Entwicklung der Organisationsforschung [1. Aufl.] 978-3-409-31254-7;978-3-322-85573-2

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Entwicklung der Organisationsforschung [1. Aufl.]
 978-3-409-31254-7;978-3-322-85573-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages 1-12
Front Matter ....Pages 13-15
Das Aussagensystem der Wissenschaftstheorie (Friedrich Hoffmann)....Pages 16-34
Anforderungen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie (Friedrich Hoffmann)....Pages 35-55
Die Unternehmung als organisationsloses Gebilde (Friedrich Hoffmann)....Pages 57-57
Die Unternehmung hat eine Organisation (Friedrich Hoffmann)....Pages 58-61
Die Unternehmung ist eine Organisation (Friedrich Hoffmann)....Pages 62-65
Front Matter ....Pages 67-69
Klassische Organisationstheorien (Friedrich Hoffmann)....Pages 70-86
Neoklassische Organisationstheorien (Friedrich Hoffmann)....Pages 87-122
Entscheidungsbezogene Organisationstheorien (Friedrich Hoffmann)....Pages 123-207
Systembezogene Organisationstheorien (Friedrich Hoffmann)....Pages 208-295
Back Matter ....Pages 297-340

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Friedrich Hoffmann Entwiddung der Organisationsforschung

Schriftenreihe

Das Organisationssystem der Untemehmung Herausgeber: Prof. Dr. Friedrich Hoffmann, UniversiUit Augsburg

Band I

Entwicklung der Organisationsforschung Von

Dr. Friedrich Hoffmann o. Professor an der Universitat Augsburg

l3etriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler . Wiesbaden

ISBN 978-3-409-31254-7 ISBN 978-3-322-85573-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-85573-2 Copyright by Betriebswirtschajtlicher Verlag Dr. Th. Gabler • Wiesbaden 1973

Vorwort Die Ubemahme eines Lehrstuhls mit der Ausrichtung "Organisation und Fiihrung der Unternehmung" wirft die Frage nach dem Erkenntnisstand und den Entwicklungsrichtungen dieser Lehr- und Forschungseinheit auf. Das vorliegende Buch stellt als erster Band der Schriftenreihe "Das Organisationssystem der Untemehmung" den Versuch dar, das vorhandene Wissen - als Ergebnis der Organisationsforschung - zu ordnen, zu analysieren und kritisch auf seinen Anwendungsbezug zu untersuchen. DaB dieser Versuch unvollstandig ist und bleiben wird, bedarf auf Grund des komplexen Problemgegenstandes und der raschen Fortentwicklung auf diesem Gebiet sicherlich keiner weiteren Begriindung. Deshalb will das Buch nicht mehr sein als - fur den Wissenschaftler eine gedrangte Problemubersicht mit Anregungen zur weiteren Forschung, - fur den Studenten eine systematische Aufbereitung fortgeschrittener Leminhalte seines Fachs und -

fur den Praktiker eine geordnete Theorie als Anregung zur Losung seiner Organisationsprobleme.

Ausgangspunkt des Buches bildet eine Darstellung des wissenschaftstheoretischen Hintergrundes, der auf der Grundeinstellung der analytischen Philosophie basiert. Realer Bezug und interdisziplinare Offenheit stellen tragende Pfeiler dieser Einstellung dar, auf die bezogen die einzelnen Forschungsansatze dargestellt und beurteilt werden. Es zeigt sich, daB diese einzelnen Ansatze, die das Ergebnis notwendiger Wissensspezialisierung auf bestimmte Aspekte des Organisationsproblems darstellen, nicht hinreichend sind zur Losung praktischer Probleme, sondern daB die Wissensspezialisierung von ubergreifenden, interdisziplinaren Forschungsaktivitaten der Wissensintegration begleitet werden muB. Ais ein Bezugsrahmen zur problembezogenen Wissensintegration dient die Systemtheorie. Unter Bezugnahme auf diese lassen sich die aspektorientierten Theorieansatze integrieren. Voraussetzung ist jedoch, daB die Ansiitze empirisch begriindet sind. Die Schwierigkeiten empirischer Forschung und der derzeit begrenzte empirisch gesicherte Wissensbestand verdeutlichen die Beschrankung bei der Wissensintegration und bei der Ableitung von Handlungsempfehlungen fur die Praxis. Unser Ansatz ist anwendungsorientiert, ohne allerdings im derzeitigen Erkenntnisstadium umfassend erfahrungswissenschaftlich fundierte Anwendungen bieten zu konnen. Die empirische Fundierung praktischen Handelns kann nur in einem langfristigen ForschungsprozeB bewaltigt werden. Dieser ProzeB hat von dem Erkenntnisstand der Organisationstheorien auszugehen, der letztlich den

Aussagegehalt der empirischen Theorie bestimmt. Die Darstellung des Erkenntnisstandes der Organisationstheorien und deren kritische, realitatsbezogene Beurteilung erscheint somit als ein erster Schritt auf dem Weg zu einer empirischen Organisationstheorie der Untemehmung. Neben dieser langfristigen Zielsetzung des Aufbaues einer empirischen Organisationstheorie gilt es, kurzfristig von seiten der betriebswirtschaftlichen Organisationsforschung einen praktischen Beitrag zur Losung der anstehenden Organisationsprobleme zu leisten. Hierzu bedarf es einer pragmatisch ausgerichteten Weiterentwicklung der Organisationstheorien, die - ausgehend vom Aufgabenzusammenhang der Untemehmung - die anderen (sozialen und technischen) Dimensionen der Problemstruktur der Organisation sukzessive und vereinfachend mit zu beriicksichtigen hat. Der Zwang zum praktischen Handeln und die Aufgabenstellung der Wissenschaft, Hilfestellung bei der Bewaltigung praktischer Lebensfragen zu leisten, lassen die empirische Fragwiirdigkeit derart pragmatisch abgeleiteter Aussagen zweitrangig erscheinen. Die betriebswirtschaftliche Organisationsforschung kann die Praxis nicht bis zur empirischen Fundierung ihrer Aussagen vertrosten, wenn sie nicht Selbstzweck sein will. Der Anspruch, praktisch-normativ zu sein, verbietet eo ipso ein solches Verhalten. Die "langfristige" Weiterentwicklung der Organisationstheorien durch Ableitung realitatsbezogener Aussagen und deren 'Oberpriifung an der Realitat bedarf "kurzfristig" der Erganzung durch pragmatisch ausgerichtete Gestaltungsempfehlungen zur Losung anstehender Organisationsprobleme. Der inhaltlichen Ausfiillung dieses Programms sind im einzelnen die weiteren Bande der neueroffneten Schriftenreihe gewidmet. FUr ihre Mitarbeit an dieser Untersuchung, die als erster Band der Schriftenreihe erscheint, mochte ich den Herren Dipl.-Oec. Rainer Burkhardt, Dipl.Oec. Dirk Meissner, Dipl.-Kfm. Bernhard Stadler und Dipl.-Kfm. Alfred Wohl, sowie auch meinem friiheren Assistenten, Herrn Dr. Fritz Wickenhauser, herzlich danken. Offene Aussprache sowie Durchsicht und Korrektur des Manuskriptes haben wesentlich zur Gestaltung dieses Buches beigetragen. Herm Dipl.-Kfm. Rolf Biihner, meinem Mitarbeiter seit Beginn meiner Augsburger Tatigkeit, gilt mein besonderer Dank. Seit 1970 wurden in gemeinsamen Gesprachen die Konzeption dieses Buches, dessen Ausgestaltung sowie die sich daraus ergebenden Aktivitaten erarbeitet und diskutiert. Wenn es heute vorliegt, so ist dies mit sein Verdienst. Meinen Dank auch Herm stud. oec. Peter Kuhn fUr die Literaturzusammenstellung und -iiberpriifung und nicht zuletzt meiner Sekretarin, Frau Rieger, die unermiidlich neben der Lehrstuhltatigkeit die Reinschrift des oftmals geanderten Manuskriptes fertiggestellt hat. FRIEDRICH HOFFMANN

Inhaltsverzeichnis Seite

ERSTER TElL Wissensdtaftstheorie und Organisationstheorie ein wissensc:haftstheoretisc:her Bezugsrahmen Erstes Kapitel Das Aussagensystem der Wissenschaftstheorie

16

A. Wissenschaftliche Zielsetzung

16

B. Sprache und Begriffsbildung .

18

C. Satzsysteme und deren Verwendung

24

D. Priifung der Theorien

30

Zweites Kapitel Anforderungen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie

35

A. Wissenschaftliche Zielsetzung

. . . . . . .

35

B. Forschungsaktivitaten und ForschungsprozeB

40

I. Explorative Studien . . . . . 1. Sprache und Begriffsbildung 2. Bildung von Taxonomien .

41 42 43

II. Theorieformulierung

46

III. Prufung der Theorien

47

C. Forschungsmethoden

51

ZWElTER TElL Begriff der Organisation Erstes Kapitel Die Unternehmung als organisationsloses Gebilde .

57

Zweites Kapitel Die Unternehmung hat eine Organisation

58

Seite

Drittes KapiteZ Die Untemehmung ist eine Organisation

62

DRITIER TElL Ansiitze organisationswissenschaftlicher Forschung Erstes KapiteZ Klassische Organisationstheorien

70

A. Methodik. . . . . . . . . .

70

I. Administrativer Ansatz von Taylor und Fayol II. Weiterentwicklungen der administrativen Organisationskonzeption . . . . . .

70 71

III. Organisationsprinzipien

79

IV. Biirokratiemodell

80

B. Kritik . . . . . . .

81

I. Methodische Pdimissen

81

II. Pragmatische Priimissen

84

III. Aussagengehalt und Erweiterungen

85

Zweites KapiteZ Neoklassische Organisationstheorien.

87

A. Manipulativ personale Ansatze

87

I. Methodik . . . . . . . . . 1. Informale Organisation . 2. Zufriedenheit und Produktivitat 3. Soziometrische Analyse . . . . 4. Autoritatsstrukturen: Konfliktursachen und Losungsansatze II. Kritik. . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formale und informale Organisation 2. Rollenanalyse und Rollenkonzeption 3. Normative Akzentuierung B. Macht-Ausgleichs-Ansatze . . . I. Methodik . . . . . . . . . 1. Forderung nach Autonomie 2. Forderung nach Partizipation

88 88 88 89 91 92 93 94 97 97 98 99 106

Seite 3. Macht-Ausgleichs-Techniken. . . . . . . . . . 4. Theorien des geplanten organisationalen Wandels II. Kritik . . . . . . . . . . 1. Ideologische Pramissen . 2. Theoretische Pramissen . 3. Pragmatische Pramissen

111 112 115 115 116 118

Drittes Kapitel Entscheidungsbezogene Organisationstheorien . .

123

A. Mathematisch-statistische Entscheidungstheorie

124

I. Methodik . . . . . . 1. Verteilungssystem 11. Stellenbildung 111. Bedingungen und Schwierigkeiten 126 - 112. Modellanalytische Losungsansatze 128 12. Stellenbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . 13. Stellenbildung und Stellenbesetzung . . . . . . 14. Voraussetzungen der Stellenbildung und Stellenbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kommunikationssystem . . . . . . . . . . . . . . 21. Problematik der Kommunikationsgestaltung . . 22. Graphentheoretische Darstellung von Kommunikationssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Darstellung von Kommunikationssystemen mit Hilfe von Marizen. . . . . . . 24. Ableitung von Strukturparametern 25. Bedeutung der Strukturparameter . 26. Lineare Optimierung von Kommunikationssystemen 27. Dynamische Optimierung von Kommunikationssystemen. 28. Teamtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281. Teambedingungen 149 - 282. Informationsbeschaffung, Kommunikation und Entscheidung 149 - 283. Optimale Entscheidungs- und Informationssysteme 150 284. Ein Beispiel: Zentrale oder dezentrale Entscheidungsund Informationssysteme 151 - 285. Abhangigkeiten der Informations- und Entscheidungsregeln 152 - 286. Anwendungsfalle 153 - 287. Teamtheorie und Spieltheorie 153 288. Problematik der Teamtheorie 154 289. Bedeutung der Teamtheorie 155

124 125 125

132 133 134 137 137 139 140 141 145 145 146 148

Seite 3. Koordination . . . . . . . . . . . . . . . 31. Koordination tiber die Ziele . . . . . . 32. Koordination tiber das Entscheidungsfeld

156 156 157

II. Kritik. . . . . . . . . . . . . . .

162

1. Offene und geschlossene Modelle .

162

2. Pramissen geschlossener Modelle . 21. Rationalitatsannahmen 22. Praferenzannahmen bei unipersonalen Entscheidungen . 23. Praferenzannahmen bei multipersonalen Entscheidungen.

164 164 166 167

B. Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorien

I. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsprozesse im Verteilungs- und Leitungssystem

169 170 171

171 11. Individueller EntscheidungsprozeB . . . . . . . . . . 111. Subjektivierung der Entscheidungssituation als Reduktionsstrategie 171 - 112. Anspruchsniveau und Anspruchsniveauanpassung als Reduktionsstrategie 172 113. ProzeBbetrachtung 174 (Theorie der kognitiven Dissonanz: Begriff und Wesen 175 Theorie der kognitiven Dissonanz vor dem EntschluBakt: Alternativensuche und Alternativenbeurteilung 176 - Theorie der kognitiven Dissonanz nach dem EntschluBakt: Kontrollverhalten 179) 12. Kollektiver EntscheidungsprozeB. . . . . . . . . . . . 180 121. Quasi-Losung der Zielkonflikte 181 - 122. UngewiBheitsabsorption 185 - 123. Problemorientiertes Suchverhalten 186 - 124. Lernprozesse 188 2. Experimentelle Untersuchungen tiber Kommunikationssysteme . . . . . . . . . 190 21. Problemstellungen 191 22. Struktur und Leistung 192 221. Zentralitat und Leistung 193 - 222. Zentralitat und Komplexitat der Aufgabe 194 223. Zentralitat und Informationsverzerrung 195 - 224. Zeiltralitat und Kommunikationsstorungen 196 23. Struktur, Organisationsform und Leistung . . . . . 198 24. Methodische und materielle Bedeutung der Gruppen220 experimente . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhaltenswissenschaftliche Implikationen auf die Koordination . . . . . . . . . . . . . . . . . .

202

Seite 31. Koordination durch Planung. . . . . . . . . . . " 311. Theorie des Anspruchsniveaus und Zielvorgabe 202 - 312. Partizipative Zielformulierung 203 32. Koordination durch Riickkoppelungsinformationen . II. Kritik . .

202

204 205

Viertes KapiteL Systembezogene Organisationstheorien

208

A. Systemtheoretisch-paradigmatische Aussagen

209

I. Terminologische und deskriptive Aussagen

210

1. Charakterisierung des Unternehmungssystems

210

2. Reduktionsstrategien der Unternehmungskomplexitiit .

211

3. Organisation als Gestaltungsaufgabe des Unternehmungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31. Strukturelle und funktionale Subsysteme 32. Merkmale des Organisationsproblems

213 213 216

II. Explanatorische Aussagen . . . . . . . . .

221

III. Praxeologische Aussagen: Grundkonzeptionen kybernetischer Organisationsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . .

224

1. Das Varietiitsgesetz als formale Gestaltungsgrundlage

226

2. Kybernetische Gestaltungssysteme

228

3. Hierarchie als strukturelles Prinzip

233

B. Gestaltungstheoretisch-pragmatische Aussagen I. Systembildung

. . . . . . . . . . . . .

1. Verfahrenstechnik und formale Merkmale der Systembildung. . . . . . . . . . . . .

236 237 239

2. Dimensionen struktureller Systembildung . . 244 21. Klassifizierungen . . . . . . . . . . . 245 22. Einfliisse von Bestimmungsfaktoren auf die Struktur . 249 221. GroBe und Struktur 249 - 222. Technologie und Struktur 253 - 223. Umwelt und Struktur 256 II. Systembeziehungen . . . . . . .

262

1. Fiihrungsbeziehungen

265

2. Formale Strukturbeziehungen 21. Eindimensionale Stab-Linien-Beziehungen mit Erweiterungen. . . . . . . . . . . . . . .

274 275

Seite

22. Zweidimensionale Matrix-Beziehungen . . .

280

23. DreidimensionaIe, multiIateraIe Beziehungen

283

III. Systemwandel

................. .

288

Literaturverzeichnis

297

Autorenregister

327

Sachregister . .

333

BFuP

Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis

N.F.

Neue Folge

ZfB

Zeitschrift fiir Betriebswirtschaft

ZfbF

Schmalenbachs Zeitschrift fiir betriebswirtschaftliche Forschung

ZfhF

Zeitschrift fiir handelswissenschaftliche Forschung

ZfO

Zeitschrift fiir Organisation

Erster Teil

Wissenschaftstheorie ond Organisationstheorie - ein wissenschaftstheoretischer Bezogsrahmen Wissenschaft laBt sich definieren als Erkenntnisgewinnung objektiv wahrer Aussagen. Dies gilt sowohl fUr Real- als auch Ideal- oder Formalwissenschaften. Die Betriebswirtschaftslehre und die betriebswirtschaftliche Organisationslehre sind durch ihre enge Beziehung zur Realitat sowie die praktische Bedeutung ihrer Erkenntnisse zur Gestaltung der Realitat eine Real- oder Erfahrungswissenschaftl). Beide sind bestrebt, Erkenntnisse iiber die wirtschaftlichen Handlungen in Betrieben (Unternehmungen) zu gewinnen. Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre grenzt diesen okonomisch relevanten Handlungszusammenhang weiter ein. Sie versucht, das unternehmerische Geschehen in eine Ordnung mittels genere11er, a11gemeingiiltiger Regelungen zu bringen. Es handelt sich urn Regelungen (Strukturierung) der Aufgabenverteilung und Arbeitsablaufe, die eine zielgerichtete Sol1Ordnung oder Sol1-Struktur bewirken 2). Unter Organisation wird einmal die Tatigkeit des Organisierens (Strukturierens, Regelns) verstanden und zum anderen das Ergebnis dieser Tatigkeit. Die Tiitigkeit der Strukturierung bezieht sich auf die Integration und Differenzierung von Aufgaben, Aufgabentragern (Mensch, Sachmittel) und Tatigkeiten oder Arbeitsvorgiingen. Durch deren Relationsverkniipfungen entsteht eine integrative und differenzierte Struktur. Das Ergebnis ist die Struktur oder die Gesamtheit der dauerhaften generellen Regelungen. 1) Vgl. Kosiol, E., Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensforschung. Eine Untersuchung ihrer Standorte und Beziehungen auf wissenschaftstheoretischer Grundlage, ZfB, 34. Jg., 1964, S. 744. 2) Unter diese Begriffsbestirnmung lassen sich mit geringfiigigen Abweichungen fast alie Fachvertreter im deutschsprachigen Raum subsumieren; vgl. u. a. Acker, H. B., Die organisatorische Steliengliederung im Betrieb, Wiesbaden 1956; Bleicher, K., Zentralisation und Dezentralisation von Aufgaben in der Organisation der Unternehmung, Berlin 1966; Gaugler, E., Instanzenbildung als Problem der betrieblichen Fiihrungsorganisation, Berlin 1966; Grochla, E., Automation und Organisation. Die technische Entwicklung und ihre betriebswirtschaftlich-organisatorischen Konsequenzen, Wiesbaden 1966; Hennig, H. W., Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, 5. Aufl., Wiesbaden 1971; Kosiol, E., Organisation der Unternehmung, Wiesbaden 1962; Nordsieck, F., Grundlagen der Organisation als FUhrungsaufgabe, 2. Aufl., Miinchen 1970; Ulrich, H., Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, Bern 1949.

14

Wissenschajtstheorie und Organisationstheorie

Die Abgrenzung des organisatorischen Problembereichs - die an dieser Stelle als vorliiufig anzusehen ist - bestimmt neben dem Erkenntnisziel und der Methodik den Aussagegehalt organisatorischer Erkenntnisse. Erkenntnisziel, Erkenntnisobjekt und Methodik repriisentieren die Grundgr6Ben jeder Forschung und damit auch der Organisationsforschung. Die Entscheidung tiber den Inhalt dieser drei Gr6Ben liegt im Ermessen des einzelnen Wissenschaftlers. Die Grtinde seiner Wahl sollten jedoch einer sachlichen Diskussion zugiinglich sein. Allgemein verbindliche Grundsiitze lassen sich nicht aufstellen. Die Objektivitiit wissenschaftlicher Aussagen kann daher nicht vom einzelnen Wissenschaftler erwartet werden, sondern nur von der Wissenschaft bzw. wissenschaftlichen Disziplin als einer sozialen Institution. Das erfordert einen vom Entstehungsvorgang wissenschaftlicher Erkenntnisse unabhiingigen Wahrheitswert der Aussagen. Die Feststellung des Wahrheitswertes von Aussagen geh6rt neben den Fragen der zweckmiiBigen Aussagen- oder Satzformulierung und der intersubjektiven tlberprtifbarkeit realbezogener Siitze in den Beg r ti n dun g s z usa m men han g. Dieser folgt genetisch dem E n t s t e hun g s z usa m men han g der Siitze als einem psychologischen Problem der heuristischen Methodik3). Die Wissenschaftslogik oder Met hod 0 log i e befaBt sich mit den logischen Problemen des Begrtindungszusammenhangs. Sie versucht Regeln herauszuarbeiten, nach denen Wissenschaftler handeln oder entsprechend ihrer Zielstruktur handeln sollten, urn diese auf ihre Brauchbarkeit hin zu prtifen; sie stellt ein Hauptgebiet der Erkenntnis- oder Wi sse n s c h aft s the 0 r i e dar. Die Wissenschaftstheorie sieht ihre Aufgabe in der kritischen Reflexion und systematischen Kliirung der Prozesse der wissenschaftlichen Methode, Forschung, Erkliirung und der besonderen Denkgewohnheiten, die den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaftspraxis f6rdern. Die Wissenschaftstheorie ist daher weder selbst Erfahrungswissenschaft noch vereinigt sie in sich "erkenntnistheoretisch relevante" empirische Ergebnisse der Einzelwissenschaften. Sie ist eine philosophische Disziplin, die der Erfahrung logisch vorangeht. Die Entscheidung tiber Wissenschaftsziel, Erkenntnisobjekt und Methodik stellt eine wissenschaftsprogrammatische oder wissenschaftsstrategische Aufgabe dar. Sie bestimmt die Vorgehensweise und priigt das Ergebnis der wissenschaftlichen Arbeit. Das Fehlen einer Organisationstheorie wird oft geradezu mit dem Fehlen eines problemgerechten methodischen Ansatzes gleichgesetzt wie auch mit dem Fehlen eines angemessenen konzeptionellen Bezugsrahmens, der eindeutige, informative Aussagen abzuleiten erlaubt, ohne daB der Bezug zum Ganzen verloren geht'). Damit wird die Kritik der Wirtschaftspraxis an der fehund Erkennen im kybernetischen Modell, 2. Aufl., Wien - New York 1965. 4) Vgl. HeImer, 0., The Prospects of a Unified Theory of Organizations, in: Management Science, Vol. 4, 1958, S. 172; ders., The Game-Theoretical Approach to Organization Theory, Rand-Report P-1026, Santa Monica, Cal., Febr. 1957, S. 1 f.

3) Vgl. Stachowiak, H., Denken

Wissenscha;ftstheorie una Organisationstheorie

15

lenden Verwendbarkeit organisatorischer Aussagen und die Kritik der Wissenschaft an der Einseitigkeit und Enge des betriebswirtschaftlich-organisatorischen Ansatzpunktes und seiner Problemstellung zu einer Kritik an dem verwendeten Wissenschaftsprogramm der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre5). Die Auseinandersetzung mit dem Wissenschaftsprogramm ist deshalb nicht ein wissenschaftstheoretisches Anliegen, das im Vorfeld der eigentlichen Sachproblematik zu fUhren ist, sondern das gleichrangig neben den sachlichen Problemen der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre steht. Das erfordert eine Auseinandersetzung und KHirung des organisatorischen Erkenntnisziels, Erkenntnisobjekts und der Methodik - auf der Basis einer philosophischen Grundeinstellung. Das notwendige Instrumentarium liefert maBgeblich der Wissenschaftsbegriff der analytischen Philosophie oder deren Teildisziplin, die analytische Wissenschaftstheorie. Ais Stromungen der analytischen Wissenschaftstheorie sind hierbei der logische Empirismus und der kritische Rationalismus relevant8). Die Wissenschaftsauffassung der analytischen Wissenschaftstheorie wird heute von der Mehrzahl der betriebswirtschaftlichen Fachvertreter in mehr oder Minder weitem Umfang implizit oder explizit anerkannt. Mit diesem Ubergang auf die analytische Wissenschaftstheorie fand in der Betriebswirtschaftslehre eine Schwerpunktverlagerung der Forschungsrichtung statt. Die reine oder des k rip t i v e Betriebswirtschaftslehre, die beschreibend das Seiende zu erkUiren versuchte, und die b eke nne n d - nor mat i v e Forschungsrichtung, die entsprechend der ethischen Einstellung des Forschers subjektive Werturteile in die Modellannahmen einbezog, wurden durch den p r a k tis c h - nor mat i v e n Forschungsansatz abgelost. Dieser Ansatz strebt normative Aussagen an, die praktisch relevant sind und Empfehlungen fur "richtiges" Entscheiden geben. Das Erkenntnisinteresse ist uber deskriptive Aussagensysteme auf die Gestaltung der Betriebswirklichkeit ausgerichtet.

I) VgI. Wild, J., Grundlagen und Probleme der betriebswirtschaftlichen Organisa-

tionslehre, Entwurf eines Wissenschaftsprogramms. Berlin 1966, S. 19 ff.; ders., Zur praktischen Bedeutung der Organisationstheorie, zm, 37. Jg., 1967, S. 567 ff. ') VgI. u. a. Popper, K. R., Logik der Forschung, Wien 1935; Albert, H. (Hrsg.), Theorie und Realitiit, Ausgewiihlte Aufsiitze zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften, Tiibingen 1964; Dlugos, G., Analytische Wissenschaftstheorie als Regulation betriebswirtschaftlicher Forschung, in: Wissenschaftstheorie und Betriebswirtschaftslehre, hrsg. von G. Dlugos, G. Eberlein, H. Steinmann, Dusseldorf 1972, S. 21-53.

Erstes Kapitel

Das Aussagensystem der Wissenschaftstheorie Die Darstellung des wissenschaftstheoretischen Aussagensystems erfordert die Bezugnahme auf die w iss ens c h aft Ii c h e Z i e 1 set z u n g. Hierbei wird der Unterteilung in ein theoretisches (realanalytisches) und pragmatisches (operationsanalytisches) Wissenschaftsziel gefoigt. Die Erreichung dieser Ziele erfordert eine KHirung der auftretenden sprachlichen und begrifflichen Probleme und die Ableitung adaquater Aussagen- oder Satzsysteme. 1m wesentlichen handelt es sich urn singulare oder 1ndividualsatze und universale Satze oder Gesetze, die im Rahmen von empirisch-kognitiven Satzsystemen (Realtheorien) oder Iogisch-analytischen Satzsystemen (1dealtheorien) Verwendung finden. Die Feststellung des Wah r h e its w e r t e s dieser Satzsysteme bildet einen weiteren Untersuchungsgegenstand. Da Iogisch-analytische Satze sich nicht auf die Wirklichkeit beziehen, sondern auf bloB en Annahmen, Postulaten basieren, k6nnen sie nur eine formale Gultigkeit aufgrund der Iogischen Struktur beanspruchen (= log i s c heW a h r h e it). Demgegenuber weisen empirisch-kognitive Satze einen Realitatsbezug auf. Diese Satzart ist deshalb an den Faktoren des zugrunde liegenden Gegenstandbereiches uberprufbar (= em p i r i s c heW a h r h e it). Fur die Realwissenschaft "betriebswirtschaftliche Organisationsiehre" erweist sich damit Ietztlich die Wirklichkeit ais Prufungsinstanz, an der sich ihre Aussagensysteme bewahrheiten oder scheitern. Dieser Prufungsvorgang mit seinen methodologischen Regein bildet den AbschiuB des Aussagensystems der Wissenschaftstheorie in seiner Relevanz fUr eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie.

A. Wissenschaftliche ZieISetzung Das a II gem e in e Z i e 1 wissenschaftlicher Aussagen besteht in der Bewaitigung von Lebensaufgaben, vor die sich der Mensch in seiner Umweit gestellt siehtl). Daraus Ieiten sich zwei s p e z i e II e Z i e I set z u n g e nab, die sich gegenseitig bedingen und ergiinzen: eine theoretische Zieisetzung der E r k I a run g und eine praktische der V 0 r a u s sag e u n d t e c h n i 1)

Vgl. Reichenbach, H., Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie, Berlin

1962, S. 282 ff.; Steffens, F. E., Zum Wissenschaftsprogramm der betriebswirtschaftlichen Theorie der Unternehmung, ZfB, 32. Jg., 1962, S. 749; Kosiol, E., Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensforschung, a. a. 0., S. 744.

Das Aussagensystem der Wissenschaftstheorie

17

hen 0 d e r p r a k tis c hen An wen dun g b z w. G est a 1 tun g2). Entsprechend dieser Unterscheidung kann zwischen einer "reinen" und einer "angewandten" Wissenschaft oder einer realanalytischen und einer operationsanalytischen Fragestellung unterschieden werden. Diese polaren Unterscheidungen sind in der Betriebswirtschaftslehre seit langem akzeptiert3). Lediglich in ihrer aktuellen Bedeutung losen sich die Forschungsrichtungen ab 4). Da jedoch letztlich der praktisch handelnde Mensch die Wirklichkeit nicht nur erkennen, sondern durch sein Handeln veriindern will 5) , bildet die realanalytische Forschungskonzeption die empirische Grundlage zur operationsanalytischen Aufgabenstellung.

5 C

Rea I a n a I y tis c h e A u s sag e n beziehen sich auf GesetzmiiBigkeiten empirischer Wirkungszusammenhiinge, urn reale Vorgiinge und Ereignisse beschreiben, erkliiren und prognostizieren zu konnen. Die GesetzmiiBigkeiten geben tiber die Struktur der Realitiit in Form allgemeingtiltiger Wenn-DannSiitze (universelle oder nomologische Hypothesen) AufschluB. Ein geordnetes System solcher Gesetze bildet den zentralen Bestandteil einer realwissenschaftlichen Theorie. Unter einer Theorie ist eine geordnete Menge (System) nomologischer Hypothesen (Gesetze) zu verstehen, die durch Ableitbarkeitsbeziehungen miteinander verbunden sind, einschlieBlich der ableitbaren Aussagen 6). Im Grenzfall kann eine Theorie aus einem einzigen Gesetz und den daraus abgeleiteten Aussagen bestehen. Die Wahrheit von Theorien ergibt sich aus deren 'iJberprtifbarkeit an der Empirie. "Ein empirisch-wissenschaftliches System muB an der Erfahrung scheitern konnen7 )." Ope rat ion san a I y tis c h e Au s sag e n einer angewandten Disziplin tragen unmittelbar zur Losung praktischer Probleme beL Im Mittelpunkt der Aussagen steht die Bestimmung der situationsadiiquaten Handlungsweise, ausgehend von einer bestimmten Zielsetzung8). Die operationsanalytische Konzeption vermittelt hierzu logisch-analytisches Wissen tiber die Problemstruktur und die logischen Beziehungen zwischen Zielsetzung, EinfluBfak2) Vgl. Popper, K. R., Naturgesetze und theoretische Systeme, in: Theorie und

Realitat, a. a. 0., S. 93.

3) Vgl. Schmalenbach, E., Die Privatwirtschaftslehre als Kunstlehre, ZfbF, 6. Jg.,

1911/12, S. 306 und S. 316. So betont Heinen aus einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre hera us, daB " ... die Betriebswirtschaftslehre heute ... nach herrschender Meinung eine angewandte, d. h. praktisch-normative Wissenschaft ... " ist. Heinen, E., Wissenschaftsprogramm der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, zm, 39. Jg., 1969, S. 209; vgl. auch Schmidt, R. B., Wirtschaftslehre der Unternehmung, Stuttgart 1969, S. 24 ff. 5) VgI. Ulrich, H., Die Unternehmung als produktives soziales System, Bern - Stuttgart 1968, S. 75 f. 6) VgI. Albert, H., Probleme der Theoriebildung, in: Theorie und Realitat, a. a. 0., s. 27; Wild, J., Organisatorische Theorien, Aufbau und Aussagegehalt, in: Handworterbuch der Organisation, hrsg. von E. Grochla, Stuttgart 1969, Sp. 1265-1280. 1) Popper, K. R., Logik der Forschung, a. a. 0., S. 15. 8) Vgl. Strobel, W., Betriebswirtschaftslehre und Wissenschaftstheorie, Besprechungsaufsatz, ZfbF, 19. Jg., 1967, S. 133 f.

4)

2 Hoffmann

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Wissenschajtstheorie una Organisationstheorie

toren, Verhaltensalternativen und deren Konsequenzen. Gegenstand der Aussagen sind damit nicht wie in der Realanalyse Ursache-Wirkungszusammenhange, sondern Mittel-Zweck-Relationen zur Realisierung von Handlungszielen bei gegebenem Mitteleinsatz. Durch die finale Analyse einer (Gesetzes-)Hypothese wird feststellbar, welche Bedingungen zu schaffen sind, wenn die im Dann-Satz der Hypothese genannten Konsequenzen zieladaquat sind. Das Ergebnis der Aussagen sind Handlungsanweisungen oder Handlungsregeln zur Erreichung bestimmter Ziele. Die Operationsanalyse tragt damit mittels ihrer logischen Transformationsregeln zur formalen Bewaltigung einer Entscheidung oder Problemlosung bei. Derartige Aussagen- oder Satzsysteme werden als ideal-praxeologisch (instrumental, teleologisch, technologisch) bezeichnet9). Entsprechend ihrer Bezugnahme auf gedachte, empirisch-plausible oder irreale Entscheidungsprobleme, die auf bloBen Annahmen basieren, wird von idealen praxeologischen Aussagensystemen bzw. Entscheidungsmodellen gesprochen. Der Wahrheitswert ihrer logisch-determinierten Satze ist aHein mit Hilfe logischer Kriterien bestimmbar10). Ihre Wahrheit bedeutet formale Richtigkeit, unabhangig von deren Giiltigkeit in der Realitat. Handelt es sich um die LOsung eines konkreten Entscheidungsproblems, so sind neben den operationsanalytischen Aussagen auch realanalytische Aussagen erforderlich. Die (Gesetzes-) Hypothesen miissen sich auf empirische Tatbestande beziehen. Werden beide Aussagensysteme aufeinander bezogen, so lassen sich zielgerichtete Handlungen zur Gestaltung der Wirklichkeit ableiten. Es handelt sich um real-praxeologische Aussagensysteme bzw. Entscheidungsmodelle. Derartige real-praxeologische Aussagensysteme sind gekennzeichnet durch eine empirische und eine logisch-analytische Komponente und machen Aussagen iiber zielgerichtetes, gestaltendes Handeln. Sie erheben Anspruch auf empirische Wahrheit (Gilltigkeit).

B. Spracbe und BegriffsbiJdung Nach dieser grundsatzlichen DarsteHung der Ziele wissenschaftlicher Aussagen werden die wissenschaftlichen Aussagen selbst zum Untersuchungsgegenstand. Sowohl die reine als auch die angewandte Wissenschaft formulieren ihre Aussagen in Satzen. Dies bedingt ein sprachliches Problem, wie die Objekte, iiber die wir sprechen wollen, zweckgerecht ausgedriickt und abgebildet werden konnen und welche symbolischen Hilfsmittel hierzu benotigt 9) Vgl. Mises, L. v., Nationalokonomie, Genf 1949, S. 3; Kotarbiuski, T., Was sind praxeologische Satze?, in: Praxeologie, acht Beitrage zur Einfiihrung in die Wissenschaft vom leistungsfahigen Handeln aus dem Forschungszentrum fUr allgemeine Probleme der Arbeitsorganisation in Warschau, hrsg. v. K. Alsleben und W. Wehrstedt, Quickborn 1966, S. 17 ff. 10) Vgl. Kraft, V., Mathematik, Logik und Erfahrung, zweite neubearbeitete Auflage, New York 1970, S. 17 ff.

Das Aussagensystem der Wissenschaj'tstheorie

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werden. Carnap kennzeichnet eine S p r a c h e durch ein "System von Zeichen mit Regeln zur Verwendung dieser Zeichenl l)". Dabei ist zunachst zwischen der natiirlichen Umgangssprache, der wissenschaftlichen Fachsprache und der kiinstlichen oder symbolischen Sprache zu unterscheiden sowie im AnschluB daran zwischen der deskriptiven und praskriptiven Sprache. Jede Sprache besteht:

1. aus einer Menge von Zeichen; 2. aus Kombinationsregeln, die Angaben damber machen, wie die Zeichen kombiniert werden diirfen. Zeichen und Zeichenkombinationsregeln erlauben es, bestimmte Ausdriicke, Zeichenkombinationen zu schreiben; 3. aus Transformationsregeln, die festlegen, welche Ausdriicke in welche andere Ausdriicke umgewandelt werden diirfen. Diese Grundbestandteile kennzeichnen die k ii n s t I i c h e S p r a c h e. Sie bilden ein s y n t a k tis c h e s S y s t e m oder einen K a I k ii }12). Es fehlt zwischen den Zeichen und bestimmten Objekten der Wirklichkeit oder Merkmalen dieser Objekte eine Beziehung. Die Zeichen des Kalkiils haben keine Bedeutung. Es fehlt ihnen der Realitatsbezug. Sie sind rein logisch determiniert. 1m Gegensatz hierzu weisen die nat ii r I i c hen S p r a c hen (Deutsch, Englisch usw.) eine Beziehung zwischen Zeichen und realem Objekt oder dessen Merkmalen auf. Die Zuordnung der Zeichen zu bestimmten Designata - also Objekten oder Merkmalen von diesen - geschieht mit Hilfe s e man tis c her Reg e I n. Die semantischen Regeln werden durch die Bedeutung der Zeichen gebildet. Die Zuordnung von Designata zu diesen Zeichen erfolgt aufgrund festgelegter semantischer Regeln. Die Zuordnung der Designata zu einer Menge von Zeichen (Wort) wird Beg r iff genannt. Von Einzelbegriffen oder Begriffssystemen wird aus Griinden der Fruchtbarkeit wissenschaftlicher Arbeit gefordert, daB diese den Anforderungen entsprechen, die Gegenstand und Untersuchungszweck an sie steIlen13). Dies entspricht der Forderung nach P r a z i s ion der Sprache. Der Prazisionsgrad ist dabei um so groBer, je groBer die Menge der Merkmale ist, die einem Begriff zugeordnet werden kann. Gleichfalls wird von einem Begriff dessen k 0 n sis ten t e Verwendung gefordert. Diese Forderung ist erfiiIlt, wenn aIle Personen aIle gleichartigen Ereignisse demselben Begriff zuordnen. Des weiteren wird die 0 per a t ion a lit a t der Begriffe verlangt, d. h. die genaue Angabe der Designata eines Wortes iiber beobachtbare Ereignisse14). Carnap, R., Einfi1hrung in die symbolische Logik, 2. Aufl., Wien 1960, S. 1. VgI. Kraft, V., Mathematik, Logik und Erfahrung, a. a. 0., S. 28. 13) Szyperski, N., Zur Problematik der quantitativen Terminologie in der Betriebswirtschaftslehre, Berlin 1962, S. 37. 14) VgI. Bergmann, G., Sinn und Unsinn des Operationalismus, in: Logik der Sozialwissenschaften, hrsg. von E. Topitsch, Koln - Berlin 1965, S. 104 ff. 11) 12)

2*

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Wissenschaftstheorie und Organisationstheorie

Die beobachtbaren Ereignisse mussen genau spezifiziert werden, so daB jedes Subjekt die Designata einheitlich feststellt. Dadurch soIl die faktische 'Oberpriifbarkeit erfahrungswissenschaftlicher Satze gewahrleistet werden. Die Operationalitat von Begriffen oder Begriffssystemen stellt eine konkrete Auspragung des Strebens nach Prazision und Konsistenz von Begriffen oder Begriffssystemen dar. Sie erfiillt die Forderung nach Prazision und Konsistenz. Diesen beiden Kriterien steht das Kriterium der All gem e i n v e r s tan d 1 i c h k e i t der Sprache und der verwendeten Begriffe gegenuber. Es handelt sich mit Einschrankung um konkurrierende Kriterien. Die Entscheidung fur Prazision und Konsistenz und gegen die Allgemeinverstandlichkeit bedeutet die Bevorzugung einer Fachsprache (Esoterik) gegenuber einer Umgangs- oder Alltagssprache. Letztlich ist diese Entscheidung an der Bedeutung der Sprache fur den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt auszurichten. Grundsatzlich wird einer Fachsprache eine groBere Leistungsfahigkeit zugeschrieben15). Die Fachsprache entsteht meist aus der Umgangssprache mittels des Verfahrens der Ex p 1 i kat ion. Dieses Verfahren versucht, unklare Ausdrucke, Begriffe, Problemstellungen und unklar definierte Theorien zu prazisieren, so daB informative und wahre Theorien entstehen. Der Ausdruck, der expliziert werden solI, wird Explikandum genannt; der Ausdruck, der das Ergebnis der Explikation ist, wird Explikat genannt. Das Streben nach exakten Begriffen findet seinen Ausdruck in dem 'Obergang von klassifikatorischen uber komparative zu quantitativen Begriffen. Diese Begriffe sind das Ergebnis eines MeBvorganges. Unter M e sse n wird allgemein die Zuordnung reeller Zahlen zu den Merkmalen des Objektbereichs nach bestimmten Vorschriften verstanden16). Je nach Merkmalstruktur der MeBobjekte finden unterschiedliche MeBmethoden (Skalen) Verwendung. KIa s s i f i kat 0 r i s c h e Begriffe setzen eine nominale Skala voraus. Es handelt sich um die schwachste Form des Messens. Den unterscheidbaren Elementen des Merkmalraums oder den Klassen einer Typologie werden willkurlich aber eindeutig Elemente des Zahlenraums zugeordnet. Die zugeordneten Zahlen drucken lediglich einen Unterschied zwischen den bezeichneten Teilklassen aus (z. B. Rechnungsnumerierung). K 0 m par a t i v e Begriffe setzen eine topologische oder ordinale Skala voraus. Diese kennzeichnet die Elemente oder Klassen eines Merkmalraums in der RangVgl. Endres, W., Zur Ausdrucksweise im betriebswirtschaftlichen Schrifttum, ZfbF, 21. Jg., 1969, S. 601 ff.; Kroeber-Riel, W., "Ober normative Kritik betriebswirtschaftlicher Sprachen oder: wie man aus einem wissenschaftlichen Text ein Volkslied macht, ZfbF, 21. Jg., 1969, S. 828 ff.; Hax, H., Fur wen kann und solI die betriebswirtschaftliche Fachsprache verstandlich sein?, ZfbF, 22. Jg., 1970, S. 575 ff.; Leinfellner, W., Zum sprachkritischen Methodenstreit in der Betriebswirtschaftslehre, ZfbF, 22. Jg., 1970, S. 582 ff. 18) VgI. Stevens, S. S., On the Theory of Scales of Measurement, Science, Vol. 103, 1946, S. 677; Pfanzagl, J., Die axiomatischen Grundlagen einer allgemeinen Theorie des Messens, Wiirzburg 1959, S. 59.

15)

Das Aussagensystem der Wissenschaftstheorie

21

oder Reihenfolge entsprechend ihrer Auspragung (z. B. die Unterteilung in verschiedene Lohngruppen: ungelernte, angelernte, Facharbeiter). Qua n tit a t i v e Begriffe setzen eine metrische Skala voraus, mit den Unterfillen einer Intervall- und Kardinalskala. Die Intervallskala bestimmt die Abstande zwischen den Elementauspragungen eines Merkmalraums im reellen Zahlenraum. Sie gibt die Ordnung der Abstande wieder (z. B. Beschaftigungsabweichungen in der Plankostenrechnung). Der Nullpunkt wird willkurlich festgelegt. Die Kardinalskala erfordert demgegenuber einen absoluten Nullpunkt (z. B. Wahrungseinheiten). Der MeBvorgang liefert absolute Zahlen. Innerhalb dieser Stufen des Messens sind zwei Formen zu unterscheiden: das direkte und das indirekte Messen. D ire k t e s Messen vollzieht sich an den Merkmalsauspragungen des Objekts selbst; in d ire k t e s Messen erfolgt an Hilfs- oder ErsatzgroBen17). Die Fachsprache involviert jedoch eine gewisse Problemblindheit wie auch groBere Selektivitat der in Theorien vorkommenden Faktoren, Beziehungen und Tatbestande. Ein Wertproblem ist hierin nicht enthalten. Vielmehr erweist sich die Relevanz von Begriffen, die in Theorien Verwendung finden, an deren Begrilndung in der Realitat18). "Die relative Prazision und Konsistenz von Begriffen ist also nur eine notwendige, k e i n e s w e g seine hinreichende Bedingung fUr die theoretische Fruchtbarkeit eines BegriffslD)." Es ist folglich die Methodologie oder Wissenschaftslogik in den Vordergrund zu stellen und von dieser auf das begriffliche Instrumentarium zu schlieBen. An die Stelle der alten Beg r iff s orientierung hat die Pro b I e m orientierung zu treten, die die Akzentuierung von Definitionen zugunsten der Betonung von Hypothesen und Theorien fallen laBt20). Bisher wurde die kilnstliche Sprache (KalkUl) von den naturlichen Sprachen isoliert behandelt. Es wird nun eine Beziehung zwischen den Zeichen eines KalkUls und den Tatbestanden realwissenschaftlicher Aussagen hergestellt. Dies erfordert, daB der KalkUl durch semantische Regeln erweitert wird. Die Zuordnung der Designata durch semantische Regeln zu den Zeichen eines Kalkuls heiBt I n t e r pre tat ion. Auch eine Theorie kann zur Interpretation eines KalkUls verwendet werden. Der nicht interpretierte KaikUl reprasentiert dann die formale Struktur der Theorie, d. h. das syntaktische Gerilst der Theorie. Der ProzeB der Zuordnung (Interpretation) und das syntaktische Gerust werden als For m a lis i e run g einer Theorie bezeichnet. 17) Vgl. Szyperski, N., Zur Problematik der quantitativen Terminologie in der Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 63 ff. 18) Vgl. Albert, H., Probleme der Theoriebildung, a. a. 0., S. 43 ff.; Popper, K. R., Naturgesetze und theoretische Systeme, a. a. 0., S. 88 ff. 19) Opp, K. D., Methodologie der Sozialwissenschaften, Einfiihrung in die Probleme ihrer Theoriebildung, Reinbek bei Hamburg 1970, S. 146. 20) Vgl. Albert, H., Probleme der Theoriebildung, a. a. 0., S. 14.

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Wissenschajtstheorie und Organisatianstheorie

Die Zuordnung einer natiirlichen zu einer kiinstlichen Sprache ermoglicht die Verwendung des Kalkiils zu einer inhaltlichen Beschreibung. Voraussetzung hierfiir sind umkehrbar eindeutige Beziehungen zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Der Kalkiil stellt folglich eine A b b i I dun g des Objektbereichs dar. 1st diese Abbildung eindeutig, d. h. besteht zwischen Kalkiil und Objektbereich dieselbe Struktur oder dasselbe Beziehungsmuster, so liegt ein strukturgleiches oder is 0 m 0 r p h e s Abbild vor. Strukturgleichheit oder lsomorphie21 ) stellt im Rahmen der realen Sphiire einen anzustrebenden Idealzustand dar. Die Komplexitiit der Wirklichkeit und die Realisation okonomisch moglicher Analysen lassen zumeist nur partiell-isomorphe oder homomorphe Abbildungen zu. Partielle lsomorphie oder Hom 0 m 0 r phi e ist dabei eine nicht umkehrbare Mehr-zu-Eins-Abbildung (z. B. statistische Durchschnittsbildung). Die partiell-isomorphen, homomorphen oder im Extrem isomorphen Abbildungen werden als Modelle bezeichnet22). Mod e II e sind damit totale oder partielle Abbilder bestimmten Abstraktionsgrades zu ihrem Objektbereich. Dieser weite Modellbegriff impliziert, daB Theorien eine Teilklasse der Modelle darstellen. Rein logisch determinierte "Modelle", die nicht von empirischen RegelmiiBigkeiten ausgehen und daher faktisch nicht iiberpriifbar sind, sondern denknotwendig giiltig sind, kennzeichnen zwar eine Stufe der Modellbildung, fallen jedoch nicht unter den hier verwendeten Modellbeg;iff23). Es fehlt ihnen der empirische Aussagenbezug. Die Praxis der Immunisierung gegen jede empirische Priifung wird von Albert als Mod e 11- P I a ton ism u s bezeichnet24). Erreicht wird dies einerseits durch eine Tautologisierung der Aussagen. Die Dann-Komponente einer Hypothese bildet ein logisches Implikat der Wenn-Komponente, und die Verwendung gewisser Alibi-Formeln, wie der ceteris-paribus-Klausel, wird in der Wenn-Komponente inhaltlich nicht niiher spezifiziert. Gemeinsam ist dieser Praxis eine Verwechslung der logischen Richtigkeit mit der empirischen Giiltigkeit der Aussagen. Je nach verwendetem Zeichensystem zur Abbildung des Objektbereichs wird zwischen a n s c h a u Ii c h - i k 0 n i s c hen und a b s t r a k t - s y m b 0 Ii VgI. Spinner, H. F., Madelle und Experimente, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 1003 ff.; Carnap, R., Einfiihrung in die symbolische Logik, a. a. 0., S. 67 ff. und S. 118 ff. II) VgI. Kosiol, E., Modellanalyse als Grundlage unternehmerischer Entscheidungen, ZfhF, N. F., 1961, S. 321; Schweitzer, M., Methodologische und entscheidungstheoretische Grundfragen der betriebswirtschaftlichen ProzeBstrukturierung, ZfbF, 19. Jg., 1967, S. 280 f.; Wild, J., Grundlagen und Probleme der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre, a. a. 0., S. 51 f. 23) Zu den verschiedenen Bedeutungen des Modellbegriffs vgl. Grochla, E., Modelle als Instrumente der Unternehmensfiihrung, ZfbF, 21. Jg., 1969, S. 383 f.; Spinner, H. F., Madelle und Experimente, a. a. 0., Sp. 1000 ff.; Kohler, R., Theoretische Systeme der Betriebswirtschaftslehre im Lichte der neueren Wissenschaftslogik, Stuttgart 1966, S. 48 ff. 24) Albert, H., Modell-Platonismus - der neoklassische Stil des okonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S. 406 bis 434. 11)

Das Aussagensystem der Wissenschajtstheorie

23

s c hen Modellen unterschieden2S). Wahrend die ikonischen Modelle wahrnehmbare Abbilder liefem (Landkarte, Mo1ekiilmodelle), zeichnen sich die symbolischen Modelle durch eine Darstellung des Objektbereichs oder seiner Merkma1e mitte1s yom Objekt 10sge1oster Zeichensysteme aus. Je nach Zeichensystem und damit je nach Sprachform lassen sich die abstrakt-symbolischen Modelle in Ve r b a 1- (Umgangs- oder Fachsprache) und K a 1k ii 1 mod e 11 e (mathematische und 10gistische Modelle durch Verwendung einer kiinstlichen Sprache) unterscheiden. Des weiteren kann zwischen Rea1und Idea1modellen differenziert werden. Rea 1 mod e 11 e bilden Gegenstiinde der Realitat abo Ide aIm 0 dell e stellen ana1ytisch syntaktische Zusammenhiinge dar, ohne semantischen Bezug zur Realitat. Die Formalisierung oder Symbolisierung einer Theorie weist ihre hochste Ordnungsform in einer axiomatisierten Theorie auf2 6). "Dabei ist unter Axiomatisierung die Verwandlung der Theorie in ein axiomatisch-deduktiyes System zu verstehen, das so beschaffen ist, daB es innerha1b der theoretischen Aussagen eine Klasse von Aussagen a1s A x i 0 m e auszeichnet, aus denen aIle Aussagen der Theorie (a1s The 0 rem e) 10gisch fo1gen27)." Solche axiomatisch-deduktiven Systeme beantworten somit die Frage, we1che Satze aus bestimmten anderen Satzen 10gisch fo1gen. Von den Axiomen muB dabei erwartet werden, daB sie widerspruchsfrei (konsistent), d. h. nicht kontradiktorisch sind. Sonst sind die Theoreme allein aufgrund der verwendeten Zeichen bei jeder Beschaffenheit der Realitat fa1sch. Des weiteren miissen die Axiome 10gisch unabhangig voneinander sein, d. h. es darf keine 10gische Implikation zwischen den Axiomen exisitieren. Die V 0 r t e i 1 e der Formalisierung sind in der rein syntaktischen Handhabung der Zeichen zu sehen, ohne Beriicksichtigung ihres semantischen Gehalts, also der Bedeutung der Zeichen. Dennoch b1eiben die End- und Zwischenergebnisse mitte1s der semantischen Rege1n inhaltlich interpretierbar. Die Formalisierung ermoglicht dadurch eine bessere Kontrolle der Ab1eitungen; fa1sche Ab1eitungen konnen re1ativ 1eicht erkannt werden. Dariiber hinaus fiihrt die Formalisierung einer Theorie haufig zur Entdeckung neuer Hypothesen sowie zum 1eichteren Verg1eich mehrerer Theorien. Eine Formalisierung kann jedoch fiir den theoretischen Fortschritt auch N a c h t e i l e haben. Neben eine Verschleierung der Begriffe (durch Unk1arheit) tritt a1s Hauptmange1 die Verschleierung einer Theorie durch geVgl. Frey, G., Symbolische und ikonische Modelle, in: The Concept and the Role of the Model in Mathematics and Natural and Social Sciences. Proceedings of the Colloquium sponsered by the Division of the Philosophy of Sciences of the International Union of History and Philosophy of Sciences organized at Utrecht, January 1960, hrsg. v. H. Freudenthal, Dordrecht 1961, S. 89-97; Kosiol, E., Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensforschung, a. a. 0., S. 754. 28) Vgl. Carnap, R., Einfiihrung in die symbolische Logik, a. a. 0., S. 172 ff.; Carnap, R., Stegmiiller, W., Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit, Wien 1969, S. 18 ff. 27) Albert, H., Probleme der Theoriebildung, a. a. 0., S. 54.

25)

24

Wissenschaftstheorie und Organisationstheorie

ringen Informations- oder Realitiitsgehalt. Logische Operationen tragen eben zur empirischen Gilltigkeit von Theorien nichts beL Neben der Unterscheidung von nattirlicher und ktinstlicher Sprache sowie deren Verbindung gilt es, die deskriptive von der priiskriptiven Sprache zu trennen. Die in des k rip t i v e r S p r a c h e formulierten Aussagen beschreiben empirische Sachverhalte, erkliiren Zusammenhiinge, machen Annahmen, formulieren Hypothesen, konstituieren Gesetze und formulieren Regeln und Kriterien. Es handelt sich urn sogenannte Indikativsiitze, die tiber empirische Tatbestiinde Auskunft geben. Die in p r ii s k rip t i v e r S p r a c h e formulierten Aussagen sind im wesentlichen imperativer Art, indem sie ein bestimmtes Verhalten vorschreiben, oder normativer Art, indem sie ein bestimmtes Verhalten als gerechtfertigt deklarieren. Es handelt sich urn wertende Aussagen, die streng von den Tatsachenaussagen zu trennen sind. Dies schlieBt jedoch nicht aus, daB eine wertfreie Wissenschaft wertende Aussagen trifft, wenn sie diese metasprachlich formuliert. Die Metasprache macht dabei Aussagen tiber eine andere (deskriptive) Sprache28), wie dies ja auch fUr die Wissenschaftstheorie zutrifft. Zwischen den normativen Wertaussagen der priiskriptiven Sprache und den faktischen Aussagen der deskriptiven Sprache liegt die ganze Breite relevanter Aussagen- und Satzsysteme.

c.

Satzsysteme und deren Verwendung

Das Ziel des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ist die Bildung objektiv wahrer Siitze in Form von Theorien und praktisch verwendbarer Handlungsregeln. Diese Siitze lassen sich nach ihrer wissenschaftlichen Zielsetzung in realanalytische und operationsanalytische Sat z s y s tern e unterteilen. Beide enthalten sowohl singuliire Siitze oder Individualsiitze als auch universelle oder nomologische Hypothesen (Gesetze). Individualsiitze und Gesetze leisten in ihrer Satzverkntipfung die explanatorische Aufgabe der Erkliirung und Prognose sowie unter HinzufUgung praktischer Zielsetzungen die praxeologische Aufgabe der Entscheidung. Die Umsetzung der Entscheidung in die Realitiit wirft Probleme eigener Art auf. UmstrukturierungsmaBnahmen fUhren hiiufig nicht zu den erwarteten Ergebnissen, die nach MaBgabe der Entscheidung eintreffen mtiBten29). Es treten Abweichungen auf, die eine Kontrolle erfordern. Diese fUhren tiber Individualsiitze und Gesetze zu sogenannten Revisionsentscheidungen. Der Revisionsentscheidung geht dabei eine Erkliirung der Abweichungsursachen 28) Vgl. Bochenski, J. M., Die zeitgenossischen Denkmethoden, 3. Aufl., Miinchen 1965, S. 59, 94. !9) Vgl. Fuchs-Wegner, G., Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Problem der Systemgestaltung, ZfO, 1971, Heft 5, S. 262 f.

Das Aussagensystem der WissenschaftstheOTie

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voraus sowie eine Prognose iiber die Konsequenzen der MaBnahmen zur Beseitigung der Abweichungen. Abbildung 1 verdeutlicht den Zusammenhang der einzelnen Satzarten.

