Energieversorgung: Ressourcen, Technologien, Perspektiven [Reprint 2019 ed.] 9783111460536, 9783111093369

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Energieversorgung: Ressourcen, Technologien, Perspektiven [Reprint 2019 ed.]
 9783111460536, 9783111093369

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Einleitung
2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft
3. Das Energiepotential der Welt
4. Energieversorgungssysteme
5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme
6. Schlußfolgerungen
7. Anhang

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Grathwohl - Energieversorgung

Manfred Grathwohl

Energieversorgung Ressourcen Technologien Perspektiven

w DE

Walter de Gruyter

Berlin

New York 1978

Dipl.-Phys. Dr. rer. nat. Manfred Grathwohl Wissenschaftlicher Direktor

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Grathwohl, Manfred: Energieversorgung : Ressourcen, Technologien, Perspektiven. - Berlin, New York : de Gruyter, 1978. ISBN 3-11-007627-6

© Copyright 1978 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J. Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Einbandentwurf: Thomas Bonnie. Satz und Druck: Georg Wagner, Nördlingen. Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer Buchgewerbe GmbH, Berlin.

Vorwort

Energie ist eine der fundamentalen Größen, auf denen unsere Zivilisation ruht, für die es keinen Ersatz gibt. Bis vor geraumer Zeit war es weitgehend selbstverständlich, genügend Energie verfügbar zu haben. Dies ist anders geworden: Die langfristige Sicherstellung der Energieversorgung ist angesichts der Vielfalt der damit zusammenhängenden Aufgaben zu einem der großen Probleme der Menschheit geworden. Viele sprechen von einem Jahrhundertproblem. Zweifellos haben Energiefragen sowohl interdisziplinären als auch internationalen Charakter. Um das Energieproblem zu lösen, bedarf es einer großen naturwissenschaftlichen, technischen, wirtschaftlichen und politischen Kraftanstrengung. Außerdem machen viele Aspekte der zukünftigen Energieversorgung eine internationale Zusammenarbeit notwendig. Als Beispiele seien erwähnt: die unausgewogene geographische Verteilung einzelner Primärenergieträger, der immense Aufwand für neu zu entwickelnde Energietechnologien und Energieversorgungssysteme, globale Umweltprobleme sowie Sicherheitsprobleme im Zusammenhang mit der weltweiten Verbreitung kerntechnischer Anlagen. Viele noch ungelöste und umstrittene Fragen sollten Anlaß genug sein, sich mit dem Energieproblem zu beschäftigen. Wenn man zu den bereits vorhandenen Büchern über Energiefragen noch ein weiteres hinzufügt, so sollte man versuchen, ein solches Unterfangen zu rechtfertigen. Bisherige Veröffentlichungen behandeln im wesentlichen Einzelgebiete des gesamten Energieproblems, zum Beispiel energiewirtschaftliche Fragen, Energieumwandlungstechniken oder Umweltaspekte. Dies ist zur Analyse des komplexen Problems sicherlich notwendig. Auch wurde vielfach die künftige Energieversorgung auf die Problematik eines Energieträgers reduziert, wie Veröffentlichungen über die Kernenergie zeigen. Es hat den Anschein, daß dadurch manchmal wichtige Zusammenhänge zu kurz gekommen sind. Es ist Zweck des vorliegenden Buches, die Problematik der künftigen Energieversorgung und vielschichtige damit zusammenhängende Fragen in einer geschlossenen Darstellung zu behandeln. Dies ist ein Versuch. Der Verfasser möchte in erster Linie durch gesicherte Sachverhalte informieren. Das Buch wendet sich an Wissenschaftler und Techniker, die in speziellen Teilbereichen der energiebezogenen Lehre, Forschung und Entwicklung tätig sind. Experten werden zum Teil die Tiefe wissenschaftlicher Veröffentlichungen vermissen. Aus Raumgründen mußte aber auf viele wichtige und interessante Dinge verzichtet werden. Wo ein Problem angeschnitten wurde, aber nicht vollständig erörtert werden konnte, sind weitere Literaturhinweise angegeben. Das Buch wendet sich aber auch an Studenten, die sich im Rahmen ihrer Fachrichtung mit

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Vorwort

dem Thema Energieversorgung befassen sowie an alle, die sich über Fragen der Energieversorgung informieren möchten. Allen, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben, möchte ich hier meinen Dank aussprechen, besonders danke ich meiner Frau. Hamburg, im Januar 1978

Manfred Grathwohl

Inhalt

Vorwort

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1. Einleitung

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2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft 2.1 Ein Beitrag zur Energiegeschichte 2.2 Zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt 2.21 Primärenergie verbrauch und Erdbevölkerung 2.22 Primärenergieverbrauch und Bruttosozialprodukt 2.23 Prognosen zum Weltprimärenergiebedarf 2.3 Aspekte der Energiewirtschaft 2.31 Zur Entwicklung der Energiewirtschaft 2.32 Der zukünftige Investitionsbedarf der Energiewirtschaft 2.321 Investitionsbedarf der Mineralölwirtschaft 2.322 Investitionsbedarf der gesamten Energiewirtschaft

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3. Das Energiepotential der Welt 3.1 Einteilung der Energieressourcen 3.2 Primärenergiereserven und deren Reichweite 3.3 Primärenergieträger 3.31 Kohle 3.311 Geographische Verteilung der Kohlereserven 3.312 Forder-und Verbrauchszentren von Kohle 3.313 Besonderheiten der Kohletechnologie 3.32 Erdöl 3.321 Geographische Verteilung der Erdölreserven 3.322 Förder-und Verbrauchszentren von Erdöl 3.323 Besonderheiten der Erdöltechnologie 3.33 Erdgas 3.331 Geographische Verteilung der Erdgasreserven 3.332 Förder- und Verbrauchszentren von Erdgas 3.333 Besonderheiten der Erdgastechnologie 3.34 Ölschiefer, ölsande 3.341 ölgewinnung aus Ölschiefer 3.342 ölgewinnung aus ölsanden 3.343 Erschließung von Erdöl- und Erdgasvorkommen durch nukleare Sprengungen 3.343.1 Physikalische und politische Aspekte der nuklearen Sprengtechnik 3.343.2 Unterirdische Kernsprengungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen 3.35 Nukleare Energieträger für die Kernfission 3.351 Geographische Verteilung der Uran-und Thoriumvorräte 3.352 Produktions-und Verbrauchszentren von Uran und Thorium

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Inhalt 3.36 Nukleare Energieträger für die Kernfusion 3.361 Geographische Verteilung der Lithium-und Deuteriumreserven . . . . 3.362 Brennstoffkosten eines Fusionsreaktors 3.37 Sonnenenergie 3.371 Grundlegende Daten zur Sonnenenergie 3.372 Eine Analyse des Energiebedarfs 3.373 Möglichkeiten und Beschränkungen bei der Nutzbarmachung,der Sonnenenergie 3.38 Geothermische Energie

4. Energieversorgungssysteme 4.1 Zur Rolle von Sekundärenergieträgern 4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern 4.21 Energiegewinnung durch Kernfission 4.211 Einige Grundlagen der Reaktorphysik 4.212 Leichtwasserreaktoren 4.213 Der Schnelle Natriumgekühlte Reaktor 4.214 Der Thorium-Hochtemperatur-Reaktor 4.22 Energiegewinnung durch Kernfusion 4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie 4.31 Direkte Verfahren 4.311 Solarthermische Konversion 4.312 Photoelektrische Konversion 4.32 Indirekte Verfahren 4.321 Wasserkraft 4.322 Gezeitenenergie 4.323 Wellenenergie 4.324 Meereswärme, Meeresströmungen 4.325 Windenergie 4.326 Photochemische Konversion 4.327 Biokonversion 4.4 Sekundärenergie aus geothemischer Energie 4.5 Sekundärenergieträger 4.51 Elektrische Energie 4.511 Erzeugung 4.512 Transport 4.513 Speicherung 4.52 Fernwärme 4.53 Kohleveredelungsprodukte 4.531 Stromerzeugung aus Kohle 4.532 Kohlevergasung 4.533 Kohleverflüssigung 4.534 Kokserzeugung 4.54 Fernenergie 4.55 Wasserstoff als Energieträger 4.551 Herstellung 4.552 Transport 4.553 Speicherung 4.554 Sicherheitsprobleme 4.555 Umweltaspekte

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Inhalt 4.56 Alternative Antriebssysteme für mobile Verbraucher 4.561 Methanol 4.562 Wasserstoff 4.563 Elektroantrieb 5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme 5.1 Probleme durch Energiefreisetzung 5.2 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen 5.21 Das Kohlendioxid-Problem 5.22 Mögliche klimatische Folgewirkungen durch das Kohlendioxid 5.3 Direkte Wärmebelastung 5.4 Klimaveränderungen 5.41 Klimaschwankungen in der Vergangenheit 5.42 Mögliche Klimabeeinflussung durch Energiefreisetzung 5.5 Umweltbelastungen durch Sonnenenergie 5.6 Umweltbelastungen durch geothermische Energie 5.7 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme 5.71 Einführende Betrachtungen 5.72 Zum Kernbrennstoffkreislauf 5.721 Kernbrennstoffversorgung 5.722 Entsorgung 5.722.1 Behandlung abgebrannter Brennelemente 5.722.2 Wiederaufarbeitung 5.722.3 Endlagerung 5.73 Das Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen 5.74 Zur Sicherheit kerntechnischer Anlagen 5.741 Normalbetrieb 5.742 Störfälle und Unfälle 5.743 Äußere Einwirkungen 5.744 Kerntechnische Anlagen im Krieg 5.8 Für die Kernfusion spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

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. . . .

. . . .

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6. Schlußfolgerungen

253

7. Anhang 7.1 Literatur 7.2 Abkürzungen 7.3 Umrechnungstabelle 7.4 Namenverzeichnis 7.5 Sachverzeichnis . . . . :

265 265 282 285 286 287

1.

Einleitung

Eine sichere Energieversorgung gehört unbestritten zu den Lebensfragen eines Landes. Es ist deshalb verständlich, daß seit einigen Jahren Fragen im Zusammenhang mit der künftigen Energieversorgung eine zentrale Stellung in der öffentlichen Diskussion einnehmen. Trotz vielfacher Bemühungen ist es - wie die Erfahrung zeigt - für Staaten außerordentlich schwierig, ein angemessenes Konzept für eine zukunftsorientierte Energieversorgung zu entwickeln. Obwohl in aller Welt große Anstrengungen unternommen werden, ist es offensichtlich nur bedingt möglich, sich in absehbarer Zeit vom Hauptenergieträger Erdöl auf andere Energieträger umzustellen (1, 2). Eingehende Untersuchungen ergeben folgende Erkenntnis: Der weltweite Energiebedarf wird aller Voraussicht nach weiterhin ansteigen, insbesondere dürfte der Erdölverbrauch auf absehbare Zeit noch zunehmen, selbst wenn durch Einsparung und Entwicklung alternativer Energieträger große Anstrengungen unternommen werden. Zweifellos darf die Menschheit das langfristige Ziel, von den fossilen Brennstoffen als Energieträger ganz wegzukommen, nie aus den Augen verlieren. Jedoch sollten Lösungen, die kurzfristige Vorteile, aber langfristige zum Teil noch nicht abschätzbare Folgewirkungen haben, nicht angestrebt werden. Die folgenden Kapitel behandeln für die künftige Energieversorgung entscheidende Fragen. Wegen Umfang und Komplexität des Energieproblems kann eine Vollständigkeit im Rahmen dieser Abhandlung - falls überhaupt möglich — nicht angestrebt werden. Zusammenhänge zwischen Primärenergieverbrauch und wirtschaftlicher Entwicklung in aller Welt sind unverkennbar, und eine ausreichende Energieversorgung dürfte zur erfolgreichen Bekämpfung globaler Menschheitsprobleme wie Hunger und Armut und somit letzten Endes zur Erhaltung des Weltfriedens eine entscheidende Voraussetzung sein. Da Menge und Art der Energie, die der Menschheit jeweils zur Verfügung standen, zweifellos Meilensteine der Menschheitsgeschichte waren, beginnen die Ausführungen mit einem Beitrag zur Energiegeschichte (2.1). Für die Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt war das Wachstum der Erdbevölkerung eine wichtige Bestimmungsgröße (2.21). Außerdem dürfte eine Erhöhung des Bruttosozialprodukts pro Kopf, inbesondere in Entwicklungsländern, wegen des offensichtlich - in gewissen Grenzen - existierenden Zusammenhangs mit dem Primärenergieverbrauch pro Kopf (2.22) einen wachsenden Weltprimärenergiebedarf zur Folge haben. In 2.23 sind einige Prognosen zum Weltprimärenergiebedarf wiedergegeben. Es sei betont, daß es außerordentlich schwierig ist, solche Prognosen aufzustellen, da eine Reihe für die künftige Bedarfsentwicklung wichtiger Faktoren wie

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1. Einleitung

Verfügbarkeit von Primärenergieträgern, ihre Preise, die Energiepolitik einzelner Staaten (Staatengruppen), die technologische Entwicklung, das Verbraucherverhalten usw. schwer voraussehbar sind. Die meisten Prognosen zum künftigen Weltprimärenergiebedarf wurden in den letzten Jahren, insbesondere wegen der Entwicklung nach der Ölkrise, sowohl für einzelne Länder als auch für die gesamte Welt mehrmals nach unten revidiert. Nach Meinung des Verfassers dürfte dieser Trend noch anhalten, da das Potential an Energieeinsparungsmöglichkeiten - insbesondere in den Industriestaaten - noch nicht ausgeschöpft ist; d. h. auch die aus dem Jahre 1977 stammenden Prognosen dürften noch zu hoch liegen. Aufgrund der fundamentalen Bedeutung der Energieversorgung für eine Volkswirtschaft fällt der Energiewirtschaft (2.3) in aller Welt eine wichtige Rolle zu. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, daß künftig die prozentualen Aufwendungen im Energiebereich - gemessen am jeweiligen Bruttosozialprodukt - beträchtlich höher liegen werden als bisher. Nach einigen Ausführungen über die Entwicklung der Energiewirtschaft (2.31) wird der voraussichtliche Investitionsbedarf dieses Wirtschaftszweiges behandelt (2.32). Im 3. Kapitel wird das Energiepotential der Welt analysiert. Zunächst erfolgt die Einteilung der Energieressourcen (3.1), dann werden den in 2.23 gestellten Prognosen zum Weltenergiebedarf die Reserven an Primärenergieträgern gegenübergestellt und deren Reichweite unter bestimmten Prämissen angegeben (3.2). Eine sichere Primärenergieversorgung für Staaten, Regionen oder wirtschaftspolitische Staatengruppen ist nicht nur davon abhängig, ob - global betrachtet - genügend Reserven vorhanden sind: Die Versorgungssicherheit auf dem Energiesektor hängt auch entscheidend von der geographischen Verteilung einzelner Energieressourcen ab. So kann die geographische Verteilung von Primärenergiequellen durchaus für die Wahl eines Energieträgers bzw. für eine Kombination von Energieträgern ausschlaggebend sein. Außerdem besteht neben der z. T. sehr unausgewogenen geographischen Verteilung einzelner Primärenergieträger in vielen Ländern und Regionen eine Diskrepanz zwischen Förderung und Reserven, was unterschiedliche Reichweiten zur Folge hat sowie eine Diskrepanz zwischen Förderung und Verbrauch, woraus - bei einem Förderdefizit - unterschiedliche politische Abhängigkeitsverhältnisse resultieren können. Darüber hinaus §ind neben der geographischen Verteilung der Förder- und Verbrauchszentren eines Primärenergieträgers für die Zukunftschancen einer Energieressource Besonderheiten der Technologie bei Lagerstättenerkundung, Erschließung, Gewinnung/Förderung, Vorratshaltung, Veredelungsprozessen, Transport usw. von großer Bedeutung. Aus diesen Gründen werden diese Fragen für Kohle (3.31), Erdöl (3.32), Erdgas (3.33) sowie für Ölschiefer und Ölsande (3.34) ausführlich diskutiert. Da der Einsatz unterirdischer nuklearer Sprengungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen - insbe-

1. Einleitung

13

sondere zur Ölgewinnung aus Ölschiefer und Ölsanden - möglich sein könnte, werden an dieser Stelle einige damit zusammenhängende physikalische und politische Aspekte diskutiert. Die Reservesituation bei nuklearen Energieträgern für die Kernfission (3.35) ist in einigen Punkten durchaus vergleichbar mit der kritischen Lage im Mineralölbereich. Deshalb werden geographische Verteilung sowie Produktions- und Verbrauchszentren von Uran und Thorium ebenfalls eingehend erörtert. Obwohl noch schwierige physikalische und technische Probleme auf dem Wege zur Verwirklichung der kontrollierten Kernfusion zu lösen sind, wächst die Zuversicht, noch Ende dieses Jahrhunderts ein Demonstrationskraftwerk auf der Basis der Kernfusion erstellen zu können. Nach allem was wir wissen, wäre dies eine attraktive Möglichkeit für eine praktisch „unbegrenzte" Energieversorgung. Aus diesem Grunde werden geographische Verteilung nuklearer Energieträger für die Kernfusion und - soweit derzeit möglich - Aussagen über Brennstoffkosten eines Fusionsreaktors in die Betrachtungen aufgenommen (3.36). Im Gegensatz zur kontrollierten Kernfusion ist die Nutzung der Sonnenenergie im Prinzip technisch gelöst. Das riesige Potential der Sonnenenergie wird aber gegenwärtig fast noch in keinem Land genutzt. Wegen schwerwiegender Probleme bei anderen Energieträgern sowie wegen der Vorteile bei der Sonnenenergienutzung hinsichtlich der nationalen (regionalen) Versorgungssicherheit, des Ressourcenverzehrs und der im Vergleich zu anderen Energiequellen geringen Umweltbelastungen verdient die Sonnenenergienutzung weltweit größere Beachtung. Deshalb werden grundlegende Fragestellungen zur Beurteilung von Einsatzmöglichkeiten der Sonnenenergie - auch in gemäßigten Breiten - ausführlich diskutiert (3.37). Insbesondere scheint es nützlich, zur Bewertung dieser Energiequelle - im Vergleich zu anderen zur Verfügung stehenden Energieträgern - Zweck der Energieverwendung und Art der Bedarfsdeckung eingehend zu analysieren. Die geothermische Energie stellt zwar ein weiteres großes Energiepotential dar (3.38), jedoch dürfte aufgrund vielfältiger Schwierigkeiten - global betrachtet - der Anteil dieser Energiequelle an der Energieversorgung auch in Zukunft gering bleiben. Obwohl die Energiediskussion vorwiegend über Primärenergiequellen geführt wird, sind Energieumwandlungstechnologien und Sekundärenergieträger für die Bewertung von Energieversorgungssystemen von großer Bedeutung. Mit diesem Fragenkomplex befaßt sich das Kapitel 4. Nach einführenden Betrachtungen zur Rolle von Sekundärenergieträgern (4.1) werden verschiedene Verfahren zur Gewinnung von Sekundärenergie behandelt. Im Rahmen dieser Abhandlung kann naturgemäß nur auf grundsätzliche Funktionsprinzipien eingegangen werden. Die Gewinnung von Sekundärenergie aus nuklearen Ener-

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1. Einleitung

gieträgern (4.2) wurde - entsprechend den beiden grundsätzlichen Methoden eingeteilt in: Energiegewinnung durch Kernfission (4.21) (Leichtwasserreaktoren, Schneller Natriumgekühlter Reaktor, Thorium-Hochtemperatur-Reaktor) und - obwohl noch nicht realisiert - Energiegewinnung durch Kernfusion (4.22). Verschiedene Gründe sprechen - wie bereits erwähnt - für eine stärkere Förderung der Sonnenenergienutzung, zumal in der Vergangenheit die diesbezüglichen Aufwendungen weltweit außerordentlich gering waren im Vergleich zu denjenigen für andere Energietechnologien. Um zu einer differenzierten Bewertung der Zukunftschancen unterschiedlicher Methoden der Sonnenenergienutzung zu gelangen, wurden die einzelnen Verfahren der Gewinnung von Sekundärenergie aus Sonnenenergie (4.3) untergliedert in direkte Verfahren (4.31) (solarthermische Konversion, photoelektrische Konversion) und indirekte Verfahren (4.32) (Wasserkraft, Gezeitenenergie, Wellenenergie, Meereswärme, Meeresströmungen, Windenergie, photochemische Konversion, Biokonversion). Da die geothermische Energie in absehbarer Zeit durchaus lokale Bedeutung erlangen kann, wird anhand konkreter Beispiele die Gewinnung von Sekundärenergie aus geothermischer Energie ebenfalls behandelt (4.4). Sekundärenergieträger dürften in Zukunft im Hinblick auf eine optimale Verwendung der eingesetzten Primärenergie eine noch größere Bedeutung gewinnen. Deshalb werden einige zukunftsträchtige Sekundärenergieträger (4.5) diskutiert: Die elektrische Energie (4.51) dürfte voraussichtlich auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Im Zusammenhang mit einer rationelleren Energieverwendung könnte die Fernwärme (4.52) zur Deckung des Bedarfs an Niedertemperaturwärme eine wichtige Funktion übernehmen. Wegen der enormen Kohlereserven haben Kohleveredelungsprodukte (4.53) große Zukunftschancen. Das System der Fernenergie (4.54) könnte besonders für den Energietransport über größere Entfernung Bedeutung gewinnen. Insbesondere könnte Wasserstoff (4.55) als ein sehr vielseitig einsetzbarer Energieträger Verwendung finden. Wegen der starken Abhängigkeit des Transportwesens von Mineralölprodukten verdienen mögliche alternative Antriebssysteme für mobile Verbraucher (4.56) große Beachtung. Im 5. Kapitel werden Umweltbelastungen diskutiert, die im Zusammenhang mit dem Einsatz von Energieträgern auftreten. Mögliche Sicherheitsprobleme werden in die Betrachtungen mit einbezogen. 1 Nach einer Einführung in Probleme, hervorgerufen durch Energiefreisetzung (5.1), werden den fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen (5.2) erörtert. Schwerpunktmäßig werden das Kohlendioxid-Problem (5.21) als globales Umweltproblem und ' Über einige in diesem Kapitel behandelte Fragen konnte ich mit Herrn Prof. C. F. v. Weizsäcker, Starnberg/München, sprechen. Hierfür sei ihm an dieser Stelle nochmals gedankt.

1. Einleitung

15

mögliche klimatische Folgewirkungen durch das Kohlendioxid (5.22) behandelt. Im Anschluß daran wird auf die direkte Wärmebelastung (5.3) eingegangen. Nach allem, was wir wissen, besteht durchaus die Gefahr von Klimaveränderungen, falls die Energiefreisetzung bedenkenlos erhöht werden sollte. Um gewisse Anhaltspunkte zu erhalten, werden zunächst Klimaschwankungen in der Vergangenheit (5.41) betrachtet und danach eine mögliche Klimabeeinflussung durch Energiefreisetzung erörtert (5.42). Umweltbelastungen durch Sonnenenergie (5.5) bzw. durch geothermische Energie (5.6) werden in die Betrachtungen einbezogen. Die Behandlung der für die Kernfission spezifischen Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme (5.7) erfolgt relativ ausführlich, da es sich hierbei um eine zum Teil heftig umstrittene großtechnisch einsetzbare Energiequelle handelt. Nach einer Einführung (5.71) werden Fragen des Kernbrennstoffkreislaufs (5.72) erörtert. Ein besonderes sicherheitspolitisches Problem ergibt sich aus der Tatsache, daß nukleare Energieträger wie Uran und Plutonium nicht nur zur Energiegewinnung, sondern auch zur Herstellung von Kernwaffen verwendet werden können. Aus diesem Grunde sind Fragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie verbunden mit dem Problem der Nichtverbreitung von Kernwaffen (5.73). Mögliche Sicherheitsprobleme bei kerntechnischen Anlagen werden - unter bestimmten Bedingungen - in 5.74 diskutiert. Ausführungen über für die Kernfusion spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme (5.8) bilden - soweit im derzeitigen Entwicklungsstadium möglich - den Abschluß. Sowohl die Komplexität der angesprochenen Fragen als auch in manchen Fällen das Fehlen ausreichender Informationen machen es zum Teil schwer, eindeutige Schlußfolgerungen zu ziehen. Trotz aller Problematik wurde an einigen Stellen und insbesondere am Ende der Abhandlung auf grundsätzliche Schlußfolgerungen, die es vielleicht wert sind, genauer untersucht zu werden, nicht verzichtet (6.). Ich hoffe, daß das Buch nützliche Anregungen geben wird.

2.

Primärenergieträger und Weltwirtschaft

2.1

Ein Beitrag zur Energiegeschichte

Energie wird definiert als die Fähigkeit, Arbeit zu leisten. Jede Form pflanzlichen und tierischen Lebens ist gebunden an die Zufuhr von Energie, sei es durch Strahlung, Leitung, Konvektion oder durch Aufnahme von chemisch gebundener Energie in Form von Nahrungsmitteln. Obwohl Menge und Art der Energie, die der Menschheit jeweils zur Verfügung standen, Marksteine in ihrer Entwicklung waren, wurde der Energiegeschichte bisher relativ geringe Bedeutung beigemessen. Geht man von einer Menschheitsgeschichte von etwa einer Million von Jahren aus, so war der Mensch die ersten 600 000 Jahre allein auf die Muskelarbeit angewiesen. Vor etwa 400 000 Jahren entdeckte der Mensch das Feuer. Mit dieser Energiequelle verbesserte er schon in prähistorischen Zeiten seine Lebensbedingungen entscheidend: Er schuf sich, sofern nötig, Wärme in seinen Aufenthaltsstätten und war durch das Licht nicht mehr an Tageshelle gebunden. Außerdem war es mit Hilfe des Feuers möglich, den Nahrungsmittelspielraum durch Zubereitung der Speisen zu erweitern. Im dritten Jahrtausend v. Chr. wird die Nutzung des Feuers entscheidend erweitert: Es gelingt, durch Schmelzprozesse aus Erzen Metalle zu gewinnen. Die Menschheit tritt in eine neue Entwicklungsphase ein. Der Übergang von der Steinzeit zur Bronzezeit wird vollzogen und um etwa 700 v. Chr. von der Eisenzeit abgelöst. Dieser für die Menschheit entscheidende Schritt zur Herstellung von Geräten und Werkzeugen aus Metallen wurde erst durch die Freisetzung chemisch gebundener Energie bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe möglich. Weder damals noch heute lassen sich mit menschlicher oder auch tierischer Muskelarbeit die für die Metallgewinnung und Verarbeitung erforderlichen hohen Temperaturen und Leistungsdichten erzielen. Bis zur Bronzezeit und noch einige Jahrtausende danach wurde der Bedarf an mechanischer Energie durch menschliche und tierische Muskelarbeit gedeckt. Insbesondere die Römer setzten Sklaven zu schwerer körperlicher Arbeit ein. Die ursprünglich ausschließlich zur Fleischgewinnung gehaltenen Haustiere wurden bereits von den Sumerern als Zugtiere eingesetzt. Bei den asiatischen Steppenvölkern kommt das Pferd als Reittier etwa im 8. Jahrhundert v. Chr. vor. Eine entscheidende Voraussetzung für das Entstehen der Hochkulturen seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. war, daß es möglich wurde, durch immer bessere Bewirtschaftung des Bodens eine wenn auch kleine Gruppe von Menschen, die

18

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

nicht mehr für ihren täglichen Lebensunterhalt arbeiten mußte, für kulturelle Leistungen freizusetzen. Die fortschreitende Entwicklung der Energietechnik führte zu einer weiteren Verbreiterung der einsetzbaren Energiearten bis hin zur Ersten industriellen Revolution. Die Nutzung der Energie des fließenden Wassers mit Hilfe des Wasserrades war um 200 v. Chr. bereits in Byzanz bekannt. Diese erste rein mechanische Energiequelle wurde insbesondere zum Antrieb von Mühlen verwendet. Bereits um 200 n. Chr. konnte eine Getreidemühle bei Arles in 24 Stunden nahezu 28 t Mehl mahlen. Im Mittelalter war es weit verbreitet, die Wasserkraft zur Arbeitsleistung einzusetzen. Die Windmühle soll den Arabern schon im 9. Jahrhundert bekannt gewesen sein. Durch die Kreuzzüge kam diese im 12. Jahrhundert nach Europa, wo man die Windenergie bislang nur zum Schiffsantrieb genutzt hatte. Windmühlen wurden dann beispielsweise zum Getreidemahlen, bei Förderanlagen im Bergbau und zum Wasserpumpen eingesetzt. Der Nachteil des zeitweiligen Betriebsausfalls bei ungünstigen Windverhältnissen wurde von Leonardo da Vinci teilweise durch Windmühlen mit drehbarem Dach behoben. Die Lichttechnik blieb über sehr lange Zeiten unverändert. Die Menschen verbrannten tierische und pflanzliche Fette in einfachen Dochtlampen mit Lichtausbeuten der Größenordnung 0,1 lm/W. Fackeln und Kienspäne brachten zwar eine größere Lichtausbeute, waren aber wegen der damit verbundenen Geruchsbelästigung lichttechnisch gesehen kein nennenswerter Fortschritt. Ende des Mittelalters wurde, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Bevölkerung, der Bedarf an mechanischer Energie immer größer. Außerdem suchten die Menschen von der Natur orts- und zeitunabhängige Energiequellen, um die Nachteile der Wasserkraft und Windenergie zu umgehen. So kam es, daß zu Beginn des 17. Jahrhunderts viele Versuche aus dem Altertum wieder aufgearbeitet wurden. Schon Heron von Alexandrien versuchte um 100 v. Chr., mit Heißluft und Dampf Kraftwirkungen zu erzielen. Die entscheidenden Arbeiten zur Verwirklichung des Dampfmaschinenprinzips wurden aber in England geleistet. Hier brauchte man in den Bergwerken zum Auspumpen des Grubenwassers eine neue mechanische Kraftquelle. Nach der kolbenlosen Dampf pumpe (1698) von Thomas Savery wurden Kolbendampfmaschinen entwickelt. James Watt (1736-1819) erfand dann die erste brauchbare Dampfmaschine. Eine seiner ersten Dampfmaschinen (1784) hatte eine Leistung von 7,5 kW (1). Mit der Dampfmaschine als erster beweglicher Antriebsmaschine begann die Erste industrielle Revolution. An die Fertigungstechnik wurden neue Anforderungen gestellt. Wirtschaft, Industrie, Verkehr und somit auch die Lebensgewohnheiten der Menschen wurden tiefgreifend verändert. In zwei Jahrhunderten wurde eine von der Technik geprägte Umwelt geschaffen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam neben der Dampfmaschine die Heißluftmaschine und die Maschine mit Innenverbrennung auf, die durch das von

2.1 Ein Beitrag zur Energiegeschichte

19

Nikolaus August Otto erfundene Viertaktverfahren der Heißluftmaschine weit überlegen war. Die Turbinentechnik kann als Fortentwicklung der Wasserräder und der Windmühlen angesehen werden. Die ersten Wasserturbinen gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts, und gegen Ende des Jahrhunderts setzte dann die Entwicklung der Dampfturbinen ein. Durch die im 18. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung stieg der Lichtbedarf erheblich an. So kam es, daß die Nutzenergie Licht einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung der Energietechnik und Energiewirtschaft hatte. Gas und ö l erlangten zunächst als Lichterzeuger und erst dann als Energieträger Bedeutung, und die Starkstromtechnik ist u. a. eine Folge der Entwicklung und Verbreitung der elektrischen Beleuchtung. Der Nachweis der elektromagnetischen Wechselwirkung durch Hans Christian Oersted (1820), die Entdekkung der elektromagnetischen Induktion durch Michael Faraday (1831) und die Entdeckung des dynamoelektrischen Prinzips durch Werner v. Siemens (1866) waren hier Meilensteine. Thomas Alva Edison begann dann mit der Entwicklung der neuzeitlichen Glühlampe (1879), und bereits 1882 wurde in New York das erste öffentliche Elektrizitätswerk der Welt (500 kW, 100 V Gleichspannung) von Edison erbaut. Um 1900 gab es in Deutschland bereits 94 Elektrizitätswerke mit einer Gesamtleistung von etwa 160 MW für Beleuchtungszwecke und Elektromotoren (2, 3). Die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann im Dezember 1938 in Berlin eröffnete der Menschheit eine ganz neue Energiequelle. Bei der Spaltung schwerer Atomkerne (Thorium, Uran, Plutonium u. a.) werden je kg umgesetzter Substanz etwa 1 Million mal größere Energiebeträge frei als bei Verbrennungsprozessen. In einer Atombombe läuft eine solche Energiefreisetzung unkontrolliert innerhalb eines Bruchteils einer millionstel Sekunde ab, in einem Kernreaktor wird die gleiche Energie während eines längeren Zeitraumes kontrolliert abgegeben. Der erste funktionierende Kernreaktor (CP 1) wurde von Enrico Fermi am 2. Dezember 1942 in Chicago in Betrieb genommen. Elektrizität kann aus allen Primärenergieträgern gewonnen werden. Diese Sekundärenergie ist eine einfach zu handhabende Energieform, die beim Verbraucher praktisch keine Umweltschäden verursacht. Kraftwerke zur Elektrizitätserzeugung arbeiten alle prinzipiell gleich: Der erhitzte Dampf treibt eine Turbine an, die wiederum einen Generator zur Stromerzeugung antreibt. Beim konventionellen Dampfkraftwerk wird die zur Dampferzeugung nötige Wärme durch Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt, beim Kernkraftwerk entsteht die Wärme durch Energiefreisetzung bei der Kernspaltung im Reaktorkern. In einem modernen Druckwasserreaktor vom Typ Biblis (elektrische Leistung ca. 1200 MW) wird pro Jahr ca. 1 t reiner Spaltstoff U 235 in Wärme umgewandelt. Dazu ein Vergleich: Ein Kohlekraftwerk gleicher Leistung ver-

20

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

brennt jährlich 2,5 10 6 t Steinkohle; das sind 7000 t an einem Tag. Zum Antransport wären täglich etwa 400 Güterwagen notwendig.

2.2

Zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt

2.21

Primärenergieverbrauch 1 und Erdbevölkerung

Viele Jahrhunderte lang war der Primärenergieverbrauch in der Welt außerordentlich gering. Ein entscheidender Grund hierfür war neben dem Entwicklungsstand der Menschheit die geringe Erdbevölkerung. Um 6000 v. Chr. lebten etwa 10 Mio. Menschen auf der Erde und um Christi Geburt ca. 250 Mio. Es dauerte etwa 1650 Jahre bis sich die Weltbevölkerung auf ca. 500 Mio. verdoppelte. 1930 gab es bereits 2 Mrd. Menschen, 1970 3,59 Mrd. und 1975 3,92 Mrd. (4). Um 1650 betrug die Wachstumsrate nur 0,3%, von 1950 bis 1965 ca. 1,8%, und von 1965 bis 1975 lag sie bei etwa 1,9%. Unter der Annahme eines exponentiellen Wachstums besteht zwischen Verdopplungszeit td (in Jahren) und der Wachstumsrate p (in % pro Jahr) die Beziehung: td p = 100 In 2 td P » 70 (1) Einer Wachstumsrate von p = 1,9% pro Jahr entspricht somit eine Verdopplungszeit von td = 37 Jahren. Abb. 2 - 1 zeigt das Wachstum der Erdbevölkerung. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen werden um das Jahr 2000 etwa 6,1 Mrd. Menschen auf der Erde leben (mittlere Variante). Nach der höchsten Vorausschätzung (höchste Variante) muß mit knapp 7 Mrd. Menschen gerechnet werden, und nach der niedrigsten Prognose (niedrigste Variante) werden dann 5,4 Mrd. Menschen auf der Erde leben (5-7). Die Bevölkerungslawine soll danach um das Jahr 2075 bei 12,3 Mrd. zum Stehen kommen (mittlere Variante). Nach der höchsten Vorausschätzung muß mit 16 Mrd. und nach der niedrigsten mit 9,8 Mrd. Menschen gerechnet werden. Der Verlauf des Bevölkerungswachstums dürfte näherungsweise eine S-förmige Kurve ergeben, wobei die frühe Phase langsamen Wachstums in die derzeitige Periode exponentiellen Wachstums übergeht und schließlich in einer 1 Nach dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik kann Energie weder „erzeugt" noch „verbraucht", sondern nur in andere Energie umgewandelt werden. Trotzdem wurde - im Hinblick auf nicht regenerierbare Primärenergieträger - der bisher übliche Begriff „Primärenergieverbrauch" im Sinne von „Primärenergieeingabe" oder „Primärenergieumsatz" beibehalten.

2.2 Zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt

21

Abb. 2 - 1 : Wachstum der Erdbevölkerung* * Die Daten wurden verschiedenen UN-Veröffentlichungen entnommen.

Sättigungsgrenze mündet. UN-Prognosen zufolge soll der Wendepunkt der Kurve zwischen 1976 und 1980 liegen. Das heißt, die Wachstumsrate sollte hier das Maximum erreichen und von da an wieder abnehmen. Auf folgenden Sachverhalt sei noch hingewiesen. Der Anteil der Menschen, die in den heutigen Entwicklungsländern leben, wird immer größer. 1950 lebten von 2,5 Mrd. Menschen bereits 1,6 Mrd. oder 65% der Gesamtbevölkerung in Entwicklungsländern. Um die Jahrtausendwende ist damit zu rechnen, daß von 6,5 Mrd. Menschen etwa 5 Mrd. oder 77% in den heutigen Entwicklungsländern leben werden, und im Jahre 2075 werden voraussichtlich sogar 84% der Menschheit diesen Teil der Welt bevölkern. Es zeichnet sich ab, daß zumindest in den Industriestaaten das Bevölkerungswachstum gestoppt beziehungsweise in einigen Ländern sogar schon rückläufig ist. So zum Beispiel sind die Geburtenziffern in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 10 Jahren drastisch gesunken. Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden ist zu entnehmen, daß in der Bundesrepublik 1964 auf je 1000 Einwohner 18,2 Lebendgeburten kamen und 1973 nur noch 10,2. Selbst in Staaten wie der VR China hat sich das Wachstum der Bevölkerung verlangsamt. Die Geburtenrate sank von 1970 bis 1975 von 1,85% auf 1,18%. Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe. Beispiele sind: verändertes Sozialverhalten, Geburtenkontrolle, Wohlstandsdenken, Bildungseinflüsse. Auf der im August 1974 in Bukarest veranstalteten Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen haben die VR China, die Sowjetunion, fast alle übrigen Ostblockstaaten und eine Anzahl nichtkommunistischer Länder die

22

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

Auffassung vertreten, daß es für sie ein sogenanntes Bevölkerungsproblem nicht gäbe. Die chinesische Delegation war es auch, die überzeugend darauf hinweisen konnte, daß seit geraumer Zeit die gesamte Bevölkerung in ausreichendem Maße mit Grundnahrungsmitteln versorgt werden könne und somit kein Ernährungsproblem mehr existieren würde. Danach habe sich die Bevölkerung Chinas seit 1950 um nahezu 60% vermehrt, nämlich von ungefähr 500 auf nahezu 800 Mio.; in dem gleichen Zeitraum sei aber beispielsweise die Getreideerzeugung mehr als verdoppelt worden. Im Jahresdurchschnitt habe in dem betrachteten Zeitraum die Bevölkerung um ungefähr 2%, die Getreideproduktion aber um 4% zugenommen (8). H. Kahn entwickelte ähnliche Perspektiven (9). Abb. 2-2 zeigt drei verschiedene Wachstumsraten der Bevölkerung in a) für die Zeit von 1950 bis 2010 und in b) für den Zeitraum von 1776 bis 2176. Hier wird der steile Anstieg der Wachstumsraten und der zu erwartende Abfall noch deutlicher. Die niedrigste Kurve A basiert auf der oben erwähnten mittleren Variante der Vorhersage des

*) ton 1950-2010

1950

1960

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2000

1776-2176

2010

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Jahr

Abb. 2 - 2 : Wachstumsraten der Weltbevölkerung Quelle: H. Kahn: Vor uns die guten Jahre, Verlag Fritz Molden: Wien-München-Zürich-Innsbruck 1977.

2.2 Zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt

23

UNO-Büros für Bevölkerungsfragen; bei der zweiten Kurve B 2 und der dritten Kurve C 3 werden höhere Wachstumsraten angenommen. Es ist demnach ebenfalls zu erwarten, daß sich die Wachstumsrate verlangsamen und die Weltbevölkerung schließlich zahlenmäßig mehr oder weniger konstant in der Größenordnung von 15 Milliarden bleiben wird. Betrachten wir nun die Zunahme des Weltprimärenergieverbrauchs von 1875 bis 1975. In diesen 100 Jahren wuchs die Bevölkerung von 1,2 auf 3,92 Milliarden, d. h. um wenig mehr als den Faktor 3. Der Weltprimärenergieverbrauch stieg während dieses Zeitraumes von etwa 250 Mio. t SKE/a auf 8300 Mio. t SKE/a, d. h. um etwas mehr als den Faktor 32 (10). In Tabelle 2-1 ist der Weltprimärenergieverbrauch für einige ausgewählte Jahre angegeben (11-16); in Abb. 2 - 3 ist diese Entwicklung dargestellt. Die Entwicklung des Primärenergieverbrauchs läßt sich vereinfacht in 3 Phasen einteilen: Bis etwa 1965: Die Deckung des Energiebedarfs erfolgt überwiegend durch Kohle. Von 1965-1970: Das Erdöl entwickelt sich zum Hauptenergieträger. Seit 1970: Der verstärkte Einsatz von Erdgas und die Nutzung der Kernenergie beginnen. Das Wachstum der Weltbevölkerung und das Bestreben der Regierungen, den Lebensstandard der Bevölkerung anzuheben, haben dazu geführt, daß seit 1950 der Primärenergieverbrauch beträchtlich stärker zugenommen hat als die Weltbevölkerung. Nach Statistiken der Vereinten Nationen hat die Bevölkerung der Erde zwischen 1950 und 1975 von fast 2490 Mio. Menschen auf 3920 Mio., also um rd. 66%, zugenommen. In der gleichen Zeit ist aber der Primärenergieverbrauch von 2520 Mio. t SKE/a auf 8300 Mio. t SKE/a, also um rd. 250%, gewachsen (13). Die jährliche Zuwachsrate lag also bei etwa 5%, was einer Verdopplungszeit von rd. 14 Jahren entspricht (siehe Abb. 2-3). Es ist hervorzuheben, daß 60% der Primärenergie von nur 20% der Weltbevölkerung verbraucht werden. So verbrauchte 1975 Westeuropa 21%, die Bundesrepublik Deutschland allein 5% und Nordamerika 36% der Weltprimärenergie. Es zeichnet sich ab, daß das Maximum der Wachstumsrate des Primärenergieverbrauchs pro Jahr in den hochindustrialisierten Ländern überschritten ist. So soll beispielsweise nach dem Energieprogramm des amerikanischen Präsidenten J. Carter die jährliche Wachstumsrate des Primärenergieverbrauchs - von 1950 bis 1970 betrug sie 3,6% pro Jahr - bis 1985 auf weniger als 2% pro 2 Die „überraschungsfreie" Vorhersage B nimmt an, daß Neuerungen und Fortschritt bisheriger Entwicklungen und Trends nicht überraschend kommen, d. h. sie basiert auf der Extrapolation gegenwärtiger oder soeben auftauchender Tendenzen und Erwartungen. 3 Die Vorhersage C beruht vor allem auf dem gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Stand der Technik und vermeidet die Annahme großer künftiger Verbesserungen, wie sie in der Vergangenheit aufgetreten sind.

24

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft ow S "> OC 3 O

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Abb. 2-6: Primärenergieverbrauch, Bruttosozialprodukt und spezifischer Energieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland Quelle: M. Grathwohl: Zukunftsperspektiven der Energieversorgung, Teil I, in: Naturwissenschaftliche Rundschau 30, 2 (1977).

stellt werden. Zwischen 1960 und 1973 war in der Bundesrepublik Deutschland k s = 1,63. Der Stromverbrauch stieg also infolge der wohlstandsbedingten Elektrifizierung der Haushalte und des Verbrauchsanstiegs in der Wirtschaft stärker als das Bruttosozialprodukt. In der Bundesrepublik Deutschland wird damit gerechnet, daß im Zeitraum zwischen 1980 und 1985 k = 0,7 bzw. ks = 1,55 und von 1985 bis 1990 k = 0,6 bzw. k s = 1,43 möglich ist (19). Im Bereich der OECD bestand eine ähnliche Relation zwischen dem Wachstum des PEV und des BSP. Von 1960 bis 1974 nahmen beide Größen etwa gleich

2.2 Z u r Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der W e l t

31

schnell zu, so daß sich k = 0,99 ergab. Von 1974 bis 1985 wird mit k = 0,84 gerechnet (25-27). Obwohl die verschiedenen Länder einen sehr unterschiedlichen PEV/Kopf haben, ist, wie aus Abb. 2-7 ersichtlich, die Beziehung zwischen dem BSP/Kopf und dem PEV/Kopf „weitgehend" linear (28). (Die Abweichungen sind zum Teil durch Klimaunterschiede bedingt.) Die Tatsache, daß der Verbrauch pro Kopf in den U S A mehr als doppelt so groß wie in der Bundesrepublik Deutschland ist, zeigt, daß es gerade in den Vereinigten Staaten noch enorme Möglichkeiten zu rationellerem Einsatz beziehungsweise Einsparung von Energie gibt, denn die „Lebensqualität" in den U S A dürfte nicht um den Faktor 2 größer sein als in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Verdeutlichung der gewaltigen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländergruppen sei noch auf folgendes hingewiesen: Unter den 183 von den -10000

Frankreicho Finnland 0 " Neuseeland o °J"pan

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Sri Lanka

Indonesien 0 o Indien Pakistan o Sudan I I L 0,2

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2 S Primärenergieverbrauch pro Kopf [tSKE/a]

10

20

A b b . 2 - 7 : Zusammenhang zwischen Primärenergieverbrauch pro K o p f und Bruttosozialprodukt pro K o p f für verschiedene Länder im Jahre 1974* * D i e D a t e n wurden entnommen: U N Statistical Y e a r b o o k 1975, U n i t e d Nations, N e w Y o r k 1976. Schweizerische Bankgesellschaft, Zürich.

32

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

Vereinten Nationen im Jahre 1974 erfaßten Staaten hatten 34 einen Pro-KopfVerbrauch von weniger als 100 kg SKE und 83 von weniger als 500 kg SKE (22). Das heißt, etwa die Hälfte aller Staaten der Erde haben einen PEV/Kopf von weniger als 500 kg SKE, was etwa 4% des nordamerikanischen Verbrauches entspricht. Seit den exorbitanten Preissteigerungen bei den Rohstoffen, insbesondere bei dem Primärenergieträger Erdöl, ist es sinnvoll, die Länder der Erde in vier Gruppen einzuteilen: Da gibt es einmal die rohstoffreichen Industrieländer (z. B. USA, Kanada), dann die rohstoffarmen Industrieländer (z. B. Japan). Zur dritten Gruppe gehören die rohstoffreichen Entwicklungsländer, die Länder der sogenannten Dritten Welt (z. B. die OPEC-Staaten, Mexiko). Die Staaten der vierten Gruppe schließlich verfügen weder über eigene Rohstoffe, noch haben sie genug Geld, um sie kaufen zu können. Es sind dies die Ärmsten dieser Welt. Diese Länder der sogenannten Vierten Welt haben einen Anteil an der Welt-Wirtschaftsleistung von rund 3% und an der Weltbevölkerung von etwa 27%. Geographisch erstreckt sich der „Hungergürtel" südlich der Sahara vom Westen Afrikas nach Osten bis einschließlich nach Südasien. Abb. 2-8a zeigt die wichtigsten dieser Länder. Die Vereinten Nationen führen zwei Gruppen besonders armer Entwicklungsländer, die „least developed countries" (LLDC) 4 und die „most seriously affected countries" (MSAC). Die Zugehörigkeit der einzelnen Entwicklungsländer zu den beiden Gruppen überschneidet sich. Die Mehrzahl der Länder der LLDC-Gruppe (25 Länder) gehört auch der MSAC-Gruppe (42 Länder) an. In den MSAC-Ländern mit rund 1,1 Mrd. Menschen betrug 1974 das BSP/Kopf jeweils weniger als 200 US-Dollar, was etwa 4% des nordamerikanischen BSP/Kopf entspricht. Aber selbst innerhalb dieser Staatengruppe sind die Unterschiede noch erheblich. So betrug beispielsweise 1974 das BSP/Kopf in Bangla Desh nur 80, im Sudan 115 und in Afghanistan 90 US-Dollar. Werden noch die 53 Staaten der nächsten Einkommensgruppe von 200 bis 499 US-Dollar mit einer Bevölkerung von etwa 1,2 Mrd. berücksichtigt, so bedeutet dies: In 95 Staaten dieser Erde mit ca. 2,3 Mrd. Menschen betrug das BSP/Kopf weniger als 500 US-Dollar (29, 30). An dieser Stelle soll mit Nachdruck auf das Elend hingewiesen werden, das hinter diesen nackten Zahlen steckt. Nach Schätzungen der FAO 5 litten im Zeitraum von 1969-1971 ca. 460 Mio. Menschen (etwa die Hälfte davon Kinder) an Unterernährung infolge von Proteinmangel. Im Gegensatz zu den genannten Staatengruppen betrug das BSP/Kopf aller OECD-Länder 1974 im Durchschnitt 4500 US-Dollar, das der OPEC-Länder immerhin 525 US-Dollar. Die Unterschiede innerhalb der OPEC-Länder sind 4 5

Das Doppel L steht für den Superlativ von „less". Food and Agriculture Organization of United States.

2.2 Zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt

33

Abb. 2-8a: Die ärmsten Länder der Welt Afrika 1. Mauretanien 17. 2. Senegal 18. 3. Mali 19. 4. Kapverdische Republik 20. 5. Guinea-Bissau 21. 6. Guinea-Republik 22. 7. Sierra Leone 23. 8. Elfenbeinküste 24. 9. Obervolta 25. 10. Ghana 26. 11. Dahome 27. 12. Niger 13. Tschad 14. Ägypten 15.Sudan 16. Zentralafrikanische Rep.

Kamerun Äthiopien Somalia Uganda Ruanda Burundi Kenia Tansania Mocambique Madagaskar Lesotho

Asien 28. Demokratische Volksrep. Jemen 29. Arabische Republik Jemen 30. Afghanistan 31. Pakistan 32. Indien 33. Sri Lanka 34. Bangla Desh 35. Birma 36. Laos 37. Khmer Republik Übrige Länder: 38. El Salvador 39. Haiti 40. Guayana 41. Honduras 42. West Samoa

Diese 42 Länder zählen die Vereinten Nationen zu den „most seriously affected countries" (MS AC). Quelle: K. Hiifner, J. Naumann, Politik in Schaubildern, Heft 7, Neue Weltwirtschaftsordnung?, Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Berlin 1976, nach Globus-Kartendienst Hamburg G 2056.

34

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft Erdölförderung in Mio. t I 520 1 460 i 428 1 294 1 119 i 107 i

92

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Saudi-Arabien

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~ i 108 ~i 102

UdSSR

USA

Katar Australien Argentinien Oman Welterdölförderung 1976: 2922 Mio. t

Abb. 2-8b: Die größten Erdölproduzenten im Jahre 1976* * Die Daten wurden Oeldorado 76, Informationsprogramm der Esso AG, Hamburg, März 1977 entnommen.

enorm groß. An der Spitze liegen die bevölkerungsarmen Staaten am Persischen Golf. So zum Beispiel betrug das BSP/Kopf 1974 in Kuwait 8500, in Katar 12 000 und in Abu Dhabi 22 000 US-Dollar. Dagegen haben einige ölländer heute noch ein niedriges BSP/Kopf, wie beispielsweise Indonesien mit 155 USDollar (31) 6 . Das Problem des Nord-Süd-Konflikts ist kein „neues" Problem. Die politischen Verhältnisse haben sich aber grundlegend geändert. Durch den wirtschaftlichen Zusammenschluß von Ländern, die nachrichtentechnische Entwicklung usw. ist die Welt „kleiner" geworden. Parallel hierzu ist es den wirtschaftlich schwachen Ländern in den Vereinten Nationen gelungen, die Weltöffentlichkeit auf ihre vitalen Probleme aufmerksam zu machen. Dieser Entwicklungsprozeß wurde durch eine veränderte Mitgliederstruktur der Vereinten Nationen begünstigt. Von 1959 bis September 1976 erhöhte sich die Zahl der UN-Mitgliedstaaten von 83 auf 145. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich seit 1965 die Zahl der westlichen Industrieländer sowie die der sozialisti6

Einem Bericht der Weltbank zufolge ist der Lebensstandard 1975 in den meisten Ländern der Erde zurückgegangen. Eine Ausnahme bildete nur eine kleine Gruppe erdölexportierender Staaten. Das BSP/Kopf stieg zwar 1975 in vielen Staaten, auch in den ärmsten Entwicklungsländern, durch die Inflation sank aber der Lebensstandard in vielen Ländern. Einige Beispiele für das BSP/Kopf im Jahre 1975: U S A 7060 US-Dollar, Kuwait 11 510 US-Dollar, VR China 350 US-Dollar. In 26 Ländern lag das BSP/Kopf immer noch unter'200 US-Dollar. Beispiele sind: Obervolta 90 US-Dollar, Mali, Ruanda je 100 US-Dollar, Burundi, Somalia, Äthiopien, Bangla Desh, Birma je 110 US-Dollar, Indien 150 US-Dollar (32).

2.2 Zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt

35

sehen Länder unwesentlich geändert hat, so daß im September 1976 ca. 75% der UN-Mitgliedstaaten den Entwicklungsländern zuzuordnen waren (33). Diese Ausführungen zeigen unstrittig, daß ein überwiegender Teil der Staaten dieser Erde einen enormen Nachholbedarf an Wirtschaftswachstum hat (34-37). Es bietet sich an, insbesondere energie- und rohstoffintensive Güterproduktionen in den rohstoffreichen Entwicklungsländern und - soweit möglich in den Ländern der Vierten Welt durchzuführen. Vergleicht man die geographische Lage der 19 größten Erdölproduzenten des Jahres 1976 (Abb. 2-8b) mit den Ländern der Vierten Welt, so ist festzustellen, daß - von unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen einmal abgesehen - 15 der größten Förderländer gemeinsame Landesgrenzen mit einem oder mehreren Staaten der Vierten Welt haben. (Ausnahmen sind: USA, Kanada, Australien, Argentinien) (38). Die günstige geographische Lage der Länder der Vierten Welt bezüglich der Ölförderländer sollte genutzt werden. Dies könnte zum Beispiel dadurch geschehen, daß in verstärktem Maße energie- und rohstoffreiche Güterproduktionen von Industriestaaten auch in diese Entwicklungsländer verlagert werden. Der weite Transport könnte sich dann z. B. auf höherwertige Ölprodukte beschränken 7 (siehe Abb. 3-6). 2.23

Prognosen zum Weltprimärenergiebedarf

Aufgrund der in 2.21 und 2.22 dargestellten Zusammenhänge zwischen Primärenergieverbrauch, Bevölkerung, Bruttosozialprodukt ist es möglich, Prognosen über den zukünftigen Primärenergiebedarf zu erstellen. Neben diesen Größen sind aber eine Reihe anderer Faktoren für die Entwicklung des zukünftigen Bedarfs von Bedeutung. Beispiele hierfür sind: die Verfügbarkeit von Primärenergieträgern, ihre Preise, die Energiepolitik einzelner Staaten beziehungsweise von Staatengruppen, das Verbraucherverhalten, die technologische Entwicklung usw. Um den zu erwartenden Primärenergiebedarf eines Landes zu ermitteln, wird beispielsweise zunächst der Endenergieverbrauch der Verbrauchssektoren Industrie, Verkehr, Haushalt und Kleinverbraucher untersucht. Hierzu werden Annahmen über die Wachstumsraten und die Anteile der einzelnen Energieträger an der Bedarfsdeckung gemacht. Aus dem Endenergieverbrauch wird unter

7 Es sei hier schon erwähnt, daß die Werte für die durchschnittliche Sonnenscheindauer in Stunden pro Jahr in vielen Ländern der Vierten Welt besonders günstig sind. Somit besitzen diese Länder eine zukunftsträchtige Energieressource. Deshalb bietet sich im Zusammenhang mit der Nutzung der Sonnenenergie eine Kooperation zwischen Westeuropa und dem Wüstengürtel Nordafrikas an (vgl. 3.373).

36

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

Berücksichtigung der Umwandlungsverluste durch Energiebilanzen der Primärenergieverbrauch bestimmt (39, 40). Aufgrund der vielschichtigen Einflußfaktoren ist der zukünftige Energiebedarf außerordentlich schwer prognostizierbar. Dies wurde besonders durch die Preis- und Verknappungspolitik der OPEC-Länder nach dem 17. Oktober 1973 am Primärenergieträger Erdöl deutlich, was zur Folge hatte, daß 1974 und 1975 der Ölverbrauch weltweit zurückging. Außerdem zeigen die wiederholt in fundamentalen Punkten revidierten Energieprogramme einzelner Staaten, daß es für Regierungen außerordentlich schwer ist, die für ihr Land angemessene Energiekonzeption zu entwickeln. Dies wird besonders offensichtlich, wenn man das von Präsident R. Nixon am 23. 1. 1974 verkündete Energieprogramm „Project Independence", dessen Ziel es sein sollte, die Vereinigten Staaten energiewirtschaftlich autark zu machen (41), mit der von Präsident J. Carter am 18. 4. 1977 dem amerikanischen Volk präsentierten Konzeption, die den Akzent auf Maßnahmen zur Energieeinsparung setzte, vergleicht. Ähnliches läßt sich am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland aufzeigen. Der für die Bundesrepublik im Energieprogramm 1973 (42) prognostizierte Primärenergieverbrauch wurde nach der Ölkrise in der „Ersten Fortschreibung des Energieprogramms 1974" bereits für das Jahr 1985 um 9% nach unten revidiert (43). Die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere der Jahre 1974 und 1975, hatte jedoch zur Folge, daß die Voraussagen des zukünftigen Energiebedarfs für 1985 erneut um etwa 10% zurückgenommen werden mußten (19, 44). Dabei wurden nicht nur die quantitativen Aussagen revidiert, sondern es zeigte sich auch, daß das energiepolitische Ziel, den Mineralölanteil an der Energieversorgung zurückzudrängen und den Anteil der Kernenergie entsprechend auszuweiten, aus mehreren Gründen in dem ursprünglich angestrebten Maße nicht realisierbar ist (45). Daß die Möglichkeiten für einen baldigen größeren Einsatz der Kernenergie zur Energieversorgung in vielen hochentwickelten Industriestaaten überschätzt wurden, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre. Die Widerstände in allen Schichten der Bevölkerung gegen die Kernenergie, insbesondere gegen bestimmte Entwicklungslinien, wie beispielsweise der Brüter-Technologie, sind in vielen Ländern groß. In diesem Zusammenhang sei auf die Diskussion in Europa, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland und in Schweden 8 , und in den Vereinigten Staaten hingewiesen (35, 46). Der prognostizierte Primärenergieverbrauch in der Welt bis zum Jahre 2000 sowie dessen strukturelle Entwicklung ist in Abb. 2 - 3 beziehungsweise Tabelle 2 - 1 dargestellt. Daraus ist zu entnehmen, daß die Prognosen eine beträchtliche Schwankungsbreite haben, was u. a. durch die oben gemachten Ausführungen 8

Die 8 Mio. Schweden verbrauchten 1976 genausoviel elektrische Energie wie die 560 Mio. Inder, nämlich rd. 440 TWh.

