Entwicklung der Schreibkompetenz in einer Fremdsprache an der Hochschule: Konzept für die Schreibvermittlung im berufsbezogenen Unterricht am Beispiel von Deutsch als Fremdsprache [1 ed.] 9783737014076, 9783847114079

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Entwicklung der Schreibkompetenz in einer Fremdsprache an der Hochschule: Konzept für die Schreibvermittlung im berufsbezogenen Unterricht am Beispiel von Deutsch als Fremdsprache [1 ed.]
 9783737014076, 9783847114079

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Joanna Kic-Drgas

Entwicklung der Schreibkompetenz in einer Fremdsprache an der Hochschule Konzept für die Schreibvermittlung im berufsbezogenen Unterricht am Beispiel von Deutsch als Fremdsprache

Mit 99 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Die Veröffentlichung wurde von der Abteilung für Sprache und Literatur der Adam-MickiewiczUniversität Poznan´ und dem Institut für Linguistik der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan´ mitfinanziert. Gutachter:innen: Prof. Dr. habil. Magdalena Olpin´ska-Szkiełko (Universität Warschau), Prof. Dr. habil. Jan Engberg (Aarhus University) © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © Krzysztof Drgas, Klasztornastraße am Altmarkt in Poznan´. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-7370-1407-6

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartete Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . Ansatz zur Bearbeitung des Themas . . . . . . Praktische Relevanz des untersuchten Themas

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1. Fach- und Berufssprachendidaktik – Ziele, Fragestellungen, Entwicklungstendenzen und Desiderate . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Allgemein-, Berufs- und Fachsprache . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Allgemein-, Berufs- und Fachsprache und ihre Bedeutung für den FSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Fach- und Berufssprachendidaktik – Begriffsvielfalt und Definitionsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Fach- und Berufssprachendidaktik – Systematisierung . . . . . . 1.5 Fachbezogener Fremd(sprachen)unterricht, studienvorbereitender Fremdsprachenunterricht und berufsbezogener Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . 1.6 Gründe, Stand und Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Forschungsdesiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf . . . 2.1 Begriff der Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Definition von Schreibkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.3 Schreiben als Kompetenz – Systematisierung der Kompetenzlandschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Schreibkompetenzmodell nach Ossner (2006a, 2006b) und Becker-Mrotzek, Schindler (2007) . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Komponenten der Schreibkompetenz . . . . . . . . . . . . . 2.6 Schreiben im Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Definition der beruflichen Schreibkompetenz . . . . . 2.6.2 Charakteristik des Schreibens am Arbeitsplatz . . . . 2.7 Berufsvorbereitendes Schreiben als Kompetenz im tertiären Bereich – zwischen Universität und Berufswelt . . . . . . . . 2.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens im Fachsprachenunterricht aus didaktisch-methodologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Schriftliche Interaktionen im Unternehmen . . . . . . . . . . . 3.2 Schriftliche Interaktionsformen im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Schreiben als Mittel zur Wissensintegration und -konstruktion . 3.4 Schreiben als Lernprozess und -medium . . . . . . . . . . . . . 3.5 Schreibvermittlungsprozesse in der Fremdsprache . . . . . . . . 3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Untersuchungsdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Behandlung der theoretischen Desiderate als Grundlage für den empirischen Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern 4.2.1 Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Konzeptualisierung der Untersuchungsgegenstände . . . 4.2.5 Aufbau und Design des Fragebogens . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Online-Befragung – Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . 4.2.7 Grundgesamtheit und Stichprobe . . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Durchführung der quantitativen Befragung . . . . . . . . 4.3 Qualitativer Forschungsansatz – Interviews mit Lehrkräften . . 4.3.1 Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Untersuchungsteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.3.4 Methodologische Herangehensweise bei der Analyse der Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schreibbedarf in Unternehmen – Fragebogenerhebung mit Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Darstellung der Ergebnisse der Befragung . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Angaben zur Person – Charakteristik der untersuchten Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Informationen zum Schreiben am Arbeitsplatz . . . . . . . 5.1.3 Informationen zum Schreiben im Studium . . . . . . . . . 5.1.4 Informationen zur Verbesserung des Schreibens am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Diskussion der Befragungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Stellenwert des Schreibens auf Deutsch im wirtschaftlichen Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Erwartungen an die Mitarbeiter während des Vorstellungsgesprächs – Sprachbedarf . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Erwartungen an die Mitarbeiter am Arbeitsplatz – Fremdsprachengebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Textsortenspezifik im Schriftverkehr am Arbeitsplatz . . . 5.2.5 Vorbereitung auf das berufsbezogene Schreiben in der Fremdsprache Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.6 Bedürfnisse der Mitarbeiter in Bezug auf das Schreiben auf Deutsch am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.7 Schwierigkeitsfaktoren beim Schreiben auf Deutsch am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.8 Schreibprozess am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Neue Dimension des berufsbezogenen Schreibens . . . . . . . . . 5.4 Fazit – Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Analyse der Ergebnisse der Interviews mit Lehrkräften . . 6.1 Karriereentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Programmgestaltung an den Hochschulen . . . . 6.1.2 Zusätzliche Qualifikationen . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Marktbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Wissenschaftliches Interesse am Thema . . . . . 6.2 Status des berufsbezogenen Schreibens . . . . . . . . . 6.3 Häufigkeit des Übens des berufsbezogenen Schreibens

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Inhalt

6.4 Aspekte der Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens . . . . 6.4.1 Strategien der Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens im tertiären Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Übungsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Textsorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Schwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Schreibberatungsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.1 Schreibberatung in Polen, Beratungsstelle der Technischen Universität Posen/Poznan´ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6.2 Desiderat zur Entwicklung von Beratungs- und Schreibtrainingszentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. SWOT-Analyse des Stands der Entwicklung der Schreibkompetenz .

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8. Konzept zur Vermittlung der Schreibkompetenz im berufsbezogenen DaF-Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Aufbau des Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Prinzipien des Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Sprachliche Handlungsfähigkeit im beruflichen Kontext . . 8.3.2 Authentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Textsortenspezifik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Orientierung an den Lernern . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.5 Autonomieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.6 Sensibilisierung für interkulturelle Unterschiede . . . . . . 8.3.7 Einsatz von Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Modell des berufsbezogenen Schreibens in der Fremdsprache . . 8.5 Schritte zur Entwicklung der berufsbezogenen Schreibkompetenz 8.5.1 Schreiborientierte Bedarfsanalyse . . . . . . . . . . . . . . 8.5.2 Feststellung der Lehr- und Lernziele . . . . . . . . . . . . . 8.5.3 Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.4 Materialdesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.5 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.6 Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.7 Schreibtechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.8 Schreibübungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.9 Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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10. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11. Zusammenfassung in englischer Sprache . . . . . . . . . . . . . . . .

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12. Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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13. Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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14. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 1. Fragebogen polnische Version Anhang 2. Fragebogen deutsche Version Anhang 3. Interview-Fragen . . . . . . .

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8.5.10 Aufgaben in der berufsbezogenen Schreibvermittlung 8.5.11 Bewertung, Beurteilung und Evaluation . . . . . . . . 8.6 Rolle der Lehrkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Modellvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Ziele und Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Methodologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1 Merkmale von E-Mails . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2 Vorliegen der Informationen . . . . . . . . . . . . . 9.5.3 Ökonomie der Kommunikatsdarstellung . . . . . . 9.5.4 Interkulturelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . 9.5.5 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.6 Regeln der Edition/ des Computereinsatzes . . . . . 9.5.7 Ergebnisdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Analyse der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6.1 Textmerkmale von E-Mails . . . . . . . . . . . . . . 9.6.2 Vorhandensein und Distribution der Informationen 9.6.3 Ökonomie der Kommunikatsdarstellung . . . . . . 9.6.4 Interkulturelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . 9.6.5 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6.6 Regeln der Edition/ des Computereinsatzes . . . . . 9.7 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.8 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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15. Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang 4. Matrix von Textsorten und Mitteilungsabsichten . . . . Anhang 5. Liste potenzieller Internetquellen mit Online-Materialien zur Entwicklung des berufsvorbereitenden Schreibens . . . . . . . Anhang 6. Schreibbezogene Projekte . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 7. Messebesuch – Aufgabe und Beispiel . . . . . . . . . . . Anhang 8. Betriebsbesichtigung – Aufgabe und Beispiel . . . . . . . Anhang 9. Bewertungsbogen zum berufsbezogenen Schreiben . . . Anhang 10. Aufgaben – Erste Untersuchungsphase . . . . . . . . . Anhang 11. Aufgaben – Dritte Untersuchungsphase . . . . . . . . .

Danksagung

Die Veröffentlichung wurde von der Abteilung für Sprache und Literatur der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan´ und dem Institut für Linguistik der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan´ mitfinanziert. Für diese Unterstützung möchte ich mich bei der Rektorin Prof. Katarzyna Dziubalska-Kołaczyk und der Direktorin des Instituts Prof. Danuta Wis´niewska bedanken. Gutachter dieser Arbeit waren Frau Prof. Dr. habil. Magdalena Olpin´skaSzkiełko (Universität Warschau) und Herr Prof. Dr. habil. Jan Engberg (Aarhus Univeristy). Ich bin ihnen sehr dankbar für ihre konstruktiven Kommentare, die für mich eine wichtige Anregung zur Verbesserung dieser Arbeit waren. Zu besonderem Dank bin ich Frau Prof. Dr. habil. Aldona Sopata, Frau Prof. Dr. habil. Aleksandra Matulewska und Frau Prof. Dr. habil. Barbara Skowronek für ihre fachliche und freundliche Unterstützung und ihre wertvollen Ratschläge verpflichtet. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei Herrn Prof. Dr. habil. Norbert Nübler, Leiter des Instituts für Slavistik, für seine jederzeit gewährte Hilfsbereitschaft und seine wissenschaftliche Unterstützung bei allen entstehenden Fragen während meiner Stipendienaufenthalte an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel (CAU). Herr Prof. Dr. habil. Klaus-Dieter Baumann hat mir sein umfangreiches Wissen in allen Bereichen der Fachkommunikation zur Verfügung gestellt, wofür ich sehr dankbar bin. Mein Dank gilt auch Silvia Serena und Karmelka Baric´ für ihre große Hilfsbereitschaft, zahlreiche Diskussionen und viele Inspirationen, insbesondere dafür, mir das große Werk von Dorothea Lévy-Hillerich näher gebracht zu haben, deren Einsatz zur Entstehung aller Rahmencurricula für den studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht geführt hat. Zu danken ist darüber hinaus den Untersuchungsteilnehmenden (Lehrenden und Befragungsteilnehmenden) für ihre Bereitschaft zur Teilnahme an dem Forschungsprojekt.

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Danksagung

Es gibt keine Worte, die meine Dankbarkeit gegenüber meiner Familie ausdrücken. Sie haben mich liebevoll in allen Schreibphasen unterstützt. Ohne ihre Geduld, ihre Liebe, ihren Trost und ihre Aufmunterung wäre diese Arbeit nicht entstanden. Joanna Kic-Drgas

Einführung

Die zunehmende Spezialisierung einzelner Wirtschaftsbereiche, die Globalisierungsprozesse, die Entstehung neuer Wirtschaftsfelder sowie die wachsende Zahl internationaler Konzerne, die vor allem in die Verbreitung grenzüberschreitender Fernprojekte investieren (Rump, Schabel 2010: 16–19, Alnajjar 2013: 19), tragen dazu bei, dass es im Bereich der Sprache und des Sprachgebrauchs zu enormen Veränderungen kommt (IDG 2018: 401, Molina et al. 2018: 43–79). Im beruflichen Leben führt dies zur Einführung neuer Arbeitsformate, wie z. B. der Projektarbeit in internationalen Teams, die immer stärker nach dem Prinzip der zeitlichen und örtlichen Ausdehnung organisiert werden (Cholewa 2013: 76, Grucza 2015: 9–11, Kuhn 2018: 456–460). Dadurch steigt auch die Relevanz der präzisen schriftlichen Ausdrucksfähigkeit sowie der synthetischen Analyse der vorhandenen Daten. Darüber hinaus wird auch verlangt, dass die Kommunikationsabläufe im beruflichen Milieu in der fremden Sprache erfolgen, um für die teilnehmenden Mitarbeiter2 in unterschiedlicher Verortung eine effektive berufliche Handlungsmöglichkeit sicherzustellen bzw. um Kontakt mit den Mitarbeitern anderer Unternehmensfilialen bzw. Unternehmenssitze aufzunehmen. Ausgehend von der Situation am Arbeitsmarkt3 sowie von den aus den Äußerungen der Absolventen erschließbaren (fremdsprachlichen) Kommunikationsbedürfnissen (Kic-Drgas 2018a: 1254) im Bereich des beruflichen Schreibens

1 https://www.arbeitsplatzderzukunft.de/wp-content/uploads/IDG-Studie_Arbeitsplatz-derZukunft_2018.pdf, 12. 02. 2021. 2 Aus textökonomischen Gründen wird in der vorliegenden Arbeit auf die Nennung der weiblichen Form verzichtet und, soweit möglich, eine geschlechtsneutrale Formulierung gewählt. Nur wenn keine geschlechtsneutrale Formulierung zutrifft, wird auf die männliche Form zurückgegriffen, wobei stets beide Geschlechter gemeint sind. 3 Wichtige Erkenntnisse zum Fremdsprachengebrauch in Unternehmen im europäischen Kontext liefert auch die Untersuchung von Vandermeeren (1999). 4 »Schreiben und Leseverstehen werden von den Mitarbeitern im Automobilsektor als wichtige Fertigkeiten empfunden. Der Bedarf zur Entwicklung dieser Fertigkeiten ergibt sich aus der stellentypischen Dokumentation (Protokolle, Gebrauchsanweisungen, Kaufverträge, Fahr-

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Einführung

stellt sich für die vorliegende Studie zunächst die Frage, welche Funktion die schriftliche Kommunikation gegenwärtig im beruflichen Handeln hat und wie der fremdsprachige Schriftverkehr inner- und außerhalb der Unternehmensstrukturen verläuft. Deswegen wird versucht, Informationen über die Schreibabläufe am Arbeitsplatz (unter anderem zur beruflichen Textsortenspezifik, zum Schreibmedium (Hand oder Computer), zum Schreibanlass, zur Schreibsituation und zu den potenziellen Adressaten der geschriebenen Nachricht) zu sammeln, um ein vollständiges Bild von den Schreibbedürfnissen im beruflichen Kontext zu erhalten. Zudem lassen sich aus den identifizierten Aufgaben und Handlungssituationen die sprachlich-kommunikativen Anforderungen im Beruf ableiten, die einen Ausgangspunkt für eine effiziente Entwicklung der Schreibkompetenz für berufliche Zwecke darstellen. Zusätzlich wird versucht, festzustellen, wie die potenziellen Mitarbeiter mit den schriftlichen Aufgaben am Arbeitsplatz umgehen (womit sie die größten Schwierigkeiten haben), vor allem im Kontext der Vorbereitung auf die Arbeitsrealität, die unter anderem durch die universitäre Ausbildung erreicht werden sollte. Sind die Berufstätigen nicht mit den entsprechenden Kompetenzen im Bereich der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit ausgestattet, kann die unzureichende Vorbereitung zu Schwierigkeiten, Missverständnissen bzw. einer unpräzisen Arbeitsabwicklung führen. Deswegen wird an dieser Stelle die These aufgestellt, dass das berufliche Schreiben in nicht ausreichendem Umfang in der tertiären Bildung geübt wird, sodass die Schreibkompetenzen in der Arbeitswelt fehlen. Dies wiederum führt zu Überlegungen hinsichtlich der Gestaltung des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts an den Hochschulen, um die potenziellen Absolventen zu befähigen, die aktuellen kommunikativen Erwartungen im Bereich der schriftlichen Ausdrucksfähigkeit in der Arbeitswelt zu erfüllen und sich auch künftig den Wandlungsprozessen der Arbeitswelt anpassen zu können. Somit sollten die beabsichtigten Schreibvermittlungsprozesse möglichst realitätsnah und berufsorientiert geplant und durchgeführt werden. Dazu wird die These formuliert, dass das Miteinbeziehen der authentischen, für den Arbeitsmarkt spezifischen Situationen und Dokumente (sowie des Wissens, wie die Schreibabläufe am Arbeitsplatz aussehen) die Schreibvermittlung selbst sowie die Anpassung an die Anforderungen der Arbeitswelt optimiert. Die erwähnte Orientierung des Fremdsprachenunterrichts am Bedarf der Berufswelt und folglich an den Bedürfnissen der Lernenden, die gezielt eine auf berufliche Anwendungssituationen bezogene fremdsprachliche Handlungskompetenz entwickeln möchten, verlangt ein entsprechend bedarfsgerecht entzeugbriefe), die von den Mitarbeitern bearbeitet und verstanden werden soll.« (Kic-Drgas 2018a: 125)

Ziele der Arbeit

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worfenes Unterrichtsangebot (Gajewska, Sowa 2014: 97, Gajewska et al. 2020: 20– 26). Dies wirft zum einen die Frage auf, wie ein solcher schreiborientierter berufsvorbereitender Fremdsprachenunterricht konzipiert sein sollte, und zum anderen die Frage, inwieweit sich dieser vom traditionellen berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht unterscheidet bzw. welche Gemeinsamkeiten es gibt, auf deren Basis die Entwicklung eines Modells für die Schreibkompetenzentwicklung für den berufsorientierten Fremdsprachenunterricht in den weiteren Forschungsstadien erfolgen könnte. Die unzureichenden Studien und Veröffentlichungen zu diesem Thema sind eine wichtige Motivation, den Bereich genauer zu erforschen und ihm die vorliegende Veröffentlichung zu widmen.

Ziele der Arbeit Das vorliegende Buch behandelt das immer wichtiger werdende Thema des berufsbezogenen Schreibens im Fremdsprachenunterricht. Dazu wird der Versuch unternommen, eine Brücke zwischen den Elementen der Schreibvermittlung in der universitären Bildung und den Anforderungen der professionellen Welt zu bauen. Das Ziel der Arbeit ist einerseits die Erfassung des fremdsprachigen Schreibbedarfs am Arbeitsplatz (durch Fragebögen mit Berufstätigen) sowie andererseits die Feststellung des Status des beruflichen Schreibens im Fremdsprachenunterricht an den Hochschulen (sowohl in philologischen als auch in nichtphilologischen Studienrichtungen) durch Interviews mit Lehrkräften, um darauf ein Konzept zur berufsvorbereitenden Schreibkompetenzvermittlung am Beispiel von Deutsch als Fremdsprache an den Hochschulen aufzubauen, damit die Hochschulabsolventen imstande sind, die aktuellen kommunikativen Anforderungen der Arbeitswelt zu erfüllen und sich auch künftig den Wandlungsprozessen der Arbeitswelt anpassen zu können. Die Hauptziele sollen durch die Erreichung einiger untergeordneter Ziele angestrebt werden, die sich in den einzelnen Forschungsfragen widerspiegeln (vgl. Abb. 1). Das erste Ziel fokussiert durch die Erforschung typischer Schreibsituationen und Schreibvorgänge die Identifizierung bestimmter Kontexte und Tätigkeiten, die mit dem Schreiben am Arbeitsplatz verbunden sind. Bei der Erreichung dieses Ziels helfen die Forschungsfragen, die sowohl eine Einsicht in die berufliche Schreibpraxis bieten (was, wie, zu welchem Anlass wird geschrieben) als auch nach dem bisherigen Einsatz von geeigneten Methoden zum Schreiben am Arbeitsplatz in den Studiencurricula suchen. Somit stellt dieser Teil der Untersuchung eine Brücke zwischen der Arbeitswelt und der Universitätsbildung dar (vgl. Abb. 1, Ziel 1).

Das Miteinbeziehen von authentischen, für den Arbeitsmarkt spezifischen Situationen und Dokumenten (sowie des Wissens, wie die Schreibabläufe am Arbeitsplatz verlaufen) optimiert die Schreibvermittlung selbst und ermöglicht die Anpassung an die Anforderungen der Arbeitswelt.

These 1

FF 1c: Wie können die Informationen über das Schreiben am Arbeitsplatz in den Schreibvermittlungsprozess an den Hochschulen mit einbezogen werden und welchen Einfluss haben sie darauf?

Fragestellung zum Ziel 1: FF 1a: In welchen Situationen, Bereichen und Ebenen wird das berufsbezogene Schreiben im professionellen Kontext benötigt? FF 1b: Wie schreiben die Beschäftigten in der Fremdsprache am Arbeitsplatz?

Feststellung der Schreibaufgaben, Schreibkontexte und Schreibsituationen am Arbeitsplatz und ihrer Widerspiegelung im Aufbau der Schreibkompetenz an Hochschulen

Ziel 1 Z_1 (FF_1a/b/c):

Forschungsfragen zum Ziel 3: FF 3a: Wie (mithilfe welcher Methoden) wird das berufliche Schreiben an den Hochschulen vermittelt? FF 3b: Wie oft (zu welchem Anlass) wird das berufliche Schreiben an den Hochschulen vermittelt?

Ziel 3 Z_3 (FF_3a/b): Festlegung des aktuellen Standes der berufsbezogenen Schreibentwicklung an Hochschulen in Polen

These 2 Das berufliche Schreiben wird in der tertiären Bildung nicht ausreichend geübt. Die unzureichende Vorbereitung auf die schriftliche Kommunikation (sowohl in philologischen als auch in nicht-philologischen Studiengängen) führt zu Schwierigkeiten in der Kommunikation am Arbeitsplatz.

Forschungsfrage zum Ziel 2: FF 2a: Was müssen die Beschäftigten nachholen, weil es ihnen in ihrer Ausbildung im Kontext des fremdsprachigen Schreibens nicht vermittelt wurde? FF 2b: Woraus resultieren die im professionellen Umfeld identifizierten Mängel im Bereich des beruflichen Schreibens? FF 2c: Welche Schwierigkeiten beim Schreiben im beruflichen Kontext resultieren aus diesen Mängeln?

Ziel 2 Z_2 (FF_2a/b/c): Identifikation der Mängel im Bereich des beruflichen Schreibens am Arbeitsplatz

16 Einführung

Abb. 1: Ziele und Forschungsfragen der vorliegenden Arbeit. Eigene Bearbeitung.

Arbeitsthesen

17

Das zweite Ziel konzentriert sich auf die Identifizierung der Quellen und Kategorien sowie auf die Folgen, die das Fehlen der Kompetenzen im Bereich des beruflichen Schreibens in authentischen Situationen hat. Es werden Forschungsfragen formuliert, die die gesuchten Informationen präzisieren. Dieser Teil verbindet ebenfalls den beruflichen und den universitären Kontext (vgl. Abb. 1, Ziel 2). Im Rahmen des dritten Ziels werden die Methoden und Strategien gesammelt, die von den Lehrkräften in der universitären Bildung zur Schreibvermittlung praktiziert werden. Dieser Forschungsfragenkomplex bezieht sich auf die universitäre Bildung (vgl. Abb. 1, Ziel 3). Das zweite und dritte Ziel unterstützen These 2. Die gewonnenen Ergebnisse dienen dazu, ein Modell zur Vermittlung des beruflichen Schreibens an Hochschulen zu entwickeln (vgl. Kap. 8).

Arbeitsthesen Die Erreichung der Ziele durch die Beantwortung der Forschungsfragen ermöglicht auch die Überprüfung der Forschungsthesen. In der Arbeit werden die folgenden zwei oben angeführten Thesen aufgestellt: 1. Das Miteinbeziehen von authentischen, für den Arbeitsmarkt spezifischen Situationen und Dokumenten (sowie des Wissens, wie die Schreibabläufe am Arbeitsplatz verlaufen) optimiert die Schreibvermittlung selbst und ermöglicht die Anpassung an die Anforderungen der Arbeitswelt. Die erste These zeigt die Notwendigkeit einer sehr engen Zusammenarbeit zwischen der Hochschul- und der Berufswelt, die einen wichtigen Einfluss auf die Vorbereitung der künftigen Absolventen auf ihre berufliche Laufbahn hat. Daher sollten authentische Produkte, Dokumente sowie Beschreibungen authentischer beruflicher Kontexte die Grundlage für einen effektiven Unterricht bilden. 2. Das berufsbezogene Schreiben wird in der tertiären Bildung nicht ausreichend geübt. Die unzureichende Vorbereitung auf die schriftliche Kommunikation (sowohl in philologischen als auch in nicht-philologischen Studiengängen) führt zu Schwierigkeiten in der Kommunikation am Arbeitsplatz. Mit der zweite These wird auf die Notwendigkeit der Entwicklung intensiver Programme zur Schreibvermittlung an Hochschulen hingewiesen und gleichzeitig ein Ansporn zur Suche nach Formen der optimalen fremdsprachlichen Schreibschulung gegeben.

18

Einführung

Erwartete Ergebnisse Die gesammelten Daten, die aus zwei unterschiedlichen Meinungserhebungen stammen – Fragebögen mit Berufstätigen und Interviews mit Lehrkräften – sollen Antworten auf die gestellten Forschungsfragen geben und dadurch ein vollständiges Bild der berufsübergreifenden Schreibbedürfnisse wiedergeben. Gleichzeitig sollen sie eine Grundlage für die Entwicklung eines Modells zur Vermittlung der Schreibkompetenz sein.

Aufbau der Arbeit Der synthetisch-analytisch strukturierte Aufbau des Buches orientiert sich an zwei erkenntnis-orientierten Prinzipien: – an der umfassenden, kritischen Bestandsaufnahme zur Stellung und Gewichtung der Schreibkompetenz im berufsbezogenen DaF-Unterricht in Polen mit dem Ziel der Erarbeitung von theoretisch und empirisch begründeten Kriterien zur Auswahl von entsprechenden Aufgaben aus diesem Bereich und zum Umgang mit diesen, – an der Weiterentwicklung von glottodidaktischen Theorien in Form eines Modells anhand der im theoretischen und empirischen Teil gewonnenen Erkenntnisse zur Grundlegung eines didaktisch-methodischen Konzepts zur Förderung der Schreibkompetenz im fachspezifischen DaF-Unterricht. Die Erarbeitung der gesetzten Ziele setzt eine vertiefte Analyse von wichtigen Bereichen voraus: des fachspezifischen Fremdsprachenunterrichts, der Schreibkompetenz und ihrer Entwicklung. Die vorliegende Arbeit besteht aus drei Teilen (vgl. auch Abb. 3): 1. Theorie: theoretische Grundlagen (Kapitel 1, 2, 3) 2. Empirie: empirische Forschungsergebnisse (Kapitel 4, 5, 6, 7) 3. Anwendung: Modellentwicklung des berufsbezogenen Schreibens sowie Validierung des Modells und Hinweise auf praktische Einsatzmöglichkeiten (Kapitel 8, 9, 10, 11). In Abb. 2 wird der Aufbau der Arbeit grafisch dargestellt.

19

Aufbau der Arbeit

Etappe I – Gründe, Stand und Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens

Etappe II – Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf Klärung des Begriffs der Schreibkompetenz Festlegung der Komponente sowie des Status der Schreibkompetenz in der universitären Bildung und im beruflichen Leben

Etappe III – Vermittlung der Schreibkompetenz

Etappe IV – Forschungsdesign: Wahl der Forschungsmethodologie Aufbau des Fragebogens Festlegung der Interviewfragen

Etappe V – Fragebogenerhebung: Feststellung der Forschungsprobe Durchführung der Pilotuntersuchung Durchführung der Grunduntersuchung

Etappe VI – Interviews: Feststellung der Forschungsprobe Durchführung der Interviews

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

20

Einführung

Etappe VII – SWOT-Analyse der in Etappe V und VI gewonnenen Ergebnisse

Kapitel 7

Etappe VIII – Modell der Vermittlung der Schreibkompetenz im berufsvorbereitenden Fremdsprachenunterricht am Beispiel Deutsch als Fremdsprache: Formulierung der Prinzipien Formulierung der Empfehlungen für die Herangehensweise

Kapitel 8

Etappe IX – Validierung des Modellteils

Kapitel 9

Etappe X– Schlussfolgerungen

Kapitel 10

Etappe XI – Zusammenfassung in englischer Sprache

Kapitel 11

Abb. 2: Aufbau der Arbeit. Eigene Bearbeitung.

In Abb. 3 wird die dreiteilige Struktur der Arbeit visualisiert (Theorie, Empirie und Anwendung). Die einzelnen Teile der Arbeit sind miteinander verbunden und untermauern sich gegenseitig. Die theoretischen Überlegungen aus den ersten drei Kapiteln stellen eine Basis für das Design der Befragung von Mitarbeitern und der Interviews mit Lehrkräften dar, die wiederum die Ergebnisse liefern, um ein Modell des berufsbezogenen Schreibens zu entwerfen. Die endgültige Form des Modells berücksichtigt auch theoretische Erkenntnisse zum Schreibvermittlungsprozess. Darüber hinaus ist die Arbeit als ein Netz gegenseitiger Verhältnisse von Theorie, Empirie und Anwendung der besprochenen Inhalte zu betrachten.

21

Ansatz zur Bearbeitung des Themas

KAP. 1

KAP. 9

KAP. 8 FACH- UND

BERUFSSPRACHENDIDAKTIK

KAP. 5

MITARBEITERN

BERUFSBEZOGENES SCHREIBEN ALS KOMPETENZ

KAP. 3

KAP. 6 INTERVIEWS MIT LEHRERN

SCHREIBVERMITTLUNG

MODELL

MIT

KAP. 2

VALIDIERUNG DES MODELLS

FRAGEBÖGEN

DES BERUFSBEZOGENEN SCHREIBENS

BERUFSBEZOGENER FREMDSPRACHENUNTERRICHT

Abb. 3: Dreiteilige Struktur der Arbeit. Eigene Bearbeitung.

Ansatz zur Bearbeitung des Themas Die Schreibforschung in Polen diskutiert und rezipiert diverse Ansätze aus dem Ausland, setzt aber auch eigene Akzente. Die Untersuchungen in Polen sind stark in der deutschen textlinguistischen Tradition angesiedelt. Dobrzyn´ska (2009: 35)5 bemerkt einen starken Einfluss des Kognitivismus in den Arbeiten an Texten, während Wawrzyniak (2009: 110) den interdisziplinären Charakter der Untersuchungen betont. Grucza (2009: 104) unterscheidet zwischen deskriptivexplikativer, komparativer und applikativer Textlinguistik. Die in der Arbeit dargestellte Untersuchung und der Modellvorschlag gehen auf Letzteres zurück und stellen vor allem die praktische Umsetzung der Didaktik im beruflichen 5 Originalversion: »W pracach z ostatnich lat daje sie˛ zauwaz˙yc´ wykorzystywanie metod kognitywizmu przy opisie tekstu i wzorców gatunkowych wypowiedzi. Tekst traktowany jest jako przekaz informacji zdeterminowany poznawczo poprzez utrwalona˛ wiedze˛ nadawcy i odbiorcy, w tym przede wszystkim ich wiedze˛ wspólna˛, a takz˙e jako nos´nik pewnego obrazu s´wiata i okres´lonych wartos´ci.« (Dobrzyn´ska 2009: 35)

22

Einführung

Alltag in den Vordergrund. Der Pragmatismus liefert das Werk- bzw. das Rüstzeug für die direkte praktische Gestaltung und die Umsetzung, er ist aber keine neue Strömung, die die bisherigen Paradigmen um eine neue Variante bereichert oder gar in Konkurrenz zu den bisherigen Ansätzen tritt. Es handelt sich eher um einen Ansatz, der quer zu den bisherigen Konzepten liegt und einen Beitrag für eine Problemlösung liefert, der die Perspektiven des menschlichen Handelns und der Handlungsfähigkeit von Menschen erweitert (Kerres, de Witt 2002: 14–22, Digmayer, Jakobs 2020: 15–18). In der vorliegenden Arbeit wird auf das Schreibkompetenzmodell von BeckerMrotzek und Schindler (2007, 2008) für die Fachdidaktik Deutsch eingegangen. Dabei wird auf das Konzept von Jakobs (2005: 17ff.) zu Komponenten des professionellen Schreibens am Arbeitsplatz bei der Entwicklung von Empfehlungen für die Vermittlung der Schreibkompetenz in der universitären Bildung Bezug genommen.

Praktische Relevanz des untersuchten Themas Das behandelte Thema ist aus mehreren Gründen von Bedeutung: – Schreiben gilt in einem modernen Unternehmen nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als Grundlage seines Funktionierens, was auch den Aussagen von Fachleuten des Wirtschaftsbereichs zu entnehmen ist, die das berufliche Schreiben als eine Art werbewirksame Visitenkarte, als Bestandteil des Corporate Designs und somit der Unternehmensidentität bezeichnen (Sturtz 2007: 42 und 77). Die schriftliche Kommunikation, die im Unternehmen u. a. über Mitteilungen, Protokolle, Briefe und Notizen realisiert wird, ist vor allem dann angebracht, wenn Informationen präzise dokumentiert, übermittelt und/oder weiterverarbeitet werden sollen (Freygang 1998: 40). Darüber hinaus wird effizientes Schreiben als Schlüsselkompetenz auf dem Arbeitsmarkt bezeichnet (World Economic Forum 2016: 29, Jakobs 2019: 256). – Text-/Schreibkompetenzen gehören zu den Schlüsselkompetenzen für den Bildungs- und Berufserfolg in der modernen Welt (Decker 2016, Decker, Siebert-Ott 2018b, Pospiech 2020: 75–78). Zudem stellen sie eine Kernkompetenz des beruflichen Handelns dar, was sie zur wesentlichen Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben macht (Jakobs, Lehnen 2008, Becker-Mrotzek, Roth 2017, Phillipp 2017, 2019). – Die Interviews mit Human Resource-Direktoren führender Unternehmen, die im Rahmen der Untersuchung der Branche durchgeführt wurden, trugen zu folgenden Schlussfolgerungen bei:

Praktische Relevanz des untersuchten Themas

23

– Mitarbeiter, die schriftlich nicht effektiv kommunizieren können, werden nicht eingestellt; wenn solche Personen schon in einem Unternehmen arbeiten, haben sie sehr geringe Chancen auf einen professionellen Aufstieg. – 80 % der Unternehmen, die Service- oder Finanzdienstleistungen anbieten, d. h. Unternehmen mit der höchsten Anstellungsrate, beurteilen die Schreibkompetenz während des Vorstellungsgesprächs (The National Commission on Writing 2004: 3ff.). – The National Commission on Writing (2004) nennt Schreiben »threshold skill« und betont die Bedeutung des Erwerbs und der Entwicklung dieser Kompetenz im Wirtschaftsbereich: The survey reveals that good writing is taken as a given in today’s professional work. Writing is a ›threshold skill‹ for salaried employment and promotion. It is particularly important in services and in finance, insurance, and real estate (FIRE), growing employment sectors that are likely to generate the newest jobs in the coming decade. In a nutshell, the survey confirms our conviction that individual opportunity in the United States depends critically on the ability to present one’s thoughts coherently, cogently, and persuasively on paper. (The National Commission on Writing 2004: 4)

– Spartz und Weber (2015) führten eine Untersuchung zur Rolle des Schreibens im Unternehmen durch, die von ihnen gesammelten Ergebnisse bestärkten die früheren Schlussfolgerungen der National Commission on Writing (2004)6. Schon auf der Bewerbungsetappe spielen die Schreibkompetenzen eine enorm wichtige Rolle (Cothran 2002: 30–40) 7. – Gleichzeitig wird im Kontext der wachsenden Berufsorientierung an den Hochschulen und Universitäten (realisiert im Rahmen der sogenannten Dritten Mission8 der Universitäten in Polen) eine engere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft beabsichtigt, die in einer Kompetenzausstattung der künftigen Absolventen resultieren wird. Somit reiht sich das Konzept der beruflichen 6 Originalversion: »They [enterpreneurs] write regularly, producing multiple genres and composing a lot of documents themselves. And the data show that these entrepreneurs value writing and the numerous traits that make writing effective.« (Spartz et al. 2015: 446) 7 »So stehen bei einem Bewerbungstraining zwar die mündlichen Fähigkeiten im Vordergrund, trotzdem kann auch die richtige Präsentation der Bewerbungsunterlagen in schriftlicher Form von großer Bedeutung sein.« (Cothran 2002: 39) 8 Die heutige Universität hat drei Aufgaben zu erfüllen: Die erste ist die Ausbildung, die zweite die Forschung und Entwicklung und die dritte die Schaffung gegenseitiger Beziehungen zur Umwelt, wodurch die Forschungsergebnisse und ihre Umsetzung, einschließlich der Kommerzialisierung, verbreitet und bekannt gemacht werden. Die dritte Mission besteht darin, mehr denn je der Einbeziehung akademischer Institutionen in die Prozesse der sozialen Entwicklung auf verschiedenen Ebenen – der ökonomischen, der zivilisatorischen, der moralischen und der ethischen – zu dienen. (http://obywatelenauki.pl/2015/01/trzy-misje-uczelni-trzy-sciezki-kariery-krzysztof-leja-na-lamach-fa/, 13. 07. 2019), Übersetzung Joanna KicDrgas.

24

Einführung

fremdsprachigen Schreibvermittlung im Rahmen des universitären berufsvorbereitenden Fremdsprachenunterrichts in diese neue Tendenz ein. – Trotz der angeführten Argumentation zur Relevanz des Schreibens weist Philipp (2017: 88) darauf hin, dass das »Schreiben im gegenwärtigen Unterricht marginal ist«, was auch u. a. die Ergebnisse der Studien von Applebee und Langer (20119) bestätigen. Auch Übungen zur Schreibentwicklung kommen relativ selten in Lehrwerken vor (dazu Joachimczyk 2016: 21–22).

9 Die Ergebnisse der National Study of Writing Instruction betreffen diverse Unterrichtsfächer in 20 ausgewählten Schultypen.

1.

Fach- und Berufssprachendidaktik – Ziele, Fragestellungen, Entwicklungstendenzen und Desiderate

In diesem Kapitel wird das vorhandene Wissen über die Fach- und Berufssprachendidaktik sowie über die Unterrichtsformen und -typen, die sich innerhalb dieses Bereiches im Laufe der Zeit entwickelt haben, dargestellt und systematisiert. Diese Systematisierung bezweckt, auf den zunehmend wichtiger werdenden Status des berufsvorbereitenden Fremdsprachenunterrichts, seine Spezifik im universitären Bereich und seine Bedeutung in der Berufswelt sowie auf seine Ziele und Fragestellungen hinzuweisen. Der dargestellte Überblick dient als Grundlage für Überlegungen zum Stellenwert des berufsorientierten Schreibens, das an den Hochschulen nur unzureichend behandelt wird, jedoch am Arbeitsplatz, wie die Äußerungen der Absolventen beweisen, von großer Bedeutung ist (Kic-Drgas 2017a: 126, Kic-Drgas 2018a: 125, Łompies´ 2018: 140–142). Dieses Kapitel befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen den Begriffen Allgemein-, Fach- und Berufssprache (Kap. 1.1), die als Kernbegriffe in der Fachsprachendidaktik gelten und grundlegend für die Kategorisierung der fachspezifischen, berufsbezogenen Unterrichtsformen (Kap. 1.2) sind. Des Weiteren wird auf die definitorische Pluralität der Fach- und Berufssprachendidaktik (Kap. 1.3) und auf deren Systematisierung (Kap. 1.4) eingegangen. Darauf aufbauend wird der Versuch unternommen, Fachsprachenunterricht, studienvorbereitender Fremdsprachenunterricht und berufsvorbereitender Fremdsprachenunterricht zu definieren und die Unterschiede zwischen den Unterrichtsformen darstellen (Kap. 1.5). Im Anschluss wird auf den Stand und die Probleme bei der Vermittlung des beruflichen Schreibens eingegangen (Kap. 1.6). Diesen Teil schließt ein Überblick über die Forschungsdesiderate im Bereich des Schreibens in der Fachsprachendidaktik ab (Kap. 1.7). Das Kapitel endet mit einer Zusammenfassung (Kap. 1.8).

26

1.1

Fach- und Berufssprachendidaktik

Allgemein-, Berufs- und Fachsprache

Interessanterweise wird trotz eines intensiven Zuwachses an Publikationen, die sich dem Thema der Fachsprachensystematisierung und der Fachsprachenbeschreibung widmen, die Bestimmung des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Allgemein-, Berufs- und Fachsprache im Kontext der Fremd(fach)sprachendidaktik immer noch selten aufgegriffen (Jarosz 2018: 1). Dies kann daraus resultieren, dass bisher keine in sich widerspruchsfreie Fachsprachendefinition ausgearbeitet wurde (Menzel 1996: 28, Buhlmann, Fearns 2000: 11f., Hammrich 2014: 17, Roelcke 2010: 7, Adamzik 2018: 10, 24, Roelcke 2020a: 11–19). Zur Transparenz der vorliegenden Arbeit wird im Weiteren der Versuch unternommen, die genannten Erscheinungen im didaktischen Kontext zu kategorisieren und die Zusammenhänge zwischen ihnen darzustellen, um den Gegenstand des tatsächlichen Interesses auszumachen. Allgemeinsprache Die Sprache ist eine Eigenschaft des Menschen und wird als seine Fähigkeit verstanden, zu kommunizieren, d. h. sprachliche Äußerungen zu produzieren, sie gezielt im Kommunikationsprozess als Kommunikationsmittel einzusetzen sowie sprachliche Äußerungen anderer Menschen zu empfangen und zu interpretieren (Grucza 1993a: 157, 1993b: 31, Olpin´ska-Szkiełko 2016: 82). Die Allgemeinsprache ist varietätenlinguistisch nicht fest terminologisiert, weshalb sie in informellen Situationen am häufigsten in der Nähe zur Umgangssprache verwendet wird (Efing 2014: 421). Nach Ahrenholz (2010b: 15) werden unter Allgemeinsprache »die sprachlichen Ausdrucksmittel verstanden, die zur Bewältigung alltäglicher Kommunikation notwendig sind«. In diesem Sinne stellt sie jedoch keinen Gegenbegriff zur Fachsprache, sondern ein Teilelement der Standardsprache dar (Buhlmann, Fearns 2000: 11). Braunert (2000: 160) beschreibt die Allgemeinsprache mit den Adjektiven persönlich, zwischenmenschlich mit sachlich-funktionalem Charakter. Die Allgemeinsprache bildet deswegen die Grundlage für die mündliche Kommunikation (sowie für die Standardsprache der schriftlichen Kommunikation). Aus diesem Grund ist die zumindest ansatzweise Beherrschung der allgemeinsprachlichen Ausdrucksfähigkeit für die sprachliche Handlung im beruflichen Kontext notwendig, um eine persönlich-soziale Integration zu ermöglichen (Efing 2014: 422). Auch laut Funk (2010: 1146) ist die kommunikative Kompetenz eines Sprechers nicht in einen privaten und einen beruflichen Bereich zu unterteilen. Darüber hinaus besteht der überwiegende Teil der beruflichen Kommunikation aus allgemeinsprachlichen Handlungen. Somit ist die Allgemeinsprache in den Erwägungen hinsichtlich des berufsspezifischen Kontextes unausweichlich.

Allgemein-, Berufs- und Fachsprache

27

Berufssprache Die Berufssprache wird von Efing10 (2014) wie folgt definiert: Die sprachlichen Erscheinungsformen, die man in der beruflichen Kommunikation beobachtet hat und die zwar der Domäne Beruf zugeordnet, aber nicht als fachsprachlich in einem engeren Sinne klassifiziert werden, sondern auch eine gewisse Nähe zur Allgemeinsprache aufweisen, werden […] unter dem Begriff Berufssprache subsummiert, auch wenn die Existenz eines eigenen Registers Berufssprache bisweilen abgestritten beziehungsweise sie als rein didaktisches Konstrukt aufgefasst wird. (Efing 2014: 425)

Braunert erweitert den Begriff Berufssprache um die berufspraktische Umsetzung von einer Kommunikation in berufsfeldübergreifenden Schnittstellen (Braunert 1999: 99)11, formuliert jedoch auch folgende Erkenntnisse, die auf eine nähere Verwandtschaft zwischen Allgemein- und Berufssprache als Berufs- und Fachsprache12 hinweisen: – Die Abgrenzung von allgemeinen und berufssprachlichen Äußerungen ist unscharf. – Der Inhalt der allgemeinen und berufssprachlichen Sprachprodukte entspricht weitgehend dem allgemeinen Unterschied der lexikalischen Füllung. – Es bestehen Unterschiede in Bezug auf Kommunikationspartner und Kommunikationsort. Glück (1993: 93) weist darauf hin, dass es sich bei der Berufssprache um die Ausdrucksfähigkeit einer bestimmten Berufsgruppe handelt, die u. a. sowohl berufsspezifische fachsprachliche Anteile als auch einen Jargon umfasst. Der Begriff Berufssprache entstand infolge der Entwicklung intensiver wirtschaft10 Efing (2018: 61) verwendet den Begriff Register als »funktional gebunden an rekurrente Kommunikationssituationen, deren Rahmenbedingungen (Ort, Zeit, Umstände, Kommunikationspartner, institutionelle Zwecke, Medium) spezifische (eigene) oder nur typische (hochfrequente) erwartbare, konventionalisierte Formen des Sprachhandelns bedingen«. Im Gegensatz zu Varietäten sind sie an soziale Formen gebunden. Register der Berufssprache sind alle Erscheinungsformen, »die man in der beruflichen Kommunikation beobachtet hat und die zwar der Domäne Beruf zugeordnet, aber nicht als fachsprachlich in einem engeren Sinne klassifiziert werden, sondern eine gewisse Nähe zur alltäglichen Umgangssprache/ gesprochenen Standardsprache aufweisen« (Efing 2018: 61). 11 Vgl. auch folgende Definition der Berufssprache: »Gesamtheit aller sprachlichen Mittel zur persönlichen und sachlichen Integration in den Betrieb und ins betriebliche Umfeld, zur sprachlichen Sicherung der betrieblichen Funktionsübernahme.« (Braunert 2014: 49) 12 Vgl.: »Die Sprache für den Beruf nimmt zwischen der Allgemein- und Fachsprache insofern eine Mittelstellung ein, als die für sie konstitutiven Sprachhandlungen der persönlichen und sachlichen Integration weitgehend mit Mitteln der Allgemeinsprache bestritten werden, während die konstitutiven Sprachhandlungen der Einweisung und Unterweisung im Sinne einer Könnensaneignung – und in begrenztem Umfang auch einer Wissensaneignung – mit den Redemitteln der Fachsprache geleistet werden.« (Becker et al. 1997: 9)

28

Fach- und Berufssprachendidaktik

lich-technischer Zusammenarbeit, die gleichzeitig neue Kompetenzprofile im Kontext der Interkulturalität erforderte (Zalipyatskikh 2017: 35). Nach der Formulierung des Deutschen Volkshochschulverbands und des Goethe-Instituts13 (1995: 9–18) impliziert die berufsbezogene Ausdrucksfähigkeit »berufsübergreifende« Kompetenzen zur Bewältigung relativ allgemeiner, beruflicher Handlungsketten innerhalb eines breiten thematischen und situativen Spektrums. Darüber hinaus schlägt Rolecke zu Recht (2020b: 7) vor, das Konzept der Berufssprache durch berufliche Kommunikation zu ersetzen. Zusammenfassend kann nach Efing (2014: 429) festgehalten werden, dass berufsbezogene Sprachprodukte sowohl mündlich als auch schriftlich vorkommen und selbstständig und berufsfeldübergreifend sind. Somit können folgende Erscheinungsformen genannt werden: – fach- und berufsübergreifende, (überbetrieblich) konventionalisierte und funktional motivierte sprachliche Parallelen in Lexik, Wortbildung (bspw. Abkürzungen, Kurzwörter, Kompositionen) und Syntax (Passivkonstruktionen etc.) – vergleichbare formelle Wendungen mit hoher Produktivität (Braunert 2000: 156) sowie vor allem: – gemeinsame/ vergleichbare sprachliche Handlungsmuster und Mitteilungsabsichten (erklären, anleiten, definieren/ benennen, klassifizieren, unterscheiden, begründen/ argumentieren, Texte zusammenfassen und bewerten) und – vergleichbare Textsorten und Darstellungsformen (Bericht, Dokumentation, Tabellen, Formulare etc.) (Efing 2014: 429).

Fachsprache Obwohl laut Efing (2014: 423) Fachsprachen das am längsten und am besten erforschte und daher auch am transparentesten erfassbare Register des berufsbezogenen DaF-Unterrichts sind, bereitet das eindeutige Definieren des Begriffes enorme Schwierigkeiten, wovon die nachstehend genannten ausgewählten Definitionen zeugen: – Fachsprachen sind eine Variante der Gesamtsprache (Möhn, Pelka 1984: 26). – Fachsprachen sind ein Subsystem der Gemein- oder Standardsprache (Fluck 1976: 11).

13 Deutscher Volkshochschulverband / Goethe-Institut (1995). Das Zertifikat Deutsch für den Beruf, http://ru.scribd.com/doc/92509725/Das-ZDfdB-Zertificat-Deutsch-fuer-den-BerufWortschatz#scribd, 12. 10. 2020.

