione gebotenen Tötung und dem verbotenen Mord immer noch und noch weiter hinauszuschieben.«

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heben, die Frage, ob die und die vermeintlich berechtigte Form von Tötung nicht eben doch Mord sein könnte, gar nicht peinlich genug uns werden stellen können.«261

Berücksichtigt man beide Momente, die gebotsethische Fundamentierung des Grenzfalls im Sinne einer nicht völlig ausgeschlossenen, von Gott in Jesus Christus gebotenen Tötung, und zugleich die schöpfungsethische Auslegung des sechsten Gebots in dessen christologischer Pointierung, so wird man das Urteil schwerlich zurückweisen können, wonach es sich bei dem von Barth konzipierten Grenzfall um einen casus christologicus handelt. Freilich hätte Barth den Grenzfall konzeptionell noch stärker als einen solchen casus christologicus ausweisen können, ja wohl auch müssen; jedenfalls dann, wenn er Missverständnisse hätte vermeiden wollen. Der Yodersche Vorwurf einer christologischen Inkonsistenz und Inkonsequenz ist hingegen nicht aufrecht zu erhalten, insofern er die gebots- und schöpfungsethischen Organisationszusammenhänge nicht hinreichend berücksichtigt.

3.2.

Die Schweizer Landesverteidigung im Zweiten Weltkrieg als »Grenzfall«. K. Barths Verteidigung des Rechts und der Rechtsstaatlichkeit

3.2.1. Vorbemerkung J.H. Yoder zufolge haben Barths friedensethische Ausführungen mit dem Rekurs auf die Notwendigkeit der Schweizer Landesverteidigung den Kulminationspunkt konzeptioneller Inkonsistenz erreicht: »The point at which Barth is most completely ›non-Barthian‹ is the point at which, when we ask him what it means for God to speak here and now, he presents us not with the Word of God spoken to the situation, but with the bare situation. […] Barth brings forth in the last analysis not a word which was spoken through him as if by a prophet in the Old Testament sense, not a mystical intuition or conscientious conviction of divine leading, not a clear ethical value judgment, not a revelatory vision or audition, not an interpretation of Scripture, but simply a political situation in which he saw nothing else for Switzerland to do.«262 Yoder kritisiert die s.E. von Barth präsupponierte spezielle Berufung der Schweiz durch Gott: »The argument that it is possible in the plan of God, after Christ and after the breakdown of Jewish national particularism, for any people, anywhere, other than the Christian church, to have any special calling from God, of such weight as to impart to the continued existence or structural autonomy of that nation a value higher than that of the lives which would be lost in preserving it, is a most dubious con261 Ebd. 262 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 113.

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tention.«263 Yoders Kritik legt die Frage nach Barths Motivation nahe: Ist es nationalistischer Überschwang oder überzogener Patriotismus, der Barth die Feder führt und seine Rede von der helvetischen Berufung in die Nähe einer staatsmetaphysischen Überhöhung oder gar Divinisierung der Schweiz rücken lässt? Um einen sachgemäßen Umgang mit einem solch schwerwiegenden Verdacht und Vorwurf zu gewährleisten, um den es im Folgenden (II.2.3.2.) gehen soll, bedarf es zunächst einer methodischen wie quellentechnischen Zwischenbemerkung: Behält man das zu Anfang erwähnte Engagement Barths in Sachen Schweizer Landesverteidigung im Zweiten Weltkrieg im Hinterkopf, so legt es sich nahe, die materialen Grundlagen der Untersuchung an diesem Punkt zu erweitern und Barths konkrete politische Äußerungen, die er während des Zweiten Weltkrieges tat, nicht nur (wie bislang) punktuell, sondern konsequent und durchgängig mit einzubeziehen. Auch Yoder hat solches in seiner Kritik getan,264 wobei er den eingeschränkten Aussagewert, den diese Dokumente s.E. haben, hervorzuhebt: »[T]hey are notably lacking in systematic ethical substance. The necessity or inevitability of the war having been decided, its rightness is in these writings a foregone conclusion, henceforth to be presupposed, nor argued.«265 Die Notwendigkeit zu einer solchen materialen Erweiterung resultiert aus zweierlei Faktoren: (1.) Zum einen aus der Kargheit der erläuterungsbedürftigen Möglichkeitsbestimmungen, die Barth zur Kennzeichnung des Grenzfalls bzw. des gerechten Krieges im Sinne einer möglichen Möglichkeit trifft, und (2.) zum anderen aus grundsätzlichen Erwägungen, was Barths theologische Zeitgenossenschaft angeht. (1.) Barth benennt jeweils in Gestalt eines der Modalität nach problematischen Urteils drei bzw. vier266 solcher Möglichkeiten: [1.] Es kann sein, »daß mit dem Eigenleben eines Staatsvolks die Verantwortlichkeit des ganzen phy263 A.a.O., 79. 264 Vgl. a. a. O., 82: »His [Barth’s] writings and speeches during the Hitler period make clear, clearer than his specifically doctrinal writings, the kind of sentiment in which he justified preparation for the defense of Switzerland whatever the cost.« 265 A.a.O., 83. Vgl. a. a. O., 96: »The study of these wartime materials has illuminated the total analysis but adds no further theological material.« 266 Die letzte Möglichkeitsbestimmung klappt gleichsam nach: »[4.] Und natürlich kann der Fall auch in der Form gegeben sein, daß ein selbst nicht direkt bedrohter oder angegriffener Staat sich auf Grund vertraglicher Verpflichtung oder auch sonst berufen sieht, einem anderen, schwächeren, der in diese Lage geraten ist, beizuspringen« (K. Barth, KD III/4, 529). Wenn R.B. Hays (The Moral Vision of the New Testament, 234) behauptet: »The United States’ attack on Iraq in defense of Kuwait in the Gulf War of 1991 […] would presumably be justified by this criterion«, so isoliert er dieses Kriterium, das – wie noch zu zeigen sein wird (vgl. Abschnitt II.3.2.3. der vorliegenden Untersuchung) – im Zusammenhang einer wesentlich umfassenderen Kriteriologie des gerechten Krieges verortet ist.

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sisch-seelisch-geistigen Lebens der in ihm zusammengeschlossenen Menschen und damit auch ihr geistliches Verhältnis zu Gott auf dem Spiel steht. [2.] Es kann sein, daß den Menschen eines Volkes in und mit dessen Eigenleben etwas anvertraut ist, das sie (ohne Anspruch und Ruhm Anderen gegenüber) durch ihre Existenz zu bezeugen den Auftrag haben, das preiszugeben ihnen also nicht erlaubt sein kann. [3.] Es kann sein, daß sie mit dem Eigenleben ihres Staates – vielleicht mit der Form des durch ihn garantierten rechtlich geordneten Gemeinschaftslebens – etwas aufzugeben hätten, was nun eben nicht aufgebbar ist, was ihnen wichtiger sein muß als die Sicherung ihres Lebens vor dem Sterben, eben damit dann aber auch wichtiger als die Sicherung des Lebens derer, die ihnen leider eben das nehmen wollen.«267 Es handelt sich bei diesen Bestimmungen um leicht variierte und sich geradezu im Sinne von einzelnen Reflexionsschritten sukzessive zu einer Schlussfolgerung zuspitzenden Kennzeichnungen ein und desselben Falles: »Es kann also sein, daß ihnen von Gott verboten ist, auf das selbständige Eigenleben ihres Staates zu verzichten und also geboten, es ohne Rücksicht auf das Leben derer, die es leider bedrohen, zu verteidigen. Die Möglichkeit dieses Falles wird die christliche Ethik nicht in Abrede stellen dürfen. Er kann als Fall des äußersten Notstandes von Gottes Gebot her gesetzt und gegeben sein.«268 Diesen Fall identifiziert Barth – wie bereits eingangs erwähnt – als den der Verteidigung der »Unabhängigkeit, Neutralität und territorialen Integrität der Schweizerischen Eidgenossenschaft«269. Obwohl in den Bestimmungen (insbesondere in der dritten) der äußerst wichtige Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit bereits durchschimmert, so fällt die Kennzeichnung des Grenzfalls bzw. »Fall des äußersten Notstandes« insgesamt im Rahmen der Ausführungen Barths in der Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) doch recht karg aus, so dass man O. Webers Urteils wohl nur zustimmen kann: »Kaum an einer Stelle wird man an Barths Ausführungen mit soviel eigenen Fragen herantreten wie hier.«270 Dies betrifft insbesondere Barths Rekurs auf sein eigenes Heimatland, die Schweiz, deren Verteidigungswürdigkeit mancher/m – ähnlich wie J.H. Yoder271 – nicht so evident zu sein scheint, wie Barth dies offenbar voraussetzt. (2.) Eingedenk der Tatsache, dass der argumentative Status der ad-hocÄusserungen Barths strittig ist, diese Strittigkeit jedoch nur anhand der Do267 268 269 270 271

K. Barth, KD III/4, 529. Vgl. J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 78 f. K. Barth, KD III/4, 529. Ebd. O. Weber, Karl Barths Kirchliche Dogmatik, 178. J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 75: »Barth’s affirmation that God can in the future command the defense of Switzerland, as he has done in the past, is really the level at which we are forced to converse with him.«

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kumente selbst überprüft werden kann, soll im Folgenden danach gefragt werden, ob sich in ihnen bestimmte Kennzeichen und Aspekte des Grenzfalls wiederentdecken lassen und ob diese Wiederentdeckungen zugleich solche semantischen Überhänge transportieren, die eine scharfe Profilierung und damit ein besseres Verständnis des Grenzfalls ermöglichen. Hinsichtlich eines solchen Unterfangens legt sich allerdings folgender methodische Einwand nahe: Verwickelt man sich nicht in einen Anachronismus, indem man so tut, als habe Barth bereits in der Zeit des Zweiten Weltkriegs von seiner aus dem Jahr 1951 (dem Erscheinungsjahr von KD III/4) stammenden Kennzeichnung des Grenzfalls tatsächlich in rebus politicis Gebrauch gemacht? Diesem Einwand scheint man mit dem Nachweis entgehen zu können, dass Barth seine Grenzfallkonzeption bereits vor oder in dem Zweiten Weltkrieg gedanklich entwickelt hat, also nicht erst anlässlich der Niederschrift von KD III/ 4. Zumindest verdachtartig kann aber genau damit allein schon aus heuristischen Gründen gerechnet und eo ipso auch mit besagter Fragestellung im Sinne einer Hypothese operiert werden. Die in der Barthforschung durchaus gängige These, »daß von einem engen und keineswegs beliebigen Begründungszusammenhang zwischen seiner Theologie und seinen Stellungnahmen zum Zeitgeschehen auszugehen ist«272, stützt dieses methodische Vorgehen. So kann Barth denjenigen gegenüber, die ihm politisch nicht zu folgen bereit waren, sein Misstrauen aussprechen, »sie hätten ihn vielleicht auch theologisch nicht richtig verstanden.«273

3.2.2. Der integrative Zusammenhang der drei Grundbegriffe der Rechtsstaatlichkeit: Recht, Frieden und Freiheit Ein Rekurs auf das entscheidende Charakteristikum oder genauer gesagt: Konstituens des Grenzfalls, nämlich auf das diesen begründende Gebot Gottes, findet sich in Barths Kennzeichnung des Zweiten Weltkrieges wieder. So kann 272 M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 221. Entfaltet hat M. Weinrich diese These anhand exemplarischer »Konflikte theologischer Zeitgenossenschaft« in seinem Aufsatz »Der Katze die Schelle umhängen«, 140 – 214. Vgl. auch D. Ficker-Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 144: »In Vorträgen und Gesprächen, in Broschüren und vor allem in offenen Briefen hat Barth sich an die Öffentlichkeit gewandt und sich nicht gescheut, ganz pointiert und mutig politisch Stellung zu nehmen. Barth hat dabei Wert darauf gelegt, dass es zwischen seinem theologischen Denken und seinen konkreten politischen Stellungnahmen einen engen Zusammenhang gebe. Sie haben sich gegenseitig befruchtet, ohne dass Barth sie dabei vermischt hätte.« Vgl. auch H. Ruddies, Unpolitische Politik?, 175: »Zeitdiagnose und theologische Arbeit gehören […] für die Theologie Barths von Anfang bis Ende aus theologischen Gründen zusammen«. 273 Ebd. Dieses Zitat geht auf eine mündliche Mitteilung H. Gollwitzers zurück, die P. Winzeler (Widerstehende Theologie, 27) sinngemäß zitiert.

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Barth etwa in seinem Brief an die Christinnen und Christen in Großbritannien (Ostern 1941) vom gebotenen Krieg sprechen, der geführt werden muss: »Wir Christen aller Länder befinden uns dem gegenwärtigen Krieg gegenüber im Unterschied zu dem, den wir vor einem Vierteljahrhundert erlebt haben, in der merkwürdig anderen Lage, daß wir ihn nicht nur als ein notwendiges Übel hinnehmen, sondern als einen rechten, von Gott nicht nur zugelassenen, sondern gebotenen Krieg bejahen müssen.«274 Barth konstatiert unmissverständlich: »Der klare Wille Gottes macht das Einstehen für diesen Krieg zu einer Sache des christlichen Gehorsams.«275 Ausführungen zum Grenzfall lassen sich – auch wenn der Terminus nicht explizit gebraucht wird – so doch der Sache nach bereits am Vorabend des Zweiten Weltkrieges in Barths Schrifttum finden.276 Genau betrachtet, lässt sich jedoch selbst eine begriffliche Annäherung beobachten und zwar genau dort, wo Barth bezeichnenderweise vom »Notfall«277 spricht. Der Grenzfall, den Barth später in der Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) anführt, repräsentiert seiner Kennzeichnung nach unzweifelhaft einen Not-Fall und zwar einen im Sinne eines als Notwehr-Fall zu verstehenden Notfalls. Barth interpretiert die Verteidigung der Tschechoslowakei gegen deren sog. »Zerschlagung« in seinem bereits erwähnten Brief vom 19. 9. 1938 an seinen Prager Freund und Kollegen J. Hrom‚dka als einen solchen, von außen aufgezwungenen Notwehrfall.278 274 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 282 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 275 A.a.O., 286. 276 Darauf macht zu Recht B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 256, aufmerksam. 277 K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 289 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941)) kann auch vom »Notfall« sprechen: »Denn das ist nach Röm 13,1 – 7 und 1Petr 2,13 – 17 die Aufgabe des Staates: zwischen Recht und Unrecht im Leben aller Menschen Unterscheidungen zu vollziehen und Schranken aufzurichten. Diese Schranken hat der Staat zu bewachen und zu verteidigen: für alle, weil das Leben aller Menschen dieser Schranken bedarf, aber im Notfall auch gegen alle, die etwa hochmütig genug wären, diese Schranken umgehen oder durchbrechen zu wollen.« 278 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 114 f. (Brief an J. Hrom‚dka, 19. 9. 1938): »Merkwürdige Zeiten, lieber Herr Kollege, in denen man bei gesunden Sinnen unmöglich etwas Anderes sagen kann, als daß es um des Glaubens willen geboten ist, die Furcht vor der Gewalt und die Liebe zum Frieden entschlossen an die zweite und die Furcht vor dem Unrecht, die Liebe zur Freiheit ebenso entschlossen an die erst Stelle zu rücken.« Gegenüber Studenten der Reformierten Theologie in Budapest, die ihr Missfallen über Barths Brief an J. Hrom‚dka zum Ausdruck brachten, stellt K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 154; Brief vom 9. 11. 1938) klar : »Der deutsche Nationalsozialismus bedeutet die auf die bewusste Lüge und auf die blinde Gewalt gestützte Diktatur eines antichristlichen Mythus mit der notwendigen Konsequenz der grundsätzlichen Inhumanität, Unfreiheit und Rechtlosigkeit im Bereich des ganzen staatlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. Das europäische Vordringen dieses Systems bildet nicht nur ein politisches, nicht nur ein moralisches, sondern auch ein theologisches Problem. Im Bereich dieses Systems kann es grundsätzlich keine Verkündigung des Evangeliums, keine Kirche mehr geben. Dieses

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Barth tut dies »im Herbst 1938 als einer der ganz wenigen, die zum ›appeasement‹ nicht schulterzuckend nicken mochten«279. Seinen Aufruf zum Widerstand hatte Barth bereits im März 1938,280 als sich die »Tschechei-Krise« im Zuge der Einverleibung Österreichs ins Deutsche Reich immer mehr zuspitzte, in seiner Auslegung der Artikel 14 und 24 der Confessio Scotica (1560)281 im Rahmen seiner »Gifford Lectures« indirekt gerechtfertigt und sich dabei auf denjenigen Passus berufen, in dem der Widerstand gegen die Tyrannei (tyrannidem opprimere)282 zu den bona opera gerechnet wird:283 »Es gibt keine allgemeingültige christliche Forderung des Inhalts, daß wir den politischen Machthabern unsere positive Mitarbeit an ihren jeweiligen Aufgaben und Zielen zur Verfügung zu stellen hätten. Die Schottische Konfession hat hier sehr deutlich unterschieden zwischen rechtmäßiger und unrechtmäßiger Obrigkeit. Wir werden dem Staat solche positive Mitarbeit nur dann leisten können, wenn uns der gottesdienstliche Sinn der politischen Ordnung durch sein Eintreten für Recht, Frieden und Freiheit, durch sein Verfahren der Kirche gegenüber deutlich und glaubwürdig gemacht ist. Das ist die Bedingung, die die Confessio Scotica mit Recht immer wieder geltend gemacht hat.«284

Unter Verweis auf die Verfasser der Confessio Scotica, ein Autorenteam um John Knox (um 1514 – 1572), fügt Barth hinzu:

279 280 281 282 283 284

System kann die Kirche – es kann aber auch die Kirche dieses System nur verneinen. An den Grenzen der noch nicht von diesem System beherrschten Länder – möge das ›Recht‹ dieser Grenze sein, welches es wolle – wird darum indirekt auch die Kirche verteidigt. Dies ist es, was ich in meinem Brief nach Prag ausgesprochen habe.« Auch in seinem Wipkinger Vortrag »Die Kirche und die politische Frage von heute« vom 5. 12. 1938 spricht Barth vom »Doppelcharakter« des Nationalsozialismus als politischem Experiment und als religiöser Heilsanstalt: »Wenn es wahr ist, daß der Nationalsozialismus als religiöse Heilsanstalt alle Merkmale einer grundsätzlich antichristlichen Gegenkirche und als politisches Experiment alle Merkmale einer grundsätzlichen Auflösung des rechten Staates zeigt, dann muß es im konkreten Vollzug der der Kirche aufgetragenen Bezeugung Jesu Christi sichtbar werden, daß der Glaube an sie und die Bejahung der inneren und äußeren Herrschaft des Nationalsozialismus sich gegenseitig ausschließen.« Ders., Eine Schweizer Stimme, 87 f. Vgl. auch a. a. O., 80; E. Busch, Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrates, 174 ff. W. Lienemann, Rechtsschutz und Gewaltprävention, 7. Vgl. E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 300. Vgl. BSRK 254,37 – 255,28; 261,31 – 262,13. BSRK 255,3. Vgl. zu diesem Passus die unterschiedlichen Deutungen von P. Jacobs (Theologie Reformierter Bekenntnisschriften in Grundzügen, 131) einerseits und H. Scholl (Reformation und Politik, 65) andererseits. Zur Widerstandslehre in den Reformierten Bekenntnisschriften vgl. M. Freudenberg, Das Verhältnis von Kirche und Staat nach den Reformierten Bekenntnissen des 16. Jahrhunderts, 250 ff.; M. Hofheinz, Friedenstiften als kirchliche Praktik, 45 f. K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 211.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

»Es gibt nach dem Schottischen Bekenntnis unter Umständen eine nicht nur erlaubte, sondern göttlich geforderte Resistenz gegen die politische Macht. John Knox und seine Freunde haben mit dem, was sie lebten und taten, den unzweideutigen Kommentar dazu gegeben: gemeint ist nicht nur eine passive, sondern auch eine aktive Resistenz, eine Resistenz, bei der es dann unter Umständen auch darum gehen kann, Gewalt gegen Gewalt zu setzen. Anders kann ja der Widerstand gegen die Tyrannei, die Verhinderung des Vergießens unschuldigen Blutes vielleicht nicht durchgeführt werden.«285

In diesen Zitaten fallen mit den Begriffen »Frieden«, »Freiheit« und »Recht« diejenigen Stichworte, anhand derer Barth die Verantwortlichkeit der Christen für die politische Ordnung bzw. den Staat herausstreicht. Diese schließt nach Barth auch den gewaltbewehrten Widerstand gegen die Tyrannei ein. Barth beurteilt den Staat im integrativen Zusammenhang dieser drei Grundbegriffe der Rechtsstaatlichkeit286 ; und zwar unter dem Gesichtspunkt, ob und in welcher Weise der Frieden, die Freiheit und das Recht von Menschen errichtet, geschützt, verteidigt und gefördert werden sollen und wollen. Keiner dieser drei Begriffe darf isoliert und gegen den anderen ausgespielt werden, sondern sie profilieren und konturieren sich wechselseitig, stehen also – mit anderen Worten – in einem denkbar engen Verweisungszusammenhang. Barth möchte keinen von ihnen der staatlichen Faktizität untergeordnet wissen.287 Vielmehr ist ihr prozessual stets verbesserungsbedürftiges und verbesserungsfähiges Zusammenspiel in der Praxis staatlichen Handelns konstitutiv für die Barth am Herzen liegende Rechtsstaatlichkeit,288 wie er sie grundsätzlich in der Schweiz realisiert sieht.289 285 A.a.O., 213. 286 Vgl. ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 382 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942): »[D]er christliche Begriff des rechten Staates enthält wohl die absolute Forderung von Ordnung, Recht und Freiheit, aber keine absolute Forderung hinsichtlich der auf dieser Grundlage möglichen konkreten Gestaltung des öffentlichen Lebens in dieser oder jener Staatsform.« 287 W. Lienemann (Gewalt, Macht, Recht, 154) bemerkt treffend: »Barth beurteilt die Staatlichkeit vom Recht her, nämlich unter dem Gesichtspunkt, ob und auf welche Weise das Recht von Menschen beansprucht, eingefordert, geschützt, verteidigt und gefördert wird, aber er will niemals das Recht der staatlichen Faktizität untergeordnet wissen.« 288 W. Lienemann (a. a. O., 153) bezeichnet Barth zu Recht als einen »leidenschaftliche[n] Verteidiger des Rechtsstaates«. Um nur ein Beispiel als Beleg anzuführen, sei auf Barths Verteidigungsrede vor Gericht am 20. 12. 1934 verweisen, in der er seine Verweigerung des Hitlergrußes und des Eides auf Adolf Hitler unter Verweis auf die den Rechtsstaat kennzeichnenden Grenzen des Staates und seiner Ansprüche begründete, wie sie die Kirche zu bewachen und dem Staat auch praktisch zu verdeutlichen habe: »Indem der Staat die Kirche anerkennt, bejaht er um seiner selbst willen die ihm als Staat gesetzte Grenze, und der staatliche Theologieprofessor ist der vom Staat selber eingesetzte Wächter dieser Grenze« (K. Barth – E. Thurneysen, Briefwechsel Bd. 3, 800). Barth zitierte vor Gericht aus der Apologie des Sokrates: »Ich bin euch, ihr Athener, zwar zugetan und Freund, gehorchen aber werde ich dem Gotte mehr als euch … Ich meinerseits glaube, daß noch nie größeres Gut dem Staat widerfahren ist als dieser Dienst, den ich dem Gotte leiste« (ebd.). 289 Vgl. K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 43: »[I]ch möchte im Blick auf die schweizerische

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Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls

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Insofern erstreckt sich die Verantwortlichkeit der Menschen auf die gesamte Trias. Das heißt für Barth zugleich, dass es keine Verteidigung des Friedens um jeden Preis, schon gar nicht um den des Rechts und der Freiheit geben darf. Die Verteidigung des Rechts und der Freiheit kann vielmehr die aktive, gewaltbewehrte Resistenz um des rechten Friedens einschließen und erfordern.290 Die drei genannten Grundbegriffe der Rechtsstaatlichkeit sind nun auch in Bezug auf die schweizerische Landesverteidigung von höchster Relevanz und damit auch hinsichtlich einer möglichen Antwort auf Yoders Einwand, dass bei Barth unklar bleibe, warum die Schweiz in einem Direktzusammenhang mit seiner Grenzfall-Argumentation stehe.291 In seinem Vortrag »Im Namen Gottes des Allmächtigen! 1291 – 1941«292, den Barth am 1. August 1941 in Gwatt bei Thun anlässlich des 650jährigen Jubiläums des Bundesschlusses auf dem Rütli hielt, konstatierte er, dass »die Schweiz durch ihre Existenz die Idee einer durch das Recht verbundenen Gemeinschaft freier Völker von freien Menschen [vertritt]. Eine solche Gemeinschaft ist ja die Eidgenossenschaft laut ihres inneren Aufbaus, von den Gemeinden verantwortlicher Bürger über die souveränen kantonalen Rechtsstaaten bis zu deren Vereinigung im schweizerischen Bunde.«293 Diese Idee, die nicht durch Anpassung an die faschistische Ideologie und eine Unterwerfung an NS-Deutschland verraten werden dürfe, verkörpere die Schweiz aufgrund »ihres Unabhängigkeitsund Neutralitätswillens.«294 Als solche rechtsstaatliche, freie, neutrale und durch

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Landesverteidigung im Besonderen hinzufügen: hier und also für uns kann es bestimmt auch kein praktisches Nein [zum irdischen Staat; M.H.] geben. Man kann gegen die Art, wie der Staat sich in der Schweiz als Rechtsstaat zu betätigen versucht, viele und schwere Bedenken haben und wird darum doch sinnvoller Weise nicht behaupten können, daß er der Kirche als Tier aus dem Abgrund von Apc. 13 gegenüberstehe. Wohl aber kann und muß das heute von mehr als einem andern Staat gesagt werden, dem gegenüber unsere Rechtsordnung zu verteidigen der Mühe wert ist; und da dem so ist, ist es gerade heute auch christlich sinnvoll und recht, unsere Grenzen zu sichern, und wenn der Staat in der Schweiz dies tut, so ist nicht abzusehen, inwiefern die Kirche in der Schweiz sich dabei nicht in aller Bestimmtheit hinter ihn stellen sollte.« Zum Konzept des gerechten Friedens vgl. das Kap. II.5. der vorliegenden Untersuchung. Vgl. J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 95: »Barth’s justification for war as ultima ratio we found to be grounded in the particular mission or function of a given state as bearer or guarantor of certain values which its people have no right to abandon. Switzerland was an example of this, but it did not become clear just why.« Vgl. zum zeitgeschichtlichen Hintergrund E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 219 – 255; ders., Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrats, 179 – 182. K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 209 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, Juni 1941). W. Lienemann (Karl Barth 1886 – 1968, 43) beobachtet, dass die Formel »Idee einer durch das Recht verbundenen Gemeinschaft freier Völker von freien Menschen« exakt die Essenz von Kants Schrift »Zum ewigen Frieden« (1795) zusammenfasst. Vgl. zu Kants Friedensschrift J. Delbrück, »Das Völkerrecht soll auf einen Föderalismus freier Staaten gegründet sein«, 181 – 213; V. Hackel, Kants Friedensschrift und das Völkerrecht. K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 209 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, Juni 1941).

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den Eid vor Gott konstituierte Gemeinschaft295 repräsentiere die Schweiz die Erinnerung an die alte und die Hoffnung auf die neue völkerrechtlich organisierte Ordnung Europas.296 Es ist für Barths Rechts-, Friedens- und Freiheitsverständnis signifikant, dass er am Ende der Völkerbundsära die Kantsche Idee einer Staatenkonföderation unter republikanischer Verfassung aufgreift und die Völkerrechtsentwicklung nicht einfach abreißen lässt. In gewisser Weise hat Barth damit den Aufschwung an institutioneller internationaler Kooperation durch die Schaffung internationaler Organisationen als Angelegenheit der organisierten Völkerrechtsgemeinschaft mit vorbereitet, sie jedoch zumindest bereits im Vorfeld bejaht.297 Besagte Idee von der durch das Recht verbundenen Gemeinschaft freier Völker von freien Menschen bildet nach K. Barth den Charakter der Eidgenossenschaft, und diese steht im schärfsten nur denkbaren Widerspruch zur Ideologie der Achsenmächte, die Macht an die Stelle des Rechtes zu setzen. Wo aber das die Schweiz vereinigende Recht substituiert würde, da verlöre sie ihre Existenzgrundlage. Selbst eine Unterwerfung und/oder Anpassung brandmarkt Barth als Verrat an dieser charakterformenden Idee. Diese ist Barth zufolge ihrem Wesen nach nicht etwa rein profaner Natur, sondern sie hat insofern auch theologische Valenz, als der »Bund der Eidgenossen, der selber keine Kirche ist, […] auf dem Boden und Grund, in der Luft und Reichweite der Kirche Jesu Christi [entstand, bestand und besteht]«298. Die Kirche Jesu sei aufgrund ihres engen Verhältnisses zum Staat von dessen Verteidigung oder eben widerstandsloser Ergebenheit gegenüber dem Nationalsozialismus elementar betroffen. Zwar dürfe man die Schweiz keiner Kirche gleichsetzen,299 aber man könne dieses Verhältnis im Anschluss an 1Kor 7,12 – 14 so interpretieren, dass die heidnischen Personen durch die christlichen Personen geheiligt seien auf Grund dessen, »daß sie es sich, ohne selbst Christen zu sein oder zu werden, gefallen lassen, mit diesen zusammen zu leben!«300 Diese Heiligung, diese exemplarische Inanspruchnahme durch das Evangelium gelte der Schweiz als dezidiert »unheiliger Schweiz«301 bzw. als corpus permixtum, keineswegs jedoch als vermeintlich genuin christlichem Staatswesen. Die Indienstnahme durch das Evangelium bezieht sich Barth zufolge viel295 296 297 298 299 300

Vgl. a. a. O., 203. Vgl. a. a. O., 208.212. Vgl. S. Hobe / O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 44. K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 207 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, Juni 1941). Vgl. a. a. O., 206. A.a.O., 207. K. Barth (a. a. O., 229) kann sogar auf Abrahams Fürbitte für Sodom (Gen 18,16 – 33) rekurrieren, um die Schweiz corpus permixtum zu illustrieren: »Wenn eine Handvoll Gerechter Sodom und Gomorrha gerettet hätten, wie sollte sie dann nicht auch die Schweiz retten in dieser bösen Zeit?« 301 A.a.O., 210.

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mehr auf die völker- und staatsrechtliche Idee einer freiheitlichen, durch das Recht konstituierten Föderation. Unter Bezugnahme auf präzise diese Idee beschreibt Barth die durch dieselbe geprägte freie Lebensform der Schweiz als freies Angebot an die Völkerwelt, das es durch Verteidigung aufrecht zu erhalten gelte. Dieses freie Angebot identifiziert Barth freilich nicht direkt mit dem Evangelium. Er kann beide aber im Rahmen seiner Analogiekonzeption zu einander in Entsprechung setzen: »[E]s ist so: so sicher jene unsere Lebensform und mit ihr das ganz Europa gemachte freie Angebot den unzerstörbaren, den nur mit ihr selbst zerstörbaren Charakter der schweizerischen Eidgenossenschaft bildet, so sicher ist dieser unser politischer Charakter, vergleichbar dem Alpenglühen, ein Wiederschein von dem uns und dem ganzen Abendland verkündigten Evangelium von Jesus Christus, eine Bestätigung seiner Auferstehung von den Toten«302.

Barth bemüht die Licht- und Spiegelmetaphorik, um die Stellung der Schweiz im Gesamtgefüge Europas und im Konzert der Völkergemeinschaft angemessen zu umschreiben: Die Schweiz sei »ein wirkliches Licht«303, das auf Europa ausstrahle, wobei dieses Licht reflektiertes, sozusagen »geliehenes« Licht sei, ein Abglanz der und Verweis auf die Wirklichkeit des »reine[n] Gnadenlichte[s]«304, des »Gnadenlicht[es] der Auferstehung Jesu Christi von den Toten«305. Dieses Licht der Schweiz, in dem sich jenes Licht reflektiere, dürfe nicht erlöschen.306 Die Schweiz dürfe um ihrer »anvertrauten Mission dem ganzen Europa gegen-

302 A.a.O., 211. In seinem St. Gallener Vortrag »Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit« (November 1940) variiert K. Barth (Eine Schweizer Stimme, 176) dieses Bild hin zu dem von der irdischen und der himmlischen Heimat: »Wir dürfen und müssen aber unsere Heimat darum lieben, weil wir in ihr ein Zeichen und Abbild unserer ewigen Heimat bei Gott besitzen, weil sie unsere ewige Heimat gleichsam wiederspiegelt [sic!].« Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 82 – 85; ders., Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrates, 176 – 179. 303 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 213 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, Juni 1941). 304 A.a.O., 211. 305 A.a.O., 228. 306 In seinem Weihnachtsbrief des Jahres 1940 an Schweizer Soldaten bezeichnet K. Barth (Öffentliche Briefe 1935 – 1942, 263) den von General H. Guisan erlassenen Befehl, alle sonst verdunkelten Lichter im Bereich der schweizerischen Eidgenossenschaft an Weihnachten brennen zu lassen, als »das schönste Zeichen, das in der heutigen Lage zur Weihnachtsbotschaft gegeben werden kann« bzw. als das schönste Zeichen dessen, »für was ein Schweizersoldat nun Monat für Monat seinen Dienst tun, Wache stehen und sich für den Ernstfall üben muß: das muß nun eben dazu mit allen Kräften geschehen, damit das Menschenleben, das auch in der Schweiz finster genug ist, wenigstens nicht mutwillig noch finsterer gemacht werde durch Diktatur, Rassenhaß und Geheimpolizei, damit wenigstens das bißchen Licht von Recht, Freiheit und Menschenwürde, das es bei uns gibt, nicht auch noch ausgelöscht und zertrampelt werde«.

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über«307, um ihrer Proexistenz und ihrer »Sendung«308 willen ihre Unabhängigkeit und Neutralität zugunsten der Völker nicht preisgeben. Wenn sie ihren Lichtglanz verliere, indem sie der ihren Charakter und ihre Identität prägenden Idee der durch das Recht verbundenen Gemeinschaft freier Völker von freien Menschen entsage, verliere sie mit ihrem Charakter und ihrer Identität auch ihre Existenzberechtigung: »[E]in ehrenvoller Untergang der Schweiz [würde] sie sicherer erhalten als ein friedlich-fröhliche aber treulose Gleichschaltung.«309 Es gehe im Kampf gegen den Nationalsozialismus, und darüber müsse sich jede Schweizer Bürgerin und jeder Schweizer Bürger im Klaren sein, um nichts anderes als »die Frage des Leuchtens oder Erlöschens des ›Lichtes der Freiheit‹ auch im übrigen Europa«, die »unseren schweizerischen Staat aufs unmittelbarste angeh[t].«310 Im Zusammenhang der Aufrechterhaltung schweizerischer Unabhängigkeit und Neutralität kann Barth unter Rekurs auf besage Idee auch vom Gebieten bzw. Gebot sprechen: »Uns Christen […] muß es klar vor Augen stehen, daß es über den Charakter der Schweiz als einer durch das Recht verbundenen Gemeinschaft freier Völker von freien Menschen keine Diskussion geben kann, dass die Erhaltung dieses ihres Charakters eine höhere, gebieterische Notwendigkeit ist, daß, wer daran rührt, an ein Heiliges rührt und daß das nicht zugelassen werden kann.«311 Indifferentismus scheide hier als Option aus.312 307 Ders., Eine Schweizer Stimme, 234 (Hominum confusione et Dei providentia Helvetia regitur, August 1941). 308 A.a.O., 230 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, Juni 1941). Vgl. K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 166 (Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit, November 1940): »Wir können uns aber endlich ohne alle Überhebung und Anmaßung nicht verhehlen, daß uns mit unserer Heimat und ihrer Lebensordnung auch eine gewisse Sendung den anderen Völkern gegenüber anvertraut ist. Wir sind ferne davon, ein Musterland zu sein. Wiederum ist es aber nicht so, daß wir unsere Alpen und Alpenpässe und in ihrem Schutz unsere Verfassung nur für uns hätten. Das schweizerische Staatswesen ist ein Bund von lauter freien Gemeinwesen, welche ihrerseits aus lauter freien Bürgern bestehen, ein Staatswesen, das nach außen – das ist der Sinn unserer Neutralität – gar keinen Anspruch erhebt als den, seine Pässe zu hüten, d. h. für alle anderen ein friedlicher Weg von Norden nach Sünden, von Westen nach Osten zu sein. Ein solches Staatswesen ist ein Licht, das, mag es noch so klein und – offen gestanden – oft noch so trübe sein, nicht nur um seiner selbst, sondern um der Zukunft aller Völker willen brennen muß.« 309 A.a.O., 231 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, Juni 1941). 310 Ders., Eine Schweizer Stimme, 10 (Vorwort). 311 A.a.O., 227 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, 1941). Auch in seinem Vortrag »Die protestantischen Kirchen in Europa« (September 1942) spricht K. Barth (Eine Schweizer Stimme, 265) von der bewaffneten Aufrechterhaltung der Schweizer Neutralität als einer »rechte[n], notwendige[n] und gebotene[n] Sache«. Vgl. zum zeitgeschichtlichen Hintergrund dieses Vortrags E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 605 – 621. 312 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 216 (Im Namen Gottes des Allmächtigen, Juni 1941): »Daß die Stellung der Schweiz auf Grund ihrer Neutralität eine ganz andere ist als die Englands, ändert nicht daran, daß sie an dem heutigen Konflikt keineswegs unbeteiligt ist,

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3.2.3. K. Barths Interpretation der Schweizer Neutralität Damit ist freilich die Frage aufgeworfen, worin die rechte Neutralität der Schweiz besteht. Worin besteht vor allem die von Barth so beharrlich geltend gemachte Differenz zu einem politischen und ethischen Indifferentismus? Gerade sie lag Barth sehr am Herzen, und um ihrer Betonung willen wurde Barth in der Schweiz »immer wieder angegriffen. Das hinderte ihn aber nicht, bis ins hohe Alter die Schweiz an ihre Solidarität mit der übrigen Welt zu erinnern. Er tat dies, weil ihm die Schweiz als Rechtsstaat und als direkte Demokratie mit ihrer humanitären Tradition sehr am Herzen lag.«313 Barth interpretiert die immer währende Neutralität der Schweiz im genuin völkerrechtlichen Sinne, wonach Neutralität im Sinne des Haager Abkommens vom 18. Oktober 1907 die Nichtbeteiligung eines Staates an einem Krieg bedeutet. Die Verpflichtung des neutralen Staates zur Unabhängigkeit umschließt allerdings – und darauf insistiert Barth hartnäckig – keine Pflicht zur Neutralität der Gesinnung (weder moralisch noch politisch). Keineswegs darin liege der Sinn der seit Jahrhunderten, deutlich seit dem Westfälischen Frieden (1648), eingehaltenen und von den Hauptmächten des Wiener Kongress im 2. Pariser Frieden vom 20. 11. 1815 anerkannten und im Versailler Vertrag sowie der Neutralitätserklärung314 vom 31. August 1939 bekräftigten Maxime der eidgenössischen Politik:315 »Unsere Neutralität bedeutet nicht, dass wir uns im Ruhestand befinden. Sie bedeutet nicht, daß nur nicht wissen und nicht auch offen sagen dürften und müssten, daß es in der Entscheidung, in die die europäische Völkergemeinschaft heute gestellt ist, auch um unsere eigene Sache geht. […] Unsere Neutralität bedeutet schlicht, dass wir uns von uns aus keinen Krieg anfangen und von uns aus in keinen anderen Krieg eingreifen werden.«316 In seinem Brief an die Christinnen und Christen in Frankreich vom Dezember 1939

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daß sie vielmehr gerade mit der Aufrechterhaltung ihrer Neutralität eben die Aufgabe hat, die – ganz anders – auch die gegenwärtige Aufgabe Englands ist.« D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 147. Vgl. K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 265 (Die protestantischen Kirchen in Europa, September 1942): »Eben in der Frage der Deutung des Begriffs der schweizerischen Neutralität ist es übrigens in mehreren Fällen (Presse- und Redefreiheit, Frage der ausländischen Flüchtlinge) zu ernsten Meinungsverschiedenheiten zwischen manchen Wortführern der Kirche einerseits und den eidgenössischen Behörden andererseits gekommen.« Dokumentiert in: E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 693. Zur Historie vgl. die neun Bände umfassende Darstellung von E. Bonjour, Geschichte der schweizerischer Neutralität, und dazu: R. Stöckli, Die Anfänge der eidgenössischen Neutralität in der Historiographie. K. Barth, Des Christen Wehr und Waffen, 23. Vgl. ders., Eine Schweizer Stimme, 209 (Im Namen Gottes des Allmächtigen): »Nicht unabhängig ist freilich auch sie [die Schweiz] von den allgemeinen Geschicken des so mißhandelten und geplagten Abendlandes. Und nicht neutral verhält sie sich gegenüber der europäischen Aufgabe, durch die aufgekommene Verwirrung hindurchzufinden zu neuer Ordnung.«

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schreibt Barth: »Auch wir ›Neutralen‹ sind insofern gar nicht neutral, als wir sehr genau wissen, daß die Anstrengungen und Opfer dieses Krieges auch um deswillen nötig sind, was uns zum Leben unentbehrlicher ist als das Leben selber.«317 Damit hebt Barth auf nichts anderes ab als die Rechtstaatlichkeit, wie sie sich anhand ihrer drei zentralen drei Leit- und Grundbegriffe »Recht, Freiheit und Frieden« realisiert. Dementsprechend repliziert Barth auf den Vorwurf, seine Lehre erschwere die Außenpolitik der unbedingten Neutralität, in der NZZ vom 3. Mai 1939: »Meine Meinung ist allerdings die, daß es sich in dem heute im Bereich des Möglichen liegenden Krieg für uns nicht nur um die unserer Grenzen, sondern auch – und zwar erstlich und entscheidend um die Verteidigung des rechten Staates (den wir uns in der Schweiz erhalten wollen) gegen dessen Umsturz, gegen die ›Revolution des Nihilismus‹ handeln wird. Dafür unsere Söhne und Brüder ins Feuer zu schicken und uns selber mit Bomben bewerfen zu lassen, wird unter allen Umständen geboten und lohnend sein. Dafür eintretend, kann man dem Tode und – was schlimmer ist, dem Tötenmüssen entgegensehen.«318

Die völkerrechtliche Neutralität der Schweiz schließt Barth zufolge keine »›gesinnungsmäßige‹ Neutralität«319 in sich: »[T]äte sie es, so wäre sie die Zerstörung der Wurzel unserer staatlichen Existenz, nämlich unserer Entscheidung für einen rechten Staat!«320 Die völkerrechtliche Neutralität ist also als ein geregelter Zustand der Unparteilichkeit eines Staates in bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen anderen Staaten von der politischen und ethischen Neutralität zu unterscheiden, die eine strikte Enthaltung von politischen und ethischen Stellungnahmen fordert. 317 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 216 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939). In demselben Brief heißt es: »Unsere Pflicht dem europäischen Ganzen gegenüber besteht vorläufig darin, das Stück europäischer Ordnung, das in Gestalt unserer militärischen Neutralität nun eben uns anvertraut ist, als solches aufrechtzuerhalten. Und Sie werden mir recht geben, wenn ich sage, daß es für alle Völker und nicht zuletzt für die Kirche Jesu Christi in allen Völkern notwendig und gut ist, wenn es so lange als möglich solche Orte gibt, von denen aus die Gemeinschaft mit den Menschen und Christen hüben und drüben in einiger Ruhe aufrechterhalten werden kann. Ein solcher Ort ist vorläufig die Schweiz. In diesem Sinn verstanden, müssen wir unsere ›Neutralität‹ vorläufig für geboten halten. Sie bedeutet nicht, daß wir an dem Geschehen unserer Zeit unbeteiligt, sondern daß wir in unserer besonderen Weise daran beteiligt sind. Sie bedeutet die besondere Form unserer europäischen Verantwortlichkeit.« A.a.O., 215. 318 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 183 (An die Neue Zürcher Zeitung, 3. 5. 1939). 319 A.a.O., 184. In seinem Brief vom 28. 2. 1940 an den holländischen Pfarrer F.M. Kooyman schreibt K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 231): »Daß es in der Schweiz wie in Holland Leute gibt, die die ›geistige Neutralität‹ proklamieren und fordern, das beruht natürlich auf dem schlimmsten Missverständnis unsrer Stellung und Aufgabe, und wenn sie sich dabei auf mich berufen, so sollen sie wissen, daß ich sie für böswillig oder trottelhaft halte.« 320 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 184 (An die Neue Zürcher Zeitung, 3. 5. 1939).

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Hinsichtlich des Zweiten Weltkrieges liegt die Frage nahe, warum Barth, den sein entschiedenes Eintreten für die Rechtsstaatlichkeit unzweifelhaft moralisch und politisch auf der Seite der Alliierten verortete, diesen politischen bzw. moralischen Standpunkt nicht im Sinne der Forderung nach einem Kriegseintritt der Schweiz explizit machte und sozusagen der moralischen und politischen Parteilichkeit nun auch konsequenterweise die völkerrechtliche Parteilichkeit folgen ließ. Barth greift diese Frage als Frage nach dem Rechtsgrund auf, der es der Schweiz verbiete, von sich aus auf der Seite der Alliierten in Kriegshandlungen einzutreten, und zwar auch dann, wenn die Schweiz nicht durch einen Angriff Deutschlands genötigt dazu sei: »Den Rechtsgrund dieses Verbotes sehe ich in dem, was die folgenden Sätze sagen: Wir haben uns seit 125 Jahren nach allen Seiten immer wieder zu der Staatsmaxime der militärischen Neutralität bekannt und es ist diese Maxime auch von allen Nachbarn praktisch anerkannt worden. Pacta sunt servanda. Also müssen wir uns auch dem Hitlerreich gegenüber, solange es unsre militärische Neutralität seinerseits respektiert, zu dieser unsrer Staatsmaxime bekennen. Wir würden uns sonst selber des Hitlerismus, d. h. der politischen Treulosigkeit schuldig machen.«321

Barth erachtet mit – anderen Worten – das Völkerrecht, einschließlich des zumindest völkergewohnheitsrechtlich vorauszusetzenden Kriegsverbots,322 als in Kraft stehend. Auch dieser freie Akt der Bindung an das Völkerrecht kann als ein Akt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus bezeichnet werden, und zwar insofern, als dass sich Barth der mit dem Austritt aus dem Völkerbund vollzogene nationalsozialistische Aufkündigung internationaler Vertragspflichten eben nicht anpasst, sondern entschieden widersetzt. Das Völkerrecht bleibt für Barth trotz derbster Verletzung und fundamentalster Infragestellung seitens des nationalsozialistischen Deutschlands verbindliche Rechtsgrundlage!323 Dementsprechend bezeichnet Barth den Entschluß der Schweiz zum militärischen Schutz ihrer völkerrechtlichen Neutralität – »in der sie ihre geschichtliche Aufgabe hat« – als Handlung »eines rechten Staates«324. Außerdem sei die völkerrechtliche Neutralität der Schweiz in pragmatischer Hinsicht zur 321 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 228 (Brief vom 28. 2. 1940 an F.M. Kooyman, Holland). 322 Vgl. S. Hobe / O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 49: »In der Völkerrechtsliteratur wird […] fast einhellig die Meinung vertreten, dass das Kriegsverbot bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts geworden war.« 323 S. Hobe / O. Kimminich (ebd.) weisen darauf hin, dass auf dieser völkergewohnheitsrechtlichen Grundlage »am Ende des Zweiten Weltkireges deutsche und japanische Politiker und Militärs wegen der Vorbereitung und Führung eines Angriffskriegs zur Rechenschaft gezogen werden« konnten. 324 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 290 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941).

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Ermöglichung und »Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen den Völkern«325 unabdingbar, was insbesondere im Blick auf künftige Friedensperspektiven von großem Wert sei. Demzufolge kann kein Zweifel daran bestehen: Barth bewertet bereits die Einhaltung der völkerrechtlichen Vereinbarung als genuinen Beitrag zum Widerstand gegen den Völkerrechtsbrecher Hitler, dessen »Methoden« so eben nicht übernommen werden dürfen, sondern konterkarriert werden müssen. So interpretiert Barth die völkerrechtliche Neutralität der Schweiz aktiv326 im Sinne eines Notwehrrechts, d. h. einer völkerrechtlichen Selbstverteidigung entsprechend der strafrechtlichen Notwehr, die er zugleich als gewaltbewehrtes Eintreten für die Grundsätze der Neutralität interpretiert, nämlich das Prinzip der Aufrechterhaltung der territorialen Souveränität,327 das Gebot der Gleich325 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 236 (Brief vom 1. 5. 1940 an G.H. Slotemaker, Holland). 326 K. Barths (ebd.) wiederholtes Plädoyer für eine »Konföderation der europäischen Neutralen als solcher, wie es eine Confoederatio helvetica gibt«, d. h. einen Pakt der kleinen neutralen Staaten, die sich untereinander im Kriegsfalls nicht nur das Friedensvölkerrecht, sondern auch Schutz garantieren, verleiht dieser aktiven Interpretation höchst beredten Ausdruck: »Es ist meine Meinung, daß es dieser unsrer Staatsmaxime nicht widersprochen, sondern entsprochen hätte, wenn sie von unsrer Seite längst extensiv, statt wie es leider geschehen ist und bis heute geschieht, nur intensiv interpretiert und angewendet worden wäre. Warum hat die neutrale Schweiz als solche nicht eine aktive Außenpolitik? Sie hätte darin bestehen können (und könnte vielleicht noch darin bestehen), daß unsre Staatsführung – in Anwendung unsres innenpolitischen Prinzips des Föderalismus – sich mit den Regierungen der andern kleineren Staaten: Luxemburg, Niederlande, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen (früher vielleicht auch der baltischen Staaten und jedenfalls der Tschechoslowakei (Polen??)) zu solidarischer Behauptung und Verteidigung ihrer Neutralität vereinigt hätten. Wir ›Kleinen‹ würden heute nicht nur den Großen gegenüber ganz anders dastehen, sondern wer weiß, wie viel Übel schon hätte verhindert werden können, wenn man auf Seiten der Großen gewusst hätte: wer einen von uns angreift, greift uns alle an, verletzt unser aller Neutralität und wird automatisch auch von uns allen angegriffen. Ich stehe also auch jenem Rechtsgrund unsrer (bis auf eine Verletzung von Seiten Deutschlands aufrechtzuerhaltenden) militärischen Neutralität mit dem Bedenken gegenüber, daß er, um als Rechtsgrund durchschlagend zu sein, als ein allgemeiner und nicht nur als unser besonderer Rechtsgrund in Kraft stehen würde. Daß er das leider nicht tut, kann nun aber wieder kein Grund sein, ihn nicht wenigstens in der Besonderheit, in der er faktisch in Kraft steht, zu respektieren«. Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 228 f. (Brief vom 28. 2. 1940 an F.M. Kooyman, Holland). Seinen eigenen »positive[n] Vorschlag« (a. a. O., 237) eines Schutzund Trutzbündnisses der solidarischen Neutralität der kleinen Staaten entfaltete Barth vor der Schweizer Öffentlichkeit zu Begin des Jahres 1940 in seinem Vortrag »Des Christen Wehr und Waffen« (23): »Ich bekenne mich […] persönlich zu der Ansicht, daß es unsrer würdiger und daß vielleicht schon geschehenes Unheil zu vermeiden gewesen wäre, wenn wir unsere Neutralität schon lange nicht mehr nur als unsere schweizerische Privatangelegenheit, sondern im Rahmen eines Schutz- und Trutzbündnisses mit den übrigen kleineren Staaten Europas vertreten und behauptet hätten.« 327 Vgl. ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 230 f. (Brief vom 28. 2. 1940 an F.M. Kooyman, Holland): »Wir andern (z. B. Holland und die Schweiz) werden […] dann [gefragt] sein, wenn der Hitlerismus (über allen Zusammenhang von 1919 hinaus) auch das Recht, das Stück

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Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls

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behandlung der Kriegsführenden und das Verbot der Waffenhilfe (einschließlich des Verbots der staatlichen Kriegsmateriallieferung an die Kriegführenden).328 Diese Grundsätze gelte es auch und gerade von der eigenen Regierung in Gestalt des Schweizer Bundesrates – Barth sprach von den »Schlottertanten in Bern«329 – zu überwachen. Insbesondere was das Gebot der Gleichbehandlung der Kriegsführenden betrifft, versteht er sein eigenes entschiedenes Eintreten gegen Nazi-Deutschland in Wort und Schrift als eine kompensatorische Ausgleichshandlung gegenüber dem in vielem deutschfreundlichen Kurs des Schweizer Bundesrates.330 Im Sinne des entschiedenen Eintretens für diese Grundsätze der völkerrechtlichen Neutralität kann Barth sogar die Schweiz und Holland als den »für die Kriegsführung der Alliierten […] neutralen, aber umso zuverlässigeren rechten und linken Flügel«331 der Alliierten bezeichnen. Er erachtet die Wahrung der völkerrechtlichen Neutralität als »aktive[n] Beitrag zum europäischen Widerstand«332, wobei er diesen Beitrag aber nicht überbewertet wissen möchte, zumal die Neutralität der Schweiz kein Hauptproblem, sondern ein Beiwerk im Kampf gegen Hitler repräsentiere: »Es ist aber klar, daß es sich hier hinsichtlich

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europäischer Rechtsordnung angetastet wird, für das nun tatsächlich wir verantwortlich sind und das nun eben in unsrer Neutralität besteht. Solange es keine ›Vereinigten Staaten von Europa‹ gibt, solange auch jene Union der europäischen Kleinstaaten ein schöner Traum ist, kann ein Staat nur daraufhin Krieg führen bzw. sich an einem Krieg beteiligen, daß er selber zur Wahrung des nun eben ihm anvertrauten Stückes europäischer Ordnung aufgerufen ist. Zu einer Art Polizeiaktion oder gar zu einem Kreuzzug kann er durch kein göttliches oder menschliches Recht aufgerufen sein: auch dadurch nicht, daß die Mehrzahl seiner Bürger sich über die Frage von Recht und Unrecht im Krieg der Andern ihre sehr bestimmten, gar nicht neutralen Gedanken machen und auch offen aussprechen. Ich könnte also denen nicht wohl recht geben, die bei Ihnen jetzt einfach fordern, daß Holland von sich aus in den Krieg eintreten oder daß man als Freiwilliger in die englische Armee gehen solle. Das hieße, daß man der eigenen, der holländischen Verantwortlichkeit ausweichen und mutwillig fremde Verantwortlichkeiten übernehmen würde.« Vgl. S. Hobe / O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 48: »Die völkerrechtliche Selbstverteidigung entspricht der strafrechtlichen Notwehr, die Beteiligung an Sanktionskriegen der Weltorganisation entspricht der strafrechtlichen Nothilfe. Ebenso wie im innerstaatlichen Recht Notwehr und Nothilfe nur die in der speziellen Situation gesetzten Akte rechtfertigen, nicht aber die Strafbarkeit der objektiv verwirklichten Tatbestände als solche aufheben, sind individuelle und kollektive Selbstverteidigung im Völkerrecht alles andere als ein Beweis dafür, dass der Krieg noch immer zulässig ist.« K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 277 (Brief vom 4. 8. 1941 an R. Schwarz / R. Poyda). Vgl. auch D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 46. Vgl. E. Busch, Politik als »Herzstück der Theologie«?, 108 – 114; ders., Eine Schweizer Stimme, 1 – 15; ders., Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrates, 172 – 186. K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 235 (Brief vom 1. 5. 1940 an G.H. Slotemaker, Holland). Ders., Eine Schweizer Stimme, 315 (Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen, 23. 7. 1944). Vgl. zum zeitgeschichtlichen Hintergrund E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 678 – 692.

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des Problems der Neutralität ethisch und politisch nur um ein Parergon handeln kann.«333 Gegen Ende des Krieges stellt Barth fest: »Wir haben unsere Neutralität behauptet und geschützt und eben damit unsererseits erklärt, daß wir eine Insel bleiben, uns also dem deutschen Unternehmen nicht unterwerfen wollten.«334 3.2.4. Der »politische Gottesdienst« als politisch-ethischer Argumentationszusammenhang Im Blick auf die Frage nach Landesverteidigung will bedacht sein, in welchem politisch-ethischen Argumentationszusammenhang Barth sie thematisiert.335 Er bildet den Kontext, in dem die Grenzfallargumentation zu stehen kommt. Dieser lässt sich unter der von ihm geprägten, begrifflichen Formation »politischer Gottesdienst« subsumieren, die zugleich die Überschrift von Barths 19. Vorlesung336 der im März 1938 in Aberdeen gehaltenen »Gifford Lectures« bildet. In dieser Vorlesung differenziert Barth zwischen drei Modi des Gottesdienstes: Dem »kirchlichen Gottesdienst in dem engeren Sinn des Begriffs«, dem »Gottesdienst des christlichen Lebens« und dem »politischen Gottesdienst«.337 Subjekt des politischen Gottesdienstes ist der Staat, insofern er in vorläufiger Weise für eine »Ordnung des äußerlichen Rechts, des äußerlichen Friedens, der äußerlichen Freiheit«338 sorgt, ohne die politische Ordnung christianisieren, theokratisieren oder in irgendeiner Weise tyrannisieren zu wollen. Indem sich der Staat in aller Diesseitig- und Vorläufigkeit um Recht, Frieden und Freiheit bemüht, feiert er politischen Gottesdienst und erweisen sich die Machthabenden im Sinne von Röm 13,6 als »Diener (leitourgoi) Gottes«.339

333 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 236 (Brief vom 1. 5. 1940 an G.H. Slotemaker, Holland). 334 Ders., Eine Schweizer Stimme, 316 (Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen, 23. 7. 1944). 335 So auch M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 168 f. E. Busch (Politik als »Herzstück der Theologie«, 111) bemerkt, dass das, was Barth später (in der Kriegszeit) zur schweizerischen Landesverteidigung darlegte, »die konkrete, aktuelle Anwendung einer grundsätzlichen Besinnung [war], die er kurz vor dem 2. Weltkrieg in einer Vorlesung in Aberdeen ausgesprochen hatte«. 336 Zur Auslegung vgl. E. Busch, Politik als »Herzstück der Theologie«, 111 f.; T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 55 – 66; K. Hoffmann, Die große ökumenische Wegweisung, 145 – 153; A. Pangritz, Politischer Gottesdienst, 223 f.; B. Wannenwetsch, Gottesdienst als Lebensform, 33 f.; M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 176; E. Wolf, Politischer Gottesdienst, 289 – 301. 337 Vgl. K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 204. 338 A.a.O., 206. 339 Vgl. a. a. O., 207. So auch ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 288 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941).

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Das Bemühen um Rechtsstaatlichkeit bezeichnet Barth somit als politischen Gottesdienst. Dieser Gottesdienst ereignet sich im Raum der Welt,340 also außerhalb des Kirchenraumes, aber keineswegs außerhalb des Herrschaftsbereiches Jesu Christi, weshalb auch die Christinnen und Christen aufgerufen sind, an ihm zu partizipieren. Ihre Mitarbeit, die sich ohne Etikettierung und Selbstrubrizierung als »christlich« vollziehen soll, gilt der realen Heiligung der vergehenden Welt.341 Die besondere Dignität dieser Mitarbeit beruht keineswegs in jenem hybriden Titanismus, mit dem sie sich an der Errichtung des Reiches Gotte auf Erden verheben würde. Vielmehr besteht die Würde dieser Mitarbeit darin, dass sie als Beitrag zur Gestaltung der politischen Ordnung als Rechts-, Friedens- und Freiheitsordnung zugleich einen Beitrag dazu leistet, dass diese politische Ordnung als »vorlaufender Schatten«342 der endgültigen Ordnung der 340 Vgl. M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 176: »Wenn Barth vom ›politischen Gottesdienst‹ spricht, hat er die profane Welt vor Augen. Obwohl diese Welt die Verheißungen Gottes nicht kennt, steht sie doch unter seinem Anspruch. Die politische Ordnung ist nicht einfach gottlos, sondern hat die Aufgabe eine für das menschliche Lebens heilsame ›Ordnung […] mitten im Chaos des Weltreiches‹ zu errichten. Indem die Politik und die irdischen Machthaber dies tun, vollziehen sie den politischen Gottesdienst, d. h. sie übernehmen einen dem Willen Gottes entsprechenden Dienst in dieser Welt.« 341 Vgl. ebd.: »Insofern auch die Kirche zur noch nicht erlösten Welt gehört, hat sie auch teilzunehmen am politischen Gottesdienst, d. h. sich politisch (profan) zu engagieren. Dieses Engagement besteht vor allem darin, darüber zu wachen, ob die Ausübung politischer Macht des Menschen über den Menschen auch tatsächlich einer heilsamen Ordnung des Lebens dient, so daß sich ihr Dienst als ein von Gott gewollter beschreiben läßt. Die Kirche wird widersprechen oder gar Widerstand leisten müssen, wo sich die Machthaber gegen Recht, Frieden und Freiheit kehren, um sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen.« Weinrichs Umschreibung der kirchlichen Mitarbeit an der politischen Ordnung koinzidiert mit E. Buschs (Politik als »Herzstück der Theologie«, 112) Charakterisierung von Barths Verständnis des »prophetischen Wächteramtes« der Kirche: »In diesem Wächteramt hat sie die Aufgabe darüber zu wachen, dass im politischen und sozialen Leben und Zusammenleben eben jene Sorge für Recht, Frieden und Freiheit zum Zuge kommt und nicht verhindert wird. Und in diesem Wächteramt hat sie sich speziell auch gegen die alte Unart der Religion zu wenden, unterwürfig die jeweils herrschenden Obrigkeiten aller möglichen politischen Zustände und Bewegungen gutzuheissen und abzusegnen.« 342 K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 206. Platons Einfluss ist hier mit Händen zu greifen. Unter Rekurs auf das »Höhlengleichnis« umschreibt W. Lienemann (Karl Barth 1886 – 1968, 55) Barths gesamten ethischen Denkweg als Zeugnisdienst: »Der Weg des Ethikers kann so beschrieben werden, dass er die aktuellen Probleme in handgreiflichen Konflikten entdeckt, nach und nach zu Klärungen durchdringt, bis er dessen inne wird, dass es die Gegenwart des gnädigen Gottes ist, welche die Menschen ergreift und dazu einlädt, selbst zu Zeugen dieser befreienden Gnade zu werden. Es ist ein Weg aus den Wirrnissen menschlicher Kämpfe zu einer heilbringenden Einsicht, ein Aufstieg wie in Platons Höhlengleichnis. Wer das Licht gesehen hat, kann dann nicht mehr an die Schattenwelt der Politik glauben, aber er vermag in die Dämmerung und Dunkelheit der Höhle zurückzukehren, um der ›Forderung des Tages‹ gerecht zu werden.« O. Bayer (Theologie, 364 f.) und W.-D. Marsch (Gerechtigkeit im Tal des Todes, 185 f.) gebrauchen die Identifikation bestimmter begrifflicher Konfigurationen der Barthschen

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Liebe und des Friedens erkennbar bleibt. Der politische Gottesdienst schließt Barth zufolge auch den Gebrauch von Gewalt als Mittel zur Wahrnehmung der spezifischen Aufgabe des Staates ein: »[A]uch das staatliche Leben, dessen gottesdienstlicher Charakter uns noch so deutlich sein sollte, muß sich bereit halten, Krieg zu führen […]. Was wird dann aus der Liebe und aus dem Glauben werden? Wir werden nicht sagen, dass man sich im Glauben und in der Liebe unter keinen Umständen am Krieg beteiligen könne. Es besteht aber dringender Anlaß zu der Feststellung, dass der Krieg […] eine akute Gefährdung des Glaubens und der Liebe bedeutet. Sind wir mit dem Gebrauch dieser Mittel nun nicht etwa doch aus dem Dienst Jesu Christi heraus und in den Dienst anderer Herren getreten? Das ist die Fragwürdigkeit und die Gefährlichkeit des politischen Gottesdienstes.«343

Im Kontext der Schweizer Landesverteidigung ist nun entscheidend, welche funktionale Zuordnung Barth im Rahmen der Konzeption »Politischer Gottesdienst«344 zwischen der staatlichen Aufgabe, Recht, Frieden und Freiheit vorläufig politisch zu gewährleisten, und den anderen beiden Modi des Gottesdienstes trifft. Barth bemerkt diesbezüglich: »[D]er gottesdienstliche Sinn der politischen Ordnung wird da deutlich, wo der Staat der Kirche Freiheit verschafft und erhält – mehr braucht sie nicht!«345 Diese erhaltene und verschaffte Freiheit meint Barth zufolge nichts anderes als die Freiheit der Verkündigung.346 So kann Barth wenige Monate nach seinen »Gifford Lectures« im Oktober 1938 in seiner kleinen Programmschrift »Rechtfertigung und Recht« feststellen: »Die

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Theologie als »platonisch« zur eigenen Abgrenzung von Barth. Vgl. dazu auch Abschnitt I.2.2.2.2. der vorliegenden Untersuchung. K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 218. M. Weinrich (Der Katze die Schelle umhängen, 176) stellt im Blick auf die Konturierung des Begriffs »politischer Gottesdienst« im Verhältnis zu dem der »politischen Theologie« fest: »Der Begriff des politischen Gottesdienstes stellt einerseits die Profanität des Politischen heraus und unterstreicht andererseits die theologische Relevanz der profanen Welt. Er verbietet damit die Theologisierung der Profanität im Sinn einer politischen Theologie, denn dies läuft auf eine Profanisierung Gottes hinaus. Ebenso verbietet er eine Entpolitisierung der Theologie, denn dies läuft auf eine willkürliche Partikularisierung und Privatisierung Gottes hinaus. Im Blick auf die Kirche spricht Barth später in dem einen Fall von der extravertierten und im anderen fall von der introvertierten Kirche.« Ebenso bemerkt E. Busch, Politik als »Herzstück der Theologie«, 113: Barth protestiert »gegen ein Zweifaches – zum einen gegen die Verdrehung seiner grundlegenden Auffassung, dass die rechte Theologie niemals missbraucht werden kann und darf, um vorgefasste politische Ziele und Zwecke zu rechtfertigen [= politische Theologie; M.H.]. Zum anderen stellt er sich zugleich gegen eine von allem politischen Einsatz gesäuberte, reine Theologie [= entpolitisierte Theologie; M.H.].« Vgl. Abschnitt 0.3.1. der vorliegenden Untersuchung. K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 210. In der Freiheit, das Evangelium zu hören und zu verkündigen, gründen K. Barth (Des Christen Wehr und Waffen, 21) zufolge alle anderen Formen von Freiheit.

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Kirche erwartet vom Staate um der freien Predigt der Rechtfertigung willen, daß er Staat sei und also Recht schaffe und spreche.«347 Den für das Konzept des »Politischen Gottesdienstes« konstitutiven Leitgedanken der Verbindung von Rechtsstaatlichkeit und Evangeliumsverkündigung präsentiert Barth in seinem politisch-ethischen Traktat »Rechtfertigung und Recht« in immer neuen Variationen und nimmt ihn auch nach dem Krieg in seiner Studie »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946) wieder auf. Barth tut dies, indem er diesen Leitgedanken auf verschiedene kirchliche Lebensvollzüge wie das Gebet für die Obrigkeit, das christliche Leben im Allgemeinen, die Buße, den Glauben und eben die Evangeliumsverkündigung bezieht. Dementsprechend konstatiert Barth: Als Rechtsstaat, als »echter und rechter Staat«, leistet der Staat der Kirche den Dienst, »daß er ihr echte und rechte Freiheit gibt, ›daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit‹ (1Tim 2,2)«348. Hinsichtlich des Gebets für die Obrigkeit bemerkt Barth: Das Gebet für die weltliche Obrigkeit bzw. die irdische Polis hat darin einen gewissen Eigennutz, dass allein die Polis die Freiheit der Kirche garantieren kann, die Kirche also dadurch, dass sie für die irdische Polis betet, indirekt auch für sich selbst und ihre Freiheit betet.349 In seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« trifft Barth die Aufgabenbestimmung: »Sie [die Bürgergemeinde] dient ja dazu, den Menschen vor dem Einbruch des Chaos zu schützen und also ihm Zeit zu geben: Zeit für die Verkündigung des Evangeliums, Zeit zur Buße, Zeit zum Glauben.«350 Gewissermaßen eine Art Zusammenfassung seines Leitgedankens liefert er in derselben Schrift: »Es ist wohl wahr : der tiefste, der letzte, der göttliche Sinn der Bürgergemeinde besteht darin, Raum zu schaffen für die Verkündigung und für das Hören des Wortes und insofern allerdings für die Existenz der Christengemeinde. Aber der Weg, auf dem die Bürgergemeinde dies nach Gottes Vorsehung und Anordnung tut und allein tun kann, ist der natürliche, der weltliche, der profane Weg der Aufrichtung des Rechts, der Sicherung von Freiheit und Frieden nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens.«351

347 Ders., Rechtfertigung und Recht, 41. 348 A.a.O., 21. Ähnlich ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 288 f. (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 349 Vgl. ders., Rechtfertigung und Recht, 31. 350 Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 54 f. 351 A.a.O., 62 f. Ähnlich formuliert K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 215) in seinem Brief nach Frankreich vom Dezember 1939: »Es gibt in der Sünde und Schande des Lebens aller Völker durch Gottes Güte einen Rest von Ordnung und Recht, von freier Menschlichkeit und vor allem und als Sinn von allem Anderen: von Freiheit zur Verkündigung des Evangeliums. Wo Hitler regiert, da ist es auch um diesen Rest getan.«

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Barth zufolge bedeutet »eine wirkliche menschliche Rechtsprechung, ein wirkliches Zeigen des wahren Gesichts des Staates unfehlbar die Legitimierung der freien und bewußten Verkündigung derselben göttlichen Rechtfertigung, des Reiches Christi, das nicht von dieser Welt ist«352. Barth kann sogar das Freiheitsrecht der Rechtfertigungspredigt als das »wirkliche und eigentliche menschliche Recht, das ius unum et necessarium«353 bezeichnen. Und exakt um dieses ius unum et necessarium geht es Barth im Blick auf die Schweizer Landesverteidigung: Nicht um die Verteidigung bestimmter materieller oder geistiger Güter, auch nicht um mehr oder weniger kontingente territoriale Konstellationen und Formationen, die nach Zusammengehörigkeit von Volksgruppen, Nationen oder anderen Einteilungsprinzipien erfolgen, sondern es geht ihm darum, dass mit der Existenz der Schweiz »auch die Existenz der Kirche und damit die Freiheit des Evangeliums auf dem Spiel«354 steht. Mit der Rechtsstaatlichkeit steht und fällt auch die Freiheit des Evangeliums.355 Deshalb repräsentiert die Rechtsstaatlichkeit den letzten Preis, der nicht um des Friedens willen gezahlt werden darf. Wo hingegen dieser Preis um des Friedens willen gezahlt werden soll, da liegt der Grenzfall legitimen Waffengebrauchs vor, da kann mit Fug und Recht von einer ultima ratio gesprochen werden. Nochmals Barth: Die Christengemeinde »muß und wird aber dafür eintreten, dass für die Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens im Innern und nach außen außer dem letzten, der in der Aufhebung und Zerstörung des rechten Staates und damit in der praktischen Verleugnung der göttlichen Anordnung bestehen würde, kein Preis als zu hoch angesehen wird.«356 Yoder hat in seiner Kritik an Barth wohl dessen Insistieren auf Rechtsstaatlichkeit wahrgenommen, jedoch nicht deren konzeptionelle Einbettung in den theologischen Argumentationszusammenhang des »Politischen Gottesdienstes«. Yoders Betrachtung entgeht dadurch der für diesen Zusammenhang konstitutive Konnex zwischen Rechtsstaatlichkeit und Evangeliumsverkündigung.357 Dieses nicht erkannt zu haben, darin besteht m. E. der kardinale Fehler

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Ders., Rechtfertigung und Recht, 15. A.a.O., 42. M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 172. Vgl. K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 139 f. (Brief vom 24. 10. 1938 an A. Tromp-de Jong, Holland): »Im Zeitalter der Diktaturen muß die Kirche in allen noch nicht von ihnen beherrschten Ländern mit dem Willen zum rechten Frieden auch die Bereitschaft zu dessen Verteidigung gutheißen und fordern. Sie hat um des Evangeliums willen und durch die Verkündigung des Evangeliums den demokratischen Staat aufzurufen, um jeden Preis, auch um den von Not und Untergang, starker Staat zu sein, das heißt: den Diktaturen an seinen Grenzen mit allen Mitteln Halt zu gebieten.« 356 Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 73. 357 So auch A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 243.

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der Yoderschen Barthkritik.358 Infolge seiner isolierten Betrachtung der Rechtsstaatlichkeit kann Yoder das s.E. vernichtende Urteil fällen: »[W]hen we ask how we can know that it is God who is speaking to command war and not some other god or idol, the only reference we are given is the concrete historical situation, in which the justice-state must be saved. Thus we look for the definition of the justice-state, only to find that the state for whose sake war is justifiable in the extreme case has no unequivocal place within Barth’s theology. That there is and must be a state, that a Christian may ask the state to be just, and how the Christian should ask the state to be just, Barth has discussed several times and in several ways. But why the existence of a justice-state is such a fundamental value that, once it is at stake, a given state must be defended at almost any cost, has never spelled out.«359 Dies aber ist – wie zu zeigen versucht wurde – mitnichten der Fall. Barth benennt den theologischen Rechtsgrund der Verteidigung des Rechtsstaates sehr wohl: Der Rechtsstaat will aus christlicher Perspektive um der Freiheit der Evangeliumsverkündigung willen verteidigt werden. Und Barth fügt in einem Atemzug hinzu: Wo aber das Evangelium in Freiheit verkündigt wird, da wird kein Indifferentismus gegenüber der Freiheit in profanen Lebensbereichen walten dürfen. Barth argumentiert also nicht pro domo, indem er die Rechtsstaatlichkeit als Mittel zum Zweck der Evangeliumsverkündigung funktionalisiert bzw. instrumentiert, sondern er kann den Richtungssinn seiner Aussage bewusst auch umkehren: »Es geht nicht nur um das Recht der Kirche als solcher, sondern zugleich um die Wiederherstellung des durch die deutsche Invasion zerstörten allgemeinen Rechtszustandes, nicht nur um den Glauben, sondern im Glauben um die Geltung der göttlichen Gebote, nicht nur um den Schutz der Judenchristen, sondern um den der Juden als solcher.«360 Die Verbindung zwischen Rechtsstaatlichkeit und Evangeliumsverkündigung wird mit anderen Worten von Barth als Wechselwirkung zugunsten beider Größen interpretiert.

358 Ursache desselben ist m. E. letztlich J.H. Yoders (Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, 166 – 181, bes. 168 – 174) fehlgeleitete Wahrnehmung der Zwei-Reiche-Lehre, die er wirkungsgeschichtlich im Sinne einer Separation der beiden Reiche interpretiert. Gerade dadurch verstellt er sich auch den ungetrübten Blick auf die Barthsche Rezeption der Zwei-Reiche-Lehre, die auf dem Hintergrund der Unterscheidung der beiden Reiche nun auch Bezüge zwischen Christengemeinde und Bürgergemeinde, Rechtsstaatlichkeit und Evangeliumsverkündigung herstellen kann. Zur Kritik an Yoders Rezeption der ZweiReiche-Lehre vgl. W. Schweitzer, Diskussionsbeitrag , 181 – 184. 359 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 98 f. 360 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 263 (Die protestantischen Kirchen in Europa, September 1942).

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3.2.5. Die Judenfrage als der Testfall der Rechtsstaatlichkeit Den Indikator schlechthin für Rechtsstaatlichkeit stellt Barth zufolge die »Judenfrage« dar und zwar nicht nur in einem akzidentiellen, sondern substantiellen Sinn, ist doch die Evangeliumsverkündigung der Kirche wesensmäßig von der Zusammengehörigkeit der Kirche mit den Juden von Jesus Christus her und in Jesus Christus zu verstehen. Die systematische Judenverfolgung repräsentiert Barth zufolge nicht einfach nur ein drastisches Epiphänomen allgemeiner Despotie und Tyrannei und auch mehr oder weniger beliebiges Exempel für einen Lackmustest auf Rechtsstaatlichkeit, Einhaltung der Menschenrechte etc. Vielmehr stellt Barth in seinem Wipkinger Vortrag »Die Kirche und die politische Frage von heute« (1938) fest,361 dass der Antisemitismus unzweifelhaft widergöttliche Qualität besitze362 und allein und für sich genommen bereits hinreichend sei, um den Nationalsozialismus als antichristliche Gegenkirche zu überführen und den militärischen Widerstand363 gegen das NSReich als einzig theo-logisch konsequente Reaktion auf ihn zu legitimieren: »[D]er eigentlich durchschlagende, biblisch-theologische Grund zu dieser Feststellung [,daß im innersten und eigentlichen und heiligsten Wesen des Nationalsozialismus ein böser Geist und Gottesdienst auf dem Plan ist, liegt [….] in seinem prinzipiellen Antisemitismus. Stünde dieser ganz allein, so würde er ganz allein genügen für den Satz: der Nationalsozialismus ist die grundsätzliche antichristliche Gegenkirche. […] die ›physische Ausrottung‹ gerade des Volkes Israel, der Verbrennung gerade der Synagogen und Thorarollen, die Perhorreszierung gerade des ›Judengottes‹ und der ›Judenbibel‹ als des Inbegriffs alles dessen, was dem deutschen Menschen ein Greuel sein soll – dann ist eben damit, allein schon damit darüber entschieden: da wird die christliche Kirche in ihrer Wurzel angegriffen und abzutöten versucht. […] Was wären, was sind wir denn ohne Israel? Wer den Juden verwirft und verfolgt, der verwirft und verfolgt doch den, der für die Sünden der Juden und dann und damit erst auch für unsere Sünden gestorben ist. Wer ein prinzipieller Judenfeind ist, der gibt sich als solcher, und wenn er im übrigen ein Engel des Lichtes wäre, als prinzipieller Feind Jesu Christi zu erkennen.«364

361 Zur Auslegung dieses Vortrags vgl. E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 40 – 43; D. Clausert, Theologischer Zeitbegriff und politisches Zeitbewußtsein, 285 – 313; F.-W. Marquardt, Theologische und politische Motivationen Karl Barths im Kirchenkampf, 439 – 469; G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses nach K. Barth, 178 – 183; P. Tillich, Ein Wendepunkt in Karl Barths Denken, 324 – 326. 362 Vgl. M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 170 f. 363 Vgl. zu Barths Rechtfertigung des Widerstandes gegen den »Hitlerstaat« E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 313 ff. 364 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 89 f. (Die Kirche und die politische Frage von heute, 5. 12. 1938). Vgl. dazu: G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 179 – 183.

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In seinem Vortrag »Verheißung und Verantwortung der christlichem Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen« (23. 7. 1944) kann Barth sogar auf dem geschichtlichen Hintergrund der »systematisch geplante[n] und durchgeführte[n] millionenweise[n] Vernichtung und Ausrottung von Männern und Frauen, Kindern und Säuglingen des Judenvolkes«365 sagen: »Die Judenfrage ist die Christusfrage.«366 Mit dem Zweiten Weltkrieg liegt Barth zufolge in traurigster Eindeutigkeit ein Grenzfall als casus christologicus vor, insofern der bewaffnete Kampf gegen den Nationalsozialismus die vom Gebot Gottes angewiesene und verhängte Antwort auf die »deutsche Lösung der Judenfrage«367 darstellt, welche von Barth christologisch begründet wird. Dass es sich bei diesem Grenzfall tatsächlich um Gottes Gebot handelt, wird Barth zufolge in dem fundamentalen Verstoß gegen den 2. Glaubensartikel evident, den der nationalsozialistische Antisemitismus repräsentiert. Indem sich der Nationalsozialismus gegen die Juden richtet, richtet er sich zugleich gegen die Kirche und nicht zuletzt gegen Jesus Christus selbst: »Wer es auf die Wurzel, auf Israel abgesehen hat, der mußte und muß auch dem Stamm, der Kirche, ans Leben gehen, der mußte und muß im Bekenntnis zu Christus seinen ersten Feind sehen. Wer ihn in den Juden haßt, der muß ihn in den Christen erst recht hassen.«368 Insofern Jesus Christus Jude war, Gott in ihm sein Volk erwählte und seinen Bund mit Israel erfüllte, impliziert das Bekenntnis zu Jesus Christus auch das Bekenntnis zu Gottes Volk. Im Lichte dieses Bekenntnisses betrachtet, richtet sich der nationalsozialistische Kampf gegen Gottes Volk Israel zugleich gegen Gottes in dem Juden Jesus vollzogenen Erwählungs- und Versöhnungswerk: »Man streitet nicht umsonst gegen den Juden Jesus. Man erhebt sich damit gegen das Geheimnis der göttlichen Erwählung. Man greift damit an das Einzige, was den Menschen mit Gott verbindet.«369 In seinem essentiell widergöttlichen Charakter transparent ist der Antisemitismus Barth zufolge nur auf dem Hintergrund des christologischen Begründungszusammenhanges, vor dem Barth etwa auch den Begriff der Menschenwürde zu dechiffrieren versucht, um die Judenverfolgung als Verstoß gegen dieselbe desavouieren zu können. Barth definiert: »Das ist die Würde des Menschen: daß Gott ihm gut ist, wie er es darin besiegelt und offenbart hat, daß er selbst in Jesus Christus Mensch wurde und in dem Leiden und Sterben dieses Menschen mit uns allen einen Bund geschlossen, uns alle als seine Kinder zu sich

365 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 315 (Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen, 23. 7. 1944). 366 A.a.O., 318. 367 A.a.O., 322. 368 A.a.O., 319 f. 369 A.a.O., 320.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

gerufen hat.«370 Dieser Bund ist der eine Gnadenbund, der das Gottesvolk Israel mit der Kirche in dem den Bund erfüllenden Juden Jesus unauflöslich verbindet.371 Barth (schluss)folgert: »Wer die Würde des Menschen darin erkannt hat, […] der muß zu der innersten Mitte des heute aufsteigenden Weltreiches darum jenes entschlossene Nein sagen, weil diese Würde des Menschen dort verworfen ist, weil die innerste Mitte dieses Weltreiches im Haß und in der Verstoßung der Juden besteht.«372 Barth bindet diese Schlussfolgerung zurück an den christologischen Begründungszusammenhang, der eine Dechiffrierung des Menschenwürdebegriffs und damit auch eine Entschlüsselung der Judenverfolgung in ihrer essentiellen Qualität erlaubt: »Der Menschensohn, der der Sohn Gottes war, war aber ein Jude. In diesem Juden hat Gott uns alle lieb gehabt. In dieser Tiefe hat er uns gesucht und gefunden. Wir können uns diesem heutigen Weltreich nur schon darum nicht fügen, weil wir das Heil Gottes, das nun einmal zu den Juden und von den Juden zu uns gekommen ist, nicht von uns stoßen und weil wir von da aus die ganze übrige Unmenschlichkeit dieses Weltreiches nicht mitmachen können.«373 Dass sich seit 1938 Barths Einstellung zum Nationalsozialismus radikalisierte, in dessen immer manifester werdenden Antisemitismus Barth nicht nur ein politisches Programm erblickte, sondern Glaubensfragen elementar betroffen, ja das Christusbekenntnis fundamental verletzt sah, findet seine praktische Ausdrucksform in seiner Beteiligung an der Flüchtlingsarbeit bzw. der Arbeit des »Schweizerischen Hilfswerks für die Bekennende Kirche in Deutschland«. Diese Form der Solidarität mit den verfolgten Juden wiederum verstand Barth – wie spätestens im »Zwiespalt« um die 2. Wipkinger Tagung (1941) in der »personellen« Konstellation W. Vischer und K. Barth versus E. Brunner und W. Zimmerli vollends deutlich wurde374 – nicht schöpfungstheologisch auf dem Boden der allgemeinen Nächsten- bzw. Samariterliebe, sondern genuin christologisch, insofern er in Jesus Christus den Grund der Erwählung Israels und die Erfüllung des einen Gnadenbundes Gottes sieht. In seiner Erwählungslehre (KD II/2) stellt Barth im Jahr 1942 klar, dass Israel und die Kirche denselben Grund der Erwählung haben, in dem sie bleibend einander verbunden sind, ja eine »indissoluble unity«375 bilden: Jesus Christus, den erwählenden Gott und den erwählten Menschen. Von da her betrachtet Barth 370 Ders., Eine Schweizer Stimme, 175 (Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit). 371 Vgl. E. Busch, Der eine Gnadenbund Gottes, 341 – 354. 372 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 175 (Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit). 373 Ebd. 374 Vgl. E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 373 – 392. 375 So ders., Indissoluble Unity, 53 – 79.

