Entgrenzung als Erkenntnis- und Gestaltungsaufgabe: Festschrift für Reimut Jochimsen zum 65. Geburtstag [1 ed.] 9783428496266, 9783428096268

Mit dem vorliegenden Band wollen Freunde, Wegbegleiter und Schüler Reimut Jochimsen ehren - einen Wissenschaftler, den e

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German Pages 373 Year 1998

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Entgrenzung als Erkenntnis- und Gestaltungsaufgabe: Festschrift für Reimut Jochimsen zum 65. Geburtstag [1 ed.]
 9783428496266, 9783428096268

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Entgrenzung als Erkenntnis- und Gestaltungsaufgabe Festschrift für ReimutJochimsen

Entgrenzung als Erkenntnisund Gestaltungsaufgabe Festschrift für Reimut Jochimsen zum 65. Geburtstag

Herausgegeben von

UHrich Heilemann, Dietmar Kath und N orbert Kloten

Duncker & Humblot · Berlin

Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der WGZ-Bank Westdeutsche Genossenschafts-Zentralbank eG, Düsseldorf

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Entgrenzung als Erkenntnis- und Gestaltungsaufgabe : Festschrift für ReimutJochimsen zum 65. Geburtstag I hrsg. von Ullrich Heilemann ... - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 ISBN 3-428-09626-6

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-09626-6

Inhaltsverzeichnis Geleitwort Von Norbert Kloten

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Wirtschaftspolitik der Vernunft Reimut Jochimsen- ein Wirtschaftspolitiker mit Vernunft und Leidenschaft Von Johannes Rau

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Reimut Jochimsen und Litauen Von Algirdas Brazauskas

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Reimut Jochimsen -ein verständnisvoller Partner für uns Japaner Von Tatsuyuki Hiramatsu

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Regionalwissenschaft Wandel in der Konvergenzforschung Von Paul Klemmer

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Stochastische Optimierung von Infrastrukturinvestitionsprogrammen Von Peter Treuner

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Europäische Regionalpolitik - Herausforderung für die Zukunft Von Monika Wulf-Mathies

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Politische Planung

Paradigm lost- Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung Von Ullrich Heilemann

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Inhaltsverzeichnis

In der Periode des Umbruchs Von Helmut Rohde . . . .

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Politik und wissenschaftliche Beratung - Reißt die Kluft auf?

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Von Klaus von Dohnanyi

Wissenschaftspolitik Die deutsche Hochschulmisere- Eine Reform wäre möglich, ist aber nicht in Sicht Von Peter Glotz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Unsere Hochschullandschaft muß offen bleiben - Aus Sicht der deutschen Wirtschaft sollten wieder mehr qualifizierte Ausländer zu uns kommen Von Ruprecht Vondran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

Wirtschaftspolitik Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus -Ein Überblick Von Ansgar Belke und Wim Kösters

.. 139

Die Rückkehr zur Wirtschaftspolitik Von KurtNemitz . . . . . . . . .

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Strukturwandel der Wirtschaft- Entlastung der Umwelt Von Udo Ernst Simonis . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . 177

Geld- und Bankpolitik Central Banking during Transition: The Case of Po land By HannaGronkiewicz-Waltz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Die Revolution des Geldwesens: Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen Von Dietmar Kath . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Landeszentralbank und genossenschaftliche Bankengruppe m NordrheinWestfalen - Problemlöser für den Mittelstand Von Eberhard Heinke . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . 223

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Inhaltsverzeichnis

Die Europäische Wirtschafts· und Währungsunion Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion - Anmerkungen zu einer Monographie von Reimut Jochimsen Von Helmut Hesse

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Der Euro- ein "politisch' Lied" Von Winfried Reimann

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Der Euro vor Gericht 1998 Von WilhelmNölling

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Die globalisierte Wirtschaft Globale Ordnungspolitik: Gedanken zu einem überfälligen Thema Von Wolfgang Ho Reinicke

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Weltwährungssystem und Europäische Währungsunion Von Hans Tietmeyer

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Regionale Handlungsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft Von Franz Lehner

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The Euro and International Monetary Reform By RobertMundell

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Anhang Lebenslauf von Reimut Jochimsen

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Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen Verzeichnis der Autoren

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Geleitwort Von Norbert Kloten

I. Eine Festschrift kann, muß indes nicht das Leben und Werk des Mannes widerspiegeln, dem sie gewidmet ist. Dieser Band zeugt vom Lebensweg eines Wissenschaftlers, den es weit vor Erreichen des Schwabenalters zur Politik zog- als politischer Beamter in Bundesministerien und auch als Landesminister. Zwei Jahrzehnte später entschied er sich für die Deutsche Bundesbank, so zwar erneut für die Politik, doch für eine sehr eigener Art. Zugleich näherte er sich wieder dem wissenschaftlichen Fach, mit dem alles begonnen hatte. Mit dem Band ehren Freunde, Kollegen und Schüler Reimut J ochimsen. Unsere Wege, der von Jochimsen und meiner, berührten sich immer wieder, am stärksten in den fünfzigerJahrenund dann wieder zu Beginn der neunziger. Als Reimut Jochimsen, 20 Jahre jung, sein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn aufnahm, war ich Assistent bei Erwin von Beckerath. Als er, inzwischen 57 Jahre zählend, im August 1990 Nachfolger von Hans Wertz im Amt eines Präsidenten der Landeszentralbank in Nordrhein-Westfalen wurde, wurde ich für nicht ganz zwei Jahre sein Kollege im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank. Auch begegneten wir uns immer einmal wieder auf Tagungen, darunter solchen des Vereins für Socialpolitik und später der Trilateral Commission. II.

Wie Reimut Jochimsen attrahierte auch mich die politische Welt, und wäre ich den Avancen Ludwig Erhards oder- von anderem abgesehen- später Lothar Späths gefolgt, so wären unsere Lebenswege einander noch ähnlicher geworden. Ich jedoch wollte trotz verlockender Angebote nicht die spezifische Form der geistigen Unabhängigkeit, nicht die systemimmanente Freiheit von Weisungen missen, die die akademische Welt bietet. Ich wollte nicht den dem politischen Geschäft eigenen Zwängen mehr Tribut zollen, als ich zu geben bereit war. Verbinden konnte ich die Neigung zum politischen Engagement und das Verlangen nach Distanz gegenüber dem politischen Tagesgerangel vornehmlich in der Funktion eines wissenschaftlichen Beraters. Gleichwohl zolle ich großen Respekt den Wissenschaftlern, die sich wie Reimut Jochimsen der Politik an vorderer Stelle in der staatlichen Exekutive

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oder als Mitglied des Bundestages bzw. eines Landesparlaments verschreiben und sich zu behaupten wissen, die in Kenntnis aller Untiefen politischer Fahrstraßen und der Tücken politischen Schlagabtausches an einem Denken in strukturierten Argumentationsketten, in ausgreifenden zeitlichen Rastern und in Entscheidungsmustern, die der Gesellschaft insgesamt dienen, festzuhalten suchen, die zudem bemüht sind, den Kontakt zu ihrer wissenschaftlichen Disziplin nicht abreißen zu lassen. Wie schwer all das angesichts heutiger parteienstaatlicher Praktiken fallt, muß man erlebt haben, zumindest aus unmittelbarer Nähe verfolgt haben können. Das eigene Fach neigt zudem dazu, zu Kollegen, die unmittelbar in politische Entscheidungsprozesse involviert sind, der (gemeinten oder tatsächlichen) "Niederungen" des politischen Geschäfts wegen auf Distanz zu gehen. Ich erinnere mich, in der "politischen Phase" Reimut Jochimsens wiederholt gehört zu haben, daß er ja eigentlich nicht mehr "zu uns" gehöre. Konflikte, die kontroverse Positionen des ausgeübten politischen Amtes und der Hochschulen widerspiegeln, tragen notwendigerweise das ihre zu solchen Reaktionen bei. Sich gleichwohl den hohen Ansprüchen des Verhaltenskodex gestandener Wissenschaftler verpflichtet zu fühlen, ihnen allerdings wohlwissend um das politische Umfeld und angesichts einer nicht allein belastungsbegründeten Distanz zu den neuesten dispziplinären Trends nur mit Abstrichen entsprechen zu können, ist eine persönliche Belastung, die "Lebenszeitakademikern" erspart bleibt. Reimut Jochimsen wußte um dieses Spannungsverhältnis zwischen Ethos der Wissenschaft und Pragmatismus der Politik. Er war in allen Phasen seines Werdeganges bemüht, ihm gerecht zu werden. Dafür spricht sein heutiges Renomee als Politiker und Wissenschaftler.

Wer dem Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank angehört, ist zwar auch an politischen Entscheidungsprozessen - solchen auf dem Felde der Geldpolitik beteiligt, er tut sich indes wesentlich leichter, den Erfordernissen des Amtes gerecht zu werden und zugleich seinem wissenschaftlichen Impetus zu ensprechen. Als ich mich 1976 für die Präsidentschaft der Landeszentralbank in Baden-Württemberg entschied - nicht wegep der Aussicht, der Chef einer Administration von gut 2 000 Köpfen zu werden; was lockte, wardie Teilhabe am geldpolitischen Entscheidungsprozeß -, bemerkte ein Mitglied des Zentralbankrates, dies sei ein "Traumjob". Ich verstand bald, daß er, der zuvor in die parteienpolitische Welt eingebunden war, vor allem anderen die Unabhängigkeit im Denken und Handeln gemeint hatte, die der Verantwortlichkeiteines Lehrstuhlinhabers sich selbst gegenüber vergleichbarist Für ReimutJochimsen, der beruflicherlebt hatte, was ich zu umreißen suchte, mußte sich mit der Berufung als Organmitglied der Bundesbank der Kreis wieder schließen. Das letzte Stadium seiner beruflichen Laufbahn bietet ihm jedenfalls mehr als seine politischen Ämter zuvor die Gelegenheit, seine analytischen Gaben, von ihm erworbene Einsichten in das politische Geschehen schlechthin und sein geschultes Urteilsvermögen ohne Verbiegungen gegenüber politischen Klientelen in die politische Willens- und Entscheidungstindung einzubringen. Nun konnte er

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das alles gebündelt in die Waagschale der deutschen Geldpolitik und nicht minder des Werdens eines geeinten Deutschlands und Europas werfen. Auch konnte er sich wieder der akademischen Lehre und der empirischen Wirtschaftsforschung - ich denke vor allem an sein Engagement an der Universität Duisburg und für das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung- zuwenden.

111. Wer derart zu bestehen vermag, dem müssen Gaben besonderer Art in die Wiege gelegt worden sein. So wundert es nicht, daß Reimut Jochimsen schon als Gymnasiast im höchsten Norden Schleswig-Holsteins "spitze" war. Er wurde Stipendiat der "Studienstiftung des deutschen Volkes". In Bonn, seiner ersten Studienstätte, war er auch mir als brillanter und höchst eloquenter Student aufgefallen. Also unterstützten wir, Erwin von Heckerat und ich, seinen Antrag auf ein Stipendium der Harvard-Universität; wir befürworteten auch ein Studienjahr am Johns Hopkins University Center for International Studies in Bologna. Reimut Jochimsen wiederum empfahl mich dem damaligen Präsidenten dieses Centers, Prof. C. Grove Haines, als Gastdozent Das Resultat war ein für meine damals noch kleine Familie und mich unvergeßliches akademisches Jahr ( 1957/58) im schönen Bologna. Reimut J ochimsen hielt es indes nicht in Bonn. Er begleitete J. Heinz Müller, der einen - seiner wissenschaftlichen Ausrichtung wegen uns Bonner Assistenten überraschenden- Ruf auf den Lehrstuhl Walter Euckens an der UniversitätFreiburg erhalten hatte ( 1957). Das erstaunte, denn beide waren aus durchaus unterschiedlichem Holz geschnitten. Die Wahl erwies sich indes als gut. Herausragenden Examina als Diplom-Volkswirt ( 1957) und als Dr. rer. pol. ( 1959) folgte schon 1964 die Habilitation. Mit den beiden Hauptpublikationen "Ansatzpunkte der Wohlstandsökonomik" (Dissertation) und "Theorie der Infrastruktur- Grundlagen der marktwirtschaftliehen Entwicklung" (Habilitationsarbeit) betrat Reimut Jochimsen Neuland. Die Wohlstandsökonomik - in der angelsächsischen Welt hoch im Kurs - fristete bei uns schlicht ein Randdasein. An den deutschen Universitäten dominierte neoklassisches Denken. Mit der Rolle der Infrastruktur in Marktwirtschaften hatte sich eigentlich noch niemand umfassend auseinandergesetzt, wohl auch wegen der Soupcons gegenüber allem, was sektoraler und regionaler Wirtschaftspolitik Vorschub leisten konnte. Sofort nach der Habilitation mit 31 Jahren an die Universität Kiel berufen zu werden- ich war immerhin "schon" 33, als ich den Ruf nach Tübingen erhielt -, das erregte Aufsehen. Steiler konnte eine akademische Karriere nicht nach oben gehen. 1969, im heute kaum vorstellbaren Alter von 36 Jahren, wurde Reimut Jochimsen zum Rektor designatus in Kiel gewählt.

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IV. Doch dann kam der Bruch. Der Drang zum Politischen obsiegte. Horst EhmkeSchülerdes Staatsrechtiers Ulrich Scheuner, Bonn- wurde nach der Wende von der "großen" zur "sozialliberalen" Koalition im Oktober 1969 Kanzleramtsminister. Reimut Jochimsen ging mit dem Freund aus Freiburger Zeit nach Bonn und übernahm im Bundeskanzleramtdie Leitung der Planungsabteilung. Ich hatte dieser Abteilung zuvor (von November 1967 bis zu meinem Ruf in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland im Juni 1969) als - wie es hieß - Mitglied des Wissenschaftlichen Sachverständigengremiums des Planungsstabes des Bundeskanzleramtes angehört. Die Mitglieder dieses Gremiums hatten Bundeskanzler Kiesinger zu beraten, machten sich indes durchaus Gedanken, ob und wie der Planungsstab schon im Vorfeld der Entscheidungstindung im Bundeskabinett auf Ressortpositionen abstimmend einwirken könne. Solche Überlegungen umzusetzen, gelang nicht. Reimut J ochimsen, im DiensteBundeskanzlers Brandt, wollte noch weit mehr. Ihm lag daran, die unkaardiniert arbeitenden und vornehmlich ihre eigenen politischen Konzepte verfolgenden Ressorts auf eine gemeinsame vorhabenorientierte und langfristige Querschnittsplanung "einzuschwören". Die administrative Novität schien sich gut anzulassen, doch sie erwies sich als eine Sisyphusaufgabe, die letztlich am immanenten Ressortegoismus scheitern mußte. Reimut Jochimsen, der gleichwohl in seinem ersten politischen Amt an Profil gewonnen hatte, wechselte 1973 als Staatssekretär in das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft unter Klaus von Dohnanyi. 1978 holte ihn dannJohannes Rau als Wissenschaftsminister in sein Kabinett, gefolgt (ab 1980) von einer 10-jährigen Tätigkeit als Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen, gestützt durch die Mitgliedschaft im Düsseldorfer Landtag. Leichtel ahre waren das gewiß nicht. Ich erinnere mich an heftige Dissensen zwischen wissenschaftlichen Fachkollegen vor allem der Universität Köln und dem Wissenschaftsminister Jochimsen. Das Kriegsbeillag offen zutage. Und dem Wirtschaftsminister Jochimsenblieben harte Kontroversen, etwa um den Wirtschaftsstandort Ruhr und um das Geschick des Schnellen Brüters in Kalkar, nicht erspart. Aber mit seinem Namen verbunden sind auch die "Zukunftsinitiative Montanregion" und die "Zukunftsinitiative Nordrhein-Westfalen", zwei Instrumente, mit deren Hilfe der Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen unter Stimulierung der endogenen Potentiale effektiv vorangetrieben werden konnte. Selbst Kritiker bescheinigten Reimut Jochimsen, daß er u.a. mit technologiepolitischen Anstößen wesentlich zur Beschleunigung längst fälliger Anpassungsprozesse beigetragen und sich energisch für die nordrhein-westfälische Industrie- auch im Ausland- engagiert hat. Er war überzeugt, daß die Pflege der internationalen Beziehungen auch auf Länderebene ein Instrument der Strukturpolitik ist. Seit Juni 1991 fördert er als Präsident der deutsch-japanischen Gesellschaft am Niederrhein den Dialog zwischen nordrhein-

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westfälischen und japanischen Unternehmen. Und seit dem Ende der bipolaren Ordnung in Europa engagiert sich der LZB-Präsident Reimut Jochimsen bei der Etablierung effektiver Notenbanksysteme in den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas. Doch das sind nur Schlaglichter, bei weitem nicht das Ganze. Klärende Beiträge, die das zufällig Wahrgenommene in einen dem Jubilar gemäßen und ihm gerecht werdenden Kontext einordnen, finden sich in dieser Festschrift. V.

Was Reimut Jochimsens Wirken im Zentralbankrat angeht, so fühle ich mich auf sicherem Boden. Doch die Interna sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Landeszentralbank in Nordrhein-Westfalen ist indes die größte ihrer Art. Es sollte alsoGewichthaben, wasihrPräsidentimZentralbankratundinseinenArbeitsstäben sagt. Zudem ist Reimut Jochimsen nun einmal gelernter Ökonom, der zur politischen Entscheidungstindung beitragen will. Der Präsident der Landeszentralbank von Nordrhein-Westfalen profilierte sich schon bald als engagierter Verfechter der Stabilitätspolitik der Bundesbank und damit als einer der "Falken" im Zentral bankrat. (Das kann allerdings auch jemand sein, der seine Positionen nicht gleich medienwirksam vertritt.) Jochimsen befürwortet zwardurchaus das Anliegen einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, doch Fehlern und Unzulänglichkeiten auf dem Weg zu ihrer Realisierung will er vorbeugen. Mit seiner abwägenden Distanz hat er sich auch auf internationalem Parkett einen Namen gemacht, das ihn gerne hört und dessen Ruf er sich selten verschließt. Aus allem mögen hier und da Dissensen im Zentralbankrat erwachsen sein, für mich, der ich im April 1992- nach zwei Mandaten von jeweils acht Jahrenausschied, zählt mehr, daß Reimut J ochimsen mit dem Bundesbankpräsidenten und allen anderen engagierten Verfechtern einer konsequent stabilitätsorientierten Geldpolitik - der deutschen wie der europäischen - an einem Strang zog. Seine Vorbehalte gegenüber dem vor allem in der zweiten Konvergenzphase Erreichten hat er in seinen "Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion"1 dargelegt. Nun aber, wo die Würfel gefallen sind, wird es auch für Reimut Jochimsen vornehmlich darum gehen und auch gehen müssen, das gemeinsame europäische Wagnis zu bestehen. Das europäische Zentralbanksystem muß einen guten Start haben. Das bedingt neben einer überzeugenden personellen Besetzung der Gremien der Europäischen Zentralbank und einem kompromißlosen Festhalten an den Konvergenzkriterien und den- allerdings vage gehaltenen- Normen des Stabilitäts- und Wachstumspaktesdas Bilden strategischerund taktischer Allianzen sowie das nachhaltige Eintreten für eine europäische Stabilitätskultur. Mit Beginn der letzten, der finalen Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion Anfang 1999 werden sich die Deutschen weit mehr als bislang auf dem europäischen Felde Zweite, völlig überarbeitete Auflage, Baden-Baden 1998.

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politisch in gestaltender Absicht zu behaupten haben. Daß die Bundesrepublik wegen des Versagens gegenüber ihren großen Reformanliegen schwächer in die neue Etappe europäischen, zunehmend auch politischen Zusammenwachsens eintreten wird, als dies hätte sein dürfen, hat uns Deutsche mit einer schweren, im europäischen Umfeld unabweisbar bald abzutragenden Hypothek befrachtet. Es ist also das Zukünftige, das aus der gewiß nicht in allem optimal vorbereiteten - die allzu ehrgeizigen zeitlichen Vorgaben waren der schwerwiegendste Webfehler im Maastrichter Vertrag-Währungsunion erwächst, was zählt. ReimutJochimsen wird sich mit seinem Sachverstand, seiner Bereitschaft zum politischen Disput und auch seiner Neigung, in vorderer Front auf die politische Willensbildung einzuwirken, weiterhin zum Engagement verpflichtet fühlen.

Wirtschaftspolitik der Vernunft

Reimut Jochimsen ein Wirtschaftspolitiker mit Vernunft und Leidenschaft Von Johannes Rau Wer Reimut Jochimsen kennenlernt und eine Weile mit ihm spricht, der erkennt Eigenschaften, die er bei kaum einem Politiker oder Manager - und auch bei den meisten Wissenschaftlern nicht- entdecken kann: Er stellt fest, daß da ein Mensch ist, der nicht nur ein Thema, "sein" Thema hat, der nicht nur ein Gebiet beherrscht, sondern ein Mann ist mit einer ganz unglaublich breiten Übersicht bei Themen der Wirtschaft, der Politik, in wissenschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Fragen. Davon haben auch wir profitiert, als Reimut Jochimsen Wissenschaftsminister und später Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen war. Paradox ließe sich formulieren: Gerade weil Professor Jochimsen nicht nur Wirtschaftspolitiker und Wirtschaftsexperte ist, konnte er auch als Wirtschaftspolitiker und Wirtschaftsexperte Hervorragendes leisten. Ohne diese Breite hätte er nicht zehn Jahre lang, von 1980 bis 1990, erfolgreiche Wirtschaftspolitik für und in Nordrhein-Westfalen machen können, eine Wirtschaftspolitik, die immer zugleich auch Bezüge ins Soziale, ins Kulturelle und in andere Felder hatte. Viele sprechen heute von Synergie, von Vernetzung und Interdisziplinarität- alles richtige und wichtige Leitideen, aber sie können nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn es auch Köpfe gibt, die sie aufgreifen, umsetzen und weiterentwickeln. Bei Reimut Jochimsen kommt das zusammen. Er hat Politik mit Fachkenntnis und zugleich mit großer Leidenschaft betrieben. Gegen Politikeuphorie, gegen den Glauben, Politik könne die Welt auf einen Schlag wie mit einem Zauberstab verwandeln und verbessern, und gegen politische Resignation, die Politik für machtlos hält, hat er stets auf politischen Realismus gesetzt. Dieser Realismus hatNordrhein-Westfalen gutgetan. Er hat geholfen, in den zehn Jahren von 1980 bis 1990 ein wichtiges Stück des schwierigen Strukturwandels zu bewältigen, der bis heute andauert. Nordrhein-Westfalen, genauer das Ruhrgebiet, war jahrzehntelang ganz einseitig geprägt von Kohle und Stahl. Wir haben eine große Tradition in diesen Industrien - zunächst mit allen Vorzügen, aber später auch mit allen Schattenseiten einer solchen frühen Konzentration auf klassische Industriezweige. Aus Industrien, die 2 FS Jochimsen

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jahrzehntelang die Stärke und den StolzNordrhein-Westfalens ausmachten, wurden im Laufe der Zeit Sorgenkinder. Der Anfang der achtziger Jahre wardurch eine weltweite Rezession geprägt, die Nordrhein-Westfalen zu einem Zeitpunkt traf, als der Strukturwandel zwar schon ein gutes Stück vorangekommen war, die klassischen Industriebereiche aber noch relativ großes Gewicht hatten. Von 1964 bis 1980 war die Zahl der Beschäftigten in der Eisen- und Stahlerzeugung bereits um 40 000 auf rund 200 000 gesunken. Im Steinkohlebergbau hatte die Zahl der Arbeitsplätze seit Mitte der fünfziger Jahre sogar von rund 570 000 auf 160 000 abgenommen. In der Textil- und BekleidungsindustrieNordrhein-Westfalens arbeiteten 1970 260 000 Menschen, 1980 waren es noch 130 000. Dieser Prozeß setzte sich in den folgenden Jahren weiter fort: 1990 arbeiteten noch 120 000 Menschen, also wiederum fast 74 000 weniger als 1980, in der Eisen- und Stahlerzeugung; das entsprach einem Rückgang von über einem Drittel. Der tiefste Punkt der Krise war wahrscheinlich der Dezember 1987, als bekannt wurde, daß in Duisburg-Rheinhausen ein Stahlwerk geschlossen werden sollte, in dem 6 000 Menschen Arbeit fanden. Die Reaktion der Betroffenen war entsprechend heftig, Rheinhausen wurde zum Symbol für die Strapazen des Übergangs in einer industriell einseitig geprägten Region. Das hatte es bis dahin in diesem Umfang auch noch nicht gegeben: Nicht nur eine ganze Stadt, sondern die gesamte Region solidarisierte sich mit den Arbeitern und ihren Familien. Auch in zwei anderen wichtigen Branchen ging es mit der Beschäftigung weiter nach unten: Im Steinkohlebergbau gab es 1990 noch 147 000 Beschäftigte, in der Textil- und Bekleidungsindustrie 105 000. Allein in diesen beiden Branchen waren gegenüber 1980 weitere 38 000 Arbeitsplätze weggefallen. Nach und nach hat sich die Entstehung des Wohlstands von der Zahl der Beschäftigten im produzierenden Gewerbe entkoppelt. Andere Branchen sind nach vorne gerückt. Kohle und Stahl haben längst ihre beherrschende Stellung unter den nordrhein-westfälischen Industriezweigen verloren. Aber wo, wie im Ruhrgebiet, der Anteil industrieller Produktion überdurchschnittlich hoch war, da ist der Strukturwandel auch mit besonderen Schwierigkeiten verbunden. Es ist eine bittere Erfahrung, daß Wandel oft mehr als Last und weniger als Chance erlebt wird. In wirtschaftlich schweren Zeiten brechen alte Strukturen schneller weg, als Neues entsteht und nachwachsen kann. Das gilt übrigens nicht nur fürden Bergbau und den Stahlsektor, sondern auch für die Textilindustrie. Der Anteil der Beschäftigten im Montanbereich, der noch 1980 bei über 20 vH lag, ist inzwischen auf weniger als 6 vH geschrumpft. In der Kulturwirtschaft- von den Medien bis zum Stadttheater- finden in unserem Land heute mehr Menschen Arbeit als im klassischen schwerindustriellen Kern von Bergbau und Stahl. Bereits 1988, acht Jahre nachdem Reimut Jochimsen Wirtschaftsminister geworden war, erzieltedie Kultur- und Medienindustrie in Nordrhein-Westfalen Umsätze von rund

Reimut Jochimsen als Wirtschaftspolitiker

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46 Mrd. DM und lag damit knapp hinter der Automobilindustrie, weit vor dem Bergbau oder dem Hoch- und Tiefbau. Mitte der siebziger Jahre hatten viele vorschnell Nordrhein-Westfalen als eine Problemregion mit ungünstigen Perspektiven bezeichnet; in den achtziger Jahren hat das Land sicher nicht ohne Mühen und ohne große, oft auch schmerzhafte Anstrengungen, den Boden für neue Zuversicht bereitet. Erste deutliche Zeichen wurden sichtbar, daß die Neuorientierung hin zu Dienstleistungen und innovativen Industriebranchen vorankam: Zwischen 1984 und 1990 wurden bei den Dienstleistungen rund 540 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, von November 1984 bis November 1991 sank die Zahl der Arbeitslosen von rund 702 000 auf knapp 539 000. Daß heute die Arbeitslosigkeit verheerende Ausmaße erreicht hat, istein bundesweites Problem, dem sich auch ein starkes Land wie Nordrhein-Westfalen nicht entziehen kann. Am Ende dieses Jahrhunderts ist Nordrhein-Westfalen nicht mehr ein Land von Kohle und Stahl, sondern mit Kohle und Stahl, ein Land mit modernen Industrien und Dienstleistungen, mit einer hervorragend ausgebauten Infrastruktur, mit hochqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und mit der dichtesten Hochschul- und Forschungslandschaft Europas. Nicht weniger als 63 Technologiezentren sorgen heute zwischen Rhein und Weser für den möglichst schnellen Transfer neuer technischer Entwicklungen in marktfähige Produkte. Ergänzt wird das Netz der Technologiezentren durch rund 50 Technologieberatungs- und -transferstellen an den Hochschulen, durch Forschungs- und Entwicklungszentren und durch Technologieagenturen und -initiativen, zum Beispiel das Zentrum für Innovation und Technik - ZENIT, um nur eine zu nennen. Wer hätte sich noch vor zwanzig Jahren träumen lassen, daß im Ruhrgebiet der Dienstleistungsanteil bei den Arbeitsplätzen einmal Größenordnungen von rund zwei Dritteln erreichen könnte? Professor Jochimsen hat großen Anteil daran, daß wir in der nordrhein-westfalischen Wirtschaftspolitik neue Wege und neue Instrumente gefunden haben, den nötigen Wandel voranzutreiben. Uns bliebangesichtsder dramatischen Strukturveränderungen in der Industrie und bei den zugleich sehr begrenzten öffentlichen Mitteln kein Ausweg, als aus der Not eine Tugend zu machen. Im Juni 1987 startete Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen die Zukunftsinitiative Montanregion. Dieses staatliche und zugleich stattliche Programm hat die Ansiedlung innovativer, zukunftsträchtiger Betriebe und Technologien vor allem im Ruhrgebiet, aber auch im Revier Aachen-Jülich enorm gefördert. Dieser Erfolg war vor allem der engen Abstimmung mit den wirtschaftlichen Entscheidungsträgern vor Ort zu verdanken. Die Bilanz der Zukunftsinitiative Montanregion war so überzeugend, daß das Konzept 1989 auf das gesamte LandNordrhein-Westfalen ausgedehnt wurde. Aus der Zukunftsinitiative Montanregion wurde die Zukunftsinitiative für die Regionen 2"

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Nordrhein-Westfalens und schließlich die regionalisierte Strukturpolitik, ein Instrument, das sich bis heute bewährt und das viele Nachahmer gefunden hat. Mit der von ReimutJochimsen begonnenen Regionalisierung der Strukturpolitik haben wir bundesweit Maßstäbe gesetzt; sie hat über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus Anerkennung gefunden. Dieses neue Konzept hat die eigenen Kräfte der Regionen geweckt und die Strukturpolitik des Landes besser auf die Bedürfnisse und Gegebenheiten vor Ort ausgerichtet. Die Ideen und Kräfte, die aus den Regionen und den Kommunen füreine wirtschaftliche Zusammenarbeit und Erneuerung kamen, werden umfassend nutzbar. Strukturwandel wird auf diese Weise von unten vorangetrieben; er kann nicht länger als staatliche Initiative verstanden werden, die gleichsam von oben verordnet wird. In den Regionen des Landes gibt es heute stabile und funktionierende Strukturen der Zusammenarbeit. Sie erlauben es, koordiniert und abgestimmt Veränderungen zu gestalten und neue Entwicklungen voranzutreiben. Kultur, Stadtentwicklung, Flächenpolitik, Tourismus, Bildungs-, Freizeit- und Sportpolitik müssen aber künftig eng mit den Fragen des wirtschaftlichen Strukturwandels verknüpft werden. Fragen des Wirtschaftsraums und des Wohnumfeldes sollen nach Möglichkeit weiter zusammenkommen, statt getrennt zu sein. Wir wollen auch in Zukunft auf die regionalen Kräfte setzen und deshalb die Regionen dabei unterstützen, ein eigenes, unverwechselbares Profil zu entwickeln: als Zentrum der Medienwirtschaft oder als Region mit Schwerpunkten in Umwelttechnik, Biotechnologie, Medizintechnik oder Logistik, um nur einige Beispiele zu nennen. Im Rückblick wird immer deutlicher, daß die regionalisierte Strukturpolitik sehr geholfen hat, beim wirtschaftlichen Strukturwandel in die Offensive zu kommen, ihn zu gestalten, seine Chancen zu nutzen und nichtallein auf seine negativen Folgen zu reagieren. Nordrhein-Westfalen hat nichtauf "passive Sanierung" gesetzt, wie es andernorts in der Welt in alten Industrieregionen geschehen ist, sondern es hat den Wandel offensiv angepackt. Wir haben es in Nordrhein-Westfalen nicht zugelassen und wollen es auch in Zukunft nicht zulassen, daß einzelne soziale Gruppen oder ganze Regionen ins Abseits geraten. Der soziale Konsens ist für die Wirtschaftskraft einer Region ein unschätzbarer Vorteil. Reimut Jochimsen hat sich nicht von falschen Propheten, deren Rezept die Rücksichtslosigkeit war, in seinem Weg irritieren lassen, weil er wußte: Auf heruntergekommenen, verelendeten Standorten wächst so schnell kein neues wirtschaftliches Leben. Die Erfahrung lehrt: Die Betroffenen akzeptieren den Wandel und gestalten ihn mit, wenn sie darin auch Chancen erkennen können. In der Krise ist die Versuchung groß, einseitig auf eine Strategie der Senkung von Kosten und Standards zu setzen. Es ist verständlich, wenn die Arbeitgeber auf die aus ihrer Sicht hohe Kostenbelastung durch Löhne hinweisen. Niemand kann

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ungestraft die Tatsache ignorieren, daß Löhne auch Kostenbestandteile sind. Genausowenig läßt sich bestreiten, daß sie ganz wesentlicher Bestandteil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage sind. Die Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich insgesamt nicht durch niedrige Kosten und nicht durch niedrige Löhne aus. Unsere hohe Produktivität und die Qualität unserer Produkte machen uns das möglich. Wir können auch bei den Lohnkosten nicht ernsthaft mit Osteuropa oder Südostasien konkurrieren wollen. Aber solange wir eine hohe Qualifikation und Motivation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, eine leistungsfähige und vielfältige Infrastruktur, Forschung und Entwicklung, die schnell und erfindungsreich sind; solange neue Techniken auf einem kurzen Weg in Güter und Dienstleistungen eingehen und solange wir diese Stärken, die uns auszeichnen, erhalten und weiteraus bauen, solange werden wir auch einenhohen Lebensstandard erarbeiten können. Wir müssen uns vor einer Abrißmentalität hüten, bei der wir das beschädigen, was in Wirklichkeit Voraussetzung unserer Leistungsfähigkeit ist. Reimut Jochimsen hat früh die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung erkannt. Von ihnen gehen wesentliche Impulse in unserer Wirtschaft aus. Nordrhein-Westfalen hat deshalb die traditionelle Wirtschaftsförderung sehr stark auf die kleinen und mittleren Unternehmen konzentriert. Sie brauchen Hilfe am dringendsten, und bei ihnen bringt die Unterstützung die meisten neuen Arbeitsplätze. Aus unserer langen Erfahrung mit dem Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen haben wir gelernt, den Strom der wirtschaftlichen Entwicklung zu nutzen und ihn in neue Bahnen zu lenken. Wir sollten und dürfen die Rolle der Politik nicht überschätzen; sie kann Wege ebnen, aber auf ihnen gehen müssen die Menschen und muß die Wirtschaft selber. Reimut Jochimsen hat sich nie an der unproduktiven Debatte darüber beteiligt, ob nun der Staat oder der Markt die Patentlösung für jedes Problem bietet, mit dem wir es zu tun haben. Er hat sich an der ebenso treffenden wie lapidaren Einsicht orientiert, die Joseph Stiglitz, der Vizepräsident und Chef-Volkswirt der Weltbank einmal formuliert hat: "Es geht nicht um Deregulierung, sondern darum, die richtige Regulierung zu finden". Gerade wir in Nordrhein-Westfalen wissen, daß die Wirtschaft nur dann erfolgreich sein kann, wenn alle den Beitrag auch tatsächlich liefern, den sie liefern können. Die Wirtschaft selbst muß die Fähigkeit aufbringen, bei sich ständig ändernden Nachfrage- und Kostenstrukturen die Menschen mit Gütern und Dienstleistung zu versorgen. Aufgabe des Staates ist es, für Rechtssicherheit zu sorgen, einen klaren Ordnungsrahmen zu schaffen, in die Infrastruktur zu investieren und auf den sozialen Ausgleich zu achten.

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Johannes Rau

Während früher einmal galt, daß ein Land Produktionsfaktoren nur besitzt, gilt heute immer stärker, daß es sich seine Produktionsfaktoren erst schaffen muß: eine gute wissenschaftliche und technische Infrastruktur, leistungsfähige Verkehrswege, aber auch tatkräftigeUnternehmerinnen und U ntemehmer und qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir müssen dieses Wissen und diese Grundvoraussetzungen ständig neu erarbeiten, wir müssen sie pflegen, wir müssen Bedingungen schaffen, unter denen sie wachsen können. Sie sind die wirkliche Grundlage unseres Wohlstandes. Vor allem "Investitionen in die Köpfe" sind Investitionen in die Zukunft; auch das hat ReimutJochimsen früher als andere verstanden, und er hat daraus die richtigen Schlüsse gezogen. Während viele sich noch einem abstrakten Streit zwischen Nachfrage- und Angebotstheorie hingaben, hat er in der praktischen Wirtschaftspolitik gezeigt, daß es im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist, wenn sie gute Qualifikationsmöglichkeiten finden, wenn sie in einer Wirtschaft arbeiten, in der sie ihre Qualifikation und in der sie ihr Engagement auch produktiv einbringen können. Die Landesregierung hat so mit Reimut Jochimsen eine moderne Form der Angebotspolitik entwickelt, die das soziale Klima verbessert, statt es zu belasten. Professor ReimutJ ochimsen hat großen Anteil daran, daß wir heute in N ordrheinWestfalen auf einem guten wirtschaftlichen Fundament stehen. Auf dieser Grundlage können wir zuversichtlich auch neue Herausforderungen bestehen und dafür arbeiten, daß Nordrhein-Westfalen ein innovativer und leistungsfähiger Wirtschaftsstandort bleibt, vor allem aber eine liebens- und lebenswerte Heimat für die Menschen, die hier leben.

Reimut Jochimsen und Litauen Von Algirdas Brazauskas Es ist mir eine große Freude Reimut Jochimsen zu einem schönen Jubiläum zu gratulieren. Das gibt einen Anlaß, auch an unsere langjährige und fruchtbare Zusammenarbeit zurückzudenken. Festmeinem Gedächtnis eingeprägt bleibtdas erste Treffen in Vilnius mitReimut Jochimsen. Damals ist er als Wirtschaftsminister des Bundeslandes NordrheinWestfalen nach Litauen gekommen. Die achtziger Jahre gingen zu Ende, es wardie Zeit von Gorbatschows Perestrojka. In Litauen hatte man bereits angefangen, selbständig zu wirtschaften. Damals haben wir uns noch in der Residenz der Litauischen Kommunistischen Partei getroffen, und nach einemJahrhatte sich diese Partei von der KPdSU gelöst und in eine sozialdemokratische Partei transformiert. Damals haben wir über die wirtschaftlichen Probleme, den Übergang Litauens zur freien Marktwirtschaft, die Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere mit dem größten Bundesland Nordrhein-Westfalen gesprochen. Bereits während des ersten Gesprächs war ich zutiefst beeindruckt, wie gut er mit den wirtschaftlichen und finanziellen Problemen vertraut ist. Am wichtigsten war es für mich, daß Reimut J ochimsen sich aufrichtig für die Angelegenheiten Litauens interessierte, daß er die komplizierte historische Wende unseres Landes verstand und uns helfen wollte. Davon habe ich mich nochmals während unseres nächsten Treffens in Düsseldorf überzeugt. Es war schon nach dem 11. März 1990, nach der Erklärung der UnabhängigkeitLitauens. Ich hatte damals das Amtdes stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerpräsidenten inne. Es war eine komplizierte und spannungsvolle Zeit. Das offizielle Moskau hat unsere Trennung nicht akzeptiert und eine Wirtschaftsblockade über Litauen verhängt. Andererseits haben wir gemerkt, daß die demokratischen Kräfte Rußlands uns verstanden und unterstützten. Besonders wichtig war für uns die Unterstützung der demokratischen Staaten des Westens, obwohl wir uns im Klaren darüber waren, daß sie gezwungen waren, die Stellungnahme des Kreml zu berücksichtigen. In einer solchen Situation war es für mich sehr wichtig, einen Besuch in Deutschland abzustatten. Wer könnte mir dabei helfen? Im Gespräch mit Kollegen sind wir aufReimut Jochimsen gekommen. Wir haben ihn angerufen und bekamen

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Algirdas Brazauskas

eine erfreute Antwort aus Düsseldorf: "Wir verstehen Sie. Kommen Sie, wann es Ihnen genehm ist." Ich erinnere mich bis auf die Einzelheiten an den Abend, als wir beimgemütlichen Kerzenlicht, den excellenten Burgunder genießend, mit Reimut Jochimsen über die historischen Veränderungen in Europa, den Fall der Berliner Mauer, die Wiedervereinigung Deutschlands und die Zukunft des unabhängigen Litauen diskutiert sowie prognostiziert haben, welchen Weg die seinerzeit existierende Sowjetunion einschlagen würde. Besonders wertvoll waren seine Ratschläge zur Durchführung der Privatisierung sowie zur Einführung der eigenen Währung. Es ist sehr schade, daß wirnicht alle seine Ratschläge befolgen konnten, weil die erste litauische Regierung bereits einigen Monate nach der Unabhängigkeitserklärung zum Rücktritt gezwungen war und ich in die Opposition gegangen bin. Während meines Besuchs damals habe ich wichtige Gespräche nicht nur in Düsseldorf gehabt. Ich habe auch Bonn besucht und mich mit den einflußreichsten Politikern bedeutender Parteien Deutschlands getroffen. Das Ziel des Besuchs war erreicht. Es hat sich zu dieser Zeit eine Möglichkeiten geboten, Straßburg zu besuchen und sich mit den Vertretern des Europäischen Parlaments zu treffen. Und nun hat Reimut Jochimsen den Besuch in einer der "Hauptstädte Europas" im Handumdrehen organisiert. Dort haben wir auch für Litauen sehr wichtige Gespräche geführt. Später habe ich oft als Vertreterdes litauischen Parlaments an der Arbeit des Europarates teilgenommen, aber stets erinnere ich mich an unseren ersten Flug von Düsseldorf nach Straßburg. Später, als ich zum Staatspräsidenten gewählt wurde, habe ich mehrmals Reimut Jochimsen als Vorsitzenden der Landeszentralbank getroffen. Als ich zum offiziellen Besuch in Deutschland war, habe ich gebeten, ein von ihm vorgeschlagenes Gespräch mit Unternehmen und Banken in das Programm aufzunehmen. Ich denke sehr gern an dieses Gespräch in Düsseldorf zurück, ich habe damals eine kurze Einführung in die litauische Wirtschaft gemacht, und dann ist es zu einer regen, für beide Seiten nützlichen Diskussion gekommen. Für unserenjungen Staat, der seine Unabhängigkeit erst vor kurzem wiederher· gestellt hat, war es sehr wichtig, daß die Litauische Bank in der Person von Reimut Jochimsen nicht nur einen Fachmann von höchstem Niveau, sondern auch einen Kollegen und Freund hatte, der immer bereit war zu beraten und zu unterstützen. Auf meine Bitte hin hat er sein Gutachten über manche Gesetzesvorlage abgegeben. Seine Stellungnahme war immer bedeutend und begründet, und man hat sein Gutachten berücksichtigt. Ich bin auch über die intensive und erfolgreiche Tätigkeit von Reimut Jochimsen auf der internationalen Ebene informiert, über seine umfangreichen Kontakte in verschiedenen Ländern. Es ist besonders zu schätzen, daß er seine wissenschaftliche

Reimut Jochimsen und Litauen

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und praktische Erfahrung erfolgreich weiter an die Länder vermittelte, die von der zentralverwalteten Wirtschaft in die freie Marktwirtschaft übergingen. Außerdem möchte ich die Charaktereigenschaften von Reimut Jochimsen hervorheben. Seine Achtsamkeit, Zuverlässigkeit und, ich würde sagen, ein äußerst ausgeprägtes Gentleman-Verhalten sind für mich an ihm besonders sympathisch. Wie es in Litauen üblich ist, möchte ich dem Jubilar "ilgiausiy mety" - viele glückliche Jahre, Tatkraft und ausgezeichnete Gesundheit- wünschen.

Reimut Jochimsen ein verständnisvoller Partner für uns Japaner Von Tatsuyuki Hiramatsu Als Präsidentder Japanischen Industrie- und Handelskammer zu Düsseldorf e. V. und als Vizepräsident derDeutsch-Japanischen Gesellschaft am Niederrhein möchte ich ReimutJochimsen sehr herzlich zu seinem 65. Geburtstag gratulieren und ihm weiterhin viel Erfolg und alles Gute für die Zukunft wünschen. Gern nehme ich die Gelegenheit wahr, ein wenig von seinen zahlreichen Aktivitäten zu berichten, die in Zusammenhang mit uns Japanern in Deutschland stehen. Zwischen Reimut Jochimsen und der Japanischen Gemeinde in Düsseldorf bestanden bereits Kontakte, als er noch Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen war. Diese Beziehungen wurden erheblich vertieft, als er im Juni 1991 Präsident der Deutsch-Japanischen Gesellschaft (DJG) am Niederrhein wurde. Bevor Reimut Jochimsen zur DJG kam, befaßte sich diese- so wie viele andere Deutsch-Japanische Gesellschaften in Deutschland auch - in der Hauptsache mit kulturellen Veranstaltungen. Nach seinem Beitritt verlagerten sich die Aktivitäten der Gesellschaft, und auch die Beziehung der DJG zur Japanischen Industrie- und Handelskammer (JIHK) erhielt dadurch eine neue Bedeutung. Im September 1991 wurde der Deutsch-Japanische Wirtschaftsdialog durch Initiative von Reimut Jochimsen und Herrn Hebiguchi, dem damaligen Präsidenten der JIHK, ins Leben gerufen. Ziel dieser neu eingerichteten Diskussionsrunde war es- ebenso wie die Aktivitäten der DJG -,zu einem besseren Verständnis zwischen Japanern und Deutschen beizutragen. Der Wirtschaftsdialog richtete sich an TopManager und Wirtschaftswissenschaftler aus Deutschland und Japan. Seine Teilnehmerzahl sollte überschaubar sein, der Dialog sollte kontinuierlich geführt werden und Themen aus Wirtschaft und Kultur der beiden Länder ausführlich und ohne Hektik und Polemik behandeln. Das erste Meeting fand am 5. September 1991 statt. Seitdem sind in den letzten sechs Jahren über 16 Dialoge abgehalten worden. Die Themen sind breitgefächert: Am häufigsten wurde wohl über den Standort Deutschland diskutiert, aber auch Themen wie Berufsausbildung, Umweltprobleme, Banksysteme oder Wohnungsbaupolitik stehen zur Diskussion, und zwar immer unter dem Aspekt eines Vergleichs der Gegebenheiten in den beiden Ländern.

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Tatsuyuki Hiramatsu

Mehr als 30 Mitglieder aus dem Wirtschaftsbereich beider Länder haben kontinuierlich an diesen Treffen teilgenommen. Die Diskussionen fanden immer in einer sehr freundschaftlichen, intensiven und konstruktiven Atmosphäre während eines Mittagessens statt. Charakteristisch für die Wirtschaftsdialoge erscheinen mir die folgenden drei Aspekte: Zunächst einmalläßt sich zu den Diskussionsteilnehmern der deutschen Seite folgendes sagen: Sie kommen- je nach Thema- aus den unterschiedlichsten Bereichen, aber immer sind es Top-Leute aus Politik, Industrie und Forschung, was den großen Einflußbereich und die guten Verbindungen von Reimut Jochimsen widerspiegelt. Sodann ermutigt Reimut Jochimsen in seiner Eigenschaft als Chairman des Dialogs die Teilnehmer, ihre Ansichten offen darzustellen und zu diskutieren. Aufbewundernswerte Weise führt er die Diskussion bis zu dem Punkt, wo er Ausblicke für die Zukunft beider Länder aufzeigen kann. Und schließlich muß man sagen, daß Dialoge zwischen Deutschland und Japan früher eher oberflächlich verliefen, sie bildeten sozusagen einen Teil der höflichen Kontaktpflege. Der Wirtschaftsdialog hingegen bietet eine wirkliche Gelegenheit zu echter und gehaltvoller Diskussion. Er schafft nicht nur die Grundlage für ein echtes Verständnis zwischen beiden Ländern, sondern kann als Modell dafür gelten, wie sich die Beziehung beider Länder im 21. Jahrhundert weiterentwickeln sollte. Wir alle wissen, daß Reimut Jochimsen mit allen seinen offiziellen Verpflichtungen sehr beschäftigt ist- besonders in diesen Tagen. Trotzdem hoffe ich doch sehr, daß er auch weiterhin einen Teil seiner privaten Zeit für den Deutsch-Japanischen Wirtschaftsdialog aufwenden wird, um ihn so kompetent und souverän wie bisher zu stützen und zu führen. Wir von der japanischen Seite werden unser möglichstes tun, um ihn darin zu unterstützen. Aber Reimut Jochimsen ist natürlich nicht nur Präsident der Deutsch-Japanischen Gesellschaft, sondern in erster Linie Präsident der Landeszentralbank Nordrhein-Westfalen und Mitglied des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank. Und da ich Geschäftsführer einer japanischen Bank in Düsseldorf bin, haben wir beide also auch hier Berührungspunkte. Im April dieses Jahres feiertedie LandeszentralbankNordrhein-Westfalen ihren 50. Jahrestag. Aus diesem Anlaß habe ich für die 50-Jahr-Feier einen Beitrag über Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukunft der Beziehung des Landes Nordrhein-Westfalen zu den hier ansässigen japanischen Banken geschrieben, nachzulesen in der Festschrift. Seit August 1990 ist Reimut J ochimsen nun schon Präsident der Landeszentralbank. Er ist wirklich einer der ganz "Großen" im

Reimut Jochimsen- ein verständnisvoller Partner für uns Japaner

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deutschen Finanzgeschäft, und man kann seinen Einfluß auf die deutsche Geldpolitik gar nicht hoch genug einschätzen. Die Einführung des Euro wird am I. Januar 1999 beginnen. Wie sich die europäische Wirtschaft und der europäische Finanzbereich in Zukunft entwickeln werden, wird für die hier ansässigen japanischen Banken von großer und grundlegender Bedeutung sein.Ich hoffe zuversichtlich, daß dieses einzigartige historische Experiment einer einzigen und einheitlichen Währung gelingen und damit eine weitere positive Entwicklung für die europäische Wirtschaft bringen wird. Und ich bin sicher, daß Reimut Jochimsen in Ausübung seiner Pflicht als Präsident der Landeszentralbank des LandesNordrhein-Westfalen weiterhin die besten Ergebnisse erzielen und den deutschen Wirtschafts- und Finanzbereich auch in Zukunft mit Erfolg anführen wird.

Regionalwissenschaft

Wandel in der Konvergenzforschung Von Paul Klemmer 1. Jochimsen als Integrations-"Realist" Die wissenschaftlichen Arbeiten von Reimut Jochimsen sind in beachtlicher Weiseder Konvergenzforschung gewidmet. So definierte er bereits in seiner Theorie der Infrastruktur die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft über das Niveau der Wirtschaftstätigkeit und den Grad ihrer Integration 1• Den Integrationsgrad maß er hierbei in neoklassischer Tradition über "die regionalen, sektoralen und betriebs- bzw. unternehmensgrößenmäßigen Abweichungen der Entgelte fürrelativ homogene und bewegliche Faktorbeiträge"2 • Eine totale Integration war somit dann erreicht, wenn "die Höhe des tatsächlichen Entgelts in jeder Verwendungsrichtung gleich eins ist" 3• Der Infrastruktur widmete er in diesem Zusammenhang insofern Aufmerksamkeit, als sie für ihn eine entscheidende und politisch beeinflußbare Bestimmungsgröße des Integrationsgrades darstellte. In sehr realistischer Weise sah Jochimsen schon in den sechziger Jahren die Zeitabhängigkeit bzw. den Zeitverbrauchjeder ökonomischen Aktivität4 und damit auch die gewaltigen Zeitbedarfe des politisch gewollten Abbaus der Streuung der Faktorentgelte bzw. einer Konvergenz- oder Integrationspolitik bei der Überwindungjenerräumlichen Konzentrationseffekte, die sich aus demZusammenspiel von sog. historischer Komponente, externen Effekten (insbesondere Agglomerationsvorteilen) und Unteilbarkeiten ergeben. So können sich nach Jochimsen die "externen Effekte, institutionellen Starrheiten, technologischen Diskontinuitäten und anderen Friktionen in der Marktwirtschaft ... in dynamischer Rückkopplung dieser Bestimmungsgründe des Entwicklungsvorganges längerfristig derart verketten, daß der marktmäßige Ausgleichsmechanismus der Faktor- und Produktpreise zwischen einzelnen Betriebs- und Unternehmensgrößen, Wirtschaftszweigen und

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Vgl. R. Jochirnsen [1], Theorie der Infastruktur. Grundlagen der marktwirtschaftliehen Entwicklung. Tübingen 1966, S. 14. R. Jochirnsen [1], S. 15. R. Jochimsen [1], S. 15. Jochirnsens Argumentation wurde hierbei teilweise von B. Ba1assa, The Theory of Econornic Integration. London 1961, geprägt. Vgl. R. Jochirnsen [1], S. 47.

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Paul Klemmer

Wirtschaftsregionen nur unvollständig wirkt"5 und es zum sog. ökonomischen Dualismus kommt. Unter Rückgriff aufMyrdal 6 und seine desintegrierend wirkenden kumulativen Prozesse warnte er recht früh - und rückblickend eigentlich sehr modern - vor einem voreiligen Integrationsoptimismus im Sinne eines sich zwangsläufig einstellenden Integrationsergebnisses. Im Grunde hat sich seine Grundauffassung von den Schwierigkeiten und Problemen eines ökonomischen Integrationsprozesses bzw. einer Integrationspolitik bis heute nicht geändert. Dies kommt recht gut in seinen neueren "Perspektiven . der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion" zum Ausdruck, wo er angesichts der strukturellen Divergenzen zwischen vielen EU-Mitgliedstaaten vor der verbreiteten Hoffnung warnt, diese würden sich durch die Bildung einer Währungsunion schnell beheben lassen 7• Zutreffend macht er darauf aufmerksam, daß sich mit größter WahrscheinlichkeitkeineEntschärfung, sondern ehereine Verschärfung der räumlichen Strukturprobleme einstellen wird, und daß dies zu einer großen europäischen Belastungsprobe werden kann, da angesichtsfehlender Produktivitätsangteichung "Finanztransfers in enormen Dimensionen sich zu verstetigen drohen (Dauertropf)"8• Er verweist darauf, daß der bisherige schrittweise Integrationsprozeß Westeuropas, trotz vielfaltiger Anstrengungen und Finanztransfers, es bislang nicht vermochte, die beachtliche regionalen Divergenzen zu beseitigen. "Im Gegenteil: Die räumliche Agglomeration von Industrie und Dienstleistungen und die gleichzeitige Entleerung der agrarisch-ländlichen und abgelegenen dünn besiedelten ländlichen Räume hatdie Wertschöpfung nachhaltig und über weite Strecken immerstärker auf die von Südengland über die Benelux-Staaten, Nordostfrankreich und die gesamte Rheinschiene bis nach Oberitalien reichende sog. ,blaue Banane' konzentriert, während die davon abgelegenen Gebiete im Norden, Westen und vor allem im Süden immer weiter zurückfielen ' 69 • J ochimsen schließt die grundsätzliche Möglichkeit einer wirtschaftlichen Integration zwar nicht aus, ist aber, was Tempo und rasche Realisierung einer solchen Integration betrifft, Realist und Skeptiker geblieben. Im folgenden ist zu prüfen, inwieweit sich dies mit der Entwicklung der sog. neueren Konvergenzforschung deckt.

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R. Jochimsen, S. 79. Vgl. G. Myrdal, Economic Theory and Under-developed Regions. London 1957, bzw. Ökonomische Theorie und unterentwickelte Gebiete. Stuttgart 1960. Vgl. R. Jochimsen [II], Perspektiven der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. 2. Auflage, Baden-Baden 1998, S. 68. R. Jochimsen [II], S. 68. R. Jochimsen [II], S. 83.

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2. Die Integrationsforschung auf dem Weg vom Konvergenzoptimismus zum Konvergenzpessimismus 2.1. Zum Neubeginn der Konvergenzdebatte in der Nachkriegszeit

Blickt man auf die Nachkriegszeit zurück, so gilt, daß das Konvergenz- oder Integrationsthema in Politik und Regionalforschung zunächst eher zweitrangiger Natur war. Dies hatte verschiedene Gründe. Erstens ist darauf zu verweisen, daß Verteilungsfragen - seien es Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung, aber auch der Bekämpfung regionaler Disparitäten -erst im Lauf der sechziger Jahre wieder politisches und wissenschaftliches Interesse fanden. Alles war zunächst auf die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten und, in der Sprache von Jochimsen, auf die Verbesserung des Entwicklungsniveaus ausgerichtet. Die großen Kriegszerstörungen, die räumliche Unterbringung gewaltiger Flüchtlingsströme sowie die Tatsache, daß sich der rasche Wiederaufbau und der Aufschwung Deutschlands zunächst auf die alten Verdichtungsgebiete konzentrierte, führte darum schnell zur Wiederherausbildung des "klassischen" Stadt-Land-Gefälles sowie zur Entstehung teilungsbedingter Notstandsgebiete. Erstnach Erreichung der gesamtwirtschaftlichen Vollbeschäftigung rückte das Integrations- oder Konvergenzthema, d.h. die Frage, wie man den wirtschaftlichen Rückstand mancher Gebiete abbauen und die räumliche Varianz der Wohlstandssituation - zumeist gemessen anhand des Durchschnittseinkommens sowie der Arbeitslosigkeit reduzieren könne, wieder stärker in den Mittelpunkt der wirtschaftspolitischen Diskussion. Zweitens sollte man nicht übersehen, daß die deutsche Regionalforschung bis in die sechziger Jahre hinein noch in starkem Maße mikroökonmisch ausgerichtet war und sich vor allem fürdie Standortgesetzmäßigkeiten bestimmter Wirtschaftsbereiche- etwades Dienstleistungssektors oder der Industrie- interessierte. Anspruchsvolle Lehrbücher dieser Zeit, etwa jene Müllers oder Edwin von Böventers 10 , brachten Einführungen in verschiedenene Standorttheorien, Theorien der Bodenpreisbildung und der Bodennutzung sowie Theorien der Strukturen im Raum, boten aber wenig Hypothesen über die Zusammenhänge von Wirtschaftswachstum und Regionalstruktur. Keynesianisch und makroökonomisch ausgerichtete Bücher wie etwajenes von Siebert11 waren noch Seltenheit.

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Vgl. etwa J.H. Müller, Wirtschaftliche Grundprobleme der Raumordnungspolitik. Berlin 1969; E. v. Böventer, Theorie des räumlichen Gleichgewichts. Tübingen 1962; E.v. Böventer, Standortentscheidung und Raumstruktur. (Abhandlungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Band 76.) Hannover 1979. Vgl. H. Siebert, Regionales Wirtschaftswachstum und interregionale Mobilität. Tübingen 1970.

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Drittens ist zu beachten, daß es bis in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hinein die transportkostenempfindliche Schwerindustrie war, die die Raumstruktur prägte. Zwangsläufig mußte den Transportkosten und ihrer raumprägenden Kraft besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Erst im Gefolge des Vordringens "fußloser" Industriezweige, das sind transportkostenunempfindliche und nicht standortgebundene Bereiche (etwa Maschinenbau, Elektrotechnik, Kunststoffverarbeitung usw. ), eröffnete sich ein größerer Spielraum füreine räumliche Mobilisierung von Realkapital und damit auch für eine Übertragung wachstumstheoretischer Überlegungen auf die räumliche Ebene. Die regionale und gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit bzw. der regionale Kapital- und Arbeitskräftebestand wurden in den meisten Modellen zu den zentralen Variablen. Die Realität gab damals einer solchen Betonung des Realkapitals recht. Denn in den sechziger Jahren drängte ein auf Kapazitätserweiterungen ausgerichtetes Investitionskapital aus den deutschen Großstädten und Verdichtungsgebieten mit ihren zumeist leergefegten Arbeitsmärkten heraus und ging in Räume, in denen offene Arbeitslosigkeit bestand bzw. noch mobilisierbareArbeitskraftreserven vermutet wurden 12 • Immermehr schien es möglich, diesen Kapitalstrom durch selektive Anreize räumlich zu lenken und darum regionalpolitisch zu nutzen. Dies gab der Konversionsforschung in Deutschland gewaltigen Auftrieb, war es doch ihre Aufgabe, die Zusammenhänge zwischen Wachstum und räumlicher Verteilung bzw. zwischen wirtschaftlicher Integration und räumlicher Wohlstandsentwicklung zu analysieren. Unter globalen Aspekten steht hierbei die Frage im Vordergrund, unter welchen Bedingungen sich im Gefolge weltwirtschaftliehen Wachstums die Kluft zwischen armen und reichen Nationen zu schließen vermag; unter europäischen oder innerdeutschen Integrationsaspekten interessiert, ob die Herausbildung größerer Wirtschaftsräume- etwa im Rahmen der politisch gewollten europäischen Integration - innerhalb solcher (politisch gewollter) Räume zu sinkenden oder zu steigenden regionalen Disparitäten führt; unter regionalpolitischen Überlegungen steht die Frage an, inwieweit sich angesichts beobachtbarer Gesetzmäßigkeiten (etwa der Globalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft) die Entwicklungschancen rückständiger Gebiete regionalpolitisch verbessern Jassen. 12

Vgl. etwa H.D. Hoppen, Industrieller StrukturwandeL Eine empirische Untersuchung der sektoralen und regionalen Veränderungen im Sekundärbereich der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 1979; E. Nieth, Industriestruktur und regionale Entwicklung. Eine theoretische und empirische Untersuchung der BRD 1960-1972. Berlin 1979. V gl. auch Freund, U. und G. Zabel, Regionale Wirkungen der Wirtschaftsstrukturförderung. (Schriftenreihe "Raumordnung" des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Heft 06.023.) Bonn 1978; H. Krist und G. Walker, Die Berücksichtigung regionaler Investitionsanreize in Unternehmerischen Investitionsentscheidungen. "Informationen zur Raumentwicklung", Bonn, Jg. 1980, Heft 6, S. 345ff.

Wandel in der Konvergenzforschung

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2.2. Einfache Theorieamätze

Blickt man auf die sechzigerund frühen siebziger Jahre zurück, herrschte bei vielen Regionalforschern zunächst ein beachtlicher Konvergenzoptimismus vor. Er beflügelte auch den Aufbau einer ausgleichsorientierten Regionalpolitik, da er gesamtwirtschaftliches Wachstum bei gleichzeitigem Abbau interregionaler Wohlstandsdisparitäten versprach. Dieser Optimismus beruhte auf den damals vorherrschenden produktionstheoretischen Annahmen bzw. der wachstumstheoretischen Argumentationsweise der sechziger Jahre 13 • Gemäß dieser Betrachtungs- und Argumentationsweise unterstellte man in der Regel für alle Regionen tendenziell gleiche Produktionsfunktionen (zumeist vom Cobb-Douglas-Typ) und erklärteunter Zugrundelegung substituierbarer Produktionsfaktoren - regionales Wachstum primär über die exogen vorgegebenen Wachstumsraten der Arbeit und des technischen Fortschritts sowie die (als politisch beeinflußbar geltende) Kapitalintensität der Produktion bzw. die regionale Infrastrukturausstattung 14 • Regionale Einkommensunterschiede konnten bei einer solchen Sichtweise bzw. bei solchen Annahmen nur Folge einer unterschiedlichen räumlichen Anfangsausstattung mit Produktionsfaktoren, insbesondere aber mit Realkapital sein. Durch Lenkung von Kapital in Gebiete mit Entwicklungsrückstanden schien es bei einer solchen Sichtweise möglich, das Verhältnis von Kapital zu Arbeit (Kapitalintensität) zu verändern, um auf diese Weise zu einer Steigerung der jeweiligen regionalen Arbeitsproduktivität und damit zu einer interregionalen Einkommensangleichung zu kommen 15 • Aus einer solchen Argumentationsbasis ergab sich fast zwangsläufig

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Vgl. dazu ausführlich etwa G.H. Borts und J.L. Stein, Economic Growth in a Free Market. New York und London 1964; E. v. Böventer, Theorie des räumlichen Gleichgewichts. (Schriften zur angewandten Wirtschaftsforschung, Band 5.) Tübingen 1962; teilweise auch H. Siebert, Regionales Wirtschaftswachstum und interregionale Mobilität, (Schriften zur angewandten Wirtschaftsforschung, Band 11.) Tübingen 1970. Vgl. auch die Argumentation bei R. Solow, A Contribution to the Theory of Economic Growth. "Quarterly Journal of Economics", Cambridge, vol. 70 (1956), S. 65ff.; D. Cass, Optimum Growth in an Aggregative Model of Capital Accumulation. "Review of Economic Studies", Edinburgh, vol. 32 (1965), S. 233ff. Vgl. auch P. Velsinger und R. Lienkamp, Raumwirtschaftslehre. In: H.W. Jenkis (Hrsg.), Raumordnung und Raumordnungspolitik. München 1996, S. 23ff. Dies war vor allem die Argumentationsweise von Marx sowie von Thoss; vgl. D. Marx, Wachstumsorientierte Regionalpolitik. Göttingen 1966; R. Thoss, Ein Vorschlag zur Koordinierung der Regionalpolitik in einer wachsenden Wirtschaft. "Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik", Stuttgart, Band 182 (1968/69), S. 490ff.; R. Thoss, M. Strumann und H.M. Bölting, Zur Eignung des Einkommensniveaus als Zielindikator der regionalen Wirtschaftspolitik. Münster 1974; R. Thoss, Steuerungsprobleme der Strukturpolitik. "WSI-Mitteilungen", Köln, Jg. 29 (1976), S. 723ff. Vgl. dazu auch D. Cass, S. 233ff.; H.J. Schalck, Die Bestimmung regionaler und sektoraler Produktivitätsunterschiede durch Schätzung von Produktionsfunktionen. Münster 1976;

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Paul Klemmer

die Forderung nach einer kapitalorientierten Regionalpolitik, d.h. nach einer Politikkonzeption, wie sie die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur"lange bestimmte. Die damalige Diskussion war von dem Grundgedanken getragen, die Ziele gesamtwirtschaftliches Wachstum und räumlicher Ausgleich im Sinne des Konvergenzanliegens miteinander zu versöhnen. Dies entsprach auch dem "verfeinerten Entwicklungsbegrifr' von J ochimsen, gemäß demder Entwicklungsstand durchdas Niveau und die Integration der wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt wird. Da man damals den Konvergenzoptimismus der neoklassischen Theorie teilte, ging es primär nur noch um die Frage, auf welcher Ebene - etwa definiert über die Mindestgrößeder Regionszentren bzw. ihrer Einzugshereiche-eine solche Zielharmonie am ehesten möglich erschien. Die Konvergenzmöglichkeit selbst wurde jedoch nicht in Zweifel gezogen. 2.3. Komplexere Ansätze

Der Konvergenzoptimismus der sechzigerund frühen siebziger Jahre ist inzwischen vergangen. Zwar gelangt man auch in der neueren Regionalforschung bei wachstumstheoretischer Argumentationsweise immer noch zu Konvergenzprozessen; diese können jedoch unterschiedliche Formen (absolute und relative Konvergenz) annehmen 16 und sind vor allem- was früher weitgehend vernachlässigt wurde, aber eher der Sichtweise von Jochimsen entspricht- mit beachtlichen Zeitbedarfen verbunden. Unter bestimmten Annahmen können Konvergenzprozesse sogar ausbleiben17. Zwei Regionen, deren Technologien und Spar- bzw. Investitionsquoten neben den exogenen Wachstumsraten der Bevölkerung und des technischen Fortschritts identisch sind, entwickeln sich danach bei divergierender Anfangsausstattung mit Realkapital auf unterschiedlichen Wachstumspfaden, tendenziell weist die zurückhängende Region aber in der Regel die höheren Wachstumsraten auf, d.h.

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P. Klemmer, R. Thoss, H. Mentrup und F. Plogmann, Zur Konsistenz von Agrar-, Energie- und Verkehrspolitik mit der regionalen Wirtschaftspolitik. Münster 1978; Eine erste kritische Würdigung findet sich bei P. Klemmer, Anspruch und Wirklichkeit der regionalen Strukturpolitik. In: H. Besters (Hrsg.), Strukturpolitik- wozu? BadenBaden 1978, S. 25ff. Absolute Konvergenz heißt, daß die rückständigeren Regionenhöhere Wachstumsraten haben und darum - teilweise aber nur bei extrem langfristiger Betrachtung aufholen können, bei relativer Konvergenz hingegen nimmt nur die Streuung der regionalen Wohlstandsunterschiede ab. Vgl. auch J. Oosterhaven, Regional Convergence and/or Concentraio: an Overview. In: C. Sorensen (Ed.), Empirical Evidence of Regional Groth: The Centre-Periphery Discussion. Kopenhagen 1997, S. 28ff.

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Konvergenz ist noch möglich 18 • Kenntdie reichere Regionjedoch eine höhere Sparund Investitionsquote oder vermag sie aufgrund ihres Wohlstandvorsprungs ihr Humankapital wanderungsbedingt aufzustocken, gelangtman zu unterschiedlichen Konvergenzgeschwindigkeiten bzw. sogar zum Fall nicht-konvergierender Regionen. Schätzungen von Barro und Sala-i-Martin für unterschiedliche Regionen- und Ländergruppen kamen auf der Basis solcher Modelle zum Ergebnis, daß die Konvergenzperioden bei aufholendem Wachstum zumeist sehr lang sind 19• Analysen für Deutschland und unterschiedliche Zeitabschnitte zeigten außerdem, daß die sog. Konvergenzkoeffizienten im Zeitablauftendenziell sinken20 und demzufolge von einer immer stärkeren Verlängerung der Konvergenzperioden auszugehen ist21 • So wurden aufgrund der begrenzten Absorptionskapazität der Realwirtschaft für investive Mittel für den Aufholprozeß der neuen Bundesländer Konvergenzperioden von über 25 bis 30 Jahren prognostiziert. Die bereits so zum Vorschein kommende Konvergenz- oder Integrationsproblematik verschärft sich weiter, wenn man aufModelleder endogenen Wachstumstheorie- etwa die innovationsbasierten Ansätze von Grossman und Helpman 22 zurückgreift oder von stark divergierenden kulturellen, technologischen und geographischen Gegebenheiten ausgeht23 • Dann gelangt man schnell zu nicht-konvergierenden Wachstumspfaden. 18

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22

23

Vgl. die knappe Darstellung bei E. Jahn und T. Wagner, Wachstum und Konvergenz. "WISU- Das Wirtschaftstudium", Köln und Düsseldorf, Jg. 25 (1996), S. 775ff. Vgl. R. Barro and X. Sala-i-Martin, Convergence across States and Regions. "Brookings Papers on Economic Activity", Washington, D.C., vol. 1991, no. 1, S. 107ff.; R. Barro and X. Sala-i-Martin, Convergence. "Journal ofPolitical Economy", Chicago, vol. 100 (1992), S. 223ff., R. Barro and X. Sala-i-Martin, Economic Growth. New York 1995; R. Barro, Economic Growth in an Cross Section of Countries. "Quarterly Journal ofEconomics", vol. 106 (1991), S. 407ff. Je höher die Konvergenzkoeffizienten sind, desto schneller erfolgt ein Disparitätenabbau. Vgl. B. Herz and W. Röger, Economic Growth and Convergence in Germany. "Weltwirtschaftliches Archiv", Tübingen, Band 131 (1995), S. 132ff.; H. Seitz, Konvergenz: Theoretische Aspekte und empirische Befunde für westdeutsche Regionen. "Konjunkturpolitik", Berlin, Jg. 41 (1995), S. 168ff.; K. Lammers, Regionale Struktur- und Wachstumsunterschiede in der Bundesrepublik- Wo steht Ostdeutschland? "Weltwirtschaft", Tübingen, Jg. 1994, Heft 2, S. 177ff. Vgl. G.M. Grossman and E. Helpman, Innovation and Growth in the Global Economy. Cambridge 1991; vgl. auch M. Stolpe, Ansätze der neuen Wachstumstheorie- ein Literaturüberblick. (Kieler Arbeitspapiere, Nr. 508.) Kiell992. Zu Untersuchungen dieser Art für Deutschland vgl. K.D. Grüske und J. Lohmeyer, Außerökonomische Faktoren und Beschäftigung. Eine Fallstudie für die Arbeitsamtsbezirke Leer und Balingen. Gütersloh 1990; M. Miegel unter Mitwirkung von R. Grü-

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Paul Klemmer

Bereits die klassische Agglomerationsforschung hatte auf die siedlungsstrukturelle Abhängigkeit des technischen Fortschritts aufmerksam gemacht, nur war es schwer gewesen, hieraus tragfahige Hypothesen abzuleiten. Insofern greift die endogene Wachstumstheorie klassisches Gedankengut der Regionalforschung auf, indem sie darauf aufmerksam macht, daß Agglomerationsvorteile regionale Skaleneffekte induzieren, die eine Zementierung räumlicher Disparitäten bewirken. Dies ist letztlich ein Gedankengang, der sich bereits in der "Theorie der Infrastruktur" von Jochimsen findet2 4 Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, die Ergebnisseder Innovationsforschung, insbesondere bezüglich der Entstehung, der Ausbreitung und der Adaption neuen Wissens, in die Regionalforschung zu integrieren25 • Sollten die Innovationsunterschiede, wofür manches spricht, besonderen Einfluß auf die Regionalentwicklung haben, dann hätte dies auch Konsequenzen für die regionale Wirtschaftspolitik. Unterstellt man nämlich, es gäbe die Möglichkeit einer Innovationsbeeinflussungetwa über den Aufbau oder die Förderung von (regionalen) Forschungsnetzwerken -, müßte die kapital- durch eine innovationsorientierte Regionalpolitik abgelöst oder zumindest um eine solche ergänzt werden 26 • 2.4. Konvergenzimplikationen neuer tertiärer Wachstumswellen

Damit ist man aber auch bei der Frage, ob sich mit der beobachteten Tertiärisierung der Wirtschaft nicht neue Konvergenz- und Divergenztendenzen verbinden. Unter dem Tertiärsektor verbergen sich unterschiedliche Teilbereiche mit teil weisen Divergenzen bezüglich Nachfrage, Arbeitsproduktivität, Entlohnung, Qualifikationsanforderungen an die Arbeitskräfte usw. Dies gilt auch für die Arbeitsproduktivität, die man lange Zeit aufgrund der im Dienstleistungsbereich angeblich geringeren Mechanisierungsmöglichkeiten im Vergleich zur Industrie als unterdurch-

24

25

26

newald und K.-D. Grüske, Wirtschafts- und arbeitskulturelle Unterschiede in Deutschland. Zur Wirkung außerökonomischer Faktoren auf die Beschäftigung. Gütersloh 1991. Zur Frage der Einbeziehung der neueren Wachstums- und Standorttheorie vgl. auch J. Bröcker, Regional Policy Lessons from New Theories of Growth and Location. In: C. Sorensen (Ed.), S. 48ff..; P. Krugman, Geography and Trade. London 1991. Vgl. R. Jochimsen [I], S. 68ff. Vgl. etwa M.J. Boskin and L.J. Lau, Capital, Technology, and Economic Growth. In: N. Rosenberg, R. Landau and D.C. Mowery (Eds.), Technology and the Wealth of Nation. Stanford 1993, S. 17ff.; P. Krugman, Increasing Returns and Economic Geography. "Journal ofPolitical Economy", vol. 99 (1991), S. 483ff.; U. Walz, Dynamics of Regional Integration. Habilitationsschrift, Mannheim 1995, noch unveröffentlicht. Vgl. P. Feldotto, Regionales Innovationsmanagement unter den Bedingungen einer regionalisierten Strukturpolitik- Das Beispiel der altindustriellen Regionen Nord-Pasde-Calais und Emscher-Lippe. (Schriftenreihe des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Heft 60.) Berlin 1997.

Wandel in der Konvergenzforschung

41

schnittlieh ansah, oder die Einkommens- und Preiselastizität der Nachfrage, die generell als hoch charakterisiert wurde. Gleichzeitig postulierte man in der Vergangenheitaufgrund der begrenzten Transportfähigkeit eine starke Abhängigkeit von der regionalen Nachfrage (regionale Gebundenheit) 27 und unter internationalen Aspekten einen geringeren Wettbewerbsdruck. Letzteres ist jedoch nicht mehr haltbar. Innerhalb des Dienstleistungssektors schält sich nämlich eine beachtliche Differenzierung heraus, und die Bindung an die regionale Nachfrage nimmt, was die Konvergenzdebatte entscheidend beeinflussen kann, ab. Aus einem "dienenden" Sektor wird in vielen Fällen ein impulsgebender Sektor, der Basischarakter hat und sich zunächst vor allem in Agglomerationsräumen entfaltet. Die einzelnen Dienstleistungen weisen durchaus unterschiedliche Produktivitätstrends auf. Dies hat verschiedene Ursachen. Eine eher unterdurchschnittliche Produktivität kennen z.B. viele regional orientierte Dienstleistungen28 auf; sie unterliegen zumeist einem geringeren Wettbewerbsdruck, sind häufig personenorientiert bzw. arbeitsintensiv und besitzen in der Regel nur einen geringen Mechanisierungsspielraum. Diese Dienstleistungen entsprechen zumeist der klassischen Vorstellung von Tertiär- bzw. Nichtbasisaktivitäten und verlangen für ihre Realisierung vielfach auch persönlichen Kontakt (so etwa bei den Friseur-, Arzt- oder Pflegeleistungen). Angesichts der Tatsache, daß die Nachfrager sich wegen der Nichttransportierbarkeit bzw. der mangelnden Lagerfähigkeit solcher Leistungen zum Angebotsort hin bewegen müssen, lassen sich die Anbieter solcher Leistungen zumeist im Mittelpunkt potentieller Markt- oder Absatzgebiete nieder. Insofern werden sie häufig auch als zentrale Dienste oder Funktionen charakterisiert und zur Zentralitätsmessungvon Orten herangezogen. Siedominieren in beachtlicher Weise bei den haushaltsorientierten Diensten bzw. bei den in den privaten Haushalten Beschäftigten. Dies verlangt eine enge räumliche Bindung an die Nachfrager. Das geringe Produktivitätspotential bei der Leistungserstellung kommt vor allem bei den haushaltsorientierten Dienstleistungen zum Ausdruck. Die Leistungen sind individuell zugeschnitten und nur bedingt standardisierbar. Zwangsläufig schlägt sich dies in einer geringen Arbeitsproduktivität nieder. Aufgrund dessen muß- vor allem bei hoher Preiselastizitätder Nachfrage- auch zumeist die Entlohnung dieser Dienste unterdurchschnittlich ausfallen oder steuerlich attraktiv gemacht werden (etwa ganze oder partielle Abzugsfähigkeit der Kosten der Leistungserstellung), 27

28

Dies ist eine klassische Hypothese der Regionalforschung, die weite Teile des Dienstleistungsbereichsals "non-basic", d.h. als vom Sekundärbereich und von der regionalen Nachfrage abhängig ansah. Das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel spricht in der Regel von "gebundenen Dienstleistungen"; vgl. H. Klodt, R. Maurer und A. Schimmelpfennig, Tertiarisierung in der deutschen Wirtschaft. (Kieler Studien, Band 283.) Tübingen 1997,

s. 30.

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damit sie nachgefragt werden. Ist dies nicht der Fall, gehen Arbeitsplätze verloren oder werden von vornherein nicht angeboten. Zu diesen Dienstleistungen zählen weite Bereiche des Groß- und Einzelhandels, des Verkehrs, des Gastgewerbes, der Heime, des Bildungswesens oder des Kultur-, Gesundheits- und Veterinärwesens. Diese Bereiche sind zwar unter Beschäftigungsüberlegungen interessant, spielen aber im Rahmen der Konvergenzdebatte keine Rolle. Hiervon unterscheiden sich jene Dienstleistungen, die für ihre Realisierung keinen persönlichen Kontakt (mehr) verlangen. In ihrem Mittelpunkt steht vielfach die Erstellung und Sammlung, die Auswertung und Weiterverarbeitung sowie die Vermittlung von Informationen. Hier haben sich inzwischen deutliche Produktivitätsspielräume eröffnet, die auch hohe Entlohnungen gewährleisten. Die Qualifikationsanforderungen an die Arbeitskräfte sind teilweise beachtlich, die Bindung an die regionale Nachfrage sinkt aber. Gerade dieser Bereich ist von besonderer Dynamik, wobei man annimmt, daß der Anteil dieser Dienstleistungen (gemessen an den Erwerbstätigen des Dienstleistungssektors insgesamt, ohne Staat) bereits bei einem Drittel liegt. Hier wird nicht mehr der Bevölkerung oder anderen Unternehmen versorgungsmäßig gedient, hier werden vielmehr Güter produziert, die - was entscheidend ist - Basischarakter haben und zu wichtigen und eigenständigen Impulsgebern wirtschaftlicher Entwicklung werden. Sie treten primär in den Ballungs- und Verdichtungsgebieten auf und können deren Funktion stärken. Dies würde wiederum die Konvergenztendenzen schwächen. Um die Bedeutung dieser Dienstleistungen besser zu verstehen, muß man einen Blick auf die Erklärung ihrer Expansion werfen. Diese hat mehrere Gründe: Die klassische Begründung der Dienstleistungsexpansion geht davon aus, daß bei diesen eine Einkomenselastizität der Nachfrage von größer als eins vorliegt. Dafür spricht zunächst die Tatsache, daß sich der Anteil der Dienstleistungskäufe der privaten Haushalte erhöht hat und derzeit bei etwa 30 vH liegt. Trotzdem sinkt die Bedeutung der privaten Haushalte als Nachfrager und lmpulsgeber. So kann man nachweisen, daß vor allem von der Vorleistungsnachfrage der Unternehmen die stärksten Zuwächse ausgehen; z.B. beziehen der primäre und sekundäre Sektor inzwischen rd. 50 vH ihres Produktionswertes aus dem Dienstleistungssektor. Er ist für viele darum der entscheidende Impulsgeber für den Dienstleistungssektor. Die Dienstleistungsintensität der Produktion ist also insgesamt gestiegen; die steigende Komplexität der Produkte sowie der verschärfte Wettbewerb zwingen zu deren vermehrten Einsatz, d.h. Produkte des Sekundärbereichs werden tertiarisiert. Immer mehr Industriebetriebe betonen, sie würden keine Güter, sondern Problemlösungen verkaufen, was eine Kombination mit Dienstleistungen verlangt. Im Anlagenbau war das schon immer stark verbreitet, allmählich werden aber immer mehr Industriebereiche von diesem Trend erfaßt. Dies hat auch zu einer Änderung der Arbeitsinhalte geführt: Das

Wandel in der Konvergenzforschung

43

industriespezifische Humankapital wurde teilweise entwertet, das dienstleistungsspezifische aufgewertet. Teilweise entstanden neue Berufe mit relativ hohen Anforderungen. Dieser Typ von Dienstleistungen orientiert sich in seiner räumlichen Verteilung in beachtlicher Weise an der industriellen Standorttindung - und gibt damit zunächst wenig Anlaß für eine neue Konvergenzdebatte. Denkbar ist auch, daß die Nachfrage durchaus einkommensunelastisch ist, aber Haushaltstypen auf dem Vormarsch sind, die überproportional Dienstleistungen nachfragen, d.h. bei jedem Einkommensniveau mehr als andere Haushalte Dienstleistungen beziehen. Dies ist unter Konvergenzüberlegungen dann interessant, wenn diese Haushaltstypen an Bedeutung für die Nachfrage gewinnen und sich regional ungleich verteilen. Hier gibt es noch Forschungs bedarf. Wichtig ist auch die Outsourcing-Hypothese; danach werden ehemals selbst erstellte Dienstleistungen zunehmend von außen bezogen bzw. aus Großunternehmen ausgegliedert. Auf diese Weise (steigende Arbeitsteilung) will man Größen- und Spezialisierungsvorteile nutzen und effizienter arbeiten. Es kommt zu einer Verschlankung der Produktion im Industriebereich. Tendenziell scheint dieser Prozeß vor allem in großbetrieblich geprägten Ballungsräumen eine Rolle zu spielen. Von größtem Interesse für die Konvergenzdiskussion ist jedoch die sog. Innovationshypothese. Sie überschneidet sich teilweise mit der genannten Hypothese der zunehmenden Verflechtung von Sekundär- und Tertiärbereich, muß jedoch besonders hervorgehoben werden. Der technische Fortschritt schafft nämlich losgelöst von der (regionalen) Nachfrage neue Spielräume für eine Tertiarisierung. Die Entwicklungen im Bereich der Datenverarbeitung und der Telekommunikation haben die Kosten der Informationsbeschaffung, -sarnmlung und -Verarbeitung gewaltig gesenkt. Wenn das Gut oder der Produktionsfaktor der Zukunft "Information" heißt, hat das Konsequenzen für die Bedeutung der Produktionsfaktoren, Technologien, Managementsysteme, Organisationsstrukturen von Unternehmen usw. Betont man diese Innovationshypothese, bekommt die Konvergenz eine neue Dimension: Dann stellt sich heraus, daß sich bestimmte Dienstleistungen zu Basisbereichen entwickeln, die neue Wachstumswellen auslösen. Die Entstehung und Verteilung dieser Aktivitäten und Arbeitsplätze scheint sich aber auf bestimmte Räume, nämlich Großstädte und Ballungsräume, zu konzentrieren. Damit würden das klassische Stadt-Land-Gefalle verschärft und die Konvergenzchancen sinken. Kommt es im Gefolge der Tertiarisierung zum Schwinden oder zur Erosion der industriellen Basis? Dies ist nach Auffassung vieler Analysen demeueren Struktur-

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Paul Klemmer

forschung eine Fehlinterpretation. Noch immer machen Industrieprodukte die Schwerpunkte des Exports aus, aber es sind tertiarisierte Industrieprodukte. Über Vorleistungsverflechtungen üben Industrieprodukte immer noch eine motorische Funktion auf andere Industriebetriebe sowie den Tertiärsektor aus. Generell gilt, daß die verschiedenen Wirtschaftsbereiche immer stärker miteinander verflochten bzw. vernetzt sind und die klassische Sektoraleinteilung immer weniger aussagekräftig wird. Tertiarisierung bedeutet auch nicht unbedingt, daß industrielle Güter durch tertiäre verdrängt werden; neue Güter- etwa tertiarisierte Industrieprodukte- sind entstanden bzw. neue Dienstleistungsaktivitäten treten neben Industrieprodukte. Immer stärker rückt der Einsatz intelligenter Vorleistungen in den Vordergrund und entstehen tertiäre Basisaktivitäten. Bezüglich des künftigen Wirtschaftswachstums und damit auch der räumlichen Arbeitsplatzentwicklung einer Volkswirtschaft konkurrieren gegenwärtig vor allem zwei "Visionen" miteinander. Eine erste, eher pessimistische, geht davon aus, daß reife Volkswirtschaftenihren Wachstumsgipfel überschritten haben und Sättigungstendenzen aufweisen. Dies verbindet sich zwangsläufig mit der Vorstellung, daß kein entscheidender Arbeitsplatzzuwachs mehr erwartet werden kann, die Beschäftigungsmöglichkeiten stagnieren. Häufig paart sich diese Vision mit der These von den Grenzen des Wachstums bzw. mit der eher ökologisch fundierten Vorstellung, eine Wachstumsstrategie zur Steigerung des Arbeitsplatzangebots widerspräche dem Nachhaltigkeitspostulat und sei unter Umweltschutzüberlegungen kontraproduktiv. Dieser Einschätzung steht eine eher wachstumsoptimistische Sichtweise entgegen. Danach hat sich die wirtschaftliche Entwicklung immer in größeren Wellen abgespielt, die durch bestimmte technologische Schübe geprägt wurden. Der Übergang von der einen zur anderen Wachstumswelle war immer mit temporären Einbrüchen der Wachstumsraten sowie mit neuen räumlichen Konvergenz- und Divergenztendenzen verbunden. Für manche stehen wir gegenwärtig an der Schwelle zur mikroelektronischen Revolution, die die Wirtschaft noch nicht in ihrer vollen Breite erfaßt hat, aber gegenwärtig dabei ist, insbesondere den Dienstleistungsbereich zu prägen, indem sie dort neue Beschäftigungsfelder erschließt, zu einer stärkeren Vernetzung der Sektoren ( netzwerkorientierte Informationsgesellschaft) führt, die die überkommene Sektoralgliederung teil weise obsolet macht, und vor allem auch die Arbeitsmarktgegebenheiten stark wandeln wird. Den Ballungsund Verdichtungsräumen kann bei der Einführung dieserneuen Produktlebenszyklen eine besondere Aufgabe zukommen. Dies würde aber bedeuten, daß sich in der Einführungsphase vor allem Divergenztendenzen durchsetzen werden.

2.5. Untersuchungsmethoden

Man muß in diesem Zusammenhang jedoch beachten, daß die empirische Analyse von Konvergenz- und Divergenzprozessen mit vielfältigen Schwierigkei-

Wandel in der Konvergenzforschung

45

ten verbunden ist29 • Je stärker man nämlich auf die regionale Ebene Bezug nimmt, desto dünner wird in der Regel die Datenbasis. Insbesondere bereitet die Schätzung regionaler Produktionsfunktionen große Probleme. Dies erschwert vor allem die Überprüfung des neoklassischen Hypothesenvorrats. Überraschenderweise wird bei den meisten empirischen Analysen dieser Art auch das Regionalisierungsproblem weitgehend vernachlässigt. So sollte man- was häufig übersehen wird- stets mit Regionen arbeiten, die das räumliche Zusammenwirken der Produktionsfaktoren verdeutlichen, um Verzerrungseffekte zu vermeiden30. Da Realkapitalbestände urid Böden (Flächen) immobil sind, wird das Zusammenwirken der Produktionsfaktoren am besten über die Berufspendlerverflechtung, d.h. über Arbeitsmarktregionen zum Ausdruck gebracht. Analysen, die allein auf der Kreis-, Länder- und Regierungsbezirksebene erfolgen, sind darum durch Verzerrungen (Nivellierungs- und Differenzierungseffekte) gekennzeichnet. Arbeitsmarktregionen lassen sich in Deutschland über Kreisaggregate approximieren, wobei in vielen Fällen die Ländergrenzen überschritten werden. Da sich die Einzugsbereiche vieler Arbeitsmarktzentren im Zeitablauf-etwa als Folge gestiegener räumlicher Mobilität- verändern, müßte im Grunde mit variablen Regionsabgrenzungen gearbeitet werden. Solche "Feinheiten" werdenjedoch in der Regel noch nicht berücksichtigt. Noch schwieriger wird das Regionalisierungsproblem, wenn man innovationsorientierte Ansätze testen will, da man hier Innovationsnetzwerke räumlich abzubilden hat, was -losgelöst vom heterogenen Hypothesenvorrat -besondere Datenprobleme aufwirft.

3. Zusammenfassung Wie zu sehen war, hat sich in der Konvergenzforschung trotz ihrer Vielfalt ein Wandel vollzogen. Der Konvergenzoptimismus der sechziger Jahre ist geschwunden und hat eher einem Konvergenzskeptizismus Platz gemacht. In neoklassischer Tradition wurden die beachtlichen Zeitbedarfe sichtbar, in Verbindung mit der neueren Wachstumstheorie wurde deutlich, daß vor allem bei einem siedlungsstrukturabhängigen technischen Fortschritt, wofür vieles spricht, Konvergenzprozesse auch unterbleiben können. Geht man schließlich zur Vorstellung von den langen Wachstumswellen über und unterstellt das Aufkommen einerTertiärisierungswelle, 29

30

Zu den Schwierigkeiten der Konvergenzmessung vgl. D. Quah, Galton's Fallacy and Tests of the Convergence Hypothesis. In: T.M. Anderson and K.O. Moene, Endogenous Growth. "Scandinavian Journal of Economics", Stockholm, vol. 95 ( 1993), no. 4 (Sonderheft), S. 437ff.; H.G. Helmstädter, Regionale Struktur und Entwicklung der Industriebeschäftigung: Konzentartion oder Dekonzentration. (Seminarberichte der Gesellschaft für Regionalforschung, Nr. 37.) Heidelberg 1996, S. 75ff. Vgl. auch J. Monnesland, European and Norwegian Evidence of Regional Growth: The Centre-Periphery Discussion. In: C. Sorensen, S. 72ff.

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in deren Mittelpunkt Tertiärprodukte mit Basischarakter stehen, wird die ZentrumPeripherie-Diskussion sicherlich neuen Auftrieb erfahren, da bei einer solchen Zukunftmit größter Wahrscheinlichkeitdie Ballungs- und Verdichtungsgebiete eine Aufwertung erfahren werden. Damit wurde deutlich, daß Jochimsen in seiner zurückhaltenden Einschätzung der Integrations- und Konvergenzchancen von Regionen bereits in den sechziger Jahre richtig lag. Er hat keinen Anlaß, seine Grundhypothesen zu revidieren.

Stochastische Optimierung von Infrastrukturinvestitionsprogrammen Von Peter Treuner

1. Grundprobleme einer optimalen Allokation von Finanzierungsmitteln für Infrastrukturinvestitionsprogramme Infrastruktur - in dem von Jochimsen definierten umfassenden Sinne von materieller, personaler und institutioneller Infrastruktur 1 - ist unter anderem immer durch ihre externen Effekte2 gekennzeichnet. Neben den in den letzten Jahren im Zuge von Deregulierungs- und Privatisierungsbemühungen in den Vordergrund des Interesses getretenen Problemen einer wirtschafts- und entwicklungsgerechten Abgrenzung öffentlicher und privater Trägerschaft von Infrastruktur und dementsprechend konkreten, für eine Wirtschaft sinnvollen Definitionen derjenigen lnfrastrukturbereiche, die in der Verantwortung der öffentlichen Hand sein sollten, sind es nach wie vor vor allem die Schwierigkeiten, die mit einer angemessenen Berücksichtigung der von Infrastrukturinvestionen erwarteten effizienzrelevanten Wirkungen auf andere als die Haushalte der Träger der Projekte verbunden sind, die als Herausforderung an die Infrastrukturforschung und an die Infrastrukturpolitik anzusehen sind. Obwohl weitgehende grundsätzliche Einigkeit über die praktische Bedeutung der externen Effekte von Infrastruktur und über die Notwendigkeit von deren Berücksichtigung bei Entscheidungen über Infrastrukturinvestitionsprogramme besteht, trifft die praktische Umsetzung dieser Einschätzung immer noch auf das Problem, daß die von der Realisierung (und oft auch schon von der Planung) von Infrastrukturinvestitionen zu erwartenden externen Wirkungen nicht nur wegen der normalen Wirkungsdiffusion oft nur mit großem Aufwand zu ermitteln, sondern in aller Regel auch in starkem Maße davon abhängig sind, daß diese Wirkungen (auch) von dem Vorhandensein von Einrichtungen in den Projektbereichen und in komple-

1

2

Vgl. R. Jochimsen, Theorie der Infrastruktur. Tübingen 1966, S. 99ff. Vgl. R. Jochimsen, S. 52ff.

48

Peter Treuner

mentären Infrastrukturbereichen oder von gleichzeitigen und von zukünftigen Investitionen in diesen bestimmt werden 3 • Im Hinblick auf eine Verbesserung der Allokationseffizienz- zumindest für den Bereich der in der Verantwortung der öffentlichen Hand verbleibenden Infrastruktur - ist es daher erforderlich, Operationale Methoden zu entwickeln, die über die Einzelbeurteilung von Projekten durch traditionelle Bewertungsverfahren vom Typ der Kosten-Nutzen-Untersuchungen hinaus eine bestmögliche Berücksichtigung der externen Effekte ermöglichen, die von der Verwirklichung einer definierten Gesamtheit von Projekten (einem "Programm") in einer Investitionsperiode zu erwarten sind. Im folgenden wird auf der Grundlage der Ergebnisse und Erfahrungen eines in China in Zusammenarbeit mit einem renommierten Wirtschaftsforschungsinstitut4 durchgeführten Forschungsprojekts5 zur Methodik der Berücksichtigung mehrdimensionaler Wirkungen von mehrsektoralen Infrastrukturinvestitionsprogrammen ("Jiangsu Optimisation Projekt" (JOP)) dargelegt, daß die Zielsetzung einer Optimierung der Allokationseffizienzangesichts der Größenordnung der auch von nicht allzu umfangreichen Programmen verursachten kombinatorischen Problematik vorläufig und auf absehbare Zeit nur auf dem Wege einer stochastischen Optimierung der Auswahl der zu realisierenden Projekte aus der in aller Regel sehr viel größeren Anzahl von vorgeschlagenen Projekten erreicht werden kann. Im vorliegendenFalle ging es um die Optimierung der Auswahl von denjenigen aus insgesamt rund I 900 vorgeschlagenen Projekten, die mit den begrenzten Finanzmitteln (die nur etwa für ein Achtel der Gesamtsumme der vorgeschlagenen Projekte ausreichte) realisiert werden konnten.

3

4

5

Vgl. P. Treuner, Kriterien und Methoden für die Bewertung von Infrastrukturinvestitionsprogrammen. In: H. Amdt und D. Swatek (Hrsg.), Infrastrukturplanung fürwachsende Wirtschaften. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Band 58.) Berlin 1971, S. 319ff.- P. Treuner, The Methodical Challenge ofEvaluation oflnfrastructure Investment with Interdependent Effects. In: Asian Institute of Technology (Ed.), International Conference on Urban Engineering in Asian Cities in the 21st Century. Proceedings, Volume I. Bangkok 1996, S. C76ff. Jiangsu Economic Information Centre, Nanjing. Vgl. P. Treuner, Zhang Yongqian, Colin Gee and Wang Yinchu, Research on the Economic Development in Jiangsu's Riverside Cities and Towns. (Jiangsu Economic Information Centre:.A Probe into Jiangsu's Economy, Supplementary Issue.) Nanjing 1994, Übersetzung aus dem Chinesischen. - Englischsprachige Ausgabe: Locational Requirements for Economic Development in Jiangsu's Riverside Zone. (Schriftenreihe des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung, Research Report no. 18). Stuttgart 1995, im folgenden zitiert als JOP.

Optimierung von Infrastrukturinvestitionen

49

2. Das Problem der Kombinatorik der zu berücksichtigenden Wirkungen von Infrastrukturinvestitionsprogrammen Geht man beispielsweise davon aus, daß der Wirkungsgrad einer Investition zur Sicherstellung der Energieversorgung eines neuen Industriegebietes (u.a.) auch davon abhängt, ob und in welcher Weise das Gebiet verkehrlieh erschlossen und an das interregionale Verkehrsnetz angeschlossen ist und ob das Gebiet bereits oder durch gleichzeitig oder kurz nachfolgend zu realisierende Komplementärinvestitionen in den Bereichen der Wasserversorgung und der Abwasserklärung ausreichend ausgestattet ist, und berücksichtigt man, daß auch aus der zeitlichen Staffelung der (im konkreten Fall im Rahmen eines 15 Jahre umfassenden Programms zu realisierenden) Investitionen sich mehr oder weniger ins Gewicht fallende externe Wirkungen ergeben können, und wendet man diese Berücksichtigung auf alle Projekte in allen Infrastruktursektoren an allen Standorten bzw. für alle Trassen an, dann ergeben sich mögliche Kombinationen von unter Budget- und Zeitbeschränkungen grundsätzlich realisierbaren Projekten in einer Größenordnung, die vermutlich bei weit mehr als 10 12 (vermutlich in der Größenordnung von 1097 ) liegt6 • Angesichts dieser das Vorstellbare weit überschreitenden kombinatorischen Problematik ist es offensichtlich, daß die auf die vergleichende Bewertung einer überschaubaren Anzahl von alternativen Projekten ausgerichteten kosten-nutzenanalytischen Bewertungsverfahren keinen handlungsrelevanten Beitrag zur "Optimierung" der Allokation der zur Verfügung stehenden Ressourcen leisten können; auch unter Ausnutzung der heutigen Rechnerkapazitäten wäre es wenig sinnvoll und jedenfalls unter Kostengesichtspunkten 7 nicht vertretbar, eine so große Anzahl von Bewertungen durchzuführen.

6

7

Vgl. C. Gee, An Example of the Infrastructure Budget Allocation Process. (Arbeitspapierdes Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung.) Stuttgart 1989. Vgl auch JOP, S. 4f. - Zu früheren Schätzungen für die Auswahl aus einer sehr viel kleineren Gesamtmenge von 49 angemeldeten Projekte vgl. P. Treuner and C. Gee, Methodological Aspects of Interdependency in Quantitative Models for Regional Development Planning. In: J.P. Brans (Ed.), Operational Research 1981. Rotterdam 1981, S. 295ff. - Vgl. auch C. Gee und P. Treuner, Zur formalen Berücksichtigung interdependenter externer Effekte in Allokationsmodellen. In: H. Birg und H.J. Schalk (Hrsg.), Regionale und sektorale Strukturpolitik. Rainer Thoss zum 60. Geburtstag. Münster 1992, S. 15ff. Für eine einzige Bewertung des JOP-Typs wird (wegen der jeweils neuen, veränderten Verkehrsnetzberechnungen) auch auf der schnellsten verfügbaren Rechenanlage immer noch etwa eine Minute benötigt!

4 FS Jochimsen

50

Peter Treuner Übersicht

r----1 I I I

economic State

Population Model' 'External inputs/outputsllinks with other subrnodels.

Optimierung von Infrastrukturinvestitionen

51

3. Die Methode einer stochastischen Optimierung der Wirkungen von Infrastrukturinvestitionsprogrammen 3.1. Der methodische Ansatz

Im J OP-Projekt wurde daher der folgende, hier verkürzt dargestellte methodische Weg einer stochastischen Optimierung eingeschlagen. Das Gesamt-"Modell", das den Arbeiten zugrundegelegt wurde, wird in der Übersicht dargestellt. Zu diesem Modell gehört ein explizites kleinräumiges Bevölkerungsmodell, da insbesondere eine Abschätzung und Berücksichtigung von Wanderungen im Untersuchungsraum (der etwa 33 Mill. Einwohner umfaßte) als Reaktion auf sehr unterschiedliche Lebens- und Entwicklungssituationen zu den besonders wichtigen Aspekten der Ermittlung und Bewertung der Versorgungswirkungen von Infrastrukturinvestionen gehört, jedenfalls in so dynamischen Situationen wie denen Südostchinas. Eine ausführliche Begründung der Modellstruktur ist in dem veröffentlichten Forschungsbericht enthalten 8 • In einer ersten, sehr aufwendigen Phase wurden für die insgesamt 14 berücksichtigten Infrastruktur-lnvestitionsbereiche9 , für die insgesamt 1 901 einzelne Projekte an bzw. zwischen 61 Standorten angemeldet worden waren, in Zusammenarbeit mit den zuständigen Verwaltungen umfangreiche Erhebungen hinsichtlich der an den einzelnen Standorten 10 bzw. fürdie einzelnen Verkehrsverbindungen ("Zugänglichkeiten" bzw. "Erreichbarkeiten") gegebenen Ausgangsausstattungen kleinräumig (standortspezifisch) durchgeführt; auch wenn unterstellt werden muß, daß diese Erhebungen teilweise fehlerhaft waren, kann davon ausgegangen werden, daß damit ein Gesamtbild der Ausgangssituation erarbeitet wurde, das in einer ähnlichen Vollständigkeit noch nicht verfügbar gewesen war und keiner der bis dahin getroffenen Investitionsentscheidungen zugrunde gelegt werden konnte. In einer zweiten Phase wurden aus rund 100 verschiedenen Merkmalen der standortspezifischen Infrastrukturausstattung in 21 Infrastrukturbereichen zwei Gesamtindikatoren für die versorgungsrelevante und für die entwicklungsrelevante Ausstattung gebildet. Auf die Methodik der Aggregation der Einzel- zu Gesamtins 9

10

4*

Vgl. JOP, S. 18ff. Die berücksichtigten Bereiche umfaßten: Straßenpersonenverkehr, Straßengüterverkehr, Wasserstraßengüterverkehr, Schienenpersonenverkehr, Schienengüterverkehr, Luftpersonenverkehr, Stromtransformatoren, Trinkwasserversorgung, Entsorgung von Industrieabwässem, Entsorgung von Industrieabgasen, Entsorgung von Industrieabfall, Wohnungsversorgung, Krankenhäuser, Höhere Schulen, Berufsschulen, Technische Gymnasien, Fernuniversität, Hotels, Qualitätswohnungsversorgung und Entwicklungsgebiete (Industrieparks). Vgl. JOP, S. 62 ff. sowie Appendix 1. Insgesamt wurden im Untersuchungsraum, den nahe am Chang Jiang (Jangtsekiang) gelegenen Präfekturen der Provinz Jiangsu, 61 verschiedene Standorte (Städte) einschließlich ihres jeweiligen Hinterlandes unterschieden; vgl. JOP, Fig. 1.

52

Peter Treuner Schaubild I

Häufigkeitsverteilungen der Versorgungszielerreichungsbeiträge1 f(ßE) 23,0

Verteilung ßE,; Gewichtung 3:2:1,5

20,7

Verteilung ßE,; Gewichtung I: I: I

18,4

Verteilung ßE,; Gewichtung I :2:2,5

16,1 13,8 11,5 9,2

6,9 4,6 2,3

0,05

0,10

0,15

0,20

0,25

Eigene Berechnungen. - 'Verbesserung der Versorgungslage von 1991 bis 2005 aufgrund zusätzlicher Infrastrukturinvestitionen- n 47400.

=

dikatoren, die vielfach nichtlineare Abhängigkeiten der "Zielerreichungsgrade" von den verfügbaren "Ausstattungen" unterstellt, wird hier nicht weiter eingegangen II. Der entwicklungsrelevante Indikator wurde mit den für die wirtschaftliche Entwicklung des Untersuchungsraumes bzw. seiner 61 Teilräume (die in sechs verschiedene Klassen unterschieden wurden) in den Jahren 1985 bis 1991 zur Verfügung stehenden Informationen über die Zunahme des Sozialprodukts (gekoppelte Zeitreihen- und Querschnittsanalyse) in Verbindung gesetzt; die Ergebnisse der Korrelationsanalysen ergaben hohe Bestimmtheitsmaße und damit hinreichend gesicherte Zusammenhänge 12 • In einer dritten Phase schließlich wurden aus der Gesamtheit der angemeldeten Einzelprojekte unter Zugrundelegung von Vor-Bewertungen normativen Charakters die zu untersuchenden, für eine Investitionsentscheidung in Frage kommenden II 12

Vgl. JOP, S. 62ff. Vgl. JOP, S. 39ff.

53

Optimierung von Infrastrukturinvestitionen Schaubild 2

Häufigkeitsverteilungen der Wachstumszielerreichungsbeiträge' f(öBIP) 0,5555

0,4444

0,3333

0,2222

0,1111

1,0

2,0

3,0

4,0

5,0

6,0

7,0

8,0 öBIP

Eigene Berechnungen. - 'Zunahme des BIP von 1990 bis 2005 aufgrund zusätzlicher Infrastrukturinvestitionen (Mrd.lJ)- n 47400.

=

329 Einzelprojekte ausgewählt 13 • Aus dieser Teilmenge wurden mit Hilfe eines Zufallsgenerators insgesamt rund 47 000 Projektkombinationen ("Programme") ausgewählt, die alle den definierten finanziellen Restriktionen unterlagen. Diese Projektkombinationen wurden im Hinblick darauf untersucht, welche Verbesserungen der Versorgungs- und der Entwicklungssituation bei Unterstellung der weiteren Gültigkeit der aus den Korrelationsuntersuchungen gewonnenen Zusammenhänge von der Realisierung jedes einzelnen sachlich, räumlich und zeitlich definierten Programms zu erwarten wären. 3.2. Die wesentlichen Untersuchungsergebnisse

Die Auswertung der 47 400 einzelnen (zufällig ausgewählten) Projektbündel ("Programme") im Hinblick auf deren Beiträge zur Verbesserung der Versorgungslage der Bevölkerung in den jeweiligen Teilräumen bzw. im Hinblick auf die 13

Vgl. JOP, S. 118ff. und S. 125f.

54

Peter Treuner

wirtschaftliche Entwicklung (Zunahme des Sozialprodukts) führte zu drei wesentlichen Untersuchungsergebnissen. Erstens ergaben sich bei der Aufbereitung der Häufigkeitsverteilungen der zu erwartenden Gesamtwirkungen annähernd der Normalverteilung entsprechende Kurven (vgl. Schaubild 1 und 2). Diese Verteilungen lassen erkennen, daß die Zielerreichungsbeiträge der "besten" der zufällig ausgewählten Projektbündel ("Programme") jeweils durch ein um rund 100 vH über dem Zielerreichungsbeitrag im Gipfel der Häufigkeitsverteilung liegendes Niveau gekennzeichnet waren; gegenüber den "schlechtesten" Programmen waren die "besten" Programme sogar um rund 200 v H besser. Hieraus allein kann geschlossen werden, daß es lohnend und daher gerechtfertigt ist, die Projektauswahl auf einer konsistenten Gesamtgrundlage und in einer methodisch systematischen Art und Weise durchzuführen. Zweitens kann aus der großen Ähnlichkeit der für drei verschiedene Gewichtungen der verschiedenen Raumkategorien 14 ermittelten Häufigkeitsverteilungen der Versorgungszielerreichungsbeiträge, die eine Unterschiedeinterpretation ausschließen, geschlossen werden, daß - im gegebenen konkreten Fall - die drei Gewichtungsvektoren entweder nicht unterschiedlich genug waren oder aber keine berücksichtigenswerten kleinräumigen Unterschiede von den mitden drei Vektoren ausgedrückten möglichen Raumentwicklungsstrategien erwartet werden können. Drittens zeigte eine detaillierte Analyse der in die zur Spitzengruppe der 250 "besten" Programme gehörenden Einzelprojekte im Hinblick auf die zu erwartenden Wachstumswirkungen, daß - erwartungsgemäß - bestimmte Einzelprojekte in allen oder wenigstens in den meisten der "besten" Programme auftauchten, also als solche Projekte zu bezeichnen sind, die in jedem Fall zu denjenigen mit einem signifikanten Beitrag zur Erreichung hoher Gesamtzielerreichungsgrade gehören. Diese Projekte waren im übrigen sehr unterschiedlicher Art; sie umfaßten (im Hinblick auf die Investitionskosten) große und kleine Projekte in verschiedenen Sektoren und an verschiedenen Standorten. Manche der Standorte fanden sich in der Liste der "besten" Projekte gar nicht wieder, andere mit mehreren Projekten. Der bewertungszielbezogene diskriminierende Charakter der stochastischen Auswahlmethode wurde damit zunächst ausreichend belegt.

14

Für die drei "Raumkategorien" cities, county towns und other towns wurden die folgenden drei Gewichtungsvektoren verwendet: 1 : 1 : 1 ("Gleichberücksichtigung"), 3 : 2 : 1,5 ("Wachstumsorientierung") und I : 2 : 2,5 ("Ausgleichsorientierung"); vgl. JOP, S. 123 und S. 129.

Optimierung von Infrastrukturinvestitionen

55

4. Ausblick auf erforderliche Vertiefungen der methodischen Probleme einer stochastischen Optimierung der Wirkungen von Infrastrukturinvestitionsprogrammen So sehr die Untersuchungsergebnisse in Anspruch nehmen können, das bei den zuständigen Fachverwaltungen tatsächlich verfügbare Wissen über Ausgangssituationen und Entwicklungserfordernisse umfassender zu berücksichtigen und systematischer in die vergleichende Bewertung (aus der Sicht der für alle Sektoren und alle Standorte Verantwortung tragenden Provinzverwaltung) einzubeziehen, als dies üblicherweise der Fall ist, so wenig kommen die bisher erzielten Ergebnisse, unbeschadet ihrer Bedeutung für weiterführende Überlegungen zur Methodik und Organisation von Entscheidungsprozessen, für eine unmittelbare Anwendung in Frage. Dies liegt an einer Reihe noch nicht genügend berücksichtigter konzeptioneller und methodischer Fragen, deren Inangriffnahme allerdings erst auf der Grundlage der erzielten Ergebnisse sinnvoll- und angesichtsdes hohen Untersuchungsaufwands vertretbar- geworden ist. Hier sollen nur die vier wichtigsten Einschränkungen, die zugleich als Herausforderungen für weitere Untersuchungen anzusehen sind, angesprochen werden. Erstens wurden bei den Untersuchungen- absichtlich- keinerlei Restriktionen hinsichtlich der in einzelnen Sektoren und an einzelnen Standorten zu realisierenden Mindestinvestitionen (in einer Allokationsperiode) eingeführt. Dies ist als eine unrealistische und wahrscheinlich dem Effizienzziel widersprechende methodische Festlegung anzusehen, da in Wirklichkeit nicht davon ausgegangen werden kann (und auch nicht sollte), daß in einem Infrastruktursektor das Investitionsniveau gegenüber der Vorperiode oder zwischen den einzelnen Allokationsperioden des Untersuchungszeitraumes höchst unterschiedlich ist; dies würde sehr unterschiedliche Auslastungen eines verfügbaren und verfügbar zu haltenden Kapitalstocks der bestehenden und für zukünftige Investitionen benötigten Unternehmen oder Betriebe bedeuten und daher nicht vertretbar sein. Zweitens wurden keine Finanzierungsmodalitäten berücksichtigt, sondern davon ausgegangen, daß jeweils die gesamten Investitionskosten eines Einzelprojekts aus dem für die Untersuchung angesetzten, auf die einzelnen Haushaltsjahre (mit einer vereinbarten jährlichen Steigerungsrate) aufgeteilten Gesamtbudget getragen werden. In der Wirklichkeit handelt es sich aber vielfach um Kofinanzierungen, so daß hier ein Vertiefungsbedarf zur Berücksichtigung der für jedes einzelne Projekt zu unterstellenden Finanzierung besteht. Drittens sind das den Untersuchungen und Bewertungen zugrunde gelegte Bevölkerungsmodell und insbesondere die Annahmen über kleinräumige Wanderungen als nicht gesichert genug anzusehen, sowohl im Hinblick auf die korrespondierenden Wanderungen von bzw. nach außerhalb des Untersuchungsraumes, die

56

Peter Treuner

tatsächlich eine große Rolle spielen, als auch im Hinblick auf tatsächliche Zuwanderungsrestriktionen, die sich insbesondere aus der schwierigen Wohnungsversorgung und aus den nur sehr beschränkt verfügbaren Flächen für neue Siedlungstätigkeitergeben. Auch in dieser Beziehung bestehen Vertiefungs- und Nachbesserungserfordemisse. Viertens schließlich ist die noch unbefriedigende Abbildung der Wirkungsinterdependenzen durch nicht-symmetrische, vielfach nichtlineare Wirkungsfunktionen eine Herausforderung an die Weiterentwicklung des Ansatzes, die nur auf empiri- . scher Grundlage bewältigt werden kann. Unbeschadet dieser Einschränkungen bestätigen die Untersuchungsergebnisse die Einschätzung, daß sich eine explizite Berücksichtigung von interdependenten externen Effekten mangels besserer Verfahren auf dem Wege einer stochastischen Optimierung lohnt und daher bis zur Anwendungsreife weiterentwickelt werden sollte.

Europäische Regionalpolitik Herausforderung für die Zukunft Von Monika Wulf-Mathies Die wegweisende "europäische Innovation" der vergangeneo 50 Jahre ist die Schaffung von europäischem Recht, das den politischen Handlungsrahmen absteckt und durch gemeinsame Institutionen gewahrt wird. Dies ist der eigentliche Paradigmenwechsel, mit dem nationale Rivalität und Selbstbehauptung überwunden und das Prinzip der Kooperation zum Schlüssel europäischen Handeins wurden. Neue Strukturen der Zusammenarbeit mit gemeinschaftlicher Ausrichtung ziehen der einseitigen Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen heilsame Grenzen. Nationaler Souveränitätsverzicht wird durch den Zugewinn an gemeinsamer Handlungsfähigkeit aufgewogen. Der gleichzeitig weitreichende Integrationsprozeß- insbesondere im wirtschaftlichen Bereich- bildet die Grundlage unserer Wohlstandssicherung. Angefangen von der Wettbewerbskontrolle und der Sicherung des freien Warenverkehrs bis hin zur gemeinsamen Währung werden schrittweise europaweite Marktbedingungen geschaffen, die aus dem Binnenmarkt weit mehr als eine Freihandelszone machen. Die europäische Regional- und Strukturpolitik ist untrennbar mit dieser fortschreitenden wirtschaftlichen Integration in der Europäischen Union (EU) verknüpft. Denn mehr Markt erfordert auch mehr Solidarität, um ökonomische Chancengleichheit für die ärmeren Regionen und Mitgliedstaaten sicherzustellen. Ohne eine gezielte Kohäsionspolitik drohte die wirtschaftliche Integration die ökonomischen und sozialen Disparitäten innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten nur zu vergrößern. Die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der EU ist notwendiger Bestandteil der europäischen Integration. Sie ist Ausdruck des europäischen Gesellschaftsmodells, das durch Solidarität seine politische Gestaltungsfähigkeit bewahrt, seine Innovations- und Wachstumpotentiale zu mobilisieren weiß und damit auch die Grundlage für die langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften schafft.