I

I

realanalytische Satze (oder empirisch-kognitive Satze)

I

Gesetze ,(nomologische Hypothesen)

""'r'"

operationsanalytische satze (oder logisch-analytische satze)

I

"""'f"""

I

Individualsatze (singulare Satze)

Hypothesen in Form von Annahmen (Pramissen)

I

I

lndividualsiitze in Form von Annahmen (Pramissen)

I

deskriptive Satzsysteme

deskriptive Satzsysteme

. - - -......- - - - - , r--- - - - explanatorische Aufgabe

I Erklarung -

I

I Prognose

t Kontroll.e ~(------

praxeoldgische Aufgabe

I

praxealogische Aufgabe

I

explanatorische Aufgabe

i

I

Zielsetzung

Zielsetzung

Entscheidung

Entscheidung .-.- Pragnose ....-Erklarung

I

+ Realisation

I

~

1

Realisation -----+~ Kontrolle

Abbildung 1 Unterteilung der wissenschaftlichen Satz(arten)systeme Zunachst zum linken Zweig des Schaubilds. Rea 1 a n a 1 y tis c h e Sat z e wurden als empirisch-gehaltvolle Satze charakterisiert. Die darunter fallenden Individualsatze beziehen sich auf konkrete Einzelfalle der Empirie. Derartige Einzelaussagen iiber individuelle Sachverhalte mit festgelegtem Raum- und Zeitbezug treten ais Pro t 0 k 0 11 sat z e auf, die Wahrnehmungen aufgrund von Beobachtungen konstatieren. Des weiteren bezeichnen sie als Bas iss at z e einer Theorie raumzeitlich begrenzte Existenzaussagen (Es-gibt-Satze) und bilden die Grundiage fUr die Uberpriifung der nomologischen Hypothesen. SchlieBlich dienen singulare Satze der Beschreibung der Ran d - 0 d erA n fan g s bed i n gun g en, auch Antezedensbedingungen genannt, die zur Erklarung, Prognose und Entscheidung aus einer Theorie erforderlich sind sowie zur Feststellung der realisierten Ergebnisse. Die Beschreibung derart konkreter Einzeltatbestande eines Gegenstandsbereichs in singularen Satzen wird ais des k rip t i v e s Sat z s y s t e m bezeichnet. Nom 0 log i s c h e H y pot h e sen im Rahmen realanalytischer Aussagen beanspruchen eine universelle Giiltigkeit. Sie sind nicht auf spezielle RaumZeitpunkte bezogen, sondern umfassen alle Individuen eines Bereichs. Es

26

Wissenschaftstheorie una Organisationstheorie

kann sich dabei um Allaussagen handeln, die sich auf aIle Objekte einer bestimmten Art beziehen, z. B. Naturgesetze, oder um reine Existenzaussagen ohne raum-zeitliche Begrenzung oder um kombinierte All- und Existenzaussagen. Die Gewinnung nomologischer Hypothesen scheint jedoch im sozialwissenschaftlichen Bereich eingeschrankt. Die Komplexitat und Variabilitat des Untersuchungsgegenstandes Hillt zumeist nur allgemeine Hypothesen von raum-zeitlich beschrankter Giiltigkeit zu. A priori kann diese Aussage jedoch nicht getroffen werden. Treten in einer Theorie Hypothesen mit spezifischen Raum-Zeit-Koordinaten auf, so handelt es sich um eine sogenannte Qua s i - The 0 r i emit Quasi-Gesetzen und Quasi-Konstanten (QuasiInvarianzen). Der Quasi-Charakter von Theorien wird dabei a posteriori dadurch erkennbar, daB die Theorie in bestimmten Raum-Zeit-Koordinaten scheitert, wahrend sie sich in anderen Koordinaten bewahrt30). Wissenschaftlich sinnvoll erscheint dabei folgende Strategie: Zunachst die Quasi-Theorie als Provisorium raum-zeitlich relativiert anzuerkennen; sodann das wissenschaftliche Bemiihen darauf zu richten, daB die betreffenden quasitheoretischen Aussagen auf empirische Bedingungen, die den in ihnen ausgesagten Sachverhalten zugrunde liegen, bezogen, also strukturell oder empirisch relativiert werden31). Unter Aufrechterhaltung des empirischen Gehalts wird dadurch der Raum-Zeitbezug eliminiert. Nomologische Hypothesen lassen sich damit als universelle empirisch-hypothetische Aussagen charakterisieren, die die Existenz empirischer Gesetzmiilligkeiten des betreffenden Objektbereichs behaupten. Realitatsbezogene Individualsatze und nomologische Hypothesen leisten die wissenschaftliche Aufgabe der Erklarung und Prognose sowie unter der Annahme praktischer Zielsetzungen die der Praxeologie. Sofern zur Losung dieser Aufgabenstellungen eine Abstraktion von der Realitat erforderlich ist, sei es aufgrund der Aufgabenkomplexitat oder aus okonomischen Griinden, vollzieht sich die Aufgabe in Erklarungs-, Prognose- und Entscheidungsmodellen. Die E r k 1 a run g kann sich auf individuelle oder allgemeine Tatbestande beziehen32). Die Erklarung i n d i v i due 11 e r Tat b est and e oder singularer Aussagen fragt danach, aufgrund welcher Gesetze und Bedingungen das zu erklarende Phanomen vorkommt. Die zu erklarende singulare Aussage bezeichnet das Explanandum. Dieses wird mit Hilfe des Explanans abgeleitet. Das Explanans enthalt zwei Aussagen: erstens nomologische Hypo30) Vgl. Albert, H., Der Marktmechanismus im sozialen Krliftefeld, in: Systeme und Methoden in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Festschrift fUr Erwin v. Beckerath zu seinem 75. Geburtstag, hrsg. v. W. Kloten, W. Krelle, H. Milller, F. Neumark, Tiibingen 1964, S. 102. 81) Vgl. Albert, H., Theorie und Prognose in den SOzialwissenschaften, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S. 133. 82) Vgl. Albert, H., Probleme der Theoriebildung, a. a. 0., S. 48.

Das Aussagensystem de?" Wissenschaftstheorie

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thesen und zweitens die Anwendungs- oder Randbedingungen (Antezedenzbedingung), die in singuli:i.ren Aussagen die konkreten Tatbestande angeben, die mit dem zu erkli:irenden Tatbestand auftreten. Eine ErkUirung ist demzufoige eine regressive Reduktion33) des Explanandums aus dem Explanans34) : gesucht

Allgemeines Gesetz

gesucht

singuli:ire Randbedingungen

gegeben

tTntersuchungsobjekt

} Explanans Explanandum

Die ErkUirung a 11 gem e i n e r Tat b est and e richtet sich auf die Erklarung nomologischer Hypothesen mit Hilfe von Hypothesen hoheren Niveaus35). Diese Reduktion auf Theorien hoheren Niveaus mit groBerer tTniversalitat fordert eine 'Oberwindung institutionell begriindeter Bereichsgrenzen. 1m Lichte dieser iibergreifenden Theorien ist es dann moglich zu beurteilen, inwieweit die begrenzte Theorie ais Annaherung dienen kann oder abgeandert werden miiBte, um zu allgemein giiltigeren Theorien fortzuschreiten38). Die Pro g nos e beantwortet die Frage, welche Ereignisse in der Zukunft stattfinden werden. Es wird aus einem allgemeinen Gesetz und bestimmten Randbedingungen im Wege der progressiven Deduktion der zu prognostizierende singulare Satz abgeleitet. Das vorausgesagte Ereignis ist jedoch nichts anderes als das Explanandum. Die Prognose stellt daher Iogisch - zumindest in den meisten Fallen37) - die zur Erklarung inverse Operation dar. Wahrend bei der ErkHirung die Gesetze und Randbedingungen gesucht werden miissen und das Explanandum gegeben ist, sind bei der Prognose die Gesetze und Randbedingungen gegeben und das Explanandum wird gesucht:

33)

gegeben

Aligemeines Gesetz

gegeben

singulare Randbedingungen

gesucht

tTntersuchungsobjekt

} Explanans Explanandum

Vgl. Bochenski, J. M., Die zeitgenossischen Denkmethoden, 3. Aufl., a. a. 0.,

S. 101 f.

VgI. Popper, K. R., Naturgesetze und Theoretische Systeme, a. a. 0., S. 95; Hempel, C. G., Oppenheim, P., Studies in the Logic of Explanation, Philosophy of Science, Vol. 15, 1948, S. 135-178. U) Vgl. Albert, H., Probleme der Theoriebildung, a. a. 0., S. 51. 38) Vgl. Popper, K. R., Die Zielsetzung der Erfahrungswissenschaft, in: Theorie und Realitiit, a. a. 0., S. 75-86. 37) Zur These der "strukturelien Identitiit" von Erkliirung und Prognose vgl. Hempel, C. G., Aspects of Scientific Explanation, New York - London 1965, S. 364-376; Stegmiiller, W., Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band I, Berlin - Heidelberg - New York 1969, S. 84 ff. und S. 153-207; Stegmiiller unterscheidet zwischen Seinsgriinden (Ursachen, Realgriinde) und Vernunftgriinden (Erkenntnisgriinde, induktive Griinde). Erkliirungen bediirfen der Angabe von Ursachen oder von Seinsgriinden, fUr Prognosen hingegen geniigen Erkenntnis- oder Vernunftgriinde. 34)

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Wissenschajtstheorie und Organisationstheorie

Voraussetzung der ErkUi.rung und Prognose ist, daB die zugrunde liegenden singuHiren und universellen Siitze faktisch wahr sind, d. h. empirischen Gehalt besitzen, und daB das Explanandum logisch aus dem Explanans ableitbar ist. Probleme ergeben sich bei Prognosen aus zwei Griinden: erstens konnen wahre Prognosen sich nach ihrer Veroffentlichung als falsch erweisen ("suicidal prophecies"); zweitens konnen falsche Prognosen sich nach ihrer Veroffentlichung als richtig erweisen ("self-fulfilling prophecies"38». Diese Eigendynamik von Prognosen ist insbesondere im zweiten Fall problematisch, da falsche Prognosen, zuriickzufiihren auf falsche singuliire Randbedingungen oder falsche Gesetze, als richtig erkannt werden und somit diese falschen Randbedingungen oder Gesetze nicht eliminiert oder modifiziert werden. Da Theorien jedoch nicht allein von Prognosen iiberpriift werden, kann sich deren tatsiichliche Brauchbarkeit auf anderen Wegen herausstellen. Basieren "Prognosen" anstatt auf universellen Gesetzen auf adhoc-Hypothesen, so wird von Projekten gesprochen39). Eine andere, nicht wissenschaftlich fundierte "Prognose" iiber langfristige, meist historische Entwicklungen wird als "Prophetie' bezeichnet40 ). Die bisherige Behandlung der Prognose erstreckte sich auf ihr "formales" Geriist. Letztlich interessiert jedoch deren p r a k tis c h eVe r wen dun g. Hierbei lassen sich zwei Anwendungsstufen unterscheiden. Die e r s teA n wen dun g s m 0 g I i c h k e i t einer Prognose ist deren "technologische Transformation" oder "technische Anwendung"41). Das theoretische Geriist wird mittels logischer Operationen in ein technologisches System transformiert, das in bezug auf ein spezielles Problem praktische Handlungsmoglichkeiten expliziert. Es wird nach den Randbedingungen gefragt, die zu schaffen sind, damit unter Verwendung der bekannten Hypothesen das gewiinschte Ergebnis eintreten kann. Das Resultat der Transformation informiert somit iiber die Handlungsmoglichkeiten und ihre Konsequenzen, enthiilt jedoch keine priiskriptiven Aussagen. Die Technologie stellt damit eine praktisch relevante M 0 g I i c h k e its a n a I y s e dar 42 ), die ein kausales System (Ursache - Wirkung) in ein instrumentales Aussagensystem (Mittel- Zweck) transformiert, wobei die Wirkungen eines Gesetzes in Ziele und die Ursachen in Mittel umbenannt werden. 38) Vgl. Merton, R. K., Die Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S.144-161. 39) Vgl. Albert, H., Probleme der Theoriebildung, a. a. 0., S.63. 40) Vgl. Popper, K. R., Prognose und Prophetie in den Sozialwissenschaften, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S.113-125. 41) Vgl. Albert, H., Probleme der Theoriebildung, a. a. 0., S. 66 ff.; Popper, K. R., Naturgesetze und theoretische Systeme, a. a. 0., S.96; Fleischmann, G., Nationalokonomie und sozialwissenschaftliche Integration, Tiibingen 1966, S.8; Glanz, W., Probleme der Forschung in der Betriebswirtschaftslehre, in: Strukturwandlungen der Unternehmung, Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. E. Gsell, hrsg. von H. Ulrich, V. Ganz-Keppeler, Bern - Stuttgart 1969, S. 280 f. 42) Vgl. Albert, H., Wertfreiheit als methodisches Prinzip, Zur Frage der Notwendigkeit einer normativen Sozialwissenschaft, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S. 196.

Das Aussagensystem der Wissenschajtstheorie

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Die z wei teA n wen dun g sma g I i c h k e i t ist auf die Gewinnung praxeologischer Satzsysteme bezogen. Es sind Handlungsanweisungen ffir ein spezielles Problem abzuleiten, die auf wissenschaftsexterne Ziele bezogen sind. Diese zielbezogene Auswahl einer unter mehreren Handlungsmaglichkeiten wird als Entscheidung bezeichnet. Die Ziele und Handlungsanweisungen stellen generelle und singuliire Imperative der priiskriptiven Sprache dar. Die Lasung eines Entscheidungsproblems besteht in der Ableitung eines singuliiren Imperativs (Handlungsanweisung) aus den generellen Imperativen (Zielen) und den sogenannten indikativischen Aussagen der deskriptiven Sprache fiber die zur Verffigung stehenden Alternativen und GesetzmiiBigkeiten4S). Da Entscheidungen in der Regel wegen unvollstiindiger Informationen des Entscheidungstriigers unter Risiko oder Unsicherheit zu treffen sind, verhindert dies die unmittelbare Obertragung des im Modell abgebildeten Entscheidungsproblems in die Realitiit. Aus diesem Grunde liefern Entscheidungs- oder Optimierungsmodelle zumeist nur Entscheidungshilfen, so daB dem unternehmerischen Entscheidungstriiger die letzte Entscheidung vorbehalten bleibt44). Der priiskriptive Aussagengehalt praxeologischer Siitze wird dadurch in seiner Wirkung abgeschwiicht. Praxeologische Satzsysteme lassen sich auch auf anderem Wege gewinnen45 ). Es wird nicht zuerst eine allgemeine Theorie entwickelt, die auf konkrete Entscheidungssituationen angewendet wird, sondern gleich mit der Lasung eines konkreten Problems begonnen. Diese pragmatische Vorgehensweise beruht auf einer ad-hoc-Konstruktion geeigneter isomorpher Abbildungsund Transformationsschemata. Die entscheidungslogische Fragestellung steht im Vordergrund. Hypothesen und Randbedingungen beruhen in der Regel auf reinen Annahmen, so daB besser von idealen Entscheidungsmodellen gesprochen wird (siehe rechter Zweig der Abbildung 1). Diese gehen erst im Zeitpunkt ihrer Anwendung in reale Modelle fiber. Der Wert dieses Ansatzes ist vor allem darin zu sehen, daB die Entscheidungsmodelle Hinweise dafUr liefern, welche Annahmen als empirisch prfifbare Hypothesen fUr eine Realtheorie formuliert werden mfiBten, wenn erkliirende und prognostizierende Aussagen fiber die Realitiit abgeleitet werden sollen. VgI. Stegmiiller, W., Hauptstromungen der Gegenwartsphilosophie, 3. Aufl., stuttgart 1965, S. 504 ff.; Heinen, E., Das Zielsystem der Unternehmung, Grundlagen betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, Wiesbaden 1966, S. 50 f. 44) Hannsmann, F., Unternehmensforschung, Hilfsmittel moderner Unternehmensfiihrung, USW-Schriften fiir Fiihrungskdifte, Band 5, Wiesbaden 1971, S. 21; Kohler, R., Theoretische Systeme der Betriebswirtschaftslehre im Lichte der neueren Wissenschaftslogik, a. a. 0., S. 74 f.; vgl. hierzu auch die Unterscheidung in "positive theory", "normative theory" und "policy" bei Ijiri, Y., Mattessich, R., Rappaport, A., Sommers, E. L., Thomas, A. L., Foundations of Accounting Measurement, Reprinted from The Accounting Review Supplement to Vol. XLVI 1971, Reprint Nov. 31, Faculty of Commerce and Business Administration, University of British Columbia, Vancouver 1971, S.37. 45) Vgl. zum folgenden: Wild, J., Grundlagen und Probleme der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre, a. a. 0., S. 84 ff. 43)

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Wissenschajtstheorie und Organisationstheorie

Die Behandlung des linken Zweiges der Abbildung 1 zeigte die realanalytische Konzeption und deren Verbindung zu den operationsanalytischen Siitzen (rechter Zweig des Schaubildes). Realanalytische und operations analytische Satzsysteme sind kein Gegensatz, vielmehr werden beide zur Losung realer praxeologischer Aufgabenstellungen benotigt. Der Unterschied beider Satzsysteme liegt in ihrem unterschiedlichen Wahrheitswert begriindet. Die operationsanalytischen Siitze tragen nichts an empirischem Wissen hinzu, was nicht die realanalytischen Siitze enthalten. Die Individualsiitze und Hypothesen operationsanalytischer Aussagen beruhen auf unverbindlichen Annahmen ohne realen Geltungsanspruch. Insofern ist der operationsanalytische Erkenntnisbeitrag auf die logischen Beziehungen der in den realanalytischen Siitzen ausgesagten Sachverhalte beschriinkt. Die mittels logischer Transformationsschemata abgeleiteten Siitze konnen jedoch Anregung zu neuer Fragestellung empirischer Forschung und damit zur Bildung neuer Theorien geben.

D. Priifung der Theorien Die Verwendung von Theorien zur Erkliirung und Prognose sowie zum praktischen Handeln erfordert, daB die Theorien wahr sind. Je nach ihrem Realitiitsbezug ist dabei zwischen logischer und faktischer Wahrheit zu unterscheiden. Logische Wahrheit basiert auf der logisch-syntaktischen Struktur dieser Siitze. Diese als analytisch bezeichneten Siitze sagen nichts iiber die Beschaffenheit der realen Erscheinungen aus und bediirfen dementsprechend keiner tJberpriifung an der Realitiit. 1m Gegensatz hierzu stehen die synthetischen oder faktisch-determinierten Siitze, die iiber die Beschaffenheit realer Erscheinungen AufschluB geben. Diese Siitze sind dann, und nur dann wahr, wenn das, was sie behaupten, den Tatsachen entspricht46 ). Die in den Siitzen behaupteten Sachverhalte miissen demzufolge an der Empirie beobachtbar sein, d. h. intersubjektiv nachpriifbar sein. Trotzdem besteht jedoch keine absolute Sicherheit dariiber, ob die Aussage wahr ist, denn wir wissen nicht genau, ob wir uns geirrt haben. Wir konnen zwar aufgrund der angegebenen Definition feststellen, unter welchen Bedingungen eine Aussage wahr oder falsch ist; wir besitzen jedoch keine Methode, nach der wir sicher entscheiden konnen, ob eine gegebene Aussage wahr ist. Die Moglichkeit des Irrtums erfordert deshalb, daB Theorien einer moglichst strengen Kritik unterzogen werden, um die Irrtiimer aufzudecken, zu eliminieren und um damit der Wahrheit niiherzukommen. Eine e r s t e Met hod e zur Priifung einer Theorie ist deren Konfrontierung mit einer alternativen Theorie. Besteht zwischen zwei Theorien ein Diese Definition wird als Korrespondenz-Theorie der Wahrheit bezeichnet. Vgl. Tarski, A., The Semantic Conception of Truth and the Foundation of Semantics, in: Readings in Philosophical Analysis, hrsg. von H. Feigl, W. Sellars, New York 46)

1949, S. 52-84.

Das Aussagensystem der Wissenscha:ft;stheorie

31

Widerspruch, dann folgt, daB nicht beide wahr sein konnen. Es konnen beide falsch sein oder die eine Theorie wahr und die andere falsch. Jede Theorie stellt also die Wahrheit der anderen in Zweifel. Dies fUhrt zu einer kritischen Haltung gegenuber beiden Theorien. Sie sind einer weiteren 'Oberprufung und/oder Neukonzipierung zu unterziehen. Jedoch auch dann, wenn eine Analyse vorliegender Theorien keine Widerspruche ergibt, bedeutet dies nicht, daB die Theorien wahr sind. Sie stehen dann lediglich logisch nicht im Widerspruch. Dies trifft vor allem fUr disziplinare Theorien zu. Deshalb sollte das Prufungsfeld unbedingt auf die Nachbardisziplinen ausgedehnt werden. Eine z wei t e Met hod e zur Prufung einer Theorie ist deren Untersuchung auf interne Widerspruche. Hierbei erweist sich die Fruchtbarkeit der Axiomatisierung und Formalisierung der Theorien fUr deren Kritik. 1st eine Theorie axiomatisiert und sind die Theoreme richtig abgeleitet, so reicht die Suche nach Widerspruchen zwischen den Axiomen aus, um den logischen Wahrheitsanspruch der Theorie festzustellen. Sind die Axiome widerspruchsvoll. so lassen sich kontradiktorische, d. h. logisch falsche Aussagen deduziereno Damit ist aber aus der betreffenden Theorie jede beliebige Aussage ableitbar, da aus einer kontradiktorischen Aussage ihr eigenes Negat logisch folgt. Die Theorie ist somit falsch. Werden jedoch keine Widerspruche gefunden, so bedeutet das nicht, daB die Theorie wahr ist, sondern lediglich logisch widerspruchsfrei. Eine d r itt e Met hod e zur Prufung einer Theorie ist deren Konfrontierung mit der Realitat. Die logische Kritik der beiden bisherigen Methoden, die Konfrontierung einer Theorie mit alternativen Theorien oder die Suche nach theorieinternen Widerspruchen gab uns nur Hinweise auf mogliche Irrtumer. Die Bewahrung einer Theorie ist letztlich jedoch nur an der Realitat festzustellen. Eine logische Kritik ist durch eine faktische Kritik zu erganzen. Man sucht nach kontraren Fallen, die das Erklarungs- oder Prognoseergebnis der Theorie widerlegen. Man vergleicht die aus der Theorie abgeleiteten potentiellen Falsifikatoren mit den in der Realitat tatsachlich vorkommenden Falsifikatoren. Ein Falsifikator stellt eine singulare Aussage dar, die aus der Konjunktion von Randbedingungen und der Negation des Explanandums besteht. Demgegenuber steIlen Konfirmatoren singulare Aussagen dar, die eine Theorie stets bestatigen. Obwohl also Falsifikatoren eine Theorie widerlegen konnen, ist dies im umgekehrten FaIle fUr Konfirmatoren nicht zutreffend. Da aus einer wahren Aussage (Axiom) keine falschen Aussagen (Theoreme) ableitbar sind, wird durch eine Widerlegung der Theoreme gleichzeitig das Axiomensystem widerlegt. Da aber aus falschen Aussagen (Axiomen) wahre Aussagen (Theoreme) ableitbar sind, wird durch eine Bestatigung der Theoreme nicht gleich-

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Wissenschaftstheorie und Organisationstheorie

zeitig das Axiomensystem wahr(7). Die Falschheit der Theoreme iibertragt sich auf die Axiome, nicht jedoch die Wahrheit der Theoreme (F a 1 s i f i k at ion s p r i n zip )48). Dieser Zusammenhang wird noch auf andere Weise deutlich: Falsifikatoren und Konfirmatoren bilden die Basis zur Beurteilung der Wahrheit oder Falschheit einer Theorie. Die Bestatigung oder Widerlegung einer Theorie vollzieht sich damit immer in bezug auf singulare Aussagen (Basisaussagen), die wir als wahr akzeptieren. Die Richtigkeit unseres Urteils hangt also davon ab, ob die singularen Aussagen auch tatsachlich wahr sind, ob also ein KorrespondenzverhaItnis zwischen Basisaussagen und Tatsachen besteht(9). Jedoch selbst singulare Aussagen, die durch Beobachtungen gewonnen wurden, konnen nicht ohne weiteres als wahr angenommen werden. Genauso wie wir uns beziiglich der Wahrheit von Gesetzesannahmen tauschen konnen, trifft dies fiir singulare Aussagen zu. Die Priifung einer Theorie erfordert deshalb die Wahl einer vorlaufigen Basis auf der Grundlage einer kritischen Priifung der singularen Aussage. Eine endgiiltige Verifizierung einer Theorie ist deshalb auch aus dieser Sicht nicht moglich, sondern lediglich eine mehr oder weniger gute Bestatigung durch die bisherige Erfahrung. Die Priifung einer Theorie an den Gegebenheiten der Realitat wird durch den I n for mat ion s g e hal t der Theorie beeinfluBt. Der Informationsgehalt einer Aussage wird dabei durch die Anzahl der Bewertungen bestimmt, bei denen die Aussage falsch ist, oder durch die Klasse der potentiellen Falsifikatoren; d. h. der Satz, der die meisten realen Moglichkeiten (singularen Aussagen) ausschlieBt, sagt am meisten iiber die Realitat aus. Diese Aussage ist gleichbedeutend mit der, daB der Satz einen kleinen logischen Spielraum aufweist. Der logische Spielraum eines Satzes ist dabei gleich der Anzahl der Bewertungen, bei denen der Satz wahr ist, oder gleich der Klasse der potentiellen Konfirmatoren. Daraus ergibt sich, daB ein groBer logischer Spielraum einen geringen Informationsgehalt und ein geringer logischer Spielraum einen groBen Informationsgehalt impliziert. Die Grenze des Informationsgehalts eines Satzes liegt jedoch dort, wo der Satz kontradiktorisch, d. h. bei allen moglichen Bewertungen falsch wird. Ein Satz solI daher moglichst viel, aber nicht alles ausschlieBen. 47) Trotz dieses zerstorenden Schlusses spricht Friedman dann einer Theorie Giiltigkeit ZU, "wenn die SchluBfolgerung durch die Genauigkeit der Vorhersage verifiziert wird". Eine empirische Giiltigkeit der Hypothesen ist fUr ihn selbst irrelevant. Friedman, M., The Methodology of Positive Economics. Essays in Positive Economics, Chicago 1953, S. 3-43. Zur Kritik an dieser Auffassung vgl. Nagel, E., Assumptions in Economic Theory, American Economic Review, Papers and Proceedings, Bd. 53, Nr.2, May 1963, S. 211-219; Samuelson, P. A, Problems of Methodology, American Economic Review, Papers and Proceedings, Bd. 53, Nr. 2, May 1963, S. 231-236. 48) VgI. u. a. Popper, K. R., Naturgesetze und theoretische Systeme, a. a. 0., S.97. (9) VgI. Habermas, J., Analytische Wissenschaftstheorie und Dialektik. Ein Nachtrag zur Kontroverse zwischen Popper und Adorno, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S. 302 f.; Wellmer, A., Kritische Gesellschaftstheorie und Positivismus, Frankfurt a. M., 1969, S. 22 ff.

Das Aussagensystem der Wissenschaftstheorie

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Auf die Wenn- und Dann-Komponente einer (Gesetzes-)Hypothese transformiert heiBt dies, daB mit steigendem Informationsgehalt der Dann-Komponente eines Satzes, bei gegebenem Informationsgehalt der Wenn-Komponente, der Informationsgehalt dieses Satzes insgesamt steigt und vice versa. Der Satz wird bestimmt oder praziser, er schlieBt mehr mogliche Tatbestande aus. Steigt jedoch der Informationsgehalt der Wenn-Komponente eines Satzes, bei gegebenem Informationsgehalt der Dann-Komponente, so fUhrt dies zu einem sinkenden Informationsgehalt des ganzen Satzes und vice versa. Der Satz gilt unter weniger allgemeinen Bedingungen. Sein Anwendungsbereich verkleinert sich; es konnen weniger FaIle erklart und vorausgesagt werden. Aus beiden Relationen ergibt sich somit, daB groBere Allgemeinheit (sinkender Informationsgehalt der Wenn-Komponente) und groBere Prazision (steigender Informationsgehalt der Dann-Komponente) bei einer nomologischen Hypothese gleichzeitig groBeren Informationsgehalt bedeuten50). Daraus laBt sich der Unterschied zwischen aligemeinen und speziellen Hypothesen ableiten: All gem e i n e Hypothesen sind gekennzeichnet durch eine Wenn-Komponente geringeren Informationsgehalts, haben damit insgesamt einen hoheren informativen Geha1t51) und sind daher ais Hypothesen hoheren Niveaus anzusehen. S P e z i e 11 e Hypothesen sind gekennzeichnet durch eine Wenn-Komponente groBeren Informationsgehalts, haben damit insgesamt einen niedrigeren informativen Gehalt51 ) und sind daher als Hypothesen niedrigeren Niveaus anzusehen. Dieser Unterschied kann fur die Dann-Komponente einer Hypothese bedeuten, daB bei ihrer genaueren Prazisierung, wenn sie also groBen Informationsgehalt besitzt, dieser Teil der Hypothese nur unter streng fixierten Bedingungen auftreten kann. Sehr genau prazisierte Dann-Komponenten konnen daher vielfach nur im Rahmen spezieller Hypothesen auftreten. Je groBer nun der Informationsgehalt und damit je geringer der Iogische Spielraum einer Hypothese ist, desto besser ist deren empirische Priifbarkeit. Denn mit dem Grad der Allgemeinheit einer Theorie steigt der Anwendungsbereich und damit der Bereich der moglichen Falsifikationen; genauso wie eine prazise Aussage leichter zu widerlegen ist als eine vage AusSO) Vgl. Popper, K. R., The Logic of Scientific Discovery, London 1958, S. 121ft.;

ders., Logik der Forschung, a. a. 0., S.77; ders., Conjectures and Refutations. The Growth of Scientific Knowledge, 2. Aufl., London 1965, S.3a6-388; ders., Was ist Dialektik?, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., s. 262-290; Carnap, R., Einfiihrung in die symbolische Logik, a. a. 0., S.15 ft.; Stegmiiller, W., Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik, Wien 1957, S. 108 f.; Albert, H., ModellPlatonismus, a. a. 0., S. 408 f. 51) Unter speziellen Bedingungen kann der informative Gehalt einer allgemeinen Aussage gleich sein dem informativen Gehalt einer speziellen Aussage; vgl. Opp, K. D., Methodologie der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S. 179 f. 3 Hoffmann

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Wissenschaftstheorie una OTganisationstheorie

sageSII). Die Bewahrbarkeit einer Theorie an der Realitat steigt mit ihrer Prufbarkeit, diese steigt wiederum mit dem Informationsgehalt der Theorie, und diese wird durch die Klasse ihrer potentiellen Falsifikatoren bestimmt. Wurde eine Theorie falsifiziert, so stellt sich das Problem, ob diese Theorie eliminiert werden soIl oder weiterhin einen beschriinkten Giiltigkeitsanspruch haben soIl. Existiert zu der falsifizierten Theorie k e i n e a I t e r nat i v e Theorie, so erscheint es ratsam, diese Theorie nur dann zu eliminieren, wenn sie vollig falsch ist und Modifizierungsversuche erfolglos waren. Denn selbst wenn eine Theorie teilweise falsch ist, enthalt sie noch Wissen uber die Realitat. Besitzen zwei Theorien den g lei c hen In for mat ion s g e h a It, so erscheint es ratsam, beide beizubehalten und solange zu modifizieren und zu testen, bis der Wahrheitsgehalt der einen eindeutig uber dem der anderen Theorie liegt. Existieren zwei Theorien mit un t e r s chi e d lie hem I n for m a t ion s g e h a I t und tritt zusatzlich ein unterschiedlicher Wahrheitsgehalt der Theorien hinzu, so sprechen alle Anzeichen fur eine Eliminierung der weniger gehaltvollen Theorie. Eine eindeutige Entscheidung laBt diese Regel jedoch nicht zu. Sie sagt beispielsweise nicht, wie genau der Informationsund Wahrheitsgehalt der Theorien sein muB, um eine Theorie zu eliminiereno Aus diesem Grunde gilt auch hier, beide Theorien zu modifizieren und zu testen, so daB der Wahrheitswert eindeutig fur eine der beiden Theorien spricht. Die moglichen Fehlerquellen liegen vor allem darin, daB zusatzliche Falsifikatoren fur eine bereits als bestatigt angesehene Theorie auftreten. 1st dies der Fall, so kann es sich durchaus erweisen, daB eine bereits eliminierte Theorie der zunachst bestatigten Theorie uberlegen ist. Diese Uberlegenheit einer widerlegten Theorie kann auch fUr spezifische Problemsituationen auftreten, in der diese Theorie praktisch brauchbare, approximativ richtigere Resultate liefert, als eine noch nicht falsifizierte Theorie. Dies gilt insbesondere fur praxeologische Aufgabenstellungen. Wenn jedoch eine ubergreifende Theorie auf einer hoheren Stufe der Allgemeinheit mit Erfolg altere Theorien erklart, so ist dies ein sicheres Zeichen, daB die neuere Theorie der Wahrheit uber die Realitat besser entspricht.

52)

Popper, K. R., Naturgesetze und theoretische Systeme, a. a. 0., S. 99.

Zweites Kapitel

Anforderungen an eine betriebswirtscbaftlicbe Organisationstbeorie Die vorangegangenen Ausfiihrungen befaBten sich mit dem logischen Charakter wissenschaftlicher Aussagen und ihrem Geltungsbereich. Sie lieBen jedoch auch die Komplexitat und Schwierigkeit erkennen, die der ProzeB des Aufbaus einer erfahrungswissenschaftlichen Theorie mit sich bringt. Dabei wurde deutlich, daB der ForschungsprozeB der Bildung und Priifung von Theorien in seiner Wirkung nicht linear gerichtet ist, sondern sich im Wege des "Versuchs und Irrtums" vollziehtl). Theorien sind zumeist das Ergebnis einer Fiille von Einzelleistungen vieler Forscher iiber lange Zeitraume hin2). Diese Einzelleistungen beruhen mehr auf der Kreativitat des Forschers3), wenngleich die rein geistige Arbeit den ForschungsprozeB umschlieBt. Es gibt daher nicht einen Weg zur Erkenntnisgewinnung, dem dogmatisch zu folgen ist, sondern individuell verschiedene, ausgerichtet an den beschriebenen methodologischen Regeln. Diese geben den Handlungsrahmen an, nach dem die Aussagen zu beurteilen sind. Aussagen iiber organisatorische Sachverhalte bediirfen deshalb der Bezugnahme auf das wissenschaftstheoretische Aussagensystem, unter Beachtung der spezifisch organisatorischen Forschungsproblematik. Die nachfolgenden Ausfiihrungen kniipfen dabei an die Systematik der vorgetragenen wissenschaftstheoretischen Konzeption an.

A. Wissenschaftliche Zielsetzung Die wissenschaftstheoretische Unterteilung in eine real- und operationsanalytische Forschungskonzeption oder in eine reine und angewandte Theorie laBt sich ohne Einschrankung auf die betriebswirtschaftliche Organisationslehre iibertragen. Die Realanalyse hat hierbei (Gesetzes-)Hypothesen aufzustellen und die notwendigen Basisaussagen zu deren Bestatigung bereitzustellen; kurz: Organisations the 0 r i e n zu entwickeln, die der explanatorischen Aufgabenstellung gerecht werden. Es ist hierzu festzustellen, daB bisher kein Weg bekannt Vgl. Popper, K. R., Conjectures and Refutations, London 1963. Vgl. Stachowiak, H., Denken und Erkennen im kybernetischen Modell, a. a. 0., S.54. 3) Vgl. Puschkin, W., Die heuristische Tatigkeit in einem groBen System, in: Ideen des exakten Wissens, Heft 11, 1968, S. 5 f. 1)

2)

3*

36

Wissenschaftstheorie und Organisationstheorie

ist, der wissenschaftlich gesicherte ErkHirungen und Prognosen erm6g1icht, ohne daB eine erfahrungswissenschaftliche Theoriebildung vorangeht4). J edoch genauso wie Theorien die Grundlage zur Prognose bilden, ist die Prognose und damit eine Theorie unerliiBlicher Bestandteil einer Entscheidung. Nur die Gesetze lassen erkennen, welche Bedingungskonstellationen zu schaffen sind, wenn die im Dann-Satz genannten Konsequenzen zieladiiquat sind. Organisationstheorien bilden demzufolge die empirische Grundlage zielgerichteten, gestaltenden Handelns (Praxeologie). Sie bestimmen den Informationsgehalt, den Realitiitsbezug der Entscheidung. Unabhiingig von diesem empirischen Problem erfordert die Praxeologie operationsanalytische Aussagen. Diese leisten mittels ihrer logischen Transformationsregeln die Ableitung der Konsequenzen alternativer Handlungen und Regelungen sowie die Bewertung und Auswahl der Alternativen nach den Kriterien des Zielsystems. Der organisatorische ForschungsprozeB umfaBt die Gewinnung realanalytischer und operationsanalytischer Aussagen sowie deren Verbindung zur Realisierung der realpraxeologischen Aufgabenstellung, die das Ziel organisatorischer Aussagen bildet. Die Verfolgung beider Wissenschaftsziele (theoretisch und pragmatisch) im Hinblick auf eine Praxeologie der Organisation ist jedoch nicht ganz problemlos, denn jedes dieser Ziele bedingt den Einsatz unterschiedlicher Forschungsinstrumentarien, die an den Forscher unterschiedliche Anforderungen beziiglich seiner Kenntnisse stellen5). Wird die Realanalyse bevorzugt, so kann dem Forscher oder der -gruppe nicht vorgehalten werden, er oder sie miiBten eigentlich dem pragmatischen Teilziel der Operationsanalyse folgen. Es ist nur die Frage aufzuwerfen, wer die andere Aufgabe bearbeitetti ). Da jedoch insbesondere die Realanalyse einen derart komplexen Forschungs-' gegenstand darstellt, der in der Regel von einem oder einer kleinen Gruppe von Forschern nicht zu bewiiltigen ist, sind die organisatorischen Forschungsansiitze subjektiv vielfiiltig. Eine einheitliche Ausrichtung sowohl innerhalb der Real- oder der Operationsanalyse als auch deren Verbindung zur Lasung organisatorischer Entscheidungsprobleme wird dadurch verhindert. Beschreibungsansiitze auf der Seite der Realanalyse und kasuistische Problemlasungen auf der Seite der Operationsanalyse sind die Folge. Es werden einzelne Aspekte des Organisationsproblems behandelt, ohne daB deren Mehrdimensionalitiit erkannt wird. Vgl. Kosiol, E., Zur Problematik der Planung in der Unternehmung, in: Rationale Wirtschaftspolitik und Planung in der Wirtschaft von heute. Verhandlungen auf der Tagung des Vereins fur Socialpolitik in Hannover 1966, hrsg. von E. Schneider, Berlin 1967, S.319. 5) VgI. Ganz, W., Probleme der Forschung in der Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S.277. 6) Vgl. Szyperski, N., Zur wissenschaftsprogrammatischen und forschungsstrategischen Orientierung der Betriebswirtschaftslehre, ZfbF, 23. Jg., 1971, S.267. 4)

An/orderungen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie

37

Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre benutzt als Auswahlkriterium den okonomischen Aspekt, den sie auf die Unternehmungsorganisation projiziert, um ihren Forschungsgegenstand von dem anderer organisatorisch relevanter Disziplinen abzugrenzen. Es werden Tellaspekte eines komplexen Problems betrachtet und nicht Teilprobleme eines komplexen Problems im Sinne einer multidimensionalen Organisationslehre1). Dies verdeutlicht den Unterschied zwischen einer aspektorientierten und einer multidimensionalen oder systemorientierten Organisationslehre. Eine multidimensional ausgerichtete Organisationslehre fiihrt zu einer Offnung, zu einem tlberschreiten der bisherigen disziplinaren Abgrenzung mittels des erweiterten Auswahlkriteriums. Wird jedoch der instrumentale Charakter dieses Auswahl- oder Identitatsprinzips erkannt, um relativ leicht die Problemgruppen einer Disziplin aufzuzeigen, und wird deren Anwendung flexibel gehandhabt, ohne jegliche Dogmatik, so bleibt seine Bedeutung fiir einen Tell des Faches der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre bestehen. Der andere Tell des Faches muB auf einen interdisziplinaren Forschungsansatz (lnterdisziplin) gerichtet sein, so daB samtliche Dimensionen eines Problems behandelt werden konnen. Neben die formalstrukturelle Betrachtungsweise muB die sozialpsychologische Betrachtung treten, sei es im Wege interdisziplinarer Forschungsgruppen oder auf multidisziplinarem Weg, indem die betriebswirtschaftliche Organisationslehre auf die Forschungsergebnisse der relevanten Disziplinen zugreift. Es kann dabei allerdings nicht darum gehen, die betriebswirtschaftlichorganisatorische Theorie in eine allgemeine Theorie menschlichen Verhaltens zu integrieren, wohl aber darum, den Verhaltensaspekt in der betriebswirtschaftlich-organisatorischen Theorie zu verankern8). Die betriebswirtschaftliche Organisationslehre muB sich aus diesen Grunden sowohl disziplinar verstehen, ausgerichtet auf die wirtschaftlich-organisatorischen Aspekte menschlicher Handlungen in Unternehmungen9), als auch interdisziplinar, in dem die anderen organisatorisch relevanten Aspekte der Unternehmung und soziotechnischer Systeme10) im allgemeinen Behandlung Vgl. Ulrich, H., Die Unternehmung als produktives soziales System, a. a. 0., S.223; Szyperski, N., Zur wissenschaftsprogrammatischen und forschungsstrategischen Orientierung der Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 271 f.; Perridon, L., Managementlehre: Neue Disziplin in Deutschland?, Der Volkswirt, 1967, S. 2022. 8) VgI. Kriisselberg, H.-G., Organisationstheorie, Theorie der Unternehmung und Oligopol, Berlin 1965, S. 31. II) Vgl. Wild, J., Grundlagen und Probleme der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre, a. a. 0., S. 40; Ulrich, H., Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, a. a. 0., S. 54, 58. 10) Der Begriff sozio-technisches System wurde 1951 von Trist und Bamforth gepragt. Er versucht soziale mit technischen Variablen oder verhaltenswissenschaftliches mit technischem Denken unter okonomischen Gesichtspunkten in Verbindung zu bringen. Dieser Ansatz steht heute im Mittelpunkt einer Forschergruppe am Londoner "Tavistock Institute of Human Relations". Vgl. Trist, E. L., Bamforth, K. W., Some Social and Psychological Consequences of the Long Wall Method of Coal-Getting, in: Human Relations, 1951, S.3-38; Trist, E. L., Higgin, G. W.o Murray, H., Pollock, A. B., Organizational Choice, London 1963.

1)

Wissenschaftstheorie und Organisationstheorie

38

finden. Dabei ist es unerheblich, ob die so umrissene betriebswirtschaftliche Organisationslehre (-theorie) als Teil der Betriebswirtschaft oder als Teil einer wie immer ausgerichteten allgemeinen Organisationslehre (-theorie) interpretiert wird. Letztlich hat sie fUr beide iibergeordneten Wissensbereiche problemltisende Aussagen bereitzustellen, wobei diese seIber den Charakter von Interdisziplinen annehmen. Abbildung 2 verdeutlicht den Sachverhalt. Objekl- oder BeProblemIrachbereich lungsweise

soziale Sysleme (Mensch-Sysleme) (1)

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realtechnische (1)

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Abbildung 2 Problembereiche der Organisation

Der dis zip 1 ina r ausgerichtete Teil der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre wird durch die wirtschaftlich-organisatorische Betrachtungsweise (Aspekte) gebildet. Er umfaBt die Felder 31, 321, 322 und 33. Ihre Aussagen beziehen sich auf die Integration von Aufgaben und Aufgabentrager (Mensch, Sachmittel) zur Verwirklichung okonomischer Ziele. Dabei ist es grundsatzlich unerheblich, ob die Untersuchungsobjekte soziale, technische oder soziotechnische Systeme sind. Die Ableitung praziser Aussagen scheint jedoch eine derzeitige Beschriinkung auf das Unternehmungssystem nahezulegen. Grochla beschreibt die Formen organisatorischer Gestaltung durch die soziale Integration von Menschen zu sogenannten Mensch-Systemen, die Inte-

AnfordeT1Lngen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie

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gration von Sachmitteleinheiten zu Maschine-Systemen; und die Integration von Mensch und Sachmittel zu Mensch-Maschine-Systemenl l). Der in t e r dis zip lin a r ausgerichtete Teil der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre bezieht sich auf die organisatorisch relevanten sozialpsychologischen und realtechnischen Aspekte sozio-technischer Systeme. Der Schwerpunkt interdisziplinarer Forschung ist dabei auf das sozio-technische System Unternehmung auszurichten. Technische undloder sozial-psychologische Forschungsergebnisse iiber die anderen sozio-technischen Systeme erhalten in bezug auf das Objekt Unternehmung eine dienende Funktion. Der Forschungsbereich der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre ist somit in ihrem disziplinaren Teil auf die Zelle 3 und in ihrem interdisziplinaren Tell auf die Spalte 2 begrenzt, wobei hier insbesondere die Felder 121 und 221 im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Die i~terdisziplinare Ausweitung des betriebswirtschaftlich organisatorischen Forschungsfeldes ergibt sich· aus der wissenschaftstheoretischen Forderung, informationshaltige Theorien abzuleiten, die letztlich nur als sozialwissenschaftlich fundierte Teorien konzipiert werden konnen12), wenn sie zur Prognose und Gestaltung beitragen sollen. Theorien sind nicht an Disziplinen, sondern an Pro b I e men zu orientieren. Der organisatorische ForschungsprozeB zur Bewaltigung der praxeologischen Aufgabenstellung ist nur schrittweise zu realisieren, um so mehr als das bisherige theoretische Wissen noch gering ist und die Aussagen sich zumeist in der Definition und Deskription erschopfen. Da es im organisatorischen ForschungsprozeB um die Neu- oder Reorganisation des Unternehmungssystems geht, bedingt dies unterschiedliche Strategien. Die Neuorganisation erfordert einen zukunftsorientierten Entwurf noch nicht realisierter Systeme. Diese Zukunftsorientierung zwingt unter Umstanden zu veranderten Phasenfolgen in den iiblicherweise aufeinanderfolgenden Strategien: Forschung-Entwicklung-Gestaltung13). Die Reorganisation zwingt geradezu von der realen Entwicklung auszugehen und darauf aufbauend verbesserte Gestaltungsregeln anzuwenden. Die Probleme der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre bestimmen die anzuwendende Methodik. Zwischen der induktiven oder deduktiven Forschungsmethode in Form organisatorischer Feldforschung14) oder kontrollierter Experimente15) 11) Vgl. Grochla, E., Automation und Organisation. Die technische Entwicklung und ihre betriebswirtschaftlich-organisatorischen Konsequenzen, a. a. 0., S. 76. 11) Vgl. Albert, H., Marktsoziologie und Entscheidungslogik, Neuwied und Berlin 1967, S. 416 f. und 470 fi. 13) Vgl. Chmielewicz, K., Forschungskonzeptionen der Wirtschaftswissenschaft, Stuttgart 1970, S. 36; Rosenmayr, L., 'Ober das wechselseitige Verhaltnis von Empirie, Theorie und Praxis, in: KoIner Zeitschrift fUr Soziologie und Sozial-Psychologie, 16. Jg., 1967, S. 450 f. 14) Vgl. Scott, W. R., Field Methods in the Study of Organizations, in: Handbook of Organizations, hrsg. von G. March, Chicago 1965, S. 261-301. 15) Vgl. Weick, K. E., Laboratory Experimentation with Organizations, in: Handbook of Organizations, a. a. 0., S. 194-260.

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Wissenschajtstheorie una Organisationstheorie

besteht somit kein Gegensatz18); sowohl die Induktion als auch die Deduktion sind in ihrer Verbundenheit adiiquate Forschungsmethoden der Organisation. Zusammenfassend liiBt sich die Forderung erheben, daj3 die Organisationstorschung in bezug aut ihr Objekt mehrdimensional und in bezug aut ihren Prozej3 und die Methoden mehrstufig autgebaut sein muj3, denn nur so lassen sich die Voraussetzungen, Bedingungen und Folgen realer Organisationszusammenhiinge erfassen und zielgerichtet verarbeiten. Die Mehrstufigkeit des Forschungsprozesses zum Aufbau einer Organisationstheorie und die Mehrstufigkeit der anzuwendenden Methoden sowie deren Wechselbeziehung bildet den Gegenstand der folgenden beiden Abschnitte.

B. Forschungsaktivitiiten und ForschungsprozeB Der ForschungsprozeB und die im einzelnen erforderlichen Aktivitiiten zum Aufbau einer Organisationstheorie lassen sich vereinfacht in verschiedene Phasen aufteilen und zusammenfassen. Zu Beginn der Forschung stehen explorative Studien fiber terminologische und deskriptive Aussagensysteme. Daran schlieBen sich Aktivitiiten der Hypothesenformulierung oder Theoriekonstruktion an. Soweit Hypothesen fiber organisatorische Beziehungszusammenhiinge formuliert sind, gilt es diese auf ihren logischen und empirischen Wahrheitsgehalt zu fiberpriifen. Die Phase der Hypothesenformulierung und Theoriefiberpriifung umfaBt die theoretischen Aussagensysteme. Aus diesen werden praxeologische Aussagensysteme entwickelt, die Handlungsempfehlungen fiber Organisationsprobleme beinhalten. Diese Schritte wissenschaftlicher Arbeit stellen konkret ein vielverzweigtes Netz von Vor- und Rfickkoppelungsprozessen dar. Abbildung 3 zeigt einige wichtige Kategorien wissenschaftlicher Arbeit in ihrer logischen Verzweigung auf17). Dieser Stufenplan ist nur idealtypisch zu verstehen. Er trifft nicht auf den einzelnen Forscher zu, da wissenschaftliches Bemiihen gleichzeitig mehrere dieser Aktivitiiten umfassen kann und letztlich auf Kreativitiit beruht. Wohl aber kann dieser Stufenplan als repriisentativ fur die Gesamtheit der betriebswirtschaftlich-organisatorischen Forschungsarbeit angesehen werden und als nfitzliche Orientierungshilfe zum Aufbau und zur Beurteilung bisherigen wissenschaftlichen Bemuhens. Die nachfolgenden Darlegungen beziehen sich auf die Interpretation dieses Stufenplans unter organisationsspezifischen Gesichtspunkten. 16)

Vgl. Albert, H., Modell-Platonismus, a. a. 0., S.419.

11) Zu anderen Darstellungen wissenschaftlicher Arbeit vgl. u. a. Atteslander, P., Methoden der empirischen Sozialforschung, a. a. 0., S. 10 ff.; Kieser, A., Zur wis-

senschaftlichen Begriindbarkeit von Organisationsstrukturen, ZfO, 40. Jg., 1971, S.240.

Anforderungen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie

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explorotive Studien iiber terminologische und deskriptive Aussogensysleme Bildung vpn

Taxonomien

theorelische Aussagensysteme

Konstruktion proxeologischer Aussogensysteme (Entscheidungen)

}

praxeologische Aussagensysteme

Abbildung 3 Idealtypischer Stufenplan wissenschaftlicher Arbeit

I. Explorative Studien ie Phase der Exploration geht auf einen yom Forscher erkannten Problem!genstand zuriick. Dabei kann es sich urn ein neues Problem handeln oder n ein bisher ungelOst~s aber bekanntes Problem. Den Problemgegenstand lterzieht der Forscher terminologischen und deskriptiven Studien, urn .eraus Anhaltspunkte zur Hypothesenformulierung zu gewinnen und die bgrenzung des Objektes zur Formulierung exakter Aussagen sicherzusteln. Die Vorphase der Exploration vor der eigentlichen Theoriebildung beimmt somit weitgehend den Aussagegehalt der zu formulierenden Theorie.

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Wissenschaftstheorie und Organisationstheorie

1. Spraehe uud Begriffsbildung Wissenschaftstheoretisch ist die Sprache ein "Vehikel", das im Dienst der Theoriebildung steht und deren Relevanz sich an der Theorie zeigt. Die wissenschaftliche Forschung muB hypothesenorientiert und nicht begriffsorientiert sein, denn Reichtum an Begriffen ist nicht mit einem Reichtum an Informationen gleichzusetzen18). Die realanalytische Seite der theoretischen Relevanz von Aussagen kann jedoch im Widerspruch zur operationsanalytischen Seite stehen und insbesondere die Offentlichkeitsarbeit einer Wissenschaft tangieren. Die Fachsprache (kiinstliche Sprache), die in der Regel die theoretische und operationsbezogene Arbeit fordert, stoBt zumeist in der Praxis auf Verstandnis- und Verstandigungsschwierigkeiten19). Es bedarf der Ubersetzung der Forschungsergebnisse (z. B. universitare Kontaktstudien) in eine allgemein verstandliche Sprache (Interpretationssprache)20). Diese allzuoft unterlassene Aufgabe der Wissenschaft tragt mit zu einer Entfremdung von Wissenschaft und Praxis beL tIber den Anwendungsbezug und die empirische Uberpriifung der Aussagen wird damit der Erkenntnisfortschritt verhindert. Die Uberpriifung des sprachlichen und begrifflichen Instrumentariums an der Theorie ist in einem zweiten Zusammenhang problematisch und begrenzt. Da die betriebswirtschaftliche Organisationsiehre bisher kaum das Theoriestadium erreicht hat und ihr Wissensbestand sich auf sprachliche, begriffliche und beschreibende Ansatze begrenzt, ist eine Ableitung der BeurteilungsmaBstabe aus der Theorie unmoglich. Sprach-, Begriffs- und Bedeutungssysteme sind Bestandteile auf dem Weg zur Theoriebildung. Sie sind daher, solange keine Theorie existiert, an MaBstaben zu beurteilen, die den wissenschaftlichen Kommunikations- und ErkenntnisprozeB fordern und zu den MaBstaben der Theorie (informativ, objektiv wahr) in einem MittelZweck-Verhaltnis stehen. Diese Ersatz-MaBgroBen sind in der prazisen und konsistenten Verwendung von Begriffen zu sehen oder zusammengefaBt in der Operationalisierung von Begriffen. Hierzu sind Verfahren zur Erfassung der Begriffe in der Empirie zu entwickeln. Solche Verfahren basieren in der Regel auf der Methode des indirekten Messens iiber sogenannte ErsatzgroBen oder Indikatoren21 ). Indikatoren fUr "GroBe der Organisation" sind beispielsweise "Umsatz", "Bilanzsumme", "Zahl der Mitarbeiter". Die Anwendung der MeBverfahren auf eine Stichprobe zeigt die Brauchbarkeit der Indikatoren 22 ). Diese miissen fUr den Umfang einer Stichprobe variieren, Vgl. Albert, H., Modell-Platonismus, a. a. 0., S.419. Vgl. Endres, W., Zur Ausdrucksweise im betriebswirtschaftlichen Schrifttum, a. a. 0., S. 601. 2Q) Vgl. Leinfellner, W., Zum sprachkritischen Methodenstreit in der Betriebswirtschaftslehre, a. a 0., S. 584 if. 21) Vgl. Lazarsfeld, P. F., Wissenschaftslogik und empirische Sozialforschung, in: Logik der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S. 41 if. 22) Vgl. Levy, Ph., Pugh, D., Scaling and Multivariate Analysis in the Study of Organizational Variables, in: Sociology, Vol. 3, 1969, S. 197 if.; Wolfe, J. H., Pattern Clustering By Multivariate Mixture Analysis, in: Multivariate Behavioral Research, Vol. 5, 1970, No.3, S.329-350. 18) 19)

Anforderungen an eine betriebswirtscha;fttiche Organisationstheorie

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d. h. eine ausreichende Diskriminierungsfahigkeit aufweisen; andernfalls sind sie durch andere MaBe zu ersetzen. So kann sich ergeben, daB die verschiedenen Nominaldefinitionen (Konventionen iiber die Verwendung bestimmter Ausdriicke) zugeordneten Indikatoren miteinander korrelieren, so daB ein gemeinsamer iibergeordneter Begriff notwendig wird; oder daB neue Begriffe gewi:ihlt werden miissen, da die Indikatoren von denen der Nominaldefinition abweichen. Voraussetzung dieser begrifflichen und deskriptiven Studien ist eine reprasentative Auswahl der Beobachtungen23). Die Operationalisierung oder tibersetzung eines Begriffs in beobachtbare Ereignisse wird mitunter als Basis fiir eine "quantitative Organisationstheorie" angesehen, die als Endstadium der "Organisationstheorie" anzustreben sei24). Eine Begriindung hierfiir ergibt sich in zweifacher Weise: E r s ten s sind die Merkmale, iiber die in brauchbaren Theorien etwas ausgesagt wird, sehr haufig quantifiziert bzw. quantifizierbar, so daB ein Begriff theoretisch um so brauchbarer wird, "je mehr mathematische Operationen mit ihm ausgefiihrt werden konnen25)". Denn je mehr mathematische Operationen mit Begriffen ausfiihrbar sind, desto prazisere ErkHirungen und Prognosen sind moglich. Z wei ten s sind verbale Beschreibungsmodelle nicht in der Lage, den Beziehungszusammenhang komplexer Organisationen iibersichtlich abzubilden. Der Wirkungszusammenhang der EinfluBgroBen wird nicht deutlich. Mathematische Beschreibungsmodelle eroffnen hier die Moglichkeit, Aussagen iiber das Verhalten in Abhangigkeit von den Werten einzelner Variablen zu machen (Sensitivitatsanalyse). Die Grenzen der Quantifizierung liegen im komplexen Objekt des sozialwissenschaftlichen Bereichs begriindet, dessen Variablen sich groBteils per se einer Quantifizierung entziehen. 2. Bildong von Taxonomien Die aus der Formulierung und Operationalisierung von Begriffen sich ergebenden Zusammenhange lassen zumeist Schliisse iiber die Beziehungen zwischen relevanten Variablen zu. Es lassen sich einfache Korrelationen feststellen, die das empirische Material transparenter machen und erste Anhaltspunkte zur Formulierung von Hypothesen geben. Da jedoch bestimmte Eigenschaften bei bestimmten Gruppen von Beobachtungseinheiten auftreten, wie mittels eines Klumpenauswahlverfahrens gezeigt werden kann, gilt Vgl. Scheuch, E. K., Auswahlverfahren in der SOzialforschung, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung, a. a. 0., S. 309 ff. 24) Vgl. Morgenstern, V., Prolegomena to a TheoU' of Organization, Rand-Report RM-734, Santa Monica, Cal. 1951; Newell, A., Krushal jr., J. B., Formulating Precise Concepts, in: Organization Theory. Rand-Report RM-619, Santa Monica, Cal., June 1956. 25) Opp, K. D., Methodologie der Sozialwissenschaften, a. a. 0., S.147. 23)

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Wissenschajtstheorie und Organisationstheorie

es, zur weiteren Vorbereitung der Theoriebildung Typologien oder Taxonomien26) zu bilden. Der Begriff Taxonomie setzt voraus, daB die Klassifikation auf Dimensionen aufbaut, die meBbar und empirisch iiberpriifbar sind. Taxonomien, die von a-priori-Kriterien ausgehen27), erfiillen diesen Anspruch nicht. Sie konnen daher nur als Vorstufe zur Bildung geeigneter Klassifikationen angesehen werden, die der anschlieBenden Bestiitigung am empirischen Material bediirfen. Taxonomien sind somit empirisch erhiirtete, multidimensionale Klassifikationen28 ), deren Zielsetzung die relativ einfache Handhabung komplexer Phiinomene ist29 ), indem eine Anzahl von Variablen zu einer einheitlichen Type zusammengefaBt wird. Die Bildung von Taxonomien findet sich derzeit vor allem im Rahmen der Arbeiten der vergleichenden Analyse ("comparative analysis"30». Diese strebt iiber die Betrachtung siimtlicher sozialer Systeme als vergleichbare Systeme, denen eine Reihe funktionaler Probleme gemeinsam ist, den Zugang zu einer allgemeinen Organisationstheorie an. Problematisch erweist sich hierbei die Abstraktheit derartiger theoretischer Aussagen, die fiir so verschiedenartige Phiinomene wie eine Armee, eine Gewerkschaft oder eine Kirche Geltung beanspruchen. Notwendigerweise miissen die Aussagen nichtssagend oder abstrakt sein, um noch etwas iiber die interessierende Wirklichkeit auszusagen31). Dieser These von Mayntz stehen in jiingster Zeit Untersuchungsergebnisse gegeniiber32), die zu operationalen und wissenschaftlich fruchtbaren Siitzen fiihrten. Die leichtere Zugiinglichkeit zu empirischem Material, begiinstigt durch die Breite des Untersuchungsgegenstandes, fordert diese Vgl. Haas, E. J., Hall, R. H., Johnson, N. J., Toward an Empiricaly Derived Taxonomy of Organizations, in: Studies on Behavior in Organizations. A Research Symposium, hrsg. von R. V. Bowers, Athens, 1966, S. 157-180; Hall, R. H., Haas, E. J., Johnson, N. J., An examination of the Blau-Scott and Etzioni typologies, Administrative Science Quarterly, Vol. 12, 1967, S. 118-139; Weldon, P. D., An examination of the Blau-Scott and Etzioni Typologies: A Critique, Administrative Science Quarterly, Vol. 17, 1972, S. 76-80; Laufer, A. C., A Taxonomy of Management Theory: A Preliminary Framework, Academy of Management Journal, Vol. 11, No.4, Dec. 1968, S. 435 ff. 27) Vgl. Blau, P. M., Scott, W. R., Formal Organization: A comparative Approach, San Francisco 1962, S. 40 ff.; Etzioni, A., A Comparative Analysis of Complex Organizations, Glencoe, Inc. 1961, S. 3 ff. 28) Vgl. Pugh, D. S., Hickson, D. J., Hinings, C. R., An Empirical Taxonomy of Structures of Work Organizations, Administrative Science Quarterly, Vol. 14, 1969, S. 115-126; Samuel, Y., Mannheim, B. F., A Multidimensional Approach toward a Typology of Bureaucracy, Administrative Science Quarterly, Vol. 15, 1970, S.216 bis 228. 29) Vgl. Mechanic, D., Some Considerations in the Methodology of Organizational Studies, in: The Social Science of Organizations, hrsg. von Leavitt, H. J., Englewood Cliffs, N. J., 1963, S. 158. 30) Vgl. u. a. Udy, St. H. Jr., The Comparative Analysis of Organizations, in: Handbook of Organizations, a. a. 0., S. 678-709. 31) Vgl. Mayntz, R., The Study of Organizations: A Trend Report and Bibliography, Current Sociology, Vol. 13, 2965, S. 113 if. 32) Vgl. oben, FuBnote 28. %6)

Anjorderungen an eine betriebswirtschajtUche Organisationstheori:e

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Forschungsrichtung. Sie wird begrenzt durch die Aligemeinheit ihrer Aussagen, die derzeit zum groBen Teil ihre Prognosegenauigkeit und ihre praxeologische Verwendbarkeit im Rahmen der Betriebswirtschaften einschrankt. Die Losung von Organisationsproblemen in Unternehmungen erfordert prazisere Aussagen. Die Theoriebildung zwingt zu einer Einschrankung der Typenvielfalt, "denn keine wirklich relevante Theorie kann aIle die unterschiedlichen Typen beinhalten, jedenfalls nicht in diesem Stadium des Standes der Wissenschaftsdisziplin33)". Eine allgemeine "Organisationstheorie" sozio-technischer Systeme bleibt vorerst eine Zielvorstellung, der die t y pen g e bun den e Organisationsforschung vorangeht. Hypothesen sind zumeist nur unter ganz bestimmten Bedingungskonstellationen, die in den Taxonomien reprasentiert sind, giiltig. Erst dann, wenn ein ausreichendes empirisch-theoretisches Fundament fiir bestimmte Taxonomien vorhanden ist, erscheint eine Erkenntnissynthese zu allgemeinen Gesetzen durch Integration der typenbezogenen Theorien verniinftig34). Die Typisierung der Unternehmungsorganisation kann nach Unternehmungstypen (Branche, GroBe usw.) und Problemtypen (genetische und funktionale Probleme) erfolgen. Eine Beschrankung auf iiberschaubare, handbare Typenkomplexe zu Beginn der empirischen Arbeit erscheint notwendig. Die Einschrankung der Typisierung auf Unternehmungsorganisationen ist nicht unbedingt mit der Forderung nach raumlich und zeitlich begrenzten Theorien gleichzusetzen (Quasi-Theorien)35). Unterschiedliche Sozialstrukturen in den einzelnen Landern warnen zwar einerseits vor einer Verallgemeinerung der vorwiegend raum-bezogenen Quasi-Hypothesen36). Andererseits stellen Quasi-Theorien gegeniiber dem bisherigen Erkenntnisstand einen Fortschritt in dem komplexen Organisationsfeld dar. Raum- und Zeitbedingungen vertreten aber nur andere, sachliche Bedingungen, die noch unbekannt sind. Es gilt daher, die Quasi-Theorien auf die ihnen zugrunde liegenden empirischen Bedingungen zuriickzufiihren (strukturelle Relativierung)37). Ein Beispiel solI dies verdeutlichen. Eine Aussage solI lauten: "In der Bundesrepublik folgte zwischen 1960 und 1970 dem Wachstum der Unternehmung ein Anwachsen der Leitungsspanne." Diese Quasi-Theorie ist raumlich und zeitlich begrenzt giiltig.• Die ent33) Hesselbach, J., Verhaltensforschung bei unternehmerischen Entscheidungen, ZfB, 40. Jg., Heft 10, 1970, S.656. 34) In ahnlicher, disziplinbezogener Weise auBert sich Wild, J., Zur praktischen Bedeutung der Organisationstheorie, a. a. 0., S.587. 35) Zu dieser Forderung vgl. Heike, H. D., Krupp, H. K., Okonometrie (IV) Methodenstreit, Wirtschaftswoche, Heft 1, 1972, S. 26. 36) Vgl. Schelsky, H., Aufgaben und Grenzen der Betriebssoziologie, in: Die Aufgaben der Betriebssoziologie und Arbeitswissenschaften, hrsg. von H. Bohrs, H. Schelsky, Stuttgart, 1954, S. 11. 37) Albert, H., Theorie und Prognose in den Sozialwissenschaften, a. a. 0., S. 133 f.