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Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls

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beide, Gottes Volk Israel und die Kirche, angesichts der nationalsozialistischen »Revolution des Nihilismus«376 in einem erwählungstheologischen Zusammenhang und eo ipso als eine erwählte Gemeinschaft.377 Im Blick auf letzteren stellte er im Oktober 1942, also zeitgleich zum Erscheinen von KD II/2 und nachdem es im August 1942 zu einer weitgehenden Grenzschließung der Schweiz gegenüber Flüchtlingen gekommen war,378 folgende These zur Flüchtlingshilfe auf, mit der er sich an die Schweizer Öffentlichkeit wandte: »Es gibt Gründe für und gegen die uns Schweizern heute nahegelegte Flüchtlingshilfe. Dafür spricht: Der christliche Grund: ›Was ihr einem dieser Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan!‹ Die Flüchtlinge gehen uns an: nicht darum, weil sie gute, wertvolle, angenehme Mensche, sondern darum, weil sie heute in der ganzen Welt die Geringsten, die Elendesten sind und als solche an unsere Tür klopfen, deren unzertrennlicher Gefährte der Heiland ist. Sie gehen uns an: nicht obwohl sie Juden, sondern gerade weil sie Juden und als solche des Heilands leibliche Brüder sind. (Ich bemerke, daß dieser Grund der stärkste und wohl der allein unbedingt durchschlagende Grund für diese Sache ist.)«379

376 Barth gebraucht diesen Ausdruck, der zugleich Titel des Bestsellers »Die Revolution des Nihilismus. Kulisse und Wirklichkeit im Dritten Reich« (1938) des Faschismustheoretikers H. Rauschning ist, geradezu inflationär oft in seinen Briefen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges (vgl. nur das Begriffsregister in: K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 469). Rauschning führt den Nationalsozialismus seinem Wesen nach auf den Nihilismus einer entchristlichten Gesellschaft zurück. Barth führte im Juli 1937 und im Februar 1939 ausführliche Gespräche mit dem ehemaligen Danzinger Oberbürgermeister und einstigen führenden NS-Mann. Vgl. E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 300.311; W.A. Visser’t Hooft, Die Welt war meine Gemeinde, 135. 377 Vgl. dazu etwa K. Barths (Offene Briefe 1935 – 1942, 425) »Weihnachtsbrief an unsere Juden« (1942): »Wir sind uns völlig darüber im klaren, daß die Gewalten, die heute zum vernichtenden Schlage gegen das Judentum ausholen, es mit nicht geringerem Grimme auch auf das Christentum abgesehen haben. Mit der Verhöhnung der alttestamentlichen Botschaft wird die Axt auch an die Wurzel der neutestamentlichen gelegt; mit der Zerstörung des [sic!] Synagoge soll eine Bresche geschlagen sein, um dann auch zur Vergewaltigung der christlichen Kirche freie Bahn zu bekommen.« 378 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 353 – 358; H. Kocher, Rationierte Menschlichkeit, 182 – 241. 379 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 356 (An die Schweizer Öffentlichkeit, im Oktober 1942 verfasste Thesen). Die »Leipziger Neueste Nachrichten« nahmen am 21. 12. 1942 in dem Artikel »Unerwünschte Gäste der Schweiz« wahrscheinlich auf diesen Absatz Bezug: »Ein durch zahlreiche Hetzpamphlete berüchtigt gewordener politisierender Theologe äußerte: Bei den jüdischen Emigranten handele es sich durchweg um ›wertvolle, angenehme Menschen‹(!), und gerade deshalb, weil sie Juden seien, müsse man sie in der Schweiz bedingungslos und in möglichst großer Zahl aufnehmen, denn die Juden seien die Gefährten des Heilands.« Zit. nach E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 592. Zu der in der Schweizer reformierten Kirche geführten Debatte um das christliche Verständnis der Juden vgl. E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 359 – 399.

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Der Grenzfall – ein casus christologicus?

Im Zusammenhang mit seiner Forderung nach offenen Grenzen und Asyl für jüdische Flüchtlinge sowie durch seine öffentlichen Aufrufe zum Widerstand gegen Hitler geriet Barth in einen denkbar scharfen Konflikt380 mit der Schweizer Regierung, die den unbequemen Theologen nicht zuletzt aufgrund des Drängens Berlins unter Zensur stellte und seine Redefreiheit erheblich einschränkte.381

3.3.

Fazit

Ist der Grenzfall ein casus christologicus? Unter dieser Leitfrage wurde das vorliegende Kapitel als Metakritik an der Yoderschen Barth-Kritik entwickelt. Anders als Yoder behauptet, muss diese Frage entsprechend den dargelegten Ausführungen positiv beantwortet werden. Die gebots- und schöpfungsethischen Organisationszusammenhänge der »Kirchlichen Dogmatik« lassen K. Barths christologische Charakterisierung und Konturierung des Grenzfalls transparent werden. Es hat sich anhand der Barthschen Bestimmung der Schweizer Landesverteidigung im Zweiten Weltkrieg als Grenzfall des Weiteren gezeigt, dass Barth diesen im Sinne eines äußerst eng gefassten Notwehrrechts konzipiert. Ein freies Kriegsführungsrecht der Staaten (ius ad bellum) als »vormals vornehmstes Attribut staatlicher Souveränität«382 kennt Barth nicht. Der eigentliche Rechtsgrund, der den Gebrauch des Notwehrrechts legitimiert, besteht Barth zufolge in der Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit, deren besondere Dignität Barth als Konnexivität von Rechtsstaatlichkeit und Evangeliumsverkündigung ausweist. Rechtsstaatlichkeit wird durch den integrativen Zusammenhang von Recht, Frieden und Freiheit als den drei Grundbegriffen der Rechtsstaatlichkeit konstituiert. Der Konnex von Rechtsstaatlichkeit und Evangeliumsverkündigung umschreibt den neuralgischen Punkt von Barths politisch-ethischer Konzeption des »Politischen Gottesdienstes«. Als den eigentlichen Testfall der Rechtsstaatlichkeit bestimmt Barth in der Zeit des Nationalsozialismus die Judenfrage. Ihr kommt nicht nur eine politische, sondern eine eminent theologische Dimension zu, insofern Hitlers Beantwortung der Judenfrage einen Frontalangriff auf das kirchliche Bekenntnis zu Jesus Christus darstellt: Wer »ein prinzipieller

380 E. Busch (Eine Schweizer Stimme, 1) spricht vom »Kampf der Schweizer Regierung gegen Karl Barth während des 2. Weltkriegs«. 381 Vgl. dazu: ders., Eine Schweizer Stimme, 1 – 14; ders., Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrats, 172 – 186; ders., Unter dem Bogen des einen Bundes, 336 – 358; ders. (Hg.), Die Akte Karl Barth. 382 S. Hobe / O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 46.

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Barths »christologische« Charakterisierung des Grenzfalls

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Judenfeind ist, der gibt sich als […] prinzipieller Feind Jesus Christi zu erkennen.«383

383 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 90 (Die Kirche und die politische Frage von heute, 5. 12. 1938).

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3.

»Jetzt ist’s genug«. Karl Barths Rezeption der Kriterien des gerechten Krieges im Atomzeitalter

1.

K. Barths Friedensethik im Spannungsfeld der friedensethischen Paradigmen

1.1.

Zur Ausgangsfrage: Karl Barth – ein heiliger oder ein gerechter Krieger?

Es dürfte wenige historische Phänomene geben, die in ähnlich starker Weise ihren Niederschlag im kollektiven Bewusstsein und im allgemeinen Sprachgebrauch gefunden haben wie das des Kreuzzuges. Folgt man der Definition des amerikanischen Politologen und Philosophen M. Walzer, so handelt es sich bei einem »Krieg, der aus religiösen oder ideologischen Gründen ausgetragen wird«1, um einen Kreuzzug. In ähnlicher Weise versteht der Bochumer Profanhistoriker N. Jaspert den Kreuzzug als heiligen Krieg und subsumiert u. a. die »Bestrafung von Übeltätern im Namen Gottes«2 unter diesem Begriff. Legt man diese Definition zugrunde, so scheint Barths Beurteilung des Zweiten Welt1 M. Walzer, Gibt es den gerechten Krieg?, 173. Vgl. auch E.M. Pausch (Brauchen wir eine neue Friedensethik?, 21), der hinsichtlich der Paradigmen der Friedensethik den Heiligen Krieg und den Gerechten Krieg I und II wie folgt unterscheidet: »Heiliger Krieg: Gott will einen bestimmten Krieg, dieser bekommt einen fast schon kultischen Charakter. Kriegsdienst hat Pflichtcharakter. (AT, Kreuzzüge, Islam)[;] Gerechter Krieg I: Kriege sind zwar nicht heilig, aber unter bestimmten Bedingungen gerecht. Christen sind grundsätzlich zur Führung solcher Kriege verpflichtet. (Cicero, Augustin, Thomas)[;] Gerechter Krieg II: Kriege können gerecht sein, aber nur Verteidigungskriege. Christen müssen Kriegsdienst leisten, es sei denn, sie haben Gewissheit über die Ungerechtigkeit eines Krieges. Dann gilt: ›Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen‹ (Apostelgeschichte 5, 29). (Martin Luther)«. Gegen E.M. Pauschs »Typologie« ist freilich einzuwenden, dass sie im Blick auf den Typ »Gerechter Krieg II« nicht nur einseitig auf Luther fokussiert und dabei etwa die spanische Spätscholastik (Schule von Salamanca: u. a. Francisco de Vitoria, Francisco Suarez) oder die reformierte Tradition (u. a. H. Zwingli, H. Bullinger, J. Calvin, P.M. Vermigli, L. Danaeus) nicht ihn den Blick nimmt. Schwer wiegt auch, dass Pausch die Tradition des gerechten Krieges in der Reformationszeit abbrechen lässt und den (u. a. an H. Grotius ablesbaren) neuzeitlichen Funktionswandel besagter Lehre unberücksichtigt lässt. 2 N. Jaspert, Die Kreuzzüge, 73.

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»Jetzt ist’s genug«

krieges in eine problematische Nähe zu jenen religiös-militärischen Unternehmungen zu rücken, die sich dem kulturellen Gedächtnis als »Kreuzzüge« eingeprägt haben. Denn auch Barth kann etwa die Christen in Großbritannien im April 1941 dazu aufrufen, Hitler eindeutig »im Namen Jesu Christi«3 entgegen zu treten. »Der klare Wille Gottes macht« – so Barth weiter – »das Einstehen für diesen Krieg zu einer Sache des christlichen Gehorsams.«4 Und auch einem amerikanischen Kirchenmann gegenüber äußert Barth im Oktober 1942: »Die Kirchen können und sollen deutlich machen, daß […] auch der heutige, diese Welt fast zerreißende Kampf […] tatsächlich in seinem [Jesu Christi; M.H.] Dienst und zu seiner Ehre gekämpft wird«5. Krieg im Namen, im Dienst und zur Ehre Gottes? Stilisiert Barth den Krieg gegen Hitler damit nicht zu einem Kreuzzug? Und stellt er sich damit nicht unvorsichtigerweise in eine historisch zutiefst kompromittierte Tradition? Beschwört Barth nicht den Kriegsdienst für Christus (militia Christi) und das kreuzfahrerische Ideal des christlichen Ritters (miles Christianus), indem er den Grenzfall – wie im letzten Kapitel (II.2.) zu zeigen versucht wurde – als casus christologicus ausweist? Und bemüht Barth nicht exakt jenes »Deus vult«6, das bekanntlich zum Motto bzw. militare signum der Kreuzzugsbewegung wurde, als die Zuhörer auf dem Konzil zu Clermont (1095) auf den Aufruf Papst Urbans II. zum Kreuzzug reagierten,7 wenn Barth den Briten bestätigt, dass sie »einen rechten, von Gott nicht nur zugelassenen, sondern gebotenen Krieg«8 führen?9 3 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 293 (Brief nach Großbritannien, Ostern 1941). Zu diesem berühmten Brief vgl. A.-K. Finke, Karl Barth in Großbritannien, 166 – 169; T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 84 – 88. Speziell zum zeitgeschichtlichen Hintergrund vgl. E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 255 – 261. 4 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 286 (Brief nach Großbritannien, Ostern 1941). 5 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 381 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). 6 Robert v. Reims, Historia Iherosolimitana, I,2. 7 Vgl. Fulcher von Chartres, Historia Hierosoymitana I,3,2 – 8; Übersetzung v. F. Winkelmann, Die Kirche im Zeitalter der Kreuzzüge, 45. Winkelmann (a. a. O., 45 f.) macht hinsichtlich eines angemessenen historischen Urteils darauf aufmerksam, dass »[d]er Papst nicht zur Bekehrung oder gar Vernichtung der Heiden auf[rief], sondern zur Befreiung der Christen im Osten und zur Befreiung Jerusalems – was jedoch im Text Fulchers nicht zum Ausdruck kommt.« Nach H. Zschoch (Die Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter, 72) gilt es hinsichtlich des »Quellenwertes« zu beachten: »Alle überlieferten Passagen der Papstrede vom 27. November 1095 sind erst nach dem Ende des ersten Kreuzzuges niedergeschrieben worden und verstehen die päpstliche Initiative von dessen Ergebnis her. Die ursprünglichen Intentionen des Papstes sind ihnen daher nur mit einiger Vorsicht zu entnehmen.« Zum Kreuzzugaufruf Papst Urban II. vgl. auch J. Schilling, Kreuzzug und Friedensreich, 188 ff. 8 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 282 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 9 Auch Papst Urban II. sah übrigens »in Christus selbst den Auftraggeber und spirituellen Anführer« (H. Zschoch, Die Christenheit im Hoch- und Spätmittelalter, 73) des Kreuzzugunternehmens.

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Barths Friedensethik im Spannungsfeld

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Steckt Barth den religiösen Rahmen der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges nicht in ähnlicher Weise ab wie im Jahr 1123 das Erste Laterankonzil, das den Kreuzfahrern als denjenigen, die »wirksam zur Verteidigung der Christenheit und zur Bekämpfung der Tyrannei der Ungläubigen beitragen«10, die Vergebung der Sünden (remissio peccatorum) zusprach? Von Sünde in Bezug auf einen von Gott gebotenen Krieg zu sprechen, ist K. Barth offensichtlich nicht bereit, vielmehr konstatiert er : »Wenn das Gebot Gottes dahin lautet, daß ein Volk, in solchen Notstand geraten – oder also solidarisch mit einem anderen in solchen Notstand versetzt – sich wehren soll, dann darf es nicht nur, dann soll es sich wehren. Und wo es für ein Volk grundsätzlich, schon im Frieden, auf Grund seiner Verfassung und Geschichte und im Sinn aller seiner verantwortlichen Bürger um diesen und um keinen anderen Kriegsfall geht, da darf und da soll es sich auch für ihn rüsten.«11 Wiederum nimmt Barth für ein solches »Sollen« offenkundig den Willen Gottes in einer solchen Weise in Anspruch, dass man sich zur kritischen Rückfrage provoziert fühlt: Bedarf es dieses Rekurses auf den Willen Gottes, um etwa dem Krieg gegen Hitler größere Plausibilität zu verleihen? Dass der Zweite Weltkrieg – mit M. Walzer gesprochen – »ein Musterbeispiel eines gerechten Kriegs«12 darstellt, dürfte etwa den Briten doch auch ohnedies hinreichend deutlich gewesen sein. Genügt Barth etwa nicht der Rekurs auf den »gerechten Krieg«, jene höchst einflussreiche, von der Stoa (vor allem Cicero) und Ambrosius (um 340 – 397) herrührende Lehrbildung? Muss er ihn durch den Kreuzzugsgedanken religiös überhöhen, um ihm den Anschein höherer Legitimität zu verleihen? Antizipiert Barth damit nicht jene alte amerikanische Tendenz, deren Wiederaufleben M. Walzer in der personalisierten Gestalt der amerikanischen Präsidenten Bush, Vater und Sohn, als Verwechselung von »gerechtem Krieg« und »Kreuzzug« kritisiert – »as if war can be just only when the forces of good are arrayed against the forces of evil«13. Bei beiden Paradigmen, Kreuzzug und »gerechter Krieg«, handelt es sich um eine Leitdifferenz der Friedensethik, die große Verbreitung gefunden und sich weithin durchgesetzt hat.14 P. Engelhardt bemerkt: 10 Erstes Laterankonzil, Canon 10. Übersetzung nach J. Wohlmuth (Hg.), Dekrete der Ökumenischen Konzilien Bd. 2, 191. 11 K. Barth, KD III/4, 529. 12 M. Walzer, Gibt es den gerechten Krieg?, 16. Anders urteilte G.E.M. Anscombe (The Justice of the Present War Examined, 72 – 81) in Anwendung der Kriterien des gerechten Krieges bei Kriegsausbruch im Jahr 1939. Die Kriterien der recta intentio (»upright intention«), Verhältnismäßigkeit der Mittel (»right means«) und der »propable goods« sieht die katholische Moralphilosophin beim Kriegseintritt Englands nicht erfüllt. 13 M. Walzer, Arguing about War, 10. 14 Im angelsächsischen Sprachraum ist die dreifaltige Typologie von R.H. Bainton (Christian Attitudes toward War and Peace, 15) breit rezipiert worden, die zwischen Pazifismus, ge-

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»Jetzt ist’s genug«

»Nicht nur in polemischen Diskussionen, sondern auch in geschichtlich-kritischer Analyse ist es notwendig, idealtypisch zwei Traditionen zu unterscheiden, die sich in der Wirklichkeit oft überschneiden: die des ›heiligen Krieges‹ und die der Bedingungen des ›gerechten Krieges‹. Die eine verkündet von bestimmten Überlieferungen des Alten Testaments her bis hin zu der berüchtigten Weihnachtspredigt des Kardinals Spellmann in Vietnam 1966 Gott als Initiator und höchsten Feldherrn eines religiösen oder ideologischen Krieges (›Kreuzzug‹); die andere geht davon aus, daß Kriege eigentlich nicht sein sollen, in der irdischen Wirklichkeit aber wenigstens in ihren rechtfertigenden Bedingungen (das ›Recht zur Kriegsführung‹) und angewandten Methoden (das ›Recht im Kriege‹) zu begrenzen sind. Dabei läßt sich eine – leider noch nicht abgeschlossene – geschichtliche Tendenz aufzeigen, rechtsfreie oder rechtlich und machtmäßig ungenügend geregelte Räume, in denen der Krieg als Instrument der Konfliktregelung eingesetzt wird, durch Rechtsordnungen auszufüllen, die den Krieg überflüssig machen.«15

Für welches dieser idealtypischen Paradigmen steht Barths Friedensethik? Für den gerechten oder den heiligen Krieg? Oder vielleicht für eine »Mischform«, die diese Typologie sprengt?16 Oder gilt vielleicht sogar : tertium datur? Zugespitzt formuliert, lautet die Ausgangsfrage dieses Kapitels mithin: Ist Barth ein gerechter oder ein heiliger Krieger – oder weder noch?

1.2.

K. Barths Absage an moderne Kreuzzüge

Ein heiliger Krieger zu sein, lehnt Barth mit allem Nachdruck ab. In einer Serie von »ökumenischen Sendschreiben«17 an Gemeinden in oppositionellen Länrechtem Krieg und Kreuzzug (heiliger Krieg) unterscheidet: »The advocates of the just war theory have taken the position that evil can be restrained by the coercive power of the state. The Church should support the state in this endeavour and individual Christians as citizens should fight under the auspices of the state. The crusade belongs to a theocratic view that the Church, even though it be a minority, should impose its will upon recalcitrant world. Pacifism is thus often associated with withdrawal, the just war with qualified participation, and the crusade with dominance of the Church over the world.« D. Little (»Holy War« Appeals and Western Christianity, 123) würdigt Baintons Typologie: »[T]he outlines of Bainton’s typology, properly revised, are indispensable for understanding the complexity of Christian thinking concerning the use of force. It would appear that the Christian story is a story of shifting combinations of the three attitudes Bainton identifies. While pacifist and holy war or crusading appeals are undoubtedly mutually exclusive, the just war attitude serves to mediate between the two extremes. It affiliates at times with the holy warriors, at times with the pacifists.« 15 P. Engelhardt, Die Lehre vom »gerechten Krieg« in der vorreformatorischen und katholischen Tradition, 72. 16 Verbindungslinien zwischen den Vorstellungen des Alten Testaments, der Patristik und der Kanonistik hat Chr. A. Stumpf (Vom heiligen zum gerechten Krieg, 1 – 30) anhand der Rezeption alttestamentlicher Traditionen bei Augustin und Gratian nachgezeichnet. Vgl. auch H.-G. Stobbe, Religion, Gewalt und Krieg, 108 – 266. 17 T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 67; K. Hoffmann, Die große

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Barths Friedensethik im Spannungsfeld

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dern auf alliierter Seite bringt Barth dies klar zum Ausdruck. Bereits schon vor dem Krieg wies Barth in seinem Wipkinger Vortrag »Die Kirche und die politische Frage von heute« (1938) grundsätzlich darauf hin, dass die Kirche – mit CA 28 gesprochen – »sine vi humana, sed verbo«18 kämpfe, ihr also der Gebrauch exekutiver Gewalt verwehrt sei: »Die Kirche führt nicht das Schwert, sie kann keine Kreuzzüge führen. Die Kirche ist aber in allen ihren Gliedern solidarisch mit dem Staat, der sich als rechter, als noch nicht an die Anarchie oder Tyrannei verlorener Staat gegen die grundsätzliche Auflösung des rechten Staates zur Wehr setzt.«19 Das Novum des ersten Orientkreuzzuges in der Kirchen- und Christentumsgeschichte lag hingegen darin, »dass die ecclesia, die institutionell gestärkte Kirche zu einer Macht wurde, die sich als ganze nach Außen wandte und auch Gewalt anwandte.«20 Das für die Kreuzzugsidee eigentümliche Prinzip, wonach Gewaltanwendung seitens der Kirche bei der Ausbreitung des Glaubens gegenüber Heiden und bei der Verteidigung gegenüber Häretikern legitim ist, trifft bei Barth auf entschiedene Distanzierung. Ja, Barth erteilt der Kreuzzugsidee nachdrücklich eine Absage. So stellt Barth in einem Brief nach Frankreich im Dezember 1939 fest,21 als sich hinter dem Westwall an der Maginot-Linie das französische und das deutsche Heer im sog. »Sitzkrieg« unbeweglich gegenüber standen und abwarteten, klar : Die Kirche »wird also in der Sache Englands und Frankreichs nicht die causa Dei sehen, und sie wird gegen Hitler nicht den Kreuzzug predigen. Der am Kreuz gestorben ist, ist auch für Hitler gestorben und erst recht für alle die verwirrten Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig unter seinen Fahnen stehen.«22 Im selben Brief heißt es weiter : Die Kirchen »sollen den Völkern der demokratischen Staaten wahrhaftig nicht einreden, daß sie so etwas wie Gottesstreiter seien: Sie sollen ihnen aber sagen, daß wir um Gottes willen menschlich sein dürfen und gegen den Einbruch der offenen Unmenschlichkeit mit der Kraft der Verzweiflung uns wehren müssen.«23 Diese Äußerungen tätigte Barth nicht zuletzt auf dem Hintergrund einer damals in römisch-katholischen Kreisen Frankreichs um sich greifenden »Kreuzzugspropaganda«.24

18 19 20 21 22 23 24

ökumenische Wegweisung, 153. In den beiden genannten Arbeiten T. Herwigs (vg. a. a. O., 67 – 106) und K. Hoffmanns (a. a. O., 153 – 159) werden diese Schreiben Barths untersucht. Vgl. auch E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 318 – 332. CA XXVIII (BSLK 124,21). K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 102 f. (Die Kirche und die politische Frage von heute, 1938). J. Schilling, Kreuzzug und Friedensreich, 190. Vgl. zum zeitgeschichtlichen Hintergrund des Briefes E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 22 – 57. K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 217 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939). A.a.O., 217 f. So T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 77.

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Zugleich wird man sich historisch vor Augen halten müssen, dass sich Barth zu einer Zeit gegen den Kreuzzugsgedanken wandte, als der Begriff des Kreuzzuges keineswegs eindeutig negativ konnotiert war, sondern im Gegenteil als geistige bzw. ideologische Grundlage des entschiedenen militärischen Widerstandes gegen den nationalsozialistischen Angriff dienen konnte. So weist der Profanhistoriker N. Jaspert darauf hin, dass der »Negativmythos Kreuzzug«,25 wonach der Begriff »Kreuzzug« als Sinnbild brutaler, menschenverachtender Gewalt, als Symbol der Verbindung von blutrünstigster Grausamkeit und inbrünstigster Christusfrömmigkeit und als Präfigurierung europäischer Arroganz und Expansion steht,26 »erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu breiter Wirksamkeit gelangte. In den Dreißiger- und Vierzigerjahren war dies noch ganz anders. Damals besaß der Kreuzzugsbegriff eine derartig positive Wirkungskraft, dass er in den unterschiedlichsten Parteiungen und politischen Lagern als Schlagwort eingesetzt wurde. Mit ihm wurden nicht nur die mittelalterlichen, sondern auch die modernen Kriegszüge umschrieben. Hier war ein Kreuzzug durchaus im breitesten Sinne positiv konnotiert, nämlich als selbstloser Kampf für höhere Ideale gegen einen bösen, scheinbar übermächtigen Gegner. Der amerikanische Präsident Eisenhower ließ die Alliierten einen ›Crusade in Europe‹ führen, der spanische Diktator Francisco Franco Bahamonde (*1982, †1975) titulierte seinen Aufstand gegen die republikanische Regierung als cruzade und auch Hitler griff indirekt auf dieses Bild zurück, indem er seinem Angriff gegen die Sowjetunion den Codenamen ›Unternehmen Barbarossa‹ gab.«27 25 Der Basler Historiker G. Kreis (Das »Reich des Bösen« als Pendant zum »gerechten Krieg«, 10) macht darauf aufmerksam, dass es auch heute noch »im Englischen beziehungsweise im Amerikanischen das Wort ›crusade‹ auch in der positiven, gleichsam von den ›Kreuzrittern‹ selbst so bezeichneten Variante [gibt], auch für Kampagnen gegen das Rauchen, gegen die Abtreibung, gegen Tierversuche, und dann im ›clash‹ der Zivilisationen und Kulturen auch die ›crusade‹ gegen den Terrorismus und gegen den Islam.« Vgl. E. Qureshi / M.A. Sells (Hg.), The New Crusades. 26 Vgl. N. Jaspert, Die Kreuzzüge, 161, der aus europäischer Perspektive formuliert: »In der Gegenwart sind […] Kreuzzüge und Kreuzfahrer keineswegs etwas, worauf man sich zurückbesinnt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Inzwischen geltend die Kreuzzüge gemeinhin als brutale, ausbeuterische und ungerechte Kriege gegen sowohl kulturell wie allgemein moralisch überlegene Völker.« 27 A.a.O., 162. Vgl. dazu das »Streitgespräch« aus Thomas Manns »Der Zauberberg«: »›Der Krieg […], selbst der Krieg, mein Herr, hat schon dem Fortschritt dienen müssen, wie Sie mir einräumen werden, wenn Sie sich gewisser Ereignisse aus Ihrer Lieblingsepoche, ich meine: wenn Sie sich der Kreuzzüge erinnern! Die Zivilisationskriege haben die Beziehungen der Völker im wirtschaftlichen und handelspolitischen Verkehr aufs glücklichste begünstigt und die abendländische Menschheit im Zeichen einer Idee vereinigt.‹ ›Sie sind sehr duldsam gegen die Idee. Desto höflicher will ich Sie dahin berichtigen, daß die Kreuzzüge nebst der Verkehrsbelebung, die sie zeitigten, nichts weniger als international ausgleichend gewirkt haben, sondern im Gegenteil die Völker lehrten, sich voneinander zu

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Barths Friedensethik im Spannungsfeld

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Je mehr man sich verdeutlicht, dass sich Barth mit seinem negativen Kreuzzugsbegriff gegen dessen positiven Gebrauch in der damaligen Zeit wandte,28 desto absurder erscheint der gegen ihn erhobene Vorwurf, ein heiliger Krieger oder ideologischer Kreuzfahrer zu sein. Sowohl ideen- und theologiegeschichtlich interessant als auch im Blick auf die Gegenwart theologisch wegweisend, scheint mir der Blick auf jene renitenten und resistenten Momente und Komponenten zu sein, die sich gegen eine Vereinnahmung der Barthschen Friedensethik unter den Typus »Kreuzzug« sperren. Knüpft man erneut bei M. Walzers Definition des Kreuzzuges als eines Krieges an, »der aus religiösen oder ideologischen Gründen ausgetragen wird«, so wird man auch den unmittelbar darauf folgenden Satz Walzers nicht überhören dürfen, der ebenfalls Teil seiner Definition ist: »Sein [des Kreuzzuges; M.H.] Ziel ist nicht die Verteidigung oder die Anwendung des Gesetzes, sondern die Errichtung neuer politischer Ordnungen und eine Massenbekehrung«29. Genau im entgegen gesetzten Sinne interpretiert Barth – wie wir noch sehen werden – den Zweiten Weltkrieg. Dessen recta intentio besteht Barth zufolge in der Notwehr und der Verteidigung des jeweils von Hitler angegriffenen Landes und zwar unter entschiedener Anwendung der Grundsätze internationalen Rechts (international law). Aber auch auf der Ebene der religiösen Gehalte der Kreuzzugsbewegung, wonach Kreuzzüge30 – egal, ob man darunter Kreuzzüge im engeren Sinne, d. h. Heerfahrten ins Heilige Land mit Pilgercharakter oder Kreuzzüge im weiteren Sinne, d. h. verschiedene heilige Kriege gegen Heiden, Häretiker und Glaubensfeinde in Europa, versteht – Religions- bzw. Glaubenskriege sind, werden markante Differenzen sichtbar ; und zwar nicht etwa nur im Blick auf die ideelle Führung der Kreuzzüge durch das Papsttum oder die Verbindung mit der traditionellen Wallfahrerfrömmigkeit, der Barth als Protestant ablehnend gegenüber stand. Nein, die Idee und Praxis des Mission- und Heidenkriegs zur Ehre unterscheiden, und die Ausbildung der nationalen Staatsidee kräftig fördern.‹ ›Sehr zutreffend, soweit das Verhältnis der Völker zur Klerisei in Frage kommt. Ja! Damals begann das Gefühl staatlich nationaler Ehre sich gegen hierarchische Anmaßung zu festigen […]‹. ›Und dabei ist das, was Sie hierarchische Anmaßung nennen, nichts als die Idee menschlicher Vereinigung im Zeichen des Geistes!‹ ›Man kennt diesen Geist, und man bedankt sich.‹« T. Mann, Der Zauberberg, 576,29 – 579,17. 28 Barths Beurteilung der Kreuzzüge deckt sich m. E. ganz mit dem Urteil W. Lienemanns (Frieden, 28): »Das abendländische Christentum hat freilich mit den Kreuzzügen, welche große Teile der damals erreichbaren bewohnten Welt erfassten, der Tradition ›heiliger Kriege‹ eine neue Gestalt hinzugefügt und ausdrücklich theologisch und kirchenrechtlich legitimiert, dadurch das Bild Christi in der Welt bis heute überschattend.« 29 M. Walzer, Gibt es den gerechten Krieg?, 173. In der englischsprachigen Originalausgabe heißt es: »A crusade is a war fought for religious or ideological purposes. It aims not at defense or law enforcement, but at the creation of new political orders and at mass conversions.« Ders., Just and Unjust Wars, 113 f. 30 Vgl. W.-D. Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte Bd. 1, 519, der besagte Unterscheidung trifft.

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Gottes, die für den geistlichen Militarismus der sog. gregorianischen Reform kennzeichnend war und dann in der Kreuzzugsbewegung Umsetzung fand, lehnt Barth entschieden ist. Während etwa die sog. Reformpäpste die Reconquista in Spanien als heiligen Krieg oder Papst Gregor VII. seine kirchenpolitische Auseinandersetzung mit Kaiser Heinrich IV. als heiligen Krieg betrachtete, in dem Christus gegen den Satan kämpfe, stellt Barth theologisch besonnen klar, »daß es nicht etwa unsere Sache sein kann, die Schlacht Gottes gegen seine Feinde zu schlagen. Weil diese Schlacht am Kreuz von Golgatha schon geschlagen und gewonnen ist. Und weiter : daß wir dabei nicht das Reich Gottes zu verteidigen oder auszubreiten haben, weil dieses ohne unser politisches oder sonstiges Zutun in Jesus Christus von selber kommen wird, wenn seine Stunde da ist. Wir werden also in diesem Krieg weder einen Kreuzzug noch einen Religionskrieg sehen.«31 Zu beachten ist im Blick auf Barths entschiedene Absage an den Kreuzzugsgedanken auch das mit dem Kreuzzugsgedanken einhergehende Motiv der Bestrafung von Übeltätern im Namen Gottes. Demgegenüber stellt Barth unmissverständlich klar, dass Hitler zwar Halt geboten werden müsse, es aber nicht darum gehe, »sie [die Deutschen; M.H.] zu richten und zu strafen.«32 Sodann sei festgehalten: Während die Kreuzzüge in nicht unerheblichem Maße von überhitzten apokalyptischen Gedanken und Erwartungen getragen wurden, für die u. a. der Name des fanatischen Predigers und charismatischen Eremiten Peter von Amiens (ca. 1050 – 1113) steht, annonciert Barth nüchtern: »[D]er heutige Tag [ist] noch nicht der jüngste Tag […]. Diese Unterscheidung muß uns nämlich bewahren vor der Überheblichkeit und Einbildung, die in diesem Krieg so etwas wie einen heiligen Krieg, wie einen Kreuzzug sehen möchte, in welchem die Heere des Lichtes die Sache Gottes zum Siege zu führen hätten.«33 Unerwähnt darf indes auch die Kombination von Antijudaismus und Kreuzzugsmentalität nicht bleiben, die v. a. im Rheinland im Jahr 1096 ungeachtet allen Rechtsschutzes zu systematischen Pogromen gegen die als »Feinde Christi« ausgemachten jüdischen Gemeinden führte. Im Lichte dieser Kombination und der Hitlerschen Analogisierungen mit der Kreuzzugsbewegung (»Unternehmen Barbarossa«) hätte es durchaus nahe gelegen, den Kampf der Alliierten zu einer Art Gegenkreuzzug zu stilisieren, was Barth allerdings bewusst nicht tat. In seinem bereits erwähnten Brief an einen amerikanischen Kirchenmann schärft Barth der amerikanischen Christenheit ein: Man soll »sich um Gottes Willen nicht einreden, heute in einem Kreuzzug der Guten gegen die 31 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 295 f. (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 32 Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 31. 33 A.a.O., 26.

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Barths Friedensethik im Spannungsfeld

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Bösen, der weißen gegen die schwarzen Schafe begriffen zu sein.«34 Und in seinem Bericht »Die protestantischen Kirchen in Europa – ihre Gegenwart und ihre Zukunft«, den Barth im September 1942 für die amerikanische Zeitschrift »Foreign Affairs« schrieb, spricht sich Barth gegen die »naive Verwechselung zwischen der Sache Gottes und der eigenen Sache, zwischen der Hoffnung auf Gott und der Hoffnung auf die Engländer, zwischen einem heiligen Prophetenzorn und der begreiflichen, aber weniger heiligen Wut der Unterdrückten und Verratenen«35 aus. Der sog. »späte Barth« kann im »Christlichen Leben« (Fragmente zu KD IV/4) hinsichtlich solcher Versuche, die Sache Gottes zur eigenen Sache zu machen, geradezu von der »Entheiligung des Namens Gottes« und vom »Versuch der Nostrifikation Gottes«36 sprechen und verweist in diesem Zusammenhang explizit auf das Motto der Kreuzzugsbewegung: »Gott will es!«37 Barth stellt hier unmissverständlich fest: »[W]o die Christen sich in Parteien zu streitbarer Auseinandersetzung mit anderen Parteien zusammentaten, wo sie sich gar zu Kreuzzügen (militärischen oder geistig-moralischen Charakters) gegen irgendwelche Andere aufmachten, da konnte das, von ihrem Auftrag her gesehen, immer nur per nefas geschehen: sie waren dann ihrerseits schlicht im Irrtum und in der Abweichung begriffen.«38 Wenn Barth selbst sich – wie eingangs zitiert – auf den Namen Jesu Christi für ein eindeutiges Gegenübertreten der Alliierten gegenüber dem Aggressor Hitler beruft, so wird man den Vorwurf der Nostrifikation als kritische Anfrage auch gegen Barth selbst richten können und dürfen. Man sollte sich allerdings darüber klar werden – und dies relativiert dann m. E. die Berechtigung dieses Vorwurfs –, in welchem Kontext Barth solche Aussagen trifft. Barth wendet sich in entsprechendem Passus in seinem Brief an die Christen in Großbritannien gegen die s.E. dort angesiedelten Versuche, Hitler auf dem Feld des Naturrechts zu widerlegen. Barth bemüht in diesem Zusammenhang explizit die 1. Barmer These, um den Christen in Großbritannien zu verdeutlichen, dass die Erkenntnis des ihnen gebotenen Tuns nicht remoto Christo erfolgen kann.39 Im Lichte der Heiligung der Welt durch den Auferstandenen gelte es auch und gerade den entschiedenen militärischen Widerstand gegen den nationalsozialistischen Angriff als Widerstand gegen einen bereits besiegten Ungeist, einen »Kobold34 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 375 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). 35 Ders., Eine Schweizer Stimme, 263 (Die protestantischen Kirchen in Europa, September 1942). 36 Ders., Das christliche Leben, 214. 37 A.a.O., 215. 38 A.a.O., 356. 39 Vgl. ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 292 ff. (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941).

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geist« zu interpretieren.40 Nur im Lichte des Sieges des nun im Regimente sitzenden Christus werde Hitler als Gegner in seinem wahren Wesen identifizierbar. Hitler im Namen Jesu Christi entgegen zu treten, ist Barth zufolge so zu verstehen, dass Jesus Christus als das »eine Wort Gottes« bzw. als das Gebot Gottes die Erkenntnis der wahren Wirklichkeit schenkt, die notwendigerweise in den gewaltbewehrten Widerstand gegen Hitler hineinmündet. Insofern dieser Widerstand das vom lebendigen Christus gebotene Tun ist, kann Barth von einem Handeln in Namen Jesu Christi bzw. einen Kampf in seinem Dienst und zu seinen Ehren sprechen. Die kreuzzugsverdächtigen Formulierungen Barths sind mit anderen Worten seiner gebotsethischen Konzeption geschuldet. Sie bildet den konzeptionellen Rahmen innerhalb dessen Barth jene Kriterien entfalten kann, die sich bei näherem Hinsehen als nahezu deckungsgleich mit jenen Kriterien erweisen, die auch in der klassischen Lehre vom bellum iustum eine Rolle gespielt haben. Besagte Kriterien stehen gleichsam in Diensten der Gebotsethik und stellen heuristische Instrumentarien dar, die bei der Identifikation des Willens und Gebotes Gottes behilflich sind, ohne dieses jedoch total vereinnahmen, sprich: »nostrifizieren« zu können, aber auch ohne jene Klarheit zu beseitigen, die für entschiedenes Tun nötig ist.

2.

Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei K. Barth auf dem Hintergrund seines Naturrechtsverständnisses

2.1.

Inwiefern »gerecht«? K. Barths Gebrauch des Begriffs »gerechter Krieg«

Indem Barth die Kriterien des gerechten Krieges entfaltet, führt er vor Augen, dass der Zweite Weltkrieg kein Kreuzzug nicht nur nicht sein muss, sondern auch nicht sein darf, um ein »gerechter Krieg« zu sein. Indes wird – nota bene – betont von den Kriterien und nicht etwa der Lehre des gerechten Krieges gesprochen. Hier mag man unterscheiden: Spricht man vom »gerechten Krieg« im Sinne einer sich fortentwickelnden Tradition, die schließlich in das Paradigma des »gerechten Friedens« hineinmündete,41 dann kann man Barth in dieser Tradition verorten. Man wird hingegen diese Zuordnung nicht treffen können, wenn man vom »gerechten Krieges« als »Lehre« oder »Theorie« im Sinn einer fixen Ausprägung des Begründungszusammenhangs solcher Rede spricht, die in der Regel ihrer antiken bzw. mittelalterlichen Entstehungszeit zugeordnet wird, in welcher sich ein breiter Konsens bezüglich eines Kanons von mehr oder weniger 40 Vgl. M. Weinrich, Christus als Zeitgenosse, 185 f.; ders., Kirche glauben, 115 f. 41 Vgl. dazu ausführlich Kap. II.5. der vorliegenden Untersuchung.

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Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei Barth

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genau festgelegten Kriterien herauskristallisierte.42 Dieser Kanon gilt gleichermaßen als Herzstück der Lehre oder Theorie des gerechten Krieges. Mit dieser Distinktion soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Barth nicht einfach die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg übernimmt, wie sie etwa im Mittelalter in naturrechtlicher Tradition entfaltet und wie sie in der Neuzeit dann in Gefolge ihres Funktionswandels unter stärker säkularen Prämissen weiterentwickelt wurde. Barth rezipiert die Kriterien des gerechten Krieges, adaptiert aber nicht einfach den überkommenen Referenzrahmen, in den die Lehre vom gerechten Krieg traditionell eingebettet war. Dies betrifft zum einen den rechtlichen und zum anderen den damit verwobenen philosophisch/theologischen Rahmen der Lehre, etwa in Gestalt des klassischen Naturrechts im Mittelalter oder des rationalen Naturrechts in der Neuzeit. Wie bereits im letzten Kapitel deutlich wurde,43 argumentiert Barth in modernen völkerrechtlichen Zusammenhängen, übernimmt also keineswegs die souveränitätsrechtliche Vorstellung vom liberum ius ad bellum aus dem klassischen Völkerrecht. Und er setzt auch nicht die abendländische Rechtsgemeinschaft des Mittelalters voraus.44 Zwar treten bei ihm nach dem Zweiten Weltkrieg die transnationalen Instanzen der Rechtsdurchsetzung entsprechend der völkerrechtlichen Entwicklung der damaligen Zeit etwas zögerlich in den Blick, jedoch hat er die Entwicklung des modernen Völkerrechts und die Gründung der UN als Institution einer multilateralen Friedensordnung ausdrücklich und nachträglich begrüßt. Außerdem argumentierte Barths bereits im Zweiten Weltkrieg vertragstheoretisch gegen einen autonomen Gebrauch eines vermeintlichen liberum ius ad bellum seitens souveräner Staaten. In all dem wird deutlich, dass Barth den Funktionswandel45 der Lehre vom gerechten Krieg mit42 Ähnlich R. Hütter, Be Honest in Just War Thinking!, 69. Die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Kriteriologie des gerechten Krieges unter Rekurs auf tieferliegende »christliche« Werte und Tugenden hat in der US-amerikanischen Diskussion M. Douglas (Changing the Rules, 529 – 545) betont. Vgl. auch die Vorschläge von M. Haspel, Friedensethik als Humanitäre Intervention, 92 – 145. 43 Vgl. Abschnitt II.2.3.2.2. der vorliegenden Untersuchung. 44 Vgl. zur abendländischen Rechtsgemeinschaft im Mittelalter und zum »klassischen« Völkerrecht S. Hobe / O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 30 – 44. 45 Dieser Funktionswandel lässt sich mit H.-R. Reuter (Die Militärintervention gegen den Irak, 5) als Wechsel vom diskriminierenden zum nichtdiskriminierenden Kriegsbegriff bzw. vom Konzept eines gerechten zum rechtmäßigen Krieges (Verrechtlichung des Krieges) beschreiben: »Der Feind ist nicht in jedem Fall ungerecht und strafwürdig; es muss mit der Möglichkeit eines ›gerechten Feindes‹ gerechnet werden. Die Krieggegner stehen nun auf gleicher Stufe; es ist prinzipiell ein gerechter Krieg von beiden Seiten, ein ›bellum iustum ex utraque parte‹ denkbar. Das Kriterium der causa iusta verliert an Eindeutigkeit: Ob ein rechtfertigungsfähiger Krieg vorliegt, entscheidet sich vor allem daran, ob er von einer rechtmäßigen Autorität erklärt und nach rechtlichen Regeln geführt wird. Die neuzeitliche Entwicklung ist dann zunehmend dadurch charakterisiert, dass das Völkerrecht genauer als ius inter gentes, als zwischenstaatliches Recht aufgefasst wurde, das auf der gleichen Sou-

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und nachvollzogen hat und weder auf einer mittelalterlichen noch (früh-)neuzeitlichen Stufe der Theorieentwicklung stehen geblieben ist. Damit ist bereits die eigentliche These dieses Kapitels formuliert worden. Ihr zufolge rekurriert Barth in spezifischer Weise in seinen friedensethischen Ausführungen auf die Denkfigur des »gerechten Krieges« und greift dabei die Kriterien aus der bellum-iustum-Tradition auf und zwar ohne Angaben zur Herleitung und Begründung derselben. Diese These von Barths faktischer Rezeption der bellum-iustum-Kriterien ist freilich weder (1.) neu, noch (2.) originell, noch (3.) unumstritten. Insbesondere der umstrittene Charakter der These verweist auf die Notwendigkeit einer Evaluation. Den drei genannten Gesichtspunkten (Neuartigkeit, Originalität und Strittigkeit) möchte ich im Folgenden kurz nachgehen: 1. Als neu kann diese These im Blick auf die Barthforschung schon deshalb nicht bezeichnet werden, weil z. B. B. Klappert bereits zu Beginn der 1980er Jahre darauf hingewiesen hat, dass Barth »in KD III/4 zu der sorgfältigen Bestimmung dessen [kommt], was Luther das ›iustum bellum‹ (den ›gerechten Krieg‹; nicht die Rechtfertigung des Krieges) nannte und was Barth nun genauer als äußersten Grenzfall berechtigter, weil von außen aufgezwungener Notwehr kennzeichnet«46. Noch vor Klappert stellte J.H. Yoder fest: »If we […] look at the path taken by Barth, we observe that when he found clear and coherent things to say to the political world, it was always by a logical elaboration based upon the concept of the ›just war,‹ without using the term.«47 Yoders Behauptung, dass Barth den Terminus »gerechter Krieg« nicht gebrauche, ist freilich nicht zutreffend, wie noch (unter 2.) nachzuweisen sein wird. Yoder rubriziert Barth jedenfalls in seiner viel beachteten Typologie der Pazifismusvarianten unter dem Typus veränität aller Staaten beruht. Auf dieser Linie hat zuerst Ayala den Begriff des Gerechten in der Lehre vom bellum iustum im Sinn bloßer Legalität, Rechtmäßigkeit verstanden und von ethischen Rechtfertigungsgründen gelöst. Die Kehrseite dieser Entwicklung war freilich, dass nun jeder souveräne Staat in gleicher Weise über ein freies Kriegsführungsrecht verfügte.« Vgl. auch W. Lienemann, Gibt es gerechte Kriege?, 74 f.; M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 16 f.; W. Huber / H.-R Reuter, Friedensethik, 80 ff. 46 B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 256. Auch W. Lienemann (Karl Barth 1886 – 1968, 52) beobachtet, dass Barth von »der äußersten Möglichkeit [spricht], dass es sogar einen ›gerechten Krieg‹ geben könne«. T. Herwig (Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 66) weist darauf hin, dass Barths gegenüber W.A. Visser’t Hooft erhobenem Postulat nach einem kirchlichen Aufruf an das deutsche Volk eine »Theorie des gerechten Krieges« zugrunde liegt. 47 J.H. Yoder, The Pacifism of Karl Barth, 14. Vgl. a. a. O., 19: »Many of the traditional reasons for approving a war he [Barth; M.H.] rejects, but some remain which are valid. When a just state defends, by defending its own existence, the values which are dependent thereon, values which have been entrusted to it by God; when this defense is undertaken in a disinterested way, so disinterested as to be carried on regardless of the chances of success; when before having recourse to arms every other means of keeping the peace will have been exhausted in vain, then and then alone a war can be justified, and it will then be just, ordained by God.«

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»pacifism of the honest study of cases« und identifiziert Barths friedensethische Argumentation folgerichtig als »justification for a kind of conscientious refusal of war based on the just-war-criteria.«48 2. Als unumstritten kann besagte These ebenso wenig charakterisiert werden und zwar aus mehreren Gründen: a) Zum einen, weil die Distinktion zwischen gerechtem Krieg und Kreuzzug, auf deren Hintergrund die Zuordnung Barths zum Typus des gerechten Krieges basiert, historisch keineswegs so eindeutig ist, wie die Idealtypik suggeriert.49 Nach dem verbreiteten christlichen Selbstverständnis der damaligen Zeit war etwa der päpstlich autorisierte »Kreuzzug, da gab es keinen Zweifel, […] ein bellum iustum, ja, iustissimum; das ius, die ditio christianorum stand gegen die tyrannis, die oppressio und die persecutio der Sarazenen. Und so handelte es sich bei dem Zug um einen Akt der Befreiung der Christen und der heiligen Stätten aus der Herrschaft von Barbaren, kurz, um die Wiederherstellung der libertas ecclesiae.«50 So hält etwa das »Liber Pontificalis«, das »offizielle Gedächtnis« der katholischen Kirche, fest, dass Papst Urban II. mit der Kreuzzugsunternehmung die Verteidigung des christlichen Glaubens und die Befreiung des Grabes des Herrn aus den Händen der Feinde intendiert habe.51 Im Lichte dieser überraschenden Übereinstimmung wird man sich, wenn die Idealtypik einen Sinn machen soll, dem Postulat M. Walzers anschließen müssen: »Es ist […] notwendig, die Grenze zwischen gerechten Kriegen und Kreuzzügen so genau wie möglich zu ziehen,«52 auch wenn dies historisch bisweilen äußerst schwer fallen dürfte. Das Epitheton »gerecht« muss jedenfalls innerhalb des Syntagmas bellum iustum ernst genommen werden. Es geht mit anderen Worten um die Profilie-

48 Ders., Nevertheless, 25. Vgl. ders., Karl Barth and the Problem of War, 54. 49 So auch H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 3: Die naturrechtliche Kriegslehre des Mittelalters konnte »eine Zeit lang wie selbstverständlich auch in den Dienst des Schutzes des wahren Glaubens, der wahren Religion, Corpus Christianum treten. Insofern kennt das gesamte Mittelalter keine klare, grundsätzliche Unterscheidung zwischen ›heiligem Krieg‹ (aus religiösen Gründen) und ›gerechtem Krieg‹ (aus politisch-ethischen Gründen). Thomas von Aquin hat die Lehre vom gerechten Krieg ausdrücklich für die Kreuzzüge gegen die ›Ungläubigen‹ geöffnet.« Vgl. dazu: G. Beestermöller, Thomas von Aquin und der gerechte Krieg, 167 – 199. 50 J. Schilling, Kreuzzug und Friedensreich, 189. 51 Vgl. Le Liber Pontificalis, 293,5: »[…] pro defensione christianae fidei pergere et Domini sepulchrum e manibus inimicorum liberare«. 52 M. Walzer, Gibt es den gerechten Krieg?, 173 f. An dieser Distinktion ist auch J.H. Yoder (Just War Tradition: Is It Credible?, 298) gelegen: »›[H]oly‹ war or the Crusades differs from the just war (properly so-called) as to cause, last resort, and probable success, and usually with regard to the human dignity of the enemy/infidel. Against this view, the just war tradition maintains that even wrong belief does not deprive humans of their rights, and even a religious rationale does not justify wrong means.«

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rung der Leitdifferenz zwischen »gerecht« und »ungerecht«, die Implikat der Lehre vom gerechten Krieg ist. b) Zum anderen kann man bei Barth eine Infragestellung der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg ausmachen. So bringt Barth mit der Feststellung, »daß das rigorose Nein der pazifistischen Ethik fast unendlich viel für sich hat, fast überwältigend stark ist«53, zugleich »die Notwendigkeit größten Misstrauens gegenüber einer Theorie vom gerechten Krieg«54 zum Ausdruck. Barth weiß darum, dass die christliche Ethik bzw. Kirche, wenn sie sich auf diese Lehre berief, sie meist zu legitimatorischen Zwecken missbrauchte.55 Diesbezüglich gilt freilich, mit W. Huber gesprochen: »[D]ie Tatsache, dass eine Lehre missbraucht werden kann, [schließt] nicht aus, dass sie gut, richtig und sinnvoll gebraucht werden kann: Abusus non tollit usum.«56 Barth sieht indes den Gebrauch der Lehre vom gerechten Krieg der permanenten Gefahr einer Sanktionierung der eigenen Aggressionen und Expansionsbestrebungen ausgesetzt, so dass dann Krieg »immer der heilige, der gerechte, der notwendige Krieg«57 ist. Barth steht also der Lehre vom gerechten Krieg im Lichte der (theologie-)geschichtlichen Erfahrung, dass man ihr keine kritische Funktion zubilligte, äußerst reserviert gegenüber.58 Abgesehen von diesem Erfahrungsurteil will auch die gebotsethisch motivierte und hinsichtlich des Suizids ausgesprochene Warnung Barths bedacht sein, solche Situationen, in denen sich die Frage nach dem Gegebensein des Grenzfalls aufdrängt, »gewissermaßen zu klassifizieren und dann so etwas wie Rechtssätze aufstellen zu wollen: in dieser und dieser Art von Situation sei dieser Grenzfall tatsächlich gegeben«59. Weil Barth diese Gefahr im Blick auf die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg sieht, hat er gewissermaßen in seiner Modifikation derselben einen gebotsethischen Vorbehalt implementiert: Gottes Gebot lässt sich nicht vollständig dadurch einebnen, dass man es der ratio des 53 K. Barth, KD III/4, 520. 54 E. Busch, Verantwortung für den Frieden, 71. 55 Ganz im Sinne K. Barths konstatiert H. Bedford-Strohm (Gottes Versöhnung und militärische Gewalt, 212): »Für die Lehre vom gerechten Krieg gilt in besonderer Weise, was für religiös-ethische Positionen ganz allgemein gilt: Sie sind immer in der Gefahr, als ethischer Deckmantel für ganz andere politische Motive benutzt zu werden und diese damit zu legitimieren.« Vgl. auch W. Lienemann, Frieden, 204. 56 W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 116. Selbst ein Pazifist wie J.H. Yoder (Just War Tradition: Is It Credible?, 298) kann die Lehre vom gerechten Krieg würdigen: »What the just war tradition is really good for is that together with pacifism it can identify and denounce the less restrained views which in fact dominate public discourse and decision-making.« Zur Frage einer pazifistischen Würdigung der Lehre vom gerechten Krieg vgl. S. Hauerwas, Dispatches from the Front, 116 – 135. 57 K. Barth, KD III/4, 501. 58 Vgl. dazu ausführlicher den Abschnitt II.3.3. dieses Kapitels. 59 K. Barth, KD III/4, 469.

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Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei Barth

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gerechten Krieges unterwirft. Das Gebot Gottes fällt nicht mit den Kriterien des gerechten Krieges zusammen, auch wenn besagte Kriterien gemäß der Barthschen Rede vom »gerechten Krieg« ein heuristisches Instrumentarium ist, nach dem Willen bzw. Gebot Gottes zu fragen. Die Barthsche Modifikation bringt genau das, was sie in Bezug auf den Suizid aussagt, hinsichtlich der Kriterien des gerechten Krieges zur Sprache: »Können wir es Gott nicht verwehren, in bestimmter Situation einem Menschen tatsächlich die Freiheit, die Erlaubnis und den Befehl zur Selbsttötung zu geben, die dann als solche kein Selbstmord sein wird, so steht es uns doch auch nicht zu, darüber zu disponieren, in welcher Art von Situation es dies auf alle Fälle tun, in welcher Klasse von Umständen Selbsttötung also nicht Selbstmord, sondern ein Akt des Gehorsams, mit dem Gebot der Ehrfurcht vor dem Leben in Übereinstimmung sein wird.«60 3. Als originell kann besagte These von der sachgemäßen Zuordnung von Barths Friedenethik und der Kriterien des gerechten Krieges auch nicht bezeichnet werden, da Barth selbst den Terminus »gerechter Krieg« mehrfach gebraucht. Barth übernimmt die Kriterien, die aus der bellum-iustum-Tradition bekannt sind, und grenzt sich insofern keineswegs von ihrer Semantik ab, als er explizit von einem »gerechten Krieg« sprechen kann. Im Abschnitt zu Frieden und Krieg in der Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) spricht Barth etwa davon, dass die Möglichkeit einzuräumen ist, dass ein Krieg »ein ›gerechter Krieg‹ sein kann«61. Wenn Barth von »gerechten Kriegen« redet, dann geht es ihm allerdings nicht darum, kriegerische Handlungen im Referenzrahmen einer objektiven Wertordnung als »sittlich gut« zu prädizieren, sondern solche Fälle, in denen er die Anwendung militärischer Gewalt gerechtfertigt sieht, zu markieren. Solche Fälle sieht Barth dann gegeben, wenn eine solche Anwendung dem Gebot Gottes entspricht und insofern als »gerecht« bezeichnet werden kann. »Gerecht« mein demzufolge schlicht: dem Gebot Gottes entsprechend. Die gebotsethische Konzeption bildet insofern den Hintergrund, auf dem die Verbindung der beiden Begriffe »gerecht« und »Krieg« bei Barth transparent wird. Barth gebraucht den Begriff »gerechter Krieg« – mit anderen Worten – synonym mit dem des Grenzfalles, der die äußerste Möglichkeit – gleichwohl aber grundsätzlich mögliche Möglichkeit – eines im Gehorsam gegenüber Gottes Gebot und im Glauben an ihn vollzogenen staatlichen Handelns repräsentiert: »Man wird die Frage des ›gerechten Krieges‹ wie von der Gehorsamsfrage so auch von der Glaubensfrage nicht trennen können; und beide beantworten sich gegenseitig: wo man ihn im Gehorsam (und also mit gutem Gewissen) wagt, da wird man ihn auch im Glauben (und also mit freudiger, rücksichtsloser Entschlossenheit) wagen. Und wo man den zu ihm nötigen Glauben wirklich auf60 Ebd. 61 A.a.O., 529.

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»Jetzt ist’s genug«

bringt, da wird das nicht in irgendeiner Begeisterung, sondern nüchtern darin seinen Grund haben, daß man ihn […] im Gehorsam führen muß und einem faulen Frieden zuliebe nicht unterlassen darf.«62 Genau genommen repräsentiert der Grenzfall das genus proximum, unter dem nun auch unter genau zu bestimmenden Umständen der »gerechte Krieg« subsumiert werden kann. Eine hilfreiche, wenngleich nicht unbedingt notwendige oder gar hinreichende Bestimmung dieser Umstände liefern die klassischen Kriterien der bellum-iustum-Tradition. An ihnen kann und wird sich dasjenige Handeln orientieren, das sich im Gehorsam gegenüber Gottes Gebot und im Glauben an ihn vollzieht: »Aber eben so darf und soll die Botschaft der Kirche dann sein: der Aufruf zu dem Kriegswillen, der allein als Akt des Gehorsams gerecht, als solcher nun aber auch wirklich gerecht und allein als Akt des Glaubens kräftig, als solcher nun aber auch wirklich kräftig sein wird.«63 Hinsichtlich dieser Aussage drängt sich indes die Frage auf: Darf das Epitheton »gerecht« in Bezug auf einen Krieg legitimer Weise nur von solchen Menschen in Anspruch genommen werden, die aus Gehorsam und Glauben heraus handeln? Die Dialektik der Bonhoefferschen Doppelthese, wonach nur der Glaubende gehorsam ist und nur der Gehorsame glaubt,64 wäre demzufolge dahingehend zu prolongieren, dass nur der zugleich Glaubende und Gehorsame auch gerechte Kriege führen kann. Von daher würden dann auch die wiederholten Aufrufe zum Glauben und Gehorsam in Barths ökumenischen Sendschreiben an christliche Gemeinden in aller Welt plausibel. Fernerhin könnte man Barths Pointierung ekklesio-ethisch zuspitzen: Wenn und insofern die Gehorsamen und Glaubenden im Raum der Kirche handeln, ist Barths Auffassung vom »gerechten Krieg« ein integraler Bestandteil einer genuin kirchlichen Ethik, die eben nach dem menschlichen Handeln im Raum von Kirche fragt. So unabweislich diese Konsequenzen zu sein scheinen, so wenig dürfen sie den Blick dafür versperren, dass es Barth zufolge auch eine legitime, gebotskonforme Anwendung der Kriterien des gerechten Krieges in der Profanität, also extra muros ecclesiae, gibt. Dass Barth dies konzediert, hängt – wie noch zu zeigen sein wird – eng mit seinem Naturrechtsbegriff zusammen, was insofern nicht verwundert, als dass das Konzept des gerechten Krieges seiner Genese nach aus dem Naturrechtsdenken stammt.

62 A.a.O., 530. 63 A.a.O., 531. 64 Vgl. D. Bonhoeffer, Nachfolge, 52.

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Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei Barth

2.2.

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Konsonanz oder Dissonanz? K. Barth und das Naturrecht

Im kollektiven Gedächtnis figuriert K. Barth im Blick auf die Geschichte der protestantischen Ethik nicht zuletzt als der große Gegner des Naturrechts, der dasselbe offenbarungstheologisch in Frage gestellt hat.65 Er wird oftmals für »the displacement of natural law in contemporary Protestant theology«66 verantwortlich gemacht. Sein lebenslanger Kampf gegen jede Form natürlicher Theologie habe ihn zugleich in die Fundamentalopposition zum Naturrecht gestellt. Von dieser Haltung sei auch die Lehre vom gerechten Krieg elementar betroffen, insofern sie aus dem Naturrecht stamme. So bemerkt etwa J.H. Yoder : »The classical just war theory was deeply rooted in the assumptions and the logic of natural theology.«67 Yoder wendet sich gegen die vermeintliche Inkonsistenz der Barthschen Rezeption der Kriterien des gerechten Krieges. Barth kritisiere einerseits die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg »in the name of the Christological concentration«68, »because it presupposes an illegitimate metaphysic, and because it qualifies as ›just‹ a human undertaking completely characteristic of the fallen world.«69 Andererseits bediene er sich deren Kriteriologie, ohne dabei sein eigenes »slipping into the domain of natural theology«70 zu bemerken. Indem Barth die Lehre vom gerechten Krieg affirmativ rezipiere, mache er theologisch illegitime Konzessionen an den »common sense« und die »natürliche Offenbarung«.71 Christologische Konzentration und die Lehre vom gerechten Krieg seien hingegen nicht homogenisierbar, insofern christologische Konzentration und Naturrecht nicht homogenisierbar seien. Sie verhielten sich nicht reziprok, sondern kontradiktorisch zueinander. Harte Kritik an der theologisch vorbehaltlosen Rezeption des Naturrechtsdenkens, die Yoders Einwand mangelnder Konsistenz zu unterstreichen scheint, übt Barth im Kontext des Kirchenkampfes. Diese Kritik wirkt nach etwa in Barths Brief an die Christinnen und Christen in Großbritannien (Ostern 1941), in welchem er Christus und das Naturrecht kontrastiert: »Man kommt dem Koboldsgeist des neuen Deutschlands [gemeint ist Hitler; M.H.] damit nicht bei, daß man ihn auf dem Felde des Naturrechts zu widerlegen versucht, daß man seiner bösen eine freundliche, seiner dionysischen eine apollinische Anthropologie und Soziologie gegenüberstellt. […] Alle naturrechtlichen Argumente 65 Vgl. P. Bubmann, Naturrecht und christliche Ethik, 271 – 274; F. Lohmann, Zwischen Naturrecht und Partikularismus, 74 – 80. 66 So S.J. Grabill, Rediscovering the Natural Law in Reformed Theological Ethics, 21 – 53. 67 J.H. Yoder, Karl Barth and the Problem of War, 70. 68 Ders., The Pacifism of Karl Barth, 10. 69 A.a.O., 27. 70 Ebd. Vgl. ders., Karl Barth and the Problem of War, 89. 71 Vgl. a. a. O., 71.

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haben nun einmal einen Januskopf. Sie führen nicht ans Licht und zu klaren Entscheidungen, sondern in einen Nebel, in welchem zuletzt alle Katzen grau sind. Sie führen nach – München. Es liegt so viel daran, dass man Hitler gegenüber einen unzweideutigen Ausgangspunkt hat, von dem her man auf keinen Fall noch einmal nach München kommen wird. […] Es geht […] um die Frage: Jesus Christus oder Naturrecht?«72

Man wird diese schroffe Alternative, die Barth unter expliziter Berufung auf Barmen I benennt, nur recht verstehen, wenn man sich über den Gegner klar wird, gegen den sich diese Disjunktion richtet. Sie ist nicht primär gegen das Naturrecht als solches gerichtet, sondern vor allem dessen Ingebrauchnahme als theologische Erkenntnisquelle, die der Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus konkurriert, ja ihr übergeordnet wird. Dort, wo das Naturrechtsdenken in den Referenzrahmen einer natürlichen Theologie eingebettet und ipso facto epistemisch aufgeladen wird, muss eine Zuspitzung auf die Alternative Christus oder Naturrecht erfolgen. Barth wendet sich – wie er in dem bereits mehrfach erwähnten Brief klarstellt – dagegen, dass »das Naturrecht offen oder heimlich die den Menschen bestimmende Offenbarung ist«73. Das Naturrecht dürfe nicht zu einer Gottesoffenbarung stilisiert werden. Dies geschehe genau dann, wenn die Offenbarung nach Maßgabe des Naturrechts gedeutet und nicht das Naturrecht nach Maßgabe der Offenbarung interpretiert werde. Exakt dieses pervertierte Verfahren bezeichnet Barth als »natürliche Theologie«.74 In Barths Schrifttum – und zwar nicht nur in seiner Frühphase75 – manifestiert sich aber, wie J.H. Yoder übersieht, nicht nur ein negativer, sondern auch ein positiver Gebrauch des Naturrechtsbegriffs. Verwiesen sei auf Barths Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946).76 Hier ist im Blick auf Barths Naturrechtsinterpretation zu beobachten, dass er – entgegen dem weit verbreiteten Urteil – das Naturrecht77 nicht einfach a limine und in toto ablehnt, 72 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 292 ff. (Brief nach Großbritannien, Ostern 1941). 73 A.a.O., 298. 74 Vgl. ders., Das erste Gebot als theologisches Axiom, 136.139.143. Vgl. dazu auch: E. Busch, Die große Leidenschaft, 39. 75 Gegen F. Lohmann, Zwischen Naturrecht und Partikularismus, 75, der lediglich von einer Ablehnung des Naturrechtsgedankens beim späten bzw. späteren Barth spricht: »In der ›Kirchlichen Dogmatik‹ hat Barth die positiven Reminiszenzen an den Naturrechtsgedanken, die sich in seinem ersten ethischen Gesamtentwurf noch finden, getilgt und seine Gründe für die Ablehnung deutlicher ausgesprochen«. 76 Zum zeit- und geistesgeschichtlichen Hintergrund der Nachkriegsjahre, in denen Barths Programmschrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« entstand, bemerkt Chr. Frey (Die Theologie Karl Barths, 180): »Der Nationalsozialismus hatte einen Rechtspositivismus hochgehalten: Recht ist, was dem Volke nützt. Nach dem Krieg pendelte sich die Begründung des Rechts auf ein Naturrechtsdenken ein: Was Recht ist, muß an überpositiven Maßstäben gemessen werden.« 77 K. Barth (Christengemeinde und Bürgergemeinde, 61) bringt das Naturrecht in Verbin-

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Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei Barth

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sondern es als Argumentationsweise der Bürgergemeinde explizit anerkennt und zwar anerkennt in dem Sinne, dass er es als unausweichliche und notwendige, wenn auch theologisch defizitäre und unbefriedigende Suchbewegung »geistlich Blinder« interpretiert: »[D]ie Bürgergemeinde als solche – die von ihrem Zentrum her noch nicht oder nicht mehr erleuchtete Bürgergemeinde – hat zweifellos keine andere Wahl, als so oder so von diesem angeblichen Naturrecht, d. h. von einer jeweils für das Naturrecht ausgegebenen Konzeption dieser Instanz aus zu denken, zu reden und zu handeln: immer aufs Erraten angewiesen oder auf irgend eine machtvolle Behauptung dieser oder jener Deutung dieser Instanz, immer tastend und experimentierend in ihren von daher abgeleiteten Überzeugungen und letztlich immer ungewiß, ob es nicht eine Illusion sein möchte, mit dieser Instanz zu rechnen und darum faktisch auch nie, ohne heimlich oder offen auch von den Gesichtspunkten eines feineren oder gröberen Positivismus kräftigen Gebrauch zu machen.«78

Das Naturrecht hat dort, in der Bürgergemeinde, aufgrund der geistlichen Blindheit derselben auf der Ebene des Rechts seine partielle Berechtigung, nicht jedoch im Bereich der Christengemeinde: »Die Bestimmung dieser Linie [der im politischen Raum zu vollziehenden christlichen Entscheidungen; M.H.] ergibt sich nicht aus einem Rückgriff auf die problematische Instanz des sogenannten Naturrechts. Das würde bedeuten, daß die Christengemeinde sich den Weg und die Wege der nicht an ihrem Zentrum orientierten, der noch oder wieder unwissenden Bürgergemeinde, die Methode des heidnischen Staates zu eigen machte. Sie würde sie dann nicht als Christengemeinde in der Bürgergemeinde betätigen; sie wäre dann nicht das Salz und das Licht in diesem weiteren Kreise. Sie würde sich dann mit der Bürgergemeinde nicht nur solidarisch erklären, sondern sie würde sich ihr dann gleich, und zwar gerade in dem, was ihr fehlt, gleich machen. Sie würde ihr damit gewiß keinen Dienst leisten. Der Bürgergemeinde als solcher (in ihrer Neutralität Gottes Wort und Geist gegenüber) fehlt nämlich eben das: eine sicherere,

dung zur »natürlichen Theologie«, unterscheidet aber zugleich auch zwischen beiden, wenn er jenes wie folgt definiert: »Man versteht unter ›Naturrecht‹ den Inbegriff dessen, was der Mensch angeblich ›von Natur‹, d. h. unter allen denkbaren Voraussetzungen, von Hause aus und also allgemein für Recht und Unrecht, für geboten, erlaubt und verboten hält. Man hat es häufig mit einer natürlichen, d. h. den Menschen von Natur bekannten Offenbarung in Verbindung gebracht.« 78 Ebd. Wie W. Pannenberg (Grundlagen der Ethik, 58) hervorhebt, rezipiert Barth »die Kritik an den Naturrechtslehren seit der historischen Rechtsschule des 19. Jahrhunderts […], die zum Ergebnis hatte, daß der Inhalt der abendländischen Naturrechtslehren keineswegs als ein allen Völkern und Kulturen zu allen Zeiten gemeinsamer Bestand des Rechtsbewußtseins gelten kann. Die Einsicht in die historische Relativität unserer abendländischen Naturrechtstradition hat dazu geführt, daß der naturrechtliche Ansatz der Rechtsbegründung nach einer kurzen Phase seiner Erneuerung in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in der Rechtsphilosophie heute weitgehend aufgehoben worden ist.«

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eine eindeutigere Begründung der politischen Entscheidungen als die durch das sogenannte Naturrecht.«79

Sichere Normen der politischen Entscheidungen kann das Naturrecht Barth zufolge nicht liefern. Aufgrund ihres kognitiven Vorsprungs in geistlicher Hinsicht muss die Christengemeinde die Legitimität ihres Handelns nicht von einem fragwürdigen Normensystem des profanen Naturrechts ableiten, weshalb sie sich nach Barth gar nicht erst »an der Frage nach dem wahren Naturrecht«80, d. h. »an den menschlichen Illusionen und Konfusionen«81 beteiligen soll. Für die Ausarbeitung einer christlichen Ethik erteilt Barth außertheologischen bzw. naturrechtlichen Normfindungsverfahren eine entschiedene Absage.82 Das hindert ihn aber nicht daran, die besondere Valenz des im Blick auf die Urteilsfähigkeit der Bürgergemeinde unabdingbaren Naturrechts (etwa im Blick auf rechtsstaatliche Verfahren) herauszustreichen, wie dies geschieht, wenn Barth die Rede von der geistlichen Unwissenheit der Bürgergemeinde durch die Akzentuierung des »Bestfalls Naturrecht« präzisiert: »Die Bürgergemeinde als solche, die neutrale, die heidnische, die noch oder wieder unwissende Bürgergemeinde weiß nichts vom Reich Gottes. Sie weiß bestenfalls um die verschiedenen Ideale des Naturrechts.«83 Der Rede von der geistlichen Unwissenheit der Bürgergemeinde korrespondiert bei Barth zugleich die komparativische bzw. eingeschränkt superlativischen Rede vom Bestfall ihres Wissens um das Naturrecht. Auch konzediert Barth durchaus, dass es trotz unterschiedlicher ethischer Grundlegungsansätze84 auf der Ebene des Urteils immer wieder Koinzidenzien mit naturrechtlichen Begründungsbemühungen geben werde, ja, dass das Gebot der positiven Offenbarung durchaus mit dem Gebot des Naturrechtes zusammenfallen könne.85 Christlicherseits brauche man sich dieser Nachbarschaft durchaus nicht zu schämen: »[D]ie göttliche Anordnung hinsichtlich des Staates macht es durchaus möglich, daß es in seinem Bereich auch da zu sachlich richtigen theoretischen und praktischen Erkenntnissen und Entscheidungen kommen kann, wo man angesichts der trüben Quelle, aus der sie stammen, lauter Irrtümer und Fehltritte erwarten müßte.«86 Insofern würdigt Barth das

K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 60 f. A.a.O., 61 f. A.a.O., 62. So M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 161. K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 64. Vgl. a. a. O., 75: »Wir haben nicht von einer Konzeption des ›Naturrechts‹, sondern vom Evangelium her argumentiert.« 85 Vgl. P. Bubmann, Naturrecht und christliche Ethik, 272. 86 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 75. 79 80 81 82 83 84

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Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei Barth

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Naturrecht im Lichte des Reiches Jesu Christi und seiner universalen Prophetie, statt es ausschließlich zu verwerfen. Dies bedeutet aber mitnichten, dass Barth die metaphysischen Implikationen etwa der Naturrechtslehre der klassischen Antike übernimmt, die er auf die Formel »innata lex in homine«87 bringt.88 Die Existenz von Naturrecht als in diesem Sinne von positivem Recht zu unterscheidendem, überpositivem Recht kann er nicht konzedieren. In seinem Gespräch mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg (15. 7. 1963) pointiert K. Barth: »[W]enn Menschen Recht setzen – ich meine jetzt staatliches Recht, Polizeirecht, Ordnungsrecht usf. –, dann ist das in sich selbst immer Naturrecht, d. h. Recht, wie es der Mensch, der ja kein Tier, sondern ein vernünftiges Wesen, als recht zu erkennen meint – insofern Naturrecht.«89 Die theologische Valenz dieses in genau diesem distinkten Sinne als existent anerkannten Naturrechts kann Barth hervorheben: »[W]enn es also auch bei all dem sogenannten Recht und sogenannten Naturrecht, hineingemischt und mitredend, auch noch Spuren echten Rechts gibt, die es schon beim Hammurabi gegeben hat, würde ich sagen: das sind die Spuren nicht von einer ursprünglichen Güte und Begabung des Menschen, sondern das sind Spuren – ja, der Königsherrschaft Christi, der der Herr über alles ist, auch über die Leute, die ihn nicht kennen, auch über die Leute, die nichts vom sogenannten Christentum wissen wollen, auch über die, die das Christentum sogar bekämpfen. Er ist eben noch stärker, und er setzt sich durch. Und darum, würde ich sagen, ist der Christ, der nun Jesus Christus erkennen darf und weiß, wer der ist: der pamtojqato¯q über die ganze Welt, dazu berufen, an der Rechtsbildung teilzunehmen. Er kennt die Quelle, er kennt das Licht, das nun aufgegangen ist. Und die anderen sind auch nicht unberührt von dem Licht. Es scheint auch für sie. Es scheint jedem Menschen. Aber der Christ darf es wissen. Und darum ist denn der Christ auch zum Zeugen für ein Recht berufen, welches mehr ist als nur sogenanntes Naturrecht.«90

Naturrecht ist nicht deckungsgleich mit »echtem« Recht, also jenem Recht, das es nur in Gestalt der göttlichen Rechtssetzung gibt (Gottesrecht), welches aber in menschlicher Rechtssetzung als einer Art »Weltlicht« eine vom Christuslicht abgeleitete Würde besitzen kann, welches das Naturrecht reflektiert. Bis in die Diktion hinein wird deutlich, dass das hier vorgetragene Rechtsverständnis in die sog. »Lichterlehre«91 hineingehört. 87 Vgl. M.T. Cicero, De legibus, I,6,18: »Lex est ratio summa, insita in natura, quae iubet ea, quae faccenda sunt, prohibetque contraria. Eadem ratio quum est in hominis mente confirmata et confecta lex est.« 88 Vgl. K. Barth, Gespräche 1963, 106 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft Württemberg). 89 A.a.O., 105. 90 A.a.O., 106 f. 91 Vgl. ders., KD IV/3, § 69.2 (»Das Licht des Lebens«), 40 – 188. Vgl. dazu: H. Berkhof / H.-J.

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Barths Naturrechtsinterpretation lässt sich zusammenfassend mit Chr. Frey auf folgenden Nenner bringen: Barth sieht einerseits deutlich, »daß sich Christengemeinde und Bürgergemeinde unter dem Naturrecht einander angleichen müßten, weil ein Recht, das schlechthin in der Natur des Menschen gründet, beide binden würde«92. Zugleich sieht Barth beim Naturrecht genau die Gefahr, »die es selbst eigentlich abwehren will: einen Positivismus. Denn wer immer die Natur des Menschen am besten zu kennen meine, der setze die Maßstäbe des Rechts. Barth hingegen will im Blick auf die kommende Herrschaft Christi vorläufig und gleichnishaft Recht suchen.«93 Es geht Barth auf dem Gebiet des Rechts um ein Eintreten des Christen »für Entsprechungen zu dem, was er als göttliche Rechtsprechung, wie sie in Christus vollzogen ist, erkennt.«94

2.3.

Die Rezeption der Kriteriologie des gerechten Krieges bei K. Barth

2.3.1. Die Bedeutung des Naturrechtsverständnisses für die Lehre vom gerechten Krieg bei K. Barth Bei Barth findet sich summa summarum nicht nur eine theologische Kritik (»Erschütterung«95) der Naturrechtskonzeptionen, sondern auch deren Würdigung. Unterlegt man Barths Schema der Sach- und Verlaufsstruktur politischethischer Urteile,96 so lässt sich auf diesem Hintergrund sagen: Solange sich eine naturrechtliche Argumentation im Rahmen jenes Urteilsschritts bewegt, den Barth als die sich qua Verstandeserwägung vollziehende Prüfung aller zur Diskussion stehenden Sachargumente kennzeichnet, macht er gegen sie keine theologischen Bedenken geltend, sondern kann sie im Gegenteil würdigen. N. Biggar betont zu Recht, dass der erste Schritt ethischer Urteilsbildung Barth zufolge keineswegs in einem konzeptionellen Entleerungs- und Reinigungsprozess besteht: »Barth expressly denies that, in order to hear the command of God, one must render oneself an ethical tabula rasa, emptying one’s mind off all moral concepts and norms. Understanding God’s command does not require us, first of all, to leave all our pre-understanding about what is good and right at the

92 93 94 95 96

Kraus, Karl Barths Lichterlehre; Chr. Link, Schöpfung, 291 ff.; D. Schellong, Gleichnisse des Himmelreiches, 2 – 11. Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths, 180. A.a.O., 180 f. K. Barth, Gespräche 1963, 103 f. (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft Württemberg). M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 164. Vgl. Abschnitt II.1.2. der vorliegenden Untersuchung.

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Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei Barth

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door. It does not stipulate as its rite of initation the sacrifice of normative ethical intellect.«97 Sobald die naturrechtliche Argumentation aber epistemische Ansprüche erhebt, die das Urteilsmoment der »durch den heiligen Geist des Wortes Gottes [geleiteten] und an dessen Maß sie messen[den]«98 Unterscheidung der Geister und damit die Erkenntnis des Gebotes Gottes betreffen, lehnt er sie ab. Eine Widerspruchsfreiheit zwischen dem Naturrechtsgedanken und dem Gebot Gottes zu postulieren, liegt Barth fern. Eine natürliche Offenbarung jenseits der Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus anzuerkennen, wäre ihm zufolge ein illegitimes theologisches Unterfangen. Das heißt aber keineswegs, dass Barth das Phänomen eines möglicherweise mit Gottes Gebot zusammenfallenden »common sense« negiert oder gar womöglich den »gesunden Menschenverstandes« perhorresziert. Er kann diese vielmehr würdigen, indem er ihnen ihren eingeschränkten erkenntnistheoretischen Status zuweist,99 wonach sich der Wille Gottes erst im Blick auf die Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus hermeneutisch entschlüsseln lässt.100 Insofern kann der Status naturrechtlich gewonnener Erkenntnisse nur der vorläufiger Hypothesen sein, die der Veriund Falsifikation bedürftig sind. Barths Naturrechtskritik betrifft mit anderen Worten den Realgrund naturrechtlicher und d. h. für Barth offenbarungsunabhängig gewonnener Einsichten. Der Sachgehalt des sog. Naturrechts wird also keineswegs apriori umgestoßen, sondern theologisch relativiert, indem Barth nach der theologischen Bedingung der Möglichkeit solcher Erkenntnis und dem daraus resultierenden Erkenntnisweg fragt. Im Blick auf Barths Rezeption der aus dem Naturrechtsdenken stammenden Kriteriologie des gerechten Krieges zeigt sich gerade, wie im Folgenden demonstriert werden soll, dass Barth den Sachgehalt des sog. Naturrechts nicht revidieren muss, sondern in gebotsethischem Rahmen mutatis mutandis reformulieren kann. Eine naturrechtliche Grundlegung der Ethik101 schließt Barth allerdings strictissime aus. Insofern die Kriteriologie des gerechten Krieges als auf jener basierend dargestellt wird, lehnt er diese ab. Barth bringt diesbezüglich einen gebotsethischen Vorbehalt zur Geltung: Das Gebot Gottes fällt nicht mit den 97 N. Biggar, Hearing God’s Command and Thinking about What’s Right, 112. 98 K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 8. Dort z. T. kursiv. 99 Vgl. ders., KD IV/1, 154: »Es gibt kein Naturrecht, das, als solches erkennbar, zugleich göttlichen Charakter trüge, göttliche Verbindlichkeit hätte, kein Gesetz und Gebot Gottes, das in des Menschen Geschöpflichkeit als solcher vorläge, oder als Gesetz des Kosmos in den Sternen geschrieben, offenbar wäre, und dessen Übertretung dann den Menschen zum Sünder machte. Es ist vielmehr selbst schon für des Menschen Sünde charakteristisch – eine von deren Auswirkungen – wenn er ein solches ›Naturrecht‹ kennen, sich und andere an ihm ausrichten und messen zu sollen meint.« 100 Vgl. P. Bubmann, Naturrecht und christliche Ethik, 273. 101 Vgl. K. Barth, KD I/2, 878.

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Kriterien des gerechten Krieges zusammen, auch wenn diese ein unerlässliches heuristisches Instrumentarium sind, nach dem Willen bzw. Gebot Gottes und dem durch dasselbe angezeigten Grenzfall zu fragen. Das Gebot Gottes lässt sich nicht vollständig dadurch einebnen, dass man es der ratio der Lehre vom gerechten Krieg unterwirft. Vielmehr kann das in Jesus Christus sich erschließende Gebot Gottes hic et nunc die Evidenz der qua Verstandeserwägung plausibilisierten Kriterien sprengen. Insofern dürfen Naturrechtsethik und Gebotsethik weder begründungstheoretisch noch anwendungspraktisch alternieren. Die Kriterien des gerechten Krieges sind mit anderen Worten vom Gebot Gottes her normiert und nicht das Wort Gottes von diesen Kriterien her. Es gibt für Barth keine petrefakte doctrina de bello iusto im Sinne eines abgeschlossenen und eo ipso in der Urteilsbildung immer anzuwendenden Kriterienkanons. Diese wäre ja mithin ein Dogma.102 Gerade das Gebot Gottes generiert nach Barths Verständnis die Anstiftung zur Umgestaltung vermeintlich geltenden bzw. statisch-metaphysisch interpretierten Naturrechts, wie es im traditionellen Verständnis der Kriteriologie des gerechten Krieges zum Ausdruck kommt. Nichtsdestotrotz setzt Barth implizit bestimmte Kriterien voraus, die sich – wie noch zu zeigen ist – mit den klassischen Kriterien decken. Ohne Angabe der Herleitung und Begründung der Kriterien gebraucht Barth sie. Eine theologische, womöglich spezifisch christologische Herleitung der Kriterien aus dogmatischen Obersätzen sucht man jedenfalls vergeblich. Die Kriterien gehören hinsichtlich des Sach- und Verlaufsstruktur ethischer Urteilsfindung zunächst in den Bereich der Verstandeserwägungen, wohlgemerkt aber solcher, die bereits eine mehrfache Prüfung (»Unterscheidung der Geister«) im Leben der Kirche hinter sich haben. Sie sind damit freilich nicht der Notwendigkeit erneuter theologischer Prüfung (»nach der Analogie des Glaubens«; Röm 12,6)103 entzogen, insofern sie nicht mit dem sich hic et nunc ereignenden Gebot Gottes identisch sind. Gleichwohl haben sie sich im Leben der Kirche als plausibel etabliert. Sie gehören mit anderen Worten zur Tradition, von der man lernen kann, um neuen Herausforderungen zu begegnen.104 Auch wenn sie weder mit der Schrift noch gar dem Gebot Gottes selbst zusammenfallen, so gehören besagte Kriterien als Teil der Tradition der Kirche an den Ort, wo die Bibel als Heilige Schrift gelesen und das Bemühen um ein Hören des Wortes Gottes lebendig ist. Weil Kirche Ort der Schriftauslegung ist, sind die Kriterien als Teil der Tradition konstitutiv mit anwesend bei der Schriftauslegung: »Die Schrift kann […] sachgemäß nicht anders gelesen werden als im Lichte der kirchlichen 102 Zu K. Barths Begriff von »Dogma« vgl. G. Sauter, Dogma – ein eschatologischer Begriff, 173 – 191. 103 Vgl. K. Barth, Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 8. 104 Vgl. G. Plasger, »Du sollst Vater und Mutter ehren!«, 397.

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Die Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg bei Barth

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Tradition.«105 Als Teil der kirchlichen Tradition kommt den Kriterien des gerechten Krieges ein deutliches Gewicht zu.106 Sie wollen bei der Lektüre der Heiligen Schrift und im Bemühen des Hörens auf Gottes Gebot ernst genommen werden. Darauf beruht ihre Dignität. Diese kann auch in Gestalt eines expliziten Einspruchs gegen diese Kriterien anerkannt werden, der sie ernst nimmt und nicht leichtfertig übergeht.107 So und nur so verstanden können die Kriterien des gerechten Krieges Barth zufolge dabei helfen, den Willen Gottes zu erfragen und die im Gebot Gottes gegebene Antwort auf friedensethisches Fragen zu vernehmen. Versteht man die Kriteriologie des gerechten Krieges in diesem Sinne, so repräsentiert sie jene praktische Kasuistik108, die im Blick auf die »von Fall zu Fall« zu treffende Entscheidung, »ob der im Namen Gottes zu fordernde Gehorsam nun wirklich mit dem militärischen Gehorsam zusammenfällt«109, wirklich trägt. Im Blick auf eine solche Kasuistik, die das unerlässliche heuristische Instrumentarium der Urteilsbildung darstellt, lässt sich mit J.H. Yoder bei Barth »a casuistic based upon a renovated doctrine of just war«110 identifizieren.