58

Monika Wulf-Mathies

Nach gut zehn Jahren erfolgreicher Regional- und Strukturpolitik auf europäischer Ebene steht die EU heute vor zwei zentralen Herausforderungen: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die bevorstehende Erweiterung sind unterden veränderten Vorzeichen, die die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) und die zunehmende wirtschaftlichen Globalisierung setzen, zu meistern. Die nach wie vor unerträglich hohe Arbeitslosigkeit in vielen Regionen Europas erfordert eine strategische Neuausrichtung der europäischen Strukturpolitik auf die Förderung eines nachhaltigen, beschäftigungswirksamen Wachstums, auf die Stärkung der Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der Regionen und den Ausbau des Humankapitals. Der jetzt beginnende historische Erweiterungsprozeß wird mehr als alle bisherigen Erweiterungsrunden die Reformfähigkeit der EU nach innen und ihre Handlungsfähigkeit nach außen auf die Probe stellen, wobei der Erfolg dieses europäischen Einigungsprozesses nicht zuletzt auch von einer effizienten und zielführenden Ausgestaltung der europäischen Regional- und Strukturpolitik abhängen wird. Mit dem Auslaufen des gegenwärtigen Strukturförderrahmens Ende 1999 gilt es, dieser komplexen Aufgabenstellung durch eine grundlegende Reform der europäischen Regional- und Strukturpolitik gerecht zu werden.

1. Die Regionen Europas - Unterschiede und Entwicklungstrends 1.1. Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung

Einige Kennzahlen verdeutlichen, wie groß die regionalen Entwicklungsunterschiede innerhalb der EU nach wie vor sind 1: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den zehn strukturschwächsten Regionen betrug 1995 nur 30 vH des durchschnittlichen BIP in den zehn stärksten Regionen. 1995 lag in den zehn am stärksten betroffenen Regionen die Arbeitslosenquote bei 26,4 vH und war damit fast siebenmal so hoch wie in den zehn am wenigsten betroffenen Regionen. Erweitert man diese Gruppe auf jeweils 25 Regionen, besteht immer noch ein Verhältnis von 1 : 5 (vgl. auch Schaubild 1). 20 vH der EU-Bevölkerung lebt in Regionen, die weniger als 75 vH des durchnittlichen BSP pro Kopf erwirtschaften- während beispielsweise in den Vgl. dazu Europäische Kommision (Hrsg.), Erster Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt. Luxemburg 1996 Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften; D. Puga, Reforming European Regional Policy: Practical Implications from Recent Location Theories. In: Europäische Kommission, DG III (Ed.), European Integration and Industrial Geographie location. Brüssell997, s. 5ff.

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik

59

Schaubild 1

Unterschiede in der Arbeitslosigkeit 1970 bis 1996; in vH der arbeitsfähigen Bevölkerung 12

12

10

10 Arbeitslosenquote

8

8

6

6

4

4

2

2

0

0 70

75

Nach Angaben von Eurostat.

80

85

90

95

!]

Vereinigten Staaten lediglich zwei Bundesstaaten mit etwa 2 vH der Bevölkerung unter diese Schwelle fallen. Große Entwicklungsunterschiede spiegeln sich auch in den unterschiedlichen nationalen Ausgaben für Infrastrukturausstattung, für die Verbesserung des Qualifikationsniveaus der Arbeitnehmer oder beim Stellenwert von Forschung und Entwicklung und den Ausgaben für lnformationstechnologien. So wird beispielsweise in Dänemark pro Kopf zwölfmal mehr für die Verwendung neuer Informationstechnologien ausgegeben als in Griechenland. Entscheidend für die Verringerung dieser Entwicklungsunterschiede ist die Stimulierung einer überdurchschnittlichen Wachstumsdynamik in den ärmeren Regionen und Mitgliedstaaten. In den vergangenen zehn Jahren kann hier die europäische Kohäsionspolitik nachhaltige Erfolge vorweisen. Insbesondere aufgrund ihres relativ stärkeren Wachstums haben die sogenannten Kohäsionsländer (Spanien, Portugal, Griechenland und Irland) gemessen am nationalen Pro-KopfEinkommen von 1988 bis 1997 deutlich zum Gemeinschaftsniveau aufschließen

60

Monika Wulf-Mathies Schaubild 2

Standardabweichung der Einkommen' 1985 bis 1994; EU-15

=100

35

35

30

30

BSP pro Kopf nach Regionen

25

25

-

20 15

/

20

BSP pro Kopf nach Mitgliedstaaten

--------- ~------------~-------

15

BSP je Beschäftigten nach Mitgliedstaa::-=---=--=-.......--

10

10

5

5 0

0

85

86

87

88

89

90

91

92

93

94

Nach Angaben von Eurostat.

können: Spanien von 72,1 vH auf 77,1 vH des EU-Durchschnitts, Portugal von 55,7 vH auf 69,2 vH, Griechenland von 59,9 vH auf 68, I vH und Irland sogar von 58,6 vH auf 89 vH. 1.2. Der Trend zur Regionalisierung

Auf der anderen Seite haben sich auf regionaler Ebene die Disparitäten der Einkommensentwicklung vergrößert (vgl. Schaubild 2). Verschiedene empirische Untersuchungen legen jedoch den Schluß nahe, daß dies stärker durch Faktoren innerhalb der Mitgliedstaaten geprägt ist als durch divergierende Entwicklungen zwischen den einzelnen Staaten2 • So ist festzustellen, daß gerade die innerhalb der Kohäsionsländer verstärkt auftretenden Unterschiede keinem eindeutigen Muster folgen. Es kommt vor, daß relativ arme Regionen deutliche Zuwachsraten verzeichnen, während bislang eher gut positionierte Regionen deutliche Einbußen hinneh2

Vgl. z.B. M. Emmerson u.a., One Market, One Money. Oxford 1992, und D. Puga.

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik

61

men müssen und wiederum andere ihre relative Stellung beibehalten3 . Dies ist Indiz dafür, daß die regionale Entwicklung immer weniger stark von nationalen Rahmenbedingungen geprägt wird und immer stärker einer lokalen Dynamik der geographischen Konzentration und regionalen Wechselwirkung folgr. Einen ähnlichen Schluß läßt die Analyse des intraindustriellen Handels und der nationalen Spezialisierungstrends zu. Die nationalen Rahmenbedingungen werden in dem Maße weniger bestimmend für die regionale Entwicklung, in dem die wirtschaftliche Spezialisierung und Konzentration über die Grenzen hinweg erfolgt. Die Arbeitsteilung orientiert sich immer weniger an den nationalen Grenzen. Innerhalb der Mitgliedstaaten nimmt deswegen die Diversifizierung tendenziell ab. Die Anzeichen für einen leicht rückläufigen Anteil des intraindustriellen Handels zwischen den Staaten der EU bestätigen dies. Wenngleich derregionale Spezialisierungsgrad in der EU immer noch geringer erscheint als in den Vereinigten Staaten5 , so geht die innereuropäische Entwicklung doch deutlich in diese Richtung. Dies gilt nicht nur für schrumpfende Sektoren, wie etwa den Textilbereich, bei dem eine regionale Konzentration zu erwarten ist, sondern auch für Wachstumsbranchen wie die Chemische Industrie 6 • Die empirischen Befunde decken sich mit der Erwartung, daß in dem Maße, in dem die nationalen Grenzen für Kapital, Güter und Dienstleistungen durchlässig werden, sich die Unternehmen in ihrem Wettbewerb um Standortvorteile immer stärker an lokalen Rahmenbedingungen orientieren. Mehr denn je muß deswegen die europäische Strukturpolitik die Regionalisierung- und d.h. auch Dezentralisierung- bei der Umsetzung der Fördermaßnahmen in den Vordergrund stellen.

2. Regionale Disparitäten und die Ausgestaltung des strukturpolitischen Instrumentariums Die Ausgestaltung des regionalpolitischen Instrumentariums muß sich an den Ursachen von Agglomerationstendenzen und an den Gründen für räumlich stark differenziertes Wachstum sowie den entsprechend unterschiedlichen regionalen Aufholprozessen orientieren. Die ökonomischen Entwicklungstheorien betonen allgemein die Rolle des Marktpotentials und der Marktnähe, das Vorhandensein von natürlichen Ressourcen, von Energie und von qualifizierten Arbeitskräften sowie die Funktion der

4 5 6

Vgl. D.T. Quah, Regional Convergence Clusters Across Europe. "European Economic Review", Amsterdam, vol. 40 ( 1996), S. 951 ff. Vgl. D. Puga, S. 7. Vgl. dazu P. Krugman, Geography and Trade. Cambridge, MA, 1991. Vgl. M. Brülhart, Commerceet specialisation geographique dans !'Union Europeenne. "Economie Internationale", Paris, vol. 1996, no. 65, S. 169ff.

62

Monika Wulf-Mathies

Transport-, Informations- und Kommunnikationskosten für die Standortwahl von Unternehmen. Hierauf aufbauend sind jedoch die Erklärungsmuster für die Evolution von regionalen Disparitäten meist auf einzelne Aspekte beschränkt geblieben, so z.B. die Ansätze zur notwendigen "kritischen Masse" von Investitionen, zur Erschließung von Wachstumspotentialen in vor- und nachgelagerten Industrien oder die Größeneffekte eines wachsenden Marktpotentials7 • Mit neueren Studien zur "location theory" 8 gelingt es, diese verschiedenen Ansätze der regionalen Entwicklungstheorien zumindest schrittweise auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die zu beobachtenden regionalen Konzentrationstendenzen zu Beginn eines Integrationsprozesses werden damit in einen systematischen Kontext gestellt - ebenso wie die ab einem gewissen Sättigungsgrad einsetzende regionale Auffächerung der Wirtschaftsaktivitäten. In diesen Übergangsprozessen kann die Regionalpolitik einen wichtigen Beitrag leisten, durch interregionale Transfers die insgesamt anfallenden Wohlfahrtsgewinne gleichmäßiger zu verteilen. Dieser Ausgleich zwischen den regional unterschiedlichen Anpassungslasten und Wachstumsgewinnen ist nicht nur ein sozialpolitisches Gebot, sondern gleichzeitig ein wichtiges Element einer wachstumorientierten Wirtschaftspolitik. Die aktive Förderung der strukturschwachen Regionen verbreitert die Basis des gesamteuropäischen Wirtschaftswachstums, wodurch insgesamt der wirtschaftspolitische Spielraum erhöht wird. Die mikroökonomische Fundierung der regionalpolitischen Analyse mag auch dazu beitragen, die oftmals dogmatisch geführte Debatte um ordnungspolitische Grundsätze der Regionalpolitik zu versachlichen. Unter ökonomischen Effizienzkriterien betrachtet, bleibt der ordnungspolitische Rahmen im Zentrum der Argumentation, wenn es darum geht, Marktzugang zu sichern, Subventionswettläufe zu verhindern, die Faktormobilität zu erhöhen und eine flexiblere Preisbildung auf Güter- und vor allem auch Arbeitsmärkten einzufordern9 • Darüber hinaus verweisen die neueren Untersuchungen der "location theory" jedoch darauf, daß bereits relativ begrenzte öffentliche Interventionen sehr weitreichende Effekte erzielen können, indem sie die kritische Masse an Investitionen erreichen helfen und eine sich selbst verstärkende regionale Wachstumsdynamik freisetzen. VordiesemHintergrund wirddie Auswahl derjenigen staatlichen Fördermaßnahmen, die einen hohen "Multiplikatoreffekt" besitzen, um so wichtiger. Die 7

s 9

Vgl. z.B. P. Krugman, Development, Geography and Economic Theory. Cambridge, MA, 1995. D. Puga, S. 9ff. Vgl. R. Jochimsen [I], Perspektiven der Regionalen Standortpolitik- Herausforderungen für Deutschland auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert. (Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 6311997.) Frankfurt a.M. 1997.

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik

63

Strukturpolitik sucht diese Parameter zu beeinflusssen- von Infrastrukturmaßnahmen bis hin zu Qualifizierungsprogrammen für den Faktor Arbeit. Wenn die regionalen Wachstumspotentiale genutzt und weiterentwickelt werden sollen, machen die unterschiedlichen Bedingungen im ländlichen Raum oder in städtischen Ballungsgebieten in derzeit 15 und bald mehr als 20 Mitgliedstaaten der EU einen hohen Grad an regionaler Autonomie erforderlich. Denn allen administrativen Ambitionen zum Trotz läßt sich weder Innovationsfähigkeit verordnen noch ein europäisches Patentrezept für regionale Entwicklung aufstellen. Nur mit einem dezentralenAnsatzsind auchden zum Teil erheblichen institutionellen Verschiedenheiten Rechnung zu tragen, so z.B. dem Zentralisierungsgrad öffentlicher Verwaltungen ebenso wie den Ausbildungs- und Erziehungssystemen. Sie spiegeln letztlich historische und kulturelle Entwicklungslinien wieder, deren Berücksichtigung aber über Erfolg und Mißerfolg der Strukturpolitik entscheiden kann 10 • Bei wachsender Kapitalmobilität, vereinheitlichten Marktbedingungen sowie sinkenden Transport- und Informationskosten ist es gerade in Europa zwingend, daß Produktivitätsgesichtspunkte und deren regionale Rahmenbedingungen in den Vordergrund der Unternehmerischen Standortwahl rücken. Hierfür werden neben den "harten" Standortfaktoren wie geographische Anbindung, Ressourcenausstattung und Arbeitsangebot qualitative Kriterien zunehmend wichtiger: Ausbildungsstand und Bildungsinvestitionen, die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung, die Breite des regionalen bzw lokalen Dienstleistungsangebots sowie die Bedingungen des Technologietransfers zwischen Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft und die Fähigkeit zur interregionalen Kooperation. Die Attraktivitäteines Standortes mißt sich letztlich an seinem Wachstumspotential, das sich durch seine Anpassungsfähigkeit, seine Produktivität und seine komparativen Vorteile auszeichnet, einschließlich der notwendigen Flexibilität, um im Außenhandel und bei regionalen "spill over"-Effekten steigende Skalenerträge zu nutzen. Hierauf muß sich die Struktur- und Regionalpolitik konzentrieren.

3. Die europäische Strukturpolitik eine Chance zum Abbau der regionalen Ungleichgewichte 3.1. Die vertragliche Verankerung der europäischen Strukturpolitik

Dieeuropäsche Strukturpolitik nahm ihren Anfang Mitte der siebziger Jahre, als sich im Gefolge der ersten Erweiterung mit den Randgebieten in Irland und Großbritannien sowie den bereits bestehenden Problemen in Süditalien erstmals die Frage nach regionalen Disparitäten stellte. Dies führte 1975 zur Schaffung des Europäischen Regionalfonds. Sehr viel deutlicher wurde der Handlungsbedarf mit 10

Vgl. M. Jovanovic, European Economic Integration. London 1997.

64

Monika Wulf-Mathies

der zweiten Erweiterungsrunde und den Beitritten Spaniens, Portugals und Griechenlands Mitte der achtziger Jahre, die das Problem des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts zu einer der Kernfragen der europäischen Integration machten. Mit der Einheitlichen Akte 1986, die das Binnenmarktprojekt auf den Weg brachte, wurde deshalb ebenfalls die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Kohäsion als "dritte Säule" der europäischen Integration verankert. Gerade in Zusammenhang mit dem Binnenmarktprojekt mußte dafür Sorge getragen werden, daß durch fortschreitende Integration und zunehmende Konzentration in den bestehenden Zentren die ärmeren Regionen nicht weiter an den Rand gedrängt werden. Um ein Scheitern des Binnenmarktprojekts zu verhindern, wurden deshalb gleichzeitig mit der Neuordnung der europäischen Märkte die Voraussetzungen für den ökonomischen Aufholprozeß der ärmeren Mitgliedstaaten geschaffen. Solidaritätzwischen den Starken und den Schwachen sollte den ärmeren Mitgliedstaaten bei der Entwicklung helfen und gleichzeitig zu wettbewerbsfähigeren Strukturen in der EU als Ganzes führen. Mit den Maastrichter Verträgen, der Zielsetzung der Währungsunion und der Einbeziehung der neuen Bundesländer nach der deutschen Wiederveinigung erfolgte nicht nur die vertragliche Verankerung der europäischen Kohäsionspolitik, sondern auch eine deutliche Ausweitung der Fördermittel und des strukturpolitischen Instrumentariums für den Zeitraum von 1994 bis 1999. Neben den bestehenden Strukturfonds wurde der Kohäsionsfonds zur Unterstützung der Konvergenzanstrengungen der vier ärmsten Mitgliedstaaten eingerichtet (vgl. auch Schaubild 3). Die Mittel der EU-Struturpoltiken wuchsen beträchtlich, von 3,7 Mrd. ECU 1985 auf 18,3 Mrd. ECU 1992 und voraussichtlich 33 Mrd. ECU 1999. Für den Zeitraum 1994 bis 1999 stehen insgesamt etwa 170 Mrd. ECU aus dem Gemeinschaftshaushalt zur Verfügung; dies entspricht etwa einem Drittel der gesamten Gemeinschaftsausgaben. Im Jahr 1999 werden damit 0,46 vH des BSP der EU erreicht. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Großteil der strukturund regionalpolitischen Mittel in erster Linie durch die Mitgliedstaaten und deren Regionen, im deutschen Fall Bund, Länder und Kommunen, aufgebracht wird. Verglichen mit dem Plafonds für die europäische Strukturpolitik von 0,46 vH des BSP der EU machen die ca. 4 bis 8 vH des jeweiligen nationalen BSP, die die Mitgliedstaaten für die Regional- und Strukturpolitik aufwenden, immer noch den Löwenanteil aus 11 • 11

V gl. Europäische Kommission (Hrsg.), S. 6.

65

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik Schaubild 3

Verteilung der Strukturhilfen nach Ländern 1994 bis 1999; in Mrd. ECU' Spanien Deutschland Italien Griechenland Portugal Frankreich Großbritannien Irland Niederlande Belgien Finnland Österreich Schweden Dänemark

0

5

10

15

20

25

30

Nach Angaben der Europäischen Kommission.- 1In Preisen von 1994.

35

[!]

3.2. Die Instrumente der europäischen Regional- und Strukturpolitik

Die EU verfügt über sieben wichtige Finanzierungsinstrumente zur Umsetzung ihrer Strukturpolitik: den Regionalfonds, den Sozialfonds, den Europäischen Ausgleichs- und Garantiefonds Landwirtschaft (Ausrichtung), das Finanzinstrument zur Ausrichtung der Fischerei, das Instrument der Gemeinschaftsinitiativen 12 , den Kohäsionsfonds sowie die Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB ). Der Kohäsionsfonds und die EIB verfolgen die Förderung von spezifischen Projekten in den Mitgliedstaaten unter Maßgabe ihrer jeweils spezifischen Regeln. Die gegenwärtig 13 Gemeinschaftsinitiativen, die 9 vH des Fördervolumens der Strukturfonds beanspruchen, konzentrieren sich auf gemeinschaftsübergreifende Problemstellungen. Hiermit sollen insbesondere innovative Aktionen zur regionalen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie der Aufbau von Netzwerken und 12

Die Finanzierung der Gemeinschaftsinitiativen erfolgt ebenfalls durch die Strukturfonds.

5 FS Jocllimsen

66

Monika Wulf-Mathies

Kooperationen zwischen den Regionen und über nationale Grenzen hinweg vorangetrieben werden. Im Rahmen der Strukturfonds werden rund 30 vH der Mittel für Infrastrukturinvestititonen wie Verkehr, Telekommunikation, Energie und Umweltschutz aufgewandt. Weitere 30 vH sind dem Ausbau der Ausbildungssysteme und der Unterstützung von Arbeitsmarktpolitiken gewidmet. Mit 40 vH der Gesamtausgaben stellen produktive Investitionen, gerade im Bereich kleinerund mittlerer Unternehmen den größten Interventionsbereich dar. Die vier Strukturfonds kotinanzieren regionale Entwicklungsprogramme der Mitgliedstaaten, die sich unionsweit an gemeinsamen prioritären Zielen ausrichten. Damit soll insbesondere sichergestellt werden, daß sich die vorhandenen Ressourcen auf die am wenigsten entwickelten Regionen konzentrieren, die europäischen Maßnahmen "zusätzlichen" Charakter haben und nationale Anstrengungen nicht ersetzen, die strukturpolitischen Maßnahmen mit den übrigen EU-Politiken, gerade im Wettbewerbs- und Umweltbereich, kompatibel sind, sowie schließlich europäische Fördermaßnahmen in enger Partnerschaft mit der lokalen, regionalen und nationalen Ebene durchgeführt werden. Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre bestätigen diesen Ansatz: Über 90 vH des Finanzierungsvolumens wird aufinitiative der Mitgliedstaaten entschieden, wobei die europäische Strukturpolitik insbesondere dort eine positive Bilanz aufweist, wo sie mit gleichgerichteten nationalen Initiativen zusammenwirkt. Wachstumseffekte entstehen vor allem dort, wo - wie im Falle Irlands - die makroökonomische Neuausrichtung, die Absorptionsfähigkeit der nationalen Verwaltung und die Konzentration der Fördennittel und -Strukturen den erfolgreichen Einsatz europäischer Mittel sichern. 3.3. Europäische Strukturförderung und regionale Standortpolitik

Mit ihrem regionalen Ansatz setztdie europäische Strukturpolitik darüber hinaus Anreize für die Regionen, eine eigenständige Standortpolitik zu betreiben. So können in der engen Zusammenarbeit mit den Regionen neue Maßstäbe für die Umsetzung vor Ort verankert werden: Die Aufstellung regionaler Entwicklungspläne und Programmentwürfe erfordert von den betroffenen Verwaltungen eine strategische Ausrichtung ihrer eigenen Planungsprozesse; durch die mehrjährige Laufzeit der Programme wird finanzielle Planungssicherheit für die regionalen und

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik

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lokalen Behörden geschaffen; schließlich werden die für effizientes Management erforderlichen Monitoring- und Evaluierungssysteme eingeführt. Das Kofinanzierungsprinzip, auf dessen Grundlage die EU die von einer Region vorgeschlagenen Programme lediglich teilfinanziert, erhöht den Wirkungsgrad der Strukturfondsmittel und nimmt die nationalen und regionalen Träger in die Verantwortung. Durch die europaweite Koordinierung kommen schließlich die wettbewerbsrechtlichen und umweltpolitischen Rahmenbedingungen zum Tragen, die Transparenz gewährleisten und Subventionswettläufe zum Schaden der Umwelt, der Steuerzahler und der Beschäftigten verhindern helfen.

4. Globalisierung, Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Erweiterung der Europäischen UnionHerausforderungen für eine zukünftige europäische Regionalpolitik Nach knapp zehn Jahren europäischer Strukturpolitik zeigt sichtrotz nachweisbarer Erfolge immer noch ein sehr heterogenes Bild des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts in der EU. Insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit erfordert eine stärkere Orientierung der Strukturpolitik am BeschäftigungszieL Aber auch die bevorstehende Erweiterung sowie die Vollendung EWWU und der gleichzeitig wachsende Globalisierungsdruck verlangen nach einer strategischen Neuorientierung der Kohäsionspolitik. Reimut Jochimsen hat nachdrücklich auf diese Veränderungen des Bedingungsrahmens für die Regionalpolitik hingewiesen13. 4.1. Die Globalisierung der Wirtschaft

Die Öffnung der Handelsgrenzen konfrontiert uns mit einer sich dynamisch fortentwickelnden internationalen Arbeitsteilung. Das Wachstum des Außenhandels liegt seit Jahrzehnten über dem der Produktion, das der internationalen Direktinvestitionen sogar noch erheblich darüber. Neue Technologien lassen weltweite Kommunikationsnetze entstehen, die sich am deutlichsten auf die Integration der internationalen Finanzmärkte ausgewirkt haben. Dieser Trend hin zu mehr Außenhandel und Direktinvestitionen, zur Herausbildung von neuen komparativen Vorteilen, insbesondere im Zusammenhang mit den technischen Innovationen im Kommunikations- und Dienstleistungsbereich, wirkt sich auf regionaler Ebene in vielfältigen und teilweise schmerzhaften Anpassungsprozessen aus. Mit der zunehmenden Internationalisierung wird nationaler und europäischer Wirtschaftspolitik jedoch keineswegs der Boden entzogen. Die Herausforderung eines konsistenten Gesamtansatzes bleibt bestehen, wie gerade auch die Krise an 13

s•

Vgl. R. Jochimsen [1], S. lOff.

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Monika Wulf-Mathies

den asiatischen Finanzmärkten 1997 gezeigt hat: Inkompatible wirtschaftspolitische Zielsetzungen kommen heute durch größere Kapitalmobilität und zunehmende Liberalisierung der Devisenmärkte lediglich schneller ans Tageslicht, als dies bei festen Wechselkursen und regulierten Finanzmärkten früher der Fall war. Mißt man zudem den wirtschaftlichen Integrationsgrad weniger in Börsenumsätzen als in realen Wirtschaftsgrößen, so relativiert sich auch das Bild der Globalisierung: Gemessen am Bruttosozialprodukt haben die realen internationalen Kapitaltransfers heute den Umfang erreicht, der bereits Anfang des Jahrhunderts zwischen den Industrienationen zu verzeichnen war. Es liegt im europäischen Interesse, den Prozess der weltweiten Marktöffnung zu fördern und zu beschleunigen und aktiv für neue, weltweite Ordnungsinstrumente im Bereich der Finanzmärkte und im internationalen Währungssystem einzutreten. Auch muß die EU einen maßgeblichen Beitrag zur Weiterentwicklung des Welthandelssystems leisten, nicht zuletzt um ökologischen und sozialen Standards im Welthandel Geltung zu verschaffen. Die Globalisierung ist kein anonymes Marktgeschehen. Die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, verlangen weniger eine globale Apologetik als vielmehr eine adäquate Wirtschaftspolitik in Deutschland und in Europa. 4.2. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion

Die mehr als zehn Jahre dauernde Vorbereitung der EWWU, einschließlich des Stufenplans zur Einführung desEuros, hathierfürdie Voraussetzungen grundlegend verändert. Nicht zuletzt die gemeinsame Währung wird neue Wachstumsimpulse freisetzen, den Binnenmarkt transparenter machen und eine effizientere Nutzung der ökonomischen Potentiale ermöglichen. Fürdie Regionen heißt dies, daß sich die Standortentscheidungen durch den Wegfall des Währungsrisikos noch stärker als bisher an regionalen Kriterien ausrichten. Auch ist nicht auszuschließen, daß sich als Folge eines intensiveren Wettbewerbs zusätzliche regionale Konzentrationstendenzen einstellen. Der regionalpolitische Handlungsbedarf wird sich damit insgesamt vergrößern. Unbestritten ist, daß eine gemeinsame europäische Geldpolitik eine engere Abstimmung der übrigen wirtschaftspolitischen Instrumente verlangt. Der Stabilitätspakt zurdauerhaften Begrenzung der öffentlichen Verschuldung in den Teilnehmerstaaten ist hierbei der erste Schritt. Darüber hinaus wird jedoch auch die bessere Abstimmung der nationalen Steuerpolitiken immer notwendiger, so z.B. in der Frage der Mehrwertsteuer-Harmonisierung ebenso wie im Bereich der direkten Steuern 14 • 14

V gl. R. Jochimsen [II], Perspektiven der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Köln 1994, S. 165.

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik

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Dies gilt zunächst für die längst überfällige Umstellung des europäischen Mehrwertssteuersystems auf eine Ursprungslandregelung, die zu einererheblichen Vereinfachung des Binnenmarktes für Produzenten und Verbraucher führen würde. Dringender noch erscheint die Beseitigung des Mißverhältnisses in der Besteuerung von Arbeit und Kapital: Wenn in den letzten 15 Jahrendie Steuerbelastungder Arbeit von 35 vH auf 42 vH gestiegen, die Belastung von Kapital und Energie aber von 45 vH auf 35 vH gesunken ist, so wird das ganze Ausmaß der gegenwärtigen steuerpolitischen Schieflage deutlich, insbesondere mit Blick auf die verheerende Arbeitsmarktlage. Die schleichende Aushöhlung der Besteuerungsbasis - nicht zuletztFolge eines fehlgeleiteten Standortwettbewerbs in Europa- verschärftdiese Entwicklung. Unter dem Vorzeichen einer gemeinsamen Währung kommt der finanzpolitischen Koordinierung auch hinsichtlich der Bewältigung gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte, die aus Veränderungen des weltwirtschaftliehen Umfeldes herrühren, besondere Bedeutung zu. Bei entsprechenden Krisen, die u.U. die europäischen Volkswirtschaften unterschiedlich treffen, wird eine gemeinsame Geldpolitik nur teilweise die erforderlichen Preisanpassungen abfedern helfen. Die Anpassungslasten werden dann die jeweiligen nationalen Finanzpolitiken bzw die Arbeitsmärkte zu tragen haben. Dabei kommtden automatischen Stabilisatoren eine besondere Bedeutung zu. Die Mitgliedstaaten haben sich bei der Errichtung der EWWU gegen ein Finanzausgleichssystem zur Abfederung asymetrischer Schocks ausgesprochen. Es spricht auch vieles dafür, daß beim gegenwärtigen Integrationsstand eine kluge Kombination aus europäischer Geldpolitik und nationalen finanz- und wirtschaftspolitischen Instrumenten wirkungsvoller ist als der Versuch, einen gesamteuropäischen Mechnismus zur Krisenbewältigung zu schaffen. Die allgemeine wirtschaftspolitische Abstimmung der Mitgliedstaaten im Rahmen des "EURO-X-Rates" ebenso wie im Rahmen des neuen Beschäftigungskapitels wird dafür immer wichtiger. Hier entscheidet sich weit mehr als in allen Kommadiskussionen die Akzeptanz und die Glaubwürdigkeit einer langfristig stabilen europäischen Währung. Die europäische Strukturpolitik unter gegenwärtigen Bedingungen zu einem auch konjunkturpolitischen- "Feuerwehrfonds" ausbauen zu wollen, hieße, sie zu überfordern. Weder das vorhandene Instrumentarium, das auf mehrjährige Regionalentwicklungsprogramme hin angelegt ist, noch der Umfang der zur Vefügung stehenden Mittelließen eine solche Aufgabenstellung zu. Vielmehr muß mit der bevorstehenden Reform der europäischen Regional- und Strukturpolitik noch größeres Gewicht darauf gelegt werden, die Anpassungsfähigkeit der Regionen zu fördern. Europas Regionen müssen noch stärker dabei unterstützt werden, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten aufzufächern und ihre Reaktionsgeschwindigkeit zu

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Monika Wulf-Mathies

erhöhen, um den Zeitabstand zwischen dem Niedergang bestimmter Wirtschaftszweige und der Entstehung neuer Produkte und Produktionsverfahren sowie der Erschließung neuer Märkte zu verkürzen. Die europäische Regionalpolitik muß sich darauf konzentrieren, zusätzliche Wachstumspotentiale zu erschließen. Sie liegen vor allem im Aufbau regionaler kleiner und mittlerer Unternehmen, die die Kräfte vor Ort mobilisieren, eine regionale Spezialisierung ermöglichen und so die Wettbewerbsfähigkeit der Regionen stärken. Dazu gilt es in Zukunft, die Innovationsfähigkeit zu stärken, Forschung und Entwicklung, den Technologietransfer und die Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte gezielter zu fördern und das hohe Potential von Umweltinvestitionen für beschäftigungsintensives Wachstum besser zu nutzen. In einem immer dynamischeren Binnenmarkt wird die Qualifikation der Arbeitnehmer zum Schlüssel der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung. Gerade wenn das hohe Sozial- und Einkommensniveau gesichert werden soll, muß verstärkt in Ausbildung investiert und die Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsfaktors Mensch verbessert werden. Sie ist der wichtigste Standortfaktor in einer Welt, die zunehmend von wissensbasierten Technologien bestimmt wird.

4.3. Die Erweiterung der Europäischen Union

Die zweite große Herausforderung für die Strukturpolitik ist die Erweiterung der EU um die zehn Kandidaten in Mittel- und Osteuropa sowie um Zypern. Sie fordert wie selten zuvor Europas eigene Reformfähigkeit im Innern ebenso wie seine politische Gestaltungsfähigkeit nach außen. Der Umfang der Veränderungen, die mit der nächsten Erweiterung zu erwarten sind, wird anband eines Vergleichs mit den bisherigen Erweiterungen deutlich (vgl. die Tabelle): Währenddie Gebiets- und Bevölkerungszunahme mit den zurückliegenden Beitrittsrunden vergleichbar ist, fallen die Einkommensunterschiede wesentlich stärker aus. Mit einem Pro-KopfBIP von ca. 32 vH des Gemeinschaftsdurchschnitts liegen die zehn mittel- und osteuropäischen Länder insgesamt weit hinter den vier strukturschwächsten Ländern der Gemeinschaft der 15, die zusammengenommen bei 74 vH des durchschnittlichen BIP der EU stehen. Eine Erweiterung auf mehr als 20 Mitglieder hätte eine Absenkung des durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP in der EU zur Folge, die deutlicher ausfällt als bei allen vorigen Erweiterungen zusammengenommen. Auch zwischen den Beitrittskandidaten gibt es erhebliche Unterschiede. Die einzelnen Einkommenswerte liegen zwischen 18 vH und 59 vH vH des derzeitigen EU-Durchschnitts; dies entspricht einem Verhältnis von 1 : 3,2 zwischen den am weitesten auseinanderliegenden Kandidaten Lettland und Slowenien. Demgegen-

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Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik Tabelle

Auswirkungen der verschiedenen Erweiterungen der EU Veränderung in vH Gebiet

Bevölkerung

BIP

BIPpro Kopf

EU-9/EU-6

31

32

29

-3

EU-12/EU-9

48

22

15

-6

EU-12/EU-15

43

11

8

-3

EU-26/EU-15

34

29

9

-16

Nach Angaben in Europäische Kommission (Hrsg.).

über besteht derzeit innerhalb der EU ein Gefälle von 66 vH zu 169 vH, das ein Verhältnis von 1 : 2,6 (Griechenland zu Luxemburg) ergibt. Die bestehenden Unterschiede in der Wachstumsdynamik zwischen den Kandidaten lassen auch in Zukunft eher eine weitere Differenzierung erwarten. Hinzu kommt, daß die Verwaltungsreformen und die Neugliederung der Gebietskörperschaften in den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern noch in den Anfängen begriffen sind, ebenso wie die Entwicklung eines regionalpolitischen Instrumentariums. Bereits jetzt ist daher voraussehbar, daß die Fähigkeit, europäische Strukturhilfen zu absorbieren, in verschiedenen Ländern zu einem echten Engpaßfaktor werden wird. Die Beitrittsländer selbst stehen damit vor gewaltigen Herausforderungen: Sie müssen eine ausgewogene regionale Entwicklung sicherstellen, dertechnologische Wandel, rechtliche und institutionelle Reformen, die notwendige Strukturanpassungen in Industrie, Dienstleistungsgewerbe und in der Landwirtschaft müssen bewältigt, die Wettbewerbsfähigkeit der entsprechenden Industrien gestärkt werden. Gleichzeitig bedarf es zusätzlicher Anstrengungen, um die soziale Stabilität dieser Gesellschaften zu wahren. Jedoch wird es auch innerhalb der "alten" Gemeinschaft der 15 durch die Integration der neuen Mitglieder zu spürbaren Strutkturanpassungen kommen. So werden sich die zu erwartenden Wohlfahrtsgewinne aus der Erweiterung u.U. nur auf einige Mitgliedstaaten konzentrieren 15 , die bestehenden Strukturprobleme werden durch Erweiterung und Vertiefung nicht weniger drängend.

15

Vgl. R.E. Baldwin, J.F. Francois and R. Portes, The Costs and Benefits of Eastem Enlargement: The Impact on the EU and Central Europe. "Economic Policy", Oxford, vol. 12 (1997), S. 125ff.

72

Monika Wulf-Mathies

5. Die Herausforderungen meistem Ansätze zur Reform der europäischen Strukturpolitik 5.1. Regionale Konzentration und Haushaltsdisziplin

Mit der bevorstehenden Reform der europäischen Strukturpolitik gilt es, die Balance zwischen drei wesentlichen und teilweise miteinander in Konflikt stehenden Zielen zu finden. Erstens geht es um die Fortsetzung einer solidarischen Kohäsionspolitik der 15 Mitgliedstaaten, die den veränderten Rahmenbedingungen gerecht wird. Darüber hinaus jedoch ist, zweitens, die Finanzierung der Vorbeitritts- · hilfen an die Beitrittskandidaten und - nach dem Beitritt - eine schrittweise Integration der neuen Mitgliedstaaten in die Strukturförderung zu gewährleisten. Beiden Zielsetzungen ist, drittens, die zwingende Nebenbedingung gesetzt, Baushaltsdisziplin zu wahren und- sofern dem Kommissionsvorschlag gefolgt wird- an der bisherigen Obergrenze von 0,46 vH des europäischen BSP für die Strukturpolitik festzuhalten. Soll die europäische Regionalpolitik wirksam und damit auch glaubwürdig bleiben, erfordert dies eine Konzentration der vorhandenen Mittel auf die wesentlichenAufgaben. Bereits derzeiterscheintder Anteil von 51 vH der EU-Bevölkerung, die von der Strukturförderung profitieren, zu hoch gemessen an der Zielsetzung, den wirklichen Problemregionen zu helfen. Der nicht zuletzt durch die Eigeninteressen aller Beteiligten genährte Prozeß der Ausweitung von Fördergebieten und-kriterien würde spätestens mit der ersten Beitrittsrunde ad absurd um geführt. Eine regionale Aufgabenkonzentration liegt auch im Interesse der politisch und wirtschaftlich unumgänglichen Begrenzung des EU-Haushalts. Nachdem sich der Haushalt für die europäische Strukturpolitik innerhalb von zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, lassen die Zwänge zur Haushaltskonsolidierung eine weitere Ausdehnung zunehmend unrealistisch erscheinen. Spätestens die Erweiterung wird deshalb eine größere Kosteneffizienz der Strukturförderung zur notwendigen Bedingung machen. 5.2. Vereinfachung, Dezentralisierung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Unabhängig von der bevorstehenden Erweiterung zeigt eine kritische Bestandsaufnahme der europäischen Strukturförderung in den vergangeneo zehn Jahren, daß erhebliche Effizienzreserven bestehen. Das jetzige System ist in hohem Maße ausdifferenziert: sieben übergeordnete Ziele und 13 Gemeinschaftsinitiativen, die sich insgesamt in mehr als 800 operationeilen Programmen niederschlagen; ferner eine Finanzierung über vier verschiedene Fonds, bei oftmals komplizierten Regelungen für Programmierung und Reprogrammierung, Auswahlkriterien und Rechnungslegung. Unbeschadet der nachweislichen Erfolge der europäischen Kohäsionspolitik ist damit ein Komplexitätsgrad erreicht worden, der die Akzeptanz

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik

73

europäischer Strukturförderung beeinträchtigt. Insbesondere für kleinere Programme und kleinere Regionen hat sich die bestehende Förderstruktur als allzu schwerfällig und unübersichtlich erwiesen. Eine deutliche Reduzierung der Ziele und Programme und eine Vereinfachung der Verfahrensabläufe, verbunden mit einer verstärkten Dezentralisierung wird zu einer erheblichen Reduzierung des bürokratischen Aufwands führen. Eine Voraussetzung dafür ist die klarere Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen europäischer, nationaler und regionaler Ebene. Konzeption und Strategie sind partnerschaftlieh auf europäischer Ebene festzulegen. Die Detailprogrammierung und die Durchführung sollte aus Effizienzgründen auf die nationale bzw regionale Ebene verlagert werden. Eine solche Dezentralisierung muß jedoch mit einer entsprechenden Rechenschaftslegung einhergehen. Dies erfordert die Einrichtung von adäquaten Evaluierungs- und Monitoringsystemen, die die Kommission in den Stand versetzen, ihrer Verantwortungfürden HaushaltderGemeinschaft gerecht zu werden und vor dem Europäischen Parlament und dem Europäischen Rechnungshof zu bestehen. Dieses Vorgehen muß auch sicherstellen, daß die Dezentralisierung auf europäischer Ebene nicht zu einer neuen Zentralisierung auf nationaler Ebene führt. Dies wäre der Fall, wenn es zu einerundifferenzierten Mittelübertragung "en bloc" käme, die vielleicht im Interesse mancher nationaler Finanzverwaltungen läge, die Strukturfonds aber zum bloßen Verteilungsinstrument degenerieren ließe. Gerade den Interessen der Regionen wäre auf diese Weise nicht gedient. Das Partnerschaftsprinzip in der Ausgestaltung und Umsetzung von regionalen Entwicklungsplänen muß deshalb besonders in Bezug auf die Regionen selbst, auf Kommunen, aber auch auf die Sozialpartner gestärkt werden- nicht nur, weil damit effizientere Verwaltungsstrukturen gewährleistet werden, sondern auch, weil das Know-how zur Entwicklung endogener Faktoren am ehesten auf regionaler Ebene zu finden ist. Gerade Reimut Jochimsen verficht mit großem Engagement diese Wahrung des Subsidiaritätsprinzips in der Struktur- und Regionalpolitik: "Strukturpolitische Effizienz läßt sich nurdann wirklich erreichen, wenn derzukunftssichernde regionale Strukturumbau von den Kräften der Region selbst in Gang gesetzt und getragen wird, wenn es also gelingt, das ,endogene spezifische Entwicklungspotential' zuaktivieren" 16 • Ein zweiter Ansatzpunkt für die Reform der Struktur- und Regionalpolitik ist die thematische Neuorientierung, die den veränderten Prioritäten, insbesondere im Bereich der Beschäftigungspolitik, Rechnung trägt und damit auch inhaltlich zu einer Konzentration auf die wichtigsten Probleme führt. Ziel ist es, die neue Programmgeneration auffolgende Schwerpunkte zu konzentrieren: 16

R. Jochimsen [II], S. 163.

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die Förderung eines beschäftigungswirksamen und gleichzeitig nachhaltigen Wachstums, die Mobilisierung zusätzlicher Wachstumspotentiale, die Stärkung der Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der Regionen sowie den Ausbau und die Entwicklung der Humanressourcen auf breiter Front. Für die praktische Umsetzung wird es wichtig sein, diese allgemeinen Prioritäten durch eine genaue Analyse der lokalen Bedingungen zu untermauern. Die Möglichkeiten der horizontalen Evaluierung, wie z.B. "Strukturförderung und kleine und mittlere Unternehmen" oder "Strukturförderung und Umwelt" müssen im Zuge der Reform verbessert werden.

5.3. Die Sicherung eines freien und fairen Wettbewerbs

Ein weiterer wichtiger Reformschritt muß im ordnungspolitischen Bereich erfolgen, insbesondere im Zusammenhang mit der stärkeren Dezentralisierung der Strukturförderung. Es gilt, ein kohärentes und konsistentes System für die staatlichen Beihilfen und Subventionen zu finden, das Verzerrungen in der Ressourcenallokation abbauen bzw. verhindern hilft und dem Subventionswettlauf deutliche Grenzen zieht. Die Erfahrung lehrt, daß solche Grenzziehungen auf zum Teil heftigen Widerstand stoßen, so zweifelhaft die jeweilige Subventionspraxis und so gut die ordnungspolitischen Argumente auch sein mögen. Jenseits des Eigeninteresses der betroffenen Unternehmen - und auch der mittelverwaltenden Behörden - darf jedoch nicht vergessen werden, daß die Regionalpolitik heute ein weit größeres Spektrum abdeckt als die bloße Subventionierung von Investitionen. Technologietransfer, Forschung und Entwicklung sowie Infrastruktur- und Ausbildungsmaßnahmen treten immer stärker in den Vordergrund, so daß die notwendige ordnungspolitische Regulierung der Subventionspraxis bei weitem nicht das Ende der regionalen Wirtschaftspolitik darstellt. Ohne eine solche wettbewerbsrechtliche Regulierung droht gerade eine dezentralisierte Strukturpolitik nur Anreize zu "state aid shopping" der Unternehmen zu setzen. Hinzu kommt, daß gegenwärtig die ärmeren Länder mangels fiskalischer Masse kaum die zulässigen Höchstgrenzen erreichen: Spanien und Irland liegen bei nur 40 vH, während beispielsweise Italien und Deutschland ihre Margen zu 100 vH nutzen. Letztere verbuchen auf diese Weise zwei Drittel der gesamten staatlichen Regionalbeihilfen in der EU und erreichen dadurch einen eher zweifelhaften Wettbewerbsvorteil.

Herausforderungen der europäischen Regionalpolitik

75

5.4. Die Vorschläge der AGENDA 2000

Die Kommission hat mit der AGENDA 2000 im vergangeneo Jahr Eckpunkte für eine Reform der Strukturpolitik vorgeschlagen. Ausgangspunkt ist die Festschreibung des Anteils der Strukturpolitik am gemeinschaftlichen BSP von 0,46 vH. Damit stünden unter der Annahme eines jährlichen Wachstums von 2,5 vH etwa 275 Mrd. ECU (in Preisen von 1997) zwischen 2000 und 2006 zur Verfügung, etwa 30 vH mehr als in der laufenden Förderperiode 1994 bis 1999. Von diesem Betrag würden 45 Mrd. ECU für die Beitrittskandidaten aus Mittel- und Osteuropa sowie Zypern reserviert werden, die zu zwei Dritteln über das gesamtwirtschaftliche Wachstum und zu einem Drittel über das Ausscheiden solcher Regionen finanziert würden, die künftig aufgrunddes angestiegenen Wohlstands nichtmehr förderfähig sind. Mit den Vorschlägen, die jetzt sieben strukturpolitischen Ziele auf drei zu reduzieren und die bestehenden 13 Gemeinschaftsinitiativen ebenfalls auf drei zu beschränken, zielt die Kommission auf ein grundlegend vereinfachtes und praxisnäheres Konzept ab. Inhaltlich steht die Konzentration auf die drängenden Arbeitsmarktprobleme im Vordergrund. Gleichzeitig soll bis zum Ende der Förderperiode im Jahr 2006 der Anteil der förderfahigen Bevölkerung von derzeit 51 vH auf35 bis 40 vH der Gesamtbevölkerung zurückgeführt werden. Für die bevorstehende Erweiterung schlägt die Kommission eine mehrstufige Strategie vor, die den Kandidaten die Anpassung an den gemeinschaftlichen Acquis im Bereich der Strukturpolitik erleichtert und den Weg für eine volle Teilnahme an der Strukturförderung ebnet. Sie soll eine Abstimmung der verschiedenen Gemeinschaftsinstrumente erreichen und in besonderer Weise die Kandidatenländer berücksichtigen, die noch keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen haben. Maßnahmen zur Stärkung der Verwaltungen und zum Aufbau eines strukturpolitischen Instrumentariums sind bereits angelaufen. Darüber hinaus sollen Struktufördermaßnahmen in Höhe vonjährlich 1 Mrd. ECU vor allem im Vekehrs- und Umweltbereich die Beitrittsvorbereitungen erleichtern. Für die strukturpolitische Förderung neuer Mitgliedstaaten nach ihrem Beitritt werden nach dem Vorschlag der Kommission 38 Mrd. ECU zur Verfügung stehen. Um der begrenzten Absorptionsfähigkeit der Beitrittsländer Rechnung zu tragen und um makroökonomische Verzerrungen zu vermeiden, ist vorgesehen, die Förderung für die neuen Mitgliedstaaten schrittweise zu erhöhen und sie - wie für die 15 Mitgliedstaaten - auf höchstens 4 vH des BIP zu begrenzen. Am Ende dernächsten Förderperiode werden etwa 30 vH der Strukturfördermittel für die Integration der neuen Mitgliedstaaten aufgewendet werden, womit diese in etwa das Förderungsniveau von Griechenland erreichen würden. Die Reform der europäischen Struktur- und Regionalpolitik leistet damit einen wesentlichen Beitrag, um die Erweiterung zu einem globalen, alle Bewerberstaaten einschließenden

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Prozeß zu machen, der stufenweise verlaufen und dem Vorbereitungsstand eines jeden Bewerberstaates Rechnung tragen wird. Die angelaufenen Verhandlungen mit Zypern, Ungarn, Polen, Estland, der Tschechischen Republik und Slowenien sind somit nur der erste Schritt. Der Abschluß der Verhandlungen und das tatsächliche Beitrittrittsdatum richten sich allein nach dem Tempo und den Fortschritten der Bewerberstaaten im politischen und wirtschaftlichen Reformprozeß.

6. Schlußbemerkung Mit Recht setzt die AGENDA 2000 gerade unter dem Vorzeichen der Erweiterung einen besonderen Akzent bei der Kohäsionspolitik. Mit ihr sind die Leitbegriffe Konzentration, Effizienzsteigerung und Vereinfachung fürdie Reform der Strukturförderung verankert worden. Für den Erweiterungsprozeß wurde ein differenziertes Instrumentarium entwickelt, das einerseits die Koordinierung der EU-Politiken gewährleistet, andererseits mit genügend Finanzkraft und Flexibilität ausgestattet ist, um eine Integration der Beitrittskandidaten zu ermöglichen. Die EU-Kommission hat ihre Vorschläge zur Reform der europäischen Strukturpolitik gemacht. AufGrundlage dieser Vorschläge können jetztdie Voraussetzungen geschaffen werden, um auch in der erweiterten EU und mit einheitlicher Währung den Kohäsionsauftrag zu erfüllen. Der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt bleibt weiterhin Kernbestandteil der EU und Ausdruck des europäischen Gesellschaftsmodells. Nur gemeinsam und solidarisch wird Europa die Wachstums- und Innovationspotentiale mobilisieren können, die eine wirksame Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erlauben. Nur durch die EU wird Demokratie und Stabilität in ganz Europa gesichert werden können. Europa bleibt damit wie zu seinen Anfängen vor mehr als 40 Jahren eine mutige Vision. Die Einführung des Euro und die bevorstehende Erweiterung werden ihre nächsten Prüfsteine sein.

Politische Planung

Paradigm lostZu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung Von UHrich Heilemann 1 Mit Schlagwörtern wie "reinventing government" oder "schlanker Staat" ist auch die Praxis der staatlichen Wirtschaftspolitik in die Diskussion geraten und wird sowohl ihre als auch die Effizienz der wirtschaftspolitischen Beratung kritisch hinterfragt2 • Vor diesem Hintergrund setzen sich die folgenden Ausführungen mit derpolitischen Planung, einem wichtigen Teilaspektdieses Problemkreises, auseinander. Zu diesem Zweck ist zunächst ein kurzer Blick zurück hilfreich. Mitte der sechziger Jahre war auch in der Bundesrepublik das "normative Modell" 3 zum herrschenden Paradigma staatlicher Wirtschaftspolitik geworden, was 1967 in den Instrumenten- und Zielfixierungen des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes (StabG) seinen Niederschlag fand. Nach der ersten Ölkrise verlor dieses Modell zwar sukzessive an Einfluß, aber es dauerte bis in die achtziger Jahre, ehe das positive, regelorientierte Politikverständnis Ru chanans und Tullocks unter dem Eindruck der vermeintlich oder tatsächlich unbefriedigenden Erfahrungen mit dem normativen

2

Für hilfreiche und kritische Anmerkungen und Kommentare ist der Verfasser den Herren Dr. Egon Neuthinger, Dr. Otto Singer sowie Dipl.-Volksw. Hans-Günther Süsser, alle Bonn, zu Dank verpflichtet. Vgl. dazu z.B. die Beiträge von Schlecht, Krupp, Wünsche und Hickel in 0. Schlecht und U. van Suntum (Hrsg.), 30 Jahre Sachverständigenrat Bonn 1995, oder die Beiträge in Friedrich Ebert Stiftung (Hrsg.), 25 Jahre Stabilitätsgesetz: Überlegungen zu einer zeitgerechten Ausgestaltung der Stabilitäts- und Wachstumspolitik. (Wirtschaftspolitische Diskurse, Nr. 37 .) Bonn 1992; für die Vereinigten Staaten: K.l. Juster and S. Lazarus, Making Economic Policy- An Assessment of the National Economic Council. Washington, D.C., 1997, sowie die entsprechenden Diskussionsbeiträge in "American Economic Review", vol. 87 (1997), Papersand Proceedings, im ,,Journal of Economic Perspectives", vol. 9 (1995), sowie D.M. Ricci, The Transformation of American Politics - The New Washington and the Rise ofThink Tanks. New Haven und London 1993. Allgemein: G. Peters and A. Parker (Eds.), Advising West European Governments. Edinburgh 1993. Vgl. dazu im einzelnen die Darstellung bei A.K. Dixit, The Making of Economic Policy. A Transaction-cast Politics Perspective. Cambridge, MA, 1996, S. 4ff.

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UHrich Heilemann

Ansatz zur ernstzunehmenden Alternative avancierten4 • Ziselierungen und Ornamentierungen des normativen Modells hielten sich in engen Grenzen. Die mit der Anwendung der im StabG vorgesehenen Maßnahmen verbundenen (neuartigen) Planungsprobleme innerhalb des Regierungssystems fanden bemerkenswert wenig Beachtung, wie Jochimsen im Jahre 1970 in einer vielbeachteten Arbeit zur Etablierung eines entsprechenden Planungssystems im Bundeskanzleramt indirekt erkennen läßt5 • Zwar gibt sich der Verfasser skeptisch bezüglich der zu erwartenden Prognoseleistungen der Mittelfristigen Finanzplanung, was von der seitherigen Entwicklung offenbar gerechtfertigt wurde 6. Aber zumindest im Rückblick überrascht, daß die Probleme der Lageanalyse bzw. der Prognose weder hinsichtlich der langen noch der kurzen Sicht besondere Erwähnung oder Problematisierung erfahren - womit Jochimsen sich freilich bei Wissenschaft und Politik in guter Gesellschaft befand 7• Ungeachtet des allgemeinen Prognoseoptimismus jener Zeit 4

5

6

7

Als Beleg ließe sich auf die vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung propagierten Regeln und Konzepte wie Produktivitätsorientierung der Lohnpolitik, Potentialorientierung der Geldpolitik oder konjunkturneutraler Haushalt verweisen. Vgl. R. Jochimsen, Zum Aufbau und Ausbau eines integrierten Aufgabenplanungssystems und Koordinationssystems der Bundesregierung. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 97/1970.) Bonn 1970, S. 949ff.- Zur weiteren Entwicklung der Reorganisation des Bundeskanzleramts vgl. die Arbeiten von Knöpfte, Mayntz und Scharpf, angesprochen bei A. Murswieck, Policy Avice and Decision-making in the German Federal Bureaucracy. In: G. Peters and A. Parker (Eds.), S. 88f. Eine umfassende systematische Untersuchung der Leistungen der Mittelfristigen Finanzplanung im Lichte ihrer Erwartungen und der ihr angesonnenen Funktionen steht noch aus.- Zur Treffsicherheit der gesamtwirtschaftlichen und finanzpolitischen Annahmen und Prognosen der Mittelfristigen Finanzplanung, der Haushaltspläne und der Jahreswirtschaftsberichte 1975 bis 1981 vgl. E. Neuthinger, Zum finanzpolitischen Planungskonzept in der Bundesrepublik Deutschland - Seine gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen und ihre Realisierung bei erhöhter ökonomischer Unsicherheit. In: G. Bombach, B. Gahlen und A. Ott (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen der Staatstätigkeit (Schriftenreihe des Wirtschaftswissenschaftlichen Seminars Ottobeuren, Band II.) Tübingen 1982, S. 546ff. Zur Haltung der Wissenschaft vgl. z.B. das Gutachten der Wissenschaftlichen Beiräte der Bundesministerien der Finanzen und für Wirtschaft zum Thema: Welche Maßnahmen entsprechen der gegenwärtigen Situation? vom II. Oktober 1955, S. 317ff., in dem viele Planungselemente des StabG vorweggenommen sind, die Prognoseproblematik aber keine Erwähnung findet. - Die recht unbesorgte Haltung der Politik genauer: der Opposition!- wird recht deutlich im Zusammenhang mit den Beratungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der wirtschaftlichen Stabilität- Drucksache V/890- in der 55., 56. und 108. Sitzung der 5. Wahlperiode am 14. und 15. September 1966 und am I 0. Mai 1967. Der Abgeordnete Dr. Schiller fordertenamensder SPD im Rahmen seiner "5 essentials" zwar einen Jahreswirtschaftsbericht, in dem die

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts

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bestand allerdings an sich hinreichend Anlaß zu Skeptizismus, zählen die absoluten und relativen Fehler der Wachstumsprognosen für die Jahre 1967 bis 1969 doch zu den bislang größten in der Geschichte der Bundesrepublik8• Die geringe Aufmerksamkeit läßt sich allenfalls mit der Richtung und den Konsequenzen der Fehler erklären: 1968 und 1969 wurde die wirtschaftliche Dynamik erheblich unterschätzt mit der Folge einer "Problemverringerung" bei der Arbeitslosigkeit und den öffentlichen Finanzen; freilich war es auch genau diese Dynamik und ihre Fehleinschätzung, die mit zu den Stabilitätsproblemen zu Beginn der siebziger Jahre führten. Die Unterschätzung der Prognose- und Implementationsproblematik in repräsentativ verfaßten Demokratien war indessen nicht nur für die Politik charakteristisch9. Auch die wissenschaftliche Diskussion wandte sich diesen Fragen erst post festurn zu 10 . In erster Linie gilt dies für den interventionsfreudigen Keynesianismus11, aber auch der "regelgebundene" Monetarismus 12 erkannte erst spät, daß auch er mit einem Prognoseproblem konfrontiert ist. Im folgenden sollen diese Probleme für die Stabilisierungspolitik näher beleuchtet werden. Gegenstand der Untersuchung sind die Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung (JWB), denen im StabGaus der Binnen- wie aus der Außenperspektive des Regierungshandeins eine wichtige Informations- und Koordinationsfunktion zugeschrieben wird. Zunächst wird aus einer isolierten wie aus einer komparativen Perspektive nach ihrer Treffgenauigkeit gefragt. Diese Perspektive hilft auch bei der Antwort auf die Frage, inwiefern es sich bei diesen

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12

Regierung zu Jahresbeginn die Ziele ihrer Politik auch quantitativ auszuweisen hätte und "darlegen muß, welche möglichen wirtschaftspolitischen Mittel sie zur Abwendung eines drohenden Ungleichgewichts einsetzen will" (Deutscher Bundestag, 5. Wahlperiode, 55. Sitzung, Bonn, 14. September 1966, S. 2672 (C)f.), aber weder hier noch in den Beiträgen von Dr. Amdt (Berlin/Köln) (2703(A)), Dr. Dr. Möller (2754(A)), Ravens (5110(D) oder der Opponenten dieser Forderungen fand die Prognoseproblematik Erwähnung, übrigens auch nicht in den Ausschußberatungen. Zu den Prognosefehlern gesamtwirtschaftlicher Vorausschauen bis 1967 vgl. z.B. W. Lamberts und L. Schüssler, Zur Treffsicherheit von Konjunkturprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute. "RWI-Mitteilungen", Jg. 18 (1967), S. 269ff. Vgl. J. Beyfuss, 10 Jahre Stabilitätsgesetz - Erfahrung und Kritik. (Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, Heft 45.) Köln 1977, S. 22ff. Vgl. dazu z.B. das zitierte Gutachten der Wissenschaftlichen Beiräte der Bundesministerien der Finanzen und für Wirtschaft, in dem die Prognoseproblematik mit keinem Wort erwähnt wird. Vgl. z.B. die allgemeine Erörterung bei H.-P. Spahn, Keynes in der heutigen Wirtschaftspolitik. In: G. Bornbach u.a. (Hrsg.), Der Keynesianismus I - Theorie und Praxis keynesianischer Wirtschaftspolitik. Berlin u.a. 1976, S. 230ff. Vgl. dazu im einzelnen z.B. H.-J. Krupp, Geldpolitik im KonjunkturverJauL (Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 7411995.) Frankfurt a.M. 1995, S. 4.

6 FS Jochimsen

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Prognosen tatsächlich um "Projektionen" handelt, wie im StabG formuliert. Die politische Dimension staatlicher Prognosen ist dabei Anlaß, auch der Frage nachzugehen, ob die Prognosen des JWB verzerrt sind. Die Ausführungen gliedern sich entsprechend: Abschnitt 1 referiert die institutionellen Grundlagen sowie Art und Umfang der Prognosen des JWB. Abschnitt 2 gibt einen Überblick über bisherige Befunde zum Thema. Abschnitt 3 stellt die empirischen und methodischen Grundlagen der Untersuchung vor und präsentiert ihre Ergebnisse. Anschließend wird der Informationsgehalt der JWB-Projektion bezüglich geplanter gesamtwirtschaftlicher Maßnahmen geprüft. Eine Zusammenfassung und eine Diskussion möglicher Schlußfolgerungen beschließen die Ausführungen.

1. Staatliche Prognosen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung Die Bundesregierung läßt für ihr wirtschaftliches Handeln und dessen Kommunikation nach außen eine Reihe von Prognosen intern und extern erstellen 13 • Zu letzteren zählen seit 1950 die sog. Gemeinschaftsdiagnose der großen Wirtschaftsforschungsinstitute (GD) 14 und seit 1964 die Vorausschau des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) 15 • In einem weiteren Verständnis ließen sich hierzu auch die Prognosen der Organisation for Economic Cooperation and Development(OECD), desinternationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank oder der Europäischen Kommission zählen. Ihre eigenen Konjunkturdiagnosen und-prognosenpräsentiertdie Bundesregierung der Öffentlichkeit im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts und in den Monatsberichten zur wirtschaftlichen Lage des Bundesministeriums für Wirtschaft 13

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15

Vgl. dazu im einzelnen, namentlich auch den "Paradigmenwechsel", 0. Singer, Knowledge and Politics in Economic Policy-making. In: G. Peters and A. Parker (Eds.), S. 72ff., sowie A. Murswieck, S. 87ff. Die GD wird im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums derzeit von folgenden Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V., Berlin, im Frühjahr und Herbst durchgeführt: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin (Institut für Konjunkturforschung), HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung, Hamburg, ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, Institut für Wirtschaftsforschung Halle und Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Essen. Der Sachverständigenrat erstattet nach § 6 des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14. August 1963 jährlich ein Gutachten (Jahresgutachten) und leitet es der Bundesregierung bis zum 15. November zu.

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts

83

(BMWi) (seit 1947) 16 • Der JWB wird nach Maßgabe des StabG seit 1968 erstellt 17 und soll der internen Koordination der staatlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik einerseits und der Information der Wirtschaft und aller anderen Interessierten über die von der Bundesregierung angestrebten Zielwerte bzw. Wirtschaftspolitik andererseits dienen. Zu diesem Zweck legt die Bundesregierung im Januar eines jeden Jahres Bundestag und Bundesrat den Jahreswirtschaftsbericht vor (§ 2 Abs. 1 StabG). Er enthält im einzelnen die Stellungnahme zudemJahresgutachtendes SVR (§ 2Abs. 1 Satz 1 StabG)eineDarlegungderfürdas laufendeJahrvon der Bundesregierung angestrebten wirtschafts- und finanzpolitischen Ziele (Jahresprojektion), die sich der Mittel und der Form der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) bedient, gegebenenfalls in Alternativrechnungen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StabG). Kennzeichnend für die Jahresprojektionen sind 18 , erstens, ihr Zielcharakter, d.h. es müssen realistische Zielwerte für "Wachstum", "Beschäftigungsstand", "Preisniveauentwicklung" und "Außenwirtschaftliches Gleichgewicht" festgelegt werden, und sie müssen unter Einbeziehung der geschätzten Wirkungen der vorgesehenen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen erfolgen; zweitens, die Darstellung in der Form der VGR, getrennt nach Entstehung, Verteilung und Verwendung des Bruttosozialprodukts (BSP), wobei sich im Lauf der Jahre Darstellungsform und Tiefengliederung gewandelt haben. Die Werte werden in Niveaus und in Veränderungsraten ausgewiesen, letztere auf halbe Prozentpunkte gerundet, gelegentlich auch als Bandbreiten. Die im JWB enthaltene Einschätzung der kurzfristigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung unterscheidet sich von Prognosen terminologisch insofern, als sie als "Projektionen" bezeichnet werden. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich weniger um eine Wahrscheinlichkeitsaussage, als vielmehr um eine ,,Mög-

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Entsprechende Aussagen finden sich allerdings auch in den öffentlichen Äußerungen von Vertretern der Bundesregierung bzw. der Ministerien, insbesondere natürlich des Bundeswirtschaftsrninisteriums; daneben erstellt ein interministerieller Arbeitskreis "Gesamtwirtschaftliche Vorausschätzungen" jährlich zweimal Konjunkturprognosen, die auch Grundlage der amtlichen Steuerschätzungen (Mai, November) bilden. Diese Prognosen werden allerdings nicht veröffentlicht, so daß sie hier außer Betracht bleiben. Es ist davon auszugehen, daß für sie in inhaltlicher und methodischer Hinsicht das für den JWB Gesagte zutrifft. Seit 1963 hatte es bereits jährliche Zielprojektionen sowie Stellungnahmen zu den Gutachten des SVR in den Wirtschaftsberichten des Bundeswirtschaftsministeriums gegeben, die hier aber unbeachtet bleiben. Vgl. H.-G. Süsser, Artikel "Jahreswirtschaftsbericht". In: D. Brummerhoff und H. Lützel (Hrsg.), Lexikon der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. München 1994, S. 208f. Vgl. hierzu und dem folgenden K. Stern, P. Münch und K.-H. Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft. 2. Auflage, Stuttgart 1972, S. l48ff., sowie H.-G. Süsser, S. 208f.

84

UHrich Heilemann

lichkeitsaussage" handelt 19 • Die dafür gegebenen Begründungen lauten wie folgt: Erstens, die Bundesregierung kann als Hauptzuständige für die Wirtschaftspolitik naturgemäß kaum den Standpunkt eines unbeteiligten Beobachters einnehmen und die wirtschaftspolitischen Ziele bzw. deren mögliche Verfehlung im Prognosezeitraum außer Acht lassen. Sie muß also Maßnahmen einbeziehen, die zur Realisierung der Ziele wirksam werden; zweitens, es muß in diesem Zusammenhang auch die Problematik der Veröffentlichung von amtlichen Prognosen und Projektionen gesehen werden. Insbesondere gilt dies bei Vorausschätzungen der kurzfristigen Wirtschaftsentwicklung unter der Annahme eines wirtschaftspolitischen status quo: Wenn aufgrund einer derartigen Prognose zusätzliche Maßnahmen erwogen werden, die sich im Projektionszeitraum noch auswirken sollen, muß für die Abschätzung der "wahrscheinlichen" Entwicklung eine neue Rechnung durchgeführt werden, d.h. die vorangegangene "status quo-Prognose" ist in diesem Fall keine "Wahrscheinlichkeitsaussage". Schließlich ist, drittens, an die self-fulfillingProblematik20 zu denken, d.h. bei der Veröffentlichung von amtlichen Prognosen und Projektionen müssen die möglichen Antizipations- oder Abwehrreaktionen der Betroffenen stärker berücksichtigt werden als etwa bei denen nicht-staatlicher Forschungsinstitutionen. All dies hat zur Folge, daß die Ergebnisse von Vorausschätzungen der "wahrscheinlichen" kurzfristigen Wirtschaftsentwicklung seitens der Bundesregierung in der Regel nicht veröffentlicht werden. Bei der Beurteilung der Projektionen des JWB ist zu berücksichtigen, daß sie die jährliche Prognoserunde (Herbstgutachten der GD, SVR, Prognosen der Verbände, der einzelnen Wirtschaftsforschungsinstitute und der OECD) nach einer Anhörung von Vertretern dieser Institutionen (einschließlich der Deutschen Bundesbank, aber ohne Verbandsvertreter und ohne die OECD) jeweils MitteJanuar im BMWi ("Jour fixe") abschließen. Bezüglich der Prognosen und der beobachteten Entwicklung hat der JWB mithin die breiteste Informationsgrundlage. Über die Bedingtheit dieser Projektionen erfahrt der Leser des JWB in der Regel sehr wenig, ebenso über die theoretische und empirische Begründung der verwendeten Hypothesen bzw. allgemein überden Sicherheitsgrad der Projektionen. Zwar enthält der Bericht den vorgesehenen Rückblick auf die Jahresprojektion des 19

20

Vgl. hierzu und dem folgenden- die Schule der rationalen Erwartungen hatte in Deutschland noch nicht Fuß gefaßt- K.-H. Raabe, Gesamtwirtschaftliche Prognosen und Projektionen als Hilfsmittel der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. "Allgemeines Statistisches Archiv", Band 59 (1974), S. 2ff. Vgl. dazu neben den klassischen Beiträgen von Morgenstern und Grunberg/Modigliani die Arbeit von E. Fulda, Reflexive Voraussagen. (Europäische Hochschulschriften, xx/438.) Frankfurt a.M. 1994. Unabhängig von der- bestrittenen- Möglichkeit des self-ful.filling/self-destroying ist ihre faktische Bedeutung als gering anzusehen, empirische Belege für entsprechende Wirkungen liegen jedenfalls kaum vor, gleichwohl erfreuen sich ihre Argumente bei Prognostikern großer Beliebtheit.

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts

85

Vorjahres, dieser beschränkt sichjedoch auf eine einfache Gegenüberstellung von beobachteter und prognostizierter Entwicklung, ohne die Fehler in den einzelnen Annahmen oder ihre Bedeutung für das Prognoseergebnis deutlich zu machen oder gar Hinweise auf "endogene" Fehlerursachen oder auf dieEffizienzder Regierungsmaßnahmen zu geben. Auch über das methodische Vorgehen wird nichts mitgeteilt. Insgesamtfolgtder JWB offenbarder Vorgehensweiseder "Iterativen VGR-Prognose"21, bezüglich einzelner Komponenten wird eine Vielzahl von Verfahren herangezogen22.- Was diese prognosetechnischen Aspekte angeht, unterscheidet sich der JWB freilich kaum von der nationalen oder internationalen Praxis.

2. Analysen und Hypothesen zur staatlichen Prognosetätigkeit Die Leistungsfähigkeit staatlicher Wirtschaftsprognosen fand, ungeachtet der häufigen Klagen von Politikern23 , in der Literatur wenig Beachtung. Sofern dies doch der Fall war, konzentrierte sich das Interesse auf die Treffgenauigkeit der Kurzfristprognosen und war dabei eher in generelle Analysen von Kurzfristprognosen eingebettet. Für die Vereinigten Staaten sind aus den letzten Jahren die Beiträge von McNees 24 und von Zarnowitz 25 zu nennen, die den Prognosen des Council of Economic Advisers (CEA) eine ähnliche durchschnittliche und situative Treffsicherheit wie denen des privaten Sektors attestierten unddie auchkeine Anhaltspunkte für Verzerrungen fanden. Sie bestätigten damit frühere Ergebnisse von McNees für die Prognosen des CEA und von Reisehauer für die des Congressional Budget Office (CB0) 26 • 21

22 23

24

25 26

Vgl. dazu G. Tichy, Konjunktur- Stilisierte Fakten, Theorie, Prognose. 2. Auflage, Berlin 1994, S. 204ff., sowie speziell für die Vorgehensweise im Bundesministerium für Wirtschaft noch immer K.-H. Raabe, S. 8ff. Vgl. K.-H. Raabe, S. 8ff. Zu einer sehr nuancierten Darstellung und kritischen Sicht dieses Befundes vgl. C. Noe, Für eine Renaissance der Makropolitik. In: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), S. 57; für die Vereinigten Staaten vgl. dazu den eher traditionellen Befund von E.C. Hargrove and S.A. Morley (Eds.), The President and the Council of Economic Advisers. Interviews with CEA Chairmen. Bou1der, CO, und London 1984. Allgemein: G. Tichy, S. 201. Vgl. S.K. McNees, An Assessment of the "Official" Economic Forecasts. "New England Economic Review", vol. 1995, July/August, S. 13ff., wo auch Hinweise auf frühere Arbeiten des Verfassers gegeben werden. Vgl. V. Zarnowitz, Business Cycles - Theory, History, Indicators, and Forecasting. (NBER Studies in Business Cycley, no. 27.) Chicago 1992, S. 385ff. Vgl. R.D. Reischauer, Comparisons of the CBO and Administration Economic Forecast Records. In: The Economic and Budget Outlook: An Update. Washington, D.C., 1995; vgl. auch M.S. Kamlet, D.C. Mowery and T.T. Su, Whom Do You Trust? An Analysis of Executive and Congressional Economic Forecasts. "Journal of Policy Analysis and Manangement", vol. 6 (1987), S. 365ff.

86

UHrich Heilemann

Für die Bundesrepublik ist neben der erwähnten Arbeit von Neuthinger2 1 auf die von Beyfuss28 zu verweisen, in der es allerdings primär um die Frage ging, ob es sich bei den Projektionen um die vom Gesetzgeber geforderte Zielbeschreibung handelt oder lediglich um eine von jeglichen zielorientierten Maßnahmen unabhängige Prognose, was der Verfasser bejahte. Dieaufgrund polit-ökonomischer Überlegungen oder, spezifischer, mit Blick auf den "politischen Wahlzyklus" naheliegende Frage, ob die staatlichen Kurzfristprognosen wahltaktisch motiviert "verzerrt" sind, hat bislang offenbar noch keine Bearbeitung erfahren 29 : Die Literatur hat sich diesen Möglichkeiten bislang nicht zugewandt, und auch in den erwähnten Arbeiten von Zarnowitz oder M cNees wurde dieser Frage nicht nachgegangen. Ein naheliegender Grund wäre, daß die üblichen Durchschnittsbetrachtungen kaum Hinweise auf Abweichungen von den Leistungen des privaten Sektors gaben.

3. Die Projektionen im JWB Vor diesem Hintergrund wird im folgenden zwei unterschiedlichen Fragenkomplexen nachgegangen: derTreffsicherheitund Verzerrungder Projektionen desJWB sowie seiner wirtschaftspolitischen Informationsfunktionen. 3.1. Treffsicherheit und Verzerrung

Mit Blick auf die Intentionen des JWB beschränkt sich die Untersuchung auf die gesamtwirtschaftlichen Ziele. Die Güte der strukturellen Begründung der Prognose, z.B. der BSP-Prognose über die Verwendungsseite, bleibt, wie üblich, außer Betracht, obwohl auch diese Prognose von der sachlichen - wie auch von der zeitlichen - Aggregation bzw. dem "right for the wrong reason" profitiert. Aus kognitiver Perspektive ist dieser Verzicht bedeutsam, handelt es sich bei Konjunkturprognosen doch in der Regel um konjunktive, d.h. verbundene Prognosen30 , was allerdings auch eine isolierte Betrachtung der Teilprognosen verbietet. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Ziele "Wachstum" und "Stabilität", gemessen an der Veränderungsrate des realen B SP bzw. B IP sowie des Deflators des BSP; die Veränderungsratedes nominalen BSP wird ungeachtet ihrer Bedeutung für 27 28

29

30

Vgl. E. Neuthinger, S. 559ff. Vgl. J. Beyfuss, S. 22ff. Hinweise auf die Gefahr "colorierter Prognosen" finden sich bei K. Mackscheidt und J. Steinhausen, Finanzpolitik I, Grundfragen fiskalpolitischer Lenkung. 2. Auflage, Tübingen 1975, S. 67. Vgl. dazu im einzelnen U. Heilemann, Zur Prognoseleistung ökonometrischer Modelle für die Bundesrepublik Deutschland. (Schriftenreihe des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, N.F. Heft 44.) Berlin 1981, S. 30.

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts

87

abgeleitete Prognosen (z.B. der Steuereinnahmen) ignoriert. Der BSP-Deflator wurde gewählt, um die Auswirkungen von Fehlschätzungen der internationalen Preisentwicklung etwas zu isolieren. Die Ziele "Außenwirtschaftliches Gleichgewicht" und "Beschäftigung" bleiben außer Betracht; letzteres, weil es üblicherweise sehr eng mit dem Wachstum verknüpft ist, ersteres, weil es mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen an Operationalisierungsfähigkeit und Relevanz eingebüßt hat. Untersuchungszeitraum bilden die Jahre 1967 bis 1996, 1990 bis 1996 alter Gebietsstand. Die Prognosewerte wurdenjeweils den JWB, den Herbstprognosen der GD, den Jahresgutachten des SVR und den im Dezember von der OECD im "Economic Outlook" vorgelegten Prognosen für das kommende Jahr entnommen. Die beobachteten Werte stammen aus der dem Prognosejahr folgenden FrühjahrsGD; es handeltsich um die noch vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit wurden die beobachteten entsprechend den Prognosewerten auf halbe vH-Punkte gerundet, bei Angaben von PrognoseBandbreiten auf der Grundlage ihrer Mittelwerte. Die Konfrontation der "Projektion" des JWB mit "Prognosen" bzw. mit beobachteten Werten ist nach dem oben Gesagten natürlich problematisch. Mit Recht läßt sich einwenden, daß eventuelle Treff-Ungenauigkeit beim JWB apriorieben nicht als "Programm-Ungenauigkeit" zu interpretieren ist. Wie die weiteren Ausführungen zeigen, sind auch diese Unterschiede faktisch unbedeutsam. Auf die Analyse der Ursachen der unterschiedlichen komparativen Treffsicherheit wurde verzichtet: Alle Prognosen werden - wie erwähnt- mit Hilfe der mehr oder weniger modifizierten oderergänzten "Iterativen VGR-Prognose" erstellt und machen nur wenige Aussagen über die zugrundeliegenden Hypothesen. Inwieweit die "späte" Vorlage des JWB für die Treffsicherheit eine Rolle spielt, muß hier offenbleiben. Wie bei derlei Untersuchungen ferner üblich, werden auch die Prognosen des Wachstums und der Inflation weitgehend isoliert analysiert, obwohl es sich auch bei ihnen im Grunde um "konjunktive Prognosen" handelt. 3.1.1. Die Genauigkeit Die prognostizierten und die beobachteten Veränderungsraten des realen BSP sind in Schaubild 1 wiedergegeben. Wie Tabelle 1 zeigt, ist der mittlere absolute Fehler (mean average error, MAE) 31 der Wachstumsprognosen des JWB über den gesamten Untersuchungszeitraum mit 1,2 vH-Punkten deutlich niedriger als der der GD, aber auch derdes SVR und der der OECD. Die Werte für den mittleren relativen quadratischen Fehler (root mean square percentage error, RMSPE) bestätigen diese 31

Zur Berechnung der hier und im folgenden verwendeten Fehlermaße vgl. z.B. U. Heilemann, S. 5lff.

I

I

I

I

I

I

I

I

n ~ ll

I

~

85 • OECD

90

I

I

I

~~ u n1

I

-

-

2

~

1-

-

4

0

~

-4 I

95 Jahreswirtschaftsbericht

I

-4

67 70 75 80 D Gemetnschaflsdiagnose 0 Sachverständigenrat • beobachtet Eigene Berechnungen. 1990 b1s 1996 alter Gebietsstand. Zu den Quellen vgl. Text.

1- -2

0

2

4

6

8

-2

0

1-

-

6

8

1967 bis 1996: Veränderung gegenuber dem Vorjahr in vH

Ausgewählte Prognosen des realen BSP

Schaubild I

I

::r

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!!.

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ss:

00 00

89

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts Tabelle I

Prognosegenauigkeit ausgewählter Kurzfristprognosen für die Bundesrepublik Deutschland 1967 bis 1996 BSP-Deflator

BSP real GD

SVR

1,6

1,4

1,4

1,2

0,8

0,8

0,8

0,6

117,3

101,3

130,5

74,2

81,2

64,6

61,4

31,3

OECD

JWB

GD

SVR

OECD

JWB

1967 bis 19961 MAE RMSPE V UM

0,3

0,7

0,3

0,2

0,1

0,1

0,1

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,1

0,1

0,0 0,1

uv uc

0,3

0,3

0,4

0,4

0,30

0,3

0,3

0,7

0,7

0,6

0,6

0,6

0,7

0,6

0,9

BIAS

0,2

0,2

0,2

0,1

-0,1

-0,3

-0,3

0,0

MAE

2,0

1,8

1,8

1,5

1,1

1,1

0,6

1,1

147,7

121,0

168,6

60,1

109,3

83,1

83,3

15,1

0,3

0,3

0,3

0,2

0,1

0,1

0,1

0,1

0,0

0,0

0,0

0,0

0,1

0,2

0,2

0,0

0,5

0,5

0,6

0,6

0,3

0,2

0,3

0,2

0,5

0,5

0,4

0,4

0,6

0,6

0,5

0,8

BIAS

0,2

0,3

0,3

0,1

-0,4

-0,5

-0,6

-0,1

MAE

1,1

0,9

1,0

1,0

0,4

0,5

0,5

0,7

87,3

85,3

88,9

93,1

25,6

22,2

22,1

33,1 0,1

1967 bis 1980 RMSPE V UM

uv uc

1980 bis 1989 RMSPE V UM

uv uc

0,3

0,2

0,3

0,3

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

0,1

0,1

0,0

0,1

0,2

0,1

0,1

0,3

0,1

0,1

0,1

0,9

0,7

0,8

0,9

0,7

0,8

0,8

0,9

BIAS

-0,1

0,1

0,2

0,1

0,1

-0,2

-0,2

-0,2

MAE

1,1

1,1

1,1

0,9

0,6

0,5

0,4

0,5

RMSPE

67,6

68,5

70,1

52,8

58,7

58,8

39,7

40,9

V

0,3

0,3

0,3

0,2

0,1

0,1

0,0

0,0

0,1

0,0

0,1

0,1

0,1

0,1

0,2

0,0

0,7

0,4

0,5

0,5

0,5

0,6

0,2

0,5

0,3

0,6

0,4

0,4

0,5

0,4

0,6

0,5

0,4

0,2

0,4

0,3

0,1

0,1

0,2

-0,1

1990 bisl9961

UM

uv uc

BIAS

Eigene Berechnungen. Zu den Quellen und zur Berechnung der Prüfmaße vgl. Text.- 1Alter Gebietsstand.

!]

90

UHrich Heilemann

Reihenfolge weitgehend, die Unterschiede sind angesichtsder stärkeren Gewichtung größerer Abweichungen ausgeprägter als im Falle des MAE. Der positive Eindruck von der Treffsicherheit der Prognosen würde noch gesteigert, wenn man die z.T. kräftigen Revisionen des realen BSP durch die amtliche Statistik berücksichtigen würde, die sichjahresdurchschnittlich immerhin aufknapp 0,5 vH-Punkte belaufen32 • Bei Teilung des Untersuchungszeitraums ändert sich an dieser Einschätzung nicht viel- die deutliche Verringerung der RMSPE nach 1980 ist offenbar in erster Linie auf den "Wegfall" der erheblichen Prognosefehler zu Beginn des Untersuchungszeitraums sowie im bislang größten Rezessionsjahr ( 1975) zurückzuführen. Das relativ schlechte Abschneiden des JWB im Zeitraum 1980 bis 1989 läßt sich nicht einzelnen Jahren zuordnen. Überraschend ist, daß die Prognosen für Deutschland 1990 bis 1996 am treffsichersten waren - ungeachtet der beträchtlichen Verschlechterungen der Datenlage im Zuge der deutschen Einigung sowie des starken konjunkturellen Einbruchs 1993. Bezüglich derTreffgenauigkeitder Inflationsprognosen ( vgl. Schaubild 2) ergibt sich ein ähnliches Bild: Mit einem MAE von 0,6 vH-Punkten sind die Prognosen der OECD denen des JWB, der GD und des SVR (jeweils 0,8 vH-Punkte) deutlich überlegen (vgl. Tabelle I), bei Zugrundelegung des RMSPE verdoppelt sich dieser Abstand sogar noch. Seit der ersten Hälfte der siebziger Jahre ist eine beachtliche Verringerung der absoluten Fehler festzustellen; sie ist wiederum in erster Linie auf den Rückgang der Raten zurückzuführen. Die Genauigkeit aller Inflationsprognosen hat sich seit 1980 erheblich angenähert. Vergleicht man die Ergebnisse mit denen einer naiven no change-Prognose 33 , so schneiden bei den Wachstums- wie bei den Inflationsprognosen alle vergleichsweise gut ab. Der "Vorsprung" des JWB ist gering, wie die Werte für den (neuen) Theilschen Ungleichheitskoeffizienten (U) deutlich machen. Die Fehler sind überwiegend insofern als "zufällig" (UC) zu klassifizieren, als der Anteil der Mittelwert(UM) und Varianzfehler (UV) am Gesamtfehler deutlich unter 50 vH liegt. Der Befund ändert sich im Zeitablauf zwar etwas, angesichts des niedrigen Fehlerniveaus insgesamt wiegt dies aber nicht schwer. Naturgemäß verdeckt die Durchschnittsbetrachtung, daß die Treffsicherheit im Zeitablaufbzw. mit der konjunkturellen Entwicklung sehr variiert, wie das bereits in den Schaubildern deutlich wurde. Sowohl mit Blick auf die Binnen- als auch die Außenperspektive kommt dem JWB in den kritischen Phasen verständlicherweise 32 33

Vgl. dazu im einzelnen U. Taureg, Kritische Analyse der Revisionspraxis der VGR des Statistischen Bundesamtes. "RWI-Mitteilungen", erscheint demnächst. Die Prognosefehler werden mit denen verglichen, die sich bei Fortschreibung der beobachteten Veränderungsrate der Vorperiode ergeben hätten.

75

80

D Sachverständigenrat • beobachtet Eigene Berechnungen. 1990 bis 1996 alter Gebietsstand . Zu den Quellen vgl. Text.

67 70 D Gemeinschaftsdiagnose

~

85 • OECD

90

95 !:J Jahreswirtschaftsbericht

1-

-

0

I-

-

2

I

~I

0

I

2

3 I

4 I

1I-

5 I

6 I

7 I

8

1-

I-

1-

-

-

-

3

4

5

6

7

8

1967 bis 1996; Veränderung gegenüber dem Vorjahr in vH

Ausgewählte Prognosen des BSP-Deßators

Schaubild 2

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::I

92

UHrich Heilemann

eine besondere Bedeutung zu. Ungeachtet der Diagnose- und Implementationsprobleme konjunkturpolitischer Aktivitäten dürften darin im Prinzip keine Überhitzungen- oder Rezessionen prognostiziert werden, denn nach der Intention des StabG müßte ja die Politik alles daran setzen, diese Fehlentwicklung zu verhindern, und diese Absichten hätten sich in den Projektionen niederzuschlagen. Daß dies aus objektiven- z.B. wegen der Intensität des Einbruchs (Öl-Krise!)- oder subjektiven Gründen - z.B. weil die Haushaltssituation dies nur um den Preis weiterer Verwerfungen gestatten würde- nicht immer im gewünschten Umfang möglich ist, wird im Schlußteil noch zu erörtern sein. Die Ergebnisse zeigen jedenfalls, daß einige Abschwächungen (1981, 1994) und Anspannungen (1991) im JWB wie in den anderen Prognosen durchaus gesehen wurden. Was die situative Treffsicherheit des JWB angeht, so zeigt sich bezüglich des Wachstums, daß die Schrumpfungs-/Rezessionsperioden (1967, 1975, 1981, 1993) in der Tendenz deutlich besser als in den konkurrierenden Prognosen erkannt wurden; eine Ausnahme bildet das Jahr 1982 (vgl. Schaubild 1). Bezüglich der Inflationsraten ergibtsich für alle Prognosen insofern ein ungünstigeres Bild, als die Beschleunigungen - vor allem Ende der sechziger und in der ersten Hälfte der siebziger Jahre - und Verlangsamungen meist erst spät in den Prognosen ihren Niederschlag fanden. Die Fehlschätzungen selbst überschritten allerdings nur in etwa einem Drittel der Fälle den Wert von I vH-Punkt. Der Eindruck einer großen Homogenität der makroökonomischen Prognosen wird auch von den Werten des Maßes von Lamberts/Schüssler34 zur Tendenzerfassung bestätigt: Der Anteil der Wendepunktfehler ist bei den Wachstumsprognosen weniger als ein Viertel, bei den Inflationsprognosen geringer als 15 vH und Überwie Unterschätzungen halten sich mit je etwa einem Drittel die Waage (vgl. Tabelle 2). Die Ergebnisse verbessern sich gegen Ende des Untersuchungszeitraums beträchtlich. Neben den gewissermaßen Objekt-bedingten situativen Fehlschätzungen wäre auch an Subjekt-bedingte zu denken. Eine sich aus politikökonomischer Perspektive anbietende Ursache wären "wahlbedingte" Fehlschätzungen. Wahlen zum Deut34

Zur Berechnung (im einzelnen vgl. U. Heilemann, S. 59): I (!lt- at-I)

Qt =(Pt- at-I) mit:

Pt: prognostizierte Veränderungsrate; ar: beobachtete Veränderungsrale;

wobei bedeuten: I : Überschätzung (der Veränderungsratendifferenz); 0 ~ Qt < 1: Unterschätzung; Qt < 0 Wendepunktfeh1er; Qt = 1 Übereinstimmung; Qt = 0 Sonstige Fehler. Qt >

93

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts Tabelle2

Tendenzerfassung ausgewählter Kurzfristprognosen für die Bundesrepublik Deutschland 1967 bis 1996 BSP-Deflator

BSP real GD

SVR

OECD

JWB

GD

SVR

OECD

JWB

1967 bis 19961 Anzahl der Überschätzungen

3

2

I

2

3

4

5

4

Unterschätzungen

15

14

10

13

13

12

12

14

Wendepunktfehler

7

5

7

6

3

4

2

2

Übereinstimmungen

0

4

7

4

5

4

4

4

sonstige Fehler von

4

4

4

4

5

5

5

5

29

29

29

29

29

29

28

29

1967 bis 1980 Anzahl der Überschätzungen

I

I

I

I

3

3

3

3

Unterschätzungen

8

6

5

7

5

6

5

6 I

Wendepunktfehler

2

2

2

2

I

2

0

Übereinstimmungen

0

2

3

I

2

0

2

I

sonstige Fehler

2

2

2

2

2

2

2

2

13

13

13

13

13

13

12

13

von

1980 bis 1989 Anzahl der Überschätzungen

0

0

0

0

0

I

2

I

Unterschätzungen

5

5

3

3

5

5

4

5

Wendepunktfehler

3

2

3

3

I

I

2

I

Übereinstimmungen

0

I

2

2

3

2

I

2

sonstige Fehler von

2

2

2

2

I

I

I

I

10

10

10

10

10

10

10

10

1990bis 19961 Anzahl der Überschätzungen

2

I

0

I

0

0

0

0

Unterschätzungen

3

4

3

4

4

2

4

4

Wendepunktfehler

2

I

2

I

I

I

0

0

Übereinstimmungen

0

I

2

I

0

2

I

I

0

0

0

0

2

2

2

2

7

7

7

7

7

7

7

7

sonstige Fehler von

Eigene Berechnungen. Zu den Quellen und zur Berechnung der Prüfmaße vgl. Text.- 1Alter Gebietsstand.

[!]

94

UHrich Heilemann

sehen Bundestag fanden in den Jahren 1969, 1972, 1976, 1980, 1983, 1987, 1990 und 1994 statt. Weder bei den Wachstums- noch bei den Inflationsprognosen des JWB finden sich für diese Jahre Anhaltspunkte für entsprechende Fehler. Größere Fehlschätzungen des Wachstums Jassen sich nur für 1969 identifizieren, aber dabei handelt es sich um eine beträchtliche Unterschätzung, also dem Gegenteil von dem, was man unter Zugrundelegung von wahltaktischen Überlegungen den Projektionen einer Regierung a priori ansinnen würde. Lediglich für das Wahljahr 1987 ist eine überdurchschnittliche Überschätzung des Wachstums zu registrieren. Aber hier irrten sich mit Ausnahme des SVR die anderen Prognostiker im gleichen Maße. Auch bei den Inflationsprognosen finden sich keine Anhaltspunkte für "wahlbedingte" Fehler. Zwar ist für die Wahljahre überwiegend eine Unterschätzung zu konstatieren, was auf wahltaktische Einflüsse schließen Jassen könnte. Aber die Fehler sind nicht größer als im Durchschnitt und finden sich im gleichen Maße auch bei den Prognosen von GD, SVR und OECD. 3.1.2. Verzerrungen Die Freiheit der Prognosen von Verzerrungen, also von Tendenzen zur Über- oder Unterschätzung, ist eine wichtige Eigenschaft für ihre Akzeptanz. Mit Blick auf die beabsichtigten Außenwirkungen des JWB wird man ihr eine besonders große Bedeutung zubilligen müssen. Bei der Prognose des Wachstums schneidet der JWB hier wiederum am besten ab (Bias 35 : 0,1), wenn auch die Unterschiede zu den anderen Prognosen nicht als bedeutsam anzusehen sind 36 • Etwas aus dem Rahmen fallen die deutlichen Überschätzungen im Zeitraum 1990 bis 1996. Im Falle der Inflationsprognosen bleiben die Prognosen des JWB mit einer deutlicheren Tendenz zur Unterschätzung hinter den Prognosen des SVR sowie vor allem der OECD zurück. Die- im Durchschnitt -festgestellten Unterschätzungen der Inflation korrespondieren im übrigen bemerkenswert gut mit den Überschätzungen des Wachstums, der regressionsanalytische 35

Der Bias-Koeffizient erreichnet sich als l N Bias= - L 1 p1 - a1 1 N •=t

mit:

N: Anzahl der Prognosen.

36

Auf den Ausweis der Ergebnisse der neuerdings vielfach üblichen Rationalitätstests wird hier verzichtet; zur Begründung vgl. R.H. Webb, The Irrelevance ofTests for Bias in Series of Macroeconomic Forecasts. "Federal Economic Review of the Federal Reserve Bank of Richmond", vol. 1987, November/December, S. 3ff. Die entsprechenden Regressionsergebnisse klassifizieren die hier ausgewiesenen Bias-Werte als nicht-signifikant, da die Absolutglieder nahe bei 0, die Steigungsparameter nahe bei l liegen.

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts

95

Zusammenhang zwischen den beiden Fehlem37 erweist sich freilich nur für den Zeitraum 1980 bis 1989 als negativ, was mit dem in diesem Zusammenhang störenden Einfluß der beiden Ölkrisen zusammenhängen dürfte. 3.1.3. Ursachen Auf eine tiefergehende Analyse der methodischen Ursachen für das vergleichsweise gute Abschneiden des JWB wird, wie eingangs erwähnt, verzichtet, da dies nur mit sehr großen Einschränkungen möglich ist und zudem methodische Fragen hier nicht interessieren. Angesichts dervergleichsweise späten Veröffentlichung des JWB liegt es nahe, eine Ursache in seinem umfassenderen Informationsstand zu vermuten. Dieser dürfte in dreierlei Hinsicht bedeutsam sein: erstens wegen des Vorliegens anderer Prognosen; zweitens wegen des aktuelleren Datenstandes, d.h. der Einbeziehung der ersten vorläufigen Ergebnisse der VGR für das abgelaufene Jahr; drittens und damit zusammenhängend wegen des kürzeren Prognosehorizontes (vier versus sechs bzw. fünf Quartale im Falle von GD bzw. SVR und OECD). Die größte Bedeutung dürfte dabei dem zweiten Element zukommen, ohne hier den formalenNachweis zu liefern 38 • Die neuerdings vielfachdiskutierte Möglichkeitder Prognosekombination39 , die sich im vorliegenden Zusammenhang besonders anzubieten scheint, kommt übrigens bereits im Stützbereich zu einerdeutlich niedrigeren Treffsicherheit als der JWB 40 • Daß die Projektionen des JWB- aber auch die anderen Prognosen-vergleichsweise frei von Verzerrungen sind- auch hier treffen sich die Befunde mit denen für 37

Der getestete Ansatz lautet: BSP-Fehler = Ao +AI PBSP-Fehler + Ut, mit:

PBSP: BSP-Deflator.

38

39

40

Für die Vereinigten Staaten ist der angesprochene Zusammenhang übrigens durchweg in der erwarteten Weise zu registrieren (vgl. V. Zarnowitz, S. 428). Dies könnte z.B. durch die (regressionsanalytische) Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den Fehlern der den Prognosen für das kommende Jahr zugrundeliegenden Prognosewerte für das abgelaufene getestet werden. Vgl. die Hinweise bei V. Zarnowitz, S. 407ff., aber auch dessen Zitat R.L. Winklers: "Much has been leamed from two decades of effort to develop a theory of optimal forecast combinations, which however does not promise a single best rule but rather suggests different procedures depending on the underlying assumptions and purposes". Der geschätzte Ansatz lautet BSPJWB = Ao +AI BSPoo + A2 BSPsvR + A3 BSPoECD + Ut. Es zeigt sich zwar, daß ein deutlicher Zusammenhang zwischen den BSP-Prognosen des JWB und jenen der GD sowie des SVR besteht, die Treffsicherheit der Kombinationen bleibtjedoch hinter der der originären JWB-Projektion zurück.

96

UHrich Heilemann

die Vereinigten Staaten41 -, dürfte in erster Linie ein Ergebnis der Prognosekonkurrenz sein, die risikoaversives Verhalten der Prognostiker natürlich keineswegs ausschließt. Zwar bieten unterschiedliche Annahmen und makroökonomische Hypothesen sowie spezifische Informationen42 durchaus Spielraum für unterschiedliche Prognoseergebnisse. Die, wenn auch nur teilweise, Offenlegung der Annahmen, vor allem aber die Veröffentlichung der Prognosen, schränkt diesen jedoch erheblich ein- von der ex post-Auseinandersetzungdes Jahreswirtschaftsberichts mit seiner Projektion ganz abgesehen.

3.2. Programmatische Informationen

Sehr viel negativer als hinsichtlich der Treffsicherheit ihrer Projektionen sind die JWB hinsichtlich ihrer spezifischen Zielsetzung zu beurteilen, ein quantitatives Bild der von der Bundesregierung angestrebten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der ggf. dazu von ihr vorgesehenen Maßnahmen, ihrem gesamtwirtschaftlichen Wirkungs- und Zeitprofil zu geben. In den bisherigen JWB wurden ex ante derartige Maßnahmen explizit kaum angesprochen, wobei sich die Quantifizierungen in sehr engen Grenzen hielten; gelegentlich wurden ex post "Erfolgskontrollen" durchgeführt, so z.B. im JWB 1976 (Anlage 2). Partielle Alternativrechnungen finden sich im JWB 1971 (Ziffer 61 ). Die Evidenzen für eine implizite Berücksichtigung wirtschaftspolitischer Maßnahmen sind bescheiden. Auch wenn man davon ausgeht, daß die prozeßpolitischen Maßnahmen im betrachteten Zeitraum selten einen Umfang von mehr als I vH des BSP erreichten (vgl. Übersicht 143 ) - um nur das Wachstumsziel zu betrachten-, so spricht die große Ähnlichkeit der Prognosen von GD, SVR und OECJY4 nicht dafür, daß die Projektionen des JWB einen spezifischen wirtschaftspolitischen Gestaltungswillen der Bundesregierung widerspiegelten. Vorzeichen und Größenordnung der Prognosefehler beim Wachstumszielließen sich zwar z.B. in einigen Jahren ( 1967, 1975, 1982, 1987, 1993) in dieser Weise interpretieren -das Jahr 1981 würde freilich auch hier ausdem Rahmen fallen. Aber die Veränderungsratenbetrachtung ist vergleichsweise grob, und auf 41 42

43

44

Vgl. V. Zamowitz, S. 422ff., S.K. McNees, S. 22. In diesem Zusammenhang wäre z.B. an die ersten Jahre der Deutschen Einheit zu denken - die hier vorgestellten Ergebnisse geben allerdings keinen Anlaß, einen spezifischen Informationsvorsprung der Bundesregierung bzw. des JWB zu vermuten. Vgl. dazu im einzelnen U. Heilemann, H. Gebhardt und H.D. von Loeffelholz, Wirtschaftspolitische Chronik der Bundesrepublik 1960 bis 1995. (utb, Band 1778.) Stuttgart 1996, S. 42ff.- Die Wirkungsschätzungen wurden den entsprechenden amtlichen Quellen entnommen, ob und ggf. welche Sekundärwirkungen sie enthalten, bleibt für Außenstehende offen. Die Korrelationen zwischen den vier Prognosen bewegen sich beim realen BSP zwischen 0,69 (OECD/JWB) und 0,81 (SVRIJWB ), wobei das erste Ergebnis niedriger ist als das für GD/JWB (0,77)!

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12,9

I Programm zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum bei Stabilität

1974, Dez.

1978, Juli

-10

19 (0,8) 4,8 (0,2) 19,1 (0,8) -14,5

Steuerreform 1986/883

Steuersenkungs-/-erweiterungsgesetz

Steuerreform 19903

Gesundheitsreform4

1985, Mai

1987, Juni

1988, Juni

1988, Nov.

(-{},3

1968: 5,0 (0,9) 1976: 4,711977: (0,4) 1976: 4,0 (0,4) 1979: 5,0 11980: (0,4) 1981: 4,2 (0,3) 1983: -23,0 (1,4)

II 11988: 8 (0,6) (0,4) 1988: 4,8 (0,2) 1990: 19,1 (0,8) 1989: -7,5

1986:

(-{),6

1967: 7,5 (1,5) 1975: 2,4 (0,2) 1975: 0,2 (0,02 1978: I ,0 (0,1) 1980: 12,7 (0,9) 1982: -19,0 (1,2) 1983: -18 (-1,1 1984: -10

ossF.N

RWJ

4,0 11981: 3,0 11982: 3,0 (0,3) (0,2) (0,2)

4,4 (0,4)

davon wirksam im Jahre

Nach Angaben in Rheinisch-Westfalisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Anhaltend hohe staatliche Defizite hemmen wirtschaftliches Wachstum. (RWI-Konjunkturbriefe, Nr. 7-811980.) Essen 1980, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Abschlußbericht der Bundesregierung über das Erste Konjunkturprogramm und das Zweite Programm für besondere konjunktur- und strukturpolitische Maßnahmen 1967/68. Deutscher Bundestag, Drucksache V/3630. Bonn 19XX, S. I0 und S. 22, und U. Heilemann, H.D. von Loeffelholz und H. Gebhardt sowie eigene Berechnungen. Die Wirkungsschätzungen wurden den entsprechenden amtlichen Quellen e~tnommen, ob und ggf. welche Sekundärwirkungen sie enthalten, bleibt für Außenstehende offen. - 1Nur ausgabenpolitsche Maßnahmen; Aufteilung nach Auftragsvergabe. - Wirkung der konjunkturpolitischen Maßnahmen mit nicht ~grenzter Dauer werden mit dem Betrag für ein volles Jahr angesetzt und entsprechend der tatsächlichen Be- un~ Entlastung den jeweiligen Kalenderjahren zugeordnet. - ·Bei den Steuerreformpaketen sind jeweils nur die Entlastungvolumina im Jahr des lnkrafttretens angegeben. - Einsparungen bis 1992 auf 14,5 Mrd. DM steigend.

(-{},6)

Haushaltsbegleitgesetz 1984

I

1983, Dez.

-18 (-1,1)

I Haushaltsbegleitgesetz 1983

1982, Dez.

42,0

16,8

Paket zur Stärkung der Nachfrage und zur Verbesserung des Wirtschaftswachstums "Operation '82"

1977, März

I

16,0

Programm zur wachstums- und umweltpolitischen Vorsorge2

1981, Sept.

5,3

Programm zur Stärkung von Bau- und anderen Investitionen

1975, Aug.

I

12,5

Beschlossenes Finanzvolumen

I Erstes und Zweites Konjunkturprogramm

Programm

1967 bis 1995, in Mrd. DM bzw. vH des BSP (in Klammem)

1967, Jan., Sept.

Beschlossen im Jahre

Relative Bedeutung ausgewählter Programme zur Förderung von Konjunktur und Wachstum

Übersicht I

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98

UHrich Heilemann

eine tiefergehende Analyse, etwaanband der Konstruktion einer autre monde, muß hier verzichtet werden. Schließlich könnte auch argumentiert werden, die Prognosen von GD, SVR oderOECD wären bereits von entsprechenden prozeßpolitischen Überlegungen bzw. Annahmen geprägt. Die Praxis der Prognosen, vom geltenden Rechtsstand auszugehen, wie auch die Prognoseerläuterungen von GD, SVR oder OECD, liefern für diese Vermutung allerdings keine Anhaltspunkte. Im Fall der Inflationsprognosen ließe sich mit Blick auf die Tendenz zur Unterschätzung in den siebziger Jahren ein entsprechender Gestaltungswillen mit etwas mehr Berechtigung vermuten, insbesondere natürlich angesichts ihrer möglichen Konsequenzen für die Tariflohnforderungen und -entwicklung, aber die außenwirtschaftliehen bzw. lohnpolitischen Ursprünge der Inflationsdynamik sprechen eher für eine Überraschung der Prognostiker.

4. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen Zusammengefaßt ist den Wachstums- und Inflationsprojektionen des JWB im Zeitraum 1967 bis 1996 eine im Durchschnitt- absolut und komparativ- hohe Treffsicherheit zu attestieren. Bezüglich des Wachstums erweisen sich die Schätzungen der Regierung denen der GD, des SVR und der OECD als überlegen, bei der Inflation werden sie lediglich- und auch das nur bis Anfang der achtziger Jahrevon denen der OECD übertroffen. Im Zeitablauf variieren diese Ergebnisse nur wenig. Deutliche Abweichungen von diesem Bild sind bei allen betrachteten Prognosen für die Boom- und die Rezessionsjahre zu konstatieren. Anhaltspunkte für deutliche Verzerrungen der Projektionen des JWB, namentlich für wahltaktisch beeinflußte, fanden sich nicht.- Völlig unzureichend erfüllt der JWB freilich den ihm im StabGauch aufgegebenen Auftrag der quantitativen Information über die von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen zur Sicherung oder Wiederherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts45 •46 • 45

46

Die Problematik der Bestimmung des "gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" soll hier unerörtert bleiben, vgl. dazu z.B. die Hinweise bei Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1997/98. Stuttgart 1997, Ziffer 335. Dies gilt in etwas abgemilderter Weise übrigens auch für den SVR, der in § 2 des Gesetzes über die Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom 14. August 1963 aufgefordert ist, "die Ursachen von aktuellen und möglichen Spannungen zwischen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und dem gesamtwirtschaftlichen Angebot aufzuzeigen, welche die in Satz 2 genannten Ziele gefährden. Bei der Untersuchung sollen jeweils verschiedene Annahmen zugrundegelegt und deren unterschiedliche Wirkungen dargestellt und beurteilt werden." Derartige Alternativrechnungen finden sich allerdings nur gelegentlich in den JG, vor allem in den sechzigerund siebziger Jahren.

Zu den Projektionen des Jahreswirtschaftsberichts

99

Der Forderung nach "Projektion" im Sinne der Berücksichtigung- wie konkret auch immer- vorliegender Maßnahmen ist im bisherigen Rahmen des JWB freilich aus mehreren Gründen auch kaum zu entsprechen. Zunächst stellt sich ein Auswahlproblem: Wegen der generellen Interdependenz allen wirtschaftlichen, gesellschaftliehen und politischen Geschehens gibt es kaum Maßnahmen, Ereignisse und Verlautbarungen im öffentlichen Bereich, die keine konjunkturellen Wirkungen entfalten, wobei nicht nur an aktives Handeln zu denken isr7 • An zweiter Stelle steht als Hindernis der- zu kurze- Prognosehorizont Es gibt nur wenige stabilisierungspolitische Maßnahmen, die ihre Wirkungen sofort entfalten, und ihnen kommt in der Regel- wie z.B. bei einer Mehrwertsteuererhöhung- zwar beträchtliche fiskalische, aber nur geringe stabilisierungspolitische Bedeutung zu. Bei fiskalischen und erst recht bei geldpolitischen Stabilisierungsmaßnahmen muß mit wesentlich längeren Wirkungsfristen gerechnet werden - zwei Jahre dürften eher die Untergrenze markieren48 , von der Dauerder Impulse ganz abgesehen, die vielfach über zwei Jahre hinausging (vgl. Übersicht I); bei angebotspolitischen Maßnahmen ist von noch sehr viellängeren Wirkungsfristen auszugehen, von den Quantifizierungsproblemen der Impulse und Wirkungen ganz abgesehen. All dies hätte eine deutliche Verlängerung des Prognosehorizontes des JWB zur Folge. Eine dritte Problematik ergibt sich, abgesehen vom recognition lag und den "normalen administrativen lags"49 aus den in einer parlamentarischen Demokratie unvermeidlichen Realisierungsproblemen der Maßnahmen: Bis zur parlamentarischen Verabschiedung sind Regierungsvorhaben der Modifikation oder gar dem Scheitern ausgesetzt, d.h. es ließen sich nur bereits verabschiedete Vorhaben in der Projektion berücksichtigen. Eine vierte, nicht geringere Schwierigkeit resultiert daraus, daß damit die Prognosesicherheit reduziert wird und die allgemeine externe Orientierungsfunktion des JWB, die die Projektionen recht gut erfüllten, mindestens teilweise verlorenginge. Schließlich - und das bildet vermutlich die größte Schwierigkeit - ist allenfalls die staatliche Ausgaben- und Einnahmenpolitik als Instrumentvariable des Bundes anzusehen und auch dies nur in vergleichsweise 47 48

49 7*

Vgl. H. Giersch, Konjunktur- und Wachstumspolitik. (Die Wirtschaftswissenschaften, Reihe B, Band 10.) Wiesbaden 1977, S. 109. Nimmt man die Multiplikatorwirkungen stabilisierungspolitischer Maßnahmen zum Maßstab, so sind nach den Ergebnissen des RWI-Konjunkturmodels im Falle ausgabenpolitischer Maßnahmen ("Öffentliche Bauinvestitionen") nach einem Jahr etwa zwei Drittel der induzierten Wirkungen eingetreten, im Fall zinspolitischer Maßnahmen etwa die Hälfte. Vgl. dazu z.B. U. Heilemann, Erfahrungen mit dem RWI-Konjunkturmode111974 bis 1994. In: U. Heilemann und J. Wolters (Hrsg.), Gesamtwirtschaftliche Modelle in der Bundesrepublik Deutschland: Erfahrungen und Perspektiven. (Schriftenreihe des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, N.F. Heft 61.) Berlin 1998, S. 6lff. Vgl. dazu im einzelnen z.B. H.P. Spahn, S. 24ff.

100

UHrich Heilemann

engen Grenzen (vgl. auch dazu Übersicht 1). Geldpolitik, Wechselkurse oder Lohnpolitik dagegen sind ihrem Einfluß entzogen- auch dies eine Beschränkung, deren Bedeutung vielen und namentlich der staatlichen Wirtschaftspolitikerst lange nach der Verabschiedung des StabGdeutlich wurde- von dem delikatenZusammenwirken zwischen Projektion oder Prognose stabilisierungspolitischer Maßnahmen und deren Ausbeutung durch die übrigen wirtschaftspolitischen Akteure ganz abgesehen. Gänzlich unbekannt oder neu waren diese Schwierigkeiten auch zum Zeitpunkt der Debatte des Stabilitätsgesetzes nicht- in den Schillersehen "essentials" fanden sie jedoch ebensowenig Erwähnung, wie die allgemeinen Prognoseprobleme, von ihrer Diskussion ganz zu schweigen. Daß die Informationsdefizite des JWB in der Folge wenig Anlaß zu Kritik boten, dürfte vor allem damit zusammenhängen, daß sich der trade offzwischen "Transparenz" und Begründungszwang für staatliches Handeln offenbar zunehmendzuUngunsten des letzteren verschoben hat: "Prognosen und Projektionen sind bei der handelnden Politik unbeliebt ( ... )Politiker wollen nicht unter Druck geraten, ihre Argumentation zu korrigieren"50 , mit der Folge, daß die internen und die externen Informationserfordernisse der staatlichen Politik konfligieren. Sollte ungeachtet dieser Befunde und des eingangs angesprochenen wirtschaJtspolitischen Paradigmenwechsels an eine Verbesserung der externen Informationsfunktionen des JWB gegangen werden, sind vor allem zwei Veränderungen angezeigt: Erstens, der Konflikt zwischen der geforderten Projektion und einer "realistischen" Prognose ist durch eine Verlängerung des Projektions- bzw. Prognosehorizontes auf mindestens zwei Jahre zu verlängern, wie das mittlerweile auch die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministers durchgeführte GD leistet; zweitens, die Wirkungen der geplanten oder absehbaren stabilisierungspolitischen Maßnahmen wären, wie vom Gesetzgeberübrigens auch vorgesehen, als Ergänzungsrechnungen zur "Projektion" auszuweisen. Die mit letzterem verbundenen Probleme sind nicht leicht zu überwinden, aber durchaus lösbar, wie die Arbeiten der GD und anderer, namentlich aber des CEA oder des CBO, zeigen. Gewiß, die allgemeinen Überlegungen Jochimsens und anderer zu mehr Transparenz des Regierungshandeins erwiesen sich als schwieriger zu realisieren, als seinerzeit angenommen. Die "Neue Unübersichtlichkeit" ist gleichwohl kein Naturgesetz, und Paradigmen ändern sich.

so

C. Noe, S. 57; vgl. auch G. Tichy, S. 201.

In der Periode des Umbruchs Von Helmut Rohde

I. In den siebziger Jahren traf ich auf Professor Dr. J ochimsen, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft. In diesem Jahrzehnt stieß die herkömmliche Industriegesellschaft auf neue Horizonte. Im Wandel der Verhältnisse und Verhaltensweisen kündigte sich eine Periode sozial-ökonomischen Umbruchs an. Die Signale wurden unübersehbar: so die wachsenden Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt und in den Arbeitsbeziehungen, die Wege, die zu neuer Massenarbeitslosigkeit, Ursachen neuer Armut und sozialer Ausgrenzung führten, zu finanziellen Verwerfungen sozialer Sicherung, die an Verläßlichkeit einbüßte, auch zu langen Schatten über die Erwartungen einstiger Bildungsreform. Ein technologischer Aufbruch und Netzwerke neuer Kommunikationssysteme änderten Produktions- und Steuerungsverfahren. Die Informationsflut wurde gleichsam zum unbegrenzten Rohstoff einer Entwicklung, die auf die Arbeits- und Lebensplanung einwirkte. An vielen Stellen dieser Welt kam es zu industriellen Sprüngen, wandelten sich wirtschaftliche Standorte und damit gleichzeitig Art und Ausmaß des internationalen Wettbewerbs. Die Politik geriet weltweit unter den Druck global operierender Finanzmärkte und sich neu formierender Macht auf den internationalen Märkten. Göttinger Sozialwissenschaftler diagnostizierten in ihren Untersuchungen einen Verfall des Taylorismus und der mit ihm verbundenen Antagonismen. Dieser sozial-ökonomische Umbruch griff am Jahrhundertende folgenreich in die politischen Systeme ein. Es ist kein Zufall, daß sich gleichzeitig mit ihm die historische Korrektur der politischen Weltkarte nach dem zweiten Weltkrieg verband. Nicht allein die kommunistischen Machtstrukturen und Ideologien wurden davon betroffen. Auch die westlichen Industrieländer stießen auf ungewohnte Herausforderungen. Ein Jahrhundert ging zu Ende. Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Frage nach der künftigen Gestalt Europas drängten auf die Tagesordnung. Das wurde nicht zu einem schnellen Marsch in "blühende Landschaften". Von Verheißungen dieser Art konnte die politische Führung nicht leben. Sie stand vor der Frage, wie der sozial-ökonomische Wandel im Lande und die künftige Rolle in der Weltpolitik bewältigt werden sollen. Die Antworten darauf

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Helmut Rohde

enttäuschten die Erwartungen an die neunziger Jahre. Und so blieb offen, wie zusammenfindet, was in Deutschland und Europa zusammengehört.

II. Beim Nachlesen der Debatten vom Ende der siebziger und achtziger Jahre wundert man sich, wie lange die politische Rhetorik dieser Zeit an den neuen Wirklichkeiten vorbeizielte. Was sich seinem Wesen und seiner Zukunft nach als Beginn eines industriegesellschaftlichen Charakterwandels angekündigt hatte, erschien in der Politik, so in Kabinetten, Instituten und in der Wirtschaftswissenschaft lange als nicht viel mehr als eine "konjunkturelle Delle". Wer darüber hinausreichendeFragen stellte, wurde mit Ideologieverdacht belegt. Die öffentliche Debatte verlor sichjahrelang in dem Streit darüber, ob die gewohnte "Delle" eher im Sinne einer "Reinigungskrise" sich selbst überlassen oder ob auf sie mit etatistischen, "keynesianisch" begründeten Finanzinterventionen reagiert werden solle. Damals schrieb ich: "Dem sich beschleunigenden Tempo sozial-ökonomischer Veränderung stehen Labilität und Unsicherheit der Politik gegenüber, eher Unbeweglichkeit als Dynamik. Der agitatorische Umgang mit den Krisenerscheinungen ist verbreiteter als ihre Beherrschung. Das Jahrhundertende ist gezeichnet von Führungsverlust und Strategiedefiziten". Verdrängt wurde die Frage, ob in der Periode des Umbruchs sich ein neu und global etablierender Technologiekapitalismus ankündigte und welche Auswirkungen das auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, auf die Entscheidungsfreiheiten der Politik und auf die sozialen Kulturen haben würde.