Allgemein-, Berufs- und Fachsprache

29

– Fachsprache ist ein Ausdruck der Kommunikationskultur – jedes Fach hat seine spezifische Kultur der mündlichen und schriftlichen Kommunikation entwickelt, also eine ihm eigene »Sprachwelt«, die durch spezifische Ausdrücke und Sprachverwendungen gekennzeichnet ist (Leisen 2013b: 343). – »Fachsprache – das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzten Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung der dort tätigen Menschen zu gewährleisten.« (Hoffmann 1976: 162) Hoffmann (2001: 533) erklärt die Schwierigkeiten beim Definieren des Begriffes Fachsprachlichkeit mit einer relativ späten Etablierung der Fachsprachenforschung, deren Experten unterschiedliche Disziplinen wie Funktionalstilistik, Soziolinguistik, Lexikografie, Terminologie, Rhetorik, aber auch Sprachkritik und Sprachdidaktik vertreten. Aus diesem Grund würde der Status der Fachsprachen unterschiedlich wahrgenommen. Hoffmann selbst unterscheidet zwischen variablen Auffassungen des Fachsprachenstatus: Fachsprache als Funktionalstile (dazu auch Gläser 1998: 199–208), als Varietät (dazu Adamzik 2018: 28–29), als Gruppensprache, als Subsprache (dazu auch Hoffmann 1998: 189– 199), als Register und als Berufssprachen (dazu auch Hoffman et al. 1998, Efing 2014). Rincke (2010) betont, dass fachsprachliche Äußerungen tief auf das Fachvokabular und konkrete Kommunikationssituationen zurückgreifen: Die Fachsprache einer Disziplin ist demnach durch ein bestimmtes Fachvokabular, ein sprachliches Inventar, um Fachvokabeln untereinander zu verbinden, und die Rücksichtnahme auf die jeweils vorliegende Kommunikationssituation gekennzeichnet. Die folgenden Abschnitte zur Fachsprache unter deskriptiver, respektive, normativer Perspektive gehen daher insbesondere auf das Fachvokabular und die Kommunikationssituation ein. Die Fachsprache ist also nicht erschöpfend durch eine bestimmte Abbildungsfunktion zu kennzeichnen, sondern ihre Sprecher, deren Intention und Situation sind mit zu bedenken. (Rincke 2010: 238)

Grucza (2004) formuliert Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Fachsprache und Allgemeinsprache: (a) Fachsprachen sollten als autonome Sprachen verstanden werden, obwohl sie immer auf einer Allgemeinsprache basieren. (b) Fachsprachen sind keine Varianten der Allgemeinsprachen, weil Fachsprachen und Allgemeinsprachen nicht zur Beschreibung derselben Wirklichkeit geeignet sind. (c) Kein Sprachteilhaber, kein Fachmann ist heutzutage monolingual, denn jeder Mensch bedient sich einer Allgemeinsprache und individueller Idiolekte.

30

Fach- und Berufssprachendidaktik

Grucza (2012) betont jedoch: In Wirklichkeit existieren nur Fachsprachen konkreter Sprecher/Hörer (Fachleute) und gehören zu ihren immanenten, integralen Bestimmungseigenschaften – nur über solche Sprachen (über deren bestimmte Formen) kann man sagen, dass sie konkrete Funktionen erfüllen, und nur diese sind wirkliche Sprachen. (Grucza 2012: 127)

Buhlmann und Fearns (2018: 25) stellen zu Recht fest, dass Fachsprachen die Denkelemente sowie die Denk- und Mitteilungsstrukturen des Faches beinhalten. Diese sind wiederum die Vermittler der funktionalen Eigenschaften. Deswegen weist Efing (2014: 423) korrekterweise darauf hin, dass sich zur Vermittlung von fachsprachlichen Mitteilungsstrukturen eher die Lehr-Lern-Form des Individualcoachings empfehle, was sich aus der Heterogenität des beruflichen Fachwissens der Lernergruppe und der fachspezifischen Vorbereitung der Lehrkräfte ergebe (Efing 2014: 423). Somit erscheint die Vermittlung einer konkreten fachsprachlichen Äußerung im berufsbezogenen DaF-Unterricht selten als sinnvoll leistbar, darüber hinaus lässt sich feststellen, dass diese für den berufsspezifischen DaF-Unterricht eine untergeordnete Rolle spielen.

1.2

Allgemein-, Berufs- und Fachsprache und ihre Bedeutung für den FSU14

Als Antwort auf den entstehenden Bedarf nach einer klaren Abgrenzung zwischen Allgemein-, Fach- und Berufssprache, auch im Fremdsprachenunterricht, hat Efing (2014: 16) eine Zusammenstellung der Unterschiede und Ähnlichkeiten, wie in Tab. 1 zu sehen, vorgeschlagen. Tab. 1: Abgrenzung zwischen Allgemeinsprache, Fachsprache und Berufssprache nach Efing (2014: 416). Allgemeinsprache

Berufssprache

Fachsprache Kommunikation in WisKommunikation in verfachspezifische Kommunisenschaft, Technik und Intrauten Alltagssituationen kation im Erwerbskontext stitutionen Austausch von Erfahrungen soziale Interaktion und Ko- Wissensaustausch, Fachund sozialer Kontakt ordination von Handlungen diskurs unter Experten soziale Ebene

soziale Ebene und berufliche Handlungsebene

14 Fremdsprachenunterricht.

kognitive Ebene

31

Allgemein-, Berufs- und Fachsprache und ihre Bedeutung für den FSU

(Fortsetzung) Allgemeinsprache

Berufssprache Elemente aus allen anderen Bereichen/ Register/ Varietäten, in der Lexik fach- und vertraute sprachlich-kombildungssprachliche Termimunikative Anforderungen ni neben dem Berufsjargon, (Lexik, Grammatik, Textin den Sprechakten bilund Diskursarten) dungssprachlich geprägt, in den Text- und Diskursarten eigene Spezifika fehlertolerant eher fehlertolerant konkret und kontextualikonkret bis abstrakt und siert kontextualisiert

Fachsprache spezifisch-exklusive sprachlich-kommunikative Lexik und Muster sowie hochfrequente Nutzung präferenzieller grammatischer Varianten fehlerintolerant abstrakt und dekontextualisiert

Als Ergänzung illustriert der Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Sprachregistern und deren Überlappungsbereichen in Form eines Dreiecks (Abb. 4).

Standardsprache Schulsprache Unterrichtssprache Bildungssprache Berufsbildungssprache CALP Theoriesprache Mündlichkeit

Schriftlichkeit

Allgemeinsprache

Fachsprache

BICS

Berufs-Gemeinsprache

Umgangssprache

Berufsinterne/berufliche Alltagskommunikation Berufsorientiertes Deutsch

Alltagssprache Gemeinsprache

Berufssprache

(Berufs-)Fachsprache Deutsch

Berufsbezogenes Deutsch

Gruppensprache fachbezogene/fachliche Umgangssprache

Abb. 4: Das Spannungsfeld berufsrelevanter Register nach Efing (2014: 420).

32

Fach- und Berufssprachendidaktik

Allgemeinsprache und Fachsprache werden in Abb. 4 als ein Kontinuum dargestellt, zwischen denen sich die Registerbezeichnungen befinden, die in der einschlägigen Literatur beschrieben werden, wobei sowohl bei der Fachsprache als auch bei der Berufssprache die Allgemeinsprache als Vergleichs- und Abgrenzungsfolie gilt. Die Links-Rechts-Anordnung definiert die Nähe bzw. Distanz von den beiden Polen (Fach- und Allgemeinsprache), während die Querrichtung die Unterscheidung in Mündlichkeit und Schriftlichkeit (verstanden von der Autorin als mündliche und schriftliche Sprachprodukte) bestimmt (Efing 2014: 420). Mithilfe des Dreiecks zeigt Efing (2014) die Koexistenz zwischen den Sprachregistern und die unscharfen Grenzen zwischen ihnen auf. Wie die Register im Bereich des Fremdfachsprachenunterrichts miteinander funktionieren können, stellt das von Funk (2001) entwickelte Modell der berufsbezogenen Anteile im allgemeinsprachigen Fremdsprachenunterricht und umgekehrt (Abb. 5) dar. Mit dem Modell wurde ein besseres Verständnis des Verhältnisses von allgemein- und berufssprachlichem Anteil im Unterricht und damit eine bessere Orientierung dazu beabsichtigt, wann und wie viel Berufsorientierung im berufsspezifischen Fremdsprachenkurs zu erwarten ist (Prikoszovits 2017: 157). allgemeinsprachliche Anteile

berufsbezogene Anteile

Abb. 5: Modell der allgemein- und berufssprachlichen Anteile im DaF-Unterricht (nach Funk 2001: 964).

Mit fortschreitender sprachlicher Progression wird der allgemeinsprachliche Anteil durch den berufssprachlichen ersetzt. Dies beweist jedoch, dass auch im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht die allgemeinsprachlichen Äußerungen von Bedeutung sind. Funk (2001: 964) nennt das Modell »Planungsmodell, das sich hier für einen durchgehenden berufsbezogenen Kurs für fremdsprachliche Anfänger anbietet«. Prikoszovits (2017: 159) schlägt eine Ergänzung des Modells von Funk mit dem GER-System15 vor (Abb. 6), was die Transparenz der Anteile der Allgemein- und beruflichen Sprache im Lehr-Lern-Prozess 15 GER – Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen. Der GER definiert bestimmte Niveaustufen für eine Sprache und enthält Kriterien für ein bestimmtes Niveau einer Sprache.

Allgemein-, Berufs- und Fachsprache und ihre Bedeutung für den FSU

33

deutlich erhöht. Bis einschließlich des B1-Niveaus ist ein verstärkter allgemeinsprachlicher Beitrag zu erwarten, erst ab dem B2-Niveau vergrößert sich der Anteil der beruflichen Sprache. GER

allgemeinsprachliche Anteile

A1 A2 B1 B2

berufsbezogene Anteile

C1 C2

Abb. 6: Modell der allgemein- und berufssprachlichen Anteile im DaF-Unterricht (nach Funk 2001: 964) unter Berücksichtigung der Niveaustufen des GER (Prikoszovits 2017: 159).

Funk (1999b: 68) teilte sein Pyramidenmodell in drei Bereiche ein, die dem steigenden Grad der Berufsorientierung entsprechen (siehe Abb. 7). Die erste Phase wird als Grundlegung allgemeiner Kommunikationsfähigkeit bezeichnet, die zweite Phase als Grundlegung berufsbezogener sprachlicher Fertigkeiten und die dritte und letzte Phase als Phase des berufsspezifischen Fachsprachenerwerbs. allgemeinsprachlicher Anteil

1. Phase (Grundlegung allgemeiner Kommunikationsfähigkeit) 2. Phase (Grundlegung berufsbezogener Kommunikationsfähigkeit)

fachsprachlicher Anteil

3. Phase (berufsspezifischer Fachsprachenwerb)

Abb. 7: Das Modell von Funk (1999b: 70) unter Berücksichtigung der Phaseneinteilung.

Das von Funk (2010) entwickelte Modell bezieht sich in erster Linie auf DaZ16Kurse, hauptsächlich in deutschsprachigen Ländern. Was jedoch DaF17 betrifft, betont Funk (2010: 1146), dass diese Kurse mehrheitlich eher unspezifisch auf fremdsprachliche Berufsanforderungen vorbereiten. Daraus resultiert, dass in 16 Deutsch als Zweitsprache. 17 Deutsch als Fremdsprache.

34

Fach- und Berufssprachendidaktik

fortgeschrittenen berufsbezogenen DaF-Kursen die Berufsorientierung vor der Fachorientierung steht. Gleichzeitig merkt Bolten (1991) an, dass das Sprachgeschehen »nicht additiv, sondern integrativ« beschreibbar sei als ein komplexes, empirisch annähernd bestimmbares Beziehungsgeflecht verschiedener fach- und (im weitesten Sinne) berufssprachlicher Ebenen (Bolten 1991: 74). Die dargestellten Überlegungen haben einen ausschlaggebenden Bezug zur gegenwärtigen Fach- und Berufssprachendidaktik und zur Entwicklung unterschiedlicher Formen von Fremd(fach)-Sprachenunterricht und studien- bzw. berufsvorbereitendem Fremdsprachenunterricht, die im weiteren Verlauf des Kapitels aufgegriffen werden.

1.3

Fach- und Berufssprachendidaktik – Begriffsvielfalt und Definitionsversuch

Ebenso wie eine einheitliche Definition des Wortes Fachsprache bereitet den Wissenschaftlern die Entwicklung einer universellen Definition des Fachbereichs Fachsprachendidaktik Schwierigkeiten, was zur Entwicklung unterschiedlicher Konzepte18 führte. Die Quellen dieser Umstände könnten folgende sein: – Erfindung der Fachsprachenforschung – keine universelle Definition von Fachsprache, somit unterschiedliche Vorstellungen vom Gegenstand der Fachsprachendidaktik – Status der Fachsprachendidaktik gegenüber der Fremdsprachendidaktik – Autonomie vs. Abhängigkeit19 – Vielfalt der Bezugsdisziplinen und daraus resultierende unterschiedliche Schwerpunkte der Fachsprachendidaktik. Ein zusätzliches terminologisches Problem bereitet die Aussonderung des Bereiches der Berufssprachendidaktik, die lange Zeit als Fachsprachendidaktik identifiziert wurde. Dies geht darauf zurück, dass der Terminus Berufssprache nur in der Kombination Berufs- und Fachsprache auftrat (Dannerer 2008, Grünhage-Monetti 2010). Darüber bildete sich im Bereich des DaF/DaZ beispielsweise Deutsch für/im Beruf oder Deutsch am Arbeitsplatz heraus, Kurse, die in der Regel weniger auf die Beschreibung eines Registers ausgerichtet sind als vielmehr auf die Identifizierung von relevanten Sprachhandlungen und deren 18 U. a. Basturkmen, Elder 2004, Basturkmen 2001, 2006, Dudley-Evans, St John 1998, Gajewska, Sowa 2014, Grucza 2007a, 2007b, 2010a, Hutchinson, Waters 1987, Lukszyn 2005, Mamet 2002, Sobkowiak 2008, Zhao 2002. 19 Strevens (1988) plädiert für eine volle Autonomie der Fachsprachendidaktik, während Grucza (2007a: 12) vorschlägt, sie als eine spezifische Variante der Fremdsprachendidaktik zu betrachten.

Fach- und Berufssprachendidaktik – Begriffsvielfalt und Definitionsversuch

35

didaktischer Umsetzbarkeit. Immer häufiger sind Kurse und Materialien für bestimmte Berufsfelder (z. B. Deutsch für Pflegepersonal, Deutsch für Beschäftigte in der Gastronomie) gefragt, die auf die sprachliche Vorbereitung auf die Arbeit in den jeweiligen Bereichen abzielen. Die Grundlage für die Entwicklung der erwähnten Kurse und Materialien für berufliche Zwecke bildet eine vertiefte Analyse des Sprachbedarfs, die das gesamte sprachliche und soziale Handlungsfeld berücksichtigt. Diese unterschiedlichen Richtungen trugen zur Etablierung des relativ jungen Feldes der Berufssprachendidaktik bei (Sander 2021: 66). Die nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über die ausgewählten Definitionen der Fach- und Berufssprachendidaktik mit einem Vorschlag zu ihrer Kategorisierung (vgl. Tab. 2). Tab. 2: Definitorische Vielfalt des Begriffes Fach- und Berufssprachendidaktik. Eigene Darstellung. Definition Schwerpunkt sprachliche Mittel/ Sprachwissenschaft

Quelle

Wir verstehen […] unter einer […] Didaktik der Fachsprache ein Fluck 1992: 5f. ganzheitliches Konzept zur Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens fachbezogener Sprechweisen20 […]. Ihre Basis bilden die Ergebnisse der Fachsprachenlinguistik und der relevanten fach- Fluck 1992: 16 wissenschaftlichen Untersuchungsforschungen. Der Fachsprachendidaktik (geht es) vor allem um die Frage, welche Ausschnitte fachlicher Kommunikation und welche sprachlichen Mittel für die Vermittlung fachlicher Inhalte und die Produktion und Rezeption von Fachtexten relevant sind. Das Vermitteln und Erlernen einer sprachlichen Varietät, die in Steinmüller 1990: 16 fachlichen Kontexten verwendbar ist. Schwerpunkt Kompetenzentwicklung Sprachtraining kann sich dabei nicht allein auf die Vermittlung von Fachwortschatz oder einer allgemeinen sprachlichen Kompetenz (Wortschatz, Grammatik, Kenntnis von sozialen Konventionen bei der Verwendung von Sprache etc.) konzentrieren, sondern muss Sprachhandlungskompetenz entwickeln helfen: verstehen, sprechen, schreiben, mit Sprache handeln – interagieren, kooperieren.

20 Alle Hervorhebungen durch Joanna Kic-Drgas.

Schöne et al. 2015: 10

36

Fach- und Berufssprachendidaktik

(Fortsetzung) Definition Ziel der berufsbezogenen Zweitsprachförderung ist die Verbesserung der beruflichen Beschäftigungs- und Handlungsfähigkeit der Kursteilnehmenden mit Hilfe einer gezielten Stärkung von spezifischen Sprachfähigkeiten und -fertigkeiten in beruflichen Kontexten. Diese pragmatische Ausrichtung des berufsbezogenen Sprachenlernens hat einen eindeutig funktionalen Charakter – denn sie bezweckt die Bewältigung konkreter (Sprach-) Handlungen am Arbeitsplatz sowie in berufsrelevanten Kontexten. Die Fachsprachendidaktik stellt einen besonderen Teilbereich der allgemeinen Glottodidaktik (Sprachendidaktik) dar, woraus sich ergibt, dass der Forschungsgegenstand der Fachsprachendidaktik als ein besonderer Teilbereich des Forschungsgegenstandes der Glottodidaktik im Allgemeinen zu betrachten ist, wobei hier zwischen einem allgemeinen Forschungsgegenstand sensu largo und einem allgemeinen Forschungsgegenstand sensu stricte unterschieden werden kann. Den Gegenstand der Fachsprachendidaktik sensu largo bilden Lehrer, der Lerner und der Kommunikationskanal zwischen ihnen. Den Gegenstand sensu stricte bilden der Lerner und seine Fachsprachenfähigkeiten / Fachsprachkompetenz (sein Fachidiolekt). Berufsorientierte Fremdsprache hat gegenüber in stärkerem Maße fachlich ausgerichteten Sprachregistern zudem den Vorteil, schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt eingeführt werden zu können und auf eine größere Nachfrage zu antworten als ein stärker fachsprachlich ausgerichteter Unterricht, der nach Schaffung der sprachlichen Grundlagen und bei bestehendem Bedarf zusätzlich immer noch als Ergänzung ggf. angeboten werden könnte.

Quelle Weissenberg 2018: 6

Grucza 2010b: 42

Weber, Becker 1998: 142

Schwerpunkt Fachtextproduktion und -rezeption Bethscheider 2011: Aufgabe eines berufsbezogenen DaF-Unterrichts muss also die 14 »Vermittlung von beruflich relevanten bildungssprachlichen Mitteln in Verbindung mit berufsbezogenen Textsortenkenntnissen und berufsbezogenem Sprachhandlungswissen (z. B.: etwas präzise benennen können; Prozesse und Handlungsabläufe beschreiben können; einen Sachverhalt, der z. B. einer Rechnung zugrunde liegt, erklären können) [sein]«, wobei diese Vermittlung bildungssprachlicher Kompetenzen nicht losgelöst von Fachinhalten geschehen sollte. (…) dass sich die Spezifik des fachsprachlichen Lehrens und Maghetiu 2015: 109 Lernens in der Fachsprache auf unterschiedliche kommunikative Ausgangssituationen und eine entsprechende Textauswahl beschränke Im Rahmen des Fachsprachenunterrichts werden sprachliche Halász, Fogarasi Formen und Formulierungsmuster eingeübt, sprachliche Mittel 2018: 87 diskutiert, die die Textsorten der ärztlichen Tätigkeit wiedergeben.

Fach- und Berufssprachendidaktik – Begriffsvielfalt und Definitionsversuch

37

(Fortsetzung) Definition Schwerpunkt Lernerbedürfnis-Orientierung Der Fachsprachenunterricht bildet also gewissermaßen eine Brücke zwischen allgemeinsprachlichem Unterricht und dem Fachunterricht. Er kann die Lerner auf den Fachunterricht vorbereiten, einmal indem er kompensatorische Strategien im Bereich der Informationsentnahme und Textproduktion aufbaut, zum anderen indem er Denkelemente zur Verfügung stellt und damit den Auf- bzw. Ausbau von Denkstrukturen ermöglicht, zum dritten, indem er die Lerner mit bestimmten stilistischen Eigentümlichkeiten der Kommunikation im Fach bekannt macht (Präzision, Differenziertheit, Hierarchisierung, Ökonomie etc.). In diesem Zusammenhang sollten neue Phänomene berücksichtigt werden, d. h. die Tatsache, dass Teams aus der ganzen Welt heute bei der Umsetzung bestimmter Projekte als Fachleute aus verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichen Wertehierarchien miteinander kooperieren. Um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen, müssen sie in der Lage sein, Aufgaben zu verwalten, Rollen festzulegen, Arbeit zu planen und zu organisieren und neue Ziele zu setzen. Sie sollten daher über Sprach-, Fach-, Organisations- und Medienkompetenz verfügen. Daher konzentriert sich der Unterricht von Fachsprachen derzeit auf die Bedürfnisse der Lernenden, was sich in den Zielen und Inhalten des Unterrichts und in den Übungsformen widerspiegelt und in zwei Richtungen verläuft: Unterricht für wissenschaftliche und theoretische Zwecke und Unterricht für berufliche Zwecke in Verbindung mit der vertikalen Unterteilung von Fachsprachen21. (Übersetzung Joanna Kic-Drgas)

Quelle Buhlmann, Fearns 2000: 85

Cholewa 2013: 76

Unter dem Begriff Fachsprachenunterricht verstehe ich das Leh- Lesiak-Bielawska ren und Lernen von Fremdsprachen, das sich an den Bedürfnissen 2015a: 75 der Lernenden orientiert und auf die Verwendung von Sprache in unterschiedlichen Kommunikationskontexten hinausläuft22. (Übersetzung Joanna Kic-Drgas)

21 Originalversion: »W zwia˛zku z powyz˙szym nalez˙y wzia˛c´ pod uwage˛ nowe zjawiska, czyli fakt, z˙e zespoły ludzi z całego s´wiata współpracuja˛ dzis´ ze soba˛ przy realizacji okres´lonych projektów jako profesjonalis´ci pochodza˛cy z róz˙nych kultur i posiadaja˛cy róz˙ne hierarchie wartos´ci. Aby wypełniac´ powierzone im zadania, musza˛ umiec´ zarza˛dzac´, wyznaczac´ role, planowac´ i organizowac´ prace˛ oraz okres´lac´ nowe cele. Powinni zatem posiadac´ kompetencje˛ je˛zykowa˛, zawodowa˛, organizacyjna˛ i medialna˛. Sta˛d nauczanie je˛zyków specjalistycznych skupione jest obecnie na potrzebach ucza˛cych sie˛, co znajduje odzwierciedlenie w celach i tres´ciach nauczania oraz formach c´wiczen´, i przebiega w dwóch kierunkach: nauczania dla celów naukowo-teoretycznych i nauczania dla celów zawodowych w zwia˛zku z podziałem wertykalnym je˛zyków specjalistycznych.« (Cholewa 2013: 76) 22 Originalversion: »Przez poje˛cie nauczania JS rozumiem nauczanie i uczenie sie˛ JO ukierunkowane na potrzeby ucza˛cych sie˛, które sprowadzaja˛ sie˛ do wykorzystania je˛zyka w róz˙nych kontekstach komunikacyjnych.« (Lesiak-Bielawska 2015: 75)

38

Fach- und Berufssprachendidaktik

Diese Zusammenstellung der Definitionen zeigt vor allem eine fehlende Übereinstimmung der Autoren wissenschaftlicher Publikationen dazu, was der eigentliche Schwerpunkt der Fach- und Berufssprachendidaktik ist. Aus den analysierten Definitionen lassen sich die Oberbegriffe Lernerbedürfnisse, Fachtext, (Fach-)Kompetenzentwicklung und Fachsprache aus den Aussagen der zitierten Wissenschaftler herausfiltern. Eine genaue Grenze zwischen beiden Termini (Fach- und Berufssprachendidaktik) ist nicht möglich, weil neben vielen Graden der Fachlichkeit des Wortschatzes noch unterschiedliche Gruppen der Lerner und vielfältige Lern- und Lehrziele sowie Arbeitskontexte hinzukommen, die die Aufteilung determinieren (Mangiante 2006: 148–152). Da die Unterscheidung zwischen den beiden im folgenden Kapitel angesprochenen Konzepten fließend ist, wäre es angebracht, eine genaue Beschreibung der Unterrichtswirklichkeit vorzunehmen und eine notwendige Bedarfsanalyse durchzuführen. Becker und Weber (1998: 142) meinen zu Recht, bei einem berufsorientierten, berufsübergreifenden Fremdsprachenunterricht: »kann nicht die Vermittlung einzelner Berufszweige im Mittelpunkt stehen. Der Hauptpunkt liegt bei einer berufsorientierten Sprache, die nahe an der Allgemeinsprache liegt, die um berufliche Kontexte und Anwendungsgebiete erweitert und in weiteren Gebieten berufsübergreifend ist«.

Die moderne Berufssprachendidaktik sollte deswegen vor allem die Dynamik des sich rasch ändernden Arbeitsmarktes (in Richtung von u. a. Interdisziplinarität und Multiligalismus) in höherem Maße berücksichtigen. Deswegen weisen Weber et al. (2000: 2) auf die Bedeutung des Sprachregisters hin, einer berufsorientierten Sprache, »die einerseits nahe an der Allgemeinsprache liegt, andererseits jedoch auch berufliche (d. h. weitgehend berufsübergreifende, nicht berufsspezifische) Kontexte und Anwendungsgebiete miteinbezieht«. Die Autorin der vorliegenden Arbeit schlägt vor, die Definition der Berufssprachendidaktik angesichts der sich stetig ändernden Realität (starke Spezialisierung der Arbeitsabläufe, neue Arbeitsformate, Internationalisierung – vgl. Kic-Drgas 2018a: 118f., Kic-Drgas 2018b: 133) um neue Elemente zu ergänzen (siehe Abb. 8). Berufssprachendidaktik bedeutet den Einsatz von adressaten- und zielorientierten, integrierten Lehr- und Lernmethoden, die unter der Berücksichtigung der Lernerbedürfnisse die Vermittlung von berufsbezogenen Sprachelementen ermöglichen (Gajewska, Sowa 2014: 136, Gajewska et al. 2020: 31–38, Kiefer, Szerszen´ 2015: 129–135). Die Beachtung der aktuellen Marktsituation (erkennbar in den Untersuchungen von Alnajjar 2013, 2017, Grucza, Allnajar 2015, Ła˛ckaBadura 2017, Kic-Drgas 2018a, 2018b, Kiefer, Szerszen´ 2015, Schöne et al. 2015, Szerszen´ 2014, 2016, 2018) stellt eine wichtige Grundlage für die vertiefte Aus-

Fach- und Berufssprachendidaktik – Begriffsvielfalt und Definitionsversuch

39

allgemeine, fremdsprachliche Lehr- und Lernmethoden Sprachenforschung mit besonderem Fokus auf authentischen Texten als Quelle des Fachwissens und der Fachterminologie

Lernerbedürfnisse – Fremdsprachengebrauch im beruflichen Kontext

Berufssprachendidaktik Marktbedürfnisse als Grundlage der Bestimmung der Lernbedürfnisse – Fremdsprachenbedarf

Fremd(fach- und berufs)sprachenkompetenz

Fachkompetenz Wissenstransfer

Abb. 8: Elemente der Berufssprachendidaktik. Eigene Bearbeitung.

einandersetzung mit den Fragen der modernen Lebens- und Berufsherausforderungen dar und liefert zugleich Informationen darüber, welche Sprachkompetenzen am Arbeitsmarkt von den potenziellen Mitarbeitern erwartet werden. Nach Lévy-Hillerich (2005: 11) sind Fachkompetenz, Fachkönnen und Fachwissen notwendig, um die fremdsprachliche Handlungskompetenz zu aktivieren, denn ohne Fachwissen wäre fachsprachliche Kompetenz »bloßes Nachahmen der Sprachstrukturen« (Błaz˙ek 2017: 88). Mamet (2002: 151) zeigt, dass fachliche Sprachkompetenz und Fachkompetenz nicht trennscharf abzugrenzen seien und zwischen ihnen ein enges Verhältnis bestehe. Zu betonen ist auch, dass die Identifikation und Beurteilung verschiedener sprachlicher Kontexte (am Arbeitsplatz) ein relativ differenziertes Sprachbewusstsein verlangen, dessen Entwicklung auch ein Ziel des berufsspezifischen Fremdsprachenunterrichts sein sollte: »Denn durch einen differenzierten Umgang mit verschiedenen sprachlichen Erscheinungsformen und nicht durch unreflektiertes Imitieren wird eine situations- und adressatenadäquate Kommunikation möglich.« (Haider 2009: 38) Auf die in diesem Kapitel vorgeschla-

40

Fach- und Berufssprachendidaktik

gene Definition der Berufssprachendidaktik ist das in Kapitel 8 entwickelte Modell aufgebaut.

1.4

Fach- und Berufssprachendidaktik23 – Systematisierung

Jeder Versuch der Klärung des Begriffs Fachsprachendidaktik verursacht große Schwierigkeiten, die sich nicht ausschließlich aus der Mehrdeutigkeit der Ansätze und Konzepte von Fachsprachen selbst24 ergeben, sondern einerseits aus der Meinungskluft zwischen den Wissenschaftlern über den Status der Fachsprachendidaktik und andererseits aus der Zielsetzung der Fachsprachendidaktik, die aus den Bedürfnissen der Lerner resultiert. Am Anfang der Überlegungen zur Fachsprachendidaktik ist es aber von Bedeutung, darauf hinzuweisen, dass die ersten systematischen Fachsprachenforschungsprojekte in Polen von der Glottodidaktik und Translatorik initiiert wurden25. Die Fachsprachen gelangten erst zehn Jahre später in den Interessenskreis der Linguistik (Grucza 2010b: 31). Daraus ergibt sich ein enger theoretischer Zusammenhang zwischen beiden Bereichen (Fachsprachenforschung und Fremdsprachendidaktik), der sich als Ergebnis der Entdeckung einer neuen Forschungsmöglichkeit entwickelte26. Vor allem die Frage nach der Systematisierung der Fachsprachendidaktik in der Disziplinenhierarchie löst zahlreiche Diskussionen zur Spezifik und Eigenständigkeit des Forschungsbereichs aus (Buhlmann, Fearns 2000, Fluck 1992, Zhao 2002). In dieser Hinsicht sind die Meinungen der Wissenschaftler geteilt. Auf der einen Seite wird hervorgehoben, dass die Fachsprachendidaktik als 23 Zwar konzentrieren sich die Arbeiten zur Fachsprachendidaktik fast ausschließlich auf den fremdsprachlichen Fachsprachenunterricht (Goebl et al. 1996: 508), doch der Terminus kann sich auch auf den muttersprachlichen Fachsprachenunterricht beziehen. In der vorliegenden Arbeit wird Fachsprachenunterricht als fremdsprachlicher Fachsprachenunterricht verstanden. 24 Obwohl Pfeiffer (1986a: 197) betont, dass die fehlende linguistische Beschreibung der Fachsprachen zur ungenügenden Entwicklung der Fachsprachendidaktik beitrage, sind Gajewska und Sowa (2014: 29) der Meinung, dass die Fachsprachendidaktik imstande ist, sich ohne eindeutige Definition der Fachsprache zu entwickeln, weil ihre Gestalt von den individuellen Bedürfnissen der Zielgruppe geprägt wird. 25 Die ersten Arbeiten sind von Kielar (1994) und Lewandowski (1994). 26 Baumann (2003: 120) betont: »Auf methodischer Ebene ist den Vertretern der Fachsprachendidaktik bisher jedoch nur in unzureichendem Maße gelungen, die weitreichenden Ergebnisse der Fachsprachenforschung in praxiswirksame didaktische Strategien zur Darstellung von lehr- und lernrelevanten Mitteln der Fachkommunikation umzusetzen.« Dazu Fluck: »[…] fehlt es bis heute an einer allgemeinen und auf die Muttersprache bezogenen Theorie fachsprachlichen Lehrens und Lernens sowie ihrer Anwendung auf fachsprachliche Erziehungs- und Ausbildungsprozesse.« (Fluck 2002: 3)

Fach- und Berufssprachendidaktik – Systematisierung

41

Fremdsprachenunterricht (den Regeln) der allgemeinen Fremdsprachendidaktik untergeordnet sei. Ein weiteres Argument gegen die Eigenständigkeit der Fachsprachendidaktik besteht darin, dass die Fachsprache keine separate Varietät der Allgemeinsprache sei, deswegen seien die sprachlichen Erscheinungen in der Fachsprache Erscheinungen der allgemeinen Sprache und der Fachsprachenunterricht sei einfach ein Fremdsprachenunterricht. Daraus könnte geschlussfolgert werden, dass die Fachsprachendidaktik keinen Sonderstatus hat und den Prinzipien der Fremdsprachendidaktik untergeordnet ist (Fluck 1992: 107ff.). Andererseits betonen die Vertreter einer eigenständigen Fachsprachendidaktik die Spezifik der Fachsprache und die »daraus resultierende eingeschränkte Übertragbarkeit fremdsprachlicher Didaktik« (Hammrich 2014: 76). Beier und Möhn (1988: 59) kritisieren die Ablehnung des Sonderstatus der Fachsprachendidaktik, weil dadurch die wichtigen Aspekte der fachsprachlichen Kommunikation ausgeblendet würden. Gemeint sind vor allem die Funktionalität der sprachlichen Mittel in fachlichen Situationen (die spezifische Verwendung syntaktischer Mittel) oder die Unterschiede in der fachlichen Kommunikation in Abhängigkeit vom Kontext (differenzierte Realisierung des Kommunikationsverfahrens in unterschiedlichen Fachsituationen). Auch Schröder (1988: 26) verweist darauf, dass Sprachäußerungen und Fach eng miteinander verbunden seien und dieser Ansatz in der Didaktik aufzugreifen sei, denn er ermögliche, die »Denk-, Mitteilungs- und Argumentationsstrukturen« zu erforschen und ihren Einsatz in situativ eingebettetem Kontext zu analysieren. Dazu merkt auch Grucza (2010b: 39) an: »Aus der Tatsache, dass unter dem funktionalen Aspekt Fachsprachen als autonom aufzufassen sind, geht hervor, dass dem Lernen einer Fachsprache nicht unbedingt die Aneignung der jeweiligen Gemeinsprache vorausgehen muss.« Schröder (1988: 26ff.) fügt hinzu, dass ein wichtiges distinktives Merkmal der Fachsprachendidaktik die Lernergruppe sei, die meist von Erwachsenen gebildet werde, in den meisten Fällen von Berufstätigen mit einer stark an der Praxis und an professionellen Bedürfnissen orientierten Motivation. Darauf aufbauend seien die Ziele des fremdsprachlichen Fachsprachenunterrichts stärker adressatenorientiert als in allgemeinsprachlichen Kursen (Fluck 1992: 110). Die dargestellten Standpunkte könnten als Legitimationsgrund für die Annahme der Eigenständigkeit der Fachsprachendidaktik betrachtet werden. Grucza merkt zu Recht an, dass die Fachsprachendidaktik eine besondere Art der Sprachendidaktik, aber nicht eine separate Variante der Fremdsprachendidaktik darstelle (Grucza 2007a: 10–12, Grucza 2010b: 33). Zhao (2002: 81) fügt hinzu, dass es zwar eine Didaktik der Fachfremdsprache gebe, sie sich aber erst als Folge erweiterter Studien zu einem eigenständigen Bereich etablieren könne. Diese Etablierungschancen würden immer stärker werden, was durch die Ent-

42

Fach- und Berufssprachendidaktik

wicklung einzelner spezialisierter Bereiche innerhalb der Fachsprachendidaktik begründet sei. Nicht nur die Frage der Eigenständigkeit der Fachsprachendidaktik wird von den Wissenschaftlern nicht übereinstimmend beantwortet, auch die Kategorisierung des Feldes der Fachsprachendidaktik und die Benennung dieses Bereichs bereiten den Forschern zahlreiche Schwierigkeiten, was der Tatsache zuzuschreiben ist, dass sich die Fachsprachendidaktik durch eine große Interdisziplinarität auszeichnet und darüber hinaus auf mehrere Disziplinen zurückgreift. Dickel (2013) stellt in dieser Hinsicht die begründete Frage: Wo ist aber eine so verstandene Didaktik des Fachsprachenunterrichts zu platzieren und wie sieht ihr Standort im Geflecht benachbarter Disziplinen aus, mit denen sie gemäß obigen Ausführungen zu tun hat? (Dickel 2013: 103)

Köhler (1985: 41) schlägt folgende Systematik des Feldes vor (Abb. 9). Theorie des Spracherwerbs Didaktik des Fremdsprachenunterrichts

Didaktik der Fachsprachen

Didaktik einer beliebigen Sprache Lx

Didaktik einer beliebigen Fachsprache Lfx

Methodik der beliebigen Sprache Lx für Lernende mit einer anderen Muttersprache Ly

Abb. 9: Systematik des Feldes der Fachsprachendidaktik. Eigene Darstellung, modifiziert nach Köhler (1985: 41).

Die Didaktik der Fachsprachen ist in der obigen Klassifikation auf zwei Ebenen vorhanden (Abb. 9): Die erste Ebene wird von der allgemeinen sprachübergreifend angesetzten Einzelsprachendidaktik vertreten, die das universelle Kommunikationsmittel der Fachsprache in Anspruch nimmt. Die zweite Ebene stellt

43

Fach- und Berufssprachendidaktik – Systematisierung

die Herausforderung einer konkreten Umsetzung der sprachlichen Mittel innerhalb eines bestimmten Faches dar. Laut Köhler (1985: 41) nimmt die Didaktik der Fachsprache Lfx die Erkenntnisse der Fachsprachenforschung der entsprechenden Fremdsprache auf und liefert selbst die Grundlagen für eine methodische Aufbereitung in Form von Zielsetzung und Themenauswahl. Spracherwerbs-Theorie Linguistik

Didaktik des FremdsprachenUnterrichts

Allgemeine Didaktik Sprachlehr-Forschung

Psychologie

Didaktik der Fachsprachen (sprachübergreifend)

Didaktik/Methodik der Einzelsprache, z.B. Deutsch

Didaktik der Fachfremdsprache, z.B. deutsche Fachsprache

Ausgangssprachliche Einzelfach-Didaktik z.B. Physik

Methodik der EinzelfachSprachen, z.B. deutsche Fachsprache Physik

Fachsprachen-Linguistik

Zielsprachliche Einzelfach-Didaktik z.B. Physik

Abb. 10: Systematisierung des fachsprachlichen Fremdsprachenunterrichts nach Fluck (1992: 112).

Der Darstellung (Abb. 10) ist zu entnehmen, dass die Didaktik des Fachsprachenunterrichts interdisziplinär auf die Erkenntnisse der allgemeinen Didaktik, der Sprachlehrforschung, der Spracherwerbstheorie, der Linguistik und der Psychologie ausgerichtet ist. Sie bildet jedoch auch einen Ansatzpunkt für Überlegungen zur sprachübergreifenden Didaktik der Fachsprachen, die wiederum eine Basis für die Methodik der Einzelfachsprachen darstellt. In den dargestellten Abbildungen lassen sich noch keine Hinweise auf eine Berufs-

44

Fach- und Berufssprachendidaktik

sprachendidaktik finden, denn wie bereits angedeutet (vgl. Kap. 1.3), wurde Berufssprachendidaktik mit Fachsprachendidaktik gleichgesetzt27. Gajewska und Sowa (2014: 46) entwickelten eine Aufteilung der Fachsprachendidaktik, in der sie schon u. a. die Aussonderung der Berufssprachendidaktik berücksichtigten. Fachsprachendidaktik

Didaktik (Methodik) der Berufssprachen

Kommunikationsunterricht am Arbeitsplatz

Abb. 11: Grafische Darstellung der Aufteilung der Fachsprachendidaktik (nach Gajewska, Sowa 2014: 46)28.

Fachsprachendidaktik (Polnisch: dydaktyka je˛zyków specjalistycznych) wird als ein allgemeiner Sammelbegriff definiert, der in manchen Kontexten synonym zur fachsprachlichen Glottodidaktik (Polnisch: glottodydaktyka specjalistyczna) verwendet wird. Die Didaktik der Berufssprachen/Branchensprachen (Polnisch: dydaktyka je˛zyków branz˙owych, zawodowych) stellt einen der Fachsprachendidaktik untergeordneten Begriff dar, der sich auf die Didaktik bzw. Methodik der einzelnen Branchensprachen bezieht, z. B. Didaktik der Wirtschaftssprache oder Methodik der Sprache der Medizin. Gleichzeitig kommt auch der Begriff Kommunikationsunterricht am Arbeitsplatz (im Unternehmen) vor, unter dem die Entwicklung gemeinsamer Kompetenzen für alle Berufe verstanden wird. 27 Dudley-Evans und St. John schlugen in Bezug auf das Englische 1998 eine Unterscheidung zwischen English for specific purposes und English for vocational purposes vor: »The term EOP refers to English that is not for academic purposes; it includes professional purposes in administration, medicine, law and business, and vocational purposes for non-professionals in work or pre-work situations. […] Within English for Vocational Purposes (EVP) there are two subsections: Vocational English, which is concerned with the language of training for specific trades or occupations, and Pre-Vocational English, which is concerned with finding a job and interview skills. It also deals with succeeding in a job through an understanding of employer expectations and policies.« (Dudley-Evans, St. John 1998: 7) 28 Übersetzung durch Joanna Kic-Drgas.

Fachbezogener, studienvorbereitender, berufsbezogener Fremd(sprachen)unterricht

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Gajewska und Sowa (2014: 46)29 differenzieren folgende Begriffe: Didaktik für berufliche Zwecke und Didaktik für den beruflichen Bedarf. Erstere bezieht sich auf das Unterrichten der Berufssprachen von Lernern und Studenten, die sich erst auf den Einstieg in den Arbeitsmarkt vorbereiten, während Letztere den Lehrprozess am authentischen Arbeitsplatz definiert, d. h. mit berufstätigen Personen, die im beruflichen Kontext konkrete sprachliche Aufgaben realisieren müssen. Die dargestellten Klassifikationen der Fachsprachendidaktik zeugen davon, dass sich das Konzept der Fachsprachendidaktik im ständigen Wandel befindet und sich erst fest im Zusammenspiel mit anderen Disziplinen etabliert, was ebenfalls in dem in Kapitel 8 entwickelten Modell berücksichtigt wird.

1.5

Fachbezogener Fremd(sprachen)unterricht, studienvorbereitender Fremdsprachenunterricht und berufsbezogener Fremdsprachenunterricht

In den letzten Jahren hat sich der fachsprachliche und berufsbezogene Fremdsprachenunterricht aufgrund verschiedener Ereignisse (u. a. bildungspolitische Maßnahmen, wie das Bologna-Abkommen, Arbeitsmigration, Integration von Geflüchteten etc.) in unterschiedlicher Form entwickelt (Flinz 2019: 11). Die Lerner beginnen den Fremdsprachenunterricht mit unterschiedlichen Ausbildungs- oder Fortbildungszielen, die die Form, Häufigkeit und Fachlichkeit sowie die Thematik der Stunden bestimmen. Obwohl die Fachsprachendidaktik relativ jung ist, haben sich schon innerhalb des Feldes einige unterschiedliche Unterrichtsformen entwickelt, die im Weiteren genauer differenziert werden: – fachbezogener Fremdsprachenunterricht (Unterrichtsschwerpunkt: berufsalltagsorientiert – aktuelle Anforderungen im heimischen Unternehmen bzw. im Unternehmen des Ziellandes) (Tellmann et al. 2012: 12) – studienbegleitender Fremdsprachenunterricht (Unterrichtsschwerpunkt: austauschorientiert – Studiensemester/ Studium im Zielsprachenland, fachinhaltsorientiert – bilingual, Ausbildung/ bilinguales Studium im Heimatland, praktikumsorientiert – im Rahmen des Auslandsstudiums, in heimischen Unternehmen – spätere Anstellung in heimischen Unternehmen oder denen der Zielsprache) (Tellmann et al. 2012: 12) – berufsbezogener Fremdsprachenunterricht (Unterrichtsschwerpunkt: berufsfeldübergreifende Kompetenzen und Fertigkeiten) (Tellmann et al. 2012: 12).

29 Gajewska und Sowa diskutieren die Vielfalt der Begriffe zum Beschreiben der Fachsprachendidaktik in unterschiedlichen Sprachen (vgl. Gajewska, Sowa 2014: 33–45).

46

Fach- und Berufssprachendidaktik

Des Weiteren wird der Versuch unternommen, auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Begriffen hinzuweisen, um die Entwicklung eines neuen Typs von Unterricht zu ermöglichen. Fachbezogener Fremdsprachenunterricht Die Unterscheidung zwischen Fach(sprachen)unterricht, fachbezogenem Fremdsprachenunterricht (FFSU)30 (Schröder 1988: 32ff.) und allgemeinem Fremdsprachenunterricht ist »graduell und nicht prinzipiell« (Zhu, Zimmer 2003: 79)31. Gleichzeitig sind in der Fachliteratur enorme Unterschiede in der Wahrnehmung des Fachsprachenunterrichts festzustellen. Reuter (1997: 20) definiert den Fachsprachenunterricht als »Projekt FSU«, während Fearns (2007), Hammrich (2014) oder Zalipyatskikh (2017) die ganze Konzeption des Fachsprachenunterrichts darstellen und der Lehre konkrete Konturen geben. Laut Fluck (1992) lassen sich folgende Unterschiede gegenüber dem allgemeinen Fremdsprachenunterricht feststellen: 1. Ziele und Inhalte des fachbezogenen Fremdsprachenunterrichts (FFSU) sind in besonders starkem Maße auf die konkreten Bedürfnisse der Lernenden hin ausgerichtet, wobei die Erweiterung der Sprachkompetenz meist zugleich eine Erweiterung der beruflichen Kompetenz bedeutet. 2. Der FFSU setzt bei den Lernenden eine fachliche Kompetenz voraus oder ist auf die Entwicklung einer solchen Fachkompetenz – auch mithilfe der Muttersprache – angewiesen. Für den Fachsprachenlehrer bedeutet dies, dass er mit dem fachlichen Umfeld der Lernenden zumindest in Grundzügen vertraut sein sollte. Im Mittelpunkt des Unterrichts stehen spezialisierte Kommunikationsbereiche mit einem primär funktional bestimmten Sprachgebrauch, der das Handeln im jeweiligen Fach ermöglichen soll. Dieser Sprachgebrauch wird in den Fachtexten aktualisiert, die daher in ihren jeweils relevanten Erscheinungsformen zentrale Bezugsgrößen, d. h. Ausgangs- und Zielpunkt, des fachorientierten Fremdsprachenunterrichts sein müssen.

30 Fachbezogener, fachorientierter und fachlicher (Fremd-) Sprachenunterricht werden in der vorliegenden Veröffentlichung als Synonyme betrachtet. 31 Vgl. auch: »Zwischen allgemeinsprachlichem und fachsprachlichem Unterricht in der Fremdsprache kann man, wie noch aufgezeigt wird, keine exakte Trennlinie ziehen. Dennoch lassen sich graduell einige Unterschiede im Hinblick auf Lerninhalte, Lernziele, Progression und die Rahmenbedingungen für den Unterricht aufzeigen, die bei der Konzeption von Lehr- und Lernmaterialien berücksichtigt werden sollten.« (Tellmann et al. 2012: 1–2)

Fachbezogener, studienvorbereitender, berufsbezogener Fremd(sprachen)unterricht

47

3. Die Gestaltung und Vermittlung eines an fachlichen Bedarfs- und Verwendungsprofilen orientierten Unterrichtsangebots mit seiner zentralen Bezugsgröße Fachtext hat nicht nur unter Beachtung allgemeiner Prinzipien der Fremdsprachendidaktik und ihrer Bezugsdisziplinen, sondern auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Fachsprachenlinguistik zu erfolgen. 4. Die vier Hauptfertigkeiten werden im Hinblick auf eine berufszielspezifische Verwendung differenziert und ggfs. nur als Teilfertigkeiten weiterentwickelt oder perfektioniert; als fünfte Fertigkeit gilt das Übersetzen. 5. Die Verbindung von Sprachlichkeit und Fachlichkeit bedingt teilweise spezifische Kriterien der Textauswahl und -verwendung (Fluck 1992: 112–113). Buhlmann und Fearns (2018: 242–251) versuchten, das Wesen des Begriffs Fachsprachenunterricht in Abgrenzung zum allgemeinen Fremdsprachenunterricht und Fachunterricht darzustellen. Die in Tab. 3 angedeuteten Unterschiede zwischen den Unterrichtsformen legen den Grundstein für eine weitere Differenzierung, vor allem innerhalb der Fachsprachenunterrichtsformen. Roelcke (2010: 175) weist auf die Heterogenität innerhalb der Fachsprachenunterrichtstypen hin und schlägt eine Klassifikation anhand folgender Kriterien vor: Adressatenspezifik (Laie vs. Experte), Fachlichkeit (allgemeiner vs. fachübergreifender Fachsprachenunterricht) sowie sprachliche Perspektive (mutter- vs. fremdsprachige Lerner). Die unterschiedlichen Typen sind in Tab. 4 dargestellt.

Allgemeinsprachlicher Unterricht – Geläufigkeit und Flüssigkeit im sprachlichen Umgang – Kommunikationsfähigkeit in der Alltagssituation

Fachunterricht – Präzision und Ökonomie – Definieren einzelner Fachbegriffe – statisch

Sprachfertigkeiten:

– – – – –

– Fachtexte – Grafiken, Diagramme, Tabellen und Zeichnungen

– Vermittlung der isolierten Denkelemente und -strukturen des Faches

Fachsprachenunterricht – Präzision und Ökonomie, verbunden mit Kommunikationsfähigkeit in den Berufs-/ Fachsituationen – sprachliche Handlung im Fach – Präzision, Differenziertheit, Hierarchisierung, Ökonomie – sprachliche Didaktisierung der Inhalte – dynamisch

Hörverstehen – mit unterschiedlichen Schwer- – mit unterschiedlichem Schwerpunkt entwickelt, je nach geäußerten BedürfLeseverstehen punkten entwickelt, je nach mündlicher Ausdruck geäußertem Bedarf nissen schriftlicher Ausdruck kontinuierlich und systematisch entwickelt

– allgemeine Problemorientierung – die fachlichen Elemente werden nicht separat dargestellt – Bezug auf System und starke Differenziertheit Kommunikationsanreize: – Bilder – Modelle, Diagramme, Grafiken und Tabellen

Problemorientierung:

Bereich Ziel:

Tab. 3: Vergleich zwischen allgemeinem Fremdsprachenunterricht, Fachunterricht und Fachsprachenunterricht. Eigene Bearbeitung in Anlehnung an Buhlmann, Fearns (2018: 242–251, Hammrich 2014: 70, Zalipyatskikh 2017: 70–73).