2.3.2. Formale und inhaltliche Eigentümlichkeiten der Rezeption Nachdem soeben die Bedeutung des Naturrechts in und für die jeweilige Rezeption der Kriterien des gerechten Krieges bei Barth erörtert wurde, soll nun sein Umgang mit den rezipierten Kriterien genauer betrachtet werden. Auf formaler Ebene fällt auf, dass sich bei Barth keine vollständige, systematisierte Lehre niederschlägt, wie dies klassisch etwa bei Thomas von Aquin (um 1225 – 1274) der Fall ist.111 Es finden sich – ähnlich wie bei Augustin112 (354 – 430) – nur verstreut formulierte Kriterien. Bei ihnen handelt es sich gleichsam um flot105 A.a.O., 402. Vgl. ders., Wort vom Wort, 48 f.56. 106 Die Kriterien haben sogar ihren Niederschlag in den Bekenntnissen gefunden (vgl. M. Hofheinz, Die »Lehre« vom gerechten Krieg nach den reformierten Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, 135 – 147), die Barth zufolge erster Kommentar zur Heiligen Schrift sind. Vgl. G. Plasger, Die relative Autorität des Bekenntnisses bei Karl Barth, 194 ff. 107 Vgl. ders., »Du sollst Vater und Mutter ehren!«, 405: »Barth hat sich von seiner Göttinger Zeit an und dann seit seines weiteren Lebens immer darum gemüht, in Auseinandersetzung mit der reformierten Tradition (und ja nicht nur mit der reformierten) das Schriftzeugnis zu verstehen und zu interpretieren – oft auch im Widerspruch zur Tradition. Darin hat er sie ernst genommen, darin hat er Vater und Mutter geehrt.« 108 Vgl. Abschnitt II.2.2.2.1. der vorliegenden Untersuchung. 109 K. Barth, KD III/4, 537. 110 J.H. Yoder, The Pacifism of Karl Barth, 19. 111 Vgl. STh II – II, q. 40 a. 1. 112 Zu Augustins Lehre vom gerechten Krieg vgl. H.-G. Stobbe, Religion, Gewalt und Krieg, 194 – 215; T.J. Weissenberg, Die Friedenslehre des Augustinus, 133 – 171.247 – 251.382 – 390.449 – 459.

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tierende Versatzstücke der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg, die freilich bei Barth keine topologische Selbstständigkeit erlangt. Dem korrespondiert, dass die traditionelle Gestalt dieser Lehre bei Barth kaum erwähnt wird. Bis auf eine Ausnahme, nämlich sein Gespräch mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg (15. 7. 1963),113 knüpft auch Barth an keiner Stelle explizit an die traditionelle Lehre vom gerechten Krieg an, jedenfalls nicht affirmativ. Barth ordnet sie in dem Abschnitt zu Krieg und Frieden in der Ethik seiner Schöpfungslehre (KD III/4) jener nachkonstantinischen »Kriegstheologie« zu, bei der seiner Einschätzung nach »eine besondere und heute immer unerträglicher werdende christliche Verkehrtheit vorliegt.«114 Fernerhin lässt sich beobachten, dass die Standardkriterien, die innerhalb des klassisch naturrechtlichen Konzepts der Lehre vom gerechten Krieg zur Überprüfung der Rechtfertigbarkeit der Anwendung militärischer Gewalt entwickelt wurden, bei Barth nur eklektisch herangezogen werden. Eine systematische Prüfung, die gleichsam Kriterium für Kriterium abarbeitet, findet nicht statt, sondern die Kriterien kommen eher implizit zur Anwendung. Sie werden im Einzelnen weder präzise benannt noch in ihrem systematischen Zusammenhang entfaltet. Auf eine Begründung der Kriterien und ihres systematischen Zusammenhangs wird ebenfalls verzichtet. Hinsichtlich der Frage, warum Barth gänzlich auf eine vollständige, systematisierte Entfaltung einer Kriteriologie des gerechten Krieges verzichtet hat, mag man viel spekulieren. Einleuchtend ist im Blick auf Barths Schrifttum m. E. kein monokausaler Erklärungsansatz, sondern ein Bündel von Gründen, von denen ich im Folgenden die bereits in anderem Zusammenhang dargestellten nur kurz skizziere (Gründe 2 – 5), die bislang unerwähnten Gründe hingegen näher erörtere (Grund 1): 1. Zunächst liegt der Verdacht nahe, dass Barths Verzicht im Bellizismus des 19. und 20. Jahrhunderts seine Ursache hat. Er könnte – genauer gesagt – mit dem Traditionsabbruch im Blick auf diese Lehre zusammenhängen, der sich im Nationalprotestantismus ereignete.115 Ein Bellizismus, der den Krieg positiv konnotierte – wie dies spätestens seit den Befreiungskriegen geschah – und der den Krieg als legitimes Mittel nationalstaatlicher Politik ansah, hatte keinen Platz für eine solche Lehre, die der Einschränkung von Gewalt dient. In diesem Sinne könnte man Barths Verzicht auf eine Explikation als Folge des Traditionsabbruchs interpretieren, den Barth unbewusst, gleichsam nolens volens fortsetzte. Der Verzicht könnte, um die Erklärung etwas zu modifizieren, auch mit einer Abgrenzung Barths gegenüber der neuzeitlichen Konfusion der bellum iustum113 Vgl. K. Barth, Gespräche 1963, 65 – 73. 114 Ders., KD III/4, 521. 115 Vgl. dazu: W. Huber / H.-R. Reuter, Friedensethik, 96 – 105.

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Lehre mit dem liberum ius ad bellum, also dem freien Kriegsführungsrecht der souveränen Nationalstaaten im klassischen Völkerrecht, zusammenhängen, welche dem nationalprotestantischen Bellizismus zu Grunde lag.116 Die Abgrenzung gegenüber einem legitimatorischen Missbrauch der Lehre vom gerechten Krieg wäre dann als Ursache von Barths Verzicht auf eine systematische Entfaltung zu benennen. Dafür scheint mir die Vehemenz zu sprechen, mit der sich Barth von der nationalprotestantischen, von Schleiermacher über T. Haering, W. Herrmann117 und A. Schlatter bis hin zu P. Althaus reichenden Tradition abgrenzt: »Die Naivität, in der eine ältere – und nicht einmal so sehr viel ältere! – Ethik den Krieg vom Wesen des Staates bzw. von der geschichtlichen Existenz der Völker her zu rechtfertigen versucht hat, ist hinterwäldlerisch und nicht mehr zu verantworten.«118 Allerdings wird zu beachten sein, dass Barths Kritik an der »Elastizität, mit der sich die Kirche seit Konstantin auf Krieg und Kriegsgeschrei positiv eingelassen hat«119, nicht erst im 19. Jahrhundert ansetzt, sondern die Zeit »seit Konstantin«120 betrifft. Insofern ist Barths Verzicht sicher nicht nur der Abgrenzung vom Bellizismus des 19. Jahrhunderts, sondern der gesamten nachkonstantinischen Kriegstheologie geschuldet. Im Gefälle dieser Kriegstheologie betrachtet Barth die Lehre vom gerechten Krieg. Barth kritisiert sie aber nicht nur in wirkungsgeschichtlicher Perspektive, d. h. im Blick auf ihren Missbrauch im Rahmen bellizistischer Legitimationsdiskurse. Vielmehr wendet er sich gegen die theologische Begründung des gerechten Krieges bei Augustin selbst, insofern »die Worte Johannes des Täufers an die Kriegsknechte [gemeint ist Lk 3,14: ›Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!‹; M.H.] und die Existenz der verschiedenen frommen Hauptmänner im

116 So M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 44. 117 Im Blick auf W. Herrmann bestätigt H.E. Tödt (Die Lehre vom gerechten Krieg und der Friedenauftrag der Kirchen, 160) Barths Einschätzung, indem er zwei zentrale Gesichtspunkte des Kriegsverständnisses von Barths Lehrer W. Herrmann herausarbeitet: »a) Kriege werden als unvermeidliche Lebensform des Nationalstaates angesehen. Die Beteiligung am Kriege ist daher für den Christen selbstverständliche Pflicht; das Urteil darüber, ob ein Krieg berechtigt ist oder nicht, ist für Herrmann ausschließlich eine politische Frage. Eine christliche Lehre vom gerechten Krieg ist nicht möglich, weil es für Herrmann keine Kriterien gibt, die höheres Gewicht haben als die Kulturaufgabe eines Volkes, das sich als Nation durchsetzt. b) Die Vorstellung, daß Staaten und Gesellschaften friedensfördernde internationale Beziehungen aufbauen können, ist Herrmann fremd. Friedensbemühungen sind ausschließlich staatspolitische Aufgabe. Einen Friedensauftrag der Christenheit gibt es also nicht. Darin stimmen die damaligen Hauptströmungen evangelischer Theologie mit Wilhelm Herrmann überein.« 118 K. Barth, KD III/4, 523. 119 A.a.O., 521. 120 Ebd.

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Neuen Testament schon damals die Rolle spielten, die sie dann in aller Kriegstheologie bis hinab auf unsere Tage gespielt haben.«121 Kritiker Barths würden diesbezüglich sicherlich geltend machen, dass er damit das Opfer einer verhängnisvollen, weil nicht-restriktiven, sondern rein legitimatorischen Fehlinterpretation der Lehre vom gerechten Krieg geworden sei. Denn entgegen jener nur schwer ausrottbaren, diskreditierenden Fehldeutung wurzelt die Lehre vom gerechten Krieg nicht in einer bellizistischen Philosophie, die auf eine Ausweitung statt Eingrenzung des Krieges abzielt.122 Zugleich wird man aber auch fragen müssen, ob nicht eine Doppel- bzw. Mehrdeutigkeit der Lehre vom gerechten Krieg überhaupt erst ihren Missbrauch im Sinne eines reinen Legitimationsdiskurses ermöglichte.123 2. Wie bereits ausgeführt,124 erhebt Barth theologische Bedenken gegen bestimmte metaphysisch-ontologische Voraussetzungen bzw. epistemologische Ansprüche, die mit der naturrechtlichen Tradition verbunden sind. Eine Lehre vom gerechten Krieg, die an diesen naturrechtlichen Rahmen gebunden ist, erscheint ihm also problematisch, so dass er die Kriteriologie des gerechten Krieges im systematischen Zusammenhang des Naturrechts nicht einfach übernehmen kann. Der Rahmen fraglos geltender Maßstäbe, den die Lehre naturrechtlich voraussetzt, ist Barth abhanden gekommen. Trotz seiner Würdigung kann Barth das Naturrecht als theologisch hinreichend solide systematische Grundlage nicht anerkennen. 3. Die Tatsache, dass Barth die Kriterien des gerechten Krieges nicht von der Systematik der Lehre vom gerechten Krieg her interpretiert, hat in entscheidendem Maße auch mit seiner friedensethischen Orientierung an den Regeln des Völkerrechts zu tun.125 Barth weigert sich, die Lehre vom gerechten Krieg sozusagen als weitgehend freistehende Lehre zu betrachten und den rechtlichen 121 Ebd. 122 Vgl. W. Huber / H.-R. Reuter, Friedensethik, 127. 123 W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg, 116 f.) etwa bezeichnet diese Mehrund Doppeldeutigkeit der Lehre vom gerechten Krieg als problematisch, die sich in den Extremen einer heuristischen und restriktiven Interpretation äußere: »In der heuristischen (oder minimalen) Auslegung sind die in der Lehre enthaltenen Kriterien als offene Prüfmaßstäbe zu verstehen, die mehr oder weniger erfüllt sein können. […] Gegen die heuristische Interpretation kann man den Vorwurf der Maßlosigkeit oder der Beliebigkeit erheben. Denn es besteht die Gefahr, dass man sich die Kriterien nach Beliebigkeit aussucht, auf die man die Legitimität des Krieges zu stützen versucht. […] In der restriktiven (oder maximalen) Interpretation besteht die logische Verbindung der Kriterien in einer strengen Konjunktion; die Kriterien sind durch ein ›und‹ miteinander verbunden. Nur wenn alle Kriterien der Lehre zweifelsfrei und in vollem Umfang erfüllt sind, gilt ein Krieg nach dieser Betrachtungsweise als legitim. Dieser restriktiven Interpretation zufolge kann nun allerdings nahezu niemals ein Krieg wirklich gerechtfertigt werden.« 124 Vgl. Abschnitt II.3.2. der vorliegenden Untersuchung. 125 Vgl. Abschnitt II.2.3.2. der vorliegenden Untersuchung.

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Referenzrahmen, in den die Kriterien eingebunden sind, zu ignorieren. In Barths politischen Stellungnahmen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs wird die Bedeutung, die die Rechtsbindung militärischer Gewalt für Barths Urteil hat, besonders deutlich.126 Barth fürchtet die Vorherrschaft einer naturrechtlichen Betrachtungsweise des Krieges, durch die der völkerrechtliche Kontext der Kriterien des gerechten Krieges aus dem Blick gerät. Freilich wird man berücksichtigen müssen, dass das Völkerrecht z. T. naturrechtliche Prämissen übernimmt, wenn es etwa in Art. 51 der UN-Charta vom »naturgegebene[n] Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung« spricht. 4. Barths faktische Weigerung, eine Systematisierung der Kriterien zu übernehmen oder selbst zu entwickeln, die den Zusammenhang der Kriterien darlegt und diese im Verbund so spezifiziert, dass es möglichst zu keinen Unschärfen in der Applikation kommt, geht auch auf seinen Vorbehalt gegenüber spezifischen Ausprägungen von Kasuistik127 zurück. Kasuistik im negativen Sinne weigert sich, den Kanon der Prüfkriterien offen zu halten. Sie will das fall- und situationsbezogen Unwägbare durch Regeln der Anwendung für bestimmte Fallgruppen und -konstellationen sowie Anwendungskontexte möglichst minimieren. So soll Eigenverantwortung in entlastender Weise abgenommen werden. Barth will die Anwendung und Auswahl der Prüfkriterien auf aktuelle Fälle im Hören auf Gottes Gebot dem mündigen Christenmenschen hingegen nicht abnehmen. Die Freiheit zum Hören auf Gottes Gebot soll nicht durch fixe Regeln der Anwendung ebenso fixer Kriterienkataloge reglementiert werden. Barth möchte den mündigen Christenmenschen in Kirche und Politik zwar eine Hilfe zur Urteilsbildung und Orientierung geben. 5. Die Lehre vom gerechten Krieg genügt nicht der für K. Barth zentralen Maxime: Si non vis bellum, para pacem.128 Gemäß der Logik dieses Grundsatzes ist das friedensethische Augenmerk den Ursachen des Krieges zu widmen, die in den sog. Friedenszeiten zu suchen sind. Der »Ernstfall« ist exakt hier, in den sog. Friedenszeiten als dem Vorfeld des Krieges, lokalisiert. Im Sinne Barths formuliert E. Busch: »Vielleicht das schwerste Handicap der Lehre vom gerechten Krieg ist, daß sie ihr Augenmerk eigentlich nur auf den Krieg richtet und nicht darauf, was seinen Ausbruch überhaupt verhindern könnte. Ist nicht der ethische Eifer entscheidend auf das gerichtet, was sich im Vorfeld eines Krieges zuträgt, hat der Eifer hier versagt, dann ist doch der Ausbruch eines Krieges die Konsequenz dieses Versagens.«129

126 127 128 129

Vgl. Abschnitt II.3.2.2. der vorliegenden Untersuchung. Vgl. Abschnitt II.2.2.2.1. der vorliegenden Untersuchung. Zur Entfaltung der Bedeutung vgl. Abschnitt II.5.3. der vorliegenden Untersuchung. E. Busch, »Willst den Frieden, so bereite ihn vor«, 541.

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2.3.3. K. Barths Applikation der bellum-iustum-Kriteriologie unter den Bedingungen des voratomaren und des atomaren Zeitalters 2.3.3.1. K. Barths Wahrnehmung der atomaren Bedrohung Barth hat eine Systematisierung der Kriterien des gerechten Krieges nicht durchgeführt. Zugleich fällt aber auf, dass bei aller Eklektik der Bezugnahme auf einzelne Kriterien alle Topoi dieser klassischen Lehre bei Barth der Sache nach vorkommen. Es manifestiert sich im Blick auf die Auswahl der Kriterien keine Beliebigkeit. So werden keineswegs permanent neue Kriterien benannt oder eingeführt. Vielmehr besitzt er einen Kanon an Kriterien, der aber offengehalten und nicht prinzipialisiert wird. Dies soll im Folgenden demonstriert werden. Die dabei entfaltete Systematik ist, wie gesagt, die der klassischen Lehre vom gerechten Krieg und nicht die Barths. Auf die traditionelle Systematik wird hier aus heuristischen Gründen zurückgegriffen. Es bedarf eines solchen Rasters, um die kriterienbezogenen Zusammenhänge in den Aussagen Barths transparent werden zu lassen. Bezüglich seiner Applikation kann man natürlich kritisch fragen, ob er die einzelnen Kriterien zureichend wahrgenommen oder sie nur unzureichend expliziert hat. Man sollte jedoch nicht verkennen, dass Barth gleichsam zur präventiven Funktion bzw. kriegsvermeidenden und -begrenzenden Grundintention der Lehre vom gerechten Krieg zurückkehrt, die – ihrer Grundintention zuwiderlaufend – vielfach zum Legitimationsinstrumentarium bellizistischer Interessen und revanchistischer Neigungen missbraucht wurde. Als eine Art Sedativ für die angefochtenen Gewissen förderte sie vielfach die erschreckende Unbefangenheit von Christenmenschen dem Krieg gegenüber.130 Angesichts der Möglichkeit eines modernen Nuklearkrieges macht Barth seine Positionierung aufseiten der Atompazifisten im Blick auf die conditio atomica explizit.131 Die Anwendung der Kriterien des gerechten Krieges führt 130 Vgl. H. Gollwitzer, Art. Krieg IV., 70: »Faktisch blieben aber die mit dem Begriff des gerechten Krieges entwickelten Anforderungen historisch unwirksam, sofern man sich nicht auf die nichtgeführten Kriege berufen will; sehr wenige der seit Konstantin geführten Kriege haben ihnen auch nur entfernt entsprochen; sie waren mehr ein Stimulans heuchlerischer Propaganda als ernster Selbstprüfung.« So auch K.G. Steck, Justum bellum heute?, 524 f. 131 A. MacIntyre (Der Verlust der Tugend, 19) umschreibt die atompazifistische Position als Resultat der konsequenten Anwendung der Kriterien des ius in bello: »Ein gerechter Krieg ist ein Krieg, in dem das angestrebte Gute das mit einem Krieg verbundene Schlechte aufwiegt, und in dem klar getrennt werden kann zwischen Kämpfenden, deren Leben auf dem Spiel steht, und den unschuldigen Nichtkämpfenden. Aber in einem modernen Krieg läßt sich die drohende Eskalation niemals verläßlich abschätzen, und eine praktisch anwendbare Trennung von Kombattanten und Nichtkombattanten ist nicht möglich. Daher kann kein moderner Krieg ein gerechter Krieg sein und wir alle sollten heute eigentlich Pazifisten sein.«

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Barth zufolge zwingend zu einem klaren Verwerfungsurteil: »Atom-Krieg ist eigentlich vom ersten Augenblick an das Ende aller Dinge. Da verliert die Kriegsführung selber als solche jeden Sinn. Atom-Kriegführung heißt: totale Zerstörung, eben nicht nur Zerstörung in der Abwehr von gewissen Menschen, sondern Zerstörung, die sich ja dann auch gegen die richtet, welche diese AtomWaffen brauchen …«132 Thetisch formuliert, ist K. Barths Atompazifismus das Resultat seiner konsequenten Anwendung der bellum-iustum-Kriterien. Im Blick auf die Anwendung der Kriterien des gerechten Krieges wird bei Barth der grundlegende (kriegs-)technische Epochenwechsel bedeutsam, der das voratomare vom atomaren Zeitalter trennt und in zeitgeschichtlicher Hinsicht berücksichtigt werden will: »Die Frage der christlichen Stellungnahme zum Problem des Krieges als solchem ist damit [mit dem Krieg in Gestalt des Atomkrieges; M.H] in ein neues Stadium getreten.«133 Die fundamentale kriegstechnische Differenz zwischen Kriegen in voratomarer Zeit und Massenvernichtung in atomarer Zeit greift Barth auf, »um die Frage nach dem Grenzfall berechtigter innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Notwehr in voratomaren Situationen (man denke an die Befreiungsbewegungen) von der nach Barth grundsätzlich illegitimen Notwehr mit Massenvernichtungsmitteln unterscheiden zu können.«134 Dabei fällt Barths Wahrnehmung dieser tiefen Zäsur keineswegs so homogen aus, dass sie Irritationen ausgeschlossen hätte.135 R. Williams notiert diesbezüglich: 132 K. Barth, Gespräche 1963, 72 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). K. Barths Schüler H. Gollwitzer wies in seiner Studie »Die Christen und die Atomwaffen« (1957) darauf hin, dass die Kriterien des gerechten Krieges im Atomzeitalter nicht etwa hinfällig sind, sondern bei konsequenter Anwendung das Ergebnis produzieren, »daß diese [Massenvernichtungswaffen; M.H.], schon durch ihre Beschaffenheit, nicht erst durch ihren rechtswidrigen Gebrauch, allen jenen Gründen widersprechen, also sittlich schlechthin ausgeschlossene Mittel sind« (a. a. O., 27). H.-R. Reuter (Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 76) zufolge war Gollwitzer der Erste nach 1945, der darauf hinwies, »dass mit dem Verzicht auf die bellum-iustum-Kriteriologie ein kriegsund gewaltkritisches Potential verspielt worden ist«. Rückblickend auf die Atomwaffendiskussion der 1980er Jahre bemerkt W. Huber (Keine Rückkehr zum Krieg als Mittel der Politik, 252): »Das Erschrecken über die Zerstörungskraft von Massenvernichtungsmitteln hat […] häufig dazu geführt, daß die Lehre vom gerechten Krieg für ›obsolet‹ erklärt wurde. Dabei wurde freilich oft übersehen, daß dem ethischen Urteil über Massenvernichtungsmittel in Wahrheit ein bestimmtes Kriterium aus eben dieser Lehre zugrunde lag – nämlich das Kriterium der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Die deutsche Diskussionslage ist also durch die Paradoxie gekennzeichnet, daß mit den Mitteln der Lehre vom gerechten Krieg dieser Lehre der Abschied gegeben werden sollte.« 133 K. Barth, Ob die Möglichkeit des Atomkrieges im Gehorsam gegen das Evangelium zu bejahen ist (November 1948), 100. 134 B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 253. 135 Von dieser Irritation zeugt der Versuch, Barths Begründung des Grenzfalls zur Legitimation der Remilitarisierung Deutschland zu instrumentalisieren. K. Barth (Gespräche 1963, 67 f.) berichtet darüber in seinem Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft

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»[A]s late as 1963 his name was sill being invoked by supporters of the nuclear detterent – on the basis, it seems, of his discussion of the ethics of war in CD III/4. He admitted more than once that this discussion (dating from 1951) was flawed by its failure to give serious consideration to the new problems raised in the era after Hiroshima; but unfortunately he was never able to present the kind of extended discussion that would be needed to do justice to these problems.«136

Irritationen erzeugte die Tatsache, dass Barth den friedensethischen Abschnitt in KD III/4 im Jahr 1951, also mehr als fünf Jahre nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 noch unter dem Eindruck der voratomaren und nicht der atomaren Situation schrieb.137 Atompazifistische Konsequenzen zog er zur Zeit der Niederschrift von KD III/4 noch nicht, obwohl mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges die verheerenden Wirkungen dieser »Waffen« längst ansichtig geworden waren. Barths eingeschränkter Blickwinkel ist insofern nachvollziehbar, als dass die Zahl der nuklearen Waffen der USA und der Sowjetunion erst seit Mitte der 1950er Jahre in ungeahntem Ausmaß katapultartig in die Höhe schnellte und damit die sog. »Overkill-Strategie« der Antagonisten des sog. »Kalten Krieges« in vollem Ausmaß erkennbar wurde. Gemäß dieser Strategie gilt es, eine Unmenge von Nuklearwaffen zu besitzen, um die Armeen und die zivile Infrastruktur des Gegners mehrfach vollständig zerstören zu können. Die Mehrfachvernichtungskapazität, die später die Sinnlosigkeit des atomaren Wettrüstens zwischen den Atommächten veranschaulichen sollte, findet jedenfalls bei Barth im Jahr 1951 noch keine direkte und gezielte Aufmerksamkeit. Eher beiläufig138 erwähnt Barth in seiner Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) die Atombombe. Wenn man jedoch genau hinschaut, so fällt auf, dass in Württemberg: »Ich habe damals [zur Zeit der Niederschrift von KD III/4] damit gerechnet: Doch, es könnte das geben, es könnte Kriegführung gefordert sein. Es müsste der notwendigen Erhaltung eines bestimmten Staates nun eben auch um diesen Preis Rechnung getragen werden. Und es wäre in diesem Fall, in diesem einen Prozent da an der Grenze dann also von einem bellum iustum zu reden, von einem gerechten Krieg, was dann bedeuten würde: von einem geforderten Krieg, an dem auch der Christ sich zu beteiligen hätte – in diesem Grenzfall. Jetzt, wenn man mir kommt und sagt: ha, jetzt haben wir’s! Er rechtfertigt den Krieg! Es gibt ein bellum iustum! […] Natürlich spielt die kleingedruckte Stelle – es sind ja nur dreieinhalb Zeilen – in der Diskussion eine große Rolle, wo ich gesagt habe: Ich für meine Person, wenn es um die Schweiz ginge, würde noch immer sagen: es lohnt sich, für die Schweiz einen kleinen Krieg zu führen. Und da sind sie dann gekommen, da hat, glaub’, sogar der Bundespräsident Heuss ein paar Mal darauf Bezug genommen und hat gesagt: Was? Was südlich von Lörrach gilt, das soll nicht auch nördlich von Lörrach gelten? Also … deutsche Wiederaufrüstung! – Ich kann nur sagen: das ist heller Unfug.« 136 R. Williams, Barth, War and the State, 173. 137 So auch B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 254). 138 Vgl. R. Williams, Barth, War and the State, 186: »Barth notes in passing […] that modern (atomic) warfare makes any residual romanticism or idealism about war unthinkable: it reveals the real face of war.«

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Barth die Atombombe im Zuge dieser Beiläufigkeit aber nicht einfach nur im Kontinuum der Expansion von Kriegen bzw. Kriegszielen deutet, sondern sie bereits damals im wörtlichen Sinne »apokalyptisch« interpretieren kann: »Die Möglichkeit der Atom- und Wasserstoffbombe hat eigentlich nur noch gefehlt, um die Selbstenthüllung des Krieges in dieser Hinsicht [d.h. im Blick darauf, dass sich heute ganze Völker als solche mit allen Mitteln ans Leben wollen; M.H.] vollständig zu machen.«139 Wenngleich die erste Atombombe bekanntermaßen erst 1945 zum Einsatz kam und die erste erfolgreiche Zündung einer sowjetischen Atombombe im August 1949 erfolgte, so zeigt sich eine gewisse Vorprägung des atompazifistischen Argumentationsmusters bei Barth in gewisser Weise sogar schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. So konnte Barth bereits in seinem Brief nach Großbritannien (Ostern 1941) konstatieren: »Wir verschließen uns nicht gegen die Möglichkeit, daß die bekannten Argumente des christlichen Pazifismus, die wir uns vor 25 Jahren entweder ernstlich zu eigen machten, oder die uns damals ernstlich beunruhigt haben, in einer späteren neuen Lage und in einer neuen Form wieder zwingende Gewalt über uns bekommen könnten.«140 Nichtsdestotrotz formulierte Barth direkte atompazifistische Konsequenzen erst im Zusammenhang der kirchlichen Atomwaffendiskussion im deutschen und schweizerischen Protestantismus (1957 – 1962),141 an der er sich insbesondere in den Jahren 1957/58142 intensiv beteiligte. In seinem Gespräch mit den Kirchlichen Bruderschaften in Württemberg143 (1963) in Basel bemerkt Barth im Rückblick auf seine Ausführungen aus dem Jahr 1951 selbstkritisch:

139 K. Barth, KD III/4, 519. 140 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 282 f. (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 141 Ausführlich dokumentiert hat diese Debatte U. Möller, Im Prozeß des Bekennens. Vgl. auch W. Lienemann, Frieden, 85 – 101. 142 Eine wegweisende Interpretation der Stellungnahmen Barths aus diesen Jahren hat B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 259 – 268, vorgelegt. 143 Die Position der Bruderschaften würdigt Barth in seinem Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik vom August 1958: »Die westdeutschen Bruderschaften stehen seit Jahr und Tag im anstrengendsten Handgemenge mit den Mächten und Gewalten, den Geistern und Dämonen im Lande des ›Wirtschaftswunders‹, mit seinem gedankenlosen Anschluß an die Nato, mit seiner Remilitarisierung, seinem Militärseelsorgevertrag, seiner Atomwaffen-Aufrüstung, seiner panischen Russenangst, seinen Kreuzzugsstimmungen, seinen alten Nazis, mit all dem Fatalen, was ›Bonn‹ und die CDU dort sachlich und personell auch nicht zuletzt in der evangelischen Kirche bedeuten. […] Sehen Sie zu, daß Sie Ihrerseits die westdeutschen Bruderschaften in ihrem wahrhaftig auch nicht leichten Kampf nicht vergessen!« K. Barth, Offene Briefe 1945 – 1968, 437. Vgl. zur Rolle und zum Selbstverständnis der Kirchlichen Bruderschaften in der Atomwaffendiskussion U. Möller, Im Prozeß des Bekennens, 33 – 185.

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»Wenn einmal eine von diesen vielen Atom-Bomben und Wasserstoffbomben, die jetzt in der Welt herumliegen, losgeht – und wir sind alle nicht gesichert davor, daß einmal plötzlich durch irgendeinen Narr, der auf den falschen Hebel drückt, eine losgeht –, dann ist eben Schluß. Und nun also damit spielen oder das noch in Rechnung ziehen als Kriegsinstrument, das ist Unsinn. Und dieser Punkt fehlt hier in meiner Darlegung. Ich hätte (das) sagen müssen, im Anschluß an den Begriff des ›bellum iustum‹, des gerechten Krieges. Da habe ich einfach etwas versäumt. Denn sogar die alten Theologen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wenn sie auf die Sache kamen, haben Erwägungen über das bellum iustum angestellt und gesagt: es gibt bestimmte Regeln, die nicht überschritten werden dürfen; das und das darf auch im Krieg nicht geschehen, z. B. Gefangene töten oder Frauen und Kinder usf. Also, die haben Grenzen gesehen in diesem Begriff. Und dem hätte ich auch nachgehen sollen: bellum iustum nicht nur im Blick auf die Ursache oder den Sinn des Krieges, sondern bellum iustum auch im Blick auf seine Durchführung. Und dann hätte ich ja darauf kommen müssen: Atom-Krieg kann als solcher nicht bellum iustum sein.«144

In diesem Gesprächsausschnitt aus dem Jahr 1963 wird evident, dass Barth gedanklich inzwischen längst im atomaren Zeitalter angekommen ist. Nachdrücklich betont er : Eine theologische Deutung der Wirklichkeit des Krieges kann nicht von der conditio atomica abstrahieren. Barths soeben zitierte Bemerkungen aus dem Jahr 1963 legen den Verdacht nahe, dass er gegen Ende der 1950er Jahre positionell sozusagen zu einem »prinzipiellen Atompazifisten« avancierte, der im Atomzeitalter grundsätzlich alle, auch territorial und vom Waffengebrauch her begrenzte Kriege ausschließt. Dementsprechend sind Barths Äußerungen etwa von R. Williams interpretiert worden.145 Insbesondere Barths Bemerkung: »Wenn das [der Atomkrieg] unvermeidlich ist, dann gibt es überhaupt nur ein bellum iniustum«, scheint für eine solche Interpretation zu sprechen. Ich kann mich dieser Lesart jedoch nicht anschließen und halte sie für irreführend, weil sie das konditionale Gefüge der Aussagen Barths nicht beachtet. Nur unter der conditio, dass Krieg Atomkrieg bedeutet, spricht Barth vom bellum iniustum. Nicht jeder Krieg, sondern nur der Atomkrieg ist – mit anderen Worten – ein bellum iniustum. Es kann also auch im Atomzeitalter durchaus begrenzte Kriege geben, die als »Grenzfall« bzw. »Notfall« zu qualifizieren sind. Barth hat also seine friedensethischen Aussagen aus dem Jahr 1951 (KD III/4) keineswegs widerrufen. So betont Barth in seinem Brief an den Lausanner Pastor 144 K. Barth, Gespräche 1963, 72 f. (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 145 Vgl. R. Williams, Barth, War and State, 186 f.: »Despite this, as he admitted in 1963, he did not regard the events of 1945 as having made a permanent difference of what could be said about war. By the 1960s, however, it is quite clear that he had become convinced that a ›just war‹ in the atomic age was impossible: war can no longer have any meaning as the defence of a state.«

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Daniel Pache vom 22. 5. 1964, dass er den Inhalt seiner Darstellung des voratomaren Krieges in KD III/4 grundsätzlich nicht zurückgenommen habe, es allerdings bedauere, die Möglichkeit eines Atomkrieges nicht in Betracht gezogen zu haben.146 In diesem Sinne ist m. E. auch die folgende Aussage Barths aus dem Gespräch vom 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg zu interpretieren: »Das Auftauchen der Atomwaffen hat nun […] die Situation so verändert, daß man sagen muß: jetzt ist’s genug. Man konnte über den Krieg noch die Dinge sagen, die ich da so einprozentig gesagt habe, wenn man das ausschaltet, was Atomkrieg heute bedeutet. Wenn es aber so ist, wie man uns ja nun von vielen Seiten sagt: Krieg heißt Atomkrieg, dann bleibt allerdings wohl nichts übrig als zu sagen: dann eben nicht Krieg!«147 Systematisch-ethische Inkonsistenz wird man Barth – resümiert man seine Äußerungen zum bellum iustum – nicht vorwerfen können, insofern er – wie B. Klappert treffend bemerkt – »seine Aussagen über den ›gerechten Krieg‹ – das meint […] den Grenzfall berechtigter, weil aufgezwungener Notwehr – nicht etwa abgeschwächt, sondern in der Atom›waffen‹frage zur konsequenten und vollen Anwendung gebracht«148 hat. Gleichwohl hat es Barth versäumt, seine nur recht mühsam zu rekonstruierende Position in Bezug auf die aufgetretenen Irritationen hinreichend klar zu artikulieren.149 2.3.3.2. Die Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg nach K. Barth Wenn man danach fragt, wonach Barth den gebotsethisch als Grenzfall gekennzeichneten casus des von ihm als gerechten Krieg identifizierten Krieges gegen Hitler150 bemisst und wie er ihn inhaltlich beschreibt, so fällt auf, dass die Kriterien der klassischen Lehre vom »gerechten Krieg« eine wesentliche Rolle 146 Vgl. K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 255 (Brief vom 22. 5. 1964 an D. Pache): »[J]e n’ai pas d¦savou¦ en principe le contenu du text de ma Dogmatique […]. Ce que je regrette, c’est que je n’ai pas pris en consid¦ration s¦rieuse la possibilit¦ d’un armement et d’une guerre atomique«. 147 Ders., Gespräche 1963, 70 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 148 B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 253. So auch a. a. O., 257: »Diese grundsätzliche Stellungnahme zum Grenzfall legitimen Widerstandes in vor-atomarer Situation in KD III/4 ist von Barth – entgegen aller Legendenbildung – nicht nur nicht widerrufen worden, sondern ausdrücklich als Auslegung und Aktualisierung von Barmen V festgehalten worden.« Vgl. auch a. a. O., 258 f. 149 Ähnlich A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 247. 150 Vgl. K. Barth, Gespräche 1963, 69 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg): »Ich weiß einen Fall, wo ich sagen würde: ›bellum iustum‹. Wir kamen eben dort vom Hitlerkrieg her. Und da war ich allerdings für meine Person ganz entschlossen: Der Hitler darf nicht in die Schweiz hinein, was es auch sonst mit ihm sein mag. Und ich werde nun nicht nur schreiben gegen den Hitler, sondern ich nehme auch ein Gewehr in die Hand und will helfen verhindern«.

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spielen. Immer wieder rekurriert Barth – z. T. explizit, z. T. der Sache nach – auf sie, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Das Prinzip der Proportionalität taucht in Barths Schriften aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges nur am Rande auf, gewinnt aber in den späteren Texten aus der Nachkriegszeit zunehmend an Bedeutung. I. Ius ad bellum a) Legitima potestas / legitima auctoritas Die 5. These der Barmer Theologischen Erklärung (1934) benennt den Staat als Subjekt der Kriegsführung, indem sie die Ausübung von Gewalt als eine schriftgemäße Aufgabe des Staates ausweist: »Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maße menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.«151 Barth möchte diese These – wie gezeigt wurde – so verstanden wissen, dass Gewalt »nicht zum opus proprium, sondern zum opus alienum des Staates«152 gehört, dem Staat also die Ausübung von Gewalt nur akzidentiell zukommt – nur »›im Notfall‹ oder ›im Grenzfall‹«153. Bezeichnet Barth den Staat als Subjekt der Gewaltausübung, so schließt er damit zugleich andere Größen als legitime »Träger« dieses Status aus. Auch die Kirche ist Barth zufolge keineswegs zum Gewaltgebrauch befugt. Dieser exklusive Sinn von Barmen V schwingt nicht nur – gleichsam implizit – in Barths Interpretation dieser These mit, sondern bezeichnet Barth zufolge deren Pointe: »[D]ie Kirche ist keineswegs eines von den Instrumenten des kriegführenden Staates. Sie dient im Krieg wie im Frieden ihrem eigenen Herrn. Sie führt im Krieg wie im Frieden ihre eigene Sache und Sprache: die Sache und Sprache des gleicherweise an den Freund und Feind sich richtenden, von keinem Ausgang des Krieges abhängigen Evangeliums.«154 An anderer Stelle heißt es bei Barth: »Die Kirche Jesu Christi kann und will nicht Krieg führen. Sie kann und will nur beten, glauben, hoffen, lieben, das Evangelium verkündigen und hören.«155 Wenn Barth den Staat als Subjekt eines nur im Not- bzw. Grenzfall gerechtfertigten Krieges bestimmt, so präzisiert er diese Bestimmung zugleich in einer 151 A. Burgsmüller / R. Weth (Hg.), Die Barmer Theologische Erklärung, 38. Kursivierung: M.H. 152 K. Barth, Gespräche 1963, 59 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 153 A.a.O., 62 f. 154 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 382 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). 155 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 217 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939).

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zweifachen Weise: Zum einen dahingehend, dass er nur dem Staat als Rechtsstaat den Status einer legitima potestas bzw. legitima auctoritas zubilligt. So verwehrt er ihn dem NS-Staat in Deutschland als offenkundigem Unrechtsstaat, während er ihn etwa dem Vereinigten Königreich als Rechtsstaat zuspricht. An Ostern 1941 schreibt Barth an die Christinnen und Christen in Großbritannien: »Der Staat würde sich selbst und seine Aufgabe preisgeben, er würde den Gottesdienst, zu dem er bestimmt ist, unterlassen, er würde den Menschen die Wohltat, die Gott ihnen durch seinen Dienst zugedacht hat, rauben, wenn er es unterlassen würde, die Schranke zwischen Recht und Unrecht mit der Drohung und mit dem Gebrauch des Schwertes zu verteidigen. Wir Christen können nicht wünschen, daß er sich dieser Unterlassung schuldig mache. Wir Christen können nur darum beten und selber dafür einstehen, daß er unter allen Umständen und mit allen Konsequenzen im Sinne der Heiligen Schrift ein rechter Staat sei. Als die britische Regierung dem Deutschland Adolf Hitlers im Herbst 1939 den Krieg erklärte, da handelte sie nach christlichem Maßstab als die Regierung eines rechten Staates. Und ich denke, daß von dem gleichzeitig gefaßten Entschluß der Schweiz zum militärischen Schutz ihrer Neutralität (in der sie ihre geschichtliche Aufgabe hat) dasselbe zu sagen ist.«156

Ein legitimer Krieg ist demzufolge für Barth immer die grenzfällige Aktion eines Rechtsstaates. Militärische Gewalt kann gemäß Barth nur von der staatlichen Aufgabe der Rechtswahrung her legitimiert werden. Barth stellt fernerhin klar, dass er mit dem Staat als dem Subjekt eines nur im Not- bzw. Grenzfall gerechtfertigten Krieges »die staatliche Gemeinschaft in a l l e n ihren Gliedern«157 anvisiert.158 So wie der Staat nach Barth »in die volle Verantwortlichkeit jedes Einzelnen fällt«159, so auch der Krieg als »Aktion des Staates«160. Barth versteht die Bürger-Staat-Beziehung im Sinne einer allgemeinen politischen Partizipation am Staat und nicht einer delegierten Herrschaftsausübung durch eine gewählte oder anderweitig konstituierte Elite. Barth orientiert sich keineswegs an einem partikularen, standesbezogenen oder interessenbedingten, sondern an einem verallgemeinerungsfähigen, ja geradezu basisdemokratisch pointierten Staats- und Rechtsbegriff.161 So wie es Barth mit der Akzentuierung der Rechtsstaatlichkeit immer um die politische Partizipation im Sinne bürgerlichen Einflusses auf staatliche Herrschaftsausübung geht, mit anderen Worten um Beteiligungs- statt Zuschauer156 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 290 (Brief nach Großbritannien, Ostern 1941). Vgl. T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 85. 157 K. Barth, KD III/4, 519. 158 Ganz im Sinne Barths bemerkt B. Klappert (Versöhnung und Befreiung, 267): »[D]a der eigentliche Zweck des Staates im Aufbau einer Rechts-, Friedens- und Freiheitsordnung besteht, ist die Entwicklung des sozialen Rechtsstaates seine primäre Aufgabe«. 159 K. Barth, KD III/4, 532. 160 A.a.O., 531. 161 Vgl. W. Lienemann, Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden?, 267.

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demokratie, so nun auch im »Grenzfall Krieg«. Auch hier ist der Einzelne nicht von seiner Verantwortung dispensiert. Vielmehr sind und bleiben alle Angehörigen der Staatsvölker auch im Krieg verantwortliche Subjekte, die persönlich als Staatsbürger und -bürgerinnen danach gefragt sind, ob die Kriegsführung zu Recht oder zu Unrecht geschehe, der Krieg mithin bellum iustum oder bellum iniustum sei: »Heute sind ja längst die Staatsvölker als solche und damit alle ihre Angehörigen zu verantwortlichen Subjekten des Krieges geworden. Es hätte keinen Sinn, diese Verantwortlichkeit nun doch wieder auf das Kollektiv abzuschieben: eben das Vaterland, das ruft, auf das Volk, das aufsteht, auf den Staat, der befiehlt. Jeder Einzelne ist selbst das Vaterland, das Volk, der Staat, Kriegführender: er handelt, wenn Krieg geführt wird, und er ist gefragt, ob das zu Recht oder zu Unrecht geschehe. Das ist das Erste, was dem Problem des Krieges heute seine ethische Schärfe gibt. Es ist eine Illusion, wenn man meint, daß da irgendjemand unverbindlich dabei sein und bloß zuschauen könne.«162

b) ultima ratio Die Berufung auf das Kriterium der ultima ratio, wonach ein Krieg nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf, nachdem zuvor alles versucht wurde, einen Konflikt friedlich beizulegen, findet sich durchgängig im politisch-ethischen Schrifttum Barths. In seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946) etwa hebt Barth dieses zur ethischen Beurteilung eines Krieges anzusetzende Kriterium explizit hervor: Die Christengemeinde »kann aber jede gewaltsame Konfliktlösung nur als ultima ratio regis gelten lassen. Sie wird sie nur gutheißen und unterstützen, wo sie sich als augenblicklich letzte unvermeidliche Möglichkeiten aufdrängen. Und sie wird diese Augenblicke der Erschöpfung aller anderen Möglichkeiten – indem sie warnt, solange es noch andere Möglichkeiten gibt – immer soweit als möglich hinauszuschieben und zu vermeiden bemüht sein. […] Sie erweise sich, bevor sie sich den Ruf nach der Gewalt zu eigen macht, als erfinderisch im Aussuchen anderer Konfliktlösungen!«163 Barth plädiert für eine »wirklich bis an die Grenzen des Menschenmöglichen gehend[e] Friedenspolitik.«164 Im Abschnitt zu Krieg und Frieden im Band III/4 seiner »Kirchlichen Dogmatik« erweist sich die Rede vom Grenzfall als engstens mit dem Kriterium der ultima ratio verknüpft, wonach der Krieg die »letzte Möglichkeit« ist, die »nur in der letzten Stunde des dunkelsten Tages«165 ergriffen werden darf. Dementsprechend scharf kritisiert Barth »[d]ie erstaunliche Leichtfertigkeit, in der der 162 163 164 165

K. Barth, KD III/4, 516. Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 73 f. A.a.O., 74. Ders., KD III/4, 522.

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Krieg trotz allem, was von ihm abschrecken konnte, durch alle Jahrtausende hindurch nicht nur von Einzelnen, sondern auch von den Massen der Völker immer wieder bejaht, manchmal sogar begeistert begrüßt und dann mit Schwung geführt werden konnte«166. Das Kriterium der ultima ratio möchte die Begeisterung einer solchen Begrüßung des Krieges drosseln und das sich aufbauende Schwungholen bremsen. Es zielt mit anderen Worten darauf ab, dem Gegner, aber auch dem eigenen Staat Zeit zur Einsicht in eigene Irrtümer und Fehler sowie zur gewaltfreien Korrektur derselben zu gewähren: »Die Notwendigkeit der Anwendung der ultima ratio zeigt doch wohl immer an, daß vorher vielfach – und sicher nie bloß von einer Seite – geirrt und gefehlt worden ist.«167 Eine zögerliche Haltung und eine »hinausschiebende Bewegung«168 ist Barth zufolge von der Kirche hinsichtlich der Applikation dieses Kriterium gefordert: »Immer noch besser, wenn sie [die Kirche; M.H.] ihren Posten in dieser Hinsicht [der Vermeidung von Krieg; M.H.] zu lange hält, so daß er schließlich zum verlorenen Posten werden mag, als wenn sie ihn zu früh verläßt, um nachher bemerken zu müssen, daß sie untreu wurde, indem sie einer allgemeinen Aufregung verfiel und damit an einem vermeidbaren Krieg, der dann Völkermord sein wird, mitschuldig geworden ist.«169 Barth erachtet auch das Kriterium der ultima ratio im Fall des Krieges gegen Nazi-Deutschland als erfüllt. So führt er in seinem Brief nach Frankreich vom Dezember 1939 aus, dass Frankreich und England »nach langem – nach vielleicht zu langem, aber in Anbetracht der Schrecklichkeit dieser ultima ratio doch wohlbegründetem Zögern zu den Waffen gegriffen [hätten], um der Willkür des von der gegenwärtigen deutschen Regierung proklamierten und in steigender Rücksichtslosigkeit angewendeten Faustrechtes ein Ende zu machen.«170 Nachdrücklich betont er, »daß es vor Gott und den Menschen nicht zu verantworten wäre, wenn der Versuch, mit dieser Sache, mit der Hitlerschen Bedrohung, Schluß zu machen, nicht unternommen würde. Der Krieg war schließlich das einzige Mittel, das zu diesem Zwecke übrig blieb.«171 Auch in seinem Vortrag »Des Christen Wehr und Waffen«172 (1940) rechtfertigt Barth das Vorgehen der Alliierten unter Rekurs auf das ultima-ratioKriterium: 166 A.a.O., 471. 167 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 373 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). 168 Ders., KD III/4, 522. 169 A.a.O., 527. 170 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 215 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939). Vgl. T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 76 f. 171 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 216 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939). 172 Vgl. zum zeitgeschichtlichen Hintergrund E. Busch (Hg.), Die Akte Karl Barth, 18 – 22; ders., Der Theologe Karl Barth und die Politik des Schweizer Bundesrats, 176 – 179.

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»Alle vernünftigen Menschen und noch ganz anders alle Christen sind sich darüber einig, daß der Krieg unter allen Umständen etwas unsagbar Schreckliches ist, zu dessen Vermeidung fast kein Preis zu hoch sein kann. Fast kein Preis! Es gibt nämlich einen Preis, der mit gutem Gewissen und zur Vermeidung dieses Schrecklichen, auch zur Erhaltung des Friedens nicht bezahlt werden kann. Dieser Preis ist im letzten Herbst [1939; M.H.] gefordert worden und weil dieser Preis nicht bezahlt werden konnte und durfte, darum haben wir heute Krieg, darum mußte und muß sich auch die Schweiz für die Möglichkeit des Krieges rüsten und bereithalten. […] Man kann diesmal nicht sagen, daß […] zu seiner Vermeidung nicht das Menschenmögliche getan [wurde]. Der Friede, den wir in den letzten Jahren hatten, war ein so teuer erkaufter Friede, daß man sich seiner nicht mehr freuen konnte. Aber wie dem auch sei, man hat sich diesmal um den Frieden bemüht, bis es nicht mehr ging, bis die Vergeblichkeit alles Ratens, Warnens und Bittens offenkundig war. Man wählte den Krieg, als das Maß nicht nur voll war, sondern überlief.«173

c) recta intentio Das Kriterium der rechten Absicht (recta intentio), der unbedingten Ausrichtung auf die (Wieder-)Herstellung einer Friedensordnung als Kriegsziel, durchzieht ebenfalls die Äußerungen K. Barths. So beruft er sich auf dieses Kriterium, wenn er die Erhaltung der Schweizer Neutralität als Beitrag zu diesem Kriegsziel ausweist: Die Beteiligung der Schweiz »an der Wiederherstellung eines gewissen Rechtszustandes kann zunächst nur darin bestehen, daß sie dafür sorgt, daß der sie angehende Teil der europäischen Ordnung, d. h. aber die Neutralitätsakte von 1815, unter allen Umständen aufrecht erhalten bleibt. Wenn Hitler sich eines Tages auch an dieser Sache, für die wir verantwortlich sind, vergreifen wollte, dann würden wir damit, aber erst damit am Kampf legitim und notwendig beteiligt sein. Gerade um des wohlverstandenen Sinnes dieses Krieges willen kann die Schweiz ihre Neutralität nicht etwa von sich aus aufheben.«174 Den Christen in Norwegen spricht Barth über den Londoner Rundfunk im April 1942 zu: »Ihr dürft zur Wiederherstellung der Freiheit und des Rechtes in eurem Vaterland den größten und entscheidenden Beitrag leisten.«175 In einem mit rechter Absicht geführten Krieg kann es Barth zufolge nur um die Herbeiführung einer freiheitlich ausgerichteten und rechtsstaatlich organisierten Friedensordnung für alle gehen. Ein anderes Kriegsziel als die Erhaltung bzw. Wiederherstellung eines rechten, freien Friedens kann und will Barth nicht gelten lassen.176 Der Sache nach greift er den H. Grotius zugeschriebenen völ173 174 175 176

K. Barth, Des Christen Wehr und Waffen, 17 f. Ders., Offene Briefe 1035 – 1942, 193 (Brief vom 18. 11. 1939 an A.C. Cochrane, Kanada). Ders., Offene Brief 1935 – 1942, 330 (Brief nach Norwegen, April 1942). Zu Barths Konzeption des »gerechten Friedens« vgl. den Abschnitt II.5. der vorliegenden Untersuchung.

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kerrechtlichen Grundsatz auf: »Der Zweck/das Ende des Krieges ist der Friede« (belli finis pax est)177 und präzisiert ihn dahingehend, dass er feststellt: Der Zweck des gerechten Krieges ist der rechte Friede (belli iusti finis pax iusta est). Weil das Kriterium der recta intentio auf die Universalität einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Friedensordnung abzielt, die im Interesse aller Völker liegt, kann Barth die Kriegsabsicht der Alliierten, insofern sie eben dieses Ziel und nicht etwa nationale Expansionsbestrebungen im Kampf gegen Hitler realisieren möchten, aus internationalem und somit auch Deutschlands eigenem Interesse heraus rechtfertigen. Nach Barth »kann man nicht gut leugnen, daß es in diesem Krieg nicht nur um die Sache Frankreichs und Englands, sondern auch um die aller andern Völker – zuletzt sogar um die Sache des deutschen Volkes selber geht. Das ist das Besondere dieses Krieges, daß er aus einer tödlichen Gefährdung aller entstanden ist und zum Schutze Aller geführt werden muß.«178 Diesen Gedanken schärft Barth den Alliierten des Zweiten Weltkrieges in seinen Sendschreiben an die Christen in den kriegführenden Staaten Europas und Amerikas aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein. Denn es ist gerade die Kirche Jesu Christi, die nach Barth deutlich wissen und sagen kann, »daß das Letzte im Kriege – und gerade in diesem Kriege – nicht der Krieg sein kann, daß er (einer schmerzlichen, aber sinnvollen Operation vergleichbar) nur um des Helfens und Heilens und Lebens willen geführt werden kann.«179 Barth rekurriert hier implizit auf Martin Luthers Arzt-Soldat-Vergleich aus seiner Schrift »Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können« (1526),180 177 Vgl. H. Grotius, De Iure Belli, III, 21. 178 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 216 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939). So auch ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 375 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942): »Es wäre dem deutschen, dem italienischen, dem japanischen Volk nicht gut gewesen, wenn man sich den törichten Aspirationen, mit denen sie in diesen Krieg zogen, gefügt hätte. Der Krieg gegen sie wird in Wahrheit auch für sie geführt. Als eine Exekution der göttlichen Rache über die Schuldigen oder doch Schuldigeren aber könnte er keine gute Sache sein. Völker und Regierungen und Armeen würden ihn dann nur in heuchlerischer Selbstgerechtigkeit, sie würden ihn angesichts ihrer eigenen Mitschuld nur mit schlechtem Gewissen führen können, und es könnte dann das Ergebnis des Krieges auf alle Fälle nur die Ursache von neuen Übelständen und späteren Kriegen sein.« 179 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 218 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939). 180 Vgl. WA 19, 625,29 – 626,10 (Modernisierung nach Martin Luther, Ausgewählte Schriften Bd. 4, hg. v. K. Bornkamm / G. Ebeling, 176): »Denn es ist wie bei einem guten Arzt: Wenn die Krankheit so böse und schwer ist, daß er Hände, Füße, Ohren oder Augen muß abhauen lassen oder verderben, auf daß er den Leib rette – wenn man das Glied ansieht, das er abhaut, scheint es, er sei ein greulicher, unbarmherziger Mensch; wenn man aber den Leib ansieht, den er dadurch retten will, so findet sich’s in Wahrheit, daß er ein trefflicher, treuer Mensch ist und ein gutes christliches Werk – soweit es an ihm selbst liegt – tut. Ebenso ist es auch, wenn ich das Kriegsamt betrachte, wie es die Bösen straft, die Ungerechten würgt und solchen Jammer anrichtet: Da scheint es ein ganz unchristliches Werk zu sein und durchaus wider die christliche Liebe. Betrachte ich es aber, wie es die Rechtschaffenen schützt, Weib

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wonach sich das Kriegführen zu Recht und Frieden verhält wie die Tätigkeit des Chirurgen zur Gesundheit.181 So wie die Handlung des Kriegführens nach Luther, der eben diesen Gedanken mittels der Analogisierung von Kriegsführung und chirurgischem Eingriff betont, nicht primär von ihren Mitteln, sondern von ihrem Zweck her zu qualifizieren ist,182 so hebt auch Barth diesen Gedanken in seinem Rückgriff auf Luthers Metaphorik hervor. Barth wendet dieselbe gegen eine Stilisierung des Krieges zu einem Rachefeldzug gegen die »Bösen«: Der Krieg »ist gerade kein Instrument der göttlichen Rache der Einen gegen die Anderen – das kann ja schon die Polizeigewalt und die Gerichtsbarkeit im Frieden nimmermehr sein: ›Mein ist die Rache, spricht der Herr. Ich will vergelten‹ [Dtn 32,23; Röm 12,19; Hebr 10,30; M.H.] – sondern sehr schlicht das freilich furchtbare letzte Instrument zur Wiederherstellung der durch gemeinsame Schuld verletzten und zerstörten öffentlichen Ordnung. Daß es im Krieg einen ›Feind‹ gibt, der heute Hitler und leider auch Deutschland heißt, das bedeutet nur, daß dort nun eben die Krankheit, an der wir alle litten, aufgebrochen und eben dort nur noch durch Operation zu heilen ist.«183

Barth kann die Metaphorik vom Arzt und Soldaten variieren und sie um zwei weitere »Metaphernkränze« ergänzen, nämlich die vom Feuerwehrmann und Polizisten: »Zu diesem Krieg muß leider im vollen Bewußtsein um die Schrecklichkeit jedes Krieges Ja gesagt werden. Dieser Krieg gleicht dem, was die Feuerwehr mit Bedacht aber auch mit Energie zu unternehmen versucht, um ein brennendes Haus zu löschen, damit nicht die ganze Straße in Brand gerate, obwohl dabei durch Wasser vielleicht ebensoviel beschädigt und zerstört wird, wie durch das zu löschende Feuer. Er gleicht einer vom Arzt hoffentlich sachkundig durchzuführenden Operation, bei der wohl ziemlich viel Blut, vielleicht auch ein ganzes Glied des Patienten geopfert, bei der sogar dessen Leben in akute Gefahr gebracht werden muß, um, weil alles Andere nichts mehr hilft, vielleicht so sein Leben zu retten. Er gleicht dem, was die Polizei, was aber auch Eltern und Lehrer gelegentlich tun müssen, wenn sie dem Ordnungsbrecher, der anders nicht zu belehren ist, ohne Lust aber auch ohne Sentimentalität, in Maß und Form – damit die Unordnung nicht allgemein werde – eine feste Hand zeigen, obwohl das für beide Teile sicher ein peinliches und auch gefährliches Unternehmen sein wird.«184

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und Kind, Haus und Hof, Gut und Ehren, und dadurch den Frieden erhält und bewahrt, so findet sich’s, wie köstlich und göttlich das Werk ist, und ich erkenne, daß es auch ein Bein oder eine Hand abhaut, auf daß der ganze Leib nicht vergehe.« Vgl. W. Lienemann, Gewalt und Gewaltverzicht, 158. So H.-R. Reuter, Martin Luther und das Friedensproblem, 72. Unbenommen dieser Aussageintention Luthers lässt sich mit W. Lienemann (Gewalt und Gewaltverzicht, 158) festhalten, dass Luther mit seiner Qualifizierung der Kriegsführung als chirurgischem Eingriff faktisch »eine entscheidende Eingrenzung aller Kriegsmöglichkeiten und -mittel« vornimmt, insofern nämlich die Mittel diesem Zweck ent- und nicht widersprechen sollen. K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 374 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 20 f.

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Besonders wirkmächtige Impulse sind für die friedens- und militärethische Diskussion von dem von Barth immer wieder bemühten Soldat-PolizistenVergleich185 ausgegangen, insofern dieser einen Wandel des traditionellen Soldatenbildes und zwar weg vom Kämpfer und hin zum Schutzmann, zum miles protector, anzeigt.186 Dieses neue Leit- bzw. Idealbild des Soldaten verkörpert geradezu die recta intentio.187 d) iusta causa In Barths Briefen und Vorträgen während des Zweiten Weltkrieges wird am ausführlichsten die Frage nach dem gerechten Grund (iusta causa) bedacht und ausgeführt. Von einem gerechten Grund kann man Barth zufolge nur aufgrund zugefügten Unrechts sprechen. Es geht also bei diesem Kriterium um den Nachweis, dass der Gegner das geltende Recht gebrochen hat, indem er einen nicht-provozierten Angriff vom Zaun brach, der nun mittels militärischer Gewalt abgewehrt werden soll. So beharrt Barth in seinem Brief an die Christen in Holland (1940) darauf, dass der Schweizer Staat erst dann zum Gebrauch militärischer Gewalt gegen Nazi-Deutschland legitimiert sei, wenn ein nachweis185 Um diesbezüglich nur zwei Beispiele anzuführen: In einem Fernsehinterview mit dem BBC vom 15. 10. 1960 bemerkt K. Barth (Gespräche 1959 – 1962, 159) bezeichnenderweise: »Wenn ich nicht Theologe wäre, würde ich gern Verkehrspolizist sein.« Vgl. auch ders., Gespräche 1963, 56 – 59 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). Hinsichtlich des Zweiten Weltkrieges betont K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 374 f. (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942)), »daß gerade dieser Krieg nur den Charakter einer ernsten, unvermeidliches Leid über alle bringenden Polizeiaktion zur Verteidigung des rechten Staates haben kann – je weniger er sich (als hätten wir nicht alle in gleicher Weise Gottes Vergebung nötig!) gegen irgendwelche Schuldigen, je mehr er sich schlicht gegen ein bestimmtes unerträgliches Vergehen und auf die Beseitigung von dessen Ursachen und Wirkungen richtet, desto kaltblütiger und energischer wird der Krieg geführt werden, weil man dann – aber auch nur dann – ein gutes Gewissen bei dieser harten und schrecklichen Sache haben wird. Als ernste, ordentlich durchgeführte Polizeiaktion mit dem nüchternen Ziel, Hitler zu beseitigen und Deutschland und seine Verbündeten für alle Zeit unschädlich zu machen, ist er eine in sich gute, bei aller Härte und Schrecklichkeit barmherzige Sache, die im wahrsten Interesse auch aller direkt Betroffenen liegt.« Vgl. W. Werpehowski, Karl Barth and Just War, 79. 186 Gerade diejenigen, die – wie etwa W. Lienemann (Gibt es gerechte Kriege?, 81) – für eine Stärkung der Rechtsdurchsetzungsmacht, sprich: der UN, im internationalen System plädieren, greifen diesen von Barth so nachdrücklich bemühten Vergleich auf: »Eine solche [von implementierten Institutionen des Rechtsschutzes und der Rechtsdurchsetzung wahrgenommene; M.H.] Potenz der Friedenssicherung würde man dann sinnvollerweise nicht mehr als Fähigkeit, Krieg zu führen, konzipieren, sondern die auch unter derartigen Voraussetzungen immer noch notwendigen Sanktionsmittel würden der Funktion und Legitimation nach eher bei der Polizei als beim Militär angesiedelt sein. Der Soldat erfährt dann einen Funktionswandel vom Kämpfer und Krieger zum Beschützer (miles protector).« Vgl. ders., Dem Bösen ins Auge schauen, 23; ders., Mit der Gewalt Gott dienen?, 374 ff. 187 D. Baumann (Militärethik, 549 – 574) hat seinen wegweisenden militärethischen Entwurf an diesem Leitbild entlang entwickelt.

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barer Rechtsbruch in Gestalt eines Vertragsbruchs vorliege. Ohne »Gegebensein eines uns angehenden Vertragsbruchs« wäre es »politisch eine Donquichotterie«188, sich in den Krieg der Alliierten zu stürzen. Ein offenkundiger Vertragsbruch bildet Barth zufolge die unabdingbare Voraussetzung rechtmäßigen Gewaltgebrauchs: »Aus dem mit uns geschlossenen Pakt sind wir erst dann entlassen, wenn er [Hitler] diesen mit uns geschlossenen Pakt seinerseits verletzt hat. Damit, daß wir ihm trotz schweren Verdachtes Treue halten, bekunden wir, ›daß wir wirklich und deutlich auf die Seite gehören, die Verträge als verbindlich ansieht‹. Wie sollte das anders als eben praktisch bekundet werden und welche andere Praxis als diese bleibt uns rebus sic (vor einem Angriff Deutschlands) stantibus übrig? Jede andere Praxis (insbes. ein Angriff auf Deutschland von unsrer Seite) würde durch die Motivierung einer Verteidigung des Prinzips ›Pacta sunt servanda‹ nicht vor dem Vorwurf geschützt sein, selber den schlimmsten Hitlerismus darzustellen.«189

Barths rechtsethische Argumentation zeichnet sich dadurch aus, dass er neben der formal-juridischen Bestimmung eines rechtswidrigen Aktes auch inhaltlich nach dem angemessenen Recht(sbegriff) fragt. Ja, wie Barth akzentuiert, muss die Kirche so fragen, um hinsichtlich der causae iniustae ihrem Auftrag gemäß auskunftsfähig zu sein: »Eben die Kirche, die ihr Ja zum Krieg zuvor ernstlich verwahrt, die zuvor ganz und gar nur den Frieden im Staat und den Frieden zwischen den Staaten als den Willen Gottes verkündigt, die auch bis zuletzt geltend gemacht hat, was ein berechtigter Kriegsgrund nicht sein kann – eben sie wird, wenn der echte Notstand und mit ihm der seltene, sehr seltene Fall des gerechten Krieges da ist, in der Lage sein, den Menschen zu sagen, daß sie, wenn sie nun töten müssen, darum doch keine Mörder sind, sondern auch in diesem opus alienum des Staates Gottes Willen tun dürfen und müssen.«190

Im Blick auf den von Deutschland am 1. September 1939 unprovoziert begonnenen Krieg stellt Barth klar, dass der Aggressor sich nicht auf das Kriterium der causa iusta berufen kann: »Wir sind heute Zeugen eines umfassenden reinen Eroberungskrieges […]. Mit einem angeblichen Freiheitskampf, mit dem Bedürfnis nach eigenem Lebensrecht und Lebensraum und mit der berauschenden und einschläfernden Verheißung von Frieden, Ordnung und heilsamer Erneuerung für alle Andern sind solche Unternehmungen noch immer gerechtfertigt worden.«191 Barth weiß um den Missbrauch der Lehre vom bellum iustum, die insbesondere in der irrtümlichen Berufung auf das Kriterium der iusta causa 188 189 190 191

K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 235 (Brief vom 1. 5. 1940 an G.H. Slotemaker, Holland). A.a.O., 234. Ders., KD III/4, 531. Ders., Eine Schweizer Stimme, 160 (Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit, November 1940).

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besteht, welche – historisch geurteilt – einen ausschlaggebenden Faktor für den Funktionswandel dieser Lehre hin zu einem »nichtdiskrimierenden« Kriegsbegriff bildete, der die Frage der causa iusta offen ließ.192 Anstatt jedoch als Konsequenz aus der beiderseitigen Überzeugung von der eigenen iusta causa das bellum iustum ex utraque parte zu postulieren, wie dies etwa bei H. Grotius geschah,193 ist Barth nicht bereit, hinsichtlich des Zweiten Weltkrieges eine Unentscheidbarkeit rechtmäßiger Kriegsgründe zu konzedieren. Dies würde bedeuten, Hitler den Status eines iustus hostis zuzubilligen. Barth sieht hier hingegen Recht und Unrecht eindeutig asymmetrisch verteilt: »Es ist […] nicht zu verkennen, daß es sich in diesem Krieg um eine Sache handelt, die es wert ist, mit allen Mitteln, auch mit dem des Krieges, verteidigt zu werden und die anders als eben mit Krieg nicht mehr zu verteidigen war.«194 Als diese Sache bezeichnet Barth »die Verteidigung des Rechtes als solchen gegen das prinzipielle Unrecht und also um eine Sache, über die man nicht verhandeln, für die man sich nur wehren kann«195. Barth zufolge ist es im Zweiten Weltkrieg eindeutig der Fall, dass »der rechte Staat als solcher gegen die Explosion der Tyrannei und Anarchie mit Waffengewalt verteidigt werden muß.«196 Barth betont entscheiden »das Recht und die Notwendigkeit dieses Krieges zur Verteidigung des rechten Staates«197. Der Basler Theologe profiliert seinen Zentralgedanken der »Verteidigung des Rechtes«198 in der Weise, dass er – wie wir gesehen haben199 – dem von ihm verwandten Rechtsbegriffs die Begriffe »Friede« und »Freiheit« als dessen Interpretamente beigesellt. Auf diese Trias »Recht, Friede und Freiheit« lassen sich Barths Ausführungen in dem Band »Eine Schweizer Stimme« zurückführen: In diesem Krieg gegen Hitler geht es um einen Kampf »gegen die grundsätzliche Auflösung des rechten Staates«200, das Sichzurwehrsetzen gegen die Diktatur als »Bedrohung des rechten Friedens«201 und die Verteidigung derjenigen Freiheit,

192 Vgl. W. Huber / H.-R. Reuter, Friedensethik, 80 – 84; W. Lienemann, Gibt es gerechte Kriege?, 74 f.; ders., Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden?, 267 f. 193 Vgl. H. Grotius, De Iure Belli, XXIII, 13. 194 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 283 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 195 A.a.O., 285. 196 Ders., Offene Brief 1935 – 1942, 373 (Brief an einen amerikanischen Kirchemann, Oktober 1942). 197 A.a.O., 382. 198 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 286 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 199 Vgl. Abschnitt II.2.3.2.2. der vorliegenden Untersuchung. 200 K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 102 f. (Die Kirche und die politische Frage von heute, Dezember 1938). 201 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 139 (Brief vom 24. 10. 1938 an A. Tromp-de Jong, Holland).

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»in der alle andere Freiheit gegründet ist, nämlich um die Freiheit, das Evangelium zu hören und zu verkündigen«202. Dort, wo die mit diesen drei Grundbegriffen umschriebenen äußeren Minimalbedingungen gelingenden Zusammenlebens – Barth kann später auch vom »Gemeinwohl«203 sprechen – gewaltsam in Frage gestellt werden, herrschen jene menschenunwürdigen Verhältnisse, deren mit physischem Zwang einhergehenden Export in fremdes Staatsterrain für die davon Betroffenen eine causa iusta darstellt: Es gibt Verhältnisse, »die man nicht ertragen kann, weil man sie nicht ertragen darf[:] die Gleichschaltung der Gewissen, die Fügsamkeit und also die Unfreiheit jedes Wortes und jedes Gedankens, den Verzicht auf jede selbständige Verantwortlichkeit und Mitarbeit dem ganzen gegenüber, die Beugung und Brechung jedes Rechtes außer dem ihres eigenen Willens und ihrer Macht, ihn durchzusetzen. Es ist in diesem ernsthaften Sinn unerträglich, wenn eine von keiner Seite kontrollierte Staatsmacht die moralische Vernichtung oder auch die physische Unschädlichmachung jedes ihr Widerstrebenden und schließlich auch die systematische Ausrottung derer, die um ihrer Schwachheit willen für ihre Zwecke endgültig unbrauchbar sind, zum täglich geübten Prinzip erhebt. Und es ist in diesem ernsthaften Sinn unerträglich, wenn auch die Kirche nur die Wahl hat, entweder sich selbst dem Kultus dieser als Gottheit sich gebärdenden Staatsmacht zu widmen oder aber ihr Zeugnis auf ein unverbindliches Lispeln in der Sphäre der privaten Frömmigkeit zu beschränken. […] Zu dem allem kann man aus freien Stücken – solange es solche noch gibt – nicht Ja, sondern in Ehren nur Nein und zwar aus ganzem Herzen, aus ganzem Gemüt und mit allen seinen Kräften Nein sagen. Das alles mitmachen zu müssen – ich nenne nur ein Bestimmtes: die grobe und feine Mißhandlung der Juden direkt oder indirekt mitmachen zu müssen, das ist darum unerträglich, weil es nicht recht, weil es schändlich ist. Eben das alles ist aber der Sinn und Inhalt der heute drohenden Fremd- und Gewaltherrschaft«204

Eine kurze und prägnante Zusammenfassung des sog. ius ad bellum, das auf die Eingrenzung der zulässigen Kriegsgründe abzielt, liefert Barth in seiner Neuformulierung der 5. Barmer These, wie er sie im Gespräch mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg (1963) vortrug: »Die Schrift sagt uns, daß der Staat … dem Gemeinwohl zu dienen hat und also dem Recht, dem Frieden und der Freiheit im Notfall unter Androhung und Ausübung von Gewalt.«205 Das Kriterium der ultima ratio verbirgt sich hinter der Formulierung »im Notfall«, die recta intentio wird wiederum beschrieben in der Gesamtzielsetzung jegli202 Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 21. 203 Ders., Gespräche 1963, 62 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 204 Ders., Eine Schweizer Stimme, 160 f. (Unsere Kirche und die Schweiz in der heutigen Zeit, November 1940). 205 Vgl. ders., Gespräche 1963, 62 f. (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg).

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chen Staatshandelns und damit eben auch des Notfallhandelns in Form von staatlicher Gewaltanwendung. Im Hinblick auf die iusta causa tauchen die das »Gemeinwohl« umschreibenden drei Zentralbegriffe »Recht, Friede und Freiheit« auf: Freiheits-, Rechts- und Friedenswahrung sowie deren Wiederherstellung können zur Abwehr rechtsmässiger Gewaltzufügung inner- wie zwischenstaatliche rechtmässige Gewalt als ultima ratio legitimieren. II. Ius in bello Während das auf eine Eingrenzung der zulässigen Kriegsgründe abzielende ius ad bellum in der Zeit des Zweiten Weltkriegs für Barth von entscheidender Bedeutung war, insofern er mithilfe der dargestellten Kriteriologie die Verteidigung gegen den unprovozierten Angriffskrieg NS-Deutschlands rechtfertigen konnte, spielt das ius in bello im Blick auf seine Beurteilung des Zweiten Weltkrieges keine Rolle. Ein Plädoyer für eine Eingrenzung der Mittel zur Kriegsführung findet man in jener Zeit bei Barth nicht. Freilich lässt Barth keinen Zweifel an seiner grundsätzlichen Abscheu gegenüber dem Krieg: »Krieg unter Menschen ist eine entsetzliche Sache. Und er ist auch eine schwache Sache. Denn wie gering ist die Sicherung und Besserung, die wir uns auch nur im Diesseits mit diesem letzten und verzweifelten Mittel menschlicher Entscheidung verschaffen können.«206 Eine Differenzierung zwischen vertretbaren und unvertretbaren Mitteln der Kriegsführung vollzieht Barth jedoch nicht, wie sie etwa angesichts des modernen Luftkrieges, der Flächenbombardements und der daraus resultierenden Unmöglichkeit, die Zivilbevölkerung vor kriegerischer Gewalt zu schützen, durchaus nahe gelegen hätte. Im Gegenteil: Barth legte seinem Brief an den Bischof von Chichester, George Bell, vom 19. 6. 1942 ein Foto bei, das ihn als Soldat mit Uniform zeigte und schloss seinen Brief mit der Bemerkung: »Perhaps you will like to have this little picture, showing a man who made up his mind, to resist the evil at all means!«207 Ebenso heißt es in Barths Band »Eine Schweizer Stimme«, dass Hitler »mit allen Mitteln Halt geboten werden«208 müsse. Auch ist von »den unreinen und schwachen Mitteln des vorläufigen Streites [gemeint ist der irdische Krieg im Unterschied zum Kampf der Endzeit; M.H.]«209 die Rede sowie davon, dass die Kriegsmittel »der Welt des Irrtums, der Sünde und des Todes nur zu angemessen sind«210. Dies bedeutet freilich keine Bagatellisierung, sondern eher eine nüchterne Einschätzung der Kriegsmittel. Barth wendet sich mit anderen Worten gegen 206 207 208 209 210

Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 33. Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 335 (Brief vom 19. 6. 1942 an G. Bell, England). Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 31. A.a.O., 35. A.a.O., 36.

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jede Form der geschichtstheologischen Überlegitimation ihres Gebrauchs als vermeintlichem Beitrag zu Gottes eschatologischem Endsieg. Derartige theologische Glorifizierungs- und Heroisierungsabsichten sind Barth fremd. Dies wird besonders deutlich, wenn Barth in dem Abschnitt zu Krieg und Frieden in KD III/4 auf die Wirklichkeit des Krieges im 20. Jahrhundert fokussiert: »Unterdessen hat gerade die überhandnehmende kalte Sachlichkeit des militärischen Tötens, das Raffinement und die massenhafte Wirkung, zum Teil auch die Abscheulichkeit seiner Methoden, Instrumente und Maschinen und seine Ausdehnung auf die feindliche Zivilbevölkerung dafür gesorgt, daß, wer Krieg sagt, wissen müßte, daß er damit schlicht und eindeutig töten sagt: töten ohne Glanz, ohne Würde, ohne Ritterlichkeit, ohne Schranke und Rücksicht nach irgendeiner Seite. Der Ruhm des sogenannten ›Soldatenhandwerkes‹ das eben heute beiläufig zum direkt oder indirekt ausgeübten ›Handwerk‹ eines Jeden geworden ist, kann in unseren Tagen nur noch von den Resten jener alten, schon damals fadenscheinigen Illusionen leben. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man sich angesichts der Tatsachen endlich ganz nüchtern dazu bekennen würde, daß, was auch der Zweck und allenfalls das Recht des Krieges sein mag, sein Mittel heute jedenfalls ohne Hülle und Scham dies ist, daß nicht nur Einzelne, nicht nur irgendwelche ›Heere‹, sondern die ganzen Völker als solche sich gegenseitig mit allen Mitteln ans Leben wollen.«211

Die Mittel der modernen Kriegsführung, auf die das ius in bello abzielt, werden allerdings auch hier kaum an sich bedacht. Vielmehr ist von ihnen eher mittelbar die Rede, insofern sie die wahre »Apokalypse« des Krieges in seiner ungeschminkten Vulgarität herbeiführen und die ganze Häßlichlichkeit und Schrecklichkeit des Krieges offenbaren: »Die Möglichkeit der Atom- oder Wasserstoffbombe hat eigentlich nur noch gefehlt, um die Selbstenthüllung des Krieges […] vollständig zu machen.«212 Das Kriterium der Angemessenheit der Kriegsmittel (debitus modus) ist bei Barth – so sei ertragssichernd festgehalten – bis zu seiner Auseinandersetzung mit der Atombewaffnung in den 1950er Jahren kaum ein Thema und wird von ihm so gut wie gar nicht reflektiert.213 Nur beiläufig spricht er von »der drohenden Atombombe« in seinem Vortrag »Die Unordnung der Welt und Gottes

211 Ders., KD III/4, 518 f. 212 A.a.O., 519. 213 Vgl. D. Cornu, Karl Barth und die Politik, 153; B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 260. Die nicht erfolgte Berücksichtigung des ius in bello hat Barth die Kritik eingebracht, damit in KD III/4 de facto auch einem »totalen Krieg« Vorschub zu leisten, da die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht in den Blick genommen werde. So etwa A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 247 – 251; W. Werpehowski, Karl Barth and Just War, 69.80. Vgl. fernerhin: J.R. Bouwlin, Barth and Werpehowski on War, Presumption, and Exception, 84.95.

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Heilplan«214 vom 23. 8. 1948 im Rahmen der Weltkirchenkonferenz in Amsterdam. Mit der Frage der Atombewaffnung, die in Deutschland ab Mitte der 1950er Jahre politisch virulent, ja brisant wurde,215 stellte sich für Barth dann aber die Frage nach dem debitus modus in unübersehbarer Deutlichkeit. Er argumentiert nun streng nach dem Prinzip der Proportionalität, wenn er den Atomkrieg grundsätzlich als einen bellum iniustum bezeichnet. Für Barth ist der Atomkrieg von Anfang an »ein Widerspruch in sich selbst«216, da er das, was er zu verteidigen vorgibt, selber aufhebt. Krieg in Gestalt des Atomkrieges erweist sich nach Barth »als ein zur politischen Auseinandersetzung untaugliches, weil ihre Voraussetzungen aufhebendes, durch keinen Zweck geheiligtes Mittel.«217 Denn Krieg in dieser Gestalt »bedeutet – in kaum mehr zu überbietendem Mißbrauch der Natur und ihrer Kräfte – die gegenseitige radikale Ausrottung der an ihm Beteiligten und darüber hinaus (schon in seiner Vorbereitung) schwerste Bedrohung auch der künftigen Generationen, allen geschöpflichen Lebens überhaupt.«218

214 K. Barth, Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan, 4. 215 Vorbote der schweren innerkirchlichen Auseinandersetzungen war die Remilitarisierungsdebatte in Deutschland zu Beginn der 1950er Jahre. Auch hierzu bezog K. Barth (Der Götze wackelt, 173 (Volkstrauertag 1954)) dezidiert Stellung. So nannte er in seiner Rede zum Volkstrauertag im November 1954 unter den »Unternehmungen, die zu einem dritten Weltkrieg führen müssen«, auch »[d]ie Wiederbewaffnung im Rahmen einer antiöstlichen Militärallianz unter amerikanischer Führung, die darum als solche eine Kriegsdrohung ist, weil es unmöglich ist, daß sich die Gegenseite durch sie nicht offensiv bedroht fühlen muß.« Barth spricht von der »Illusion, es könne der Kommunismus, unter dessen Herrschaft wir alle nicht geraten wollen, statt mit sozialer Erneuerung und Reform, mit Panzerdivisionen und Atomgeschützen angegriffen oder auch nur abgewehrt, geschweige denn überwunden werden!« A.a.O., 174. 216 K. Barth, Briefe 1961 – 1968, 255 (Brief vom 22. 5. 1964 an D. Pache): »[U]ne contradiction en soi«. 217 Ders., Ob die Möglichkeit des Atomkrieges im Gehorsam gegen das Evangelium zu bejahen ist (November 1958), 100. Dies akzentuierte Barth nachdrücklich in dem federführend von ihm zur Frage der schweizerischen Atombewaffnung erstellten Minderheitengutachten der Theologischen Kommission des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK). Vgl. dazu K. Barths (Gespräche 1963, 70 – 77) retrospektivische Darstellung der schweizerischen Debatte um eine atomare Aufrüstung (1957 – 1959) in seinem Gespräch mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg (15. 7. 1963), in dem Barth im Blick auf die Befürwortung einer Verteidigung der Schweiz mit Atomwaffen pointiert: »Das ist Wahnsinn; das kann man nicht! Mag es damit stehen, wie es will, aber damit hebe ich ja das, was ich verteidigen will, selber auf. Da wird aus Sinn Unsinn« (a. a. O., 77). Vgl. auch E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 446 f.; B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 265 f. 218 K. Barth, Ob die Möglichkeit des Atomkrieges im Gehorsam gegen das Evangelium zu bejahen ist (November 1958), 100.

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Barth kommt zu dem Schluß: Atomwaffen sind keine Waffen des Rechts!219 Und so forderte er im Anschluss an die Erklärung achtzehn Göttinger Atomphysiker vom 12. 4. 1957: »Schluß mit der Vorbereitung des Krieges mit Waffen, die ihn für alle Beteiligten von vornherein sinnlos machen: Schluß auch mit der gegenseitigen Bedrohung mit der Anwendung solcher Waffen! Sofortigen Schluß mit den offenbar schon im Frieden für uns alle lebensgefährlichen Experimenten! Die Menschen im Westen und im Osten sollen aufstehen gegen den Wahnsinn, der in dieser Sache im Gange ist. […] Sie sollen der Sache der primitivsten Vernunft, bevor es zu spät ist, zu ihrem Recht verhelfen.«220 2.3.3.3. Die rechte Haltung zur Applikation der Kriterien des bellum iustum Es ist nun interessanter Weise zu beobachten, dass Barth nicht nur im Abschnitt zu Krieg und Frieden in KD III/4, sondern auch in seinen aktuellen Stellungnahmen, wie er sie in seinen öffentlichen Briefen, Vorträgen und Gesprächen entfaltet hat, immer wieder auf die tugendethische Semantik rekurriert, um die habituellen Verhaltensdispositionen, die – wie die gesamte ethische Urteilsbildung – so auch die Anwendung der Lehre vom gerechten Krieg begleiten sollen, zu beschreiben. Wie bereits dargestellt, handelt es sich bei den von Barth anvisierten »Haltungen« anders als bei den aristotelischen Tugenden nicht um feste charakterliche Dispositionen (hexis) oder dauerhafte Charakterzüge, sondern um mittelfristige Stetigkeiten, die gleichwohl bei der situationsangemessenen Wahrnehmung und Entscheidung behilflich sind.221 Als eine solche Haltung oder innere Einstellung, die den moralischen Standpunkt des Urteilenden bzw. der die bellum-iustum-Kriterien Anwendenden kennzeichnen soll, nennt Barth vor allem die Nüchternheit: »[W]enn der Grund, der uns heute zu unserer Entscheidung führt, wirklich Jesus Christus ist, dann wird sich das zeigen in einer großen Nüchternheit dieser Entscheidung. Ich habe den rechten Staat, um dessen Behauptung gegen die Anarchie es in diesem Krieg geht, bereits als eine überaus nüchterne Angelegenheit genannt.«222 Nüchternheit repräsentiert für Barth die mit der friedensethischen Urteilsfähigkeit einhergehende Haltung. Nüchternheit widersetzt sich jeglicher Überhöhung der eigenen Beurteilung eines Krieges. Ob das Urteil nun »gerecht« oder »ungerecht« bzw. »rechtmässig« oder »unrechtmässig« lautet, immer handelt es sich um nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine menschliche Antwort »auf 219 In seinem Brief an den japanischen Theologen Sun Bum Yun vom 16. 6. 1958 betonte Barth, dass »der Atomkrieg in keinem Sinn mehr ein rechtlicher Krieg sein kann, sondern nur noch der Vernichtung aller dienen würde«. Zit. nach E. Busch, Karl Barths Lebenslauf, 447. 220 K. Barth, Es geht um das Leben (Karfreitag 1957), 98 f. Vgl. dazu: B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 261 f. 221 Vgl. dazu Abschnitt II.1.3. der vorliegenden Untersuchung. 222 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 295 (Brief nach Großbritannien, Ostern 1941).

