Entscheidungen des Ober-Seeamts und der Seeämter des Deutschen Reichs: Band 9, Heft 5 [Reprint 2021 ed.] 9783112609224, 9783112609217

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Entscheidungen des Ober-Seeamts und der Seeämter des Deutschen Reichs: Band 9, Heft 5 [Reprint 2021 ed.]
 9783112609224, 9783112609217

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Entscheidungen des

(Dbct'Sccdints und der Sccdrntcr des

Deutschen Reichs. ^erausgegeben im

Reichsamt des Innern.

Neunter Band. £?cft 5.

Hamburg. Druck und Verlag von L. Friederichsen Sc Lo. 1890.

50. Spruch des Seeamts zu Brake vom (5. Gctober 1(889 und Entscheidung des Kaiserlichen Ober-Seeamts vom 24. Februar (890, betreffend den Seeunfall der Brigg „Helene" von Elsfleth............................................................................................................................... 3(3

5 (♦ Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom 26. Februar (890, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Saale" von Bremen.................................................................... 32( 52. Spruch des Seeamts zu Emden vom 8. März (890, betreffend den Seeunfall der Brigg „Bernhardine" von Leer............................................................................................................. 325 53. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom (4. März (890, betreffend den Seeunfall des Dreimastschooners „Deutschland" von Blankenese................................................................. 329

54. Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom (5. März (890, betreffend den Seeunfall der Bark „Charlotte" von Bremen....................................................................................... 342 55. Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom (8. September (889 und Entscheidung des Kaiserlichen Gber-Seeamts vom 25. März (890, betreffend den Seeunfall des Schrauben­ dampfers „I. 5. Niemann" von Bremen............................................................................ 348

56. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 2. April (890, betreffend den Seeunfall des Schraubendampfers „Ramses" von Hamburg...................................................................... 357 57. Spruch fces Seeamts zu Hamburg vom 5. April (890, betreffend den Seeunfall des Voll­ schiffes „Kalliope" von Hamburg............................................................................................ 369 58. Spruch des Seeamts zu Königsberg vom (8. April (890, betreffend den Zusammen­ stoß des niederländischen Schraubendampfers „prima" mit der Bark „Arethufa" von Memel................................................................................................................................ 377

59. Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom 30. December (889 und Entscheidung des Kaiserlichen Ober-Seeamts vom 24. April (890, betreffend den Seeunfall des Schrauben­ dampfers „Marcobrunner" von Bremen.............................................................................. 383 60. Spruch des Seeaxnts zu Brake vom (2. Mai (890, betreffend den Seeunfall des Schooners

„Betty & Marie" von Barssel............................................................................................... ^02 6(. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 23. Mai (890, betreffend die Seeunfälle des Schraubendampfers „Savona" von Hamburg....................................................................... 409

62. Spruch des Seeamts zu Bremerhaven vom 30. Mai (890, betreffend den Zusammenstoß des Schraubendampfers „Hercules" von Bremen mit dem britischen Schraubendampfer „Deronba"........................................................................................................................................................................ 4(ö 63. Spruch des Secamts zu Hamburg vom 6. Juni (890, betreffend den Seeunfall der 23arP „Vesta" von Jamburg............................................................................................................................... 429 (Fortsetzung folgt stuf der dritten Seite des Umschlngs.)

50. Spruch des Seeamts zu Brake vom 15. October 1889 und Entscheidung des Kaiserlichen Ober-Seeamts vom 24. Februar 1890, betreffend den Seeunfall der Brigg „Helene" von Elsfleth. Der Spruch des Seeamts lautet:

Die in der Nacht vom 12. auf den (3. Juli 1889 erfolgte Strandung der Brigg „Helene" auf der Barre von Tonala ist dadurch veranlaßt, daß ein zu nördlicher Turs gesteuert wurde, und daß der wachthabende Segelmacher Lessau beim Erblicken der Brandung anstatt sofort abzuhalten erst nach unten ging, um den zweiten Steuermann zu rufen. Dein Schiffer Gelpke, welcher wegen Erkrankung am Alimafleber keine Wache thun konnte, ist das Schifferpatent, dem zweiten Steuermann Schuldt das Steuermannspatent zu belassen. Letzteren trifft der Vorwurf, daß er der ihm er­ theilten Instruction entgegen den Schiffer nicht weckte, als während seiner Wache Regen und unsichtiges Wetter eintrat.

Gründe. Die Brigg „Helene", Unterscheidungs-Signal NDTF, Heimathshafen Elsfleth, vermessen zu einen: Netto-Raumgehalt von

1015,1 cbm oder 558,37 britischen Register-Tons, war im Satire 1871 aus Holz erbaut. Das Schiff wurde von den: mit einen: Befähigungszeugniß als Schiffer auf großer Fahrt versehenen Schiffer Hermann Bernhard Friedrich Gelpke geführt und segelte an: 2. Januar 1889 mit einer Ladung Stückgüter von Hamburg nach Tentral-Ainerika. Die „Helene" war Eigenthum der Rhederei von G. H. Lübken in Elsfleth und Genossen — der Schiffer selbst hatte Vi« Antheil. Die Brigg war in Hamburg vor der Abfahrt reparirt worden und hatte veritas-Llasse 3/a 1. 1. bis 1891. Die Besatzung bestand einschließlich des Schiffers aus 9 Wann, darunter der mit einem Schifferpatent für große Fahrt versehene erste Steuermann Gerdes und der zweite Steuermann Schuldt, welcher sich im Besitze des Befähigungszeugnisses zum Seesteuermann besindet. Versichert war die Brigg zu 37 000 X

3H

Brigg Helene.

auf Tasco, die Fracht und behaltene Fahrt zu i 2 000 3t.

Am 8. Mai

langte die „geleite" wohlbehalten in j)unta Arenas an, segelte von

dort nach Torinto, wo sie 91 Tonnen Gelbholz übernahm, und setzte dann über La Union und La Libertad die Reise nach Salina Truz fort,

von La Libertad, wo ein Theil der Ladung gelöscht worden

war, würde die Weiterreise am 8. Juli angetreten.

Dieselbe war

anfänglich von stürmischen und wechselnden Winden begleitet, vom U. Juli an ließ der Wind nach und wehte am \2., an welchem Tage man Morgens um ca. 5 Uhr 50 Minuten Thamperieo in

8 bis lO Seemeilen Abstand passirte, aus südöstlicher Richtung. Seit der Abreise von La Libertad herrschte das Klimafieber an Bord, und zwar wurden zuerst der zweite Steuermann Schuldt und der Schiffer, am 9- Juli aber auch der erste Steuermann Gerdes

davon befallen. Während indessen letzterer seit dem genannten Tage beständig das Bett hüten mußte, konnte der zweite Steuermann am

\2. Juli seinen Dienst wieder verrichten. An diesem Tage verschlinunerte sich der Zustand des Schiffers derart, daß er nur ab und zu an Deck erscheinen konnte und am Abend um etwa 8 Uhr sich genöthigt sah, die Führung des Schiffes dem zweiten Steuermann

anzuvertrauen. Um Mittag hatte der Schiffer noch den bettlägerigen Gerdes besucht, ihm geklagt, daß er sehr krank sei, und auf denselben den Eindruck eines recht kranken Mannes gemacht.

Bei der Ueber-

gabe des Schiffes gegen 8 Uhr Abends gab er dem Steuermann Schuldt die Weisung, den bisherigen Turs NWzW beizubehalten, derselbe führe aber nicht frei; wenn er dem Lande zu nahe komme,

solle er abhalten, und, wenn irgend etwas Besonderes vorfalle, ihn rufen. Der Schiffer ging sodann in seine Kajüte und legte sich in den Kleidern auf das Sopha. Bei der Schiffsübergabe hatte er den zweiten Steuermann über den derzeitigen Standort des Schiffes nicht

aufgeklärt, will indessen noch um 8 Uhr in der Karte abgesetzt haben. Die Karte hat er auf dem Tische liegen lassen. Schuldt hat über­ haupt während der ganzen Reise, die seine erste als Steuermann war,

an den Berechnungen und dem Aufmachen der Bestecke nicht theilgenommen, obgleich der Schiffer, wie letzterer behauptet, ihn einige Male dazu aufgefordert hat. Auch hat Schuldt bei der Uebernahme des Tommandos sich bei dem Schiffer nicht nach dem Schiffsort erkundigt. Nachdem von 8 bis \2 Uhr Abends der Segelmacher Leffau, ejn 27jähriger Mann, die Wache gehabt hatte, übernahm Schuldt dieselbe bis Uhr. Während des ersteren Wache war der Schiffer

Brigg Helene.