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Wissenscha;ttstheoTie und OTganisationstheoTie

sprechende allgemeingiiltige, strukturell relativierte Theorie lautet: "In einer Marktwirtschaft mit iiberwiegend Kapitalgesellschaften folgt dem Wachstum der Untemehmung ein Anwachsen der Leitungsspanne." Diese Theorie beansprucht unter den gemachten Voraussetzungen allgemeine Giiltigkeit. Die Allgemeinheit der Anwendungsbedingungen nimmt jedoch in der Regel ab38). Damit verbunden sinkt der Informationsgehalt der Theorie. Es gilt daher, zwischen allgemeiner und konkreter Anwendbarkeit einen KompromiB zu schlieBen, um nicht informative, aber falsche Theorien oder informationslose, aber wahre Theorien abzuleiten. Der Spielraum wird durch die Anwendungsbedingungen der Theorie bestimmt. Er ist Ausdruck der unterschiedlichen Allgemeinheit von Theorien.

ll. Theoriefonnulierung Ein weiterer Schritt im Aufbau von Organisationstheorien besteht in del' Formulierung von Hypothesen oder Theorien. Dabei ist von dem bestehenden Wissen auszugehen, das aus den bisherigen explorativen Studien stammen kann, aus vergangenen Erfahrungen mit iihnlichen Problembereichen oder aus der Analyse falsifizierter und modifizierter Theorien. Es handelt sich um das psychologische Problem des Entdeckungszusammenhangs. Zumeist werden vorab Arbeitshypothesen aufgestellt, die im Laufe des weiteren Forschungsprozesses verallgemeinert, priizisiert oder verworfen werden. Die Beschriinkung der Hypothesenformulierung auf die Unternehmung - wie wir dies oben forderten - hat zugunsten einer groBeren Bestimmtheit der Aussagen eine Verringerung ihres Allgemeinheitsgrades zur Folge. Dieser Konflikt hat dort seine Grenze, wo kein Anwendungsbereich verbleibt und der Informationsgehalt trotz hoher Bestimmtheit gegen Null geht. Da der Typenbezug auf die Organisation der Untemehmung jedoch weit genug ist, verbleibt eine relativ hohe Allgemeinheit der Aussagen, die letztlich zugunsten einer groBeren Prognosegenauigkeit eingebracht wurde. Damit steigt die Anwendung praxeologischer Aussagen. J edoch selbst dann, wenn eine Hypothese bestimmter als vom Sachgehalt her moglich formuliert ist und deshalb falsch ist, kann sie innerhalb der Grenzen ihres Anwendungsbereichs immer noch als Handlungsgrundlage Verwendung finden. An die Formulierung von Hypothesen schlieBt sich die Axiomatisierung dieser Hypothesenmenge an. Es wird versucht, moglichst viele Einzelhypothesen auf allgemeinere Hypothesen zuriickzufiihren. Diese a 11 gem e i n ere n Hypothesen besitzen einen hoheren Informationsgehalt als die speziellen Siitze, wenn mit der allgemeinen Hypothese eine groBere Zahl von Einzelbeobachtungen erkliirt werden kann (hierarchische Ordnung). Mit steigendem Informationsgehalt sinkt daher die AussagenanzahlS9). 38) Vgl. Pfromm, H., Okonometrie (V) Methodenstreit, Wirtschaftswoche, Nr.2, 1972, S.33f. 39) Chmielewicz, K., Forschungskonzeption der Wirtschaftswissenschaft a. a. 0.,

S.44.

Anforderungen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheori:e

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Damit steigt auch die alternative Anwendungsmoglichkeit einer Theorie. Denn fUr eine Theorie sind zu jedem Anwendungsbereich gesonderte Ziel-Mittel-Aussagen zu konzipieren. Dadurch wachst die Aussagenmenge der Praxeologie im Vergleich zur Theorie. Die Axiomatisierung erhoht somit die Anwendungsmoglichkeiten einer Theorie. Mit weniger theoretischen Aussagen wird ein Mehr an praktischer Verwendung geleistet. Neben dieser Ruckfuhrung spezieller Hypothesen auf allgemeinere Hypothesen hoherer Ebene ist es auch moglich, gleichartige Hypothesen einer Ebene zu vereinigen. Es werden Hypothesen, die sich auf gleiche Grofien beziehen, zu komplexeren Hypothesen integriert. Diesem Vorgang geht meist eine Kalkulisierung der Zusammenhange voraus. Je nachdem ob die Allgemeinheit oder Bestimmtheit dieser komplexeren Hypothese zu- oder abnimmt, ist damit ein Steigen oder Sinken des Informationsgehalts verbunden.

m.

Priifung der Theorien

An das Problem der Hypothesenformulierung schliefit sich deren Prufung an der Realitat an. Das hierfUr ais notwendig erachtete Faisifikationskriterium bedarf in Anwendung auf organisatorische Aussagen einer Revision. Da es vorerst nur in relativ engen Grenzen moglich sein wird, zwischen organisatorisch und okonomisch relevanten Tatbestanden in Unternehmungen gesetzmafiige Beziehungen festzustellen 40), scheint ein so rigoroses Wahrheitskriterium, wie das der Falsifikation, unangebracht. Zwar kann in der Realitat mit der Existenz von Kausalgesetzen gerechnet werden, aber diese sind uns nur zu einem Teil bekannt und daruber hinaus - auch zum Teil in den Naturwissenschaften - nur mit stochastischer Bestimmtheit feststellbar. Es besteht keine lineare Beziehung zwischen bestimmten Ursachen und bestimmten Wirkungen, die unter angebbaren Bedingungen invariant gehalten werden kann. Jeder Versuch, bestimmte Ursachen mit bestimmten Wirkungen zu korrelieren, erfordert wirklichkeitsfremde ceteris-paribus-Annahmen. Eine Ursache kann daher mehrere Wirkungen zeitigen, genauso wie eine Wirkung auf mehrere Ursachen zuruckfiihrbar ist41). Die Gesetze finden lediglich durch unsere bisherige Erfahrung mehr oder weniger eine Bestatigung. Ihnen kann nur eine induktive Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden. Ein numerischer Bestatigungsgrad ist nicht bestimmbar; er hat stets den Wert Nu1l42 ), wie oft die Gesetze sich auch empirisch bewahren und wie gewichtig die Prufungsinstanzen sind. Vgl. Wild, J., Zur praktischen Bedeutung der Organisationstheorie, a. a. 0., S. 586. 41) Vgl. Luhmann, N., Zweckbegriff und Systemrationalitlit. tJber die Funktion von Zwecken in sozialen Systemen, Tiibingen 1968, S. 13 ff.; ders., Soziologie ais Theorie sozialer Systeme, Kolner Zeitschrift fUr Soziologie und Soziaipsychologie, 19. Jg.,

40)

1967, S. 635 f. 42)

Vgl. Carnap, R., StegmillIer, W., Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit,

a. a. 0., S. 86 ff.

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Wissenschajtstheorie und Organisationstheorie

Lediglich vergleichbare Satze lassen sich wahrscheinlichkeitslogisch komparativ beurteilen, wobei vergleichbare Satze dann vorliegen, wenn weniger informative Satze aus informativeren Satzen tautologisch ableitbar sind. Hierbei ergibt sich zwischen Informationsgehalt und Wahrscheinlichkeit der Satze je nach Verwendungszweck ein Untersch.ied. Dienen die Satze (Gesetze, Theorien) im Rahmen der Prognose als Instrument der ttberpriifung, so ist ein moglich.st hoher Informationsgehalt zu fordern. Damit verbunden steigt das Falsifikationsrisiko und die Wahrscheinlichkeit sinkt. Empirischer Informationsgehalt und logische Wahrscheinlichkeit sind konverse Begriffe. Dienen die Satze der Planung mensch.lichen Handelns und damit der prognostischen Anwendung, so ist eine hohe Wahrscheinlichkeit der Prognose zu fordern und damit verbunden ein geringer Informationsgehalt. Die Wahrscheinlichkeit einer Prognose ist dabei um so hoher, je kleiner der Grad der Allgemeinheit der Hypothese und je kleiner der Grad ihrer Bestimmtheit in sach.licher, zeitlicher und raumlicher Hinsicht ist. Zur Ableitung praktisch brauchbarer Prognosen muB der Informationsgehalt auf ein zur Problemlosung notwendiges MaB begrenzt werden43). Damit erhalt der Sicherheitsgrad Prioritat, der relativ zum Informationsgehalt so hoch wie moglich sein sollte, im Gegensatz zur ttberpriifung von Theorien. In diesem Zusammenhang stoBt ferner die Feststellung der EinfluBgroBen auf Schwierigkeiten, die in den Randbedingungen zu beriicksichtigen sind. In aller Regel beziehen sich die Bedingungen selbst auf die Zukunft, so daB sie ihrerseits prognostiziert werden miissen44). Vollkommene Prognosen oder Informationen sind aus diesen Griinden in der okonomisch-organisatorischen Realitat unzutreffende Pramissen. Die Wahrheit organisatorischer Aussagen ist deshalb auf ihren wahrscheinlichen Wert (logisches Induktionsproblem) zu begrenzen. Eine Aussage wird dann als wahr betrachtet, wenn sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit (z. B. 95 Ofo dieser Tests) als richtig erweist. Ein Hauptmangel besteht jedoch darin, daB unterschiedliche Wahrscheinlichkeitskonzeptionen existieren, die nicht einheitlich in ihrer Beurteilung sind. So kommt Wi 1 d zu der Feststellung, daB die Messung der Unsicherheit oder Wahrscheinlichkeit von Prognosen mit dem bisher verfiigbaren Instru43) VgI. Wild, J., Unternehmerische Entscheidungen, Prognosen und Wahrscheinlichkeit, zm, 39. Jg., 1969, 2. Erganzungsheft, S. 76 f.; Albach, H., Die Prognose im Rahmen unternehmerischer Entscheidungen, in: Diagnose und Prognose als wirtschaftswissenschaftliche Methodenprobleme, hrsg. von H. Giersch, K. Borchardt, Berlin 1962, S. 201 ff. 44)

Vgl. Reichenbach, H., Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie, Berlin

1953, S. 99; Stegmiiller, W., Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, a. a. 0., S. 150 f.; Wild, J., Unternehmerische Entscheidungen, Prognosen und Wahrscheinlichkeit, a. a. 0., S. 67; ders., Probleme der theoretischen Deduktion von Prognosen, Zeitschrift fUr die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 126, 1970, S. 562 ff.; Knorring, E. v., Probleme der theoretischen Deduktion von Prognosen, Zeitschrift fUr die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 128, 1972, S. 147; Wild, J., Zur prinzipiellen Oberlegenheit theoretisch deduzierter Prognosen - Entgegnung zur Replik von Ekkehard von Knorring, Zeitschrift fUr die gesamte Staatswissenschaft, Bd. 128, 1972, S. 149 ff.

Anforderungen an eine betriebswirtschafttiche Organisationstheorie

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mentarium der Wahrscheinlichkeitstheorie und -logik nur unzuHinglich beantwortet werden kann45). Mat t e s sic h hiilt eine Teilung in Erkenntnishypothesen (theoretische Forschung) und Entscheidungshypothesen (pragmatische Forschung) fUr notwendig, wobei fUr die ersteren ein hoher Bestatigungsgrad erforderlich und fUr die letzteren Hypothesen ein niedriger Bestatigungsgrad ausreichend ist48). Die BegrUndung hierfiir liefert ihm die Tatsache, daB Entscheidungen unter volliger UngewiBheit getroffen werden und jeder Verbesserung im VerlaBlichkeitsgrad ein Vorzug gegeben werden muB. Die Ausrichtung der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre auf die Ableitung praxeologischer Aussagensysteme stiitzt diese These. Dies gilt um so mehr als die Entscheidungen Uber organisatorische Tatbestande unter Unsicherheit zu treffen sind und wahre Theorien noch nicht wahre Erklarungen und Prognosen deduziereno Aus diesem Grunde gilt es, das gesamte theoretische Wissen im Entstehungszusammenhang einzusetzen, um samtliche zur Verfiigung stehenden A-priori-Kenntnisse (Erfahrungswissen) zur Geltung zu bringen47). Mit welcher Wahrscheinlichkeit die Hypothesen eine Bestatigung finden, bleibt vorerst ein Problem. Wichtig ist nur, daB sie mit der Wirklichkeit konfrontiert werden und an der Wirklichkeit scheitern konnen. Die Umformung theoretischer in praxeologische Aussagen leistet hierzu automatisch ihren Beitrag. In diesem Sinne gilt auch als ein Anhaltspunkt auf dem Wege zur Bestatigung eine Hypothese, die von H abe r mas aufgestellte Regel. Danach gelten alle die Annahmen als empirisch wahr, "die ein erfolgskontrolliertes Handeln leiten konnen, ohne bisher durch experimentell angestrebte MiBerfolge problematisiert worden zu sein4S)". DaB dabei die Bewahrung durch den Handlungserfolg nur global zugeordnet werden kann und nicht streng korrelativ, ergibt sich daraus, daB wir die faktisch arbeitenden Wissenselemente einer Theorie weder in ihrem Umfang noch im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich definitiv bestimmen konnen49). Aus dem Anwendungsgesichtspunkt einer Wissenschaft stellt sich noch ein Problem, das zwar der Betriebswirtschaftslehre inharent ist, dem sie aber bisher kaum Aufmerksamkeit gewidmet hat. Es ist die Frage nach der Wirtschaftlichkeit des Erkenntnisfortschrittes50). 1st ein zusatzliches Wissen 45) Vgl. Wild, J., Untemehmerische Entscheidungen, Prognosen und Wahrscheinlichkeit, a. a. 0., S. 87. 48) Vgl. Mattessich, R., Neue erkenntnistheoretische Probleme der Betriebswirtschaftslehre, Reprint No. 24, Faculty of Commerce and Business Administration, University of British Columbia, Vancouver 1970, S. 26. 47) Hier zeigen sich deutlich Verkniipfungspunkte zur Hermeneutik. VgI. Gadamer, H. G., Wahrheit und Methode, Tiibingen 1960. 48) Habermas, J., Eine Polemik (1964): Gegen einen positivistisch halbierten Rationalismus, in: Zur Logik der Sozialwissenschaften, Materialien, Frankfurt/Main, 1970, S.50. 49) VgI. ebenda, S. 50 (FuJ3note 10). SO) VgI. Mattessich, R., Neue erkenntnistheoretische Probleme der Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 27 f.

" Hoffmann

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WissenschaftstheoTie und Organisationstheorie

wtinschenswert, wenn die Grenzkosten der Information deren Grenznutzen iibersteigen? Yom theoretischen Standpunkt muB diese Frage bejaht werden, da jede empirisch-gehaltvolle Wissensvermehrung den Erkenntnisfortschritt vorantreibt. Die Grenzen sind lediglich durch die Budgets der einzelnen Forscher gezogen und durch die ()konomitat der Methodenwahl bei gleichem Grad an Zielverwirklichung. Ein Reduktionismus bis hin zu den neurophysiologischen Erscheinungen des Menschen scheint als kleinste Untersuchungseinheit der Organisationsforschung bei gegebenem Aufwand keinen zufriedenstellenden Erklarungsgrad zu bieten. Vielmehr ist ein Aggregationsgrad zu wahlen, der sich durch eine okonomische Wahl der kleinsten Elemente des zu erklarenden Phanomens auszeichnet und der eine zufriedenstellende Erklarung bei vertretbarem Aufwand ermoglicht. Eine Reduktion von Aussagen tiber komplexe Systeme hat nur Sinn, wenn sich die Reduktion auf Aussagen tiber einfache Verhaltensweisen bezieht51). Eine angewandte Wissenschaft fordert demgegentiber eine andere Antwort auf die Frage nach der Wirtschaftlichkeit des Erkenntnisfortschritts. Hier ist die Frage zu verneinen, denn zusatzliche Information, deren Nutzen negativ ist, widerspricht dem Grundsatz nach wirtschaftlichen Entscheidungen. Die Information geht unmittelbar in die Entscheidung ein und deren Nutzen steht im Mittelpunkt der Wissensschaffung. Die Anwendung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen zur Vermehrung theoretischen Wissens und der praktische Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen in Unternehmungen verdeutlichen dies en Wesensunterschied zwischen Theorie und Praxis zutreffend. Die pragmatische Wissensausrichtung erfordert die ()konomie der Informationsgewinnung, die mit einen Grund zur Abbildung der Wirklichkeit in partialisomorphen oder homomorphen Modellen bildet. Damit muB aber eine strenge Forderung an den Wahrheitswert praktischer Aussagen aufgegeben werden. Liegen Entscheidungsmodelle vor, so sind diese so lange als giiltig zu akzeptieren, wie sie einen Beitrag zur praktischen Gestaltung leisten. Treffend formUlieren diesen Zusammenhang zwischen Theorie und Mode1l52) Rub ens t e i n und H abe r s t r 0 h : "A theory can be refuted by a single contrary empirical finding; a model is not exposed to refutation, but is used as long as any benefit can be derived from it. A model can continue to be usefUl even though it yields many conclusions which are clearly wrong, provided only that it yields some conclusions that are correct (i. e., useful)53)." Vgl. Luhmann, N., Grundbegriffliche Probleme einer interdisziplinaren Entscheidungstheorie, Die VerwaItung, 1971, Heft 4, S. 476. 52) Von dem seItenen Fall isomorpher Modelle sehen wir hier und im weiteren Verlauf der Arbeit abo 53) Rubenstein, A. H., Haberstroh, Ch. J., The Nature of Organization Theory, in: Some Theories of Organization, hrsg. von A. H. Rubenstein, Ch. J. Haberstroh, Homewood, III. 1966, S. 18. 51)

Anforderungen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie

51

Diese Aussage deckt sieh weitgehend mit der von Habermas. Sie erseheint fiir praxeologische Aussagen hinreichend, um so mehr als es im derzeitigen Erkenntnisstadium noeh an der Hypothesenformulierung mangelt. Letztlich und gerade wegen der offen gebliebenen Fragen im Bereich der Theoriebildung und Theorieiiberpriifung bleibt mit Pop per festzustellen, daB "der dauerhafteste Beitrag zum Wachstum wissenschaftlicher Erkenntnis, den eine Theorie leisten kann, die neuen Probleme sind, die sie aufwirft54)".

c.

Forschungsmethoden

Die Forschungsmethoden sind sowohl filr die Phase der Theoriebildung als auch fiir die Phase der Theorieiiberpriifung und deren Wechselverhiiltnis bedeutsam. Die Auswahl der Methoden ist vom jeweiligen Untersuehungsgegenstand und dessen theoretischem Reifegrad abhiingig. Es gibt keine guten oder schlechten Methoden, sondern nur Methoden, die unter spezifischen Bedingungen effektiver sind als andere Methoden55). In Anlehnung an MeG rat h 56 ) lassen sich die Forschungsmethoden nach ihrem Abstraktionsgrad und dem Theoriestadium des Untersuchungsgegenstandes ordnen. Die Methoden repriisentieren Segmente eines Kontinuums, die ein unterschiedlich hohes Informationsniveau implizieren. Entsprechend dieser Annahme lassen sich die Methoden tendenziell und ideal verschiedenen Phasen organisatorischer Forsehungsprogramme zuordnen57 ) (vgl. Abbildung 4). Ais Phasen organisatoriseher Forschungsarbeit lassen sich entspreehend der Spezifitiit der Methoden in geringer Abweiehung zum vorangegangenen Absehnitt folgende nennen: explorative Studien, eine experimentelle Testphase von Hypothesen, eine Phase der Ausarbeitung und Modifizierung von Hypothesen, eine experimentelle Bestiitigungsphase von Hypothesen und eine Phase der empirischen Bestiitigung. Ph a s e 1 (explorative Studien) umsehlieBt Feldstudien und Feldexperimente mit hohem realen Aussagengehalt. Es wird unterstellt, daB in dieser ersten Phase die Kenntnisse des Forsehers iiber den Untersuchungsgegenstand relativ gering sein ki:innen. Als Feldstudien sind jene Methoden zu bezeichnen, die in "natiirlichen", die Realitiit widergebenden Situationen stattfinden. Die Methode der D 0 k u men ten a n a I y s e 58 ), als unumgiingVgl. Popper, K. R., Conjectures and Refutations, a. a. 0., S.222 (ubers.). Vgl. Homans, G. C., The strategy of industrial sociology, American Journal of Sociology, 1949, S. 330-337, S.330. 56) Vgl. McGrath, J. E., Toward a "Theory of Method" for Research on Organizations, in: New Perspectives in Organization Research, hrsg. von W. Cooper, H. J. Leavitt, M. W. Shelly II, New York 1964, S. 533-556. 57) Vgl. ebenda, S. 555. 58) Vgl. zu den Forschungsmethoden Atteslander, P., Methoden der empirischen Sozialforschung, Berlin 1969; Konig, R. (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Band I, Stuttgart 1967. 54)

55)

4'

Wissenschajtstheorie und Organisationstheorie

52 Phase 1: explorative Studlen

FELDSTUOIEN: Dokumentenanalyse Befragung Beobachtung

Phase 5: empirische Besto. tigung

FELDEXPERIMENT

Phase 2: experimentelles Testen von Hypo- . thesen

PLAN- UNO ROLLENSPIELE

Phase": experimentelle Bastat/gung von Hypothesen

LABOREXPERIMENT

.SIMULATION

Phase!: Ausarbeitung und Modilizierung von Hypothesen

Abbildung 4 Methoden im Kontext der Forschungsstrategien liches Verfahren in samtlichen Phasen der Forschung, besitzt fiir aIle iibrigen Methoden Relevanz. Die B e f rag un g (Interview) blldet die dominante Methode in der bisherigen Organisationsforschung. Ihre Ergebnisse beziehen sich auf die Attitiiden sozialen VerhaItens. Sie geben AufschluB iiber sprachliches VerhaIten und nicht unbedingt iiber das soziaIe Verhalten selbst. Dies zeigt die Grenzen dieser Methode auf. Speziell in Form des nichtstandardisierten Interviews hat diese Methode jedoch den Vorteil der Freiheit des Reagierens auf die Besonderheit der Situation, ohne den LeistungsprozeB der Unternehmung groB zu hemmen. Zu beachten sind allerdings Statusunterschiede zwischen Befrager und Befragten und die Unterschiede in den Reaktionen von Personen verschiedener Unternehmungsebenen59). Die B e 0 b a c h tun gist direkt auf die Feststellung des effektiven sozialen VerhaItens von Individuen oder Gruppen ausgerichtet. Meinungen, Attitiiden oder VerhaItenserwartungen lassen sich mit dieser Methode nicht feststellen. Die Methoden der Beobachtung und der Befragung erganzen sich. Als Nachtell erweist sich bei der Beobachtung die begrenzte Erfassung eines Realitatsausschnitts. Wird die Zahl der Beobachter erhoht, so tritt das Problem 59) Vgl. Brandstatter, H., Die Beurteilung von Mitarbeitern, in: Handbuch der Psy-

chologie, 9. Band: Betriebspsychologie, hrsg. von A. Mayer, B. Herwig, 2. neubearbeitete Auflage, GOttingen 1970, S. 718 ff.

Anforderungen aneine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie

53

der Vergleichbarkeit der beobachteten Daten auf. Als Fe 1 d e x per imen t e, die ebenfalls noch in Phase 1 fallen, werden Experimente bezeichnet, bei denen der untersuchte Gegenstand nicht aus seiner natiirlichen Umgebung herausgelost wird. Das Experiment erlaubt die vollstandige Kontrolle und Gestaltung der Situationsbedingungen und gibt die Moglichkeit des HypothesenteSts unter extremen Bedingungen. Die Durchfiihrung des Feldexperiments ist jedoch in der Organisationsforschung begrenzt, da erhebliche Storungen des Leistungsprozesses in der betroffenen Unternehmung zu erwarten sind. Ph a s e 2 (experimentelles Testen von Hypothesen) umfaBt Plan- und Rollenspiele sowie die Laborexperimente. Gegeniiber Phase 1 werden fundiertere Kenntnisse iiber das Untersuchungsobjekt vorausgesetzt. PIa n und Roll ens pie 1 e sowie u. U. E n t s c h e i dun g s fall e, die eine oder mehrere Entscheidungssituationen aus der Unternehmungspraxis unter Angabe spezifischer, die Entscheidungssituationen kennzeichnender Informationen schildern80), zielen auf die Erfassung des sozialen Verhaltens abo Das Verhalten der Teilnehmer wird nicht vorausgesetzt. Die Lab 0 rex per imen t e ermoglichen in extremer Weise die Bildung von Versuchsanordnungen und Bedingungskonstellationen zur Kontrolle einiger und Manipulation anderer Variablen. Es werden eine Experimentalgruppe und eine Kontrollgruppe in einer kiinstlichen Situation daraufhin untersucht, ob ein Kausalfaktor die ihm zugeschriebene Wirkung besitzt. Die Kiinstlichkeit der Situation bewirkt, daB kein anderer Faktor auf den Untersuchungsverlauf einwirkt. Die Kontrollgruppe dient als Vergleichsmoglichkeit, in ihr wird der Kausalfaktor nicht wirksam. Die Vorteile des Laborexperiments sind die Nachteile der Feldstudien. Das Laborexperiment besitzt Genauigkeit, laBt eine Kontrolle der Variablen zu und ermoglicht die Manipulation zentraler Variablen. Das Forschungsfeld der Laborexperimente begrenzt sich auf relativ wenige Variable. Es handelt sich um Kleingruppenforschungen. Probleme ergeben sich hieraus in bezug auf die empirische Relevanz der kiinstlich geschaffenen Situation und in bezug auf die Obertragbarkeit der in Kleingruppen gewonnenen Ergebnisse auf komplexe Organisationen. J e mehr Wissen iiber die reale Organisation verfiigbar ist, desto eher lassen sich die realen Bedingungen in ihrer Wirkung in kleinen Gruppen nachbilden. Die GroBe der Organisation laBt sich beispielsweise durch die Anzahl und Form der Untergruppen in Organisationen, die Kommunikationsprobleme und die Hierarchie in der Kleingruppe beriicksichtigen81). Eine realitatsgetreue Abbildung der Organisationsprobleme als ganzes System iibersteigt jedoch die Leistungsfahigkeit von Laborexperimenten. Vgl. Hahn, D., EntscheidungsprozeB und Entscheidungstraining bei Anwendung der Fallmethode im betriebswirtschaftlichen Hochschulunterricht, ZfbF, 23. Jg., 1971, S. 2; Alewell, K., Bleicher, K., Hahn, D., Entscheidungsfiille aus der Unternehmungspraxis, Wiesbaden 1971; Bleicher, K., Unternehmungsspiele, Simulationsmodelle fUr unternehmerische Entscheidungen, Baden-Baden 1962. 61) Vgl. Weick, K. E., Laboratory Experimentation with Organizations, a. a. 0., S.210ff.

80)

54

Wissenschaftstheorie und Organisationstheorie

P has e 3 (Ausarbeitung und Modifizierung) ist durch die Ausarbeitung und Modifizierung von simulierbaren Modellen, Versuchsanordnungen, gekennzeichnet. Es wird davon ausgegangen, daB die soziale Realitiit sich durch mathematische Modelle darstellen liiBt. Die Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung macht es maglich, die Modelle in Computer-Programme oder Computer-Modelle zu tibersetzen. Die Anzahl der Variablen im Modell kann dadurch erhaht und eine Anniiherung zwischen Modell und Realitiit erreicht werden. Die S i m u I a t ion ermaglicht in Form eines ComputerProgramms die Untersuchung der Auswirkungen unterschiedlicher EinfluBgraBen durch Variation der unabhiingigen Variablen im Hinblick auf die Beeinflussung abhiingiger Variablen. Das Computer-Programm kann in einer Weise manipuliert werden, die bei dem realen System unmaglich, zu starend oder zu teuer wiire. Die Simulation kann der Anniiherung oder der Ermittlung eines Optimums dienen oder der Untersuchung des Verhaltens von Systemen. Das Studium des Verhaltens von Systemen kann s y nth e tis c h erfolgen, wobei das reale Verhalten von Teilsystemen bekannt ist und das Zusammenspiel der Teilsysteme interessiert. Das Verhalten von Systemen kann a n a I y tis c h untersucht werden, wobei das reale Verhalten des Gesamtsystems bekannt ist und die Untersuchung sich auf das Verhalten der Teilsysteme bezieht62). Eine andere Klassifikation bezieht sich auf die Zielsetzung der Simulation63). Es kann sich um eine des k rip t i v e Simulation handeln. Dieser liegt erstens die Absicht zugrunde, Theorien tiber reales organisatorisches Verhalten zu bilden, die erkliiren, warum eine Organisation sich in bestimmter Weise verhalten hat; zweitens, die Theorien durch einen Vergleich des beobachteten vergangenen Verhaltens mit dem simulierten Verhalten zu testen; und drittens, vorauszusagen, wie die Organisation sich in der Zukunft verhalten wird. Eine weitere Simulationsart ist die ill u s t rat i v e Simulation. Diese versucht die Implikationen der Annahmen tiber organisation ales Verhalten zu untersuchen, urn die Wirkungen unter der Voraussetzung festzustellen, diese Annahmen wiiren wahr. Eine weitere Art der Simulation ist die nor mat i v e Simulation. Diese versucht unter einer Anzahl maglicher Organisationsformen jene auszuwiihlen, die den gesetzten Zielen am besten entspricht. Eine letzte Simulations art ist die Men s c h - Mas chi n e -Simulation, mit deren Hilfe ein Verhaltenstraining der Organisationsmitglieder zur besseren Funktionsfiihigkeit der Organisation beabsichtigt wird. Der augenblickliche Stand der Simulationstechnik erlaubt lediglich ein Experimentieren mit Teilbereichen der Organisation64). In der Erfassung des Gesamtkomplexes der Organisation zeigen sich die Grenzen der SimulaVgl. Mertens, P., Simulation, Stuttgart 1969, S. 9. Vgl. Cohen, K. J., Cyert, R. M., Simulation of Organizational Behavior, in: Handbook of Organizations, a. a. 0., S. 308. 64) Vgl. Bonini, C. P., Simulation of Information and Decision Systems in the Firm, Chicago 1967; Forrester, J. W., Industrial Dynamics, New York 1961. 62) 63)

Anforderungen an eine betriebswirtschaftliche Organisationstheorie

55

tion. Die Konfrontierung der Hypothesen mit der Realitiit wird durch die Methode der Simulation nicht ersetzt. Ph a s e 4 (experimentelle Bestiitigung von Hypothesen) entspricht in dem Kontinuum organisatorischer Forschungsmethoden der Phase 2. Nachdem das Problem in Hypothesen formuliert ist und vielleicht ein formales Modell aufgestellt und manipuliert ist, gilt es, die Hypothesen logisch zu verifizieren bzw. falsifizieren. Die Methoden der Phase 2 finden hierbei auf einem h5heren Informationsniveau analog Anwendung. Ph a s e 5 (empirische Bestiitigung) entspricht formal Phase 1. Es gilt die Hypothesen an der Empirie zu bestiitigen. Man gelangt somit auf der "Gegenfahrbahn" wieder zu den Feldstudien zuruck. Dieser ideale Zusammenhang organisatorischer Forschungsmethoden sagt nichts uber die Relevanz und Intensitiit der einzelnen Forschungsmethoden fur bestimmte Untersuchungsgegenstiinde aus. Die Wahl einer Methode ist eine auf Erfahrung begrundete a-priori Entscheidung, die im weiteren Forschungsverlauf durch Versuch und Irrtum bestiitigt, modifiziert oder neu getroffen wird. Erst das Forschungsergebnis liiBt die Relevanz und Richtigkeit der Methode erkennen. Allzuoft begrenzen die Forschungsmittel eine adiiquate Auswahl unter den Methoden. 1m AnschluB an die Datenerhebung erfolgt die Aufbereitung und Auswahl der Daten. Hierzu finden tabellarische und graphische Darstellungen Verwendung sowie Berechnungen von Indexzahlen und Prufung von Zusammenhiingen mittels Regressions- und Korrelationsanalysen. Die Aufbereitung und Auswertung der Daten begleitet den gesamten ForschungsprozeB.

Zweiter Tell

Begriff der Organisation Aus historischer und methodischer Sicht lassen sich drei Entwicklungen der Beriicksichtigung des Organisationsproblems im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre aufzeigenl): Die Unternehmung als organisationsloses Gebilde, die Unternehmung hat eine Organisation und die Unternehmung ist eine Organisation. Diese Entwicklungsstufen werden danach weiter unterteilt, ob sie die Organisation als Tatigkeit oder als Ergebnis dieser Ti:itigkeiten verstehen; analog ist zwischen einem funktionalen und institutionalen Organisationsbegriff zu unterscheiden. Die Definitionen der einzelnen Autoren weichen hinsichtlich dieses letzten Kriteriums zum Teil nur graduell ab, so daB mitunter die Einordnung eines Begriffs in die eine oder andere Kategorie schwerfallt.

Erstes Kapitel

Die Unternehmung als organisationsloses Gebilde Die e r s teE n t w i c k 1 u n gist durch eine vollige Ignoranz der Organisation und damit eine Ignoranz der von der Organisation ausgehenden Beschrankungen auf andere Forschungsergebnisse gekennzeichnet. Die Unternehmung wird als ein "organisationsloses" Gebilde betrachtet. Es wird unterstellt, daB kein EinfluB von der Organisation auf die unternehmerischen Entscheidungen ausgeht. Vielmehr wird angenommen, daB die Entscheidungen so ausgefiihrt werden konnen, wie sie getroffen wurden2). Als typisches Beispiel dient die Entwicklung in der Produktions- und Kostentheorie, die eine optimale Kombination der Produktionsfaktoren anstrebt, wobei die Produktionsfaktoren als inaktiv unterstellt werden und der ProduktionsprozeB unabhangig von der Organisation einer Losung zugefiihrt wird. Vgl. Albach, H., Zur Theorie der Untemehmensorganisation, ZfhF, N. F., 11. Jg., 1959, S. 230 f.; Heinen, E., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1968, S. 46 f.; Kirsch, W., Meffert, H., Organisationstheorien und Betriebswirtschaftslehre, Schriftenreihe der Zeitschrift fUr Betriebswirtschaft, Band 1, Wiesbaden 1970, S. 21. 2) Vgl. Boulding, K. E., Implications for General Economics of More Realistic Theories of the Firm, The American Economic Review, Papers and Proceedings, Vol. 42, 1952, S. 35-44; Kriisselberg, H. G., Organisationstheorie, Theorie der Untemehmung und Oligopol, a. a 0., S. 11 ff.; Knight, F. H., Risk, Uncertainty and Profit, 7. Neudruck, 1948, S. 106 f.; dieser fiihrte schon 1921 aus, daB Organisations1)

fragen nur unter der Bedingung vollstiindiger Voraussicht vemachUissigt werden konnen.

Zweites Kapitel

Die Unternebmung bat eine Organisation Die z wei teE n t w i c k I u n g zeichnet sich durch die Beriicksichtigung der Organisation als Teil der Unternehmung aus. Dieser Sachverhalt kann durch die Aussage verdeutlicht werden: "Die Unternehmung hat eine Organisation." Dabei sind zwei Auspriigungen zu unterscheiden: ein funktionaler Organisationsbegriff und ein institutionaler Organisationsbegriff. Organisation im fun k t ion a len Sinne bezieht sich auf die wirlschaftliche Gestaltung der menschlichen Tiitigkeit. Oder etwas konkreter unter Einbezug der zu organisierenden Elemente: Organisation ist die planmiiBige Zusammenfassung von Menschen und Sachen im Hinblick auf ein bestimmtes ZieP). Der Organisation kommt nur eine dienende, instrumentale Funktion zu. Sie kann aus sich heraus schopferisch nicht tiitig werden. Das Begriffsinstrumentarium von Gut e n b erg verdeutlicht diese Richtung beispielhaft. Er unterscheidet zwischen Planung und Organisation. "Wiihrend Planung den Entwurf einer Ordnung bedeutet, nach der sich der gesamtbetriebliche ProzeB vollziehen soIl, stellt die Organisation den Vollzug, die Realisierung dieser Ordnung dar2)." Es geht darum, den gewiihlten Plan so in ein System genereIler und fall weiser Regelungen umzuformulieren, daB die Realisation des Plans ermoglicht wird. Diese Regelungen, die aus den Anordnungs- und Weisungsrechten der leitenden Personen resultieren, bilden den konkreten Inhalt der Organisation. Die Regelung verkorpert dabei eine Norm 6der Priimisse, an die sich die Personen in der Unternehmung halten miissen. GenereIle Regelungen schriinken den Ermessens- oder Entscheidungsspielraum der mit dispositiven Aufgaben betrauten Personen ein. Fallweise Regelungen bedeuten hingegen eine Ausweitung des Entscheidungsspielraums. Beide Regelungsarten3 ) sind exklusiv formuliert, sie bezeichnen Eckpunkte eines Kontinuums, so daB die generelle Regelung die faIlweise Anordnung iiberfliissig macht. 1) Vgl. Hax, K., Planung und Organisation als Instrumente der Unternehmungsfiihrung, ZfhF, 11. Jg., 1959, S.610. !) Gutenberg, E., Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1: Die Produktion, 14. Aufl., Berlin - Heidelberg - New York 1968, S. 233; sowie Albach, H., Organisation, betriebliche, in: Handworlerbuch der Sozialwissenschaften, Bd. 8, hrsg. v. E. v. Beckerath u. a., Stuttgart - Tiibingen - Gottingen 1961, S. 11I. 3) Vgl. Siebel, W., Zur Typologie betrieblicher Entscheidungen, Gutenbergs "generelle" und "fallweise Regelungen", ZfB, 1967, S. 359 ff.; Prim, R., 'Ober die Grenzen methodologischer Auseinandersetzungen. Gutenbergs "generelle" und "fallweise Regelungen" und Siebels Kritische Analyse, ZfB 1968, S. 127 ff.; Siebert, W., Zur Typologie betrieblicher Entscheidungen, Gutenbergs "generelle" und "fallweise Regelungen", ZfB, 1968, S. 495 ff.

Die Unternehmung hat eine Organisation

59

Es gibt somit ftir jede zu losende organisatorische Aufgabe ein Optimum an freier und gebundener Form. Dieses "Optimum" wird durch das Sub s t i t uti 0 n s p r i n zip d e r 0 r g ani sat ion bestimmt. Es besagt, daB die Tendenz zur generellen Regelung mit abnehmender Variabilitat betrieblicher Tatbestande zunimmt4). Abgesehen von der mangelnden Operationalitat dieses Prinzips ist das Begriffsinstrumentarium Gutenbergs insofern unzweckmaBig5), als es nicht erlaubt, von Planung der Organisation und Organisation der Planung zu sprechen. Unter dem Blickwinkel einer entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre laBt sich die Tatigkeit des Organisierens mit der Tatigkeit der Entscheidung in Beziehung setzen6). Wahrend die Entscheidung den psychischen ProzeB der Willensbildung umfaBt (Entscheidung tiber eine Alternative), wird als Regelung das schriftlich oder mtindlich niedergelegte bzw. mitgeteilte Ergebnis der Entscheidung verstanden. Die Konzeption Gutenbergs entspricht damit der Willensdurchsetzung oder Realisation einer Entscheidung mittels Regelungeri. Etwas weitergehend laBt sich die Tatigkeit des Organisierens als das "T reffen von Me t a e n t s c h e i dun g e n" interpretieren. Es handelt sich um Entscheidungen tiber Entscheidungen, in Anlehnung an die Differenzierung der analytischen Sprachphilosophie in eine Objekt- und Metasprache7). Damit kommt zum Ausdruck, daB die Objektentscheidungsprozesse (z. B. Entscheidung tiber produktionswirtschaftliche Sachverhalte) Freiheitsgrade (Entscheidungstatbestande) aufweisen, die durch die Metaentscheidungsprozesse determinierbar, schlieBbar sind. Werden sie determiniert, so stellen sie Beschrankungen der Objektentscheidungsprozesse dar. Auf die organisatorischen Tatbestande der Unternehmung bezogen, hat die Metaentscheidung dann die Integration und Differenzierung von Aufgaben und Aufgabentragern sowie deren Relationsverkntipfungen zu einer integrativen und differenzierten Struktur zum Gegenstand. Diese Konzeption macht die Bedeutung und Stellung der Organisation im Rahmen der unternehmerischen Entscheidungsprozesse deutlich und zeigt eine Entwicklungsrichtung der Entscheidungstheorie an, die tiber ihren bisherigen Problemkreis der Ableitung optimaler Handlungen im operativen Bereich der Unternehmung hinausgeht. Der ins tit uti 0 n ale Organisationsbegriff umfaBt die Gesamtheit allgemeingtiltiger gestaltender Regelungen als Ergebnis des Organisierens. Diese Regelungen haben den Zweck, die Wirksamkeit menschlichen Handelns zu steigern. Es handelt sich um generelle Regelungen, die menschliches und sachliches Handeln zieladaquat ftir wiederholbare und voraussagbare Aufgaben strukturieren. Organisation kann deshalb auch mit dem Begriff der 4) Vgl. Gutenberg, E., Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Band I: Die Produktion, a. a. 0., S. 238. 5) Vgl. Kosiol, E., Organisation der Unternehmung, a. a. 0., S. 74 f. 6) Vgl. Kirsch, W., Meffert, H., Organisationstheorien und Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 39 ff. 7) Vgl. S.24 dieser Arbeit.

60

Begriff der Organisation

Struktur gleichgesetzt werden, wobei unter Struktur die Menge der im Zeitablauf invarianten Beziehungen zwischen bestimmten GraBen des Unternehmungssystems verstanden wird8). Nor d s i e c k definiert Organisation als "System geltender organisatorischer (betriebsgestaltender) Regelungen, deren Sinnzusammenhang durch die oberste Betriebsaufgabe gegeben ist. Organisation ist in diesem Sinn Betriebsstruktur9)". Typisch fUr diese instrumentale Richtung ist auch der Organisationsbegriff von K 0 s i 0 1. Dieser soIl stellvertretend hier naher expliziert werden. Er definiert Organisation als das "integrative Strukturieren von Ganzheiten10)". Organisation stellt eine bestimmte Verfahrensweise gestaltenden Handelns dar, eine Strukturtechnik der allgemeinen Verfahrenstechnik neben der Realtechnik. Die Strukturtechnik ist an den Grundprinzipien der ZweckmaBigkeit (Unternehmungsaufgabe), der Technizitat (mengenmaBige Wirtschaftlichkeit) und der Okonomitat (Rentabilitat, Gewinn usw.) auszurichten. Es handelt sich um eine formale Problematik, da die Form der Struktur und nicht der Inhalt des Handelns zum Problem erhoben wird. Organisierbar sind nur Wiederholungsvorgange, "deren Ablauf durch die Strukturierung ein fiir allemal einheitlich geregelt wird, und Dauerzustande, die dem Ablauf sich wiederholender Vorgange dienenl l)". "In der Unternehmung stehen die organisatorischen MaBnahmen neben allen dispositiven Tatigkeiten, die als EinzelmaBnahmen im konkreten Sonderfall auftreten und keine strukturierende Wirkung haben. Derartige einmalige Einzelverfiigungen iiber Einsatzgfrter, die die Fiille der betriebswirtschaftlichen Alltagsarbeit ausmachen, lassen sich als Disposition im engeren Sinn schlechthin der Organisation gegeniiberstellen. Die Organisation schafft durch grundsatzliche und generelle Entscheidungen das Geriist oder den Rahmen, in dem sich laufende Dispositionen abspielen. Organisieren ist ein dem Disponieren vorgelagertes Umweghandeln, in dem zuerst strukturierend fiir viele Falle und dann, darin eingebettet, fiir den einzelnen Fall gehandelt wird. Beim Organisieren geht es um Dauerregelungen und Dauereinrichtungen, die das Gesamtgefiige festlegen, an das der Ablauf der Arbeitsprozesse gebunden ist ... Neben der Organisation ist als Variante, Vorstufe oder Gegenstiick die Improvisation zu unterscheiden, die ebenfalls eine integrative Strukturierung bedeutet. Ihre Abgrenzung ist schwierig und unscharf, da organisatorische und improvisatorische Strukturierung graduell und flieBend ineinander iibergehen ... Unter Improvisation sind mehr voriibergehende, noch offenbleibende, sogenannte provisorische Strukturregelungen zu verstehen, die meist nur auf kiirzere Sicht Geltung haben sollen ... Improvisationen fiihren daher zu einem I a b i len Gleichgewicht. Sie spielen eine groBe Rolle in den Unternehmungen, wenn es sich um ungewahnliche, neuartige, unerwartete Vgl. Szyperski, N., Organisationsspielraum, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 1230; zu anderen Definitionen vgl. Kirsch, W., Meffert, H., Organisationstheorien und Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 21. 9) Nordsieck, F., Grundlagen der Organisationslehre, a. a. 0., S. 15. 10) Kosiol, E., Organisation der Unternehmung, a. a. 0., S. 21. 11) Ebenda, S. 31.

8)

Die Unternehmung hat eine Organisation

61

und plotzlich auftretende Notwendigkeiten handelt, die zum sofortigen Handeln zwingen ... Bei der Organisation handelt es sich um eine a1s endgiiltig gedachte Strukturierung, die in der Regel auf Hingere Sicht ge1ten soIl. Sie will die laufende Handhabung durch grundsatzliche Regeln festlegen, moglichst einen festen Dauerzustand schaffen und tragt daher stabilen Charaktert2)." Dieser Begriffszusammenhang wird durch nachstehendes Schema verdeutlichtt3) :

------- ------Gestaltung (im Sinne zweckgeriehteten Handelns)

Strukturierung

/~

Dispositian (i. e. S.)

Organisation Improvisation (endgiiltig,langere Siehl, (vorlaufig, kiirzere stabU) Siehl, labil)

Abbildung 5 Begriff und Abgrenzung der Organisation Das Begriffssystem von KosioP4) ist auf den menschlichen Handlungsbereich (Humanbereich) begrenzt. Es bezieht sich ausschlieBlich auf die Ausrichtung einer Mehrzahl von Personen auf eine gemeinsame Aufgabe. Diese Einschrankung fand durch G roc h 1 a 15) eine Erweiterung. Grochla stellte aufgrund der realtechnischen Entwicklung und der zunehmenden Verselbstandigung komplexer Maschinensysteme das Organisationselement "Sachmittel" gleichrangig neben das Organisationselement "Mensch". Organisation wird von ihm instrumental als "Gestaltung von Systemen zur Erfiillung von Daueraufgaben" definiert, oder ergebnisorientiert (institutional) als "Systeme zur Erfiillung von Daueraufgaben16)". Die Systeme konnen dabei reine Mensch- oder Maschine-Systeme oder Mensch-Maschine-Systeme sein. Damit wird insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen eine Basis geschaffen, die es auch zukiinftig erlauben wird, die rasche Fortentwicklung der Informationstechnologie zur "Kiinstlichen Intelligenz"17) und zu komplexen Mensch-Maschine-Systemen18) zu bewiiltigen. Ebenda, s. 28/29. 13) VgI. ebenda, S. 29. 14) Diese Einengung des Organisationsbegriffs auf den Humanbereich nehmen u. a. auch Nordsieck, F., Rationalisierung der Betriebsorganisation, 2. Aufl. von "Grundlagen der Organisationslehre", Stuttgart 1955, S. 23; Ulrich, H., Betriebswirtschaftliche Organisationslehre, a. a. 0., S.99; Linhardt, H., Grundlagen der Betriebsorganisation, Essen 1954; Schnutenhaus, O. R., Allgemeine Organisationslehre, Berlin 1951, vor. 15) Vgl. Grochla, E., Automation und Organisation, a. a. 0., S. 72 ff. 16) Ebenda, S. 76 und S. 73. 17) Vgl. Minsky, M., Steps Toward Artificial Intelligence, in: Computers and Thought, hrsg. von E. A. Feigenbaum, J. Feldman, New York 1963, S. 406 ff. 18) Vgl. Mertens, P., Kress, H., Mensch-Maschine-Kommunikation als Hilfe bei Entscheidungsvorbereitung und Planung, ZfbF, 22. Jg., 1970, S. 1-21.

12)

Drittes Kapitel

Die Unternehmung ist eine Organisation Die d r itt e E n t w i c k I u n g, die erst in Ansatzen erkennbar ist, ist durch die Aussage gekennzeichnet: die Unternehmung ist eine Organisation. Diese weite Begriffsbestimmung (Extension) umfaBt alle zielgerichteten sozialen Gebilde oder sozio-technischen Systeme und findet sich vor allem in soziologisch orientierten Forschungsrichtungenl). Die Unternehmung verkorpert nur einen spezifischen Organisationstyp unter den moglichen Erscheinungsformen zielgerichteter Sozialsysteme. Hierbei kann wiederum zwischen einem funktionalen und institutionalen Organisationsbegriff differenziert werden. Als Organisation im fun k t ion a len Sinne laBt sich die entscheidungstheoretische Konzeption von K irs c h und M e f fer t 2) interpretieren. Sie setzen Organisation mit dem Treffen von Metaentscheidungen aller Art gleich, die Beschrankungen oder Pramissen fur Objektentscheidungsprozesse bilden. Betrachtet man als Objektentscheidung die Einfiihrung einer elektronischen Datenverarbeitungsanlage, so ergeben sich daraus beispielsweise die Metaentscheidungstatbestande: Projektteam, -dauer, -kosten, Anlagenkonfiguration, Aufgabenplan und -anpassung. Die Metaentscheidungen sind demzufolge auf samtliche "offene" Beschrankungen der Objektentscheidungsprozesse bezogen, ohne daB eine Einschrankung auf integrative Tatbestande von Aufgaben und Aufgabentragern erfolgt. Die Wahl geeigneter Algorithmen zur Losung von Kalkiilmodellen wird genauso von diesem Begriff abgedeckt wie die Bestimmung des optimalen Standorts. Es werden hier "organisatorische" Entscheidungstatbestiinde angesprochen, die nur durch Akzeptierung der weiten Begriffsfassung Organisation gleich Unternehmung verstanden werden konnen und zu rechtfertigen sind. Ais Vorliiufer eines ins t it uti 0 n a len Organisationsbegriff ist Bog dan 0 w anzusehen. Er dehnt ihn auf alle organischen und anorganischen Bereiche aus. Dabei geht er von bestehenden Organisationen aus3). Sein Ziel ist der Aufbau einer "universalen Organisationslehre"4) unter Verzicht auf jegliche Einschriinkung des Objektbereichs organisatorischer Forschung. Als Mittel dient ihm hierzu die 1)

Vgl. u. a. Mayntz, R., Soziologie der Organisation, Reinbek bei Hamburg 1963,

S.7.

2) Vgl. Kirsch, W., Meffert, H., Organisationstheorien und Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 39 ff.; Heinen, E., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S.50. 3) Vgl. Bogdanow, A., Allgemeine Organisationslehre, Band 1, Berlin 1926, S. 21 f. 4) Vgl. ebenda, S.54.

Die Unternehmung ist eine Organisation

63

Tektologie, mittels der er die organisatorisehe Erfahrung auf alle Wissenschaftsbereiche ausdehnte, also die Organisationsmethoden der Natur und der menschlichen Tatigkeit systematisieren und verallgemeinern will. Daraus versucht er Tendenzen und GesetzmaBigkeiten abzuleiten und die Entwicklungsriehtung der Organisationsmethoden zu definieren5). Seine abgeleiteten Aussagen weisen daher zwar einen hohen Aligemeinheitsgrad auf, sind dadurch bedingt aber so abstrakt, daB sie organisatorisehes Handeln weder erkHiren noch zu seiner Gestaltung beitragen konnen, zumal sein Organisationsbegriff nicht erlaubt, spezifische Ordnungshandlungen des Menschen darunter zu fassen, denn sein ganzes Tun ist Organisation. Als ein weiterer Vertreter, der eine allgemeine Organisationslehre aus uberdisziplinarer Sieht anstrebt, ist PIe n g e zu nennen. Er definiert Organisation als eine bewuBte Lebenseinheit aus bewuBten Teilen6). Sein Ordnungsbegriff erfahrt allerdings gegenuber dem von Bogdanow eine Besehrankung auf den Humanbereieh7). Seine Aussagen sind deshalb aueh von geringerer Allgemeinheit. Er kennzeiehnet zwei Strukturmerkmale mensehlieher Organisationen. Das Gesetz der Einheit: "Je sehwerer und verantwortungsvoller die Aufgabe, um so starker muB die Einheit gesichert sein8)" und das Gesetz der Gliederung: "Fur jede Aufgabe das riehtige Amt, fur jedes Amt der richtige MannO)." Doeh selbst die Berueksiehtigung dieser Gesetze verhindert nieht, daB "alle Organisation unvermeidlieh von der Auflosung und vom Verfall bedrohtl0)" ist. Diese Aussagen Plenges verdeutliehen die Erhohung des Informationsgehalts der Wenn-Komponente und der Dann-Komponente. Gesetze sind dureh die Einengung auf den Humanbereieh weniger allgemein. Der Anwendungsbezug erhoht sieh. Eine weitere Einsehrankung des Organisationsbegriffs nimmt S t e fan i c AlI mayer vor. Er besehrankt seinen Organisationsbegriff auf den Bereich der gesellsehaftliehen Organisation und sieht als Fernziel einer Organisationslehre fur die mensehliehe Gemeinsehaft die Erreiehung der Vollkommenheit der biologischen Organismen an. Als wesentlich werden von ihm die beiden Grundprinzipien der Ganzheit - "ein Gemeinschaftsorganismus soUte als Ganzes unter Beriieksiehtigung der Beziehungen zur Umwelt betrachtet werden" - und der Harmonie - "die Beziehungen zwischen den Teilen eines Organismus und zu seiner Umwelt muss en harmonisch abgestimmt sein" angesehenl l). Die Analogiebildung zu organisehen Systemen, die unter dem Vgl. ebenda, S.73. VgI. Plenge, J., Drei Vorlesungen fiber Organisationslehre, in: Johann Plenges Organisations- und Propagandalehre, Berlin 1965, S. 65. 1) Hier ist auch Nicklisch zu erwahnen, der wesentlich auf Plenge aufbaute. Vgl. Nicklisch, H., Der Weg aufwarts!, Organisation, Stuttgart 1920. 8) Vgl. Plenge, J., Drei Vorlesungen fiber Organisationslehre, a. a. 0., S.114. 9) Ebenda, S. 115. 10) Ebenda, S. 115. 11) Vgl. Stefanic-Allmayer, K., Allgemeine Organisationslehre Wien, Stuttgart 1950, S.8; ders., Grundprinzipien einer Organisationswissenschaft, ZfO, 1971, Heft 3, S.133.