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eine menschlich gestellte Frage«223. Nüchternheit richtet sich vor allem gegen blinden, kriegsbegeisterten Fanatismus und »alle ideologische Verklärung des Krieges, so als ginge es da um die Sache Frankreichs oder Englands«224. Nüchternheit generiert Klarheit; und zwar Klarheit nicht zuletzt hinsichtlich der Kriteriologie des gerechten Krieges. So gewinnt man etwa mittels der Nüchternheit Klarheit über die recta intentio, wonach der Krieg gegen NaziDeutschland für die Kirche allein als eine aktuell erforderliche Polizeimaßnahme gegen diese »politische Räuberhöhle« zu rechtfertigen und zu unterstützen ist. Nüchternheit bezieht sich aber nicht nur auf die friedensethische Reflexion bzw. die Ausbildung von Urteilsfähigkeit, sondern auch die Ausübung des Kriegshandwerks selbst. So stellt M. Weinrich im Blick auf die von Barth postulierte rechte Haltung zum Zweiten Weltkrieg fest: Der Krieg ist in »größter Nüchternheit, d. h. ohne jedes heroische Pathos zu führen. Mit der Berufung auf den Willen Gottes verbindet sich für Barth keineswegs eine besondere religiöse Praxis des Menschen und schon gar nicht ein heiliger Krieg der Guten gegen die Bösen. Es gilt lediglich, der Herausforderung standzuhalten und dem Nationalsozialismus einen möglichst wirksamen Widerstand entgegenzustellen, damit er möglichst bald abgestellt ist.«225 Der Nüchternheit korrespondiert die Entschlossenheit, aber als seelische Verfassung sehr wohl auch das schwere Herz, das ohne Begeisterung in den Krieg zieht.226 In der Beschreibung der Epiphänomene der Nüchternheit findet man bei Barth eine große Variationsbreite. So bemerkt Barth in seinem Vortrag »Des Christen Wehr und Waffen« (1940): »Daß sie [die Christen; M.H.] heute die Waffenrüstung Gottes anziehen und schon angezogen haben für jenen Krieg, das wird sich darin zeigen und bewähren, daß sie furchtlos, nüchtern und demütig ihren Anteil auf sich nehmen auch an diesem, dem heutigen Krieg.«227 Die »Dispositionen« der Furchtlosigkeit, Nüchternheit und Demut variiert Barth in seinem Brief nach Großbritannien (Ostern 1941) zu »Demut« und »Aufrichtigkeit«: »Wenn wirklich Jesus Christus der Grund ist, der uns heute zu unserer Entscheidung führt, dann wird sich das zeigen in der Demut und in der Aufrichtigkeit des Glaubens, in dem wir diese Entscheidung vollziehen.«228 Hier wird evident, dass Barths christologische Grundlegung der Friedensethik auch dispositionelle bzw. tugendethische Wesenszüge trägt. Demut und Aufrichtig-

223 224 225 226 227 228

Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 28. M. Weinrich, Der Katze die Schelle umhängen, 172. Ebd. Vgl. K. Barth, KD III/4, 530. Ders., Des Christen Wehr und Waffen, 28. Vgl. ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 298 (Brief nach Großbritannien, Ostern 1941).

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keit fungieren als Indikatoren für eine in Jesus Christus gegründete Entscheidung. Eine besondere Nähe Barths zu einem Pazifismus des wehrlosen Bekenntnisses zu Jesus Christus, wie ihn etwa J.H. Yoder vertritt, manifestiert sich übrigens genau auf dieser dispositionellen Ebene. Allein die Haltung eines christlichen Pazifismus erweist sich nämlich nach Barth als eine zur Kriegsführung gegen Hitler legitimierte Haltung.229 Es zeugt implizit von einer großen Wertschätzung, wenn Barth sozusagen im Irrealis die Position eines solchen Pazifismus einnimmt (etsi sola confessio pacifici daretur) und unumwunden die Übernahme dieser Position auf dispositioneller Ebene fordert. So fragt Barth die Christinnen und Christen in Frankreich in seinem Brief vom Dezember 1939: »Sind wir bereit für eine Situation, in der das wehrlose Bekenntnis zu Jesus Christus das einzige wäre, was uns übrig bliebe? Sind wir bereit auch dann und so unserm Gott treu und seiner froh zu sein und nur noch darin unsre Würde zu haben? An der Beantwortung dieser Frage hängt es, ob wir jetzt dazu legitimiert sind, uns zur Wehr zu setzen, ob wir dabei ein gutes Gewissen haben und Gott von Herzen um seinen Beistand bitten dürfen. Wir müssen bereit sein dafür, daß Gott uns bei eben dem Werk, das wir jetzt im Gehorsam gegen sein Gebot tun müssen, mit seinem Il faut en finir! in den Weg treten und uns wieder in seinem Gebot ganz anders führen wollen könnte. Wir müssen bereit sein, uns auch dann und dann erst recht, entschlossen zu neuem Gehorsam, an ihn zu halten. Dann, wenn es in dieser Bereitschaft getan ist, ist das Werk unsres Widerstandes ein gutes Werk. Dann und nur dann kann es freudig und zuversichtlich getan werden.«230

3.

Der gerechte Krieg und die Gehorsamsverweigerung. Zur Notwendigkeit einer Einbettung der bellum-iustum-Kriteriologie in den Kontext einer Widerstandslehre

Als Resultat der Anwendung der Kriterien des gerechten Krieges unter der conditio atomica formuliert Barth sein entschiedenes »Nein« zum Atomkrieg als bellum iustum. Aus diesem »Nein« resultiert wiederum als Konsequenz Barths die Dienstverweigerung: »Atom-Krieg kann als solcher nicht bellum iustum sein. Wenn das unvermeidlich ist, dann gibt es überhaupt nur ein bellum in229 Der Haltung eines christlichen Pazifismus entspricht bezeichnenderweise auch jene Haltung, die K. Barth in seiner Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4, 537) für die rechte Militärdienstverweigerung fordert, nämlich eine Haltung »der Bereitschaft, dafür zu leiden, daß ihr [der Militärdienstverweigerer ; M.H.] Wollen ein so anderes ist als das der Regierung oder Majorität im Staat«. 230 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 223 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939).

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Der gerechte Krieg und die Gehorsamsverweigerung

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iustum, und dann wird konkret eigentlich nichts übrig bleiben für die Christen – jetzt kommt’s! – als Dienstverweigerung.«231 Hier gilt es wiederum, genau auf den Wortlaut zu achten. Barth spricht sich – wie bereits dargestellt – nicht für einen prinzipiellen Atompazifismus aus. Sein Plädoyer für die (Wehr-)Dienstverweigerung als einzig legitime Option erweist sich bei genauem Hinschauen vielmehr als konditioniert und zwar durch die Unvermeidbarkeit des Atomkrieges. Barth stellt die Dienstverweigerung nur für den Fall als einzig legitime ethische Option dar, dass der Atomkrieg unvermeidbar ist. Bei einem vermeidbaren Atomkrieg hingegen kann die Dienstverweigerung zwar legitim sein, muss dies – anders als im Falle eines unvermeidbaren Atomkrieges – aber nicht. Barth rechnet offensichtlich damit, dass unterhalb der nuklearen Schwelle territorial begrenzte Kriege weiterhin möglich bleiben. Barth war also keineswegs der Meinung, dass ein konventioneller Krieg atomar eskalieren müsse. Barths Betonung der Atomkriegproblematik lenkt ihn nicht von der Wahrnehmung »konventioneller« Kriege ab. Vielmehr behält Barth die Notwendigkeit, »auch deren Gründe zu beseitigen oder einzugrenzen«232, im Blick – und zwar entgegen einer vordergründigen Fixierung allein auf das ethische Problem der Atomwaffen. Freilich hält Barth fest, dass angesichts des entsetzlich riesigen Atomwaffenarsenals der antagonistischen Blöcke des Ost-West-Konflikts die Frage der Dienstverweigerung virulent sei und dies im Falle einer Aufrüstung der Schweiz mit Atomwaffen auch in seinem Heimatland würde: »[W]enn das käme, dann würde die Frage der Dienstverweigerung auch in der Schweiz sehr aktuell werden. Aber ich würde sagen: dann! Dann ist es nämlich eine konkrete Sache und nicht eine abstrakte, eine allgemeine, prinzipielle Ablehnung, sondern dann weiß man, was man tut, wenn man nein sagt.«233 Einen ethischen Prinzipialismus befürwortet Barth auch in dieser Frage nicht. Ebenso wenig wie er im Blick auf die voratomare Situation sein Plädoyer für die Militärdienstpflicht verabsolutiert,234 prinzipialisiert er in der atomaren Situation seine kritische Infragestellung der Militärdienstpflicht. Freilich weist er nachdrücklich in seinem bereits erwähnten Brief vom 22. Mai 1964 an den Lausanner Pastor Daniel Pache

231 Ders., Gespräche 1963, 73 (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 232 W. Lienemann, Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden?, 271. 233 K. Barth, Gespräche 1963, 74 f. (Gespräch am 15. 7. 1963 mit der Kirchlichen Bruderschaft in Württemberg). 234 Vgl. ders., KD III/4, 534: »Die Würde eines unübertretbaren göttlichen Gebotes kann der Militärdienstpflicht nun allerdings nicht zukommen.«

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darauf hin, dass eine Kriegsdienstverweigerung aus Gewissengründen angesichts der Eventualität eines Atomkrieges ernsthaft diskutabel sei.235 Wiederum zeigt sich auch im Blick auf die Frage der Wehrdienstverweigerung, dass innerhalb der Barthschen friedensethischen Theoriebildung die Situation die Variable bildet und nicht etwa – trotz aller Freiheit im Umgang mit ihnen – die Kriterien des gerechten Krieges, die insofern zwar keine absolute, aber doch zumindest relative Konstante bilden. Während Barth in der voratomaren Situation die allgemeine Dienstpflicht in der Schweiz befürwortete und sich lediglich für eine nicht-prinzipielle, situationsbezogene Dienstverweigerung aussprach,236 so muss er in der atomaren Situation umgekehrt optieren, sprich: gegen eine auf Atomwaffen zurückgreifende und lediglich für eine nichtprinzipielle, situationsbezogene Dienstpflicht votieren. Diese kann angesichts der neuen Situation nur noch insofern sinnvoll sein, als dass Kriege auch weiterhin unterhalb der nuklearen Schwelle möglich bleiben. Man wird demnach festhalten können: In beiden Situationszusammenhängen bilden die von Barth unsystematisiert gelassenen, eklektischem Zugriff ausgesetzten und in gebotsethisch-christologischem Referenzrahmen entfalteten Kriterien des gerechten Krieges faktisch eine relative Konstante in Barths friedensethischer Urteilsbildung. Sie werden nämlich sowohl in der voratomaren als auch der atomaren Situation von ihm appliziert. Zugleich zeigt sich, dass bei Barth die Kriterien des gerechten Krieges mit der Frage der Wehr- bzw. Kriegsdienstverweigerung gekoppelt sind. Dieser Zusammenhang darf seiner Ansicht nach nicht aufgesprengt werden. Die Frage an den einzelnen, »ob er gerade als Staatsbürger in der Lage sei, den Krieg, jeden Krieg als solchen fernerhin gutzuheißen und mitzumachen«237, kann Barth zufolge nicht von der Frage isoliert werden, »ob er auch als Staatsbürger in der Lage sei, sich dem Krieg, jedem Krieg als solchem, zu widersetzen und zu entziehen«238. Der Gebrauch der Kriterien des gerechten Krieges schließt für Barth mit anderen Worten immer auch eine Widerstandstheorie ein. Dieses Inklusionsverhältnis besagt: Mit jeder Applikation der Kriterien des gerechten Krieges steht die Frage der Gehorsamsverweigerung als deren unmittelbare Konsequenz auf dem Spiel. Die Frage nach dem gerechten Krieg ist Barth zufolge nicht von der Frage nach der objection de conscience zu trennen.239 Dies lässt sich wiederum am Beispiel von Barths Vorschlag, zu Beginn des Zweiten Weltkrieges einen Aufruf an das deutsche Volk zur Kriegsverhinderung 235 Vgl. ders., Briefe 1961 – 1968, 255 (Brief vom 22. 5. 1964 an D. Pache): »Vis — vis de cette ¦ventualit¦, l’›objection de conscience‹ deviendrait s¦rieusement discutable.« 236 So auch B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 257. 237 K. Barth, KD III/4, 534. 238 Ebd. 239 Vgl. a. a. O., 536.

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Der gerechte Krieg und die Gehorsamsverweigerung

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zu adressieren, illustrieren. An seinen Freund W.A. Visser’t Hooft, den Generalsekretär des vorläufigen Ausschusses des ÖRK, schreibt Barth am 13. 4. 1939: »Mein Gedanke […] ist der, daß für diesen Zeitpunkt [des Kriegsausbruches; M.H.] eine kirchliche Botschaft an das deutsche Volk in Form einer Radiosendung vorbereitet werden sollte, in der den Deutschen in aller Form gesagt werden sollte, daß der Krieg im Sinn der Christen aller Länder nicht gegen das deutsche Volk, sondern gegen dessen gemeingefährlich gewordenen Usurpatoren sich richte und daß wir die Frage an das Gewissen aller Christen in Deutschland zu stellen hätten, ob es nicht ihre Sache sei, zur Verhinderung dieses Krieges bzw. eines Sieges der Usurpatoren ihrerseits alles in ihren Kräften Stehende zu tun. Darf man sie in jenem Augenblick allein lassen, d. h. ihrer Angst und Verwirrung und den dann sicher haushoch anschwellenden Strömen ihrer verlogenen Presse überlassen?«240

Barth hatte bei dieser »Aktion im ökumenischen Horizont«241 – wie E. Busch feststellt – vermutlich eine Verhinderung des Kriegs »durch Sabotage, Boykott, Wehrdienstverweigerung«242 im Blick. Visser’t Hooft zeigte sich hingegen »nicht überzeugt, daß es in Ordnung ist, um [sic!] Christen in Deutschland direkt oder indirekt zur Kriegsdienstverweigerung aufzurufen.«243 Er verweist auf Pierre Maurys Meinung, wonach »wir dazu kein Recht haben, weil wir dann über ihre Gewissen zu herrschen versuchen. Ich glaube, daß er recht hat, und daß wir nur sagen können, wie sich Christen in anderen Ländern entschieden haben, und es

240 K. Barth – W.A. Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930 – 1968, 91 f. 241 T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 64. Berechtigterweise stellt Herwig (ebd.) unter Bezugnahme auf Barths Postulate in dem berühmten Hrom‚dka-Brief und seine Entfaltung einer Widerstandslehre entlang des Art. 14 der Confessio Scotica (vgl. K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 212 – 216) fest: »Der Fürbitte für den rechten Staat durch die weltweite Christenheit entspricht angesichts der zu erwartenden von Deutschland ausgehenden Aggression auf die anderen europäischen Staaten im Bereich der politischen Praxis das Handlungsgefüge von bewaffneter Resistenz gegen Hitler von außen und militärischer Loyalitätsverweigerung von innen. In Barths Aufruf zeichnen sich die Konturen einer ökumenischen Ethik des Politischen ab: Es kann der Fall eintreten, in dem Christen in verfeindeten Ländern als Glieder der in Christus geeinten Kirche sich gerade in Bewährung ihres gemeinsamen Glaubens zu unterschiedlichen, ja sich praktisch widersprechenden, Verhaltensweisen verpflichtet sehen. Diese sind gerade in der sich widersprechenden Gestalt im gemeinsamen Glauben begründet und stellen aus der Perspektive der weltweiten Christenheit heraus eine Form der sichtbaren Darstellung der kirchlichen Einheit dar. Barths Vorschlag transformiert das zunächst für den nationalen Rahmen konzipierte Modell des politischen Gottesdienstes auf den ökumenischen Kontext.« Auf der Linie dieses Entwurfs einer ökumenischen Ethik des Politischen liegen meine Ausführungen in: M. Hofheinz, Friedenstiften als kirchliche Praktik, 40 – 57. 242 E. Busch, Unter dem Bogen des einen Bundes, 346. Vgl. auch ders., Karl Barths Lebenslauf, 311; T. Herwig, Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 66. 243 K. Barth – W.A. Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930 – 1968, 93 (Brief von W.A. Visser’t Hooft an K. Barth vom 15. 4. 1939).

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»Jetzt ist’s genug«

ihnen überlassen müssen, die Konsequenzen daraus zu ziehen.«244 Auch im engsten Kreis seiner Freunde traf der Vorschlag Barths auf einhelligen Widerspruch, so dass Barth mit seiner Position allein blieb. Im Rückblick auf die im Frühjahr und Sommer 1939 intensiv geführten Diskussionen unter Barths Freunden, darunter etwa der deutsche Theologe und spätere Kriegsteilnehmer Helmut Gollwitzer ebenso wie der französische Theologe und Reserveoffizier Pierre Maury, hebt Gollwitzer hinsichtlich ihrer Gründe für die Ablehnung des von Barth geforderten ökumenischen Aufrufes hervor: »Wir lehnten es aber von beiden Seiten her ab: um der Freiheit der Entscheidung willen, aus Angst vor allerlei Folgen, die man den deutschen Brüdern erspart wissen wollte, aus Angst auch vor dem gesetzlichen Missverständnis eines solchen Wortes –, vielleicht auch einfach deswegen, weil uns ein solcher Schritt zu ungewohnt, zu neuartig, zu kühn war.«245 Und auch W.A. Visser’t Hooft bemerkt nachträglich: »Offensichtlich waren wir [im Kirchenrat; M.H.] für ein so kompromissloses Vorgehen nicht gerüstet. Wir hatten über unsere Haltung im Kriegsfall nicht genügend nachgedacht, hatten nicht genug gebetet, und unsere ökumenische Gemeinschaft war nicht fest genug, um sich bei einer solchen Entscheidung auf Leben und Tod mit Autorität zu äußern.«246 Wie Gollwitzer pointiert, traf Barth seinen Vorschlag auf der Basis der Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen, sprich: auf der Grundlage der Kriterien vom gerechten Krieg: »Die christliche Theologie der Vergangenheit hatte zwar die Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen ausgearbeitet, weil sie ein prinzipielles Nein zu jedwedem Kriege – aus z. T. sehr erwägenswerten Gründen – glaubte vermeiden zu sollen. Aber in der christlichen Kirche hat das meist nur dazu gedient, den prinzipiellen Pazifismus zu verketzern und die Hemmungen gegenüber der Kriegsbeteiligung auszureden. Bestenfalls trug die Unterscheidung ab und zu dazu bei, einen gewissenhaften christlichen Fürsten zur Unterlassung eines kriegerischen Unternehmens zu bewegen. Das Versprechen, das in dieser Unterscheidung lag, blieb uneingelöst. Es lautete: Wir, die Theologen, die Verkündiger, die beauftragten Sprecher der Kirche werden jeden einzelnen ermahnen, mit Hilfe unserer Liste von Kriterien die Umstände jeder Kriegseröffnung kritisch zu prüfen und zur Beteiligung am Kriege sich nur zu entschließen, wenn das Ergebnis positiv oder jedenfalls nicht offensichtlich negativ ist. Und: wir werden selbst diese Prüfung vornehmen und bei negativem Ergebnis ein Volk und jedenfalls die Christen in ihm in brüderlicher Anrede ermahnen, sich an unrechter Gewalt nicht zu beteiligen.«247 244 Ebd. 245 H. Gollwitzer, Krieg und Christsein in unserer Generation, 131. 246 W.A. Visser’t Hooft, Die Welt war meine Gemeinde, 136. Vgl. ders., Karl Barth und die Ökumenische Bewegung, 11. 247 H. Gollwitzer, Krieg und Christsein in unserer Generation, 131 f. Ähnlich auch C. Green,

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Der gerechte Krieg und die Gehorsamsverweigerung

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Gollwitzers historisches Resümee fällt im Blick auf den restriktiven Gebrauch der Kriterien des gerechten Krieges negativ aus: »Das ist so gut wie nie geschehen, obwohl allein mit solcher Anwendung jene Unterscheidung wirklich wahrgenommen und die Berufung auf sie, wie sie ständig gegenüber den Gruppen des christlichen Pazifismus geschah, gerechtfertigt worden wäre.«248 Im Blick auf die reformatorische Tradition stehen Barth und Gollwitzer hinsichtlich einer Verbindung der Kriterien des gerechten Krieges und der Gehorsamsverweigerung eng an der Seite Martin Luthers. Luther stellt – wie W. Huber / H.-R. Reuter hervorheben – diesen Zusammenhang direkt her und macht ihn akzentuiert explizit: »Den ursprünglichen Sinn der Lehre vom gerechten Krieg schärft Luther zusätzlich dadurch ein, daß er dem einzelnen ausdrücklich eine Pflicht zur Prüfung der von der Obrigkeit getroffenen Entscheidungen auferlegt. Kommt der Christ zu dem Ergebnis, daß die Obrigkeit ungerecht Krieg führt, so hat er den Gehorsam zu verweigern und die Konsequenzen zu tragen. Den Ausweg, sich auf einen Befehlsnotstand zu berufen, schneidet Luther ab. Mit bemerkenswerter Klarheit erweist er sich als Anhänger einer situationsbezogenen Kriegsdienstverweigerung.«249 Für den Fall ungerechter Kriegsführung rät Luther unverhohlen zur Fahnenflucht, wie er aus Anlass der Wurzener Fehde in seinem Brief vom 7. April 1542 am Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Moritz unterstreicht: »Und Rat euch trewlich, das, Wer unter solchem unfriedlichen fursten kriegt, das er lauffe, was er lauffen kan, aus dem felde, errette seine seele und lasse seinen Rachgyrigen, unsynnigen fursten allein und selbs mit denen, so mit yhm zum teuffel faren wollen, kriegen, Denn Niemand ist gezwungen, sondern viel mehr yhm verboten, fursten und Freedom for Humanity, 102: »Just war doctrine – perhaps more aptly called the ›just defense doctrine‹ – intended its canons to constrain violence and sanctioned it only as a last resort under strictly limited conditions. But the self-interests of rulers and states have usually overridden the church’s canons of constraint. So sanctioning the use of violence has been the dominant tradition.« 248 H. Gollwitzer, Krieg und Christsein in unserer Generation, 131. Zu Gollwitzers Einschätzung des christlichen Pazifismus vgl. M. Hofheinz, Die Herausforderung der Historischen Friedenskirchen, 127 – 147. Auch M. Haspel (Die »Theorie des gerechten Friedens«, 210) wirft die Frage auf, »inwiefern die Lehre vom gerechten Krieg (bellum iustum), mit ihrer kriegskritischen Grundintention und restriktiven Kriterien im deutschen Protestantismus tatsächlich wirkmächtig gewesen ist und nicht viel mehr in Folge des Nationalprotestantismus eine romantische Überhöhung des Krieges und eine Orientierung am lange völkerrechtlich sanktionierten liberum ius ad bellum der souveränen Nationalstaaten mentalitätsbildend waren.« Ähnlich auch E. Busch, »Willst du den Frieden, so bereite ihn vor«, 540. 249 W. Huber / H.-R. Reuter, Friedensethik, 69. So auch H.-R. Reuter, Martin Luther und das Friedensproblem, 73: »Schließlich betont er [Luther ; M.H.] im Unterschied zur Tradition, aber in Übereinstimmung mit seinem seelsorgerlichen Anliegen der Prüfungspflicht jedes Einzelnen. Kommt der Christ zweifelsfrei zu dem Ergebnis, daß die Obrigkeit einen unerlaubten Krieg führt, so muß er den Gehorsam verweigern und die Folgen tragen«.

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Herrn gehorsam zu seyn oder Eid zu halten zü seiner seelen verdamnis, das ist wider Gott und Recht«250. E. Wolgast hat darauf hingewiesen, dass grundsätzlich mit der Gehorsamsverweigerungspflicht, »ein überaus subjektives Element in die Politik« eingeführt wird, da »die Forderung nach Bewahrung und Durchsetzung der eigenen Glaubensüberzeugung in die politische Auseinandersetzung eingeführt«251 wird. In der Tat wird der Privatmann zur Wahrnehmung öffentlicher Verantwortung mit dem Auftrag zur beständigen Überprüfung des obrigkeitlichen Handelns berufen. Damit möchte Barth gewiß nicht einem ausgeprägten Individualismus Tribut zollen. Vielmehr geht es ihm darum, dass eine solche Urteilsfindung in den Kontext der Kirche eingebunden wird, wie noch gezeigt werden soll.

250 WA Br. 10, 36,157 – 162. Wie W. Lienemann (Gewalt und Gewaltverzicht, 159 f.) und H.-R. Reuter (Martin Luther und das Friedensproblem, 65.73) zu Recht hervorgehoben haben, wird man freilich im Blick auf Luthers Kriegsethik die apokalyptische Unterströmung seines Denkens berücksichtigen müssen, wie sie in seiner Deutung des Türkenkrieges die restriktiven Regeln der Lehre vom gerechten Krieg förmlich hinwegriss. 251 E. Wolgast, Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert, 8.

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4.

»Be Honest in Just-War-Thinking!« John H. Yoders Rezeption der Lehre vom gerechten Krieg

Nicht nur K. Barth, sondern auch J.H. Yoder hat sich in seinem Schrifttum seit den 1960er Jahren mit der sog. Lehre vom gerechten Krieg auseinandergesetzt.1 Das mag zunächst einmal überraschen, scheint doch seine eigene radikalpazifistische Position in einem dezidierten Widerspruch zu dieser Lehre zu stehen. Und in der Tat lehnt Yoder diese Lehre ab. Gleichwohl erachtet er eine (meta-)kritische Beschäftigung mit derselben für unumgänglich – allein schon um des ökumenischen Gesprächs mit den übrigen Kirchen und Konfessionen willen,2 die in dieser Tradition stehen.3 Yoders Rezeption ist von der Anlage her durch eine in sich spannungsvolle Doppelstrategie gekennzeichnet: Einerseits stellt Yoder diese Tradition auf dem Hintergrund seiner pazifistischen Überzeugung infrage; andererseits fordert er die Großkirchen entschieden dazu auf, ihre eigene Tradition doch endlich ernst zu nehmen und ruft ihnen gleichsam zu: »Be honest in Just-War-Thinking!«4 Yoder lässt sich gleichsam versuchsweise – gymnastiko¯s – und unter bleibendem Vorbehalt5 auf diese Tradition ein und versucht in seiner Rekonstruktion deren

1 Zu Yoders Beschäftigung vgl. M.T. Nation, John Howard Yoder, 140. 2 So J.H. Yoder, When War Is Unjust, 1: »[T]his teaching appears in the encyclopedias and manuals as the view that most Christians are supposed to hold.« So auch a. a. O., 3 u. ö. 3 J.H. Yoder (The War of the Lamb, 38) hält zwar die ernsthafte Beschäftigung »by virtue of my ecumenical respect for those who hold to it« für unumgänglich, schränkt aber zugleich ein: »despite the disrespect earned by its less-than-irresistible logic.« 4 Treffend bemerkt C.P. Lutz (Foreword to the First Edition, XI): »As one who stands outside that tradition (but knows it as well as its best inside theorists), Yoder is saying: If you want me to take you seriously, show me that you take your tradition seriously.« Dort z. T. kursiv. Ähnlich a. a. O., XIXf.: »John Howard Yoder, a pacifist thinker of international renown, is honoring those who stand in the just-war tradition […]. He speaks to us as close kin. He is not setting out to denigrate or demolish the just-war ethic. Rather, he is calling us to integrity within the framework of our own claims.« 5 Dieser Vorbehalt betrifft die Dispensierung der Nachfolgeethik bzw. der ethischen Bedeutung Jesu. Vgl. J.H. Yoder, The Royal Priesthood, 190: »In a host of ways, the total heritage of just war thought turns out to be a majestic construction whereby a case is made, on the grounds of

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

Stärken zu ermitteln. Seine lebenslange Auseinandersetzung mit der Just-WarTradition in einer Fülle von Publikationen ist insbesondere auf dem Hintergrund von Yoders dialogischem Interesse bemerkenswert.6 Chris K. Huebner würdigt Yoder Engagement treffend: »What is particularly noteworthy about his numerous encounters with the just war tradition is the sense in which they embody a spirit of charitable receptivity to the voice of the other. He takes the possibility of a just war more seriously than many of his fellow pacifists. In fact, it might be suggested that he takes the just war tradition more seriously than many defenders of just war themselves. […] Instead of suggesting that the just war tradition is essentially violent and that it therefore must be rejected as such, Yoder seeks charitably to engage the just war tradition on its own terms. […] The value of Yoder’s engagement with the just war tradition is that he strives to move beyond the general question of the rightness or wrongness of war as such and proceeds more deeply into the particularities of the debate«7.

1.

Der konzeptionelle Rahmen von J.H. Yoders Rezeption

Seine Wertschätzung der Just-War-Tradition kann Yoder auf dem Hintergrund seiner Unterscheidung zwischen einer Ethik für Christenmenschen und einer christlichen Ethik für den Staat artikulieren, zumal er die Just-War-Tradition dezidiert letzterer zuweist,8 wohingegen er sich als Mennonit ersterer verpflichtet weiß: »The difference between Christian ethics for Christian and a Christian ethic for the state is therefore due to duality not of realm or levels, but of responses. Where God speaks to the reconciled and committed believer, the command to ›be minded as it benefits someone who is in Christ‹ (Phil. 2:5) takes into consideration all the possibilities of the Holy Spirit and the church. When God’s will is communicated to man or men in their rebellion, neither God nor His ultimate will changes, but His current demands take into account the nonbelief of the addressee (just as any truly personal communication encounters the addressee where he is) and therefore stay within other limits of possibility.«9

Yoder erachtet demzufolge die Just-War-Tradition im Rahmen einer Ethik für den Staat als tragfähig und bei konsequenter Applikation sogar für wegweisend.

6 7 8

9

the self-evident values that seem to need no definition, for a setting aside the examples and instruction of Jesus with regard of how to treat the enemy.« Vgl. Abschnitt 0.2.2.3. dieser Untersuchung. Ch.K. Huebner, A Precarious Peace, 128 f. Ähnlich M.T. Nation, John Howard Yoder, 141 f. Vgl. J.H. Yoder, The Christian Witness of the State, 49: »[C]oncepts, such as that of the lesser evil, while illegitimate for guiding Christian discipleship, are still relevant in the elaboration of an ethic for the state. The same can be said for the traditional Catholic doctrine of the just war.« A.a.O., 32.

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Der konzeptionelle Rahmen von Yoders Rezeption

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Hinsichtlich einer Nachfolgeethik im Sinne einer Ethik für Christenmenschen bleibt sein Vorbehalt bestehen. Trotz Abgrenzungsbemühungen nicht nur gegenüber der mittelalterlichen Zwei-Stufen-Ethik und ihrer impliziten Forderung nach einer monastischen Sondermoral, sondern auch gegenüber Luthers ZweiReiche- bzw. Zwei-Regimenten-Lehre, zeigt sich, dass sich Yoder in einem durchaus vergleichbaren theologischen Bezugsrahmen bewegt. Dies gilt vor allem für letztere. Die zwangsbewehrte Rechtswahrung, die Luther als Aufgabe des weltlichen Regiments bzw. in Anschluss an Röm 13,1 – 7 als Amt der Obrigkeit in den Blick nimmt, kehrt in Yoders Beschreibung einer Ethik des Staates wieder. Yoder versteht sie als Ethik der Exekutive. Wenngleich Yoder Luthers personale Unterscheidung zwischen dem »Für sich selbst« des Gewaltverzichts und dem »Für andere« des Gewaltgebrauchs zum Schutz des Nächsten nicht teilt und bestreiten würde,10 dass die Unterscheidung der Regimenter gleichsam mitten durch den Christenmenschen hindurch geht,11 so weiß auch Yoder zwischen den beiden Reichen bzw. Regimenten zu unterscheiden. In gewisser Weise fällt seine Unterscheidung sogar strikter aus als diejenige Luthers, insofern Yoder beide Ethiken, besser : Ethiktypen, gleichsam voneinander scheidet12 und im Blick auf den Gewaltgebrauch bzw. Gewaltverzicht für eine Trennung plädiert, die Christenmenschen vollziehen sollen.13 Eine Identifikation der Pflichten des Staates mit denen der Christenmenschen ist für Yoder ausgeschlossen.14 Nichtsdestotrotz steht auch bei Yoder der Staat unter der Herrschaft Gottes bzw. Christi15 und wird hinsichtlich seiner Aufgaben von 10 Vgl. M. Hofheinz, Johannes Calvins theologische Friedensethik, 132; W. Lienemann, Art. Zwei-Reiche-Lehre, 1411; ders., Gewalt und Gewaltverzicht, 154; H.-R. Reuter, Martin Luther und das Friedensproblem, 68. Zur Wirkungsgeschichte vgl. auch J. Boomgaarden, Amor iustitiae, 346 – 363. 11 So O. Bayer, Martin Luthers Theologie, 283. 12 Darauf scheint auch M. Volfs (Von der Ausgrenzung zur Umarmung, 409 f.) Bemerkung hinauszulaufen: »Vielleicht werden konsequenter Verzicht auf Vergeltung und Gewalt in einer Welt der Gewalt nicht möglich sein. Vielleicht muss man Tyrannen vom Thron stürzen und Wahnsinnige davon abhalten, die Welt zu verwüsten. Dietrich Bonhoeffers Entschluss, sich am Attentat auf Hitler zu beteiligen, ist ein wohlbekanntes und überzeugendes Beispiel solchen Denkens. Vielleicht muß man auch Maßnahmen ergreifen, die den Einsatz von Gewalt vorbereiten, um Tyrannen und Wahnsinnige von der Machtergreifung oder die Vielzahl gewöhnlicher Täter auf unseren Straßen von ihren brutalen Taten abzuhalten. […] Aber wenn man sich entscheidet, die Soldatenkluft anzulegen, statt das Kreuz auf sich zu nehmen, sollte man das nicht mit der Religion rechtfertigen wollen, die den gekreuzigten Messias anbetet. Denn dort gilt der Segen nicht den Gewalttätigen, sondern den Sanftmütigen (Matthäus 5,5).« 13 Insofern kann es nach Yoder auch in Röm 13,1 – 7 nur um die – mit K. Wengst (Pax Romana, 106) gesprochen – »Loyalität der Weltfremden und ›Himmelsbürger‹, nicht die Loyalität der Angepaßten, sondern der Unangepaßten« gehen. 14 So J.H. Yoder, The Christian Witness to the State, 6. 15 Vgl. a. a. O., 12 f. Yoder versteht die Herrschaft Gottes bzw. Christi im Anschluss an K.L.

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Röm 13 her ähnlich funktional bestimmt wie bei Luther.16 Yoder spricht explizit vom Rechtsstaat: »Dort [in Röm 13; M.H.] wird die Pflicht des Untertanseins wegen Gottes Anordnungen eingeprägt. Sie gilt gegenüber einer Obrigkeit, die die Guten lobt und die Bösen straft (vgl. 1. Petr. 3, 4). Modern ausgedrückt: Es ist dort die Rede vom ›Rechtsstaat‹, von einem Staat, der sich selbst an gewisse Grenzen der Gerechtigkeit und des Friedens gebunden weiß.«17 In einer etwas gewagten Übertragung von Röm 13,1 – 7 kann Yoder sogar davon sprechen, dass hier nur polizeiliche Maßnahmen im Blick seien: »Denn diese Stelle, wenn sie überhaupt dem Staat eine Vollmacht gibt, im eigenen Bereich souverän zu walten, tut es nur im Bereich der Polizei, d. h. innerhalb des Rahmens einer organisierten Gesellschaft. Es ist dort nicht von Beziehungen zwischen Staaten die Rede (das war gerade zu jener Zeit kaum möglich), sondern von der Beziehung der polizeilichen Gewalt zu einzelnen Verbrechern, wo nach einer gemeinsam anerkannten Gesetzgebung durch eine anerkannte Gerichtsinstanz gerichtet wird; wo Schuldige getroffen und Unschuldige geschützt werden.«18

Bei Lichte betrachtet kann man also die Yodersche Distinktion zwischen einer Ethik für Christenmenschen und einer christlichen Ethik für den Staat mutatis mutandis in die heute gängigere Nomenklatur von kirchlicher Ethik und Rechtsethik übertragen. Durch diese Übertragung tritt das staatsanaloge Verständnis von Kirche, das Yoders originäre Distinktionen prägt, etwas zurück und erleichtert es zugleich, Kirche etwa als Akteur in der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit verstehen zu lernen. Diese Bemerkung ist insbesondere auf dem Hintergrund der Beobachtung zu sehen, dass in Yoders frühen Publikationen aus den 1960er Jahren »[u]ns heute selbstverständliche soziologische Kernbegriffe wie ›Gesellschaft‹ oder ›Öffentlichkeit‹ fehlen, dementsprechend auch die uns heutzutage wichtige Unterscheidung der Kategorie des Staatlichen von der des Zivilgesellschaftlichen.«19 In seiner Charakterisierung des Typus »Ethik für den Staat« spielt Yoder jedenfalls erkennbar auf die Funktion des Rechts zur Minimierung von Gewalt an:

16

17 18 19

Schmidt, O. Cullmann und H. Berkhof kosmologisch bzw. providentiell. Der Staat gehört nach Yoder zu den feindlichen, aber unterworfenen Mächten der widergöttlichen Welt, die Gott aber nolens volens dienen müssen. Vgl. auch ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 11. Auch W. Lienemann (Gewalt und Gewaltverzicht, 146) betont, »daß in dem Zweireichelehre genannten Komplex keine Freisetzung autonomer Vernunft beabsichtigt oder begründet wird, sondern es vielmehr darum geht, wie derselbe Gott in je besonderer Weise im regnum spirituale (christianum) und im regnum corporale (mundanum) am Werk ist und seinem Geschöpf dabei die Freiheit dienenden Mitwirkens gewährt.« J.H. Yoder, Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, 41. Vgl. ders., The Christian Witness to the State, 74 – 77. Ders., Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, 44. Ähnlich ders., Die Politik Jesu, 183. W. Warneck, Vorwort, 9.

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Der konzeptionelle Rahmen von Yoders Rezeption

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»We may thus conclude that the state never has a blanket authorization to use violence. The use of force must be limited to the police function, i. e., guided by fair judicial processes, subjected to legislative regulation, and safeguarded in practice against its running away with the situation. Only the absolute minimum of violence is therefore in any way excusable.«20

Dass Yoder auf der anderen Seite mit der Ethik für Christenmenschen eine genuin kirchliche Ethik im Blick hat, zeigt sich an seiner Charakterisierung des Subjektes einer solchen Ethik: »Christian ethics is for the Christian – who – if he will – disposes of the recourses of love, repentance, the willingness to sacrifice, and the enabling power of the Holy Spirit, within the supporting fellowship of the church.«21 Yoders Unterscheidung liegt – mehr als ihm bewusst ist und lieb gewesen sein dürfte – auf der Linie der reformatorischen Unterscheidung zwischen beiden Reichen bzw. Regimenten. »Dass nun das Recht not- und äußerstenfalls auf zwangsbewehrte Durchsetzbarkeit zum Schutz weltlicher Güter angewiesen ist«22, würde Yoder im Rahmen einer christlichen Ethik des Staates durchaus konzedieren. Als Leitgedanken einer kirchlichen Ethik im Sinne einer Ethik für Christenmenschen lehnt Yoder einen solchen Grundsatz jedoch ab. Dass Yoder indes auch die Ethik des Staates als »christlich« rubrizieren kann, scheint mir äußerst interessant und ein Hinweis darauf zu sein, dass die säkulare Argumentationsweise, der eine solche Ethik nach Yoder verpflichtet ist, aus einem christlich-theologischen Begründungszusammenhang resultiert. Diesen kennt der Staat als solcher freilich nicht. Er wird aus christlicher Perspektive erstellt. Auf diesen Begründungszusammenhang geht Yoders Unterscheidung zwischen verschiedenen Wirk- bzw. Regierweisen Gottes zurück, dessen universale, kosmologische Herrschaft aber nicht nur die Kirche, sondern auch den

20 Ders., The Christian Witness to the State, 36 f. Diese Aktualisierung Yoders hat wohl insofern einen Anhalt am Text, als dass Röm 13,1 – 7 den Staat funktional sieht, also von seinen Aufgaben und seinem Dienst her in den Blick nimmt: »Seine Aufgabe und sein Sinn ist nicht wie bei Cicero, ›in erster Linie dafür zu sorgen, daß der Privatbesitz keines Staatsbürger angetastet wird‹ (De Off. II 73; vgl. 78), sondern zunächst Schutz und Förderung des Guten. Neben der Erhaltung von Recht und Gerechtigkeit, der Förderung des Guten, ist den Organen des Staates die Abwehr des Bösen aufgetragen. Dem Staat kommt also eine gewisse antichaotische Ordnungsfunktion zu. Dabei setzt Paulus fast naiv und ganz selbstverständlich voraus, daß der Staat nicht nur zwischen Gutem und Bösen zu differenzieren vermag, sondern das Gute auch tatsächlich fördert und das Böse auch tatsächlich hindert. In Wahrnehmung dieser Funktion der Abwehr des Bösen trägt ›er das Schwert nicht umsonst‹ (V. 4), übt er also auch Strafgewalt aus. Das hat freilich nur der Übeltäter, dem die staatliche Gewalt mit ›Zorn‹ begegnet, zu fürchten. Den aber, der Gutes tut, erwartet nicht das ›Schwert‹, sondern ›Lob‹ (V. 3). ›Schwert‹ deutet daher eher auf Straf- und Polizeigewalt denn auf Kapitaljustiz«. W. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, 247. 21 J.H. Yoder, The Christian Witness to the State, 29. 22 H.-R. Reuter, Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 77.

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

Staat umfasst. Genau dies ist im Übrigen auch die Pointe der Unterscheidung Luther zwischen den beiden Regimenten.23

Exkurs: Inwiefern können Christenmenschen Staatsdiener sein? Die Beteiligung an staatlichen Institutionen nach J.H. Yoder Diese Frage wird von Yoder nicht einfach a limine negativ beschieden. Er erachtet sie grundsätzlich für legitim, schränkt eine solche Beteiligung an Institutionen der Exekutive allerdings ein. Unter Berufung auf das Neue Testament schließt er eine Beteiligung an der Ausübung physischer Gewalt, die er als »Schwertgebrauch« umschreibt, auch zur Durchsetzung der Rechtsordnung aus, die ja die Summe der für ein geordnetes Zusammenleben als unentbehrlich erachteten Regeln umfasst: »Kann man zugleich ein Schwert ziehen und ›die andere Backe darbieten‹? Das Neue Testament rechnet deutlich mit der Unversöhnlichkeit dieser beiden Funktionen. […] beide Dienste, der der Gemeinde wie der des Staates, geschehen gemäß Gottes Willen und Einsetzung. Sie können aber nicht gleichzeitig von denselben Menschen geleistet werden, denn sie sind wesensverschieden. Wo man zwischen beiden zählen muß, da wählen die Christen des Neuen Testaments den höheren Dienst.«24

Yoder beruft sich auf Jesus und seinen paradigmatischen Verzicht auf gewaltsame Staatsbemächtigung bzw. antirömische Regierungsübernahme: »Ein anderer Weg stand ihm offen, den er hätte gehen können und der ihm das Kreuz erspart hätte, nämlich der der Bemächtigung des Staates. Wenn er, der vollkommene Gerechte, diese beiden Möglichkeiten nicht zugleich wählen konnte und das Staatswesen lieber in Pilatus Händen ließ, wenn er auf Staatsgewalt verzichtete, um das Kreuz zu wählen, so ist das der letzte Beweis für die Unvereinbarkeit beider Dienste. Sogar Gott selbst, in der Gestalt des Sohnes, kann sie nicht in einem Menschen vereinen. Er läßt mit voller Absicht das Staatswesen heidnisch bleiben, weil er andere, wirksamere Mittel hat, in der Welt und für die Welt zu wirken.«25 Den Hinweis, dass der moderne Staat anders als der Staat zur Zeit des Neuen Testaments physische Gewalt zu seinem Monopol macht und deren Gebrauch rechtlich ordnet (Gewaltmonopol als konstitutives Element moderner Staatlichkeit),26 d. h. Gewaltanwendung nicht als Normalfall, sondern als ultima ratio 23 24 25 26

Vgl. O. Bayer, Martin Luthers Theologie, 282. J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 17 f. A.a.O., 21 f. Vgl. zur Monopolisierung aller legitimen Zwangsgewalt bereits M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 516 – 519.

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Der konzeptionelle Rahmen von Yoders Rezeption

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versteht, lässt Yoder nicht gelten. Er bestreitet indes nicht, dass – wie es in Barmen V heißt – »der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen«. Auch verneint Yoder keineswegs, dass es aus christlicher Perspektive legitim ist, weltliches Recht auch unter der Gefahr für den eigenen Leib und das eigene Leben zu gestalten, um die Entrechtung bzw. Verletzung von Rechten anderer Personen und Gruppen zu verhindern. Eine Partizipation an den letzten Mitteln, die der Staat zum Schutz der Rechtsgüter für die Durchsetzung weltlichen Rechts gebraucht, nämlich die Anwendung physischer Gewalt, schließt Yoder aber aus. Den Vorwurf, dass er damit den Staat gleichsam zum Teufel fahren lasse, weist Yoder ebenfalls zurück und zwar mit Hinweis auf die providentielle Ordnung, die durch die Herrschaft Gottes über Kirche und Staat installiert sei: »[E]s [ist] für das Neue Testament ein Glaubenssatz, daß nicht nur die Heiden, sondern sogar die dämonischen Mächte, die hinter dem Staat stehen, schon unter die Herrschaft des Auferstandenen gebracht worden sind, der zur Rechten Gottes sitzt, auch wenn es manchmal äußerlich nicht so aussieht. Wenn also Christen und die ersten Christen das Schwertamt dem heidnischen Staat überließen, so überließen sie es nicht den Teufeln, sondern der Herrschaft Gottes.«27 Nach Yoder bedeutet dies weder Weltflucht noch Verantwortungsverzicht28 seitens der Christenmenschen, gebe es doch andere Formen der Verantwortungsübernahme, wobei eine Form der politischen Verantwortungsübernahme eben auch die Verweigerung sein könne.29 So versichere das Neue Testament, »daß die Christen durch ihre Verkündigung, ihre Fürbitte und ihre Nachfolge im Leiden und im Dienst der Nächstenliebe nicht weniger, sondern gerade mehr leisten für die menschliche Solidarität, und damit auch für den Staat, als die Amtsträger selbst.«30 Yoder tritt demzufolge dafür ein, dass sowohl die christliche Gemeinde als Kollektiv als auch einzelne Christenmenschen subsidiär 27 J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 22. 28 Vgl. a. a. O., 32: »Die Frage ist nicht, ob wir eine Verantwortung für den Staat haben, sondern wie wir diese tragen sollen. Es ist nicht einerlei, sein Stimmrecht auszuüben und Soldat zu sein.« Vgl. zu Yoders Gebrauch des Verantwortungsbegriffs M.T. Nation, John Howard Yoder, 145 – 188. 29 Vgl. J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 33: »Wir werden mit der neutestamentlichen Gemeinde nicht vergessen, dass es auch eine mögliche Gestalt der politischen Verantwortung sein kann, die Beteiligung am Staatsleben unter gewissen Umständen zu verweigern, dort nämlich, wo der Staat die Grenzen seiner Kompetenzen überschreitet, wie im Totalitarismus, oder dort, wo die Kompetenzen des Staates andere sind als diejenigen des Christen, so wie im Wehrdienst.« 30 A.a.O., 22 f.; so auch ders., Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, 45.

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

gesellschaftliche Aufgaben wahrnehmen und so in der Öffentlichkeit Zeugnis geben: »Wie die Kirche im Mittelalter die Schulen und Spitäler entwickelte, so sollten und können auch heute die Christen Pionierdienste tun auf jenen Gebieten, mit denen der Staat aus Mangel an Ideen oder Interessen nicht fertig wird (wie z. B. Freiwilligkeitsdienst, gewaltfreie Konfliktlösung, menschliche Behandlung von Nerven- und Geisteskrankheiten usw.).«31 Die Frage, in welcher Weise der einzelne Christenmensch seine Aufgabe am besten wahrnehmen könne, beantwortet Yoder mit Verweis auf die Zeugnisfunktion des Christen in der Öffentlichkeit: »Der Christ dient gerade dann dem Staat und dem Gemeinwesen am besten und in der wesentlichsten, ihm eigenen, unersetzlichen Weise, wenn er in der Verkündigung des Evangeliums, im Vorleben eines vorbildlichen Gemeinschaftslebens und in der Fürbitte für alle Menschen mit seinem Christsein ernst macht.«32 Das Christsein habe dabei gegenüber der Bindung an den Staat prioritäre Bedeutung, was dem Christen auch eine innere Freiheit und Unabhängigkeit gegenüber dem Staat gewährleiste.33 Yoder fasst diese Priorisierung in ein »Gleichnis«: »Der Christ, der sein Christsein an zweite Stelle setzen würde, um zuerst dem Staate zu dienen, würde einem Musiker gleichen, der die Bühne verläßt, um als Platzanweiser in der Konzerthalle zu wirken. Selbstverständlich sind auch Platzanweiser nötig; der Musiker ist aber an seiner Stelle unersetzlich, und gerade er sollte wissen, daß er dort am nützlichsten ist, wo er nicht ersetzt werden kann. Wenn er nicht auf der Bühne ist und es so zu keinem Konzert kommt, hat auch das Platzanweisen keinen Sinn mehr.«34 Dieses Gleichnis »funktioniert« indes nur auf dem Hintergrund der unterschiedlichen Aufgabenverteilung, mit der Yoder Staat und Kirche geschichtstheologisch35 in einer klaren Priorisierung versieht. Demnach hat der Staat, der seine eigentliche Funktion wahrnimmt, für die Freiheit der Evangeliumsverkündigung zu sorgen, die durch die Kirche wahrgenommen wird, welche dabei gleichsam akzidentiell kultur- und gesellschaftsprägend wirkt: »[T]he ultimate meaning of history will not be found in the course of earthly empires or the development of proud cultures, but in the calling together of the ›chosen race, royal priesthood, holy nation,‹ which is the church of Christ. The church is not funda31 Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 33. 32 Ebd. Vgl. auch G. Wainwright, Praying for Kings, 217 – 235. 33 J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 34: »Ob der Christ, der im Staat dem Gemeinwohl dienen will, als verantwortlicher Christ handelt, wird sich daran entscheiden, ob er die Freiheit noch besitzt, auszuscheiden, wo sein Amt von ihm ein unchristliches Handeln verlangen würde.« 34 Ebd. 35 Zur Geschichtstheologie Yoders vgl. J.A. Sider, To See History Doxologically.

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Der konzeptionelle Rahmen von Yoders Rezeption

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mentally a source of social stimulus to encourage the development of a better society – though a faithful church should also have this effect – it is for the sake of the church’s own work that society continues to function. The meaning of history – and therefore the significance of the state – lies in the creation and the work of the church. The reason for Christian prayer in favor of the political authorities is that ›God our Saviour desires all men to be saved and to come to the knowledge of the truth‹ (1 Tim. 2). The function of the state in maintaining an ordered society is thereby a part of the divine plan for the evangelization of the world.«36

Wie weit die von Yoder anvisierte Verantwortungsübernahme gehen und welche Praktiken sie implizieren kann, möchte Yoder nicht gesetzlich festgelegt wissen,37 sieht allerdings den Schwertgebrauch ausgeschlossen, wobei er nicht konkret festlegt, wo dieser beginnt und aufhört, ob er etwa auch die Mitarbeit in einer Polizeiverwaltungs- bzw. Ordnungsbehörde ausschließt: »Nicht alles, was der moderne ›Staat‹ tut, läßt sich in der gleichen Weise ›heidnisch‹ nennen, wie die Schwertgewalt selbst. Es kann also für den Christenmenschen heute nicht ausgeschlossen sein, im ›Staat‹ in diesem breiteren Sinne zu arbeiten.«38 Grundsätzlich hält Yoder fest: »Wir werden davon ausgehen, dass die neutestamentliche Staatslehre in den Grundlinien noch gilt in Bezug auf die Schwertgewalt des Staates. Andere Dienste im Staat werden zum Teil danach zu werten sein, in welchem Grad sie mit dieser Funktion des Staates verbunden sind.«39 Um das bereits angeklungene und in diesem Zusammenhang besonders interessante Beispiel aufzugreifen, das Yoder nennt, sei die Frage behandelt, ob ein Christ Polizist sein dürfe.40 Bei dieser Frage geht es um eine genauere Klärung, ob 36 J.H. Yoder, The Christian Witness to the State, 13. So sehr Yoders programmatischen Ausführungen eine klare antikulturprotestantische Stoßrichtung inhäriert, wird man in ihnen doch so etwas wie einen »Kulturprotestantismus höherer Ordnung« entdecken können, der das akzidentielle Wirken der Evangeliumsverkündigung seitens der Kirche begrifflich umschreibt. Vgl. dazu auch: M. Zeindler, Gestaltetes Evangelium, 83 – 103. 37 Vgl. J.H. Yoder, Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung: »Wie werden nicht fragen: ›Ist diese oder jenes Handeln im Staat für einen Christen verboten?‹ Das ist die gesetzliche Haltung, von der die Christen – im Gegensatz zum Staate – erlöst sind. ›Alles ist erlaubt – aber nicht alles ist nützlich.‹ Der Christ wird also, gerade wenn er vom Neuen Testament (und vom Täufertum) herkommt, nicht nach einem Verbot fragen, sondern nach der größten Möglichkeit, seinem Mitmenschen zu dienen. Er wird den Beruf und die Stelle suchen, wo er die größte Freiheit und Verantwortlichkeit zu solchem Dienst haben wird.« 38 A.a.O., 30. 39 A.a.O., 33. 40 G.W. Schlabach (Just Policing, 74) misst Yoders Beantwortung dieser Frage hohe Bedeutung im Blick auf das sog. »Just Policing« (gerechtes polizeiliches Handeln) als Dialogvorschlag für die Diskussion zwischen Pazifisten und Vertretern des gerechten Krieges bei. Schlabach beruft sich auf Yoder als Gewährsmann für sein Konzept (kritisch dazu: A. Alexis-Baker, Unbinding Yoder from Just Policing, 147 – 165; zur Debatte fernerhin: T. Winright, From Police Officers to Peace Officers, 84 – 114; F. Enns, Ökumene und Frieden,

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

es im Sinne einer Ethik für Christenmenschen legitim ist, dem Recht durch Anwendung körperlicher Gewalt Geltung zu verschaffen. Denn genau dazu ist die Polizei befugt und verpflichtet – etwa im Zusammenhang der Gefahrenabwehr (Schutz der Bürger und der Verfassungsorgane gegen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung), aber auch der strafrechtlichen Verfolgung (beim Vorliegen strafbarer Handlungen bzw. Straftaten) wie der vorbeugenden Tätigkeit zur Kriminalitätsverhinderung (Prävention). Die Polizei ist mit anderen Worten die »Durchsetzungsinstanz des staatlichen Gewaltmonopols nach innen«41. Die polizeiliche Funktion des Staates sieht Yoder biblisch durch Röm 13,1 – 7 und 1Tim 2,1 – 2 legitimiert.42 Yoder verneint die Frage, ob ein Christenmensch Polizist sein könne, nicht grundsätzlich. Apriori könne dies nicht ausgeschlossen werden, wobei aprioi in diesem Fall meine, bevor er nicht eine entsprechende Berufung dazu durch Gott erfahren hat, wobei Yoder einschränkt, dass er persönlich noch niemanden getroffen habe, der ihm eine solch individuelle Berufung bezeugte: »The question, May a Christian be a policeman? is posed in legalistic terms. The answer is to pose the question on the Christian level: Is the Christian called to be a policeman? We know he is called to be an agent of reconciliation. Does that general call, valid for every Christian, take for certain individuals a form of a specific call to be also an agent of the wrath of God? Stating the question in this form makes it clear that if the Christian can by any stretch of the imagination find this calling in the exercise of state-commanded violence, he must bring us (i. e., lay before the brotherhood) the evidence that he has such a special calling. Long enough we have been told that the position of the conscientious objector is a prophetic one, legitimate but only for the specially called few; in truth we must told that the nonresistant position is the normal and normative position for every Christian, and it is the use of violence, even at that point where the state may with some legitimacy be violent, that requires an exceptional justification. This writer has met no one testifying to such an exceptional call. Generally those who seek political positions do not admit a need to justify their actions as discipleship, 236 f.), wobei man allerdings berücksichtigen muss, dass Yoder seine Wertschätzung des »police concept« nur unter Vorbehalt, d. h. innerhalb der Grenzen einer »ethic of the state« formuliert. In diesem Rahmen zieht er es allerdings entschieden anderen Konzeptionen vor: »Once hostilities have broken out choices constantly remain to be made between approximations of the police concept which will aim at correcting a particular injustice with the hope of ending hostilities as soon as possible by obliging the offender to concede the point, and on the other hand the crusade concept […]. The former police concept of limited war, while not intrinsically legitimate, is at least amenable to certain controls and capable of being worked progressively into a system of international conventions and agencies of mediation, as the crusade is not.« J.H. Yoder, The Christian Witness of the State, 48. Vgl. auch ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 282. 41 Chr. Gusy, Art. Polizei, Polizeirecht, 1806. 42 Vgl. J.H. Yoder, The Christian Witness to the State, 12 f.31.33 f.48 u. ö.

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J.H. Yoders dekonstruktives Interesse

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within the framework defined by a prior admission of the nonresistant teaching of the New Testament.«43

Den sich auf einen Universalisierungsgrundsatz wie etwa den kategorischen Imperativ berufenden Einwand, was passieren würde, wenn alle Christen den Militärdienst verweigern würden, kontert Yoder mit dem Verweis auf die konstantinistische Prämisse dieser irrealen Annahme: »Wir werden nicht, wie fast alle Christen seit Konstantin, von der Annahme ausgehen, daß es in der Welt nur Christen gibt. Es gibt viele Menschen in der Welt, bei denen die Vorbedingungen zur Christusnachfolge fehlen, die aber für den Staatsdienst nicht nur völlig fähig, sondern auch eifrig sind. Es ist unverantwortlich, so zu reden, als ob jene Menschen nicht existieren, und zu behaupten, daß das Gemeinwesen zugrunde gehen würde, wenn nicht Christen in allen Bereichen, einschließlich in dem des Militärs, mithelfen würden.«44 Prägnant bringt Yoder seinen christologischen Einwand auf den Punkt, wenn er feststellt, »daß es für den Krieg keine Berechtigung gibt, auch wenn das Töten als Notwehr und durch die Polizei zulässig wäre. Diese Frage des ›auch wenn‹ steht aber seit Christus nicht mehr offen. In Gethsemane und bis zu seinem Tode hätte Jesus in gerechter Notwehr handeln können. Der Unschuldige, ungerechterweise verhaftet und verurteilt, hätte das Recht und die Pflicht gehabt, um der gottlosen Ordnung willen sich zu verteidigen. Das tat er nicht. Er leidet die Ungerechtigkeit, anstatt sie zu verhindern, zu rächen oder zu strafen. Das ist eben seine Gnade und sein Weg zur Herrschaft. Das ist die Liebe, die auf das eigene Recht verzichtet. Das ist Sein Kreuz, das Er für uns trägt. Dieses Kreuz ist Gottes Ruf an uns.«45

2.

J.H. Yoders dekonstruktives Interesse: Being Honest in Just-War-Thinking

Yoder kommt innerhalb dieses skizzierten konzeptionellen Rahmens zu dem Schluss, dass in der Just-War-Tradition ein unausgeschöpftes Potential schlummert,46 das – wenn die Kirchen tatsächlich den Mut haben, das schlafende Dornröschen wach zu küssen und die Kriterien konsequent, d. h. restriktiv, anzuwenden – ein entscheidender Beitrag zu einem glaubwürdigen christlichen Friedenszeugnis wäre. Auf dem Hintergrund der Beobachtung, dass diese 43 44 45 46

A.a.O., 56 f. Vgl. auch ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 215. Ders., Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, 34 f. Ders., Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, 47. Vgl. G. Stassen, Introduction: Jesus Is No Sectarian, 20: »Yoder also performs immanent criticism of just war theory, within its own terms, showing how it could be improved.«

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

Theorietradition bislang im Christentum eine kriegs- bzw. friedensethisch völlig untergeordnete Rolle spielte, fordert Yoder eine Just-War-Tradition »with teeth«47 anstelle der üblichen »without teeth«.48 Bei Yoder hat sich mithin die Einsicht durchgesetzt, dass es bei einer dementsprechenden Anwendung um etwas ganz anderes »als die religiöse Codierung bzw. Sakralisierung von Krieg [geht]: Das Problem des gerechten (oder gerechtfertigten) Kriegs ist Thema einer normativen politisch-ethischen Theorie mit dem Ziel, den Einsatz militärischer Gewalt Kriterien der praktischen Vernunft zu unterwerfen. Zweck der Theorien des bellum iustum ist bzw. war es, die Kriegsbereitschaft moralisch und rechtlich zu disziplinieren.«49 Insbesondere Yoders Studie »When War is Unjust. Being Honest in Just-WarThinking« (1984; 21996) ist von der eingangs erwähnten Doppelstrategie geprägt. Nach eigener Aussage intendiert Yoder eine »Klärung« (»clarification«50) bzw. Prüfung dieser Tradition hinsichtlich ihrer Relevanz bzw. der Glaubwürdigkeit ihrer Anwendung: »My task is to ask what it would really mean to take a just-war position. As an ecumenical contribution to the integrity and the self-esteem of my just-war interlocutors, I shall proceed to examine the credibility of the dominant tradition.«51 Nochmals Yoder : »I should be and am committed, on general ecumenical or dialogical human grounds, to giving the benefit of the doubt to people who make that claim […] that they limit the violence for which they will soberly accept responsibility to the minimum evil necessary to establish a just peace.«52

Man kann das Verfahren, welches Yoder hier wählt, durchaus als das der »Dekonstruktion« bezeichnen, zumal die »Dekonstruktion«, wie Jacques Derrida dargelegt hat, als doppelte Geste verstanden werden will, das heißt zugleich als Geste des »Abbaus« (Destruktion) und Geste des »Aufbaus« (Konstruktion).53 Entsprechend der identifizierten Strategie Yoders soll im Folgenden zunächst die Kritik (3.) und sodann die (Re-)Konstruktion (4.) der Just-War-Tradition entfaltet werden. Abschließend erfolgt eine Beurteilung von Yoders Rezeption der Just-War-Tradition hinsichtlich ihrer Stärken und Grenzen (5.). 47 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 63: »The simplest functional definition of the just-war tradition ›with teeth‹ is that one would rather sue for peace than commit certain legally or morally illicit belligerent acts. If the only way not to lose a war is to commit a war crime, it is morally right to lose that war.« Dort z. T. kursiv. 48 Ders., How Many Ways Are There to Think Morally about War?, 92 f. W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 116) unterscheidet in ähnlicher Weise zwischen einer heuristischen und restriktiver Interpretation. 49 H.-R. Reuter, Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 75. 50 J.H. Yoder, When War Is Unjust, IX. 51 A.a.O., 3. 52 A.a.O., 5. 53 Vgl. J. Derrida, Politik der Freundschaft, 219.

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Kritik an der Just-War-Tradition

3.

Kritik an der Just-War-Tradition

3.1.

Just-War-Tradition statt Lehre vom gerechten Krieg

537

Zunächst einmal grenzt Yoder die Just-War-Tradition von anderen moralischen Einstellungen zum Krieg ab,54 nämlich typologisch55 von a) einem Realismus, der es für unerheblich erachtet, wie man Kriege im Einzelfall moralisch beurteilt, da es in allen Kriegen im Wesentlichen um die Maximierung von Macht und Eigennutz gehe, b) einem Pazifismus, der jeden Krieg für moralisch verwerflich erklärt, c) dem Kreuzzugsgedanken bzw. der Vorstellung vom Heiligen Krieg,56 wonach die Autorisierung zu einem Krieg gegen Nicht-Gläubige direkt von Gott stammt,57 d) einer fanatischen Macho- oder Rambo-Attitüde, gemäß welcher Kriege als Männlichkeitserweise verstanden werden, dem Leben der Feinde hingegen kein Wert beigemessen wird. Die Just-War-Tradition hingegen betrachte Krieg an sich als Übel,58 wenn auch als ein unter bestimmten Umständen zu rechtfertigendes, zumal dann, wenn es sich angesichts der Lebensbedrohung von Menschen als geringeres Übel erweise.59 Yoder kann gelegentlich auch so weit gehen, dass er die Just-War-Tradition hinsichtlich dieser Zielsetzung als »subform of pacifism«60 deklariert. Nach Yoders historischer Rekonstruktion hat es seit dem Mittelalter – abgesehen vom Macho- bzw. Rambo-Typus – drei Typen nichtpazifistischer Denkungsarten (»three distinct modes of nonpacifist logic«61) gegeben: »national interest [in erkennbarer Nähe zum sog. ›Realismus‹; M.H.], holy war, and the war that is 54 So J.H. Yoder, When War Is Unjust, 1; ders., The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 1. Vgl. auch ders., The Challenge of Peace, 281. 55 Vgl. zu dieser Typologie auch ders., How Many Ways are There to Think Morally About War, 83 – 107, insbes. 84 – 91. Einen Vorläufer dieser Typologie hat J.H. Yoder in seinem Werk »Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution« (27 – 41) entwickelt. 56 Vgl. dazu auch J.H. Yoders (Texts that Serve or Texts that Summon, 229 – 234) kritische Auseinandersetzung mit M. Walzer (The Idea of Holy War in Ancient Israel, 215 – 228). 57 Nachdrücklich betont J.H. Yoder (When War Is Unjust, 12) »the difference between ›holy‹ and ›justified‹«, mithin zwischen den Paradigmen des »Heiligen Krieges« und des »gerechten Krieges«. 58 Wenn Krieg grundsätzlich als ein Übel bestimmt wird, so ist ein öffentlicher Triumphalismus, etwa in Gestalt von inszenierten Siegesparaden wie nach dem Zweiten Golfkrieg, nach J.H. Yoder (When War Is Unjust, 98) deplatziert. 59 Vgl. a. a. O., 1 f. 60 Ders., A Consistent Alternative View within the Just War Family, 112. Vgl. auch ders., Nevertheless, 22 – 28. J.H. Yoder (The Royal Priesthood, 186 f.) verfolgt mit dieser Rubrizierung die Absicht, gleichsam innerpazifistisch die Diskursbereitschaft zu erhöhen: »The doctrine of the ›just war‹ must be dealt with far more respectfully than most pacifists have been willing to do. It takes seriously, as the other available thought patterns do not, that there can be an ethical judgment upon the use of violence in the name of the state.« 61 Ders., When War Is Unjust, 16.

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

justified in the particular case by authentically political but morally restrained warrants [Just-War-Tradition; M.H.].«62 Yoder spricht zudem in auffälliger Weise nicht etwa von der Lehre oder der Theorie des gerechten Krieg, sondern nahezu durchgängig von der Just-WarTradition. Er versteht diese als eine Tradition normativer Kriegsethik. Bisweilen ist bei Yoder auch von einer »Just War family«63 die Rede, die sich bei aller Diversität durch »Familienähnlichkeiten«64 zwischen den einzelnen Typen auszeichne. Hinter dieser Sprachregelung steht die Einsicht, dass es nicht die Lehre vom gerechten Krieg im Sinne einer fixen, gleichsam kanonisierten Lehre gibt:65 »There is no one official version to which all have subscribed. The tradition, however, is at work wherever : a set of criteria is named whereby one can measure political situations with a respectable level of accuracy and objectivity in order to support the case that the evil of a given war, which one ›justifies,‹ will be less than the evil of the other war which one thereby prevents.«66 Treffend kommentiert R. Hütter diese Sprachregelung Yoders: »The use of the term ›tradition‹ over against ›doctrine‹ or ›theory‹ is to signal that the Christian just war tradition has been an ongoing discourse, in which there has been a consensus on the main criteria, yet in which constant accommodations to new circumstances have had to be made, and in which there are ongoing disputes about the interpretation of some criteria. The term ›doctrine‹ would wrongly imply that the just war tradition has been formulated in just one official or permanently valid form, while the term ›theory‹ would imply a static set of unchangeable rules and principles to be applied to all cases.«67

62 Ebd. Ähnlich ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 28 ff. 63 Ders., How Many Ways are There to Think Morally About War, 95. So auch ders., A Consistent Alternative View within the Just War Family, 112 – 120. Vgl. a. a. O., 112: »[T]he Just War Tradition is a family of diverse views, not just one.« 64 Vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 277 f. (§ 66 f.). 65 So auch H.-R. Reuter, Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 38: »Eine ›freistehende‹ Lehre vom gerechten Krieg hat es nie gegeben, sondern die jeweiligen Lehren waren eingebettet in sehr unterschiedliche Deutungshorizonte einerseits moralisch-rechtlicher, andererseits historisch-politischer Art.« 66 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 2. So auch a. a. O., 119; ders., The Credibility of Ecclesiastical Teaching on the Morality of War, 38; ders., The Reception of the Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 1.21. 67 R. Hütter, Be Honest in Just War Thinking!, 69. Auch M. Haspel (Zwischen Internationalem Recht und partikularer Moral?, 73) betont, »dass die bellum-iustum-Lehre, wie alle Tradition, gerade dadurch sich selbst immer wieder imponiert, dass sie hermeneutisch jeweils neu angeeignet, interpretiert und fortentwickelt wird«.

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Kritik an der Just-War-Tradition

3.2.

539

Die Kriterien der Just-War-Tradition

Damit sind nun die Kriterien des sog. »gerechten Krieges« angesprochen. Und auch im Blick auf eine fixe Kriteriologie gilt: »Es gibt keine ganz eindeutige und abgeschlossene, sozusagen kanonische Sequenz solcher Kriterien«68. So geht Yoder davon aus, »that the just-war tradition is not a simple formula ready to be applied in a self-evident and univocal way. It is rather a set of very broad assumptions whose implications demand – if they are to be respected as morally honest – that they be spelled out in some detail and then tested for their ability to throw serious light on real situations and on the decisions of persons and institutions regarding those situations.«69 Yoder hat zur Erleichterung regelgeleiteter Urteilsbildung eine eigene Auflistung70 und ideengeschichtliche Rekonstruktion71 der Kriterien der Just-WarTradition (»listing of the main concerns of the tradition«72) vorgelegt und diese mit dem Hinweis versehen, dass die Kriterien zwar allgemeinvernünftig (»commonsensical«73) seien, jedoch keine singuläre, standardisierte Liste mit normativem Status und detaillierten Ausführungsbestimmungen existiere. Im Einzelnen nennt er folgende Kriterien, die er in einem eigenen um Vollständigkeit bemühten Systematisierungsversuch zusammenstellt und im Einzelnen näher ausdifferenziert: 1. »War may be waged only by a legitimate authority.«74 2. »A war may be fought only for a just cause.«75 3. »A war may be fought only with a right intention«76 – in einem objektiven Sinne (finis operis). 4. »A war may be fought only with right intention«77 – in einem subjektiven Sinne (finis operantis).78

68 W. Härle, Ethik, 409. So auch M. Haspel, Zwischen Internationalem Recht und partikularer Moral?, 72. 69 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 71. 70 Vgl. zu dieser Auflistung auch a. a. O., 2. Die entfaltete Auflistung J.H. Yoders (a. a. O., 147 – 161) findet sich auch in: ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 88 – 94. 71 Vgl. a. a. O., 95 – 104. 72 Ders., When War Is Unjust, 147. 73 A.a.O., 158. 74 A.a.O., 148. Dort kursiv. 75 A.a.O., 150. Dort z. T. kursiv. 76 A.a.O., 152. Dort z. T. kursiv. 77 Ebd. Dort z. T. kursiv. 78 J.H. Yoder (ebd.) definiert und bestimmt die differentia specifica wie folgt: »Intention in the objective sense (finis operis) is the goal or end of the entire military/political enterprise, which must be justified in terms of the global common good. […] Intention in the subjective sense (finis operantis) is motivation, or attitude.«

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540

»Be Honest in Just-War-Thinking!«

5.

»Due Process: A war is illegitimate unless the criteria apply with procedural integrity«79, d. h. u. a.: »War must be a last resort, only after everything else has been tried.«80 6. »Means must be indispensable, the only way, ›necessary.‹«81 7. »Means must be proportional.«82 8. »The means used must respect the immunity of the innocent.«83 9. »The means used must be discriminating, that is, subjected to measured control.«84 10. »The means used must respect the dignity of humankind as rational and social.«85 11. »Means used must not be forbidden by positive law or treaties«86. Anders als Barth87 präsentiert Yoder die einzelnen Kriterien in einem systematischen Zusammenhang. Er möchte damit dem Eklektizismus ihrer Anwendung vorbeugen und diesbezüglich einen möglichst transparenten Diskurs ermöglichen. Die Kriterien 1 – 4 gruppiert Yoder unter den Kriterien des ius ad bellum, »that is, the law having to do with going to war or ›the right to fight.‹ Until these criteria have been met, there is no need to discuss proper means.«88 Die Kriterien 6 – 11 rubriziert Yoder entsprechend unter dem ius in bello (»fighting right«89), zumal man diese Kriterien als Konkretisierungen des Kriteriums des debitus modus auffassen kann. Eine Zwischenstellung nimmt das 5. Kriterium ein, das Yoder aufgrund seiner prozeduralen Qualität sowohl dem ius ad bellum als auch 79 A.a.O., 154. 80 Ebd. 81 A.a.O., 156. Im Blick auf die Zweck-Mittel-Relation macht J.H. Yoder (a. a. O., 61) klar, dass gemäß der Logik der Just-War-Tradition ein noch so guter Zweck (causa iusta) keineswegs die Wahl der Mittel freistellt und sie in diesem Sinne heiligt: »On the level of common sense and the lay meaning of the just-war tradition, it certainly did and must imply the possibility that the wrongness of a particular battle, weapon, or tactic is so clear that it must be rejected, even at the cost of important sacrifice. This possible negation is a part of the dignity of the tradition. The negation applies most dramatically and globally when one recognizes that if the only way to defend a just cause is by a fundamental wrong means, then it is mandatory to surrender and to seek to pursue further defense of one’s valid interests through means other than the belligerent defense of natural sovereignty. It this has not been recognized, and plans befitting such an insight have not been made, that is because the just-war heritage has itself not been clearly understood by those claiming to hold to it.« 82 A.a.O., 156. 83 A.a.O., 157. 84 A.a.O., 158. 85 Ebd. 86 A.a.O., 159. 87 Vgl. Abschnitt II.3.2.3.2. 88 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 154. 89 A.a.O., 158.

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Kritik an der Just-War-Tradition

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dem ius in bello zurechnet. Das klassische Kriterium der ultima ratio kehrt hier wieder. Überhaupt wird man konstatieren können, dass Yoder auf die fünf grundlegenden klassischen Kriterien zurückgreift und diese in einer erweiterten Form präsentiert. Das sind, um sie einzeln nach den eingeführten und allgemein anerkannten lateinischen Termini aufzulisten90 : legitima auctoritas (bei Yoder Ziffer 1), causa iusta (bei Yoder Ziffer 2), recta intentio (bei Yoder Ziffern 3 und 4), ultima ratio (bei Yoder Ziffer 5) und debitus modus (bei Yoder Ziffern 6 – 11). Es zeigt sich, dass Yoder mit ius ad bellum und ius in bello die traditionellen Kategorien gebraucht. Er sieht im Blick auf ihre Gewichtung eine Gefahr darin, das ius ad bellum dem ius in bello unterzuordnen. So identifiziert er eine spezifisch amerikanische Versuchung (»specifically American temptation«91), die darin bestehe, gemäß der Auffassung, dass der Zweck die Mittel heiligt, im Zuge einer Priorisierung der causa iusta das ius ad bellum gegen das ius in bello auszuspielen.92 Als Beispiel nennt Yoder etwa den Gebrauch von Landminen, die auch dann noch eine erhebliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen, wenn der militärische Konflikt bereits Jahre zurückliegt.93 Zwischen ius ad bellum und ius in bello bestehe kein alternatives, sondern ein strikt additives im Sinne von gleichberechtigtes Verhältnis. Insofern scheidet nach Yoder eine selektive Applikation der Kriteriologie aus. Mit anderen Worten müssen Yoder zufolge grundsätzlich alle, nicht nur die meisten oder einzelne Kriterien erfüllt sein, damit der Einsatz militärischer Mittel als gerechtfertigt gelten kann.94

3.3.

J.H. Yoders Kritik an der Just-War-Tradition

Yoder verweist auf die Äquivozität der Kriterien95 und das daraus resultierende zentrale Problem der Mehr- bzw. Vieldeutigkeit der Kriteriologie, auf die sich die Just-War-Tradition stützt: »[I]t would be misleading to attempt to converse with 90 So auch u. a. H. Bedford-Strohm, Gottes Versöhnung und militärische Gewalt, 213 f.; W. Härle, Ethik, 409; W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 115; W. Lienemann, Gibt es gerechte Kriege?, 73. 91 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 64. Mit Blick auf den amerikanischen Kriegseintritt im Ersten und Zweiten Weltkrieg bemerkt Yoder (ebd.): »We try to stay out of a war until it is clear to us that we know whom to blame. Then we want to plunge in and fight without restraint, to win at all costs.« 92 A.a.O., 65: »Restraints in bello have to remain in effect against us, assuming our cause is just, as protection for our adversaries’ natural rights, even if their cause is unjust.« So auch ders., Surrender: A Moral Imperative, 585. 93 Vgl. ders., When War Is Unjust, 98 f. 94 So auch W. Härle, Ethik, 417; M. Haspel, Friedensethik und humanitäre Intervention, 70. 95 J.H. Yoder (A Consistent Alternative View within the Just War Family, 113 f.) veranschaulicht die Äquivozität am Beispiel der unterschiedlichen und vielfältigen Verstehensweisen des Kriteriums der recta intentio.

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that tradition as if its meaning were clear and univocal before helping it to define itself in such a way as to stand up to challenge and evaluation.«96 Im Anschluss an Yoder bemerkt R. Hütter : »Each of these criteria is in need of further specified interpretation and application depending on the convictions of the interpreting community and on the political and technological circumstances. In other words, the just war tradition has never worked as a ›theory‹ to be applied to specific situations, rather it only works as an ongoing discourse-tradition.«97 Hier klingt bereits Kritik hinsichtlich der Eindeutigkeit der Just-War-Tradition an. Naturgemäß bringt sie als unabgeschlossene Diskurstradition mit sich, dass ihre noch in der Diskussion befindlichen Kriterien eben nicht eindeutig und abgeschlossen sind.98 Ein Bestimmtheitsdefizit mit offenkundigen Regelungslücken resultiert daraus. Der Umstand, dass wir es bei der Just-War-Tradition mit einer Diskurs-Tradition zu tun haben, bedingt also deren Dynamik, mit der sie sich auf die pragmatischen Herausforderungen und unterschiedliche Begründungskontexte einlässt. Genau dies wurde ihr oft zum Fallstrick und zwar in dem Sinne, dass sie ihre kriegslimitierende Funktion verlor und als reines Kriegslegitimationsinstrumentarium missbraucht wurde. Dass Kriterien unvollständig rezipiert wurden und ein Wissen um Anwendungsbedingungen und systematische Zusammenhänge verloren ging oder gar nicht erst gewonnen wurde, blieb nicht aus. Denn nochmals: Das Just-War-Thinking bezeichnet, wie Yoder festhält, eine Tradition: »The tradition is not merely a set of criteria to apply to a political situation. It is as well a culture, shaped by a long history of thought and application, which evolved along the way with more twists and turns than the popularizers or even the theologians tend to acknowledge.«99 Unterläuft die Just-War-Tradition, so fragt Yoder kritisch an, damit aber nicht die an sie gestellten Erfordernisse der Anwendbarkeit? Sie wäre dann tatsächlich entgegen ihrem Anspruch, ein funktionstüchtiges Instrumentarium zur friedensethischen Urteilsbildung anzubieten,100 ein »zahnloser Tiger«. Funktionstüchtigkeit besagt indes nach Yoder, dass differenzierte Urteile aus der An96 J.H. Yoder, When War Is Unjust, IX. 97 R. Hütter, Be Honest in Just War Thinking!, 71. 98 Zur »rationality of tradition« gehören, wie A. Fetzer im Anschluss an A. MacIntyre (Whose Justice? Which Rationality, 349 – 369) gezeigt hat, folgende Eckpunkte: »1. Traditionen sind dynamisch verfaßt und entwickeln sich durch die Bearbeitung von Konflikten weiter. 2. Es gibt Konflikte innerhalb der Tradition und Konflikte zwischen Traditionen. 3. Wahrgenommen werden beide Konflikttypen aus der Perspektive einer bestimmten Traditionszugehörigkeit und haben in ihrer Zuspitzung existentiellen Charakter.« A. Fetzer, Tradition im Pluralismus, 124. 99 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 7. So auch a. a. O., 119. 100 Vgl. a. a. O., 3: »The just-war tradition presents itself as an instrument for making difficult decisions, discerning the morality of violence in the midst of a variety of interpretations. The system comprises a rather long list of criteria, tailored in order to be applicable – on the basis of objective data – to the evaluation of specific conflict situations.«

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Kritik an der Just-War-Tradition

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wendung resultieren, mithin keine ausschließlich affirmativen.101 Andernfalls wäre die Just-War-Tradition nämlich tatsächlich contra intentionem als reiner Legitimationsdiskurs zu verstehen. Die Just-War-Tradition wäre dem freien Kriegsführungsrecht (liberum ius ad bellum) zum Verwechseln ähnlich. Yoder nennt nun im Blick auf eine erfolgreiche Instrumentalisierungsprophylaxe eine Reihe von Erfordernissen zur Gewährleistung einer Funktionstüchtigkeit der Just-War-Tradition, die er zugleich als Bedingungen für deren Glaubwürdigkeit versteht. Mit ihrer Gegebenheit steht und fällt demnach die Just-War-Tradition hinsichtlich ihrer kritischen Anwendbarkeit. Yoder listet die Erfordernisse in Gestalt von Frage auf,102 die im Einzelnen wie folgt lauten: a) konzeptionelle Erfordernisse (»Are the terms defined in such a way that effective implementation could follow when the general criteria encounter real cases?«); b) institutionelle Notwendigkeiten (»Decisions do not crystallize out of the blue; there needs to be some responsible entity or agency with some commonly understood procedures.«) c) attitüdische Voraussetzungen (»What kind of mentality does it take to acknowledge and sustain unwelcome truths against the grain of group pressure or self-interest?«) d) moralische Gegebenheiten (»Renouncing morally illegitimate but selfserving acts is costly. […] What kind of personality will choose the right despite the cost?«) e) auf das Handlungssubjekt bezogene Unumgänglichkeiten (»[W]ho ist the actor[?] Whose moral decisions are to be illuminated by the just-war tradition?«) Die aufgeführten Erfordernisse für eine funktionstüchtige und glaubwürdige Anwendung der Kriterien sieht Yoder im Blick auf Vergangenheit und Gegenwart vielfach infrage gestellt.103 Anlässlich des Zweiten Golfkrieges (1990/91) und einer u. a. auch in diesem historischen Zusammenhang betriebenen Instrumentalisierung der Just-War-Tradition zur Rechtfertigung des Krieges urteilt Yoder : »The public is deceived by the tacit assumption that because the ›criteria‹ can be listed in common-sense language there must be a shared definition of most of the operational terms, as there is in a natural science or even in law. A criterion is something you can 101 Vgl. a. a. O., 50: »The credibility […] is tied to the degree to which the defined criteria actually impose effective restraints.« 102 Vgl. a. a. O., 3 f. 103 Vgl. a. a. O., 6: »In real historical experience, effective adherence to the restraints of the justwar tradition has been and is a rarity.«

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

measure with; that can be done only if its meaning is shared by the several parties. In real use, however, most of the just war ›criteria‹ are so subject to bias that they do not serve adjudicate with any semblance of objectivity. The words like ›legitimate authority‹ and ›just war‹ provide a common language, but they serve only to talk past each other.«104

Yoder zufolge setzt die Kriteriologie des gerechten Krieges eine funktionstüchtige Moralsprache voraus, die es erlaubt, die einzelnen Kriterien ihrem semantischen Gehalt nach zu bestimmen. Genau diese Voraussetzung sieht er nicht gegeben. Insofern sieht Yoder sich gezwungen, sein Urteil zum Golfkrieg zu verallgemeinern.

Exkurs: »Whose ›Just‹ War? Which Peace?« S. Hauerwas’ Kritik an der Just-War-Tradition Zugespitzt hat diese Kritik J.H. Yoders sein langjähriger Kollege und Freund S. Hauerwas. Dieser stützt sich auf die Kritik Yoders und verbindet sie mit der Analyse der moralischen Krise der Gegenwart, wie sie A. MacIntyre in seinem Werk »After Virtue« (1981) vorgenommen hat.105 Im Gewirr der fragmentierten, heterogenen, willkürlichen und nicht letztbegründbaren Moralvokabulare der Gegenwart und angesichts einer heillosen Sprachverwirrung der Moral und Ethiken sei auch die War-Just-Tradition im Singular hinfällig. Mit der Obsoleszenz einer auf semantischer Einheit basierenden funktionstüchtigen Moralsprache ist nach Hauerwas auch die Obsoleszenz der Kriteriologie des gerechten Krieges besiegelt. Wie MacIntyre gezeigt habe, sei die Moralsprache so stark in Unordnung geraten und in Auflösung begriffen, dass eine alle vernunftbegabten Menschen verbindende Moral nicht mehr vorausgesetzt werden könne. Eine einheitliche moralische Tradition und Kultur ist nach MacIntyre unwiederbringlich in mehrere letztlich inkommensurable moralsprachliche Systeme degeneriert und zerfallen, so dass wir gegenwärtig in einer euphemistisch als »Pluralismus« rubrizierten Ruinenwelt der Moralen leben. Nach MacIntyres Diagnose können in der gegenwärtigen Gesellschaft keine übereinstimmenden Antworten mehr auf fundamentale moralische Fragen gefunden werden, wobei A. MacIntyre diese Diagnose ausdrücklich auch auf die Lehre vom gerechten Krieg bezieht.106 Zwar werde noch immer in Gestalt besagter Lehre mit dem 104 Ders., Just War Tradition, 297. Vgl. ders., When War Is Unjust, 93.95.97. 105 Vgl. A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend, bes. 13 – 18. Zur Einführung in MacIntyre vgl. A. Fetzer, Ansätze zu einer narrativen Ethik in der Moralphilosophie Alasdair MacIntyres, 225 – 245; dies., Tradition im Pluralismus; R. Hütter, Ethik in Traditionen, 61 – 84. 106 Vgl. A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend, 19 f.