315

noch einige Male an Deck gewesen und hatte bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß das Wetter klar war, der Mond schien und das Land zu sehen war, demnach die Fahrt ohne Gefahr von Statten gehen mußte. Um 2 Uhr Nachts fing es aber an zu regnen und wurde das IDetter unsichtig. Schuldt unterließ es, wie er behauptet, mit Rücksicht auf die Arankheit des Schiffers, diesen von der Aenderung des IDetters in Renntniß zu setzen, und ließ das Schiff auf öem früheren Turse. Das Logg will er mehrere Male gebraucht haben. Um Uhr Nachts übergab Schuldt die Wache wieder dem Leffau unter derselben Weisung, die der Schiffer ihm ertheilt hatte, und begab sich dann unter Deck. Er war kaum eine Viertelstunde unten, als Lessau ihn rief. Derselbe hatte bemerkt, daß das Schiff anfing zu rollen, und gleichzeitig voraus Brandung gesehen. Als der zweite Steuermann auf Deck anlangte, stieß das Schiff schon auf und saß fest. Schuldt hatte auf seiner Wache bis Uhr nichts Verdächtiges bemerkt, insbesondere auch keine Brandung gehört. Die sofort vor­ genommene Peilung der Pumpen ergab einen Wasserstand von 8 Zoll und bald darauf von {9 Zoll. Versuche, das Schiff frei zu bekommen, waren nach Behauptung des Schiffers unmöglich, zumal beim ersten Stoß die Ruderkette gebrochen war, und unterblieben deshalb; dagegen wurden die Segel weggenommen und die Boote in Bereitschaft gesetzt. Das Schiff schlug beständig von einer Seite auf die andere und wurde von hinten von der Brandung überspült. Mit Tagesanbruch bemerkte die Besatzung, daß sich das Rupfer an einigen Stellen bereits vom Schiff gelöst hatte. Um 8 Uhr Morgens fuhr der zweite Steuermann mit 4 Mann, sämmtlich ohne Rorkjacken, in einem Boote an Land. Bei der bald darauf versuchten Rückkehr zum Schiff schlug das Boot in Folge hohen Seeganges um, und ein Matrose, Namens Emil Vaegeler, ertrank. Am Nachmittage versuchte der Schiffer mit dem Reste der Mannschaft in dem zweiten Boote an Land zu kommen, aber auch dieses Boot schlug um, so daß sämmtliche Insassen sich durch Schwimmen retten mußten. Zu dieser Zeit fiel das Schiff, welches bereits mitten durchgebrochen war, ganz auf die Seite und wurde die Ladung aus demselben herausgespült. Die gesammte gerettete Besatzung begab sich nunmehr nach La Puerto, dem Hafen von Tonala, woselbst vor dem Raiserlich deutschen Vice-Tonsul von Tehuantcpec Verklarung abgelegt wurde. Das Schiff war auf der Barre von Tonala gestrandet. Der Schiffer hatte den Schiffsort nach den Peilungen und der Loggrechnung vom vorhergehenden Tage weiter zurück (südöstlicher) gegißt und

3(6

Brigg Helene.

glaubt daher, -aß eine erhebliche Stromversetzung die Strandung mit

herbeigeführt habe. Vorstehende Schilderung beruht auf den Aussagen des Schiffers und des zweiten Steuermanns vor dem Seeamt, sowie auf der von den 8 Ueberlebenden beschworenen Verklarung. Der erste Steuermann, welcher über die Navigirung seit La Liberia- nichts aussagen kann, ist vor dem Seeamt lediglich als Zeuge über den Gesundheitszustand des Schiffers vernommen und auf Beschluß des Seeamts beeidigt. Von der beantragten Vertagung zum Zweck der Herbeiführung einer weiteren Vernehmung des Segelmachers Leffau über den Grad der Erkrankung des Schiffers konnte unbedenklich abgesehen werden, weil das eidliche Zeugniß des ersten Steuermanns — der für die Strandung in keiner Weise verantwortlich gemacht werden kann und somit als an dieser Untersuchung unbetheiligt zum Gide zuzulassen war — vorliegt und es genügte festzustellen, daß der Schiffer an dem Tage vor der Strandung das Fieber hatte. Denn wer das dort herrschende Alimafieber kennt, weiß, daß solches die davon Befallenen zu jeder verantwortlichen Thätigkeit unfähig macht. Der Reichscommissar hat gegen den Schiffer und den zweiten Steuermann die Patententziehung beantragt. Bei der Beurtheilung der Frage, auf welche Ursachen die Strandung zurückzuführen ist, kann zunächst zweifellos festgestellt werden, daß ungünstige oder stürmische Winde den Unfall nicht veranlaßt haben. Ob aus dem Umstande, daß der Schiffer mit seinem Bestecke hinter dem wirklichen Standort des Schiffes zurückgeblieben war, auf Stromversetzung zu schließen, und letzterer daher mit als Ursache der Strandung anzusehen ist, muß dahingestellt bleiben, weil abgesehen von dem angegebenen Turse jegliche nähere Angabe über die erreichten Längen und Breiten, die gesegelten Distanzen, Peilungen rc. fehlen. Jedenfalls ist Stromversetzung nicht alleinige oder Hauptursache der Strandung gewesen. Gin Blick auf die Uarte zeigt deutlich, daß der angegebene Turs NWzW zu nördlich führt. Diesem Umstande, sowie dem weiteren, daß der wachthabende Segelmacher Lessau beim Erblicken der Brandung nicht sofort abgehalten, sondern zunächst den zweiten Steuermann gerufen hat, ist daher in erster Linie der Unfall zuzuschreiben. Bei vorsichtigem Navigiren wäre die Strandung zu vermeiden gewesen, da Wind und Wetter günstig waren, man den Wind achterlicher als dwars und somit das Schiff vollständig in der Gewalt hatte. Bei der ferneren Frage, inwieweit die verantwortlichen Personen der Besatzung, Schiffer und Steuerleute, ein Verschulden trifft, ist schon

Brigg Helene.

3(?