2.2 Zur Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in der Welt

37

zu erklären ist. Die Diskrepanz in den Voraussagen für das Jahr 2000 entspricht etwa dem Primärenergieverbrauch der Welt des Jahres 1970 9 . Die neueren Prognosen für das Jahr 2000 liegen meist in der Größe um 20 Mrd. t SKE/a. Den Vorhersagen ist aber gemeinsam, daß bis zum Jahre 2000 die fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle weltweit die Grundlage der Energieversorgung bilden werden. Insbesondere wird Erdöl bis zum Jahre 2000 der wichtigste Primärenergieträger bleiben. Außerdem gehen alle Prognosen davon aus, daß die Kernenergie die stärkste Zuwachsrate haben wird. Inzwischen ist es allgemeine Auffassung, daß trotz großer Anstrengungen neue Energieträger beziehungsweise Energieversorgungssysteme wie zum Beispiel Gezeitenenergie, Windenergie, geothermische Energie, Wasserstoff als Sekundärenergieträger bis zum Jahre 2000 bestenfalls lokale aber nicht weltweite Bedeutung erlangen werden. Dagegen scheint sich bei der Beurteilung der Sonnenenergienutzung eine Wende anzubahnen. In vielen Ländern setzt sich mehr und mehr die Auffassung durch, daß diese Energieform sobald wie möglich zur Energiebedarfsdeckung eingesetzt werden muß. Laut EG-Projektionen sollen beispielsweise im Jahre 2000 5 - 1 0 % des Primärenergiebedarfs durch Sonnenenergie gedeckt werden. Die E R D A (Energy Research and Development Administration) rechnet im Jahre 2000 in den USA mit einem Sonnenenergieanteil am Primärenergieverbrauch von 6%, und im Jahre 2020 sollen bereits rd. 1,5 Mrd. t SKE oder 25% durch Sonnenenergie gedeckt werden. Auch in Japan läuft unter der Bezeichnung „Sun-shine Project" ein staatlich gefördertes Forschungs- und Entwicklungsprogramm (47). Geht man davon aus, daß im Jahre 2000 der Anteil der Sonnenenergie an der Energieversorgung weltweit etwa 6% (1,1 Mrd. t SKE bei einem angenommenen Primärenergiebedarf von 17,9 Mrd. t SKE) beträgt, so könnte der Beitrag anderer Energieträger zur Bedarfsdeckung entsprechend geringer sein. (In den in Tabelle 2 - 1 dargestellten Prognosen ist ein möglicher Anteil der Sonnenenergie nicht berücksichtigt.) Wegen der vielschichtigen Einflußgrößen auf die zukünftige Bedarfsentwicklung der Primärenergieträger ist es einleuchtend, daß es noch schwieriger ist, über das Jahr 2000 hinaus Prognosen zu erstellen. Eine auf der 10. Welt-Energiekonferenz (19. bis 23. 9. 1977) in Istanbul vorgelegte Studie der Kommission für Energieeinsparung, die auf der 9. Welt-Energiekonferenz 1974 in Detroit gebildet worden war, kommt zum Schluß, daß in weniger als 50 Jahren der Energiebedarf der Welt sechs- bis siebenmal so groß sein wird wie heute und zu 57% durch Kernenergie gedeckt werden müsse. H. Kahn prognostiziert für das Jahr 2176 einen Primärenergieverbrauch von 3,60 Q/a (1 Q = 3,62 10 1 0 t 9

Den Prognosen liegen u. a. unterschiedliche Annahmen über Wirtschaftswachstum, Energieeinsparungen sowie Preisentwicklung einzelner Primärenergieträger zugrunde.

38

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

SKE ~ 1018 kJ) (siehe Tabelle 2-5) (48). Dabei wird angenommen, daß sich ein neues „Energiebewußtsein" entwickelt und sich die Umwandlung und Nutzbarmachung von Energie allmählich immer wirkungsvoller gestaltet. Der Energiebedarf wird daher nicht so schnell wachsen wie das BWP (Bruttoweltprodukt). Das heißt, in den nächsten 200 Jahren soll demzufolge der Primärenergiebedarf um etwa das 15fache und das BWP um das 60fache zunehmen. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man durch ein einfaches Modell. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Primärenergieverbrauch betrug 1976 in der Bundesrepublik Deutschland 6,0 t SKE 10 . Geht man davon aus, daß die anderen Staaten der Erde ungefähr dieselbe Entwicklung nachvollziehen, die die hochentwickelten Staaten hinter sich haben, legt man also bei einer Weltbevölkerung von rd. 15 Mrd. um das Jahr 2076 diesen Pro-Kopf-Verbrauch zugrunde, so hätte das einen Weltprimärenergieverbrauch von rd. 2,5 Q/a zur Folge (siehe Tabelle 2-5). Man wird einwenden, daß es sich hier um eine hypothetische Betrachtungsweise handelt, da der Primärenergieverbrauch der hochentwickelten Industriestaaten, wenn auch in beträchtlich geringerem Maße als bisher, in den nächsten Jahrzehnten noch zunehmen wird. Es ist aber zu berücksichtigen, daß, wie bereits ausgeführt, um das Jahr 2076 etwa 84% der Bevölkerung in den heutigen Entwicklungsländern leben werden und in den meisten dieser Länder nicht, wie beispielsweise in der Bundesrepublik, rund 40% der Endenergie für Raumheizung aufgewendet werden müssen. Das heißt, es ist ein vergleichbarer Lebensstandard mit einem beträchtlich niedrigeren Primärenergieverbrauch pro Kopf realisierbar. Tabelle 2 - 5 : Prognostizierte Entwicklung des Weltprimärenergiebedarfs Bevölkerung in Mrd.

BWP'/Kopf in US-Dollar

Verbrauch pro Jahr

Jahr 1975 1985 2000 2025 2076 2126 2176

4,0 5,0 6,6 9,3 14,6 15,0 15,0

1 1 2 5 10 15 20

300 700 600 600 400 200 000

0,25 0,35 0,60 1,20 2,40 3,20 3,60

Q Q Q Q Q Q Q

Kummulativer Verbrauch seit 1975 —

3 10 30 115 240 400

Q Q Q Q Q Q

(1 Q = 3,62 10 1 0 t SKE). ' Bruttoweltprodukt. Quelle: H. Kahn, Vor uns die guten Jahre, Verlag Fritz Molden: Wien-München-Zürich-Innsbruck 1977. 10

Da bei vergleichbarer „Lebensqualität" der Pro-Kopf-Verbrauch in der Bundesrepublik Deutschland nur halb so groß ist wie in den USA, wurde dieser Wert als Bezugsgröße gewählt.

2.3 Aspekte der Energiewirtschaft

2.3

Aspekte der Energiewirtschaft

2.31

Zur Entwicklung der Energiewirtschaft

39

Die wirtschaftliche Entwicklung im vergangenen Jahrhundert war nur durch die Erfindung orts- und zeitunabhängiger Antriebsmaschinen sowie durch die Bereitstellung großer Mengen kostengünstiger Primärenergieträger möglich. Die Ansiedlung von Großindustrien orientierte sich deshalb häufig an der geographischen Lage der Primärenergieträger. Dem Stand der Energietechnologie entsprechend war die Steinkohle in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in allen hochentwikkelten Industriestaaten Ausgangsbasis für die Industrialisierung. Erst durch die Steinkohle als Reduktionsmittel im Hochofen wurde der Aufbau einer eisenschaffenden Industrie in Westeuropa, Japan, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion möglich. In China, Indien, Polen und der Tschechoslowakei hat die Steinkohle beim Industrialisierungsprozeß heute noch eine entscheidende Bedeutung. Demzufolge entstand die Schwerindustrie häufig in den großen Steinkohlengebieten der Erde. Folgende Beispiele seien hier angeführt: Ruhr- und Saargebiet (Bundesrepublik Deutschland); Yorkshire, Nottinghamshire, Durham (Großbritannien); Lothringen (Frankreich); Beuthen, Kattowitz (Polen); Donezbecken, Kusnezk, Karaganda (UdSSR); Pensylvania, Virginia, Kentucky (USA); Chikugo, Ishikari (Japan); Bihar, Bengal (Indien) (49). Mit fortschreitender Entwicklung der Industriekerne nahm meist deren Energiebedarf zu. Zur weiteren Bedarfsdeckung wurden dann oft neue Lagerstätten in der Nähe erschlossen, weil entweder die ursprünglichen Vorkommen ausgebeutet waren beziehungsweise nicht mehr wirtschaftlich abgebaut werden konnten, oder weil die Produktion zur Deckung des Energiebedarfs nicht mehr ausreichte. Die Einbeziehung immer entfernter gelegener Primärenergielagerstätten in die energiewirtschaftliche Nutzung war häufig von einer Verlagerung besonders energieintensiver Industriezweige begleitet. Diese zogen Komplementärindustrien nach sich, wodurch ein neuer Industrie-Randkern entstand, der sich mehr und mehr vom Hauptkern trennte und sich zu einem neuen selbständigen Industriezentrum entwickelte. Der oben beschriebene Entwicklungsprozeß ist in vielen Fällen nachvollziehbar. So zum Beispiel begann die Industrialisierung der Moskauer Region (Industriekern) mit der Erschließung der dort vorhandenen Kohlereserven. Der erste energetische Industrie-Randkern war das Donezbecken, das sich dann zum neuen Hauptkern entwickelte. Der Randkern Ural, wo es vor der Revolution eine metallurgische Industrie auf Holzkohlebasis gab, fand sein Ergänzungsgebiet im 2000 km entfernten Kusnezk-Becken. Es folgte die Nutzbarmachung der Karaganda-Kohle, des Fergana-Lagers usw. (50). Auf der Basis des

40

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

Primärenergieträgers Erdöl sind in der Sowjetunion ähnliche Schritte nachweisbar. Aufgrund anderer geographischer Randbedingungen vollzog sich dieser Entwicklungsprozeß in kleineren Ländern zum Teil auf beträchtlich engerem Raum. 11 In wachsendem Maße wurden die fossilen Primärenergieträger Kohle, Erdöl und Erdgas auch als Rohstoffe eingesetzt. So entstand beispielsweise in der Anfangsphase der Industrialisierung häufig bei Stein- und Braunkohlelagern eine chemische Industrie. Immer mehr wurde aber das Erdöl Rohstoffbasis für diesen Industriezweig, und die verschiedenen Erdölprodukte waren wieder Ausgangsstoffe für ganz neue Industrien. So hat die Erfindung vielfältiger neuer Produkte in der chemischen Industrie eine Substitution von vollkommen anderen Rohstoffen, wie zum Beispiel Metallerze (Metalle) durch Erdöl (Kunststoffe), gebracht. Diese Entwicklung wird auf absehbare Zeit anhalten, und es ist aus mehreren Gründen, auf die hier nicht eingegangen werden soll, für die Menschheit viel schwieriger, das Erdöl als Rohstoffträger zu ersetzen, denn als Energieträger. Auch für das Entstehen anderer Industrien war das Vorhandensein kostengünstiger Energie oft ausschlaggebend. So wurden beispielsweise oft Aluminiumwerke oder andere energieintensive Bereiche der Elektrometallurgie in der Nähe von Wasserkraftwerken angesiedelt. Mannigfache Änderungen in den Energietechnologien sowie im Preisgefüge und Angebot einzelner Energieträger führten dazu, daß für die energiewirtschaftliche Entwicklung andere determinierende Faktoren so entscheidend wurden, daß Primärenergielagerstätten in der Nähe oder im eigenen Lande nicht einmal mehr unabdingbare Voraussetzung einer Industrialisierung waren. Solche für die Energiewirtschaft wichtige Faktoren sind: das Verkehrs- und Transportsystem, geologische, klimatische, demographische, ökologische sowie außerökonomische Faktoren. In Japan beispielsweise hat sich eine bedeutende Stahlindustrie entwickelt, obwohl gerade dieser Industriezweig besonders energieintensiv und Japan fast ausschließlich auf den Import von Kokskohle und Erzen aus Übersee angewiesen ist. Dieser Sachverhalt war ausschlaggebend für die Wahl der Meeresküsten als Standort der Stahlindustrie, denn dadurch ließ sich die Ein- und Ausfuhr der Massengüter zu minimalen Kosten verwirklichen. Das Problem der Energiefernversorgung konnte immer besser durch den Aufbau eines Fernstromversorgungsnetzes im nationalen und internationalen Elektrizitätsverbund gelöst werden. Hinzu kamen ein zum Teil trans- und interkontinental verlaufendes Pipelinesystem für den Erdöl- beziehungsweise Erdgastransport sowie der Bau von Großtankern für den Rohöl- und Flüssig" In Niedersachsen (Bundesrepublik Deutschland), Ostfrankreich, England (Corby) und Schweden wurden Erzlagerstätten zur Basis von Hüttenwerken, die ihre Existenz mit Erfolg auf die Verhüttung preiswerter regionaler Rohstoffe gründeten.

2.3 Aspekte der Energiewirtschaft

41

gastransport. Dies hatte zur Folge, daß sich meist die bisherigen industriellen Standorte weit besser fortentwickeln konnten, als es aufgrund der örtlichen und regionalen Primärenergielagerstätten möglich gewesen wäre. (Der wirtschaftliche Erdöl- und Gastransport in Pipelines war u. a. ein wesentlicher Grund dafür, daß Erdöl und Erdgas die Kohle als Energieträger in vielen Bereichen weitgehend verdrängt haben (vgl. 3.323 und 3.333)). Die Möglichkeit, Erdöl in Rohrleitungen kostengünstig zu transportieren, führte zum Beispiel in vielen Ländern dazu, daß die Raffinerien nicht mehr bei den Rohölquellen errichtet wurden (Rohst off Orientierung), sondern daß man die Raffineriestandorte in die Nähe der Verbrauchszentren legte (Verbrauchsorientierung). Diese Tendenz wurde durch den starken Zuwachs des Verbrauchs an Erdölfolgeprodukten und die immer stärkere Verwendung von Heizöl begünstigt und war selbst in so unterschiedlichen Ländern wie der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten. Dabei ist festzustellen, daß wegen der geringeren geographischen Ausdehnung die Bedingungen für diese Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland besonders günstig waren. So hatte beispielsweise bis 1962 südlich der Main-Linie noch keine Erdölverarbeitung stattgefunden, aber bereits 1967 lagen etwa 44% der Raffineriekapazitäten der Bundesrepublik südlich des Mains. Hierdurch wurde erreicht, daß die Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland kaum mehr als 120 km von der nächsten Raffinerie entfernt sind. Aufgrund geologischer Bedingungen können die Aufwendungen für Erschließung und Förderung von Primärenergieträgern sowohl bei Kohle als auch bei den Kohlenwasserstoffen Erdöl und Erdgas sehr unterschiedlich sein. So gibt es zum Beispiel im Mittelwesten der Vereinigten Staaten Kohlefelder riesigen Ausmaßes, die an der Erdoberfläche liegen und mit geringem Aufwand erschlossen, gewonnen und gefördert werden können. In Westeuropa dagegen sind im allgemeinen die diesbezüglichen Aufwendungen für Steinkohle verhältnismäßig hoch. Deshalb ist hier die Einfuhr dieses Energieträgers unter Umständen wesentlich billiger als die Erschließung neuer Lagerstätten oder der Abbau von Vorkommen in großen Tiefen. So führte zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland trotz eines zeitweiligen Produktionsüberschusses an Kohle und Kapazitätsverminderungen - von 1957 bis 1974 wurden insgesamt 105 Schachtanlagen stillgelegt - , Steinkohle aus den Vereinigten Staaten ein, was insbesondere für küstennahe Standorte kostengünstig ist. Die Bundesrepublik importierte 1976 beispielsweise 13% der benötigten Steinkohle. Ähnlich liegen die Verhältnisse beim Erdöl. Die Erschließungskosten des Nordseeöls sind um ein Vielfaches höher als die im Nahen Osten. Da die Industriestaaten bis zur Ölkrise im Herbst 1973 billiges Erdöl in großen Mengen auf dem Weltmarkt beziehen konnten, wurde eigenen Lagerstätten, die aufgrund geologischer Faktoren nicht abbauwürdig waren, keine allzu große Beachtung geschenkt. Durch die ölpreispolitik der OPEC-Länder

42

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

ist dies anders geworden. Zwar mußten zur Überwindung widriger geologischer Bedingungen zum Teil neue Technologien (Offshore-Technologie) und Fördertechniken (sekundäre-, tertiäre Fördermethoden) entwickelt werden, jedoch haben durch die zeitweilige Verknappungspolitik der OPEC-Länder während des Höhepunktes der Ölkrise Aspekte der Versorgungssicherheit die Entwicklung neuer Technologien in den Industriestaaten beschleunigt (vgl. 3.323). Es gibt eine Reihe von Staaten, die in klimatisch besonders ungünstigen Gebieten - im hohen Norden - über große Primärenergielagerstätten verfügen und diese neuerdings erschließen beziehungsweise schon abbauen: Es sind dies die Vereinigten Staaten, die in Alaska enorme Erdölreserven haben, Kanada, die Sowjetunion (51) und die skandinavischen Länder. Norwegen beginnt bereits über das Gebiet der Nordsee hinaus, im Bereich der Barents-See, seine Schelfgebiete zu explorieren. Die Nordgebiete von Alaska, Kanada und der Sowjetunion waren bisher gleichermaßen schwach oder gar nicht besiedelt (demographische Faktoren). Die Ausgangssituation ist also sehr ähnlich. Für den Norden Kanadas und Alaskas ist charakteristisch, daß man bei der Erschließung der Energievorkommen bemüht ist, den Einsatz des Arbeitsfaktors minimal zu halten und die Produktion soweit wie möglich zu automatisieren. Dies bedingt eine starke Begrenzung der Komplementärindustrien auf das wirklich Notwendige. Das heißt, die für die Produktion erforderlichen Materialien wie zum Beispiel Maschinen, Fertigbauten für Arbeitskräfte werden zum Teil eingeflogen, und Reparaturwerkstätten beschäftigen sich im wesentlichen mit dem Austausch von Maschinenteilen. Im Gegensatz hierzu werden in den nördlichen sowjetischen Erschließungsgebieten häufig Komplementärindustrien wie zum Beispiel die Bauindustrie angesiedelt. Die Auswüchse einer zum Teil regional stark konzentrierten Industrieansiedlung hatten zur Folge, daß ökologische Faktoren in aller Welt zunehmende Beachtung fanden (52-55). Von dieser Entwicklung war besonders die Energiewirtschaft betroffen. Hierzu gehören u. a. alle Bereiche, in denen aus Primärenergieträgern veredelte Energieträger hergestellt werden - ein Beispiel ist die Kraftwerkswirtschaft - , gleich ob fossile Primärenergieträger oder Kernbrennstoffe eingesetzt werden (56-58). Nicht nur bei den verschiedensten Veredelungsprozessen spielen ökologische Faktoren eine Rolle, sondern auch bei der Gewinnung beziehungsweise beim Transport von Primärenergieträgern, insbesondere beim Rohöl. In diesem Zusammenhang seien noch die besonderen Probleme der Offshore-Technologie erwähnt, die bei der Exploration, der Verladung von ö l auf Tanker und beim Transport durch im Meer liegende Pipelines auftreten (59). Die für die energiewirtschaftliche Entwicklung relevanten Faktoren sind nicht unabhängig voneinander. Viele Gebiete mit großen Primärenergielagerstätten haben ein unzureichend ausgebautes oder gar kein Verkehrs- und Transportsystem, ein ungünstiges Klima und eine unausgeglichene demographische Struk-

2.3 Aspekte der Energiewirtschaft

43

tur. Beispiele hierfür sind große Gebiete des asiatischen Landesteiles der Sowjetunion und des nordamerikanischen Kontinents. In einigen Fällen ermöglichte es jedoch die technologische Entwicklung, daß selbst unter extrem widrigen natürlichen Bedingungen, Primärenergielagerstätten abgebaut werden konnten. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß auch außerökonomische Faktoren für die energiewirtschaftliche Entwicklung ausschlaggebend sein können. Aufgrund der fundamentalen Bedeutung der Energieversorgung für eine Volkswirtschaft wurden häufig durch nationale Energieprogramme und Energiegesetze die einheimischen Primärenergieträger unterstützt. In der Bundesrepublik Deutschland sind hier als Beispiele zu nennen: das Gesetz zur Förderung der Verwendung von Steinkohle (1. Verstromungsgesetz) vom August 1965, das Gesetz zur Sicherung des Steinkohleneinsatzes in der Elektrizitätswirtschaft (2. Verstromungsgesetz) vom September 1966, das Gesetz über die weitere Sicherung des Einsatzes von Kohle aus den EG-Staaten in der Elektrizitätswirtschaft (3. Verstromungsgesetz) von 1974, das Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störungen der Einfuhren von Mineralöl und Erdgas (Energiesicherungsgesetz) vom November 1973 und das Energieforschungsprogramm der Bundesregierung vom Februar 1974 (Forschungen auf den Gebieten der Kohlevergasung, Kohleverflüssigung, Bergbautechnik, Prospektionstechnologie und Energieverwendung). Darüber hinaus können auch, wie das Beispiel Sowjetunion zeigt, strategische Faktoren für energiepolitische Entscheidungen maßgebend sein. Die für eine Energiewirtschaft bedeutenden Faktoren sind grundsätzlich unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftssystem, obwohl sie durchaus in verschiedenen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen einen unterschiedlichen Stellenwert haben können. So haben ökologische Belastungen sowohl in hochentwickelten Systemen, die vorwiegend an Prinzipien der freien Marktwirtschaft orientiert sind, als auch in planwirtschaftlich ausgerichteten Systemen regional ein gefährliches Ausmaß erreicht (61). In Wirtschaftssystemen, die an der freien Marktwirtschaft orientiert sind, streben die Unternehmen systembedingt danach, Gewinne zu machen. Dieses Motiv zwingt dazu, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Lange Zeit konnten die Unternehmen die Umweltkosten auf die Allgemeinheit abwälzen und mußten diese bei der Preiskalkulation nicht berücksichtigen. Selbst wenn eingeräumt wird, daß in planwirtschaftlich orientierten Wirtschaftssystemen das Gewinnmotiv nicht im Vordergrund steht, so haben die Unternehmen doch die Aufgabe, Kosten zu minimieren. Unter dem Druck, ehrgeizige Planziele zu erreichen, wurden auch hier die lästigen Umweltkosten meist übersehen und abgeschoben. Denn diese binden Produktionskräfte, die auf dem Wege zu einer stärkeren Industrialisierung vermeintlich viel dringender benötigt werden. Wenn die ökologische Belastung im Osten in einzelnen Bereichen noch kleiner ist als in den westlichen Industriestaaten, so

44

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

liegt der Grund dafür weitgehend am beträchtlich geringeren Lebensstandard. In den dicht besiedelten Ländern Westeuropas mit einem hohen Energieverbrauch pro Kopf und einer starken Motorisierung werden Luft und Gewässer naturgemäß stärker belastet als in den zum Teil dünn besiedelten Staaten des Ostblocks, wo der Energieverbrauch pro Kopf beträchtlich geringer ist und das Auto nicht zum allgemeinen Konsumgut zählt. Viele ökologische Probleme sind in den hoch entwickelten Industriestaaten zwar spät, aber in den letzten Jahren doch klar erkannt worden. Nur so lange können Unternehmen volkswirtschaftliche Kosten abwälzen, wie der Staat dies zuläßt. Wenn der Staat die entsprechende Berücksichtigung erzwingt und bei Verstößen gesetzliche Sanktionen festlegt, müssen Unternehmen die von ihnen verursachte Umweltbelastung in die Kostenrechnung und Preiskalkulation einbeziehen (61). Diese Absicht liegt dem in verschiedenen Industriestaaten der freien Welt geltenden Verursacherprinzip zugrunde. Darüber hinaus besteht die zwingende Notwendigkeit, umweltfreundliche Technologien zu entwickeln. Es ist offensichtlich, daß Umweltprobleme, vor allem in Westeuropa, internationalen Charakter haben. Wind, Weltmeere und Flüsse kennen keine Landesgrenzen. Aus diesem Grunde ist zur Lösung ökologischer Probleme eine internationale Zusammenarbeit unabdingbare Notwendigkeit. Diesem Tatbestand hat auch die N A T O Rechnung getragen. Sie verfügt über entsprechende Mittel und organisatorische Einrichtungen und hat als internationale Organisation, der die meisten der großen Industrienationen angehören, für diese Aufgaben günstige Voraussetzungen. Bei der Unterzeichnung des Nordatlantikvertrages am 4. April 1949 verpflichteten sich 12 europäische und nordamerikanische Nationen - heute sind es 15 Staaten - , einen bewaffneten Angriff auf eine dieser Nationen als Angriff auf alle zu betrachten. Außer Regelungen, die sich mit der Bedrohung durch einen Krieg und dem Verfahren zur Beilegung internationaler Probleme befassen, enthält Artikel 2 des Nordatlantikvertrages ein Friedensprogramm. Darin kommt insbesondere zum Ausdruck, daß die N A T O mehr sein müsse als ein reines Militärbündnis (62). Zwanzig Jahre nach der Vertragsunterzeichnung, am 6. November 1969, beschloß der Nordatlantikrat die Schaffung eines NATO-Umweltausschusses (Committee on the Challenges of Modern Society = CCMS), der seitdem regelmäßig getagt hat, so zum Beispiel während der 2. Internationalen Fachmesse - Technik im Umweltschutz (Envitec), anfangs Februar 1977 in Düsseldorf. Der Aufgabenstellung des NATO-Umweltausschusses liegen folgende grundsätzliche Überlegungen zugrunde: 1. Bei jedem konkreten Vorhaben hat ein Land die Federführung und somit die Verantwortung für ein Projekt das vom Umweltausschuß als lohnend festgestellt worden ist. 2. Die Konzeption des Umweltausschusses ist auf konkrete Maßnahmen ausgerichtet und nicht auf Forschungsarbeiten. E s werden vorhandene Erkenntnis-

2.3 Aspekte der Energiewirtschaft

45

se gesammelt. Den NATO-Mitgliedern werden Tatsachen und Empfehlungen vorgelegt, die dadurch zu konkreten Maßnahmen angeregt werden sollen. 3. Die Arbeitsergebnisse des Umweltausschusses sind allgemein zugänglich, kein Dokument trägt irgendeine Geheimhaltungsstufe. So haben die Vereinigten Staaten beispielsweise die Sowjetunion und andere Nichtmitglieder der NATO eingeladen, an Tagungen teilzunehmen. Die zunehmende Verschmutzung der Ozeane, insbesondere durch ö l , hat ein gefährliches Ausmaß erreicht (63). Schätzungsweise fließt jährlich 1 Million t ö l aus Abwasserleitungen, Tankerlecks und Bohrlöchern ins Meer. Am 18. März 1967, als der öltanker „Terrey Canyon" an der Südwestspitze Englands auf ein Riff lief, flössen allein ca. 110 000 t Rohöl ins Meer. Weitere Unglücksfälle, bei denen sich dieselbe Größenordnung ö l ins Meer ergoß, ereigneten sich im Mai 1976 vor der nordspanischen Küste (Tanker „Urquiola"), im Dezember 1976 bei Philadelphia (Tanker „Olympic Games") und im März 1978 bei Brest (Tanker „Amoco Cadiz"). Wegen der großen Diskrepanz zwischen Förderung und Verbrauch von Erdöl in den einzelnen Wirtschaftszentren sind die Welthandelsströme dieses Energieträgers besonders für die Staaten der freien Welt als Hauptverbrauchszentren von vitaler Bedeutung. Rund jede zweite auf der Welt geförderte Tonne Rohöl wird auf dem Seeweg vom Förderland in die Verbrauchszentren transportiert (siehe Abb. 3-6) (63). Die Offshore-Katastrophe im Ölfeld Ekofisk, im April 1977, bei dem mehrere hunderttausend Liter Öl in die Nordsee flössen, hat gezeigt, mit welchen ökologischen Risiken die Nutzbarmachung der Offshore-Reserven verbunden ist. Der weltweite Offshore-Anteil an der Erdölförderung, der derzeit etwa 17% beträgt, wird auf etwa 50% im Jahre 2000 ansteigen. Diesem Gefahrenpotential für die Weltmeere muß deshalb in Zukunft noch mehr Beachtung geschenkt werden, zumal die Nordsee nach dem Persischen Golf das zweitgrößte Offshore-Gebiet der Welt ist (64). Bedenkt man, daß etwa 80% des auf der ganzen Welt transportierten Öls in Tankern der NATO-Staaten befördert werden und daß die Förderländer des Nordseeöls auch der NATO angehören, so wird deutlich, daß die verstärkte Zusammenarbeit unter diesen Ländern, hinsichtlich der zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen, ein großer Schritt auf dem Wege zur Lösung eines globalen Umweltproblems ist (62).

46

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

2.32

Der zukünftige Investitionsbedarf der Energiewirtschaft

2.321

Investitionsbedarf der Mineralölwirtschaft

Die Vervierfachung des Rohölpreises in rund 2 Jahren nach dem Oktober 1973 sowie die zeitweilige ölverknappungspolitik der OPEC-Staaten während des Höhepunktes der Ölkrise führten dazu, daß die Sicherstellung der Energieversorgung in den importabhängigen Industrieländern eine erhöhte Priorität bekam. Allen daraufhin entwickelten Energiekonzeptionen waren folgende Ziele gemeinsam: Energie rationeller und sparsamer einzusetzen, Forschung und Entwicklung alternativer Energieträger voranzutreiben, geographische Diversifikation bezüglich der Energielieferanten anzustreben und verstärkt neue fossile Energiereserven, insbesondere Erdölvorräte, in Regionen zu erschließen, die als politisch sicher gelten. Ausgehend von der prognostizierten strukturellen Bedarfsentwicklung, lassen sich die erforderlichen Investitionsaufwendungen zur Bereitstellung einzelner Energieträger abschätzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß aufgrund des erschwerten Zugangs zu neuen Lagerstätten und der damit verbundenen aufwendigen Gewinnungsverfahren enorme Kostensteigerungen zu verzeichnen sind. Es müssen beispielsweise neue Technologien zur Gewinnung konventioneller Energieträger entwickelt werden, z. B. für die Gewinnung von ö l aus großen Tiefen, aus dem Meeresboden, aus arktischen Gebieten. Wegen der Begrenztheit der konventionellen ölreserven muß aber auch die großtechnische Produktion synthetischer Brennstoffe bewältigt werden, wie zum Beispiel die Herstellung flüssiger und gasförmiger Brennstoffe aus Kohle. Es ist jedoch damit zu rechnen, daß aufgrund der sich abzeichnenden Tendenzen der Anteil dieser synthetischen Brennstoffe im Jahre 1990 erst etwa 1 % zur Deckung des Primärenergiebedarfs der Welt (ohne Ostblock) beitragen wird (vgl. Abb. 3-4). Wie bereits ausgeführt, gehen alle Prognosen davon aus, daß das Mineralöl bis zur Jahrtausendwende aller Voraussicht nach Hauptenergieträger bleiben wird und daß immer kostenintensivere Verfahren zur Ölgewinnung erforderlich sein werden (vgl. Kap. 3.323). Nach Angaben der Chase Manhattan Bank, die sich traditionell besonders mit Energiefragen beschäftigt, betrug der Kapitalbedarf der Weltmineralölindustrie im Jahre 1972 25 Mrd. Dollar, dazu kam noch ein Explorationsaufwand von 1,5 Mrd. Dollar, so daß das Gesamtvolumen 26,5 Mrd. Dollar betrug (65) (1960: 11,6 Mrd. Dollar). Im Jahre 1975 betrug das gesamte Investitionsvolumen bereits 52 Mrd. Dollar (37). Die Bank schätzt, daß sich der gesamte Kapitalbedarf von 1970 bis 1985 auf insgesamt 810 Mrd. Dollar belaufen wird. (Das ist das Vierfache dessen, was in der Zeit von 1955 bis 1970 von der Mineralölindustrie aufgewendet wurde.) Zu dem Kapitalbedarf und Explorationsaufwand kommen noch Schuldendienst und Verzinsung

2.3 Aspekte der Energiewirtschaft

47

des eingesetzten Kapitals hinzu, so daß voraussichtlich der gesamte Investitionsaufwand der Weltmineralölindustrie von 1970 bis 1985 1350 Mrd. Dollar betragen wird. Auf den einzelnen Etappen von der Rohölquelle bis zum Verbraucher fallen Investitionen in sehr unterschiedlicher Größe an. Die Aufwendungen für Exploration und Förderung betrugen 1972 rd. 11,6 Mrd. Dollar. Von 1970 bis 1985 sollen sie sich auf insgesamt 450 Mrd. Dollar belaufen. (Von 1955 bis 1970 waren es nur 104 Mrd. Dollar) (65). Diese Zunahme ist mengenmäßig begründet und hängt u. a. davon ab, daß immer mehr in schwer zugänglichen Gebieten exploriert und gefördert wird. Die Investitionen im Transportsektor betrugen 1972 insgesamt 5 Mrd. Dollar, davon entfielen 3,8 Mrd. auf Tanker und 1,2 Mrd. auf Pipelines (65, 66). In Zukunft werden die Investitionsaufwendungen für Pipelines stärker steigen, da die Leitungen zum Teil in schwer zugänglichen Gebieten verlegt werden müssen. So betragen beispielsweise die Kosten für Pipelines in Offshore-Gebieten 2 bis 3 Mio. Dollar/km (für Land-Pipelines 0,4 bis 0,8 Mio. Dollar/km), und die 1977 fertiggestellte Alaska-Pipeline kostete wegen der widrigen Umweltbedingungen sogar ca. 5,5 Mio. Dollar/km. Bei einer Länge von 1276 km sind dies Gesamtkosten in Höhe von rd. 7 Mrd. Dollar (67, 68). Die Investitionen im Verarbeitungssektor betrugen 1972 rd. 6,3 Mrd. Dollar (1960: 1,6 Mrd. Dollar). Der Grund für diese starke Steigerung lag vor allem im Ausbau der Raffineriekapazität, die sich im Zeitraum von 1960 bis 1972 weltweit (ohne Ostblock) von 1,1 Mrd. t auf 2,5 Mrd. t erhöhte (65). Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Auflagen hinsichtlich des Umweltschutzes, insbesondere in den Industrieländern, ein beträchtliches Ausmaß erreicht haben. Beim Bau einer Raffinerie betragen heute die umweltschutzbedingten Investitionskosten rd. 20%. Dieser prozentuale Anteil wird nur noch von der Kraftwerkswirtschaft übertroffen. Im Sektor Marketing, der letzten Etappe des Weges von der Rohölquelle bis zum Verbraucher, sind die Investitionskosten relativ niedrig. Die gesamten Investitionen betrugen hier 1972 etwa 2,8 Mrd. Dollar (65). Betrachtet man die regionale Verteilung der Investitionen der Weltmineralölindustrie (ohne Ostblock), so stehen die Vereinigten Staaten an der Spitze, vor Westeuropa. Dies ist einleuchtend, da die USA nicht nur der Ausgangspunkt der Weltmineralölindustrie, sondern auch das weitaus größte Verbraucherland sind und 1976 immer noch die zweitgrößte Ölförderung der Welt aufzuweisen hatten (vgl. Tab. 3-15). Einer Studie der Irving Trust Company, New York, ist zu entnehmen, daß in den USA bis 1985 85% des Energieinvestitionsvolumens (ohne Elektrizitätswirtschaft) auf die Energieträger Erdöl und Erdgas einschließlich Tanker- und Pipelinebau entfallen. In Westeuropa konzentrierte sich die Investitionstätigkeit der Weltmineralölindustrie in der Vergangenheit im wesentlichen auf den Verarbeitungssektor.

48

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

Die Gewinnung der Offshore-Vorräte an ö l und Gas in der Nordsee brachte eine Verschiebung zugunsten des Explorations- und Produktionssektors mit sich, zumal es sich bei der Nordsee auch im Vergleich zu anderen Offshore-Förderregionen, wie zum Beispiel die des Nahen Ostens, um sehr schwer zugängliche Vorräte handelt (vgl. 3.323). In der Nordsee wurden bis 1975 ca. 15 Mrd. Dollar für Exploration und Entwicklung von Kohlenwasserstoffen investiert, und bis Ende der 80er Jahre werden schätzungsweise zusätzliche Investitionen in Höhe von mehr als 40 Mrd. Dollar (in Preisen von 1975) erforderlich sein, um das angestrebte Förderziel in Höhe von 150 bis 200 Mio. t pro Jahr zu erreichen (69).

2.322

Investitionsbedarf der gesamten Energiewirtschaft

Für die hochentwickelten Industriestaaten besteht nach wie vor die zwingende Notwendigkeit, noch stärkere Anstrengungen als bisher zu unternehmen, um Substitutionsmöglichkeiten von ö l durch alternative Energieträger zu entwikkeln. Aller Voraussicht nach ist, wie später noch erörtert wird, neben Kohle nur die Kernenergie in der Lage, als Substitutionsenergie während des Übergangs von der Erdölphase zur Fusions- und/oder Sonnenenergiephase einen angemessenen Beitrag zur Energiebedarfsdeckung zu leisten (70). Im Zusammenhang mit dieser Jahrhundertaufgabe gilt es, ausreichende und umweltfreundliche Sekundärenergieträger zu entwickeln, sowie die eventuell erforderlichen Sekundärenergieversorgungssysteme aufzubauen. Auf der Grundlage der zu erwartenden strukturellen Bedarfsentwicklung lassen sich die erforderlichen Investitionen in den einzelnen Energiebereichen und daraus die gesamten Aufwendungen abschätzen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im Zuge der exorbitant gestiegenen Rohölpreise auch die Preise für die anderen Primärenergieträger wie Naturgas, Kohle und Uran gestiegen sind. Nach Angaben der First National City Bank betrugen die Investitionen im gesamten Energiebereich in der Welt (ohne Ostblock) im Jahre 1970 insgesamt 74 Mrd. Dollar. Davon entfielen 56% auf den Elektrizitätsbereich, 28% auf die ölwirtschaft, 13% auf die Gasversorgung und 3% auf sonstige Energieträger einschließlich Kernenergie. Im Jahre 1980 soll den gleichen Angaben zufolge die Investitionssumme 162 Mrd. Dollar betragen, was einer durchschnittlichen jährlichen Zuwachsrate von 8,2% entspricht (71). Geht man von der gleichen Steigerungsrate bis 1985 für die freie Welt aus, so ergibt sich für den Zeitraum von 1970 bis 1985 eine Investitionssumme im gesamten Energiebereich von rd. 2000 Mrd. Dollar, wovon etwa die Hälfte auf die 80er Jahre entfällt. Die Schätzungen der Chase Manhattan Bank liegen sogar noch etwas höher. Nach Angaben dieser Bank betragen die erforderlichen Investitionen in der gesamten Energiewirtschaft der westlichen Welt von 1970 bis 1985 rd. 2700 Mrd.

2.3 Aspekte der Energiewirtschaft

49

Dollar. (Das ist mehr als das Sechsfache des Bruttosozialprodukts der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1975.) Untersucht man die regionale Verteilung der zu erwartenden gesamten Investitionssumme, so nehmen die Vereinigten Staaten die Spitzenposition ein. Die wichtigsten Gründe hierfür liegen wohl darin, daß in den USA selbst im Jahre 1975 12 der ölanteil am Primärenergieverbrauch 44% betrug, davon 39% durch Importe gedeckt werden mußten und die statische Reichweite (konstante Förderung) der eigenen nachgewiesenen ölreserven voraussichtlich nur noch 11 Jahre beträgt (vgl. Tabelle 3-15). Diese ölabhängigkeit kann aber für den mächtigsten Staat der Erde lebensgefährlich sein. Die zweite Großmacht, die Sowjetunion, und die dritte potentielle Großmacht, die VR China, sind unabhängig vom Weltmarkt der Primärenergieträger. Nach C. F. v. Weizsäcker sind vielleicht diese drei Mächte wegen dieser ihrer zumindest relativen Unabhängigkeit Großmächte (72). Obwohl die Vereinigten Staaten wirtschaftlich am mächtigsten sind, dürfte für sie die Erreichung der vollen Unabhängigkeit während der Erdölphase, d. h. solange das Erdöl noch Hauptenergieträger ist, nicht realisierbar sein. Deshalb war das von Präsident R. Nixon am 23. 1. 1974 verkündete Energieprogramm „Project Independence", dessen Ziel es sein sollte, die U S A energiewirtschaftlich autark zu machen, vom Ansatz her nicht realistisch und zum Scheitern verurteilt (23, 41). Außerdem sollten die diesbezüglichen Investitionen nach Angaben des National Petroleum Council bis 1990 über 500 Mrd. Dollar erfordern. Bedenkt man, daß das Manhattan-Projekt 13 2,5 Mrd. Dollar kostete und zur Realisierung des Apollo-Projektes rd. 25 Mrd. Dollar notwendig waren, so wird darüber hinaus deutlich, um welche finanziellen Größenordnungen es hier gegangen wäre. Im Gegensatz zu dem gescheiterten „Project Independence" setzte Präsident J. Carter in seiner am 18. 4. 1977 dem amerikanischen Volk präsentierten Konzeption den Schwerpunkt auf Maßnahmen zur Energieeinsparung. Danach soll die derzeitige Wachstumsrate des Energieverbrauchs von 3 - 4 % pro Jahr bis 1985 auf weniger als 2% pro Jahr vermindert werden. Außerdem sollen die einheimische Kohleförderung beträchtlich erhöht sowie Forschung und Entwicklung zur Nutzbarmachung der Sonnenenergie forciert werden. Alleine die Aufwendungen im Bereiche der Sonnenenergienutzung werden für 1977 mit rd. 300 Mio. Dollar angegeben. In Westeuropa ist die Diskrepanz zwischen Förderung und Verbrauch von Primärenergieträgern besonders ausgeprägt. Dies gilt besonders für den Erdölsektor. Selbst im Jahre 1975 mußte Westeuropa 96% des ölbedarfs importieren. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt der Primärenergieträger ist aber für 12 1975 war der Rohölverbrauch seit 1973 am geringsten, d. h. in den Jahren 1974 und 1976 ist der ölanteil noch höher. 13 Deckname für den Bau der ersten Atombombe.

50

2. Primärenergieträger und Weltwirtschaft

Westeuropa nach unserem derzeitigen naturwissenschaftlich-technischen Kenntnisstand für längere Zeit unaufhebbar. Dies gilt bekanntermaßen für Erdöl, im wesentlichen für Kernenergie auf der Basis der Kernspaltung und in geringerem Maße auch für Kohle wegen der im Weltvergleich sehr hohen Förderkosten. Die Kernenergie auf der Basis der Kernfusion, falls in absehbarer Zeit technologisch realisierbar, dürfte erst in 30 bis 40 Jahren einen Beitrag zur Energieversorgung leisten können. Diese Energiequelle könnte Westeuropa ein hohes Maß an Unabhängigkeit vom Weltmarkt der Primärenergieträger bringen (vgl. 3.36). Im Gegensatz zur Kernfusion sind zur Nutzbarmachung der Sonnenenergie die Basistechnologien bereits vorhanden. Der Einsatz der Sonnenenergie in unseren Breiten - zum Beispiel zur Erzeugung von Niedertemperaturwärme - könnte helfen, die Abhängigkeit Westeuropas von Energieimporten zu reduzieren. Da die natürlichen Bedingungen zur großtechnischen Sonnenenergienutzung (z. B. Elektrizitätserzeugung oder Wasserstoffherstellung) in Regionen mit hoher Sonnenenergieeinstrahlung, wie zum Beispiel in Nordafrika, günstiger sind als in unseren Breiten (vgl. 3.373), dürfte Westeuropa aller Voraussicht nach auch nach der wirtschaftlichen Realisierung der großtechnischen Sonnenenergienutzung auf Energieimporte (z. B. aus den Ländern Nordafrikas) angewiesen sein. Die westeuropäischen Staaten sollten bei ihren Anstrengungen zur Sicherstellung der Energieversorgung diesen Fakten Rechnung tragen. Die Investitionen der EG-Staaten im Energiebereich sollen im Zeitraum von 1975 bis 1985 2 bis 2,5% des Bruttosozialprodukts der EG ausmachen, gegenüber 1,5% von 1965 bis 1970. Dies hätte zur Folge, daß sich die Investitionen in dem gesamten Energiesektor von 1975 bis 1985 auf nahezu 300 Mrd. Dollar (zu Preisen von 1973) belaufen würden. Davon entfielen rd. 150 Mrd. Dollar auf den Elektrizitätsbereich (einschließlich Kernenergie), 110 Mrd. Dollar auf die Erdöl- und Erdgaswirtschaft und rd. 6 Mrd. Dollar auf den Kohlebereich (71). Alleine für die Bundesrepublik Deutschland rechnet die Bundesregierung für den Zeitraum von 1975 bis 1985 mit einem Investitionsbedarf der gesamten Energiewirtschaft in der Größenordnung von 250 Mrd. DM (73). Davon sollen etwa 30-40% auf den Elektrizitätsbereich (Kraftwerksneubauten, Leitungsnetz, Brennstoffversorgung), 20-30% auf die Erdölwirtschaft (Raffineriebauten, Lagerkapazitäten, Pipelines, Vertriebseinrichtungen, Tanker, Erschließungskosten), 15% auf die Gaswirtschaft und 10% auf den Stein- und Braunkohlebereich entfallen.

3.

Das Energiepotential der Welt

3.1

Einteilung der Energieressourcen

Die Energieressourcen lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: in nicht regenerative Energiequellen (fossile und nukleare Primärenergieträger) und regenerative Energiequellen (Sonnenenergie und geothermische Energie) (siehe Abb. 3-1). Zu den fossilen Primärenergieträgern zählen Torf, Braunkohle, Steinkohle, Erdöl, Erdgas, Ölschiefer und ölsande. Zu den nuklearen Primärenergieträgern gehören Uran und Thorium - falls die Energiefreisetzung durch Kernspaltung erfolgt - bzw. Deuterium und Lithium bei Energiegewinnung durch Kernfusion. Die Sonnenenergie steht in vielen Formen zur Verfügung. (Die fossilen Primärenergieträger sind nichts anderes als in Jahrmillionen gespeicherte Sonnenenergie (1). Trotzdem werden diese als nicht regenerative Energiequellen getrennt von den anderen Formen der Sonnenenergie aufgeführt.) SonnenArt der Primärenengie fossile Energieträger

Ei s?? C Si Sci5 i Sonnenenergie

Torf Braunkohle Steinkohle Erdöl Erdgas Ölschiefer Ölsande

direkte Verfahren solarthermische Konversion photoelektrische Konversion indirekte Verfahren Wasserkraft Gezeitenenergie Wellenenergie Meereswärme Meeresströmungen Windenergie photochemische Konversion Biokonversion organische Abfälle Dung

SS St

jeothermische -nergie

Umwandlungsverluste

Transport-und Umwandlungs Verluste

Sekundärenergie elektrische Energie Heizdampf ProzefJdampf Erdölprodukte brennbare Gase Briketts Koks Abgaswärme Strahlungsenergie

Umwandlungsverluste

Dampf HeifJwasser

Abb. 3-1: Primäre Energiequellen und ihre Umwandlung in Nutzenergie

52

3. Das Energiepotential der Welt

strahlen erwärmen die Erde und erzeugen über die Photosynthese alle Nahrungsmittel, Brennstoffe und den freien Sauerstoff und ermöglichen so das Leben auf der Erde. Ohne diese Energiequelle gäbe es keine Wasserkraft, Wind-, Wellen-, Gezeitenenergie und keine Meeresströmungen. Durch Konversion kann die Sonnenenergie in andere Energieformen umgewandelt werden. Folgende Verfahren sind zum Beispiel möglich: Biokonversion, solarthermische bzw. photoelektrische Konversion. Aus der Einteilung in nicht regenerative und regenerative Energiequellen leiten sich, von technologischen und ökologischen Problemen einmal abgesehen, die Optionen für die langfristige Energieversorgung ab. Die Sonnenenergie und geothermische Energie stellen demzufolge als regenerative Energiequellen ein konstantes Energiepotential und somit zwei Optionen für eine unbegrenzte Versorgung mit Energie dar. In der Sonne werden aus Protonen je Sekunde 10 38 He-Kerne gebildet. Da die Sonne aber 2 • 10 33 g Protonen enthält, kann sie trotz des sekundlichen Verbrauchs von 7 • 10 14 g Protonen ihre für unser Leben notwendige Strahlung noch rd. 1 0 n Jahre aufrechterhalten (2). Sollte die Energiegewinnung durch Kernfusion in Form des Fusionsreaktors auf der Basis des D-T-Prozesses technologisch realisierbar sein (vgl. 4.22), so stünde aufgrund der weltweiten Lithiumreserven ein Energiepotential der Größenordnung 108 Mrd. t SKE zur Verfügung (3). Unter der Prämisse, daß sich der Primärenergieverbrauch in der Welt pro Jahr beim lOfachen des heutigen Wertes einpendelt, würde bereits 1% der Vorräte ausreichen, für mehr als 10 4 Jahre den Weltprimärenergiebedarf zu decken. Auf der Basis der D-D-Prozesse wäre dieser Bedarf sogar für 107 Jahre zu decken. Das heißt, die Kernfusion ist praktisch eine dritte Option für eine „unbegrenzte" Energieversorgung.

3.2

Primärenergiereserven

und deren Reichweite

Stellt man den in 2.23 gestellten Prognosen zum Weltenergiebedarf die Reserven an Primärenergieträgern gegenüber, so kann man abschätzen, zu welchem Zeitpunkt entsprechende Energieträger knapp werden. In den Tabellen 3 - 1 bis 3 - 4 sind die Primärenergiereserven der Welt angegeben, außerdem sind Tabelle 3 - 3 die Reichweiten unter bestimmten Prämissen zu entnehmen. Bei einer solchen Abschätzung kommt es nicht auf ein exaktes Ergebnis an. Entscheidend ist vielmehr, daß in absehbarer Zeit einige der gegenwärtig eingesetzten Primärenergieträger nicht mehr ausreichen werden, den Energiebedarf zu decken (4-6). Es ist offensichtlich, daß die Kohlevorräte den Hauptanteil der fossilen Primärenergiereserven ausmachen. Weiter ist aus Tabelle 3 - 3 ersichtlich, daß

3.2 Primärenergiereserven und deren Reichweite

53

Tabelle 3 - 1 : Reserven an fossilen Primärenergieträgern in der Welt (Stand 1. 1. 1975)

Energieträger

Reserven Anteil nach heutigem Stand ökonomisch gewinnbar v. H. Mrd. t SKE

Steinkohle Braunkohle Torf

420 125 nicht bekannt

47,4 14,1

Kohle

545

Erdöl Erdgas ölsande (ölinhalt) Ölschiefer 2

Reserven vermutlich technisch gewinnbar Mrd. t SKE

Anteil

Reserven insgesamt vorhanden

Anteil

v. H.

Mrd. t SKE

v. H.

1 425 333 90

42,9 10,0 2,7

7 900 1 900 90

63,5 15,3 0,7

61,5

1 848

55,6

9 890

79,5

141 96 57 47

15,0 10,8 6,5 5,3

418 313 392 353

12,7 9,4 11,7 10,6

1 044' 313 490 705

8,4 2,5 3,9 5,7

Kohlenwasserstoffe

341

38,5

1 476

44,4

2 552

20,5

Fossile Energieträger insgesamt

886

100,0

3 324

100,0

12 442

100,0

1 2

Oil in place. Ölschiefer mit > 40 1 Schieferöl/t Gestein, Ölinhalt.

Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

bis zum Jahre 2010 der größte Teil der nach heutigem Stand ökonomisch gewinnbaren Erdöl- und Erdgasreserven aufgebraucht sein wird. Dies gilt auch für das konkurrenzfähige Uran für thermische Reaktoren. Angesichts der enormen Kohlevorräte ist eine „Renaissance" der Kohle, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Entwicklung des Hochtemperaturreaktors, im kommenden Jahrtausend wahrscheinlich (7-9). Die Angaben über die Reserven gehen in der Literatur zum Teil auseinander. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß seit der Ölkrise in verstärktem Maße und mit Erfolg nach neuen Reserven an Primärenergieträgern gesucht wird und daß wegen der exorbitant gestiegenen Energiepreise zur Gewinnung entsprechend hohe Investitionskosten in Kauf genommen werden. Dazu kommt die Entwicklung neuer Technologien. Prozentual gesehen sind die Abweichungen bei Kohle am geringsten. In einer vom Bundesministerium für Forschung und Technologie herausgegebenen Studie werden beispielsweise die sicheren und wahrscheinlichen Kohlereserven mit 7409 Mrd. t SKE angegeben (10), und nach Schätzungen der World Energy Conference (1974) liegen sie bei rd. 9000 Mrd. t SKE. Bei den Kohlenwasserstoffen liegen die Angaben zum Teil beträchtlich auseinander. Der gesamte ölinhalt aller Schieferölreserven der Welt, auch derjenigen mit sehr geringem Ölgehalt, entspricht nach Schätzung der World

54

3. Das Energiepotential der Welt

Tabelle 3-2a: Reserven an nuklearen Energieträgern in der Welt (Kernfission; Uran und Thorium) Uran

Energieträger Reserven

t

Thorium Mrd. t SKE

ökonomisch gewinnbar (bekannt) 1

5 445 •10

3

152,5

ökonomisch gewinnbar (bekannt u. vermutet) 2

11 745 •10 3

328,9

ökonomisch gewinnbar (bekannt u. vermutet) plus Armerze 3

51 745 •10 3

vorhanden 4 - Meerwasser - Höffigkeitsgebiete bis 3000 m Teufe

4 000 •10" 3 298 •10 9

t 3 833- 10

Mrd. t SKE 3

107,3

Uran und Thorium Mrd. t SKE 259,8



1 449

8 800' 103

246

1 695

112103 92,5 • 106

1 976- 10"

55,3-10 6

147,8 106

1

Uran nachgewiesen (reasonably assured + estimated additional - westliche Welt, Ostländer geschätzt) bis 30 $/lb U 3 O s ; Thorium bis 20 $/lb Th0 2 . (Alle Angaben in t SKE beziehen sich auf den Ausnutzungsgrad thermischer Reaktoren. Volle Ausnutzung ist nur in Brutreaktoren möglich (theoretischer Energieinhalt 1 t U 3 O a bzw. T h 0 2 = 2,5 • 10 6 1 SKE); in thermischen Reaktoren beträgt der Ausnutzungsgrad davon nur 1-2%). 2 Uran nachgewiesen (s. o.) und vermutet bis 30 $/lb U 3 O g . 3 Uran nachgewiesen und vermutet bis 30 $/lb U 3 O s zuzüglich Armerze (Kostenklasse > 30 $/lb U 3 O g ); Thorium ohne Kostenangabe. 4 Meerwasser und Höffigkeitsgebiete (bis 3000 m Teufe). Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

Energy Conference (1974) rd. 75 000 Mrd. t SKE und nach Colorado School of Mines Research Institute (1975) sogar rd. 450 000 Mrd. t SKE (11). Obwohl davon nach derzeitigem technologischen Stand nur etwa 47 Mrd. t SKE ökonomisch gewinnbar sind, stellen diese Vorräte ein ungeheures Energiepotential der Menschheit dar. Die Werte der sicher nachgewiesenen Erdöl- und Erdgasreserven1, die nach derzeitigem technologischen Stand ökonomisch gewinnbar sind, weichen ebenfalls voneinander ab. Die Esso A G beziffert zum Beispiel die sicher nachgewiesenen Erdölvorräte auf 130 Mrd. t SKE (89,6 Mrd. t) und die Erdgasvorräte auf 70 Mrd. t SKE (57,9 Mrd. m 3 ) (Stand 31. 12. 1975) (12). Verbesserte ölgewinnungsverfahren können die Reichweite bekannter Reserven beträchtlich erhöhen. Der Entölungsgrad einer Lagerstätte, d. h. der Anteil, der gefördert werden kann, wird von den Ölgesellschaften relativ niedrig angegeben. Durch Anwendung sekundärer und tertiärer Fördermethoden kön' Diese Reserven umfassen Mengen, die durch Bohrungen festgestellt worden sind und die mit der vorhandenen Technik (Entölungsgrad rd. 32%) bei dem herrschenden Preisniveau gefördert werden können (vgl. 3.323).

3.2 Primärenergiereserven und deren Reichweite

55

Tabelle 3-2b: Reserven an nuklearen Energieträgern in der Welt (Kernfusion; Lithium und Deuterium) Energieträger Reserven

Lithium für die D-T-Reaktion 1 t Mrd. t SKE

Brennstoffe aus der Landmasse (sichere und wahrscheinliche Reserven in der niedrigsten Preisklasse)

1,4 106

4356

Brennstoffe aus der Landmasse 3 (Neuere Schätzungen der insgesamt aus der Landmasse abbaubaren Li-Reserven)

1,1 107 bis 1,5 • 108

0,39- 105 bis 4,7- 105

Brennstoffe aus dem Meerwasser

=

10"

= 7,2- 108

D-D-Reaktionen 2 t Mrd. t SKE

2,3 -10 13

27 •10'"

1

Aller Voraussicht nach läßt sich die D-T-Reaktion leichter realisieren als die D-D-Reaktionen. Neben Deuterium ist damit Lithium Brennstoff eines D-T-Reaktors. Bezieht man die Energieausbeute auf das natürliche Isotopengemisch von Li (7,42% 6 Li; 92,58% 7Li), so erhält man einen „Heizwert" von 0,91 • 10" kJ/kg u . 2 Die Energieausbeute beim D-D-Reaktor ergibt einen „Heizwert" von 3,4-10" kJ/kg D. 3 Die große Schwankungsbreite dieser Daten erklärt sich dadurch, daß eine gezielte Prospektion nach Lithium bisher nicht notwendig war, da einem Jahresverbrauch von 6345 t (1972, westliche Welt) sichere und wahrscheinliche Reserven in der niedrigsten Preisklasse von rd. 1,4 -10 6 t ^ 4356 Mrd. t SKE gegenüberstehen (Weltmarktpreis 1974: 45 DM/kg Li ; (99,9% Reinheit)). Quelle: R. Bünde, W. Dänner, W. Hofer, M. Hüls, R. Pöhlchen, M. Soell, E. Taglauer, H. Weichselgartner, Aspekte der Energieversorgung mit Fusionsreaktoren, in: Brennstoff-WärmeKraft 26, 11 (1974), S. 467-472.

nen der Entölungsgrad und somit die förderbaren Reserven zum Teil beträchtlich gesteigert werden. Derzeit liegt der Entölungsgrad weltweit bei rd. 32%; eine Erhöhung um 1% würde Erdöl in der Größenordnung des derzeitigen jährlichen Weltverbrauches freisetzen (13). Da die fossilen Primärenergieträger Kohle, Erdöl und Erdgas gegenwärtig zu rd. 90% und im Jahre 1990 voraussichtlich immer noch zu rd. 80% den Energiebedarf der Welt (ohne Ostblock) decken, soll im folgenden die Verteilung der Reserven auf die westlichen Industriestaaten (OECD) und die Entwicklungsländer betrachtet werden. 37,3% der nach derzeitigem Stand ökonomisch gewinnbaren fossilen Energierohstoffe (13,2% davon Kohlenwasserstoffe, 24,1% Kohlen) liegen in den OECD-Staaten und 21,6% (18,1% davon Kohlenwasserstoffe, 3,5% Kohlen) in den Entwicklungsländern (41,1% der fossilen Rohstoffe liegen im Ostblock). Werden auch noch die vermutlich technisch gewinnbaren fossilen Energierohstoffe berücksichtigt, so entfallen 29,5% (15,9% davon Kohlenwasserstoffe) auf die OECD-Staaten und 23,6% (22,2% davon Kohlenwasserstoffe) auf die Entwicklungsländer. Betrachtet man die insgesamt vorhandenen fossilen Energierohstoffe, so liegen 32,4% (7,2% davon Kohlenwasserstoffe) in den OECD-Staaten und 11,9% (10,3%

56

3. D a s E n e r g i e p o t e n t i a l d e r

*

Welt

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00 u 5á 6100 m

Abb. 3-8: Einsatzbereiche von Offshore - Bohranlagen Quelle: G. Zuncke: Technik und Kosten von Offshore-Bohranlagen, in: Meerestechnik 5,4 (1974).