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Der konzeptionelle Rahmen von Yoders Rezeption

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moralischen Grundbegriff der »Gerechtigkeit« operiert,107 was allerdings damit gemeint sei, lasse sich angesichts des Konkurses des klassisch-teleologischen Referenzrahmens, den diese Begriffe voraussetzen, nicht mehr hinreichend bestimmen und verstehen.108 MacIntyres Plädoyer richtet sich angesichts der babylonischen Verwirrung der Moralsprache auf kleine Gemeinschaften, in denen so etwas wie ein zusammenhängender moralischer Diskurs möglich sei, der in eine bestimmte tugendgeprägte Praxis eingebettet ist: »Was in diesem Stadium zählt, ist die Schaffung lokaler Formen von Gemeinschaft, in denen die Zivilisation und das intellektuelle und moralische Leben über das neue finstere Zeitalter hinaus aufrechterhalten werden können, das bereits über uns gekommen ist.«109 Hier knüpft nun der sich selbst als »High-Church Mennonite« bezeichnende Theologe und Pazifist S. Hauerwas an, wenn er die Kirche als eine solche Gemeinschaft ins Spiel bringt.110 Im Blick auf seine Position hält I. Torrance fest: »Hauerwas […] has no belief in a public language. He rejoices in the disintegration of public (secular) cultural unanimity, as this at last allows the Christian Church to be itself, truly to be Church, rather than riding piggyback on the prevailing culture.«111 Hauerwas teilt MacIntyres Diagnose auch in puncto bellum-iustum-Theorie weitestgehend: »The just war theory has become a given that can be generated and applied by anyone, anywhere, from any point of view. But just this presumption is the problem. The assumption that just war theory provides criteria of assessment that are straightforward, self-explanatory, and not requiring in107 Auch ein Hauerwas und MacIntyre gegenüber sehr kritisch eingestellter Ethiker wie M. Honecker (Gerechter Friede und / oder gerechter Krieg, 252) kann im Anschluss an R. Frost und M. Walzer die »Kontextabhängigkeit von Gerechtigkeitsvorstellungen« bzw. die Notwendigkeit betonen, »im Blick auf praktische Probleme der Realisierung von Gerechtigkeit, Kontexte zu unterscheiden.« Wenn Honecker zugleich hinsichtlich der ursprünglichen Intention der Lehre vom gerechten Krieg festhält, dass dem Übel des Krieges durch sie ein moralisches Fundament gegeben werden sollte, wonach der Krieg und Kriegführung an der Tugend und Norm der Gerechtigkeit zu messen sei, liegt Hauerwas’ ekklesio-ethisches Plädoyer greifbar nahe. Vgl. a. a. O., 255; I. Torrance, Peacemaking and Humanitarian Intervention, 423 f. 108 Bereits in den 1960er Jahren stellte P. Ramsey (The Ethics of Intervention, 28) fest, dass es einen Konsens über den materialen Inhalt des Gerechtigkeitsbegriffs bis zur – vorläufig nicht zu erwartenden – Verwirklichung einer Weltgemeinschaft nicht geben könne: »Until there is world community there will be no actual world agreement as to justice.« 109 A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend, 350. 110 Zu Hauerwas’ Friedensethik vgl. M. Leiner, Die Legitimität pazifistischer Positionen, 153 – 170. 111 I. Torrance, Ethics and the Military Community, 12. Trotz genereller Zustimmung zu MacIntyres moralphilosophischer Analyse und großer Sympathie für Hauerwas’ ekklesioethischen Ansatz ist I. Torrance (vgl. a. a. O., 6 – 36) allerdings nicht bereit, Hauerwas’ pazifistischer Option zu folgen.

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terpretation is, from a Christian perspective, a sinful illusion.«112 Eine solche universalistische Illusion gleiche, wenn sie entsprechend vehement propagiert werde, einem »entstorysierenden« Entwurzelungsversuch: Sie versuche »to free moral convictions from their history and, in particular, from their Jewish and Christian roots. From this perspective, for a principle to be moral it must be capable of being held and applied by anyone, whether they be Christian, Muslim, or American. It should not be surprising, therefore, that just war criteria were used to justify the Gulf War as if it made no difference who was using them and for what ends. My contention is that when the just war theory is used, it cannot avoid ideological distortion.«113 Mit diesem ideologischen Missbrauch werde freilich die ursprüngliche Intention und pazifistische Motivation der Lehre auf den Kopf gestellt: »For, after all, Christians created just war reflection because of their nonviolent convictions; they assumed that those who would use violence bore the burden of proof for doing so. Thus, the wide reach of pacifism becomes clear, for if you do not believe that non-violence is required, then why assume that war needs justification and/or control?«114 Hier kommt Hauerwas’ Wertschätzung der bellumiustum-Theorie auf der Grundlage einer pazifistischen »Meta-Theorie« klar zum Ausdruck, wonach beide, »gerechte Krieger« und Pazifisten das grundlegende Bekenntnis zur Gewaltfreiheit vereine, die nur unter ganz bestimmten Bedingungen übertreten werde dürfe, die durch die bellum-iustum-Kriterien fixiert wurden.115 Um jedoch diese neu in ihrer restriktiven Funktion wirksam werden zu lassen, bedarf es nach Hauerwas einer Einbettung in eine tugendhafte Gemeinschaft. Diese müsse der praktizierten »entstorysierenden« Entkernung der bellum-iustum-Tradition entgegenwirken, die gleichsam nur noch die nackte kriteriologische Fassade bedeutungslos gewordener Moralbegriffe wie »Gerechtigkeit« stehen lasse: »[T]he fundamental question for advocates of just war theory or realism is how democracies are to develop virtues in their citizens to fight wars with limited purposes, not crusades.«116

112 S. Hauerwas, Dispatches from the Front, 138. 113 A.a.O., 139. Zur interreligiösen Dimension der Theorie des gerechten Krieges vgl. S.O. Ilesanmi, Just War Theory in Comparative Perspective, 139 – 155. 114 S. Hauerwas, Dispatches from the Front, 139 f. 115 Diesen metatheoretischen Konsens hat insbesondere J.F. Childress (Just-War Theories, 427 – 445; Just-War Criteria, 40 – 58; Non-Violent Resistance, 213 – 220) in der US-amerikanischen Friedensdebatte stark gemacht. Childress sieht in diesem Konsens die große Chance eines ökumenischen Konsenses, der die Historischen Friedenskirchen mit umfasst. Zur Debatte vgl. auch H.D. Baer / J.E. Capizzi, Just War Reconsidered, 119 – 137. 116 S. Hauerwas, Dispatches from the Front, 147.

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(Re-)Konstruktion der Just-War-Tradition

4.

(Re-)Konstruktion der Just-War-Tradition

4.1.

J.H. Yoders Ingebrauchnahme des Relativismusarguments

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Yoder zieht aus seiner Kritik allerdings nicht die Konsequenz, die Just-WarTradition in toto zu verwerfen und ihr jeglichen Nutzen für die friedensethische Urteilsbildung abzusprechen. Vielmehr ist er bereit zu konzedieren: »[T]he advocates of the just-war tradition can argue that the system has some value as an instrument of moral discourse. Like other moral visions that demand a great deal, the validity of the just-war tradition does not depend completely on its being lived up to perfectly.«117 Yoders Wertschätzung der Just-War-Tradition resultiert aus ihrer Intention, Krieg nicht zu fördern, sondern einzugrenzen.118 Von daher hält Yoder es auch für verfehlt, einen Gegensatz zwischen der JustWar-Tradition und der pazifistischen Tradition zu beschwören, als seien beide einander diametral entgegengesetzt: »In the face of most real moral choices, […] the two views, if held with integrity, would have the same impact.«119 Beide Traditionen verhalten sich Yoder zufolge komplementär zueinander.120 Yoder stellt die Doppelthese auf: »Nonviolence can help to make just war thought more honest; and […] Just war thinking can help to make violence more disciplined.«121 Vom Relativismusargument, das insbesondere MacIntyre und Hauerwas bemühen, macht Yoder einen differenzierten Gebrauch. Dies zeigt sich etwa in seiner Replik auf J.F. Childress’ Diagnose,122 die stark an MacIntyres und Hauerwas’ Kritik erinnert, wonach nämlich in einer pluralistischen Welt mit konkurrierenden Wertvorstellungen keine Einigkeit im Blick auf eine hinreichend 117 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 4 f. 118 A.a.O., 5: »Even though the moral logic with which we reach and justify our decisions is different in general, and directly contradictory at some points, it is still the case that every time just-war proponents exercise effective discipline and limit the harm they do, fewer lives and other values will be destroyed than if they had not applied that restraint.« 119 A.a.O., 6. So auch a. a. O., 69: »[J]ust-war rhetoric and consistent pacifism are on the same side of most debates. When honest, both will reject most wars, most causes, and most strategies being prepared and implemented.«.Vgl. auch a. a. O., 88. Fernerhin: J.F. Childress, Just-War Criteria, 53. 120 So auch G. Stassen, Introduction: Jesus Is No Sectarian, 20. Vgl. J.H. Yoder, The War of the Lamb, 85 – 92; ders., How Just War Thinking and Pacifism Coinhere, 1 – 5. Die komplementäre Verhältnisbestimmung steht indes in Spannung zur gelegentlich gefällten Behauptung Yoders, die Just-War-Tradition repräsentiere ihrer eigentlichen Intention eine Spielart des Pazifismus. So ders., A Consistent Alternative View Within the Just War Family, 112. 121 Ders., The War of the Lamb, 86. 122 S. J.F. Childress, Just-War Criteria, 40 – 58. Vgl. dazu J.H. Yoders (When War Is Unjust, 65) Zusammenfassung von Childress’ Argumentation.

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präzise Bestimmung der Kriterien erzielt werden und aus der infolgedessen kein klares »Nein« zu ungerechten Kriegen resultieren kann. Yoder widerspricht dieser Diagnose von der allgemeinen moralischen Sprachverwirrung nicht, teilt sie vielmehr, zieht daraus aber nicht den Schluss, dass namentlich die »classical moral tradition« des bellum iustum gänzlich hinfällig geworden sei. Gleichwohl stehe sie hart am Rande des vollständigen Verlustes ihrer Funktionsfähigkeit. Allerdings gebe es auch Gegenbelege dafür, dass keine negativen Urteile hinsichtlich der Zulässigkeit spezifischer kriegerischer Akte mehr gefällt würden, was besagtem Verlust gleichkäme. Als Beleg dafür, dass diese negativen Urteile selbst im Pluralismus der (Spät-)Moderne real seien, verweist Yoder auf vier Phänomene: »[a] [t]he prosecution of war crimes; [b] [t]he founding of one nation’s claims to just cause and reprisal in the objective wrongness of offenses committed by the other side; [c] [t]he possibility of surrender in the just-war thought of John Courtney Murray, Paul Ramsey, and the World Council of Churches commission; [d] [t]he possibilities of civil disobedience, disobedience to unjust orders, and selective conscientious objection.«123 Auch auf intuitiver Ebene stehe die Just-War-Tradition noch immer, wenngleich in aller Verworrenheit in Kraft und solle deshalb nicht fahrlässig negiert werden, zumal »the necessity of some moral framework, in addition to pacifism, for dealing with the reality of lethal force«124, unabweisbar sei. Yoder erkennt die Unhintergehbarkeit der kriteriologischen Fragestellung,125 auf der die Just-WarTradition basiert, auf intuitiver Ebene. Ihr lägen Fragen zugrunde, die von jedermann gestellt würden: »They will be asked by anyone concerned for honest moral reasoning, whatever such person’s own orientation might be […]. They are not derived from or dependent on a specifically Christian or specifically pacifist orientation«126. Ein »anything goes« sei im Blick auf die Kriterienanwendung nach wie vor unmöglich, wenngleich diese an Stabilität einbüßen würde und man sich ehrlicher Weise einen »slippery-slope-Effekt« eingestehen

123 A.a.O., 66. 124 C.P. Lutz, Foreword to the First Edition, XII. 125 Vgl. J.H. Yoder, When War Is Unjust, 101; ders., Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, 42. So auch W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 125; H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 2: »[W]ir bringen de facto, ob wir wollen oder nicht, Kriterien ins Spiel, die auch in den klassischen Lehren vom bellum iustum, vom ›gerechten Krieg‹ eine Rolle gespielt haben.« Vgl. J.H. Yoder, The Royal Priesthood, 187: »Wherever any new opening for the moral criticism of the use of violence arises, it is in some way a use of the just war logic and should be welcomed as at least an opening for possible moral judgment.« 126 Ders., When War Is Unjust, 128 f. Zu den diversen Gründen, warum etwa das ius in bello eingehalten werden sollte, vgl. Yoders Synopse in: a. a. O., 136 – 141.

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(Re-)Konstruktion der Just-War-Tradition

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müsse: »[T]hey keep sliding further down the scale.«127 Deshalb müsse es darum gehen, die Just-War-Tradition gerade in operationaler Hinsicht zu stabilisieren.

4.2.

Die Entwicklungsgeschichte der Just-War-Tradition nach J.H. Yoder. Eine duale Narration zwischen Subversion und Affirmation

Das Zugleich von Kritik und Wertschätzung, von Subversion und Affirmation, welches sich in Yoders Ingebrauchnahme des Relativismusarguments zeigt, kennzeichnet auch seine Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Just-WarTradition, wie er sie in seiner Studie »When War Is Unjust« entfaltet. In Anlehnung an den literaturwissenschaftlichen Sprachgebrauch kann man geradezu von einer dualen Narration sprechen, die Yoder bemüht. Er stellt nämlich die Entwicklungsgeschichte der Just-War-Tradition bei gleicher Ausgangslage gleichsam aus zwei Perspektiven dar. Die kritische Perspektive wendet sich vor allem gegen die Reformation (»magisterial reformation«128) und schreibt dem Protestantismus die unrühmliche Rolle zu, das restriktive Potential der Just-War-Tradition entscheidend geschwächt zu haben:129 »Previously the prince and his soldiers were exceptions to the general rule of the nonviolence, which was normally binding on most people most of the time. Now the state’s violence is the norm, the definition, even when not all are called to fight.«130 Dass Yoder mit seinem harschen Urteil131 der Bedeutung der reformatorischen Modifikation des klassisch naturrechtlichen

127 A.a.O., 67. Vgl. ders., Surrender : A Moral Imperative, 585 f. 128 So J.H. Yoders (The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 2) Terminologie im Anschluss an den Begriffsgebrauch bei G.H. Williams, The Radical Reformation. 129 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 20: »[T]he potential of the just-war concepts for applying restraint was decreased.« So auch ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 115 f.; ders., The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 1: »That capacity to restrain is diminished considerably, though unconsciously, by the Protestant Reformation.« Vgl. a. a. O., 10 f.15. 130 Ders., When War Is Unjust, 21. 131 Vgl. etwa ders., The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 20 f.: »Whereas the tradition in the Middle Ages had meant to preserve some ground for restraint in the face of the reluctant acceptance of war, the Protestant Reformation moved farther than the Middle Ages had gone in the direction of making war morally acceptable. […] The restraint power which had kept the just war tradition from being a blank cheque was being eroded. […] After the Reformation, the ordinary meaning of the mention of the ›just war‹ in the creeds, to the ordinary Protestant, clerical or lay, was the opposite. War is all right. Those who reject it are condemned by name. The sovereign who sends his subjects to war is prima facie trustworthy as a judge of cause and means. The way is open for citizen-soldier and for uncritical Protestant patriotism.«

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Konzepts vom »gerechten Krieg« nicht gerecht wird, liegt auf der Hand.132 Den hohen rechtsethischen Innovationsgehalt133 etwa von Luthers Prinzipien »Niemand soll Richter in eigener Sache sein«134 und »Wer Krieg anfängt, ist im Unrecht«135 unterschlägt Yoder damit freilich, ebenso wie Calvins wegweisenden Beitrag zu einer kirchlichen Friedensethik,136 wenn er behauptet, dass die Reformation letztendlich den Niedergang der Just-War-Tradition besiegelte. Immerhin kann Yoder Luther zugestehen, einen wichtigen Beitrag zur Entflechtung der Just-War-Tradition und des Kreuzzugsgedanken137 sowie zur Etablierung des Kriegsdienstverweigerungsrechts (Gewissensvorbehalt)138 geliefert zu haben. 132 Vgl. a. a. O., 6: »With regard to the substance of the just war tradition, i. e. the criteria for recognizing just cause, just authority etc., the reformers have nothing to say at all. They simply assume that everyone knows what iure bellare means. They have so little intention to innovate that they are not even aware of any need to define the terms.« 133 Sehr prägnant hat H.-R. Reuter (Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 75 f.) diesen Innovationsgehalt in vier Punkten zusammengefasst: »Luther hat zwar die Kriterien der scholastischen Kriegsethik rezipiert, sie aber im Rahmen seiner Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment in mehrfacher Hinsicht sehr restriktiv interpretiert: Erstens vertrat er den Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll, weswegen die Kriegsführungskompetenz einer jeweils höheren Rechtsinstanz unterstellt werden muss. Zweitens warnte Luther vor jeder Form von Selbstgerechtigkeit; deshalb kam für einen rechtmäßigen Krieg nur der Fall der Notwehr, also des reinen Verteidigungskriegs in Betracht. Drittens betonte er die gewissensbestimmte Prüfungspflicht jedes Einzelnen und qualifizierte damit die naturrechtlichen Regeln als primär moralische Kriteriologie, die eine Transformation ins positive Recht ersetzen kann. Und viertens schloss er die Verfolgung religiös-weltanschaulicher Ziele definitiv als gerechte Kriegsgründe aus; dadurch erhielt die Lehre vom gerechten Krieg einen strikt säkularen Theoriestatus. All die Zuspitzungen sind Konsequenzen von Luthers Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben und der daraus folgenden Unterscheidung von geistlichem und weltlichem Regiment«. 134 Vgl. WA 16, 636,15 (Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können, 1526). 135 WA 16, 645,9 (Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können, 1526). Modernisiert. Dazu: W. Lienemann, Recht und Gewalt, 58: »In gewisser Weise steht diese oberste Norm [das allgemeine Gewaltverbot; M.H.] durchaus in der ehrwürdigen Tradition der Lehren vom sogenannten ›gerechten Krieg‹, deren Grundprinzip Martin Luther lapidar so formuliert hat: Wer Krieg anfängt, ist im Unrecht.« 136 Vgl. zu Calvin: M. Hofheinz, Johannes Calvins theologische Friedensethik, 33 – 84. Zur Rezeption der Just-War-Tradition in den reformierten Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts vgl. ders., Die »Lehre« vom gerechten Krieg nach den reformierten Bekenntnisschriften des 16. Jahrhunderts, 135 – 147. Anders: J.H. Yoder, The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 2 – 5.12; ders., The Royal Priesthood, 201: »In the Reformation confessions the theory of the just war became an affirmation, whereas previously it had been a question.« 137 Vgl. ders., When War Is Unjust, 34. So auch ders., The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 18. 138 Vgl. ders., When War Is Unjust, 47 f.: »Martin Luther had written that if a soldier knew his lord was fighting for an unjust cause, it was the soldier’s responsibility to refuse to serve, even at the cost of his life, but very few conscientious Lutherans over the centuries made use of this logical possibility.« So auch ders., The Reception of Just War Tradition by the

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(Re-)Konstruktion der Just-War-Tradition

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In kritischer Perspektive stilisiert Yoder im Grund genommen die ideengeschichtliche Entwicklung der Just-War-Tradition zu einer Verfallsgeschichte, deren weitere Stationen nach der Reformationszeit im konfessionellen Zeitalter durch deren Widerstandstheorien – Yoder spricht von »theories of righteous insurrection«139 – weitere Beschränkungseffekte aushebelten. Diese Tendenz setzte sich nach Yoder im Verlauf der Neuzeit fort und fand in der Aufklärungszeit im 18. Jahrhundert nur einen vorläufigen Höhepunkt, als gleichsam »a blank check for almost any ideologue to call for the violent end of almost any regime«140 verteilt wurde. Die Entwicklung des »decreasing the possibility of effective restraint«141 spitzte sich schließlich – forciert durch die militärtechnischen Neuerungen – in den Nationalkriegen des 19. Jahrhunderts zu, die Yoder als »total war«142 bestimmt, insofern jeder Bürger etwa im Zusammenhang der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht im »Massenheer« der Bürgerarmee zum Soldat wurde. Die technologische Eskalation mündete schließlich in den nationalen und ideologischen Konfrontationen des 20. Jahrhunderts in die Entwicklung und den Gebrauch von Nuklearwaffen. In der Gegenwart werde die Just-War-Tradition auch im Zusammenhang der Anti-Guerillakriege und der Terrorismusbekämpfung weiter ausgehöhlt. Yoder kommt im Zusammenhang dieser kritischen Perspektivierung zu dem Schluss, dass jede einzelne der tiefgreifenden deregulierenden bzw. entschränkenden Veränderungen der Just-War-Tradition ausreicht, um eine weitere Anwendbarkeit fundamental infrage zu stellen. De facto repräsentiere die Just-WarTradition kaum noch mehr als eine »Worthülse«.143 Yoder belässt es indes nicht bei dieser Diagnose, vielmehr hat seine Darstellung selbst geradezu subversiven Charakter. Aus einer kritischen Perspektive heraus untergräbt er nämlich mit seiner Erzählung in umstürzlerischer Absicht die Deregulierung der Just-WarTradition, die ihre Funktionstüchtigkeit massiv einschränke. Interessanterweise leitet Yoder also aus seinem Befund nicht die Forderung nach einer endgültigen Verabschiedung der Just-War-Tradition ab, sondern im Anschluss an den Jesuiten John Courtney Murray144 die Forderung nach ihrer Wiederentdeckung. Die zweite Perspektive, die Yoder einnimmt, hat mithin genuin affirmativen

139 140 141 142 143

144

Magisterial Reformers, 17; ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 30.85.126. Ders., When War Is Unjust, 23. A.a.O., 24. Ebd. Ebd. Vgl. a. a. O., 30: »Even one of the above changes is sufficient to make the applicability of the just-war tradition questionable. When taken cumulatively, they have hollowed out the tradition to little more than a shell. The words are still there, but the realities to which they apply escape almost entirely the discipline that used to be, if not effective, at least reasonably thinkable.« Vgl. J.C. Murray, Theology and Modern War, 40 – 61.

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Charakter. Insofern zeichnet Yoder den Entwicklungsverlauf keineswegs ausschließlich unter einem Dekadenzverdikt nach. Yoder wendet sich vielmehr nach dieser vorläufigen Erhebung eines Negativbefundes in seiner Studie »When War Is Unjust« erneut der friedensethischen Ideengeschichte zu; diesmal in der Absicht, in einem zweiten Durchgang hoffnungsvoll stimmende Ansätze zu einer Wiederentdeckung der eigentlichen Intention der Just-War-Tradition zu finden. Diese bestehe in der Begrenzung des Krieges bzw. innerstaatlicher wie zwischenstaatlicher Gewalt.145 Indem Yoder diese Ansätze anhand weniger theoriegeschichtlicher Stationen präsentiert, konterkariert er gleichsam seine ursprüngliche narratio vom Niedergang der Just-War-Tradition mit einer »counterstory«: »Concurrent with the historic developments described in the previous chapter, and interlocking in complicated ways with them, some other changes took place that tended toward making restraint possible. None of these developments had quite the scale or effectiveness of the degenerative changes summarized above, to which they were partly a response, yet they were intrinsically valuable and provided some base for keeping alive the hope that Christian moral concern exercise an effective, sobering influence.«146

Die entwicklungsgeschichtliche »Gegenerzählung«, die Yoder nun entfaltet, verläuft von der kosmopolitischen Vision einer geeinten Menschheit, die er in den Friedensutopien solch unterschiedlicher Denker wie Erasmus von Rotterdam, Johann Amos Comenius, William Penn, Immanuel Kant und Victor Hugo entstehen sieht,147 hin zu einer Weiterentwicklung der fragmentarischen bellumiustum-Kriteriologie zum klassischen Völkerrecht, wie sie etwa von den spanischen Spätscholastikern Francisco de Vitoria und Francisco Suarez, vor allem aber durch Hugo Grotius betrieben wurde.148 Im Blick auf die von letzterem im Zusammenhang der abendländischen Konfessionsspaltung vorangebrachte Idee des Staatenfriedens erkennt Yoder eine Verrechtlichung der zwischenstaatlichen 145 So z. B. J.H. Yoder, When War Is Unjust, 50; ders., The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 1.11. 146 Ders., When War Is Unjust, 32. 147 Würdigend hält J.H. Yoder (a. a. O., 33) fest: Diese Denker »projected visions of a European parliament possessing the moral power to mediate and arbitrate most conflicts and, if necessary, the military power to put down the rest. Though never a reality (until 1919), this vision remained alive as a confession of impotence, and a morally powerful judgment on international anarchy, even though those who projected the critical vision were powerless to implement it.« Vgl. dazu J.H. Yoders ausführliche Darstellung entlang des Stichwortes »humanist internationalism« in: ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 196 – 218.271 f. In seiner Beurteilung des »humanistischen Internationalismus« ist Yoder sichtbar bemüht, zwei Extreme zu vermeiden: »One extreme argues against it; the other identifies it with the work of the church, particulary when ›kingdom work‹ is an in-group phrase.« A.a.O., 207. 148 Vgl. ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 39.127 f.

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Beziehungen und eine Entmoralisierung des Krieges; Yoder spricht von »the transition from the setting of morality to that of law«149. Damit bereitete die Genese des klassischen Völkerrechts (ius inter gentes) in der Neuzeit die Etablierung des modernen Völkerrechts nach 1945 vor.150 Yoder erwähnt fernerhin das Bemühung um eine Humanisierung des Krieges durch Verträge im Rahmen eines aufkommenden Kriegsvölkerrechts, die er bezeichnenderweise als »international treaties following just-war-concepts«151 charakterisiert: »Fitting the interest of the rulers of Europe, this network of treaty commitments began to move hesitantly toward a small approximation of the federalist vision. Since then the slow progress in building institutions consistent with the just-war mentality has continued under the auspices of the League of Nations and the United Nations, although not as rapidly as the escalation of new threats.«152 Yoder sieht auch die Moraltheologie der römischkatholischen Kirche seit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) auf einem Weg zur Ächtung des Krieges begriffen und zwar im Zusammenhang des Versuchs, die Kontrolle über die Just-War-Tradition wiederzugewinnen. Ausführlich würdigt Yoder die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der römisch-katholischen Moraltheologie herauskristallisierende atompazifistische Position.153 Yoders Erzählung der »counterstory« mündet schließlich in einen Rekurs auf die »Nürnberger Prozesse« (1945/46)154 gegen die Hauptkriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs und die in den USA im Vietnamkrieg praktizierte Gehorsamsverweigerung155 anlässlich des staatlichen Einberufungsbefehls. Yoder stellt diese beiden Stationen als Fortschreibung der Just-War-Tradition in den Zusammenhang der Applikation der bellum-iustum-Kriterien. Yoder unterstreicht damit, dass ohne die Bereitschaft zur selektiven Kriegsdienstverweigerung (KDV) aus Gewissensgründen (»selective conscientious

149 150 151 152 153

Ders., When War Is Unjust, 35. So ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 128; 334. Vgl. auch a. a. O., 205. Ders., When War Is Unjust, 36. A.a.O., 38. Vgl. ders., The Challenge of Peace, 273 – 290; ders., Nevertheless, 15 – 21; ders., The War of the Lamb, 86 – 89.96 – 102; ders., When War Is Unjust, 81 – 94; ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 393 – 400. 154 Vgl. ders., When War Is Unjust, 47: »The trials at Nuremberg were […] not a wasted effort. They were soon to be appealed to by a few political scientists and lawyers in the American Vietnam debate, as having established legal precedent, within the American system, for persons whose disobedience to the draft was based upon the conviction that the service asked of them would be illegal.« So auch ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 339 f. 155 Vgl. zum Gebrauch der Just-War-Tradition als kriegskritischem Instrumentarium im Vietnam-Krieg ders., Selective Objection, 1 – 12; ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 341 – 349.

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objection«)156, die in der Konsequenz der Anwendung der bellum-iustum-Kriterien läge, die Just-War-Tradition unglaubwürdig sei: »[T]his stance, which came to be called selective conscientious objection, came in the 1970s to be recognized as a valid moral option by leaders of the major church bodies. The fact that a Quaker or Amish young man, rejecting all wars as his church teaches, could be recognized as a conscientious objector and given alternative service, whereas a Catholic or Lutheran draftee, evaluating wars case by case as his church teaches, could not, represents a kind of backhanded establishment of religion.«157

4.3.

Ekklesio-ethische Resonanzen in J.H. Yoders Rezeption der Just-War-Tradition

Bei Yoder, der nicht zu Unrecht als Vertreter bzw. »catalyst«158 kirchlicher Ethik bezeichnet wurde, ist das besondere ekklesio-ethische Anliegen einer Betonung der »inherent connectedness of the church and the Christian ethos«159 klar erkennbar. R. Hütter pointiert dieses programmatische Anliegen wie folgt: »Angesichts der Begründungsaporetik der gegenwärtigen Theoriebildung ›allgemeiner‹ Ethik besteht die konstruktive Bedeutung dieser in ihrem Umriß in den Blick kommenden kirchlichen Ethik darin, die Kirche als das spezifische Gemeinwesen zu verstehen, das den Raum bereitstellt, innerhalb dessen so etwas wie ein kohärenter ethischer Diskurs überhaupt erst geführt werden kann.«160 Als einen solchen Diskurs möchte Yoder die Just-War-Tradition verstehen. Er möchte sie mit anderen Worten auch und vor allem in der Diskurspraxis der christlichen Gemeinde verortet und beheimatet wissen. Dort habe sie ihren eigentlichen Sitz im Leben. Yoder nimmt also hinsichtlich der Anwendung der 156 Zu den diesbezüglichen rechtlichen Defiziten in den USA vgl. im Anschluss an Yoder D. Christiansen, A Roman Catholic Response, 113. 157 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 49. Vgl. R. Hütter, Be Honest in Just War Thinking!, 81: »Selective conscientious objection presupposes a community of moral formation and deliberation in which the just war tradition is alive and a matter of ongoing discussion and refinement. Only in the context of communities of moral deliberation and formation can we reclaim the just war tradition and its inherent principle of selective conscientious objection. This could provide the context in which we could remember that the denunciation of unjust wars is an inherent element of the truth-telling mandate of proclaiming God’s Word!« 158 So ders., Ecclesial Ethics, the Church’s Vocation, and Paraclesis, 433. Vgl. auch ders., Ethik in Traditionen, 75; ders., Einführung, 11; C.A. Carter, The Politics of the Cross, 179 – 223. 159 R. Hütter, Ecclesial Ethics, the Church’s Vocation, and Paraclesis, 433. 160 Ders., Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 284. Vgl. ders., The Twofold Center of Lutheran Ethics, 38: »This movement in recent Protestant ethics emphasizes the communal existence of Christians and the ecclesial character of Christian ethics. It reflects on the morals, practices, and activity of a certain people, namely, God’s people as a particular community of moral discourse and witness.«

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Just-War-Tradition nicht nur legislative und exekutive Entscheidungsinstanzen (etwa auf Regierungsebene) in den Blick, sondern auch und vor allem die Kirche.161 Gerade sie versteht er als Subjekt friedensethischer Urteilsbildung und zwar nicht nur im Konfliktfall. Aus religiös-moralischer Perspektive stelle sich nämlich die Frage: »Are there people who affirm that their own uncoerced allegiance as believers gives them strength and motivation to honor the restraints of the just-war tradition and to help one another to do so? This might be the only angle from which the development of the needed institutions could be fostered. Would believers commit themselves, and commit themselves to press each other, to be willing to enter the political opposition, or to resign public office, or to espouse selective objection? Does any church teach future soldiers and citizens in such a way that they will know beyond what point they cannot support an unjust war or use an unjust weapon?«162

Ohne die tugendethisch imprägnierte Sprache Hauerwas’ zu adaptieren, bringt Yoder damit die Notwendigkeit einer Verwurzelung in einer praxisgeleiteten, konkreten Diskursgemeinschaft zur Sprache: »[J]ust war discourse deceives sincere people by the very nature of its claim to base moral discernment upon the facts of the case and on universally accessible rational principles. It lets them think that their morality is somehow less provincial and more accessible to others than if it referred explicitly to the data of Christian faith, including the words and the work of Jesus.«163 Dieses Zitat Yoders zeigt, dass ihm nicht daran gelegen ist, die Just-WarTradition gleichsam christlich-kirchlich zu monopolisieren und sie damit etwa anderen wahrheitssuchenden Gemeinschaften oder weltlichen Institutionen zu entreißen. Ihm kommt es vielmehr darauf an, dass die Just-War-Tradition hier wie dort kontextualisiert und vor allem ernst genommen wird. Dies schließt im Raum der Kirche ein, dass die Just-War-Tradition tatsächlich auch im Zusammenhang friedenspädagogischer Maßnahmen »gelehrt« wird, mithin Gegenstand kirchlicher Bildungsarbeit ist.164 Eine nicht zuletzt gemeindekatechetische Aufgabe stelle sich hier.165 Genau dann lässt sich nach Yoder diese Tradition sanieren, wenn sie an konkrete Gemeinschaft zurückgebunden wird, wenn sie also wieder Teil einer lebendigen Tradition und damit als Tradition wieder lebendig wird. Kirchliche Gemeinschaften können nach Yoder einen solchen 161 Vgl. J.H. Yoder, The Christian Witness to the State, 48: »When the church’s testimony against war has not been heard, the church does not therefore become silent or irrelevant; she still has a word about the ways of waging war.« 162 Ders., When War Is Unjust, 77 f. 163 Ders., Just War Tradition, 298. 164 Vgl. ders., When War Is Unjust, 121. 165 Vgl. a. a. O., 126.

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Kontext darstellen. Yoder möchte kirchliche Wirklichkeit gewiss nicht schönreden, sondern weist auf bestehende Defizite hin: »Until today church agencies on any level have invested little effort in literature or other educational means to teach the just-war limitations. The few such efforts one sees are in no way comparable to the way in which the churches teach their young people about other matters concerning which they believe morality is important, such as sexuality. The understanding of the just-war logic that led American young men to refuse to serve in Vietnam came to them not primarily from the ecclesiastical or academic interpreters of the tradition but rather from the notions of fair play presupposed in our popular culture.«166

Im Blick auf kirchliches Engagement in der Militärseelsorge und der Kriegsdienstverweigerung forderte Yoder bereits zu Beginn der 1960er Jahre: »Die Verweigerung des Gehorsams im Falle des verbotenen Krieges muß ebenso sorgfältig vorbereitet werden wie die Leistung des Gehorsams im zulässigen Kriege. Die Kirche muß Ämter und Einsatzpläne für den Weigerungsfall mit nicht weniger Sorgfalt vorsehen, als sie es jetzt bezüglich der Militärseelsorge für den Gehorsamsfall tut.«167 Yoder ermutigt zugleich dazu, sich in der Wahrnehmung nicht unkritisch an den empirischen status quo der Kirche auszuliefern, sondern auch die Chancen zu sehen, die hinsichtlich einer Verwurzelung der Just-War-Tradition in der kirchlichen Diskurspraxis bestehen: »The multiple rooting of Christian moral thought – in the thought of the ages, in the goals of rational critical discourse, and in the awareness of world community – should enable asking the hard questions, including the debatable issues of authority and cause, even if the other parties to the conflict are not willing to face them.«168 Gerade in Zeiten unsicherer Informationsbedingungen169 könne Kirche ihre internationale Vernetzung nutzen, um tendenziöser und manipulativer Berichterstattung entgegenzuwirken, die die friedensethische Reflexion erschweren, ja sie riskant und unsicher machen. Yoder fragt im Blick auf »unabhängige(re)« Informationen, die im Raum der Kirche gegeben werden, an:

166 167 168 169

A.a.O., 78 f. Ders., Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, 42 f. Ders., When War Is Unjust, 65. Vgl. W. Härle, Ethik, 427: »Diese Situation hat sich paradoxerweise dadurch noch verschärft, dass der Eindruck entstehen konnte, wir seien durch die Massenmedien so gut und umfassend über politische Vorgänge und Zusammenhänge informiert, wie das noch nie der Fall gewesen ist. Insbesondere die Information durch Bilder erweckt den – häufig trügerischen – Eindruck, hier würde die Realität abgebildet und somit unverfälscht dargestellt. Demgegenüber ist der konstruierende und damit interessegeleitete, möglicherweise verfälschende und irreführende Charakter massenmedialer Berichterstattung (insbesondere im Blick auf kriegerische Auseinandersetzungen) gar nicht zu leugnen.«

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»Since the capacity to reach an independent judgment concerning the legality and morality of what is being done by one’s rulers depends on information, which by the nature of the case must be contested, does the religious community provide alternative resources for gathering and evaluating information concerning the political causes for which their governments demand their violent support? What are the preparations being made to obtain and verify an adequately independent and reliable source of facts and of analytical expertise, enabling honest dissent to be so solidly founded as to be morally convincing? Is every independent thinker on his or her own, or will the churches support agencies to foster dissent when called for?«170

Yoder denkt diesbezüglich nicht nur in nationalen Zusammenhängen, sondern versteht Kirche als »international community«171, die nicht zuletzt im Rahmen der ökumenischen Bewegung172 transnational vernetzt ist. Die organisatorische Verdichtung hat dabei auch informationspolitische Wirkungen, die in bedacht sein wollen. Die Überlegungen, die Yoder anstellt, treffen sich mit Forderungen, die im deutschsprachigen Raum jüngst etwa H. Bedford-Strohm und W. Härle erhoben haben. Härle etwa bemerkt: »[D]ie Kirchen [haben] die Aufgabe, plakative, eindimensionale, verkürzende Darstellungen nicht nur selbst zu vermeiden, sondern sie auch in der Öffentlichkeit infrage zu stellen, um stattdessen gegen die ›schrecklichen Vereinfachungen‹ zu einer mehrperspektivischen, differenzierten Sichtweise anzuleiten. Damit könnten die Kirchen einen wichtigen Beitrag zur ethischen und politischen Kultur leisten.«173 Anschlussfähig sind Yoders ekklesio-ethische Erwägungen auch an H. Bedford-Strohms Forderung, der in diesem Zusammenhang noch stärker als Härle auf die völkerumspannende Ökumenizität der Kirche bzw. der Weltchristenheit abhebt: »Die Kirche […] muss in ihrem Inneren die Institutionen stärken, die Kommunikation und Austausch zwischen ihren Gliedern aus unterschiedlichen Nationen und ethnischen Gruppen stärken. Ernstzunehmen, dass die Kirche Jesu Christi von ihrem ureigenen Grund her ökumenische Kirche ist, zählt zu den wichtigsten Beiträgen, die die Kirchen zu einer Kultur weltweiter Versöhnung und Konfliktprävention leisten kön170 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 78. J.H. Yoder (a. a. O., 121) fordert: »Encouraging agencies of moral insight (church hierarchies, journalists and educational institutions, research agencies) to commit to provide the factual data that will enable independent judgment regarding the justice of certain causes and the usability of certain weapons. There cannot be a responsible independent moral judgment without having credible nonestablishment sources of information.« So auch a. a. O., 126. Zustimmung erhält Yoder u. a. von C.P. Lutz, Foreword to the First Edition, XII. 171 J.H. Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 273. 172 Zur ökumenischen Bewegung vgl. Yoders Darstellung ihres friedenspolitischen Wirkens in: ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 401 – 417. Fernerhin: F. Enns, Ökumene und Frieden, 138 – 246. 173 W. Härle, Ethik, 427. Ähnlich M. Haspel, Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 273.

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nen. Die ökumenische Dimension der Kirche muss aus ihrem Schattendasein im Bewusstsein der Gemeinden herauskommen und als zentrale Dimension von Kirche verstanden werden. Dann können auch ökumenische Mediationsversuche in zwischenstaatlichen Konflikten eine Kraft gewinnen, die zur politischen Lösung dieser Konflikte beizutragen vermag.«174

Exkurs: R. Hütters ekklesio-ethische Rezeption der Just-War-Tradition. Eine Problematisierung des Verhältnisses von Nationalstaat und Kirche im Horizont transnationaler Strukturen Vielleicht am klarsten und eindeutigsten – auch in der Bezugnahme auf die ekklesio-ethische Programmatik – hat R. Hütter175 die Einbettung der Just-WarTradition in den Kontext der Kirche gefordert: »It […] is somewhat problematic to refer to what presently often are called the ›classic just war criteria‹ without being embedded in an ongoing theological and ethical tradition, in which these criteria are constantly discussed, accommodated to new political and militarical developments, and applied in an ongoing discriminative practice of the Church.«176 Hütter entfaltet seine Argumentation im direkten Anschluss an Hauerwas und Yoder, ohne allerdings deren pazifistische Prämissen zu übernehmen.177 Friedensethik möchte Hütter grundsätzlich im Rahmen einer kirchlichen Ethik expliziert wissen, die die Kirche im Sinne einer pneumatisch geleiteten Diskursgemeinschaft als Anwendungs- und Begründungskontext der bellum-iustum-Kriteriologie versteht. Anders als Yoder spielt Hütter jedoch die Kirche als Subjekt vor allem der Anwendung der Just-War-Tradition vor allem gegen den Staat aus: »[I]t is not the administration which decides whether a given war is a just war, but the Christian individual in the context of the Christian community.«178 An Hütters Argumentation fällt auf, dass und inwiefern er immer wieder die Alternative von Kirche und Staat hervorhebt. Aus der Verortung in diesen beiden höchst unterschiedlichen Kontexten würden notwendiger Weise auch differente Gestalten der Anwendung der bellum-iustum-Kriteriologie und infolgedessen unterschiedliche Ergebnisse von Urteilsbildung resultieren: H. Bedford-Strohm, Gottes Versöhnung und militärische Gewalt, 227. Vgl. R. Hütter, Be Honest in Just War Thinking!, 69 – 83. A.a.O., 71. R. Hütters (a. a. O., 83) Schlussplädoyer lautet: »Either we begin to be honest with just war thinking by again seriously attending to all the implications of the just war tradition, or we should begin to consider that Christian pacifists have something essential to teach us about the Christian vocation in a world of competing nation-states!« 178 A.a.O., 75.

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Der konzeptionelle Rahmen von Yoders Rezeption

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»The central issue with which we have to come to terms again is the question whether the just war tradition belongs to the church or to the state. In other words, is the state’s claim to wage a just war and the state’s warranting the claim by using this or that criterion authoritative for Christians or is the church’s own deliberation, discernment, and judgment the decivise point of orientation for the Christian’s conscience? […] If there is any way to rescue the just war tradition in its originally intended sense, then it has to be radically reclaimed by the church’s magisterial teaching and has to become an inherent part of the catechetical instruction on the congregational level, and then a part of the moral formation of all of us in our Christian vocation. […] Only if the congregation were the training ground for Christian citizenship and its peculiar character would there be a concrete practice-context in which the just war tradition could make sense. Outside of the ecclesial practice-context the just war tradition is nothing less than a dangerous remnant of a Christian past which only can be misused for propaganda purposes camouflaging the state’s real interests.«179

Man gewinnt den Eindruck, als werde der Staat hier von Hütter zwar gewiss nicht im Sinne des absolutistischen Staates des 17. und 18. Jahrhunderts, aber doch des Nationalstaates des 19. Jahrhunderts gedacht.180 Damit aber würde der Staat ordnungspolitisch nicht als im Verbund der Völkergemeinschaft stehend verstanden. Vor dem Hintergrund des kriegsverherrlichenden Bellizismus des 19. Jahrhunderts und einer durch den Nationalismus geprägten politischen Ordnung betont Hütter sicherlich zu Recht, dass das Subjekt der Just-WarTradition die Kirche ist: »If the arbiter of the just war tradition is, in the broadest sense, the church, then this means that there are always ecclesial voices outside the given nation-state which provide a differing reading of that nation’s ›just cause,‹ or ›just war.‹ It is easier for Christians from other nations to unmask the pretensions of a given nation-state than for the Christians who are part of that respective nation! It is not socialism which failed as the first international movement, it is the church which failed and continues to fail as a transnational community. Do we regard the question whether the body of Christ or the national-state has the prior claim on us and our solidarity as a legitimate and pressing question?«181

Auf dem Hintergrund nationalstaatlicher Antagonismen ist es sicherlich nicht unberechtigt, die Alternative von Kirche und Staat zuzuspitzen. Bereits Bonhoeffer hat dies – wie Hütter treffend bemerkt – in den 1930er Jahren in ähnlicher Weise getan.182 Die Frage stellt sich indes, ob diese Alternative auch unter 179 A.a.O., 79. 180 Ich konstatiere dies durchaus selbstkritisch im Blick auf frühere Ausführungen, die sich eng an Hütters Argumentation anlehnten. Vgl. M. Hofheinz, Friedenstiften als kirchliche Praktik, 40 – 57. 181 R. Hütter, Be Honest in Just War Thinking!, 75 f. 182 Vgl. u. a. D. Bonhoeffer, Predigt zu 1Joh 4,16, 695 – 700; ders., Rede auf der Fanø-Konferenz, 298 – 301; ders., Vortrag zum Thema »Krieg«, 646 – 652.

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anderen ordnungspolitischen Vorzeichen als denen einer »world of competing nation-states«183, d. h. etwa im gegenwärtigen Kontext einer internationalen Rechtsordnung, die als Friedensordnung institutionalisiert ist, tatsächlich in der von Hütter beschriebenen Weise besteht. Es geht ja gegenwärtig um ein System des Völkerrechts, das unter einem allgemeinen Gewaltverbot steht und dies meint de iure wie de facto etwas qualitativ anderes als das liberum ius ad bellum eines Nationalstaates, der von seiner Souveränität in Konfrontation mit konkurrierenden Nationalstaaten Gebrauch macht.184 Das Gewaltverbot bildet heute nämlich anders als noch im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts die »Grundnorm des Völkerrechts«185. Genau dies besagt Art. 2, Abs. 4 der Charta der UN (1945): »Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.« Damit ist »das frei Recht souveräner Staaten zur Kriegsführung definitiv negiert.«186 Anders gesagt: »Das aus der klassischen Periode des Völkerrechts stammende freie Kriegsführungsrecht souveräner Staaten ist damit aufgehoben.«187 Es gibt also heute de iure keine durch das Recht zur Kriegsführung in ihrer Souveränität gekennzeichneten Nationalstaaten mehr. De iure sind sie durch das Gewaltverbot der UN-Charta obsolet geworden. Nicht nur einer Kriegsführung aus ungezügelten nationalstaatlichen Interessen ist damit ein völkerrechtlicher Riegel vorgeschoben, sondern betroffen ist »Krieg« im Allgemeinen: »›Krieg‹ ist nach den Normen der UN-Charta rechtlich verboten, prinzipiell illegal, er ist nur noch in zwei Fällen ausnahmsweise rechtfertigungsfähig«188, die in Kap. VII der UN-Charta festlegt werden: Dies betrifft erstens die Befugnis des Sicherheitsrates als transnationale Instanz, ggf. militärische Zwangsmaßnahmen zu verhängen, wenn »eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt«189. Zweitens konzediert Art. 51 der UN-Charta ein überpositives Selbstverteidigungsrecht: »Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des 183 184 185 186 187 188 189

R. Hütter, Be Honest in Just War Thinking!, 83. Vgl. die Synopse zu den Stadien des Krieges in M. Kaldor, Neue und alte Kriege, 27. W. Lienemann, Recht und Gewalt, 58. Ebd. H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 5. A.a.O., 6. UN-Charta, Art. 39: »Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.«

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Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.«190 Freilich wird man nicht verkennen dürfen, dass gerade die nationalstaatliche Denkungsweise insbesondere der sog. »Vetomächte« de facto ein großes Problem darstellt: Für die internationalen Beziehungen gilt, »dass das allgemeine Gewaltverbot, wie es die Charta der UN statuiert, nur dann durchgesetzt werden kann, wenn auch und besonders die mächtigsten Staaten auf das Recht der einseitigen Durchsetzung ihrer Interessen verzichten und sich einem UN-Regime unterwerfen. Zu diesem Souveränitätsverzicht sind derzeit weder die USA noch Russland, weder China noch Indien noch Pakistan bereit, freiwillig nicht einmal die kleinen Atommächte wie England und Frankreich.«191 Es lässt sich beobachten, »dass etliche Mitglieder der UN unter Berufung auf die Prinzipien der Souveränität, territorialen Integrität und Nichteinmischung nahezu jeden Interventionsbeschluss zu verhindern versuchen.«192 Im Blick auf die Ausübung der Souveränität bedarf es – wie W. Lienemann gefordert hat – der Selbstbegrenzung durch die Staaten. Mit anderen Worten: »Das Spannungsverhältnis von allgemeinem Gewaltverbot, dem Recht auf nationale Selbstverteidigung und der Pflicht zum Schutz der Menschenrechte kann nur durch eine internationale Friedensordnung des Rechts gelöst werden, in welcher die Staaten sich dauerhaft und verbindlich einem Völkerbund einordnen, gemeinsam dem Völkerrecht zur Durchsetzung verhelfen, dabei auf Teile ihrer Souveränität verzichten und sich einem internationalen Strafrecht unterwerfen.«193

4.4.

Rechtsethische Resonanzen in J.H. Yoders Rezeption der Just-War-Tradition

Auch Yoder wendet sich immer wieder gegen eine Rezeption der Just-WarTradition im Namen nationaler Egoismen. So geißelt er etwa den »absolute value of national interest«194 und distinguiert scharf zwischen dem überkommenen Nationalismus195 und sowohl der Just-War-Tradition als auch dem Pazifismus: »[T]he autonomy of the national interest, as a moral value in itself, has emerged 190 191 192 193 194 195

UN-Charta, Art. 51. W. Lienemann, Recht und Gewalt, 60. A.a.O., 59. A.a.O., 61. J.H. Yoder, When War is Unjust, 5. Nach J.H. Yoders (The Reception of Just War Tradition by the Magisterial Reformers, 10 f.) Auffassung sind die Anfänge des Nationalismus ein Produkt der mit der Einheit der Kirche und des Reiches brechenden Reformation.

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as a distinctive type of reasoning, neither pacifist nor ›just war.‹«196 Auch die Engführung des Terminus »militärische Notwendigkeit« (»military necessity«) auf die Wahrnehmung nationaler Interessen (»We may break the rules if we ›have to‹ for some valid national end«197) kritisiert Yoder scharf. Gleichwohl bildet der Nationalismus, nicht aber der Nationalstaat, den Yoder eher als historische Reminiszenz wahrnimmt,198 das Gegenüber, vor dessen Hintergrund er seine Position abhebt.199 Wie bereits ausgeführt, kennt Yoder keinen kirchlichen Exklusivismus hinsichtlich der Zuordnung bzw. Verortung der Just-War-Tradition. Dies hat – wie im Folgenden gezeigt werden soll – ursächlich damit zu tun, dass in Yoders Denken gewisse rechtsethische Resonanzen zu entdecken sind, die neben die soeben aufgezeigten kirchlich-ethischen treten. Der rechtsethischen Position zufolge, wie sie hier zugrunde gelegt wird, kann und will Frieden auf Erden durch die universale Geltung des Rechts und dessen institutionelle Stützung (gegenwärtig im Rahmen der Vereinten Nationen) hergestellt werden. Rechtsethik fordert das »Eintreten für die verletzten Rechte anderer im Gegenüber zu Personen und Institutionen, welche derartige Rechtsverletzungen ursächlich und vorsätzlich bewirken«200. Bereits im ÖRK-Sektionsbericht zur ersten Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam (1948) lautet die Überschritt des dritten Abschnitts: »Die Völker der Welt müssen sich zu der Herrschaft des Rechts bekennen«201. Diese Formel »Herrschaft des Rechts« wurde in die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aufgenommen. Ausgangspunkt von Yoders Überlegungen ist – wie wir gesehen haben – die erkenntnisleitende Frage: »Does the tradition lay a reliable foundation for common discussion and possible common decision about admissible levels of damage that political imperatives may oblige responsible decision-makers to accept without becoming immoral?«202 Zur entsprechenden Vermeidung möchte Yoder einen konstruktiven Beitrag leisten. Es geht ihm darum, die Tragfähigkeit und damit Glaubwürdigkeit der Just-War-Tradition zu erhöhen.203 Die Impulse, die Yoder diesem Unterfangen widmet, sind im Folgenden nach den 196 197 198 199 200 201 202 203

Ders., When War Is Unjust, 15. A.a.O., 28. So etwa J.H. Yoder (a. a. O., 8). Vgl. a. a. O., 120: »The just-war tradition avoids the errors of national interest by stating criteria independent of the given State’s perspective and interest.« W. Lienemann, Frieden, 202. Zit. nach W. Härle, Ethik, 395. J.H. Yoder, When War Is Unjust, 67. Vgl. a. a. O., 80: »We honor the moral seriousness of the nonpacifist Christian when we spell out the criteria by which the credibility of that commitment, shaped in the form of the justwar system, must be judged.«

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klassischen Kriterien des bellum iustum geordnet. Wie wir gesehen haben, orientiert sich Yoders Auflistung der Kriterien der Just-War-Tradition an ihnen: a) legitima auctoritas Als legitim erweist sich Yoder zufolge diejenige Autorität, die Ernst macht mit der vorrangigen Option für Gewaltfreiheit und dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung: »The legitimate authority, which claims the right and the duty to defend the legitimate interests of its citizens (or its allies) by the disciplined and proportionate use of military violence, will be morally credible only when and as it gives evidence of a proportionate investment of creativity and foresight in arrangements to defend those same values by alternate means, in those other contexts in which military means would not be morally or legally or technically appropriate.«204 Yoder denkt dabei an diejenigen zuständigen Entscheidungsinstanzen, die nicht ausschließlich auf militärische Mittel fixiert sind, sondern vorrangig zivile Mechanismen der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung fördern und unterstützen. Auch die Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen Akteuren, d. h. mit intermediären Institutionen sowie den nationalen und internationalen »Nichtregierungsorganisationen« (NGOs), die ihre politische Unabhängigkeit allerdings bewahren sollen, dürfe dabei nicht gescheut werden. Der Vorrang des Zivilen im Umgang mit Konflikten (zivile Konfliktinterventionen) gelte auch im Blick auf die Erstellung eines »Notfallplans« (»contingency plan«) für Krisenfälle: »Our government invests millions of staff hours and billions of taxpayers’ dollars in developing contingency plans for all possible situations in which the legitimate military prosecution of hostilities would be effective. Where is the contingency planning, where are the thought exercises and training maneuvers of continuing the defense of our values in those situations where military means will not be appropriate?«205 Yoder legt den Finger in die Wunde ungleicher finanzieller Ressourcen, die für bewaffnete Kampfeinsätze bzw. bewaffnete Friedensmissionen und für gewaltfreie Konfliktprävention bzw. gewaltfreies Krisenmanagement zur Verfügung gestellt werden. Er verweist auf die vergleichsweise immer noch äußerst geringen finanziellen Mittel, die für zivile Konfliktbearbeitung bereit stehen. Eine Stärkung durch entsprechende Finanzierungsinstrumentarien sei dringend erforderlich. Als Empfänger bzw. Adressat denkt Yoder hierbei auch an die zivilen Friedensdienste bzw. die indispensable professionelle Friedensarbeit von Friedensfachkräften in den Krisengebieten dieser Welt. Konkret stellt Yoder die Forderung nach finanzieller Parität: »[T]he decision that nonviolent means will 204 A.a.O., 76. 205 A.a.O., 75. So auch a. a. O., 126 f.

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not work for comparable ends is made without any comparable investment of time or creativity, without comparable readiness to sacrifice, and without serious projection of comparable costs. The American military forces would not ›work‹ if we did not invest billions of dollars in equipping, planning, and training. Why should it be fair to measure the moral claims of an alternative strategy by setting up the debate in such a way that other strategy should have to promise equivalent results with far less financial investment and less planning on every level?«206 b) causa iusta Hinsichtlich des »gerechten Grundes«, der heute in Regel mit der Abwehr eines erfolgten bzw. erfolgenden militärischen Angriffs identifiziert wird, gibt Yoder zur Bedeutung unabhängiger(er) Informationen zu bedenken: »Neither the pacifist nor the crusader needs to study in depth the facts of politics in order to make a coherent decision. The person claiming to respect just-war rationality must do so, however, and therefore must have a reliable independent source of information. I have stated this as a question about the church, but it also applies to the society. Is there free debate? Are the information media free? Is opposition legitimate? Does the right of conscientious objection have legal recognition? Are soldiers when assigned a mission given sufficient information to determine whether this is an order they should obey? If a person under orders is convinced he or she must disobey, will the command structure, the society, and the church honor that dissent? It is reported that in the case of the obliteration bombing of Dresden the pilots were not informed that it could hardly be considered a military target. Or most of the rest of the just-war criteria factual knowledge is similarly indispensable.«207

Das Problem, das Yoder hier bedenkt, betrifft gewiss nicht nur die Frage nach dem »gerechten Grund«, der als die Verteidigung gegen einen unrechtmäßigen Angriff bestimmt wird. Da es aber »das zentrale inhaltliche Kriterium«208 umschreibt, besitzt das Problem der unsicheren Informationsbedingungen für die Anwendung der Kriteriologie besondere Relevanz. Yoder mahnt hier auf allen Seiten zu besonderer Sorgfalt und gewissenhafter Verantwortungsübernahme hinsichtlich des Umgangs mit massenmedialer Berichterstattung. Auf die besondere Aufgabe der Kirche, verfälschen und irreführenden Berichterstattungen entgegen zu wirken, wurde bereits hingewiesen.

206 A.a.O., 79. Zur Kraft des gewaltlosen Widerstandes vgl. ders., The »Power« of »Non-Violence«, 1 – 12; ders. The War of the Lamb, 21 – 24.85 – 92.145 – 163; ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 353 – 368. 207 Ders., When War Is Unjust, 78. Vgl. ders., The War of the Lamb, 37. 208 W. Härle, Ethik, 410.

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c) recta intention Die Anwendung der bellum-iustum-Kriterien setzt nach Yoder auf intentionaler Ebene die Bereitschaft und Offenheit voraus, zu einem negativen Ergebnis zu gelangen, demzufolge der entsprechende Krieg nicht als bellum iustum zu prädizieren ist. Dass dies Konsequenzen nach sich zieht, ja u. U. Opfer verlangt, die in extremis bis hin zum Martyrium reichen können, ist Yoder sehr bewusst. Er qualifiziert die Wahl dieser Option als »making the hard moral choice«209. Die Bereitschaft, ggf. den Gesetzesgehorsam zu sistieren und dafür strafrechtliche Konsequenzen in Kauf zu nehmen, ist für ihn unabdingbar, wenn die Just-WarTradition nicht endgültig zu einem a priori affirmativen Unternehmen degenerieren soll.210 Die Just-War-Tradition wird zur Farce, wenn nicht gilt: »If the tradition which claims that war may be justified does not also admit that in particular cases it may not be justified, the affirmation is not morally serious. A Christian who prepares the case for a justifiable war without being equally prepared for the negative case has not soberly weighed the prima facie presumption that any violence is wrong until the case for the exception has been made.«211 d) ultima ratio Yoder weist darauf hin, dass zur Anwendung des Kriteriums des »äußersten Mittels« (ultima ratio) Vorbereitungen und Voraussetzungen getroffen sein müssen. Denn wenn der Krieg nur das »äußerste Mittel« darstellt, müssen vorher andere, »niederschwelligere« Mittel als Alternativen zum Krieg zur Verfügung stehen.212 Hier sei zunächst an die vielfältigen Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktbearbeitung zu denken, etwa im Bereich der Strategie der gewaltlosen Widerstandes,213 den Auf- und Ausbau ziviler Friedens- und Entwicklungsdienste zur Wahrung und Förderung des Friedens: »Recourse to international agencies of arbitration and mediation as a factor in evaluating when a situation of ›last resort‹ exists is an old idea becoming increasingly pertinent. More attention 209 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 72. 210 So auch C.P. Lutz, Foreword to the First Edition, XVII: »[T]he religious communities following a justifiable-war ethic must be very clear : those who run afoul of their own nation’s laws because they follow that ethic deserve the fullest support of their churches.« 211 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 80. 212 Vgl. a. a. O., 72: »What constitutes a situation of last resort is not something that can be decided only at the last minute or only by one party. What is decisive to determine whether efforts to resolve political conflicts by means less destructive than war have been adequate will largely depend on whether there was any disposition or plan to attempt to use such prior means in the first place.« So auch a. a. O., 126 f. 213 J.H. Yoder (The War of the Lamb, 156) stellt klar : »Nonviolent action is in any case involvement and not withdrawal. It is a form of involvement to maintain a broad range of pressure within the existing order at the same time that one seeks to replace it. All serious nonviolent activist strategies have maintained such pressure.« Vgl. a. a. O., 85.

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needs to be given, and has only begun to given, to a newer development, namely, the rise of aggressive nonviolent strategies for social conflict and change.«214 Yoder kommt diesbezüglich zu dem Schluss: »If there are more nonviolent resources available than people have thought about, and if there would be still more available if they were thought about, then the conclusion is unavoidable that the notion of last resort – one of the classical criteria of the just-war tradition – must exercise more restraint than it did before.«215 Yoder versteht das Kriterium der ultima ratio eher temporal als qualitativ,216 zumal er darauf drängt, der Präferenz für die Gewaltfreiheit auch Taten folgen zu lassen, d. h. mindere Mittel tatsächlich in der chronologischen Reihenfolge vorzuziehen, also nicht sofort und massiv Gewalt anzuwenden: »[I]n the measurement of what constitutes last resort, it is not morally sufficient for politicians and strategists to shrug their shoulders and say ›we could not think of anything else to do.‹ At least in our times we have the social-science instruments and the intellectual discipline for thinking of alternatives. Last resort can only be claimed when other recourses short of the last have been tested seriously.«217 Yoder stellt im Zusammenhang dieses Kriteriums auch völkerrechtliche Erwägungen an. Sie betreffen etwa nicht-militärische Mittel wie Embargos oder Boykottmaßnahmen.218 Yoder kritisiert keineswegs die humanitären Erwägungen hinsichtlich der Leiden der Zivilbevölkerung unter solchen Maßnahmen, zumal es die Machthaber oft bestens verstehen, sich selbst schadlos zu halten. Vielmehr kritisiert er die abnehmende Bereitschaft zu ökonomischen und kulturellen Sanktionen, die wirtschaftlichen und sonstigen Eigeninteressen widersprechen. Scharfe Kritik übt Yoder fernerhin an derjenigen US-amerikanischen Institution, die im Vorfeld kriegerischer Auseinandersetzungen hinsichtlich von Ultimaten und Verhandlungen eine eminent wichtige Rolle spielt. Gemeint ist die CIA als ein ziviler Geheimdienst, dessen Aufgabe nicht nur in der Beschaffung (inkl. Spionage) und Analyse von geheimen Informationen über ausländische Regierungen, Vereinigungen und Personen, sondern auch in Geheimoperationen im Ausland besteht. Oftmals habe die Tätigkeit der CIA konflikt-

214 Ders., When War Is Unjust, 73. So auch ders., a. a. O., 122: »The notion of last resort would be radically changed if serious attention were given to available or conceivable non-military and/or nonviolent means for defending the values which are at stake.« 215 A.a.O., 75. 216 Zur Kritik an der dadurch entstehenden Gefahr des endlosen Abwartens, das zu spät kommt, vgl. etwa W. Härle, Ethik, 413; M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 126; W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 115. 217 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 76. So auch ders., The War of the Lamb, 90.154. 218 Vgl. auch ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 216 f.

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forcierende statt gewaltdeeskalierende Wirkung in destruktiven Konfliktlagen gezeitigt: »When a government abroad raises any question about our national interests, we have agencies like the CIA that contribute to escalating rather than diminishing tensions. If we sought to be honest about the restraint on violence implied in the just-war tradition, we would have a nonviolent alternative to the CIA. This would be a creative, nonthreatening, information-gathering instrument, which instead of destabilizing regimes it considers unfriendly would find positive means of fostering interdependent development.«219

Es ist der Gebrauch illegaler Mittel, um die internationale Politik und öffentliche Meinung durch verdeckte Operationen zu beeinflussen, welchen Yoder dabei vor allem im Blick hat. Grundsätzlich übt Yoder auf völkerrechtlichem Hintergrund scharfe Kritik am US-amerikanischen Unilateralismus und nimmt dabei insbesondere das System einer international Strafgerichtsbarkeit in den Blick, dem sich jeder Rechtsstaat einschließlich der USA unterwerfen sollte: »The United States has been less willing than some other nations to accept in principle the authority of agencies of international arbitration, with the Connally Amendments actually undercutting in a formal way the possibility of recourse to agencies like The Hague International Court of Justice. Even less have we invested in means of conflict resolution on lower levels. We spent forty years sharing with the Soviet Union and China the strategy of escalating local conflicts into surrogates for superpower confrontation, rather than seeking to maximize the authentic independence of non-aligned nations or mediating institutions.«220 Die Kritik Yoders liegt auf der Linie der Forderung nach einer internationalen Gerichtsbarkeit,221 die zur Eindämmung von Gewaltpotentialen beiträgt: »Das 219 Ders., When War Is Unjust, 73. 220 A.a.O., 72 f. An der Erklärung »The Challenge of Peace« (1983) der amerikanischen Bischöfe kritisiert J.H. Yoder (a. a. O., 91): »It might, if taken seriously, also draw more attention to the fact that the United States is less respectful of international law and international agencies than most modern democracies, and less than Catholic social teachings call for.« J.H. Yoder (a. a. O., 95) schließt sich explizit der Kritik von Alan Geyer und Barbara Green an jener Tendenz an, »to facilitate unilateral action in an age when decisions should be shared.« 221 Hinsichtlich des internationalen Rechtssystems gibt J.H. Yoder (The Christian Witness to the State, 47) zu bedenken: »For an international system of courts and coercion to be truly spoken of as police, ways would have to be found to make its sanctions apply to responsible individuals on the basis of clearly defined crimes, with individual nations not promising to accept punishment as a nation but agreeing to extradite any offender, even political leaders, for trial and eventual punishment. Defining effective international government in this way is of course setting an idealistic goal; but it is less idealistic than the idea that military action could be truly an instrument of justice.« Zur Würdigung der internationalen Strafgerichtsbarkeit vgl. auch ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 214.

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nach meiner Überzeugung derzeit am stärksten unterstützungswürdige Instrument zur Überwindung von Gewalt im internationalen System ist der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court). Er hat subsidiäre Funktionen im Blick auf die nationalstaatliche Verfolgung schwerster Verbrechen und bildet kein Instrument zur Intervention in staatliche Hoheitsrechte. Ich halte es für ausserordentlich wichtig, die USA dazu zu bringen, diese Institution vorbehaltlos anzuerkennen oder zumindest mit ihr zuverlässig zu kooperieren.«222 e) debitus modus Yoder macht darauf aufmerksam, dass der Einsatz von dem Zweck angemessenen Mitteln unabdingbar mit Proportionalitätserwägungen zu tun hat.223 Das Kriterium des debitus modus zielt ja auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel ab. Es geht mit anderen Worten um eine Güterabwägung zwischen dem Übel, das verhindert werden soll, und dem Übel, das durch den Krieg hervorgerufen wird: »The reasoning process required by the just-war tradition calls for the evil likely to be caused by warfare to be measured against the evil it hopes to prevent.«224 Mit in das Abwägungskalkül zu ziehen, ist dabei nach Yoder der Umstand, dass der Gebrauch von Gewalt zur Eskalation im Sinne einer nach oben offenen Gewaltspirale tendiert, kriegerische Auseinandersetzungen also unerwünschte Eigendynamiken zeitigen können.225 Außerdem will, wie Yoder klarstellt, bedacht sein, dass man es bei der Einschätzung von beiden Gütern mit Wahrscheinlichkeitsurteilen zu tun hat. Das heißt, dass trotz sorgfältigster Prüfung und Rechenschaft, das Risiko der Fehleinschätzung, ja des Irrtums gegeben und nicht ausgeschlossen werden kann.226 Das gilt gleichermaßen für die getroffene wie unterlassene Entscheidung, für die 222 W. Lienemann, Recht und Gewalt, 62. So auch a. a. O., 60: »Analog bedarf das internationale System einer internationalen Strafgerichtsbarkeit für alle Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche von nationalen Gerichten nicht verfolgt und geahndet werden können. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist ein Meilenstein auf diesem Weg. Grossmächte kann man, wie das Beispiel der USA zeigt, nicht zur Anerkennung einer solchen Gerichtsbarkeit zwingen; man kann lediglich hoffen und dafür argumentativ werben, dass ihre Bürger aus freier Einsicht ihre Regierungen dazu bestimmen, sich einem solchen System einzufügen.« 223 Zu den Schwierigkeiten des Proportionalitätsdenkens vgl. J.H. Yoder, The War of the Lamb, 37; ders., When War Is Unjust, 124 f. 224 A.a.O., 76. 225 So a. a. O., 124 f. Yoder (a. a. O., 124) betont: »There must be some effort to make serious the language of proportionality, i. e. of evils being measured as ›greater‹ and ›lesser.‹ Those who use it claim implicitly that quasi-quantifiable evaluations of the several costs and benefits at stake can be made, yet often the claim is not supported by providing any responsible definitions.« 226 Vgl. a. a. O., 125.

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Stärken und Grenzen von Yoders Rezeption der Just-War-Tradition

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Option zu Gunsten eines Krieges wie zu Ungunsten desselben, wobei Yoder darauf hinweist, dass die Beweislast auf Seiten desjenigen liegt, der für eine gewaltsame Intervention mit Todesfolgen votiert: »One would have to factor in the greater or lesser degree of uncertainty with which one can predict both kinds of evils and their causal connection so as to promise just-cause results. Certainly decisions based upon the claimed ability to bring about less evil results, and to do so at the cost of the lives and values of others, need for the sake of one’s own integrity to stand up to testing. Such reckoning of proportionality can never be fully certain, but the burden of proof lies with the party who says that it is probable enough to justify intervening by causing some certain lethal evil in order to reduce other projected evils.«227

Yoder Zuweisung der Beweislast zeigt, dass er dem Grundsatz folgt: In dubio pro pace.

5.

Stärken und Grenzen von J.H. Yoders Rezeption der Just-War-Tradition

In Yoders Rezeption der Just-War-Tradition zeigen sich – wie deutlich wurde – kirchlich-ethische wie rechtsethische Resonanzen. Insbesondere letzteres überrascht und ist erstaunlich. Sicherlich wäre es überzogen, Yoder zum profilierten Vertreter einer distinkten Rechtsethik zu stilisieren und ihm ein Diktum wie etwa dasjenige W. Lienemanns zu unterstellen: »Der Horizont aller politischen Gestaltung und Ethik ist das System der internationalen Politik.«228 Gleichwohl tritt dieser Horizont bei Yoder in den Blick und wird keineswegs ignoriert. In der von Yoder als dualer narratio nacherzählten Entwicklungsgeschichte der Just-War-Tradition spielt das völkerrechtliche Projekt des Staatenfriedens durch konsequente Verrechtlichung eine wichtige Rolle und erfährt eine Würdigung. Nichtsdestotrotz überrascht es, dass in Yoders Typologie der verschiedenen Pazifismus-Spielarten der sog. »legal pacifism« nicht als Variante auftaucht.229 Dieser propagiert »eine Politik gewaltfreier zwischenstaatlicher Konfliktaustragungen […] und das Ziel einer friedlichen, auf das Recht gegründeten Volksgemeinschaft […]. Die Ideen des legal pacifism führten nach dem 1. Weltkrieg zum Völkerbund«230. Zwar kennt Yoder einen »liberal Pro227 228 229 230

A.a.O., 77. W. Lienemann, Recht und Gewalt, 55. Vgl. J.H. Yoder, Nevertheless. H.-R. Reuter, Art. Frieden, Friedensethik, 520. Vgl. W. Lienemann, Verantwortungspazifismus, 80; J.-D. Strub / B. Bleisch, Einleitung, 22 f. Fernerhin: W. Huber / H.-R. Reuter, Friedensethik, 120.

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testant pacifism«231, der Rechtsgedanke spielt in seiner Darstellung allerdings erstaunlicherweise keine nennenswerte Rolle.232 Dem Leitgedanke des legal pacifism zufolge geht es hingegen um »eine internationale Friedensordnung als internationale Rechtsordnung«233. Das moderne Völkerrecht, das der kantische Idee eines »Friedens durch Recht«234 zur Überwindung nicht nur des innerstaatlichen, sondern auch des zwischenstaatlichen Naturzustandes folgt,235 nimmt im legal pacifism die zentrale Rolle ein. Die Idee des Völkerbundes (Vorläufer der heutigen Vereinten Nationen) wird bei Yoder nur gestreift.236 Man vermisst in Yoders vielfältigem Stärkungsbemühen der Just-War-Tradition Vorschläge zu einer entsprechenden »Stärkung der Weltrechtsordnung«237 bzw. zur »Institutionalisierung einer internationalen Rechtsordnung«238. Eine Optimierung des »Modell[s] der internationalen Organisation«, wie es die Vereinten Nationen repräsentieren, wäre hier anzudenken. Freilich widmet Yoder dem Umstand, dass die normativen Begrenzungsregeln der Kriegsführung, wie sie die aufgeführten Kriterien des ius in bello repräsentieren, im modernen (Friedens-)Völkerrecht auf der Basis der UN-Charta bereits verrechtlicht wurden, einige Aufmerksamkeit. So legt Yoder in seiner Studie »When War Is Unjust« eigens im Appendix eine Liste an – überschrieben mit: »The Laws of War in Modern Treaties«239. Die Anfrage, ob Yoder die heutigen völkerrechtlichen Rahmenbedingungen und die existierenden trans- und internationalen Institutionen in Rechnung stellt, wäre also zu kurz gegriffen. Seine Rezeption der Just-War-Tradition ist zumindest im Blick auf das Völkerrecht keineswegs antiinstitutionalistisch angelegt. Im Blick auf die Institutionalisierung einer internationalen Rechtsordnung, als deren Befürworter Yoder agiert, wendet er sich gleichermaßen gegen uto-

231 J.H. Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 271 – 284. In Yoders Werk »Nevertheless« hingegen vermisst man diesen Typus. 232 An diesen Begriff des »legal pacifism« knüpft H.-R. Reuter (Von der »Kriegstheologie« zur Friedensethik, 78) mit dem »Projekt eines Rechtspazifismus« an: »Gegen die unvermittelte Moralisierung der Weltpolitik durch einen menschenrechtsfundamentalistisch aufgeladenen Interventionismus tritt er für die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und den Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung ein.« 233 W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 125. 234 Vgl. W. Lienemann, Recht und Gewalt, 55: »Kant hat als erster die Einsicht vertreten, dass der Globus aufgrund seiner natürlichen Begrenztheit langfristig politisch als eine umfassende Rechtsordnung gestaltet werden muss.« 235 Vgl. I. Kant, Zum ewigen Frieden, BA 18. 236 Vgl. J.H. Yoder, Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 281.283 f. 237 H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 6. 238 A.a.O., 7. 239 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 142 – 146.

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Stärken und Grenzen von Yoders Rezeption der Just-War-Tradition

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pistische Vorstellungen einer idealen Gesellschaft240 und einer garantierten kollektiven Sicherheit wie gegen verbreitete Vorschläge der Etablierung einer Weltrepublik. Er mahnt zur Bescheidenheit und erinnert zugleich immer wieder an die polizeilichen Aufgaben, die der UN als internationaler Organisation zukommen: »[T]he United Nation is best understood as an improvement on traditional means of carrying on the never-ending shifting and balancing of pressures which is the task of diplomacy. Neither Woodrow Wilson’s hope for a society of nations endowed with effective sanctions or Franklin Roosevelt’s dream of maintaining the wartime unity of the Allied Powers has been practical. The desirability of one central world government with unchallengeable coercive powers is open to serious question; not because world order is a bad thing, but precisely because the best way to have order is not to establish one governmental authority with no counterbalances capable of limiting it. True international unity will grow best through the imponderable contributions of labor, food, health, postal, and other such collaboration where the sanctions of police violence are not constantly just below the surface.«241

Durch Intensivierung dieser Kooperation kann die internationale Organisation der UN nach Yoder durchaus friedensfunktional wirken. Gegenüber der Kantschen Idee einer Föderation vollsouveräner, jedoch demokratischer Staaten242 bleibt Yoder skeptisch, begrüßt aber grundsätzlich die Wahrnehmung von Friedenssicherungsaufgaben durch die UNO: »This caution should apply to those who place utopian hopes in the United Nations or in World Federation as a cure for the world’s needs. In reality a society of nations with effective sovereignty is like anarchy ; it is a dream. A much more limited United Nations organization, like the one we now have, in spite of – or rather thanks to – the very limited and modest character of the claims it can make, is preferable to what we would have without it.«243 Yoder beobachtet dementsprechend auch nur einen »little progress«244 bzw. eine partielle Funktionsfähigkeit (»partly functional«245), die durch die Etablierung der internationalen Rechtsordnung erzielt worden seien. Immerhin kann in diesem Zusammenhang auch auf Yoders Würdigung der friedenserhaltenden Einsätze (»peacekeeping«) von sog. »Blauhelmsoldaten«, 240 Zu Yoders Abgrenzung von utopischen bzw. utopistischen Entwürfen vgl. R. Hütter, The Church, 27 – 54. 241 J.H. Yoder, The Christian Witness of the State, 46. 242 Vgl. I. Kant, Zum ewigen Frieden, BA 30 (Zweiter Definitivartikel zum ewigen Frieden): »Das Völkerrecht soll auf einem Föderalismus freier Staaten gegründet sein.« 243 J.H. Yoder, The Christian Witness of the State, 46. Ähnlich ders., Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, 214 f. 244 A.a.O., 214. 245 A.a.O., 205.

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

d. h. Friedenstruppen der Vereinten Nationen, verwiesen werden,246 die unter dem Kommando der UN stehen. Er sieht in dieser Tätigkeit ein Beleg dafür, dass »the moral case against violence« auch in säkulare politische Zusammenhänge übersetzbar ist: »One reasonable way to test the thesis that the moral case against violence can be translated into terms understandable in the civil community would be to ask soldiers under the constraints of military obedience to obey rules that forbid them to use their weapons. […] This has been happening, off and on, under United Nations auspices. Interposition of buffer forces, for a while in Zaire, in the Sinai, in Cyprus, has in general been very effective. They do not win wars or impose peace: they can and do maintain the distance between hostile camps willing to be held apart long enough for a peace process to begin again. UN peacekeeping forces in these locations have been able to keep hostile camps separate precisely because of the consistency with which they hold to the commitment not to shoot, even if armed.«247

Auch ist zu berücksichtigen, dass Yoder zur Reform etwa der UNO vorschlägt, die Einsichten des Politikwissenschaftlers Robert C. Johansen248 zu berücksichtigen, die Yoder wie folgt zusammenfasst: »[H]e projects a possible path from the present nonsystem of mutual menaces to an authentic system of reciprocal interdependency. He describes a doable process of depolarization and transnationalization, beginning from where we are, bringing down to earth the moral power of the world federalist vision, without its visionary thinness.«249 Trotz dieser Ansätze ist m. E. kritisch anzufragen, ob Yoder dem Prinzip der »Rechtsbindung militärischer Gewalt«250, das ja insbesondere die Just-WarTradition in der Neuzeit umformte, in ethischer (nicht nur ethikgeschichtlicher) Hinsicht hinreichende Aufmerksamkeit widmet. Gelegentlich kritisiert Yoder »the weakness of the dominant usage of international law as an implement of the just-war tradition«251. Allerdings nimmt Yoder selbst auch keine Rekonstruktion der Prüfkriterien der Just-War-Tradition gleichsam im System der UN vor, d. h. unter ständiger Bezugnahme auf die Grundentscheidungen der UN-Charta, geleitet etwa von dem erkennbaren Interesse, die Kriteriologie in Übereinstimmung mit den Grundentscheidungen der UN-Charta zu halten.252 Das 246 Vgl. auch G. Stassen, Introduction: Jesus Is No Sectarian, 24: »He [Yoder] advocates United nations peace brigades«. 247 J.H. Yoder, The War of the Lamb, 131. 248 Vgl. R.C. Johansen, The National Interest and the Human Interest; ders., Toward an Alternative Security System; ders., A United Nations Emergency Peace Service. 249 J.H. Yoder, The War of the Lamb, 132. 250 H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 3. 251 J.H. Yoder, When War Is Unjust, 97. 252 Dies hat etwa H.-R. Reuter (Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 39) gefordert und mit dem Programmbegriff einer »Ethik rechtserhaltender Gewalt« versehen. Die Aufgabe einer Ethik rechtserhaltender Gewalt sieht H.-R. Reuter (Von der »Kriegstheologie« zur

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Stärken und Grenzen von Yoders Rezeption der Just-War-Tradition

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Prinzip der völkerrechtlichen Legalität, dem Autorisierung und Ausführung von Gewalt heute unterliegen, tritt bei ihm im Blick auf seine ethische Valenz in den Hintergrund. Mit anderen Worten ist bei Yoder der Bezug der Ethik auf das Recht zu schwach ausgeprägt. Folgender Zusammenhang, der H.-R. Reuter wie folgt umschrieben hat, tritt nicht in den Blick: »Ethik und Recht sind nicht identisch. Auch Friedensethik ist nicht durch Völkerrecht ersetzbar, aber sie muss auf das Völkerrecht bezogen bleiben.«253 Durch eine auf die verrechtlichte internationale Ordnung bezogene Anwendung der von Yoder aufgelisteten Kriterien würde die Just-War-Tradition zu einem wichtigen normativen Instrumentarium im Dienst des Völkerrechts. Konstruktive Vorschläge zum Ausbau des Völkerrechts, die sicherlich nur mit einer Stärkung der Exekutivorgane im Zusammenhang einer Integration von legislativen und judikativen Elementen in die Struktur der Vereinten Nationen erreicht werden kann,254 vermisst man indes bei Yoder. Bei Yoder sehe ich auch die Gefahr nicht hinreichend abgewehrt, die JustWar-Tradition »als freistehende Lehre [zu betrachten], ohne deren Funktionswandel und politisch-rechtlichen Kontext zureichend zu berücksichtigen.«255 Der Blick auf das Völkerrecht verrät nämlich: »›Krieg‹ ist nach den Normen der UN-Charta rechtlich verboten, prinzipiell illegal, er ist nur noch in zwei Fällen ausnahmsweise rechtfertigungsfähig: Erstens als eine Art internationale Polizeiaktion mit einer Ermächtigung des Sicherheitsrates. Zweitens – aber nur vorübergehend – zur subsidiären Selbstverteidigung gegen einen Angriff. Deshalb ist es m. E. moralisch und rechtlich geboten, die Rede vom ›gerechten Krieg‹ aufzugeben. Einen gerechten Krieg in Korrespondenz zu einer freistehenden Lehre vom bellum iustum gibt es nicht mehr. Es kann allenfalls noch den rechtmäßigen Gebrauch militärischer Gewalt geben. Diesen muss es geben können, weil sonst die Stärke des gemeinsamen Rechts wehrlos bliebe und dem Recht des Stärkeren freie Bahn ließe.«256 Mit Yoder gesprochen, kann der Krieg »nicht eine legitime Aufgabe des Rechts-Staates sein«257. Zu würdigen gilt es m. E., dass in Yoders Rezeption der Just-War-Tradition – ungeachtet der Frage nach dem hinreichenden Maß – mit der Rechtsethik und der kirchlichen Ethik beide Ausrichtungen der Friedensethik in den Blick genommen werden. Yoder fokussiert auf diejenigen Institutionen, die in ganz

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Friedensethik, 77) darin, »die in den bellum-iustum- Lehren enthaltenen moralischen Prüfkriterien nicht etwa an den gelten völkerrechtlichen Normen der UN-Charta vorbei, sondern nur in ihrem Rahmen und mit Bezug auf sie ins Spiel zu bringen.« Ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 39. Vgl. dazu die maßvollen Vorschläge von W. Lienemann, Recht und Gewalt, 55 – 85. H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 3. A.a.O., 6. J.H. Yoder, Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, 44.

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»Be Honest in Just-War-Thinking!«

unterschiedlicher Weise auf Universalität angelegt sind: die UN als einzige politische Institution vom Geltungsanspruch ihrer Normen und von ihrer Mitgliedschaft her258 und die Kirche von der Reichweite ihres Zeugnisses für die gesamte Menschenwelt.259 Beide reden auf ihre Weise von dem, wozu alle Menschen berufen sind: dem Frieden, im einen Fall als dem Frieden auf Erden, im anderen Fall als dem Frieden Gottes, der als solcher auch den Frieden auf Erden einschließt.260 Der Yodersche Leitgedanke der Kirche als friedensethischer Diskursgemeinschaft ist wichtig,261 auch wenn man ihn m. E. nicht gegen einen rechtsethischen Ansatz ausspielen sollte, wie man m. E. wiederum in Auseinandersetzung mit J.H. Yoder vor allem von K. Barth lernen kann. Was Barth betrifft, soll dies im nächsten Kapitel entfaltet werden. Er fokussiert zum einen auf das Recht und den Staat (Bürgergemeinde) und zum anderen die Kirche (Christengemeinde), freilich in der analogisch-dialektischen Vermittlung wie sie für K. Barths Modell von »Christengemeinde und Bürgergemeinde« kennzeichnend ist. Dadurch kann er die Zusammenhörigkeit beider ungleich stärker in den Blick nehmen, als dies bei Yoder der Fall, der – wie wir gesehen haben – diese Zusammengehörigkeit nur unter Vorbehalt artikuliert. Bei Yoder tritt im Zusammenhang seiner eingeschränkten Kompatibilitätserklärung das Spannungsverhältnis zwischen beiden verstärkt in den Blick. Aber auch Yoder denkt diesbezüglich keineswegs einfach alternativ bzw. dualistisch. Insofern erachte ich es nicht für überzogen zu behaupten, dass die Forderung nach der doppelten Ausrichtung einer sich als Rechtsethik und kirchliche Ethik ausdifferenzierenden theologischen Friedensethik auch der Ertrag einer kritischen Auseinandersetzung mit seiner Rezeption der sog. »Lehre« vom gerechten Krieg sein kann.

258 Vgl. H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 7: »Eine legitime Autorisierung militärischer Gewalt ist heute nur im Rahmen der Vereinten Nationen denkbar ; die UN sind die einzige politische Institution, die vom Geltungsanspruch auf Universalität angelegt ist.« 259 Vgl. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 285; ders., The Twofold Center of Lutheran Ethics, 48. 260 Vgl. den Abschnitt I.2.2. dieser Untersuchung. 261 Vgl. auch F. Schüssler Fiorenza, Kirche als Interpretationsgemeinschaft, 115 – 144. Dazu: M. Hofheinz, »Dreinreden«, 168 – 171; M. Haspel, Sozialethik in der globalen Gesellschaft, 142 – 180.