111. Wer heute "Reformstau", "Stagnation", "Schwerfälligkeit" undden "Verlust von Werten" beklagt, kommt an den Jahren nicht vorbei, in denen die Politik die Zukunft und das, was sie zu treiben begann, aus dem Auge verlor. Zwar mangelte es nicht an neuen Programmen, Papieren und "Visionen" derpolitischen Apparate. Gravierendes Defizit aber wurde, daß die Periode des Umbruchs nichtmiteiner "gesellschaftspolitischen Strategie" konfrontiert wurde, die auf die soziale Kultur unter den Bedingungen eines neuen Jahrhunderts hinzielt. Was der Soziologe Karl Mannheim einst mit Blick auf das Zeitalter des Umbaus als ein "Denken auf der Stufe der Planung" verstanden hat, ein diszipliniertes Arbeiten und Nachdenken über die "langen Wege der Gesellschaft", geriet aus dem Blickfeld. Im Wiederaufbau nach den zweiten Weltkrieg istdagegen "Gesellschaftspolitik" zur Orientierung für ein demokratisches Gemeinwesen geworden. In den Nach-

In der Periode des Umbruchs

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kriegsdebatten über ihre Inhalte erhielt der spätere Sozialstaat seine Konturen. Insofern ist Sozialstaatlichkeit ein gesellschaftliches Ereignis. Es war den Vätern des Grundgesetzes vorgegeben. Der Gedanke, "nicht bei der Betreuung von Armen stehen zu bleiben, sondern im Aufbau einer leistungsfähigen Industriegesellschaft Armut zu überwinden", bewegte damals die öffentliche Diskussion. In den achtzigerJahrenreduzierte sich diese gesellschaftspolitische Orientierung der werdenden Bundesrepublik eher zu einer Klientelpolitik von oben. Das veränderte die politische Landschaft, auch das internationale Erscheingungsbild, vor allem das geistige und soziale Klima des Landes. Das Wort von der "sozialen Kälte" drang in den Sprachgebrauch. Die über Jahre hinweg zitierte, oft auch gelobte bundesdeutsche "Konsensfähigkeit" geriet unter Druck. Es zeigte sich, daß sie mehr ist als ein "Runder Tisch", eine Gesprächsrunde hinter der Tür. Der "Konsens" hatte seine Geltung durch die Teilhabe der Menschen an sozialstaatliehen Entwicklungen und Erfahrungen gewonnen.

IV. Reimut J ochimsen schärfte in denJahrendes Wandels den B Iiek dafür, sich weder in modischen Thesen und Verheißungen, noch im Ruf nach einem "geschlossenen und umfassenden Konzept" zu verlieren. Zu fragen sei vielmehr nach den Methoden und Zielen, mit denen Politik und Gesellschaft auf die neuen Wirklichkeiten reagieren. Konkretes Handeln sei gefordert, um der Gefahr zu begegnen, angesichts der neuen Unübersichtlichkeit und Unsicherheiten in ein Spannungsfeld zwischen Status-quo-Denken und dem Drang zu Utopien und Visionen zu geraten. Aber weder in der Finanzpolitik, noch in den generationsübergreifenden Strukturkrisen am Arbeitsmarkt, noch mit Blick auf die Finanzierungsmethoden und Leistungen der sozialen Sicherungssysteme wurden Prozesse eingeleitet, mitdenen die Anforderungen eines neuen Jahrhunderts zu erreichen sind. Das zeigt sich in der wachsenden öffentlichen Schuldenlast, in Eingriffen staatlicher und autonomer Sozialpolitik. Sozialbudgetierung und vorausschauende Sozialpolitik verblaßten, obwohl die Milliardenaggregate der sozialen Sicherungssysteme größer sind als der Bundeshaushalt und von ihnen die Lebenslagen von Millionen Menschen wie auch die Wirtschaft nachhaltig beeinflußt werden. Nur eine Art "Umbuchungspolitik" vorzunehmen, Finanzströme umzuleiten, staatliche Verpflichtungen auf die Sozialversicherung abzuwälzen, zwischen den Sozialversicherungszweigen hin und her zu schieben und Kosten des sozialen Ausgleichs auf die Städte und Gemeinden zu verlagern, verstärkte die Anfälligkeit des bundesdeutschen Sozialsystems. Inzwischen ist diese Politik hektischer Interventionen in das soziale Sicherungssystem an Grenzen gestoßen. Die Prognosen erweisen sich als trügerisch. Heute

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Helmut Rohde

breiten sich in den sozialen und privaten Haushalten Unsicherheit und Unberechenbarkeit aus. Soziale Reformfähigkeit wird verlangt. So ist zu entscheiden, ob es angesichts der Flexibilisierung von Arbeit und Einkommen sowie neuer Wege der Wertschöpfung bei dem überwiegend arbeitszentrierten Finanzierungssystem und der bisherigen Rolle des Staates auf dem Felde sozialer Sicherung bleiben kann. Die ständige Verlagerung von "Fremdlasten" aus der Verantwortung des Staates auf die Schultern der Beitragszahler in der Sozialversicherung hat dieses Thema aktualisiert. Sozialstaatlichkeit ist etwas anderes und vor allem mehr als eine Verwaltung von Vergangenheit. Sie hat sich immer wieder neu der Frage zu stellen, wie unter wechselnden sozial-ökonomischen Bedingungen soziale Zukunft zu gestalten ist. In den letzten Jahrzehnten haben sich allein in der Rentenversicherung ständig strukturelle Veränderungen vollzogen: in der Gesetzgebung, vor allem in der Bestimmung des Versichertenkreises, der Sicherung finanzieller Leistungsfähigkeit, in der Festlegung rentensteigender Zeiten und der Gestaltung der Leistungen.

V. Im Bundesbildungsministerium erörterten wir mit Reimut Jochimsen besonders die Auswirkungen des gesellschaftlichen Charakterwandels auf das Bildungswesen und die Lebensplanung junger Menschen. Dazu gab es Anlaß genug: an den Hochschulen breitete sich der Numerus clausus aus, im dualen System verringerten sich die Lehrstellenangebote, gleichzeitig meldeten geburtenstarke Jahrgänge ihren Anspruch an. Die bildungspolitische Szene, die ich damals bei der Amtsübernahme vorfand, war- wie nicht selten- eher von ihrem Interieur, der Auseinandersetzung über ihre Institutionen, als von den neuen sozialen Prozessen beeinflußt. Auch neigte sie der Auffassung zu, das Auseinanderklaffen von Bildungsnachfrage und -angebot mit vorübergehenden Maßnahmen "zu untertunneln", und prognostizierte für die achtziger Jahre Entlastung und Norrnalisierung. In Perioden des Wandels sind "Prognosen" oft mehr Ausflüchte als die Beschreibung wahrscheinlicher Zukünfte. Professor Jochimsen hat großen Anteil daran, daß damals eine wirksame Entwicklung zur Erweiterung der Bildungs- und Ausbildungsangebote im dualen System und in den weiterführenden Schulen eingeleitet worden ist. Zudem wirkten wirdarauf hin, daß die Regierungschefs von Bund und Ländern in einem gemeinsamen Beschluß Leitlinien für die achtziger Jahre niederlegten. In diesem Jahrzehnt aber zeigte sich der Widerstand gegen eine innere Reform des Bildungswesens. Durch die Eingriffe der Finanzpolitik in das Bildungswesen kam es zu einem Status-quo-minus.

In der Periode des Umbruchs

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Angesichts dieser Entwicklung kann nicht überraschen, daß heute die Proteste von Studenten, auch von Professoren, neu aufbrechen. Die junge Generation ist in das soziale und wirtschaftliche Spannungsfeld geraten. Strukturkrisen im Bildungswesen und des Arbeitsmarktes treiben sich wechselseitig. DieFolge sind wachsende Ausbildungsdefizite und Jugendarbeitslosigkeit- eine schwere Hypothek für die deutsche Gesellschaft. Auch hier helfen keine halbherzigen Interventionen. So ist zu fragen, wie künftig die Finanzierung, die Inhalte und Stellenangebote im dualen System ausgestaltet werden sollen und wie Staat und Tarifvertragsparteien dabei mitwirken. Auch werden Bund und Länder zu vereinbaren haben, wie die beiden Lernorte Betrieb und Schule künftige Ausbildungsgänge und -qualität in Beziehung zur neuen Arbeits- und Wirtschaftswelt bringen. Für den künftigen Übergang von der Ausbildung ins Berufsleben ist eine neue Rolle der Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik zu definieren, damit nicht für immer mehr junge Menschen das Ende der Ausbildung zum ersten Tag ihrer Arbeitslosigkeit wird. Wenn ein "Bündnis für Arbeit" ein neues Mittel gesellschaftlicher Gestaltung werden und allgemeinverbindliche Geltung erreichen will, muß es sich der Zukunft des dualen Systems und der Lebensplanungjunger Menschen annehmen. Die jüngsten Proteste der Studenten zeigen, daß auch die Entscheidungen über die Zukunft der Hochschulen aus dem Interieur der Kulturhoheiten heraus in die öffentliche Diskussion geführt werden müssen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie im neuen Jahrhundert Arbeit und Weiterbildung zusammengeführt und so die Perspektiven des Beschäftigungssystems erweitert werden. Dieses würde auch Studienzeiten und-inhalteverändern sowie künftigen Qualifizierungsanforderungen Rechnung tragen. Auch das Arbeitsförderungsgesetz, das Ende der sechziger Jahre für eine Gesellschaft der Vollbeschäftigung konzipiert worden ist, muß kritisch mit der heutigen Massenarbeitslosigkeit, den Strukturkrisen am Arbeitsmarkt konfrontiert werden. Eine Jahresdokumentation der Regierung über Art, Ursachen und gesellschaftliche Folgen wachsender Arbeitslosigkeit gibt es aber nicht. Eher beherrscht ständiger Prognosestreit die Szene. Die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit am Monatsanfang sowie statistische Kurven und Tabellen ersetzen nicht die Herstellung demokratischer Öffentlichkeit für die Behandlung jenes Problems, das die Menschen als größte Belastung empfinden. "Heil Dir, dem Datenkranz", so warnte einst Prof. Dr. Friedrich Lenz in seinen Seminaren, sei nicht die Hymne der ganzen Wissenschaft. Wichtig sei, jenen sozialen Prozessen auf die Spur zu kommen, die Einfluß auf die persönlichen und sozialen Befindlichkeiten haben. VI. Das nächste Jahrhundert wird uns nicht lange ein "unbewältigtes Nebeneinander des laisser-faire-Prinzips und derplanlosen Regulierung" erlauben. Daraus entstün-

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Helmut Rohde

den - wie einst Karl Mannheim vermutete - die meisten Spannungen unserer Epoche. Was heute unter dem Schlagwort "Deregulierung" verheißen wird, hat in den letzten Jahren eher das persönliche und gesellschaftliche Verhalten als den staatlichen und anderen öffentlichen Regelungsdrang verändert. Mager, so urteilt Dr. Claus Noe in der "Zeit", sei das Ergebnis mit Blick auf die Unsummen kleiner und kleinlicher Vorschriften, die "aberwitzigen Aufwand" in den Unternehmen und beim Staat verschlingen. Dort aber, wo der Wegfall staatlicher Regelungen beispielsweise in den Währungs- und Finanzmärkten höchst riskant sei, Wachstumsund Beschäftigungseinbußen nach sich ziehen, mit Börsencrashs und Währungsturbulenzen die Volkswirtschaften ganzer Regionen in der Welt schocken, dort sei die Deregulierung zu weit vorangekommen. Der unkritische Umgang mit der Vorstellung von Deregulierung hat Hemmschwellen herabgesetzt, sichjenseits der Regeln einer zivilisierten Gesellschaft zu verhalten. Die Korruption im Beziehungsfeld von Staat und Wirtschaft, das Ausmaß von Steuerflucht, der Steuerbefreiungen und Wirtschaftskriminalität sowie die Vorgänge auf den "oberen Etagen" sind kein Ensemble von Zufalligkeiten. Die in den achtziger Jahren verkündete "moralische Aufrüstung" wurde von den Realitäten überholt. "Nur der Dumme zahlt", sagte der TV-Moderator Ulrich Wickert und beschreibt damit eine neue Alltäglichkeit. Zur Sorge wurde die Gleichzeitigkeit von staatlicher Bürokratisierung und gesellschaftlicher Deregulierung. Dieser Prozeß zieht demokratische Kulturen in Mitleidenschaft. Von Beginn an haben umstrittene Thesen die neuen Wirklichkeiten in der Periode des Umbruchs zu verdecken versucht: Zuerst war es die "konjunkturelle Delle", dann die Verheißung der "blühenden Landschaft". Hinzu kamen die "Renten sind sicher"-Plakate und der Umgang mitder "Deregulierung". Brüssel prophezeite nach Annahme der Europäischen Akte und der Maastrichter Verträge den Aufschwung am Arbeitsmarkt. Die EU-Arbeitslosenzahlliegt inzwischen bei über 18 Mill. In Deutschland ist die Prophezeihung, bis zum Jahr 2000 die Arbeitslosigkeit zu halbieren, von der Wirklichkeit längst überholt. Prof. Scharpf, Direktor des MaxPlanck-Instituts für Gesellschaftsforschung, sagte der ,,zeit" kürzlich, er könne mit allden Thesen von der Risikogesellschaft, der Erlebnisgesellschaft, der Multioptionsgesellschaft nicht viel anfangen. Er suche nach langen Linien, nach Spannungen in der Architektur desAlten und einem Design für das Neue. Ihm gehe es im ganzen Chaos um eine neue Übersichtlichkeit. Es bleibt nicht ohne Folgen, wenn in einer Periode des Umbruchs nicht demokratische Offenheit und Öffentlichkeit in der Behandlung gesellschaftlicher Probleme und Zukunft hergestellt wird, sich Politik zu einem Bündel von Parolen verengt. Diese werden ohnehin von den neuen Wirklichkeiten eingeholt, nähren Verdrossenheit und Vertrauensverlust Verkümmern politische Teilhabe und soziale

In der Periode des Umbruchs

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Rationalität, reduzieren sich die Institutionen der Demokratie zur "politischen Klasse", dann ändern sich im neuen Jahrhundert der Charakter der Parteien und die Struktur des Parteiensystems. Die Menschen werden im 21. Jahrhundert auf den gesellschaftlichen Entwurf drängen, der die Innovationen unserer Tage mit dem sozialstaatliehen Charakter verknüpft. Das "weiter so" wird an der Jahrhundertschwelle enden.

Politik und wissenschaftliche Beratung Reißt die Kluft auf? Von Klaus von Dohnanyi

I. Als im Herbst 1969 die Bundestagswahl eine knappe Mehrheit für die erste sozialdemokratisch geführte Bundesregierung erbrachte, hatte das Land eine lange und ermüdende Periode entscheidungslosen Abwartens hinter sich. Seit Konrad Adenauers gescheitertem Versuch, in ein verfassungspolitisch gestärktes Amt des Bundespräsidenten zu wechseln ( 1959), hatte die Republik zunächst um die Frage der Kanzlerkandidatur (1961) und dann über die Kanzlernachfolge Adenauers (1963) gestritten. Ludwig Erhard, dessen Beitrag zum Gelingen der alten Bundesrepublik nicht geringer zu veranschlagen ist als derjenige Adenauers, war ein Mann der Wirtschaftspolitik, aber kein parteipolitischer Führer, wie ihn die CDU/CSU im Übergang vom Wirtschaftswunder zur Wirtschaftsmacht gebraucht hätte; er scheiterte dann an diesen Unzulänglichkeiten. Die Große Koalition, die seinem Rücktritt folgte, hatte sich strukturelle Reformen vorgenommen. Sie konnte eine Finanzreform, die verfassungspolitische Verankerung von Gemeinschaftsaufgaben und die Verabschiedung der Notstandsgesetze auch durchsetzen. Der Übergang vom Verhältniswahlrecht zum Mehrheitswahlrecht allerdings mißlang. Alles in allem verblich aber der dramatische Glanz dieser Koalition schnell. Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger konnte die widersprüchlichen Lebenslagen deutscher Menschen im 20. Jahrhundert an seiner liberalen Tischrunde nicht versöhnen. Schnell wandelte sich alles wieder zur abwartenden Hoffnung auf die erlösende Wirkung der nächsten BundestagswahL Die Bundestagswahl 1969 brachte dann in der Tat unter der Führung von Willy Brandt trotzsehr knapper Mehrheiten ( 12 Sitze )endlich den neuenAnlauf westdeutscher Politik.

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Klaus von Dohnanyi

II. Zehn Jahre hat es gedauert: Von 1959 bis 1969, die Hälfte der Jahre ihres Bestehens, war die Republik eher verwaltet als regiert worden. Nun konnten neue Strömungen in der Außenpolitik, zum Beispiel gegenüber den Staaten des Warschauer Paktes, aber auch in der Innenpolitik, zum Beispiel im Bildungsbereich, auf eine kreative Umsetzung in politisches Handeln hoffen. Die Stimmung war im Frühjahr 1969 umgeschlagen: "lt is time for a change". Es war Zeit für Bewegung und neue Initiativen. Ganz anders als heute jedoch, erwarteten viele die Lösungen vom Staat. Das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik war ungebrochen. Kaum jemand sah die großen Veränderungen, die schon wenige Jahre später in der ersten Ölkrise die weltweite Interdependenz und damit die Grenzen nationalstaatliehen Handeins so brüsk offenlegen würden. Der wichtigste Unterschied jedoch zu der Zeit vor nun fast 30 Jahren, als der damals 36 Jahre junge Professor der Volkswirtschaft Reimut Jochimsen als Leiter der Planungsabteilung in das Kanzleramt einzog, lag in einem farbigen Optimismus, in diesem Selbstvertrauen, mit dem wir 1969 unsere Arbeit begannen und den ich heute nirgendwo, weder in der Regierung noch in der Opposition, sehen kann. Wir vertrauten auf unser Wissen und auf die Chancen der Vernunft in der Politik. Wir wollten den humanen Fortschritt in allen Bereichen. Wir hatten die dialogfeindliche Borniertheit, mit der dann die eigene Partei häufig nicht weniger als die Opposition vernünftigen Argumenten den Weg versperrte, noch nicht als Bundesregierung erfahren. Wir kamen ja auch mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen in unsere Ämter: aus Wirtschaft, Wissenschaft, Bundes- und Landespolitik. Gerade diejenigen unter uns, die in Wissenschaft und Wirtschaft gearbeitet hatten, glaubten auf diesem Hintergrund auch an die Chance der Rationalität politischer Entscheidungsprozesse. "Reform" warein Synonym für "Fortschritt" und "Fortschritt" nur ein anderes Wort für eine "bessere Welt". Noch pries ja auch das Godesberger Programm, kaum zehn Jahre zuvor verabschiedet, die Atomkraft als Schlüssel zu einer Weltdes Wohlstands und der Gerechtigkeit. Der politische Beginn der sozialliberalen Koalition 1969 war also von einer Stimmung begleitet, die vernünftigen staatlichen Interventionen als dem Instrument politischer Gestaltung mehr Gewicht geben wollte. Dies räumte auch der Wissenschaft eine neue Rolle ein. Ein parteiloser Professor der Ingenieurwissenschaften zum Beispiel, Hans Leussink, übernahm im Kabinettdie Bildungs- und Forschungsverantwortung; ein parteidistanzierter Professor für Volkswirtschaft, Karl Schiller, leitete souverän das Wirtschaftsressort. Und das Kanzleramt unter dem Professor für Staatsrecht Horst Ehmke richtete eine Planungsabteilung ein, die unter dem

Politik und wissenschaftliche Beratung

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Wirtschaftsprofessor Reimut Jochimsen den umfassenden Reformprozeß, den sich die Koalition vorgenommen hatte, steuern sollte.

111. Auch heute warten lebenswichtige Entscheidungen auf eine neue Regierung. Jahrelang vom sogenannten "Reformstau" aufgehalten, wird das Wahljahr 1998 notwendigen Entscheidungen zum Durchbruch verhelfen müssen. Aber wie soll dieser Entscheidungsprozeß gesteuert werden? Was bleibt von den damaligen Erfahrungen für unsere Tage? Es scheint wichtig, gerade in diesem Augenblick zu erinnern, in wie geringem Umfange wissenschaftliche Erkenntnisse bis zu den wirklich entscheidenden Politikern vordringen. Im Wissenschaftsministerium, wo ich damals, nach meiner Zeit als Staatssekretär bei Professor Karl Schiller, Bundesminister Hans Leussink zunächst als Parlamentarischer Staatssekretär unterstützte, konnten wir angesichts der Fragestellungen einige wirklich neue Ansätze mit Hilfe wissenschaftlicher Beratung durchsetzen. Hierzu gehörte zunächst eine Reform des Beratungswesens selbst: Die Öffentlichkeit der Beratungsgremien; die Veröffentlichung ihrer Beschlüsse; die Einführung von Minderheitsvoten. Die praktische Erfahrung, die Hans Leussink und ich in Wirtschaft, Führungspraxis und Unternehmensberatung gemacht hatten, erlaubte uns eine konsequente Konzentration unserer wissenschaftlichen Berater aufberatungsfähige Themen. Meine wichtigste Erfahrung jedoch bei den sehr vielfältigen wissenschaftlichen Beratungsvorgängen außerhalb unseres Ressorts war die Bestätigung einer Erkenntnis, die ich schon in jahrelanger Praxis als Unternehmensberater gewonnen hatte: Der schwierigste Engpaß aller Beratung ist der Beratene selbst. Er setzt die Grenzen erfolgversprechender Beratung. Der Empfänger der Beratung bestimmt durch seine Bereitschaft (oder auch Fähigkeit), den Fragestellungen offen zu begegnen, die Forschungsberichte wirklich zu lesen und den Beratern unvoreingenommen zuzuhöhren, am Ende selbst die Qualität der Beratung. Wer daher heute, wo die neuen Wissenschaftsindustrien bereits wesentliche Wachstumsindustrien darstellen, die Politik wieder auf einen produktiveren Kurs bringen will, der muß zunächst Sorge dafür tragen, daß die Politik selbst die Folgen der Verwissenschaftlichung auch ihrer Arbeitsprozesse in allen Verzweigungen versteht. Wie aber soll das geschehen, wenn die Politik sehr viel mehr mit sich selbst und mit dem komplexen Problem derpolitischen Abstimmung und Konsensbildung beschäftigt ist als mit der Aufnahme von Informationen über andere Gesellschaftsbereiche, deren Schicksal sie entscheidet?

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Klaus von Dohnanyi

IV. Die Professionalisierung und Spezialisierung aller Berufszweige und Tätigkeiten ist in den letzten 30 Jahren so weit fortgeschritten, daß die Brücke zwischen Wissenschaft und Politik, die schon 1969 nur schwer zu bauen war, heute kaum noch entworfen werden kann. Wie, in der Tat, soll denn ein Bundeskanzler als Vorsitzender des Kabinetts die inhaltlichen Voraussetzungen seiner Tagesordnung noch bewältigen? Wo Scharen von Gelehrten über sinnvolle und irrige Wege zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit streiten- wie soll da ein Bundeskanzler auf mehr als die Frage der Durchsetzbarkeit, die seine Professionalität berührt, wirklich eingehen können? Genauso ergeht es im übrigen auch den meisten Ministern im Rahmen ihrer komplexen Ressortaufgaben. Was aber nutzen dann all die vielen, immer umfangreicheren Forschungsberichte der Politik wirklich? Theoretisch gibt es zwei Ansätze für eine qualitative Verbesserung der "politischen" Entscheidungen in der modernen Demokratie: Der eine betont die bessere, wissenschaftlich abgesicherte Information der Politiker selbst über die Zusammenhänge und über die möglichen Folgen ihrer vielfältigen Entscheidungen. Der andere setzt dagegen stärker auf eine weitgehende Begrenzung der politischen Entscheidungen, beschränkt also die Politik stärker auf wesentliche Grundsatzfragen und ist um eine Verlagerung aller anderen Entscheidungen (und ihrer Durchführung) auf selbständige Entscheidungseinheiten bemüht. Subsidiarität heißt hier das Stichwort; also Dezentralisierung, aber auch Privatisierung (wie z.B. bei Bahn und Post) gehören hierher. Beide Ansätze schließen selbstverständlich einander nicht völlig aus, aber sie beinhalten doch sehrverschiedene Aktzente. Angesichts des immer breiteren (auch international immer relevanteren) Informationsangebots erscheint heute die erste Alternative nahezu chancenlos. Bedarf dies überhaupt noch weiterer Begründung? Es ist eben wirklich unmöglich, als Bundeskanzler oder Kabinettsmitglied auch nur bei den wichtigen Fragen anderer Ressorts der Vielfalt fachlicher Überlegungen und wissenschaftlicher Informationen zu folgen. John F. Kennedy hatte recht, wenn er einmal sagte, er könne die meisten seiner politischen Probleme inhaltlich wirklich nichtmehr beurteilen; wohl aber könne er die Vertrauenswürdigkeitseiner Ratgeber beurteilen! Das aber heißt nichts anderes, als daß Personalpolitik und die Auswahl der persönlichen Ratgeber schon den wichtigsten Teil der Informationsbeschaffung und Beratung eines Politikers darstellen. Wer selbst aufbeiden Seiten gearbeitet hat- als Ressortchef, als Regierungschef und als freier, wissenschaftlicher Politikberater -,der kann nicht umhin festzustellen, daß der Umsetzungsertrag politischer Beratungsvorlagen nur sehr selten dem Sachverstand und dem Engagement entspricht, die von den Beratern in diese

Politik und wissenschaftliche Beratung

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Vorlagen investiert wurden. Selbst ein Regierungschef, der bemüht bleibt, sein Urteilsvermögen durch Lesen und persönliches Durcharbeiten wissenschaftlicher Beratungsvorlagen zu schärfen, wird nicht bestreiten, daß amEndesein Urteil, und insbesondere seine Entscheidung, mehr durch sein Vertrauen in persönliche Ratgeber geformt wurden als durch noch so gute wissenschaftliche Beratungs vorlagen. Sicherlich ist das auf den unteren Ebenen der Verwaltung anders. Hier kann man davon ausgehen, daß (entgegen einer verbreiteten Ansicht) Mitarbeiter oder Fraktionsstäbe Berichte nicht nur bezahlen und in die Aktenschränke stellen; hier werden die Berichte in der Regel auch gelesen. Aber wo Politik dann streitig diskutiert wird -nehmen wir heute die Debatte über Nachfrage- oder Angebotspolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit-, dort werden mit den Beratungsvorlagen meist nur noch die Waffen für die Verteidigung bereits bestehender Auffassungen geschliffen. Und doch kommt auch nach guter Verwaltungsaufbereitung der verantwortliche Politiker nicht umhin, sich selbst ein Urteil zu bilden. Und so sind wir dann wieder da, wo wir begonnen haben: Beim persönlichen Vertrauen in die Person des jeweiligen Ratgebers, Beraters oder wissenschaftlichen Mitarbeiters. Nicht eigenes Verstehen der zuständigen politischen Führung also, sondern Vertrauen in das Urteil eines anderen bestimmt die meisten politischen Entscheidungen, jedenfalls in den komplexen Fragen der Innenpolitik. Die wachsende Komplexitätder Informationsgesellschaft wird das beschriebene Dilemma verschärfen: Eine Regierung, die früher mit 50 Nationen diplomatische Beziehungen unterhielt, heute mit bald 200; die früher in einem engen Kern von 6 europäischen Nationen Integrationsprozesse vorantrieb, heute mit 15 und bald mit mehr als 20; die früher mit einem starken Kern fester Beschäftigung in großen Industrieunternehmen rechnen konnte, heute aber miteinemrapiden Abbau solcher Arbeitsplätze und dem gleichzeitigen Aufbau einer ganz anders gearteten Wissenschaftsindustriezutun hat: Eine solche Regierung muß scheitern, wenn sie versucht, immer mehr Fragen zu "politisieren", immer mehr Aufgaben an sich zu ziehen, wie dies letztlich die Regierung der sozialliberalen Koalition 1969 versuchte.

V. Nicht wissenschaftliche Politikberatung kann die Lösung dieses Dilemmas bringen, sondern nur organisatorische Schritte in Richtung auf eine "Entpolitisierung" der meisten Teilprobleme heutiger Politik. Wo die bisherige Zentrale zwangsläufig von der Komplexität und Interdependenz der Fragestellungen überfordert ist, dort muß sie die Verantwortung auf entscheidungsfähigere Einrichtungen verlagern. Da aber allein eine Verlagerung auf fachlich kompetentere Einrichtungen der Regierung selbst (z.B. vom Kabinett auf die Ministerien oder von den Ministerin auf nachgeordnete Behörden) letztlich insofern unwirksam bleibt, als am Ende die 8 FS Jochimsen

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"politische Verantwortung" des verantwortlichen Ministers doch eingefordert wird, kann nur die Verlagerung auf eigenständige, verantwortliche Einheiten eine Lösung des Dilemmas herbeiführen. Für diese Erfahrung gibt es zahllose Beispiele; die Bundesbank ist sicherlich das beste. Hätte man in diesem Sinne zum Beispiel vor Jahrzehnten auch dieöffentlichen Renteninstitute verselbständigt, es hätte schon vor Jahren Lösungen mit Zusatzversicherung gegeben- und gewiß keine Verlagerung versicherungsfremder Leistungen auf die Rentenkassen! Die Politik konnte nämlich (und kann offenbar vielfach bis heute) die Komplexität der das Rentensystem beeinflussenden Entwicklungen nicht durchschauen. Schon gar nicht kann sie dann entsprechend konsequent handeln. Nur die eigenverantwortliche Institution kann diese Aufgabe noch bewältigen. Es ist letztlich nurdiese "Entpolitisierung", die eine Stärkung des verantwortlichen Sachverstandes in den Entscheidungen ermöglicht. Hier würde dann (wie in jedem guten Unternehmen) eine qualifizierte wissenschaftliche Beratungsvorlage ganz gewiß auch gelesen, sachlich beraten und verarbeitet. Insofern ist auch Privatisierung eben nicht in erster Linie eine wirtschafts- oder finanzpolitische Aufgabe, wie sie dies so oft in der öffentlichen Debatte zu sein scheint. Privatisierung ist vielmehr immer auch ein organisatorischer Ansatz zur Auflösung überkomplexer Regierungsaufgaben. VI. Was folgt daraus? Die Konsequenz lautet, daß die Spitzen der Politik heute nichts dringlicher brauchen als Organisationsberatung. Dies ist ja auch das wichtigste Beratungsfeld für die Unternehmensführungen in der Wirtschaft geworden. Schon ein Vergleich der eigenen Regierungsorganisation und ihrer Entscheidungsstrukturen mit derjenigen anderer Länder wäre für die deutsche Politik heute sehr hilfreich. Die Bundesregierung wird wissenschaftliche Sachberatung in den einzelnen Politikfeldern erst dann wieder wirklich sinnvoll annehmen und umsetzen können, wenn schrittweise durch organisatorische Veränderungen ein solches Maß an Dezentralisation und echter Verantwortungsverlagerung an autonome Einrichtungen (ob privatwirtschaftlich oder öffentlich organisiert) erfolgt ist. Erst dann wird die Regierungszentrale wieder mit etwas mehr Freiheit die ihr angemessene Aufgabe erfüllen können: nämlich die "großen Linien" derpolitischen Entwicklung im Rahmen einer effektiven Organisation auch wissenschaftlich abgesichert abzustecken.

Wissenschaftspolitik

Die deutsche Hochschulmisere Eine Reform wäre möglich, ist aber nicht in Sicht Von Peter Glotz Eine bizarre Situation: Obwohl die deutschen Studenten in ihren teils heiteren, teils albernen Protestdemonstrationen die (hoch berechtigte) Kritik an der Unterfinanzierung derdeutschen Hochschulen mit allerhand törichten Ressentiments (zum Beispiel gegen "Eliten") untermischten und die einzige Lösung der Misere (Studiengebühren) kategorisch ausschlossen, wurden sie vom gesamten Establishment der Republik gönnerhaft gelobt. Gerade die sinnvollen Forderungen - nach mehr Geld- wollen (und können) die deutschen Politiker aber keinesfalls erfüllen. Das ist symbolische Politikpar excellence: Die einen spielen erzürnte Volksmassen, die anderen verständnisvolle Obrigkeit. Dieses Spiel liefertdemFernsehen wunderbare Bilder, ändert aber an den (schreienden) Mißständen Null KommaN ull. Deutlicher als mit dieser Pantomime konnte die deutsche Politik nicht zeigen, wie sie derzeit funktioniert: Man tut, als ob. Oben und unten. Dabei ist das deutsche Hochschulsystem in der Tat auf der schiefen Ebene. Zwar ist es (noch) unsinnig, die deutschen Hochschulen als "im Kern verrottet" abzutun. Wohl vergammelnein paardergroßen Universitäten; wegender(sichseit 1977 stetig steigernden) "Überlast" ähnelt manche Alma mater jenen rostenden Fähren im Chinesischen Meer, von denen hin und wieder eine spektakulär absäuft. Trotzdem ist die durchschnittliche deutsche Universität nicht schlechter als die durchschnittliche amerikanische, englische oder französische, vielleicht sogar noch etwas besser. Nur mit den Spitzeninstituten - mit Harvard, Stanford, Princeton, der London School ofEconomics oderder ETH Zürich- können zwareinzelnedeutsche Institute, nicht aber ganze Universitäten mithalten. Und von Jahr zu Jahr wird die Lage prekärer. Je mehr Studierende sich in unterbesetzte und falsch strukturierte Hochschulen pressen, desto schwachbrüstiger wird die Forschung, desto oberflächlicher wird die Lehre. Nichts gegen die Stimmung: Die Studierenden tragen Särge über den Marktplatz, ihre Professoren "lesen" vordem Rathaus. Man ist locker, cool. Der Wissenschaftsstandort Deutschland aber wird schwächer und schwächer. Die wirklich exzellenten Leute (ob Professor oder "Graduate") orientieren sich ins Ausland, vor allem in die Vereinigten Staaten. Für die deutsche Stellung in der Konkurrenz der "Wissensgesellschaften" ist das auf die Dauer katastrophal.

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Peter Glotz

Rund drei Jahrzehnte nach der Zäsur von 1968 kann man wissen, wo der Hund begraben liegt. Die deutsche Hochschulpolitik hat auf die (unabweisbare) Bildungsexpansion falsch reagiert. Ich war an diesen Irrtümern beteiligt; als Konrektor der (damals, in den späten sechziger Jahren) größten deutschen Universität (München), Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Berliner Wissenschaftssenator, Präsident der Kultusministerkonferenz und Bildungspolitischer Sprecherder Sozialdemokratischen Fraktion des Deutschen Bundestages. Jetzt macht es aber keinen Sinn, charaktervoll zu den alten Fehleinschätzungen zu stehen. Notwendig ist eine spürbare Kurskorrektur, allerdings nach vorn, nicht nach hinten zur Ordinarienuniversität der Zwischenkriegszeit Steilt man eine Defizitanalyse des gegenwärtigen deutschen Universitätssystems an, kommt man auf fünf falsche Weichenstellungen: Erstens hat man auf die Explosion der Studentenzahlen (von 5 vH eines Altersjahrgangs in den sechziger Jahren auf heute rund 33 vH) nicht mit neuen Management-Strukturen, sondern mit einer "Demokratisierung" geantwortet, die allzuoft Bürokratisierung bedeutete. Das Problem lag nicht in der (notwendigen) Aufwertung von Studierenden, Assistierenden oder Bibliothekaren, sondern in der Parlamentarisierung von Prozessen, die Fachkompetenz erfordert hätten. Irgendwie verirrte sich die deutsche Universität zwischen Vorstand, Controlling und Aufsichtsrat. Man erweiterte die längst überforderte Gelehrtenkooperation um weitere Statusgruppen, statt sich eine fachlich geschulte Administration zuzulegen. Die endlose Verlängerung banaler Entscheidungen führte zur Polarisierung zwischen. wissenschaftsorientierten und verhandlungsorientierten Idealtypen. Die Universität fiel in die Hände von "Gremien". Deutsche Rektoren und Dekane sind angesehen, aber allzuoft machtlos. Die Macht haben Zünfte (in der Regel zusammengebakkene Cluster von Ministerialräten, Ordinarien und schlauen Universitätsverwaltern. Letztere können Universitätskanzler, aber auch Amtsräte sein.) Zweitens warf man sich einer falschen Ideologie der "neuen Sachlichkeit" in die Arme, sozusagen einer heruntergekommenen Bauhaus-Philosophie. Wie "fortschrittliche" Bausenatoren im Berlin der fünfzigerund sechziger Jahre die Gründerzeit-Avenuen mit der Abrißbirne niederwarfen, zerstörten sogenannte Universitätsreformer die soziale Kohäsion vieler (nicht aller) deutschen Universitäten. Das begann bei der Architektur. Die wabenartigen Betonburgen, die in Berlin, Dortmund, Bochum, Hamburg, Regensburg und anderswo hochgezogen wurden, provozierten Entfremdung und Vandalismus; das eindrückliebste Denkmal für dieses Konzept ist die "Rostlaube" der Freien Universität Berlin, ein zur Versehrnutzung und Zerstörung offenbar geradezu auffordernder "Zweckbau" der frühen siebziger Jahre. Das tapsigprovokative "Bekenntnis" zur anonymen Grundstruktur zertrümmerte aber auch den inneren Zusammenhalt vieler Hochschulen. Man verzichtete nicht

Die deutsche Hochschulmisere

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nur auf Rituale der Inskribierung und Graduierung, man schob auch alle Kontakte zu früheren Absolventen - die Amerikaner nennen sie Alumni beiseite. Statt neue Hochschulen zu gründen, duldete man ein krebsartiges Wachstum von .,Parallellehrstühlen", die schnell fremd aneinander vorbeilebten. Wenn fünf Professoren fünf andere nicht riechen konnten, gründeten sie einen neuen .,Fachbereich". Das Ergebnis ist der verbreitete Unsinn, neben der .,Volkswirtschaftlichen Fakultät I" schlicht eine Nummer II zu etablieren. So fehlt es in diesen .,modernen" Universitäten sowohl an fachlichen wie an gesellschaftlichen Kontakten. Die Folge war- drittens- das .,Versacken im Spezialistischen" (Kar! Jaspers ). Viele deutsche Professoren verwalten nur noch ihren Bindestrich. Das eigentlich Interessante passiert aber in den Schnittstellen der Disziplinen. Transdisziplinarität wird jedoch öfter beschworen als praktiziert. So verliert die Universitätihre Ausstrahlung, wird Amt unter Ämtern. StattForschung liefert sie (allzuoft) .,Geforsch". Man lese nach, welch bittere Bemerkungen der Philosoph Vittorio Hösle zu solchen .,Untersuchungen zu Dorias Einfluß auf Vico, zu Croces Vico-Buch, Collingwoods Übersetzung von Croces VicoBuch und weiter ad infinitum" gemacht hat. Wen darf es wundem, daß den Hochschullehrern und -Iehrerinnen in diesem Gehäuse- viertens- oft genug der pädagogische Eros abhanden kommt? So entsteht der Di-Mi-Do-Typus; er drängt seine Veranstaltungen auf zwei oder drei Tage zusammen, lehrt in Jena (oder auch Gießen), wohnt aber in Kassel und fände eigentlich eine Universität ohne (oder fast ohne) Studenten das Allerschönste. Von dem großen Soziologen Kar! Mannheim stammt die Erkenntnis: .,In kleinen Gruppen, in denen jeder fühlt, daß mn seinen Handlungen viel abhängt, und in denen jeder lernt, eigenverantwortlich zu handeln, statt sich in der Anonymität der Masse zu verlieren, entstehen soziale Muster, die nahezu mit Gewißheit die Entwicklung von Individualität gewährleisten." Da man die deutsche Universität einfach wuchern ließ und die ausgewucherten Großorganisationen auch heute nur allzu selten sinnvoll untergliedert, kann von solchen Mannheimsehen Gruppen kaum noch die Rede sein. Das Ende vom Lied ist dann - fünftens - Provinzialismus. Die meisten deutschen Studenten studieren dort, wo die Waschmaschine ihrer Mutter steht und die Freundin lebt. Auslandssemester? Das verlangt mühsame Fleißprüfungen für (zugegebenermaßen viel zu wenige) Stipendien, schmerzhafte Anpassungsleistungen im Gastland und den Mut zur riskanten Selbststeuerung. Und da deutsche Hochschulen nur selten fremdsprachige Kurse anbieten, deutsche Fakultäten im Ausland nicht kennen, unübersichtliche Studienbedingungen und eine schlechte Betreuung bieten und bei der Anerkennung fremder Zertifikate zur Zurückhaltung genötigt werden, bleiben die Deut-

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Peter Glotz sehen unter sich. Oder gar die Brandenburger und die Hessen. Alle reden von "Globalisierung". Deutschlands hohe Schulen aber werden zu Mittelzentren für die mittleren Jobs der jeweiligen Region.

Ist der Abstieg des deutschen Hochschulsystems aufhaltbar? Man muß im Konjunktiv formulieren: Er wäre es. Sowohl alte Tanker (wie z.B. die Universitäten Aachen, Heidelberg oder München) als auch neue Schnellboote (die Technische Hochschule Hamburg/Harburg) oder tüchtige Frachter aus der Flotte der Fachhochschulen haben eine zähe Substanz. In den "verrotteten" deutschen Hochschulen laufen noch immer ein paar hundert international renommierte Spitzenleute und ein paar tausend solide Wissenschaftspraktiker herum. Die Behauptung, daß die Studierenden immer "studierunfähiger" würden, trifft nur in wenigen Disziplinen einen ins Gewicht fallenden Anteil. Noch ist der Untergang des Abendlands keine ausgemachte Sache. Mit Routine-Kompromissen der Kultusministerkonferenz (die Hochschulen dürfen sich 20 vH [ !] ihrer Studierenden selbst aussuchen) oder Scheinoperationen am Hochschulrahmengesetz sind die Probleme allerdings keineswegs lösbar. Die Wahrheit ist: Die Interessengruppen haben sich eingegraben wie Deutsche und Franzosen vor Verdun. Die Ministerpredigen Deregulierung, und die Ministerialräte regulieren lustig weiter. Die Professoren schwärmen von der freien Luft der Wirtschaft, lehnen "Hochschulräte"- also externen Sachverstand- aber empört ab. Und die netten, phantasievollen und pragmatischen Studenten reden, hörtman ihnen genau zu, ziemlich ähnliche Texte wie ihre Eltern, von den gesamtgesellschaftlichen Visionen einmal abgesehen. Bisher hat die aktuelle Studentenbewegung keine einzige neue Idee hervorgebracht. Wer also soll die Verhältnisse zum Tanzen bringen? Von oben, heißt das, geht kaum etwas. Welche Länder werden die Freiräume, die der kapitulierende Bund schafft, weitergeben? Und welche Universitätssenate werden zugestandene Bewegungsmöglichkeiten entschlossen nutzen? Die Idee einer Top-Down-Reform, die in der Bundeshauptstadt beginnt und über das föderalistische System hinuntergreift bis in die Fakultäten und die Institute, ist liebenswürdig unpraktisch. Der charismatische Reformismus ist vorerst tot, der politische Prozeß ist zähflüssig geworden. Die einzige Chance istdie Innovation von unten, die "Neugründung". Dieser Begriff meint natürlich nicht nur brandneue Institutionen wie die Erfurter Universität oder die in Bruchsal geplante International U niversity. Auch unter dem Dach gewachsener Einrichtungen lassen sich intelligente Substrukturen durchsetzen, Graduate Schools z.B., Institutes for Advanced Studies, Innovationskollegs. So hat der Hirnforscher Ernst Pöppel in der Ludwigs-Maximilians-Universität in München ein "humanwissenschaftliches Zentrum" begründet, das die vielerorts verschüttete Transdisziplinarität neu anzufachen verspricht. Vergleichbare Projekte

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gibt es an mehreren Stellen. Entscheidend ist- deswegen "Neugründung" -,ob man die Chance bekommt, einen neuen "Spirit" einzufordern und durchzusetzen. Notwendig sind Hochschullehrer, die sich als Team-Coaches verstehen und nicht als vorsteuerabzugsfähige Einzelkampfsysteme-Forscher, die vom Lehrgespräch fasziniert sind, Abgesicherte, die sich ein Gefühl fürs Risiko bewahrt haben, Experten, die sich für mehr interessieren als für ihre Spezialitäten. Die Idee, die Krise führe zur kleinen, homogenen Ordinarienuniversität zurück, ist abwegig. Der Anteil von 33 vH eines Jahrgangs, der in Deutschland Hochschulen besucht, ist nicht größer als in den Vereinigten Staaten, Japan oder anderen vergleichbaren Ländern. Im übrigen hat die deutsche Industrie die Ausbildungsplätze im dualen System in den letzten fünf Jahren um ein Viertel reduziert. Den Ausbildungsplatz bei der Deutschen Bank als Alternative zum Studium der Betriebswirtschaft gibt es viel zu selten. Da man die junge Generation nicht gut ausweisen kann, besteht keinerlei Hoffnung, die Zahl der Studierenden zurückzuführen. Die deutschen Hochschulen werden also weiterhin 2 Mi!!. Studierende und mehr ausbilden müssen. Sie können das auch; sie bräuchten dazu aber mindestens 3 Mrd. DM mehr jährlich, die nun einmal nur über Gebühren aufgebracht werden können. Und sie müßten durch Wettbewerbsdruck zur Profliierung gezwungen werden, was heißt, daß der Staat seine gleichmacherischen Bestimmungsrechte entscheidend reduzieren müßte. Genau dazu besteht aber keine wirkliche Bereitschaft; in den Novellierungsentwürfen für die Hochschulgesetze der Länder stehen neben 20 Deregulierungen in der Regel80 neue Regulierungen. Wenn die Deutschen ihre Hochschulmisere wirklich bekämpfen wollten, müßten sie im übrigen einige ihrer besten Universitäten auf Weltniveau hochrüsten. Das verlangte eine gezielte Kooperation des Bundes mit dem einen oder anderen Land, wie es sie bei der Finanzierung des Hochschulbaus und bei Großforschungseinrichtungen längst gibt. Die Antwort der Landespolitiker auf ein solches Ansinnen- das eine Verfassungsergänzung erforderte - dürfte aber (noch) eindeutig abweisend sein. Das wäre ja noch schöner, wenn der Bund auch noch in fünf oder sechs Hochschulen hineinfinanzieren könnte, werden sie sagen. Nur überunsere Leichen. Bayern sinnt schon über die prinzipielle Alternative nach: Das Ausscheren aus der Zwangskoordination der Länder in der Kultusministerkonferenz. Wenn der kooperative Föderalismus scheitert, kommt die gnadenlose Konkurrenz. Allerdings dürfte - vorerst - alles beim Alten bleiben. Der Leidensdruck ist offenbar noch nicht groß genug. Noch nimmt man es achselzuckend hin, daß die Besten ihre Siebensachen packen und nach San Francisco oder Cambridge/Massachusetts ziehen. Aber das ist alles (hoffentlich) eine Frage der Zeit.

Unsere Hochschullandschaft muß offen bleiben Aus Sicht der deutschen Wirtschaft sollten wieder mehr qualifizierte Ausländer zu uns kommen Von Ruprecht Vondran

I. Zweimal hat ein deutscher Diplomat öffentliche Brandbriefe nach Hause geschrieben. Gerade weil sein drängender Ton angesichtsder konservativen Gepflogenheiten seines Berufsstandes eher ungewöhnlich sein mag, sollten wir Heinrich Seemann, unserem Botschafter in Indonesien, dafür dankbar sein. In überregionalen Zeitungen hat er mutig am Beispiel seines Gastlandes angesprochen, daß Deutschland für ausländische Studenten nur noch dritte Wahl sei und dies über alle kulturellen Wirkungen hinaus nicht ohne Folgen für unsere außenwirtschaftliehen Beziehungen bleiben werde 1• Die Tatsachen sprechen für seine These. Haben in den fünfziger Jahren im Durchschnitt noch 17 000 indonesische Studenten an Deutschlands Hochschulen studiert, sind es heute gerade noch 2 300. Dabei hat sich die Gesamtzahlder jungen Leute, die das Land dertausend Inseln verlassen, um draußen eine akademische Ausbildung zu suchen, seither drastisch erhöht. Allein 18 000 finden den Weg nach Australien. Fast ebenso viele gehen in die Vereinigten Staaten. Die Elite eines großen Landes mit 200 Mill. Einwohnern, das traditionell enge Verbindungen mit Deutschland gehalten hat, ist dabei, sich von uns abzuwenden. Hat die heute in Politik und Wirtschaft, in Kultur und Wissenschaft tonangebende Führungsschicht prägende Jahre in Aachen, Bonn, Göttingen oder Würzburg verbracht, wird die nächste Generation in Baltimore, Berkeley oder Boston oder aber an einer der australischen Hochschulen geformt sein. Leider ist das, was hier am Beispiel eines Landes deutlich wird, kennzeichnend für eine allgemeine Entwicklung. Das Angebot unserer Universitäten und Technischen Hochschulen übt weithin nicht mehr die gleiche Attraktion aus wie früher. Vgl. H. Seemann, Wir brauchen Werbung für unsere Universitäten. Wichtig für Deutschlands Wirtschaftsinteressen I Ein Blick von draußen. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Frankfurt a.M., Ausgabe vom 29. Mai 1996, und H. Seemann, Deutsche Hochschulen sind nur noch dritte Wahl. "Süddeutsche Zeitung", München, Ausgabe vom 6. Dezember 1997.

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Ruprecht Vondran

Weniger qualifizierte Studenten, aber auch weniger Hochschullehrer von Rang finden den Weg zu uns. Zu den Folgen sind selbst aus der exportorientierten Wirtschaft leider nur vereinzelt deutliche Stimmen zu hören. Diese Abkehr von Deutschland wird offenbar nur als ein kleiner Teilaspekt der allgemeinen Bildungsmisere gesehen. In Wirklichkeit ist dies mehr. Hier tut sich eine schmerzliche Investitionslücke auf, die wir besonders ernst nehmen müssen. Ausgerechnet im Zeitalter der Globalisierung sind wir im Begriff, den Anschluß an internationale Entwicklungen zu verlieren. Wenn wir es nicht schaffen, den Prozeß umzukehren, wird dies Langzeitfolgen haben 2 •

II. Vielleicht ist die eher gleichgültige Hinnahme der geschilderten Veränderung nicht nur ein Resignationszeichen in einer Zeit allgemeiner Unbeweglichkeit und Stagnation, sondern auch Folge einer falschen Interpretation von statistischen Daten. Insgesamt besuchen etwa 150 000 ausländische Studenten unsere Hochschulen. Das sind immerhin 7 vH aller Studierenden. Vor 20 Jahren waren es etwa 8 vH. Also Grund zur Gelassenheit? Nicht ganz. Man sollte schon genauer hinsehen: Rund 50 000 der Ausländer, die bei uns eingeschrieben sind, haben ihre, wie es in der farblosen Fachsprache der Bildungspolitiker heißt, "Hochschulzugangsberechtigung" in Deutschland erworben. Zu einem erheblichen Teil sind die statistisch erfaßten Auslandsstudenten also Kinder von Gastarbeitern, die mit ihren deutschen Alterskameraden unsere Schulen durchlaufen haben. Dies ist einerseits eine erfreuliche Feststellung, denn hier wird entgegen manchen Befürchtungen eine erhebliche Integrationsfähigkeit sichtbar. Andererseits werden wir unter diesen "Bildungsinländern" künftig nur wenige Gesprächspartner, Lieferanten und Kunden in fremden Ländern finden. Sie werden vermutlich da bleiben, wo sie sich zu Hause fühlen, in Deutschland. Rechnen wir sie aus den Gesamtzahlen heraus, so sind es nur gut 5 vH an "echten" Ausländern, die bei uns eine akademische Ausbildung suchen, um sie in ihren Heimatländern nutzbar zu machen. Da mittlerweile die Migration von Studenten weltweit zugenommen hat, ist dies keine befriedigende Zahl. Die Bundesregierung bedauert diese Entwicklung denn auch 2

Vgl. R. Vondran, Wege zum Nachbarn. In: H. Hoffmann (Hrsg.), Freund oder Fratze? Das Bild von Deutschland in der Welt und die Aufgabe der Kulturpolitik. Frankfurt

a.M. 1994, S. 155ff.

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deutlich: "Dies ist ... insbesondere im internationalen Vergleich ... Anlaß zur Besorgnis"3 • Wichtig ist auch die regionale Herkunft der Ausländer, die sich noch für eine deutsche Hochschule entscheiden. Die Zahl der Studierenden aus europäischen Ländern ist auf knapp 90 000 steil angestiegen. Dies ist vor allem auf junge Leute aus mittel- und osteuropäischen Ländern zurückzuführen, die seit dem Fall der Mauer ihre Chancen wahrnehmen. Kamen aus Polen vor 20 Jahren noch keine 200 Studenten, so sind es heute annähernd 5 000; waren es damals aus der Sowjetunion keine 25, so hat sich heute die Zahl auf mehr als 4 500 vergrößert. Zudem wirken auch die europäische Integration und dabei insbesondere zahlreiche EU-Programme auf die binneneuropäische Wanderung der Studenten belebend4 • Andererseits stagniert die Zahl der Studierenden, die aus wichtigen Wirtschaftsregionen außerhalb Europas zu uns finden. Vor 20 Jahren nahmen wir z.B. 3 000 Studenten aus den Vereinigten Staaten bei uns auf; bei deutlich größerer Studentenzahl insgesamt sind es heute kaum sehr viel mehr, nämlich 4 000. Darüber hinaus ist Deutschland als Studienland für Studierende aus der ostasiatischen-pazifischen Region fast bedeutungslos geblieben 5 • So schreiben sich aus Japan noch 1 600 bei uns ein, etwa zur Hälfte Musikstudenten. Aus Malaysia und Singapur sind es jeweils gerade über 100, aus dem Subkontinent Indien unter 700. Die Bundesregierung nennt diese Entwicklung zu Recht "alarmierend"6 • Aufschlußreich ist ein Vergleich mit den Vereinigten Staaten, dem Traumziel vieler Studiker. Dort studierten 1995 rund 450 000 ausländische Studenten, rund dreimal soviele wie 20 Jahre vorher7 • Sie kommen in die Vereinigten Staaten, obwohl die guten amerikanischen Universitäten für unsere Begriffe horrende Studiengebühren von 20 000 $ im Jahr und mehr verlangen und längst nicht jeder auf ein Stipendium rechnen kann. Besonders auffallend ist der Andrang von außen in den höheren Stockwerken der amerikanischen Bildungspyramide, vor allem in denNaturwissenschaften.

4 5 6 7

Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der Abgeordneten ... -Drucksache 13/8165. Internationale Attraktivität und Wettbewerbsfahigkeit des Hochschu1standortes Deutschland als Aufgabe deutscher Politik. Deutscher Bundestag, Drucksache 13/9372. Bonn 1997, S. 4. Vgl. Antwort der Bundesregierung, S. 7. Vgl. Antwort der Bundesregierung, S. 7. Antwort der Bundesregierung, S. 8. Vgl. S. Muller, Marketing and Globalization. Strategies of American Universities. In: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Hrsg.), Hochschulstandort Deutschland -Villa-Hügel-Gespräch 1996. Materialien. Essen 1996, S. 153.

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Im Bereich "Science and Engineering" ist jeder vierte, der in den Vereinigten Staaten einen "master"-Grad erwirbt, ein Ausländer; von den Promovierten ist es sogar jeder zweite8 • Das zeigt einerseits, welcheFührungsrolle die Vereinigten Staaten in vielen naturwissenschaftlichen Disziplinen erworben haben, andererseitsaber auch, welches Potential an jungen Begabungen ihnen hiervon außen zufließt. Trotz großer finanzieller Belastungen entscheiden sich also viele Studenten aus aller Welt für eine amerikanische Universität. Selbst ein kostenloses deutsches Studienangebot und die Aussicht auf eine zusätzliche finanzielle Förderung ändern die Präferenzen nicht. Offenbar bewerten die jungen Leute die Qualität des amerikanischen Lehrangebots höher als die der deutschen Billigofferten. Und damit stellt sich die Frage: Entscheiden sich für eine Ausbildung in Deutschland noch genügend Bewerber aus derersten Reihe oder bekommen wir ganz überwiegend nur die zweite oder dritte Wahl? Obwohl niemand es genau nachzumessen vermag, gibt es in der Tat deutliche Indikationen, daß die besten Köpfe in die Vereinigten Staaten und in andere Länder drängen, die ganz bewußt ein differenziertes Hochschulsystem mit einer ausgeprägten Spitze entwickelt haben. Die Bewerberzahlen sagen deutlicher als viele Worte, wohinjunge Begabungen strömen. Um die 1 650 Plätze, die in Stanford im Jahr für "undergraduates" zur Verfügung stehen, bemühen sich 17 000 Bewerber, darunter viele aus dem Ausland. Das ermöglicht eine Auslese nach strengen Maßstäben9 • Im Ergebnis tragen von 15 000 akademischen Bürgern dieser Elite-Universität mehr als 2 500 einen ausländischen Paß in der Tasche. Als weiteres Beispiel sei Harvard genannt; von etwa 18 000 Studenten kommen hier 3 500 aus dem Ausland, etwa 20 vH 10 • Man kann es also drehen und wenden, wie man will: An der Einsicht, daß gerade unter denen, auf die wir besonderen Wertlegen müßten, die Nachfrage nach einem Studienplatz in Deutschland nachgelassen hat, führt kein Argument vorbei. Um den Befund auch noch in Globalzahlen zusammenzufassen: Von etwa 1,4 Mi!!. Studenten, die weltweit außerhalb ihres eigenen Landes eine akademische Ausbildung suchen, entscheidet sich fast genau ein Drittel fürdie Vereinigten Staaten (33,4 vH), es folgen Frankreich (10,4 vH) und dann Deutschland (1 0 vH)ll. Dieser dritte Platz ist aber wegen der zahlreichen "Bildungsinländer" sehr geschönt. Zusätzlich stellt sich die Qualitätsfrage. s 9

10 11

Vgl. Antwort der Bundesregierung, S. 6. Vgl. G. Casper, Interview mit dem Rektor der Stanford University: Warum haben Sie so wenige deutsche Studenten? "Capital", Hamburg, Jg. 36 (1997), Heft 12, S. 103. Vgl. S. Muller, S. 154. Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft (Hrsg.), Hochschulstandort Deutschland Partner von morgen bleiben aus. "iwd", Köln, Jg. 22 (1996), Nr. 47, S. 5.

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111. Die Folgen für die Wirtschaft sind vielfältig, lassen sich aber unter zwei Gesichtspunkten zusammenfassen. Da ist einmal die Innenwirkung: In einer Zeit, die durch freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, Mobilität der Menschen, weitgehend unbehinderte Finanzströme, wachsenden Know-How-Transfer sowie schnellere und kostengünstigere Kommunikation und Logistik gekennzeichnet ist - all das steht ja hinter dem Sammelbegriff der "Globalisierung" -, leisten es sich die Deutschen, Impulse, die gerade über die Hochschulen aus anderen Ländern kommen, zu reduzieren. Der sozialdemokratische Bildungspolitiker PeterGlotz hat diese Entwicklung sehr bildhaft in Worte gefaßt: "Die meisten deutschen Studenten studieren dort, wo die Waschmaschine ihrer Mutter steht und die Freundin lebt. Auslandssemester? Das verlangt mühsame Fleißprüfungen für (zugegebenermaßen viel zu wenige) Stipendien, schmerzhafte Anpassungsleistungen im Gastland und den Mut zur riskanten Selbststeuerung. Und da deutsche Hochschulen nur selten fremdsprachige Kurse anbieten, deutsche Fakultäten im Ausland nicht kennen, unübersichtliche Studienbedingungen und eine schlechte Betreuung bieten und bei der Anerkennung fremder Zertifikate zur Zurückhaltung genötigt werden, bleiben die Deutschen unter sich. Oder gar die Brandenburger und die Hessen. Alle reden von "Globalisierung". Deutschlands hohe Schulen aber werden zu Mittelzentren für die mittleren Jobs der jeweiligen Region" 12 • Während unsere Firmen, nicht nur die großen Konzerne, sondern auch weithin der Mittelstand, über immer größere geographische Distanzen, grenzüberschreitend und kulturübergreifend handeln müssen, besteht bei uns Gefahr, daß die Gesichtsfelder der Managergeneration, die die Zukunft tragen soll, sich nicht rechtzeitig öffnen oder sogar eingeschnürt werden. Zunehmend ist internationale Kommunikationsfähigkeit gefragt. Sie wird niemandem in die Wiege gelegt, sondern ist nur durch Übung, durch Begegnung und Austausch mit gleichgesinnten, gleichgestimmten und gleichbegabten Kommilitonen zu erwerben. Auslandsaufenthalte sind dazu unerläßlich. Wer nach einem Studium "draußen" wieder nach Deutschland zurückkehrt, bringt nicht nur wertvolle Fachkenntnisse, sondern auch eine Weltsicht mit, die seine heimatliche Universität bereichern," ... denn Studenten nehmen wenigstens fünfzig Prozent von dem, was sie lernen, von ihren Kommilitonen und nicht von den Professoren auf', so der Rektor der Stanford University 13 • Aber nicht nur diese Kontakte mit den "Rückkehrern", sondern gerade auch die Gespräche mit ausländischen Studenten auf dem heimatlichen deutschen Campus schaffen eine Atmosphäre, die Neugier weckt, Ideen freisetzt, kurzum Köpfe weitet.

12

13

P. Glotz [1], Wer bringt die Verhältnisse zum Tanzen? Über die deutsche Hochschulmisere. "Neue Zürcher Zeitung", Zürich, Fernausgabe vom 12. Januar 1998. G. Casper, S. 103.

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Zudem sollten sich hier bereits in jungen Jahren Netzwerke entwickeln, die für ein ganzes Berufsleben wichtig sind. Die Einschränkung solcher Kontakte hat unmittelbare Folgen für den Arbeitsmarkt. Dadas Angebotqualifizierter Bewerber im eigenen Land zu schmal ist, gehen große Unternehmen dazu über, sich im Ausland nach entsprechenden Führungskräften umzusehen. Der Chef eines bedeutenden Chemieunternehmens berichtete kürzlich den "Tönissteinern", einem vom BDI, der BDA, dem DIHT und dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft getragenen Kreis, er habe von sechs freien Stellen fünf aus dem Ausland besetzt. Das Institut der deutschen Wirtschaft bestätigt diese Tendenz. Entscheidend sind dabei nicht einmal das geringere Alter, obwohl dies verständlich wäre, oder die größere Bescheidenheit bei den Gehaltsvorstellungen. "Wer ausländische Hochschulabsolventen einstellt, der ist an deren ,neuen Gedanken' interessiert, die diese in den Betrieb mit einbringen. Ein Unternehmen formulierte es besonders deutlich: , Die Köpfe sind frei von deutschen Denkmustern'." 14 •

IV. Mindestens von gleicher Bedeutung istdieAußenwirkung. Wenn wiruns aufdem internationalen Ausbildungsmarkt nicht behaupten, sondern zulassen, daß unsere "Marktanteile" vor allem im hochqualifizierten Bereich schrumpfen, so müssen wir in Kauf nehmen, daß heute bestehende Handelspräferenzen sich zu unserem Nachteil verändern. Es ist eine allgemeine Erfahrung: Wer in jungen Jahren aus freien Stücken in eine zunächst noch fremde Welt eintaucht, sich oft mühsam genug ein anderes Denken erschließt und entfernt liegende Bildungsgüter aneignet, Zugang zu Menschen anderer Sprache gewinnt und zugleich Grundlagen für sein eigenes berufliches Fortkommen legt, entwickelt damit in der Regel Sympathien für diese zeitweise Heimat. Bei den meisten gehen sie auch auf späteren Lebensstationen nicht verloren. Wer in Köln oder Mannheim Wirtschaftswissenschaft, in Darmstadt oder Karlsruhe Ingenieurwissenschaft studiert hat, wird deshalb nicht blind deutsche Maschinen oder Anlagen kaufen, aber er wird leichter Kontakt zu den einschlägigen Firmen in unserem Land finden, ihre Qualität sowie das Preis-Leistungs-Verhältnis richtig einzuschätzen wissen und einem deutschen Angebot eine faire Chance geben. Er kennt die hiesigen Standards im Geschäftsgebaren, also im Umgang mit Menschen, aber auch bei der Bewertung von Gütern. Gibt es Probleme, so kann er sie in der Landessprache klären. In einem Satz: Er bewegt sich auf bekanntem Gelände, und diese Vertrautheit ist auch im nüchternen Geschäftsleben ein Faktor, 14

W. Schlaffke, Konkurrenzfähigkeit der deutschen Hochschulausbildung in einem glo-

balen Markt. In: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Hrsg.), S. 171.

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der nicht gering zu bewerten ist. Darüber hinaus stellen ausländische Absolventen deutscher Hochschulen ein natürliches Reservoir dar, wenn deutsche Unternehmen versuchen, ihre Aktivitäten auf Exportmärkten zu erweitern und dafür geeignete Mitarbeiter suchen.

V.

All dies und mehr steht auf dem Spiel, wenn wir auf die eingangs geschilderten abbröckelnden Tendenzen an unseren Hochschulen sehen. Dies Bild bedarfjedoch noch einer Differenzierung. Fast alle hier angesprochenen Probleme sind am gegenwärtigen Zustand der Lehre an deutschen Universitäten festzumachen. In der Forschung sieht es offenbar besser aus. Reimar Lüst, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung, die den internationalen Austausch von Wissenschaftlern organisiert, faßtsein Urteil überdiesen Teil unserer Hochschulaktivitäten zu einer kurzen Aussage zusammen: "Der Forschungsstandort Deutschland ist international nach wie vor wettbewerbsfähig. Dies sollte nicht ,zerredet' werden" 15 • Er bietet dafür auch Belege an. Deutsche "Centers of Excellence" sind als Partner der Forschung weiterhin international gefragt. Er nennt beispielhaft Chemie in München und Bonn, Biowissenschaften in Freiburg und München, Medizin in Heidelberg, München, Bonn und Freiburg, Physik in Bonn, Frankfurt a.M. und München, Mathematik in Bonn. Also auch hier ist Qualität das Schlüsselwort. Aber man täte der Sache keinen guten Dienst, wollte man die Schwächezeichen übersehen, die es auch im Bereich der Forschung gibt. So entscheiden sich Japaner, die mit seismografischer Empfindlichkeit auf tektonische Verschiebungen in der Forschungslandschaft reagieren, zunehmend für die Vereinigten Staaten. Ihre Bindungen an Deutschland sind schwächer geworden. Nachdenklich sollte wohl auch stimmen, daß der Anteil ehemaliger DAAD-Stipendiaten unter den wissenschaftlichen Gästen der Humboldt-Stiftung drastisch zurückgegangen ist, von 25 vH auf nur noch 10 vH 16 • Die Frage, warum sich gerade diejenigen, die deutsche Hochschulen in jungen Jahren durchlaufen haben, exzellent Deutsch sprechen und insofern keine "Schwellenängste" haben, in ihrer weiteren wissenschaftlichen Karriere nur noch in so geringer Zahl in Deutschland engagieren, sollte unser Interesse wecken. Lagen Schatten auf ihren frühen Studienjahren in Deutschland? Insgesamt aber gilt, daß sich unsere Forschung trotz aller Finanzprobleme, mit denen sie zu kämpfen hat, international noch weitaus besser präsentiert als die Hochschullehre. Aber auch sie ist nicht ungefährdet. Die Wirtschaft tut gut daran, diese Entwicklung ebenfalls sorgfältig zu beobachten. 15 16

R. Lüst, Wie attraktiv ist Deutschland als Forschungsstandort? In: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Hrsg.), S. 125. Vgl. R. Lüst, S. 124.

9 FS Jochimsen

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VI. Was ist zu tun, um die deutschen Hochschulen auch dort wieder attraktiver zu machen, wo sie im Ausland besonders an Ansehen verloren haben? Verbesserung des (Lehr-) Angebots und der Studienbedingungen heißt die einfachste und durchschlagendste Antwort. Das aber führt in ein weites Feld. An eindrucksvollen Analysen und guten Ratschlägen fehlt es dazu nicht. Das Kernproblem ist die große Zahl der Studenten. Wilhelm von Humboldt hat die Grundgedanken von der Einheit von Lehre und Forschung in einer Zeit formuliert, als ganz Deutschland von Königsberg bis Landshut/München insgesamt etwa 5 000 Studenten hatte. In den fünfziger Jahren gab es in der alten Bundesrepublik bereits etwas mehr als 100 000 Studenten, zehn Jahre später waren es etwa 300 000. Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre erfolgte der große Sprung. Heute haben wir etwa 1,5 Mill. Studenten in ganz Deutschland. "Humboldt ist in der Masse erstickt", so lautetdenn auch der Obduktionsbefund des früheren Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz Hans Uwe Erichsen 17 • Die Zahl der Professoren und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiter ist hinter diesem Wachstum tatsächlich weit zurückgeblieben. Allein in den letzten 20 Jahren, von 1977 bis 1997, ist die Zahl der Studenten um 80 vH, die des wissenschaftlichen Personals dagegen nur um 10 vH gestiegen. Noch schmerzlicher war, daß der Anteil der Ausgaben für die Hochschulen (einschließlich Bafögund Graduiertenförderung) am Bruttoinlandsprodukt krass zurückgegangen ist, von 1,32 vH im Jahre 1975 auf 0,92 vH im Jahr 1992 18 • Neuere Zahlen sind leider dazu nicht verfügbar; sie dürften aber eher noch schlechter sein. Hinzu kommen organisatorische Probleme. Die Mitwirkung der "gesellschaftlichen Kräfte" an allen wesentlichen Entscheidungen innerhalb der Hochschule bindet viel an wertvoller Zeit, Gremien blockieren sich gegenseitig, die Verantwortung anonymisiert sich, Führung ist schwierig geworden. Obwohl es an Bekenntnissen zur Selbstverwaltung der Hochschulen nicht fehlt, wird unabhängig von außen in die Republica Academica hineingewirkt Noch einmal Peter Glotz, der gerade dies sehr anschaulich schildert: "Die Interessengruppen haben sich eingegraben wie Deutsche und Franzosen vor Verdun. Die Minister predigen Deregulierung, und die Ministerialräte regulieren lustig weiter. Die Professoren schwärmen von der freien Luft der Wirtschaft, lehnen ,Hochschulräte'- also externen Sachverstand- aber empört ab. Und die netten, phantasievollen und pragmatischen Studenten reden, hört man ihnen genau zu, ziemlich ähnliche Texte wie ihre Eltern ... Bisher hat die 17

18

Zitiert nach M. Erhardt, Qualität als Maßstab und Ziel. Elemente einer an Qualität und Leistungsfähigkeit orientierten Hochschulreform. "Freiheit der Wissenschaft", Bonn, Jg. 1996, März, S. 4. Vgl. K. Reumann, Die Hochschulen in Deutschland werden dumm gespart. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Ausgabe vom 21. November 1997.

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gegenwärtige Studentenbewegung keine einzige neue Idee hervorgebracht. Wer also soll die Verhältnisse zum Tanzen bringen?" 19. Über alledem ist manches an Berufsmoral verfallen, so jedenfalls eine weithin hallende Klage. Viele akademische Lehrer sind für ihre Studenten schwer erreichbar. Es ist vom Di-Mi-Do-Syndrom die Rede, der für das Lehrpersonal angenehmen Konzentration des Vorlesungsangebots auf drei Tage in der Woche. Von einer "Verkrüppelung des Ethos der Hochschullehrer" spricht ein Insider2°. Wer etwas genauer hinsieht, wird allerdings gewahr, daß ein solches allgemeines Verdikt vielen, die Einsatz, ja Opferbereitschaft zeigen, Unrecht tut.

VII. Schondiese gedrängte Übersicht zeigt, wie breitauszugreifen ist, soll die Qualität der Lehrveranstaltungen so angehoben werden, daß der gute Ruf der deutschen Universität wieder junge Begabungen in großer Zahl aus aller Herren Länder anzieht. Es wird eines gründlichen Umdenkens und entschlossenen Handeins bedürfen, wenn es gelingen soll, gleichzeitig "Egalität und Exzellenz" zu verwirklichen und ein falsch verstandenes Gleichheitsgebot wieder aus den Köpfen zu verbannen. Konrad Adam hat das sehr prägnant ausgesprochen: "Schule und Hochschule haben nicht die Aufgabe, die Menschen gleich zu machen, sondern sie aus gemeinsamen Anfängen zu Erfolgen zu führen, die um so verschiedener ausfallen werden, je gründlicher die Ausbildung betrieben wird. Freiheitliche Bildung nimmt die Gleichheit zum Ausgangspunkt, aber nicht zum Ziel"21 • Er hat gewiß recht. Das Bemühen, alle Menschen und alle Universitäten gleich zu behandeln, läuft am Ende darauf hinaus, sie alle gleich schlecht zu machen. Um zu einem besseren Ergebnis zu kommen, gibt es nur einen Weg: Die Hochschulen sollten für den Wettbewerb geöffnet werden, und zwar auf allen Ebenen: Die Studenten sollten die Chance haben, im Wettbewerb an die besten Universitäten zu kommen. Die Universitäten sollten im Wettbewerb um die besten Professoren frei sein. Die Bundesländer sollten den Wettbewerb um die besten Universitäten aufnehmen dürfen. Wenn die Gesetzgebung diese Freiheitsräume schafft, leistet sie den wirkungsvollsten Beitrag zur Hochschulreform. Der Entwurf zum Hochschulrahmengesetz ist ein Schritt in diese Richtung, aber ein zaghafter. Die Wirtschaft muß hier weiteren Fortschritt anmahnen und mit eigenem Tun 19

20

21

9•

P. Glotz [1], S. 21. P. Glotz [II], Das Leistungsethos der Professoren ist verkrüppelt. "Welt", Berlin, Ausgabe vom 27. November 1997. K. Adam, Zu viel vom Gleichen. In: K. Adam (Hrsg.), Bildungslücken. Stuttgart 1997, S. 12.

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vorangehen, so wie sie es in der Partnerschaft mit sechs reformwilligen Universitäten bereits getan hat.

VIII. Eine durchgreifende Reform wird Zeit kosten. Um die Attraktivität unserer Universitäten für ausländische Hörer möglichst rasch zu erhöhen, müssen wir vorerst mit bescheidenen Veränderungen vorlieb nehmen, können dann allerdings auch nur begrenzte Fortschritte erwarten. Es ist das Verdienst der Herbert-QuandtStiftung, einen solchen Weg gewiesen zu haben 22 . Zusätzlich zu Forderungen nach besserer finanzieller Ausstattung, die berechtigt sind, bietet sich nach ihren Beratungen ein ganzer Fächer von Verbesserungsmaßnahmen an, die wenig oder gar kein Geld kosten. Aus einer Fülle dieser Vorschläge hier eine Auswahl: Das Marketing der deutschen Universitäten muß besser werden, sei es über Elektronik-, sei es über Printmedien. Englischsprachige Zeitschriften enthalten bisher nur sehr unvollkommene Hinweise auf das Angebot deutscher Hochschulen. Bürokratische Hemmnisse, die dem Aufenthalt in Deutschland entgegenstehen, sollten abgebaut werden. Dazu gehören ausländerrechtliche Bestimmungen, Visa-Formalitäten, Fragen der Krankenversicherung, Arbeitserlaubnisse usw. Wenn es um die Anerkennung im Ausland erworbener Studienabschlüsse geht, wäre auf deutscher Seite mehr Bescheidenheit bei der Beurteilung unseres eigenen Leistungsniveaus hilfreich. Es gilt, die Sprachbarrieren zu überwinden. Deutsch ist heute weder Wissenschaftssprache, noch allgemein akzeptierte Verkehrssprache. Wir können kaum erwarten, daß alle, die an unseren Universitäten arbeiten wollen, zunächst einen hohen Leistungsstand in unserem Idiom erwerben. Zumindest für diejenigen, die bereits einen akademischen Abschluß aus dem Ausland vorweisen können, also für "post-graduate-Studenten", müßten auch Kurse in englisch angeboten werden. Da es Ausländer am Wohnungsmarkt ungleich schwerer haben als Einheimische, müssen wir hier gezielte Hilfestellung geben, z.B. bei der Bereitstellung von Plätzen in Studentenwohnheimen. 22

Vgl. Herbert-Quandt-Stiftung (Hrsg.), Bildungsstandort Deutschland: leistungsfähig und attraktiv genug für ausländische Studenten? Fachtagung am 30.11. und 01.12.1995 im Gästehaus Petersberg, Bonn.

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Eine intensive Studienbetreuung, wie sie an den meisten ausländischen Universitäten durch Einsatz von Tutoren und Vertrauensdozenten längst üblich ist, sollte auch bei uns möglich sein. Das im angelsächsischen Raum weit verbreitete "credit point system" könnte es erleichtern, Studiengänge zu schaffen, die eine wirkungsvolle Kombination in- und ausländischer Studienzeiten sowie einen Abschluß ohne Zeitverlust ermöglichen. Realistischerweise müssen wir uns damit abfinden, daß wir nicht mehr die Standards für andere setzen: "Vordiplom", "Diplom", "Magister", "Doktor" und andere Titel sind in der angelsächsischen Welt und darüber hinaus keine festen Begriffe. Wir sollten bereit sein, neben unseren eigenen akademischen Titeln auch die ausländischen Abschlüsse (Bachelor, Master, PhD) zu verleihen. Parallel zu diesen die Studenten begünstigenden Maßnahmen sollten wir uns auch bemühen, vermehrt ausländische Hochschullehrer für eine Lehrtätigkeit in Deutschland zu gewinnen. Diese Auswahl macht deutlich: Hier geht es nicht um den großen Wurf einer umfassenden Hochschulreform, die wohl in der Tat noch einige Zeit auf sich warten läßt. Es geht auch nicht um Unsummen an zusätzlichem Finanzaufwand. Es geht darum, bestimmte Gewohnheiten aufzubrechen und eine größere Sensibilität fürdie Bedürfnisse ausländischer Gäste zu entwickeln.

IX. Nachdenklich muß allerdings der Nachspann stimmen, den die Herbert-QuandtStiftung ihrem Tagungsbericht angefügt hat: "Die beschriebenen Probleme sind seit Jahren bekannt und sie haben sich weiter verschärft. Es ist notwendig, in die derzeit geführte Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland den Forschungs- und Bildungsstandort Deutschland einzubeziehen" 23 • Diese mahnenden Worte sind vor zwei Jahren zu Papier gebracht worden. In der Zwischenzeit ist wenig geschehen, um die Situation durchgreifend zu verbessern. An Erkenntnissen fehlt es nicht, wohl aber offensichtlich an der Fähigkeit zu handeln. Genau genommen leben wir in diesem Zustand schon seit etwa 25 Jahren. Darauf macht der Rechtshistoriker und Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon, aufmerksam. Er empfiehlt seinen Kollegen - sarkastisch -, den Pressespiegel der Hochschulrektorenkonferenz abzubestellen und schlicht die alten Ausgaben vom Beginn der siebziger Jahre zu 23

Herbert-Quandt-Stiftung (Hrsg.), S. 19.

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konsultieren. Damals sei bereits alles gesagt worden, mehrfach, ja dutzendfach. "Man wäre immer noch auf dem laufenden" 24 •

X. Diesem Rat sollten wir besser nicht folgen, sondern endlich alles daran setzen, daß die deutsche Hochschullandschaft nicht allmählich zur tiefen Provinz wird. Die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, das der Bundestag am 13. Februar 1998 beschlossen hat, nimmt eine Reihe von konkreten Vorschlägen der HerbertQuandt-Stiftung auf. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings hat die Opposition die Zustimmung insbesondere mit dem Hinweis darauf verweigert, das Gesetz enthalte kein Verbot von Studiengebühren. Sie hat angekündigt, auch von ihrer Mehrheit im Bundesrat gegen die Regierungsinitiative Gebrauch zu machen und notfalls auch Klage dagegen beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Selbst wenn diese Hürden genommen werden, bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die Länder und die Universitäten von der Möglichkeit, die der Bundestag ihnen bieten will, Gebrauch machen werden. Es ist zu hoffen, daß sich alle Beteiligten schließlich doch zu gemeinsamer Aktion zusammenfinden werden. Denn über die hier angerissenen Fragen von wirtschaftlichem Gewicht hinaus ist dies von noch breiterer politischer Bedeutung. Deutschlands Bild im Ausland hat sich verdunkelt. Waren wir bis 1989 noch ein wichtiger Abschnitt, ja ein vorgeschobener Posten an der Grenze zum Kommunismus, so sieht man uns heute weniger heroisch. So bieten wir etwa für die Amerikaner eher den Anblick einer satten und müden Gesellschaft, die nicht mehr fähig ist, sich zu überzeugenden Taten aufzuraffen. Ein Beispiel: Jedes Jahr schreiben "Bundeskanzler-Stipendiaten", von der Bundesrepublik Deutschland als "prospective Ieaders" aus den Vereinigten Staaten zu einem etwa einjährigen Studienaufenthalt nach Deutschland eingeladen, einen gemeinsamen Erfahrungsbericht Dem letzten Band gaben sie den bezeichnenden Titel "Die Grumble Gesellschaft"- unsere ausländischen Gäste sehen uns Deutsche also als ein Volk von mürrischen Nörglern. Weltoffenheit und Aktivität werden uns dagegen nur sparsam attestiert. Deutsche Rückkehreraus den Vereinigten Staaten berichten noch Unerfreulicheres. Sie bieten eine Erklärung dafür, daß junge US-Wissenschaftler eine Vorliebe für Studien zu Minderheitsrechten in Deutschland entwickeln. Unser Land werde von vielen als "soziologisches Laboratorium für Unterdrückung" angesehen. Und das beziehe sich nicht etwa nur auf die Vergangenheit. Geschäftstüchtige Sektierer, die heute in Deutschland nach materiellen Vorteilen streben und sich dabei auf die verfassungsmäßig garantierte Glaubensfreiheit berufen, finden beispielsweise in der amerikanischen Öffentlichkeit unerwartet viel Verständnis. Die Kritik an der 24

K. Adam, S. 105.

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Bundesregierung, die sich weigert, abgehobenen amerikanischen Vorstellungen zur internationalen Korruptions- und Bestechungsbekämpfung zu folgen, bekommt eine gefahrliehe moralische Ladung. Im Kreuzfeuer steht auch, daß sich unsere Politiker- aus deutscher Sicht zaghaft genug- gegen den massenhaften Mißbrauch des Asylrechts wenden. Da wird das eher hilflose Bestreben besonders sensibler Mitbürger, zumindest den schlimmsten Auswüchsen der Pornographie im Internet entgegenzuwirken, zu einem Zeichen mangelnder Duldsamkeit umgedeutet und die Diskussion um den "großen Lauschangriff'' zur Verbrechensbekämpfung als eine gefährliche Attacke auf demokratische Freiheitsrechte dargestellt. Auch werden vereinzelte rechtsradikale Erscheinungen am Rande der deutschen Gesellschaft in den Vereinigten Staaten, aber auch in anderen Ländern überzeichnet, so als seien wir auf einem Marsch in die Vergangenheit ... Wir Deutschen wissen, daß dies Teile eines Zerrbildes sind. Wir sollten uns aber bewußt sein, daß mit Dementis und Richtigstellungen dagegen wenig auszurichten ist. Wirkungsvoller wäre es, unsere Hochschulen attraktiv zu machen, möglichst viele junge Akademiker, d.h. Vertreter der künftigen Führungsgeneration, zu uns einzuladen und sie mit der Wirklichkeit zu konfrontieren. Wir können kaum Besseres tun, um Vorurteile abzubauen. Über alle Lehr- und Forschungsinhalte hinaus fällt gerade unseren Hochschulen die wichtige Aufgabe zu, international deutlich zu machen, daß wir eine offene Gesellschaft sind.

Wirtschaftspolitik

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus Ein Überblick Von Ansgar Belke und Wim Kösters Rationales Handeln in der Wirtschaftspolitik ist ohne Kenntnis dereinschlägigen ökonomischen Theorien und ihrer empirischen Relevanz nicht möglich. Aus dieser grundlegenden Erkenntnis folgt die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Politikberatung. Sie kann aber nicht als reine Soziotechnik in dem Sinne verstanden werden, daß die wirtschaftspolitischen Träger zur Förderung des Gemeinwohls die von der Wissenschaft entwickelten Konzepte einfach umsetzen. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, daß Politiker ausschließlich altruistisch handeln. Vielmehr müssen die Verfolgung eigener (Wiederwahl-) Interessen und die Existenz parteipolitischer Präferenzen berücksichtigt werden. Dies geschieht in den Theorien des politischen Konjunkturzyklus zum einen in den traditionellen Ansätzen der Political Business Cycles (PBC) bzw. Rational Political Business Cycles (RPBC) sowie zum anderen in denneueren Ansätzen der Partisan Theory (PT) bzw. Rational Partisan Theory (RPT). Reimut Jochimsen hat sich schon als Hochschullehrer mit Fragen der Politikberatung befaßt und später als Politiker und Zentralbanker den Rat der Wissenschaft gesucht sowie gerade in jüngerer Zeit sich auf dem Hintergrund seiner politischen Erfahrungen zu aktuellen Fragen wissenschaftlich geäußert. Wir widmen ihm diesen Artikel, der einen Überblick über bisherige Tests der Partisan- oder auch Parteigänger-Theorie mit rationalen Erwartungen gibt. Diese Beschränkung erscheint nicht nur aus Platzgründen gerechtfertigt, sondern auch durch die Tatsache, daß sich in den bisherigen empirischen Tests dieser Ansatz gegenüber allen anderen als relativ überlegen erwies 1, aber ein systematischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse noch nicht vorliegt. Vgl. A. Alesina [1], Political Models of Macroeconomic Policy and Fiscal Reform. (Policy Research Working Papers, World Bank, Working Paper Series, no. 970.) Washington, D.C. 1992, S. 13, A.M. Annett, Elections and Macroeconomic Outcomes in lreland, 1948-91. "Econornic and Social Review", vol. 25 (1993), S. 24, A. Belke [1], Theorien des Politischen Konjunkturzyklus. "WISU- Das Wirtschaftsstudium", Jg. 22 (1993), S. 922, A. Belke [li], Politische Konjunkturzyklen in Theorie und Empirie- Eine kritische Analyse der Zeitreihendynamik in Partisan-Ansätzen. (Schrif-

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Ansgar Belke und Wim Kösters

1. Die Rationale Partisan·Theorie als Referenzmodell 1.1. RPT ohne Persistenz der Arbeitslosenrate

Die politologisch fundierte Partisan- Theorie (PT) zur Erklärung parteipolitisch determinierter Konjunkturzyklen wurde in den siebziger Jahren vornehmlich von Hibbs propagiert2 • Mit dem bekanntesten Ansatz zur Erklärung politischer Konjunkturzyklen (PBC), dem Modell von Nordhaus 3 hat sie einerseits die Annahme nicht-rationaler Erwartungen gemein, unterscheidet sich aber andererseits hiervon durch die Spezifikation der Zielfunktionen der Parteien. Politische Parteien maximieren, im Rechts-Links-Spektrum angeordnet, unterschiedliche Zielfunktionen. In diesen werden unterschiedliche Präferenzen im Rahmen des Injlations-Arbeitslosigkeits-Tradeoffs unterstellt. Danach sind Links-Parteien bereit, relativ mehr Inflation in Kauf zu nehmen, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Umgekehrtes gilt für Rechts-Parteien. Begründet wird diese Annahme mit den distributiven Effekten, diemit verschiedenen Arbeitslosigkeits-Inflations-Kombinationen fürdie jeweilige Partei-Klientel verbunden sind. Politisch induzierte reale Effekte werden als permanent unterstellt, da Regierungen einen langfristigen Phillips-Tradeoff nutzen können4 . Gerade an der letzten Annahme entzündete sich unter Verweis auf die Lucas-Kritik5 heftige Kritik und führte zur Weiterentwicklung der PT zur Rationalen Partisan-Theorie (RPT).

2

4

ten zur angewandten Wirtschaftsforschung, Band 73.) Tübingen 1996, S. 26ff., L.S. Davidson, M. Fratianni and J. von Hagen, Testing for Political Business Cycles. "Journal ofPolicy Modeling", vol. 12 (1990), S. 38, T.M. Havrilesky [I], The Political Economy of Monetary Policy. "European Journal of Political Economy", vol. 10 (1994), S. 116ff., G. Kirchgässner [1], Bewußt erzeugte und duldend hingenommene Arbeitslosigkeit: Zum Problem der Arbeitslosigkeit aus der Sicht der Neuen Politischen Ökonomie. In: B. Gahlen u.a. (Hrsg.), Arbeitslosigkeit und Möglichkeiten ihrer Überwindung. (Wirtschafts wissenschaftliches Seminar Ottobeuren, Band 25.) Tübingen 1996, S. 406ff. Die am meisten zitierte Quelle ist D.C. Hibbs [I], Political Partiesand Macroeconomic Policy. "American Political Science Review", vol. 71 (1977), S. 1467ff. Vorläufer sind L.J. Lau and B.S. Frey, Lau, Ideology, Public Approval and Government Behavior. "Public Choice", vol. 10 (1971), S. 21ff., und B.S. Frey and L.R. Lau, Towards a Mathematical Model of Government Behaviour. "Zeitschrift für Nationalökonomie", Jg. 28 (1968), S. 355ff. Vgl. W.D. Nordhaus [1], The Political Business Cycle. "Review ofEconomic Studies", vol. 42 (1975), S. 169ff. Vgl. A. Belke [II], S. 36ff. Vgl. R.E. Lucas, Econometric Policy Evaluation: A Critique. In: K. Brunner and A.H. Meltzer (Eds.), The Phillips Curve and Labour Markets. "Journal of Monetary Economics", vol. 1976, Supplement, S. 19ff.

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

141

Im folgenden sollen nurdie im weiteren Verlaufbedeutsamen Elemente der RPT kurz skizziert werden. Auf eine ausführlichere Formalisierung des Modells wird hier verzichtet, da genügend Übersichten existieren 6• Im Unterschied zu Hibbs unterstellen die Vertreter der RPT rationale Erwartungen aller Akteure im politökonomischen Kräftefeld. Die Arbeitsmarktpartner schließen vor der Wahl in Unkenntnis über das Wahlergebnis Lohnkontrakte ab, die über den Wahltermin hinaus Gültigkeit haben. Diese Kontrakte basieren auf der Erwartung über die tatsächliche Nachwahlinflationsrate. In diese Erwartung gehen annahmegemäß die ex ante bekannten Wahlwahrscheinlichkeiten unterschiedlich inflationsgeneigter Parteien ein. Das Wirtschaftsgeschehen wird dabei als ein Spiel zwischen Regierung und Arbeitsmarktpartnern aufgefaßt, in dem die Regierung über die als abhängig unterstellte Zentralbank die Inflationsrate direkt steuern kann. Die Gleichgewichtslösungen ergeben sich in den beiden Hälften einer Legislaturperiode jeweils als Nash-Lösung für ein einperiodiges nicht-kooperatives SpieF.

Die Form des RPT-Zyklus zeichnet sich dadurch aus, daß die Arbeitslosigkeit zu Beginn der Amtszeit einer Rechts-Regierung über der natürlichen Rate liegt, da die antizipierte Inflation wegen des ex ante nicht gänzlich auszuschließenden Amtsantritts einer Links-Partei höher ausfällt als die tatsächliche. In der Spätphase der Amtszeit, der Nachwahlperiode, fallen Parteiunterschiede nicht mehr ins Gewicht, und die Arbeitslosenrate schwingt sich auf ihr natürliches Niveau ein. Umgekehrt befindet sich die Arbeitslosenrate unter einer Links-Partei zunächst unter ihrem natürlichen Wert, um sich dann ebenfalls der natürlichen Rate anzunähern. Die Tarifparteien antizipieren dabei die Anreize für Politiker zur Überraschungsinflation und berücksichtigen dies bei ihrer Erwartungsbildung. Die durch diese Erwartungen determinierte Inflationsrate wird unter Links-Regierungen wegen ihrer niedrigeren Inflationsaversion höher als unter Rechts-Regierungen ausfallen. Dies gilt für die gesamte Legislaturperiode. Zusätzlich sind die Unterschiede bei den tatsächlichen Inflationsraten in der Spätphase der Legislaturperiode größer als zu Beginn. Denn sobald keine Wahlunsicherheit mehr besteht und die Tarifverträge an die neue Situation angepaßt worden sind, spielen für die erwartete und antizipierte 6

7

Vgl. M. Gärtner [1], Democracy, Elections and Macroeconomic Policy: Two Decades ofProgress. "Journal ofPolitical Economy", vol. 10 (1994), S. 85ff., und D.A. Hibbs, Partisan Theory after Fifteen Years. "European Journal of Political Economy", vol. 8 (1992), s. 361ff. Vgl. A. Alesina [II], Macroeconomic Policy in a Two-Party System as a Repeated Game. "Quarterly Journal ofEconomics" vol. 102 (1987), S. 65Iff.; H.W. Chappell and W.R. Keech [1], Party Differences in Macroeconomic Policies and Outcomes. "American Economic Review", vol. 76 (1986), Papers and Proceedings, S. 71ff.; A. Alesina and H. Rosenthal, Partisan Politics, Divided Govemment, and the Economy - Political Economy of Institutions and Decisions. Cambridge 1995, S. 161 ff.

142

Ansgar Belke und Wim Kösters

Inflationsrate die Präferenzen der Oppositionspartei für die Höhe der realisierten Inflationsrate keine Rolle mehr. 1.2. RPT bei Persistenz der Arbeitslosenrate

Die Modeliierung des Arbeitsmarktes hat den vorstehenden Ausführungen zufolge einen entscheidenden Einfluß auf die Gestalt des RPT-Zyklus. Dabei wird zum einen unterstellt, daß Arbeitsmärkte insoweit voll flexibel sind, als die Rückkehr des Reallohns zu seinem gleichgewichtigen Ausgangswert bereits in der Nachwahlperiode Vollbeschäftigung in Höhe der natürlichen Rate garantiert. Zum anderen betreffen die Rigiditäten beide Parteien annahmegemäß in gleicher Weise. Im folgenden wird ausschließlich die erste Annahme modifiziert, indem ein Trägheitsmoment (Persistenz bzw. Hysteresis) in die Anpassung der Arbeitslosenrate an ihr Gleichgewicht eingeführt wird. Von möglichen Änderungen der zweiten Annahme durch Berücksichtigung institutioneller Faktoren wie dem gewerkschaftlichen Organisationsgrad einer Volkswirtschaft wird im weiteren Verlauf abstrahiert. Ein unterschiedliches Verhalten der Lohnverhandlungsparteien angesichts alternativer politischer Regimes leiten Vertreter sogenannter Gewerkschafts- bzw. Korporatismustheorien des politischen Konjunkturzyklus ab9 • Die Integration von Persistenz-Effekten in das RPT-Modell wird jedoch nicht allein dadurch motiviert, daß sie einem anerkannten empirischen Faktum Rechnung trägt und daß sie- da sie bisher in der Literatur nur für das PBC-Modell vorgenommen wurde - eine theoretische Lücke füllt. Auf drei weitere Gründe sei zumindest hingewiesen. Erstens verändert die Berücksichtigung von Arbeitslosigkeitspersistenz nicht nur, wie oben schon angedeutet, das theoretische Verlaufsmuster des RPT-Zyklus, sondern bringt zudem wichtige lmplikationen bzw. identifizierende Restriktionen für empirische Tests der RPT mit sich. In gängigen Testansätzen wird die RPT-Hypothese nicht abgelehnt, wenn in Schätzgleichungen bezüglich der Arbeitslosenquote Partisan-Einflüsse für relativ kurze Zeiträume, etwa einige wenige Quartale,

s 9

Vgl. A. Belke [II], S. 88ff. Vgl. R.M. Alvarez, G. Garret and P. Lange, Government Partisanship, Labor Organization, and Macroeconomic Performance. "American Political Science Review", vol. 85 (1991), S. 539ff.; C. Detken and M. Gärtner, Governments, Trade Unionsand the Macroeconomy: An Expository Analysis of the Political Business Cycle. "Public Choice", vol. 73 (1992), S. 37ff.; C. Detken and M. Gärtner, Are German Unions Rocking the Economy? "Applied Economics", vol. 25 (1993), S. 1345ff.; und J. Glombowski, Arbeitslosigkeit trotz Beschäftigungspolitik: Ein Modell des Politischen Konjunkturzyklus. In: B. Rahmann und 0. Roloff (Hrsg.), Beschäftigungspolitik zwischen Abgabenwiderstand und Ausgabenwachstum. Regensburg 1987, S. lff. Überblicke finden sich in M. Gärtner [1), S. 92ff., und G, Kirchgässner [1), S. 408ff.

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

143

evident werden 10• Dieser Testansatz erscheint jedoch nur in dem Fall adäquat, wenn sichergestellt ist, daß die Volkswirtschaft nach jedem parteispezifischen Schock auch tatsächlich zur natürlichen Unterbeschäftigungsrate zurückkehrt. Wenn eine derartige Rückkehr aber nicht erfolgt, "one has tobe cautious because of problems ofhysteresis" 11 • Da nachfrageseitige Schocks, besonders parteispezifische geldpolitische Innovationen bzw. Inflationsüberraschungen, persistierende Effekte auf die Arbeitslosigkeit haben können, entsteht ein Identifikationsproblem. Aus den entsprechenden Testergebnissen wird allerdings nicht ersichtlich, daß die Ursache der Persistenz nicht in einem permanenten, sondern einem transitorischen Partisan-Einfluß liegt. Die RPT-Hypothese würde fälschlicherweise zu oft zugunsten der PT abgelehnt 12 •

2. Motivation des Problems: Begründung eines empirischen Forschungsbedarfs Positive Evidenz für die PT in bezugauf makroökonomische Zustandsvariablen liefern zahlreiche Untersuchungen 13 • 10 11 12

13

Vgl. A. Belke [II], 259ff. A. Alesina and N. Roubini [1], Political Cycles in OECD Economies. "Review of Economic Studies", vol. 59 (1992), S. 672. Vgl. A. Belke [III), Politischer Konjunkturzyklus - Kritische Anmerkungen zum Erklärungsbeitrag des Parteigänger-Ansatzes. "Ifo-Studien", Jg. 43 (1997), S. 312f., D.A. Hibbs [II], S. 368f. Vgl. z.B. A. A1esina [III]; A. Alesina [IV], Comment on: W.D. Nordhaus [II], Alternative Approaches to the Political Business Cycle. "Brookings Papers on Econornic Activity", vol. 1989, no. 2, S. 1ff. und S. 63ff., in "Brookings Papers on Economic Activity", vol. 1989, no. 2, S. SOff.; A. Alesina and N. Roubini [II], Political Cycles in OECD Econornies. (NBER Working Paper Series, no. 3478.) Cambridge, MA, 1990; A. Alesina and N. Roubini [I]; J.E. Alt [1], Political Parties, World Demand, and Unemployment: Domestic and International Sources ofEconomic Activity. "American Political Science Review", vol. 79 (1985), S. 1016ff.; J.E. Alt [II], Party Strategies, World Demand, and Unemployment: The Political Economy ofEconornic Activity in Western Industrial Nations. "Arnerican Economic Review", vol. 76 (1986), Papersand Proceedings, S. 57ff.; R.M. Alvarez, G. Garret and P. Lange; H.W. Chappell and W.R. Keech [I]; H.W. Chappell and W.R. Keech [II], Choice and Circumstance: The Consequences of Partisan Macroeconomic Policies. Working Paper prepared for delivery at the 1988 Annual Meeting of the American Political Science Association, September 1-4, 1988; S. Edwards, The Political Economy oflnflation and Stabilization in Developing Countries. (NBER Working Paper Series, no. 4319.) Carnbridge, MA, 1993; C.J. Ellis and M.A. Thoma [1], Causality in Political Business Cycles. "Contemporary Policy Issues", vol. 9 (1991 ), S. 39ff.; B.S. Frey and F. Schneider, An Empirical Study ofPolito-Economic Interaction in the United States. "Review ofEconomics and Statistics", vol. 60 (1978), S. 174ff.; S.E. Haynes and J.A. Stone [1], Political Models

144

Ansgar Belke und Wim Kösters

Auch empirische Bestätigungen der PT in bezug auf wirtschaftspolitische Instrumente liefern eine Reihe von Arbeiten 14 • Genauere Angaben zu den dabei

14

of the Business Cycle Should Be Revived. "Economic Inquiry", vol. 28 (1990), S. 442ff.; S.E. Haynes and J.A. Stone [II], Political Partiesand the Variable Duration of Business Cycles. "Southern Economic Journal", vol. 60 (1994), S. 869ff.; D.A. Hibbs [I]; D.A. Hibbs [III], Communications: Comment on N. Beck [1], Parties, Administrations, and American Macroeconomic Outcomes. "American Political Science Review", vol. 76 (1982), S. 83ff., in "American Political Science Review", vol. 77 (1983), S. 447ff.; D.A. Hibbs [IV]], Political Parties and Macroeconomic Policies and Outcomes in the United States. "American Economic Review", vol. 76 (1986), Papers and Proceedings, S. 66ff.; D.A. Hibbs [V], The American Political Economy: Macroeconomics and Electoral Politics. Cambridge und London 1986; D.A. Hibbs and C. Dennis, Income Distribution in the United States. "American Political Science Review", vol. 82 (1988), S. 467ff.; L.S. Davidson, M. Fratianni and J. von Hagen; A. Marcus and B. Mevorach, Planning for the U.S. Political Cycle. "Long Range Planning", vol. 21 (1988), no. 4, S. 50ff.; R.S. Koot, J.K. Ord and P. Young, American and British Political Business Cycles: A Time Series Approach. "Journal of Applied Business Research", vol. 8 (1992), S. 36ff.; M. Paldam, Macroeconomic Stabilization Policy: Does Politics Matter? In: A.L. Hillman, (Ed.), Markets and Politicians- Politicized Economic Choice. Boston, u.a. 1991, S. 63ff.; C. Wren, Political Partiesand Government Behaviour. "Bulletin ofEconomic Research", vol. 44 (1992), s. l25ff. Vgl. A. Alesina [V], Macroeconomics and Politics. "NBER Macroeconomics Annual", vol. 3 (1988), S. 13ff.; A. Alesina and J.D. Sachs, Political Partiesand the Business Cycle in the United States, 1948-1984. "Journal of Money, Credit and Banking", vol. 20 (1988), S. 63ff.; J.E. Alt [III], Leaning into the Wind or Ducking out of the Storm? U.S. Monetary Policy in the 1980's. In: A. Alesina and G. Carliner (Eds.), Politics and Economics in the Eighties. Chicago und London 1991, S. 4lff.; J.E. Alt and K.A. Chrystal, Electoral Cycles, Budget Controls and Public Expenditure. ,,Journal of Public Policy", vol. l (1982), S. 37ff.; N. Beck [I]; N. Beck [II], Domestic Political Sources of American Monetary Policy: 1955-1982. "Journal of Politics", vol. 46 (1984), S. 786ff.; N. Beck [III], Political Monetary Cycles. In: T. Mayer (Ed.), The Political Economy of American Monetary Policy. Cambridge u.a. 1990, S. ll5ff.; R.X. Browning, Presidents, Congress, and Policy Outcomes: U.S. Social Welfare Expenditures, 1949-77. "American Journal of Political Science", vol. 29 (1985), S. 197ff.; D.R. Cameron, The Expansion of the Public Economy: A Comparative Analysis. "American Political Science Review", vol. 72 (1978), S. 1243ff.; H.W. Chappell and W.R. Keech [III], The Unemployment Rate Consequences of Partisan Monetary Policies. "Southern Economic Journal", vol. 55 (1988), S. 107ff.; H.W. Chappell and W.R. Keech [II]; L.S. Davidson, M. Fratianni and J. von Hagen; C.J. Ellis and M.A. Thoma [I]; B.S. Frey and F. Schneider [I]; B.S. Frey and F. Schneider [II], A Politico-Economic Model of the United Kingdom. "Economic Journal", vol. 78 (1978), S. 243ff.; B.S. Frey and F. Schneider [III], An Econometric Model with an Endogenous Government Sector. "Public Choice", vol. 34 (1979), S. 29ff.; B.S. Frey and F. Schneider [IV], Central Bank Behavior: A Positive Empirical Analy-

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

145

verwendeten Testverfahren, den Schätzzeiträumen und den getesteten Ländern können an dieser Stelle aus Platzgründen nicht gemacht werden. Da die Zahl empirischer Tests der PT - wie gerade gezeigt - mittlerweile recht groß ist und gleichzeitig erste Übersichten über die dabei erzielten Testergebnisse vorliegen, erscheint es im Rahmen der vorliegenden Arbeit lohnenswerter, einen, bisher in der Literatur nicht vorliegenden, systematischen Überblick über bisherige Tests der RPT zu entwickeln. Da die" ... Rational Partisan Theory has yet tobe subjected to adequate empirical tests ... " 15 , stellt dieser systematische Überblick einen Referenzpunkt zur Entwicklung angemessener Testverfahren der RPT dar. Die überwiegende Beschränkung der bisher vorliegenden länderspezifischen RPT-Tests auf die Vereinigten Staaten deutet dabei den erheblichen Forschungsbedarf an, der mit der" ... (as yet largely untested) partisan surprise hypothesis ... " 16 verbunden ist. Sheffrin bemerkt hierzu treffend: "The theory of rational partisan business cycles should apply to other democracies besides the United States. However, there have been few testsoutside the United States ... " 17 • Schließlich und besonders ergeben sich aus dem oben aufgezeigten Identifikationsproblem bei permanenten Ideologieeffekten weitere

15 16

17

sis. "Journal ofMonetary Economics", vol. 7 (1981), S. 291ff.; K.B. Grier, Congressional Influence on U.S. Monetary Policy. ,,Journal of Monetary Economics", vol. 28 (1991), S. 201ff.; K.R. Grier and H.E. Neiman, Deficits, Politics and Money Growth. "Economic Inquiry", vol. 25 (1987), S. 20lff.; T.M. Havrilesky [II], A Partisanship Theory of Fiscal and Monetary Regimes. "Journal of Money, Credit and Banking", vol. 19 (1987), S. 308ff.; D.A. Hibbs [IV]; D.A. Hibbs [V]; D.A. Hibbs and C. Dennis; M.S. Lewis-Beck and T.W. Rice, Govemment Growth in the United States. ,,Journal of Politics", vol. 47 (1985), S. 2ff.; D.R. Kiewiet and M.D. McCubbins, Congressional Appropriations and the Electoral Connection. "Journal of Politics", vol. 47 (1985), S. 59ff.; W.D. Nordhaus [II]; F. Schneiderand B.S. Frey, Politico-Economic Models of Macroeconomic Policy: A Review of the Empirical Evidence. In: T.D. Willett (Ed.), Political Business Cycles - The Political Economy of Money, Inflation and Unemployment. Durharn und London 1988, S. 239ff.; D.H. Swank [1], Politics and United States Macroeconomic Policy: The Case of Fiscal Policy. In: M.J. Dubnick and A.R. Gitelson (Eds.), Public Policy and Economic Institutions. "Public Policy Studies", vol. 10 (1991), S. 9lff.; D.H. Swank [II], Electoral and Partisan Influences on Australian Fiscal Policy from Menzies to Hawke. (Australian National University Graduate Program in Public Policy Discussion Papers, no. 24.) Camberra 1991. D.A. Hibbs [II], S. 361 und S. 370ff. D.A. Hibbs [VI], The Partisan Model of Macroeconomic Cycles: More Theory and Evidence for the United States. (Trade Union Institute for Economic Research Working Papers, no. 95.) Stockholm 1991, S. 24. S.M. Sheffrin [1], Evaluating Rational Partisan Cycle Theory. "Economics and Politics", vol. 1 (1989), S. 251; S.M. Sheffrin [II], TheMakingof Economic Policy: History, Theory, Politics. Cambridge, MA, und Oxford 1989, S. 166.

10 FS Jochimsen

146

Ansgar Belke und Wim Kösters

bishernoch nicht eindeutig gelöste Anforderungen. Aus diesen Gründen wird in den folgenden Übersichten der Schwerpunkt auf die RPT bzw. die um Persistenz bzw. Hysteresis-Effekte modifizierte RPT-Version gelegt.

3. Zur empirischen Evidenz der Rationalen Partisan-Theorie Im folgenden wird schrittweise eine systematische Übersicht über die bisherigen Tests der RPT-Hypothese entwickelt. Die im Rahmen der Tests verwendeten ökonorneirischen Testverfahren und die Hypothesenspezifikation werden dabei explizit vorgestellt. Die Auswahl beschränkt sich aus Platzgründen auf die Evidenz bis einschließlich Ende 1995 18 • Aus der Übersicht geht hervor, daß eine verstärkte Forschungsaktivität im Bereich der RPT-Hypothese im Gegensatz zu Tests der PB Cund PT-Hypothese erst seit den späten achtziger Jahren zu verzeichnen ist. Die dargestellten Testansätze knüpfen selten an zentrale Bestimmungsgründe der RPT wie die Wiederwahlunsicherheit an, sondern beschränken sich meistens auf die Implikationen der RPT für den Zeitreihenverlauf bestirnter Aggregate. Da somit überwiegend auf sogenannte reduzierte Formen abgestellt wird, finden hauptsächlich indirekte Tests der RPT statt. Es soll im weiteren Verlauf so vorgegangen werden, daß zunächst ein nach Zustimmung und Ablehnung der RPT-Hypothese differenzierender Überblick über Tests der RPT gegeben wird, die auf makroökonomische Zustandsvariablen abstellen. Im Anschluß daran wird zusätzlich die vorliegende empirische Evidenz der RPT für Politikinstrumente dargestellt 19 • Die Berücksichtigung von Politikinstrumenten erscheint nicht nur sinnvoll, um den Transmissionsmechanismus politischer Konjunkturzyklen vollständig zu erfassen und quasi strukturell zu testen. Zusätzlich wird hierdurch der Möglichkeit Rechnung getragen, daß ein systematischer politischer Konjunkturzyklus zwar intendiert sein kann, sich allerdings angesichts von Wirkungstags etc. nicht zwingend im Verlaufsmuster makroökonomischer Zustandsvariablen niederschlagen muß20 . Bei dieser Argumentation istjedoch zu beachten, daß der RPT-Zyklus 18

19

20

Neuere Untersuchungen beispielsweise von H. Bergerand U. Woitek, Searching for Political Business Cycles in Germany. "Public Choice", vol. 91 (1997), S. 179ff., und R. Solveen, Verhindert die Unabhängigkeit der Zentralbank Politische Konjunkturzyklen? (Kiel Working Papers, no. 747.) Kiel 1996, werden deshalb nicht berücksichtigt. Zu dieser Systematik vgl. A. Alesina, G.D. Cohen and N. Roubini, Macroeconomic Policy and Elections in OECD Democracies. "Economics and Politics", vol. 4 (1992), S. 5, und J. Stephan, Political Exchange Rate Cycles: Theory and Empirical Evidence. In: Vosgerau (Ed.), European Integration in the World Economy. Berlin und Heidelberg 1992, S. 777. Rationale Erwartungen der Wirtschaftssubjekte können hier jedoch nicht als Argument angeführt werden, da sie im Sinne der Lucas-Kritik bereits im RPT-Zyklus berücksichtigt sind. Für die Geldpolitik, die bei der RPT typischerweise als Instrument unterstellt wird, vgl. A. Belke [II], S. 33ff. und S. 98. Vgl. allgemein W. Freyer und

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

147

nur insofern als intendiert betrachtet werden kann, als sich im Zeitreihenverlauf makroökonomischer Variablen Parteipräferenzen niederschlagen. Der exakte Zyklusverlauf ist jedoch von den, im Standardansatz annahmegemäß nicht steuerbaren, Wahlwahrscheinlichkeiten beeinflußt, ohne die ein Zyklus realer Größen überhaupt nicht zustande käme. Dies führt dazu, daß beispielsweise eine RechtsPartei in einer Wahlperiode Arbeitslosenquoten und Inflationsraten hinzunehmen hat, die aufgrund ihrer Suboptimalität nicht als Ergebnis einer unabhängigen Steuerung interpretiert werden dürfen. In diesem Sinne ist die RPT als ganzheitlicher Ansatz zu verstehen und die oben genannte Begründung für eine explizite Beachtung der Testergebnisse für wirtschaftspolitische Instrumente nur eingeschränkt zu akzeptieren21 . Alternativ bietet sich als Erklärung jedoch an, daß Politiker bestimmte Interessengruppen mit fiskalpolitischen Maßnahmen unterstützen, die durch eine entsprechende Geldpolitik akkomodiert werden22 • Derartige Redistributionsmaßnahmen schlagen sich nicht zwingend in Fluktuationen makroökonomischer Größen nieder23. Da im Rahmen der RPT geldpolitische MaßnahJllen in neuklassischer Tradition als das entscheidende Instrument der Regierung zur strategischen Beein-

21

22 23 10*

H.P. Widmaier, Zur Kritik wahlpolitischer Erklärungsversuche der Wirtschaftspolitik. "Jahrbuch für Sozialwissenschaft", Band 30 (1979), S. 168ff.; R.R. Keller and A.M. May, The Presidential Political Business Cycle of 1972. ,,Journal of Economic History", vol. 44 (1984), S. 265f.; L.O. Laney and T.D. Willett, Presidential Politics, Budget Deficits, and Monetary Policy in the United States; 1960-1976. "Public Choice", vol. 40 (1983), S. 53f.; J.R. Pack, The Political Policy Cycle: Presidential Effort vs. Presidential Control. "Public Choice", vol. 54 (1987), S. 255; F. Santos, Presidential Elections and Monetary Policy- Is There an Electoral Cycle? "Studies in Economic Analysis", vol. 9 (1985), S. 91, und E.R. Tufte, Political Control of the Economy. Princeton 1978, S. 3. Vgl. auch T.F. Cargill and M.M. Hutchison, The Bank of Japan's Response to Elections. "Journal of Japanese and International Economies", vol. 5 (1991), S. 122; R.M. Duch, The Politics of Investment by the Nationalized Sector. "Western Political Quarterly", vol. 43 (1990), S. 246; M. Gärtner [II], Zur Endogenisierung der Wirtschaftspolitik durch die Neue Politische Ökonomie: Bemerkungen zu einem Beitrag von W. Freyer und H.P. Widmaier. ,,Jahrbuch für Sozialwissenschaft", Band 31 (1980), S. 256f., und R. Lenk und R. Dinkel, Fiskalpolitik in der Demokratie: Eine empirische Überprüfung der Theorie vorn Politischen Konjunkturzyklus für die Bundesrepublik Deutschland. "Wirtschaftskonjunktur", Jg. 1979, Heft I, S. A4f. Vgl. abweichend hierzu jedoch G. Kirchgässner [II], Optimale Wirtschaftspolitik und die Erzeugung politisch-ökonomischer Konjunkturzyklen. Königstein 1984, S. Vllf. Mit diesem Argument läßt sich zusätzlich rechtfertigen, daß bei empirischen Tests der Partisan-Theorien lediglich auf das Verlaufsmuster makroökonomischer Variablen, nicht aber auf die Wirtschaftspolitik abgestellt wird. Vgl. A. Belke [II], S. 144ff. Vgl. J. Stephan, S. 778.

148

Ansgar Belke und Wim Kösters

flussung der Inflationsraten angesehen werden, liegt es nahe, Tests der RPT auf Basis geldpolitischer Instrumente durchzuführen 24 . In den folgenden Übersichten finden sichjedoch auch einige wenige Untersuchungen auf der Basis von fiskalpolitischen Indikatoren. Diese werden üblicherweise in keynesianischer Tradition damit gerechtfertigt, daß Regierungen über einen unmittelbaren Zugang zu fiskalpolitischen Maßnahmen verfügten und eine direkte Kontrolle über diese Instrumente hätten, da keine Institution wie die Notenbank zwischengeschaltet sei 25 . Keine Berücksichtigung in den Übersichten finden Tests, die zwarvon rationalen Erwartungen des privaten Sektors und einer Partisan-Fundierung des polit-ökonomischen Modells ausgehen, aber aufgrund abweichender Zusatzannahmen nicht exakt auf den Zyklusverlauf abstellen, der mit der RPT-Hypothese kompatibel ist. Zu diesen hier vernachlässigten Untersuchungen zählen neben der für diese Richtung grundlegenden Studie für Großbritannien von Minford und Peel die Beiträge von Balke und von Willeme 6• Balke testet unter der Annahme endogener Wahlen die Differenz der aktuellen und der natürlichen Arbeitslosenquote für die Vereinigten Staaten auf Vorliegen der RPT. Er lehnt die Hypothese der RPT dann nicht ab, wenn sich die Arbeitslosenquote vor der Wahl eines republikanischen

24

25

26

Vgl. auch N. Beck [IV], Elections and the Fed: Is There a Political Monetary Cycle? "American Journal of Political Science", vol. 31 (1987), S. 197; D.A. Hibbs [IV], S. 68; D.A. Hibbs [V], S. 244f.; M. Kohno and Y. Nishizawa, A Study of the Electoral Business Cycle in Japan- Elections and Government Spending on Public Construction. "Comparative Politics", vol. 22 (1990), S. 158; J. Stephan, S. 776, und F. Santos, S. 9lf., im Rahmen von Tests der PBC-Theorie. Für die Verwendung der Geldpolitik als Indikator wird angeführt, daß nicht wie bei der Fiskalpolitik eine parlamentarische Zustimmung erforderlich sei. Darüber hinaus handele es sich um ein flexibleres Instrument, das auf Monatsbasis veränderbar sei. Schließlich sei es auch ein entscheidenderes Instrument, da man bei dessen Anwendung nicht wie bei der Fiskalpolitik auf die Akkomodierung durch ein anderes Instrument (hier: die Geldpolitik) angewiesen sei. Vgl. F. Breuss, The Political Business Cycle: An Extension of Nordhaus's Model. "Empirica", vol. I (1980), S. 225; D. Lowery, The Keynesian and Political Deterrninants of Unbalanced Budgets: U.S. Fiscal Policy from Eisenhower to Reagan. "American Journal of Political Science", vol. 29 (1985), S. 430; W.D. Nordhaus [II], S. 43, und D.H. Swank [II], S. 5, die jedoch nicht auf die RPT abstellen. Vgl. P. Minford and D.A. Peel, The Political Theory ofthe Business Cycle. "European Economic Review", vol. 17 (1982), S. 253ff.; N.S. Balke, Panisanship Theory, Macroeconomic Outcomes, and Endogenaus Elections. "Southern Economic Journal", vol. 57 (1991), S. 920ff.; P. Willeme, On the Dynamic Consistency of Rational Expectations Polito-Economic Models. (Diskussionsbeitrag, Rijksuniversitair Centrum Antwerpen, Faculteit Toegepaste Economische Wetenschappen, Nr. 15.) Antwerpen 1990.