84

3. Das Energiepotential der Welt

ausgefahren werden. Durch die Stützpfeiler läßt sich die Plattform mit der Bohranlage so hoch über die Wasseroberfläche heben, daß sie von den Wellen nicht mehr erreicht wird. Bei weichem Meeresboden besteht aufgrund der schweren Stahlkonstruktion ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Die Technik des Bohrens bei den festen Plattformen und Hubinseln ist mit der von Bohrungen auf dem Lande vergleichbar. Um in größere Wassertiefen vordringen zu können, wurden Bohrschiffe und Halbtaucher entwickelt (38). Bei Bohrschiffen steht der Bohrturm auf einem eigens für diesen Zweck konstruierten Schiff. Dagegen ruht bei Halbtauchern die Bohrplattform, gestützt von etwa 4 0 m langen Beinen, auf Schwimmkörpern, die bei Bohrarbeiten geflutet werden und sich etwa 25 m tief unter der Wasseroberfläche stabilisieren. Bohrschiffe und Halbtaucher werden durch Unterwasser-Verankerung über der Bohrlokation gehalten. In der Regel haben Bohrschiffe eigenen Antrieb, sind schneller beweglich, haben eine große Lagerungskapazität und sind aus diesen Gründen während der Bohrarbeiten weitgehend unabhängig. Halbtaucher benötigen dagegen zwei bis drei Versorgungsschiffe, die auch die Bohranlage schleppen können. Der Nachteil der Bohrschiffe ist ihre Empfindlichkeit bei Seegang. Die Bohrarbeiten mit Halbtauchern und Bohrschiffen erfordern eine spezifische Unterwassertechnik, da der Bohrlochkopf nicht wie bei den feststehenden Bohranlagen über der Wasseroberfläche steht, sondern am Meeresboden installiert werden muß. Die Mehrzahl der vorhandenen schwimmenden Bohranlagen ist bis zu Wassertiefen von rd. 200 m einsetzbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Taucher routinemäßig nur bis etwa 2 0 0 m Wassertiefe für Unterwasserarbeiten (Reparaturen) eingesetzt werden können. Einzelne Bohranlagen wurden aber bereits für größere Wassertiefen gebaut. So zum Beispiel hat die „Glomar Challenger" bereits in einer Wassertiefe von 6240 m im östlichen Indischen Ozean für Forschungszwecke Kernbohrungen niedergebracht (38). Von den rd. 300 im Jahre 1975 in aller Welt in Betrieb stehenden Offshore-Bohranlagen waren fast die Hälfte Hubinseln; die Halbtaucher und Bohrschiffe hatten einen Anteil von je 2 0 % . Wegen der starken Kostensteigerungen bei der Förderung der Offshore-Vorräte werden große Hoffnungen in die Entwicklung neuer Fördertechnologien gesetzt, die durch zusätzliche Maßnahmen die natürliche Ausbeute erhöhen (sekundäre und tertiäre Fördermethoden). Das gesamte in einer Lagerstätte vorhandene Erdöl (oil in place) oder Erdgas (gas in place) kann nicht gewonnen werden. Unter den jeweils angegebenen Erdölreserven wird nur der Anteil berücksichtigt, der nach dem jeweiligen Stand technisch und ökonomisch gefördert werden kann. Dieser Entölungsgrad (Entgasungsgrad) ist durch die natürlichen Lagerstättenverhältnisse bedingt, wie zum Beispiel die Gesteinsart, die Porengröße, die Klüftigkeit des Speichergesteins. Aus diesen Gründen ist der Entölungsgrad sehr unterschiedlich (40, 41, 42).

3.3 Primärenergieträger

85

Im Weltdurchschnitt betrug der Entölungsgrad 1976 etwa 32% (43), das bedeutet, die nachgewiesenen förderbaren Reserven werden unter Berücksichtigung dieses Entölungsgrades auf 98 Mrd. t beziffert. Mit anderen Worten heißt das: Geht man von diesem Prozentsatz aus, so haben die ölsucher Vorkommen entdeckt, die rd. 300 Mrd. t Rohöl enthalten (43). Mit den heutigen Fördertechniken können bei dem gegenwärtigen Kostenniveau wirtschaftlich jedoch nur 98 Mrd. t gefördert werden. Die förderbare ölmenge kann also durch Erhöhung des Entölungsgrades der Lagerstätten gesteigert werden. Deshalb werden auf diesem Gebiete in aller Welt große Anstrengungen unternommen. Ein um 1% höherer Entölungsgrad bedeutet mehr als der derzeitige Jahresweltbedarf an Erdöl (43). So stieg beispielsweise im Weltdurchschnitt der Entölungsgrad aufgrund verbesserter Fördertechnologien von ca. 26% im Jahre 1955 auf ca. 32% 1976. (In den Anfängen der Ölindustrie kam es sogar oft vor, daß bis zu 90% des gefundenen Öls in der Lagerstätte verblieben). Grundsätzlich werden heute drei Fördermethoden unterschieden: die Primär-, Sekundär- und Tertiärförderung. Bei der natürlichen Fördermethode, der Primärförderung, nutzt man den Druck aus, den über dem ö l liegendes oder im ö l gelöstes Erdgas sowie das im Untergrund im gespannten Zustand befindliche Wasser ausüben. Aufgrund dieses Druckes wird das Rohöl durch Steigleitungen in den Bohrungen an die Oberfläche gepreßt. Durch geeignete Standortwahl der Förderbohrungen sucht man diesen natürlichen Druck möglichst lange aufrechtzuerhalten. Reicht er nicht mehr aus, verwendet man Förderpumpen. Je nach Lagerstättenverhältnissen können mit der Primärförderung aber nur zwischen 10 und 30% des tatsächlich vorhandenen Öls gewonnen werden, das heißt aber, 7 0 - 9 0 % bleiben ungenutzt zurück. Bei der Sekundärförderung erzeugt oder erhält man den Lagerstättendruck künstlich, indem man mit dem Rohöl zutage getretenes Erdgas oder Wasser wieder in die unterirdischen ölführenden Gesteinsschichten einpreßt. Mit Hilfe dieser Fördermethode läßt sich der Entölungsgrad zum Teil bis auf mehr als 50% steigern. Bei der Tertiärförderung wird durch Injektion von Dampf in die Speicherschichten das Ölfeld „aufgeheizt" und dadurch die Viskosität des Öles so reduziert, daß sich die Zuflußrate pro Bohrung erhöht (thermische Methode). Außerdem werden mit Hilfe von oberflächenaktiven Chemikalien die physikalischen Eigenschaften des Systems Poreninhalt-Porenwand verändert. Dies ist durch folgende Verfahren möglich: Polymerfluten (Erhöhung der Wasserviskosität durch Polyacrylamide oder Polysaccharide zur Verbesserung des Viskositätsverhältnisses Wasser-Öl bzw. zur Verringerung der Fließrate des Wassers); Tensidefluten (Reduzierung der Grenzflächenspannung zwischen Öl und Gestein); Micellar-Fluten (Erzeugung von wasserexternen Mikroemulsionen mit Leichtbenzin zur Bildung einer Übergangszone zwischen dem verdrängenden Wasser und dem ö l ) ; Miscible-Verfahren (durch Injektion von Leichtbenzin,

86

3. Das Energiepotential der Welt

Butan-Propan-Gemisch, Isopropylalkohol oder C 0 2 erzielt man eine ähnliche Wirkung wie beim Micellar-Verfahren); Alkalifluten (Wasserbenetzung mittels NaOH) (43, 44). Mit den tertiären Fördermethoden, die meist noch im Entwicklungsstadium sind, hofft man, einen Entölungsgrad von bis zu 95% zu erreichen. Heutzutage ist eine strenge Trennung der praktizierten Fördermethode häufig nicht mehr möglich. Es kann durchaus vorkommen, daß bei einem neuentdeckten ölfeld nicht erst mit der Primärförderung begonnen wird, sondern gleich Verfahren angewandt werden, die zu den sekundären (tertiären) Methoden gehören. Nach einer Untersuchung der „Deutschen Texaco" wird die Gesamtmenge des „Oil in place" in der Bundesrepublik Deutschland neuerdings auf rd. 800 Mio. t Erdöl geschätzt. Davon sind bisher etwa 157 Mio. t Erdöl durch primäre und sekundäre Verfahren gefördert worden. Mit den derzeit bekannten Methoden können noch weitere 71 Mio. t gewonnen werden, das heißt, es verbleiben noch etwa 570 Mio. t als zur Zeit noch nicht gewinnbarer Rest in den Lagerstätten. Damit liegt der durchschnittliche Entölungsgrad nur bei 28%. Dieser im internationalen Vergleich niedrige Entölungsgrad ist nicht durch eine etwaige rückständige Fördertechnik begründet, sondern durch die natürlichen Lagerstättenverhältnisse. Durch Anwendung tertiärer Fördermethoden hofft man aber, einen Großteil der 570 Mio. t doch noch fördern zu können (45). Es wird damit gerechnet, daß bis 1985 im Weltdurchschnitt der Entölungsgrad auf etwa 36% gesteigert werden kann (43). Geht man von den derzeit nachgewiesenen förderbaren Reserven in Höhe von 98 Mrd. t (Entölungsgrad 32%) aus, so ergibt sich rein rechnerisch folgende Abhängigkeit zwischen einem erhöhten Entölungsgrad und der jeweils förderbaren ölmenge: Bei einem Entölungsgrad von 36% ergeben sich 110 Mrd. t förderbare Reserven, bei 40% 123 Mrd. t, bei 44% 135 Mrd. t und bei 48% 147 Mrd. t. Zur Beurteilung der weiteren Entwicklung muß berücksichtigt werden, daß tertiäre Verfahren in großtechnischem Umfange noch nicht realisiert und meist sehr energieintensiv sind. Untersuchungen der Esso A G zeigen, daß die tertiären Fördermethoden erst bei Rohölpreisen von mehr als 10 US-Dollar/bbl wirtschaftlich werden können (43). Zweifellos hat das Erdöl als Energie- und Rohstoffträger, wie die Vergangenheit bewiesen hat, im Vergleich zu anderen Energie- und Rohstoffträgern entscheidende Vorteile. Es ist auch unbestritten, daß für die Menschheit das Erdöl als Rohstoffträger für einen wesentlich längeren Zeitraum unersetzbar sein wird als in seiner Funktion als Energieträger. Trotzdem ist es fraglich, ob überhaupt jemals alle Reserven gewonnen werden, wenn die stark steigende Kostenentwicklung der letzten Jahre weiter anhält.

3.3 Primärenergieträger

3.33

Erdgas

3.331

Geographische Verteilung der Erdgasreserven

87

Erdgas ist neben Erdöl derjenige fossile Primärenergieträger, der in der Vergangenheit die höchsten Zuwachsraten im weltweiten Verbrauch zu verzeichnen hatte. So erhöhte sich der Erdgasverbrauch der Welt von 1960 bis 1975 um rd. 300%, obwohl der gesamte Primärenergieverbrauch nur um knapp 100% zunahm (Tabelle 2-1). Die prognostizierte Reichweite der Erdgasreserven ist aufgrund der zu erwartenden Verbrauchsentwicklung nicht ganz so kritisch wie bei Erdöl (Tabelle 3-3), außerdem ist die geographische Verteilung der Erdgasreserven für die OECD-Staaten wesentlich günstiger. Die weltweit nachgewiesenen Erdgasreserven werden von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, mit 72 000 Mrd. m 3 (96 Mrd. t SKE) angegeben. Außerdem werden noch 163 000 Mrd. m 3 als mögliche Reserven vermutet. Zusammen sind dies ca. 235 000 Mrd. m 3 (313 Mrd. t SKE) (46). Andere nach 1970 bekanntgewordene Schätzungen liegen bis auf eine Ausnahme zwischen 200 000 Mrd. m 3 und 300 000 Mrd. m 3 . T. D. Adams und M. A. Kirkby haben dagegen auf dem 9. Welterdölkongreß 1975 in Tokyo die Gesamtreserven mit 150 000 Mrd. m 3 besonders vorsichtig angegeben. Der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft, Bonn, beziffert die Gesamtreserven auf 154 000 Mrd. m 3 ; davon sind 64 000 Mrd. m 3 nachgewiesene Reserven und 90 000 Mrd. m 3 mögliche Reserven (47). Die Esso AG gibt die nachgewiesenen Reserven mit 65 630 Mrd. m 3 an (12). Tabelle 3-18 gibt die Verteilung der Erdgasreserven auf die einzelnen Regionen wieder (46). Daraus ist ersichtlich, daß die Verteilung nicht ganz so

Tabelle 3 - 1 8 : Regionale Verteilung der Erdgasvorräte (Stand 1. 1. 1975) Region

nachgewiesene Reserven Mrd. m 3 v. H.

Ostländer Naher Osten Nordamerika Afrika Lateinamerika Westeuropa Ozeanien Ferner Osten Antarktis

24 19 8 9 2 5 2 1

000 000 330 050 840 500 270 010

33,3 26,4 11,6 12,6 3,9 7,6 3,2





Welt gesamt

72 000

1,4 100,0

mögliche Reserven Mrd. m 5 v. H. 50 30 33 26 10 6 2 1 3

000 000 270 450 160 000 330 590 200

30,6 18,4 20,4 16,2 6,3 3,7 1,4 1,0 2,0

163 000

100,0

Gesamtreserven Mrd. m 3 v. H. 74 49 41 35 13 11 4 2 3

000 000 600 500 000 500 600 600 200

31,5 20,8 17,7 15,1 5,5 4,9 2,0

235 000

100,0

1,1 1,4

Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

88

3. Das Energiepotential der Welt

ungleichmäßig ist wie beim Erdöl, insbesondere ist die Situation Westeuropas mit 7,6% der weltweit nachgewiesenen Erdgasreserven relativ günstig. Die Verteilung der Vorräte auf die wirtschaftspolitischen Ländergruppen ist im Gegensatz zu den Erdölreserven relativ ausgeglichen (Tabelle 3-19). Zwar liegen die OPEC-Staaten bei den nachgewiesenen Reserven auch hier mit rd. 41% an der Spitze, gefolgt von den Ostländern mit rd. 33%, jedoch entfallen auf die OECD-Länder immerhin rd. 21%. Tabelle 3-19: Die Verteilung der Erdgasvorräte auf wirtschaftspolitische Ländergruppen (Stand 1.1. 1975) Ländergruppe

nachgewiesene Reserven v. H. Mrd. m 3

mögliche Reserven v. H. Mrd. m 3

Gesamtreserven v. H. Mrd. irT'

EG OECD gesamt

4 750 15 050

6,6 20,9

3 055 40 210

1,9 24,7

7 805 55 260

3,3 23,5

OAPEC OPEC gesamt

16 830 29 455

23,4 40,9

17 400 36 740

10,7 22,5

34 230 66 195

14,5 28,1

Ostländer gesamt

24 000

33,3

50 000

30,6

74 000

31,5

OECD, OPEC, Ostländer übrige Welt

68 505 3 495

95,1 4,9

126 950 36 050

77,8 22,2

185 455 39 545

83,1 16,9

Welt gesamt

72 000

100,0

163 000

100,0

235 000

100,0

Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

Betrachtet man aber die Verteilung der Erdgasreserven auf die einzelnen Länder, so ergibt sich eine noch stärkere Konzentration der Vorräte auf einige wenige Länder als beim Erdöl (Tabelle 3-20). Besonders ausgeprägt ist hier die Spitzenstellung der UdSSR mit nahezu einem Drittel der nachgewiesenen Erdgasreserven in der Welt. Von den westeuropäischen Ländern haben die Niederlande und Großbritannien beachtliche Vorräte.

3.332

Förder- und Verbrauchszentren von Erdgas

Wie bereits erwähnt, ist die prognostizierte Reichweite der Erdgasreserven aufgrund der zu erwartenden Verbrauchsentwicklung nicht ganz so kritisch wie bei Erdöl. Zunächst sei die Entwicklung der nachgewiesenen Erdgasvorräte und der Erdgasförderung in der Welt betrachtet. Tabelle 3-21 gibt die zeitliche Entwicklung von 1960 bis 1976 wieder (12, 33). Hieraus ist ersichtlich, daß sich die nachgewiesenen Reserven seit 1960 um das 3,5fache erhöhten und mit der gesteigerten Jahresförderung schritthalten konnten.

3.3 Primärenergieträger

89

Tabelle 3 - 2 0 : Die Länder mit den größten Erdgasreserven (Stand 1. 1. 75) Länder 1 1. 2. 3. 4. 5.

UdSSR Iran USA Algerien Vereinigte Arab. Emirate 6. Niederlande 7. Saudi-Arabien

nachgewiesene Reserven v. H. Mrd. m 3 000 340 720 600 700

31,9 13,1 9,3 9,2 7,9

2 685 1 560

3,7 2,2

23 9 6 6 5

mögliche Reserven Mrd. m 3 v. H.

Gesamtreserven v. H. Mrd. m 3

45 15 19 16 2

68 24 26 22 8

000 000 420 000 800

27,6 9,2 11,9 9,8 1,7

250 5 600

0,1 3,4

000 340 140 600 500

28,9 10,3 11,1 9,6 3,6

2 935 7 160

1,2 3,0

Westeuropa

5 500

6 000

11 500

davon onshore

2 950

750

3 700

150 200

2 435 515

230 100

395 245

5 250

7 800

Wichtige Reserven liegen im Hoheitsgebiet von: Großbritannien 1 000 1 260 Norwegen 600 700 Niederlande 400 100 Dänemark 100 50

2 260 1 300 500 150

Wichtige Reserven liegen in: Niederlande 2 285 Bundesrepublik 315 Deutschland Frankreich 165 Italien 145 davon offshore

1

2 550

Die Reihenfolge orientiert sich an den nachgewiesenen Reserven.

Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

Wichtige Industriestaaten haben eine ausgeglichene Bilanz zwischen Förderung und Verbrauch von Erdgas (Tabelle 3-22). Außerdem gehören mit den Niederlanden und Großbritannien zwei westeuropäische Staaten zu den 6 größten Förderländern. Auch bei den anderen Industrienationen, wie zum Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, Italien und Frankreich, ist der Unterschied zwischen Förderung und Verbrauch längst nicht so ausgeprägt wie beim Erdöl. Das Stanford Research Institute, USA, prognostiziert für das Jahr 1990 einen weltweiten Erdgasbedarf von 3,8 Mrd. t SKE (2700 Mrd. m 3 ) (Tabelle 2-1). Aus der bisherigen Entwicklung der Erdgasreserven kann zwar nicht zwingend auf den weiteren Trend geschlossen werden, es ist aber damit zu rechnen, daß in den kommenden Jahren von den möglichen Reserven in Höhe von 163 000 Mrd. m 3 ein großer Teil als nachgewiesene Reserven bestätigt werden kann, zumal in vielen Ländern die Erdgasexploration noch im Anfangsstadium steht. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstof-

90

3. Das Energiepotential der Welt

Tabelle 3-21: Zeitliche Entwicklung der nachgewiesenen Erdgasreserven in der Welt Jahr

Erdgasreserven 1 in Mrd. m 3

Welt-Erdgasförderung in Mrd. m 3

1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 2 1975 3 1976

18 20 22 23 24 25 28 33 37 42 45 49 53 57 67 63 65

469 506 551 602 657 704 766 824 890 975 1 079 1 146 1 212 1 268 1 313 1 300 1 372

600 400 000 000 600 400 300 600 700 400 000 100 700 900 600 200 630

1

Stand jeweils 31. 12. Nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, betragen diese Reserven 72 000 Mrd. m 3 (46). 3 In einigen Ländern gegenüber dem Vorjahr korrigierte Zahlen. 2

Quellen: Informationsprogramm - Nr. 4 der Esso AG, Hamburg, 1976. Oeldorado 76, Informationsprogramm der Esso AG, Hamburg 1977.

fe, Hannover, kommt zu dem Ergebnis, daß eine mittlere Zuwachsrate der Förderung von 2%—4% bis zum Jahre 2000 und danach eine statische Reichweite (konstante Förderung) von 25-30 Jahren realisierbar ist, falls bis dahin 30 000-100 000 Mrd. m 3 der möglichen Reserven noch als nachgewiesene Reserven bestätigt werden können (46). Betrachtet man für einzelne Länder auf der Grundlage der Förderung und Reserven des Jahres 1975 die statische Reichweite (Tabelle 3-22), so ergeben sich für eine Reihe von Staaten des Westens geringe Reichweiten (USA, Niederlande, Bundesrepublik Deutschland, Italien, Frankreich). Dagegen ist die Reichweite der Erdgasreserven der UdSSR groß. Für die meisten Länder des Nahen Ostens und Afrikas ergeben sich ebenfalls große Reichweiten. Dies rührt daher, daß bereits große Reserven nachgewiesen wurden, die Förderung aber erst begonnen hat. Es wurde bereits erwähnt, daß in Westeuropa etwa 7% der nachgewiesenen Erdgasreserven lagern. Großbritannien rechnet ab 1980 mit einer Jahresförderung (Offshore) von 60-80 Mrd. m 3 und ab 1985 mit 90-100 Mrd. m 3 . In Norwegen erwartet man ab 1980 eine Förderung (Offshore) von 2 0 ^ 0 Mrd. m 3 pro Jahr und ab 1985 von 40-50 Mrd. m 3 pro Jahr. Aus diesen

3.3 Primärenergieträger

91

Tabelle 3-22: Förderung und Verbrauch von Erdgas in einigen Ländern in Mrd. m 3 sowie statische Reichweiten in Jahren

Länder1

1975

1976 2

1975

Statische Reichweite 3 nachgewiesene GesamtReserven reserven

1. 2. 3. 4. 5. 6.

569 289 91 85 38 34

560 321 96 89 40 38

573 258 37 50 5,5 37

12 79 29 19 13 37

46 235 32 182 131 66

Förderung

USA UdSSR Niederlande Kanada VR China Großbritannien

Bundesrepublik Deutschland Italien Frankreich Japan

Verbrauch

17,8 14,6 7,4

18,8 14,8 6,6

37 23,3 18,9

17 10 22

29 17 53

2,4

2,4

8,8

21

62

1

Dies waren 1976 die 6 größten Förderländer. Es handelt sich um zum Teil vorläufige Angaben, die sich aber erfahrungsgemäß nicht mehr wesentlich ändern. 3 Grundlagen sind Förderung und Reserven des Jahres 1975 (vgl. Tabelle 3-20). 2

Quellen: Oeldorado 76, Informationsprogramm der Esso AG, Hamburg, März 1977. BP Statistical review of the world oil industry 1975, London 1976. Eigene Berechnungen.

Gründen wird die Versorgungssituation Westeuropas auf dem Erdgassektor auch in absehbarer Zukunft günstig bleiben (45). Die Importabhängigkeit der deutschen Erdgasversorgung wird in den nächsten Jahren zunehmen. Wegen der aber heute schon fest abgeschlossenen Verträge wird sich ab 1985 die Importabhängigkeit auf eine größere Anzahl von Lieferländern als derzeit verteilen. Danach werden 36% des zu erwartenden Erdgasbedarfs aus den Niederlanden kommen, 18% aus Norwegen, 13% aus der UdSSR, 7% aus dem Iran, und 26% können durch die Bundesrepublik selbst gedeckt werden (45). Diese Streuung der Bezugsquellen bedeutet für die Sicherheit des Erdgasangebotes: Rund 80% der für die Bundesrepublik vertraglich gesicherten Erdgasmengen stammen aus westeuropäischen Quellen (Inland, Niederlande, Norwegen). Bei Erdgas gibt es verhältnismäßig wenig Angaben über die technischen Förderkosten. Der durchschnittliche Preis am Bohrlochkopf lag 1974 in den USA bei 2,6 Pf/m 3 . Den Prognosen der OECD-Studie „Energy Prospects to 1985" zufolge wird sich dieser Preis bis 1985 etwa verdoppeln. Der Preis für Nordseegas lag 1974 an der Küste bei rd. 6 Pf/m 3 (46).

92

3.333

3. Das Energiepotential der Welt

Besonderheiten der Erdgastechnologie

Erdgas, ein Gemisch flüchtiger Kohlenwasserstoffe, dessen Hauptbestandteil Methan (CH 4 ) ist, wird häufig in den gleichen Lagerstätten gefunden wie Erdöl. Die Voraussetzungen für die Bildung von Erdgaslagerstätten waren demnach ähnlich wie beim Erdöl. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Erdgastechnologie in vielen Punkten mit der Erdöltechnologie vergleichbar ist (vgl. 3.313 und 3.323). Der Grund hierfür ist der gasförmige Aggregatzustand. Erdgas ist ein außerordentlich umweltfreundlicher Primärenergieträger. Probleme treten aber bei Uberseetransporten und Lagerung (Speicherung) auf. Während sich nämlich beim Rohöl die Wertschöpfung aus Aufwand, Gewinn und Besteuerung zu etwa gleichen Teilen auf die Produktions-, Transport- und Verbrauchsphase verteilt, überwiegt beim Erdgas bei weitem der Aufwand für die Transportphase, der etwa 40-55% der Wertschöpfung in der Erdgaslieferkette beansprucht. Für die Transportabstände von wenigen tausend Kilometern ist der Pipelinetransport relativ günstig. So zum Beispiel hat die „Super-Ferngasleitung" vom persischen Kangan nach Westeuropa eine Länge von ca. 6000 km. Für den Transport der Erdgasmengen über diese Entfernung werden etwa 15% als Treibgasmenge benötigt. Da die importierten Gasmengen kontinuierlich angeliefert werden, der Bedarf aber insbesondere jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt, ist man bestrebt, zur Pufferung Gasspeicher zu schaffen. Geeignet sind hierzu beispielsweise abgebaute Erdgasfelder beziehungsweise Salzstöcke (23). Für größere Entfernungen verbessert sich die Wirtschaftlichkeit des Erdgastransportes in verflüssigter Form (LNG-Liquefied Natural Gas). Das Erdgas wird bei einem Druck von 1 bar und einer Temperatur von —161° C verflüssigt. Vor der Verflüssigung müssen die Bestandteile aus dem Erdgas entfernt werden, die bei Abkühlung auf —161° C ausfrieren und Störungen in der Anlage bewirken würden. Das sind im wesentlichen Wasser, Kohlendioxyd und Schwefelwasserstoff. Der Seetransport des verflüssigten Erdgases wird mit Spezialtankern durchgeführt. Die Beladung der LNG-Tanker aus Flüssiggaslagerbehältern erfolgt mit Hilfe von Pumpen. Beim Entladen wird das Flüssiggas wieder aus den Ladetanks in die Landtanks gepumpt, wo das Gas zunächst in verflüssigter Form gelagert wird. In einer Verdampfungsanlage wird das flüssige Erdgas verdampft und auf eine für den Transport in der Pipeline notwendige Temperatur erwärmt. Der thermische Aufwand für die Gasverflüssigung und Wiederverdampfung benötigt etwa 25% des geförderten Erdgases. Die Kapazität eines LNG-Tankers liegt derzeit größenordnungsmäßig bei 130 000 m 3 . Tanker der nächsten Generation sollen etwa das doppelte Fassungsvermögen haben. Etwa 30 LNG-Tanker fahren heute über die Weltmeere, und 1980 sollen es ca. 60 sein, die flüssiges Erdgas zu den Verbraucherländern transportieren.

3.3 Primärenergieträger

3.34

Ölschiefer, Ölsande

3.341

Ölgewinnung aus Ölschiefer

93

Ölschiefer ist ein feinkörniges, blättriges Sedimentgestein, das ein organisches Material, Kerogen, enthält. Hieraus kann durch Erhitzen auf ca. 500° C Schieferöl, ein Gemisch von Kohlenwasserstoffen, ähnlicher Zusammensetzung wie Erdöl, gewonnen werden. Die Flözmächtigkeit der weltweit verteilten Ölschiefervorräte variiert von einigen cm bis zu einigen 100 m. Auch der Gehalt an Kerogen, das heißt, der gewinnbare Ölinhalt, hat eine enorme Bandbreite. Sie reicht von wenigen Litern/t bis zu 480 1/t beim Marahu-Schiefer Brasiliens. (Ölschiefer mit < 40 1 Schieferöl/t sind derzeit wirtschaftlich uninteressant und werden nicht betrachtet (Tabelle 3-1)). Die Angaben über die Reserven an Ölschiefer schwanken in der Literatur beträchtlich. Dies liegt zum Teil daran, daß keine eindeutige Klassifikation nach gewinnbarem ölinhalt vorgenommen wird. Der gesamte Ölinhalt aller Schieferölreserven, auch derjenige mit sehr geringem ölinhalt, entspricht nach Schätzungen der World Energy Conference (1974) rd. 75 000 Mrd. t SKE und nach Colorado School of Mines Research Institute (1975) sogar rd. 450 000 Mrd. t SKE (11). Obwohl aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein geringer Teil jemals ökonomisch genutzt werden kann, stellen diese Reserven ein ungeheures Energiepotential der Menschheit dar. Die Esso A G gibt die gesamten Ölschieferreserven (Berechnungsgrundlage 40-100 1/t) mit 456 Mrd. t (ölinhalt) an. Davon sollen jedoch derzeit nur etwa 25 Mrd. t ökonomisch gewinnbar sein (48). G. Bischoff geht davon aus, daß sich unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen maximal 28,5 Mrd. t Schweröl aus Ölschiefer gewinnen lassen: USA 12 Mrd. t, Brasilien 7,5 Mrd. t, Europa 4,5 Mrd. t, Asien 3 Mrd. t, Afrika 1,5 Mrd. t (49). Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, gibt die insgesamt vorhandenen Weltvorräte an Ölschiefer mit 490 Mrd. t (Ölinhalt) ( ^ 705 Mrd. t SKE) an. Die wirtschaftlich gewinnbaren Weltvorräte werden auf 33 Mrd. t (ölinhalt) ( = 47 Mrd. t SKE) beziffert. Dabei werden nur Reserven mit mindestens 40 1 Schieferöl/t Gestein berücksichtigt (50). Die regionale Verteilung der Ölschieferreserven ist aus Tabelle 3-23 ersichtlich. Rd. 90% der insgesamt vorhandenen und rd. 76% der zur Zeit ökonomisch gewinnbaren Reserven liegen in Nord- und Südamerika. Die Vorräte der übrigen Länder verteilen sich auf Italien (5 Mrd. t Öl), Frankreich (1 Mrd. t öl), Bundesrepublik Deutschland (0,5 Mrd. t öl), Schweden (0,39 Mrd. t öl). Kommerziell werden zur Zeit nur in der UdSSR 5-7 Mio. t Schieferöl/a und in der VR China 4 - 5 Mio. t/a gewonnen. In Brasilien und den USA arbeiten bisher Versuchsanlagen. Beim Paraho-Project (USA) werden beispielsweise

94

3. Das Energiepotential der Welt

Tabelle 3-23: Regionale Verteilung der Ölschiefervorräte (Stand 1.1. 1976) Gesamtreserven Region

Mrd. t ö l

v. H.

z. Zt. ökonomisch gewinnbare Reserven Mrd. t. ö l v. H.

USA Brasilien Kanada UdSSR VR China übrige Länder

295 120 23 16 10 25

60,4 24,6 4,8 3,4 2,0 4,8

12 7 6,5 4 4 0,18

490

100,0

zusammen

rd.

Bundesrepublik Deutschland

0,5

rd.

33

35,5 20,7 19,3 11,8 11,8 0,9 100,0

0,11

Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

gegenwärtig rd. 350 t Schiefer pro Tag untertage abgebaut. Das Öl enthält aber überdurchschnittlich viel Stickoxyde, Staub, Schwefel und Arsen. Ab 1980 wird mit der Aufnahme der kommerziellen Produktion gerechnet. Beim Abbau von Ölschiefer treten erhebliche Umweltprobleme auf. Eine Anlage, die pro Tag 7000 t Schieferöl erzeugt, muß in 24 Stunden 80 000 t Gestein verarbeiten, fast 1 t/s. Da sich durch das Zerkleinern der Rauminhalt des abgebauten Ölschiefers um mehr als 30% erhöht, kann nur ein Teil davon wieder in die Bergwerksstollen zurückgebracht werden, für den Rest muß ein Lagerplatz gefunden werden. Trotzdem hat 1975 die US-Regierung gegenüber der IEA 3 zum Ausdruck gebracht, daß die USA 1980 2,5 Mio. t, 1985 40 Mio. t und 1990 63 Mio. t Schieferöl/a produzieren wollen (50). (1976 hatten die USA einen Rohölverbrauch von 808 Mio. t). Gegenwärtig wird in der Bundesrepublik Deutschland kein Schieferöl gewonnen. Obwohl Ölschiefer mit rd. 110 Mio. t ölinhalt im Tagebau gewinnbar wäre, ist die Verarbeitung zu Schieferöl beim derzeitigen technologischen Stand in der Bundesrepublik Deutschland nicht wirtschaftlich. Nur das Portlandzementwerk Rohrbach in Dotternhausen (Baden-Württemberg) verwertet Ölschiefer. Dieser wird aber gleichzeitig als Energie- und Rohstoffträger zur Zementherstellung verwendet. Bei einsatzfähigen „in situ"-Gewinnungsverfahren könnte sich die Bedeutung der Ölschieferreserven ändern. Dabei wird versucht, Ölschiefer am Ort seiner Lagerung („in situ") durch Einpressen von heißer Luft oder Gasen zu erhitzen. In den Vereinigten Staaten werden von der US-Behörde E R D A „in situ"-Gewinnungsverfahren erprobt. (ERDA ist für alle Ölschiefer-Aktivitäten der US-Regierung, die hierfür bis 1985 rd. 10 Mrd. US-Dollar zur Verfügung 3

International Energy Agency.

3.3 Primärenergieträger

95

stellen möchte, verantwortlich). Die Probleme liegen vor allem in der Undurchlässigkeit des Ölschiefers für die zuzuführenden Heizsubstanzen. Durch zahlreiche Sprengungen ist es möglich, feine Spalten und Risse künstlich zu erzeugen, um die für einen „in situ"-Schwelvorgang notwendige Durchlässigkeit des Schiefers für heiße Gase und Luft zu erreichen. Solche „in situ"-Technologien sind umweltfreundlich, da die Lagerung der Rückstände entfällt und eine Luftverschmutzung nicht stattfindet. Es ist davon auszugehen, daß nur bei Realisierung von „in situ"-Verfahren in Zukunft eine bedeutende Produktion von Schieferöl aufgebaut werden kann. In den USA gibt es Planungen, kleinere unterirdische Kernsprengungen zu diesem Zwecke einzusetzen (vgl. 3.343). Im Jahre 1974 betrug die Welt-Produktion an Schieferöl rd. 10 Mio. t. Nach Schätzungen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, könnte sich die zukünftige Welt-Produktion wie folgt entwickeln: 1980 19-21 Mio. t, 1985 58-60 Mio. t., 1990 85-89 Mio. t (50). Die Gesamtkosten des Schieferöls würden gegenwärtig bei konventionellen Gewinnungsverfahren mit einer 2,7 Mio. t/Jahr-Anlage in den USA 10—14 US-Dollar/bbl betragen. Deshalb ist eine wirtschaftliche Gewinnung von Schieferöl erst bei einem ölpreisniveau von 12-20 US-Dollar/bbl möglich (50). Die konventionellen Gewinnungsverfahren sind mit hohen Bergbau- und Verschwelungskosten belastet. Es wird damit gerechnet, daß durch „in situ"Technologien die Gesamtkosten je Barrel Schieferöl um etwa ein Drittel reduziert werden können. Deshalb dürfte für den zukünftigen Umfang einer Schieferölproduktion, neben der Realisierung von „in situ"-Gewinnungsverfahren, die weitere Entwicklung der Rohölpreise entscheidend sein.

3.342

Ölgewinnung aus ölsanden

Ölsande sind durch eingewandertes Erdöl entstanden, das in der Nähe der Erdoberfläche durch Oxidation und Verlust an leichtflüchtigen Bestandteilen seine Fließfähigkeit verschlechterte und in Form von Asphalt in porösen Sanden angereichert wurde. Uber die Reserven an ölsanden gibt es unterschiedliche Angaben. Die Esso A G gibt die gesamten ölsandreserven der Welt mit 200-500 Mrd. t ölinhalt an. Von diesen sollen voraussichtlich ungefähr 150 Mrd. t gewinnbar sein (48). Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, gibt die insgesamt vorhandenen Weltvorräte an Ölsanden mit 340 Mrd. t Ölinhalt (A 490 Mrd. t SKE) an. Die wirtschaftlich gewinnbaren Weltvorräte werden auf 40 Mrd. t Ölinhalt ( = 57 Mrd. t SKE) beziffert (50). Die regionale Verteilung der ölsandreserven ist aus Tabelle 3-24 ersichtlich. Das heißt, rd. 99% der insgesamt vorhandenen Vorräte und rd. 100% der zur Zeit ökonomisch gewinnbaren Vorräte liegen auf dem amerikanischen Konti-

96

3. Das Energiepotential der Welt

Tabelle 3-24: Regionale Verteilung der ölsandreserven (Stand 1.1. 1976) Gesamtreserven Region

Mrd. t ö l

v. H.

Kanada Venezuela Kolumbien USA Madagaskar

130 104 100 4 0,27

38,5 30,8 29,5

Zusammen

338,27

100,0

1,1 0,1

z. Zt. ökonomisch gewinnbare Reserven v. H. Mrd. t ö l 40 k. Angaben k. Angaben k. Angaben k. Angaben

100 — — — —

Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

nent. In Kanada (Provinz Alberta) liegen die größten ölsandvorräte der Erde, die Athabasca-, Cold Lake- und Peace River-Ölsande (48). Die Athabasca-ölsande sind die bedeutendsten, sie haben eine Flächenausbreitung von ca. 50 000 km 2 und einen ölgehalt von bis zu 18 Gewichtsprozent. Von den 40 Mrd. t z. Z. ökonomisch gewinnbaren Reserven sind etwa 10 Mrd. t im Tagebau gewinnbar. Obwohl diese Vorkommen schon seit etwa 200 Jahren bekannt sind, wurde der industrielle Abbau erst 1967 begonnen. Die Anlage wird von der GCOS (Great Canadian Oil Sands Ltd.) betrieben. Seither wurden pro Jahr ca. 2,5 bis 3,5 Mio. t ö l gewonnen. Die kanadische Regierung hat 1975 gegenüber der IEA zum Ausdruck gebracht, daß Kanada 1980 10 Mio. t, 1985 20 Mio. t und 1990 30 Mio. t ö l aus Ölsanden produzieren will. Die Kosten für die Gewinnung von ö l aus ölsanden sind in den letzten Jahren infolge hoher Investitionskosten erheblich gestiegen. Die Ölsande lassen sich, wie Ölschiefer, nicht wie normales Erdöl fördern, sondern müssen abgebaut werden und anschließend (z. B. durch Heißwasserverfahren) entölt werden. Die Gesamtkosten betragen gegenwärtig bei konventionellen Gewinnungsverfahren mit einer 6 Mio. t/Jahr-Anlage in Kanada 7 - 8 US-Dollar/bbl. Deshalb ist eine wirtschaftliche Gewinnung von ö l aus ölsanden in Kanada erst bei einem Rohölpreisniveau von 11-12 US-Dollar/bbl möglich (50). Es wird damit gerechnet, daß durch Anwendung von, ,in situ"-Technologien die Gewinnungskosten noch erheblich reduziert werden können. Hier gibt es ebenfalls Überlegungen, unterirdische Kernsprengungen zu diesem Zweck einzusetzen (vgl. 3.343).

3.3 Primärenergieträger

3.343

97

Erschließung von Erdöl- und Erdgasvorkommen durch nukleare Sprengungen

3.343.1 Physikalische und politische Aspekte der nuklearen Sprengtechnik 4 Die Entdeckung der Kernspaltung durch O. Hahn und F. Straßmann im Dezember 1938 in Berlin hat zweifellos unsere Welt tiefgreifend verändert. (Im Januar 1939 wurde diese Entdeckung in der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften" publiziert). Bereits am 2. August 1939 schrieb der in Ulm/Donau geborene A. Einstein, der seit 1933 in den USA lebte, an den amerikanischen Präsidenten F. D. Roosevelt seinen historischen Brief. Darin wies A. Einstein auf die grundsätzliche Möglichkeit hin, eine Atombombe zu bauen und empfahl dringend wegen etwaiger deutscher Entwicklungsarbeiten, in den USA entsprechende Maßnahmen zum Bau einer Kernwaffe einzuleiten (51). Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Unter dem Decknamen „Manhattan-Projekt" entwickelten die USA die erste Atombombe. Der Leiter des gesamten gigantischen Unternehmens war General Groves. Ein wichtiger Teil der Arbeiten konzentrierte sich auf Chicago. Obwohl im Laufe der Zeit Zehntausende unmittelbar beteiligt waren und in riesigen, aus dem Boden gestampften Anlagen arbeiteten, war die Geheimhaltung gelungen. Im Zeichen des Krieges mit seinen verheerenden Zerstörungen kam es zu keiner Kritik an dem Projekt, und eine öffentliche Diskussion war aufgrund der militärischen Geheimhaltung erst recht nicht möglich. Die Verwirklichung des Manhattan-Projektes dauerte nur wenige Jahre. Am 2. Dezember 1942 wurde der erste Reaktor (CP 1) von E. Fermi in Chicago kritisch, und am 16. Juli 1945 fand bereits die erste Versuchsexplosion einer Atombombe (Fissionssprengkörper) in Alamogordo, in der Wüste von New Mexico, statt. Wenige Wochen später, am 6. August 1945, als der Krieg in Europa schon zu Ende war, wurde die erste Atombombe (Uranbombe) auf Hiroshima abgeworfen, und am 9. August 1945 zerstörte eine weitere Atombombe (Plutoniumbombe) Nagasaki (52). In Deutschland wurde, verglichen mit den Vereinigten Staaten, aus mehreren Gründen, auf die hier nicht eingegangen werden soll, mit außerordentlich geringem Aufwand auf diesem Sektor gearbeitet (53). Gegen Kriegsende wurden die diesbezüglichen Arbeiten in die Nähe von Hechingen (Baden-Württemberg) verlagert. Nach der Besetzung durch die Alliierten zeigte sich endgültig, daß man in Deutschland von der Realisierung einer Kernwaffe noch weit entfernt war 5 (54, 55). 4

Auf diese Aspekte soll nur insoweit eingegangen werden, als sie für das Verständnis der in 3.343.2 beziehungsweise 5.7 behandelten Zusammenhänge von Bedeutung sind. 5 Einen detaillierten Bericht über die weitere Entwicklung der Kernenergie in Deutschland findet der Leser in: K. Winnacker, K. Wirtz, Das unverstandene Wunder - Kernenergie in Deutschland, Econ-Verlag: Düsseldorf, Wien 1975.

98

3. D a s Energiepotential der Welt

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Entwicklung im Bereich der Kernwaffen dadurch gekennzeichnet, daß immer mehr Staaten nukleare Sprengkörper zündeten. Am 29. 8. 1949 brachte die UdSSR ihren ersten Fissionssprengkörper zur Detonation, am 3. 10. 1952 folgte Großbritannien, am 13. 2. 1960 Frankreich, am 16. 10. 1964 die VR China und am 18. 5. 1974, als derzeit letzter Staat, Indien. (Die Daten beziehen sich jeweils auf die erste erfolgreiche Versuchsexplosion) (56). Durch den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NV-Vertrag), der am 5. März 1970 in Kraft trat, konnte also nur bedingt die Zahl der Kernwaffenstaaten begrenzt werden. (Mit dem NV-Vertrag soll das Ziel verfolgt werden, daß möglichst viele Nichtkernwaffenstaaten auf Herstellung und Erwerb und alle Kernwaffenstaaten auf die Weitergabe von Kernwaffen verzichten) (57). Die Welt läßt sich nach diesem Vertrag in Vertrags- 6 und Nichtvertragsstaaten 7 unterteilen. Zu beiden Gruppen gehören jeweils Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten. Die Nichtkernwaffenstaaten können nochmals untergliedert werden in sog. Schwellenmächte und Entwicklungsländer. Unter den Schwellenmächten gibt es Staaten mit einer fortgeschrittenen Nukleartechnologie, die in der Lage sind, nukleare Sprengkörper herzustellen 8 und Staaten, die in wenigen Jahren mit Unterstützung oder in absehbarer Zeit selbständig nukleare Sprengkörper entwickeln können 9 (58, 59). Von einzelnen Atommächten wurden große Anstrengungen zur quantitativen und qualitativen Differenzierung von Kernwaffen unternommen. Den Vereinigten Staaten gelang es am 1. 11. 1952 erstmals, auf dem Eniwetok-Atoll im Pazifik einen Fusionssprengkörper zur Detonation zu bringen. Überraschenderweise zündete die UdSSR bereits am 12. 8. 1953 ihre erste Wasserstoffbombe. Am 15. 5. 1957 folgte Großbritannien, am 29. 8. 1968 Frankreich und am 17. 6. 1967 die VR China. (Die Daten beziehen sich jeweils auf die erste erfolgreiche Versuchsexplosion) (56). Die zur Zündung eines Fusionssprengkörpers (thermonuklearen Sprengkörpers) notwendigen extremen Druck- und Temperaturbedingungen wurden durch einen Fissionssprengsatz realisiert (vgl. 4.22). Eine Entwicklungslinie verfolgte das Ziel, Bomben von immer größerer Detonationsstärke herzustellen. So entstand beispielsweise die Dreiphasenbombe (Fission-Fusion-Fission-Bombe). Parallel hierzu wurde der Übergang zu immer kleinerer Detonationsstärke vollzogen (Tactical Nuclear Weapons, MiniNucs). In den verschiedenen Kriegsverhütungsdoktrinen nach dem Zweiten Weltkrieg war die Abschreckung mit atomaren Waffen immer ein unabdingbarer 6 7 s 9

Beispiele Beispiele Beispiele Beispiele

sind: sind: sind: sind:

U S A , U d S S R , Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland, Kanada. Frankreich, V R China, Indien, Brasilien, Israel, Ägypten. Israel, Südafrika. Argentinien, Brasilien.

3.3 Primärenergieträger

99

Bestandteil. Die Tatsache, daß dieses System der Abschreckung entscheidend dazu beitrug, mehr als drei Jahrzehnte lang einen großen Weltkrieg zu verhindern, bietet zwar eine entsprechende Wahrscheinlichkeit für dessen weitere Funktionsfähigkeit, aber keine Gewißheit. (Mögliche Kriegsfolgen und Lösungsvorschläge zur Kriegsverhütung im atomaren Zeitalter wurden in mehreren umfassenden Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen in der wissenschaftlich-technischen Welt, Starnberg, diskutiert (60-62)). Aufgrund der beschriebenen Entwicklung seit der Entdeckung der Kernspaltung ist der Begriff „Kernenergie", insbesondere wegen Hiroshima und Nagasaki, bei einem großen Teil der Menschheit mit Ängsten und mit der Vorstellung von Massenvernichtung verknüpft. Die Thermonuklearwaffen sind aber eine nicht mehr aus der Welt zu schaffende Realität. Selbst wenn eine umfassende, kontrollierte, weltweite Abrüstung kommen wird, ist davon auszugehen, daß die Kenntnis der Herstellungsverfahren dieser Waffen erhalten bleibt und damit auch die latente Gefahr eines Mißbrauchs. Die Menschheit muß also lernen, mit „der Bombe" zu leben. Wohl auf keinem Gebiet ist die Dualität naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse und deren technische Anwendung so offensichtlich, wie bei der Kernenergie, insbesondere bei der Freisetzung der Kernenergie durch nukleare beziehungsweise thermonukleare Sprengkörper (vgl. 5.71). Aber auch diese Art der Kernenergie ist an sich moralisch nicht wertbar, jedoch haben Menschen die Möglichkeit zu entscheiden, ob sie zum Segen oder Fluch der Menschheit gereicht (63). Denn die friedliche Nutzung der Kernenergie kann nicht nur mit Hilfe kontrollierter Reaktionen, also in Kernreaktoren, geschehen, sondern auch durch den Einsatz nuklearer Sprengkörper. Das Kardinalproblem dabei ist aber, daß ein nuklearer Sprengkörper für friedliche Zwecke in Funktions- und Wirkungsweise prinzipiell nicht von einer Kernwaffe zu unterscheiden ist. Dieser Problematik trägt der am 28. Mai 1976 von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion unterzeichnete Vertrag Rechnung, der die Durchführung von unterirdischen Kernsprengungen zu friedlichen Zwecken regelt und begrenzt (64). Hierbei handelt es sich um die Ergänzung zu dem 1974 abgeschlossenen amerikanisch-sowjetischen Vertrag über die Begrenzung unterirdischer Kernwaffenversuche, die zu dessen Inkrafttreten noch ausstand (65). Dieser neue Vertrag (PNE-Vertrag, nach „peaceful nuclear explosion") begrenzt jede einzelne friedliche unterirdische Kernsprengung auf 150 kt TNT 10 . Unter ganz bestimmten Bedingungen - darunter erstmals Ortsinspektion - läßt dieser

10

Die Frage der Auslösung von Einzelsprengungen mit größerer Sprengkraft als 150 kt TNT wird von den Vertragsparteien zu einem passenden, noch zu vereinbarenden Zeitpunkt erörtert werden.

100

3. Das Energiepotential der Welt

PNE-Vertrag Gruppensprengungen 11 bis zu insgesamt 1,5 Mt TNT zu. Jede der beiden Seiten kann, gemäß Artikel III des PNE-Vertrages, die Sprengungen bis zur zulässigen Stärke nicht nur an jedem beliebigen unter ihrer Hoheitsgewalt oder Kontrolle stehenden Ort vornehmen, sondern auch im Gebiet fremder Staaten auf deren Ersuchen. Damit ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung des Artikels V 1 2 des NV-Vertrages geschaffen, der die Einrichtung internationaler Kernsprengdienste für friedliche Zwecke vorsieht (57). Bei solchen Dienstleistungen sind die Bestimmungen des Vertrages über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser von 1963, des NV-Vertrages und die Kontrollvorschriften des PNE-Vertrages einzuhalten. In einer zusätzlichen „Vereinbarten Erklärung" ist eine weitere Präzisierung enthalten: Versuchsexplosionen gelten auch dann nicht als „friedliche Anwendung", wenn Sie der Entwicklung von nuklearen Sprengvorrichtungen zu friedlichen Zwecken dienen; sie unterliegen deshalb den für Kernwaffenversuche geltenden Beschränkungen (64). Das Protokoll, ein integraler Bestandteil des PNE-Vertrages, regelt bis ins kleinste technische Detailfragen wie die Mindesttiefe für die Plazierung der Sprengvorrichtungen, die gegenseitige Informationspflicht der Vertragsparteien, die Bedingungen für den Zutritt von Beobachtern der anderen Vertragspartei zu den Orten der Sprengungen, die Beschaffenheit der Geräte für die Beobachtung und Prüfung der Sprengungen, die Verfahren zur Bestimmung der Explosionsstärke, Privilegien und Immunitäten 13 (66). 11 Nach Artikel II des PNE-Vertrages bedeutet ,,a) ,Sprengung' jede einzeln oder gebündelt vorgenommene unterirdische Kernsprengung zu friedlichen Zwecken; b) .Sprengvorrichtung' jedes Gerät, jeden Mechanismus und jedes System zur Auslösung einer einzelnen Sprengung; c) ,Gruppensprengung' zwei oder mehrere einzelne Sprengungen, bei denen der zeitliche A b stand zwischen aufeinanderfolgenden einzelnen Sprengungen fünf Sekunden nicht überschreitet und bei denen die Lagepunkte aller Sprengvorrichtungen sich durch gerade Strecken miteinander verbinden lassen, deren jede zwei Lagepunkte verbindet und 40 Kilometer nicht überschreitet." 12 Der Artikel V des NV-Vertrages lautet: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß im Einklang mit diesem Vertrag unter geeigneter internationaler Beobachtung und durch geeignete internationale Verfahren die möglichen Vorteile aus jeglicher friedlichen Anwendung von Kernsprengungen Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, auf der Grundlage der Gleichbehandlung zugänglich gemacht werden und daß die diesen Vertragsparteien für die verwendeten Sprengkörper berechneten Gebühren so niedrig wie möglich sind und keine Kosten für Forschung und Entwicklung enthalten. Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, können diese Vorteile auf Grund einer oder mehrerer internationaler Sonderübereinkünfte durch eine geeignete internationale Organisation erlangen, in der Nichtkernwaffenstaaten angemessen vertreten sind. Verhandlungen hierüber werden so bald wie möglich nach Inkrafttreten dieses Vertrages aufgenommen. Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, können diese Vorteile, wenn sie es wünschen, auch auf Grund zweiseitiger Übereinkünfte erlangen." 13 Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion begannen am 13. Juni 1977 in Washington Gespräche über ein Verbot aller Kernwaffenversuche. Zu den in Genf fortgesetzten Gesprächen wurde Großbritannien hinzugezogen.

3.3 Primärenergieträger

101

Grundsätzlich wird die bei einer nuklearen Detonation freigesetzte Gesamtenergie größenordnungsmäßig in folgende drei Energiearten aufgeteilt: 5 0 - 6 0 % der Gesamtenergie tritt in Form von kinetischer Energie (Druckenergie) auf, 30-35% wird als thermische Energie frei und 10-15% in den verschiedenen radioaktiven Strahlungsformen (Fallout, Initialstrahlung). (Je nach Detonationsstärke und Bombentyp können sich anteilsmäßig größere Verschiebungen ergeben). Der Einsatz von nuklearen Sprengstoffen für friedliche Zwecke kommt zur Zeit, unabhängig von den abgeschlossenen Verträgen, wegen der bei allen Kernexplosionen auftretenden radioaktiven Strahlungsformen nur für unterirdische Sprengungen in Frage, da die Spaltprodukte unter der Erde im wesentlichen in wasserunlöslichen Verbindungen festgehalten werden, wenn die Detonation nur tief genug unter der Erdoberfläche durchgeführt wird (67). (Wesentlich kritischer wäre die Situation, wenn nukleare Sprengungen - nur etwa 100 m unter der Erdoberfläche - zum Bau von Hafenanlagen und Kanälen durchgeführt werden sollten). Gelänge es aber, einen nicht nuklear gezündeten Fusionssprengkörper zu realisieren, bei dem also lediglich Fusionsprozesse an der Energiegewinnung beteiligt wären, so würde keine für Spaltreaktionen spezifische Radioaktivität mehr frei werden. Bei einem solchen „sauberen" Fusionssprengkörper entstünde, neben dem nichtradioaktiven Helium, lediglich die durch Neutronenstrahlung induzierte Radioaktivität, die zudem wegen der beschränkten Reichweite der Neutronen in Materie auf die unmittelbare Umgebung des Explosionsherdes beschränkt bliebe. Die zur Auslösung der Fusionsprozesse notwendigen Bedingungen können aber bisher nur mit einem Fissionssprengsatz erzeugt werden. Der Anteil der Radioaktivität an der Gesamtenergie hängt somit vom Verhältnis der Energien, die durch Fusion und Fission freigesetzt werden, ab. Da nicht nuklear gezündete Fusionssprengkörper auch militärisch von außerordentlichem Interesse sind, wird sowohl in den USA als auch in der UdSSR intensiv auf diesem Gebiet gearbeitet. Neuerdings werden große Erwartungen in die Laser-Physik gesetzt, und man erhofft sich mit Hilfe von Hochleistungslasern die Realisierung eines lasergezündeten Fusionssprengkörpers (68, 69). Es sei erwähnt, daß ein lasergezündeter Fusionssprengkörper nach Auffassung der USA nicht unter das Verbot des NV-Vertrages fallen würde, da nach Auslegung der U S A sich der Vertrag nur mit dem befaßt, was untersagt und nicht mit dem, was erlaubt ist (70). Dagegen ist zum Beispiel die niederländische Meinung, daß der NV-Vertrag auch für eine lasergezündete Waffe gelten soll, da nach niederländischer Auffassung bei der Tritiumgewinnung aus Lithium eine Kernspaltung stattfindet (71). (Eine etwaige Technologie der kontrollierten thermonuklearen Fusion ist vom NV-Vertrag eindeutig nicht betroffen) (72). Die physikalischen, technischen und politischen Fragen zur Durchführung von unterirdischen Kernsprengungen zu friedlichen Zwecken sind im wesentli-

102

3. Das Energiepotential der Welt

chen gelöst. Gelänge die Realisierung eines nicht nuklear gezündeten Fusionssprengkörpers, so ergäben sich entsprechend mehr Anwendungsmöglichkeiten von nuklearen Sprengungen zu friedlichen Zwecken. Dadurch neu auftretende politische Fragen müßten aber erst einer Lösung zugeführt werden, denn das Versuchsstoppabkommen zwischen den USA, der UdSSR und Großbritannien von 1963 verbietet beispielsweise Kernwaffenversuche in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser, ungeachtet ob friedliche oder militärische Zwecke damit verfolgt werden. 3.343.2 Unterirdische Kernsprengungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen Im Jahre 1957 starteten die USA eines ihrer größten Forschungsvorhaben, das PLOWSHARE-Programm, dessen Ziel es ist, Möglichkeiten zur friedlichen Nutzung von nuklearen Sprengungen zu erforschen und dafür geeignete Sprengsätze zu entwickeln. Grundsätzlich beruhen die Einsatzmöglichkeiten nuklearer Sprengungen auf der enormen Konzentration der freiwerdenden Energie. Dabei ergibt sich die Nutzbarmachung zur Rohstoffgewinnung zum einen aus der Anwendung der freigesetzten kinetischen Energie (Druck) und zum anderen aus der freigesetzten thermischen Energie. Es ist damit zu rechnen, daß die Realisierung eines Projektes mit Hilfe nuklearer Sprengungen meist weniger aufwendig und somit kostengünstiger sein wird als mit herkömmlichen Mitteln. So braucht zum Beispiel ein 50 kt TNT-Sprengsatz nur ein Bohrloch von etwa 25 cm Durchmesser, während die entsprechende Menge TNT einen Schacht von etwa 30 m Durchmesser erfordern würde (75). Außerdem sind Kernsprengsätze verhältnismäßig preiswert. Nach Angaben der US-Atomenergiekommission kostet ein Kernsprengsatz nur etwa ein Zehntel des entsprechenden TNT-Äquivalents. Es wurde bereits erwähnt, daß ein Großteil der bekannten Ölreserven in Form von Ölschiefer und ölsanden vorhanden ist. Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß der konventionelle Abbau dieser Vorräte kostenungünstig ist und erhebliche Umweltprobleme aufwirft. Dies dürfte sich bei einsatzfähigen „in situ"-Gewinnungsverfahren ändern. Aufgrund der bisher mit unterirdischen nuklearen Sprengungen gemachten Erfahrungen ist die Annahme, daß hierzu Kernsprengungen eingesetzt werden können, realistisch. Will man die Einsatzmöglichkeiten unterirdischer nuklearer Sprengungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen abschätzen, so ist dafür die Kenntnis einiger wichtiger Daten und Abläufe Voraussetzung. In mehreren Arbeiten wurden die wissenschaftlich-technischen Ergebnisse einer Reihe unterirdischer Kernexplosionen veröffentlicht (67, 73, 74). Die wesentlichen Merkmale lassen sich wie folgt zusammenfassen: Innerhalb einer millionstel Sekunde wird die ganze Energie freigesetzt. Die Temperatur in der Nähe des Explosionszentrums

3.3 Primärenergieträger

103

beträgt über 106 Grad, der Druck mehrere 106 Atmosphären. Je nach Größe des Sprengsatzes verdampfen mehrere Meter des umgebenden Gesteins, so daß eine Höhle entsteht, die mit heißem und dichtem Gas gefüllt ist. An die Höhle schließt sich eine Schicht geschmolzenen Gesteins an (Schmelzzone), die das meiste radioaktive Material enthält. Innerhalb weniger tausendstel Sekunden entsteht eine Stoßwelle, die sich allseitig ausbreitet und die Höhle durch plastische Verformung am Rand vergrößert. Das geschmolzene Material fließt auf den Boden der Höhle und erstarrt zu einer glasartigen Substanz. Die Energie der Stoßwelle, die immer noch ausreicht, das umgebende Gestein zu zerbrechen, vergrößert die Höhle bis der Gasdruck, der durch Abkühlung und Ausdehnung des Gases sinkt, gleich dem lithostatischen Druck ist. Wenn die Festigkeit des Gebirges ausreicht, trotz Stoßwellenbeanspruchung den lithostatischen Druck aufzunehmen, bleibt die Höhle stabil. Meist erfolgt aber ein Nachbruch von Decke und Wänden, so daß sich dadurch eine stabilere Form (Dom) der Höhle ausbildet. In der Regel kann der nachträgliche Einsturz der Höhle wegen auftretender thermischer Spannungen nicht verhindert werden. Dadurch bildet sich eine kaminartige Bruchzone, deren Höhe von der Porosität des Bruchmaterials abhängt. Die Spitze des Kamins bleibt als kleine Kaverne bestehen (75). Die Erfahrungen bei ca. 200 nuklearen Explosionen zeigen, daß bei fast 80% der Sprengungen die nominelle Ladungsstärke mit der dann tatsächlich freiwerdenden Sprengenergie bis auf ± 2 0 % übereinstimmt, und bei weiteren 20% der Sprengungen bis auf ± 50% (bei zwei Sprengungen wurde wenig mehr als das Doppelte der vorhergesagten Energiemenge frei) (75). In der Vergangenheit wurde auch versucht, geeignete Simulationsverfahren zu entwickeln, um aus Experimenten mit herkömmlichen Sprengstoffen Folgerungen über Wirkungen atomarer Sprengmittel ziehen zu können. Neben der Energiesimulation bereitet aber die des radioaktiven „Fallout" Probleme (76). Bei den unterirdischen, voll verdämmten nuklearen Sprengungen nimmt die Schmelzzone die thermische und die radioaktive Strahlung, die in den ersten Sekunden der Detonation ausgesandt werden, vollkommen auf. Diese stellen daher keine Gefahr dar. Problematisch dagegen liegen die Dinge beim „Fallout". Dieser resultiert aus dem Spaltprozeß der Urankerne, dem Tritium bei Fusionsprozessen und der Aktivierung umliegender Substanzen durch Neutronen. Die radioaktiven Spaltprodukte sind im allgemeinen am gefährlichsten, weshalb die Realisierung einer „sauberen" Bombe angestrebt wird. Art und Menge der Radioaktivität, die durch einen nuklearen Sprengkörper eines bestimmten Typs entsteht, sind relativ genau bekannt (75). Am 10. Dezember 1967 wurde im Rahmen des PLOWSHARE-Programms das Projekt „Gasbuggy" durch Zündung einer 26 kt TNT-Sprengung durchgeführt. Ziel des Vorhabens war es zu untersuchen, inwieweit es möglich ist, die Produktivität von natürlichen Gasfeldern durch nukleare Sprengungen zu stei-

104

3. Das Energiepotential der Welt

gem. Das Projekt wurde von der El Paso Natural Gas Co., dem US Bureau of Mines und der USAEC geplant und durchgeführt. Dabei wurde durch Sprengung eine Bruch- und Auflockerungszone im Gebirge geschaffen, so daß das Gas vom ursprünglich weniger durchlässigen Speicher in diese Zone fließen konnte. (Die Fließrate ist abhängig von der Ausdehnung der so geschaffenen Zone erhöhter Durchlässigkeit; je größer die Zone ist, desto schneller fließt das Gas zu dem gegebenenfalls neu zu erstellenden Bohrloch) (77). Im Rahmen des PLOWSHARE-Programms wurde das letzte Experiment „Rio Blanco" im Mai 1973 durchgeführt. Es diente ebenfalls der sogenannten „Gas Stimulation", d. h. dem Aufschluß von erdgashaltigen, aber schwer durchlässigen Gesteinsschichten (78). Auch in der UdSSR sollen Kernsprengungen durchgeführt worden sein, um schwer zugängliche Erdölfelder aufzuschließen. Einzelheiten darüber sind nicht bekannt (78). Im folgenden sollen noch exemplarisch zwei von den USA geplante Vorhaben beschrieben werden. Es wurde bereits ausgeführt, daß rd. 90% der insgesamt vorhandenen Ölschieferreserven und rd. 99% der gesamten ölsandvorräte in Nord- und Südamerika liegen (vgl. Tabellen 3 - 2 3 und 3-24). In den U S A ist geplant, ö l aus Ölschiefer, der durch unterirdische nukleare Sprengungen zertrümmert wird, am Ort seiner Lagerung („in situ") durch Erhitzen zu gewinnen. Das ins Auge gefaßte Verfahren setzt sich aus zwei Prozessen zusammen. In einer ersten (nuklearen) Phase sollen durch eine etwa 10 kt TNT-Detonation rd. 300 000 t Ölschiefer in einer kugelförmigen Kaverne von 60 m Durchmesser zertrümmert und dadurch porös und luftdurchlässig gemacht werden. Das heißt, es soll in erster Linie die kinetische Energie (Druck) der Sprengung genutzt werden, während die Wärmenutzung eine sekundäre Rolle spielt. Die organischen Bestandteile des Ölschiefers zersetzen sich dabei zum Teil in ö l , Erdgas und Koks. Bei einer 10 kt TNT-Detonation könnte die freiwerdende thermische Energie wegen der unregelmäßigen Temperaturverteilung bestenfalls rd. 2400 1 ö l und 300 000 m 3 Erdgas aus dem Schiefer austreiben. In einer zweiten (konventionellen) Phase soll die effektive ölgewinnung realisiert werden, indem die zur Verflüssigung benötigte Wärmeenergie durch Verbrennung des Kokses, des Erdgases und eventuell auch eines Teils des Erdöls an Ort und Stelle freigesetzt wird („in situ"). Zu diesem Zwecke sollen fünf Bohrschächte in das Explosionsgebiet niedergetrieben werden: ein zentrales Förderrohr, durch das das Erdöl und Erdgas an die Erdoberfläche gepumpt werden kann, und vier konzentrisch angeordnete Injektionsrohre für die Luftzuführung. Die Erdölgewinnung soll nun in der Weise erfolgen, daß der „Ölschiefer" im oberen Teil der Höhle „angezündet" wird und mit Hilfe der örtlich gesteuerten Luftzufuhr eine horizontale Feuerfront aufgebaut wird, die sich nach unten ausbreitet und die unter ihr liegenden Schieferschichten auf etwa 500 bis 700° C erhitzt, so daß die organischen Bestandteile verflüssigt werden. Das Erdöl fließt nach unten. Von dort aus kann es im Förderschacht nach oben gepumpt werden (75, 79).