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5.

Si non vis bellum para pacem. Impulse Karl Barths für die aktuelle friedensethische Debatte im Paradigmenstreit zwischen »gerechtem Krieg« und »gerechtem Frieden«

1.

»Neue Kriege«? Die Aktualität der Friedensethik K. Barths exemplifiziert anhand seiner Kriegsdefinition

Im abschließenden Kapitel soll nach der Aktualität der Friedensethik K. Barths gefragt werden. Als eine Art Leitfrage fungiert dabei die Frage nach dem Ertrag einer Relektüre von Barths friedensethischen Ausführungen nach mehr als 50 Jahren: Hat Barths Friedensethik hinsichtlich aktueller Herausforderungen orientierende Kraft? Kann man heute noch etwas von K. Barth in Sachen Friedensethik lernen? Es geht im Blick auf die folgenden Ausführungen vor allem darum, die Impulse, die aus der Friedensethik Barths resultieren können, wahrzunehmen und für den aktuellen friedensethischen Paradigmenstreit fruchtbar zu machen. Dieser Streit dominiert die Debatte und zwar nicht zuletzt wegen seiner grundlegenden Bedeutung für die Ausgestaltung theologischer Friedensethik. Trotz des historischen Abstandes von mehr als 50 Jahren sind die Ausführungen Barths, sofern sie sich allgemein auf konzeptioneller Ebene bewegen und weniger tagesaktuellen friedenspolitischen Fragen gewidmet sind, nach wie vor von unabgegoltener Relevanz. Hinsichtlich des aktuellen Streites lässt sich die Frage nicht umgehen, welchem der beiden vorherrschenden Paradigmen »gerechter Krieg« und »gerechter Frieden« Barths Friedensethik zuzurechen ist. Insbesondere in konzeptioneller Hinsicht wird danach zu fragen sein, wie ein tragfähiger Referenzrahmen evangelischer Friedensethik in der Gegenwart aussehen könnte, der zentrale Einsichten Barths berücksichtigt, welche die beiden Aspekte bzw. Ausrichtungen der Friedensethik, nämlich Rechtsethik und kirchliche Ethik, betreffen. Die damit aufgeworfenen Fragen unterstellen bereits, dass Barths Friedensethik keineswegs einfach nur der ethikgeschichtlichen Vergangenheit angehört. Freilich scheint diese Behauptung und die mit ihr einhergehende Erwartungshaltung bereits hinsichtlich der Barthschen Definition von Krieg enttäuscht

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Impulse Barths für die aktuelle friedensethische Debatte

werden zu müssen. Während gegenwärtig Politikwissenschaftler wie der Herfried Münkler1 oder Mary Kaldor2 im Zeitalter der Globalisierung Formen von organisierter Gewalt identifizieren, die sie als »neue Kriege« bezeichnen und den »alten Kriegen«, nämlich den klassischen Staatenkriegen, gegenüberstellen, hat Barth offenkundig nur das historische Auslaufmodell im Blick.3 So definiert Barth: »[D]er Krieg ist eine Aktion, in der die staatliche Gemeinschaft in allen ihren Gliedern in der Tat des Tötens oder doch im Aufbruch dazu, in ihrer direkten und indirekten Vorbereitung und Förderung begriffen ist«4. Krieg als zwischenstaatliches Geschehen, in dem der Staat als faktischer Gewaltmonopolist agiert? Nach Kaldor und Münkler sehen die Kriege, die uns heute in den politischen Diskursen beschäftigen, anders als noch zu Zeiten Barths aus:5 Es begegnet uns heute eine Entstaatlichung, eine Privatisierung kriegerischer Gewalt.6 Standen sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch militärische Blöcke gegenüber, die in ideologischer Konfrontation verharrten und militärtechnisch mit Nuklearwaffen ausgestattet waren, so treten heute als Kriegsparteien parastaatliche oder private Akteure in Erscheinung: Warlords, Guerillagruppen, Kindersoldaten, Söldnerfirmen, internationale Terrornetzwerke. Die »neuen Kriege« sind gekennzeichnet durch eine Asym1 H. Münkler, Die neuen Kriege; ders., Der Wandel des Krieges. Vgl. zur aktuellen Diskussion um die Einschätzung von »neuen« Konfliktformen I. Etzersdorfer, Krieg, 115 – 136. 2 M. Kaldor entfaltet in ihrem viel beachteten Buch »Neue und alte Kriege« (1999) die zentrale These, »daß sich im Verlauf der achtziger und neunziger Jahre vor allem in Afrika und Osteuropa ein neuer Typus organisierter Gewalt herausgebildet hat, der als ein Bestandteil unseres gegenwärtigen, globalisierten Zeitalters gelten muß. Diese Form von Gewalt hat die Gestalt eines ›neuen Krieges‹ angenommen« (a. a. O., 7 f.). 3 Vgl. H. Münkler, Die neuen Kriege, 7. 4 K. Barth, KD III/4, 519. 5 Vgl. M. Kaldor, Neue und alte Kriege, 14: »Der Krieg zwischen Staaten in seiner ganzen Barbarei mag der Vergangenheit angehören. An seine Stelle ist eine neue Form organisierter Gewalt getreten, die weitreichender, allgegenwärtiger, vielleicht aber nicht ganz so maßlos ist.« Die neuen Kriege unterscheiden sich nach Kaldors Konzeption von den alten, zwischenstaatlichen Kriegen hinsichtlich ihrer Ziele (früher : ideologischer und geopolitischer Art; heute: »Politik der Identität« = »Machtanspruch, der auf der Grundlage einer besonderen, partikularen Identität erhoben wird«; a. a. O., 15), der Art der Kriegsführung (früher : konventionelle, reguläre Kriege der Gebietseroberung; heute: Kombination aus Strategie der Guerilla und der Destabilisierungstechniken der Anti-Guerillakämpfer) und ihrer Finanzierung (früher: zentralisierte Kriegswirtschaft; heute: globalisierte Kriegswirtschaft). Vgl. a. a. O., 15 – 20. H. Münkler (Die neuen Kriege, 10 f.) macht die Besonderheiten der neuen Kriege an drei Entwicklungen fest: der Entstaatlichung bzw. Privatisierung von Gewalt, der Asymmetrisierung kriegerischer Gewalt und der Autonomisierung vordem militärisch eingebundener Gewaltformen (vgl. a. a. O., 57). Die Asymmetrisierung bezeichnet H. Münkler der Gewichtung nach als das »wohl wichtigste Charakteristikum der neuen Kriege«. A .a. O., 243. 6 Vgl. dazu: E. Eppler, Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt?, 30 – 49; H. Münkler, Die privatisierten Kriege des 21. Jahrhunderts, 222 – 234.

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Aktualität der Friedensethik Barths anhand seiner Kriegsdefinition

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metrisierung kriegerischer Gewalt.7 Ungleiche Gegner kämpfen gegeneinander. Es gibt also keine großen Schlachten mehr. Die Gewalt richtet sich oft direkt gegen die Zivilbevölkerung. Etwa in Gestalt von Partisanenkrieg und Terrorismus werden wir mit der Autonomisierung vordem militärisch eingebundener Gewaltformen konfrontiert. Dass die Barthsche Definition Vorzüge hat und nicht einfach als abgegoltenes Paradigma charakterisiert werden kann, wird evident, wenn man sich die wesentlichen rechtlichen Unterschiede verdeutlicht, die es ausmacht, wenn man etwa den Begriff »Krieg« allein für ausgetragene zwischenstaatliche Konflikte reserviert oder auch terroristische Aktionen als »Krieg« bezeichnet. Und so muss man auch im Blick auf die Rede von den »neuen Kriegen« fragen: Was passiert eigentlich, wenn man etwa, wie die bekannte amerikanische Philosophin und Bestsellerautorin Jean Bethke Elshtain, mit der Bush-Administration einen »Just War against Terror« fordert und damit implizit Terroristen als Kriegsgegner identifiziert?8 Wertet man nicht Terroristen und damit Terrorismus rechtlich auf ?9 Menschen, Staaten und Völker bewegen sich – ob sie wollen oder nicht – in einem bestimmten völkerrechtlichen Rahmen, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Gestalt der UN-Charta manifest wurde und den sie nicht einfach ignorieren können. Geschieht aber nicht exakt dies, wenn man Terroristen mit kriegführenden Staaten gleichsetzt? Man symmetrisiert staatliche und terroristische Gewalt und verkennt damit, dass es sich um völlig unterschiedliche Rechts7 Vgl. ders., Asymmetrische Gewalt, 1 – 12. 8 Vgl. auch J.B. Elshtain, Terrorism, 118 – 135. 9 Auch H. Münkler (Die neuen Kriege, 12) scheint mir bezüglich dieser Frage keineswegs unsensibel zu sein. So fragt er etwa: »›Krieg‹ [ist] zu einem politisch umstrittenen Begriff geworden: Redet man einer Eskalation der Gewalt das Wort, wenn man ihn auf dieses Phänomen anwendet? Oder verschließt man die Augen vor den neuen Entwicklungen des Kriegsgeschehens, wenn man, am herkömmlichen Modell des Staatenkrieges festhaltend, den substaatlichen Formen der Gewaltanwendung die Qualität eines Krieges abspricht?« Dass ein Verzicht auf eine unbedarfte Rede von »neuen Kriegen« keineswegs die Augen vor den neuen friedenspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verschließt, zeigt exemplarisch eine Bemerkung W. Lienemanns (Orientierungsratschlag zur Irakkrise, 11 f.), die auf besagte Rede verzichtet, zugleich aber die aktuellen Herausforderungen und Gefahren klar benennt: »Heute sind zwischenstaatliche Kriege nicht mehr die weltpolitische Gefahr Nummer eins. Anstelle zwischenstaatlicher Kriege haben sich andere Gefahren wie die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, die Ausweitung von ethnischen oder religiösen Konflikten und Umweltkatastrophen in den Vordergrund geschoben. Parallel zu den unmittelbaren Aufgaben der Sicherung des internationalen Friedens werden die UN heute als oberste Wächterin von Mindeststandards der Menschenrechte, des Rechtsstaates, des Minderheitenschutzes und der Demokratie betrachtet […] Die größte Gefahr für die völkerrechtliche und friedenspolitische Bedeutung der UN stellt ein unilaterales, militärisches Vorgehen eines Staates, derzeit der USA (evtl. mit Bündnisstaaten), ohne entsprechende Zustimmung der Mitglieder des Sicherheitsrates dar«.

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Impulse Barths für die aktuelle friedensethische Debatte

subjekte handelt. Während etwa Staaten nach Art. 2, Abs. 4 der UN-Charta politische Unabhängigkeit zukommt und ihnen damit spezifische Rechte (wie etwa laut Art. 51 der UN-Charta »das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat«) zugesprochen werden, gilt dies natürlich von Einzelpersonen nicht in gleicher Weise. Dies stellt freilich nicht die Pönalisierung des Krieges, d. h. die Erklärung des Krieges zum internationalen Verbrechen, in Frage. Es wird aber zwischen den in terroristischen Netzwerken organisierten Einzelpersonen und Staaten distinguiert. W. Lienemann bemerkt: »Wer Terroristen […] (nicht nur metaphorisch) als Kriegsgegner behandelt, macht aus einem ordinären Verbrecher einen völkerrechtlichen Feind.«10 In der neuen EKDDenkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen« (2007) heißt es dementsprechend: »Auch die globale Terrorismusbekämpfung lässt sich […] sehr weitgehend innerhalb des kollektiven Sicherheitsregelwerks der UN verorten. Terrorismusbekämpfung ist kein legitimes Ziel einer über den Selbstverteidigungsfall hinaus anhaltenden Kriegsführung, sondern gehört in die Kategorie der internationalen Verbrechensbekämpfung.«11 Die Rede von den »neuen Kriegen« ist natürlich metaphorische Rede und sie liegt deshalb selbstverständlich auf einer anderen Ebene als etwa George W. Bushs »Just War Against Terror«. Gleichwohl ist auch diese Rede nicht unproblematisch.12 Wer hier unsensibel gegenüber der Sprache agiert und die Meinung vertritt: »Ob Verbrechensbekämpfung oder neuer Krieg gegen Terror – es ist doch gleich, wie man es nennt. Dass Militär eingesetzt wird und Menschen sterben müssen, das ist entscheidend«, der hat zwar im Blick auf die sichtbaren Erscheinungen vor Augen recht. Er verkennt aber wesentliche rechtliche Unterschiede.13 Wenngleich Barth die Phänomene des Terrorismus, wie sie uns heute begegnen, nicht kannte und sie in seiner Beschreibung der Kriegswirklichkeit nicht 10 Ders., Verantwortungspazifismus – legal pacifism, 95. 11 Kirchenamt der EKD (Hg.), Aus Gottes Frieden leben, 71. Die EKD-Denkschrift wendet sich damit sehr deutlich – wie H.-R. Reuter (Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 41) betont – »gegen die These, es sei eine Neuinterpretation des Selbstverteidigungsrechts [der] UN-Charta erforderlich, da die Charta nicht auf asymmetrische Kriegführung durch nichtstaatliche Akteure zugeschnitten sei.« 12 So auch der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende M. Kock, Vorwort, in: Kirchenamt der EKD (Hg.), Friedensethik in der Bewährung, 63: »Die rasche Bereitschaft, im Blick auf die Auseinandersetzungen mit dem Terrorismus von ›Krieg‹ oder gar dem neuen, für das 21. Jahrhundert charakteristischen Typ des ›Krieges‹ zu sprechen, ist voreilig. Bei der Bekämpfung des Terrorismus bleibt der demokratische Rechtsstaat in Prävention und Reaktion an die Mittel gebunden, die mit seiner demokratischen Verfassung, den Menschenrechten und der Herrschaft des Rechts vereinbar sind.« 13 Vgl. W. Lienemann, Verantwortungspazifismus – legal pacifism, 94.

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Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?

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berücksichtigen konnte, so muss man dennoch fragen, ob seine Definition im Blick auf das geltende Völkerrecht nicht angemessener, weil rechtsethisch unbedenklicher ist als eine unbedarfte Rede von »neuen Kriegen«.14

2.

Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg? Einwände und Erwiderungen zur Forderung nach einer Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg im deutschsprachigen Diskurskontext

Wie bereits in der Einleitung (Abschnitt 0.2.2.1.) dieser Untersuchung dargelegt, ist die aktuelle friedensethische Debatte von einem Paradigmenstreit gekennzeichnet. Hatte sich in den 1980er und 1990er Jahren das friedensethische Paradigma »gerechter Frieden« herauskristallisiert und galt es als weitgehend etabliert, so wurde der vermeintlich erzielte Konsens15 jüngst etwa durch M. Honecker, U.H.J. Körtner und M. Haspel in Frage gestellt. Sie treten für eine Rehabilitierung der scheinbar überkommenen Lehre vom gerechten Krieg bzw. eine »Rückbesinnung«16 auf sie ein, die sie durch die Forderung »nach vollständiger Überwindung, wenn nicht sogar Ächtung«17 voreilig und zu Unrecht an den Pranger gestellt sehen. Dementsprechend fordern sie, die Grundidee eines gerechten Friedens »einer fundamentalen Revision zu unterziehen«, anstatt sie »nur konsequent fortzuentwickeln«18. Seitdem ist die aktuelle deutschsprachige friedensethische Diskussion durch einen Paradigmenstreit gekennzeichnet,19 der bisweilen sogar unter dem Begriff 14 Unkritisch übernimmt die Rede von den »neuen Kriegen« etwa U.H.J. Körtner (Flucht in die Rhetorik, 13), wenn er einerseits die strikte Unterscheidung »zwischen Krieg und Terrorismus« infrage stellt und andererseits mit M. Honecker (vgl. Gerechter Friede und / oder gerechter Krieg, 258 – 261.265) von »neuen Kriegen« spricht, die »ein Mischgebilde aus Krieg, Terror, Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen« darstellen. Die Koinzidenz beider Phänomene zeugt von einer rechtsethisch recht unbekümmerten Wahrnehmungsund Beschreibungsweise, die U.H.J. Körtners Betonung der modernen Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien als »Basis eines tragfähigen Religionsfriedens« (ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 372) und der Betonung »der Herrschaft des Rechts und der Ordnung« (a. a. O., 372) als Basis für die Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols nicht entspricht. Vgl. auch T. Jähnichen, »Gerechte Kriege« gegen den Terror?, 245 ff.; H. Schäfer, The Janus Face of Religion, 407 – 431. 15 Auch U.H.J. Körtner (Flucht in die Rhetorik, 12) betont, dass die Idee des »gerechten Friedens« heute als »ökumenischer Grundkonsens« gilt. 16 A.a.O., 14. 17 A.a.O., 12. 18 Ebd. 19 U.H.J. Körtner (Notorisch ausgeblendet, 16) beobachtet »innerhalb der evangelischen Kirche nach wie vor eine erhebliche Uneinigkeit darüber […], dass eine zeitgemäße Friedensethik faktisch nicht ohne eine Lehre vom Gerechten Krieg auskommen kann.«

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Impulse Barths für die aktuelle friedensethische Debatte

»Paradigmenkrise«20 firmiert. Umstritten ist die Zuordnung bzw. Relation der beiden Paradigmen: Verhalten sie sich etwa komplementär im Sinne eines nicht schlichtweg additiven, sondern integrativen Ergänzungsmodells,21 disjunktiv bzw. exklusiv im Sinne eines Substitutionsmodells,22 inklusiv im Sinne eines (ideen-)geschichtlichen Fortentwicklungsmodells,23 nahezu identisch24 oder in

20 Vgl. dazu den Untertitel »Zur Paradigmenkrise der Friedensethik angesichts des KosovoKonflikts« des Aufsatzes von G. Beestermöller, Kehrt die Lehre vom gerechten Krieg zurück?, 143 – 154. Vgl. auch ders., Paradigmenstreit in der katholischen Friedenslehre?, 52 – 62. 21 Bereits Ende der 1980er Jahre formulierte H.-G. Stobbe (Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden?, 29 f.): »Die Lehre vom Gerechten Krieg und die Lehre vom Gerechten Frieden schließen sich weder aus, noch kann die eine die andere ablösen. Sie verhalten sich vielmehr komplementär zueinander, indem sie sich wechselseitig voraussetzen und begrenzen zugleich.« Unter Berufung auf M. Honecker (Gerechter Friede und / oder gerechter Krieg, 265) und unter Abgrenzung von W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 113 – 130) vertritt auch U.H.J. Körtner (Flucht in die Rhetorik, 14) eine komplementäre Verhältnisbestimmung, »weil es bei den neuen Erscheinungsformen des Krieges ›keine klaren und scharfen Trennungen zwischen gerechtem Krieg und gerechtem Frieden‹ gebe, sondern ›seltsame und merkwürdige Übergänge und Zwischenzustände‹.« M. Honecker (Gerechter Friede und / oder gerechter Friede, 265) rekurriert zur Begründung seiner komplementären Verhältnisbestimmung u. a. auf kriteriologische Koinzidenzien zwischen den Paradigmen: »Ziel eines gerechten Krieges – unter dem Kriterium der recta intentio – war der Friede, ein gerechter Friede. Aber auch der Friede, auch ein gerechter Friede kann nicht auf militärische Sicherung und notfalls auf Erhaltung und Durchsetzung mit militärischer Gewalt verzichten. Gerechter Friede und gerechter Krieg verhalten sich insofern komplementär zueinander.« 22 So etwa G. Planer-Friedrich, Schlechte Realität, 13 ff. Vgl. a. a. O., 15: »[D]ie Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg [werden] gegen die neue Kriegsbereitschaft kaum etwas ausrichten. Weder Terroristen noch Moralisten werden sich davon beeindrucken lassen. Wo Politik in Gewalt mündet, hat sie bereits ihren Primat verloren. Gegen diese schlechte Realität sollten Christen bekennen, dass es gerechte Kriege überhaupt nicht geben kann.« 23 W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 121.127 f.; Von der gemeinsamen Sicherheit zum gerechten Frieden, 162 f.) votiert für eine Weiterentwicklung der Lehre vom gerechten Frieden unter Einschluss der Kriteriologie der bellum iustum-Tradition; H. Bedford-Strohm (Gottes Versöhnung und militärische Gewalt, 213) plädiert ebenfalls dafür, »zwar die Lehre vom gerechten Krieg aufzugeben, den ethischen Erfahrungsschatz, der hinter den in ihr entwickelten Kriterien steht, aber zu nutzen.« 24 Zu dieser Auffassung neigt T. Jähnichen (»Gerechter Krieg« gegen den Terror?), der die beiden Begriffspaare »gerechter Frieden« und gerechter Krieg« nahezu synonym gebraucht (vgl. bes. a. a. O., 242) und betont: »Letztlich ist jedoch die Differenz zwischen beiden Anschauungen nicht so groß, wie es scheint, da beide Konzeptionen die Anwendung militärischer Gewalt nicht grundsätzlich ablehnen, sondern unter restriktive Bedingungen zu stellen versuchen« (a. a. O., 240). Vgl. auch a. a. O., 241: »[Jede] Gemeinschaft, die überhaupt die Frage der eigenen Gewaltanwendung problematisiert, [hat] eine Form der Lehre vom ›gerechten Krieg‹ entwickelt, mit der Ausnahme der klassischen Friedenskirchen oder anderer pazifistischer Gruppen, die jede Art von Gewaltanwendung im Sinne des Gesinnungspazifismus grundsätzlich ausschließen. Alle anderen, insbesondere die Großkirchen, vertreten in der einen oder anderen Form diese Lehre«.

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noch komplexer zu bestimmender Weise25 zueinander? So jedenfalls lautet die Ausgangsfrage des aktuellen Paradigmenstreites. Ohne die noch anhaltende Diskussion in allen Einzelheiten wiedergeben zu können, sei auf einige zentrale Einwände und deren Erwiderung verwiesen, um einige Konturen der aktuellen, keineswegs abgeschlossenen Debatte26 nachzuzeichnen: 25 M. Haspel (Friedensethik und Humanitäre Intervention, 70) wendet sich keineswegs gegen das Paradigma des gerechten Friedens, sondern gegen dessen s.E. eng geführte Interpretation im Sinne einer »Ethik der Rechtsbefolgung«, wie sie von J. Delbrück entwickelt und von W. Huber, W. Lienemann und H.-R. Reuter s.E. zu unkritisch rezipiert wurde: »[E]ine ›Ethik der Rechtsbefolgung‹ [kann] eine notwendige Bedingung für eine Friedensethik sein, sie ist aber mitnichten eine hinreichende.« Diese Position evangelische Friedensethik insistiere darauf, »dass das internationale Recht mit der Etablierung des UN-Systems eine eigenständige Reflektion der normativen Aspekte der internationalen Beziehungen überflüssig gemacht habe« (ders., Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 264; vgl. ders., Friedensethik und Humanitäre Intervention, 47 – 60). Demgegenüber möchte M. Haspel eine umfassende Ethik der internationalen Beziehungen entwickeln, die unter Heranziehung der hierzulande weitestgehend ignorierten neueren Just and Limited War-Diskussion (wiederum unter Zielbestimmung des gerechten Friedens) die Kriteriologie des gerechten Krieges aufgreift und auf Gewaltminimierung, Schutz der Menschenrechte und internationale Verteilungsgerechtigkeit abzielt (vgl. a. a. O., 72.220). Nach Ansicht von M. Haspel (Friedensethik und Humanitäre Intervention, 6) geht es darum, unter Rezeption der gegenwärtigen, weitgehend säkularen Just and Limited War-Theorie anglo-amerikanischer Provenienz eine differenzierte normative Theorie des legitimen Einsatzes militärischer Gewalt zu entwickeln, welche »ein wichtiger Bestandteil einer Lehre vom gerechten Frieden [ist], die es noch umfassender im Rahmen einer normativen Theorie internationaler Beziehungen zu entfalten gilt«. Pointiert formuliert, ist M. Haspels Ansatz der einer Reinterpretation der Kriterien der »Lehre vom gerechten Krieg« in der Zuordnung zu einem friedensethisch an der Überwindung des Nord-Süd-Konfliktes und dem Vorrang der Gewaltüberwindung orientierten Modell einer Ethik der internationalen Beziehungen (vgl. a. a. O., 62). Haspel möchte also weder zur traditionellen Lehre vom gerechten Krieg zurückkehren und die mittelalterliche Naturrechtslehre repristinieren, noch möchte er kriegerische Handlungen im Sinne von sittlich guten Handlungen im Referenzrahmen einer objektiven Wertordnung propagieren (vgl. a. a. O., 76 f.). Ebenso wenig will er seine Ausarbeitung ethischer Kriterien der legitimen Anwendung militärischer Gewalt bereits als hinreichende Explikation einer evangelischen Friedensethik verstanden wissen. Vielmehr will er – nach eigener Aussage – »evangelische Friedensethik auf eine normative Theorie internationaler Beziehungen hin entfalte[n], in der die Kriterien der Verwirklichung von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ausgearbeitet werden. In einer solchen Theorie, die umfassend den Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit zur Darstellung bringt, wird die Frage nach Kriterien der legitimen Anwendung militärischer Gewalt nur einen Unterpunkt bilden, wenngleich einen notwendigen« (a. a. O., 29). Durch eine systematische Entfaltung der Kriterien im Rahmen der Lehre vom gerechten Frieden würden diese einer vorrangigen Option für die Gewaltfreiheit untergeordnet. Vgl. ders., Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 269. Zu Haspels Ansatz vgl. die Darstellung von J.-D. Strub, Der gerechte Friede, 97 – 109; zur kritischen Auseinandersetzung aus theologischer Perspektive vgl. M. Hofheinz, Friedenstiften als kirchliche Praktik, 47 ff., und aus philosophischer Perspektive S. Dänzer, Der friedenszentrierte Kosmopolitismus als Theorie des gerechten Friedens, 227 – 238. 26 Vgl. U.H.J. Körtner, »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 369: »[D]ie theologische und

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Der Utopismusvorwurf

U.H.J Körtner kritisiert den »utopischen Charakter der Vorstellung von der Überwindung der Institution des Krieges«27, der mit dem Programm eines »gerechten Friedens« einhergehe und die Frage unausweichlich mache, »ob nicht auch weiterhin eine christliche Lehre vom gerechten Krieg notwendig bleibt und entsprechend den friedenspolitischen Herausforderungen am Beginn des 21. Jahrhunderts weiterentwickelt werden muß.«28 Gegenüber Friedensideologien gelte es nüchtern zu konstatieren: »Eine gewaltlose Welt gehört in das Reich der Utopie«29. Bereits der Zerfall Jugoslawiens, der Bosnien- und Kosovokrieg habe die Spielarten eines kirchlichen Utopismus gründlich desavouiert. M. Honecker verschärft und vertieft diesen Einwand. Er erhebt theologischen Einspruch gegen das Programm des »gerechten Friedens« als Ausdruckform einer optimistischen Anthropologie, die das Böse verharmlose: »Gerechter Friede ist ein moralisches Postulat. Aber er setzt eine Menschennatur voraus, die frei von Sünde ist. Die Gerechtigkeit des Sünders ist jedoch eine angefochtene. Und das Böse, die Sünde äußert sich auch in der Lüge und in der Verkehrung der Wahrheit. Die Friedensmöglichkeiten der Menschheit finden ihre Grenzen an der conditio humana. Die Alte Kirche und die Reformation haben sich aus der Einsicht in die Fehlbarkeit und Gefährdung des Menschen bemüht, mithilfe der Lehre vom gerechten Krieg den Krieg möglichst zu verhindern und notfalls einzudämmen. Aber sie haben nicht die Vorstellung von einem gerechten Frieden gelehrt. Der gerechte Friede war für sie eschatologische Hoffnung und Verheißung.«30 Honecker weist in Bezug auf das für die Formel »gerechter Frieden« konstitutive Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit (iustitia et pax), wie es biblisch bezeugt ist (vgl. Ps 85,11; Röm 14,17) und in der Alten Kirche aufgegriffen wurde, darauf hin, dass beide Kennzeichen des Reiches Gottes seien: »Auf eine Welt ohne Ungerechtigkeit und Unfriede hoffen Christen zwar im Glauben. Aber

27 28 29 30

ethische Diskussion über Inhalt und konkrete Anwendung einer Lehre vom gerechten Frieden ist noch keineswegs abgeschlossen.« So auch ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 4; W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 128. U.H.J. Körtner, Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 1; ders., Flucht in die Rhetorik, 12; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 352; ders., Notorisch ausgeblendet, 16. Ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 2; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 352; ders., Notorisch ausgeblendet, 16. Ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 5; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 371. Vgl. auch J.B. Elshtain, Against the New Utopianism, 44 – 54. M. Honecker, Gerechter Friede und / oder gerechter Krieg, 266.

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sie führen ihn nicht selbst herbei. So gesehen, könnte man den Paradigmenwechsel von der Doktrin des gerechten Friedens auch als Indiz eines Verlustes an Kenntnis der Glaubenstradition und damit einer Moralisierung des Christlichen bewerten. Dann wäre freilich das Verhältnis von Glaube und Handeln, von eschatologischer Hoffnung und ethischer Aufgabe, von Verheißung Gottes und Verantwortung des Menschen fundamental zu bedenken.«31 In seiner Replik auf den von M. Honecker32 und U.H.J. Körtner erhobenen Utopismus-Vorwurf würdigt W. Huber ihr grundsätzliches Anliegen, das einer wirklichkeitsgerechten Friedensethik gelte und deshalb die gewalttätige Natur des Menschen in Rechnung stellen würde. Diesem Anliegen würde die Lehre vom gerechten Frieden allerdings bereits insofern Rechnung tragen, als dass »sie – im Gegensatz zum radikalen Pazifismus – u. a. den Gedanken der ultima ratio festhält. Die Lehre vom gerechten Frieden hat daher« – so Huber – »keinen utopischen Charakter, auch wenn sie im Kern mit der Hoffnung auf die Überwindung von destruktiver Gewalt und Krieg verbunden ist.«33 Selbst wenn diese Überwindung nicht einmal denkbar wäre, so könne dennoch die Idee dieser Überwindung »als eine regulative Idee dem moralischen Handeln und der ethischen Orientierung von Menschen zu Grunde liegen.«34 Ohne explizit auf die Kontroverse um den »gerechten Frieden« Bezug zu nehmen, weist O. Bayer darauf hin, dass es hinsichtlich der theologisch notwendigen eschatologischen Rede vom Bösen nicht ausreicht, einseitig zu betonen, dass das Böse bleibt. Es bleibt in zeitlicher Hinsicht innerweltlich und innergeschichtlich, aber nicht immer und ewig: »So wie es [das Böse; M.H.] mit Gottes ›sehr guter‹ Schöpfung (Gen 1,31) verneint ist, so wird es im Eschaton, in der Vollendung meines Lebens und der ganzen Natur- und Weltgeschichte, überwunden sein. Bleibt das Böse nicht, so bleibt auch kein Krieg, in dem sich das Böse – das Lebenswidrige und Gemeinschaftszerstörende – in besonderer Weise zeigt. Der Krieg ist nicht der Vater aller Dinge. Der Friede ist Gottes erstes Wort und sein letztes. Daher ist im schöpfungstheologischen wie eschatologischen Vollsinn zu sagen: Das Böse bleibt nicht.«35 Im Sinne O. Bayers gilt die 31 A.a.O., 267. 32 Vgl. a. a. O., 254: »Was also besagt der Begriff ›gerechter Friede‹? Enthält er ein politisches Konzept oder meint er lediglich die Formulierung einer Utopie, eines Ideals, vielleicht sogar einer Fiktion? Mit der Benennung eines gerechten Friedens als Zielvorstellung ist zumindest noch keine inhaltliche Präzisierung gegeben.« Der Fragemodus der Aussage M. Honeckers (ebd.) ist freilich rhetorischer Natur, wie seine Bemerkung indiziert: Der Begriff »gerechter Friede« umschreibt »eher ein Ideal der Gewaltfreiheit und der moralischen Solidarität als eine politische Konzeption, zu der die Lehre vom gerechten Krieg zumindest ansatzweise anleiten wollte.« 33 W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 124. 34 A.a.O., 123. 35 O. Bayer, Freiheit als Antwort, 297.

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Rede von der Überwindung der Gewalt im Modus der Zusage bzw. des Zuspruchs (promissio): »Im Glauben des zugesprochenen Friedens und in der in diesem Glauben liegenden Hoffnung ist die mit dem Kreuz und der Auferweckung Jesu Christi schon geschehene Überwindung real; sie gilt schon jetzt endgültig, endgültig schon jetzt.«36 Hinsichtlich des damit benannten eschatologischen Vorbehalts hat also M. Honecker einerseits recht, wenn er im Sinne des »Noch-Nicht« betont: »Nach biblischer Sicht und Weltdeutung ist Krieg bis zum Jüngsten Tag ein unausrottbares Übel. Vor allem das NT rückt den Krieg in einen eschatologischen Horizont.«37 Dieser eschatologische Horizont schließt jedoch im Sinne des eschatologischen Vorbehalts auch das »Schon-Jetzt« ein. Eine realistische Anthropologie hat aber beides zu berücksichtigen. Würde sie die Friedensfähigkeit des Menschen überschätzen, so würde sie das Böse verharmlosen und in einen Moralismus hineinmünden. Würde sie die Friedensfähigkeit des Menschen hingegen unterschätzen, so liefe dies letztlich auf »eine auf der Linie von Hobbes liegende Prinzipialisierung des Bösen [hinaus], in der das Gemeinschaftswidrige und Apolitische in der Natur des Menschen fest und unveränderlich verankert gesehen wird.«38 Ein daraus resultierender Legalismus wäre keine Alternative zu dem von M. Honecker befürchteten Moralismus. Christliche Friedensethik ist gut beraten, wenn sie beiden Extremen gegenüber betont: In der Gewissheit und im Glauben an die in Christus bereits überwundene Gewalt des Bösen »dürfen wir auch wagen, intensiv nach denjenigen Möglichkeiten des politischen Handelns zu suchen, die in der Bewegung und Richtung liegen, die der Friede Gottes vorgibt.«39 Der genannte theologische Utopismus-Einwand kann auch von U.H.J. Körtner und M. Haspel realpolitisch variiert werden und zwar im Blick auf die Rolle der UNO als »Weltpolizei«.40 Körtner und Haspel monieren eine »Überschätzung sowohl der Leistungsfähigkeit der UNO als auch der Durchsetzungsfähigkeit des Völkerrechts«41, wie sie im Zusammenhang des Paradigmas eines 36 37 38 39 40

A.a.O., 298. M. Honecker, Gerechter Friede und / oder gerechter Krieg, 254. O. Bayer, Freiheit als Antwort, 301. A.a.O., 302. U.H.J. Körtner (»Gerechter Krieg« – »gerechter Krieg«, 356) verwahrt sich gegenüber einer »demokratiepolitisch gefährliche[n] Verwischung der Grenzen zwischen Militär und Polizei […], deren Ergebnis möglicherweise nicht die Eindämmung militärischer Gewaltanwendung, sondern im Gegenteil die fortschreitende Militarisierung von Polizeikräften wäre«. Die Vorstellung, dass Kriegsvölkerrecht zu einem internationalen Polizeirecht fortentwickelt werden könnte, provoziert U.H.J. Körtner (Flucht in die Rhetorik, 13) zu der »ernste[n] Frage« nach dem Wirklichkeitssinn eines solchen Vorschlags. 41 M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 59. So auch U.H.J. Körtner, »Gerechter Krieg« – »gerechter Krieg«, 359. U.H.J. Körtners (Christliche Friedensethik in

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»gerechten Friedens« zum Ausdruck käme. Auch nach M. Haspel, der von »eklatanten Mängel[n] des internationalen Rechts«42 spricht, gilt es zu hinterfragen, »ob das geltende Völkerrecht in Fragen der Anwendung militärischer Gewalt überhaupt hinreichend sittliche bzw. rechtliche Kriterien bereitstellen kann. Auch in konkreten Anwendungsfragen wird in der Regel kein Konsens erzielt, wie die Debatte um die rechtliche Zulässigkeit des Krieges der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien belegt.«43 M. Haspel mahnt jene Ausblendung an, die ignoriert, »dass das Völkerrecht als lex imperfecta zum einen lückenhaft ist und zu einer umfassenden normativen, mithin ethischen Bewertung möglicherweise nicht ausreicht, zum anderen ja als politisches Recht auch permanenter Umgestaltung und Entwicklung unterliegt, für die wiederum normative Prinzipien als Orientierungsvorgaben hilfreich sein können.«44 M. Haspel hebt gegenüber einer Interpretation des Paradigmas vom »gerechten Frieden« im Sinne einer Ethik der Rechtsbefolgung hervor, »dass es substantiellere Normen gibt als die im Völkerrecht implementierten, um die Legitimität der Anwendung militärischer Gewalt zu beurteilen.«45 Beide, Körtner wie Haspel, wollen ihre kritischen Bemerkungen freilich keineswegs als Forderung nach einer Überwindung, sondern »Stärkung und Weiterentwicklung des Völkerrechts und internationaler Institutionen und Instrumente zur Friedenssicherung«46 verstanden wissen. Beide verstehen sich als Kritiker jenes amerikanischen Unilateralismus, der die Fragilität des internationalen Rechtes offenkundig werden lässt.47 Haspel hält grundsätzlich daran fest: »In der gefallenen Welt kann eine vorrangige Option für die Gewaltfreiheit nur durch die Bindung der Gewalt an das Recht erreicht werden. Daraus leitet

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verantwortungsethischer Perspektive, 6; »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 373) Rede vom »transnationalen Gewaltmonopol, wie es der Charta der Vereinten Nationen« entspricht, erweist sich allerdings als völkerrechtlich unzutreffend. Ein bei den UN institutionalisiertes faktisches oder rechtliches Gewaltmonopol gibt es schon deshalb nicht, »weil sich alle durch den Sicherheitsrat verhängten Zwangsmaßnahmen der Mitwirkung der entsprechend gerüsteten Mitgliedsstaaten bedienen müssen.« So prägnant H.-R. Reuter, Die »humanitäre Intervention« zwischen Recht und Moral, 77. Vgl. Art. 43 der UN-Charta. M. Haspel, Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 264. Ebenso U.H.J. Körtner, Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 4 f.; ders., »Gerechter Krieg« – »gerechter Krieg«, 369 f. M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 68 f. Im Blick auf den Irakkrieg 2003 moniert U.H.J. Körtner (Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 4; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 369; ders., Notorisch ausgeblendet, 16) mangelnde »Nachdenklichkeit und Kritikfähigkeit gegenüber dem UN-Sicherheitsrat«. M. Haspel, Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 266. Ders., Friedensethik und Humanitäre Intervention, 59. U.H.J. Körtner, »Gerechter Krieg« – »gerechter Krieg«, 369. Vgl. ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 4. Vgl. M. Haspel, Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 276.

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sich die Achtung der Institutionen des internationalen Rechts und der Vereinten Nationen ab. Gewaltfreiheit kann nur im Rahmen eines institutionalistischen Ansatzes erreicht werden.«48 Gegenüber antiinstitutionalistischen Missverständnissen will M. Haspel klargestellt wissen: »Die Regelung von Konflikten durch multilaterale Institutionen wie das internationale Recht und internationale Organisationen bleibt ein Eck- und Zielpunkt evangelischer Friedensethik. Dies entspricht einer vorrangigen Option für die Gewaltfreiheit, die auf Gewaltminimierung zielt. Die Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung müssen weiter ausgebaut werden. Insofern bleibt der Institutionalismus kantisch-liberaler Provenienz eine unverzichtbare Grundorientierung der Friedensethik. Gleichwohl darf dabei nicht Deontologie mit Deskription verwechselt werden, sondern die Grenzen der gegenwärtigen internationalen Institutionen müssen ebenso realistisch in ein solches Konzept eingehen wie ihre Möglichkeiten.«49 Hinsichtlich besagter Variation des Utopismusvorwurfs bemerkt H.-R. Reuter als maßgeblicher (Mit-)Verfasser der aktuellen EKD-Denkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen« (2007): »[W]ir [sind] keineswegs blind oder blauäugig gegenüber politischen Funktionsdefiziten des Sicherheitsrats, sondern unterbreiten […] Vorschläge zur Abhilfe (nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit von Beschlüssen durch eine unabhängige Instanz, Begründungspflicht des Abstimmungsverhaltens bei substantiellen Entscheidungen, Aufhebung des Vetorechts in bestimmten Fällen u. a.).«50 Reuter hebt hervor, dass bei der Durchsetzung des Völkerrechts »Auslegungsspielräume«51 auftreten können. Die Tatsache, dass für das Völkerrecht internationale Verträge, Staatenpraxis und allgemeine Rechtsgrundsätze konstitutiv seien, bringe die politische Gestaltbarkeit desselben ipso facto mit sich.52

2.2.

Der Vorwurf semantischer Verschleierung der Wiederkehr der Lehre vom gerechten Krieg

Des Weiteren kritisieren M. Haspel, M. Honecker und U.H.J. Körtner, dass trotz der propagierten Abschaffung bzw. Überwindung der Lehre vom gerechten Krieg, »die Lehre vom gerechten Krieg im Rahmen einer modifizierten Lehre vom gerechten Frieden wiederkehr[en]«53 würde. Dies sei inkonsequent und 48 49 50 51 52 53

Ders., Friedensethik und Humanitäre Intervention, 29. Ders., Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 275. H.-R. Reuter, Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 40. Ders., Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 166. Vgl. ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 40. U.H.J. Körtner, Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 2; ders.,

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zeige die Unhintergehbarkeit der klassischen bellum iustum-Kriteriologie. De facto müsse deshalb in den jüngsten friedensethischen Verlautbarungen der EKD »eine Neuinterpretation der Lehre vom gerechten Krieg […] [erfolgen], die aber offenkundig aus innerkirchlicher Rücksichtnahme auf divergierende friedensethische Grundpositionen nicht offen beim Namen genannt werden darf.«54 Es herrsche hingegen in der Evangelischen Kirche »nach wie vor erhebliche Unklarheit darüber […], daß eine zeitgemäße Friedensethik faktisch nicht ohne eine Lehre vom gerechten Krieg auskommen kann.«55 Diese Neuinterpretation einschließlich einer de facto erfolgenden Wiedereinführung des ius ad bellum werde von Teilen der Kirche »nach wie vor nicht akzeptiert bzw. mit Hilfe von semantischen Kunstgriffen tabuisiert.«56 Dementsprechend charakterisiert M. Haspel das methodische Vorgehen, wie es die friedensethische Diskussion der 1990er Jahre kennzeichne: »Die Kriterien der ›Lehre vom gerechten Krieg‹ werden angewandt, ohne daß sie so genannt werden, d. h. material werden sie herangezogen, semantisch wird aber nicht auf sie Bezug genommen.«57 Haspels Vorwurf richtet sich gegen die Vertreter einer im Anschluss an J. Delbrück promulgierten »Ethik der Rechtsbefolgung«, welche die Herkunft der Kriterien verschleiern würden.58 Dieses Vorgehen habe zugleich erhebliche Negativfolgen hinsichtlich der Stringenz friedensethischer Verlautbarungen seitens der EKD gezeitigt: »Unter [der] Voraussetzung, dass man eine Unvereinbarkeit der Lehre vom gerechten Krieg mit den gegenwärtigen Normen des Völkerrechts unterstellt, zugleich aber zur Näherbestimmung von Kriterien zumindest für militärische humanitäre Interventionen auf diese Tradition zurückzugreifen sich genötigt sah, kam es zu einer unsystematischen, unvollständigen, anachronistischen und deshalb teilweise unsachgemäßen impliziten Rezeption der Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg«59.

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»Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 354. So auch M. Honecker, Gerechter Friede und / oder gerechter Krieg, 253. U.H.J. Körtner, »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 357. Ebenso ders., Notorisch ausgeblendet, 16. Vgl. auch M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 67. U.H.J. Körtner, »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 357. Ebd. M. Haspel, Friedensethik und Humanitäre Intervention, 46. A.a.O., 61. Ders., Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 267. M. Haspel hat in seinem jüngsten Beitrag seine Position geringfügig modifiziert. Gebrauchte er früher den Begriff des »bellum iustum« sehr viel offensiver und affirmativer, insbesondere hinsichtlich seiner Forderung nach einer ethischen Orientierung an der anglo-amerikanische Just and Limited War-Tradition (vgl. etwa ders., Das Werk der Gerechtigkeit, 14), die ohne prüfende Kenntnisnahme im deutschsprachigen Raum durch die Forderung nach einem Paradigmenwechsel für inhaltlich und semantisch obsolet erklärt worden sei, so heißt es heute bei Haspel: »Diskursstrategisch scheint es in der gegenwärtigen Situation zumindest in Kontinentaleuropa unklug, am Terminus der Lehre vom gerechten Kriege festzuhalten. Und über Opportunitätsgesichtspunkte hinaus hat ja auch das psychosemantische Argument [wonach

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Mit diesen Vorwürfen zumindest indirekt angesprochen und kritisiert, repliziert H.-R. Reuter, dass der Vorwurf, eine unredliche semantische Verschleierung der faktischen Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg durch Umetikettierung zugunsten des Begriffs »gerechter Friede« zu betreiben, »eine erstaunliche normative und kategoriale Unbekümmertheit«60 seitens der Kritiker verraten würde. Ihre Kritik unterstelle entgegen jeder ideengeschichtlichen Recherche, dass es eine definite Lehre vom gerechten Krieg im Singular gäbe: »Eine ›freistehende‹ Lehre vom gerechten Krieg hat es [jedoch] nie gegeben, sondern die jeweiligen Lehren waren eingebettet in sehr unterschiedliche Deutungshorizonte einerseits moralisch-rechtlicher, andererseits historisch-politischer Art.«61 Reuter benennt als den (rechts-)theoriegeschichtlicher Wandlung unterworfenen Referenzrahmen der Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg das traditionelle Naturrecht des Mittelalters im Rahmen des Corpus Christianum, die Gewissenberatung der Amtsträger bei Luther (»Fürstenspiegel«), das klassische Völkerrecht als zwischenstaatliches Recht mit dem souveränitätsrechtlichen liberum ius ad bellum in der Neuzeit und schließlich das moderne (Friedens-)Völkerrecht auf der Basis der Charta der UN und der kriegsvölkerrechtlichen Konventionen der Gegenwart. H.-R. Reuter kehrt geradezu den Utopismusvorwurf um, wenn er feststellt, dass im Zuge der Weiterführung des Kriegsächtungsprogramms durch das allgemeine Gewaltverbot (Art. 2, Abs. 4 der UN-Charta) und der konsequenten Verrechtlichung normativen Begrenzungsregeln der Kriegsführung alle Theorien des gerechten Krieges »rechtlich

nicht mehr Krieg, sondern Frieden die Zielperspektive der ethischen Reflexion und des politischen Handelns sein soll; M.H.] ein nicht zu vernachlässigendes inhaltliches Gewicht« (ders., Die Theorie des gerechten Friedens, 211). Haspel hat das Problem, dass sich die Just and Limited War-Diskussion, wie sie sich etwa bei ihren prominenten US-amerikanischen Vertreterinnen und Vertretern wie J.B. Elshtain und J.T. Johnson positionell ausgeprägt findet, weitgehend im Blick auf ihre ethischen Urteile konträr zu Haspels eigener kritischer Einschätzung verhält. Ebendies muss Haspel konzedieren: »Wenn man die jüngste Diskursentwicklung betrachtet, muss man aber konstatieren, dass die Positionen der Just WarVertreterinnen und -Vertreter, die nicht nur die Kriegspolitik von Präsident Bush jr. unterstützt, sondern dabei auch die Just War-Theorie in einer gefährlichen Weise uminterpretiert und ihre Urteilsbildung auf mehr als wackelige empirische Annahmen gestützt haben, eine gewisse reaktionäre Tendenz innewohnt« (ders., Die Theorie des gerechten Friedens, 215). Es drängt sich freilich die Frage auf, wie es um eine Theorie beschaffen sein mag, die solche massiven »Uminterpretationen« erlaubt. Auch lässt sich die unmittelbare Anschlussfrage nicht abweisen, ob und in welcher Weise sie überhaupt rezipierbar ist, wenn sie offenkundig nur ein geringes präventives Potential gegenüber reaktionären Vereinnahmungen besitzt. 60 H.-R. Reuter, Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 165. 61 Ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 38. So auch ders., Was ist gerechter Frieden?, 183.

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ortlos«62 (u-topisch) geworden seien. Im Blick auf die von Haspel geforderte Rezeption der US-amerikanischen Just and Limited War-Diskussion bemerkt Reuter kritisch: »Soweit sie heute als reine Moraltheorien entwickelt werden – wie in großen Teilen der US-amerikanischen Diskussion – sind sie antiinstitutionalistisch angelegt, d. h. sie bleiben auf partikularstaatliche Akteure bezogen, ohne die heutigen völkerrechtlichen Rahmenbedingungen und die existierenden trans- und internationalen Institutionen ausreichend in Rechnung zu stellen.«63 Entsprechende Moraltheoretikerinnen und -theoretiker gehen Reuter zufolge immer noch davon aus, dass es ein ius ad bellum souveräner Staaten gebe, was aber de iure, sprich: völkerrechtlich nicht der Fall sei und einem (u. U. bellikosen) Unilateralismus US-amerikanischer Provenienz Vorschub leisten würde. Dieser Unilateralismus falle letztlich auf ein mittelalterliches Niveau zurück, in dem er Luthers (später von Kant aufgegriffenes) Prinzip, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll,64 nicht gelten lasse, sondern sich exakt als ein solcher Richter betätige. Damit erlebe freilich der diskriminierende Kriegsbegriff aus der naturrechtlichen Kriegslehre seine Renaissance, d. h. ein »Verständnis des Krieges […], nach dem sich beide Kriegsparteien nicht wie gleichberechtigte Gegner gegenüberstehen. Vielmehr unterscheiden sie sich wie Richter und Straffälliger. Wer auf Grund einer gerechten Sache Krieg führt, vollzieht darum zugleich den Rechtsakt einer Bestrafung des Gegners; er führt einen legitimen Strafkrieg, einen Punitivkrieg zur Vergeltung erlittenen Unrechts.«65 Unter Berufung auf Kants Idee des Rechtsfriedens konstatiert Reuter, dass die Vorstellung eines ius ad bellum unter der Herrschaft des Rechts hingegen einen Widerspruch in sich darstelle, da es zum Begriff des Rechts gehöre, dass niemand Richter in eigener Sache sei. Reuter zufolge hat also das moderne Völkerrecht den gerechten Krieg »aufgehoben«.66 Der Begriff der Aufhebung ist

62 Ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 38. So auch ders., Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 166. 63 Ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 38. So auch ders., Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 166. 64 So z. B. WA Br 10, 33.35 (Brief an Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Moritz vom 7. 4. 1542). Vgl. auch WA 18, 301,14 – 304,8 (Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben, 1525) und dazu: G. Maron, Niemand soll sein eigener Richter sein, 60 – 75; H.-R. Reuter, Martin Luther und das Friedensproblem, 72. Wie W. Busch (Die Entstehung der kritischen Rechtsphilosophie Kants, 34 f.) nachweist, hat bereits der frühe, »vorkritische« Kant die Rechtlosigkeit des Urteils in eigener Sache akzentuiert. 65 H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen den Irak, 3. 66 Vgl. ders., Was ist gerechter Frieden, 183: Die kriegsvölkerrechtlichen Konventionen »haben zum einen durch das allgemeine Gewaltverbot das ältere Kriegsächtungsprogramm weitergeführt und das freie Kriegsführungsrecht beseitigt, zum anderen haben sie die normativen Begrenzungsregeln der Kriegsführung (das klassische ius in bello) konsequent ver-

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dabei im Sinne der Hegelschen Dialektik zu verstehen:67 Die positiven, wertvollen Elemente der Lehre vom gerechten Krieg, nämlich die Prüfkriterien, bleiben erhalten (conservare, Aufbewahrung)68 und werden auf höherer Stufe der Entwicklung, sprich: im Rahmen des Leitbildes vom gerechten Frieden fortgesetzt (elevare, Erhöhung), wohingegen die negativen Elemente (etwa das freie Kriegsführungsrecht) entfallen (tollere, Negation).69 Im Rahmen eines mit der Kantschen Grundentscheidung kompatiblen Leitbildes vom gerechten Frieden sei für die Lehren vom bellum iustum kein Platz mehr, woraus aber mitnichten folge, »daß auch die moralischen Prüfkriterien verabschiedet werden müssten, die in den bellum-iustum-Lehren enthalten waren.«70 Die Kriterien, die auch in den bellum-iustum-Lehren eine Rolle spielten, sind – so Reuter – »nicht an eine Rahmentheorie vom ›gerechten Krieg‹ gebunden und als allgemeine Kriterien ethischer Gewaltkritik und -begrenzung unverzichtbar.«71 Bei Lichte betrachtet, trägt diesem Umstand bereits die EKD-Verlautbarung »Schritte auf dem Weg des Friedens« (1994) Rechnung. Zwar ist in Anlehnung an die Erklärung der Kirchen in der DDR auf der Ökumenischen Versammlung in Dresden / Magdeburg (1988) von einer »Abkehr vom Gedanken des ›gerechten Krieges‹«72 und von einer Distanzierung gegenüber der Idee einer »Wiederbelebung der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg«73 die Rede. Zugleich konzediert die EKD-Verlautbarung freilich, dass »[die] Fragen, die in der Lehre vom gerechten Krieg verhandelt wurden, […] allerdings relevant [bleiben], und gewichtige Elemente […] in modifizierter Weise auch in einer evangelischen

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rechtlicht – wodurch jede Theorie des gerechten Krieges (im Doppelsinn des Wortes) ›aufgehoben‹ ist.« Vgl. G.W.F. Hegel, Die objektive Logik (1812/13), 57 f. Aufgrund dieses Aufbewahrungs-Aspektes haben G. Plasger und ich seinerzeit festgestellt, dass die Rede vom »Paradigmenwechsel« im Blick auf das Verhältnis der Theorien vom gerechten Krieg und gerechten Frieden nicht angezeigt ist. Vgl. M. Hofheinz / G. Plasger, Ernstfall Frieden, 14. Bisweilen formuliert H.-R. Reuter undialektischer : »[E]s [ist] m. E. moralisch und rechtlich geboten, die Rede vom ›gerechten Krieg‹ aufzugeben. Einen gerechten Krieg in Korrespondenz zu einer freistehenden Lehre vom bellum iustum gibt es nicht mehr. Es kann allenfalls noch den rechtmäßigen Gebrauch militärischer Gewalt geben« (H.-R. Reuter, Die Militärintervention gegen Irak, 6. So auch ders., Die »humanitäre Intervention« zwischen Recht und Moral, 75). Vgl. auch ders., Gerechter Friede! – gerechter Krieg?, 165: »Die Denkschrift [Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen; M.H.] substituiert in diesem Zusammenhang [der Frage nach den Grenzfällen des zur Rechtserhaltung erlaubten Gewaltgebrauchs; M.H.] die ›Lehre vom gerechten Krieg‹ durch eine ›Ethik rechtserhaltender Gewalt‹«. Ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 39. Ders., Die »humanitäre Intervention« zwischen Recht und Moral, 78. Kirchenamt der EKD (Hg.), Schritte auf dem Weg des Friedens, 14. A.a.O., 21.

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Friedensethik aufgenommen werden [müssen].«74 Explizit heißt es auch in dem zwischenbilanzierenden Ergänzungstext »Friedensethik in der Bewährung« (2001), der vor allem aus Anlass des Kosovo-Krieges lanciert wurde: »Die Orientierung am Leitbegriff des gerechten Friedens schließt im übrigen die in der Lehre vom ›gerechten Krieg‹ verwendeten Argumente, die an Kriterien der Eingrenzung von Gewalt orientiert sind, ein.«75 Die soeben zitierten friedensethischen EKD-Verlautbarungen lassen insofern bis hin zur aktuellen Friedensdenkschrift in ihrer Argumentationsweise eine erstaunliche Konsistenz und Stringenz erkennen. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch darauf, dass W. Huber bereits in den 1990er Jahren in Übereinstimmung mit den zitierten EKD-Verlautbarungen bemerkte: »Als Instrument kritischer Urteilsbildung sind die Elemente der ›Lehre vom gerechten Krieg‹, vor allem in ihrer durch das moderne Völkerrecht weiterentwickelten Form, nach wie vor unverzichtbar.«76

2.3.

Der Vorwurf des Rechtspositivismus

Der Vorwurf des Rechtspositivismus – wie er ebenfalls von U.H.J. Körtner und M. Haspel vorgebracht wurde – besagt im Kern: »Die friedensethischen Stellungnahmen der EKD erwecken […] tendenziell den Eindruck, als erübrige sich die ungeliebte Lehre vom gerechten Krieg, weil sie durch das moderne Völkerrecht ersetzt werde.«77 Insofern dieser Vorwurf auch auf die Mängel bzw. Defizite des Völkerrechts als lex imperfecta abhebt, handelt es sich um eine spezifische Variation des Utopismus-Vorwurfs, wobei aus der Defizität des utopistisch überschätzten aktuellen Völkerrechts die Notwendigkeit einer eigenständigen ethischen Theorie des gerechten Krieges abgeleitet wird: »In dem Fall, dass Instanzen des Völkerrechts versagen oder fehlen, zeigt sich, dass auch weiterhin eine eigenständige ethische Theorie des gerechten Kriegs vonnöten ist«78. Die Notwendigkeit einer solchen Theorie begründet Körtner wie folgt: »Eben darum bedarf es einer ethischen Theorie des gerechten Krieges, weil andernfalls die Frage von Krieg und Frieden ausschließlich auf eine politische Ermessensfrage reduziert wird.«79 Körtner verwahrt sich also unter Berufung 74 75 76 77

Ebd. Dass. (Hg.), Friedensethik in der Bewährung, 68 f. W. Huber, Frieden nach dem Ende der Blockkonfrontation, 200. U.H.J. Körtner, Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 2; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 360. 78 Ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 2; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 361. 79 Ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 361. Ebenso ders., Christliche Friedensethik in verantwortungsethischer Perspektive, 2.

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auf die Kantsche Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität strictissime gegenüber einer Substitution einer ethischen Theorie des gerechten Krieges durch das Völkerrecht,80 nicht um für eine Schwächung der UNO und womöglich für einen Rückfall ins nationalstaatliches Denken des 19. Jahrhunderts zu votieren, sondern um sie zwecks Stärkung weiterzuentwickeln.81 M. Haspel argumentiert in ähnlicher Weise, spitzt aber den Vorwurf noch schärfer als Körtner auf den eines vermeintlichen Rechtspositivismus zu. Er kritisiert, dass dem Paradigma »gerechter Friede« im Anschluss an J. Delbrück die Grundfigur einer »Ethik der Rechtsbefolgung« als Interpretament zugrunde gelegt werde,82 wonach sich friedensethische Positionen am materialen Völkerrecht auch in normativer Hinsicht zu orientieren hätten: »Friedensethik kann nicht losgelöst vom Recht betrachtet werden!«83 Auch Haspel befürwortet grundsätzlich die Bindung der Ethik an das Recht. Die von ihm projektierte Theorie der internationalen Beziehungen soll sich auf das internationale Recht beziehen, aber »sowohl in ihrer Begründung als auch in ihrem Inhalt eigenständig«84 sein, damit es nicht zu einer Versklavung der Ethik unter das Recht komme. Exakt in dieselbe münde jedoch eine Ethik der Rechtsbefolgung, die zum Verdikt einer regelrechten »babylonischen Gefangenschaft« der Ethik unter bzw. in dem Recht avanciere. Ethische Kriterien würden mit positiv-rechtlichen Normen kurzgeschlossen bzw. eine ethische Argumentation in eine juristische überführt – mit dem Ergebnis, dass zum einen unklar bleibe, »woher die positivrechtlichen Normen inhaltlich bestimmt werden sollen«85, und zum anderen, wie »ethische Kriterien zur kritischen Beurteilung des Rechts zu gewinnen 80 Vgl. ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 368: »Formale Völkerrechtswidrigkeit und ethische Legitimität schließen einander jedoch nicht unbedingt aus, es sei denn, man wollte eine ethische Theorie des gerechten Krieges und eine Völkerrechtstheorie ersetzen.« 81 U.H.J. Körtner (»Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 369) betont, dass seine Forderung nach Stärkung demokratischer Strukturen innerhalb der UNO allerdings »die Frage ein[schließt], an welchen Stellen das bisherige Völkerrecht möglicherweise nicht mehr der politischen Wirklichkeit am Beginn des 21. Jahrhunderts entspricht.« 82 H.-R. Reuter (Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 39) plädiert für eine »Ethik rechtserhaltender Gewalt«, innerhalb derer die moralischen Prüfkriterien der bellum-iustum-Tradition rekonstruiert werden sollen. Eine solche Ethik ist auf die normativen Grundentscheidungen der UN-Charta bezogen: »Mit dieser Rekonstruktion verbindet sich eine doppelte Absicht: Erstens ist sie darauf angelegt, die fragliche Kriteriologie voll mit den normativen Grundentscheidungen des in die UN-Charta eingegangenen Kriegsächtungsprogramms in Übereinstimmung zu halten […]. Zweitens zielt diese Rekonstruktion auch darauf ab, eine breite Akzeptanz- weil Evidenzbasis für die Notwendigkeit solcher Prüfkriterien zu gewinnen.« 83 J. Delbrück, Christliche Friedensethik und die Lehre vom gerechten Krieg – in völkerrechtlicher Sicht, 49. Zu Delbrücks Ansatz vgl. W. Lienemann, Verantwortungspazifismus – legal pacifism, 88 – 92; A. Röthlisberger, Völkerrechtliche Legitimation, 1 – 41. 84 M. Haspel, Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 264. 85 Ders., Friedensethik und Humanitäre Intervention, 49.

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Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?

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[seien], wenn die Rechtslage selbst umstritten ist, wie sich dies im Laufe der neunziger Jahre hinsichtlich der Frage nach Humanitären Interventionen der UN und dann dramatisch hinsichtlich des Krieges der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zeigte.«86 Man lasse – so Haspel weiter – ethische Kriterien in rechtlichen aufgehen, woraus eine Verschiebung der Argumentations- und Begründungsebenen resultiere, insofern nur aus der ethischen Argumentation eine normative Begründung der Prinzipien hergeleitet werden könne, die dann mittels Recht positiviert werden sollen.87 Indem behauptet würde, dass man »für eine ethische Theorie die Kriterien des Völkerrechts in Anspruch nehmen könnte«88, avanciere das Recht zum Substitut von Ethik. Faktisch werde so »die Unterscheidung von Ethik und Recht aufgehoben, ja sogar der Zusammenhang […] umgekehrt.«89 Damit gehe der Begründungszusammenhang von Ethik und Recht insgesamt verloren, der die conditio sine qua non für eine Kritik positiven Rechts und eine Weiterentwicklung desselben (als lex ferenda) aus der Perspektive des ethischen Diskurses darstelle. Nichts anderes als die Position des Rechtspositivismus werde damit nolens volens vertreten. Der dafür zu zahlende Preis sei freilich eine »begrenzte normative Reichweite«90 ethischer Theorien. Daraus würden problematische Folgen sowohl für eine ethische Theorie als auch für eine Theorie des Rechts resultieren, da die notwendige Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität und ihr konstitutiver Zusammenhang verloren gehe.91 Eine im Anschluss an die bellum iustum-Theorie zu entwickelnde aktuelle ethische Theorie der legitimen Anwendung militärischer Gewalt sei hingegen unverzichtbar, um ethische Kriterien als Auslegungshilfen und Kriterien für die Fortentwicklung internationalen Rechts zur Verfügung zu stellen:92 »[P]rinzipiell und praktisch [können] aus geltendem Recht systematisch keine ethischen Prinzipien bzw. sittlichen Normen abgeleitet werden […]. Somit ist mit der Verschiebung der Kriteriendiskussion in die Jurisprudenz systematisch nichts gewonnen, weil aus der Faktizität der internationalrechtlichen Normen allein ihre Geltung prinzipiell nicht abgeleitet werden kann.«93

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Ebd. Vgl. ebd. und a. a. O., 58. A.a.O., 53. Ebd. A.a.O., 54. Vgl. a. a. O., 67 f. Vgl. a. a. O., 59. A.a.O., 69.

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Impulse Barths für die aktuelle friedensethische Debatte

In einer seiner jüngsten Ausführungen stellt H.-R. Reuter94 gegenüber den von Körtner und Haspel erhobenen Einwänden klar : »Ethik und Recht sind nicht identisch. Auch Friedensethik ist nicht durch Völkerrecht ersetzbar, aber sie muss auf das Völkerrecht bezogen bleiben. Aus dem notwendigen Bezug der Ethik auf das Recht erklärt sich die unter anderem in frühere EKD-Äußerungen eingegangene Rede von einer ›Ethik der Rechtsbefolgung‹. Damit ist zwar eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bestimmung des Verhältnisses von Friedensethik (oder Ethik der internationalen Beziehungen) und Völkerrecht gegeben. Denn ethischer Reflexion bedürfen nicht nur die Befolgung, sondern auch die Fortentwicklung, die Prinzipien und die Anwendungsräume völkerrechtlicher Normen.«95 Es bedarf also einer ethischen Reflexion des Völkerrechts, wie Reuter nachdrücklich unterstreicht, und zwar aus mehreren Gründen:96 Erstens müsse geklärt werden, von welchem ordnungspolitischen Modell einer rechtsbasierenden Weltfriedensordnung man auf globaler Ebene ausgehen wolle (etatistisches Modell des Staatenbundes, kosmopolitisches Modell der Weltrepublik oder kooperativ verfasste Ordnung ohne Weltregierung gestützt auf internationale Organisationen und Regelwerke).97 Zweitens bedürfe es einer ethischen Reflexion des Völkerrechts, um »seine wesentlichen Ordnungsprinzipien unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit zu prüfen«98, und drittens »zur Abwägung von Prinzipienkollisionen und Interpretationsspielräumen, die an-

94 H.-R. Reuter (Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 168) bezeichnet seine Position – ebenso wie W. Lienemann (Verantwortungspazifismus – legal pacifism, 75 – 99) – als Rechts- bzw. Verantwortungspazifismus (legal pacifism): »Das Projekt des legal pacifism ist darauf gerichtet, wie den innerstaatlichen, so auch den zwischenstaatlichen Naturzustand durch einen vereinbarten Rechtszustand zu überwinden, in dem die einzelnen Glieder der Rechtsgemeinschaft auf die eigenmächtige Bereithaltung und Anwendung von Gewaltmitteln verzichten. In einer solchen Rechtsordnung kann es keinen ›gerechten Krieg‹ mehr geben, allenfalls und äußerstenfalls den rechtmäßigen Gebrauch militärischer Gewalt – verdiente doch eine Rechtsordnung (und sei es eine internationale) ihren Namen nicht, wenn sie gegenüber unrechtmäßiger Gewalt ohnmächtig bliebe.« H.-R. Reuter, Die »humanitäre Intervention« zwischen Recht und Moral, 75. 95 Ders., Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 39. Ebenso entschieden weist W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 126) darauf hin, dass »das Völkerrecht ethisch hinterfragbar [bleibt], weil die Ethik nicht durch das Recht substituiert werden kann. Wäre es anders, könnte die EKD nicht die faktische Handlungsunfähigkeit der UN oder des Weltsicherheitsrates in bestimmten Situationen kritisieren und die Fortentwicklung des Völkerrechts nach ethischen Kriterien fordern.« Vgl. auch die grundsätzliche Bemerkung von H.G. Ulrich (Wie Geschöpfe leben, 204): »Niemand soll glauben, sich neben das Recht oder über das Recht stellen zu können, um ein neues zu schaffen. Recht muss fortgesetzt, fortgeschrieben werden.« 96 Vgl. zu den Gründen H.-R. Reuter, Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 39 f. 97 So auch Kirchenamt der EKD (Hg.), Aus Gottes Frieden leben, 57 f. Vgl. auch H.-R. Reuter, Was ist ein gerechter Frieden?, 182. 98 Ders., Gerechter Friede und »gerechter Krieg«, 40.

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Ansätze zum Konzept eines »gerechten Friedens«

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gesichts von Regelungslücken bei der Durchsetzung völkerrechtlicher Normen auftreten.«99

3.

Ansätze zum Konzept eines »gerechten Friedens« bei K. Barth

Welchem Paradigma lässt sich Barths christologische Grundlegung seiner Friedensethik positionell auf dem Hintergrund der soeben dargestellten gegenwärtigen friedensethischen Debatte zuordnen? Auf welcher Seite hätte Barth wohl gestanden? Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen100 zu Barths Rezeption der Kriterien des gerechten Krieges und seiner gleichsam simultan erfolgenden Abgrenzung gegenüber der ihm bekannten bellum-iustum-Tradition vermag die These sicherlich nicht allzu sehr überraschen, dass der Schweizer Theologe gegenwärtig wohl für die Ausprägung einer Theorie des gerechten Friedens plädiert hätte.101 Barth greift zwar die Kriterien des gerechten Krieges auf, stellt sie aber in einen anderen Referenzrahmen als den der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg. Insofern lässt sich Barth nicht für die Forderung einer Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg vereinnahmen. Barths Rückgriff auf besagte Kriterien bestätigt insofern den grundlegenden Konsens in der gegenwärtigen Debatte, wonach die Kriterien des gerechten Krieges als Instrumentarium der ethischen Urteilsbildung bzw. die Bewertung militärischen Gewaltgebrauchs unumgänglich sind. Die Tatsache, dass Barth die von ihm vor allem im Rahmen seiner GrenzfallArgumentation aufgegriffenen Kriterien der bellum-iustum-Tradition, die er im Sinne eines äußerst eng gefassten Notwehrrechtes interpretiert, höchst selten explizit als solche benennt, mag als sein Beitrag zu einer semantischen Verschleierung (Vorwurf 2) interpretiert werden. Für Barth gilt indes, was für die (weitestgehend erst projektierte)102 Lehre vom gerechten Frieden allgemein gilt: »Nicht alle Elemente der Lehre vom gerechten Krieg werden durch die Lehre vom 99 Ebd. 100 Vgl. Abschnitt II.3.2.3.3. der vorliegenden Untersuchung, in dem der Nachweis geführt wurde, dass alle »klassischen« Kriterien der Lehre vom gerechten Krieg in Barths Schrifttum zu finden sind. 101 So auch H. Falcke, Der prekäre Grenzfall, 31. Vgl. auch M. Hofheinz / G. Plasger, Ernstfall Frieden, 9 f.; A. Maßmann, Bürgerrecht im Himmel und auf Erden, 241. 102 So auch W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 120.128. E.M. Pausch (Brauchen wir eine neue Friedensethik?, 26) betont ebenfalls, »dass die Lehre vom gerechten Frieden ständig weiter entwickelt werden muss. Nur in diesem Sinne einer qualifizierten Unabgeschlossenheit bildet sie einen unverzichtbaren Teil der verantwortungsorientierten christlichen Sozialethik für die globalisierte Multikultur des neuen Jahrhunderts.«

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Impulse Barths für die aktuelle friedensethische Debatte

gerechten Frieden gegenstandslos. Manche Elemente, etwa die Kriterien der überkommenen Lehre oder der Gedanke der ›ultima ratio‹, lassen sich innerhalb des neuen Paradigmas rekonstruieren und werden insofern aufbewahrt. Man kann daher auch sagen: Zwischen den beiden Lehren besteht keine völlige Diskontinuität. Vielmehr spricht einiges dafür, die Lehre vom gerechten Frieden als Fortentwicklung der Lehre vom gerechten Krieg zu verstehen, die deren Horizont systematisch erweitert und die grundbegrifflich eine größere Stimmigkeit anstrebt.«103 H. Falcke plädiert dafür, »die Wahrheitselemente der Lehre vom justum bellum in einer Lehre von der justa pax zur Sprache zu bringen.«104 Man sollte K. Barth nun nicht kurzerhand zum Ahnherren der Theorie des gerechten Friedens stilisieren,105 wird aber auch nicht die Augen davor verschließen dürfen, dass sich Ansätze zu dieser noch zu entwickelnden Theorie sehr wohl bei Karl Barth finden lassen. Ein fertiges Lehrgebäude einer Theorie vom gerechten Frieden hat aber auch Barth nicht hinterlassen. Mit Recht führt jedoch W. Huber K. Barths Gebrauch des Begriffs »gerechter Frieden« neben der Begriffsprägung durch den Kirchenvater Augustin und der Verwendung der Formel beim US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson als wichtige begriffs- und ideengeschichtliche Etappe im Prozess der Etablierung des neuen Paradigmas vom »gerechten Frieden« an.106 In der Tat können sachgemäße Hinweise zum historischen Hintergrund dieses Begriffs nicht ohne Rekurs auf K. Barth erfolgen, zumal dieser sich im Zweiten Weltkrieg mehrfach klar und eindeutig zum Leitbild des gerechten Friedens bekannt hat. In dem Gebet nach seiner Predigt vom 24. September 1939 bittet Barth »um einen gerechten Frieden unter den heute entzweiten Völkern«107 und in seinem Brief vom 7. 10. 1939 an seinen Freund W.A. Visser’t Hooft fragt Barth kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges suggestiv : »Sollen die Kirchen jetzt wieder einfach um den Frieden in blanco beten (1938, in den Tagen von München haben sie es bekanntlich getan), oder bewusst und bestimmt um einen gerechten 103 W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 128. 104 H. Falcke, Aspekte der gegenwärtigen Friedensdiskussion beleuchtet durch Karl Barths Friedensethik, 180. 105 Dies wäre begriffs- und ideengeschichtlich verkürzt, insofern die Wurzeln des Kompositums »gerechter Frieden« biblischer Natur sind (vgl. etwa Ps 85,11; Jes 32,17) und lange vor Barth bereits Augustin dieses Begriffspaar verwendet hat. 106 Vgl. W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 119. Zu nennen ist fernerhin auch L. Ragaz, bei dem der Begriff »gerechter Friede« – wie E. Busch (Verantwortung für den Frieden, 70 – 83, bes. 72 ff.) gezeigt hat –, u. a. im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielt, »hier mit dem Akzent, daß es für diese [außerdeutschen] Kirchen keinen ›Frieden um jeden Preis‹ geben dürfe, nicht nur darum, weil bei einem Versäumnis in Sachen eines gerechten Friedens der Krieg unvermeidlich, sondern auch darum, weil man bei solchem Versäumnis nicht mehr wisse, wofür dann notfalls auch ein Krieg zu führen ist.« Ders., »Willst du den Frieden, so bereite ihn vor«, 542. 107 K. Barth, Predigten 1935 – 1952, 182.

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Ansätze zum Konzept eines »gerechten Friedens«

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Frieden und deshalb bewusst und bestimmt (den Willen Gottes, der auch die beste Sache unterliegen lassen kann, vorbehalten!) um den Sieg dieser und nicht jener Waffen?«108 Barth votiert eindeutig für letzteres. Frieden kommt für ihn als ein Frieden um jeden Preis, etwa in Gestalt einer Pax Germanica, d. h. als fauler und ungerechter, als ein Frieden nach der Vorstellung A. Hitlers, nicht in Frage, sondern nur als ein gerechter Frieden, weshalb sich Barth in seinem Brief vom 21. 2. 1940 gegenüber W.A. Visser’t Hooft erfreut darüber zeigt, dass auch der Bischof von Chichester, G. Bell, nicht nur einen baldigen Frieden, sondern »ausdrücklich ein[en] gerechte[n] Friede[n]« will, ja »einen dauerhaften Frieden verlangt und also nicht nur Restituierung von Prag und Warschau, sondern bestimmte Sicherungen für die Zukunft«109. Wie W. Huber zu Recht hervorhebt, schließt Barths Votum für einen gerechten Frieden folgende Elemente ein: »die Einsicht in den unauflöslichen, substanziellen Zusammenhang von Recht, Gerechtigkeit und Frieden, die nüchterne Wahrnehmung der jeweiligen weltpolitischen Realität, das Erkennen der denkbaren äußersten Möglichkeit, als Christ unter Umständen einen bewaffneten Konflikt austragen zu müssen und schließlich die vernünftige Kalkulation der möglichen Folgen einer militärischen Auseinandersetzung – oder aber der Folgen der Unterlassung einer solchen.«110 Barth hat die beiden »tragenden Pfeiler der Lehre vom gerechten Frieden«111 herausgearbeitet, nämlich die Gedanken, dass erstens der Friede das ausschließliche Ziel und der Inhalt aller Politik sein soll und dass zweitens die Ursache des Friedens in dem komplexen Zusammenhang besteht, der Recht und Gerechtigkeit mit umfasst.112 Dies lässt sich anhand der Barthschen Formel Si vis 108 K. Barth – W.A. Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930 – 1968, 108. Bei W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 119), W. Lienemann (Frieden, 43), F. Mathwig (Frieden, 301 f.) und E.M. Pausch (Brauchen wir eine neue Friedensethik?, 27) wird dieser Brief Barths allerdings falsch, nämlich auf den 13. April 1939 statt den 7. Oktober 1939, datiert. 109 K. Barth – W.A. Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930 – 1968, 129 (Brief K. Barths vom 21. 2. 1940). 110 W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 119. 111 A.a.O., 127. 112 Diese beiden »tragenden Pfeiler«, die W. Huber benennt, entsprechen den beiden Grundcharakteristika, die M. Haspel (Die »Theorie des gerechten Friedens«, 210 f.) in umgekehrter Reihenfolge als gemeinsame Merkmale der verschiedenen Ansätze anführt, die unter dem terminologischen Dach des gerechten Friedens subsumiert werden: »Erstens gehen die Ansätze davon aus, dass ›Weltfrieden und internationale Sicherheit‹, wie es in der Charta der Vereinten Nationen heißt, nicht nur durch die Vermeidung und Unterdrückung militärischer Eskalation von Konflikten bewahrt und hergestellt werden können, sondern dass Frieden auf eine gerechte politische und ökonomische Weltordnung angewiesen ist, wobei die Wahrung der Menschenrechte ein wesentliches Merkmal einer solchen Ordnung darstellt. […] Zweitens ist bei den Vertreterinnen und Vertretern einer Lehre vom gerechten Frieden eine Übereinstimmung in der Hinsicht festzustellen, dass sie eine ›Präferenz für die Gewaltfreiheit‹ oder negativ ausgedrückt eine ›presumption against war‹ vertreten.« Der

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Impulse Barths für die aktuelle friedensethische Debatte

pacem, para pacem explizieren, die Barths richtungsweisende Umkehrung der friedensethischen Logik treffend pointiert. Ohne allerdings auf Barth zu verweisen, bringt Huber das Neue der Lehre vom gerechten Frieden, welches die vorrangige Option für Gewaltfreiheit bei der Lösung von Konflikten übersteige, auf diese von Barth geprägte Formel.113 Hieß es früher : »Wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg« (si vis pacem, para bellum), so lautet heute die Maxime: »Wenn du keinen Krieg willst, sorge für Frieden« (si non vis bellum, para pacem!)114. Diese Maxime zeigt einen friedensethischen Epochenwechsel an.115 War bis in die 1950er Jahre hinein der mainstream der ethischen Reflexion der Legitimität militärischer Kriegsgewalt eher eine Kriegsethik gewesen,116 so etablierte sich in der deutschsprachigen theologischen Ethik nicht zuletzt in Folge der Ausführungen Barths die disziplinäre Bezeichnung »Friedensethik« für diesen Gegenstandsbereich.117 Barth markiert den geradezu »epochalen« Einschnitt bewusst trennscharf. Was meint diese unabgegoltene Maxime? In Barths eigenen Worten: Wer den Frieden will, der bemühe sich um »die Herstellung einer für Alle sinnvollen und gerechten Lebensordnung«118. Friedenspolitik hat demzufolge auf eine gerechte

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zweite Aspekt fordert geradezu eine »inhaltliche Orientierung auf Entwicklungspolitik und zivile Konfliktbearbeitung«. A.a.O., 211. W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 120) schreibt diese Formel D. Senghaas / E. Senghaas-Knobloch zu. K. Barth, KD III/4, 517. Vgl. D. Senghaas / E. Senghaas-Knobloch (Si vis pacem, para pacem, 245): »Militärische Friedenssicherung – si vis pacem, para bellum – war jahrhundertelang und ist immer noch die weltweit akzeptierte Maxime politischen Handelns. Sie gilt als Inbegriff der Realpolitik, mit der die Sicherung des Friedens letztlich durch ein geschicktes, militärisch abgesichertes Machtmanagement angestrebt wird. Seinen ›Höhepunkt‹ hatte dieser Ansatz in den vergangenen vierzig Jahren im System wechselseitiger Abschreckung. Im Unterscheid zu dieser ›realpolitischen‹ Leitperspektive ist die Maxime si vis pacem, para pacem noch immer ungebräuchlich. Nur selten wird sie zitiert, und wenn, dann meist polemisch und abwehrend: als Inbegriff weltfremder ›Idealpolitik‹, die angeblich die ›harten Tatsachen‹ der internationalen Politik nicht in Rechnung stelle.« So M. Haspel, Die »Theorie des gerechten Friedens«, 210. Auf die Entwicklung der Friedensethik innerhalb der beiden Konfessionen seit dem Zweiten Weltkrieg zurückblickend, bemerkte A. Boyens (Ein gemeinsames Wort der Kirchen zum Frieden?, 59) im Jahr 1982, dass ein gemeinsamer Weg zurückgelegt wurde: »Dieser Weg führte von der Lehre vom gerechten Krieg zur Lehre vom gerechten Frieden.« Boyens hat dabei Tendenzen der ökumenischen Friedensdiskussion im Blick, die sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre massiv verstärkten. Was den beschriebenen Hergang betrifft, so spielte u. a. die Friedensethik K. Barths eine entscheidende Rolle. Vgl. auch E.M. Pausch, Brauchen wir eine neue Friedensethik?, 19. Unterschiedliche Rekonstruktionen der Diskursverläufe im deutschen Nachkriegsprotestantismus hinsichtlich der friedensethischen Diskussion haben M. Haspel (Friedensethik und Humanitäre Intervention, 35 – 77), H.-R. Reuter (Leitkonzeptionen protestantischer Friedensethik in Deutschland von 1945 bis 1990, 583 – 588) und V. Stümke (Der Streit um die Atombewaffnung im deutschen Protestantismus, 49 – 70) vorgelegt. K. Barth, KD III/4, 526.