festsestellt, daß der erste Steuermann seit mehreren Tagen das Bett hütete und daher hier ganz außer Betracht bleiben muß, sowie, daß der Schiffer wegen Krankheit am Abend vor der Strandung dem zweiten Steuermann die Führung des Schiffes hatte anvertrauen müssen. Den Letzteren betreffend ist nun zunächst zu bemerken, daß er die Strandung nicht direct verschuldet hat, solche vielmehr erfolgte, während er unter Deck und zur Ruhe gegangen war. Es ist ihm indeß mit Recht zum Vorwurfe zu machen, -aß er die auf ihm ruhende Verantwortlichkeit nicht richtig erkannt und dementsprechend gehandelt, daß er insbesondere bei Uebernahme des Schiffes sich über den Schiffsort nicht vergewissert und es unterlassen hat, bei eintretendem Regen den Schiffer von der Veränderung des Wetters zu benachrichtigen. Diese Unterlassungen würden unter Umständen die Entziehung des Patents rechtfertigen. Dem Steuermann Schuldt steht aber der Entschuldigungsgrund zur Seite, daß er bis dahin thatsächlich niemals zu den Berechnungen zur Feststellung des Bestecks und zum Absetzen in der Karte zugezogen war. Er ist dazu vom Schiffer anscheinend wohl aufgefordert, aber nicht angehalten worden. Zudem war es die erste Reise, die Schuldt als Steuermann machte. An ihn war, solange Schiffer und erster Steuermann dienstfähig waren, die Noth­ wendigkeit einer selbständigen Bestimmung des Schiffsorts, überhaupt selbständiger Navigirung, nicht herangetreten; er war gewöhnt, nach Anordnungen der Vorgesetzten zu handeln und es kann daher der ihn treffende Vorwurf, daß er sich in der fraglichen Nacht darauf be­ schränkte , den ihm aufgegebenen Turs einzuhalten resp, solchen dem wachthabenden Lessau aufzugeben, die Entziehung des Patents nicht rechtfertigen. Auch die unterlassene Benachrichtigung des Schiffers von der Veränderung des Wetters wiegt unter den obwaltenden Umständen nicht so schwer, daß sie in Verbindung mit dem vorstehend Gesagten dahin führen müßte, ihm zum Betriebe seines Gewerbes unerläßliche Eigenschaften abzufprechen, denn es ist zuzugeben, daß die Rücksicht auf den leidenden Zustand des Schiffers die in der Unterlassung liegende Schuld wenigstens zum Theil wieder aufhebt. Das Seeamt hat danach aus den Verhandlungen nicht entnehmen können, daß der Steuermann Schuldt unter Aufsicht eines tüchtigen Schiffers, der ihn zu den Berechnungen und zum Absetzen in der Karte hinzuzieht, nicht den an ihn als Steuernrann zu stellenden Anforderungen zu genügen im Stande ist. Was den Schiffer Gelpke anlangt, so ist er durch seinen körperlichen Zustand in der Strandungsnacht von der Verpflichtung, persönlich an

Brigg Helene.

3(8

Deck zu sein und die Navigirung zu leiten, für entbunden zu erachten.

(Er hat freilich zweifellos darin gefehlt, daß er bei der Uebergabe

des Schiffes an den zweiten Steuermann diesen nicht näher instruirt hat.

Da indessen das Seeamt die Arankheit des Schiffers für durchaus

erwiesen hält, so vermag es ihm in Rücksicht hierauf auch aus dieser

seiner Handlungsweise keinen schweren Vorwurf zu machen. Allerdings

ist es ihm ferner als Verschulden anzurechnen, daß er es versäumt

hat, den zweiten Steuermann während der Reise zur Navigirung des Schiffes energisch heranzuziehen, und dadurch veranlaßt hat, daß Schuldt bei der Uebernahme des Schiffes sich mit den wenigen ihm

ertheilten Anordnungen begnügte.

Dieser Umstand allein aber kann

die (Entziehung des Schifferpatents nicht rechtfertigen.

Die (Entscheidung des Dber-Seeamts lautet:

Auf die Beschwerde des Reichscommiffars gegen den Spruch des

Großherzoglich oldenburgischen Seeamts zu Brake vom sS.Vctober 889 über den Seeunfall der Brigg „Helene" von (Elsfleth hat das Aaiferliche Gber-Seeamt in seiner zu Berlin am 2^. Februar sLHO abgehaltenen

öffentlichen Sitzung nach mündlicher Verhandlung der Sache entschieden,

daß der Spruch des Großherzoglich oldenburgischen Seeamts zu Brake vom s5. Dctober J889 zu bestätigen und von einem

Ansätze der baaren Auslagen des Verfahrens abzusehen sei.

Gründe.

Der Seeunfall der Brigg „Helene"

scheinlich vermieden

würde wahr­

worden sein, wenn der zeitige Wachthabende,

Segelmacher Lessau, beim (Erkennen der Brandung sofort abgehalten

hätte. Lessau war aber nur ein einfacher Matrose, der wegen (Erkrankung des Schiffers und des ersten Steuermanns lediglich aushülfsweise zum

(Ersatz des letzteren hatte herangezogen werden müssen.

In keiner

Weise über die Gefahren unterrichtet, denen die Brigg auf ihrem (Lurse entgegenging, unbekannt mit dem Schiffsorte und mit dem

Zeitpunkte, an dem der nicht frei führende (Eure zu ändern gewesen wäre, beschränkte er sich auf die pünktliche Befolgung des Befehls, Meldung zu erstatten, sobald etwas Besonderes vorkäme, indem er dem unter Deck gegangenen zweiten Steuermann das (Erscheinen der Brandung anzeigte, statt zunächst selbst das auszuführen, was zur

Sicherheit des Schiffes den Umständen nach rasch und unerläßlich

geschehen mußte.

Wegen dieser Unterlassung ist gegen ihn ein Vor­

wurf nicht zu erheben.

Daß er aber in eine Lage gebracht war,

der nur ein mit der Gegend und den Verhältnissen bekannter Navigateur

Brigg Helene.

319

gewachsen gewesen sein würde, darin ist die eigentliche Ursache für den Seeunfall zu finden und hierfür sowohl denk Schiffer Gelpke, als auch insbesondere

dem

zweiten Steuermann Schuldt

die Schuld

beizu­

messen. Ersteren trifft der schwere Vorwurf, daß er die Führung des

Schiffes oder — was hier unerheblich ist — auch nur die Wache in ungenügender Weise dem zweiten Steuermann übergeben hat. i)ätte er die Uebergabe an der Hand der Karte unter Bezeichnung des

Schiffsorts vorgenommen, so würde wahrscheinlich der Steuermann nach Ablauf seiner Wache entweder — wenn er sich für den zeitigen Schiffsführer hielt — selbständig die erforderliche Kursänderung vor­

genommen, oder aber — wenn er nur wachthabender Steuermann zu sein glaubte — sich vom Schiffer weitere Anweisung erbeten und diese befolgt haben.

Da, wie dem Schiffer bekannt war, der yon

ihnr vorgeschriebene Turs grade auf die Strandungsstelle führte und

der Unfall nur durch rechtzeitige entsprechende Kursänderung ver­ mieden werden konnte, so war es die bestimmte und unerläßliche Pflicht des Schiffers, den ihn ablösenden Steuermann hierüber an

der Hand der Karte genau

zu unterrichten und ihm aufzugeben,

welchen anderen bis \ Minute nach dem ersten kurzen Pfiff einen zweiten kurzen Ton mit der Dampfpfeife. Nun kam auch das grüne Licht der „Deronda" ebenfalls in Sicht und beide Seitenlichter derselben waren eine zeitlang gleichzeitig zu sehen. Der Schiffer eilte nun zum Maschinenfenster und rief durch dieses zur Maschine: „Bolle Kraft, so viel, wie möglich", indem er hoffte, so mit hart backbord gelegtem Ruder noch vor dem Bug der „Deronda" vorbeizukommen. Auch riefen sowohl der Schiffer, wie der Steuermann dem fremden Dampfer zu: »Go astern!« Auf demselben wurde geantwortet: >Go ahead!« Der Steuermann gab

Schraubendainxfer gereute? und Deronda.