5) 6)

Begriff der Organisation

64

EinfluB der Systemtheorie und Kybernetik neu belegt wurde, scheint zwar zu einer plastischen Deskription beizutragen, aufgrund der hohen Allgemeinheit jedoch wenig zur praktischen Organisationsgestaltung. In jiingster Zeit findet unter dem EinfluB soziologischer und sozialpsychologischer Forschung der weite Organisationsbegriff, Unternehmung gleich Organisation, wieder Eingang in die betriebswirtschaftliche Organisationstheorie. Organisationen werden als soziale Verkniipfungsformen menschlichen Handelns interpretiert; so beispielsweise bei Mar c h und S i m 0 n, als "assemblages of interacting human beings12)". Kommunikations- und Zielprobleme treten dabei in den Mittelpunkt des Interesses. Mag nennt fUnf Merkmale, die diesen institutionalen Organisationsbegriff pragen: ,,(1) Mitarbeit von zwei oder mehr Personen, die zur (2) Aufgabenerfilllung und zur (3) Zielerreichung (4) bestimmte Funktionen in der Gruppe iibernehmen und (5) zu diesem Zweck miteinander in Verbindung treten13)." Aus der Orientierung der Betriebswirtschaftslehre als angewandte Entscheidungslehre interpretiert H e i n e n die Organisation als "zielgerichtetes Sozialsystem, das Informationen gewinnt und verarbeitet. Die Betriebswirtschaft ist eine Organisation in diesem Sinne14)". Dabei betrachtet er das Ziel-, Informations- und Sozialsystem als die das organisatorische Gebilde determinierenden Faktoren. 'Ober diese drei Faktoren sind Metaentscheidungen zu treffen, die wiederum EinfluB auf die Objektentscheidungsprozesse ausiiben. Die drei Determinanten sind dabei nicht isoliert voneinander zu betrachten, sondern stehen in wechselseitiger Beziehung und Abhiingigkeit. Letztlich erfordert diese gegenseitige EinfluBbeziehung einen simultanen Losungsansatz. Die mit Hilfe dieses weiten Begriffs vorgenommene Objektabgrenzung kann nur unter dem Gesichtspunkt des Aufbaus einer ailgemeinen, interdisziplinaren Organisationstheorie gesehen werden. Da jedoch in einer betriebswirtschaftlich ausgerichteten Organisationstheorie "inhaltlich keineswegs alle Probleme solcher Gebilde behandelt werden, ist u. E. diese Begriffsbildung hochst unzweckmiiBig15)". Das unterschiedliche Untersuchungsobjekt wird einmal durch den funktionalen Begriff auf die Metaentscheidung begrenzt und zum anderen durch den institutionalen Begriff auf die Meta- und Objektentscheidungen der gesamten Unternehmung (Institution) ausgedehnt. Die beiden Entwicklungsstufen, die Unternehmung hat und ist eine Organisation, konnen in einer Art Synthese verbunden werden. Organisation als Fun k t ion stellt einen (Meta-)Entscheidungs- und RealisationsprozeB zur Differenzierung und Integration von Aufgaben und Aufgabentragern dar, 12)

March, J. G., Simon, H. A., Organizations, 9. Aufl., New York - London - Sydney

1967, S.4.

Mag, W., Grundfragen einer betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie, 2. Aufl., Opladen 1971, S. 26. 14) Heinen, E., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 49. 15) Ulrich, H., Die Unternehmung als produktives soziales System, a. a. 0., S. 223 (FuBnote 7).

13)

Die Unternehmung ist eine Organisation

65

dessen Ergebnis eine S t r u k t u r bildet, d. h. ein relativ invariantes Beziehungsmuster als Mittel zur Reduktion von U n t ern e h m u n g s pro b I e men. Es gilt die EinfluBfaktoren organisatorischen Gesamthandelns aus Unternehmung und Umwelt festzustellen, zur Schaffung einer Struktur, die einen moglichst optimalen Ablauf der Objektentscheidungsprozesse in der Unternehmung gewahrleistet. Die Organisation wird damit einerseits in Beziehung zu ihrer Umwelt gesehen, zur Erfassung der relevanten EinfluBfaktoren. Andererseits wird die Organisation mit der Struktur gleichgesetzt und damit auf ein Betrachtungsobjekt eingeengt, das hinreichend erscheint, fruchtbare Forschungsergebnisse abzuleiten, die zugunsten von Bestimmtheit und Prazision auf eine Verabsolutierung der Allgemeinheit verzichten16). Diese Synthese der Organisationsbegriffe bildet den Bezugspunkt zur Analyse und Kritik der folgenden organisationstheoretischen Aussagen.

18)

Vgl. S. 44 f. dieser Arbeit.

5 Hoffmann

Dritter Teil

Ansiitze organisationswissenschaftlicher Forschung Die Auffassungen tiber Begriff und Wesen der Organisation sind so vielf§'ltiger und unterschiedlicher Natur, daB von e i n e r betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie nicht gesprochen werden kann; genausowenig wie von e i n e r allgemeinen Organisationstheorie, die die Teiltheorien verschiedener Disziplinen unter einheitlichen Gesichtspunkten zusammenfaBt. Vielmehr existieren eine Reihe organisatorischer Ans§.tze, die recht unterschiedliche Problemkreise zum Gegenstand haben. Die Vielfalt organisatorischer Ans§.tze und Konzeptionen erschwert eine Systematisierung. Ausgehend yom Organisationsbegriff und der Zwecksetzung (Pragmatik) der Ans§.tze kommen K irs c h und Me f fer tt) zu vier Grundtypen (vgl. Abbildung 6).

~ begriff

Pragmatik

System

Struktur

deskriptiv

Typl (verhaltenswissenschaftliche Organisationstheorien)

TyplV

normativ

Typlll (Theonen des geplanten organisatorischen Wandels)

Typll (Theorien des Organisierens)·

Abbildung 6 Typen von Organisationstheorien

Den Organisationsbegriff unterteilen sie in die beiden Entwicklungsrichtungen, die Unternehmung hat und ist eine Organisation. Die Zwecksetzung sehen sie in einer mehr deskriptiv oder mehr normativ ausgerichteten Forschung. Somit ergeben sich zwei deskriptive Ans§.tze, die einmal den Begriff Organisation gleich Unternehmung (oder System) vertreten und zum anderen die ') Vgl. Kirsch, W., Meffert, H., Organisationstheorie und Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 20 if.

68

Ansiitze organisationswissenschajtlicher Forschung

Organisation mit der Struktur der Unternehmung gleichsetzen. Es handelt sich in beiden Fiillen um verhaltenswissenschaftlich-orientierte Ansatze. Analog ergeben sich zwei normative Ansatze. Als normative Richtung, die Unternehmung gleich Organisation setzt, betrachten sie die Konzeption des geplanten organisatorischen Wandels. 1m wesentlichen behandelt diese normative Richtung den struktureHen Wandel der Organisationen, wie die Anpassungswiderstiinde der beteiligten Organisationsmitglieder iiberwunden werden konnen2). Die zweite normative Richtung, die Organisation als Struktur versteht, umfaBt die vorwiegend in der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre bekannten Ansatze. Es geht um die Gestaltung formaler Strukturen. Einen differenzierten Klassifikationsansatz schlagt G roc h I a 3) vor. Er unterscheidet entsprechend der wissenschaftstheoretischen Entwicklung von Satzsystemen zwischen terminologischen, deskriptiven, empirisch-kognitiven und praxeologischen Aussagensystemen. Diese methodologisch ausgerichtete Grundeinteilung untergliedert er weiter in die Ansatze, die sich in der gegenwartigen organisatorischen Diskussion relativ deutlich abzeichnen: pragmatische, entscheidungstheoretische, verhaltenstheoretische und informationstechnologische Ansatze. Den p rag mat i s c hen Ansatzen wird die traditioneHe Organisations- und Managementlehre zugeordnet, die von einer gegebenen Unternehmungsaufgabe ausgeht, diese untergliedert und die gebildeten Unteraufgaben auf Organisationseinheiten iibertragt, wobei die Aufgabentrager als abstrakte Funktionstrager fungieren. Die e n t s c h e i dun g s the 0 ret i s c hen Ansatze umfassen die Spieltheorie, Teamtheorie und die Theorie der Lenkungspreise, die alle durch einen logisch-analytischen Ansatz gekennzeichnet sind. Die v e r h a I ten s w iss e n s c h aft I i c hen Ansatze sind durch soziologische, psychologische und sozial-psychologische Forschungsrichtungen gepragt, die vor aHem die Gewinnung eines empirisch-kognitiven Aussagensystems anstreben. Die i n for mat ion s t e c h n 0 log i s c hen Ansatze haben die mit dem Aufbau von Informationssystemen zusammenhiingenden Organisationsprobleme zum Gegenstand. Die Maschine wird alS gleichberechtigter Aufgabentrager neben dem Menschen gesehen. Diese nach methodologischen Gesichtspunkten vorgeschlagene Schwerpunktbildung organisatorischer Forschung reprasentiert keine isolierten Alternativen. Die gebildeten Organisationsschwerpunkte leisten nur in ihrer wechselseitigen Symbiose eine (Teil-)Losung des Organisationsproblems. Die aspektorientierte Behandlung des Organisationsproblems behindert eine Beurteilung der praktischen Brauchbarkeit dieser Ansatze. 2) Vgl. Dienstbach, H., Die Anpassung der Unternehmungsorganisation Zur betriebswirtschaftlichen Bedeutung des "Planned Organizational Change", Diss. Miinchen 1968. 3) Vgl. Grochla, E., Organisationstheorie, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 1236 ff.; ders., Erkenntnisstand und Entwicklungstendenzen der Organisationstheorie, zm, 39. Jg., 1969, S. 1 ff.; Coenenberg, A. G., Entwicklungsrichtung der Organisationsforschung, zm, 41. Jg., 1971, S. 626-632.

Ansiitze organisationswissenscha;ftticher Forschung

69

Die beiden referierten Klassifikationssysteme zeigen deutlich die Vielfalt moglicher organisatorischer Ansiitze auf. 1m weiteren Verlauf lehnen wir uns an die bekannte methodisch-differenzierte Klassifikation von S cot t4) an, der zwischen der "klassischen", "neoklassischen" und "modernen" Organisationsforschung unterscheidet. Die moderne Organisationsforschung wird hier in entscheidungsbezogene und systemtheoretische Ansiitze weiter untergliedert. Diese Klassifikation bildet einen fUr uns ausreichenden Rahmen, um die Methodik dieser Forschungsrichtungen darzustellen und die vorliegenden Ansiitze nach wissenschaftstheoretischen Kriterien - als Basis zur Entwicklung einer betriebswirtschaftlich orientierten Organisationstheorie - zu beurteilen.

') VgI. scott, W. G., Organization Theory: An Overview and an Appraisal, in: Academy of Management Journal, 1961, S. 7 ff.

Erstes Kapitel

K1assische Organisationstheorien Die klassischen Organisationstheorien entwickelten sich aus der "mechanistisch physiologischen" Betrachtungsweise von Taylor und fanden anschlieBend in dem "administrativen" Ansatz von Taylor und Fayol ihre Fortsetzung1).

A. Methodik Die mechanistisch physiologische Betrachtungsweise der Produktionsfaktoren ist untrennbar mit dem Namen T a y lor verbunden und der auf ihn zuriickgehenden "Scientific-Management-Bewegung". Charakteristisch fur diese Periode ist einerseits das s y s t e mat i s c he, wissenschaftliche Vorgehen bei der Behandlung organisatorischer Probleme und andererseits die mechanistisch-instrumentale Betrachtung des Produktionsfaktors Arbeit oder des Arbeiters. Ausgangspunkt der 'Oberlegungen Taylors ist die "tagtagliche Vergeudung menschlicher Arbeitskraft durch ungeschickte, unangebrachte und unwirksame MaBnahmen2)" und durch das "sich-um-die-Arbeit-drukken3 )". Daher forderte Taylor die Ablosung der bis dahin ublichen Faustregeln durch die Prinzipien einer Verwaltung auf wissenschaftlicher Grundlage. Sein Wirken war auf die operative Ebene der Unternehmung begrenzt. Ausgehend von einem Gesamtarbeitsvorgang, den er in seine einzelnen Operationen zerlegte, entwickelte er aufgrund von Zeitmessungen fur die Einzeloperationen ein Leistungslohnverfahren, das sogenannte "Differential-PriceRate-Verfahren". Dieses orientiert sich am Best-Arbeiter und drangt daher stark zur Einhaltung der veranschlagten Fertigungszeit. Die mechanistisch physiologische Betrachtungsweise laBt sich heute dem arbeitswissenschaftlichen Bereich der Unternehmung zuordnen.

I. Administrativer Ansatz von Taylor und Fayol In der administrativen Variante machte Taylor die Arbeitsteilung zur Grundlage seines Systems. Darauf aufbauend untersuchte er die Leitungsfunktionen von Meistern und Vorarbeitem und entwickelte insbesondere fur Werkstatten sein Fun k t ion s m e i s t e r - 0 de r Tat i g k e itsVgl. March, J. G., Simon, H. A., Organizations, a. a. 0., S. 12. Taylor, F. W., Die Grundsatze wissenschaftlicher Betriebsfiihrung, MiinchenBerlin 1913, S. 2. 3) Ebenda, S. 12. 1)

2)

Klassische Organisationstheorien

71

s y s t e m. Ergebnis ist ein spezialisiertes System. Er unterscheidet bei groBeren Untemehmungen acht Meister, vier Ausfuhrungsmeister, die sich zur Beaufsichtigung und Anweisung stets in den Werkstatten aufhalten, und vier Meister im Arbeitsburo, die fur Arbeitsanweisungen, Vorschriften fiber die Arbeitszeit usw. verantwortlich sind. An die Stelle eines bis dahin vorherrschenden Universalmeisters setzt er seine Funktionsmeister mit differenzierten Aufgabeninhalten. Diesen unterstellt er direkt die Arbeiter. Die Arbeiter erhalten somit von mehreren Meistem Anordnungen. Diese Mehrfachunterstellung oder das Mehr-Linien-Prinzip wurde spater auf die gesamte Organisation ausgedehnt. Es bezeichnet den G run d sat z des d i r e k ten W e g e s im Rahmen des Kompetenzsystems der Organisation. Der administrative Ansatz von Fay 0 1 geht von folgenden Funktionen aus: Vorausplanung, Organisation, Anordnung, Zuordnung, Kontrolle4). Ffir diese administrativen oder Verwaltungsfunktionen werden von ihm 14 Prinzipien genannt. Als wichtigstes Prinzip ist, im Gegensatz zu Taylors "Funktionsmeisterprinzip", die E i n h e i t de r Auf t rag s e r t e i 1 u n g (EinLinien-Prinzip) zu nennen. Es besagt, daB nur eine vorgeordnete Stelle einer nachgeordneten Anweisungen geben darf. Gleichrangige Abteilungen sind fiber gemeinsame fibergeordnete Leitungsinstanzen verbunden. Dieses Prinzip kennzeichnet das Leitungssystem. Fayol stellte sein Prinzip nicht in Gegensatz zu dem von Taylor, sondern betrachtete es als eine Erganzung5). Beide Prinzipien finden in der praktischen Organisationsarbeit Verwendung. Eine spezifische Auspragung des Ein-Linien-Prinzips von Fayol kennzeichnet die Stab-Linien-Organisation. Den Instanzen der Linie werden Spezialisten zur besseren Aufgabenerfilllung zugeordnet. Die Spezialisten oder Stabe haben gegenfiber der Instanz kein Weisungsrecht, so daB die Einheit der Auftragserteilung gewahrt bleibt. Die Vorteile der klaren Bestimmung der Kompetenz und der Anordnungsrechte werden mit den Vorteilen der Spezialisierung verbunden. Unter dem EinfluB der Entscheidungstheorie stoBt das Stab-Linien-Prinzip heute auf Kritik und Ablehnung. Die ideale Unterteilung der Entscheidungsprozesse in Entscheidungsvorbereitung (Stab) und Entscheidung (Linie) und die darauf zugeordnete Kompetenz und Verantwortung tragt den real ablaufenden Entscheidungsprozessen mit ihren vielfaltigen EinfluB- und Machtbeziehungen nicht Rechnung. Eine Kongruenz von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung ist nicht gegeben6).

n. Weiterentwicklungen derad~tivenOrg~atioDSkonzeption

Die Weiterentwicklung des administrativen Ansatzes ist gekennzeichnet durch die Betrachtung der Organisation als Formalproblem einer Soll-Rege4) VgI. Fayol, H., Allgemeine und industrielle Verwaltung, Miinchen, Berlin 1929, S. 8 und 34 ff. 5) Vgl. ebenda, S. 4. 8) Zur ausfiihrlichen Kritik am Stab-Linien-Prinzip vgL S. 179 dieser Arbeit.

72

Ansittze organisationswissenschaftticher Forschung

lung. Es werden Organisationsgrundsatze oder -prinzipien aufgesteIlt und systematisiert, die das organisatorische GestaItungshandeln leiten sollen. 1m einzelnen zeichnet sich diese Richtung durch folgende Methodik aus: Es wird von einer vom Markt gegebenen Unternehmungsgesamtaufgabe ausgegangen, die in einem AnalysenprozeB in Teilaufgaben zerlegt wird. Das eigentliche Organisationsproblem besteht darin, diese Teilaufgaben zu Aufgabeninhalten fur gedachte Aufgabentrager (personen) in einzelnen Stellen zusammenzufassen. Die Stellen werden zu Abteilungen verbunden und die Abteilungen wiederum ubergeordneten Einheiten zugeordnet. Die organisatorischen MaBnahmen sind an der Erfiillung der Unternehmungsaufgabe (Sachziel) und den Kriterien der Wirtschaftlichkeit und RentabiIitat (Formalziele) zu orientieren. Als Vertreter dieses klassischen Ansatzes sind im anglo-amerikanischen Raum Robinson, GuIick-Urwick, Mooney-Reiley, Brech, K 0 0 n t z und 0' Don n e 1 17) zu nennen. In Deutschland hat Nor d s i e c k 8) diese Richtung begriindet. Als profiIiertester Vertreter ist K 0 s i 0 18) anzusehen, der wohl das anspruchsvollste System entwickelte. Der Ansatz von K 0 s i 0 I geht methodisch von einer gedanklichen Abstraktion zweier real verbundener Seiten des Tatbestands Organisation aus, einer Aufbau- und einer Ablaufbetrachtung. Aufbauorganisatorische Gestaltungsprobleme konzentrieren sich dabei auf die Strukturierung der Unternehmung als Gebilde (Gebildestrukturierung, Strukturierung des Potentialgefuges), ablauforganisatorische Gestaltungsprobleme stellen auf die Strukturierung der in der Unternehmung ablaufenden Arbeitsprozesse (prozeBstrukturierung, Strukturierung des Aktionsgefuges) ab10). Ausgangspunkt organisatorischer Gestaltung ist die Aufgabe, die im Kosiolschen System als organisatorischer Zentralbegriffl l) zu sehen ist. Der organisatorischen Gestaltung geht als notwendige Vorstufe die Aufgabenanalyse bei der Gebildestrukturierung und die ArbeitsanaIyse bei der ProzeBstrukturierung voraus. Die im Rahmen der Aufbauorganisation notwendige Auf gab e nan a I y s e - verstanden als Verfahren der Gliederung der betrieblichen Gesamtaufgabe in analytische Teilaufgaben erfolgt nach fun fan a 1 y tis c hen Prinzipien: VgI. Robinson, W., Fundamentals of Business Organization, New York 1925; Gulick, L., Urwick, L. (Hrsg.), Papers on the Science of Administration, New York 1937; Urwick, L., Scientific Principles and Organization, New York 1938; Mooney, J. D., Reiley, A. C., The Principles of Organization, New York 1939; Brech, E. F. L., Organization, The Framework of Management, London-New York 1957; Koontz, H., O'Donnell, C., Principles of Management, New York - Toronto - London 1959. 8) VgI. Nordsieck, F., Grundlagen der Organisationslehre, a. a. O. 9) VgI. Kosiol, E., Organisation der Untemehmung, a. a. O. 10) VgI. Kosiol, E., Aufbauorganisation, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 173/174; Schweitzer, M., Probleme der Ablauforganisation in der Untemehmung, Berlin 1964, S. 34. 11) VgI. Kosiol, E., Grundlagen und Methoden der Organisationsforschung, 2. uberarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 1968, S. 25.

1)

Klassische Organisationstheorien

73

,,1. nach den Verrichtungen (nach Arten von Arbeitsprozessen) 2. nach den Objekten (nach Arten von herzustellenden oder zu bear-

beitenden Objekten) 3. nach dem Rang (nach Entscheidung und Ausflihrung) 4. nach der Phase (nach Planung, Realisierung und Kontrolle) 5. nach der Zweckbeziehung (nach exogener und endogener Zweckbeziehung)12). " Jede Teilaufgabe ist nach diesen Prlnzipien eindeutig zu kennzeichnen. Durch Anwendung dieser aufgabenanalytischen Prinzipien wird die komplexe Aufgabenstruktur in der Unternehmung evident. Ergebnis der Aufgabenanalyse sind die verschiedenen Aufgabengliederungspliine. Die Aufgabenanalyse ist lediglich als ein "analytischer ProzeB gedanklicher Zerlegung des empirisch gegebenen Aufgabenkomplexes1S)" zu verstehen und ist streng von der Aufgabensynthese, dem eigentlich konstruktiven organisatorischen Gestaltungsproblem, zu trennen. Die Auf gab ens y nth e s e folgt der Aufgabenanalyse und verkorpert das Problem der Vereinigung der analytisch gewonnenen Teilaufgaben zu aufgaben- und arbeitsteiligen Einheiten. Die daraus entstehende Auf b a u 0 r g ani sat ion stellt ein komplexes Gefiige unterschiedlicher Beziehungen oder Zusammenhange dar. Folgende von Kosiol genannten Zusammenhange oder Teilsysteme sind zwar in der organisatorischen Praxis untrennbar miteinander verbunden, werden aber zum besseren Verstandnis getrennt abgehandelt. Kosiol nennt flinf Zusammenhange: 1. Verteilungszusammenhang 2. Leitungszusammenhang 3. Stabszusammenhang 4. Arbeitszusammenhang 5. Kollegienzusammenhang14). 1m V e r t e i 1 u n g s z usa m men han gals Grundsystem des Organisa-

tionsaufbaus vollzieht sich die synthetische Verteilung der Teilaufgaben auf einen gedanklich angenommenen Aufgabentrager. Die entstehende Verteilungseinheit heiBt Stelle, verstanden als personenunabhangiger, versachlichter Aufgabenkomplex. Die Prinzipien bei der Bildung und Verteilung von Aufgaben sind zugleich Zentralisations- bzw. Dezentralisationsprinzipien. "Zentralisation (Dezentralisation) bedeutet die Zusammenfassung (Trennung) von Teilaufgaben, die hinsichtlich eines Merkmals gleichartig sind15)." Zentralisation bzw. Dezen12) Ebenda, S. 48. Ebenda, S. 48. 14) Vgl. Kosiol, E., Organisation der Unternehmung, a. a. 0., S. 77 ff. 15) VgI. ebenda, S.81.

11)

74

Ansiitze organisationswissenschaj'tlicher Forschung

tralisation umfassen stets ein Zentralisations- bzw. Dezentralisationsobjekt und ein Zentralisations- bzw. DezentralisationsziePG). "Objekte der Zentralisation (Dezentralisation) sind die Teilaufgaben bzw. Bestandteile von Teilaufgaben (Aufgabenelemente), die zentralisiert (dezentralisiert) werden. Zie1e der Zentralisation (Dezentralisation) sind die Organisationseinheiten (Ste1len oder Abteilungen), in deren Aufgabenbereich die Zusammenfassung (Trennung) der Teilaufgaben erfolgt17)." Die Zentralisations- und Dezentralisationsprinzipien ergeben sich aus der Person, der die Aufgaben iibertragen werden, den fiinf aufgabenanalytischen Merkmalen (Verrichtung, Objekt, Rang, Phase, Zweckbeziehung) und den weiteren Aufgabenmerkmalen Sachmittel, Raum und Zeit. Der Lei tun g s z usa m men han g baut auf dem Verteilungszusammenhang der Aufgaben auf und fiihrt eine Verkniipfung von Stellen und Abteilungen durch ihre rangma6ige Zuordnung ein. Damit treten Rangbeziehungen zwischen den Organisationseinheiten in den Mittelpunkt der Betrachtung. Sie entstehen durch eine personale Trennung von Entscheidungs- und Ausfiihrungsaufgaben, d. h. Leitungsbeziehungen treten nur im FaIle der 'Oberordnung von Entscheidungsaufgaben iiber Ausfiihrungsaufgaben auf. Leitung la6t sich durch vier spezifische Leitungsmerkmale kennzeichnen: (1) SchOpferische Eigeninitiative

(2) Fremdentscheidung (3) Anordnung (4) Fremdverantwortung18). Elementarer Bestandteil der Leitung ist ihre Kompetenzausstattung, die sich in einer Entscheidungskompetenz und einer Anordnungskompetenz niederschUigt19). Aile SteIlen, die iiberwiegend Leitungsfunktionen wahrnehmen, werden als Instanzen bezeichnet20). Die Zusammenfassung mehrerer Stellen mit einer Leitungseinheit (Instanz), die insbesondere die Koordination und Integration des Gesamtaufgabenkomplexes zu verantworten hat, bildet eine Abteil ung. Fiir die Ins tan zen b i I dun g sind spezielle Prinzipien der Instanzenbildung neben allgemeinen Grundsatzen der Stellenbildung heranzuziehen. Aufgabentragerbezogene Prinzipien der Instanzenbildung stellen auf die personalen Eigenheiten der Instanzeninhaber ab, wobei sie sich am durchVgl. Bleicher, K., Zentralisation und Dezentralisation, in: Handw6rterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 1803. 11) Kosiol, E., Organisation der Untemehmung, a. a. 0., S. 81. 18) VgI. Kosiol, E., Organisation der Untemehmung, a. a. 0., S. 101 ff. 18) Vgl. Gaugler, E., Instanzenbildung als Problem der betrieblichen Fiihrungsorganisation, a. a. 0., S. 191 ff. IG) Vgl. Ulrich, H., Die Verteilung und Zusammenfassung von Leitungsfunktionen, Ie)

BFuP, Jg. 17, 1965, S. 197 ff.

Klassische Organisationstheorien

75

schnittlichen quantitativen und qualitativen Leistungspotential und an der "normalen" Leistungsbereitschaft des Instanzeninhabers ausrichten. 1m Detail lassen sich folgende Gesichtspunkte unterscheiden: _. die 'Oberschaubarkeit des Aufgabenbereiches; - die Ausrichtung der Fiihrungsteilaufgaben an der normalen Leitungskapazitat des Instanzeninhabers; - die Normaleignung al8 Aspekt des qualitativen Leistungspotential8 des Instanzeninhabers; - die Kontrollspanne oder Subordinationsquote; - die Identifikation und die Homogenitat des Aufgabenkombinats. Aufgabenbedingte Prlnzipien der Instanzenbildung sind die Anpassungsfiihigkeit des Aufgabenkombinats von Instanzen im Hinblick auf Umweltveranderungen, die Wahrung der aufgabenbedingten Wirkungszusammenhange und der Grundsatz der Kongruenz von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung21 ). Das S tab s s y s t e m wird als Hilfssystem des Leitungszusammenhangs betrachtet. Die Bildung von Staben wird dann notwendig, wenn die Instanzen arbeitsmiiBig ihre quantitative (Erreichen der Arbeitsgrenze) undloder qualitative Kapazitatsgrenze (Erreichen der Wissensgrenze) erreicht haben. Stabsstellen konnen als Hilfs- und Entlastungsorgane der Leitung angesehen werden22). Folgende Grundmerkmale sind fiir Stabsstellen charakteristisch2S): -

-

-

Stabsstellen bzw. Stabsabteilungen sind Assistenz- und Entlastungsorgane der Leitung. Der Aufgabeninhalt von Stabstatigkeiten leitet sich aus der Leitungsaufgabe der Instanz ab, d. h. Stabsaufgaben sind von iibergeordneten Fiihrungsaufgaben abhangig. Stabsstellen sind jeweils der zu unterstiitzenden Instanz unmittelbar unterstellt, konnen aber auch anderen Stellen informative und beratende Serviceleistungen anbieten. Stabsstellen verfiigen im Normalfall iiber keinerlei Anordnungsbefugnisse auBerhalb der eigenen Stabsabteilung.

VgI. Gaugler, E., Instanzenbildung als Problem der betrieblichen Fiihrungsorganisation, a. a. 0., S. 120 ff.; Schwarz, H., Instanzen, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 757. 21) Vgl. Petry, W., Stabsstellen in industriellen GroBunternehmungen, Diss. Koln 1959, S. 51; Staerkle, R., Stabsstellen in der industriellen Unternehmung, Bern 1961, 21)

S.34.

Vgl. Altfelder, K., Stabsstellen und Zentralabteilungen als Formen der Organisation der Fiihrung, Berlin 1965, S. 82 ff.; Jaggi, U., Das Stabsproblem in der Unternehmung. Gestaltung der Stiibe und ihre Funktion in der Unternehmungspraxis, Berlin 1969, S. 30 ff.; Petry, W., Stabsstellen in industriellen GroBunternehmungen, a. a. 0., S. 60 ff.; Staerkle, R., Stabsstellen in der industriellen Unternehmung, a. a. 0., S. 34 ff.

28)

Anslttze OTganisationswissenscha:f1;Ucher Forschung

76

Der Arb e its z usa m men han g ergibt sich aus den fiir einen zusammenhangenden ArbeitsprozeB notigen standigen Arbeitsbeziehungen zwischen den einzelnen Stellen und Abteilungen. Diese iiuBem sich im Austausch von Arbeitsobjekten zwischen den jeweiligen organisatorischen Einheiten. Ankniipfend an die in der Untemehmung vorhandenen Giiterkategorien24) lassen sich idealtypisch unterschiedliche Arbeitsbeziehungen nach der Art der ausgetauschten Arbeitsobjekte unterscheiden. Materielle Arbeitsbeziehungen zwischen Organisationseinheiten liegen beim Austausch von materiellen Realgiitem (z. B. Werkstiicke, Halbfabrikate), immaterielle Arbeitsbeziehungen beim Austausch immaterieller Realgiiter vor. Der Austausch und die Weiterleitung von Iniormationen, verstanden als immaterielle Realgiiter, fiihrt zur Bildung von Kommunikationsbeziehungen als bedeutendster Aspekt im Rahmen des Arbeitszusammenhangs. Es lassen sich noch nominale Arbeitsbeziehungen beim Austausch von Nominalgiitem (Geld) unterscheiden. Der K 0 11 e g i e n z usa m men han g, als Sonderfall des Kommunikationssystems, tritt dann auf, wenn unstandige, zeitlich begrenzte Arbeitsbeziehungen zwischen den Aufgabentriigem in besonderen Zusammenkiinften auftreten. Kollegien sind Personenmehrheiten aus unterschiedlichen Stellen, die durch riiumliche und zeitliche Konzentrierung der Zusammenarbeit tiitig werden (Kommissionen, Ausschiisse, Komitees, Konferenzen usw.). Kosiol typisiert Kollegien nach dem Kriterium ihres kommunikativen Zweckes, wobei er zwischen entscheidungsvorbereitenden Kollegien, Entscheidungs- und Durchfiihrungskollegien unterscheidet, die in reiner oder gemischter Form auftreten konnen!5). Hinsichtlich der Stellung der Kollegien zum Kommunikationssystem lassen sich Kollegien als Kommunikationsverbindung von hierarchisch verbundenen Stellen, als Kommunikationsverbindung von ranggleichen Stellen, als Kommunikationsverbindung von Stellen unterschiedlichen Ranges und als Kommunikationsverbindung unabhiingig vom Stellenaufbau unterscheiden26). Existieren in der Untemehmung diverse Kollegien, die miteinander kommunikativ in Verbindung stehen, so kann man von einem eigenen Kollegiensystem der Unternehmung sprechen27). An die Aufbaubetrachtung schlieBt sich die Ablaufbetrachtung an, die sich wiederum in eine Analyse und Synthese untergliedert. Die A b 1 auf 0 r g ani sat ion zielt auf eine Strukturierung der in Raum und Zeit fortschreitenden Arbeitsprozesse abo Die Strukturierungsvorgange erfolgen auf das Ziel, die kiirzeste Durchlaufzeit aller Bearbeitungsobjekte 24) 15) H)

VgI. Kosiol, E., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 136 fi. VgI. Kosiol, E., Kollegien, in: Handworlerbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 818. VgI. Kanellopoulos, Ch. K., Kommunikation und Kollegialorgane, Berlin 1970,

S. 156 fi.

VgI. Kosiol, E., Organisation der Untemehmung, a. a. 0., S. 157 ff.; ders., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 97 ff.

21)

Klassische Organisationstheorien

77

undloder die optimale BeschiHtigung aller Arbeitstrager zu erreichen (Dilemma der Ablaufplanung). Die Arb e its a n a 1 y s e stellt unter Betonung des Erfiillungsmoments eine Verlangerung der Aufgabenanalyse dar. Sie erfolgt ma13geblich unter Verwendung der beiden Sachprinzipien Objekt und Verrichtung und setzt bei den Arbeitsteilen an, die durch eine Person bewaltigt werden. Die Arbeitsanalyse nach dem Objektprinzip gliedert aIle Arbeitsteile beliebiger Ordnung nach Objekten wie z. B. Produkten oder Arbeitsmitteln (Maschinen, Werkzeuge usw.), wahrend die Arbeitsanalyse nach dem Verrichtungsprinzip aIle Arbeitsteile tatigkeitsspezifisch untergliedert. Kosiol differenziert zwischen (reiner) Arbeitsanalyse und Arbeitsganganalyse. "Die Arbeitsanalyse in der reinen Form knupft unmittelbar an die Aufgabenanalyse an und stellt eine tiefere Untergliederung der analytischen Arbeitsteile h6chster Ordnung (Teilaufgaben niedrigster Ordnung) dar ... Die Arbeitsganganalyse geht dagegen von dem Erfullungsakt einer synthetischen Stellenaufgabe, einem Arbeitsgang aus und zerlegt diesen synthetischen Arbeitsteil h6chster Ordnung28)." Beispiele fUr Arbeitsanalysen sind die sogenannte REFA-Gliederung 29), die Nordsieck-Gliederung 30) und die KosiolGliederung81 ), die im Gegensatz zu den beiden anderen als reine Arbeitsanalyse anzusehen ist. Die Arb e its s y nth e s e beinhaltet als Grundproblem die Bildung von Arbeitsgangen und ihre Zusammenfassung zu Arbeitsgangfolgen. Ein Arbeitsgang kennzeichnet eine bestimmte Verrichtung eines Arbeitssubjektes an einem bestimmten Objekt in einem raumlichen und zeitlichen Wirkungsbereich. Gangfolgen k6nnen Folgen gleichartiger oder verschiedenartiger Arbeitsgange sein. Die Arbeitssynthese wird von drei verschiedenen, sich bedingenden Blickpunkten aus vollzogen: der Arbeitsverteilung (personale Synthese), der Arbeitsvereinigung (temporale Synthese) und der Raumgestaltung (lokale Synthese). Die Arb e its v e r t e i 1 u n g erfolgt in zwei Schritten. In einem ersten Schritt werden Arbeitsgange fUr ein gedachtes Arbeitssubjekt gebildet. In einem zweiten Schritt erfolgt die Arbeitsbesetzung, d. h. die Zuteilung einer bestimmten Arbeitsmenge auf eine wirkliche Person. Der konkreten Person wird hier unter Beriicksichtigung der Bedingungen, die von Sachmitteln 28) Schweitzer, M., Arbeitsanalyse, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp.92. 29) Siehe hierzu: Arbeitsgemeinschaft der Verbande rur Arbeitsstudien - REFA: Das REFA-Buch, Bd. 1: Arbeitsgestaltung, 9. AufI., Munchen 1960. 30) Siehe hierzu: Nordsieck, F., Betriebsorganisation. Lehre und Technik, 2. Bd., Stuttgart 1961; ders., Die schaubildliche Erfassung und Untersuchung der Betriebsorganisation, 6. Aufl., Stuttgart 1962. 31) Kosiol, E., Organisation der Untemehmung, a. a. 0., S. 208 ff.

78

Ansiitze organisationswissenschaftHcheT FOTschung

ausgehen, ein Leistungspensum, im allgemeinen ein "Normalpensum", zugeordnet. Die Arb e its v ere i n i gun g hat die zeitliche Koordinierung der Leistungen mehrerer Arbeitssubjekte zum Gegenstand. Ziel der Arbeitsvereinigung ist es, unter Beriicksichtigung der optimalen Durchlaufzeit aller Arbeitsobjekte die Leistungspensen der Arbeitssubjekte so abzustimmen, daB eine optimale Beschiiftigung - im Sinne einer gleichmaBigen Belastung der Arbeitssubjekte unter den gegebenen Bedingungen des Arbeitsprozesses - erreicht wird. Dies vollzieht sich in den folgenden Stufen32): (1) Reihung von Arbeitsgangen zu Gangfolgen, (2) Taktabstimmung fUr jede einzelne Gangfolge, (3) Abstimmung der Durchschnittstakte der Gangfolgen mehrerer Arbeitssubjekte und (4) Minimierung der organisatorischen Lager. Man spricht von einer Gangfolge bzw. Arbeitsgangfolge, wenn mehrere gleichartige oder ungleichartige Arbeitsgange, die eine Person oder ein sachliches Hilfsmittel ausfiihrt, aneinandergereiht werden. Nach der Reihung von Arbeitsgangen zu Gangfolgen ist eine Taktabstimmung notwendig, da man davon ausgeht, daB bei der Festlegung von Gangfolgen sowohl Verrichtungszeiten als auch ablaufbedingte Wartezeiten auftreten. Die Reihung dieser Tatigkeits- und Wartezeiten fiihrt zum Arbeitstakt. "Unter einem Takt in einer Gangfolge wird dann die Zeitspanne vom Beginn eines Arbeitsganges bis zum Beginn des nachsten Arbeitsganges verstanden33)." Dabei werden die auftretenden Ruhezeiten dem vorherigen Arbeitsgang zugeordnet. Mit Hilfe der Taktabstimmung solI ein kontinuierlicher Ablauf des Arbeitsprozesses erreicht werden. Es folgt die Stufe der Abstimmung der Durchschnittstakte der Gangfolgen mehrerer Arbeitssubjekte, was zugleich eine Abstimmung der Leistung dieser Arbeitssubjekte bedeutet. "Leistungsabstimmung einzelner Arbeitssubjekte bedeutet die Abstimmung der Durchschnittsleistungen der betreffenden Gangfolgen. Die Gangfolgen zweier Arbeitssubjekte sind miteinander abgestimmt, wenn ihre Durchschnittsleistungen gleich sind, d. h. wenn die Quotienten, die sich durch Division der Anzahl der Arbeitsgange je Gleichtakt durch die benotigte Zeit ergeben, fiir beide Gangfolgen gleich sind34)." Die Leistungsabstimmung hat dabei die durchschnittlichen Leistungen der iibrigen Gangfolgen auf die EngpaBgangfolge, die Gangfolge mit der minimalsten Durchschnittsleistung, auszurichten. Auf der letzten Stufe sind die organisatorischen Lager zu minimieren, da bei einer Abstimmung der Leistungen der Arbeitssubjekte zwar ein reibungs32)

VgI. ebenda, S. 215 ff.

33) Ebenda, S. 222. M)

Kosiol, E., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 106.

Klassische Organisationstheorien

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loser, aber nicht unbedingt schnellster Durchlauf der Objekte gewahrleistet werden kann. Ablaufbedingte Wartezeiten mfissen reduziert werden, um erhohte organisatorische Lagerbildung zu vermeiden. Die R a u m g est a 1 tun g hat die Anordnung und Ausstattung der ArbeitspIatze zum Gegenstand. Das Gestaltungshandeln ist an dem Ziel des kiirzesten Weges zu orientieren.

m. Organisationsprinzipien Die instrumentalistisch-finale Ausrichtung der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre im allgemeinen und des Ansatzes von Kosiol im speziellen fiihrte zur Ableitung von Aussagen grundsatzlicher Art fiber die organisatorische Gestaltung. Die Prinzipien oder Grundsatze der Organisation stellen "generelle Grundziele, Anforderungen, Leitlinien oder Orientierungspunkte dar, die das organisatorische Handeln im Hinblick auf die gewollten Zustande und Ablaufe lenken sollen35)". Sie sind jedoch keine Gesetze der Organisation im Sinne empirischer Allaussagen. Den Prinzipienzusammenhang der Gesamtorganisation nach Kosio!3 6 ) zeigt Abbildung 7. Rentabilitot

I

TechnizitCiI

I

ZweckmCiBigkeit

I -Esuperardination Koordinatian Aquiardination 1 . Subordination Teilung (Division)

Gleichgewicht I..

----.1-----1 -.r

ElastizilCiI

I

syntrse

Analyse

Aufg~ben-

I

I

StabilitCit}-

I

A~its- Aufg~ben-

analyse analyse synthese ''--_ _...--_ _....' (Gebildestrukturierung)

I

Prinzipien der Analyse

~

~~7!~ung Rang Phase

Zwack

~ Einung (Integration)

Arb~its-

synthese (PrazeSstrukturierung) Subjekt Verrichtung Objekt Mittel Rang Phase

Zwack -Raum/Zeit

Abbildung 7 Prinzipienzusammenhang der Gesamtorganisation Ebenda, S. 75. Vgl. Kosiol, E., Organisaton der Unternehmung, a. a. 0., S. 241. Zu anderen systematischen tlbersichten fiber Organisationsgrundsatze vgl. Bleicher, K., Grund35)

36)

80

Ansiitze organisationswissenscha;ftlicher Forschung

Die Abbildung laBt sich wie folgt verdeutlichen: 1. Als oberste Gestaltungsziele umschlieBen die formalen Ergiebigkeits-

kriterien der Rentabilitat und Technizitat das sachtechnische Prinzip der ZweckmaBigkeit und die Prinzipien Gleichgewicht und Koordination. Das Gleichgewicht oder das Erhaltungsprinzip wird von den polaren Prinzipien der Stabilitat und Elastizitat determiniert. Die Koordination umfaBt die Strukturhandlungen der Unter-, Gleich- und 'Oberordnung, der Division und Integration, Zentralisation und Dezentralisation. 2. Die Aufgaben- und Arbeitssynthese unterliegt den vorausgegangenen Prinzipien. Die synthetischen Gestaltungsakte werden durch die verschiedenen Syntheseprinzipien geleitet. 3. In gleicher Weise wird das vororganisatorische Analyseprogramm durch eine bestimmte Anzahl analytischer Prinzipien bestimmt.

IV. Biirokratiemodell Der praskriptive Ansatz der klassischen Organisationslehre ist eng verbunden mit dem idealtypischen Biirokratieansatz von Max Weber37). Das Biirokratiemodell versucht die Formulierung eines maximal zweckmaBigen Sol1schemas, namlich "wie der Herrschaftsstab im Faile legaler Herrschaft beschaffen sein miisse, um die wirksamste Herrschaftsausiibung zu gewahrleisten38)". Eine Kritik an dem empirischen Fundament ist daher bereits im Ansatz verfehlt, denn Weber behauptet nicht, daB die Merkmale seines Biirokratiemode11s empirisch fundiert sind, sondern nur, daB sie zusammen vorkommen mUBten, um eine maximal effiziente Organisationsform zu schaffen. Die Merkmale der Biirokratie39) liegen im einzelnen in der Betonung der Arbeitsteilung und Spezialisierung, der hierarchischen Autoritat, dem Zusammenfallen von Fachautoritat (Qualifikation) und Amtsautoritat (Gehorsatze der Organisation, in: Organisation, TFB-Handbuchreihe, hrsg. von E. Schnaufer, K. Agthe, Berlin - Baden-Baden 1961, S. 149-164; Nordsieck:, F., Organisationsprinzipien, in: Handworterbuch der Betriebswirtschaft, hrsg. von H. Seischab und K. Schwantag, 3. Aufl., Bd. III, Stuttgart 1960, Sp. 4253-4256; Schnutenhaus, O. R., Allgemeine Organisationslehre, a. a. 0., S. 128 ff.; Beensen, R., Organisationsprinzipien, Berlin 1969; Ruffner, A., Prinzipien der Organisation, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 1330-1339. 37) Vgl. Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, Koln - Berlin 1964. 38) Mayntz, R., Max Webers Idealtypus der Biirokratie und die Organisationssoziologie, in: Biirokratische Organisation, hrsg. von R. Mayntz, Koln - Berlin 1968, S.28.

Vgl. Bennis, W. G., Organizational Developments and the Fate of Bureaucracy, in: Readings in Organizational Behavior and Human Performance, hrsg. von L. L. Cummings, W. E. Scott, Homewood, Ill. 1969, S. 436.

39)

Klassische Organisationstheorien

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sam), der Dominanz der formalen Strukturaspekte und des regelgebundenen Verhaltens und in der Effizienzbehauptung. Die Fragwiirdigkeit der Aufstellung eines Idealtypus "Biirokratie" ist offensichtlich; daneben eroffnet jedoch der Ansatz von Weber die Moglichkeit, in empirischen Untersuchungen40 ) die Bedingungen festzustellen, unter denen das biirokratische Modell und seine Merkmalsauspragungen tatsachlich zweckmaBig sind.

B. Kritik Das grundsatzliche Anliegen der klassischen Organisationstheorie bestand in dem Versuch der Entwicklung eines regelgebundenen, prinzipienorientierten Zweckmodells 41 ). Das Zweck-Mittel-Schema schlieBt Widerspriiche im Handeln jedoch nicht aus. Die Organisationsmitglieder sind Personen mit eigenen Wiinschen und Zielen, die ihr Handeln nicht ausschlieBlich an den Zielen und Zwecken der Unternehmung ausrichten. Die Wirkungen sind nicht durch einfache lineare Kausalitat auf die Ursachen zuriickzufiihren. Deshalb wird im klassischen Ansatz versucht, die Zweckrationalitat mittels einer hierarchischen Gliederung von Befehlsgebung und -ausfiihrung sicherzustellen. Der hierarchische Aufbau entspricht dabei dem Befehlsmodell, das die Strukturierung iiber einen einzigen Kommunikationstyp vornimmt.

I. Methodische Pramissen Die Zweck-Mittel-Orientierung und Befehlsgebung abstrahiert von den EinfluBfaktoren oder Bedingungen organisatorischer Gestaltung. Die Aufgabenstrukturierung in Abhangigkeit von der EinfluBstruktur wird nicht untersucht. Das Organisationssystem wird von seinen Umweltbedingungen isoliert, indem die U m w e ltv e r hal t n iss e a 1 s r e 1 a t i v s tab i 1 unterstellt werden. Es werden die Riickwirkungen iibersehen, die sich aus den Umweltbeziehungen fiir die Organisation ergeben42). Daraus erklart sich die Sicherung der Stabilitat durch ein Maximum an Regelungen. Diese ermoglichen eine Verhaltenssicherheit und Vorhersehbarkeit, sofern die gesetzte Pramisse der Umweltstabilitat zutrifft. Die Beschrankung auf ein rationales Zweckmodell, das lediglich die Form der Struktur und nicht den Inhalt des Handelns zum Problem erhebt, unterstellt ein me c han i s tis c h - ins t rum e n tal e s Men s c hen b i 1 d. Vgl. u. a. Hall, R. H., Intraorganizational Structural Variation: Application of the Bureaucratic Model, in: Readings in Organizational Behavior and Human Performance, a. a. 0., S. 395-402. 41) Vgl. Luhmann, N., Zweck-Herrschaft-System, Grundbegriffe und Pramissen Max Webers, in: Biirokratische Organisation, a. a. 0., S. 39. 42) Vgl. ebenda, S. 38. 40)

6 Hoffmann

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Ansatze organisations'Wissenschaftlicher Forschung

Der Mensch wird als abstrakter Aufgabentrager gesehen, der sich in der Organisation rational und zweckgerecht verhiilt. Er internalisiert und identifiziert sich mit den Zie1en der Organisation (economic man). Der Individualitat des Menschen als sozialem Wesen wird nicht Rechnung getragen. Obwohl die klassische Organisationslehre die sozial-psychologischen Probleme erkannte, hat sie aus methodischen Griinden diese aus ihrem Untersuchungsgegenstand ausgeschlossen43). Es kam ihr nicht auf eine vollstandige Beschreibung der Wirklichkeit an, sondern auf die Ableitung organisatorischer Moglichkeiten in Form ideal-praxeologischer Aussagen. In gleicher Weise unbefriedigend ist die Betrachtung des Sac h mit tel s a 1 s Auf gab e n t rag e r. Resultierend aus dem technischen Entwicklungsstand wurde angenommen, daB vom Sachmittel kein EinfluB auf die Organisationsgestaltung ausgeht. Das Sachmittel wurde wie der Mensch a1s passiver Faktor betrachtet. B 1 e i c her hat diese unzulangliche Abstraktion in Anlehnung an Kosiol korrigiert. Die Gestaltung der Verteilungsbeziehungen vollzieht sich nach seiner Konzeption neben einer idealen simultanen Zuordnung von Aufgaben, Personen und Sachmitteln durch drei sukzessive Zuordnungsstrukturen"). Erstens, bei der au!gaben-orientierten Verteilungssystemgestaltung ("Organisation ad rem"), erfolgt die synthetische Zusammenfassung der Teilaufgaben unabhangig von konkreten Personen und Sachmitteln. Der Gestaltung liegt eine durchschnittliche menschliche und sachmittelmaBige Leistungsfahigkeit zugrunde. Die personelle Besetzung und die Sachmittelausstattung der Stelle erfolgt in einem gedanklich von dem ersten Gestaltungsakt losgelosten zweiten Gestaltungsschritt. Die Aufgabe determiniert die Anforderungen an Personen und Sachmittel. Die zweite Zuordnungsstruktur ergibt sich aus der personlichen Verteilungssystemgestaltung ("Organisation ad personam"). Die tatsachliche Leistungsfiihigkeit und der tatsachliche Leistungswille einer Person werden zum Kriterium der Aufgabenzuordnung und Sachmittelausstattung einer Stelle. Die Bildung der Stellen in der hoheren Unternehmungsebene vollzieht sich groBteils nach personaler Zuordnungsstruktur. Dieses Gestaltungsprinzip verkorpert ein nicht unwesentliches Mittel zur Gewinnung, Forderung und Erhaltung eines qualifizierten Mitarbeiterstammes. Die dritte Zuordnungsstruktur stellt die sachmittelorientierte Verteilungssystemgestaltung dar ("Organisation ad instrumentum"). Die zunehmende Automatisierung des Unternehmungsgeschehens iibt einen eigenstandigen 43) VgI. Kosiol, E., Organisation der Unternehmung, a. a. 0., S. 22. ") Vgl. Bleicher, K., Organisation und Filhrung der industriellen Unternehmung, in: Industriebetriebslehre in programmierter Form, Band III: Organisation und EDV, hrsg. von H. Jacob, Wiesbaden 1972, S. 56 ff.

Klassische Organisationstheorien

83

EinfluB auf die Organisationssynthese aus. Insbesondere der EinfluB elektronischer Datenverarbeitungsanlagen erzwingt groBteils zur Ausnutzung der Leistungsfiihigkeit eine Organisation um das SachmitteI(5). Entsprechend dem derzeitigen Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen und z. B. numerisch gesteuerter Werkzeugmaschinen begrenzt sich der Zwang zur sachmittelorientierten Gestaltung auf die unteren Unternehmungsebenen. Die drei moglichen Zuordnungsstrukturen zeigen in ihrer wechselseitigen Anwendung auf die Gestaltung einzelner Stellen die Beriicksichtigung und Bedeutung sozial-psychologischer Faktoren und die Aufhebung des Sachmittels als passiver Faktor. Einer generalisierenden und abstrakt-isolierenden Betrachtung wird dadurch Einhalt geboten. Die Abstrahierung von den Umweltbeziehungen des Organisationssystems unterstellt sowohl die Gestaltungsziele der Rentabilitat und Technizitat als auch die Unternehmungsaufgabe als gegeben(6). Zielbildungs- und Zielbeziehungsuntersuchungen waren nicht von erkenntnistheoretischem Interesse. Die abgeleiteten Teilaufgaben aus der Unternehmungsgesamtaufgabe waren somit eindeutig definiert. Eine Operationalisierung der Nominaldefinitionen wurde durch diese Unterstellung verhindert. Die Charakterisierung der Aufgaben im Rahmen der Aufgabenanalyse ist jedoch keineswegs interpersonell eindeutig47). Verschiedene Personen konnen durchaus aufgrund ihrer Erfahrung bei der Anwendung der Analysekriterien zu unterschiedlichen Teilergebnissen kommen. Desgleichen fehlt eine Typisierung der Aufgaben, wie z. B. kurz- oder langfristig, strukturiert oder unstrukturiert, die unterschiedliche Gestaltungsstrukturen erfordert. Ein weiterer methodischer Fehler liegt in der Abstraktion zwischen der Aufbau- oder Strukturorganisation und der Ablauf- oder ProzeBorganisation. Jede dieser real verbundenen Seiten wird fUr die andere als unproblematisch, gegeben, vorausgesetzt. In jiingster Zeit wird diese gedankliche Trennung durch W i I d im Rahmen der klassischen Methodik zu vermeiden versucht48). Ausgehend von dem Begriff der Aktion wird die Gesamtheit der zur Erreichung des Sachziels notwendigen Aktionen durch eine Aktionsanalyse in Aktionsteilphasen zerlegt. Als Analyseprinzipien werden die Aktionselemente Verrichtung, Objekt und Arbeitsmittel sowie die Phasen der Planung, Entscheidung, DurchfUhrung, Kontrolle und Kommunikation herangezogen. Die Aktionssynthese fixiert die noch offenen Bestimmungsmerkmale der Aktion zur AktionsstrukVgl. S. 271 ff. dieser Arbeit. Vgl. Hill, W., Zur Entwicklung der Theorie der Unternehmungsorganisation, in: Beitrage zur Lehre von der Unternehmung, Festschrift fUr K. Kafer, hrsg. von O. Angehrn, H. P. Kiinzi, Stuttgart 1968, S. 235. (1) Vgl. Kieser, A., Zur wissenschaftlichen Begriindbarkeit von Organisationsstrukturen, a. a. 0., S. 242. (8) Vgl. Wild, J., Grundlagen und Probleme der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre, a. a. 0., S. 115 ff. 45)

(6)

6*

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Ansiitze organisationswissenschaftUcher Forschung

tur des Geruges. Entsprechend der unbestimmten Aktionselemente Person, Zeit und Raum erfordert die vollstiindige Bestimmung der Aktionen eine personale, eine temporale und eine lokale Aktionssynthese. Die einzelnen Aktionssynthesen sind aufgrund ihrer gegenseitigen Abhiingigkeit simultan zu vollziehen. Aufbau- und Ablauforganisation sollen in einem umfassenden Gestaltungsakt simultan bestimmt werden. Die Struktur des Aktionsgeruges impliziert dann die Ablauforganisation vollstiindig49). Der organisatorische GestaltungsprozeB wird logisch den realen Gegebenheiten angepaBt. Eine gedankliche Heraushebung der Stellen und ihrer Beziehungen n a c h erfolgter Bestimmung des Aktionsgefuges ist davon unabhiingig. Die isolierende Abstraktion bleibt ein fruchtbares methodisches Instrument, soweit es um die Beziehungsmuster in Organisationen geht.

ll. Pragmatische Priimissen Eine spezielle Kritik an dem klassischen Ansatz richtet sich auf deren pragmatische Gestaltungsaussagen. Diese umfassen die 0 r g ani sat ion s g run d sat z e oder - p r i n zip i en, die im Wege "rationaler Einsicht" gewonnen werden, in dem Nominaldefinitionen direkt in praxeologische Aussagen umgeformt werden. Die Grundsatze oder Prinzipien lassen sich drei Klassen zuordnen: ,,(1) bloBe, aus der jeweiligen Zielsetzung abgeleitete Normen ohne handlungsbezogene Aussage (z. B. Wirtschaftlichkeit, Kostensenkung), (2) nicht operationale, d. h. nicht klar definierte Aussagen (z. B. Gleichgewicht, Elastizitat), (3) Handlungsanweisungen, die empirisch nicht fundiert sind (z. B. "Einheit der Auftragserteilung", "optimale" Span of Control)50)". Diese Klassifikation zeigt die Unzulanglichkeit der Organisationsgrundsatze auf. Kein Organisationsgrundsatz dieser Klassen erfullt den Anspruch wissenschaftstheoretischer Kriterien. Vielmehr stellen sie entweder bloBe Postulate dar oder geben Organisationsmoglichkeiten an, ohne die Anwendungsbedingungen zu spezifizieren. "AIle diese Grundsatze geben immer nur an, daB bei der Losung einer organisatorischen Aufgabe in dieser oder jener Weise verfahren werden konne. Sie zeigen Moglichkeiten auf, wie man sich organisatorisch verhalten kann, nicht dagegen, wie man sich verhalten muB51)." Die Grundsatze sind zumeist empirisch nicht fundiert, sondern stellen plausible Vermutungen, Annahmen, Behauptungen oder Erfahrungsregeln dar. Einerseits sind sie zu allgemein formuliert und tendieren Vgl. Miiller-Merbach, H., Operations Research (V), Chancen fur mehr Effizienz in der Unternehmungsorganisation, Wirtschaftswoche, 26. Jg., 1972, Nr. 18, S. 41-46. 50) Frese, E., Wirtschaftlichkeit und Organisation, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 1794 f. 51) Gutenberg, E., Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, 1. Bd., Die Produktion, a. a. 0., S. 174; vgl. auch Wild, J., Grundlagen und Probleme der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre, a. a. 0., S. 181 ff.; March, J. G., Simon, H. A., Organizations, a. a. 0., S. 30 ff.; Blohm, H., Die Gestaltung des betrieblichen Berichtswesens als Problem der Leitungsorganisation, Herne - Berlin 1970, S. 40 ff.

48)

KZassische Organisationstheorien

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zu einer Tautologie ("der richtige Mann an den richtigen Platz"), andererseits ist ihr Anwendungsbereich eng, ohne daB dieser in der WennKomponente expliziert wird ("Wenn die Kontrollspanne zwischen 3 und 6 liegt, dann ist die Leistungswirksamkeit der Organisation groBer als bei jeder anderen Kontrollspannenregelung"). Der eingeschriinkte Gultigkeitsbereich der Grundsiitze ist dabei in der Regel positiv mit deren Bestimmtheit korreliert. Trotz der wissenschaftstheoretischen Einwiinde gegen die Organisationsgrundsatze sind diese nicht wertlos fUr die organisatorische Theorie und Praxis. Der the 0 ret i s c h e Wert der Organisationsgrundsatze als Handlungsanweisungen kann darin gesehen werden, daB sie unter genauer Angabe der Randbedingungen als nomologische Hypothesen bei der Theoriebildung Verwendung finden konnen. Die Inhalte der Organisationsgrundsiitze gehen in die Wenn-Komponente ein, das Gestaltungsziel in die Dann-Komponente. Die Grundsiitze bilden die Ausgangsbasis zur Erforschung der Bedingungen, unter denen die entsprechenden Hypothesen (Grundsiitze) Gultigkeit besitzen. Fur die p r a k tis c h e Organisationsarbeit sind die Grundsiitze an ihrem Handlungserfolg zu messen. Widerlegte und kontriire Hypothesen konnen durchaus in bestimmten Anwendungsbereichen praktisch brauchbare, approximativ richtige Resultate liefern. 80 schreibt 8 c h nut e n h au s : "Die Befolgung des Grundsatzes hat die Wahrscheinlichkeit fUr sich, leichter zum Ziel zu fiihren und mit der Befolgung Vorteile irgendwelcher Art zu erreichen52 )". Die Organisationsgrundsiitze haben deshalb sowohl theoretisch als auch praktisch ihre Bedeutung nicht verloren, lediglich ihr 8tellenwert ist fUr die Theorie und Praxis unterschiedlich.

m. Aussagengebalt und Erweiterungen Der Erkenntnisstand des klassischen Organisationsansatzes ist zusammengefaBt in der Entwicklung eines definitorischen Bezugsrahmens und idealer Beschreibungsmodelle zu sehen. Die Bedeutung als beg r iff 1 i c h - the 0 ret i s c her B e z u g s r a h men liegt in der heuristischen Effizienz zur Formulierung und Losung praktischer Probleme begriindet. "Bezugsrahmen erleichtern es dem Praktiker, akzeptable Problemdefinitionen zu formulieren, komplexe Probleme in einfachere Teilprobleme zu zerlegen und hierfUr Losungshypothesen zu generieren53)." Die Bedeutung idealer Be s c h reibun g s mod e 11 e liegt in derselben Aufgabenerfiillung, um so mehr, "weil Schnutenhaus, O. R., Allgemeine Organisationslehre, a. a. 0., S. 23. Kirsch, W., Entscheidungsprozesse, Dritter Band: Entscheidungen in der Organisation, Wiesbaden 1971, S. 242.

52) 53)

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Ansiitze organisationswissenschaftticher Forschung

wir wissen, daB wir sie kritisieren, nicht aber, wie wir sie ersetzen kon-

nen54)". Der Idealtypus der Biirokratie entwickelte in seiner Anwendung auf die organisatorische Praxis eine derartige Dynamik, daB eine auf den Idealtypus bezogene Kritik allzuoft an den praktischen Realisationen vorbeigeht.