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politische und ökonomische Weltordnung abzuzielen. Eine solche Ordnung umreißt Barth in Grundzügen in seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946) in den Ziffern 15 – 26, wobei jede Ziffer gleichsam ein Grundcharakteristikum einer solchen Ordnung wiedergibt:119 1. (Ziffer 15) Der Mensch ist in einer solchen Ordnung »das Maß aller Dinge«120, wie Barth entsprechend dem Homo-mensura-Satz des Sophisten Protagoras betont, den Barth freilich nicht im Sinne eines epistemischen Relativismus, sondern gleichsam als den entscheidenden »fundamentalpolitischen« Grundsatz interpretiert: »Der Mensch hat nicht den Sachen, sondern die Sachen haben dem Menschen zu dienen.«121 Insbesondere das Recht darf und soll dem Menschen dienen, was es entsprechend seiner Doppelfunktion genau dann tut, wenn es »als Menschenrecht der Begrenzung und Bewahrung eben des Menschen«122 dient. 2. (Ziffer 16) Eine funktionierende Friedensordnung ist eine rechtsstaatliche Ordnung, für die sich das unveräußerliche Recht auf Rechte123 im Sinne der Kantschen These vom einzigen Menschenrecht als konstitutiv erweist.124 Auch bei Barth tritt dieses einzige Menschenrecht als Recht auf Rechtssubjektivität in den Blick, wenn er festhält, dass niemand »von der Beugung 119 Die Politikwissenschaftler D. Senghaas / E. Senghaas-Knobloch (Si vis pacem, para pacem) nehmen – wie Barth – eine dezidierte »para-pacem-Perspektive« (a. a. O., 268) ein, so dass es nicht verwundert, dass sich die vier von ihnen aufgezeigten Komponenten eines differenzierten Friedenskonzepts, nämlich Rechtsstaatlichkeit (vgl. a. a. O., 246 – 250), institutionalisierte, zwischenstaatliche Erwartungsverlässlichkeit vor allem im Rahmen des Völkerrechts (a. a. O., 251 – 254), ökonomischer Ausgleich (vgl. a. a. O., 254 – 258) und Empathie / Verantwortungsgefühl (a. a. O., 258 – 261) weitestgehend mit Barths Grundcharakteristika decken oder zumindest kompatibel sind. Dasselbe gilt auch für die sieben Thesen, mit denen W. Lienemann (Frieden, 157 f.) die »wichtigen, bleibenden Grundzüge der Stellungnahmen der Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert« zusammengefasst hat. Ähnlich F. Mathwig, Frieden, 293 f. 120 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 67. 121 A.a.O., 68. 122 A.a.O., 67 f. 123 Vgl. H. Arendt, Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, 152 – 167. H.G. Ulrich (Wie Geschöpfe leben, 420) hält präzise fest: »Es gibt nur ein einziges Menschenrecht, das Recht, Rechte zu haben, das Recht ein Bürger zu sein – mit dieser Erkenntnis hat Hannah Arendt festgehalten, was mit dem Status politicus im Blick ist: die vorgängige und nicht zu thematisierende Gegebenheit des Bürger-Seins aller Menschen. Diese kann nicht abhängig sein von Prozeduren der Anerkennung oder der Rücksichtnahme, sie kann überhaupt nicht prozedural abgesichert werden, wie es Legitimationsdiskurse nahe legen, sie gehören zu dem, worin konvergiert, was menschliches Leben trägt.« Ebenso ders., Erfahren in Gerechtigkeit, 367. 124 Vgl. dazu I. Kants (Metaphysik der Sitten, AB 45) Grundformel: »Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit, zustehende Recht.«

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unter das gemeinsam als Recht Erkannte und Anerkannte, aber auch vom Schutze dieses Rechtes«125 ausgenommen werden darf. Alles politische Handeln ist gemäß Barth »unter allen Umständen durch dieses Recht geregelt«126. (Ziffer 17) Eine solche Friedensordnung zeichnet sich durch ein Streben nach einem »Höchstmaß von sozialer Gerechtigkeit«127 aus. Auf diese Ausrichtung hat Barth zufolge die Christengemeinde in ihrer Parteilichkeit für die Armen, »im Einsatz und Kampf für die soziale Gerechtigkeit«128 zu drängen. Barth konzipiert demzufolge den Rechtsstaat als sozialen Rechtsstaat. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass das Recht unter der Zielvorgabe gestaltet wird: »Wer wenig im Leben hat, soll viel im Recht haben«129. (Ziffer 18) Des Weiteren kennzeichnet eine Garantie des Grundrechtes der Freiheit eine solche Friedensordnung. Freiheit nimmt Barth hier als »Freiheit, seine Entscheidungen in der politisch rechtlichen Sphäre nach eigener Einsicht und Wahl und also selbständig zu vollziehen [, sowie als] Freiheit einer Existenz in bestimmten politisch rechtlich gesicherten, aber nicht politisch rechtlich geordneten und regulierten Sphären (Familie, Bildung, Kunst, Wissenschaft, Glaube)«130 in den Blick. (Ziffer 19) Eine solche Friedensordnung basiert nach Barth »auf der Grundpflicht der Verantwortlichkeit«131, die sich auf den »ganzen Bereich seiner [des Bürgers] Freiheit«132 erstreckt. Diese Grundpflicht entspricht dem paulinischen Bild aus 1Kor 12, wonach die Christengemeinde ein Leib ist, der (weil dem Haupt auch) den Gliedern verpflichtet ist.133 Die in diesem

K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 68. Ebd. A.a.O., 69. Ebd. Dieser, einer Formulierung des Barth-Schülers H. Simon (vgl. den gleichnamig betitelten Aufsatz »Wer wenig im Leben hat, soll viel im Recht haben«, 338 – 357) entliehene Grundsatz trifft der Sache nach Barths Überzeugung von der Notwendigkeit der Ausgestaltung der Rechtsstaates im Sinne sozialer Gerechtigkeit. Vgl. auch H. Simon, Karl Barth, 205 – 229. K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 69. A.a.O., 70. Ebd. Die paulinische Passage hat – wie W. Lienemann (Frieden, 190) hervorhebt – eine gleichsam säkularisierte Parallele in I. Kants Schrift »Zum ewigen Frieden« (BA 45): »Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen (engeren und weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen geführt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische oder überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex, sowohl des Staats- als des Völkerrechts zum öf-

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Bild zum Ausdruck kommende christliche Haltung entspricht wiederum der Individualismus wie Kollektivismus überwindenden, als Ausdrucksform der Grundpflicht der Verantwortung zu verstehenden Haltung gegenüber dem Recht, »über das die Einzelnen wie das Ganze nicht zu herrschen, sondern nach dem sie zu fragen, das sie zu finden, dem sie – immer zur Begrenzung und Bewahrung des Menschen – zu dienen haben.«134 6. (Ziffer 20) Indifferenz gegenüber der »Gleichheit der Freiheit und Verantwortlichkeit aller als mündig anzusprechenden Bürger«135 im Sinne der Gleichheit vor dem Gesetz erweist sich als nicht mit der Friedens- bzw. Lebensordnung kompatibel. K. Barth votiert deshalb für die Aufhebung der Beschränkung politischer Freiheit für Klassen, Rassen und Geschlechter (Sexismus).136 7. (Ziffer 21) Eine tragfähige Friedensordnung verlangt nach Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative: »Kein Mensch ist ein Gott, der die Funktionen des Gesetzgebers und des Regenten, die des Regenten und die des Richters ohne Gefährdung der Souveränität des hier wie dort zu respektierenden Rechtes in seiner Person zu vereinigen vermöchte.«137 8. (Ziffer 22) Ebenso verlangt die Friedensordnung nach der Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit, die in einem Verzicht auf Geheimpolitik und Geheimdiplomatie resultiert: »Wo Freiheit und Verantwortlichkeit im Dienst der Bürgergemeinde Eines sind, da kann und muß vor Aller Ohren geredet, vor Aller Augen gehandelt werden, da können und müssen der Gesetzgeber, der Regent und der Richter – ohne sich das Heft durch das Publikum verwirren zu lassen, ohne von diesem abhängig zu werden – grundsätzlich nach allen Seiten zur Rechenschaft bereit sein.«138 9. (Ziffer 23) Presse- und Meinungsfreiheit gehört nach Barth ebenfalls zu einer Friedensordnung, die mit »allem Dirigieren, Kontrollieren und Zensurieren der öffentlichen Meinungsäußerung nichts zu tun haben«139 will. 10. (Ziffer 24) Zur Rechtsstaatlichkeit als Konstitutionsbedingung der Friedensordnung gehört die Begrenzung der staatlichen Gewalt im Dienst des Rechts. Die Selbstbegrenzung des Staates weist seine Gewalt als potestas und

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fentlichen Menschenrecht überhaupt, und so zum Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.« K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 70. Ebd. Die Ausführungen in den letzten drei Ziffern (18 – 20) sind – abgesehen von der Reihenfolge – fast deckungsgleich mit den drei von I. Kant (Über den Gemeinspruch, A 234 f.) genannten Prinzipien, die apriori den »bürgerlichen Zustand« begründen: »1. Die Freiheit jedes Menschen der Sozietät, als Menschen. 2. Die Gleichheit desselben mit jedem anderen, als Untertan. 3. Die Selbständigkeit jedes Gliedes eines gemeinen Wesens, als Bürger.« K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 71. Ebd. A.a.O., 72.

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eben nicht potentia aus: »[D]ie Gewalt des rechten Staates unterscheidet sich von der des unrechten wie potestas und potentia. Potestas ist die dem Recht folgende und dienende, potentia ist die dem Recht vorangehende, das Recht meisternde, beugende und brechende Gewalt – die ›Macht an sich‹«140. 11. (Ziffer 25) Ohne transnationale Verantwortungsübernahme der einzelnen Staaten (in Entsprechung zur von Hause aus ökumenischen Orientierung der Christengemeinde)141 kann eine funktionierende Friedensordnung keinen Bestand haben. Insofern gilt es »grundsätzlich immer für Verständigung und Zusammenarbeit im größeren Kreis ein[zu]treten.«142 Die von Barth anvisierte Friedenordnung stellt mit anderen Worten eine internationale, auf Kooperationen basierende Friedensordnung dar. 12. (Ziffer 26) Gewissermaßen als Summe seiner Charakterisierung der anzuvisierenden Friedens- und Lebensordnung hebt Barth die Notwendigkeit einer aktiven, »wirklich bis an die Grenzen des Menschenmöglichen gehenden Friedenspolitik«143 hervor. Barth fokussiert hier den Grenzfall144 der Ausübung von Gewalt im Dienst des Rechts und des Friedens: Dementsprechend spricht er sich gegen ein Eintreten für »einen absoluten Frieden, den Frieden um jeden Preis« aus, votiert aber zugleich entschieden hinsichtlich des vom Grenzfall zu unterscheidenden (nahezu ausschließlich vorherrschenden) Normfalls »für die Erhaltung und Wiederherstellung des Friedens im Inneren und nach außen«145. Eine deutliche Präferenz für Gewaltfreiheit bzw. eine nachdrückliche »presumption against war« verschafft sich hier Gehör. Für Friedenserhaltung und -wiederherstellung kann nach Barth kein Preis als zu hoch angesehen werden – »außer dem letzten, der in der Aufhebung und Zerstörung des rechten Staates und damit in der praktischen Verleugnung der göttlichen Anordnung bestehen würde«146. Die zwölf aufgeführten Grundcharakteristika der von Barth befürworteten Friedenordnung lassen sowohl in der Summe als auch im Einzelnen erkennen, 140 Ebd. Die »Macht an sich« hatte K. Barth (Römerbrief I, 501) – bezogen auf den Machtstaat – im Anschluss an J. Burkhardt bereits im Ersten Römerbrief als böse bezeichnet: »Der Machtstaat der Gegenwart ist den Absichten Gottes diametral entgegengesetzt; er ist an sich böse.« 141 Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 72 f.: »Indem die Christengemeinde von Hause aus ökumenisch (katholisch) ist, widersteht sie auch im Politischen allen abstrakten Lokal-, Regional- und Nationalinteressen. Sie wird immer je dieser und dieser Stadt Bestes suchen. Sie wird das aber nie tun, ohne gleichzeitig über ihre Mauern hinauszusehen.« 142 A.a.O., 73. 143 A.a.O., 74. 144 Vgl. dazu Kap. II.2. der vorliegenden Untersuchung. 145 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 73. 146 Ebd.

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dass er die primäre Aufgabe des Friedensstiftens in der Entwicklung eines gerechten Sozialstaates bzw. eines sozialen Rechtsstaates, einer sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie147 sieht. Auf der Ausgestaltung des- und derselben beruht s.E. die Stabilität einer »Rechts-, Freiheits- und Friedensordnung«.148 Warum? Weil die Ungerechtigkeit und das Unrecht auch und gerade in sozialem Gewande eine Ursache des Krieges darstellt.149 Nachhaltige Sozial- und Arbeitsmarkt- sowie gerechte Wirtschaftspolitik bilden im Rahmen des Rechtsstaats und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung die wirksamste Kriegsprävention. Von daher befürwortet Barth die Gestaltung des Rechts im Sinne politischer und wirtschaftlicher Partizipationsrechte sowie eine Friedenspolitik in Gestalt von gerechtigkeitsorientierten Gesellschaftsreformen nach Freiheitsprinzipien. So wie nach Jes 32,17 der Friede die Frucht der Gerechtigkeit ist, so muss man nach Barths Überzeugung im Umkehrschluss formulieren: Der Unfriede, der Krieg ist die Frucht der Ungerechtigkeit: »Von einem Frieden her, der kein rechter Friede war, kann der Krieg […] unvermeidlich werden.«150 Ein unrechter Frieden, in dem zwar (noch) die Waffen schweigen,151 trägt die Wurzel des 147 K. Barth (a. a. O., 76) hebt nachdrücklich die Affinität christlich-polischer Urteilsbildung zur sozialen und rechtsstaatlichen Demokratie hervor: »Es ist doch nicht zu übersehen, daß das christlich-politische Unterscheiden, Urteilen, Wählen, Wollen, Sicheinsetzen auf der ganzen Linie eine Tendenz auf die Gestalt des Staates hat, die in den sogenannten ›Demokratien‹ wenn nicht verwirklicht, so doch mehr oder weniger ehrlich und deutlich gemeint und angestrebt ist.« 148 K. Barth, Das christliche Leben, 360. Vgl. B. Klappert, Versöhnung und Befreiung, 267. 149 Von K. Barth werden friedensethische Grundlagen für eine deutliche Einbeziehung von Fragen sozialer Gerechtigkeit gelegt, die in der aktuellen EKD-Friedensdenkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen« (a. a. O., 61 ff.) neu (mit-)berücksichtigt werden. 150 K. Barth, KD III/4, 525. 151 Nach Barths Einschätzung steht die sog. Appeasement-Politik im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges für einen »unrechten Frieden«: Ein signifikantes Beispiel eines solchen unrechten Friedens sieht er konkret in dem im Münchener Abkommen vom 29. 9. 1938 erzielten Frieden. K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 369 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942)) spricht diesbezüglich recht drastisch von einer »durch schändlichen Friedensschluß zustande gekommene Vermeidung des Krieges« oder vom »Unglück von München« (ders., Eine Schweizer Stimme, 255.261 (Die protestantischen Kirchen in Europa, September 1942)). In seinem Brief an den holländischen Pfarrer G.J. Derksen vom 26. 10. 1938 moniert K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 146), dass die Kirche – »mehr mit der Frage nach dem Frieden überhaupt, als, wie es sich gehörte, mit der Frage nach dem rechten Frieden beschäftigt« – nicht gegen Hitlers Vorgehen gegen die Tschechoslowakei im Herbst 1938 protestiert habe. Eine Begründung zu seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Appeasement-Politik liefert K. Barth in seiner Schrift »Des Christen Wehr und Waffen« (1940): »Es bedeutete nämlich der Friede, der den Völkern Europas im letzten Herbst angeboten wurde, die weitere Ausdehnung der Herrschaft eines Geistes, der in Wahrheit ein Ungeist ist: ein Geist der bewußten Lüge, des absichtlichen Unrechts, der grundsätzlichen Menschenverachtung und Menschenvergewaltigung. […]

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Krieges bereits in sich.152 Friedensarbeit aber muss, will sie im kriegspräventiven Sinne effektiv sein, zur Wurzel (radix) vordringen.153 Sie muss in diesem wörtlichen Sinne radikal sein. Sie wird für gerechte Verhältnisse einstehen gegen einen Scheinfrieden, der auf Ungerechtigkeit basiert. Genau dies schärft Barth mit seiner Maxime »Wenn du keinen Krieg willst, sorge für Frieden« ein. Die inhaltliche Orientierung an und Konzentration auf wirksame Sozial- und Entwicklungspolitik sowie zivile Mittel der Konfliktbearbeitung liegen ganz im Gefälle dieser Maxime. Sie dienen nämlich der Ursachenbekämpfung und stellen insofern die effizienteste Sicherheitspolitik dar. Barth rückt damit das Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des friedensethischen Interesses. Die Verbindung der beiden Relata Frieden und Gerechtigkeit bzw. Recht im Sinne eines »integrativen Zusammenhangs«154 entspricht dem biblischen Friedensbegriff.155 Es ist jedoch auf-

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Die Herrschaft dieses Ungeistes ist das, was noch schlimmer ist als der Krieg. Und weil nur der Friede zur Wahl stand, der die Anerkennung der sich ausbreitenden Herrschaft dieses Ungeistes bedeutet hätte, darum mußte im letzten Herbst der Krieg gewählt werden.« (a. a. O., 17). K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 369 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942)) rückt die Appeasement-Politik und den Pazifismus in der Zeit des Zweiten Weltkrieges verschiedentlich in einen Zusammenhang, indem er »unfruchtbare, moralische Träumerei« brandmarkt, die »der ganzen Explosion einer prinzipiellen und aggressiven Gottlosigkeit nur das kraftlose Gerede eines längst unchristlich gewordenen Verständigungswillens und Pazifismus entgegenzuhalten wusste«. Ja, Barth erblickt gar in der Appeasement-Politik die Auswirkung des »Pazifismus der Nachkriegszeit«, der sich »in einer so schrecklichen Lähmung aller und jeder Entschlusskraft auswirk[t]« (ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 113 f. (Brief vom 19. 9. 1938 an J. Hrom‚dka). Bereits im Blick auf die sog. »Machtergreifung« Hitlers wendet sich Barth gegen die »prinzipiellen und utilitaristischen Pazifisten, die die Welt der Überraschung von 1933 gegenüber zunächst wehrlos zu machen so viel beigetragen haben«. Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 373 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). Ders., KD IV/3, 800. »[D]er Krieg ist […] immer nur die äußerste Spitze, der immer wieder in die Sichtbarkeit tretende schlimmste Exponent des Zerstörungswerkes, das hominum confusione schon im sogenannten Frieden in vollem Gange ist, das auch den Frieden immer wieder zur Vorbereitung des Krieges macht.« Vgl. E. Busch, »Willst du den Frieden, so bereite ihn vor«, 542: »Der Krieg ist die Folge dessen, daß der ihm vorangehende Frieden nur ein Scheinfrieden war, bereits ein heimlicher Krieg, der darum als Frieden erscheint, weil er noch kein offener, mit blutiger Waffengewalt geführter Krieg ist. Immerhin ist er noch kein offener Krieg, und will man diesen nicht, so hat man jene Wurzel zu bekämpfen, damit sie nicht diese Folge hat.« Mit der Verwendung des Terminus »integrativer Zusammenhang« wird auf J. Ebachs wichtigen Aufsatz »Gerechtigkeit und …« zurückgegriffen. Ebach interpretiert die Formel des Konziliaren Prozesses »Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« als »integrativen Zusammenhang«, der »dabei auch einschließen [soll], daß das ›und‹ nicht nur additiv und komplementär, sondern auch adversativ sein kann, daß also Gerechtigkeit mit anderen Grundworten und -werten in ein Spannungsverhältnis geraten kann […]. [D]as Entscheidende ist, daß sie nicht immer schon zusammen sind, sondern zusammen kommen sollen. Es gibt […] ebenso einen ungerechten Frieden wie eine Gerechtigkeit, die über Leichen geht.« A.a.O., 20. K. Barths (KD III/4, 525 f.) Vorwurf an die Pazifisten, diesem integrativen Zusammenhang

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fällig, dass Barth das Verhältnis von Frieden und Gerechtigkeit insgesamt recht offen lässt, vermutlich in dem Wissen, »dass es in einer politisch-kulturell pluralen Weltgesellschaft gerade gewaltfördernd wäre, den Frieden an umstrittene materielle Gerechtigkeitsmaßstäbe zu binden.«156 Auffälligerweise benutzt Barth in dem friedensethischen Abschnitt in seiner Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) das Begriffpaar »rechter Frieden«157 und nicht das gegenwärtig geläufigere Begriffskompositum »gerechter Frieden«. Insofern das Adjektiv »rechter« (Frieden) sowohl eine begrifflich-semantische Nähe zum Begriff »Recht« als auch »Gerechtigkeit« (gerechter Frieden) besitzt, geht man sicher nicht falsch in der Annahme, dass Barth mit seiner etwas eigentümlichen Begriffswahl die konstitutive Interdependenz von Frieden, Recht und Gerechtigkeit zum Ausdruck bringen will.158 Die Ursachen des Friedens sind demzufolge in dem komplexen Zusammenhang zu suchen, der Recht und Gerechtigkeit mit umfasst, und nicht etwa davon zu isolieren. Der Begriff »rechter Friede« fungiert insofern als eine Art Hinweisschild im Blick auf die Grundlagen des Friedens: Er macht sichtbar, »worauf Frieden beruht und wie er sich entwickeln kann.«159 Barth pointiert somit:

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nicht wahrzunehmen, d. h. Frieden um jeden Preis – auch um den der Gerechtigkeit – zu wollen und die Gestaltung des Friedens in Richtung einer sozialen Demokratie zu vernachlässigen, wird angesichts vielfältiger Friedensinitiativen und Versöhnungsarbeit (insbesondere der sog. Historischen Friedenskirchen) in Konfliktregionen und Kriegsherden dieser Welt in dieser Weise wohl nicht aufrechtzuerhalten sein: »Das haben ja die Pazifisten und die Militaristen gewöhnlich gemeinsam, daß ihnen die Gestaltung des Friedens als Gestaltung des Staates zur Demokratie und der Demokratie zur sozialen Demokratie, wenn nur erst ›abgerüstet‹ bzw. ›aufgerüstet‹ werde, cura posterior zu sein pflegt. Und eben darin hat die christliche Ethik ihnen beiden zu widersprechen: weder die ›Abrüstung‹ noch die ›Aufrüstung‹ kann cura prior sein, sondern allein die Herstellung einer für Alle sinnvollen und gerechten Lebensordnung.« Vgl. zur Verantwortung der Historischen Friedenskirchen für Frieden und Völkerrecht heute W. Lienemann, Frieden, 190 – 215. H.-R. Reuter, Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 165. Vgl. K. Barth, KD III/4, 525 f.530.533. Die Redeweise vom »rechten Frieden« findet sich auch in: ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 139 (Brief vom 24. 10. 1938 an A. Tromp-de Jong, Holland): »Um des rechten Friedens willen darf die Kirche dem Staat nicht wehren, das Schwert zu führen. Und wieder um des rechten Friedens willen darf sie nicht von ihm verlangen, daß er das Schwert ›umsonst führe‹ (Röm 13,4).« Vgl. ebenfalls ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 382 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942): »Dieses Amt, in welchem sie mitten im Krieg schon den rechten Frieden verkündigt und also den Krieg nur um des rechten Friedens willen (um seinetwillen nun aber mit ganzem Ernst) gutheißt – dieses prophetische Amt ist das Amt der Kirche in diesem Kriege.« Vgl. ders., KD IV/2, 823: »Sollte die Kirche nicht hören, wie die Menschen nach ihr [einer gewissen Korrektur des in der Welt geltenden Rechts; M.H.] schreien, nach Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit in einer Gestalt und in einem Maß, wie sie ihnen in dem, was bisher ›Recht‹ hieß, nicht geboten würden [sic!]?« W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 127.

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»Frieden kann […] nur dort wachsen, wo Recht und Gerechtigkeit gedeihen, und umgekehrt.«160 Innerhalb dieser Trias hat sich Friedensforschung zu bewegen.161 Genau darauf insistiert der Programmbegriff eines »gerechten Friedens«: »Er redet von einem Leben, das bestimmt und geordnet ist durch das Recht, namentlich: in Anerkennung der für alle geltenden Menschenrechte. Er redet ferner von einem Zusammenleben in Solidarität der Beteiligten, in Zurückbindung der Übermacht der Starken und in Aufrichtung aus der Unterlegenheit der Schwachen. Und er redet schließlich von einem Geschehen, in dem Verkehrtheiten und Gegensätze zu-recht-gebracht werden, so dass keiner der Beteiligten sich übergangen fühlen muß, sondern jeder des ihm zum Leben Nötigen gewiß sein darf.«162 Gestaltet werden will ein solches Leben in Frieden,163 auf den der Begriff »gerechter Frieden« abzielt, indem er selbst gleichsam die Richtung der Ausgestaltung vorgibt: »Es gestalte der Staat, es gestalte die für den Staat verantwortliche Gesamtheit seiner Bürger, es gestalte im Leben des Staates jeder Einzelne in seinem Tun und Lassen den Frieden, solange es nicht zu spät ist, so, daß er nicht jener Explosion entgegenführe, den Krieg nicht unvermeidlich, sondern überflüssig und unmöglich mache.«164 Dies ist nach Barth »das Erste, 160 Ebd. Ähnlich U.H.J. Körtner, Christliche Friedessethik in verantwortungsethischer Perspektive, 6; ders., »Gerechter Friede« – »gerechter Krieg«, 375: »[D]auerhafter Frieden [wird] nicht durch Gewalt und Gewaltandrohung, sondern durch Versöhnung, durch Recht und Gerechtigkeit gestiftet und bewahrt«. 161 F. Mathwig (Frieden, 301 f.) hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass sich das sog. »zivilisatorische Hexagon«, welches der Friedens- und Konfliktforscher D. Senghaas (Frieden als Zivilisierungsprojekt, 196 – 223) für einen gehaltvollen Friedensbegriff entwickelt hat, bei näherem Hinsehen als anschlussfähig an K. Barths Konzeption der konstitutiven Verbindung von Frieden, Recht und Gerechtigkeit erweist. Zum klassischen Schema von Senghaas vgl. auch W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 120 f. Auch die von H.-R. Reuter (Was ist gerechter Frieden?, S. 179 ff.) benannten drei Dimensionen des Friedens, nämlich Vermeidung von Gewalt, Förderung der Freiheit, Abbau von Not, lassen sich mühelos bei K. Barth nachweisen bzw. in sein Modell einzeichnen. 162 E. Busch, »Willst du Frieden, so bereite ihn vor«, 543. 163 Im Sinne dieses Gestaltungsauftrages kann K. Barth (Offene Briefe 1935 – 1942, 221 (Brief nach Frankreich, Dezember 1939)) bereits während des Zweiten Weltkrieges Stellung zur Frage nach der post-bellum-Gestalt Deutschlands und einer europäischen Nachkriegsordnung nehmen: Der kommende Friede »wird aber, wenn nicht wieder alles umsonst gewesen sein soll, weiser und gerechter, d. h. vor allem: fürsorglicher sein, er wird darauf bedacht sein müssen, den Menschen des großen und von Natur so benachteiligten mitteleuropäischen Raumes in einer Weise an den Lebensmöglichkeiten der besser situierten andern Völker teilnehmen zu lassen, die es ihm erlaubt, auf ein Weitergehen auf jener fatalen Linie zu verzichten und seine besonderen Gaben, an deren Reichtum und Bedeutsamkeit ja niemand zweifeln kann, so zu entfalten, daß sie ihm selbst und den andern Völkern zum Segen und nicht immer wieder zum Fluch werden. Es war gefährlich, daß man Hitler so lange ›eine Chance geben‹ wollte. Es wäre aber noch viel gefährlicher, wenn man nach dem Kriege nicht bereit wäre, dem deutschen Volke eine ehrliche Chance zu geben.« 164 Ders., KD III/4, 525.

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Grundlegende, Entscheidende«165, was christliche Ethik in Sachen »Frieden« zu sagen hat. Diesen umfassenden Gestaltungsauftrag, der sowohl den Staat als auch die Kirche umfasst, pointiert Barth mit seiner wirkungsgeschichtlich166 überaus folgenreichen Rede vom »Ernstfall Frieden«: »[E]s braucht überhaupt keinen Glauben, Verstand und Mut dazu, mit den Wölfen zu heulen: daß der Krieg leider eben doch zur Ordnung der Welt, zum Leben der Geschichte, zum Wesen des Staates ebenso gehöre wie der Friede und daß man sich zum vornherein auf den Krieg als auf den ›Ernstfall‹ einzurichten habe. Es braucht aber christlichen Glauben, Verstand und Mut dazu – und dazu ist die christliche Kirche, die christliche Ethik da, solchen zu beweisen – den Völkern und Regierungen zuzurufen, daß umgekehrt der Friede der Ernstfall ist: der Fall nämlich, in welchem […] alle Zeit, alle Kraft, alles Vermögen dafür einzusetzen sind, daß die Menschen leben, und zwar recht leben können, um dann zur Flucht in den Krieg keinen Anlaß zu haben. D.h. um dann nicht vom Kriege erwarten zu müssen, was ihnen der Friede verweigert hat.«167 Die Grundintention von K. Barths Rede vom »Ernstfall Frieden« ist deckungsgleich mit der Rede vom gerechten Frieden, welche nach W. Huber darin besteht, »auf diejenigen Konstitutionsbedingungen hinzuweisen, die Frieden in einem qualitativ gehaltvollen Sinn (also nicht als bloße Abwesenheit von Krieg) möglich machen.«168 Der Frieden und nicht mehr der Krieg bildet – wie Huber hervorhebt und in der Lehre vom gerechten Frieden prononciert wird – die Zielperspektive ethischer Reflexion und politischen Handelns: »Die Lehre vom gerechten Frieden benennt schon in ihrem Namen das Ziel und den Maßstab aller Politik, nämlich den Frieden, und zwar den Frieden in einem umfassenden Sinn. Krieg kann nicht das Ziel der Politik sein, jedenfalls nicht aus der Sicht des christlichen Glaubens; und auch nur in Ausnahmefällen kann Krieg ein Mittel der Politik sein. Nur eine konsequente Friedenspolitik ist nachhaltig. Die Lehre vom gerechten Krieg steht in der Gefahr, diesen zwingenden Zusammenhang zu übersehen.«169 Der entscheidende Grundbegriff, auf den theologische Friedensethik ausgerichtet sein muss, kann nicht mehr der Begriff des Krieges, sondern nur der des 165 Ebd. 166 Vgl. etwa die Antrittsrede des ehemaligen Bundespräsidenten G.W. Heinemann (Allen Bürgern verpflichtet, 14) vom 01. 07. 1969: »Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe. Wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben.« Auf Heinemanns (Mit-)Initiative hin wurde am 28. 10. 1970 die »Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung (DGFK)« gegründet. Vgl. a. a. O., 209 ff. 167 K. Barth, KD III/4, 525. 168 W. Huber, Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 120. 169 A.a.O., 127.

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Friedens sein. Man mag diese Grundsatzerklärung hinsichtlich ihrer diskursivbegründungsbezogenen Ausgestaltung als ein psychosemantisches Argument identifizieren,170 wird aber die orientierende Kraft, derer es in den friedens- und sicherheitspolitischen Diskursen bedarf, nicht gering schätzen dürfen. Der Begriff »gerechter Friede« lenkt nun einmal – anders als der des gerechten Krieges171 – »die ethische Besinnung weg von der Vordringlichkeit der Frage, ob man einen Krieg abzulehnen oder zu bejahen hat, ob man sich auf ihn rüsten oder man dagegen protestieren soll, weg von dem Grenzfall des Krieges hin auf den Normalfall des Friedens und die darin sich stellende Aufgabe.«172 Von dieser Aufgabe dispensiert der Utopismus-Verdacht (Vorwurf 1), mit dem der Begriff des »gerechten Krieges« etwa seitens M. Honeckers belegt wurde, keineswegs. Barth hat diesen Vorwurf nicht zuletzt im Rückgriff auf das von ihm seit dem Tambacher Vortrag »Der Christ in der Gesellschaft« (1919) immer wieder gebrauchte Troeltsch-Zitat: »Das Jenseits ist die Kraft des Diesseits«173 entkräftet.174 Zuletzt hat Barth eine solche Entkräftung eindrücklich im »Christlichen Leben« (KD IV/4, Fragment) in seiner Auslegung der VaterunserBitte »Es komme dein Reich!« vollzogen. Im Leitsatz zum § 78 »Der Kampf um menschliche Gerechtigkeit«, den Barth auf diese Bitte bezieht, heißt es: »Die Christen bitten Gott, daß er seine Gerechtigkeit auf einer neuen Erde unter einem neuen Himmel erscheinen und wohnen lasse. Unterdessen handeln sie ihrer Bitte gemäß als solche, die für das Walten menschlicher Gerechtigkeit, d. h. für die Erhaltung und Erneuerung, für die Vertiefung und Erweiterung der von Gott angeordneten menschlichen Sicherungen menschlichen Rechtes, menschlicher Freiheit, menschlichen Friedens auf Erden verantwortlich sind.«175 170 So etwa M. Haspel, Die »Theorie des gerechten Friedens«, 211. In einer seiner jüngsten Äußerungen konzediert M. Haspel (Gerechter Friede – Gerechter Krieg, 45): »Nun bin ich durchaus gewillt, das psychosemantische Argument, man könne den Begriff des Gerechten Krieges nicht mehr verwenden, weil er historisch belastet sei und darüber hinaus in der Wahl der Überschrift die Perspektive des Friedens deutlich werden müsse, ernst zu nehmen.« 171 Dass der Kriegsbegriff der Grundbegriff etwa der Friedensethik derjenigen gewesen sei, die die Lehre vom gerechten Krieg maßgeblich entwickelt bzw. systematisiert haben, wird man freilich mitnichten behaupten dürfen (zu Augustin: vgl. H.-G. Stobbe, Den Frieden denken, 449 – 460; ders., Vom gerechten Krieg zum gerechten Frieden?, 24 – 30; ausführlich: ders., Religion, Gewalt und Krieg, 194 – 215; T.J. Weissenberg, Die Friedenslehre des Augustinus; zu Thomas: vgl. G. Beestermöller, Thomas von Aquin und der gerechte Krieg, 62 – 85; ders., Die Idee des gerechten Krieges als Friedensethik?, 25 – 42; J.T. Johnson, Aquinas and Luther on War and Peace, 3 – 20) und so hält W. Huber (Rückkehr zur Lehre vom gerechten Krieg?, 118) selbst im Blick auf Augustin fest, dass für ihn der sog. »gerechte Krieg« »Mittel zur Herstellung eines gerechten Friedens« war. 172 E. Busch, »Willst du den Frieden, so bereite ihn vor«, 543. 173 E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen, 979. 174 Vgl. etwa K. Barth, Der Christ in der Gesellschaft, 34; ders., Die Theologie Calvins, 98. 175 Ders., Das christliche Leben, 347. Dort kursiv.

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Barth spricht hier von zwischenmenschlicher Gerechtigkeit und zwischenmenschlichem Frieden, die er von göttlicher Gerechtigkeit und göttlicher Frieden unterschieden, aber nicht separiert wissen will.176 Der Friede und die Gerechtigkeit Gottes sind nicht das Produkt menschlicher Poiesis, sondern göttlichen Handelns. Barth setzt diesen göttlichen, mit Gerechtigkeit gekoppelten Frieden auf das Engste zum »Frieden auf Erden« in Beziehung. Letzteren verknüpft er wiederum mit dem Reich Gottes, um durch die Koppelung mit dem Reich-Gottes-Begriff den Friedensbegriff zu dynamisieren, d. h. ihn aus der Statik einer reinen Zustandsbeschreibung zu befreien: »Dieser Friede auf Erden, verwirklicht, indem Gott selbst als König und Herr kommt und ihn schafft und aufrichtet, ist das Reich Gottes. […] Es ist gerade nur wirklich, indem es geschieht, daß Gott selbst als König und Herr kommt, Gerechtigkeit in unserem Verhältnis zu ihm und in unseren Verhältnissen zueinander begründet und so den Frieden auf Erden schafft.«177 Das Reich Gottes wäre indes als Utopia, als »Nirgendwo« bzw. als »Reich ohne Ort« gründlich missverstanden. Es umgreift in Gestalt der göttlichen Friedensund Gerechtigkeits-Poiesis die Erde. Und es ruft »inmitten der menschlichen Ungerechtigkeit und Unordnung nach menschlicher Gerechtigkeit und Ordnung.«178 Den Modus des diesem Ruf entsprechenden Handelns bestimmt Barth in Anlehnung an den jüngeren Blumhardt dialektisch als »eilendes Warten«.179 Dieses umschreibt weder das passiv-quietistische »Hände-in-den-SchoßLegen« noch das titanisch-prometheische »Wir-stellen-den-Frieden-neu-her«. Friedenstiften vollzieht sich vielmehr als »Gelten-Lassen« des uns zuvorgekommenen und zuvorkommenden gerechten Friedens Gottes in Jesus Christus. Als aktive eschatologische Erwartung des gekommenen Friedensstifters lässt sich der Handlungscharakter des Friedenstiftens bestimmen: Christenmenschen »›warten und eilen dem Anbruch des Tages Gottes‹, der Erscheinung seiner Gerechtigkeit, der abschließenden Parusie Jesu Christi entgegen (2. Petr. 3,12). Also: sie warten nicht nur, sie eilen auch – vielmehr : sie warten, indem sie eilen, ihr Warten selbst geschieht in diesem ihrem Eilen. Ausgerichtet auf Gottes Reich, jetzt schon nicht auf den status quo, sondern auf sein Kommen eingerichtet, blicken sie nicht nur nach ihm aus, sondern eben: laufen sie ihm – und das, so schnell ihre Füße tragen wollen – entgegen.«180 Diese Dialektik des eilenden Wartens entkräftet und überwindet den Utopismus-Vorwurf, indem sie

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Vgl. Abschnitt I.2.2. der vorliegenden Untersuchung. K. Barth, Das christliche Leben, 405 f. A.a.O., 410. Vgl. N. Biggar, The Hastening that Waits, 77 f.; H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 63 f. 180 K. Barth, Das christliche Leben, 456.

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den Begriff des »gerechten Friedens« im Rahmen der für das Reich Gottes charakteristischen Verschränkung von Gegenwart und Zukunft interpretiert. Die Bitte um das Kommen des Reiches Gottes nimmt im Sinne des »Fiat Justitia!« für ein Tun im Einsatz und Kampf für Frieden, Gerechtigkeit und Recht in Anspruch. Insofern ist von dieser Dialektik auch das menschliche Recht und im Zusammenhang von Gerechtigkeit und Recht ebenfalls der Vorwurf des Rechtspositivismus (Vorwurf 3) betroffen. Barth entkräftet diesen Vorwurf dadurch, dass er einerseits als vehementer Verteidiger des Rechts und des Rechtsstaates in Wort und Schrift auftritt und das Recht gleichzeitig nicht von der Frage nach Gott und nach der Gerechtigkeit isoliert. Im nächsten Abschnitt (4.) wird dieser Konnex zur Sprache kommen.

4.

K. Barths Beitrag zur Theoriebildung der theologischen Friedensethik. Eine programmatische Schlussbemerkung

4.1.

Die Aufgabe einer theologischen Friedensethik: Die friedensstiftende Kraft von Recht und Kirche ethisch reflektieren. K. Barths doppelte Akzentsetzung

Die Zuordnung der Friedensethik K. Barths zur Lehre vom sog. »gerechten Frieden« als adäquatem Reflexionsrahmen für eine Friedensethik weist auf die zentrale Bedeutung hin, die im theologisch-ethischen Denken K. Barths dem zukommt, was im gegenwärtigen Ethik-Diskurs mit dem Begriff »Rechtsethik«181 bezeichnet wird. Unter Rechtsethik kann man nach der Definition von H.-R. Reuter denjenigen »Teil der Ethik oder Moraltheorie« verstehen, »der die Frage nach dem richtigen oder gerechten Recht und insofern nach Kriterien moralischer Gültigkeit rechtlicher Regeln und Institutionen zum Gegenstand hat«182. Zweifelsohne ist die rechtliche Ordnung bei Barth relevant für seine ethische Urteilsbildung. Die Rechtsbefolgung kann sogar bei Barth geradezu zu einem ethischen Kriterium anvancieren, wie seine Verweigerung zeigt, die Neutralität 181 Vgl. dazu die umfassenden Darstellungen von W. Huber, Gerechtigkeit und Recht, und H.R. Reuter, Rechtsethik, sowie im profanethischen Bereich von D. von der Pfordten, Rechtsethik, 202 – 301. Auch die friedensethischen Darstellungen W. Lienemanns (siehe Literaturverzeichnis) bewegen sich in diesem Reflexionsrahmen. Kritisch dazu verhält sich M. Honecker (Rezension zu H.-R. Reuter, Rechtsethik, 358), der befürchtet, »daß sowohl das Recht moralisiert als auch die Ethik verrechtlicht wird«. Vgl. ders., Themen und Tendenzen der Ethik, 128. 182 H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 13. So der Sache nach auch ders., Art. Recht/Rechtstheologie/Rechtsphilosophie V., 227.

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der Schweiz durch einen Angriff auf Nazi-Deutschland preiszugeben: »Wir können uns von uns aus nicht an diesem Krieg beteiligen wollen. Es wäre angesichts unsrer feierlichen früheren Erklärungen Wortbruch, wenn wir das täten. Wir würden uns damit, auch wenn wir es noch so gut meinten, derselben Treulosigkeit schuldig machen, die eine der schlimmsten Eigenschaften eben des Ungeistes ist, dem heute gewehrt werden muß. Wir haben die bedrohte europäische Ordnung an unserem Teil damit aufrecht zu erhalten, daß wir unsere versprochene und garantierte Neutralität aufrechterhalten. Mit jener ist ja auch diese bedroht. Und gerade indem wir diese zu schützen versuchen, schützen wir an unserem Teil auch jene.«183 Zentrale rechtsethische Forderungen wie die Bindung von Gewalt an das Recht, die Verrechtlichung von Konfliktlösungsmechanismen, sowie die vorrangige Option für Gewaltfreiheit begegnen uns – wie gezeigt wurde – durchgängig bei Barth. In den aktuellen rechtsethischen Entwürfen kommt der Rechtsphilosophie I. Kants eine zentrale Bedeutung zu. Berechtigterweise hebt W. Lienemann einige Gemeinsamkeiten der Rechtsethik K. Barths und der Konzeption I. Kants hervor : »Es ist kein Zufall, dass Barth zu Beginn [des Abschnittes zu Frieden und Krieg in der Ethik der Schöpfungslehre; M.H.] an I. Kant und B. v. Suttner erinnert, und mit Kants Schrift »Zum ewigen Frieden« (1795) teilt er die Überzeugung, dass es nicht (mehr) zur normalen Aufgabe eines Staates gehören kann, Kriege zu führen und vorzubereiten […], sondern alles darauf ankommt, die unerlässlichen politischen Bedingungen eines internationalen Rechtsfriedens zu schaffen […] Barth ist, mit Kant, überzeugt, dass es schlechterdings kein Recht zum Kriege (ius ad bellum) mehr geben kann und dass es deshalb allein folgerichtig ist, mit politischen und völkerrechtlichen Mitteln die Institution des Krieges in einer beharrlichen Anstrengung zu überwinden. Doch gleichzeitig kann er vor der Möglichkeit die Augen nicht verschließen, dass es um des Gottesverhältnisses willen geboten sein kann, das ›Eigenleben‹ des Staates zu schützen – dass also im ›Fall des äußersten Notstandes‹ eine Verteidigungsnotwendigkeit gegen einen extremen Tyrannen besteht»184. In der Tat erweist sich Barth als am politischen Ordnungsaspekt der Friedensethik in der Weise interessiert, dass er einer internationalen Rechts- und Friedensordnung, wie sie in der UNO-Charta vorgezeichnet ist, das Wort redet.185 Mitten im Krieg bemerkt Barth in seinem »Brief an einen amerikanischen Kirchenmann« (1942): 183 K. Barth, Des Christen Wehr und Waffen, 24. 184 W. Lienemann, Karl Barth (1886 – 1968), 52. 185 Vgl. H. Falcke, Aspekte der gegenwärtigen Friedensdiskussion, 177; ders., Der prekäre Grenzfall, 36 f.

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Der Christ wird in der Weise für seinen Nationalstaat eintreten, »daß er im nationalen Staat und also in voller Berücksichtigung der recht verstandenen nationalen Interessen konsequent für die allen Staaten gemeinsame, alle Staaten miteinander verbindende Ordnung des rechten Staates eintritt. […] Er wird, so gut es ihm gegeben ist, das Seinige dazu beitragen, den nationalen Staat als rechten Staat zu erhalten und immer besser als solchen zu gestalten. Er wird darum selbstverständlich auch immer unter denen zu finden sein, die sich dafür einsetzen, auch die internationalen Beziehungen immer vollständiger auf den Boden zu stellen, auf dem nationale Staaten als rechte Staaten allein miteinander stehen können.«186

Barth kommt zu jeder Phase des Zweiten Weltkrieges auf die ihm sehr am Herzen liegende internationale Rechtsordnung zu sprechen. So bemerkt er im Rückblick auf die Tschechien-Krise im September 1938, dass ihr »auf alle Fälle durch die Aufrichtung von Recht, d. h. auf dem Wege einer internationalen Verhandlung und Entscheidung unter Mitsprache und Anhörung aller Beteiligten abgeholfen«187 hätte werden müssen. Und kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges schreibt Barth einem kanadischen Pfarrer : Bi- oder multilaterale Verträge haben »(abgesehen von ihrem sozusagen ›egoistischen‹ Sinn) tatsächlich auch die Bedeutung, an irgendeinem Punkt des Zusammenlebens der Völker Recht aufzurichten, inmitten der verschiedenen ›egoistischen‹ Aspirationen und Bestrebungen etwas Gleichgewicht und damit etwas Ordnung herzustellen.«188 Es geht um ein »Stück internationaler Ordnung«189. Ordnungspolitisch entspricht Barths Grenzfall-Konzeption durchaus dem grundsätzlichen Gewaltverbot mit Ausnahmetatbeständen, wie es in der UNOCharta dargelegt ist. Die damit erfolgende Delegitimierung und Entnormalisierung des Krieges als Mittel internationaler Konfliktlösung liegt auf der Linie der von Kant projektierten globalen Friedensordnung als Rechtsordnung. Eine Schwächung der UNO und der von ihr organisierten multilateralen Konfliktbearbeitung, wie sie durch den Unilateralismus ihrer mächtigsten Mitgliedsstaaten erfolgt, untergräbt den Primat eines Aufbaus einer internationalen Friedensordnung als globaler Rechtsordnung, die Barth als Annäherung an den wahren Frieden Gottes bezeichnen kann. Während seiner USA-Reise besuchte Barth am 24. 5. 1962 auch die UNO in New York und sagte gegenüber Reportern aus, dass diese internationale Organisation »ein irdisches Gleichnis des Himmelreiches«190 sein könne. »Jedenfalls (aber)«, fügte er hinzu, »wird der wahre Friede nicht hier gemacht – obgleich 186 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 372 (Brief an einen amerikanischen Kirchenmann, Oktober 1942). 187 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 145 (Brief vom 26. 10. 1938 an G.J. Derksen, Holland). 188 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 191 f. (Brief vom 18. 11. 1939 an A.C. Cochrane, Kanada). 189 A.a.O., 192. 190 Ders., Gespräche 1959 – 1962, 334 (Interview in der UNO, 1962).

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(das, was hier geschieht,) einer Annäherung an ihn dienen kann –, sondern von Gott selber am Ende aller Dinge.«191 Der rechte bzw. gerechte Frieden, den sich Barth als friedensethischen Leitbegriff zu etablieren bemühte, ist als eine solche Annäherung, als ein solches Reich Gottes-Gleichnis in der Profanität zu verstehen, dem eine besondere Affinität zur Evangeliumsverkündigung zukommt. So schrieb K. Barth bereits vor dem Zweiten Weltkrieg nach Holland: Die Kirche »muß um des Evangeliums willen den rechten Staat und also den rechten Frieden wollen. […] Zum rechten Staat gehört auch das, daß er den Frieden schützt: aber eben schützt und zwar den Frieden, der der Gerechtigkeit und der Freiheit dient und in Gerechtigkeit und Freiheit zustande kommt. Nur in diesem Frieden kann ja auch das Evangelium verkündigt werden.«192

In diesem Zitat kommt bezeichnenderweise die christliche Kirche zur Sprache. Das ist kein Zufall, sondern in unhintergehbarer Weise Ausdruck der Konzeption von christlicher Friedensethik, wie Barth sie vertritt. Barth argumentiert theologisch vom Ausgangspunkt der Kirche aus, was selbstverständlich nicht bedeutet, dass er den Staat, die Völkergemeinschaft und die internationalen Organisationen übersieht. Gleichwohl ist die Kirche das eigentliche Subjekt, genauer gesagt: das eigentlichere Subjekt der Friedensethik Barths, zumal der lebendige Christus das eigentliche Subjekt ist, als dessen Zeugengemeinschaft die Kirche sekundär in den Blick kommt. Dies wird vor allem in seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« deutlich, in der der Schweizer Theologe nach Beispielen von Gleichnissen des Reiches Gottes in der Bürgergemeinde fragt. Es ist Barth zufolge bezeichnenderweise die Christengemeinde, die »unter den sich jeweils bietenden politischen Möglichkeiten unter Zurückstellung und Ablehnung der anderen immer diejenige [unterscheidet und wählt], in deren Realisierung ein Gleichnis, eine Entsprechung, eine Analogie, das Spiegelbild dessen sichtbar wird, was den Inhalt ihres Bekenntnisses und ihrer Botschaft bildet.«193 Und es ist nach Barth ebenfalls die Christengemeinde, die »immer für den Rechtsstaat […] und darum immer gegen alle Entartung des Rechtsstaates als solchen«194 einsteht. Dementsprechend kommt Barth – wie noch zu zeigen sein wird – auch im friedensethischen Abschnitt seiner Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4) auf die Rolle der Kirche, d. h. ihre friedensstiftende Aufgabe, zu sprechen. Demzufolge fällt in den Gegenstandsbereich einer christlichen Friedensethik nicht nur das Recht, so wichtig und richtig es ist, Friedensethik rechtsethisch zu 191 Ebd. 192 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 139 (Brief vom 24. 10. 1938 an A. Trompe-de Jong, Holland). 193 Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 66. 194 A.a.O., 68.

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explizieren, sondern in entscheidendem Maße auch die Kirche. Ja, wie noch zu zeigen sein wird, kann eine Friedensethik rechtsethisch nur im Rahmen einer recht verstandenen kirchlichen Ethik theologisch sachgemäß expliziert werden.

4.2.

Theologische Friedensethik als Rechtsethik

Im Sinne K. Barths kann diese kirchliche Ethik – wie hier dargestellt werden soll – freilich nur eine solche theologische Ethik sein, die auch Staat und Gesellschaft in den Blick nimmt und sich nicht als Alternative zu einer Rechtsethik versteht. Vielmehr kann und wird eine recht verstandene kirchliche Ethik das Recht wertschätzen und zwar aus ihrer genuin kirchlich-theologischen Perspektive heraus. Ihrer ureigensten Erkenntnisaufgabe und Rationalität nach thematisiert eine solche kirchliche Ethik nämlich das Handeln desjenigen Gottes, der von sich sagt: »Ich bin JHWH, der das Recht liebt« (Jes 61,8). Und exakt auf das Handeln dieses Gottes hin bedenkt recht verstandene kirchliche Ethik das Handeln der Menschen, denen gesagt ist: »Wahret das Recht und übt Gerechtigkeit« (Jes 56,1). Nach Einschätzung einer solchen kirchlich-theologischen Ethik ist auch eine internationale Rechtsordnung, die das moralische Gut des Gewaltverzichts und der gegenseitigen Anerkennung verbürgt, entschieden mehr als eine bürokratische und letztlich sinnlose Zwangseinheit, wie MacIntyre suggeriert.195 Sie ist im Sinne Barths ein Gleichnis, ein menschlicher Widerhall, ein Abglanz der in Christus geschehenen Versöhnung. Kirchliche Ethik erweist sich als alles andere als desinteressiert an der Welt und dem weltlichen Recht, denn sie weiß darum, dass »Gott in Jesus Christus nicht Christ, sondern Mensch wurde und in ihm geradezu die Welt liebte und versöhnte«196. Auch mit ihren Rechtsordnungen steht die Welt unter der Herrschaft Christi: »Die Gemeinde Jesu Christi müsste aber ihren Herrn […] schlecht kennen, wenn sie verkennen wollte, daß auch das Weltgeschehen da draußen sich in seinem Bereich und unter seinem Regiment abspielt – wenn sie wähnen wollte, es dort mit keinem, oder mit einem anderen Gott oder doch mit einem anderen, von seinem in Jesus Christus erwiesenen Gnadenwillen verschiedenen Willen des einen Gottes […] zu tun zu haben.«197 Weil die Erkenntnis der Versöhnung der Welt mit Gott die Kirche in Beziehung zur nichtkirchlichen Welt setzt, zeigt sich die Kirche und mit ihr die auf sie bzw. ihr Handeln reflektierende kirchliche Ethik interessiert und keineswegs gleichgültig gegenüber der Welt mit ihrem säkularen Recht. Trachtet die Kirche 195 Vgl. A. MacIntyre, Der Verlust der Tugend, 95 – 100.104. 196 E. Busch, Die Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, 94. 197 K. Barth, KD IV/3, 786.

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zuerst nach dem Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit (Mt 6,33), so wird sie auch nach den menschlichen Reichen und dem Zusammenhang weltlichen Rechts mit göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit fragen. In diesem Sinne fragt Barth in seiner Studie »Rechtfertigung und Recht« (1938): »Gibt es eine Beziehung zwischen der Wirklichkeit der von Gott in Jesus Christus ein für allemal vollzogenen Rechtfertigung des Sünders allein durch den Glauben und dem Problem des menschlichen Rechtes: eine innere, eine notwendige, eine solche Beziehung, durch die mit der göttlichen Rechtfertigung auch das menschliche Recht in irgend einem Sinn zum Gegenstand des christlichen Glaubens und der christlichen Verantwortung und damit auch des christlichen Bekenntnisses wird?«198 Man hat diese Aussage zumeist im Sinne eines Plädoyers für eine sog. christologische Rechtsbegründung interpretiert,199 gleichsam als die theologische Konstruktion eines Fundaments,200 das eine Recht und Gerechtigkeit, Gleichheit und Verschiedenheit wahrende Gerechtigkeitspraxis im Sinne einer vita christiana ausklammert, die das Sein in Christus umschreibt: »Eine Analogisierung von Rechtfertigung und Recht soll für eine theologische Deduktionsbasis sorgen.«201 Nun wird man nicht bestreiten können, dass Barth auch die Rechtsthematik auf die Christologie bezogen wissen will. Zumindest in seiner Schrift »Rechtfertigung und Recht« moniert er, dass es die Reformatoren inkonsequenter Weise hinsichtlich des mit dem Titel dieses Werkes angezeigten Zusammenhangs bei einem »Nebeneinander«202 beließen. Barth spricht diesbezüglich von einem »Mangel an einer evangelischen und das heißt im strengen Sinn: christologischen Begründung dieses Teils ihres Bekenntnisses«203. Barth konzediert zwar, dass die Reformatoren »hier nur biblisches Gut zur Darstellung 198 Ders., Rechtfertigung und Recht, 5. 199 Vgl. H.-R. Reuter, Art. Recht/Rechtstheologie/Rechtsphilosophie V., 239: »Christologische Rechtsbegründung. Unter diesem Titel firmiert üblicherweise die von K. Barth vorgelegte Rechtslehre.« 200 So etwa W.-D. Marsch, Christologische Begründung des Rechts?, 145 – 170. Vgl. auch K. Gäfgen, Das Recht in der Korrelation von Dogmatik und Ethik, 291, die von einer »Rechtsbegründung durch Gott« bei Barth spricht. Vgl. W. Lienemanns (Gewalt, Macht, Recht, 164) Bemerkung: »Früher ist mir diese letztlich exklusiv ›christologische‹ Rechtsbegründung immer anmaßend und abweisend erschienen, weil sie mir den Anschein der Berufung auf ein höheres, aber nicht allgemein nachvollziehbares Wissen machte und insofern ein Musterbeispiel von ›Ethik mit (schlechter) Metaphysik‹ darzustellen schien. Genügt nicht der strenge Vernunftgebrauch im kantischen Sinne, um eine allgemeine Rechtsordnung (wenigstens in der Theorie) errichten zu können, also eine Aufgabe zu lösen, die ›selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar‹ sein muss?« Zum Zitat im Zitat vgl. I. Kant, Zum ewigen Frieden, B 61. 201 H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 19. 202 K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 8. 203 A.a.O., 7.

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bringen wollten«204. Er möchte die Reformatoren aber daraufhin hinterfragt wissen, »ob und inwiefern sie bei der Einführung dieses biblischen Gutes in ihr Bekenntnis der Richtschnur folgten, an die sie sich sonst für gebunden hielten, ob sie nämlich auch das Recht auf die Rechtfertigung, auch die politische Gewalt auf die Gewalt Christi begründet oder ob sie hier nicht heimlich auf einem anderen Grund gebaut und damit trotz alles scheinbaren Biblizismus jenes biblische Gut doch nicht wirklich zur Darstellung gebracht haben?«205 Barth rekurriert hier offenkundig auf die Begründungsmetaphorik und dies hat in der Rezeptionsgeschichte dieser Schrift den Eindruck erweckt, als wolle Barth in dieser Schrift sein Rechtsverständnis im Sinne einer theologischen Begründung des Rechts durchführen. Nun hat W. Lienemann darauf hingewiesen, dass Barths Rechtsverständnis sehr viel komplexer ist,206 als die Rubrizierung »christologische Begründung des Rechts« zum Ausdruck bringt.207 Nach Lienemann umfasst es nämlich darüber hinaus auch eine soziologische Konflikttheorie des Rechts, eine transzendentale Begründungstheorie (Recht als Bedingung der Möglichkeit von Freiheit) sowie eine intersubjektive Anerkennungstheorie.208 Letztere bezieht sich auf das intersubjektive Anerkennungsbedürfnis des »Nächsten«. Sie wird in der Bezeugung der göttlichen Gerechtigkeit begründet: »Wem selbst Gerechtigkeit widerfahren und Recht zuteil geworden ist, kann sich dem Anspruch der oder des Anderen auf (gleiche) Rechtsgewährleistung nicht entziehen.«209 Lienemann verweist diesbezüglich auf eine »summula von ›Rechtfertigung und Recht‹«210 in der Gotteslehre der »Kirchlichen Dogmatik«: »Die Gerechtigkeit des Glaubenden besteht darin, daß Gott für ihn eintritt, und zwar ganz eintritt, weil er sich selbst nicht vertreten und weil auch niemand sonst für ihn eintreten kann. An dieses völlige Eintreten Gottes glaubt der Glaube, der eben darum eo ipso der Glaube an Gottes Erbarmen und also der Glaube der vor Gott Armen und Elenden ist. Aus dieser Natur des Glaubens folgt nach dem Lukasevangelium und nach dem Jakobusbrief ebenso wie nach dem der Propheten eine politische Haltung, die 204 Ebd. 205 A.a.O., 7 f. 206 M. Honecker (Themen und Tendenzen der Ethik, 128) vertritt hingegen die These, dass Barth »doch gar kein klares Rechtsverständnis« hatte. 207 W. Lienemann (Gewalt, Macht, Recht, 159) weist auf verschiedene Gemeinsamkeiten des Rechtsbegriffs des jungen Barths mit einem modernen, elaborierten Rechtsbegriff hin, wie ihn der Göttinger Jurist R. Dreier (Der Begriff des Rechts, 116) als »Mittelposition« jenseits der Skylla des englischen Rechtspositivismus und der Charybdis der Position G. Radbruchs entwickelt hat. 208 Vgl. W. Lienemann, Gewalt, Macht, Recht, 161. 209 Vgl. a. a. O., 164. Vgl. a. a. O., 160. Vgl. H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 103 f.106, der diese Nomenklatur – wie W. Lienemann – vor allem auf K. Barths »Münsteraner Ethik« (Ethik II, vor allem 212 – 233) bezieht. 210 W. Lienemann, Gewalt, Macht, Recht, 163.

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entscheidend dadurch bedingt ist, daß der Mensch allen denen gegenüber verantwortlich gemacht ist, die vor seinen Augen arm und elend sind, daß er seinerseits aufgerufen ist für das Recht, u.zw. für das Recht derer einzutreten, die Unrecht leiden. Warum? Weil ihm in ihnen sichtbar gemacht wird, was er selber vor Gott ist, weil das das liebende, gnädige, barmherzige Tun Gottes an ihm ist, dass Gott ihm als einem Armen und Elenden durch sich selber in seiner eigenen Gerechtigkeit Recht verschafft – weil er, weil alle Menschen vor Gott dastehen als solche, denen nur durch ihn selbst Recht verschafft werden kann. Wer im Glauben davon lebt, daß das wahr ist, der steht als solcher in der politischen Verantwortung. Er weiß, daß das Recht, daß jeder wirkliche Anspruch, den ein Mensch dem Andern gegenüber hat, unter dem besonderen Schutz des gnädigen Gottes steht. Er kann diesem Anspruch, so gewiß er selbst von Gottes Gnade lebt, nicht ausweichen. Er kann sich der Frage nach dem menschlichen Recht nicht entziehen. Er kann nur den Rechtsstaat wollen und bejahen. Mit jeder andern politischen Haltung würde er die göttliche Rechtfertigung von sich stoßen.«211

Im Blick auf die komplexe Gemengelage, die Barths Rechtsverständnis repräsentiert, ist es m. E. bezeichnend, wie stark Barth bereits in seiner Programmschrift »Rechtfertigung und Recht« auf die Kirche und ihre Praxis im Verhältnis zum Staat fokussiert und wie stark in diesem Zuge eine sog. Begründungstheorie des Rechts in den Hintergrund tritt. Darauf weist bereits Barths Variation seiner Ausgangsfrage hin, insofern dort das Verhältnis von Rechtfertigung und Recht mit dem von »Reich Christi und [den] anderen Reiche[n]«212 bzw. »Kirche und Staat«213 in Einklang gebracht wird. Barths Ausgangsfrage richtet sich, wie er selbst sagt, auf den »sachlichen und also inneren und notwendigen Zusammenhang der beiden Bereiche.«214 Es geht ihm anscheinend nicht um die theologische Begründung des Rechts im Sinne einer Ableitung aus bestimmten Zügen des gleichsam formalisierten Rechtfertigungsgeschehens, sondern um eine Verhältnis- im Sinne einer Zusammenhangsbestimmung von Kirche und Staat. Die inhaltlich-thematische Ausrichtung der Überschriften der vier Kapitel von Barths Schrift »Rechtfertigung und Recht« (Kap. 1: »Das Gegenüber von Kirche und Staat als solches«; Kap. 2: »Das Wesen des Staates«; Kap. 3: »Die Bedeutung des Staates für die Kirche«; Kap. 4: »Die Leistung der Kirche für den Staat«) bestätigen dies. Ob Barth wirklich eine theologische Begründung des Rechts im Sinne einer Ableitung des menschlichen aus göttlichem Recht intendiert, ist m. E. fraglich.215 211 212 213 214 215

K. Barth, KD II/1, 435. Ders., Rechtfertigung und Recht, 8. Ebd. A.a.O., 9. Am stärksten tendiert in diese Richtung m. E. K. Barths (Rechtfertigung und Recht, 28) Rede von der göttlichen Rechtfertigung als der »Quelle und Norm gerade alles menschlichen Rechtes auch in diesem Äon«.

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Dass Barth das Recht in einen theologischen Begründungszusammenhang hineinstellt, dürfte evident sein.216 Barth tut dies, um eine die sachliche und d. h. theologische Verbundenheit von Rechtfertigung und Recht zu demonstrieren217, keineswegs jedoch, um besagte Ableitung durchzuführen. Bei Barth zeigt sich vielmehr, wie im Folgenden skizzenhaft und rudimentär gezeigt werden soll, eine enge Verbindung und überaus große Nähe zu jener Auffassung, wonach das Recht nicht begründet, sondern nur aufgefunden werden kann.218 Barth geht es weniger um eine christologische Rechtsbegründung im oben genannten Sinne, als vielmehr um das Auffinden von Recht im kirchlich-gemeinschaftlich strukturierten Leben mit Christus, im Sein in ihm. Barths Ausführungen zielen mithin auf eine christologische Grundlegung des Rechts, d. h. eine Rückbindung des Rechts an die notwendigen Bedingungen, die gegeben sein müssen, dass Recht aufgefunden werden kann und Rechtsprechung überhaupt möglich wird. Es ist im Blick auf Barths Rechtsverständnis bezeichnend, dass auch er die von Ulrich benannte Gerechtigkeitspraxis, die das Recht bewahrt, im Fragment seiner Ethik der Versöhnungslehre (KD IV/4) in den Blick nimmt. Barth spricht vom »Kampf um menschliche Gerechtigkeit«219 (§ 78) und er fixiert Gerechtigkeit damit nicht – wie H.-R. Reuter in seiner Analyse des Paragraphen gezeigt hat – als zeitloses, theoretisch erkennbares Prinzip, das mühelos als normativer Maßstab operationalisierbar ist, sondern Barth stellt klar, dass Gerechtigkeit sozialethisch nicht ohne die Praxis des Kampfes um Gerechtigkeit denkbar ist: 216 Wie H.G. Ulrich (Erfahren in Gerechtigkeit, 363) hervorhebt, wurde unüberhörbar nach 1945 die Frage nach einem theologischen Begründungszusammenhang für das Recht »aus drängenden Nötigungen heraus […] in der Kritik an einer (protestantischen) Theologie« virulent, »die dem Recht gegenüber fremd und indifferent geblieben ist.« Vgl. E. Wolf, Zum protestantischen Rechtsdenken, 191 – 206. 217 Vgl. K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 8. 218 Diese Aufassung vertritt etwa H.G. Ulrich. Das Recht bedarf nach H.G. Ulrich (Erfahren in Gerechtigkeit, 368) einer auf die Gleichheit vor dem Recht zielenden Gerechtigkeitspraxis: Recht bedarf »der erfahrenen Praxis, der Lebensform einer Gerechtigkeit, die mit der Anerkenntnis der Verschiedenheit niemanden von einer bestimmten Position abhängig macht, sondern ihr die Gleichheit vor dem Gesetz zur Seite stellt.« Diese Lebensform schafft und trägt Gott durch seine Rechtfertigung. Sie ist Implikat der iustificatio impii. Die Gerechtigkeit Gottes erweist sich im Sinne seiner zurechtbringenden Rechtfertigungspraxis als konstitutiv für die menschliche Gerechtigkeitspraxis, die das Recht bewahrt: »Mit ihr sind unlöslich die ›Praktiken‹ verbunden, die die gelebte Rechtfertigung ausmachen: das Gebet (›… und vergib uns unsere Schuld‹), das Sündenbekenntnis, die Vergebung – und das gute Werk« (a. a. O., 378). Ulrich fasst demzufolge die Gerechtigkeitspraxis einer vita christiana, einer christlichen Lebensform in den Blick. Zugleich betont er, dass die gelebte Rechtfertigung an verschiedenen Orten hervortritt und in dieser Form politisch präsent ist, also nicht nur in der Gemeinde, wenngleich diese ihr erster Ort sei (vgl. a. a. O., 384). Nach Ulrich ist das Recht als derjenige Aufenthaltsort zu verstehen, in dem Menschen solcher Ordnungen gewärtig werden, die es ihnen erlauben zu sein, was sie sein dürfen, und zu erproben, wo sie wohnen können. Vgl. ders., Wie Geschöpfe leben, 139.142. 219 K. Barth, Das christliche Leben, 347 – 470.

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»Alles, was wir als gerechte politisch-soziale Prinzipien schon vorfinden, ist Ergebnis einer Kampf- und Emanzipationsgeschichte.«220 Das Recht nun setzt die Gerechtigkeit im Sinne einer kommunitären Praxis voraus, die Barth mit dem Gebet des im Plural gesprochenen »Vaterunsers« verbunden weiß. Die Tatsache, dass Barth den Kampf um die Gerechtigkeit vom Gebet abhängig sein lässt, zeigt eindrücklich: »Zur Realisierung von Gerechtigkeit bedarf es konsonanter Lebensformen, Strukturen versöhnter Praxis, die es erlauben, daß sich Subjekte konstituieren, welche richtiges Recht setzen. Barth hat deshalb in seiner großen Dogmatik den Begriff des Rechts nicht über den Begriff des Staates eingeführt. Er hat stattdessen auf die sozialen Grundvollzüge hingewiesen, an denen man die Versammlungen der christlichen Gemeinde erkennen kann.«221 Reuter folgert daraus überaus treffend: »Damit ist die Zumutung ausgesprochen, man solle in, mit und unter den Merk- und Denkwürdigkeiten, die zum Kernbestand des sozialen Selbstvollzugs aller Kirchen gehören, die Basisstrukturen einer kommunitären Praxis entdecken, die für die Realisierung von Gerechtigkeit unabdingbar sind.«222 Seine Darstellung des Rechtsverständnisses Barths abschließend, stellt Reuter würdigend fest: »Die starke These, die Barth ansatzweise, aber im einzelnen nicht vollends überzeugend expliziert hat, lautet: Alles richtige Recht entspringt einem kommunitären Interaktionsraum, in welchem sich die Akteure ihrer natürlichen Rechtssubjektivität entäußern (›Gottesdienst‹), um so in einem iterativen Prozeß ›vom Schlechteren zum Besseren‹ (›lebendiges‹) Recht zu setzen, indem sie die Wahrheit des universalen Rollentausches sprachlich anerkennen (›Bekenntnis‹), das Vertrauen aller zu allen praktizieren (›Taufe‹), sich miteinander in ungeteilter Zuwendung als Verschiedene verbinden (›Herrenmahl‹) und ihre personale Gleichheit in kollektiver Selbstüberschreitung entdecken (›Gebet‹).«223 Barth zufolge hat die Gemeinde in ihrer Praxis die eigentlichen Konstitutionsbedingungen allen Rechts gewissermaßen »in sich«.224 Der Bezug auf die gottesdienstliche Gemeinde ist insofern auch für K. Barths Rechtsethik konstitutiv. Ohne hier den Abschnitt zum Kirchenrecht, den Barth unter der Überschrift »Die Ordnung der Gemeinde« KD IV/2 (§ 67.4) entfaltet, auch nur ansatzweise analysieren zu können oder gar K. Barths Rechtstheorie entfalten zu wollen, möchte ich doch, gestützt auf die Analyse von H.-R. Reuter225, noch eine Auf220 221 222 223 224 225

H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 40. A.a.O., 42. Ebd. A.a.O., 112. Vgl. ebd. A. a. O., 102 – 112. H.-R. Reuter (a. a. O., 108) führt den Nachweis, dass Barths kirchenrechtliche Ausführungen implizit eine »Konstitutionstheorie allen Rechts« enthalten. Vgl. auch zu KD IV/2, § 67.4 R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 64 – 70.

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fälligkeit benennen, die meine These unterstützt, wonach Barth keine theologische Begründung des Rechts im Sinne einer Deduktion menschlichen Rechts aus göttlichem Recht (ius divinum) intendiert, sondern auf eine christologische und darum zugleich ekklesiologisch profilierte Grundlegung des Rechts abzielt. Barth unterscheidet sich m. E. darin von jener Rechtstheologie, die das »zwischenmenschliche Recht – jedenfalls im Bereich der Kirche – aus rechtlichen Elementen des Gottesverhältnisses abzuleiten«226 versuchten, dass er vom Auffinden des Rechts in einem distinkten Praxiszusammenhang spricht, in denen sich das Sein in Christus konkretisiert. Barth bedient sich zwar sowohl der Begründungs- als auch der Entsprechungssemantik, jedoch schließt er sie nicht im Sinne eines deduktiven Begründungszusammenhangs miteinander kurz. So kann Barth etwa feststellen, dass es nicht ratsam wäre, »die Begründung des Kirchenrechtes von einem anderen als eben dem christologisch-ekklesiologischen Begriff der Gemeinde her unternehmen zu wollen«227, wonach Jesus Christus Herr und Haupt der menschlichen Gemeinschaft der Heiligen, seines eigenen Leibes, seiner eigenen irdisch-geschichtlichen Existenzform ist. Auch lässt K. Barth keinen Zweifel daran, dass das Telos des Kirchenrechts (wie alles kirchlichen Handelns) die als hinweisendes Zeichen, d. h. deiktisch zu verstehende Entsprechung zum Heilshandeln Gottes ist: »Es geht bei der Erbauung der Gemeinde ›mit rechten Dingen‹ zu. ›Recht‹, bzw. ›richtig‹ ist dieses Geschehen im Besonderen im Blick eben darauf, daß es der Sache, um die es in diesem Geschehen geht, entspricht.«228 Gleichwohl verdeutlich Barth, dass es ihm auch und gerade bezüglich des Kirchenrechts um das Auffinden des Rechts geht. Das Kirchenrecht sei eben »lebendiges Recht«, weshalb die Praxis seines ständigen Aufsuchens und Auffindens die prioritäre und proprietäre kirchenrechtliche Aufgabe darstelle: »Rechtes Kirchenrecht entsteht (in großen und kleinen, in allen Dingen!) aus dem Hören auf die Stimme Jesu Christi. Solches, dieses Recht entsteht sonst nirgends in der Welt, formal nicht und auch nicht material. Es bildet das Suchen und Finden, die Aufrichtung und Handhabung solchen Rechtes einen integrierenden Bestandteil des Tuns, das der Gemeinde in der Welt und der Welt gegenüber aufgetragen ist.«229 Wie dies für Barths christologische Grundlegung der Ethik im Allgemeinen charakteristisch ist, so kommt Barth auch in kirchenrechtlichem Zusammenhang auf den lebendigen Christus zu sprechen, der jedes starre Deduktionssystem sprenge: »Er als der Rechte ist es, der darüber verfügt, was eben jetzt für sie [die Gemeinde in der belebenden Macht des Heiligen Geistes; M.H.] und in 226 227 228 229

H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 148. K. Barth, KD IV/2, 768. A.a.O., 766. A.a.O., 772.

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ihr Recht sein soll. Und so hat auch die Gemeinde bei der Auffindung, Aufrichtung und Betätigung dieses ihres Rechtes ununterbrochen und also immer aufs neue auf Ihn zu hören, auf Sein lebendiges Verfügen zu achten, Seine Weisung zu respektieren […]. Indem der lebendige Jesus Christus das Gesetz ist […], bekommt […] das Kirchenrecht notwendig seinerseits den Charakter lebendigen, dynamisch bewegten Rechtes«230. R. Hütter kommentiert diese Passage trefflich, wenn er sie in Verbindung zum Programm einer dezidiert kirchlichen Ethik bringt: »Dieser Zugang zum Kirchenrecht impliziert eine Diskurspraxis, d. h. den Vollzug eines kirchlich-ethischen Diskurses, dessen Gegenstand das Kirchenrecht bleibt.«231 Barth ist an einer Einweisung in eine das Kirchenrecht betreffende kirchliche Diskurspraxis interessiert. Innerhalb dieser Diskurspraxis hat nun auch die Analogiebildung ihr begrenztes Recht, wobei sie keinen oder nur einen sehr begrenzten begründungstheoretischen Status besitzt, insofern sie in den Entdeckungszusammenhang der Ethik hineingehört.232 »Entsprechung« will – wie H.-R. Reuter klarstellt – »als historisch-praktischer Begriff verstanden sein […]: Es geht um die handlungsrelevante Entdeckung der Gleichnisfähigkeit und -bedürftigkeit der menschlichen Rechtsordnung für die göttliche Gerechtigkeit. Letztlich plädiert Barth für eine von der Christenheit ins Spiel zu bringende geschichtliche Rechtsvernunft, die sich in der regulativen Perspektive des Evangeliums der Vorläufigkeit ihrer Prinzipien und der Offenheit der Freiheitsgeschichte bewusst bleibt, ohne die materiale Affinität zum rationalen Naturrecht der Neuzeit (Rousseau!) zu leugnen.«233 Die Kirche soll nach Barth mit ihrer auch Analogiebildungen methodisch einschließenden kirchenrechtlichen Praxis nicht solipsistisch auf sich selbst bezogen und bedacht sein, sondern Zeugnis nach außen geben und das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus in aller Vorläufigkeit zur Darstellung bringen: »Rechtes Kirchenrecht ist vorbildliches Recht.«234 R. Hütter wiederum bemerkt dazu sachgemäß: »Zieht man diese von Barth angezeigte Linie aus, so heißt das, daß eine kirchliche Ethik, die den ersten Gegenstand ihrer Reflexion im ethischen Charakter der Kirche hat, gerade nicht im Ghetto ekklesialer Selbstbetrachtung endet, sondern ganz weltbezogen bleibt! Die Ausrichtung kirchlicher Ethik in ihrer Frage nach der Kirche und ihrer Rechtsgestalt ist als Frage ›nach innen‹ schon ihre Ausrichtung ›nach außen‹!«235 Die Kirche leistet nach Barth ihren Beitrag dazu, dass der Staat in seiner Rechtsgestalt auf vollkommeneres 230 231 232 233 234 235

A.a.O., 805. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 68. Vgl. Abschnitt II.1.4.3. der vorliegenden Untersuchung. H.-R. Reuter, Art. Recht/Rechtstheologie/Rechtsphilosophie V., 240. K. Barth, KD IV/2, 815. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 69. Dort kursiv.

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Recht hin ausgerichtet ist,236 wenn sie selbst in ihren Ordnungen und Praktiken dieses vollkommenere Recht vollzieht. Gerade so liefert die Christengemeinde einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Rechts, dessen es in jeder Gesellschaft bedarf.237 Es kann, wie diese Ausführungen zur Rechtsethik im Anschluss an K. Barth in konzeptioneller Hinsicht gezeigt haben, nicht darum gehen, eine falsche Alternative zwischen rechtsethischen und kirchlich-ethischen Akzenten aufzumachen und beide gegeneinander auszuspielen. Die Rechtsethik umschreibt eine theologisch notwendige und unumgängliche Angelegenheit, repräsentiert also keineswegs ein ausschließlich profanethisches Geschäft, das christliche Ethik unberücksichtigt lassen oder vernachlässigen könnte, etwa weil die christliche Ethik nur ihre Aufmerksamkeit auf die Kirche und ihr spezifisches Recht, sprich: das Kirchenrecht (ius in sacra), nicht aber das Staatskirchenrecht (ius circa sacra) zu richten hätte. Wenn Rechtsethik hingegen ihrer Aufgabe gemäß »versucht, den notwendigen Zusammenhang von Ethos und Recht zu zeigen«238, dann wird sie auch aus theologischer Perspektive heraus auf das Ethos bzw. die Moral in Staat und Gesellschaft hin reflektieren. K. Barth schärft diesbezüglich in friedensethischer Hinsicht ein: Insofern christliche Erkenntnis auch auf das Wesen des Staates gerichtet ist, welches darin besteht, »den Frieden so zu gestalten, daß er dem Leben dient, den Krieg aber fernhält«239, fragt sie auch nach dem Recht in seiner inner- und zwischenstaatlichen Funktion, Frieden durch die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens zu gestalten, um so »menschliches Leben zu erhalten und zu fördern«240. Barth verfällt also, was die Konzipierung christlicher Ethik betrifft, durchaus keinem binnenkirchlichen Reduktionismus. Nach Barth ist es die christliche Friedensethik, welche als »Erste[s], Grundlegende[s], Entscheidende[s]«241 in Sachen Kriegsprävention den Staat zu adressieren und im Blick auf ihn zu sagen hat: »[E]s gestalte der Staat, es gestalte die für den Staat verantwortliche Gesamtheit seiner Bürger, es gestalte im Leben des Staates jeder Einzelne in seinem Tun und Lassen den Frieden, solange es nicht zu spät ist«242. Hinsichtlich dieser Friedensgestaltung ist der Staat in seinem Handeln nach Barth an das weltliche Recht gebunden.

236 237 238 239 240 241 242

Vgl. Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths, 179. Vgl. W. Lienemann, Gewalt, Macht, Recht, 154. H.G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben, 618. K. Barth, KD III/4, 524. Ebd. A.a.O., 525. Ebd.

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Freilich nimmt die christliche Ethik das Recht aus einer bestimmten Perspektive in den Blick und diese Perspektive ist die des Glaubens an Gottes Selbsterschließung in Jesus Christus. Darin, dass die theologische Ethik diesen Glauben im Blick auf menschliches Tun und Lassen zur Sprache bringt, ist sie eine »Funktion« der Kirche. Das Proprium christlicher Ethik lässt sich dementsprechend – wie H.-R. Reuter formuliert – »nicht im Medium allgemeingültiger Normen abbilden, sondern kommt primär auf der Ebene der spezifischen Wahrnehmung der handlungsrelevanten Wirklichkeit zum Ausdruck, wie sie im christlichen Glauben erschlossen ist.«243 Diese wirklichkeitserschließende Kraft des Glaubens akzentuiert Barth nachdrücklich, wenn er konstatiert: »Man wird die Frage des ›gerechten Krieges‹ wie von der Gehorsamsfrage so auch von der Glaubensfrage nicht trennen können.«244 Eine Rechtsethik in theologischer Perspektive, wird diese Perspektivierung auch und gerade im Blick auf das Recht nicht leugnen, ignorieren oder sich von und/oder aus dieser dispensieren dürfen. Ansonsten droht sie allzu leicht der Gefahr eines Rechtspositivismus zu erliegen, der verkennt, dass »mit der Positivität des Rechts noch nicht über seine Legitimität, mit seiner faktischen Geltung noch nicht über seine moralische Geltung bzw. Gültigkeit entschieden ist.«245 Dass Recht und Ethik keineswegs deckungsgleich sind, gilt allzumal für eine christlich-theologische Ethik, die sich mit ihren rechtsethischen Reflexionen im Rahmen einer pluralistischen und säkularisierten Gesellschaft bewegt und positioniert. Dem in ihr geltenden Recht gilt die Aufmerksamkeit einer solchen Ethik: »Was im Recht zu regeln ist, kann aber innerhalb der ethischen Reflexion nicht ausgeklammert werden – denn mit dem Recht geht es immer auch um eine ausdrückliche Gerechtigkeit, die für alle gilt.«246 Mit dem Schutz von Rechtsgütern ist aber keineswegs alles erfüllt, was eine ethische Reflexion für nötig erachtet, die nicht nur auf eine Minimalmoral abzielt. H.G. Ulrich betont, »dass die ethische Perspektive weiter reicht und anders ausgerichtet ist, als es die Frage nach der Übereinstimmung mit den Regeln des Rechtsstaates und der Moral fordert, die u. a. gewährleisten soll, dass nicht in die bestehenden (gegebenen) Rechte eines anderen eingegriffen wird.«247 Eine theologische Ethik, die das Recht thematisiert, bezieht sich unter neuzeitlichen Voraussetzungen auf die weltanschaulich neutrale staatliche Rechtssphäre, die einen Prozess der Säkularisierung ihrer religiösen Voraussetzungen 243 244 245 246 247

H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 18 f. K. Barth, KD III/4, 530. H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 13. H.G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben, 648. A.a.O., 660. Auch M. Haspel (Evangelische Friedensethik nach dem Irakkrieg, 275) betont, dass die evangelische Friedensethik sich nicht ausschließlich auf das Recht stützen kann, sondern eigene normative Orientierungen entfalten muss.

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erfahren hat.248 Mit K. Barth gesprochen: Die Bürgergemeinde hat nun einmal »kein allen gemeinsames Bewußtsein ihres Verhältnisses zu Gott«, weshalb dieses auch »kein Element der in ihr aufgerichteten und gültigen Rechtsordnung bilden«249 kann. Der durchgreifende Verweltlichungsprozess, mit dem die Verstaatlichung des Rechts einherging und dessen Resultat das moderne Rechtssystem darstellt, wurde aber keineswegs nur gegen, »sondern auch vermittels wirkungsmächtiger Motive der jüdisch-christlichen Überlieferung durchgesetzt.«250 Für sie ließen und lassen sich theologische Gründe geltend machen, die in der Zwei-Reiche-Lehre grundgelegt sind. Die Zwei-Reiche-Lehre, die ihrer Herkunft nach mit dem Namen Martin Luthers unlösbar verbunden ist, zugleich aber in der reformierten Reformation namentlich seitens J. Calvins und eines in seiner Tradition stehenden sog. »Calvinismus« (etwa bei J. Althusius) rezipiert251 und von K. Barth in seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« mutatis mutandis reinterpretiert wurde,252 liefert die eigentliche theologische Begründung für die konsequente Säkularisierung des Rechts. Die Befugnis zu zwingen gehört einer Zwei-Reiche-Lehre zufolge auf die Seite des staatlichen Gewaltmonopolisten, welcher dem weltlichen und nicht dem geistlichen Regiment zugeordnet ist. Auch dieses ist ordinatio Dei. Eine christliche Ethik, die die theologische Grundentscheidung der ZweiReiche-Lehre nach- und mitvollzieht, wird die Rechtskreise von Staat und Kirche 248 Vgl. dazu: E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, 43 – 72. Im Anschluss an H. Lübbe bezeichnet Böckenförde (a. a. O., 44 f.) »die Ablösung der politischen Ordnung als solcher von ihrer geistlich-religiösen Bestimmung und Durchformung, ihre ›Verweltlichung‹ im Sinne des Heraustretens aus einer vorgegebenen religiös-politischen Einheitswelt zu eigener, weltlich konzipierter (›politischer‹) Zielsetzung und Legitimation, schließlich die Trennung der politischen Ordnung von der christlichen Religion und jeder bestimmten Religion als ihrer Grundlage und ihrem Ferment« als »Säkularisation«. 249 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 50. 250 H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 14 f. 251 Vgl. Chr. Strohm, Calvinismus und Recht. Zur falschen Alternative zwischen Zwei-Reiche-Lehre und Königsherrschaft Christi-Konzeption vgl. J. Rogge / H. Zeddies (Hg.), Kirchengemeinschaft und politische Ethik; J. Staedtke, Die Lehre von der Königsherrschaft Christi und den zwei Reichen bei Calvin, 101 – 113; E. Wolf, Königsherrschaft Christi und lutherische Zwei-Reiche-Lehre, 207 – 229. 252 So auch M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 157 f. W. Lienemann (Gewalt, Macht, Recht,165) stellt fest, »dass Barth […] auf der einen Seite den Sinn und Zweck der erst später so genannten ›Zweireiche-Lehre‹ Luthers im Sinne einer politische Freiheit ermöglichenden Differenzierungstheorie von geistlicher und weltlicher Gewalt nachvollzogen hat, aber gleichzeitig (als Schweizer) gegenüber einem tendenziell apolitischen (deutschen) Luthertum den genuin Luther’schen Impetus der aktiv-partizipatorischen politischen Mitverantwortung zur Geltung zu bringen versucht hat. Die complexio oppositorum haben neben Barth dann auch vor allem Iwand, Wolf und Gollwitzer auf jeweils verschiedene Weise zur Sprache gebracht und damit ein Leitbild evangelischer (nicht: lutherischer oder reformierter) Sozialethik begründet.«

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unterscheiden und den säkularen Charakter des modernen Rechts befürworten und in ihrer Urteilsbildung voraussetzen. Eine solche christlich-theologische Ethik weiß darum, dass »unter Bedingungen einer pluralistischen politischen Kultur die systematische Geltung bzw. Gültigkeit des Rechts nicht unmittelbar von theologischen Letztbegründungen abhängig gemacht werden«253 kann. Sie trägt mit anderen Worten der »relativen Autonomie der Rechtssphäre gegenüber der Religion Rechnung«254. Wohlgemerkt kann hier nur von einer relativen Autonomie die Rede sein, etwa in Abgrenzung gegenüber solchen Eigengesetzlichkeiten255, gegen die K. Barth zu recht vehement interveniert.256 Auch das Recht kann und soll – wie alle irdischen Größen – aus theologischer Perspektive im Lichte des Evangeliums betrachtet werden, ohne dass der Geltungsanspruch dieser Interpretation allerdings in der säkularen Rechtssphäre durchgesetzt werden soll. Die Christengemeinde bleibt auch hinsichtlich des Rechts in ihrer Urteilsbildung gebunden an Gottes Handeln in Jesus Christus: »Gerade weil Gott auch hier [in der Welt; M.H.] nicht abwesend ist, wie sie [die Christinnen und Christen; M.H.] glauben, darum kann für sie bei ihrer Mitarbeit in der Polis zwar kein anderer Maßstab in Frage kommen als der des Gebotes Gottes, auch wenn sie sich nur stillschweigend auf ihn beziehen können«257. Dies fordert zweifellos Selbstbegrenzung seitens einer theologischen Ethik; freilich eine solche, die selbst ihrem Charakter und Wesen nach theologischethischer Natur ist, weshalb von einer relativen Autonomie die Rede ist. So wie das Recht sich um der Erhaltung politischer bzw. moralischer Spielräume willen selbst begrenzt, so begrenzt sich auch die Moral um der Moral willen, die gleich im Recht Ausdruck findet. Im Blick auf den Rechtsstaat gilt: »Um des Friedens und der Sittlichkeit willen muss ein Rechtsstaat […] die Ansprüche partikularer Moralen begrenzen, und zugleich sollte so etwas wie ›moral restraint‹ zum Kern starker moralischer Überzeugungen gehören, weil, wie Rosa Luxemburg sinngemäß gesagt hat, meine Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden sein muss.«258 Die Kirche begrenzt sich selbst im Blick auf die Wahl der Mittel ihres Rechtsgebrauches, d. h. im Blick auf die mit ihm einhergehende Befugnis

253 H.-R. Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, 17. 254 Ebd. Reuter grenzt sich damit zu Recht von einer theologischen Begründung des Rechts ab. 255 Vgl. zur Rede von »Eigengesetzlichkeiten« allgemein: W. Huber, Folgen christlicher Freiheit, 53 – 70. Zu Barths Ablehnung dieser Rede vgl. M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 157. 256 Vgl. K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 62: Im politischen Bereich gelten keine Eigengesetzlichkeiten bzw. es gilt – genauer gesagt – nur »die klare Eigengesetzlichkeit ihrer [der Christengemeinde; M.H.] eigenen und nicht die dunkle Eigengesetzlichkeit dieser ihr fremden Sache«. 257 E. Busch, Die große Leidenschaft, 183. 258 W. Lienemann, Recht und Moral, 16.