^2^

bann nochmals einen kurzen Ton mit der Dampfpfeife. Aber gleich darauf erfolgte schon der Zusammenstoß. Der Stoß erfolgte in einem Winkel von 65—75 °. Der „Hercules" wurde an Backbord etwa 22 Fuß vom Heck entfernt getroffen. Die „Deronda" lief mit großer Gewalt in den „Hercules" hinein. Der Dampfer „Deronda" kam bald wieder frei von dem „Hercules", stieß dann aber beim Ueberholen des letzteren nochmals mit diesem zusammen und kam nun ganz frei. — Der Ausguck war zur Zeit, als die „Deronda" in Sicht fam, auf dem „Hercules" nicht besetzt. Der Matrose Alagsen, welcher sich um 5 Uhr auf den Ausguck be­ geben hatte, war auf den Abort gegangen, um ein Bedürfniß zu befriedigen. Auf dem Dampfer „Deronda" hatte gleichfalls um Uhr Morgens der Steuermann das Tommando übernommen. Gs wurde ein genau nördlicher Turs gesteuert. Der Dampfer lief etwa 8 See­ meilen in der Stunde. Man steuerte mit der Hand mit hülfe eines Apparates, welcher im Navigationszimmer angebracht war. Dieses hatte nach vorn Glasscheiben. Dieses Zimmer liegt unter der oberen Brücke, auf welcher der wachthabende Vfficier seinen Stand hat, sodaß der Steurer von diesem Mfficier nicht gesehen werden kann. Derselbe ertheilt ihm die Befehle mit hülfe eines Sprachrohrs, welches von der Brücke in das Navigationszimmer führt. Das Schiff steuerte nicht leicht und hatte eine Neigung nach backbord zu drehen. Gin Mann allein kann nur mit Schwierigkeit das Ruder hart back­ bord legen, wenn das Schiff hart mit voller Schnelligkeit fährt. Das Schiff gierte Vs Strich nach jeder Seite. Um 5 Uhr 20 Minuten etwa erblickte der Steuermann in einer Entfernung von ungefähr einer Seemeile 2 Strich an Steuerbord voraus das weiße und das rothe Licht des Dampfers „Hercules". Gr gab dem Steurer sofort den Befehl, das Ruder „hart backbord" zu legen, und um die Ausführung dieses Befehls zu erleichtern, ließ er die Maschine langsam gehen. Der Steurer befand sich in diesem Augenblicke allein im Navigationszimmer, da der zweite Matrose, welcher neben ihm die Wache am Ruder hatte, fortgegangen war, um den Aaffee trinkenden Ausgucksmann abzulösen. Das Ruder wurde soweit nach backbord gelegt, wie dies der eine Mann ver­ mochte. Während das Schiff nach steuerbord drehte, verschwand das rothe Licht des „Hercules" und das grüne kam in Sicht. Als der Steuermann dieses sah, ließ er stoppen. Darauf verschwand wieder das grüne Licht des „Hercules" und es zeigte sich wieder ein rothes.

422

Schraubendampfcr Hercules und Dcronda.

Nun ließ der Steuermann mit voller Kraft rückwärts fahren und das Ruder steuerbord legen. Das Drehen des Ruders nach steuer­ bord war leichter, als es backbord zu legen. Das Ruder lag etwa mittschiffs, als der Zusammenstoß erfolgte. Kurz vorher hatte der Steuermann noch, als er sah, daß der „Hercules" vor der „Deronda" vorbeizukommen suchte, jenem zugerufen, mit voller Kraft vorauszu­ fahren. Gleich darauf erfolgte aber auch schon der Zusammenstoß. Die „Deronda", welche nach Angabe des Steuermanns NNVV2G anlag, traf den „Hercules" an der Backbordseite in einem Winkel von ungefähr 60 °. Der Ausguckmann auf der „Deronda" will folgende Beobachtungen gemacht haben: (Er sah zunächst ein weißes Licht 2 Strich an steuer­ bord voraus. Einen Augenblick daraus sah er ein grünes Licht in derselben Richtung. Dann bemerkte er, daß die „Deronda" nach steuerbord drehte. Darauf sah er das rothe Licht und Öen Rumpf des „Hercules". Als er bemerkte, daß ein Zusammenstoß unver­ meidlich war, flüchtete er zurück. Einige Augenblicke, nachdem er zuerst das weiße Licht erblickt hatte, hörte er das Klingeln des Telegraphen. Der Dampfer „Hercules" hatte durch den Zusannnenstoß an Backbord ein bis 8 Fuß ins Deck einschneidendes und bis unter die Wasserlinie reichendes Loch davongetragen. Die Schiffswand vom Hauptdeck bis zum Wasserballasttank und letzteres selbst waren auf­ gerissen und das Wasser strömte mit großer Gewalt in das Schiff. Zn das Loch wurden nun Matratzen und Kiffen gestopft. Auch wurden von außen das Sonnensegel und ein neues Großsegel vor das Loch gehängt, um das Wasser möglichst zurückzuhalten. Darauf wurden die Hinterluken aufgemacht und Theile der Ladung geworfen, um von innen an das Leck zu gelangen. Die Matratzen u. s. w. wurden herausgenommen und nun von neuem fest in das Loch ge­ stopft und gestampft, auch gegen die Decksbalken festgeftützt. Die Pumpen wurden sofort in Thätigkeit gesetzt. Dieselben vermochten aber, obwohl sie gut arbeiteten, das Wasser nicht zu bewältigen. Wie man durch die Hinterluken beobachten konnte, stieg dasselbe mehr und mehr. Zwanzig Minuten nach dem Zusammenstoß be­ fanden sich bereits 8 Fuß Wasser im Achterschiff. Der Maschinen­ raum blieb wasserfrei. Bon der „Deronda" kam nun ein Boot an den „Hercules" heran. Der Schiffer Bauer gab dem Führer dieses Boots den Auftrag, seinen Schiffer zu bitten, bei dem „Hercules" zu bleiben, da derselbe nicht zu retten sei. Während dieses Gesprächs

425

Schrauberidampfer Hercules und Deronda.

der „Deronda"

Großtop

wurde im

welche das Boot zurückrief.

gezeigt.

Flagge Halbstock

eine

gehißt,

Inzwischen war das Nothsignal N. C.

Dieses wurde von einem Dampfer wahrgenommen, der nun

auf den „Hercules" zuhielt. Es war der britische Dampfer „Bellerophon". Der Schiffer des „Hercules" schickte eins der Boote zu demselben mit der Bitte, in der Nähe zu bleiben, was er dann auch versprach und

that.

Jetzt wurde noch ein zweites Boot ausgesetzt.

Da der Schiffer

die Ueberzeugung erlangt hatte, daß der „Hercules" nicht zu retten sei, theilte er dies der Mannschaft mit.

Diese eilte nun in die Boote.

Als alle im Boote waren, ordnete der Schiffer an, daß dasselbe ab­ Als der Dampfer hierauf hinten schon soweit weg­

fahren sollte.

gesunken war, daß das Master bis zum Schornstein reichte, sprang

der Schiffer Bauer, welcher noch zurückgeblieben war, hss Meer und wurde vom Boote ausgenommen.

einer

Reise

Gleich darauf sank der „Hercules"

Die gerettete Mannschaft begab sich an Bord des auf

in die Tiefe.

von

„Bellerophon",

Shanghai

wo

sie

eine

nach

sehr

London

begriffenen

Dampfers

gute Aufnahme fand.

Außer

einem Theil der Schiffspapiere war fast nichts gerettet.

Schiffer des „Bellerophon" der „Deronda" dann

Als der noch seine Hülfe

welche jedoch abgelehnt wurde, setzte er seine Reise

allgeboten hatte,

ilach London fort. Auch der Dampfer „Deronda" war am Bug stark beschädigt

worden, wie vom „Hercules" aus gesehen werden konnte. Es gelalig jedoch, das Loch ini Bug mit Segeln zu verstopfen, und die „Derollda" sonnte mit

geringer

nach

Geschwindigkeit

Gegen 9 Ahr 40 Minuten Abends

Lissabon

weiter fahren.

ankerte sie auf der Rhede von

Lissabon. Der

Grt

des

Steuerlnanns des

Zusammenstoßes

war

nach

der

Angabe

des

„Hercules" auf 59 0 45' nördlicher Breite und

9 0 42' westlicher Länge, nach Angabe des Steuermanns der „Deronda"

auf 590 58' nördlicher Breite und 9 0 4^' westlicher Länge. Die Darstellung der Vorfälle seitens der Mannschaft des „Hercules"

ulld die Darstellung seitens der Mannschaft der „Deronda" decken

sich nicht vollständig. Sie sind aber, wenn man von nebensächlichen Eillzelheitell absieht, im großen und ganzen mit einander in Einklallg zu bringen.

Daß die Turse beiderseitig richtig angegeben sind, ist

Danach

nicht zu bezweifeln. Turs 55W V4U) mit

„Deronda"

war

der

vom „Hercules"

einen genau nördlichen Turs verfolgte.

näherten sich also

gesteuerte

Strich westlicher Deviation, während die

einallder

in

beinahe

Die Dalnpfer

entgegengesetzter Richtung.

Schraubendainpfer Hercules und Deronda.

