Einheimischenprivilegierungen und EG-Recht [1 ed.] 9783428525430, 9783428125432

Die Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes stellt auch heute noch das Kernstück des europäischen Integrationsp

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Einheimischenprivilegierungen und EG-Recht [1 ed.]
 9783428525430, 9783428125432

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Schriften zum Europäischen Recht Band 133

Einheimischenprivilegierungen und EG-Recht Von Andrea Roeßing

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANDREA ROESSING

Einheimischenprivilegierungen und EG-Recht

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 133

Einheimischenprivilegierungen und EG-Recht

Von Andrea Roeßing

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen hat diese Arbeit im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-12543-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2006/2007 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung konnten Literatur und Rechtsprechung bis einschließlich April 2007 eingearbeitet werden. Ganz herzlich danken möchte ich meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Kahl, der mein Interesse auf die untersuchte Thematik gelenkt hat. Seine fortwährende Unterstützung und wertvolle Kritik empfand ich als sehr hilfreich und anregend. Danken möchte ich auch Frau Prof. Dr. Gabriele Britz für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera, Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten, Herrn Prof. Dr. Matthias Niedobitek und Herrn Prof. Dr. Karl-Peter Sommermann bin ich für die Aufnahme meiner Dissertation in die von ihnen herausgegebene Reihe „Schriften zum Europäischen Recht“ sehr verbunden. Gerne danke ich auch der Justus-Liebig-Universität Gießen für die Unterstützung meiner Arbeit durch die Gewährung eines Graduiertenstudiums. Besonders danken möchte ich meinem Freund Herrn Alexander Hofmann für wichtige Kritik und manche Ermutigung. Dank gebührt weiterhin Frau Rechtsanwältin Verena Gotthard für das Korrekturlesen des Manuskripts. Meinen Eltern, die mich stets unterstützt und in jeder erdenklichen Hinsicht gefördert haben, ist diese Arbeit gewidmet. Weinbach, im Mai 2007

Andrea Roeßing

Inhaltsverzeichnis Einleitung

25

A. Problemaufriß und Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

B. Gang der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Teil Begriffliche und systematische Vorklärungen

30

A. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Definition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelne Begriffsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adressatenkreis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30 30 32 32 32 34 35

B. Ziele der Einheimischenprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

C. Instrumente der Einheimischenprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

D. Rechtliche Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen. . . . . . . . . I. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigenart und Schutzrichtung der Verfassungsgarantie . . . . . . . . . . . . a) Mangelnde Grundrechtsqualität kommunaler Selbstverwaltung b) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG als institutionelle Garantie . . . . . . . . . . . c) Schutz eines eigenen Wirkungskreises. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allzuständigkeitsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . 2. Einheimischenprivilegierungen als öffentliche Aufgaben . . . . . . . . . a) Positive Bestimmung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . . b) Negative Bestimmung des öffentlichen Interesses . . . . . . . . . . . . 3. Einheimischenprivilegierung als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zugehörigkeit gemeindlicher Einheimischenprivilegierungen zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . . . .

39 39 39 40 42 44 45 46 47 48 49 50 51 53

8

Inhaltsverzeichnis

II.

c) Externe Ursachen und Ausstrahlungswirkung in das Umland. . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG als kompetenzielle Grenze. . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz des Kernbereichs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz des Randbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) EG-Recht als rahmensetzendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . 1. Kollisionsregelung aus der Gemeinschaftsrechtsperspektive . . . . . . . 2. Kollisionsregelung aus nationalrechtlicher Perspektive. . . . . . . . . . . . a) Kommunale Selbstverwaltungsgarantie als Grenze der Übertragung von Hoheitsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 23 Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG bb) Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Schutz des Kernbereichs aus dem Grundsatz der Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Prozessuales. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 57 57 58 59 60 61 61 62 63 63 65 65 66 68 70

2. Teil Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

73

A. Die Wirtschaftsverfassung der EG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 I. Offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 II. Wechsel zur sozialen Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 B. Aufgaben und Ziele der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Begriff und Bedeutung des Gemeinsamen Marktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 C. Binnenmarktkonzept der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung und Verwirklichung des Binnenmarktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Strukturelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verhältnis des Binnenmarktziels zu anderen Vertragszielen. . . . . . . . . . .

79 79 79 80 82 84

D. Grundfreiheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unionsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Juristische Personen und Personenmehrheiten innerhalb der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anerkennung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte . . . .

85 85 87 87 87 88 89

Inhaltsverzeichnis V. VI. VII. VIII.

9

Unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . . . 90 Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Gewährleistungsumfang der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 1. Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Arten der Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 aa) Unmittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 bb) Mittelbare Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (1) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (2) Aufgabe der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 c) Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Entwicklung vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot. . . 101

E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 3. Teil Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Motivation und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zwischenerwerbsmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragliche Vereinbarungen zur Sicherung der Nutzung des Bodens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grundstücksvergabe nach gemeindeeigenen Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff des Einheimischen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bonus-Malus-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Finanzierungsfrage und fehlende Verkaufsbereitschaft . . . . b) Vertragsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Typen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Weilheimer Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Traunsteiner Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewerbemodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsgrundlage der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle . . 5. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106 106 106 106 107 110 111 111 112 113 114 115 116 117 117 117 119 120 120 121 122

10

Inhaltsverzeichnis II.

Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle und Grundfreiheiten . . . . . . 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) VO (EWG) Nr. 1612/68 und Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wohnraummodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gewerbemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewerbemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wohnraummodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewerbemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wohnraummodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . aa) Einheimischenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis zu den einschlägigen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . f) Allgemeines Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 18 Abs. 1 EG . . . . aa) Bedeutung und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unmittelbare Anwendbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Herleitung des Inländergleichbehandlungsgebots . . . . . . . . . . ee) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Verhältnis zu den einschlägigen Grundfreiheiten . . . . . . . . . . g) Allgemeines Diskriminierungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 EG h) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle als Grundfreiheitseingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeindliches Handeln als Beeinträchtigung der Grundfreiheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erscheinungsformen erfaßter Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verwaltungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Privatrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorliegen einer Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unmittelbare Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sotgiu-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) „Neutrales“ Kriterium als Ersatzanknüpfung . . . . . .

125 125 127 127 129 132 132 132 133 133 137 137 137 139 140 140 140 142 146 146 146 147 148 152 156 157 157 157 158 159 160 161 161 162 162 162 163 164 164

Inhaltsverzeichnis

III.

IV.