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zu zwingen, gerade dadurch, dass sie ausschließlich »sine vi, sed verbo« (CA 28) agiert und so Zeugnis vom Reich des Friedensfürsten gibt. Die Zurückhaltung gegenüber einer religiösen Vereinnahmung der Rechtssphäre resultiert also nicht aus einer Preisgabe des universalen Herrschaftsanspruchs Christi an eine Welt, die man am liebsten zum Teufel fahren sehen möchte; auch nicht aus einer Verweigerungshaltung, noch länger kirchlicherseits auf Staat und Gesellschaft hin reflektieren zu müssen, und ebenso wenig aus einem eilfertigen Verzicht auf kirchlich fundamentiertes theologisches Denken, sondern vielmehr aus dem regulativen Selbstverständnis einer christlich-theologischen bzw. kirchlichen Ethik, die das Licht der in Christus offenbarten Gnade Gottes auch in der Profanität menschlich-säkularen Rechts sich widerspiegeln sieht. Präzise darum ging es K. Barth.

Exkurs: Politisch-ethisches Denken unter der conditio saecularis? K. Barths säkulares Staatsverständnis Verschiedentlich ist in Frage gestellt worden, ob Barth überhaupt den säkularen Staat gewürdigt hat.259 Irritationen hat etwa die Aussage K. Barths in seiner Studie »Rechtfertigung und Recht« hervorgerufen: »[W]ar der Gedanke des menschlichen Rechtes der Erkenntnis der göttlichen Rechtfertigung bloß angeklebt, statt sachlich verbunden, dann mußte es […] möglich sein, die Frage nach dem menschlichen Recht mit festem Griff, vielleicht immer noch unter Berufung auf die allgemeine göttliche Vorsehung, aber nicht gelöst aus dem reformatorischen Nebeneinander von Recht und Rechtfertigung selbständig in die Hand zu nehmen und eine säkulare Botschaft und Kirche des Menschenrechts zu bauen, bei dessen emphatischer Zurückführung auf ›Gott‹ es doch nicht verborgen bleiben konnte, daß damit der, der der Vater Jesu Christi ist, daß also seine Gerechtigkeit mit dem proklamierten Menschenrecht auf keinen Fall gemeint sein könne.«260 Diese von Barth als aufklärungskritische gekennzeichnete Aussage ist bisweilen so verstanden worden, als würde er sich gegenüber einem säkularen Staatsverständnis verwahren bzw. den Weg der Säkularisation als einen geistesgeschichtlichen Irr- bzw. Abweg betrachten. Dass dem keineswegs so ist, lässt sich auf dem Hintergrund von K. Barths politisch-ethischem Leitmodell demonstrieren, wie er es in seiner Programmschrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« (1946) entfaltet hat. Das Modell der konzentrischen Kreise entwirft K. Barth als Denkmodell der Einheit von Identität (des Zentrums) und Differenz (der Radien) dezidiert »unter der Be259 Vgl. D. Ficker Stähelin, Karl Barth und Markus Feldmann, 129. 260 K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 8.

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dingung der vollendeten Säkularisierung und unter Voraussetzung der realen Säkularität von Kirche und Welt bzw. Gesellschaft«261. Bereits im Jahr 1935 erklärte K. Barth: »[D]ie Zeit, das christlich-bürgerliche oder bürgerlich-christliche Zeitalter ist abgelaufen, der Bund, d. h. aber das Christentum in seiner uns bisher bekannten Gestalt ist zu Ende. […] Die Welt nimmt die Maske ab und ihre Freiheit zurück, um sich wieder offen zu bekennen als das, was sie im Grunde ist und will. Eben damit ist aber auch dem Evangelium seine Freiheit ihr gegenüber zurückgegeben.«262 Barth sieht die Christengemeinde – übrigens auch in der Schweiz263 – in der Minderheit, näherhin: in einer Diasporasituation264. Barth geht von der sich im Zerfall des konstantinischen Bündnisses zwischen Kirche und Staat manifestierenden Säkularisation265 aus,266 »um nun die christliche Gemeinde in ausdrücklicher Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Partikularität mit der Frage nach ihrer Wirklichkeit und spezifischen Sendung zu konfrontieren.«267 Dem korrespondiert in seinen friedensethischen Ausführungen innerhalb der Ethik der Schöpfungslehre seine Kritik an der im Zeichen des konstantinischen Bündnisses von Kirche und Staat gepflegten »Elastizität, mit der sich die Kirche auf Krieg und Kriegsgeschrei positiv eingelassen hat, um die nichtmilitärische Existenz den Priestern und den Mönchen vorzubehalten […]. Das ist zu beanstanden, daß man in einer Panik, dem Kaiser doch nur ja zu geben, was des Kaisers ist, die heilsame Distanz diesem kaiserlichen, diesem staatlichen Unternehmen gegenüber völlig aufgab, die die ältere Kirche in ihrer Weise, aber aus guten Gründen einzuhalten wußte.«268 Barth kritisiert damit keineswegs nur »die alte religiös-politische Einheitswelt des orbis christianus«269, die er als Maskerade erachtet, sondern er scheut auch nicht davor zurück, die eigene Tradition in Gestalt der Reformierten Bekenntnisschriften, namentlich die Confessio Scotica (Art. 24) für die allzu enge Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat hinsichtlich der Kirchenzucht zu 261 E. Mechels, Kirche und gesellschaftliche Umwelt, 232. Wie E. Mechels (a. a. O., 233) feststellt, ist Barths Modell »nur im Kontext der vollen Säkularität plausibel«. 262 K. Barth, Das Evangelium in der Gegenwart, 33 f. Vgl. dazu: E. Busch, Die Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, bes. 84 ff. 263 Vgl. K. Barth, Eine Schweizer Stimme, 231 f. (Im Namen Gottes des Allmächtigen, 1941). 264 So A. Rasmusson, The Politics of Diaspora, 88 – 111. Vgl. auch ders., Deprive them of their Pathos, 385. 265 Zur theologischen Wahrnehmung des Problems der Säkularisation vgl. M. Weinrich, Kirche glauben, 21 – 65. 266 J.H. Yoder (Karl Barth and the Problem of War and Other Essays on Barth, 175 – 188) bezeichnete K. Barth als »Post-Christendom Theologian« bzw. als »post-Constantinian« (a. a. O., 185). Ähnlich auch S. Hauerwas, With the Grain of the Universe, 203. 267 M. Weinrich, Kirche glauben, 26. 268 K. Barth, KD III/4, 521. Vgl. dazu: E. Busch, Verantwortung für den Frieden, 74. 269 E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, 46.

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kritisieren: »Es ist zu viel gesagt, es steckt sogar ein gewisser theologischer Irrtum darin, wenn sie vom Staat verlangt, daß er die wahre Kirche nicht nur schützen, sondern gegebenen Falles auch die Reformation der Kirche und also die Herstellung der wahren Kirche in seine Hand nehmen und nach dem Vorbild der alttestamentlichen Könige den Götzendienst und allen in der Kirche aufkommenden Aberglauben unterdrücken solle. Das ist zuviel und zwar in gefährlicher Weise zuviel gesagt!«270 Barth spricht sich nachdrücklich gegen eine »Verwechselung zwischen dem kirchlichen und dem politischen Gottesdienst«271 aus. Und auf einer Pressekonferenz am 1. 5. 1962 in New York gefragt, wie sein Standpunkt in der Frage von Kirche und Staat aussehe, antwortet er : »Ich glaube, daß sie voneinander getrennt sein sollten. Besonders für die Kirche ist es besser, nicht in politische Arrangements verwickelt zu werden. Meine Vorstellung ist die einer freien Kirche in einem freien Staat.«272 Im Bild der beiden konzentrischen Kreise mit dem gemeinsamen Zentrum in Christus, das Barth zur geometrischen Darstellung des Verhältnisses von Christengemeinde (im Bilde gesprochen: als engerer, innerer Kreis) und Bürgergemeinde (wiederum im Bilde gesprochen: als weiterer äußerer Kreis) gebraucht, schlägt sich die Säkularisierung als anerkannte Voraussetzung in der Bestimmung der noetischen Differenz zwischen beiden nieder : Die Bürgergemeinde ist »dem Geheimnis des Reiches Gottes, dem Geheimnis ihres eigenen Zentrums gegenüber unwissend, dem Bekenntnis und der Botschaft der Christengemeinde gegenüber neutral«273 eingestellt. Die Religionsneutralität des säkularen Staates kann Barth auch als »geistliche Blindheit«274 bezeichnen. Barth nimmt damit gleichsam die Situation der vollendeten Säkularisierung vorweg,275 wobei er den Prozess der Säkularisierung keineswegs im Sinne einer 270 K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 209 f. 271 Ders., Offene Briefe 1935 – 1942, 296 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). Vgl. ders., Eine Schweizer Stimme, 328 (Verheißung und Verantwortung der christlichen Gemeinde im heutigen Zeitgeschehen, 1944): »Die christliche Gemeinde kann und soll gewiß nicht selber Politik machen und regieren wollen. Sie kann und muß aber den Völkern und den Regierungen bezeugen, daß Politik Gottesdienst, Recht und Freiheit Gottesgaben sind.« 272 Ders., Gespräche 1959 – 1962, 284 (Pressekonferenz in New York, 1962). 273 Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 66. 274 Vgl. a. a. O., 50: »Die Bürgergemeinde als solche ist geistlich blind und unwissend. Sie hat weder Glauben noch Liebe noch Hoffnung. Sie hat kein Bekenntnis und keine Botschaft. In ihr wird nicht gebetet und in ihr ist man nicht Bruder und nicht Schwester. In ihr kann nur gefragt werden, wie Pilatus fragte: Was ist Wahrheit? weil jede Antwort auf diese Frage ihre Voraussetzung aufheben würde. ›Toleranz‹ ist in ›religiöser‹ Hinsicht – ›Religion‹ ist hier das letzte Wort zur Bezeichnung jener anderen Sache – ihre letzte Weisheit.« 275 Treffend bemerkt H. Ruddies (Unpolitische Politik?, 179) im Blick auf Barth: »Selbst wenn alle Bürger Christen würden, müsste eine klare Trennung von Kirche und Staat aufrechterhalten werden und wäre das Ziel eines christlichen Staates ein frommes Blendwerk.«

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kontingenten historischen Entwicklung beurteilt, die nun einmal notgedrungen widerwillig-resignativ als status quo des zerbrochenen Reiches eines populus christianus und der aufgesprengten Einheit der res publica christiana zur Kenntnis nehmen müsse. Barth sieht darin vielmehr eine begrüßenswerte Entwicklung.276 Dies zeigt sich daran, dass Barth nicht einfach nur aufgrund empirischer Beobachtung das Urteil fällt: »Es gibt also keinen der christlichen Kirche entsprechenden christlichen Staat«277. Über die Beschreibung des Ist-Zustandes hinaus weist er den säkularen IstZustand nicht umfassend in all seinen Erscheinungsformen, aber doch zumindest in puncto Religionsneutralität (als integralen Bestandteil) von Rechtsstaatlichkeit als Soll-Zustand aus. So spricht er sich programmatisch-normativ gegen eine Hierokratisierungs- wie Theokratisierungsstrategien aus, d. h. gegen eine Verchristlichung der Bürgergemeinde zu einem »Pfaffenstaat«278, also gegen eine Verdoppelung der Kirche im politischen Raum: Der Staat »kann und soll keine zweite Kirche sein, geschweige denn, daß er auch nur einen Anfang des Reiches Gottes (auf das ja die Kirche nur hoffen kann) darzustellen hätte. Man darf, wenn der Staat redet, kein Bekenntnis des christlichen Glaubens zu hören erwarten.«279 Der Grund, den Barth für seine These von der Unmöglichkeit eines christlichen Staates280 im Rekurs auf Röm 13 anführt, ist ein genuin theologischer : Der Staat ist – auch wenn er als »die unwissende, die neutrale, die heidnische Bürgergemeinde im Reiche Christi«281 selbst nichts davon weiß – eine »Auswirkung einer göttlichen Anordnung« und »die Erscheinung einer jener Konstanten der göttlichen Vorsehung und der von ihr regierten Weltgeschichte im Reiche Christi«282.

276 So der Sache nach auch E. Busch, Die große Leidenschaft, 179. 277 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 58. 278 Ders., Rechtfertigung und Recht, 33. Chr. Frey (Die Theologie Karl Barths, 178) bemerkt zu Recht, dass nach K. Barth die Kirche »den Staat nicht klerikal bevormunden, sondern bewegen [wird], sich selbst treu zu sein.« Die Treue des Staates gegenüber sich selbst besteht darin, dass er »Recht sprechen und schützen, der Botschaft der Rechtfertigung freie Bahn lassen« wird. 279 K. Barth, Offene Briefe 1935 – 1942, 289 (Ein Brief aus der Schweiz nach Großbritannien, Ostern 1941). 280 Adäquat stellt H.-G. Geyer (Einige vorläufige Erwägungen, 418 f.) fest: Die »These von der Unmöglichkeit eines christlichen Staates schließt den Widerspruch gegen die Möglichkeit eines religiösen Staates überhaupt ein; er richtet sich gegen alle Formen der Synthese von Religion und Politik, bzw. von Kirche und Staat: von der Theokratie über die Hierokratie bis hin zum Cäsaropapismus, um das idealtypische Spektrum Max Webers zu zitieren«. Vgl. dazu den Abschnitt »Staat und Hierokratie«, in: M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 564 – 679. 281 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 61. 282 Ebd., 58.

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Hier tritt nun ergänzend zur noetischen Differenz zwischen Christengemeinde und Bürgergemeinde die ontologische Beziehung zwischen beiden in Erscheinung: Beide stehen nach Barth im Reich Christi und beide sind in ihrer eigenen Existenz »die Auswirkung einer göttlichen Anordnung (ordinatio, Einsetzung, Stiftung), eine exusia, die nicht ohne, sondern nach Gottes Willen ist und wirksam ist (Röm 13,1b).«283 Doch besteht – so Barth mit Barmen V gegen eine neulutherisch-ordnungstheologische Begründung des Staates284 – die in der Existenz des Staates stattfindende »Auswirkung göttlicher Anordnung […] darin, daß es da Menschen (ganz abgesehen von Gottes Offenbarung und ihrem Glauben) faktisch übertragen ist, ›nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens‹ für zeitliches Recht und zeitlichen Frieden, für eine äußerliche, relative, vorläufige Humanisierung der menschlichen Existenz zu sorgen.«285 Sofern dies geschieht, sind die dafür verantwortlichen Regierenden – wie dargestellt wurde286 – nach Röm 13,1 »Diener (liturgoi) Gottes«287 und ihr Dienst ein »Gottesdienst in der Welt, ein[] politische[r] Gottesdienst.«288 Das Existenzrecht des Staates besteht in seiner Realisierung des Auftrages, für Recht und Frieden zu sorgen.289 Mit diesen Bestimmungen beschreibt Barth nichts anderes als die Aufgabe des säkularen Rechtsstaates. Dessen Säkularität besteht nach Barth in seiner Freiheit von jeglicher Bindung an ein Bekenntnis zu Gott, d. h. in seiner religiösen Neutralität. Dass Barth tatsächlich mit seinem säkularen Staatsverständnis den religiös neutralen Rechtsstaat290 zielsicher anvisiert, wird hin283 Ebd., 54. 284 Diese Stoßrichtung Barths akzentuiert W. Kreck (Grundfragen christlicher Ethik, 309 – 322) scharf. 285 K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 58. 286 Vgl. zum politischen Gottesdienst den Abschnitt II.2.3.2.4. der vorliegenden Untersuchung. 287 K. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre, 207. 288 Ebd. 289 Dass diese Aufgaben des Staates nach Barth zugleich dessen Grenzen bestimmen, hat D. Ficker Stähelin (Karl Barth und Markus Feldmann, 127) als das punctum saliens des Streits zwischen Barth und dem späteren Schweizer Bundesrat Markus Feldmann im »Kalten Krieg« herausgearbeitet: »Überschreitet er [der Staat; M.H.] seine Grenze, läuft er Gefahr, zum totalen Staat zu werden, auch wenn er ein demokratisches Gewand hat. Diesen Vorwurf musste sich Feldmann von verschiedenen Seiten gefallen lassen. […] Die dialektischen Theologen störte nicht, dass Feldmann die Kirche anders verstand, als sie es taten. Sie wehrten sich aber dagegen, dass Feldmann darüber wachen wollte, dass und wie die ›Freiheit der Lehrmeinung auf reformierter Grundlage‹ in der Kirche gewahrt werde. Indem der Staat entscheiden wollte, was unter der reformierten Grundlage zu verstehen sei, machte er sich selbst zur Kirche und versuchte die Grenzen des Glaubensbekenntnisses festzulegen.« 290 Ganz im Sinne Barths urteilt H.-G. Geyer, Einige vorläufige Erwägungen, 419 f.: »Diese Maxime des nicht-religiösen Staates und der nicht-religiösen Praxis des politischen Lebens ist jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Votum für ein prinzipielles oder auch nur okkasionelles Bündnis des Staates mit einer dezidiert anti-religiösen Weltanschauung. Darauf

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sichtlich der Barthschen Beschreibung des profanen Weges der Aufrichtung des Rechts, der Freiheit und des Friedens als Aufgabe der Bürgergemeinde evident: »Es ist wohl wahr : der tiefste, der letzte, der göttliche Sinn der Bürgergemeinde besteht darin, Raum zu schaffen für die Verkündigung und für das Hören des Wortes und insofern allerdings für die Existenz der Christengemeinde. Aber der Weg, auf dem die Bürgergemeinde dies nach Gottes Vorsehung und Anordnung tut und allein tun kann, ist der natürliche, der weltliche, der profane Weg der Aufrichtung des Rechtes, der Sicherung von Freiheit und Frieden nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens. Es geht also gerade nach dem göttlichen Sinn der Bürgergemeinde durchaus nicht darum, daß sie selbst allmählich mehr oder weniger zur Kirche werde. Und so kann das politische Ziel der Christengemeinde nicht darin bestehen, den Staat allmählich zu verkirchlichen«291. H.-G. Geyer kann sogar unter Berufung auf Barth festhalten: »Mit ihrer praktisch-theoretischen Tendenz zur religiösen Neutralität des Staates betreibt die christliche Gemeinde so etwas wie die fortschreitende Politisierung oder Verstaatlichung des Staates«292. Zweifellos war Barth im Blick auf die Aufgabenbestimmung der Bürgergemeinde der Rechtsstaat »wichtigstes Anliegen«293, für dessen Erhaltung die Kirche ihm zufolge einzutreten und zu bitten hat: »Die Kirche erwartet vom Staate um der freien Predigt der Rechtfertigung willen, daß er Staat sei und also Recht schaffe und spreche. Die Kirche ehrt den Staat aber auch dann, wenn er diese Erwartung nicht erfüllt. Sie verteidigt dann auch den Staat gegen den Staat, sie repräsentiert dann, indem sie Gott gibt, was Gottes ist, indem sie Gott mehr gehorcht als den Menschen, mit ihrer Fürbitte die einzige Möglichkeit, den Staat wieder herzustellen und vor dem Untergang zu retten.«294

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wird die Kirche ebenso genau und bestimmt zu achten haben: wenn nötig auch stellvertretend für andere religiöse Gemeinschaften, mit denen sie nur in geistiger Auseinandersetzung leben kann. Ihr Protest gegen den religiösen Staat und eine religiöse Politik ist im gleichen Maß auch der Protest gegen den antireligiösen Staat und eine anti-religiöse Politik. […] In ihrem Verhältnis zum Staat wird es der christlichen Gemeinde stets zuerst darauf ankommen müssen, mit überzeugender Gewissheit und Klarheit diese beiden Punkte zu vertreten: daß die Religionsfreiheit des Staates sowohl notwendig als auch möglich ist für sein zweckmäßiges Dasein; – und mit gleichem Nachdruck –, daß ein Fortschritt zur Gottlosigkeit für den Staat weder eine Notwendigkeit noch eine echte Möglichkeit bildet.« K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 62 f. H.-G. Geyer, Einige vorläufige Erwägungen, 420. Chr. Frey, Die Theologie Karl Barths, 179. K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 41. Was Barth unter einem Rechtsstaat mit einer klar geregelten Gewaltenteilung und einer verbrieften Rechtsordnung versteht, hat er im Frühjahr 1948 auf seiner Ungarnreise als einen Gleichgewichtszustand, als eine Balance zwischen den Elementen Recht, Freiheit und Frieden erläutert: »Ein rechter Staat wird der sein, in dem die Begriffe: Ordnung, Freiheit, Gemeinschaft, Macht und Verantwortung im Gleichgewicht stehen, wo keines dieser Elemente verabsolutiert wird, so daß es die anderen beherrscht. Ein Staat, in welchem nur die Freiheit des Individuums gelten würde, wäre kein

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Theologische Friedensethik als kirchliche Ethik

4.3.1. Die politische Verantwortung der Christengemeinde Darauf, dass man K. Barths Ethik durchaus als kirchliche Ethik lesen und verstehen kann, ist nicht nur in dieser Untersuchung, sondern in der Barth-Forschung bereits mehrfach hingewiesen worden. So hat R. Hütter etwa das Programm dessen, was er unter »kirchlicher Ethik« versteht, unter Rückgriff auf die »Kirchliche Dogmatik« K. Barths entwickelt und ausführlich die Verbindungslinien zwischen S. Hauerwas’ Konzeption und der K. Barths nachgezeichnet.295 Hütter liest Barth bzw. die ekklesiologischen Ausführungen der »Kirchlichen Dogmatik« »im Verfolgen einer bestimmten Spur«296, »um eine Zuspitzung der ekklesiologischen Logik auf ihre Implikationen für eine kirchliche Ethik hin«297 vorzunehmen. Ohne R. Hütters programmatischen Anspruch zu teilen, haben M. Beintker und H.T. Goebel dieselbe »Spur« entdeckt,298 nämlich die gemeindeperspektivische Orientierung der politischen Ethik K. Barths. Barth selbst hat diese Spur deutlich kenntlich gemacht: »Christliche Ethik ist nicht individuell, sondern christliche Ethik bildet Gemeinde, Gemeinde der Christen zunächst, also derer, die den Ruf gehört haben.«299 Wie Beintker hervorhebt, hat Barth, indem er vom

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Rechtsstaat, sondern ein im Abgleiten in die Anarchie begriffener Staat. Wenn in einem Staat die bloße Macht vorherrscht, dann ist er nicht Rechtsstaat, sondern Tyrannei. Oder wenn in einem Staat allein das Prinzip der Gemeinschaft sich durchsetzen wollte, so hätten wir einen Ameisen-, aber keinen Rechtsstaat. Der rechte Staat ist der Staat, in dem keine solche Übertreibung stattfindet, sondern in dem diese Elemente in einem gewissen Ausgleich stehen.« Ders., Christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnungen, 49. Vgl. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 25 – 105. Vgl. auch J.L. Mangina, The Stranger as Sacrament, 322 – 339; A. Rasmusson, The Politics of Diaspora, 88 – 111. Zur aktuellen, von Hauerwas stark beeinflussten anglo-amerikanischen Diskussion der Ekklesiologie Barths vgl. K.J. Bender, Karl Barth’s Doctrine of the Church, 84 – 116. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 22. Den engen Barth-HauerwasKonnex betont auch H. Bedford-Strohm, Theological Ethics and the Church, 178. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 22. Bereits in den späten 1960er Jahren hat W.-D. Marsch (vgl. Gerechtigkeit im Tal des Todes, 172.182; Institution im Übergang, 81 f.) bei Barth eine sich kulturell absondernde, im Modus des Appellativen agierende religiöse Gruppenethik ausgemacht, die er scharf kritisiert: »Barths Ethik – so könnte man Marsch resümmieren – ist Gruppenethik in dem historisch-soziologischen Verband Volkskirche; und sie ist dem von ihr prognostizierten und begrüßten Ende der historischen Volkskirche in Deutschland bereits dadurch voraus, dass sie auch die dogmatisch-ekklesiologischen und politischen Bedingungen einer nachvolkskirchlichen Realität schon jetzt erörtert und akzeptiert, – freilich um den Preis einer Daueroszillation zwischen Kirche und Sekte.« H. Ruddies, Unpolitische Politik?, 183. K. Barth, Christliche Ethik, 13. Vgl. auch D. Ritschl, Zur Logik der Theologie, 292: »Die Einbettung der Entscheidung bzw. Routine in die Story, in den ekklesiologischen Zusammenhang […], heißt nichts weniger als daß die Gläubigen letztlich keine ›Individualethik‹ kennen.« Vgl. auch M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde,

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Zeugnisauftrag der christlichen Gemeinde auf ekklesiologischer Argumentationsebene ausgeht, den gemeindeperspektivischen Zugang bewusst gewählt und gegenüber anderen Zugängen favorisiert: »Der gemeindeperspektivische Zugang bietet den Vorteil, daß sich das Nachdenken an jenen Ort begibt, wo die Einsichten in das Evangelium gewonnen werden und sich der Menschen bemächtigen wollen. Das genuine Kommunikationsfeld des christlichen Glaubens kann hautnah angesprochen werden. Die konkreten Menschen, ›die sich als Christen bekennen und mit mehr oder weniger Ernst Christen sein möchten‹, kommen zum Vorschein. Sie verschwinden nicht hinter den etablierten Strukturen und Prozeßabläufen. Es war ein entscheidender Schritt zu einer situationsadäquaten Nahbeschreibung, daß Barth in der konzeptionell herausragenden Schrift ›Christengemeinde und Bürgergemeinde‹ die abstrakten Kollektivsubjekte ›Kirche‹ und ›Staat‹ durch die Akteurspositionen zweier Gruppierungen, der der ›Christengemeinde‹ und der der ›Bürgergemeinde‹, ersetzt hat. Der von Barth praktizierte Erschließungsansatz der Sozialethik zielt auf die kommunitären Interaktionsgeflechte der sozialen Welt, auf die Meso-Ebene der Gruppen und Verbände, wo die Menschen als Subjekte einer spezifischen Verantwortung anzusprechen und bei ihrer Verantwortung noch zu behaften sind.«300

In seiner Schrift »Christengemeinde und Bürgergemeinde« argumentiert Barth bezeichnenderweise immer von der Christengemeinde und ihrem Bekenntnis aus, wenn er nach Beispielen von Gleichnissen des Reiches Gottes in der Bürgergemeinde fragt.301 Anders als von diesem Ort aus und dem auf ihn bezogenen theologischen Begründungszusammenhang kann Barth keine politisch-ethische Urteilsbildung vollziehen. Denn nur hier wird in praktischer wie theoretischer 173: »Es ist signifikant, daß Barth bevorzugt die Christengemeinde als Subjekt ihrer politischen Verantwortung begriff und darüber die einzelnen Christen als individuell verantwortliche Subjekte im politischen Geschehen vernachlässigte, obwohl er gerade den Beitrag der einzelnen Christen in der Politik in ›Christengemeinde und Bürgergemeinde‹ besonders erwähnenswert fand.« K. Barth hebt hingegen im friedensethischen Abschnitt seiner Ethik der Schöpfungslehre (KD III/4, 516.531 – 534) die Friedensverantwortung des Individuums hervor, die er etwa am Beispiel der Militärdienstverweigerung (vgl. a. a. O., 534 – 538) exemplifiziert. Vgl. auch ders., Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 13. 300 M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 151 f. Zu den verschiedenen Ebenen der politisch-ethischen Verantwortung s. T. Jähnichen, Wirtschaftsethik, 13. Vgl. H.T. Goebel, Die politische Gemeinde als Lernfeld für geistliche und politische Verantwortung, 58: »[D]ie christliche Gemeinde [wird] zum politischen Lernfeld. Und zwar im Sinne Barths in Konzentration auf Verkündigung, Gebet, Theologie. Das scheint mir auch in politisch-didaktischer Hinsicht ein Besonderes am Barthschen Ansatz zu sein, daß sowohl das ›Daß‹ als auch das ›Wie‹ politischen Wählens und Urteilens und Entscheidens genau dadurch und darin zu lernen sind, daß sich die Kirche auf ihre ureigenste Sache, auf Verkündigung und Gebet, konzentriert. Wenn sie nur darin Gottes Herrschaft in Jesus Christus und sein Entscheiden, Urteilen, Wählen und Verwerfen ernstnimmt und die politische Ordnung als eine gottesdienstliche in Anspruch nimmt und für die Verdeutlichung dieses ihres Sinnes selbst Verantwortung übernimmt.« 301 Vgl. K. Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, 67 – 74 (Ziffer 15 – 26).

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Hinsicht im »konkreten Gehorsam und Bekenntnis« das getan, »was die mit Christus noch nicht bekannte Menschheit nicht tut, auch nicht tun kann«302. Die Christengemeinde allein weiß um ihre Bindung an den Auftrag, der nach Barmen VI darin besteht, »an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.« Die Bestimmung des auf noetischer Ebene angesiedelten Differenzmoments zwischen der geistlich blinden Bürgergemeinde und der geistlich vorsprungsbegnadeten Christengemeinde einerseits und des unabweislichen Angewiesenseins auf das theologisch defizitäre Naturrecht andererseits führt Barth zu der Synthese zusammen, die in der Betonung der politischen Mitverantwortung der Christengemeinde besteht: Die Bürgergemeinde ist »darauf angewiesen, aus den löchrigen Brunnen des sogenannten Naturrechts zu schöpfen. Sie kann sich nicht von sich aus an das wahre und wirkliche Maß ihrer Gerechtigkeit erinnern, sich nicht von sich aus zu deren Erfüllung in Bewegung setzen. Sie bedarf eben dazu der heilsam beunruhigenden Gegenwart, der unmittelbar und direkt um jenes Zentrum rotierenden Tätigkeit und also eben: der politischen Mitverantwortung der Christengemeinde.«303 Zur politischen Mitverantwortung der Christengemeinde gehört nach K. Barth neben den direkten kirchlichen Stellungnahmen ein zweifaches, nämlich ein zweifaches »Genus« der Wahrnehmung derselben: Zum einen ihr direktes Engagement in Gestalt einzelner Christinnen und Christen im politischen Bereich und zum anderen ein indirektes politisches Engagement im kirchlichen Bereich. Die Differenzierung ist komplexer als es zunächst scheint, zumal sich durchaus beide »genera« an Menschen außerhalb der Kirche richten. Der Unterschied besteht nur darin, dass dies im einen Fall direkter als im anderen geschieht, womit allerdings noch nichts über die Effektivität beider Versuche, Menschen extra muros ecclesiae zu erreichen, gesagt ist. Im Blick auf das direkte Engagement spricht K. Barth von einer metabasis eis allo genos: »Sie, die Christengemeinde, ist hier [im politischen Bereich; M.H.] nicht neutral und darum auch nicht ohnmächtig. Vollzieht sie nur die große, die ihr als ihre politische Mitverantwortung gebotene und notwendige metabasis eis allo genos, so kann und wird sie auch im anderen genos nicht neutral, nicht ohnmächtig sein, ihren Herrn auch dort nicht verleugnen können.«304 Seine Ausführungen abschließend, legt Barth hinsichtlicht der »praktischen Verwirklichung der christlich-politischen Entscheidungen«305 dar, daß die ein302 303 304 305

Ders., KD IV/3, 823. Vgl. ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 66. Ebd. Ebd.

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zelnen Christen, die »von ihrem Ort aus besser als andere der Stadt Bestes zu suchen wissen«306, in der Bürgergemeinde anonym und also nicht als »christliche Partei« auftreten307 und als politische Menschen auch politische Verantwortung wahrnehmen. »In ihrer [der einzelnen Christen, die in Anonymität in der Bürgergemeinde tätig sind; M.H.] Existenz vollzieht sich dann ihre politische Mitverantwortung auch in der direktesten Form.«308 In indirekterer Form vollzieht sich hingegen – wie K. Barth schreibt – der »vielleicht entscheidende Beitrag der Christengemeinde im Aufbau der Bürgergemeinde«309, welcher in der exemplarischen Existenz der Christengemeinde für die Bürgergemeinde besteht, deren Ausgestaltung Barth als Reformation, nicht als Restauration anvisiert: »Vielleicht der entscheidende Beitrag der Christengemeinde im Aufbau der Bürgergemeinde besteht darin, daß sie ihre eigene Existenz, ihre Verfassung und Ordnung theoretisch und praktisch dem gemäß gestaltet, daß sie, die direkt oder bewußt um jenes gemeinsame Zentrum versammelt ist, den inneren Kreis innerhalb des äußeren darzustellen hat. Der rechte Staat muß in der rechten Kirche sein Vorbild und Urbild haben. Die Kirche existiere also exemplarisch, d. h. so, daß sie durch ihr einfaches Dasein und Sosein auch die Quelle der Erneuerung und die Kraft der Erhaltung des Staates ist.«310 Barths Rede vom »entscheidenden Beitrag« signalisiert den prioritären Status, der auf der mittelbaren statt unmittelbaren Bezugsebene des Politischen angesiedelt ist. Hier tritt bei Barth das in den Blick, was S. Hauerwas in die programmatische Formel »The Church as Polis«311 gefasst hat. S. Hauerwas verabschiedet sich mit dieser Formel resolut vom Gedanken einer funktionalen Integration von Kirche und theologischer Sozialethik (verstanden als eine genuin kirchliche Praktik312) in die (Welt-)Gesellschaft. Nicht die Welt bildet den umfassenden Horizont, dem Kirche ein- und unterzuordnen ist, sondern die universale Friedensherrschaft Gottes in der Welt: »In der Tat will ich gerade diese These bestreiten, daß christliche Sozialethik vor allem den Versuch darstellt, die Welt friedfertiger und gerechter zu machen. Vielmehr ist die erste sozialethische Aufgabe der Kirche diejenige, Kirche zu sein – als Dienstgemeinschaft. Eine solche Behauptung mag wohl selbstbezogen klingen, solange wir uns nicht daran erinnern, daß das, was Kirche zur Kirche macht, die treue 306 307 308 309 310 311

A.a.O., 81. Vgl. a. a. O., 76 ff. A.a.O., 81. A.a.O., 80. Ebd. So der Titel der Dissertation von A. Rasmusson, den S. Hauerwas als Untertitel seines Aufsatzbandes »In Good Company« übernommen hat. 312 Zum Begriff der »Praktik« vgl. R. Hütter, Theologie als kirchliche Praktik, 56 – 61.

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sichtbare Verkörperung der Friedensherrschaft Gottes in der Welt ist.«313 In Hauerwas’ Konzeption avanciert die »story« der christlichen Gemeinde zur »›counter story‹ that interprets the world’s politics.«314 Barths Modell von »Christengemeinde und Bürgergemeinde« verhält sich demgegenüber weniger desintegrierend bzw. antagonistisch, wie bereits das Bild der beiden konzentrischen Kreise verdeutlicht, die beide in den »christologischen Bereich«315 gehören. Gleichwohl betont auch Barth den prioritären Status der mittelbaren politischen Existenz der Gemeinde, die der Welt ein Vorbild sein soll. Barth widersetzt sich damit jeder pejorativen Rede vom kirchlichen Binnenleben: »[A]uch in der offenen Gesellschaft […] bleibt die Existenz der Gemeinde ein mittelbar politischer Faktor, der die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Gesellschaft – laut und doch aufregend – stört und unterbricht: Die ortsüblichen Differenzierungen der Menschen nach sozialen Positionen, Ethnien, Geschlechtern verlieren ihren Trennungscharakter, Menschen, die verfeindet waren, finden unter dem Wort der Vergebung zusammen, Verblendungen werden durchschaut, damit die Wahrheit zum Zuge kommt, Autonomiezwänge fallen, weil entdeckt wird, wes Herren Kind man tatsächlich ist, usw. Man sollte sich hüten, dieses Binnenleben der christlichen Gemeinde als eine unpolitische Angelegenheit hinzustellen und das Politische erst dort zu verorten, wo Denkschriften publiziert und Pressekonferenzen anberaumt werden.«316 Vom Abendmahl aus, in dessen Vollzug soziale, ökonomische, nationale, klassen- und geschlechtsbezogene Grenzen durchbrochen werden, wäre – wie R. Hütter betont – eine kirchliche Ethik des Politischen zu entwickeln.317 Neben anderen beispielhaften kirchlichen Lebensvollzügen (etwa dem Gebet für den 313 S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen, 159. R. Hütter (Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 236) hebt hervor, dass man diese Aussage Hauerwas’ missverstehen würde, wenn man sie im Sinne eines rein selbstbezogenen kirchlichen Handelns interpretieren würde: »Vielmehr ist es [dieses Handeln; M.H.] in seiner Selbstbezogenenheit ganz Dienstleistung an der Welt. Kurz: Wenn die Kirche ganz darum bemüht ist, eine Gemeinschaft des Friedens und der Wahrheit zu sein und in sich Klassen- und Rassenschranken, Geschlechts- und Altersschranken zu durchbrechen und aufzuheben, leistet sie der Welt einen größeren Dienst, als wenn sie versuchte, die Welt (im Sinne einer Herstellung) friedlicher und gerechter zu machen«. 314 A. Rasmusson, The Church as Polis, 188. 315 K. Barth, Rechtfertigung und Recht, 20. Vgl. ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, 54 f. 316 M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 158 f. Vgl. H.T. Goebel, Christliche Gemeinde als Lernfeld für geistliche und politische Verantwortung, 48: »Praxisfeld und Wahrnehmungsfeld für politische Verantwortung wird die Gemeinde Jesu Christi, indem sie ihre geistliche Verantwortung wahrnimmt.« 317 Vgl. R. Hütter, Evangelische Ethik als kirchliches Zeugnis, 232. An anderer Stelle habe ich diesen Gedanken aufgenommen und entfaltet: M. Hofheinz, Friedenstiften als kirchliche Praktik, 49 – 52. Vgl. auch H.G. Ulrich, Kirchlich-politisches Zeugnis vom Frieden Gottes, 11 ff.; B. Wannenwetsch, Gottesdienst als Lebensform.

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Frieden)318 können insbesondere die Sakramente als vorläufige Darstellung der Versöhnungs- und Friedenswirklichkeit dienen. Pars pro toto für seine Schüler, die Barths Rede von der exemplarischen Existenz der Christengemeinde aufgegriffen haben, sei hier auf H. Gollwitzers Rede von der Kirche als »Vortrupp des Lebens« verwiesen, wie er sie etwa in einer seiner Dahlemer-Predigten entfaltete: »Wir leben inmitten der mächtigen Kollektive dieser Erde, die ein Schlachtfeld ist von jeher, auf dem die Rassen und die Nationen und die Klassen ihre Kämpfe ausfechten um den größeren Anteil an Macht und Gütern dieser Erde. Wir haben da auch mitgemacht, wir sind aber ausgetreten aus diesem Totentanz, wir sind in einen anderen Kampf eingetreten, in den Kampf des Lebens gegen diese Todesverhältnisse. Wir sind ein Vortrupp des Lebens, eine Friedensgruppe mitten auf dem Schlachtfeld: eine heilige Nation.«319 Dieses Zitat macht die Affinitäten zwischen Barths gemeindezentrierter Denkungsart und Hauerwas’ pazifistischer Konzeption transparent: »The church tells […] a story of an ecclesial interruption, based on Jesus Christ, of the world’s violent story«320. 4.3.2. Der Friedensauftrag der Kirche Aufgrund der gemeindeethischen Perspektivierung der politischen Ethik Barths verwundert es kaum, dass Barth auch in friedensethischen Zusammenhängen auf die Kirche und ihre Aufgaben zu sprechen kommt. Barth steckt diesbezüglich ein denkbar weites Feld kirchlicher Friedensaktivitäten und -initiativen ab, welches alle Bereiche menschlichen Zusammenlebens, oikos und polis, betrifft und die umfassende politische Weltverantwortung der Kirche in Entsprechung zur Universalität der Herrschaft Christi widerspiegelt. Die als global player auf nationaler wie internationaler Ebene agierende Kirche hat – wie Barth sagt – in Sachen des rechten Friedens einzutreten »für Treue und Glauben auch in ihren 318 Vgl. dazu Abschnitt I.1.3. der vorliegenden Untersuchung, in dem die Bedeutung des Gebets als Grundakt des christlichen Lebens erläutert wird. H. Bedford-Strohm (Gottes Versöhnung und militärische Gewalt, 226) hebt die Bedeutung des Gebets für den Frieden berechtigterweise hervor: »Die Kirchen sind der Ort, an dem Erschrecken über das Leid, das Menschen sich antun, Ratlosigkeit im Hinblick auf die Lösungswege und Hoffnung auf den Sieg des Lebens zum Ausdruck gebracht werden können. Wer Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt bekennt, der wird auch das Gebet für den Frieden als aktive Friedensarbeit verstehen. Auch für Menschen, die sich nicht vom christlichen Glauben her verstehen, ist nachvollziehbar, welche Bedeutung solches die Tiefenstrukturen der Existenz berührende Mitleben und Mitleiden mit den Opfern von Krieg und Gewalt über die zeitliche und geografische Distanz hinweg hat. So kann das Gebet auch als gelebter Widerstand gegen die Abstumpfung angesichts der Bilder von Krieg und Gewalt, verstanden werden, die im Zeitalter der Massenmedien den Alltag begleiten.« 319 H. Gollwitzer, Vortrupp des Lebens, 65 (Predigt zu 1Petr 2,9 – 10 vom 28. 10. 1973). 320 A. Rasmusson, The Church as Polis, 306.

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Beziehungen untereinander als für die allein sinnvolle Voraussetzung aller ›richtigen‹ Außenpolitik, für solide, vertragsmäßige Verständigungen, und für deren Innehaltung, für Schiedsgerichte und internationale Zusammenschlüsse, und vor allem in jedem einzelnen Volk und Staat: für die Aufgeschlossenheit, für das Verständnis, für die Geduld den anderen gegenüber, für eine solche Erziehung der Jugend, die ihr den Frieden und nicht den Krieg lieb macht, gegen die Einrichtung von sogenannten ›stehenden‹ Armeen, in denen jedenfalls die Offiziere per se eine permanente Gefahr für den Frieden bilden, und gegen alle hetzerische Hysterie, d. h. gegen alles voreilige An die Wand malen jenes anderen, des kriegerischen Ernstfalls.«321 Damit ist das Wofür, also der Gegenstandsbereich des Eintretens von Kirche benannt, der von einem universalen Völkerrecht bis hin zur ganz basalen alltäglichen friedenspädagogischen Arbeit in Schulen und Gemeinden reicht.322 Das Wie des Eintretens der Kirche für den Frieden umschreibt mit Barth mit der Metapher von der Stimme der ruhigen Vernunft, die die Kirche gegen hetzerische, kriegsbegeisterte Hysterie zu erheben habe.323 Insbesondere auf dem biographischen Hintergrund von Barths grundstürzenden Erfahrungen mit der Kriegbegeisterung seiner theologischen Lehrer und der allgemeinen Massenhysterie und -suggestion zu Beginn des Ersten Weltkriegs wird seine Forderung nach ruhiger Vernunft verständlich: »Die Kirche wird sich auf gar keinen Fall, sie wird sich auch in extremis niemals unter den Aufregenden befinden und ihre Sprache sprechen dürfen. Gerade die in dieser Sache mutwillig Aufregenden und die von ihnen verführten Aufgeregten werden es, ob es ihnen gefällt oder nicht, immer nötig haben, daß ihnen von einem ruhigen Ort fest begegnet wird. Und dieser ruhige Ort muß mit ihrem Wort zur Lage die Kirche sein. Ein Heulen mit den Wölfen wird ihr Wort also niemals sein können.«324 So wie der Heilige Geist nach Barth der Freund des gesunden Menschenverstandes ist,325 so ist die kirchliche Verkündigung die Freundin der »ruhigen 321 K. Barth, KD III/4, 526. 322 K. Barth (a. a. O., 530) äußert sich auch zum Wie, zur Methode des Eintretens von Kirche in extremis: Sie soll dem in den Notstand geratenen Staatsvolk Zuwendung zukommen lassen, »ihm dann erweckend, tröstend, ermutigend und wohl auch zur Buße und zur Umkehr rufend, zur Seite […] stehen. Ums Heulen mit den Wölfen, um den militärpfäffischen Vortrag einer ad hoc ersonnenen Kriegsmoral wird es sich auch dann nicht handeln können, sondern dann erst recht um die Predigt des Evangeliums von der Herrschaft der freien Gnade Gottes, um die Anleitung zum Gebet, das dann gewiß nicht in der Anrufung eines heidnischen Geschichts- und Schlachtengottes bestehen, das dann gewiß immer wieder aus dem Dona nobis pacem! herkommen und in dieses einmünden wird.« 323 Der Vorwurf von W.-D. Marsch (vgl. Gerechtigkeit im Tal des Todes, 174 ff.), dass die politische Vernunft bei Barth durch eine theologische Suprakonzeption diskreditiert werde, erweist sich angesichts dieses Vernunft-Pathos’ Barths als sehr fraglich. 324 K. Barth, KD III/4, 527. 325 Vgl. ders., Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, 15.

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Vernunft«, aus der die nüchterne Erkenntnis der zwar nicht grundsätzlichen, aber doch praktischen und relativen Vermeidbarkeit von Krieg erwächst: »Es braucht noch lange keinen Optimismus, sondern nur ein wenig ruhige Vernunft zu der Erkenntnis, daß der Krieg zwar nicht absolut, wohl aber relativ, nicht prinzipiell, wohl aber praktisch weithin vermeidlich ist.«326 Als Freundin der ruhigen Vernunft ist die kirchliche Verkündigung Mentorin und Förderin eines sachgemäßen Umgangs mit den Kriterien des gerechten Krieges: »Die Kirche soll nicht den Pazifismus predigen, sie soll aber von Fall zu Fall dafür sorgen, daß die Stimme dieser ruhigen Vernunft, solange es irgend eine Möglichkeit dazu gibt, laut wird und zu Gehör kommt, daß die nicht wenigen Mittel, die es heute gibt, den Krieg praktisch zu vermeiden, jedenfalls ehrlich bis aufs letzte, bis zu ihrer wirklichen Erschöpfung angewendet werden«327. Auch in Bezug auf die kirchliche Friedensarbeit zeigt sich: »Ihr [der christlichen Gemeinde; M.H.] politisches Zeugnis richtet sich faktisch nicht gegen die Gesellschaft, es wird vielmehr in wacher Solidarität für die Gesellschaft ausgerichtet.«328 Dies ist wohlgemerkt keineswegs als Plädoyer Barths für die Idee einer christlichen Gesellschaft zu verstehen, sondern der sich hier artikulierende Gedanke einer Proexistenz der Gemeinde setzt einen säkularen Begriff von Kirche und Gesellschaft voraus.329 Es dürfte evident sein, dass Barths Vorstellung von der Kirche als dem Ort der ruhigen Vernunft zugleich die Vorstellung von der Kirche als dem Ort der sachgemäßen Anwendung der bellum-iustum-Kriterien impliziert.330 Sie gehören Barth zufolge primär, aber nicht ausschließlich in die Kirche hinein, wo sie der friedensethischen Urteilsbildung dienen. So sehr es hier zunächst um binnenkirchliche Orientierung geht, so wird und soll ihr Gebrauch – sofern das Zeugnis der Kirche nicht im Ghetto bleiben will – auch in Staat und Gesellschaft als Orientierung dienen. Dies schließt auch direkte Politikberatung mit ein. Abgesehen von der in der Kirche beheimateten und in ihren Praktiken veranschaulichten Lehre vom gerechten Frieden als Theorierahmen331 bildet das kirchliche Ethos der Unaufgeregtheit einen geeigneten Kontext für den angemessenen Umgang mit den bellum-iustum-Kriterien. Barth weiß um die diesbezüglich auftretende Schwierigkeiten, die entstehen, sobald die Massenhysterie 326 327 328 329 330

Ders., KD III/4, 526. A.a.O., 526 f. M. Beintker, Die politische Verantwortung der Christengemeinde, 159. Vgl. E. Mechels, Kirche und gesellschaftliche Umwelt, 231. Diese »Idee«, die ganz im Gefälle der Barthschen Ausführungen liegt, habe ich an anderer Stelle ausführlicher entfaltet. Vgl. M. Hofheinz, Friedenstiften als kirchliche Praktik, 40 – 57. 331 Die neue EKD-Denkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen« führt aus, dass die »Praxis des gerechten Friedens […] als Merkmal der weltweiten Gemeinschaft von Christinnen und Christen betrachtet werden kann«. A.a.O., 78.

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um sich greift und die Propagandamaschinerie zum Einsatz kommt: »In der Aufregung und in der Sprache der Propaganda steckt verborgen immer schon das Massentöten, das dann nur Massenmord sein kann.«332 Kirche hat sich nach Barth als global vernetzter Akteur in der weltweiten Zivilgesellschaft auf den verschiedenen Ebenen gesellschaftlich-institutionellen Zusammenlebens an der friedensethischen Urteilsbildung zu beteiligen. Barth versteht Kirche offenkundig auch in friedensethischer Hinsicht als Interpretationsgemeinschaft333 und das heißt wohl auch als den Raum, in dem die Kriterien des gerechten Krieges zur Interpretation und Anwendung gelangen und zwar im »Lichte des Gebotes Gottes«334. Ihre Anwendung ist selbst als kirchliche Praktik zu verstehen. Die Kirche hat nach Barth eindeutig zu bezeugen und geltend zu machen, aus welchen Gründen Kriege »nicht gerecht und also zu unterlassen sind«335 bzw. »was ein berechtigter Kriegsgrund nicht sein kann«336. Ohne einfach mit dem Gebot Gottes deckungsgleich zu sein, haben – wie gezeigt wurde337 – die Kriterien des gerechten Krieges dabei eine heuristische Funktion für Barth. Auf dem gebotsethisch perspektivierten Hintergrund der Kriterien des gerechten Krieges kann die christliche Kirche als Subjekt christlicher Friedensethik die »distanzierende, diese hinausschiebende Bewegung«338 machen und die »letzte Stunde des dunkelsten Tages«339 erkennen, an dem sie zum politischen opus alienum, zu den Waffen zu rufen hat. Dazu wird nach Barth freilich »nur die Kirche und

332 K. Barth, KD III/4, 527. 333 Vgl. dazu auch: F. Schüssler-Fiorenza, Kirche als Interpretationsgemeinschaft, 115 – 144. 334 K. Barth, KD III/4, 528. 335 Ebd. 336 A.a.O., 531. 337 Vgl. Abschnitt II.3.2. der vorliegenden Untersuchung. 338 K. Barth, KD III/4, 522: »Die Kirche, die Theologie hat zuerst und vor Allem diese distanzierende, diese hinausschiebende Bewegung zu machen. Wo sie nicht zuerst das und dann lange, lange nichts Anderes sagt, wo sie ihr Gewicht nicht entscheidend in diese Waagschale wirft, da ist sie ein dummes Salz, da ist sie ein stummer Hund geworden, der sich dann auch nicht wundern soll, von allen Seiten mit Füßen getreten zu werden. Und man merke wohl: wenn die Kirche, die Theologie es anders hält, wenn sie nicht zuerst das sagt, ihr Gewicht in diese Waagschale geworfen, wenn sie langweilig und unbesonnen vom Krieg als einem politischen opus proprium geredet hat, dann wird sie, wenn die letzte Stunde des dunkelsten Tages schlagen sollte, bestimmt nicht in der Lage sein, da es denn sein muß, glaubwürdig und mit Vollmacht auch das Andere zu sagen, das heißt glaubwürdig und mit Vollmacht zum politischen opus alienum, zu den Waffen zu rufen. Das wird nämlich die und nur die Kirche und Theologie zu tun in der Lage sein, die zuvor die Distanz gewahrt und also bis zuletzt zum Frieden gerufen hat.« 339 Ebd.

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Theologie zu tun in der Lage [sein], die zuvor die Distanz gewahrt und also bis zuletzt zum Frieden gerufen hat.«340 Dass Barth hier die Kirche als friedensethische Diskursgemeinschaft, die Kirche als Kontext der restriktiven Anwendung der Kriterien des gerechten Krieges und somit als politischen Agenten in den Blick nimmt, das sind Impulse, die in der neuen EKD-Friedensdenkschrift »Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen« (2007) aufgenommen werden. Dort fragt man nämlich nach dem spezifischen »Beitrag der Christenmenschen und Kirchen für den Frieden in der Welt«341. Zu diesem Beitrag gehören – wie H.-R. Reuter in seinem Kommentar zum Erscheinen der Denkschrift hervorhebt – »die Vergegenwärtigung des Friedens Gottes in Gottesdienst und Verkündigung, des Weiteren Bildung und Erziehung, Schutz und Beratung der Gewissen, Arbeit für Versöhnung und eine Profilierung des Leitbildes vom gerechten Frieden.«342 Mit der Frage nach kircheneigenen, praktischen kirchlichen Handlungsfeldern des Friedensstiftens tritt ein unverzichtbarer Aspekt in der friedensethischen Debatte hervor, auf den die sog. »kirchlichen Kommunitaristen« angelsächsischer, meist friedenskirchlicher Provenienz zu Recht aufmerksam gemacht haben. Der von ihnen in die Debatte eingebrachte konstruktive Beitrag besteht darin, dass sie die Aufmerksamkeit auf die Kirche als »treue sichtbare Verkörperung der Friedensherrschaft Gottes in der Welt«343 lenken. Mit S. Hauerwas gesprochen: »Peacemaking among Christians […] is not simply one activity among others but rather is the very form of the church insofar as the church is the form of the one who ›is our peace‹.«344 Im Mittelpunkt der friedensethischen Reflexion steht hier das Bemühen um die Auslegung des friedensstiftenden Charakters der Kirche, deren Telos in der glaubwürdigen Bezeugung des Handelns desjenigen besteht, der unser Friede ist (Eph 2,14). In dieser christologisch-ekklesiologischen Pointierung besteht – bei allem Dissens, 340 Ebd. 341 Kirchenamt der EKD (Hg.), Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, 12. Vgl. a. a. O., 28 – 56 (Kap. 2: »Der Friedensauftrag der Christen und der Kirche«). 342 H.-R. Reuter, Gerechter Frieden und »gerechter Krieg«, 36. Vgl. W. Huber, Von der gemeinsamen Sicherheit zum gerechten Frieden, 162: »Das Kapitel ›Der Friedensbeitrag der Christen und der Kirche‹ enthält nicht nur eine fundierte biblisch-theologische Begründung für das Friedensengagement der Christenheit, sondern macht von einer Phänomenologie des christlichen Gottesdienstes aus deutlich, wie der Einsatz für den Frieden in der Welt bereits in den Grundvollzügen der christlichen Existenz angelegt ist.« Vgl. fernerhin: B. Wannenwetsch, Der Kuß, der Frieden macht, 81 – 83. 343 S. Hauerwas, Selig sind die Friedfertigen, 159. Wie F. Enns (Friedenskirche in der Ökumene, 70 – 81) gezeigt hat, sind Hauerwas’ Impulse zu einer Integration von Ekklesiologie und Ethik in den neueren Diskussionen des ÖRK vor allem unter dem Stichwort »moral formation of the church« aufgenommen worden. Vgl. auch W. Schwartz, Moral formation im Gottesvolk, 375 – 388. 344 S. Hauerwas, Christian Existence Today, 95.

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was etwa die konkrete konzeptionelle Ausgestaltung der Christologie oder einer Nachfolgeethik als den theologischen Begründungszusammenhang angeht, der Konsens zwischen Barth und den sog. »kirchlichen Kommunitaristen« friedenskirchlicher Provenienz. Diesen Konsens gilt es hinsichtlich seiner inhaltlichen Bestimmung entgegen der Tendenz geltend zu machen, die Rechtsethik von einer kirchlichen Ethik zu isolieren. Kirchliche Ethik ist genau genommen alle christlich-theologische Ethik, sofern diese auf dem Boden der Kirche Jesu Christi entsteht und ihren Ausgangspunkt nicht in einer allgemeinen menschlichen Einsicht in die conditio humana nimmt, sondern in der Teilnahme von Menschen am Leben der Gemeinde Jesu Christi.345 Nur aus der Substanz des kirchlichen Ethos heraus lassen sich theologisch erkennbare und klar profilierte Beiträge auch in die gesellschaftlichen Diskurse einbringen. Versteht man Ethik mit W. Lienemann als christlich-theologische Disziplin im Sinne der »wissenschaftliche[n] Selbstprüfung der christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott und im Blick auf die entsprechenden Grundlagen, Möglichkeiten, Dringlichkeiten und Formen des Handelns und Verhaltens von Menschen in der Weltgesellschaft«346, dann versteht man die Kirche zugleich als ethische Diskursgemeinschaft, womit dann bereits Entscheidendes über den Zusammenhang von Ekklesiologie und Ethik gesagt ist. Als Teil(disziplin) der Theologie partizipiert theologische Ethik an der Aufgabe bzw. Vorgabe aller Theologie, die nach Barth eine Funktion der Kirche ist, und zwar insofern sie einerseits als kirchliche Rede von Gott und andererseits als wissenschaftliche Selbstprüfung der kirchlichen Rede von Gott begriffen werden will.347 Die theologische Ethik richtet ihr Augenmerk als kirchliche Ethik darauf, daß das Reden der Kirche von Gott durch »ihr besonderes Handeln als Gemeinschaft [geschieht]: in der Verkündigung durch Predigt und Sakramentsverwaltung, in der Anbetung, im Unterricht, in der äußeren und inneren Mission mit Einschluß der Liebestätigkeit unter den Schwachen, Kranken und Gefährdeten.«348

345 Im Anschluss an W. Lienemann, Theologische Ethik im Kontext der theologischen Disziplinen, 1 (These 2). 346 Ders., Grundinformation Theologische Ethik, 51. Dort kursiv. 347 Vgl. K. Barth, KD I/1, 1. 348 Ebd.

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4.3.3. Mitarbeit am Friedensbegriff. Konzeptionelle Abschlussbemerkung zu einer rechtsethisch-inklusiven und christologisch fundierten kirchlichen Ethik Die Überlegungen der vorliegenden Untersuchung abschließend, sollen am Schluss konzeptionelle Überlegungen zur Anlage und Ausführung einer theologischen Friedensethik stehen, die den Versuch einer Verhältnisbestimmung von kirchlicher Ethik und Rechtsethik im Anschluss an K. Barths Modell von Christengemeinde und Bürgergemeinde unternehmen. Wie bereits deutlich geworden sein dürfte, wird hier nicht dafür plädiert, einen kirchlich-ethischen Ansatz gegen eine rechtsethische Konzipierung auszuspielen. Damit würde eine falsche Alternative aufgemacht. Im Sinne einer christlichen Friedensethik – wie Barth sie konzipiert – darf man weder die friedenserhaltende und -ordnende Funktion des Rechts verkennen noch die der Kirche als vorläufiger Darstellung der ganzen in Christus versöhnten Menschheit. Theologische Friedensethik muss demzufolge beides umfassen, die ethische Reflexion der Kirche und des Rechtes. Beides ist Barth wichtig. Man soll das eine tun und das andere nicht lassen. In diesem Sinne kann Barth einerseits das »Hohelied« auf das Recht singen, indem er feststellt, dass die einzelnen Menschen nicht nur von der Rechtsordnung umfasst und ihr unterworfen sind, sondern auch durch sie geschützt und gerade deshalb ihr verpflichtet sind.349 Und Barth kann andererseits ebenso entschieden auf den friedensstiftenden Charakter von Kirche als vorläufige Darstellung der ganzen in Christus versöhnten Menschheit reflektieren. Beides ist für eine theologisch verantwortete Friedensethik unabdingbar, wie die folgende Graphik verdeutlichen mag (siehe S. 644). Im Blick auf eine präzise Zuordnung von Rechtsethik und kirchlicher Ethik wird man im Sinne Barths festhalten können: Beide sind nicht als zwei strikt zu separierende Ethiken in den Blick zu nehmen, etwa als eine »kirchliche Ethik« und als eine davon streng zu unterscheidende »weltliche Ethik«. Mit der Kirche und dem Recht fokussieren sie zwar verschiedene Bereiche, wobei allerdings Barths Bild von den beiden konzentrischen Kreisen verrät, dass die beiden Kreise (hinsichtlich ihrer Radien) zwar zu unterscheiden sind, jedoch nicht hinsichtlich ihres Zentrums. Als vorläufige Darstellung der ganzen in Christus versöhnten Menschheit ist die Kirche – wie dargelegt350 – ihrem Wesen nach auf die Welt bezogen. Kirche ist Teil der Welt, der Teil nämlich, der die ganze in Christus versöhnte Menschheit zur Darstellung bringt. Insofern ist im Blick auf den Bereich extra muros ecclesiae die Permeabilität der Maurer zu betonen.351 349 Vgl. ders., KD III/4, 531. 350 Vgl. Abschnitt I.2.1.9. der vorliegenden Untersuchung. 351 E. Busch (Die Kirche am Ende ihrer Welt-geltung, 95) identifiziert bei Barth zu Recht »eine fließende und offene Grenze«.

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Theologische Friedensethik als kirchliche Ethik reflektiert auf

reflektiert auf

(gerechtes) Recht

Kirche als vorläufige Darstellung der ganzen in Christus versöhnten Menschheit

in seiner friedensstiftenden Funktion

Als kirchliche Ethik gestaltet sich theologische Friedensethik a) in ihrer Reflexion auf das Recht als Rechtsethik und b) in ihrer Reflexion auf die Kirche als kirchliche Ethik.

Zudem hat nicht nur der Staat, sondern auch die Kirche ihr Recht, nämlich das Kirchenrecht, welches als Teil der kirchlichen Ordnung gemäß Barmen III neben der kirchlichen Botschaft die Bedeutung und Funktion eines Glaubenszeugnisses hat. Bei Barth werden Rechtsethik und kirchliche Ethik, beide »Bereichsethiken«352, konzeptionell im Sinne eines unterschiedenen Beieinanders zusammengehalten. Theologische Friedensethik ist demnach nicht entweder 352 Der keineswegs unproblematische Begriff der »Bereichsethik« wird hier in Ermangelung eines angemesseneren Ersatzes in einem schwachen, die Themenfelder der Sozialethik bezeichnenden Sinne gebraucht (vgl. zur Problematik der Bereichsethik vor allem B. Wannenwetsch, Wovon handelt die »materiale Ethik«?, insbes. 102 – 115). Dem Begriff der »Bereichsethik« wohnt – übrigens ebenso wie dem von Wannenwetsch favorisierten Begriff der »Stände« – vor allem die Gefahr der Eigengesetzlichkeit bei, d. h. »die Tendenz zur ›autopoiesis‹, zur Selbstabschottung eines Bereiches gegen andere« (a. a. O., 109; Wannenwetschs Beobachtungen richten sich u. a. gegen J. Nida-Rümelin, Theoretische und angewandte Ethik, 63). Gegen diese Gefahr scheint mir Barths dialektische Verhältnisbestimmung gefeit zu sein, mit dessen Modell die Vorstellung isolierter Praxisbereiche mit jeweils separaten normativen Kriterien nicht vereinbar ist.

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rechtsethisch oder kirchlich-ethisch zu explizieren, sondern sie will als kirchliche Friedensethik sowohl rechtsethisch als auch kirchlich-ethisch kommuniziert werden. Theologische Ethik ist nämlich ihrem Wesen und Ursprung nach kirchliche Ethik. Kirchliche Ethik expliziert sich auch als (theologische) Rechtsethik, sofern sie nämlich nicht nur die Kirche und das kirchliche Recht, sondern auch den Staat und mit ihm das staatliche Recht in den Blick nimmt. Sie weiß darum, dass auch die Bürgergemeinde zum Herrschaftsbereich Christi bzw. zur »Politia Christi«353 gehört. Kirchliche Ethik fokussiert nicht nur auf die Kirche, wie dies bei S. Hauerwas zumindest der Tendenz nach der Fall ist, der damit die Frage des Rechts ausklammert bzw. Recht nur als Kirchenrecht in den Blick nimmt. Kirchliche Ethik im Sinne des Barthschen Modells von »Christengemeinde und Bürgergemeinde« meint keine ausschließlich auf den Bereich der Kirche ausgerichtete Bereichsethik, sondern sie überwindet die Separierung der Bereiche Kirche und Staat, indem sie auch das im säkularen Staat geltende Recht aus ihrer kirchlich-theologischen Perspektive reflektiert. Kirchliche Ethik ist demzufolge auch, aber nicht nur als Rechtsethik zu explizieren. Kirchliche Ethik geht nämlich davon aus, dass die christliche Gemeinde nicht nur neben, sondern auch in der Polis existiert.354 Das Zugleich von Identität und Differenz,355 welches die Dialektik kennzeichnet, die im Barthschen Modell Gestalt gewonnen hat, ist insofern auch konstitutiv für die kirchliche Ethik. Dieses Zugleich von Differenz und Identität betrifft die Mitarbeit am Friedensbegriff in elementarer Weise, insofern es den Modus dieser Mitarbeit festlegt. Mit dem Aspekt der »Identität« soll die Notwendigkeit einer theologischen Mitarbeit am Prozess einer positiven Bestimmung des Friedensbegriffs als Zielperspektive nationalen und internationalen Handelns betont werden.356 Zu dessen Interpretation kann auch eine christliche Ethik, die sich im Blick auf ihre Urteilsbildung der Schriftbindung und des Bekenntnisses zu Jesus Christus nicht entschlägt, ihren Beitrag leisten. Der 353 Vgl. E. Wolf, Politia Christi, 214 – 242. 354 Vgl. M. Beintker, Karl Barth und die Politik, 260: »Da die christliche Gemeinde nicht neben, sondern in der Polis existiert, kann das, was in der Polis geschieht, der Gemeinde nicht gleichgültig sein.« Diese Aussage Beintkers wird m. E. nicht ganz der Dialektik des Barthschen Modells von Christengemeinde und Bürgergemeinde gerecht. Korrekter müsste der Satz lauten: »Da die christliche Gemeinde nicht nur neben, sondern auch in der Polis existent, kann das, was in der Polis geschieht, der Gemeinde nicht gleichgültig sein.« 355 Das Zugleich von Differenz und Identität interpretiert H.-G. Geyer (Einige vorläufige Erwägungen, 399) in Hegelscher Terminologie als »Modell einer dialektischen Einheit […] von Identität und Nicht-Identität«: »Konzentrisch sind zwei Kreise nur unter Bedingung der Identität des Zentrums und der Nicht-Identität ihrer Radien.« Dort z. T. kursiv. Vgl. auch M. Volf, Christliche Identität und Differenz, 357 – 375. 356 Vgl. H.E. Tödt, Art. Frieden und Krieg, 447 f.

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Impulse Barths für die aktuelle friedensethische Debatte

Aspekt der »Differenz« akzentuiert im Blick auf eine Mitarbeit am Friedensbegriff das Ringen um theologische Klärung politischer Begriffe, wie es sich im binnenkirchlichen Bereich in der Konzentration auf Verkündigung, Gebet und Theologie (als kirchliche Praktik) vollzieht. Mit E. Jüngel gesprochen: »[U]m den Begriff des Friedens erleben wir […] eine Auseinandersetzung, in der nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Bestimmungen des Begriffsinhaltes sehr konträre Konzepte von Friedenspolitik miteinander im Streit liegen. Was in Wahrheit Frieden, Recht und Gerechtigkeit (man könnte auch fortfahren: Freiheit!) genannt zu werden verdient, ist also keineswegs schon ausgemacht. Das bedeutet, daß alle diese politischen Begriffe wahrheitsbedürftig sind. Ihre Wahrheitsbedürftigkeit ruft aber für den Christen mit Notwendigkeit die Theologie auf den Plan. Gehört zur christlichen Existenz mit Notwendigkeit eine politische Dimension, dann können Kirche und Theologie nicht abseits stehen und unbeteiligt zuschauen, wenn es darum geht, über die Bedeutung der politischen Grundbegriffe Frieden und Gerechtigkeit zu befinden und darüber zu entscheiden, was der Staat in concreto zu tun hat, wenn er ›nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens‹ [Barmen V; M.H.] für Frieden und Recht zu sorgen hat.«357

Demzufolge haben die Theologie und insbesondere die kirchliche Friedensethik den »wahrheitsbedürftigen« politischen Begriff »Frieden« mit dem Wahrheitsanspruch des Evangeliums zu konfrontieren. Der Friedensbegriff, von dem sie dabei ausgehen, ist – wie K. Barth betont und wie in dieser Untersuchung gezeigt werden sollte – ein christologischer Friedensbegriff. Dieser wird als solcher unter der conditio saecularis nicht von allen Menschen geteilt. Spätestens im konfessionellen Zeitalter ist dies mit dem Aufkommen der konfessionellen Kriege evident geworden. E.-W. Böckenförde hält fest, dass die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg »einen formellen Begriff des Friedens auf[stellten], der nicht aus dem Leben in der Wahrheit, sondern aus der Gegenüberstellung zum Bürgerkrieg gewonnen wurde. Diesem formellen Begriff des Friedens, das heißt dem Schweigen der Waffen, der äußeren Ruhe und Sicherheit des Lebens, erkennen sie den Primat zu gegenüber dem Streit um die religiöse Wahrheit. […] Der formelle Friede ist für die Politiques gegenüber den Schrecken und Leiden des Bürgerkrieges ein selbständiges, in sich gerechtfertigtes Gut. Er ist nur herzustellen durch die Einheit des Landes; diese Einheit des Landes ist nur möglich durch die Achtung des Befehls des Königs als oberstes Gesetz; der König ist die neutrale Instanz, die über den streitenden Parteien und den Bürgern steht, nur er kann den Frieden bewirken und erhalten.«358 Was sich hier in semantischer Hinsicht etablierte, ist zweifelsohne ein negativer Friedensbegriff, demzufolge Friede die Abwesenheit von Krieg bedeutet. 357 E. Jüngel, Mit Frieden Staat machen, 190. 358 E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, 57.

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Barths Beitrag zur Theoriebildung der theologischen Friedensethik

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Trotz des minimalistischen Charmes dieses Friedensbegriffs wird man mit H.E. Tödt nicht verkennen dürfen: »Negative Definitionen des Friedenbegriffs (Frieden als Abwesenheit kollektiver Gewalt) vermeiden die Ideologisierung, aber lassen die konstruktiven Aufgaben unbestimmt.«359 Welcher Schluss ist daraus im Blick auf eine kirchliche Friedensethik zu ziehen? In Analyse und Aufgabenbestimmungen ist m. E. im Blick auf diese konzeptionelle »Gretchenfrage« theologischer Friedensethik mit H.-R. Reuter zu antworten: »Die Praxis des gerechten Friedens, die von Christinnen und Christen als Merkmal ihrer weltweiten Gemeinschaft (und damit als Kennzeichen der Kirche) betrachtet werden muss, wird in ihrer spirituellen und motivationalen Tiefenschicht nicht von allen Menschen geteilt und kann keine operative Friedenspolitik ersetzen. Sie konvergiert aber mit einem mehrdimensionalen Friedensbegriff, der sich als sozialethisches Leitbild und Kern eines overlapping consensus in die politische Friedensaufgabe einbringen lässt.«360 Präzise darum geht es, dass kirchliche Friedensethik ihren nach außen sicherlich vielfach als überladenen und theologisch überbestimmt wirkenden Friedensbegriff (wie sollte er auch als genuin theologischer Friedensbegriff anders erscheinen können!) im Sinne einer einladenden Ethik361 in die Gesellschaft einbringt. Ungeteilte Zustimmung wird sie schwerlich ernten, ein »overlapping consensus«362 wird auch bei ganz anders gelagerten religiösen und weltanschaulichen Bestimmungen des Friedensbegriffs gleichwohl möglich sein. Kirche sollte sich nicht voreilig in Übersetzungsstrategien flüchten und auf Adaptionsbemühungen kaprizieren, sondern den Mut haben, im Gehorsam gegenüber dem Gebot Gottes den universalen Anspruch zu bezeugen, der in der Einladung Gottes liegt, in sein in Christus vollzogenes universales Versöhnungshandeln einzustimmen und die Botschaft von der freien Gnade Gottes an alles Volk auszurichten (Barmen VI). Diesem Auftrag, in welchem ihre Freiheit auch zum Dissens und ggf. zum Außenseitertum gründet, kann die Kirche nur in der Kraft des lebendigen Christus gerecht werden, der ihr Friedenshandeln begründet. Von ihm sagt der Epheserbrief: »Er ist unser Friede« (Eph 2,14).

359 H.E. Tödt, Art. Frieden und Krieg, 447. Vgl. ders., Frieden, 239. 360 H.-R. Reuter, Was ist ein gerechter Frieden?, 178. So auch ders., Gerechter Friede! – Gerechter Krieg?, 164. 361 Das Programm einer einladenden Ethik habe ich an anderer Stelle im Anschluss an G. Plasger (Einladende Ethik, 126 – 156) umrissen. Vgl. M. Hofheinz, Gezeugt, nicht gemacht, 560 – 600. Vgl. auch F. Mathwig, Kritische Kirche. 362 Vgl. J. Rawls, The Idea of an Overlapping Consensus, 1 – 25.

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Literaturverzeichnis

Hinweis zum Gebrauch von Abkürzungen Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen entsprechen dem von Siegfried Schwertner zusammengestellten Abkürzungsverzeichnis der »Theologischen Realenzyklopädie« (TRE), 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin / New York 1994. Hinweis zum Zitationsverfahren In den Fußnoten wird nicht die vollständige Literaturangabe, sondern nur der Autor, ein Kurztitel und die Seitenzahl wiedergegeben. Auslassungen innerhalb eines Zitats sind durch Punkte in eckigen Klammern […] kenntlich gemacht. Ergänzungen innerhalb eines Zitats sind in eckige Klammern [] gesetzt.

1.

Veröffentlichungen Karl Barths

– Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1. Kor. 15, München 1924. – Autobiographische Skizze (1927), in: Karl Barth – Rudolf Bultmann Briefwechsel 1911 – 1966, hg. v. B. Jaspert, Zürich 21994, 290 – 300. – Brief an den Europäischen Kongreß gegen atomare Aufrüstung (Januar 1959), in: B. Klappert / U. Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Neukirchen-Vluyn 21983, 101 – 102. – Briefe 1961 – 1968, hg. v. J. Fangmeier / H. Stoevesandt, Karl Barth GAV. Briefe, Zürich 2 1979. – Ein Briefwechsel mit Adolf von Harnack (1923), in: K. Barth, Theologische Fragen und Antworten. Gesammelte Vorträge Bd. 3, Zürich 1957, 7 – 31. – Der Christ als Zeuge, TEH 12, München 1934. – Der Christ in der Gesellschaft (1919), in: Anfänge der dialektischen Theologie Bd. 1, hg. v. J. Moltmann, München 31985, 3 – 37. – Des Christen Wehr und Waffen, Zollikon-Zürich 1940. – Christengemeinde und Bürgergemeinde (1946), in: ders., Rechtfertigung und Recht. Christengemeinde und Bürgergemeinde, ThSt 104, Zürich 41989, 49 – 82.

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Literaturverzeichnis

– Christliche Gemeinde im Wechsel der Staatsordnung. Dokumente einer Ungarnreise 1948, Zollikon-Zürich 1948. – Das christliche Leben. Die Kirchliche Dogmatik IV/4, Fragmente aus dem Nachlaß. Vorlesungen 1959 – 1961, hg. v. H.-A. Drewes / E. Jüngel, Karl Barth GA II. Akademische Werke, Zürich 1976. – Die christliche Lehre nach dem Heidelberger Katechismus. Vorlesung gehalten an der Universität Bonn im Sommersemester 1947, Zollikon-Zürich 1948. – Christus und wir Christen, TEH.NF 11, München 1948. – Der Dienst der Kirche an der Heimat, Zürich 1940. – Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 31985. – Erklärung des Johannes-Evangeliums (Kapitel 1 – 8). Vorlesung Münster Wintersemester 1925/1926, wiederholt in Bonn, Sommersemester 1933, hg. v. W. Fürst, Karl Barth II. Akademische Werke, Zürich 1976. – Erklärung des Philipperbriefes, Zürich 61947. – Es geht ums Leben (Karfreitag 1957), in: B. Klappert / U. Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Neukirchen-Vluyn 21983, 98 – 99. – Ethik I. Vorlesung Münster Sommersemester 1928, wiederholt in Bonn, Sommersemester 1930, hg. v. D. Braun, Karl Barth GA II. Akademische Werke, Zürich 1973. – Ethik II. Vorlesung Münster Wintersemester 1928/29, wiederholt in Bonn, Wintersemester 1930/31, hg. v. D. Braun, Karl Barth GA II. Akademische Werke, Zürich 1978. – Evangelische Theologie im 19. Jahrhundert, ThSt 49, Zürich 1957. – Das Evangelium in der Gegenwart, TEH 25, München 1935. – Evangelium und Gesetz (1935), in: E. Kinder / K. Haendler (Hg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen Diskussion, WdF 142, Darmstadt 1968, 1 – 29. – Evangelium und Sozialismus (1914), in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1909 – 1914, hg. v. H.-A. Drewes / H. Stoevesandt, Karl Barth GA III. Vorträge und kleinere Arbeiten, Zürich 1993, 729 – 733. – Extra nos – pro nobis – in nobis, in: H. Gollwitzer / H. Traub (Hg.), Hören und Handeln. FS E. Wolf, München 1962, 15 – 27. – Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, hg. v. E. Jüngel und I.U. Dalferth, Karl Barth GA II. Akademische Werke, Zürich 1981. – Gegenrede betreffend Militär-Flugzeuge (1913), in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1909 – 1914, hg. v. H.-A. Drewes / H. Stoevesandt, Karl Barth GA III. Vorträge und kleinere Arbeiten, Zürich 1993, 485 – 493. – Das Geschenk der Freiheit. Grundlegung evangelischer Ethik (1953), in: H.G. Ulrich (Hg.), Freiheit im Leben mit Gott. Texte zur Tradition evangelischer Ethik, ThB 86, München 1993, 336 – 362. – Gespräche 1959 – 1962, hg. v. E. Busch, Karl Barth GA IV. Gespräche, Zürich 1995. – Gespräche 1963, hg. v. E. Busch, Karl Barth GA IV. Gespräche, Zürich 2005. – Gespräche 1964 – 1968, hg. v. E. Busch, Karl Barth GA IV. Gespräche, Zürich 1997. – Gottes Gnadenwahl, TEH 47, München 1936. – Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre. 20 Vorlesungen über das Schottische Bekenntnis von 1560, gehalten an der Universität Aberdeen im Frühjahr 1937 und 1938, Zürich 1938.

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Veröffentlichungen Karl Barths

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– »Der Götze wackelt«. Zeitkritische Aufsätze, Reden und Briefe von 1930 bis 1960, hg. v. K. Kupisch, Berlin 1961. – Jesus Christus und die soziale Bewegung (1911), in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1909 – 1914, hg. v. H.-A. Drewes / H. Stoevesandt, Karl Barth GA III. Vorträge und kleinere Arbeiten, Zürich 1993, 380 – 409. – Die Kirche – die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn Jesus Christus, in: ders., Die lebendige Gemeinde und die freie Gnade, TEH.NF 9, München 1947, 3 – 23. – Die kirchliche Dogmatik. 4 Bde., 13 Teile und 1 Registerbd., Zollikon-Zürich 1932 – 1967. – Letzte Zeugnisse, Zürich 21970. – Die Menschlichkeit Gottes, ThSt 48, Zürich 1956. – Nachwort, in: Schleiermacher-Auswahl, hg. v. H. Bolli, Hamburg / München 21980, 290 – 312. – Ob die Möglichkeit des Atomkrieges im Gehorsam gegen das Evangelium zu bejahen ist (November 1958), in: B. Klappert / U. Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden. Theologische Texte zu Frieden und Abrüstung, Neukirchen-Vluyn 21983, 100 – 101. – Offene Briefe 1909 – 1935, hg. v. D. Koch, Karl Barth GA V. Briefe, Zürich 2001. – Offene Briefe 1935 – 1942, hg. v. D. Koch, Karl Barth GA V. Briefe, Zürich 2001. – Offene Briefe 1945 – 1968, hg. v. D. Koch, Karl Barth GA V. Briefe, Zürich 1984. – Politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens, TEH.NF 34, München 1952. – Predigten 1914, hg. v. U. und J. Fähler, Karl Barth GA I. Predigten, Zürich 1974. – Predigten 1921 – 1935, hg. v. H. Finze, Karl Barth GA I. Predigten, Zürich 1998. – Predigten 1935 – 1952, hg. v. H. Spieker, Karl Barth GA I. Predigten, Zürich 1996. – Predigten 1954 – 1967, hg. v. H. Stoevesandt, Karl Barth GA I. Predigten, Zürich 21981. – Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, Zürich 51985. – Rechtfertigung und Recht (1938), in: ders., Rechtfertigung und Recht. Christengemeinde und Bürgergemeinde, ThSt 104, Zürich 41989, 5 – 48. – Reformation (1909), in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1909 – 1914, hg. v. H.-A. Drewes / H. Stoevesandt, Karl Barth GA III. Vorträge und kleinere Arbeiten, Zürich 1993, 1 – 5. – Reformierte Lehre, ihr Wesen und ihre Aufgabe (1923), in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1922 – 1925, hg. v. H. Finze, GA III. Vorträge und kleinere Arbeiten, Zürich 1990, 202 – 247. – Der Römerbrief (Erste Fassung) 1919, hg. v. H. Schmid, Karl Barth GA II. Akademische Werke, Zürich 1985. – Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, Zürich 151989. – Schicksal und Idee in der Theologie (1929), in: ders., Vorträge und kleinere Arbeiten 1925 – 1930, hg. v. H. Schmidt, Karl Barth GA III. Vorträge und kleinere Arbeiten, Zürich 1994, 344 – 392. – Die Schrift und die Kirche, ThSt 22, Zollikon-Zürich 1947. – Eine Schweizer Stimme 1938 – 1945, Zürich 31985. – Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, hg. v. M. Rohkrämer, Zürich 1984. – Die Theologie Calvins 1922. Vorlesung Göttingen Sommersemester 1922, hg. v. H. Scholl, Karl Barth GA II. Akademische Werke, Zürich 1993. – Die Theologie und der heutige Mensch, ZZ 8 (1930), 374 – 396.

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2.

Veröffentlichungen John Howard Yoders

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Veröffentlichungen John Howard Yoders

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Nashville 1992 (Übersetzung: Die Polik des Leiebs Christi. Als Gemeinde zeichenhaft leben, übers. v. W. Krauss, Schwarzenfeld 2011). Brief (unveröffentlicht) an Karl Barth vom 15. 6. 1957 (Karl-Barth-Archiv Basel). The Challenge of Peace. A Historic Peace Church Perspective, in: C.J. Reid, Jr. (Hg.), Peace in a Nuclear Age. The Bishops’ Pastoral Letter in Perspective, Washington D.C. 1986, 273 – 290. Christen, Krieg und Kriegsdienst heute, EZS 4 (Heft 6/1961), 31 – 47. Christian Attitudes to War, Peace, and Revolution, hg. v. T.J. Koontz / A. Alexis-Baker, Grand Rapids 2009. The Christian Witness to the State, Newton 1964. A Consistent Alternative View Within the Just War Family, FaPh 2 (1985), 112 – 119. The Contemporary Evangelical Revival and the Peace Churches, in: R.L. Ramseyer (Hg.), Mission and the Peace Witness. The Gospel and Christian Discipleship, Scottdale 1979, 68 – 103. The Credibility of Ecclesiastical Teaching on the Morality of War, in: L.S. Rouner (Hg.), Celebrating Peace, Notre Dame 1990, 33 – 51. Ethics and Eschatology, ExAu 6 (1990), 119 – 128. For the Nations. Essays Public and Evangelical, Grand Rapids 1997. The Fullness of Christ. Paul’s Revolutionary Vision of Universal Ministry, Elgin 1987. He Came Preaching Peace, Scottdale 1985. Helpful and Deceptive Dualism, HBT 10 (1988), 67 – 82. The Historic Peace Churches. Heirs to the Radical Reformation, in: T.D. Parker / B.J. Fraser (Hg.), Peace, War and God’s Justice, Toronto 1989, 105 – 122. How Just War Thinking and Pacifism Coinhere (undatiert), 1 – 5, in: http://nd.edu/ ~theo/jhy/writings/justwar/coinhere.htm (abgerufen: 26. 7. 2001). How Many Ways Are There to Think Morally about War?, JLR 11 (1994), 83 – 107. The Jewish-Christian Schism Revisited, hg. v. M. G. Cartwright / P. Ochs, London 2003. Just War Tradition: Is It Credible?, CCen 108 (1991), 295 – 298. Karl Barth and the Problem of War, Nashville 1970. Karl Barth: How His Mind Kept Changing, in: D.K. McKim (Hg.), How Karl Barth Changed My Mind, Grand Rapids 1986, 166 – 171. Karl Barth, Post-Christendom Theologian, in: ders., Karl Barth and the Problem of War and Other Essays on Barth, hg. v. M.T. Nation, Eugene 2003, 175 – 188. Leibeigene des Friedensfürsten – jenseits des Pazifismus, 6 (Heft 15,16/1963), 46 – 56. Meaning After Babble. With Jeffrey Stout Beyond Relativism, JRE 24 (1996), 125 – 139. Military Realities and Teaching the Laws of War, in: T. Runyon (Hg.), Theology, Politics, and Peace, Maryknoll 1989, 176 – 180. Nachfolge Christi als Gestalt politischer Verantwortung, Täuferbeiträge 2, Basel 1964. Nevertheless. Varieties and Shortcomings of Religious Pacifism, Scottdale 31992. On Not Being Ashamed of the Gospel. Particularity, Pluralism, and Validation, FaPh 9 (1992), 285 – 300. The Original Revolution. Essays on Christian Pacifism, Scottdale 1971. The Pacifism of Karl Barth, Church Peace Mission Pamphlets Nr. 5, Scottdale (Pennsylvania) 1968. The Politics of Jesus. Vicit Agnus Noster, Grand Rapids 21994 (Übersetzung der 1. Aufl.: Die Politik Jesu. Der Weg des Kreuzes, übers. v. W. Krauss, Maxdorf 1981).

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3.

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