H2H

Nach Artikel \5

der kaiserlichen Verordnung

zur Verhütung des

Zusammenstoßens der Schiffe auf See vom 7. Januar 1880 hätte

somit jeder Dampfer seinen Eurs nach

steuerbord

ändern

müssen,

Dies

hat der

passiren konnten.

bannt sie einander an Backbord

Führer des „Hercules", Steuermann Rhode, aber nicht gethan, weil

er das grüne Licht der „Deronda"

Strich an Steuerbord voraus

sah und daher annahm, daß beide Schiffe,

sofern sie ihren (Lurs

beibehielten, frei von einander passiren mußten.

Da er das grüne

Licht der „Deronda" nur 3/i Strich an Steuerbord voraus sah und

daher annahm, daß beide Schiffe sich in großer Nähe passiren würden,

legte er das

Ruder

steuerbord bis

„Hercules"

der

einen

genau

südlichen (Lurs hatte, um die „Deronda" in größerem Abstande zu

passiren. Auf der „Deronda" hatte man etwa zu gleicher Zeit das rothe

Licht des „Hercules" 2 Striche voraus an Steuerbord erblickt.

Der

Steuermann der „Deronda" scheint, da er nur das rothe und nicht zugleich auch das grüne Licht des „Hercules" erblickte, nicht angenommen zu haben, daß der „Hercules" in gerade entgegengesetzter oder beinahe

gerade entgegengesetzter Richtung sich nähere, sondern er scheint viel­

mehr geglaubt zu haben, daß die (Lurse sich kreuzten und der „Hercules"

vor der „Deronda" vorüberfahren wolle.

Er legte daher, da er den

„Hercules" an seiner Steuerbordseite hatte und somit nach Art. 16

der Aaiserlichen Verordnung aus dem Wege gehen mußte, das Ruder

backbord,

um den

„Hercules"

an

seiner Backbordseite passiren zu

lassen.

Der Steuermann der daß,

wenn er

das

„Deronda" konnte unmöglich annehmen,

rothe Licht des „Hercules" an Steuerbordseite

2 Strich voraus erblickte, man dann auf dem Dampfer „Hercules"

das

grüne Licht

würde.

der „Deronda"

auch

an

Steuerbordseite

erblicken

Er durfte vielmehr annehmen, daß man auf dem „Hercules"

die Lichter der „Deronda" an Backbord

erblicken

würde und

daß

deshalb der „Hercules" nach Art. 22 der Aaiserlichen Verordnung seinen Eurs beibehalten würde.

Es war nämlich an sich nicht möglich, daß bei den gesteuerten,

beinahe gerade entgegengesetzten Eursen der Steuermann des „Hercules"

das grüne Licht der „Deronda" 3/4 Strich voraus an Steuerbordseite und zu- gleicher Zeit der Steuermann der „Deronda" das rothe Licht des „Hercules" 2 Strich voraus ebenfalls an Steuerbordseite sah. Nun ist aber durch die Zeugenaussagen festgestellt worden, daß einerseits der Dampfer „Deronda" nicht gut steuerte und Ak Strich

^25

Schraubendampfer Hercules und Deronda.

nach jeder Leite gierte, und daß anderseits der Dampfer „Hercules" in Folge der hohen nordwestlichen Dünung heftig stampfte und rollte.

Der Steuermann des „Hercules" hat nun allerdings ausgesagt, daß er nicht glaube,

daß der Mann am Ruder,

habe, das Schiff habe gieren lassen.

welcher gut gesteuert

Auch hat der Steurer selbst aus­

gesagt, daß er den gesteuerten Eurs genau inne gehalten habe. Trotz-

dem ist es nicht ausgeschlossen, daß auch der Dampfer „Hercules" in Folge des Stampfens und Rollens gegiert hat;

denn nur dadurch,

daß die Dampfer gegiert haben, ist es ;u erklären, daß die Lichterauf dem entgegenkommenden Dampfer so erblickt sind, wie dies nach

den Zeugenaussagen angenommen werden muß, und daß insbesondere

weder

der

Steuermann der

„Deronda" noch

der Steuermann des

„Hercules" beide Seitenlichter des in fast grade entgegengesetzter Richtung

sich nähernden anderen Dampfers gesehen hat. Durch das Erblicken der unrichtigen Seitenlichter des entgegen-

kommenden

Dampfers

sind

nun die Führer

der Schiffe zu einer

irrthümlichen Annahme bezüglich des Eurses des entgegenkommenden

Dampfers

worden.

veranlaßt

Dieser Irrthum war aber ein ent­

schuldbarer.

Der Irrthum

des

Steuermanns des „Hercules" bestand,

wie

bereits gezeigt, darin, daß er beim Erblicken des grünen Lichts der

„Deronda" an Steuerbord annahm, daß die Gefahr eines Zusammenstoßes nicht vorliege, sondern, daß die Schiffe, wenn sie ihren Eurs

beibehielten,

einander

frei

an

Steuerbord

passiren

würden.

Er

handelte daher von seine,n Standpunkte aus richtig, wenn er nicht nach Art. 15 Abs. \ der Aaiserlichen Verordnung seinen Eurs nach Steuerbord änderte. seemännischen

Er handelte auch vorsichtig und der gewöhnlichen

Praxis entsprechend,

wenn er das Ruder steuerbord

legte und seinen Eurs nach Backbord etwas änderte, um den Dampfer „Deronda" in größerem Abstande vorbeifahren zu laffen. Der Irrthum

des Steuermanns

gleichfalls bereits gezeigt,

der „Deronda"

bestand,

wie

darin, daß er beim Erblicken des rothen

Seitenlichts des „Hercules" an Steuerbord nicht annahm, daß der „Hercules" in beinahe entgegengesetzter Richtung sich nähere, sondern

daß derselbe den Eurs der „Deronda" kreuzen und vor deren Bug vorbeifahren wollte. Der Irrthum des Steuern,anns der „Deronda" ist jedoch be­

deutungslos für den Unfall; denn auch wenn derselbe die Sachlage

richtig erkannt hätte, hätte er, wie er dies in Wirklichkeit gethan hat,

Schraubendcnnpfer Hercules und Deronda.

H26

der Kaiserlichen Verordnung seinen Eurs nach

nach Art. (5 Abs. \

Steuerbord ändern müssen.

Verhängnißvoll ist dagegen der Irrthum des Steuermanns des „Hercules" geworden.

Dadurch, daß er nicht, wie es bei der fast

gerade entgegengesetzten Richtung der Dampfer geboten gewesen wäre

(Art. J5 Abs. \

der Kaiserlichen Verordnung),

seinen

(Lurs

nach

Steuerbord, sondern nach Backbord änderte, weil er sich über die

Richtung der Schiffe in einem entschuldbaren Irrthum befand, sind die

eine Lage gebracht, in welcher ein Zusammenstoß

Schiffe in

schwerlich

zu

vermeiden

war; nämlich

der nunmehrige (Lurs des

„Hercules" und der nunmehrige (Lurs der „Deronda" kreuzten sich

in solcher Weise und die Dampfer näherten sich in solcher Weise,

daß dadurch eine Gefahr des Zusammenstoßens entstand. Als der Steuermann des „Hercules" nun das

rothe Licht der

„Deronda" erblickte und daraus ersah, daß diese ihren (Lurs nach

Steuerbord änderte und gerade auf den „Hercules" zukam, konnte er zweierlei thun.

Entweder er konnte nach Art. \8 der Kaiserlichen

Verordnung, da die Schiffe sich schon in gefährlicher Weise genähert

hatten, seine Fahrt mindern, oder, wenn nöthig stoppen und rückwärts gehen. Dder er konnte nach Art. 16, da die (Lurse der Schiffe sich so kreuzten, daß Gefahr des Zusammenstoßens entstand und er die

„Deronda"

an seiner Steuerbordseite hatte, aus dem Wege gehen.