48 Fach- und Berufssprachendidaktik

– werden nicht vermittelt

– additives und assoziatives Darstellungsverfahren

Textrezeption und-produktion:

Fachtermini:

Gefördert wird:

– fachbezogene Situationen – Anlehnung an die genau festgestellten Fachinhalte – Dokumentenanalyse – sprachliche Aspekte werden zweitrangig/vor allem auf der fachlichen Ebene

Fachsprachenunterricht – Ausbau der fachlichen Denkstrukturen – Bewältigung der kommunikativen fachbezogenen Situationen – Entwicklung von Arbeitsstrategien

– dienen dem Aus- und Aufbau der Denkstrukturen – Selektieren und Hierarchie– additives und assoziatives Darstelsieren des Darstellungsverfahrlungsverfahren ens

– werden vermittelt

– Arbeitsstrategien (study skills) – - - - - - - – sie werden vorausgesetzt, aber nicht vermittelt – Gliederung, innere, zwingende – Informationsentnahme und GliedeOrdnung des Textes rung, Richtigkeit – Aus- und Aufbau der Denkstrukturen – fachliches Diskursbewusstsein

Fachunterricht – genaue Interpretation der Sachinhalte – Einhaltung aller bei der Interpretation gültigen Konventionen – Einordnung der Informationen in den Gesamtzusammenhang – Begriffsbestimmung – alltägliche Situationen, aber – genau festgestellte Inhalte auch Phantasie anregende In– genaue Interpretation gültiger Konventionen halte – Primat der sprachlichen Aspekte – Zeichnungen und Diagramme

Allgemeinsprachlicher Unterricht – Bewältigung der kommunikativen Alltagssituationen – Diskussion mithilfe der neu erlernten Begriffe, vor allem in dialogischen Situationen

– Denkelemente im Fach – Lese- und Textproduktionsstrategien – Richtigkeit und Gefälligkeit des Textes

Nicht vermittelt:

Inhalte:

Bereich Entwicklung der Lehrund Lernstrategien:

(Fortsetzung)

Fachbezogener, studienvorbereitender, berufsbezogener Fremd(sprachen)unterricht

49

Bereich Arbeitsstrategien:

(Fortsetzung)

Allgemeinsprachlicher Unterricht – werden entwickelt

Fachunterricht – werden vorausgesetzt

Fachsprachenunterricht – werden entwickelt – auch kompensatorische Strategien im Bereich Informationsentnahme und Textproduktion

50 Fach- und Berufssprachendidaktik

Fachbezogener, studienvorbereitender, berufsbezogener Fremd(sprachen)unterricht

51

Tab. 4: Klassifikation von Fachsprachenunterricht (Roelcke 2020a: 206). Typ allgemeiner Fachsprachenunterricht

Zielgruppe muttersprachliche Laien

Ziele 1. Verbesserung der Rezeptionskompetenz 2. Überbrückung von fachsprachlichen Kommunikationsbarrieren

spezieller Fachsprachenunterricht32

muttersprachliche Laien

allgemeiner Fachsprachenunterricht

muttersprachliche Experten

1. Erweiterung des Fachwissens 2. Ergänzung und Vervollständigung der Informationen im allgemeinbildenden Unterricht als Grundlage in der fachsprachlichen Sonderausbildung

spezieller Fachsprachenunterricht

muttersprachliche Experten

allgemeiner Fachsprachenunterricht

fremdsprachliche Laien33

spezieller Fachsprachenunterricht

fremdsprachliche Laien

allgemeiner Fachsprachenunterricht

fremdsprachliche Experten

spezieller Fachsprachenunterricht

fremdsprachliche Experten

1. Verbesserung der fachsprachlichen Produktions- und Rezeptionskompetenz 2. Überbrückung der Kommunikationsbarrieren 1. Verbesserung der Produktions- und Rezeptionskompetenz 2. Überbrückung von fachlichen Kommunikationsbarrieren 1. Erweiterung des Fachwissens 2. Ergänzung und Vervollständigung der Informationen im allgemeinbildenden Unterricht als Grundlage in der fachsprachlichen Sonderausbildung 1. Verbesserung der fachsprachlichen Produktions- und Rezeptionskompetenz 2. Überbrückung von fachlichen Kommunikationsbarrieren

32 Roelcke (2010: 175) bezweifelt dennoch die Rolle dieses Typs des Fachsprachenunterrichts, der als einzelne Unterrichtseinheiten im Rahmen eines allgemeinbildenden Kurses realisiert werden kann. 33 Hier sind Schüler mit Migrationshintergrund gemeint (Roelcke 2010: 175). In der (sprachlichen Bildungs-) Realität in Polen können hier Schüler bilingualer Schulprogramme genannt werden, die einen allgemeinen Fachsprachenunterricht als Teil ihrer schulischen Bildung erhalten.

52

Fach- und Berufssprachendidaktik

Studienbegleitender Fremdsprachenunterricht Baric´ und Serena (2016: 9) erklären das Prinzip des studienbegleitenden Fremdsprachenunterrichts (SDU)34,35 folgendermaßen: »Ein ›studienbegleitender‹ Deutsch- oder Fremdsprachenunterricht ist ein Unterricht, der Studierende während ihres Studiums ›begleitet‹«. Als Folge des Bologna-Prozesses nimmt die Bedeutung des studienbegleitenden, hochschulspezifischen Fremdsprachenunterrichts zu (Graßmann 2009: 140). Vom Goethe-Institut-Krakau (2002: 8) wird der Begriff folgendermaßen präzisiert: Der Studienbegleitende Deutschunterricht ist berufsorientiert und interdisziplinär zu verstehen, weil er die Studierenden befähigt, europaweit mobil zu sein und von Praktika und Arbeitserfahrungen im Ausland zu profitieren. Im Vordergrund stehen dabei die Sprache als Mittel zur allgemeinsprachlichen sowie fachlichen Verständigung und die wachsenden Anforderungen an die Fremdsprachenkenntnisse in der beruflichen Praxis.36

Der studienbegleitende Fremdsprachenunterricht betrifft vor allem den Unterricht für Studierende unterschiedlichster Fächer im universitären und Hochschulbereich, einschließlich der Fremdsprache im Haupt- oder Nebenfach für Nichtmuttersprachler (Ylönen 2016: 1)37. Dies zieht konkrete Konsequenzen für den Aufbau des Unterrichts und die eingesetzte Methodologie nach sich, in deren Mittelpunkt die Handlungskompetenz38 steht: 34 Der Begriff ist nach 2009 als gängiger Begriff in die Fachsprache der Didaktik im Hochschulbereich eingegangen, als das Buch Studienbegleitender Deutschunterricht in Europa: Rückblick und Ausblick. Versuch einer Standortbestimmung (Lévy-Hillerich, Serena 2009) mit Beiträgen aus 17 Ländern erschien und dem studienbegleitenden Deutschunterricht im Rahmen der Internationalen Deutschlehrertagung in Jena eine eigene Sektion gewidmet wurde (Serena, Baric´ 2015: 68). 35 Im Polnischen sowie im Deutschen und Englischen herrscht Namensdiffusität: nauczanie je˛zyka zawodowego, nauczanie je˛zyka do celów zawodowych, glottodydaktyka specjalistyczna, mehr dazu in Gajewska, Sowa (2014: 26–54) (vgl. auch Kap.1.4). 36 Rahmencurriculum für Deutsch als Fremdsprache im studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht an den Universitäten und Hochschulen in Polen, in der Slowakei und in Tschechien (Goethe-Institut-Krakau 2002). 37 Zu bemerken ist jedoch, dass die »Zielgruppe durch eine recht hohe Heterogenität geprägt [ist], welche nicht nur in den unterschiedlichen Studienfächern begründet ist, sondern auch in den vielfältigen individuellen Sprachlernbiografien, Lernbedürfnissen und Lernzielen« (Syrou 2013: 16). 38 Bach und Timm (1989: 17ff.) fassen die wesentlichen Merkmale des sprachlichen Handelns, der sprachlichen Handlungskompetenz und des handlungsorientierten Unterrichts folgendermaßen zusammen: »Sprachliches Handeln ist die auf konkrete Erfahrung und Interessen beruhende sprachliche Interaktion zwischen Gesprächspartnern im Kontext ihrer gemeinsamen Lebenswelt.« Auch: »Handlungskompetenz wird verstanden als die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten.« (Kultusmi nisterkonferenz 2011: 15)

Fachbezogener, studienvorbereitender, berufsbezogener Fremd(sprachen)unterricht

53

Das Augenmerk ist nicht mehr: auf die Sprache als solche (wie im üblichen schulischen Studium oder in der Germanistik) oder auf die Fachsprache (wie in Fachsprachenkursen), sondern auf eine Handlungskompetenz in der Sprache gerichtet, die dem späteren Berufsleben entspricht und sich im Unterricht in, durch und mit der Sprache entwickelt (Serena 2007: 61).

In der vorliegenden Arbeit wird die Definition der sprachlichen Handlungsfähigkeit im Fach, in der Ausbildung und im Beruf nach Buhlmann und Fearns (2018: 19) »als Fähigkeit des Lerners, sich in der Zielsprache (L2) angemessen zu informieren und zu verständigen«, verstanden. Für die weiteren Überlegungen in dieser Veröffentlichung ist es auch von Bedeutung, dass im Konzept des studienbegleitenden Fremdsprachenunterrichts nicht nur fachliche Inhalte zu erwarten sind, sondern auch soziale und methodische Qualifikationen (LévyHillerich, Serena 2009: 9). Ursprünglich wurde die Idee des studienbegleitenden Deutschunterrichts von Dorothea Lévy-Hillerich und ihrem Projektteam entwickelt und als Ereignis aufgefasst: einer Entdeckung der speziellen sprachdidaktischen Bedürfnisse von DozentInnen und StudentInnen, die in den verschiedensten Fakultäten Deutsch lehrten bzw. lernten und plötzlich vor der Notwendigkeit einer sprachlichen Interaktion mit einer bisher nicht bekannten westlichen Welt standen (Baric´, Serena 2016: 8).

Die Gedanken, die der gegenwärtigen Zielsetzung des studienbegleitenden Fremdsprachenunterrichts zugrunde liegen und zugleich einen wichtigen Impuls für die Entwicklung des Modells der Schreibkompetenzentwicklung (vgl. Kap. 8.1 und 8.2) darstellen, konzentrieren sich vor allem auf: – die Vorbereitung auf das Austauschstudium39 – die Erhöhung der Mobilität – die Ermöglichung der Zertifizierung40 – die Flexibilisierung41

39 »Studienbegleitend ist der Unterricht, wenn Deutsch als Fremdsprache während des Fachstudiums gelernt wird, studienvorbereitend, wenn damit auf ein (Austausch-)Studium in einem deutschsprachigen Land vorbereitet werden soll.« (Ylönen 2015: 2) 40 »In der Folge des Bologna-Prozesses hat der studienbegleitende, hochschulspezifische Fremdsprachenunterricht noch stärker als zuvor die Aufgabe, fachspezifische und berufsbezogene Fremdsprachenausbildung sowie Zertifizierung zu leisten.« (Graßmann 2009: 140f.) 41 »Neues Selbstbewußtsein durch deutliche Professionalität, die sich nicht durch hermetische Verschlüsselung (pseudo-wissenschaftliche Darbietung) des Lehrinhaltes, sondern durch tabulose Selbstbefragung und meßbare Erfolge der Lernenden profiliert.« (Kurtz 2000: 587f.)

54

Fach- und Berufssprachendidaktik

– die Bewältigung der Studienanforderungen42 – das Anstreben eines Berufs mit Bezug zu Deutschland43,44. Auch aufseiten der unterschiedlichen Lernergruppen gibt es verschiedene Motive zur Teilnahme am studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht: die Fortsetzung des Studiums in Deutschland, Beruf mit Bezug zu Deutschland, Bildung und Vergnügen (mehr dazu in Rösler 2015: 8, Kic-Drgas 2016a: 129). Der studienbegleitende Fremdsprachenunterricht hat sowohl einen stark berufsorientierten als auch einen interdisziplinären Charakter mit der im Zentrum stehenden allgemeinsprachlichen und fachlichen Verständigung und dem Einbezug der beruflichen Praxis. Zielgruppe des studienbegleitenden Fremdsprachenunterrichts sind Studierende an den Hochschulen und Universitäten nicht-philologischer Studienrichtungen, meistens mit dem Ausgangsniveau A2 und der Fortgeschrittenenstufe C1 in Polen. Deswegen ist der studienbegleitende Fremdsprachenunterricht sowohl von Elementen der Allgemein- als auch von denen der Fach- und Berufssprache geprägt als Antwort auf die Bedürfnisse der Lernergruppe (siehe Abb. 12). FACHSPRACHE

ALLGEMEINSPRACHE

STUDIENBEGLEITENDER FREMDSPRACHENUNTERRICHT

WISSENSCHAFTSSPRACHE

BERUFSSPRACHE Abb. 12: Sprachen im studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht (Serena, Baric´ 2018: 19).

42 Vgl. Blei, Götze (2001: 88). 43 Vgl. Rösler (2015: 9). 44 Mehr dazu in Poçi Cilka (2015: 58).

Fachbezogener, studienvorbereitender, berufsbezogener Fremd(sprachen)unterricht

55

Berufsbezogener45 Fremdsprachenunterricht Im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht stehen die Entwicklung und Förderung der fremdsprachlichen »Kommunikation in der Arbeitswelt in allen Bereichen und Situationen der Berufsorientierung, in Qualifizierungen, im Betrieb – vom Vorstellungsgespräch bis zur Weiterbildung, vom Übergabeprotokoll bis zur Pausenunterhaltung«46, im Mittelpunkt. Jedoch ist eine genaue Abgrenzung vom allgemeinen bzw. studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht erst nach einer Analyse der Bedürfnisse der Lerner sinnvoll und möglich (Funk 1999a: 345), was zur Unterscheidung von drei Formen des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts (berufsvorbereitend, berufsbegleitend und berufsqualifizierend) beigetragen hat. Abb. 13 gibt eine Übersicht über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser drei Formen des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts. Allen Formen des berufsbezogenen Sprachunterrichts ist gemeinsam, dass die berufsfeldübergreifende Spracharbeit – und nicht etwa fachsprachliche Aspekte – im Vordergrund stehen, was daraus resultieren kann, dass die Lerner noch keine Entscheidung zur Berufswahl getroffen oder noch keinen konkreten Arbeitsplatz mit mehrjähriger Berufserfahrung haben (Bach 2003: 275). Zu betonen ist jedoch, dass die angedeuteten Unterschiede sich nicht ausschließlich auf den Einsatz von Vokabeln oder Grammatik beschränken, sondern »die Vermittlung kommunikativer Kompetenzen zur besseren Bewältigung von mündlichen und schriftlichen Kommunikationssituationen im beruflichen Alltag und so eine umfassende Teilhabe am Arbeitsleben« betreffen (Costa, Katelhön 2013: 8ff.). Costa und Katelhön (2013) merken zu Recht an, dass der Gegenstand der Entwicklung im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht auch die schriftliche Kommunikation sein sollte, die in beruflichen Situationen erforderlich ist. Ohm (2010c: 76) weist darauf hin, dass: in berufsbegleitenden oder berufsqualifizierenden Kursen die Vermittlung fach- bzw. berufsspezifischer Sprachkenntnisse erwünscht ist. Im berufsvorbereitenden Unterricht sind dagegen eher berufsfeldübergreifende fachsprachliche Strukturen sowie Techniken und Strategien für das selbstständige Weiterlernen zu vermitteln. (Ohm 2010c: 76)

Darüber hinaus wird in der vorliegenden Arbeit angenommen, dass der berufsbezogene oder berufsbezogen-orientierte Fremdsprachenunterricht weder ein reiner Fachsprachenunterricht noch ein allgemeinsprachlicher Fremdspra45 Aus sprachökonomischen Gründen wurde in der Regel darauf verzichtet, die beiden Bereiche berufliche Schule und Arbeit im Betrieb jeweils explizit zu benennen. Adjektive wie beruflich, berufsrelevant oder berufsbezogen schließen jeweils beide Bereiche ein. 46 www.deutsch-am-arbeitsplatz.de, 10. 05. 2019.

56

Fach- und Berufssprachendidaktik

Berufsbezogener Fremdsprachenunterricht

berufsvorbereitend durch berufsbezogene Inhalte im allgemeinen Fremdsprachenunterricht für Anfänger DaF bzw. DaZ-Unterricht in den Berufsvorbereitungsklassen der Berufsschulen, Sprachverbands- bzw. Arbeitsamtskursen

berufsbegleitend ausbildungsbegleitender DaF/DaZ-Unterricht (erste Berufserfahrungen) lehrgangsbegleitender DaF/DaZ-Unterricht in abschlussbezogenen Bildungsmaßnahmen

berufsqualifizierend sprachliche Vorbereitung auf einen konkreten beruflichen Qualifikationsabschluss oder ein Studienziel Sprachprüfung als Voraussetzung für Berufsoder Studienabschluss

fremdsprachliche Instruktion zur Bewältigung konkreter beruflicher Aufgaben

Ziel

Ziel

Ziel

allgemeine sprachliche

bessere Bewältigung der

rechtliche Voraussetzungen für

Vorbereitung auf die

sprachlichen Anforderungen

einen Berufsabschluss schaffen

beruflichen Anforderungen

des Berufs

Abb. 13: Formen und Ziele des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts (Funk 1999a: 344).

chenunterricht ist. Diese Unterrichtsform muss nicht unbedingt einen fachspezifischen Sprachunterricht implizieren, sondern bezieht sich aufgrund der pragmatischen Zweckorientiertheit eher auf die berufsbezogene Motivation der Lerner, die entweder schon berufliche Erfahrung haben oder bald in die Berufswelt einsteigen und deswegen eine fremde Sprache lernen (Funk 2010, Costa, Katelhön 2013). Als Folge der sich schnell ändernden Marktsituation ist der berufsbezogene Fremdsprachenunterricht nicht nur für Studenten nicht-philologischer Studiengänge von großer Bedeutung, sondern auch Studenten der Philologien streben immer häufiger eine auf berufliche Handlungskompetenz ausgerichtete Orientierung an (Middeke 2010, Makowski 2018a, 2018b, Kic-Drgas 2018a, 2018b, Schart, Schmenck 2018, Prokop, Kic-Drgas 2019), was auch dem in Kapitel 8 entwickelten Modell zugrunde liegt. Neben den traditionellen Berufen wie Lehrer, Übersetzer und Dolmetscher kommen nun auch andere Berufsfelder infrage, die eine »wirtschaftliche Verwertbarkeit von Fremdsprachenkenntnissen« (Krumm 2010: 10) erfordern. Diese Tendenz spiegelt sich in der Entstehung neuer, berufsorientierter Studiengänge und Spezialisierungen (auch innerhalb

Fachbezogener, studienvorbereitender, berufsbezogener Fremd(sprachen)unterricht

57

der Philologien47) wider, die Bildung mit Ausbildung verknüpfen und »durch die inhaltliche und strukturelle Integration von Fremdsprachen mit wissenschaftlichen Sachfächern gezielt auf die Ausübung bestimmter Berufe mit transnationalen Tätigkeitsmerkmalen sowie fachlichen und fremdsprachlichen Schlüsselqualifikationen vorbereiten« (Prikoszovits 2017: 162). Während in Deutschland trotz der Implementierung des Bologna-Prozesses die (fremdsprachen-) philologischen Studiengänge eher traditionell ausgerichtet blieben, vollzog sich in den Auslandsphilologien ein tiefgehender Wandel, der stark mit der arbeitsmarktbezogenen Nachfrage seitens der Studierenden verknüpft ist (vgl. dazu die Länderberichte in Middeke 2010, Schart, Schmenck 2018). Diese Situation führt dazu, dass berufsbezogene Inhalte in den speziellen Modulen bzw. Unterrichtskursen, wie z. B. Deutsch im Beruf und Wirtschaftsdeutsch, im Rahmen der fremdsprachlichen Philologien mit dem Zweck angeboten werden, die Absolventen auf die neue berufliche Wirklichkeit vorzubereiten. Somit bedarf nach Meinung der Autorin der vorliegenden Arbeit die von Funk (1999a: 344) vorgeschlagene Aufteilung einer Ergänzung, wie in Abb. 14 ersichtlich. Somit sollte in den neuen Verhältnissen ein zusätzliches Element hinzugefügt werden, nämlich ein schon vorhandener Wissensgrad. Tab. 5: Aufteilung des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts nach Berufserfahrung und damit vorhandenem Fachwissen. Eigene Bearbeitung. berufsvorbereitend kein Fachwissen

berufsbegleitend eingeschränktes / begrenztes Fachwissen

berufsqualifizierend vorhandenes Fachwissen

keine Berufserfahrung

erste / eingeschränkte Berufserfahrung

Berufserfahrung

Aus der Berufserfahrung und dem Niveau des vorhandenen Fachwissens resultieren die Bedürfnisse und Erwartungen der Lerner sowie die eingesetzten Methoden und Strategien, die im folgenden Teil der Arbeit thematisiert werden, nämlich die Entwicklungstendenzen in der Fach- und Berufssprachendidaktik und die Rolle bzw. der Status des Schreibens.

47 Vgl. Gajewska et al. 2020.

58

Fach- und Berufssprachendidaktik

Berufsbezogener Fremdsprachenunterricht

berufsvorbereitend durch berufsbezogene Inhalte im allgemeinen Fremdsprachenunterricht für Anfänger DaF bzw. DaZ-Unterricht in den Berufsvorbereitungsklassen der Berufsschulen, Sprachverbands- bzw. Arbeitsamtskursen durch berufsbezogene und fachübergreifende Inhalte im Fremdsprachenunterricht bei Lernern/ Studenten mit fortgeschrittenen Sprachkenntnissen ohne Fachwissen

berufsbegleitend ausbildungsbegleitender DaF/DaZ-Unterricht (erste Berufserfahrungen) lehrgangsbegleitender DaF/DaZ-Unterricht in abschlussbezogenen Bildungsmaßnahmen

berufsqualifizierend sprachliche Vorbereitung auf einen konkreten beruflichen Qualifikationsabschluss oder ein Studienziel Sprachprüfung als Voraussetzung für Berufsoder Studienabschluss

fremdsprachliche Instruktion zur Bewältigung konkreter beruflicher Aufgaben

Ziel

Ziel

Ziel

allgemeine sprachliche

bessere Bewältigung der

rechtliche Voraussetzungen für

Vorbereitung auf die

sprachlichen Anforderungen

einen Berufsabschluss schaffen

beruflichen Anforderungen

des Berufs

Abb. 14: Erweiterung der Aufteilung nach berufsbezogenem Fremdsprachenunterricht (vgl. Funk 1999a: 344).

1.6

Gründe, Stand und Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens

Angesichts des Industriewachstums und der damit verbundenen Intensivierung der internationalen Kooperation steigt der Bedarf an einer gut ausgebildeten Schicht von Experten und Akademikern. Zugleich können eine Änderung der bisherigen Berufsprofile sowie die Entstehung neuer beobachtet werden, die teilweise auf der Aufwertung der kommunikativen Fähigkeiten basieren (Jakobs 2008: 1–2). Der berufliche Alltag beweist, dass trotz des ursprünglichen Primats des Mündlichen und der Einschränkung des Schriftlichen nur auf die Doku-

Gründe, Stand und Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens

59

mentation von Daten in allen Berufen immer mehr geschrieben wird (Jakobs 2006: 330–331), was die schriftliche Sprache berufs- und alltagsrelevanter denn je macht (Cohen et al. 2011: 12, Philipp 2015: 3, Pawłowska-Balcerska 2017: 11). Die Bedürfnisse und Erwartungen des Arbeitsmarktes, insbesondere in den Fachbereichen, weisen auf die Notwendigkeit hin, die Kompetenzen der Studierenden in diesem Bereich stärker zu fördern (Łompies´ 2015: 62). Die steigenden Anforderungen in den schriftlichen Ausdrucksfähigkeiten im beruflichen Kontext ergeben sich aus folgenden Faktoren: – Aufwertung von Wissen als wertschöpfende Ressource, schriftbasierte Formate gelten als wichtige Mittel zur Beschreibung und Darstellung von Wissen (Jakobs 2008: 2). – Standardisierung und Unifizierung der Arbeitsprozesse und -ergebnisse, verbunden mit der Fern- bzw. Projektarbeit. Das Schreiben bietet Gelegenheit, es ermöglicht, Distanz in Raum und Zeit zu gewinnen und dadurch autonom den eigenen Lernfortschritt wahrzunehmen und zu reflektieren (ThonhauserJursnick 2000: 195). – Professionalisierung – die schriftliche Form der betrieblichen Dokumentation bzw. Kommunikation wird aus Qualitäts- und Rechtsgründen bevorzugt48. – Intensivierung des Einsatzes elektronischer Informations- und Kommunikationsmittel, wie z. B. PC, Netbook, Smartphone, Inter- und Intranet, die die Renaissance des Schreibens befördern. Immer häufiger ersetzen die elektronischen Kommunikationsformen die traditionelle Kommunikation, was auch mit dem Prinzip der Sicherheit und Unwiderruflichkeit der Informationen sowie der Bequemlichkeit der Erstellung und des Absendens von Texten, unabhängig von der Anwesenheit des Empfängers, zusammenhängt. – Industrialisierung von Kommunikationsarbeit – die Modularisierung sowie Standardisierung der kommunikativen Prozesse führen zur Automatisierung der Kommunikationsarbeit (Nickl 2005: 44). – Rechtliche Absicherung – der rechtliche Absicherungsdruck steigt und die schriftliche Dokumentation spielt eine wichtige Rolle in der Dokumentation und Ratifizierung. Die genannten Gründe tragen zur Etablierung des beruflichen Schreibens bei und zugleich auch zur Entstehung von Anforderungen in Bezug auf die Ergebnisse der schriftlichen Produktion, die einerseits relevant für den Vollzug der 48 Jedes große Unternehmen verfügt über eine eigene Datenbank typischer und routinemäßiger Texte. Dies sind in der Regel Texte mit einer charakteristischen Struktur und einem charakteristischen Wortschatz (Mustertexte von Angeboten, Bestellungen, Auftragsbestätigungen, Verträgen usw.) als Wissensbasis. Die typischen geschäftlichen Texte zeichnen sich durch eine starke Intertextualität aus, weil sie sich stark auf Standardtexte und auf Vorschriften für den internationalen Geschäftsbetrieb stützen (Łompies´ 2013: 116).

60

Fach- und Berufssprachendidaktik

Arbeit sein können, andererseits die Interaktionen mit Mitarbeitern und Kunden beeinflussen. Wie die Unterrichtspraxis in unterschiedlichen zeitlichen Etappen der Geschichte zeigt (vgl. Tab. 6), kann das Schreiben keinesfalls aus dem Unterrichtsalltag ausgeklammert werden, »es nimmt aber im Fremdsprachenunterricht eine sehr widersprüchliche Rolle ein« (Ciepielewska-Kaczmarek 2011: 269). Diese Rolle als eine der Sprachtätigkeiten hat sich methodisch mehrfach verändert und tritt in unterschiedlichen Formen auf. Das komplexe Wesen des Schreibphänomens, das Bliesener (1995) in seiner Definition zusammenfasst, bleibt jedoch unverändert, und zwar dass: das Erstellen von Texten (schriftlich fixierte Sprachäußerungen)ein überaus komplexer Vorgang (ist), für den sowohl inhaltliche Kriterien (Stringenz, Schlüssigkeit der gedanklichen Entwicklung) als auch die Beachtung von formal-grammatischen Regeln des Sprachgebrauchs […] und Anforderungen an die äußere Form (grafische Gliederung) bestimmend sind (Bliesener 1995: 226ff.).

Aus dieser Definition geht hervor, dass das Schreiben kein einmaliger Vorgang, sondern ein komplizierter Prozess ist. Diese Kompliziertheit betrifft einerseits den Inhalt (eine logische Schlüssigkeit der Gedanken), andererseits auch die Form (die formalen grammatischen Regeln und die Regeln des Sprachgebrauchs) sowie die Anforderungen an die äußere Gliederung eines Textes, die berücksichtigt werden sollten. Tab. 6 stellt eine Zusammenfassung der wichtigsten Entwicklungstendenzen der Fach- und Berufssprachendidaktik als Konsequenz der Wandelprozesse dar, denen die Fachsprachenforschung bisher unterlag. Dabei werden auch die Formen des Schreibens und sein Status dargestellt.

Schwerpunkte der Fach- und Berufssprachendidaktik

Status und Formen des Schreibens

– Einsatz authentischer Fachmateria- – lernzielorientiertes und textsorlien tenorientiertes Schreiben – Entwicklung der wichtigsten fach- – Einbettung der Textsorten in sprachlichen Strukturen Kommunikationssituationen – Entwicklung von Verarbeitungsund Verständnisfähigkeiten – Förderung der Leseverstehenskompetenze)

Lexikalisch-grammatische – Vermittlung vor allem der Fachter- – formulierendes Schreiben Phase in der Fachspraminologie und der grammatischen – Behandlung und Übung des Schreibens in verschiedenen Forchendidaktikb) Strukturen men, z. B. – Umformungsübungen, – Schreiben von Paralleltexten von vorgegebenen literarischen Texten, – Schreiben von Briefen nach Modellen – Orientierung an Mustertextenc) – Entwicklung des Schreibens als anerkanntes Ziel des Fremdsprachenunterrichts

Entwicklungstendenzen

Differenzierung der Fertigkeiten Fachtext-Linguistik/ dinach der jeweiligen Situation am daktik Arbeitsplatz, d. h. z. B. in erster Linie Leseverstehen/ Schreiben für den kaufmännischen Korrespondenten und sowohl Lesen und Hören als auch Sprechen und Schreiben für den Arbeitsplatz im Vertriebd)

ab 70er-Jahre

Akzentuierung des fachlexikalischen Bedarfs, der zu teilweise übertrieben differenzierten Spezial- und Einzelkursen führtea)

bis 70er-Jahre

Gründe

Tab. 6: Entwicklungstendenzen in der modernen Fach- und Berufssprachendidaktik mit Berücksichtigung der Entwicklung der Schreibkompetenz. Eigene Bearbeitung.

Gründe, Stand und Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens

61

Entwicklungstendenzen

Schwerpunkte der Fach- und Berufssprachendidaktik

90er-Jahre Steigendes Interesse an Fachdenken, Fachstil, Optimierung der Fachkommunikation in der Berufswelt

kognitive Fachsprachenlinguistik

– Interesse an mentalen Prozessen der Konstruktion des fachbezogenen Sprachwissens – Überführung einer (Fach-)Information in ihre sprachliche Gestalt

80er-bis 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts Zunehmende Bedeutung der kom- pragmatisch-kommunika- – Übung der effektiven Kommunikamunikativen Fachsprachenkompe- tive Phase, Kommunikattion in den Kontakten Fachmann – tenz in der Berufsweltf) ions- und InteraktionsLaie, Fachmann –Fachmann prozesse im Fachkontextg) – Kommunikationsverhaltensmuster in Fachsituationen – modellhafte Fachtextausprägungen – situationsadäquater Gebrauch in entsprechenden fachlichen Kontextenh)

Gründe

(Fortsetzung)

– Bedeutung wird mehr auf Schreibprozess an sich und nicht auf Produkt gelegt – Hervorhebung der Intention und Motivation bei der Entstehung eines Schreibtextes – steigende Bedeutung der Korrekturkompetenz – Entwicklung der Idee des sprachsensiblen Fachsprachenunterrichts und darunter auch des sprachsensiblen Schreibensj)

– Vorrang des Mündlichen – Schreiben seltener geübt – Interesse an Schreibaufgaben nur, wenn der Adressat oder der Empfänger des Textes vorhanden und bekannt ist – Typische Schreibformen sind: – Stellungnahmen, – Beschwerdebriefe an unterschiedliche Institutionen, – Berichte innerhalb der Schulei)

Status und Formen des Schreibens

62 Fach- und Berufssprachendidaktik

Entwicklungstendenzen

Schwerpunkte der Fach- und Berufssprachendidaktik

– Etablierung der neuen Forschungsrichtung (Writing at Work)m), n) – Wende von der kognitiv orientierten Sicht auf Schreiben und Schreibproduktionsprozesse zur stärkeren Berücksichtigung sozialer Komponenteno) – hierbei wurden verschiedene Textsorten geübt, wie: – Kommentare, – Berichte, – Interviews, – Protokolle, – Zusammenfassungen – Informationstexte in Schreibprojekte mit einbezogenp)

Status und Formen des Schreibens

– kreatives Schreiben auch als Kontakt Linguistikr), eine – Beobachtung und Messung der innerhalb der integrativen Kommunikation im unternehmeriÜbungsform im fachsprachlichen Kontextx) Migration Linguistik ausgesonderte schen Bereich und ImplementieStrömung rung der Ergebnisse im Bereich der – Analyse, Simulation der fachRapide Entwicklung der TechnoloFachsprachendidaktik sprachlich orientierten Situatio– Mehrsprachigkeit gien nen auch im Schriftlichen – interkulturelle Fragen in Fachbereichen Neue Arbeitsformate

Aktuell Globalisierung

ab 90er-Jahre Reaktion auf die neuen Bedürfnisse integrative Fachsprachen- – Popularisierung des Wissens des Arbeitsmarktes linguistik/ Entwicklung – Training internetspezifischer Textdes integrativen Facherschließungsstrategien sprachenunterrichtsk) – Training von Strategien der InforEntstehung internationaler Kontakte und Kooperationsnetze mationsbeschaffung, -verarbeitung und -speicherungl) rasante Entwicklung der Kommunikationsmedien

Gründe

(Fortsetzung)

Gründe, Stand und Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens

63

f) g) h) i) j) k) l)

a) b) c) d) e)

Entwicklungstendenzen

Schwerpunkte der Fach- und Berufssprachendidaktik – Förderung der Entwicklung von Soft Skills als Antwort auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes – verstärktes Training von kommunikationsbezogenen Schlüsselkompetenzen in den Bereichen Organisation und Kooperation und Querschnittskompetenzen wie Teamfähigkeit, problemlösendes Denken und Aufgabenorientierungs) – Kooperation mit Fachexperten bei der Entwicklung der fachbezogenen Curriculat), u) – Okulografische Untersuchungenv), w)

– Sensibilisierung der Lerner für interkulturelle Fragen im Schreibeny) – Schreiben als kognitive Konstruktionz) – Schreiben als Mittel zur Entwicklung der Schreibreflexionaa) – Schreiben als zielorientierte Handlungbb) – Einsatz von neuen Medien in der Fachsprachendidaktik, Lernplattformencc)

Status und Formen des Schreibens

Vgl. Beneke (1989: 321). Vgl. Grucza (2002: 85–86). Fix (2008: 90). Mehr dazu in Schröder (1988: 110–113). Die in dieser Zeit bearbeiteten Lehr- und Lernmaterialien zielten auf Personen mit Sprachgrundkenntnissen, die die Fachsprachen für berufliche oder wissenschaftliche Zwecke beherrschen wollten (Olpin´ska-Szkiełko 2013: 98). Vgl. Mamet (2002: 141). Vgl. Grucza (2002: 86). Vgl. Beier, Möhn (1984). Vgl. Fix (2008: 112ff.). Mehr dazu in Leisen 1999. Baumann 2000. Tellmann et al. (2012: 9).

Steigende Bedeutung des Wissens (Fachwissens) in der Kommunikation/ Fachkommunikation 3,0q)

Interesse am Einsatz technologischer Neuigkeiten/Interdisziplinarität, häufigerer Stellenwechsel aufgrund des Wandels der Arbeitswelt

Prägungen des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts

Interesse an kulturellen

Steigender Grad der Spezialisierung der Bereiche

Gründe

(Fortsetzung)

64 Fach- und Berufssprachendidaktik

m) »Gegenstand dieser Richtung sind Schreibprozesse in beruflichen Kontexten. Die Studien sind primär angloamerikanisch geprägt.« (Jakobs 2005:13) n) »Writing at work is firmly embedded in a social web. This social network is most visible in organizations like workplaces […] where actions are aimed at a collective goal. Within these organizations, writing is visibly used not just to record decisions and events but to do the organization’s work, to build its shared understanding, and construct its knowledge.« (Winsor 1989: 271) o) Spilka 1993a. p) Fix (2008: 112ff.). q) Engberg (2016: 425–427). r) »Kontaktlinguistik beschäftigt sich mit der Erfassung, der Beschreibung, der Modellierung, der Typisierung, der Interpretation und der Evaluation jeglicher Manifestationen von Sprachenkontakt, sowohl im Hinblick auf die Bedingungen als auch auf den Prozess und dessen Ergebnis, einschließlich des Kontaktverhaltens und des Kontakterlebens der Sprecher.« (Földes 2010: 142) s) Tellmann et al. (2012: 8–10). t) Projekt CLILIG, http://www.clc.put.poznan.pl/PL-H46/uni-clilig.html, 10. 05. 2019. u) Schreiben wird immer häufiger im Rahmen der diversesten Wissenschaftsgebiete analysiert und behandelt: Linguistik, Literaturwissenschaft, Pädagogik, Psychologie. (Hofer 2006: 19) v) Mehr dazu in Andrychowicz-Trojanowska (2018), Grucza (2011, 2016). w) Okulografische Untersuchungen werden schon zum Entwurf der Unterrichtsmaterialien sowie zur Förderung von Leseverstehen eingesetzt; es wäre vielleicht von Vorteil, zu untersuchen, wie die okulografischen Untersuchungen den Prozess der Schreibentwicklung fördern können. x) Kubaszczyk (2018). y) Pawłowska-Balcerska (2017). z) Fix (2008: 120). aa) Fix (2008: 124). bb) Fix (2008: 126). cc) Szerszen´ (2014).

Gründe, Stand und Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens

65

66

Fach- und Berufssprachendidaktik

Die in Tab. 6 enthaltenen Informationen zeigen die teils gravierenden Veränderungen in den Inhalten und Annahmen, die mit dem Fachsprachenunterricht einhergehen. Gleichzeitig ist die unterschiedliche Herangehensweise an das Schreiben und insbesondere an die Erstellung verschiedener Textsorten im Fremdsprachenunterricht bemerkenswert. Für die vorliegende Arbeit scheint die Zeitspanne ab den 90er-Jahren am relevantesten zu sein, in der die Bedeutung des Schreibens für berufliche Zwecke, auch aus der Perspektive des Fremdsprachenunterrichts, aufgrund von Veränderungen durch die Globalisierung und die Spezialisierung der Aufgaben in der Arbeitswelt und aufgrund der Internationalisierung deutlich zugenommen hat. Es ist allgemein zu bemerken, dass das Schreiben sowohl in der Schule als auch in der universitären Ausbildung vernachlässigt wird. Die Curricula konzentrieren sich ausschließlich auf schulische Textsorten und Texterzeugungsverfahren, berufliche Varianten werden ausgeblendet (Jakobs 2008: 4). Abb. 15 zeigt die Gründe für die potenziellen Probleme bei der Vermittlung der Schreibkompetenz auf. Die defizitäre Darstellung der Informationen führt zu einer Verlängerung der Rezeptionsvorgänge und zu einem Intensivierungsbedarf des kognitiven und emotionalen Aufwands. Dies wiederum verursacht Frust und zusätzliche Arbeitszeit und kann außerdem Fehlleistungen und Missverständnisse (Konflikte am Arbeitsplatz, Kundenverlust, ungenaue Instruktionen, fehlerhafte Erfüllung der geplanten Arbeiten) zur Folge haben. Als Kernproblem bezeichnet Jakobs (2008: 3) die fehlende Adressatenorientierung, die unpräzise Zielsetzung der Textproduktion sowie seltene Rückmeldungen.

67

Forschungsdesiderate

Schule

Universität

Beruf

•Vorrang des Mündlichen •fehlende Motivation der Schüler zur Übung der Schreibkompetenz •Inkompetenz von Fremdsprachenlehrern hinsichtlich der Schreibentwicklung - fehlende Vorbereitung, fehlende Bewertungskriterien der Schreibproduktion, fehlende Zeit •steigende Anzahl der Schüler mit Dysgraphie, Dysortographie, Legasthenie, wenig Wissen und Strategien zur Arbeit mit diesen Schülern

•wissenschaftliches Schreiben •wenig berufliches Schreiben, geringes Wissen über den Schreibbedarf in der Wirtschaft, ungenügende Zusammenarbeit mit der Wirtschaft •negative Einstellung der Studenten zur Entwicklung der Schreibkompetenz •fehlende Kenntnisse zum Schreiben in der Muttersprache, kein Ausgangspunkt für das Schreiben in der fremden Sprache •Verzicht auf Vermittlung metakognitiver Schreibstrategien •fehlendes Wissen über Textroutinen •beschränkte Anzahl von präsentierten Textmodellen

•selten schreibinterne Schreibtrainingsangebote •Copy-Paste-Strategie beim Schreiben •fehlende soziale Schreibkompetenz (geteilte Verantwortung, individuelles Schreiben)

Abb. 15: Lücken in der Schreibsozialisation. In Anlehnung an Thonhauser-Jursnick 2000: 197, Ballweg 2008: 9–11, Fischer-Kania 2008: 492, Jakobs 2008: 4, Iluk 2010: 24, Iluk 2012: 17, Iluk 2021: 30ff.

1.7

Forschungsdesiderate

Im Fokus der modernen Schreibkompetenzförderung steht die Analyse der Funktionen des Schreibens in authentischen sprachlichen Situationen und der Schreiblehr- und -lernvorgänge mithilfe empirischer Methoden unter Einbezug der Erkenntnisse aus benachbarten Disziplinen, z. B. der Schreibprozess- und Schreibentwicklungsforschung, der Textlinguistik, der Kognitionspsychologie oder der Kommunikationswissenschaft (Fix 2008: 14). Jakobs (2008: 5) merkt jedoch an: »Die in der Fachliteratur beschriebenen Aufgabenfelder beruflicher

68

Fach- und Berufssprachendidaktik

Textproduktion decken nicht einmal die Spitze des Eisberges ab.« In fachbezogenen Publikationen tauchen Elemente wie Planen und Revidieren kaum oder nur verkürzt auf – dadurch entsteht der Eindruck, dass das Schreiben auf fragmentarische Elemente reduziert wird (Philipp 2015: 3). Nach Fix (2008: 10) lässt sich kein eindeutiger Königsweg der Schreibdidaktik formulieren. Er betont, »dass es vielmehr darum geht, einen Überblick über die Vielzahl miteinander verbundener Bedingungsfaktoren zu bekommen, die man durch Unterricht beeinflussen kann«. Selbst diese Herangehensweise kann als Desiderat für die Entwicklung des beruflichen Schreibens gelten. Die Schreibprozessforschung hat gegenwärtig im Wesentlichen drei Schwerpunkte: – den Schreibprozess mit den daran beteiligten kognitiven Vorgängen – die Entwicklung der Schreibkompetenz – den Einfluss von Lehrmethoden und Unterricht auf die Entwicklung der Schreibkompetenz (Becker-Mrotzek 2004: 90). Innerhalb der genannten Punkte lassen sich einige Desiderate für die Forschung definieren: – Studien zu schriftlichen Fähigkeiten und Aufgaben von Nichtakademikern (Jakobs 2008: 5–6). Dieser Bereich ist in Polen verhältnismäßig schwach erforscht (Kic-Drgas 2017a: 116)49. – Die Schreibprozesse im Beruf werden meist nur beiläufig thematisiert (Spartz, Weber 2015: 429, Schindler 2017: 113). – Die Ermittlung des Bedarfs des beruflichen Schreibens (Krekeler50 2015). Gajewska und Sowa (2014: 12) vertreten den Standpunkt, dass keine Art der Bildung, dazu zählt auch die fremdsprachliche Bildung, von den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes isoliert werden darf. – Untersuchungen zum integrativen Schreibtraining (Pawłowska-Balcerska 2017: 397). – Auch Roelcke (2010: 206) formuliert zahlreiche Forschungsdefizite und -desiderate für die berufliche Schreibforschung, die eine relevante Anregung für den Fachsprachenunterricht darstellen können: 1. Die Entwicklung eines umfassenden Korpus fachsprachlicher Texte des Deutschen, das sowohl deren horizontale und vertikale Gliederung als auch deren Textsortenspektrum repräsentativ umfasst.

49 Beachtenswert sind dazu die Untersuchungen von Grucza et al. (2014) und Alnajjar (2013) zur Kommunikation in Unternehmen. 50 https://zeitschrift-schreiben.eu/globalassets/zeitschrift schreiben.eu/2015/krekeler_bedarfse rmittlungen.pdf, 12. 06. 2019.

Zusammenfassung

69

2. Die quantitative Ermittlung fachsprachlicher und fachkommunikativer Besonderheiten des Deutschen auf lexikalischer, grammatischer und textueller Ebene als Grundlage einer statistischen Analyse und einer funktionalen Interpretation sowie als Ausgangspunkt für eine spezifische Fachsprachendidaktik für deutsche Mutter- und Fremdsprachler. Die angeführten Meinungen sollen als ein allgemeines Desiderat für die Entwicklung des beruflichen Schreibens betrachtet werden, das vertiefter, sowohl theoretischer als auch praktischer, Studien bedarf, um seinen Status festzustellen. Deswegen sind die von den Forschern gesetzten Desiderate für das Vervollständigen der Untersuchungen im Bereich der beruflichen Bildung von großer Bedeutung. Szeszen´ (2017b: 137) plädiert vor allem für die Schaffung von neuen Curricula für den Fachfremdsprachenunterricht (in erster Linie in der Sparte DaF-Fachsprachenunterricht) für Schulen (v. a. im sekundären Bereich) sowie für Hochschulen in Deutschland und Polen, die auf den Ergebnissen empirischer Untersuchungen basieren sollten und die entstandene Lücke decken könnten. Auch Bräuer (2021: 102) bringt zu den bisherigen Überlegungen über berufsbezogenes Schreiben einen neuen Aspekt ein, nämlich die Notwendigkeit, Selbstreflexion und Selbstoptimierung vor dem Eintritt in den Arbeitsmarkt zu prüfen. Diesem Ziel sollten vor allem vertiefte Analysen der beruflichen Textsorten und von deren speziellen Anforderungen an die fremdsprachige Textproduktion dienen. Eine deutliche Tendenz in den angedeuteten Desideraten aus diesem Bereich ist die Verbindung der theoretischen Grundlagen mit den praktischen Erfahrungen und den authentischen Erwartungen des Arbeitsmarktes als Basis für die Entwicklung optimaler und lernerorientierter Unterrichtsmaterialien (was auch mit den Entwicklungstendenzen in der Fach- und Berufssprachendidaktik in Verbindung steht, vgl. Tab. 6). Die vorliegende Arbeit möchte die angedeutete Lücke in der Bedarfsanalyse der Lerner in Bezug auf ihre berufliche Situation schließen und gleichzeitig eine Basis für eine berufs- und bedarfsorientierte Schreibdidaktik liefern.

1.8

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde versucht, den Begriff Fach- und Berufssprachendidaktik und deren Unterrichtsformen mit Bestimmung ihrer Aufgabenstellungen möglichst ausführlich zu erläutern. Um die Spezifik des Gebietes besser zu beleuchten, wurde die Systematisierung der Fachsprachendidaktik zusammen mit der Definierung des für die vorliegende Arbeit signifikanten Feldes der Berufssprachendidaktik dargestellt. Die angedeuteten Ansätze beweisen einerseits eine

70

Fach- und Berufssprachendidaktik

Begriffsdiffusität im Bereich der Fachsprachendidaktik, andererseits aber auch den Bedarf, die existierenden Definitionen an die sich ändernden Bedürfnisse des Lebens in der mehrsprachigen Gesellschaft anzupassen und zu erweitern. Deswegen plädiert die Autorin vor allem dafür, den Begriff der Berufssprachendidaktik um die Untersuchung des Marktbedarfs zu erweitern. Des Weiteren wurde auf die Klassifikation der vorhandenen Unterrichtsformen (fachbezogener Fremdsprachenunterricht, studienvorbereitender Fremdsprachenunterricht und berufsbezogener Fremdsprachenunterricht) hingewiesen, mit besonderer Berücksichtigung der Rolle des berufsvorbereitenden Fremdsprachenunterrichts angesichts der starken Dynamik der Arbeitsmarktentwicklung. Des Weiteren wurden die Gründe, die Relevanz und die Probleme der Vermittlung des beruflichen Schreibens in der gegenwärtigen Berufswelt dargestellt. Anschließend wurden die Forschungsdesiderate für das berufliche Schreiben formuliert. Dabei wurden die Bedeutung und die Perspektiven der beruflichen Ausdrucksfähigkeit in den gegenwärtigen Arbeitsverhältnissen als Grundlage vertiefter Untersuchungen zur Bedarfserhebung und Bearbeitung des adressatenorientierten, didaktischen Modells zur Entwicklung der Schreibkompetenz hervorgehoben.

2.

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Eine hohe Vernetzung von Informationen im beruflichen Kontext sowie die explosionsartige Vermehrung der zur Kommunikation am Arbeitsplatz notwendigen Wissensbestände, zusammen mit der steigenden Geschwindigkeit der modernen Technologien, sind nur einige Zeichen der fortschreitenden Globalisierung und des Wandels in der Wissensgesellschaft. In dieser globalisierten und wissensorientierten Welt wird die Kommunikationsfähigkeit zu einer wichtigen Herausforderung, vor allem in der beruflichen Umgebung. Die Voraussetzungen des transparenten und einfachen Zugangs zu Informationen und deren transparente Wiedergabe führen zu einer zunehmenden Bedeutung des berufsbezogenen Schreibens, das nicht ausschließlich als Fertigkeit51, sondern als eine wertvolle Kompetenz angesehen wird, was eine Grundlage für das in Kapitel 8 entwickelte Modell darstellt. Der Einsatz von Fachtermini, die Präzision des Ausdrucks und die Wahl des richtigen Sprachregisters sind nur einige Elemente, die im beruflichen Schriftverkehr beachtet werden müssen. In diesem Zusammenhang entwickelt sich die Schreibwissenschaft als zunehmend interdisziplinärer Bereich, der unterschiedliche Fachrichtungen und Ansätze zusammenbringt und gleichzeitig die universitäre Welt mit der beruflichen verbindet. In diesem Kapitel wird versucht, das berufsbezogene Schreiben in der Fremdsprache als Kompetenz darzustellen, die zuerst im universitären und dann im beruflichen Kontext entwickelt wird und somit die beiden Felder miteinander verbindet. Zunächst wird im vorliegenden Kapitel der Begriff Kompetenz (Kap. 2.1) aus linguistischer, bildungspolitischer, psychologischer und beruflicher Perspektive dargestellt. Des Weiteren wird der Versuch unternommen, den Begriff Schreibkompetenz (Kap. 2.2) und seinen Stellenwert im Feld der Kompetenzen 51 In der vorliegenden Arbeit ist mit Fertigkeit das Beherrschen eines Handwerks gemeint, und mit Fähigkeit die Voraussetzung für diese Beherrschung (und auch für das Erlernen dieser) (https://lehrerfortbildung-bw.de/u_sprachlit/englisch/gym/bp2004/fb1/hoer_seh/1_basis/3_ theorie/fertigkeiten.html, 24. 12. 2019). Kompetenz ist der Begriff, der beides umfasst (Weinert 2001: 27).