3.3 Primärenergieträger

105

Die amerikanische Atomenergie-Kommission, die kanadischen Behörden und die Richfield Oil Company haben in Zusammenarbeit das Projekt OILSAND konzipiert, mit dem Ziel, die in den kanadischen ölsandlagern vorhandenen ölreserven mit Hilfe unterirdischer nuklearer Sprengungen zu gewinnen. Die ölsandschichten liegen zwischen 100 und 500 m unter der Erdoberfläche und haben eine Dicke von 30 bis 80 m. Die Detonation ist an einer Stelle geplant, wo die Ölsandformation in einer Tiefe von 350 m eine Stärke von 55 m hat. Einige Meter unterhalb der ölführenden Schicht soll ein etwa 9 kt TNTSprengkörper zur Detonation gebracht werden. Dadurch entsteht eine Höhle mit einem Durchmesser von ca. 75 m, die aber wahrscheinlich nach kurzer Zeit (wie bei der RAINER-Explosion am 19. 9. 1957) einstürzen wird. Deshalb geraten große Mengen ölsand in den Bereich, in dem die Temperatur des Gesteins Werte von 100° C und mehr erreicht. Durch die Wärme wird die Viskosität des Öls reduziert, so daß es sich verflüssigt und mit Hilfe von Förderschächten nach konventionellen Methoden gewonnen werden kann (79). Die weitere Entwicklung des Einsatzes von unterirdischen nuklearen Sprengungen zur Gewinnung von Kohlenwasserstoffen dürfte von mehreren Faktoren abhängen. Einige wichtige sind: der zukünftige Bedarf an Kohlenwasserstoffen, insbesondere an Erdöl, die Entwicklung der Förderung in Relation zu den nachgewiesenen (förderbaren) Reserven und der Förderkosten, die Herstellung eines „sauberen" Nuklearsprengkörpers. Das Interesse am Einsatz unterirdischer nuklearer Sprengkörper für friedliche Zwecke ist in den USA und der UdSSR sehr groß. Ein Hinweis hierfür ist sicher das Zustandekommen des amerikanisch-sowjetischen PNE-Vertrages über friedliche unterirdische Kernsprengungen im Jahre 1976. Erst hierdurch wurden wichtige politische Voraussetzungen zur Durchführung von unterirdischen nuklearen Sprengungen - auch für andere Vorhaben wie z. B. Erdbewegungen - geschaffen, so daß damit zu rechnen ist, daß der Einsatz von unterirdischen Kernsprengungen für friedliche Zwecke in Zukunft ein wichtiges technisches Hilfsmittel der Menschheit werden wird.14

14 Zum Beispiel wird die Aushebung eines Kanals zwischen dem Mittelmeer und der Kattara-Senke im westlichen Wüstengebiet von Ägypten mit Hilfe unterirdischer Kernsprengungen geprüft. Die Kattara-Senke zwischen El Alamein und Marsa Matruh - sie liegt bis zu 137 m tiefer als der Mittelmeerspiegel - würde durch das Projekt in einen See der 23fachen Fläche des Bodensees verwandelt. Es ist davon auszugehen, daß durch Verdunstung etwa 650 m 3 Wasser pro Sekunde durch den Kanal und ein Kraftwerk nachfließen würden. Dadurch könnte fast der gesamte Strombedarf Ägyptens gedeckt werden. Außerdem erhofft man, durch das Projekt das Klima im Wüstenbereich zu verbessern und das Gebiet landwirtschaftlich zu nutzen (80).

106

3. Das Energiepotential der Welt

3.35

Nukleare Energieträger für die Kernfission

3.351

Geographische Verteilung der Uran- und Thoriumvorräte

Die Nutzbarmachung der Kernenergie gelang erstmalig durch Spaltung des Urankerns U. Natürliches Uran setzt sich wie folgt zusammen: 99,274% 2 H U; 0,720% 2H U und 0,006% U. Durch Absorption der bei der Kernspaltung entstehenden schnellen Neutronen wandelt sich das nicht spaltbare 2c,2 U in das spaltbare 23994 Pu um, das in der Natur nicht vorkommt (vgl. 5.722.2). Obwohl die Möglichkeiten für einen baldigen größeren Einsatz der Kernenergie zur Energiebedarfsdeckung in vielen Industriestaaten überschätzt wurden, gehen alle Voraussagen davon aus, daß die Kernenergie die stärkste Zuwachsrate haben wird. Aus diesem Grunde wurde in aller Welt, insbesondere nach der Ölkrise, die Suche nach Uran- und Thoriumvorräten intensiviert. Die weltweit sicher nachgewiesenen Uranvorräte (Kostenklasse bis 30 $/lb U 3 0 8 ) werden von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, mit insgesamt 2 0 9 6 - 1 0 3 1 (Obergrenze) angegeben, und die geschätzten Vorräte werden auf 3349 • 10 3 t (Obergrenze) beziffert. Die ökonomisch gewinnbaren (bekannten) Vorräte belaufen sich somit auf 5445 • 10 3 1 (152,5 Mrd. t SKE). Dabei beziehen sich die Angaben in t SKE auf den Ausnutzungsgrad thermischer Reaktoren. Volle Ausnutzung ist nur in Brutreaktoren möglich. (Theoretischer Energieinhalt 1 t U 3 O g bzw. T h 0 2 = 2,5 • 10 6 1 SKE; in thermischen Reaktoren beträgt der Ausnutzungsgrad davon nur 1-2%). In Tabelle 3 - 2 5 ist die Verteilung der Uranvorräte auf die westlichen Länder und Ostländer wiedergegeben (81). Untergliedert man die Uranvorräte, wie international üblich, in die beiden Kostenklassen bis 15 $/lb U 3 O g und 15-30 $/lb U 3 O g , so sieht die Reservesituation für die westliche Welt nicht so günstig aus. In den westlichen Ländern betragen in der Kostenklasse bis 15 $/lb U 3 0 8 (bis 39 $/kgU) die sicher nachgewiesenen Vorräte 1,090 Mio. t und die geschätzten Vorräte 1.036 Mio. t. In der Kostenklasse von 15 bis 30 $/lb U 3 0 8 ( 3 9 - 7 8 $/kg U) betragen die sicher nachgewiesenen Vorräte 0,706 Mio. t und die geschätzten Vorräte 0,683 Mio. t (81). (Diese Daten basieren auf offiziellen Angaben der OECD). Faßt man die Vorräte bis 30 $/lb U 3 O g zusammen, so ergeben sich für die sicher nachgewiesenen Vorräte 1,796 Mio. t und für die geschätzten Vorräte 1,719 Mio. t. Im Gegensatz zu den Zahlen der westlichen Welt beruhen die Daten der Ostländer auf Schätzungen. Die Angaben über die Uranvorräte weichen in der Literatur nur geringfügig voneinander ab. Dies dürfte in erster Linie an der eindeutigen Klassifikation der Vorräte nach Kostenklassen liegen (82-83). Die Uranvorräte der westlichen Welt konzentrieren sich auf einige wenige

3.3 Primärenergieträger

107

Tabelle 3 - 2 5 : Verteilung der Uranvorräte auf die westlichen Länder und Ostländer bis 30 $/lb U 3 0 8 ' (in 1000 t U ) Region

sichere

geschätzte

prognostische 2

insgesamt

Westliche Länder Ostländer

1 796' 150-300 3

1 719' 1 1 1 5 - 1 630 4

4 5 5 0 - 5 300 8 0 0 - 1 000 2

8 0 6 5 - 8 815 2 0 6 5 - 2 930

insgesamt

1 9 4 6 - 2 096

2 8 3 4 - 3 349

5 3 5 0 - 6 300

10 130-11 745

1

Entsprechend der international gültigen Klassifikation werden die Vorräte in folgende Kategorien eingeteilt: - bis 15 $/lb U 3 0 8 : a) reasonable assured resources (sichere Vorräte). Diese Vorräte sind in bekannten Lagerstätten nachgewiesen und nach Gehalt und Menge zu gegebenen Produktionskosten und derzeitigen Abbau- und Aufbereitungsmethoden wirtschaftlich gewinnbar. b) estimated additional resources (geschätzte Vorräte). Diese Vorräte treten in nicht explorierten Teilen von Lagerstätten oder in unbekannten Vorkommen innerhalb von Lagerstättenprovinzen auf, und es wird erwartet, daß sie in der gegebenen Kostenklasse wirtschaftlich gewinnbar sind. - 15-30 $/lb U 3 0 „ : a) reasonable assured resources. b) estimated additional resources. In dieser Tabelle sind die sicheren bzw. geschätzten Vorräte beider Kostenklassen zusammengefaßt. 2 Schätzung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. 3 Alle Daten der Ostländer beruhen auf Schätzungen. Die Zahlen der „geschätzten" sicheren Vorräte (Kostenklasse bis 8 $/lb U 3 0 8 ) stellen nach Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe relativ zuverlässige Werte dar. 4 Hier handelt es sich um vermutete zusätzliche Vorräte, die mit einem großen Unsicherheitsfaktor behaftet sind. Quelle: Die künftige Entwicklung der Energienachfrage und deren Deckung, Abschnitt III, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 1976.

Länder. Aus Tabelle 3 - 2 6 ist ersichtlich, daß die Vereinigten Staaten eine Schlüsselrolle innehaben und daß sich die Reserven in Westeuropa im wesentlichen auf Schweden, Spanien und Frankreich beschränken (84). Innerhalb der EG-Staaten hat Frankreich die weitaus größten Uranreserven. Es wurde bereits erwähnt, daß die sicher nachgewiesenen Uranvorräte der westlichen Welt der Kostenklasse bis 15 $/lb U 3 O g voraussichtlich schon 1990 und die sicher nachgewiesenen Reserven der Kostenklasse von 15-30 $/lb U 3 O g bis 1995 aufgebraucht sein werden (Tabelle 3-3). Um eine ungefähre Vorstellung von den noch möglicherweise zu findenden Vorräten in der Kostenklasse bis 30 $/lb U 3 O g zu erhalten, hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, eine Abschätzung an Hand geologischer Voraussetzungen und bekannter Lagerstätten vorgenommen. (Diese Vorräte werden in Tabelle 3 - 2 5 als prognostische Vorräte bezeichnet). Die sicher nachgewiesenen und geschätzten Vorräte ergeben mit den prognostischen Uranvorräten in der Kostenklasse bis 30 $/lb U 3 O g insgesamt 11 745 • 10 3 1 (328,9 Mrd. t SKE) (Obergrenze) (81). Berücksichtigt man Armerzvorkommen, so dürften die gesamten Uranreser-

108

3. Das Energiepotential der Welt

Tabelle 3-26: Die Länder der westlichen Welt mit den größten Uranreserven (in 1000 t U) (Stand 1. 1. 1975)

Länder1 USA 2 Kanada Südafrika Australien Schweden Spanien Frankreich Niger Argentinien Indien Großbritannien Bundesrepublik Deutschland Italien

bis 15 $/lb reasonable assured resources

U,Os estimated additional resources

15,-30 $/lb U , 0 8 reasonable estimated assured additional resources resources

320 144 186 243

500 324 6 80

134 22 90

312 95 68









10 37 40 9 3

9 25 20 15 1





1

0,5 —



Gesamt

v. H.

98 15 10 24 23

1 266 585 350 323 300 211 95 80 59 53

36,0 16,6 10,0 9,2 8,5 6,0 2,7 2,3 1,7 1,5

2

4

6

0,5 1,5

3 1

5 2,5

300 94 18 10 11 26



0,15 0,1 2500 nm, kommt zu der geringen extraterrestrischen Strahlungsintensität noch die starke Absorption durch C 0 2 und H z O, so daß sehr wenig Energie die Erdoberfläche erreicht. Daraus folgt, daß unter dem Aspekt der terrestrischen Nutzung der Sonnenenergie nur der Wellenlängenbereich zwischen X = 290 nm und X = 2500 nm betrachtet zu werden braucht (Abb. 3-11). Die Sonnenstrahlung in diesem Bereich wird von der Atmosphäre durchgelassen, jedoch treten zum Teil Streu- und Absorptionsprozesse auf. Luftmoleküle, Wasserdampf und Staub schwächen die direkte Sonnenstrahlung durch Streuprozesse. Da die Teilchen klein sind im Vergleich zur Wellenlänge X, kann die Streuung nach der Theorie von Rayleigh beschrieben werden, das heißt, der Streukoeffizient ist proportional X - 4 . Dementsprechend wird kurzwelliges Licht stärker gestreut als längerwelliges, und daher hat die diffuse Strahlung einen größeren Anteil am kürzerwelligen Licht. Aus den Ausführungen folgt, daß die auf eine Fläche - auf oder nahe der Erdoberfläche - treffende Strahlung aus drei verschiedenen Arten besteht: Die direkte Strahlung (direkte Sonnenstrahlung) ist die Strahlung, die, von der Sonne herkommend, ohne Richtungsänderung empfangen wird. Ihre Häufigkeit und jeweilige Dauer sind für die Anwendung der Solar-Technik in erster Linie

118

3. Das Energiepotential der Welt

Abb. 3 - 1 1 : Spektrale Verteilung der Sonnenstrahlung am Außenrand der Atmosphäre (AMO) und auf Meereshöhe ( A M I ) Quelle: H. Moesta: Possibilities and Restraints in the Use of Solar Energy, in: Die Naturwissenschaften 63, 11 (1976).

von Bedeutung. (Beispielsweise beträgt in Zürich die direkte Strahlung an einem sonnigen Tag im April 875 W/m 2 und im Dezember 775 W/m 2 (102)). Die diffuse Strahlung (Himmelsstrahlung), die dadurch entsteht, daß ein Teil der direkten Strahlung beim Durchdringen der Atmosphäre gestreut wird, ist über die ganze Himmelshalbkugel verteilt. Sie hat also keine bestimmte Strahlungsrichtung, sondern kommt aus allen Richtungen des Raumes und ist in jedem Falle schwächer als die direkte Sonnenstrahlung. Trotzdem kann aber die diffuse Strahlung genutzt werden. (Selbst an einem bedeckten Wintertag ergeben sich in England größenordnungsmäßig noch 50 W/m 2 ). Die Summe aus der direkten und diffusen Strahlung nennt man Globalstrahlung. Als Bewertungsgrundlagen für Solaranlagen dienen im allgemeinen nicht meteorologische Informationen, sondern Strahlungsmessungen am betreffenden Ort oder einem dazu nahen Ort. Hierzu können folgende Strahlungsmeßgeräte verwendet werden: das Pyrheliometer und das Pyranometer. Das Pyrheliometer ist ein Meßgerät, welches einen Detektor mit einer Blende hat. Damit kann die Strahlung von einem kleinen Teil des Himmels einschließlich der Sonne (d. h. direkte Sonnenstrahlung) unter senkrechtem Einfallswinkel gemessen werden. Das Pyranometer ist ein Meßinstrument, mit dem die Globalstrahlung (d. h. direkte und diffuse Strahlung) auf einer meist horizontalen Ebene gemessen werden kann. Um die Himmelsstrahlung zu messen, blendet

3.3 Primärenergieträger

119

man die gerichtete Strahlung durch eine Scheibe aus (100). Meßwerte werden als Energie pro Zeiteinheit und pro Flächeneinheit angegeben. Außerdem gibt es noch Strahlungsmeßgeräte, die die „helle Sonnenscheindauer" aufzeichnen. Ein solches Meßgerät besteht aus zwei Photozellen, von denen eine gegen die direkte Strahlung „abgeschirmt" ist. Gibt es nur diffuse Strahlung, so zeigen beide Zellen nahezu gleiche Strahlungsintensitäten an; fällt aber eine direkte Strahlung auf die nicht abgeschirmte Zelle, so wird ein Intensitätsunterschied angezeigt. Die Dauer, in der der Intensitätsunterschied von diesen beiden Zellen einen gewissen Schwellenwert überschreitet, ist ein Maß für die Dauer des „hellen Sonnenscheins".

Abb. 3-12a: Monatsmittelwert der täglichen Globalstrahlung auf eine horizontale Fläche in Europa für Juni in kWh/m 2 d Quelle: J. A. Duffie, W. A. Beckmann: Sonnenenergie. Thermische Prozesse, Udo Pfriemer Verlag: München 1976.

120

3. Das Energiepotential der Welt

Abb. 3-12b: Monatsmittelwert der täglichen Globalstrahlung auf eine horizontale Fläche in Europa für Dezember in kWh/m 2 d Quelle: J. A. Duffie, W. A. Beckmann: Sonnenenergie. Thermische Prozesse, U d o Pfriemer Verlag: München 1976.

Bei Daten über Sonnenstrahlung sollte angegeben werden, zu welcher Zeit oder in welcher Zeitperiode die Messungen durchgeführt wurden, welche Stellung die Empfängerfläche hatte (waagerecht, senkrecht oder unter einem bestimmten Winkel), ob die Werte momentan gemessen oder über einen Zeitabschnitt (z. B. 1 Stunde oder 1 Tag) integriert wurden, ob es sich um Meßwerte der direkten, diffusen oder Globalstrahlung handelt. Wenn ein Mittelwert gebildet wurde, muß der entsprechende Zeitraum angegeben werden (z. B. Monatsmittel der täglichen Globalstrahlung) (100). Tabelle 3-30 gibt als Beispiel Monatsmittelwerte der täglichen Globalstrahlung auf eine horizontale

3.3 Primärenergieträger

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o

Licht u. Kraft ProzeHwärme Raumheizung

100

60 20 0 Ol

Gas



Andere Energieträger

Abb. 3 - 1 5 : Verwendung der kritischen Primärenergieträger Quelle: Einsatzmöglichkeiten neuer Energiesysteme, Teil I, Hrsg. Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn 1975.

Rest für Warmwasser und Prozeßwärme im Niedertemperaturbereich), und rd. zwei Drittel der Mineralölprodukte werden für Raumheizung und Warmwasserbereitung verwendet. Das ist aber genau das, was uns die verfügbare Sonnenenergie fast täglich in unmittelbarer Nähe des Bedarfs liefert. Das heißt, rd. zwei Drittel der Mineralölprodukte könnten relativ leicht durch Sonnenenergie substituiert werden. Neben dem relativ großen Wärmebedarf ist die Energienachfrage in den hochentwickelten Industriestaaten durch einen hohen Anteil an Elektrizität gekennzeichnet. Diese einfach zu handhabende Energieform, die beim Verbraucher praktisch keine Umweltschäden verursacht, wird aller Voraussicht nach in absehbarer Zeit durch keinen anderen gleichwertigen Sekundärenergieträger zu ersetzen sein. Aus diesem Grunde ist noch weiterhin mit einem ansteigenden Anteil der Elektrizität - 1976 wurden rd. 30% der Primärenergie zur Stromerzeugung eingesetzt - , wenn auch bei geringeren Zuwachsraten, zu rechnen. In der Bundesrepublik Deutschland wird für den Zeitraum von 1975 bis 1985 mit einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 6,2% gerechnet (107). In der Zeit von 1960 bis 1974 betrug dieser 7,2% (vgl. 2.22). Die Verminderung der Zuwachsrate ist u. a. auf erste Sättigungstendenzen im Haushaltsbereich, langsameres gesamtwirtschaftliches Wachstum sowie eine

126

3. Das Energiepotential der Welt

rationellere und sparsamere Energieverwendung zurückzuführen. Wie weiter unten gezeigt wird, dürfte aufgrund der sich abzeichnenden technologischen Entwicklung sowie aus ökologischen Gründen (hoher Flächenbedarf) in absehbarer Zeit eine Verstromung der Sonnenenergie nur in Regionen mit hoher Leistungsdichte wirtschaftlich sein.

3.373

Möglichkeiten und Beschränkungen bei der Nutzbarmachung der Sonnenenergie

Aus Abb. 3 - 1 2 a und 12b ist zu entnehmen, daß der Monatsmittelwert der täglichen Globalstrahlung auf eine horizontale Fläche in Europa im Monat Juni zwischen 4,5 kWh/m 2 d (Nord-England) und 8,5 kWh/m 2 d (Südwest-Spanien) liegt. Selbst im Dezember liegen die entsprechenden Werte im Bereich von 0,5 kWh/m 2 d und 2,5 kWh/m 2 d. (Weitere außereuropäische Daten sind aus Tabelle 3 - 3 0 ersichtlich). Zum Vergleich sei angeführt, daß in einem Kraftwerk 2,2 bis 2,5 kg Kohle zur Erzeugung von 1 kWh verbrannt werden müssen. Die Nutzbarmachung der Sonnenenergie ist mit Hilfe verschiedener Methoden möglich. Im folgenden Abschnitt sollen nur grundsätzliche Fragen diskutiert werden, die bei der direkten Nutzbarmachung der Sonnenenergie auftreten, d. h. bei direkter Umwandlung von Sonnenstrahlung in Wärme (mit Kollektoren) und bei direkten Verfahren zur Stromerzeugung (mit Solarzellen, Verstromung über solar erzeugte Wärme). Die Methoden der indirekten Nutzung der Sonnenenergie (siehe Abb. 3 - 1 ) sind entweder technisch gelöst (z. B . Wasserkraft) oder werden in absehbarer Zeit aller Voraussicht nach nur lokale Bedeutung erlangen (z. B . Gezeitenenergie) (vgl. 4.3). Die direkte Verstromung der Sonnenstrahlung ohne mechanisch bewegte Teile, Chemikalien und hohe Temperaturen kann mit den Silizium-Sperrschicht-Photozellen als technisch gelöst betrachtet werden. Diese Solarzellen werden schon jahrelang zur Stromversorgung von Wetter- und Nachrichtensatelliten eingesetzt. Sie haben sich im wartungslosen Betrieb bewährt, erreichen aber nur einen Wirkungsgrad von 1 3 % bis 1 5 % (101). Die Investitionskosten zur Stromerzeugung mit Solarzellen liegen bei etwa 5 • 10 5 D M / k W im Vergleich zu 1,5 • 10 3 DM/kW bei konventionellen Kraftwerken, d. h. etwa um den Faktor 330 höher. Diese Art der Stromerzeugung kommt also für terrestrische Anwendungen aus Kostengründen derzeit noch nicht in Frage. Die polykristallinen CdS- und CdTe-Zellen sind zwar rd. zehnmal billiger als die Si-Zellen, haben aber eine niedrigere Lebensdauer. Ein Wirkungsgrad von ca. 2 0 % scheint mit Solarzellen in absehbarer Zeit erreichbar (101), und die amerikanische Energieforschungsbehörde E R D A geht davon aus, daß ab 1986 Solarzellen mit 300 bis 500 $/kW zur Verfügung stehen werden. Da die Solarzellen

3.3 Primärenergieträger

127

auch bei bedecktem Himmel einen günstigen Wirkungsgrad haben, wäre ihr Einsatz in Mittel- und Nord-Europa besonders vorteilhaft. Die zunächst aussichtsreichsten Methoden zur Nutzbarmachung der Sonnenenergie sind die direkte Umwandlung von Sonnenstrahlung in Niedertemperaturwärme mit Hilfe von Kollektoren (Flachkollektoren) und die Verstromung über solar erzeugte Wärme. Die zur Stromerzeugung erforderliche Wärme kann sowohl mit Niedertemperatur- als auch mit Hochtemperaturkollektoren gewonnen werden. Niedertemperaturkollektoren (Flachkollektoren) benötigen keine konzentrierenden Elemente, müssen jedoch für den Antrieb der Turbine mit niedrigsiedenden Flüssigkeiten arbeiten. Konzentrierende Kollektoren ermöglichen zwar die Anwendung herkömmlicher Wasserdampfprozesse, lassen sich aber wirtschaftlich voraussichtlich nur in Regionen mit relativ geringem Anteil an diffuser Strahlung einsetzen (s. w. u.). Das heißt, diese Methoden der Sonnenenergienutzung würden genau den in 3.372 beschriebenen Bedarf an Wärme und Strom liefern. Im folgenden sollen zu diesen Methoden einige prinzipielle Überlegungen angestellt werden. Für die Strahlung M, die ein schwarzer Körper insgesamt abstrahlt, gilt das Stefan-Boltzmann Gesetz (1) M = oT4 2 mit M in Wm~ , T in Grad (absolute Temperaturskala) und a = 5,7 10~8 Wm~2K~4. Nicht-schwarze Körper können näherungsweise durch Einführung des Emissionsvermögens e und Absorptionsvermögens a beschrieben werden. Im stationären Zustand ist die Energiebilanz eines Flachkollektors (Verluste durch Konvektion und Leitung seien vernachlässigt) gegeben durch a S - Q N = eoTc4. (2) S ist die Strahlungsintensität der Sonnenstrahlung in Wm-*2, Q N ist die durch ein Wärmeleitmedium abführbare nutzbare thermische Energie in Wm~2, und T c ist die Kollektortemperatur. Bei vorgegebenem S und Tc gilt für Q N Q N = a S - eoTc4. (3) Die Kollektortemperatur Tc ist gegeben durch rp _

|

a

S -

QN

eo • W Aus diesen Gleichungen sind die Schwierigkeiten bei der Verstromung über solar erzeugte Wärme mit Hilfe von Kollektoren ableitbar. Einerseits nimmt die durch ein Wärmeleitmedium abführbare thermische Energie Q N mit der 4. Potenz der Kollektortemperatur ab, andererseits ist aber eine hohe Kollektortemperatur für einen günstigen thermodynamischen Wirkungsgrad

128

3. Das Energiepotential der Welt

von Bedeutung (Tm ist die Kühlmitteltemperatur des Turbogenerators). Zusammengefaßt heißt das: Hoher thermodynamischer Wirkungsgrad bedeutet geringe durch das Wärmeleitmedium abführbare thermische Energie. Ein konkretes Beispiel soll den Sachverhalt verdeutlichen. In 50° geographischer Breite (z. B. Frankfurt, Prag) sei S = 500 W/m 2 (Bewölkung). Für einen guten Kollektor sei a = 0,90 und e = 0,10. Der zur Verstromung eingesetzte Turbogenerator arbeite mit solar erhitztem Wasserdampf von 175° C und Kühlwasser von 20° C. Der thermodynamische Wirkungsgrad beträgt dann bei diesen Temperaturen 35%. Der Verstromungswirkungsgrad ist in diesem Fall 0,1. Bei 2000 Sonnenscheinstunden pro Jahr erzeugt eine Kollektorfläche von 1 m 2 maximal 100 kWh/a, was etwa 4 DM/a entspricht. Deshalb sollten die entsprechenden Investitionen jedenfalls niedriger als 40 DM/m 2 sein (101). Durch Erhöhung der Kollektortemperatur würde nichts gewonnen. Die Verbesserung des thermodynamischen Wirkungsgrades von 35% (Tc = 175° C) auf 55% (Tc = 375° C) würde nach Gleichung (2) eine Strahlungsintensität S = 1570 W/m 2 erfordern, was mehr wäre als die Solarkonstante. Das heißt, der Kollektor kann die Temperatur T c = 375° C nicht erreichen. Deshalb muß man durch Fokussierung der Strahlung, z. B. mit Spiegeln (konzentrierende Solarkollektoren), für die gewünschte Temperatur sorgen. Dies hat aber eine Erhöhung des Investitionsaufwandes sowie eine überproportional zunehmende Komplexität des Systems zur Folge (vgl. 4.31). Das oben erwähnte Beispiel zeigt, daß die Stromerzeugung über solar erzeugte Wärme in 50° geographischer Breite wenig erfolgversprechend ist. Im Südwesten von Spanien (36° geographische Breite) aber hat man Monatsmittelwerte von S = 800 W/m 2 (Abb. 3-12a), und außerdem scheint ein Verstromungswirkungsgrad von 20% bis 24% realisierbar (108). Hinzu kommt noch die höhere Zahl der Sonnenscheinstunden. Abb. 3-16 zeigt die weltweite Verteilung der durchschnittlichen Sonnenscheindauer in Stunden pro Jahr. (Von den 8760 Stunden eines Jahres erreicht der Sonnenschein die Erdoberfläche in der Regel zwischen 1600 und 3600 Stunden.) Unter diesen Bedingungen könnte eine Flachkollektorfläche von 1 m 2 zwischen 200 und 400 kWh/a erzeugen, wodurch Investitionen in Höhe von etwa 200 DM/m 2 vertretbar wären (101). (Die Kosten für Flachkollektoren liegen etwa zwischen 300 DM/m 2 und 700 DM/m 2 .) Es gibt bereits Vorschläge, Kollektoren an der Mittelmeerküste zu installieren und dabei das Kühlwasser von etwa 4° C für den Turbogenerator aus der Meerestiefe zu nehmen, um dadurch einen höheren Wirkungsgrad zu erzielen. (Energietransportprobleme sollten keine unüberwindlichen Schwierigkeiten bereiten.) Eine entscheidende Frage bei der Nutzbarmachung der Sonnenenergie im großen Umfange ist, ob eine entsprechende Fläche bereitgestellt werden kann. Der Bodenbedarf für die Bereitstellung einer elektrischen Leistung von 1000 MW beträgt bei einem Systemwirkungsgrad von 0,1 und 5 kWh/m 2 d (Jahres-

3.3 Primärenergieträger

i

i -1600

V / M

I60Q-2A00

i

1 2600-3000

3000-3600

H H

129

>3600

Abb. 3 - 1 6 : Weltweite Verteilung der durchschnittlichen Sonnenscheindauer in Stunden pro Jahr Quelle: H. Moesta: Possibilities and Restraints in the Use of Solar Energy, in: Die Naturwissenschaften 63, 11 (1976).

mittelwert in Lissabon, vgl. Tab. 3-30) ca. 48 km2. Bei einem Systemwirkungsgrad von 0,2 sind es ca. 24 km2 (17). Im Südwesten der Iberischen Halbinsel dürfte es nicht unmöglich sein - wenn auch nicht als zusammenhängendes Gebiet - , größenordnungsmäßig solche Flächen bereitzustellen. Aus Abb. 3-16 ist zu entnehmen, daß der entsprechende Flächenbedarf in Nordafrika, der Arabischen Halbinsel und im Westen der Vereinigten Staaten noch geringer ist und bei einem Systemwirkungsgrad von 0,2 ca. 16 km2 beträgt. Diese Gebiete sind für die Sonnenenergienutzung geradezu prädestiniert. Insbesondere haben die USA, als einziges Land der Erde, neben der erforderlichen Strahlungsenergie das technologische Know how sowie die Wirtschaftskraft zur Nutzung dieser regenerativen Energiequelle. Die ERDA (Energy Research and Development Administration) geht davon aus, daß im Jahre 2000 in den USA 6% und 2020 bereits 25% (rd. 1,5 Mrd. t SKE) des Primärenergiebedarfs durch solar erzeugte Wärme, Elektrizität und Wasserstoff gedeckt werden (109). Aufgrund des relativ großen Mineralölbedarfs der USA könnte ein forcierter Ausbau der Sonnenenergienutzung in diesem Land den Weltmarkt des Mineralöls nennenswert entlasten (vgl. 3.322). Für das wirtschaftlich starke Westeuropa bietet sich, neben der Nutzung der Sonnenenergie in den jeweiligen Ländern (s. w. u.), die Kooperation mit Nordafrika an. Hierfür spricht - außer geographischen Gründen - die Tatsache, daß

130

3. Das Energiepotential der Welt

die im Wüstengürtel der Sahara liegenden Staaten, die zu den ärmsten Ländern der Welt gehören, nicht das technologische Know how und die Wirtschaftskraft haben, diese natürliche Energieressource nutzbar zu machen. Vergleicht man nämlich Abb. 3-16 mit Abb. 2-8a, so ist festzustellen, daß gerade viele der ärmsten Länder der Welt in der Region mit der höchsten durchschnittlichen Sonnenscheindauer liegen. Die unbesiedelten Gebiete der Sahara würden aufgrund des Flächenbedarfs geradezu ideale Voraussetzungen für die großtechnische Nutzbarmachung der Sonnenenergie bieten. Bei einer solchen Kooperation zwischen Westeuropa und dem Norden Afrikas wären naturgemäß auch politische Fragen zu lösen. Diese sollten von den Westeuropäern rechtzeitig ins politische Kalkül einbezogen werden, denn die aus der Sonnenenergie gewonnene Sekundärenergie müßte über weite Strecken transportiert und unter Umständen gespeichert werden. (Hieraus wird verständlich, daß die elektrische Energie nicht ohne weiteres die beste zur Sonnenenergie passende Sekundärenergieform ist. Es hat den Anschein, daß Wasserstoff als Sekundärenergieträger aufgrund der Transport- und Speichermöglichkeiten besser zur Sonnenenergie paßt). Aus den gemachten Ausführungen folgt, daß Westeuropa in der Energieversorgung aller Voraussicht nach auch nach Realisierung der großtechnischen Sonnenenergienutzung noch von Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens abhängig sein wird. In Mitteleuropa sind die Bedingungen für eine Sonnenenergienutzung nicht so günstig, da in unseren Breiten der Jahresmittelwert der Globalstrahlung rd. 3 kWh/m 2 d beträgt (Brüssel: 2,77 kWh/m 2 d; Stockholm 2,80 kWh/m 2 d) (vgl. Tab. 3-30). Dies bedeutet aber, daß Zentraleuropa im Jahresdurchschnitt immerhin noch fast halb soviel Sonnenenergie in Form von Strahlung pro Flächeneinheit empfängt wie der Wüstengürtel der Sahara. Der Bodenbedarf für die Bereitstellung einer elektrischen Leistung von 1000 MW - der Block A des Kernkraftwerks Biblis liefert 1200 MW - beträgt bei einem Jahresmittelwert der Globalstrahlung von 3 kWh/m 2 d und einem Systemwirkungsgrad von 0,1 ca. 80 km 2 . Bei einem Systemwirkungsgrad von 0,2, der mittelfristig realisierbar erscheint, wären ca. 40 km 2 erforderlich. Fazit: Aufgrund der geringen Leistungsdichte sowie der sich abzeichnenden technologischen Entwicklung wird eine Verstromung der Sonnenenergie in Mitteleuropa im Vergleich zu anderen Verstromungsprozessen in absehbarer Zeit nicht konkurrenzfähig werden. Anders ist die Situation bei der Erzeugung von Niedertemperaturwärme. Zur Bereitstellung von 220 Mio. t SKE/a wäre bei einem Systemwirkungsgrad (thermisch) von 0,2, der realisierbar ist, eine Fläche von ca. 8800 km 2 (3,6% der Fläche der Bundesrepublik Deutschland) erforderlich (17) und bei einem Systemwirkungsgrad von 0,4 wären es ca. 4400 km 2 (1,8% der Fläche der Bundesrepublik). Bei dieser Betrachtung ist zu berücksichtigen, daß 1976 der Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland 370 Mio. t SKE

3.3 Primärenergieträger

131

Abb. 3-17: Verteilung der durchschnittlichen Sonnenscheindauer in Stunden pro Jahr für Mitteleuropa. Quelle: H. E. Landsberg (Ed. in Chief): World Survey of Climatology, Vol. 6, „Climates of Central and Southern Europe", C. C. Wallén (Ed.), Elsevier Scientific Publishing Company: Amsterdam, Oxford, New York 1977.

132

3. Das Energiepotential der Welt

betrug und nahezu 60% (220 Mio. t S K E ) davon für Raumheizung, Warmwasser und Prozeßwärme im Temperaturbereich bis zu 100° C aufgewendet wurden. Wärme in diesem Temperaturbereich kann heute schon in Mitteleuropa unter günstigen Bedingungen für bestimmte Verwendungszwecke mit Kollektoren wirtschaftlich erzeugt werden (110-113). Wichtige Faktoren zur Beurteilung der Gesamtwirtschaftlichkeit einer Solaranlage sind: Seriengröße, thermische und technische Kollektorgüte, Kollektorund Speicherkosten, Systemlebensdauer, Primärenergiepreis, konventionelle Wärmeerzeugungskosten beziehungsweise Höhe der Einsparung (113). Dabei sind natürlich auch noch örtlich bedingte Unterschiede in der Sonnenenergieeinstrahlung zu berücksichtigen. Abb. 3-17 zeigt die Verteilung der durchschnittlichen Sonnenscheindauer in Stunden pro Jahr für Mitteleuropa in der Zeit von 1931-1960. Aus jährlichen Ergebnissen der sich über drei Jahrzehnte erstreckenden Messungen wurde für die jeweilige Meßstation der statistische Durchschnitt ermittelt. Der Ort mit der höchsten durchschnittlichen Sonnenscheindauer in der Bundesrepublik Deutschland ist das Klippeneck bei Spaichingen (Baden-Württemberg) mit 1915 Stunden; Lüdenscheid hat mit 1350 Stunden den geringsten Wert (114). Das heißt, ausgehend von einem Systemwirkungsgrad von nur 0,2 wäre es möglich, mit 3,6% der Fläche der Bundesrepublik Deutschland nahezu 60% des derzeitigen Primärenergiebedarfs zu decken. Verglichen mit 55 % landwirtschaftlich genutzter Fläche ist das ein kleiner Teil. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß derzeit in der Bundesrepublik etwa zwei Drittel der Mineralölprodukte für Raumheizung und Warmwasserbereitung verwendet werden, die somit durch Sonnenenergienutzung substituiert werden könnten. Aufgrund der gemachten Ausführungen ist es verständlich, wenn neuerdings nicht nur in den U S A , sondern auch in den Staaten der E G Anstrengungen zur Nutzbarmachung der Sonnenenergie unternommen werden. Selbst die N A T O hat im Rahmen des CCMS (Commitee on Challenges of Modern Society) ein Förderprogramm zur Nutzung der Sonnenenergie geschaffen. Die Sonnenenergienutzung steht allerdings erst am Anfang. Alle in Europa zur Zeit installierten Sonnenkollektoren erzeugen derzeit nicht einmal 1 MW, d. h. dieser Wert ist in der Gesamtenergiebilanz vernachlässigbar. Die im Jahre 1976 insgesamt von der öffentlichen Hand der E G und der einzelnen Nationalstaaten ausgegebenen Haushaltsmittel für Forschung und Entwicklung auf dem Gebiete der Sonnenenergienutzung betrugen 20 Mio. Rechnungseinheiten (RE). (3 Mio. R E davon wurden von der E G ausgegeben) (1 R E = 1,2 US-Dollar ^ 3,62 DM). Das EG-Programm zur Erforschung der Sonnenenergie erstreckt sich auf folgende Gebiete: Flachkollektoren und ihre Anwendung in Gebäuden, thermische Solarkraftwerke, photoelektrische Umwandlung, photochemische und photobiologische Prozesse und Biokonversion (vgl. 4.3).

3.3 Primärenergieträger

133

Die gesamten Aufwendungen der Öffentlichen Hand für Forschung und Entwicklung im Bereich der Sonnenenergienutzung betrugen 1976 in Frankreich 10,3 Mio. RE und in der Bundesrepublik Deutschland 5,3 Mio. RE (19,2 Mio. DM). Verglichen mit den in den USA eingesetzten Mitteln sind diese Beträge allerdings sehr bescheiden. Nach Angaben der E R D A haben die USA 1976 96,0 Mio. RE für Sonnenenergieforschung ausgegeben, und 1977 sollen es 240,0 Mio. RE sein (115). Es wurde bereits erwähnt, daß in den Vereinigten Staaten im Jahre 2000 mit einem Sonnenenergieanteil am Primärenergiebedarf von 6% gerechnet wird. Laut EG-Projektionen soll im Jahre 2000 der Primärenergiebedarf der EGStaaten zu 5 % - 1 0 % durch Sonnenenergie gedeckt werden (116). Diese Anteile betragen etwa nur ein Drittel der entsprechenden Projektionen für die Kernenergie. Das Argument der Befürworter der Nutzung der Sonnenenergie im Großen ist: Hätte man in die Entwicklung dieser Energieform entsprechende Mittel gesteckt wie in die Kernenergie auf der Basis der Kernspaltung, so wären die meisten Probleme, die bei der Nutzung der Sonnenenergie noch existieren, heute gelöst. Nach Auffassung von C. F. v. Weizsäcker ist dies schwer zu widerlegen (117). Dies gilt um so mehr, wenn man bedenkt, daß trotz der relativ geringen Aufwendungen die Sonnenenergie dabei ist, auch in unseren Breiten ein konkurrenzfähiger Energieträger zu werden. So wurden beispielsweise in den USA noch 1974 für Forschung und Entwicklung auf dem Gebiete der Sonnenenergienutzung nur ca. 18 Mio. Dollar ausgegeben (116), dagegen 375 Mio. Dollar für die Entwicklung eines ganz speziellen Tabelle 3-31: Entwicklung der Aufwendungen für nukleare und nichtnukleare Energieforschung in der Bundesrepublik Deutschland (in Mio. DM) 1972

1973

1974

1975

1976

1977

1978

1979

1980

I. nukleare Energieforschung II. nichtnukleare Energieforschung 1 III. Fusion

789

831

924

1079

1004

1029

1100

1186

1217

10

18

110

222

233

324

406

448

443

57

64

76

80

85

83

91

98

107

gesamte Energieforschung

856

913

1110

1381

1322

1436

1597

1732

1767

78,9:1 45,2:1

8,4:1

4,9:1

4,3:1

3,2:1

2,7:1

2,6:1

2,7:1

Jahr

Verhältnis 1:11 = nuklear/nichtnuklear (ohne III) 1

Hierzu gehören die Aufwendungen für Prospektion und Erschließung von Erdöl und Erdgas, Bergbautechnik, Kohletechnologie, Energieumwandlung, Energietransport, Energiespeicherung, rationelle Energieverwendung, Nutzung von Sonnenenergie, Windenergie und Erdwärme. Quelle: Programm Energieforschung und Energietechnologien 1977 bis 1980, Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn 1977.

134

3. Das Energiepotential der Welt

Reaktor-Typs, des „Schnellen Brüters" (118). In der Bundesrepublik Deutschland entwickelten sich die Ausgaben für nukleare und nichtnukleare Energieforschung ähnlich (siehe Tabelle 3-31) (119, 120). Schwerwiegende Probleme bei vielen anderen Energieformen dürften eine stärkere Förderung der Sonnenenergienutzung im Großen rechtfertigen (121).

3.38

Geothermische Energie

Der gesamte Energieinhalt der Erde beträgt rd. 4 • 1 0 n Mrd. t SKE (vgl. Tabelle 3—4). Diese Energiemenge ist verglichen mit dem derzeitigen sowie dem zu erwartenden Energiebedarf in der Welt außerordentlich groß. Realistischerweise kann jedoch nur von der eventuell technisch erreichbaren Energiemenge ausgegangen werden. Bis zu einer Tiefe von 5000 m ergibt sich unter dem Untergrund aller Kontinente ein Wärmeinhalt von etwa 8 • 105 Mrd. t SKE, was rd. das 10 5 fache des derzeitigen Weltprimärenergiebedarfs pro Jahr ist. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland beträgt rein rechnerisch das entsprechende geothermische Energiepotential rd. 103 Mrd. t SKE. (Mit Sicherheit läßt sich aber diese Wärme, beispielsweise durch Verrohrung des Bodens, nicht nutzbar machen, da u. a. die Wärmeleitfähigkeit der Erde viel zu gering ist) (17). Eine technische Nutzbarmachung der Erdwärme ist erst möglich, wenn sie in Form von geothermischen Lagerstätten auftritt. Die Nutzung thermischer Anomalien zur Energiegewinnung geschieht im wesentlichen folgendermaßen: - Trockener, überhitzter Dampf, der den geothermischen Reservoiren entnommen wird oder entströmt, wird unmittelbar zum Betreiben einer Turbine benutzt. (Die Quellen in Larderello (Italien) und Kalifornien liefern beispielsweise trockenen Dampf). - Unter Druck stehende Wasserreservoire liefern ein Dampf/Wasser-Gemisch von etwa 180° C-370° C. Der Dampf kann abgetrennt und zur Stromerzeugung oder als Prozeßdampf eingesetzt werden. Mit dem heißen Wasser können beispielsweise Heizungsanlagen betrieben werden. (Solche Anlagen sind z. B. in Wairakei (Neuseeland), in Japan und Irland in Betrieb) (122). - Heißwasserquellen liefern unter Normaldruck stehendes Wasser von 50° C-80° C. Dieses kann nur über Wärmetauscher und mit Hilfe niedrigsiedender Flüssigkeiten (z. B. Freon, Isobutan) zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Da das Grundwasser mit der Turbine nicht in Kontakt kommt, braucht diese nicht aus korrosionsbeständigem Material zu sein. Das heiße Wasser kann für Heizzwecke verwendet werden. (Heißwasserquellen gibt es beispielsweise in den U S A in Kalifornien, Nevada, Neu Mexiko, Oregon). - Die Wärme heißer Gesteinsformationen („hot dry rocks") soll ebenfalls genutzt werden. Dazu soll Wasser, das von der Erdoberfläche durch Bohrlö-

3.3 Primärenergieträger

135

eher gepumpt wird, erhitzt und der entstehende Dampf durch ein weiteres, weniger tiefes Bohrloch zur Wärmeabgabe an die Erdoberfläche zurückgeleitet werden. Von Ausnahmen abgesehen, sind die „hot dry rocks" aber kompakt und undurchlässig. Man muß sie deshalb in der Tiefe zertrümmern, damit das Wasser eindringen und sich an einer möglichst großen Steinoberfläche erhitzen kann. Es gibt Pläne, hierzu sowohl konventionelle als auch nukleare Sprengungen einzusetzen (vgl. 3.343). Neuerdings hofft man, „hot dry rocks" geothermisch aufzuschließen, indem man Wasser unter starkem Druck in die Bohrlöcher jagt. Es zerbricht die starren Gesteinsstrukturen, und durch die Wärmespannungen, die das zur Aufheizung ins Bohrloch eingelassene Kaltwasser in den „hot rocks" bewirkt, wird die Zone der Zerstörung noch erweitert. Die Entwicklung dieser Technologien zur Nutzbarmachung heißer Gesteinsformationen wird für die zukünftige Rolle der geothermischen Energie von entscheidender Bedeutung sein, da die „hot dry rocks" im Vergleich zu den anderen geothermischen Reservoiren das bei weitem größere Energiepotential darstellen. Der Anteil der geothermischen Energie an der Weltenergieversorgung ist zur Zeit noch außerordentlich gering und wird, global betrachtet, aller Voraussicht nach auch bis zum Jahre 2000 unbedeutend bleiben. Im Jahre 1980 erwartet man einen Beitrag an elektrischer Leistung in Höhe von 2000 MW und im Jahre 2000 100 000 MW (123, 124). Dagegen kann aber die geothermische Energie nationale Bedeutung erlangen. Dies gilt insbesondere für Länder wie zum Beispiel Italien, die Vereinigten Staaten, Mexiko, Irland, Neuseeland, die Sowjetunion und Japan (125). Die nichtelektrische Anwendung für Heizung und Warmwasser umfaßt derzeit in der Welt rd. 5500 MW (123).

4.

Energieversorgungssysteme

4.1

Zur Rolle von

Sekundärenergieträgern

Primärenergieträger wie beispielsweise nukleare Energieträger oder Sonnenenergie sind als solche nicht brauchbar. Sie müssen (mit Ausnahme von Erdgas) in andere Energieformen wie zum Beispiel Elektrizität oder Wärme umgewandelt werden. Dies erklärt die Bedeutung der Umwandlungstechniken in Energieversorgungssystemen. Die Umwandlung ist nicht verlustlos. Die nutzbaren transportablen, verteilbaren und speicherbaren Energieformen werden als Sekundärenergieträger bezeichnet (siehe Abb. 3-1). Der Entwicklungsprozeß bei den Sekundärenergieträgern ist seit etwa 1950 besonders in den Industriestaaten dadurch bestimmt, daß der Abnehmermarkt immer mehr von den festen Energieträgern weg zu flüssigen und gasförmigen Sekundärenergieträgern bzw. zu elektrischer Energie tendiert, und es ist anzunehmen, daß diese Entwicklung weiter anhalten wird (1). Langfristig ist zu erwarten, daß sich flüssige Sekundärenergieträger im wesentlichen auf den Transportsektor beschränken (2). Aus wirtschaftlichen Gründen werden Sekundärenergieträger häufig in großen Einheiten und meist in einiger Entfernung vom Verbaucher erzeugt. Sie müssen deshalb transportiert und verteilt werden (3). So zum Beispiel wird ein Großteil der Elektrizität durch Grundlastwerke erzeugt. Die elektrische Energieübertragung ist - für gleiche Energiemengen - , verglichen mit anderen Energieträgern, die teuerste Art des Energietransports. Werden aber die Kosten des Stromtransports über Fernleitungen realistischerweise durch drei geteilt, um den Wirkungsgrad von im Mittel 35% bei der Umwandlung fossiler Primärenergieträger in elektrische Energie zu kompensieren, dann sind die Transportkosten für elektrische Energie nur wenig teurer als der konventionelle Schienentransport von Kohle. Diese Kosten sind jedoch um etwa 70% höher als der Pipelinetransport von Gas. (Es ist anzunehmen, daß der Rohrleitungstransport von Wasserstoff als möglicher zukünftiger Sekundärenergieträger ähnlich günstig realisiert werden kann.) Die Transportkosten von Gas durch Pipelines liegen wiederum etwa dreimal so hoch wie die von ö l durch Pipelines (4). Wie erwähnt, ist die elektrische Energieübertragung vergleichsweise sehr teuer, jedoch ist die elektrische Energie überaus benutzungsfreundlich, da sie leicht verteilt werden kann und beim Verbraucher praktisch keine Umweltbelastungen verursacht. Die Speicherung von Sekundärenergieträgern hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß die Kosten der Anlagen, die Primärenergieträger (z. B. Kohle, ö l , Uran) in Sekundärenergie-

138

4. Energieversorgungssysteme

träger (z. B. Elektrizität, Wärme) umwandeln, so gestiegen sind, daß es immer wichtiger wird, diese Anlagen maximal auszulasten. Da die Nachfrage aber Tages-, Monats- und Jahresschwankungen aufweist, liegt es nahe, nach entsprechenden Speichermöglichkeiten zu suchen, um auch Spitzenlasten decken zu können. Die Speicherung von festen Sekundärenergieträgern durch Lagerhaltung beziehungsweise die Speicherung von flüssigen und gasförmigen Sekundärenergieträgern in Behältern oder unterirdischen Kavernen ist relativ einfach. Dagegen ist die Speicherung von elektrischer Energie außerordentlich schwierig. Die Deckung der Spitzenlast in Netzen ist nur durch zusätzliche aufwendige Anlagen möglich. Beispielsweise wird bei einem Wasserpumpspeicherwerk mit Elektrizität Wasser bergauf gepumpt, das dann auf dem Rückweg Elektrizität durch Wasserturbinen erzeugt (5). Für die Bewertung von Sekundärenergieträgern beziehungsweise Energieversorgungssystemen spielen neben Fragen des Transports, der Speicherung und der Benutzungsfreundlichkeit in zunehmendem Maße noch andere Kriterien eine Rolle. Diese sind zum Beispiel Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit. Es sei darauf hingewiesen, daß die genannten Kriterien zwar die wichtigsten, aber nicht die einzigen sind, die zur Bewertung einzelner Sekundärenergieträger beziehungsweise Energieversorgungssysteme herangezogen werden müssen. Auch sind sie nicht unabhängig voneinander: Maßnahmen zur Erhöhung der Umweltfreundlichkeit (z. B. bei der Verstromung bzw. Vergasung von Kohle) gehen im allgemeinen auf Kosten der Gesamtwirtschaftlichkeit. Außerdem kann die Gewichtigkeit der genannten Kriterien für einzelne Länder beziehungsweise Ballungszentren sehr unterschiedlich sein. So zum Beispiel werden an die Umweltfreundlichkeit von Sekundärenergieträgern in wenig industrialisierten und dünnbesiedelten Ländern häufig geringere Anforderungen gestellt als in den dichtbesiedelten Industriestaaten. Außerdem sei darauf hingewiesen, daß in vielen Fällen Primär- und Sekundärenergieträger nicht getrennt voneinander bewertet werden können. So zum Beispiel ist es denkbar, daß die Veredelung von Kohle durch den Einsatz von Kernenergie (Hochtemperaturreaktor) wirtschaftlicher realisiert werden könnte als mit Hilfe von fossilen Primärenergieträgern. In diesem Kapitel wird die Gewinnung von Sekundärenergie mit Hilfe von Kernreaktoren behandelt sowie die Gewinnung von Sekundärenergie aus Sonnenenergie und geothermischer Energie. Dabei werden nur grundsätzliche Funktionsprinzipien beziehungsweise Probleme aufgezeigt. (Für detailliertere Informationen werden spezielle Literaturhinweise angegeben.) Anschließend werden einige zukunftsträchtige Sekundärenergieträger bzw. Sekundärenergieversorgungssysteme diskutiert. In diesem Zusammenhang wird auf die elektrische Energie, die Kohleveredelung, die Fernwärme und die Fernenergie sowie den Wasserstoff in seiner Funktion als Sekundärenergieträger eingegangen. Die Veredelung von Erdöl und Erdgas wird nicht behandelt, da es sich hier im

4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

139

wesentlichen um fertig entwickelte Technologien (z. B. Raffinerien) handelt und diese Primärenergieträger wegen der relativ geringen Reserven durch andere Energieträger substituiert werden müssen (vgl. 3.2) (6, 7).