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

149

(demokratischen) Präsidenten unter (über) dem natürlichen Niveau bewegt27 • Willeme testet unter Rückgriff auf die iterativeZellner-Methode für Großbritannien und die Vereinigten Staaten durch Simultangleichungsschätzungen die Hypothese parteispezifischer Geldmengenreaktionsfunktionen. Ähnlich wie im Modell von Minford und Peel ergibt sich dabei eine Parameterkonstellation, aus der sich zwar parteispezifische Unterschiede von Geldmengenwachstumsraten, aber keine der RPT entsprechenden zyklischen Schwankungen von Inflationsrate und Arbeitslosenquote herleiten lassen 28 • Darüber hinaus wird von Tests wie denen von Alt abstrahiert, die zwareinen der RPT annähernd entsprechenden Zyklusverlauf als zu testende Hypothese voraussetzen, diesen aber anders als in der vorliegenden Arbeit begründen 29 • Diesen Tests liegen oft Modelle zugrunde, die nicht explizit auf rationale Erwartungen der Privaten abstellen, sondern diese lediglich nicht ausschließen30. Bei der folgenden überblicksartigen Darstellung der Testergebnisse wird so vorgegangen, daß die RPT in Anlehnung an die Konzeption der Tests als Alternativhypothese HA spezifiziert wird. In den Übersichten werden Angaben zur Konkretisierung der abhängigen Variablen, des betrachteten Landes, des Schätzzeitraums, der Periodizität der verwendeten Daten und der jeweiligen Autoren gemacht. Übersicht 1 enthält eine Darstellung der Testergebnisse für makroökonomische Zustands variablen, die den Schluß auf eine empirische Relevanz der RPT zulassen. In Übersicht 2 werden die Studien vorgestellt, die keine Evidenz der RPT für makroökonomische Zustandsvariablen zum Ergebnis haben. Analog wird in bezug auf die Politikinstrumente verfahren (Übersicht 3 und 4 ). Als Ergebnis bleibt festzuhalten, daß die RPT-Hypothese in bezugauf makroökonomische Zustandsvariablen mehrheitlich durch die empirischen Ergebnisse gestützt wird. Hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Instrumente hingegen halten sich die zustimmenden und ablehnenden Untersuchungen in etwa die Waage. Der Schwerpunkt der Untersuchungen liegt auf Tests US-amerikanischer oder aber

27 28 29

30

Einen analogen Test führt er für Outputgrößen durch. Aber auch dieser Test stellt nicht auf einen, der RPT entsprechenden Zeitreihenverlauf ab; vgl. N.S. Balke, S. 929f. Vgl. P. Minford and D.A. Peel, S. 264ff., P. Willeme, S. llff. Vgl. J.E. Alt [1], S. 1027ff., für den Arbeitslosenquotenverlauf mit transitorischen (partei)politischen Effekten in unterschiedlichen Ländern, sowie J.E. Alt [III], S. 62ff., für transitorische parteispezifische Veränderungen der Geldmengenwachstumsrate im Nachwahljahr in den Vereinigten Staaten. Von diesem Ausschluß sind aus Konsistenzgründen auch alle Studien betroffen, in denen durch eine Kombination von PT und PBC für Rechts-Parteien ein RPT-ähnlicher Verlauf der Arbeitslosenquote postuliert wird. Vgl. J.E. Alt [1], S. 1018.

150

Ansgar Belke und Wim Kösters Übersicht I

RPT-Tests makroökonomischer Zustandsvariablen Bestätigung der RPT Variable

Land

Rezessionsbeginn nach NBER

USA

Reales Outputwachstum (BSP)

USA

Realer Output (logarithmierte Wachstumsfaktoren und Outputlücke) und Arbeitslosenquote Reales Outputwachstum (BSP oder BIP), Inflationsrate, Arbeitslosenquote, jeweils bereinigt um die durchschnittliche Entwicklung in 18 OECD-Ländern BSP-Wachstum, Arbeitslosenquote, Inflationsrate

USA

12 OECD-Länder, darunter Deutschland und die USA Sampie aus 15 OECDDemokratien sowie Subsampie aus Ländern mit einem annähernden ZweiParteiensystem 1 Australien, Dänemark, BSP-Wachstum, Arbeitslosenquote, Inflationsrate Deutschland, Frankreich, Großbritannien'. Neuseeland, USA Reales BSP-Wachstum: Bedingte Wahrscheinlichkeit Subsampie aus OECDdafllr, daß sich die betrachtete Volkswirtschaft in ei- Demokratien mit ner Phase hohen oder niedrigen Wachstums befindet einem annähernden Zwei-Parteien-System: Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Schweden, USA 12 OECD-Länder, Reales Outputwachstum, Arbeitslosenquote darunter Deutschland und die USA (Durchschnittliche) reale Outputwachstumsrate USA (BSP) USA ~~.:e~:i'r~=~~stumsrate (BSP) .. (annualized) Reales Bruttosozialprodukt

USA

Jahre

A. Alesina [V], S. 28ff. A. Alesina [V], s. 28f. A. Alesina [V], s. 30ff. A. Alesina [III], s. 68ff.

1960.1-1987.4, Quanalsdaten

A. Alesina and N. Roubini [1], S. 668ff.

1960.1-1987-j. Quanalsdaten s.o.

s. 7lf.

1949-1984, Jahresdaten 1949-1984,' Jahresdaten 1949.1-1984.4, Quanalsdaten

A. Alesina and J.D. Sachs, S. 7lf. A. Alesina and J.D. Sachs, S. 72f. A. Alesina and J.D. Sachs, S. 73f. A. Alesina [V], S. 28ff., A. Alesina and J.D. Sachs, S. 7 A. Alesina and J.D. Sachs, S. 77ff. A.Alesina, J. Londregan and H. Rosenthal, S. 25f. G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos [1], s. 389ff. G.S. Alogoskoufis, B. Lockwood and A. Philippopoulos. S. 1385ff. A. Belke [II], s. 392ff. A. Belke [II], s. 42lff. A. Belke [II], s. 423ff. A. Belke [li], S. 464ff. A. Belke [li], s. 464ff.

Output- und Geldmengenwachstumsraten, keine nä1915-1988, Jahresdaten

Erste Differenzen der logarithmierten Nominallöhne Griechenland (=logarithmierte Nominallohnwachstumsrate)

1958-1989, Jahresdaten

Erste Differenzen der logarithmierten NominalJöhne Großbritannien (=logarithmierte Nominallohnwachstumsrate)

1952-1990, Jahresdaten

Arbeitslosenrate Beschäftigung Inflationsrate Arbeitslosenrate Beschäftigung

Deutschland und USA

A. Alesina and N. Roubini [I],

1966-1986, Jahresdaten

heren Angaben

USA

A. Alesina and N. Roubini [I],

s. 679f.

s. 680ff.

wie oben

Reales Outputwachstum (BSP)

Autor

1949-1982, Quanalsdaten 1949-1984, Jahresdaten 1949.1-1984.4, Quanalsdaten 1966-1986, Jahresdaten

1963.3-1993.3, Quartalsdaten 1961.3-1993.4, Deutschland Quanalsdaten Deutschland und USA 1963.3-1993.3, Quartalsdaten Deutschland und USA 1963.3-1993.3, Quartalsdaten 1961.3-1993.4, Deutschland Quartalsdaten

A. Alesina [III],

151

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus noch: Übersicht I

RPT-Tests makroökonomischer Zustandsvariablen Bestätigung der RPT Variable

Land

Jahre

Inflationsrate

Deutschland und USA

1963.3--1993.3, Quartalsdaten

Beschäftigung

Deutschland

1970.1-1993.3, Quanalsdaten

Trendabweichungen der aktuellen Arbeitslosenquote USA

1961-1984, Jahresdaten

nach Tests auf Unit Roots und evtl. Korrektur (Her- USA, Großbritannien beifllhrung von Stationarität) durch Bildung erster Differenzen und ARIMA-Filterung zur Beseitigung von Autokorrelation; Endogene= Stationäre unkorrc~ lierte Residuen der ARIMA-Schätzung (lnnovationen)

1955.3--1983.4, Quanalsdaten

erst Ergebnis der Testverfahren

USA

1953.1-1986.2, Quanalsdaten

Anzahl der Monate zwischen letztem Wahltermin USA und konjunkturellem Wendepunkt nach NBER Häufigkeit von "troughs" und .,peaks" (nach NBER) USA in Abhängigkeit von der Zahl der seit der letzten Wahl vergangenon Monate Wahrscheinlichkeit der Beendigung einer Expansion USA

1855.1-1991.3, Monatsdaten 1855.1-1991.3, Monatsdaten 1855.1-1991&3, Monatsdaten

Inflationsrate Arbeitslosenquote, Inflationsrate und (~wächer si- Sampie bestehend aus gnifikant) reales Outputwachstum (BIP) , jeweils be- 17 OECD-Ländern, reinigt um handelsanteilsgewichtete Auslandseinflüs- darunter Deutschland und die USA SC Reales Outputwachstum (BSP) USA

Autor A. Belke (II], 464ff. A. Belke (II], 516ff.

s. s.

H. W. Chappell and W.R. Keech (lll],

s. 116ff.

C.J. Ellis and M.A. Thoma (II],

s. 13ff.

C.J. Ellis and M.A. Thoma (1], S. 43ff. M.W. Klein, S. IOf. und S. 19 M.W. Klein, S. II und S. 18 M. W. Klein, S. litT. wie A. Alesina (lll], S. 68ff. M. Paldam (II], 9ff.

1:~~~~~!~·

s.

1949-1988.. Jahresdaten

S.M. Sheffrin (II], S. 160f.

Quellen, soweit im Text noch nicht angegeben: G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos (I], Inflationary Expectations, Political Parties and tbe Exchange Rate Regime: Greece 1958-1989. ,,European Journal of Political Economy", vol. 8 (1992), S. 375ff.; G.S. Alogoskoufis, B. Lockwood and A. Philippopoulos, Wage Inflation, Electoral Uncertainty and the Exchange Rate Regime: Theory and UK Evidence . .,Economic Journal", vol. 102 (1992), S. 1370ff.; C.J. Ellis and M.A. Thoma, The Implications for an Open Economy of Partisan Political Business Cycles: Theory and Evidence. (University of Oregon, Department of Economics Werking Papers, no. 9012.) 1990; M.W. Klein, Timing is All: Elections and the Duralion of United States Business Cycles. (NBER Werking Paper Series, no. 4383.) Cambridge, MA, 1993; M.J.M. Neumann, Comment on: Alesina, Albeno (lll] . .,Economic Policy", vol. 4 (1989), S. 90ff.; M. Paldam, Politics Malters After All (I) - Testing Alesina's Theory of RE Partisan Cycles on Data for 17 Countries. (University of Aarhus, Institute of Economics, Memo 198~.) Aarbus 1989. -'Für diesen ~ubsample verbessern sich Betrag und Signifikanz der RPT-Dummies. Vgl. A. Alesina and N. Roubini [ß], S. 15, und [1], S. 670f. - Für Großbritannien verbessert sich die Schlitzgüte erheblich, wenn der Schätzzeitraum auf die Zeit nach der dun:h das Abkommen von BrenoP. Woods festgelegten Periode fester Wechselkurse eingeschränkt wird. Vgl. A. Alesina and N. Roubini (II], S. 22, und (I],_S. 679.- Mit Einschliinkungen zählen zu dieser Ländergruppe auch noch Belgien, Finnland, Irland, die Niederlande, Norwegen, Österreich und Schweden. Koeffizienten der RPT·Dummies sind in den BSP·Wachstums- und/oder den Arbeitslosenquotengleichungen teilweise signifikant und weisen das erwartete Vorzeicf.:en auf. Jedoch ergibt sich fllr diese Länder auf der Grundlage von Inflationsgleichungen keine Evidenz des RPT-Ansatzes.- S.E. Haynes aod J.E. Stone (I], S. 457ff., bestätigen diese Schätzergebnisse ftir einen leicht modifizieru:n Stützbereich. Bei Erweiterung des Schätzansatzes um (signifikante) sinusk~rvenanige PBC-Variablen verlierenjedoch die RPT-Dummies ihre Signifikanz. Wegen der bei A. Belke [II], S. 64fT., aufgezeigten Ahnliehkeil der Implikationen der PBC-Theorie uod der fur Rechts-Regierungen wird durch diese Ergebnisse besonders die RPT-Relevanz für Links-Regierungen in Frage gesteiiL - Diese Endogene wird wie auch schon in der Studie G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos (I] als Proxy fllr die Entwicklung der Inflationserwartungen bzw. besser -antizipationen verwendet. Denn Inflationserwartungen beeinflussen die Höhe der Arbeitslosigkeit nur mittelbar über ihn: Bedeutung für die Nominallohnwachstumsrate. Vgl. hierfür implizit G.S. Alogoskoufis, B. Lockwood and A. Philippopoulos, S. 1388 und S. 1390f.- 'Aus den Schätzergebnissen von M.W. Klein, S. 23f., geht hervor, daß Beschränkungen des Sampies auf spätere Subperioden wie den Zeitraum nach dem ersten bzw. dem zweiten Weltkrieg zu signiftlcanteren Ergebnissen ftJf.ren. Klein selbst begründet dies mit einer im Zeitablauf der Geschichte steigenden politischen Steuerbarkeil von Volkswirtschaften. - M. Paldam (11], S. 21. und (I], S. 85f., grenzt sich diesbezüglich explizit gegenüber den Beiträgen von Alesina u.a. ab, die dun:hweg auf eine Signifikanz des RPT-Zyklus in Output-wachstumsgleichungen schließen.- 1 l.JJndasp~z,ifische Tests ergeben hingegen keine signifikanten Ergebnisse. Dies ist wegen der überwiegend geringen Zahl an Freiheitsgraden auch nicht zu erwarten und soll deshalb nicht als Evidenz gegen die RPT-Hypothese ausgelegt und tabellarisch erwähnt werden. M. Paldarn [11], S. 18 und S. 20, betont dabei insbesondere die mangelnde Evidenz der RPT-Hypothese für die USA, der er die bei M. Paldam (lll], Politics Mattcrs After All (2)Testing Hibbs' Theory of Partisan Cycles on Data for 17 Countries. (University of Aarhus, Institute of Economics, Memo 1989-8.) Aarbus .)989, und (I], S. 81fT., nachgewiesene hohe Signifikanz des PT-Zyklus gegenüberst.ellL- 'Streng genommen handelt es sich bei der Ubersicht Sheffrins lediglich um ein "update" der Tabelle von A. Alesina and J.D. Sachs, S. 72, um die zweite Legislaturperiode Reagans. Ein weiteres "update"liefen A. Alesina [VI], Evaluating Rational Partisan Business Cycle Theory: A Response. "Economics and Politics", vol. 3 (1991), S. 65.

Rf!

152

Ansgar Belke und Wim Kösters Übersicht 2

RPT-Tests makroökonomischer Zustandsvariablen Ablehnung der RPT Variable BSP-Wachstum, Arbeitslosenquote,lnßationsrate

Land Kanada, Italien

Jahre

Autor

1960.1-1987.4, Quartalsdaten

A. Alesina and N. Roubini (1], S. 279f.

Erste Differenzen der logarithmierten Nominallöhne Griechenland (=logarithmierte Nominallohnwachstumsrate)

1958-1989, Jahresdaten

G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos (1], S. 389ff.

Arbeitslosenquote

Griechenland

1958-1989, Jahresdaten

G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos [II], S. 16ff.

Jahreswachstumsrate des BIP

Irland

1949-1991, Jahresdaten

s. 30ff.

Jahresänderung der Arbeitslosenrate (Dez.- Dez.)

s.o.

s.o.

s.o.

Quartalsänderung der Arbeitslosenrate

Irland

1949.1-1991.4, Quartalsdaten

s. 33ff.

A.M.Anneu,

A.M.Anneu,

Inflationsrate und (wegen Nichtstationarität der Ur- Chile sprungszeilreihe) erste Differenzen der Inflationsrate

1952-1973, Jahresdaten

S. Edwards, S. 17ff.

Arbeitslosen rate, reales BS P und Index der industr. Produktion: jeweils (wegen Nichtstationarität) erste Differenzen der natürlichen Logarithmen

1951.1-1990.4, Quartalsdaten

S.E. Haynes and J.A. Stone [II], S. 876ff. und S. 883

USA

wie A. Alesina [lll],

Reales Outputwachstum, Arbeitslosenquote

s. 68ff., M.J.M. Neumann (1], s. 91

Reales Outputwachstum, Arbeitslosenquote, Inßaliansrate

wie M. Paldam [II], S. 9ff, M. Paldam [II] ???"!, S. 12ff.

Veränderung der Sozialproduktslücke

USA

C.L. Schultze, 1948.4-1988.3, Zweijahresdurchsch s. 57ff. itte

Veränderung der Sozialproduktslücke

USA

1948.4-1988.3, Zweijahresdurchschnitte

Wegen möglicher Nichtstationarität: Erste Differen- flir Schätzung der zender logarithmierten saisonbereinigten industricl- Prognosegleichung: len Produktion USA

Wachstumsrate des realen BSP

15 Länder, darunter Deutschland

Residuen aus einer Schätzung des DIP-Wachstums in s.o. Abhängigkeit von Lags der verzögerten Endogenen

C.L. Schultze, S. 6lf.

S.M. Sheffrin [1], 1954.4-1985.12, Monatsdaten, für S. 24lff. Anwendung der Prognosegleichung: Zeiträume um die, für Republikaner siegreichen Wahlen von 1952, 1956, 1968, 1972 und 1980 1953-1986 1, Jahresdaten

S.M. Sheffrin (1], S. 25lff. S.M. Sheffrin (1]. S. 254

Quellen, soweit bisher nicht genannt: G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos (II), Political Panies, Elections and Inflation in Grccce. (CEPR Discussion Papers, no. 547.) London 1991; C.L. Schullzc, Comment on: Nordhaus, William D.(II], S. 56ff.- 1Die einzige Ausnahme ist Island. Hier reicht der Stützzeitraum von 1953 bis lediglich 1984.

153

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus Übersicht 3

RPT-Tests wirtschaftspolitischer Instrumente Bestätigung der RPT Instrument

Land

Autor

Jahre

Geldmengenwachstumsrate (MI)

USA

1949-1985, Jahresdaten

A. Alesina [V], 26ff.

Durchschnittliche Wachstumsrate der Geldmenge (MI) pro Jahr (Zweijahresdurchschnitte)

USA

keine Angabe, evtl. 1949-1984, Jahresdaten

A. Alesina and J.D. Sachs. S. 74f.

Durchschnittliche Wachstumsrate der Geldmenge (MI) pro Jahr (Zweijahresdurchschnitte)

USA

erst Ergebnis der Testverfahren

USA

1953.1-1986.2, Quartalsdaten

C.J. Ellis and M.A. Thoma [!], S. 43ff.

Jährliche Geldmengenwachstumsrate (MI)

USA

1948-1984, Jahresdaten

T.M. Havrilesky [II], S. 319f.

"narrow money supply growth'· (halbjährliche

USA

19~1987,

T.M. Havril~sky [III], S. !6f.

Erste Differenzen des prozentualen Anteils M3 und (nicht immer signifikant) MI am nominalen Brutto-

Deutschland

19~1989,

G. Lang und P. Welzel, S. SOff.

Wachstumsraten)

keine Angabe, evtl. 1949-1984,

Jahresdaten

Quartalsdaten

sozialprodukt (Kehrwert der Umlaufsgeschwindigkeit) 2

Jahresdaten

s.

A. Alesina and

J.D. Sachs, S. 75

Quellen, soweit bisher nicht genannt: T.M. Havrilesky [III). Electoral Cycles in Econornic Policy. "Challenge", vol. 31 (1988), no. 4, S. 14ff.; G. Lang und P. Welzel. Budgetdefizite, Wahlzyklen und Geldpolitik: Ergebnisse flir die Bundesrepublik Deutschland 1962-1989. "Jahrbücher flir Nationalökonomie und Statistik", Band 21011-2, S. 72ff.- 1Die hier dargestellte Ausgestaltung der Tests durch Havrilesky deutet nachträglich auf die Richtigkeit der bei A. Belke [II). S. 144ff., erfolgten Zuordnung der Partisan-Theorie Havrileskys zur RPT hin. - 2ln der für die ZBG geschätzten geldpolitischen Reaktionsfunktionerweisen sich die RPT-Dummies als insignifikant. Vgl. G. Lang und P. Welzel, S. 81. Für das von den Autorenverwendete Testverfahren vgl. kritisch A. Belke [II], S. 98.

Übersicht 4

RPT-Tests wirtschaftspolitischer Instrumente Ablehnung der RPT Instrument

Land

Wachstumsrate des Staatskonsums 1 jeweils bereinigt Sampie bestehend aus um handelsanteilsgewichtete Auslandseinflüsse 17 OECD-Ländern, darunter Deutschland

Jahre 1948-1985, Jahresdaten

Autor M. Paldam [II). S. 9ff.

und die USA

Wachstumsrate des Staatskonsums

wie M. Paldam [II)

Geldmengenwachstumsrate MI pro Jahr über bis zu ~~f\~a~en::".~~a~~: politischen Mehrheitswcch-

Deutschland

S. 9ff., M. Paldam [II) ? 0 ? 0 ??, S. 12ff. Zeitpunkte von

1948-21.02.1990,

Wechseln der Basis= Mehrheitsverhältniss Monatswerte

im Zentralbankrat

Quellen, soweit bisher nicht genannt: R. Vaubel [1], Eine Public-Choice-AnaJyse der Deutschen Bundesbank und ihre Implikationen fUr die Europäische Währungsunion. In: D. Duwendag und J. Siebke (Hrsg.), Europa vor dem Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Band 220.) Berlin 1993, S. 23ff.- 1Ein RPT-Zyk.lus fürdie Entwicklung dieses Aggrefates wird lediglich auf einem 10 vH-Signifikanzniveau für neugewählte Rechts-Regierungen evident. Vgl. M. Paldam [II), S. 19.- Bei der Einschätzung der politischen Mehrheitsverhältnisse im Zentralbankrat stellt Vaubel auf die politische Couleur der Bundes- oder der Landesregierung ab, die das jeweilige Mitglied ernannt hat. Vgl. R. Vaubel (I], S. 5lf.

154

Ansgar Belke und Wim Kösters

"gepoolter" Daten 31 • Andere Länder werden nicht oder- wie etwa die Bundesrepublik- nur vereinzelt berücksichtigt. Für institutionelle Schlußfolgerungen bedeutsam sind die positiven RPT-Testergebnisse für die Vereinigten Staaten und auch Deutschland. Die Evidenz für RPT-Zyklen stellt die vielfach angenommene Unabhängigkeit und apolitische Reputation der Notenbanken beider Länder in Frage. Die These der politischen Abhängigkeit wird zusätzlich durch die genannten empirischen Untersuchungen der PBC-Variante des politischen Konjunkturzyklus von Alesina, Cohen, Roubini und von Vaubel gestützt. Diese weisen daraufhin, daß sich das Wachstum der Geldmenge in der Bundesrepublik vor Bundestagswahlen gemäß der PBC-Theorie vielfach beschleunigt hat 32 • Da diese Ergebnisse die politische Unabhängigkeit der Notenbank in Zweifel ziehen, erregten diese Untersuchungen großes Aufsehen über den wirtschaftswissenschaftlichen Bereich hinaus 33 • Die 31

32

33

Auffällig ist, daß die empirischen Tests von einer kleinen Autorengruppe, zumeist unter Beteiligung von Alesina, durchgeführt werden. Die scheinbare Vielfalt der tabellierten Untersuchungen liegt alleine darin begründet, daß wenige Autoren wiederholt extensive Studien vorlegen. Dabei werden die Testverfahrenjedoch kaum weiterentwickelt. Auch hieraus ergibt sich ein erheblicher RPT-Forschungsbedarf. Vgl. A. Alesina, G.D. Cohen and N. Roubini, S. 13ff., und R. Vaubel [I], S. 59ff.. Zur Evidenz geldpolitischer PBC-Zyklen in den Vereinigten Staaten vgl. S.D. Allen, The Federal Reserve and the Electoral Cycle. "Journal of Money, Credit and Banking", vol. 18 (1986), S. 91f.; S.D. Allen and D.L. McCrickard, The Influence of Elections on Federal Reserve Behavior. "Econornics Letters", vol. 37 (1991), S. 5lff.; N. Beck [IV], S. 200ff. und S. 213ff.; W.J. Belton and R.J. Cebula, Does the Federal Reserve Create Political Monetary Cycles? ,Journal of Macroeconomics", vol. 16 (1994), S. 466ff.; L.S. Davidson, M. Fratianni and J. von Hagen, S. 5lff.; K.B. Grier, Presidential Elections and Federal Reserve Policy: An Empirical Test. "Southern Econornic Journal", vol. 54 (1987}, S. 477ff.; K.B. Grier, On the Existence of a Political Monetary Cycle. "American Journal of Political Science", vol. 33 (1989}, S. 379ff.; T.M. Havrilesky [IV], Monetary Policy Signaling from the Administration to the Federal Reserve. ,Journal of Money, Credit and Banking", vol. 20 (1988}, S. 93; D.A. Hibbs [V], S. 259ff.; L.O. Laney and T.D. Willett, S. 64ff.; K.J. Maloney and M.J. Srnirlock, Business Cycles and the Political Process. "Southern Economic Journal", vol. 48 (1981), S. 385ff.; D.l. Meiselman, The Political Monetary Cycle. "Wall Street Journal'', Ausgabe vom 11. Januar 1984, S. 6; D.l. Meiselman, Is There A Political Monetary Cycle? "Cato Journal", vol. 6 (1986), S. 567ff.; und E.R. Thfte, S. SOff. Vgl. indirekt D.G. Luckett and G.T. Potts, Monetary Policy and Partisan Politics. ,Journal of Money, Credit and Banking", vol. 12 (1980), S. 540. Vgl. o. V., Wenn die Geldmenge vor den Wahlen steigt: Statistische Hinweise auch für Deutschland- Zwei Untersuchungen. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Ausgabe vom 26. Februar 1992, S. 17; o.V., Bundesbank: AufDruck von Oben. "Der Spiegel", Jg. 1994, Nr. 39, S. 104f.; o.V., Politiker, Beamte und Professoren bestimmen im Zentralbankrat Oft werden Parteifreunde in das Gremium der Bundesbank geschickt - Banker sind nicht vertreten. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Ausgabe vom 17. Januar 1995, S. 11.

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

155

Interpretation dieser und der oben tabellierten Ergebnisse bedarf indessen, soweit die Untersuchungen auf der Basis von Geldemengenreaktionsfunktionen basieren, größter Vorsicht, da sich mögliche Einwände gegen die Verwendung dieser Funktionen anführen lassen 34 •

4. Robustheit der Ergebnisse: Der Einfluß des Offenheitsgrades und des Wechselkurs-Regimes Die dargestellten Untersuchungen von Alesina und Roubini liefern nur eine geringe Signifikanz der RPTfür Länder wie Italien und Belgien, die im Schätzzeitraum umfangreichere Koalitionsregierungen aufwiesen. Für sechs der acht Länder, in denen gemäß der üblicherweise verwendeten Klassifikationen am ehesten ein Rechts-Links-Schema auf Parteien oder zumindest auf Koalitionen anwendbar ist, zuzüglich Dänemarks liegt nach Übersicht I hingegen Evidenz für die RPT vor; im einzelnen sind dies Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Neuseeland und die Vereinigten Staaten. Gleichzeitig ist der Ländergruppe mit geringer RPT-Evidenz gemeinsam, daß sie mehrheitlich als kleine, offene Volkswirtschaften bezeichnet werden können 35 • Nach Übersicht 1 und 2 deuten die empirischen Ergebnisse länderspezifischer Regressionen dabei insbesondere auf die eingeschränkte Möglichkeit zu einer ideologisch motivierten Beeinflussung der Inflationsrate in den Ländern hin. Darüber hinaus verweisen Alesina und Roubini auf die Auswirkungen der Wahl des Stützzeitraums für ihre Regressionen mit "gepoolten" Daten (nach 1971 ), die in Übersicht 1 aufgeführt werden. Dieser Periode ordnen sie den Übergang von einem festen zu einem flexiblen Wechselkurssystem zu 36 • Der Absolutwert und die Signifikanz der RPT-Dummies steige an, da insbesondere die außenwirtschaftliehen Beschränkungen der Geldpolitik wegen der zunächst flexiblen Wechselkurse erst einmal entfielen und somit mehr Spielraum für ideologisch 34

35 36

Vgl. H.W. Chappell and W.R. Keech [II], S. 8; D.G. Golden and J.M. Poterba, The Price of Popularity: The Political Business Cycle Reexamined. "American Journal of Political Science", vol. 24 (1980), S. 704ff.; D.H. Swank [1], S. 122. Vgl. A. Alesina and N. Roubini [1], S. 680, A. Alesina [1], S. 13f., A.M. Annett, S. 25 und S. 42. Bei der Fixierung des Zeitpunktes des Zusammenbruchs des Bretton Woods-Systems kommt es auf das Datum des Verfalls der Antiinflationsglaubwürdigkeit bzw. der Antizipation der Auflösung des Systems an. Dieses Datum läßt sich bereits frühestens in den späten sechziger Jahren ansiedeln. Zu einer ausführlicheren Begründung hierfür vgl. G.S. Alogoskoufis, B. Lockwood and A. Philippopoulos, S. 1384, und C.J. Ellis and M.A. Thoma [II], S. 17 und S. 24. Letztere setzen diesen Zeitpunkt allerdings später an und restringieren einen Teil-Schätzzeitraumder RPT für Großbritannien und die Vereinigten Staaten auf den Zeitraum ab 1971.

156

Ansgar Belke und Wim Kösters

ausgerichtete Politiken bestanden habe 37 • Aus dieser Sicht werden erst bei flexiblen Wechselkursen unterschiedliche Präferenzen politischer Parteien durch rationale Lohnverhandlungsparteien explizit in ihren Erwartungen berücksichtigt, da einheimische Politiker erst unter dieser Voraussetzung imstande seien, durch Geld- und Wechselkurspolitiken die Inflationsrate in ihrem Sinne zu manipulieren 38 • Unter diesen Voraussetzungen können RPT-Zyklen nur bei flexiblen Wechselkursen auftreten, da sie auf gleichgewichtigen Schwankungen der Inflationsrate beruhen, für die politisch induzierte Erwartungsänderungen eine entscheidende Rolle spielen. Gleichzeitig sei aber zu berücksichtigen, daß möglicherweise auch die Persistenz der Inflationsrate in Phasen flexibler Wechselkurse zunehme 39 • Dieses Argument läßt sich mit der Kaufkraftparitätentheorie begründen, da Wechselkursbewegungen bei flexiblen Wechselkursen einen größeren Teil notwendiger Anpassungen an die Kaufkraftparitäten übernehmen. Die daraus resultierende Inflationspersistenz ließe sich nun aber als Einschränkung der Inflationsmanipulierbarkeit interpretieren. Einer nationalen Regierung wäre bei dieser Interpretation formal gesehen das entscheidende strategische Instrument zur Erzeugung politischer Konjunkturzyklen genommen; die Erzeugung eines politischen Konjunkturzyklus wäre mithin nur "unter erschwerten Bedingungen" möglich40 • Dieses Argument erscheint aber ebenso unzulänglich wie die bei Belke kurz vorgestellte Einschätzung einiger Autoren zu den Implikationen der Arbeitslosigkeits-Hysteresis für die Existenz

37

38

39

40

Vgl. A. Alesina and N. Roubini [I], S. 673f. Da jedoch vor 1971 deutlich weniger Regierungswechsel stattgefunden hätten und somit die exogene Politik-Dummy in diesem Zeitraum nur eine geringe Variabilität aufweise, sei ein Vergleich von Schätzungen für die Stützzeiträume vor und nach 1971 problematisch. Vgl. auch P. Minford and D.A. Peel, S. 268. Vgl. G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos [1], S. 397, G.S. Alogoskoufis, B. Lockwood and A. Philippopoulos, S. 1370f., A.M. Annett, S. 25 und S. 33, A. Britton, The Mid-Term Financial Strategy. "Fiscal Studies", vol. 11 (1990), S. 6. Vgl. die von A. Alesina and N. Roubini [I], S. 674, für einen OECD-Ländersample und von G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos [I], S. 389ff., für Griechenland angeführten empirischen Belege. Vgl. auch die empirischen Untersuchungen für die deutsche Inflationsrate bei A. Belke [II], S. 371ff. Ein weiteres Argument liefert R. Vaubel [II], Das EWS-Debakel und die Zukunft der europäischen Währungsunion: Erklärungen und Simulationen aus Sicht der PublicChoice-Theorie. Diskussionsbeitrag. Perspektiven der Europäischen Integration, Universität Passau, 7./8. Oktober 1993, S. II f. Die Variabilität der Inflationsraten könne durch den Übergang zu einer Währungsunion gesenkt werden, da die Streuung der Wahltermine politische Konjunkturzyklen weitgehend verhindere. Von einem Anreiz zur Synchronisierung von Wahlterminen, auf den A. Belke [II], S. 136ff., aufmerksam macht, wird dabei jedoch abgesehen.

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

157

eines RPT-Zyklus41 • Denn genauso wie bei hoher Persistenz von Arbeitslosenquoten direkt nach der Wahl der Anreiz von Links- und Rechts-Regierungen zu höheren Inflationsraten steigt, erhöht sich bei Inflationspersistenz beispielsweise der Anreiz für Rechts-Regierungen zu deflationieren, da niedrigere Inflationsraten ohne weitere Schocks längerfristig Bestand haben. Ein Charakteristikum des RPT-Zyklus, niedrige Nachwahlinflationsraten für Rechts-Regimes, würde hiermit sogar noch verstärkt. Dem Inflationspersistenz-Argument gegen die höhere Wahrscheinlichkeit von RPT-Zyklen zu Zeiten flexibler Wechselkurse läßt sich zudem entgegenhalten, daß möglicherweise gerade wegen der geringeren Variabilität der Inflationsraten ein politischer Konjunkturzyklus in der Inflationszeitreihe in Phasen flexibler Wechselkurse empirisch leichter identifizierbar ist. Darüber hinaus läßt sich eine gestiegene Inflationspersistenz auch als Ergebnis der durch die RPT implizierten gleichgewichtigen positiven inflationären Verzerrung interpretieren. Dennaufgrund der RPT-Modellvoraussetzungen können sich beide Parteien nicht glaubhaft für eine vollständige Legislaturperiode auf eine Inflationsrate von Null verpflichten42 • Ein wirkungsvolleres Argument gegen die explizite Berücksichtigung von Perioden fester Wechselkurse in RPT-Schätzgleichungen liefert hingegen Sheffrin: Ausschlaggebend für eine substantielle Einschränkung der Wirksamkeit unabhängiger Geldpolitiken bei festen Wechselkursen sei eine perfekte internationale Kapitalmobilität Diese sei aber gerade erst in den siebziger Jahren, einer Periode relativ flexibler Wechselkurse, angestiegen. Somit bestehe ein genereller Konsens, daß die meisten von ihm betrachteten Länder bereits zu Zeiten der Gültigkeit des Bretton Woods-Abkommens zu einer unabhängigen Geldpolitik imstande waren und Inflationsraten im Sinne der RPT durch die Geldpolitik potentiell steuern konnten43 • Wenn man bei der Analyse politischer Konjunkturzyklen offene Volkswirtschaften voraussetzt, wird aber nicht nur die Geldmenge möglicherweise nicht mehr autonom von der Zentralbank des betrachteten Landes, sondern in Abhängigkeit vom herrschenden Wechselkurssystem modellendogen bestimmt44. Darüber hinaus 41 42 43

44

Vgl. A. Belke [II], S. 158ff. Vgl. G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos [1], S. 397. Vgl. S.M. Sheffrin [1], S. 252. Änderungen des Schätzzeitraums, die im Hinblick auf Phasen fester Wechselkurse vorgenommen wurden, verändern die wesentlichen empirischen Ergebnisse seiner Schätzprozeduren nicht. Dies interpretiert er als Bestätigung seiner Hypothese. Vgl. auch G.S. Alogoskoufis and A. Philippopoulos [1], S. 384 Vgl. A.M. Annett, S. 25; H.D. Clarke u.a., Controversies in Political Economy: Canada, Great Britain, the United States. Boulder u.a. 1992, S. 187; M.E. Terrones, Macroeconomic Policy and Elections: Theories and Challenges. "Estudios Econ6micos", vol. 6 (1991), S. 178. Zusätzlich schränken mikroökonomische Entwicklungen wie die zunehmende Bedeutung multinationaler Unternehmen die Wirksamkeit parteispe-

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Ansgar Belke und Wim Kösters

könnte eine weitere Modellbesonderheit relevant werden. Links-Regierungen könnten nämlich versucht sein, durch Wechselkursmanipulation die sich nach ihrer Wahl modellendogen ergebende Überraschungsinflation zu verzögern. Ellis und Thoma heilen den Mangel der Beschränkung auf binnenwirtschaftliche Aspekte, indem sie zwei Modelle offener Volkswirtschaften entwickeln und für die USA und Großbritannien schätzen, in denen RPT-Effekte wirksam werden45 . Es zeigt sich empirisch, daß die qualitativen, nicht aber die quantitativen Eigenschaften des binnenwirtschaftlichen RPT-Zyklus erhalten bleiben. Zusätzlich ergeben sich wichtige qualitative Implikationen für die Entwicklung der Wechselkurse, der TermsofTrade und des Leistungsbilanzsaldos46 • Darüber hinaus läßt sich dem bei Zugehörigkeit zu einem festen Wechselkurssystem auftretenden Verlust an geldpolitischen Freiheitsgraden, der eine ideologieorientierte Steuerung der Inflationsrate erschwert, durch eine geeignete Spezifikation der Schätzgleichung für ideologieorientierte politische Konjunkturzyklen Rechnung tragen47 • Einen zusätzlichen Ansatzpunkt für zukünftige Forschungen in bezugauf offene Volkswirtschaften bietet sicherlich auch die Möglichkeit, einen durch den internationalen Konjunkturzusammenhang induzierten internationalen RPT-Zyklus zu etablieren48 • Dabei ist möglicherweise zu berücksichtigen, daß" ... partisan considerations that arise at the domestic Ievel might affect policymakers' incentives to

45

46

47 48

zifischer makroökonomischer Politiken ein. Multinationale Unternehmen können auf Transferpreismechanismen und länderbezogen variable Investitionspolitiken zurückgreifen. Vgl. H.D. Clarke u.a., S. 187f. C.J. Ellis and M.A. Thoma [II] führen aufS. 2ff. ein Kleines Land- Ein Gut-Standardmodell sowie aufS. 7ff. ein Modell, in dem sich zwei Länder auf die Produktion unterschiedlicher Gutes spezialisieren, ein. Zu den Schätzergebnissen, die im wesentlichen die für eine geschlossene Volkswirtschaft abgeleiteten Ergebnisse bestätigen, vgl. genauer C.J. Ellis and M.A. Thoma [II], S. 13ff. Wenn man davon ausgeht, daß die Wechselkursentwicklung langfristig nur von monetären Faktoren abhängt, gehen mit parteispezifischen Geldmengenwachstumsund Inflationsraten ceteris paribusauch parteispezifische Unterschiede der Wechselkursentwicklung einher. Vgl. auch M.E. Terrones, S. 190. Vgl. G.S. Alogoskoufis, B. Lockwood and A. Philippopoulos, S. 1381ff., und R. Vaubel [II], S. 5. Vgl. A.M. Annett, S. 25. Bei A. Belke [II], S. 136, wird auf internationale PBCs hingewiesen, die durch PBC-orientierte internationale Koordination von Wahlterminen entstehen können. Ein in dieser Hinsicht interessantes Indiz ist die Beobachtung von M. Paldam [II], S. 9f., S. 14ff. und S. 20, für die RPT-Theorie, sowie M. Paldam [1], S. 75f., S. 81ff. und S. 88, für die PT-Theorie, daß eine Bereinigung der verwendeten Zeitreihen um internationale Elemente die Evidenz für politische Zyklen schwächt.

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

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engage in international cooperation"49 • Es läßt sich zeigen, daß Rechts-Regierungen stärkere Anreize haben, international zu kooperieren, da ihr Nutzen vergleichsweise stärker durch inflationsfördernde internationale "beggar-thy-neighbor"-Konflikte beeinträchtigt wird. Da Links-Regierungen hingegen einen vergleichsweise geringeren Verlust aus der inflationären Verzerrung, die typischerweise aus "beggar-thyneighbor"-Konflikten resultiert, erleiden und sich daher nicht glaubhaft zu einer internationalen Kooperation verpflichten können, verstärkt sich die Inflationsneigung der Links-Regierungen aufgrundvon "beggar-thy-neighbor"-Politiken. Die Amplitude des RPT-Zyklus vergrößert sich tendenziell im Vergleich zur StandardVersion50.

5. Schlußbemerkungen Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß es bisher keine eindeutige empirische Evidenz für den RPT-Ansatz gibt. Dies liegt nicht ausschließlich an der Existenz negativer Testergebnisse in den dargestellten Übersichten, sondern auch an den inhärenten Schwächen der aufgeführten Testansätze. Am gravierendsten erscheint in diesem Zusammenhang, daß die Stationarität der verwendeten Reihen in der Mehrzahl der Untersuchungen nicht überprüft und die Testspezifikation hieran ausgerichtet wird. Unter diesen Voraussetzungen ist eine korrekte Inferenz nicht mehr sichergestellt. Darüber hinaus wird in keinem Fall die Existenz von Hysteresis-Effekten berücksichtigt, die mittlerweile zu den "stylized facts" der Beschäftigungsentwicklung in den OECD-Ländern gehören und die die zu testende Gestalt des RPT-Zyklus erheblich verändern. Dabei ist doch die Modeliierung des Arbeitsmarktes von entscheidender Bedeutung für die Existenz und die Gestalt eines RPT-Zyklus. Schließlich wird auch die Wahlunsicherheit als konstitutives Merkmal des RPT-Zyklus in den Testspezifikationen nicht explizit berücksichtigt. Ferner lassen sich die genannten Bedenken im einzelnen geltend machen 51 . Da bei diesem Stand der Diagnose weder Aussagen über die Existenz und die Gestalt eines RPT-Zyklus noch klare Handlungsempfehlungen für die institutionelle Ausgestaltung demokratischer Institutionen gegeben werden können, sollte es zuvorderst das 49

50 51

S. Lohmann, Electoral Cycles and International Policy Cooperation. "European Economic Review", vol. 37 (1993), S. 1374f. Sie zeigt umgekehrt, daß internationale Kooperation inländische Partisan-Unterschiede eliminieren kann, indem sie auf Linksund Rechts-Regierungen einen Zwang zur Kooperation ausübt (S. 1375ff.). Ideologische Differenzen zwischen einzelnen Regierungen lassen sich dann empirisch nicht separieren. Vgl. S. Lohmann, S. 1389. Vgl. auch A. Belke [IV], Partisan Political Business Cycles in Germany? Empirical Tests in the Light of the Lucas-Critique. Paper Prepared for the Annual Conference of the European Public Choice Society, Göteborg, 29 April to 3rd May 1998.

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Ansgar Belke und Wim Kösters

zentrale Anliegen zukünftiger Studien sein, diese Mängel bei der Durchführung empirischer Tests konstruktiv und in innovativer Weise zu berücksichtigen. Da von einigen Seiten befürchtet wird, daß der Maastrichter Vertragdie politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank vermutlich nicht vollständig sicherstellen (kann) und gleichzeitig in Westeuropa starke Evidenz für eine Persistenz der Arbeitslosigkeit vorliegt, wäre es schließlich auch von Interesse, der Frage nachzugehen, inwieweit die Europäische Währungsunion politische Konjunkturzyklen vom Typ der Rationalen Partisan-Theorie fördern oder verhindem wird 52 • Bevor aber ordnungspolitische Schlußfolgerungen aus den Ergebnissen der Tests der Partisan-Theorien abgeleitet werden, ist sicherlich neben einer empirischen Überprüfung zu klären, ob die in der vorliegenden Arbeit abgeleiteten und empirisch bestätigten Zyklen suboptimal sind und insofern überhaupt ordnungspolitischer Bedarf besteht. Belke verweist mit Bezug auf die RPBC-Theorie darauf, daß politische Konjunkturzyklen unter Umständen ein effizienter Mechanismus sein können, um dem privaten Sektor Informationen über die Kompetenz der amtierenden Regierung zu vermitteln 53 .

52

53

Ein modifiziertes PBC-Modell unter den Bedingungen einer Währungsunion wird von F.L. Seil, Anpassungsprobleme auf dem Weg zu einer europäischen Währungsunion: eine polit-ökonomische Analyse. "Ifo-Studien", J. 39 (1993), S. 19ff., entwickelt. R. Vaubel [I], S. 68ff., wägt die Effekte der Schaffung einer Europäischen Zentralbank auf parteipolitisch motivierte Zyklen der Geldpolitik ab. Er kommt zu dem Ergebnis, daß auf europäischer Ebene sogar mit ausgeprägterenpolitischen Konjunkturzyklen als auf nationaler Ebene zu rechnen ist. R. Vaubel [II], S. 12ff., simuliert politische Konjunkturzyklen auf europäischer Ebene für die Periode 1997 bis 2002 unter den alternativen Bedingungen einer kleinen Währungsunion mit sieben Ländern und einer großen Währungsunion mit zwölf Teilnehmerstaaten. Er stellt dabei jedoch nicht auf makroökonomische Größen, sondern auf die Synchronisierung von Wahlterminen und die zu erwartenden Koalitionen im Zentralbankrat ab. Vgl. A. Belke [II], S. 14ff. Bemühungen, den Zyklus einzuschränken, wirken dann wohlfahrtsreduzierend, da sie entweder den Informationsfluß behindern oder indem sie Politiker veranlassen, kostenträchtigere Wege des "signaling" zu wählen. Vgl. auch K. Rogoff, Equilibrium Political Budget Cycles. "American Economic Review", vol. 80 (1990), S. 2lf. Für positive Wohlfahrtseffekte von PBCs vgl. W.R. Keech and C.P. Simon, Electoral and Welfare Consequences of Political Manipulation of the Economy. "Journal of Economic Behavior and Organization", vol. 6 (1985), S. 178; T. Persson and G. Tabellini, Macroeconomic Policy, Credibility and Politics. (Fundamentals of Pure and Applied Economics, vol. 38.) Chur 1990, S. 79, und E.R. Tufte, S. 149. Für eine Abwägung der Optimalitätsfrage in bezug aufPBCs vgl. Y. Ben-Porath, The Years of Plenty and the Years of Famine. "Kyklos", vol. 28 (1975), S. 403, und W. Deininger, Die Stellung der Subventionen in den Wachstumszyklen unter besonderer Berücksichtigung der Wahltermine. In: B. Gahlen (Hrsg.), Wachstumszyklen und Einkommensverteilung. Tübingen 1974, S. 261.

Empirische Evidenz zum Politischen Konjunkturzyklus

161

Darüber hinaus ist zu würdigen, daß es sich bei der RPT um einen (erwartungs-) gleichgewichtigen Zyklus handelt, was dazu führt, daß Abweichungen hiervon aus Sicht des privaten Sektors, der auch die Wählerschaft umschließt, suboptimal erscheinen. Außerdem wird zu prüfen sein, ob die von einerrationalen Wählerschaft präferierten Wirtschaftspolitiken zwingend keinen zyklischen Charakter implizieren54. Bei der Beurteilung der Suboptimalität ist weiterhin zu berücksichtigen, daß in den Partisan-Modellen unter Umständen kein genereller Inflationsbias auftritt, nämlich dann, wenn Rechts-Regierungen eine genügend große Inflationsaversion zugeschrieben wird. Wenn die Suboptimalität der Partisan-Zyklen hingegen nicht ausgeschlossen werden kann, können Konsequenzen für institutionelle Arrangements im Hinblick auf die Arbeitsmarkt-, Geld- und Wahlverfassung gezogen werden, mit denen derartige Zyklen eliminiert werden können 55 . Diskussionswürdig sind dabei zum einen ordnungspolitische Maßnahmen, die in der Literatur zur Beseitigung von Problemen der dynamischen Inkonsistenz vorgeschlagen werden. Hierzu zählen üblicherweise Regelbindungen ("binding commitments") für Politiker und Notenbanker, die Gewährleistung einer unabhängigenNotenbankdurch die Einschränkung des Einflusses der Exekutive auf die Geldpolitik, die Ernennung inflationsaversiver Zentralbanker und die Stärkung von Reputationseffekten ("reputational forces" 56 . Zum anderen ließe sich über eine optimale Länge der Amtszeiten von Regierungen, optimale Wahlgesetze, eine optimale Zahl von Parteien und eine optimale Koordination der Wahltermine mit den Lohnverhandlungsrunden diskutieren 57 . Auch könnte es einer Minimierung von realen "post election blips" 54 55

56

57

Vgl. U. Lächler, The Political Business Cycle under Rational Voting Behavior. "Public Choice", vol. 44 (1984), S. 412. Eine Voraussetzung hierfür ist wiederum, daß die Einflüsse institutioneller Faktoren auf die Gestalt von Partisan-Zyklen genauer erforscht werden. Im Hinblick auf die Arbeitsmarktverfassung könnte dies die Kontraktlänge und den Zentralisationsgrad der Lohnverhandlungen und in bezug auf die Geldverfassung z.B. überlappende Kontrakte der Notenbanker (A. Belke [II], S. 11 Off.) und die Vorschläge von C.J. Waller, A Bargaining Model of Partisan Appointments to the Central Bank. "Journal of Monetary Economics", vol. 29 (1992), S. 428, betreffen. A. Alesina [V], S. 39f. Für die Angemessenheil von "rules rather than discretion" im RPT-Zusammenhang vgl. A. Alesina [II], S. 653; A. Alesina [VII], Rules, Discretion and Reputation in a Two-Party System. "Giorna1e degli Economisti e Annali di Economia", vol. 46 (1987), Nr. 112, S. 18ff., und A. Alesina [V], S. 46. Vgl. auch W. Kösters, Zur theoretischen Integration der Stabilitätspolitik in die Konzeption des ökonomischen Liberalismus. In: E. Böttcher u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Band 10. Tübingen 1991, S. 154ff., und in bezugauf eine europäische Notenbankverfassung R. Vaubel [1], S. 67ff., und R. Vaubel [II], S. 17f. Vgl. A. Alesina [III], S. 85f.; A. Alesina and G. Tabellini, Credibility and Politics. "European Economic Review", vol. 32 (1988), S. 546ff.; H.W. Chappell and W.R. Keech [I], S. 74; C.J. Ellis and M.A. Thoma [III], Partisan Effects in Economies with Variable Electoral Terms "Journal of Money, Credit and Banking", vol. 23 ( 1991 ),

II FS Jochimsen

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Ansgar Belke und Wim Kösters

dienlich sein, eine größtmögliche Markttransparenz in bezug auf Wahlprognosen und andere Einflußfaktoren dieser "blips" zu schaffen58 • Schließlich bieten auch die Ausführungen bei Belke zu den institutionellen Unterschieden zwischen der deutschen und der amerikanischen Volkswirtschaft im direkten Vergleich mit der unterschiedlichen empirischen Evidenz für die Rationale Partisan-TheorieAnhaltspunkte für institutionelle Reformen zur Vermeidung von Partisan-Zyklen 59 •

58

59

S. 740; T.M. Havrilesky [V], Distributive Conflict and Monetary Policy. .,Contemporary Policy Issues", vol. 8 (1990), S. 57ff.; M. Keilman and 0. Izraeli, The Political Business Cycle: An International Perspective. In: P.M. Johnson and W.R. Thompson (Eds.), Rhythms in Politics and Economics. New York u.a. 1985, S. 79f.; W. Kösters, S. 153f.; M.J.M. Neumann [II], Bindung durch Zentralbankunabhängigkeit In: H. Alheck (Hrsg.), Wirtschaftsordnung und Geldverfassung. Göttingen 1992, S. 67ff.; und M.E. Terrones, S. 192f. Zum letzten Argument vgl. G.S. Alogoskoufis and A. Phillipopoulos [1], S. 378. Vgl. ähnlich in bezug auf PBCs bereits B.S. Frey, Politico-Economic Models and Cycles . .,Journal ofPublic Economics", vol. 9 (1978), S. 218f., und P. Mosley, Images of the "Floating Voter": Or, the "Political Business Cycle" Revisited . .,Political Studies", vol. 116 ( 1978), S. 394. Nach R. Dinkel, Der Zusammenhang zwischen der ökonomischen und politischen Entwicklung in einer Demokratie: Eine Untersuchung mit Hilfe der ökonomischen Theorie der Politik. (Volkswirtschaftliche Schriften, Heft 263.) Berlin 1977, S. 242, wäre das Ergebnis im Extremfall kurios: .,Die negativen Auswirkungen des demokratischen Prozesses verschwinden, wenn man den Wahlen ihre eigentliche Funktion -die Auswahl einer Regierung - nimmt." Vgl. A. Belke [II], S. 220ff.

Die Rückkehr zur Wirtschaftspolitik Von Kurt Nemitz In der Debatte über den fortschreitenden Prozeß der Globalisierung sind in jüngster Zeit Stimmen zu verzeichnen gewesen, die aufhorchen lassen. Hatte sich in einigen Amts- und Studierstuben der Wirtschaftspolitik - unter Hinweis auf die weltweite und grenzüberschreitende Vernetzung des Marktgeschehens, vor allem natürlich in den weitgehend liberalisierten internationalen Finanzmärkten - zunächst eine Atmosphäre des passiven Anpassungsverhaltens breit gemacht, so mehren sichjetzt die Hinweise darauf, daß die Zukunft der sozialen Marktwirtschaft wohl nicht in resignativer Selbstbescheidung, sondern nur in gestaltender Restrukturierung einer zeitgemäßen Wirtschaftspolitik gesichert werden kann. Diese Tendenz zur Neuauflage einer breit angelegten Grundsatzdiskussion kann nicht überraschen und entbehrt auch nicht der Logik. Zwei Strömungen sind es im wesentlichen, die diese Entwicklung gefördert haben. Auf der einen Seite wird deutlich, daß der wirtschaftspolitische Problemdruck in zunehmendem Maße das Wählerverhalten beeinflußt, siehe vor allem Großbritannien und Frankreich. Solche Beispiele wirken allemal stimulierend. Auf der anderen Seite wächstdie Erkenntnis, daß nach dem spektakulären Versagen der kommunistischen Kommandowirtschaften eine in das andere Extrem führende generalisierende Rückwendung zum schrankenlosen LaissezFaire nicht angezeigt erscheint. Statt dessen erweist sich die Ausformung einer erneuerten Wirtschaftspolitik als erforderlich, die - nunmehr unter Berücksichtigung grenzüberschreitender Interdependenzen- auch weiterhin auf einer zweckmäßigen Verbindung von wettbewerbsfördernder und produktivitätssteigernder Marktdynamik mit sozial verantwortbarer Gesellschaftspolitik basieren sollte. Gewiß stellt sich damit eine Reihe neuer Probleme. Aber gleichwohl darf an die klassischen Grundsatzdebatten angeknüpft werden. Denn es stellt sich heraus, daß vieles von den als Neuerung empfundenen soziologisch fundierten Ideen z.B. eines "responsiven Kommunitarismus" mit dem Gleichgewicht zwischen "universalen individuellen Rechten und dem Allgemeinwohl" 1 oder der Modelle des "Gemeinwohlunternehmers"2 und der "Bürgerarbeit" in der Grund1

2 II*

A. Etzioni, Verantwortungsgesellschaft Frankfurt a.M. 1997. U. Beck, Was ist Globalisierung? Frankfurt a.M. 1997.

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Kurt Nemitz

satzdebatteder Vergangenheit teilweise schon ausführlich und fruchtbar behandelt wurde. Alte Ideen in neuer Verpackung anzubieten, das gehört zum Geschäft. Auf diese Weise, wer hätte das gedacht, kommen z.B. die vielen möglichen Formen einer gemischten Wirtschaftsordnung, in der auf den Märkten neben dem großen Sektor grundsätzlich gewinnorientierter Betriebe auch genossenschaftliche und gemeinnützige Unternehmungen als "Non-Profits" ihren Platz haben, wieder ins Gespräch. Auch für viele vermeintlich neue wirtschaftspolitische Ratschläge - etwa im HinblickaufModelle komparativer Kostenvorteile- mögen ähnliche Überlegungen gelten, was man übrigens nicht beklagen sollte. Denn sie erleichtern, was Tony Blair vorexerziert hat, eine auf Vernunft gegründete Konsensbildung. Hinzu kommt, daß unter dem aktuellen Problemdruck die Freude an dogmatischer Überspitzung ohnehin schwindet. Schließlich haben manche Alt-Keynesianer den Wert einer vernünftigen Angebots- bzw. Stabilitätspolitik und marktwirtschaftlicher Dynamik und manche Neo-Klassiker den Stellenwert eines hohen Beschäftigunsgrades mit stetiger Nachfrage und einer vernünftigen sozialen Flankierung schätzen gelernt. Selbst wenn man solche Hoffnungen aufKonsensbildung nicht zu hoch veranschlagen mag, lohnt es sich allemal, die möglichen Grundmuster, wenn man es so nennen will, einer Rückkehr zur Wirtschaftspolitik- auch im Hinblick auf die Globalisierung- anzuvisieren. Der Zwang zur Konsensbildung wenigstens auf zentralen Gebieten ergibt sich ohnehin im Prozeß der internationalen Zusammenarbeit, etwa im Rahmen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Wenn der Europäische Rat nach dem Luxemburger "Beschäftigungsgipfel" vom 20./21. November 1997 in seinen Schlußfolgerungen ausdrücklich auf das Erfordernis einer "Gesamtstrategie" hinweist, dann wird damit die Dringlichkeit einer gestaltenden Wirtschaftspolitik unterstrichen. Eine solche Politik müsse, so wird betont, darauf hinauslaufen, neben den Erfordernissen einer stabilen europäischen Währung auch "den einschlägigen Bestimmungen des neuen Titels "Beschäftigung" im Vertrag von Amsterdam sofort Wirksamkeit zu verleihen". Angesichts der "Arbeitslosigkeit, deren unannehmbar hohes Niveau den Zusammenhalt unserer Gesellschaften bedroht", erscheint eine solche Forderung im höchsten Maße plausibel. Die Definition und Umsetzung dessen, was unter jener auf der Gipfelkonferenz beschlossenen "Gesamtstrategie" zu verstehen ist, sollte also höchste Priorität genießen. Geht man zunächst von der kritischen und analytischen Würdigung gegenwärtiger Strukturen aus, so kann an manche Erkenntnisse aus der Transformationsdebatte nach dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" angeknüpft werden. Vielerorts war man damals, so hat es Marion Gräfin Dönhoff einmal formuliert, damit beschäftigt, "das Ideal der Marktwirtschaft auf den Kaminsims der Nation zu stellen, dorthin, wo bisher im Osten die Götzen Marx und Lenin

Die Rückkehr zur Wirtschaftspolitik

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standen."3 Der Dogmatismus hätte also nur die Seiten gewechselt. John K. Galbraith, immer gut für pointierte Diskussionsbeiträge, sprach davon, daß "viele der Ratschläge, die den mittel- und osteuropäischen Staaten" angeboten wurden, "ihren Ursprung in einem Bild von der kapitalistischen Wirtschaft" hätten, "das keine Beziehung zu deren Realität hat". Die Ratschläge kämen oft von Leuten, "die es schon lange stört, daß die westlichen Wirtschaftssysteme Konzessionen an gesellschaftliche Prozesse machen mußten: Aufbau des Sozialstaates, Hilfe fürdie Armen, öffentliche Dienstleistungen, Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, Versuche, eine gerechte Einkommensverteilung zu erreichen, und die Verantwortung des Staates für das Funktionieren des ökonomischen Systems als Ganzem'"'. Diese Distanzierung vom Modell eines ungezähmten Ellbogenkapitalismus, zumal in der Form globalisierter Monopolansprüche, wird heute z.B. auch von Ralf Dahrendorf vertreten. Er verweist auf die "Gefährdung des sozialen Zusammenhalts" sowie auf den "sozialdarwinistischen Überlebenskampf aller gegen alle" und kommt zu dem warnenden Hinweis:" Globalisierung bedeutet, daß Konkurrenz groß- und Solidarität kleingeschrieben wird" 5 • Als eine "perverse Konsequenz" solcher Prozesse stelle sich eine in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien bereits statistisch nachweisbare Entwicklung dar, nach der mittlere und untere Einkommen stagnieren oder sinken, während die Spitzeneinkommen der "Superreichen", überhaupt die oberen 10 vH der Einkommen, außerordentlich anwachsen. Letzten Endes beeinträchtige die Globalisierung "den Zusammenhalt der Bürgergesellschaften, auf denen der demokratische Diskurs gedeiht. Globalisierung ersetzt die Institutionen der Demokratie durch konsequente Kommunikation zwischen atomisierten Individuen". Warnend macht Dahrendorf schließlich darauf aufmerksam, daß "solche Entwicklungen zur Globalisierung und ihre soziale Folgen eher autoritären als demokratischen Verfassungen Vorschub leisten". Angesichts solcher Warnungen, die vor dem Hintergrund lang anhaltender Arbeitslosigkeit ernst genommen werden sollten, muten manche der einschlägigen Empfehlungen zur Wirtschaftspolitik, die sich - in der Tradition eng begrenzter ökonomistischer Überlegungen- einseitig auf die Kostenstruktur und die Stärkung der Angebotskräfte beschränken, als recht dürftig an. Sie vernachlässigen nicht nur die Nachfrageaspekte, sondern erschweren- u.a. wegen ihrer Verteilungswirkung -auch die Konsensbildung in der Breite der Gesellschaft.

3 4 5

M. Gräfin Dönhoff, Macht und Markt allein tut's nicht. "Die Zeit", Hamburg, Ausgabe vom 4. Januar 1991. J.K. Ga1braith in "Die Zeit", Ausgabe vom 26. Oktober 1990. R. Dahrendorf, An der Schwelle zum autoritären Jahrhundert. "Die Zeit", Ausgabe vom 14. November 1997.

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Im Grunde ist es auch nicht recht verständlich, warum die wirtschaftspolitischen Diskurse oft genug separiert von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geführt werden. Geschichtliche Erfahrung hat doch gezeigt, daß die soziale Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung in modernen demokratischen Gesellschaften geradezu fundamentale Bedeutung für die Optimierung des Sozialprodukts hat. Bei Vernachlässigung solcher Bedingungen, wie sie etwa in den Perioden der "Reaganomics" oder des "Thatcherismus" festzustellen waren, kommt es in den nachfolgenden Perioden oft zu erhöhten Spannungen, die politisch folgenreich sein können. Immer gab es dabei auch wissenschaftlichen Rat, dermit Fehlurteilen in die falsche Richtung wies. Die deutsche Geschichte hält Beispiele parat. So ist auf das tragischeEndeder Weimarer Republik zu verweisen. Fehlerhafte Wirtschaftspolitik trug daran ihren Anteil. So warnte z.B. Alfred Amonn 1930 vor den "Gefahren der Lohnsteigerungen" und empfahl nachdrücklich, "mittels einer nominellen und vorübergehend auch reellen Lohnpreissenkung zu einer Erhöhung des Beschäftigungsgrades"6 zu kommen. Als Reichskanzler Heinrich Brüning solchen eindimensionalen Ratschlägen und der Empfehlung einer rigorosen Schuldenkonsolidierung folgte, tat er nichts anderes, als von der damals herrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinung Gebrauch zu machen. Über die Folgen dieser Politik, die eben nicht zur Überwindung der Arbeitslosigkeit beitrug, ist oft diskutiert worden. Selbst wenn man direkte Vergleiche zur heutigen Situation wegen völlig veränderter Voraussetzungen nicht ziehen will, stellt sich die besorgte Frage, ob wir heute vor ähnlichen Fehlurteilen gefeit sind. Skepsis bleibt angebracht. Dabei ist das Unbehagen an der resignativen Hinnahme bestimmter Begleiterscheinungen einer dahinwabernden wirtschaftspolitischen Beliebigkeil durchaus weit verbreitet. Das Überhandnehmen kurzfristiger Gewinnerwartungen, der "Shortterminism" in der Kreditwirtschaft, die von Derivaten durchzogene und von realwirtschaftlichen Vorgängen weitgehend abgekoppelte und auf Spekulation basierende virtuelle Finanzwirtschaft (mit dem Menetekel von Zusammenbrüchen künstlich aufgebauter Kreditpyramiden) haben ihre warnende Wirkung keineswegs verfehlt. Daß sich diese Entwicklungen vor dem Hintergrund einer weiter voranschreitenden Ungleichheit in der Vermögens- und Einkommensverteilung abspielen, läßt sie um so brisanter erscheinen und trägt zur weiteren Förderung eines Klimas allgemeiner Unsicherheit bei. So ist es keineswegs verwunderlich, wenn etwa Lester C. Thurow in seiner Kapitalismus-Kritik neue "Wertvorstellungen" einfordert, die das "Langfristinteresse der Gemeinschaft" in den Mittelpunkt stellen7 • Als eine Art Test sieht er die 6 7

A. Amonn, Das Lohnproblem. Gefahren der Lohnsteigerungen. Berlin 1930. L.C. Thurow, Die Zukunft des Kapitalismus. Düsseldorf 1996.

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Beantwortung der Frage an, ob der "Kapitalismus die Investitionen in Humankapital, Infrastrukturmaßnahmen und Forschung und Entwicklung tätigen" könne, "die zu seinem Fortbestand notwendig sind". Mit der von Thurow vernünftigerweise anvisierten Verkoppelung einer auf Strukturveränderungen und Zukunftsinvestitionen ausgerichteten Wirtschaftspolitik mit neuen, am Langfristinteresse der Gemeinschaft orientierten Wertvorstellungen sind eine Reihe von konfliktbeladenen Problemfeldern angesprochen, die in der aktuellen Debatte leider allzu oft ausgeklammert werden. Die in manchen ökonomischen Fachkreisen anzutreffende mangelnde Bereitschaft zu interdisziplinären Diskussionen über ethische Grundnormen und Wertvorstellungen in der Wirtschaftspolitik hat viel Schaden angerichtet. Zwar gehört es zum guten Ton, auf repräsentativen Sonntagsveranstaltungen oder Verbandstagungen einen Sozialethiker zu Wort kommen zu lassen, der auch viel Beifall erhält, und ganze Tagungsreihen werden dem Thema "Unternehmenskultur" gewidmet. Aber die brennende Frage, auf welche Weise dem Sozialen in unserer Marktwirtschaft die ihm gebührende Geltung verschafft werden soll und mit welchen Mitteln, auch theoretisch begründbar, wirtschaftsethische Normen überhaupt operationalisierbar gemacht werden können, führt allzu oft zu vordergründigem Dogmenstreit oder verliert sich in nebulöser Unverbindlichkeit. Angesichts dieser Lage kann man es nicht genug begrüßen, wenn sich die Kirchen, auch in gemeinsamen Stellungnahmen, immer wieder mit den Grundfragen der Wirtschaftsethik beschäftigen. Im katholischen Bereich steht nach wie vor die Enzyklika "Laborem Exercens" von 1981 im Mittelpunkt. Hier ist nachdrücklich von der "ethischen Substanz der Arbeit" die Rede, die von "materialistischen und ökonomistischen Strömungen" abgegrenzt wird. Nachdrücklich wird auf die "Plage der Arbeitslosigkeit" verwiesen und das "Prinzip des Vorranges der Arbeit gegenüber dem Kapital" verkündet. Oswald von Nell-Breuning hat seinerzeit aus gutem Grund davor gewarnt, die zu ziehenden Konsequenzen als "weltfremd", als "unzeitgemäß mit leichter Hand abzutun", oder sie "überhaupt nicht ernst zu nehmen". Besonders konkret haben sich übrigens, und auch hier nicht ohne Grund, die katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten 1986 in ihrem Hirtenbrief zum Thema "Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle" geäußert. Das eigentliche Kriterium für die moralische Bewertung wirtschaftspolitischer Maßnahmen, so betonten sie, liege in der Frage, ob sie allen, besonders aber den Armen diene. Wie nicht anders zu erwarten, hatdieservon wohlfahrtsstaatliehen Überzeugungen getragene Hirtenbrief scharfe Kontroversen ausgelöst. Leider ist diese Veröffentlichung bei uns zu wenig bekannt geworden. Sachkundigen Diskussionsstoffbietet sie allemal, auch als Ausgleich zu ökonomischen Heilslehren, die in der Maximierung des Sozialprodukts im technisch möglichem Sinne auch die Lösung der sozialen Frage sehen.

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Auf der evangelischen Seite ist man ebenfalls seit langem bemüht, den sozialen Aspekt des marktwirtschaftliehen Geschehens wieder in den Vordergrund zu stellen. Die Denkschrift der EKD von 1991 nimmt deshalb zum Thema "Gemeinwohl und Eigennutz- Wirtschaftliches Handeln in Verantwortung für die Zukunft" Stellung. Die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik sei, so wird mahnend festgestellt, "nicht einfach bloß ein Verbundsystem von Marktwirtschaft und Sozialpolitik". Sie ziele vielmehr "auf die Integration der Marktwirtschaft in eine Wirtschaftspolitik zur "bewußt sozialen Steuerung des Marktes" (Alfred MüllerArmack)". Gewinnorientierung und Wettbewerb seien "nicht Sinn und Ziel des Wirtschaftens, sondern dem eigentlichen Ziel der Güterversorgung dienende Instrumente". Und dann kommt das Resümee: die Soziale Marktwirtschaft sei als "dynamischer Prozeß angelegt, der auf fortwährende Kurskorrekturen angelegt ist, und versteht sich deshalb als prinzipiell verbesserungsbedürftig". Wenn man diesen Hinweis auf die systemimmanente Verbesserungsbedürftigkeit vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Problemlage präzisieren und thematisieren wollte, dann wird klar, wie eng dieser Spielraum geworden ist, aus dem heraus eine Kurskorrektur im sozialen Sinne möglich wäre. In Zeiten schwachen Wachstums, hoher Staatsverschuldung, anwachsenden Lohndrucks und eines im Hinblick auf die Europäische Währungsunion stringenten Sparkurses liegt dabei die Versuchung nahe, sich einem vermeintlichen Anpassungszwang zur Ausgrenzung der sozialen Komponente unserer Wirtschaftsordnung zu beugen, und zwar mit der Begründung, daß andere Möglichkeiten nicht gegeben seien. Gibt es tatsächlich keine Alternativen? Gehört es etwa zu den Eigenheiten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses sozialer Marktwirtschaften, daß in Zeiten schwachen Wachstums die sozialen Rahmendaten unter Kostenaspekten als Manövriermasse in beliebigem Umfang zugunsten anderer ökonomischer Globalerfordernisse "ausgebucht" werden können? Aus meiner Sicht lautet die Antwort: Nein! Vielmehr erscheint es zwingend erforderlich, sich darüber Klarheit zu verschaffen, daß die Sozialordnung auch und gerade in schwierigen Zeiten als ein "wichtiges konstitutives Element der gesamten integrierten Ordnung" (Denkschrift der EKD) angesehen werden muß. Dabei wird man davon ausgehen können, daß viele der Grundsatzpositionen auf den ersten Blick in hohem Maße konsensfähig sind. Aber nur auf den ersten Blick! Denn die Frage, was sie im einzelnen im Hinblick zum Beispiel auf die Auswirkungen wirtschaftlicher Macht, auf die soziale Symmetrie, auf die Einkommens- und Vermögensverteilung oder auf die gerechte Gestaltung der Weltwirtschaft bedeuten, bleibt naturgemäß Gegenstand der wirtschaftspolitischen Debatte, in die immer wieder unterschiedliche Interessenaspekte einfließen. Konflikte können dabei nicht ausbleiben. Sie müssen im demokratischen System in fairer Auseinandersetzung

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gelöst werden. Ohne Wertentscheidungen, die dereinzelne für sich oder als Mitglied einer Gruppe zu treffen hat, geht es dabei nicht ab. So wird die permanente Suche nach Orientierungspunkten verständlich. Aus meiner Sicht - um ein Beispiel zu nennen - kann hier die bedeutende "Wirtschaftsethik" des vor einigen Jahren verstorbenen Züricher Theologen Arthur Rich weiterhelfen. Die zwei Bände dieses Werkes ( 1984 und 1990)- in weiten Teilen in Anknüpfung an die jahrelange Zusammenarbeit mit Gerhard Weisser und seinem Institut für Gesellschaftspolitik und beratende Sozialwissenschaften werden die Diskussionen der kommenden Jahre in entscheidender Weise beeinflussen8. Denn die Aufgabe, das ökonomisch "Sachgerechte" mit dem "Menschengerechten" zu verbinden, stellt sich immer dringlicher. Für die Ethik ist die Aufgabe gestellt, "aufdem Boden der Vernunft Übereinstimmungdarübererzielen zu wollen, was unter realistischen Bedingungen eine praktikable Optimierung der gesellschaftlichen Gerechtigkeit heißen kann und soll". Die dabei angestellten Erwägungen lassen sich dahingehend zusammenfassen, "daß nicht wirklich menschengerecht sein könne, was nicht sachgemäß ist, und nicht wirklich sachgemäß, was dem Menschengerechten widerstrebt". Effizienz sei eine "abstrakte, aussageleere Sache. Konkrete Aussagekraft bekommt sie erst durch den Bezug, in dem sie steht. Steht sie im ausschließlichen Dienst des Gewinninteresses, oder schließt sie die bewußte Wahrung der Sozialanliegen in sich ein?" Von der Beantwortung dieser Frage hängt die Bewertung ab. Dabei muß man sehen, daß hinter den ordnungspolitischen Strukturen der Wirtschaft "zumeist verdeckte Wertpräferenzen" stehen. Diese müssen, so fordert Rich, "aufgedeckt und auf ihre ethische Legitimität hin kritisch geklärt werden". Daß dieser Aufruf zur kritischen Überprüfung verdeckter Wertpräferenzen in der wirtschaftspolitischen Doktrinbildung nicht ungeteilten Beifall finden dürfte, wird man voraussetzen können. Gleichwohl seheinter sinnvoll zu sein. Denn in einer Zeit wachsender gesellschaftspolitischer Orientierungslosigkeit, die sich auch in der vielzitierten Politikverdrossenheit bemerkbar macht, dürfte der Rückgriff auf ethische Grundanliegen allemal vernünftiger sein als ein hartnäckiges Beharren auf eng begrenzten Ökonomistischen Modellen. Dies gilt auch für die Debatte über den Umfang und das Volumen finanzieller Sozialleistungen. So schwierig dies auch sein mag: in einem auf Konsens ausgerichteten Sozialstaat sollte es möglich sein, unter Einschluß aller Beteiligten - also Unternehmer, Gewerkschaften, Regierungen und Notenbank- durch praktischen Kompromiß Einverständnis zu erzielen. 8

V gl. A.

Rich, Wirtschaftsethik. Gütersloh 1984 und 1990.

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Hier ist ein wichtiger Punkt berührt. Wenn wir einmal davon ausgehen, daß der Wiederaufbau seit 1945- besonders in den ersten Jahrzehnten (von Beobachtern immer noch als "Wirtschaftswunder" bezeichnet)- durch eine bewundernswerte Gemeinschaftsleistung aller Gruppen der Bevölkerung und in einer Atmosphäre gegenseitiger Anerkennung erbracht wurde (ich erinnere an den Dialog zwischen Konrad Adenauerund Hans Böckler sowie die Gespräche mit der Wirtschaft), dann erscheint es heute, in einer vergleichbaren Lage, um so unverständlicher, daß man glaubt, die aktuellen Schwierigkeiten nunmehr in einem Klima erkalteter Sozialbeziehungen überwinden zu können. Angesichts der heute oft feststellbaren Neigung zu "harten Bandagen" und Ökonomistischen Argumentationsweisen hat man den Eindruck, daß sich immer wieder Mißverständnisse über die soziale Bedingtheit ökonomischer Prozesse einschleichen. In den aufgeklärten Industriegesellschaften ist die Zukunft nur dann zu gewinnen, wenn die Arbeitnehmer soweit als möglich an dem Prozeß der wirtschaftlichen Konsensbildung beteiligt werden. Die moderne Demokratie ist ohne die Emanzipation des Wirtschaftsuntertan zum Wirtschaftsbürger nicht denkbar. Dies gilt nicht nur für Schönwetterperiode, sondern auch für Zeiten schwachen Wachstums. Bei einer solchen Betrachtung kann von den Gewerkschaften um so mehr die Einbeziehung betriebswirtschaftlicher Gesichtspunkte erwartet werden. Der wirtschaftliche Erfolg der Bundesrepublik, die Ergebnisse der Umstrukturierungen z.B. an der Ruhr und der Aufstieg zur Spitzengruppe der großen Wirtschaftsmächte und der in den entscheidenden Jahren erfolgteAusbau der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer sind voneinander nicht zu trennen. Was die Bundesrepublik in ein zukünftiges Europa an solchen Mitbestimmungskonzepten einzubringen hätte, ist in neuester Zeit wieder Gegenstand der Diskussion. Daß dabei starke Kräfte am Werk sind, die sich gegen den Ausbau von Mitwirkungsrechten mit Händen und Füßen wehren, versteht sich von selbst. Bei einem Rückblick in die Vergangenheit wird man feststellen, daß sich die Argumentationslinien der Mitbestimmungsgegner seit über 100 Jahren kaum geändert haben. Als im Jahre 1889 die Errichtung von betrieblichen Arbeiterausschüssen- den Vorläufern der heute nicht mehr wegzudenkenden Betriebsräte- zur Debatte stand, wurde ihre Einführung von einem Teil der Arbeitgeberverbände mit dem Hinweis abgelehnt, "daß die Arbeiterausschüsse nicht als Friedensinstitution, sondern als permanentes Kampfelement wirken werden", daß ihre Mitglieder nicht die nötige Sachkunde hätten, daß es zu einer "Lahmlegung der Handels- und Industrieunternehmungen" kommen werde und daß eine "Gefährdung des Besitzstandes" sowie schließlich "die Erschütterung der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung" zu befürchten seien. Jeder einzelne dieser Gesichtspunkte spielte in der nun schon über 100 Jahre anhaltenden Diskussion um die Modernisierung der Unternehmensverfassung

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sinngemäß eine Rolle. Das gilt für den Erlaß des Betriebsrätegesetzes I920 ebenso, wie eine Generation später für die Einführung der qualifizierten Mitbestimmung für die Montanindustrie in der Bundesrepublik. Und gegenwärtig erleben wir auf der europäischen Ebene ähnliche Argumentationsmuster. Was die Betriebsräte anbetrifft, so sind sie aus der Praxis des deutschen Wirtschaftslebens nicht mehr wegzudenken. Sie haben dazu beigetragen, daß trotz Trommelwirbel und Kampfgeschrei in Zeiten harter Tarifkämpfe insgesamt in den "industrial relations" (wenn man diesen angelsächsischen Begriff einmal verwenden will) mehr auf "Dialogfähigkeit und Kompromißbereitschaft" im Sinne "gesellschaftlicher Vernunft" (zwei Stichworte aus den vor einiger Zeit vom DGB veröffentlichten Leitbildern zur Diskussion des neuen Grundsatzprogramms!) gesetzt wird als in vielen anderen Ländern. Ohne diese Dialogfähigkeit und Kompromißbereitschaft wird es jedenfalls auch in Zukunft nicht möglich sein, eine Atmosphäre zu schaffen, die die Umsetzung wirtschaftsethischer Postulate in die betriebliche Praxis zuläßt. Das gilt natürlich auch fürdie gemeinsame Zukunft in der Europäischen Union. Seit Jahren wird über die Mitwirkung von Arbeitnehmern in denjenigen Unternehmen gestritten, die grenzüberschreitend in mehreren Ländern tätig sind. Eine Richtlinie der Europäischen Union liegtseit langem vor. Voreiniger Zeit hat der Bundestag, leider von der Öffentlichkeit wenig beachtet, mit den Stimmen der Koalition und der SPD (bei einer wenig verständlichen Enthaltung der Grünen) das Gesetz über die europäischen Betriebsräte verabschiedet. Immerhin gibt es inzwischen I I 50 europaweit tätige Unternehmen, von denen 270 ihren Sitz in Deutschland haben. In diesen Unternehmen werden -wenn sie mindestens I 000 Arbeitnehmer in den EU-Mitgliedstaaten beschäftigen (davon jeweils I 50 in mindesten zwei Ländern)-europäische Betriebsräte gebildet, die bei wichtigen Entscheidungen aufgrund von abzuschließenden Vereinbarungen von den Geschäftsleitungen in die Meinungsbildung einzubeziehen sind. Der DGB hat das Gesetz als "Meilenstein einer sozialen Dimension in Europa" bezeichnet. Natürlich gibt es auch schonjetzt wieder Kräfte, denen- wie einst bei der Kritik der Mitbestimmung von Seiten wortradikaler "Linker"- die anvisierten Regelungen nicht weit genug gehen. Diesen Kritikern wurde im Bundestagangesichts der weit weniger mitbestimmungsfreundlichen Lage in anderen Ländern zu Recht zu bedenken gegeben, daß es besser sei, das Machbare in die Praxis umzusetzen, als dem Wünschbaren nachzutrauern. Was in einer jeweiligen historischen Situation "machbar" erscheint, bleibt natürlich Gegenstand einer permanenten Diskussion, in die immer auch wieder Interessengesichtspunkte einfließen. Das war z.B. bei den langjährigen Debatten über Möglichkeiten und Grenzen der sogenannten "qualifizierten", d.h. paritätischen Mitbestimmung (etwa in der Montanindustrie) der Fall. Immer wieder ging es bei kritischen Stellungnahmen um die Behauptung, daß die Mitbestimmung mit

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der Wettbewerbsordnung nicht zu vereinbaren sei, daß die Unternehmerische Willensbildung durch die Mitbestimmung "verumständlicht" oder bürokratisiert werden könnte, daß die Marktanpassung erschwert und die gesamtwirtschaftliche Produktivität beeinträchtigt werde. Und bei der Besetzung von Aufsichtsräten durch Vertreter der Gewerkschaften konnte und kann man immer wieder hören, daß- so z.B. einmal Hermann J. Abs- "von außen kommende, mit den Problemen des Unternehmens nicht vertraute und der Belegschaft häufig gänzlich unbekannte" Kandidaten benannt würden. Dabei weiß jeder Eingeweihte, daß diese Charakterisierung keineswegs ausschließlich oder überwiegend auf die von den Gewerkschaften nominierten Aufsichtsratsmitgliederzutrifft, sondern vor allem auf so manchen der Bankenvertreter. "Ein Bankier aber", so meinte seinerzeitFranzBöhm völlig zu Recht, "der etwadem Aufsichtsrat einer Konservenfabrik, eines Werks der chemischen Industrie und eines Kugellagerunternehmens angehört, fühlt sich zwar in seiner Bank als Unternehmer, nicht aber in der Konserven-, chemischen und Kugellagerbranche". Man sieht, daß man auch hier die Dinge unter verschiedenen Blickwinkeln sehen kann. Übrigens gehörte es zu den besonderen Verdiensten Franz Böhms, daß er als Exponent eines aufgeklärten Neoliberalismus in den ersten Jahren der Bundesrepublik dazu beitrug, die Dialogfähigkeitzwischen den Vertretern der "Marktwirtschaft von links und von rechts" zu fördern. Diese grundsätzliche Bereitschaft zur Konsensbildung- die damals z.B. durch gemeinsame Arbeiten am Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen dokumentiert wurde- erscheint gerade heute angesichtsder Globalisierungsproblematik notwendiger als je zuvor. An klassische Beispiele zur sozialen Ausgestaltung marktwirtschaftlicher Strukturmodelle im Sinne gemischter Wirtschaftsordnungen könnte durchaus angeknüpft werden. Dabei wäre nicht nur an den "liberalen Sozialisten" Franz Oppenheimer- den Lehrer Ludwig Erhards -, sondern auch an Adolf Löwe, Eduard Heimann, die religiösen Sozialisten um Paul Tillich, die Schüler Leonard Nelsons und die freiheitlichen Sozialisten zu denken. Besonders interessant erscheint ein Hinweis auf Löwe, der 1931 forderte, die Arbeiter müßten "um der künftigen Gemeinwirtschaft willen für eine von der monopolistischen Verfälschung befreite Marktwirtschaft kämpfen". Übrigens war Löwe einer der Lehrer von Kar! Schiller. Die Sozialdemokratie wäre gut beraten, wenn sie sich dieser Entwicklungslinien erinnern würde. Wenn heute der belgisehe Sozialist Kare! van Miert als zuständiges Mitglied der Europäischen Kommission diese Linie einer entschlossenen Wettbewerbspolitik in der Europäischen Union verfolgt, dann istdies ein positivesZeichen, das besonders vermerkt werden sollte. Aber auch das schwierige Gespräch zwischen Vertretern einer dezidiert wirtschaftsethisch fundierten Ökonomie und herrschenden wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinungen bedarf dringend einer Erneuerung. Siegfried Katterle hat vor

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kurzem auf ein historisches Beispiel aufmerksam gemacht, nämlich auf den als Ort gemeinsamen Lernens gerühmten Evangelisch-Sozialen Kongreß in der sozialpolitischen Reformphase des deutschen Kaiserreichs nach 1890: "Es waren nicht einfach "Nationalökonomen" und es waren nichteinfach "Theologen", die aufdiese aufgeschlossene Weise miteinander diskutierten. Es waren sozial-liberale und sozial-konservative Ökonomen (Gustav Schmoller, Adolph Wagner, von ihren Gegnern verächtlich als "Kathedersozialisten" apostrophiert), und es war ... der "sozial-liberale Flügel des damaligen Protestantismus" um Adolf Harnack. Beide Gruppen repräsentierten eine bestimmte "Denkstruktur" (Brakelmann); sie dachten in einem Paradigma, das sie fähig und bereit machte, an der sozialen Reform des Kapitalismus zu arbeiten mit dem Bestreben der Transformation des Kapitalismus in eine aus Markt und vielgestaltiger Regulierung gemischte Ordnung" 9 • Wagt man den mutigen Gedankensprung in die problembeladene Globalisierungsdebatte der Gegenwart, so stellt sich - in Anknüpfung an Lester Thurows Forderung nach neuen Wertvorstellungen bei der ökonomischen Bewältigung der Zukunft- auch heute die dringende Aufgabe der sozialen Reform eines globalisierten Kapitalismus. Auf der politischen Ebene hat Tony Blair von einem "Moralischen Credo" gesprochen, das sich in einem "praktischen Bekenntnis zu einer gemischten Wirtschaft" konkretisiert, "in der sowohl der öffentliche wie auch der private Sektor im Allgemeininteresse arbeiten, im Rahmen einer fairen Gesellschaft, die die Interessen sowohl der Schwachen wie auch der Starken berücksichtigt, mit einer demokratischen Politik der Machtbalance, und der Erkenntnis, das wir unsere Umwelt im Interesse zukünftiger Generationen erhalten müssen". Damit sei eine Gesellschaft anzustreben, in der "dem Erfolg die soziale Gerechtigkeit gegenübersteht und dem Gewinn die Verantwortung" 10 • Will man aus der Periode der wirtschaftspolitischen Lethargie herauskommen, zumal im Hinblick auf die Globalisierungsdebatte, so bleibt auf dem Weg zu einer neuen und gestaltenden Wirtschaftspolitik tatsächlich keine andere Möglichkeit, als beharrlich (auch gegen den hinhaltenden Widerstand dogmatischer Ökonomisten) jene grenzüberschreitende "Gesamtstrategie" anzusteuern, die vom Europäischen Rat- nicht zuletzt auf Anregung der "Jungen Milden" Tony Blair und Lionel Jospin - empfohlen wird. Dabei sollte man sich vom Umfang der Problemliste nicht abschrecken lassen. Denn letzten Endes bietet der mit der Europäischen Währungsunion vorgezeichnete Weg zu einer - wie auch immer gestalteten - engeren politischen Zusammenarbeit in Europa auch große Chancen, die Dynamik globali9

10

S. Katterle, Der Bedarf der Wirtschaftswissenschaft an ökonomisch informierter wirtschaftsethischer Klärung. (Diskussionspapiere der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Bielefeld, Nr. 329.) Bielefeld 1996. T. Blair, What Needs to Change- New Visions for Britain. London 1996.

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sierter Märkte für Unternehmerische Neuerungen und damit für die Absicherung einer breit gestreuten Wohlfahrtsentwicklung auch in der Zukunft produktiv zu nutzen. Ohnehin ist es nicht verständlich, daß man sich im Führungsbereich des Bundesverbandes der Deutschen Industrie z.B. auf ein "Reengineering" der deutschen Politik - etwa durch Abbau föderalistischer Strukturen - konzentriert 11 , anstatt sich vordringlich dem eigentlich entscheidenden Problem einer Innovationsmüdigkeit der Wirtschaft selbst zu widmen. Daß hier einer der Angelpunkte für die Problemlage liegt, z.B. auch im Hinblick auf nicht ausreichend genutzte Möglichkeiten unternehmenscher Neuerungen im Dienstleistungsbereich, hat sich inzwischen herumgesprochen. Denn bei der genaueren Untersuchung der Gründe für die aktuelle Wachstumsschwäche (und der damit einhergehenden Unterbeschäftigung) zeigt es sich, daß zwar auch, aber nicht in erster Linie, überhöhte Kosten, sondern vielmehr eine solche nachhaltige unternehmefische Innovationsschwäche im Vordergrund steht. J.A. Schumpeter, derruhig wiedereinmal gelesen werden sollte, hat völlig zu Recht auf die entscheidende Bedeutung der Innovationen - die sich als veränderte Produktionsfunktionen darstellen- für den Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung hingewiesen. Nicht nur der Erfindungsreichtum im technischen Sinne ist hier angesprochen, sondern auch die ureigenste unternehmefische Fähigkeit zurfrühzeitigen Vermarktung neuer Produkte oder Dienstleistungen, d.h. bevorder Wettbewerber auf dem nunmehr globalisiertem Markt in Erscheinung tritt. Die Bereitschaftdes Bankenapparates, bei ausreichenden Erfolgsaussichten schnell und im sinnvollem Umfang Risikokapital bereitzustellen, spielt hierbei eine wichtige Rolle. Wäre es nicht sinnvoll, die auf diesen Gebieten im eigenen Lande bestehenden Defizite, und ihre Ursachen, näher zu untersuchen? Die vielfach eingeforderte Flexibilität- hier wäre sie angebracht! Wären die vorhandenen Defizite im Bereich der Investitionen, natürlich auch der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, überwunden, könnte man jedenfalls den Erscheinungen des intertemporalen und internationalen Strukturwandels weit gelassener begegnen 12 • Denn die internationalen Verflechtungen führen, bei geschickter Ausnutzung komparativer Kostenvorteile, auch bei der Verlagerung von Produktionen in andere Länder zumindest auf längere Sicht zu einer allseitigen Anhebung des Wohlstands. 11 12

So z.B. H.-0. Henkel, Wege aus der Blockade: Deutschland braucht ein Re-engineering. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Frankfurt a.M., Ausgabe vom 3.Januar 1998. Vgl. hierzu eine kurze Zusammenfassung z.B. in H. Flassbeck, Wirtschaftspolitik im Zeichen von Globalisierung und Arbeitslosigkeit. (Forschungsinstitut der FriedrichEbert-Stiftung, Gesprächskreis Arbeit und Soziales, Nr. 75.) Bonn 1997.

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Faßt man die verschiedenen Faktoren zusammen, die auf dem Wege zu einer neuen Wirtschaftspolitik zu beachten wären, so ergeben sich einige entscheidende Schwerpunkte, die wegen ihrer gegenseitigen Abhängigkeiten im Gesamtzusammenhang gesehen werden müßten. Will man das Langfristinteresse der Gemeinschaft wieder mehr in den Vordergrund rücken, so ergeben sich hierfür- über die Grenzen von Parteien und einzelnen Gruppen hinaus - zahlreiche Anknüpfungspunkte in gemeinsamen Basisüberzeugungen einer zeitgemäßen Wirtschaftsethik. Auf dieser Basis sollte es möglich sein, jene öffentlichen und privaten Investitionen in Humankapital, Infrastrukturmaßnahmen sowie Forschung und Entwicklung zu realisieren, die für die Zukunftssicherung notwendig sind. Dabei erweist es sich gerade im Zeitalter der Globalisierung als erforderlich, die Verantwortlichkeit der Regierung für die Wirtschaftspolitik als Ganzem wieder stärker zu betonen. Im Prozeß der europäischen Einigung gilt dies natürlich auch für die Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, und zwar im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten. Entscheidend in diesem Prozeß der Rekonstruktion der Wirtschaftspolitik wird es sein, ob es gelingt, zwischen Regierungen, Europäischer Zentralbank und den Sozialpartnern eine möglichst breite Konsensbildung über Grundsatzfragen herbeizuführen. Die Koordinierungsaufgabe liegt bei den Regierungen und auf der europäischen Ebene bei der Europäischen Kommission. Bei der schwierigen Aufgabe der Lohntindung durch die Tarifpartner würden Systeme einer breiten Vermögensbildung (wie sie auch schon in früheren Perioden anvisiert wurden, z.B. durch Bildung von "Sozialkapital" oder auf dem Wege des "Investivlohnes") Erleichterung schaffen. Dem Gedanken der Verteilungsgerechtigkeit ist wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Daß die erforderliche Rekonstruktion der Wirtschaftspolitik in der geschichtlichen Periode der Globalisierung zustande gebracht werden soll, ist die eigentliche Herausforderung der Gegenwart. Um hier Erfolge erzielen zu können, wird vor allem das wirtschaftspolitische Gestaltungspotential auf der Ebene der Europäischen Union stärker als bisher zu nutzen sein. Auf dem Wege vom Nationalstaat über Zoll-Unionen, regionalspezifische und zwischenstaatliche Vereinbarungen, supranationale Einrichtungen und internationale Gemeinschaftsorganisationen zu größeren Wirtschaftsräumen und dann schließlich auch über Staatenbünde zu transnationalen Bundesstaaten zu gelangen, mag für manche Ohren ungewohnt klingen, liegt aber gleichwohl nicht nur im Rahmen "realer" Utopien, sondern erscheint im Rahmen einer anzuvisierenden, friedenssichernden "Welt-Innenpolitik", zumal in Zeiten nie zuvor erreichter weltweiter Kommunikationsmöglichkeiten, als durchaus realisierbar. Auch hier sollte der ideengeschichtliche Vorlauf weltbürgerlicher Observanz stärker als bisher beachtet werden.

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Die Überwindung der akuten Problemlagen wird am ehesten dann möglich sein, wenn die erforderlichen Schritte durch eine möglichst breite gesellschaftliche Konsensbildung-überInteressengruppen hinweg- getragen werden. Den Regierenden ist es aufgegeben, auf diesem Wege der Konsensbildung, immer wieder von Neuem, die Initiative zu ergreifen.

Strukturwandel der Wirtschaft- Entlastung der Umwelt Von Udo Ernst Simonis "Für meinen Beitrag mußte ich meine langgehegte Hypothese kippen. Es war, wie wenn man lange auf ein Mädchen gewartet hat und dann ein Junge zur Welt kommt." Lars Clausen

Der Begriff "Struktur" hat im wissenschaftlichen wie im politischen Leben von Reimut Jochimsen stets eine zentrale Rolle gespielt. Seine bahnbrechenden Studien zur Theorie der Infrastruktur belebten die wissenschaftliche Diskussion einer ganzen Dekade 1• Der darin angelegte holistische Ansatz- der den in der Praxis meist verengten, auf materielle Aspekte eingegrenzten Infrastrukturbegriff bewußt vermied - war für mich ein entscheidender Beleg dafür, daß er eigentlich der Wissenschaft hätte treu bleiben sollen. Als deutscher Ökonomieprofessor hätte Reimut Jochimsen wie kein anderer seiner Fachdisziplin den Weg in die Realität ebnen können. Insofern habe ich immer bedauert, daß er "in die Politik" ging. Hier aber begleitete ihn der Begriff "Struktur" in anderer Weise. Indem er vom Bundeskanzleramt aus die verkrusteten Strukturen der deutschen Gesellschaft aufzubrechen half und in der Praxis als Wirtschaftsminister von N ordrhein-Westfalen sich mit den Anpassungszwängen an einen ablaufenden Strukturwandel zu befassen hatte, aber auch mit der Gestaltung neuer, zukunftsfähiger Strukturen. So denke ich denn, daß der Jubilar sich mit den folgenden Überlegungen zum ökologisch erforderlichen Strukturwandel der Wirtschaft bei uns und in anderen Teilen der Welt wird anfreunden können.

1. Zukunftsfähige Entwicklung: Der notwendige Strukturwandel Im Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung von 1987, der zu einer weltweiten Diskussion über zukunftsfähige Entwicklung (sustainable development) geführt hat, finden sich zwei Definitionen dieses Konzepts: "Entwicklung zukunftsfähig zu machen heißt, daß die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse Vgl. R. Jochimsen, Theorie der Infrastruktur. Tübingen 1966, sowie R. Jochimsen und U.E. Simonis (Hrsg.), Theorie und Praxis der Infrastrukturpolitik. Berlin 1970. 12 FS Jochimsen

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befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können" 2 • Die damit angesprochene Frage der inter-generationeilen Gerechtigkeit durchzieht alle Diskussionen um das Konzept und ist Bestandteil aller seither vereinbarten internationalen Abkommen zum Zusammenhang von Umwelt und Entwicklung geworden. Die andere Definition ist weniger bekannt, ist für das hier zu behandelnde Thema jedoch von herausragender Bedeutung: "Eine zukunftsfähige Entwickung ist ein Prozeß der Veränderung, in dem die Nutzung der Ressourcen, die Struktur der Investitionen, die Orientierung des technischen Fortschritts und die institutionellen Strukturen konsistent gemacht werden mit den zukünftigen und den gegenwärtigen Bedürfnissen " 3 . Es gibt starke Vermutungen und zahlreiche Belege dafür, daß diese Bedingungen der Zukunftsfähigkeit beim vorherrschenden "industriewirtschaftlichen Weltmodell" nicht gegeben sind. Wie anders sollte man einerseits die hohe Priorität für Umweltschutz deuten, die in Umfragen von der Bevölkerung geäußert wird und die der Markt bisher zu gewährleisten nicht in der Lage zu sein scheint? Oder wie muß man andererseits die langfristige Dynamik des Industriemodells, die überwältigende Angebotsausweitung an industriellen Produkten, deuten, die zu immer höherem Ressourcenverbrauch führt? In den letzten hundert Jahren hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdreifacht, auf nunmehr 5,8 Mrd. Menschen. Nachjüngsten Weltbevölkerungsprognosen ist im nächsten Jahrhundert mindestens mit einer Verdoppelung der Weltbevölkerung zu rechnen, eine Verdreifachung wird aber auch nicht völlig ausgeschlossen. Wenn die materiellen Ansprüche der künftigen Generationen im Durchschnitt auch nur so hoch wie die der derzeit lebenden Generationen sein sollten (eine eher konservative Annahme angesichts der bestehenden Ungleichheiten in der Verteilung von Einkommen und Vermögen), müßte die Erde also mindestens eine Verdoppelung, eventuell gar eine Verdreifachung der Produktion verkraften. Kann die Erde das verkraften, wie kann sie es verkraften? Daly hat dieses potentielle Dilemma mit einer einfachen, aber tiefsinnigen Metapher beschreiben, dem Übergang aus der "leeren" in die "volle" Welt (vgl. Schaubild 1)4 : Die Wirtschaft als offenes Subsystem des globalen Ökosystems hat ständig expandiert und immer weitere ökologische Nischen besetzt. Die Frage 2

4

World Commission on Environment and Development (Ed.), Our Common Future. Oxford und New York 1987, S. 8; eigene Übersetzung und Hervorhebung. World Commission on Environment and Development (Ed.), S. 9; eigene Übersetzung und Hervorhebung. Vgl. H.E. Daly, Ökologische Ökonomie. Konzepte, Fragen, Folgerungen. "Jahrbuch Ökologie", Jg. 1995, München 1994, S. 147ff.

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Strukturwandel und Umweltentlastung Schaubild I

Die Wirtschaft als offenes Subsystem des Ökosystems "Leere Welt"

M gRecycling M

E

"Volle Welt"

Wirtschaft

E

S: W: M: E:

Solarenergie Wärme Materie Energie

Quelle: H.E. Daly, S. 148.

allerdings, wie voll denn die immer voller werdende Welt schon sei, ist nicht eindeutig zu beantworten. Der beste Einzelindikator für die Beantwortung dieser Frage dürfte der Prozentsatz der Aneignung der Nettoprimärproduktion der Photosynthese (NPP) durch den Menschen sein. Nach Vitousek u.a.liegt dieser Wert bei etwa 25 vH für die Erde als globales Ökosystem und bei etwa 40 vH für das terrestrische Ökosystem5 • Nimmt man die niedrigere (globale) Zahl von 25 vH als Bezugspunkt, so würden zwei 5

12*

Vgl. P.B. Vitousek u.a., Human Appropriation of the Products of Photosynthesis. "BioScience", vol. 34 (1986), S. 368ff. Diese Zahlen beinhalten sowohl die direkte Aneignung, z.B. vom Menschen genutzte Nahrungsmittel, als auch die indirekte Aneignung durch Reduktion der photosynthetischen Kapazität des Ökosystems aufgrund menschlicher Interventionen, wie Überbauung und Bodendegradation.

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weitere Verdopplungen 100 vH ergeben. Man könnte demensprechend eine Größenordnung von 4 als die äußerste Grenze für das weitere Wachstum der globalen Wirtschaft ansetzen (die gegenwärtige Verdopplungszeit beträgt rund 30 Jahre). Nimmt man dagegen die höhere Zahl (das terrestrische Ökosystem) als Bezugspunkt, dann geht es nur mehr um eine Gößenordnung von 1,5. Diese Folgerung steht in scharfem Gegensatz zum Bericht der Weltkommission selbst, der davon ausgeht, daß sustainable development angesichtsder bestehenden Ungleichheiten, insbesondere im Nord-Süd-Kontext, einen Wachstumsfaktor der Weltwirtschaft in der Größenordnung von 5 bis 10 erfordere. Der "Prozeß der Veränderung" (und damit der Strukturwandel der Wirtschaft), von dem der Bericht spricht, müßte also weit stärker ausfallen, als von der Kommission selbst eingefordertwird. Man muß die Frage der Zukunftsfähigkeitdes industriewirtschaftliehen Weltmodells nicht in dieser komplexen Weise stellen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß tiefgreifende Veränderungen in der Art und Weise unseres Wirtschaftens erforderlich sind- und auch bevorstehen. Man kann dies auch anhand derdrei "ökologischen Managementregeln" ableiten: Wird, erstens, die Abbauratedes Verbrauchs nicht-erneuerbarer Ressourcen nicht drastisch gesenkt, so wird es in nur einer Generation viele dieser Ressourcen nicht oder nur noch in begrenztem Umfang geben (z.B. Erdöl, tropischer Regenwald). Übersteigt, zweitens, die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen deren Regenerationsrate erheblich und über längere Zeit (wie das bei Wasservorräten und Fischbeständen der Fall ist), dann kommt es zu Versorgungsengpässen und zum Verlust der Artenvielfalt Und wird, drittens, die Zuwachsrate der Belastung der Umwelt mit Schadstoffen nicht drastisch gesenkt- und in einen Rückgang verwandelt-, so wird die Absorptionskapazität der Natur nicht nur lokal und national (z.B. Boden- und Wasserkontamination), sondern auch global (z.B. Klimaänderung und Schädigung der Ozonschicht) überschritten. So viel nur zu einer bedingten Status-quo-Prognose. Wie aber lassen sich, um das Postulat des Berichts der Weltkommission wieder aufzugreifen, zukünftige und gegenwärtige Bedürfnisse konsistent machen? Ein Teil, der größte Teil einer Antwort auf diese Frage besteht wohl darin, daß die Wirtschaft systematisch durch umweltentlastenden Strukturwandel transformiert werden muß und daß es der konsequenten Umorientierung der umweltrelevanten Politikbereiche bedarf, besonders- aber nicht nur- der Umwelt- und der Wirtschaftspolitik. Die Formeln der zukunftsfähigen Entwicklung (sustainable development) müssen mit dem politischen Imperativ verbunden werden, daß (relative wie absolute) Umweltentlastungen im weiteren Prozeß der Ökonomisierung der Erde immer dringlicher werden und umfassender sein müssen, wenn ökologisch auch nur der Status quo gewahrt werden soll6 • Was läßt sich im Hinblickaufeinen solch umfassenden Strukturwandel der Wirtschaft bisher feststellen?

Strukturwandel und Umweltentlastung

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2. Umweltbelastender oder -entlastender Strukturwandel? 2.1. Zum Strukturbegriff

Aus wirtschaftsstatistischer Sicht umfaßt der Begriff "Struktur" die Aufteilung einerökonomischen Gesamtgröße in mehrere Teilaggregate. Strukturwandel besagt also, daß sich die prozentualen Anteile bestimmter Teilaggregate am Gesamten verändern. Ein Strukturwandel der Wirtschaft kann sich belastend, entlastend oder neutral auf die Umweltbedingungen (die ökologische Situation) auswirken. Als umweltpolitisch relevante Strukturdimensionen gelten Sektoren, Regionen und Betriebsgrößen. Was den sektoralen Strukturwandel angeht, sind zwei wichtige Struktureffekte zu unterscheiden: der intersektorale Strukturwandel, im Sinne der sich vollziehenden Veränderungen des Anteils eines Sektors (einer Branche) an der gesamtwirtschaftlichen Produktion. Diese Veränderungen sind nicht umweltneutral, da die verschiedenen Sektoren höchst unterschiedliche Umweltverbräuche und -belastungen aufweisen. Umweltentlastung entsteht, wenn das Produktionsvolumen in den umweltbelastenden Sektoren (Branchen) absolut oder zumindest relativ zurückgeht. Von "ökologischen Gratiseffekten" spricht man, wenn die Zuwachsrate der Sektoren (Branchen), von denen negative Effekte auf die Umwelt ausgehen, geringer ist als die des Bruttosozial- bzw. Bruttainlandsprodukts (sog. Entkopplung). der intrasektorale Strukturwandel, im Sinne der Veränderungen, die sich innerhalb der Branchen (Betriebe und Unternehmen) vollziehen. Hierzu zählen sowohl Veränderungen der Produkte als auch der Produktionsprozesse (der Technik). Von einer Verringerung des "ökologischen Rucksacks" spricht man, wenn herkömmliche Produkte und Techniken durch umweltfreundlichere Varianten ersetzt, der spezifische Energie- und Materialverbauch reduziert und risikoreiche Vor- und Zwischenprodukte vermieden werden. Der umweltrelevante Strukturwandel beschränkt sich jedoch nicht nur auf Veränderungen zwischen und innerhalb der Sektoren (Branchen) einer Volkswirtschaft. Auch die regionale (räumliche) Dimension kann von Bedeutung sein, insbesondere wenn Produktionen wegen unterschiedlicher Umweltschutzbestimmungen abwandern oder wenn umweltbelastende Produktionen ins Ausland (z.B. Entwicklungsländer) verlagert, Vorproduktionen von dort bezogen und Abfälle dorthin exportiert werden. Bei räumlich divergierender Absorptionskapazität der Umwelt kann räumlicher Strukturwandel zu einer gesamträumlich bzw. global 6

Vgl. R.U. Ayres and U.E. Simonis (Eds.), Industrial Metabolism. Restructuring for Sustainable Development. Tokyo u.a. 1994.

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Udo Ernst Sirnonis

niedrigeren oder aber höheren Umweltbelastung führen. Von "Öko-Dumping" spricht man, wenn bestehende Unterschiede in den Umweltschutzbestimmungen strategisch ausgenutzt werden und zu gesamträumlich (global) verstärkter Umweltbelastung führen. Inwieweit der betriebsgrößenmäßige Struktunvandel umweltrelevant ist, wurde erst ansatzweise untersucht. Einerseits mögen kleine und mittlere Unternehmen über die aktuellen Umweltschutzbestimmungen wie über die staatliche Förderung von Umweltschutzinvestitionen häufig nur unzureichend informiert sein, andererseits können ihre Mitarbeiter ökologisch sensibler, ihre Produkte und Produktionsverfahren innovativer sein als die von Großunternehmen 7• Was die Bestimmungsfaktoren des umweltrelevanten Strukturwandels der Wirtschaft angeht, wird in der Regel zwischen drei zentralen Faktoren unterschieden: Nachfrageänderungen, technischer Fortschritt und geänderte politische Rahmenbedingungen:

Nachfrageänderungen bestimmen vor allem den sektoralen Strukturwandel, wobei Änderungen der privaten Konsumstruktur, des Staatsverbrauchs und der öffentlichen Umweltschutzausgaben, der Exportstruktur aber auch der Nachfrage nach Vorleistungen bedeutsam sein können. Veränderungen der Produktionstechnik prägen insbesondere den intrasektoralen StrukturwandeL Umweltentlastung kann aus der Substitution von Stoffen, vor allem aber aus der Senkung der Energie- und Materialintensität der Produktion entstehen (sog. Prozeßinnovation). Eine Umweltentlastung hängt darüber hinaus wesentlich von den gegebenen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Die Schonung der Ressourcen und der Erhalt der Ökosysteme erfordern insbesondere eine umweltgerechte Finanzreform, die aus vier Bausteinen bestehen sollte8 : Abbau von Vergünstigungen mit ökologisch negativer Wirkung; Verstärkung bereits bestehender umweltpolitisch motivierter Vergünstigungen; Einbau von Anreizen zu umweltgerechtem Verhalten in bestehende Abgaben; Einführung neuer Umwelt(lenkungs)abgaben. 2.2 Zur Umweltrelevanz des sektoralen Strukturwandels

Die Zusammenhänge zwischen Strukturwandel der Wirtschaft und Belastung bzw. Entlastung der Umwelt lassen sich theoretisch gut beschreiben. Wie aber sieht es mit der empirischen Messung dieser Zusammenhänge aus? 7

8

Vgl. C. Ax, Das Handwerk der Zukunft. Leitbilder für nachhaltiges Wirtschaften. Basel u.a. 1997. Vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1996. Stuttgart 1996.

Strukturwandel und Umweltentlastung

183

In den letzten Jahren sind mehrere Studien zum umweltent- bzw. belastenden Strukturwandel durchgeführt worden, die zwei unterschiedlichen Mustern folgen: Neben der Frage, welche Schadstoffemissionen mit dem Wachstum und dem Strukturwandel der Wirtschaft einhergehen (output-orientierte Studien), interessierte die Frage, welche Änderungen ökologisch relevanter Energie- und Materialverbräuehe zur Entlastung der Umwelt führen (input-orientierte Studien). Die Ergebnisse dieser Studien schränken die zuvor oft euphorisch geäußerte These vom positiven Zusammenhang von Strukturwandel und Umweltentlastung für die Vergangenheit zumindest deutlich ein. Folgende allgemeine Feststellungen lassen sich treffen: Was den groß-sektoralen Strukturwandel (zwischen Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistungen) angeht, ist der statistisch feststellbare Trend zur "Dienstleistungsgesellschaft" teilweise ein Anzeichen der Auslagerung produktionsbezogener Dienstleistungen, stellt also keine wirkliche Reduzierung des Einsatzes natürlicher Ressourcen dar. Die feststellbaren Unterschiede in den Emissionskoeffizienten zwischen Dienstleistungssektor und Industriesektor verringern sich, wenn man die durch Vorleistungen verursachten Schadstoffemissionen (sog. ökologischer Rucksack) mit in die Betrachtung einbezieht9 • Der Dienstleistungssektor expandiert unter anderem wegen zunehmender Nutzung von Wohnraum, Verkehr und Tourismus, alles Leistungen, die tendenziell durch hohen Energieverbrauch, durch Lärmbelastung und erheblichen Flächenverbrauch gekennzeichnet sind 10• Der Rückgang des Anteils der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt geht einher mit einer weiteren Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktionstechnik und der chemisch-physikalischen Bodenbelastung. Die Studien des DIW, des HWWA, des Ifo-Instituts und des RWI haben gezeigt, daß ein umweltentlastender intersektoraler Strukturwandel in Deutschland bisher wenig ausgeprägt war 11 • So hat das RWI beispielsweise auf Basis aktueller Daten 9 10 11

Vgl. F. Schmidt-Bleek, Wieviel Umwelt braucht der Mensch? MIPS- Das Maß für ökologisches Wirtschaften. Basel u.a 1994. Vgl. BUND und Misereor (Hrsg.), Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Studie des Wuppertal Instituts. Basel u.a. 1996. Vgl. F. Stille u.a., Strukturverschiebungen zwischen sekundärem und tertiärem Sektor. (Beiträge zur Strukturforschung, Heft 107.) Berlin 1988; HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Zusammenhang zwischen Strukturwandel und Umwelt. Harnburg 1987; H.-H. Härte!, Wachstums- und Struktureffekte des Umweltschutzes. "Wirtschaftsdienst", Hamburg, Jg. 68 (1988), S. 245ff.; R.U. Sprenger und G. Britschkat, Umweltschutz und sektoraler StrukturwandeL (Ifo-Studien zur Industriewirtschaft, Nr. 19.) München 1981; R. Graskamp u.a., Umweltschutz, Struktur-

184

Udo Ernst Simonis

über die Emission von Luftschadstoffen, das Aufkommen von Produktionsabfällen und von Abwässern 18 aus insgesamt 58 Branchenderdeutschen Industrie ermittelt, die als besonders umweltintensiv bezeichnet werden können (unter ihnen die Chemie, die Mineralölverarbeitung, Steine und Erden, Eisen und Stahl, Holzbe- und -Verarbeitung, Zellstoff-, Papier- und Pappeerzeugung). Zwar ist die gesamtwirtschaftliche Bedeutung dieser umweltintensiven Branchen, gemessen arn Anteil der Beschäftigten, gesunken, gemessen arn Rückgang der Schadstoffemissionen ist der interindustrielle Strukturwandel aber eher als gering einzustufen. (Im Umkehrschluß bedeutet dies, daß dem intrasektoralen Strukturwandel die größere umweltentlastende Bedeutung zukommt.) Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, daß solange die natürliche Umwelt in ihrer Nutzung und Belastung ökonomisch unterbewertet bleibt, immer auch Prozesse eintreten werden, die ein umweltbelastendes Wirtschaftswachstum begünstigen. Die bisherigen Ergebnisse der empirischen Wirtschaftsforschung lassen für die Bundesrepublik Deutschland daher keinen grundsätzlichen Schi uß auf eine Zielharmonie zwischen Strukturwandel und Umweltschutz zu. Wie aber stellt sich das Bild bei einem internationalen Vergleich dar- gibt es Vorreiter, gibt es Nachzügler auf dem Weg zu einem umweltentlastenden Strukturwandel oder gar Sitzenbleiber? 2.3 Vergleichende Fallstudien über inter- und intrasektoralen Strukturwandel

Die internationalen Wandlungsprofile der Wirtschaftsstruktur sind in mehreren Studien anhand eines Vergleichs ausgewählter Bereiche hoher struktureller Umweltbelastung untersucht worden 12 • Für 32 Industrieländer wurde aufgezeigt, wie sich neun umweltbelastende Wirtschaftsaktivitäten (Produktion von Rohstahl, Aluminium, Zement, Pestizide, Düngemittel, Chlor, Papier/Pappe sowie Stromer-

12

wandelund Wirtschaftswachstum. (Untersuchungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Heft 4.) Essen 1992; M. Halstrick-Schwenk, Zum Zusammenhang von sektoralem Strukturwandel und Umweltbelastung. In: H. Sehnabi (Hrsg.), Ökointegrative Gesamtrechnung. Ansätze, Probleme, Prognosen. Berlin und New York 1993, S. 179ff.; sowie J. Horbach, M. Junkernheinrich und K. Löbbe, Strukturwandel und Umwelt. In: M. Junkernheinrich u.a. (Hrsg.), Handbuch zur Umweltökonomie. Berlin 1995, S. 235ff., und M. Junkemheinrich, Wirtschaftswachstum, Strukturwandel und Umweltschutz. ,,Zeitschrift für angewandte Umweltforschung", Berlin, Jg. 6 (1993), S. 412ff. Vgl. M. Jänicke u.a. [I], Structural Change and Environmental Impact. Empirical Evidence on Thirty-one Countries in East and West. "Environmental Monitorlog and Assessment", Dordrecht, vol. 12 (1988), no. 1, S. 99ff.; M. Jänicke, H. Mönch und T. Ranneberg, Strukturwandel und ökologische Gratiseffekte. "Zeitschrift für angewandte Umweltforschung", Jg. 2 (1989), S. 55ff.; M. Jänicke u.a. [II], Umweltentlastung durch industriellen Strukturwandel? Eine explorative Studie über 32 Industrieländer (1970-1990). 2. Auflage, Berlin 1993.