72

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

(Kap. 2.3) sowie seine Spezifik anhand des Schreibkompetenzmodells nach Ossner (2006), Becker-Mrotzek und Schindler (2007) (Kap. 2.4) festzustellen. Nachfolgend werden die Teilelemente der Schreibkompetenz (Kap. 2.5) definiert. Darauf aufbauend wird die Definition des Begriffs berufliche Schreibkompetenz formuliert (Kap. 2.6.1) und deren Hauptmerkmale werden thematisiert (Kap. 2.6.2). Im weiteren Verlauf des Kapitels (Kap. 2.7) werden die Rolle und die Spezifik des berufsbezogenen Schreibens als Kompetenz im tertiären Bereich besprochen. Zusätzlich wird auf die im Studienprogramm beabsichtigten Lernergebnisse bzw. auf die Möglichkeiten der Schreibvermittlung eingegangen. Die Ergebnisse werden in Kapitel 2.8 zusammengefasst.

2.1

Begriff der Kompetenz

Kompetenz ist ein komplexer Begriff, der in zahlreichen Kontexten (linguistischen, bildungswissenschaftlichen, beruflichen, siehe Abb. 16) aufgegriffen wird. Da die angesprochenen Perspektiven im gegenwärtigen Konzept der Wahrnehmung und des Verständnisses der Schreibkompetenzen miteinander verflochten sind, werden sie im Weiteren näher betrachtet. Kompetenz in der Linguistik Chomsky (1986: 3–13) definiert Kompetenz gemeinhin als ein abstraktes Wissen der grammatischen Regeln einer Sprache. Dies bedeutet, dass der ideale Sprecher/ Hörer imstande ist, eine unendliche Anzahl von grammatisch korrekten Sätzen zu formulieren, was auf der seit frühester Kindheit angeeigneten Kenntnis der Grammatik beruht, die aus einer begrenzten Anzahl von Regeln und Prüfverfahren besteht, die aber in den wahrgenommenen Äußerungen erkannt werden. In Form und Struktur sind diese Sätze weitgehend korrekt, aber die angesprochene Fähigkeit ist lediglich potenziell, denn ein Mensch kann tatsächlich nicht alle möglichen Sätze bilden. Kompetenz wurde zusammen mit dem Begriff Performanz52 in die Fachliteratur eingeführt. Das Ziel der Definition eines solchen Kompetenzbegriffes ist die Erklärung der Sprachfähigkeit als eine universelle (alle Menschen betreffende), generelle (mehrere Bereiche betreffende) und stabile (dauerhafte) Eigenschaft des Menschen (Becker-Mrotzek, Schindler 2007: 7). Die Kenntnis der grammatischen 52 Performanz wird als ein Teil der Kompetenz betrachtet und bezeichnet die Anwendung und den Gebrauch der Kompetenz. Sprachproduktionen ist ebenfalls ein Ausdruck der Performanz, auch bei den Sprachleistungen wird die Performanz und nicht die Kompetenz beurteilt. Mit Performanz ist die Sprachverwendung gemeint, während mit Kompetenz die der Sprachverwendung zugrunde liegenden Fähigkeiten bezeichnet werden (Chomsky 1972).

73

Begriff der Kompetenz

• Kompetenz als Fähigkeit, Einstellungen und Wissenselemente zu konstruieren und zu entwickeln

• Kompetenz als Sprachfähigkeit

• Kompetenz als generatives Können (Vermögen)

in der Linguistik

in der Hochschulbildung

im Beruf

in der Psychologie

• Kompetenz als Problemlösefähigkeit

Abb. 16: Verschiedene Aspekte des Kompetenzbegriffes im Kontext des Schreibens. Eigene Bearbeitung.

Regeln ist bei der Beschreibung sprachlicher Inhalte oder auch als Basis der Reflexion unumgänglich. Mit einem so verstandenen Kompetenzbegriff ist es möglich, individuelle Sprachaneignungsprozesse und Differenzen zu erklären. In Anlehnung an die von Chomsky entwickelte Kompetenzdefinition führte Hymes (1972) den Begriff der kommunikativen Kompetenz ein als Wissen nicht nur über grammatische Regeln, sondern auch über Regeln des Gebrauchs, auf deren Basis dieses Wissen sozial angemessen anzuwenden und zu interpretieren sei. Zudem wird Kompetenz in der angewandten Linguistik als ein variierend ausgeprägtes Merkmal von Individuen begriffen, das als Sprachkompetenz, Sprachfähigkeit, Sprachbeherrschung, Sprachstand o. ä. in seinem Umfang messbar ist (Knapp, Lehmann 2007: 2).

74

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Kompetenzen in der universitären Bildung Der Erwerb von Kompetenzen beeinflusst den Bildungsprozess53,54 enorm, weil sich für den beruflichen Werdegang immer häufiger neben dem Fachwissen auch weitere Fertigkeiten und Kenntnisse bezahlt machen (Ufert 2015: 7)55. In der einschlägigen Literatur werden Begriffe wie Schlüsselkompetenzen, Schlüsselqualifikationen genannt, die die angestrebten Kompetenzbereiche betreffen, die wiederum einen wichtigen Punkt in den Diskussionen um die Gestaltung einer guten und effektiven Lehre im Studium und als Reaktion auf die Anforderungen der Berufswelt darstellen: Ein grundständiges Universitätsstudium kann zwar nicht am Ziel einer abschließenden Berufstätigkeit ausgerichtet sein. Wohl aber muss das Universitätsstudium angemessen auf den Arbeitsmarkt vorbereiten und den Absolventen dabei die Möglichkeit bieten, durch lebenslanges Lernen den Anforderungen des Beschäftigungssystems auch längerfristig gewachsen zu bleiben. (Wissenschaftsrat 2006: 9)

Das Studium setzt sich unter anderem zum Ziel, die Absolventen darauf vorzubereiten, erfolgreich in eine Erwerbswelt einzutreten, jedoch kann sich seine Rolle auf keinen Fall auf die »Qualifikationsfabrik bedarfsgerechter Anpassung zukünftiger Funktionsträger« (Rogmann, Meyer 2013: 45) beschränken. Zu betonen ist somit, dass Schlüsselkompetenzen nicht ausschließlich die Vorbereitung der künftigen Absolventen auf den Beruf bezwecken, sondern zum Erwerb von Kompetenzen beitragen, die die Entwicklung von Strategien ermöglichen, mit deren Hilfe und unter Einbeziehung des vorhandenen Wissens potenzielle Probleme und Fragestellungen sowohl im privaten als auch im beruflichen Leben bewältigt werden können (Ufert 2015: 8ff.). Blancke et al. (2000) weisen darauf hin, dass ein wesentliches Ziel für Studienabsolventen, das die Hochschulen56 tragen müssen und das zugleich der 53 Vgl.: »Lernen wird subjektiviert, d. h. als eigenständiger, selbstgesteuerter Prozess angesehen, der vom Individuum aktiv vollzogen werden muss, um seine Kompetenzen zu erweitern und berufliche Mobilität sowie Integration zu sichern (…).« Lerch (2010: 105) 54 Vgl.: »Lernen (…) als aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver und situativer sozialer Prozess [aufgefasst], verbindet Kompetenzvermittlung mit dem Auftrag der Bildung: Bildung und Kompetenzvermittlung sollen Basisfähigkeiten und Fachwissen, die Persönlichkeitsentwicklung und fachübergreifende Lernkompetenzen fördern. Bildung in diesem Sinne erfordert demnach einen neuen Lernbegriff, der stark problemorientierte Lernumgebungen nutzt.« (Tippelt, Schmidt-Hertha 2002: 56) 55 Dazu auch Robertson-von Trotha: »Die Universität entdeckt sich selbst als lernende Organisation. Schon aus eigenem Interesse müssen und werden Bedeutung, Inhalte und Vermittlungsmethoden neu hinterfragt.« (Robertson-von Trotha 2009: 17) 56 Obwohl Universitäten und Fachhochschulen sich sowohl hinsichtlich ihrer Organisation als auch ihrer Angebotsbreite und Praxisorientierung unterscheiden, wird für die Ziele der vorliegenden Arbeit zwischen Universitäten und Fachhochschulen nicht weiter differenziert, denn in Bezug auf das analysierte Thema spielen die Unterschiede keine Rolle.

75

Begriff der Kompetenz

Kompetenzkern an der Grenze zwischen universitärem Studium und beruflichem Leben ist, die Beschäftigungsfähigkeit ist, die folgendermaßen definiert wird57: Die Fähigkeit einer Person, auf der Grundlage ihrer fachlichen und Handlungskompetenzen, Wertschöpfungs- und Leistungsfähigkeit ihre Arbeitskraft anbieten zu können und damit in das Erwerbsleben einzutreten, ihre Arbeitsstelle zu halten oder, wenn nötig, sich eine neue Erwerbsbeschäftigung zu suchen. (Blancke et al. 2000: 9)

Eine beschäftigungsfähige Person erfüllt laut Rump und Eilers (2006) folgende Eigenschaften (siehe Abb. 17). ist fachlich kompetent

bedeutet

Fachkompetenz

erkennt die Konsequenzen ihres Handelns

bedeutet

unternehmerisches Denken und Handeln

ist in der Lage, das, was sie meint und will, auszudrücken und zur Geltung zu bringen

bedeutet

Kommunikations -fähigkeit

Abb. 17: Merkmale der Beschäftigungsfähigkeit (Rump, Eilers 2006: 25).

Die Berufsfähigkeit ist ein Konzept, das die Universitäten mit dem Arbeitsmarkt durch die Idee der Kompetenzentwicklung verbindet, indem es die Marktanforderungen definiert und berücksichtigt, vertikal als Bestandteile einer umfassenden Realität des Arbeitsmarktes und horizontal in Korrelation zu den akademischen Zielen, Fähigkeiten, programmatischen und didaktischen Merkmalen (Kohler 2004: 6). Schlüsselkompetenzen nach Ort (1999) Orth (1999) formuliert die Definition der Schlüsselkompetenzen aus hochschuldidaktischer Perspektive mit ihrer Umsetzung an Hochschulen wie folgt58:

57 Mehr dazu auch in Kohler 2004. 58 Auch Lenz (2005: 55) führt folgende Aufzählung zum Begriff der Schlüsselqualifikationen an: »Fähigkeiten, die die Basis für betriebliches Handeln darstellen wie z. B.: kommunizieren können, Probleme schnell erfassen, Lösungsstrategien entwickeln, sich auf neue Situationen einstellen, mit Komplexität umgehen, risikobereit sein, Verantwortung übernehmen, Aufgaben delegieren, sich in ein Team einordnen, zum gemeinsamen Erfolg beitragen.«

76

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Schlüsselqualifikationen sind erwerbbare allgemeine Fähigkeiten, Einstellungen und Wissenselemente, die bei der Lösung von Problemen und beim Erwerb neuer Kompetenzen in möglichst vielen Inhaltsbereichen von Nutzen sind, so dass eine Handlungsfähigkeit entsteht, die es ermöglicht, sowohl individuellen als auch gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden. (Orth 1999: 107, Hervorhebungen durch Joanna Kic-Drgas)

In der Definition von Orth (1999) erwecken einige Elemente Aufmerksamkeit, die in der Definition hervorgehoben wurden und im Weiteren besprochen werden. Erwerbbarkeit der Kompetenzen Kompetenzen können erworben werden als Ergebnis eines Entwicklungsprozesses und als Folge der Reflexionsfähigkeit des Individuums, das in der Lage ist, Sachverhalte kritisch zu beobachten und unter verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren. Das Prinzip der Erwerbbarkeit der Kompetenzen ist eine Basis für die effektive Entwicklung von Fertigkeiten59. Fähigkeiten, Einstellungen und Wissenselemente In ihrer Definition nennt Orth als Schlüsselkompetenzen nicht nur kognitive Fähigkeiten, sondern auch Elemente des Sach- und Fachwissens sowie Einstellungen, die »den Zugang zu neuer Handlungsfähigkeit kognitiv stützen« (Ufert 2015: 27). Die Aufteilung der Bestandteile der Definition ist in Abb. 18 dargestellt. Erpenbeck et al. (2017: XVIII) betonen jedoch, dass Kompetenzen Wissenselemente, Fertigkeiten oder Fähigkeiten enthalten, sich jedoch nicht darauf reduzieren oder einengen lassen. Förderung der Handlungsfähigkeit Alle in der Definition von Orth genannten Elemente sollten der Entwicklung und Förderung von Handlungsfähigkeit dienen, um auf neue Herausforderungen adäquat reagieren zu können. Erpenbeck und Rosenstiel (2007: II) weisen darauf hin, dass »Handlungsfähigkeit in offenen, unsicheren, komplexen Situationen erst ermöglicht, beispielsweise selbstverantwortete Regeln, Werte und Normen als ›Ordner‹ des selbstorganisierten Handelns« zu entwickeln, wobei die Handlungsfähigkeit auf vorhandene Handlungsfähigkeiten zurückgreift, nicht auf verborgene Eigenschaften (Erpenbeck et al. 2017: XVIII). Bremer beschreibt Handlungsfähigkeit als Zeichen der Qualität und als Voraussetzung für die professionelle Bewältigung beruflicher Aufgaben (Bremer 2005: 57). Handlungen sind nach Hacker (1986: 72) gesteuert und durch bewusste Ziele abgegrenzte 59 Fertigkeiten verstanden als Können, das durch Einüben entwickelt werden kann (Ufert 2015: 24).

77

Begriff der Kompetenz

Exemplarische Schlüsselkompetenzen für den beruflichen Bereich Einstellungen

Wissenselemente

Fähigkeiten

Sorgfalt

Kommunikationsfähigkeit

Ordnungssinn

Kooperationsfähigkeit

Freundlichkeit

Teamarbeitsfähigkeit

Leistungsbereitschaft

Durchsetzungsvermögen Kreativität Entscheidungsfähigkeit Lernfähigkeit

Abb. 18: Exemplarische Schlüsselkompetenzen. Eigene Bearbeitung nach Reibold, Regier (2009: 93).

Tätigkeiten. Ein Arbeitsprozess besteht aus zielgerichteten Handlungen mit verschiedenen Teilvorgängen, wobei das Ziel der Handlung gleichzeitig ihr Ergebnis darstellt. Entsprechung gesellschaftlicher Anforderungen Mit diesem Punkt ist nicht ausschließlich die Berufsfähigkeit gemeint, sondern auch die Reflexion des eigenen Vorgehens, die zum Hinterfragen und zum Infragestellen beiträgt, die wiederum eine wichtige Grundbedingung im lebenslangen Lernprozess sind. Robertson-von Trotha (2009: 22) meint dazu: Die Wahrscheinlichkeit, dass Studienabsolventinnen und -absolventen mit einer einmal erlernten (Berufs-) Ausbildung einen Arbeitsplatz für das gesamte Arbeitsleben einnehmen werden, sinkt rapide. Von den Hochschulen wird zunehmend erwartet, dass ihre Absolventinnen und Absolventen in der Lage sind, selbst kreativ und unternehmerisch tätig werden zu können. Vor allem wird erwartet, dass sie bereits während ihres Studiums selbstreguliertes Lernen geübt und verinnerlicht haben, das als Grundstein des lebenslangen Lernens dient. (Robertson-von Trotha 2009: 22)

Ufert (2015: 27) schlägt eine grafische Darstellung der Schlüsselkompetenzen mit dem zentral gesetzten Begriff der Handlungsfähigkeit vor. Ufert (2015: 27) verweist auf die Bedeutung der Strategien »als an langfristigem Ziel orientiertes planmäßiges Vorgehen« in der Kompetenzförderung.

78

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Handlungsfähigkeit

Abb. 19: Darstellung von Schlüsselkompetenzen nach Ufert (2015: 27).

Kompetenzen vs. Qualifikationen In Publikationen zur beruflichen Bildung werden Schlüsselqualifikationen oft als Synonym zu Schlüsselkompetenzen verwendet. Damit werden sie als »die qualifizierenden Abschlüsse und die dafür erforderlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten« verstanden (Ufert 2015: 23). Der von Mertens (1974: 40) eingeführte Begriff Schlüsselkompetenzen bezog sich in erster Linie auf eine Erweiterung der Ausbildung um allgemeine, tätigkeitsunabhängige Fertigkeiten. Bald wurde jedoch die fehlende Präzision des Terminus festgestellt, was u. a. zu einer Orientierung des Begriffes an der beruflichen Flexibilität (Beck 1993) führte. Arnold (1997: 253ff.) vergleicht Kompetenzen mit Qualifikationen, wie in Tab. 7 dargestellt wird. Tab. 7: Kompetenzen vs. Qualifikationen nach Arnold (1997: 253ff.). Kompetenzen nachfrageorientiert

Qualifikationen subjektorientiert

»Qualifikation« beschränkt sich auf die Erfüllung konkreter Nachfragen bzw. Anforderungen (Aspekt der Verwertbarkeit), »Kompetenz« ist subjektbezogen, stellt die Entwicklungsmöglichkeit und Handlungsfähigkeit des Individuums in den Mittelpunkt. sachverhaltszentriert wertorientiert »Qualifikation« beschränkt sich auf Sachwissen, »Kompetenz« erstreckt sich auch auf Werthaltungen und Einstellungen.

Begriff der Kompetenz

79

Mit der Zeit wurde der Fokus auf das Individuum und die kontinuierlichen Herausforderungen in den Arbeitsfeldern gelegt. Dadurch wurde auch der Begriff der Schlüsselqualifikationen durch den der Kompetenzen ersetzt. Dadurch wird hervorgehoben, dass das Merkmal der Kompetenz die Fähigkeit ist, das vorhandene Wissen im neuen Kontext einzusetzen, demnach sind Wissen und Fähigkeiten selbst noch keine Kompetenzen. Dies wird in der Kompetenzdefinition der OECD60 sichtbar: Eine Kompetenz ist mehr als Wissen und kognitive Fähigkeit. Es geht um die Fähigkeit der Bewältigung komplexer Anforderungen, indem in einem bestimmten Kontext psychologische Ressourcen (einschließlich kognitiver Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen) herangezogen und eingesetzt werden. So ist beispielsweise die Kommunikationsfähigkeit eine Kompetenz, die sich auf Sprachkenntnisse, praktische IT-Fähigkeiten einer Person und deren Einstellungen gegenüber dem Kommunikationspartner stützen kann. (OECD 2005: 4)

Kompetenzen stellen somit ein hypothetisches Konstrukt dar, dessen Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein sich erst anhand der Ergebnisse der Handlung eines Individuums beurteilen lässt. Kompetenzen aus beruflicher Perspektive Laut Windeler (2014) ist die Kompetenz im beruflichen Bereich stark sozial geprägt: Kompetenzen begreife ich als generatives Können, das heißt als Vermögen, sich passend kreativ in Handlungsfeldern zu bewegen, andere als eins zu eins vorgegebene Antworten auf soziale Umstände zu geben und Soziales gestaltend zu beeinflussen. (Windeler 2014: 227)

Diese Einstellung ergibt sich hauptsächlich aus der Wahrnehmung des Unternehmens bzw. des Arbeitsplatzes als Organisation, in der mehrere Mitarbeiter kooperieren und nach Erreichen der gesetzten betrieblichen Ziele streben. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird hauptsächlich zwischen individueller und organisationaler Kompetenz unterschieden: Die Essenz der organisationalen Kompetenz ist die Fähigkeit, komplexe Prozesse von Ressourcenverknüpfung zu bewerkstelligen, d. h., organisationale Kompetenzen können als situationsund unternehmensbezogene Selektions- und Verknüpfungsprozesse verstanden werden, mit denen eine betriebliche Organisation Ressourcen zu einer erfolgreichen Handlung verknüpft (Becker 2006: 432f.). Auch in der Managementlehre befähigen Kompetenzen zur situationsgerechten Diagnose eines Problems am Arbeitsplatz, zur adäquaten Anpassung des 60 Organisation for Economic Cooperation and Development.

80

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Verhaltens und zu einem effizienten Lösungsweg. Die angesprochenen Kompetenzen lösen kollektive Handlungspotenziale aus, die sich in der betrieblichen Performanz manifestieren. Die individuellen Kompetenzen werden im betrieblichen Kontext im Wesentlichen durch die Förderung und Weiterentwicklung der Beschäftigten und durch eine fachkundige Berufs- und Lebensbewältigung realisiert (Becker 2006: 431f.). Dagegen zeigen die Misserfolge eines Unternehmens, dass Kompetenzdefizite der limitierende Faktor für Innovationen sind, da die Entwicklungsfähigkeit eines Unternehmens stark von der Verfügbarkeit und der Qualität der individuellen Kompetenzen abhängt (Hiestand 2017: 10). Dies ist auch übertragbar auf die berufs- und betriebspädagogischen Ausführungen zur beruflichen Handlungskompetenz: Berufliche Handlungskompetenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft, in beruflichen Situationen fach-, personal- und sozialkompetent zu handeln und seine Handlungsfähigkeit in beruflicher und gesellschaftlicher Verantwortung weiter zu entwickeln. Unter einer umfassenden beruflichen Handlungskompetenz ist die Einheit von Fachkompetenz, Sozialkompetenz und Personalkompetenz zu verstehen. Andere Kompetenzen von der Methodenkompetenz über die Lernkompetenz bis zur Sprachkompetenz sind Teil dieser übergeordneten Kompetenzdimensionen bzw. liegen quer dazu. (Dehnbostel 2007: 33)

Ein enger Zusammenhang zwischen Kompetenzen und Organisationsentwicklung in der betrieblichen Praxis sowie auf universitärem Niveau ist unbestritten, und die Möglichkeiten ihrer Förderung werden auf vielfältige Weise diskutiert (Hiestand 2017: 2). Trotz der potenziellen Interessenskonflikte zwischen individuellen und organisationalen (sowohl universitären als auch beruflichen) Entwicklungszielen bietet eine interdisziplinäre Herangehensweise zahlreiche Erkenntnismöglichkeiten und liefert einen Beitrag zur Konvergenzdebatte hinsichtlich der pädagogischen und ökonomischen Handlungslogik (Diettrich, Gillen 2005). Schieder (2020: 101–110) weist darauf hin, dass sich im 20. Jahrhundert zwei Haupttendenzen in der Kompetenzentwicklung im beruflichen Bereich erkennen lassen: – Veränderung der Arbeitswelt von der Industrie- zur Informationsgesellschaft – Veränderung der Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung. Die beiden Tendenzen sind auch in den modernen Arbeitsanforderungen ersichtlich und werden im Weiteren genauer betrachtet. Sie bilden auch die Grundlage für das in Kapitel 8 entwickelte Modell.

81

Begriff der Kompetenz

Kompetenzen aus psychologischer Perspektive Der Begriff Kompetenz wird auch in der Psychologie als Problemlöseaspekt besonders hervorgehoben. Weinert (2001) definiert Kompetenzen als die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001: 27f.).

Damit gehören zu den Kompetenzen nicht nur die kognitiven (Denk-)Fähigkeiten an sich, sondern z. B. auch Motivation und Wille, also volitionale Faktoren. Ossner (1995: 15) ergänzt das Kompetenzverständnis mit der Unterscheidung zwischen einem deklarativen und einem prozeduralen Gedächtnis (vgl. auch Zimbardo 1999: 235). Im prozeduralen Gedächtnis werden die Vorgänge unbewusst gespeichert; vor allem geht es hier um die Inhalte, über die man sich keine Gedanken mehr macht, weil sie automatisiert sind, während im deklarativen Gedächtnis Fakten oder Ereignisse gesammelt werden. Zum Problemlösewissen gehören Strategien der Problembewältigung. Eine weitere Kategorie bildet das metakognitive Wissen, »also das Nachdenken über das eigene Denken, das beispielsweise für das Überarbeiten des eigenen Textes eine wichtige Unterstützung bietet« (Fix 2008: 21). Tab. 8: Psychologische Teilelemente der Kompetenz nach Fix (2008: 21). Deklaratives Wissen Wissen über Sachverhalte

Prozedurales Wissen Wissen, das psychomotorischen und kognitiven Fertigkeiten zugrunde liegt

z. B. Kenntnis von z. B. Operationen Merkmalen einer Er- beim Schreiben örterung, enzyklopädisches Wissen über ein Thema

Problemlösungswissen Wissen über Strategien zur Bewältigung von Problemsituationen

Metakognitives Wissen Wissen, das die Reflexion über das eigene Wissen und über die eigenen Handlungen steuert

z. B. durch Nachschlagen eine Formulierung finden

z. B. seine Vorgehensweise bei der Textproduktion reflektieren

Die in Tab. 8 dargestellten Teilelemente des Kompetenzbegriffs aus psychologischer Perspektive werden auf jene Elemente des Schreibens bezogen, die einzelne Teile in unterschiedliche Kompetenzformen integrieren.

82

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Kompetenzformen Die Kompetenzentwicklung stellt die Grundlage für erfolgreiches Handeln im professionellen Bereich dar. Bei der Abwicklung beruflicher Aufgaben werden unterschiedliche Aspekte der Kompetenzen eingesetzt, sowohl psychologische als auch linguistische. Heyse und Erpenbeck (1997: 51) unterscheiden folgende Kompetenzformen, die den beruflichen Alltag beeinflussen: – Personale Kompetenz (z. B. Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen): »Es geht um die Selbstwahrnehmung, das bewusste Refaktieren der eigenen Fähigkeiten sowie die Bewertung der eigenen Handlungen und zugleich die Offenheit für Veränderungen, das Interesse, aktiv zu gestalten und mitzuwirken, und die Eigeninitiative, um sich Situationen und Möglichkeiten zu schaffen.« (Kauffeld 2001: 36) – Sozialkompetenz (sozial-kommunikative Kompetenz): Sie spiegelt sich in kommunikativen und kooperativen Verhaltensweisen wider. Michelsen (1997: 78) beschreibt sie als »Fähigkeit und Bereitschaft, sich mit anderen rational und verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen sowie im Interesse der eigenen Person und der Gruppe gestaltend zu wirken«. – Methodenkompetenzen (z. B. Organisationsfähigkeit, wissenschaftliches Schreiben, mündliches Vortragen, Präsentation): Sie werden verstanden als »die Fähigkeit und Bereitschaft zu zielgerichtetem planmäßigem Vorgehen bei der Bearbeitung von Aufgaben und Problemen. Darüber hinaus beinhaltet der Begriff auch die Fähigkeit und Bereitschaft, sich Methoden zur Bewältigung beruflicher und außerberuflicher Herausforderungen zu vergegenwärtigen und zu reflektieren, ferner den jeweiligen Situationen angemessene Verfahren auszuwählen sowie flexibel einzusetzen.« (Michelsen 1997: 78) – Sachkompetenzen bzw. Fachkompetenzen (z. B. spezielles Fachwissen, Methoden, fächerübergreifendes Denken, Fremdsprachen): Sie »besitzt diejenige Person, die zuständig und sachverständig über Aufgaben und Inhalte ihres Arbeitsbereichs verfügt und die dafür notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten beherrscht« (Mudra 2004: 364). Das Verhältnis zwischen den einzelnen Kompetenzen illustrieren Gessler und Sebe-Opfermann (2016: 168). In Abb. 20 wird hervorgehoben, dass Kompetenzen einen fachlichen und einen überfachlichen Charakter haben können. Dies verweist auf die von Chomsky (1971, 1981) eingeführte Aufteilung in Bezug auf die Kommunikation in die grammatische Kompetenz, die die Beherrschung konkreter Strukturen bedeutet, und in die pragmatische Kompetenz, die es ermöglicht, die gelernten Strukturen in unterschiedlichen Kontexten und Situationen einzusetzen. Fachliche Kompetenzen befähigen zum Erwerb bestimmter fachlicher Inhalte, wäh-

83

Definition von Schreibkompetenz

Kompetenzen

Überfachliche Kompetenzen Personale Kompetenz

Sozialkompetenz

Fachliche Kompetenzen

Fachkompetenz

Methodenkompetenz

Abb. 20: Das Verhältnis zwischen den Kompetenzen (Gessler, Sebe-Opfermann 2016: 168).

rend überfachliche Kompetenzen, darunter auch die Kommunikationsfähigkeit, die Voraussetzung für den situationsangemessenen Einsatz der vorhandenen Wissenselemente schaffen.

2.2

Definition von Schreibkompetenz

Schreiben wird zuallererst als eine komplexe Fähigkeit, Texte zu produzieren, definiert. Bei der Schreibkompetenz61 bezieht man sich im Allgemeinen auf die Fähigkeit, komplexe sprachliche Äußerungen bzw. Texte so zu verfassen, dass sie über Raum und Zeit prinzipiell für andere und den Verfasser selbst lesbar sind. Die Schreibkompetenz ist demnach ein wesentlicher Aspekt von Sprachkompetenz mit dem Medium der Schrift (Krelle 2013: 326f.), die im engeren Sinne die Fähigkeit zu schreiben umfasst. Im weiteren Sinne bezieht sie sich auf alles, was die Teilnahme an der schriftlichen Sprachkultur ermöglicht (Graham, Perin 2007: 445–449). Schreibkompetenz kann aus der Perspektive des Textes auch als Fähigkeit zur Lösung kommunikativer Probleme in konkreten Anwendungssituationen verstanden werden (Becker-Mrotzek, Böttcher 2006: 56) (vgl. Kap. 2.1). Das Schreiben konstituiert sich durch Texte, Fach- und Diskursgemeinschaften und spiegelt dadurch auch die Traditionen und fachlichen Übereinkünfte der Gruppen wider. Wenn sich geschriebene Texte den Kommunikationsgewohnheiten und -erwartungen der Adressaten anpassen sollen, müssen sie wirkungsvoll das gesetzte Ziel erfüllen, was sich in den rhetorischen Kompe61 In der vorliegenden Veröffentlichung wird der Begriff Schreibkompetenz dem Begriff Textkompetenz vorgezogen, weil er die Prozesshaftigkeit stärker in den Vordergrund stellt als das entstehende Produkt Text.

84

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

tenzen ausdrückt. Darüber hinaus ist die Schreibkompetenz viel mehr als nur die reine Fähigkeit des Verfassens von Texten mit dem Einsatz entsprechender grammatischer Normen, es ist eine komplexe Kompetenz, die kognitive Strukturierung und Sprachverarbeitung einbezieht, um der Sache, dem Genre und den Adressaten angemessene Texte zu produzieren (Kruse, Jakobs 2014: 22ff.). Schreiben ist somit eine Konstruktion von Bedeutung, in der sprachliche, soziale und kulturelle Normen berücksichtigt werden (Becker-Mrotzek et al. 2017: 23). Den Kern der Schreibkompetenz stellt das Schreiben dar, das sich auf die grafomotorischen und kognitiven Aspekte des Prozesses beschränkt (vgl. Abb. 21). Philipp (2015: 10f.) betont jedoch, dass die Beschränkung auf diese zwei Aspekte kein vollständiges Bild des Schreibens ergibt, weil »eine Person nicht nur fähig, sondern auch noch gewillt sein muss, die entsprechenden Prozesse und Handlungen auszuführen«. Dies drückt sich wiederum in den motivationalen oder motivationalen und emotionalen Faktoren aus, die den Schreibprozess entscheidend beeinflussen. Schreibkompetenz

Schreiben

weite Definition: Textherstellungsleistung unter Einbezug von motivationalen Faktoren, sozialem Kontext und der Interaktion des Individuums mit dem (entstehenden) Text enge Definition: Textherstellungsleistung unter Einbezug motivationaler Faktoren Fähigkeit zur Konstruktion schriftlich fixierter Bedeutungsinhalte; graphomotorische und (meta-)kognitive Prozesse bei der Textherstellung

Abb. 21: Differenzierung zwischen Schreiben und Schreibkompetenz im weiten und engen Sinn nach Philipp (2015: 9).

Unter Schreibkompetenz ist somit die Fähigkeit zu verstehen, mit Mitteln der schriftlichen Sprachproduktion zielführend zu handeln, Situationen erfolgreich zu bewältigen und das eigene kognitive (motivationale, affektive) System in geeigneter Weise zu regulieren (Grabowski 1995, 1996). In der vorliegenden Arbeit wird Schreibkompetenz als Zusammenspiel verschiedener Teilkompetenzen (die auch in den vorherigen Kapiteln angedeutet wurden), als Kombination von Wissen und Fähigkeiten und zugleich als Teil einer umfassenderen Sprachkompetenz verstanden (vgl. auch Becker-Mrotzek, Schindler 2007: 12–17, Fix 2008: 24, Knopp et al. 2012: 63–65). Diese Betrachtungsweise des Schreibens stellt die Grundlage für die Entwicklung des Modells der Schreibvermittlung in Kap. 8 dar.

Schreiben als Kompetenz – Systematisierung der Kompetenzlandschaften

2.3

85

Schreiben als Kompetenz – Systematisierung der Kompetenzlandschaften

Schreiben gehört wegen seiner Vielseitigkeit zu den Schlüsselkompetenzen, »trotz oder erst recht wegen der expandierenden Informationstechnologie, die einen großen Teil der Funktionen des Schreibens scheinbar übernehmen kann« (Molitor-Lübbert 2000: 4). Heyse und Erpenbeck entwickelten ein Kompetenzmodell (Kompetenzatlas) mit vier Dimensionen, die in 64 Einzelkompetenzen untergliedert sind (Heyse, Erpenbeck 2004: XXI). In diesem Modell wurde das Schreiben der Kommunikationsfähigkeit zugeordnet. Die Kommunikationskompetenz gehört zu den sozialkommunikativen Kompetenzen, innerhalb dieser Kompetenz wird die Teilkompetenz Schreiben entwickelt (Abb. 22). Schon Heyse und Erpenbeck (2004: XX) stellen fest, dass die Zuordnung der Begriffe im Kompetenzatlas nicht unbedingt eindeutig dem hervorgehobenen Feld entspricht. Diese Überlegung betrifft auch stark die Schreibkompetenz. Volkmann (2011) nennt Argumente für die Einteilung des Schreibens als Teilbereich der Methodenkompetenz, denn: Schreiben [ist] – obwohl zweifellos Kulturtechnik – kein Selbstzweck, sondern erfüllt für die genannten Zielvorstellungen (wichtige!) Funktionen. Schreiben ist also zumindest auch eine Methode. (Volkmann 2011: 1)

Becker-Mrotzek und Grabowski (2007)62 argumentieren, dass die Schreibkompetenz eine komplexe Fähigkeit sei, an der sehr unterschiedliche kognitive, sprachliche, motivationale und affektive Komponenten beteiligt seien, sodass sie nicht eindeutig als sozial-kommunikative Kompetenz bezeichnet werden könne. Laut den Wissenschaftlern sollte das Schreiben als ein zusammengesetztes Phänomen zu mehreren Kompetenzfeldern gehören: – kommunikativ-pragmatische Kompetenzen (z. B. Informativität/Instrumentalität; kulturabhängige Angemessenheit der Texte) – sozial-kognitive Kompetenzen (z. B. Legitimation; Partner- und Adressatenorientierung) – strategische Kompetenzen (z. B. Medienwahl; Herangehensweise an die Textproduktion; Revision; Gestaltung) – sprachliche Kompetenzen (z. B. rhetorischer Problemraum; Sprachproduktion im engeren Sinne; Textmusterwissen). Auch im unternehmensspezifischen Kompetenzmodell (Abb. 23) von Gessler und Sebe-Opfermann (2016: 174), das am Beispiel des IT-Sektors entwickelt 62 http://www.schreibkompetenz.com/bmbf/PDF/V_Becker_2007.pdf, 12. 06. 2019.

86

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf P Personale Kompetenz

A Ak!vitäts- und Handlungskompetenz Entscheidungsfähigkeit

Norma#vethische Einstellung

Einsatzbereitscha"

Glaubwürdigkeit

Eigenverantwortung

Schöpferische Fähigkeit

Offenheit für Veränderungen

Innova#onsfreudigkeit

Belastbarkeit

Ausführungsbereitscha"

Ini#a#ve

Humor

Hilfsbereitscha"

Lernbereitscha"

Ganzheitliches Denken

Op#mismus

Soziales Engagement

Ergebnisorien#ertes Handeln

Zielorien#ertes Führen

Loyalität

P

P/A

P/S Delegieren

Konfliktlösungsfähigkeit

Integra#onsfähigkeit

Disziplin

Akquisi#onsstärke

S/P

Zuverlässigkeit

Dialogfähigkeit Kundenorien#erung

Experimen#erfreude

Kommunika#onsfähigkeit

Koopera#onsfähigkeit

Sprachgewandtheit

S

Problemlösungsfähigkeit

Beratungsfähigkeit

Verständnisbereitscha"

S/F Anpassungsfähigkeit

Pflichtgefühl

Tatkra"

Mobilität

Gewissenha"igkeit

S Sozial-kommunika!ve Kompetenz

A

A/S

A/F

Impulsgeben

Schlagfer#gkeit

Beharrlichkeit

Konsequenz

Wissensorien#erung

Analy#sche Fähigkeiten

Konzep#onsstärke

Organisa#onsfähigkeit

S/A

Teamfähigkeit

Gestaltungswille

A/P

P/F

Mitarbeiterförderung

Beziehungsmanagement

Selbstmanagement

F/P Sachlichkeit

Projektmanagement

F/A Beurteilungsvermögen

Folgebwusstsein

F/S Lehrfähigkeit

Faschliche Anerkennung

Fleiß

Systema#sch-method. Vorgehen

Fachwissen

Marktkenntnisse

F Planungsverhalten

Fachübergreifende Kenntnisse

F Fach- und Methodenkompetenz

Abb. 22: Kompetenzatlas nach Heyse, Erpenbeck (2004: XXI). Hervorhebung durch Joanna KicDrgas.

wurde, kommt zum Ausdruck, wie die schriftliche Ausdrucksfähigkeit mit anderen Kompetenzen korrespondiert. Die dargestellten Hauptkompetenzen sind entlang der Unternehmensleitlinien (Lead, Drive, Balance, Change und Results) in jeweils fünf Einzelkompetenzen gegliedert. Am Beispiel der Teilkompetenzen Kommunikation und Konfliktlösung lässt sich verdeutlichen, dass Inhalte auf beruflicher Ebene schriftlich und präzise, strukturiert und verständlich kommuniziert werden sollten, was den Status des beruflichen Schreibens als Kompetenz im unternehmerischen Kontext hervorhebt (Becker-Mrotzek, Grabowski 2007). Darüber hinaus geht die Autorin der vorliegenden Arbeit davon aus, dass die Schreibkompetenz nicht nur als Me-

Schreibkompetenzmodell nach Ossner und Becker-Mrotzek, Schindler

87

thodenkompetenz klassifiziert werden kann, sondern auch zum sozial-kommunikativen Bereich gehört. Personale Kompetenz

Sozialkompetenz

Fachkompetenz

Lead

Strategisch-konzep#onelles Denken

Führung

Fach- und Marktwissen

Drive

Engagement

Koopera#on

Kunden und Qualität

Balance

Zuverlässigkeit

Kommunika#on und Konfliktlösung

Interdisziplinarität und Systemdenken

Change

Ini#a#ve

Wissensweitergabe

Innova#on

Results

Lernen und Entwicklung

Integra#on

Ziele und Ergebnisse

Kriterium

Bechreibung

Kommunika#on

Mitarbeiter fördert die Kommunika#on innerhalb des Bereich und darüber hinaus.

Konflktlösung

Kompetenzmerkamle

a) Ideen und Sachverhalte werden in schri"licher und müdlicher Form präzise, strukturiert und verständlich kommuniziert. b) Geht auf Belange des Kommunika#onspartners ein. c) Fördert eine offene Kommunika#onsatmosphäre. Mitarbeiter erkennt und löst a) Thema#siert auch kri#sche Aspekte. Konflikte. b) Gesteht eigene Fehler ein. c) Reflek#ert eigene Rolle, Anlass und Dynamik. d) Strebt Kompromisse und Ausgleich an.

Abb. 23: Unternehmensspezifisches Kompetenzmodell (Gessler, Sebe-Opfermann 2016: 174).

Die steigende Bedeutung des Schreibens sowie die Komplexität des Phänomens, die die eindeutige Kategorisierung des Schreibens in die bisher entwickelten Kompetenzen unmöglich macht, trug zur Entwicklung eines separaten Kompetenzmodells Schreiben bei.

2.4

Schreibkompetenzmodell nach Ossner (2006a, 2006b) und Becker-Mrotzek, Schindler (2007)

Ossner (2006a: 12) stellte ein Kompetenzmodell für die Fachdidaktik Deutsch vor, das an ein entsprechendes Modell der naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken anknüpft (Schecker 2006). Die Grundidee des Modells besteht darin, a) die Domänen bzw. Lern- und Inhaltsbereiche von Kompetenzen, b) die unterschiedlichen Wissenstypen und c) die Entwicklungs- bzw. Anforderungsniveaus

88

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

in einem zwei- bzw. dreidimensionalen Raum aufzuspannen (Becker-Mrotzek, Schindler 2007: 8). Das Modell hat die Form einer Matrix (Abb. 24), die 24 Felder-Kompetenzen definiert, die zu erwerben sind. Für die Strukturierung der Inhalte wird im Prinzip auf die traditionellen Arbeitsbereiche des Faches zurückgegriffen, nämlich auf das Sprechen und (Zu)Hören, das Schreiben, Lesen und den Umgang mit Texten sowie auf die Untersuchung von Sprache und Sprachgebrauch. Ossner (2006a) strukturiert die Inhalte entlang der X-Achse. Die Inhalte (= Arbeitsbereiche) werden mit den Wissensdimensionen (Y-Achse) verbunden, damit werden die Bedeutung und der Umfang der Kompetenzen präzisiert. Auf diese Weise lässt sich sagen, welche Kompetenz wann erworben wird (deskriptivempirische Sicht) bzw. werden sollte (normative Sicht) (Ossner 2008: 25). Für Ossner bedeutet Kompetenz, ein bestimmtes (i. e. fachliches, problemlösendes, prozedurales oder metakognitives) Wissen zu einem Inhaltsbereich zu aktivieren. Der Kompetenzbegriff ist in Ossners Modell sehr stark an den Schnittstellen von Inhalt und Wissen orientiert, was Kompetenzen auf einem relativ niedrigen Abstraktionsniveau bedeutet (Becker-Mrotzek, Schindler 2007: 8–9). Dabei ist zu beachten, dass die Wissensbereiche bei den verschiedenen Inhalten ein unterschiedliches Gewicht haben, zum Beispiel wird das prozedurale Wissen beim motorischen Schreiben hoch gewichtet, metakognitives Wissen ist jedoch eher hinderlich. Interessanterweise bilden Sprechen/(Zu)Hören ebenso wie das Lesen und Verstehen von Texten und das Thematisieren von Sprache je einen Bereich, während das Schreiben auf drei Bereiche aufgeteilt wird, was wiederum seine Komplexität beweist. Das Grundmodell wird damit zu einem dreidimensionalen Raum erweitert (vgl. Abb. 24). Ossner (2008) sieht den Nutzen eines solchen Modells in der Möglichkeit, normative und empirische Aussagen aufeinander zu beziehen, da eine Systematik existiert, in der vorhandene Fragen verortet werden können. Gleichzeitig weist die entworfene Systematik auf die Forschungsdesiderate hin. Das Modell ist für spezielle Fragen jedoch zu allgemein und sollte daher für einzelne Inhaltsbereiche in der gleichen Weise ausdifferenziert werden (BeckerMrotzek, Schindler 2007: 10). Becker-Mrotzek und Schindler (2007, 2008) entwickelten in Anlehnung an das Kompetenzmodell von Ossner (2006a) ein Schreibkompetenzmodell für die Fachdidaktik Deutsch (Abb. 25). Auf der horizontalen Ebene unterscheiden Becker-Mrotzek und Schindler (2007) zwischen sechs Anforderungsbereichen: – Medien: als Ergebnis der Tatsache, dass sich Texte durch Zerdehnen der Sprechsituation auszeichnen (mehr dazu in Kap. 3), was entweder motorisch per Hand- oder Tastaturschreiben oder mithilfe anderer Stützen (Text-toSpeech-Programme, Gedächtnis) erfolgt.

89

Schreibkompetenzmodell nach Ossner und Becker-Mrotzek, Schindler Stufe 3

4-2-2 Stufe 2

Inhalte des Faches

Stufe 1

Mündichkeit: Sprechen u. Hören Fachliches Wissen

1-1

Problemlösungswissen Prozedurales Wissen Metakognition

Schriftlichkeit: Motorisches Schreiben

1-4

3-3 3-4

2-4

6-1

5-1

4-2

6-2

5-2

4-3

5-3

4-4

Schriftlichkeit: Lesen und Verstehen

Schriftlichkeit: Lesen und Verstehen

4-1

3-2

2-2 2-3

Schriftlichkeit: Richtig schreiben

3-1

2-1

1-2 1-3

Schriftlichkeit: Richtig schreiben

6-3 6-4

5-4

Wissen, Können Bewusstheit

Anforderungen

Abb. 24: Kompetenzmodell nach Ossner (2008: 15). Domänenspezifische Anforderungen des Schreibens Textproduktion i.w.S. Textproduktion i.e.S. Sprachproduktion i.e.S. Medium

Orthographie

Lexik

Syntax

Textmuster

Leserorientierung

Deklaratives Wissen

?

Orthographische Kenntnisse

Lexikalische Kenntnisse

Syntaktische Kenntnisse

Kenntnisse über Textmuster

Kenntnisse über Leserorientierung

ProblemlöseWissen

?

Prüfverfahren zur orthographischen Korrektheit und Angemessenheit

Prüfverfahren zur lexikalischen Korrektheit und Angemessenheit

Prüfverfahren zur syntaktischen Korrektheit (Proben) und Angemessenheit

Inhalte elizitieren und passendes Textmuster realisieren

Ermitteln und Realisieren der Leserbedürfnisse

Prozedurales Wissen

Motorische Routine

Orthographische Routine

Lexikalisches Enkodieren in der Schriftsprache

Grammatisches Enkodieren in der Schriftsprache

Routinen zum Realisieren der Textmuster

Routinen zum Realisieren der Leserbedürfnisse

Metakognitives Wissen

Reflektieren der motorischen Prozesse

Reflektieren der orthographischen Prozesse

Reflektieren der lexikalischen Prozesse

Reflektieren der grammatischen Prozesse

Überwachen und Reflektieren der Produktionsprozesse

Überwachen und Reflektieren der Leseorientierung

Wissen

Abb. 25: Schreibkompetenzmodell (Becker-Mrotzek, Schindler 2007: 10).

90

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

– Orthografie: Die Orthografie wird beim Schreiben als Sammlung von Regeln für die Verwendung von Schriftzeichen benötigt. – Lexik: Die Textproduktion benötigt die Verwendung des Lexikons. – Syntax: Zur Textproduktion ist die Verwendung der Syntax Voraussetzung63. – Textmuster: Zur Textproduktion ist das Erstellen einer bestimmten musterhaften Textstruktur notwendig, d. h. einer Struktur, die sich an bestimmten Mustern orientiert. Die Inhalte müssen in einer bestimmten Reihenfolge aufeinander bezogen werden, was u. a. durch Layout, Überschriften, Absatzbildung, Kohärenz und Kohäsion erreicht wird. – Leserorientierung: Gemeint sind diejenigen Textelemente, die explizit oder implizit den Verstehensprozess des Lesers beeinflussen. Dadurch erfolgt einerseits die Orientierung an einem absenten Adressaten, andererseits werden Wiederholungen vermieden (Becker-Mrotzek, Schindler 2007: 12f.). In ihrem Modell schreiben Becker-Mrotzek und Schindler (2007) einzelne Anforderungsbereiche auch den von Ossner (2006a) vorgeschlagenen vier Wissenstypen (prozedurales Wissen, deklaratives Wissen, Problemlösungswissen und metakognitives Wissen) zu. Bezogen auf den Gegenstand Schreibkompetenz fällt unter das deklarative Wissen die Kenntnis von Rechtschreibregeln oder der spezifischen Merkmale einer Textsorte. Zum Problemlösungs- bzw. methodischen Wissen zählt das fachmethodische Wissen (bspw. die Bestimmung grammatischer Sachverhalte), aber auch das Wissen darüber, dass das Schreiben selbst als Problemlösung fungieren kann. Die automatisierte Textadäquatheit als Indiz für die Schreibkompetenzen der Orthografie, das motorisch automatisierte Schreiben oder auch Routinen und Prozeduren für die Überarbeitung eines Textes gehören zum Bereich des prozeduralen Wissens. Im Rahmen des metakognitiven Wissens ist sich ein Schreiber seiner Kenntnisse über Rechtschreibung, Grammatik, Methoden, Schreibroutinen etc. bewusst (Ossner 2008: 33). Becker-Mrotzek und Schindler (2007: 22) sehen ihr Modell als Anregung für die empirische Forschung und für die Praxis, »indem es Wissenstypen und schreibspezifische Anforderungen aufeinander bezieht, sodass eine begrenzte Anzahl von Dimensionen erkennbar wird«. Das Modell dient zwar der Festlegung von Standards, der Ermittlung von Entwicklungsstufen sowie der Entwicklung geeigneter (Test-)Aufgaben, es besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der empirischen Absicherung einzelner Befunde. Kritisch zu betrachten ist, wie weitreichend das Modell die Schreibentwicklungs- und -erwerbsprozesse abbildet, bezogen z. B. auf das professionelle Schreiben (Becker-Mrotzek, Schindler 2007: 23) (mehr dazu in Kap. 3). 63 Die Verwendung von Lexikon und Syntax wird nicht auf die Schreibkompetenz modelliert.