4.2

Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

4.21

Energiegewinnung durch Kernfission

4.211

Einige Grundlagen der Reaktorphysik

Schwere Atomkerne (Uran, Plutonium) können durch Beschuß mit Neutronen gespalten werden. Im Prinzip kann der kernphysikalische Vorgang der Kernfission folgendermaßen dargestellt werden: 235 92U 2

+ ¿n -»

ÜU + In -»

2 3 9 |U

-> 3°Sr +

+ 2jn + 195 MeV

(1)

f 6 Kr +

+ 3jn + 195 MeV

(2)

Das heißt, durch die Reaktion eines Urankerns ^ U mit einem Neutron n entsteht zunächst ein „Zwischenkern" 2g|U. Dieser ist instabil und spaltet sich in zwei mittelschwere Bruchstücke auf. Dabei werden, je nach Spaltvorgang, im Mittel 2 bis 3 Neutronen und Energie in Höhe von ca. 195 MeV frei. Es sei darauf hingeweisen, daß nicht immer die in den Gleichungen (1) und (2) beispielhaft dargestellten Bruchstücke gebildet werden, sondern daß eine Vielzahl (rd. 300) von Spaltprodukten entsteht. Diese Vielfalt erklärt sich daraus, daß erstens der Urankern auf unterschiedliche Art und Weise gespalten wird und sich somit verschiedene primäre Trümmer ergeben und daß zweitens diese primären Produkte radioaktiv sind und den Anfang einer Kette von Folgeprodukten bilden. In Abb. 4 - 1 ist für U 235 die Trümmerausbeute in % in Abhängigkeit von der Masse dargestellt. Die Kurve zeigt zwei Maxima, d. h. es ist am wahrscheinlichsten, daß sich die Trümmermassen wie 2:3 verhalten (8, 9). Die im Mittel 2 bis 3 Neutronen, die bei jedem Spaltvorgang frei werden, können in zwei Gruppen eingeteilt werden, in „prompte" und „verzögerte" Neutronen. Die ersteren werden unmittelbar nach der Spaltung emittiert, die letzteren werden erst nach einer Verzögerung von etwa 12 bis 80 Sekunden nach der Spaltung frei. Bei einer Spaltung durch thermische Neutronen (s. w. u.) werden etwa 0,75% der insgesamt frei werdenden Neutronen als verzögerte Neutronen frei, und bei einer Spaltung durch schnelle Neutronen beträgt der Anteil der verzögerten Neutronen rd. 3%. Diese verzögerten Neutronen sind für die Kontrolle der Energiefreisetzung in einem Reaktor von entscheidender Bedeutung (s. w. u.). Werden bei der ersten Spaltung zwei Neutronen frei (1. Generation), so

140

4. Energieversorgungssysteme

Abb. 4 - 1 : Trümmerausbeute bei der U 235-Spaltung in Abhängigkeit von der Masse Quelle: E. W. Schpolski, Atomphysik, Teil II, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften: Berlin 1969.

können diese wieder zwei Urankerne spalten, wobei wiederum vier Neutronen frei werden (2. Generation). Nach der 10. Generation existieren also bereits schon 1024 Neutronen (Kettenreaktion). (Bei der Detonation einer Kernspaltungsbombe läuft diese Kettenreaktion „unkontrolliert" etwa innerhalb einer millionstel Sekunde ab). Von den ca. 195 MeV, die bei der Kernspaltung frei werden, entfallen etwa 162 MeV als kinetische Energie auf die Spaltprodukte, die mit großer Geschwindigkeit auseinanderfliegen. Die Bruchstücke werden durch die umgebende Materie abgebremst, wobei ihre Bewegungsenergie in Wärme umgewandelt wird. Auf die bei der Spaltung entstehenden Neutronen entfallen etwa 6 MeV, d. h. die Neutronen fliegen mit einer Energie von rd. 2 MeV je Neutron auseinander, was einer Geschwindigkeit von ca. 10 000 km/h entspricht

4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

141

(schnelle Neutronen). Der Rest der freiwerdenden Energie in Höhe von 27 MeV tritt als ß- und y-Strahlung bzw. in Form von Neutrinoenergie auf (10). Wegen der fehlenden Ladung und der - im Vergleich zu anderen Elementarteilchen - außerordentlich geringen Masse tritt das Neutrino mit Materie fast nicht in Wechselwirkung und braucht hier deshalb nicht betrachtet zu werden. Vor der Behandlung der wichtigsten Reaktortypen soll auf die wesentlichen Bauelemente eines Kernreaktors, den Reaktorbrennstoff, den Moderator, den Steuerungsmechanismus, das Kühlmittel und den Strahlenschutz eingegangen werden (11, 12). Zunächst wird ein Reaktorbrennstoff benötigt, d. h. ein Stoff, dessen Atomkerne durch Neutronen unter Energieabgabe spaltbar sind und in dem unter bestimmten Bedingungen eine einmal eingeleitete Spaltung sich selbst unterhalten kann. Der U 235-Kern wird beim Einfang langsamer (thermischer) Neutronen gespalten. Da dieses Isotop aber im natürlichen Uran nur mit 0,720% enthalten ist, benötigt man als Reaktorbrennstoff angereichertes Uran. (U 238 - im Natururan hat es einen Anteil von 99,274% - ist zwar mit schnellen Neutronen spaltbar, jedoch dann auch nur mit einem um drei Größenordnungen kleineren Wirkungsquerschnitt als U 235. Wegen der schweren Spaltbarkeit wird der Fall jedoch so selten eintreten, daß er vernachlässigbar ist. U 234 hat im Natururan nur einen Anteil von 0,006% und braucht deshalb nicht berücksichtigt zu werden). Neben angereichertem U 235 sind auch Plutonium "4PU bzw. U 233, das aus U 238 bzw. Thorium ^ T h erbrütet werden kann, als Reaktorbrennstoffe verwendbar. Auch die neuen Kerne U 233 und Pu 239 können - wie U 235 - durch thermische Neutronen 1 gespalten werden, jedoch sind die Wirkungsquerschnitte von denen des U 235 verschieden (vgl. 4.212 und 4.213). Außerdem ist es auch möglich, einen Reaktor mit natürlichem Uran zu betreiben. Beispielsweise ist in Kanada die ursprüngliche Entwicklung der Natururan-Schwerwasserlinie (CANDU-Reaktor) bis heute fortgesetzt worden. Allerdings muß hier teures schweres Wasser als Moderator verwendet werden (9, 13). Für den Betrieb eines Kernreaktors ist zusätzlich ein Moderator erforderlich. Dieser soll möglichst wenig Neutronen absorbieren, und bei jedem Zusammenstoß zwischen einem Neutron und einem Moderator-Kern soll möglichst viel Energie übertragen werden. Dies ist der Fall, wenn sich die Massen der zusammenstoßenden Teilchen möglichst wenig unterscheiden. Als Moderator wird - je nach Reaktortyp - leichtes oder schweres Wasser sowie Graphit oder Beryllium verwendet. Bei leichtem (gewöhnlichem) Wasser als Moderator muß ' Kernreaktoren können aufgrund der Art der Neutronen, die in der Hauptsache die Spaltung bewirken, in thermische Reaktoren und schnelle Reaktoren eingeteilt werden. Die thermischen Reaktoren arbeiten mit thermischen Neutronen, die eine Energie < l e V haben und benötigen in jedem Falle einen Moderator. (Die meisten der bisher gebauten Reaktoren sind thermische Reaktoren.) Bei den schnellen Reaktoren werden die Neutronen nicht abgebremst, sondern mit der Energie > 105 eV (schnelle Neutronen), die sie bei ihrer Entstehung haben, zu weiteren Spaltungen benutzt. Diese Reaktoren haben daher keinen Moderator.

142

4. Energieversorgungssysteme

berücksichtigt werden, daß der Absorptionsquerschnitt von Wasserstoffkernen gegenüber Neutronen sehr groß ist, so daß ein relativ hoher Prozentsatz der entstehenden Neutronen für die Spaltung verloren geht. Man kann deshalb leichtes Wasser nur verwenden, wenn ein ausreichender Überschuß an Neutronen produziert wird. Das ist der Fall, wenn z. B. angereichertes Uran der Brennstoff ist. Bei Natururan als Brennstoff würde die starke Absorption von Neutronen durch gewöhnliches Wasser zu einem Absterben der Kettenreaktion führen. Deshalb erfordert Natururan schweres Wasser, Kohlenstoff (Graphit) oder Beryllium als Moderator. Ein weiteres wichtiges Bauelement eines Reaktors ist der Steuerungsmechanismus, mit dem die Kettenreaktion reguliert werden kann. Die Steuerung erfolgt in der Art, daß Stäbe aus Stoffen mit besonders großem Absorptionsquerschnitt für Neutronen (z. B. Cadmium oder Borstahl) mehr oder weniger tief in das Innere des Reaktorkerns geschoben werden. Im stationären Betrieb ist der Multiplikationsfaktor K = 1; die Zahl der Neutronen pro Volumeneinheit ändert sich zeitlich nicht. (Die verzögerten Neutronen sind an der ausgeglichenen Neutronenbilanz beteiligt). Ist K = 1, dann sind die Neutronenverluste, die dadurch auftreten, daß Neutronen ohne Reaktion aus dem System entweichen bzw. die durch Absorption hervorgerufen werden, gerade so groß, daß im Mittel ein Neutron, das bei der Spaltung frei wird, wiederum zur Kernspaltung führt. (Die Neutronenabsorption wird u. a. durch Stoffe wie Kühlmittel, Brutund Strukturmaterial, Regelstäbe hervorgerufen). In diesem Zustand ist die Zahl der Kernspaltungen je Zeiteinheit bzw. die Leistung des Reaktors konstant: Der Reaktor ist „kritisch" oder „eingeschaltet". Wird, ausgehend vom stationären Zustand (K = 1), die Anzahl der Neutronen pro Volumeneinheit geringer (K < 1), indem der Anteil der absorbierten Neutronen vergrößert wird (die Regelstäbe werden in das Innere des Reaktorkerns geschoben), dann nimmt die Leistung des Reaktors ab: Der Reaktor ist „unterkritisch" oder „abgeschaltet" (9). Wird, ausgehend vom stationären Zustand (K = 1), die Anzahl der Neutronen pro Volumeneinheit größer (K > 1), indem der Anteil der absorbierten Neutronen verkleinert wird (die Regelstäbe werden aus dem Innern des Reaktorkerns gezogen), dann nimmt die Leistung des Reaktors zu. Die Regeleinrichtung wird nun so ausgelegt, daß immer 1,0075 > K ist, d. h. der Multiplikationsfaktor K überschreitet den Wert K = 1 immer nur um weniger als 0,75%. Die bei der Kernspaltung „prompt" auftretenden Neutronen reichen dann allein nicht aus, K = 1 zu machen; hierzu sind noch die „verzögerten" Neutronen nötig. Die Leistung des Reaktors nimmt deshalb bei 1,0075 > K > 1, wegen des Anteils von 0,75% an verzögerten Neutronen, erst nach einer Verzögerungszeit von ca. 12 s mäßig schnell zu: Der Reaktor ist „überkritisch". Das heißt, wenn die Neutronenproduktion anwachsen sollte, so wirkt sich diese Steigerung erst nach einer gewissen Verzögerungszeit von ca. 12 s voll aus. Diese Zeitspanne würde aber genügen, um automatische bzw.

4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

143

mechanische Regeleinrichtungen auszulösen und wirksam werden zu lassen. Bei K > 1,0075 würde die Leistung des Reaktors sehr schnell zunehmen. Der Reaktor würde „prompt überkritisch" werden, weil die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion allein durch die prompten Neutronen — also bereits ohne die ebenfalls vorhandenen verzögerten Neutronen - stattfände. In diesem Zustand sind sehr schnell Reaktorleistungen erreicht, bei denen die Wärmeabfuhr nicht mehr ausreichend ist, so daß Schäden an Brennelementen, Primärkreislauf und Strukturmaterialien auftreten können. Die Regeleinrichtungen des Reaktors müssen so konzipiert sein, daß ein derartiger Zustand nicht auftreten kann (9). Erwähnt sei noch, daß die Temperatur des Reaktorkerns - innerhalb gewisser Grenzen - eine selbsttätige Reaktorsteuerung bewirkt. Mit steigender Temperatur erhöht sich die mittlere Neutronenenergie, was einen höheren Neutroneneinfang nach sich zieht. Eine Verringerung von K ist die Folge (negativer Temperaturkoeffizient) (9). Jeder Kernreaktor benötigt ein Kühlmittel, um die entstehende Wärme abzuleiten. Hierzu werden Gase (z. B. Helium, Kohlendioxyd), Flüssigkeiten (z. B. Wasser) oder Metalle (z. B. Natrium) verwendet. Besonders strenge Maßstäbe müssen bei einem Kernreaktor an den Strahlenschutz angelegt werden. Es wurde bereits erwähnt, daß bei der Kernspaltung intensive Strahlungen verschiedenster Art entstehen (a-, ß-, y-, n-Strahlung, Spaltprodukte). Deshalb muß durch geeignete Maßnahmen (z. B. Spezialbeton) insbesondere der Reaktorkern so weit wie möglich abgeschirmt werden. Außerdem entstehen durch die Neutronen- oder Gammastrahlung sog. Aktivierungsprodukte. Hierzu gehört praktisch das gesamte Bau- und Betriebsmaterial des eigentlichen Reaktors (z. B. Brennstabhüllen, Primärkühlwasser). Darüber hinaus fallen beim Betrieb gasförmige, flüssige und feste radioaktiv verunreinigte Abfälle an, die eine sorgfältige Überwachung erfordern. Schließlich ist die Behandlung der rd. 300 radioaktiven Isotope mit ganz unterschiedlichen Halbwertszeiten (Atommüll) ein außerordentlich schwieriges Problem, für das bis heute noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden werden konnte (vgl. 5.722).

4.212

Leichtwasserreaktoren

Von den 546 bis 1. 1. 1977 in der Welt in Betrieb, in Bau sowie in Auftrag gegebenen Kernkraftwerken war die überwiegende Anzahl vom Typ der Leichtwasserreaktoren (LWR). Tabelle 4 - 1 gibt die Kernkraftwerke der Welt wieder (14, 15). Darüber hinaus geht die Internationale Atomenergie-Organisation, Wien (IAEA-Bulletin Nr. 1, Februar 1976) bis 1990 von folgendem möglichen Kernkraftwerksmarkt in den Entwicklungsländern aus: 140 Kernkraftwerke

144

4. Energieversorgungssysteme

Tabelle 4-1: Die Kernkraftwerke der Welt (Stand 1. 1. 1977) in Betrieb Anzahl

in Bau oder bestellt

Elektr. Nettoleistung MW

Anzahl

524 347 860 807 035

173 18 30 8 17

440 073 254 180 597 1 660 580 960 1 006

12 16 6 7 6 4 5 4 4 6 6 4 3 4 3 3 1 2

insgesamt

Elektr. Nettoleistung MW

Anzahl

182 13 29 4 18

748 232 024 950 188

233 41 40 40 30

8 851 15 589 4 058 6 279 4 703 3 900 1 000 1 760 3 800 2 980 4 920 1 600 1 260 4 206 3 206 1 764 600 1 320

16 291 16 659 7 312 9 459 5 300 5 560 1 580 2 720 4 806 2 980 4 920 1 710 1 680 4 206 3 206 1 764 919 1 320 498 312 1 252 880 800 1 844 615 1 300 560 440 413 206

Elektr. Nettoleistung MW

Gesamte Atomstromerzeugung bis 31. 12. 76 2 GWh

Land 1 USA UdSSR Frankreich Großbritannien Bundesrepublik Deutschland Japan Spanien Kanada Schweden Italien Belgien Indien DDR Schweiz Finnland Taiwan CSSR Bulgarien Iran Brasilien Korea Argentinien Mexiko Niederlande Pakistan Philippinen Polen Ungarn Südafrika Jugoslawien Luxemburg Puerto Rico Rumänien

60 23 10 32 13

41 6 2 6 6

14 3 8 5 3 4 3 3 3

7 1 3 3

Gesamt

190









1 1

110 420













1

319

2 1

498 125





































84 795

1 2 2 2 2 1 1 1 1

187 1 252 880 800 1 844 615 1 300 560 440

26 19 14 12 9 8 8 7 7 6 6 5 4 4 3 3 2 2 2 2 2 2 2 2 1 1 1 1

356

328 411

546





224 19 31 11 24

272 579 884 757 223

771 315 —

106 126 361 544 102 287 105 37 77 33 41 16 15

956 951 369 583 831 920 742 —

38 216 — — — — — — —

6 125 —

13 037 2 312 — — — — — — — —

1 730 314

1

Die Reihenfolge orientiert sich an der jeweiligen Gesamtzahl der Kernkraftwerke (in Betrieb, in Bau oder bestellt). 2 Die Angaben der Ostblockländer fehlen. Quelle: M. Gruenberg: Kernkraftwerke 1976 - Weltübersicht, in: Atomwirtschaft 22, 3 (1977).

4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

145

(KKW) mit je einer elektrischen Leistung von 150-400 MW (Gesamtleistung 38 000 MW), 86 KKW mit je einer elektrischen Leistung von 5 0 0 - 6 0 0 MW (Gesamtleistung 50 000 MW) und 129 KKW mit je einer elektrischen Leistung größer als 600 MW (Gesamtleistung 133 000 MW). Speziell für einige afrikanische Staaten, deren Bedarf an nuklear erzeugter elektrischer Leistung bis 1990 rd. 7100 MW betragen dürfte, wird eine weitere Aufschlüsselung gegeben. Sie nennt für Algerien 450 MW, Ägypten 5000 MW, Ghana 300 MW, Marokko 400 MW, Nigeria 500 MW und Tunesien, Uganda, Sambia jeweils 150 MW. Das heißt, mit Ausnahme Ägyptens liegt der Schwerpunkt des Bedarfs bei kleinen und mittelgroßen Reaktoranlagen. Die in Frage kommenden Systeme sind Leichtwasserreaktoren. Leichtwasserreaktoren werden nach ihrem Funktionsprinzip in Siede- und Druckwasserreaktoren eingeteilt. Da hier nur U 235 nutzbar ist, stellen diese eine Möglichkeit zur Energiegewinnung im Großen nur für eine relativ kurze Zeit dar (vgl. 3.352). Es ist jedoch damit zu rechnen, daß sie zumindest noch für etliche Jahre die bevorzugten Reaktortypen sein werden. Abb. 4 - 2 a zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Siedewasserreaktors und Abb. 4 - 2 b den eines Druckwasserreaktors (16). Das KKW mit Siedewasserreaktor (SWR) ist dem konventionellen Dampfkraftwerk am ähnlichsten. Der für den Antrieb der Turbine nötige Dampf wird unmittelbar im Kern des Reaktors erzeugt. Zum Primärkreislauf gehören Reaktor, Turbine, Kondensator und Pumpe. Der auf etwa 285° C erhitzte Dampf steht unter einem Druck von ca. 70 at. Der Kern eines SWR für eine elektrische Leistung von etwa 1300 MW besteht aus rd. 800 Brennelementen mit ca. 3% angereichertem U 235. Der Vorteil des SWR ist, daß der erzeugte Dampf direkt auf die Turbine geht, ohne daß in einem Wärmetauscher Wärmeverluste auftreten. (Der Wirkungsgrad ist etwas höher als beim Druckwasserreaktor (s. w. u.)). Diesem Vorteil (Einkreisreaktor) stehen aber die Nachteile gegenüber, daß, wenn einmal ein Brennelement einen Schaden erleidet, radioaktive Verunreinigungen in das Kühlmedium und somit in die Turbine gelangen können. Für detailliertere Informationen seien einige Literaturhinweise angegeben (17-22). Der Druckwasserreaktor (DWR) vermeidet weitgehend diese Nachteile des SWR. Die Vorteile des DWR liegen, neben einem etwas geringeren Brennstoffbedarf, in der Trennung des Reaktorteils von der konventionellen Kraftwerksanlage durch zwei Wärmetransportsysteme. Das erhitzte Wasser wird, nachdem es das Reaktorcore verlassen hat, durch einen Wärmetauscher geleitet. Dort gibt es seine Wärmeenergie an einen zweiten Wasserkreislauf ab. Im Wärmetauscher (Dampferzeuger) wird auf der Sekundärseite Wasserdampf für den Antrieb der Turbine erzeugt. Dieser Wasserdampf kann nicht radioaktiv werden, da er in keiner direkten Verbindung zum Reaktorcore steht. Obwohl die Betriebsdaten des DWR (Dampfdruck ca. 150 at bei etwa 320° C) gegenüber

146

4. Energie Versorgungssysteme

Abb. 4-2a: Aufbau eines Siedewasserreaktors. Quelle: Die Reaktortypen, in: Bild der Wissenschaft, Sonderheft, Kernkraftwerke - Müssen wir mit ihnen leben? Deutsche Verlagsanstalt: Stuttgart 1976.

Abb. 4-2b: Aufbau eines Druckwasserreaktors. Quelle: Die Reaktortypen, in: Bild der Wissenschaft, Sonderheft, Kernkraftwerke - Müssen wir mit ihnen leben? Deutsche Verlagsanstalt: Stuttgart 1976.

4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

147

dem SWR einen technischen Mehraufwand bedingen, scheint sich die Technologie des DWR mehr und mehr durchzusetzen. Es sei hier schon erwähnt, daß ein KKW mit einem LWR einen Wirkungsgrad von etwa 33% hat, d. h. nur etwa 33% der erzeugten Wärme werden in elektrische Energie umgewandelt. Moderne ö l - oder Kohlekraftwerke haben dagegen einen Wirkungsgrad von rd. 40%. Für den Leser seien noch einige Literaturhinweise angegeben (23-28). 4.213

Der Schnelle Natriumgekühlte Reaktor

Die begrenzten Uran-Vorkommen in der Welt werden die wirtschaftliche Nutzung der Kernenergie durch LWR (Kernreaktoren der 1. Generation) voraussichtlich noch Ende dieses Jahrhunderts in Frage stellen (vgl. 3.352). Dies hat zwangsläufig zur Folge, daß neue Technologien für die Nutzbarmachung der Kernenergie entwickelt werden müssen (Kernreaktoren der 2. Generation). Man ist bestrebt, Reaktoren zu entwickeln, die einerseits kommerziell nutzbare Energie liefern und andererseits mehr spaltbares Material erzeugen, als in dem betreffenden Reaktor verbraucht wird, d. h. spaltbares Material erbrüten. Durch Absorption der bei der Kernspaltung entstehenden „schnellen" Neutronen entsteht aus dem nicht spaltbaren U 238 das spaltbare Pu 239 wie folgt: 2

Ü\J (n, y) 2 ||U

^fNp+e'+v, > 2 2 «Pa+e"+v e T = 2 2 , 4 Min.

> 2 | 2 3 U+e"+v e T=27,4d

(6)

Der durch Neutroneneinfang entstehende Zwischenkern Th 233 wandelt sich unter zweimaliger Elektronenemission e", die jeweils mit Antineutrinoemission ve verbunden ist, in U 233 um. Da das Core nur aus Graphit und Brennstoff besteht und keine Materialien enthält, die Neutronen absorbieren, wird erwartet, daß Konversionsraten bis zu 0,9 realisiert werden können. Sowohl das Uran als auch das Thorium werden in Form von Uran- bzw. Thoriumcarbid in den Brennelementen eingesetzt. Die einzelnen Carbidkugeln sind von Graphit umschlossen. Da im Graphit die Spaltprodukte weitgehend zurückgehalten werden, tritt in das Primärkühlmittel nur ein geringer Anteil der im Reaktorkern erzeugten Spaltprodukte. Verglichen mit LWR und SNR hat das Core eine geringe Leistungsdichte. (Im Vergleich zum SWR beträgt die Leistungsdichte des THTR ca. 10% und im Vergleich zum SNR nur 2%) (23). Dies bedeutet, daß einerseits die Kühlung relativ einfach ist, daß aber andererseits ein relativ großes Volumen vom Reaktordruckbehälter eingeschlossen werden muß. Der THTR hat im Gegensatz zum LWR bzw. SNR kein flüssiges Kühlmittel, sondern gasförmiges Helium (Druck ca. 40 at). Helium hat einige gewichtige Vorteile: Es besitzt unter den Gasen gute Wärmeübertragungseigenschaften und hat eine geringe Neutronenabsorption, wird also nicht radioaktiv. Um ein hohes Temperaturniveau realisieren zu können - Graphit ist sehr temperaturbeständig - , werden ausschließlich keramische Materialien im Core eingesetzt. Abb. 4-4 zeigt die schematische Darstellung eines THTR. Die THTR-Kraftwerksanlage besteht aus einem Zweikreissystem. Das erhitzte Helium des Primärkreises gibt im Wärmetauscher seine Wärmeenergie an den sekundärseitigen Wasser-Dampf-Kreis ab, der einer konventionellen Dampfanlage entspricht. Es liegt also eine Trennung von Primär- und Sekundärkreis vor (vgl. DWR). Als einziger deutscher Reaktor befindet sich der von der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR) in Jülich konzipierte Hochtemperaturreaktor seit 1967 in Betrieb. Am 27. 2. 1974 wurde hier bereits eine He-Temperatur von 950° C

152

4. Energieversorgungssysteme

1 Spannbetondruckbehälter 2 Reaktorkern (Kugelschüttung) 3 Dampferzeuger

4 Kühlgasumwälzgebläse 5 Kugelabzugsrohr 6 Graphit-Reflektor mit Kühlgaskanälen

Abb. 4 - 4 : Schematische Darstellung eines Thorium-Hochtemperatur-Reaktors. Quelle: „Der Thorium-Hochtemperatur-Reaktor THTR 300", Hochtemperatur-Kernkraftwerk, Uentrop, Kraftwerk Westfalen.

erzielt (39). (Die Erfahrungen mit der auf 950° C erhöhten Heizgastemperatur sind nach mehr als einem Vollast jähr positiv). Aufgrund der hohen Kühlmitteltemperatur kann beim Einsatz von Hochtemperaturreaktoren in Kraftwerken ein Wirkungsgrad wie bei modernen ö l - oder Kohlekraftwerken erzielt werden, d. h. rd. 40%. Die Abwärme ist im Vergleich zum LWR geringer. Aufbauend auf den Erfahrungen dieses AVR-Reaktors wurde der THTR 300 berechnet, der bei Schmehhausen, Uentrop, im Bau ist und 1979 betriebsfertig sein soll (elektrische Leistung 300 MW). Das Core besteht hier aus einer Kugelschüttung von rd. 675 000 Brennelementkugeln in Tennisballgröße. Im Zusammenhang mit der Errichtung des THTR 300 wird auch der erste große Trockenkühlturm in der Bundesrepublik Deutschland gebaut. Wegen der höheren Kühlmitteltemperaturen bei Hochtemperatur-Kraftwerken vermindert der Einsatz von Trockenkühltürmen den Wirkungsgrad bei der Stromerzeugung nicht so stark wie bei Kraftwerken mit niedrigeren Kühlmitteltemperaturen. Der THTR hat ein hohes Entwicklungspotential, da man daran denkt, den Wärmetauscher zu umgehen und das heiße Helium direkt auf eine Heliumgasturbine zu leiten. Erst wenn dieser Schritt technisch realisiert ist, hat der Hochtemperaturreaktor die optimale Wirtschaftlichkeit erreicht (40-42). Denn beim geschlossenen Gasturbinenprozeß kristallisieren sich u. a. folgende Vor-

4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

153

teile heraus: einfache Prozeßführung und dadurch kompakte Bauweise; höherer Wirkungsgrad als bei anderen Reaktortypen; geringer Kühlwasserbedarf, außerdem Möglichkeit von Luftkühlung (43-46). Ein weiterer Vorteil des Hochtemperaturreaktors wird auf dem Gebiet der Brennstoffökonomie gesehen. Der Reaktor kann einerseits im Uran-Plutonium-Brennstoffzyklus (niedrig angereichertes U 235 ohne Th 232) betrieben werden, ist andererseits aber auch in der Lage, das leicht spaltbare U 233 aus Th 232 (hochangereichertes U 235 und Th 232) zu erbrüten und damit zusätzliche Brennstoffreserven zu erschließen (vgl. 3.352). Die Entwicklungslinie des Hochtemperaturreaktors wird - außer in der Bundesrepublik Deutschland auch in den Vereinigten Staaten und Großbritannien verfolgt (43). (Hochtemperaturreaktoren und Schnelle Brüter zählen zu den Kernreaktoren der 2. Generation). Neben der Erzeugung von elektrischer Energie beruht die besondere Eignung des Hochtemperaturreaktors, wegen der hohen Temperatur des Kühlmittels Helium, in der Bereitstellung von Prozeßwärme für verschiedene Zwecke. Die Wärme kann beispielsweise zur Vergasung fester fossiler Brennstoffe (Braunkohle, Steinkohle) dienen. Hierdurch dürfte es in vielen Bereichen möglich sein, ölprodukte und Erdgas durch umweltfreundliche, aus Kohle erzeugte Sekundärenergieträger zu substituieren (47-49). Zukünftige Einsatzmöglichkeiten hochtemperaturiger Prozeßwärme bestehen außerdem in der Wasserstofferzeugung durch die thermische Wasserspaltung sowie in der Direktreduktion von Eisenerz. Darüber hinaus wird bei vielen industriellen Prozessen Wärme in einer Form gebraucht, für die Dampf ein idealer Wärmeträger ist, so z. B. in der chemischen Industrie und in der Papierindustrie.

4.22

Energiegewinnung durch Kernfusion

Es wurde bereits behandelt, daß mit der Realisierung der kontrollierten Kernfusion in Form eines Fusionsreaktors (FR) der Menschheit praktisch eine „unbegrenzte" Energiequelle zur Verfügung stünde (vgl. 3.36 und Tabelle 3-2b). Aus diesem Grunde ist es verständlich, daß in aller Welt enorme Anstrengungen unternommen werden, um die noch existierenden außerordentlich schwierigen technologischen Probleme zu lösen. Die mögliche Gewinnung von Fusionsenergie beruht im wesentlichen auf folgenden Reaktionen: D + D + D + D +

D ^ T D - » 3 He 3 He—» 4 He 4 T He

+ + + +

p + 4,04 MeV n + 3,27 MeV p + 18,34 MeV n + 17,58 MeV

( 7)

( 8) ( 9)

(10)

154

4. Energieversorgungssysteme 6 Li 7 Li

+ n + n

- » 4 He + T + 4,78 M e V - » 4 He + T + n' - 2,47 M e V

(11) (12)

Die in (7) bis (10) dargestellten Reaktionen sind die eigentlichen Fusionsreaktionen, während (11) und (12) Brutreaktionen wiedergeben. Verwendet man nur Deuterium als Brennstoff, so finden die Reaktionen (7) und (8) mit gleicher Wahrscheinlichkeit statt. Die Reaktionsprodukte 3 He und Tritium T reagieren gemäß Gleichungen (9) und (10) weiter. Aus technologischen Gründen ist aber aller Voraussicht nach die Reaktion (10), die D-T-Reaktion, allein leichter und deshalb früher zu realisieren, als die D-D-Reaktionen ( 7 ) und (8). Da aber das T in der Natur praktisch nicht vorkommt, muß es künstlich erzeugt werden. Dazu bietet sich ein Li-n-Prozeß an, wobei das 7 Li von Bedeutung ist, da es bei Neutroneneinfang unter Bildung von 4 He und T ein weiteres Neutron emittiert, das wieder mit 6 Li reagieren kann (Brutprozeß). Zu diesem Zweck umgibt man den Reaktionsraum mit einem Li-Mantel - dem „Blanket" - , so daß die bei Reaktion (10) entstehenden Neutronen gemäß (11) und (12) reagieren können. Das heißt, Deuterium und Lithium sind die Brennstoffe des D-T-Reaktors. Im folgenden seien noch einige Ausführungen zu den physikalischen Grundlagen der Kernfusion gemacht. Zur Fusion zweier Kerne müssen diese gegen die Coulombsche Abstoßungskraft einander so nahe gebracht werden, daß die kurzreichenden Kernkräfte zur Wirkung kommen. Betrachten wir den Wirkungsquerschnitt in Abhängigkeit von der Relativenergie der Reaktionspartner, so ist der D-T-Prozeß hinsichtlich der Größe des Wirkungsquerschnifts wie auch hinsichtlich seiner Abhängigkeit von der Energie vorteilhaft gegenüber dem D-D-Prozeß (50). Die wichtigsten Parameter für das Zustandekommen der Fusion sind die Ionentemperatur T und die Größe nx (Lawson-Kriterium), wobei n die Plasmadichte und x die Plasmaeinschlußzeit ist. Es läßt sich ableiten, daß für die D-T-Reaktion der minimal notwendige Wert nx > 1014 s cm"3 ist und die geringste Temperatur, auch Zündtemperatur genannt, 5 k e V = 50 Mio. K beträgt. (Wegen der Minimalabschätzung ist man ganz sicher gezwungen, tiefer in das „Lawson-Gebiet" vorzudringen) (50-52). In den letzten Jahren haben sich in allen Teilen der Erde verschiedene Verfahren herauskristallisiert, um diese kritische Bedingung zu erfüllen. Beispiele sind: Spiegelmaschinen, Tokamaks, Stellaratoren, Pinch-Anordnungen (50, 53). Neben diesen Richtungen, die auf dem magnetischen Einschluß des Plasmas beruhen, ist seit einigen Jahren ein ganz andersartiges Prinzip, das des Trägheitseinschlusses, aktuell geworden. Kleinen Kugeln aus festem D T wird mit Hilfe eines Hochleistungslasers so viel Energie zugeführt, daß der Festkörper auf Fusionstemperatur aufgeheizt wird. Bevor das Material mit seiner thermischen Geschwindigkeit abgeströmt ist, müssen so viele Reaktionen stattgefunden haben, daß eine positive Energiebilanz erreicht wird. Berechnungen ergeben, daß bei Pellets mit normaler Festkörperdichte und einem Radius von

4.2 Sekundärenergie aus nuklearen Energieträgern

155

ca. 1 cm eine Lichtenergie von 10 8 -10 9 Joule in einer Zeit von einigen 10" 9 s notwendig ist (54). Es scheint, daß das in der UdSSR ursprünglich entwickelte Tokamak-Verfahren zur Fusion von Deuterium und Tritium das aussichtsreichste ist. Im Tokamak wird das Plasma in einem evakuierten toroidalen Behälter erzeugt (55, 56). Zur Aufheizung benutzt man den ohmschen Widerstand des Plasmaringes, indem man durch ihn einen Strom hindurchschickt, der in diesem Ring induziert wird. Das zum Zusammenhalt des Plasmas erforderliche Magnetfeld wird nicht durch herkömmliche Spulen erzeugt werden können, da diese aufgrund hoher Energieverlustraten die benötigten extrem hohen Feldstärken nicht aufbauen können. Man muß daher zu supraleitenden Spulen übergehen, deren Entwicklung besondere technologische Probleme aufwirft (57). Abb. 4 - 5 skizziert schematisch in einem Flußdiagramm die Funktionsweise eines möglichen D-T-Fusionsreaktors (50). Im Reaktorkern wird durch Kernfusion die Energie freigesetzt. Diese wird im wesentlichen durch Neutronen und Strahlung nach außen abgegeben und im aus Lithium bestehenden „Blanket" absorbiert. Dieses Lithium hat eine doppelte Funktion. Einmal fungiert es als Wärmeleiter, hat also die aus dem Plasma kommenden Neutronen durch Streuung abzubremsen und so die kinetische Energie der Neutronen in technisch verwertbare Wärme umzuwandeln, die einem konventionellen Kraftwerk zugeführt wird. Die andere Aufgabe des Lithiums ist das „Erbrüten" von

Abb. 4 - 5 : Brennstoff-Fließschema eines D-T-Fusionsreaktors Quelle: R. Wienecke: Der Fusionsreaktor: Physikalische und technische Probleme, in: Plenarvorträge der 38. Physikertagung in Nürnberg, Weinheim: Physik-Verlag 1974.

156

4. Energieversorgungssysteme

Tritium. Die relativ kurze Brennstoffverdopplungszeit des D-T-Reaktors von nur einigen Monaten ist besonders vorteilhaft. Das erbrütete Tritium wird abgetrennt und mit Deuterium dem Reaktionsvolumen wieder zugeführt (58). Legt man zur Bewertung eines möglichen FR neben Brennstoffreserven und Brennstoffkosten noch andere Faktoren zugrunde, wie z. B. ökologische Belastungsfaktoren, das Sicherheitsrisiko usw., so ist die Nutzung der Fusionsenergie in einem FR im Vergleich zu den Kernspaltungsreaktoren eine überaus attraktive Möglichkeit zur langfristigen Energieversorgung (vgl. 5.8). Deshalb ist es einleuchtend, daß die Realisierung eines FR ein Hauptanliegen naturwissenschaftlich-technologischer Forschung und Entwicklung in aller Welt ist. Neben bereits einigen existierenden und im Bau befindlichen Tokamaks sind große Tokamaks in der UdSSR (T-20), in Japan (JT-60) und in den Vereinigten Staaten (TFTR) in der Planung. Die USA und die UdSSR hoffen, daß sie bis Mitte der 90er Jahre einen Prototyp-Fusionsreaktor realisiert haben werden, und die EG hat entschieden, als Großforschungsanlage den JET (Joint European Torus) zu bauen (53, 59). Kommerzielle Fusionsreaktoren dürften frühestens in etwa 30-40 Jahren zur Verfügung stehen (37).

4.3

Sekundärenergie aus Sonnenenergie

4.31

Direkte Verfahren 2

4.311

Solarthermische Konversion

Das wohl aussichtsreichste Verfahren, Sonnenenergie kommerziell nutzbar zu machen - insbesondere auch für gemäßigte geographische Breiten - , ist die direkte Umwandlung von Sonnenenergie in Niedertemperaturwärme mit Hilfe von Niedertemperaturkollektoren (z. B. Flachkollektoren; sie absorbieren direkte und diffuse Strahlung) (vgl. 3.371 und 3.373). Die hierfür erforderlichen Basistechnologien sind bereits entwickelt. Es gilt aber noch neben der Verbesserung einzelner Komponenten (z. B. Erhöhung des Wirkungsgrades und der Lebensdauer der Kollektoren bei gleichzeitiger Kostensenkung), die solaren Gesamtsysteme technisch und kostenmäßig zu optimieren. Abb. 4-6 zeigt den schematischen Querschnitt eines Flachkollektors. Problematisch ist die lichtdurchlässige Abdeckung, weil sie das auftreffende sichtbare Licht weder durch Absorption noch durch Reflexion merklich schwächen darf

2

In diesem Abschnitt sollen die in 3.373 gemachten Ausführungen durch konkrete Beispiele ergänzt werden.

4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie

157

1 = Absorberplatte; 2, 3a, 3b = Wasserrohre; 4 = Kasten; 5 = thermische Isolation; 6 = lichtdurchlässige Abdeckung Abb. 4—6: Schematischer Querschnitt eines Rachkollektors zur Wassererhitzung Quelle: E . Justi: Stand und Aussichten der Sonnenenergie, in: Heizen mit Sonne, Tagungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie 1976, Göttinger Dissertationsdruck 1976.

und trotzdem die Wärmerückstrahlung der erhitzten Absorberplatte zurückhalten muß. Die Absorberplatte wandelt das auffallende Licht in Wärme um, die von einem Transportmedium (z. B . Wasser) zum Verbraucher geleitet wird. Für eine hohe Effizienz eines Flachkollektors ist es notwendig, einen möglichst hohen Anteil des einfallenden Lichtes zu absorbieren sowie die Verluste durch Konvektion, Wärmeleitung und Strahlung relativ klein zu halten. Schon bei relativ niedrigen Arbeitstemperaturen eines Flachkollektors ( 3 0 - 1 0 0 ° C) übertreffen die Strahlungsverluste ( ~ T 4 ) die anderen Verluste um das Vielfache (vgl. 3.373) (60). Dieses Verfahren der Umwandlung von Sonnenenergie in Niedertemperaturwärme findet in vielen Fällen bereits praktische Anwendung. So z. B . ist die solare Schwimmbad-Aufwärmung, wie die Praxis zeigt, relativ leicht wirtschaftlich realisierbar, da das Wasserbecken selbst ein Wärmespeicher mit großer Kapazität ist, dem die Solarwärme im wesentlichen während der Sonnenscheinstunden zugeführt werden muß. Bereits bei einer Kollektorfläche von etwa 1 0 % der Wasserfläche lassen sich während der ganzen Schwimmsaison mehrere Grad Übertemperatur aufrechterhalten. (Immerhin benötigen die beheizten öffentli-

158

4. Energieversorgungssysteme

chen Freischwimmbäder der Bundesrepublik Deutschland pro Saison rd. 280 000 t Öl (61)). Die kommerzielle Anwendung der solarthermischen Konversion zur Warmwasserbereitung ist insofern komplizierter, als warmes Wasser mit höherer Gebrauchstemperatur bis zu etwa 100° C benötigt wird und es nicht nur während des Sonnenscheins zur Verfügung stehen muß, was Speicherprobleme (Kurzzeitspeicher) mit sich bringt. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, daß solare Warmwasserbereitungsanlagen auch in Mitteleuropa unter günstigen Bedingungen an der Schwelle zur Wirtschaftlichkeit stehen. Ein erster Schritt zur Nutzbarmachung der Sonnenenergie in der Warmwasserversorgung könnte beispielsweise, angesichts des schlechten Wirkungsgrades von Ölheizungen bei der Warmwasserbereitung in den heizungsfreien Monaten, die solare Brauchwasserbereitung während dieser Monate sein (37). Solarheizanlagen arbeiten heute noch nicht so günstig wie solare Warmwasserbereitungsanlagen. Legt man ein normales Einfamilienhaus zugrunde (ca. 5000 1 Heizölbedarf/Jahr), so ist es mit den derzeit entwickelten Anlagen (30 m 2 Kollektorfläche) bereits möglich, rd. 50% der Heizölkosten einzusparen. (Die Einbauinvestitionen sollen größenordnungsmäßig 15 000,- DM betragen). Die Weiterentwicklung einzelner Komponenten und verschiedene andere Faktoren - wie z. B. industrielle Fertigung in größeren Stückzahlen und steigende Primärenergiekosten - lassen erwarten, daß die Wirtschaftlichkeit von solaren Heizanlagen, insbesondere im Systemverbund mit Brauchwasserbereitung, in gemäßigten Breiten in einigen Jahren erreicht sein dürfte 3 (62). Durch die Sonnenenergienutzung für Warmwasserbereitung und Raumheizung könnte in zunehmendem Maße Mineralöl substituiert werden (vgl. 3.372). Ein besonderes Problem bei solartechnischen Systemen ist die Energiespeicherung, da die Sonnenenergie eine zeitabhängige Energiequelle ist, die tagesund jahreszeitlichen Schwankungen unterliegt und die Energiegewinnung im allgemeinen nicht mit dem Energiebedarf zusammenfällt. Die Energiespeicherung in solartechnischen Anlagen kann grundsätzlich wie folgt durchgeführt werden: in Form von sensibler Wärme eines festen oder flüssigen Mediums, als Schmelzwärme in chemischen Verbindungen oder als chemische Energie von Verbindungen einer reversiblen chemischen Reaktion. Die Wahl des Mediums zur Energiespeicherung hängt u. a. von der Verwendung der Energie und dem Verfahren der Umwandlung der Sonnenenergie ab. Bei der Warmwasserbereitung ist beispielsweise die Energiespeicherung in Form von sensibler Wärme des gespeicherten Wassers zweckmäßig. Wenn Verfahren wie photoelektrische bzw. photochemische Konversion (s. w. u.) zur Anwendung kommen, ist die Spei3 D i e Sonnenenergie soll nach der von dem amerikanischen Präsidenten J. Carter am 18. 4. 1977 verkündeten Energiekonzeption bis 1985 in rd. 2,5 Mio. Häusern zur Wärmeversorgung genutzt werden.

4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie

159

cherung in Form von elektrischer Energie in einer Batterie bzw. in Form von chemischer Energie günstig. Bei der Nutzung der Sonnenenergie zur Brauchwasserbereitung ist das Speicherproblem im wesentlichen gelöst. Bei der Anwendung der Sonnenenergie zur Raumheizung dagegen stellt der Mangel an ausgereiften Mittel- und Langzeitspeichern das Hauptproblem dar (63, 64). Unter anderem ist das Erwärmen von Grundwasser zur Speicherung von Wärme vorgeschlagen worden. (Ein Grundwasserspeicher (Temperatur 170° C) kann nach 90 Tagen noch 70-80% der eingebrachten Wärme bei 150° C abgeben) (65). Außerdem kann mit einer Wärmepumpe die in einem Speicher noch vorhandene Wärme (z. B. gespeicherte Sonnenenergie, Haushaltsabwärme) genutzt werden. Die solarerzeugte Wärme kann nicht nur direkt - wie beschrieben - zur Wärmebedarfsdeckung eingesetzt werden, sondern auch zur Stromerzeugung verwendet werden. Grundsätzlich kann die Wärme zur Elektrizitätserzeugung sowohl mit Niedertemperatur- als auch mit Hochtemperaturkollektoren (konzentrierende Kollektoren) gewonnen werden. Niedertemperaturkollektoren benötigen keine konzentrierenden Elemente, müssen jedoch für den Antrieb der Turbine mit niedrigsiedenden Flüssigkeiten (z. B. Freon) arbeiten. Dieses Verfahren kommt, wegen des derzeit noch geringen Gesamtwirkungsgrades von wenigen Prozenten, nur für Leistungen in der Größenordnung von einigen kW in Frage (64). Bei Hochtemperaturkollektoren mit konzentrierenden Elementen liegen die Dinge anders. Konzentrierende Solarkollektoren 4 erfordern den Einsatz eines reflektierenden (oder brechenden) Materials, um direkte Sonnenstrahlung auf einen Empfänger zu richten. Hierzu eignen sich optische Systeme wie z. B. Spiegel oder Linsen. Durch diese Methode kann die Empfängerfläche klein gehalten werden, und thermische Verluste werden entsprechend reduziert (vgl. 3.373, Gleichung (3)). Zwei andere Arten von Verlusten erhalten jedoch Bedeutung: der Verlust der diffusen Strahlung - da die meisten konzentrierenden Systeme nur mit direkter Sonnenstrahlung betrieben werden können - und die optischen Verluste. Die Konzentrationsverhältnisse bei konzentrierenden Solarkollektoren können in dem großen Bereich von 1,5 bis zu einigen tausend liegen (64). Steigende Konzentrationsverhältnisse bedeuten höher erreichbare Temperatur, sie erfordern aber auch höhere Genauigkeit der optischen Systeme und somit steigende Kosten. Solche Systeme benötigen beispielsweise Nachführeinrichtungen, damit die direkte Sonnenstrahlung auf die absorbierende Fläche gelenkt werden kann. Deshalb hängen die Energiekosten bei konzentrie4

Der Begriff Solarkollektor wird im allgemeinen auf das Gesamtsystem bezogen, d. h. auf Empfänger und Konzentrator. Der Empfänger mit Absorber, Isolation usw. ist das Element des Systems, das die Strahlung absorbiert und in eine andere Energieform umwandelt. Der Konzentrator (optisches System) ist derjenige Teil des Systems, der die Sonnenstrahlung auf den Empfänger richtet.

160

4. Energieversorgungssysteme

renden Kollektoren unmittelbar von dem Temperaturniveau ab, bei dem die Energie verfügbar ist. Im höchsten Konzentrationsbereich spricht man von „Sonnenöfen". So z. B. erreicht der Sonnenofen bei Odeillo in den Pyrenäen mit 21 000 Spiegeleinheiten eine Temperatur von 3800° C (60). Auch im unteren Konzentrationsbereich lassen sich mit konzentrierenden Kollektoren 250-550° C erreichen, d. h. die Elektrizitätserzeugung kann über einen Wasserdampfkreislauf erfolgen. Deshalb sind mit Hochtemperaturkollektoren Leistungsgrößen von mehreren MW möglich. Da die konzentrierenden Systeme im wesentlichen nur mit direkter Sonnenstrahlung betrieben werden, ist mit deren Einsatz in den Breiten Mittel- und Nordeuropas nicht zu rechnen. Dagegen zeichnet sich ab, daß Solarkraftwerke im Südwesten von Europa (s. Abb. 3-12a) und in den U S A in absehbarer Zeit eine Rolle spielen werden. (Aus Abb. 3 - 1 6 ist ersichtlich, welche Regionen der Erde für den Einsatz von Solarkraftwerken günstig sind). Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich für das wirtschaftlich starke Westeuropa die Kooperation mit Nordafrika und dem Nahen Osten bei der Nutzbarmachung der Sonnenenergie geradezu anbietet. Darüber hinaus werden Anlagen zur Sonnenenergienutzung in zunehmendem Maße auf dem Exportmarkt eine Rolle spielen, und es ist davon auszugehen, daß insbesondere die Länder mit hoher durchschnittlicher Sonnenscheindauer zu den Abnehmern zählen werden. Viele dieser Länder sind an Kleinkraftwerken interessiert (s. w. u.). Hierdurch könnten Gemeinden und Städte mit Elektrizität versorgt werden, ohne daß ein weiträumiges und mit hohen Kosten verbundenes Stromverteilungssystem aufgebaut werden müßte (dezentrale Energieversorgung). (Eine entsprechende dezentrale Energieversorgung könnte z. B. eine Möglichkeit sein, das weitere Vordringen der Wüste in vielen Regionen der Erde zu verhindern, da es nicht mehr erforderlich wäre, Bäume, Sträucher usw. zur Energiegewinnung zu verwenden). Sowohl in Südwesteuropa als auch in den USA laufen Planungen zur Errichtung von Solarkraftwerken mit einer elektrischen Leistung von 10 kW bis 10 MW. (Solarkraftwerke erreichen derzeit mit einem Konzentrationsverhältnis von 30:1 in Gebieten mit genügend hoher Sonneneinstrahlung Gesamtwirkungsgrade von etwa 10%). So z. B. ist in Spanien die Errichtung eines 50 MW-Solarkraftwerkes geplant. Ein anderes Konzept wird mit dem Prinzip der „Solar-Tower-Kraftwerke" verfolgt. Mit ihnen können voraussichtlich elektrische Leistungen in Höhe von 1 bis 100 MW erreicht werden. Bei dieser Art von Solarkraftwerken wird die Sonnenstrahlung über viele ebene Spiegel durch entsprechende Einstellung und Nachführung auf einen Absorber gerichtet, der sich auf der Spitze eines etwa 50 m hohen Turmes befindet. Die Sonnenenergie wird auf Gas oder Dampf übertragen und mit Hilfe einer Turbine und eines Generators in Strom umgewandelt (Gesamtwirkungsgrade von 20% scheinen hier erreichbar).

4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie

4.312

161

Photoelektrische Konversion

Die direkte Umwandlung von Sonnenenergie in Strom ohne mechanisch bewegte Teile und Chemikalien mit Silizium-Sperrschicht-Photozellen hat sich beim Einsatz in Satelliten bereits jahrelang bewährt. Wie bereits erwähnt, liegen aber derzeit die Investitionskosten zur Stromerzeugung mit Solarzellen noch etwa um den Faktor 330 höher als die Kosten bei konventionellen Kraftwerken (vgl. 3.373). Da die Solarzellen auch bei bedecktem Himmel einen günstigen Wirkungsgrad haben und nicht eine zusammenhängende große Fläche benötigen, ist man an deren Weiterentwicklung in Europa besonders interessiert. Abb. 4 - 7 zeigt den Aufbau einer Silizium-Solarzelle. Prinzipiell besteht sie aus einem Halbleitermaterial mit einer n- und p-leitenden Schicht, zwischen denen sich eine Grenzschicht ausbildet. In der n-leitenden Schicht absorbierte Strahlungsquanten setzen Elektronen frei, die in die p-leitende Schicht diffundieren. Von dort können sie nur über einen äußeren Stromkreis wieder in die n-leitende Schicht gelangen. Der Wirkungsgrad der Solarzelle ist definiert als der Quotient aus der abgegebenen elektrischen Leistung und der von der Sonne (auf der Erde) auf die Solarzelle fallende Strahlungsintensität. Da Solarzellen nur in Größen von einigen cm 2 Fläche hergestellt werden können, werden sie zu sog. Panels in der Größenordnung von einem m 2 zusammengeschaltet und mit einer gemeinsamen Schutzschicht (Glas, Kunststoff) versehen. (Die maximale Leistungsabgabe einer Zelle liegt je nach Ausführung zwischen 55 mW und 95 mW). Neben Silizium-Einkristall-Zellen (Wirkungsgrad 13 bis 15%) kommen auch andere Zellentypen wie z. B. Cadmiumsulfid-, Galliumarsenid-Zellen sowie polykristalline Siliziumzellen in Frage. Wie bereits erwähnt, stehen einer wirtschaftlichen Stromerzeugung nicht nur die hohen Kosten für Solarzellen entgegen, sondern auch die geringe Leistungsdichte der Sonnenstrahlung. Diese Schwierigkeiten werden von zwei Seiten

Abb. 4—7: Schematische Darstellung einer Silizium-Solarzelle. Quelle: U. Bossel: Nutzung der Sonnenenergie nach Versiegen der fossilen und mineralischen Energiequellen, in: Heizen mit Sonne, Tagungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie 1976, Göttinger Dissertationsdruck 1976.

162

4. Energieversorgungssysteme

angegangen. Zum einen wird an der Entwicklung billiger Herstellungsverfahren für Solarzellen gearbeitet und zum anderen versucht man, das Sonnenlicht auf die Solarzellen zu konzentrieren (z. B. mit Fresnel Linsen). Auch in den Vereinigten Staaten, die aufgrund des Einsatzes von Solarzellen in Satelliten auf diesem Gebiete besonders große Erfahrungen haben, wird an der Weiterentwicklung der Solarzellen intensiv gearbeitet. Wirkungsgrade von 20% scheinen erreichbar und wie bereits erwähnt, geht die amerikanische Energieforschungsbehörde E R D A davon aus, daß ab 1986 Solarzellen mit 300-500 $/kW zur Verfügung stehen werden. Neuerdings gibt es Vorschläge, Solarzellen und Sonnenkollektor zu einer Einheit zu integrieren und damit Strom und Wärme herzustellen (65). An dieser Stelle sei noch die Konzeption von P. E. Glaser erwähnt. Er schlägt ein mit Solarzellen bestücktes Sonnenkraftwerk im geostationären Orbit - also in etwa 36 000 km Entfernung von der Erde - vor, dessen Energie mittels Mikrowellen auf die Erde übertragen werden soll (66). Glaser legt seinem Kraftwerk eine Leistung von 10 GW zugrunde, was etwa dem Bedarf von New York entspricht. Nach seinen Schätzungen wäre hierzu ein Solarzellenfeld von etwa 65 km 2 erforderlich, und das Gewicht dieser Fläche plus Struktur würde nach seinen Angaben etwa 40 0001 betragen. Unter der Annahme, daß 1 Spaceshuttle ca. 100 t Transportkapazität hätte, würden zur Aufstellung einer solchen Anlage etwa 400 Flüge benötigt werden. Deshalb dürfte dieser Plan schon alleine aus Kostengründen in absehbarer Zeit nicht realisiert werden.

4.32

Indirekte Verfahren

4.321

Wasserkraft

Die Wasserkraft gehört zu den ältesten Energiequellen der Menschheit. Da es sich hierbei um eine regenerative Energiequelle handelt - die Sonnenenergie hält den Wasserkreislauf der Erde in Gang - , bei deren Nutzbarmachung im allgemeinen keine ökologischen Belastungen auftreten, wurden in den letzten Jahren in aller Welt die Anstrengungen verstärkt, die Nutzung der hydraulischen Potentiale über den gegenwärtigen Stand hinaus noch zu erweitern. Zwar wird durch den Bau von Wasserkraftwerken oft der natürliche Wasserabfluß verändert, jedoch wirken sich die dadurch zum Teil hervorgerufenen Umwelteffekte häufig nicht negativ aus. Im Gegenteil, solche Veränderungen können beispielsweise das Klima günstig beeinflussen (67). Das technisch nutzbare weltweite Wasserkraftpotential wird derzeit mit rd. 2340 • 103 MW angegeben. Im Jahre 1975 betrug die elektrisch installierte Leistung nur 300-10 3 MW (siehe Tabelle 3-4).

4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie

163

Das technisch nutzbare Potential ist aber erheblich geringer als das theoretisch vorhandene Bruttopotential. Dies hängt u. a. damit zusammen, daß der obere Abschnitt von Flüssen und der untere Abschnitt (wegen des geringen Gefälles) in der Regel nicht genutzt werden können. Das technisch nutzbare Potential - es beträgt rd. 50% des Bruttopotentials - verteilt sich geographisch wie folgt: Afrika 28%, Asien 25%, Lateinamerika 25%, Nordamerika 11%, Europa 7%, Ozeanien und Australien 4% (68). Das wirtschaftlich ausbauwürdige Potential ist nochmals geringer als das technisch nutzbare. Es kann aber nicht genau angegeben werden, da es von vielen Faktoren abhängt. Aufgrund der veränderten Situation in den letzten Jahren auf dem Weltenergiemarkt zeigt aber das wirtschaftlich ausbauwürdige Wasserkraftpotential in vielen Ländern steigende Tendenz. Denn ein wesentlicher Vorteil der Wasserkraftwerke im Vergleich zu thermischen Kraftwerken liegt in der viel besseren Ausnutzung der Primärenergie, der potentiellen Energie des Wassers. (Der Wirkungsgrad von Wasserkraftwerken beträgt 60-70%). Bei einem Vergleich der Gestehungskosten von in Wasserkraftwerken gewonnener Energie mit der z. B. in thermischen Kraftwerken gewonnenen darf nicht nur von den jeweiligen Investitionskosten je kW elektrischer Leistung ausgegangen werden, sondern es müssen noch andere Bewertungskriterien berücksichtigt werden. So veralten beispielsweise Wasserkraftwerke im Vergleich zu anderen weniger schnell, und die Betriebskosten sind außerdem niedriger. Obwohl die Investitionskosten eines Pumpspeicherwerks bei 600 bis 700 DM/kW und bei einem Gasturbinenkraftwerk nur bei 350 DM/kW liegen, sind die Gestehungskosten je kW durchaus vergleichbar. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Pumpspeicherwerke zu einer rationelleren Auslastung von großen thermischen Anlagen (insbesondere von Kernkraftwerken) beitragen und daß wegen der geringen Umweltbelastung bei Wasserkraftwerken die diesbezüglichen Aufwendungen im Vergleich zu anderen Kraftwerken außerordentlich niedrig sind (67). Der Anteil der Wasserkraft am Primärenergieverbrauch in der Welt betrug 1975 rd. 4%, in der Welt ohne Ostblock 8%. (In einzelnen Ländern ist der Anteil aber höher (69).) An dieser Größenordnung wird sich den Prognosen zufolge bis zum Jahre 2000 im wesentlichen nichts ändern (siehe Tabelle 2-1, Abb. 2 - 3 und Abb. 3-4). Dagegen betrug der Anteil der Wasserkraft an der Stromerzeugung in der Welt im Jahre 1975 rd. 23% (siehe Tabelle 4-3) (70, 71). In der Bundesrepublik Deutschland spielt die Wasserkraft als Energieträger eine untergeordnete Rolle. Der Anteil der Wasserkraft am Primärenergieverbrauch betrug 1976 etwa 1,2% und an der Stromerzeugung rd. 5% (1960 waren es noch rd. 11 %). Es kann davon ausgegangen werden, daß in der Bundesrepu-

164

4. Energieversorgungssysteme

Tabelle 4—3: Anteil einzelner Energieträger an der Stromerzeugung in einigen Ländern

Land

Nettostromerzeugung in GWh im Jahre 1975 geoWasserKernherthermische kraft energie kömmliche Energie Wärme

— Bundesrep. Deutschland — Frankreich Italien 2 331 — Niederlande Belgien — Luxemburg — — Großbritannien — Irland — Dänemark UdSSR k. A. USA 3 246 — Kanada Japan 350

EG Welt 1

2 331 7 365'

16 853 59 892 42 354 —

4

124 303 202 85

426 487 917 723 24 730 195 410 442

125 676 1 390 000

20 17 3 3 6

246 451 613 162 408

246 101 92 48 32



26 463

644 171 637 502 186 934 717 617 527 750 124 368 533

k. A. 171 923 11 858 23 591

222 6 17 848 1 523 58 345

77 343 321 300'

768 935 4 321 350

— —

Insgesamt

283 178 140 51 39 1 254 7 17 973 2 001 272 454

743 514 935 664 020 421 097 340 551 480 488 636 566

974 285 6 040 000

Ohne UdSSR.