Die Unzulanglichkeit des methodischen Ausgangspunktes des klassischen Ansatzes, den komplexen Tatbestand der Realitat durch ein spezifisches erkenntnistheoretisches Auswahlkriterium isolierend zu erfassen, wurde in jiingster Zeit von dessen Vertretem gesehen. So schreibt K 0 s i 0 I: "Es ist deshalb im Zusammenhang mit Fragen praktischer Organisation erforderlich, die Erkenntnisse der verschiedensten Fachdisziplinen, die sich der Realerscheinung der Organisation widmen, wechselseitig nutzbar zu Machen und im Hinblick auf das zu losende Problem zusammenzustellen und zu verkniipfen (zu synthetisieren)55)." Folgerichtig nimmt Kosiol im AnschluB an seine idealtypische Bildung der Beziehungszusammenhange eine Determination weiterer Organisationsparameter vor. Als EinfluBgroBen werden Programm und Verfahren, exteme Institutionen und der Mensch als soziales Wesen untersucht56). Der Integration technischer, sozialer und okonomischer Aspekte wird damit in einer zweiten Stufe Rechnung getragen. Die Bedeutung der abstrakt-isolierenden Methodik des klassischen Ansatzes liegt in der Vereinfachung der Problemstruktur fiir begriffliche, deskriptive und explorative Studien. Die Problemlosung seIber erfordert eine Synthese der isolierten Aspekte. Die Aussagen der Klassiker sind demzufolge als Vorstufe zur Theoriebildung anzusehen.

54) Luhmann, N., Zweck-Herrschaft-System, a. a. 0., S. 46. 55)

Kosiol, E., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 71.

58) Vgl. ebenda, S. 108 ff.

Zweites Kapitel

Neoklassische Organisationstheorien Die neoklassischen Organisationstheorien sind von zwei entwicklungsgeschichtlichen Tatbestanden bestimmt, dem Taylorismus und der Betriebssoziologie. Der Taylorismus mit seiner mechanistischen Betrachtungsweise forderte Kritik und Gegenkrafte heraus. Neben der betrieblich-technischen Umwelt wurde die menschlich-soziale Gruppenumwelt als EinfluBfaktor der menschlichen Arbeitsleistung erkannt. Die individuelle menschliche Arbeitsleistung im Rahmen der menschlich-sozialen Gruppenumwelt bildet den Untersuchungsgegenstand der Neoklassik, deren Weiterentwicklung heute den Hauptgegenstand der modernen Industrie- und Betriebssoziologie bildet. Die Behandlung der N eoklassik erfolgt in der von Leavitt vorgetragenen Unterteilung in "manipulativ personale Ansatze" und in "Macht-AusgleichsAnsatze"l). Diese Unterteilung ist sowohl entwicklungsgeschichtlich begriindet als auch sachlich. Die manipulativ personalen Ansatze der friihen Neoklassik lieBen die strukturell bedingte Variable Macht unberiicksichtigt. Erst die Weiterentwicklung dieser Ansatze in Gestalt der Macht-Ausgleichs-Ansatze fiihrte zu einer Beriicksichtigung der Variablen Macht und deren Auswirkungen auf die Organisationsstruktur.

A. Manipulativ personale Ansiitze Die Neoklassik betrachtet die Organisation als soziales Gebilde, in der die Gruppe als organisiertes Beziehungsgebilde sowie die soziologische und psychologische Fragestellung nach den intra- und interpersonalen Beziehungen, Prozessen und Gebilden im Vordergrund stehen. Die Verkniipfungsmuster der Handlungselemente sowie deren Verhaltensweisen, die nicht mit Riicksicht auf die formal definierten Ziele bzw. Zwecke einer sozialen Organisation bewuBt geplant und organisiert worden sind, werden als i n for mal e Gruppen, Beziehungsmuster oder Gebilde 2) bezeichnet. 1) Vgl. Leavitt, H. J., Applied Organizational Change in Industry: Structure, Technological and Humanistic Approaches, in: Handbook of Organizations, a. a. 0., S. 1152 ff. 2) Vgl. Kluth, H., Soziologie der GroBbetriebe, Stuttgart 1968, S. 44; Ziegler, R., Organisation, informale, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 1094 ff.; Konig, R., Die informellen Gruppen im Industriebetrieb, in: Organisation, TFBHandbuchreihe, a. a. 0., S. 55 ff.; Selznick, Ph., The Informal Organization, in: Organizations, Structure and Behavior, Vol. I, Second Edition, hrsg. von J. A. Litterer, New York - London 1969, S. 197-199.

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Ansiitze organisationswissenschaftlicher Forschung

I. Methodik Die informale Organisation bildet den Ausgangspunkt des Untersuchungsgegenstandes der fruhen manipulativ personal ausgerichteten Neoklassik. Die informale Organisation wird neben die formale Organisation der klassischen Organisationstheorie gestellt, wobei das Erkenntnisinteresse im Rahmen informaler Organisationen maBgeblich auf die Leistungskriterien der Zufriedenheit der Organisationsmitglieder und der Produktiviti:it der Organisation ausgerichtet ist. Zur Erfassung informaler Beziehungen finden soziometrische Untersuchungsmethoden Verwendung. Des weiteren stellen die Ruckwirkungen der Autoritiitsstruktur auf die informale Organisation die Erforschung der Konfliktursachen und die Entwicklung von Losungsansiitzen die wissenschaftliche Zielsetzung dieser Richtung dar.

1. Informale Organisation Die informale Organisation wird im einzelnen gepriigt von den personlichen Wunschen und Erwartungen ihrer Mitglieder, dem Netz sozialer Beziehungen, das auf personlichen Sympathien und Gemeinsamkeiten ihrer Mitglieder aufbaut, und ihrer spontanen, situationsabhiingigen Entstehung. Die informale Organisationsbetrachtung der Neoklassik geht auf May 0, Roe t h Ii s b erg e r, D i c k son und W hit e h e a d zuruck3). Ihre in den Haw tho r n e - W e r ken der Western Electric Company in Chicago durchgefUhrten Untersuchungen begriindeten die Hum a n - ReI a t ion s B ewe gun g. Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen bildeten die arbeitsphysiologischen EinfluBfaktoren auf die Produktivitiit der Arbeit. Bereits die ersten Experimente uber den EinfluB der Beleuchtung auf die Produktivitiit erbrachten inkonsistente Ergebnisse. Die Arbeitsleistung stieg in der Testgruppe wie erwartet an; jedoch ebenfalls in der Kontrollgruppe, trotz unveriinderter Bedingungen. Die Versuche im "Relay Assembly Test Room" widerlegten dann eindeutig die Hypothesen der direkten Beziehung zwischen Arbeitsbedingungen und Produktivitiit. Die Leistung stieg selbst dann noch an, als die Vergiinstigungen (Arbeitspausen, Arbeitszeitverkurzungen) ruckgangig gemacht wurden. Diese kontriiren Erwartungen fUhrten zur Analyse der sozialen Beziehungen und zur Analyse der Bedingungen fUr das Entstehen informaler Gruppen.

2. Znfriedenheit nnd Produktivitat Die informale Organisation erscheint bei Roethlisberger-Dickson neben der formalen Organisation als Teil der sozialen Organisation, die neben der indi3) Vgl. Mayo, E., The Human Problems of an Industrial Civilization, 2. Aufl., Boston 1946; Roethlisberger, F. J., Dickson, W. J., Management and the Worker, Cambridge/Mass., 1939; Whitehead, T. N., The Industrial Worker, 2 Bde., Cambridge/Mass. 1938.

N eoklassische Organisationstheorien

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viduellen Sphare die menschliche Organisation ausmacht. Letztere steht im Gegensatz zur technischen Organisation4). Die menschliche und technische Organisation wird dabei in Anlehnung an Bar n a r d weitgehend mit den Zielsetzungen der Z u f r i e den h e i t ("efficiency") unter den Organisationsmitgliedern und der okonomischen Pro d u k t i v ita t ("effectiveness")5) identifiziert. Dabei wird von der Neoklassik eine positive Korrelation zwischen diesen beiden Zielen postuliert. Der zufriedene Arbeiter ist zugleich ein produktiver Arbeiter. Die Befriedigung sozialer und psychologischer Bediirfnisse motiviert den Arbeiter somit zu groBerer Produktivitat. Auf die Erhohung der Produktivitatsleistung mittels geeigneter sozialer Bedingungskonstellationen richtete sich das praxeologische Aussagensystem der Neoklassik. Die abgeleiteten Handlungsregeln und Verhaltensempfehlungen bauen maBgeblich auf der Hypothese eines Zusammenhangs zwischen Zufriedenheit und Produktivitat auf. Die einfache, direkte Beziehung zwischen Zufriedenheit und Produktivitat konnte weder in empirischen Untersuchungen eine Bestatigung finden 6) noch kann sie in dieser Direktheit, ohne die Beriicksichtigung intervenierender Variablen7 ), akzeptiert werden. Die Beziehung zwischen Produktivitat und Zufriedenheit wird von den unterschiedlichsten komplementaren und konkurrierenden EinfluBgroBen bestimmt; so beispielsweise der Bediirfnisstruktur des Individuums, der Gruppennorm, -kohasion, -groBe, der skalaren Organisation (formalen Organisation) oder der Verteilung von Kompetenz und Autoritat, dem Statussystem, das den relativen Rang einer sozialen Position gemaB der Wertvorstellungen der Mitglieder angibt, und darauf bezogen der sozial-organisatorischen Umwelt selbst. Die Vielfalt der EinfluBfaktoren hat bis heute eine befriedigende Klarung des Zusammenhanges zwischen Zufriedenheit und Produktivitat verhindert.

3. Soziometrische Analyse Die methodische Untersuchung der informalen Beziehungen hat eine wesentliche Befruchtung durch die S 0 z i 0 met r i e erfahren. Der Begriinder M 0 r e n 0 8) verstand die Soziometrie nicht als eine spezielle Forschungs4) Vgl. Roethlisberger, F. J., Dickson, W. J., Management and the Worker, a. a. 0.,

S. 565 f.

5) Vgl. Barnard, Ch. I., The functions of the executive, 1. Aufl., Cambridge/Mass.,

1938, S. 56 f. und S. 91 ff.

6) Vgl. Morse, N. C., Reimer, E., The Experimental Change of a Major Organiza-

tional Variable, Journal of Abnormal and Social Psychology, Vol. 52, Nr. 1, 1956; Kahn, R. L., Productivity and Job Satisfaction, Personnel Psychology, Vol. 13, 1960, S. 275-287; Klein, S. M., Luytjes, J., Schaupp, D., Participative Management in the United States - A Corporate Experience -, Management International Review, Vol. 12, 1972, Heft 1, S. 17-22. 7) Vgl. March, J. G., Simon, H. A., Organizations, a. a. 0., S. 47 ff.; v. Rosenstiel spricht von zwei unabhangigen Zielen; vgl. Rosenstiel, L. v., Motivation im Betrieb, Munchen 1972, S. 61 f. 8) Vgl. Moreno, J. L., Die Grundlagen der Soziometrie, Koln und Opladen, 2. Aufl., 1967.

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Anslitze organisationswissenschaftHcher Forschung

methode, sondern wollte sie als eine der drei Hauptstromungen des sozialen Denkens neben Soziologie und wissenschaftlichen Sozialismus einordnen. Die Soziometrie aIs spezielle Forschungsmethode bietet die Moglichkeit, detaillierte Informationen fiber die Eigenart informaler Organisation zu sammeln: soziometrischer FUhrer, soziometrisch Isolierte, soziometrische AuBenseiter, Cliquen, Ketten usw. Die praktische DurchfUhrung des soziometrischen Tests bedarf mehrerer methodischer Festlegungen9). Erstens, was soli als Indikator soziometrischer Beziehungen gelten: miindliche AuBerungen, beobachtete Ergebnisse usw.? Zweitens, wenn die Methode der miindlichen Befragung angewandt wird, welche Strukturebene wird dann ffir die Partnerwahl genommen: soziotele Strukturen, d. h. TUchtigkeitsrangordnungen, oder psychetele Strukturen, d. h. Beliebtheitsrangordnungen? Drittens, sollen soziale Wfinsche oder Fakten ermittelt werden? Viertens, solliediglich die Richtung der soziometrischen Beziehungen oder darfiber hinaus auch die Intensitat dieser Beziehungen gemessen werden? Fur die Messung der Richtung genugt es festzustellen, wer wen als Partner wahlt, wer wen zuruckweist und wer wem gegenuber indifferent eingestellt ist. Wenn auBerdem die Intensitat der Richtung interessiert, muB zusatzlich dem Befragten eine der in der Interviewtechnik ublichen Bewertungsskalen vorgelegt werden. Die Messung negativer Einstellungen stoBt auf das Problem emotional besetzter Positionen der Befragten. Funftens gilt es eine Begrenzung des Beziehungskomplexes vorzunehmen, der dem soziometrischen Test unterworfen werden solI. Als ausschlaggebend fUr die Grenzziehung erweisen sich die Beziehungen und deren Intensitat. Je nach Zwecksetzung mussen daher auch auBerbetriebliche Beziehungen erfaBt werden, so insbesondere im Bereich der Beschaffung und des Vertriebs. Als graphisches Darstellungsmittel findet fur kleinere Untersuchungen das So z i 0 g ram m Verwendung. Die Personen werden durch Kreise reprasentiert, deren Beziehungen durch gerichtete Pfeile. Die Person, die am haufigsten gewahlt wurde und in deren Kreis damit die meisten Pfeile miinden, stellt den informalen Fuhrer (informaler Star) dar. Je hoher die Zahl der Wahlen, desto hoher der soziometrische Status dieser Person. Teilnehmer, die ignoriert wurden, werden als soziometrisch Isolierte bezeichnet. 'Oberwiegend abgelehnte Personen werden als soziometrische Aupenseiter bezeichnet. Wechselseitige Wahlen zwischen Personen bilden eine soziometrische Clique. Einseitige Wahlen vom informalen FUhrer fiber Zwischenpersonen zum informalen FUhrer bilden eine soziometrische Kette. Sofem es sich um Untersuchungen komplexer Organisationen handelt, die eine Auswertung groBer Datenmassen erfordert, wird das Soziogramm unhandlich. Die Auswertung muB dann mit Hilfe datenverarbeitungsgerechter Datentrager (Lochkarte, Lochstreifen, Magnetband, Platte) uber eine .) Vgl. Nehnevajsa, J., Soziometrie, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung,

a. a. 0., S. 226-240.

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Matrix10) erfolgen. Die Zahl der Spalten und Zeilen dieser Matrix entspricht der Zahl der Befragten. Werden nur wechselseitige Wahlen zwischen Personen (Paarbeziehungen) in die Matrix eingetragen, so entsteht eine symmetrische Matrix. Auf diese Urmatrix bezogen sind mathematische Transformationen vorzunehmen, so daB Teilsegmente entstehen, die AufschluB iiber die soziometrisch interessierenden Sachverhalte (informaler Fiihrer, Divergenz formaler und informaler Organisation, Divergenz geplanter und effektiver Kommunikation, mogliche Ursachen der Fluktuation, Unfallfrequenz usw.) geben. 4. Autoritatsstrukturen: Konfliktursachen und Losungsansatze

Der neoklassische Ansatz zur Untersuchung der informalen Organisation im Gegensatz zur formalen Organisation des klassischen Ansatzes UiBt sich auch durch das die formale und informale Organisation beschreibende Begriffspaar skalare Organisation und Statusorganisationl l ) ausdriicken. Die formale Organisation strebt dabei eine Identitiit von skalarer Organisation und Statussystem an; die informale Organisation variiert das Statusniveau. Wahrend die skalare Organisation an die mit bestimmten Positionen verbundenen Rechte, spezifische Anordnungen und Sanktionen zu erteilen, gebunden ist, verkorpert die Status organisation die unterschiedlichen Wertvorstellungen ihrer Mitglieder. Die Positionen genieBen in den Vorstellungen ihrer Mitglieder einen unterschiedlichen gesellschaftlichen Wert oder Status. Dies ermoglicht EinfluB- oder Machtbeziehungen ohne formale, legal rationale Herrschaft. Unter Her r s c h aft, Mac h t oder Aut 0 r ita t kann mit M a x Web e r die Chance verstanden werden, fUr einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden, wobei die Bereitschaft zum Gehorsam auf der inneren Anerkennung des Rechts des Befehlenden beruht, Befehle zu erteilen und deren Erfiillung zu kontrollieren12 ). Die Quellen der Autoritat konnen dabei einmal a u B e r hal b des sozialen Systems liegen, so im Eigentum, Recht oder in der Tadition. Zum anderen konnen die Quellen der Autoritat inn e r hal b des sozialen Systems begriindet liegen. Als derartige Autoritatsquellen sind die formale Autoritatsstruktur und die personlichen Autoritatsmerkmale anzufiihren13). Die for mal e Aut 0 r ita t oder Positionsautoritat ist Bestandteil der hierarchischen Positionen einer Vgl. Weiss, R. S., Jacobson, E., The Structure of Complex Organizations, in: The Sociometry Reader, hrsg. von J. L. Moreno, Glencoe, Illinois 1960, S. 522-533; Helle, J. J., Schliemann, E., Soziometrie als Hilfsmittel des Organisators, in: Rationelle Personalfiihrung, Schriften zur Unternehmensfiihrung, Bd. 5, hrsg. von H. Jacob, Wiesbaden 1968, S. 76 ff. 11) Vgl. Dahrendorf, R., Industrie- und Betriebssoziologie, Berlin 1967, S. 76 ff.; Kluth, H., Soziologie der GroBbetriebe, a. a. 0., S. 62 ff. 12) Vgl. Weber, M., Wirtschaft und Gesellschaft, a. a. 0., S. 28. 13) Vgl. Ziegler, H., Strukturen und Prozesse der Autoritat in der Unternehmung, Stuttgart 1970, S. 25 ff.; Peabody, R. L., Perceptions of Organizational Authority: A Comparative Analysis, Administrative Science Quarterly, Vol. 6, No.4, 1962, S. 463-482. 10)

Anslitze organisationswissenschaitIicher Forschung

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sozialen Organisation. Die Autoritat ist an Kompetenz und Regeln des Amts gebunden. Die per son a I e Aut 0 r ita t griindet sich auf die personlichen Qualitaten des Autoritatstragers; so auf die personlichen Eigenschaften wie Ansehen, Vertrauen, Erfahrung, Charakterstarke; oder auf funktionale, personliche Sachverstandigkeit in wirtschaftlichen, technischen oder organisatorischen Fragen. Das Auseinanderklaffen formaler und personlicher Autoritat in einer Position birgt Konflikte in sich. Diese Konflikte sind nach neoklassischem Rezept durch die Beriicksichtigung von gruppenorientierten Verhaltensweisen einzudammen. Losungsansatze und ProblemlOsungen werden ausschlieBlich im sozial-informalen Gefiige gesucht und fiir Sozialisationen angegeben. Der sozialen Geschicklichkeit des Managements wird dabei die Eigenschaft zugeschrieben, die organisatorischen Konflikte zu losen. Die intra- und interindividuellen Beziehungsmuster werden damit bewuBt in den Dienst des gewiinschten oder geplanten Wandels (Sozialisation) gestellt, wobei insbesondere dann von den Organisationsmitgliedern Widerstand gegen den Wandel postuliert wird, wenn das technische System zu schnell und ohne Riicksicht auf die sozialen Beziehungen sich verandert. Die sozialen Verhaltensmuster, die auf Gefiihlen, Zuneigungen usw. aufbauen und sich bei der taglichen Arbeit langsam entwickelt haben, konnen sich nur langsam verandern, denn schnelle Anderung zerstort das gewohnheitsmaBige Verhalten der Arbeitnehmer14). Das Interesse und die Losungsansatze zur Realisierung des geplanten Wandels gelten dabei stets den Personen, die durch den Wandel betroffen sind. Die Verhaltensbeziehungen unter den Personen, die den Wandel planten (change agent), und die Regelungen zwischen diesen und den vom Wandel betroffenen Personen (client system) werden als problemlos und lOsungsinadaquat angesehen15). Die Faktoren der Macht und Kontrolle werden aus den Untersuchungen ausgeklammert16). Die Bedingungen, die von seiten der organisatorischen Macht- und EinfluBstruktur die organisatorischen Aktivitaten bestimmen, werden zu einer Frage informaler Beziehungen. Das formale Organisationsgefiige wird trotz vieler Hinweise auf dessen Beziehungszusammenhang zur informalen Organisation zu einer konstanten GroBe. Die "Praxeologie" der Neoklassik fiihrt lediglich zu einem Kurieren an Symptomen. Die Macht- und Kontrollstrukturen bleiben "problemlos" auBerhalb des Untersuchungsgegenstandes.

n. Kritik Der Untersuchungsgegenstand der neoklassischen man i p u I a t i v person a len A n sat z e bezieht sich auf die Erforschung menschlicher oder 14)

Vgl. Roethlisberger, F. J., Dickson, W. J., Management and the Worker, a. a. 0.,

S. 566ff.

15) Vgl. Coch, L., French, J. R. P., Overcoming resistance to change, in: Human Relations, 1948, S. 512-533. 18) Vgl. Thompson, V. A., Modern Organization, 5. Aufl., New York 1966, S. 122 f.; Mayntz, R., Die soziale Organisation des Industriebetriebes, Stuttgart 1958, S. 6.

N eoklassische Organisationstheorien

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sozialer Grundfragen in Organisationen. Mit diesem Forschungsgegenstand steht die Richtung im Gegensatz zur klassischen Organisationslehre, die sich mit den wirtschaftlich-technischen Grundfragen in Organisationen beschaftigt. Die klassische Organisationslehre wird als unvollstandig erkannt. Die neoklassische Organisationslehre "verwirft sie aber nicht, sondern korrigiert sie, indem sie sich selbst als ihre Erganzung versteht17)". Neben das rational kiinstliche Modell der Klassik tdtt das natiirliche Modell der Neoklassik18). Wahrend die klassischen Ansatze auf die Einbeziehung des Menschen in ihr Aussagensystem verzichten (Organisation ohne Menschen), abstrahieren die friihen neoklassischen Ansatze von den technischen und strukturell-organisatorischen Bedingungen in Unternehmungen (Menschen ohne Organisation19 Dem Problemkreis der formalen Organisation wird der Problemkomplex der informalen Organisation lediglich angefiigt.

».

1. Formale und informale Organisation

Die analytische Trennung des Organisationsproblems in formale und informale Beziehungszusammenhange ist aspekt- und nicht problemorientiert. Die beiden theoretischen Aspekte der betrieblichen Sozial-Organisation verschmelzen realiter in der Ist-Organisation20). Es handelt sich nicht um zwei voneinander getrennt erkennbare und selbstandige Spharen, "sondern um zwei fUr sich allein niemals aufzufindende Bestandteile der in Wirklichkeit immer nur als Einheit gegebenen sozialen Organisation des Betriebes21 )". G r ii n versucht diesen Sachverhalt in sprachlicher Weise dadurch zu erfassen, daB er den Inhalt der informalen Organisation als inform ale Erscheinungen bezeichnet22). Die Dichotomie bleibt probleminadaquat und kiinstlich. Die gleiche Kritik trifft jedoch nicht fiir die abstrakt-isolierende Methodik zu. Fiir ideal-praxeologische Aussagensysteme bleibt diese Methodik iiber ihren heuristischen Wert im Entdeckungszusammenhang erfahrungswissenschaftlicher Hypothesen ein fruchtbarer Ansatz. 1'1) Vgl. Irle, M., Soziale Systeme, Gottingen 1963, S. 73.

Zur Unterscheidung in ein kiinstliches und natiirliches Modell der Organisation vgl. Gouldner, A. W., Organizational Analysis, in: Sociology Today: Problems and Prospects, hrsg. von R. K. Merton, L. Broom, L. S. Cottrell, Jr., New York 1959, S. 400-428; Mayntz, R., Soziologie der Organisation, a. a. 0., S. 49. 19) VgI. Bennis, W. G., Revisionist Theory of Leadership, Harvard Business Review, 1961, Jan.-Febr., S. 28. 20) Vgl. Atteslander, P., Konflikt und Kooperation im Industriebetrieb, KolnOpladen 1959, S. 62; Miller, D. C., Form, W. H., Unternehmung, Betrieb und Umwelt, Koln - Opladen 1957, S. 33. 21) Mayntz, R., Die soziale Organisation des Industriebetriebes, a. a. 0., S. 13. ft) VgI. Grun, 0., Informale Erscheinungen in der Betriebsorganisation, Berlin 1966, 18)

S. 21.

Ansiitze organisationswissenschaftlicher Forschung

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2. Rollenanalyse und Rollenkonzeption Die Verschmelzung formaler und informaler Elemente wird heute groBteils unter dem Begriff der Rolle vorgenommen. Unter einer Roll e wird ein Komplex sozialer Erwartungen oder Zumutungen verstanden, die sich auf den 1nhaber einer bestimmten Position in der Organisation richten23 ). Die dabei mit einer Position assoziierten Erwartungen, Forderungen oder Zumutungen sind nach Positionssegmenten unterschiedlich. Die Position "Vorarbeiter", die beispielsweise aus den Positionssegmenten "Vorarbeiter-Arbeiter", "Vorarbeiter-Vorgesetzte" und "Vorarbeiter-Kollegen" besteht, beinhaltet je nach Segment unterschiedliche und innerhalb des Segments relativ ahnliche Erwartungsmuster. Die Erwartungen beziehen sich auf MuB-, Sol1- und Kann-Erwartungen oder in Analogie auf Gesetz, Sitte und Gewohnheit. Die Erwartungen bestimmen das Verhalten der Organisationsteilnehmer. Dieses Postulat vom rollenkonformen Verhalten bedingt ein methodologisch-empirisches Problem. Die Annahme tiber roUenkonformes Verhalten ist mit der wissenschaftlichen Abstraktion in Gestalt der Fiktion des "homo sociologicus" verbunden. Dieses met hod i s c h e Konstrukt verkorpert in der soziologischen Analyse die kleinste, nicht mehr weiter hinterfragte Untersuchungseinheit. Der "homo sociologicus", dem in der Nationalokonomie der "homo oeconomicus" entspricht, stellt in der soziologischen Theorie den Verzicht auf einen psychologischen Reduktionismus dar. Aussagen tiber komplexere soziale Systeme werden lediglich auf Aussagen tiber einfache Verhaltensweisen reduziert24). Die soziologischen Theorien beruhen auf der Annahme, "daB soziale RoUen mit menschlichem Verhalten gleichgesetzt werden konnen25 )". Eine empirische Begrtindung wird damit nicht angestrebt. Diese wird sogar solange als tiberfltissig betrachtet, als die mit dem Modell des "homo sociologicus" arbeitenden Theorien erklarende und prognostische Relevanz besitzen. Der "homo sociologicus" bleibt damit eine stilisierende und empirisch willktirliche Konstruktion, die unter Verzicht auf eine realistische Beschreibung des Wesens des Menschen erklarungskraftige Theorien des sozialen Handelns geben will. Ftir die organisationstheoretische Analyse erweist sich die Rollenkonzeption als em p i r i s c her Sachverhalt fruchtbar 26 ). Die Unterstellung eines "homo sociologicus", der sich rollenkonform verhalt, ist fUr die Formulierung theoretischer Aussagen sowohl tiber Rollen und Ro11enstrukturen als auch tiber rollenkonformes bzw. -abweichendes Verhalten tiberfltissig. 1m ersten Fall der Untersuchung von Rollen ste11t sich die Konformitatsfrage nicht und 23)

Vgl. Dahrendorf, R., Homo Sociologicus, Koln - Opladen 1960, S. 26; Biddle, B.

J., The Present Status of Role Theory, Columbia, Missouri 1961; S. 5. 24) Vgl. Luhmann, N., Grundbegriffliche Probleme einer interdisziplinaren Entscheidungstheorie, a. a. 0., S. 476.

Dahrendorf, R., Homo Sociologicus, a. a. 0., S. 77. Vgl. Pugh, D. S., Modern Organization Theory: A Psychological and Sociological Study, in: Readings in Organizational Behavior and Human Performance, a. a. 0.,

25)

26)

S.38.

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im zweiten Fall ist der Unterschied zwischen realem Verhalten und Rollenverhalten Untersuchungsgegenstand27). Der zweite Fall dominiert in der Organisationstheorie. Die Unternehmung ist bestrebt, ihre Organisationsmitglieder zu einem roll e n k 0 n for men Verhalten zu veranlassen. Materiell schHigt sich die Rollenkonformitat in der Beschreibung des Verhaltens eines Stelleninhabers nieder. Hierbei kann es sich urn Beschreibungen des Arbeitsablaufs oder des Arbeitsergebnisses hande1n. Abweichungen hinsichtlich der erwarteten Prozesse undloder Ergebnisse bedeuten Einschrankungen der Roll~nkonformitat. Soweit eindeutige Beschreibungsprogramme und Kontrollmechanismen (Stellen- oder Arbeitsplatzbeschreibung, Mitarbeiterbeurteilung) vorliegen, lassen sich die Verhaltensabweichungen empirisch feststellen. Zumeist sind die Voraussetzungen der Beschreibungsprozesse und Kontrollmechanismen in der betrieblichen Wirklichkeit nicht oder nur unvollstandig erfiillt. Daher ist es realistisch, von einem rollenkonformen Verhaltensspielraum auszugehen, der einen weiten Bereich "geduldeter Verhaltensalternativen" umschlieBt. Die Rollenerwartungen definieren damit mehr oder weniger offene oder geschlossene Beschrankungen, die in die Problemdefinition des organisatorischen Entscheidungstragers eingehen28). Das MaB an Rollenkonformitat wird somit durch die als Beschrankungen akzeptierten Rolleninformationen zu den betrieblichen Entscheidungsprozessen bestimmt. Der Akzeptierungs- oder AnpassungsprozeB wird dabei von organisationalen, interpersonalen und personalen EinfluBgroBen gepragt.

o r g ani sat ion a I e Faktoren beeinflussen iiber die inhaltliche Ausgestaltung einer Stelle (Spezialisierung, Arbeitsteilung, Belohnung usw.) die Rollenerwartungen und Rolleneinstellungen des Rollensenders. Die Person I i c h k e its f a k tor e n (Bediirfnisse, Charaktereigenschaften) wirken sowohl auf die Einstellung des Rollensenders ein als auch auf die Wahrnehmung und Reaktion des Rollenempfangers. Die gleichen Faktoren wirken umgekehrt auf die Personlichkeitsmerkmale. I n t e r per son ale Beziehungen (Macht-, sozio-emotionale Beziehungen, Kommunikationsbeziehungen usw.) zeitigen die gleichen Wirkungen wie die Personlichkeitsfaktoren. Sie beeinflussen die Erwartungen und Einstellungen der Rollensender und die Art und Weise der Rollenkommunikation. Die interpersonalen Beziehungen werden ihrerseits von den Reaktionen des Rollenempfangers modifizierend beeinfluBt. Die Rollenanalyse erweist sich damit als ein fruchtbares Instrument zur differenzierten und integrierten Behandlung personaler, interpersonaler und organisationaler Problemebenen. Z1) Vgl. Popitz, H., Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, Tiibingen 1967, S. 41 f. !8) Vgl. Kirsch, W., Entscheidungsprozesse, Dritter Band: Entscheidungen in der Organisation, a. a. 0., S. 109; Kupsch, P. U., Marr, R., Personalwirtschaft, in: Industriebetriebslehre, Entscheidungen im Industriebetrieb, hrsg. von E. Heinen, Wiesbaden 1971, S. 499 ff.

Ansiitze organisationswissenscha:ft;licher Forschung

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Roll en ink 0 n for m e s Verhalten laBt sich auf folgende Ursachen zuriickfiihren29) : (1) Intrasender-Konflikte, d. h. die Erwartungen eines Mitglieds eines Rollensegments sind gegeniiber der Bezugsperson unvereinbar; (2) Intersender-Konflikte, d. h. die Erwartungen eines Mitglieds eines Rollensegments sind zu den Erwartungen eines anderen Mitglieds gegeniiber der Bezugsperson konfliktiir; (3) Konflikte zwischen Rollen ("interrole-conflicts"), d. h. auf eine Person entfallen mehrere Rollen mit widersprechenden Erwartungen; (4) Personen-Rolle-Konflikte, d. h. das Mitglied hat selbst eine andere Auffassung von seiner Rolle, seinen Pflichten und Rechten in der Organisation, als den Rollenerwartungen entspricht; (5) Konflikte der Rolleniiberlastung ("role overload"), d. h. die Konfliktform ist auf den Intersenderkonflikt zUrUckzufiihren; die an ein Mitglied gestellten Erwartungen sind zwar untereinander und auch mit seinen eigenen Werten vereinbar, aber es wird gleichzeitig zu viel erwartet. Das Mitglied wird gezwungen, Prioritaten festzulegen, unter den Erwartungen auszuwahlen und damit einige Rollenpartner zu enttauschen; (6) Rollenmehrdeutigkeit ("role ambiguity"), d. h. die Positions- oder Stelleninhaber erhalten nur unvollstiindige rollenbezogene Informationen. Eine eindeutige Verhaltensorientierung wird dadurch unmoglich. Die rollenbezogenen Informationen beziehen sich u. a. auf Mitarbeiterforderung, Kriterien der Gehaltsfestsetzung und Verantwortungsbereiche.

Das inkonforme Rollenverhalten, dessen Ursachen groBteils in Organisationen nicht oder nur unter erheblichem Aufwand ermittelbar sind, verdeutlicht die Notwendigkeit geplanter Verhaltensspielraume in Stellen- oder Arbeitsplatzbeschreibungen. Sind die Ursachen inkonformen Rollenverhaltens bekannt, so lassen sich trotzdem in der Regel keine eindeutigen Losungen finden. Die Prozesse der Konflikthandhabung fiihren zumeist nur zu einer "Quasilosung" der Gegensatze. Die Veranderung urspriinglicher Konfliktbedingungen ruft allzuoft neue Konflikte hervor. Die empirische Fundierung der Wirkungen der Konflikte ist uneinheitlich und mangelhaft. Einerseits wird angenommen, daB Rollenkonflikte und Rollenmehrdeutigkeiten eine retardierende, desintegrierende und dysfunktionale Wirkung in bezug auf Arbeitszufriedenheit, Selbstvertrauen und Spannungen in den Arbeitsbeziehungen zeitigen30); andererseits wird die These vertreten, daB Konflikten eine antreibende und integrierende Wirkung 29)

Vgl. Katz, D., Kahn, R. L., The Social Psychology of Organizations, a. a. 0.,

S. 184f.

30) Vgl. Kahn, R. L., Wolfe, D. M., Quinn, R. P., Snoek, J. D., Rosenthal, R. A., Organizational stress: studies in role conflict and ambiguity, New York 1964.

N eoklassische Organisationstheorien

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inharent ist81). Beide Standpunkte besitzen unter gegebenen Bedingungskonstellationen Plausibilitat. Es erscheint gegenwartig gerechtfertigt, beide Thesen als zwei Moglichkeiten eines Kontinuums zu betrachten.

3. Normative Akzentoierung Ein zweiter Kritikpunkt gegen die personal-manipulativen Ansatze richtet sich auf die nor mat i v eVe r all gem e i n e run g empirisch ungesicherter Aussagen. Unter dem Schlagwort der "Human-Relations-Bewegung" werden die betriebssoziologischen Erklarungserkenntnisse direkt in praktisch-normative Handlungsanweisungen umgeformt. Die konfliktfreie Fiihrung der Mitarbeiter entsprechend den organisationalen Zielen steht im Vordergrund des Interesses. Es galt die Bedingungen herzustellen, die zu einer groBtmoglichen Zufriedenheit der Organisationsmitglieder fiihrten, die sozialen Krafte einzugrenzen und diese entsprechend dem gewiinschten Wandel zu lenken. Zur Realisierung dieser Forderung wurden die raum-zeitlich beschrankten Grunderkenntnisse auf eine von Raum und Zeit losgeloste Invarianz iibertragen. Die Untersuchungen beziehen sich maBgeblich auf zeitlich-beschrankt zusammengesetzte Arbeitsgruppen der untersten Unternehmungsebene. Die Sachprobleme oberer Unternehmungsebenen wurden nicht untersucht. Der obersten Unternehmungsfiihrung wurde vielmehr die Eigenschaft der "sozialen Geschicklichkeit" zugeschrieben. Es fand eine einseitige Betrachtung der Unternehmungsprobleme zugunsten der obersten Unternehmungsfiihrung statt, deren Problemstruktur ausgeklammert und deren Fahigkeiten zur konfliktfreien Fiihrung iiberschatzt wurden. Die Grunderkenntnisse dieser Forschungsrichtung, daB die betriebliche Organisation sowohl ein technisches wie auch ein soziales System ist, daB das organisatorische Handeln gruppenbezogen ist und daB die Organisationsmitglieder eigene Ziel- und Wertvorstellungen besitzen, bleiben von dieser Kritik ausgenommen.

B. Macht-Ausgleichs-Ansatze Das Aussagensystem der manipulativ personalen Richtung der Neoklassik, das die strukturell bedingte Variable Macht unberiicksichtigt liiBt, fiihrte in Weiterentwicklungen zu den Macht-Ausgleichs-Ansatzen, welche die Variable Macht und ihre Auswirkungen auf die Organisationsstruktur beriicksichtigen. Die Macht-Ausgleichs-Ansatze sind hinsichtlich ihrer Methodik der Neoklassik oder "Human-Relations-Bewegung" zuzurechnen. Hinsichtlich ihres Aussagengehalts enthalten sie Elemente der Integration formaler und informaVgl. Dahrendorf, R., Zu einer Theorie des sozialen Konflikts, in: Theorien des sozialen Wandels, hrsg. von Zapf, W., KOln - Berlin 1969, S. 108-123.

31)

7 Hoffmann

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Ansiitze organisationswissenscha;ftHcheT FOTschung

ler Variablen im Gesamtzusammenhang des organisatorischen Systems, die eine modeme Organisationskonzeption kennzeichnen. Mitunter wird auch von einem "Human-Resources-Ansatz" gesprochenH).

I. Methodik Ausgangspunkt der Macht-Ausgleichs-Ansatze bildet die Macht-Variable, die den kritischen Wert fUr die Gestaltung und Gliederung der betrieblichen EinfluJ3struktur darstellt. Zumindest zu Beginn der Studien wurde die Norm angestrebt, daB die Macht in der Organisation gleichmaBig verteilt sein sollte. Diesem normativen Akzent wurde durch die Management-Philosophie der S el bstv erwirklich un g des Men s che n im ArbeitsprozeB33) Ausdruck verliehen. Das Streben nach Se1bstverwirklichung stellt dabei das oberste Ziel einer auf Mas I 0 w3') zuriickgehenden Bediirfnishierarchie dar (vgl. Abbildung 8). Diese besagt, daB erst nachdem eine niedrigere Bediirfnisschicht befriedigt ist, ein hoheres Bediirfnis verhaltensbeeinflussend wirken kann. Die Befriedigung eines Bediirfnisses hangt dabei yom Anspruchsniveau des Individuumg3G) abo Der 'Ubergang von einer Bediirfnisschicht auf eine andere ist an die Voraussetzung gebunden, daB das Anspruchsniveau konstant bleibt und im Falle des Erfolges nicht heraufgesetzt wird. Die BedUrfnisbefriedigung ist relativer ArtS6). Entsprechend dieser Bediirfnishierarchie setzt das Streb en nach Selbstverwirklichung des Menschen die erfolgte Befriedigung der untergeordneten Bediirfnisse voraus. Her z b e r gal) unterteilt die Bediirfnishierarchie in ein Zwei-Faktoren-Modell der Arbeitszufriedenheit. ETstens in die Motivationsfaktoren, reprasentiert durch das Streben nach Selbstverwirklichung und die Befriedigung der Vgl. Miles, R. E., Human Relations or Human Resources?, Harvard Business Review, Vol. 43, July-August 1965, S. 148-163; Hausler, J., Denunel, J., Der FiibrungsprozeB in der industriellen Untemehmung, in: Untemehmensfiihrung auf neuen Wegen, hrsg. von R. W. Stohr, Wiesbaden 1967, S. 66 ff. 33) Vgl. McGregor, D., The Human Side of Enterprise, New York - Toronto - London 1960, S. 49. 34) VgI. Maslow, A. H., Motivation and Personality, New York 1954, S. 80 ff.; McGregor, D., The Human Side of Enterprise, Management Review, 1957, S. 22 ff.; Porter, L. W., A Study of Perceived Need Satisfactions in Bottom and Middle Management Jobs, in: Studies in Organizational Behavior and Management, hrsg. von D. E. Porter, P. P. Applewhite, Scranton, Pennsylvania, 1964, S. 353-367. as) Vgl. Lewin, K., Dembo, T., Festinger, L., Sears, P. S., Level of Aspiration, in: Personality and the Behavior Disorders, hrsg. von J. M. Hunt, New York 1944, S. 333 ff.; Sauermann, H., Selten, R., Anspruchsanpassungstheorie der Untemehmung, Zeitschrift fUr die gesamte Staatswissenschaft 1962, S. 577 ff. 38) Vgl. Maslow, A. H., A Theory of Human Motivation, in: readings in managerial psychology, hrsg. von H. J. Leavitt, L. R. Pondy, Chicago - London 1964, S. 21. 37) Vgl. Herzberg, F., The Motivation-Hygiene Concept and Problems of Manpower, Personnel Administration, Vol. 27,1964, No.1, S. 3-7; Myers, M. S., Who Are Your Motivated Workers?, Harvard Business Review, Vol. 42, No.1, 1964, S. 73-88. 32)

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Streben nath Sitherheit (malerielle Sicherheil, Wohnung usw.) physiologische BedOrfnisse (Hunger, Durst usw.)

Abbildung 8 Hierarchie der BediLrfnisse ego-Bediirfnisse. Die Motivationsfaktoren (satisfiers) bestimmen die Arbeitszufriedenheit. Zweitens in die Hygiene-Faktoren, reprasentiert durch die untergeordneten physiologischen sozialen Bediirfnisse und Sicherheitsbediirfnisse. Die Hygiene-Faktoren (dissatisfiers) bestimmen iiber die Arbeitsunzufriedenheit. Die Ubertragung dieses Gedankens auf die Macht-Ausgleichs-Konzepte setzt entweder eine erfolgte Befriedigung der Hygiene-Faktoren oder eine Befriedigung der Motivationsbediirfnisse voraus, wobei postuliert wird, daB dann die Hygiene-Faktoren in positiver und negativer Weise nur noch einen geringen EinfluB ausiiben. Die Realisierung des Ziels der Selbstverwirklichung des Menschen schlieBt somit die untergeordneten Ziele mit ein. Diese Annahme, die insbesondere hinsichtlich ihres empirisch-methodischen Ausgangspunktes nicht unwidersprochen blieb 38), solI die Stellung und Bedeutung des Ziels der Selbstverwirklichung des Menschen im UnternehmungsprozeB deutlich machen und deren unterstellte Realisierungsnotwendigkeit im Rahmen der Macht-Ausgleichs-Konzeptionen aufzeigen. Die Selbstverwirklichung des Menschen findet in den zwei organisatorischen Strukturprinzipien der Autonomie und Partipization ihren konkreten Ausdruck39).

1. Forderung nach Autonomie Aufgrund des unterstellten Menschenbildes yom miindigen oder freien Mitarbeiter wird gefordert, jedem Untergebenen einen gewissen AutonomieVgl. Korman, A. K., Industrial and organizational psychology, Englewood Cliffs, N. J., 1971, S. 148 f.; House, R. J., Wigdor, L. A., Herzberg's Dual Factor Theory of Job Satisfaction Motivation: A Review of the Evidence and a Criticism, in: Readings in Organizational Behavior and Human Performance, a. a. 0., S. 290-304. 39) Vgl. Frese, E., Ziele als FUhrungsinstrumente, ZfO, 40. Jg., 1971, S.230; ders., EinflufigroBen organisatorischer Umstrukturierungsprozesse, ZfO, 38. Jg., 1969, S. 136 ff. 38)

7"

Ansiitze organisationswissenschaftlicher Forschung

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bereich oder Entscheidungsspielraum einzuriiumen. Dieser muE frei von reglementierenden Eingriffen durch den Vorgesetzten bleiben. Die Gestaltungsforderung nach Autonomie stUtzt sich auf den von McGregor geforderten t.ibergang der Annahmen fiber das menschliche Verhalten von Theorie X auf Theorie Y. Die traditionellen Annahmen der Theorie X und die neueren Annahmen der Theorie Y lassen sich in die folgende WennDann-Aussage fassen (Abbildung 9).

Wenn Theorie X

c c

"

0

Theorie Y

-

"der Mensch hal eine Abneigvng gegen die Arbeil und versuchl diese zv vermeiden;

-

"der Mensch hal keine Abneigung gegen die Arbeil;

-

wegen der Abneigung zur Arbeit mOssen die Arbeiter streng gefUhrt, kontrolliert und mittels Strafen zvr Erreichvng der Unternehmungsziele getrieben werden;

-

der Arbeiter will gefUhrt werden, vermeidet Verantwortung, hat relativ wenig Ehrgeiz und wUnscht Sicherheit uber alles40); -

externe Kontrolle und die Bedrohung dvrch Strafe sind nicht die einzigen Mittel zvr VerwirkJichung der Unternehmvngsziele. Der Mensch strebt nach Eigen-Entscheidung und Eigem-Kontrolle in der Verwirklichung der Ziele, mit denen er sich iden-

tifiziert;

die Identifikation mit den Zielen ist eine Funklion der Befriedigung von Ich-Bedurfnissen vnd des -Strebens nach Selbstverwirklichung;

-

der Mensch lernt unler gewissen Bedingungen die Veronlwortvng nicht nur zv akzeptieren, sondern sie aktiv zu svchen vnd zu Ubemehmen;

-

die Fahigkeit, eiQen relativ hohen Grad an Erfindungsgabe und Kreativitot bei der losung von Organisationsproblemen zv entwickeln, ist in der Bevolkerung weitverbreitet; .

-

vnter den Bedingungen der madamen Induslriegesellschaft werden die intellektvellen Fohigkeilen nvr portiell genutzl")"_

Abbildung 9 Theorie X und Theorie Y nach McGregor

Die Schaffung der Bedingungen, unter denen die Annahmen der Theorie Y Verwirklichung finden und die Mitglieder der Unternehmung ihre eigenen Ziele durch Realisierung der Unternehmungsziele befriedigen, wird von McGregor unter dem Oberbegriff der Integration und Selbstkontrolle vorgetragen. Die Verwirklichung der Prinzipien der Integration und der Selbstkontrolle impliziert die Aussch6pfung des menschlichen Potentials in der effizientesten Weise. Die Unternehmung muB sich dementsprechend in ihrer formalen Struktur an die Ziele und Bedfirfnisse ihrer Mitglieder anpassen_ Das Verhalten eines Mitglieds wird dabei in Anlehnung an Lew i n durch die Charakteristika eines Individuums (Kenntnisse, Fiihigkeiten, Eigenschaften usw.) und gewisser Aspekte seiner Umwelt (Arbeitsplatz, Belohnung, 40)

(1)

McGregor, D., The Human Side of Enterprise, a. a. 0., S. 33 ff_ (Obers.). Ebenda, S. 47 f.

101

N eoklassische Organisationstheorien

FUhrung usw.) gepriigt'll). Das spezifische Gruppenverhalten einer B-Gruppe wird durch zusiitzliche Interaktionsvariable bestimmt'S): BGruppe

wobei

M

T

o L E

f

Ve -

Va --v;'

Unter Messung der Varietiit mit Hilfe des logarithmischen EntropiemaBes (H) ergibt sich das Varietiitsgesetz in seiner einfachsten Formulierung: He ~ Ha-Hl' Bei gegebener Storungsvarietiit kann somit die Varietiit der Ergebnisse nur durch eine entsprechend erhohte Varietiit der Reaktionen verringert werden (" ... ; only variety can destroy variety 49)"). Wird die Annahme fallengelassen, daB die Unternehmung auf eine bestimmte Storung mit der dieser zugeordneten Reaktion mit Sicherheit antwortet, und werden stattdessen interne Kommunikationsstorungen mitberiicksichtigt (HSl), so liiBt sich das Varietiitsgesetz allgemeiner 50) formulieren: He ~ Hs

+ Har -

Hr.

Die Varietiit des Ergebnisses kann somit nicht kleiner sein als die Varietiit der von auBen einwirkenden Storungen, vermehrt um die internen StOrungen, abziiglich der Varietiit der zur Verfiigung stehenden Reaktionen. SoIl die Varietiit des Ergebnisses einen bestimmten Wert nicht iiberschreiten, so muB zusiitzlich Varietiit der Reaktionen bereitgestellt werden, um die internen Storungen mit zu bewiiltigen. Das formal abgeleitete Varietiitsgesetz zeigt in seinen einzelnen Komponenten die Bezugspunkte zur Systemgestaltung und Verhaltensbeeinflussung zielorientierter dynamischer Systeme auf. Zur Verringerung der Ergebnisvarietiit lassen sich in bezug auf die ext erne StOrvarietiit Hs selektive Inputaufnahmen und AbschirmungsmaBnahmen heranziehen; in bezug auf die interne Storvarietiit Hsr und die Reaktionsvarietiit Hr eignen sich organisatorische MaBnahmen, die durch Differenzierung und Integration der Subsysteme und Elemente zielgerichtete Strukturen bereitstellen51 ). Das AusmaB an organisatorischer Gestaltbarkeit ergibt sich dabei aus der operational beherrschbaren Varietiit. Fiir unerwartet eintrefiende, nicht vorhersehbare StOrungen bedarf es je nach AusmaB der Unbestimmtheit unterschiedlicher Freiheitsgrade organisatorischen Handelns. Ashby, W. R., An Introduction to Cybernetics, a. a. 0., S. 207. Zu einer allgemeineren Formulierung des Varietatsgesetzes vgl. Krieg, W., Kybernetische Grundlagen der Unternehmungsgestaltung, a. a. 0., S. 62 f. 51) Vgl. Ackermann, K., Gesamtwirtschaftliche Stabilitat bei individueller Entscheidungsfreiheit, a. a. 0., S. 67 ff.; Mirow, H. M., Kybernetik, a. a. 0., S. 78 ff.; Krieg, W., Kybernetische Grundlagen der Unternehmungsgestaltung, a. a. 0., S. 63. Eine Zusammenstellung m6glicher MaBnahmen zur Reduktion der St6rvarietat und zur Erh6hung der Reaktionsvarietat findet sich bei Beer, St., Brain of the Firm, The managerial cybernetics of organization, London 1972, S. 288 f. 49)

50)

15·

228

Ansiitze organisationswissenschaf1;Hcher Forschung

Die Sicherstellung des Freiheitsraums in Systemen Hillt sich mit Hille der Black-Box-Betrachtung methodisch bewaltigen. Dabei wird von den inneren Wirkungszusammenhangen eines Systems, Subsystems oder eines Elements abstrahiert und lediglich iiber deren Input und Output eine Spezifizierung und Beeinflussung vorgenommen. Auf diese Weise wird der Handlungsfreiheit untergeordneter Systeme genauso Rechnung getragen wie der beschrankten Fiihrungskapazitat iibergeordneter Systeme. Die Black-Box-Betrachtung bietet somit im Zusammenhang mit dem Varietatsgesetz einen zentralen Ansatzpunkt zur Komplexitatsbewaltigung.

2. Kybemetische Gestaltungssysteme Die Gewahrleistung zielgerichteten Verhaltens des Unternehmungssystems trotz des Eintretens von Storungen erfordert eine Reduktion der Ergebnisvarietat bzw. eine Erhohung der Varietat zielgerichteten Systemverhaltens. Zur Reduktion bzw. Erhohung der Varietat finden organisatorische GestaltungsmaBnahmen Verwendung. Je nach Zielsetzungen und Bedingungskonstellationen des Unternehmungssystems variieren die Gestaltungsalternativen zur Sicherstellung der Systemkontinuitat und Systemvariabilitat. Eine erste kybernetische Modellanalogie zur Anwendung auf die Unternehmung ergibt sich aus dem P r i n zip d e r S t e u e run g. Danach wird ein zu steuerndes System, Subsystem oder Element durch ein steuerndes System, Subsystem oder Element direkt aufgrund eingetretener Storungen zielgerichtet beeinfluBt. Die Steuerung beruht auf einer direkten Ursache-Wirkungsbeziehung (= Vorwartskoppelung). Dies erfordert zur Stabilisierung eines Systems, daB sowohl die Storungen bekannt sein miissen als auch jeder Storung eine in ihrer Wirkung bekannte SteuerungsmaBnahme zugeordnet sein muB. Dadurch eignet sich die Steuerung zur Stabilisierung relativ deterministischer Subsysteme der Unternehmung und zur prophylaktischen Ausschaltung erweiterter Storungen. Die Anwendung der Steuerung ist in Verbindung mit anderen organisatorischen Gestaltungsalternativen zu sehen. Eine zweite Gestaltungsmoglichkeit ergibt sich aus dem P r i n zip d e r Reg e I u n g. Danach vollzieht sich die Zielerreichung eines Systems durch einen geschlossenen Wirkungskreislauf, indem das Ausgangsverhalten auf den Eingang zuriickwirkt und dabei wiederum eine Veranderung des Ausgangs bewirkt52). Die Regelung beruht auf dem Strukturprinzip der negativen Riickkoppelung. Als Darstellungsform der Regelung findet der Regel52) Zu regelungstheoretischen Darstellungen von Unternehmungsstrukturen und -prozessen vgl. u. a. Adams, A., Messen und Regeln in der Betriebswirtschaft, Wii.rzburg 1959, S. 64 ff. und S. 115 ff.; Blohm, H., Die Gestaltung des betrieblichen Berichtswesens als Problem der Leitungsorganisation, a. a. 0., S. 111 if.; Hahn, D., Fiihrung des Systems Unternehmung, in: Organisation als System, a. a. 0., S. 305 f.; Hoffmann, F., Das Rechnungswesen als Subsystem der Unternehmung, a. a. 0., S. 372 if.; Litterer, J. A., The Analysis of Organizations, a. a. 0., S. 247; Ulrich, H., Die Unternehmung als produktives soziales System, a. a. 0., S. 222.