185

Strukturwandel und Umweltentlastung Schaubild 2

Wirtschaftlicher Strukturwandel in Frankreich 1970 bis 1990; 1970 = 100

275

250

225

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I

200

,, ,, , ,, ,,

I

I

I

I

I

I

I

I

I

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I

175

150

_,,

I

125

Bruttoinlandsprodukt

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100

75

50

1970

1975

1980

1985

1990

Quelle: M. Jänicke u.a. [II], S. 62.

zeugungund Gütertransport), die für fünfbesonders belastungsintensive Branchen (Eisenschaffende Industrie, NE-Metallerzeugung, Steine/Erden, Chemie, Papierund Pappeherstellung) stehen, über einen Zeitraum von 20 Jahren ( 1970 bis 1990) entwickelt haben. Dabei ging es nicht- wie in den anderen erwähnten Studien- um die dabei entstehenden Schadstoffemissionen, sondern um den Output der untersuchten Branchen in physischen Einheiten (Tonnen, Kilowattstunden und Tonnenkilometern).

186

Udo Ernst Simonis Schaubild 3

Wirtschaftlicher Strukturwandel in Japan 1970bis 1990; 1970= 100 250 ,----------------------------------------------------, / Chlorproduktion

/h- Stromproduktion

I·' l

225

Bruttcinlandsprodukt

200

175

!50

L

I

Zementproduktion

•.....,....---- Transportleistung

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125

I •\ • .· •' . . . ...... .... . -.---·-"""-'\·I ' , I

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75

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.. -Aluminiumproduktion

.. ..... .. .. ".

Düngemittelproduktion

50 1970

1975

1980

1985

Stahlproduktion



1990

Quelle: M. Jänicke u.a. [II], S. 59.

Anhand von vier vertiefenden Fallstudien (Deutschland, Japan, Schweden, Portugal) wurde danach gefragt, welche ökologischen Wirkungen der Bedeutungsverlust von Branchen mit hoher Umweltbelastung hatte und wie der Saldo der Branchenverschiebungen sich auswirkte Untersektoraler Wandel). Darüber hinaus wurden die Veränderungen innerhalb der Branchen untersucht (intrasektoraler Wandel) und zwar anhand der ökologisch sensiblen Verbräuche von Energie,

187

Strukturwandel und Umweltentlastung Übersicht I

Typische Wandlungsmuster in den hochentwickelten Industrieländern Absolute Entlastung

Relative Entlastung

Zement Stahl

Energie 1 Düngemittel Transportgewicht

Teils Abnahme I teils Anstieg Chlor 1 Pestizide

Anstiegsmuster Elektrizität I Straßengüterverkehr Papier 1 Alurninium 1

Quelle: M. Jänicke u.a. [II], S. 49.- 1In Billigstromländern Belastungszunahme auf hohem Niveau.

Wasser, Flächen sowie Gütertransportleistung und Abfallaufkommen. Die Ergebnisse der Studien lassen sich, stark verkürzt, wie folgt zusammenfassen 13 : Was den intersektoralen Strukturwandel angeht, lassen sich die 32 untersuchten Industrieländer in zwei Gruppen einteilen: Länder mit "teilweise umweltentlastendem Strukturwandel" (wie u.a. Deutschland, Frankreich, Japan, Schweden) und Länder mit "durchgängig ungünstiger Strukturentwicklung" (wie u.a. Portugal, Slowakei, Tschechien, Türkei). Das geschlossenste Bild der Entkopplung zwischen Bruttoinlandsprodukt und den ausgewählten neun umweltbelastenden Wirtschaftsaktivitäten im Zeitablauf ergibt sich für Frankreich (vgl. Schaubild 2). Hier gingen die Zement-, die Dünger- und die Rohstahlproduktion absolut gesehen zurück, und der Gütertransport stagnierte über längere Zeit. Dagegen wies die Stromproduktion, insbesondere der Atomstrom, ein überproportionales Wachstum auf. Während die Wachstumsraten von fünf der neun umweltbelastenden Wirtschaftsaktivitäten in Deutschland durchweg über dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts lagen, waren die Wachstumsraten in Japan und Schweden mehrheitlich niedriger (zu Japan vgl. Schaubild 3). Faßt man die ökonomisch am höchsten entwickelten Industrieländer als Gruppe zusammen, so lassen sich vier Wandlungsmuster ausmachen (vgl. Übersicht 1). Die mit Abstand negativste Strukturentwicklung läßt sich für die Türkei ausweisen (vgl. Schaubild 4). Hier wurde das vergleichsweise hohe Wachstum des Bruttoinlandsprodukts durch überproportional hohe Zuwachsraten bei sieben der neun umweltbelastenden Wirtschaftsaktivitäten weit übertroffen. Ähnlich verlief die Strukturentwicklung in Portugal (vgl. Schaubild 5). Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich seit den 70er Jahren in den ökonomisch hochentwickelten Industrieländern durch Veränderungen in traditionellen Branchen wie Zement, Stahl und Düngemittel eine relative Umweltentlastung ergeben hat, in Form der Entkopplung dieser Produktion vom Bruttoinlandsprodukt; eine 13

Im Detail vgl. M. Jänicke u.a. [II], S. 49f. und S. 142ff.

188

Udo Ernst Simonis Schaubild4

Wirtschaftlicher Strukturwandel in der Türkei 1970bis 1990; 1970= 100 900 .----------------------------------------------------,

.I .... ·.\

850 800 750

.

,.

: - - - Düngemittel/ produktion

"- Stahlproduktion

700

I ~ Stromproduktion

650

·....;

600

I / ·/ I/

550 500

/

450

: I

t.J

400

/'-.- Aluminiumproduktion

350 300 250 200 Papierproduktion

!50 100

50 1970

1975

1980

1985

1990

Quelle: M. Jänicke u.a. [II], S. 63.

tendenzielle Entkopplung ergab sich auch beim Energieverbrauch. Dagegen wiesen die ökonomisch weniger entwickelten Industrieländer in den genannten Sektoren absolut zunehmende Belastungen auf, am stärksten ausgeprägt in Südosteuropa. Was die Stromproduktion und den Straßengüterverkehr betrifft, kam es auch in den hochentwickelten Industrieländern zu keiner Entkopplung vom Bruttoinlandsprodukt, sondern zu einem weiteren Zuwachs auf bereits hohem Niveau. Für eine Reihe von Industrieländern gilt dies ebenso für die Branchen Aluminium, Chlor, Papier/Pappe und Pestizide.

189

Strukturwandel und Umweltentlastung Schaubild 5

Wirtschaftlicher Strukturwandel in Portugal 1970 bis 1990; 1970 = 100 400 1-.;:-:-:. I

375

•1

.I

350

I

I

,'

300 I

275

J

1

,, I

'\

250

, ' - Stromproduktion

I

I

325

Chlorproduktion

I

I

I

I

I

Papierproduktion

\

I ~ Zementproduktion

·'-.i..'(

225

~ .1·\

200

-1

175

Bruttoinlandsprodukt

\ Al ummmm.. '- ·· ~ produktion \ • Stahlproduktion

1

150

.• ... I

\.'-.:

125 100

\

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. .· '. :...; .: J·•r-;-- Düngemittel;' • ~ produkuon

Pestizidproduktion

\:

75

1970

1975

1980

1985

1990

Quelle: M. Jänicke u.a. [II], S. 65.

Was den intrasektoralen Strukturwandel angeht, kommen auch Jänicke u.a. zu dem Schluß, daß ihm wohl größere Bedeutung zukommt als dem intersektoralen Wandel. Am stärksten ausgeprägt war die Entlastung beim industriellen Endenergieverbrauch; in Japan, Schweden und Deutschland ging er absolut zurück. Ökologisch günstig entwickelte sich auch der industrielle Wasserverbrauch, der in diesen drei Ländern ebenfalls absolut zurückging. Diesen Entlastungen stand jedoch eine absolute Zunahme des Abfallaufkommens gegenüber, während sich der Flächenverbrauch jeweils unterschiedlich

190

Udo Ernst Simonis Übersicht 2

Intraindustrieller Strukturwandel in vier Ländern Japan 1

Deutschland2

Schweden3

Portugal 4

Energieverbrauch

Rückgang H

Rückgang(-)

Rückgang(-)

Anstieg(+)

Wasserverbrauch

Anstieg(-)

Rückgang(-)

Rückgang(-)

Anstieg(-)

Gleichstand H

-

Anstieg(+)

Rohstoffverbrauch Flächenverbrauch

Anstieg H

-

-

-

Transportleistung

Rückgang(-)

Anstieg(+)

Gleichstand(-)

Anstieg(+)

Abfallaufkommen

Rückgang(-)

Anstieg(+)

-

-

-

Quelle: M. Jänicke u.a. [II], S. 148. - 1Abfallaufkommen 1975 bis 1985; Wasserverbrauch seit 1980 konstant; Flächenverbrauch 1973 bis 1985; Rohstoffverbrauch 1970 bis 1990. - lAbfallaufkommen 1977 bis 1987; Rohstoffverbrauch (wertmäßig) ab 1978.- 3Wasserverbrauch: amtliche Schätzung. - 4 Wasserverbrauch 1980 bis 1984; Energieverbrauch 1977 bis 1987. -+bedeutet Anstieg der Intensität, - Rückgang der Intensität.

entwickelte. Die Entlastungs- bzw. Belastungstendenzen in Bezug auf fünf ökologisch relevante Kategorien sind in Übersicht 2 für vier Industrieländer dargestellt. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß auch beim intrasektoralen Strukturwandel in den Industrieländern in den letzten Jahrzehntenper Saldo nicht von einer signifikanten Umwelt-entlastung gesprochen werden kann. Andererseits darf nicht verkannt werden, daß ohne den erfolgten Strukturwandel sich die Konflikte zwischen dem ökonomischen und dem ökologischen System ohne Zweifel weiter verschärft hätten. 3. Ein nicht hinreichender Strukturwandel: Der politische Handlungsbedarf Die theoretische Ableitung deutete es an, die empirische Überprüfung hat es gezeigt: Der autonome wirtschaftliche Strukturwandel ist eine notwendige, nicht abereine hinreichende Bedingung einer zukunftsfähigen Entwicklung. Wenn selbst in den hochentwickelten Industrieländern eine durchgängige Entkopplung von Wirtschaftswachstum und umweltbelastender Produktion von alleine nicht zustandekornmt, wird eine starke Umweltpolitik erforderlich, die aus ökologischen Gründen nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastung erbringen muß 14 • In der (politisch relevanten) Umkehrform heißt dies: Die Wirtschaften der industrialisierten Länder müssen ihre Ressourcenproduktivität drastisch verbessern, wenn sie ökologisch

14

Vgl. R. Herman, S.A. Aredkani and J.H. Ausubel (1989): Dematerialisation. In: J.H. Ausubel and H.E. Sladovich (Eds.), Technology and the Environment. Washington D.C., S. SOff.

191

Strukturwandel und Umweltentlastung Schaubild 6

Mögliche Pfade des globalen Materialverbrauchs in vH 100

Total (Global)

90

80 70 60

50 Entwicklungsländer

40

30

20 10

0

r-------,-------,-------,-------,-~~~r=~~~~

0

25

50

75

100

125

150

Jahre

zukunftsfähig werden wollen 15 • Über die Größenordnung, um die es dabei geht, entsteht zunehmend Klarheit und auch allmählich wachsender Konsens: Mittelfristig geht es um einen "Faktor 4", langfristig um einen "Faktor 10" (vgl. Schaubild 6). In jüngster Zeit sind überzeugende Argumente vorgebracht worden, daß eine "Faktor 10"-Strategie formuliert und umgesetzt werden sollte. Eine De-materialisierung der industriellen Wirtschaft (um den Faktor 10) erscheint nicht nur aus ökologischen Gründen erforderlich, sondern auch aus ökonomischer Sicht vorteilhaft gegenüber einer Umweltpolitik, die nicht input-, sondern emissionsorientiert, also nicht auf das vorsorgliche Ziel "Ressourcenproduktivität" fokussiert ist, 15

Vgl. E.U. v. Weizsäcker, A.B. Lovins und H.L. Lovins, Faktor Vier. Doppelter Wohlstand- halbierter Naturverbrauch. München 1995.

192

Udo Ernst Simonis Schaubild 7

Materialströme in Deutschland Im Ausland

Im Bundesgebiet Material-

Verwertete Rohstoffentnahme (1394)

Volkswirtschaft

Materialverbleib stat. Differenz

Nicht verwertete Rohstoffentnahme (2141) Erosion (304)

Materialabgabe

Nicht verwertete Rohstoffentnahme (2533)

Nicht verwertete Rohstoffentnahme (2533)

Aushub (233) Erosion (129)

Aushub (233) Erosion (129)

Abfall (131) Stoffausbringung (374) Materialinput aus Luft (781) Lufternissionen (1048)

Einfuhren (433)

Ausfuhren (211) Recycling Quelle: F. Hinterberger, F. Luks und M. Stewen, S. 84.

Strukturwandel und Umweltentlastung

193

sondern auf das Mittel der nachsorgenden Schadstoffbehandlung. Was dies für die Bundesrepublik Deutschland bedeuten würde, läßt sich bei einer Betrachtung der Materialströme der deutschen Wirtschaft erkennen (vgl. Schaubild 7). Eine ökologisch begründete Reduzierungsstrategie (Verringerung der Energieund Materialströme der Wirtschaft) entspricht im konkreten Fall einer ökonomisch begründbaren Effizienzstrategie (Erhöhung der Ressourcenproduktivität). Eine sozial begründete Verteilungsstrategie (Verringerung der nationalen und globalen Ungleichheiten) kann einerethisch begründbaren Suffizienzstrategie (gleiche Rechte zur Nutzung und gleiche Pflichten zum Schutz der Natur) entsprechen 16 • Effizienz als traditionelles ökonomisches Grundprinzip und Suffizienz als zukünftig notwendiges soziales Prinzip müssen aber, das haben die zitierten Studien indirekt erbracht, ökologisch ergänzt werden durch eine Konsistenzstrategie (vgl. hierzu Schaubild 8). Konsistenz erfordert, auf das Struktur- und Umweltthema angewendet, die umweltverträgliche, qualitative Beschaffenheit von Stoff- und Energieströmen, das ökologisch begründete Inputmanagement der Produktion. Konsistente Stoff- und Energieströme sind solche, die entweder störsicher im geschlossenen Kreislauf geführt werden oder aber mit den Stoffwechselprozessen der Natur so weit übereinstimmen, daß sie sich, auch bei großem Volumen, problemlos darin einfügen 17 • Angesichts der bescheidenen bisherigen Erfolge von Umweltentlastung durch Strukturwandel wird in Wirtschaft und Politik zunehmend mit der Metapher der "Kreislaufwirtschaft" hantiert, wo es, wie die empirischen Studien belegen, eigentlich um "Stoffwechselwirtschaft", um industriellen Metabolismus gehen müßte. Gerade weil der stoffliche und energetische Grundumsatz der "industriewirtschaftliehen Weltmodells" viel zu hoch liegt, ist dieses Modell auf die Welt als Ganzes ja nicht übertragbar. Das Modell muß also selbst erst einmal zukunftsfähig gemacht werden 18 • Der "materielle Kern" des weiterhin bestehenden Konflikts zwischen Ökonomie und Ökologie liegt darin, daß weder Umweltbelastung als Kostenfaktor noch Umweltentlastung als Erlösfaktor im Marktgeschehen systematisch Berücksichti-

16

17

18

Vgl. U.E. Simonis, Schumpetersche Botschaft und Rio-Imperativ. Zehn Thesen zur Zukunftsfähigkeit der Industriegesellschaft In: Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft (Hrsg.), Jahrbuch 1996. Berlin 1997, S. 375ff. Vgl. F. Wätzold und U.E. Simonis, Ökologische Unsicherheit: Über Möglichkeiten und Grenzen von Umweltpolitik. "Aus Politik und Zeitgeschichte", Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament", Bonn, Nr. B 27/97, S. 3ff. Vgl. hierzu R.U. Ayres and U.E. Simonis, S. Xlff.

13 FS Jochimsen

194

Udo Ernst Simonis Schaubild 8

Strategietypen der zukunftsfähigen Entwicklung Suffizienz

Effizienz

Konsistenz

Quelle: U.E. Simonis, S. 384.

gung finden 19 • Die natürliche Umwelt wird daher übermäßig, nicht optimal genutzt. Der einzelne Produzent, das Unternehmen, der Sektor, leistet keinen ausreichenden Beitrag zum Umweltschutz, wenn und solange wie sich dadurch seine Kostenund/oder Wettbewerbssituation verschlechtert. Der einzelne Konsument leistet freiwillig keinen ausreichenden Beitrag zum Umweltschutz, wenn er dafür mehr zahlen muß, ohne daß diesem "Opfer" ein spürbarer Nutzen gegenübersteht. Und der Staat leistet keinen überzeugenden Beitrag zum Umweltschutz, wenn und solange wie er an zunehmender Umweltbelastung verdient (Einnahmeseite des Budgets) oder wie sein Verhalten (Ausgabeseite des Budgets) zu weiterem Ressourcenverbrauch und weiterer Umweltbelastung führt. Diese elementaren, aber essentiellen Zusammenhänge bedeuten, daß es bei mikro-ökonomischem Rationalverhalten bisher keine hinreichenden Anreize gibt, die Umwelt auch wirklich zu schützen. Stattdessen gibt es weiterhin starke Anreize, sie zu übernutzen und zu belasten (sog. perverse Anreizstruktur). Das heißt nicht, daß Umweltschutz nicht auch ohne oder gar gegen das ökonomische Kalkül beispielweise aus ethisch-moralischen Motiven - erwachsen kann. Es heißt vielmehr, daß die nötigen Verhaltensänderungen bei Investitions- und Konsumentscheidungen unter den gegebenen Rahmenbedinungen nicht die Breite, Intensität und Dringlichkeit erreichen können, die wegen der inter-regionalen und inter-temporalen Dimensionen der Umweltproblematik eigentlich erforderlich sind. 19

Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (Hrsg.), Stellungnahme des DIW zu den Fragen des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages zum Thema "Entwicklung der ökologischen und sozialen Folgekosten des Wirtschaftens der Bundesrepublik Deutschland". Manuskript, Bonn 1989.

Strukturwandel und Umweltentlastung

195

4.Ausblick Strukturwandel der Wirtschaft und Entlastung der Umwelt können theoretisch gesehen Hand in Hand gehen, doch in der Praxis ist Politik weiterhin gefragt- eine effektivere ökologische Politik allerdings, die vor allem- aber nicht nur- von zwei Ressorts abgestimmt, formuliert und implementiert werden muß: der Umwelt- und der Wirtschaftspolitik. Hier sind insbesondere die Ausweisung von Nutzungsrechten und -pflichten, der Einsatz marktorientierter Instrumente (wie Ökosteuern und Emissionszertifikate) und die Verschärfung des Umwelthaftungsrechts (Gefährdungshaftung) zu nennen20. Sobald Umweltbelastungen zu einzelwirtschaftlichen Kosten führen, werden massive ökonomische Anreize freigesetzt, die die Innovationsfähigkeit des Marktmechanismus für einen "ökologischen" Strukturwandel nutzen. Dabei ist die dynamische Effizienz umweltpolitischer Instrumente von besonderer Bedeutung. Umweltauflagen (Grenzwerte, Standards) schreiben Vorgaben fürdie Zukunft fest, die das gegenwärtige Wissen und den gegenwärtigen Stand der Technik widerspiegeln. Wird ein Grenzwert einmal eingehalten, existieren keine weiteren Anreize zur Einführung umweltentlastender Produkt- und Prozeßinnovationen mehr. Dagegen sichern Ökosteuern und Emissionszertifikate permanente Anreize zur Innovation, denn jede Ressourcen- und Emissionsreduzierung führt ceteris paribus zu einer weiteren Senkung der Abgabenlast bzw. zu einer Erhöhung des unternehmefischen Handlungsspielraums. Auch haftungspolitische Maßnahmen, insbesondere die Gefährdungshaftung, können ein generelles Interesse an Innovationen wecken, den produktionsintegrierten Umweltschutz stärken und den intrasektoralen Strukturwandel in Richtung einer Umweltentlastung weiter aktivieren. Damit der Strukturwandel der Wirtschaft auch tatsächlich zur Entlastung der Umwelt- und damit zu zukunftsfähiger Entwicklung- führt, sind also innovative Strategien und integrative Politikansätze gefordert- eine Sicht der Dinge, wie Reimut Jochimsen sie verkörpert und stets propagiert hat.

20

13•

Vgl. F. Biermann, S. Büttner und C. Helm (Hrsg.), Zukunftsfähige Entwicklung. Herausforderungen an Wissenschaft und Politik. Berlin 1997.

Geld- und Bankpolitik

Central Banking during Transition: The Case of Poland By Hanna Gronkiewicz-Waltz

1. Introduction Since the late 1980s Poland (together with most Central and East European, and some Asian, countries) has been going through a deep transformation of its economic system. This transformation is a transition process in the sense of an evolutionary (although occasionally accompanied by policy-induced shocks) movement from one type of economic system to another. This "transition" can be defined in different ways, stressing different facets ofthis evolutionary process. For instance, it can be argued that "transition" is basically a release of energy accumulated by societies during communist times. This approach perfectly captures the rationale lying behind the tremendous activity of the societies ofthe countries in question. However, while speaking about central banking we should rather think of "transition" in more operational terms. Obviously, countries like Poland, in the process of"transition" move away from acommunist (usually, although notalways, a command type) system to a market type economy. However, these two extreme pointsarenot always fully clear. As concerns the beginning of economic transformation one could argue that in some countries it started before the 1989/90 turnaround. In Poland, for instance, attempts to introduce market mechanisms in the economic system took place in the 1980s. These attempts influenced the real transition of the 1990s. As concerns Central Bank issues the impact of these early economic reforms were visible by the fact that in Poland only at the end of 1997 did the 1989 NBP Act cease tobe effective. Also subject to discussion is the issue of the end (or- better to say- final point) ofthe post-communist transition process. The answer here may differ considerably as concerns different countries. In the case of Poland the situation in this respect is now obvious: Poland is on the road towards a European Union (EU) type market economy as Poland's Strategie goal is to join the EU and, finally, the Economic Monetary Union (EMU). The factthat in mid-December 1997 Poland was officially invited to start accession negotiations with the EU means that our Strategie aspirations are accepted by EU member countries.

200

Hanna Gronkiewicz-Waltz

What can be said aboutcentral banking during transition as defined above?Below I present some remarks concerning NBP and the development of Polish financial system in the traditional framework of central banking functions. After that I elaborate on some of the NBP activities during the transition process which caused many debates concerning their links with basic Central Bank functions. Finally I reflect on NBP vis-a-vis the European System ofCentral Banks.

2. Transition and the Traditional Central Bank Activities Economic Iiterature usually mentions four basic areas ofCentral Bank activities. These central banking core activities are traditionally labeled in textbooks as the "bank of issue function", "bank of banks function", "state bank function" and "foreign reserve management function". During the post-communist transition the banking system in Poland switched from the concept of a "monobank", implemented typically in the socialist economies, to a banking system characteristic of a market economy, i.e. a two-tier banking system. In this process the NBP functions evolved virtually in all ofthe dimensions mentioned above. In Poland, the banking reform which turned its banking system into a two-tier system took place in 1989 as part ofthe lastcommunist govemment's effort toreform the socialist economy. In January 1989 the Parliament passed two key pieces of legislation: the NBP Act and the Banking Act. They formed the legal basis for the introduction of a two-tier banking system. It began to take shape a few months later with the separation of nine commercial banks from NBP and the issuing of licenses enabling the creation of new, private, market based banks. Therefore, by the end of the 1980s NBP eliminated some of the functions which it performed during times of communist economy. These functions typical for commercial banks, consisted of making loans and accepting deposits from the hausehold and enterprise sectors. In 1989, NBP basically stopped granting loans to and collecting deposits from the public. This means that from 1989 on, NBP has become an entity which performs the four "textbook" functions of a Central Bank in a market economy. Obviously, the deep institutional changes characteristic for an economy in transition had an important impact on the development of NBP functions. In particular, the development of financial markets was ofkey importance. In contemporary central banking the "bank of issue function" refers to the fact thatCentral Banks conduct monetary policy. In this areaNBP in the 1990s witnessed an important evolutionbothin the area of targeting macroeconomic goals and using monetary policy instruments. In the latter area the development of financial markets

Central Banking during Transition: The Case of Poland

201

allowed NBP tostop using administrative instruments; from 1993 on the Central Bank relied only on indirect instruments, usually open market operations. As concerns targeting policy variables NBP has become over time more and more successful in both targeting inflation and the money supply. With the creation of the two-tier banking system the NBP became a classical provider of services to commercial banks. Thus, it started to perform the function of "bank of banks". Of course, it acts as a lender of last resort. But the mostvisible developments in the services provided to the banks took place in the area of the payments system. The interbank payments system inherited from the monobank system was deeply reformed in 1992-1993. At present, it is in the process of substantial technological modernization. The third listed Central Bank function, the "state bank function", consisting of providing services to the state, was performed by the NBP in the monobank area. Consequently, the transformation in this area was subject to changes in the relationships between the Central Bank and the government. In the l980s NBP was passively crediting budget deficits. This, for obvious reasons, had to be changed. However, when in 1991 substantial budget deficits re-emerged, NBP was forced to provide direct financing to the government as financial institutions were underdeveloperl and the non-financial sectorwas not ready to purchase Treasury paper. This situation has changed, however. The new constitution of the Republic of Poland which became effective in the autumn of 1997 explicitly forbids the government from taking loans from NBP. One should add that in the area of the "state bank function", NBP acts as a tax collecting infrastructure and a bank providing depository services both to central and local governments. With thedecentralization ofour state, however, an increasing number of these accounts will be run by commercial banks. Last but not least, it should be mentioned that NBP acts as an agent for the Treasury on the primary T-bill market, and, consequently, similarly to most Central Banks, it administers public debt. The fourth NBP function- "foreign reserve management function" -also deeply evolved during the 1990s transition. Before going further, Iet us notice first that this function encompasses not only "pure" reserve management, but also reserves used for exchangerate purposes. Changes in this respect were subject to developments in several areas. The most important of them, in chronological order, were as follows: the 1990 introduction of the "internal convertibility" of the zloty, the autumn 1991 introduction of the crawling exchange rate regime, the May 1995 introduction of a crawling-band exchange rate regime, and the develpment of domestic foreign exchange markets and of zloty's convertibility throughout the 1990s. In the latter area the most

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important events were that Poland met the IMF Article VIII requirement (mid-1995) and Poland's membership in the OECD club (autumn of 1996). Under such deeply and substantially changing framework, NBP's role in the dimension of the "foreign reserve management finction" bad to evol ve dramaticall y. Today, in this area, NBP conducts full-fledged activities intervening on aday-to-day basis in the interbank foreign exchange market in order to stabilize the zloty. And of course, over the last three years it has invested its rapidly growing foreign reserves. 3. NBP and the Non-traditional Central Banking Activities In the above passage we described what in our understanding was a natural development of central banking functions in an economy which is moving towards an open market economic system. Although in the process there were some political tensions in some ofthese functional areas (most notably concerning the role ofNBP as a "state bank"), however, in general there were no majordisagreements on the role tobe performed by NBP as concerns these four "textbook" functions. During the 1990s transition, however, NBP performed other activities which proved tobe more controversial. We will elaborate onjust two ofthem. First, NBP's role in supervising the banking system. Scecond, the performance of so-called "commercial activities" by NBP. 3.1. NBP as a supervisory unit

Often, although not always, Central Banks perform the function of supervising the banking sector. As it is the case with all central banks in post-communist European countries (with the exceptions of Hungary and - of course - East Germany) NBP is also supervising the workings ofthe commercial banking sector. Consequently, we witnessed in Poland a prolonged discussion on the pros and cons of having the Central Bank perform supervision tasks. To a greater extent this discussion reflected positions (both theoretical and political) familiar to Western readers. Thus, Iet me move directly towards issues more closely related to the Polish experience. Since the beginning of the late 1980s banking reforms which created the two-tier Ievel banking system in Po land, the General Inspectorate of Banking Supervision has been part ofNBP. This proved tobe a natural and- I do not hesitate to say it now - a beneficial institutional solution. Natural - because at the turn of the decade banking specialists were in short supply and it was understandable that they were basically located at the Central Bank (as most of the banking system belonged to the monobank). Beneficial- because the 1990s problems with the stability ofthe Polish banking system and NBP's monetary policy showed that in the post-communist

Central Banking during Transition: The Case of Poland

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setting monetary policy management often overlaps with commercial banking issues. I will give one short example. At the beginning of the 1990s bad loans quickly grew in Polish banks' portfolios. They were both inherited from the communist system, and newly created at a time when economic liberalization was accompanied by an economy which was still mostly state-owned and credit decisions were often made without proper risk assessment. Consequently, in the 1992-1994 periodbad loans accounted for more than 30 per cent of the value of credits granted by banks to the banking sector (in 1992 and 1993 thesebad loans were approximately equivalent of 6 percent ofGDP). Because of this heavy burden of bank portfolios with non-performing loans, commercial banks began to ration credit, i.e. they were reluctant to make loans to clients who accepted the proposed interest rates, instead preferring to invest in Trasury bills. Under these circumstances Central Bank's attempts torelax the tight monetary policy implemented during the stabilization program of the early 1990s were only partially succesful. Commercial banks did not respond to the Central Bank's monetary impulses and bank credit continued to be difficult to obtain for businesses. This problern was only solved by the mid-1990s when the govemment and NBP's actions aiming at lowering the volume of bad loans brought results. Clearly, all this experience shows that asound banking system is a prerequisite for an efficient monetary policy and efficient banking supervision is a prerequisite for asound banking system. Let me be clear as I would not like tobe misunderstood. I do not claim that Central Banks always and everywhere should perform supervisory tasks. The Polish experience, however, shows that in a post-communist setting (i.e. with underdeveloped financial markets and with financial institutionsnot always fully profit-oriented in the traditional meaning) it is beneficial both for the banking sector and monetary policy when supervisory activities are held by one institution. 3.2. NBP and "commercial activities"

As elaborated in more detail below, in 1989 NBP ceased to make loans to and take deposits from the non-financial sector. However, it was not until the end of 1993 when it finally stopped to accept deposits from the public. In the autumn of 1993 a new - tenth - commercial bank was carved out from NBP which took over the remaining "commercial activities" from the Central Bank. However, the question of Central Bank's "commercial activities" gained importance recently once again as NBP in the autumn of 1997 was forced to step down temporary into the deposit market and for more than three months it collected deposits from households. Thus, a general question of how quickly a Central Bank in a post-communist framework can get rid of "commercial activities" must be tackled.

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First, Jet us notice that wedeliberately write "commercial activities" in quotations referring to these Central Bank operations. This Iabel is to a great extent misleading as here it refers to deposit activities which generate costs and not profits. Thus, when in mid-September of 1997 NBP started collecting deposits from the public these was not done for the sake of profit. This decision was motivated by the NBP's perception of macroeconomic developments. In 1997 the balance of payment's current account deficit began to expand quickly; this was generally attributed to the excess of domestic demand. Consequently, the Central Bank feit obliged to act sharply, particularly that during an election year the government was hesitating with curbing excess demand. As in the course of 1997 NBP used all the traditional Central Banking tools and aggregate demand was not "cooled down" sufficiently, we feit that the Bank should take an unconventional action forthe benefit ofthe whole economy. It was decided that in the situation of an unclear transmission mechanism such an action as direct collection of deposits by NBP would be a proper move. Let me point out that although unconventional, this action of deposit collection was essentially a market-based tool of influencing the banking system. BeforeChristmas of 1997 NBPstopped collecting deposits from households. The operationwas successful: commercial banks increased their rates (both on deposits and Joans ), aggregate demand was reduced, and current account deficit seems tobe under control. It seems that the Central Bank will no Ionger have to resort to unconventional monetary policy methods as the newly created government (after September 1997 Parliamentary elections) is committed to stabilize Poland's macroeconomic situation. Similarly as it was the case with supervision activities, I do not want to make any biased statement concerning "commercial activities" of Central Banks. However, the Polish experience suggests that for the benefit of the economy sometimes such actions might be taken. And in the post-communist framework conditions under which such actions are needed are more likely to occur than in the stable, mature economies.

4. NBP and European Monetary Union As pointed out at the beginning of the text Poland's post-communist transition will finish with Poland's accession to EU, most probably sometime in the next decade. At this time the EMU will be fully operating. These developments are taken seriously in Po land. Thus, NBP is Jooking at its activities from the perspective of the EMU challenge. No doubt, however, that the EMU challenge will come earlier than Poland's accession to EU as EU countries arealready our main trade partners and any important changes there aretobe seriously considered.

Central Banking during Transition: The Case of Poland

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Newly passed legislation in Poland takes into account these developments. As already mentioned the new Constitution of the Republic of Poland forbids the govemment to take loans from NBP. At the sametime the Constitution states that the overall public debt cannot exceed 60 per cent ofGDP. Just from these two examples we can see that Polish authorities very seriously consider the EMU standards. The new Banking Act and NBP Act (both effective from January 1998) arealso compatible withEU andEMU standards. The new legal frameworkincreasesNBP's independence while at the sametime makes it a more accountable institution. The new NBP Act clearly states that its main mission is to safeguard price stability. In order to avoid political pressures on the Bank 's monetary management its governing structure was changed. From 1998, key decisions are taken by the Monetary Policy Council composed often persons: ninemembers appointed (in equal number) by the Sejm, Senat and the President ofthe Republic ofPoland, and the Govemor ofNBP. We believe that this body will be not only exempt from any political pressures, but it will act in a transparent and accountable manner. Obviously it will take some time before NBP becomes one of the national banks of the European System of Central Banks. Nonetheless we feel that the time has already come to start shaping NBP's activities in such a way that when the political decision of accessing EU is made, Poland's Central Bank will be ready to cope with this challenge.

5. Final remarks Post-communist transition is a unique experience. Among others this is visible in the rapid change in the scope of the activities performed by Central Banks in the countfies undergoing systemic transformation. In less than ten years time Central Banks in most post-communist countries switched from institutions created on the "monobank" concept to modern institutions based on concepts accepted in mature market economies. NBP was no exception. Without boasting, I can even say that NBP is one of the leading Central Banks in this respect. The outlook for the futureisthat Central Banking in Po land (as weil as in other post-communist countries) will continue for some timetobe a rapidly changing business. I believe that NBP will continue tobe one of the leading institutions in this respect.

Die Revolution des Geldwesens: Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen Von Dietmar Kath Die im Gang befindliche Revolution in der Dokumentations- und Kommunikationstechnik beeinflußt zunehmend auch das Geldwesen entwickelter Volkswirtschaften. Waren die Auswirkungen bisher zunächst weitgehend auf den giralen Zahlungsverkehr, also das Buchgeld beschränkt, so ist durchjüngste Innovationen in der elektronischen Speichertechnikjetzt auch die Bargeldverwendung von dieser Entwicklung erfaßt worden. Nachdem durch das Aufkommen und die Verbreitung von Kredit- und Scheckkarten bereits in der Vergangenheit teilweise auch Barzahlungen ersetzt wurden, findet mit dem Einsatz der "electronic cash-" Technik, der Chipkarte und dem "Cybermoney" ein Großangriff auf das Bargeld statt, der dessen zukünftige Existenz bedroht. Mit einem Verschwinden des Bargeldes wird aber zugleich eine Reservehaltung seitens der Kreditinstitute bei der staatlichen Zentralbank - und damit auch die zweite Komponente der Geldbasis - überflüssig. Eine Zahlungslandschaft ohne Bargeld kann sich zugleich in eine Welt ohne Notenbankgeld verwandeln, und dann wäre letztlich sogar die Steuerung der Geldversorgung durch die Zentralbank in Frage gestellt. Im vorliegenden Beitrag soll nach einem kurzen historischen Rückblick auf die Geschichte des Geldes (Abschnitt 1), einigen grundlegenden Ausführungen zur Geldversorgung im Mischgeldsystem (Abschnitt 2) und einem anschließenden Überblick über die Instrumente des modernen Zahlungsverkehrs (Abschnitt 3) der Frage nachgegangen werden, welche ökonomischen Faktoren und Anreizstrukturen bei der Durchsetzung neuer Zahlungsmedien und-technikenvon entscheidender Bedeutung sind (Abschnitt 4 ). Im abschließenden Abschnitt 5 werden die Konsequenzen der Verdrängung von Bargeld für die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Geldversorgung durch die Zentralbank aufgezeigt.

1. Stationen der Geldentwicklung Verfolgt man die Entwicklungsgeschichte des Geldes, so zeigtsich ein vielfacher Wandel seiner äußeren Erscheinungsform. Diese Feststellung läßt sich besonders

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Dietmar Kath

eindrucksvoll illustrieren, wenn man auch jene beiden Entwicklungsstufen der Geldgeschichte einbezieht, die nach Gerloff1 der Verwendung des Geldes als Tauschmittel vorgelagert waren, nämlich das "Hortgeld", also Geld als Schmuck und als "Protzgegenstand", und das "Zahlgeld", das sich in vielen Frühkulturen als Brautgeld, Bußgeld und Fehdegeld herausgebildet hatte. Folgt man den Beschreibungen Gerloffs, dann reicht das Spektrum des Hortgeldes von naturbelassenen Tierzähnen und Muscheln als den Schmuckgegenständen vieler Naturvölker über solche Gegenstände wie die Trommel oder den Gong, die in den Primitivkulturen Südostasiens sowohl als Hortgeld als aber auch bereits als Wertmaßstab und Zahlungsmittel dienten, bis zu Schmuckgegenständen aus Gold und Silber sowie anderen Metallen. Eine besonders kuriose Form des Hortgeldes ist das auf der Südseeinsel Yap gefundeneMühlsteingeld, das aus Kalkstein oder Aragonit besteht und dessen "Stückelung" bis zum extremen Ausmaß von mehreren Metern Durchmesser reichte. Aber auch auf der dritten Entwicklungsstufe des Geldes - von Gerloff als "Verkehrsgeld" bezeichnet-, auf der es die Funktion des Tauschmittels in einer zunehmend arbeitsteiligen Wirtschaftsgesellschaft übernahm, finden wir als Geld weiterhin solche knappen Güter, die unmittelbar der Bedürfnisbefriedigung zugeführt werden konnten. Die Erfordernisse des zunehmenden Tauschverkehrs. Haltbarkeit, Teilbarkeit, Transportfahigkeit- erzwangen den allmählichen Übergang vom "Nutzgeld" (Warengeld) zum ,,Symbolgeld" (Zeichengeld). Die Erfindung der Münzprägung (vermutlich im 7. Jahrhundert v. Chr. im griechisch-kleinasiatischen Raum) markiert zugleich die Entstehung eines spezifischen Tauschmediums, das sich anhand typischer Merkmale- Form, Ausprägung und Stückelung deutlich von anderen Gütern unterscheidet und sich damit eindeutig als Geld identifizieren läßt. Bereits im Mittelalter wurden in Europa - von Italien ausgehend - mit dem Wechsel und dem Kreditbrief als Finanzierungsinstrumente im Handelsverkehr Geldsurrogate entwickelt, die am Anfang des Weges zum stoffwertlosen Geld stehen. Wichtige Stationen auf diesem Weg waren außerdem die Entstehung der Banken im 17. Jahrhundert, der institutionelle Aufbau des Rechnungs- und Verrechnungswesens sowie die Erfindung und Durchsetzung der Banknoten ab der Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa. Das Geldwesen des 20. Jahrhunderts ist durch die wachsende Bedeutung des Buchgeldes gekennzeichnet, das als abstrakter Rechtstitel existiert, der seitens der Kreditinstitute eine Verbindlichkeit und vonseitender Nichtbanken eine Forderung darstellt. Buchgeld ist im Zahlungsverkehr zwischen räumlich getrennten Partnern Vgl. W. Gerloff, Die Entstehung des Geldes und die Anfänge des Geldwesens. 3. Auflage, Frankfurt a.M. 1947.

Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen

209

und mit hohen Geldbeträgen das überlegene Zahlungsmittel. Demgegenüber ist Bargeld, bestehend aus stoffwertarmen Scheidemünzen und stoffwertlosen Banknoten, besser geeignet, Zahlungen im direkten Kontakt zwischen Wirtschaftsakteuren abzuwickeln und Schuldverhältnisse definitiv zu löschen. Die zunehmende Verbreitung elektronischer Speicher- und Kommunikationstechniken hat in diesem Jahrzehnt eine neue Entwicklungsphase im Geldwesen eingeleitet, in deren Verlauf das Bargeld in seiner heutigen Erscheinungsform völlig verschwinden könnte. Denn seine teilweise Überlegenheit ist durch den Einsatz neuer Zahlungsverkehrstechniken nicht mehr gegeben. Während das in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr verbreitete "Plastikgeld" in Form von Kredit- und Scheckkarten eher der Kategorie "Geldsurrogate" zuzuordnen ist und die Verwendung des traditionellen Schecks zurückgedrängt hat, sind die neuerdings entwikkelten Chipkarten in Verbindung mit der elektronischen Datenübertragungstechnik geeignet, das Bargeld in seinen beiden Erscheinungsformen "Noten" und "Münzen" überflüssig zu machen. Mit diesen neuen Zahlungsmedien wird eine Ära in der Entwicklung des Geldes eingeleitet, an deren Ende das Geld nur noch auf Konten und Datenträgern als Abstraktum existiert- wie das "Grinsen ohne Katze" in "Alice in Wonderland".

2. Geldversorgung im Mischgeldsystem 2 Das moderne Geldsystem ist durch das Nebeneinander von zwei Geldarten Bargeld und Buchgeld- gekennzeichnet. Während das Bargeld seitens der staatlichen Zentralbank aufgrund ihrer gesetzlichen Monopolstellung in den Umlauf gebracht wird, entsteht Buchgeld im Zuge der Kreditvergabe konkurrierender Geschäftsbanken. In Deutschland sind dies private und öffentlich-rechtliche- aber nicht mit Hoheitsfunktionen ausgestattete- Kreditinstitute. Trotz des Nebeneinanders von staatlichem Bargeld und privatem Buchgeld ist die Notenbank in der Lage, die gesamte Geldversorgung einer Volkswirtschaft zu steuern. Die Menge an Zentralbankgeld - auch Basisgeld genannt - und das Volumen des von den Kreditinstituten angebotenen Buch- oder Depositengeldes sind nämlich in dreifacher Hinsicht miteinander verknüpft: Erstens betrachten die Geldverwender Bargeld und Depositen - wie oben dargelegt- als unvollkommene Substitute: Bargeld ist besser geeignet, Zahlungen im direkten Kontakt zwischen Wirtschaftsakteuren abzuwickeln und Schuldverhältnisse definitiv zu löschen. Giralgeld (eine andere Bezeichnung für Buchgeld) ist demgegenüber beim Zahlungsverkehr zwischen räumlich 2

Vgl. zum folgenden D. Kath, Geld und Kredit. In: D. Bender u.a. (Hrsg.), Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Band 1. 6. Auflage, München 1995, S. 175ff., hier S. 184ff.

14 FS Jochimsen

210

Dietmar Kath Schaubild

Transaktionsvolumina ausgewählter Buchgeldinstrumente in Deutschland 1992 bis 1996; in Mrd. DM

250000

200000

200000

150000

150000

6000

6000

5000

5000

4000

4000

3000

3000

100

100

50

50

0

0

D

1992

D

1993



1994



1995



1996

Nach Angaben in Bank for International Settlement (Ed.), Statistics on Payment Systems in the Group ofTen Countries. Basel 1997, S. 43.

getrennten Partnern und mit hohen Geldbeträgen überlegen. Insofern ergänzen sich beide Geldarten in bezug auf die Befriedigung der Zahlungsbedürfnisse. Diese Komplementarität wird auch durch empirische Beobachtungen bestätigt. Demnach besteht in der Bundesrepublik seit 1960 eine mehr oder weniger feste Relation zwischen Bargeld und Sichtdepositen in Höhe von 0,5. Der Bargeldanteil an der Geldmenge MI beträgt also ein Drittel und der Depositenanteil zwei Drittel. Über die relative Bedeutung der verschiedenen Buchgeldinstrumente gibt das Schaubild Auskunft. Zweitens macht der aus der Sicht der Nichtbanken beschränkte Substitutionsgrad zwischen Bargeld und Buchgeld eine freiwillige Reservehaltung bei den Banken erforderlich, da sie mit Barabhebungen rechnen müssen. Sie unterhalten daraufhin in Relation zu ihrem Depositenvolumen nicht nur einen Bargeldbestand, sondern zusätzlich - um auch nicht vorhersehbare Barverfügungen bedienen zu können - freiwillige Guthaben bei der Zentralbank Diese Vorsichtsreserve ist allerdings überflüssig, wenn die Notenbank- wie in Deutschland - bereit ist, den Geschäftsbanken jederzeit einen Refinanzierungskredit zu gewähren.

Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen

211

Drittens ist in allen modernen Geldverfassungen eine gesetzliche Reservepflicht für die Kreditinstitute verankert. Die Höhe dieser obligatorischen Mindestguthaben ist in der Regel als Prozentsatz des Depositenvolumens definiert, so daß auch aus diesem Grunde Zentralbankgeld- und Buchgeldentwicklung gleichgerichtet verlaufen. Das Angebot an Basisgeld durch die Notenbank bildet die Grundlage für die Kreditvergabe derGeschäftsbanken und-darangekoppelt-fürdie Geldversorgung der Volkswirtschaft. Die Kreditinstitute werden ihr Geldangebot solange ausweiten, wie jede zusätzlich ausgeliehene Geldeinheit einen positiven Nettoertrag abwirft. Indemdie Kreditnehmermitden ihnen gewährten KreditenZahlungen leisten, steigt parallel zum Kreditvolumen auch die Nachfrage nach Basisgeld, und zwar direkt wegen des zunehmenden Bargeldbedarfs der Nichtbanken und indirekt über das Anwachsen der Bankdepositen und die daran geknüpfte Mindestreservepflicht Insofern begrenzt das Basisgeldangebot die Depositenexpansion und damit zugleich das Kreditvergabepotential der Geschäftsbanken.

3. Innovationen im Zahlungsverkehr Die jüngsten Innovationen im Zahlungsverkehr betreffen sowohl den Bargeldals auch den Buchgeldbereich. Die traditionellen Zahlungsinstrumente für Buchgeld sind der Verrechnungsscheck und die Banküberweisung. Mit ihnen wird eine Übertragung von Beträgen vom Konto des Zahlungspflichtigen auf das Konto des Zahlungsberechtigten veranlaßt Aus der Sicht des Zahlungspflichtigen ist die Verwendung des Schecks vorteilhafter als die Überweisung, weil die Zahlung gegenüber dem Gläubiger bereits formal geleistet wird, bevor das eigene Konto belastet wird. Sein Bankguthaben bleibt so lange unberührt, bis das Geldinstitut des Gläubigers den Scheck beim Institut des Schuldners präsentiert. Jede Verzögerung bei der Weitergabe des Schecks aufseitendes Gläubigers wirktsich somit zugunsten des Schuldners aus. Die umgekehrte Reihenfolge gilt im Fall der Banküberweisung. Hier erfolgt die Belastung des Schuldnerkontos früher als die Gutschrift beim Gläubiger, und mit der Gutschrift ist auch erst die Zahlung formal erfolgt. Aus der Sicht des Gläubigers stellen sich Vor- und Nachteile beider Zahlungsweisen genau umgekehrt dar wie für den Zahlungspflichtigen. In den gekennzeichneten Verlauf und das Zeitmuster des Zahlungsvorgangs lassen sich auch Zahlungen unter Verwendung von "Plastikgeld" einordnen. Die Zahlung mittels Kreditkarte weist im Prinzip für den Schuldnerdie gleichen Vorteile und für den Gläubiger die gleichen Nachteile auf wie der Verrechnungsscheck. Da die Zeitspanne zwischen dem Schuldanerkenntnis seitens des Zahlungspflichtigen und der Belastung seines Kontos jedoch häufig länger ist, fällt der potentielle 14*

212

Dietmar Kath

Zinsvorteil höher aus. Noch größer ist der Nachteil des Gläubigers, da ihm der Betrag erst gutgeschrieben wird, nachdem die Abbuchung vom Konto des Schuldners erfolgt ist. Diese insgesamt längere Zeitspanne hat ihren Grund darin, daß als Agent für beide Zahlungsprozeduren eine Kreditkartengesellschaft fungiert. Sie stellt dem Kartenverwender die Kreditkarte zur Verfügung, die ihm gegenüber dem Zahlungsberechtigten als Ausweis seiner Kreditwürdigkeit dient, und sie nimmt vom Zahlungsbegünstigten den Beleg der Schuldanerkennung entgegen. Erst nach dessen Erhalt zieht sie bei der Bank des Schuldners den Zahlungsbetrag ein, den sie anschließend dem Kreditinstitut des Zahlungsberechtigten überweist. Die hierfür bei ihm erhobenen Gebühren erhöhen dessen Transaktionskosten in Form des potentiellen Zinsentgangs für die Zeitspanne zwischen der Entstehung des Schuldverhältnisses (beim Kauf) und dessen Tilgung. Da die Kreditkartengesellschaften die Kosten des Zahlungsverkehrs allein dem Zahlungsempranger anlasten, ist die Kreditkarte aus der Sicht der Unternehmen auf Einzelhandelsebene kein besonders beliebtes Zahlungsmittel. Allerdings hat die elektronische Datenübertragung auch in diesem Bereich für eine Qualitätsverbesserung zugunsten der Zahlungsempfänger gesorgt, indem mit entsprechenden Geräten bereits "an der Ladentheke"- am point of sale (POS)- die Informationen über die Transaktion vom Zahlungsberechtigten an die Kreditkartengesellschaft übertragen werden können. Auf diese Weise wird einerseitsdie Dauerdes Zahlungsvorgangs abgekürzt und andererseits das Betrugsrisiko eingeschränkt. Beides kommt dem Zahlungsempfänger zugute. Auch die Scheckkarte- im Unterschied zur Kreditkarte handelt es sich um eine Debitkarte - hat eine Beschleunigung der Zahlungsabrechnung zugunsten des Gläubigers ermöglicht. Durch Verwendung sogenannter Terminals kann sie im electronic cash-Verfahren eingesetzt werden, wodurch die Zahlung bereits an der Ladentheke erfolgt. Durch Eingabe der persönlichen Identifikationsnummer (PIN) seitens des Zahlungsverpflichteten erhält der Zahlungsberechtigte in kürzester Frist über eine online-Verbindung zum Rechenzentrum der Bank des Geldkarteninhabers eine Zahlungsgarantie, und anschließend finden Belastung und Gutschrift auf denjeweiligen Konten statt. Einfachere Terminals ermöglichen die POS-Zahlungen ohne Einsatzder PIN und damit ohne Zahlungsgarantie (POZ-Verfahren) und sind mit geringeren Kosten und Gebühren für den Zahlungsempfänger verbunden. Allerdings besteht zugleich auch ein unbeschränktes Zahlungsrisiko. Daher werden auf diese Weise vor allem Zahlungen von Stammkunden und kleinere, relativ risikolose Zahlungen abgewikkelt. Neuerdings bieten Lieferanten derartiger Terminals gegen Berechnung einer Umsatzprovision die Übernahme des Händlerrisikos an, wodurch die Attraktivität des elektronischen Lastschriftverfahrens (ELV) zugenommen hat.

Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen

213

Übersicht l

Kartentypologie und Beispiele Grundtypen

Beispiele

Kreditkarten

Eurocard, Mastercard, Accesscard, Visa, Diners Club, American Express Card

Debitkarten

S Card der Sparkassen, Kundenkarten der Privat- und Genossenschaftsbanken, Postbankcard

Eurocheque-Karten

S Card ec

Kundenkarten

Breuninger-, Hertie-, Massa-, Quelle-Kundenkarte

Wertkarten

Telefon-, Parkautomatenkarten

Chipkarten

EC-Karte, Geldkarte

Kreditkarten und Scheckkarten sind ähnlich wie der klassische Verrechnungsscheck- fürden sie als überlegene Substitute gelten können- geeignet, Bargeldzahlungen teilweise zu verdrängen; die Bargeldverwendung für kleine und kleinste Beträge können sie jedoch nicht ersetzen. Hierzu zählen beispielsweise die Käufe von Fahrkarten für Nahverkehrsmittel, von Eintrittskarten zu Ausstellungen und Veranstaltungen, von Zeitungen und Zeitschriften sowie die Zahlungen an Automaten. Demgegenüber weisen Geldausgabeautomaten zwar ebenfalls einen Rationalisierungseffekt in bezug auf die Bargeldhaltung auf; sie erleichtern jedoch den Zugriff auf Bargeld, ohne die Bargeldzahlung zu ersetzen. Sie sind daher geeignet, der Verdrängung des Bargeldes als Zahlungsmedium entgegenzuwirken. Indes sind in den letzten Jahren elektronische Datenträger und -Übertragungstechniken entwickelt worden, die auch diese letzte Bargeldnische räumen können. Es handelt sich dabei zunächst um die sogenannte Chipkarte, eine Plastikkarte mit integriertem Computerchip, der ohne Verbindung zu einem externen Rechner- also offline - Daten speichern kann. In diesen Speicher kann über ein spezielles Ladegerät ein Geldbetrag eingegeben und über ein Terminal "an der Ladentheke" in Höhe des jeweils zu zahlenden Kaufbetrages abgebucht werden. Der "Kassensturz" eines Ladenbesitzers erfolgt dann in der Weise, daß er seiner elektronischen Kasse nach Ladenschluß den Befehl erteilt, die über Geldkarten erhaltenen Einnahmen einer sogenannten Evidenzzentrale zu melden, welche die dort geführten Konten der Geldkarteninhaber mit den Kaufbeträgen belastet und seinem eigenen Konto gutschreibt3• Diese Zahlungsweise hat für den Zahlungsempfänger mehrere Vorteile: 3

Vgl. auch M. Borchert, Cyber-Money- eine neue Währung? ,,Sparkasse", Stuttgart, Jg. 113 (1996), s. 42.

214

Dietmar Kath die Wechselgeldkasse kann eingeschränkt werden; der Zahlungsvorgang wird abgekürzt; ein Falschgeldrisiko kann nicht auftreten; der zeitaufwendige "Kassensturz" entfällt ebenso wie der risikobehaftete Geldtransport zur Bank.

Derdaraus resultierenden vielfältigen Kostenersparnis stehen die Anschaffungsoder Mietkosten für das Terminal und die vom Datennetzbetrieb erhobenen Gebühren gegenüber. Eine perfekte Geldkarte, die als bargeldlose Geldbörse dient, ist diese Chipkarte dann, wenn sie beliebig wieder aufladbar ist und wenn der elektronische Datenspeicher in eine übliche Scheckkarte mit PIN integriert ist. Diese Karte ist geeignet, bis zur Höhe des gespeicherten Betrages beliebig viele Zahlungen von Kleinstbeträgen zu leisten oder größere Rechnungen zu begleichen. Die Ausstattung mit einer PIN gewährleistet darüber hinaus ihren Einsatz im electronic cash-Verfahren sowohl online als auch- wegen eines separat gespeicherten Dispositionskredits- offline. Die Mikrochip-Technik der Geldkarte bietet aber nicht nur die Möglichkeit, das Bargeld an der Ladenkasse zu ersetzen. Ein letzterentscheidender Schritt in die Welt ohne Münzen und Banknoten zeichnetsich zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls bereits ab. Er besteht in der direkten Übertragung von Geldbeträgen von Karte zu Karte, entweder über speziell ausgerüstete Telefone oder mittels eines Minicomputers. Pilotprojekte zur Erprobung dieser Technik werden seiteiniger Zeit in England durchgeführt. Ein weiterer Feldversuch, der in den Vereinigten Staaten unternommen wurde und demnächst auch von einigen Kreditinstituten in Deutschland gestartet wird, betrifft die Nutzung des Internet für den Zahlungsverkehr zwischen Nichtbanken unter Verwendung von Bankdepositen. Eine am PC installierte "virtuelle Geldbörse" ermöglicht drei verschiedene Zahlungsverkehrsformen4 : Das sogenannte Micropayment-Verfahren ist für den Zahlungsverkehr mit kleinen Beträgen gedacht. Zu diesem Zweck wird ein "Cash-Container" mit "Cyber-Coins" - ähnlich wie bei der Geldkarte - von einem Girokonto aufgeladen. Das "Electronic direct debit" (EDD) ist für Transaktionen mit größeren Beträgen nach dem Muster des Lastschriftverfahrens vorgesehen. 4

Vgl. o.V., Electronic Commerce- Mit Sicherheit im Internet bezahlen. "Deutsche Sparkassenzeitung", Stuttgart, Jg. 1998, Nr. 13, S. VI der Sonderbeilage.

215

Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen Übersicht 2

Technologische Gestaltungsmöglichkeiten im elektronischen Zahlungsverkehr

Elektronische Zahlungsverkehrsmedien

I Einseitig EDV-gestützte Medien

__j_ J_ ChipKarten

KreditKarten

-

I

EurochequeKarten

I

I Zweiseitig EDV-gestützte Medien

I

Hornebanldng CashManagementbasierte Medien

~ CyberCoins

-

I

Elektronisches Lastschriftverfahren (ELV)

Schließlich ist auch die elektronische Kreditkartenzahlung im Internet möglich. Dieses "Cyber-Cash-System", das auch in Frankreich, Großbritannien und Japan getestet wird, ist gegenwärtig unter einem Dutzend ähnlicher Verfahren dasjenige, das den höchsten Entwicklungsstand aufweist. Es zeichnet sich dadurch aus, daß es die Übertragung der Kreditkartennummer in offenen Netzwerken gegen Mißbrauch sichert. Der Überblick über die abgeschlossenen und die im Gang befindlichen Innovationen (vgl. Übersicht 2) im bargeldlosen Zahlungsverkehr macht deutlich, daß entsprechende technische Verfahren bereits einen hohen Entwicklungsstand erreicht haben. Ob sie sich durchsetzen und welcher Zeitraum dafür erforderlich ist, hängt entscheidend von den institutionellen Voraussetzungen und von ökonomischen Erwägungen im Kalkül der Wirtschaftsakteure ab. Wie sich die Anteile der verschiedenen Zahlungsinstrumente bei Käufen in deutschen Einzelhandelsgeschäften im Laufe der letzten Jahre entwickelt haben, läßt sich aus der Tabelle ersehen.

216

Dietmar Kath Tabelle

Zahlungsmittel im deutschen Einzelhandel 1994 bis 1997; Anteil in vH 1994

1996

1997P

78,7

76,5

76,5

6,2

10,0

13,0

EC-Lastschrift

1,7

4,0

6,5

Kreditkarte

3,3

3,5

3,5

Electronic Cash

0,8

2,0

2,5

Handelskarte

Bar Kartengestützte Zahlungsmittel davon:

0,4

0,5

0,5

Scheck

8,3

6,5

3,5

Rechnung

6,5

6,5

6,5

Sonstige

0,3

0,5

0,5

Nach Angaben in o. V., Die elektronische Geldbörse- Begeisterung und Skepsis über die Einführung der Geldkarte. "Frankfurter Allgerneine Zeirung", Frankfurt a.M., Ausgabe vom 15. März 1997, S. 14 (Daten des Euro-Handelsinstiruts.).- PVorläufig, lt. telefonischer Auskunft des Euro-Handelsinstiruts.

4. Institutionelle und ökonomische Bedingungen für die Durchsetzung elektronischer Zahlungsmedien WelchesZahlungsmedium gewählt wird, hängt letztlich von den beim Zahlungspflichtigen und beim Zahlungsberechtigten anfallenden Transaktionskosten ab 5 • Das dargestellte Nebeneinander verschiedener Zahlungsmöglichkeiten kann demnach allein durch unterschiedlich hohe Transaktionskosten bei den jeweiligen Zahlungsvorgängen hervorgerufen werden. Die beschriebenen Zahlungsmedien sind in diesem Sinne heterogene Güter. Durch Innovationen im Zahlungsverkehr besteht allerdings die Möglichkeit, daß sich ein Zahlungsmedium als überlegen erweist, indem beijeder Zahlung minimale Transaktionskosten verursacht werden. Dieses Medium muß die Vorteile des bargeldlosen Zahlungsverkehrs mit den Vorteilen der Barzahlung in sich vereinen. Damit sich elektronisches Geld im Zahlungsverkehrdurchsetzen kann, muß zum einen seine Zahlungsqualität dem Bargeld in jeder Hinsicht zumindest ebenbürtig sein. Insbesondere muß die Geldkarte zu einem vollkommenen Substitut für Banknoten und Münzen entwickelt werden. Zum anderen muß das Angebot von elektronischem Geld für die Kreditinstitute ökonomisch vorteilhaft sein, ohne daß zugleich bei den Nachfragern, also den Nichtbanken, hohe Transaktionskosten 5

Vgl. dazu schon J. Niehans, Theorie des Geldes. Bern und Stuttgart 1980, S. 126ff.

Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen

217

anfallen. Das gilt gleichermaßen für diejenigen, die Zahlungen leisten, wie für die Zahlungsempfänger. Voraussetzung für einen vollständigen Verzicht auf Bargeld seitens des Zahlungspflichtigen ist allerdings, daß die Zahlungsempfänger bereit und in der Lage sind, die neuen Zahlungsmedien zu akzeptieren. Diese Bedingung ist aber nur dann erfüllt, wenn jeder Zahlungsempfängermit einem Lesegerät ausgestattet ist, das den an ihn gezahlten Betrag speichert und die Möglichkeit bietet, das gespeicherte Guthaben auf sein eigenes Girokonto zu übertragen. Die Bereitschaft des Zahlungsempfängers, ein derartiges Gerät zu installieren, hängt wiederum davon ab, daß eine hinreichend große Zahl seiner Kunden dieses Zahlungsverfahren nachfragt oder sich ihm sogar die Aussicht eröffnet, daß er neue Kunden gewinnt, wenn er diese Zahlungsform anbietet. Beide Parteien des Zahlungsverkehrs sind also an einem möglichst großen Netzwerk interessiert6 • Wennjeder Akteurdavon ausgeht, daßsich diese Zahlungsinnovation nicht durchsetzt, kommt ein derartiges Netzwerk nicht zustande. Wenn jedoch der einzelne Zahlungsempfänger davon überzeugt ist, daß eine hinreichend große Zahl von Kunden diese neue Zahlungstechnik nutzt, wird er die erforderliche Hardware erwerben. Er wird seine Investitionsentscheidung also davon abhängig machen, ob der erwartete Ertrag seine Anschaffungskosten übersteigt oder ob der zu erwartende Verlust im Falle seiner Abstinenz die Anschaffungskosten überschreitet. Voraussetzung für eine positive Investitionsentscheidung ist also das erwartete Vorhandensein einer kritischen Masse7 von potentiellen Nutzern auf der Nachfrageseite dieser Zahlungsform. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive kann ein solches Zusammenspiel von Netzwerkexternalitäten und individuellen Erwartungen Selbstverstärkungsmechanismen generieren, die über steigende Skalenerträge die Entwicklung der jeweiligen Zahlungsform beschleunigen und andere, unterlegene Alternativen sogar vom Markt verdrängen können 8 • Eine entscheidende Rolle in diesem Netzwerkszenario spielen die Kreditinstitute, denn sie können die Konditionen bestimmen, von denen die Anwendungsbereitschaft abhängt. Indem sie beispielsweise das Zahlungsmedium Geldkarte ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung stellen, verlagern sie das Entscheidungsproblem auf die Partei der Zahlungsempfängerund sorgen zugleich dafür, daß aus deren Sicht 6

7

8

Zum Netzwerkphänomen vgl. z.B. auch M.L. Katz and C. Shapiro, Systems Competition and Network Effects. ,,Journal ofEconomic Perspectives", Menasha, Wl, vol. 8 (1994), insbesondere S. 96ff. Zum Problem der kritischen Masse in Zusammenhang mit Netzwerkexternalitäten vgl. auch C.B. Blankart and G. Knieps, Path Dependence, Network Externalties and Standardization. (Diskussionspapiere der Technischen Universität Berlin, Nr. 151.) Berlin 1991, S. 5ff. Vgl. hierzu W.B. Arthur, Self-Reinforcing Mechanisms in Economics. In: P.W. Anderson u.a. (Eds.), The Economy as an Evolving Camplex System. Redwood City u.a. 1988, S. 9ff.

218

Dietmar Kath

die Bedingung der kritischen Masse erfüllt ist. Darüber hinaus sind sie in der Lage, die Investitionsentscheidung des Zahlungsempfängers dadurch positiv zu beeinflussen, daß sie die Anschaffungskosten des Lesegerätes und die Abrechnungsgebühren derart gestalten, daß die Attraktivität, dieses Zahlungsmedium zu akzeptieren, erhöht wird. Auf seiten der Kreditinstitute existiert ein ausgeprägtes Eigeninteresse an der Verbreitung und Verwendung der neuen Zahlungsmedien bei den Nichtbanken in Gestalt der ökonomischen Vorteile, die den Geschäftsbanken im Vergleich mit dem Barzahlungsverkehr entstehen. Zum einen treten Kosteneinsparungen im Gefolge von Rationalisierung und Automatisierung auf; hierzu gehört hauptsächlich der Wegfall des Bankschalters oder zumindest die Einschränkung der dort nachgefragten Dienstleistungen. Zum anderen entfällt mit dem Verzicht der Nichtbanken auf die Verwendung von Bargeld für die Banken die Notwendigkeit, ihrerseits Bargeldbestände oder gar frei willige Reserven bei der Notenbank zu unterhalten. Die an den Bargeldbedürfnissen der Nichtbanken orientierte unverzinsliche Reservehaltung ist für die Geschäftsbanken gewinnschmälernd. Insofern besteht für sie ein Anreiz, diese Kosten zu minimieren und nach Möglichkeit gar zu eliminieren. Es ist daher naheliegend, daß sie Anstrengungen unternehmen, um die bestehenden Qualitätsunterschiede zwischen Bargeld und Buchgeld zu beseitigen. Wenn aberdas Bargeld durch Innovationen im Zahlungsverkehr überflüssig gemacht werden kann, entfällt für die Kreditinstitute auch die Notwendigkeit, weiterhin eine bargeldorientierte ertraglose Reserve bei der Zentralbank zu unterhalten oder gar einen Refinanzierungskredit in Anspruch zu nehmen, der Zinskosten verursacht. Aus der Sicht des einzelnen Kreditinstituts besteht ein ertragswirksamer Zusammenhang zwischen dem Akt der Kreditgewährung und der Bargeldnachfrage seitens der Bankkunden. Indem die gewährten Kredite den Girokonten der Kreditnehmer gutgeschrieben werden, sind diese in der Lage, Zahlungen zu leisten. Sofern sich diese Zahlungsvorgänge unter Verwendung vonBuchgeldauf den Kreis der eigenen Kundschaft beschränken, fallen bei der Bank ausschließlich Kosten für die buchhalterische Erfassung der Kontenveränderungen an. In dem Fall, daß die Empfänger dieser Buchgeldzahlungen Kunden anderer Kreditinstitute sind, entsteht bei der kreditgewährenden Bank eine Interbankverbindlichkeit, fürdie der Empfängerbank ein Zins gezahlt werden muß. Im Bankensystem insgesamt entspricht die Summe aller Interbankverbindlichkeiten stets der Gesamtheit aller Interbankforderungen. Abweichungen können sich allerdings durch unterschiedliche Buchungstermine ergeben. In dem Maße, wie die Bankkunden für ihre Zahlungen Bargeld verwenden, muß sich das Kreditinstitut des Kontoinhabers dieses bei der staatlichen Notenbank beschaffen, wofür die entsprechenden Notenbankzinsen (Diskontsatz, Lombardsatz, Wertpapierpensionssatz) zu entrichten sind. Je höher die Barzahlungsquote der

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Bankkunden ist, desto größer ist die Zinslast für die K.reditinstitute. Diese Feststellung gilt für die Geschäftsbanken insgesamt genauso wie für jede einzelne Bank. Jedes Kreditinstitut wird daher bemüht sein, den Umfang der Bargeldverfügungen bei der eigenen Kundschaft zu verringern und darüber hinaus mit anderen Banken ein leistungsfähiges Verrechnungssystem für Buchgeld zu entwickeln. Der aufgezeigte Anreizmechanismus und die daraus abgeleiteten Handlungskonsequenzen deuten darauf hin, daß die Verdrängung des Bargeldes durch elektronische Zahlungsmedien von den Kreditinstituten systematisch betrieben wird.

5. Konsequenzen für die Steuerung der Geldversorgung durch die Zentralbank Durch die Verdrängung des Bargeldes werden zwei der drei eingangs skizzierten Verknüpfungen zwischen Bargeld und Buchgeld beseitigt, auf denen die Gewalt der Notenbank über die Geldversorgung einer Volkswirtschaft beruht. Eine Gefahr, daß die staatliche Zentralbank daraufhin die Kontrolle über die volkswirtschaftliche Geldversorgung verliert, besteht jedoch solange nicht, wie sie mit dem Instrument der gesetzlichen Mindestreserve weiterhin über einen Hebel zur Begrenzung der Geldmenge verfügt. Danach sind die Kreditinstitute verpflichtet, in einer durch den Mindestreservesatz festgelegten Relation zu ihrem Depositenbestand Guthaben bei der Zentralbank zu unterhalten. Diese Verpflichtung können sie nur erfüllen, wenn sie bei der obersten Währungsbehörde einen verzinslichen Refinanzierungskredit aufnehmen9 • Die in jüngster Zeit von verschiedenen Seiten geforderte Abschaffung der Mindestreservepflicht würde in einer bargeldlosen Welt bedeuten, daß der staatlichen Zentralbank auch dieser Hebel aus der Hand genommen würde. Wird das Bargeld verdrängt und darüber hinaus auf eine obligatorische Reservehaltung verzichtet, käme dies einem Durchtrennen der Nabelschnur zwischen der für die Geldversorgung verantwortlichen Zentralbank und der volkswirtschaftlichen Geldversorgung gleich. Die Produktion des auf die nationale Währungseinheit lautenden Zahlungsmittels würde allein den Marktakteuren überlassen, und der Geld- und Kreditexpansion wären keine Schranken mehr gesetzt 10 • Die Folge wäre ein 9 10

Vgl. D. Kath und A. Franz, Ins Abseits gestellt. "Wirtschaftswoche", Düsseldorf, Jg. 1991, Nr. 40, S. 93ff. Auch die im deutschen Kreditwesengesetz verankerten "Grundsätze über das Eigenkapital und die Liquidität der Kreditinstitute", wonach die Risikoaktiva das 12,5fache des haftenden Eigenkapitals nicht übersteigen dürfen, stellen in dieser Hinsicht keine wirksame Begrenzung dar. Denn jede Bank hat die Möglichkeit, durch Erhöhung des Eigenkapitals diese Bezugsgröße für das Kreditvolumen entsprechend dem Bedarf anzuheben.

220

Dtetrnar Kath

Inflationsprozeß, der durch ein fortschreitendes Aufblähen des Geld- und Kreditvolumens gespeist und beschleunigt würde. Die Welt ohne Bargeld- oder auch: die Welt des privaten Buchgeldes, die sich als Folge der Verdrängung des Bargeldes herausbildet- 1st nicht die Welt von Hayeks "free-banking" 11 • Denn alle privaten Geldanbieter produzieren weiterhin ein homogenes Gut - die nationale Währungseinheit. Sie verhalten sich folgerichtig als Trittbrettfahrer. S1e produzieren mit dem Ziel der Gewinnmaximierung Buchgeld in nationaler Währung, und da die Produktion zu konstanten oder sogar sinkenden Grenzkosten stattfindet, weiten s1e s1e bis zur Kapazitätsgrenze aus. Da sich alle Anbieter in gleicher Weise verhalten, kann das einzelne Kreditinstitut die inflationäre Überproduktion nicht verhindern. In letzter Konsequenz führt die Verfolgung des eigenen Vorteils zwangsläufig zur kollektiven Selbstschädigung. Ob daraufhin für die einzelnen Banken ein Anreiz besteht, ein eigenes Geld als Markenprodukt anzubieten, ist eine offene Frage. Auch in diesem Fall wäre in einer Übergangsphase eine Hyperinflation mit Sicherheit unvermeidbar. Hält man dagegen an der einheitlichen nationalen Währung fest, kann die Herrschaft der Notenbank über die Geldversorgung nur dann aufrechterhalten werden, wenn die Geschäftsbanken bei der Durchführung ihrer finanziellen Aktivitäten weiterhin auf Zentralbankgeld angewiesen sind. Ein wiederkehrendes Argument dafür, daß die nationale Währungsbehörde auch in einer Welt ohne Bargeld und ohne Mindestreservepflichtdie volkswirtschaftliche Geldversorgung kontrollieren und steuern kann, bezieht sich auf den Sachverhalt, daß Kreditinstitute stets Reserven halten müssen, um die im Gefolge von giralen Zahlungsvorgängen der Nichtbanken entstehenden Interbankverpflichtungen tilgen zu können 12 • Bei dieser Argumentation wird offenbar unterstellt, daß derartige Clearingprozesse stets über die staatliche Zentralbank abgewickelt werden müssen und daß zudem zwischen den Geschäftsbanken ein permanenter Saldenausgleich stattzufinden hat. Beide Annahmen sind jedoch keineswegs zwingend. Erstens zeigt die institutionelle Ausgestaltung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs im deutschen Bankensystem, daß Kreditinstitute - wie die Sparkassen und Landesbanken zum emen und die Volks- und Raiffeisenbanken zum anderen - in der Lage sind, eigenständige Girosysteme zu organisieren, an denen die Notenbank nicht beteiligt ist. Und zweitens besteht kein Grund, die im Gefolge des Zahlungsverkehrs entstehenden Salden dadurch auszugleichen, daß eine Verbindlichkeit gegenüber einer Geschäftsbank durch eine Verbindlichkeit gegenüber der staatlichen Zentralbank substituiert wird. Sowohl ein Fortbestehen des unmittelbaren Bank-zu-Bank-

11 12

Vgl. hierzu F.A. von Hayek, Denationalisatton of Money. London 1976. Vgl. dazu A. Berentsen, Monetary Policy Irnplications of Digital Money. "Kyklos", Basel, vol. 51 (1998), S. 89ff., hier S. 102ff.

Das Ende des Münzzeitalters hat begonnen

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Schuldverhältnisses als auch ein Saldenbestand bei einer nichtstaatlichen Girozentrale können in diesem Fall die Funktion der staatlichen Zentralbank übernehmen. In Anbetracht dieser Möglichkeiten, im Zuge der Verdrängung von Bargeld auch Basisgeld in Form von Zentralbankguthaben überflüssig zu machen und auf diese Weise der staatlichen Zentralbank die Kontrolle über die Geldversorgung zu entziehen, bieten sich nur zwei Lösungen an. Die eine besteht in einer gesetzlichen Verpflichtung der Geschäftsbanken, den giralen Zahlungsverkehr über ein staatliches Zentralbanksystem abzuwickeln, und die andere beruht auf einer gesetzlichen Mindestreserve, die fürGuthaben von Nichtbanken bei Geschäftsbanken von diesen bei der staatlichen Zentralbank zu unterhalten ist 13 • Auch die Verknüpfung der beiden gesetzlichen Auflagen könnte, wie die folgenden Überlegungen zeigen, als Lösung in Betracht kommen. Eine Beibehaltung der Mindestreservepflicht beinhaltet keineswegs zugleich auch ihren Einsatz als geldpolitisches Steuerungsinstrument in Form von häufig herauf- oder herabgesetzten Reservesätzen. Da die Mindestreservepolitik ohnehin zur Feinsteuerung der Geldversorgung ungeeignet ist, kann auf sie zugunsten anderer geldpolitischer Instrumente - insbesondere der Offenmarktpolitik- ohne weiteres verzichtet werden. Wichtig ist- wegen der damit verbundenen Hebelwirkung für die monetäre Steuerung- allein ihre Existenz. Das von den Verfechtern einer Mindestreservefreiheit vorgetragene Argument der Benachteiligung nationaler Kreditinstitute im internationalen Wettbewerb mit Banken aus Ländern ohne Mindestreservepflicht läßt sich berücksichtigen, indem eine angemessene Verzinsung der Reservehaltung vorgesehen wird. Die Kontrolle der staatlichen Zentralbank über die volkswirtschaftliche Geldversorgung würde dadurch nicht beeinträchtigt werden. Bei der institutionellen Ausgestaltung eines Systems verzinslicher Mindestreserven ließe sich auch der oben erwähnte Clearingzwang berücksichtigen. Vorausgesetzt, daß die Geschäftsbanken gesetzlich verpflichtet werden, den Interbankzahlungsverkehr über das Zentralbanksystem abzuwickeln, könnten die hierfür von den Instituten zu unterhaltenden Arbeitsguthaben ("working balances") für eine Verzinsung in Betracht gezogen werden. Zu diesem Zweck müßten die Banken ex ante die von ihnen geplanten Arbeitsguthaben bei der staatlichen Zentralbank anzeigen. Je nachdem, ob dieser Betrag ex postbeispielsweise im Monatsdurchschnitt - erfüllt, überschritten oder unterschritten wurde, leistet die Zentralbank eine mehr oder weniger hohe Zinszahlung zu einem Zinssatz, der unterhalb des Marktzinssatzes liegen sollte. Bei einem Überschreiten der angemeldeten Reserve würde der überschießende Betrag unverzinst bleiben, und bei einem Unterschreiten müßte das Kreditinstitut bei der Zentralbank einen 13

Zu einem Überblick über Mindestreservesysteme in Europa vgl. D. Kath, Mindestreserven in Europa. "Österreichische Sparkassenzeitung", Wien, Jg. 80 (1993), S. 322ff.

222

Dietmar Kath

Refinanzierungskredit in entsprechender Höhe aufnehmen, für den ein erhöhter Strafzins zu berechnen wäre 14 • Eine gesetzliche Verpflichtung der Geschäfts banken, im Rahmen ihrer Passivgeschäfte in geeigneter Form Zentralbankgeld zu verwenden, ist in einer Welt ohne Bargeld das oberste Gebot. Denn nur auf diese Weise ist in einem reinen Buchgeldsystem die notwendige Begrenzung der Geldmenge zu gewährleisten. Eine Abschaffung der Pflichtreserven würde demgegenüber dazu führen, daß die Währungshüterio gezwungen wäre, tatenlos zuzusehen, wie die volkswirtschaftliche Geldversorgung im Zusammenspiel zwischen den Unternehmen der Kreditwirtschaft und ihren Kunden stattfände. Ihren gesetzlichen Auftrag zur Regulierung des Geldwesens mit dem Ziel der Stabilisierung des Preisniveaus könnte die Zentralbank dann nicht mehr wahrnehmen. Sofern allerdings die obligatorische Verwendung von Zentralbankgeld gewährleistet ist, stellt sich fürdie oberste Währungsbehörde ihre Aufgabe, die gesamtwirtschaftliche Geldversorgung zu steuern, in einem System ohne Bargeld leichter dar als in einem Mischgeldsystem. Da die Versorgung mit Basisgeld nicht mehr durch eine schwankende Bargeldnachfrage gestört werden kann, entfällt auch ein wesentliches Argument gegen das monetaristische Konzept der Geldbasissteuerung 15 •

14

15

Vgl. H. Remsperger und U. Angenendt, Freiwillige Reserven in der Europäischen Währungsunion. "Bank", Köln, Jg. 1995, Nr. 7, S. 40lff. Vgl. G. Selgin, E-Money: Friend or Foe ofMonetarism? Beitrag im Rahmen der "Cato Institute's 14th Annual Monetary Conference" vom 23. Mai 1996, veröffentlicht im Internet unter: http://www.cato.org/moneyconf/14mc-5.html, S. 1.

Landeszentralbank und genossenschaftliche Bankengruppe in Nordrhein-Westfalen Problemlöser für den Mittelstand Von Eberhard Heinke Die genossenschaftliche Bankengruppe ist eine der tragenden Säulen der Wirtschaft Nordrhein-Westfalens. Dieser Erfolg hat sich nicht von alleine eingestellt, sondern ist das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, der von der Gründung der ersten Genossenschaftsbank im Jahre 1862 bis heute anhält. Während die Genossenschaftsbanken bei Erfolgsvergleichen mit anderen Bankengruppen i.d.R. nur im Zusammenhang mit dem Privatkundengeschäft gesehen werden, kommt die enge Verflechtung mit den Unternehmen des Mittelstandes in derartigen Betrachtungen stets zu kurz. Dies, obwohl die genossenschaftliche Bankengruppe seitjeher der engste Partner des Mittelstandes ist. Das Ziel der vorliegenden Ausarbeitung besteht deshalb darin, die traditionelle Verzahnung des genossenschaftlichen Bankensektors in Nordrhein-Westfalen mit der mittelständischen Wirtschaft zu untersuchen. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die Zusammenarbeit mit der Landeszentralbank (LZB) in Nordrhein-Westfalen, der innerhalb der Leistungserstellung im genossenschaftlichen Finanzverbund eine bedeutende Rolle zukommt, die das reibungslose Funktionieren des Bankgeschäftes zum Wohle des Mittelstandes erst ermöglicht. Der erste Abschnitt befaßt sich zunächst mit der Entstehung des genossenschaftlichen Verbundes. Im zweiten Abschnitt wird die Positionierung der genossenschaftlichen Bankengruppe in Nordrhein-Westfalen und ihre Bedeutung innerhalb dieser Wirtschaftsregion sowie insbesondere für den Mittelstand betrachtet. Abschließend werden im dritten Abschnitt die Verflechtungen mit der LZB und die hieraus resultierenden Wirkungen auf die nordrhein-westfälische Wirtschaft aufgezeigt.

1. Die Entstehung des genossenschaftlichen Bankenverbundes Die Gründe für den Erfolg der genossenschaftlichen Bankengruppe liegen in der Entstehungsgeschichte der Genossenschaftsbanken in der zweiten Hälfte des

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Eberhard Heinke

19. Jahrhunderts. Ausgelöst wurde die Gründungswelle durch die damaligen sozialen und wirtschaftlichen Notstände. Im Zuge der Industrialisierung hatten die Handwerker und Kleingewerbetreibenden ihre früheren Abhängigkeiten von den Feudalherrende facto gegen die Abhängigkeit von Händlern und insbesondere von Geldverleihern eingetauscht. Ein Zugang zum organisierten Bankkredit war ihnen aufgrundfehlender dinglicher Sicherheiten i.d.R. nicht möglich. Zudem waren die nachgefragten Kleinkredite für die Privatbanken nicht lukrativ, so daß Handwerker und Kleingewerbetreibende als Kunden nicht in Frage kamen. Insofern waren diese den Geldverleihern ausgeliefert, die die geschäftsunkundigen Bauern und Handwerker durch Verquickung von Geld-, Waren-, Grundstücks- und Viehwucher in eine unlösbare Schuldknechtschaft verstrickten. Diese Situation nahmen Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen zum Anlaß, um nach einer Lösung für diese neuen, oftmals existenzbedrohenden Abhängigkeiten zu suchen. Sie fanden sie, indem sie aufbauend auf den Grundsätzen der solidarischen Selbsthilfe und der Gleichbehandlung der Beteiligten die ersten Genossenschaften gründeten. Leitmotiv dieserneuen Unternehmensform war die "Hilfe zur Selbsthilfe". Von diesem Motiv geleitet, gelang es den Kreditgenossenschaften sehr schnell, großen Rückhalt in breiten Bevölkerungsschichten zu finden. Schon bald wurde es notwendig, geeignete Zusammenschlüsse auf höherer Ebene zu bilden, um den Zahlungsverkehr sowie den Liquiditätsausgleichzwischen den einzelnen Genossenschaftsbanken, die je nach Mitgliederstruktur aktiv- oder passivlastig waren, durchzuführen. Aus diesem Grunde wurden ab dem Jahre 1872 die genossenschaftlichen Zentralbanken ins Leben gerufen. Diese fungierten aufgrunddes damals noch bescheidenen Bankgeschäftes zunächst nur als Liquiditätsspeicher innerhalb ihres Geschäftsgebietes sowie als Abwickler für den Zahlungsverkehr zwischen den ihnen angeschlossenen Primärbanken. Aufgrund der starken Zunahme des Geschäftes wurde es erforderlich, bereits im Jahre 1874 eine dritte Stufe innerhalb des deutschen Genossenschaftswesens einzurichten, die ihrerseits die Zahlungsverkehrsabwicklung sowie den Liquiditätsausgleich unter den regional tätigen Zentralbanken durchführte. Zu diesem Zweck wurde die Deutsche Landwirtschaftliche Generalbank als Rechtsvorgängerin der heutigen DG Bank gegründet.

Durch diese sukzessiven Schritte erhielt die genossenschaftliche Bankengruppe eine Organisationsstruktur, die sich bis heute durch die Prinzipien der Regionalität, der Dezentralität und der Subsidiarität auszeichnet. Letzteres besagt, daß jede Stufe innerhalb des Verbundes nur diejenigen Aufgaben wahrnehmen darf, die von der jeweils vorgelagerten Stufe nicht oder nurunzureichend erfüllt werden können. Das bedeutet, daß die nächsthöhere Ebene nicht in Konkurrenz zu der ihr vorgelagerten Stufe treten darf, sondern vielmehr die Aufgabe hat, diese entsprechend dem genossenschaftlichen Förderauftrag zu unterstützen.

Bedeutung von Landeszentralbank und Genossenschaftsbanken

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Das Profil des genossenschaftlichen Verbundes hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Konnte anfangs eine klare Unterscheidung zwischen Primärstufe, regionalen Zentralbanken und DG Bank als Spitzeninstitut vorgenommen werden, so ist dies heute nichtmehr möglich, da sich die Aufgabeninhalte dervon den ursprünglich 12 regionalen Zentralbanken nebst DG Bank heute noch existierenden vier Zentralbanken- nämlich DG Bank, GZB-Bank, SGZ-Bank und WGZ-Bank- einander angepaßt haben. War die DG Bank bis 1985 ausschließlich für die Betreuung der regionalenZentralbanken zuständig, so betreut sie seitder Übernahmeder seinerzeit angeschlagenen Bayerischen Raiffeisen-Zentralbank AG sowie bis Ende der achtziger Jahre weiterer regionaler Zentralbanken heute auch genossenschaftliche Primärbanken. Gleichzeitig hat mit dem sich wandelnden Bankgeschäft und den gestiegenen Kundenbedürfnissen auch eine Verschiebung der Aufgabenzuständigkeiten und der Kompetenzen von oben nach unten stattgefunden. So erbringen heute die Primärgenossenschaften eine breite Palette von Dienstleistungen und Produkten, die sie ehemals nicht selbst in der Lage waren zu erstellen. Das bedeutet, daß die Kreditgenossenschaften vor Ortheute eigenständig Aufgaben wahrnehmen, die vor Jahren noch typisches Zentralbankgeschäft gewesen sind. Als Beispiel sei hier die Emission eigener Schuldverschreibungen angeführt. Im Gegenzug nehmen heute die regionalen Zentralbanken alle Aufgaben wahr, für die sie früher die Dienste der DG Bank in Anspruch nehmen mußten. Dies hat dazu geführt, daß die DG Bank heute mit den drei regionalen Zentralbanken auf einer Stufe steht und aus der formellen Dreistufigkeil eine faktische Zweistufigkeil entstanden ist. Jede der vier Zentralbanken betreut heute die ihr unmittelbar angeschlossenen Mitgliedsbanken. Sogenannte ,,Spitzeninstitutsdienstleistungen'' gibt es nicht mehr, da jede der Zentralbanken alle von ihren Mitgliedsbanken nachgefragten Produkte selbst erbringen kann. Dies gilt auch für das Auslandsgeschäft, welches über eigene Niederlassungen, Töchter, Repräsentanzen sowie Kooperationspartner dargestellt wird. Um sich als moderne Allfinanzdienstleister an den Märkten behaupten zu können, ist es überdie Förderleistungen durch die Zentralbanken hinaus notwendig, daß die Primärgenossenschaften durch weitere Verbundpartner unterstützt werden. Diese Verbundpartner gewährleisten, daß den Kunden neben den klassischen Bankdienstleistungen auch sämtliche weiteren Leistungen des Finanzdienstleistungssektors angeboten werden können. Zur genossenschaftlichen Familie gehören die R+V-Versicherungsgruppe, die Bausparkasse Schwäbisch Hall, die DG HYP Deutsche Genossenschaftshypothekenbank, die WL-Bank Westfälische Landschaft Bodenkreditbank, die Münchener Hypothekenbank, die Union Investment als Kapitalanlagegesellschaft, die DIFA Deutsche Immobilien Fonds sowie die VR-Leasing-Gruppe. Dieser Verbund stellt sicher, daßdie Genossenschaftsbanken vor Ort alle Finanzdienstleistungen kompetent aus einer Hand anbieten und jedes Kundenbedürfnis mit einem maßgeschneiderten Produkt befriedigen können. 15 FS Jochimsen

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2. Besondere Dienstleistungen der genossenschaftlichen Bankengruppe für den Mittelstand Nordrhein·Westfalens Die genossenschaftliche Bankengruppe in Nordrhein-Westfalen wird präsentiert durch den rheinisch-westfälischen Finanzverbund. Dieser setzt sich zusammen aus den 407 Volksbanken, Raiffeisenbanken und Spar- und Darlehnskassen sowie der WGZ-Bank nebst ihren Tochtergesellschaften als der für sie zuständigen Zentralbank. Gemeinsam verkörpertdieser Verbund eine Bilanzsumme von 275 Mrd. DM, verfügt über 3 000 Bankstellen und beschäftigt 33 100 Mitarbeiter. Der rheinischwestfälische Finanzverbund versorgt mit seinem dichten Zweigstellennetz in einer Zeit, da sich die Großbanken aus der Fläche und insbesondere den ländlichen Regionen sukzessive zurückziehen, die heimische Bevölkerung mit sämtlichen Finanzdienstleistungen und trägt darüber hinaus als einer der größten Arbeitgeber zur Existenzsicherung von rund 120 000 Menschen bei. Der rheinisch-westfälische Finanzverbund ist im Finanzdienstleistungssektor aufgrund seiner traditionell engen Verflechtung mit dem heimischen Mittelstand einer der wichtigsten Problemlöser für die hiesige Wirtschaft, die sich gerade durch ihre mittelständische Prägung auszeichnet. Über 600 000 kleine und mittlere Unternehmen sind heute in Nordrhein-Westfalen ansässig; das entsprichtimmerhin 96 vH aller Betriebe. Diese Unternehmen beschäftigen 67 vH aller Arbeitnehmer unseres Bundeslandes und bilden 80 vH aller Auszubildenden aus. Allein in den letzten sieben Jahren wurden von den kleinen und mittleren Unternehmen über 500 000 Arbeitsplätze geschaffen, während die Großunternehmen fortlaufend Arbeitskräfte freisetzten. Mit einer Exportquote von 29,6 vH und einem Exportvolumen von 165 Mrd. DM ist Nordrhein-Westfalen Deutschlands stärkstes Exportland. Maßgeblich für die hohen Exporte sind vor allem die innovativen Spezialprodukte der hiesigen mittelständischen Unternehmen. Die hohe Innovationskraftdieser Unternehmen ist die treibende Kraft zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung. Als Bankengruppe für den Mittelstand ist es daher unmittelbare Aufgabe der Kreditgenossenschaften, auf der finanzwirtschaftliehen Seite dafür zu sorgen, daß der Mittelstand seine hohe Innovationsfähigkeit zur Sicherung der Zukunft behält. Hierbei ist gegen eine Vielzahl von Problemen zu kämpfen, die nicht zuletzt aus den Rahmenbedingungen des Standortes Deutschland resultieren. Die wesentlichen Probleme sowie die Lösungsansätze durch die genossenschaftliche Bankengruppe seien nachfolgend erläutert. 2.1. Die Bank als Unternehmensberater

Viele mittelständische Unternehmen suchen ihre Chance in der Spezialisierung, was dazu führen kann, daß das Unternehmen mit derZeit Scheuklappen hinsichtlich der Veränderungen des Marktumfeldes bekommt, da es sich ausschließlich auf ein

Bedeutung von Landeszentralbank und Genossenschaftsbanken

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einziges Produkt konzentriert. Neue Möglichkeiten und Chancen werden nicht mehr erkannt. In dieser Situation ist die Bank als Unternehmensberater gefordert. Insbesondere den Genossenschaftsbanken bieten sich hier gute Unterstützungsmöglichkeiten. Dadurch, daß die Kreditgenossenschaft in einem räumlich abgegrenzten, lokalen Markt tätig ist, ist ihr Kundenkreis recht überschaubar. Aufgrund der oftmals langjährigen Tätigkeitihrer Entscheidungsträger besteht in der Regel ein recht guter Informationsstand über die ansässigen Unternehmen. Das lokale Wissen der Genossenschaftsbank vor Ort, vereint mit dem Spezialwissen der Zentralbank, ermöglicht eine optimale Betreuung und Beratung der Firmenkunden. Ziel der Genossenschaftsbank ist es, für das Unternehmen nicht nur die Rolle der Bank, sondern auch die Rolle des Partners einzunehmen und unter Ausnutzung des gesamten Wissens das Unternehmen umfassend zu beraten. TypischeAnsatzpunkte sind z.B. Schwachstellen im Rechnungswesen und in der Kalkulation, der Aufbau eines Risiko-Controllings, die Vorbereitung auf die Einführung des Euro, aber auch die Diskussion über mögliche Geschäftsfelder und Strategien. Durch die Beteiligung der WGZ-Bank an namhaften Unternehmensberatungsgesellschaften ist darüber hinaus gewährleistet, daß neben dem Fachwissen der Bank auch eine Unternehmensberatung eingeschaltet werden kann, die durch die Einbindung in den genossenschaftlichen Finanzverbund sowohl die Interessen des Unternehmens wie auch die Interessen der Bank vertritt. Durch diesen ganzheitlichen Beratungsansatz ist eine Rundum-Betreuung der Firmenkunden mit ihren spezifischen Problemen seitens der Genossenschaftsbank möglich. 2.2. Bereitstellung von Eigenkapital

Das mangelnde Eigenkapital ist eines der größten Probleme des deutschen Mittelstandes: Seit Mitte der sechziger Jahre hat bei diesen Unternehmen nach Feststellungen des BDI ein drastischer Eigenkapitalschwund eingesetzt, der sich bis in die jüngste Zeit fortsetzt. Laut BDI ist die wichtigste Ursache hierfür die permanente Verschlechterung der Ertragssituation der Unternehmen infolge der steuerlichen Rahmenbedingungen. Als einziges Land der Welt besteuert Deutschland seine Unternehmen höher als alle übrigen Steuerzahler. So liegtdie Gesamtbelastung einbehaltener Gewinne bei etwa 65 vH im Vergleich zu 30 bis 40 vH im internationalen Vergleich. Diese Situation hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Auszehrung des Eigenkapitals im industriellen Mittelstand geführt. Den historischen Tiefstand erreichte der Mittelstand dabei im Jahre 1993 mit einer durchschnittlichen Eigenkapitalquote von 17,5 vH (neue Bundesländer: 12,7 vH), wobei 15°

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Eberhard Heinke

knapp 30 vH der Mittelständler nur eine Eigenkapitalquote von höchstens 10 vH ausweisen. Demgegenüber bringt es die ausländische Konkurrenz auf Eigenkapitalquoten von 25 bis 50 vH. Allerdings ist hierbei einschränkend anzumerken, daß die direkte Vergleichbarkeitaufgrund unterschiedlicher Abschreibungsmodalitäten in den verschiedenen Ländern nicht immer gegeben ist. Wünschenswert wäre, daß -zumindest aus Sicht der Kreditinstitute- die Eigenkapitalquote eines Unternehmens unter Berücksichtigung der Branche sowie insbesondere der Ertragslage mindestens 25 vH betragen sollte. Zusammen mit den Forderungsausfällen und der schlechter werdenden Zahlungsmoral der Kunden stellt das mangelnde Eigenkapital damit die Achillesferse des Mittelstandes dar. Um dieses Problem zu entschärfen, verfügt der rheinisch-westfälische Finanzverbund über eine eigene Beteiligungsgesellschaft- die WGZ Beteiligungsgesellschaft Diese bietet als 100prozentige Tochter der WGZ-Bank seit 1984 maßgeschneiderte Lösungen bei Eigenkapitalproblemen an und sichert bei Nachfolgeproblemen die Unternehmenskontinuität Als neutraler Investor übernimmt die WGZ Beteiligungsgesellschaft grundsätzlich die Funktion des Minderheitsgesellschafters. Die Wahrnehmung der Unternehmensleitung verbleibt beim bisherigen Management des Unternehmens. Zu strategischen und finanziellen Fragen steht die WGZ Beteiligungsgesellschaft partnerschaftlieh beratend zur Verfügung. Ihre langjährige Erfahrung im Beteiligungsgeschäft kommt dabei den Unternehmen zugute. Eine besondere Beteiligungsgestaltung bietet die WGZ Beteiligungsgesellschaft bei Management-buy-out/Management-buy-in-Transaktionen, d.h. bei vollständigen Firmenübernahmen im Zusammenhang mit zu lösenden Nachfolgeproblemen. Im Rahmen eines MBO übernimmt das vorhandene Management gemeinsam mit der WGZ Beteiligungsgesellschaft und gegebenenfalls weiteren Finanzinvestoren sämtliche Geschäftsanteile. Bei einem MBI tritt ein geeigneter Manager von außen in die Gesellschafterstellung. Mit diesen Konzeptionen wird erreicht, daß das Unternehmen bei einem anstehenden Nachfolgeproblem seine Eigenständigkeil bewahrt und nicht durch Veräußerung an beispielsweise einen Konzern sein Profil verliert. Soll ein Unternehmen dennoch als ganzes verkauft werden, so bietet die WGZ Beteiligungsgesellschaft zusammen mit der WGZ-Bank auch sämtliche Dienstleistungen des M & A-Geschäftes an. Eine wesentliche Hilfestellung bietet die WGZ-Bank darüber hinaus mittelständischen Unternehmen, die sich Eigenkapital über die Börse besorgen wollen. Die Dienstleistungen reichen hier von der Prüfung der Börsenfähigkeit und damit der Erfolgsaussichten beim "Going Public" über die Erstellung des Prospektes bis hin zur Preistindung sowie der späteren Kurspflege und Kapitalerhöhung. Da allein in Nordrhein-Westfalen in den nächsten 20 Jahren rund 700 mittelständische Unternehmen reif für den Börsengang sind, ist gerade diese Dienstleistung der genossen-

Bedeutung von Landeszentralbank und Genossenschaftsbanken

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schaftliehen Bankengruppe von besonderer Bedeutung für die nordrhein-westfälische Wirtschaft. 2.3. Hilfestellungen bei der Existenzgründung

Unmittelbar im Zusammenhang mit der mangelnden Eigenkapitalbasis steht das Fehlen ausreichenden Risikokapitals expansionswilliger und-fähiger mittelständischer Unternehmen. Dies betrifft im wesentlichen junge und innovativ tätige Unternehmen, die sich noch in der Gründungsphase befinden und als Startkapital lediglich eine Idee haben. Die Schwierigkeit der Fremdkapitalbeschaffung für diese Unternehmen besteht darin, daß sie aufgrund fehlender materieller Werte keine werthaltigen Sicherheiten stellen können, so daß potentiellen Fremdkapitalgebern das Risiko aus ihrer Gläubigerposition heraus zu hoch ist. DieZurverfügungstellung von Risikokapital bzw. Venture Capital wird zudem durch die steuerlichen Möglichkeiten stark beschränkt, da sich hieraus für den Kapitalgeber bislang keine Vorteile im Gegensatz zu einerbesicherten Kreditvergabe ergeben. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, über steuerliche Regelungen die entsprechenden Impulse zu geben. Obwohl die Politik erkannt hat, daß die Innovationsfähigkeit Deutschlands unmittelbarmit der Zurverfügungstellung von Risikokapital verbunden ist, läßt eine grundlegende Steuerreform dennoch auf sich warten. Angesichts leerer öffentlicher Kassen sind Bund und Länder ebenfalls nicht in der Lage, einen Risikokapitalfonds aufzulegen, auch wenn der Wille hierzu schon seit langem bekundet wird. Einen ersten hoffnungsvollen Schritt hatdas LandNordrhein-Westfalen aufBetreiben von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement im vergangeneo Jahr getan. Nachdem die direkte finanzielle Beteiligung des Landes an einem ursprünglich gemeinschaftlichen Risikokapitalfonds der Kreditwirtschaft nicht realisiert werden konnte, haben sich Land und Kreditwirtschaft auf ein von den Banken getragenes Modell geeinigt, bei dem das Land Ausfallgarantien von jährlich I 00 Mill. DM bereitstellt. Darüber hinaus trägt das Land die Kosten für die von der Düsseldorfer Börse gegründende "Agentur Wagniskapital", deren Aufgabe die Beratung von Existenzgründem ist. Die WGZ-Bank hat die Diskussion um das Risikokapital und letztlich auch die Einigung zwischen Land und Kreditwirtschaft entscheidend vorangetrieben, indem sie nicht nur immer wieder die Interessen ihrer mittelständischen Klientel aktiv vertreten hat, sondern nach dem genossenschaftlichen Prinzip der "Hilfe zur Selbsthilfe" als erste von allen Banken die Initiative ergriffen und stellvertretend für den rheinisch-westfälischen Finanzverbund einen eigenen Venture Capital-Fonds über 30 Mill. DM aufgelegt hat, der seit dem 1. Januar 1998 über die WGZ Venture Capitalgesellschaft in Anspruch genommen werden kann. Neben der Bereitstellung von Risikokapital setzt die genossenschaftliche Bankengruppe bereits seit vielen Jahren das von der WGZ-Bank entwickelte Expertensystem GENO-STAR (Genossenschaftlicher Staatshilfen-Ratgeber) ein, welches

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Unternehmen unter Beachtung der individuellen Situation gezielt durch den Dschungel der öffentlichen Fördermittellotst. Das Resultat für 1997 waren allein im Geschäftsgebiet der WGZ-Bank 18 176 bearbeitete Anträge auf öffentliche Fördermittel mit einem Volumen von 2,7 Mrd. DM, von denen 7 753 Anträge mit einem Volumen von 884 Mill. DM auf Existenzgründungen entfielen.

2.4. Begleitung ins Ausland

Günstige Kostenstrukturen, geringe Bürokratie und neue Absatzmärkte locken viele Unternehmen ins Ausland. Doch neben den Chancen, die derGang ins Ausland bietet, existieren auch viele Risiken. Ein wesentliches Risiko besteht darin, daß sich das Unternehmen in ein völlig neuesundunbekanntes Fahrwasser begibt; z.B. auf den osteuropäischen Märkten fehlen Erfahrungen fast völlig. Oftmals folgt der Gang ins Ausland auch der mitunter irrigen Auffassung, daß man den Schritt ins Ausland wagen müsse, nur weil die anderen es auch tun, und auf den heimischen Beschaffungs- und Absatzmärkten keine Potentiale mehr gesehen werden, weil diese weggeredet werden. Glücklich schätzen kann sich ein Unternehmen daher dann, wenn es beim Gang ins Ausland bereits einen Ansprechpartner vor Ort hat, der mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut ist. Dies ist jedoch eher die Ausnahme als die Regel. In den meisten Fällen ist das Unternehmen auf sich allein gestellt, wenn es um die Standortsuche, Gespräche mit Behörden oder um die Suche nach einem geeigneten Kooperationspartner geht. Letztere hat in den Vergangeneo Jahren zunehmend für die kleineren mittelständischenUnternehmen an Bedeutung gewonnen, die nicht das notwendige Kapital und die Managementkapazität für den direkten Gang ins Ausland aufbringen. Kooperationen schonen die eigenen Ressourcen und bergen verhältnismäßig geringe Risiken. Neben der Nutzung vorhandener Vertriebskanäle des Kooperationspartners können z.B. Entwicklungs- oder Einkaufskooperationen geschlossen werden. Schwierig gestaltet sichjedoch regelmäßig die Suche nach einem geeigneten Kooperationspartner. Anbahnungszeiten von bis zu zwei Jahren sind dabei keine Seltenheit- angesichts der sich schnell wandelnden Märkte und Erfordernisse entschieden zu lang. Laut einer Untersuchung des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft (RKW) wünschen sich daher die deutschen Unternehmen vor allem Unterstützung bei Kooperations vorhaben, insbesondere bei der Suche nach einem geeigneten Partner und dem Zugang zu nationalen Informationen, aber auch bei Finanzierungsfragen und beim Check-up der betriebswirtschaftliehen Faktoren. Diese Wünsche stellen für die Banken große Herausforderungen dar. Denn die Globalisierung der Unternehmen, gleichgültig ob durch ausländische Produktionsstätten, Kooperationen oder JointVentures, sollte immer eine Begleitung durch die Hausbank-denPartner des Unternehmens- bedingen.

Bedeutung von Landeszentralbank und Genossenschaftsbanken

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Unterstützungsmöglichkeiten gibt es explizit bei der Suche nach erforderlichen leistungsfähigen Subunternehmen an preisgünstigen Standorten; Investitionsvorhaben im Ausland auf Schlüsselmärkten; Fördennaßnahmen im Ausland; der Beschaffung lokaler Finanzierungsmittel; dem Einsatz grenzüberschreitender Cash-Management-Systeme im Interesse einer adäquaten Liquiditätssteuerung im Unternehmen; der Zurverfügungstellung qualifizierter Bankdienstleistungen im Ausland. Die genossenschaftliche Bankengruppe hat sich diesen Herausforderungen gestellt, indem sie ihr Know-how im Auslandsgeschäft in den letzten Jahren erheblich ausgebaut und die Zahl der international ausgerichteten Mitarbeiter kontinuierlich aufgestockt hat. Des weiteren hat stellvertretend für den rheinischwestflilischen Finanzverbund die WGZ-Bank ihr Netz von Kooperationspartnern systematisch und zielgerichtet auf Länder erweitert, die aktuell, aber auch perspektivisch für die mittelständischen Unternehmen von besonderer Bedeutung sind. Neben Kooperationsabkommen mit ausgewählten Banken in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Portugal, Österreich, Italien und Spanien hat die WGZ-Bank darüber hinaus gemeinsam mit ihren Schwesterzentralbanken GZB-Bank und SGZ-Bank Beteiligungen an Tochtergesellschaften der Österreichischen Volksbanken AG in Ungarn, der Slowakei und in Slowenien erworben. Ebenfalls mit ihren Schwesterzentralbanken unterhält die WGZ-Bank eine gemeinsame Repräsentanz in Singapur, dem Tor zu den asiatischen Märkten. Abgerundet wird die Auslandspräsenz des rheinisch-westfalischen Finanzverbundes durch die Tochterbanken der WGZ-Bank in Luxemburg, der Schweiz und Irland. Die genossenschaftliche Bankengruppe ist damit in der Lage, ihren mittelständischen Kunden gezielte Beratungsleistungen im Ausland zur Verfügung zu stellen. Durch das Know-how der ausländischen Töchter, Beteiligungen und Kooperationspartner ist es möglich, allen Wünschen der im Ausland aktiven bzw. aktiv werden wollenden Firmenkunden nach Unterstützung vor Ort nachzukommen. So profitiert der Kunde ausgehend von der Devise "all business is local" im Ausland im gleichen Maße wie im Inland von der lokalen Verankerung seiner Partnerbank. Hierdurch können bereits im Vorfeld unnötige Risiken vermieden und bestehende Chancen gezielt genutzt werden. Mit den unter maßgeblicher Beteiligung der genossenschaftlichen Bankengruppe entwickelten Informationsübermittlungs- und Zahlungsverkehrsabwicklungsverfahren S.W.I.F.T. und TIPANET verfügen die Kreditgenossenschaften zudem

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über die wohl effizientesten Verfahren im Auslandsgeschäft, wodurch der exportorientierten WirtschaftNordrhein-Westfalens eine wichtige Hilfestellung gegeben wird.

3. Die Zusammenarbeit zwischen der Landeszentralbank und der genossenschaftlichen Bankengruppe in Nordrhein-Westfalen Der Erfolg der genossenschaftlichen Bankengruppe im Geschäft mit ihren mittelständischen Kunden ist nicht nur das Ergebnis der hohen Kundennähe, des individuellen Eingehens auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse und der hohen Effizienz des rheinisch-westfälischen Finanzverbundes, sondern auch das Ergebnis der Rahmenbedingungen, welche die LZB in Nordrhein-Westfalen für das Betreiben der Bankgeschäfte geschaffen hat. Die Aufgaben, die die LZB innerhalb unserer Wirtschaft wahrnimmt, sind vielfältig. Sie reichen von der Geldversorgung über die Abwicklung des Zahlungsverkehrs bis hin zur Kreditversorgung sowie zum Vertrieb und zur Marktpflege von öffentlichen Wertpapieren. Mit ihrem flächendeckenden aber schlanken Netz aus 15 Haupt- und 26 Zweigstellen gewährleistet die LZB die unmittelbare Nähe zu ihren Kunden vor Ort, nämlich den Unternehmen und den Kreditinstituten in Nordrhein-Westfalen. Die hohe Kundennähe hat sie den Genossenschaftsbanken damit gemeinsam. Sie ist im übrigen auch Voraussetzung, damit die LZB ihren Aufgaben innerhalb unseres Wirtschaftssystems nachkommen kann, und garantiert, daß die LZB stets unmittelbar in das regionale Wirtschaftsgeschehen einbezogen und eine jederzeitige Rückkopplung mit den einzelnen Wirtschaftssubjekten möglich ist. Dies spielt eine bedeutende Rolle, da der LZB die Umsetzung der Bundesbankpolitik obliegt. Nurdurch die enge Verflechtungmitden Wirtschaftsträgern unseres Landes ist es daher möglich, einen übergreifenden Stabilitätskonsens herbeizuführen. Gleichzeitig werden der LZB hierdurch tiefe Einblicke in das Wirtschaftsgeschehen ermöglicht, was aus Wirtschafts- und informationspolitischen Gründen für die Arbeit der LZB und damit auch für die genossenschaftliche Bankengruppe wichtig ist. Aufgrund der gleichgerichteten Interessen der LZB sowie der genossenschaftlichen Bankengruppe in Nordrhein-Westfalen, nämlich der Förderung der mittelständisch geprägten Wirtschaft, haben die Genossenschaftsbanken viele Berührungspunkte mit der LZB, die nachfolgend aufgeführt sind. 3.1. Abwicklung des Zahlungsverkehrs

Der Zahlungsverkehr ist der Mittelpunkt der Kunde-Bank-Beziehung. Ohne eine effiziente, d.h. schnelle und preisgünstige Abwicklung des Zahlungsverkehrs ist ein Kreditinstitut nicht marktfähig, löst doch fastjedes Bankgeschäft einen Zahlungs-

Bedeutung von Landeszentralbank und Genossenschaftsbanken

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strom aus. Die Zahlungsverkehrsabwicklung der Banken steht dabei insbesondere vor dem Hintergrund der für den 1. Januar 1999 vorgesehenen Einführung der europäischen Einheitswährung vor großen Herausforderungen. Betrachtet man das Zahlungsverkehrsvolumen, welches die WGZ-Bank für den rheinisch-westfälischen Finanzverbund über die LZB abwickelt, so läßt sich die herausragende Rolle der LZB als Zahlungsverkehrsahwickler für die genossenschaftliche Bankengruppe in Nordrhein-Westfalen leicht veranschaulichen: allein in 1997 hat die WGZ-Bank im beleglosen Datenträgeraustausch 31,5 Mi!!. Überweisungen sowie Schecks und Lastschriften mit einem Volumen von 673,1 Mrd. DM an die LZB gegeben und im Gegenzug 77,7 Mi!!. Überweisungen und Lastschriften respektive Schecks mit einem Volulmen von 682,8 Mrd. DM im beleglosen Datenträgeraustausch erhalten. Hinzu kommt die Abwicklung von Überweisungen und Lastschriften bzw. Schecks im beleglosen Clearingverfahren: hier wurden der LZB von der WGZBank in 1997 4,4 Mill. Überweisungen und Schecks/Lastschriften mit einem Volumen von 26,2 Mrd. DM angedient, während die WGZ-Bank im Gegenzug von der LZB 0,6 Mi!!. Überweisungen, Schecks und Lastschriften mit einem Gegenwert von 4,8 Mrd. DM angedient bekam. Aufgrund dieser engen Verzahnung in der Zahlungsverkehrsabwicklung zwischen WGZ-Bank und LZB ist ein permanenter Gedankenaustausch zwischen den beiden Häusern unabdingbar und daher auch die Regel. Dies gilt insbesondere für die Abstimmung neuer Zahlungsverkehrsprodukte, da sowohl LZB wie auch WGZ-Bank auf diesem Gebiet ständig innovativ tätig sind. Als Beispiel sei hier seitens der LZB der Elektronische Schalteroderdie Entwicklung derelektronischen Geldkarte und seitens der WGZ-Bank die Entwicklung der Auslandszahlungs- und Informationssysteme S.W.I.F.T. und TIPANET angeführt. Einen besonderen Stellenwert nimmt die bevorstehende Einführung des Euro ein, da die LZB zukünftig im einheitlichen europäischen Währungsraum die gesamte Zahlungsverkehrsabwicklung für die Deutsche Bundesbank wahrnehmen wird. Hierdurch wird einerseits die hohe Kompetenz der LZB auf diesem Gebiet unterstrichen, andererseits wird hierdurch auch der Finanzplatz Düsseldorf als zukünftiges Zahlungsverkehrsumschlagzentrum innerhalb Deutschlands gestärkt. Aufgrund der vielschichtigen Änderungen, die der Euro für die gesamte Wirtschaft und das Bankgeschäft mit sich bringen wird, stehen LZB und WGZ-Bank in einem ständigen Gedankenaustausch hinsichtlich der mit dem Euro verbundenen Fragenkomplexe sowie der zukünftigen Ausgestaltung der Aufgaben der europäischen Zentralbank und der nationalen Notenbanken.