Quelle: Statistiques de base de la Communauté 1977, Office statistique des Communautés Européennes, Bruxelles.

blik Deutschland die wirtschaftlich nutzbaren Wasserkraftreserven voll ausgeschöpft sind. Auch in den anderen industrialisierten Ländern wird das hydraulische Potential bereits weitgehend genutzt. Deshalb beschränkt sich die mögliche Erweiterung der Nutzbarmachung der Wasserkraft im wesentlichen auf Teile Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Die größten Wasserkraftwerke der Erde sind: Krasnojarsk (UdSSR) 6093 MW, Bratsk (UdSSR) 4500 MW, Wolga (UdSSR) 2540 MW, Grand Coulee (USA) 2161 MW und nach Ausbau 9780 MW, John Day (USA) 2160 MW, Assuan (Ägypten) 1750 MW. Zahlreiche große Wasserkraftwerke sind im Bau. Einige Beispiele sind: Itaipu (Brasilien/Paraguay) 10 710 MW, Guri (Venezuela) 6500 MW, Sayansk (UdSSR) 4500 MW, Ust-Iimsk (UdSSR) 4200 MW, Paolo Alfonso (Brasilien) 5942 MW, Sukhowo (UdSSR) 4500 MW, Cabora Bassa (Moi^ambique) 4000 MW. Das größte in Europa im Bau befindliche Kraftwerk (außerhalb der UdSSR) liegt am Eisernen Tor an der Donau (Rumänien/Jugoslawien) mit 2160 MW (72). Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß die Nutzung der Gletscherenergie denkbar ist. Darunter versteht man die Ausnutzung des Schmelzwassers von Gletschern zur Energiegewinnung. Voraussetzungen dafür sind in Grön-

4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie

165

land und der Antarktis grundsätzlich gegeben. Konkrete Angaben über eine etwaige Nutzbarmachung dieser Energiequelle sind zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht möglich (68).

4.322

Gezeitenenergie

Bereits im 11. Jahrhundert wurde in Europa die Gezeitenenergie genutzt, um Wassermühlen zu betreiben. Die Gezeiten haben ihre Ursachen in den periodisch auf der Erde wirksam werdenden Schwankungen der Gravitationskräfte von Erde, Sonne, Mond und Planeten (73). Diese Kräfte äußern sich in Ebbe und Flut (Tidenhub), und die dadurch bewegten Wassermassen enthalten entsprechende Bewegungsenergie. Voraussetzung für eine wirtschaftliche Nutzung der Gezeitenenergie in einem Kraftwerk ist ein Tidenhub von etwa 5 m. Der Tidenhub ist sehr unterschiedlich und kann bei Springfluten in der Bay of Fundy (Nordamerika) bis zu 21 m betragen. An den Küsten des Atlantischen, des Indischen und des Stillen Ozeans beträgt er durchschnittlich 6-8 m, in der Ostsee sind es nur einige dm und im Mittelmeer sogar nur rd. 10 cm (67). Das technisch nutzbare Potential an Gezeitenenergie wird auf 160 bis 180 GW geschätzt (68). Da für eine wirtschaftliche Nutzung dieser Energiequelle außer dem Tidenhub auch noch geographische Bedingungen wie z. B. Ausdehnung und Tiefe von Meeresbuchten oder Flußmündungen eine Rolle spielen, kommen für Gezeitenkraftwerke relativ wenige Standorte in der Welt in Frage. Das wirtschaftlich nutzbare Potential wird auf rd. 64 GW (elektrische Leistung) geschätzt. Es verteilt sich wie folgt: Nordamerika 29 GW, Südamerika 6 GW, Europa (im wesentlichen Frankreich und Großbritannien) 13 GW und UdSSR 16 GW (66). Das erste große Gezeitenkraftwerk wurde an der Rance-Mündung bei St. Malo (Nordfrankreich) 1966 mit einer elektrischen Leistung von 240 MW in Betrieb genommen. (Eine Erweiterung auf 320 MW wird erwogen) (66). Die Sowjetunion hat ebenfalls ein Gezeitenkraftwerk bei Kislogubsk (Barents-See) mit 0,8 MW in Betrieb genommen. Weitere Gezeitenkraftwerke sind geplant. Das wirtschaftlich ausbauwürdige Potential an Gezeitenenergie zeigt in mehreren Ländern (z. B. Frankreich, Großbritannien, USA, Kanada und UdSSR) steigende Tendenz (68). Trotzdem ist davon auszugehen, daß die Gezeitenenergie auch in Zukunft in erster Linie lokale Bedeutung haben wird.

166

4.323

4. Energieversorgungssysteme

Wellenenergie

Die für eine Energieumwandlung in Frage kommenden Meereswellen entstehen durch Einwirkung von Windkräften auf die Wasseroberfläche. Die in einer Welle vorhandene Energie kann theoretisch ermittelt werden, indem man die potentielle Energie berechnet, die bei der Orbitalbewegung von der Höhe des Wellenberges hinab in das Wellental frei wird. Ozeanwellen können bei starken Stürmen zwischen Wellenberg und Wellental eine Höhe von etwa 34 m haben und eine Wellenperiode von 16,5 s. Die mittlere Leistung von Ozeanwellen beträgt rd. 77 kW/m Wellenfrontbreite (74). Für die deutsche Nordseeküste sind folgende Werte typisch: Mittlere Wellenhöhe 1,52 m, mittlere Wellenperiode 6,42 s, mittlere Leistung 14,4 kW/m. Damit ergeben sich für eine Wellenfront von 250 km eine Leistung von 3,6 GW und ein Energiepotential von 64 TWh/a (68). Wellenenergiewandler, die eine elektrische Leistung von 70 bis 500 W zur Verfügung stellen, werden heute z. T. zur dezentralen Stromversorgung von Bojen, Leuchttürmen usw. eingesetzt. Das Problem bei der großtechnischen Nutzbarmachung der Wellenenergie besteht darin, einen Mechanismus zur Umwandlung der verteilten, wechselnden Wellenkräfte in konzentrierte, direkt wirkende Kräfte zu entwickeln, der sowohl bei niedrigen als auch bei großen Wellenhöhen zuverlässig arbeitet. Zur Problemlösung gibt es bisher zwei Vorschläge: Schaufelrad- und Druckschlauchkraftwerke in Küstennähe (68). Beim Schaufelradkraftwerk, das als Halbtaucher geplant ist, wird die kinetische Energie der Orbitalbewegung der Wellen genutzt. Die Umwandlungswirkungsgrade sollen bei bis zu 70% liegen, und Leistungen von kW bis MW sollen erreichbar sein. Beim Druckschlauchkraftwerk werden die Druckschwankungen unterhalb der Wasseroberfläche an ein Arbeitsmedium übertragen, das einen Turbogenerator betreibt. Die erzielbaren Leistungen sollten ebenfalls im MW-Bereich liegen (68). Durch Parallel- und Hintereinanderschaltung solcher Kraftwerkseinheiten könnten - ähnlich wie bei der eventuellen großtechnischen Nutzung der Windenergie (s. w. u.) - Systeme mit höheren Leistungen geschaffen werden. Grundsätzlich wäre es möglich, Wellenenergiewandler auf dem Ozean zu betreiben. Das Problem der Energiespeicherung könnte beispielsweise durch elektrolytisch erzeugten Wasserstoff gelöst werden. Derartige Kraftwerke dürften im wesentlichen keine Umweltprobleme mit sich bringen. Dagegen könnte das Betreiben von Wellenkraftwerken in Küstennähe das biologische Gleichgewicht lokal negativ beeinflussen. Durch Verringerung der Orbitalbewegung könnten nämlich Austauschvorgänge wie Sauerstoff- und Planktontransport zwischen Oberfläche und tieferen Wasserschichten behindert werden. Aussagen über Stromgestehungskosten bei eventuell großtechnischer Wellenenergienutzung sind derzeit noch nicht möglich.

4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie

4.324

167

Meereswärme, Meeresströmungen

Der größte Teil der auf die Erde eingestrahlten Sonnenenergie wird in den Weltmeeren überwiegend oberflächennah gespeichert. Es gibt Schätzungen, denen zufolge die in den tropischen Ozeanen gespeicherte Energie ausreichen würde, im Jahre 2000 rd. 6 Mrd. Menschen mit dem Energieverbrauch/Kopf der USA von 1970 zu versorgen (66). Das Hauptproblem bei der Nutzbarmachung dieser gespeicherten Energie ist der geringe (vertikale) Temperaturunterschied von 20 bis 30° C, der nur einen niedrigen Wirkungsgrad zulassen würde. Beispielsweise hat ein Meereswärmekraftwerk, das zwischen Temperaturen von 28° C und 6° C arbeitet, einen theoretischen Wirkungsgrad von etwa 7% (Carnot-Prozeß). Nach Berücksichtigung aller Verluste im theoretischen Kreisprozeß ließe sich ein effektiver Wirkungsgrad von etwa 3% realisieren (68). Außerdem müßten riesige Mengen Meerwasser durch die Wärmetauscher eines solchen Systems geschleust werden. In den USA gibt es Vorschläge (Offshore Technology Conference, Houston 1975), mit Hilfe von schwimmenden Kraftwerken (100-1000 MW) das vertikale Temperaturgefälle des Meeres in elektrische Energie umzuwandeln (75). Danach sollen in einem etwa 120 m hohen Plattformkörper von ca. 100 m Durchmesser Verdampfer, Kondensatoren, Turbinen, Generatoren und andere Teile der Kraftwerksanlage installiert werden. Vom Zentrum aus ragt ein Kaltwasser-Ansaugrohr mit 15 m Durchmesser aus glasfaserverstärktem Kunststoff einige hundert Meter in die Tiefe und fördert Wasser von ca. 2° C in die Anlage. Warmes Oberflächenwasser verdampft das zum Betrieb der Turbinen verwendete Ammoniak. Das Gas verflüssigt sich im geschlossenen Kreislauf wieder in den Kondensatoren durch Wärmeabfuhr an das Kaltwasser. Technische Probleme stehen der Realisierung eines solchen Projekts noch im Wege. Auch bereiten Meerwasserkorrosion und Mikrobenbewuchs Schwierigkeiten. Eine Nutzung der Meeresströmungen dürfte sehr unwahrscheinlich sein (76). Diese entstehen aufgrund der regional unterschiedlich einfallenden Sonnenstrahlung. Zu diesen Meeresströmungen zählen der Golfstrom, der Guineastrom, der Brasilienstrom, der Mozambiquestrom und der Australische Strom. Der Golfstrom hat die höchste Strömungsgeschwindigkeit (über 2 m/s). Für das Kerngebiet des Golfstromes (mittlere Breite 50 km und mittlere Tiefe 120 m) ergibt sich eine Leistung von 24 GW. Die Nutzung der Strömung könnte durch im Meer angeordnete, frei laufende Wasserturbinen erfolgen. Geht man davon aus, daß aus ökologischen Gründen nur 20% des Golfstroms genutzt werden können, so ergäbe sich - unter Berücksichtigung eines Wirkungsgrades von 40% - eine Auskoppelung von etwa 2 GW, die in elektrische Leistung umgesetzt werden könnten (68). Diese Abschätzung zeigt, daß die Ausnutzung der kinetischen Energie von Meeresströmungen keinen nennenswerten Beitrag zur Energieversorgung leisten kann.

168

4.325

4. Energieversorgungssysteme

Windenergie

Die Windenergie gehört - ähnlich wie die Wasserkraft - zu den ältesten Energiequellen der Menschheit. Der Grund hierfür ist, daß sich Wind relativ einfach in mechanisch nutzbare Energie umwandeln läßt. So z. B . nimmt man an, daß in den Vereinigten Staaten Mitte des 19. Jahrhunderts rd. 1 4 % des Energiebedarfs durch Windenergie gedeckt wurden. Billige und reichliche fossile Energieträger verdrängten die Windenergie zunehmend, da es sich um eine lokal und zeitlich schwankende Energiequelle handelt. Erschwerend für die Nutzung der Windenergie sind außerdem die kleinen Energiedichten sowie die Tatsache, daß die Leistung einer Windmühle mit der 3. Potenz der Windgeschwindigkeit anwächst (78). Eine genaue Ermittlung der evtl. nutzbaren Potentiale an Windenergie muß auf örtlichen Windgeschwindigkeitsmessungen basieren. Kostenanalysen für eine Windenergienutzung in großtechnischem Maßstab (mit Netzeinspeisung) am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland ergeben, daß hierfür nur Gebiete mit einer Windgeschwindigkeit im Jahresmittel von > 4 m/s in Frage kommen (Standardmeßhöhe ist 10 m über Grund). (In den U S A gibt es Gebiete, in denen Windgeschwindigkeiten von 13 m/s 4 0 0 0 bis 5 0 0 0 Stunden im Jahr vorherrschen; in Deutschland hat man dagegen nur in wenigen Gegenden - im wesentlichen ist es der Nordwestdeutsche Küstenstreifen - Windgeschwindigkeiten von > 4 m/s (77)). Die technisch nutzbaren Potentiale an Windenergie (mit dem Wirkungsgrad einer 3 MW-Anlage) werden wie folgt angegeben: Welt 2,9 10 5 T W h / a , EG-Staaten 4 5 9 0 T W h/a, Bundesrepublik Deutschland 220 TWh/a (68). Aufgrund der neuen Situation auf den Weltenergiemärkten und des großen Potentials an Windenergie besteht derzeit in vielen Ländern wieder ein zunehmendes Interesse an der wirtschaftlichen Nutzung der Windenergie. Der technologische Stand der Windenergiekonverter ist hoch. Zwei Typen scheinen heute für eine wirtschaftliche Nutzung der Windenergie geeignet: die in vielen Exemplaren erprobten Horizontalachsen-Maschinen mit einfachem Rotor und zwei bis drei Rotorblättern und die Vertikalachsen-Maschinen nach dem Darrieus-Prinzip. Problematisch bei der Nutzung der Windenergie in großtechnischem Maßstab könnte der erforderliche Flächenbedarf werden. Faßt man 100 Einzelanlagen von j e 3 M W zu einem 300 MW-Kraftwerk zusammen, so ergibt sich ein Gesamtflächenbedarf von 10 bis 12 km 2 (68). Diese Fläche wird jedoch nur zu einem geringen Anteil (0,2 km 2 ) durch die Konvertersysteme selbst in Anspruch genommen. Außerdem ist eine untragbare Lärmbelästigung nicht zu erwarten. Nennenswerte Beiträge zur Energieversorgung sind von uer Windenergie voraussichtlich nur dann zu erwarten, wenn entweder leistungsfähige Energie-

4.3 Sekundärenergie aus Sonnenenergie

169

Speicher zur Verfügung stehen oder wenn es gelingt, die gewonnene Energie in bestehende Energieversorgungssysteme zu integrieren. Es ist davon auszugehen, daß in verschiedenen Ländern für die Versorgung entlegener Gebiete Interesse an Windenergiekonvertern mit einer Leistung von bis zu 100 kW besteht (dezentrale Energieversorgung). Größere Anlagen mit einer Leistung von 100 kW bis in den MW-Bereich könnten in bestehende Energieversorgungsnetze integriert oder für den Betrieb von Pumpspeicherwerken eingesetzt werden.

4.326

Photochemische Konversion

Praktisch alle Energie, die heute innerhalb der Lebewesen umgesetzt wird, entstammt der Photosynthese 5 . Auch die fossilen Energieträger verdanken ihre Entstehung der Photosynthese. Bei der Photosynthese wird Sonnenenergie (Lichtquanten) durch Chlorophyll „eingefangen". Die primäre Reaktion besteht in einer „photolytischen" Wasserspaltung und nicht - wie man früher meinte - in einer Spaltung von C0 2 . Der bei der Wasserspaltung entstehende Sauerstoff wird ausgeschieden. Der Wasserstoff dient der Reduktion und Nutzbarmachung des Kohlenstoffs im C 0 2 (Assimilation). Bis heute sind noch nicht alle Details der Photosynthese geklärt. Letzten Endes wird beim photosynthetischen Gesamtprozeß durch Elektronenfluß Wasser oxidiert und Kohlendioxid reduziert (79). Der Elektronenfluß wird durch die Energie ermöglicht, die dem absorbierten Lichtquant entstammt. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß photosynthetische Bakterien sehr wichtige Untersuchungsobjekte sind, da ihr photosynthetischer Apparat viel einfacher ist als der der einfachsten Pflanzen (Blaualgen). Der qualitative Unterschied zwischen Pflanzen und photosynthetischen Bakterien besteht darin, daß - wie oben ausgeführt - die Pflanzen Wasser zerlegen können, die Bakterien aber nicht die Fähigkeit haben, den Wasserstoff vom Sauerstoff zu trennen (79). Die photosynthetische Leistung beläuft sich schätzungsweise auf 75 Mrd. t an reduziertem Kohlenstoff pro Jahr. Auch entstammt der gesamte freie Sauerstoff der Biosphäre der Photosynthese. Die Kenntnis der Prinzipien, nach denen in Pflanzen die Photosynthese abläuft, ist von großer Bedeutung. So wurde versucht, wässrige oder ähnliche Lösungen photolytisch zu zerlegen. (Die Lösungen mußten selbstverständlich Photokatalysatoren von der Art der Chlorophylle enthalten.) Als Produkte der 5

Nur etwa 0,1% der auf den Außenrand der Atmosphäre auftreffenden Sonnenenergie wird photosynthetisch nutzbar gemacht.

170

4. Energieversorgungssysteme

Photolyse erhielt man dann Wasserstoff und Sauerstoff in freier Form oder in Form von Verbindungen (Mischung von Reduktions- und Oxidationsmittel) (60). Es läßt sich zeigen, daß theoretisch bereits die Energie eines „grünen" Lichtquants zur Photolyse von Wasser in elementaren Wasserstoff und Sauerstoff ausreicht: H 2 0 + hv = H 2 + j 02. Begnügt man sich damit, die Produkte in gebundener Form (Reduktions- und Oxidationsmittel) zu gewinnen, so genügt eine geringere Lichtquantenenergie. Schließlich laufen auch Reaktionsfolgen ab, bei denen die Energie mehrerer Quanten zusammengefaßt wird. Bei der Photolyse des Wassers praktiziert die Pflanze diese Methode (60, 79). Pflanzen erzeugen gewöhnlich keinen elementaren Wasserstoff. (Manche Pflanzen können im Laboratorium durch besondere Maßnahmen zu zeitweiliger Wasserstoffentwicklung veranlaßt werden). Dies ist zu erwarten, da die Pflanze - wie bereits erwähnt - den Wasserstoff als Reduktionsmittel zur Assimilation des C 0 2 benötigt. Ob aber der Wasserstoff durch Pflanzen ausgeschieden wird oder nicht, ist für die energetische Leistung von untergeordneter Bedeutung. Es ist denkbar, daß es mit Hilfe eines künstlichen Membransystems gelingen wird, elementaren Wasserstoff als Endprodukt zu gewinnen (79). Das heißt aber: Die Sonnenenergie könnte über den photolytisch gewonnenen Wasserstoff genutzt werden. Wasserstoff ist aber in vieler Hinsicht ein außerordentlich attraktiver und besonders umweltfreundlicher Sekundärenergieträger (vgl. 4.55 u. 4.562). Die großtechnische wirtschaftliche Wasserstoffherstellung ist bisher noch ein ungelöstes Problem. Das Elektrolyseverfahren ist zu kostspielig. Eine weitere Möglichkeit ist die Gewinnung von Wasserstoff durch thermochemische Kreisprozesse mit Hilfe von Prozeßwärme hoher Temperatur. Es kann davon ausgegangen werden, daß die großtechnische Realisierung der photolytischen Wasserstoffgewinnung im Vergleich zu anderen Verfahren beträchtliche Vorteile hätte. Zur photochemischen Nutzbarmachung der Sonnenenergie nach diesem Verfahren könnten solche Flächen verwendet werden, die landwirtschaftlich nicht genutzt werden können. Nach Angaben von E. Broda sollte - unter Berücksichtigung der Strahlungsintensität in der Sahara - für eine elektrische Leistung von 1000 MW eine Fläche von wenigen Quadratkilometern ausreichen. (Bei der photochemischen Nutzbarmachung von Licht tritt ein Carnot-Faktor praktisch nicht auf.) Nach Auffassung desselben Autors würden - bei einem Gesamtwirkungsgrad von 1% - 20 000 km2 genügen, um den jährlichen Strombedarf Westeuropas zu decken (79). (Die Sahara hat eine Fläche von rd. 10 Millionen km 2 .) 4.327

Biokonversion

Biokonversion ist ein Sammelbegriff für alle Verfahren, die die Erzeugung einer sog. „Biomasse" zur Energiegewinnung zum Ziele haben (79). Bekanntlich

4.4 Sekundärenergie aus geothermischer Energie

171

vermögen gewisse Pflanzen die Sonnenenergie mit einem besonders hohen Wirkungsgrad in organische Stoffe umzuwandeln, die dann nach weiterer Verarbeitung als energiereiche Brennstoffe verwendet werden können. Es gibt Vorhaben, rasch wachsende Baumarten (z. B. Pappeln) zu züchten mit dem Ziel, diese zur Heizung von (bis jetzt noch mit Torf betriebenen) Elektrizitätswerken in Irland einzusetzen (80). Der amerikanische Nobelpreisträger M. Calvin (Berkeley) versucht, ö l „landwirtschaftlich" zu erzeugen. Eine mögliche Pflanzenart sieht er in einem zur Familie der „Euphorbia-Gewächse" gehörenden Strauch, der Saft aus einem Gemisch von Kohlenwasserstoffen und Wasser bestehend produziert. Dieser Saft hat eine gewisse Verwandtschaft zum Erdöl und kann in Benzin oder andere Ölprodukte umgewandelt werden (81). M. Calvin schätzt, daß bei günstigem Verlauf der Versuche etwa 10% des gegenwärtigen Ölbedarfs der USA aus solchen Pflanzen gewonnen werden könnten, wenn man die gesamte Fläche des Bundesstaates Arizona damit anbauen würde. Außerdem wurde schon mit Erfolg versucht, statt der üblichen landwirtschaftlichen Nutzpflanzen einzellige Algen (Chlorella, Scenedesmus) zu züchten. Alle diese Verfahren haben sich bisher nicht als wirtschaftlich erwiesen. Außerdem ist einzuwenden, daß die gleichen Flächen für die Produktion von Nahrungsmitteln (bzw. bei Algen zur Erzeugung von Futter- und Nahrungsmitteln) wohl dringender benötigt werden als zur Erzeugung von Energieträgern. Darüber hinaus würden bei Verwendung dieser „landwirtschaftlich" erzeugten Energieträger im großen Stil ähnliche Umweltprobleme auftreten wie derzeit beim Einsatz fossiler Energieträger.

4.4

Sekundärenergie aus geothermischer

Energie

Die Verwendung geothermischer Energie beschränkt sich bisher im wesentlichen auf die Nutzung trockener Dampfvorkommen sowie die Nutzung von Dampf-Wasser-Gemischen zur Stromerzeugung, für Heizung und Warmwasser. Tabelle 4—3 gibt den Anteil der geothermischen Energie an der Stromerzeugung im Vergleich zu anderen Energieträgern in einigen Ländern wieder (82). Die Nutzbarmachung trockener Dampfvorkommen zur Stromerzeugung ist besonders günstig. Solche Quellen sind jedoch selten. Beispiele sind Larderello, Italien (500 MW), The Geysers, USA (500 MW) (83), El Salvador, Mittelamerika (90 MW), Onikobe, Japan (25 MW) (84). In Larderello wird seit 1904 die Heißdampflagerstätte zur Stromerzeugung genutzt, und seit 1960 wird mit Dampf bei „The Geysers", nördlich von San Francisco, Strom erzeugt. Wegen des geringen Drucks und der geringen Temperaturen (etwa 7 at und 205° C) ist

172

4. Energieversorgungssysteme

aber hier der Wirkungsgrad der Verstromung ca. ein Drittel niedriger als derjenige bei konventionellen Kraftwerken. Trotzdem sind in Kalifornien diese Kraftwerke im Bau und Betrieb billiger als konventionelle oder nukleare Kraftwerke. Meist liefern geothermische Quellen Dampf/Wasser-Gemische. Bevor der Dampf zur Stromerzeugung eingesetzt wird, muß er abgetrennt werden. Naßdampfquellen werden in Wairakei, Neuseeland (193 MW) und Cerro Prieto, Mexiko (75 MW) zur Stromerzeugung genutzt; in Japan sind es die Quellen von Onuma (10 MW), Otake (11 MW) und Matsukawa (22 MW); in geringem Umfang wird in Pauzhetsk, UdSSR (5 MW) und Island (3 MW) Strom erzeugt (84). Mit dem heißen Wasser selbst kann auch Strom erzeugt werden. Hierzu muß jedoch die Wärme über einen Wärmetauscher auf eine niedrigsiedende Sekundärflüssigkeit (z. B. Freon, Isobutan) übertragen werden. Der Vorteil dieser Technik ist, daß die Korrosion der Turbine und die Freisetzung von für die Umwelt unerwünschten Substanzen verhindert wird. Die Wirtschaftlichkeit der bisher genutzten geothermischen Energie ist gegeben. Die Erschließungs- und Betriebskosten geothermischer Lagerstätten variieren erheblich. Bezogen auf eine 110 MW-Einheit betrugen die Kosten (Erschließungs-, Betriebs-, Kapitalkosten) 1975 bei „The Geysers" (USA) ca. 330 DM/kWh, bei Otake (Japan) ca. 550 DM/kWh und bei Cerro Prieto (Mexiko) ca. 385 DM/kWh. Bei einem Ausnutzungsgrad in Höhe von 90% entspricht dem ein Strompreis von 0,008 DM/kWh (The Geysers), 0,014 DM/kWh (Otake) und 0,01 DM/kWh (Cerro Prieto) (85). Die Stromerzeugung mit Heißwasserquellen ist aufgrund technischer Probleme und auftretender Umweltbelastungen nicht so kostengünstig. Die Verwertung des heißen Wassers kommt wegen der hohen Transportkosten nur in unmittelbarer Nähe der geothermischen Energiequelle in Frage. Der Einsatz für Gebäudeheizung, Warmwasserbereitung oder Meerwasserentsalzung kann durchaus einen lokalen Beitrag zur Energieversorgung leisten. So sind z. B. in Reykjavik rd. 90% aller Häuser an ein geothermisches Heißwassersystem angeschlossen. In der Bundesrepublik Deutschland wurden bisher im Raum Urach (Schwäbische Alb), im Oberrheingraben, im Hegau, in der Eifel, im Westerwald und im Bereich des Vogelsbergs thermische Anomalien nachgewiesen (66). Selbst bei optimistischer Betrachtungsweise wird sich aber diese Energieform kaum zu einem nennenswerten Energielieferanten in der Bundesrepublik Deutschland entwickeln (86).

4.5 Sekundärenergieträger

4.5

173

Sekundärenergieträger

4.51

Elektrische Energie

4.511

Erzeugung

Elektrische Energie kann aus allen Primärenergiequellen gewonnen werden. Diese sehr einfach zu handhabende Sekundärenergie, die beim Verbraucher im wesentlichen keine Umweltschäden verursacht, wird aller Voraussicht nach auch zukünftig durch keinen anderen gleichwertigen Energieträger zu ersetzen sein. Insbesondere ist Elektrizität für die Beleuchtung und die elektrochemische Industrie unersetzlich. In allen Regionen der Erde hatte die Elektrizitätserzeugung in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger starke Wachstumsraten zu verzeichnen (siehe Tabelle 4 - 4 ) . Dieser Trend zur Elektrifizierung wird - regional unterschiedlich - anhalten, da die Industrialisierung in vielen Ländern der Erde weitergehen wird. Bis vor wenigen Jahren war noch vielerorts die Meinung verbreitet, die Energiewirtschaft der hochentwickelten Industriestaaten könne sich zu einer „reinen" Elektrizitätswirtschaft entwickeln (87). Zum Teil wurde dieser Trend von Elektrizitätsversorgungsunternehmen gefördert, indem die Verbraucher Tabelle 4—4: Erzeugung elektrischer Energie in GWh (Gesamtbruttoerzeugung, d. h. ohne Abzug des Eigenverbrauchs der Kraftwerke)

Welt USA Kanada Bundesrep. Deutschland Frankreich Großbritannien Italien Japan UdSSR Indien

1948 800 800 336 808 47 262 34 094 28 48 22 35 66 5

851 036 694 579 341 725

kWh/Kopf 1 1955 1960 1965 1970 1975 1975 1 540 100 2 300 900 3 379 900 4 908 400 6 416 200 1 650 2 629 010 82 816 76 542

844 188 1 157 583 1 639 771 2 120 880 9 910 114 378 144 274 204 723 280 741 12 760 116418 172 340 242 612 301 802 4 868

49 94 38 65 170 10

72 136 56 115 292 20

627 076 124 193 225 877

118 970 240 472 300 123

101 196 82 188 506 36

442 495 968 377 700 755

140 249 117 350 740 61

708 186 008 272 219 193 147 333 423 590 475 790 900 1 038 625 212 75 452 3

3 4 2 4 4

577 860 680 325 122 1403

1

Eigene Berechnungen. In den einzelnen Weltregionen betrugen 1974 die Werte (in kWh/Kopf): Afrika 308, Nordamerika 9 890, Südamerika 485, Asien 373, Europa 3 737, Australien 4 414. (Der Anteil der UdSSR ist bei Asien bzw. Europa nicht enthalten). 1 Dieser Wert gilt für das Jahr 1974. 2

Quellen: United Nations, Statistical Yearbook 1959-1975, New York 1960-1976. Statistiques de base de la Communauté 1977, Office statistique des Communautés Européennes, Bruxelles.

174

4. Energieversorgungssysteme

- z. B. durch günstige Stromtarife - zu erhöhter Nachfrage angeregt wurden. Gegen eine solche Entwicklung sprechen viele Gründe, insbesondere auch physikalische Gesetzmäßigkeiten. Die Umwandlung von Primärenergie in Elektrizität erfolgte z. B. 1975 in der Welt zu rd. 72% über Wärme in thermischen Kraftwerken (siehe Tabelle 4-3). In der Bundesrepublik Deutschland waren es sogar ca. 95% (vgl. 4.531). Nach den Gesetzen der Thermodynamik beträgt aber der Wirkungsgrad nur rd. 33 bis 40%, d. h. nur dieser Anteil der eingesetzten Primärenergie wird in elektrische Energie umgewandelt. (Fossil beheizte Kraftwerke haben einen Wirkungsgrad von rd. 40%, LWR-Kernkraftwerke von rd. 33%). Der übrige größere Energieanteil geht als Abwärme in das Kühlmittel, z. B. in einen Fluß oder direkt in die Atmosphäre. (Der Anteil der Wasserkraft an der Stromerzeugung in der Welt im Jahre 1975 - der Wirkungsgrad von Wasserkraftwerken beträgt 60 bis 70% - betrug rd. 23%). Solange Primärenergie reichlich und billig zur Verfügung stand, spielte der relativ niedrige Wirkungsgrad der thermischen Kraftwerke eine untergeordnete Rolle. Außerdem wurde lange Zeit die bei dieser Art der Elektrizitätserzeugung auftretende Belastung des ökologischen Systems vernachlässigt. Die Problemlösung der besseren Primärenergienutzung wird von zwei Seiten her angegangen. Zum einen wird die Erhöhung des Wirkungsgrades bei der Energieumwandlung angestrebt, zum anderen versucht man, die dabei anfallende Abwärme zu nutzen (vgl. 4.52). Zur Erhöhung des Wirkungsgrades bei der Elektrizitätserzeugung gibt es mehrere Ansätze. Es ist möglich, einem normalen Dampfturbinenkreislauf ein Aggregat zur Energieumwandlung bei hoher Temperatur vorzuschalten. (Zum Beispiel steigt durch Vorschalten einer Gasturbine im Heliumkühlkreislauf eines Hochtemperaturreaktors der Gesamtwirkungsgrad um einige Prozent.) Wenn ein Niedertemperaturkreislauf (geschlossener Rankine-Zyklus mit niedrigsiedendem Medium, wie z. B. Propan) noch nachgeschaltet wird, erhält man eine ähnliche Erhöhung des Wirkungsgrades. Ein grundsätzlich anderes Verfahren zur Steigerung des Wirkungsgrades wäre die Stromerzeugung mit Brennstoffzellen. Dabei wird die Energie eines Brennstoffes direkt über elektrochemische Prozesse in elektrische Energie umgesetzt. (Wirkungsgrade bis zu 85% scheinen möglich). Brennstoffzellen können nicht nur Wasserstoff „kalt" verbrennen - letzten Endes läuft die Reaktion H 2 + \ 0 2 -» H 2 0 ab - , sondern auch hochwertige Kohlenwasserstoffe verwenden. In den USA wird von der United Technology Corporation ein FCG-1 Brennstoffzellenkraftwerk von 26 MW entwickelt, um Elektrizität umweltfreundlich in der Nähe des Verbrauchers erzeugen zu können (5). Eine weitere interessante Möglichkeit wäre die Elektrizitätserzeugung mit dem magnetohydrodynamischen Generator (MHD-Generator), bei dem die Verbrennungswärme unmittelbar ohne rotierende Teile in elektrische Energie umgewandelt wird. Mit diesem Verfahren sollen Wirkungsgrade von 60%

4.5 Sekundärenergieträger

175

erreichbar sein. MHD-Generatoren würden den Heizwert der Kohle (Erdgas) effektiver nutzen, d. h. der Anteil der Abwärme wäre beträchtlich geringer als bei den Wärmekraftwerken. Außerdem könnte die Emission von Schwefeloxiden verhindert und der Anteil der Stickstoffoxide beträchtlich reduziert werden (88). Es könnte also auf der Basis der großen Kohlereserven eine relativ umweltfreundliche Elektrizitätserzeugung erfolgen. Beim MHD-Generator strömt heißes, teilweise ionisiertes Gas (Plasma) durch ein Rohr, in dem außen angeordnete Spulen ein starkes Magnetfeld erzeugen. Das Gas überträgt nun nicht seine Energie auf bewegliche Teile, wie es z. B. bei der Gasturbine der Fall ist, sondern die Bewegung des elektrisch leitenden Gases im Magnetfeld ruft einen Strom hervor, der an den als Elektroden wirkenden Rohrwänden abgeleitet wird. MHD-Generatoren besitzen also keine beweglichen Teile und können bei hohen Temperaturen mit aggressiven Gasen arbeiten, die konventionelle Turbinen zerstören würden. Durch Beimengung kleiner Mengen von Alkalimetallen (Ionisationskeime) kann die zur Ionisierung der Verbrennungsgase erforderliche Temperatur reduziert werden, so daß bereits bei ca. 2700° C eine für die direkte Energieumwandlung ausreichende Temperatur erreicht wird (4). Anlagen nach dem Prinzip des MHD-Generators werden in der Sowjetunion und den USA gefördert. Mit der Anlage U-25 am Institut für Hochtemperaturphysik in Moskau verfügt die UdSSR derzeit über den größten MHD-Generator der Welt. (Der U-25 arbeitet mit Erdgas als Brennstoff. Anfang 1977 wurden hier für die Dauer von 250 Stunden 12 MW - vorübergehend sogar schon 20 MW - erzielt. Durch den Einsatz von supraleitenden Magneten erwartet man eine beachtliche Leistungssteigerung.) Die Sowjetunion plant, eine Anlage mit 500 MW zu bauen, die 1985 anlaufen soll. Auch in den USA wird die MHD-Technik vorangetrieben. Nach Plänen der E R D A soll Ende der 80er Jahre ein kommerzielles Kraftwerk dieses Typs den Betrieb aufnehmen. (Die zu erwartenden Stromkosten werden von der E R D A mit 3,2 Cent/kWh angegeben.) In der Bundesrepublik Deutschland sind die Arbeiten am MHDGenerator 1972 eingestellt worden (89). In 4.3 wurde bereits über direkte und indirekte Umwandlungsverfahren von Sonnenenergie in Elektrizität berichtet. Die Stromerzeugung aus Kohle wird in 4.531 behandelt. 4.512

Transport

In einem Energieversorgungssystem hat die Elektrizität zwei Nachteile. Ein Nachteil besteht darin, daß die elektrische Energieübertragung - für gleiche Energiemengen verglichen mit anderen Energieträgern, die teuerste Art des Energietransports ist. Der andere Nachteil ist, daß Energiespeichersysteme für elektrische Energie aufwendig sind.

176

4. Energieversorgungssysteme

In den Industriestaaten werden zum Teil rd. 30% der Primärenergie zur Elektrizitätserzeugung verwendet. Aus wirtschaftlichen Gründen und wegen der ökologischen Belastung wird Elektrizität meist in großen Einheiten (Grundlastwerke) und in einiger Entfernung von Ballungszentren erzeugt. Deshalb sind Methoden des Transports von elektrischer Energie von großer Bedeutung, und deren Weiterentwicklung wird in vielen Ländern der Welt besonders gefördert. Da bei Drehstrom der Verlust pro km von der Spannung abhängt, sind die Spannungen für Fernleitungen immer mehr erhöht worden. In Deutschland ist heute das Fernnetz überwiegend ein 380 kV-Netz. In den USA sind über 8000 Meilen (22%) des Netzes Leitungen mit 500 kV, und 1970 wurde eine 1000Meilen-Leitung mit 765 kV gebaut (5). Versuche finden bereits mit Übertragungsspannungen von 1100 kV und 1500 kV statt. Gleichstromübertragung kommt aus wirtschaftlichen Gründen (Umwandlung an den Kopfstationen) erst bei Leitungen über 1000 km in Frage (3). Mit dem System der Fernenergie (Latentwärmegas „Synthesegas/Methan") ist die Möglichkeit gegeben, Energie über größere Entfernungen zu transportieren. Im Gegensatz zur Fernwärme ist bei der „Fernenergie" neben der Wärmebedarfsdeckung auch die Erzeugung von elektrischer Energie in Verbraucherzentren möglich (vgl. 4.54). Auch Wasserstoff eignet sich grundsätzlich zum Transport und zur Speicherung von elektrischer Energie. Diese Art des Energietransports (Rohrleitungstransport) ist preiswerter als der Transport in Form von Elektrizität (vgl. 4.55). In Ballungszentren müssen zum Transport von elektrischer Energie in zunehmendem Maße unterirdische Kabel eingesetzt werden. Dies ist mit beträchtlichen Mehrkosten verbunden; der Transport von elektrischer Energie mit unterirdischen Kabeln ist 10 bis 20 mal teurer als der mit oberirdischen Hochspannungsleitungen. In Großstädten wie z. B. Berlin und Tokyo braucht man unterirdische Leitungen, die 1000 MVA übertragen können (3, 5). Als Lösung bieten sich Öl-Papier-Kabel und Kabel mit Wasser- oder SF 6 -Kühlung an. So z. B. ist im Pumpspeicherwerk Wehr in Freiburg (Baden-Württemberg) seit 1975 die längste SF 6 -Leitung in Betrieb (700 m, 420 kV, 1000 MW) (5). An der Entwicklung von supraleitenden Kabeln für die Übertragung von elektrischer Energie wird intensiv gearbeitet. Gegenwärtig müssen die Leiter solcher Kabel noch auf die Temperatur des flüssigen Heliums (4 Kelvin) gekühlt werden. Derartige Installationen wären jedoch mit zu hohen Kosten verbunden. Es hat den Anschein, daß supraleitende Kabel erst bei wesentlich höheren als den heute üblichen Übertragungsleistungen interessant sind (2-10 GW) und auch dann nur, wenn Materialien entwickelt worden sind, die höhere Betriebstemperaturen zulassen als z. B. die des flüssigen Wasserstoffs.

4.5 Sekundärenergieträger

4.513

177

Speicherung

Die Speicherung von elektrischer Energie ist insbesondere aus zwei Gründen von Bedeutung. Zum einen sind die Kosten der Kraftwerke so gestiegen, daß es immer wichtiger wird, diese Anlagen maximal auszulasten. Zum anderen unterliegt aber die Nachfrage Tages-, Monats- und Jahresschwankungen, weshalb es notwendig ist, durch gespeicherte Energie Spitzenlasten decken zu können. Die Speicherung von Energie kann grundsätzlich hydraulisch, pneumatisch, mechanisch, elektrisch, magnetisch, chemisch oder thermisch erfolgen. Im folgenden sollen einige zur Speicherung von elektrischer Energie günstige Methoden behandelt werden. Die Speicherung dieses Sekundärenergieträgers ist schwierig, da hierzu im allgemeinen aufwendige zusätzliche Anlagen erforderlich sind. Zur Deckung von Spitzenlasten haben sich Pumpspeicherwerke bewährt. Bei dieser Methode wird mit Elektrizität Wasser bergauf in einen Speichersee gepumpt, das dann auf dem Rückweg Elektrizität durch Wasserturbinen erzeugt. Die als hochgepumpte Wassermenge gespeicherte Energie wird mit einem Wirkungsgrad von etwa 70% wieder in elektrische Energie umgewandelt. In den USA bestehen beispielsweise Pumpspeicherwerke von rd. 8100 MW (2% der gesamten installierten Elektrizitätsleistung) (5). Elektrische Energie pneumatisch zu speichern, erfordert große Druckbehälter. Hierzu eignen sich beim Betrieb von Gasturbinenkraftwerken unterirdische Salzstock-Kavernen, in die in Zeiten des Energieüberschusses Luft unter hohem Druck ( 4 0 - 6 0 bar) gepumpt wird. Bei Spitzenbedarf an elektrischer Energie wird die komprimierte Luft unmittelbar über die Brennkammer in die Turbine geleitet, wodurch sich die Gesamtleistung des Gasturbinenkraftwerkes etwa auf das Doppelte steigern läßt. In der Nähe von Bremen ist das erste LuftspeicherGasturbinenwerk der Welt mit einer Nutzleistung von 290 MW im Bau. Zwei Salzstockkavernen sollen täglich rd. 2,5 • 10 6 m 3 Druckluft aufnehmen und während zwei Spitzenstunden wieder abgeben (90). Eine Möglichkeit, elektrische Energie als mechanische Energie zu speichern, ist bei thermischen Werken der Dampfspeicher, da hier der Dampf im Kraftwerk bereits existiert, der dann in Gefäßen gespeichert wird. (Ein 67 MWhDampfspeicher mit 3300 m 3 Kapazität ist in Berlin-Charlottenburg seit 1929 in Betrieb). Heute können in Guß-Druckbehältern 8000 m 3 Dampf bei 60 bar in einem Gefäß von 7 1 m Höhe und 12 m Durchmesser gespeichert werden (5). Die elektrische Speicherung in Batterien eignet sich nur für kleinere und mittlere Leistungen, da die Kosten für Batterien - zumindest heute noch - zu hoch sind. Die Entwicklung von Batterie-Systemen für den Lastausgleich und mobile Verbraucher wird in vielen Ländern gefördert (vgl. 4.563). Brennstoffzellen, die auf „kalter" Verbrennung von Wasserstoff basieren, eignen sich ebenfalls zur Speicherung von elektrischer Energie. Dieser Wasserstoff könnte in einem Grundlast-Kraftwerk während Zeiten geringen Ver-

178

4. Energieversorgungssysteme

brauchs erzeugt werden. Allerdings wurden Brennstoffzellen nicht zu Speicherzwecken, sondern - wie eingangs erwähnt - zur Elektrizitätserzeugung entwikkelt. Als magnetische Speicherung bieten sich supraleitende Spulen an. Der Drehstrom aus dem Netz wird zu diesem Zwecke gleichgerichtet und fließt in eine supraleitende Spule. Da der Wirkungsgrad 85-90% beträgt, wäre diese Speichermethode besonders interessant. Dieses Verfahren ist heute jedoch noch zu kostspielig (5). Ergänzend sei noch erwähnt, daß der Lastausgleich in Netzen auch durch Speicher beim Verbraucher erfolgen kann (Nachtspeicher für Raumheizung). Beispielsweise wird in der Bundesrepublik Deutschland derzeit jeder 17. Haushalt elektrisch beheizt (91). Auf elektrische Wärmespeicheranlagen entfielen 1976 in der Bundesrepublik rd. 8000 GWh. Dies entspricht rd. 3% der jährlich erzeugten elektrischen Energie oder etwa der Energie, die ein Kraftwerk der 1000 MW-Klasse pro Jahr liefert. Eine Energiespeicherung bei den Stromversorgungsunternehmen zur späteren Netzeinspeisung wäre sicherlich eine rationellere Energieverwendung. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Elektrizitätserzeugung in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern relativ große Wachstumsraten zu verzeichnen hatte (siehe Tabelle 4-4). In der Bundesrepublik Deutschland erwartet man beispielsweise für die Zeit von 1975 bis 1985 eine jährliche Steigerungsrate des Elektrizitätsverbrauchs von 6,2%. Von 1960 bis 1974 waren es 7,2%. (Der Nettostromverbrauch verteilte sich 1974 auf die einzelnen Sektoren wie folgt: Industrie 54%, Haushalte und Kleinverbraucher 43%, Verkehr 3% (68)). In der Verminderung der Zuwachsrate kommen u. a. erste Sättigungstendenzen im Haushaltsbereich, das langsamere gesamtwirtschaftliche Wachstum und sparsamere Energieverwendung zum Ausdruck. Der Energiebedarf im Sektor Haushalte und Kleinverbraucher ist - wie bereits mehrfach erwähnt - im wesentlichen ein Wärmebedarf im Niedertemperaturbereich. Unter Berücksichtigung des relativ hohen Nettostromverbrauchs in diesem Sektor läßt sich ableiten, daß Energie derzeit z. T. unrationell verwendet wird (92). Einen Wärmebedarf dadurch zu decken, daß zunächst mit einem Wirkungsgrad von 33-40% Wärmeenergie in elektrische Energie umgewandelt wird und dann im Haushalt unter weiteren Verlusten wieder zurück in Wärmeenergie (Warmwasser, Raumheizung) verwandelt wird, ist - von der ökologischen Belastung einmal abgesehen - unökonomisch. Der derzeitige Bedarf an elektrischer Energie ist, worauf bereits K. M. Meyer-Abich hingewiesen hat, nicht ein tatsächlicher Bedarf, sondern ist zum Teil eine von Fehlentwicklungen bestimmte Nachfrage (93).

4.5 Sekundärenergieträger

4.52

179

Fernwärme

Wie bereits erwähnt, ist man bestrebt, durch Nutzbarmachung der bei thermischen Kraftwerken anfallenden Abwärme (rd. zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie) die Umweltbelastung zu verringern bzw. den Gesamtwirkungsgrad der eingesetzten Primärenergie zu erhöhen. Aussichtsreiche Möglichkeiten für die Nutzung der Abwärme bestehen in der Landwirtschaft. Mit Hilfe der Abwärme kann durch ein Rohrnetz der Freilandboden erwärmt werden. Dies fördert, wie erste Versuche zeigen, das Pflanzenwachstum. Eine rationelle Energieverwendung ist durch Anwendung des Prinzips der Wärme/Kraft-Kopplung möglich. Bei reiner Elektrizitätserzeugung in thermischen Kraftwerken hat das Kühlwasser des Kraftwerks ein so niedriges Temperaturniveau, daß es für Heizzwecke nicht mehr verwendbar ist. Wird das Kraftwerk nun so ausgelegt, daß die Wärme auf einem Temperaturniveau von ca. 100° C entnommen und an ein Fernwärmesystem abgegeben werden kann, so sinkt zwar der Wirkungsgrad der Stromerzeugung etwas, der Gesamtwirkungsgrad solcher Anlagen wird jedoch erheblich gesteigert. Diese Technik ist unabhängig von der primärseitigen Energieerzeugung, d. h. sie kann sowohl in fossilen als auch in nuklearen Kraftwerken angewendet werden. Die Technik derartiger Verbundsysteme wird z. B. in der Bundesrepublik Deutschland bei der Fernwärmeschiene „Ruhr" entwickelt und erprobt. Durch Anwendung des Prinzips der Wärme/Kraft-Kopplung könnte ein Teil des Bedarfs an Niedertemperaturwärme gedeckt werden; hierdurch wäre die Einsparung beträchtlicher Mengen von Primärenergie (Mineralöl) möglich. Für die Wärme/Kraft-Kopplung wäre der Thorium-Hochtemperaturreaktor in besonderem Maße geeignet. Die vorteilhafte Nutzung des hohen Temperaturangebots dieses Reaktors - die mittlere Austrittstemperatur des Reaktorkühlmittels Helium beträgt ca. 950° C - wird mit dem Projekt „Hochtemperatur-Heliumturbine HHT" (Einkreis-Anlage) angestrebt. Es ist dann geplant, Hochtemperaturreaktoren nicht nur zur Erzeugung von Elektrizität einzusetzen, sondern im Verbund damit die Abwärme als Fernwärme zu nutzen (86, 94).

4.53

Kohleveredelungsprodukte

4.531

Stromerzeugung aus Kohle

Unter Berücksichtigung der heimischen und weltweiten Kohlereserven wird angestrebt, die Nachteile auszugleichen, die zum Rückgang des Einsatzes von Kohle im Energiebereich geführt haben. Man ist bemüht, durch Entwicklung

180

4. Energieversorgungssysteme

neuer Umwandlungsverfahren die Einsatzmöglichkeiten von Kohle zu verbreitern und ihre Handhabung zu vereinfachen (95). Die Kohle hat ein hohes Veredelungspotential. Sie kann sowohl in elektrische Energie als auch in gasförmige und flüssige Energieträger umgewandelt werden. Außerdem kann Kohle als Chemierohstoff verwendet bzw. in metallurgischen Koks und Aktivkohle übergeführt werden. Die konventionelle Kohlekraftwerkstechnologie hat einen hohen Stand erreicht. Auf den Einsatz von Kohle zur Stromerzeugung wird man voraussichtlich in absehbarer Zeit nicht verzichten können. Dies gilt insbesondere für die Industrieländer mit großen Kohlereserven (vgl. 3.31). In der Bundesrepublik Deutschland basierte beispielsweise 1975 die Elektrizitätserzeugung zu 56% auf Kohle (Steinkohle 24,8%, Braunkohle 31,2%, Heizöl 8,8%, Erdgas 17,8%, Kernenergie 7,2%, Wasserkraft 5,3%, Sonstige 4,9%); im Jahre 1985 soll der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung immer noch 37% betragen (Steinkohle 18%, Braunkohle 9%, Heizöl 7%, Erdgas 13%, Kernenergie 35%, Wasserkraft 4%, Sonstige 4%) (96). Die Entwicklungsarbeiten der Kohlekraftwerkstechnologie konzentrieren sich im wesentlichen darauf, die Verstromung umweltfreundlicher als bisher zu realisieren und gleichzeitig die eingesetzte Primärenergie effizienter zu nutzen. Neue Verfahren sollen die Schwefelfreiheit der Rauchgase bereits durch entsprechende Prozeßführung verwirklichen. Erfolgversprechend ist bisher die Entwicklung einer 170 MW-Prototypanlage in Lünen, die mit einem Lurgi-Kohledruckvergaser (KDV) arbeitet (97). Ziel dieses Kraftwerkskonzepts ist es - neben der umweltfreundlichen Kohleverstromung - , den Wirkungsgrad durch den Einsatz eines integrierten Gas-/Dampfturbinenprozesses zu erhöhen. Die Vergasung von Steinkohle gestattet die Entschwefelung des Brennstoffes vor der Verwendung im Gas-/ Dampfturbinenprozeß und vermeidet somit eine aufwendige Rauchgasentschwefelung. Eine Weiterentwicklung einzelner Komponenten für die Anwendung in Großkraftwerken (800 MW) wird angestrebt. Eine andere Entwicklungslinie verfolgt das Ziel, die optimale Schwefelreduzierung durch Voroxydation und anschließende Schnellentgasung der Steinkohle vor der Verbrennung zu erreichen. Das Konzept des wirbelschichtgefeuerten Kraftwerkes, das eine hohe Umweltfreundlichkeit bei relativ niedrigen Investitionskosten verspricht, wird vorwiegend in den USA, in Großbritannien und in der Bundesrepublik Deutschland weiterentwickelt. Bei diesem Verfahren ist durch Zusatz von Kalkstein eine einfache Entschwefelung bereits im Verbrennungsraum erreichbar. Außerdem wird - wegen der relativ niedrigen Verbrennungstemperatur - die Stickoxidemission beträchtlich reduziert (95). In 4.51 wurde bereits über das Verfahren der Elektrizitätserzeugung nach dem Prinzip des MHD-Generators berichtet.

4.5 Sekundärenergieträger

4.532

181

Kohlevergasung

Ein weiterer Schwerpunkt von Forschung und Entwicklung auf dem Gebiete der Kohleveredelung ist die Kohlevergasung, da gasförmige Energieträger und Rohstoffe verglichen mit anderen viele Vorzüge haben. Dies gilt besonders hinsichtlich der Umweltfreundlichkeit, der leichten Handhabung und der vielseitigen Anwendbarkeit. Außerdem sind gasförmige Energieträger im Vergleich zu elektrischer Energie leichter speicherbar und mit geringeren Transportkosten verteilbar (Rohrleitungstransport) (98). Darüber hinaus ist der energetische Wirkungsgrad bei der Gaserzeugung aus Kohle günstig. Aus diesen Gründen ist die Realisierung der Kohlevergasung zur Energiebedarfsdeckung für Länder mit großen Kohlereserven von Interesse. Zur Kohlevergasung gibt es etwa 35 Verfahren (99-101). Aus Stein- und Braunkohle können bei Einsatz geeigneter Vergasungsmittel (Sauerstoff, Luft, Wasser) unter Wärmezufuhr Gase erzeugt werden. Die Zusammensetzung der Produktgase - im wesentlichen ist es Kohlenmonoxid, Wasserstoff und Methan kann durch Prozeßführung in weiten Grenzen dem Bedarf angepaßt werden. Als besonders zukunftsträchtig haben sich die Verfahren von Lurgi, Winkler, Koppers-Totzek, Texaco, Rummel-Otto erwiesen (95). Bei der konventionellen Vergasung wird die erforderliche Prozeßwärme durch Verbrennung eines Teils der Einsatzkohle gedeckt. Es ist geplant, bei der nuklearen Kohlevergasung die Prozeßwärme durch nuklear erzeugte Wärme des Hochtemperaturreaktors zu ersetzen (vgl. 4.214). Dadurch würde sich eine höhere Gasausbeute, bezogen auf die eingesetzte Kohle, ergeben, und außerdem wäre eine Schonung der Kohlereserven möglich (102, 103). Langfristig werden Verfahren angestrebt, die enormen Kohleressourcen ohne den konventionellen Kohleabbau nutzbar zu machen. Die Methode der Untertagevergasung scheint hier besonders erfolgversprechend zu sein. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß bei Realisierung der Untertagevergasung voraussichtlich die Nutzung von Flözen möglich ist, die konventionell nicht abbaubar sind. Dadurch würde sich das Potential der nutzbaren Kohlereserven um ein Vielfaches erhöhen (vgl. 3.31, Tabelle 3-5). In den USA und der Sowjetunion gibt es bereits diesbezüglich umfangreiche Vorarbeiten. Da bei der Realisierung der Untertagevergasung die jeweiligen Lagerstättenbedingungen eine große Rolle spielen, werden entsprechende Entwicklungsarbeiten in der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit Belgien durchgeführt (68). 4.533

Kohleverflüssigung

Im Prinzip führt die Kohleverflüssigung zu Produkten einer höheren Energiedichte. Diese sind - wie konventionelles Mineralöl - mit geringeren Transport-

182

4. Energieversorgungssysteme

kosten verteilbar, als es bei Kohle der Fall ist (Rohrleitungstransport) und außerdem leicht speicherbar. Zwar sind die Kohleverflüssigungsverfahren derzeit noch nicht wirtschaftlich, jedoch kommt der Entwicklung kostengünstiger Verfahren wegen der zu erwartenden Verknappung der Erdölreserven heute schon große Bedeutung zu (104, 105). Aufgrund der in den letzten Jahrzehnten in der chemischen Verfahrenstechnik gemachten Fortschritte sind die Bemühungen zur wirtschaftlichen Kohleverflüssigung erfolgversprechend. Im wesentlichen gibt es zwei Verfahren zur Kohleverflüssigung: einmal die direkte Hydrierung der Einsatzkohle (Verfahren nach F. Bergius), zum anderen die Vergasung zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff mit anschließender Synthese zu flüssigen Produkten (Fischer-Tropsch-Synthese). Beide Verfahren wurden bis 1945 in Deutschland großtechnisch angewandt. Ein Teil dieser Anlagen wurde nach dem Kriege für die Hydrierung von Rückstandsölen zu Mittelölen umgebaut, jedoch sind bis 1963 alle stillgelegt worden (68). Die Kohleverflüssigung nach der Fischer-Tropsch-Synthese wird derzeit noch in großtechnischem Maßstab in Südafrika durchgeführt. Diese Anlage, die im wesentlichen auf deutschen Kenntnissen und Erfahrungen basiert, wurde Mitte der 50er Jahre errichtet. Eine Erweiterung der Anlage bis auf das Zehnfache der gegenwärtigen Kapazität wurde 1975 in Auftrag gegeben (68). Unter den in Südafrika existierenden Bedingungen (sehr niedrige Kohlepreise und hohe Mineralölpreise) kann die Kohleverflüssigung wirtschaftlich betrieben werden. In der Bundesrepublik Deutschland wird die Kohleverflüssigung gefördert. Von Hochschulinstituten und Industrieunternehmen (Saarbergwerke AG, Bergbau-Forschung GmbH Essen) werden Entwicklungsarbeiten an der Fischer-Tropsch-Synthese durchgeführt (106, 107). Auch in den U S A wird intensiv an der Realisierung der wirtschaftlichen Kohleverflüssigung gearbeitet. Die Errichtung einer großen Demonstrationsanlage ist für Anfang der 80er Jahre geplant, und mit der kommerziellen Kohleverflüssigung wird zu Beginn der 90er Jahre gerechnet. Die Firmengruppe Ruhrkohle AG/Steag ist an einem Vorprojekt zu einer Kohleverflüssigungsanlage in den U S A beteiligt.

4.534

Kokserzeugung

Es ist davon auszugehen, daß die Eisenschaffende Industrie zur Herstellung von Roheisen im Hochofen noch auf absehbare Zeit metallurgischen Koks benötigt. So z. B. werden derzeit in der Bundesrepublik Deutschland rd. 40% der Steinkohleproduktion in metallurgischen Koks umgewandelt. Die Arbeiten auf diesem Sektor beschränken sich in der Bundesrepublik Deutschland im wesentlichen auf die Entwicklung umweltfreundlicher Verfahren zur Koksherstellung (68).

4.5 Sekundärenergieträger

4.54

183

Fernenergie

Der grundsätzliche Gedanke bei dem System der Fernenergie besteht darin, Wärme als chemische Energie - also „kalt" - über größere Entfernungen zum Verbraucher zu transportieren. Die in solch ein Latentwärmegas (z. B. Synthesegas/Methan) eingekoppelte Wärme hat im Vergleich zur Fernwärme den Vorteil, daß beim Transport Wärmeverluste vermieden werden und verbraucherseitig höhere Temperaturen (bis zu 600° C) als bei der Fernwärmeversorgung erreichbar sind. Hierdurch wird das Einsatzpotential gegenüber der Fernwärme beträchtlich erweitert. Zum einen kann ein Teil des Industriebedarfs an Prozeßwärme gedeckt werden, und zum anderen ist eine verbrauchernahe (relativ umweltfreundliche) Stromerzeugung möglich. Durch das System der Fernenergie ist es denkbar, nuklear erzeugte Wärmeenergie, wie sie z. B. der Hochtemperaturreaktor liefert, über größere Entfernungen zu transportieren und dadurch den Ort des Nuklearreaktors vom Verbraucher zu trennen (nukleare Fernenergie NFE) 6 . Im Gegensatz zur Kohlevergasung verwendet die nukleare Fernenergie fossile Energieträger nur als Transportmedium in einem geschlossenen Kreislauf, d. h. das Medium wird nach der Energieauskopplung beim Verbraucher zur erneuten Energieeinkopplung zum Reaktor zurückgeführt. Gegenüber der Elektrizität liegen die möglichen Vorteile in einem höheren Wirkungsgrad bei der Umwandlung von Primär- in Sekundärenergie zur Wärmebedarfsdeckung (Wärme kann unmittelbar ein- bzw. ausgekoppelt werden) sowie in der leichteren Speicherfähigkeit des Transportmediums. Unter einer Vielzahl von möglichen chemischen Systemen ist das von R. Schulten, Jülich, favorisierte Latentwärmegas „Synthesegas/Methan" besonders geeignet (102). Die Grundgleichung dieser Reaktion ist CH 4 + H 2 0 3H 2 + CO — E (13) Dieser Zyklus ist in beiden Prozeßschritten, der Methanspaltung und der Methanisierung, in der konventionellen Technik erprobt. Abb. 4 - 8 zeigt das Fließschema des Kreislaufsystems „Synthesegas/Methan", das den Arbeitstitel „ADAM/EVA-System" hat. Es handelt sich um zwei Anlagegruppen. Die Energieeinkopplung in den Kreislauf erfolgt am Standort des Kernreaktors und die Energieauskopplung in der Nähe des Verbrauchers. Bei der Energieeinkopplung wird die für die Methanspaltung notwendige Wärme bei 825° C durch einen Hochtemperaturreaktor geliefert. Das Helium gibt seine fühlbare Wärme im Röhrenspaltofen (EVA) zur katalytischen Spaltung von Methan mit Wasserdampf ab. Aus der Spaltung entsteht ein wasserstoff-/kohlenmonoxidreiches Spaltgas (3H 2 + CO), das noch Kohlendioxid und nicht umgesetztes Methan 6

Die Wärme könnte auch durch andere Energiequellen (z. B. Sonnenenergie) bereitgestellt werden.