Komponenten der Schreibkompetenz

2.5

91

Komponenten der Schreibkompetenz

Flower und Hayes (1980) unterscheiden drei wesentliche Dimensionen, die bei der Entwicklung der Schreibkompetenz zu berücksichtigen seien: Wissen, Sprache und Kommunikation. Jede dieser Dimensionen repräsentiere unterschiedliche Fähigkeiten und könne mit besonderen Schwierigkeiten und Einschränkungen verbunden sein: – Wissen – Das Schreiben verlangt eine flexible Wissensbasis, die kognitiv und in externen Speichern vorhanden ist. Die einzelnen Wissenseinheiten sind separat abrufbar und frei verknüpfbar, was dazu führt, dass sie umso einfacher adressatengerechten Transformationsprozessen unterliegen, je flexibler die Aufgabe ist. Wissen ist eine Ressource; wenn diese jedoch limitiert oder in unangemessener Form vorhanden ist, wird sie zur Einschränkung (Flower, Hayes 1980: 21–25, auch bei Kruse et al. 2014: 21). – Sprache – Beim Schreiben kann die Sprache sowohl als Wissen als auch als Ressource oder als Einschränkung gelten. Sie sollte deswegen nicht beliebig, sondern genre- und adressatengerecht eingesetzt werden. Ein Text benötigt eine angemessene grammatische Form, eine passende Fachterminologie und eine bestimmte stilistische Form. Die Sprache ist im Prozess der Textentstehung ein aktives Medium mit einer wissensgenerierenden Funktion (Kruse et al. 2014: 22, Sturm, Weder 2016: 1314). – Kommunikation – Die Texte haben schließlich auch eine kommunikative Funktion, indem sie Informationen über Absender und Adressaten enthalten. Sie formen Fach- und Diskursgemeinschaften und schaffen als solche die Traditionen bestimmter Gruppen. Deswegen sollten sich die Texte den Kommunikationsgewohnheiten und -erwartungen der Adressaten anpassen, damit sie die gesetzten Ziele erfüllen können (Flower, Hayes 1980: 25, Sturm, Weder 2016: 15). Die Autorin dieser Veröffentlichung schlägt anhand der Literatur die Aufteilung der Schreibkompetenz in drei Kategorien vor (Abb. 26). Die textbezogenen Teilkompetenzen des Schreibens sind direkt auf den Text als Schreibergebnis bezogen. Hier sind zu erwähnen: – Text-Sorten-Kompetenz, die zu unterscheiden ist in: – Textsortenkompetenz (im Sinne von domänengebundenem Schreiben), verstanden als Aufbau und Strukturierung des Textes in einer nachvollziehbaren Ordnung, u. a. auf der Basis von Textsortenwissen – Textkompetenz (im Sinne von ersten Erfahrungen mit Texthaftigkeit/Textualität) – mit Textkompetenz ist auch »die individuelle Fähigkeit, Texte

92

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Teilkompetenzen des Schreibens

lesen, schreiben und zum Lernen nutzen [zu] können«, gemeint (Schmölzer-Eibinger, Weidacher 2007: 5)64. – Stilkompetenz ist die Fähigkeit, aus dem Repertoire der zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel unter Berücksichtigung sprachlicher und kommunikativer Faktoren und in Kenntnis von Normen und Konventionen Formulierungen auszuwählen und Formulierungsentscheidungen bewusst und begründet zu treffen und zu beurteilen, mit dem Ziel, eine bestimmte Wirkung zu erzielen (Eroms 2007: 20–53). – Rhetorische Kompetenz65, verstanden als allgemein umfassende kommunikative Handlungsfähigkeit zur zweckorientierten Abwicklung intendierter sozialer Interaktionen durch wirksames Miteinander-Sprechen (Gespräch) und Zueinander-Reden (Rede) sowie zur bewussten Reflexion über die jeweiligen Kommunikationsprozesse, darunter eigenes Verhalten und Handeln (Grzeszczakowska-Pawlikowska 2019a: 194). – Fähigkeit zur Herstellung von Text-Text-Bezügen (intertextuelle Kompetenz). Dieser intertextuelle Bezug kann als Schreiben über andere Texte verstanden werden. Während im ersten Fall (bspw. in Reiseführern) die Bezugstexte unwichtig sind und im entstandenen Textprodukt in der Regel nicht erwähnt werden, sind im zweiten Fall beim Schreiben über andere Texte explizite Bezugnahmen konstitutiv (Niemann 2015: 137).

textbezogen adressatenbezogen prozessbezogen

Abb. 26: Aufteilung der Teilkompetenzen des Schreibens. Eigene Bearbeitung.

64 Mehr dazu in Göpferich (2006), Fischbach et al. (2015). 65 Angesichts der hohen Nachfrage nach professioneller Rhetorik gehört die Vermittlung der rhetorischen (Schlüssel-)Kompetenz, zumindest an deutschen Universitäten, zu einem breiten Angebot an zahlreichen Lehrveranstaltungen im Rahmen der überfachlichen Allgemeinen Schlüsselqualifikationen (ASQ) (Grzeszczakowska-Pawlikowska 2019a: 193).

Komponenten der Schreibkompetenz

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Im Rahmen der Schreibkompetenz sind auch jene Teilkompetenzen mit einzubeziehen, die einen direkten Bezug zum potenziellen Adressaten nehmen: – Lese- und Rezeptionskompetenz: Rezeptionskompetenz bedeutet in diesem Kontext verstehen und sich vorstellen können, was man liest. Sie bedeutet aber auch, sich mit gewisser Empathie einzufühlen, Perspektiven zu übernehmen, Standpunkte zu vertreten und nicht zuletzt die Qualität des Textes zu erkennen. Fachliche oder wissenschaftliche Texte werden nicht zur Unterhaltung geschrieben und gelesen, sondern sie verlangen eine kritische Rezeption, die schon auf der Etappe des Schreibens berücksichtigt werden sollte (Kruse et al. 2014: 24). – Reflexionskompetenz: Die Reflexionskompetenz liefert die Grundlage dafür, dass handelnde Subjekte ihr eigenes Denken, Erleben und Handeln in einen begründeten, zielgerichteten und professionell anspruchsvollen sowie persönlich stimmigen Zusammenhang bringen und damit ihre Identität ausbilden (Bade et al. 2018: 6). Speziell die Textroutinen bieten hierzu einen interessanten Ansatz, der als Mittel der Sprachreflexion und des Kompetenztrainings für einzelne Textsorten eingesetzt werden kann (Bauer, Sorger 2016: 34). – Antizipationskompetenz: die Entwicklung von Ich-bezogener Textwahrnehmung zu einem erweiterten, generalisierten Adressatenbezug (Pohl 2014: 114f.). – Kontextualisierungskompetenz: Hiermit ist der Aufbau einer aus sich selbst heraus verständlichen Textwelt durch Kontextualisierung der Inhalte gemeint (Pohl 2014: 114f.). Aus der Prozessperspektive lassen sich folgende Teilkompetenzen innerhalb des Schreibens differenzieren: – Planungskompetenz, verstanden als Textentwicklung: von eigenem Wissen zur differenzierten Nutzung externer Wissensspeicher, z. B. dem Internet oder Lexika. Dazu gehören auch Aspekte der Zeitplanung, der Themenauswahl und -präzisierung sowie die Zielfestlegung (Kruse et al. 2014: 22). – Formulierungskompetenz: Entwicklungsprozess sprachlicher Struktur- und Ausdrucksformen. Die Formulierungskompetenz beruht auf den vorhandenen Fähigkeiten der Sprach- und Sprachhandlungskompetenzen sowie auf dem Informationsvermögen und dem vorhandenen Wissensstand. Während des Formulierungsprozesses werden Entscheidungen über Form und Inhalt getroffen. Somit ist die Formulierung die zentrale Kompetenz für alle didaktischen Aufgaben der sprachlichen Äußerung (Ingendhal 1975: 27ff.). – Überarbeitungskompetenz: von Steinhoff (2007: 66) als Fähigkeit zum Überarbeiten/ Revidieren des eigenen Schreibproduktes, z. B. in Form orthografischer oder stilistischer Korrekturen, beschrieben.

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Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

– Textgestaltungskompetenz: Einsatz von Entwicklungstendenzen von assoziativ-reihender Textgestaltung zu schematisierter oder textsortengestalteter Textordnung (Pohl 2014: 114f.). Die dargestellte Dreiteilung der Teilkompetenzen des Schreibens beweist, dass Schreiben »mehr als die Fähigkeit zum Verfassen von Texten mit konkreter Grammatik und Rechtschreibung« (Kruse et al. 2014: 23) ist. Zu betonen ist, dass diese Kompetenz einen komplexen Prozess der kognitiven Strukturierung und Sprachverarbeitung umfasst, der zur Erstellung eines sach-, genre- und adressatengerechten Textes beiträgt.

2.6

Schreiben im Beruf

Das langjährige Interesse an Schreiben und Schreibforschung resultiert aus dem Untersuchungsgegenstand der Wissenschaft, Texte zu verstehen und Texte zu analysieren, wie es sich in den Disziplinen Geschichte, Philosophie, Rechtswissenschaft und Soziologie deutlich zeigte (Huemer et al. 2021: 9). Darüber hinaus trug die Notwendigkeit, eigene Texte zu schreiben, um unter anderem die Untersuchungsergebnisse zu teilen, dazu bei, dass sich das Schreiben schnell in der Wissenschaftslandschaft etablierte. Mit der Zeit begann nicht nur das Endprodukt des Schreibens (Text) das Interesse zu wecken, sondern auch der Prozess selbst. Seit den 80er-Jahren gewinnt der soziale Kontext im Schreiben immer mehr an Bedeutung, weswegen sich auch die Modellierung der Schreibprozesse in Richtung der individuellen Problemlösung entwickelte (Pogner 1999: 1). Die ersten systematischen Untersuchungen dazu, was Schreibende tun, wenn sie schreiben, bzw. was sie getan haben, wenn ein Schriftstück in fertiger Form vorliegt, gehen auf das Modell der kognitiven Psychologie zurück (vgl. z. B. Hayes und Flower 1980, Bereiter 1980, Molitor 1985, Baurmann, Ludwig 1984, Augst, Faigel 1986). In Polen führten Wysocka (1989) und Iluk (1997) die ersten Untersuchungen zum Schreiben im akademischen Kontext durch. Die intensivierte Erforschung des Themas Schreiben verlief parallel mit der Entstehung sog. erster Schreibzentren (90er-Jahre) in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich, die u. a. Forschungsarbeiten zu interdisziplinärem Schreiben initiierten (Bräuer 2021: 89–93). Dies führte zu einer Individualisierung und stärkeren Reflexivierung der Schreibprozesse, die aus der genaueren Beobachtung der einzelnen Bedürfnisse der Schreibenden resultierte. Die individuell-kognitive Wende trug zur Etablierung der Forschungsrichtung (Schreiben am Arbeitsplatz66) 66 »Die Menschen schreiben meist innerhalb ihres Berufes, aus konkreten Anlässen.« (HäckiBuhofer 1985: 14)

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Schreiben im Beruf

bei. Als Konsequenz wurden die Schreibprozesse mit dem Fokus auf Schreibbedingungen und Schreibkontext sowie Domänen-, Kultur- und Disziplinenspezifik erforscht (Siebert 2005, Jakobs 2008, 2011, 2019, Pogner 1999). Die mit dem veränderten Forschungsschwerpunkt verbundene zunehmende Beliebtheit der Kompetenz des beruflichen Schreibens als Ausbildungs- und Forschungsobjekt ist auf zwei Gründe zurückzuführen: Zum einen war der Grundstein für die Forschungsentwicklung der sich vollziehende Paradigmenwechsel (von einer primär kognitiv orientierten Sicht auf das Schreiben und die Textproduktionsprozesse bis hin zur Entwicklung sozial-interaktionistischer Theorien, die verstärkt in die Schreibprozesse eingebettet sind), zum anderen kommen auch ökonomisch-wirtschaftliche Veränderungen mit dem Übergang zur Produktions- und Informationsgesellschaft zum Tragen, die sich z. B. in den gestiegenen Ansprüchen an die Mitarbeiter im Unternehmen widerspiegeln (Pogner 1999: 89–119).

2.6.1 Definition der beruflichen Schreibkompetenz Schon hinsichtlich der Benennung des Schreibens im beruflichen Kontext besteht eine Kluft zwischen den Wissenschaftlern, die das Phänomen des Schreibens im professionellen Kontext unterschiedlich bezeichnen (Tab. 9). Tab. 9: Unterschiedliche Beschreibungen des Schreibens im beruflichen Kontext. Eigene Bearbeitung. Bezeichnung Schreiben im Beruf

Autor Pogner (1999) – Titel des Buches, Karras (2017) – Titel des Kapitels

Writing at Work berufsbezogene Sprachproduktion

Jakobs (2005: 19) Buhlmann/Fearns (2018: 441)

fachbezogenes Schreiben berufliches Schreiben

Baumann (2014: 272) Jakobs/Lehnen (2008) – Titel des Buches Flos (2008: 61) Perrin (2008: 123)

berufsbezogenes Schreiben domänenspezifische Schreibkompetenz Schreiben am Arbeitsplatz

Jakobs et al. (2005) – Titel des Buches

Die dargestellten Begriffe weisen Unterschiede auf, die vor allem den Bedeutungsumfang betreffen. Domänenspezifische Schreibkompetenz ist ein Begriff,

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Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

der nicht unbedingt Schreiben am Arbeitsplatz bedeuten muss, sondern auch das wissenschaftliche Schreiben umfassen kann. Die von Buhlmann und Fearns (2018: 441) eingesetzte berufsbezogene Sprachproduktion kann auch das Sprechen als zweite produktive Fertigkeit mit einbeziehen. Den in der vorliegenden Veröffentlichung gesetzten Zielen entsprechen die Begriffe berufliches Schreiben, berufsbezogenes Schreiben bzw. Schreiben am Arbeitsplatz, die synonym verwendet werden. Pogner (1999: XVI) geht davon aus, dass das berufliche Schreiben ausschließlich in »entsprechenden konkreten Arbeitszusammenhängen gelernt werden« kann, sodass es angebracht wäre, auch den Terminus des berufsvorbereitenden Schreibens einzuführen, der den Schreiblernprozess außerhalb des typischen Arbeitsplatzes, d. h. an der Universität, darstellen würde. Selbst beim Definieren des Gebietes heben die Wissenschaftler unterschiedliche Aspekte hervor: – Kruse (2010) betont den Umfang und die Vielfalt des Bereiches und die starke berufliche Kontextualisierung: »Berufliches Schreiben ist ein Feld, das mindestens genau so groß und heterogen ist wie das wissenschaftliche Schreiben. Alles Schreiben im Beruf ist in Arbeitszusammenhänge eingebettet und Texte erfüllen dort genau abgezirkelte Funktionen in der beruflichen Kommunikation.« (Kruse 2010: 206) – Pogner (1999) lenkt die Aufmerksamkeit auf die Dynamik des Schreibens: »Schreiben begleitet nicht nur (außersprachliches) Handeln, sondern ist selbst eine Form des Handelns.« (Pogner 1999: XVI) – Buhlmann und Fearns (2018) unterstreichen die pragmatische Seite des Schreibens: »Bei der fachsprachlichen bzw. berufsbezogenen Sprachproduktion geht es in Beruf bzw. Ausbildung um das Erstellen von formal gebundenen Gebrauchstexten, die den Erwerb von Textsortenkenntnissen verlangen.« (Buhlmann, Fearns 2018: 441) – Baumann (2014) weist auf die Zusammenhänge zwischen dem Schreiben am Arbeitsplatz und der Fachkommunikation hin und nennt gleichzeitig eine Reihe von Faktoren, die den Schreibprozess beeinflussen: »Da das fachbezogene Schreiben eine produktive Sprachtätigkeit des Menschen darstellt, wird es zu einer entscheidenden Äußerungsform der in einer fachlichen Kommunikationssituation ablaufenden kognitiven Prozesse« (Baumann 2014: 272), und »Das fachbezogene Schreiben ist ein komplexer kommunikativ-kognitiver Prozess der Sprachproduktion, für den kulturspezifische, soziale, situative, mentale, inhaltlich-gegenständliche, funktionale, textstrukturelle, stilistische, syntaktische und lexikalisch-semantische Faktoren bestimmend sind.« (Baumann 2014: 282)

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Schreiben im Beruf

Aus den zitierten Definitionen kristallisiert sich ein Bild des Schreibens am Arbeitsplatz als interdisziplinär geprägte, stark handlungsorientierte und dynamische Kompetenz heraus, die kognitive berufsbezogene Kommunikationsprozesse ermöglicht. Abb. 27 gibt einen Überblick über die Funktionen des Schreibens am Arbeitsplatz.

Wissensintegrations- und -konstruktionswerkzeug

Interaktions- und Kommunikationsform

Schreibkompetenz am Arbeitsplatz

Lernmedium

Handeln im Fach/ Instrument zum Problemlösen

Abb. 27: Schreiben am Arbeitsplatz als Kompetenz. Eigene Bearbeitung.

2.6.2 Charakteristik des Schreibens am Arbeitsplatz Die meisten Studien belegen, dass sich das berufliche (bzw. das beruflich verlangte) Schreiben auf ausgewählte Domänen konzentriert, z. B. auf die Kommunikation in Unternehmen, in der Wirtschaft und bei Behörden. Da die Schreibprozesse am Arbeitsplatz stark interdisziplinär eingebettet sind, verlangen sie Kenntnisse aus dem Bereich Kommunikationswissenschaft, Soziologie,

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Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Angewandte Sprachwissenschaft, Organisations- und Medienpsychologie, Arbeits-, Informations-, Betriebs- und Medienwissenschaft (Jakobs 2005: 14ff.). Dieses breite Spektrum trägt teilweise auch dazu bei, dass die Interpretation des Schreibens in der einschlägigen Fachliteratur oft nicht klar genug hervorgehoben wird. Wenn das Schreiben nur fokussiert auf den Produktionsprozess oder die Textproduktion betrachtet wird, wird das Thema eingeengt. Deswegen schlägt Jakobs (2005: 17) vor, Schreiben im beruflichen Kontext als »spezifische, schriftlich realisierte Form institutionellen Denkens und Handelns [zu] verstehen«, in der sich unterschiedliche Größen (z. B. Status, Arbeitssituation, Domäne) gegenseitig beeinflussen. Obwohl sich der Textproduktionsprozess intern im Kopf des Schreibers abspielt und das Schreiben in der beruflichen Praxis auch als Ergebnis kooperativer Zusammenarbeit erfolgt, bleiben die externen Kontextebenen nicht ohne Einfluss auf das Endergebnis. Jakobs (2005: 17ff.) unterscheidet fünf Größen, die das berufsbezogene Schreiben am Arbeitsplatz beeinflussen (Abb. 28).

Kulturraum Domäne Organisa#on Arbeitsplatz

Schreiber

Abb. 28: Komponenten des Schreibens am Arbeitsplatz nach Jakobs (2005: 17), leicht modifiziert.

– Personale Größe des Schreibers – zu den internen Eigenschaften des Schreibers gehören Expertise, Schreib- und Sachkompetenz (inklusive Strategierepertoire), Interaktionsbeziehungen zu anderen (mehr zum beruflichen Schreiben im Kontext der Interaktionen in Kapitel 3), soziale, kulturelle,

Schreiben im Beruf









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fachliche Sozialisation, Alter und Geschlecht, Normen, Ziele, Motive, Mobilität, Medienpräferenzen und Mediennutzung. Arbeitsplatz – Der berufsbezogene Schreibprozess wird unmittelbar von der Arbeitssituation und den Bedingungen des Arbeitsplatzes beeinflusst. Zu den weiteren Faktoren zählen die Textproduktionsaufgabe und ihre textuelle und berufliche Einbettung, die Struktur und Organisation von Abläufen, die Interaktion mit anderen (Kollegen, Mitarbeitern, Vorgesetzten, außenstehenden Organisationen), der Adressat, die Teammerkmale (Art, Größe, Struktur, Normen, Kultur), die zur Verfügung stehenden Medien, die Rahmenbedingungen, das Zeit- und Kostenbudget, die Vorgaben (z. B. Mustertexte, Organisation der internen Voraussetzungen und Regeln) sowie die relevanten Textsorten. Organisationale Zusammenhänge – Auf den Inhalt, den Ablauf und das Ergebnis der Textproduktionsprozesse haben u. a. die Größe, Ziele, Struktur, Kultur, Ausrichtung, die verwendeten Führungsstile der Organisation sowie die hergestellten Produkte einen Einfluss. Interessant ist im aktuellen Kontext die Bedeutung von Sicherheitsregelungen (Datenschutz) und der Qualitätssicherung im beruflichen Schreiben. Domäne – Die domänenspezifischen Bedingungen bestimmen die Rolle der Branche oder des Berufsfeldes, für die oder in der die Texte entstehen, im Textproduktionsprozess. Dazu gehören die Vereinbarungen über die Art und Weise der beruflichen Interaktionen. In der Domäne finden sich auch die Diskursgemeinschaften wieder, in denen die Texte entstehen. Kulturraum – Hierbei handelt es sich um einen sozial, kulturell und zeitlich geprägten Raum, aus dem sich spezifische Normen, Anspruchshaltungen und Erwartungen, rechtliche Vorgaben und spezifische Wertesysteme ergeben.

Pogner (1999: XV ff.) definiert zudem folgende charakteristische Merkmale des Schreibens am Arbeitsplatz: – Der Schreibprozess ist gleichzeitig intertextuell, arbeitsteilig (betriebsintern) und interaktiv (berufsintern und -extern) strukturiert. – Die in der Arbeitswelt produzierten Texte zeichnen sich durch einen hohen Gebrauchswert und Präzision aus, denn sie ermöglichen, komplexe Aufgaben auszuführen. – Die Planungs-, Beratungs- und Verhandlungssituation beeinflussen die Vorarbeiten für einzelne Textversionen, für deren Entwürfe sowie ihre Revisionen. Im Endtext ist die Textentstehungsgeschichte zu erkennen. – Die schriftliche und mündliche Kommunikation sowie andere Interaktionsformen bilden am Arbeitsplatz Handlungsketten und Handlungsstränge. – Die Kontexte des Schreibens am Arbeitsplatz sind nicht statisch. Sie sind aufgrund der Notwendigkeit der Informationsbeschaffung, der fortschrei-

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Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

tenden Festlegung, der Entscheidungs- und Planungsprozesse sowie der begleitenden Interaktionen ständigen Veränderungsprozessen unterworfen. – Da das berufliche Schreiben situatives Wissen und Können voraussetzt und dabei noch von anderen Kontexten als dem schulischen und universitären Schreiben geprägt wird, sollte die Fremdsprachendidaktik für das Schreiben am Arbeitsplatz handlungsorientiert und möglichst realitätsnah sein, um sich dem Ziel des Schreibens im Lehr-/ Lern-Kontext unter authentischen Arbeitsbedingungen anzunähern.

2.7

Berufsvorbereitendes Schreiben als Kompetenz im tertiären Bereich – zwischen Universität und Berufswelt

Ausgehend von der Ontogenese des Schreibens ergibt sich, dass die Schreibkompetenz eine Fertigkeit ist, die vermittelt werden kann (Dürscheid 2002: 40), und zwar im institutionalisierten Rahmen. Darüber hinaus spielt der universitäre Bereich eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Schreibfähigkeit für den künftigen Arbeitseinsatz. Text-/Schreibkompetenzen gehören zu den Schlüsselkompetenzen für den Bildungs- und Berufserfolg in der modernen Welt (Decker 2016, Decker, Siebert-Ott 2018b). Zudem stellen sie eine Kernkompetenz des beruflichen Handelns dar, was sie zur wesentlichen Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben macht (Jakobs, Lehnen 2008, Becker-Mrotzek, Roth 2017). Aus diesen Gründen besteht ein Bedarf zur Entwicklung dieser komplexen Kompetenzen in der Hochschulbildung – insbesondere vor dem Hintergrund, dass Studenten häufig nicht a priori über die erforderlichen Text-/Schreibkompetenzen verfügen und vor allem bei Ausdrucks- und Konstruktionsmustern zum Teil auf große Schwierigkeiten stoßen (vgl. z. B. Feilke 2002, Ehlich, Graefen 2001). Die kontinuierliche Verbesserung von Studium und Lehre gehört zu den Hauptzielen der Hochschulbildung im gemeinsamen europäischen Hochschulraum. Diese Ziele entsprechen der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung eines europäischen Qualifikationssystems. Dazu wurden die sogenannten Lernergebnisse zusammengefasst, die »als Aussagen darüber, was ein Lernender nach Abschluss eines Lernprozesses weiß, versteht und in der Lage ist, zu tun/ vorzuführen« (HRK 2015: 2)67, zu verstehen sind.

67 HRK: Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ist der freiwillige Zusammenschluss der staatlichen und staatlich anerkannten Hochschulen in Deutschland. Hochschulrektorenkonferenz: https://www.hrk.de, 12. 08. 2021.

Berufsvorbereitendes Schreiben als Kompetenz im tertiären Bereich

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Lernergebnisse nehmen die Perspektive auf das Lernen bzw. das Gelernte ein und erlauben daher zum einen, deutlich zu machen, was von den Lernenden in Bezug auf das Lernen erwartet wird; zum anderen zeigen sie die Verbindung zwischen dem Lernen und den Beurteilungskriterien für dieses Lernen auf (Moon 2002: 53). Die Lernergebnisse dienen nicht nur als Darstellung der Vergleichbarkeit und somit der Anerkennung, sie erleichtern auch den Transfer von Leistungen, da sie die Überprüfbarkeit von kommunikativen Kompetenzen ermöglichen. Sie stellen die lernende Person in den Mittelpunkt und zeigen Lernfortschritte und Kompetenzzugewinne auf, wodurch sie neue Möglichkeiten zur Gestaltung von studierendenzentrierten Lehr-Lern-Formaten und Studienangeboten schaffen (Cendon 2011). Die im weiteren Verlauf präsentierte Analyse der Lernergebnisse des Bachelor- und Masterstudiengangs (am Beispiel der Lernergebnisbeschreibung für die philologischen Studiengänge an der Adam-Mickiewicz-Universität in Poznan´) setzt sich zum Ziel, den Bezug zur Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens zu eruieren und dadurch ihre Bedeutung im Studienlehrprogramm sowie die vorausgesetzten Schreibkompetenzen, die die Studierenden entwickeln sollten, festzustellen. Die von der Autorin dieser Arbeit durchgeführte Analyse stützt sich auf folgende Dokumente: 1. Bachelorstudiengang – Gesetz vom 22. Dezember 2015 über das Integrierte Qualifikationssystem (Gesetzblatt der Republik Polen von 2016, Punkt 64 und 1010)68 2. Masterstudiengang – Verordnung des Ministers für Wissenschaft und Hochschulbildung vom 14. November 2018 über die Merkmale der Lernergebnisse für Qualifikationen im polnischen Qualifikationsrahmen (Gesetzblatt der Republik Polen von 2018, 2218)69

68 Ustawa z dnia 22 grudnia 2015 r. o Zintegrowanym Systemie Kwalifikacji (Dz. U. z 2016 r. poz. 64, 1010), http://isap.sejm.gov.pl/isap.nsf/DocDetails.xsp?id=wdu20160000064, 12. 08. 2021. 69 Rozporza˛dzenie Ministra Nauki i Szkolnictwa Wyz˙szego z dnia 14 listopada 2018 r. w sprawie charakterystyk drugiego efektów uczenia sie˛ dla kwalifikacji na poziomach 6–8 Polskiej Ramy Kwalifikacji (Dz. U z 2018 r. poz. 2218), http://prawo.sejm.gov.pl/isap.nsf/download.xsp/W DU20180002218/O/D20182218.pdf, 12. 08. 2021.

102

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

Tab. 10: Berufsvorbereitende Schreibvermittlung in den philologischen Studiengängen am Beispiel des Bachelorstudiengangs Angewandte Linguistik an der Adam-MickiewiczUniversität. Eigene Bearbeitung. Symbol70 Beschreibung

Bezug auf berufsvorbereitende Schreibvermittlung und -entwicklung. Eigene Interpretation

Wissen: Der Absolvent weiß/beherrscht K_W08 K_W10

eine komplexe Natur der Sprache und Entwicklung der Schreibkompetenz der sprachlichen Kommunikation als schriftliche Form der Kommunikation grundlegende Begriffe und Regeln Kenntnis und Einsatz u. a. des Dazum Schutz des industriellen Eigen- tenschutzgesetzes in Bezug auf den tumsrechts und Urheberrechts schriftlichen Verkehr im Unternehmen und außerhalb dessen

Fähigkeiten: Der Absolvent kann K_U01 die erste Fremdsprache des Studien- Das Schreiben gehört zu den Fertigganges (Spezialisierung) gemäß den keiten im GER (Genaueres dazu in Anforderungen für das Niveau B2 des Kap. 3) GER und die zweite Fremdsprache des Studienganges (Spezialisierung) gemäß den Anforderungen für das Niveau von mindestens B1 des GER anwenden K_U02

K_U03

die dritte Fremdsprache des Studienganges (Spezialisierung) gemäß den Anforderungen für das Niveau von mindestens B1 des GER anwenden selbstständig das Fachwissen unter innovativer Anwendung traditioneller und multimedialer Informationsquellen (insbesondere Lexika, Wörterbücher und Sprachkorpora), die in den Sprachen der gewählten Fachrichtung / Spezialisierung und in Polnisch verfügbar sind, anwenden

Das Schreiben gehört zu den Fertigkeiten im GER (Genaueres dazu in Kap. 3) Entwicklung des zielorientierten Umgangs mit und des Einsatzes von Wörterbüchern und Sprachkorpora bei der schriftlichen Produktion

70 Aus dem Gesetz vom 22. Dezember 2015 über das Integrierte Qualifikationssystem (Gesetzblatt der RP von 2016, Punkt 64 und 1010) Ustawa z dnia 22 grudnia 2015 r. o Zintegrowanym Systemie Kwalifikacji (Dz. U. z 2016 r. poz. 64, 1010). http://isap.sejm.gov.pl/isap.n sf/DocDetails.xsp?id=wdu20160000064, 12. 08. 2021.

Berufsvorbereitendes Schreiben als Kompetenz im tertiären Bereich

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(Fortsetzung) Symbol70 Beschreibung K_U04

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Bezug auf berufsvorbereitende Schreibvermittlung und -entwicklung. Eigene Interpretation das erworbene Wissen auf innovative Präzision im Ausdruck berufsbezoWeise anwenden, um komplexe und gener Inhalte, Formulierung der ungewöhnliche Probleme zu formu- Stellungnahme lieren und zu analysieren sowie die getroffene Auswahl in Bezug auf berufliche Tätigkeiten entsprechend der gewählten Spezialisierung und unter bestimmten Bedingungen, die nicht vollständig vorhersehbar sind, zu rechtfertigen Entwicklung des zielorientierten Sprach- und KommunikationsproUmgangs mit und des Einsatzes von zesse, soziokulturelle Prozesse und Prozesse in der Mensch-Computer- Computerprogrammen bei der Beziehung auf der Grundlage des er- schriftlichen Produktion worbenen Wissens und unter Verwendung von Standardmethoden und -werkzeugen, die in der Sprachforschung verwendet werden, in Bezug auf die gewählte Spezialisierung erkennen, analysieren und bewerten schriftliche und mündliche Stellung- Entsprechender und situationsangenahmen in polnischer Sprache und in messener Einsatz von Fachterminoden Sprachen des gewählten Fachge- logie bei der Erstellung berufsbezobietes / Spezialgebietes unter Vergener Fachtexte wendung professioneller Terminologie und moderner Forschungsmethoden und -instrumente erstellen und analysieren die Schlussfolgerungen in den Sprachen des gewählten Fachgebietes bzw. der gewählten Spezialisierung und in polnischer Sprache unter Bezugnahme auf die Ansichten anderer Autoren auf dem Gebiet der Sprachtheorien und der angewandten Sprachwissenschaft erläutern und formulieren mit anderen Fachleuten in den Sprachen des gewählten Fachgebietes / Spezialgebietes und in polnischer Sprache mit traditionellen und multimedialen Kommunikationsmitteln kommunizieren

Verstehen der Dokumente im beruflichen Schriftverkehr und Reaktion darauf

Interaktion mit anderen Teilnehmern des berufsbezogenen Schriftverkehrs am Arbeitsplatz

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Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

(Fortsetzung) Symbol70 Beschreibung K_U12

eigenes lebenslanges Lernen und, falls erforderlich, auch die Entwicklung anderer Menschen planen und implementieren Sozialkompetenzen: Der Absolvent ist fähig, K_K01 kritisch die Kenntnisse und Fähigkeiten anzuwenden, die er/sie besitzt, und zur ständigen Aktualisierung im Rahmen des Berufslebens beizutragen, einschließlich der Anerkennung der Bedeutung des Wissens für die Lösung kognitiver und praktischer Probleme und zur Beratung von Experten bei Schwierigkeiten hinsichtlich der Lösung eines Problems K_K02

K_K03

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Bezug auf berufsvorbereitende Schreibvermittlung und -entwicklung. Eigene Interpretation Die Selbstentwicklung bezieht sich auch auf die Schreibkompetenz

Verstehen und Suche nach Möglichkeiten zur ständigen (lebenslangen) Schreibkompetenzentwicklung, sowohl am zukünftigen Arbeitsplatz als auch außerhalb dessen

verantwortungsbewusst die Möglichkeiten und Grenzen zu erkennen, die sich aus den erworbenen Kompetenzen und beruflichen Rollen ergeben verantwortungsbewusst berufliche Rollen wahrzunehmen, einschließlich der Einhaltung der Grundsätze der Berufsethik, der Anforderungen anderer sowie der Pflege des Erbes und der Tradition von Berufen in der angewandten Sprachwissenschaft

Gezielter adressaten- und situationsgerechter Einsatz von berufsbezogener Schreibkompetenz

ethische Fragen im Zusammenhang mit der Verantwortung für die Zuverlässigkeit des übertragenen Wissens und die Achtung des geistigen Eigentums zu verstehen soziale Verpflichtungen zu erfüllen, Aktivitäten für das soziale Umfeld mit zu organisieren, Aktionen im öffentlichen Interesse zu initiieren, unternehmerisch zu denken und zu handeln

Verständnis und Einsatz von Datenund intellektuellem Eigentumsschutz in Bezug auf die schriftlichen Unterlagen im beruflichen Schriftverkehr

Gezielter adressaten- und situationsgerechter Einsatz von berufsbezogener Schreibkompetenz

Fähigkeit des klaren und zielorientierten Ausdrucks von berufsbezogenen Inhalten

Berufsvorbereitendes Schreiben als Kompetenz im tertiären Bereich

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Tab. 11: Berufsvorbereitende Schreibvermittlung in den philologischen Studiengängen am Beispiel des Masterstudiengangs Angewandte Linguistik an der Adam-Mickiewicz-Universität. Eigene Bearbeitung. Symbol71 Beschreibung

Bezug auf berufsbezogene Schreibvermittlung und -entwicklung. Eigene Interpretation.

Wissen: Der Absolvent weiß

K_W06

K_W09

wodurch sich der Umfang und die Veränderlichkeit von Sprache und Sprachkommunikation, die Vielfalt von Sprachen und Kulturen, die Spezifität der interkulturellen Kommunikation und die damit verbundenen Kommunikationsprobleme charakterisieren Grundbegriffe und Prinzipien des Urheberrechts und von der Notwendigkeit, geistige Eigentumsressourcen zu schützen, Prinzipien der Arbeitsethik mit Sprachressourcen

Fähigkeiten: Der Absolvent kann die spezialisierte Terminologie auf dem Gebiet der Linguistik in polniK_U01 scher und einer fremden Sprache anwenden, die für ein bestimmtes Fach / Spezialgebiet spezifisch ist

K_U02

K_U03

über verschiedene Kommunikationskanäle und -techniken auch in Form einer Debatte mit Fachleuten auf dem Gebiet der Linguistik und Kommunikation über Fachthemen mit unterschiedlichem Publikum kommunizieren die erste Fremdsprache des Studienganges (Spezialisierung) gemäß den Anforderungen für das Niveau B2 des GER und die zweite Fremdsprache des Studienganges (Spezialisierung) gemäß den Anforderungen für das Niveau von mindestens C2 des GER anwenden

Erkennen von berufsbezogenen Textsorten und ihrer Spezifik sowie ihr richtiger Einsatz in der Unternehmenswirklichkeit

Verstehen und Kenntnis von Eigentums- und Autorenrechten

Zielorientierter und präziser Einsatz von Fachtermini und Fachstrukturen im berufsbezogenen Schriftverkehr Einsatz von modernen Kommunikationstechnologien im berufsbezogenen Schriftverkehr

Das Schreiben gehört zu den Fertigkeiten im GER (Genaueres dazu in Kap. 3)

71 Verordnung des Ministers für Wissenschaft und Hochschulbildung vom 14. November 2018 über die Merkmale der Lernergebnisse für Qualifikationen im polnischen Qualifikationsrahmen (Gesetzblatt der RP von 2018, 2218), http://isap.sejm.gov.pl/isap.nsf/DocDetails.xsp? id=wdu20160000064, 12. 08. 2021.

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Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

(Fortsetzung) Symbol71 Beschreibung

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die dritte Fremdsprache des Studienganges (Spezialisierung) gemäß den Anforderungen für das Niveau von mindestens B1 des GER anwenden Informationen aus unterschiedlichen, sowohl geschriebenen als auch gesprochenen, Quellen aussuchen, analysieren und beurteilen kritisch die Ansicht anderer Autoren analysieren, die Arbeiten anderer Autoren synthetisieren, die Forschungsergebnisse bearbeiten

Bezug auf berufsbezogene Schreibvermittlung und -entwicklung. Eigene Interpretation. Das Schreiben gehört zu den Fertigkeiten im GER (Genaueres dazu in Kap. 3) Fähigkeit der zielorientierten Recherche und Suche nach notwendigen Informationen sowie ihrer Zusammenfassung Fähigkeit der synthetischen Zusammenfassung der Informationen (z. B. beim Protokollieren)

Zusammenarbeit bei der Zusamim Team arbeiten und die Arbeit des menstellung berufsbezogener UnterTeams verwalten lagen das eigene lebenslange Lernen planen Die Selbstentwicklung bezieht sich und implementieren, die erworbenen auch auf die Schreibkompetenz Fähigkeiten verbessern und sich an anderen in diesem Bereich orientieren

Einsatz des berufsbezogenen SchreiSpezialisierung der vorhandenen bens im Kontext der zukünftigen sprachlichen Kompetenzen einsetzen Karriere eines Philologen Sozialkompetenzen: Der Absolvent ist bereit,

K_U12

K_K01

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die Bedeutung von Sprache und Sprachkenntnissen bei der Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der zwischenmenschlichen Kommunikation anzuerkennen angemessene berufliche Kompetenzen zu entwickeln, verantwortungsbewusst und kreativ berufsbezogene, soziale Rollen wahrzunehmen

Einsatz der schriftlichen Form im beruflichen Bereich zum präzisen Ausdruck der Inhalte und zum Behalten von Informationen Direkter Hinweis auf die Entwicklung berufsbezogener Kompetenzen, zu denen auch das Schreiben gehört

Durch die dargestellten Einblicke in die Lernergebnisse der philologischen Studiengänge bei der Vermittlung der berufsbezogenen Schreibkompetenz kann festgehalten werden, dass zur Idee der Kompetenzorientierung im bildungswissenschaftlichen Bereich die Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens gehört. Verschiedene Aspekte der Entwicklung der Schreibkompetenz sind im Rahmen einzelner Kategorien – Wissen, Fähigkeit sowie Sozialkompetenz – zu erkennen, angefangen mit den typisch technischen Elementen des Schreibens,

Zusammenfassung

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wie dem Umgang mit dem Computer oder mit Papier- und Onlinewörterbüchern, über das Erkennen von unterschiedlichen Textsorten mit ihren spezifischen Merkmalen bis hin zum zielorientierten Einsatz fachspezifischer Terminologie. Zu betonen ist auch eine transparente Berufsorientierung der Philologie, vor allem in der Masteretappe, in der sich die sich ändernde Spezifik der Karrierewege der Absolventen der Philologien darstellt (von den traditionellen philologischen Berufen – Lehrer oder Übersetzer – zu neuen Arbeitsformen – Sprachassistenz, Sprachvermittler, Marketingexperten etc.). Der Paradigmenwechsel vom Wissen zur Kompetenzorientierung, der in den präsentierten Lernergebnissen sichtbar wird, zeigt implizit das Potenzial der Schreibvermittlung als Lernform und als Ziel des Lernens selbst, das in Form eines Modells ausgedrückt werden kann (mehr dazu in Kapitel 8).

2.8

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wurde das berufliche Schreiben als Kompetenz diskutiert. Unter dem Begriff Schreibkompetenz wird mehr als die Fähigkeit der Produktion eines Textes unter Berücksichtigung der grammatischen Normen verstanden, nämlich eine Reihe von zusätzlichen Faktoren (wie Adressatenangemessenheit, Textsortenspezifik), die den Schreibprozess prägen. Darüber hinaus ist die Schreibkompetenz eine Fähigkeit, selbstständig die entsprechenden Schreibstrategien und Schreibtechniken zu entwickeln und das eigene kognitive (motivationale, affektive) System zu regulieren und der neuen Situation anzupassen. Diese Einstellung zum Schreiben ist entscheidend bei der Situierung der Kompetenz zwischen der universitären und der beruflichen Realität. Zum einen wurde die Schreibkompetenz als Schlüsselkompetenz für den Bildungs- und Berufserfolg in der modernen Welt beschreibt. Darauf aufbauend wurde am Beispiel der philologischen Studiengänge festgestellt, welche Elemente des beruflichen Schreibens anhand der schon vorliegenden Beschreibungen von Lernerergebnissen geübt werden können. Zum anderen galt das besondere Augenmerk dieses Kapitels dem beruflichen Schreiben, seiner definitorischen Präzisierung und Charakteristik. Am Arbeitsplatz werden dem Schreiben zahlreiche Rollen beigemessen, die auch mit seiner zunehmenden Bedeutung im professionellen Bereich verbunden sind: die der Interaktions- und Kommunikationsform, als Problemlösungsinstrument, als Lernmedium und als Werkzeug zur Wissensintegration. Im Hinblick auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes und deren Einfluss auf die Situation in der universitären Bildung wurde der Begriff des berufsvorbereitenden Schreibens als ein die Lücke zwischen der universitären und beruflichen Wirklichkeit ausfüllendes Element vorgeschlagen,

108

Schreiben als Schlüsselkompetenz zwischen Bildung und Beruf

was auch die Begründung dafür darstellt, warum das berufliche Schreiben im Rahmen der universitären Ausbildung geschult werden sollte.

3.

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens im Fachsprachenunterricht aus didaktisch-methodologischer Perspektive

Das Schreiben wurde im vorhergehenden Kapitel als Kompetenz beschrieben, die in Anlehnung an die Situation und die Erwartungen des Arbeitsmarktes entwickelt werden sollte. Immer häufiger stellt das Schreiben die Basis für jede Berufsausübung dar, regt kognitive Prozesse an und hilft dabei, das Wissen zu erweitern und zu vertiefen. Vor diesem Hintergrund sollten auch bei der Vermittlung der Schreibkompetenz die unterschiedlichen Perspektiven, die ihre Funktion und ihre charakteristischen Merkmale in der beruflichen Umgebung widerspiegeln, berücksichtigt werden (vgl. Kap. 2.6.1 und Kap. 2.6.2). In diesem Kapitel wird das Schreiben als Interaktionsform am Arbeitsplatz und hinsichtlich der daraus resultierenden didaktischen Konsequenzen (Kap. 3.1) besprochen. Des Weiteren werden die Interaktionsformen im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht (Kap. 3.2) als möglicher Anschlusspunkt und Übungsraum für die in der schriftlichen Unternehmenskommunikation vorkommenden Abläufe thematisiert. Im Anschluss wird das berufliche Schreiben als Mittel zur Wissensintegration und -konstruktion anhand des Drei-Phasen-Modells dargestellt, darauf aufbauend werden didaktische Konsequenzen für den berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht diskutiert (Kap. 3.3). Darüber hinaus werden die Funktionen und Eigenschaften des Schreibens als Lernprozess und -medium näher erläutert (Kap. 3.4). In Kapitel 3.5 werden drei Modelle des fremdsprachlichen Schreibens kritisch analysiert, die dem in Kapitel 8 entwickelten Modell zugrunde liegen.

3.1

Schriftliche Interaktionen im Unternehmen

An der Berufskommunikation nehmen Akteure teil, die in unterschiedliche Kommunikationssituationen mit einbezogen werden und handelnd im beruflichen Bereich ihre Rolle wechseln. Ständiges Agieren und Reagieren finden in metaphorischen Kommunikationsräumen statt, in denen räumlich und zeitlich strukturierte Kommunikationsereignisse entstehen. Diese Kommunikations-

110

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

räume visualisieren die kommunikativen Vorgänge im Unternehmen, im Mikrobereich dargestellt (Rothkegel 2010: 77–80). In der Arbeitswelt werden öffentliche bzw. organisationsinterne öffentliche Räume von privaten Kommunikationsräumen unterschieden. Der privaten interpersonalen Kommunikation steht die organisationsgebundene Kommunikation gegenüber. Abb. 29 zeigt die Interaktionen im Unternehmen im Makrobereich.

Organisationsintern öffentlich

Know-HowKommunikation

I

intern

III

Akteure

extern ImageKommunikation

II

Produktorientierung (Produktlebenszyklus)

Management (Corporate Identity)

IV ArbeitsplatzKommunikation

ExpertenNichtexpertenKommunikation öffentlich

Abb. 29: Kommunikation in der Arbeitswelt nach Rothkegel (2010: 10).

Im Zentrum des ersten Bereichs stehen die Mitarbeiter, mit denen interne und externe Kommunikationssituationen entstehen, die zu gegenseitigen Interaktionen führen. Quer dazu befinden sich thematische Bezüge, die durch die interne und externe Produktorientierung und den Managementbezug determiniert werden. Das Produkt selbst (das aus der Kommunikation entsteht, dokumentiert in Form von Texten, wie z. B. Lastenheft, Pflichtenheft, Konstruktionsunterlagen, Entwicklungsdokumentation, Fertigungsanweisungen, Werkstatthandbü-

Schriftliche Interaktionen im Unternehmen

111

cher) befindet sich im Hintergrund. Im Vordergrund stehen dagegen die vier Perspektiven der Arbeits-, Know-how-, Image- und Experten- und Nicht-Expertenkommunikation, die auch bei der Kombination der Achsen intern und extern Bezug auf den Produktlebenszyklus und die Corporate Identity nehmen. Die Kommunikation ist in erster Linie durch das Erfahrungswissen der Experten, das Know-how, geprägt. Im zweiten Bereich richtet sich die Kommunikation nach außen, ist stark kunden- oder publikumsorientiert, weswegen sich die Wissenshorizonte verschieben. Die Orientierung bezieht sich auf die Nutzung, das Marketing, die Präsentation von Exponaten oder die öffentliche Diskussion technischer Themen. Neben den Experten erscheinen in der Kommunikation auch Nicht-Experten. Beide Gruppen lassen sich aufeinander ein, was zur Entstehung einer Experten-Nicht-Expertenkommunikation beiträgt. Das Ergebnis davon ist in Dokumentationen, Produktinformationen für Ausstellungen, Messen und Museen sowie in Präsentationen in Medien und Webauftritten zu finden (Rothkegel 2010: 111). Nicht nur das Produkt wirkt nach außen, sondern auch die Organisation selbst. Zur Kommunikation in Organisationen und generell zu ihrer gesellschaftlichen Einbindung gibt es einerseits gesetzlich geregelte Verpflichtungen zum Öffentlich-Machen des Geschäftsverlaufs, andererseits besteht ein organisationseigenes Interesse am Selbstbild und an der Selbstdarstellung. Neben dem vorgeschriebenen jährlichen Geschäftsbericht veröffentlichen die Organisationen weitere Berichte, die vor allem der Image-Arbeit dienen. Dies geschieht durch die Konstruktion oder Stabilisierung einer Corporate Identity, die das Management der Organisation entscheidend prägt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Unternehmenskommunikation sowohl im Mikrobereich (intern) als auch im Makrobereich (extern) von einer Reihe von Faktoren beeinflusst wird, die das Endergebnis der schriftlichen Kommunikation prägen. Deswegen sollten sie auch bei der Entwicklung der berufsbezogenen Schreibkompetenz berücksichtigt werden. Die berufliche Kommunikation determiniert die Faktoren und ihre Konsequenzen für den berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht. Der Hinweis auf unterschiedliche Komponenten und Akteure der professionellen schriftlichen Kommunikation ist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung eines schreiborientierten Curriculums im beruflichen Kontext. Die einzelnen Elemente der Sprache (z. B. Grammatik, Wortschatz, interkulturelle Inhalte) können nicht isoliert gelehrt und gelernt werden, sondern nur als Teil des Ganzen in Bezug auf eine bestimmte berufsbezogene Kommunikationssituation und unter Berücksichtigung der Kontexte (Bolten 1992b: 274). Die Interaktionen im beruflichen Kontext haben einen komplexen Charakter, was sich auch unter anderem in der Bandbreite der Einflussfaktoren wider-

112

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

spiegelt. Die angesprochenen Determinanten können in vier Gruppen eingeteilt werden: in textspezifische, kulturspezifische, soziale und kognitive Faktoren (vgl. Abb. 30).

textspezifische Faktoren

kulturspezifische Faktoren

(schriftliche) Unternehmenskommunikation

soziale Faktoren

kognitive Faktoren

Abb. 30: Faktoren, die die schriftliche Kommunikation am Arbeitsplatz beeinflussen. Eigene Bearbeitung.