Systembezogene Organisationstheorien

229

kreis Verwendung. Abbildung 22 zeigt die Grundstruktur eines Regelsystems. Das Ziel wird dem Regelsystem von einem iibergeordneten System, das seIber nach dem Prinzip der Regelung organisiert werden kann, vorgegeben. Diese Ziel- oder FiihrungsgroBe bestimmt den Sollwert der RegelgroBe, der in dem zu regelnden Objektsystem der Regelstrecke erfiillt werden solI. Treten Storungen ein, die eine Abweichung vom Sollwert ergeben, so bedarf es iiber einen Soll-Ist-Vergleich korrigierender MaBnahmen des Reglers. Dieser steuert iiber die StellgroBe die Regelstrecke auf den gewiinschten Sollwert ein. Eingetretene St6rungen werden kompensiert. FGhrungsgroBe (Ziele)

RegelgroBe

StellgroBe

Input----01L.-_ _- . -_ _- - - 'I---''--~-output Storungen

Abbildung 22 Grundstruktur der Regelung

Die in Analogie zu technischen Systemen nachgebildeten betriebswirtschaftlichen Regelvorgange bediirfen einer gewissen Revision in bezug auf ihre Zwangslaufigkeit der Ausschaltung von Storungen. Der als Entscheidungstrager zu interpretierende RegIer bedarf zur Beurteilung und zur Auswahl entsprechender KorrekturmaBnahmen eines Modells der Regelstrecke. Der Entscheidungstrager beurteilt die Alternativen und deren Konsequenzen mit Hilfe dieses auf seinen subjektiven Vorstellungen basierenden lVIodells. Dieses Modell bestimmt somit die Effizienz des Regelungsverhaltens und die Anzahl der Regelungsvorgange zur Stabilisierung des Sollwerts. Die Regelung ist in diesem Sinne niemals vollkommen prazise. Sie versucht die St6rungen erst nach Eintreten deren nachteiliger Foigen zu beseitigen. Die KorrekturmaBnahmen hangen von der Erfassungs-, Prognose- und Entscheidungsgenauigkeit des verwendeten Modells der Regelstrecke abo Die Zeitspanne, die vergeht, bis auf die erkannten Storungen KorrekturmaBnahmen einwirken, stellt eine weitere Beschrankung des Regeiverhaltens in Betriebswirtschaften dar. Allzuoft vorgenommene Stellgr6Benveranderungen k6nnen dabei sowohl unter Umstanden Instabilitaten des Regelsystems hervorrufen, als auch dem Wirtschaftlichkeitsprinzip betriebswirtschaftlicher Prozesse widersprechen. Die Organisation der Unternehmungsprozesse, entsprechend

230

Ansiitze organisationswissenschaftHcher Forschung

dem Prinzip der Regelung, erfordert eine genaue Priifung der Anwendungsvoraussetzungen nach Beurteilungsprinzipien 6konomischer Systeme. So wie sich aus der Steuerung die Regelung als eine h6here Form der zielgerichteten organisatorischen Gestaltung entwickelte, laBt sich aus der Regelung eine weitere varietatserh6hende Gestaltungskonzeption formulieren. Es handelt sich um das P r i n zip d erA n pas sun g. Das Regelsystem wird um die zielsetzenden Aktivitaten erweitert. Aufgrund der System-Umwelt':'Beziehungen formuliert und andert das Anpassungssystem seine Ziele und regelt darauf bezogen sein Verhalten 53 ). Das Anpassungssystem versucht ein Gleichgewicht oder Stabilitat zwischen ihm und seiner Umwelt herzustellen. Die Stabilitatsbedingung ist hierbei stets von den Typen oder den Intensitaten der St6rungen abhangig 54). Stabilitat gegeniiber immer komplexeren Bedingungen der Umwelt und damit gegeniiber einer Vielfalt von St6rungstypen fUhrt zu H6herentwicklungen in der Systemgestaltung. Die Entwicklung von u 1 t r a s tab i len S y s t e men, die Stabilitat gegeniiber einer bestimmten Klasse von St6rungen aufrechterhalten k6nnen, zeigt eine H6herentwicklung des Anpassungssystems auf. Die Anpassung ist homoostatischer Art55). Das ultrastabile System paBt sich gegeniiber St6rungen bestimmter Art und Intensitat durch die Eigenschaft der Regelungsfahigkeit an. Gegeniiber neuartigen und unvorhergesehenen Storungen, fUr die das ultrastabile System keine bekannten Reaktionen besitzt, andert das System seine Verhaltensweisen und Regelungsstrategien so lange, bis der alte Gleichgewichtszustand erreicht ist oder eine Neubestimmung des Gleichgewichtszustandes erfolgt ist. Da neuartige St6rungen in Intervallen vorkommen, sind sprunghafte tJbergange (Stufenfunktionen) auf andere Verhaltensweisen seltener als die zwischen den Intervallen notwendigen Regelungstatigkeiten. Als Nachteil ultrastabiler Systemgestaltung erweist sich, daB partielle Anpassungen eines Subsystems der Unternehmung aufgrund des zielgerichteten Beziehungszusammenhangs letztlich eine Totalanpassung des Gesamtsystems notwendig machen, urn ein Systemgleichgewicht zu erreichen. Fiir komplexe Systeme wird dadurch aufgrund der notwendig werdenden Anpassungszeit und der mangelnden Systemtransparenz kein Gleichgewichtszustand mehr erreicht. Die N achteile ultrastabiler Systeme werden weitgehend durch die hoherentwickelte Gestaltungsalternative der multistabilen Systeme vermieden. M u 1 tis tab i 1 e S y s t e m e bezeichnen allgemein eine Verbindung zweier oder mehrerer ultrastabiler Systeme, die zeitweise voneinander unabhangig sind56). Damit besitzen multistabile Systeme die Eigenschaft, neben der Vgl. Flechtner, H. J., Grundbegriffe der Kybernetik, a. a. 0., S. 44; Ulrich, H., Die Unternehrnung als produktives soziales System, a. a. 0., S. 121. 54) Vgl. Klaus, G. (Hrsg.), Worterbuch der Kybernetik, a. a. 0., S. 609. 55) Vgl. Ashby, W. R., Design for a Brain, 2. Auflage, London 1960, S. 80 ff. 56) Vgl. ebenda, S. 205 ff.; Klaus, G. (Hrsg.), Worterbuch der Kybernetik, a. a. 0., S. 434 f. 53)

Systembezogene Organisationstheorien

231

Aufrechterhaltung der StabiliUit gegeniiber einem ganzen Storfeld, sich partiell an spezifische Umweltfelder anzupassen. Die Umwelt besitzt seIber den Charakter multistabiler, differenzierter Systeme. Umweltveranderungen rufen somit nur Teilgleichgewichtsveranderungen in Subsystemen hervor, die diese aufgrund ihrer ultrastabilen Eigenschaft selbst stabilisieren konnen. Zum Zwecke der zielgerichteten Integration ist das multistabile System dariiber hinaus in der Lage, sich durch standige Verbesserung der Abstimmung seiner Subsysteme untereinander im Hinblick auf sein Gesamtverhalten und -gleichgewicht zu stabilisieren. Die sieh wechselseitig erganzenden Strukturaspekte der Autonomie und Koordination verhelfen zu einer Erhohung der Anpassungsgeschwindigkeit und Effizienzsteigerung in den Subsystemen und stellen gleichzeitig ein gesamtzielgerichtetes Verhalten sieher. Ais Problem erweist sieh die umweltgerechte Differenzierung des Systems in ultrastabile Subsysteme. Je nach verwendetem Kriterium ergeben sich unabhangige Subsysteme, die in bezug auf andere Kriterien eine Abhangigkeit aufweisen. Die Unabhangigkeit kann sich auf untersehiedliche Zeitaspekte, Wirkungsarten und EinfluBintensitaten beziehen. Die Abhangigkeit zwischen den Subsystemen setzt Beziehungsmuster in der Unternehmung voraus, die latent vorhanden sind und die es je nach Problemsituation zu aktivieren gilt. Damit bietet die Konzeption der Multistabilitat einen Ansatz zur Realisation einer multi-strukturellen und mehrdimensional-strukturierten Organisation. Die bisher aufgezeigten kybernetischen Gestaltungsalternativen beziehen sieh alle mehr oder weniger auf die Realisation des Aspekts der Systems tab ilitat. Die Systemvariabilitat und damit zusammenhangend die Gewahrleistung struktureller Flexibiltat bleiben auBer Betracht. Die ulta- und multistabile Gestaltungsalternative zeigt lediglich in Gestalt latenter Beziehungen die formalen Voraussetzungen struktureller Flexibilitat auf. Die Organisationsstruktur ist fest gegeben und unterliegt keinem Wandel. Lediglich Ziele, Verhaltensweisen und Prozesse sind anpassungsfiihig in bezug auf veranderte Bedingungskonstellationen. Unter Beriicksichtigung der strukturellen Flexibilitat der Systeme laBt sich gegeniiber der Ultra- und Multistabilitat von Systemen, die in der Unterteilung von Bertalanffy eine s e k u n dar eRe g u 1 a t ion kennzeichnen, von einer primaren Regulation spreehen57). 1m Fall p rim are r Reg u 1 a t ion unterliegt die Struktur hinsichtlich der Arbeitsteilung und Differenzierung einer Anpassung an Umweltveranderungen. Durch strukturelle Anpassungen werden dabei die sekundaren Regulationen auf ein neues Niveau gehoben, das ihnen neue effiziente Wirkungsmoglichkeiten erschlieBt. Strukturelle Anpassung verkorpert sowohl eine permanente Aufgabe im Sinne der Reorganisation als auch eine einmalige, intervallweise auftretende Aufgabe im Sinne der Neuorganisation oder vollkommenen Umstrukturierung. Ein Ausgleich zwischen beiden Aufgaben beinhal57)

Vgl. Bertalanffy, L. v., General System Theory -

S. 15 f.

A Critical Review, a. a. 0.,

232

Ansiitze organisationswissenschajtlicher Forschung

tet eine Losung der Gleichgewichtsfrage zwischen Verhaltensstabilitat und Verhaltensvariabilitat. Die Losung hangt von den Bedingungskonstellationen der Systemumwelt und des Systems abo Eine Auspragung der Hoherentwicklung primarer Regulation stellt die A e qui fin a lit a t eines Systems dar58). Diese Systemeigenschaft ist gegeben, wenn ein System in der Lage ist, sein Ziel auf verschiedenen Wegen und unter unterschiedlichen Bedingungen zu erreichen. Dies bedeutet, daB es in sozio-technischen Systemen nicht einen richtigen Weg zur Zielerreichung gibt, sondern mehrere Aktivitaten und Methoden, die zumeist erst in einer sinnvollen Synthese das Zielsystem befriedigen. Das aequifinale Verhalten eines Systems ergibt sich aus dem Entscheidungs- und Handlungsspielraum seiner Elemente, Subsysteme und des Systems als Ganzem. Damit ist die Einsicht in die Notwendigkeit der Gewahrleistung von Unbestimmtheitsbereichen fur komplexe Systeme angesprochen. Die Unbestimmtheitsbereiche beinhalten neben einer zielgerichteten Varietatserhohung die Tendenz zu Fehlleistungen, Konflikten und Diskontinuitaten, die nicht per se die Funktionsfiihigkeit des Systems bedrohen, sondern in gewissem AusmaB systemnotwendig sind. Eine allzu perfektionistische Systemplanung verkennt die Notwendigkeit der Tolerierung von Fehlverhalten im Interesse des Systemganzen. Eine letzte Auspragung hoherentwickelter kybernetischer Gestaltungsalternativen stellt das Ie r n end e un dIe r n f a h i g e S y s t e m dar. Lernen59) verkorpert eine Systemeigenschaft, die aufgrund gemachter Erfahrungen durch Erfolge und MiBerfolge eine Verhaltensanderung bewirkt. Dadurch wird das Prinzip der Ruckkoppelung zum tragenden Element zur Realisation von Lernprozessen. Lernen zeigt sich in zieladaquaten Reaktionen oder Anpassungen auf wechselnde, unbestimmte Umwelteinflusse. Das kognitive Modell von der AuBenwelt wird zugunsten der Ableitung zielentsprechender Anpassungsstrategien verbessert. Dadurch wird die zielgerichtete Varietat des Systems aufgrund von Informationsprozessen erhoht und subjektive UngewiBheit uber die Umweltzustande abgebaut. Die Informationsprozesse der Aufnahme, tibertragung, Verarbeitung, Speicherung und Abgabe bilden den Ansatzpunkt zur Institutionalisierung der Lernprozesse im Unternehmungssystem60). Die Organisation der UnternehVgl. Bertalanffy, L. v., Zu einer allgemeinen Systemlehre, a. a. 0., S. 39 ff. Vgl. u. a. Klaus, G. (Hrsg.), Worterbuch der Kybernetik, a. a. 0., S. 346 ff. und S. 287 f.; Haseloff, O. W., Einige Hypothesen zur Struktur von Lernprozessen, in: Neuere Ergebnisse der Kybernetik, brsg. von K. 8teinbuch, 8. W. Wagner, Mtinchen - Wien 1964, 8.14-25; 8teinbuch, K., Automat und Mensch, a. a. 0.,8.195 ff.; GroBmann, K. E., Kybernetische Aspekte des Lernens, in: Informationen tiber Information, Probleme der Kybernetik, hrsg. von H. V. Ditfurth, Frankfurt a. M. 1971, 8. 102 bis 128; Zemanek, H., Lernende Automaten, in: Taschenbuch der Nachrichtenverarbeitung, hrsg. von K. 8teinbuch, Berlin, Heidelberg, New York 1967, 8. 1383 bis 1450. GO) Vgl. Blohm, H., Metainformationen zur Anniiherung an optimale Organisationsstrukturen und Abliiufe, ZfO, 39. Jg., 1970, S. 9-16. 58)

59)

Systembezogene Organisationstheorien

233

mung als Lernsystem erfordert hierbei eine durch Varietatsbeschrankungen geordnete Umwelt. Diese laBt sich seIber wiederum als Lernsystem interpretieren, so daB die als Lernsystem organisierte Unternehmung nicht nur vor der stets sich wiederholenden Aufgabe steht, neue Strukturen und Strategien zu erlernen, sondern auch immer wieder die in ihrer Umwelt neu auftretenden Strategien und Strukturen erlernen muB61). Die Organisation des Lernens griindet sich dabei auf eine hierarchische Dispositionsordnung, namlich daB das Lernen erlernt werden kann. Die Organisation bildet die zweite Dispositionsebene, indem sie Lernstrukturen erm6glicht, die aufzeigen, wie man lernt. Die Organisation des Lernens verk6rpert genauso wie die aequifinale Verhaltensweise eine Systemeigenschaft, die angewandt auf steuernde, regelnde, ultra- und multistabile Systeme zu einer h6heren Systementwicklung fiihrt. Die aufgezeigten kybernetischen Strukturtypen und Verhaltensweisen reprasentieren keine exklusiven Gestaltungsalternativen. Vielmehr bedingen sich diese Systeme wechselseitig in Abhangigkeit von der -

Umweltkomplexitat und der

-

systeminternen Komplexitat.

Je nach der Bedingungskonstellation dieser Gr6Ben ist eine Aktivierung der einzelnen kybernetischen Systeme und deren dimensionaler Auspragungen notwendig oder nicht. Die Bedingungskonstellationen geben das AusmaB der erforderlichen zielgerichteten Varietatserh6hung an und damit auch die Notwendigkeit und das AusmaB der Gestaltung multifunktionaler, multistruktureller und mehrdimensionaler Strukturen durch Verwendung zusammengesetzter oder hybrider kybernetischer Systeme. Die zusammengesetzten kybernetischen Systeme verk6rpern je nach erforderlichem AusmaB an Varietatsreduktion einfache Systeme der Steuerung und Regelung oder h6herentwickelte Formen der Anpassung. Die Anzahl und die Verschiedenartigkeit der kybernetischen Systeme hangt von der zu bewaltigenden Komplexitat und der Fahigkeit der Systeme zur Varietatsreduktion abo Die Komplexitatsgrade und damit zusammenhangend die Mehrstufigkeit der zu gestalten den Unternehmungsprozesse erfordern eine gesamtzielbezogene Anordnung der verschiedenartigen und gleichartigen kybernetischen Systeme. Als Anordnungsprinzip der Systeme dient die Hierarchie.

3. Hierarchie a1s strukturelles Prlnzip Die Hierarchie verk6rpert ein form ales Anordnungsmuster der Systeme untereinander, das den gesamtzielbezogenen Aufgabenzusammenhang gewahrleisten solI. Sie stellt ein spezifisch organisatorisches Instrument zum 61) Vgl. Burns, T., Neuerung und Veraltern Unternehmungsfiihrung als Lernsystem, in: Neuerungsorientierte Unternehmungsfuhrung, hrsg. von W. Schurer, J. Amsler, Bern - Stuttgart 1972, S.73.

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Ansiitze organisationswissenschaitUcher Forschung

ordnenden Eingriff in die Prozesse dar. Diese werden dabei so zu Systemen zusammengefaBt, daB eine Systemhierarchie in System, Subsystem, Sub-Subsystem usw. entsteht. Die Systeme stehen in Gleich-, 'Ober- und Unterordnung zueinander, je nach AusmaB an KomplexitatsbewaItigung. Untergeordnete Systeme sind hinsichtlich ihres Entscheidungsspielraums und damit ihrer Komplexitat in Form interner Modelle in den iibergeordneten Systemen enthalten. Das AusmaB an Hierarchisierung oder die Zahl der Systemebenen ergibt sich aus dem Komplexitatsgrad (erforderliche zielgerichtete Varietatserhohung) und der quantitativen und qualitativen Kapazitat der Systeme62). Je nach Anzahl der Systemebenen liegt eine flache oder tiefe hierarchische Strukturierung vor. Die Hierarchie als formales Gestaltungsprinzip leitet sich aus ihrer Effizienz zur Komplexitatsreduktion ab63). Dieses strukturelle Prinzip findet sich in samtlichen komplexen organischen und anorganischen Systemen verwirklicht64). Die Vorteile der Hierarchie sind dabei in einer KomplexitatsbewaItigung zu sehen, wie sie aus der Gestaltungskonzeption multistabiler Systeme bekannt ist. S i m 0 n nennt zwei Griinde, weshalb komplexe Systeme hierarchisch gegliedert sein sollten: ,,1. Unter den moglichen Systemen einer gegebenen GroBe und Komplexitat haben hierarchisch gegliederte Systeme, die sich aus Subsystemen zusammensetzen, die groBte Chance, aus evolutionaren Prozessen hervorzugehen.

2. Unter den Systemen einer gegebenen GroBe und Komplexitat erfordern hierarchische Systeme viel weniger interne Informationsverarbeitung als anders strukturierte Systeme65 )." Diese Griinde verdeutlichen die Notwendigkeit der Hierarchisierung in mehrstufige Subsysteme. In der Gestaltungskonzeption der Regelung, aus der sich die hoherentwickelten Gestaltungsformen entwickeln lassen, zeigt sich die Unternehmungsstruktur als ein System vermaschter, iiber-, gleichbzw. untergeordneter Regelkreise (vgl. Abbildung 23). Voraussetzungen zur Realisation einer solchen Unternehmungsstruktur sind operational vorgegebene Ziele, Sicherstellung informationeller Riickkoppelungen und eine zweckmaBige Abgrenzung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Als Problem erweist sich die Sicherstellung des 'Obergangs von einem Regelkreis zu den anderen. Ab welcher Storvarietat und damit bei Vgl. Flik, H., Kybernetische Ansatze zur Organisation des Fiihrungsprozesses der Unternehmung, a. a. 0., S. 106 ff. 63) Vgl. Simon, H. A., The Architecture of Complexity, in: General Systems, Vol. 10, 1965, S. 63-76. 64) Vgl. Whyte, L. L., Wilson, A. G., Wilson D. (Hrsg.), Hierarchical Structures, New York 1969. (5) Vgl. Simon, H. A., Perspektiven der Automation fUr Entscheider, a. a. 0., S. 113. 62)

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Systembezogene Organisationstheorien

= FOhrungsgrCiBe RegelgroBe SG = StellgroBe FG

RG

oberste UnternehmungsfOhrung

=

FG

FG

FG

RG

mittlere UnternehmungsfOhrung

FG

FG

FG

RG

RG

RG untere Unternehmungs. fOhrung

.Jnput

Output

Abbildung 23 Hierarchisch verbundene Regelkreise 66 ) Vorliegen welcher Kriterien soUte ein Systemsprung erfolgen 67 )? Die Fragestellung entspricht dem Grundsatz des "management by exception"68). Eindeutige Aussagen lassen sich hierzu nicht ableiten, sondern sind auf den spezifischen Anwendungsfall begrenzt. Dieses Prinzip der Weiterleitung von Informationen, die fUr das betrachtete System eine Ausnahme darstellen, reprasentiert die organisatorische Grundvoraussetzung der interpersonal en Aufgabenerfullung durch Entscheidungsdelegation. Fur die ubergeordneten Systeme werden die untergeordneten Systeme zu "black-boxes", von denen lediglich die Stabilitat ihres Outputs interessiert. Die untergeordneten Systeme besitzen Entscheidungsfreiheit, um sich innerhalb gewisser Grenzen selbst an neue, unerwartet eintretende Situationen anpassen zu ki:innen, ohne daB ein ubergeordnetes System eingreifen muB. Die hierarchische Anordnung der Systeme entsprechend einer zunehmenden Ausweitung der Regeltii.tigkeit von der Regelung spezifischer SUbsysteme zu einer Regelung des Unternehmungsganzen laBt im Zusammenhang mit der erforderlichen Zielhierarchie ein "multilevel-multigoal"System69 ) entstehen. Die Hierarchisierung in Systemebenen zeigt entspreVgl. Litterer, J. A., Analysis of Organizations, a. a. 0., S. 249; Bronimann, Ch., Aufbau und Beurteilung des Kommunikationssystems von Unternehmungen, Bern stuttgart 1970, S. 85; Ulrich, H., Die Unternehmung als produktives soziales System, a. a. 0., S. 220. 67) Vgl. Flik, H., Kybernetische Ansatze zur Organisation des Fiihrungsprozesses der Unternehmung, a. a. 0., S. 127 ff. 68) Vgl. u. a. Bittel, L. R., Management by Exception, New York etc. 1964; Frese, E., Management by Exception, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp.956 bis 959. 69) Vgl. Mesarovic, M. D., Macko, D., Takahara, Y., Theory of Hierarchical, Multilevel Systems, New York - London 1970, S. 37 ff.; Mesarovic, M. D., Sanders, J. L., Sprague, C. F., An Axiomatic Approach To Organizations From a General Systems Viewpoint, in: New Perspectives in Organization Research, a. a. 0., S. 497 ff. 66)

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Ansiitze organisationswissenschajtlicher Forschung

chend der Komplexitatsunterschiede unterschiedliche Problemstrukturen, die sowohl unterschiedliche Gestaltungskonzeptionen erfordern, als auch ein unterschiedliches AusmaB an Zielkonkretisierung. Das Hierarchieprinzip zeigt die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise zur Unternehmungsgestaltung auf. Das formal definierte Hierarchieprinzip stellt eine Minimalforderung organisatorischer Gestaltung dar. Es verhilft mit zur Sicherung der Aufgabenerfiillung trotz extremer Unsicherheit. Das vor allem in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur in Anlehnung an das Biirokratiemodell mit konnotativem Gehalt versehene "Hierarchieprinzip" tragt weder der Aufgabenstellung noch dem formalen Charakter dieses Prinzips Rechnung. Zumeist wird eine dem Prinzip nicht gerechtfertigte inhaltliche Interpretation in bezug auf die Autoritatsstruktur und einen autoritaren Fiihrungsstil vorgenommen. Damit zusammenhangend wird eine Ablosung oder ein Abbau der Hierarchie gefordert. Soweit diese Forderungen berechtigt sind, betreffen sie zumeist nur einen Aspekt des mehrdimensional mit Inhalt zu fiillenden Hierarchieprinzips. So ist beispielsweise der geforderte "Obergang von der formalen zur personalen Autoritat weder mit einem Abbau der Hierarchie verbunden noch ist die formale Autoritat wesentlicher Inhalt des Hierarchieprinzips. Die einseitige, aspektorientierte Interpretation des Hierarchieprinzips verschiittet einen organisatorischen Grundtatbestand zur zielgerichteten Varietatserhohung der Systeme. Das Hierarchieprinzip laBt sich situativ in gleicher Weise autoritar und partizipativ interpretieren, wie der partizipative Modellansatz von Likert zeigt. Ein Verzicht auf eine formale Hierarchisierung in technischen, sozialen und sozio-technischen Systemen erscheint derzeit weder technisch, menschlich noch okonomisch moglich. Die Hierarchie verkorpert eine formale Grundstruktur mit minimalem Organisationsgrad, den es mittels organisatorischer MaBnahmen mehrdimensional mit Inhalt zu fiillen gilt.

B. Gestaltungstheoretisch-pragmatische Aussagen Die systemtheoretische Offenlegung der Organisation als ein mehrdimensionales Problem - wie dies im letzten Abschnitt unternommen wurde Macht gleichzeitig die Vorgehensweise der inhaltlichen Ausfiillung des gegebenen formalen Bezugsrahmens deutlich. Es gilt die verschiedenen, sich iiberlagernden Dimensionen auf organisatorische Probleme zu projizieren, so daB letztlich samtliche EinfluBfaktoren in ihrer relationalen Verbundenheit die organisatorischen Losungen bestimmen. Die Organisationsgestaltung hat von den aufgezeigten aspektorientierten organisationstheoretischen Ansatzen auszugehen, die wie ein Scheinwerfer die Oberflache des Strukturproblems beleuchten70). Die organisationstheoretischen Ansatze der Klassik, 70) Fleischmann, G., Sozialwissenschaften II, Integration bedroht die kritische Funktion der Einzeldisziplinen, Wirtschaftswoche, 26. Jg., 1972, Nr. 16, S. 53.

Systembezogene Organisationstheorien

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Neoklassik und Entscheidungstheorie, die jeweils verschiedene spezifische Blickrichtungen verfolgen, erfahren damit unter der systemtheoretischen Gestaltungsaufgabe wieder eine Neubelebung. Gleichzeitig wird die in den spezifischen Organisationsansatzen vorhandene Oberbetonung und Uberbewertung eines Aspekts zugunsten des Gesamtzusammenhangs und der Mehrdimensionalitat organisatorischer Losungen abgebaut. Die Gestaltung der Unternehmungsstruktur hat von der Mehrdimensionalitat des Unternehmungssystems auszugehen, das wiederum aus Subsystemen besteht, von denen jedes Subsystem seine ihm spezifisch zugeordnete Aufgabe in seiner eigenen Umwelt zu erfiillen hat. Die Unternehmung verkorpert demnach ein System interdependenter Strukturen, die es zu einer funktionsfahigen integrativen Ganzheit zu verkniipfen gilt. Die Schwierigkeiten, die sowohl aus der Erfassung der Mehrdimensionalitat resultieren als auch aus der Interdependenz der einzelnen strukturellen Losungen der Subsysteme, machen deutlich, daB beim derzeitigen Wissensstand keine idealen, sondern lediglich funktionsfahige, zufriedenstellende strukturelle Losungen gefunden werden konnen. Es fehlt zudem bisher an operationalen Kriterien, auf die bezogen eine Integration der Dimensionen und der Strukturen vorgenommen werden konnte. Damit verbunden ist das bis heute ungeloste Zurechnungsproblem organisatorischer MaBnahmen. Die organisatorische Leistung schlagt sich mit in den Entscheidungsergebnissen iiber die Giiterprozesse nieder. Eine isolierte Leistungsbeurteilung der Struktur, die das Entscheidungsverhalten beschrankt und beeinfluBt, ist bisher unmoglich. Die Problemvielfalt organisatorischer Gestaltung erfordert in gewissem Umfang pragmatische Losungsansatze zur Ubertragung der iiberwiegend funktional ausgerichteten systemtheoretischen Ansatze in den eigentlich organisatorisch relevanten strukturellen Zusammenhang. Die Pragmatik richtet sich hierbei auf die Bereitstellung organisatorischer Losungen zur praktischen Gestaltungsarbeit, ohne daB auf eine ausreichend empirisch gesicherte Gestaltungsbasis zuriickgegriffen werden kann. Theoretisch-empirische und pragmatisch-praxeologische Forschung miissen parallel verlaufen und sich wechselseitig befruchten, um dem Anspruch einer angewandten Forschung in einem komplexen Forschungsfeld gerecht zu werden.

I. Systembildung Die System- und Subsystembildung erfordert die Losung des Grenzproblems. Das von Chin vorgeschlagene Abgrenzungskriterium des Beziehungsreichtums in und zwischen den Systemen 71) bedingt eine prozessual-orientierte SUbsystembildung. Diese methodisch richtige Betrachtungsweise, die auch dieses Buch durchzieht, stoBt in ihrer praktischen Anwendung auf Schwierigkeiten. Die mehrdimensionale Grundstruktur des Unternehmungssystems 71)

Vgl. S. 213 dieser Arbeit.

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Anslitze organisationswissenscha;ftticher Forschung

erfordert ein mehrdimensionales Kriterium zur Abgrenzung und Bildung von SUbsystemen. Die Bezugnahme auf den Beziehungsreichtum als mehrdimensionale Auspragung wtirde eine Losung des Amalgamationsproblems voraussetzen. Die hiermit verbundenen Probleme sind intersubjektiv nicht eindeutig zu losen. Es sind stets Prioritatsregeln festzulegen, die angeben, welcher der Gtiterprozesse und welche Dimension(en) dieser Prozesse Vorrang erhalten. Die Bestimmung des Beziehungsreichtums in und zwischen den Subsystemen, gemessen durch die An z a hIder Beziehungen, erscheint damit als al1zugroBe Vereinfachung, solange es nicht gelingt, in einer mehrwertigen MeBzahl neben Anzahl, Dichte, Intensitat und Wert der Beziehungen zu erfassen sowie die Kapazitat der Elemente und Subsysteme festzulegen. Diese groBteils ungelosten MeBprobleme sind eng verbunden mit der bisher vernachlassigten empirischen Forschung zur Bestimmung der EinfluBfaktoren organisatorischer Gestaltung. Die Art und Bedeutung der EinfluBfaktoren und deren wechselseitige Interdependenzen hangen von der jeweiligen Situation abo Die Vielfalt an EinfluBfaktoren erfordert eine Beschrankung auf eine praktikable Anzahl, von der dann trotz signifikanter empirischer Testergebnisse nicht behauptet werden kann, daB sie ursachlich sind. AuBerdem lassen sich aus einem empirisch vorhandenen Material mehrere Kombinationen von EinfluBfaktoren ableiten, ohne daB an Hand dieses Materials die falschen Modelle unter diesen Kombinationen verworfen werden konnen72). Die unterschiedlichen Ergebnisse der vorliegenden empirischen Untersuchungen zur Bestimmung der EinfluBfaktoren organisatorischer Gestaltung werden aus diesen Problemen heraus verstandlich. Die empirischen Untersuchungen unterliegen methodischen und inhaltlichen Beschrankungen, die eindeutige Aussagen tiber die EinfluBfaktoren und die Effizienz der einen oder anderen Form der Subsystembildung nicht zulassen. Sie liefern jedoch Einsichten in mogliche Arten und Zusammenhange der EinfluBfaktoren und tiber mogliche Erganzungen vorhandener Modellvorstellungen, die in ihrer Operationalitat und Neuartigkeit bisher unerkannt gebliebene Problemvariable erschlieBen. Die Probleme, die aus der Mehrdimensionalitat der Beziehungen in und zwischen SUbsystemen und aus der Vielfalt und Kausalitat der EinfluBfaktoren organisatorischer Gestaltung resultieren, erfordern eine pragmatisch akzentuierte. Abgrenzung und Bildung struktureller SUbsysteme. Ausgehend vom aufgabenlogischen Organisationszusammenhang werden im folgenden Kriterien zur Subsystemdifferenzierung abgeleitet, die sukzessive, in sich tiberlagernder Weise eine mehrdimensionale Determination erfahren sollten. Daran anschlieBend werden mogliche EinfluBfaktoren organisatorischer System- bzw. Subsystemgestaltung behandelt, wie sie sich aus empirischen Untersuchungen ergeben haben. VgI. Hilton, G., Causal Inference Analysis: A Seductive Process, Administrative Science Quarterly. Vol. 17, 1972, S. 44-57; Heise, D. R., How Do I Know My Data? Let Me Count the Ways, Administrative Science Quarterly Vol. 17, 1972, S. 58---61. 72)

Systembezogene Organisationstheorien

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1. Verfahrenstedmik und formaIe Merkmale der SystembHdung Die UnzuHinglichkeit der dem Organisator zur Verfiigung stehenden Gestaltungsmethoden verhindert eine simultane, mehrdimensionale Systemdifferenzierung. Aus diesem Grunde ist der Organisator gezwungen, die mehrdimensionale Problemstruktur unter S~tzung von Prioritaten sukzessive abzuarbeiten. Theorie und Praxis stellen den aufgabenlogischen Aspekt des Problems in den Vordergrund der Gestaltungsbemiihungen. Die sozialen und technologischen Problemaspekte werden im AnschluB an die Aufgabenstrukturierung a1s Beschriinkungen und Modifikatoren sukzessive beriicksichtigt73). Die mehrdimensionale Organisationsstruktur erfiihrt auf diese Weise eine zunehmende, sukzessive Determination. Ausgehend von dem aufgabenlogischen Gestaltungsaspekt lassen sich zur Subsystembildung zwei verfahrenstechnische Strategien verwenden. Zum einen hande1t es sich um die mer k m a Iso r i e n tie r t e, zum anderen um die pro z e s sua I e (relationsorientierte) Strategie der Subsystembildung';'). Wegen der Erfassungs- und MeBprobleme des Beziehungszusammenhangs einer auch nur aspektorientierten prozessualen Subsystemdifferenzierung betrachten wir beide Strategien nicht als Gegensatz, sondern als sich bedingende Strategien einer pragmatischen Vorgehensweise. Dabei ist idealtypisch so vorzugehen, daB zunachst mittels der yom organisatorischen Aufgabenzusammenhang abgeleiteten Merkmale eine Subsystemdifferenzierung vorgenommen wird. Die erhaltenen Subsysteme sind daran anschlieBend so umzugestalten, daB sie den operational erfaBbaren Grenzbedingungen des Beziehungsreichtums aufgabenbezogener, prozessualer Betrachtungsweise (Dichte, Intensitat, Kosten, Ertrage usw.) entsprechen. Unter Beriicksichtigung der vorgenommenen aspektorientierten Betrachtungsweise des Aufgabenzusammenhangs sind in weiteren Schritten organisatorischer Subsystemdifferenzierung die anderen (technischen und sozialen) Aspekte merkmalsorientiert und prozessual zu beriicksichtigen. 1m Wege sukzessiver, zunehmender Determination mit sich realiter iiberlagernden Prozessen erfahrt die mehrdimensionale Problemstruktur der Unternehmung eine operational-pragmatische Beriicksichtigung in der organisatorischen SUbsystembildung. Die aufgezeigte Verfahrenstechnik zur Systembildung entspringt letztlich entsprechend ihrer Pragmatik dem vorhandenen Wissen iiber die Merkmale 73) Vgl. u. a. Kosiol, E., Einfiihrung in die Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 108 ff.; Mahler, W. R., structuring the Organization, in: Handbook of Business Administration, hrsg. von H. B. Maynard, New York, San Franzisco, Toronto, London, Sydney 1967, S. (2-18) ff.; Ansoff, H. J., Brandenburg, R. G., A Language for Organization Design, Management Science, Vol. 17, 1971. 74) Vgl. Gagsch, S., Probleme der Partition und Subsystembildung in betrieblichen Informationssystemen, in: Management-Informationssysteme, Eine Herausforderung an Forschung und Entwicklung, hrsg. von E. Grochla, N. Szyperski, Wiesbaden 1971, S. 628 ff.

Ansiitze organisationswissenschaftZicher Forschung

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zur Systembildung. Lediglich die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der prozessualen Systembildung lassen diese methodisch richtige Vorgehensweise sekundiir erscheinen. Die Probleme, die mit der Messung des Beziehungsreichtums in und zwischen den Systemen verbunden sind, begrenzen eine pragmatische, prozessuale Systembildung auf den spezifischen Anwendungsfall. Allgemeingiiltige Aussagen lassen sich aus dem derzeitigen Wissensstand lediglich fiir die formale merkmalsorientierte Subsystembildung machen. Aus dem auf gab en log i s c hen Zusammenhang der formalen Organisation kommen als Mer k m a led e r S y s t e m b i I dun g zur Anwendung75): -

Verrichtungen ("Funktionen") Objekte (Produkte, Regionen)

-

Projekte

-

kombinierte Anwendungen.

Die Zusammenfassung oder Zentralisation gleichartiger Aufgabenmerkmale fiihrt zur SUbsystembildung. Je nach unternehmungspolitischer Prioritiit fUr die Aufgabenmerkmale entsteht eine Hierarchie zwischen den Merkmalen, die, bezogen auf die oberste Gliederungsebene der formalen Organisation, zu den Erscheinungsformen der Verrichtungs- oder Objektorganisation und der diese Formen iiberlagernden Projektorganisation fUhrt. Zu diesen reinen Organisationsformen treten Mischformen, die sich aus einer kombinierten Anwendung der Aufgabenmerkmale auf die oberste Hierarchieebene ergeben. Unabhangig von dieser Kennzeichnung der Organisationsformen durch die Aufgabenmerkmale in bezug auf die oberste Hierarchieebene konnen auf den mittleren und unteren Ebenen gleiche oder unterschiedliche Merkmale zur Anwendung kommen. Die Ve r ric h tun g s 0 r g ani sat ion laBt sich in industriellen Unternehmungen durch eine Subsystembildung gemiiB den Verrichtungsgruppen Entwicklung, Beschaffung, Fertigung, Absatz und Verwaltung vornehmen. Die Subsystembildung kniipft an den RealgiiterprozeB der Unternehmung an. Der Grundgedanke der verrichtungsgebundenen Subsystembildung lieg1 in der Spezialisierung und Arbeitsteilung auf gleichartige Verrichtungen an unterschiedlichen Objekten. Eine Absorptionsleistung externer und interner StorgroBen wird iiber die Pufferfunktion der Lagerhaltung erbracht76). Die Zentralisierung artgleicher Verrichtungen entlang des Realgiiterprozesses Vgl. Bleicher, K., Perspektiven fUr Organisation und Fiihrung von Unternehmungen, a. a. 0., S. 73 ff.; Hoffmann, F., Merkmale der Fiihrungsorganisation amerikanischer Unternehmen - Ausziige aus den Ergebnissen einer Forschungsreise 1970, ZfO, 41. Jg.,1972, S. 3-8, S. 85-89; Wickenhauser, F., EDV - Instrument des Controllers, Diss., Miinchen 1970, S. 52. 76) Vgl. Thompson, J. D., Organizations in action, New York etc. 1967, S. 20 f.; Bleicher, K., Perspektiven fUr Organisation und Fiihrung von Unternehmungen, a. a. 0., S. 75 ff. 70)

Systembezogene Organisationstheorien

241

fordert eine suboptimale Ausrichtung der Subsysteme zum Nachteil einer gesamtzielbezogenen Unternehmungsfiihrung77). Je heterogener das Produktionsprogramm einer Untemehmung ist, desto mehr werden grenziiberschreitende Beziehungen zur objektbezogenen Koordination erforderlich. Die Gewahrleistung der Subsystemzusammenhange erfordert die Systembildung nach dem Objektmerkmal. Die 0 b j e k tor g ani sat ion beruht auf einer Subsystembildung gemaB den Produkten, Produktgruppen, Kauferschichten oder geographischen Bereichen einer Untemehmung. Die Zusammenfassung aller Aktivitaten oder Verrichtungen im Hinblick auf ein Produkt oder einen geographischen Bereich laBt das Objekt-Subsystem (Sparte oder Division) entstehen. Dementsprechend wird in bezug auf die unterschiedlichen Produkte oder Regionen einer Untemehmung von einer Objekt-, Sparten- oder divisionalen Organisationsfo;rm gesprochen78). Am ausgepragtesten findet sich die Heterogenitat des Produktionsprogramms und damit die Grundvoraussetzung zur Divisionalisierung in diversifizierten Unternehmungen und sogenannten Konglomeraten79). Diese Untemehmungstypen kommen vor allem bei intemationalen und multinationalen Untemehmungen vor, bei denen der regionale Gesichtspunkt bei der Bildung der Organisationsstruktur auf der obersten Strukturebene von wesentlicher Bedeutung ist. Die Objektorganisation ist auf eine gesamtzielbezogene Untemehmungsfiihrung iiber den Gewinn ausgerichtet. Voraussetzung hierzu ist die Delegation der erforderlichen Entscheidungskompetenz auf die Fiihrungsorgane der Objektsysteme, die fiir das wirtschaftliche Ergebnis ihrer Bereiche die Verantwortung tragen (profit-Center-Konzept). Die Objektsysteme erhalten den Charakter wirtschaftlich unabhangiger "Subuntemehmungen" innerhalb der Gesamtuntemehmung, ohne zwingende rechtliche Selbstandigkeit. Die Untemehmungsorganisation wird damit zu einem multistabilen System, das aus mehreren objektbezogenen ultrastabilen Systemen zusammengesetzt ist. Dies ermoglicht neben der ultrastabilen Eigenschaft der Aufrechterhaltung der Stabilitat gegeniiber Storfeldem durch Pufferbildungen die partielle Anpassung an spezifische Umweltfelder. Die Objektsysteme werden in die Lage versetzt, ihre Ziele unmittelbar auf die betreffenden Produkte und Teilmarkte auszurichten, Anderungsprozesse besser einzuschatzen und Reaktionsprozesse mit geringen zeitlichen Verzogerungen einzuleiten. Vorausset77) Zu den Problemen einer gesamtzielbezogenen Fiihrung bei einer Verrichtungs-

organisation vgl. Hoffmann, F., Organisation der FUhrungsgruppe, a. a. 0., S. 91 ff. 78) VgI. Albach, H., Koordination, der Planung im Grofiunternehmen, a. a. 0., S. 339 f.; Eisenfiihr, F., Zur Entscheidung zwischen funktionaler und divisionaler Organisation, ZfB, 40. Jg. 1970, S. 727-746; Grochla, E., Unternehmungsorganisation, a. a. 0., S. 187 ff.; Mertens, P., Divisionalisierung, Neue Betriebswirtschaft und Betriebswirtschaftliche Datenverarbeitung, 22. Jg., 1969, S. 1-10; Giilweiler, A., Grundlagen der Divisionalisierung, ZfO, 40. Jg. 1971, S. 55-66; Morris, W. T., Decentralization in Management Systems, Ohio State University, 1968. 79) Vgl. Fouraker, L. E., Stopford, J. M., Organizational Structure and the Multinational Strategy, Administrative Science Quarterly, Vol. 13, 1968, S. 47-64. 16 Hoffmann

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Ansittze organisationswissenscha;ftlicher Forschung

zung hierzu ist eine den Produkt- bzw. geographischen Merkmalen adiiquate Umweltdifferenzierung. Die nach diesen formalen Merkmalen abgebildeten Sub-Umwelten konnen in bezug auf andere (technische, soziale) Kriterien Abhiingigkeiten aufweisen, die zu Integrationsproblemen des Gesamtsystems fiihrensO). Aus diesem Grunde wird eine Subsystemdifferenzierung innerhalb der Untemehmungsorganisation notwendig, welche die Verrichtungsund Objektsysteme iiberlagert und je nach Problemsituation aktiviert werden kann. Eine solche Systemdifferenzierung 11iBt sich mit Hilfe des ProjektMerkmals realisieren. Die Pro j e k tor g ani sat ion kennzeichnet eine temporiire SUbsystembildung zur Erfiillung einer komplexen, zeitlich begrenzten Aufgabe, die den Zustiindigkeitsbereich mehrerer Verrichtungs- oder Objektsysteme iiberlagert und beriihrtSl). Die projektorientierte Subsystembildung hiingt von einer sinnvollen Projektbildung ab, die sich aus dem Aufgabenzusammenhang der Sub-Umwelten ableitet. Das Projekt muB einmaligen und temporiiren Charakter tragen, muB komplex und mit Unsicherheiten und Risiken verbunden sein und muB eine Zusammenarbeit mehrerer Spezialisten aus mehreren Systemen erfordem. Aus der organisatorischen Zusammenfassung der erforderlichen Menschen und Mittel zur koordinierten Planung und Durchfiihrung des Projekts und aus der Art und dem AusmaB der Projektleitungskompetenz haben sich mehrere Projekt-Formen entwickelt. Eine erste Projekt-Form sieht vor, daB die Menschen und Sachmittel aus den SUbsystemen der bestehenden Untemehmungsorganisation rekrutiert werden ("T ask - For c e"}. Demgegeniiber steht eine zweite altemative Projekt-Form, bei der die Menschen und Sachmittel groBteils eigens fiir die Durchfiihrung der Projekt-Aufgabe eingestellt oder vom Markt bezogen werden ("P r 0 j e c t - 0 r g ani z a t ion"). Nach der Art und dem AusmaB der Projektleitungskompetenz kann zusiitzlich zwischen einer rei n e n Pro j e k tor g ani sat ion unterschieden werden, bei der die Projektleiter umfassende Kompetenzen und Verantwortungen auch gegeniiber den Leitem der Verrichtungs- und Objektsysteme besitzen, und einer Pro j e k t k 0 0 r din a t ion, bei welcher den Projektleitungen reiner Stabscharakter auf Empfehlungsbasis zukommt. 80) Zu den Problemen einer gesamtzielbezogenen Fiihrung bei einer Objektorganisation vgl. Hoffmann, F., Organisation der Fiihrungsgruppe, a. a. 0., S. 103 ff. 81) Vgl. Cleland, D. J., King, W. R., Systems, Analysis and Project Management, New York etc. 1968, S. 151 ff.; Cleland, D. J., Project Management, in: Systems, Organization, Analysis, Management: A Book of Readings, hrsg. von D. J. Cleland, W. R. King, New York etc. 1969, S. 281-290; Sigwart, H., Menzl, A., Aufbau eines Projektmanagements in der Forschung und Entwicklung, Betriebswirtschaftliche Mitteilungen Nr. 50, Bern 1970; SchrOder, H. J., Projekt-Management, Eine Fiihrungskonzeption fUr auBergewohnliche Vorhaben, Wiesbaden 1970; Zimmermann, K., Die Projektgruppe als Organisationsform zur Losung komplexer Aufgaben, ZfO, 39.Jg., 1970, S. 45-51; Wickesberg, A. K., Cronin, T. C., Management by Task Force, Harvard Business Review, Vol. 40, Nov'!Dez. 1962; Staerkle, R., Die Gestaltung der Unternehmungsorganisation zur BewiUtigung neuer Aufgaben, in: Strukturwandlungen der Unternehmung, a. a. 0., S. 206 ff.

Systembezogene Organisationstheorien

243

Die Projektorganisation fiihrt zu einer flexiblen und anpassungsfahigen Untemehmungsorganisation, die entsprechend den situativen Gegebenheiten aktiviert werden und ohne wesentlichen zeitlichen Aufschub neue Problemfelder in Angriff nehmen kann. Diesem Vorteil der Projektorganisation ("Task Force") steht der Nachteil82) gegeniiber, daB in den Verrichtungs- und Objektsystemen eine latente Verfiigbarkeit von Aufgabentragem vorausgesetzt wird, was eine organisatorischen 'Oberkapazitat voraussetzt. Hinzu treten sozial-psychologische Probleme, die aus der Eingliederung der Projektmitglieder nach Erfilllung der Projektaufgabe in die Verrichtungs- und Objektorganisation resultieren. Die Strukturierungskonzeptionen nach den aufgabenlogischen Merkmalen der Verrichtungen, der Objekte und der Projekte finden sich zumeist in Mis c h for men angewandt88). Auf gleichen und unterschiedlichen hierarchischen Ebenen kommen dabei unterschiedliche Merkmale zur Anwendung. Das Ergebnis einer Untersuchung amerikanischer Fiihrungsorganisationen intemationaler und multinationaler Untemehmungen ergab84), daB die obere Untemehmungsfiihrung groJ3teils nach Produkten und geographischen Merkmalen strukturiert ist. Bei der mittleren Unternehmungsfiihrung tritt zusatzIich das Merkmal der Verrichtung hinzu sowie bedingt das Projekt-Merkmal. Die untere Unternehmungsfiihrung ist wesentlich vom Verrichtungs- und vom Projekt-Merkmal bestimmt. Abbildung 24 zeigt vereinfacht die Beziehung zwischen Merkmalen der Systembildung und der Untemehmungshierarchie.

Produkte-

obere Untemehmungsfuhrung

mittlere UnternehmungsfOhrung

untere UnternehmungsfOhrung

Abbildung 24 Merkmale der Systembildung aUf den verschiedenen Ebenen der Unternehmungshierarchie

Die aufgezeigte eindimensionale, formale Strukturierung entsprechend den aufgabenlogischen Merkmalen bedarf sowohl hinsichtlich einer mehrdimen82) Vgl. hierzu auch die aus der Anwendung der Projektorganisation slch ergebenden Weisungsiiberschneidungen auf S. 282 f. dieser Arbeit. 83) Vgl. Hoffmann, F., Merkmale der Fiihrungsorganisation amerikanischer Unternebmen, a. a. 0., S. 4 ft. 84) Vgl. ebenda, S. 6 f.

16*

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Ansiitze organisationswissenschaftlicher Forschung

sionalen, merkmalsorientierten als auch in Bezug auf eine mehrdimensionale, prozessuale Subsystembildung einer Erweiterung. Erste Ansatze liegen in empirischen Untersuchungen vor, die im Hinblick auf mogliche Dimensionen von Multi-Untemehmungsstrukturen auf eine operationale Erfassung moglicher Einflu13faktoren organisatorischer Systemgestaltung abzielen.

2. Dimensionen stmktureUer Systemblldong Die situative Gestaltung der Systemstrukturen der Untemehmung in Abhangigkeit von den systemspezifischen Gegebenheiten und von den relevanten Umweltkonstellationen setzt eine Bestimmung der dimensionalen Auspragungen der Struktureigenschaften in Abhangigkeit von ihren intemen und extemen Bestimmungsfaktoren oder Kontextvariablen voraus. Je nach Relevanz und Auspragung der Bestimmungsfaktoren erfahren die Systemstrukturen eine unterschiedliche mehrdimensionale Charakterisierung. Die Zusammenfassung der Dimensionen zu Systemstrukturen entsprechend den gesetzten System z i e len der Untemehmung erlaubt die Ableitung effizienter Strukturen (vgl. Abbildung 25).

Abbildung 25 Bestimmungsfaktoren von Systemstrukturen Sofem sich aus den intemen oder extemen Bestimmungsfaktoren kritische Variable fiir das Bestehen des Systems ergeben, bilden diese den Ansatzpunkt zur strukturellen Gestaltung der SUbsysteme. Sowohl die Ableitung effizienter Systemstrukturen als auch die Gestaltung entsprechend der kritischen Variablen erweist sich aufgrund der MeBprobleme als begrenzt. Dariiber hinaus ergeben sich aus der Vielfalt, Unbestimmtheit und Variabilitat der Einflu13faktoren auf die Systemstrukturen Begrenzungen einer situativen Gestaltung. Die Vielfalt und die Interdependenzen zwischen den EinfluBfaktoren verhindem eine eindeutige kausalanalytische Determinierung. Die empirisch gewonnenen Ergebnisse iiber die Dimensionen und die Bestimmungsfaktoren von Systemstrukturen sind daher als Moglichkeiten von Kontinuen anzusehen, die auf eine Operationalisierung der Begriffssysteme abzielen, Grundlage zur Schaffung empirischer Taxonomien bilden und eine Erfassung moglicher Bestimmungsfaktoren zur situativen Strukturgestaltung anstreben. 1m folgenden werden aus der Fiille

Systembezogene Organisationstheorien

245

an Literatur mogliche klassifizierende VorschHige der Dimensionen und der Bestimmungsfaktoren der Struktur wiedergegeben sowie im Anschlu13 daran exemplarisch einige Ergebnisse zum Einflu13 moglicher Faktoren auf die Strukturherausgegriffen. 21. Klassifizierungen In bezug auf ein geschlossenes System der Unternehmung leitet Hag e85) in

seinem axiomatisch formulierten Ansatz mogliche Strukturdimensionen ab, die er mit vier Effizienzkriterien der Organisation in Hypothesenform verknupft. Als Effizienzkriterien und Strukturdimensionen werden hierbei genannt: Ejjizienzkriterien gemessen durch Indikatoren -

Flexibilitat,

-

Umsatz,

-

Kosten, Zufriedenheit,

Anderungsrate des Produktionsprogramms; neu eingefiihrte Technologien; Anzahl und Anderungsrate der verkauften Erzeugnisse; Gesamtkosten pro Einheit verkaufter Erzeugnisse; Fluktuationsrate.

Strukturdimensionen gemessen durch Indikatoren -

Komplexitat (Spezialisierung), Zentralisation (Autoritatshierarchie), Formalisierung (Standardisierung), Stratifikation (Statussystem),

Anzahl an Spezialisten; Ausbildungsniveau; Verhaltnis der Stellen, deren Inhaber am EntscheidungsprozeB partizipieren; schriftliche Fixierung genereller Regelungen; Unterschiede im Einkommen.

Aufgrund der Abhangigkeit zwischen den Effizienzkriterien und den Strukturdimensionen kommt Hage zu folgenden Grund-Hypothesen:

I. Je hoher die Zentralisation, II. J e hoher die Formalisierung, m. Je hoher die Zentralisation, IV. Je hOher die Stratifikation, V. Je hOher die Stratifikation,

desto hoher der Umsatz. desto hoher die Kosten. desto hOher die Formalisierung. desto niedriger die Zufriedenheit. desto hoher der Umsatz.

S5) VgI. Hage, J., An Axiomatic Theory of Organizations, Administrative Science Quarterly. Vol. 10, 1965, S. 289-320.

246

Ansittze organisationswissenschciftlicher Forschung

VI. Je hoher die Stratifikation, Vll. Je hoher die Komplexitat,

desto niedriger die Flexibilitat. desto niedriger die Zentralisation.

Aus diesen Grundhypotbesen leitet Hage durch Syllogie weitere Hypotbesen abo Die "Geschlossenheit" des von Hage gew8.hlten Bezugsrahmens bietet zwei Ansatzpunkte zur Kritik. Erstens sind die Effizienzkriterien und Strukturdimensionen weder vollstandig noch sind die Dimensionen sich gegenseitig ausschlieBende GroBen. Zweitens 'sind die Grund- und abge1eiteten Hypotbesen in nur sehr begrenztem Umfang empirisch erhartet; ein GroBteil der Hypotbesen beruht auf Spekulationen und Vermutungen, die lediglich Einsichten in mogliche Organisationszusammenhange vermitteln konnen. Einen in methodischer und empirischer Hinsicht anspruchsvollen Klassifikationsvorschlag unterbreitet die sogenannte A s ton - G r u p p e86). Ausgehend von fiinf grundsatzlichen Strukturdimensionen entwickelt diese Gruppe aufgrund einer vergleichenden Analyse von 52 Arbeitsorganisationen 64 MeBoperationen, die auf ihre Diskriminationsfahigkeit untersucht werden und mit Hilfe der Faktoranalyse zu einem Strukturprofil mit vier Dimensionen reduziert werden. Abbildung 26 zeigt den Zusammenhang zwischen den anfanglich gew8.hlten und den daraus faktoriell abgeleiteten Dimensionen81); urspriingliche Dimensionen

obgeleitete Dimensionen

Speziolisierung Strukturierung der Aktivitiiten

Siondordisierung Formolisierung_ Zentrolisotion

Konzentrotion der Autoritiit

Konfigurotion (Rollen: _ struktur)

linienkontrolle des Arbeitsflusses; unterstijtzende Aktivitiiten.

Abbildung 26 FaktorieU abgeleitete Strukturdimensionen

Den vier abgeleiteten Dimensionen werden in einer weiteren vergleichenden Untersuchung die Bestimmungsfaktoren oder Kontextvariablen gegeniiberVgl. Pugh, D.S., Hickson, D.J., Hinings, C.R., Macdonald, K.M., Turner, C., Lupton, T. , A Conceptual Scheme for Organizational Analysis, Administrative Science Quarterly, Vol. 8,1963, S. 289-315. 81) Vgl Pugh, D. S., Hickson, D. J., Hinings, C. R., Turner, C., Dimensions of Organization Structure, Administrative Science Quarterly, Vol 13, 1968, S. 65-105.

88)

Systembezogene OrganisationstheOTien

247

gestellt88). Ais solche werden betrachtet: Ursprung und Geschichte der Unternehmung, Eigentiimer und Kontrollbeziehungen, GroBe der Unternehmung, Unternehmungspolitik, Technologie, geographische Lage und Abhiingigkeit der Unternehmung von anderen Unternehmungen. Unter Operationalisierung und Verwendung von Skalen fiir die Bestimmungsfaktoren wird versucht, die abgeleiteten Strukturdimensionen mit Hilfe multipler Regressionsanalysen vorauszusagen. Dabei wird weder eine Behauptung iiber die relative Bedeutung der Bestimmungsfaktoren angestrebt, noch ist es aufgrund der empirischen Daten moglich, einen Hypothesentest durchzufiihren. Es wird lediglich eine Basis zur Gewinnung von Hypothesen gelegt. Die signifikanten Ergebnisse iiber den Zusammenhang zwischen den Bestimmungsfaktoren und den Dimensionen zeigt Abbildung 27. Die Untersuchungen der Aston-Gruppe liefern einen Bezugsrahmen, der iiber operational definierte Begriffe ein empirisches Konzept bietet, das Anhaltspunkte iiber mogliche Dimensionen gibt, die bei Veranderung spezifischer Bestimmungsfaktoren neu gestaltet werden miissen. Die Konzeption stiitzt sich hierbei auf die methodologischen RegeIn der analytischen Wissenschaftstheorie. Die konsequente, operationale Anwendung dieser RegeIn zur Erklarung von Strukturen verdeutlicht einen wissenschaftlichen Fortschritt, der sich sowohl in bezug auf die methodischen Voraussetzungen als auch in bezug auf die Komplexitat des Forschungsfeldes miihevoll und in kleinen Schritten vollzieht.

Strukturdimensionen

: Bestimmungsfaktoren

Strukturierung der Aktivitiiten

• GroBe, • Technologie;

Konzentrotion der Autoritot

Abhongigkeit von onderen : Unternehmungen, geographische loge der Unternehmung;

------------------------------_.- - - - - - - - - - - - - - - - - - - --- -Linienkontrolle des Arbeitsflusses

Untemehmungspolitik, insbes. in bezug • ouf die Variabilitiit des Praduktions• prozesses und des Produktionsprogramms.

Abbildung 27 Zusammenhang zwischen Dimensionen und Bestimmungsfaktoren Vgl. Pugh, D. S., Hickson, D. J., Hinings, C. R., Turner, C., The Context of Organization Structures, Administrative Science Quarterly, Vol. 14, 1969, S. 91 bis 114; Inkson, J. H. K., Pugh, D. S., Hickson, D. J., Organization Context and Structure: An Abbreviated Replication, Administrative Science Quarterly, Vol. 15, 1970, S. 318-329. SS}

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Ansiitze organisationswissenschaftZicher Forschung

Aus der Eigenschaft der Unternehmung als offenes System entwickelt Lea v i t t89) in AnIehnung an Lawrence/Lorsch90) eine Klassifikation der Bestimmungsfaktoren der Struktur. Ausgehend von den Elementen des Organisationssystems werden als strukturbestimmende Faktoren die Aufgaben, die Sachmittel oder die sie priigende Technologie und die Menschen in der Unternehmung angesehen. Diese Faktoren stehen in einem interdependenten Beziehungszusammenhang und werden durch die Umwelt in ihrem jeweiligen EinfluB auf die Struktur bestimmt. Abbildung 28 gibt den Zusammenhang plastisch wieder.

Umwelt

Abbildung 28 Bestimmungsfaktoren struktureller Losungen Die Bestimmungsfaktoren der Struktur lassen sich hierbei nach mehreren Dimensionen aufschliisseln. Die Auf gab e hat insbesondere hinsichtlich ihrer91) - Wiederholungshiiufigkeit - Konstanz - Komplexitiit - Determiniertheit einen unterschiedlichen EinfluB auf die Struktur. Die Einfliisse des Mens c hen auf die Struktur variieren insbesondere hinsichtlich92) - Leistungsfiihigkeit und - Leistungswillen. Der Einsatz des Sac h mit tel s und dessen Einfliisse auf die Struktur ergeben sich insbesondere in Abhiingigkeit von9S) VgI. Leavitt, H. J., Managerial psychology, a. a. 0., S. 259 ff. VgI. Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Organization and Environment, Managing Differentiation and Integration, Homewood, Illinois 1969. 01) VgI. Schmidt, G., Bestimmungsfaktoren organisatorischer Losungen, Zur Differenzierung organisatorischer Aussagen, ZfO, 39. Jg., 1970, S. 357 f. tz) VgI. ebenda, S. 358 ff. 93) VgI. Kubicek, H., Der Zusammenhang zwischen Informationstechnologie und Organisationsstruktur, ZfO, 41. Jg., 1972, S. 287-296.

89)

90)

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-

249

Anwendungsformen und mensch.licher Disposition.

Die Interdependenzen zwischen den Bestimmungsfaktoren und der Umwelt sowie deren EinfluB auf die Struktur verdeutlichen die Komplexitat und die Schwierigkeiten der Ableitung kausalanalytischer Wirkungszusammenhange. Die Forschung befindet sich in der Aufdeckung der Bestimmungsfaktoren und der Untersuchung ihrer Einfliisse auf die Dimensionen der Struktur zwar in einem vielversprechenden Bezugsrahmen, doch sind beim gegenwartigen Wissensstand noch keine eindeutigen Aussagen moglich. Die vorliegenden empirischen Ergebnisse, die im folgenden angefiihrt werden, miissen daher als Tendenzaussagen im Rahmen explorativer Studien angesehen werden. 22. Einfliisse von Bestimmungsfaktoren auf die Struktur Aus der Vielzahl moglicher Einfliisse auf die Struktur und deren Dimensionen werden im folgenden drei Bestimmungsfaktoren herausgegriffen, die sowohl bisher im Mittelpunkt der empirischen Organisationsforschung standen als auch in hohem MaBe signifikante Ergebnisse zeitigten. Es handelt sich um die Bestimmungsfaktoren der GroBe, der Technologie und der Umwelt. 221.

Grope und Struktur

Der EinfluB der GroBe auf die Struktur wird unterschiedlich beurteilt. Wahrend die im folgenden zu behandelnden Untersuchungen von einem grundlegenden Bestimmungsfaktor sprechen, sehen andere Autoren die GroBe als einen unkritischen Faktor in der Bestimmung der Struktur an94). Die Schwierigkeiten resultieren aus den Problemen der Kausalanalyse, die stets iiber den Entscheidungszusammenhang der Unternehmung fiihrt. Grundsatzlich erscheint es abwegig, einen Faktor a priori aufgrund von statistisch signifikanten Korrelationen als bestimmend anzusehen, sofern nicht geklart ist, wie dieser Faktor mit anderen GroBen korreliert. Die bisherigen empirischen Ergebnisse lassen lediglich den SchluB zu, daB die GroBe ein moglicher Bestimmungsfaktor ist, der in einigen Untersuchungen signifikante Ergebnisse zeitigte und in anderen Untersuchungen erst in Verbindung mit anderen Faktoren strukturbestimmend wirkte95). Die Messung der GroBe erfolgt grundsatzlich an der Anzah! der Arbeitnehmer, an der Anzahl der Unternehmungsteilnehmer (einschlieBlich Kunden, Vgl. Blau, P. M., Scott, W. R., Formal Organizations, a. a. 0., S. 7; Zelditsch, M., Jr., Can You Really Study an Army in the Laboratory?, in: A Sociological Reader on Complex Organizations, a. a. 0., S. 529 f.

94)

VgI. Hall, R. H., Haas, J. E., Johnson, N. J., Organizational Size, Complexity, and Formalization, American Sociological Review, Vol. 32, 1967, S. 903-912; Hall, R. H., Organizations, Structure and Process, Englewood Cliffs, N. J., 1972, S. 109 ff.