184

4. Energieversorgungssysteme

CH4 + H 2 0 -»- CO + 3 H 2 - 50 k c a l / m o l Nahwärme + Strom + Abwärme i/yi

C0+3H2-»"CHi+H20 +50kcal/mol

Heizwarme 130°C,10b (Dampf 600°C)

©

Kernreaktor

©

Gebläse

©

Methanisierung (ADAM)

@

Röhrenspaltofen (EVA)

©

Abwärmenutzung

©

Wärmeaustauscher

@

Vorwärmer

©

H 2 / CO-Kompressor

©

CH^-Kompressor

Abb. 4 - 8 : Fließschema des Kreislaufsystems Synthesegas/Methan (ADAM/EVA-System) Quelle: Einsatzmöglichkeiten neuer Energiesysteme, Teil IV, Fernenergie, Hrsg.: Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn 1975.

enthält. Das Spaltgas, das bei 4 0 bar erzeugt wird, wird außerhalb des Nuklearteils abgekühlt, getrocknet und auf 64 bar verdichtet. Vom Standort des Hochtemperaturreaktors wird das Spaltgas in erdverlegter Gasleitung zu dem ungefähr 70 km entfernten Ballungsraum geführt und dort an einigen zentralen Stellen zur Wärmeerzeugung genutzt. Bei der Energieauskopplung im Methanisierungsreaktor ( A D A M ) wird das Synthesegas nach Vorwärmung auf die Prozeßtemperatur über einen Katalysator geleitet, worauf die Umsetzung zu Methan und Wasserdampf stattfindet. Die anfallende Latentwärme (chemisch gebundene Wärme) kann dann an den Verbraucher abgegeben werden. Das Temperaturniveau der Methanisierungsreaktion gestattet über die Dampferzeugung die Wärme/Kraft-Kopplung. Aus dem Methanisierungsreaktor ( A D A M ) werden Strom und Fernwärme abgegeben. Aus dem Gasgemisch (CH 4 + H 2 0 ) wird das Wasser abgetrennt. Dann wird das Methan in einer parallel zur Spaltgasleitung angeordneten Methangasleitung zum Hochtemperaturreaktor zurückgeleitet und dort erneut im Röhrenspaltofen ( E V A ) zu Spaltgas umgesetzt. Methan bzw. das aus ihm gewonnene Spaltgas zirkuliert also in einem geschlossenen System. Ergänzend sei noch erwähnt, daß in einem sog. offenen System ein Teil des kohlenmonoxid- und wasserstoffhaltigen Gasgemisches (Synthesegas) für die chemische Industrie als Rohstoff verwendet werden könnte (107, 108).

4.5 Sekundärenergieträger

4.55

Wasserstoff als Energieträger

4.551

Herstellung

185

Wasserstoff ist ein außerordentlich vielseitig verwendbarer Sekundärenergieträger: Er ist überaus umweltfreundlich, eignet sich zum Transport und zur Speicherung von Energie, zur Erzeugung von Elektrizität, als Kraftstoff, als Reduktionsmittel und als chemischer Grundstoff. Optimisten sprechen in diesem Zusammenhang von einer möglichen sog. „Wasserstoffökonomie". Die großtechnische wirtschaftliche Erzeugung von Wasserstoff für die Verwendung als Sekundärenergieträger ist ein noch ungelöstes Problem. (Der z. Zt. hergestellte Wasserstoff wird - von Versuchseinrichtungen abgesehen - fast ausschließlich als Rohstoffträger verwendet.) Als Rohstoffbasis für die großtechnische Erzeugung von Wasserstoff als Energieträger kommt Wasser in Frage. Die konventionellen Elektrolyseverfahren zur Gewinnung von Wasserstoff sind dadurch gekennzeichnet, daß hierzu Strom notwendig ist. Das heißt, es muß erst Energie einem anderen (hochwertigen) Sekundärenergieträger entnommen werden, was für die H 2 -Herstellungskosten nachteilig ist. Eine weitere Möglichkeit bietet die Hochtemperatur-Dampfphase-Elektrolyse. Hierbei wird Wasserdampf mit Hilfe eines festen, temperaturbeständigen Elektrolyten zersetzt. Dabei ist von Bedeutung, daß der Strombedarf bei diesem Verfahren auf Kosten eines vermehrten Wärmebedarfs reduziert wird. Der zukunftsträchtigste Weg ist wohl die Gewinnung von Wasserstoff durch thermochemische Kreisprozesse. Im Gegensatz zu den Elektrolyse verfahren wird der Wasserstoff bei thermochemischen Kreisprozessen ausschließlich unter Einsatz von Prozeßwärme gewonnen, also ohne den Umweg über elektrische Energie. Die Prozeßwärme kann z. B. durch den Hochtemperaturreaktor (vgl. 4.214) oder durch Sonnenenergie (vgl. 4.311) geliefert werden. (Es wurde bereits erwähnt, daß der Sekundärenergieträger Wasserstoff, wegen der günstigeren Speicher- und Transporteigenschaften, wahrscheinlich besser zur Sonnenenergie „paßt" als die Elektrizität). Thermochemische Kreisprozesse sind erforderlich, da Wasser erst oberhalb 3000° C in merklichen Mengen dissoziiert und seine Spaltung bei den technisch beherrschbaren Temperaturen nicht in einem einzigen Verfahrensschritt möglich ist. Ein thermochemischer Kreisprozeß besteht aus einer Folge von chemischen Reaktionen, wobei deren Bruttoreaktion die der Wasserspaltung ist. H 2 0 + X = XO + H 2 XO = X +|o2 H 2 O = H2

(14)

+ {o2

Reaktionspartner in dieser Folge von Reaktionen sind außer Wasser, Wasserstoff und Sauerstoff, sog. Reaktionsmittler X, die aber weder verbraucht noch

186

4. Energieversorgungssysteme

produziert, sondern „im Kreise geführt" werden (102,109). Die Mengen des zu spaltenden Wassers lassen sich problemlos bereitstellen. So z. B. erfordert der jährliche Wärmebedarf einer durchschnittlichen Wohnung die Spaltung von nur 6 m3 Wasser, was nur ca. 2,4% des Jahreswasserbedarfs eines Haushaltes ausmacht. In 4.326 wurde bereits über die eventuelle Möglichkeit einer photolytischen Erzeugung von Wasserstoff berichtet. Im Rahmen der Nutzbarmachung der Sonnenenergie nach dieser Methode würden natürlich die Kreisprozesse entfallen, und der photolytisch gewonnene Wasserstoff würde unmittelbar zur Verfügung stehen.

4.552

Transport

Wasserstoff wird als möglicher zukünftiger Sekundärenergieträger großtechnisch im allgemeinen in größerer Entfernung vom Verbraucher hergestellt werden und muß deshalb transportiert werden. Der Rohrleitungstransport hat, wie bereits erwähnt, im Vergleich zum Schienentransport bzw. zur elektrischen Energieübertragung aus mehreren Gründen Vorteile. Die wichtigsten sind: Transportweg, Transportmittel und Transportgefäß bilden eine Einheit; die Versorgung ist unabhängig von Verkehrs- und Witterungseinflüssen; eine schnelle Änderung des Mengendurchsatzes ist möglich; hoher Wirtschaftlichkeitsgrad (gleiche Energiemengen zugrunde gelegt) und geringe Umweltbelastung. Untersuchungen zeigen, daß Wasserstoff sowohl in gasförmigem als auch in flüssigem Zustand ähnliche Fließeigenschaften wie Erdgas hat. Lediglich die Pumpleistung und die Anlagengröße der Verdichter sind wegen des geringen volumenspezifischen Heizwertes von Wasserstoff zu vergrößern (110, 111). Tabelle 4 - 5 gibt einige wichtige physikalische Eigenschaften von H 2 - und CH 4 -Gas im Vergleich wieder (112). Für den Rohrleitungsbau ergeben sich wenig wasserstoffspezifische Probleme. Außerdem kann auf Erfahrungen mit Wasserst offVersorgungsnetzen zurückgegriffen werden. Im Ruhrgebiet existiert z. B. seit über 30 Jahren ein Wasserstoffverbundnetz von 204 km Länge zur Versorgung des Bedarfs an chemischem Rohstoff. (Bei einem Transportdruck von 15 bar wird durch die Rohrleitungen mit Nennweiten zwischen 10 und 30 cm eine Menge von rd. 3 • 108 Nm 3 /a durchgesetzt) (110). Darüber hinaus kann auf Erfahrungen bei Versorgungsleitungen für Kokerei- und Stadtgas mit einem Wasserstoffanteil von bis zu 80% zurückgegriffen werden. Abschätzungen ergeben, daß bereits mit heutiger Technologie ein energieäquivalenter Wasserstofftransport für Entfernungen von mehr als 400 km wirtschaftlicher ist als ein Stromtransport. Legt man unterirdische Stromleitungen zugrunde, so ist der Wasserstofftransport

4.5 Sekundärenergieträger

187

Tabelle 4 - 5 : Physikalische Eigenschaften von H 2 - und CH 4 -Gas

H2 Siedepunkt bei 1 bar

20,4 K

Verdampfungswärme

0,45 MJ/kg

Gasdichte (0°, 1 bar) Diffusionskoeffizient in Luft Zündbereich in Luft Zündbereich in Sauerstoff Explosionsgrenze in Luft Zündtemperatur Zündenergie Flammentemperatur Flammengeschwindigkeit Heizwert

0,08987 g/1 0,63 cm2/s 4-76 Vol.-%

CH4 112 K 0,51 MJ/kg 0,717 g/1 0,20 cm2/s 5-15 Vol.-%

4-95 Vol.-%

5-61 Vol.-%

18-59 V o l . - %

6-14 Vol.-%

850 K 0,02 mJ 2 400 K 2,75 m/s 29 700 kcal/kg

807 K 0,3 mJ 2 200 K 0,37 m/s 11 100 kcal/kg

Quelle: C. Keller, Wasserstoff: Energieträger mit Zukunft, in: Bild der Wissenschaft 13, 10(1976).

schon ab etwa 30 km Entfernung günstiger. (Etwaige Sicherheitsauflagen des Gesetzgebers sind nicht berücksichtigt) (4). Es ist davon auszugehen, daß in der Bundesrepublik Deutschland bei dem heute üblichen Rohrleitungssystem aus geschweißten Stahlrohren die Investitionen für eine Umstellung der derzeitigen Gasversorgung allein auf Wasserstoff relativ niedrig sein werden. Das Netz wird in seiner jetzigen Form im wesentlichen beibehalten werden können (110). Außerdem müßten durch Einführung von Wasserstoff Verbrauchergewohnheiten kaum geändert werden. Der mobile Transport von Wasserstoff zu Verbrauchern kommt nur in gewissen Grenzen in Frage. Gasförmiger Wasserstoff hat selbst bei hohem Kompressionsdruck nur eine relativ geringe Energiedichte. Deshalb müßte der Wasserstoff verflüssigt werden. (Flüssiger Wasserstoff kann bei einer Temperatur von 20 K und einem Druck von 1 bar in flüssigem Zustand gehalten werden, bei Temperaturen bis zu 32 K bei einem Druck von 11 bar). Zur Verflüssigung ist aber ein relativ großer Energieaufwand erforderlich. Es ist daher anzunehmen, daß der mobile Transport nur für Gebiete in Frage kommt, die nicht an ein Pipelinenetz angeschlossen sind. Sollte die Wasserstofferzeugung auf See erfolgen, könnte - ähnlich wie bei Erdgas - der Transport von Wasserstoff in verflüssigter Form ( L H 2 ) mit Spezialtankern erfolgen. Praktische Erfahrungen zum Transport verflüssigter Gase in Rohrleitungen liegen im wesentlichen nur aus der Raketentechnik vor. Kleine Versorgungspipelines für L H 2 gibt es in den U S A am Cape Canaveral Space Center und in Los Alamos. Die Leitungen haben eine Länge von 500 m, einen Durchmesser von bis zu 40 cm und einen Betriebsdruck bis zu 150 bar. Die maximal erreichte Transportkapazität beträgt 3,8 m3/s (ca. 107 Nm 3 /h) flüssigen Wasserstoffs (110).

188

4. Energieversorgungssysteme

4.553

Speicherung

Neben den spezifischen Transportkosten eines Sekundärenergieträgers hat die Speicherung von Energie in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Wichtige Gründe hierfür sind: die schwankende Nachfrage und der Umstand, daß man bestrebt ist, die Anlagen, die Primär- in Sekundärenergie umwandeln, aus Kostengründen maximal auszulasten. Es wurde bereits erwähnt, daß die Speicherung von elektrischer Energie schwierig ist, da dies im allgemeinen nur mit zusätzlichen aufwendigen Anlagen möglich ist. Hier hat Wasserstoff (wie andere gasförmige, flüssige und feste Sekundärenergieträger) im Vergleich zur elektrischen Energie einen großen Vorteil. Zwar dürfte z. B. der Wirkungsgrad eines Elektrizitätsspeichersystems auf der Basis von Wasserstoff nur bei ca. 56% liegen - der Wirkungsgrad bei Pumpspeicherwerken beträgt bis zu 70% - , jedoch wäre der Vorteil einer Energiespeicherung in Form von Wasserstoff die Verfügbarkeit der so gespeicherten Energie, und zwar unabhängig von der geographischen Lage. Das heißt, Wasserstoff bietet die Möglichkeit der Anlage von strategischen Reserven. Grundsätzlich kann Wasserstoff in stationären und mobilen Behältern gespeichert werden. Wegen des außerordentlich geringen volumenspezifischen Energieinhaltes von Wasserstoff - selbst flüssiger Wasserstoff hat nur ca. 23% der Energiedichte von Heizöl - ist die Speicherung vorwiegend ein Volumenproblem (siehe Tabelle 4-6). Dies führt aber im wesentlichen nur bei mobilen Speichersystemen zu Schwierigkeiten. Zur stationären Speicherung des gasförmigen Wasserstoffes eignen sich u. a. oberirdische und unterirdische Hochdruckbehälter, leergeförderte Erdöl- und Erdgasfelder sowie Pipelines. Außerdem ist die Speicherung als Flüssigkeit in ober- und unterirdischen Kryotanks und in Form von Metallhydriden möglich. Einige dieser stationären Speichermethoden eignen sich auch - in gewissen Grenzen - zu mobiler Speicherung (Drucktanks, Kryotanks, Metallhydride).

Tabelle 4 - 6 : Spezifischer Energieinhalt verschiedener Energieträger Energieträger

massenspezifischer Energieinhalt [kWh/kg]

volumenspezifischer Energieinhalt [kWh/Nm 3 ]

Benzin Dieselöl Flüssiggas Methanol H 2 -Gas LH 2

11,8 11,5 12,7 5,4 30,0 30,0

8 9 7 4

680 950 370 370 3 2 100

Quelle: Auf dem Wege zu neuen Energiesystemen, Teil III, Wasserstoff und andere nichtfossile Energieträger, Hrsg.: Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn 1975.

4.5 Sekundärenergieträger

189

Hochdruck-Gasbehälter bis zu einem Inhalt von 330 000 Nm 3 sind von der Speicherung wasserstoffhaltigen Stadtgases (bis zu 80% H 2 -Anteil) bekannt. Interessant für die Anlage von strategischen Reserven ist die Speicherung in ausgebeuteten Erdöl- und Erdgasfeldern. Wegen der höheren Diffusionsgeschwindigkeit von Wasserstoff im Vergleich zu Erdgas sind aber an die Dichtigkeit solcher unterirdischer Gasspeicher höhere Anforderungen zu stellen. Unüberwindliche Probleme scheint es hier nicht zu geben, wie die Speicherung großer Mengen Heliums in leeren Erdgasfeldern in den USA zeigt. (In den USA existieren für Erdgas rd. 300 derartige unterirdische Speicher. In der Bundesrepublik Deutschland sind derzeit für Erdgas nur zwei Speicher mit Kapazitäten von 100-10 6 Nm 3 und 300 -10 6 Nm 3 in Betrieb) (110). Pipelines können in Grenzen über die Auslegungslast gefahren werden und stellen somit eine gewisse Speicherkapazität zum Ausgleich von Spitzenlasten dar (Kurzzeitspeicherung). Die Gesamtspeicherkapazität einer Gas-Pipelinebeträgtbei einer Rohrlänge von 500 km (1 m Durchmesser, 70 bar Betriebsdruck) ca. 2,7 • 107 Nm 3 Gas. Dies entspricht bei Wasserstoff einer Energie von etwa 108 kWh (bei Erdgas 3 • 10« kWh) (110). Zur Speicherung von flüssigem Wasserstoff (LH 2 ) eignen sich Doppelwandtanks mit evakuierter Perlite-Isolationsschicht. Diese Technik wird beim Vorratsspeicher auf Cape Canaveral (Kapazität 2,4-10 5 kg LH 2 ) und in Los Alamos (Kapazität 1,3 • 105 kg LH 2 ) angewandt. In Europa sind bei CERN (Genf) drei kleinere Speicher mit einer Kapazität von je 50 m 3 eingesetzt. Da die Rohstoffe, die sich zur Metallhydridspeicherung besonders gut eignen, relativ knapp sind, ist davon auszugehen, daß diese Art der Wasserstoffspeicherung mobilen Systemen vorbehalten bleibt, zumal es - wie ausgeführt - für die stationäre Wasserstoffspeicherung genügend andere Methoden gibt (vgl. 4.562).

4.554

Sicherheitsprobleme

Vermutlich sind Sicherheitsaspekte das strittigste Problem bei einem eventuellen Einsatz von Wasserstoff als Sekundärenergieträger. (Erwähnt sei hier, daß der mit Wasserstoff gefüllte Zeppelin „Hindenburg" am 6. 5. 1937 in Lakehurst, USA, explodierte). Wasserstoff ist gefährlicher als Methan. Die weiten Zünd- und Explosionsgrenzen sowie die geringe Zündenergie von 0,02 mJ im Gemisch mit Luft (rd. 1/10 der Zündenergie von Erdgas-Luftgemischen) sind die Hauptprobleme (siehe Tabelle 4-5). Der leichteren Zündfähigkeit von Wasserstoff steht allerdings im Vergleich zu Methan die etwa dreifach höhere Diffusionsgeschwindigkeit von Wasserstoff gegenüber. Dadurch verdünnt sich Wasserstoff bei Undichtigkeiten und Lecks sehr schnell unter die Entzündbarkeitsgrenze. Bei dem

190

4. Energieversorgungssysteme

heute üblichen Rohrleitungssystem aus geschweißten Stahlrohren besteht bei der Verteilung von Wasserstoff keine wesentlich größere Gefahr als bei der Verteilung von wasserstoffhaltigem Gas (bis zu 8 0 % H 2 -Gas). Die Art der Speicherung von Wasserstoff steht in engem Zusammenhang mit der Sicherheit. So z. B. dürfte die unterirdische Speicherung im allgemeinen sicherer sein als die oberirdische, da der Zutritt von Luftsauerstoff weitgehend verhindert werden kann. Bei oberirdischen Speichern sollte die Gefahr von Sabotageakten sehr ernst genommen werden. Den Sicherheitsproblemen kommt bei der Speicherung von Wasserstoff in mobilen Verbrauchern besondere Bedeutung zu. Bei Flugzeugen und Schiffen z. B . kann das Sicherheitsrisiko durch Einsatz von geschultem Personal beträchtlich reduziert werden. Da hier die Verwendung von flüssigem Wasserstoff wahrscheinlich ist, kann an Erfahrungen, die beispielsweise bei LNG-betriebenen Fahrzeugen gemacht wurden, angeknüpft werden.

4.555

Umweltaspekte

Wasserstoff ist ein relativ umweltfreundlicher Sekundärenergieträger. Die Wasserstoffherstellung ist frei von Schadstoffemission, d. h. bei Elektrolyseverfahren oder thermochemischen Kreisprozessen fallen praktisch keine umweltbelastenden Produkte an. (Von Abwärme sei einmal abgesehen). Bei Transport und Speicherung von Wasserstoff dürften ebenfalls umweltbelastende Faktoren weitgehend ausgeschaltet werden können. Wasserstoff hat als Brennstoff zur Bedarfsdeckung von Heiz- und Prozeßwärme in Ballungsgebieten erhebliche Vorteile gegenüber anderen Sekundärenergieträgern, da die Schadstoffemission der Wasserstoff-Luft-Flamme gering ist. Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Schwefel- und Schwermetallverbindungen, unverbrannte Kohlenwasserstoffe und Rußteilchen, wie in den Heizölabgasen vorhanden, können bei der Wasserstoffverbrennung nicht entstehen. Neben Wasserdampf werden - abhängig von der Luftzufuhr und somit von der Verbrennungstemperatur - Stickoxide (NO x ) und Ammoniak in geringen Anteilen gebildet (110). Aufgrund des weiten Zündbereiches von Wasserstoff in Luft können die Brenner so ausgelegt werden, daß die Schadstoffemission minimiert wird (Luftanteil von 3 5 % am Gesamtgemisch). Erwähnt sei noch folgendes: Geht man davon aus, daß Wasserstoff aus Wasser gewonnen wird, so wäre es möglich, nichtregenerierbare Ressourcen wie z. B. fossile Rohstoffe zu schonen. Die zur Wasserstoffherstellung erforderliche Energie könnte beispielsweise durch Kernfusion oder Sonnenenergie bereitgestellt werden.

4.5 Sekundärenergieträger

4.56

Alternative Antriebssysteme für mobile Verbraucher

4.561

Methanol

191

Die starke Abhängigkeit des Transportwesens von Mineralölprodukten sowie die Forderung, die Umweltbelastung durch Automobil-Abgase, insbesondere in Ballungszentren mit hohem Verkehrsaufkommen, zu reduzieren, machen es notwendig, Alternativkraftstoffe für Transportmittel zu entwickeln. In der Bundesrepublik Deutschland entfallen beispielsweise derzeit 80% aller Personen- und 45 % aller Gütertransporte auf den Straßenverkehr. Wegen der nahezu 100%igen Abhängigkeit des Straßenverkehrs vom Erdöl (Benzin, Dieselkraftstoff) bedrohen Versorgungsengpässe diesen Bereich besonders stark. Außerdem tragen Kraftfahrzeuge zum Teil erheblich zur Gesamtschadstoffemission bei. So z. B. hat der Kraftfahrzeugverkehr im Großraum Köln an der Schadstoffemission folgenden Anteil: Kohlenmonoxid 49,2%, Stickoxide 10,4%, organische Gase und Dämpfe 5,7%, Staub 2,9% und Schwefeldioxid 0,5%. Außerdem emittiert ein Verbrennungsmotor Bleiverbindungen (110). Die Eignung des Kraftstoffs für den Antrieb von Straßenfahrzeugen hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Der Kraftstoff, der als Substitut für Benzin oder Dieselöl in Frage kommt, muß in ausreichender Menge für einen relativ langen Zeitraum wirtschaftlich herstellbar sein. Er muß so beschaffen sein, daß die Schadstoffbelastung der Umwelt möglichst gering ist. Außerdem müssen einige Kriterien erfüllt sein, die bei stationären Anlagen von untergeordneter Bedeutung sind: Kraftstoffe müssen einen hohen massen- und volumenspezifischen Energieinhalt haben (siehe Tabelle 4-6). Je höher diese Werte sind, desto leichter und kleiner kann der Tank für den mobilen Verbraucher bei gegebener Reichweite sein. Darüber hinaus sollte der Betankungsvorgang problemlos durchführbar sein. Grundsätzlich kommen für Verbrennungsmotoren aus heutiger Sicht drei Gruppen von Kraftstoffen in Frage: Kohlenwasserstoff-Verbindungen, Wasserstoff sowie anorganische WasserstoffVerbindungen. Die bekannteste anorganische Verbindung ist Ammoniak (NH 3 ). Ammoniak kann zwar synthetisch aus Luft und Wasser hergestellt werden, jedoch sind Speicherung des toxischen Ammoniaks in einem mobilen Tank und Schadstoffbelastung bei Verbrennung (Stickoxide) überaus problematisch, so daß an eine Verwendung im Kraftfahrzeug vorläufig nicht zu denken ist (113). Die wohl zukunftsträchtigste Kohlenwasserstoff/Sauerstoff-Verbindung als Alternativkraftstoff ist Methanol. Es ist zum Betrieb herkömmlicher, leicht modifizierter Verbrennungsmotoren geeignet und in zahlreichen praktischen Versuchen bereits erfolgreich erprobt worden. Ein wesentlicher Vorteil ist, daß die großtechnische Herstellung von Methanol auf Kohlebasis technisch gelöst ist, d. h. mit Methanol würde ein von Erdöl unabhängiger Kraftstoff zur Verfügung stehen (114).

192

4. Energieversorgungssysteme

Die Erzeugung von Methanol ist ein zweistufiger Prozeß. Zunächst wird ein Synthesegas (Kohlenmonoxid und Wasserstoff) erzeugt, aus dem mit Hilfe eines Katalysators Methanol hergestellt wird. Die Gesamtkosten der Methanolherstellung hängen in starkem Maße von Art und Preis des verwendeten Rohstoffs (Kohle oder Erdgas) ab sowie von den Kosten der erforderlichen Prozeßwärme. Wird z. B. Methanol aus Erdgas hergestellt, so sind die Kosten pro Wärmeeinheit vergleichbar mit denjenigen von Benzin. Verwendet man aber Steinkohle oder Braunkohle als Rohstoff, so sind die Kosten pro Wärmeeinheit etwa doppelt so hoch wie die von Benzin (115). Bei Verwendung von Methanol benötigt man im Vergleich zu Benzin - bei gleicher Reichweite - wegen des etwa halb so großen Energieinhalts ein doppelt so großes Tankvolumen (siehe Tabelle 4-6). Da bei Methanol keine größere Brand- bzw. Explosionsgefahr besteht als bei den derzeitigen Kraftstoffen, können die bei den heutigen Fahrzeugen getroffenen Schutzmaßnahmen bezüglich der Kraftstoffanlage übernommen werden (113). Der Betankungsvorgang dürfte ebenfalls problemlos sein. Bisherige Versuche zeigen, daß Methanol-Motoren bezüglich Leistung, Abgasen und Kraftstoffverbrauch vorteilhafte Eigenschaften haben. Beispielsweise beträgt die bei Methanolbetrieb auftretende Stickoxid-Emission etwa nur ein Drittel derjenigen Emission, die bei Benzinbetrieb auftritt; außerdem enthält das Abgas des Methanol-Motors keine Bleiverbindungen und keine Rußteilchen (116). Trotz der relativ günstigen Eigenschaften des Methanol-Motors ist eine Umstellung des Kraftfahrzeugbetriebs von Benzin auf Methanol nur schrittweise zu erwarten, da der Aufbau eines Produktions- und Verteilungssystems hierzu erforderlich ist. Folgende Entwicklung ist wahrscheinlich: Ein erster Schritt dürfte die Zumischung von Methanol zu Benzin sein. Dadurch könnte Erdöl eingespart und die Wirtschaftlichkeit sowie die Umweltfreundlichkeit der Fahrzeuge verbessert werden. In einer zweiten Phase dürfte die Umstellung ganz auf Methanol erfolgen. Es ist damit zu rechnen, daß Methanol noch in den 80er Jahren einen geringfügigen Anteil an der Versorgung mobiler Verbraucher haben wird. Um die Jahrtausendwende könnte Methanol die Bedeutung von Benzin und Diesel als Kraftstoff erreicht haben (117). Eine Forcierung des Umstellungsprozesses von Benzin auf Methanol (auf Kohlebasis) dürfte insbesondere für Länder mit größeren Kohlereserven empfehlenswert sein. (Erwähnt sei, daß Äthanol ähnlich wie Methanol als Kraftstoff verwendbar ist.) 4.562

Wasserstoff

Wie bereits erwähnt, ist die großtechnische wirtschaftliche Herstellung von Wasserstoff für die Verwendung als Sekundärenergieträger noch nicht gelöst (vgl. 4.551). Man kann davon ausgehen, daß die Kosten pro Wärmeeinheit bei

4.5 Sekundärenergieträger

193

Wasserstoff je nach Art des Rohstoffs und der Prozeßenergie ca. dreimal so hoch sind wie bei Benzin. Langfristig dürfte sich aber - unter Berücksichtigung weiter steigender Preise für fossile Energieträger - die Relation zugunsten des Wasserstoffs verschieben. Bei Verwendung von Wasserstoff als Alternativkraftstoff wäre es außerdem möglich, die fossilen Energieträger zu schonen und nur noch als Rohstoffe zu nutzen. Während die Betankung von Kraftfahrzeugen mit Methanol und die Speicherung in mobilen Tanks - wie erwähnt - relativ unproblematisch sind, bereiten beim Wasserstoff Betankung und Speicherung Schwierigkeiten. Das Hauptproblem bei der Verwendung von Wasserstoff als Alternativkraftstoff in mobilen Verbrauchern ist die Speicherung. Grundsätzlich sind drei Arten von Speichern möglich: Druckgasspeicher, Flüssigwasserstoff Speicher (Kryogenspeicher) und Hydridspeicher. Das Speichervolumen und die Speichermasse sind - bezogen auf gleichen Energieinhalt - sehr unterschiedlich. Wählt man das Speichervolumen eines Benzintanks als Bezugsgröße, so ergibt sich - bei gleichem Energieinhalt - bei Methanol das zweifache, bei Wasserstoff-flüssig (LH 2 ) das fünffache, bei Titan-Eisen-Hydridspeicher das dreifache und bei Wasserstoff-Druckgasspeicher (400 bar) das siebenfache Speichervolumen. Legt man als Bezugsgröße die Masse eines Benzintanks zugrunde, so ergibt sich - bei gleichem Energieinhalt - bei Methanol die zweifache, bei Wasserstoff-flüssig (LH 2 ) die vierfache, bei Titan-Eisen-Hydridspeicher die fünfzehnfache und bei Wasserstoff-Druckgasspeicher (400 bar) die rd. zweiunddreißigfache Speichermasse (113). Daraus ist ersichtlich: Wasserstoffbehälter haben einen enormen Volumenbedarf und eine große Masse. Eine Speicherung von Wasserstoff in Hochdrucktanks kommt wegen des Raumbedarfs, der großen Masse und vor allem wegen des hohen Sicherheitsrisikos (Explosionsgefahr bei Unfällen) nicht in Frage. Flüssiger Wasserstoff dürfte aus energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten, aber auch aus Kosten- und Sicherheitsgründen nicht in Betracht kommen. (Zu den Herstellungskosten kommen noch die für die Verflüssigung.) Für die Wasserstöffspeicherung in Kraftfahrzeugen ist nach heutigen Erkenntnissen die Metall-Hydridspeicherung am aussichtsreichsten. Bei dieser Art der Speicherung geht Wasserstoff unter bestimmten Druck- und Temperaturbedingungen eine Verbindung mit einem Metall oder einer Metallegierung ein. Als Material eignen sich z. B. Titan, Eisen, Aluminium, Magnesium oder Legierungen (z. B. Titan-Eisen). Das Speichermaterial wird durch Schmelzen gewonnen. Die dabei entstehenden Metallblöcke werden anschließend zerkleinert. Das so erhaltene Granulat oder Pulver wird in einen Behälter gefüllt und anschließend druckhydriert. Der Vorgang der Wasserstoffaufnahme bzw. Wasserstoffabgabe erfolgt - wie bei anderen chemischen Reaktionen - bei gleichzeitigem Energieumsatz. Das heißt, durch Regelung der einem Titan-Eisen-Hydridspeicher zugeführten Wärme kann die für eine gewünschte Fahrleistung

194

4. Energieversorgungssysteme

notwendige Wasserstoffmenge (Desorptionsrate) dem Speicher entnommen werden (113). Die Abhängigkeit der Desorptionsrate des Wasserstoffs von der Temperatur ist für die Sicherheit von großer Bedeutung. Platzt beispielsweise infolge eines Unfalls ein Metall-Hydrid-Speicher, so wird - im Gegensatz zum WasserstoffDruckgasspeicher - der Wasserstoff nicht sofort freigesetzt, sondern erst nach und nach. Durch geeignete Konstruktion kann erreicht werden, daß das den Speicher heizende Motor-Kühlwasser beim Bersten des Behälters ausläuft, so daß die freigesetzte Wasserstoffmenge so klein ist, daß keine Explosionsgefahr besteht (113). (In den USA wurde sogar versuchsweise ein Metall-Hydrid-Speicher beschossen; es gelang nicht, ihn in Brand zu schießen oder zur Explosion zu bringen.) Die Betankung dürfte nach den bisher üblichen Verbrauchergewohnheiten nicht möglich sein. Das gesamte heute bestehende Verteilernetz für Kraftstoffe müßte umgestellt werden. Das derzeit praktizierte halbmanuelle Verfahren der Betankung müßte voraussichtlich durch einen weitgehend automatisierten Tankprozeß ersetzt werden. Wasserstoff ist - im Vergleich zu anderen Kraftstoffen - umweltfreundlich. (Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Kohlenwasserstoffe entstehen nur, wenn Schmieröl in den Brennraum gelangt.) Die Emission von Stickoxiden dürfte wesentlich kleiner sein als die bei Benzinbetrieb, da die Verbrennungstemperaturen niedriger sind. Außerdem entstehen keine Schadstoffe wie Rußteilchen, Blei- und Schwefelverbindungen. Bisherige Versuche mit Kraftfahrzeugen, die einen Wasserstoff-Motor als Antriebssystem und einen Hydrid-Speicher hatten, verliefen erfolgversprechend. 7 Insgesamt liegen die Schwierigkeiten wohl nicht so sehr beim Antriebssystem, sondern bei der wirtschaftlichen Herstellung von Wasserstoff. Es ist damit zu rechnen, daß Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb zunächst dort eingesetzt werden, wo eine Verringerung der Umweltbelastung durch Auto-Abgase besonders notwendig ist und wo aus diesem Grunde auch an einen Elektroantrieb gedacht wird (innerstädtischer Bereich). Wasserstoff kann aber auch - wie Methanol - als Zusatzkraftstoff bei Benzinbetrieb verwendet werden. Das heißt, eine Umstellung des Kraftfahrzeugbetriebs von Benzin auf Wasserstoff - einem von fossilen Rohstoffen unabhängigen Kraftstoff - könnte schrittweise erfolgen. Ein Kraftfahrzeug mit Wasserstoffantrieb ist bei einem Vergleich mit einem Elektrofahrzeug mit Bleibatterie bezüglich des Volumens und der Masse (Gewicht) des Energiespeichers - gleicher Energieinhalt vorausgesetzt - eindeutig im Vorteil. Das Volumen der Bleibatterie ist 16mal größer als das des Wasserstoffspeichers, und die Masse (Gewicht) der Bleibatterie ist 6mal größer. 7

Die Daimler-Benz AG, Stuttgart, hat z. B. ein solches Auto bereits erfolgreich erprobt.

4.5 Sekundärenergieträger

195

Außerdem ist davon auszugehen, daß Wasserstoffspeicher schneller betankt werden können als eine Bleibatterie - die Betankungsdauer des Wasserstoffspeichers eines Mittelklassewagens dürfte bei 15 Minuten liegen - und daß sie eine höhere Lebensdauer haben. Auf ein Anwendungsgebiet des Wasserstoffs sei noch hingewiesen: die Verwendung von flüssigem Wasserstoff als Flugzeugtreibstoff. Flüssiger Wasserstoff wird schon seit Jahren in der Raumfahrt als Antriebsstoff eingesetzt. Der erfolgreiche Abschluß des Apollo-Programms hat gezeigt, daß die Technik des Wasserstoffantriebs beherrscht wird. Das Problem der Speicherung und Betankung ist beim Flugzeug leichter zu lösen als beim Kraftfahrzeug. Im Gegensatz zu den Landfahrzeugen braucht die Betankung von Flugzeugen nur an relativ wenigen Stellen zu erfolgen, d. h. es genügen wenige Tankanlagen. Flüssigwasserstoff hat einen um den Faktor 2,7 höheren Heizwert als Kerosin. (Heizwert von LH 2 : 29 700 kcal/kg und von Kerosin: 10 200 kcal/kg.) Durch Verwendung von flüssigem Wasserstoff als Treibstoff bei Flugzeugen sind größere Reichweiten bzw. eine Erhöhung der Nutzlast bei gegebener Reichweite möglich. Von Nachteil ist, daß wegen der niedrigen volumetrischen Energiedichte (LH 2 hat etwa xk der volumetrischen Energiedichte von Kerosin) zusätzlicher Raum zur Unterbringung von LH 2 erforderlich ist. Obwohl der Motorbetrieb mit Wasserstoff (wie bei Methanol) auf keine grundsätzlichen Schwierigkeiten stößt, ist die Einführung von WasserstoffFahrzeugen in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, da die Probleme bei der Wasserstoffspeicherung im Kraftfahrzeug noch nicht befriedigend gelöst sind und der Wasserstoff großtechnisch noch nicht wirtschaftlich hergestellt werden kann. Außerdem muß bei Einführung des Wasserstoffs als Kraftstoff eine neue Infrastruktur für die Lagerung und Verteilung geschaffen werden. Folgende Entwicklung ist wahrscheinlich: Zuerst dürfte flüssiger Wasserstoff als Flugzeugtreibstoff Anwendung finden, da die spezifischen Wasserstoffprobleme hier nicht so gravierend sind. Schätzungen zufolge soll flüssiger Wasserstoff bereits um die Jahrtausendwende einen nennenswerten Anteil als Treibstoff in der Luftfahrt haben. Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb dürften zunächst im innerstädtischen Bereich eingesetzt werden. Es ist damit zu rechnen, daß der Anteil der mit Wasserstoff betriebenen Kraftfahrzeuge um die Jahrtausendwende noch gering ist (117). Das Kardinalproblem bei der Einführung von Fahrzeugen mit Wasserstoffantrieb liegt voraussichtlich nicht beim Antriebssystem, sondern bei der großtechnischen wirtschaftlichen Herstellung von Wasserstoff. Dies dürfte eine wichtige Bestimmungsgröße für die weitere Entwicklung sein. 4.563

Elektroantrieb

Die zukünftige Bedeutung von Elektrofahrzeugen hängt im wesentlichen von der Entwicklung von Batterien hoher Energiedichte ab und in geringem Maße

196

4. Energieversorgungssysteme

von der Entwicklung der Elektromotoren bzw. der Elektrotechnik. Bisher haben Forschung und Entwicklung von Batteriesystemen noch nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht. Angesichts der begrenzten Leistungsfähigkeit bisheriger Batteriesysteme ist damit zu rechnen, daß Elektrofahrzeuge in erster Linie in Stadtgebieten eingesetzt werden. Batteriesysteme sollten etwa 100 kWh/kg und 10 kW/kg erzielen, um nicht nur für Autobusse und Lieferwagen, sondern auch für Kraftfahrzeuge interessant zu sein (5). Mehrere Batteriesysteme befinden sich in der Entwicklung. Tabelle 4—7 zeigt einige neue Hochenergiesysteme für Elektrofahrzeuge (5). Besonders leistungsfähige Systeme sind von den Hochtemperatur-Zellen aus Natrium/Schwefel und Lithium/Eisensulfid zu erwarten. Die Arbeitstemperaturen liegen bei 300 bzw. 400° C. In der Na-S-Zelle dienen flüssiges Na als negative Elektrode, eine Natriumionen-leitende Keramik (Na 2 0-8A1 2 0 3 ) als Elektrolyt und flüssiger Schwefel als positive Elektrode. Eisen-Nickel-Batterien haben eine relativ hohe Lebensdauer (~2000 Zyklen), und die theoretische Energiedichte der Zellen ist ziemlich hoch (260 Wh/kg). Fortschritte sind auch bei Lithium-Zellen festzustellen. Bis zu 1000 Lade-/Entlade-Zyklen und eine Energiedichte von 120 Wh/kg lassen diese Zellen - nach Lösung der Korrosionsprobleme - als ideale Batterie für Elektroautos erscheinen. Geschwindigkeiten von über 100 km/h und Reichweiten von 300 km liegen dann im Bereich des Möglichen (118).

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Reihe von Bleibatterie-Projekten in Fahrzeugen im Erprobungsstadium. Aus wirtschaftlichen Gründen muß die Lebensdauer der Batterie, d. h. die Anzahl der Lade-/Entlade-Zyklen, möglichst hoch sein. Bis vor kurzem hatte beispielsweise die Bleibatterie nur

Tabelle 4 - 7 : N e u e Hochenergiesysteme für Elektro-Fahrzeuge und Spitzenstromspeicherung (im Vergleich mit P b / P b 0 2 und F e / N i O O H ) System

Ruhe-

Arbeits-

Energiedichte

Lade-/

SPg[V]

temperatur

theor. prakt.

Entlade-

PC]

[Wh/kg]

zyklen

[DM/kWh]

Pb/Pb02

2,0

- 2 0 bis + 6 0

161

40

~ 1 200

400'

Fe/NiOOH

1,2 1,8

- 2 0 bis + 4 5 300

260 660

50

9002

120

- 2 000 ~ 1 000

400

650

Na/SbCl 3

1,8 3,0

200

780

120 ?

1 5 0 — 1 000 ?

Ca/CuF 2

3,4

450

1 290

H 2 /O 2

1,2

80-120

3 670

Na/S Li ( A l ) / F e S 2

1 2

7 140-200

? —

Kosten

75 75 7 ? 500-1 000

Energie-Durchsatz 0 , 3 3 D M / k W h . Energie-Durchsatz 0,45 D M / k W h .

Quelle: G. Lander (Firma Varta), zitiert von: F. de Hoffmann: Energie-Speicherung und Methoden des Energie-Transports, in: D i e Naturwissenschaften 64, 4 ( 1 9 7 7 ) .

4.5 Sekundärenergieträger

197

31 Wh/kg, heute bereits 40 Wh/kg, und eine Steigerung auf 50 Wh/kg ist durchaus wahrscheinlich. Der Antrieb von Kraftfahrzeugen kann grundsätzlich auch durch Brennstoffzellen erfolgen. Für Wasserstoff- wie Kohlenstoff-Brennstoffzellen ist es schwierig, hohe Leistungsdichten zu erreichen, da sich an den Elektroden die Reaktionen nicht schnell genug abspielen. Bis heute existieren noch keine wirtschaftlichen Brennstoffzellen 8 .

8

Als Antriebssystem für mobile Verbraucher ist grundsätzlich auch der nukleare Antrieb möglich. Die Anlagen (Leichtwasserreaktoren mit konventionellem Dampfturbinensatz) sind jedoch zu groß, um sie in Land- oder Luftfahrzeugen einsetzen zu können, so daß der nukleare Antrieb bisher nur auf Schiffe beschränkt ist. Weltweit gibt es davon derzeit rd. 300 Schiffe; es sind fast ausschließlich Kriegsschiffe.

5.

Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

5.1

Probleme durch

Energiefreisetzung

Immer deutlicher zeichnet sich ab, daß die Problematik der Energieversorgung - von Verteilungsproblemen und Gewinnungskosten einzelner Energieträger abgesehen - nicht in der Begrenztheit der vorhandenen Energieressourcen liegt, sondern in den durch Energiefreisetzungsprozesse verursachten Umweltbelastungen und Sicherheitsproblemen. Bei der Größenordnung des zu erwartenden Weltprimärenergiebedarfs werden - unter Berücksichtigung der derzeitigen Optionen - die zur Bedarfsdeckung eingesetzten Energieträger einen solchen Umfang erreichen, daß Effekte, die bei Nutzung in kleinen Mengen vernachlässigbar waren, zu globalen Umweltproblemen werden können. Bei jedem Energieträger treten ins Gewicht fallende Effekte und Folgewirkungen auf, wenn er nur in hinreichend großem Maße verwendet wird. Dies gilt besonders für die fossilen Energieträger und die Kernenergie (Kernfission), die den Prognosen zufolge bis zur Jahrtausendwende den wachsenden Energiebedarf - bis auf wenige Prozente - decken werden (vgl. 2.23). Umweltprobleme - wenn auch nur örtlich - treten aber auch bei Nutzung der geothermischen Energie, der Wasserkraft usw. auf. Selbst die direkte Nutzbarmachung der Sonnenenergie auf der Erdoberfläche ist, wenn dies einmal im großen Maßstab realisiert sein wird, nur in erster Näherung „umweltneutral". Umweltbelastende Faktoren können im wesentlichen eingeteilt werden in solche, die allen Energiequellen (eine mögliche Ausnahme ist die Sonnenenergie) gemeinsam sind und solche, die für fossile und nukleare Energieträger spezifisch sind. Allen Energiequellen gemeinsam ist die Umweltbelastung durch Abwärme. Den fossilen Energieträgern spezifisch ist die zusätzliche Belastung der Umwelt durch Schadstoffe, insbesondere durch Kohlendioxid und Aerosole (feinverteilte feste oder flüssige Substanzen in der Luft). Den nuklearen Energieträgern spezifisch sind alle mit der Radioaktivität zusammenhängenden möglichen Sicherheits- und Folgeprobleme, einschließlich des Problems der Nichtverbreitung von Kernwaffen. Zwangsläufig werden Art und Umfang der Umweltbelastung sowie mögliche Sicherheits- und Folgeprobleme in zunehmendem Maße für die Einsetzbarkeit eines Energieträgers entscheidende Kriterien sein. In diesem Kapitel soll - soweit im Rahmen dieser Abhandlung überhaupt möglich - dieser Fragenkomplex behandelt werden.

200

5. Umweltbelastungen ùnd Sicherheitsprobleme

5.2

Fossilen Energieträgern spezifische

5.21

Das Kohlendioxid-Problem

Umweltbelastungen

Bei der Verbrennung fossiler Energieträger wird eine Vielzahl unterschiedlicher Schadstoffe in die Atmosphäre emittiert. Einige Beispiele sind gasförmige Verbrennungsprodukte wie Schwefeldioxid (S0 2 ), Stickoxide (NO x ), Kohlenmonoxid (CO), Kohlenwasserstoffe (C m H n ), Kohlendioxid ( C 0 2 ) und Staub. Grundsätzlich treten diese Schadstoffe bei der Verbrennung in unterschiedlichen Mengen auf. Tabelle 5 - 1 zeigt exemplarisch die Schadstoffemissionen (Mittelwerte) bei der Stromerzeugung durch einzelne fossile Energieträger in Kraftwerken (1). Als Schadstoff besitzt das ungiftige C 0 2 keine Bedeutung. Ebenso wie bei der Verbrennung in Kraftwerken entstehen auch bei der Verbrennung im Endenergiebereich (Industrie, Verkehr, Haushalt und Kleinverbrauch) vergleichbare Schadstoffemissionen, die mit den Rauchgasen an die Luft abgegeben werden (2). Im Sektor Verkehr ist die Kohlenmonoxidemission besonders hoch. So zum Beispiel hat der Kraftfahrzeugverkehr an der Emission von CO in der Bundesrepublik Deutschland einen Anteil von nahezu 50% (vgl. 4.561). Diese Umweltbelastungen sind durch technische Maßnahmen bei vertretbaren Kosten reduzierbar oder sogar vermeidbar. Die Schadstoffemissionen sind beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland seit 1970 zurückgegangen - die Schwefeldioxidbelastung insgesamt ging auf etwa ein Drittel zurück - , deshalb sollen sie in den folgenden Betrachtungen nicht berücksichtigt werden. Dagegen sieht man heute noch keine praktikable Methode, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger anfallende Kohlendioxid ( C 0 2 ) zu reduzieren. Bei dieser C0 2 -Anreicherung der Atmosphäre handelt es sich - nicht zuletzt aufgrund der erzeugten Mengen - , im Gegensatz zu allen anderen Emissionen wie beispielsweise S 0 2 , CO, Staub, die sich lokal auswirken, um ein weltweites, nicht eingrenzbares Umweltproblem (3). Allein durch Verbrennen von rd. 600 Mio. t Kohle pro Jahr in den USA entstehen ca. 2,2 • 10 9 1 C 0 2 . Bei einem Reservoir an atmosphärischem Kohlendioxid von 2,5 • 10 1 2 1 sind das l%o. Tabelle 5 - 1 : Schadstoffemissionen (Mittelwerte) bei der Stromerzeugung Brennstoff Heizöl S Gas Steinkohle Braunkohle

so2

kg Schadstoff pro t SKE Brennstoff NO x CmHn CO

23

7

0,2

0,1



5







0,1 0,1

0,5 0,1

3,5 4,5

26 23

7

8,5

Staub

1,0

Quelle: Zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.), Bonn 1977.

5.2 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen

201

Bei Verbrennen von 1 kg Kohle oder Erdöl wird etwa gleichviel Kohlendioxid produziert, wie in 6000 m 3 Luft vorhanden ist. Eine nennenswerte Abnahme des atmosphärischen Sauerstoffs durch die Verbrennung fossiler Energieträger konnte bisher nicht registriert werden. Zur Verbrennung aller fossilen Energieträger würden schätzungsweise knapp 2% des Sauerstoffs der Atmosphäre verbraucht werden. (Das Sauerstoffreservoir der Atmosphäre beträgt rd. 1 200 000 Mrd. Tonnen (4)). Der natürliche C0 2 -Kreislauf (Assimilation, Atmung, Zersetzung organischer Substanzen, C0 2 -Menge in der Atmosphäre, Lösung von C 0 2 in Gewässern) befand sich seit Jahrtausenden im Gleichgewicht. Das C 0 2 der Atmosphäre steht im Austausch mit Ozean und Biosphäre (Pflanzen- und Tierwelt), wobei die Atmosphäre etwa 1,5%, der Ozean 95,5% und die Biosphäre 3% des austauschenden C 0 2 enthält. Im Ozean ist C 0 2 nicht nur als gelöstes Gas, sondern auch als Bicarbonat (HC0 3 ~) und Carbonat (C0 3 2 - ) vorhanden; in der Biosphäre finden wir es umgewandelt in organischem Material (5). (Die Dynamik des C0 2 -Systems, d. h. die Austauschgeschwindigkeiten und Aufenthaltsdauer, kann mit Hilfe der Radiocarbon-Methode untersucht werden (6). Der Einfluß des C 0 2 in der Atmosphäre besteht darin, daß es für sichtbares Licht der Sonne durchlässig ist, für die von der Erdoberfläche abgestrahlte langwellige Strahlung hingegen nicht. Das Vorhandensein von C 0 2 (wie auch von Wasserdampf und Ozon) in der Atmosphäre führt also zu einer Wärmeansammlung, besonders in den unteren Schichten (sog. Treibhauseffekt, s. w. u.). Aus systematischen Untersuchungen des C0 2 -Gehaltes, die allerdings erst seit 19581 existieren, ergibt sich, daß sich etwa 55% des durch Verbrennung freigesetzten C 0 2 in der Luft anreicherten, während 45% vom Ozean und der Biosphäre aufgenommen wurden. Die natürliche (vorindustrielle) C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre ist nicht genau bekannt; sie betrug um 1860 etwa 292 ppm. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts ist ein Anstieg der C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre festzustellen, der auf den wachsenden Verbrauch fossiler Energieträger zurückzuführen ist (7). Im Jahre 1958 betrug am Observatorium von Mauna-Loa, Hawaii, die C0 2 -Konzentration 313 ppm und 1974 schon 326 ppm (8). Der weitere Anstieg der C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre hängt von verschiedenen Faktoren ab und ist deshalb nur in gewissen Grenzen prognostizierbar. Die bisherige C0 2 -Produktion verlief annähernd exponentiell mit einer Verdopplungszeit von 24 Jahren. Legt man nach H. Oeschger und U. Siegenthaler als Obergrenze weiterhin diese exponentielle C0 2 -Produktion zugrunde, so dürfte im Jahre 2000 der C0 2 -Überschuß in der Atmosphäre 18% und im 1

Seit 1958 wird am Mauna-Loa-Observatorium, Hawaii, ein ständig steigender Gehalt (etwa 1,5 ppm/a) an C 0 2 registriert. Diese von der US National Oceanic and Atmospheric Administration ( N O A A ) betriebene Forschungsstätte eignet sich besonders gut für Messungen globaler Umweltparameter, da das nächste Festland rd. 3000 km entfernt ist.

202

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

Jahre 2050 123% im Vergleich zum vorindustriellen atmosphärischen C0 2 -Gehalt betragen. Dies würde 55 % der gesamten künstlichen Produktion bedeuten, die restlichen 45% würden danach vom Ozean und der Biosphäre aufgenommen werden. (Würden im Laufe der nächsten Jahrhunderte die gesamten heute bekannten Reserven an fossilen Brennstoffen verbrannt werden, so dürfte nach H. Oeschger und U. Siegenthaler der C0 2 -Gehalt in der Atmosphäre auf das Sechs- bis Achtfache des heutigen Wertes steigen (8). R. E. Lapp rechnet dagegen für diesen Fall nur mit der relativen Erhöhung der derzeitigen C 0 2 Konzentration um etwas mehr als 100% (9).) Als untere Grenze soll nach H. Oeschger und U. Siegenthaler eine nach 1970 konstante Produktionsrate angenommen werden. Dann dürfte die C0 2 -Konzentration im Jahre 2000 um 20% und im Jahre 2050 um 32% höher sein als der vorindustrielle Pegel. Wahrscheinlich dürfte der C0 2 -Gehalt in der Atmosphäre im Jahre 2050 näher an der unteren Grenze liegen, vorausgesetzt, es kommt spätestens zu Beginn des kommenden Jahrtausends zu Sättigungstendenzen beim Verbrauch fossiler Primärenergieträger. R. E. Lapp gibt für das Jahr 2000 die relative Erhöhung der derzeitigen CO z -Konzentration mit etwa 10% und für 2050 mit rd. 30% an (9). (Wird der Anstieg der derzeitigen C0 2 -Konzentration im Vergleich zum vorindustriellen C0 2 -Gehalt um ca. 12% berücksichtigt (s. w. o.), so ergibt sich - zumindest für das Jahr 2000 - eine relativ gute Übereinstimmung mit den Werten von H. Oeschger und U. Siegenthaler.) Unter der rein hypothetischen Annahme, daß kein C 0 2 mehr produziert würde, hätte man in 50 Jahren immer noch einen C0 2 -Überschuß von etwa 6% gegenüber dem vorindustriellen Wert, und erst nach vielen Jahrhunderten würde ein neuer (höherer) Gleichgewichtswert erreicht werden. Dieser würde um 2,3% über dem vorindustriellen Pegel liegen. Es ist also keineswegs so, daß die Aufnahmekapazität des Ozeans unbeschränkt ist und sich bei einem Produktionsstop die ursprüngliche Situation wieder einstellen würde (8).

5.22

Mögliche klimatische Folgewirkungen durch das Kohlendioxid

Obwohl die Zunahme des C0 2 -Gehalts in der Atmosphäre während der letzten Jahre mit Modellvoraussagen übereinstimmen, sind Aussagen über mögliche klimatische Folgewirkungen - wegen zahlreicher Sekundäreffekte - schwierig. Sicher wird der höhere C0 2 -Gehalt aufgrund des Treibhauseffektes zu einer Erhöhung der Oberflächentemperatur der Erde führen (indirekte Wärmebelastung). Dies dürfte - wegen der stärkeren Verdunstung - eine Erhöhung des Wasserdampfgehalts der Atmosphäre zur Folge haben, was wiederum zu einer weiteren Verstärkung des Treibhauseffektes beziehungsweise zu einer weiteren Erwärmung der Erde führen könnte.

5.2 Fossilen Energieträgern spezifische Umweltbelastungen

203

Die Angaben über die zu erwartende Temperaturerhöhung der Erdoberfläche aufgrund der Zunahme des C0 2 -Gehalts schwanken in der Literatur. Für einen 10%igen Anstieg der C0 2 -Konzentration werden mittlere Temperaturerhöhungen um 0,3° C berechnet. H. Oeschger und U. Siegenthaler geben für eine 100%ige Zunahme der C0 2 -Konzentration die Erwärmung im globalen Mittel mit 2° C an (8). H. Flohn beziffert die Temperaturerhöhung im globalen Mittel bei einem 100%igen Anstieg der C0 2 -Konzentration auf 2,1° C, im Polargebiet sogar auf 8° C bis 10° C (10). Für das Jahr 2000 erwartet man übereinstimmend - entsprechend der relativen Erhöhung der derzeitigen C0 2 -Konzentration um etwa 10% - eine globale mittlere Temperaturerhöhung um etwa 0,3° C. Dagegen sind die Angaben über die für das Jahr 2050 zu erwartende Temperaturerhöhung - im wesentlichen bedingt durch unterschiedlich prognostizierte C0 2 -Konzentration — verschieden. Zusammengefaßt kann gesagt werden, daß für C0 2 -Anstiege um 100% mittlere Temperaturerhöhungen um rd. 2° C wahrscheinlich sein dürften. Dies könnte aber katastrophale klimatische Auswirkungen haben. Nach allem was wir heute wissen, stellen CO z -Anstiege um wenige -zig % eine ernst zu nehmende Gefahr dar, da bereits Temperaturerhöhungen um 1° C globale Klimaveränderungen zur Folge haben könnten (vgl. 5.41). Bei diesen Berechnungen wurden nur primäre Auswirkungen der C 0 2 - Z u nahme aufgrund des Treibhauseffektes berücksichtigt. In Wirklichkeit ist aber das Klima ein komplexes Wechselspiel verschiedener Mechanismen (Rückkopplungseffekte), das quantitativ noch nicht verstanden wird (11). So könnte zum Beispiel ein Temperaturanstieg ein Abschmelzen der polaren Eiskappen zur Folge haben. (Da Wasser ein kleineres Refelexionsvermögen für Sonnenstrahlung (Albedo) als Eis hat, wird mehr Sonnenenergie von der Erde absorbiert, wodurch sich die Erde weiter erwärmt.) Neben derartigen verstärkenden Mechanismen sind auch solche möglich, die stabilisierende Wirkung haben. Bei einem Temperaturanstieg der Erde nimmt beispielsweise die atmosphärische Wasserdampfkonzentration zu, was eine dichtere Wolkendecke zur Folge haben könnte, die ihrerseits die Sonneneinstrahlung reduzieren würde; eine Temperaturabnahme auf der Erde könnte die Folge sein. Neben Kohlendioxid sind Aerosole, die ebenfalls bei Verbrennung fossiler Energieträger entstehen, ein Problem. Der Einfluß der Aerosole auf das Strahlungsgleichgewicht des Systems Erde/Atmosphäre ist bisher noch nicht eindeutig geklärt: O b sich eine Erwärmung oder eine Abkühlung ergibt, hängt von der Größenordnung der Rückstreuung und Absorption der Sonnenstrahlung durch die Teilchen ab. (Eine entscheidende Rolle spielt die Größe der Schwebeteilchen.) So gut wie sicher ist aber, daß Auswirkungen auf das Klima nicht mehr vernachlässigt werden dürfen (12). Diese Ausführungen zeigen, wie kompliziert klimatische Probleme sind und

204

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

wie wenig wir heute über Klimamechanismen wissen. (Auf die Gefährdung des Ozonhaushalts der Stratosphäre durch den Überschallverkehr und die Freone - Treibgas der Spraydosen, Jahresproduktion 0,25 Megatonnen - , die in der oberen Atmosphäre mit Ozon reagieren, wird zunehmend hingewiesen (10).) Es kann als gesichert angesehen werden, daß - wegen des C0 2 -Problems - nur ein Teil der großen Kohlereserven verwendet werden darf, um einen wachsenden Energiebedarf zu decken.