Der Steuermann hat letzteren Weg gewählt, indem er das Ruder

hart backbord legte in der Hoffnung, noch vor dem Bug der „Deronda" vorbeizukommen. Es ist nach den Aussagen der Zeugen nicht er­ sichtlich, daß er hierdurch gefehlt hat.

der Schiffe zu einander zur Zeit,

So genau läßt sich die Stellung

als der Steuermann den Befehl

„hart Backbord-Ruder" ertheilte, nach den Zeugenaussagen nicht fest­

stellen, daß das Seeamt im stände wäre, dem Steuermann wegen dieses Manövers einen Vorwurf zu machen.

Es mag vielmehr in

diesem

nach

Augenblicke

der

Steuermann

schon

Artikel 23

der

Kaiserlichen Verordnung berechtigt gewesen sein, von den an sich etwa

in Betracht konnnenden Vorschriften des Art. (8 abzuweichen und nicht zu stoppen und rückwärts zu gehen, sondern unter Berücksichtigung

der vorhandenen besonderen Umstände und der gefährlichen Lage, in welche die Dampfer gerathen waren, mit voller Kraft voraus zu fahren und den Eurs nach Steuerbord zu ändern, um vor der „Deronda" vorbeizukommen.

Daß

dies

Manöver

im

gegebenen

Augenblicke

von dem Steuermann augenscheinlich richtig berechnet war, ergiebt schon der Erfolg.

Der „Hercules" wäre fast glücklich an der „Deronda"

Tchraubendampfer Hercules und Deronda.

^2?

vorbeigekommen. Noch weniger als dem Steuermann kann dem Schiffer des „Hercules" ein Vorwurf gemacht werden. Dieser kam an Deck, als der Steuermann bereits das Ruder backbord hatte legen lassen und das Schiff bereits nach SteuerbSrd (nach Westen) abfiel. Er erblickte das rothe Licht der „Deronda" bis 5 Strich an Back­ bord. Nun noch stoppen und rückwärts fahren: zu kaffen, wäre ohne Frage unrichtig gewesen. Es würde dann den: andern Dampfer noch mehr Gelegenheit gegeben sein, den „Hercules" zu treffen. Der Schiffer konnte nichts anderes thun, als das vom Steuermann einmal unternommene Manöver durchzuführen. Er handelte also durchaus richtig, wenn er den Maschinisten anwies, mit möglichst großer Kraft voraus zu fahren. Ebenso können auch die weiteren Manöver, welche der Steuer­ mann auf der „Deronda" ausführen ließ, nachdem er das Ruder gleich beim Erblicken des rothen Lichts des „Hercules" backbord gelegt hatte, nicht beanstandet werden. Daß er mit dem Befehl, das Ruder backbord zu legen, den Befehl zur Maschine „langsam voraus" verband, ist damit zu erklären und zu rechtfertigen, daß es schwierig war, das Ruder nach Backbord zu drehen, wenn die „Deronda" in voller Fahrt war. Während die „Deronda" nun nach Steuerbord abfiel, verschwand das rothe Licht des „Hercules" und das grüne Licht kam zum Vorschein, weil der „Hercules" inzwischen seinen Eurs nach Backbord geändert hatte. Der Steuermann der „Deronda" ließ nun stoppen, hieraus kann ihn: kein Vorwurf gemacht werden, da die Schiffe sich bereits in bedenklicher Weise genähert hatten (vergl. Art. \8 der Kaiserlichen Verordnung). Als auf dem „Hercules" nun das Ruder inzwischen hart backbord gelegt war, fmu sein rothes Licht wieder zum Vorschein. Als der Steuermann der „Deronda" dieses erblickte, ließ er mit voller Kraft rückwärts fahren und das Ruder steuerbord legen. Das Rudermanöver hat sicherlich keine Wirkung mehr gehabt, denn das Ruder befand sich erst etwa in der Witte, als der Zusammenstoß erfolgte. (Db die Fahrgeschwindigkeit in Folge des letzten Befehls noch gemindert ist, erscheint fraglich. Es ist das nicht mehr festzustellen. Es ist also nicht erwiesen, daß die letzten Befehle des Steuermanns irgend etwas an der Sachlage geändert haben. Nach dem Gesagten ist demnach der Zusammenstoß nicht durch die letzten Manöver auf beiden Dampfern verschuldet worden. Die Ursache des Zusammenstoßes ist vielmehr in dem ersten Manöver des Dampfers „Hercules" zu suchen, fyätte der Steuermann des

428

Schranbendampfer Hercules und Deronda.

„Hercules", als das Licht der „Deronda" in Licht kam, gleich richtig erkannt und richtig erkennen können, daß die Dampfer sich in beinahe gerade entgegengesetzter Richtung einander näherten, und hätte er dementsprechend nach Ark. \5 Abs. \ der Kaiserlichen Verordnung seinen (Lurs nach Steuerbord geändert, um die „Deronda" an Backbord passiren zu lassen, so wäre der Zusammenstoß nicht erfolgt, da auch der Steuermann der „Deronda" seinen (Lurs nach Steuerbord änderte, um den „Hercules" an Backbord passiren zu laffen. Wie gezeigt, wurde der Steuermann des „Hercules" aber durch das Gieren der Dampfer veranlaßt, eine unrichtige Richtung der Dampfer an­ zunehmen und ein objectiv unrichtiges Manöver auszuführen. Daß sein Irrthum ein entschuldbarer war und ihm daher ein Vorwurf nicht gemacht werden kann, ist bereits ausgeführt worden. Wahrscheinlich wäre der Zusammenstoß auch vermieden worden, wenn die „Deronda" auf den Befehl, das Ruder backbord zu legen, schneller nach Steuerbord abgefallen wäre. Daß die „Deronda" dem Ruder nur langsam gehorchte, lag daran, daß ein Mann nur mit Schwierigkeit das Ruder backbord legen konnte, und daß der Steuer­ mann daher langsam fahren ließ, um das Ruder leichter nach Back­ bord überlegen zu können. Hieraus kann ihm aber, wie bereits oben gesagt, kein Vorwurf gemacht werden. Vielleicht wäre der Zusammen­ stoß auch dann vermieden worden, wenn der Steuermann, nachdem nun das Ruder backbord gelegt war, im letzten Augenblick anstatt stoppen nnd rückwärts fahren zu lassen, mit voller Kraft voraus­ gefahren wäre. Vielleicht wäre dann das Schiff noch soweit nach Steuerbord abgefallen, daß es vom „Hercules" frei gekommen wäre. Mit Bestimmtheit läßt sich das aber keineswegs behaupten und des­ halb kann dem Steuermann kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er gehandelt hat, wie er gehandelt hat. §s ist nicht erwiesen, daß der Zusammenstoß durch ihn verschuldet ist.

Soweit sich dies aus den Zeugenaussagen ersehen läßt, sind die Vorschriften der Kaiserlichen Verordnung über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusiunmenstoß von Schiffen auf See möglichst befolgt worden. Auch in dieser Beziehung kann daher niemanden ein Vorwurf gemacht werden.

65. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 6. Juni 1890, betreffend den Seeunfall der Bark „Vesta" von Hamburg. Der Spruch des Seeamts laufet: Der Untergang der Bark „Vesta" in der Nähe der Falklands Inseln im November 1889 ist durch Selbstentzündung der Kohlenladung entstanden. Die Besatzung trifft kein Verschulden an den: Unfall. Thatbestand und Gründe. Die Bark „Vesta", Heirnathshafen Hamburg, Unterscheidungssignal RHPG, war im Jahre 1889 in Sunderland aus Stahl erbaut, hatte nach einer dort vorgenommenen Vermessung einen Netto - Raumgehalt von ungefähr 1^05 britischen Reg.-Tons — 398O cbm und war bei dem Bureau Veritas für die 1. Abtheilung mit + I. 3/a L. 1. 1. — A. & C. P. classificirt worden. Versichert war das Tasco mit 285 000 M und die Fracht mit 5^ 000 M. Die Besatzung des Schiffes bestand aus 22 Mann. Geführt wurde das Schiff von dem Schiffer Wilhelm Martin Julius Klock. Die „Vesta" sollte ihre erste Reife machen und war von Tesar Wehrhahn in Hamburg mit einer Ladung Kohlen nach Valparaiso be­ frachtet. Die Kohlen, welche das Schiff einzunehmen hatte, stammten aus den Towpen Minen des IDeft Hartley Districts. Die Beladung des Schiffes fand in der Zeit vom 25. Juli bis zum 2. August 1889 in dem South Dock von Sunderland statt. Das Wetter war während der ganzen Zeit schön und warm und sind die Kohlen während des Be­ ladens in keiner Weife naß geworden. Die Rheder des Schiffes, Gebrüder Amsinck in Hamburg, hatten, um jedes Naßwerden der Kohlen auf dem Transport von der Mine bis zum Schiff zu verhindern, speciell die Anordnung getroffen, daß jeder Eisenbahnwagen mit persennigen bedeckt werden sollte. Das Schiff war im Zwischendeck durchweg mit Längsschotten versehen worden. Am 5. August traf die in Hamburg angemusterte Mannschaft auf bem Schiffe ein. Am 1% August war die „Vesta" segelfertig und wurde durch zwei Dampf­ boote nach See geschleppt. Der Tiefgang des Schiffes betrug 18 Fuß 10V'2 Zoll vorn und 19 Fuß H Zoll hinten. Nach Berichtigung der Tompaffe in See trat das Schiff Nachmittags 2 Uhr unter vollen Segeln feine Reise an. Dasselbe traf im (Canal ungünstige stürmische Witterung und stellte sich am 25. August auf der Höhe von St. Tatharines Point heraus, daß der Mastring, an dem das Rack der

430

Bark Vesta.

Fockraa befestigt ist, gebrochen war. Behufs Reparatur dieses Schadens lief Schiffer Alock am 29- August Plymouth an. Am 1. September­ würde die Reife alsdann wieder fortgesetzt. Man traf veränderliches Wetter, jedoch meistens mit mäßigen Winden an und erreichte ohne weitere Ereignisse am JO. Dctober ben Aequator mit frischem süd­ östlichen Winde. Bis 250 Süd-Breite und 39 0 West-Länge hatte die „Vesta" von SW bis SD unilaufende Winde mit Böen, dann variirte der Wind zwischen SW und NW. Am 31. Gctober, als man sich auf 37 0 Süd-Breite und 46° West-Länge befand, hatte man einen heftigen Sturm aus SW mit sehr hohem Seegang zu bestehen; das Schiff schlingerte in demselben heftig und nahm viel Wasser an Deck, doch bewährte sich dasselbe sehr gut in der See. Auch nach diesem Tage wehte es noch stark mit heftigen Böen von SW. Anr 8. November wurde das Schiff voll einer heftigen Hagelböe aus SD befallen, in welcher die Zurring vom Befahnstag brach; doch war der Schaden nur gering und nach kurzer Zeit wieder reparirt. Bis zum 14» November ereignete sich nichts Bemerkenswerthes; am Nach­ mittage dieses Tages jedoch verspürte man einen eigenthünilichen Geruch in der Borkajüte, welcher jedoch in der Nacht wieder ver­ schwand und war auch in den Ventilatoren nichts Auffallendes zu beobachten. Das Schiff befand sich damals auf 49" 5üd Breite und 64° West Länge. Anr 15. November verspürte man Morgens den­ selben Geruch bei dem vordersten Ventilator und als die Vorderluke geöffnet wurde, drang schwacher Rauch hervor, welcher jedoch nur in der Luke stand und weder im Zwischendeck noch im Unterraum be merkbar war. Man maß in der Großluke dann die Temperatur, doch zeigte das Thermometer nur 3—4 Grad Fahrenheit mehr Wärme als an Deck. Zm Unterraunr war die Temperatur noch geringer. Jetzt fand sich aber in der Achterluke derselbe Rauch und (Rimini wie anfangs in der Vorderluke. Schiffer Alock kroch mit den Steuer­ leuten und dem Zimmermann wiederholt in dem Raum, soweit dies angängig war, umher, ohne jedoch irgend Verdächtiges weiter zu entdecken. Zeitweilig nahrrr der Aualm etwas ab, doch verschwand derselbe nie ganz. Man rammte nun \6 Fuß lange eiserne Stangen in die Aohlen hinein, uni zu ermitteln, wo möglicherweise eine Entzündung der Aohlen sich vorbereite. Diese Stangen ließ man eine halbe Stunde in den Aohlen sitzen und als sie dann herausgezogen wurden, zeigten sie sich ziemlich erhitzt, jedoch meistens mehr an dem oberen Ende als weiter nach unten hin. Man rammte dann jene Stangen ungefähr 14 Fuß tief wieder bei der Achterluke in die Ladung

hinein, verschalkte dann sämmtliche Luken, auch die Luke Dom Proviant­ raum und schloß sämmtliche Ventilatoren. Nachmittags Uhr zeigten jene Stangen sich bei der Herausnahme so erhitzt, namentlich die Stangen an Backbord, daß einzelne lvaffertropfen zischend verdampften. Das Thermometer zeigte jedoch bei der Messung an verschiedenen Stellen im Raum keine höhere lvärme als an Deck; jedoch nahmen Aualm und Rauch in der Kajüte derart zu, daß ein längeres Verweilen in derselben unmöglich wurde. Jnt weiteren Verlauf des Tages wurde der Rauch und Aualm immer stärker und es gesellte sich ein eigen­ thümlicher Geruch hinzu, der auf einen Ausbruch des Feuers tni Raum schließen ließ. Die abermals in die Kohlen eingetriebenen Stangen zeigten sich wiederum sehr erhitzt. Uni wenn irgend möglich Schiff und Ladung noch zu retten, faßte Schiffer Klock jetzt den Entschluß nach den Falklands Inseln abzuhalten. Der lvind wehte noch immer stark aus Süd und SN) und begünstigte daher die Fahrt dorthin; man steuerte mit VNMTurs nach Port Stanley. Am |6. November erreichte die „Vesta" bei einem heftigen Sturm aus SN) und hohem Seegänge Abends 7 Uhr die Sea Lion Insel der Falklands-Gruppe. Rauch und c^imhn hatten inzwischen im Hinterschiff stark zugenommen. Sämmtliche Luken- und Luftabzüge vom Raum wurden dicht zugehalten, um thunlichst den Ausbruch des Feuers zu verhindern oder doch hinzuhalten. Abends 8 Uhr explodirten plötzlich die Achterluke und die Großluke und schossen aus ihnen große Feuerstrahlen hervor. Da die Luken theilweise über Bord geschleudert worden waren, zog man eiligst einige Segel über die Luken hin. Um \ \ Uhr Abends erfolgte die zweite Explosion, welche dann jede halbe Stunde stattfand. Nach der ersten Explosion waren die Boote klar gemacht und mit lVasser und Proviant ver versehen worden. Da lvind und See jetzt abnahmen, steuerte man direct dem Lande zu. Als man am J7. November Morgens gegen Uhr die Boote aussetzte, explodirte die Vorderluke und schoß aus derselben ein großer Feuerstrahl bis zur höhe der Untermarsraa empor. Die Boote wurden nun achterausgefiert. Gegen 6 Uhr Morgens erfolgte auf dem Schiffe eine furchtbare Explosion aus allen Luken und aus der Kajüte, in Folge deren viele Gegenstände in die Luft flogen und das Deck sowie die lvassergänge offen sprangen und sich auseinander bogen, lvährend man noch mit den Booten beschäftigt war, erfolgte eine noch heftigere Explosion auf dem Achterdeck und schoß ein großer Feuerstrahl aus dem Deckfenster der Kajüte hervor. Schiffer Klock beorderte nun die gesammte Mannschaft in die Boote

§32

Bark Vesta.