Kulturspezifische Faktoren Die kulturspezifischen Faktoren stellen eine umfangreiche Kategorie dar, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet und als »mentale Programmierung« bezeichnet wird (Buhlmann, Fearns 2018: 180–211, Hofstede 1993: 80–9072). Auch Grucza (2010b: 43) weist auf die intrakulturellen (Eigenschaften in verschiedenen Fachgemeinschaften innerhalb der jeweiligen Ethnogemeinschaft als ähnliche vs. unterschiedliche Kommunikationsstile und Interaktionsmuster) und die interkulturellen (Eigenschaften in den parallelen Fachgemeinschaften) Dimensionen der Fachkommunikation hin. Buhlmann und Fearns (2018: 180–211) zählen zu den kulturspezifischen Faktoren die folgenden: – Religion und Geschichte (z. B. Wertesysteme in verschiedenen Ländern) 72 Mehr dazu auch unter https://www.hofstede-insights.com/product/compare-countries/, 12. 11. 2019.

Schriftliche Interaktionen im Unternehmen

113

– Raum und Zeit (der Raum bezieht sich weniger auf das Geschriebene, aber die Zeit ist ein Element, das im Schriftverkehr bedeutend sein kann; Zeit als lineares Phänomen in westlichen Kulturen und als Zirkulation in asiatischen Kulturen) – Machtdistanz (beeinflusst u. a. das Formalitätsniveau des Geschriebenen) – Individualismus vs. Kollektivismus – Maskulinität und Femininität (Unterschiede in der Darstellung, z. B. des Lebenslaufs) – Unsicherheitsvermeidung. Mit einer umfangreichen kommunikativ-kontrastiven Fachtextsortenanalyse, durchgeführt von Baumann (1992, 1995a), wurde festgestellt, dass kulturelle Konventionen alle Bereiche der Fachtextproduktion beeinflussen. Dabei sind vor allem die nichtäquivalenten Fachtextmerkmale stark kulturell gebunden (Baumann 1992: 160–170, Szwed 2015: 281), weswegen das kulturelle Wissen von den Kommunikationspartnern berücksichtigt werden sollte (vgl. Beschreibung der Modellprinzipien, darunter Sensibilisierung für Kulturunterschiede in Kap. 8.3.5). Gladitz (2008) weist auf die kulturspezifische Ebene der Fachtexte hin, die »den Weg für verschiedene, gegebenenfalls auch widersprüchliche Textdeutungen« (Gladitz 2008: 83) eröffnet. Vor diesem Hintergrund sollten den Lernenden die kulturspezifischen Aspekte der Fachtextproduktion im Fremdsprachenunterricht nähergebracht werden (Baumann 2014: 280), vor allem durch die praktische Auseinandersetzung mit diesen beim Schreiben am Arbeitsplatz, die auch in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt wurde (vgl. Kap. 5). Zhao (2002: 118) betont in ihrem didaktischen Modell, dass die interkulturellen Aspekte der Fachkommunikation nicht nur durch Präsentation gelehrt, sondern mit Elementen des Trainings angeboten werden sollten. Dieser Empfehlung wurde von der Autorin der vorliegenden Arbeit bei der Modellentwicklung gefolgt (vgl. Kap. 8.3.5 und 8.4). Zahlreiche polnische komparative Untersuchungen73 beweisen die Signifikanz des Bereichs und stellen gleichzeitig einen Eckstein für die didaktischen und methodologischen Überlegungen dar. Selten werden jedoch linguistische Analysen mit konkreten didaktischen Hinweisen für das Schreiben im berufsbezogenen Bereich verbunden. Umso wichtiger sind die Veröffentlichungen von Szerszen´ (2016) und Zaja˛c (2013), die Auseinandersetzung mit den interkulturellen Unterschieden in Bezug auf das Schreiben in internationalen Projektteams 73 Berdychowska (2006, 2010), Bilut-Homplewicz (2004, 2008), Bilut-Homplewicz, Krauz (2017), Biłas-Pleszak, Sujkowska-Sobisz (2009), Czachur (2007a, 2007b), Duszak (1998), Grucza (2006), Iluk (1992), Kubaszczyk (2016), Schatte (2002), Smykała (2003, 2005), Sobstyl (1997, 2002).

114

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

in Korporationen (Zajac 2013), die Darstellung der Produktion wirtschaftlicher Texte (Szerszen´ 2016). Soziale Faktoren Jeder Prozess der Kommunikation kann als »ein soziales Geschehen« (Schubert 2009: 111) klassifiziert werden. Man kommuniziert zu einem bestimmten Zweck und Inhalt, setzt jedoch gleichzeitig unbewusst »innere Funktionsmechanismen und Gesetzmäßigkeiten« (Schubert 2009: 111) ein. Des Weiteren betont Schubert den sozialen Charakter der berufsbezogenen Kommunikation, die zielgerichtete, informative, mit optimierten Kommunikationsmitteln ausgeführte, einsprachige und mehrsprachige, mündliche und schriftliche Kommunikationshandlungen fachlichen Inhalts umfasst, die von Menschen in Ausübung ihrer beruflichen Aufgaben ausgeführt werden (Schubert 2007: 210). Die Aspekte und Bedingungen, die sich in der (Fach- und Berufs-)Kommunikation durch die Kommunikationspartner in der konkreten Kommunikationssituation ergeben, gelten als Determinanten der sozialen Rolle74 (Rolek 2014: 217). Baumann (1996: 370) klassifiziert dabei: – Bedürfnisse, die auf das Objekt bzw. Ziel der Fachkommunikation hindeuten, – Bedürfnisse, die auf das Interesse des Textproduzenten gerichtet sind, – Bedürfnisse, die am Interesse des Textrezipienten orientiert sind. In jeder Gesellschaft bzw. Berufsgruppe spiegeln sich die sozialen Erwartungen in konkreten sprachlichen Realisierungsmöglichkeiten wider, die in bestimmten Kommunikationssituationen eingesetzt werden (vgl. Einbezug der angesprochenen Elemente im entwickelten Modell in Kap. 8.3.1). Daher werden die sozialen Rollen kollektiv normiert, aber individuell realisiert, was bedeutet, dass das Ziel der fachsprachenbezogenen Analysen der sozialen Determinanten in Fachtexten darin besteht, das Repertoire der realisierten sprachlichen Muster, die zur Erfüllung der sozialen Rollen eingesetzt werden, anzuwenden. Die Bezugsgruppe beeinflusst stark den Kommunikationsprozess, indem sie die sprachlichen Handlungen des Individuums anerkennt oder sanktioniert (Rolek 2014: 217–218). Dies bezieht sich auch auf den Textproduzenten mit seinen Zielen, Fähigkeiten und Annahmen und den Adressaten mit dessen Erwartungen, Fähigkeiten und Annahmen (vgl. Beschreibung der Modellprinzipien in Kap. 8.3).

74 Verstanden als »ein Bündel normativer Verhaltenserwartungen, die von einer Bezugsgruppe oder mehreren Bezugsgruppen an Inhaber bestimmter sozialer Positionen herangetragen werden« (Peuckert 2010: 263).

Schriftliche Interaktionen im Unternehmen

115

»Hinzu kommt, dass die Genese von Texten selbst ein komplexer Prozess ist, an dem auch mehrere Personen beteiligt sind, die von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen, unterschiedliche Intentionen, ja bisweilen sogar sich widersprüchliche Zielsetzungen realisieren wollen.« (Heringer 2007: 65)

Das wichtigste Ziel ist somit, »[…] die adäquate Umsetzung der sozialen Determinante(n) im Prozess der Kommunikation zu sichern« (Baumann 1996: 370). Dies kann erst durch das Erkennen und Klassifizieren erfolgen. In Anbetracht dieser Tatsache kann festgestellt werden, dass bei der Entwicklung der berufsbezogenen fremdsprachlichen Schreibkompetenz im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht auch die individuellen Bedürfnisse des Textproduzenten und des Textrezipienten berücksichtigt werden sollten, da das Schreiben in der authentischen Umgebung nicht in Isolation stattfindet, sondern Teil einer Kommunikationssituation ist, in die auch andere Teilnehmer mit einbezogen werden. Vor allem wird dadurch die Rolle einzelner Elemente und Teilnehmer des Schreibprozesses hervorgehoben, wie die des Adressaten, des Mediums, des Ziels und des Anlasses der Kommunikation. Neben den dargestellten Faktoren, die den Schriftverkehr im Unternehmen beeinflussen, wie Wissen, Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit, stehen auch das Prestige und die Sicherheit im Vordergrund, die vor allem das Verhältnis zwischen einzelnen Kommunikationsteilnehmern aufzeigen (Rothkegel 2010: 76). Die fremdsprachliche Schreibentwicklung zu beruflichen Zwecken sollte somit den Lernenden ermöglichen, Schreiben bewusst als ein Kommunikationsmedium anzuwenden, das auf der Beherrschung der Sprachnormen und dem Verhältnis zur (auch beruflichen) Umwelt basiert (Kosevski Puljic´ 2009: 92, Pawłowska 2012: 72, vgl. auch Modellprinzipienbeschreibung in Kap. 8.3.1 und 8.3.2). Kognitive Faktoren Zu dieser Kategorie zählen die Kommunikationsteilnehmer und ihr Wissen75, denn die sprachlichen Äußerungen, die in der Fach- und Berufskommunikation entstehen, haben vor allem eine kognitive Funktion (Grucza 2008: 137). Das Wissen ist eine wichtige Ressource für Innovationen und Wertschöpfungsprozesse, deswegen orientieren sich viele Textproduktionsaufgaben am Ziel der Erfassung, Beschreibung und Distribution von Wissen (Jakobs, Lehnen 2008: 257). Vor allem in der schriftlichen Kommunikation, die über Raum und Zeit hinweg nur mit einem bestimmten Partner verläuft, werden besondere kognitive Fähigkeiten verlangt, u. a. die der Perspektivenübernahme. Die kognitive 75 »Das Wissen, wie Mitglieder einer Fachgemeinschaft miteinander kommunizieren, stellt fundamentales Wissen über die Kommunikationskultur dieser Gemeinschaft dar.« (Grucza 2010: 43)

116

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Funktion der Kommunikation bezieht sich deswegen auf das Verhältnis zwischen dem schon vorhandenen und dem neuen Wissen, seiner Konstruktion, des Behaltens und des Transfers (Grucza 2008: 53–55), das die kognitiven Operationen, Strategien und Verlaufsqualitäten der geistigen Tätigkeit zu beschreiben erlaubt. Der transparente Ausdruck der kognitiven Funktion der Fachkommunikation sind Fachtexte, anhand derer die Rekonstruktion der Denkprozesse stattfindet (Szerszen´ 2014: 88). Heringer (1984: 64) definiert das Wissen der Kommunikationspartner als »Bedingung der Kommunikation« und schlägt dabei die Analyse folgender Aspekte vor: Mehrdeutigkeit der Kommunikation, Kommunikationssituation und Kommunikationsmittel (Bilder/Grafiken etc.). Hinzu kommen spezifische Merkmale, die die Struktur des Textes bestimmen, wie Aufbau, innere Struktur, Kohärenz des Textes, Komplexität der Sätze, Fremd- und Fachwörter. Die kognitiven Prozesse sind an der sprachlichen Produktion und an der Rezeption beteiligt und greifen auf bestimmte mentale Voraussetzungen des Senders zurück (Fix 2008: 26, Paltridge, Starfield 2013: 107). Zusätzlich ist anzumerken, dass Schreiben und Denken eng miteinander verbunden sind; je expliziter etwas sprachlich zusammengefasst werden soll, desto mehr Widersprüche und Barrieren des Formulierens entstehen (Fix 2008: 226–227). Molitor-Lübert (2000: 278) weist darauf hin, dass bei der schriftlichen Produktion kognitive Repräsentationen aufgebaut werden, die im richtigen Moment und auf der richtigen Ebene wieder abgerufen werden könnten. In diesem Kontext stärkt das Schreiben die menschliche Fähigkeit zur Metakognition. Ciompi (1997) hebt zusätzlich hervor, dass Denkprozesse die Kodifizierung von Denkinhalten in Textform ermöglichen. Darüber hinaus korrelieren die kognitiven Prozesse beim Schreiben immer mit dem Lesen, dadurch entsteht die Sequenz Lesen – Schreiben – Denken (Sturm, Weder 2016), was in der professionellen Wirklichkeit die Untrennbarkeit von Schreiben und Lesen auch im Kontext der kognitiven Prozesse zeigt (vgl. auch Kap. 8.3.1, 8.3.4, 8.3.5). Textanalysestudien haben bewiesen, dass die Strategien des Fachdenkens einen geeigneten methodologisch-methodischen Ausgangspunkt für die Betrachtung des Sprachtransfers von begrifflich fixierten Abbildern der Fachinhalte darstellen (Baumann 2015: 30). Der Fachtext verbindet in sich die kognitiven mit den kommunikativen Funktionen, einerseits als Produkt der kognitiven Tätigkeit des Produzenten, andererseits als Produkt, das kommunikative Ziele erfüllt (Berdychowska 2010: 91–94). Auch in der fremdsprachlichen Praxis der Schreibkompetenzentwicklung sollte die Rolle des Fachwissens hervorgehoben werden, die nicht ausschließlich in der Vermittlung entsprechender Terminologie und textspezifischer Strukturen besteht, sondern oder vor allem im mehrfachen Reflektieren des Geschriebenen im Kontext der Formulierung der gezielten Inhalte, des Ausdrucks der gesetzten Intentionen und der Reaktion auf frühere Aussagen, damit die spätere

Schriftliche Interaktionen im Unternehmen

117

Adaptation an die jeweilige Berufssituation möglich wird. Grucza (2010b: 41) betont jedoch: Das Aneignen von Fachwissen der jeweiligen Fachsprachengemeinschaft ist aber nicht das Ziel des Fachsprachenlernens. Das konkrete Fachwissen ist nur insoweit notwendig, inwieweit es für den Erwerb der jeweiligen Fachsprache notwendig ist, d. h. nur inwieweit der Lerner auf der Grundlage des Fachwissens die kommunikativen und kognitiven fachsprachlichen Fähigkeiten internalisieren kann. (Grucza 2010b: 41)

Textspezifische Faktoren Als Ergebnis der Fachkommunikation entstehen Texte76,77,78 mit einer bestimmten Struktur und Form. Die Gemeinsamkeit von Texten innerhalb einer Fachsorte stellen die Prozesse des Konventionalisierens kommunikativer Handlungen zu sogenannten Kommunikationsroutinen dar (Felder 2009: 30) (vgl. Kap. 8.3.3 und 8.5.9). Die Verbindung der Textsorten mit dem Sprachgebrauch lassen jene Typen von Kommunikationssituationen erkennen, in denen die Kommunizierenden mit einer bestimmten Intention bestimmte Texte produzieren und rezipieren (vgl. auch Modellbeschreibung Kap. 8.3.3). Durch die Konventionalisierung bestimmter Textsortenmerkmale erfolgt die »ökonomische Erfüllung kommunikativer Bedürfnisse« (Horn-Helf 2010: 134). Mit den anerkannten sieben Kriterien79 der Textualität sind fachtextspezifische Eigenschaften zu erkennen, wie ein relativ hoher Anteil an Fachtermini, standardsprachliche und stilistische Merkmale sowie ein formal komplexerer sprachlicher Ausdruck80. Dazu zählen Möhn und Pelka (1984: 22–23) sowie Roelcke (2010: 96– 76 Verstanden als »Kommunikationsmittel, die Wissen (darunter Sprach- und Kultur-Wissen) repräsentieren, vertreten, veräußerlichen, aber weder Wissen noch Sprache noch Kultur sind« (Skowronek 2019: 113). 77 Text als »kommunikative Okkurrenz (…), die sieben Kriterien der Textualität erfüllt. Wenn irgendeines dieser Kriterien als nicht erfüllt betrachtet wird, so gilt der Text als nicht kommunikativ. Daher werden nicht-kommunikative Texte als Nicht-Texte behandelt.« (De Beaugrande, Dressler 1981: 3) 78 »Textarten beschreiben die Vielfalt der Texte in einer Weise, die ein breites Spektrum an Lesearten abdeckt: Beschreibungen, Erzählungen, Erläuterungen, Argumentationen, Anleitungen und Vorgänge. Texte, wie sie in der Welt zu finden sind, widersetzen sich typischerweise einer Kategorisierung, da sie in der Regel nicht mit Blick auf Textarten-Regeln geschrieben werden. Zum Beispiel könnte ein Kapitel in einem Lehrbuch Erläuterungen, Anweisungen zur Lösung bestimmter Probleme, eine kurze historische Darstellung der Entdeckung der Lösung sowie Beschreibungen einiger typischer Objekte, die an der Lösung beteiligt sind, enthalten.« (PISA 2018, https://www.oecd.org/pisa/pisaproducts/PISA-2018-d raft-frameworks.pdf, 10. 01. 2020) 79 Textkohäsion, Textkohärenz, Intentionalität, Akzeptabilität, Informativität, Situationalität, Intertextualität. (De Beaugrande, Dressler 1981: 3). 80 http://www.mig-komm.eu/system/files/Zur%20Fachsprache%20und%20Fachkommunikati on.pdf, 12. 11. 2019.

118

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

99) auch Textgliederungselemente, Fußnoten, Textzitate, nonverbale Mittel (Abbildungen, Diagramme, Listen, Tabellen), metasprachliche Kommentierungen und Textverweise. Schriftliche Fachtexte sind die stärksten Bindeglieder zwischen dem Fach bzw. Beruf und seinem Vertreter im Unterricht, dem Lerner (Fearns 2007: 173). Besonders Fremdsprachenlerner haben dank der Fachtexte die Möglichkeit, sich mit dem Fach zu identifizieren. Die Fachtexte können im Unterricht je nach Abhängigkeit von den technischen Gegebenheiten als traditionelle Texte oder als Hypertexte behandelt werden (Fearns 2007: 174). Als Ziel der Festlegung der sprachlichen und nicht-sprachlichen Mittel der schriftlichen Fachkommunikation sowie des Zusammenhangs von fachspezifischem Verhalten, Kommunikationsverfahren und Textsorten schlägt Hammrich (2014 : 338) die Textsortenanalyse vor, die jedoch in der fachsprachendidaktischen Praxis im Kontext der »Adressaten, Lernziele, Motivationspotenziale […] sowie fertigkeitsbezogenen Einsatzmöglichkeiten« (Fluck 1992: 115) geprüft werden sollte. Die linguistischen Textsorten- und -komponentenanalysen in den jeweiligen Fachsprachen und ihre Ergebnisse sind für die Didaktik von großer Bedeutung, denn sie helfen, ein verallgemeinertes Muster für authentische Fachtexte in Verbindung mit bestimmten Kommunikationssituationen und daran teilnehmenden Kommunikationspartnern zu entwickeln. Als Beitrag zur Reflexion über die Fachtextsorten sind die Versuche relevanter Formen der Kommunikation auszusondern und zu beschreiben (vgl. Szerszen´ 2016: 96) (vgl. auch Modellbeschreibung und Schritte zur Schreibvermittlung im beruflichen Kontext in Kap. 8.3.1, 8.3.6, 8.5). Außerdem stellt das Wissen, mit dem die Mitglieder einer Fachgemeinschaft miteinander kommunizieren, die Grundlage für die Definition der Kommunikationskultur dieser Gemeinschaft dar (Grucza 2010b: 43). Um ein vollständiges Bild von der Fachkommunikation in der Wirtschaft zu bekommen, plädiert Hundt (2010: 642) für die Berücksichtigung von funktionalen Bereichen der Texte, die auf der Sprechakttheorie von Searle (1971) basiert. Hundt klassifiziert die Texte in der Wirtschaft nach ihren Funktionen, wie in Tab. 12 aufgeführt: Tab. 12: Aufteilung der Textsorten im Wirtschaftsbereich nach Hundt (2010: 642). kommissiv Vertrag, Kontrakt, Zulassung, Bewilligung, Garantie

deklarativ direktiv Bestätigung Rechnung, Mahnung, Anweisung, Verbot

assertiv expressiv Liste, Tabelle, Bilanz, Werbetext, EmpBericht, Kontoausfehlungsbrief zug, Entscheidung, Gutachten

Angesichts der modernen Arbeitsabläufe passt auch das berufliche Schreiben seine Form den kommunikativen Anforderungen der modernen Zeit an. In den

Schriftliche Interaktionen im Unternehmen

119

letzten 20 Jahren hat die Unternehmenskommunikation eine massive Veränderung erfahren, die vor allem bei den technischen und damit verbundenen medialen Möglichkeiten der Kommunikation offensichtlich sind (Roelcke 2020b: 14). Der Prozess der Digitalisierung betrifft vor allem die weltweite Verbreitung des Internets, des Computers und des Mobiltelefons und die damit verknüpften Anwendungen in Webseiten und auf Kommunikationsplattformen (Rommerkirchen 2019: 55–57). Im unternehmerischen Bereich werden immer häufiger folgende Instrumente eingesetzt, die die schriftliche interne Kommunikation entscheidend dominieren: – Intranet – Interner Newsletter – Wiki – Interner Blog – Chat- bzw. Instant Messaging-Tools – Facebook- oder LinkedIn-Gruppen (Soziale Medien). Die Globalisierung führt vor allem zur Beschleunigung der Kommunikation, die eine verstärkte Interaktivität innerhalb des Unternehmens und zwischen Unternehmen und diversen Anspruchsgruppen, wie Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten, Medienvertretern, Investoren usw., bewirkt. Erwartet wird eine schnelle, verlässliche und verbindliche kommunikative Interaktion des Unternehmens. Diese Steigerung der Interaktivität führt nach Reckwitz (2017: 225) zu Veränderungen, nicht nur hinsichtlich der Technik der Kommunikationsmedien, sondern hat auch die technische Kultur der modernen Gesellschaft und deren soziale Praktiken stark beeinflusst. Die drei markantesten Symbole der kommunikativen Wende, die mit dem technisch-medialen Fortschritt verbunden ist, sind die immer bedeutendere Rolle der E-Mail-Kommunikation in allen Bereichen des modernen Unternehmens, die Entstehung und der Austausch von Dokumentationen in elektronischer Form sowie die steigenden Kapazitäten zur Informationsverarbeitung. Insofern ist der Einbezug von neuen Medien (wie Lernplattformen, Simulationen des elektronischen Schriftverkehrs zwischen Lernenden und Dozenten an den Hochschulen) von großer praktischer Bedeutung81. Dies bezieht sich auf den Einbezug elektronischer Medien, die zunehmende Bedeutung der interkulturellen und interdisziplinären Elemente, den verstärkten Einsatz kooperativer Arbeitsformen, die durch Team- oder Projektarbeit auf internationaler (vgl. Kap. 8.3.1 und 8.5.5) und fachübergreifender Ebene motiviert werden. Die genannten Prozesse haben nicht nur Einfluss auf den Schreibprozess selbst, sondern auch auf das Endergebnis des Schreibens (den 81 Mehr dazu in Efing (2018: 57–60), Szerszen´ (2018: 61–80).

120

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

geschriebenen Text). Darüber hinaus sollten sie auch im Schreibentwicklungsprozess im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht berücksichtigt werden (vgl. Entwicklung der Interkulturalität als Teil der Schreibkompetenzvermittlung, Kap. 8.3.5).

3.2

Schriftliche Interaktionsformen im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht

Die Vorbereitung auf die sprachlichen Interaktionen82 im Berufsleben findet schon im Fremdsprachenunterricht statt und bestimmt stark die didaktische Wirklichkeit. Die Interaktion im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht erfolgt aus zwei Richtungen: Zum einen beeinflusst der Lehrer die Lernenden sowohl auf der kognitiven als auch auf der emotionalen Ebene, zum anderen reagieren die Lernenden aufeinander (Zalipyatskikh 2017: 122). Das Hauptziel der Interaktionen im Fremdsprachenunterricht definiert Bleyhl (2000a: 37) folgendermaßen: Um dem Lerner die Möglichkeit zu eröffnen, ein kompetenter Kommunikationspartner zu werden, muss er Gelegenheit gehabt haben, vielfältige sprachliche Kontexte, Sprache in ihrem vielfältigen Referenzcharakter erlebt, erfahren zu haben. (Bleyhl 2000a: 37)

Die von Bleyhl (2000a: 37) formulierte Aufgabe sollte für die unternehmensinterne und -externe Kommunikation gerade durch den Einsatz schriftlicher Interaktionen im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht erreicht werden. Gajewska und Sowa (2014: 187) betonen, dass das Schreiben im berufsbezogenen Kontext vor allem adressatenorientiert sein und den Lernenden auf das Planen und die anschließende Reflexion von eigenen Texten vorbereiten sollte, was durch den Einsatz entsprechender Sozialformen (auch Gruppenarbeit) im Rahmen des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts bewirkt werden kann (vgl. Rolle der Sozialformen in der Schreibkompetenzvermittlung in Kap. 8.3.1, 8.3.5, 8.5). Wilczyn´ska (2002: 322) unterscheidet zwischen komplementären Interaktionen, die sich aus dem ungleichen (Wissens-)Status der Teilnehmenden ergeben, 82 Verstanden als Handlungen, »die zwischen mindestens zwei Gesprächspartnern stattfinden und mindestens einen Beitrag (›turn‹) der jeweiligen Partner umfassen, der inhaltlich an den jeweils anderen gerichtet ist« (Henrici 1995: 25). Laut GER (2001: 26): »(Bei) Interaktionen tauschen sich mindestens zwei Personen aus, wobei sie abwechselnd Produzierende oder Rezipierende sind. (…) Der Interaktion wird allgemein in der Sprachverwendung und beim Sprachenlernen hohe Bedeutung zugeschrieben, weil sie eine so zentrale Rolle bei der Kommunikation spielt.« http://student.unifr.ch/pluriling/assets/files/Referenzrahmen200 1.pdf, 12. 12. 2020.

Schriftliche Interaktionsformen im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht

121

und symmetrischen Interaktionen, in denen der Status und die Rolle der Teilnehmer ähnlich oder nicht genau präzisiert sind. Die genannte Aufteilung spiegelt sehr zutreffend auch die Verhältnisse im authentischen Unternehmen wider, in dem der Status (hier im Unternehmen) und das damit verbundene Wissen ebenfalls unterschiedlich sind. Die Statusunterschiede können im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht bei der Entwicklung und Förderung der berufsbezogenen Schreibkompetenz in Form unterschiedlicher Aufgaben berücksichtigt werden. Die Überlegungen von Wilczyn´ska haben jedoch auch eine Bedeutung in Bezug auf die Spezifik der Lehrer-Lerner-Interaktionen im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht (mehr dazu in Kic-Drgas 2017a, Baric´ et al. 2019). Von Lier (1996: 178) schlägt folgende Interaktionsarten im Fremdsprachenunterricht vor: – Transmission: ist eine Monologform zur Informationsübermittlung durch eine Person – Sequenz: zeichnet sich durch eine Kette von Vorgängen aus: Initiation/ Antwort/ Rückkoppelung/ Frage und hat zum Ziel, Informationen zu gewinnen – Transaktion: dient dem Austausch von Informationen und verläuft hauptsächlich in zwei Richtungen – Transformation: hat die Form einer Verhandlung mit dem Ziel, ein gemeinsames Konstrukt für beide Teilnehmenden zu erreichen. Jede Art der Interaktion, die im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht stattfindet, bringt gewisse Vorteile mit sich, erst die Transformation ermöglicht jedoch die Gleichsetzung beider Teilnehmer und eine reife Kooperation (Baric´ et al. 2019: 302). Die Interaktionen im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht sind untrennbar mit bestimmten Handlungen verbunden. Aus diesem Grund sollte der Ausgangspunkt für die curriculare Planung nicht das fachsystematische Wissen sein (das möglichst vollständig vermittelt werden sollte), sondern die jeweiligen beruflichen Handlungsfelder83 (Ohm et al. 2007: 132). Dies geht wiederum einher mit der Vorstellung, die sich in Deutschland in den 70er-Jahren etablierte, dass Lernende die Fremdsprache am besten lernen, wenn sie aktiv damit handeln (Efing, Kiefer 2018: 186). Aus diesem Grund stellen Projekt und Gruppenarbeit einen wichtigen Teil des Fremdsprachenunterrichts dar (vgl. Projekt und Gruppenarbeit in der Schreibkompetenzentwicklung im Modell, Kap. 8.5.5). Auch im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht findet diese Annahme 83 Verstanden als »zusammengehörige Aufgabenkomplexe mit beruflichen sowie lebens- und gesellschaftsbedeutsamen Handlungssituationen, zu deren Bewältigung befähigt werden soll« (Bader 2000: 41).

122

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Anwendung. Efing und Kiefer (2018: 186) vergleichen Partizipations- und Interaktionsaktivitäten mit geschlossenen, dozierenden Lehr- und Lernformen. Zu den Ersteren zählen sie Projektarbeit, Unternehmens- und Produktionspräsentation und case-based learning. Auch Buhlmann und Fearns (2000: 115–117) betonen die Bedeutung von Sozial- und Arbeitsformen, wie Planspiele, Simulationen oder computer assisted learning (CALL), zur Förderung der Motivation und Eigenständigkeit der oft erwachsenen Lerner. Die genannten aktiven Formen eignen sich auch zur Vermittlung berufsbezogener Schreibkompetenzen. Bei der Wahl der entsprechenden Lehr- und Lernform ist allerdings die Orientierung an den Lernzielen und -voraussetzungen wichtig. Fluck (1998) unterscheidet zwischen vier Konzepten, die sich auf den Fachsprachenerwerb beziehen: – Sprachorientierte Konzepte – Ziel des Konzepts ist die Beherrschung der lexikalischen und grammatischen Strukturen einer Fachsprache, insbesondere im Hinblick auf die Aneignung und Beherrschung grundlegender Sprachstrukturen (Fluck 1998: 950). – Lerner- und fertigkeitsorientierte Konzepte – diese haben das Erlernen und Einüben jener Sprachstrategien und -fertigkeiten zum Ziel, die in der konkreten Fachkommunikation Anwendung finden. An die Stelle sprachanalytisch abgeleiteter Lernziele treten somit die Ermittlung, Differenzierung und Hierarchisierung der Lernziele im Hinblick auf die geforderten anwendungsorientierten kommunikativen Fertigkeiten und Skills sowie die konkreten Lernbedürfnisse (Fluck 1998: 950f.). – Textorientierte Konzepte – mit dem Ziel, die Lerner mit modellhaften Fachtextausprägungen bekannt zu machen und sie zu ihrem situationsadäquaten Gebrauch in entsprechenden fachlichen Kontexten anzuleiten (Fluck 1998: 951). – Lernorientierte Kontexte – mit dem Ziel, Lernerautonomie, -selbstverantwortung sowie die Freisetzung von Kreativität und Flexibilität zu fördern. Unabhängig vom gewählten Konzept ist die Präzision in der Aufgabenvorbereitung und -darstellung von ausschlaggebender Bedeutung. Buhlmann und Fearns (2000) betonen die Relevanz von: genauer Planung, sinnvoller und durchdachter Aufgabenstellung und exakt formulierter Fragestellung. Sie ist gebunden an eine angemessene Materialauswahl […]. Die Aufgaben des Lehrers verlagern sich also eindeutig aus dem Unterricht hinaus in die Vorbereitung: Sind Textsorten und Aufgabenstellung adäquat ausgewählt und zugeordnet, so erreichen die Studenten ihr Lernziel selbst durch die Interaktion, das heißt durch selbständige Auseinandersetzung mit den Inhalten und ihrer eigenen Meinungsbildung. (Buhlmann, Fearns 2000: 122)

Schreiben als Mittel zur Wissensintegration und -konstruktion

123

Nach Auffassung von Buhlmann und Fearns (2018) sind die Berücksichtigung der Lernziele (ihre richtige Festsetzung) sowie die Anpassung entsprechender Unterrichtsmethoden ausschlaggebend für die Effizienz des berufsbezogenen Fremdsprachenunterrichts. Somit ist die Bedarfsanalyse hinsichtlich des berufsbezogenen Sprachgebrauchs der Ausgangspunkt für die Bestimmung der Lehr- und Lernziele (vgl. Kap. 5, Kap. 6 und Kap. 8 dieser Arbeit). Ein effizienter Umgang mit Interaktionen in jeglicher Form erfordert nicht allein Sprachwissen und Sprachkönnen, sondern auch eine vielschichtige Kompetenz der Verwendung dieses Wissens und Könnens, d. h. eine Flexibilität, um Situation, Gesprächspartner, äußere und individuelle Bedingungen einzuschätzen und Ziele und Inhalte entsprechend anzupassen (Baric´ et al. 2019: 305), worin auch das in Kapitel 8 entwickelte Modell verankert ist.

3.3

Schreiben als Mittel zur Wissensintegration und -konstruktion

Kruse (2005) weist auf die Rolle des Schreibens als Wissenskonstruktions- und Integrationsmittel hin: Viele wissenschaftliche Themen kann man erst dann lösen, wenn man alle Aspekte explizit formuliert hat. Das Denken ist dafür insofern nicht genügend vorbereitet, als es immer nur kleine Ausschnitte fokussieren kann. Systematisch denken kann man nur, wenn man schreibt, also die Ergebnisse seines Denkens festhält und mit anderen Aspekten in Beziehung setzt. (Kruse 2005: 229)

Da die Produktion und Rezeption von Texten zur Wissensstrukturierung führen, werden zur Optimierung des Prozesses Versuche unternommen, die Handlungszusammenhänge zu rekonstruieren. Dieses Wissen (sowohl fachbezogenes als auch das Wissen um sprachliche Indikatoren der Texte) stellt nach Berdychowska (2010: 63) einen Ausgangspunkt für die schriftliche Kommunikation dar. Die kommunizierenden Partner handeln in einem informationsverarbeitenden System (in dem eine unendliche Anzahl von Informationen auf verschiedenen Ebenen der Kommunikation ermittelt und mithilfe sprachlicher und nichtsprachlicher Mittel präsentiert wird). Unter Berücksichtigung des Inhalts der Kommunikation im beruflichen Kontext und ihrer strukturellen und funktionalen Mehrdimensionalität entstehen bestimmte erkenntnistheoretische Voraussetzungen, die die Konstruktion und Integration der Wissenselemente mit einbeziehen (Baumann 2014: 271) und zur Veränderung der Kenntnissysteme führen können (Hoffmann 1993: 614). Pogner (1997) macht zudem darauf aufmerksam, dass beim Schreiben ein soziales und organisatorisches Kontextwissen erwartet wird:

124

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Um als Mitglied einer Diskursgemeinschaft wahrgenommen und akzeptiert zu werden, müssen SchreiberInnen ihre Texte so schreiben, wie es andere Mitglieder der Gemeinschaft tun. Sie müssen aber auch wie ein Gruppenmitglied denken, um solche Texte schreiben zu können. (Pogner 1997: 127)

Aus methodologischer Sicht ist berufsbezogenes Schreiben (Produktion von Fachtexten) eine Exteriorisierung, die berufsbezogene Textrezeption dagegen die Interiorisierung von Wissen (Hoffmann 1985: 145). Im Mittelpunkt der fachbezogenen Kommunikation stehen somit die Übertragung und Verarbeitung von Informationen (Wissensstrukturen), »die von außen oder von innen motivierte bzw. stimulierte, auf fachliche Ereignisse oder Ereignisfolgen gerichtete Exteriorisierung und Interiorisierung von Kenntnissystemen und kognitiven Prozessen« (Hoffmann 1985: 145) bewirken und »zur Veränderung der Kenntnissysteme beim einzelnen Fachmann und in ganzen Gemeinschaften von Fachleuten führen« (Hoffmann 1985: 145). Sowohl die Prozesse der Interiorisierung als auch der Exteriorisierung von Wissen lösen bestimmte fachliche Handlungen aus. Daher schlägt Baumann (2014: 270) die Aufteilung der berufsbezogenen Schreibtätigkeit in Sequenzen vor, die die Etappen der Interiorisierung und Exteriorisierung sichtbar machen: 1. Orientierung – Kennenlernen der Spezifik des/der Kommunikationspartner(s), seiner/ihrer Schreibmotivation und -intention 2. Planung, Zielsetzung, Wahl der Fachtextsorte – vor allem die Feststellung des zu erreichenden Ziels mithilfe der Mittel-Zweck-Analyse sowie die Planung des Schreibens unter Berücksichtigung der mentalen Repräsentation des Ziels und des anvisierten Ergebnisses 3. Invention (Ideenfindung) – Bewältigung einer bestimmten Schreibsituation sowie die beabsichtigte Wirkung des berufsbezogenen Schreibens beim Leser, Entstehung einer kognitiven Repräsentation des Textinhalts 4. Entwicklung – mentale Organisation von Inhalten im Gedächtnis, Abruf von im Langzeitgedächtnis gespeichertem kontextuellen Wissen, Transkodierung des Schreibprozesses 5. Formulierung – Auswahl und Aktivierung der lexikalischen Einheiten, Erzeugung syntaktischer Strukturen und der damit im Zusammenhang stehenden linearen Anordnung der gewählten Einheiten 6. Kontrolle – Vergleich des geschriebenen Textes mit der Zielvorstellung des Schreibplans, Korrektur 7. Der Fachtext entsteht durch das aktive Zusammenwirken von Wissens- und Kenntnissystemen (Baumann 2014: 270). Die vorgeschlagene Aufteilung wurde teilweise auch im entwickelten Modell der vorliegenden Arbeit zur Schreibentwicklung angenommen (indem die ersten

Schreiben als Mittel zur Wissensintegration und -konstruktion

125

drei Phasen als Schreibanlass klassifiziert werden und die nächsten zwei als Schreibprozess, danach erfolgen Evaluation und Reflexion, die im Baumann’schen Modell nicht vorhanden sind) (vgl. Beschreibung des Modells in Kap. 8.4). Die Textproduktion ist eine komplexe Tätigkeit, die aus mehreren Etappen besteht, in deren Verlauf das eigene Wissen mithilfe der Kognition eingesetzt, entwickelt und in Form mentaler Repräsentationen gespeichert werden kann (Baumann 2014: 272). Die Wissensintegration und -konstruktion im Prozess des Schreibens waren die Grundlage für die Entwicklung des Drei-Phasen-Modells, das ursprünglich aus zwei Phasen bestand und erst von Kellogg (2008: 4) weiterentwickelt wurde (Philipp 2015: 52–56). Das Modell sieht drei Etappen der Schreibentwicklung vor, die sehr eng mit dem Wissenspotenzial korrelieren (vgl. Abb. 31): – Formulieren – Transformieren – Herstellen

Formulieren »Wissen erzählen«

Transformieren »Wissen transformieren«

Herstellen »Wissen herstellen«

Abb. 31: Drei-Phasen-Modell nach Philipp (2015: 52–58), Kubaszczyk (2018: 204). Eigene grafische Darstellung.

In der ersten Phase wird das Vorwissen stark eingesetzt und die Schreibenden »wechseln die Themen relativ assoziativ, da sie sich stark am entstehenden Text orientieren und Inhalte ad hoc generieren und so lange in den Text integrieren, bis ihr Ideenvorrat erschöpft ist« (Philipp 2015: 54–55). Am häufigsten ist diese Phase des Schreibens bei unerfahrenen Schreibenden anzutreffen, die sich sehr stark am Inhalt orientieren und wenig adressatenorientierte Texte entwickeln. Diese Etappe ist für das Arbeitsgedächtnis sehr belastend, denn gleichzeitig werden Konzepte mit bildlichen Repräsentationen gebildet und im Gehirn bereits zu Sätzen formuliert (Kellogg 1996: 62f.). Die zweite Etappe besteht in der Transformierung des Wissens. In dieser Phase ist es nicht nur wichtig, was man schreibt, sondern auch, ob das Geschriebene das Ziel und die Intention des Schreibenden erfüllt. Darüber hinaus interagieren die

126

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Prozesse des Planens, Verschriftlichens und Revidierens stark miteinander in dieser Phase. Die Frage nach dem Inhalt geht mit der Überlegung zur Form einher, die Klärung dieser beiden Fragen löst einen Problemlöseprozess aus, der mit der Wissenstransformation verbunden ist. Das beschriebene Verfahren ermöglicht es, das adressatenorientierte und zielgerichtete Wissen in den Schreibprozess einzuflechten (Philipp 2015: 55). Die letzte Phase des Modells umfasst: – die Aktivierung eigener Wissensbestände, – deren faktische Verschriftlichung – und die Antizipation der Reaktion der angestrebten Leser auf den Textinhalt. Die beschriebenen drei Phasen stellen kein homogenes Schreiben dar, sondern sind Etappen der Schreibkompetenzentwicklung und mit bestimmten Vorgehensweisen verbunden, was die Dynamik des Prozesses noch stärker betont. Gleichzeitig werden die Eigenschaften des Schreibens aufgezeigt; deren Entwicklung führt zur: – effizienteren Gedächtnisnutzung – höheren Automatisierung von basalen Schreibfähigkeiten – zunehmenden Integration von Wissensbeständen sowohl im Kontext des schreibbezogenen Wissens als auch des Welt- und Vorwissens – Nutzung effektiver und komplexer Schreibstrategien für das Planen und Revidieren von Texten – Transformation von mental repräsentierten möglichen Inhalten in eine rhetorisch bessere und adressatenorientierte Form im Schreibprozess und des Schreibproduktes – Vervollständigung von kognitiven Repräsentationen von Problemen, die den Schreibprozess betreffen (Philipp 2015: 56).

Didaktische Konsequenzen für das berufsbezogene Schreiben Im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht können bestimmte Schreibstrategien und Übungen für einzelne Phasen der Schreibentwicklung angepasst werden, um gleichzeitig die Integration und Konstruktion des Wissens zu berücksichtigen (vgl. Tab. 13).

Schreiben als Mittel zur Wissensintegration und -konstruktion

127

Tab. 13: Schreibstrategien und Übungen in den Etappen der Schreibkompetenzentwicklung im Drei-Phasen-Modell. Eigene Bearbeitung in Anlehnung an Kubaszczyk 2018: 205– 206, Philipp 2015: 55. Erste Phase

Zweite Phase Dritte Phase Charakteristische Eigenschaften der Etappen

Planen als reiner Abruf von Planen, Verschriftlichen, Ideen begrenzte Interaktion adressatenbezogenes Revivon Planen und Verschrift- dieren lichen minimales Revidieren

Interaktion von Planen, Verschriftlichen und Revidieren Revidieren mit Blick auf die Repräsentation des Autors, des Textes und der antizipierten Reaktion des Lesers Übungen und Strategien der Schreibentwicklung

– kurze Aufgaben – Schreiben eher in Einzelarbeit – Akrostichon – Mind-Maps – assoziatives Schreiben – kurze Texte nach Muster schreiben

– nach einem Mustertext – komplexere Aufgaben schreiben – mit anderen gemeinsam schreiben (kooperatives – mit Versatzstücken schreiben Schreiben) – Darstellungsformen ver- – Reaktionen auf Simulatexten tionen der Schreibsitua– mit Schreibhilfen arbeitionen in authentischer ten Umgebung – einen gegebenen Text an die internen Unternehmensschreibkonventionen anpassen – mit einer vorgegebenen Gliederung schreiben – nach einem Frageraster schreiben – Bausteine verwenden

Die in Tabelle 13 angedeuteten Strategien stellen einen Ausgangspunkt für ihre Weiterentwicklung im berufsbezogenen Kontext dar. Weitere Schreibvorschläge zur beruflichen Schreibkompetenzförderung werden in Kapitel 8.4 und 8.5 genannt. Darüber hinaus ergibt sich laut Thürmann et al. (2015: 35) eine neue wissensorientierte Aufgabenkultur für das Schreiben im berufs- und fachbezogenen Fremdsprachenunterricht, die sich auf fünf Säulen stützt: – Schreibaufgaben, die der Aktivierung und der konzeptuellen Restrukturierung des vorhandenen Fach- und Diskurswissens dienen und als gedankliche Brücken zu Fachinhalten und Handlungskompetenzen gelten (dazu gehören shotgun writing84, Four-Square-Methode, Mind Mapping, Cluster, Stich84 Shotgun writing – eine Methode, die in einem wenige Minuten andauernden Schreiben besteht, ohne den Stift abzusetzen, in Form eines Gedankenprotokolls (Thürmann et al. 2015: 35).

128









Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

wortsammlungen und -listen, thematisch fokussierte Stichwortsammlungen). Die Aufgaben liegen meistens unterhalb der Textebene, enthalten aber grafische Darstellungsformen. Der sprachlichen Korrektheit wird wenig Aufmerksamkeit gewidmet, jedoch sind fachsprachliche Kenntnisse in Bezug auf die Lexik wichtig. Schreibaufgaben zur Generierung neuen Wissens85, die kognitive und sprachliche textuelle Prozeduren verbinden. Aufgaben dieser Art sollten vor allem reziproke Interaktionen zwischen zwei kognitiven Räumen, d. h. dem Raum des Fachwissens und dem des Diskurswissens, berücksichtigen und zum Konstituieren des sinnentwickelnden Schreibens führen. Angestrebt werden vor allem logische Bezüge zwischen den Textbestandteilen und das Überprüfen des schon geschriebenen Textes. Die Übungen zielen nicht auf bestimmte Textsorten ab, sondern steuern die Reaktionen auf bestimmte Fragestellungen bzw. Aufforderungen. Schreibaufgaben zur Sicherung des erworbenen Wissens und Könnens. Diesem Zweck dienen Aufgaben, die eine Auswertung der Schreibergebnisse ermöglichen. Schreibaufgaben zur Schreibreflexion und zur Reflexion über Lernwege und Lernergebnisse. Dazu können Stichwortarrangements und Collagen von Satzfragmenten herangezogen werden, Lerntagebücher, Lernjournale, Logbücher oder Portfolios, die an die berufsbezogene Wirklichkeit und die Anforderungen angepasst werden. Schreibaufgaben, die dem Aufbau von Diskurskompetenzen dienen. Zu dieser Gruppe gehören Aufgaben, die die Lernenden ermutigen sollen, Texte nach Konventionen zu schreiben, die zum Beispiel im unternehmerischen Raum kommunikativ-pragmatische Funktionen erfüllen können.

Besondere Beachtung verdient laut der Autorin der vorliegenden Arbeit die Reflexion im Schreibprozess, die einerseits als Ansatz zur Eigenkorrektur gilt, andererseits aber als Schritt zur Bewusstmachung und besseren Kontrolle der Schreibvorgänge zu verstehen ist (vgl. Vorschläge in Kap. 8.5). Textmusterwissen als prozedurales Wissen »Sprache und Fach treiben einander produktiv voran.« (Schilcher, Rincke 2015: 100) Dabei ist es unbestritten, dass Schreibaufgaben im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht so formuliert sein sollten, dass sie zur Entwicklung anschlussfähiger Schreibkompetenzen führen und sowohl funktionale Ange85 Galbraith (1999: 137) stellt fest: »Writing involves finding out what to say in the course of writing, rather than being a matter of simply translating preconceived ideas into text.«

Schreiben als Mittel zur Wissensintegration und -konstruktion

129

messenheit als auch Adressaten- und Zielorientierung berücksichtigen (vgl. Modellbeschreibung und Schritte zur Vermittlung der berufsbezogenen Schreibkompetenz in Kap. 8.3.1, 8.3.2, 8.3.4, 8.5). In der modernen Arbeitswelt kommt es häufig zur Verbindung von Schreibprozessen mit fachlichen Aufgaben, genauer darum, »fachliche Fragestellungen durch funktional angemessene Texte zu beantworten« (Schilcher, Rincke 2015: 102). Darüber hinaus geht es im Textproduktionsprozess um das Zusammenspiel von Fachwissen, Sprache, Adressat und Ziel, die sich jeweils ändern und eine gewisse Flexibilität von den Schreibenden verlangen. In diesem Zusammenhang entwickelte Schilcher (2010) eine komplexe didaktische Herangehensweise, die auf der Vermittlung des greifbaren Textmusterwissens für den Schreibprozess und der Flexibilität und Vagheit der Textmuster zugleich basiert. Dazu gehören die textinternen Spezifika (Thema, Vertextungsspezifika, Formulierungsmaxime und -spezifika sowie das äußere Erscheinungsbild) und die textexternen Spezifika (Funktionalität, Situativität, Kommunikationsmedium), wie Abb. 32 zu entnehmen ist (Schilcher, Rincke 2015: 102).

Textwissen als prozedurales Wissen

Vermittlung von abstrakten Vertextungsstrategien (Elemente der story grammar: Erzählsituation, erzählenswertes Ereignis, Ausgang)

Arbeit mit Mustertexten, die die Variationsbreite und typischen literalen Prozeduren der narrativen Vertextungsstrategie aufzeigen (situativ thematisch)

Gewinnung von Formulierungsroutinen und grammatischem Handlungswissen für narrative Texte prozedurales Handlungswissen

enge Verzahnung von Textrezeption und Textproduktion

Abb. 32: Grundsätze für die Vermittlung von Textmusterwissen (Schilcher 2010).

Im dargestellten Modell wird die Schreibfähigkeit zur kognitiv-konzeptuellen Entwicklung und zugleich zur Strukturierung von Welt- und Fachwissen. Es lassen sich folgende Schritte der funktional-kognitiven Schreibentwicklung erkennen: – Textfunktion feststellen – Kommunikationssituation/ Adressaten/ Ziel etc. definieren

130

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

– Entsprechende Vertextungsstrategien wählen (chronologische Anordnung der relevanten Daten beim Berichten, Finden eines passenden Ordnungsmusters zum Beschreiben, Darstellung von Bedingungen und Folgerungen beim Argumentieren) – Kohäsionsmittel festlegen. Die allgemeinen Stufen des Schreibprozesses sind Planen, Formulieren und Überarbeiten. Diese Etappen des Schreibens werden im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – Lernen, Lehren, Beurteilen – deutlich. Auf den unteren Niveaustufen bezieht sich das Schreiben auf das Planen und die Produktion einfacher Textsorten, auf den höheren Stufen wird auch das Wissen zu Stil und Wortschatz mit einbezogen, um eigene Texte in Abhängigkeit von der Kommunikationssituation bearbeiten zu können (siehe Tab. 14): Tab. 14: GER: die Sprachniveau-Globalskala Schreiben86 Ich kann klar, flüssig und stilistisch dem jeweiligen Zweck angemessen schreiben. Ich kann anspruchsvolle Briefe und komplexe Berichte oder Artikel verfassen, die C2 einen Sachverhalt gut strukturiert darstellen und so dem Leser helfen, wichtige Punkte zu erkennen und sich diese zu merken. Ich kann Fachtexte und literarische Werke schriftlich zusammenfassen und besprechen. Ich kann mich schriftlich klar und gut strukturiert ausdrücken und meine Ansicht ausführlich darstellen. Ich kann in Briefen, Aufsätzen oder Berichten über komplexe C1 Sachverhalte schreiben und die für mich wesentlichen Aspekte hervorheben. Ich kann in meinen schriftlichen Texten den Stil wählen, der für die jeweiligen Leser angemessen ist. Ich kann über eine Vielzahl von Themen, die mich interessieren, klare und detaillierte Texte schreiben. Ich kann in einem Aufsatz oder Bericht Informationen B2 wiedergeben oder Argumente und Gegenargumente für oder gegen einen bestimmten Standpunkt darlegen. Ich kann Briefe schreiben und darin die persönliche Bedeutung von Ereignissen und Erfahrungen deutlich machen. Ich kann über Themen, die mir vertraut sind oder mich persönlich interessieren, B1 einfache zusammenhängende Texte schreiben. Ich kann persönliche Briefe schreiben und darin von Erfahrungen und Eindrücken berichten. Ich kann kurze, einfache Notizen und Mitteilungen schreiben. Ich kann einen ganz A2 einfachen persönlichen Brief schreiben, z. B. um mich für etwas zu bedanken. A1

Ich kann eine kurze einfache Postkarte schreiben, z. B. Feriengrüße. Ich kann auf Formularen, z. B. in Hotels, Namen, Adresse, Nationalität usw. eintragen.