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Eberhard Heinke 3.2. Refinanzierung der Genossenschaftsbanken

Die LZB spielt eine bedeutende Rolle bei der Refinanzierung der Kreditinstitute sowie der mittelständischenUnternehmen N ordrhein-Westfalens. Zum einen führt die LZB dem WirtschaftskreislaufLiquidität über Wertpapierpensionsgeschäfte zu. Ihre Wertpapierpensionsgeschäfte betreibt die LZB seit geraumer Zeit ausschließlich im Mengentenderverfahren, bei dem der Zinssatz seitens der LZB fest vorgegeben ist. Zur Festlegung dieses Zinssatzes, der im Rahmen der Feinsteuerung der Geldpolitik die Rolle als "dritter Leitzins" eingenommen hat, nimmt die LZB regelmäßig Rücksprache mit den Kreditinstituten, die sie um ihre Meinung zur Einschätzung des Geldmarktes bittet. So findet auch mit der WGZ-Bank zweimal täglich ein Austausch hinsichtlich der Einschätzung des Geldmarktes statt. Die große Bedeutung, welche die Pensionsgeschäfte mit der LZB für den genossenschaftlichen Finanzverbund haben, wird deutlich, wenn man das Volumen betrachtet, in dem die WGZ-Bank in ihrer Funktion als zentraler Refinanzierer für die ihr angeschlossenen Volksbanken, Raiffeisenbanken und Spar- und Darlehnskassen Pensionsgeschäfte mit der LZB tätigt. Allein 1997 hat sich die WGZ-Bank in den 52 Bietungsverfahren, welche zukünftig nicht mehr telefonisch, sondern über e-mail durchgeführt werden, mit einem Volumen von insgesamt 46,4 Mrd. DM beteiligt. Ein wesentliches Refinanzierungsstandbein für die Genossenschaftsbanken in Nordrhein-Westfalen ist zum anderen das Rediskontierungsgeschäft mit der LZB. Als Zentralbank des rheinisch-westfälischen Finanzverbundes unterhält die WGZBank aktuell ein Rediskontkontingent von 257 Mill. DM bei der LZB. Hinzu kommt ein Übertragungskontingent von den der WGZ-Bank angeschlossenen Primärgenossenschaften, die über kein eigenes LZB-Konto verfügen, in Höhe von 82,9 Mill. DM. Diese Banken haben im übrigen nicht nurdie Möglichkeit, das ihnen zustehende Rediskontkontingent auf die WGZ-Bank zu übertragen, sondern dürfen auch ihre Mindestreserve bei der WGZ-Bank unterhalten. Das Rediskontierungsgeschäft hat insofern eine besondere Bedeutung für die genossenschaftliche Bankengruppe, als gerade ihre mittelständische Klientel den Wechsel als beliebtes und günstiges Finanzierungsinstrument benutzt. Während Großunternehmen die Möglichkeit haben, ihre Finanzierung z.B. über "Commercial Papers" sicherzustellen, haben die kleinen und mittleren Unternehmen diese Möglichkeit nicht. Aus diesem Grund ist dem Umstand, daß der Rediskontkredit zukünftig nicht mehr zum Instrumentarium der Europäischen Zentralbank gehören wird, hohe Bedeutung beizumessen, wird den mittelständischen Unternehmen hiermit doch die unmittelbare Möglichkeit einer günstigen Finanzierungsquelle genommen. So hat sich auch Reimut Jochimsen als Präsident der LZB in der Vergangenheit sehr dafür eingesetzt, dieses erprobte Instrument auch in der Zukunft beizubehalten. Da die anderen europäischen Zentralbanken dieses Instrument nicht

Bedeutung von Landeszentralbank und Genossenschaftsbanken

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zu ihrem geldmarktpolitischen Instrumentarium zählen, konnte diese Forderung jedoch nicht durchgesetzt werden. Allerdings ist vorgesehen, daß der Handelswechsel als Sicherheit für Offenmarktgeschäftein die "tier two list" aufgenommen werden wird. Im Gegensatz zur "tier one list", die jene Sicherheiten enthalten wird, die einheitliche, im gesamten Euro-Währungsraum gültige und von der Europäischen Zentralbank festzulegende Kriterien erfüllen, wird die "tiertwo list" weitere Sicherheiten enthalten, die von den nationalen Zentralbanken mit Blick auf ihre nationalen Finanzmärkte und Bankensysteme als besonders wichtig erachtet werden - insofern also ein Erfolg, den die LZB für die mittelständische WirtschaftNordrhein-Westfalens verbuchen konnte. 3.3. Wirtschaftspolitik

Als Bank der Banken spielt die LZB eine bedeutende Rolle für die Funktionsfähigkeit der nordrhein-westfalischen Wirtschaft. Die LZB ist hier- ebenso wie die WGZ-Bank für ihre Mitgliedsbanken- Vordenker, und dies nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene. Mit ihrer hohen Verantwortung gegenüber der Wirtschaft und der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens geht die LZB unter der Führung von Reimut Jochimsen jedoch keineswegs absolutistisch um, sondern bindet alle am wirtschaftlichen Geschehen beteiligten Gruppen in Nordrhein-Westfalen aktiv in die Gestaltung der Rahmenbedingungen mit ein. Es kann nicht hoch genug anerkannt werden, daß sich Reimut J ochimsen in seiner Eigenschaft als Präsident der LZB und Mitglied des Direktoriums der Deutschen Bundesbank in den zahlreichen Gremien, in denen er die Interessen der nordrheinwestfalischen Wirtschaft vertritt, immer wieder zu aktuellen Themen und Entwicklungen zu Wort meldet und sich für bessere Rahmenbedingungen für den Standort Nordrhein-Westfalen einsetzt. Dies gilt insbesondere für seinen unermüdlichen Einsatz für einen stabilen Euro. Deutlich festzustellen ist auch, daß die Präsenz der LZB in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren ständig zugenommen hat - nicht über die Anzahl der Niederlassungen, sondern über die wissenschaftlichen Beiträge ihres Präsidenten zur Erhaltung der Wirtschaftskraft unseres Standortes. Jochimsen ist es zu verdanken, daß er es mit seiner offensiven und dem Stabilitätsgedanken verpflichteten Informationspolitik geschafft hat, sowohl bei den Banken als auch bei den Unternehmen mehr Transparenz in die Politik der Bundesbank zu bringen. Nicht nur mit ihrer professionellen Öffentlichkeitsarbeit leistet die LZB einen großen Beitrag zur Wirtschaftspolitik unseres Landes, sondern sie bindet darüber hinaus gezielt die Vertreter der am Standort Nordrhein-Westfalen ansässigen Banken und Unternehmen in das Geschehen ein. Dies geschieht auf vielfältige Weise und reicht von der Veranstaltung von Wirtschaftskongressen und regelmäßi-

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genGesprächskreisen bis hin zur Arbeit im wirtschaftlichen Beirat der LZB, in dem auch die WGZ-Bank vertreten ist. Diese breite Öffnung der LZB gegenüber der Öffentlichkeit hat nicht nur einen nachhaltigen Stabilitätskonsens in NordrheinWestfalen erzeugt, sondern darüber hinaus auch mehr gegenseitiges Verständnis und damit Akzeptanz unter den Beteiligten bewirkt. Hierdurch haben sich ein Zusammenhalt und eine Gemeinschaftsverantwortung entwickelt, die für den Fortbestand des StandortesNordrhein-Westfalen äußerst positiv sind. Zu seinem 65. Geburtstag ist Reimut Jochimsen daher der uneingeschränkte Dank der nordrhein-westfälischen Wirtschaft sicher. Auch die WGZ-Bank und die ihr angeschlossenen Volksbanken, Raiffeisenbanken und Spar- und Darlehnskassen danken ihm für seine vielfältigen Verdienste, die er sich in seiner Eigenschaft als Präsident der Landeszentralbank und darüber hinaus als Wissenschaftler und politischer Planer und mitunter Mahner erworben hat. Stellvertretend für die genossenschaftliche Bankengruppe in Nordrhein-Westfalen wünsche ich Reimut Jochimsen für sein weiteres Wirken alles Gute. Hierbei darf ich betonen, daß es ein großes Glück für unser Land ist, daß er seine Wiederwahl für weitere fünf Jahre als Präsident der LZB angenommen hat. Ich bin sicher, daß die Deutsche Bundesbank und die genossenschaftliche Bankengruppe in NordrheinWestfalen auch zukünftig zum Wohle der in unserem Land lebenden Menschen eng zusammenarbeiten und den von Reimut Jochimsen eingeschlagenen Weg weiter erfolgreich beschreiten werden.

Die Europäische Wirtschaftsund Währungsunion

Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion Anmerkungen zu einer Monographie von Reimut Jochimsen Von Helmut Hesse

1. Vorbemerkungen

"Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion", das ist der Titel einer äußerst sorgfältigen und scharfsinnigen Studie, die Reimut Jochimsen im Jahr 1994 vorgelegt hat 1• Im Vorwort zur zweiten, völlig überarbeiteten Auflage, die im Januar 1998 erschienen ist2, schreibt er: Es "bestätigt sich immer klarer meine Kernthese, daß das Maastrichter Vertragswerk eine 'Iex imperfecta et incompleta' darstellt, eine 'hinkende Konstruktion' zumal bei der Wirtschafts- und Währungsunion, der überdies wegen der fehlenden politischen Union noch die unerläßliche politische Gesamtkohärenz abgeht" (S. 13). Mit dieser Ansicht steht Jochimsen nicht allein. Jüngst noch, wenige Monate vor der Entscheidung darüber, welche Länder der Währungsunion angehören werden, haben die Zweifel an den Erfolgsaussichten der geplanten Währungsunion neue Nahrung erhalten. Im Januar 1998 haben vier Wissenschaftler beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen den Euro eingelegt. Mit großem wissenschaftlichen Aufwand wollen sie die Währungsunion noch verhindern3. Im Februar 1998 haben 155 Professoren in einer gemeinsamen Resolution4 eine Verschiebung des Beginns der Währungsunion gefordert, weil diese

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3

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Vgl. R. Jochimsen, Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Köln 1994. Vgl. R. Jochimsen, Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. 2. Auflage, Baden-Baden 1998. Beschwerdeführer sind Professor Kar! Albrecht Schachtschneider, Universität Erlangen-Nürnberg, Professor Joachim Starbatty, Universität Tübingen, Wilhelm Nölling, ehemaliger Präsident der Landeszentralbank in der Freien und Hansestadt Hamburg, und Wilhelm Hanke!. Abgedruckt in "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und "Financial Times", Ausgabe vom 9. Februar 1998.

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Helmut Hesse sonst aufgrund innerer Spannungen bald wieder zerbrechen und dadurch Europa in eine arge Krise stürzen würde. Auch haben sich jüngst einflußreiche Politiker nachdrücklich gegen den sofortigen Beginn einer Währungsunion ausgesprochen, so Professor Biedenkopf, Ministerpräsident des Freistaats Sachsen. Und der ehemalige Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Voscherau, verlangt eine Volksabstimmung - wohl wissend, daß nach einer vor kurzem durchgeführten Befragung 58 vH der deutschen Bevölkerung gegen die Währungsunion sind (30 vH sind dafür) und 60 vH einen Euro erwarten, der nicht so stabil sein wird, wie es die D-Mark wm-5.

Diese gegen die Europäische Währungsunion erhobenen Einwendungen sind gewichtig, ja fundamental, und dürfen nicht einfach übergangen werden. Zu ihnen sollen deshalb im folgenden einige Anmerkungen gemacht werden. Dabei wird Bezug auf die grundlegenden Erkenntnisse genommen, zu denen Jochimsen in seiner verdienstvollen Studie gelangt ist6 , im wesentlichen aber werden lediglich gegenwartsnahe Ereignisse auf dem Weg zur Europäischen Währungsunion punktuell erörtert. Diese Ereignisse lassen sich drei- tatsächlichen oder vermeintlichen -Konstruktionsfehlern der Währungsunion zuordnen, die in den Stellungnahmen der letzten Zeit immer wieder benannt werden: Erstens heißt es, der Europäischen Zentralbank fehle ein tragfester politischer Unterbau, sie hänge in der Luft und dürfe eine Unterstützung der nationalen Regierungen nicht erwarten. Damit fehle es an einer wichtigen Voraussetzung für eine effiziente Stabilitätspolitik. Zweitens wird darauf verwiesen, daß der Euro die Regierungen in ihrem Haushaltsgebahren disziplinieren solle und müsse, weil Regierungen, die das Schuldenmachen nicht sein lassen können oder nicht sein lassen wollen, inflationäre Tendenzen erzeugen. Doch diese Disziplinierung durch den Euro sei nicht zu erreichen mit der Folge, daß die versprochene Stabilitätsgemeinschaft in Europa nicht zu erwarten sei. Drittens wird die fehlende realwirtschaftliche Konvergenz in den potentiellen7 Mitgliedsländern beklagt. Diese verlieren ein wichtiges nationales wirtschaftspolitisches Instrument: den Wechselkurs. In einer Währungsunion gibt es keine Wechselkurse einer nationalen Währung gegenüber den Währungen 5 6 7

Vgl. o.V., Waigel wirbt um Europavertrauen. "Handelsblatt", Ausgabe vom 13. Februar 1998. Die folgenden Zitate sind der 2. Auflage entnommen. Derzeit - Anfang März 1998 - ist die Entscheidung über die Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion noch nicht gefallen.

Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion

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der anderen Mitgliedsländer mehr. So wird es auch nicht mehr möglich sein, bei auseinanderdriftenden realwirtschaftlichen Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedsländern mit einer Anpassung der innereuropäischen bilateralen Wechselkurse zu reagieren. Das aber könne- so die Euro-Skeptiker- Europa jetzt noch nicht verkraften; noch benötigten die einzelnen Länder den Wechselkurs als wirtschaftspolitisches Instrument.

2. Mangelnde politische Sicherung der Währungsunion? 2.1. Reimut Jochimsen

Der Erörterung des ersten dieser drei - tatsächlichen oder vermeintlichen Konstruktionsfehler widmet Jochimsen breiten Raum. Vor dem Hintergrund der "Stellungnahme der Deutschen Bundesbank zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion in Europa"8 , wonach letzten Endes eine Währungsunion "eine nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft [ist], die nach aller Erfahrung für ihren dauerhaften Bestand eine weitergehende Bindung in Form einer umfassenden politischen Union benötigt", beklagt er "den praktisch zum Stillstand gekommenen parallelen Auf- und Ausbau der Politischen Union" (S. 14). Er schreibt, der sogenannte Maastricht-11-Vertrag (Amsterdam, Juni 1997) habe kein solides politisches Fundament für die Währungsunion geschaffen, die deshalb "in die Schwebe geraten" (S. 15) sei. Und anzunehmen, "daß die EWWU letztlich [selbst die] ... Formung des politischen Zusammenhaltes erzwingen oder auch nur fördern würde", "wäre ein Fehlurteil". "Zu befürchten ist eher das Gegenteil" (S. 17). Er äußert "die dringliche Vermutung ... ,daß auf die Durchsetzung der jeweiligen Gruppenund Nationalinteressen im polit-ökonomischen Prozeß solange nicht verzichtet wird, wie die Möglichkeit zu 'Kompromissen zu Lasten Dritter' besteht; ... die bisherige Integrationsgeschichte bietet gerade dafür ganze Serien von Beispielen, so daß ihr eine hohe Wahrscheinlichkeit zuzumessen ist" (S. 172). Alles in allem: "Hinkende Konstruktion und fehlendes Junktim zur politischen Union -das sind schon arge Vorbelastungen für eine stabilitätsorientierte Währungsunion" (S. 181 ). 2.2. Gegenwartsnahe Ereignisse

Dieser Skepsis von Reimut Jochimsen entsprechen gegenwartsnahe Ereignisse, auf die er in seinem Buch nicht mehr eingehen konnte. Um sie besser einordnen zu können, soll an eine konzeptionelle Entscheidung erinnert werden, die im Vertrag von Maastricht ihren Niederschlag gefunden hat: "Der Euro soll ein entnationalisiertes Geld werden. Das meint genau genommen zwei Eigenschaften: der Euro als 8

Vgl. Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Stellungnahme der Deutschen Bundesbank zur Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion in Europa. "Monats berichte", Jg. 42 (1990), Nr. 10, S. 41f.

16 FS Jochimsen

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ein weitgehend entgrenztes Geld und der Euro als ein weitgehend entpolitisiertes Geld"9 • Entgrenztes Geld heißt, daß die nationalen Grenzen innerhalb der Union weder für die Gestaltung der Geldpolitik noch für die Verwendung des Geldes irgendeine Bedeutung haben. Entpolitisiert ist der Euro in dem Sinne, daß die Europäische Zentralbank bewußt unabhängig von politischen Einflüssen der Regierungen und anderer Institutionen operieren kann und damit das Geldwesen klar aus der Alltagspolitik herausgelöst ist. Die Politik kann das Ziel der Geldwertstabilität nicht -je nach Opportunität, Couleur der Regierung oder Wahltermin - anderen Zielen unterordnen. Entgrenzt und entpolitisiert- das sind zwei Eigenschaften, die zusammenkommen müssen. Da die Währungsunion nicht in eine weitgehend einheitliche und staatsähnlich verfaßte politische Union eingebettet ist, würde die Geldpolitik, wäre sie nicht entpolitisiert, ständig unter wechselnde politische Einflüsse aus dem Bereich der Nationalstaaten geraten, deshalb schwerlich das Vertrauen der Märkte erringen und letztlich das ihr gesetzte Stabilitätsziel nicht erreichen können. "Deshalb ist es auch wichtig, darauf zu achten, daß es jetzt beim Aufbau der Währungsunion und ihrer Institutionen nicht zu einem Versuch einer Art Re-Nationalisierung kommt" 10 • Doch eben dieser Versuch ist jüngst von verschiedenen Seiten unternommen worden. Als Beispiel sei auf die französische Regierung und auf Entwicklungen im Europäischen Parlament verwiesen. Noch istdie Aussage des ehemaligen französischen Regierungschefs Juppe nicht in Vergessenheit geraten, daß "der Euro kein Spielzeug für Zentralbankgouverneure (sei), sondern ein politischer Einsatz .... Die fiskalische und monetäre Politik dürfe nicht den Technokraten einer Zentralbank unterstellt werden" 11 • Deshalb weckt der Vorschlag der französischen Regierung, an die Spitze der Europäischen Zentralbank einen Franzosen zu berufen, Besorgnisse, zumal ein Pariser Wochenmagazin ein Mitglied des Zentralbankrats der Bank von Frankreich mitder Feststellung zitiert, ein französischer Präsidentder Europäischen Zentralbank sei eine Notwendigkeit, "um nicht unter das Joch eines neuen DeutschenReiches zu geraten" 12 • Das istdeshalb besorgniserregend, weil die Konzeption des entpolitisierten Euro so, wie es im Maastricht-Vertrag festgehalten wurde, impliziert, daß sowohl die Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank als auch die im europäischen Zentralbankrat vertretenen Präsidenten der 9

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H. Tietmeyer, Der Euro: ein entnationalisiertes Geld. (Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 72/1997.) Frankfurt a.M. 1997, S. 2. H. Tietmeyer. Zitiert von H. Kremp, Sanktionskatalog ohne Stabilitätsdisziplin? "Welt am Sonntag", Ausgabe vom 15. Dezember 1996. Zitiert von G. Braunberger, Zwischen Realität und Rhetorik. "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Ausgabe vom 21. November 1997.

Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion

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nationalen Zentralbanken nicht Vertreter nationaler Interessen, sondern Sachwalter und Hüter der neuen gemeinsamen Währung sind. Deswegen darf auch die Verteilung der Direktoriumssitze nach Nationen kein ausschlaggebendes Kriterium der Berufung sein. Zu einer Bedrohung für die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank könnten auch neuere Entwicklungen im Europäischen Parlament werden. Dort ist im Vorfeld parlamentarischer Beschlüsse die Forderung erhoben worden, die Europäische Zentralbank einer "demokratischen Rechenschaftspflicht" zu unterwerfen. Eine solche Rechenschaftspflicht versteht sich in einer Demokratie von selbst, und sie ist im Maastricht-Vertrag auch im einzelnen geregelt worden. Insofern könnte man denken, das Parlament renne offene Türen ein. Doch eine genaue Beschäftigung mit den vorgelegten Dokumenten zeigt, daß es dem Parlament um mehr als eine reine Rechenschaftspflicht geht. Es geht ihm offensichtlich um seine eigene Stellung in Europa und um seinen Einfluß. Durch Zitate aus zwei Dokumenten möchte ich das belegen. In dem Entwurf eines Berichts über die demokratische Rechenschaftspflicht in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion 13 wird "verlangt ... , daß die Protokolle der Sitzungen des EZB-Rates als Zusammenfassung einschließlich der gefaßten Beschlüsse und der ihnen zugrunde liegenden Argumente spätestens am Tag nach seinem nächsten Treffen veröffentlicht werden, wobei in diesen Zusammenfassungen auch zu erläutern ist, wie die Beschlüsse mit anderen Politikbereichen zusammenhängen und diese beeinflussen". Verlangt werden vierteljährliche Berichte über die jüngsten wirtschafts- und währungspolitischen Entwicklungen, die dann vom Parlament mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank und/oder sonstigen Mitgliedern des Direktoriums erörtert werden sollen. Um bei diesen Erörterungen Einfluß zu erlangen, wird eine Änderung des Maastricht-Vertrages derart verlangt, daß fürdie Bestellung des Präsidenten und der Mitglieder des Direktoriums die Zustimmung des Parlaments notwendig ist. Derzeit ist nur eine Konsultation erforderlich. Auch wird gefordert, "in eine künftige Änderung des Vertrags ... einen Mißtrauensantrag des Europäischen Parlaments gegenüber dem Präsidenten der EZB" aufzunehmen. In einem anderen Dokument des Europäischen Parlaments 14 heißt es: "Das Parlament sollte in der Lage sein, den Abschluß einer Vereinbarung mit der EZB zu erzielen, derzufolge sich die Leiter der EZB verpflichten, vorher bekanntzugeben, 13 14

16*

Berichterstatterin: Frau Randzio-Plath, Teil A: Entschließungsantrag, deutsche Version, Stand 22. Januar 1998. Entwurf einer Stellungnahme des Institutionellen Ausschusses für den Ausschuß für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik zu der Demokratischen Rechenschaftspflicht in der dritten Stufe der WWU. Verfasser: Femand Herman, 22. Januar 1998.

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welche Ziele der Währungsstabilität, des Niveaus der Zinssätze und des Wirtschaftswachstums sie in den folgenden zwölf Monaten verfolgen." "Dieser Vereinbarung zufolge würden die Leiter der EZB akzeptieren, daß die Höhe ihrer Vergütung von dem Grad der Durchführung der verkündeten Ziele der Währungsstabilität, des Zinsniveaus, des Wirtschaftswachstums abhängen könnte", wohlgemerkt: nicht allein der Preisniveaustabilität, sondern auch des Wirtschaftswachstums. Konsequenterweise wird deshalb auch eine Abstimmung mit den anderen Wirtschaftspolitiken verlangt. 2.3. Anmerkungen

Die Initiativen sowohl der französischen Regierung als auch des Europäischen Parlaments geben gewiß Anlaß zur Skepsis. Doch sollte man deshalb den Plan, eine Währungsunion zu gründen, unverzüglich aufgeben oder ihren Start prinzipiell verschieben? Einiges spricht dafür, daß eine solche Schlußfolgerung voreilig wäre. Frankreich war immer schon ein Land mit stärker zentralistischen Strukturen als Deutschland. Dort ist auch - anders als hier - die Vorstellung verbreitet, der Zentralstaat mit seiner Regierung und Verwaltung habe Einsicht und Macht genug, die wirtschaftlichen Geschicke des Landes zu lenken und müsse es deshalb tun. Die Abtretung von Macht an ein supranationales Gremium von Experten paßt nichtrecht zu dieser Staatsphilosophie. Das war schon immer klar und ließ politische Auseinandersetzungen erwarten. Doch die französische Regierung hat den Maastricht-Vertrag unterschrieben. Sie hat auch den Stabilitätspakt unterzeichnet, auf den weiter unten noch einzugehen ist. Das bedeutet, daß es gelingen müßte, französische Vorstöße dieser Art politisch abzuwehren. Gewiß, die Unabhängigkeit der Zentralbank ist nicht eine Sache der absoluten Sicherheit. Risiken sind nicht zu leugnen. Doch wann sind mit evolutorischen Entwicklungenjemals keine Risiken verbunden gewesen? Mit Risiken fertig zu werden, ist immer Aufgabe der Politik. Diesmal erscheint sie sogar vergleichsweise einfach, denn die geschlossenen Verträge erleichtern es, die Risiken einzugrenzen. Das setzt allerdings voraus, bei der Entscheidung überdie MitgliedschaftAnfang Mai 1998 streng darauf zu achten, daß die nationalen Notenbankgesetze auch nicht im geringsten im Widerspruch zu den die Unabhängigkeit regelnden Vorschriften von Artikel? der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank stehen, und bei der nach Artikel 11,2 dieser Satzung vorgeschriebenen "einvernehmlichen" Auswahl und Ernennung der Mitgliederdes Direktoriums sicherzustellen, daß diese zweifelsfrei Sachwalter und Hüter der neuen gemeinsamen Währung und nicht nationale Interessenvertreter sein werden. Auch die Texte aus dem Europäischen Parlament verlieren an Schrecken, wenn man sie nüchtern bewertet. Gewiß laufen sie im Kern darauf hinaus, die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank aufzuweichen und das Preisstabilitätsziel zu relativieren. Das sind gravierende Abweichungen von der Konzeption einer Wäh-

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rungsunion, wie sie ihren Niederschlag im Maastricht-Vertrag gefunden hat. Das Parlament entfernt sich somit von dem Vertrag, der in allen Ländern durch die demokratisch gewählten nationalen Parlamente ratifiziert wurde und zu internationalem Recht geworden ist. Doch daß das Parlament solche Forderungen stellt, ist verständlich. Anscheinend möchte es die gute Chance, welche die Bildung einer Europäischen Währungsunion bietet, nicht verstreichen lassen, um seine bisher eher dürftigen Mitwirkungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten durch Vereinbarungen mit anderen europäischen Institutionen zu verstärken und seine bisher ebenfalls nur geringen Mitentscheidungsrechte durch Vertragsänderung auszuweiten. Mit der Sache der Währungsunion selbst hat das wenig zu tun. Deshalb spricht wenig dafür, daß das Parlament Gehör findet, zumal eine Änderung des Maastricht-Vertrags die Ratifizierung durch alle nationalen Parlamente, in Deutschland durch Bundestag und Bundesrat, zur Voraussetzung hätte und somit von deutscher Seite vereitelt werden könnte.

3. Haushaltsdisziplin durch den Euro? Auch dem zweiten der drei- tatsächlichen oder vermeintlichen- Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion wendet sich Reimut Jochimsen mit Akribie und Scharfsinn zu, also dem Argument, der Euro erfordere eine Haushaltsdisziplin, zu der die Mitgliedsländer nicht bzw. derzeit noch nicht fähig seien. "Eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, ersichtlich aus einer öffentlichen Haushaltslage ohne übermäßiges Defizit" (Artikel109j des EG-Vertrags), zu gewährleisten, sei ihnen entweder nicht möglich oder stehe im Widerspruch zu ihren wirtschaftspolitischen Überzeugungen. 3.1. Reimut Jochimsen

Jochimsen verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß für die der Staatsschuld im Maastricht-Vertrag gezogenen Grenze "eine überzeugende Argumentation in einem 'historischen' Kontext" vorliegt(S. 161). Diemitder Ausarbeitungdes Maastricht-Vertrags beauftragten Arbeitsgruppen wußten, daß es im wesentlichen der Staat mit seiner Schuldenmacherei ist, der Inflation verursacht und verstärkt. So beschlossen sie, diese Inflationsquelle auszutrocknen, und zwar auf einem sehr direkten Weg, nämlich durch AbdeckeJung der Staatsschulden von oben. Damals belief sich der Staatsschuldenstand in Europa im Länderdurchschnitt auf knapp 60 vH des Bruttoinlandsprodukts. So wurde beschlossen, eine höhere Quote als 60 vH nicht zuzulassen. Entsprechend wurde dieser Prozentsatz in den MaastrichtVertrag übernommen. Kein Land sollte Mitglied der Währungsunion werden können, das diesem Wert nicht in steter Annäherung hinreichend nahe gekommen ist.

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Länder, die eine Staatsschuldenquote gerade von 60 vH aufweisen und diese nicht anheben können und wollen, dürfen -das ist eine einfache Rechnung- kein höheres Defizit aufweisen als 3 vH des BIP, wenn das nominale Wachstum, wie man damals glaubte annehmen zu dürfen, jahresdurchschnittlich 5 vH beträgt. Bei einem Wachstum des nominalen BIP von 5 vH gehören insofern eine Staatsschuldenquote von 60 vH des BIP und eine Defizitquote von 3 vH zusammen. Länder, die anfänglich mit ihrer Staatsschuldenquote über 60 vH liegen, können sich diesem Referenzwert um so schneller annähern, je mehr sie ihre Defizitquote dauerhaft unter 3 vH halten. Das heißt also, daß hoch verschuldete Länder, um Mitglied in der Währungsunion werden zu können, einen um so strikteren Konsolidierungskurs fahren müssen, je höher ihre Staatsschuldenquote ist. Sie müssen die Gürtel vergleichsweise sehr eng schnallen. Das ist die Philosophie des Maastricht-Vertrags, um sicherzustellen, daß die Europäische Zentralbank in der Verfolgung des ihr gesetzlich vorgegebenen Stabilitätsziels von den nationalen Regierungen nicht behindert werden kann. Nur, dieser Philosophie ist in den Folgejahren nicht entsprochen worden. "Hier kann leider nur die Diagnose gestellt werden, daß die Regierungen offensichtlich nicht mehr, jedenfalls noch nicht wieder, in der Lage sind, den Marsch in immer größere Staatsverschuldungen wirksam zu korrigieren" (S. 165). Jochimsen gibt Gründe für diesen Sachverhalt an, die sich zu der These eines Konstruktionsfehlers verdichten lassen. "Wie wir heute wissen, gelang dieses Vorhaben nicht, auch weil die Preisraten rascher als erwartet fielen und damit die nominalen Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts drückten, vor allem jedoch, weil die realen Wachstumsraten ... relativ gering waren, zugleich überdies die Staatsausgaben für eine alternde Bevölkerung, auch deshalb explodierende Gesundheitskosten, bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeittrotz Steuererhöhungen weiterüberproportional stiegen" (S. 16lf.). Angesichts dieser von den Vertragsparteien nicht erwarteten Entwicklungen von einem Konstruktionsfehler zu sprechen, liegt auch deshalb nahe, weil "mit den notwendigen Einschnitten in den öffentlichen Haushalten- zumal bei Kürzungen von öffentlichen Infrastrukturinvestitionen oder von Ausgaben für Qualifikation und Forschung" die große Gefahr verbunden ist, "daß die akuten Beschäftigungsund Wachstumsprobleme noch zusätzlich verschärft werden" (S. 162). 3.2. Gegenwartsnahe Ereignisse

Hinzu kommt, daß sich in einem längeren Prozeß die Erkenntnis durchgesetzt zu haben scheint, daß von den potentiellen Mitgliedsländern besonders die großen nicht schnell genug mit den Sozialreformen vorankommen, wie es für die Gewährleistung einer auf Dauer tragbaren Finanzlage notwendig ist. Darauf verweist vor allem der "Reformstau", der in Deutschland zum Unwort des Jahres 1997 geworden

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ist. Die Frage nach den Fortschritten bei den notwendigen Sozialreformen ist deshalb wichtig, weil der Euro je länger desto mehr auch als ein "grand design" der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik begriffen wird- verbunden mit hohem politischen Risiko. Es heißt, die "wirkliche politische Strategie, deren Mittel der Euro ist- wenn er denn zu härten ist aufjetzt und immerdar und nicht wegen unüberwindbarer Differenzen die europäischen Hauptstädte entzweit - ziele darauf, die industriellen Demokratien Westeuropas vor den Folgen ihrer sozialen Exzesse zu retten. Diese Funktion aber ruht nicht einfach in der Existenz der gemeinsamen Währung, sondern ist aufs engste abhängig von den Normen und dem Institutionsgefüge, in das sie gestellt werden soll, [also von der] Kraft und [dem] Statut der Europäischen Zentralbank. Beide sind aber nur so dauerhaft, wie die Regierungen der beteiligten Länder sie dauerhaft wollen- und wollen können" 15 • Das "WollenKönnen" hängt wesentlich davon ab, wie stark die Kräfte jener sind, die sich einem "Umsteuem des Sozialstaats vom steigenden Zukunftsverbrauch auf Kosten der Kinder zur Zukunftsfähigkeit durch Nachhaltigkeit" 16 widersetzen und damit die mit einem entgrenzten und entpolitisierten Euro verbundene Disziplin ablehnen. Darauf, daß diese Kräfte stark sind, verweist vieles. Sonst hätte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nicht vor kurzem angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs seiner Partei am 27. September 1998 (Bundestagswahl) würden die bisherigen Sozialreformbeschlüsse aufgehoben. Zu diesen Feststellungen scheint nicht recht zu passen, daß inzwischen mit Ausnahme von Griechenland alle Länder für 1997 Staatshaushaltsrechnungen vorgelegt haben, die mit einem Defizit von nicht mehr als 3 vH des jeweiligen BIP abschließen. Man darfjedoch "die wahre Sturzflut kreativerB uchführung" (S. 164) nicht übersehen, mit der die beitrittswilligen Länder versucht haben, das in Maastricht beschlossene Konvergenzkriterium zu erfüllen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beschreibt in seinem Jahresgutachten 1997/98 die "technischen Umdefinitionen und buchhalterischen Maßnahmen", mit deren Hilfe einige Länder den Konvergenztest zu bestehen hoffen, und schätzt deren Effekt für Italien auf gut einen Prozentpunkt und für Frankreich auf gut einen halben Prozentpunkt ein 17 . Zusätzlich fällt ins Gewicht, daß der in den letzten Jahren beobachtete Rückgang der Defizitquoten zu einem erheblichen Teil nicht Konsolidierungsbemühungen der Regierungen zuzuschreiben ist, sondern den Staaten quasi als Geschenk der Finanzmärkte zugefallen ist: Die Marktzinssätze und damit die impliziten Zinsen 15 16

17

M. Stürmer, Was beim Euro auf dem Spiel steht. Ein spätes Rendezvous mit der Realität. "Neue Zürcher Zeitung", Ausgabe vom 13. November 1997. M. Stürmer. V gl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1997/98. Stuttgart 1997, Ziffer 403 und 404 sowie Kasten 8.

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für Staatsschulden sind deutlich gesunken. Die dadurch bewirkten Zinsersparnisse belaufen sich für 1996 und 1997 zusammen im Durchschnittder elfbeitrittswilligen Länder auf 1,1 vH des BIP. Vergleichsweise hoch sind diese Ersparnisse in Portugal (4,5 vH des BIP), Italien (2,7 vH), Deutschland (2,1 vH) und Spanien (1,8 vH) 18 . 3.3. Anmerkungen

Nimmt man alle diese Beobachtungen und Erkenntnisse zusammen, so erscheint die Skepsis, daß mit der für einen stabilen Euro notwendigen Haushaltsdisziplin schwerlich gerechnet werden könne, verständlich. Doch folgt nicht bereits daraus, daß schon vor dem "Europatauglichkeitstest" eine allgemeine Verschiebung des Starttermins für die Währungsunion oder gar eine Aufgabe des ganzen Vorhabens anzuraten wäre. Man muß wenigstens zwei weitere Sachverhalte in die Überlegungen einbezogen haben, ehe eine solche Schlußfolgerung gezogen werden kann. Erstens ist nüchtern zu registrieren, daß Haushaltsdisziplin auch ohne den Euro in Europa zu einem unbedingten Muß geworden ist. Die Steuerlast ist inzwischen so drückend geworden, daß Steuervermeidung, Steuerhinterziehung und Steuerflucht weit verbreitet sind und zahlreiche Unternehmen ihre Hauptquartiere in Länder mit niedrigerer Besteuerung verlagert haben. Zu hohe Steuern haben sich als Standortnachteil erwiesen. Will Deutschland, wollen andere europäische Länder ihren Lebensstandard im internationalen Wettbewerb halten, geht an einer Reduzierung der Abgabenlast kein Weg vorbei. Die Vorbedingung dafür ist jedoch eine deutliche Herabführung der Staatsquote. Auch unserer Kinder wegen ist eine energische Konsolidierung unabdingbar. Unsere Kinder werden, wenn sie ins Erwerbsleben eintreten, die Güter zu produzieren haben, die wir Älteren nach Eintritt in den Ruhestand verbrauchen. Unsere Kinder haben uns mit ihrer Arbeit zu ernähren. Das wird ihnen jedoch zunehmend schwerer fallen. Heute müssen in Deutschland drei Berufstätige einen älteren Menschen unterhalten. In nicht allzu langer Zeit werden es nur noch zwei Berufstätige sein, die für einen Alten aufzukommen haben. Wenn wir unseren Kindem nun auch noch eine größere Zinslast infolge höherer Staatsschulden aufbürden, werden wir sie überfordern. Soziale Turbulenzen und Altersnot wären die Folge. Noch gewichtiger erscheint der zweite Sachverhalt. Inzwischen weiß es jedermann: Die Finanzmärkte sind global geworden; und die Kapitalströme, die Tag für Tag fließen, sind außerordentlich massiv. Zunehmend ist die Vermögensanlage in die Hände von Profis gelegt worden. Institutionelle Anleger beschäftigen Experten, die nahezu täglich die einzelnen Länder unter 18

Vgl. Goldman/Sachs, European Economic Research Group (Ed.), "European Weekly Analyst", vol. 1998, no. 5.

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Kapitalanlagegesichtspunkten bewerten und dabei auf jede wirtschaftspolitische Entscheidung und auf jede Trendverschiebung in der wirtschaftlichen Entwicklung reagieren. Dort, wo sie Risiken, Inflationsbeschleunigung und Renditenrückgang relativ zu anderen Ländern sehen, ziehen sie ihre Anlagen ab mit der Folge von Zinsanstieg und Währungsabwertung. Insofern werden Schuldenmacherei und Inflationsduldung bestraft. Kein Land kann sich dem entziehen. Das bedeutet: Auch ohne den Euro mit seinem Disziplinierungszwang sind die europäischen Länder unter dem Diktat der Weltfinanzmärkte zur Haushaltsdisziplin, zu Steuer- und Rentenreform, zu nachhaltiger Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik verpflichtet. Bedenkt man diese beiden Sachverhalte, so tritt eine andere Frage als die nach dem angemessenen Starttermin für die Währungsunion in den Vordergrund, die Frage nämlich, ob es mit dem Euro und seinen gesetzlichen Grundlagen und internationalen Vereinbarungen leichter fällt als ohne ihn, den Anforderungen der Zukunft mit ihrem höheren Altersquotienten und den Anforderungen der globalen Märkte zu entsprechen. Die Frage so zu formulieren, entspricht auch einer Erkenntnis, zu der Jochimsen gelangt ist. Er schreibt: "Die Währungsunion mit ihren Maastrichter Fiskalerfordernissen taugtinsofern nicht zum' Sündenbock', sie selbst ist nicht Ursache, wohl aber 'Katalysator', die Konsolidierungsnotwendigkeiten jetzt endlich ernsthaft anzupacken" (S. 163). Bei der Beantwortung dieser Frage ist nicht nur an die Verpflichtung der Mitgliedsländer zu einer auf Dauer tragbaren Finanzlage gemäß Artikel 109 j des EG-Vertrags zu denken, sondern auch an den auf der Gipfelkonferenz in Amsterdam im Juni 1997 geschlossenen "Stabilitäts- und Wachstumspakt". Dieser verpflichtet die Regierungen der Mitgliedsländer, in "Normaljahren" den Staatshaushalt so aufzustellen, daß er in Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen ist oder sogar einen Überschuß aufweist. Nur in Rezessionsjahren, in denen das Bruttoinlandsprodukt binnen Jahresfrist um mehr als% vH zurückgeht- was in den letzten Jahrzehnten äußerst selten geschehen ist-, löst eine Überschreitung der dem Defizit mit 3 vH gezogenen Grenze keine Sanktionsmaßnahmen aus. Für Jochimsen ist der Stabilitätspakt zwar "halbherzig" und "in letzter Konsequenz wohl wenig abschreckend" (S. 175), aber dieses Urteil muß als sehr hart angesehen werden. Die vorgesehenen finanziellen Strafen und auch der mit ihnen verbundene internationale Prestigeverlust dürften als schmerzlich empfunden werden. Zudem darf ein Land, das in Normaljahren die dem Defizit gezogene Grenze von 3 vH überschreitet, nicht sicher mit Nachsicht der übrigen Mitgliedsländer rechnen; denn diese wären von den möglichen Folgen des Defizits, einem Anstieg der Zinsen und ggf. einer Abwertung des Euro, in gleicher Weise betroffen. Wie dem auch sei, die Vorstellung, ohne die Währungsunion mit ihren vertraglich abgesicherten Verpflichtungen und Verhaltensmaximen in Europa zur Haushalts-

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disziplin zurückkehren zu können, erscheint vergleichsweise realitätsfern. Hinzu kommt, daß Länder, die erkennbar nicht oder wahrscheinlich nicht in der Lage sind, eine auf Dauer tragbare Finanzlage zu gewährleisten, die Bedingungen des Maastricht-Vertrags nicht erfüllen und deshalb nicht gleich arn Anfang der Währungsunion beitreten können. Deshalb ist ein strenger, dem Prinzip der Bestandsfestigkeit (sustainability) verpflichteter Konvergenztest einzufordern, nicht bereits im Vorfeld eine allgemeine Verschiebung.

4. Veränderliche Binnenwechselkurse unverzichtbar? Schwerer noch als die beiden bisher erörterten- potentiellen oder tatsächlichen -Konstruktionsfehler wiegt im Urteil der meisten Euro-Skeptiker der Verzicht auf veränderliche Binnenkurse.

4.1. Reimut Jochimsen

"Bei einer Einheitswährung sehen sich die Währungsunionsländer ... vor das Problem gestellt, daß sie auf auseinanderlaufende Preis- und Kostenentwicklungen, auf unterschiedliche Produktivitätsvortschritte, Nachfrageverschiebungen zwischen den Regionen ... oder aufwirtschaftliche Schocks exogenen Ursprungs (z.B. Ölpreiserhöhungen) nicht mehr mit dem Instrument der Wechselkursanpassung reagieren können" (S. 74). "Deshalb rückt die relative Entwicklung der Löhne und Produktivitäten in den Regionen und Volkswirtschaften ... ins Zentrum der Erfolgsbedingungen. Die Hauptlast der Anpassung muß nun nämlich unmittelbar von den Entwicklungen bei den Löhnen übernommen werden. Ansonsten drohen Beschäftigungs- und Wachstumseinbußen" (S. 75). Die "Konsequenzen des Verzichts auf den Wechselkurs als wirtschaftspolitisches Anpassungsscharnier" (S. 176) stellen sich für Jochimsen "um so problematischer dar, als ja hinsichtlich des realwirtschaftlichen Entwicklungsstandes keine Bedingungen für den Eintritt in die EWWU- etwa hinsichtlich Produktivitätsniveau oder Beschäftigungsstand- vorgesehen sind" (S. 177) und "eine realwirtschaftlich verdiente, weitgehende Lohnangleichung in Europa ... noch Jahrzehnte beanspruchen dürfte" (S. 178). "Tendenziell schafft [zwar] die Währungsunion ... einen erheblichen, über die bis dato nationale Stabilitätspolitik hinausreichenden Disziplinierungsdruck auf die Tarifparteien" (S. 75), doch ihm "erscheint es naiv, schlicht auf das 'Vernunftargument' oder gar einen der Währungsunion inhärenten Zwang zu bauen" (S. 179); denn in Europaergäbe sich zukünftig wie in früheren Zeiten "die Möglichkeit, die Folgen einer verfehlten Tarifpolitik zu 'vergemeinschaften', also über einzufordernde Ausgleichszahlungen auf Mitgliedstaaten oder Regionen mit höherer Produktivität und fiskalischer Leistungsfähigkeit abzuwälzen" (S. 179).

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Das alles läuft auf die Befürchtung hinaus, daß Europa in ein gefährliches Spannungsfeld geraten werde.

4.2. Gegenwartsnahe Ereignisse

Bisher erschien diese eher skeptische Einstellung gegenüber dem "Vernunftargument" überzogen, denn hinsichtlich der Notwendigkeit, die Arbeitsmärkte flexibler zu gestalten und in der Tarifpolitik der wachsenden Arbeitslosigkeit Rechnung zu tragen, bestanden bisher keine verbreiteten ernsthaften Zweifel. Das mögen exemplarisch die nüchterne Feststellung "labour has been made too costly" 19 des Kanzlerkandidaten der SPD und das folgende Zitat aus dem Positionspapier zur Wirtschafts- und Währungsunion des DGB 20 belegen: "In der EWWU mit EuroWährung wird die Lohnpolitik wegen des Wegfalls der Ausgleichswirkungen des Wechselkursmechanismus ... zum zentralen Standortfaktor ... ; denn jeder überdurchschnittliche Anstieg der Lohnstückkosten muß mit einem Rückgang der preislichen Wettbewerbsfähigkeit bezahlt werden, während jede überdurchschnittliehe Lohnzurückhaltung Wettbewerbsvorteile bietet". Der besorgniserregende Anstieg der Arbeitslosenquote auf zuletzt 10,8 vH in Westdeutschland und 19,2 vH in Ostdeutschland21 sowie die damit verbundenen sozialen Spannungen und Verwerfungen haben jedoch dem "Vernunftargument" Überzeugungskraft genommen. Hinzu kommt, daß führende Gewerkschaftsvertreter in Deutschland kürzlich ein "Ende der Bescheidenheit" bei den Tariflohnverhandlungen angeregt haben und der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei seine Forderung nach einer Stärkung der Binnennachfrage mit der Kaufkrafttheorie der Löhne begründet hat, obwohl diese Theorie wegen des langanhaltenden Anstiegs der Personalnebenkosten sowie der Zwangsabgabenquote und infolge der Internationalisierung von Wettbewerb und Produktion längst ihre Gültigkeit verloren hat.

19 20

21

G. Schröder, Refonning the German Model. "Financial Times", Ausgabe vom 5. November 1997. Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (Hrsg.), Zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). (Informationen zur Wirtschafts- und Strukturpolitik, Nr. 1111995.) Düsseldorf 1995), S. 7. Ende Februar 1998, Arbeitslosenquote gemessen an den abhängigen Erwerbspersonen, nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit. Es gibt Arbeitsamtsbezirke mit deutlich höherer Arbeitslosenquote; als Beispiele seien Sangershausen (28,4 vH) und Merseburg (27,0 vH) genannt.

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Helmut Hesse 4.3. Anmerkungen

Es ist müßig, über den Disziplinierungszwang des Euro und über die Lernfähigkeit und Lernwilligkeit der Regierenden sowie der Tarifparteien zu streiten. Allseits überzeugende Argumente, die zwischen risikoscheuen und risikobereiten Debattanten Klärung schaffen, lassen sich nicht anführen. Mit dieser Feststellung sollte man sichjedoch nicht begnügen, sondern weitere Argumente abwägen: Zunächst ist daran zu erinnern, daß eine Abwertung der D-Mark gegenüber den Währungen unserer Nachbarländer zur Lösung unserer Arbeitsmarktprobleme bisher nie zur Diskussion stand. Im Gegenteil, Deutschland hatte eher mit einer internationalen Stärkung der D-Mark, und das heißt mit wechselkursbedingten Abschwächungen unserer innereuropäischen Wettbewerbsposition, zu tun und ist damit zurechtgekommen, wie beispielhaft der hohe Überschuß in unserer Handelsbilanz des vergangenen Jahres demonstriert. Daß der Verzicht auf potentielle Abwertungen der D-Mark für unser Land gefährlich sei, läßt sich somit aus unserer jüngeren Wirtschaftsgeschichte nicht ableiten, und dies, obwohl Deutschland sich jüngst von der OECD ins Stammbuch schreiben lassen mußte, daß es in allen wichtigen Aspekten der Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik nicht besser, ja zumeist schlechter zu beurteilen sei als die übrigen europäischen Länder 2• Man darf auch nicht vergessen, daß der Euro gegenüber den Währungen von Drittländern, beispielsweise gegenüber Dollar und Yen, flexibel bleibt. Das Europa der Währungsunion behält also den Wechselkurs als Adjustierungsinstrument. Verloren geht somit nur die Möglichkeit, den nationalen Wechselkurs zu ändern, wenn eines der Mitgliedsländer im Vergleich zu einem anderen aus Gründen hausgemachter Fehlentwicklungen in Wettbewerbsschwierigkeiten geriete. Das ist nicht eben oft zu erwarten. Nach einer jüngst veröffentlichten Studie beruhen 83 vH der zwischen 1971 und 1993 eingetretenen nationalen Veränderungen der Arbeitslosenquoten in der Europäischen Gemeinschaft auf gemeinsamen Grilnden 23 • Mit einer Änderung der bilateralen Wechselkurse läßt sich dem nicht begegnen. Und in den letzten Jahren haben sich die einzelnen Länder in der Makropolitik aufeinanderzubewegt So heißt es im Wirtschaftsausblick der OECD im Dezember 1997: "Most of the concerns raised here seem unlikely to cause severe problems at 22

23

OECD (Ed.), Implementing the OECD Jobs Strategy- Member Countries Experience. Paris 1997. Vgl. auch Institut der Deutschen Wirtschaft (Hrsg.), EU-Beschäftigungsgipfel: Vielen Wohl und keinem Wehe. "iwd", Jg. 23 (1997), Nr. 47, S. 4. Vgl. J. Viiials and J. Jimeno, Monetary Union and European Unemployment. (Banco de Espaiia, Servicio de Estudios, Documento de Trabajo no. 9624.) Madrid 1996,

s. 18.

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the outset of EMU. The correlation of business cycles among likely participants is generallyhigh and has been increasing in recent years" 24 • In der Welt von heute mit ihrer Globalisierung der Märkte und ihrer Internationalisierung der Produktion kommen die europäischen Länder nicht daran vorbei - Währungsunion hin, Währungsunion her - ihre Arbeitsmärkte zu flexibilisieren und sich in ihrer Tarifpolitik auf die Erfordernisse der Weltmärkte einzustellen. Wenn der Euro dazu führt, daß Europa schneller und leichter diesem weltwirtschaftliehen Reformdruck entspricht, ist darin ein Vorteil zu erblicken. Hinzu kommt, daß die Wachstums- und Beschäftigungshoffnungen Europas in der Weltwirtschaft von heute mit ihren volatilen Finanzmärkten schwerlich ohne den gemeinsamen Markt in Erfüllung gehen können. Zu ihm ist eine Alternative nicht in Sicht. Der gemeinsame Markt ist jedoch keiner, wenn bilaterale Verschiebungen der innereuropäischen Wechselkurse jederzeit möglich sind und deshalb ein Währungsrisiko über ihm liegt. Gerade die deutsche Volkswirtschaft ist auf eine von währungsbedingten Unsicherheiten freigestellte Heimatbasis, wie sie beispielsweise die amerikanischen Konkurrenten mit ihrem großen Heimatmarkt haben, angewiesen. Mehr als die Hälfte aller unserer Exporte geht in unsere europäischen Nachbarländer. Das wichtigste Argument der Euro-Befürworter lautet deshalb auch wie folgt: "Der Euro bringt den großen Europäischen Binnenmarkt erst voll zur Entfaltung und macht ihn unumkehrbar. Mit der Währungsunion wird Europa weniger anfallig für Währungsturbulenzen. Die Finanz- und Währungskrise in Asien zeigt einmal mehr, daß wir die Vorteile eines EuroHeimatmarktes mit bis zu 370 Millionen Menschen nicht hoch genug einschätzen können" 25 • Lohnangleichung und regionaler Wachstumsgleichschritt sind zwar erwünscht, sind aber den unverzichtbaren Voraussetzungen einer spannungsfreien Währungsunion nicht zuzurechnen. Man vergegenwärtige sich die unterschiedlichen Entwicklungen etwa von Kalifornien und Montana im Währungsraum des US-Dollar oder des Emslandes und des Großraums Frankfurt im Währungsgebiet der D-Mark26 •

24

25 26

OECD (Ed.), Economic Outlook, vol. 62. Paris 1997, S. 19. H. Köhler, Rede am 11. Februar 1998 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, S. 1 des Redemanuskripts. Jochimsen vertritt offensichtlich eine andere Ansicht, wenn er schreibt (S. 178f.): "... die Erfahrung des italienischen Mezzogiomo legt nach 125 Jahren einheitlichem Währungsraum mit dem prosperierenden Norditalien eher nahe, daß die gemeinsame Geldverfassung mit der einheitlichen Geldpolitik die regionalen Disparitäten vertieft, statt sie abzumildern".

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Helmut Hesse Das wichtigste der Konvergenzkriterien ist das Wechselkurskriterium. Wenn Zweifel daran bestehen, daß ein beitrittswilliges Land weiterhin der innereuropäischen Wechselkursadjustierung bedarf, um im wirtschaftlichen Wettbewerb mit den Nachbarstaaten bestehen zu können und nicht Wachstums- und Beschäftigungsverluste hinnehmen zu müssen, wird es in einem strengen Konvergenztest nicht bestehen. Ein verantwortungsvoller strenger Test ist zu fordern, nicht eine allgemeine Verschiebung der Währungsunion.

Der Euro- ein "politisch' Lied" Von Winfried Reimann "Letzten Endes ist eine Währungsunion ... eine nicht mehr kündbare Solidargemeinschaft, die nach aller Erfahrung für ihren dauerhaften Bestand eine weitergehende Bindung in Form einer umfassenden Politischen Union benötigt." So lautete ein Kernsatz der Stellungnahme des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank vom September 1990, Thema: die geplante europäische Gemeinschaftswährung. Für Reimut Jochimsen, damals frisch berufener Präsident der Landeszentralbank in Nordrhein-Westfalen, wurde diese Aussage, die eine-bisherunerfüllte-Forderung ist, eine Art Leitmotiv seines Engagements für ein Europa-Geld, das, politisch gesehen, nicht im gewissermaßen luftleeren Raume schwebt, sondern auf hinreichend sicheren institutionellen Fundamenten ruht. Seit Jahrzehnten im öffentlichen Leben aktiv, war Jochimsen schon früher kein "bequemer" Zeitgenosse. Als Wirtschaftsminister des größten deutschen Bundeslandes - um nur sein vorletztes Amt zu erwähnen - hat er erste Weichen für den überfälligen Strukturwandel in der alten Montanregion stellen müssen, auch gegen den Widerstand der eigenen sozialdemokratischen Parteifreunde im Kabinett oder vor Ort. So etwas macht, wenn man es durchsteht, Mut und hilft gegen Dünnhäutigkeit.

"Hinkende Konstruktion" Die Kanten sind wohl seither noch schärfer geworden. Jedenfalls hat kein "Bundesbanker" so hartnäckig wie er in aller Öffentlichkeit immer wieder Anstoß an der "hinkenden Konstruktion" von Maastricht genommen, einer- so Jochimsens Verdikt- "Iex imperfecta et incompleta", die eine supranationale Europäische Zentralbank installiert, ohne dieser wenigstens auf mittlere Sicht ein ebenfalls supranational organisiertes, die unterschiedlichen nationalen Interessen und Traditionen bündelndes politisches Pendant gegenüberzustellen. Für Jochimsen war dies Anlaß, unermüdlich vor dem Konfliktpoktential einer Konstellation zu warnen, in der ein ausgewogener "policy mix" zwischen einer vorrangig zur Wahrung von Preisstabilität verpflichteten europäischen Geldpolitik und einer nach wie vor dutzendweise- einzelstaatlich zu verantwortenden Wirtschafts- und Finanzpolitik von vomherein wenig Chancen hat. Er legtdamit die Finger auf eine Wunde, die sich

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inzwischen, nach dem- regional durchaus unterschiedlich- starken Wachstum der Arbeitslosigkeit, besonders schmerzhaft bemerkbar machen könnte. Im folgenden sei eine - notgedrungen äußerst lückenhafte - Auslese dieses Engagements geboten, das übrigens in den Medien nicht von ungefähr immer wieder ein beachtliches Echo gefunden hat. Schon im Oktober 1990, knapp 14 Monate vor der entscheidenden Konferenz in Maastricht, mahntJochimsen in einer Diskussionsveranstaltung der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung zu Düsseldorf, unter Berufung auf eine gleichlautende Forderung des Bundeskanzlers, die Konvergenz der europäischen Wirtschaftspolitiken an. Und am 15. Aprill991 pocht er als Präsident der Landeszentralbank im Brüsseler EU-Verbindungsbüro darauf, über der Währungsunion die Wirtschaftsunion mit ihren politischen Dimensionen nicht zu vergessen. Zwischen der wirtschaftlichen Integration einschließlich der Konjunktur-, Beschäftigungs- und Strukturpolitik und den Schritten auf dem Felde der Währungspolitik müsse zumindest Kohäsion gewährleistet sein. Eine voll ausgebildete Währungsunion sei ohne ausgebildete politische Einheit kaum vorstellbar.

Früh gewarnt Zugleich setzt Jochimsen Warnsignale für den Fall, daß die Europäische Zentralbank mit einem Netzwerk von Pflichten zur Beratung, Abstimmung und Rechenschaftslegung überzogen werden sollte. Sollte außerdem der Ministerrat die Grundlinien der Wechselkurspolitik vorgeben und dann auch noch allgemeine Vorschriften für die Geldmengensteuerung erlassen, werde der Handlungsspielraum der Geldpolitik auf einen "Gefolgschaftspfad" eingeengt, der Stabilitätsauftrag zur Restgröße verkümmern. Mancher fordere mittlerweile ein "gouvernement economique" als Gegengewicht zur unabhängigen Zentralbank. Es seijanicht abwegig, die Wirtschaftspolitik integrieren oder doch koordinieren zu wollen. Ziel dieser Ideen sei aber nicht ein solches Ausbalancieren, sondern die politische Kontrolle über die Geldpolitik ... Dies waren erste Alarmrufe-wie gesagt vom Frühjahr 1991, also noch während der Vorberatungen zum Maastricht-Vertrag - und womöglich vergebliche dazu. Zwar ist die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank im Vertrag nicht nur beschworen, sondern, wie man meinen sollte, in Art. I 07 auch glasklardefiniert Das hat indessen zwei französische Staatspräsidenten - den Sozialisten Francois Mitterand im September 1992 und den Gaullisten Jacques Chirac im Dezember 1996, ähnlich wie sinngemäß noch einmal im Mai 1998 - nicht daran gehindert, der eigenen Öffentlichkeit nachdrücklich zu versichern, die monetären "Techniker" der Bank würden lediglich die Vorgaben der "politischen Macht" in die Tat umzusetzen haben!

Der Euro- ein "politisch' Lied"

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Das Wechselkursregime und die Grundsätze der Wechselkurspolitik sind jedenfalls, ungeachtet mißlicher deutscher und später europäischer Erfahrungen mit verschleppten Anpassungs beschlüssen, letztlich in Händen der "politischen Macht" verblieben. Das "Netzwerk" an Abstimmungspflichten der künftigen Zentralbank ist- weit über die in Art. 109 b des Vertrags fixierten Berichts- und Auskunftspflichten hinaus - mittlerweile immerhin zur Forderung des Europäischen Parlaments gediehen. Und das "gouvemement economique" haben wir in Gestaltdes ominösen "Euro-11-Rats" inzwischen offenbar auch verpasst bekommen.

Deutsche Geldpolitik aushebeln? Jochimsen äußerte frühzeitig den Verdacht, "einigen EWS-Mitgliedem" gehe es wohl vor allem "um die Abmilderung, wenn nicht gar Aushebelung der als allzu stabilitätsbeflissen empfundenen deutschen Geldpolitik" 1• Und weiter, jetzt mit Roß und Reiter: Die Stabilitätsführerschaft der Bundesbank werde von Frankreich "nur zähneknirschend'' hingenommen. Allem Anschein nach gehe es den Franzosen vor allem darum, wieder Einfluß auf die Geldpolitik in Europa nehmen zu können; man erhoffe sich dort die Befreiung von lästigen Wachstumsfesseln 2 • Eine gemeinsame Währung ist für den Präsidenten der Landeszentralbank in Nordrhein-Westfalen "weder eine notwendige noch gar eine hinreichende Bedingung für weiteren lntegrationsfortschritt, noch verlangt der Binnenmarkt diese in festen Zeitabschnitten"3• Umgekehrt wird eherein Schuh daraus: Voreiner kompletten Verwirklichung des Binnenmarktes4 käme eine Währungsunion "in jedem Falle zu früh", so Jochimsen noch im Januar 1995 5 •

Kein europäischer Konsens Zu den Unzulänglichkeiten des Vertragswerks zählen in Jochimsens Augen von Anfang an die Konvergenzkriterien, die teils, wie das Stabilitätsziel, nur ganz relativ formuliert, teils, wie die fiskalpolitischen Referenzwerte, der "gebührenden Berücksichtigung" durch die Regierungschefs anheimgegeben sind. Optimal lasse

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Vortrag beim Gesprächskreis "Wirtschaftspolitik" des SPD-Landesvorstands Nordrhein-Westfalen, Bonn. am 11. Mai 1992. Ansprache auf der Jubiläumsfeier der Elektronik Technologie Rump GmbH in Dortmund am 29. September 1992, kurz nach Mitterands zitierter Femsehrede. Bei einer Diskussionsveranstaltung der Brookings Institution, Washington, D.C., am 10. Juli 1992. Wie sie bei Abfassung dieses Beitrags noch immer aussteht- siehe das provisorische, unhandliche und kostspielige Mehrwertsteuerregime I Vortrag zum Neujahrsempfang der Landeszentralbank in Düsseldorf am 24. Januar 1995.

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sich eine Währung- so J ochimsen im März 1993-nur sichern, wenn Finanz-, Tarif-, Wechselkurs- und Geldpolitik harmonisch zusammenwirkten. Da sich aber die europäischen Partnerländer sowohl in ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit als auch in ihren wirtschaftspolitischen Grundüberzeugungen noch stark voneinander unterschieden, sei das Risiko hoch, daß die Politik der Europäischen Zentralbank massiven und gerade bei steigender Arbeitslosigkeit wachsenden Pressionen ausgesetzt sein werde. Zur Vermeidung einer Überforderungssituation für die Geldpolitik komme den Konvergenzkriterien zentrale Bedeutung zu. Leider handele es sich um weiche und dehnbare Kompromißformeln. Aus Brüssel und aus Paris sei denn auch schon zu hören, daß die Teilnahmebedingungen großzügiger ausgelegt werden müßten. Indessen: "Zu einer laxen Handhabung der Bestimmungen darf es nicht kommen. Die Qualifikationsbedingungen haben nur dann Sinn, wenn sie streng und ohne interpretierende Auslegung angewendet werden. Aber selbst das genügt noch nicht. Es kommt auf ein dauerhaft stabilitätsgerechtes Verhalten der anderen Bereiche der Wirtschaftspolitik, nämlich der Finanz- und Lohnpolitik, an. Die Tarifpartner müssen akzeptieren, daß der Spielraum zu einer Nivellierung der Löhne und der Lohnnebenkosten und damit zur sozialen Angleichung im wesentlichenaufdas Maß des relativen Produktivitätsfortschritts in den einzelnen Nationen und Regionen beschränkt ist. Wird den realwirtschaftlichen Anforderungen nicht entsprochen, drohen ernste Gefahren: Ein zunehmender Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, Wachstumseinbrücheund steigende Arbeitslosigkeit" 6• Und bereits im August 1992 gibt Jochimsen zu bedenken, ein integrierter wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Grundkonsens könne sich auf Gemeinschaftsebene nur unter dem Dach einer übergeordneten politischen Gemeinschaftsgewalt herausbilden, und stellt die Umwandlung der Gemeinschaft in einen europäischen Bundesstaat zur Diskussion 7 •

Subsidiaritätsprinzip Natürlich ist Jochimsen kein blindwütiger ZentralisiereT. Bei gleicher Gelegenheit verlangt er: "Damit der ,Malus' einer bürgerfernen, zentralistischen Euro-Bürokratie vermieden wird und Entscheidungen sachgerecht , vor Ort' getroffen werden können, muß freilich das im Maastrichter Vertragswerk verankerte, aber ungeügend konkretisierte Subsidiaritätsprinzip so operationalisiert werden, daß streng auf eine Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen den EG-Institutionen, den nationalen Regierungen und den Gliedstaaten und Regionen entsprechend ihrer Problemlösungsfähigkeit geachtet wird"- ein Plädoyer für diese- der katholischen Soziallehre entnommene- Ordnungsregel, das er in den Folgejahren vielfach variieren wird. 6 7

Vortrag an der Universität zu Köln vom I 0. März 1993. Vortrag beim Lions-Club Essen-Werethina.

Der Euro- ein "politisch' Lied"

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Und um auch das klarzustellen: Jochimsen war und ist kein Gegner einer Europäischen Währungsunion, geschweige denn ein Gegner der europäischen Einigung. Für ihn war von Anfang an "ein gemeinsames, auch auf währungspolitischem Gebiet vereintes Europa eine gute Sache, die unsere volle Unterstützung verdient"- allerdings nicht um den Preis von Abstrichen am Stabilitätsziel oder von Kompromissen in der Stabilitätspolitik8 • Er will auch die Vorzüge der in Maastricht getroffenen Vereinbarungen durchaus anerkennen, allen voran die Tatsache, daß erstmals "in einem völkerrechtlichen Vertrag die primäre Zielsetzung der Währungs- und Geldpolitik unzweideutig als Stabilität des Preisniveaus normiert und einer supranationalen Währungsbehörde als bindender Maßstab vorgegeben wird"9 • Seine Kritik galt immer den nicht wenigen "Fallstricken" des Vorhabens, auch den verborgenen wie zum Beispiel der Gefahr, daß die Währungsunion zur Transferunion mißrät, vor allemjedoch der Unklarheit über das "Finalziel", die ja, wie man schmerzhaft am Wandel vom ersten zum zweiten "Schäuble-Papier" und an den dünnen Ergebnissen der "Maastricht 11"-Konferenz von Amsterdam hat ermessen können, die europapolitische Entwicklung fernab aller blumigen Worte bis heute lähmt. Jochimsen hält am Endziel "Europa" fest. Und er wünscht sich auch einen allerdings harten und gut vorbereiteten, nicht vom Zaune gebrochenen- Euro. Er gehörte sogar zu jenen Akteuren, die das Europäische Währungssystem- unter dem Vorbehalt rechtzeitiger Wechselkursanpassungen!- als Vorläufer der Währungsunion betrachtet und sich bis zuletztgegen die 1993 nach wiederhohem Krisendruck beschlossene enorme Ausweitung der Bandbreiten gesträubt hatten- nicht ohne im nachhinein einzuräumen, daß mit dem Zugewinn an Kursflexibilität das System ehrlicher (und im Ergebnis sogar stabiler) geworden ist. Ein Aufschub derdritten EWWU-Stufe kam für Jochimsen- wie für die meisten seiner Bundesbank-Kollegen -eher in Betracht als eine Aufweichung der Kriterien; indessen hat er sich ab Mitte der neunziger Jahre wiederholt gegen eine "unzeitige Termindiskussion" gewandt, da Termindruck endlich Qualitätsdruck erzeugt habe 10 • Ob der Qualitätsdruck am Ende ausgereicht hat, um bei den höchstverschuldeten EU-Mitgliedsländern wie Belgien und Italien tatsächlich auch eine "Euro-reife", den Vertragsanforderungen genügende dauerhaft tragbare Finanzlage der öffentlichen Hände herbeizuführen, darf indessen - auch anhand der Voten des Europäischen Währungsinstituts, der Bundesbank und der Niederländischen Zentralbank- mehr als bezweifelt werden. Vortrag bei der Kreissparkasse Köln am 9. Juli 1991. So vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 24. Juni 1993 in Bonn. 1o So u.a. am 12. Dezember 1995 vor der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung in Düsseldorf.

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Wohlmeinend schonungslos In mehr als hundert Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen, zu denen noch eine Vielzahl von Zeitungsartikeln und Interviews in Presse, Hörfunk und Fernsehen hinzukommt, hat Jochimsen dasFinde Siecle-Werk der Europäischen Währungsunion- Zutaten und Begleitumstände inbegriffen -einer alles in allem umfassenden Analyse unterzogen: Im Kern wohlmeinend und doch schonungslos, stets in gestochenen Formulierungen, mal zupackend, mal- und gern - weiter ausholend; unter vielerlei historischen Bezügen, die den interessierten Laien zum "Nachschlagen" verleiten 11 ; hin und wieder mit unterkühltem Witz, der zumal beim Gespräch im kleinen Kreise augenzwinkernd durchzubrechen vermag. Dabei tritt die anfänglich sehr hörbar vorgebrachte Kritik an der Undeutlichkeil des Maastrichter Inflationskriteriums mehr und mehr zurück: Im Schatten der weltweiten Kostendegression bei "globalisiertem" Wettbewerb schaffen es auch die Europäer, und unter ihnen so ziemlich am Ende sogar die Deutschen, die Preissteigerungsraten bis auf eine womöglich nur noch statistische Residualgrüße herunterzudrücken. Dafürrückt die Notwendigkeit einerwirtschafts- und finanzpolitischen Absicherung der künftig gemeinsamen europäischen Geldpolitik mehr und mehr ins Zentrum der Zwischenrufe Jochimsens.

Notnagel Stabilitätspakt Die deutsche Initiative zum Abschluß eines Stabilitätspaktes, der das umständliche und wenig verbindliche Prüfungs- und Strafverfahren nach Art. 104 c des Maastricht-Vertrags straffen und schmerzhaft machen soll, hat Jochimsens nachdrückliche Unterstützung gefunden, freilich nicht ohne die zutreffende Anmerkung, der Vorschlag demonstriere für jedermann die hinkende Konstruktion der supranationalen Geldpolitik, die ohne eine finanzpolitische Koordination der teilnehmenden Länder bleibe. "Der Stabilitätspakt kompensiert hier nur; er istein Notnagel, ein negatives Abbild, ein Ersatz für die fehlende politische Union, um das Mißtrauen der Bürger zu vertreiben .... So rächt sich, daß die politische Union als quid pro quo für das Aufgehen der D-Mark in den Euro und nicht als conditio sine qua non für die Währungsunion verhandelt worden ist" 12 • Daß der Pakt schließlich doch ohne den letzten Biß automatischer Sanktionen verabschiedet wurde, konnte Jochimsens skeptische Einschätzung der europolitischen Szene nur bestätigen. Späte Einsicht, im Ernstfall ohne Wirkung - dieses Urteil darfja auch für Theo Waigels Sechs- oder Siebenpunkteprogramm vom März 11 12

Wer kann schon, von "Versailles" abgesehen, mit dem Stichwort "Pariser Vorort-Verträge" was anfangen? Vortrag zum Neujahrsempfang der Landeszentralbank in Düsseldorf am 23. Januar 1996.

Der Euro- ein "politisch' Lied"

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1998 gelten, das die von Jochimsen wiederholt beklagte und, seinen Verdacht erhärtend, durch Italien sofort genutzte Lücke zwischen der Elferstart-Vorentscheidung und dem Inkrafttreten des Stabilitätspakts zum I .Januar 1999 schließen sollte. Daß die zum pünktlichen Beitritt, koste es, was es wolle, mehr oder minderdumpf entschlossenen Regierungen in der Endphase der zweiten EWWU-Stufe keine Skrupel zeigen würden, zur Not mit "schöpferischer Buchhaltung" wenigstens den Neuverschuldungswert des fiskalpolitischen Kriteriums - Haushaltsdefizit der öffentlichen Hand nicht über 3 vH des Bruttoinlandsprodukts- zu schaffen, mag so plump, wie es dann geschah, selbst Jochimsen ungeachtetallseiner Mahnungen nicht vorausgesehen haben. Insbesondere dürfte das für die Bilanzmaßnahmen der Deutschen gegolten haben.

Streit ums Gold Dagegen, daß der Bundesfinanzminister die Zahlungen an den Erblastentilgungsfonds- eine Hinterlassenschaft der deutschen Wiedervereinigung- aussetzte, hatte die Bundesbank keine Handhabe. Der Versuch des Ministers, mit einer vorgezogenen Aufwertung der amtlichen Goldreserven auf den Bundesbankkonten Pluspunkte im knappen Rennen um die 3 vH-Marke einzuheimsen, scheiterte jedoch am Widerstand der Bundesbank, zu deren öffentlichen Wortführern auch in diesem Fall Jochimsen zählte 13 • Dies warein letzter Erfolg vor einer Entscheidung, die offenbar so oder so, allen Warnungen zum Beispiel vor einschlägigen beschäftigungspolitischen Illusionen und aller Enttäuschung über die 1997 in Amsterdam ausgebliebene, von Jochimsenjahrelang angemahnte politische Nachbesserung des Maastricht-Vertrags zum Trotz, nicht mehr aufzuhalten war. Reimut Jochimsen hat sein europolitisches Credo in einer umfänglichen Schrift über die "Perspektiven dereuropäischen Wirtschafts- und Währungsunion" zusammengefasst. Im Vorwort zu der 1998 erschienenen zweiten Auflage erinnert Jochimsen noch einmal an Helmut Kohls Erklärung vor dem Deutschen Bundestag vom 6. November 1991, fünf Wochen vor der historischen Maastricht-Konferenz: "Die Politische Union ist das unerläßliche Gegenstück zur Wirtschafts- und Währungsunion. Die jüngere Geschichte, und zwarnicht nur die Deutschlands, lehrt uns, daß die Vorstellung, man könne eine Wirtschafts- und Währungsunion ohne Politische Union auf Dauer halten, abwegig ist." Unerläßliches Gegenstück, abwegige Vorstellung- man muß sich die Worte auf der Zunge zergehen lassen. Keine diesen Namen verdienende politische Union ist eingeleitet; kein Mitgliedstaat der EU will sie wirklich, die Niederländer vielleicht 13

Vgl. z.B. die Ausführungen im "Bonner Generalanzeiger", Bonn, Ausgabe vom 31. Mai 1997.

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ausgenommen; die Deutschen aber haben auf der "Maastricht I!''-Konferenz in Amsterdam mit allen Kräften dazu beigetragen, jeden Fortschritt in Richtung politische Union zu verhindern. Der Euro - ein vaterlandsloser Geselle. Wieder einmal, nach vielen verpassten Gelegenheiten, gilt das Prinzip Hoffnung. Vabanquespiel

Diese Hoffnung ist zudem nur schwach. "Dem Zwischenschritt der Thesen von 1994 mit den , konzentrischen Kreisen' eines Europas der , verschiedenen Geschwindigkeiten' bzw. einer , variablen Geometrie·' mit einer immer engeren Integration des , Kerns' ist im Herbst 1997 im neuen Schäuble-Lamers-Glas-Papier das Umschwenken auf die EWWU als dem einzigen noch konsensfähigen Integrationsprojekt gefolgt, das darüber hinaus auch noch den Reformstau zu Hause aufbrechen und erzwingen soll. Der Euro als Krisenwender ist zum einzig verbliebenen Antriebsmotor mutiert! Nach meiner Analyse auch innenpolitisch eine allzu riskante Strategie mit ,Va-banque'-Zügen" 14 • Die Gemeinschaftswährung als "einzigartiges Experiment" und als "einmaliges soziales Abenteuer" ist für Jochimsen, der mit diesen Worten einen der Euro-Erfinder, nämlich den ehemaligen EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors zitiert, auch das zentrale Thema seiner Festansprache zum 50-jährigen Bestehen der Landeszentralbank in Nordrhein-Westfalen 15 • Der Euro als einziges noch konsensfähiges Integrationsprojekt in einem Umfeld zunehmender Renationalisierung des bloßen "Europas der Vaterländer", ohne gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Innenpolitik, als "magischer Hebel für alles weitere", und das vor dem Hintergrund einer neuen, an Komplikationen reichen Erweiterung der Gemeinschaft- nicht nur in Jochimsens Sicht ist das eine völlige Überforderung des Maastricht-Konzepts, das ja ursprünglich auf einen parallel gehenden Anlauf zur politischen Union abgezielt hatte. Und um die Erfüllung der fiskalpolitischen Kriterien steht es schlechter denn je: Seit Abschluß des Vertrags haben sich gerade die Beitrittskandidaten von Jahr zu Jahr weiter von der Zielvorgabe für den öffentlichen Schuldenstand - höchstens 60 vHdes BIP, Ende 1996 waren es aber schon mehr als 75 vH -entfernt. Und "selbst in der gegenwärtigen Wachstumsphase mit einem Zinsniveau auf historischem Tiefstand und milliardenschweren Privatisierungserlösen bringen die Finanzminister ihre laufenden Budgets nur mit hechelnder Zunge durchs Ziel, gelingt es nicht, die Schuldenquote spürbar abzusenken". Wird die Versuchung, nach Transfers zu rufen, übermächtig werden? Wird nicht die Europäische Zentralbank, einziges 14

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R. Jochimsen, Der Kampf um den Euro - Wie riskant ist die Währungsunion?

Harnburg 1998, S. 199. Düsse1dorf, 12. Februar 1998.

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handlungsfähiges Gemeinschaftsorgan, "Gefahr laufen, von den übrigen wirtschaftspolitischen Akteuren für leichtes Geld oder schwachen Euro in die Pflicht genommen zu werden?" Zug der Euro-Lemminge Den Zug der "Euro-Lemminge" 16 haben derlei Nachdenklichkeiten nicht aufhalten können; auch die von J ochimsen- im "Tri Iemma" von Termindruck, Stabilitätskriterien und Mitgliederzahl-wiederholt geäußerte Präferenz für einen "kleinen, aber feinen Teilnehmerkreis" ist "Schnee von gestern". Europäisches Währungsinstitut und Bundesbank legen dem Start der dritten Stufe mit elf Teilnehmern ausdrücklich keine Steine in den Weg; die Konvergenzberichte beider Häuser bergen allerdings gravierende Vorbehalte. Die Stellungnahme der Bundesbank verzichtet- vielsagend- auf eine Benennung dermöglichen Mitgliederund der Mitgliederzahl der künftigen Währungsunion. Die Ausführungen zur Teilnahme Belgiens und Italiens sind voller Zweifel. Jochimsen: "Belgien und Italien haben den Qualifikationstest letztlich nicht bestanden"- gefährliche Präzedenzfälle für künftige Ausnahmeregelungen, wie Jochimsen mit Blick auf das Sanktionsverfahren des Stabilitätspakts und auf die spätere Aufnahme weiterer Staaten in die Währungsunion geltend macht 17 • Schade, daß sich der Zentralbankrat nicht dazu hat durchringen können, diese und andere Einwendungen - zum Beispiel zur deutschen und französischen Konvergenzreife -, an denen Jochimsen nach Kräften mitgewirkt haben mag, in ein klares "so nicht!" einmünden zu lassen. Der faule Kompromiß um die Person des ersten EZB-Präsidenten hat wohl alle Illusionen übereinen "entpolitisierten" Euro zerstört. Der Verfasserdieses Beitrags, der- wie sicher zu merken war- Jochimsens skeptische Grundhaltung teilt, fragt sich längst, wofür der Euro hier und heute, letzten Endes und unter' m Bilanzstrich, gut sein soll.

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R. Jochimsen im Gespräch mit der "Börsen-Zeitung", Frankfurt a.M., Ausgabe vom 22. Januar 1998. Vortrag vor der Vollversammlung des Westdeutschen Handwerkskammertages am 22. April 1998 in Dortmund.

Der Euro vor Gericht 1998 Von Wilhelm Nölling "Es weht ein großer Wind, mein Herr." ETA Hoffmann, "Kater Murr" " ... ,ich glaube nicht, daß das Verfassungsgericht ein nicht beherrschbares Risiko für die deutsche Teilnahme an der Währungsunion darstellt". Wolfgang Schäuble 1

1. Die Ausgangslage Das Bundesverfassungsgericht (BVG) "entscheidet" nach Artikel 93, 4a GG "über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20, Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein". Von den etwa 6 000 Eingaben, die das BVG jährlich erhält, sind sicher nicht alle "echte Verfassungsstreitigkeiten", worunter solche von großer politischer Bedeutung verstanden werden sollen. Aber die von vier Klägern gemeinsam (den "Vier Professoren") angestrengte "Euro-Klage" wies alle Bestandteile eines politischen Dramas auf nationaler und internationaler Bühne auf2. Mit dem Beschluß des Zweiten Senats vom 31. März 1998, verkündet am 2. April 1998, hat das Gericht allerdings "kurzen Prozeß" gemacht, als es sich für nicht befugt erklärte, eine von den vier Klägern für falsch gehaltene Entwicklung in Deutschland und Europa in deren Sinne und im Sinne der bisherigen Rechtsprechung unseres höchsten Gerichts zu beeinflussen. Der Prozeßvertreter der vier Kläger, K.A. Schachtschneider, hatte die Notwendigkeit einer Klage allgemein wie folgt begründet: "Das Wohl des Landes und das Wohl der Gemeinschaft gebieten, alle Mittel des Rechts einzusetzen, um den Schaden, ja, das Unheil abzuwenden, das mit dem Scheitern des Projekts , Währungs-

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O.V., Vier gegen den Euro. "Spiegel", Hamburg, Jg. 1998, Nr. 3, S. 28. Vgl. W. Hanke!, W. Nölling, K.A. Schachtschneider und J. Starbatty, Die Euro-Klage. Warum die Währungsunion scheitern muß. (rororo aktuell.) Reinbek 1998.

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union' verbunden sein wird. Eine Klage gegen den Euro wird der letzte Versuch sein, die Entwicklung der Union zu retten" 3• Das in die Mitte der Auseinandersetzung gerückte BVG ist in seiner langen Geschichte der letztrichterlichen Rechtsprechung nicht ohne Kritik, aber auch nicht ohne Anerkennung in Deutschland geblieben. Der Beschluß zum Euro wird den Auseinandersetzungen um die Verantwortlichkeit und Einwirkungsmöglichkeiten des Gerichts neuen Auftrieb geben4 • Es war zu erwarten, daß die Befürworter der Neuordnung der europäischen Währungsverhältnisse unseren Schritt nach Karlsruhe kritisieren würden. Dies geschah u.a. mit der Begründung, man dürfe nicht versuchen, mit juristischen Mitteln gewinnen zu wollen, wo die zuständigen politischen Instanzen anders entschieden hätten (oder sich anschickten, anders zu entscheiden), als die Kritiker dies für richtig hielten. Sie wurden als Nörgler, Querulanten, Miesmacher oder sogar als "geschichtslose" oder "geschichtsblinde Fachidioten" oder gar "schlechte Patrioten" beschimpft5 • Solche Entgleisungen eines so bedeutenden Politikers passen nicht zu markigen Sprüchen derselben Person über das Anforderungsprofil an politische Akteure: "Nicht akademisch ausgebildete Intelligenz und rednerische Schulung oder Begabung sind das Wichtigste, sondern vielmehr die charakterliche Zuverlässigkeit und der persönliche Mut, die eigene Wahrheit auszusprechen, auch wenn sie nicht von jedermann gern gehört werden sollte"6 • Bundeskanzler Kohl ist seiner Grundauffassung bis heute treu geblieben, daß "Widerstände und Überlegungen, daß etwas, was noch nie dagewesen war, deswegen auch nicht kommen könne, durch die Entwicklung hinweggefegt werden"7 .Am 17. Dezember 1997 brachte die "Bild-Zeitung" auf der ersten Seite folgendes Zitat von ihm: "Die Visionäre sind die wahren Realisten der Geschichte und nicht die, die ständig im Misthaufen der Geschichte herumwühlen". Hierzu kommentierte Rudolf Augstein wie folgt: "Das ist Kanzler Kohl, wie er lebt und leibt. Aber Geschichte ist nichts anderes als Zukunft, und die läßt sich nicht betrügen ... Mit der Lügerei muß jetzt Schluß sein"8• 3 4

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K.A. Schachtschneider, Die Euro-Klage. In: H.U. Jörges (Hrsg.), Der Kampf um den Euro- Wie riskant ist die Währungsunion? Harnburg 1998, S. 315. Zur Auseinandersetzung um das BVG vgl. K.A. Schachtschneider, Res. publica und res. populi. Berlin 1994,9. Teil, Kapite14. So Helmut Schmidt, zitiert aus "Wirtschaftswoche", Düsseldorf, Jg. 1998, Nr. 6, aus "Vorwärts", Bonn, Jg. 1998, Nr. 2, S. 3, und Ansprache anläßlich einer Tagung des WDR in Köln am 14. März 1998 H. Schmidt, Grußwort zum 50. Geburtstag der Betriebsorganisation der SPD in Harnburg. Harnburg 1997, S. 11. Hervorhebung vom Verfasser. Stenogr. Bericht der 68. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 13. Dezember 1991, abgedruckt in: W. Nölling, Abschied von der D-Mark? (Hamburger Beiträge zur Wirtschafts- und Währungspolitik in Europa, Heft 9.) Harnburg 1992, S. 52. R. Augstein, Getürkte Türkei. "Spiegel", Jg. 1997, Nr. 52, S. 27.

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Amtlicherseits ist von BonnjeglicherZweifel unterdrückt und bekämpft worden. So hat der Bundespräsident ausdrücklich gefordert, die Debatte um die Währungsunion nicht zu führen, sie sei "sehr gefährlich", das Thema müsse auch aus Wahlkämpfen herausgehalten werden 9 • Der Außenminister ließ vernehmen, daß jede Kritik an der Währungsunion "leichtfertig", "populistisch"und "unverantwortlich" sei 10 • Ähnlich deutliche Worte gab es jüngst noch von der CDU-Politikerin Gerda Hasselfeldt. Sie sprach von "Profilneurotikern", deren Klage "schädlich, überflüssig und in hohem Maße unverantwortlich" 11 sei. Am Tag, nach dem die Klage eingereicht wurde, ist auch im Europa-Parlament in der Debatte zur Währungsunion "massive Kritik an der Klage gegen den Euro" deutlich geworden 12 • In dieses Bild der deutschen Streitkultur paßt auch die kriegerische Sprache des Bundesfinanzministers in der Bundestagssitzung am 2. April1998, als er von einer "vernichtenden Niederlage für die Kläger" sprach. Dies sei "notwendig und gut, weil ein mit ungeheurer Medienbegleitung vorgetragener Angriff auf Bundestag, Bundesrat und das, was wir miteinander beschlossen haben, stattfinden sollte", natürlich "ohne hinreichende Kenntnis des Verfassungsrechts" 13 • Sowohl der Respekt vor der Ausübung der Meinungsfreiheit des anderen als auch vor der verfassungsmäßig garantierten Einrichtung einer "letzten Instanz" hätte solche und andere Schimpfkanonaden eigentlich nicht zulassen dürfen. Aber die deutsche Diskussionskultur ist anders als unsere "Stabilitätskultur" auch nach über 50 Jahren Ausübung immer noch weit von Mindestanstandsregeln entfernt.

2. Was wurde von den Klägern warum gewollt, also was war der Zweck der Klage? 2.1. Der Zeitpunkt

Die "Euro-Klage" wurde am 12. Januar 1998 eingereicht. Der Zeitpunkt Anfang 1998 -wurde aus zwei Gründen gewählt: 9 10 11

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R. Herzog, Interview in "Die Woche", Hamburg, Ausgabe vom 14. Juni 1996.

K. Kinkel, in "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Frankfurt a.M., Ausgabe vom 11. März 1997. G. Hasselfeldt, in "CDU/CSU-Pressedienst", Bonn, Ausgabe vom 17. März 1998, s. 1. Vgl. "Handelsblatt", Düsseldorf, Ausgabe vom 14. Januar 1997. Deutscher Bundestag, Protokoll der Sitzung vom 2. April 1998. 13. Wahlperiode, 227. Sitzung, S. 20790.

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Wilhelm Nölling Im Maastrichter Vertrag ist das Jahr 1997 als Referenzjahr für die Entscheidung bestimmt worden, ob die Voraussetzungen (Kriterien) für eine erfolgreiche Einführung des Euro erfüllt wurden oder nicht. Erst mit Ablauf dieses Jahres konnte deutlich werden, ob die Kriterien im Sinne des Gesetzes stimmten oder nicht. DerMaastrichter Vertrag sieht in Art. 109j (4) die Möglichkeit der Verschiebung über den 1. Januar 1999 hinaus vor. Die letzte Gelegenheit, dies in dem vorgestellten Rahmen zu tun, hätten die Staats- und Regierungschefs auf ihrer Konferenz in Luxemburg im Dezember 1997 nutzen können. Dies schien uns angesichts der deprimierenden realwirtschaftlichen und finanzpolitischen Zahlen für 1997 in Europa und der stark in Gang gekommenen Diskussion um eine Verschiebung nicht gänzlich ausgeschlossen zu sein.

Wie sich herausstellte, hat der Zeitpunkt der Einreichung der Klage letztlich für die Beschlußfassung des Gerichtes keine Bedeutung gehabt. 2.2. Begründung

In unserer Pressekonferenz am 12. Januar 1998 im Queens Hotel in Karlsruhe haben wir im wesentlichen folgende Begründung für unsere Klage gegeben: "Als Hochschullehrer beschäftigen wir uns seit Jahrzehnten mit Währungs- und Rechtsfragen im politischen Umfeld Deutschlands und Europas. Wir sehen es als unsere Pflicht an, unseren Erfahrungen und Einsichten gemäß zu handeln. Die Verfassungsbeschwerde ist der letzte Versuch, den Schaden, ja das Unheil, welches eine verfrüht eingeführte Einheitswährung für Deutschland und Europa mit sich bringen würde, abzuwenden, weil nicht mehr zu erwarten ist, daß die verantwortlichen Politiker die notwendige Einsicht und Kraft aufbringen, das Steuer noch herumzureißen. Die Klageschrift enthält ausführliche und gründliche Analysen und Argumente und istreich dokumentiert. Sie wird in ihren wesentlichen Teilen im Februar 1998 unter dem Titel ,Die Euro-Klage. Warum die Währungsunion scheitern muß', in rororo aktuell erscheinen .... Der Maastricht-Vertrag schreibt als notwendige Voraussetzung der Einheitswährung einedoppelte Konvergenz aller Volkswirtschaften vor, welche sich an der Einheitswährung beteiligen. Als Minimum müssen die Konvergenzkriterien des Art. 109j Abs. 1 EGV erfüllt werden. Keines dieser Kriterien wird jedoch erfüllt." "Die Konvergenzkriterien müßten im übrigen nachhaltig erfüllt sein. Notwendige Voraussetzung ist auch die reale Gesamtkonvergenz der Volkswirtschaften, insbesondere auch eine angemessene Beschäftigungslage, die es zweckmäßig erscheinen läßt, eine einheitliche Währung zu versuchen. Die mangelnde Stabilitätserwartung gibt einem Erfolg des Euro als einer stabilen Währung keinerlei Chance. Die einheitliche Währung ist in der gegenwärtigen Wirtschaftslage zum Scheitern verurteilt, zumal die wichtigste Voraussetzung, die politische Union sowiedie Wirtschafts- und Sozialunion, nicht geschaffen sind. Derzeit würde somit eine einheitliche Währung in Europa das soziale Rechtsprinzip der Stabilität verletzen. Die Politik darf im übrigen nicht ein

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Projekt mit immensen Schadensmöglichkeiten versuchen, dessen Erfolg mehr als zweifelhaft ist. ... Der Termin des 1. Januar 1999 für den Beginn der einheitlichen Währung ist durch den Maastricht-Vertrag nicht endgültig fixiert. Maßgeblich ist, daß die notwendigen Voraussetzungen, vor allem die Konvergenz, vorliegen und daß es zweckmäßig ist, die dritte Stufe der Währungsunion nur mit den Mitgliedstaaten zu beginnen, deren Volkswirtschaften konvergent sind .... Der Vertrag von Amsterdam hat die fehlenden politischen Voraussetzungen für eine funktionsfahige Währungsunion nicht geschaffen und damit den Maastrichter-Vertrag dem Grunde nach erschüttert. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist nicht geeignet, die beklagten Defizite und eingebauten Dissense zu beseitigen. Er ist kein Rechtsakt, hätte keine Rechtsgrundlage im Vertrag und verstieße gegen Art. I 04c Abs. II EGV. Er ist nicht nur rechtlich unverbindlich, sondern wegen der Rechtswidrigkeit auch politisch bedeutungslos. Es wird (aus Rechtsgründen) keine Sanktionsmaßnahmen nach diesem Pakt geben". Wir beantragten, "den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung zu verpflichten, alles zu unterlassen, was die Einführung einer einheitlichen Europäischen Währung fördert (insbesondere die Zustimmung in den europäischen Organen), und alles zu unternehmen, um die Verschiebung des Beginns der dritten Stufe der Währungsunion zu bewirken" 14 •

3. Das Echo auf unsere Klage Unsere Klage, monatelang vorher angekündigt, hat national und international ein außerordentlich starkes Echo in den Medien und der Öffentlichkeit ausgelöst und Inhalt und Intensitätder Debatte um die Einführung der Einheitswährung nachhaltig beeinflußt. Während sie auf der einen Seite vielen besorgten Bürgern aus dem Herzen sprach und Anlaß für Hoffnung auf Erhaltung der D-Mark für eine gewisse Zeit bot, löste sie andererseits eine Flut von juristischen Gegenargumenten aus. Soweit ersichtlich, hat jedoch keine ernstzunehmende Stimme völlig ausgeschlossen, daß die Klage gelingen könnte. Unsere Verfassungsklage hatte unmittelbar Einfluß auf das "Euro-Klima": Dieser von der Commerzbank errechnete Indikator sank erstmals im Januar 1998 signifikant unter den Maximalwert von I 00 auf 96 15 • Im "Manager-Magazin" war 14 15

Presseerklärung vom 12. Januar 1998. Die Presseerklärung enthielt eine aus der Klageschrift aus S. 63-109 abgeleitete kurze Fassung der Begründung. Vgl. "Börsenzeitung", Frankfurt, Ausgabe vom 14. Januar 1998, S. 3.

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"von wenig Erfolgschancen für Euro-Kläger" die Rede 16 , und in "Die Zeit" wurde von "nur sehr geringen Chancen aufErfolg" 17 geschrieben. Der Hamburger Professor Meinhard Hilf z.B. meinte: "Verfassungsrechtlich dürfte der Antrag unzulässig sein". Sein "Königsweg" sah eine "vereinfachte Entscheidung" vor, wonach "das Gericht zwar den Antrag verwerfen, aber zugleich nochmals an das Maastricht-Urteil erinnern und es vielleicht hierbei sogar ... konkretisieren" könnte. "Das Gericht könnte so seine Drohung aus dem MaastrichtUrteil wiederholen ... und doch noch Einfluß auf die Prüfung der Teilnahmekriterien nehmen" 18 • Nicht einmal auf diese Vorschläge ist das Gericht eingegangen. Aufgrund der Aufforderung des Gerichts an die Kläger vom 4. Februar 1998 "je 25 leserliche Abdrucke der Verfassungsbeschwerde bald hierher zu übersenden", weil das Gericht "beabsichtigte", diese gemäߧ 94,77 BVerfGG zuzustellen, wurde geschlossen, das Gericht habe die Klage damit zur Entscheidung angenommen. Diese plausibel erscheinende Deutung hat das Gericht jedoch zurückgewiesen und am 11. Februar 1998 an den Prozeßvertreter K.A. Schachtschneider geschrieben: "die Verfassungsbeschwerde habe ich dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, allen Landesregierungen und der Deutschen Bundesbank zugeleitet und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Zustellung dient der Vorbereitung einer Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde. Insbesondere schließt sie eine Nichtannahme-Entscheidung nicht aus. Hier eingehende Stellungnahmen werden Ihnen zugeleitet werden". Wie sich herausstellte, hat weder der Bundestag noch der Bundesrat noch irgendeine Landesregierung eine Stellungnahme abgegeben. Der Präsident der Deutschen Bundesbank schrieb am 3. März 1998, daß "die Deutsche Bundesbank von einer Stellungnahme zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Annahme der Verfassungsbeschwerde absehen möchte. Die Beurteilung, ob den Verfassungsbeschwerden grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, liegt außerhalb des Aufgabenbereichs der Bank" 19 • Das Bundesministerium der Finanzen hatte am26. Februar 1998 durch Staatssekretär Dr. Overhaus Stellung genommen. In dem sechseinhalb Seiten umfassenden Brief wird dargelegt, daß den Verfassungsbeschwerden "keine grundsätzliche Bedeutung gemäߧ 93a Abs. 2a BVerfGG zukommen" könne, da sie "offensicht16

17 18 19

Vgl. "Manager-Magazin", Hamburg, Jg. 1998, Nr. 1, S. 163. C. Tomuschat, In Beweisnot "Die Zeit", Hamburg, Ausgabe vom 12. Februar 1998, s. 20. M. Hilf, Interview im "Hamburger Abendblatt", Hamburg, Ausgabe vom 13. Januar 1998. Deutsche Bundesbank, Direktorium, Brief an das BVG, 2. Senat, Die Vorsitzende, vom 13. März 1998.

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lieh unzulässig und offensichtlich unbegründet sind" 20 . Das BVG hat demgemäß unsere Verfassungsbeschwerde als "offensichtlich unbegründet" verworfen. Doch bevor es zu dem Beschluß des BVG vom 31. März 1998 kam, hatte der ehemalige Hamburger Bürgermeister, Dr. H. Voscherau, anläßlich der Präsentation des Buches "Die Euro-Klage" in der Hamburger Landesvertretung in Bonn am 12. Februar 1998 nicht nur vom "Fähnlein dervier Aufrechten" (nämlich der Kläger) gesprochen, sondern auch auf die Maßstäbe für das BVG sowie den Bundestag und den Bundesrat verwiesen, die in unserer Klage eine zentrale Bedeutung erhalten hatten. "Ebenso wie das BVG sich selbst bei der Entscheidung über die jetzige Verfassungsbeschwerde wird messen müssen an seiner eigenen Entscheidung von 1993, so werden der Deutsche Bundestag und der Bundesrat naturgemäß gemessen werden an ihren eigenen Entschließungen bei Gelegenheit der Ratifizierung des Zustimmungsgesetzes"21. Voscherau konnte darauf verweisen, daß das BVG im Urteil 1993 davon ausgegangen war, "daß die demokratischen Grundlagen der Union schritthaltend mit der Integration ausgebaut werden". Dies hielt er für die Beurteilung der Prozeßaussichten deshalb von entscheidender Bedeutung, weil es, wie in der Klage an erster Stelle abgehandelt, zu einem "schritthaltenden" Ausbau der Integration, d.h. der politischen Union, eben nicht gekommen war. Es gehe, so Voscherau, "um sehr prinzipielle verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen ... die im deutschen Nationalstaat das Grundgesetz vorschreibt und die Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärt". Diese könnten vom Bundestag nicht einmal einstimmig abgeschafft oder unterhöhlt werden 22 . Auf diese für Voscherau und die Kläger gleichermaßen entscheidenden Punkte ist das Gericht jedoch nicht mehr zurückgekommen. Es hat statt dessen den von Voscherau für möglich gehaltenen "Seitenausgang" gewählt und die Begründetheil der Klage bestritten.

4. Zur Bedeutung der Konvergenz für die Rechtsprechung des Gerichts im Jahr 1993 Nach dem Urteil des BVG ist "Vorbedingung fürden Eintritt eines Mitgliedstaates in die 3. Stufe der Währungsunion" die Erfüllung dieser Konvergenzkriterien "als eines Teils dernotwendigen Voraussetzungen"23 . Damit wurde das "notwendige 20 21

Bundesministerium der Finanzen, Brief vom 26. Februar 1998, S. 3. H. Voscherau, Ausführungen zur Verfassungsbeschwerde gegen den Euro. Bonn 1998,

S. 2.

22 23

Vgl. H. Voscherau, S. 3. Vgl. hierzu und zum folgenden W. Hanke!, W. Nölling, K.A. Schachtschneider und J. Starbatty, S. 214ff.

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Minimum an Chance einer Stabilitätsgemeinschaft in der WU dritter Stufe" angezeigt. Der Hinweis des Gerichts auf "verbleibende Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognosespielräume" darf jedoch deren Verbindlichkeit nicht zur Bedeutungslosigkeit relativieren und damit die Prüfung zur pro-forma-Veranstaltung herabsetzen, d.h. gänzlich dem politischen Willen auf jeder politischen Stufe unterwerfen. In Übereinstimmung mit dem Maastrichter-Vertrag und den Resolutionen von Bundestag und Bundesrat vom Dezember 1992 müsse die Prüfung "eng und strikt" erfolgen (so das Gericht 1993) und vor allem auch die Frage nach der Dauerhaftigkeit (sustainability) in bejahendem Sinne beantwortet werden. "Wenn die rechenhafte minimale Konvergenz (in diesem Sinne) fehlt, ist eine Stabilitätsgemeinschaft in der WU nicht zu erwarten" und "wäre die Grundlage des deutschen Zustimmungsgesetzes , verlassen"'. Die vier Kläger haben dann gefolgert, daß "weder der Rat der Minister noch der Rat der Staats- und Regierungschefs sich über einen Mangel an Konvergenz bei ihren Entscheidungen über den Beginn oder die Teilnahme an der dritten Stufe der Währungsunion hinwegsetzen dürfen, weil dadurch das Konzept der Stabilitätsgemeinschaft verlassen wäre. Derartige Maßnahmen der Gemeinschaft können in Deutschland keine Wirkung entfalten. Jedenfalls wären sie nicht vom Zustimmungsgesetz Deutschlands getragen. Deutschland könnte durch eine solche Entscheidung nicht in die dritte Stufe der Währungsunion eingebunden werden"24. Bis zum Beschluß des BVG war mehr oder weniger herrschende Lehre, daß Teilnehmerländer "ihre stabilitätspolitische Tauglichkeit im Vorfeld nachhaltig unter Beweis gestellt haben und - so die Vermutung - in der gesamten folgenden Zukunft auch in der Lage sein dürften, auf den Wechselkurs als ultima ratio wirtschaftlicher Anpassung verzichten zu können" 25 . Nach der Interpretation J ochimsens war die prinzipielle Zustimmung des Gerichts daran gebunden, daß die "Anforderungen für den künftigen Integrationsprozeß klar abgesteckt" und zu erfüllen waren, nicht zuletzt, weil weder die Währungsunion noch die politische Union zur "wirksamen Stützung der Währungsunion" ausgeprägt worden waren. Allerdings ging Jochimsen noch davon aus, daß Bundestag und Bundesrat der Bundesregierung "ausdrücklich untersagen" könnten/würden, "an einer Aufweichung der Konvergenzforderungen" mitzuwirken 26 - was, wie sich herausgestellt hat, gar nicht praktisch wurde, weil diese Organe die Aufweichungen auch und gerade zur Unterhöhlung der Nachhaltigkeit selbst sanktionierten und sich damit der "genügend" vorhandenen "Munition für eine opportunistische Gestaltung der Auswahl der Länder" bedienten27 • 24

25 26 27

W. Hanke!, W. Nölling, K.A. Schachtschneider und 1. Starbatty, S. 220f. R. Jochimsen, Perspektiven der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. 2. Auflage, Baden-Baden 1998, S. 155. R. Jochimsen, S. 21. R. Jochimsen, S. !59.

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5. Die Konvergenzprüfung und ihre skandalösen Ergebnisse Eine Durchsicht der Reden und Vorträge des Bundesbankpräsidenten aus den letzten zweieinhalb Jahren bewies -jeden denkbaren Zweifel ausräumend - wie genau, strikt und vertrauensfördernd die Bundesbank vorgehen würde, wenn sie Stellung zur erreichten Konvergenz in der EU zu nehmen hätte. In einem Brief der vier Kläger vom 22. März 1998 an den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Prof. Dr. H. Tietmeyer, der in einer Anlage nicht weniger als 21 treffende Zitate hierzu enthielt und der an die Mitgliederder Bundestagsausschüsse für Haushalt und Finanzen verteilt sowie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, hieß es: "In konsequenter Fortsetzung der immer einmütig verabschiedeten Stellungnahmen des Zentralbankrates vom 6. September 1990,7. November 1991 und 23. Januar 1992 treten Sie füreine, strenge Auslegung der Konvergenzkriterien von Maastricht' ein, um ,eine Meßlatte für die Glaubwürdigkeit stabilitätspolitischer Ankündigungen der Regierungen' zu haben. Von Anfang an haben Sie betont, daß , Gefälligkeitsinterpretationen ', , einmalige Zufallsergebnisse', , Pfuschen', , Taschenspielertricks', , Schönheitsoperationen', ,Buchungstricks', ,politisches Prestigedenken' etc. nicht dazu beitragen, das, notwendige Vertrauen' zu erzeugen. Mit Recht haben Sie gefordert, daß ,die Auswahlentscheidung nur auf Basis erwiesener und nachhaltiger Konvergenz erfolgen darf', und ,die strikte Einhaltung aller im Maastricht-Vertrag festgelegten Stabilitätskriterien darum wichtiger ist als die Einhaltung von Terminen ... ' Wer würde bestreiten wollen, daß die Verwirrung über das Zustandekommen der finanzpolitischen Voraussetzungen Deutschlands (und anderer Länder der Europäischen Union) groß ist, und die Nachhaltigkeit der finanzpolitischen Konsolidierung bisher nicht überzeugend dargelegt wurde. Nach unserer Auffassung kann diese Prüfung nicht unabhängig von der Aktualisierung der inzwischen völlig überholten Finanzplanung der Gebietskörperschaften bis zum Jahre 200112002 geschehen. Wir hatten Ihnen am 4. März 1998 unseren Brief an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zugeleitet, in dem wir diese Forderung erhoben und auf die auffälligen Beeinflussungen des Haushaltsvollzuges des Bundes hingewiesen hatten28 • In der Zwischenzeit haben sowohl der Präsident des Bundes der Steuerzahler am 12. März 1998 als auch der Vorsitzende der Sparerschutzgemeinschaft am 18. März 1998 ihre Sorgen über die Fragwürdigkeit der veröffentlichten Zahlen und Erklärungen zur Lage der öffentlichen Finanzen in Deutschland in längeren, substantiellen Ausführungen an die Öffentlichkeit gebracht. Ihre Warnungen, sehr geehrter Herr Präsident, vor Manipulationen aller Art, die wir in diesem Brief zitiert haben, geben uns die Zuversicht, daß der Zentralbankrat die Dinge 28

Brief an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 4. März 1998. Dieser Brief wurde am selben Tag der Öffentlichkeit und den Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen zugänglich gemacht. In zwei Antworten vom 5. und 16. März 1998 hat der Vorsitzende, Herr Helmut Wieczorek MdB, sich für außerstande erklärt, auch nur eine unserer Fragen zu beantworten.

18 FS Jochirnsen

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Wilhelm Nölling beim Namen nennen wird und die Prüfung der Beitrittsfähigkeit Deutschlands durch die Bundesbank transparent, glaubwürdig und der Zukunft unserer Währung dienlich sein wird."

Am 25. März bzw. 27. März 1998 veröffentlichten das Europäische Währungsinstitut und dieBundesbankihre mit großem Interesse erwarteten sog. Konvergenzberichte. Ihnen war eine Stellungnahme der EU-Kommission vorangegangen, die allen elf in Frage kommenden EU-Ländern attestierte, für den Eintritt in die Währungsunionaufgrund der Referenzwerte für 1997 und der erreichten Nachhaltigkeil gerüstet zu sein. Wir Kläger unterzogen die Berichte des EWI und der Bundesbank einer sorgfältigen Prüfung und stellten am 29. März 1998 fest, daß deren Ergebnisse die Begründung und Notwendigkeit unserer Klage vor dem BVG unterstützten. Im einzelnen kamen wir in einer längeren Analyse zu folgenden Ergebnissen, die wir erneutsowohl dem Haushaltsausschuß als auch demFinanzausschuß des Deutschen Bundestages sowie der Öffentlichkeit zuleiteten: "l. Die in der Tendenz gleichlautenden Konvergenzberichte von EWI und Bundesbank über die, Euro-Reife· weisen eindeutig und ohne wesentliche Abstriche nach, daß die vom Maastrichter Vertrag geforderte nachhaltige Konvergenz in fast allen Partnerstaaten nicht erreicht wurde. In geradezu beschwörender Weise fordern sowohl EWI als auch Bundesbank, daß die eigentlichen Anstrengungen zur Konvergenzerreichung erst noch geleistet werden müssen. (EWI-Bericht, S. 5; BB-Bericht, S. 15, 17f.)

Beginnt die Währungsunion trotzdem, wie bisher vorgesehen, am 1. Januar 1999, dann steht sie nicht nur im Widerspruch zum Recht, sondern auch zum Grundsatz von Treu und Glauben, den unsere Bevölkerung in alle bisherigen Erklärungen von Regierung und Bundesbank zu den Stabilitätsgarantien vor und nach Eintritt in die Währungsunion setzen sollte. Die Forderung nach Verschiebung der Währungsunion, um eine schwerwiegende Vertragsverletzung abzuwenden, muß jetzt erst recht erhoben und vor demBundesverfassungsgerichtdurchgesetzt werden. Wirfühlen uns durch die Analyse von EWI und Bundesbank zur Konvergenzlage der Europäischen Union bestätigt und bestärkt. 2. Dies ergibt sich aus der von den Unterzeichnern am 12. Januar 1998 vorgelegten Verfassungsklage - denn die beiden Konvergenzberichte bestätigen die in der Klage vorgebrachten Argumente und Fakten. Gerade in den Kernländern der Euro-Union, nämlich Deutschland, Frankreich, Belgien und Italien, besteht trotz beachtlicher Konvergenzfortschritte keine Gewähr, daß sie ,ausreichend auf die künftigen Verpflichtungen aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt eingestellt (sind), wonach sie ab 1999 bei konjunktureller Normallage einen nahezu ausgeglichenen Haushaltssaldo oder Überschüsse zu realisieren haben.' (BB-Bericht, S. 20.) Wie EWI und Bundesbank gleichlautend erklären, gehören ,eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand' und , ein rascher Abbau der Schuldenquote' zu den , Voraussetzungen für die Teilnahme an der Endstufe der Währungsunion'. Die Bundesbank stellt ausdrücklich fest, daß sie es war, die , von Anfang an darauf

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hingewiesen (hat), daß an die Konvergenzprüfung strenge Anforderungen gestellt werden müssen, um der Währungsunion Bestandsfestigkeit zu verleihen'. (BB-Bericht, S. 3, 8; EWl-Bericht, S. 3.) Sowohl die Bundesbank als auch das EWI weisen eindringlich auf die Notwendigkeit hin, ,dauerhafte Änderungen der Politik' zu erreichen, um die Währungsunion abzusichern, denn Massenarbeitslosigkeit, ungünstige demographische Entwicklungen und hohe Staatsverschuldungen bildeten die gleichermaßen schweren Hypotheken, die es zu beseitigen gelte, solle die Währungsunion gelingen. (BB-Bericht, S. 18; EWl-Bericht, S. 5.) 3. Wie beide Berichte übereinstimmend feststellen, überschreiten sowohl Belgien wie Italien die für die geplante Stabilitätsunion vom Vertrag geforderte Schuldenstandsgrenze um mehr als 100 %, während sich Frankreich und Deutschland zwar inderNähe der vorgeschriebenen Höchstwerte gesamtstaatlicher Verschuldung von 60 % am Bruttoinlandsprodukt bewegen (Frankreich mit 58 %, Deutschland mit annähernd 62 % ), aber mit falscher, nämlich steigender Tendenz. Beide Länder haben ihre öffentliche Verschuldung auch nach Vertragsabschluß kontinuierlich ausgeweitet statt sie zurückzuführen: Frankreich startete mit 35 %, Deutschland mit etwa 41 %. Ausmaß und Dynamik der Verschuldung Frankreichs müssen gesondert betrachtet werden, weil sie zu größter Sorge Anlaß geben. Frankreichs Verschuldung stieg von einem weit niedrigeren Ausgangsniveau als dem Deutschlands, auch ohne Vereinigungsschock, auf etwa das gegenwärtige deutsche Niveau. Es sind also die großen Drei, Italien, Frankreich und Deutschland, die insgesamt etwa drei Viertel der gemeinsamen Wirtschaftsleistung erbringen und entsprechende Anteile an der öffentlichen Verschuldung aufweisen, die den ,eng und strikt' zu interpretierenden Stabilitätskriteriennicht entsprechen. (BB-Bericht, S. 3.) Damitwird das Vertrauen der Bevölkerung in die zukünftige Geldwertstabilität und die vertrauensvolle Einschätzung des Euro undder Europäischen Zentralbank auf den Weltfinanzmärkten schon von Beginn an nachhaltig erschüttert. 4. Die Angaben über das Ausmaß der Staatsverschuldung in den Kernländern der Union sind stark nach unten geschönt worden. EWI wie Bundesbank stützen sich auf die Daten der EU-Kommission sowie ihres Euro-Statistischen Amtes (Eurostat), das im Vorlauf zur Währungsunion die Kriterien der gesamtstaatlichen Defizit- und Schuldenstandserrnittlung mit dem Ziel der Abschwächung verändert hat. Wie das EWl und die Bundesbank außerdem zurecht beanstanden, wurde besonders im Jahr 1997, dem letzten Jahr vor Feststellung der Euro-Reife, besonders kräftig manipuliert. So konnte Italien durch ,Maßnahmen mit zeitlich begrenzter Wirkung' seine Defizitquote um 1 %-Punkt, Frankreich um 0,6 %-Punkte und Deutschland um 0,2 %-Punkte des BIP herunterdrücken. (EWI-Bericht, S. 5, 8, 59; BB-Bericht, Tab. 6.) Diese Art der Bilanzfälscherei, obwohl nachweislich betrieben, wird hierzulande immer noch heftig bestritten bzw. verschleiert. (Siehe hierzu unsere Briefe an den Vorsitzenden des Bundestags-Haushaltsausschusses vom 4. und 12. März d. J.) Es muß auch hervorgehoben werden, daß dem EWl offensichtlich keine vollständigen Informationen über diese Manipulationen zur Verfügung gestellt wurden. Das EWI fordert: ,Sie müssen durch nachhaltige Maßnahmen ersetzt werden'. (EWI-Bericht, S. 5, 8.) 18*

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Wilhelm Nölling Wir können nur unterstreichen, was die Bundesbank anmerkt: Im Falle Belgiens und Italiens bestehen ,erhebliche Zweifel an der dauerhaften Tragfahigkeit der Finanzlage der öffentlichen Hand'. (BB-Bericht, S. 19 .) Auch reichen die bisherigen Konsolidierungsfortschrittenicht aus, zu mal EWI wie Bundesbankgleichermaßen feststellen, daß der der Budgetentlastung zugrundeliegende Zinsrückgang nicht etwa auf innere Konsolidierung zurückgeht, sondern auf die Markterwartung, daß z.B. die italienische Währung vor ihrem Eintritt in den Euro-Verbund nicht mehr abgewertet wird- eine rein spekulative Annahme, auf deren Fragwürdigkeit wir in unserer Klage ebenfalls hingewiesen haben. Die, Frage der Nachhaltigkeit' werde auch , berührt', weil Konsolidierungen in den ,meisten Mitgliedstaaten' durch Zurückführung der ,Investitionsquoten' erreicht wurden, was auch besonders für Deutschland zutrifft. (BB-Bericht, s. 15.) Aber auch Deutschland und Frankreich gehören nach Einschätzung der Bundesbank zu den Ländern, in denen es , um die fiskalische Lage dauerhaft tragfähig zu gestalten, einer Fortsetzung der Konsolidierungsmaßnahmen, einer Rückführung der Ausgabenquote sowie weiterer durchgreifender Reformen der Sozialversicherungssysteme (bedarf). Dazu gehört in Deutschland auch eine verbindliche Regelung zwischen Bund und Ländern über die Wahrnehmung der Verantwortung für die Einhaltung der Obergrenze für das gesamtstaatliche Defizit'. (BB-Bericht, S. 19/20.) Und das EWI wird noch konkreter. Auch die Überprüfung der staatlichen Transferleistungen- z.B. zugunsten der Neuen Bundesländer- gehöre in diesen Bereich. (EWI-Bericht, S. 59.) Damit bestätigen Bundesbank wie EWI unsere dem Bundesverfassungsgericht vorgelegte Analyse: Denn kommt es nicht zur verfassungs-, vertrags- sowie stabilitätskonformen Verschiebung der Dritten Stufe der angestrebten Europäischen Währungsunion, muß entweder mit einem über die ausufernde Staatsverschuldung aufgeweichten Euro gerechnet werden. Oder aber es kommt über den künftig noch härteren und rigoroseren Druck auf die staatlichen Finanzen und Finanzierungsverpflichtungen zu einer schwerwiegenden Destabilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in fast allen Mitgliedsländern Europas - so würde der Euro zum Destabilisator Europas! Nicht der Euro bewirkt die notwendigen inneren Reformen. Erst diese Reformen erlauben es, den Euro und die mit ihm verbundenen Vorteile eines gemeinsamen Marktes mit gemeinsamem Geld zu verwirklichen. 5. Es ist widersprüchlich und läßt währungspolitisches Verantwortungsbewußtsein vermissen, daß EWI und Bundesbank nach ihrer sachlich weitgehend korrekten Analyse gleichwohl feststellen, daß ,nach Abwägung der noch bestehenden Probleme und Risiken der Eintritt in die Währungsunion ab 1999 stabilitätspolitisch vertretbar erscheint'. (BB-Bericht, S. 20.) Es ist genau umgekehrt: Die nachgewiesenen schwerwiegenden Konvergenzmängel und Risiken der Währungsunion verbieten einen vorschnellen und nicht genügend abgesicherten Einstieg in den Euro. Ein Euro, der scheitert, weil er die Mitgliedstaaten sowohl in ihren Reformbemühungen als auch Anpassungszwängen überfordert, würde den größten Rückschlag für die europäische Integration seit ihrem Beginn- womöglich ihr Ende- bedeuten. Allerdings hat die Bundesbank nicht erklärt, daß der Euro rechtlich vertretbar sei. Ihre Einzelbewertungen lassen keinen anderen Schluß zu, als den der Vertragswidrigkeit

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einer derzeitigen Einführung des Euro. Die Bundesbank hat auch nicht erklärt, welche Mitgliedstaaten am Euro teilnehmen können. Einführung des Euro und Teilnahme daran sind zu unterscheiden. Wenn die Bundesbank sagt: ,Die Auswahl der Teilnehmer bleibt letztlichjedoch eine politische Entscheidung' (BB-Bericht, S. 22.), entzieht sie sich ihrer Verantwortung; eine Freizeichnung für die zu erwartenden Konflikte kann das nicht sein. 6. Uns bleibt nur die Hoffnung, daß das Bundesverfassungsgericht dem Recht zum Siege verhelfen und damit Schaden vom deutschen Volk abwenden wird. Wir werden einen Nachtrag zu unserer Klageschrift vorbereiten und dem Bundesverfassungsgericht in Kürze zuleiten." Dies war wegen der überraschend schnellen Entscheidung des Gerichts (schon zwei Tage nach Veröffentlichung dieser Stellungnahme) nicht mehr möglich.