und verließ als letzter das Schiff, welches gleich darauf in Hellen Flammen stand. Gegen 7 Uhr Morgens kappte man die Fangleinen der Boote. Anfangs hielt man sich noch in der Nähe des Schiffes, als aber das Feuer immer stärker wurde, ruderten die Boote dein Lande zu. Um \\ Uhr wurde die Mannschaft von einen: kleinen Dampfer, welcher dem Schiffe zur t)ülfe geeilt war, ausgenommen und um \ Uhr in Port Stanley glücklich gelandet. Bis Abends spät sah man vom Lande aus das Schiff, welches nach See zu forttrieb, noch in Hellen Flammen; am nächsten Morgen war jede Spur von demselben verschwunden. Die Mannschaft kehrte nach Europa zurück und wurde vor den: Seeamt vernommen. Schiffer Klock lieferte den: Seeamt auch seine in englischer Sprache in Port Stanley aufgemachte Verklarung ein. Seitens des Seeamts sind über die etwaige Entzündbarkeit der von der „Vesta" geladenen Kohlensorte in England nähere Ermittelungen an­ gestellt worden. Der in dieser Richtung dem Seeamt gewordenen consularischen Auskunft ist zu entnehmen, daß zwar Entzündungen von Kohlen aus den Eowpen Minen des lvest Hartley Districts auf langen Reisen schon früher vorgekonunen sind, jedoch in verhältnismäßig geringerem Maße als bei anderen Kohlensorten. In der den: englischen Parlament im Jahre ^886 vorgelegten Denkschrift über die Selbstentzündung von Kohlen und in den hierin initgetheilten amtlichen Untersuchungsfällen wird daher jene Eowpen Kohle auch an und für sich als nicht explosiv bezeichnet und dieselbe als eine sich für lange Reisen eignende Kohlensorte erklärt, lvenn auch das Seeamt, diesen: englischen Urtheil folgend, jene Kohle für minder gefährlich hält, als andere Sorten, so kann dasselbe angesichts der Thatsachen des vorliegenden Falles doch nicht jene Kohlensorte für unbedingt gefahrlos erklären. Auf langen Reisen sind Kohlen­ ladungen stets mehr oder nünder gefährlich. Bis jetzt sind freilich trotz der eingehendsten wissenschaftlichen Untersuchungen mit Sicherheit in den wenigsten Fällen die wirklichen Ursachen der vorgekonnnenen Brände bei Kohlenladungen festgestellt. Auch in: vorliegenden Fall kann nur angenommen werden, daß die Selbstentzündung der Kohlen die Ursache des Brandes gewesen sei. Worauf aber die Selbstent­ zündung speciell zurückzuführen ist, hat die Untersuchung auch in diesem Falle mit Sicherheit nicht ergeben. Die Untersuchung dieses Unfalls hat indeß festgestellt, daß man es weder bei der Beladung des Schiffes noch während der Reife an den nöthigen Vorsichtsmaßregeln hat fehlen lassen.

433

Bark Vesta.

Wie die Beweisaufnahme des Näheren ergeben, sind die Kohlen trocken an das Schiff und in dasselbe gelangt.

Wenn seitens des

Vertreters der Kohlenmine im kaufe der Untersuchung darauf hin­ gewiesen worden ist, daß es nachtheilig für die einzunehmende Kohle

hätte sein müssen, daß dieselbe erst von der Mine den weiteren Weg nach Wunderland gesandt worden wäre und daß die Rheder jedenfalls

vorsichtiger gehandelt haben würden, wenn sie das Schiff zur Beladung nach dem der Mine näheren Hafen von Blyth oder demjenigen von

Newcastle hätten schleppen lassen, so kann das Seeamt nur der von denl Reichscommissar diesem Vorwurf gegenüber gemachten Erwi­

derung beistimmen, daß eine Kohle, welche schon nach einer so kurzen Eisenbahnfahrt zur Selbstentzündung neige, dann unmöglich von un­

gefährlicher Qualität sein und sich jedenfalls nicht zur Verschiffung für lange Reisen eignen könne.

Nach Ansicht des Seeamts hat dieser Umstand denn auch in

keiner Weise die Selbstentzündung beschleunigt, am wenigsten ist aber

der Rhederei aus jenem Verfahren ein Vorwurf zu machen. Die Beladung des Schiffes ist

in durchaus

ordnungsmäßiger

Weise erfolgt unter Eontrole des Schiffers und des ersten Steuermanns und sind die Kohlen, namentlich zu anfang, mit jeder denklichen Vorsicht in das Schiff hineingeschüttet worden. Zur speciellen Be­

aufsichtigung der Trimmer war überdies noch eine geeignete sachver­

ständige Persönlichkeit hinzugezogen.

Die Ladung lag im Unterraum

in der Mitte bis unter Deck und fiel nach vorn und hinten allmälig ab. Auch ini Zwischendeck war das Schiff mittschiffs bis unter Deck voll; auch dort fiel nach vorn und hinten die Ladung schräge ab,

so daß man darüber hinkriechen konnte. Durch vier große, 2xk Zoll im Durchmesser haltende, mit Kappen versehene Ventilatoren

war

die übliche Dberflächenventilation

gestellt ; eine Durchventilation war nicht angebracht.

her­

Bei gutem Wetter

waren auch "die Luken offen, uni das Entweichen der Gase zu er­

möglichen.

Die hohlen eisernen Masten waren speciell oben sorgfältig

durch Bleibezug gedichtet, so daß durch diese keine Luft in die Ladung nach unten dringen konnte.

Mittelst einer im Großluk angebrachten

Röhre wurden regelmäßig Temperaturmessungen vorgenommen. Nach Ansicht des Schiffers Klock wird das schwere Arbeiten des

Schiffes während des stürmischen Wetters auf der Breite von Montevideo auf die Selbstentzündung der Kohlen von Einfluß gewesen sein. Daß Wasser in die Kohlen gedrungen, wird von der Mannschaft durchaus in Abrede gestellt, denn das Schiff sei bis zuletzt dicht gewesen. IX. 28

434

Vollschiff polynefta.

Die Verhandlung hat hiernach ergeben, daß seitens der Schiffs besatzung nichts verabsäumt worden ist, und ebenso ist man nach dem Ausbruch des Feuers bemüht gewesen, das Schiff wenn irgend möglich noch zu retten. Die Besatzung trifft daher kein Verschulden an dem Unfall.

64. Spruch des Seeamts zu Hamburg vom 7. )uni 1890, betreffend den Seeunfall des Vollschiffes „polynesia" von Hamburg. Der Spruch des Seeamts lautet: Die Strandung des Vollschiffes „polynesia" im englischen Eanal unweit Beachy l)ead ist durch sorglose und nachlässige Navigirung, der Verlust des Schiffes durch Ulangel an Be­ sonnenheit und richtiger Ueberlegung des Schiffers herbeigeführt. Dem Schiffer Johann Nicolaus August Reitmann wird die Befugniß zur Ausübung des Schiffergewerbes hierdurch entzogen. Thatbestand und Gründe. Das in Hamburg heimathsberechtigte, zu 2790,s cbni = 985,ia britischen Register-Tons NettoRaumgehalt vermessene Vollschiff „polynesia", Unterscheidungssignal RDlVT, verließ den trafen von Zquique am (2. Januar (890 mit einer im ganzen aus (( 239 Säefcn Salpeter bestehenden, nach Hamburg bestimmten Ladung. Das im Jahre (874 in Hamburg aus Eisen erbaute Schiff war bei dem englischen Lloyd zu 4* 100 A. 1. classificirt und befand sich bei seiner Ausreise im besten seefähigen Zustande. Das Tasco des Schiffes war nicht versichert. Der Tiefgang betrug hinten (9 Fuß 7 Zoll, vorn (8 Fuß (( Zoll. Das Schiff gehörte der Handels­ firma F. Laeisz in Hamburg. Die Besatzung bestand einschließlich des Schiffers Johann Nicolaus August Reitmann aus (7 Mann. Die Reise verlief ohne bemerkenswertheEreignisse. Am ((.Februar wurde Tap ljorn passirt; am 22. April erreichte man den englischen Tanal, sichtete Nachmittags 5 Uhr tizard und peilte das Lizard Feuer um 8 Uhr Abends in NWzlv'/rlv in (5 Seemeilen Abstand. Am 23. April Morgens 4 Uhr hatte man Start Point Feuer in N