86 http://www.europaeischer-referenzrahmen.de/sprachniveau.php, 12. 09. 2019.

Schreiben als Lernprozess und -medium

3.4

131

Schreiben als Lernprozess und -medium

Die Fähigkeit, kompetente, adressaten- und zielorientierte Texte zu produzieren, ist ein komplexer gradueller Prozess, der seinen Anfang sehr häufig erst während des Studiums nimmt (vgl. die Untersuchungen von Pohl 2007, 2014 und Steinhoff 2007) und sich als Ergebnis zahlreicher Schreiberfahrungen entwickelt. Das Schreiben kann in diesem Sinne sowohl als Lernprozess selbst (Pogner 1999: 28) als auch als Medium des Lernens, mit dessen Hilfe Schreibaufgaben bewältigt werden, betrachtet werden (vgl. Modellbeschreibung in Kap. 8.2, 8.3). Bräuer (1996: 21) meint dazu: »Schreiben (…) hat jedoch in erster Linie etwas zu tun mit Lernen. Es wird als Katalysator für Lernprozesse betrachtet, aber auch als Medium, in dem sich Lernen vollzieht.« Pogner kategorisiert Schreiben als Lernen. Bräuer (1996) assoziiert das Schreiben ebenfalls mit dem Lernen, jedoch betrachtet er das Schreiben nicht nur als Medium, sondern als Medium des Lernens, wodurch das ganze Potenzial der Schreibkompetenz fokussiert wird. Menschen lernen beim Schreiben auf verschiedene Art und Weise. Das Schreiben kann als eine formelle Lernform bezeichnet werden (im Hochschulkontext), aber es bedeutet auch informelles Lernen (am Arbeitsplatz). Des Weiteren kann das Schreiben einer Seminararbeit oder eines Lerntagebuchs als expansive Schreibform verstanden werden, vor allem dann, wenn ein persönliches Interesse oder eine Motivation damit verbunden ist (Faulstich 2003: 234). Krumm (2000: 7–11) und Sorrentino (2012: 17) heben die doppelte Natur des Schreibens hervor: – als nicht gelenkter Prozess beim Lesen und Exzerpieren, d. h. durch den aktiven Umgang mit einschlägigen Textsorten und der Sprache, in der der Text verfasst wird. Dabei erfolgt die Aneignung von textsortenspezifischen Darstellungs- und Ausdrucksformen. – als bewusster, didaktisch gelenkter Prozess durch die explizite Vermittlung zielsprachiger Modelle, die als Vorbild für die Textproduktion gelten können. Gleichzeitig erfolgt eine Sensibilisierung für kulturspezifische Unterschiede und Schreibtraditionen. Das Schreiben im Fach ist nach Thürmann et al. (2015: 37) von doppelter Komplexität, weil es »den Strang der Problembewältigung von Fachinhalten und Kognitionen mit der Herstellung eines sinnentwickelnden und der Situation angemessenen Textes zu jedem Zeitpunkt des Vorbereitungs-, Planungs-, Ausführungs- und Überarbeitungsprozesses verknüpft«.

132

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Der Schreibprozess wird im Zuge der kognitivistischen Lerntheorien »als rationaler, zielgerichteter und problemlösender Denkprozess87 dargestellt, in dem geplant, organisiert und auf Wissensressourcen zurückgegriffen wird« (Hofer 2006: 116–117), sodass die neuen Informationen in die schon vorhandenen Wissensstrukturen eingebaut werden. Emig (1977) stellt das Schreiben dem Lernen gegenüber und stellt fest, dass in beiden ähnliche Denkprozesse vorkommen, was zu der Schlussfolgerung führt, dass das Schreiben Lernprozesse unterstützen kann. Die Wissenschaftlerin vergleicht das Schreiben mit Lernstrategien (vgl. Kap. 8.5.6). Dabei weist sie auf die Unterschiede zwischen dem Schreiben und anderen Fertigkeiten hin (Tab. 15) und betrachtet dabei drei Kriterien: das Erstellen einer neuen Qualität, die Entstehung eines verbalen Konstruktes und die grafische Darstellung. Tab. 15: Vergleich des Schreibens mit anderen Fertigkeiten nach Emig (1983: 123). Erstellen/ neu erstellen Schreiben

+

Entstehung eines verbalen Konstruktes +

Leseverstehen Sprechen

+ +

+

Hörverstehen

+

-

Grafische Darstellung + (Es sei denn, eine Transkription entsteht) -

Aus dieser Tabelle geht hervor, dass das Schreiben im Gegensatz zu anderen Fertigkeiten zur Entstehung eines neuen verbal-grafischen Konstruktes beiträgt88. Obwohl Hören, Schreiben, Sprechen und Lesen zahlreiche Differenzen aufweisen, sind sie miteinander verbunden und unterstützen sich gegenseitig, was im Lernprozess von Bedeutung ist (Kast 1999: 21). Das Verhältnis zwischen dem Schreiben und anderen Fertigkeiten ist in Tab. 16 dargestellt.

87 Diese Idee bildete die Grundlage zur Entwicklung des ersten Schreibmodells von Hayes und Flower 1980. 88 Mehrere Unterschiede zwischen den Fertigkeiten, insbesondere die Schriftlichkeit und Mündlichkeit, greift Fix (2008: 65–66) auf.

133

Schreiben als Lernprozess und -medium

Tab. 16: Gemeinsamkeiten zwischen dem Schreiben und anderen Fertigkeiten. Eigene Bearbeitung in Anlehnung an Kast 1999: 21, Pawłowska-Balcerska 2017: 120. Schreiben Sprechen – Beide Fertigkeiten sind auf den Inhalt konzipiert. – Für beide ist sowohl die mediale als auch die konzeptionelle Seite charakteristisch. – Besonders auf der konzeptionellen Ebene sind die beiden schwer differenzierbar. – Sprachliche Mittel werden ausgewählt. – Wörter bilden Sätze. – Das Schreiben wird im Anfangsstadium vom »inneren Sprechen« begleitet.

Zitat »Ontogenetisch gesehen stellt die Sprache primär ein akustisches Kommunikationsmittel dar, was jedoch noch lange nicht bedeutet, dass man das Schreiben degradieren sollte.« (Pawłowska-Balcerska 2013: 80– 81)

Lesen

»Lesen und Schreiben fassen wir (…) zusammen als Literalität oder literale Kompetenz, um damit ihre enge Zusammengehörigkeit auszudrücken.« (Becker-Mrotzek, Böttcher 2006: 59)

Hören

– Durch Schreiben eingeübte Schriftbilder werden beim Lesen schneller erfasst. – Schreiben sowie Lesen unterstützen Sinneskanäle: optische, akustische, sprechmotorische, motorische89. – Das Lesen begleitet das Schreiben90. – Die Schreib- und Leseforschung nutzt diese Strategiebereiche, verwendet aber unterschiedliche Begriffe für weitgehend vergleichbare Prozesse91. (Leseforschung: Vordem-Lesen – Während-des-Lesens – Nach-dem-Lesen, dagegen in der Schreibforschung: Planung – Formulierung –Überarbeitung) – Hören und Schreiben entwickeln sich in Verbindung. – Das Schreibbild spielt bei der Hörverstehensvermittlung eine entscheidende Rolle.

-

89 Da »bei vielen Menschen der Effekt des Einprägens und Behaltens dann besonders groß ist, wenn sie die Möglichkeit haben, die neuen Informationen schriftlich zu fixieren« (Müller 1989: 35). 90 Mehr dazu in Grieshammer et al. 2016: 50–67. 91 https://www.zhaw.ch/no_cache/de/forschung/forschungsdatenbank/projektdetail/projektid /1638/, 12. 01. 2020.

134

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Emig (1983: 122–123) kommt durch ihre Überlegungen zur Natur des Schreibens zu dem Ergebnis, dass die schriftliche Produktion die Repräsentation der gesehenen Welt sei, wodurch gleichzeitig der Prozess und das Produkt verkörpert würden. Das Schreiben sei mehr als andere Fertigkeiten Form und Quelle des Lernens, weil drei Organe (Sinne) dabei beansprucht würden, die gleichzeitig handeln: Die Hand sei verantwortlich für den grafischen Schreibvollzug, das Auge nehme das Zeichen auf und das Gehirn etabliere die Symbole und baue sie in die schon vorhandenen Wissensbestände ein. Somit kann festgehalten werden, dass die drei genannten Prozesse (grafischer Schreibvollzug, Aufnahme der Zeichen und Etablierung des Symbols) als drei Lernprozesse betrachtet werden können. Emig (1983: 123) betont die drei Wege des Lernens, die beim Schreiben gleichzeitig oder fast gleichzeitig aktiviert werden (durch Machen, durch Visualisieren der Welt, durch Umwandlung der Symbole in Sprache). Das Schreiben ist eine integrative Aktivität, die das vollständige aktive Engagement des menschlichen Gehirns (sowohl der rechten als auch der linken Hemisphäre) verlangt. Logisch-analytische Denkmuster sowie rein physische Bewegungen der Hand bedingen sich gegenseitig. Wie Bräuer (1996: 103) es ausdrückt, führt das Schreiben zum Austausch zwischen den beiden Hemisphären und liefert sogar eine Art Feedback für die ablaufenden Prozesse, darum rege das Schreiben auch das Meta-Lernen an. Zu betonen ist auch die Rolle des Schreibens mit der Hand, das die Prozesse der Selektion von Informationen beschleunigt und ergänzt, die normalerweise beim Schreiben an der Tastatur wegfallen (vgl. Schmermund92). Die Motorik des Schreibens wird dabei mit der Kognition verbunden. Die Handschrift lässt sich nicht ohne Verluste komplett durch das Tippen ersetzen, denn sie stellt wichtige Lernvorteile dar: Beide Hirnareale werden beim Schreiben mit der Hand intensiver aktiviert, sodass das Lernen intensiver stattfinden kann (vgl. Bulut 201993). Dies visualisiert Kast (1999: 24) mit der Darstellung des Schreibens als konzentrischen Prozess (Abb. 33), der zum einen zur Vergegenständlichung der Gedanken und Gefühle, zum anderen zur Verlangsamung der Abläufe führe. Wichtig sei das ständige Strukturieren, Ordnen und Transformieren der Gedanken, ähnlich wie beim Lernen. Abb. 33 zeigt, wie sich die Schreibkompetenz mit der Schreiberfahrung und den schriftlich bewältigten Problemen in konzentrischer Form entwickelt. Das Schreiben in der Fremdsprache, und zwar das berufsbezogene Schreiben, kann neben seiner Funktion als Mitteilung auch als Arbeitsmittel betrachtet werden, 92 https://www.forschung-und-lehre.de/warum-wir-wieder-mehr-mit-der-hand-schreiben-soll ten-2504/, 12. 05. 2021. 93 https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikation en/Faktencheck_Handschrift_in_der_digitalisierten_Welt.pdf, 12. 05. 2021.

135

Schreibvermittlungsprozesse in der Fremdsprache

Erkenntnisgewinn

Schreibender mit Ideen

Schreibprozess Schre Vergegenständlichung Vergegenständlichu ung Verlangsamung Verlangs

Abb. 33: Konzentrische Darstellung des Schreibprozesses nach Kast (1999: 24).

mit dessen Hilfe der geschriebene eigene Gedanke strukturiert wird, aber auch eigene sprachliche Möglichkeiten entwickelt werden. Der Schreibprozess beim Schreiben in der Fremdsprache ist also (unter anderem) gekennzeichnet durch einen häufigen Wechsel zwischen mehreren Sprachen und durch die zusätzliche Anforderung, fremdsprachliche Strukturen zu finden und eventuell neue Textsortenverständnisse zu berücksichtigen. (Grieshammer et al. 2016: 26)

3.5

Schreibvermittlungsprozesse in der Fremdsprache

Um die Überlegungen zur Didaktisierung des Schreibens im Kontext der vorliegenden Forschungsarbeit zu vervollständigen, wäre es angebracht, die Frage zu analysieren, wie sich der Schreibprozess in der fremden Sprache vollzieht. Der Verlauf des Schreibprozesses in der Fremdsprache wurde zum Thema wissenschaftlicher Reflexionen, deren Ergebnisse zur Entstehung unterschiedlicher grafischer Modelle beitrugen, die den Verlauf und die beeinflussenden Elemente darstellen. Im Weiteren werden drei Modelle94 mit ihrer kritischen Analyse kurz vorgestellt, die Antworten auf die früher gestellten Fragen geben und gleichzeitig als Grundlage für das in Kapitel 8 entwickelte Schreibmodell gelten können.

94 Die Auswahl dieser Modelle erfolgte auf der Grundlage der in ihnen dargestellten Schreibprozesse.

136

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Produktionsmodell von Wolff (2002) Es ist kaum möglich, das Schreiben in einer fremden Sprache vom Schreiben in der Muttersprache zu trennen (Pawłowska-Balcerska 2017: 88). Aus diesem Grund muss ständig auf die Muttersprache zurückgegriffen werden. Dies war die Grundlage für die Entwicklung des zweisprachigen Produktionsmodells95 von Wolff (2002: 335–336) (Abb. 34). ALLGEMEINER VERARBEITUNGSRAUM Produktionsaufgabe: Thema Zuhörer /Leser

SPRACHLICHER VERARBEITUNGSRAUM

kognitive Struktur

Planen – Formulieren – Verbessern (L1)

vorformulierte Struktur

Planen –

Mitteilung/

Formulieren –

Text

Verbessern (L2)

Deklaratives

Deklaratives

Wissen L1

Wissen L2

Weltwissen Hörer-/Leserwissen

prozedurales

rhetorisches Wissen

Sprachwissen

Abb. 34: Das zweisprachige Produktionsmodell von Wolff (2002: 335–336).

Zentral für das Modell von Wolff (2002) ist das Konzept des allgemeinen Verarbeitungsraums. Neben der kognitiven Struktur, die für das Initiieren von Versprachlichungsprozessen zuständig ist, befinden sich in diesem Raum das Endprodukt (Text), der Schreibende, der Leser, (deklarative und prozedurale) Wissensbestände, die Aufgabenstellung des Schreibenden, sein Thema und die Adressaten. Die kognitiven Strukturen werden zunächst in die spezifischen L1-sprachlichen Strukturen im Planungs-Formulierungs-VerarbeitungsModus umgewandelt. Bei fortgeschrittenen L2-Lernenden kann dieser Schritt übersprungen werden. Die tatsächliche Produktion erfolgt nur anhand von Planungs-, Formulierungs- und Verbesserungsprozessen. Die Grundlage für den muttersprachlichen Vorformulierungsprozess und den fremdsprachlichen 95 Das Modell von Wolff (2002) bezieht sich sowohl auf die Produktion des Schreibens als auch des Sprechens, aber für die vorliegende Arbeit wird nur das Schreiben berücksichtigt.

Schreibvermittlungsprozesse in der Fremdsprache

137

Formulierungsprozess stellt das deklarative Sprachwissen dar, das durch das prozedurale Vorgehen gesteuert wird. Durch das beschriebene Modell wird klar, dass das Schreiben in der fremden Sprache ein komplexerer Prozess ist als in der Muttersprache und dass die beiden Sprachsysteme miteinander verflochten sind. In diesem mithilfe des konstruktivistischen Ansatzes entwickelten Modell wird die ausgeprägte Individualität einzelner Lernender hervorgehoben, was mit der autonomen Wissenskonstruktion zu erklären ist, die einen individuellen Prozess darstellt. Diese Etappe wurde in dem von der Autorin dieser Arbeit entwickelten Modell (vgl. Kap. 8) besonders hervorgehoben und durch genaue Analyse des Schreibanlasses und der Schreibsituation eingeführt (vgl. Kap. 8.3.1, 8.3.2, 8.5.3). Die kognitive Seite des Schreibprozesses ist vor allem auf der Etappe des Planens (Beachtung der Struktur der Textsorte) wichtig (vgl. Kap. 8.5.9). Im prozessorientierten Modell wird den äußeren Faktoren, die den Prozess im Fall der professionellen Situation stark beeinflussen, wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Außerdem wurde im Modell die Notwendigkeit der Reflexion nach Erfüllung der Aufgabe nicht berücksichtigt, die als Teil des Prozesses der Bedeutungskonstruktion zu betrachten ist und zur Entwicklung der Lerner-/ Schreiberautonomie beiträgt (vgl. Schritte zur Schreibkompetenzentwicklung in Kap. 8.5). Schreiben ist ein Prozess, der im Gegensatz zum Sprechen einer erweiterten Phase der Instruktion bedarf 96. Pawłowska-Balcerska (2017: 89) weist darauf hin, dass das Schreiben in der fremden Sprache sowohl als auf- als auch als absteigender Prozess betrachtet werden kann: aufsteigend als allmählicher Aufbau von einem Buchstaben über ganze Sätze und Passagen bis hin zum ganzen Text, der absteigende Prozess manifestiert sich dadurch, dass das Interesse am Thema die Korrektheit der Mitteilung steuert. Während in der Muttersprache der absteigende Charakter des Prozesses dominiert, wird in der Fremdsprache eine starke Korrektheitsorientierung verzeichnet. Deswegen plädiert Krumm (1989: 5) dafür, auch in der fremden Sprache die Gefahr von zu starker Korrektheitsfixierung zu vermeiden und das Schreiben als Kommunikationsmedium zur Versprachlichung eigener Mitteilungsbedürfnisse einzusetzen (vgl. auch Kap. 8.5).

96 »Writing tend to be learned initially only with the aid of formal and systematic instruction.« Emig (1983: 122)

138

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Prozedurenorientiertes didaktisches Modell (Rotter, Schmölzer-Eibinger 2015) Rotter und Schmölzer-Eibinger (2015: 73) diskutieren das Schreiben im fachbezogenen Kontext aus prozeduraler Sicht und stellen fest, dass beim Schreiben die Inhalte neu konfiguriert werden, was dem Schreiben im fremdsprachlichen Unterricht den Rang einer sprachlichen und kognitiven Tätigkeit verleiht. Die Wissenschaftlerinnen kommen zu dem Schluss, dass besonders Zweit- oder Fremdsprachenlernenden das Darstellen und Verstehen von fachlichen Inhalten Probleme bereiten (vgl. Zielsetzung des Modells in Kap. 8.3.1, 8.3.2). Die Schwierigkeiten bei der Produktion von fremdsprachlichen Texten resultieren auch aus dem Fehlen von »Kontexten und Domänen differenzierter Erfahrung im Schreiben von Texten«, »Routine im Umgang mit schriftsprachlichen Anforderungen« sowie »basalen lexikogrammatischen Kenntnissen« (Rotter, Schmölzer-Eibinger 2015: 74). Darüber hinaus würden die Lernenden entsprechende Aufgabenkontexte benötigen, die die sprachlichen Leistungen hervorheben und eine individuelle sprachlich-orientierte Förderung gewährleisten. Diesem Ziel sollten vor allem die Auseinandersetzung mit dem Schreiben in unterschiedlichen fachlichen Kontexten (vor allem durch den Einsatz authentischer Materialien, vgl. Kap. 8.3.2) und der Einbezug des Schreibens in den Prozess des Fremdsprachenlernens dienen (vgl. Kap. 8.5). Rotter und SchmölzerEibinger (2015: 75) verwenden dabei den Begriff Textprozeduren, der die Verbindung zwischen Prozess und Produkt des Schreibens hervorhebt97. So sind die tatsächlichen Werkzeuge des Schreibens weder Stifte noch Computer, sondern sprachliche textuelle Prozeduren, die nicht die Phänomene der sprachlichen Oberfläche sind, sondern auf bestimmte Handlungsschemata hinweisen. Der Einsatz solcher Textprozeduren kann jedoch erst als Ergebnis der rezeptiven Sprecherfahrung erfolgen (Feilke 2014: 14). Durch die Textprozeduren eignet sich der Lernende unbewusst die Funktionen der Textmodule an (Steinseifer 2012: 66), sie sind domänen- und textsortengeprägt und können lexikalisch in Form von Kollokationen, syntaktisch in Form von grammatischen Konstruktionen und textlich in Form von Makroroutinen vorkommen (vgl. Rolle der Mikro-, Makro- und Metaanalyse in der Arbeit mit fachsprachlichen Texten im Fremdsprachenunterricht, Kap. 8.5.9). Dies ermöglicht unterschiedliche Konstellationen ihrer Einbettung (Feilke 2014: 11). Für die Didaktik stellen die Textprozeduren eine Bezugsgröße dar, denn »sie stehen beim Schreiben als Bausteine einer Texthandlung zur Verfügung und bilden ein Gerüst, das Handlungsoptionen selektiert und Formulieren erleichtert« (Rotter, Schmölzer-Eibinger 2015: 77). Die Textprozeduren bieten einen Rahmen zur Realisierung der Äußerungsabsichten, z. B. in Form von Informieren, Überzeugen etc., in denen ein neu er97 Mehr dazu in Feilke (2014: 11).

Schreibvermittlungsprozesse in der Fremdsprache

139

stellter Text angepasst werden kann (vgl. Kap. 8.3.1, 8.3.2, 8.4, 8.5.9). Das Wissen, wie ein solcher Rahmen entsteht und funktioniert, ist die kognitive Grundlage und sichert den Lernenden die Kapazitäten für eine Auseinandersetzung auch mit komplexeren Inhalten (Problemaufgaben). Die Lernenden, die den typischen Gebrauch in der Fremdsprache nicht kennen, können ihn weder beim Lesen inferieren noch beim Schreiben indizieren, deswegen benötigen sie eine intensive Förderung auf diesem Gebiet. Die präsentierten Überlegungen dienten als Grundlage für die Entwicklung eines prozedurenorientierten didaktischen Modells (vgl. auch Kap. 8.5.5), in dem die Prozeduren anhand des authentischen Materials gebildet und über den Gebrauch gespeichert und systematisiert werden. Um das zu erreichen, zielen die Aufgaben darauf ab, die Formen im Kontext darzustellen und die richtige Verwendung der bestimmten Strukturen zu evozieren (vgl. Kap. 8.5.3, 8.5.9). Sowohl die Elemente der Reflexivität als auch der Bearbeitung der Handlungsschemata wurden im Modell der fremdsprachlichen Schreibentwicklung von der Autorin der vorliegenden Arbeit eingesetzt. Beim Schreiben mit seiner visuellen Präsenz werden das eigene Handeln und Denken zum Thema der erweiterten Reflexion. Eine entscheidende Größe zum Erwerb von Konstruktionen ist »die Typik des Verhältnisses von Ausdruck und Gebrauchsschemata« (Rotter, Schmölzer-Eibinger 2015: 79). Dieses Modell ermöglicht den Lernenden, von der intuitiven, mündlich geprägten Sprachverwendung zum reflektierten schriftlichen Sprachgebrauch überzugehen. In dem Modell (Abb. 35) wird das Schreiben auf drei Ebenen thematisiert: – auf der Ebene des Inhalts – auf der Ebene der Prozedurenausdrücke – auf der Ebene der sprachlichen Handlungsschemata. Im prozedurenorientierten Modell wird die Rolle der Reflexion hervorgehoben, allerdings fehlt es an kulturspezifischen Inhalten bzw. äußeren Faktoren, die den Schreibprozess beeinflussen könnten. Modell der fremdsprachlichen Schreibentwicklung auf universitärer Stufe Das Modell der fremdsprachlichen Schreibentwicklung auf universitärer Stufe von Sorrentino (2012: 17) basiert auf dem Inklusionsmodell von Jakobs (1999: 184). In diesem Modell wurden die spezifischen kontextuellen und schreibprozessbezogenen Faktoren der fremdsprachigen Textproduktion berücksichtigt. Außerdem bezieht sich das Modell direkt auf die Vermittlung des Schreibens in der akademischen Umgebung (vgl. Abb. 36).

140

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Schritt 1: Herstellung von Basiswissen (durch Lesen, Diskussion) Präsentation von Diskussionsergebnissen - konzeptuelle Schriftlichkeit

Schritt 2: Verfassen von Kurztexten gemeinsames Reflektieren der Texte im Plenum Fokus auf den in den Texten realisierten Prozeduren und ihren Funktionen Scaffolding (Lernendes Entdecken von relevanten Äußerungsmustern und Handlungsschemata) Entstehung von Listen von Prozeduren (Überprüfung, ob die Prozeduren tatsächlich auch in anderen Texten aus dem Bereich vorkommen)

Schritt 3: Produzieren eines Textes Beachtung der Prozeduren bei der Realisierung der Aufgabe

Abb. 35: Prozedurenorientiertes didaktisches Modell. Eigene grafische Bearbeitung in Anlehnung an Rotter, Schmölzer-Eibinger (2015: 75).

Im Zentrum des Modells befindet sich der Schreibende, der den Text mit rekursiven Handlungen (Planen, Recherchieren, Beschaffen des Materials, Strukturieren, Formulieren und Überarbeiten) produziert. Die Handlungen stehen in einem engen Zusammenhang mit der Aufgaben- und Themenstellung, den verwendeten Arbeitsmitteln sowie der Unterstützung der Unterrichtenden. Nicht zu unterschätzen ist im Schreibprozess die Rolle des Langzeitgedächtnisses, in dem das Textmusterwissen als Orientierungssatz gespeichert wird. Wesentliche Faktoren dabei sind der Kulturraum und das damit verbundene Bildungssystem, in dem das Schreiben erlernt wurde. Sorrentino (2012: 15) weist darauf hin, dass die Studierenden, die das Schreiben in der Fremdsprache nicht regelmäßig üben, dazu tendieren, schon bekannte Textmuster aus der Muttersprache in die Fremdsprache zu übertragen, was dadurch zu erklären ist, dass sie von heimischen Unterrichtenden betreut werden, die in ihrer Muttersprache unterrichten und/oder nur wenig Leseerfahrung in der Zielsprache haben. Dieser Aspekt des Modells weckt Zweifel, denn die Textmuster unterscheiden sich in verschiedenen Sprachen voneinander. Deswegen ist es von großer Bedeutung, entweder die Textmuster mit vergleichendem Kommentar zu analysieren (vgl. Sensibilisierung

Schreibvermittlungsprozesse in der Fremdsprache

141

Kulturraum Handlungsraum Wissenschaft Textproduktionssituation Aufgabenstellung Benutzte Arbeitsmittel und -medien Textproduzent Textmusterwissen Schreibprozess Planen Recherchieren und Materialbeschaffung Strukturieren Formulieren Überarbeiten

Abb. 36: Modell der fremdsprachlichen Schreibentwicklung auf universitärer Stufe nach Sorrentino (2012: 17).

für interkulturelle Unterschiede, Kapitel 8.3.6) oder sie einsprachig zu behandeln. Das Modell von Sorrentino berücksichtigt zwar die Förderung der Unterrichtenden und die äußeren Faktoren, wie den Kulturraum oder das Bildungssystem, bezieht sich jedoch nur in sehr kleinem Umfang auf die Adressaten des Schreibprozesses und die Schreibaufgabe. Göpferich (2006: 264–280) weist darauf hin, dass verschiedene Schwächen bei der Textproduktion aus Defiziten in der Organisation des Schreibprozesses resultierten. Die Wissenschaftlerin schlägt vor, diese mithilfe folgender Strategien abzubauen. Anhand der dargestellten Analysen lässt sich festhalten, dass das fremdsprachliche und berufsbezogene Schreiben der Entwicklung eines separaten integrativen Modells bedarf, das sowohl die äußeren (Kulturraum, Bildungssituation) als auch die internen (Lernererfahrung, Niveau der Fremdsprache) Faktoren berücksichtigt und aufgrund seiner Komplexität (verbunden mit dem Ausdruck von Gedanken in der Fremdsprache) eine Förderungsphase sowie eine Reflexion nach der Texterstellung enthält. Ein Vorschlag zum berufsbezogenen Schreiben wird in Kapitel 8 präsentiert.

142

Vermittlung des berufsbezogenen Schreibens

Abb. 37: Strategien zum Abbau von Schreibdefiziten nach Göpferich (2006: 264–280).

3.6

Zusammenfassung

Im vorliegenden Kapitel wurden drei Perspektiven der Schreibkompetenz dargestellt: das Schreiben als Medium der Interaktion und des sprachlichen Handelns im Unternehmen, als Prozess der Gedankenstrukturierung zur Wissenskonstruktion und als Prozess des Lernens/ Problemlösens im beruflichen Kontext. Diese drei Facetten des Schreibens bildeten auch die Grundlage für die Entwicklung eines eigenen Modells des berufsbezogenen Schreibens, das in Kapitel 8 vorgestellt wird. Das Schreiben wird in der beruflichen Umgebung als kommunikative Handlung der Auswirkung zahlreicher Faktoren (soziale, kognitive, textspezifische, kulturspezifische) verstanden, die gleichgewichtig sowohl den Prozess als auch das Endprodukt beeinflussen. Der zunehmende Einfluss der elektronischen Medien beschleunigt die Schreibprozesse und erhöht ihre Transparenz für die mitarbeitenden Kommunikationspartner. Darüber hinaus sollte im fremdsprachlichen Unterricht die Vermittlung der Schreibkompetenz vor allem die Elemente der Projekt- und Partnerarbeit in einer modernen digitalen Umgebung mit Elementen inter- und intradisziplinärer Inhalte berücksichtigen. Während des Schreibens und durch das Schreiben kommt es auch zur Integration und Konstruktion vorhandener und neuer Wissensbestände, was durch die Entwicklung entsprechender Schreibstrategien und Techniken im berufsbezogenen

Zusammenfassung

143

Fremdsprachenunterricht optimiert werden kann. Es wird darauf hingewiesen, dass die Textmuster die Verwendung üblicher Elemente und bestimmter Formulierungen (z. B. Anrede, Verabschiedung), die als prozedurales Wissen gelten, implizieren. Die Fähigkeit, kompetente, adressaten- und zielorientierte Texte zu produzieren, ermöglicht einen Prozess, der sowohl als Lernprozess selbst als auch als Medium des Lernens (in diesem Fall als Prozess des Problemlösens) gelten kann. Die dargestellte Dreiteilung des Fokus auf die Funktionen und den Einsatz des Schreibens im beruflichen Leben bringt auch gewisse Implikationen für den berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht mit sich. Abschließend wurden drei unterschiedliche Modelle miteinander verglichen, die zur Vervollkommnung und Optimierung von fremdsprachlichen, berufsbezogenen Schreibprozessen führen sollen. Diese ergänzen sich und gelten als Grundlage für die Entwicklung des integrativen didaktischen Modells der Schreibkompetenzentwicklung im berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht.

4.

Untersuchungsdesign

In diesem Kapitel wird das eingesetzte Forschungsdesign erörtert. Diese Darstellung verfolgt zwei Ziele: Zum einen soll sie eine gut nachvollziehbare Begründung für die empirische Vorgehensweise geben, zum anderen auf die Zusammenhänge zwischen Theorie und Praxis hinweisen, die die Grundlage für das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Modell des fachspezifischen Schreibens im DaF-Unterricht in der tertiären Bildung sein werden. Das Kapitel gliedert sich in drei Teile: die Behandlung der theoretischen Desiderate, die gleichzeitig eine Grundlage für die vorliegende Untersuchung darstellt (Kap. 4.1), sowie die Beschreibung der quantitativen Fragebögen (Kap. 4.2) und der qualitativen Interviews (Kap. 4.3). Die im empirischen Teil dieser Arbeit dargestellte Untersuchung beruht auf dem Prinzip der Triangulation, die das Ergebnis zweier Prämissen ist: einerseits des Einsatzes des breit ausgelegten qualitativ-quantitativen Instrumentariums (Arbeitsgruppe Bielefeld 1996: 45), andererseits der Komplexität und Mehrdimensionalität des gewählten Forschungsbereiches (Fremdsprachenlehr- und -lernforschung) (vgl. Abb. 38). Dieser Mehr-Methoden-Ansatz ermöglicht es, »von verschiedenen Referenzpunkten aus die exakte Position des Objektes zu lokalisieren« (Jick 1983: 136). Die Verbindung von qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden (sog. Hybridansatz, vgl. Wilczyn´ska, Michon´ska-Stadnik 2010: 142–144), die die Gewinnung vielfältiger Daten ermöglicht, gilt als Kompensation für die nicht vermeidbaren Einschränkungen bei der Verwendung einzelner Methoden (Aguado 2004: 25). Darüber hinaus liegt das Potenzial des Triangulationsansatzes darin, unterschiedliche Perspektiven miteinander zu verbinden und möglichst verschiedene Aspekte des untersuchten Gegenstands zu thematisieren (Fluck 1991: 433).

146

Untersuchungsdesign

Objekt des Forschungsinteresses

Perspektive 1

Perspektive 2

Quantitativer Forschungsansatz

Qualitativer Forschungsansatz

(quantitative Fragebögen)

(qualitative Interviews)

Abb. 38: Grafische Darstellung der Methodentriangulation im folgenden Kapitel. Eigene Bearbeitung.

4.1

Behandlung der theoretischen Desiderate als Grundlage für den empirischen Teil

Anhand der dargestellten Literatur lässt sich feststellen, dass im Bereich des berufsbezogenen Schreibens immer noch Defizite hinsichtlich wissenschaftlicher Untersuchungen zu erkennen sind (vgl. die in Kap. 1.7 formulierten Desiderate). Die Prozesse, Methoden und Verfahren der schriftlichen Kommunikation am Arbeitsplatz, mit denen die Textproduktion erfolgt (Institution, Arbeitsaufgabe, Bedingungen am Arbeitsplatz, gewähltes Medium etc.), und ihr Einfluss auf das Schreiben wurden zwar in den Untersuchungen von Jakobs (1999, 2005, 2006, 2008, 2011, 2019) sowie Rüßmann (2018) gründlich erforscht (vgl. Kap. 2.6), es ist jedoch festzustellen, dass in diesen Untersuchungen vor allem deutsch- und englischsprachige Arbeitskontexte analysiert werden. In Bezug auf die polnischen Arbeitsbedürfnisse (Schreibkompetenzentwicklung in Anlehnung an die Situation am Arbeitsplatz) lassen sich nur weinige Untersuchungen nennen, die das angesprochene Thema jedoch nur fragmentarisch darstellen (Makowski 2014, 2018b, 2018c, Kic-Drgas 2017a, 2017b). Deswegen liegt der Fokus des Interesses der quantitativen Untersuchung (vgl. Kap. 5) auf der Darstellung der Situation am Arbeitsplatz (hier werden Philologen mit Nicht-Philologen verglichen) im polnischen Kontext, um die angesprochene wissenschaftliche Lücke zu schließen. Mit der Beschreibung der Schreibkompetenzentwicklung im akademischen Kontext in Polen beschäftigten sich Iluk (2010, 2011, 2021), Lipin´ska (2006, 2016),

Behandlung der theoretischen Desiderate als Grundlage für den empirischen Teil

147

Łompies´ (2018), Pawłowska-Balcerska (2017) sowie Wysocka (1989). In allen Fällen konzentrieren sich die Untersuchungen jedoch auf das wissenschaftliche (Iluk) oder allgemeine Schreiben (Pawłowska-Balcerska, Lipin´ska, Wierzbicka) in der Fremdsprache. Als Versuch einer Systematisierung wurde in der vorliegenden Arbeit eine ergänzende Definition der Berufssprachendidaktik (vgl. Kap. 2.2) vorgeschlagen, in deren Rahmen das berufsbezogene Schreiben entwickelt wird, sowie ein aufgrund der theoretischen Überlegungen vervollständigtes Bild der Schreibkompetenz zwischen akademischer Bildung und beruflicher Realität, die in die grafische Darstellung (Abb. 39) der in den Kapiteln 1 bis 3 erwähnten Aspekte resultiert und zugleich Teil der Grundlage für das in Kapitel 8 präsentierte Modell ist.

Wissenskonstruktion Lernmedium

Interaktionsmedium

Schreibkompetenz

Universität sprachliche Verarbeitung kognitiver

Arbeitsplatz Handeln im Fach

Strukturen

berufsbezogener Fremdsprachenunterricht

Abb. 39: Berufsbezogene Schreibkompetenz. Eigene Bearbeitung.

Eine große Lücke weisen immer noch jene Studien auf, die sich mit der Didaktisierung der Schreibentwicklung befassen und die von Szerszen´ (2017b: 137) angemerkte Möglichkeit der Schaffung von neuen Fachfremdsprachenunterricht-Curricula (in erster Linie in der Sparte DaF-Fachsprachenunterricht) für Schulen (v. a. im sekundären Bereich) sowie für Hochschulen in Deutschland

148

Untersuchungsdesign

und Polen anbieten (vgl. auch Kap. 2.7). In diesem Bereich gibt es wertvolle Beiträge von Fischer-Kania (2008), Efing (2014, 2018) und Szerszen´ (2017a, 2017b, 2018). Die erwähnten Untersuchungen betreffen den Einsatz von berufsbezogenen Inhalten in DaF-/DaZ-Lehrplänen, fokussieren jedoch nicht im Detail die Entwicklung einzelner Sprachkompetenzen. Erwähnenswert sind hier ein Beitrag zur Entwicklung der Schreibfertigkeit im Fremdsprachenunterricht aus Sicht der Fremdsprachencurricula von Iluk (1997) sowie ein didaktischer Vorschlag für das Schreiben im akademischen Kontext, ebenfalls von Iluk (2021). Als Antwort auf die identifizierten Wissens- und Forschungsdefizite wird mit der vorliegenden Arbeit mit Schwerpunkt auf dem Aufbau der fremdsprachlichen Schreibkompetenz im Fremdsprachunterricht an Hochschulen der Versuch unternommen, die identifizierten wissenschaftlichen Lücken zu schließen und das Konzept im berufsvorbereitenden Schreibunterricht einzusetzen. Die Verbindung von quantitativ-qualitativen Untersuchungen in der Berufswelt (vgl. Kap. 5) und an Hochschulen (Kap. 6) gibt einen vertieften Einblick in den komplexen Charakter des berufsorientierten Schreibens selbst, aber auch in den schreibbezogenen Lehrprozess (Kap. 7). Die gewonnenen Ergebnisse lassen sich auch praktisch einsetzen und sollen zur Optimierung der Schreibkompetenzentwicklung an Hochschulen und dadurch zu einer besseren Vorbereitung künftiger Mitarbeiter auf die Erfordernisse der Arbeitswelt beitragen. Daher sollten die in den folgenden Kapiteln durchgeführten Analysen als didaktische Interpretation der schreiborientierten Forschung gelten (Ossner 1995). Aufgrund der Tatsache, dass das Schreiben ein wichtiges Element der Kommunikation in der Berufswelt ist (Kap. 3.1 sowie 5.2), erfordert die Umsetzung der schriftlichen Aufgaben am Arbeitsplatz die Entwicklung dieser Kompetenz, die bereits auf der Stufe der Hochschulausbildung erreicht werden sollte, um im Rahmen des lebenslangen Lernens viele der heute noch nicht vorhersehbaren Situationen professionell meistern zu können. Es ist zu erwähnen, dass das Schreiben im allgemeinen Kontext eine der Fähigkeiten ist, die in den offiziellen europäischen Dokumenten zu Sprachkenntnissen, wie z. B. den Rahmencurricula oder dem CEFR Companion Volume98, beschrieben werden, aber es fehlt immer noch an speziellen Studien zum Schreiben zu beruflichen Zwecken, die eine strukturiertere und aktuellere Entwicklung dieser wichtigen beruflichen Kompetenz, nämlich des Schreibens, ermöglichen würden. Das in dieser Arbeit entwickelte Modell (Kap. 8) möchte genau diese Funktion erfüllen. Ein adäquates Modell zum Schreiben für professionelle Zwecke wurde nach Kenntnis der Autorin bisher nicht entwickelt.

98 https://rm.coe.int/cefr-companion-volume-with-new-descriptors-2018/1680787989, 12. 04. 2020.

Behandlung der theoretischen Desiderate als Grundlage für den empirischen Teil

149

Eine wichtige Inspiration für die Autorin der vorliegenden Veröffentlichung, mit der Recherche zu beginnen und weiterführende Studien zum Thema durchzuführen, waren die bisher entwickelten Rahmencurricula zum studienbegleitenden Deutschunterricht (2005–2010: Projekt »Studienbegleitender Deutschunterricht an Universitäten und Hochschulen in Bosnien und Herzegowina, Frankreich, Italien, Kroatien, Makedonien, Rumänien und Serbien«). Die Dokumente stellten eine Adaption des GER für den hochschuleigenen Fremdsprachenunterricht (Serena, Baric´ 2021: 33) dar. Sie basieren jedoch, im Gegensatz zu dem in der vorliegenden Arbeit entwickelten Konzept, weder auf einer detaillierten Bedarfsanalyse noch auf funktionierenden Good-PracticeBeispielen. Ihre Rolle war es, allgemeine Empfehlungen zur studienbegleitenden Unterrichtsgestaltung anzubieten. Im Rahmen des erwähnten Projektes wurde das bis heute vollständigste99 Curriculum für den studienbegleitenden berufsbezogenen Fremdsprachenunterricht für Hochschulen entwickelt, das zugleich die polnische Realität berücksichtigt100. Deswegen ist dieses Dokument für die vorliegende Arbeit sehr wichtig. Das erwähnte Companion Volume101 ist wiederum das aktuellste und neueste Dokument, das die Beschreibung der Sprachkompetenzen und von deren Vermittlungsstrategien enthält. Es ist zu betonen, dass das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Modell als ein integrierter Teil des Konzepts des Companion Volume zu verstehen ist, das eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von zielsprachlichen Lehrplänen, curricularen Richtlinien, Lehrwerken in der europäischen Spracharbeit sowie die Förderung von Mehrsprachigkeit, Autonomie (lebenslanges Lernen) und Mehrsprachigkeit bietet. Beide Dokumente bilden den Ausgangspunkt für die Erstellung des eigenen Modells der Entwicklung der Schreibkompetenz. Darüber hinaus ist zu betonen, dass die beschriebenen Rahmencurricula studienbegleitenden und nicht berufsbezogenen Charakter haben, sich somit auf allgemeine Beispiele beschränken und nicht auf die Realität des Arbeitsplatzes bezogen sind. Die Rahmencurricula wurden in den Jahren 2005 bis 2010 entwickelt (Serena, Baric´ 2021: 33), später jedoch nicht revidiert. Daher berücksich99 Im Jahr 1998 wurde das erste Rahmencurriculum für Fremdsprachenlektorate veröffentlicht, https://www.goethe.de/resources/files/pdf237/1998_rc_fr_fremdsprchenlektorate_de utsch_als_fremdsprache_an_polnisch.hochsch._u._univ.pdf, 11. 11. 2021. 100 »Rahmencurriculum für Deutsch als Fremdsprache im studienbegleitenden Fremdsprachenunterricht an den Universitäten und Hochschulen in Polen, in der Slowakei und in Tschechien«, https://www.goethe.de/resources/files/pdf241/rc_polenslowakeitschechien-2 006.pdf, 11. 11. 2021. 101 Der CEFR Companion Volume aktualisiert und erweitert den GER und fügt Deskriptoren für Aspekte der Mediation, der Online-Interaktion und der mehrsprachigen/plurikulturellen Kompetenz hinzu (mehr dazu: https://rm.coe.int/cefr-companion-volume-with-ne w-descriptors-2018/1680787989, 12. 04. 2020).

150

Untersuchungsdesign

tigen einige Elemente nicht die aktuellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und die damit verbundenen Bedürfnisse der modernen Unterrichts- und Berufswirklichkeit. Die grundlegenden Ausführungen des in dieser Arbeit vorgeschlagenen Modells resultieren aus einer eingehenden empirischen (quantitativ-qualitativen) Forschung (Kap. 5 und 6), die 2018/2019 sowohl im akademischen als auch im beruflichen Umfeld durchgeführt wurde und somit auf die aktuellen Anforderungen des Arbeitsmarktes, aber auch auf die Bildungsbedürfnisse im Zusammenhang mit der sich verändernden Situation an polnischen Hochschulen eingeht. Das Modell versteht sich somit als unabhängiges Ergebnis der durchgeführten Untersuchungen, darunter der sprachlichen Bedarfsanalyse.

4.2

Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern

In diesem Teil des Kapitels werden einleitende Informationen zur quantitativen Untersuchung gegeben. Das Augenmerk richtet sich vor allem auf die Beschreibung des Forschungsziels (Kap. 4.2.1), des Forschungsgegenstands (des Forschungsobjekts) (Kap. 4.2.2), der Forschungshypothesen (Kap. 4.2.3) sowie der Konzeptualisierung der Untersuchungsgegenstände (Kap. 4.2.4). Darüber hinaus werden die Überlegungen zum Forschungsinstrument (Kap. 4.2.5 – Aufbau und Design des Fragebogens, Kap. 4.2.6 – Vor- und Nachteile der OnlineBefragung) und zu den Untersuchungsteilnehmern (den Forschungssubjekten, vgl. Kap. 4.2.7 – Grundgesamtheit und Stichprobe) dargestellt. Beschrieben werden außerdem die Forschungsbedingungen und das gewählte Forschungsgebiet. Abschließend wird auf die Schwierigkeiten und Einschränkungen eingegangen, die sich bei der Durchführung der Untersuchung (vgl. Kap. 4.2.8) ergaben.

4.2.1 Untersuchungsziel Vor dem Hintergrund des skizzierten Forschungsdesiderats und der allgemeinen Desiderate (vgl. Einleitung, Fragenkomplex 1 und 2 in Abb. 1, Kap. 1.7 und Kap. 4.1) besteht das übergeordnete Ziel dieses Teils der Arbeit darin, die im Berufskontext benötigten fremdsprachigen Schreibfähigkeiten empirischquantitativ zu analysieren und Prozessmerkmale der schriftsprachlichen Unterrichtsgestaltung und -qualität zu ihrer Erklärung heranzuziehen. Diese empirischen Wirkungsanalysen setzen an ausgewählten Punkten des Schreibun-

Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern

151

terrichts an, deren Sicht- und Tiefenstrukturen umfangreich dokumentiert werden. Um die Ausprägungen der Dimensionen des Schreibens im beruflichen Milieu, wie Schreibgründe, Schreibmotivation, Textsorten, potenzielle Schreibschwierigkeiten, Einbringen eigener Vorstellungen, Ideen, Gedanken (Schreiberindividualität), schreibbedingte Schreibstrategien, Beliebtheit der Korrekturformen, Darstellung von Fachinhalten zu erheben und etwaige Tendenzen feststellen zu können, wurde ein Fragebogen für die Gruppe der Berufstätigen (siehe Anhang 1 (Polnisch) und 2 (Deutsch)) eingesetzt. Die Motivation, die authentische (Schreib-)Situation zu analysieren, war auch durch den Hinweis von Zhao (2002: 47) bedingt: Um die Textsorten in der Wirtschaftskommunikation zu analysieren und letztendlich eine Typologie dafür zu entwickeln, sollten m. E. vor allen Dingen empirische Untersuchungen darüber durchgeführt werden, welche Textsorten tatsächlich in der Wirtschaftskommunikation benutzt werden. (Zhao 2002: 47)

Aufgrund der Komplexität des Forschungsbereichs wurde die Befragung in vier Teile gegliedert, die den einzelnen Etappen des Schreibprozesses sowie dem Umgang mit potenziellen Schwierigkeiten entsprechen. Die Antworten auf die Hauptforschungsfragen: »WAS, WIE, WO, WANN und WOZU schreiben Berufstätige?«, und »WAS haben sie nachholen müssen, weil sie es in ihrer Ausbildung nicht vermittelt bekommen haben?«, liefern die Grundlage für den Aufbau eines Schreibmodells für fachsprachenbezogenen Fremdsprachenunterricht (siehe Abb. 40). Quantitative Befragung (was, wie, wo, wann, wozu?)

Formulierung der Schreibbedürfnisse am Arbeitsplatz

Schreibmodell für den berufsvorbereitenden Deutschunterricht Abb. 40: Darstellung des Untersuchungsziels der quantitativen Befragung. Eigene Bearbeitung.

Im Einzelnen wird in der Untersuchung folgenden übergreifenden Fragestellungen nachgegangen (vgl. dazu Kap.1.6, Kap. 2.6):

152

Untersuchungsdesign

Leitende Fragestellung: – Welcher Stellenwert wird dem Schriftverkehr im internationalen wirtschaftlichen Bereich zugeschrieben? – Welche Bedürfnisse äußern die Mitarbeiter in Bezug auf fremdsprachliches Schreiben am Arbeitsplatz? Nebenforschungsfragen: – Welche Schwierigkeitsfaktoren in Bezug auf das fremdsprachliche Schreiben sehen die Mitarbeiter internationaler Unternehmen? (sprachliche vs. außersprachliche Faktoren, z. B. Zeitdruck, Anzahl der E-Mails pro Stunde etc.) – Wie erfolgt die Förderung der fachsprachlichen Schreibkompetenz im wirtschaftlichen Bereich? (Werden Schreibkurse angeboten? Gibt es fertige Schreibmuster, Glossare?) – Welche (Fach-)Texte werden im internationalen wirtschaftlichen Bereich am häufigsten zusammengestellt? – Welche Erwartungen haben potenzielle Arbeitgeber in Bezug auf das fremdsprachliche Schreiben angehender Mitarbeiter? In diesen Fragestellungen werden linguistische, deutschdidaktische und pädagogische Perspektiven im Rahmen der empirischen Bildungsforschung miteinander verknüpft, die in vorherigen Kapiteln der vorliegenden Arbeit eingeführt wurden (vgl. Kap. 1, 2 und Kap. 3). Die Nebenforschungsfragen liefern wertvolle Informationen zur Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen: a) im Bewerbungsverlauf (Wurden Ihre Deutschkenntnisse während des Vorstellungsgesprächs geprüft? Wenn ja, was wurde im Vorstellungsgespräch überprüft?) b) bezüglich der Art und Weise des Schreibens (Wann schreiben Sie mit der Hand? Wann schreiben Sie am Computer?), des potenziellen Bedarfs an Schreibschulungen für Berufstätige (Würden Sie gerne an einem fachspezifischen Fremdsprachenkurs mit Schwerpunkt Schreiben teilnehmen?) sowie c) hinsichtlich der Fremdsprachenpolitik der Unternehmen im Kontext der Schreibentwicklung (Wird Ihnen beim Erstellen von fremdsprachlichen Texten im fachspezifischen Kontext im Unternehmen Hilfe geleistet? In welcher Form?).

Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern

153

4.2.2 Untersuchungsgegenstand Der Untersuchungsgegenstand sollte möglichst genau sachlich, zeitlich und räumlich präzisiert werden, um ein ganzheitliches Bild der zu erforschenden Frage zu vermitteln (Fühles-Ubach 2012: 181)102. Daher wurde die Beschreibung anhand der nachfolgend dargestellten Punkte entwickelt (vgl. Abb. 41). sachliche Präzisierung Vorbereitung auf den Schriftverkehr am Arbeitsplatz

der Untersuchungsgegenstand

räumliche Präzisierung

zeitliche Präzisierung

Unternehmen, in denen Mitarbeiter schriftlich auf Deutsch kommunizieren

Zeitraum: Dezember 2018 bis Februar 2019

Abb. 41: Darstellung des Untersuchungsgegenstands, quantitative Untersuchung. Eigene Bearbeitung.

Zeitliche Präzisierung Die Befragung wurde in Form eines Online-Fragebogens (Google Docs) durchgeführt103,104. Das Formular wurde zunächst an einer kleineren Gruppe (15 Personen) im Rahmen einer Pilotstudie getestet. Diese Studie dauerte zwei Wochen und hatte neben der Sammlung erster Ergebnisse zum Ziel, die Verständlichkeit der gestellten Fragen zu überprüfen. Durch die Pilotphase der Untersuchung konnten bereits einige Ungenauigkeiten im Fragebogen reduziert und die fehlende Klarheit einiger Fragen oder ein zu enger Bereich der vorgeschlagenen 102 »Grundsätzlich gilt, dass der Untersuchungsgegenstand der Befragung sachlich, zeitlich und räumlich so genau wie möglich einzugrenzen ist, um bei der Inklusion bzw. Exklusion der Merkmalsträger klare Entscheidungen treffen zu können.« (Fühles-Ubach 2012: 181) 103 Mehr zum Einsatz von Online-Befragungs-Tools in Klein (2017: 192). 104 Der Fragebogen ist abrufbar unter: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLScvekly A27JMhzldVb3VV4RsXHE1i4eh8rSBcHh2PCsKM9Pzg/viewform?vc=0&c=0&w=1&usp= mail_form_link.

154

Untersuchungsdesign

Antworten korrigiert werden. Die Teilnehmer der Pilotbefragung wurden auch persönlich gebeten, ihre Meinung zur Verständlichkeit des Fragebogens zu äußern. Der einzige Aspekt, der nicht geändert wurde, war die Länge des Fragebogens, weil die Fragen der Sammlung möglichst vieler Informationen dienen sollten, die anderweitig schwer zu beschaffen sind. Nach Umsetzung der gesammelten Verbesserungsvorschläge begann am 01. 12. 2018 die eigentliche Phase der Untersuchung, die bis zum 20. 12. 2018 dauerte. Dieses im Vorfeld festgelegte Datum wurde jedoch wegen der geringen Anzahl der eingegangenen Fragebögen (80) bis Ende Februar 2019 verlängert. Sachliche Präzisierung Die Zielgruppe, die in der Untersuchung angesprochen wurde, sollte den folgenden Anforderungen entsprechen: – die Befragten sollten eine aktive Mitarbeitergruppe im wirtschaftlichen Sektor sein, – die schriftliche Kommunikation sollte auf Deutsch zu beruflichen Zwecken erfolgen. Vor allem wurden Mitarbeiter von Großunternehmen, wie u. a. VW, MAN, SOLARIS, CAPGEMINI, IKEA, LIDL, aber auch kleinerer Unternehmen befragt, in denen Deutsch als Unternehmenssprache gilt. In der Untersuchung wurden sowohl Absolventen der philologischen als auch der nicht-philologischen Studiengänge berücksichtigt, um die möglicherweise vorliegenden Unterschiede in der Vorbereitung und im Einsatz der schriftlichen Kommunikation am Arbeitsplatz zwischen beiden Gruppen herausarbeiten zu können. Räumliche Präzisierung Räumlich wurde die Untersuchung auf ganz Polen ausgedehnt, was sich aus zwei Faktoren ergab: den Schwierigkeiten der Identifizierung der Grundgesamtheit (gesamte Population, die bestimmten Kriterien entspricht) und dem Zugang zu potenziellen Respondierenden bzw. ihrer Trägheit beim Ausfüllen des Fragebogens. Die Gesamtheit der schriftlich auf Deutsch kommunizierenden Mitarbeiter lässt sich nur schwer einschätzen (es gibt keine exakten Quellen, die die Zahl der Mitarbeiter bzw. den Umfang der Aufgaben im privaten Wirtschaftssektor angeben). Deswegen kann keine genaue Aussage zur Grundgesamtheit gemacht werden. Es ist anzunehmen, dass die Berücksichtigung der gesamten Bevölkerung Polens die Sammlung einer größeren Respondentenprobe ermöglicht, als es bei Einschränkung der Untersuchung auf eine einzige Region (z. B. Großpolen/ Wielkopolska) der Fall wäre.

Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern

155

Ein weiteres Argument für die Durchführung einer Vollerhebung waren die Schwierigkeiten bei der Sammlung von Antworten in der beruflichen Umgebung (mehr dazu in Kap. 4.2.6). Deswegen wurde vermutet, dass bei einem größeren Erhebungsumfang (größere Fläche, auf der die Untersuchung durchgeführt wird) mehr Antworten gesammelt werden konnten, da durch private Netzwerke zusätzliche Ergebnisse gewonnen werden konnten, was für die Rückmeldungsquote entscheidend war.

4.2.3 Hypothesen Für die vorliegende Untersuchung wurden aufgrund theoretischer Recherche folgende Forschungshypothesen aufgestellt: – Das fremdsprachliche berufsbezogene Scheiben beeinflusst die Fremdsprachenkompetenzentwicklung. In der einschlägigen Literatur sind dazu geteilte Meinungen zu finden. Krumm (1989: 5) hebt hervor, dass die Entwicklung von Schreibfertigkeiten in einer Fremdsprache die schnelle Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten hemmt. Dagegen wurde der positive Einfluss des Schreibens auf die kommunikative Kompetenz im akademischen Kontext (Wissenschaftssprache) in den Beiträgen von Iluk (2012, 2021) und Łompies´ (2018) thematisiert. Die Autorin wollte die Frage auf dem Boden des berufsbezogenen Schreibens untersuchen, sodass zusätzlich der berufsbezogene Kontext berücksichtigt wird. Auf die Rolle des Schreibens im Fremdsprachenunterricht wurde genauer in Kapitel 3.2 eingegangen, auch das Schreiben als Lernprozess und Lernmedium wurde in Kapitel 3.3 angesprochen. – Das fremdsprachliche berufsbezogene Schreiben beeinflusst das Reflexionsvermögen. Die Reflexion ist ein wichtiger Teil des Schreibprozesses, der aber in den beschriebenen Modellen zur Schreibvermittlung nicht immer berücksichtigt wurde (vgl. Kap. 3.2 und Kap. 3.3). Deswegen beabsichtigt die Autorin der vorliegenden Arbeit, zu prüfen, wie die im Prozess des Schreibens eingesetzte Reflexivität (auf der Etappe des Planens, Strukturierens, Evaluierens) das Vermögen der allgemeinen Reflexion eigener Probleme in der fremdsprachlichen Kommunikation beeinflusst.

156

Untersuchungsdesign

– Eine unzureichende Vorbereitung auf die schriftliche Kommunikation verursacht Schwierigkeiten bei der Kommunikation am Arbeitsplatz. Die Rezeption und Produktion von berufsbezogenen Texten und Fachtexten bereiten den Mitarbeitern Schwierigkeiten, was eine von Kic-Drgas (2018 a) durchgeführte Pilotstudie bestätigte. Eine andere Untersuchung (Kic-Drgas 2015) derselben Autorin weist auf die Bedeutung der präzisen Kommunikation für das effiziente Funktionieren eines Unternehmens hin. Unter den Faktoren, die zu den Kommunikationsproblemen beitragen, wurde das Fehlen entsprechender Kommunikationstrainings, aber auch fehlendes Fachwissen genannt. Die obige Hypothese wurde zum Zweck der vertieften Analyse dieses Aspekts formuliert (vgl. auch schriftliche Interaktionen im Unternehmen, Kap. 3.1, und Rolle des Schreibens in der Wissenskonstruktion, Kap. 3.4). Wenn Probleme mit der schriftlichen Kommunikation am Arbeitsplatz entstehen, resultieren sie wahrscheinlich aus dem fehlenden Umgang mit entsprechenden Texten bzw. ungenügender Sprachenbeherrschung im Studium. Iluk (2021: 30) (vgl. auch Iluk 2010: 24) nennt »das kommunikativ-funktionale Schreiben im Fremdsprachenunterricht anhand einer stark beschränkten Anzahl von Textmodellen vermittelt« als eine der Ursachen der defizitären Entwicklung der Schreibkompetenz. Die Hypothese wurde anhand dieser Feststellung formuliert (vgl. auch Thonhauser-Jursnick (2000: 197) und Fischer-Kania (2008: 492)) (vgl. auch Kap. 1.7 und Kap. 4.1).

4.2.4 Konzeptualisierung der Untersuchungsgegenstände Das erstellte Untersuchungsinstrument dient der Sammlung von Informationen, die zur Verifizierung der gestellten Hypothesen dienen. Bei der Durchführung der Untersuchung wurde auf Objektivität, Reliabilität und Validität geachtet (Fühles-Ubach, Umlauf 2013: 81, Riemer 2014: 24) (vgl. Abb. 42).

4.2.5 Aufbau und Design des Fragebogens Das Fragebogenformular besteht aus 42 Fragen105, die in vier Sektionen gegliedert sind: I. Angaben zur Person II. Informationen zum Schreiben am Arbeitsplatz III. Informationen zum Erlernen des Schreibens im Studium IV. Informationen zur Verbesserung des Schreibens am Arbeitsplatz 105 Zum Fragebogen in polnischer Sprache vgl. Anhang 1.

Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern Objektivität genaue Definierung des Untersuchungsgegenstands (Mitarbeiter des Wirtschaftssektors, die schriftlich in deutscher Sprache kommunizieren) und des Untersuchungsziels (Feststellung der Bedürfnisse der Mitarbeiter im Kontext der schriftlichen Kommunikation)

Reliabilität Standardisierung der Auswertung des eingesetzten Fragebogenformulars (was das System Google Docs ermöglicht) Absicherung sowohl der situativen als auch der personenbezogenen Unabhängigkeit durch die OnlineBefragung

157

Validität Messung der eigentlich beabsichtigten Größen

Bearbeitung der Grundlagen der berufsvorbereitenden Schreibdidaktik

Möglichkeit der vielfachen Wiederholung der Untersuchung Abb. 42: Drei Prinzipien der Befragung, basierend auf Fühles-Ubach, Umlauf (2013: 81).

Aufgrund der Anzahl der Fragen, und um den Auswertungsprozess möglichst zu standardisieren, haben die Fragen eine geschlossene Form106, wobei unterschiedliche Arten von geschlossenen Fragen107 eingesetzt wurden. Einige der möglichen Klassifikationen werden nachstehend präsentiert: – Dichotome Fragen, z. B.: Wurden Ihre Deutschkenntnisse während des Vorstellungsgesprächs geprüft? Ja/ Nein – Alternativfragen (Multiple Choice-Fragen), z. B.: Welche Hilfen verwenden Sie beim Schreiben auf Deutsch im fachspezifischen Kontext? o Beispiele von Sätzen o Beispiele von Texten o Fachbegriffe o Mind-Maps o Satzanfänge o thematisch geordnete Wortlisten – Gewichtungsskala, z. B.: Was haben Sie auf Deutsch im Studium geschrieben? Wie häufig?

106 Nur eine Frage hat eine offene Form, bei der die Befragten identifizieren sollten, aus welchem Land die Kapitalgruppe des Unternehmens kommt. 107 Nach der Klassifikation in Kotler, Bliemel (1999: 199).

158

Untersuchungsdesign

Anschreiben/ Begleitschreiben sehr oft

oft

manchmal

fast nie

Im Fragebogen wurden Fragen mit nur einer zulässigen Antwort (Einfachnennung) gestellt, bei der sich die befragte Person für eine der vorgegebenen Alternativen entscheiden muss, sowie Fragen mit mehr als einer zulässigen Antwort (Mehrfachnennungen), bei denen die Respondierenden ihre Antworten unter mehreren der vorgegebenen Kategorien auswählen können (Porst 2014: 54–55). Bei der Erstellung des Fragebogens wurde das Prinzip der Auskoppelung genutzt, d. h., Fragen, die die Befragten nicht betreffen, werden von ihnen übersprungen, um das Ausfüllen des Fragebogens zu beschleunigen (z. B.: Achten Sie beim Schreiben auf die Rechtschreibung?): o Ja o Nein Wenn ja, wie korrigieren Sie Ihre Texte? Mithilfe … o des Korrekturprogramms im Computer o von Online-Wörterbüchern o von gedruckten Wörterbüchern o Sonstiges ………………………… Unter Sonstiges können die Respondierenden eigene Antworten hinzufügen. Zwar eignen sich die geschlossenen Fragen nicht zur Erörterung komplexer Einheiten (Schnell et al. 1998: 306), aber sie ermöglichen, schnell eine große Anzahl von Antworten zu sammeln. Auch in der beschriebenen Untersuchung stellte der Fragebogen den Ausgangspunkt für eine qualitative Befragung (in Form von Interviews) dar. Die durchschnittliche Zeit, die für das Ausfüllen des Fragebogens benötigt wurde, betrug 15 bis 20 Minuten, was dadurch erreicht wurde, dass die Probanden die Fragen nur durch Anklicken beantworteten mussten und nicht gezwungen waren, zusätzliche Informationen einzutragen. Der Online-Fragebogen wurde auf Polnisch formuliert, um Verständigungsschwierigkeiten zu vermeiden und umfassende Meinungen zu sammeln. Es wurden sowohl Absolventen philologischer als auch nicht-philologischer Studienrichtungen gebeten, die Fragen zu beantworten.

Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern

159

4.2.6 Online-Befragung – Vor- und Nachteile Online-Befragungen stellen zunehmend eine Alternative zur traditionellen Erhebung von Daten dar (Taddicken 2009: 91). Zu ihren größten Vorteilen, die auch die Wahl dieses Instruments für die folgende Untersuchung beeinflusst haben, gehören: – Zeiteffizienz bei der Abwicklung und Durchführung der Befragung sowie bei der Auswertung und Präsentation von Daten – Geringer Kostenaufwand – Erreichen einer hohen Reichweite – Möglichkeit einer Randomisierung in der Reihenfolge der Fragen bzw. der Antwortkategorien sowie die Möglichkeit einer automatisierten Fehlerkorrektur – Automatisierbarkeit und somit hohe Objektivität (keine Gruppeneffekte, keine Versuchsleiter-Effekte etc.) – Bessere Erreichbarkeit von manchen Personenkreisen, die offline nur schwer erreichbar sind – Relativ heterogene Stichprobenzusammensetzung – Möglichkeit der Kontrolle der Zahl und Qualität der erteilten Antworten – Hohe Akzeptanz aufgrund von Freiwilligkeit, Flexibilität und Anonymität – Hohe Transparenz der Online-Studien – Sofortige Verfügbarkeit der erhobenen Daten. Die erhobenen Daten werden automatisch direkt in eine Datenbank eingespeist und sind somit sofort verfügbar. Dadurch werden Eingabefehler, wie bei der Codierung von schriftlichen Fragebögen, vermieden und die Daten besitzen eine hohe Qualität (Batinic et al. 1999: 93, Brosius, Koschel 2001: 141, Möhring, Schlütz 2003: 147, Thielsch, Weltzin 2012: 111). Es muss jedoch betont werden, dass eine Online-Befragung trotz vieler Vorteile auch Nachteile aufweist, die bei der Wahl dieser Forschungsmethode zu berücksichtigen sind. Zu den meistgenannten Mängeln dieser Methode gehören der Aufwand der für die Programmierung der Online-Befragung benötigten Zeit und eventuelle technische Schwierigkeiten, z. B. aufgrund veralteter Soft- und/ oder Hardware. Darüber hinaus müssen die eingesetzten Programme fehlerfrei sein, was meistens durch eine Prä-Test-Phase sichergestellt werden kann (Thielsch, Weltzin 2012: 111). Dass kein direkter Kontakt zu den Befragten besteht und ältere Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert sind, sind zusätzliche Probleme, die beim Einsatz einer Online-Befragung entstehen können. In der vorliegenden Untersuchung wird die erstgenannte Schwierigkeit durch den Einsatz von Interviews (als Teil der Methodentriangulation) jedoch behoben. Der zweite Nachteil (fehlende Repräsentativität der älteren Generation) ist für die

160

Untersuchungsdesign

Objektivität der Untersuchung nicht gravierend, weil die Befragung sich hauptsächlich an die Gruppe der aktiven Berufstätigen wendet, die als Herausforderung der Arbeitswelt Zugang zum Computer und zum Internet haben müssen.

4.2.7 Grundgesamtheit und Stichprobe Die Grundgesamtheit wird in der vorliegenden Arbeit als alle für die Untersuchung infrage kommenden Personen (Raithel 2010: 54) verstanden. Als Grundgesamtheit gelten somit »alle potenziell untersuchbaren Einheiten bzw. Elemente, die ein gemeinsames Merkmal (oder eine gemeinsame Merkmalskombination) aufweisen« (Bortz 1993: 84). Um die Gesamtheit der Befragtengruppe zu definieren, wurden folgende gemeinsame Gruppenmerkmale als Voraussetzung bestimmt: – Beschäftigung im Wirtschaftssektor (Fremd- sowie Selbstbeschäftigung) – Teilnahme am Schriftverkehr auf Deutsch (in jeder Form). Variablen in der Befragtengruppe: – Studienabschluss (philologisch, nicht-philologisch) – Abteilung im Unternehmen, in der die Person arbeitet – Geografischer Hauptsitz des Unternehmens – Alter – Arbeitserfahrung. Die genaue Feststellung der Größe der Zielgruppe war nicht möglich, was auch entscheidend die Bestimmung (und genaue Berechnung) der minimalen Stichprobe, die die statistische Repräsentativität sichert, erschwerte. Eine zusätzliche Schwierigkeit stellte die Tatsache dar, dass die angestrebte Befragtengruppe kein Interesse am Ausfüllen des Fragebogens hatte, was die Differenz zwischen der Zahl der verschickten Einladungen und der Rückmeldungsquote bestätigte (siehe unten stehende Tabelle): Tab. 17: Darstellung der Rückmeldequote. Eigene Bearbeitung. Anzahl der verschickten E-Mails mit Anfragen/ Einladungen zur Teilnahme an der Untersuchung 600

Rückmeldequote Vollständig ausgefüllte Fragebögen 300 242

Prozent der erhaltenen Antworten 40,3 %

Zwar betrug die Rückmeldungsquote 40,3 %, jedoch ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass in die Durchführung der Befragung keine Unternehmen in-

Quantitativer Forschungsansatz – Fragebögen mit Mitarbeitern

161

volviert wurden. Laut einigen Quellen108 liegt die Antwortquote bei Fragebögen, die nicht von übergeordneten Institutionen geschickt werden und wenn keine zusätzlichen Motivationsanreize gegeben werden, bei 5 bis 30 %. Das Forschungsinstrument war der Fragebogen, der 42 Fragen enthielt. Insgesamt füllten 242 Personen (Mitarbeiter unterschiedlicher Unternehmen) den Fragebogen aus, 191 Frauen und 51 Männer; 167 waren Absolventen mit einem philologischen Studienabschluss und 75 mit einem nicht-philologischen Studienabschluss. Die Teilnahme an der Studie war freiwillig und anonym. Aufgrund der Tatsache, dass die Größe der Gesamtpopulation, die die gestellten Voraussetzungen erfüllte, unbekannt war, wurde unter der Annahme eines Signifikanzniveaus α = 0,05 und eines maximalen Schätzfehlers von d = 0,15 die minimale Stichprobengröße auf 171 festgelegt. Für die formulierten Annahmen kann die Anzahl der beantworteten Fragebögen somit als ausreichend gelten (Lissowski et al. 2008, Creswell 2013).

4.2.8 Durchführung der quantitativen Befragung Die Befragung wurde in zwei Etappen durchgeführt: – 01.–20. 12. 2018 – 10. 01. 2019–28. 02. 2019 Die Durchführung der Befragung in zwei Etappen ist damit zu begründen, dass während der ersten Sammlung von Ergebnissen nur 80 Fragebögen ausgefüllt wurden. Die Befragung wurde durch das Versenden einer E-Mail mit Link zum Fragebogen eingeleitet, angesprochen wurden alle Firmen, die als Mitglieder der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer109 und der Polnischen Handelskammer110 genannt wurden und die festgelegten Kriterien erfüllten. Darüber hinaus wurden die sozialen Netzwerke, z. B. der Absolventen der Universitäten und der Wirtschaftlichen Hochschule, nach potenziellen Kandidaten durchsucht. Zusätzlich wurden Bitten zum Ausfüllen des Fragebogens über private Netzwerke (was sich als effektivste Methode erwies) und über Organisationen wie z. B. den Polnischen Deutschlehrerverband und die Polskie Towarzystwo Neofilolgiczne111 verbreitet. Die Bestimmung der Stichprobe erfolgte durch eine Zufallsauswahl, d. h., die Teilnehmer der Befragung wurden zufällig aus einer definierten Grundgesamtheit ausgewählt. 108 https://zarzadzanie.uni.lodz.pl/LinkClick.aspx?fileticket=GtsJQch%2BBc8%3D&tabid=155 7, 17. 12. 2018. 109 https://ahk.pl/pl/, 17.12. 2018. 110 http://www.pih.org.pl/, 17. 12. 2018. 111 Polnische Neuphilologische Gesellschaft.

162

Untersuchungsdesign

Die Entscheidung für die folgende Durchführung der Untersuchung wurde aufgrund der angestrebten hohen Aussagekraft getroffen. Es ist jedoch zu betonen, dass die Anzahl der Teilnehmenden stark limitiert wurde, da deren Suche durch anfängliche Schwierigkeiten bei der Identifizierung der entsprechenden Kandidaten gekennzeichnet war. Bei der Durchführung der quantitativen Befragung wurden folgende Schwierigkeiten ausgemacht: – sehr kleine Rückmeldungsquote seitens der Unternehmen – interne Regelungen und Sicherheitssysteme der Unternehmen, die die Verbreitung des Fragebogens im Intranet unmöglich machten112 – fehlendes Interesse/ bzw. Zeit für die Teilnahme an einem wissenschaftlichen Projekt – ungünstige Zeit der Durchführung (der Dezember als abschließender Monat des Jahres ist in vielen Unternehmen sehr hektisch; trotz des Avisierens der Fragebogendurchführung wollten im Dezember die meisten Personen an der Befragung nicht teilnehmen. Dieser Nachteil konnte dank der zweiten Etappe der Befragung im Januar beseitigt werden.) – Länge des Formulars (das Befragungsformular war relativ umfangreich, bedingt durch den Willen der Forscherin, möglichst viele Daten zu sammeln. Befragungen von berufstätigen Personen sind in den Geisteswissenschaften eher selten, was mit den Schwierigkeiten zu begründen ist, die angestrebte Respondentengruppe zu identifizieren und zur Teilnahme an der Befragung zu überreden.)

4.3

Qualitativer Forschungsansatz – Interviews mit Lehrkräften

In diesem Teil der Arbeit wird die methodologische Herangehensweise bei der Analyse der in den Interviews gesammelten Daten beschrieben. Des Weiteren werden in diesem Kapitel das Untersuchungsziel (Kap. 4.2.1), der Untersuchungsgegenstand (Kap. 4.2.2), die Untersuchungsteilnehmer (Kap. 4.2.3) und die methodologische Vorgehensweise (Kap. 4.2.4) erläutert.

112 In diesem Fall wurden die Fragebögen in Papierform verteilt und die Ergebnisse anschließend manuell in das Google Docs-Formular online eingetragen.

Qualitativer Forschungsansatz – Interviews mit Lehrkräften

163

4.3.1 Untersuchungsziel Das Ziel der vorliegenden qualitativen Untersuchung ist die Diagnose der berufsbezogenen Schreibkompetenz in der tertiären Bildung in Polen (vgl. Fragenkomplex 3 in Abb. 1, Kap. 1.7 und Kap. 4.1 sowie Kap. 2.7). Es wurde nicht nur das Sammeln/Zusammentragen von Informationen über den Status des berufsorientierten Schreibens in tertiären Deutschkursprogrammen, sondern auch über die Methoden und Strategien der Entwicklung von Schreibkompetenzen während des Studiums beabsichtigt (vgl. Abb. 43): – Wie wird das berufsbezogene Schreiben in der tertiären Bildung vermittelt? (vgl. Kap. 2.7) – Welche Aspekte des berufsbezogenen Schreibens werden vermittelt? (vgl. Kap. 2.6.2) – Womit haben die Lernenden die größten Schwierigkeiten bei der Entwicklung des berufsbezogenen Schreibens? (vgl. Kap. 1.6, Kap. 3.2) Qualitative Befragung

Formulierung der Schlussfolgerungen zu den methodisch-didaktischen Prinzipien für die Vermittlung der berufsbezogenen Schreibkompetenz in der tertiären Bildung

SWOT-Analyse

Modell (Kapitel 8) Abb. 43: Darstellung des Untersuchungsziels – qualitative Interviews. Eigene Bearbeitung.

4.3.2 Untersuchungsgegenstand Der Untersuchungsgegenstand und seine Elemente werden in Abb. 44 dargestellt.

164

Untersuchungsdesign sachliche Präzisierung Vermittlung der berufsbezogenen Schreibkompetenz im tertiären Bereich

der Untersuchungsgegenstand

räumliche Präzisierung ausgewählte Städte in ganz Polen

zeitliche Präzisierung September–Dezember 2019

Abb. 44: Darstellung des Untersuchungsgegenstands – qualitative Untersuchung. Eigene Bearbeitung.

Sachliche Präzisierung Die untersuchte Fragestellung bezieht sich auf drei Bereiche, die ein ganzheitliches Bild zur Vermittlung der berufsbezogenen Schreibkompetenz in der tertiären Bildung aus der Perspektive der Fachsprachenlehrer vervollständigen soll: Textsortenspezifik, Übungsarten, Strategien und Empfehlungen, wie in Abb. 45 dargestellt.

Empfehlungen

Übungen, Techniken, Strategien

Textsortenspezifik

Abb. 45: Konstruktion der zu besprechenden Fragenkomplexe während der Interviews. Eigene Bearbeitung.

Qualitativer Forschungsansatz – Interviews mit Lehrkräften

165

Die Entscheidung für die entwickelten Fragenkomplexe war stark durch die Überlegungen im theoretischen Teil dieser Arbeit beeinflusst (vgl. Forschungsdesiderate in Kap. 1.7). Texte und Textsortenspezifik kommen als wichtige Elemente in der von der Autorin vorgeschlagenen Definition der Berufssprachendidaktik (vgl. Kap. 1.2) vor, deswegen sollten sie bei der Vermittlung der Fremdsprache (vor allem auch bei der Entwicklung der Schreibkompetenz) im beruflichen Kontext ebenfalls berücksichtigt werden. Gleichzeitig ist immer noch fehlendes Wissen über Textroutinen und Textmodelle an den Universitäten auffällig (Iluk 2010: 24, Iluk 2012: 17, Iluk 2021: 30f.), was der Ansporn dafür war, Beispiele guter, didaktischer Verfahren (Empfehlungen von Übungen, Strategien, evtl. auch potenzielle Problemstellen) zu sammeln und als Anstoß zur Modellentwicklung zu betrachten (vgl. Kap. 8), ebenso Textsorten und Textkompetenz als Teile der Schreibkompetenz darzustellen (vgl. Kap. 2.5) und dadurch zu einem vertieften Verständnis der Themen zur Optimierung der Schreibkompetenzentwicklung beizutragen. Zusätzliche Informationen liefern auch die Antworten auf die Fragen zur Vorbereitung der Lehrenden auf das Unterrichten der berufsbezogenen Inhalte, zur Materialsuche bzw. -entwicklung und zu den potenziellen Schwierigkeiten, auf die die Fachsprachenlehrenden bei der Vermittlung der berufsbezogenen Schreibkompetenz im tertiären Bereich stoßen (vgl. Interviewfragen in Anhang 3). Zeitliche Präzisierung Das erste Interview wurde im September 2019 als Piloting geplant und diente zur Präzisierung der Fragestellung und der Struktur der Untersuchung. Weitere Interviews wurden in den Monaten Oktober bis Dezember 2019 individuell mit einzelnen Fremdsprachenlehrkräften von der Autorin der vorliegenden Arbeit durchgeführt. Wegen der beschränkten Zeitressourcen der Respondenten wurden einige Interviews in schriftlicher Form geführt (Tab. 17). Die Dauer der Interviews lag zwischen 15 und 30 Minuten. Räumliche Präzisierung Die Interviews wurden in ausgewählten Universitätsstädten in ganz Polen durchgeführt (Tab. 17). Für die Wahl der Orte waren nur das Erfüllen der Kriterien (Arbeit an der Universität, Unterrichten von Deutsch als Fremdsprache für die Wirtschaft) und die Bereitschaft zur Teilnahme an der Untersuchung Bedingung.

166

Untersuchungsdesign

4.3.3 Untersuchungsteilnehmer Alle geführten Gespräche hatten die Form individueller Leitfadeninterviews (Wilczyn´ska, Michon´ska-Stadnik 2010: 159, Creswell 2013: 195), formuliert anhand der im theoretischen Teil dieser Arbeit dargestellten Überlegungen (vgl. Kap. 1.2, Kap. 2.6, Kap. 3.2). Die Fragen sollten den Befragten als Anreiz dienen, eigene Gedanken zum Thema zu äußern. Zur Teilnahme an der Untersuchung wurden Fachsprachenlehrende im aktiven Dienst gebeten, die an verschiedenen Typen von Universitäten (wirtschaftlichen, technischen, naturwissenschaftlichen) sowohl in philologischen (Germanistik, Angewandte Linguistik) als auch in nicht-philologischen Studienrichtungen in Polen tätig sind. Um eine möglichst breite Palette an Meinungen zu gewinnen, wurden Personen mit unterschiedlich langer Berufserfahrung ausgewählt. Tab. 18 gibt Informationen zu den Befragten. Zusätzlich wurde ein Interview mit der Leiterin der Expertenstelle für schriftliche Kommunikationen der Technischen Universität in Poznan´ geführt, das separat in Kap. 6.6 beschrieben wird. Alle Interviews zeichneten sich positiverweise durch Offenheit, Ehrlichkeit, Reflexionstiefe der Teilnehmer sowie ihre Bereitschaft aus, über die untersuchte Problematik zu sprechen, um dadurch einen Beitrag zur Optimierung und Modellierung der Vermittlung berufsbezogener Schreibkompetenzen im tertiären Bereich zu leisten.

f

f

f

f

f

m

f

f

m

f

f

1a)

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Universität

Kraków

Kraków

Kraków

Szczecin

Warszawa

Jagiellonen-Universität, Kraków Wirtschaftsuniversität, Kraków

Wirtschaftsuniversität, Kraków

Universität Szczecin

Handelshochschule, Warszawa

Universität Szczecin

Adam-MickiewiczUniversität

Poznan´

Szczecin

Technische Universität in Katowice

Technische Universität in Katowice

Universität Warschau

Gliwice

Katowice, Gliwice

Warszawa

Cze˛stochowa Jan-Dlugosz Universität in Cze˛stochowa

Befragte Geschlecht Stadt

11′

NPS

NPS

NPS

NPS

PS

NPS

PS

schriftliche Form 10,1′

schriftliche Form schriftliche Form

schriftliche Form 20′

15′6

9′

NPSc)

PS

11′59

PS

Typ der unter- Dauer der richteten Ler- Interviews nenden PSb) 32′

Tab. 18: Informationen zu den interviewten Lehrkräften. Eigene Bearbeitung. Erfahrung im FFSU in Jahren 28

Rechtssprache, Wirtschaftsdeutsch Wirtschaftsdeutsch

Wirtschaftsdeutsch

Wirtschaftsdeutsch

Wirtschaftsdeutsch

Wirtschaftsdeutsch

25

12

14

21

21

5

Technisches Deutsch, Wirtschafts- 10 deutsch, Informatiksprache, Elektronik und Umweltschutz Wirtschaftsdeutsch, Rechts7 sprache

Logistik, Wirtschaftsdeutsch, Tou- 20 ristik Business-Sprache 20

Medizinische Fachsprache/Wirtschaftsdeutsch

Unterrichtete Fachsprache

Qualitativer Forschungsansatz – Interviews mit Lehrkräften

167

f

f

13

14

Kraków

Szczecin

Gdan´sk Wirtschaftsuniversität, Gdan´sk Universität Szczecin

Universität

PS

schriftliche Form

Typ der unter- Dauer der richteten Ler- Interviews nenden NPS 10′ Wirtschaftsdeutsch

Wirtschaftsdeutsch

Unterrichtete Fachsprache

17

Erfahrung im FFSU in Jahren 20

Technische Universität, NPS schriftliche Wirtschaftsdeutsch 25 Kraków Form a) Im weiteren Teil des Textes wird die in der Tabelle verwendete Nummerierung der Befragten mit dem Buchstaben B (Befragte/r) verwendet. b) Studierende philologischer Studiengänge. c) Studierende nicht-philologischer Studiengänge.

f

12

Befragte Geschlecht Stadt

(Fortsetzung)

168 Untersuchungsdesign

Qualitativer Forschungsansatz – Interviews mit Lehrkräften

169

4.3.4 Methodologische Herangehensweise bei der Analyse der Interviews Alle durchgeführten Interviews wurden zunächst aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Antworten auf die Fragen wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse induktiv analysiert (Mayring 2003: 53–55). Die Begründung für den Einsatz dieser Methode ist die Möglichkeit der Eingrenzung der Textelemente, ohne den inhaltlichen Sinn des erhobenen Materials zu verfälschen. Im Einzelnen umfasste das Ablaufmodell die in Abb. 46 dargestellten Schritte. Durch die Reduzierung (Etappe der Materialanalyse) wird eine Übersichtlichkeit der Daten erzeugt, welche jedoch immer noch der Grundform des Materials entsprechen (Mayring 2003: 65). Da es sich um eine große Zahl relativ kurzer Antworten handelte, war eine Paraphrasierung der Aussagen nicht nötig und teilweise auch nicht möglich (Mayring 2003: 69). In vielen Fällen war aufgrund der Kürze der Aussagen sogar eine Generalisierung überflüssig. In Kap. 6 werden die fertigen Kategorien nach der Leitlinie der Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit analysiert.

170

Festlegung des Materials

Analyse der Entstehungssituation

Formale Charakterisierung des Materials

Untersuchungsdesign

• Aus dem Text wurden die Abschnitte ausgewählt, die sich auf die Fragestellung beziehen.

• Analysiert wurden die sozialen Bedingungen der Befragten und in welcher Situation und Atmosphäre das Erhebungsgespräch stattfand.



• Festlegung der Analyserichtung

Theoretische Differenzierung der Fragestellung

Bestimmung der Analysetechnik

Definition der Analyseeinheiten

Durchführung der Materialanalyse

Alle Interviews wurden transkribiert.

Es wurde entschieden, die Analyse auf den thematischen Gegenstand des Materials zu richten.

• Die Inhaltsanalyse wurde mit einer fundierten Einordnung in die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Diskussionen einbezogen.

• Als Analysetechnik wurde die Strukturierung gewählt.

• Es wurden die kleinsten Texteinheiten gewählt, die ausgewertet wurden.

• Die Materialanalyse wurde in den Schritten Paraphrasierung, Generalisierung auf das Abstraktionsniveau, erste Reduktion und zweite Reduktion durchgeführt.

Abb. 46: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell der Inhaltsanalyse (nach Mayring 2003: 53ff.).

5.

Schreibbedarf in Unternehmen – Fragebogenerhebung mit Mitarbeitern

Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der Darstellung und Auswertung der Fragebogenerhebung, die als quantitative Diagnose des fremdsprachigen schriftlichen Kommunikationsbedarfs und -verlaufs am Arbeitsplatz konzipiert wurde. Der erste Teil des Kapitels ist der Darstellung der Ergebnisse der Befragung, wie der Charakteristik der Befragtengruppe (Kap. 5.1.1), den Informationen zum Schreiben am Arbeitsplatz (Kap. 5.1.2), dem Schreiben im Studium (Kap. 5.1.3) sowie der Verbesserung des Schreibens am Arbeitsplatz (Kap. 5.1.4), gewidmet. Im zweiten Teil des Kapitels (Kap. 5.2) werden die folgenden Aspekte des fremdsprachigen Schreibens am Arbeitsplatz analysiert: Stellenwert des Schreibens auf Deutsch im wirtschaftlichen Sektor (Kap. 5.2.1), Erwartungen an Mitarbeiter während des Vorstellungsgesprächs – Sprachbedarf (Kap. 5.2.2), Erwartungen an Mitarbeiter am Arbeitsplatz – Fremdsprachengebrauch (Kap. 5.2.3), Textsortenspezifik im Schriftverkehr am Arbeitsplatz (Kap. 5.2.4), Vorbereitung auf das berufsbezogene Schreiben in der Fremdsprache Deutsch (Kap. 5.2.5), Bedürfnisse der Mitarbeiter in Bezug auf das Schreiben in der Fremdsprache am Arbeitsplatz (Kap. 5.2.6), Schwierigkeiten beim berufsbezogenen Schreiben (Kap. 5.2.7) sowie Schreibprozesse am Arbeitsplatz. Des Weiteren wurde eine Charakteristik des Schreibens am Arbeitsplatz anhand der analysierten Daten erstellt (Kap. 5.3).

5.1

Darstellung der Ergebnisse der Befragung

Die Fragebogenerhebung ermittelte den Bedarf an Kenntnissen der Fachsprache im schriftlichen Verkehr in Unternehmen in Polen. Das Fragebogenformular wurde in vier Bereiche aufgeteilt (Angaben zur Person, Informationen zum Schreiben am Arbeitsplatz, Informationen zum Lernen des Schreibens im Studium, Informationen zur Verbesserung des Schreibens am Arbeitsplatz), die im Weiteren thematisiert werden. Die Gesamtzahl der beantworteten Fragebögen betrug 242. Voraussetzungen zur Teilnahme an der Fragebogenerhebung waren

172

Schreibbedarf in Unternehmen – Fragebogenerhebung mit Mitarbeitern

die Arbeit im Wirtschaftssektor und die Teilnahme am Schriftverkehr auf Deutsch im beruflichen Kontext.

5.1.1 Angaben zur Person – Charakteristik der untersuchten Gruppe Die nachfolgende Tabelle (Tab. 19) stellt die Struktur der untersuchten Befragtengruppe nach Geschlecht und Alter sowie nach Berufserfahrung und erworbenem Studienabschluss dar. Tab. 19: Darstellung der Kriterien des Alters, des Geschlechts, der Berufserfahrung und des Studienabschlusses in der untersuchten Gruppe. Eigene Bearbeitung. Frauen n=191 (78,9 %)

Kategorie

Alter

Berufserfahrung

Studienabschluss

Männer n=51 (21,1 %)

Insgesamt n=242

n 45

% 23,6

n

20–25 Jahre

8

% 15,7

n 53

% 21,9

26–30 Jahre 31–35 Jahre

78 24

40,8 12,6

19 10

37,3 19,6

97 34

40,1 14,0

36–40 Jahre 41–45 Jahre

16 6

8,4 3,1

2 7

3,9 13,7

18 13

7,4 5,4

46–50 Jahre 51–55 Jahre

12 2

6,3 1,0

2 2

3,9 3,9

14 4

5,8 1,7

56–60 Jahre über 60 Jahre

6 2

3,1 1,0

0 1

0,0 2,0

6 3

2,5 1,2

1 Jahr oder weniger 2–3 Jahre

27 38

14,1 19,9

6 0

11,8 0,0

33 38

13,6 15,7

4–5 Jahre 6–10 Jahre

46 36

24,1 18,8

19 8

37,3 15,7

65 44

26,9 18,2

11–15 Jahre 16–20 Jahre

16 10

8,4 5,2

4 9

7,8 17,6

20 19

8,3 7,9

20 Jahre und mehr philologisch

18 138

9,4 72,3

5 29

9,8 56,9

23 167

9,5 69,0

nicht-philologisch

53

27,7

22

43,1

75

31,0

173

Darstellung der Ergebnisse der Befragung

Die Altersstruktur beweist, dass die Mehrheit der Befragten erst nach dem Studienabschluss ihre berufliche Tätigkeit aufgenommen hat oder nur über eine geringe Berufserfahrung (maximal 10 Jahre) verfügt113. Für die Spezifik der Untersuchung ist diese Gruppe sehr bedeutend, weil sie den aktuellen Stand der Vorbereitung der Studienabsolventen auf die berufliche Arbeit präsentiert, die während des Studiums erworben wurde. In einer weiteren statistischen Analyse wurden drei Gruppen nach der Dauer ihrer Berufserfahrung gebildet: – Berufserfahrung bis zu 3 Jahre – 71 Personen (29,3 %) – Berufserfahrung 4–10 Jahre – 109 Personen (45,1 %) – Berufserfahrung über 10 Jahre – 62 Personen (25,6 %). Die Unternehmen, in denen die Befragten arbeiten, gehören vor allem ausländischen Kapitalgruppen an (77 %). Die Verteilung nach der Kapitalherkunft114 stellt die folgende Tabelle dar (Tab. 20). Tab. 20: Verteilung der Unternehmen nach Herkunft des Kapitals. Eigene Bearbeitung. Aus welchem Land stammt die Kapitalgruppe? Deutschland

n 100

% 53,2

USA Dänemark

52 8

27,7 4,3

Frankreich Schweden

6 6

3,2 3,2

Japan Niederlande Irland Kanada

4 2 2 2

2,1 1,1 1,1 1,1

Schweiz Ukraine

2 2

1,1 1,1

Großbritannien

2

1,1

113 Es gibt eine statistisch signifikante Korrelation zwischen Alter und Berufserfahrung (Korrelationskoeffizient nach Spearman-Rang: Rs = 0,851). 114 Das Kapitalkriterium war wegen der im Unternehmen offiziell verwendeten Arbeitssprache wichtig. Ausgewählt wurden vor allem die Unternehmen, in denen Deutsch als Verkehrssprache wahrscheinlich ist.

174

Schreibbedarf in Unternehmen – Fragebogenerhebung mit Mitarbeitern

120 100 80 60 40 20 0

Abb. 47: Verteilung der Unternehmen nach Herkunft des Kapitals. Eigene Bearbeitung.

Alle Unternehmen, in denen die Untersuchung durchgeführt wurde, hatten entweder ihren Sitz oder zumindest eine Niederlassung in Polen. Interessant sind die Aufteilung des Kapitals nach dem Herkunftsland und zugleich die Tatsache, dass in allen Unternehmen das Kriterium der schriftlichen Kommunikation in der deutschen Sprache erfüllt sein sollte. Die meisten Kapitalgruppen kamen aus Deutschland (53,2 %) und den Vereinigten Staaten (27,7 %). Die Antworten zur Verortung der Unternehmen in Polen werden in der folgenden Tabelle präsentiert. Tab. 21: Verteilung der Antworten nach der Verortung des Unternehmens in Polen. Eigene Bearbeitung. Woiewodschaft115 Großpolen / województwo wielkopolskie Mazowien / województwo mazowieckie Kleinpolen / województwo małopolskie Westpommern / województwo zachodniopomorskie

Anzahl der Antworten nach Woiewodschaft

%

68

29

45

18

35

15

27

11

115 In vielen Fällen befinden sich die Unternehmen außerhalb der Stadt, gehören aber topographisch zur Stadt oder zur Umgebung. Um die Klarheit und Transparenz der Daten zu erhöhen, wurde die Klassifizierung nach der Großstadt durchgeführt.

175

Darstellung der Ergebnisse der Befragung

(Fortsetzung) Woiewodschaft 115

Anzahl der Antworten nach Woiewodschaft

%

25

10

16

6

10

4

6

3

5

2

3

1

2

1

Oppeln / województwo opolskie Karpaten-Vorland / województwo podkarpackie Niederschlesien / województwo dolnos´la˛skie Kujawen-Pommern / województwo kujawsko-pomorskie Lodsch / województwo łódzkie Pommern / województwo pomorskie Schlesien / województwo s´la˛skie

Die Mehrheit der Antworten ist der Stadt Posen/Poznan´ (42) bzw. ihrer nächsten Umgebung (26) zuzuordnen, was aus der Tatsache resultiert, dass private Kontaktnetze der Autorin aktiviert wurden, um mehr Ergebnisse zu generieren. Dies war besonders hilfreich angesichts der allgemeinen Abneigung gegenüber der Teilnahme an der Untersuchung. Private Anfragen bei konkreten Personen mit der Bitte, die Links zum Fragebogen weiterzuleiten, erwiesen sich als effektiver als die offiziellen Einladungen, die über die Handelskammer etc. gesendet wurden. Die Frage nach der Verteilung der Mitarbeiter in der internen Struktur der Unternehmen (Tab. 22) liefert aufschlussreiche Informationen darüber, in welchen Abteilungen die Absolventen der philologischen und nicht-philologischen Studiengänge eine Anstellung finden. Tab. 22: Verteilung der Mitarbeiter nach Abteilung. Eigene Bearbeitung. Abteilung Personalabteilung Kundenservice

n 55 48

% 22,7 19,8

Buchhaltung Forschung & Entwicklung

38 19

15,7 7,9

Marketing Vertriebsabteilung IT Geschäftsführung

18 16 12 9

7,4 6,6 5,0 3,7

176

Schreibbedarf in Unternehmen – Fragebogenerhebung mit Mitarbeitern

(Fortsetzung) Abteilung Finanzen Fertigung Rechtsabteilung

n 8 7 6

% 3,3 2,9 2,5

Einkauf Qualitätssicherung

4 2

1,7 0,8

Die Befragten arbeiten am häufigsten: – in der Personalabteilung – 22,7 % – im Kundenservice – 19,8 % – in der Buchhaltung – 15,7 %. Die genaue Aufteilung ist in Abb. 48 zu sehen. Qualitätssicherung Einkauf Rechtsabteilung Fertigung Finanzen Geschäftsführung IT Vertriebsabteilung Marketing Forschung & Entwicklung Buchhaltung Kundenservice Personalabteilung 0

10

20

30

40

50

60

n

Abb. 48: Verteilung der Mitarbeiter nach Abteilung. Eigene Bearbeitung.

Die gesammelten Daten ließen folgende Zusammenhänge zwischen den Absolventen der philologischen und der nicht-philologischen Studienrichtungen erkennen, wie sie in Tab. 23 dargestellt sind.

177

Darstellung der Ergebnisse der Befragung

Tab. 23: Zusammenhänge zwischen den Tätigkeitsbereichen der Absolventen der philologischen und der nicht-philologischen Studienrichtungen. Eigene Bearbeitung. Studienabschluss Tätigkeitsbereich

philologisch n=167

nichtphilologisch n=75

Personalabteilung Kundenservice

n 41 42

% 24,6 25,1

n 14 6

% 18,7 8,0

0,3125 0,0020*116

Buchhaltung Forschung & Entwicklung

20 12

12,0 7,2

18 7

24,0 9,3

0,0177* 0,5743

Marketing Vertrieb

8 10

4,8 6,0

10 6

13,3 8,0

0,0197* 0,5628

IT Vorstand

10 4

6,0 2,4

2 5

2,7 6,7

0,2750 0,1027

Finanzen Fertigung

6 4

3,6 2,4

2 3

2,7 4,0

0,7178 0,4924

Rechtsabteilung Einkauf

4 4

2,4 2,4

2 0

2,7 0,0

0,8899 0,1761

Qualitätssicherung

2

1,2

0

0,0

0,3408

p

Die erhobenen Daten illustrieren die Unternehmensbereiche, in denen die Befragten tätig sind. Sie liefern gleichzeitig aufschlussreiche Informationen zu den Karrieremöglichkeiten von Absolventen der Philologien, die neben den traditionellen schulischen und übersetzungs- und translationsbezogenen Berufen immer häufiger auch nach Aufstiegschancen im wirtschaftlichen Sektor suchen. Die Abteilungen, in denen die meisten der befragten Absolventen mit philologischem Abschluss arbeiten, sind: Personalabteilung (24,6 %), Kundenservice (25,1 %) und Buchhaltung (12 %). Die befragten Absolventen mit nicht-philologischem Abschluss arbeiten am häufigsten in der Buchhaltung (24 %), in der Personalabteilung (18,7 %) und in der Marketingabteilung (13,3 %). Statistisch betrachtet (als Ergebnis des Tests der Signifikanzunterschiede) wurden die größten Diskrepanzen in den Abteilungen Kundenservice, Buchhaltung und Marketing beobachtet hinsichtlich des Anteils der Absolventen mit einem philologischen und einem nicht-philologischen Studienabschluss, wie in Abb. 49 zu sehen ist.

116 Statistisch signifikant, p