(aa) Neutrales Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Tatsächlich gleiches Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . aa) Statistische Betrachtungsweise . . . . . bb) Normative Betrachtungsweise . . . . . . b) Ansichten im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . g) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Fehlen von sachlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Exkurs: Finales oder kausales Diskriminierungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wohnsitzerfordernis in der Gemeinde als mittelbare Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) EuGH-Urteil „Sozialer Wohnungsbau“ . . . . . . . . . . . (aa) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Vorverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Würdigung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ungleichbehandlung anhand eines neutralen Kriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Spezifischer Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Wohnsitz im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Wohnsitz in der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . b) Ansichten im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . g) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewerbemodelle und Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewerbemodell als Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG . . . . . a) Gewährung einer Begünstigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gemeinde als Beihilfegeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) De-minimis-Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 87 Abs. 2 EG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Art. 87 Abs. 3 EG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis der Beihilferegelungen zu den Grundfreiheiten . . . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansichten im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 164 164 165 166 167 167 168 169 170 172 172 173 173 173 174 175 175 175 176 177 179 180 183 184 185 185 187 187 190 190 190 191 194 195 196 198 200 204 205

12

Inhaltsverzeichnis

B. Öffentliche Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen der öffentlichen Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Zweck der öffentlichen Einrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zulassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berechtigter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einwohnerprivileg bei Märkten und Volksfesten . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Märkte und Volksfeste als öffentliche Einrichtungen . . . . . . . . . . c) Kommunalrecht und Gewerberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schausteller und Anbieter als Benutzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einheimischenabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einwohnerprivileg und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schausteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG . . . . . . . . . b) Warenanbieter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwohnerprivileg als Grundfreiheitseingriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43, 49 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einheimischenabschlag und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . c) VO (EWG) Nr. 1612/68. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheimischenabschlag als Grundfreiheitseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einheimischenabschlag und Beihilferecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205 205 205 206 206 207 207 208 209 209 210 211 213 214 214 215 215 215 215 216 217 217 217 218 218 218

C. Öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen der öffentlichen Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Binnenmarktbedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 225 225 226 226

221 221 221 221 222 222 223 223 223 224

Inhaltsverzeichnis

II.

III.

4. Wirtschaftspolitische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vor- und Nachteile der Liberalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Europarechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtslage vor der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aktuelle Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Begriff der vergabefremden Kriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Aufträge und EG-Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vergabefremde Kriterien im Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Technische Spezifikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eignungskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bedingungen für die Auftragsausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung des EuGH und Auffassung der Kommission . . . . . a) Eignungskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beurteilung der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eignungskriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Teleologische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Teleologische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Auftragsvergabe und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . c) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 EG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lokalpräferenz als Grundfreiheitseingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43, 49 Abs. 1 EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 227 228 229 230 232 235 236 237 237 238 239 240 241 241 241 243 247 250 250 250 251 252 253 253 254 254 255 255 256 257 257 258 259 259 260 261 261 261 261 264 264

14

Inhaltsverzeichnis IV. V.

Öffentliche Auftragsvergabe und Beihilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270

4. Teil Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

271

A. Allgemeines zur Rechtfertigungsdogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schrankensystematik des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfordernis einer Ausweitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Methodisch-systematische Einordnung der ungeschriebenen Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bereichsübergreifende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nicht-wirtschaftlicher Charakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltsbestimmung der Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis zu bestehendem Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271 272 272

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . I. Exkurs: Grenzen der Eigentumsordnung gemäß Art. 295 EG . . . . . . . . . II. Kodifizierte Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 Abs. 3 EG. . . . . . bb) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 46 Abs. 1 EG . . . . . . . . . cc) Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 Abs. 1 EG . . . . . . . . . dd) Allgemeines Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 18 Abs. 1 EG ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompetenz zur Inhaltsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Begriff der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhaltseingrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tatbestandliche Konkretisierung der öffentlichen Ordnung auf Gemeinschaftsebene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gemeinschaftsgesetzgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Positive Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Grundfreiheitssichernde Auslegung des Ordnungsvorbehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Enge Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283 284 285 285 285 285 287 288 288 288 289 291 292

274 276 276 278 279 280 282

292 292 293 293 293 294 294

Inhaltsverzeichnis

III.

g) Übertragbarkeit auf nicht-personenbezogene Freizügigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Negative Abgrenzung auf Gemeinschaftsebene . . . . . . . (a) Gemeinschaftsgesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fallgruppen der öffentlichen Ordnung im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abwehr störenden Verhaltens einzelner Personen . . . . . (2) Abwehr ausländischer Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erhaltung nationaler Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ziele der Wohnraummodelle als Schutzgut der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ziele der Gewerbemodelle als Schutzgut der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendbarkeit zwingender Erfordernisse auf mittelbare Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bachmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Clean Car Autoservice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ciola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vestergaard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Angonese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Kommission ./. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit zwingender Erfordernisse auf Art. 18 Abs. 1 EG . . 3. Gewinnung und inhaltliche Bestimmung zwingender Erfordernisse a) Inhaltliche Offenheit der Cassis-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herleitung zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung aus dem geschriebenen Gemeinschaftsrecht . . . bb) Herleitung aus dem ungeschriebenen Gemeinschaftsrecht (1) Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . (3) Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltliche Bestimmbarkeit zwingender Erfordernisse . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

295 297 297 297 299 300 300 300 301 301 303 308 308 308 309 309 310 311 312 312 313 314 315 316 319 321 322 323 324 326 326 326 329 330 331

16

Inhaltsverzeichnis

IV.

4. Bereits anerkannte Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Landesweite und regionale soziale oder kulturelle Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriffsprägung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufgabe durch die Keck-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Raumplanerische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begriffsprägung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gemeinsame Erklärung Nr. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ziele der Wohnraummodelle als Gründe der Raumplanung ee) Ziele der Gewerbemodelle als Gründe der Raumplanung . . Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wohnraummodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geeignetheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nationale Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sanierungssatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erhaltungssatzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Regelungen anderer Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ermittlung der beteiligten Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gewichtung der beteiligten Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erhaltung der Bevölkerungsstrukturen und der kulturellen Identität der Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Binnenmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bestimmung des Ausmaßes der Beeinträchtigung des Binnenmarktes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bestimmung des Ausmaßes der Beeinträchtigung bei fehlender Schutzgutsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Gesamtbilanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gewerbemodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geeignetheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

332 332 332 334 335 337 338 339 339 340 342 343 346 347 348 348 350 352 352 354 356 357 359 359 360 361 361 363 364 367 368 371 371 371 371 372 374

Inhaltsverzeichnis C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags bei öffentlichen Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einheimischenprivileg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzgut der öffentlichen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kohärenz des Steuersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bachmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wielockx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Svensson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kommission ./. Belgien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Asscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schrifttum und eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einheimischenabschlag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

375 375 375 376 377 377 378 379 380 381 381 383 385 388

D. Rechtfertigung der Bevorzugung bei öffentlicher Auftragsvergabe . . . . . . . . . 391

5. Teil Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

392

A. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG I. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einwohnerprivileg bei Volksfesten und Wochenmärkten . . . . . . . . . . . . . III. Einheimischenabschlag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

392 393 397 398 399 399

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . I. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschriebenes Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausdrückliche Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschuß der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ursprung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gemeinschaftsrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Schutzwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wirkung im Verhältnis der Gemeinschaft zu den Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art der Schutzwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der Demokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

400 400 401 401 401 404 404 404 406 408 408 412 413 414

18

Inhaltsverzeichnis d) Identität der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Grundsatz der Gemeinschaftstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Völkerrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsinhalte der Charta als Gegenstand eines zwingenden Erfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitgliedstaatliche Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Allzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eigenständigkeit und Aufsichtsbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Finanzielle Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfügung in die Struktur und Ziele der EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

423 428 428 429 432 437 442 452 454 459 461

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwohnerprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheimischenabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwohnerprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheimischenabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Angemessenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwohnerprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheimischenabschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentliche Auftragsvergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