95)

250

Ansatze organisationswissenschaftHcher Forschung

Lieferanten, Banken) und am Netto-Kapital. Die Untersuchungen der AstonGruppe zeigen96), daB die Indikatoren der GroBe miteinander korrelieren und demzufolge austauschbar sind. Aus den Untersuchungen der Aston-Gruppe ergibt sich ein erster positiver Zusammenhang zwischen der GroBe und der Strukturdimension der StruktJ,lrierung der Aktivitaten97). Die Dimension "Strukturierung der Aktivitaten" setzt sich aus den urspriinglichen Dimensionen der Spezialisierung, Standardisierung und Formalisierung zusammen. Auf diese Dimensionen bezogen ergibt sich folgende Tendenzaussage: Je groBer die Unternehmung ist, desto mehr ist diese spezialisiert, standardisiert und formalisiert. In bezug auf die Dimension der Zentralisation wurde eine negative Beziehung zur GroBe festgestellt. Somit ergibt sich, je spezialisierter, standardisierter und formalisierter die Unternehmung ist, desto geringer ist ihr Zentralisationsgrad. Eine Untersuchung von M eye r 9S), deren Priiffeld sich auf die Finanzabteilungen der Gemeinden, Lander und des Staates in den Vereinigten Staaten bezieht, zeigt, daB die GroBe sowohl mit der vertikal-hierarchischen als auch mit der horizontal-funktionalen Systemdifferenzierung positiv korreliert ist. Die vertikal-hierarchische Differenzierung wird iiber die Anzahl der Leitungsebenen gemessen; die horizontal-funktionale Differenzierung iiber die Anzahl der Abteilungen auf den jeweiligen Leitungsebenen. Die vertikale und die funktionale Differenzierung werden als zwei Alternativen betrachtet, die unabhiingig voneinander beschritten werden und nicht beide zur selben Zeit. Die vertikale Differenzierung fordert die Delegation von Entscheidungsbefugnissen, wiihrend die horizontale Differenzierung zu einer Zentralisation der formalen Autoritat fiihrt. Sofern sich diese Tendenzen im Lichte weiterer empirischer Arbeiten als richtig erweisen, liiBt sich iiber die Kenntnis der Strukturunterschiede die Art der Autoritiitsbeziehungen voraussagen. Eine umfassende Studie zur Untersuchung des Einflusses der GroBe auf die Strukturdifferenzierung liegt von B I a uSS) vor. Das Priiffeld bezieht sich auf Institutionen der Arbeitslosenversicherung der Vereinigten Staaten. Seine theoretische Konzeption basiert auf zwei allgemeinen Hypothesen, von denen er neun weitere spezielle Hypothesen logisch ableitet. tlber die empirische Prufung der speziellen Hypothesen wird versucht, die allgemeinen Hypothesen zu bestatigen. Als problematisch erweist sich hierbei die Giiltigkeit und ttbertragbarkeit der gewonnenen Aussagen auf andere Institutionen sowie Vgl. Pugh, D. S., Hickson, D. J., Hinings, C. R., Turner, C., The Context of Organizational Structure, a. a. 0., S. 97 ff. 91) Vgl. ebenda, S. 98 f. 98) Vgl. Meyer, M. W., The Authority Structures of Bureaucratic Organization, Administrative Science Quarterly, Vol. 13, 1968, S. 211-228. 99) Vgl. Blau,. P. M., A Formal Theory of Differentiation in Organizations,j American Sociological Review, Vol. 35, 1970, S. 201-218. 96)

Systembezogene Organisationstheorien

251

die Annahme von Blau, daB die angewandte Technologie und die Umwelt sich komplementar zu der untersuchten GroBe verhalten. Der Begriff der Differenzierung wird durch die Anzahl der Branchen, Positionen, hierarchischen Ebenen und Abteilungen gemessen. Die erste allgemeine Hypothese lautet: Zunehmende GroBe fiihrt zu einer absolut groBeren, relativ aber abnehmenden Differenzierung. Diese Aussage gilt sowohl fiir die Gesamtorganisation als auch fiir die lokal getrennten Untereinheiten. Die relative Abnahme der Differenzierung wird dabei auf die zunehmende Notwendigkeit eines groBeren Koordinationsaufwands zuriickgefiihrt. Die zunehmende Differenzierung zeigt des weiteren eine Tendenz zur Zunahme gleichartiger Stellen. Die Homogenitat der auszufiihrenden Aufgaben innerhalb der organisatorischen Einheiten steigt. Dies fiihrt zu einer Gruppenkohasion und damit zu einer Abnahme der grenziiberschreitenden Beziehungen. Die Homogenitat der Aufgaben in den organisatorischen Einheiten erleichtert die Fiihrungsaufgabe und ermoglicht eine groBere Kontroll- oder Leitungsspanne. Das Verhaltnis der Leitungspersonen und Leitungshilfspersonen zu den Ausfiihrungsstellen sinkt. Dies fiihrt zu einem wirtschaftlichen Vorteil in der Fiihrung groBer Institutionen, dem der zusatzliche Koordinationsaufwand gegeniibersteht. Die zweite allgemeine Hypothese lautet: Strukturelle Differenzierung erhoht das Verwaltungspersonal und damit das Verhiiltnis der Leitungs- und Leitungshilfspersonen zu den Ausfiihrungsstellen. Die GroBe beeinfluBt indirekt iiber die Differenzierung den Verwaltungs- oder Koordinationsaufwand positiv. Im Zusammenhang mit der aus der ersten allgemeinen Hypothese gewonnenen Folgerung, daB das Verhiiltnis der Leitungs- und Leitungshilfsstellen zu den Ausfiihrungsstellen direkt mit zunehmender GroBe sinkt, zeigt sich, daB diese direkte Wirkung den indirekt zunehmenden Verwaltungsaufwand iiberwiegt. Das Verhiiltnis der Leitungs- und Leitungshilfsstellen zu den Ausfiihrungsstellen nimmt mit zunehmender GroBe mit immer geringeren Raten abo Die Institutionen realisieren einen leistungsbezogenen GroBenvorteil. Die Untersuchungsergebnisse von Blau werden in einer Untersuchung von K I a t z k y100) nur bedingt bestatigt. Ebenfalls auf die Institution der Arbeitslosenversicherung bezogen kommt Klatzky zu dem Ergebnis, daB bei zunehmender GroBe der Institutionen sowohl bei sehr niedriger als auch bei sehr hoher Differenzierung ein abnehmendes Verhaltnis der Leitungs- und Leitungshilfsstellen zu den Ausfiihrungsstellen auftritt. Ein mittlerer Differenzierungsgrad bewirkt mit zunehmender GroBe einen Anstieg der Leitungs- und Leitungshilfsstellen zu den Ausfiihrungsstellen. Der Differenzierungsgrad wirkt sich bei einer niedrigen Differenzierung in dem geringen Koordinationsaufwand aus; bei einer hohen Differenzierung liegen formaliVgI. Klatzky, S. R., Relationship of Organizational Size to Complexity and Coordination, Administrative Science Quarterly, Vol. 15, 1970, S.428-438.

100)

252

Ansiitze QTganisationswissenscha:/tHcheT FOTschung

sierte Koordinationsmechanismen vor, die den steigenden Koordinationsaufwand mit unterproportional wachsenden Leitungshilfsstellen bewaltigen. Lediglich bei mittlerem Differenzierungsgrad steigt die Anzah! der Leitungshilfsstellen zur Bewaltigung der Koordination bei zunehmender GroBe. Die personellen Koordinationsmechanismen sind in diesem Bereich nur geringfUgig formalisiert. Die Unterschiede in den Untersuchungsergebnissen lassen sich auf die nicht notwendigerweise bestehende Komplementaritatsannahme zwischen der GroBe, der Technologie und der Umwelt sowie der Professionalisierung der Mitglieder in den Institutionen zuriickfiihren. Die GroBe als Bestimmungsfaktor organisatorischer Losungen hangt wesentlich von der angewendeten Technologie, der jeweiligen Umweltsituation und dem Grad an Professionalisierung der Mitglieder abo Die Technologie und die Umwelt a1s mogliche EinfluBfaktoren werden in den folgenden Abschnitten behandelt. Wir wollen hier lediglich die Beziehungen zwischen der Professionalisierung und der Struktur darstellen. Die Professionalisierung oder das Expertentum in Institutionen zeigt sich u. a. iiber das Ausbildungsniveau und die Titelhierarchie. Der Grad der Professionalisierung ist negativ korreliert mit dem Grad der Formalisierung101). J e hoher die Professionalisierung steigt, desto mehr nehmen die formalen, schriftlichen Regelungen abo Der vertikale Differenzierungsgrad der Institutionen steigt mit zunehmender Professionalisierung102). Die Anzahl der Hierarchieebenen nimmt zu. Dadurch wird die notwendige Koordination und Kommunikation zwischen den spezialisierten Abteilungen vergroBert. Die Professionalisierung fiihrt somit zur Entscheidungsdelegation. Sofern trotz Professionalisierung formale Regelungen iiberwiegen, besteht die Gefahr der Entfremdung von der Arbeitl03). Die Zentralisation der Autoritatsstruktur steht damit der aufgrund der Professionalisierung der Mitglieder implizierten vertikalen Systemdifferenzierung diametral entgegen. Die vertikale Differenzierung innerhalb professionalisierter Abteilungen ist demgegeniiber gering; die interne Differenzierung der Abteilungen ist flach und auf einen Machtausgleich zwischen den Abteilungsmitgliedern ausgerichtet. Die Kontroll- oder Leitungsspanne ist innerhalb dieser Abteilungen aufgrund der Aufgabenkomplexitat und Kommunikationsnotwendigkeiten klein104). 101) Vgl. Hall, R. H., Professionalization and Bureaucratization, American Soziological Review, Vol. 33, 1968, S. 92-104. 102) Vgl. Blau, P. M., The Hierarchy of Authority in Organizations, American Journal of Sociology, Vol. 73, 1968, S. 453-467; Blau, P. M., Heydebrand, W. V., Stauffer, R. E., The Structure of Small Bureaucracies, American Sociological Review, Vol. 31, 1966, S.179-191. 103) Vgl. Aiken, M., Hage, J., Organizational Alienation: A Comparative Analysis, American Sociological Review, Vol. 31, 1966, S. 497-507. 104) Vgl. Meyer, M. W., Expertness and the Span of Control, American Sociological Review, Vol. 33, 1968, S. 950.

Systembezogene Organisationstheorien

253

Die Professionalisierung der Mitglieder zeigt einen Bestimmungsfaktor der Struktur auf, der mit der GroBe der Institution interagiert. Die GroBe ist somit kein unabhangiger Faktor, sondern iibt erst mit anderen und iiber andere Faktoren einen strukturbestimmenden EinfluB aus. 222. Technologie und Struktur

Die Untersuchung der Technologie als Bestimmungsfaktor der Unternehmungsstruktur erfordert aufgrund der Vielfalt technologischer Aspekte eine artmaBige Differenzierung. Der Unterteilung von Hi c k son e t a 1.105 ) folgend, laBt sich die Technologie in die Produktions-, Programm- und (Wissens-) Informationstechnologie unterteilen. 1m Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchungen steht der EinfluB der Produktionstechnologie auf die Struktur. Die grundlegende Untersuchung zur Bestimmung des Einflusses der Prod u k t ion s t e c h n 0 log i e auf die Struktur stammt von Woo d war d 106). Das Priiffeld bezieht sich auf Fertigungsbetriebe in England. Woodward unterscheidet drei Gruppen zunehmender technischer Produktionskomplexitat: - Einzelfertigung -

GroBserien- und Massenfertigung

-

kontinuierliche ProzeBfertigung.

Diese unterschiedlichen Produktionsverfahren werden insbesondere im Hinblick auf folgende Strukturdimensionen betrachtet: -

Anzahl der Hierarchieebenen

-

Verhaltnis der Leitungsstellen zu den Ausfiihrungsstellen

-

Kontroll- oder Leitungsspanne

-

mechanistische oder organische Strukturen.

Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung sind107): 1. Zwischen der GroBe der Unternehmung und dem Fertigungstyp besteht

keine Beziehung. 2. Die Zahl der Hierarchieebenen nimmt mit zunehmender technischer Komplexitat zu. 3. Das Verhaltnis der Leitungsstellen zu den Ausfiihrungsstellen nimmt mit der technischen Komplexitat abo Vgl. Hickson, D. J., Pugh, D. S., Pheysey, D. C., Operations Technology and Organization Structure: An Empirical Reappraisal, Administrative Science Quarterly, Vol. 14, 1969, S. 380; siehe auch Thompson, J. D., Organizations in action, a. a. 0., S. 15 ff.; Perrow, C., A framework for the comparative analysiS of organizations, American Sociological Review, Vol. 32, 1967, S. 194--208. 106) Vgl. Woodward, J., Industrial Organizations: Theory and Practice, London 1965. 107) Vgl. ebenda, S. 16-20. 105)

254

Ansiitze OTganisationswissenschaftticher Forschung

4. Die Leitungs- und Kontrollspanne nimmt mit der technischen Komplexitat zunachst zu und sinkt bei Erreichen eines bestinunten Schwellenwertes wieder abo 5. Unternehmungen mit einer mittleren technischen Komplexitat reprasentieren mechanistische Strukturen; Unternehmungen mit hoher oder niedriger technischer Komplexitat verwirklichen organische Strukturlosungen. Organische Strukturen zeichnen sich durch einen geringen Formalisierungsgrad, eine hohe Anpassungsfahigkeit und die Betonung eines partizipativen Fiihrungsstils aus. In bezug auf die wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren des Gewinns, des Markt-

anteils, der Erweiterungsinvestitionen und des Borsenkurses bestimmte Woodward effiziente Strukturmerkmale. Es zeigte sich, daB die erfolgreichen Unternehmungen eines bestimmten technischen Komplexitatsgrades Strukturmerkmale aufwiesen, die mit den Medianwerten der jeweiligen technischen Kategorie zusammenfielen. Abbildung 29 zeigt dieses Ergebnisl08).

~ Strukturmerkmale

Fertigungstypen

Einzelfertigung

Zahl der Hierarchieebenen

3

Kontrollspanne der obersten Hierarchieebene

GroBserien. und Massenfertigung

ProzeBfertigung

6

7

10

Kontrollspanne der untersten Hierarchieebene

"

"

2~-23

48-50

11-13

VerhCiltnis Arbeiter-Angestellte

9: 1

4: 1

1:1

Abbildung 29 Erjolgsmerkmale bei unterschiedlicher PToduktionstechnologie

Auf dem Priiffeld der Aston-Gruppe aufbauend, fiihrten Hickson et al. eine Untersuchung durch, die eine Korrektur der Hypothesen von Woodward brachte. Ausgangspunkt bildete die Produktionstechnologie, die durch drei Aspekte gemessen wurde: 1. den Automationsgrad, 2. die Anpassungsfahigkeit des Arbeitsflusses und 3. die Formalisierung des Kontrollprozesses. Aufgrund einer Faktoranalyse, die eine Interkorrelation zwischen diesen MaBgroBen zeigte, wurden die GroBen zu der MaBzahl "Integration des Arbeitsflusses" zusammengefaBt109). Das Ergebnis der Untersuchung war, 108) Vgl. BartOlke, K., tlberlegungen zu den Grundlagen der Planung von Betriebsorganisationen, Berlin 1969, S. 66. 109) Vgl. Hickson, D. J., Pugh, D. S., Pheysey, D. C., Operations Technology and Organization Structure, a. a. 0., S. 382 ff.

Systembezogene Organisationstheorien

255

daB die Produktionstechnologie nicht die strukturbestimmende Wirkung zeitigte wie von Woodward angenommen. Die GroBe der Unternehmungen zeigte einen signifikanteren EinfluB auf die Strukturll0). Die Produktionstechnologie iibte nur auf die Strukturdimensionen einen EinfluB aus, die urn den ArbeitsfluB zentriert waren. Die Aufgaben dieser in unmittelbarer Nahe des Arbeitsflusses liegenden Bereiche sind zumeist programmierbar, so daB sich entsprechend den Ergebnissen von Hage/Aiken111 ) eine starke Zentralisation, Formalisierung und eine geringere Professionalisierung folgern laBt. Tendenziell ergibt sich: je kleiner die Unternehmung, desto mehr ist aufgrund des produktionstechnischen Zusammenhangs ein struktureller EinfluB der Produktionstechnologie zu erwarten; je groBer die Unternehmung, desto mehr sind die strukturellen Veranderungen auf spezifische arbeitsfluBbezogene Variable begrenzt. Da Woodward iiberwiegend kleine und mittlere Unternehmungen untersuchte, bei denen der ProduktionsprozeB wesentlich den UnternehmungsprozeB bestimmt, sind ihre Ergebnisse durchaus mit denen der Aston-Gruppe vereinbar112). Fiir GroBunternehmungen scheint sich der EinfluB von der Produktionstechnologie zur Programm- und Informationstechnologie zu verschieben. Ob und mit welcher Intensitat von diesen Faktoren ein EinfluB auf die Struktur ausgeht, ist bisher nur in ungeniigendem AusmaB Gegenstand empirischer Priifung. Fiir die Pro g ram m t e c h n 0 log i e liegt eine Untersuchung von Hag e I A ike n 1l3) vor. Als Priiffeld dienten Gesundheitsamter in den Vereinigten Staaten. Die Anderung des Programms war dabei positiv korreliert mit der Professionalisierung der Mitglieder und negativ mit dem Grad an Formalisierung. Je mehr die Autoritatsstruktur zentralisiert war, desto geringer war die positive Korrelation des Programmwechsels mit der Teilnahme am EntscheidungsprozeB. Als Ursache fiir letztere laBt sich die Professionalisierung ansehen, die zur effizienten Erfiillung der Aufgabe einen Machtausgleich innerhalb der Abteilungen erfordert. Des weiteren forderte die vertikale Differenzierung und die Vielfalt an organisatorischen Losungen innerhalb und zwischen den gebildeten Einheiten die Programmanderung. Fiir den EinfluB der In for mat ion s t e c h n 0 log i e auf die Struktur liegen bisher nur in ungeniigendem Umfang abgesicherte Untersuchungen vor114). Zumeist handelt es sich urn Verallgemeinerungen und Spekulationen 110) In einer 'Oberpriifung der Hickson et al.-Ergebnisse widerspricht Aldrich dieser Beziehung; vgl. Aldrich, H. E., Technology and Organizational Structure: A Reexamination of the Findings of the Aston Group, Administrative Science Quarterly, Vol. 17, 1972, S. 26-43. 111) Vgl. Hage, J., Aiken, M., Routine Technology, Social Structure, and Organization Goals, Administrative Science Quarterly, Vol. 14, 1969, S. 366-376. 112) Vgl. Hickson, D. J., Pugh, D. S., Pheysey, D. C., Operations Technology and Organization Structure, a. a. 0., S. 394 f. 113) Vgl. Hage, J., Aiken, M., Program Change and Organizational Properties, American Journal of Sociology, Vol. 72, 1967, S. 511-517. 114) Eine Zusammenstellung der vorliegenden Untersuchungsergebnisse bringt Kubicek, H., Der Zusammenhang zwischen Informationstechnologie und Organisationsstruktur, a. a. 0., S. 287 ff. Vgl. auch Hofer, Ch. W., Emerging EDP-Pattern, in: Management Systems, a. a. 0., S. 252-265.

Ansiitze organisationswissenschajtlicher Forschung

256

iiber die zukiinftige Entwicklung auf diesem Gebiet, insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung. Die Spannweite der Aussagen reicht von einer vollstandigen Eliminierung der mittleren Unternehmungsfiihrung bis hin zur organisatorischen Neutralitat. Die Vielfalt der Anwendungsformen der Informationstechnologie und die Vielfalt der beim Einsatz der Informationstechnologie mitzuberiicksichtigenden Faktoren sowie die Beriicksichtigung der Entscheidung iiber den Einsatz der Informationstechnologie laBt die Schwierigkeiten erkennen, die empirische Untersuchungen auf diesem Gebiet zu bewaltigen haben. Die referierten Untersuchungen zeigen eine unterschiedliche Bedeutung des Einflusses der Technologien auf die Struktur. Die Unterschiede lassen sich vor aHem auf die mangelnde logische Durchdringung dieses Beziehungszusammenhanges, auf die Interdependenzen zwischen den moglichen Einfliissen und auf die Mehrdimensionalitat der Technologien und der Struktur zuriickfiihren. Ein moglicher Ausweg aus diesen Problemen besteht in der Zusammenfassung der EinfluBfaktoren in einen komplexen Faktor. Sowohl die Hypothesenformulierung als auch die Beriicksichtigung und Absorption der Mehrdimensionalitat und der Interdependenzen zwischen den EinfluBfaktoren wird praktikabler. Ais ein solcher komplexer Bestimmungsfaktor zeigt sich die Umwelt. 223. Umwelt und Struktur

Die Gestaltung der Multi-Strukturen der Unternehmung entsprechend den Anforderungen der Umwelt und den Bediirfnissen der Mitarbeiter steht im Mittelpunkt der empirischen Untersuchung von Law r e n c e / Lor s c h 115). Ihre Untersuchung bezieht sich auf die organisatorischen Grundtatbestande der Systemdifferenzierung und -integration und der damit verbundenen Konfliktmoglichkeiten. 1m folgenden werden die empirischen Forschungsergebnisse lediglich in bezug auf die Systemdifferenzierung referiert. Die Forschungsergebnisse iiber die Systemintegration und KonfliktlOsung werden im nachsten Abschnitt mitbehandelt. Das P r ii f f e I d der Untersuchung bezieht sich auf Unternehmungen in den Vereinigten Staaten: -

sechs Unternehmungen der Kunststoffindustrie: zwei erfolgreich, zwei durchschnittlich und zwei weniger erfolgreich;

115) Vgl. Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Organization and Environment, a. a. 0.; dies., Developing Organizations: Diagnosis and Action, Menlo Park, Cal. etc. 1969; dies., An Orientation and Introduction, in: Studies in Organization Design, hrsg. von J. W. Lorsch, P. R. Lawrence, Homewood, Ill., 1970, S. 1-15; dies., Differentiation and Integration in Complex Organizations, in: Organizations: Systems Control and Adaption, Vol. II, a. a. 0., S. 229-253; Dill, W. R., Environment as an Influence on Managerial Autonomy, Administrative Science Quaterly, Vol. 2, 1958, S. 409-443; Emery, F. E., Trist, E. L., The Causal Texture of Organizational Environments, in: Systems Thinking, hrsg. von F. E. Emery, Bungay 1969, S. 241 bis 257; Terreberry, Sh., The Evolution of Organizational Environments, in: OpenSystem Approaches, hrsg. von J. G. Maurer, New York 1971, S. 58-74.

Systembezogene Organisationstheorien

257

-

zwei Unternehmungen der Nahrungsmittelindustrie: ein erfolgreiches und ein weniger erfolgreiches;

-

zwei Unternehmungen der Verpackungsindustrie: ein erfolgreiches und ein weniger erfolgreiches.

Die met hod i s c h e D u r c h f ii h run g der Untersuchung erfolgte anhand von Fragebogen und Interviews, die sich auf Mitglieder der oberen und mittleren Fiihrungsebene bezogen116). Die C h a r a k t e r i s i e run g d e rUm wei t einer Unternehmung wurde in bezug auf die wissenschaftlichen, marktbezogenen und sozio-technischen Umweltausschnitte durch folgende Kontinuen vorgenommen: sicher

unsicher

gleichartig

verschiedenartig.

Die Sicherheit oder Unsicherheit einer Umwelt wurde durch folgende Kriterien gemessen: -

Bestimmtheit der Umweltinformationen

-

UngewiBheit iiber kausale Beziehungen

-

Zeitspanne der Riickkoppelungs-Zyklen.

Die Gleichartigkeit oder Verschiedenartigkeit der Umwelt ergab sich aufgrund der Anwendung obiger Kriterien auf die wissenschaftliche, marktbezogene oder sozio-technische Subumwelt. Werden diese wesentlichen Subumwelten einer Unternehmung in der Mehrzahl als sicher oder unsicher beurteilt, sprechen Lawrence und Lorsch von einer fUr die Unternehmung gleichartigen Umwelt. Sind die Subumwelten unterschiedlich sicher oder unsicher, sprechen sie von einer ungleichartigen Umwelt. Die '()bertragung dieser Klassifikationen auf die untersuchten Unternehmungen ergab, daB die Unternehmungen der Verpackungsindustrie eine gleichartig-sichere Umwelt besitzen. Bei den Unternehmungen der Kunststoffindustrie variierten dagegen die Subumwelten in bezug auf die Sicherheitskriterien, so daB deren Umwelt als ungleichartig zu charakterisieren ist117). Entsprechend der Forderung nach einer umweltgerechten Systemdifferenzierung unterteilen Lawrence und Lorsch die Unternehmungen in vier v e r richtungsbezogene Organisationseinheiten: -

Produktion

-

Verkauf

-

angewandte Forschung

-

Grundlagenforschung.

116)

Vgl. Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Organizations and Environment. a. a. 0.,

117)

Vgl. ebenda,S. 90 ff.

S. 247 ff.

17 Hoffmann

Ansittze o7'ganiBationswiBsenschaftticheT F07'schung

258

Diese Organisationseinheiten werden in bezug auf folgende vier Dim e n si onen de r S y s te m d iff e r enz i er ung untersucht118): -

Formalisierung der Struktur (gebunden, ungebundene Regelungen) Zeitorientierung der Fiihrungskriifte (kurz-, mittel-, langfristig) interpersonelle Orientierung der Fiihrungskriifte (aufgaben-, personenorientiert) Zie10rientierung der Fiihrungskriifte (spezifische oder breit gestreute Ausrichtung).

Die Un t e r s u c hun g s erg e b n iss e zeigten, daB Organisationseinheiten, deren Umwe1tsegment unsicher ist, folgende Dimensionen besitzen: - einen niedrigen Strukturierungsgrad - einen langfristigen Zeithorizont - eine breit gestreute Ausrichtung auf unterschiedliche Ziele. Die interpersonelle Orientierung der Fiihrungskrafte war sowohl bei unsicherer als auch bei sicherer Umwe1t iiberwiegend aufgabenorientiert. Bei einer mittleren Umweltsicherheit war die personenorientierte Interaktion vorherrschend. In bezug auf die verrichtungsgebundenen Organisationseinheiten und deren Umwe1tbedingungen zeigt Abbildung 30 die Ergebnisse der vorausgesagten dimensionalen Auspragungen118).

o~anlsations-

ain ait

Umwaltbedingungan

Dimansionen dar Diffarenziarung Formal!sierungder Struktur

Zeltoriantiarung kUrz-. mittelfristig kurzfristig (unter 1 Monat)

inter-

persa-

nelle Orientierung stork aulgabenoriantialt stark persanenorientielt

Produktion

slchar

stark

Verkaul

unsicher

mittel

angewandte FOl$chung

stark sicher

schwacb

mittel-. langfristig

Grundlagen'fOl$chung

stark unsIcher

am geringsten

'tendenlangfriatig %iell (1-5 Jahre) aufgabenorientiert

tenden%iell personenarientielt

Zieloriantiarung Kosten Markt Technik. Wissenschaft Technik. Wissen-

schaft

Abbildung 30 Dimemionale AUBp1'iigungen de,. 07'ganisatiomeinheiten 118)

VgL ebenda, S. 9 ft.

Vgl. Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Organization and Environment, a. a. 0 .. S. 30 ft., dies., Differentiation and Integration in Complex Organizations, a. a. 0.,

11')

S.236ft.

Stlstembezogcme Organisationstheo1'ie1i

259

Die Differenzierungsmuster der Organisationseinheiten entsprechend den Umweltbedingungen wurden in bezug auf wirtschaftliche Erfolgsfaktoren bestatigt120). Als M a 13 s t Ii bed e s wi r t s c h a f t1 i c hen E rf 0 1 g s fanden Verwendung: -

Gewinnentwicklung der letzten fiinf Jahre Umsatzentwicklung der letzten fiinf Jahre Antell neu eingefiihrter Produkte der letzten fiinf Jahre in Prozent des Gesamtumsatzes des letzten Jahres.

Je mehr die realisierten Differenzierungsmuster den vorausgesagten entsprachen, desto besser war der wirtschaftliche Erfolg der Untemehmung. Die Differenzierungsnotwendigkeit und -intensitlit ergibt sich somit iiber das organisatorische Handeln aus den allgemeinen Umweltbedingungen des Industriezweiges und aus den spezifischen Umweltbedingungen der jeweiligen Organisationseinheiten. Das methodische Instrumentarium der Untersuchung von Lawrence/Lorsch wurde von W a 1 k e r I Lor s c h auf die Entscheidung zwischen einer nach Verrichtungen gegliederten Untemehmung und einer nach Objekten gegliederten Untemehmung angewandt121). Als Priiffeld dienten zwei Untemehmungen der Nahrungsmittelindustrie der Vereinigten Staaten; die eine nach Verrichtungen gegliedert, die andere nach Objekten. Die untersuchten Dimensionen der Differenzierung bezogen sich auf die Ziel- und die Zeitorientierung und auf die Formalisierung der Struktur. Hinsichtlich der Z i e lor i e n tie run g zeigte sich, daB die verrichtungsgegliederte Untemehmung eine spezifische Ausrichtung auf bestimmte Ziele besaB, wahrend der objektgegliederten Untemehmung eine breit gestreute Ausrichtung auf mehrere Ziele inharent war, die sich einheitlicher auf das Untemehmungsgesamtziel bezogen. Ihr Zielsystem war weniger differenziert und einheitlicher in bezug auf die Zielarten. Die Ziele waren produktorientiert und auf eine Verbesserung der Leistungsfahigkeit der Untememnung ausgerichtet und nicht wie bei der verrichtungsgegliederten Untemehmung auf eine Maximierung des jeweiligen Outputs bei gegebenen Kapazitaten abgestellt. Die Z e ito r i e n tie run g der verrichtungsgegliederten Untemehmung war kurzfristig ausgerichtet. Demgegeniiber waren die Fiihrungskrafte der objektgegliederten Untemehmung zeitlich differenzierter ausgerichtet; in bezug auf die Arbeitstellung waren kurz-, mittel- und langfristige Unternehmungsaufgaben auf die Fiihrungskriifte verteUt. 120)

Vgl Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Organization and Environment, a. a. 0.,

S. 39 ff. und S. 99 ff.

Ul) VgL Walker, A. H., Lorsch, J. W., Organizational Choice: Product versus Function. in: Studies in Organization Design, a. a. 0., S. 36-53.

1'1·

260

Anslitze organisationswissenschaftlicher Forschung

Die For mal i s i e run g der Unternehmungsstruktur war grundsatzlich bei der verrichtungsgegliederten Unternehmung hoher. Insbesondere die klare Abgrenzung der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten war hoher, wahrend der Formalisierungsgrad bei der objektgegliederten Unternehmung starker differenziert war. Abbildung 31 zeigt zusammengefaBt die unterschiedlichen dimensionalen Auspragungen zwischen der verrichtungs- und der objektgegliederten Unternehmung122). Dimensionen der Differenzierung

verrichtungsgegliederte Untemehmung

objektgegliederte Unternehmung

Zielorientierung

differenzierter und spezifischer

weniger differenziert und mehr breit gestreut

Zeitorientierung

weniger differenziert und kurzfristiger

mehr differenziert und langerfristiger

Formalisierung

weniger differenziert und griillere Formolisierung

mehr differenziert und weniger Formalisierung

Abbildung 31 Dimensionen der Dijjerenzierung einer verrichtungs- und einer objektgegliederten Unternehmung Zum allgemeinen Anwendungsbezug stellen Walker/Lorsch fest, daB die Verrichtungsgliederung bei relativ stabilen Umweltbedingungen und einer programmierbaren Aufgabe zu besseren Ergebnissen fiihrt, wahrend die Objektgliederung bei relativ schlecht voraussagbaren und innovativen Aufgaben bessere Ergebnisse zeitigt123), oder: je unsicherer die Umwelt in bezug auf die Produkte oder geographischen Gebiete ist, desto mehr sind die Anwendungsvoraussetzungen zur Objektgliederung gegeben124). Sind Produkte oder geographische Bedingungen relativ homogen, erscheint eine Verrichtungsgliederung auf der obersten Unternehmungsebene zweckmaBig. Eine Studie von A 11 e n I I J125) benutzte das methodische Instrumentarium von Lawrence/Lorsch zur Untersuchung der Organisation in sogenannten "conglomerates". Als Priiffeld dienten zwei diversifizierte Unternehmungen der Vereinigten Staaten, die entsprechend dem Objektmerkmal in mehrere Divisions gegliedert waren.

A1s Untersuchungsergebnis in bezug auf die Systemdifferenzierung zeigte sich, daB die obersten Fiihrungskrafte und die Divisionsmanager entspreVgI. ebenda, S.46. Vgl. ebenda, S.51. 12') Vgl. Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Developing Organizations: Diagnosis and Action, a. a. 0., S. 28. 125) Vgl. Allen III, St. A., Corporate-Divisional Relationships in Highly Diversified Firms, in: Studies in Organization Design, a. a. 0., S. 16 ff. 122)

123)

Systembezogene Organisationstheorien

261

chend ihrer hierarchischen Stellung und der zu erfiillenden Aufgabe unterschiedliche Arbeitsstile und Beziehungsmuster entwickelten. Die Beziehungen der obersten Fiihrung waren insbesondere auf folgende unternehmungsexterne Gruppen ausgerichtet: Aktionare, Banken, fusionsbereite Unternehmungen und Kommunen, Lander- und Staatsstellen. Demgegeniiber waren die Beziehungen der Divisionsmanager hauptsachlich auf die externen Gruppen ausgerichtet, die ihre Entwicklungs-, Verkaufs-, Produktions- und Dienstleistungsfahigkeit in ihrer speziellen Branche betrafen. Die internen Beziehungen der obersten Fiihrung bezogen sich auf die Zuteilung der Ressourcen auf die einzelnen Divisionen zur Kontrolle und realistischen Setzung der Plane und Budgets. Die internen Beziehungen der Divisionsmanager richteten sich demgegeniiber auf die Erarbeitung von Planvorschlagen zur Ausniitzung der sich bietenden Gelegenheiten in der spezifischen Branche und zur Umsetzung der Plane in MaBnahmen im Rahmen der Budgets. In bezug auf die Dimensionen der Differenzierung zeigte sich: Erstens: die Formalisierung der Struktur auf der obersten Fiihrungsebene war geringer als auf der Divisionsebene. Die Abhangigkeit von formalen Regelungen war geringer, es bestanden weniger formal gesetzte Ziele, und die Kontrollspanne war groBer. Zweitens: die Zeitorientierung der obersten Fiihrung war langerfristig. Drittens: es ergab sich ein Unterschied in der Zielorientierung. Die oberste Fiihrung war mehr auf die Erfiillung finanzieller Ziele ausgerichtet. Markt-, Produkt- und Forschungsziele dienten lediglich zur Bewertung der Plane. Die Divisionsmanager, die grundsatzlich dasselbe Zielsystem besaBen, unterschieden sich durch die Rangordnung der Ziele, die sie gemaB ihren spezifischen Branchenbedingungen festlegten. In bezug auf die interpersonelle Orientierung zeigten sich keine Unterschiede. Insgesamt war die divisionale Differenzierung der Unternehmungen dort groBer, wo die Verschiedenartigkeit des Marktes groBer war. Dieses empirische Ergebnis zeigt die Verwirklichung eines Organisationszustands in den untersuchten Unternehmungen, der dem derzeitigen Wissensstand adaquat ist. Der Grad der Differenzierung variierte entsprechend der Wahrnehmung der Effektivitat der eigenen divisionalen Aktivitaten und der Effektivitatsstruktur durch die obersten Fiihrungskrafte. Je groBer die Effektivitat empfunden wurde, desto mehr nahm das Bediirfnis nach gemeinsamer Entscheidungsfindung abo Die Differenzierung erhielt in bezug auf die integration eine untergeordnete Bedeutung. Je niedriger die Effizienz der Divisionen empfunden wurde, desto mehr nahm das Bediirfnis nach gemeinsamer Entscheidungsfindung zu. Die Differenzierung wird zu einem bestimmenden Faktor der Integration126). Die individuelle Beurteilung der Effizienz durch die Fiihrungskrafte entscheidet somit tiber die Differenzierung und die damit zusammenhangende Integrationsnotwendigkeit. 126)

Vgl. ebenda, S.27.

262

Ansiitze organisationswissenschajtlicher Forschung

Die referierten Untersuchungsergebnisse, die alle auf dem methodischen Instrumentarium von Lawrence/Lorsch basieren, bringen groBteils eine Bestatigung bekannter, logisch abgeleiteter Aussagen tiber die Systemdifferenzierung. Die tiberwiegende Betonung des formalen Aspekts der Organisation erscheint als Hauptmangel der Untersuchungen. Die interpersonellen Unterschiede in und zwischen den Unternehmungen bleiben - bis auf die Untersuchung von Allen, III - unberticksichtigt127). Damit verbunden wird die Umweltsicherheit bzw. -unsicherheit als eine nahezu objektive MaBgroBe verwendet und nicht als eine von der Wahrnehmungsfahigkeit der Individuen abhangige GroBe. Die individuellen Unterschiede zwischen den Unternehmungsmitgliedern erfordern eine unterschiedliche Betrachtung der Umweltbedingungen und deren Einflufi auf die Unternehmungsstruktur128). Es gilt daher, interpersonale Eigenschaften in den empirischen Untersuchungen mitzuerfassen, um zu einer mehrdimensionalen Betrachtungsweise zu gelangen. Die Schwierigkeiten liegen in der operationalen Erfassung dieser GroBen, um so mehr, als die Messung der Umweltsicherheit bzw. -unsicherheit tiber die Bestimmtheit der Information und die Ungewillheit tiber kausale Beziehungen Lawrence und Lorsch nicht operational gelungen ist. Trotz dieser methodischen Schwierigkeiten kennzeichnen empirische Arbeiten den Beginn einer Entwicklung, die einen in kleinen Schritten sich vollziehenden Wissensfortschritt markiert, der Hoffnungen auf eine mehrdimensionale, operationale Erfassung der Bestimmungsfaktoren struktureller Losungen zuHiBt. Die Heuristik des Organisators zur Losung von Problemen der Strukturdifferenzierung wird zweifellos von den empirischen Arbeiten befruchtet.

ll. Systembeziehungen Die Differenzierung des Unternehmungssystems in organisatorische Subsysteme laBt in bezug auf die Gesamtzielsetzung der Unternehmung das Problem der Organisation der Systembeziehungen zwischen den SUbsystemen oder das Problem der Systemintegration (Koordination) entstehen. Die erforderlichen Systembeziehungen hangen von der Art und dem AusmaB der zielbezogenen Interdependenzen zwischen den SUbsystemen und der daraus resultierenden Konflikte abo In einer allgemeinen Klassifizierung unterscheidet Tho m p son drei Arten der Interdependenz129): VgI. Duncan, R. B., Characteristics of Organizational Environments and Perceived Environmental Uncertainty, Administrative Science Quarterly, Vol. 17, 1972, S. 313-327; Argyris, Ch., The Applicability of Organizational Sociology, Cambridge 1972, S. 74. 128) Eine hypothetische Konzeption unterbreiten Lawrence/Lorsch, in: Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Developing Organizations: Diagnosis and Action, a. a. 0., S.60ff. 129) Vgl. Thompson, J. D., Organizations in action, a. a. 0., S. 54 f.; Galbraith, J., Environmental and Technological Determinants of Organizational Design, in: Studies in Organization Design, a. a. 0., S. 116 ff.

121)

Systembezogene Organisationstheorien

263

1. ge biindel te In terd ep end enz; die Subsystembeziehungen

beruhen auf der Inanspruchnahme gemeinsamer Ressourcen oder auf der Beriicksichtigung einer gemeinsamen Beschrankung, die sich additiv iiber die Subsysteme verteilt; 2. seq u e n tie 11 e In t e r d e pen den z; der Output eines Subsystems ist der Input eines anderen Subsystems. Die sequentie1le Interdependenz impliziert die gebiindelte Interdependenz; 3. wechselsei tige In terdependenz; die Input-Output-Beziehungen zwischen den Subsystemen sind wechselseitig. Die wechselseitige Interdependenz bedingt die sequentielle und gebiindelte Interdependenz. Sie stellt die komplexeste und am schwierigsten zu handhabende Art der Interdependenz dar. Aus der unterschiedlichen Komplexitiit je nach Art der Interdependenz liiBt sich die Notwendigkeit der Anwendung verschiedener Integrations- oder Koordinationsmechanismen ableiten. Zwischen der Art der Interdependenz und der Art der Integration besteht jedoch keine lineare Beziehung. Vielmehr hangt die Integrationsnotwendigkeit und die Anwendung der Integrationsart von der Wahrnehmungsfiihigkeit der oberen Untemehmungsfiihrung abo Je mehr diese die erzielte okonomische Effizienz als befriedigend ansieht, desto weniger ergibt sich fiir sie subjektiv die Notwendigkeit der Integration. Je weniger die okonomische Effizienz subjektiv befriedigt, desto mehr wird die Integration als notwendig erachtet180). Die aus dem Grad an Differenzierung folgende Notwendigkeit der Integration wird somit realiter auf die interpersonell perzipierte Situation relativiert. Tendenziell ergibt sich die Beziehung, daB mit der Komplexitiit der zu bewiiltigenden Interdependenzen die Notwendigkeit des Einsatzes komplexer Koordinationsmechanismen steigt. Law r e n c elL 0 r s c h stellten hierzu fest, daB mit der Verschiedenartigkeit der Umwelt und dem Grad an Differenzierung die Vielfalt der in okonomisch effizienten Untemehmungen angewandten unterschiedlichen Koordinationsmechanismen stieg181). Als K 0 0 r din a t ion s m e c han ism e n fanden sich: -

Koordinationsabteilungen

-

Komitees

-

Integratoren oder Koordinatoren

-

Plane und Vorschriften

-

Hierarchie.

130) Vgl. Allen IIL, St. A., Corporate-Divisional Relationships in Highly Diversified Firms, a. a. 0., S. 27. 181) VgL Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Organization and Environment, a. a. 0., S. 137 ff.

264

Ansiitze organisationswissenschaftticher Forschung

In Unternehmungen mit einer relativ gleichartigen Umwelt und einer geringen Systemdifferenzierung geniigte der Einsatz einfacher Koordinationsmechanismen zur effizienten Integration. Plane und Vorschriften sowie die Hierarchie bildeten die bevorzugten Koordinationsinstrumente in diesen Unternehmungen. Als Charakteristika effizienter Koordination zeigten sich in den Untersuchungen von Lawrence/Lorsch folgende Ergebnisse182): -

Das notwendige Wissen zur Koordination war mehr auf der mittleren Unternehmungsfiihrungsebene vorhanden. Die obere Unternehmungsfiihrung war auf die Koordination iiber die Unternehmungspolitik ausgerichtet.

-

Die Integrationsabteilungen nahmen in bezug auf die zu koordinierenden Subsysteme eine mittlere Auspragung in ihren Strukturdimensionen ein. Die Integratoren zeichneten sich gleichfalls durch ein MittelmaB an Zeit-, Ziel- und interpersoneller Orientierung aus.

-

Die EinfluBmoglichkeiten der Integratoren basierten auf deren Macht durch Wissen. In den okonomisch effizienten Unternehmungen zeigte sich eine tibereinstimmung der formalen mit der personalen Autorit1:lt.

-

Erfolgreiche Integratoren zeichneten sich durch eine offene Austragung von Konflikten aus. Die Unterdriickung oder Verschleppung von Meinungsverschiedenheiten und das Erzwingen von Entscheidungen fiihrten zu erfolgshemmenden Konflikthandhabungen.

-

Die Beurteilung und Belohnung der Integration erfolgte in den erfolgreichen Unternehmungen an gesamtzielbezogenen Kriterien, die durch die Integration beeinfluBbar waren. Das Beurteilungssystem richtete sich an den Umweltbedingungen der zu koordinierenden Subsysteme aus.

Diese Merkmale effizienter Gestaltung der Systembeziehungen geben Anhaltspunkte zur Determinierung der erforderlichen Integration oder Koordination. Die Mehrdimensionalitat der Systembeziehungen, die Vielzahl an Bestimmungsfaktoren sowie fehlende operationale Kriterien zur Beurteilung der Wahl und des Einsatzes der Koordinationsinstrumente verhindern die Ableitung exakter Aussagen iiber Art und AusmaB der erforderlichen Systembeziehungen. Lediglich Tendenzaussagen, die Anhaltspunkte zur Gestaltung geben und die auf der Pragmatik des Forschers basieren, sind beim derzeitigen Wissensstand moglich. 1m folgenden werden Ans1:ltze zur Gestaltung der Fiihrungsbeziehungen behandelt. Daran schlieBt sich eine Behandlung der Modelle der Strukturbeziehungen an, die den aufgabenlogischen Aspekt in den Vordergrund stellen. Vgl. Lawrence, P. R., Lorsch, J. W., Organization and Environment, a. a. 0., S. 54 ff.; dies., New Management Job: The Integrator, Harvard Business Review, Vol. 45, 1967, Nov.lDec., S.142-151; Allen III, St. A., Corporate-Divisional Relationships in Highly Diversified Firms, a. a. 0., S. 28 ff. 132)

Systembezogene Organisationstheorien

265

1. Fiihrungsbeziehungen Die historischen Entwicklungsstufen der Fiihrungsforschung zeigen das lebhafte Interesse der Sozialwissenschaften an dem Fiihrungsproblem. Die Ansatze haben sich von der Eigenschafts-, simplen Situations- und Interaktionstheorie zu dem KontingenzmodeU entwickeItlS3). Wahrend die E i g ens c h aft s the 0 r i e davon ausging, daB die Eigenschaften eines Vorgesetzten seine Wirkung als Fiihrer determinieren, unterstellt die s imp I e Sit u a t ion s the 0 r ie, daB das Fiihrerverhalten ausschlieBlich eine Funktion der gegebenen Situationsbedingungen ist. Eine Synthese fanden beide Ansatze in der In t era k t ion s the 0 r ie, die das Fiihrerverhalten durch die Interaktion von Fiihrereigenschaften und Fiihrungssituation bestimmt ansieht. 1m einzelnen beriicksichtigt die Interaktionstheorie folgende drei Variablen, die sie untereinander integrativ in Beziehung setzt:

1. die Personlichkeitsstruktur des Fiihrers; 2. die Personlichkeiten der Gruppenmitglieder; 3. den situativen Kontext, in dem Fiihrer und Gefiihrte interagieren.

Die Schwierigkeiten der Fiihrungsforschung sind in der Mehrdimensionalitat des Fiihrungsproblems zu sehen. Zumeist werden die Schwierigkeiten durch die Bildung zweier Extrempunkte eines eindimensionalen Kontinuums umgangen. So wird zwischen einer demokratischen und einer autokratischen Fiihrung oder einer personenorientierten und einer aufgabenorientierten Fiihrung unterschieden. Aufgrund interaktionsanalytischer Forschung wurde erkannt, daB autokratische Fiihrer dazu tendieren, aufgabenorientiert zu sein, und demokratische personenorientiert. 1m Rekurs auf die Interaktionstheorie versucht der Ansatz von Fie dIe r 134) die Inkonsistenzen in den Fiihrungsstudien erklarbar zu machen und eine Theorie des effektiven Fiihrungsverhaltens aufzustellen. Fiedler geht dabei von der Hypothese aus, daB die Gruppenleistung sowohl yom situativen Kontext als auch von der Personlichkeit des Fiihrers abhangt.

In bezug auf das eindimensionale Kontinuum der aufgabenorientiert-direktiven und der personenorientierten, nicht-direktiven Fiihrung werden die Personlichkeitsmerkmale in Form der zugrunde liegenden Bediirfnisstruktur stilisiert. Die Messung dieser Personlichkeitsmerkmale erfolgt iiber die Orien133) Vgl. Kunczik, M., Der Stand der Fiihrungsforschung, in: Fuhrung, Theorien und Ergebnisse, hrsg. von M. Kunczik, Dusseldorf - Wien 1972, S. 260--291. 134) Vgl. Fiedler, F. E., A Theory of Leadership Effectiveness, New York 1967; ders., Engineer the job to fit the manager, Harvard Business Review, Vol. 43, 1965, S. 115-122; ders., Das Kontingenzmodell: Eine Theorie der Fiihrungseffektivitlit, in: Fuhrung, Theorien und Ergebnisse, a. a. 0., S. 179-198; Myers, A. E., Fiedler, F. E., Theorie und Probleme der Fuhrung, Kolner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie, 18. Jg., 1966, S. 92-106.

266

Ansittze OTganiBationswissenschaftltcheT FOTschung

tierung des FUhrers an einer Aufgabe, wobei sich diese Orientierung in seinen Wahrnebmungen von Personen niederschliigt. Als MaBstab zur Bestimmung der Orientierung des FUhrers dient seine Vorstellung vom wen i g s t g es c h ii t z ten Mit arb e i t e r (WGM) - least preferred co-worker (LPC). Der Vorgesetzte wird aufgefordert, seinen wenigst geschiitzten Mitarbeiter, mit dem er jemals zusammengearbeitet hat, anhand einer Reihe von Merkmalen, z. B. freundlich oder unfreundlich, zuverliissig oder unzuverliissig, zu beschreiben. Die Merkmale wurden von 1-8 skaliert, wobei der hohere Wert dem positiven Teil der Skala entspricht. Der WGM-Wert errechnet sich aus der Addition der markierten Punkte. Ein Fiihrer mit einem hohen WGM-WeTt beurteilt seinen wenigst geschiitzten Mitarbeiter mit relativ verstiindnisvollen Begriffen. Der hohe WGM-Wert dient als Indikator fiir eine personenorientierte, nicht-direkte Fiihrung. Ein niedrigeT WGM-WeTt steht demgegeniiber als Indikator fiir eine aufgabenorientiert-autokratische Fiihrung. Der Fiihrer setzt seine Autoritiit ein; die Quelle seiner Zufriedenheit ist der Erfolg.

Die zweite Hauptvariable des Ansatzes von Fiedler bildet der situative Kontext, der durch die Variable der G ii n s t i g k e i t de r Sit u a t ion ausgedriickt wird. Die Giinstigkeit der Situation definiert das AusmaB, in dem die Situation es dem FUhrer erlaubt, EinfluB auf die Gruppe auszuiiben. Der Grad der Giinstigkeit der Situation wird iiber die Art der Beziehungen zwischen dem FUhrer und den Gruppenmitgliedern (Gruppenatmosphiire), die Art der Aufgabe und die Macht der Fiihrerposition bestimmt. Die Art der Fiihrer-Mitglieder-Beziehung ist ein Indiz fiir den Grad, in dem FUhrer und Gruppenmitglieder miteinander auskommen. Je groBer das MaB der Gruppenatmosphiire ist, das durch soziometrische Tes~ oder durch Einschiitzung der Gruppenatmosphiire durch den FUhrer gemessen wird, desto giinstiger wird von Fiedler die Situation fiir den FUhrer postuliert. Die Art oder der Strukturierungsgrad der Aufgabe ist ein Indiz fUr die Durchsetzungsfiihigkeit direkter Fiihrungskontrollen in der jeweiligen Situation. Gemessen wird der Strukturierungsgrad der Aufgabe durch die Dimensionen der Nachpriifbarkeit der En~cheidung, die Zielklarheit, die Vielfalt der LOsungsmoglichkeiten und die Bestimmtheit der 1.0sung. Als Hypothese formuliert Fiedler, je strukturierter die Aufgabe, desto giinstiger ist die Situation fUr den FUhrer. Die Mac h t d e r F ii h r e r p 0 sit ion umschlie.Bt die anerkannte, legitime Macht, die ein FUhrer hat. Die Bedeutung dieses Machtfaktors wird in der Erleichterung der Aufgabenerfiillung gesehen. Die hierauf bezogene Hypothese lautet: je groBer die formale Macht einer Fiihrungsposition ist, desto giinstiger ist die Situation fiir den FUhrer. Jede der drei Variablen ist ein Kontinuum. FUr die experimentelle Untersuchung nimmt Fiedler eine Dichotomisierung am Median der gewonnenen

267

Systembezogene Organisationstheorien

Punkteverteilungen vor. Das Zusammenwirken der drei dichotomisierten Variablen erbringt acht Situationszellen, wobei jede Zelle eine spezifische Situation repriisentiert. Die Situationen geben den Grad der Giinstigkeit an, in dem es dem FUhrer moglich ist, direkte Kontrolle auszuUben. Die Beduktion der dreidimensionalen Variablen auf eine eindimensionale Variable bezeichnet in ihren Extrempunkten die GUnstigkeit oder UngUnstigkeit der Situation fUr den FUhrer. Die GUnstigkeit und damit verbunden die UngUnstigkeit der Situation wird dadurch festgelegt, daB ein Fuhrer mit einem hohen Rang und einer strukturierten Aufgabe, der beliebt ist und dem Vertrauen entgegengebracht wird, in einer wesentlich gunstigeren Situation ist als ein unbeliebter und machtloser Fuhrer mit einer unstrukturierten Aufgabe. Die Ordnung der weiteren Situationen beruht auf der Annahme, daB die Fiihrer-Mitglieder-Beziehung die wichtigste Dimension darstellt, gefolgt von der Aufgabenstruktur und der formalen Macht. Werden die aus empirischen Untersuchungen gewonnenen Korrelationen zwischen der FUhrungseffizienz, gemessen an Output- und ProduktivitiitsgroBen, und den WGMWerten in bezug auf die spezifischen Situationszellen abgetragen, erhiilt man das K 0 n tin g e n z mod e 11 von Fiedler (vgl. Abbildung 32). hoherWGM-Wert 1.00 tolerant passiv

X X

X

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X

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I X

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IX IX

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X X

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.00,t---------X-,+---------....X"":-\-~--.70

-AD -.60 -.80 niedriger WGM-Wert kontrollierend aktiv

X X

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I

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Beziehung FOhrer-GefOhrle Aufgabenstruktur Machtder Fiihrerposition'

II

III

gut

gut

gOnstig fOr den FOhrer gut

IV

V VI VII VIII VIII a ungOnstig Oktanten fOr den Fuhrer relativ relativ. relativ relativ relativ gut schlecht schlecht schlecht schlecht schlecht

strukturiert unstrukturiert strukturiert unstrukturiert strukturiert unstrukturiert strukturiert unstrukturiert strukturiert stark

schwach

stark

schwach

stark

schwach

stark

schwach

stark

Abbildung 32 Korrelationen zwischen den WGM-Werten und der FiLhrungsejjizienz unter BeriLcksichtigung der GiLnstigkeit der FiLhrungssituation

268

Ansiitze organisationswissenschajtncher Forschung

Das Kontingenzmodell bringt eine kurvilineare Beziehung zwischen der FUhrungseffizienz und dem WGM-Wert des FUhrers zum Ausdruck. Die kurvilineare Beziehung verkorpert eine Funktion des V 0 r t e i 1 s e i n e r Sit u a t ion fur den F u h r e r. FUhrer mit niedrigem WGMWert, die aufgabenorientiert sind und Kontrolle ausuben, sind erfolgreicher in Situationen, die entweder sehr gunstig oder sehr ungunstig fur den FUhrer sind. Die personenorientierten FUhrer mit hohem WGM-Wert sind dagegen im mittleren Bereich erfolgreicher. Eine plausible ErkHirung fur diese theoretische Ableitung ergibt sich daraus, daB unter sehr giinstigen Bedingungen die Gruppe bereit ist, gelenkt zu werden und die Gruppenmitglieder erwarten, daB ihnen gesagt wird, was zu tun ist; unter sehr ungiinstigen Bedingungen, wenn der Fuhrer von den Gruppenmitgliedern abgelehnt wird, mit wenig Macht ausgestattet ist und eine weitgehend unstrukturierte Aufgabe zu erfullen hat, wird der FUhrer ein aufgabenorientiertes Fuhrungsverhalten zeigen mussen, um nicht "unterzugehen". Lediglich in begrenzt (un)giinstigen Situationen ist ein personenorientiertes FUhrungsverhalten erforderlich, um die teilweise vorhandenen ungunstigen Einflusse ausgleichen zu konnen. Aus der Relativierung des FUhrungsverhaltens auf spezifische Situationsbedingungen zieht Fiedler praktische Konsequenzen fur die Fuhrerausbildung135). Er ist der Ansicht, daB die Situation an das FUhrungsverhalten angepaBt werden muB und nicht umgekehrt. Die Anderung des FUhrungsverhaltens und damit der Bedurfnisstruktur des FUhrers liiBt sich nicht in kurzfristigen Schulungskursen realisieren, sondern setzt langjiihrige, differenzierte Ausbildungskurse voraus. Es ist leichter, Situationen als Menschen zu iindern. Die Anpassung der Situation an das FUhrungsverhalten kann sich auf die drei Situationsvariablen der Gruppenatmosphiire, der Aufgaben- und der formalen Machtstruktur beziehen. Durch die Manipulation der Situation wird es moglich, den FUhrer erfolgreicher zu machen. Diese Grunde sprechen fur Fiedlers Vorschlag: Fuhrungskriifte soweit zu sensibilisieren und methodisch zu schulen, daB sie in der Lage sind, Fuhrungssituationen zu diagnostizieren und selbst zu entscheiden, ob die Situation ihrem Verhalten adiiquat ist. Das Kontingenzmodell von Fiedler repriisentiert nach seinen eigenen Worten eine par tie 11 e F u h run g s the 0 r i e136). Die mit der Erfassung und Messung der Mehrdimensionalitiit verbundenen Probleme sind in dem Modell nur begrenzt gelost. So verkorpern die drei dimensionalen Situationsvariablen und deren Indikatoren lediglich eine mogliche Auswahl aus der Vielzahl tatsiichlicher EinfluBfaktoren; desgleichen beansprucht die postulierte Rangordnung unter diesen Variablen keine allgemeine Gilltigkeit, vielVgl. Fiedler, F. E., The Effects of Leadership Training and Experience. A Contingency Model Interpretation, Administrative Science Quarterly, Vol. 17, 1972, S. 453-470. 138) VgI. Fiedler, F. E., Das Kontingenzmodell: Eine Theorie der FUhrungseffektivitiit, a. a. 0., S. 197. 135)

Systembezogene Organisationstheorien

269

mehr bedarf es einer Xnderung der Gewichtung dieser Variablen unter neu entstehenden Bedingungen. Weiterhin ist die Dichotomisierung der einzelnen Dimensionen durch den Median von der Verteilung des Untersuchungsmaterials abhangig, so daB zwangslaufig andere Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen miissen und kamen137). Auch die von Fiedler unterstellte grundlegende Beziehung zwischen der Hohe der WGM-Werte und dem realisierten Fiihrungsverhalten konnte bisher nicht empirisch eindeutig bestatigt werden138). In bezug auf die Interaktionstheorie erscheint insbesondere die Vernachlassigung der Untergebenen mit ihren Fahigkeiten, Erwartungen, Attitiiden und Bediirfnissen im Hinblick auf den Fiihrer und auf die Situation als Hauptmangel sowie die Vernachlassigung der Interdependenzen zwischen den einzelnen Modellvariablen. Die ungelosten Probleme des Kontingenzmodells von Fiedler treffen grundsatzlich fUr die gesamte empirische Fiihrungsforschung zu. Mit der Arbeit von Fiedler wurde ein wichtiger Schritt getan in bezug auf die operationale Erfassung einiger wichtiger Fiihrungsvariablen, deren Transformation in Hypothesen und damit deren Moglichkeit zur interpersonellen empirischen ttberpriifung. Das Kontingenzmodell laBt sich als Theorie "mittlerer Reichweite" ansehen, die als Bezugsrahmen zur Systematisierung weiterer Forschungen dienen kann. Eine logische Erweiterung des Kontingenzmodells bringt der Ansatz von Yu k P39). Neben den Dimensionen des Fiihrungsverhaltens und moglichen Situationsvariablen werden intervenierende Variable betrachtet, iiber die sich die Gruppenleistung in Abhangigkeit vom Fiihrungsverhalten und von der Situationsvariablen ergibt. Ais Dimensionen des Fiihrungsverhaltens werden betrachtet: die "consideration", die den Grad der personenorientierten Fiihrung angibt; die "initiating structure", die den Grad der aufgabenorientierten Fiihrung angibt; die Entscheidungszentralisation, die den Grad der Partizipation der Gruppenmitglieder bezeichnet. Vgl. Fiedler, F. E., Validation and extension of the contingency model of leadership effectiveness: A review of empirical findings, Psychological bulletin, Vol. 76, 1972, S. 128-148; Schreyogg, G., Fiihrungsstil und Effektivitat, Eine kritische Analyse des Fiedlerschen Kontingenzmodells, Heft 1 der Arbeitspapiere des Betriebswirtschaftlichen Instituts der Friedrich-Alexander-Universitat ErlangenNtirnberg, Niirnberg 1972, S. 12 ff. 138) Vgl. Fishbein, M., Landy, E., Hatch, G., Some determinants of an individual's esteem for his least prefered co-worker: An attitudinal analysis, Human Relations, Vol. 22, 1969, S. 173-188; Mitchell, T. R., Biglan, A., Onchen, G. R., Fiedler, F. E., The Contingency Model: Criticism and Suggestions, Academy of Management Journal, Vol. 13, 1970, S. 253-267. 1~9) Vgl. Yukl, G., Toward a Behavioral Theory of Leadership, in: Organizational Behavioral and Human Performance, Vol. 6,1971, S. 414-440.

137)

270

Amittze organiBationswiBsemchaftltcher Forschung

Als intervenierende Variablen werden die Motivation und die Fiihigkeiten der Untergebenen sowie die aufgabenbezogene Rollenstruktur in Ansatz gebracht. Die situationalen Variablen werden nicht spezifiziert.