6. Der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 31. März 1998 6.1. Die merkwürdigen Umstände

Einer Meldung der "Frankfurter Allgemeinen" vom I 0. März I998 zufolge wolle "das BVG bis spätestens Ende April über die Verfassungsbeschwerden" entscheiden. Der Sprecher des Gerichts, G. Wöhrmann, habe betont, daß "bislang ... noch keine Stellungnahmen der staatlichen Organe vorlägen". Danach müßte der Brief aus dem Bundesfinanzministerium vom 26. Februar I998, auf den in den bisherigen Ausführungen eingegangen wurde, merkwürdig lange gebraucht haben, um das Gericht zu erreichen! Wie sich herausstellte, hat das Gericht zur größten Überraschung der Öffentlichkeit, "eine für möglich" gehaltene "wesentlich raschere Entscheidung" schon Ende März zustande gebracht. Am Dienstag, dem 3I. März I998, erreichte den Verfasser die Vorhersage aus London, daß das BVG möglicherweise schon in der "nächsten Woche" entscheiden werde, was bis dahin in der deutschen Presse u.W. nicht angekündigt worden war29 • Noch bevor dann die Kläger am frühen Abend des I. Aprili998 von Karlsruhe über die für den nächsten Tag angekündigte Entscheidung informiert wurden, hatte einer der Herausgeber des zitierten Londoner Berichts telefonisch auf die unmittelbar bevorstehende Veröffentlichung aus Karlsruhe verwiesen, was in unserem Verständnis einer Sensation gleichkam. Einmal, weil die Sache um etwa einen Monat beschleunigt worden war, und zum anderen, weil die Entscheidung des Gerichts genau zu dem Zeitpunkt bekanntgegeben werden würde, als am 2. April I998 um 9 Uhr der Bundestag zusammentrat und nach einer Regierungserklärung zum Euro durch den Bundeskanzler über das Einführungsgesetz zum Euro debattieren sollte. Nach glaubwürdigen Bekundungen der Londoner Quelle war das Bundeskanzleramt schon weit vor Veröffentlichung der ersten Voraussage zu einem baldigen 29

Vgl. The SG Money Research Company Ltd. (Ed.), Report 744. London 1998.

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Gerichtsentscheid über Zeitpunkt und Tenor der Entscheidung des Gerichts informiert. Kann zugunsten des Gerichts vermutet werden, daß die Terminplanungen des Bundestages und des Gerichts völlig unabhängig voneinander zustande gekommen waren? 6.2. Tenor und Inhalt des Beschlusses

Das BVG hat am 2. April 1998 ab 8.15 Uhr mit der Fax-Übertragung des 39 Seiten umfassenden Beschlusses an unseren Prozeßbevollmächtigten, K.A. Schachtschneider, begonnen. Als der Bundestag seine Beratungen begann, waren auch wir im Besitzdes vollständigen Textes. Der Leitsatzzum BeschlußdesZweiten Senats vom 31. März 1998 lautet: "Die Mitwirkung Deutschlands an der Währungsunion ist im Maastricht-Vertrag vorgesehen sowie mit Art. 23 und Art. 88 Satz 2 GG grundsätzlich gestattet (vgl. BVerfGE 89, !55< 199 ff>.). Fürden Vollzug dieser rechtlichen Vorgaben, insbesondere die Entscheidung über die Teilnehmerstaaten an der Währungsunion, zeichnet der Maastricht-Vertrag den Maßstab und das Verfahren zum Eintritt in die dritte Stufe der Währungsunion vor. Er eröffnet dabei wirtschaftliche und politische Einschätzungsund Prognoseräume. Dies nimmt die Bundesregierung und das Parlament für die Sicherung des Geldeigentums in Verantwortung. Der Geldeigentümer gewinnt jedoch nicht das Recht, diese parlamentarisch mitzuverantwortende Entscheidung in dem Verfahren der Verfassungsbeschwerde inhaltlich überprüfen zu lassen." Nach einer Darstellung einiger wesentlichen Ergebnisse und Aussagen der Berichte der EU-Kommission, des EWI, der Bundesbank und .der Beschlußfassungen der Bundesregierung vom 27. März 1998 sowie ausführlicher Verweise auf die Stellungnahmen von Bundestagund Bundesrat vom Dezember 1992 hatdas Gericht auch unsere Klagegründe in sieben Punkten auf den Seiten 19-25- auf wesentliche Aspekte verkürzt- referiert. In Teil B sagt das Gericht: "Ob das unmittelbare Bevorstehen von Hoheitsakten es hier rechtfertigt, die Verfassungsbeschwerden insoweit als zulässig zu erachten, mag dahinstehen. Sie sind jedenfalls offensichtlich unbegründet, so daß nach Par. 24 BVerfGG verfahren werden kann (vgl. BVerfGE 53. 100 ; 79, 223 ; 96, I . Damit erledigen sich zugleich die Anträge aufErlaß einer einstweiligen Anordnung." Die Kernaussage im eingangs zitierten Leitsatz zur von uns beklagten Beeinträchtigung der Eigentumsgarantien aufgrunddes Art. 14 GG entsprechend, hat das Gericht unter 2. ausgeführt: "Wird die Deutsche Mark durch eine andere Währung ersetzt, also der hoheitliche Garant des Einlösungsvertrauens ausgetauscht, so verändert dies den rechtlichen Rahmen, der den in Geld vergegenständlichten Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich sichert. Das Einlösungsvertrauen stützt sich in Zukunft nicht mehr auf die staatlich verfaßte Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland, sondern wird

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von einer anderen Rechtsgemeinschaft und der sie stützenden Wirtschaftskraft getragen." "b)MitderZustimmungzurWährungsunionhatderdeutscheGesetzgebernachArt.l4 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des Geldeigentums in der Weise bestimmt, daß Deutschland unter näher geregelten Rechtsvoraussetzungen in eine Währungsunion einbezogen werden kann (Art. 109j EGV), die Deutsche Mark deshalb nach Einführung einer einheitlichen Währung in den Euro umgerechnet werden und in dieser eigenständigen Währung aufgehen darf. Seitdem besitztjeder Inhaber von DM-Eigentum eine Rechtsposition, die darauf angelegt ist, in eine Europäische Währungsunion eingebracht zu werden. Diese Vorgabe hat von Rechts wegen zur Folge, daß Garant dieses Geldes nicht mehr der deutsche Staat und die in Deutschland vorhandene Wirtschaftskraft sind. Dieser nationale Garant wird vielmehr durch die Teilnehmerländer an der Währungsunion und die ihnen zugehörenden Volkswirtschaften ersetzt (vgl. schonBVerfGE89, 155)." In bezug auf die "Beurteilung der dauerhaften Stabilität der WU aufgrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Konvergenz der Teilnehmerstaaten" heißt es im einzelnen: "Die Kriterien dieser Konvergenz hat der Vertrag in klaren Tatbeständen als rechtsverbindliche Entscheidungsgrundlage geregelt (Art. 109j Abs. 1 i.V.m. Art 104c sowie dem Protokoll über die Konvergenzkriterien nach Art. 109j EGV und dem Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit). Dieser Rechtsmaßstab eröffnet freilich Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognoseräume (BVerfGE 89, 155 ): Die Prüfung und Bewertung der vom EWI und der Kommission vorgelegten Daten verlangen empirische Feststellungen, Einschätzungen und Bewertungen, die sich nur annähernd aufErfahrungswissen stützen können. Die Beurteilung der Entwicklungen fordert Analysen und Voraussagen mittels praktischer Vernunft, die nur Wahrscheinlichkeitsurteile erlauben, nicht aberGewißheit vermitteln. DieGesamtwürdigung eines hohen Grades dauerhafter Konvergenz und die daran anknüpfende Prognose einer stetigen Stabilitätsgemeinschaft verlangen von den verantwortlichen Organen Entscheidungen, in denen sich Tatsachenfeststellungen, Erfahrungswerte und willentliches Gestalten in fließenden Übergängen mischen. Soweit der Vertrag für die Kriterien des Haushaltsdefizits und des Schuldenstandes nach Art. 104 c Abs. 2 EGV auch eine bestimmte Annäherung an Referenzwerte zum Tatbestand macht, baut die Entscheidung auf eine Prognose, die nur eine Einschätzung nach Wahrscheinlichkeit sein kann und deshalb in begleitenden Prüfungen und Entscheidungen fortgeschrieben werden muß. In diesem Bereich rechtlich offener Tatbestände zwischen ökonomischer Erkenntnis und politischer Gestaltung weist das Grundgesetz die Entscheidungsverantwortlichkeiten Regierung und Parlament zu (Art. 23 Abs. 2 ff GG)." "Die zutreffenden Entscheidungen", so das Gericht abschließend, "sind von den politischen Organen zu verantworten, die für eine Gesamtbeurteilung allgemeiner Entwicklungen zuständig sind und ihre Entscheidungen entwicklungsbegleitend überprüfen und korrigieren können" (S. 37). Der Zentralsatz lautet dann: "Dieses ist nicht Sache des Gerichts, sondern der Regierung und des Parlaments" (S. 39).

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7. Würdigung und Kritik Es kann nicht Aufgabe dieses Beitrages sein, die Flut der Stellungnahmen zum Beschluß des BVG und die Kritik an der Analyse und Beurteilung der Konvergenz durch die Bundesbank zu referieren und zu würdigen. Aus unserer Sicht bedeutet die Entscheidung des Gerichts eine Flucht vor der eigenen Verantwortung und die Preisgabe der Einflußmöglichkeiten auf eine der folgenschwersten Entwicklungen Deutschlands und Europas. In einer gemeinsamen Erklärung nahmen wir am 2. April 1998 wie folgt Stellung: "I. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) ist enttäuschend. Es wurde im Namen des Volkes gesprochen, hat aber auf dessen Sorgen und Nöte keine Rücksicht genommen.

2. Das BVG hat die Währungsunion endgültig abgesichert, ohne sich an die eigene Rechtsprechung und den Maastrichter Vertrag zu halten. 3. Die, enge und strikte Auslegung' der Konvergenzkriterien, vor allem deren nachhaltige Sicherung, als Voraussetzung für eine funktionsfähige Währungsunion sind ins Ermessen der Politik gestellt worden. 4. Was die Regierung entscheidet, wird als alleiniger Maßstab vom Gericht sanktioniert und muß für alle anderen Instanzen, auch für die Öffentlichkeit gelten. Finanzpolitische Solidität ist nicht erwiesen, sondern wird in Aussicht gestellt. 5. Damit hat das Gerichtjahrelange Versprechungen, die Währungsunion werde nur kommen, wenn die Voraussetzungen von Beginn an erfüllt seien, mit einem Federstrich entwertet. Das Gericht hat die Konvergenzprüfung zur lästigen pro-forma-Angelegenheit reduziert. 6. Das Gericht hatte als letzte Instanz die Möglichkeit, das von uns und vielen Ökonomen befürchtete ökonomische und soziale Unheil von Deutschland und Europa abzuwehren. Dieser Verantwortung ist das Gericht ausgewichen. Wenn es, wie es von uns erwartet, zu schweren Turbulenzen kommen wird, wird auch das BVG sich rechtfertigen müssen. 7. Dem verängstigten und zutiefst verunsicherten Bürger wird zugemutet, ohne Mitsprache zu akzeptieren, daß seine voll funktionsfähige und vertraute Währung über Bord geworfen wird. Die Stabilität des Euro hängt nicht mehr von festen Kriterien ab, sondern von politischen Vorgaben und Einflüssen. Der Euro wird ein durch und durch politisiertes Geld. Daß die Märkte DM und Euro als schwach einschätzen, kann an der Höherbewertung von US-Dollar und besonders des britischen Pfundes abgelesen werden. 8. Die Kläger halten fest: Obwohl die im Vertrag festgelegten Konvergenzkriterien nicht erfüllt sind, soll mit der Währungsunion begonnen werden. Damit startet die Währungsunion mit einer Vertragsverletzung, die das Vertrauen der Bevölkerung und Märkte nicht gewinnen kann." Wir hatten unser Engagement unter das Motto Martin Luthers gestellt: "Und tue, was du schuldig bist zu tun in deinem Berufe." Offensichtlich haben die Richter des BVG ihre professionelle Schuldigkeit anders interpretiert, als wir uns das vorgestellt

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und für richtig gehalten haben, und damit den Schwarzen Peter an die "Politik" weitergereicht Diese ist mit der Entscheidung des BVG und dem Satz der Bundesbank, daß eine "Währungsunion stabilitätspolitisch vertretbar" sei, erwartungsgemäß umgegangen, indem sie am 23./24. April mit folgenden Ergebnissen zustimmten, daß die Bundesregierung am 3. Mai 1998 auf der Sitzung des Rates der EuropäischenUnion nicht nur der Teilnahme Deutschlands, sondern weiteren zehn Mitgliedsländern der EU zuzustimmen berechtigt ist: Bundestag: 575 ja, 35 nein, 5 Enthaltungen; Bundesrat: 15 ja, I nein. Der Grundirrtum des Gerichts besteht darin, erwarten zu können, daß die weichenstellende Entscheidung durch die politischen Organe zur Einführung des Euro in den vor uns liegenden Jahren "entwicklungsbegleitend überprüft und korrigiert" werden könne. Die durch das Gericht ermöglichte und von den politischen Organen verantwortete Grundsatzentscheidung kann eben nicht- und soll es auch nicht -laufend unter dem Diktum der Überprüfung und Korrektur stehen. Mit der "Währungsunion aIa Maastricht" vollzieht sich in der Tat in Europa eine Art revolutionärer Akt. Es wird unterstellt, daß Konflikte größeren Ausmaßes innerhalb der einzelnen Teilnehmerländer und zwischen ihnen, die aufVerteilungskonflikten und Interessengegensätzen beruhen, entweder nicht mehr entstehen oder durch eine neue Art, mit ihnen umzugehen, vermindert bzw. ausgeschaltet werden können. Hierbei soll der Euro eine wichtige Antriebsfunktion erfüllen und die EZB eine einzigartige Schiedsrichterrolle erhalten. Man kann mit guten Gründen bezweifeln, daß es richtig ist anzunehmen, es sei zu einer "Beendigung der Geschichte" in bezugaufdie Lösung politischer Probleme in Europagekommen oder unter dem Einfluß des Maastrichter Vertrages kommen wird. Nach wie vor, so steht zu erwarten, werden die souverän bleibenden Nationalstaaten nicht nur mit der Lösung ihrer Sachprobleme unter Umständen sehr große Mühe haben, sondern auch im Kampf um Erringung und Erhaltung demokratisch legitimierter Macht in Wahlkämpfen entscheiden, daß das nationale Hemd näher ist alsder Rock sachfremdempfundener Euro-Zwänge. DieseelfRegierungen werden in vielen Einzelfällen auch Mühe haben, die Europäische Zentralbank als Schiedsrichter anzuerkennen, nämlich einer Institution zu gehorchen, die möglicherweise eine Machtposition erhält, wie sie bisher nicht vorstellbar gewesen ist30 • Die Konstrukteure der Währungsunion a Ia Maastricht haben sich einmalig ehrgeizige Ziele gesetzt. Es muß m.E. bezweifelt werden, daß die Instrumente zur Erreichung dieserZiele ausreichen, denn die Aufgabe ist ohne historisches Beispiel. 30

Vgl. W. Nölling: Die Europäische Zentralbank. Machtzentrum oder Spielball der Politik? In: H.U. Jörgens (Hrsg.), S. 273ff.

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Nicht ohne Ironie heißt es in der Überschrift einer Analyse: "Don't worry, it's only aRevolution! " 31 oderwirddie WeiterentwicklungEuropaalsein "großes kollektives Abenteuer" 32 bezeichnet, wie der französische Staatspräsident Chirac sich jüngst ausdrückte. Ob "Revolution" oder "großes kollektives Abenteuer", die Währungsunion wird und soll eine Umwälzung dereuropäischen wirtschaftlichen Grundlagen bewirken und, wie es Revolutionen oder Abenteuer so an sich haben, istder Ausgang nicht berechenbar; es erscheint deshalb gerechtfertigt, von Euro-Hasardeuren zu sprechen. Mitdiesem Vorgehen haben die führenden Politiker Europaseine bisherverfolgte Maxime verworfen, die von dem Philosophen K.R. Popper stammt. Sein Plädoyer für Gradualismus und Politik als "Versuch und Irrtum" zu wagen, d.h. in allen Maßnahmen Fehlerkontrollen und -korrekturen einzubauen, um strategische, d.h. nicht korrigierbare Fehler zu vermeiden, ist im Plan von Maastricht außer acht gelassen worden. Poppers Grundaussage wird sich als gültig herausstellen: Der aus seiner Sicht verantwortungsbewußt handelnde Politiker "wird sich auch davor hüten, Reformen von solcher Komplexität und Tragweite zu unternehmen, daß es ihm unmöglich wird, Ursachen und Wirkungen zu entwirren und zu wissen, was er eigentlich tat"33 • Wer, mitder Meßlatte Poppers versehen, das "Projekt Währungsunion"beurteilt, kann beim gegenwärtigen Stand der Endgültigkeit der Maßnahmen nur hoffen, daß die Revolution trotzdem gut ausgeht und daß sich korrigieren läßt, was jetzt noch als unkorrigierbar erscheinen muß.

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Merill Lynch (Ed.), Don't worry, it's only a Revolution! London 1997. "Frankfurter Allgemeine Zeitung", Ausgabe vom 18. Aprill998, S. 6. K.R. Popper, Das Elend des Historizismus. Tübingen 1965, S. 53.

Die globalisierte Wirtschaft

Globale Ordnungpolitik: Gedanken zu einem überfälligen Thema Von Wolfgang H. Reinicke

1. Bedeutung der Globalisierung Die Krise an den asiatischen Finanzmärkten, die 1997 die Weltwirtschaft erschüttert hat und deren längerfristige Auswirkungen in wirtschaftlicher, aber auch in geo-strategischer und sozial-nationaler Hinsicht keineswegs abzuschätzen sind, wird auch die letzten Skeptiker davon überzeugt haben, daß die Diskussion um den Begriff der Globalisierung nicht nur ein heftiges Rauschen im Blätterwald ist, sondern grundlegende ordnungpolitische Institutionen wie Markt und Staat herausfordert, ihre Zweckmäßigkeit neu unter Beweis zu stellen. Kaum eine Regierung kann sich heute noch den Auswirkungen derGlobalisierung entziehen. Aber obwohl dieser Begriff weit verbreitet ist und seine Bedeutung für die Bestimmung innenund außenpolitischer Ziele wächst, wissen wir erstaunlich wenig über dieses Phänomen. In der tagespolitischen Diskussion wird meist von Globalisierung als einer beobachtbaren Tatsache ausgegangen, der Begriff selbst aber nicht exakt definiert. Die akademische Diskussion hingegen krankt an einer Vielzahl unterschiedlicher Begriffsabgrenzungen, die die analytische Auseinandersetzung mit dem Phänomen eher erschwert. In den meisten Fällen wird ökonomische Globalisierung als die stete Zunahme grenzüberschreitender finanzieller und wirtschaftlicher Aktivitäten beschrieben. Handelte es sich indessen nur um rein quantitative Veränderungen, sähen sich Regierungen und Gesellschaften wohl kaum veranlaßt, ihre Rolle vor dem Hintergrund dieses Prozesses neu zu bestimmen. Wenn allerdings, wie viele behaupten, eine neue Standortbestimmung dringend ansteht, ist zu zeigen, daß Globalisierung mehr ist: eine tiefgreifende qualitative Transformation, die sich auf Staaten und deren Institutionen, namentlich die ordnungspolitischen Strukturen nachhaltig auswirkt. Die ausländischen Direktinvestitionen, der Welthandel und die grenzüberschreitenden Kapitalströme haben in den letzten 20 Jahren unzweifelhaft in ungeahntem Maße zugenommen. Wichtiger aber ist, daß sich auch ihr Charakter, ihre geographische Ausrichtung geändert hat, vor allem aber neue transnationale Wirtschaftsverbindungen an Bedeutung gewonnen haben. In den sechzigerund siebziger Jahren

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war das Wachstum der ausländischen Direktinvestitionen noch eng an die Entwicklung materieller Funktionen wie Weltproduktion und -handel gekoppelt. Zwischen 1985 und 1996 jedoch stiegen diese Investitionen im Durchschnitt um real 16 vH jährlich, während Produktion und Handel nur um 2 vH bzw. 7 vH zunahmen. Der Löwenanteil dieses Investitionszuwachses konzentrierte sich auf die OECD-Staaten und einige wenige Entwicklungsländer. Läßt man die Öffnung Chinas und der ehemaligen Ostblockstaaten, die vor 1985 praktisch keine Investitionen auf sich zogen, außer acht, ist der Anteil der in Entwicklungsländer fließenden ausländischen Direktinvestitionen sogar zurückgegangen. Die Investitionen, die vor allem der Rohstoffindustrie sowie arbeitsintensiven oder ganz neu aufzubauenden Projekten zugute kommen, sind nach wie vor ein wichtiges Element in der Weltwirtschaft. Sie nehmen sich aber bescheiden aus, vergleicht man sie mitder durch Fusionen und Übernahmen entstandenen investiven Verflechtung des OECD-Raumes und einiger weniger aufstrebender Märkte. Diese Verflechtung konzentriert sich im wesentlichen auf Branchen, die eine hohe Wertschöpfung aufweisen, zur stark expandierenden Informations- und Kommunikationsindustrie gehören oder aber forschungsund entwicklungsintensiv sind. Noch deutlicher wird dieses Bild, betrachtetman die Unternehmensallianzen und -kooperationen. Für diese Formen der grenzüberschreitenden Unternehmensorganisation entscheiden sich oft Konzerne, die nicht ausreichend liquide sind oder weniger verbindliche Kooperationsformen bevorzugen. Derartige Allianzen haben in den vergangenen zehn Jahren nicht nur deutlich zugenommen, sie konzentrieren sich auch zu fast 90 vH auf die OECD-Staaten.

Die skizzierten Veränderungen wirken sich auch qualitativ auf den Welthandel aus. Der branchen- und firmeninterne Handel macht nach Schätzungen der OECD derzeit bereits rund 70 vH des Welthandels aus. Beide Aspekte sind eng mit weltumspannenden Unternehmensstrategien verknüpft und haben mit der in den ökonomischen Lehrbüchern dargestellten Theorie der komparativen Kostenvorteile nicht mehr viel zu tun. Das Anschwellen der grenzüberschreitenden Kapitalströme in den vergangenen zehn Jahren ist heute eine bekannte Tatsache. Doch auch in diesen Fällen bedeuten die zunehmende wertpapiermäßige Unterlegung sowie die institutionelle Absicherung von Ersparnissen seit Mitte der achtziger Jahre eine qualitative Veränderung, in diesem Fall der internationalen Finanzintermediationund der damit verbundenen Risiken (vom Kreditrisiko zum Marktrisiko ), in dessen Verlauf die Umsetzung globaler Unternehmensstrategien erleichtert wird und gleichzeitig ausländischen Unternehmen inländische Finanzmärkte eröffnet werden. Vor allem durch den Markt für Derivative hat die Volatilität grenzüberschreitender Kapitalströme stark zugenommen. Der explosionsartig angestiegene Umfang dieser Transaktionen wird deutlich, vergleicht man den Devisenhandel mit der Summe von ausländischen Direktinvestitionen und Welthandel: 1995 entsprach diese nur noch etwa 6 Tagesumsätzen des globalen Devisenhandels.

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Kurz, ein beträchtlicher Teil der internationalen Wirtschaftsaktivitäten in den vergangenen Jahren spiegelt die interne, aber grenzüberschreitende Umstrukturierung von Unternehmensaktivitäten in allen Phasen des Produktzyklus wider. Diese Umstrukturierung ermöglicht es den Unternehmen, von geographisch immer größeren Absatz- und Beschaffungsmärkten zu profitieren. Bewerkstelligt wird dies entweder durch die Übernahme eines ausländischen Kapitalbestandes in eine bestehende Unternehmensstruktur und die Internalisierung zuvor am Markt abgewickelter wirtschaftlicher Vorgänge oder durch Allianzen in Form von langfristigen Zulieferverträgen, Lizenz- oder Franchisingabkommen. Bei letzteren finden zwar Transaktionen zwischen rechtlich voneinander unabhängigen Unternehmenseinheiten statt, doch sind diese Beziehungen nur eingeschränkt den Marktkräften unterworfen. Globalisierung ist also in diesem Sinne bislang ein eher mikroökonomisches Phänomen: Das Entstehen eines einzigen integrierten Wirtschaftsraumes vollzieht sich unter dem Druck der Organisationslogik sich vernetzender Industrieunternehmen und ihrer Finanzbeziehungen, wobei sich dieser Raum im Regelfall mit einer Vielzahl politischer Räume (also Nationalstaaten) überschneidet. Interne Unternehmenstransaktionen werden weiterhin von Nationalstaaten registriert und als "Außenhandel" gebucht- dies aber nicht, weil es sich im eigentlichen Sinne um Handelstransaktionen handelt, sondern nur weil sie Grenzen überschreiten. Aussagefähige Daten über den konzerninternen Handel liegen nur für die Vereinigten Staaten vor. Immerhin machte dieser "off-market trade" 1995 annähernd 40 vH des gesamten amerikanischen Außenhandels aus. Globalisierung bedeutet also nicht zwingend die Entstehung einer globalen Marktwirtschaft, wie vielfach angenommen. 2. Auswirkungen auf nationalstaatliche Politikfähigkeit Die Feststellung, wirtschaftliche Integration wirke einschränkend auf das eng mit dem Konzeptdes Nationalstaats verbundene Souveränitätsprinzip, ist nicht neu. Auch hier ist zu fragen, inwiefern die ökonomische Globalisierung eine neue Qualität aufweist. Dazu sind zwei Unterscheidungen hilfreich: Erstens, die Globalisierung stellt nicht die formale Souveränität, die rechtliche Existenz eines Staates in Frage. Dies können nur andere Staaten tun. Sie stellt vielmehr die Operationelle Souveränität in Frage, also die Fähigkeit eines Staates, ungehindert von äußeren oder inneren Einflüssen Politik zu formulieren und durchzusetzen. Zweitens, Souveränität hat eine innere und eine äußere Dimension. Ihre innere Dimension bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Max Webercharakterisiert die Fähigkeit zur Ausübung innerer Souveränität als alleinige Rechtshoheit über eine Reihe gesellschaftlicher und damit auch wirtschaftlicher Aktivitäten in einem abgegrenzten Territorium. Diese Fähigkeit wird durch die rechtlichen, administrativen und politischen Strukturen eines Staates und durch die Grundsätze verkörpert, an denen sich staatliche Politik orientiert. In wirtschaftlicher

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Hinsicht bedeutet die Ausübung innerer Souveränität die uneingeschränkte Möglichkeit zur Steuererhebung und zur Regulierung der Aktivitäten des privaten Sektors. Die äußere Dimension von Souveränität bezieht sich auf die Beziehungen zwischen Staaten der Völkergemeinschaft Grundlegend definiert sind diese Beziehungen durch das Fehlen einer zentralen Autorität. In den Termini von Thomas Hobbes ist die internationale Staatenwelt demnach als prinzipiell anarchisch anzusehen. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben sich die Staaten der westlichen Hemisphäre weitgehendden Grundsätzen eines liberalen ökonomischen Internationalismus verpflichtet gefühlt und damit eine schrittweise Verringerung ihrer äußeren (vor allem wirtschaftlichen) Souveränität durch Zollsenkungen und den Abbau von Kapitalkontrollen unterstützt. Dieser Verzicht auf eine uneingeschränkte Ausübung der äußeren Dimension von Souveränität wurde im Gegenzug durch eine Reihe internationaler Normen und Grundsätze aufgefangen, die unter anderem das Prinzip der Reziprozität in internationalen Vereinbarungen (wie beispielsweise im GATT oder beim IWF) umfaßt. Der Begriff der äußeren Souveränität verliert allerdings fast gänzlich an Bedeutung, untersucht man die Auswirkungen der Globalisierung auf staatliche Politikfähigkeit. Weltumspannende Unternehmensnetze stellen die innere Souveränität eines Staates in Frage, indem sie die räumliche Beziehung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor deutlich verändern. Die Organisationslogik der Globalisierung ist von Vorteil für grenzüberschreitend tätige Unternehmen, da früher zersplitterte nationale Märkte nun zunehmend zu einem einzigen Ganzen verschmelzen können. Diese Logik führt in der Konsequenz zu einem Wirtschaftsraum, unter dem eine Vielzahl politischer Räume subsumiert sein wird. Infolge dessen hatein Staat nicht mehr allein die Rechtshoheit überden räumlichen Umfang, in dem Unternehmen sich organisieren. Die innere Souveränität, um in der bisherigen Terminologie zu bleiben, wird dadurch entscheidend geschwächt. Deutlich wird dies in der Praxis an den zunehmenden Möglichkeiten für international agierende Unternehmen, nationalstaatliche Unterschiede im Aufsichts- und Steuerrecht geschickt zu ihren Gunsten ausnutzen zu können. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß die Akteure des privaten Sektors die innere Souveränität eines Staates in jedem Fall bewußt untergraben. Sie folgen oft einfach einer grundsätzlich anderen organisatorischen Logik. Politische Systeme sind zumindest in ihrer gegenwärtigen Form als Nationalstaaten (denn ein internationales politisches System gibt es, bis auf erkennbare Ansätze in der EU, noch nicht)auf die Wahrung von Grenzen bedacht; ihre Legitimation nach innen und außen leitet sich aus der Fähigkeit ab, Grenzen aufrechtzuerhalten. Märkte wurden zwar ursprünglich von politischer Hand geschaffen, existieren aber ohne Grenzen. Die räumliche Symmetrie zwischen "öffentlich" und "privat", Grundpfeiler der Idee der

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inneren Souveränität, schwindet allmählich- Entgrenzung setzt ein. Die Reichweite staatlicher Politik, die nach wie vor an das Territorialitätsprinzip gebunden ist, kann demnach nicht mehr auf einen geschlossenen Raum, in dem sich Produktion und Verbrauch organisieren, projiziert werden. Globalisierung ist somit ein zwiespältiger Prozeß: Auf dereinen Seite führt er zu einerzunehmenden wirtschaftlichen Integration, während er auf der anderen Seite politisch fragmentierend wirkt. Daß die politische Fragmentierung lediglich den operationellen, nicht aber den formalen Aspekt der inneren Souveränität bedroht, macht die Herausforderungen keineswegs geringer. Eine Einschränkung der inneren Souveränität eines Staates, also die Beschränkung der Fähigkeit von Staaten, Politik im nationalen Rahmen zu formulieren und durchzusetzen, bedeutet letzten Endes eine Einschränkung der Demokratie. Auch wenn die Bürger ihr formales Wahlrecht ausüben, schwindet die tatsächliche Macht ihrer Stimme bei der Formulierung staatlicher Politik in dem Maß, in dem sich innere Souveränität nicht mehr durch- setzen läßt. Durch eine anhaltende Schwäche der inneren Souveränität werden die Strukturen und Institutionen der Demokratie relativiert und damit letztlich auch die formale Souveränität, die rechtliche Existenz eines Staates, in Frage gestellt. Dies erklärt zumindest zu einem Teil die Abnahme des Vertrauens in unsere demokratischen Institutionen. Staaten wird in der Folge nichts anderes übrig bleiben, als auf diese Entwicklungen in hoffentlich angemessener Weise zu reagieren.

3. Antworten auf Globalisierung Bisher waren unsere Antworten auf Globalisierung bestenfalls reagierend. Im wesentlichen lassen sich dabei zwei Formen staatlicher Intervention unterscheiden: Die Globalisierungskritiker rufen nach Maßnahmen, mit deren Hilfe nationalstaatliehe Politik wieder das "only game in town" werden solle. Sie befürworten einen neuen Protektionismus, der mit Hilfe von neuen Zöllen, nicht- tarifären Handelshemmnissen und Kapitalkontrollen Unternehmen dazu zwingen soll, sich wieder in entsprechenden nationalen Grenzen zu organisieren. Stößt derwirtschaftspolitische Nationalismus (und um nichts anderes als Nationalismus handelt es sich hier) nicht auf breite Zustimmung in der Bevölkerung, ist sein politisches - geographisch allerdings begrenzteres-Gegenstückmöglicherweise erfolgreicher: ein defensiver Interventionismus, der auf größere regionale Unabhängigkeit oder sogar auf territoriale Abspaltung setzt in der Hoffnung, die innere Souveränität zurückzuerlangen. Andere wiederum fordern die staatlichen Instanzen auf, offensiv mit Investitionsanreizen und wettbewerbsorientierter Deregulierung zu intervenieren. Dies führt zum heute oft beschworenen "Standortwettbewerb" zwischen Staaten: Diese bemühen sich mit Anreizen verschiedenster Art, international tätige Unternehmen ins Land zu holen, damit diese dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen und 19 FS Jochimsen

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Steuern zahlen. In den OECD-Staaten stiegen die Subventionen von 1989 bis 1993 um 27 vH, wettbewerbsorientierte Deregulierung ist inzwischen auf allen Finanzmärkten üblich und neuerdings auch in der Steuergesetzgebung der einzelnen Staaten nichts Besonderes mehr. Auch als politisches Instrument werden Formen solcher offensiver Intervention von Entscheidungsträgern zunehmend angewandt, um die Reichweite ihrer eingeschränkten inneren Souveränität auszudehnen und somit dem Wirtschaftsraum weltumspannender Unternehmensnetze gerecht zu werden. Zwei der bekannteren Beispiele für diese Form der Politik sind der Versuch Kaliforniens, Unternehmenmit Sitz im Bundesstaatauf globaler Basis zu besteuern, sowie das Helms-Burton-Gesetz, mit dem die Vereinigten Staaten versuchen, Kuba vom internationalen Handel auszuschließen. Keine der beiden Reaktionen verheißt etwas Gutes - weder für die Zukunft der internationalen Beziehungen noch für unsere Volkswirtschaften. Protektionismus führt ungeachtet eines vielleicht legitimen Strebens nach der Wiederherstellung innerer Souveränität zu Vergeltungsmaßnahmen und könnte die Weltwirtschaft auseinanderdriften lassen. Das Subventionieren eines Industriezweiges mit dem einzigen Zweck, einen vielleicht nur kurzfristigen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, wird ebenfalls keine integrativen Prozesse fördern, sondern entzieht die heute ohnehin knappen öffentlichen Mittel wichtigeren Zielen staatlicher Politik. Wettbewerbsorientierte Deregulierung führt vielleicht nicht unmittelbar zu einem Zerfall der Weltwirtschaft, aber sie löscht den eigentlichen Zweck ihrer Politik mittel- bis langfristig aus: Ein vollständig deregulierter Markt ist kein geeignetes Mittel, die innere Souveränität eines Staates wieder herzustellen, vielmehr wird sie dadurch weiter ausgehöhlt und zuletzt vollständig untergraben. Dies soll kein Argument gegen Strukturreformen sein, die in vielen Ländern (Deutschland eingeschlossen) längst überfällig sind. Dieser Einwand soll jedoch deutlich machen, daß die heute oft über alle vernünftigen Maße hinaus favorisierte Idee des Wettbewerbs zwischen Staaten eine "Alles-oder-Nichts-Situation" herbeiführen und diejenigen politischen Kräfte stärken wird, die als Reaktion eine massive Kurskorrektur mittels protektionistischer Politik einleiten wollen. Auch der exterritoriale Geltungsanspruch von Gesetzen kann einen internationalen Integrationsprozeß nicht fördern, andere Staaten werden sich gegen solche "Diktate" wie beispielsweise das HelmsBurton-Gesetz zur Wehr setzen. Der Versuch schließlich, die politische Geographie durch stärkere Regionalisierung oder sezessionistische Bestrebungen neu zu fassen, löst die Probleme nur scheinbar. Bei der Teilung eines Staates geht es ausschließlich um die äußere Dimension der Souveränität, keinesfalls kann sich ein Staat auf diese Weise von den Herausforderungen der Globalisierung abschotten; im Gegenteil: er wird dadurch eher noch verwundbarer. Alle interventionistischen Politikoptionen bekräftigen zudem von neuem Territorialität als ordnendes Prinzip der internationalen Beziehungen -einen Zustand, den man durch wirtschaftliche Integration zu überwinden gesucht und der mit dem

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Ende des Kalten Krieges erreicht zu sein schien. Diese Politikoptionen laufen auch der Globalisierung zuwider und könnten nur dann Erfolg haben, falls das in der Nachkriegszeit Erreichte wieder rückgängig gemacht werden könnte. Dennoch ist die Popularität dieser Strategien seit Anfang der neunziger Jahre beträchtlich gestiegen. In vielen Staaten, Europa und die Vereinigten Staaten eingeschlossen, machen sich "Populisten" die Sorgen und Probleme der Öffentlichkeitangesichts der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit der inneren Souveränität zunutze. Falls keine besseren Lösungen gefunden werden als die hier beschriebenen, werden sich viele Staaten bald gezwungen sehen, Maßnahmen zu ergreifen, um den Verlust an innerer Souveränität und die fortschreitende Erosion des Vertrauens in ihre demokratischen Institutionen durch Interventionismus mindestens aufzuhalten.

4. Globalisierung nutzen und gestalten Die Frage nach der "Globalisierungsfalle" muß somit neu gestellt werden. Nicht die Prozesse, die wir mit dem Begriff der Globalisierung verbinden, führen uns in eine Falle. Vielmehr ist es die territoriale Beschränkung in den bisher gewählten ordnungspolitischen Antworten aufGlobalisierung. Eine interventionistische Politik wird bei dem Versuch, innere Souveränitätdurch das Festhalten am traditionellen Konzept vom Nationalstaat, um das Territorialitätsprinzip weiter ausüben zu können, erfolglos bleiben. Will man Globalisierung nutzen und gestalten, anstatt von ihr getrieben zu werden, muß die Fähigkeit zur Ausübung innerer Souveränität in einem nicht-territorialen Rahmen realisiert werden. Die Bildung einer Weltregierung wäre zwar grundsätzlich eine Möglichkeit, gemeinwohlorientierte Ziele durch eine globale Politik des öffentlichen Interesses zu verfolgen, sie wäre aber zum Scheitern verurteilt. Vorausetzung wäre nämlich zum einen, daß die Staaten nicht nur auf ihre operationelle, sondern auch auf ihre formale Souveränität verzichten; zum anderen zöge sie eine Unzahl von Effektivitäts-, Effizienz- und Legitimitätsproblemen nach sich. Eine aussichtsreichere Strategie fußt auf der erwähnten Unterscheidung zwischen operationellerund formaler Souveränität. Ordnungspolitik muß als eine für das Funktionieren jeglicher Marktwirtschaftauf nationaler, regionaler oder globaler Ebene entscheidende gesellschaftliche Funktion nicht zwmgend gleichgesetzt werden mit staatlicher Politik. Eme globale Politik des öffentlichen Interesses, eine globale gemeinwohlorientierte Ordnungspolitik, kann über nationalstaatliche Grenzen hinweg gedacht und organisiert werden, indem die operatwnellen Elemente der inneren Souveränität (die Ordnungspolitik) von ihrem formalen territorialen Fundament (dem Natwnalstaat) und dessen institutiOnellen Kontext (der Regierung) gelöst werden. Mit anderen Worten: ehemals klassische innenpolitische Politikfelder, die nun im Nationalstaat alleme mcht mehr befnedigend zu bearbeiten i9•

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sind, müssen aus dem nationalstaatliehen Kontext und der nationalen Regierungsebene gelöst und auf einer anderen Ebene bearbeitet werden. Der Kern einer solchen Strategie ist das Subsidiaritätsprinzip: Politische Entscheidungsträger im Nationalstaat müßten operationeHe Elemente der inneren Souveränität, im Einzelfall also auch weitreichende Kompetenzen, auf andere, zur Durchsetzung globaler öffentlicher Interessen besser geeignete Akteure und Einrichtungen übertragen. Der Begriff der Subsidiarität wird hier allerdings in einem weiteren als dem bisher verbreiteten (vor allem europäischen) Kontext verstanden: Das Präfix "Sub" hat hier nicht nur die enge räumliche Bedeutung einer nachgeordneten Politik- oder Verwaltungsebene, wie man es im Hinblick auf die Europäische Union oder das 1Oth Amendment der amerikanischen Verfassung versteht, sondern wird auch im funktionalen Sinne gesehen. Es bezieht sich auf alle Akteure und Einrichtungen, die die Durchsetzung innerer Souveränität im globalen Rahmen gewährleisten können. Subsidiarität wäre in diesem Zusammenhang also konzeptionell zu erweitern. In der klassischen Form der vertikalen Subsidiarität werden ordnungspolitische Aufgaben innerhalb des öffentlichen Sektors an die Stelle delegiert, die dem zu lösenden Problem am nächsten steht. Im Rahmen der Globalisierung bezieht sich dies vor allem auf die internationalen Organisationen. Der Wandel im Rollenverständnis und in den Aufgaben des IWF, der Weltbank und der Welthandelsorganisation, die sich mehr und mehr mit der Bekämpfung der Korruption, mit Finanzaufsicht, Umweltstandards und anderen Themen staatlicher Politik befassen, zeigt deutlich, daß dieser Form der Subsidiarität, auch wenn dies bisher kaum öffentlich registriert wird, zunehmende Bedeutung zukommt. Das heißt nicht, daß lokale Akteure bei der Durchsetzung und Beobachtung auf globaler Ebene vereinbarter Regeln und Standards nicht eine wichtige Rolle spielen können. Deroft zitierte Satz "Global denken -lokal handeln" veranschaulicht in praktischer Weise, daß vertikale Subsidiarität in beide Richtungen funktionieren kann und muß. Aber auch das Prinzip der horizontalen Subsidiarität könnte bei der Gestaltung einer globalen Ordnungspolitikextensiv ausgenutzt werden: Teileder Politikgestaltung könnten in diesem Sinne an Unternehmen, Gewerkschaften, Nicht-Regierungsorganisationen, ja sogar Stiftungen und andere interessierte nicht-staatliche Akteure übertragen werden. Diese Akteure haben ein direktes Interesse an den Ergebnissen öffentlicher Politik und bieten den Vorteil, daß sie der Territorialitätsfalle nationalstaatlicher Politik weitestgehend entgehen können, da ihre Aktivitäten nicht an ein bestimmtes Gebiet gebunden sind. Die sich durch den technologischen Fortschritt rasch wandelnden Anforderungen an ordnungspolitische Kompetenz wie zum Beispiel im Finanz- oder Umweltbereich werden zudem durch private Akteure besser erfüllt, da sie die betreffenden Politikfelder besser kennen und verstehen. Nicht nur Akzeptanz und Legitimität globaler Ordnungspolitik können so erhöht werden, die dadurch ins Leben gerufenen öffentlich-privaten Partnerschaften und Formen der Zusammenarbeit würden auch zu einem effizienteren und

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effektiveren politischen Prozeß führen. Horizontale Subsidiarität in Form von transnationalen öffentlich-privaten Regulierungsbehörden würde zu einem Grundpfeiler einer globalen gemeinwohlorientierten Ordnungspolitik und könnte sich neben Problembereichen wie der globalen Finanzaufsicht, dem Umweltschutz, der Bekämpfung der international organisierten Kriminalität oder dem Transfer von "dual-use"-Technologie vielen weiteren politischen Problemen widmen. Kritiker eines solchen Ansatzes werden zu Recht fragen, ob die Zusammenfassung öffentlicher und privater Interessen unter einem Dach zweckmäßig ist wahrscheinlich (so wird unterstellt) würde das öffentliche Interesse dabei vernachlässigt. Die bisher nur begrenzten Erfahrungen mit dieser Form gemischter Regulierungs- und Aufsichtsbehörden in den Vereinigten Staaten und wenigen anderen Ländern geben den Skeptikern in mancherlei Hinsicht Recht. Statt aber aufgrund dieser Beobachtungen die Idee einer globalen, am öffentlichen Interesse orientierten Ordnungspolitik unter Beteiligung nicht-staatlicher Akteure zugunsten interventionistischer Politik zu verwerfen, sollte man versuchen, die gegenwärtigen Mängel zu identifizieren und zu beheben. Dazu wäre es in einem ersten Schritt unabdingbar, die Strukturen und Institutionen bisheriger ordnungspolitischer Aktivitäten zu öffnen und transparenter zu gestalten. Zu diesem Zweck müßten allen beteiligten Gruppen der Zugang zu der gemischten Regulierungs- oder Aufsichtsbehörde garantiert und strenge Offenlegungsprinzipien erlassen werden ("disclosure-based regulation"). Unternehmen müßten in einem weiteren Schritt die Arbeit dieser öffentlich-privaten Partnerschaften erleichtern, indem sie ihre eigenen Kontroll- und Managementstrukturen verbessern. Je besser solche internen Kontrollen funktionieren, um so weniger wahrscheinlich wären Marktversagen und die Notwendigkeit externer regulativer Eingriffe. Die Idee der öffentlich-privaten Partnerschaft wird zweifellos auf Widerstand stoßen. Die Privatwirtschaft wird sich gegen die Offenlegungspflichten als eine unerwünschte Einmischung wehren und vor den erforderlichen internen Anpassungsmaßnahmen aus Kostengründen zurückschrecken. Doch wird man bedenken müssen, welche Folgen dies mittel- oder langfristig in Form defensiv interventionistischer staatlicher Politik hat. Nicht-Regierungsorganisationenwerden auch weiterhin Bedenken über das Ausmaß an Vertrauen, das dem privaten Sektor dabei zu schenken ist, äußern. Doch sie sollten sich darüber im Klaren sein, daß der Verlust an interner operationeUer Souveränität bereits zu einem Demokratiedefizit geführt hat, und erkennen, welche Chancen die hier vorgeschlagene Form globaler gemeinwohlorientierter Ordnungspolitik und öffentlich-privater Partnerschaften eröffnen.

5. Mit den Entwicklungen Schritt halten Die Beziehungen zwischen den hochentwickelten Industrieländern sind zunehmend durch die Auswirkungen derGlobalisierung gekennzeichnet. Das wird bereits

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in der wachsenden Aufmerksamkeit deutlich, die nichttarifäre Handelshemmnisse im Bereich der Finanzaufsicht oder internationale Gesundheits-, Umwelt- und Sicherheitsstandards in den entsprechenden Institutionen finden. Viele der Schwellen- und die meisten der Entwicklungsländer sind allerdings noch nicht so weit; dort sind weiterhin äußere Souveränität und territoriale Interessen die wichtigsten Bestimmungsfaktoren der Außenpolitik. Doch auch die Nord-Süd-Beziehungen verändern sich zusehends, wie die aktuellen Finanzmarktturbulenzen in Südostasien und ihre Folgewirkungen illustrieren. Soll sich die Globalisierung fortsetzen und intensivieren, dürfen wir uns von diesen Teilen der Welt nicht länger ordnungspolitisch isolieren. Bis jetzt spiegelt sich aber die Antwort auf die globalen ordnungspolitischen Herausforderungen noch nicht in den internationalen institutionellen Rahmenbedingungen wider. Als erster Schritt sollten zumindest die die Liberalisierung fördernden Institutionen wie der IWF mit den Gremien, die mit der Kontrolle der mit der Globalisierung entstandenen Finanzrisiken beauftragt sind (wie hier das "Joint Forum", in dem die Aufsichtsbehörden des Banken-, Wertpapier- und Versicherungssektors zusammenkommen), enger zusammenarbeiten. In vielen Fällen wäre eine Vereinigung der Aufgabenbereiche unter einem Dach die sinnvollste Lösung. Dies würde bürokratische Doppelarbeit und Grabenkämpfe zwischen internationalen Institutionen vermeiden helfen und zudem der doppelten Herausforderung, vor die sich viele der Entwicklungsländer gestellt sehen (Liberalisierung nach innen und gleichzeitiges Schritthalten mit den sich rapide verändernden globalen Anforderungen), mit einem kohärenteren Ansatz als bisher begegnen.

6. Internationale Sicherheit neu konzipieren Sollen die Institutionen der internationalen Sicherheitsordnung und ihre Architekten konkrete tragfahige Lösungsansätze für die Globalisierung im 21. J ahrhundert entwickeln, kann die äußere Souveränität nicht das einzige Paradigma der internationalen Beziehungen bleiben. Der Charakter der "internationalen Sicherheit" hat heute zwei Dimensionen: die außenpolitisch-kollektive (Territorialität) und die innenpolitisch-individuelle. Die Bewahrung der äußeren Souveränität eines Staates (also die Sicherung der rechtlichen Existenz) hängt letztlich von der Fähigkeit nationalstaatlicher Politik ab, ehemals als Innenpolitik definierte Politikfelder auf neuen Wegen in der Außenpolitik zu lösen. Diesem Erfordernis sinnvoll und konstruktiv Rechnung zu tragen, ist die Aufgabe der internationalen Beziehungen in den kommenden Jahren. In diesem Zusammenhang sollten sich auch die mit dem internationalen Sicherheitsmanagement betrauten internationalen Institutionen mit Fragen der inneren Souveränität befassen und ihre Möglichkeiten und Instrumente ausweiten. Ein

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Beispiel dafür wäre die Debatte über die Zukunft der NATO. Gegner einer Erweiterung in Ost und West verweisen auf die äußere Souveränität und betonen so die territorialen Konsequenzen einer solchen Maßnahme. Die Befürworter legen den Schwerpunkt ihrer Argumentation auf die innere Souveränität, indem sie an die neuen Aufgaben der Allianz wie die Entwicklung von Demokratie und zivilisierter Gesellschaft erinnern. Angesichts der historischen Bedeutung der NATO und des damit verbundenen institutionellen und bürokratischen Beharrungsvermögen sowie mangels konkreter Alternativen überwiegen in der Diskussion die Argumente derBefürwortereiner NATO-Erweiterung. Dies ist von entscheidender Bedeutung: Sollte das Bündnis nicht erweitert werden, so geschähe dies nicht auf der Grundlage eines besseren Entwurfes für eine globale Sicherheitsordnung. Vielmehrwürde dies bedeuten, daß auch in diesem Politikfeld die defensive Intervention als Option die Oberhand gewonnen hätte. Die Alternative "NATO-Erweiterung: ja oder nein" ist daher vermutlich die falsche Fragestellung. Der eigentlich interessante Aspekt ist, inwiefern die Art der Erweiterung und Veränderung des Bündnisses der richtigen Mischung zwischen der Erhaltung äußerer und innerer Souveränität Genüge tuteiner Mischung, die eine sich wandelnde Zusammensetzung europäischer und globaler Sicherheitsanforderungen berücksichtigt und Rußland stufenweise einbezieht. Obwohl die Daten über ausländische Direktinvestitionen und internationale Unternehmensallianzen belegen, daß große Teile der Weltwirtschaft vor allem südlich des Äquators noch nicht von der Globalisierung erfaßt sind, wird der Bedarf an politischer Einbindung dieser Regionen über die NATO-Erweiterung hinaus anwachsen. Wird innere Souveränität allmählich zu einem Thema der internationalen Beziehungen, eröffnet sich eine neue strategische Vision, in der internationale Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank zu zentralen Elementen der künftigen internationalen Sicherheitsordnung werden. Die Weltbank hat bereits begonnen, sich mit Aspekten innerer Souveränität wie "good governance", Armutsbekämpfung oder Konfliktprävention zu beschäftigen und sollte dies weiterführen und ausbauen. Der IWF beschäftigt sich seit jüngster Zeit mit Problemen der Regulierung des globalen Finanzsystems, der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung. Indem sie auf die wirtschaftlichen Konsequenzen überzogener Militärausgaben aufmerksam machen und Druck auf die betreffenden Staaten ausüben, diese zu kürzen, stellen inzwischen beide Institutionen die Möglichkeit für die Wahrung der äußeren Souveränität eines Staates in Frage, wenn innere Souveränität wie minimale Standards für Erziehung und Gesundheit nicht gewährleistet sind. Vor 50 Jahren wurde diesen Institutionen das Mandat erteilt, die zunehmende Interdependenz zu gestalten. Künfig besteht ihre Aufgabe in der Gestaltung der Globalisierung und somit einer globalen gemeinwohlorientierten Ordnungspolitik. Dazu werden sie verstärkt Modelle öffentlich-privater Partnerschaften organisieren müssen, um offener und transparenter zu werden und die Rückbindung an die Bürger und die daraus erwachsende Legitimität zu erwerben, die die Übernahme von bisher an die

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innere Souveränität gebundenen Aufgaben erfordert. Ohne diese Anpassungen werden die Institutionen ihr neues Mandat nicht wahrnehmen und letztlich auch ihr Fortbestehen nicht ausreichend begründen können. Eine wirklich erfolgreiche Globalisierung- die also auch die südliche Hälfte des Globus umfaßt- hängt unmittelbar vom Transfer materiellen und immateriellen Kapitals aus dem Norden in den Süden ab. 1990 stammten 44 vH aller langfristigen finanziellen Leistungen an die Entwicklungsländer aus privaten Quellen; bis 1996 hatte sich der Anteil der privaten Zuflüsse auf 86 vH erhöht, und es zeichnet sich deutlich ab, daß auch in Zukunft, trotz der Krise in Asien, der Löwenanteil des Nord-Süd-Transfers aus dem privaten Sektor kommen wird. Doch wenn eine globale gemeinwohlorientierte Ordnungspolitik Erfolg haben soll, braucht sie selbstverständlich auch öffentliche Finanzhilfen. Ohne eine solche Unterstützung werden die Entwicklungsländer nicht in der Lage sein, innere Souveränität in ihren Staaten aufzubauen und zu festigen. Angesichts der Veränderungen der Rahmenbedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges, die das Werben für Entwicklungsgelder in den Industrieländern stark erschweren, mag ein erneutes Rufen nach staatlich finanzierter Entwicklungshilfe sinnlos erscheinen. Aber beim Ressourcentransfer zur Förderung und zum Aufbau von Strukturen sowie von Institutionen einer globalen gemeinwohlorientierten Ordnungspolitik ist der Begriff der Auslands- oder Entwicklungshilfe irreführend. Vielmehr handelt es sich um eine Investition, die sich für alle Beteiligten, im Norden und Süden, lohnen wird.

7. Auf dem Weg zu einer globalen gemeinwohlorientierten Ordnungspolitik Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen befinden sich an einem Scheideweg. Die zuvor beschriebenen interventionistischen Strategien sollten nicht als politisch unpassend abgetan und somit unterschätzt werden. Derartige Strategien werden immer populärer. Es sei nur an die Ergebnisse der jüngsten Wahlen in Frankreich, an die "fast-track"- und die IWF-Debatte im amerikanischen Kongreß, das Gesetz über die US-Sanktionen gegen Iran und Libyen, das Helms-Burton-Gesetz, den Sezessionsversuchs Quebecs oder Norditaliens oder den zunehmenden internationalen Steuerwettbewerb erinnert sowie auf die möglichen politischen Konsequenzen der Asienkrise hingewiesen. Als Folge solcher Ereignisse wird die äußere Souveränität erneut die Beziehungen zwischen den Staaten dominieren und damit letztlich das Risiko territorialer Konflikte erhöhen. Das hier vorgeschlagene Alternativszenario stellt die innere Souveränität nicht als Prinzip in Frage, wohl aberdie Notwendigkeit, sie territorial, aufNationalstaaten begrenzt zu organisieren. Eine globale gemeinwohlorientierte Ordnungspolitik erfordert politische Führung und institutionellen Wandel - zu beidem ist die

Gedanken zu einer globalen Ordnungspolitik

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Bereitschaft aufbeiden Seiten des Atlantiks bisher gering. Weiterhin erfordertdiese Strategie die Bereitschaft nicht-staatlicher Akteure (vor allem aus dem Bereich der transnational operierenden Unternehmen) zu enger Kooperation mit dem öffentlichen Sektor. Sie müssen Verantwortung bei der Umsetzung globaler Ordnungspolitik übernehmen und dazu bereit sein, diesen Prozeß demokratischen Prinzipien und Kontrolle zu unterwerfen. Die Weltwirtschaft besteht in zunehmenden Maße aus Unternehmensnetzen globaler Reichweite. Die Organisation der politischen Führung auf globaler Ebene ist hingegen bestenfalls mit einem staatenübergreifenden Flickenteppich zu vergleichen, der sich vor allem durch fehlende Verbindungsstücke und unnötige Überlappungen auszeichnet. Wenn man das beschriebene Modell globaler gemeinwohlorientierter Ordnungspolitik dem Interventionismus als bessere Alternative entgegenstellen will, müssen die Nationalstaaten dafür sorgen, daß diese unterschiedlichen Flicken sachgerecht verknüpft werden. Ein erster Schritt wäre eine Bestandsaufnahme der bestehenden Strukturen internationaler Politik in funktionaler, finanzieller, institutioneller und struktureller Hinsicht. Im nächsten Schritt wären die größten der dabei offenbar gewordenen Löcher zu stopfen. Die nationalen Bürokratien - nicht nur die Führungsspitzen - müßten ständige Verbindungen aufbauen, mittels derer sie sich gegenseitig über grenzüberschreitende Wirtschaftsaktivitäten auf dem laufenden halten. Das Versagen der Finanzaufsicht, wie es sich beispielsweise in den bekannten Fällen der Barings- oder der Daiwa-Bankgezeigt hat, illustriertdie Notwendigkeit einersolchen Vernetzung. Sie müßte allerdings über die Sphäre der globalen Finanzmärkte weit hinausgehen. Die betroffenen Verantwortungsträger sollten sich regelmäßig treffen, um Erfahrungen und Strategien auszutauschen. Verstärkte Zusammenarbeit der internationalen Institutionen würde unnötige Doppelarbeit vermeiden, und durch eine einvernehmliche Arbeitsteilung könnten die in den letzten Jahren aufgebrochenen Grabenkämpfe der Institutionen eingedämmt werden. Das im Dezember 1996 zwischen dem IWF und der Welthandelsorganisation geschlossene Abkommen über eine Zusammenarbeit ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wie die Erfahrungen der Weltbank im ehemaligenJugoslawiengezeigt haben, müssen sich der Informationsaustausch und die Koordination von Aktivitäten ebenfalls auf die Bereiche der Menschenrechte und der Sicherheit, die unter anderem durch die OSZE und die NATO abgedeckt werden, erstrecken. Auch diese Institutionen sehen sich zunehmend mit den Folgen der Erosion innerer Souveränität konfrontiert. Die Koordination einzelner Politikfelder auf zwischenstaatlicher Ebene reicht aber keineswegs aus. Sollten Staaten und internationale Organisationen nicht in der Lage sein, die oben beschriebenen Strukturen einer globalen gemeinwohlorientierten Ordnungspolitik zu schaffen und zu nutzen, können die in Angriff zu nehmenden Aufgaben nicht gelöst werden. Es ist zwar richtig, daß z.B. auf Gebieten wie dem

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Wolfgang H. Reinicke

Umweltschutz oder der humanitären Hilfe die politischeUnterstützungfür derartige Strukturen häufig bereits vorhanden ist. Doch nur allzu oft ist diese Unterstützung lediglich hastige Reaktion auf eine akute Krise und nicht Teil einer wohlüberlegten und gut ausgeführten Strategie. Die sich dabei herausbildenden staatenübergreifenden gesellschaftlichen Netzwerke kündigen gleichwohl die Gründung einer globalen Zivilgesellschaft an und tragen somit entscheidend zur Legitimation und Effektivität einer globalen gemeinwohlorientierten Ordnungspolitik bei. Wagt man einen Blick in die ferne Zukunft des klassischen Nationalstaates, muß man einräumen, daß es mit seinem einst im territorial abgegrenzten Staatsgebiet garantierten Monopol auf die innere Souveränität vorbei sein wird, falls die Globalisierung im bisherigen Tempo fortschreitet. Doch ist dies wirklich ein Anlaß zu großer Sorge, wie sie vielfach geäußert wird? Im Gegenteil: falls es möglich sein sollte, die innere Souveränitätdurch eine globale gemeinwohlorientierte Ordnungspolitik zu ersetzen, könnte man die Globalisierung sogar als Chance zur Erneuerung veralteter Strukturen und Institutionen sehen. Dies erfordert selbstverständlich die Lösung der politischen Eliten vom Nationalstaat und die Schaffung öffentlich-privater Partnerschaften, mit deren Hilfe man sich der notwendigen politischen Führung und Gestaltung der Globalisierung dynamisch und sensibel zugleich annehmen könnte. Ob und wie lange ein sich so veränderndes Gebilde noch Nationalstaat genannt wird, ist im Grunde von nachgeordnetem Interesse. Der Nationalstaat ist eine verhältnismäßig junge Organisationsform und hat keinen Anspruch auf Verewigung; die Ausübung von Souveränität hat sich im Lauf der Jahrhunderte häufig geändert. Sollte der Nationalstaat als organisatorische Einheit wirklich einmal überflüssig werden, so darf dies aber nicht für die demokratischen und marktwirtschaftliehen Grundsätze und Werte gelten, nach denen sich unsere Gesellschaft richtet. Es ist jedenfalls an der Zeit, über das Konzept einer globalen gemeinwohlorientierten Ordnungspolitik nachzudenken.

Weltwährungssystem und Europäische Währungsunion Von Hans Tietmeyer

I. Das 20. Jahrhundert kennt keinen Mangel an Erfahrungen und Lektionen aus unterschiedlichen internationalen Wechselkursarrangements. Nun - gegen Ende dieses Jahrhunderts - steht Europa vor dem Start eines neuen weitreichenden Experiments: einer Währungsunion von Nationalstaaten mit einer supranationalen Zentralbank. Manche Ökonomen sehen darin den Kreis sich schließen. Das Jahrhundert begann mit dem Goldstandard. Es endet mit einer Währungsunion. Damit steht am Anfang wie am Ende dieses Jahrhunderts ein entnationalisiertes Geld. Die Länder können dieses Geld nicht nach ihren eigenen Vorstellungen herstellen. Hatten sie sich damals an die Verfügbarkeil von Gold gebunden, so wird in der kommenden Europäischen Währungsunion (EWU) Hüterdes Geldes eineden nationalen Entscheidungen entzogene Europäische Zentralbank sein, die allein dem Ziel der internen Geldwertstabilität verpflichtet ist. Jene Ökonomen, die diesen historischen Rekurs betonen, verbinden damit im allgemeinen eine optimistische Sicht. Sie erwarten eine Bindung durch die gemeinsame Währung, die in sich ökonomisch und politisch stark genug ist, daß sie die teilnehmenden Länder dauerhaft zwingt, die ökonomischen Spielregeln eines gemeinsamen Währungsraums zu befolgen. Eine zentrale Spielregellautet dabei: Ohne die Option der Wechselkursänderung und ohne die Option einer eigenständigen Zinspolitik fällt die nationale Geld- und Währungspolitik als Instrument aus; um z.B. ein Leistungsbilanzdefizit innerhalb der Union zu korrigieren, bleibt dann nur die realwirtschaftliche Anpassung zur Verminderung bzw. Einebnung von wirtschaftlichen Unterschieden 1• Die Währungsunion- so eine häufig vertretene Sicht- diszipliniere streng. Sie übt genügend Druck auf die Länder aus, ihre realen Probleme anzugehen und sie auch intern zu lösen. Insofern knüpft die Währungsunion an die als erfolgreich angesehenen Wirkungen des Goldstandards an. Hier soll von der Möglichkeit abgesehen werden, über umfangreiche Transfers wirtschaftliche Unterschiede auszugleichen. Der Maastricht-Vertrag sieht eine "Transferunion" nicht vor.

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Dieseroptimistische Bezug auf die Erfahrungen mit dem Goldstandard istjedoch wohl nur begrenzt überzeugend. Zunächst mag man fragen, inwieweit diese Sicht das Funktionieren des Goldstandards im nachhinein verklärt. Darüber mögen die Historiker streiten. Jedenfalls war diese Ära wohl keineswegs nur ein "goldenes" Zeitalter. Aber vor allem waren die Bedingungen für ein Funktionieren des Goldstandards damals andere. Vor hundert Jahren waren insbesondere auch Preise und Löhne flexibler, als sie heute in den meisten Ländern des europäischen Kontinents sind. Und vor allem war das Rollenverständnis vom Staat anders. Seine Kernaufgaben waren damals, die Rechtsordnung nach innen zu setzen und zu sichern sowie nationale Interessen nach außen zu verfolgen. Die Staatsquoten der Länder bewegten sich damals in einer Größenordnung von kaum mehr als I 0 vH 2• Die bei einer Veränderung der Wettbewerbsverhältnisse notwendigen Anpassungen, die natürlich in erster Linie den privaten Sektor treffen, verteilten sich relativ breit und schnell über einen großen Teil der Ökonomie. Heute liegendie Staatsquoten in vielen europäischen Ländern dagegen bei 50 vH oder mehr. Die marktmäßige Anpassung konzentriert sich unmittelbar also nur noch - mehr oder weniger - auf die Hälfte der Volkswirtschaft. Zudem steht der Nationalstaat in den Augen der Bürger und Wähler heute auch viel tiefer und genereller in der wirtschaftlichen und sozialen Verantwortung für Wachstum, Einkommen und Beschäftigung. Unter den heutigen Bedingungen ist es daher auch recht optimistisch anzunehmen, daß die monetäre Bindung durch die Währungsunion und die supranationale Zentralbank nur stark genug sein müsse, dann könne sie jeden beliebigen Anpassungsbedarf automatisch erzwingen. Man darf nicht übersehen: Das Einhalten der "rules ofthe game" setzt insbesondere auch eine hinreichende Fähigkeit der Länder voraus, ökonomisch entsprechend flexibel zu sein. Ebenso verlangen die Spielregeln von den beteiligten Ländern natürlich den gemeinsamen politischen Willen, dauerhaft die monetäre Stabilität und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu akzeptieren. Diese weitgehende ökonomische und politische Dimension einer Währungsunion darf gerade in der Welt von heute und morgen nicht unterschätzt werden. Die Abschaffung des Wechselkurses istjedenfalls ein Vorgang von weitreichender Bedeutung.

II. Der Wechselkurs ist ein Preis, und zwar einer der wichtigsten einer Volkswirtschaft. Wie jeder Preis besteht seine vorrangige Aufgabe darin, die Allokation zu steuern. Einfach ausgedrückt heißt das: Liegt der Wechselkurs auf einem den 2

Recktenwald schätzte die Staatsquote in Deutschland auf etwa 10 vH; vgl. H.C. Recktenwald, Umfang und Struktur der öffentlichen Ausgaben in säkularer Entwicklung. In: F. Neumark (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft. Band I. 3. Auflage, Tübingen 1977, S. 719.

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Wettbewerbsverhältnissen angemessenen Niveau und bleiben die fundamentalen Determinanten- wie Differenzen bei den Inflationsraten und bei der Produktivität oder die Nachfrageverhältnisse- auch in der Zukunft weitgehend konstant, dann kann und soll der Wechselkurs auch möglichst stabil sein. Er bewirkt dann ein hohes Maß an Planungssicherheit für die wirtschaftliche Disposition, und für wirtschaftliche Zukunftsentscheidungen setzt er eine gute Grundlage. Verändern sich hingegen die fundamentalen Determinanten, dann soll sich der Wechselkurs möglichst rasch anpassen. Es sei denn, eine Volkswirtschaft wäre durch interne Anpassung in der Lage, schnell und effizient etwaige Ungleichgewichte im Vergleich zu den anderen Volkswirtschaften wieder zu korrigieren. Der Wechselkurs soll also einerseits stabil sein, andererseits auf fundamentale Ungleichgewichte möglichst rasch reagieren. Diese beiden Wünsche an die Wechselkurse sehen auf den ersten Blick wie ein Dilemma der monetären Währungspolitik aus. Doch dies ist bei angemessenen Politiken ein Schein-Problem. Es löst sich für die am internen Stabilitätsziel orientierte Geldpolitik weitgehend auf: Eine stetige, auf Geldwertstabilität ausgerichtete Politik hilft nämlich in beiderlei Hinsicht. Sie reduziert die Volatilität. Denn sie trägt Ruhe in die Finanzmärkte. Und sie ist zugleich der beste Beitrag der Geldpolitik, um den Bedarf an fundamental erzwungenen Wechselkursänderungen gering zu halten und um die Flexibilität und die Marktmechanismen im Inneren zu stärken. Das Pseudo-Dilemma löst sich dann im Kern auch fürdie Wechselkurspolitik auf: Denn einLand kann meist nichtständig zwischen Wechselkursregimen- etwa mehr feste oder mehr flexible Wechselkurse -gemäß seinen Präferenzen frei wählen. In der Regel ist es gebunden an bestehende internationale Abkommen und Absprachen. Jede Wechselkursbindung setzt aber die Fähigkeit voraus, mit ihr ökonomisch zurechtzukommen. Wenn man feste Wechselkurse oder ihre endgültige Beseitigung in einer Währungsunion für richtig und sinnvoll hält, kommt es also darauf an, daß man die notwendigen Voraussetzungen dafür dauerhaft und nachhaltig schafft. Der entscheidende Punkt ist daher: Feste Bindungen müssen unter den jeweils herrschenden politischen und ökonomischen Bedingungen auch machbar und vor allem durchhaltbar sein.

111. Die monetäre Nachkriegsgeschichte war weltweit praktisch für ein Vierteljahrhundert untrennbar verbunden mit dem 1944 beschlossenen Bretton-Woods-System. Es war im Ursprung ein Gold-Devisen-Standard mit festen, aber adjustierbaren Wechselkursen gegenüber dem mit der Goldeinlösepflicht versehenen US-Dollar. An seinem Anfang stand vor allem der Wunsch, die monetären Verhältnisse der dreißiger Jahre zu überwinden. Kompetitive Abwertungswettläufe, weitgehende Importbeschränkungen und Devisenkontrollen behinderten damals empfindlich

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den Welthandel und das wirtschaftliche Miteinander der Länder. Vor diesem historischen Hintergrund feierten viele Ökonomen das Bretton-Woods-System zunächst zu Recht als großen Erfolg. Es hat in der Nachkriegsgeschichte ohne Zweifel wichtige Grundlagen gelegt für den Wiederaufbau und die zunehmende Offenheit der Güter- und Finanzmärkte. Ein umfassendes Urteil darf freilich mindestens drei Problembereiche nicht übersehen: Schon das Bretton-Woods-System zeigte bald die "Krisenanfälligkeit" fast aller Festkurssysteme. Leistungsbilanzungleichgewichte wurden zu zögerlich bekämpft. Korrekturen der Wechselkurse erfolgten oft zu spät und bewirkten dann nicht selten neue Verzerrungen. Die "Biütejahre" des Systems in den fünfziger Jahren muß man vor dem Hintergrund der beschränkten Konvertibilität sehen. Die meisten westeuropäischen Länder führten die volle Konvertibilität erst in den sechziger Jahren ein. Und gerade auch in den Vereinigten Staaten wurden Kapitalsverkehrskontrollen bis in die sechziger Jahre hinein angewandt. Dabei zeigten übrigens selbst die - aus heutiger Sicht - damals noch wenig entwickelten Finanzmärkte schon ihre Kraft. Zum einen wurde ihre Fähigkeit deutlich, administrative Vorschriften zu unterlaufen; so entstand bereits Ende der fünfzigerJahreder Euro-Dollar-Markt. Und zum anderen wurde offensichtlich, daß sie spekulativen Druck auf eine Währung ausüben konnten, deren Kurs nicht mehr vertrauenswürdig erschien. Länder mit einem besseren internen Stabilitätsnachweis als das damalige Ankerland Vereinigte Staaten - wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland in den sechzigerund Anfang der siebziger Jahre- importierten über das Bretton-Woods-Festkurssystem Inflation. Der damalige Bundesbankpräsident Blessing sprach gar von der "lnflationsmaschine"3 . Ein fester Anker und rechtzeitiges Anpassen der Paritäten - das sind die Grunderfordernisse jedes stabilitätsorientierten ·Festkurssystems. Das Ende der siebziger Jahre gegründete Europäische Währungssystem (EWS) hat dafür in mancherlei Hinsicht besser abgeschnitten als das Bretton-Woods-System. Es hat insbesondere auch die Frage des Ankers besser gelöst, und zwar ohne die D-Mark dazu offiziell zu bestimmen. Diese Rolle ist ihr vielmehr aufgrundihrer langjährigen Stabilität und ihrer frühzeitigen Konvertibilität zugewachsen4 • Das Paritätengitter3

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Kar! Blessing sagte am 26. März 1971 in München: "Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß unser heutiges internationales Währungssystem eine perfekte Inflationsmaschine darstellt". Vgl. dazu auch R. Jochimsen, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. "Europa-Archiv", Bonn, Jg. 48 (1991), S. 538.

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System des EWS ermöglicht es der auf Dauer stabilsten Währung, den Standard zu setzen. Das rechtzeitige Korrigieren von zweifelhaft gewordenen Wechselkursen ist jedoch leider auch im EWS bisweilen unterblieben, wie insbesondere die Ereignisse 1992/93 zeigten. Immerhin gelang es 1993, das EWS durch eine formelle Erweiterung der Bandbreiten wieder ausder Krise zu führen und in der Folgezeit weitgehend zu stabilisieren.

IV. Das Bretton-Woods-System zerbrach trotz mancher vorheriger Reformbemühungen endgültig im Jahre 1973. Seither sind die Kurse der meisten westeuropäischen Länder und J apans zum Dollar freigegeben. Mit der Aufgabe der Dollar-Bindung errang die Geldpolitik neue Freiheit. Sie konnte nun vor allem binnenwirtschaftliche Ziele verfolgen. Die erste Phase der Ära weltweit flexibler Wechselkurse war dabei deutlich gekennzeichnet durch eine unterschiedliche interne Ausrichtung der Geldpolitik in vielen Ländern. Das zeigte sich vor allem in der Mitte der siebziger Jahre, als die meisten Länder von der ersten Ölpreisexplosion hart- wenn auch unterschiedlichgetroffen wurden. Eine Reihe von Ländern -darunter Deutschland-ging vorrangig daran, die interne Geldwertstabilität wieder herzustellen bzw. sie möglichst wenig nachhaltig gefährden zu lassen. Andere Länder versuchten dagegen, mit Hilfe einer lockeren Geldpolitik den Anpassungsbedarf ihrer Volkswirtschaften durch die Ölpreisschocks abzufedern. Entsprechend bewegten sich die Inflationsraten weit auseinander. Diese Divergenzen hatten zur Folge: Diejenigen Länder, die vorrangig die Geldwertstabilität sicherten, paßten sich rascher den neuen Verhältnissen an und erzielten mittelfristig auch bessere Ergebnisse hinsichtlich des Beschäftigungsziels. Es entstand ein Gefälle an Reputation und Glaubwürdigkeit der Stabilitätsorientierung der einzelnen Länder, das zum Teil bis heute an den Finanzmärkten noch nachwirkt. Das Ende der sechziger Jahre auf dem Gipfel von Den Haag eingeleitete Vorhaben zur Verwirklichung einer Europäischen Währungsunion scheiterte schon bald im Verlauf der siebziger Jahre. Damit hat diese erste Phase weltweit flexibler Wechselkurse bis heute zwei entscheidende Botschaften. Zum einen: Der beste Beitrag der Geldpolitik für dauerhaftes Wachstum und Beschäftigung ist eine klare Stabilitätsorientierung.

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Man kann Arbeitsplätze auf Dauer nicht durch mehr Inflation erkaufen 5 • Das galt schon in den siebziger Jahren, als die Arbeitslosigkeit - jedenfalls in vielen Industrieländern- noch relativ stark konjunktureller Art war. Dies gilt heute um so mehr, da die Arbeitslosigkeit in Europa in hohem Maße strukturelle Ursachen hat. Für Europas zukünftigen Erfolg, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, ist die dauerhafte Stabilitätsorientierung der Währungsunion deshalb eine wesentliche Voraussetzung. Und zum anderen: Sollten in der Zukunft jemals wieder solche politischen Divergenzen über die Rolle der Geldpolitik wie in den siebziger Jahren auftauchen, so wäre dies innerhalb der Währungsunion fatal. Denn in einer Währungsunion können die Länder keine unterschiedliche monetäre Politik mehr verfolgen. Politische Konflikte wären dann die Folge, und zwar Konflikte mit der supranational operierenden Europäischen Zentralbank und wohl auch zwischen den national vorherrschenden politischen Meinungen. V. Die erste Phase mit teilweise hohen Inflationsraten stellte das Regime flexibler Wechselkurse zunächst vor große Probleme und ließ die Verfechter fester Wechselkurse triumphieren. Es war jedoch nicht das freie "Votum" der Wechselkurse, sondern der mangelhafte Wille der Politiker, diese Spielräume auch stabilitätsgerecht zu nutzen, der Schatten des Zweifels auf das System warf. Die achtziger Jahre brachten aber neue Erfahrungen, jedenfalls nach der von Frankreich ausgehenden Kurskorrektur der internen Politik nach 1983. Die Inflationsraten gingen in vielen Ländern allmählich zurück. Dies war ein breiter Prozeß. Er fand insbesondere statt in den europäischen Ländern, die dem Europäischen Währungssystem angehörten. Er entwickelte sich aber im weiteren Verlauf auch in Ländern ohne Wechselkursbindung. Offensichtlich orientierten sich viele Länder neu. Die äußere Wechselkursanhindung - insbesondere im Europäischen Währungssystem an die D-Mark- hatdas sicherfür das eine oder andere Land erleichtert. Aber es zeigte sich auch: Letztlich entscheidend ist der politische Wille zur monetären Stabilität. Diese Neuorientierung war sicher zum einen eine Reaktion auf die schlechten Erfahrungen mit einer inflations-akkomodierenden Geldpolitik in den Siebzigern und frühen Achtzigern. Sie wurde zugleich dadurch erleichtert, daß eine Reihe von Notenbanken im Verlauf der Jahre zusammen mit einer eindeutigen Zielvorgabe für die interne Preisstabilität auch mehr Unabhängigkeit erlangte. 5

Vgl. dazu auch R. Jochimsen, Die Rolle der Geldpolitik im Entwicklungsprozeß der Bundesrepublik Deutschland - Lehren aus der Wiedervereinigung. (Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 3811997.) Frankfurt a.M. 1997, S. 18, sowie R. Jochimsen, Probleme und Perspektiven der monetären europäischen lntergration. Folgen für die Arbeit der Zentralbanken. (Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 57/1997.) Frankfurt a.M. 1997, S. 14.

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So gilt das Regime flexibler (oder zumindest hinreichend flexibler) Wechselkurse heute in gewisser Weise als rehabilitiert. Gerade unterden Bedingungen des freien Kapitalverkehrs und der heute weitgehend international operierenden Finanzmärkte kann es sehr wohl Druck in Richtung auf eine stabilitätsorientierte Geldpolitik ausüben. Eine andere Hoffnung der Anhänger flexibler Wechselkurse hingegen bleibt wohl unerfüllt; nämlich die Hoffnung, daß die Spekulation stets nur stabilisierend wirkt und der Wechselkurs nach einer Änderung der fundamentalen Daten ruhig und sanft zu einem neuen Gleichgewichtsniveau gleitet. Tatsächlich ist der Pfad der Wechselkurse oft recht holprig und selbst ex post nicht immer überzeugend zu erklären. Es kommt nicht selten zu Überreaktionen. Offensichtlich spielen auch Erwartungen eine große Rolle beim Bilden der Wechselkurse, und zwar Erwartungen über künftige wirtschaftliche und politische Entwicklungen. Sie tragen nicht nur zu einer höheren Volatilität bei, weil Stimmungsumschwünge oftmals abrupt einsetzen. Sie können offenbar auch so stark die aktuellen Daten überlagern, daß es zumindest eine Zeitlang zu "misalignments" kommen kann. Die starke Aufwertung der D-Mark im Frühjahr 1995 gegenüberdem US-Dollar war zweifellos eine solche Entwicklung. Allerdings muß der gerechte Kritiker dem Regime flexibler Wechselkurse auch zwei entlastende Argumente zugestehen. Zum einen ist es sicher zu einfach, jede offensichtlich exzessive Kursentwicklung von Währungen bei flexibler Kursbildung dem Regime anzulasten. So sehen zwarmanche in derexzessiven Entwicklung des US-Dollar in den achtzigerJahrenden Alptraum des heutigen Weltwährungssystems. Füreine sachgemäße Beurteilung dieser Wechselkursentwicklungen müssen aber alle Vorgänge in dieser Ära in Betracht gezogen werden. So fällt in diese Zeit das Zusammentreffen der entschlossenen Umkehr der Geldpolitik des Federal Reserve Systems der Vereinigten Staaten unter Paul Volcker mit der expansiven Fiskalpolitik der Reagan-Administration. Gerade die amerikanische Fiskalpolitik kontrastierte damals deutlich zur deutschen Finanzpolitik, die auf einem Pfad der moderaten Konsolidierung war. Man kann durchaus fragen: Welches andere Wechselkursarrangement hätte diese Spannungen eigentlich ausgehalten? Feste Wechselkurse hätten die Spannungen wohl eher noch vergrößert, sie zumindest wohl noch stärker politisiert. Die Kooperationsansätze von Plaza und Louvre waren wohl das Äußerste, was damals möglich war. Wobei übrigensdie Resultatedurchaus nicht nur positiv waren, wie zum Beispiel die damals von einer expansiven monetären Politik begünstigte Entwicklung der "asset-price-inflation" in Japan zeigt, an deren Folgen das Land noch heute leidet. Und als zweite Verteidigung kann man daraufhin weisen, daß sich der Welthandel trotz flexibler Wechselkurse zwischen den großen Weltwährungen insgesamt durchaus nicht nachteilig entwickelt hat. Das mag daran liegen, daß inzwischen vielfältige Möglichkeiten bestehen, sich gegen starke Wechselkursschwankungen abzusichern. Das kann z.B. geschehen durch Geschäfte zur Kurssicherung an den 20 FS Jochimsen

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Finanzmärkten. Vor möglichen Wechselkursschwankungen können sich Unternehmen aber auch schützen durch eine Diversifizierung der Produktionsstandorte. Insofern könnten hochvolatile Wechselkurse nicht nur den Handel beeinflußen, sondern auch die Direktinvestitionen. Und das hat zweifellos längerfristige Effekte, die nicht unterschätzt werden sollten. Deshalb sind möglichst stabile Wechselkurse nach wie vor wünschenswert, aber im Sinne realer und nicht nominaler Stabilität. Dabei bleibt natürlich die Frage, auf welche Weise das Ziel derrealen Wechselkursstabilität weitgehend erreicht werden kann. Eine für alle Länder und ihre Beziehungen zueinander gültige Antwort dürfte es wohl nicht geben.

VI. Immer wieder wird in der gegenwärtigen Diskussion in Europa auch die Frage gestellt, ob der künftige Euro/Dollar-Kurs stabiler sein wird als zum Beispiel das bisherige D-Mark/Dollar-Verhältnis. Letztlich ist dies natürlich eine empirische Frage. Sie kann erst im Lichte der Erfahrungen mit der Währungsunion wirklich beantwortet werden. Es gibt nämlich eine Reihe von Überlegungen, die in unterschiedliche Richtungen weisen. Der Euro wird im Vergleich zur D-Mark wohl einen größeren und tieferen Finanzmarkt haben. Das bedeutet zunächst, daß bei Umschichtungen durch die Anleger die Preiseffekte tendenziell geringer sein werden und der Wechselkurs damit wohl auch weniger bewegt wird. Der größere Euro-Finanzmarktkönnte allerdings auch dazu führen, daß die Anleger den Euro generellstärker als heute die D-Mark- als Substitut zum Dollar betrachten. Dies könnte in bestimmten Situationen den Wunsch, Mittel umzuschichten, steigern. Dann würde der Wechselkurs eher stärker schwanken. Bisweilen trifft man auch auf den Hinweis, daß das Eurogebiet als großer Wirtschafts- und Währungsraum vergleichsweise weniger vom Außenhandel abhänge, zu mal die heutige Struktur der Exportgüter stark diversifiziert ist. Eine Folge wäre- zumindest nach den Standardlehrbüchern -, daß der Euro/Dollar-Wechselkurs für Europa dann nicht so wichtig wäre. Dieser Hinweis ist sicher grundsätzlich richtig und auch von Bedeutung. Der Vergleich mit anderen großen Währungsgebieten-wie etwadem Dollar-Raum-gilt aber nur begrenzt. Die Vereinigten Staaten können sicherlich den Wechselkurs des Dollar eher vernachlässigen, weil der Anteil inländischer Leistungen an der wirtschaftlichen Wertschöpfung hoch ist. Ein weiterer Grund liegt wohl auch darin, daß das US-Währungsgebiet mit den nationalstaatliehen Grenzen übereinstimmt und es innerhalb des US-Währungsgebiets nicht nur ein relativ hohes Maß an Arbeitskräftemobilität und Arbeitskostenflexibilität, sondern auch nationalstaatliche Ausgleichs- und Kooperationsmechanismen im Bereich der öffentlichen Finanzen gibt. Damit kann die Wirtschaftspoli-

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tik in den Vereinigten Staaten verbleibenderegionale und sektorale Spannungen, die von starken Wechselkursschwankungen verursacht werden, leichter abfedern. Innerhalb des gemeinsamen Währungsgebiets in Europa gibt es jedoch weder eine vergleichbare Mobilität und Flexibilität, noch sind Ausgleichsmechanismen im Bereich der öffentlichen Finanzen vorgesehen 6• Im Währungsraum des Euro werden deshalb die innerhalb eines Nationalstaates geltenden Gemeinsamkeiten wie ein gemeinsames Rechts-, Steuer- und Sozialsystem sowie weitreichende fiskalische und steuerliche Ausgleichsmaßnahmen voraussichtlich noch lange fehlen. Insbesondere bei großen Unterschieden in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kann es deswegen leichter zu Spannungen kommen als im Nationalstaat. Auch ReimutJochimsen hat schon mehrfach auf die "hinkende Konstruktion" von Maastricht hingewiesen: "Eine Währung, die währt, und Geld, das gilt, kommt letztlich nicht ohne überspannendes staatliches Dach aus"7 • Gerade hier zeigen sich die besonderen Bedingungen der Währungsunion in Europa. Asymmetrisch wirkende ökonomische "Schocks" werden daher in der Europäischen Währungsunion wohl stärker und schneller zu einem realen Anpassungsbedarf bei Produktion und Beschäftigung in den betreffenden Ländern und Regionen Europas führen 8 • 6

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Insbesondere für Jochimsen fällt der Infrastrukturpolitik im weitesten Sinne in der künftigen Währungsunion eine außerordentlich wichtige Rolle zu; vgl. z.B. R. Jochimsen, Internationalisierung der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik. Herausforderungen für die Gewerkschaften. "Gewerkschaftliche Monatshefte", Köln, Jg. 45 (1994), Nr. I, S. lff., sowie R. Jochimsen, Perspektiven der regionalen Standpolitik. Herausforderungen für Deutschland an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. (Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 63/1997.) Frankfurt a.M. 1997, S. lOff. R. Jochimsen, Chancen und Risiken der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. In: M. Potthoff und K. Hirschmann (Hrsg.), Die Europäische Währungsunion Ein Testfall für die Europäische Intergration? (Schriftenreihe der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Band 14.) Berlin 1997, S. 98ff. Derartige Konsequenzen werden übrigens auch von der Gewerkschaftsseite gesehen; so z.B. die Informationen des Deutschen Gewerkschaftsbunds zur EWU von November 1995. AufS. 7 heißt es dort: "In der EWU mit Euro-Währung wird die Lohnpolitik wegen des Wegfalls der Ausgleichswirkungen des Wechselkursmechanismus zum zentralen Standortfaktor (ähnliches gilt übrigens für die Sozialpolitik, wenn sie sich z.B. in den Lohnnebenkosten niederschlägt), dennjederüberdurchschnittliche Anstieg der Lohnstückkosten muß mit einem Rückgang der preislichen Wettbewerbsfähigkeit bezahlt werden". Das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler befürchtet allerdings, daß die Gewerkschaften wenig Neigung zu einer differenzierten Lohnpolitik innerhalb der EWU haben, die auf unterschiedliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Regionen Rücksicht nimmt, und warnt vor negativen Konsequenzen einer "Transferunion"; vgl. Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler (Hrsg.), Zur EWU. Analyse und Folgerungen. (Sonderinformation, Nr. 28.) Wiesbaden 1996, insbes. S. 33ff.

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VII. Das heutige Weltwährungssystem ist aber natürlich nicht nur gekennzeichnet durch das Floaten der großen internationalen Währungen untereinander. Zugleich sind viele Länder Wechselkursbindungen unterschiedlicher Intensität eingegangen. Dabei gibt es im wesentlichen zwei Motive: Zum einen gilt insbesondere für kleinere Volkswirtschaften das Außenhandelsmotiv. Die Länder wollen ihre internationale Wirtschaftsverflechtung durch einen festen Wechselkurs stärken. Und zum anderen gibt es das Stabilitätsmotiv. Länder wollen durch Anhindung des Wechselkurses Glaubwürdigkeit für eine- insbesondere neu zu etablierende - Stabilitätsorientierung importieren. Die Bilanz dieser Arrangements ist so unterschiedlich wie die Formen der Anhindung selbst. Eine Reihe von Schwellenländern und Transformationsländern haben widersprüchliche Erfahrungen mit Wechselkursbindungen an andere Währungen gemacht. So nützlich es für sie war, in einer ersten Phase auf den internationalen Märkten durch die Wechselkursbindung Vertrauen zu gewinnen; es kam fastimmernach einigen Jahren zu Spannungen und leider nicht selten zu Eruptionen, wenn die Entwicklung der internen Wettbewerbsfähigkeit nicht auf Dauer mit dem Ankerland mithalten konnte. Das hat sich nicht nur für einzelne Länder in Lateinamerika und in Osteuropa, sondern gerade in jüngerer Zeit auch in Südostasien gezeigt, und zwar insbesondere dann, wenn Wechselkurse den sich veränderten Wettbewerbsverhältnissen nicht rasch genug angepaßt wurden. Die Erfolgsaussichten von Wechselkursbindungen muß man vor dem Hintergrund der heutigen internationalen Finanzmärkte sehen. Ihr Einfluß auf den Bestand von Wechselkursbindungen ist ambivalent. Einerseits können die internationalen Finanzmärkte solche Bindungen quasi über Nacht obsolet machen, wenn die Überzeugung schwindet, daß die Bindung hält. Andererseits begünstigen sie solche Strategien der Wechselkursbindungen, weil sieden Ländern die Möglichkeit bieten, durchaus nennenswerte Leistungsbilanzdefizite eine gewisse Zeit zu finanzieren. Hauptsächlich zwei Probleme treten bei der Anhindung von Wechselkursen auf: Zum einen kann es passieren, daß ein Land zwar aktuell eine vergleichbar hohe Geldwertstabilität erreicht, aber die Märkte noch am Willen des Landes zweifeln, die Strategie durchzuhalten. Dann liegen zumindest in einer Übergangsphase die realen Zinsen relativ hoch. Die Zweifel an der Durchhaltbarkeit drohen zu einer Art "self-fulfilling prophecy" zu werden. Das war phasenweise das französische Problem mit der Franc-fort-Politik. Zum anderen kann es durchaus gelingen, daß ein Land durch die Anhindung des Wechselkurses zwar einen nennenswerten Rückgang der Inflation erreicht. Aber oft verbleibt doch hartnäckig eine gewisse, sei es auch nur geringe Inflationsdifferenz zur Referenzwährung. Das mag an den aus der Vergangenheit stammenden Inflationserwartungen liegen, die nicht vollständig gebrochen sind. Das mag auch teilweise an Politikdefiziten liegen, z.B. an

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einer Fiskalpolitik, die die Wechselkursbindung zu wenig unterstützt, oder an einer angesichts von Kapitalzuflüssen zu großzügigen Geld- und Kreditpolitik Im Ergebnis wertet die Währung real allmählich auf. Die Leistungsbilanz wird chronisch defizitär, weil die interne Inflationsrate trotz Wechselkursanhindung höher geblieben ist als die der Ankerwährung 9 • In einer solchen Situation muß ein Land über eine "Exit-Strategie" nachdenken. Denn die festgelegte Parität ist auf Dauer nicht haltbar, selbst wenn die Finanzmärkte vorübergehend noch mitspielen. Daraus folgt eine wichtige Botschaft für die angestrebte Währungsunion in Europa: Die notwendige Fähigkeit zur dauerhaften Stabilität nach innen und nach außen muß vor Eintritt in allen Mitgliedstaaten erreicht und erprobt sein. Darauf zielen ja auch die Eintrittskriterien. Die Hoffnung, die notwendige Fähigkeit eines Landes zur Stabilität wird sich schon nach einem Eintritt in die Währungsunion mit der Zeit einstellen, istjedenfalls nicht ohne Risiken. Denn selbst wenn es im Laufe der Zeit dazu käme, könnte bis dahin die preisliche Wettbewerbsfähigkeit schon stark beeinträchtigt sein. Und der Aufholprozeß müßte noch ambitiöser werden. Zwar wird es auch in der Währungsunion gewisseUnterschiede in der Inflationsrate geben. Soweit sich dabei unterschiedliche Entwicklungen der Produktivität oder eine Verschiebung der Nachfragemuster widerspiegeln, ist das ein normaler Prozeß. Würden freilich in unterschiedlichen Inflationsraten z.B. noch unterschiedliche Fähigkeiten zur Stabilität und damit zur ökonomischen Akzeptanz der supranationalen Geldpolitik zum Ausdruck kommen, könnte es zu enormen wirtschaftlichen Spannungen kommen. Hinreichende stabilitätspolitische Konvergenz sollte daher dem Eintritt in die Währungsunion vorausgehen, nicht umgekehrt. Jedenfalls wäre die umgekehrte zeitliche Reihenfolge nicht ohne erhebliche Risiken.

VIII. Auch im Außenverhältnis zu den anderen, nicht der Währungsunion angehörenden Ländern ist ein möglichst hohes Maß an Wechselkursstabilität wünschenswert und nützlich. Dafür ist aber von allen weitgehende Konvergenz notwendig. Fundamentale Abweichungen und bestehende Ungleichgewichte dürfen entweder gar nicht erst auftreten oder müssen aufgrund hoher Flexibilität in den Binnenpreisen und in der Wirtschaftsstruktur schnell beseitigt werden. Wünschenswert sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in der Binnenwirtschaft grundsätzlich natürlich auch bei flexiblen Wechselkursen, d.h. auch wenn es das Wechselkursventil gibt. Denn so können auch formal flexible Wechselkurven relativ stabil werden. 9

Daneben gibt es natürlich noch eine Reihe von anderen strukturellen Gemeinsamkeiten im Vorfeld von Währungskrisen; vgl. dazu auch Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Finanzierungsbedarf in einem geänderten Umfeld. "Monatsberichte", Frankfurt a.M., Jg. 49 (1997), Nr. II, S. 64ff., und International Monetary Fund (Ed.), World Economic Outlook, October 1997. Washington, D.C., 1997, S. 37ff. und S. 94ff.

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Allerdings spielt umgekehrt, wenn es an Konvergenz mangelt, das Wechselkursregime eine große Rolle. Bei flexiblen Wechselkursenkann eine stabilitätspolitische Divergenz zwar die Volatilität der Wechselkurse erhöhen, aber dieser Fall ist doch insgesamt weniger dramatisch zu beurteilen. Dafür ist allerdings wohl auch der Konvergenzstand niedriger. Der Konvergenzstand ist dagegen bei festen, aber veränderbaren Wechselkursen tendenziell höher. Denn der Konvergenzprozeß sollte automatischdurch feste Kurse gefördert werden. Allerdings ist der Konvergenzprozeß bei divergierender Wirtschaftsentwicklung und nicht hinreichender Konvergenz unausweichlich mit dem Zwang zu Wechselkursanpassungen verbunden. Im Falle rechtzeitigen Handeins sind die Folgen begrenzt. Geschehen die Anpassungen dagegen erst unter dem Druck der Märkte, entstehen leicht hohe Kosten- übrigens nicht nur für das Land selbst. Ein solcher "Fall" kann dann leicht ein ganzes System unglaubwürdig machen oder die unilaterale Anhindung anderer Länder - selbst in anderen Kontinenten- erschweren. Deswegen ist es positiv, daß im EWS II zumindest vom Verfahren her die Anpassung der Wechselkurse im Vergleich zum heutigen System erleichtert werden soll. Es ist zu hoffen, daß sich dies auch in der Praxis künftig bewähren wird. Die Wahl des Wechselkursregimes muß jedenfalls mit den ökonomischen und politischen Bedingungen der beteiligten Länder konsistent sein. Ein gemischtes Weltwährungssystem- einerseits mit floatenden Leitwährungen, andererseits mit regionaler Integration über Währungsunion und Wechselkursbindungen - mag nicht die beste aller abstrakt denkbaren Welten sein. Aber dieses System entspricht wohl am ehesten den Bedingungen der realen Welt. Es ist nicht grundsätzlich eine Fehlkonstruktion. Auch der Vorwurf, es wäre überhaupt kein System, scheint mir nicht berechtigt. Die Abstufungen in den Bindungen können - den Realitäten entsprechend - sehr wohl sinnvoll sein.

IX. Verständlicherweise wird heute oft die Frage gestellt: Welchen Platz wird der Euro im künftigen Weltwährungssystem einnehmen? Als Antworterhältman oftdie Vorstellung eines zukünftigen tripolaren Systems mit Dollar, Yen und Euro. Diese Sicht ist zumindest wenig präzise. Denn, falls man überhaupt von einem tripolaren System sprechen will, so werden doch die Gewichte der beteiligten Währungen recht unterschiedlich sein. So zeichnet sich schon heute ab, daß das Potential für den Yen im Verhältnis zu den anderen beiden Währungen (Dollar und Euro) wohl eher beschränkt bleibt. Jedenfalls dürfte ihm auf absehbare Zeit selbst in Asien die regionale Basis fehlen, die der Euro inEuropa voraussichtlich haben wird. Aber auch der Euro muß sich seinen Platz erst erarbeiten. Denn eine internationale Währung braucht im wesentlichen drei Eigenschaften, nämlich ein hohes Maß an dauerhafter

Weltwährungssystem und Europäische Währungsunion

311

Stabilität, eine starke realwirtschaftliche Basis und leistungsfähige Finanzmärkte. Der Euro hat das Potential, diese drei Bedingungen zu erfüllen. Aber dies geschieht nicht von allein. Dafür müssen die Voraussetzungen stimmen und dauerhaft gesichert werden. Eine Ablösung des Dollar als führender Währung stehtfreilich wohl nichtauf der Agenda. Die Währungsgeschichte zeigt, daß eine umfassende Ablösung einer Schlüsselwährung meist auf einer internen Krise des betreffenden Landes selbst beruhte. Das vormalige Führungsland verlor das Vertrauen der Märkte. Die Fähigkeitzurinternen Stabilitätließ nach. Die Wirtschaft verlor an Wettbewerbsfähigkeit Das war wohl auch die Geschichte des Niedergangs des britischen Pfundes als weltweite Schlüsselwährung nach dem Zweiten Weltkrieg. Für eine vergleichbare Entwicklung des Dollar gibt es keinerlei Hinweise. Im Gegenteil, der Dollar ist eine starke Währung, und die amerikanischen Fundamentaldaten deuten- trotz defizitärer Leistungsbilanz und wachsender Außenverschuldung- nicht auf eine Änderung hin.

X. Euro und Dollar können so in einen fruchtbaren Wettbewerb treten. Von einem gesunden Wettbewerb zwei er stabilitätsorientierter Währungen kann das Weltwährungssystem insgesamt profitieren. Förderlich für einen solchen produktiven Wettbewerb wären insbesondere drei Merkmale: Die derzeit hohe Gemeinsamkeit zwischen der amerikanischen und der europäischen Stabilitätsorientierung in der Geldpolitik bleibt erhalten. Die Finanzpolitik sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa bleibt auf einem ähnlichen Pfad der Konsolidierung und erzielt - insbesondere in Europa - weiter nachhaltige Fortschritte. Beide Regionen- Vereinigte Staaten wie Europa- erfüllen die Erwartungen, ihre wirtschaftlichen Herausforderungen zu bestehen. Die Vereinigten Staaten müssen dabei bestätigen, daßdie hohe Auslands-Schuldnerposition und damit die zukünftigen Zahlungsverpflichtungen durch die Dynamik, die Effizienz und das Innovationspotential ihrer Wirtschaft gedeckt sind. Die Europäer müssen zeigen, daß sie durch strukturelle Veränderungen das Problem der Arbeitslosigkeit angehen und ihre Wettbewerbsfahigkeit auf den globalen Märkten verbessern. Ein solcher produktiver Wettbewerb bedeutet keine Absage an die weltweite Kooperation im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik mit dem Ziel, zu größerer Wechselkursstabilität beizutragen. Im Gegenteil, eine solche Kooperation ist gerade auch in Zukunft sinnvoll und wünschenswert. Dabei darf aber nicht

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übersehen werden: Wechselkurse sind nicht die eigentlichen Aktionsparameter. Sie sind vielmehr das Resultat der Wirtschaftsentwicklung und der Wirtschaftspolitik in den beteiligten Ländern. Ein geeigneter monetärer Rahmen kann einem Land helfen, die notwendigen strukturellen Reformen durchzuführen. Aber die notwendigen Anpassungen der Volkswirtschaft an veränderte Bedingungen zu ersetzen, das kann keine noch so gute monetäre Politik.

Regionale Handlungsfähigkeit in einer globalisierten Wirtschaft* Von Franz Lehner Der folgende Beitrag setzt sich kritisch mit einer verbreiteten These auseinander. Im Rahmen der Globalisierungsdebatte wird oft gesagt, daß die Globalisierung für nationale und erst recht für regionale Akteure keinen Handlungsraum mehr läßt, weil wirtschaftliches und politisches Handeln nur durch wenige global agierende Akteure bestimmt wird. Diese These ist nicht nur von akademischer Bedeutung, sie prägt oft bewußt oder unbewußt das Handeln regionaler Politik und vieler primär regional operierender Unternehmen. Das hinterdieser These steckende Verständnis der Bedeutung von Regionen für eine globale Wirtschaft bestimmt zudem das Verhalten vieler "global players", die oft die Rolle ihrerregiOnalen Standorte fürihre globalen Produktions- und Innovationsnetze verkennen 1• Im folgenden werde ich zeigen, daß die These von der Ohnmacht der Regionen gegenüber den vielzitierten "global players" zwar unter bestimmten Bedingungen durchaus zutrifft, als generelle These aber falsch ist. Diese Macht wird allerdings oft einfach unterstellt und ungeprüft hingenommen - und erst dadurch wirkheb real.

Dieser Beitrag basiert auf Forschungsarbeiten der "Global Producbon Research Group" (GLOBE), die Reimut Jochimsen intellektuell und materiell nachhaltig gefördert hat. Der Gruppe gehören neben dem Autor Roberto Camagni, Politechmco di Milano, Tony Charles, Universtty of Sunderland, Richard Gordon, Umversity of Califomta, Masaakt Hirooka, Ryutsu Kagaku University, Fneder Naschold, WissenschaftszentTUrn Berlin, und Lars-lnge Ström, Swedisch Institute for Regional Research, an. Wir sind Retmut Jochimsen für seme Unterstützung sehr dankbar. - Für eine kritische Durchsteht der ersten Fassung dieses Beitrages und vtele nützliche Ratschläge und Hmweise danke tch Dieter Rehfeld, lnstttut Arbett und Technik. Ich spreche in diesem Beitrag sehr allgemein von Regionen als emer Handlungsebene unterhalb der nationalen und oberhalb der lokalen Ebene und lasse zunächst offen, ob es sich hier um funktional definierte Räume oder handlungsfahtge Emheiten handelt. Ich unterstelle auch mcht a prion, daß Regionen in irgendemer Form politisch orgamstert smd, sondern lasse es zunächst offen, durch welche Akteure Regtonen handeln. Ich werde am Schluß dteses Beitrages ausführlicher auf die Frage emgehen, wte Regtonen zu handlungsfahtgen Akteuren werden.

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Franz Lehner

Zwar gibt es einen starken Trend zu einer räumlichen Entgrenzung der Standortfaktoren2, der Regionen für die multinationalen Konzerne oft als Standorte austauschbar macht und sie in manchen Fällen in einen Standortwettbewerb zwingt, in dem die Regionen besser und billiger sein müssen als andere. Dem stehen jedoch regionale Handlungsoptionen gegenüber, die einseitigen Abhängigkeiten entgegenwirken und die gerade global operierende Konzerne eng an ihre regionalen Standorte binden. Die Globalisierung kann also die Handlungsmöglichkeiten von Regionen ebensogut erweitern wie einschränken. Ob das eine oder das andere geschieht, hängt auf der einen Seite von den Globalisierungs- und Wettbewerbsstrategien der global operierenden Unternehmen ab, auf der anderen aber auch von den Strategien, mit denen Regionen auf die Globalisierung und die veränderten Wettbewerbsbedingungen antworten- und von ihren Fähigkeiten, überhaupt als Akteure handeln und Strategien entwickeln zu können.

1. Globalisierungsstrategien von Unternehmen Es gibt eine Sicht von Globalisierung, die in wirtschaftlichen und politischen Debatten in Deutschland sehrverbreitet ist, in der Globalisierung gleichgesetzt wird mit einer Weltwirtschaft, die von wenigen großen "global players" beherrscht wird und in der alle anderen Unternehmen ebenso wie die regionalen und nationalen Volkswirtschaften einem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt sind. Diese Sicht entbehrt nicht jeder empirischen Grundlage, überzeichnet und dramatisiert aber negative Entwicklungen und Probleme und übersiehtgleichzeitigpositive Entwicklungen und Chancen. Insofern ist die Globalisierung, wie insbesondere Hirst und Thompson argumentieren, ein Mythos 3 • Dieser Mythos ist in Deutschland besonders beliebt, wo die Globalisierungsdebatte sehr viel stärker von Ängsten und Larmoyanz geprägt ist als von der Wahrnehmung von Chancen und von Gestaltungswillen4. 2

Vgl. R. Jochimsen [1], Raumentwicklung in Deutschland- Deutsche Einheit, europäischer Einigungsprozeß und Überwindung der Spaltung des Kontinents als neue Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Umwelt. In: Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumentwicklung (Hrsg.), Raumentwicklung -Politik für den Standort Deutschland. (Materialien zur Raumentwicklung, Band 57.) Bonn 1993,

3

Vgl. P. Hirst and G. Thompson, Globalization in Question. Cambridge 1996. Eine für Deutschland charakteristische Darstellung der Globalisierung bieten H.P. Martin und H. Schumann, Die Globalisierungsfalle. Reinbek bei Harnburg 1996, in deren Schreckensbild die "global players" eine weltwirtschaftliche Diktatur errichtet haben. - Realistischere Analysen der Probleme und Defizite der deutschen und europäischen Wirtschaft bieten F. Lehner u.a. [1], New Markets, New Structures and New Strategies: The Future oflndustry in Europe. (FAST Occasional Papers, no. 365.) Brüssel 1993, und F. Naschold, Ökonomische Leistungsfähigkeit und institutionelle

s. 3ff.

4

Regionale Handlungsfähigkeit bei Globalisierung

315

Das läßt sich an der Rolle von Regionen besonders gut aufzeigen. Folgt man der angesprochenen negativen Sicht von Globalisierung, dann sind Regionen gezwungen, sich weitgehend an die von den "global players" gesetzten Bedingungen anzupassen. Sie konkurrieren um Investitionen und Aufträge und nutzen dabei im wesentlichen die tradionellen Standortfaktoren, wie Infrastrukturen, Qualifikation und Kosten der Arbeit und Steuerbelastung, die sie aber häufig mit vielen anderen Regionen gemeinsam haben. Die Regionen müssen also in der Konkurrenz um Investitionen und Aufträge besser und billiger sein als andere. Das gilt beileibe nicht nur für regionale Politik, sondern für viele andere regionale Akteure, insbesondere auch für die in einer Region ansässigen Unternehmen und die hier angesiedelten Werke und Betriebe der großen multinationalen Unternehmen, aber oft auch für Gewerkschaften. Solche Strategien sind allerdings nicht erst als Antwort auf die Globalisierung entstanden, sondern finden sich in Deutschland schon seit den sechziger Jahren. Die Globalisierung lieferthier lediglicheine neue Begründung für längst etablierte Konkurrenzmuster zwischen Regionen. Allerdings ging es früher vor allem um externe Investoren, während es heute immer mehr auch um die Vergabe von Aufträgen innerhalb von multinationalen Konzernen geht. Das nordrhein-westfälische Werk eines großen Konzerns, um das mit einem Beispiel zu beschreiben, konkurriert mit Werken dieses Konzernes in anderen Regionen konzernintern um Aufträge. Damit es Aufträge erhält, muß es besser und billigersein als andere Werke des Konzerns. Um das zu erreichen, werden unter anderem mit Gewerkschaften und dem Betriebsrat Vereinbarungen über Arbeitsorganisation und Arbeitszeiten getroffen, mit Zulieferem werden niedrige Preise und kostengünstige "Just-in-time"-Strukturen verabredet, die Stadt, in der sich das Werk befindet, verzichtet weitgehend auf Gewerbesteuern, und die Landesregierung hilft mit direkten oder indirekten Subventionen oder der Bereitsstellung besonderer Infrastrukturen auch noch mit. Dadurch entwickelt sich ein recht komplexes Geflecht von Abhängigkeiten einer Region von einem multinational operierenden Konzern, das oft weit über die unmittelbar in dieses Netz einbezogenen Akteure in die Region hinein wirkt. Dieses Beispiel ist durchaus realistisch und in ähnlicher Form in vielen Regionen dieser Welt zu beobachten. Ein beträchtliches Stück Wirklichkeit der globalen Wirtschaft läßt sich so beschreiben - aber eben nur ein Stück. Es ist das Stück globaler Wirklichkeit, die mit einem bestimmten Typus von Strategie global

Innovation - Das deutsche Produktions- und Politikregime im globalen Wettbewerb. In: F. Nasehold u.a. (Hrsg.), Ökonomische Leistungsfähigkeit und institutionelle Innovation: Das deutsche Produktions- und Politikregime im globalen Wettbewerb. (Wissenschaftszentrum Berlin Jahrbuch 1997). Berlin 1997, S. 19ff.

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operierender Unternehmen zusammenhängt, den Gordon als "Transnationalisierung" bezeichnet5 • Diese Strategie kann man durch ein Produktionskonzept beschreiben, daß drei Charakteristika aufweist: Die betreffenden Unternehmen verfügen zwar über ein multinationales Netz von Produktionsstätten, es wird jedoch zentral koordiniert. Die jeweiligen Unternehmensstandorte verfügen nur über eine beschränkte Autonomie, und sie sind in eine weltweite Produktions- und Investitionsplanung einbezogen. Das Management des Unternehmens ist in derRegeltrotz der multinationalen Produktion an der Spitze weitgehend national. Produkte werden zwar an unterschiedlichen Orten produziert, aber weitgehend zentral entwickelt und weltweit weitgehend identisch hergestellt. Die einzelnen Unternehmensstandorte produzieren kein eigenes Produkt, insbesondere kein Produkt, das spezifisch auf den Standort zugeschnitten ist, sondern eines, das im wesentlichen ein globales Produkt ist. Die Zulieferung ist in starkem Maß globalisert und standortunabhängig. Für wichtige Komponenten erfolgt die Zulieferung global durch wenige Zulieferer, die selbst transnational operieren. Zulieferer, die jeweils nur an einem Unternehmensstandort tätig sind, haben für das Unternehmen keine strategische Bedeutung, sondern sind im Prinzip leicht ausstauschbar. Strategien dieser Art kann man am ehesten in der Unterhaltungselektronik und anderen Teilen der Elektroindustrie beobachten. Auch in einzelnen Sparten der Chemie, insbesondere der Grundstoffchemie, gibt es Strategien, die diesem Typus nahekommen. Indessen stehen diese Strategien in diesen Wirtschaftszweigen ebenso wie in anderen Wirtschaftszweigen nicht allein, und sie sind auch nicht so stark, wie das in der Globalisierungsdebatte oft unterstellt wird. In der Automobilindustrie kann man feststellen, daß zwar die großen japanischen Hersteller im Kontext von stark kostenbestimmten Wettbewerbsstrategien in den siebziger Jahren zunächst Transnationalisierungsstrategien entwickelt haben, diese allerdings selten ganz konsequent umgesetzt wurden und heute schon wieder aufgegeben werden 6 • 5

6

V gl. R. Gordon [I], Globalisation, New Production Systems and the Spatial Division of Labour. In: W. Littek and T. Charles (Eds.), The New Division of Labour. Berlin und New York 1995, S. 161ff., und R. Gordon [li], Industrial Districts and the Globalization of Innovation: Regions and Networks in the New Economic Space. In: X. Vence-Deza and J.S. Metcalfe (Eds.), Wealth from Diversity: Innovations, Structural Change and Finance for Regional Development in Europe. London 1996, S. 103ff. V gl. R. Doleschal, R. Doleschal, Automobilindustrie und Zulieferindustrie im Wandel. In: Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Zukunft der Automobilindustrie. Düsseldorf 1992,

s. 7ff.

Regionale Handlungsfahigkeit bei Globalisierung

317

In anderen Konzernen, etwa General Motors oder Ford, wurden solche Strategien zwar angedacht, aber nur in Ansätzen realisiert. Hohe Anforderungen an Prozeßinnovation und Qualität und die Entwicklung neuer Produktionskonzepte setzen diesen Strategien in der Automobilindustrie ebenso wie in anderen Branchen enge Grenzen und führen auch zu neuen räumlichen Strukturen der Produktion 7 • Bei Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit noch mehr auflnnovation, insbesondere auf die Entwicklung neuer Produkte und neuer Märkte, abstellen, kann man heute schon feststellen, daß sie sehr viel stärker in die Entwicklung leistungsfähiger Innovationsnetze investieren als in Kostensenkungen und einen anderen Strategietypus verfolgen 8• Transnationalisierungsstrategien kann man zwei andere Strategietypen gegenüberstellen, die Gordon als "Internationalisierung" und als "Globalisierung" bezeichnet9. Internationalisierung heißt, daß Unternehmen im wesentlichen national produzieren und entwickeln, aberinternational handeln und vertreiben. Die Produkte werden zentral entwickelt, an einem oder sehr wenigen Standorten produziert, die sich bis auf wenige Ausnahmen in einem Land (oder in einer grenzüberschreitenden Region) befinden. Zulieferteile werden zwar auch im Ausland eingekauft, jedoch konzentrieren sich wichtige Käufe zumeist auf Zulieferer im engen räumlichen Umfeld des Unternehmens. International sind also im wesentlichen das Marketing und der Vertrieb, zu einem gewissen Grad auch der Einkauf. Teilweise gibt es allerdings auch Vertriebs- und Servicekooperationen mit ausländischen Unternehmen, die zum Teil auch Produktionsaufgaben für ausländische Märkte übernehmen. Internationalisierungsstrategien findet man in Deutschland häufig bei Unternehmen des Maschinenbaus, die ihre Produkte weitgehend in Deutschland herstellen, aber weltweit exportieren. Während Internationalisierungsstrategien weniger global ausgerichtet sind als Transnationalisierungsstrategien, geht der dritte Strategietypus sehr viel weiter als Transnationalisierung und wird deshalb auch als "Globalisierung" bezeichnet. Unternehmen, die Globalisierungsstrategien verfolgen, verfügen nicht nur über ein multinationales Netz von Produktionsstätten, sondern ebenso auch über ein multinationales Innovations- und Entscheidungssystem. Die einzelnen Produktionsstandorte übernehmen wichtige Innovations- und Marketingfunktionen. Sie verfügen 7

8

9

Vgl. A. Born und D. Rehfeld, Produktionscluster unter Verlagerungsdruck? Räumliche Folgen neuer Produktionskonzepte am Beispiel der Automobilindustrie. In: P. Brödner, U. Pekruhl und D. Rehfeld (Hrsg.), Arbeitsteilung ohne Ende? Von den Schwierigkeiten inner- und zwischenbetrieblicher Zusammenarbeit. München und Mering 1996, S. 189ff. Vgl. T. Charles and F. Lehner, Competitiveness and Employment- A Strategie Dilemma ofEconomic Policy. "Competition and Change", Amsterdam, vol. 1998, erscheint demnächst, und R. Gordon [1]. Vgl. R. Gordon [1].