461 461 461 462 462 463 464 464 468 468 469 472 473 475 476 477

II. III.

415 416 419 419 421 421

Inhaltsverzeichnis

19

6. Teil Ausblick A. Schutzgehalt der kommunalen Selbstverwaltung durch die zukünftige Europäische Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellenwert der Kommunen im zukünftigen Verfassungsvertrag . . . . . . 1. Achtung der nationalen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . 3. Ausschuß der Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Präambel der Grundrechtecharta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Grundsatz der partizipativen Demokratie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

479

479 480 481 482 484 488 490 490 491

B. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 Zusammenfassung (Thesen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540

Abkürzungsverzeichnis II. WoBauG a. A. ABl. EG ABl. EU Abs. AdR a. F. allg. AöR Art. Aufl. AWD BauGB BauNVO BauR Bay BayVBl. BB Bbg. Bd. Beschl. BGB BGBl. BGH BK BR BReg BT Bull. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW BWGZ

Zweites Wohnungsbaugesetz anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Ausschuß der Regionen alte Fassung allgemein Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Baugesetzbuch Baunutzungsverordnung Baurecht bayerisch Bayerische Verwaltungsblätter Betriebsberater Brandenburg Band Beschluß Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bonner Kommentar zum Grundgesetz Bundesrat Bundesregierung Bundestag Bulletin Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg Die Gemeinde. Zeitschrift für die Städte und Gemeinden, für Stadträte, Gemeinderäte und Ortschaftsräte; Organ des Gemeindetags Baden-Württemberg

Abkürzungsverzeichnis bzw. CDE CMLRev DB ders. dies. DNotZ Dok. DÖV Ds. DStZ DVBl. EEA EG EGKS EG(V) EKC EMRK endg. EStG EU EuG EuGH EuGRZ EuR EU(V) EuZBLG EuZW EWG EWGV EWS f. FAZ ff. FG Fn. FS GA GewArch GewO

21

beziehungsweise Cahiers de Droit Européen Common Market Law Review Der Betrieb derselbe dieselbe Deutsche Notar-Zeitschrift Dokument Die öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsche Steuer-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft(en) Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung Europäische Menschenrechtskonvention endgültig Einkommensteuergesetz Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechtezeitschrift Europarecht Vertrag über die Gründung der Europäischen Union Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung fortfolgende Festgabe Fußnote Festschrift Generalanwalt Gewerbearchiv Gewerbeordnung

22 GewStG GG GO GrStG GS Hb Hess HKWP Hrsg. HStR IClQ InfAuslR IPRax IStR i. V. m. JA JBl. Jura JuS JZ KAG Kap. KOM KStZ LG lit. LKV MaßnG MDR MittBayNot m. N. m. w. N. NdsVBl. n. F. NJW NVwZ NVwZ-RR NW NWVBl. NZBau OVG PVS

Abkürzungsverzeichnis Gewerbesteuergesetz Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gemeindeordnung Grundsteuergesetz Gedächtnisschrift Handbuch hessisch Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis Herausgeber Handbuch des Staatsrechts The International and Comparative Law Quarterly Informationsbrief Ausländerrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationales Steuerrecht in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kommunalabgabengesetz Kapitel Dokumente der Kommission der EG Kommunale Steuer-Zeitschrift Landgericht litera (Buchstabe) Landes- und Kommunalverwaltung Maßnahmegesetz Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins mit Nachweisen mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Verwaltungsblätter neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht-Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Oberverwaltungsgericht Politische Vierteljahresschrift

Abkürzungsverzeichnis RabelsZ Rdnr. RG RGRE RGZ RIW RL ROW Rs. Rspr. RTDE S. Sächs SchlA Slg. StaatsR StuW UPR VBlBW VerfGH VerwArch VG VGH vgl. VO VOB VOF VOL VV VVDStRL VwVfG WirtR WiVerw WM wrp WuW z. B. ZEuS Ziff. ZfBR ZfRV ZG

23

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Randnummer Reichsgericht Rat der Gemeinden und Regionen Europas Entscheidungen des Reichsgericht in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Recht in Ost und West Rechtssache Rechtsprechung Revue Trimestrielle de Droit Européen Seite; Satz sächsisch Schlußantrag Sammlung der Rechtsprechung des EuGH Staatsrecht Steuer und Wirtschaft Umwelt- und Planungsrecht Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen Verdingungsordnung für Leistungen (ausgenommen Bauleistungen) Verfassungsvertrag Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsverfahrensgesetz Wirtschaftsrecht Wirtschaft und Verwaltung Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschaft und Wettbewerb zum Beispiel Zeitschrift für europarechtliche Studien Ziffer Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Gesetzgebung

24 ZHR ZIP zit. ZUR

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Umweltrecht

Allgemein geläufige Abkürzungen wurden nicht aufgeschlüsselt. Vgl. im übrigen ergänzend Hildebert Kirchner/Cornelie Butz, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 5. Aufl., Berlin 2003.

Einleitung A. Problemaufriß und Ziel Längst ist die europäische Integration keine Frage mehr, die sich allein auf der zwischenstaatlichen Ebene in dem Sinne bewegt, daß nur die Regierungen beziehungsweise die Staaten als solche durch europäische Rechtsakte betroffen wären.1 Auch beschränkt sich das Gemeinschaftsrecht2 nicht nur auf die Wirtschaftsordnung der beteiligten Staaten, sondern es erfaßt immer stärker alle Lebensbereiche.3 Dadurch beeinflußt die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft in zunehmendem Maße auch die Rechtsstellung der Gemeinden.4 Trotz der fortschreitenden Integration und der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft von einem anfangs primär ökonomisch orientierten Staatenverbund zu einer umfassenden Wertege1 Ausführliche Darstellungen zur historischen Entwicklung finden sich insbesondere bei R. Bieber, in: ders./Epiney/Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, 2005, § 1 Rdnr. 1 ff.; W. Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1979, S. 11 ff. Als Analyse siehe zum Beispiel H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 140 ff.; ausführlicher Rückblick auch bei H. v. d. Groeben, ZEuP 2003, 1 (1 ff.). 2 Der Begriff „Europäische Gemeinschaften“ kennzeichnet drei durch jeweils gesonderte völkerrechtlich entstandene und durch nachfolgende Änderungs- und Ergänzungsverträge fortentwickelte europäische Organisationen mit vertragsrechtlich zielbezogenem und vertragspolitisch offenem Integrationscharakter: die EG, die EAG und die EGKS, welche zum 23.07.02 auslief und von den Mitgliedstaaten nicht verlängert wurde. 3 So auch S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, 1997, S. 74. 4 Aus der inzwischen sehr umfangreichen Literatur zu diesem Thema vgl. nur A. Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, 2000, S. 80 ff.; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 94 ff.; W. Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, S. 29 ff. So lassen sich beispielsweise eine Vielzahl kommunaler Selbstverwaltungsbereiche ausmachen, die von dem Gemeinschaftsrecht berührt werden, vgl. die kommunale Wirtschaftsförderung (speziell dazu A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 83 ff.), den kommunalen Umweltschutz (siehe A. Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, 2000, S. 138), die kommunale Bauleitplanung (S. v. Zimmermann-Wienhues, Die kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, 1997, S. 84 ff.), die kommunale Energiewirtschaft (D. Ehlers, in: Henneke (Hrsg.), Kommunen und Europa – Chancen und Herausforderungen, 1999, S. 97 ff.) sowie das kommunale Personalwesen (A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 94 ff.).