Abbildung 33 zeigt den Zusammenhang zwischen den Variablen. aufgabenorlentiert

Motivation der Untergebenen

personenorlentiert

aufgabenbezagene Rollenstruktur

Entscheidung$zentralisatian

Fahigkeiten der Untergebenen Situatlonale Varioble

Abbildung 33 MoglicheT Bezugsrahmen der FilhTungse!!ektivitiit

Der von Yuki vorgeschlagene Bezugsrahmen der Fiihrung stellt genauso wie das Kontingenzmodell auf eine statische und unabhangige Beriicksichtigung der Strukturelemente abo Riickkoppelungen und zirkulare Kausalitaten unter den Variablen werden aus Griinden der Problemvereinfachung ignoriert. Der Beriicksichtigung der Dynamik der Fiihrungsprozesse geht die operationale Erfassung der hauptsachlichen Fiihrungsdeterminanten, Situationsvariablen und der die Fiihrungseffektivitiit mitbestimmenden intervenierenden Variablen vor. Die Fiihrungsforschung befindet sich auf diesem Gebiet am Anfang einer moglichen EntwickIung, die in einem zweiten Schritt die Dynamik der Fiihrungsprozesse mit einzubeziehen hat. Geplante Fiihrung Der Versuch der Forschung, die Fiihrungsprozesse zu verstehen und die potentiellen Fiihrer entsprechend den situativen Gegebenheiten in die MultiStrukturen der Unternehmung einzusetzen, birgt sowohl einen Fortschritt a1s auch Gefahren in sich. Der Fortschritt zeigt sich in dem wissenschaftlichen Interesse am Erkennen und Verstehen von Unternehmungsprozessen und deren Anwendung auf die unternehmerische Praxis. Aufgrund der Unzulanglichkeit der Ergebnisse der Fiihrungsforschung muB andererseits vor der Gefahr der voreiligen Ubersetzung der Ergebnisse in Handlungsempfehlungen gewarnt werden. Mit dem zunehmenden Verstandnis der Fiihrungsprozesse sind zwei Gefahren verbundenl40). Erstens werden die Entscheidungen dem Einfall und der Intuition der einzelnen Individuen entzogen und der rationalen Berechnung zuganglich gemacht. Die Improvisation wird in immer starkerem MaBe durch Planung Uti) Vgl. Bavelas, A., Leadership: Man and

psychology, a. a. 0., S. 206 f.

Function, in: readings in managerial

Systembezogene Organisationstheorlen

271

und die Spontaneitat durch. Methodik ersetzt. Die Untemehmungen verlassen sich immer weniger auf die besonderen Fahlgkeiten einzelner Individuen und statt dessen auf die geordneten Prozesse der Forschung. Die Neuerer in der Rolle des FUhrers werden durch systematische Fiihrungssysteme ersetzt, die zwar sicherer und verUiBlicher sind, jedoch bestenfalls hochstehendes MittelmaB liefem konnen. Die zweite Gefahr ist darin zu sehen, daB nach Einfiihrung eines FUhrungssystems, das auf diesem MittelmaB aufbaut, das Bestreben, seine Leistungsflhigkeit zu erhalten und zu verbessem, groBer ist als das Ungewohnlich.e und Neue zu wagen. Nicht zufaIIig schwinden Kiihnheit und Neuerung, wenn eine Organisation groB und erfolgreich wird. Die Zielsetzung wird auf die Erhaltung des Erreichten ausgerichtet. Das (Fiihrungs-)System wird leicht zum Selbstzweck. Die aufgezeigten Gefahren sind nicht auf die Fiihrungsforschung und die Einfiihrung von FUhrungssystemen begrenzt. Die Gefahren sind grundsltzlich in samtlichen praktisch orientierten Systemforschungen vorhanden. Das Streben nach Perfektion in der Gestaltung von Teilsystemen laBt allzuleicht die UngewiBheit und den mangelnden Kenntnisstand fiber die Gesamtproblematik der mehrdimensional zu gestaltenden Prozesse auBer Betracht. Diese Griinde zwingen zu einer Betrachtung der Untemehmung und deren Teilbereiche als selbstorganisierende, multistabile Systeme. 'Ober einen vorgegebenen Rahmen miissen die Mitglieder dieser Systeme in die Lage versetzt werden, iiber deren Erhalt und Fortentwicklung selber entscheiden zu konnen. Damit wird neben der Notwendigkeit nach Neuerung und sozialer Entfaltung der Gefahr des Systemzwangs Rechnung getragen. Informationsorientierte Ffihrung Die in engem Zusammenhang mit der Gestaltung von Fiihrungssystemen stehende In for mat ion s g est a I tun g beinhaltet derzeit aufgrund der Entwicklung der elektronischen Datenverarbeitung eine Tendenz zu immer groBeren Systemen und damit zu technokratischen Strukturen. Die T e c h no k rat i e erhaIt einen doppelt negativen Sinn141). Einmal bezeichnet die Technokratie die Her r s c h aft d erE x per ten, die Expertokratie. Hierbei entscheiden ni~ht mehr die FUhrer in der Untemehmung, sondem die Technokraten fiben aufgrund ihres Sachverstandes die Macht in der Untemehmung aus. Dieser Sachverhalt deckt sich mit den Untersuchungsergebnissen von Wit t e. Der in Entscheidungsprozessen enthaltene FinalentschluB wird durch die vorgelagerten Teilentschliisse fachspezifischer Abteilungen weitgehend determiniert1411). Die Fiihrer miissen sich dem SachVgI. hierzu Billlner, R., Die Bedeutung der Systemtheorie fUr eine Untemehmungs-Informatik. Eine systemkritlsche Betrachtung, Arbeitsbericht des Lehrstuhls fUr Mikro6konomie Prof. F. Hoffmann, Augsburg 1971, S. 28 ff. 1") VgI. Witte, E., Mikroskopie einer untemehmerischen Entscheidung~ a. a. 0., S.490ft.

141)

272

Ansiitze oTganisationswissenschaftHcheT FOTschung

verstand der Informationsexperten (Systemanalytiker, Systemorganisatoren) fiigen, ohne deren Urteil iiberpriifen und beurteilen zu konnen. Eine Mittlerperson oder -stelle, die wir als Informationsinterpreten bezeichnen wollen, gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung. Dieser Person oder Stelle kommt die Aufgabe zu, der Unternehmungsfiihrung die computergestiitzten Informationsprobleme verstandlich zu machen143}, dadurch die Macht der Experten einzuschranken und deren einseitige Problemsicht auf das Unternehmungsgesamtziel auszurichten. Allerdings wird durch die Einfiihrung einer solchen Stelle ein mogliches neues Machtzentrum geschaffen, das seinerseits die Gefahr zur subjektiven Informationsnutzung beinhaltet. Die Bereitschaft, Initiative und Mitarbeit der Unternehmungsfiihrung an dem GestaltungsprozeB informationstechnologischer MaBnahmen werden durch das Verstandnis der Informationsmaterie erhoht. Das fiihrungsorientierte Informationssystem erhalt in der informationsorientierten Fiihrung sein erforderliches Pendant. Zum anderen bedeutet Technokratie, daB Sac h - 0 d e r S y s t e m z wan g e geschaffen werden, die reale unternehmungspolitische Entscheidungen iiberfliissig machen und ersetzen. Systemzwang bedeutet eine dem beeinflussenden Handeln entzogene GesetzmaBigkeit. Die Unternehmungsfiihrung hat danach lediglich noch die Aufgabe, den Sachgesetzlichkeiten der Informationstechnologie zu folgen und diese mit moglichst hoher Effizienz zu verwalten. Die Forderung und die Zielvorstellung des Aufbaues sogenannter "total information systems" unter Betonung des aufgabenlogischen Informationszusammenhangs begiinstigen diese Tendenz in unrealistischer Weise14'). Auf der einen Seite werden bei der Gestaltung totaler Informationssysteme die von der Kybernetik her bekannten Vorteile multistabiler Systeme zugunsten groBer ultrastabiler Systeme negiert. Die multistabile Eigenschaft von Informationssystemen erlaubt den Aufbau von umweltadaquaten Teilsystemen, denen eine hohe Anpassungsfahigkeit an umweltspezifische Anderungsprozesse inharent ist. Die iiberproportional mit der GroBe der Systeme zunehmenden Verwaltungsaufwendungen und Anderungsdienste werden dadurch auf ein den menschlichen Informationsverarbeitungsprozessen adaquates MaB reduziert, das eine operationale Steuerung und Kontrolle der Systeme zulaBt und die Systemtransparenz zur Unternehmungsfiihrung hin ermoglicht. Auf der anderen Seite werden bei der Gestaltung totaler Informationssysteme die mehrdimensionalen Informationssystemprobleme durch eine eindimen143) Nach der These von Ackoff hat ein Manager nicht nur zu verstehen, wie das Infonnationssystem arbeitet, sondern auch, wie es zu benutzen ist. Vgl. Ackoff, R. L., Management Misinfonnation Systems, Management Science, Vol. 14, 1967, S. B 147-B 156. 14') VgI. Brooker, W. M. A., The Total Systems Myth, in: Management Systems, a. a. 0., S. 325-331.

Systembezogene Organisationstheorien

273

sionale, aufgabenlogische Betrachtungsweise als ge16st betrachtet. J edoch gerade die VernachHissigung des Organisationsproblems in Unternehmungen allgemein und der sozial-psychologischen Aspekte im besonderen verhinderte bisher die Gestaltung und Einfiihrung verhaltensadiiquater, benutzerfreundlicher, "effizienter" Informationssysteme. Die mangelnden Erkenntnisse iiber das Informationsverhalten der Unternehmungsmitglieder145) und die Nichtberiicksichtigung der Forderung nach Sicherstellung eines funktionsfiihigen organisatorischen Ablaufs vor der Umstellung auf computergestiitzte Informationssysteme146) sind ausschlaggebend fiir die Riickschliige und Fehlentwicklungen auf diesem Gebiet. "Nicht der Computer soIl moglichst umfassend eingesetzt werden, sondern unsere Probleme sollen, wo immer moglich, mit seiner Unterstiitzung besser gelost werden147)." Die seitens der Literatur spekulativ erweckten Hoffnungen auf die entscheidungsrelevante Informationsbereitstellung fUr alle Unternehmungsebenen steht im Gegensatz zur wissenschaftlichen Erkenntnis und zur praktischen Verwirklichung computergestiitzter Informationssysteme. Der Anwendungsbezug des Computers und der Aufbau computergestiitzter Informationssysteme ist derzeit auf deterministische und wiederholbare Prozesse der operativen Unternehmungsebene begrenzt. Der Ausbau und die Gestaltung integrierter Losungen haben von dies en Bereichen auszugehen, welche die Grundinformationen zur aufgabenmiiBigen Fiihrung der Unternehmung beinhalten. Die weitere praktische Entwicklung soUte sich auf mehrere kleine Projekte beziehen, deren Fortschritt kontrollierbar ist, und nicht auf groBe uniiberschaubare Projekte, deren Erfolg zu lange auf sich warten liiBt148). Die Forschungsstrategie zur theoretischen Durchdringung der Probleme computergestiitzter Informationssysteme hat sich an den Schwierigkeiten der praktischen Realisation zu orientieren und schrittweise kleine Informationssystemprobleme in ihrer Mehrdimensionalitiit einer Losung zuzufiihren. Die von Sac k man erhobene Forderung nach einem "experimenteUen 145) Vgl. Argyris, Ch., Management Information Systems: The Challenge to Rationality and Emotionality, Management Science, Vol. 17, No.6, Feb. 1971, S. B-275B-292; Kirsch, W., Auf dem Weg zu einem neuen Taylorismus?, Vortrag gehalten auf dem Wirtschaftsinformatiksymposium vom 3.-6. 10. 1972 in Wildbad, Wildbad 1972; Witte, E., Das Informationsverhalten in Entscheidungsprozessen, Tubingen 1972, S.l. 146) Vgl. Hoffmann, F., Die Einsatzplanung elektronischer Rechenanlagen in der Industrie, Munchen 1961. 147) Szyperski, N., Vorgehensweise bei der Gestaltung computergestutzter Entscheidungssysteme, in: Computer-gestiitzte Entscheidungen in Unternehmungen, hrsg. von E. Grochla, Wiesbaden 1971, S. 62. 148) Vgl. Gunther, R., Rolle, H., Entwicklungstendenzen in der Gestaltung VOIla Management-Informations-Systemen in den USA. Arbeitsbericht 69/10 des Betriebswirtschaftlichen Instituts ffir Organisation und Automation an der Universitiit zu KOln, K61n 1969, S. 10; Poensgen, 0., Wirtschaftliche Vor- und Nachteile von Teilnehmersystemen, in: Die Wirtschaftlichkeit automatisierter Datenverarbeitungssysteme, hrsg. von E. Groch1a, Wiesbaden 1970, S. 119 f.; Grochla, E., Betriebswirtschaftlich-organisatorische Forschung auf dem Gebiet der Informationssysteme, in: Wissenschaftsprogramm und Ausbildungsziele der Betriebswirtschaftslehre, a. a. 0., S. 204 ff.

18 Hoffmann

274

Ansiitze organisationswissenschaftticher Forschung

Realismus"149) zeigt einen asymptotisch zu begehenden Weg auf, der iiber ein Umdenken in Forschung und Praxis die Gestaltung computergestiitzter Informationssysteme mit zu bewaltigen_hilft.

2. Formale Strukturbeziehungen Die vorausgegangene Behandlung der Fiihrungs- und Informationsbeziehungen ging mehr oder weniger von einer eindimensionalen Betrachtungsweise aus. Dabei stand die soziale oder die technologische Dimension im Mittelpunkt der Betrachtung. 1m AnschluB daran sollen die aus dem Aufgabenzusammenhang der Unternehmung resultierenden Strukturbeziehungen im Hinblick auf die Koordinationsfunktionen behandelt werden. Die Darstellung kniipft dabei unmittelbar an die aufgabenbezogen gebildeten Subsysteme der Verrichtungs-, Objekt- und Projektorganisation sowie deren Mischformen an. Die aus diesen Organisationsformen abgeleiteten formalen Strukturbeziehungen oder formalen Autoritatsbeziehungen lassen sich auf ein dreidimensionales Beziehungsnetz reduzieren und typisieren. Die drei K 0 0 r din a t ion s dim ens ion e n umfassen den vertikalen, horizontalen und lateralen Beziehungsreichtum zwischen den organisatorisch gebildeten SUbsystemen. Die v e r t i k a I e Koordinationsdimension erfaBt den hierarchischen Beziehungszusammenhang zwischen den Subsystemen, wobei je nach Gliederungsmerkmal der Organisation dem verrichtungs- oder objektbezogenen Koordinationsaspekt Rechnung getragen wird. Die h 0 r i z 0 n t a I e Koordinationsdimension zielt auf eine Beriicksichtigung des verrichtungs- oder objektbezogenen Aufgabenzusammenhangs einer bestimmten organisatorischen Ebene abo Die I ate r a I e Koordinationsdimension oder Querschnittskoordination versucht iiber die hierarchischen Ebenen hinweg ohne Beriicksichtigung der Kompetenzgrenzen eine gesamtzielbezogene Fiihrung zu erreichen. Es wird eine auf das Projektmerkmal ausgerichtete Koordination angestrebt. Die Gestaltung des Zusammenwirkens der Koordinationsdimensionen fiihrt je nach Notwendigkeit zu einer eindimensionalen, zweidimensionalen oder dreidimensionalen Organisation. Bei der eindimensionalen Organisation wird lediglich die vertikale Koordinationsdimension beriicksichtigt. Ais eindimensional ist in diesem Sinne die reine Verrichtungs- und Objektorganisation zu kennzeichnen. Finden zwei Koordinationsdimensionen gemeinsam Anwendung, Z. B. eine vertikale Produktkoordination und eine horizontale Verrichtungskoordination, so ergibt sich eine zweidimensionale Organisation. Aufgrund der in dieser Konzeption systematisch eingebauten Kompetenziiberschneidungen in horizontaler und vertikaler Richtung wird von einer MatrixOrganisation gesprochen. Die Matrix-Organisation findet je nach Art der beiden erforderlichen Dimensionen und nach der Kompetenziibertragung auf 149) Vgl. Sackman, H., System Testing and Evaluation, in: Developing ComputerBased Information Systems, hrsg. von P. E. Rosove, New York etc. 1967, S. 344 ff.

Systembezogene Organisationstheorien

275

diese Dimensionen unterschiedliche Auspragung. Bei der dreidimensionalen Organisation kommen zu den vertikalen und horizontalen Beziehungen die lateralen Beziehungen hinzu, die eine Koordination in bezug auf die nach dem Projektmerkmal reduzierte Systemdifferenzierung bezwecken. Die projektgebundenen Koordinationsbeziehungen iiberlagem die Verrichtungs- und Objektbeziehungen. Die drei Koordinationsdimensionen reprasentieren Auspragungen der Aufgabendimension der Organisation. Treten zur Aufgabendimension die soziale, technologische und okonomische Dimension der Organisation mit ihren Auspragungen hinzu, so werden die Schwierigkeiten deutlich, die aus der ErfaBbarkeit und Gestaltbarkeit der mehrdimensionalen Organisation resultieren. Die typisierende und abstrakt-isolierende Betrachtungsweise stellt hierbei einen fruchtbaren Ansatz zur pragmatischen Bewiiltigung dieser Problemkomplexitat dar. Anhand des Ansatzes werden im folgenden die aus der Aufgabendimension der Organisation resultierenden ein-, zwei- und dreidimensionalen Koordinationsbeziehungen behandelt. 21. Eindimensionale Stab-Linien-Beziehungen mit Erweiterungen Eindimensionale Koordinationsbeziehungen resultieren aus den in der Praxis weitverbreiteten Linien-Stab-Beziehungen. Diese finden sich sowohl in verrichtungs- als auch objektgegliederten Unternehmungen. Die durch ein Einliniensystem charakterisierten Linienbeziehungen, wobei eine untergeordnete Instanz nur von einer iibergeordneten Instanz Weisungen erhalt, werden durch spezialisierte Stabsstellen und -abteilungen erganzt. Die Stabe dienen der Linie als erweiterte informationelle Kapazitaten. Nach dem urspriinglichen Stabsgedanken - der aus dem militarischen Bereich stammt - werden dem Stab keinerlei Entscheidungs- und Anordnungsbefugnisse zugeteilt. Die EinfluBmoglichkeiten des Stabes sind auf die Person (Macht durch Wissen) begrenzt. Die aus der Kompetenzlosigkeit des Stabes resultierende Kritik am LinienStab-Prinzip150) stiitzt sich weitgehend auf diesen urspriinglichen LinienStab-Gedanken. Diese Kritik betrifft groBteils eine in der Praxis nicht mehr anzutreffende Linien-Stab-Konzeption. Die Vorstellung einer Dichotomie, bei der auf der einen Seite der problembearbeitende, analytisch denkende, kompetenz- und machtlose Spezialist steht, auf der anderen Seite der entscheidungsbefugte, entschluBkraftige und befehlende Linienchef und Realisator, entspricht nur in Einzelfiillen den wirklichen Verhiiltnissen151). In der Praxis hat sich diese Entweder-Oder-Vorstellung zu einer Sowohl-Als-Auch-Vorstellung entwickelt. Der Stab zeigt in bezug auf die urspriinglichen EntscheiVgi. S. 179 dieser Arbeit. VgI. Staerkle, R., Die Gestaltung der Untemehmensorganisation zur Bewiiltigung neuer Aufgaben, a. a. 0., S. 201.

150)

111)

18·

Ansiitze organisationswissenschaftHcher Forschung

276

dungsbefugnisse der Linien samtliche Nuancen von volliger Kompetenzlosigkeit in einigen Bereichen bis zur selbstandigen Entscheidung und Anordnung in anderen Bereichen152). Die Kompetenzlosigkeit des Stabes stellt eine Fiktion dar, welche groBteils die vielfaltigen praktischen Realisierungen des Stabsgedankens nicht trifft. Die praktische Ausgestaltung des Stabes besteht in der Z u wei sun g b e s tim m t e r K 0 m pet e n zen un d R e c h t e lS3). Die Zuweisung kann je nach AusmaB an Kompetenz bestehen: in einem Informationsrecht, von anderen Stellen zur Bearbeitung seiner Aufgaben Informationen einzuholen; in einem Mitspracherecht, vor wichtigen Entscheidungen den Stab anzuhoren; in einem Mitentscheidungsrecht, nur Linie und Stab konnen gemeinsam entscheiden; in sachlich begrenzten Entscheidungs- und Anordnungsbefugnissen, die dem Stab im Rahmen festgelegter Grundsatze und Richtlinien erteilt werden. Diese organisatorischen Moglichkeiten der abgestuften Kompetenzausstattung des Stabes verdeutlichen das Spektrum der implizit oder explizit praktisch vorkommenden Realisationen. Die Unzulanglichkeit der idealtypischen Unterteilung der Organisation in einen Stab und in eine Linie kommt hierbei zum Ausdruck. Die begriffliche Charakterisierung der Organisation durch Stab und Linie in der Praxis verdeckt Zusammenhange, die den differenzierten Bedurfnissen des komplexen Aufgabenbereichs der Unternehmungen nicht gerecht werden und die in grofieren Unternehmungen den tatsachlichen OrganisationsverhaItnissen nicht mehr entsprechen. Mit zunehmender GroBe der Unternehmung gewinnt im Zusammenhang mit dem Stabsgedanken die organisatorische Institutionalisierung von Zen t r a 1st e 11 e nod e r - a b t e i1 u n g e n an Bedeutung. 'Ober die Institutionalisierung von Zentralstellen sollen die in der Systembildung unberiicksichtigt gebliebenen Merkmale koordiniert werden. Bei einer Verrichtungsorganisation haben die Zentralstellen die Aufgabe der Objektkoordination (produkt- und geographische Koordination). Bei einer Objektorganisation wird den Zentralstellen die Aufgabe der Verrichtungskoordination zugewiesen. Den Objektsystemen (Divisions) werden aus Grunden der Einheitlichkeit in der Verfahrensweise der Verrichtungswahrnehmung sowie aus Grunden der fuhrungsmaBigen Entlastung und aus Wirtschaftlichkeitsgriinden zur Vermeidung von verrichtungsbezogenen Parallelarbeiten in den einzelnen Objektsystemen gemeinsamer Verrichtungen (Einkauf, Forschung und Entwicklung, Finanzen, Verwaltung) zentral vorgelagert. Mit zunehmender GroBe der Unternehmung finden sich die Zentralstellen in kleineren Abteilungen dieser Art als Verbindungsstellen in den Objektsystemen spiegelVgl. French, W., Henning, D., The Authority-Influence Role of the Functional Specialist in Management, Academy of Management Journal, Vol. 9, 1966.

152)

S.187-203. 153)

VgI. Staerkle, R., Stabsstellen in der industriellen Unternehmung, a. a. 0.,

S. 103 ff.

Systembezogene Organisationstheorien

277

bildlich wieder. Wiihrend die Zentralstellen auf die in allen Objektsystemen gemeinsam vorhandenen Problemkreise ausgerichtet sind, beriicksichtigen die als Verbindungsstellen eingerichteten Abteilungen die objektspezifischen Gegebenheiten. Fiir einen Aufgabenbereich sind je nach situativen Gegebenheiten mehrere Stellen in der Organisation zustiindig (mehrpolige organisatorische Aufgabenverteilung1M

».

Die Zentralstellen besitzen gegeniiber den entsprechenden Abteilungen in den Verrichtungs- und Objektsystemen ein fachliches und unter Umstiinden auch ein disziplinarisches Weisungsrecht oder eine Richtlinienkompetenz in bezug auf die Erfiillung einer Unterstiitzungs- oder Dienstleistungsfunktion (service center) gegeniiber den Verrichtungs- und Objektsystemen der Linie. Uber die Richtlinienkompetenz iiben die Zentralstellen indirekt EinfluB auf die Linie aus. Der urspriinglich in den Zentralstellen verankerte Stabsgedanke wird zugunsten einer Analyse der einzelnen Teilaufgaben bzw. Entscheidungsbereiche, verbunden mit einer angemessenen Zuteilung bestimmter Kompetenzen und Rechte, modifiziert. Die Linienbeziehungen erfahren durch die fachlich begrenzten Weisungsbeziehungen der verrichtungsund objektneutralen Zentralstellen gegeniiber den verrichtungs- und objektbezogenen Subeinheiten in Form eines parallel hierarchisch strukturierten Systems eine Ergiinzung. Der von Fayol aufgestellte Grundsatz der Einheit der Auftragserteilung (Einliniensystem) wird durchbrochen, ohne daB allerdings die Klarheit der Auftragserteilung und die Verantwortungsbeziehungen EinbuBen erleiden miissen. Die parallel zu den Linienbeziehungen organisierten, fachlich begrenzten Weisungsbeziehungen zwischen den Zentralstellen und ihren Subeinheiten ermoglichen eine zentrale, gesamtzielorientierte Unternehmungsfiihrung bei hohem Dezentralisationsgrad der Linie. Die Zentralstellen schlagen eine Briicke zur zentralen Unternehmungsfiihrung bei dezentral operierenden Linieneinheiten. Der Service-Charakter der Zentralstellen liegt sowohl in der Unterstiitzung der 0 per a t i v e n Lin i e als auch in der Unterstiitzung der 0 b e r s ten Un t ern e h m u n g s f ii h run g, der die Zentralstellen unterstehen. Diese Dreiteilung in Fiihrungsaufgaben des Gesamtsystems Unternehmung, in operative Aufgaben und in Service-Aufgaben zeigt eine grundsiitzliche organisatorische Gestaltungsalternative auf, welche die Unzuliinglichkeit des urspriinglichen Linien-Stab-Gedankens zu vermeiden sucht (vgl. Abbildung 34). In dieser Gestaltungsalternative kommt eine z i e lor i e n tie r t eSt r u kt uri e run g der oberen Gliederungsebenen der Unternehmung zum Ausdruck155). Der nach den Phasen der Zielbildung, Zielsetzung und Zielkon154) Vgl. Altfelder, K., stabsstellen und Zentralabteilungen als Formen der Organisation der Fiihrung, a. a. 0., S. 74 ff.; Bleicher, K., Koordinationsorgane, in: Handworterbuch der Organisation, a. a. 0., Sp. 901 ff. 155)Vgl. hierzu Hoffmann, F., Organisation der Fiihrungsgruppe, a. a. 0., S. 126 ff.; ders., FUhrungsorganisation durch Gewaltenteilung, ZfO, 39. Jg., 1970, S. 27-29.

278

Anslitze organisationswissenschaftticher Forschung

trolle unterteilte Zielproze.B findet in den Fiihrungsbereichen der Unternehmungsplanung, der Unternehmungsfiihrung (Exekutive) und der Unternehmungskontrolle (Controlling) seinen adaquaten strukturellen Bezugsrahmen.

Abbildung 34 Grundkonzept einer dezentralen Organisation bei zentraler Unternehmungsfiihrung

Der Fiihrungsbereich Z i e 1 set z u n g stellt als Linie die oberste Exekutivinstanz der Unternehmung dar. Die Fiihrungsbereiche Zielfindung und Ziel-

kontrolle sind als Zentralstellen iiber ihr fachliches Weisungsrecht mit ihren entsprechenden dezentral ausgegliederten Subeinheiten verbunden. Der Fiihrungsbereich Z i elf i n dun g (Unternehmungsplanung) hat die Aufstellung der Unternehmungspolitik und deren Umsetzung in langfristige Strategien zum Aufgabengegenstand. Die Strategien sind vom Fiihrungsbereich Zie1setzung gesamtverantwortlich zu realisieren. Die zieladaquate Realisation der Unternehmungsgesamtziele ist vom Fiihrungsbereich Un t ern e h m u n g s k 0 n t roll e (Controlling) unterstiitzend zu steuern und zu iiberwachen. Der Controller156) hat im Sinne eines aktiven Leiters des Rechnungswesens (Informationswesen) die im Zielfindungsbereich allgemein formulierten Ziele und Strategien in operationale mittel- und kurzfristige Unterziele umzuwandeln, unter Beteiligung der Linieninstanzen diese vorzugeben, Soll-Ist-Vergleiche durchzufiihren und entsprechende Korrekturma.Bnahmen vorzuschlagen. Die Organisation der Unternehmungsfiihrung entsprechend den Phasenkriterien des Zielprozesses erlaubt sowohl eine kollegiale Gesamtfiihrung der Unternehmung als auch eine direktoriale, exekutive Fiihrung. Die kollegiale 156) VgI. u. a. Hoffmann, F., Der Controller im deutschen Industriebetrieb. Der Betrieb, Jg. 21, Dez. 1968, Sp. 2181-2185; Wickenhiiuser, F., EDV - Instrument des Controllers, a. a. O.

Systembezogene Organisationstheorien

279

Gesamtfiihrung der Untemehmung durch den Vorstand oder durch die Geschaftsleitung, die in Deutschland aktienrechtlich verankert ist15'1), wird horizontal durch die paritatische Beteiligung der Bereiche Zielfindung und Zielkontrolle an der Zielsetzung gewahrleistet. Strukturell findet die Kollegialitat in einem Komitee oder Kollegium ihren Niederschlag. Die direktoriale, autoritative Durchsetzung der in einem demokratischen MeinungsbildungsprozeB verabschiedeten Gesamtziele vol1zieht sich iiber den Bereich der Zielsetzung oder Exekutive (Sprecher oder Vorsitzender des Vorstands oder der Geschaftsleitung). Damit werden die Vorteile einer kollegialen, demokratischen Grundstruktur mit den Vorteilen autoritativer Fiihrungselemente verbunden. Eine mogliche autoritative Ausniitzung formaler Macht sowie die Nachteile zeitraubender, kollegialer KompromiBentscheidungen und der darin moglicherweise enthaltenen Verantwortungslosigkeit der Mitglieder werden strukturell zu vermeiden versucht. Die zielorientierte Strukturierung der obersten Fiihrungsebene fiihrt zu einer Ausschaltung strukturbedingter Konkurrenz (Ressortegoismus) unter den Fiihrungsmitgliedern und zu einer gesamtzielbezogenen (ressortneutralen) Koordination der Untemehmung. Die aufgezeigte Strukturkonzeption fiir die oberste Untemehmungsfiihrung gilt es je nach intemen und extemen Gegebenheiten der zu gestaltenden Untemehmung abzuwandeln. Die drei Fiihrungsbereiche sollten jedoch in jedem Fall bestehenbleiben. Lediglich in bezug auf den hierarchischen Rang dieser Bereiche und damit deren personeller Besetzung und Kompetenzausstattung sind Variationsmoglichkeiten gegeben. Einen spezifischen Anwendungsfall dieser Konzeption stellt die Organisationsstruktur von G e n era lEI e c t ric dar158) (vgl. Abbildung 35). Die Stabe sind hierbei als mit fachlicher Kompetenz ausgestattete Bereiche anzusehen. Der Fiihrungsbereich Zielsetzung ist in dem "Corporate Executive Office" (CEO) verwirklicht. Das fiir die Durchsetzung der Unternehmungspolitik verantwortliche CEO setzt sich zusammen aus: - dem Chairman (Ch) als Vorsitzer - den drei Vice-Chairmen (VCh), die den drei Linienbereichen vorstehen. Dem CEO unterstehen der "Corporate Executive Staff" (Zielfindung), der "Corporate Administration Staff" (Zielkontrolle) und die Abteilung "Research and Development". Dieses Unterstellungsverhaltnis sichert den drei ViceChairmen der Linie eine EinfluBmoglichkeit auf die Stabsabteilungen. Die Bedeutung des "Corporate Executive Staff" fUr das CEO ergibt sich aus dem Vorsitz des Chairman. Der "Corporate Administrative Staff" wird von einem Senior Vice-President (SVP) geleitet. Gleichfalls stehen die drei wichVgI. § 77 AktG 1965. VgI. Hoffmann, F., Merkmale der Fiihrungsorganisation amerikanischer Unternehmen, a. a. 0., S. 8.

167)

158)

280

Ansiitze organisationswissenschajtUcher Forschung

tigsten Bereiche des "Corporate Executive Staff" unter der Leitung je eines Senior Vice-President. Die Abteilung "Research and Development" ist direkt dem CEO unterste1lt. Die horizontale. kollegiale Zielkoordination und Gesamtfiihrung der Unternehmung findet im "Corporate Policy Committee" statt. Dieses Komitee setzt sich zusammen aus: - dem Chairman - den drei Vice-Chairmen - den vier Senior Vice-Presidents.

operoting components

Controller Treasurer Trust legal Employee Relations inancial Resources (SVP) Management Personnel Public Relations Environmental Constraints Consulting (SVP) Education Pooled Services .CES: Shape future direction of Corporation CAS: Ongoing day-to-day corporate work Strategic Planning (SVP) Management Systems Planning Development Executive Manpower

~

Ch = Chairman of the Board VCh Vice-Chairman SVP = Senior Vice-President

=

Abbildung 35 Filhrungsstruktur bei General Electric

Die nach den spezifischen Gegebenheiten bei General Electric ausgerichtete zielorientierte FUhrungsstruktur ermoglicht durch die Personalunion der Stabs- und Linienvorgesetzten eine starke Integration der Interessen der einzelnen Linien- und Stabsbereiche. Der kompetenzlose Stab wird zur Fiktion. 22. Zweidimensionale Matrix-Beziehungen

Die Ablosung der eindimensionalen, parallel gelagerten Linien- und fachlich begrenzten Weisungsbeziehungen durch eine zweidimensionale Organisa-

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281

tionsform vollzieht sieh iiber die simultane Anordnung zweier sich iiberlagernder Kompetenzbeziehungen. Die Systemdifferenzierung erfolgt anhand zweier verschiedener formaler Merkmale, die auf eine jeweils untersehiedliehe Koordinationsdimension abstellen. Die simultane Beriicksichtigung beider Koordinationsdimensionen bei der Losung eines Problems fiihrt zur systematischen Institutionalisierung von Kompetenziiberschneidungen zweier versehiedener Arten von Linienbeziehungen. Die zweidimensional, faehlich geteilte Linienkompetenz (Zweiliniensystem) fiihrt zu Doppelunterstellungen und damit zur Verletzung des von Fayol gepragten Prinzips der Einheit der Auftragserteilung. Die Doppelunterstellung eines Untergebenen unter zwei faehlich kompetente Vorgesetzte kann unter genauer Kompetenzabgrenzung durch Stellenbeschreibungen, Funktionsdiagramme usw. zur E i n h e i t lie h k e i t d e r z wei f a e hen Auf t rag s e r t e il u n g reduziert werden. Die sich aus den mehr oder weniger geregelten Kompetenziiberschneidungen ergebende Organisationsform gleicht formal einer Matrix. Bei der Matrix-Organisation werden je naeh Merkmal der Systemdifferenzierung den vertikal gerichteten Kompetenzen und Verantwortlichkeiten die horizontal geriehteten Kompetenzen und Verantwortliehkeiten iibergreifend gegeniibergestellt. In bezug auf eine nach Verrichtungen vertikal gegliederte Unternehmung laBt sieh als Vorstufe zu den reinen Matrix-Typen die 0 rg ani sat ion s for m des Pro d u k t - Man age men t ansehen159). Die vertikale Verrichtungsorganisation wird dureh die horizontal mit begrenzter Linienkompetenz ausgestatteten Produktmanager iiberlagernd ergiinzt. Die Produktmanager stellen objektbezogene Koordinatoren dar, die iiber ein faehliehes Weisungsrecht aIle notwendigen Aktivitaten der ihnen iibertragenen Produkte bzw. Produktgruppen gegeniiber den verrichtungsgebundenen Linienbeziehungen wahrnehmen. Die vertikale Spezialisierung wird durch eine horizontale Spezialisierung nach Produkten erganzt. Die vertikalen, verrichtungsgebundenen Koordinationsbeziehungen erfahren durch horizon tale, fachlich begrenzte, produktorientierte Koordinationsbeziehungen eine 'Oberlagerung. Die Ausstattung des Produktmanagers mit einer fachlich begrenzten EinfluBbeziehung auf die Verrichtungsorganisation setzt eine fachlich hochqualifizierte Personlichkeit voraus, die fehlende Kompetenz durch Ansehen und 'Oberzeugungskraft ersetzt. Eine Reduzierung der Position des Produktmanagers auf eine reine Stabsstelle widerspricht allgemein dem Leitgedanken dieser Konzeption. Die unternehmungsspezifische Einordnung der Produktmanager in die Struktur hiingt von den iibertragenen Aufgaben ab, von denen die Kompetenzen abzuleiten sind, die je nach Vgl. Ames, B. Ch., Payoff from Product Management, Harvard Business Review, Vol. 41, Nov.-Dec., 1963, S.141-152; Fulmer, R. M., Product Management: Panacea or Pandora's Box, in: Systems, Organizations, Analysis, Management: A Book of Readings, a. a. 0., S.26-37; Luck, D. J., Nowack, Th., Product-Management-Vision Unfulfilled, Harvard Business Review, Vol. 43, May-June, 1965, S.143 bis 154; Voegeli, F., Das Produkt-Manager-Konzept, Die Unternehmung, 23. Jg., 1969, S. 61-76; Wild, J., Product Management, Ziele, Kompetenzen und Arbeitstechniken des Produktmanagers, Munchen 1972.

159)

Ansiitze organisationswissenschaftUcher Forschung

282

GroBe und Produktionsprogramm der Untemehmung den praktischen Variationsspielraum der Produktmanager abstecken. Mit zunehmender Bedeutung der Objektkoordination, die sich aus der primiir nach Objekten differenzierten Umwelt einer Untemehmung ergibt, empfiehlt sich eine nach Objekten dijjerenzierte Struktur, die gleichrangig die VeTrichtungsgebundenen Kompetenzbeziehungen iiberlagert (vgl. Abbildung 36). produktorientierte --Kompetenzbeziehungen

verricht~ngsorien--

tierte Kompetenzbeziehungen

L---:rr====~--, I

,..----------- -'f'-:..:-:::-=...J:JL~=::;::=====~--, I

I

I I I I

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I I L _____ --- .... ----- --__..... _____ --I

IlroduktA

I ____ _ L

ProduktB

Produkt C

r;:;--;--___,

i ___________________ :..

~

________ --1

Abbildung 36 VeTTichtungs- und produktorientierte Matrix-Struktur Der verrichtungs- und produktgebundene KoordinationsZllsammenhang wird in dieser Organisationskonzeption simultan berlicksichtigt. Die Losung eines Problems erfordert in gleichberechtigter Weise die Zusammenarbeit beider Stellenarten. Die hieraus resultierenden Kompetenzliberschneidungen und Konfliktmoglichkeiten lassen sich je nach Determinierbarkeit und Wiederholbarkeit der Aufgabe durch eine einheitliche Regelung der zweifachen Auftragserteilung einschranken. Flir die nicht programmierbaren Aufgaben, die eine hohe Professionalisierung der Unternehmungsmitglieder voraussetzen, schafft eine offene Kompetenzabgrenzung giinstigere Arbeitsbedingungen und die Moglichkeit einer auf Sachargumenten basierenden offenen Konfliktaustragung. Sofem die Aufgabenerfiillung programmierbar ist, leisten gebundenere Strukturen eine funktionsfahigere Durchflihrung der Aufgaben. Die gleichrangigen Matrbc-Beziehungen sind demzufolge auf diejenigen organisatorischen Subsysteme begrenzt, die komplexe, novative und wenig liberschaubare Aufgaben zu erflillen haben und aus diesem Grund direkte Beziehungen zwischen den verrichtungs- und objektgebundenen Spezialisten erfordem. Eine weitere Moglichkeit der Matrix-Strukturierung besteht in der sich iiberlagernden Beziehungsgestaltung einer nach Verrichtungen (oder Objekten) und Projekten vollzogenen Subsystemdijjerenzierung (vgl. Abbildung 37). Die Projektbildung hangt von den umweltbezogenen Aspekten ab,

Systembezogene Organisationstheorien

283

projektorientierte - Kompetenzbeziehungen verrichtungsorien-tierte Kompetenzbeziehungen

r--------------I I

I

I

H~--'"

I r----, Projekt C

I

L ______

J... _ _ _ _ _ _ ' - _ _ _ _ _ _ .J

Abbildung 37 Verrichtungs- und projektorientierte Matrix-Struktur die nicht durch die Verrichtungsorganisation und damit einer verrichtungsbezogenen Umweltdifferenzierung abgedeckt werden. Die Projektgruppen haben die Aufgabe, aIle Aspekte in bezug auf ihre Projekte quer durch die hierarchischen, verrichtungsgegliederten Linien zu koordinieren. Wahrend die Projektgruppen in der Regel fUr die Planung und Kontrolle der Projektaktivitaten zustandig sind, behalten die Verrichtungsbereiche ihre Kompetenz hinsichtlich der Projektdurchfiihrung. Da die Projektgruppe an einer raschen, erfolgreichen Projektabwicklung interessiert ist, wird sie versuchen, auf die Projektdurchfiihrung der Verrichtungseinheiten EinfluB auszuiiben. Die EinfluBnahme griindet sich auf die Expertenmacht der Projektgruppenmitglieder. Der erfolgreiche AbschluB eines Projekts wird maBgeblich von den Verhandlungsprozessen und der Zusammenarbeit zwischen den Verrichtungsbereichen und den Projektgruppen bestimmt. Voraussetzung sind: erstens Bildung sinnvoller Projekte160); zweitens latente Verfiigbarkeit der Projektmitglieder in den Objekt- bzw. Verrichtungsbereichen; drittens hohe Qualifikation der Organisationsmitglieder. Daraus ergibt sich die eingeschrankte Anwendung der Projektorganisation auf wenige Unternehmungen und fiir wenige Aufgabenbereiche dieser Unternehmungen. Die Projektorganisation wird in Verbindung mit einer Verrichtungsorganisation grundsatzlich dort angewandt, wo sich Aktivitaten der Unternehmung zur L6sung einmaliger und komplexer Probleme zusammenfassen lassen. Diese Unternehmungen besitzen zumeist ein vielfaltiges, standardisiertes Erzeugnisprogramm, weisen eine bestimmte Gr6Benordnung auf und operieren unter sehr heterogenen und dynamischen Umweltbedingungen. 23. Dreidimensionale, multilaterale Beziehungen Die Ausweitung der zweidimensionalen Organisation zu einer dreidimensionalen Organisation erfolgt iiber die simultane, gleichberechtigte, sich iiber160)

Vgl. S. 242 f. dieser Arbeit.

Ansiitze organisationswissenschaftlicher Forschung

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Zagernde Anwendung der drei systembildenden MerkmaZe der Verrichtungen, Objekte und Projekte. Die simultane Beriicksichtigung dieser drei Koordinationsdimensionen verschiirft grundsiitzlich das aus der Matrix-Struktur bekannte Problem der Kompetenztiberschneidungen und Mehrfach-(Dreifach-)unterstellungen. Je nach Programmierbarkeit der Aufgabenerftillung ist das Problem der Kompetenztiberschneidung durch Kompetenzabgrenzung der Linienstrukturen untereinander und damit eine Einheitlichkeit der mehrfachen Auftragserteilung einzuschriinken. Die relativ offene Kompetenzabgrenzung bei nicht-programmierbaren Aufgaben und die relativ geschlossene Kompetenzabgrenzung bei programmierbaren Aufgaben fiihren zu einer geregelten Multilateralisierung der aus den Koordinationsdimensionen resultierenden Einflu13beziehungen. Die verschiedenen dimensionalen EinfluBbeziehungen erfordern aufgrund der Interdependenzen zwischen den Dimensionen seIber wiederum eine Struktur. Diese zweite (Meta-)Koordinationsdimension muB die anderen Dimensionen in sich erfassen. Ais Strukturform bietet sich das Komitee (KoIlegium) oder ein Team an. Das K 0 mit e e ist durch eine zeitlich unterbrochene, hierarchisch unabhiingige, multipersonale Zusammenarbeit gekennzeichnet. Die Komitees konnen entweder als zeitlich begrenzte organisatorische Einrichtungen institutionalisiert werden, die nur so lange existieren, bis die (Sonder-)Aufgabe erfiiIlt ist, oder als stiindige Einrichtungen, die fest in das organisatorische Gefiige integriert sind. J e nach Grad der an die Komitees delegierten Kompetenzen ist zu unterscheiden zwischen -

Informationskomitees

-

Empfehlungskomitees

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Entscheidungskomitees.

Diese typologisch reinen Formen treten in der Praxis in der Regel in Mischformen auf. Die kommunikative Regelung der Beziehungen zwischen den Komiteeformen liiBt das Komiteesystem der Unternehmung entstehen161 ). Arbeiten die Komitees unmittelbar an d e r s e I ben Auf gab e, so ergeben sich zwei Moglichkeiten der Beziehungsgestaltung. Erstenskonnen die personal unterschiedlich besetzten Informations-, Empfehlungs- und Entscheidungskomitees zeitlich hintereinander gestuft werden. Zweitens konnen die einzelnen Komiteeformen ineinander verschachtelt werden. Der Personenkreis wird von der Information tiber die Empfehlung zur Entscheidung schrittweise eingeengt. Vgl. zum folgenden Kanellopoulos, Ch. K., Kommunikation und Kollegialorgane, a. a. 0., S. 150 ff.; Kosiol, E., und Mitarbeiter, Kollegien als Organisationsformen der Entscheidung, Beratung und Information. Untersuchungsbericht, in: Organisation des Entscheidungsprozesses, hrsg. von E. Kosiol, Berlin 1959, S. 107-214; Kosiol, E., Kollegien, a. a. 0., Sp. 821 ff.

161)

Systembezogene Organisationstheorien

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Arbeiten die Komitees an sac h Ii c hun t e r s chi e d Ii c hen Aufgab en, so bedarf es entweder der Koordination in einem Hauptkomitee, an dem die Mitglieder aller Komitees teilnehmen, oder der Koordination in einem durch Personalunion (Bindeglieder) verbundenen Hauptkomitee. Sind die Teilkomitees informierend oder empfehlend gegeniiber einem Entscheidungskomitee tatig, so kann die Koordination durch Personalunion auf die Teilkomitees beschrankt bleiben, indem eine Kontaktperson (Bindeglied) aus jedem Teilkomitee an den Sitzungen der anderen Teilkomitees teilnimmt, oder auf das Entscheidungskomitee bezogen sein, indem je eine vorab ausgewahlte Kontaktperson aus den Teilkomitees an den Sitzungen des Entscheidungskomitees empfehlend teilnimmt. Umgekehrt besteht die Moglichkeit, daB Mitglieder des Entscheidungskomitees an den Sitzungen der informierenden und empfehlenden Teilkomitees teilnehmen. In bezug auf die steIlen- und rangmiillige Ausgestaltung der Komitees bieten sich folgende vier Moglichkeiten an: -

Die Zusammenfassung vertikal verbundener Stellen eines Instanzenzweiges; diese Form tragt gewohnlich informierenden und empfehlenden Charakter; die Entscheidung bleibt der ranghochsten vertretenen Instanz vorbehalten.

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Die Zusammenfassung horizontal gleichrangiger SteIlen; diese Form dient zumeist der koordinierenden Empfehlung.

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Die Zusammenfassung rangunterschiedlicher Stellen quer durch das Organisationsgefiige und deren Angliederung an eine Instanz; zur Losung von Problemen werden die Spezialkenntnisse verschiedener Stelleninhaber zusammengefaBt, die gegeniiber der Instanz informierend und empfehlend tatig sind.

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Die Zusammenfassung von Komiteemitgliedern entsprechend dem zu losenden Aufgabenzusammenhang unabhangig vom organisatorischen Stellenaufbau; diese Form gewahrleistet die hochstmogliche Ausniitzung des vorhandenen Problemlosungspotentials in der Unternehmung. Die fachliehe und raumliche Distanz des organisatorischen Aufbaus wird zugunsten eines Problemzusammenhangs iiberbriickt, und Informationen im Hinblick auf aIle Dimensionen (Verrichtungen, Objekte, Projekte) werden kurzgeschlossen.

Die Vielzahl an realen Gestaltungsmoglichkeiten eines Komiteesystems in der Unternehmung macht diese Organisationsform zu einem flexiblen, koordinierend wirkenden Instrumentarium. Es erlaubt eine Verhaltensvariabilitat und Anpassungsfahigkeit in bezug auf eintretende Anderungen, ohne die gleiehzeitig erforderliche Verhaltensstabilitat in bezug auf die Willensdurchsetzung in der Unternehmung zu gefahrden. Damit siehert das Komiteesystem eine umfassende, demokratische Meinungsbildung unter Erhaltung einer schneIlen, einheitlichen, autoritativen Entseheidungsdurchsetzung. Ent-

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Ansittze O1'ganisationswissenscha;ftUcher Forschung

scheidungstriiger kann dabei der Vorsitzende des Komitees allein oder das gesamte Komitee nach bestimmten Abstimmungsmodalitaten sein. Erfahrungen aus den Vereinigten Staaten - wo das Komitee eine weitaus groBere Verbreitung gefunden hat als bisher in Deutschland - zeigen, daB iiberwiegend die Entscheidungskompetenz beim Vorsitzenden des Komitees liegt. Dabei wird der MeinungsbildungsprozeB in der Regel so weit getrieben, daB die Entscheidung sich daraus zwangsliiufig ableitet. 1m nicht zu regelnden Konfliktfall entscheidet der Vorsitzer unter Beriicksichtigung der Meinungen und Informationen der anderen Komiteemitglieder autoritativ182). Schwerfallige und zeitraubende Entscheidungsprozesse werden vermieden. Sofortentscheidungen sind moglich. Die Verantwortung fur Fehlentscheidungen ist personal lokaIisierbar. Eine mangelnde Verantwortungsbereitschaft und Zurechenbarkeit bei mehrheitlich getroffenen Kollegialentscheidungen, die sich nachtriiglich als Fehlentscheidungen herausstellten, wird vermieden. Gegeniiber diesen Vorteilen autoritativer Entscheidungen durch den Vorsitzenden der Entscheidungskomitees ist sicherzustellen, daB einer moglichen Machtkonzentration in der Person des Vorsitzenden Grenzen gesetzt sind. Dies liiBt sich durch die Transparenz des Entscheidungsprozesses fur alle Betroffenen und den Einbau von Kontrollen erreichen. Aus der praktischen Gestaltungsvielfalt des Komiteesystems einer Unternehmung solI im folgenden die K 0 mit e est r u k t u r b e i G e n era 1 Mot 0 r s beispielhaft dargestellt werden (vgl. Abbildung 38). In dieser Struktur wird die Formulierung der Unternehmungspolitik streng von der Administration und den Operationen getrennt. FUr die Formulierung der Unternehmungspolitik sind das "Finance Committee" und das "Executive Committee" verantwortlich. Das "Finance Committee" ist fur die Finanzpolitik zustandig. Es besteht aus dem Vice-Chairman als Vorsitzer und verschiedenen Board-Mitgliedern. Das "Executive Committee" ist fur die allgemeine, operative Unternehmungspolitik zustiindig. Es besteht im wesentlichen aus dem Chairman als Vorsitzer, dem Vice-Chairman, President und den vier Executive Vice-Presidents als den fur die Linie Verantwortlichen. Die Verbindung dieser beiden fur die Unternehmungspolitik zustandigen Komitees zu den operativen Linien- und Stabsbereichen geschieht uber die "Policy Groups". Diese bestehen aus neun Gruppen, die sich getrennt mit objektbezogenen und verrichtungsbezogenen strategischen Problemen befassen. Die Sitzungen dieser Gruppen finden in regelmaBigen Zeitabstanden statt. Die Mitglieder setzen sich aus der Linie und den Staben quer durch die Unternehmung zusammen. Die "Policy Groups" als Subkomitees des "Executive Committee" sichern den InformationsfluB von den Linien- und Stabsbereichen zu dem "Executive Committee". 1112) Vgl. Hoffmann, F., Merkmale der Fiihrungsorganisation amerikanischer Unternehmen, a. a. 0., S. 86 ft.

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Abbildung 38 Komiteestruktur bei General Motors Die administrative Koordination der Unternehmung wird tiber das "Administration Committee" vollzogen. Es handelt sich um ein Empfehlungskomitee ftir den Prasidenten der Unternehmung. Dieser ftihrt den Vorsitz. Die weiteren Mitglieder kommen aus den wesentlichen Linien- und Stabsbereichen und vollzahlig aus dem "Executive Committee". Damit ist eine Verbindung zur unternehmungspolitischen Ebene gegeben. Operationen, Administration und Politik werden somit durch die Komiteestruktur zu einer gesamtzielbezogenen Einheit koordiniert. Eine interessante Ausgestaltung des Komiteesystems in Form kollegialer Gruppen oder Teams bringt G 0 I e m b i e w s k P63). Ausgangspunkt der Entwicklung seines Modells ist die Kritik am Stab-Linien-Konzept. Sein Modell zielt auf eine Alternative ab, das den Stab-Linien-Konflikt im wesentlichen eindammen solI. Als Grundelemente seines "Colleague Model" dienen kollegial zusammengesetzte Gruppen, die an einer gemeinsamen Auf183) Vgl. Golembiewski, R. T., A New "Staff" Model: A. Synthesis from Behavioral Research, in: Managerial Behavior and Organization Demands, hrsg. von R. T. Golembiewski, F. K. Gibson, Chicago 1967, S. 296-315; ders., Organizing Men and Power: Patterns of Behavior and Line-Staff Models, Chicago 1967; ders., Personalityand Organization Structure: Staff Models and Behavioral Patterns, Academy of Management Journal, Vol. 9, 1966, S. 217-232.

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Ansiitze organisationswissenschaftHcher Forschung

gabe arbeiten. Diese kollegialen Gruppen werden entsprechend der Hierarchie mit der ihnen iibergeordneten Gruppe zu einem kollegialen Team zusammengefaBt. Damit wird unter Beibehaltung der vertikalen Integration durch die Hierarchie eine horizontale Integration durch die kollegial arbeitenden Gruppen beabsichtigt164). Die Zusammensetzung der kollegialen Gruppen geschieht in enger Anlehnung an die zielorientierte Strukturierung in Zielfindung, Zielsetzung und Zielkontrolle165). Die Gruppen sollten integrativ aus Fiihrungseinheiten der Exekutive und aus unterstiitzenden Einheiten zusammengesetzt werden. Beide Einheiten sollten gleichrangig fiir die Aufgabenerfiillung verantwortlich sein. Die Kompetenzverteilung wird damit in bezug auf die Gewahrleistung der organisatorischen und fiihrungsmiilligen Voraussetzungen fiir eine zieladaquate Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder sekundar. Dieser Zusammenhang gilt fiir Probleme, die mehr als ein Mitglied der Gruppe betreffen und fUr deren Losung keine a-priori-'Obereinstimmung der Gruppenmitglieder vorhanden ist. Betreffen die an die Gruppe herangetragenen Probleme nur ein Mitglied oder besteht iiber das Gruppenproblem Einigkeit, so kann unipersonal entschieden werden. Die Einordnung der Probleme in diese beiden Kategorien erscheint jedoch praktisch unmoglich. Sofern sich objektiv eine Kategorisierung zeigt, bleibt diese dennoch aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen der Gruppenmitglieder subjektiv mehrdeutig. Sofortentscheidungen konnen durch die Forderung nach Einbezug in den kollegialen EntscheidungsprozeB boykottiert werden, ohne daB eine Notwendigkeit hierfiir gegeben ist. Die Bedeutung des "Colleague Model" ist in Relativierung auf spezifische Komiteebereiche der Unternehmung darin zu sehen, daB eine zielorientierte, kollegiale Strukturierung versucht wird, die ein gegenseitiges Verstandnis zwischen den Experten und den Instanzen der Unternehmung konzeptionell fordern hilft. Die (Meta-)Koordination des mehrdimensionalen, multilateralen Beziehungszusammenhangs der Unternehmung auf der Ebene von Komitees zeigt die Notwendigkeit der Konzipierung neuer, organisatorischer Modelle auf, von denen das "Colleague Model" eine Losungsmoglichkeit darstellt.

m. Systemwandel Die Entwicklung von Fiihrungs- und Organisationssystemen entstand aus der praktischen Notwendigkeit der Anpassung an veranderte interne und externe Bedingungskonstellationen. Diese Systemanpassung oder dieser SystemwandellaBt sich als ein WachstumsprozeB beschreiben, der unter Beriicksichtigung der systeminternen und systemexternen Bedingungskonstel164) 160)

Vgl. hierzu auch das partizipative ModelJ von Likert, S. 106 ff. dieser Arbeit. Vgl. S. 277 ff. dieser Arbeit.

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lationen ein hoheres Zielniveau der Unternehmung ermoglicht. Das Organisationswachstum stellt aus dieser Sicht entweder einen permanenten oder einen mutativen AnderungsprozeB dar. Der permanente Systemwandel findet als Hauptgegenstand der Konzeptionen des "planned organizational change" Beriicksichtigung166). 1m folgenden soIl der mutative Organisationswandel Gegenstand der Betrachtung sein. Die Untersuchung der Bestimmungsgriinde des Organisationswandels oder des Organisationswachstums sind bisher nur vereinzelt Gegenstand der Forschung. Zumeist werden fallorientiert die Entwicklungen einzelner Unternehmungen untersucht, ohne darauf bezogen allgemeingiiltige Aussagen iiber den WachstumsprozeB abzuleiten. Ein erster systematischer Versuch der Erfassung der Bestimmungsgriinde organisatorischen Wandels liegt mit der Arbeit von C han die r 167) vor. In einer historischen Betrachtung befaBt sich Chandler maBgeblich mit der strukturellen Entwicklung von vier groBen amerikanischen Unternehmungen: DuPont, General Motors, Standard Oil, Sears Roebuck & Cie. Die Entwicklungsgeschichte dieser Unternehmungen solI seine Grundthese bestatigen, die vereinfacht besagt, daB im gesamten Verlauf der amerikanischen Geschichte die S t rat e g i e de rUn t e rn e h m u n g end ere n S t r u k t u r b est i m m t, wobei sich die Entwicklung dieser beiden GroBen auf die Art des Einsatzes der Ressourcen fiir die Marktnachfrage zuriickfiihren laBt. Die Art der Allokation der Ressourcen differiert nach Strategie und Taktik. Die Strategie bezeichnet das Setzen langfristiger Ziele und die Wahl geeigneter MaBnahmen sowie die langfristige Zuteilung vorhandener Mittel und die Entwicklung neuer Mittel, die fiir das kiinftige Wachstum der Unternehmung wesentlich sind, zur Erreichung der gesetzten Ziele. Die strategische Allokation der Ressourcen pragt die Struktur. Demgegeniiber stellen die taktischen MaBnahmen auf den wirksamen und stetigen Einsatz der vorhandenen Mittel ab, iiber deren Zuteilung bereits entschieden ist. Die zeitliche Aufeinanderfolge der angewandten Strategien, deren jede eine entsprechend typische Struktur hervorbrachte, vollzog sich in vie r Wachstumsstufen: -

die Phase der E x pan s ion u n d Res sou r c e n - A k k u m u I at ion nach dem Biirgerkrieg in den Vereinigten Staaten; die Strategie der vertikalen Konzentration iiber die Einkaufs- und Absatzinstitutionim stand im Vordergrund des Interesses;

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die Phase der Rat ion a lis i e run g der in der Expansionsphase iiberdimensioniert und unsystematisch angehauften Ressourcen; die Abstimmung der Unternehmungsprozesse mit den Marktverrichtungen fiihrte zur verrichtungsgebundenen, zentralisierten Organisa tionsstruktur (B iirokra tisierung);

Vgl. S. 212 ff. dieser Arbeit. Vgl. Chandler, A. D., Jr., Strategy and Structure. Chapters in the History of the Industrial Enterprise, Cambridge, Mass. 1962.

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19 Hoffmann

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Ansittze o1'ganisations'Wissenschafttiche1' F01'schung

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die Phase des fortgesetzten Wachstums durch Div e r s i f i kat ion im Rahmen einer Produktfamilie; in dieser Phase, die bis zum Ende des zweiten Weltkrieges dauerte, richtete sich die Aufmerksamkeit der Unternehmungsfiihrung vornehmlich auf die Forschungs- und Entwi