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über ein hohes Maß an Autonomie. Das Management ist ebenfalls multinational. Produkte werden nicht nur an unterschiedlichen Orten produziert und entwickelt, sondern sind auch oft in erheblichem Maße standortspezifisch und global differenziert. Dagegen ist die Zulieferung sehr viel stärker standortbezogen und damit weniger stark globalisert. Vor allem Zulieferer mit einer strategischen Bedeutung sind oft standortspezifisch und nicht leicht austauschbar. Die hier angesprochenen Unternehmen bauen also Standorte in Regionen mit einem für ihre spezifischen Produkte besonders günstigen Innovationssystem auf und vernetzen diese Standorte zu einem globalen Produktions- und Innovationsnetz. Die Vernetzung erfolgt nicht über eine zentrale Koordination, sondern über die Entwicklung vielfältiger Kooperations- und Konkurrenzbeziehungen zwischen den Standorten. Damit können die unterschiedlichen Potentiale der einzelnen Standorte besonders gut genutzt und weiterentwickelt werden 10 • Strategien dieses Typus werden in wachsendem Maß vor allem von Unternehmen entwickelt, die einem harten Innovationswettbewerb ausgesetzt sind, und von Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit in erster Linie über die Entwicklung neuer Produkte für neue Märkte sichern. Solche Unternehmen orientieren den Aufbau ihrer globalen Produktions- und Innovationsnetze immer stärker an den spezifischen Innovationspotentialen von Regionen. Sie suchen Standorte aus, die jeweils für ein bestimmtes Produkt oder eine ganze Produktpalette ein besonders günstiges Innovationsumfeld liefern 11 • Damit reagieren diese Unternehmen auf die Einsicht, daß Innovation zwar in erster Linie eine Sache der Unternehmen ist, Innovationsprozesse in Unternehmen und ganzen Wirtschaftszweigen aber maßgeblich von Strukturen und Prozessen in ihrem Umfeld beeinflußt werden. Dazu gehört eine ganze Palette von Akteuren und Institutionen: öffentliche Infrastruk10

11

Vgl. dazu M. Baethge und V. Baethge-Kinsky, Der implizite Innovationsmodus: Zum Zusammenhang von betrieblicher Arbeitsorganisation, human resources development und Innovation. In: F. Lehner u.a. (Hrsg.) Beschäftigung durch Innovation. München und Mering 1998, S. 99ff.; M. Beiske und H. Belitz, Internationalisierung von Forschung und Entwicklung multinationaler Unteme.hmen. Materialien zur Berichterstattung zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. Berlin und Mannheim 1997; W. Bierter, Konzepte zur Stärkung zukunftsfähiger lokaler und regionaler Ökonomien und deren Innovationsfähigkeit zur Erhöhung der Ressourcenproduktivität Studie für das Verbundprojekt Zukunftsfähige Wirtschaft des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen. Oiebenach 1997; R. Camagni (Ed.), Innovation Networks: Spatial Perspectives. London 1991; R. Gordon [I]; R. Gordon [II]; G. Grabher (Hrsg.), The Embedded Firm. London und New York 1993; F. Naschold, Die Siemens AG: Inkrementale Anpassung oder Untemehmenstransformation. "Arbeit", Wiesbaden, J g. 2 ( 1997), S. 173ff.; H. Voelzkow, Neue Gestaltungsräume, Globalisierung, Regionalisierung u. die Zukunft dezentraler Politik. "Zukünfte", Gelsenkirchen, Jg. 6 (1997), Heft 19, S. 2lff. Vgl. R. Gordon [1].

Regionale Handlungsfähigkeit bei Globalisierung

319

tureinrichtungen, insbesondere für Forschung, Entwicklung und Bildung; staatliche Regulationen und Leistungsprogramme; das Arbeitskräftepotential; Märkte und Kundenbeziehungen, Dienstleistungsangebote; Austauschbeziehungen mit Konkurrenten; Chancen für die Entwicklung von Leitmärkten; und weichere Standortfaktoren wie die Verfügbarkeil von Erfahrungswissen bei Belegschaften, Kunden und Lieferanten, Risikobereitschaft und Aufgeschlossenheit gegenüber Innovationen im Unternehmensumfeld, die man mit dem Begriff "lnnovationsmilieu" bezeichnen kann. Alle diese Faktoren bilden zusammen ein komplexes Innovationssystem 12 • Wie hier in Bezug auf Globalisierungsstrategien dargestellt wurde, hängt die Wahl zwischen unterschiedlichen Strategien global operierender Unternehmen eng mit ihren spezifischen Wettbewerbsbedingungen, Märkten und Wettbewerbsstrategien zusammen. Während Strategien vom Typus Globalisierung besonders günstig für Unternehmen sind, die sich in einem scharfen Innovationswettbewerb befinden, bieten sich Strategien vom Typus Transnationalisierung vor allem für Unternehmen an, die in relativ homogenen Märkten mit starkem Preiswettbewerb operieren und die ihre Wettbewerbsfähigkeit in erster Linie über eine flexible Massenproduktion mit hoher technischer und funktionaler Qualität sichern. Internationalisierung, Transnationalisierung und Globalisierung markieren dabei lediglich Idealtypen, mit denen ein breites Spektrum unterschiedlicher Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung von Produktionsstrukturen und Produktionskonzepten verbunden ist. Das schließt auch die Kombination von Transnationalisierungs- und Globalisierungsstrategien durch ein Unternehmen ein. Unternehmen können beispielsweise bezogen auf wichtigeS tandorte Globalisierungsstrategien fahren, bezogen auf viele weitere Produktionsstätten aber eine Transnationalisierungsstrategie betreiben, oder sie können unterschiedliche Strategien für unterschiedliche Produkte oder Produktgruppen fahren. Diese Optionen sind Teil einer komplexen strategischen Wahl, mit denen Unternehmen auf den globalen Strukturwandel reagieren und ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern 13 • 12

13

Vgl. R. Camagni (Ed. ). - Innovationssysteme kann man in unterschiedlichen Bezügen bestimmen. Im Prinzip kann man jedem Unternehmen, daß innovativ handelt, ein eigenes Innovationssystem zuschreiben, aber auch Innovationssysteme für bestimmte Technologie- oder Produktionsketten oder für ganze Wirtschaftszweige identifizieren. Zudem lassen sich räumlich organisierte Innovationssysteme in Regionen oder in nationalen Bezügen bestimmen. Je nach dem Innovationsgeschehen, das man untersuchen oder beeinflussen will, hat man es also mit unterschiedlichen Innovationssystemen zu tun. Vgl. dazu T. Charles und F. Lehner sowie F. Lehner, Strukturwandel und neue Produktionskonzepte in der Investitionsgüterindustrie. In: K. Backhaus u.a. (Hrsg.), Marktleistung und Wettbewerb: strategische und operative Perspektiven der marktorientierten Leistungsgestaltung. Wemer H. Engelhardt zum 65. Geburtstag. Wiesbaden 1997,

s. 233ff.

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2. Die Rolle von Regionen für global operierende Unternehmen Die idealtypisch umrissenen unterschiedlichen Strategien global operierender Unternehmen sind mit sehr unterschiedlichen Bezügen der Unternehmen zu Regionen und damit auch mit unterschiedlichen regionalen Handlungsmöglichkeiten verbunden. Diese Unterschiede sind vor allem für die beiden Strategietypen Transnationalisierung und Globalisierung stark ausgeprägt, während sich aus Internationalisierungsstrategien allenfalls insofern spezifische Impulse für die Beziehungen zwischen global operierenden Unternehmen und Regionen ergeben, als für viele Unternehmen die starke Einbindung in den zentralen Standort wichtige Voraussetzungen für ihre Exportfähigkeit schafft. Wie ich weiter unten noch ausführen werde, bieten Internationalisierungsstrategienjedoch interessante Ansätze für manche Regionen, an derGlobalisierung auch dann zu partizipieren, wenn sie kaum in der Lage sind, multinationalen Konzernen attraktive Standortbedingungen zu bieten. Beim Strategietypus Transnationalisierung nutzen die multinationalen Konzerne Regionen lediglich als zentral koordinierte Produktionsstandorte. Standortentscheidungen werden stark durch traditionelle Standortfaktoren wie Infrastrukturen, Lage und Arbeitsmarktbedingungen bestimmt. Bezogen auf diese Faktoren verfügen Regionen selten über Bedingungen, die einmalig oder zumindest eher selten sind. Ähnliche und zumindest gleichwertige Bedingungen gibt es in der Regel in vielen anderen Regionen auch. Deshalb verfügen Regionen bezogen auftraditionelle Standortfaktoren selten über herausragende Standortvorteile. Sie sind für die multinationalen Konzerne grundsätzlich austauschbar und stehen in Konkurrenz zu einer mehr oder weniger großen Zahl anderer. Multinationale Unternehmen mit einer Strategie vom Typus Transnationalisierung verfügen also bei der Auswahl von Standorten für neue Produktionsstätten wie auch bei Entscheidungen über die Verteilung von konkreten Produktionsaufgaben auf die unterschiedlichen Standorte des Konzerns über eine große Handlungsfreiheit gegenüber Regionen. Selbst wenn es für Unternehmen häufig wichtig oder gar notwendig ist, in bestimmten geographischen Märkten präsent zu sein, wird dadurch ihre Handlungsfreiheit gegenüber Regionen zumeist nur wenig eingeschränkt, weil sie immernoch die Wahl zwischen mehreren benachbarten Regionen haben. Dieser Handlungsfreiheit stehen aber, wie ich noch ausführen werde, Bedingungen gegenüber, die eine Verlagerung erschweren. Das ist im Rahmen von Strategien des Typus Globalisierung noch sehr viel mehr der Fall. Da bei solchen Strategien Standorteaufgrund ihrer spezifischen Leistungen für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen ausgewählt werden, sind Regionen nur schwer und vor allem kaum kurzfristig austauschbar. Zwar gilt, wie Jochimsen argumentiert, gerade auch für die für ein günstiges Innovationsumfeld (oder auch ein günstiges Produktionsumfeld) besonders wichtigen weichen Standortfaktoren, da sie heute fast an jedem Ort herstellbar sind und deshalb den Wettbewerb der

Regionale Handlungsfähigkeit bei Globalisierung

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Regionen grundsätzlich eher noch verschärfen als hemmen 14 • Indessen entwickeln sich diese Standortfaktoren, wie die Motivation von Personal in wichtigen Forschungs- und Bildungseinrichtungen, die Qualifikation, das Know-How und das Qualitätsbewußtsein von Arbeitskräften, das Erfahrungswissen regionaler Akteure, die Innovationsfähigkeit und Risikobereitschaft der in der Region ansässigen Unternehmen oder die Aufgeschlossenheit von Bevölkerung und Politik gegenüber Innovation und Wandel, nur über lange Zeiträume und sind deshalb in anderen Regionen nicht kurzfristig reproduzierbar. Das gilt noch mehr, wenn es Regionen gelingt, solche Faktoren zu einem umfassenden Systemangebot zu bündeln. Darüber hinaus können Unternehmen weiche Standortfaktoren und mehr noch ganze Bündel von weichen (und harten) Standortfaktoren zumeist nicht einfach "konsumieren", sondern müssen sie erst erschließen. Dazu müssen sie erst einmal vielfältige Beziehungen mit der Region aufbauen und teilweise auch in die Region investieren. Sie müssen beispielsweise gute Arbeitskontakte mit Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen und kooperative Beziehungen mit wichtigen Kunden oder Zulieferem in der Region oder ein gutes Klima mit den regionalen Gewerkschaftsorganisationen entwickeln. Viele dieser Beziehungen erfordern Vertrauen zwischen den Akteuren und sind schon deshalb nicht kurzfristig aufbau bar. Im Rahmen von Strategien des Typus Globalisierung entwickeln also multinationale Unternehmen ein Geflecht von Beziehungen mit ihren Standortregionen. Dabei bilden sich zwischen Konzern und Region wechselseitige Anhängigkeilen heraus. Der Konzern, der die Innovationspotentiale und das Innovationsumfeld einer Region systematisch nutzt, wird von der Leistungsfähigkeit des regionalen Innovationssystemes abhängig. Aus dieser Abhängigkeit kann er sich zwar prinzipiell durch Abwanderung lösen, aber das ist in der Regel mit hohen Kosten und einer vorübergehenden Schwächung seiner eigenen Innovationsfähigkeit verbunden, weil der Konzern am neuen Standort erst wieder das Innovationsumfeld erschließen müßte. Wegen dieser Kosten und der Schwächung seiner Innovationsfähigkeit ist es für Konzerne mit einer Globalisierungsstrategie häufig sinnvoller, selbst dann einen Standort nicht zu verlassen, wenn im Innovationssystem dieses Standortes erhebliche Schwächen auftreten, sondern zu versuchen, diese Schwächen zu beheben und dafür auch erhebliche finanzielle Leistungen aufzubringen. Dieser Abhängigkeit des Konzerns von der Region steht oft eine nicht weniger starke Abhängigkeit der Region vom Konzern gegenüber. Diese besteht nicht nur darin, daß der Konzern ein wichtiger Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor der Region ist, sondern darüber hinaus darin, daß der Konzern in dem Maße, in dem er die Leistungen und Potentiale des regionalen Innovationssystemes für sich erschließt, selbst zu einem wichtigen Element dieses Systemes wird. Durch die engen 14

Vgl. R. Jochimsen [1].

21 FS Jochimsen

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Beziehungen zwischen Konzern und Region wird das regionale Innovationssystem immer stärker auf den Konzern zugeschnitten. Dadurch gewinnt die Region zwar einerseits an Attraktivität für den Konzern, entwickelt aber andererseits ein regionales Innovationssystem, das seine Leistungsfähigkeit nur noch in der engen Verbindung zu dem Konzern und seinen am Standort entwickelten oder hergestellten Produkten voll entfalten kann. Eine Abwanderung des Konzerns aus der Region schwächt deshalb nicht nur die wirtschaftliche Leistung und die Beschäftigung in der Region, sondern auch die Leistungsfähigkeit ihres Innovationssystemes. Um einer Abwanderung des Konzernes vorzubeugen, ist es für viele regionale Akteure sinnvoll, im Innovationssystem besonders Leistungen zu entwickeln, die für den Konzern besonders wichtig sind, was aber auch dazu führt, daß die Konzernabhängigkeit des regionalen Innovationssystemes noch mehr zunimmt. Das ist jedoch nicht zwingend- Regionen können ihre Innovationssysteme grundsätzlich auch so entwickeln, daß sie zwar spezifische Leistungen für einzelne Konzerne erbringen, aber auch für andere Konzerne attraktiv sind. Im Rahmen von Strategien des Typus Globalisierung ist also das Verhältnis zwischen Regionen und multinationalen Konzernen ausgeglichener, aber auch erheblich komplizierter als bei Strategien des Typus Transnationalisierung. Selbst bei Transnationalisierungsstrategien ist, wie Kilper und Rehfeld für eine Reihe von Montan- und Automobilregionen gezeigt haben 15 , das Verhältnis von Konzern und Region nicht ganz so einfach und einseitig, wie ich das oben dargestellt habe, weil sich selbst da teilweise starke Standortbindungen entwickeln. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, daß starkeS tandortbindungen bei den Unternehmen, die Globalisierungsstrategien verfolgen, notwendig sind, um die relevanten Standortfaktoren überhaupt sinnvoll nutzen zu können, während bei den Unternehmen, die Transnationalisierungsstrategien betreiben, sich zwarstarke Standortbindungen entwickeln können, aber nicht müssen. Bei Strategien vom Typus Globalisierung ist, mit anderen Worten, das Verhältnis zwischen multinationalen Konzernen und Regionen grundsätzlich mit engen Standortbindungen verbunden, während bei Strategien vom Typus Transnationalisierung Standortbindungen grundsätzlich schwach ausgeprägt sind. Letzteres ist jedoch auch in der Veränderung begriffen. Unternehmen, die mit Strategien vom Typus Transnationalisierung operieren, heben zwar auf Standortfaktoren ab, die in anderen Regionen auch existieren, und sind insofern grundsätzlich in der Lage, Standorte zu verlagern. Indessen herrschen heute selbst in vielen Wirtschaftszweigen und Märkten mit weitgehend ausgereifter Technologie, inkrementaler Innovation und langsamem Wachstum Produktionsbedingungen vor, die es Unternehmen erschweren, ihre Produktion zu verlagern. Moderne industrielle Produktion erforderthäufig hohe Investitionen in Anlagen, die 15

Vgl. H. Kilper und D. Rehfeld (Hrsg.), Konzern und Region: Zwischen Rückzug und neuer Integration. Münster und Harnburg 1994.

Regionale Handlungsfähigkeit bei Globalisierung

323

sich amortisieren müssen. Sie ist vielfach mit komplizierten logistischen Strukturen verbunden, die sich nicht kurzfristig umbauen lassen. Sie verlangt insbesondere in vielen Industriezweigen qualifizierte Arbeit mit einem beträchtlichen Erfahrungswissen, die nicht überall und nicht beliebig verfügbar ist und die ebenfalls mit erheblichen Investitionen verbunden ist. Das regionale Angebot an produktionsnahen Dienstleistungen sowie an produktionstechnischen und arbeitswissenschaftliehen Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen und die Kooperationsmöglichkeiten mit den Gewerkschaften spielen heute auch für viele Unternehmen, die eher kosten- als innovationsgetriebene Strategien zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit fahren, eine wachsende Rolle, weil fürviele dieser Unternehmen nachhaltige Prozeßvorsprünge in Bezug auf Produktivität, Qualität und Effizienz zu einem entscheidenden Faktor ihrer Wettbewerbsfähigkeit geworden sind 16 • Damit gewinnt auch hier neben traditionellen Standortfaktoren das wirtschaftliche und politische Umfeld eine wachsende Bedeutung. Das wiederum erzeugt fürdie entsprechenden Unternehmen oft Standortbindungen, die zumindest kurz- oder mittelfristig wirksamsind. Deshalb sind zumindest Regionen, die Standorte für eine technisch und organisatorisch anspruchsvolle Industrieproduktion multinationaler Konzerne sind, der Macht dieser Konzerne nicht einfach ausgeliefert. Sie können durch einen entsprechenden Ausbau von Infrastrukturen und anderen Leistungen Standortbindungen verstärken. Wie wirksam solche Strategien sein können, zeigt die Entwicklung der Automobilzulieferindustrie in Nordrhein-Westfalen. Anfang der neunziger Jahre war diese Industrie durch Veränderungen in den Zulieferstrukturen der Automobilhersteller stark gefährdet. Durch nachhaltige strukturelle Verbesserungen, die Entwicklung verbesserter Zulieferstrukturen und den Aufbau kooperativer Netzwerke mit Herstellern scheintes-soweit man das ohne empirische Untersuchung überhaupt feststellen kann - gelungen zu sein, die Automobilzulieferindustrie in Nordrhein-Westfalen zu sichern und gleichzeitig den Automobilstandort Nordrhein-Westfalen attraktiver zu machen. Das wurde durch eine Reihe von weiteren Maßnahmen von öffentlichen und privaten Akteuren, unter anderem auch durch Vereinbarungen zwischen Belegschaften und Werksleitungen über neue Arbeitsund Arbeitszeitstrukturen, unterstützt. Das sind wichtige Elemente einer neuen Strategie, die Regionen gegenüber den multinationalen Unternehmen erheblich mehr Gewicht verleihen können, die aber heute oft noch zuwenig genutzt werden. Diese neue Strategie besteht darin, ein günstiges Umfeld für Unternehmen zu schaffen und die Entwicklung von leistungsfähigen Produktions- und Innovationssystemen zu fördern 17 •

16 17

21*

Vgl. F. Lehner, S. 234ff. Vgl. dazu auch R. Jochimsen [II], Technikentwicklung und Wirtschaftspolitik. In: C. Zöpel (Hrsg.), Technikgestaltung durch den Staat. Bonn 1988, S. 54ff.

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3. Die Handlungsoptionen von Regionen in einer globalen Wirtschaft In Anbetracht der bisher dargestellten Entwicklungen und Perspektiven ist es völlig überzogen, wenn die Handlungsfähigkeit von Regionen, insbesondere von regionaler Politik und von regional operierenden kleinen und mittleren Unternehmen darauf reduziert wird, sich in einem gnadenlosen Wettbewerb gegeneinander der Machtder "global players" zu unterwerfen. Die These von der Machtder "global players" ist eine rückwärtsgewandte Sicht, die die globale Wirtschaft von morgen durch die Brille der überkommenen Wirtschaftsstrukturen betrachtet. Sie übersieht, daß sich selbst bei Unternehmen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit durch kostenorientierte Strategien sichern müssen und deren internationale Aktivitäten durch Strategien vom Typus Transnationalisierung geprägt sind, neue Produktionsbedingungen herausbilden, die mit stärkeren Standortbindungen verbunden sind. Sie übersieht vor allem aber, daß sich mit der Globalisierung die Wirtschaftsstrukturen in den entwickelten Volkswirtschaften grundlegend verändern (müssen) und daß sich damit auch die strategischen Optionen der "global players" zugunsten von Strategien des Typus Globalisierung verändern und bereits veränderthaben 18 • Gerade eine globalisierte Wirtschaft bietetden meisten Regionen und regionalen Akteuren durchaus Optionen bezüglich ihres wirtschaftlichen Handeins und ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Die schlechteste Option, die Regionen als Ganzes wählen können, ist es häufig, sich auf den vielzitierten Wettbewerb von Regionen um Investitionen und Aufträge einzulassen und dabei im wesentlichenmitoffen oder versteckten Subventionen zu operieren. Subventionen haben sich schon seit vielen Jahren als ein wenig wirksames Instrument zur Entwicklung neuer, zukunftsfähiger Wirtschaftsstrukturen erwiesen, weil sie Standortbedingungen in der Regel nicht nachhaltig verbessern, sondern lediglich ungünstige Standortbedingungen vorübergehend durch finanzielle Anreize kompensieren. Auch wenn einzelne Regionen in Schottland und Wales oder in Sachsen mit solchen Strategien Erfolg haben mögen, sind das doch die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Wenn sich Regionen schon auf einen Wettbewerb um Investitionen und Aufträge einlassen, ist die bessere Option für sie, auf Standortbedingungen zu setzen, die möglichst spezifisch für die Region sind, die sich nicht leicht woanders reproduzieren lassen und die ihnen dadurch dauerhaftere Wettbewerbsvorteile liefern. Sie müssen dazu, wie bereits dargestellt wurde, ihre Strukturen so entwickeln, daß sie für diese Unternehmen ein besonders günstiges Produktionsumfeld oder besonders attraktive Marktbedingungen schaffen. Das schließt insbesondere auch die Entwicklung leistungsfähiger Produktions- und Arbeitssysteme mit ein. Solche Strategien sind zwar sicher anspruchsvoller, aufwendiger und langwieriger als die bloße 18

Vgl. R. Gordon [III], Mastering Globalization. Paper to the European Commission Seminar on the Future of Industry in Europe, Brussels, 20-21 Dec. 1994; R. Gordon [I]; R. Gordon [li].

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Bereitstellung von finanziellen Anreizen, schaffen aber dafür selbst für multinationale Unternehmen mit einer Transnationalisierungsstrategien Standortbindungen, denen sie sich nicht leicht entziehen können 19 • Solche Strategien können von Regionen als Ganzes verfolgt werden, wenn es ihnen gelingt, daß dafür erforderliche hohe Maß an Kooperations- und Konsensfähigkeit zwischen den wirtschaftlichen und politischen Akteuren der Region zu mobilisieren. Das skizzierte Beispiel zur Automobil- und Automobilzulieferindustrie in Nordrhein-Westfalen illustriert diese Möglichkeit, die sicher noch weiter vorangetrieben werden könnte, als dies in dem Beispiel geschehen ist. Das stößt in Deutschland allerdings häufig auf Grenzen, weil insbesondere mittelständische Unternehmen große Kooperationsschwierigkeiten haben, wenn sie gleichzeitig Wettbewerber sind. Diese Schwierigkeiten sind auch dafür verantwortlich, daß die hier angesprochenen Strategien zumeist nicht von Unternehmen allein verfolgt werden können, sondern einer politischen (oder wissenschaftlichen) Moderation bedürfen. Viele Regionen müssen sich jedoch nicht auf einen Wettbewerb der Regionen einlassen, sondern können sich ihm weitgehend entziehen. Ihnen steht mindestens eine der drei folgenden Optionen zur Verfügung: sie können ihre eigenen Strategien auf multinationale Unternehmen mit Strategien vom Typus Globalisierung ausrichten; sie können sich in die globale Wirtschaft ohne multinationale Unternehmen ein- und sie können sich aus der globalen Wirtschaft ausklinken. Diese Optionen, die ich hier idealtypisch beschreibe, vermischen sich in der Realität häufig. Sie lassen sich zudem häufig zu komplexen Strategien verknüpfen. Das gilt auch für die oben diskutierten Handlungsmöglichkeiten gegenüber Unternehmen mit Transnationalisierungsstrategien20 • Bei derersten Option geht es im Kern um die Entwicklung eines leistungsfähigen regionalen Innovationssystems, das ja die Attraktivität der Region für ein multinationales Unternehmen mit einer Strategie vom Typus Globalisierung weitgehend 19 20

Vgl. F. Lehnerund J. Nordhause-Janz, Beschäftigung durch Innovation: Strategische Optionen im globalen StrukturwandeL In: F. Lehner u.a. (Hrsg.), S. 59ff. Eine weitere Option, die ich hier nicht weiter diskutieren will, obwohl sie für viele ländliche Räume sinnvoller wäre als fruchtlose Versuche, Industrie anzusiedeln, wäre das, was man als passive Sanierung bezeichnet- ein Verzicht auf weitere wirtschaftliche Entwicklung und eine Anpassung der Bevölkerung an die vorhandenen bescheidenen wirtschaftlichen Möglichkeiten.

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bestimmt. Das ist ein sehr schwieriges Unterfangen, weil die Faktoren und Zusammenhänge, die man mit dem Begriff Innovationssysteme umschreibt, nur unzureichend bekannt sind und es deshalb schwierig ist, konkrete Ansatzpunkte für die Gestaltung von Innovationssystemen zu identifizieren 21 • Darüber hinaus bilden sich Innovationssysteme über lange Zeiträume heraus und reagieren auf Wandel häufig träge. Da wir noch wenig über Innovationssysteme wissen, wissen wir auch wenig darüber, wie gewachsene Innovationssysteme aufgebrochen und verändert und wie neue Innovationssysteme aufgebaut werden können. Die Entwicklung eines leistungsfähigen regionalen Innovationssystems ist also ein schwieriges Unterfangen, das in vielen Regionen nur bezogen auf einzelne Produkte oder Produktgruppen gelingt. Es kann jedoch, wie ich im letzten Abschnitt dieses Beitrages noch kurz umreißen werde, im Rahmen einer simultanen Entwicklung von Handlungssystemen und strategischen Optionen durchaus realisiert werden, wenn die materiellen Voraussetzungen dafür gegeben sind oder geschaffen werden können 22 • Die Entwicklung eines leistungsfähigen regionalen Innovationssystems, das für ein multinationales Unternehmen mit einer Strategie vom Typus Globalisierung ein wichtiges Standortargument sein kann, erfordert leistungsfähige intelligente Infrastrukturen und andere Potentiale in Regionen. Diese Potentiale können offensichtlich nicht in allen Regionen vorausgesetzt werden; für viele ist deshalb diese Strategie nicht realisierbar oder wenig aussichtsreich. Als Alternative dazu bietet sich für manche dieser Regionen die Möglichkeit an, sich ohne multinationale Unternehmen in die globale Wirtschaft einzuklinken. Konkret geht es hier darum, Internationalisierungsstrategien für regionale Unternehmen zu entwickeln und zu fördern. Viele kleine und mittlere Unternehmen verfügen über Produkte, die durchaus für internationale Märkte geeignet oder leicht an internationale Märkte anpaßbar wären. Ihre Marketing-, Vertriebs- und Kundendienstmögklichkeiten reichen jedoch für eine durchgängige Internationalisierung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten nicht aus. Für diese Probleme gibt es jedoch eine Reihe von Lösungsmöglichkeiten, die schon praktisch erprobt sind. Dazu gehören Marketing- und Servicekooperationen von kleinen und mittlerenUnternehmen untereinander, aber auch "Huckepack-Lösungen", also Vertriebs- und Kundendienstkooperationen von kleinen und mittleren Unternehmen mit großen, international aktiven Unternehmen. Vertriebs- und Kundendienstleistungen für kleine und mittlere Unternehmen können selbstverständlich nicht nur in Form von "Huckepack-Lösungen" organi21

22

Vgl. F. Lehner u.a. [II], Beschäftigung durch Innovation: Perspektiven und Ansätze für eine strukturelle Erneuerung von Wirtschaft und Arbeit in Deutschland. In: F. Lehner u.a. (Hrsg.), S. 463ff. Vgl. auch S. von Bandemer u.a., Typology of Partnerships in the European Research and Innovation System. Brüssel und Luxemburg 1996; R. Camagni (Ed.); F. Lehner u.a. (II].

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siert werden, sondern auch als eigenständige Dienstleistungsangebote. Hier bieten sich insbesondere für Handelshäuser, besonders die der großen Konzerne, interessante Möglichkeiten, ein neues Dienstleistungsangebot zu entwickeln. Weitere, noch wenig ausgelotete Dienstleistungsmöglichkeiten lassen sich über die neuen Medien entwickeln, z.B. Angebote für Internet-Vertrieb und Tele-Wartung. Ich will diese Ansätze hier nicht weiter diskutieren, sondern es bei der Feststellung bewenden lassen, daß es durchaus für viele Regionen ganz realistische Möglichkeiten für eine Strategie gibt, sich in die globale Wirtschaft ohne multinationale Unternehmen einzuklinken. Hinzufügen möchte ich, daß die konsequente Nutzung solcher Möglichkeiten nicht nur die Internationalisierung der regionalen Wirtschaft unterstützt, sondern auch den Aufbau eines modernen Dienstleistungssektors in Regionen, deren wirtschaftlicher Schwerpunkt bisher im industriellen und gewerblichen Bereich lag. Auch die dritte der angesprochenen Optionen, das Ausklinken derregionalen aus der globalen Wirtschaft, bietet für viele Regionen durchaus realistische wirtschaftliche Chancen. Die fortschreitende Globalisierung erfaßt zwar weite Teile der Wirtschaft, insbesondere der Industrie, viele Märkte werden davon aber nicht oder nur wenig berührt. Dazu gehören insbesondere die sozialen Dienstleistungen und der Gesundheitsbereich, die auf absehbare Zeit wichtige Wachstumsbranchen der entwickelten Volkswirtschaften bilden 23 • Auch im industriellen und gewerblichen Bereich gibt es interessante Märkte, die nicht oder nur wenig globalisiert sind. Besonders interessantsind in diesem Zusammenhang Märkte fürindustrielle und gewerbliche Produkte mit einem hohen Dienstleistungsgehalt In vielen Industriebereichen wird Nutzungsqualität der Kunden immer mehr zu einer zentralen Qualitätsdimension, nachdem Qualität im Sinne von technischer Zuverlässigkeit und Sicherheit in der Industrie weitgehend selbstverständlich geworden sind. Wichtige Vehikel fürdie Entwicklung dieser Qualitätsdimension sind die Erhöhung des Dienstleistungsgehaltes von Produkten, die aktive Einbeziehung der Kunden in die Produktion und die Integration unterschiedlicher Funktionen im Rahmen der Entwicklung komplexer Leistungsangebote und von Systemlösungen24 • Damit gewinnt auch die räumliche Nähe zwischen Produzenten und Kunden eine neue Bedeutung, was auch neue Chancen fürdie Entwicklungregionaler Märkte eröffnet, die zwar nicht ganz aus der globalen Wirtschaft ausgeklinkt sind, aber doch eine starke Eigenständigkeil besitzen.

23

24

V gl. J. Hilbert und J. Nordhause-J anz, Suchfelder für beschäftigungsintensive Wachstums- und Innovationsbereiche: Ein potential- und problemlösungsorientierter Ansatz. In: F. Lehner u.a. (Hrsg.), S. 401 ff. Vgl. dazu ausführlich T. Charles und F. Lehner sowie F. Lehner.

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Die in diesem Teil dargestellten Optionen, die selbstverständlich Idealtypen sind, lassen sich zu komplexen Strategiebündeln verknüpfen, mit denen Regionen auf unterschiedliche Bedingungen in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und Märkten reagieren. Für die meisten Regionen wird keine der Optionen in Reinkultur zur Verfügung stehen und keine der Optionen allein die Basis für eine tragfähige Entwicklungsstrategie bilden können. In unterschiedlichen Varianten und Verbindungen schaffen sie jedoch für die meisten Regionen auch und gerade in einer globalen Wirtschaft beträchtliche Handlungsmöglichkeiten- Handlungsmöglichkeiten, die jedenfalls zumeist sehr viel größer sind, als in der These von der Allmacht der "global players" unterstellt wird. Das Problem regionalen Wirtschaftshandeins in einer globalen Wirtschaft liegt also nicht darin, daß die Globalisierung den Regionen keine Handlungsmöglichkeiten mehr läßt. Es liegt vielmehr oft darin, daß sie diese Möglichkeiten nicht oder nur unzureichend zu nutzen vermögen, weil Regionen oft selbst aus der Beschaffenheit ihres Handlungssystemes heraus gar nicht hinreichend handlungsfähig sind. 4. Handlungssysteme: Die Realisierung regionaler Optionen Der Begriff Region wird zwar oft so gebraucht, als handele es sich um handlungsfähige Einheiten - beispielsweise von Voelzkow, der Regionen als funktionsräumliche Einheiten mit einer gewissen politischen Handlungsfähigkeit definiert25 ; das ist jedoch nicht selbstverständlich. Regionen sind zunächst nichts anderes als Räume, die sich durch wirtschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge abgrenzen lassen. Die in diesen Räumen angesiedelten Akteure sind zwar in manchen Regionen in ein gemeinsames Handlungssystem eingebunden, aber das ist keineswegs selbstverständlich. Selbst Regionen, die politisch verfaßt sind, z.B. die Bundesländer in Deutschland oder die Kantone in der Schweiz, verfügen oft nicht über ein Handlungssystem, das es ihnen erlaubt, gemeinsam strategische Optionen zu entwickeln und zu nutzen. Auch Räume, die eine klare und abgrenzbare wirtschaftliche Verflechtungsstruktur aufweisen, haben damit nicht gleichzeitig schon ein gemeinsames regionales Handlungssystem, wenngleich eine solche Struktur die Herausbildung eines regionalen Handlungssystemes begünstigt. Das ist an und für sich keine überraschende und schon gar keine neue Einsicht. Sie wird nur oft vergessen, wenn über regionale Handlungsmöglichkeiten so gesprochen wird, als ob Regionen selbstverständliche kollektive Akteure wären 26 • 25

26

Vgl. H. Voelzkow, S. 2lff. Vgl. auch R. Jochimsen [III], Regional Science in Germany- From the Beginnings to the Present. In: K. Pesehel (Ed.), Regional Growth and Regional Policy Within the Framework ofEuropean Integration. Heidelberg 1996, S. I ff.; D. Rehfeld, Was wissen wir über "erfolgreiche" Regionen: Regionen als statistisches Konstrukt, als wirtschaftlicher Innovationsraum oder als politischer Gestaltungsraum? "Stadtforschung und Statistik", Oberhausen, Jg. 1997, Heft I, S. 39ff.

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Regionen können sich zwar durchaus zu einem kollektiven Akteur entwickeln, und manche Regionen haben sich über eine starke Binnenintegration auch zu einem kollektiven Akteur entwickelt, doch setzt dies, wie die einschlägige Literatur zeigt, in aller Regel einen recht komplizierten und schwierigen Prozeß der Koalitionsbildung, des Aufbaus von kooperativen Beziehungen und der Formierung eines Handlungssystemes voraus. Selbst wenn dieser Prozeß erfolgreich abschließt, entsteht nicht immer ein dauerhafter kollektiver Akteur. Vielmehr muß die Fähigkeit von Regionen, als kollektiver Akteur zu handeln, häufig immer wieder neu durch Koalitionsbildung und die Formierung eines Handlunsgsystemes rekonstruiert werden. Darüber hinaus sind Regionen kollektive Akteure, die mit der gleichen Logik des kollektiven Handeins und den damit verbundenen Problemen des Trittbrettfahrens zu kämpfen haben wie die Verbände27 • Die für die Konstitutierung von Regionen als kollektive Akteure notwendigen Prozesse der Koalitionsbildung und der Formierung eines Handlungssystemes gestalten sich um so schwieriger, je weniger klar die gemeinsamen Ziele und die gemeinsamen Aufgaben definiert werden können und je dauerhafter das kollektive Handeln angelegt sein soll. Das ist in unserem Zusammenhang besonders wichtig, weil schon die Schaffung eines günstigen Umfeldes für die Produktion eines multinationalen Unternehmens und mehr noch die Entwicklung eines leistungsfähigen Innovationssystemes alles andere als ein klar definierbare Aufgabe ist. Wir wissen viel zu wenig darüber, wie wirtschaftliche Umfelder gestaltet sein müssen, um deutlich spürbare positive Effekte für Unternehmen zu erzeugen, die diese an einen Standort binden. Noch weniger wissen wir über Innovationssysteme. Deshalb ist es oft schwierig, regionale Akteure zu einem effektiven Handlungssystem für die Realisierung strategischer Optionen von Regionen zusammenzubringen. Wer das 27

Vgl. dazu B. Blanke (Hrsg.), Staat und Stadt. Systematische, vergleichende und problemorientierte Analysen "dezentraler" Politik. "Politische Vierteljahresschrift", Sonderheft 22, Wiesbaden 1991; P. Brödner, U. Pekruhl und D. Rehfeld (Hrsg.), Arbeitsteilung ohne Ende? Von den Schwierigkeiten inner- und überbetrieblicher Zusammenarbeit. München und Mering 1996; R. Camagni (Ed.); P. Cooke, Innovation Networks and Regional Development - Leaming from European Experience. In: W. Krumbein (Hrsg.), Ökonomische und politische Netzwerke. Münster 1994, S. 233ff.; D. Fürst, Raum- die politikwissenschaftliche Sicht. "Staatswissenschaften und Staatspraxis", Baden-Baden, Jg. 1993, S. 293ff.; D. Fürst und H. Kilper, Die Innovationskraft regionaler Politiknetzwerke. Gelsenkirchen 1995; R. Gordon [IV], Innovation, lndustrial Networks and High-Technology Regions.In: R. Camagni (Ed.), S. 174ff.; R. Gordon [II]; F. Lehnerund J. Nordhause-Janz, Vom Produktionsverbund zum lnnovationsverbund: Strukturwandel und Standortqualität in Nordrhein-Westfalen. In: P. Klemmer und K. Schubert (Hrsg.), Politische Maßnahmen zur Verbesserung von Standortqualitäten. (Schriftenreihe des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, N.F. Heft 53.) Berlin 1992, S. 29ff.; M. Olson, Die Logik des kollektiven Handelns. Tübingen 1968; D. Rehfeld.

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vergiBt, überfordert Regionen oft, wenn er von ihnen die Entwicklung und Nutzung strategischer Optionen verlangt. Gerade weil diese Probleme und Schwierigkeiten bestehen, ist es wenig aussichtsreich, zu versuchen, zunächst ein effektives regionales Handlungssystem aufzubauen und dann in diesem System strategische Optionen zu prüfen und zu realisieren - ohne konkrete Ziele und Aufgaben ist der Aufbau eines effektiven Handlungssystemes sehr schwierig und häufig auch unmöglich. Viel aussichtsreicher ist ein regionaler Entwicklungsprozeß, in dem simultan ein effektives Handlungssystem aufgebaut und strategische Optionen geprüft und realisiert werden. Ein solcher Prozeß ist beispielsweise im Programm "Bioregionen" des Bundesministerium für Wissenschaft, Bildung, Forschung und Technologie angelegt. In einem solchen Prozeß werden wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Akteure aus der Region in längerfristig angelegte, aber auf konkrete Ziele, Aufgaben und Projekte bezogene Netzwerke eingebunden. Im Rahmen dieser Netzwerke entwikkeln Regionen dann häufig die Fähigkeit, als kollektiver Akteur aufzutreten. Diese Fähigkeit ist zwar häufig zunächst auf die konkreten Ziele, Aufgaben und Projekte des jeweiligen Netzwerkes beschränkt, läßt sich aber grundsätzlich ausweiten und generalisieren. Regionale Entwicklungsprozesse dieser Art können im Prinzip von unterschiedlichen regionalen Akteuren eingeleitet und vorangetrieben werden. Es wäre beispielsweise durchaus möglich, daß wirtschaftliche Akteure eine entsprechende strategische Allianz bilden, um bestimmte regionale Optionen zu realisieren. Gerade in Deutschland kommen solche Entwicklungen jedoch zumeist nur auf politische Initiative und mit politischer Moderation zustande. Die Realisierung der in diesem Beitrag beschriebenen regionalen Optionen ist also faktisch zunächsteine politische Aufgabe. Die Erfüllung dieser Aufgabe mag ordnungspolitisch problematisch sein, weil die damit verbundene Förderung von Kooperationen und Netzwerken wettbewerbshemmend ist. Sie ist aber notwendig, um zu verhindern, daß die in vieler Hinsicht positive Globalisierung tatsächlich zu einer Machtkonzentration bei wenigen "global players" führt.

The Euro and International Monetary Reform By Robert Mundeil In this celebration 1 ofthe 65'th birthday ofReimut Jochimsen, on the eve ofthe introduction of the euro as the new European currency, I propose to address an issue introduced by the honoree hirnself at a meeting of the "Reinverting Bretton Woods Committee" in New York. The issue was the extent to which EMU would impact on international monetary reform. Jochimsen gave an unequivocal ans wer: he said that the EMU was not an alternative, but would instead be a route to international monetary reform. In what follows, I discuss the qualifications of the euro as an international currency and then address Reimut Jochimsen's theory that it will be a catalyst for further international monetary reform.

1. An Epoch-Making Event The introduction of the euro in 1999 promises tobe one of the great events in the modern history. It will certainly be the most important change in the international monetary system since President Richard M. Nixon took the dollar off gold in August 1971 and the system gravitated to flexible exchange rates. But in fact its significance lies deeper. The collapse of the Bretton Woods arrangementsaltered the modus operandus of the international monetary system but it did not change its power configuration. Both before and after the breakdown, the dollar was the dominant currency in the system. The introduction of the euro, on the other hand, will challenge the status of the dollar in the international monetary system and change the power configuration. Forthis reason the introduction of the euro may be the most important development since the dollar replaced the pound sterling as the dominant international currency in World War I. Very soon after I came to Bologna in the fall of 1959 to teach econornics at the Johns Hopkins Center of the School of Advanced International Studies, I had the pleasure of making friends with a very articulate red-haired German wunderkind. For two years we were together in Bologna and kept in contact since from time to time at conferences on both sides ofthe Atlantic. I have followed his rise to distinction in German politics and eoonomics with great satisfaction - but without surprise. Three decades ago, it was as destined that Reimut Jochimsen would shine and rise to distinction as it was inevitable that he would remain a loyal friend.

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A decade from now the international monetary system will Iook very different. Exactly how different will depend on the importance of the pecking order of currencies and how weil the euro stacks up against the dollar. This article will try to make an assessment. What makes a currency important internationally? Obviously, confidence in its stability is the key characteristic. But stability is a vector that depends on at least five factors: size of transactions domain, stability of monetary policy, absence of controls, strength of the issuing state, and fall-back value. I shall comment on each of these elements before making a general assessment of the prospects of the euro.

2. Size of Transactions Domain Size in the sense of depth and breadth of the market is a measure of the degree to which a currency can exploit the economies of scale and scope inherent in money as a public good. Size feeds on itself. The !arger is the transactions domain, the more liquid the currency. The simplest surrogate for transactions domain is GDP, an alternative measure is the size of the capital market. The size of a single-currency area determines its liquidity. Obviously a currency that is money for 100 million people is much moreliquid than a currency that is money for 1 million. Size is also important foradifferent reason. The !arger the single-currency area, the better it can act as a cushion against shocks. If you consider a shock such as German unification, manifested in a debt-financed increase in annual government spending and transfers east of more than DM 150 billion, close to destabilizing the German economy, then think of the effect of the same shock on a smaller economy. Alternatively, think how much more easily the shock would have been handled had there been in 1992 a stable European currency! Size is relative. How the euro will survive depends on the competition. Its two rivals are obviously the dollar and the yen. How such a tri-currency world would work out depends importantly on relative market sizes. From the standpoint of size, the outlook for the euro is very favorable. The EU-15 has a population of 375 million, and the EU-11, which includes those countries slated to enter EMU in the first round, contains 292 million, somewhat !arger than

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the United States; by comparison, Japan has 125 million. At current exchange rates, the GDP of the EU-15 is running at the rate of $ 8.4 trillion, that of the EU-11 at $6.6trillion. Thesecompared to US GDPrunning at$ 8.5 trillionandJapaneseGDP at $ 4.1 trillion. All of a sudden with or without the four countries that will not proceed to the first round, the EU becomes a player on the same scale as the United States and Japan. Over time, as the other countries join, as the per capita incomes of the poorer members ofEU catch up, and as the EU expands into the rest ofCentral Europe, the EU will have a substantially !arger GDP than the United States. Openness also plays a roJe because it affects dependence. The less open the more self-sufficient. As measured by the ratios of exports or imports to GDP, the "G-3" economies are about equally open. Of course the percentage of current exports to GDP in Europe is now around 30 %, but when intra-European exports and imports are netted out, the openness figures are remarkably similar. It makes a difference of course whether openness is measured by exports or imports; economies with trade deficits will have higher import than export ratios. The US ratio of imports to GDP is the highest, at nearly 11 %, the EU-15 and Japan's import ratios are substantially lower, at around 8 %. With openness measured by exports, on the other hand, Japan 's and the EU-15's ratios are around 9 %, while the US's is a little over 8 %. What emerges from these numbers is the significant fact that the three giant economies are all relatively closed, creating the risk that the monetary authorities may tend to underestimate the importance of the exchange rate and Iead to more volatility of exchange rates.

3. ECB Monetary Policy The importance of the monetary policy stance scheduled for the EMUcountries can hardly be underestimated. No currency has ever survived as an international currency with a high rate of inflation. The lower the rate of inflation, the lower the cost of holding money balances, and the more of them will be held. In addition to a low rate of inflation, a stable rateisalso desirable; because, however, inflation and variance go hand in hand, much of the problern is avoided if inflation is kept low. Additional considerations are predictability and consistency in monetary policy. In a democracy, both are abetted by transparency. If the monetary authorities openly state their targets and their strategies for achieving them, the market and the critical public will be able to make its ownjudgement about inflation outcomes. From the standpoint of sound monetary policy, the outlook for the euro is also very favorable. The Maastricht Treaty is unambiguous in making price stability the target of monetary policy; while the ESCB can and should assist the monetary union in carrying out its other objectives, it is forbidden to do so if such assistance would

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conflict with price stability. Monetary policy will not be used to reduce unemployment by "surprise inflation" or to inflate away embarrassing public debts. There remains considerable discretion for the independent ECB. They will have to determine how price stability can best be achieved. The problern is complicated by lags in the effect of monetary policy. The best approach for a !arge economy like the EU is to target the inflation rate, formulating monetary policy actions on forecasts of inflationary pressures. Leading indicators that should always be taken into account include gold prices, other commodity prices, rates of change in the different monetary aggregates, the growth rate and bond prices. The most successful central bankers have been pragmatists. Butthereis no reason why an independent ECB, modeled partly after the Bundesbank, cannot be as effective a body as the Federal Reserve System in the United States or the Bank of Japan. As Otto Pöhl once said, "credibility is the capital stock of any central bank" and you can be sure that the management of the ECB will do its best to establish credibility at the outset.

4. Exchange Controls In the heady days oftheAmerican Revolution, George Washington, theCommander of the Revolutionary Armies, was yet able to maintain his account at the Bank of England. That is a far cry from the modern world when, whenever sanctions are contemplated, the accounts of errant governments are blocked. In the twilight of the pound as an international currency, exchange controls in Britain were rampant and the "sterling area" came to be defined as a zone of currency controls. The threat of inconvertibility and exchange controls is a factor further undermining the fall-back value of a currency. Even the United States has used controls as an instrument of its foreign policy. From 1933 until1975, U .S. citizens wereforbidden to hold gold despite the factthat, for mostofthat period, the dollarwas supposed tobe "freely convertible into gold" along the lines ofthe IMF Statute, Article IV-4-b ofthe Bretton Woods Agreement. In subsequent years, accounts of foreign govemments have been blockedas part of U.S. or international sanctions. There is no question of coursethat the United States has a right to impose such sanctions over the use of its own currency. By the same token, however, it may be useful for the international monetary system to have an alternative to the dollar.

5. The Security Factor Monetary stability of course depends on monetary policy. But monetary policy is in turn affected by its sine qua non, political stability. Strong international currencies have always been linked to strong central states in their ascendancy. The reason is not far to seek. When a state collapses, the currency goes up in smoke.

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Examples include the hyperinflation of Germany and a few other countries after World War I, the collapse of the rouble after the October 1917 revolution; the hyperinflation of Kuomintang Chinaafter the Communist forces ofMao-Tse-Tung crossed the Yang-Tse; and the hyperinflations in the former Yugoslavia in the 1990s. It does notbodeweil for its currency if a state is not powerful enough to defend itself against enemies from outside and within. What about the euro and the EU? Is the EU a strong central state? lt is here that one can see a potential weakness in the euro. Of course we could simply assume universal peace and go on to the next syllogism! If our assumption proved tobe correct, the EU would not have to worry about enemies from without. It would be sufficient to hold itselftogether. Yet even here nothing can be completely taken for granted. Monetary union is supposed tobe irrevocable. But it might not be in the face of a violent economic crisis. Arealtest would be its ability to hold itself together in the face of a drastic terms-of-trade shock suchasthat experienced in the 1970s when oil prices quadrupled. The problems arisingfrom the weakness ofthe central state cannot be swept under the rug. However, there are strong mitigating factors. The Cold War ended, putting aside what was in the post-war years the most dangerous threat to European security. A closely connected factor is NATO, probably the most successful alliance in history. As long as the EU is tied to NATO and the military alliance with the United States, the EU will be able to fend offenemies from without even if it is not a strong central state. At the sametime the process of monetary unionwill itselfbe acatalyst for closer political unity, quickly bringing to common attention the most fissiparous issues. These factors greatly mitigate what would otherwise be a fatal defect.

6. The Fall-Back Factor Historical analogies can be treacherous. Modern currencies differ from the great currencies ofthe past, which were all either gold or silver, or convertible into one or both of those metals. Unlike paper currencies, they had a fall-back value if the state collapsed. If any of the Italian city-states coining the sequins, florins or ducats of the Middle Ages collapsed, the 3.5 gram gold content would always have a fall-back value in metal. Metallic currencies frequently outlive the state issuing them, as the flourishing of Macedonian staters in the centuries after Alexander's death clearly attest. A more recent example is the Maria Theresia thaler which continued to circulate in Eastern Africalong afterthat Iady and theAustro-Hungarian Empire was no more. That does not hold for a paper currency. After the Battle of Gettysburg in the United States, Confederate notes became worthless. Until the advent of the dollar, there is no historical record of any fiat currency achieving great international significance. Before the twentieth century all the great

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international currencies were metallic. The predecessor of the dollar, the pound sterling, achieved its great distinction as a metallic currency. But it was phased out when it ceased to be convertible into gold and even freely convertible into its successor, the dollar. Even so, inertia lasts long in the international monetary system and the international stretch of the pound continued long after Britain had ceased to be a dominant power and the largest trader. The dollar achieved its international importance as a gold currency. When it was selected as the unofficial anchor at Bretton Woods, it had ceased to be internally redeemable, but was still extemally convertible into gold, the only such currency apart from the Swiss franc. If the dollar is now a fiat currency, as a "ghost of gold" it is the exception that makes the rule. The introduction of the SDR provides an illustration of the importance of the fall-back factor. When first distributed in 1970, it had a gold weight guarantee confirmed in the Second Amendment to the Articles of Agreement of the IMF. The gold guarantee made it a substitute for goldrather than the dollar and, at a time when goldwas underpriced, a coveted asset that was in great demand. After the dollarwas taken off gold, however, the international monetery authorities reneged on the gold guarantee, and the SDR went through a series oftransformations, ultimately turning into a five-currency basket. When the euro comes into existence and the mark and franc and perhaps also the pound are scrapped, the SDR will have to be changed again. Had its gold guarantee been maintained, however, the SDR would have been much more important in the international monetary system and perhaps qualified as a useful supranational unit of account. Lacking both a commodity fall-back value and the backing of a strong state, the SDR fell by the wayside on the scrapheap of forgotten dreams. There is in this a lesson for the euro. In any great political emergency, and especially one that threatened the durability of the EU, there would be a run on the euro that would not be mitigated by any fall-back value, A run or even the risk of a run would make it difficult to float long term securities in euros. The same strictures hold for the risks of exchange control.

It might be argued against this, that economies like Germany 's thrived even when it was on the front line ofthe Cold War. Yet two factors need tobe understood. The firstwas the existence ofNATO, which kept Germany under the security umbrella ofthe United States. The second was that Germany, like most ofthe othercountries on the European continent, did not - or only rarely - issue debt exceeding 10-15 years. The substantial quantities of really long term securities issued in Europe have been phenomena ofthe post-Cold War world. Such an emergency of course might also weaken the dollar. Total political and military security can never be assumed. Nevertheless, the US situation differs in that

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the dollar has an established reputation, the U.S., though a federation, has a strong central government; and it is a military superpower. The lesson in this for the euro is that the ESCB will need larger holdings of extemal reserves than otherwise or than the United States. Fortunately, the EU countries have dollars and gold in abundance and will therefore be able to meet any foreseeable contingency.

7. Verdict on the Euro All things considered, the euro should stand up very weil. It has two great strengths: a large and expanding transactions size; and a culture of stability surrounding the ECB in Frankfurt. Initially, the EU-11 will be smaller than the dollar area, butas othermembersenter, as the EU expands, and as the poorercountries catch up, the euro area will eventually be larger than the dollar area. From the standpoint of monetary policies, there is also not much to choose between the two areas. Information is globally mobile and there is no reason why the ECB should not become as efficient as the Federal Reserve System in the United States. The euro also has two weaknesses: it is not backed by a central state, and it has no fall-back value. In an unstable world, these weaknesses would be fatal. But the present environment is far from unstable. The Pax Americana has been just as efficient in preventing major conflicts as the Pax Britannica and the Pax Romana of earlier eras. If, as one should expect, NATO survives in a post-euro world, the stability of the next decades should be as assuredas the past four decades. Coupled with very substantial EU gold and currency reserves, which could be centralized or ear-marked for the ECB ifthe need arises, membership in NATO suffices to mitigate the weakness of the EU central government. Provided political coordination proceeds in the direction of integration, and important conflicts of conceit and nationalism are resolved, the euro should be able to maintain itself on an even keel with the dollar.

8. Liquidity Effects The ECB will be at the outset faced with tests of its credibility. There has been very little discussion of the impact of the euro on liquidity. My own view has been that it will be substantial. When the currencies of the EU-11 or EU-15 are phased out and replaced by the euro, there will be a once-for-allliquidity effect that will be the same as a sudden, once-for-all increase in the European money supply, with proportionale inflationary effects. This is because the liquidity of the euro is greater than the liquidity of the sum of its parts. When, say, 500 billion euros worth of national currencies are replaced by 500 billion euros, European liquidity will be increased just as if there had been a sudden increase in the European money supply. No one has calculated the magnitude of this effect, but it can hardly be less than 22 FS Jochimsen

338

Robert Mundeil

10-15 %, and will therefore require that much additional monetary restraint to prevent an outbreak of inflation. A simi1ar effect will be experienced in the bond market. Like all assets, bonds have a liquidity dimension. Liquidity is measured by the ease with which an asset can be turned into cash without loss; it is inversely related to the cost of turning a bond into cash and then requiring it. Bonds with a !arge market aremoreliquid than bonds with a small market. The re-denomination of national debts and corporate bonds from local currencies to euros will all of a sudden create a vast single market in euro-denominated bonds, a bond market of the same massive scale asthat of the United States. The liquidity of this debt will be much !arger than the liquidity of the combined public and corporate debts now denominated in national currencies. The re-denomination of these national debts is bound to create a revolution in the European and in world capital markets. How important is this liquidity effect likely tobe? Some indication can be got by comparing the degree of securitization in Europe with that of the United States and Japan, the two countries in the world with the largest bond market. Outstanding govemment and corporate bonds in the Big Three markets- taking the EU-15 as a single entity - amounted to just short of $ 40 trillion in 1995. Of this total $ 12.5 trillionwas accounted for by the EU-15, and the remainder of$ 27 trillion by the US and Japan together. The liquidity ofthe EU-15 debt will be greatly enhanced by the adoption ofthe single currency. There is a related issue. The superiority of the new facility - the ability to issue euro-denominated debt- will make it attractive to increase the aggregate outstanding. But by how much? One heroic (or crude) way to estimating the potential increase is to compare ratios of outstanding bonds to GDP- securitization ratiosin different countries. Using the outstanding-debt figures cited above for 1995, and taking the 1995 GDPs ofthe EU-15, the US and Japan as $ 8,422 trillion, $7,265 trillion and $5,135 trillion respectively (remember these are translated into dollars at 1995 exchange rates), the securitization ratios in the EU and the US +Japan come to, respectively, 1.5 and 2.18. This is a remarkable difference and at least part of it can be attributed to the disadvantage the EU countries have up until now faced in their national-currency bond markets. No doubt there will be some shift from the other markets to the European markets and also an increase in total outstanding issues in Europe. Outstanding bonds in the EU-15 in 1995 would have had to have been an additional$ 6 trillion to equal the ratio in the United States and Japan. The euro will create magnificent new openings until the market reaches maturity. Another liquidity effect concems the money multiplier. The new money multiplierwill be the EU-15 money supply divided by the total supply of euro currency outstanding. One coordination problern is likely to arise because of different legal or practical reserve ratios in the different member countries. But a more serious

The Euro and International Monetary Reform

339

problern is the creation of euro substitutes. Because the replacement of a national currency by the euro transfers seigniorage to the ECB, each country has an incentive to minimize the need for euros. This incentive exists even though it is weakened by the redistribution ofECB profits to the national central banks (NCBs) 2 • What if one or more of the NCBs created a lender-of-last resort facility that enabled the banks to get by on a far smaller ratio of euros to deposit liabilities? The incentive for NCB 's to do so may be eliminated for the most part by the provision by which their money incomes are earmarked for the general account and then "allocated to the national central banks in proportion to their paid-up shares in the capital of the ECB" 3• There nevertheless remain opportunities for the private sector or another branch of the govemment to perform functions previously performed by fhe NCB 's. The EU's money multiplierwill have tobe watched closely! Much more well-known liqudity effects will arise from the centralization of international reserves. t is convenient to divide these reserves into three types: (a) foreign exchange held in European currencies, ECU's, IMF reserve positions andSDRs; (b) foreign exchange held in non-European currencies; and (c) gold. Category (a) assets "may" be held and managed by the ECB. The ECB will also receive "up to an amount equivalent to" ECU 50 billion. The contributions of each member state will be fixed in proportion to its share in the subscribed capital of the ECB 4 • Reserve needs in Europe will be lower in Europeon two counts. First, once EMU is formed, intra-union deficits and surpluses will be netted out and reserve needs for the union as a whole will be considerably smaller than the sum ofthe reserve needs of individual members. If extemal (mainly dollar) reserves were at an appropriate Ievel before the union, they will be excessive after it. The same holds for gold reserves, of which the EU countries almosthalf the world's monetary reservesalthough here gold reserves could partially compensate for the absence ofthe strong 2

4

22*

Article 33 ( l.b) of the Protocols and Declarations annexed to the Treaty provides for the transfer of ECB's net profits (except for a maximum of 20% transferred to the general reserve fund) to the shareholders of the ECB (i.e., the NCB 's) in proportion to their paid-up shares. Article 32.5 of Protocols and Declarations annexed to the Treaty (http://europa.eu.int/ euro/en/pap7/pap716.asp ?nav=en). See Compilation of Community Legislation (http://europa.eu.int/euro/en/pag716. asp?nav=en).

340

Robert Mundeil

central state. Any immediate action to dispose of the part of these reserves that are considered excessive would be damaging to exchangerate stability. Second, andin the long run much more important, the ECB's need for foreign exchange reserves will decline drastically once the euro is successfully launched. The euro will then become a reserve currency of choice for many countries around the world. Reserve currencies have less need for reserves - especially if there is confidence in its monetary policy- because its own currency is liquid internationally; reserve currency status is a widow's cruse that keeps the owner in perpetual Iiquidity. Apart from IMF positions and SDRs, EU-I5 reserves at theend of I996 amounted to 350.6 million ounces of gold (to which could be added 92.0 million held by the EMI). The other big holders were the United States with 261.7 million ounces, Switzerland with 83.3 million ounces, and the IMF with 103.4 million. These countries and institutions thus hold 89I million ounces or 80% of the world total of I, I 08.I million ounces. Pooling all foreign exchange would give the ECB $ 387 billion, or 25.9 % of the world total of $1,498 billion at the end of I996. This compared with the holdings of$ 209 billion in foreign exchange in Japan or about $ 300 billion in "Greater China" (China, Taiwan and Hong Kong). The foreign exchange reserves would not seem so excessive (at least compared to the Asian holdings) were it not forthe fact that the euro, as already mentioned, will itself become a widely-used international currency, conferring on the EU the "exorbitant privilege" to run a "deficit without tears"- to use the phrases of Charles de Gaulle and Jacques Rueff in their prickly attacks on the dollar in the I960s. China, for one, has already said it will hold part of its reserves in euros.

9. International Reactions to the Euro It should not be thought that a change as momentous as the introduction of the euro promises to be will leave "other things constant." The only thing that will remain constant are the laws of change, which includes competition and expansion. Let us assume that the euro is launched successfully. It will then probably be adopted by the remaining four members of the EU, including, importantly, Britain. It may furtherbe assumed that it will be adopted as a kind of currency-board peg by several of the states lining up for entry into EU. When that occurs, the "weight" of the euro-bloc will begin to exceed that of the dollar area. Countervailing steps will then by taken by the United States, including perhaps an expansion of the dollar area into Latin America and/or Asia, and even the forrnation of a yen-dollar bloc, a G-2 counterpoise to the euro-bloc. Whatever the prognosis, the dollar-euro rate will become a matter of great concem to Europe, the United States and the rest ofthe world. Diversification from

The Euro and International Monetary Reform

341

the dollar into the euro would create the threat of a soaring euro which would play havoc with the sensitive issue of unemployment in Europe. The alternative of a falling euro would raise the specter of an outbreak of inflation that would necessitate deflationary policies. It would be a grave mistake to believe that the closed nature of the three big blocs would make exchange rates less important. The mosturgent focus of managementwill be on thedollar-euro rate. As the world moves from monetary unilateralism to monetary bilateralism, policy coordination will become more important. Under unilateralism, other countries were comparatively free to fix or change their currencies against the dollar, with a kind of benign neglect of exchangerate on the part of the United States. That will no Iongerbe possible with the euro. If intervention is required it will have to be cooperative. In view ofthe long period oftransition from amainly dollar world to a world in which the dollar and euro are quasi-equal partners, it may be necessary to develop new institutions capable of dealing with the prob lern. One possibility is the development of a Conversion Account5 , in which dollars, euros and gold could be exchanged, possibly into revamped SDRs. This is not the right time to delve into the need forinstitution-building in the international rnonetary sphere but it does confirm the argument made by our esteemed colleague, Reimut J ochimsen, that the euro could indeed be a route to further developments in the field of international monetary reform.

5

I pointed out the need for a Conversion Account in my Wall Street Journal articles on March 24-25, 1998.

Anhang

Lebenslauf von Reimut Jochimsen 1933 1953- 1957

Geboren in Niehüll (Schleswig)

1957-1964 1957 1959 1964 1959- 1964

Wissenschaftlicher Assistent, Universität Freiburg

1964- 1990

Ordentlicher Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften und Direktor des Seminars für Wirtschaftspolitik und Strukturforschung sowie des Instituts für Regionalforschung der Universität Kiel

1969- 1970 1970-1973 1973- 1978

Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an den Universitäten Bonn, Cambridge, MA (Harvard), Bologna (Johns Hopkins) und Freiburg/Br. Dip!.-Volkswirt Dr. rer. pol. Habilitation für Volkswirtschaftslehre Gastprofessor am Bologna Center of Advanced International Studies der Johns Hopkins University

Rector designatus der Universität Kiel Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt, Bonn Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft, Bonn

1978- 1980

Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

1978- 1990 1980- 1990 1980-1985

Mitglied des Bundesrates

1985- 1990

Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Mitglied des Landtags Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

seit I. August 1990 Präsident der Landeszentralbank in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, und Mitglied des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank, Frankfurt/Main

1991

Dr.rer.pol.h.c. der Universität Dortmund

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen 1953

Gammeln, Hotten, Stenzen. Aus dem Wörterbuch der Jugend von heute. "Muttersprache - Zeitschrift für Pflege und Erforschung der deutschen Sprache", Wiesbaden,Jg. 1953, Heft7, S. 296-299. 1955

Von der Friedrich-Paulsen-Schule zur Harvard-Universität. "Grenzfriedenshefte", Husum, Jg. 1955, Nr. 3, S. 28-35. 1956

Besprechung von "Mendershausen, H.: Two postwar recoveries of the Germany economy. (Contributions to Economic Analysis, vol. 8.) Amsterdam 1955", in: "Zeitschrift für Nationalökonomie", Wien, J g. 1956, Heft 1/2, S. 278-280. Junge Presse in Deutschland- Von Bologna gesehen. "Junge Presse, Meinungen und Zeitungen", Berlin, Jg. 2 (1956), S. 296-299. 1958

Es bleibt alles beim Alten- Thoughts on the Atypical Political Reaction of the West German Electorate. "Bologna Center Review", Bologna, vol. 2 ( 1958), S. 24-30. 1959

(Zusammen mit J.H. Müller) Lausanner Schule. In: E. von Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 6. Göttingen 1959, s. 534-537. 1960

Menger. In: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 5. 6. Auflage, Freiburg i.Br. 1960, S. 637-659.

348

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

Öffentliche Arbeiten. In: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 5. 6.Auflage,Freiburgi.Br.l960,S.1161-1166. (Zusammen mit B. Dietrichs) The long-run development of national income in Germany: a review article. "International Economic Review", Osaka, vol. 1 (1960), S. 230-237. Entwicklungsland vor unserer Tür. "Volkswirt", Düsseldorf, Jg. 14 (1960), S. 2719-2720. Die öffentlichen Arbeiten als Instrument der Wachstums- und Konjunkturpolitik. "Fortbildung", Bochum, Jg. 5 (1960), S. 56-58.

1961

Ansatzpunkte der Wohlstandsökonomik. Versuch einer Neuorientierung im Bereich der normativen Lehre vom wirtschaftlichen Wohlstand. (Veröffentlichungen der List-Gesellschaft, Reihe B: Studien zur Ökonomik der Gegenwart, Band 21.) Basel und Tübingen 1961, 115 S. EineAlternative zuKarlMarx. "Volkswirt", Düsseldorf,Jg. 15 (1961), S. 587-588. Sizilien ist kein Paradies. "Volkswirt", Düsse1dorf, Jg. 15 (1961 ), S. 1033-1035. (Zusammen mit J.H. Müller) Forschung und Lehre in Deutschland auf dem Gebiet der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Die Arbeit an den Universitäten. "Konjunkturpolitik", Berlin, J g. 7 ( 1961 ), S. 285-299.

1962

Über "Infrastrukturen" als Voraussetzungen einer funktionsfähigen Volkswirtschaft. In: G.-K. Kindermann (Hrsg.), Kulturen im Umbruch. Studien zur Problematik und Analyse des Kulturwandels in Entwicklungsländern. Freiburg i.Br. 1962, S. 29-44. Selbstfinanzierung. In: Görres-Gesellschaft (Hrsg. ), Staatslexikon, Band 7. 6. Auflage, Freiburg i.Br. 1962, S. 33-40. Verbraucherverbände. In: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 8. 6. Auflage, Freiburg i.Br. 1962, S. 19-22. Vereinigte Staaten von Amerika VIII: Wirtschaft. In: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 8. 6. Auflage, Freiburg i.Br. 1962, S. 67-86.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

349

Wiedervereinigung Deutschlands III: Wirtschaftspolitische Probleme. In: GörresGesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon, Band 8. 6. Auflage, Freiburg i.Br. 1962, S. 694-701. (Zusammen mit W. Weber) Wohlstandsökonomik. In: E. von Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 12. Göttingen 1962, S. 34~359. 1963

Grundlagen, Grenzen und Entwicklungsmöglichkeiten der "welfare economics". In: E. von Beckerath und H. Giersch (Hrsg.), Probleme der normativen Ökonomik und der wirtschaftspolitischen Beratung. (Schriften des Vereins für Socialpolitik,N.F.Heft29.)Berlin 1963,S.129-153. Die öffentlichen bzw. öffentlich beherrschten Wirtschaftsunternehmungen in Italien. Ausmaß und Bedeutung. Lenkung und Kontrolle. In: W. Weber (Hrsg.), Gemeinwirtschaft in Westeuropa. Göttingen 1963, S. 229-378. Zur Problematik der Wohlstandsökonomik. "Weltwirtschaftliches Archiv", Tübingen, Band 90 (1963), S. 7-14. 1964

(Zusammen mit W. Weber) Wohlstandsökonomik. In: In: E. von Beckerath u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Band 12. Stuttgart u.a. 1964, S. 34~359. 1965

Balanciertes "internes" und nichtbalanciertes "externes" Wachstum als Pole sozialökonomischer Entwicklung. In: Entwicklung von unten. Ein internationales Symposium der Wirtschaftspolitischen Gesellschaft von 1947 vom 26.-30. Juli 1965 in der Kongreßhalle Berlin. Köln und Opladen 1965. Alternativen der Entwicklungspolitik in dualistischen Wirtschaften, dargestellt am Beispiel Italiens. In: Forschungsstelle für Weltzivilisation (Hrsg.), Probleme des Kulturwandels im 20. Jahrhundert. Freiburg u.a. 1965, S. 27-43, wiederabgedruckt in "Saeculum- Jahrbuch für Universalgeschichte", Freiburg i.Br. und München, Band 16 (1965), S. 135-151. Dualismus als Problem der wirtschaftlichen Entwicklung. "Weltwirtschaftliches Archiv", Tübingen, Jg. 1965, Heft 1, S. 69-88.

350

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

Der infrastrukturelle Beitrag und die infrastrukturellen Anforderungen der Landwirtschaft. "Zeitschrift für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft", Köln, Jg. 88 (1965), s. 169-176. Le alternative nelle elezioni tedesche di settembre. "11 Mulino, Rivista mensile di culturaedipolitica",Rom, vol. 1965, S. 828-836. 1966

Theorie der Infrastruktur. Grundlagen der marktwirtschaftliehen Entwicklung. Tübingen 1966, 253 S. 11 miracolo economico tedesco. Analogie e differenze con Ia situazione italiana. Discorso pronunciato a Roma, 6.4.1966, nella sede del Banco di Roma, sotto gli auspici del Centro Italiano di Studi per Ia Conciliazione Internazionale. A cura Banco di Roma, 33 S. Extemal economies; Infrastruktur; Öffentliche Wirtschaft; take off. In: H. Besters und H. Boesch (Hrsg.), Entwicklungspolitik. Handbuch und Lexikon. Stuttgart 1966. Wechselwirkungen zwischen Stabilität und Wandel der Gesellschaft als sozialökonomische Bildungsaufgabe. "Offene Welt", Köln und Opladen, Jg. 92 (1966), S.176-194. Marktform und wirtschaftliche Entwicklung. "Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft", Tübingen, Jg. 122 (1966), S. 29-43. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der DDR. "Geschichte in Wissenschaft und Unterricht", Seelze, Jg. 1966, S. 713-729. West German economic reconstruction and expansion. Achievements and problems. "Asian Economic Review", Hyderabad, vol. 9 (1966), S. 1-26. 1967

Aufgaben der Wirtschaftspolitik in Schleswig-Holstein. (Schriftenreihe des Landesbeauftragten für Staatsbürgerliche Bildung in Schleswig-Holstein, Heft 17.) Kiel1967, 36 S. (Zusammen mit P. Treuner) Zentrale Orte in ländlichen Räumen unter besonderer Berücksichtigung der Möglichkeiten der Schaffung zusätzlicher außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze. Forschungsbericht erstellt im Auftrag des Bundesministers des Innem. Bad Godesberg 1967, 181 S.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

351

Regionale Wirtschaftspolitik als Gemeinschaftsaufgabe für Bund und Länder. In: Agrarsoziale Gesellschaft (Hrsg.), Regionale Wirtschaftspolitik als Gemeinschaftsaufgabe. (Schriftenreihe für Ländliche Sozialfragen, Heft 54.) Hannover 1967, s. 9-33. Strategie der wirtschaftlichen Entscheidung."Weltwirtschaftliches Archiv", Tübingen, Jg. 1967, Heft 1, S. 52-78. Zu den Grundlagen der regionalen Strukturpolitik. Aus der Arbeit des Seminars für Wirtschaftspolitik. "Kieler Universitäts-Zeitschrift", Kiel, Jg. 4 (1967), s. 21-25. Hunger in Indien. "Gewerkschaftliche Monatshefte", Köln, Jg. 18 (1967), S.617-620. 1968

Besprechung von "H. Amdt, Mikroökonomische Theorie. Band 1,2. Tübingen", in: "German Economic Review", Stuttgart, Jg. 6 (1968), S. 294-297. Ziele und Strukturen der Universität. Überlegungen zur Hochschulreform. (Gegenwartsfragen, Heft 18.) Kiel1968. Concurrenceentre entreprises publiques et privees. "Economiquepublique"-Actes du Colloque International sur "L'Economie Publique", org. by International Economic Association aBiarritz, 2.-9 .9.1966 par H. Guitton et L. Fauvel. Paris 1968, s. 345-364. Die Zukunft sozialdemokratischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg, Jg. 15 (1968), Sonderheft zum Parteitag der SPD in Nürnberg, S. 12-20. Probleme der Strukturpolitik im Schleswigschen Raum. "Grenzfriedenshefte", Husum,Jg.1968,S.81-90. (Zusammen mit V. Schmidt) Abiturientenbefragung als Grundlage regionaler Universitätsplanung. "Kieler Universitäts-Zeitschrift", Kiel, Jg. 6 ( 1968), S. 25-33. 1969

Performance and respective spheres of public and private enterprise. In: International Economic Association (Ed.), Public economics. An analysis of public production and consumption and theirrelations to the private sectors. London and NewYork 1969,S.406-423.

352

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

(Zusammen mit P. Knobloch und P. Treuner) Grundsätze der Landesplanung und der Gebietsreform in Schleswig-Holstein. (Gegenwartsfragen, Heft 25.) Kiel 1969. Die Kluft zwischen Nord und Süd. In: C. Grossner u.a. (Hrsg.), Das 198. Jahrzehnt. Eine Team-Prognose für 1970 bis 1980. Marion Gräfin Dönhoff zu Ehren. Harnburg 1969, S. 97-120; wiederabgedruckt in M. Bohnet (Hrsg. ), Das NordSüd-Problem. Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. München 1971, S. 25-48. Für einen Bundesentwicklungsplan. Zur Förderung im Regierungsprogramm der SPD nach einem langfristigen Orientierungsrahmen für die Handlungspläne der Regierung. "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg, Jg. 16 (1969), S. 237-242. Aufgaben der Universität heute und morgen. "Kieler Universitäts-Zeitschrift", Kiel, Jg. 7 (1969), s. 15-25. II Norde i1 Sud neU' economia mondiale. "L'Europa", Rom, vol. 40 ( 1969), S. 1-15. 1970

Zum Aufbau und Ausbau eines integrierten Aufgabenplanungssystems und Koordinationssystems der Bundesregierung. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 9711970.) Bonn 1970, S. 949-957. (Zusammen mit P. Treuner und K. Gustafsson) Kommunale Industrie und Gewerbeförderung. (Schriftenreihe Fortschrittliche Kommunalverwaltung, Band 17 .) Köln und Berlin 1970, 143 S. (Zusammen mit U.E. Simonis) (Hrsg.) Theorie und Praxis der Infrastrukturpolitik. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Band 54.) Berlin 1970,846 S. Wirtschaftswissenschaftliches Schwerpunktstudium. Grundlagen einer Reform des Normalstudiums. "Zeitschrift für die Gesamte Staatswissenschaft", Tübingen, Band 126 (1970), S. 324-333. Vorschau auflnnsbruck. Interview. "Wirtschaftsdienst", Hamburg, Jg. 50 (1970), S. 508-510. Regionale Strukturpolitik und Gesamtwirtschaftspolitik. ,,Sparkasse", Bonn, Jg. 87 (1970), S. 101-106. Socio-economic Dualism and Development. "Asian and African Studies- Annual ofthe Israel Oriental Society", Jerusalem, vol. 6 (1970), S. 97-112.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

353

1971

(Zusammen mit P. Knobloch und P. Treuner) Gebietsreform und regionale Strukturpolitik. Das Beispiel Schleswig-Holstein. Opladen und Leske 1971, 135 S. (Zusammen mit H. Knobel) (Hrsg.) Gegenstand und Methoden der Nationalökonomie. (Neue wissenschaftliche Bibliothek, Wirtschaftswissenschaften, Band 45.) Köln 1971,421 S. (Zusammen mit H. Knobel) Zum Gegenstand und zur Methodik der Nationalökonomie. Einleitung. In: R. Jochimsen und H. Knobel (Hrsg.), Gegenstand und Methoden der Nationalökonomie, S. 11-66. Der lange Marsch derB undesrepublik. Aufgaben und Chancen der inneren Reform. Vorwort zu H. W. Kettenbach. Dösseidorf und Wien 1971. Zum 60. Geburtstag Kar! Schillers. "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg, Jg. 18(1971),S.229-230. Wandel durch Planung. "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg, Jg. 18 (1971), S.467-471.

1972

(Zusammen mit anderen) Grundfragen einer zusammenfassenden Darstellung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 1 des Raumordnungsgesetzes vom 8.4.1965. (Mitteilungen aus dem Institut für Raumordnung, Heft76.)Bonn 1972,187 S. (Zusammen mitH. Knobel, W. Ochel und V. Schmidt) (Hrsg.) Studienplatznachfrage und Absolventenbilanz einer Universität. Modelluntersuchung am Beispiel der Universität Kiel. Dösseidorf 1972, 227 S. Die Zukunft in den Griff bekommen. Reformen aus der Sicht des Planers. In: H.D. Kloss (Hrsg.), Damit wirmorgen leben können. Stuttgart 1972, S. 123-134. Planung des Staates in der technisierten Welt. In: Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft (Hrsg.), Die Herausforderung der Zukunft. Ein Cappenberger Gespräch. Köln undBerlin 1972,S.14-27. Qualität der Regionalentwicklung. In: IG Metall (Hrsg.), Qualität des Lebens: Aufgabe Zukunft. Beiträge zur4. internationalen Arbeitstagung der Industriegewerkschaft Matall für die Bundesrepublik Deutschland, 11.-14. April1972 in Oberhausen. Frankfurt a.M. 1972, Band 6, S. 159-171. 23 FS Jochimsen

354

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

(Zusammen mit H. Knobel) Erkenntnisziel und gesellschaftspolitische Aufgaben der Ökonomen. In: R. Molitor (Hrsg.), Kontaktstudium Ökonomie und Gesellschaft. Frankfurt a.M. 1972, S. 13-22. (Zusamm~n mit P. Treuner) Die Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbezie-

hungen in den Jahren 1964 und 1965. In: K. Carstens u.a. (Hrsg.), Die internationale Politik 1964 und 1965. München und Wien 1972, S. 100-159.

(Zusammen mit H. Willer) Institutionelle Voraussetzungen für die Planung einer mittel- und langfristigen sektoralen und regionalen Strukturpolitik. (Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues, Band 9.) München u.a. 1972, S. 491-509. Zum Aufbau und Ausbau eines integrierten Aufgabenplanungssystems und Koordinationssystems der Bundesregierung. (Planung, Band V.) Baden-Baden 1972, S. 35-61. Die erste Langfristplanung einer Partei. "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg,Jg.19(1972),S.507-510. Establishing and developing an integrated project planning and coordinating system for the West German Federal Government. "International Journal ofPolitics", White Plains, N.Y., vol. 1972, no. 2/3, S. 51-77. Planung der Aufgabenplanung. Überarbeitete Fassung eines Berichts. "Finanzpolitik und Landesentwicklung", Hannover, Jg. 1972, S. 61-70. Überlegungen zur mittel- und längerfristigen Aufgabenplanung und deren Einfluß auf die Vorbereitung der Haushaltsentscheidungen. "Der Öffentliche Haushalt", Göttingen, Jg. 13 (1972), S. 129-143. Problems of establishing an integrated planning system for goal-setting and Co-ordination within the Federal Government. "Revue Internationale des Seiences Administratives", Bruxelles, vol. 38 ( 1972), S. 181-192.

1973

Bundesrepublik Deutschland, umfassende Bildungsplanung. In: Gottlieb Duttweiler-Institut für Wirtschaftliche und Soziale Studien (Hrsg.), G.D.I. Topics. Rüschlikon 1973, S. 21-29. (Zusammen mit P. Treuner), Staatliche Planung in der Bundesrepublik. Längerfristige Perspektiven. In: R. Löwenthai und H.P. Schwarz (Hrsg.), Die Zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1973, S. 843-864.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

355

(Zusammen mit V. Schmidt) Mehr Freiheit und soziale Gerechtigkeit durch flexible Planung: Das Beispiel Bildung. In: H. Flohr u. a. (Hrsg.), Freiheitlicher Sozialismus. Gerhard Weisser zum 75. Geburtstag. Bonn 1973, S. 187-197.

1974

Die Weiterbildung im Gesamtbildungsplan. (Grundfragen zur Volkshochschularbeit, Kulturpolitik, Weiterbildung, Volkshochschule, Heft 20.) Bonn 1974, s. 27-53. Weiterbildung im Gesamtbildungssystem. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 72/1974.) Bonn 1974, S. 718-724. Spannungsverhältnis zwischen Schule und Hochschule in einem expandierenden Bildungssystem. (Bulletin des Presse- und Informationsdienstes der Bundesregierung, Nr. 9/1974.) Bonn 1974, S. 79-84. Zur Philosophie staatlicher Planung. In: H.M. Baumgartner u.a. (Hrsg.), Philosophie, Gesellschaft, Planung. Kolloquium Hermann Krings zum 60. Geburtstag. München 1974, S. 155-163. Zur gesellschaftlichen Relevanz interdisziplinärer Zusammenarbeit. In: H. Holzey (Hrsg.), Interdisziplinär. (Philosophie Aktuell, Band 2.) Basel1974, S. 9-35. Aktive Strukturpolitik. Ansatzpunkt zur Modernisierung unserer Volkswirtschaft. "Aus Politik und Zeitgeschichte", Bonn, Nr. 40/1974, S. 3-17. (Zusammen mit P. Treuner) Staatliche Planung in der Bundesrepublik. "Aus Politik und Zeitgeschichte", Bonn, Nr. 9/1974, S. 29-45.

1975

Politische Planung in der Bundesregierung - Probleme und Perspektiven. In: P. Hoschka und U. Kalbhen (Hrsg.), Datenverarbeitung in der politischen Planung. Frankfurt a.M. und New York 1975, S. 7-16. (Zusammen mit P. Treuner) Grundprobleme der europäischen Regionalpolitik. In: W. von Urff (Hrsg.), Der Agrarsektor im Integrationsprozeß. Hermann Priebe zum 65. Geburtstag. Baden-Baden 1975, S. 289-304. (Zusammen mit C. Franke) und M. Niveau) Educational Development Strategy in England and Wales. In: OECD (Ed.), Reviews ofNational Policies for Education. Paris 1975,63 S. 23°

356

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

Stabilität als systemares Problem. Korreferat. In: H.K. Schneider u.a. (Hrsg.), Stabilisierungspolitik in der Marktwirtschaft. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Band 85.) Berlin 1975, erster Halbband, S. 79-84. Beitrag zur Chancengleichheit im Bildungswesen. (Rede von Staatssekretär Jochimsen zur Einweihung der Integrierten Gesamtschulde Kiel-Friedrichsort am 13.3.1975.) (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 3911975.) Bonn 1975, S. 377-382. Die Universität der Vereinten Nationen. "Vereinte Nationen", Bonn, Jg. 23 (1975), S. 139-141. 1976

Welche Bedeutung hat die Berufsbildungspolitik als Instrument zur Beeinflussung der Unternehmenspolitik im Sinne gesellschaftlicher Zielvorstellungen? In: H. Albach und D. Sadowski (Hrsg.), Die Bedeutung gesellschaftlicher Veränderungen für die Willensbildung im Unternehmen. (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Band 88.) Berlin 1976, S. 609-631. Zum Machtaspekt in der Berufsbildungsdebatte. In: F. Neumark (Hrsg.), Wettbewerb, Konzentration und wirtschaftliche Macht. Festschrift für Helmut Arndt zum 65. Geburtstag. Berlin 1976, S. 111-125. Nowendigkeit und Realisierung der Öfnung der Hochschulen. Ausführungen von Staatssekretär Jochimsen. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 6311976.) Bonn 1976, S. 596-600. Der Numerus clausus kann und muß fallen. "Neue Gesellschaft". Bonn-Bad Godesberg, Jg. 23 (1976), S. 819-823. Bildungspolitik und Beschäftigungsstruktur. Eine Replik. "Wirtschaftsdienst", Hamburg, Jg. 56 (1976), S. 248-249. 1977

Education policies and trends in the context of social and economic development perspectives. A report by a group of experts. Paris 1977, 44 S., deutsche Veröffentlichung: Perspektiven der Bildungspolitik bei sich wandelnden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen. Bonn 1977, 51 S. Wissenschafts- und Hochschulpolitik im Widerstreit von gesamtstaatlichen Aufgaben und Länderhoheit In: A. Flitnerund U. Herrmann (Hrsg.), Universität heute. Wem dient sie?Wer steuertsie?München 1977, S. 62-81.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

357

(Zusammen mit D. Beckerhoft) Bedarfsorientierung eines expandierenden Bildungssystem? In: B. Külp und H.-D. Haas (Hrsg.), Soziale Probleme der modernen Industriegesellschaft (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Band 92.) Berlin 1977,S. 709-729. (Zusammen mit K. Gustafsson) Infrastruktur, Grundlage der marktwirtschaftliehen Entwicklung. In: U.E. Simonis (Hrsg.), Infrastruktur. Theorie und Politik. (Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Wirtschaftswissenschaften, Band 88.) Köln 1977, S. 38-53. Sicherung des sozialen Fortschritts. Reimut Jochimsen über staatliche Steuerung. "Wirtschaftswoche", Düsseldorf, Jg. 31 (1977), Heft 1/2, S. 68-76.

1978

Bildung, Ausbildung, Arbeit für die geburtenstarken Jahrgänge. In: H. Volker u.a. (Hrsg.), Bildungsarbeit in Unternehmen. Köln 1978, S. 13-26. Bildungspolitische Perspektiven zur Entwicklung des weiterbildenden Studiums in der Bundesrepublik Deutschland. In: M. Kochs und J. Dandei (Hrsg.), Kontaktstudium in der Bundesrepublik Deutschland. (Blickpunkt Hochschuldidaktik, Nr. 47.) Harnburg 1978, S. 15-30. Die verfassungspolitische Dimension der Regelung des Hochschulzuganges. In: U. Karpen (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Fragen des Hochschulzuganges. Tübingen 1978, S. 311-332. Ein Mindestmaß an Einheitlichkeit in unserem Bildungswesen sichern und die Parlamentsverantwortung stärken. Zum Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems. "Recht der Jugend und des Bildungswesens", Neuwied, Jg. 26 (1978), S. 162-165. Staatsbündischer Zentralismus der Exekutiven oder parlamentarischer Bundesstaat? "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg, Jg. 25 (1978), S. 300-303. Weiterbildung an Hochschulen, eine Zukunftschance. "Neue Gesellschaft", BonnBadGodesberg,Jg. 25 (1978), S. 13-15. Strukturelemente des weiterbildenden Studiums. "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg, Jg. 25 (1978), S. 240-243. Begabtenförderung in der Massenhochschule. Rede am 24. Februar 1978 in Bonn. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 2011978.) Bonn 1978, S. 177-182.

358

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

Orientierungspunkte zur Hochschulausbildung. Referat, gehalten am 3.7.1978 in Bonn-Bad Godesberg. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 73/1978.) Bonn 1978, S. 685-690. Möglichkeiten der Abstimmung von Bildungs- und Beschäftigungssystemen. Vortrag am 29.8.1978 in Düsseldorf. (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 94/(1978.) Bonn 1978, S. 877-882. 1979

EuropäischeBildungspolitik nach Auffassung derB undesrepublik Deutschland. In: W.W. Mickel (Hrsg.), Europäische Bildungspolitik. Neuwied 1979, S. 8-11. Politische Bildung in Nordrhein-Westfalen-Bestandsaufnahme und Ausblick. In: Landeszentrale fürpolitische Bildung (Hrsg.), Politische Bildung in NordrheinWestfalen. Düsseldorf 1979, S. 21-31. Managing Universities in the Eighties ~ Introductary Remaks. In: OECD Centre for Educational Research and Innovations (Ed.), International Journal oflnstitutional Management in Higher Education. Paris 1979, S. 5-19. Einleitende Bemerkungen zum Thema Weiterbildung. "Jahrbuch für Wissenschaft, Ausbildung, Schule- WAS", Köln, Jg. 1979, S. 24-28. (Unter Mitarbeit von D. Swatek) Gemeinschaftsaufgabe Hochschul bau. Ein erfolgreiches Modell der Bildungsplanung. "Konstanzer Blätter für Hochschulfragen", Konstanz, Jg. 61 (1979), S. 7-21. 1980

Zur Energiepolitik der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Vortrag vor dem Gesprächskreis "Politik und Wissenschaft" des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn, 5.11.1980. Die Rolle der Kunst in der Politik für das Ruhrgebiet (Bochumer Universitätsreden, Heft 8.) Bochum 1980, 18 S. (Zusammen mit anderen) Beschleunigt die neue elektronische Technologie den sozialen und technischen Wandel? 28. Jahresversammlung der Arbeitsgemeinschaft für Rationalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen am 20.3.1980. Dortmund 1980. (Zusammen mit P. Fischer und J.B. Donges) Der Nord-Süd-Dialog. 27. Jahresversammlung der AGR am 22.3.1979. (Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Rationalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, Band 200.) Dortmund 1980.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

359

Die europäische Alternative einer Technologiepolitik. Zur Wirkungsforschung aus der Sicht des Politikers. In: Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (Hrsg.), Gesellschaftliche Auswirkungen der Informationstechnologie. Ein internationaler Vergleich. Frankfurt und New York 1980, S. 32-42. Die europäischeAlternative einer Technologiepolitik- Zur Wirkungsforschung aus der Sicht eines Politikers. In: U. Kalbben u.a. (Hrsg.), Gesellschaftliche Auswirkungen der Informationstechnologien. Ein internationaler Vergleich. Frankfurt a.M. 1980, S. 36-42. The Changing World of Work. In: The Australian College of Education (Ed.), Education and the World ofWork. Perth 1980, S. 25-36. 1981

Die Verantwortung der Politik für den technischen und sozialen Wandel. In: E. Staudt (Hrsg.) Automation in Industrie und Verwaltung. Bielefeld 1981, S.139-149. (Zusammen mit K.-J. Luther) Historical aspects of regional planning and policy in the Federal Republic ofGermany. A survey. In: W. Buhrand P. Friedrich (Ed.), Lectures on Regional Stagnation. (Schriften zur Öffentlichen Verwaltung und Öffentlichen Wirtschaft, Band 44.) Baden-Baden 1981, S. 245-270. Anmerkungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik. "Neue Sammlung", Seelze, Jg. 21 (1981), S. 370--381. 1982

Regionalpolitik und Raumordnung. Über die Verwirklichung als politische Aufgabe. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Räumliche Planung in der Bewährung. Referate und Diskussionsberichte an1äßlich der Wissenschaftlichen Plenarsitzung 1980 in Osnabrück. (Forschungs- und Sitzungsberichte, Band 139.) Hannover 1982, S. 5-19. Die Rolle des Staates und der Gemeinwirtschaft als Unternehmenträger. In: Entstaatlichung, Verstaatlichung, Status quo, Europa wohin? Dokumentation eines internationalen Meinungsaustauschs, veranstaltet von der Friedrich-EbertStiftung und der Gesellschaft für Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft am 13.5.1982 in Bonn. (Schriftenreihe der Gesellschaft für Öffentlichte Wirtschaft und Gemeinwirtschaft, Heft 21.) Baden-Baden 1982, S. 11-28. Die Verantwortung der Politik fürdie Technologiebewertung. In: E. Münch (Hrsg.), Technik auf dem Prüfstand. Methoden und Maßstäbe der Technologiebewertung. Essen 1982, S. 147-152.

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Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

Probleme des technischen Wandels - Bestandsaufnahme und Perspektiven. In: Ringvorlesung 1981/82: Technischer Wandel-eine gesellschaftliche Herausforderung. Bochum 1982, S. 12-19. Warnung vor den einfachen Lösungen. "Betriebswirtschaft", Stuttgart, Jg. 42 (1982), S. 467-468. Was wir zu tun haben, wissen wir schon lange. Die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik für die nächsten Jahre. "Neue Gesellschaft", Bonn-Bad Godesberg, J g. 29 (1982), S. 135-137. 1983

Politik für das Ruhrgebiet Rede in Gelsenkirchen am 23.3.1983. (Die Landesregierung informiert.) Düsseldorf 1983. (Zusammen mit H. Schwier, M. Ludewig und E. Helmstädter) Strukturwandel und Strukturprobleme in Nordrhein-Westfalen. 30. Jahresversammlung der AGR, 7.6.1982. Dortmund 1983. 1984

Die Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs. (Vorträge und Studien aus dem Institut für Verkehrswissenschaft an der Universität Münster, Heft22.) Göttingen 1984, 16 s. The economic relations ofthe Federal Republic ofGermany and the United States of America. In: Woodrow Wilson International Center for Scholars (Ed.), The Federal Republic of Germany and the United States. Boulder and London 1984, S. 130-152. 1985

Wirtschaftspolitik für Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf 1985. Vorrang für Modernisierung und Produktinnovation. "Wirtschaftsdienst", Harnburg, Jg. 65 (1985), S. 114-116. 1986

National Economic Policies and International Consequences. Introduction. In: Atlantik-Brücke (Hrsg.), The Thirteenth American German Conference an NATO's Strengthand Challenges, Western Relations with the Soviet Union and the Other Countries of Eastern Europe, and National Economic Policies and

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

361

International Consequences. (East-West-Issues, vol. 13.) Freiburg i. Br. 1986, S. 100-112. Umsteuern in der Energiepolitik. Chancen für Industrie, Beschäftigung und Umwelt in Nordrhein-Westfalen. In: F. Farthmann (Hrsg. ), Energieforschung für das Jahr 2000. Düsseldorf 1986, S. 22-32. Vorwort. In: Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH (Hrsg. ), Die andere Art, Kernenergie zu nutzen. 1986, S. 8-9. Der Einstieg in die großtechnische Plutoniumwirtschaft ist unvertretbar. "Wirtschaftsdienst", Hamburg, Jg. 66 (1986), S. 271-274. 1987

Zukunftsinitiative Montanregionen. Düsseldorf 1987, 184 S. (Zusammen mit J. Rau), Die Zukunft der Kohle. Plädoyer für einen nationalen Energiekonsens. Düsseldorf [ 1987], darin die Beiträge: Grundsatzfragen der Energiepolitik. Der Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Reimut Jochimsen, zur Pressekonferenz am 27. März 1987, S. 1-8. Wir lassen die Bergbauvereine nicht im Stich! Rede des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Reimut Jochimsen, anläßlich des Bergbau-Aktionstages "Erst stirbt die Zeche, dann die Stadt" am 4. September 1987 in Herten, S. 12-18. Die Energiewende durchsetzen- Perspektiven für Nordrhein-Westfalen. Rede des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Reimut Jochimsen, anläßlich des Energieforums der nordrhein-westfälischen Jungsozialisten am 12. September 1987 in Hamm/Westfalen, S. 19-26. Nordrhein-westfälische Kohlefraktion muß Anti-Kohle-Kurs des Bundeswirtschaftsministers stoppen. Rede des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Reimut Jochimsen, anläßlich der Betriebsversammlung derZeche Prosper-Haniel am 13. September 1987 in Bottrop, S. 27-42. Rede des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Reimut Jochimsen, im Deutschen Bundestag am 9. Oktober 1987, S. 43-48. Bedeutung der Außenwirtschaft für Nordrhein-Westfalen. In: Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (Hrsg.), Arbeitsbericht überden Außenwirtschaftstag Nordrhein-Westfalen am 18. März 1987 in Köln. Düsseldorf 1987, S. 1-21.

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Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

Vorwort. In: Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (Hrsg.), Frauenförderung im Bereich der Sparkassen. Düsseldorf 1987. Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (Hrsg. ), Wirtschaftliche Lage in Nordrhein-Westfalen- Strukturanalyse 1950-1987. Düsseldorf 1987, darin die Beiträge Nordrhein-Westfalen zwischen technologischer Offensive und strukturellen Anpassungszwängen: Plädoyer für eine industriepolitisch ausgerichtete Strukturpolitik. Thesen zur wirtschaftlichen und strukturellen Entwicklung des Ruhrgebiets. Die Universität der Vereinten Nationen in Tokio - mehr als ein Modell globaler Wissenschaftskooperation. (Arbeitspapiere des Instituts für Internationale Begegnung, Nr. 311987.) 1987. Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen. "Zeitschrift für Energiewirtschaft", Braunschweig und Wiesbaden, Jg. 11 (1987), S. 253-258. Es gibt keine Alternative zur bisherigen Kohlepolitik. "Wirtschaftsdienst", Harnburg, Jg. 67 (1987), S.275-278. 1988

Vorrang fürdie Zukunftssicherung der Montanregionen. Einführung in den Entwurf des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988. Düsseldorf[ 1988]. Technikentwicklung und Wirtschaftspolitik. In: C. Zöpel (Hrsg.), Technikgestaltung durch den Staat. Bonn 1988, S. 54-77. Vorwort. In: Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Wirtschaftspolitik für Nordrhein-Westfalen Zwischenbilanz des MWMT. Düsseldorf ( 1988). 1989

Aspekte der Energierechtspolitik aus der Sichtdes Landes Nordrhein-Westfalen. In: K. Töpfer u.a. (Hrsg.), Berg- und Energierecht vor den Fragen der Gegenwart. Festschrift für Fritz Fabricius. (Bochumer Beiträge zum Berg- und Energierecht, Band 7.) Stuttgart 1989, S. 45-56. 1990

(Zusammen mit J. Rau) Kohlevorrang in der Bewährung. Zur aktuellen Diskussion um die Rheinische Steinkohle. Düsseldorf [ 1990], darin die Beiträge Situation der heimischen Steinkohle, S. 9-25.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

363

Plädoyer für eine neue Solidaraktion für die heimische Steinkohle, S. 27-33. Sicherung der Zukunft der heimischen Steinkohle in der Verstromung, S. 35-42. Ausführungen des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Prof. Dr. Reimut Jochimsen anläßlich der Debatte des Deutschen Bundestages zur Anpassung des Kohlepfennigsam 8. Dezember 1988, S. 43-49. Zukunftssicherung des deutschen Steinkohlebergbaus -eine gesamtstaatliche Herausforderung, S. 51-60. Die wirtschaftliche Zukunft des Landes Nordrhein-Westfalen im Europa der Zukunft. In: U.v. Alemann u.a. (Hrsg.), Die Kraft der Region: Nordrhein-Westfalen in Europa. Bonn 1990, S. 269-280. The Länder RoJe in Local Economic Development. In: R.J. Bennet, G. Krebs and H. Zimmermann (Eds. ), Local Economic Development in Britain and Germany. London und Rugby 1990, S. 75-84. Europäische Regionalpolitik: Autonomieverlust für die Regionen?. In: L.F. Neumann (Hrsg.), Europa konkret. Zehn Beiträge zur Gestaltung des EG-Binnenmarktes. Baden-Baden 1990, S. 115-129.

1991

Aktuelle Fragen der Währungspolitik. In: J. Süchtling (Hrsg.), Semesterberichte des Instituts für Kredit- und Finanzwirtschaft, Nr. 33 (WS 1990/91). Bochum 1991, s. 32-48. SubsidiaritätimFeldeder Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion -12 Thesen. In: Subsidiarity: The Challenge of Change. Proceedings of the Jacques Delors Colloquium "Subsidiarity - Guiding Principle for Future EC Policy Responsibility". Maastricht 1991, S. 73-82. Zur Anpassung des Bundesbankgesetzes gemäß Einigungsvertrag. "Wirtschaftsdienst", Hamburg, Jg. 71 (1991), S. 554-559. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. "Europa-Archiv", Bonn, Jg. 46 (1991), S. 537-546. Aktuelle Fragen der Bundesbankpolitik. "List-Forum", Baden-Baden, Band 17 (1991), S. 144-159. The European Geography of Economic Development. "International Spectator", Rom, vol. 26 (1991), S. 103-124.

364

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen 1992

Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion - eine Chance für das geeinte Deutschland. (Erich Schneider-Gedächtnisvorlesung 1991.) Kiel 1992. Finanz- und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen der europäischen Integration und ihrer räumlichen Entwicklung. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Perspektiven der Raumentwicklung in Europa. (Forschungs- und Sitzungsberichte, Band 190.) Bonn 1992,39 S. Strukturpolitik in den neuen Ländern - Herausforderungen und Handlungsmöglichkeiten. Schwerin 1992,35 S. Berufsausbildung in gemeinsamer Verantwortung von Staat und Wirtschaft. In: H. Pütz (Hrsg.), Innovationen in der beruflichen Bildung. Hermann Schmidt zum 60. Geburtstag. Berlin und Bonn 1992, S. 95-110. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Sachstand und Perspektiven im Frühjahr 1992. In: E. Görgens und E. Tuchfeldt (Hrsg.), Die Zukunft der wirtschaftlichen Entwicklungen- Perspektiven und Probleme. Ernst Dürr zum 65. Geburtstag. Bern u.a. 1992, S. 319-341. Auf dem Wege zur Wirtschafts- und Währungsunion. "Verbraucherpolitische Hefte", Düsseldorf, Jg. 1992, Nr. 1. Maastricht ist nicht der Schlußstein. "Der Selbständige", Bonn, Jg. 1992, Heft 5. Nordrhein-Westfalen im Europader Regionen?" German Politics", Sonderheft "Federalism, Unification and European Integration", London, vol. 1992, S. 82-101. Subsidiarität und europäische Integration. In: C. Busch-Lüty u.a. (Hrsg.), Ökologisch nachhaltige Entwicklung von Regionen. "Politische Ökologie", München, Jg. 1992, Sonderheft4, S. 71-76. Tarifpolitik allein kann die Anpassungslast nicht tragen. "Gewerkschaftliche Monatshefte", Köln, Jg. 1992, S. 633-641. Perspektiven der Region Rheinland unter dem Aspekt der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. "Rheinisches Genossenschaftsblatt", Köln, Jg. 1992,S.375-384. (Zusammen mit V. Riechmann und E. Schwarz) Zielkonflikte bei der Preisbildung in der Elektrizitätsversorgung- Sind sie lösbar? "Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen", Baden-Baden, Jg. 10 (1992), Heft 1, S.98-110.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

365

1993

Current Matters of Bundesbank Policy. Particularly As They Relate To European Economic and Monetary Union. (University ofWarwick Occasional Papers in European Public Policy, no. 9311.) Warwiek 1993, 24 S. (Zusammen mit U. Heilemann) Christmas in July? The Political Economy of German Unification Reconsidered. (Brookings Occasional Papers.) Washington, D.C., 1993, 82 S. Raumentwicklung in Deutschland- Deutsche Einheit, europäischer Einigungsprozeß und Überwindung der Spaltung des Kontinents als neue Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Umwelt. In: Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumentwicklung (Hrsg.), Raumentwicklung-Politik für den Standort Deutschland. (Materialien zur Raumentwicklung, Band 57.) Bonn 1993, S. 3-13. Aufbau Ost- Eine Generationsaufgabe. In: 0. Franz (Hrsg.), Der Aufbau der neuen Bundesländer. Esch born 1993, S. 143-151. Strukturpolitik als notwendiger Politikbereich einer sozialen Marktwirtschaft. In: R. Simonis und W. Jablonowski (Hrsg.), Strukturpolitik in Ost und West. Zwischen Steuerungsbedarf und ordnungspolitischem Sündenfall. Köln 1993, S. 58-72. Thesen zu den räumlichen Erfordernissen einer Infrastrukturpolitik für das Jahr 2000. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Infrastrukturelle Voraussetzungen des Strukturwandels. (Forschungs- und Sitzungsberichte, Nr. 193.) Hannover 1993, S. 58-69. Economic and Monetary Union: A German Central Banker's Perspective. In: K. Gretschmann (Ed.), Economic and Monetary Union: Implications for National Policy Makers. Dordrecht 1993, S. 195-213. European Economic and Monetary Union: Prospects and Risks. In: B. Crawford and P. Schulze (Eds.), European Dilemmas after Maastricht. Berkeley 1993, S. 114-130. Europäische Perspektiven und Implikationen für den Finanzausgleich in der Bundesrepublik Deutschland- Neun Thesen. "Staatswissenschaften und Staatspraxis", Baden-Baden, Jg. 1993, Heft 1, S. 118-135. Die Rollenverteilung in der Wirtschaftspolitik nach den Beschlüssen von Maastricht. "List-Forum", Baden-Baden, Band 19 ( 1993), S. 8-23.

366

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

European Economic and Monetary Union: the do's and the dont's. "World Today", London, vol. 1993, June, S. 115-121. Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Chancen und Risiken. "EuropaArchiv", Bonn, Jg. 48 (1993), S. 377-388. Eine Währungsunion- auf Sand gebaut? "Börsen-Zeitung", Düsseldorf, Ausgabe vom 31. Dezember 1993. Current Issues on the Policy oftheB undesbank. "German Politics", London, vol. 2 (1993),no.3,S.341-357. 1994

Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. 1. Auflage, Köln 1994,291 S. Weltfinanzen und Entwicklung - Voraussetzungen, Möglichkeiten und Grenzen wirksamer Finanzierungsstrategien im Transforrnationsprozeß. In: Stiftung Entwicklung und Frieden (Hrsg.), Transformation in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. (Interdependenz, Nr. 17 .) Bonn und Duisburg 1994, S. 39-48. Zukunftsaufgaben aus der Sicht der neunziger Jahre. In: H.W. Meyer (Hrsg.), Sozialgerecht teilen- ökologisch umsteuern. Köln 1994, S. 130-145. Aktuelle Fragen der Geld- und Währungspolitik. "List-Forum", Baden-Baden, Jg. 20 (1994), S. 17-26. Internationalisierung der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik. Herausforderungen für die Gewerkschaften. "Gewerkschaftliche Monatshefte", Köln. Jg. 1994, s. 1-14. Raumordnung und regionale Strukturpolitik. "Freiburger Universitätsblätter", Freiburg, Heft 123 (1994), S. 23-43. Kursbestimmungen für Maastricht II. "Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik", Stuttgart, Jg. 62 (1994), S. 17-24. Perspektiven für Konjunktur, Wachstum und Investitionen in Deutschland. "JOIReview of the Japanese Institute for Overseas Investment", Tokio, vol. 1994, June, S. 10-12. Herausforderungen füt die Raumentwicklungspolitik im Vereinten Europa. "ILSSchriften", Duisburg, Jg. 1994, S. 12-17. Construction Financing in an Evolving International Monetary Environment. (Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 4911994.) Frankfurt a.M. 1994, S. 7-10.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

367

1995

Chancen und Risiken der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion- Anforderungen aneinMaastrichtll. In: M. Scholle (Hrsg.), Den Wandel gestalten. Zum 60. Geburtstag von Friedel Neuber. Stuttgart 1995, S. 187-201. (Zusammen mit G. Högemann) Infrastruktur. In: H.W. Jenkis (Hrsg.), Handwörterbuch Raumforschung und Raumordnung. Hannover 1995, S. 196-222. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen in einer offenen Weltwirtschaft. In: B. Lindemann (Hrsg.), Amerika in uns. Deutsch-amerikanische Erfahrungen und Visionen. Mainz 1995, S. 37-47. Raumordnung und regionale Strukturpolitik - Anmerkungen zu einem neuen Spannungsfeld im vereinten Deutschland. In: Görres Gesellschaft (Hrsg.), Jahres- und Tagungsbericht 1994. Paderbom 1995, S. 131-159. Standort Ruhrgebiet Chancen der nordrhein-westfälischen Wirtschaft im europäischen Wettbewerb. In: Blick zurück nach vorn. 50 Jahre NRW. Essen 1995, S. 197-201. Technologiepolitik für die 90er Jahre- Konzeption und Umsetzung am Beispiel Nordrhein-Westfalens. In: K. Bentche u.a. (Hrsg.), Reformfähigkeit in Industriegesellschaften. Festschrift für Fritz W. Scharpf. Berlin 1995, S. 118-221. Perspektiven und Risiken der EWWU. In: DAAD (Hrsg.), Aus gegebenem AnlaßStandpunkte zu Wissenschaft und Politik. DAAD Forum 17. Bonn 1995, s. 97-107. Economic and Monetary Union Demands for Maastrichtii. "European Yearbook of Comparative Govemment and Public Administration", Baden-Baden, vol. 2 (1995), s. 115-148. Revisionskonferenz 1996: Wirtschafts- und währungspolitische Anforderungen an ein Maastricht II. "Staatswissenschaften und Staatspraxis", Baden-Baden, Jg. 6 (1995), S. 533-563. Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. "Zeitschrift der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler", Freiburg, J g. 1995, Heft 2, S. 14-17. Perspektiven des Genossenschaftswesens im ausgehenden 20. Jahrhundert. "Rheinisches Genossenschafts blau", Köln, J g. 1995, Nr. 8, S. 318-322. World Finance and Development. Preconditions, Possibilities and Limits ofFinancial Strategies in the Transformation Process. "Economics", Tübingen, vol. 51 (1995), S. 91-100.

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Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen 1996

Perspektiven der Beschäftigung: In: H.A. Henkel und H. Romahn (Hrsg.), Euro und Beschäftigung. Regensburg 1996, S. 13-33. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion - Zur Kursbestimmung für Maastricht II aus wirtschafts- und währungspolitischer Perspektive. In: W. Zohlnhöfer (Hrsg.), Europa auf dem Wege zur Politischen Union? (Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F. Band 247.) Berlin 1996, S. 9-32. Die Vergemeinschaftung der D-Mark reicht nicht aus. Chancen und Risiken der Europäischen Währungsunion. In: D. Balkhausen (Hrsg. ), D-Mark kontra Eurogeld. Das Abenteuer Währungsunion. Reinheck 1996, S. 85-110. Regionalism versus Globalism? Gloablism via Regionalism! In: M. U zan (Ed. ), The Financial System Under Stress. An Architecture for the New World Economy. London and New York 1996, S. 64-80. Koordinationsprobleme europäischer Fachpolitiken: Das Beispiel der Geld- und Währungspolitik. In: H. Karl (Hrsg.), Die Koordination der Finanz-, Währungsund Strukturpolitik in der Europäischen Union. Bonn 1996, S. 79-116. Die beschäftigungs-und sozialpolitische Dimension der EWWU. In: Gustav-Stresemann-Institut (Hrsg.), 45 Jahre GSI- Festschrift. Bonn 1996, S. 25-52. EWWU- mehr Chancen oder mehr Risiken für Deutschland? In: Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (Hrsg.), Vorträge Jahrestagung '95. Düsseldorf 1996, S. 23-28. Chancen und Grenzen der Privatisierung. In: 0. Franz (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Fachband. Eschbom 1996, S. 21-30. Revisionskonferenz 1996: Wirtschafts- und währungspolitische Anforderungen an ein Maastricht II. In: D. Grimm, J. Hesse, R. Jochimsen und F.W. Scharpf (Hrsg.), Zur Neuordnung der Europäischen Union: Die Regierungskonferenz 1996/97. BadenBaden 1996, S. 33-64. 1997

Risikokapital als Chance für Innovation -die Situation in Deutschland. In: 0. Franz (Hrsg.), Innovation in Deutschland. Eschborn 1997, S. 69-78. Regional Science in Germany- From the Beginnings to the Present. In: K. Pesehel (Ed.), Regional Growth and Regional Policy Within the Framework ofEuropean Integration. Beideiberg 1997, S. 1-19.

Verzeichnis der Schriften von Reimut Jochimsen

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Die Europäisierung der Wirtschafts- und Währungspolitik und ihre Konsequenzen für die Länder der Bundesrepublik Deutschland. In: W. Loth u.a. (Hrsg.), Nordrhein-Westfalen in Europa-Probleme und Chancen des Standorts. Opladen 1997, S. 63-93. Problemsand Perspectives of the European Monetary Integration- Conclusions for Central Banking. In: A. Gaizauskas and K. Kackuviene (Eds.), The Changing Role of Central Banks in Europe. Material of an International Conference. Vilnius/Litauen 1997, S. 67-75. L'Europa tra unione economica e unione monetaria. In: P. Ridola (Hrsg.), La Costizuzione Europea Tra Cultura e Mercato. Rom 1997, S. 49-65. Die sozialen Konsequenzen der Währungsunion. In: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Deutsches NRO-Forum Weltsozialgipfel-Armut und soziale Krise. Beiträge zur nationalen und internationalen Diskussion 1996. Bonn 1997, S. 13-23. Europäische Wirtschafts- und Währungsunion- Chancen und Risiken. In: Unternehmerverband Ruhr-Niederrhein (Hrsg.), Die EWWU ante portas: Chancen und Risiken des Euros. Mülheim a.d. Ruhr 1997, S. 31-42. Europäische Wirtschafts- und Währungsunion: AufBiegen und Brechen? "Außenwirtschaft", Bern, Jg. 1997, S. 457-482. Eher Schiedsrichter als Störenfried: Internationale Finanzmärkte und nationale Wirtschaftspolitik. "Internationale Politik und Gesellschaft", Bonn, Jg. 1997, Heft4, S. 399-411. 1998

Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. 2. überarbeitete Auflage, Baden-Baden 1998, 362 S. Nach dem Tag X- Anforderungen an eine langfristige Stabilitätsgemeinschaft In: H.-U. Jörges (Hrsg.), DerKampfumdenEuro. Harnburg 1998, S. 182-200. AStahle Partnership- German-Dutch Monetary Relations in the Run-up to EMU. In: E. de Jong and L. Deisen (Eds.), The German and Dutch Economies- WHO Follows WHO? Heidelberg 1998, S. 137-145. Finanzplatz Deutschland vor großen Herausforderungen. In: J. Süchting und H.M. Reitmüller (Hrsg.), Handbuch Bankmarketing. Wiesbaden 1998, S. 27-46. Perspektiven für eine neue Rolle der Regionen in der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion. "Jahrbuch für Regionalwissenschaft", Göttingen, J g. 18 (1998), S. 3-19. 24 FS Jochimsen

Verzeichnis der Autoren Dr. Ansgar Belke Ruhr-Universität Bochum Dr. Algirdas Brazauskas Präsident der Republik Litauen, Vilnius Dr. Klaus von Dohnani Bundesminister a.D. und ehemaliger Bürgermeister der Freien und Hansestadt Harnburg Prof. Dr. Peter Glotz Rektor der Universität Erfurt Dr. Hanna Gronkiewicz-Waltz Präsidentin der Nationalbank Polen, Warschau Prof. Dr. Ullrich Heilemann Vizepräsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Essen, und Gerhard-Mercator-Universität Gesamthochschule Duisburg Eberhard Heinke Vorsitzender des Vorstandes der Westdeutschen Genossenschaftszentralbank eG, Düsseldorf

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Hesse Präsident der Landeszentralbank Niedersachsen, Hannover Tatsuyuki Hiramatsu Präsident der Japanischen Industrie- und Handelskammer, Düsseldorf

Prof. Dr. Dietmar Kath Gerhard-Mercator-Universität Gesamthochschule Duisburg Prof. Dr. Paul Klemmer Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Essen, und Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Dr. h.c. Norbert Kloten Präsident der Landeszentralbank in Baden-Württemberg i.R., Tübingen 24*

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Verzeichnis der Autoren

Prof. Dr. Wim Kösters Geschäftsführender Direktor des Instituts für Europäische Wirtschaft, Bochum, und Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Franz Lehner Präsident des Instituts Arbeit und Technik, Gelsenkirchen Prof. Robert A. Mundell AGIP Professor of Economics, Johns Hopkins SAIS Bologna Center und Professor of Economics, Columbia University, New York, NY Prof. Dr. Kurt Nemitz Senatsdirektor a.D., Präsident der Landeszentralbank in Bremen d.D. und Mitglied des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank a.D., Bremen Prof. Dr. WilhelmNölling Präsident der Landeszentralbank Harnburg i.R., und Universität Harnburg Dr. h.c. Johannes Rau Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Wolfgang Reimann Wirtschaftsjournalist, Düsseldorf

Dr. Wolfgang Reinicke World Bank und Brookings Institution, Washington, D.C. Prof. Helmut Rohde Bundesminister a.D., St. Augustin Prof. Dr. Udo Ernst Simonis Wissenschaftszentrum Berlin Prof. Dr. Dr. h.c. Hans 1ietmeyer Präsident der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a.M. Prof. Dr. PeterTreuner Direktor des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung, Universität Stuttgart Dr. jur. Dr. h.c. Ruprecht Vondran Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Düsseldorf Dr. Monika Wulf-Mathies Mitglied der Europäischen Kommission, Brüssel