26

Einleitung

meinschaft5 hat das mit der Einheitlichen Europäischen Akte am 1.7.19876 unter anderem eingeführte Ziel eines einheitlichen Binnenmarkts, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist,7 nicht an Bedeutung verloren. Die Verwirklichung des Binnenmarktes ist auch heute noch „Dreh- und Angelpunkt“8 der Europäischen Gemeinschaft und stellt damit weiterhin das Kernstück des europäischen Integrationsprozesses dar.9 Diesem Binnenmarktgedanken scheinbar diametral entgegenstehend praktizieren deutsche Städte und Gemeinden Modelle, mit denen sie ortsansässigen Privatpersonen und Unternehmen Vorteile gewähren, welche sie der auswärtigen Bevölkerung vorenthalten.10 Die Palette reicht von den sogenannten städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen, bei denen nur einheimische Kaufinteressenten ein Grundstück erwerben können, über das Einwohnerprivileg bei der Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen oder höheren Benutzungsentgelten für Auswärtige, bis hin zur Vergabe öffentlicher Aufträge, die nur unter Ortsansässigen stattfindet.11 Die bloße Tatsache der Ansässigkeit an einem Ort bildet das ausschlaggebende Kriterium bei der Gewährung von Vermögensvorteilen, bei der Eröffnung unternehmerischer Chancen oder beim Zugang zu kultur- wie sportbezogener Infrastruktur. Galt es bisher für die Kommunen, die in eigener Regie durchgeführten Einheimischenprivilegierungen hinsichtlich ihrer rechtlichen Zulässigkeit gegenüber Staat und Privaten zu verteidigen, sehen sich die Kommunen nun auch noch EG-rechtlichen Restriktionen und Vorgaben ausgesetzt, die den kommunalen Handlungsrahmen begrenzen. Die Zulässigkeit dieses örtlichen Protektionismus beschäftigt zunehmend auch Rechtsprechung12 und Literatur.13 Dabei wurde die rechtliche Legiti5 Vgl. bereits A. Bleckmann, NJW 1982, 1177 (1181); ferner auch A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 28. 6 Abgedruckt in EuR 1986, 175 ff. 7 Vgl. Art. 14 Abs. 2 EG, Art. 3 Abs. 1 lit. c EG. 8 J. Basedow, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling, Bd. I, 1995, S. 49 (49). 9 Vgl. auch R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 2 Rdnr. 30; siehe ferner W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 4, der von einem verfassungsrechtlichen Querschnittsziel spricht. 10 Vgl. dazu M. Burgi, JZ 1999, 873 (873 ff.). 11 Vgl. ausführlich zu den einzelnen Fallgruppen den 3. Teil. 12 Aus jüngerer Zeit siehe EuGH, Slg. 2003, 721 ff. – Kommission ./. Italien zu Tarifermäßigungen für Ortsansässige; EuGH, Slg. 2002, 305 ff. – Kommission ./. Italien zur Voraussetzung der Ortsansässigkeit eines Messeveranstalters; siehe auch EuGH, Slg. 1999, 2517 ff. – Ciola zur bevorzugten Vergabe von Bootsanlegeplätzen an Einheimische; EuGH, Slg. 1989, S. 29 ff. – Kommission ./. Italien zur vergünstigten Wohnungsvergabe sowie EuGH, Slg. 1990, 889 ff. – Du Pont de Nemours zur öffentlichen Auftragsvergabe bevorzugt an Unternehmen aus der Region.

A. Problemaufriß und Ziel

27

mation von Einheimischenprivilegierungen bislang nur ausschnittsweise und vorwiegend unter den eher technischen Aspekten der Konzeption einzelner Modelle erörtert.14 Ihre europarechtlichen Grenzen wurden hingegen kaum hinterfragt, allenfalls abstrakt angesprochen.15 Insbesondere für die herauszuarbeitenden Kollisionen mit den Vorschriften des EG-Rechts, die durch die mannigfaltigen Formen gemeindlicher Einheimischenprivilegierungen entstehen, bietet die Literatur bislang keine hinreichenden Lösungsansätze. Ziel dieser Untersuchung ist daher, das komplexe EG-rechtliche Spannungsverhältnis zwischen der Binnenmarktverwirklichung einerseits und der von zahlreichen Kommunen praktizierten Politik einer Privilegierung der ortsansässigen Bevölkerung und Unternehmen durch sogenannte Einheimischenmodelle andererseits zu durchleuchten. Es werden die europarechtlichen Grenzen der Einheimischenprivilegierung aufgezeigt und für die Gemeinden transparenter gemacht. Die vorliegende Untersuchung soll damit zugleich der gemeindlichen Praxis eine Hilfestellung geben, indem sie den für die Lokalpräferenz verbleibenden Handlungs- und Gestaltungsspielraum verdeutlicht. Unter dem Begriff der kommunalen Handlungsspielräume sind alle Handlungsmöglichkeiten zu verstehen, die der Kommune zur Verfügung stehen.16 Dabei werden die Handlungsmöglichkeiten vorliegend über Restriktionen rechtlicher Natur, also Handlungsgrenzen, bestimmt. Als Handlungsgrenzen sind im Rahmen dieser Untersuchung alle Normen und Grundsätze des EG-Rechts zu berücksichtigen, die die Rechtsordnung den möglichen Einheimischenprivilegierungen vorgibt und die in Widerspruch zu einer etwaigen Maßnahme treten. Darüber hinaus wird am Beispiel der Einheimischenprivilegierungen ersichtlich, inwieweit supranationales Recht zum unmittelbaren Bestimmungsfaktor lokalen Handelns werden kann. Die Untersuchung bereitet dazu die wichtigsten Erscheinungsformen von Einheimischenprivilegierungen bereichsübergreifend auf und fragt nach der europarechtlichen Legitimität des Verteilungskriteriums „Ortsansässigkeit“ im 13 Vgl. D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 43–46; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 209–213 jeweils zu den städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen; W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (24 ff.) zum städtebaurechtlichen Gewerbemodell; W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (269–274) zum Einwohnerprivileg bei öffentlichen Einrichtungen. 14 Etwa D. J. Elverfeld, Europäisches Recht und kommunales öffentliches Auftragswesen, 1992, S. 51 ff., der lediglich abstrakt die in Betracht kommenden europarechtlichen Normen erläutert. 15 So beispielsweise beim städtebaurechtlichten Einheimischenmodell A. Pittino, Einheimischenmodelle, S. 209 ff.; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, S. 43 ff. sowie zur öffentlichen Einrichtung U. Fastenrath, NWVBl. 1992, 51 (55 ff.); W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (269 ff.). 16 Vgl. zum Begriff kommunaler Handlungsspielräume auch A. Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, 2000, S. 21 ff.