5.3

Direkte

Wärmebelastung

Allen Energiequellen gemeinsam ist die Umweltbelastung durch Abwärme. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik ist der thermodynamische Wirkungsgrad rj, d. h. das Verhältnis der von einer Maschine (z. B. Wärmekraftwerk) geleisteten Nutzarbeit zu der für den Betrieb aufgewandten Energie , = i - ä . , _ l i .

(i)

Q[ bzw. Q 2 ist die der Turbine zu- bzw. von ihr abgeführten Wärmemenge; T j bzw. T 2 ist die absolute Temperatur, der der Turbine zu- bzw. von ihr abgeführten Wärme. Die nicht nutzbare Wärme wird über einen Kondensator an die Umgebung abgeführt. (Thermodynamische Verluste, wie z. B. Wärmeaustausch mit den Wänden, sind nicht berücksichtigt.) Moderne mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke haben einen Wirkungsgrad von 40%, Kraftwerke mit Leichtwasserreaktoren einen Wirkungsgrad von ca. 33%, und für den ThoriumHochtemperatur-Reaktor (Uentrop) wird der Wirkungsgrad mit 40% angegeben. Das heißt, rd. zwei Drittel der eingesetzten Primärenergie geht als Abwärme verloren, und nur ein Drittel wird in elektrische Energie umgewandelt. Wegen des hohen Wärmeaufnahmevermögens bietet sich Wasser als Kühlmittel an. Bei Kraftwerken unterscheidet man im wesentlichen drei Gruppen von Kühlverfahren: die Frischwasserkühlung (Durchlaufkühlung), die Kühlung mit Naßkühltürmen (Verdunstungskühlung) und die Trockenkühlung (direkte Luftkühlung) (13-16). Das einfachste Verfahren ist die Frischwasserkühlung. Deshalb wurden die Standorte für Kraftwerke bevorzugt an die großen Flüsse gelegt. Die Kühlkapazität der Flüsse in der Bundesrepublik Deutschland ist aber praktisch erschöpft. (Der Sättigungswert des im Wasser gelösten Sauerstoffs sinkt mit steigender Temperatur). Um schwere nachteilige Folgen zu starker Erwärmung der Gewässer zu verhindern, wurden Wärmelastpläne für die großen Flüsse aufgestellt. Außerdem ist man dazu übergegangen, die Kühlung mit Naßkühltürmen durch-

5.3 Direkte Wärmebelastung

205

zuführen. Bei diesem Kühlsystem werden große Mengen Wasser verdunstet, d. h. die Abwärme wird in Form von Verdunstungswärme an die Atmosphäre abgegeben. Da aber die verdunstete Wassermenge den Flüssen entnommen wird, sind auch dieser Kühltechnik Grenzen gesetzt. Man muß in der Bundesrepublik Deutschland dann - ab Anfang der 80er Jahre - zur Trockenkühlung übergehen. Bei dieser Kühltechnik strömt das Kühlwasser durch luftgekühlte Rippenrohre. Es kommt also nicht in direkten Kontakt mit der Luft. Letzten Endes wird aber bei allen Verfahren dem System Erde/Atmosphäre Energie zugeführt (17, 18). Es sei darauf hingewiesen, daß die Kraftwerksabwärme nur einen Teil der thermischen Belastung der Umwelt ausmacht. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik führt naturgesetzlich jede Art von Energieumwandlung letzten Endes zu einer Erwärmung der Umgebung. (Selbst die beim Bau von Häusern vorübergehend gespeicherte mechanische potentielle Energie geht letztlich in Wärme über.) Physikalisch heißt das: Die Entropie eines abgeschlossenen Systems kann nur zunehmen oder konstant bleiben, aber nicht abnehmen („Wärmetod") (19, 20). Das heißt, nicht nur die Abwärme ist eine Wärmebelastung der Umwelt, sondern der gesamte Primärenergieeinsatz. Im folgenden soll nun behandelt werden, welcher Zusammenhang zwischen der direkten (künstlichen) Energiezufuhr an das System Erde/Atmosphäre ur\d der Gleichgewichtstemperatur des Systems besteht. Das System Erde/Atmosphäre wird von der Sonne mit 1,78-10 14 kW bestrahlt und gibt dieselbe Leistung nach außen ab. Eine Gleichgewichtstemperatur stellt sich dadurch ein, daß die absorbierte Strahlungsleistung Ss gleich der thermisch abgestrahlten Leistung S p wird. Im Gleichgewicht Ss = S p = S gilt das Stefan-Boltzmann-GeSetZ

S = o T4

(2)

mit S in Wirr 2 , T in Grad (absolute Temperatur) und o = 5,7 • 10"8 W m " 2 ^ . (Der Einfluß der Atmosphäre sei zunächst vernachlässigt.) Kommt die künstliche Energiezufuhr dS hinzu, so wird sich dieses Gleichgewicht verschieben und sich auf einem um dT erhöhten Temperaturniveau neu einstellen. Durch Differentiation folgt aus Gleichung (2) dT T

dS 4S '

^

;

Das heißt, eine Erhöhung von S um 1% bewirkt eine Temperaturerhöhung dT = 2,5 10"3 T = 0,75 K für das System. Wird die Atmosphäre noch berücksichtigt, so erhält man eine etwa doppelt so große Temperaturerhöhung, da die Atmosphäre die Abstrahlung von Wärme von der Erdoberfläche behindert (9). Näherungsweise kann man also sagen, daß eine künstlich zugeführte Energie, die 1% der absorbierten Sonnenenergieeinstrahlung entspricht, eine Erhöhung der mittleren Temperatur der Erde um 1 Grad bewirkt.

206

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

Tabelle 5-2: Direkte antropogene Energiezufuhr im Vergleich zur Sonneneinstrahlung Mittlere Sonnenenergiezufuhr' W/m 2

Anteil Sp. 1/4

Anteil Sp. 2/4

Anteil Sp. 3/4

%

%

%

Gebiet

Primärenergieverbrauch pro Jahr W/m 2 1975 2000

Spalte

1

2

3

4

5

6

7

Erdoberfläche Festland USA Bundesrep. Deutschland

0,016 0,054 0,27

0,047 0,16

0,25 0,87

232 —

0,02 0,07

0,1 0,4





218

0,007 0,023 0,12





170

0,94

1,6

2176

1

Diese Daten wurden entommen: K. M. Meyer-Abich, Die ökologische Grenze des herkömmlichen Wirtschaftswachstums, in: Die Zukunft des Wachstums, Hrsg.: H. v. Nussbaum, Bertelsmann Universitätsverlag 1973. Quelle: Eigene Berechnungen unter Zugrundelegung der in 2.23 angegebenen Prognosen.

Die direkte antropogene Energiezufuhr an das System Erde/Atmosphäre ist derzeit noch gering im Vergleich mit der natürlichen Sonnenenergieeinstrahlung (siehe Tabelle 5-2). Der Weltprimärenergieverbrauch des Jahres 1975 entspricht einer „künstlichen" zusätzlichen Energiefreisetzung von etwa 0,007% der mittleren Sonnenenergiezufuhr (232 W/m 2 ) bezogen auf die gesamte Erdoberfläche. In den USA und der Bundesrepublik Deutschland liegt dieser Wert deutlich höher. Insbesondere in Ballungszentren, wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet, wird dieser Wert mit 10% angegeben (12). Legt man für das Jahr 2000 einen Weltprimärenergieverbrauch von ca. 0,65 Q/a zugrunde (vgl. 2.23), so entspricht dies einer „künstlichen" Energiefreisetzung von rd. 0,02% der mittleren Sonnenenergiezufuhr, bezogen auf die ganze Erdoberfläche und rd. 0,07%, bezogen auf das Festland. Geht man von einem Primärenergieverbrauch von ca. 3,6 Q/a aus - dieser Wert wurde für das Jahr 2176 prognostiziert (siehe Tabelle 2-5) - , so würde das einer „künstlichen" Energiezufuhr von etwa 0,1% der mittleren Sonnenenergiezufuhr, bezogen auf die ganze Erdoberfläche und rd. 0,4%, bezogen auf die Landfläche, entsprechen. Globale Temperaturerhöhungen von wenigen zehntel Grad wären die Folgen. Es ist daher anzunehmen, daß - von Ballungszentren abgesehen - die direkte Wärmebelastung und somit die globale Temperaturerhöhung aufgrund der zu erwartenden Zunahme des Weltprimärenergieverbrauchs klein ist im Vergleich zu der indirekten Wärmebelastung, die auf eine erhöhte C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre zurückzuführen ist. Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, daß der direkten Wärmebelastung klimatologisch keine Beachtung geschenkt werden muß. Nach H. Flohn liefern oder entziehen die für Klimaschwankungen verantwortlichen Vorgänge, wie zum Beispiel externe Energien (große Vulkanausbrüche, solare UV-Aus-

5.4 Klimaveränderungen

207

brüche) oder Umverteilungen der Energie innerhalb des klimatischen Systems (Wechselwirkung Ozean/Atmosphäre, Variationen der Schneedecke und des Meereises), Beträge von der Größenordnung 100 bis 300 TW. Die direkte Belastung durch den Menschen beträgt heute rd. 8 TW. Berücksichtigt man noch die Beiträge durch die Zunahme des C0 2 -Gehaltes, der Luftverschmutzung und der Savannenbrände, so liegt die Summe aller antropogenen Effekte bei rd. 15 bis 20 TW, d. h. bei etwa einem Zehntel der natürlichen Prozesse (10).

5.4 5.41

Klimaveränderungen Klimaschwankungen in der Vergangenheit

Um eine Vorstellung über die Bedeutung von Temperaturveränderungen um einige Grad zu erhalten, sollen Klimaschwankungen in der Vergangenheit betrachtet werden. Abb. 5 - 1 zeigt den mittleren Temperaturverlauf in Mitteleuropa in den letzten 60 Millionen Jahren (21). In der ganzen Zeit lag die Temperatur erheblich über der heutigen; in der letzten Million Jahre (Quartär) hat sie stark abgenommen und weist Schwankungen im 100 000-Jahre-Rhythmus um einige Grad auf (eiszeitliche Schwankungen). Diese Schwankungen

Abb. 5-1: Temperaturverlauf für Mitteleuropa in den letzten 60 Millionen Jahren Quelle: O. Haxel: Beitrag der Physik zur Klimageschichte, in: Die Naturwissenschaften 63, 1 (1976).

208

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

legen die Voraussage nahe, daß der größte Teil des Interglazials (Warmzeit) bereits vorbei ist und wir einer neuen Eiszeit entgegengehen. Vor etwa 20 000 Jahren dürfte der Höhepunkt der letzten Eiszeit gewesen sein, und unsere Breiten waren mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Aufgrund der 14 C-Altersbestimmung weiß man, daß dies keine lokale, sondern eine globale Erscheinung war, d. h. auch Nordamerika befand sich in einer EiszeitPhase (Wisconsineiszeit). Man nimmt an, daß während der letzten Eiszeit die mittleren Temperaturen etwa 5° C tiefer lagen als heute, und in den letzten 10 000 Jahren dürften die Temperaturschwankungen in unseren Breiten nicht viel mehr als 1° C betragen haben (8). Klimavariationen dürften sich auch auf die Kulturen im Zweistromland und in Ägypten ausgewirkt haben. Auch ist anzunehmen, daß die antike Kultur Griechenlands und die römische Kultur klimatische Bedingungen hatten, die mit unseren Breiten vergleichbar sind (21). Es gibt eine Reihe gut entwickelter physikalischer Methoden, die aufgrund von Messungen - neben der konventionellen Paläoklimatologie - relativ präzise Aussagen über die klimatischen Bedingungen in der Vergangenheit ermöglichen. Es sind dies Altersbestimmungsmethoden und Methoden zur Temperaturbestimmung. Von den Altersbestimmungsmethoden ist die von W. F. Libby entwickelte 14 C-Methode für die letzten 20 000 Jahre - in einigen Fällen darüber hinaus geeignet (Radiocarbonmethode). 14C entsteht bekanntlich aus Stickstoff unter Einwirkung der kosmischen Strahlung; es ist radioaktiv und hat eine Halbwertszeit von 5730 Jahren. Der radioaktive Kohlenstoff gelangt durch Atmung oder mit der Nahrung in Tiere und Pflanzen, aber nur so lange wie diese leben. Nach dem Absterben ist die Inkorporation von atmosphärischem Kohlendioxid zu Ende. Von da an nimmt die Menge radioaktiven Kohlenstoffs mit der Halbwertszeit von 5730 Jahren ab, d. h. es wirkt nur noch der Zerfallsprozeß. Aus dem Restgehalt an Radio-Kohlenstoff irgendeiner organisch entstandenen Substanz ergibt sich das Alter (5, 6). Mit den natürlich radioaktiven Nukliden Protactinium (Halbwertszeit 33 000 Jahre) und Ionium (Halbwertszeit 75 000 Jahre) sind Altersbestimmungen bis zu etwas über 100 000 Jahre zurück möglich. Für größere Zeitspannen fehlen vergleichbare auf eiszeitliche Sedimente oder Fundstücke anwendbare Altersbestimmungsmethoden (21). Durch Messung der Isotopenhäufigkeitsverhältnisse der Elemente Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff sind Aussagen über die Temperatur in der Vergangenheit möglich. Diesen Methoden zur Temperaturbestimmung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Das Mischungsverhältnis der Isotope eines Elements ist im wesentlichen unabhängig davon, ob das Reinelement oder seine Verbindungen betrachtet werden. Mit Hilfe der Massenspektroskopie lassen sich aber bei Proben verschiedener Herkunft Unterschiede in der Isotopenzusammensetzung nachweisen (22). Zu einer Verschiebung des Isotopenverhältnisses zwischen Wasserstoff (H) und Deuterium (D) kommt es zum Beispiel bei der Verdampfung. In einem

5.4 Klimaveränderungen

209

geschlossenen Gefäß, in dem sich flüssiges Wasser und Wasserdampf befinden (Gleichgewichtsfall), ist der Deuteriumgehalt in der flüssigen Phase größer als in der Dampfphase, d.h. (D/H) flüssig > (D/H) Dampf . Die Konzentrationsunterschiede betragen einige Promille. Dasselbe Verhalten zeigt das Sauerstoffisotop l s O gegenüber dem Isotop 1 6 0 im Wasser/Dampf-System. Bei der Lösung von C0 2 -Gas in Wasser sind ähnliche Isotopeneffekte nachweisbar. Im Bicarbonat (HC0 3 ~), das sich aus C 0 2 bildet, ist das Sauerstoffisotop l s O angereichert. Fällt Calciumcarbonat bei Anwesenheit von überschüssigem Calcium aus, so ist die Konzentration des l s O im Calciumcarbonat größer als im C 0 2 der Luft. Entscheidend ist nun, daß die Höhe des jeweiligen Anreicherungsgrades temperaturabhängig ist. C. Emiliani gelang es, durch Analyse des Carbonats von Tiefseebohrkernen aus dem Isotopenverhältnis 1 8 0 / 1 6 0 den weiter oben erwähnten 100 000-Jahre-Rhythmus von Warm- und Kaltzeiten nachzuweisen. (Muscheln, die bei niedrigeren Temperaturen gewachsen sind, weisen höhere ls O-Werte auf als die, die bei höheren Temperaturen entstanden sind.) Demzufolge kann aus relativ hohen ls O-Werten auf Kaltzeiten und aus relativ niedrigen ls O-Werten auf Warmzeiten geschlossen werden. Über die Ursachen der Eiszeiten kann man heute noch keine eindeutigen Aussagen machen. Im wesentlichen gibt es - von geringfügigen Unterschieden abgesehen - zwei Gruppen von Hypothesen: In der einen Gruppe werden als Ursache extraterrestrische Vorgänge angenommen und in der anderen irdische Vorgänge (23). Zur ersten Gruppe gehören Überlegungen, die zum Beispiel Veränderungen der Erdbahnparameter und als Folge davon Schwankungen in der Intensität der Sonneneinstrahlung als Ursache für Eiszeiten annehmen. Gegen diese Hypothese als alleinige Ursache der Eiszeiten spricht beispielsweise der Temperaturverlauf, wie er in Abb. 5 - 1 wiedergegeben ist, denn es ist nicht einzusehen, daß sich die Erdbahnparameter erst in der letzten Million Jahre stark geändert haben, zuvor aber konstant waren. Die (wahrscheinlicheren) Erklärungshypothesen der anderen Gruppe gehen davon aus, daß Eiszeiten irdische Ursachen haben. H. Flohn nimmt an, daß aufgrund der Kontinental-Verschiebungen die Antarktisscholle in der Mitte des Pliozäns in ihre heutige Lage gerückt ist. Auf dem Antarktisfestland hat sich zunehmend Inlandeis gebildet, das immer mächtiger wurde, bis es - unter Eisdruck und Erdwärme - ins Fließen geriet. Da Eis ein größeres Reflexionsvermögen für Sonnenstrahlung hat als Wasser, führte dies zu einer Abkühlung der Erde. Durch die niedrigere Temperatur rückte die Schneegrenze in gebirgigen Gegenden in tiefere Lagen; es stellte sich eine tiefere Gleichgewichtstemperatur auf der Erde ein (Eiszeit). O. Haxel gibt für den raschen Übergang von der Kaltzeit zur Warmzeit folgende Erklärung: Hat die Kaltzeit auch äquatoriale Gebiete erreicht, so nimmt die Oberflächentemperatur des Meeres und damit die Wasserverdun-

210

S. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

stung relativ stark ab. Die Folge ist eine Verringerung der Niederschläge und eine weltweite Lößbildung. Der Lößstaub kann sich auch auf dem Eis niederschlagen und reduziert dadurch die Albedo (Rückstrahlintensität), wodurch sich die Erde erwärmt. Dies führt zu weiterem Abschmelzen des Eises; dieser Prozeß schaukelt sich auf und führt zur Warmzeit (21).

5.42

Mögliche Klimabeeinflussung durch Energiefreisetzung

Es wurde bereits erwähnt, daß in den letzten 10 000 Jahren die Temperaturschwankungen in unseren Breiten nicht viel mehr als 1° C betragen haben dürften (8). Geringfügige Temperaturschwankungen sind auch in den letzten Jahrhunderten beobachtet worden (24). So zum Beispiel nahm von 1880 bis 1940 die mittlere Temperatur um etwa 0,7° C zu, was zur Folge hatte, daß sich die Gletscher zurückzogen. Von 1940 bis 1970 hat die Temperatur um etwa 0,3° C abgenommen (8). Es ist noch nicht gelungen, eindeutige Aussagen über die Ursachen dieser Klimaschwankungen im letzten Jahrhundert zu machen. Geht man von den Prognosen zum Weltprimärenergieverbrauch aus (vgl. 2.23), so dürfte die Temperaturerhöhung, die durch direkte Wärmebelastung hervorgerufen wird, verglichen mit der Wärmebelastung, die sich durch die Zunahme des C0 2 -Gehalts in der Atmosphäre einstellen könnte (indirekte Wärmebelastung), sehr gering sein (vgl. 5.22 und 5.3). Nach H. Flohn ist aus der Überlagerung der natürlichen Schwankungen des klimatischen Systems und der „künstlichen" Wärmebelastung zu folgern, daß in Zukunft jeweils die natürlichen Warmphasen verstärkt und die Kaltphasen abgeschwächt werden. Danach ist wahrscheinlich, daß sich die historisch belegte Warmphase, d. h. die mittelalterliche Wärmezeit um die letzte Jahrtausendwende, wieder einstellt. Sie ist nach diesen Überlegungen wahrscheinlicher als der Zustand der „kleinen Eiszeit" zwischen 1550 und 1850. Diese Darstellungen zeigen, daß die Energiefreisetzung nicht bedenkenlos erhöht werden darf. Insbesondere dürfte die Möglichkeit - etwa zu Beginn des kommenden Jahrtausends - verstärkt Kohle zur Energiebedarfsdeckung einzusetzen, begrenzt sein, da mögliche klimatische Auswirkungen durch die erhöhte C0 2 -Konzentration in der Atmosphäre katastrophale Folgen haben könnten. Das C0 2 -Problem zeigt aber auch, daß Effekte, die bei Verwendung eines Energieträgers in kleinen Mengen vernachlässigbar sind, bei Nutzung im Großen zu wesentlichen Kriterien werden. Außerdem könnte bei umweltbelastenden Faktoren, die sich global auswirken, durchaus einmal die Frage aufkommen, ob es hingenommen werden soll, daß der kleinere Teil der Menschheit das ökologische System um ein Vielfaches stärker belastet als der größere Teil. H. Häfele vergleicht das Klima-Risiko-Problem aufgrund erhöhter C0 2 -Konzentration in gewisser Weise mit kerntechnischen Risiken: Es kann nicht durch

5.5 Umweltbelastungen durch Sonnenenergie

211

das traditionelle Lernschema von Versuch und Irrtum abgetastet werden. Sind klimatische Rückwirkungen erst einmal da, so ist davon auszugehen, daß sie - für kulturgeschichtliche Zeiträume - irreversibel und folgenschwer sind. Deshalb sei mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß bei einer langfristigen Energiekonzeption das Problem der möglichen Klimabeeinflussung große B e achtung finden muß. Bekanntlich gibt es bei der Nutzung der Kernenergie kein C0 2 -Problem. Auf diesen Sachverhalt wird von den Befürwortern der Kernenergie häufig hingewiesen. Dies ist gewiß ein Argument, das für die Energiegewinnung durch Kernfission spricht. Es ist jedoch nicht zwingend, hieraus den Schluß zu ziehen, es gäbe nur diese Alternative „Kernenergie" zur Energiebedarfsdeckung. Bei einer solchen Entscheidung sollten alle Argumente, die für und wider einen Energieträger sprechen, in einem ausgewogenen Verhältnis berücksichtigt werden.

5.5

Umweltbelastungen durch Sonnenenergie

Die Sonnenenergie ist wohl diejenige Energiequelle, bei deren Nutzung die geringsten Umweltbelastungen auftreten. Dies gilt beispielsweise bei Einsatz der Sonnenenergie zur dezentralen Energieversorgung mit Hilfe von Kollektoren, Photozellen usw. Jedoch läßt sich auch bei dieser Energiequelle zeigen, daß Nebeneffekte, die bei Nutzung im Kleinen vernachlässigbar sind, im Großen zu umweltbelastenden Faktoren werden können. So kann zum Beispiel bei Nutzung der Sonnenstrahlung im Großen (direkte Verfahren) unter Umständen die Albedo (Rückstrahlintensität) gebietsweise verändert werden (25). Auch bei Nutzbarmachung der Sonnenenergie mit indirekten Verfahren können umweltbelastende Faktoren auftreten. Beispielsweise wird durch ein Wasserkraftwerk häufig der natürliche Wasserabfluß verändert. Geht man davon aus, daß die großtechnische Nutzung der Sonnenenergie - wegen des großen Flächenbedarfs - in schwach oder nicht besiedelten Regionen (z. B . Sahara) erfolgen wird, so müßte die aus Sonnenenergie gewonnene Sekundärenergie (z. B . in Form von Wasserstoff bzw. elektrischer Energie) über weite Strecken in andere Regionen transportiert werden. Die Energie wird also nicht dort freigesetzt, wo sie „eingefangen" wird. Insofern ist bei der Sonnenenergienutzung auch eine regional bedingte Umweltbelastung möglich. Die Sonnenenergie dürfte - nach allem was wir wissen - die einzige Energiequelle sein, durch deren Nutzung eine mögliche globale Klimabeeinflussung (z. B . Veränderungen der Luft- und Wasserzirkulationen) für einen Zeitraum vernachlässigt werden kann, der groß genug ist, um viele der heutigen Menschheitsprobleme (z. B. Hunger) zu lösen.

212

5.6

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

Umweltbelastungen durch geothermische

Energie

Eine technische Nutzung der geothermischen Energie ist derzeit nur dann möglich, wenn sie in Form von geothermischen Lagerstätten auftritt. Die Umweltbelastungen, die bei Ausnutzung geothermischer Energie in der Regel auftreten, sind beträchtlich. Geothermische Quellen liefern oft salzhaltige Dampf/Wasser-Gemische. Beispielsweise kann in der Nähe des Salton Sea in Kalifornien der Salzgehalt des geothermischen Wassers bis zu 20% betragen; das Meerwasser hat einen Salzgehalt von etwa 3,3%. Das tägliche Abwasser eines geothermischen 1000 MW-Kraftwerks, würde es in Cerro Prieto, Mexiko, (Salzgehalt 2%) betrieben, enthielte rd. 12 000 t Salz (26). Deshalb wird es häufig notwendig sein, das Abwasser wieder in die Bohrlöcher zurückzuführen. Dieses Verfahren kann auch dazu beitragen, Bodensenkungen zu verhindern, die möglicherweise eintreten, wenn große Wassermengen aus unterirdischen Reservoirs entnommen werden. Die von geothermischen Quellen zum Teil verursachte Luftverunreinigung ist ebenfalls ein Problem. Die Schwefelmenge, die zum Beispiel aus dem Kraftwerk „The Geysers" entweicht, ist durchaus vergleichbar mit der, die bei einem Verbrennungskraftwerk derselben Größe frei wird, das ö l mit niedrigem Schwefelgehalt verbrennt. Außerdem ist die Wärmebelastung durch geothermische Kraftwerke wegen des relativ niedrigen thermodynamischen Wirkungsgrades entsprechend hoch (26).

5.7

Für die Kernfission spezifische und Sicherheitsprobleme

5.71

Einführende Betrachtungen

Umweltbelastungen

Die Rolle der Kernenergie in der Energieversorgung wurde in letzter Zeit in vielen Ländern zu einer zentralen Frage, obwohl bereits in 19 Ländern der Erde - zum Teil schon seit vielen Jahren - Kernkraftwerke in Betrieb beziehungsweise in weiteren 15 Ländern Kernkraftwerke in Bau oder bestellt sind (Stand 1. 1. 1977, siehe Tabelle 4-1). Ein entscheidender Grund für die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen um das Für und Wider der Kernenergie dürfte wohl darin liegen, daß wegen der Entwicklung seit der Entdeckung der Kernspaltung - insbesondere seit Hiroshima und Nagasaki die „Kernenergie" bei vielen Menschen tiefe Angst und Furcht auslöst. Da in einzelnen Ländern die Kernenergie mehr und mehr einen beträchtlichen Anteil an der Energieversorgung (Elektrizitätsversorgung) übernimmt, ist

5.7 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

213

es verständlich, daß vielen Menschen Aspekte der friedlichen Nutzung der Kernenergie erst jetzt deutlich werden. Denn bei der Kernenergie treten auch - wie bei jedem anderen Energieträger - ins Gewicht fallende Folgeprobleme auf, wenn sie nur in hinreichend großem Maßstab eingesetzt wird. (Beispielsweise hatte in der Bundesrepublik Deutschland die Kernenergie an der Elektrizitätserzeugung 1975 einen Anteil von 7,2%, und 1985 soll er 35% betragen vgl. 4.531). In anderen Industrieländern war 1975 der prozentuale Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung vergleichbar (siehe Tabelle 4-3)). Betrachtet man die Entwicklung der Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie, so ist festzustellen, daß nicht mehr nur die eigentlichen Kernkraftwerke im Blickpunkt stehen, sondern Probleme des gesamten Kernbrennstoffkreislaufs. Der Allgemeinheit ist offensichtlich deutlich geworden, daß der Kernreaktor nur ein Element des Brennstoffkreislaufs ist und daß man bei der langfristigen Planung der Kernenergie den gesamten Kreislauf berücksichtigen muß. (Unter dem Begriff „Kernbrennstoffkreislauf" werden alle Prozesse und Arbeitsschritte verstanden, die zur Versorgung der Kernreaktoren mit Brennstoff und zur Entsorgung der Reaktoren von abgebranntem Brennstoff notwendig sind) (27). Die „Versorgung der Kernreaktoren", das heißt die Bereitstellung des Natururans, die Anreicherung des Brennstoffs an U 235 auf ca. 3% in Anreicherungsanlagen sowie die Verarbeitung des Urans (die Rückführung des Plutoniums) zu Brennelementen, hat heute einen beachtlichen Entwicklungsstand erreicht. Dagegen konnten einige Probleme der „Entsorgung der Kernreaktoren", das heißt die Bereitstellung der Lagerkapazität für abgebrannte Brennelemente vor der Wiederaufarbeitung, die Wiederaufarbeitung selbst, die Überführung des radioaktiven Abfalls in eine endlagerfähige Form und die Endlagerung selbst, bis heute noch nicht zufriedenstellend gelöst werden, obwohl von dafür kompetenten Technikern und Wissenschaftlern (z. B. Geologen, Hydrologen) gesagt wird, diese Probleme seien „lösbar". Im Zusammenhang mit der Endlagerung scheinen immer mehr Menschen zu bedenken, daß dieses Problem eine neue Dimension hat. Der zur Endlagerung kommende hochaktive Abfall muß wohl über viele Jahrtausende (Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24 400 Jahren) so gesichert werden, daß eine Gefährdung der Biosphäre ausgeschlossen ist (1). Das heißt aber, den Nutzen der freigesetzten Energie haben die Menschen heute, jedoch geben sie späteren Generationen den endgelagerten „Atommüll" weiter. Eine gewisse Überwachung einer jeden Endlagerstätte dürfte wohl immer notwendig sein. In diesem Zusammenhang wird oft nicht nur von Umwelt- sondern von „Nachweltbelastungen" gesprochen, und Fragen werden aufgeworfen wie zum Beispiel, ob das sogenannte Verursacherprinzip, d. h. die Berücksichtigung der Entsorgung im Preis der Energie aus Kernbrennstoffen, hier überhaupt noch angewendet werden kann.

214

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

Ein ganz besonderes sicherheitspolitisches Problem ergibt sich aus der Tatsache, daß Uran und Plutonium nicht nur zur Energiegewinnung, sondern auch zur Herstellung von Kernwaffen verwendet werden können. Grundsätzlich ist es möglich, mit hochangereichertem Uran nukleare Sprengkörper zu bauen. Dieses Verfahren ist aber aufwendig und erfordert viel mehr Zeit als mit Plutonium, das mit Hilfe einer Wiederaufarbeitungsanlage gewonnen werden kann. Aus diesem Grunde sind Fragen der friedlichen Nutzung der Kernenergie in Reaktoren eng verbunden mit der Nichtverbreitung von Kernwaffen. Kerntechnische Risiken unterscheiden sich nach H. Häfele, Laxenburg/Wien, von anderen technischen Risiken u. a. dadurch, daß sie nicht durch das traditionelle Lernschema von Versuch und Irrtum abgetastet werden können. Insofern stellt diese Technik eine Art „neue Qualität" dar. Nach C. F. von Weizsäcker gibt es „für erkannte technisch verursachte Gefahren im allgemeinen auch einen technisch möglichen Weg der relativen Sicherung. Eine Schwierigkeit ist, die Gefahren rechtzeitig zu erkennen" (28). Der Mensch als unkalkulierbare „Gefahrenquelle" wird sich nie ganz ausschalten lassen. Es muß darauf hingewiesen werden: In der Technik gibt es keine absolute Sicherheit, sondern nur eine mehr oder weniger hohe Zuverlässigkeit beziehungsweise geringe Unfallwahrscheinlichkeit. Ein absolut sicheres Kernkraftwerk wird es nicht geben. Eine sogenannte Reaktorsicherheitsstudie kann deshalb auch keine Aussagen machen, ob das mit der Kernenergie verbundene Risiko akzeptiert werden soll. Manchmal hat es den Anschein, daß bei vielen Menschen das in der Vergangenheit zum Teil vorhanden gewesene große Vertrauen in das, was allgemein als „technischer Fortschritt" bezeichnet wird, erschüttert ist. Vielleicht haben gewisse Ereignisse, und seien es auch nur zum Beispiel Flugzeugabstürze, Brückeneinstürze oder Staudammbrüche (obwohl die Konstruktion hier schon wesentlich länger und besser beherrscht wird als bei den Kernkraftwerken), Skepsis bei vielen Menschen geweckt. Wäre dies so, die Menschheit befände sich in einem tiefgreifenden historischen Wandlungsprozeß. Im Rahmen dieser Abhandlung kann eine umfassende Diskussion aller für die Kernfission spezifischen Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme, die möglicherweise bei der großtechnischen Nutzung auftreten, nicht durchgeführt werden. Deshalb werden in den folgenden Abschnitten einige ausgewählte Aspekte dargestellt. 5.72

Zum Kernbrennstoffkreislauf

5.721

Kernbrennstoffversorgung

Die Kernbrennstoffversorgung ist wohl der Abschnitt des Brennstoffkreislaufs, der am weitesten entwickelt ist. Abb. 5 - 2 zeigt den Kernbrennstoffkreislauf der Leichtwasserreaktorsysteme (LWR) (27). Der Brennstoffkreislauf für Reakto-

5.7 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

215

Gewinnung von Uran aus den Erzen Erzkonzentrat

Erz

Lagerstätte

Raffination BrennelementFabrikation

Brennelement

Konversion»

Lagerbecken Lagerung Pu-Abfall flüssiger hochaktiver Abfall

Behandlung des hochaktiven Abfalls verfestigter hochaktiver Abfall

Abb. 5 - 2 : Kernbrennstoffkreislauf der Leichtwasser-Reaktorsysteme Quelle: C. Keller: Sorgen um die Kernenergie-Entsorgung, in: D i e Naturwissenschaften 5 (1977).

64,

216

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

ren der 2. Generation (Schneller Natriumgekühlter Reaktor (SNR) und Thorium-Hochtemperatur-Reaktor (THTR)) weicht in einigen Punkten von dem LWR-System ab. Zusätzliche Entwicklungsarbeiten müssen hierfür geleistet werden. Die Kernbrennstoffversorgung läßt sich im wesentlichen in folgende Teilabschnitte untergliedern: die Beschaffung von Natururan (Prospektion, Exploration, Gewinnung), die Konversion zu UF 6 , die Anreicherung von U 235 und die Fertigung der Brennelemente. Die geographische Verteilung der Uran- und Thoriumvorräte, die Produktions- und Verbrauchszentren sowie die voraussichtliche Bedarfsentwicklung wurden in 3.35 eingehend behandelt. Ob der voraussichtliche Bedarf gedeckt werden kann, dürfte sehr stark davon abhängen, welchen Preis man für die Gewinnung von Uran aus ärmeren Erzen beziehungsweise aus Meerwasser zu zahlen bereit sein wird. Die in vielen Ländern forcierte Brüterentwicklung (siehe Tabelle 4-2) könnte u. a. ein Indiz dafür sein, daß die wirtschaftlich gewinnbaren Uranreserven als sehr begrenzt angesehen werden. Die Konversion des Natururans (U 3 0 8 ) zu Uranhexafluorid (UF 6 ) als Eingangssubstanz für Anreicherungsanlagen ist ein relativ problemloser chemischer Prozeß. Dies ist kein kritischer Punkt des Brennstoffkreislaufs, da die chemische Industrie in vielen Ländern den Umgang mit Fluor beherrscht. Große Kapazitäten zur Konversion gibt es im Westen in Großbritannien, Frankreich, Kanada und den USA. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Konversion in der Bundesrepublik Deutschland jederzeit großtechnisch durchgeführt werden könnte. Leichtwasserreaktoren benötigen als Kernbrennstoff angereichertes Uran von ca. 3%. Zur Zeit erfolgt diese Anreicherung in Großbritannien, Frankreich, in den USA und der UdSSR. Der Bedarf an angereichertem Uran wird sich weiter erhöhen. Es wird erwartet, daß ab 1982 mehr als die Hälfte des europäischen Bedarfs durch die europäischen Anreicherungskapazitäten Eurodiff (Trenndüsenverfahren) und Urenco (Zentrifugenverfahren) gedeckt werden kann (vgl. 3.352) (29-30). Beispielsweise werden für die Erstausstattung eines LWR vom Typ Biblis (elektrische Leistung ca. 1200 MW) etwa 100 t auf ca. 2,5% U 235 angereichertes Uran benötigt. Für die Nachladung benötigt man pro Jahr etwa 30 t auf ca. 3% U 235 angereichertes Uran (1). Die Fertigung von Uranoxid-Brennelementen für die heutigen Leichtwasserreaktoren kann als technisch ausgereift bezeichnet werden. Erster Schritt für die Brennelementherstellung ist die Konversion des aus der Anreicherungsanlage kommenden UF 6 zu sinterfähigem U0 2 -Pulver; danach werden U0 2 -Tabletten hergestellt. Um den Brennstoff vor dem Kühlmittel zu schützen und um zu verhindern, daß Spaltprodukte in den Kühlkreislauf eintreten, werden diese Tabletten in metallische Hüllrohre (Einzelrohre) eingefüllt und gasdicht zugeschweißt. Ein Bündel von gefüllten Einzelrohren bildet ein Brennelement. Als

5.7 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

217

Hüllrohrwerkstoffe haben sich Zirkoniumlegierungen bewährt. Sie haben eine geringe Absorption für thermische Neutronen, besitzen gute Korrosionsbeständigkeit sowie ausreichende Festigkeit.

5.722

Entsorgung

5.722.1 Behandlung abgebrannter Brennelemente Während des Einsatzes der Brennelemente im Reaktor werden zum einen die spaltbaren Isotope (z. B. U 235) des Brennstoffs verbraucht und zum anderen neutronenabsorbierende Spaltprodukte gebildet. Begrenzte mechanische Stabilität der Hüllmaterialien schränkt die Verweildauer der Brennelemente im Reaktor ebenfalls ein. Das heißt, neutronenphysikalische und sicherheitstechnische Gründe machen es notwendig, daß nach rd. 3 Jahren die Brennelemente ausgetauscht werden müssen. Für die Behandlung abgebrannter Brennelemente bieten sich grundsätzlich folgende Möglichkeiten an: die Dauerlagerung in speziell hierzu hergerichteten Lagern; die langfristige Zwischenlagerung mit dem Ziel einer späteren Weiterbehandlung; die Wiederauf arbeitung. In der Bundesrepublik Deutschland wird die Auffassung vertreten, daß die ersten beiden Alternativen aus folgenden Gründen nicht zweckmäßig sind: Eine Dauerlagerung der abgebrannten Brennelemente würde nicht die aus Sicherheitsgründen vorteilhafte separate Beseitigung der radioaktiven Abfälle ermöglichen. Im übrigen könnten Schnelle Brüter oder Hochtemperaturreaktoren nur sinnvoll eingesetzt werden, wenn Brennelemente der Leichtwasser-Reaktoren wieder aufgearbeitet werden, um den aus U 238 bzw. Th 232 erbrüteten Spaltstoff für den Einsatz in den fortgeschrittenen Reaktorlinien zu gewinnen. Die langfristige Zwischenlagerung abgebrannter Brennelemente würde nur ein Hinausschieben einer der Wiederaufarbeitung vergleichbaren Behandlung auf einen späteren Zeitpunkt bedeuten; in der Zwischenzeit würden sich aber erhebliche Mengen von Brennelementen im Zwischenlager ansammeln, was langfristig unter Sicherheitsgesichtspunkten nicht unproblematisch sein würde. Für die Entsorgung der Leichtwasserreaktoren ist in der Bundesrepublik Deutschland folgendes Konzept vorgesehen: - Zwischenlagerung, Wiederaufarbeitung, Spaltstoffrezyklierung sowie Abfallbehandlung und Abfallagerung stellen ein räumlich integriertes Gesamtsystem dar. - Für mittel- und schwachaktive Abfälle wird eine Endlagerung unmittelbar am Standort der Wiederaufarbeitungsanlage vorgesehen. - Der hochaktive Abfall wird als verfestigtes Produkt zwischengelagert. (Der Zeitraum zwischen dem Anfall des flüssigen hochaktiven Abfalls aus der

218

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

Wiederaufarbeitung und seiner Verfestigung kann flexibel gestaltet werden. Hochaktive Abfallzwischenlagerung soll für Zeiträume von mehreren Jahrzehnten in rückholbarer Form in geeigneten Bauten erfolgen.) - Die Endlagerung der verfestigten hochaktiven Abfälle, für die in der Bundesrepublik Deutschland die Lagerung in Salzstöcken vorgesehen ist, wird erst nach langjähriger sorgfältiger Erprobung in einem Versuchslager erfolgen, so daß eine Gefährdung der Biosphäre ausgeschlossen werden kann. - Die Beseitigung kerntechnischer Anlagen ist in dieses Gesamtkonzept integriert. - Dieses Konzept sollte später auch auf den Brennstoffkreislauf des THTR und des SNR übertragen werden können (1, 33). Die Kosten, die mit der Errichtung und dem Betrieb des Endlagers verbunden sind, werden nach dem Verursacherprinzip von den Betreibern der Kernkraftwerke getragen. Die Sicherstellung und Endlagerung der radioaktiven Abfälle liegen in der Verantwortung des Bundes (1). Die räumliche Konzentration und teilweise Integration der einzelnen Schritte des Entsorgungssystems an einem Standort dürften zu einer Minderung des Risikos führen, insbesondere wird dadurch die Zahl der Transporte von radioaktivem bzw. spaltbarem Material reduziert. Dies gilt vor allem für Plutonium, das künftig dann nur noch in abgebrannten beziehungsweise neu hergestellten Brennelementen, das heißt verdünnt mit Uran in Form von Mischoxid-Pellets in Metallumhüllung, transportiert werden muß. Ebenfalls entfallen durch die unmittelbare Endlagerung am Ort der Wiederaufarbeitung Transporte radioaktiver Abfälle, die hier von den abgebrannten Brennelementen anfallen. Nach J. K. Pfaffelhuber (Bundesministerium des Innern, Bonn) „ist keineswegs zu leugnen, daß zur Verwirklichung des Entsorgungssystems, das der Bundesregierung vorschwebt, noch sehr viele Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchgeführt werden müssen. Dies gilt insbesondere für die Weiterentwicklung - der Wiederaufarbeitungstechnologie, - der Technologie zur Verarbeitung von Plutonium, - der Konditionierung hochaktiver Abfälle, die in lagerfähige verfestigte Produkte überführt werden müssen, - die Erprobung von Endlagertechniken und - die Forschung auf dem Gebiete der Rückhaltung gasförmiger radioaktiver Nuklide (Jod, Krypton, Kohlenstoff, Tritium). Darüber hinaus werden Systeme für eine ausreichende Sicherung des Entsorgungsparks gegen Angriffe von Terroristen und Saboteuren entwickelt werden müssen" ( 3 4 - 3 7 ) . Im Entsorgungskonzept, das in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden soll, ist die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente von besonderer Bedeutung. Dadurch ist es zum einen möglich, die für Leichtwasser-

5.7 Für die Kemfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

219

reaktoren verfügbaren Kernbrennstoffe um 25-30% besser auszunutzen und zum anderen, die radioaktiven Abfälle zur Endlagerung zu bringen. Als Gründe für die Wiederaufarbeitung werden angegeben, daß die Bundesrepublik Deutschland ein rohstoffarmes und dichtbesiedeltes Land sei. Die Bundesrepublik könne deshalb nicht - im Gegensatz zu den USA, wo bezüglich dieser beiden Aspekte die Situation anders ist - den Zeitpunkt der kommerziellen Wieder auf arbeitung hinausschieben (38-41). (Die Situation in den USA ist durch den vorläufigen Stopp des Pu-Recycle-Programms gekennzeichnet.)

5.722.2 Wiederaufarbeitung Die Aufgabe der Wiederaufarbeitung ist es, abgebrannte Brennelemente in unverbrauchten Spaltstoff (Uran), Brutstoff (Plutonium) und radioaktive Abfallprodukte zu trennen. Die Kernbrennstoffe Uran und Plutonium sollen für die spätere Nutzung in neuen Brennelementen gewonnen und die radioaktiven Spaltprodukte zur Endlagerung weiter verarbeitet werden. Für ein Kernkraftwerk mit Leichtwasserreaktor sind folgende Daten charakteristisch: Anfangsanreicherung des LWR-Urans 2,5-3,8% U 2 3 5 ; Aufarbeitungsmenge pro Jahr je 1000 MW (elektrische Leistung) etwa 25-30 t Uran; Radioaktivität in einem LWR mit einer elektrischen Leistung von 1000 MW nach mehrmonatigem Betrieb rd. 1010 Curie 2 ; gebildete restliche Plutoniummenge (ein Teil des Pu wird während des Abbrandes bereits „weiterverbrannt") 7-10 kg/t Uran; Radioaktivität nach ca. 220 Tagen Abklingzeit - nach dieser Zeit etwa sollen die Elemente zur Wiederaufarbeitungsanlage transportiert werden - etwa rd. 108 Ci (rd. 2% des Wertes bei Entladung) (1, 13, 28, 37). In der Bundesrepublik Deutschland werden in der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK), einer Demonstrationsanlage, seit 1971 Brennelemente verschiedenster Versuchs- und Leistungsreaktoren aufgearbeitet. Die deutsche Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungsgesellschaft (KEWA) strebt an, Ende der 80er Jahre eine Anlage mit einer Kapazität von rd. 1500 t Brennstoff/Jahr in Betrieb zu nehmen. Bei dieser Kapazität führt dies in der Aufarbeitungsanlage zu Aktivitätswerten, die vergleichbar sind mit denjenigen von Kernreaktoren. (Pro Jahr dürften im Zusammenhang mit der Wiederaufarbeitungsanlage ca. 400 Transporte mit radioaktivem Material zu erwarten sein.) Als erster Schritt muß etwa ab 1982 eine Zwischenlagerkapazität für rd. 2000 t abgebrannter Brennelemente bereitgestellt werden. Im Endausbau soll das Lager eine Kapazität von 3000-5000 t haben (38). Bis zu diesem Zeitpunkt haben sich die deutschen Elektrizitätsversorgungs-

2

1 Curie = 1 Ci ^ 3,7 • 1010 Zerfälle pro Sekunde.

220

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

unternehmen (EVU) die Benutzung der französischen und ggf. der englischen Wiederaufarbeitungsanlage vertraglich gesichert. In Großbritannien, Frankreich und den USA liegen Erfahrungen über die großtechnische Wiederaufarbeitung von Brennelementen vor. In den Vereinigten Staaten gibt es Betriebserfahrungen mit der Anlage der Nuclear Fuel Services (NFS) (300 t Uran/a), von den militärischen Anlagen Hanford, Savannah River, Idaho liegen Erfahrungen aus rd. 30 Jahren vor. Großbritannien hat in Windscale II eine Anlage für über 2000 t Uran/a Durchsatz in Betrieb. (Die ehemals militärische Anlage in Windscale I kann seit einem Störfall im Herbst 1973 für die Wiederaufarbeitung von LWR-Brennstoff nicht mehr genutzt werden.) Die französische Anlage in Cap de la Hague hat einen Durchsatz von 800 t Uran/a. Das Know how aus diesen Anlagen steht aufgrund von Verträgen über eine Zusammenarbeit für die Planung der deutschen Großanlage zur Verfügung (1). Da in Europa der Zubau der Aufarbeitungskapazität mit dem Bedarf nicht Schritt halten kann, werden bis 1985 voraussichtlich rd. 6000 t abgebrannter Brennelemente nicht aufgearbeitet werden können und zwischengelagert werden müssen (42-46). Von einer Vielzahl von Verfahren zur Wiederaufarbeitung, die in der Vergangenheit entwickelt wurden, hat sich das in Großbritannien, Frankreich und den USA für militärische Nuklearprogramme entwickelte PUREX-Verfahren (Plutonium and Uranium Recovery by Extraction) bewährt. (In nur geringfügig modifizierter Weise dürfte dieses Verfahren als THOREX-Prozeß auch für die Wiederaufarbeitung von Brennstoffen der Thorium-Hochtemperatur-Reaktoren (THTR) anwendbar sein.) Das PUREX-Verfahren ist ein vielstufiges Gegenstromextraktions-Verfahren mit Tributylphosphat (TBP) als Extraktionsmittel für Uran und Plutonium. Im wesentlichen werden die Kernbrennstäbe zerkleinert und aufgearbeitet, um den noch unverbrauchten Kernbrennstoff und das Plutonium wiederzugewinnen und um die Spaltprodukte abzutrennen. Die Wiederaufarbeitung muß in „heißen Zellen" hinter starken Betonwänden vorgenommen werden. Dieser Prozeß ist daher recht aufwendig. Mit der Rückführung des unverbrauchten Urans und des erbrüteten Plutoniums wird der Brennstoffkreislauf geschlossen. Das Plutonium hat im wesentlichen folgende zivile Verwendungsmöglichkeiten: Ein Teil des Plutoniums wird zur Versorgung geplanter DemonstrationsKraftwerke verwendet. Außerdem kann die Rezyklierung des Plutoniums in Leichtwasserreaktoren erfolgen. (Die Herstellung plutoniumhaltiger Brennelemente ist wegen der Giftigkeit jedoch relativ teuer.) Schließlich kann Plutonium für die spätere Verwendung in Schnellen Brütern gelagert werden. Plutonium kommt in der Natur praktisch nicht vor. (In Bastnaesit aus Kalifornien konnten geringste Spuren an Pu 244 nachgewiesen werden, das aus der Zeit der Erdentstehung stammt und in den vergangenen ca. 5 Milliarden Jahren noch nicht zerfallen ist.) Beim Leichtwasserreaktor beträgt die Produk-

5.7 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

221

tionsrate ca. 220 kg spaltbares Pu pro 1000 MW (elektrische Leistung) und Jahr (thermisch spaltbar sind die Isotope Pu 239 und Pu 241). Zur Beurteilung des „Gefährdungspotentials" des Plutoniums sollen einige Beispiele dienen. Plutonium ist wegen seiner Alphastrahlen-Aktivität sehr gefährlich. Im menschlichen Körper können aufgrund der hohen Radiotoxizität schon wenige 10"3 mg Plutonium Lungenkrebs auslösen. Seine chemische Giftigkeit ist der des Quecksilbers vergleichbar. Die nach internationalen Strahlenschutznormen maximal zulässige Menge Plutonium in Luft beträgt 5-10" 8 mg/m 3 ; für das als extrem toxisch bekannte Blausäuregas liegt dieser Wert dagegen bei 10 mg/m 3 (47). Hinzu kommt noch, daß die Halbwertszeit des hauptsächlichen Plutonium-Isotops Pu 239 rd. 24 400 Jahre beträgt. So hätte die unkontrollierte Freisetzung größerer Mengen von Plutonium katastrophale Folgen: Das Gebiet wäre über Jahrtausende vergiftet. Darüber hinaus ist Plutonium besonders gefährlich, da bei Pu 239 die kritische Masse nur ca. 5 kg beträgt (39). (Eine Pu-Bombe zerstörte am 9. 8. 1945 Nagasaki.) Es sei noch erwähnt, daß in einem thermischen Reaktor nicht reines Pu 239 entsteht, sondern ein Isotopengemisch mit etwa anteilmäßig 55-60% Pu 239 (Halbwertszeit T = 24 400 a), 20-25% Pu 240 (T = 6600 a), 10-15% Pu 241 ( T = 13 a) und 5 - 1 0 % Pu 242 (T = 380 000 a). (Die prozentualen Werte schwanken je nach Reaktortyp und Bestrahlungsdauer.) Die derzeit in der Welt vorhandene Plutoniummenge aufgrund der friedlichen Nutzung der Kernenergie wird mit etwa 30 t angegeben. Die Schätzungen für 1980 liegen zwischen 50 t und 100 t (47-50). Allein für die westliche Welt wird die in Leistungsreaktoren erzeugte und damit rückgewinnbare Menge an Plutonium bis zum Jahre 2000 auf über 2000 t geschätzt (48). Diese Daten dürften wohl die tiefe Sorge vieler Menschen in der Welt wegen der zunehmenden Verbreitung des Plutoniums verständlich machen.

5.722.3 Endlagerung Je nach spezifischer Aktivität unterscheidet man drei Klassen radioaktiver Abfälle: - schwachaktive Abfälle mit weniger als 0,1 Ci/m 3 ; - mittelaktive Abfälle mit 0,1-10 4 Ci/m 3 ; - hochaktive Abfälle mit mehr als 104 Ci/m 3 . Außerdem untergliedert man die Abfälle noch nach ihrem Aggregatzustand in gasförmige Abfälle, flüssige Abfälle (wäßrig und organisch) und feste Abfälle (brennbar und nicht brennbar). Die Behandlung der radioaktiven Abfälle hat das Ziel, sie zu konzentrieren und in ein stabiles, endlagergerechtes Produkt überzuführen. Auf dem Gebiet der Abfallbehandlung und Endlagerung arbeiten mehrere Internationale Orga-

222

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

nisationen zusammen. Im wesentlichen sind dies: die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO) der UN, die Nuklearenergie-Agentur (NEA) der OECD sowie die Europäische Gemeinschaft (EG/EURATOM). Darüber hinaus gibt es bilaterale Verträge der Zusammenarbeit wie zum Beispiel zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten. Dadurch soll erreicht werden, daß die Endlagerkonzepte in den verschiedenen Ländern vergleichbaren Sicherheitsanforderungen genügen. Aufgrund der Erfahrungen in den verschiedenen Wiederaufarbeitungsanlagen kann der Anfall an schwach- und mittelaktiven Abfällen in einer Wiederaufarbeitungsanlage mit einem Durchsatz von 1500 t Brennstoff/Jahr abgeschätzt werden. (Diese Menge fällt etwa beim Betrieb von 50-55 Kernkraftwerken mit je 1200 MW (elektrische Leistung) pro Jahr an.) Beim Wiederaufarbeitungsprozeß entstehen flüchtige radioaktive Spaltprodukte. Im wesentlichen sind dies J 129, J 131, Kr 85, C 14, H 3. Sie werden zur Zeit noch von allen bestehenden Wiederaufarbeitungsanlagen an die Atmosphäre abgegeben. Verfahren zur Rückhaltung dieser radioaktiven Isotope sind teilweise in der Erprobung (50, 51). Pro Tonne aufgearbeitetem Kernbrennstoff fallen an schwach- und mittelaktiven Festabfällen - die schwach- und mittelaktiven Rohabfallösungen werden nach Aufkonzentration verfestigt - etwa 2 bis 6 m 3 an, die endgelagert werden müssen. (Bei einem Jahresdurchsatz von 1500 t Brennstoff dürften dies 2800 bis 8400 m 3 Festabfall sein.) Der hochaktive Abfall - er enthält mehr als 99% der Aktivität - liegt zunächst in konzentrierter wäßriger Lösung vor. Durch Volumenverringerung soll erreicht werden, daß für einen 1000 MW-Reaktor pro Jahr nur etwa 2,0 bis 2,5 m 3 an verfestigtem hochaktiven Abfall anfallen wird (s. w. u.) (1, 52). Darüber hinaus wird aber nach der Stillegung der Kernkraftwerke zusätzlich radioaktives Material anfallen. Die Betriebsdauer von Kernkraftwerken, die u. a. auch von der Wirtschaftlichkeit sowie der weiteren technischen Entwicklung abhängen wird, dürfte bei 3 bis 4 Jahrzehnten liegen. (Forschungs- und Prototypreaktoren werden bereits nach kürzerer Zeit den Betrieb einstellen.) Das Aktivitätsinventar eines Kernkraftwerkes im Zeitpunkt der Stillegung besteht im wesentlichen aus Brennelementen und Betriebsmitteln (z. B. Filtereinsätze), Betriebsmedien (z. B. Kühlwasser) und Korrosionsprodukten sowie Bauten und Komponenten. Nach der letzten Abschaltung eines Reaktors werden Brennelemente, Betriebsmittel und Betriebsmedien entfernt. (Nach vierzigjährigem Betrieb und einem Jahr Abklingzeit beträgt bei einem Kernkraftwerk der Größe 1100 MW die verbleibende Aktivität etwa 10 7 Ci) (1). Je nach technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten könnte die stillgelegte Anlage entweder sicher verschlossen oder abgebaut werden. Bei Anlagen moderner Bauart können einzelne Komponenten - bis auf den Reaktordruckbehälter - als Ganzes aus dem Reaktorgebäude gebracht werden, das heißt,

5.7 Für die Kernfission spezifische Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

223

Zerkleinerungsarbeiten in großem Umfange können in der Anlage vermieden werden. Bisher liegen relativ wenig Erfahrungen hinsichtlich der Stillegung und Beseitigung von Kernkraftwerken vor. Es ist zu hoffen, daß dieser Problemkreis bei entsprechendem Ausbau der Kernenergie rechtzeitig und angemessen einbezogen wird. Der schwachaktive Abfall wird in Bitumen verfestigt und in Fässern zur Endlagerung gebracht. Nach einer Abklingzeit von 2 bis 3 Jahren wird mit dem mittelaktiven Abfall ähnlich verfahren. In der Bundesrepublik Deutschland wurden von 1967-1976 im Salzbergwerk Asse II (Braunschweig) 60 500 Behälter (200 bis 400 1 Fässer) mit schwachaktiven Abfällen in 750 m Tiefe endgelagert. Seit 1972 kamen insgesamt 640 Fässer mittelaktiver Abfälle (bis zu 1000 Ci je 200 1 Faß) hinzu, die in 511 m Tiefe eingelagert wurden (39). Salzformationen sind hierfür besonders geeignet, da sie bereits seit ca. 100 Millionen Jahren geologisch stabil und frei von Wasser sind. (Ein altes Salzbergwerk, das bereits große Abbauhohlräume enthält,kann man nicht als Deponie verwenden. Bei Abbau wird die Struktur des Salzstockes soweit gestört, daß es zum Teil - ein Beispiel ist die Grube Ronnenberg bei Hannover - zu Wassereinbrüchen kommen kann.) Außerdem werden auch andere geologische Formationen, zum Beispiel Granit und Ton, auf ihre Eignung zur Errichtung von Endlagerstätten untersucht. Verglichen mit der Endlagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle ist die Endlagerung hochaktiver Abfälle ein schwieriges Problem. Die hochaktiven Abfälle besitzen nicht nur Aktivitätskonzentrationen bis zu mehreren tausend Ci/1 Lösung, sondern entwickeln infolge der hohen Aktivität auch große Wärme. Ein weiteres Problem sind die relativ langen Halbwertszeiten einiger Elemente. Abb. 5 - 3 zeigt die relative Radiotoxizität 3 des hochaktiven Aufarbeitungsabfalls aus 1 t Uran/Plutonium-Kernbrennstoff (42). Während der ersten 500 Jahre sind die Spaltprodukte Sr 90 und Cs 137 beherrschend. Dabei klingt die relative Radiotoxizität in den ersten 100 Jahren auf ca. 10%, nach 500 Jahren auf unter 0,5% ab. Danach sind die langlebigen alpha-strahlenden Transurane, hier besonders Americium und im späteren Verlauf dessen Alpha-Zerfallsprodukt Neptunium, bestimmend. Zum Vergleich ist auch die relative Radiotoxizität der rd. 2000 t U-Erzaufbereitungsrückstände angegeben, die im Zusammenhang mit der Bereitstellung von 11 Kernbrennstoff anfallen. Die Zusammensetzung dieser Aufbereitungs3

Neben der in Ci angegebenen Aktivität, die nichts über die Zerfallsart aussagt und lediglich im Hinblick auf die erforderliche Abschirmung von Bedeutung ist, wird als Maß für die relative Radiotoxizität eines radioaktiven Stoffes oft dasjenige Volumen an Wasser [m3w] beziehungsweise Luft [m 3 J angegeben, das zur Verdünnung auf maximal zulässige Konzentration (MZK) im Trinkwasser beziehungsweise in der Atemluft erforderlich wäre. Diese relative Radiotoxizität ändert sich mit dem Zerfall, bleibt aber existent bis zum völligen Abklingen der Aktivität; je nach Art des radioaktiven Stoffes kann das 100 000 Jahre und länger dauern. (Zum Beispiel dauert bei Pu 239 mit einer Halbwertszeit von 24 400 Jahren das Abklingen auf l%o ca. 250 000 Jahre.)

224

5. Umweltbelastungen und Sicherheitsprobleme

Bis ca. 500 Jahre: Sr 90 Nach ca. 500 Jahren: Am->Np Nach ca. 1000 Jahren sinkt die rl. Radiotoxizität des hocha ktiven Abi alls (HAW) aus 1 t U, Pu-KBSt unter diejcsnigen der zugehörig en ca. 200 0 t U-ErzAufbereite ngsrückst ände

1012 Sr-90 10"

Cs-137 10'°

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3 10» cc