28

Einleitung

Hinblick auf die Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts. Besondere Aktualität erlangt die vorstehend skizzierte Problematik durch den fortlaufenden Bedeutungsgewinn der lokalen Ebene im Blickfeld der Europäischen Gemeinschaft, mit dem die ursprüngliche „Kommunalblindheit“17 der Verträge aufgegeben wird und der mit der Verankerung der kommunalen Selbstverwaltung in der zukünftigen Europäischen Verfassung seinen bisherigen Höhepunkt findet.18 Auch die Gemeinschaftsorgane erkennen in zunehmendem Maße den Wert der Gemeinden und ihrer eigenverantwortlichen Selbstverwaltung für die Bewältigung der Probleme der Europäischen Gemeinschaft, die sich insbesondere aus der Bürgerferne der Gemeinschaftsinstitutionen ergeben, an und weisen ihnen in ihrer Strategie zur Weiterentwicklung Europas die Funktion als Mittler zwischen Bürger und Europäischer Gemeinschaft zu.19 Ob und gegebenenfalls wie sich die verstärkte Anerkennung der Rolle der Gemeinden einschließlich des Selbstverwaltungsprinzips für den europäischen Integrationsprozeß auf den gemeindlichen Handlungsspielraum auswirkt, wird im Laufe der Arbeit aufzuzeigen sein.

B. Gang der Arbeit Die Arbeit beginnt im ersten Teil mit einigen begrifflichen und systematischen Vorklärungen zur Einheimischenprivilegierung. Nach einer kurzen Bestandsaufnahme wird das Hauptaugenmerk auf die Anwendbarkeit des EG-Rechts auf die Einheimischenprivilegierungen gelegt. Von besonderer Bedeutung für das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung ist dabei zunächst die Frage, ob die Maßnahmen der Lokalpräferenz als Schutzgüter der verfassungsrechtlich gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung20 zu qualifizieren sind. Im Anschluß daran erfolgt sowohl aus nationalrechtlicher als auch aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive ein kursorischer Überblick über das Verhältnis von Unionsrecht zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG. Die im zweiten Teil dargelegten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundlagen des Gemeinschaftsrechts bieten Anlaß, das Verfassungsziel der Europäischen Gemeinschaft, den gemeinsamen Binnenmarkt, näher zu beleuchten. 17

So A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1127), in Anlehnung an den von H. P. Ipsen, in: v. Caemmerer/Schlochauer/Steindorff (Hrsg.), FS Hallstein, 1966, S. 248 (256) entwickelten Begriff der „Landes-Blindheit“. 18 Art. I-5 Abs. 1 VV, Art. I-11 Abs. 3 VV. 19 Vgl. hierzu das Weißbuch der Kommission „Europäisches Regieren“ vom 25.7.2001 sowie die Rede von Romano Prodi, dem ehemaligen Präsidenten der Kommission, vom 20.9.2001 vor dem Ausschuß der Regionen in Brüssel, Speech 01/398, abgedruckt unter http://europa.eu.int/rapid/searchResultAction.do. 20 Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG.

B. Gang der Arbeit

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Nach diesen für das Verständnis des erwähnten Spannungsfeldes grundlegenden Ausführungen werden im dritten Teil anhand der Überprüfung von repräsentativen und bislang noch ungeklärten Fallgruppen von Einheimischenprivilegierungen – den sogenannten städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen, der Privilegierung der Einwohner bei der Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen und bei der Bemessung von Benutzungsentgelten sowie der Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge – die durch Begünstigungen tangierten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen herausgearbeitet. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Beeinträchtigung der primärrechtlichen Grundfreiheiten. Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den Tatbestandsmerkmalen des gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots erforderlich. Aber auch das EGBeihilferegime und die sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien bedürfen im Hinblick auf die EG-Rechtskonformität der Einheimischenprivilegierungen einer Erörterung. Hieran anknüpfend beschäftigen sich der vierte und fünfte Teil mit der Frage nach einer konkreten Lösung der aufgezeigten Regelungskonflikte. Dazu werden zunächst die durch den EG-Vertrag beziehungsweise durch den EuGH in Rechtsfortbildung bereits anerkannten Gründe daraufhin überprüft, ob sie zur Rechtfertigung der festgestellten grundfreiheitlichen Beeinträchtigungen herangezogen werden können. Sodann steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung als neu anzuerkennender Grund für eine Legitimation fruchtbar gemacht werden kann. Die Auffindung eines solchen Rechtfertigungsgrundes bietet zum einen Anlaß, verschiedene primärrechtliche Bestimmungen und allgemeine Rechtsgrundsätze auf einen gemeinschaftsrechtlichen Schutzgehalt des Selbstverwaltungsprinzips hin zu überprüfen, zum anderen aber auch zu einem kurzen Vergleich der Rechtsstellung der lokalen Gebietskörperschaften in den einzelnen EG-Mitgliedstaaten. Schlußendlich wird im sechsten Teil ein Ausblick auf die zukünftige Rechtsentwicklung der Europäischen Gemeinschaft gegeben. Dabei stehen die zu erwartenden Auswirkungen des Europäischen Verfassungsvertrags auf die Kommunen im Vordergrund.

1. Teil

Begriffliche und systematische Vorklärungen A. Begriffsbestimmung I. Definition Sofern in Politik und Rechtswissenschaft von Einheimischenprivilegierung die Rede ist, ist der Gehalt dieses Begriffes alles andere als klar definiert1, vielmehr erweist er sich als facettenreich, wandelbar, nachgeradezu schillernd und unterliegt nicht zuletzt den Veränderungen der Zeit. Bei dem Begriff handelt es sich um keinen Rechtsbegriff2, da die Tatsache, ob ein Lebenssachverhalt zur Einheimischenprivilegierung gehört oder nicht, für sich genommen rechtlich nicht relevant ist.3 Vielmehr ist er als politisches Schlagwort oder als Ordnungsbegriff der rechtswissenschaftlichen Lehre zu bezeichnen, der aufgrund seiner Eigendynamik einer geschlossenen Begriffsbildung nur schwer zugänglich erscheint. Ein gänzlicher Verzicht auf eine Begriffsbestimmung, wie mitunter in ähnlich gelagerten Konstellationen favorisiert4, hilft jedoch nicht weiter, da ohne eine klare Definition oder auch nur Inhaltsumschreibung die dahinter stehenden rechtlichen Fragen nicht grundsätzlich geklärt werden können. Wie jede Begriffsbildung hat diese somit eine dienende Funktion, hängt vom jeweiligen erkenntnisleitenden Interesse ab und erfolgt bereichsspezifisch.5 Die Bildung von Begriffen6 ist eine 1 Soweit ersichtlich findet sich eine Definition des Begriffes einzig bei M. Burgi, JZ 1999, 873 (874). 2 Der Rechtsbegriff wird definiert als ein zur Darstellung einer rechtlichen Sollensanordnung verwendeter Begriff, vgl. H. Tilch, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, 1992, S. 41; siehe auch D. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 1998, Rdnr. 24. 3 Vgl. A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 3; ebenso V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 5. 4 R. Altenmüller, VBlBW 1981, 201 (201 ff.). Den Subventionsbegriff offenlassend H. P. Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater, 1956, S. 14; zustimmend V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 5. 5 A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 4; V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 5. 6 Vgl. zu den verschiedenen Prinzipien der Begriffsbestimmung D. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 1998, Rdnr. 158 ff.

A. Begriffsbestimmung

31

Frage der Zweckmäßigkeit, die im Hinblick auf das Ziel der jeweiligen Untersuchung beantwortet werden sollte.7 Um alle Phänomene der Einheimischenprivilegierung zu erfassen, die möglicherweise EG-rechtlichen Restriktionen unterliegen, ist der Begriff jedenfalls in einem sehr weiten, funktional geprägten Sinn zu verstehen. Eine Möglichkeit, die Einheimischenprivilegierung zu definieren, besteht darin, sie als Bündel einzelner Maßnahmen zu kennzeichnen. Dabei wird keine abstrakte Bestimmung gesucht, sondern über den Weg der Aufzählung der einsetzbaren Mittel der Inhalt umschrieben.8 Problematisch an einer derartigen Definitionsfindung ist, daß sie nicht die kommunale Aufgabe, sondern das Mittel in den Vordergrund stellt und somit die Akzente falsch setzt. Zum anderen erscheint die Aufzählung der mannigfachen Maßnahmen wenig hilfreich. Aufgrund ihrer Abhängigkeit von den allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen kann sie nicht abschließend sein, sondern unterliegt vielmehr, wie erwähnt, einem stetigen Wandlungsprozeß. Die auf diese Weise gewonnene Definition wäre oftmals unvollständig oder gar hinfällig, so daß sie als wissenschaftlich systematische Basisangabe nicht dienen kann. Vorzugswürdiger ist daher, den Begriff „Einheimischenprivilegierung“ durch unterschiedliche Zuweisungen zu charakterisieren: Der Kreis der unter dem vorliegenden Thema zusammengefaßten Ausschnitte aus der Lebenswirklichkeit ist nach dem Adressaten, dem Urheber sowie nach der Zielsetzung der erfolgten Privilegierung abzugrenzen.9 Dabei sind unter „Privilegierungen“ generell alle staatlichen Leistungen im weitesten Sinne zu verstehen, die entweder nur Einheimische erhalten oder die Einheimischen zu günstigeren Konditionen als Auswärtigen gewährt werden.10

7

Vgl. M. Rodi, Die Subventionsordnung, 2000, S. 29; R. Schubert, Kommunale Wirtschaftsförderung, 1998, S. 5. 8 Vgl. zu dieser Methode der Definitionsfindung D. Schmalz, Methodenlehre für das juristische Studium, 1998, Rdnr. 165. 9 Ähnlich M. Burgi, JZ 1999, 873 (874), der jedoch anstelle des Urhebers auf das Bezugsfeld abstellt. 10 M. Burgi, JZ 1999, 873 (874). Zum Begriff Privileg siehe H. Tilch, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, 1991, S. 1465 f.; C. Creifelds, Rechtswörterbuch, 1999, S. 1009 f.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

II. Einzelne Begriffsmerkmale 1. Urheber Eine inhaltliche Eingrenzung des Begriffs der Einheimischenprivilegierung ist zunächst anhand der Bestimmung des Urhebers der Begünstigungsmaßnahme vorzunehmen. Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, werden hier lediglich die Privilegierungen einer tieferen Untersuchung unterzogen, deren Urheber eine Gemeinde ist. Dabei umfaßt der Gemeindebegriff11 sämtliche rechtlich selbständigen und mit Verwaltungsautonomie ausgestatteten, auf eine örtliche Gemeinschaft bezogenen und von ihren Einwohnern getragenen (mitgliedschaftlich strukturierten) Gebietskörperschaften12 der untersten Verwaltungsebene13, wobei es für die Qualifikation als Gemeinde weder auf ihre Größe noch auf ihre Verwaltungskraft oder den kommunalgesetzlichen Status14 ankommt.15 Die Gemeinde muß nicht notwendig selbst in Erscheinung treten. Es genügt, wenn ein die begünstigende Maßnahme gewährendes Rechtssubjekt, das seinerseits nicht den Begriff der Gemeinde erfüllt, letztlich der Gemeinde zugerechnet werden kann. Zu denken ist etwa an Unternehmen, deren alleiniger Träger die Gemeinde ist oder auf welche sie einen beherrschenden Einfluß ausübt. Entscheidend ist, daß die Gemeinde auch in diesen Fällen unmittelbar oder mittelbar der Initiator der Begünstigungsmaßnahme bleibt. 2. Adressatenkreis Der durch die Einheimischenprivilegierung begünstigte Adressatenkreis stellt das zweite begriffszuweisende Charakteristikum dar. Dem ausdrücklichen Wortlaut zufolge umfaßt dieser „Einheimische“. Damit ist noch nicht geklärt, was darunter zu verstehen ist. In der Praxis wird von vielen Ge11 Zum Begriff der Gemeinde vgl. ausführlich W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 29 ff. 12 Als Gebietskörperschaften sind die Gemeinden juristische Personen des öffentlichen Rechts, vgl. stellvertretend § 1 Abs. 2 HessGO, Art. 1 S. 1 BayGO, § 1 Abs. 2 GONW, § 1 Abs. 3 SächsGO, § 1 Abs. 3 GOBW; siehe auch BVerfGE 8, 122 (132); 38, 258 (270). 13 K. Rennert, in: Umbach/Clemens (Hrsg), GG, Bd. I, 2002, Art. 28 Rdnr. 94. 14 Der Status einer Gemeinde verleiht keine eigenständig geschützte Rechtsposition, vgl. BVerfGE 78, 331 (340). 15 Das können kleine wie große, kreisangehörige wie kreisfreie Gemeinden und Städte sein, nicht aber unselbständige Untergliederungen von Gemeinden wie Bezirke und Ortschaften, vgl. etwa BVerfGE 83, 60 (63 ff.); BVerfG, EuGRZ 1990, 445 (450). Siehe auch W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 31, 46 f.

A. Begriffsbestimmung

33

meinden16 sowie von Herbert Grziwotz17 die Definition favorisiert, die Einheimischeneigenschaft an eine gewisse, in den Gemeinderichtlinien näher zu bestimmende Aufenthaltsdauer in der Gemeinde zu knüpfen. Diese Definition ist im Zusammenhang mit einer konkreten Maßnahme einer Einheimischenprivilegierung, dem städtebaurechtlichen Einheimischenmodell, zu sehen und bezieht augenscheinlich bereits das mit der Maßnahme verfolgte Ziel, langjährigen Gemeindeangehörigen die Existenzgründung in ihrer Heimatgemeinde zu ermöglichen, mit in die Begriffsbestimmung ein. Überzeugender erscheint die Definition von Martin Burgi, nach der Einheimische Personen sind, „die in der jeweiligen Gemeinde ansässig sind, indem sie dort entweder als Privatpersonen wohnen oder als Gewerbetreibende den Sitz ihres Betriebs, Büros etc. haben“.18 Eingeschlossen seien ferner die sogenannten Forensen, die lediglich Eigentümer eines Grundstücks in der Gemeinde sind, ohne dort zu wohnen. Diese Ausdehnung des personellen Geltungsbereichs trägt dem Gedanken Rechnung, daß der angeführte Adressatenkreis eine sachliche Verbindung mit der konkreten Gemeinde aufweist und die Gemeindelasten trägt. Auch der einfachgesetzlich geregelte Zulassungsanspruch19 zu öffentlichen Einrichtungen untermauert die Zugehörigkeit der Forensen zum privilegierten Kreis. Der genannten Begriffsbestimmung ist insofern zuzustimmen, als daß sie den Kernbereich der Begünstigten oder, anders ausgedrückt, den in der Praxis hauptsächlich begünstigten Kreis erfaßt. Andererseits fallen zum Beispiel Personenvereinigungen, Vereine, Stiftungen, insbesondere alle Organisationen, die kulturelle oder karitative Zwecke erfüllen, nicht unter die genannte Definition. Diese können jedoch gleichwohl die Eigenschaft der Ortsansässigkeit erfüllen und kommen somit ebenfalls als potentielle Begünstigte in Betracht. Der Einheimischenbegriff basiert somit ausschließlich auf der örtlichen Beziehung zur Gemeinde und umfaßt daher sämtliche Ansässigen in der Gemeinde. Die Frage nach der Wahl der Rechtsform bei Unternehmen oder nach der Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen spielt keine Rolle20, ebensowenig der Geburtsort oder die sozialen beziehungsweise finanziellen Verhältnisse. Auf die kommunalrechtliche Unterscheidung zwischen Einwohnern und Bürgern21 kommt es ebenfalls nicht an. Um neben 16 Vgl. zum Beispiel Gemeinde Unterföhring, Baulandbeschaffungsprogramm für Einheimische der Gemeinde Unterföhring 2000 für das Gebiet nördlich der Aschheimer Straße, Stand: 14.12.2000, S. 2. 17 H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 199. 18 M. Burgi, JZ 1999, 873 (874). 19 Vgl. stellvertretend § 20 Abs. 2 HessGO, Art. 21 Abs. 1 S. 1 BayGO, § 10 Abs. 2 S. 2 GOBW, § 10 Abs. 2 SächsGO, § 8 Abs. 2 GONW. 20 Vgl. auch G. Bennemann, in: ders./Beinlich/Brodbeck (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Hessen, Bd. I, Gesamtstand: Februar 2007, § 8 Rdnr. 4.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

den natürlichen Personen möglichst die vollständige Bandbreite der in Betracht kommenden Institutionen oder Formen von Ortsansässigen zu erfassen, wird hier der Oberbegriff privatrechtliche Organisationen22 gewählt. Hierunter fallen nach der soziologischen Organisationslehre alle privatrechtlich organisierten personifizierten Institutionen wie Vereine, Personengesellschaften, Stiftungen des bürgerlichen Rechts, Körperschaften des Privatrechts etc.23 Auf diese Weise ist es möglich, auch die bei der Definition von Burgi herausfallenden Institutionen mit zu erfassen. Einheimische sind danach alle ortsansässigen natürlichen Personen und privatrechtlichen Organisationen. Bei der Definition des Begriffs ortsansässig ist bei den natürlichen Personen unproblematisch auf den Wohnsitz in der Gemeinde abzustellen. Hingegen sollte die Gemeinde – wie sich später noch zeigen wird – die Ortsansässigkeit der privatrechtlichen Organisationen nicht streng an den Sitz in der Gemeinde knüpfen24, sondern diesen Begriff weiter verstehen und beispielsweise auch das Vorhandensein einer Betriebsstätte, von Grundbesitz oder dergleichen im Gemeindegebiet darunter fassen. Denkbar ist zudem, wie bereits angedeutet, daß die Gemeinde innerhalb der Gruppe der Einheimischen je nach den Zielsetzungen der Maßnahme weiter differenziert, etwa sachlich danach, ob es sich um Personen mit Erstwohnsitz oder lediglich mit Nebenwohnsitz handelt oder zeitlich danach, wie lange die Ortsansässigkeit bereits währt. Es kommt auch vor, daß auf eine in der Vergangenheit bestandene Ortsansässigkeit abgestellt wird. Derartige Einschränkungen sind beispielsweise im Rahmen der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle zu finden. Für die Untersuchung sind sie jedoch nicht weiter von Bedeutung. 3. Zielsetzung Das letzte Begriffsmerkmal betrifft die Zielsetzung der Maßnahme. Diese muß gerade in der Begünstigung der Ortsansässigen liegen. Maßnahmen, bei denen es primär um die Belange der Allgemeinheit und nicht um die Interessen der gleichsam reflexhaft begünstigten Einheimischen geht25, sind 21 Als Bürger werden alle diejenigen erwachsenen Einwohner bezeichnet, die als Deutsche oder als Angehörige eines EG-Mitgliedstaates länger als drei Monate mit Hauptwohnsitz gemeldet sind, vgl. etwa § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 30 Abs. 1 HessGO. 22 Der Begriff der Organisation bezeichnet nach dem vorliegenden Verständnis das soziale Gebilde als solches. Zum mehrdeutigen Begriff der Organisation sowie zu den verschiedenen Arten vgl. H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, VerwR, Bd. 3, 2004, § 80 Rdnr. 3 f.; siehe auch W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 460. 23 Vgl. H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, VerwR, Bd. 3, 2004, § 80 Rdnr. 4. 24 Vgl. unten 3. Teil A. II. 2. c) aa).

B. Ziele der Einheimischenprivilegierung

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daher von vornherein auszuschließen. Andererseits nehmen jenseits der Legalität liegende Zielsetzungen, wie das Gewähren reiner Gefälligkeitsgeschenke oder kommunales Prestigedenken, den Begünstigungen nicht ihren begrifflichen Charakter als Maßnahmen der – dann allerdings rechtswidrigen – Einheimischenprivilegierung. 4. Ergebnis Unter dem Begriff Einheimischenprivilegierung werden alle Leistungen im weitesten Sinne verstanden, die auf die Gemeinde zurückzuführen sind und mit dem Ziel der Besserstellung der ortsansässigen Personen und privatrechtlichen Organisationen gegenüber Auswärtigen gewährt werden.26 Diese Inhaltsbestimmung mag auf den ersten Blick vage erscheinen, ist aber unerläßlich, um sämtliche Aspekte des facettenreichen und vielschichtigen Begriffs einzufangen. Zudem hat sie den Vorteil, daß keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen enthalten sind und auf die Aufzählung von einsetzbaren Maßnahmen und konkreten Zielsetzungen verzichtet wird. Dadurch kann den sich ändernden Verhältnissen eher Rechnung getragen werden.

B. Ziele der Einheimischenprivilegierung Das hauptsächliche Ziel, das die Gemeinden mit Einheimischenprivilegierungen verfolgen, besteht in der Sicherung und Steigerung des wirtschaftlichen und sozialen Wohls ortsansässiger Personen und privatrechtlicher Organisationen. Anders formuliert geht es um die Maximierung des individuellen und kollektiven Nutzens, eine Motivation, die allerdings für jegliches gemeindliche Handeln gilt.27 Darüber hinaus dienen Einheimischenprivilegierungen allgemein dazu, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Einwohner und damit die Einheitsbildung der Gemeinde an sich zu fördern. Nur wenn sich die Bürger in ihrer alltäglichen physischen Existenz berühren, aufeinander angewiesen und miteinander verflochten sind, kann sich eine gefühlsmäßige Bindung und letztendlich eine Identifikation mit dem Heimatort entwickeln. 25 Vgl. M. Burgi, JZ 1999, 873 (874). Als Beispiel sei die Anknüpfung an die Ortsansässigkeit bei der Einstellung als Beamter genannt. Diese Maßnahme hat das BVerwG, DVBl. 1980, 56 (56) unter der Voraussetzung für statthaft erklärt, daß die zu besetzende Stelle ein besonderes Maß an Vertrautsein mit den örtlichen Verhältnissen verlangt. 26 Ähnlich auch M. Burgi, JZ 1999, 873 (874). 27 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 HessGO, Art. 57 Abs. 1 S. 1 BayGO, § 1 Abs. 1 S. 2 GONW, § 1 Abs. 2 SächsGO, § 1 Abs. 2 GOBW.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

Diesen Oberzielen der Einheimischenprivilegierung lassen sich spezifische Gemeinwohlausprägungen als typische Unterziele zuordnen. Sie variieren je nach den unterschiedlichen räumlichen Ausgangsbedingungen, dem Funktionswandel der Gemeinden, der Herausbildung neuer Schwerpunkte innerhalb des gemeindlichen Aufgabenspektrums, den örtlichen Bedürfnissen und Möglichkeiten und unterliegen dem Wandel der tatsächlichen Verhältnisse. Inhaltlich lassen sich die im folgenden dargestellten wichtigsten Einzelziele nicht immer eindeutig voneinander abschichten, so daß teilweise Überschneidungen vorkommen. Mitunter kann auch von einem Verhältnis der Abhängigkeit und der Ergänzung zwischen den einzelnen Zielen28 gesprochen werden. Ein Unterziel besteht in der Sicherung und dem Ausbau des Arbeitsplatzangebotes. Die Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten dient zum einen dem Wohl der Gemeindeeinwohner, kommt aber zum anderen auch dem gemeindlichen Anteil am Steueraufkommen zugute, womit bereits eine weitere indirekte Zielsetzung angesprochen ist: die Vermehrung der gemeindlichen Einnahmen. Durch die Erhöhung von Einkommens- sowie Gewerbesteueraufkommen, die als wichtige Einnahmeposten der Gemeinde gelten, wird die Leistungs- und Finanzkraft der Gemeinde gestärkt. Auf diese Weise wird es der Gemeinde ermöglicht, die Zukunftssicherung gemeindlichen Lebens durch eine in quantitativer und qualitativer Hinsicht umfassend verstandene Daseinsvorsorge zu gewährleisten. Aber auch das kommunale Bemühen um die Schaffung einer ausgewogenen, krisenfesten Wirtschaftsstruktur, ebenso wie städtebauliche Belange, beispielsweise die Schaffung von Wohnraum oder die Verbesserung der Infrastruktur, sowie soziale Anliegen wie die Vermeidung von Sozialtransfers stellen ebenfalls typische Unterziele der Einheimischenprivilegierung dar.

C. Instrumente der Einheimischenprivilegierung Zur Erreichung der oben genannten Ziele steht den Gemeinden eine Vielzahl struktur- und wirtschaftspolitischer Gestaltungsmaßnahmen zur Verfügung. Die nachstehende Aufzählung der Instrumente soll und kann nicht erschöpfend sein. Zu den gängigen29 Maßnahmen zählen beispielsweise verlorene Zuschüsse30 jeglicher Art, die Gewährung von Kapital- und Zinszu28 Beispielsweise bezüglich des städtebaurechtlichen Einheimischenmodells vgl. unten 3. Teil A. I. 2. 29 Vgl. A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 40 in bezug auf die kommunale Wirtschaftsförderung. 30 Auch à fonds perdu genannt, das heißt Geldleistungen, die nicht zurückzuzahlen und somit für die Gemeindekasse „verloren“ sind, H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 17 Rdnr. 6.

D. Rechtliche Handlungsformen

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schüssen sowie Darlehen31, die unter günstigeren Voraussetzungen gewährt werden als im privatwirtschaftlichen Bereich, die Übernahme von Bürgschaften32 und Garantien33 sowie die kostengünstige, im Vergleich zu Auswärtigen verbilligte Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen. Auch Realförderungen wie die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an ortsansässige Unternehmen und die „Veräußerung“ von gemeindeeigenen Grundstücken, Bauwerken und anderen Vermögensgegenständen unter dem objektiven Verkehrswert werden oft praktiziert. Daneben sind insbesondere die vergünstigte Vermietung34 oder Verpachtung von Grundstücken35, die Einräumung von Wegeund Nutzungsrechten36, der kostenlose Zugang zu Datenbanken und Informationszentren sowie eine besondere Beratung und Betreuung durch die Verwaltung als Instrumente37 der Einheimischenprivilegierung zu qualifizieren.

D. Rechtliche Handlungsformen Die Gemeinde besitzt bei der Begünstigung der lokalen Bevölkerung und Organisationen ein umfassendes Wahlrecht zwischen vielerlei möglichen Handlungsformen, sofern nicht eine besondere Vergabeform gesetzlich vorgeschrieben ist.38 Dies bedeutet, daß sie grundsätzlich befugt ist, sich sowohl öffentlich-rechtlicher Gestaltungsformen39 als auch der des privat31 Vgl. zum Gelddarlehen § 488 Abs. 1 BGB, zum Sachdarlehen § 607 Abs. 1 BGB. 32 Vgl. §§ 765 ff. BGB. 33 Das Gesetz verwendet den Begriff Garantie für die Übernahme einer Einstandspflicht, zum Teil im Sinne der verschuldensunabhängigen Haftung für eine im Rahmen eines anderen Vertrages übernommene vertragstypische Verpflichtung, vgl. H. Sprau, in: Palandt (Hrsg.), BGB, 2007, vor § 765 Rdnr. 16. 34 Vgl. § 535 BGB. 35 Vgl. §§ 581 ff. BGB, §§ 585 ff. BGB. 36 Vgl. §§ 1018 ff. BGB. 37 Siehe zum insoweit vergleichbaren Katalog zu den Instrumenten der kommunalen Wirtschaftsförderung etwa A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 40; E. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rdnr. 736; A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 20, 29 f.; A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 31. 38 BGHZ 57, 130 (134); BGH, NVwZ 1991, 606 (607); BGH, NJW 1992, 171 (172); A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 23; A. Bleckmann, Subventionsrecht, 1978, S. 86; W. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 86 f.; K. Lange, JuS 1982, 500 (500); OVG Münster, NVwZ 1984, 522 (522); dazu siehe H. Knirsch, NVwZ 1984, 495 (496). 39 Vgl. zum Beispiel den Verwaltungsakt gemäß § 35 LVwVfG oder den öffentlich-rechtlichen Vertrag gemäß § 54 LVwVfG.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

rechtlichen Vertrages oder der einer „zweistufigen“ gemischten Vergabeform zu bedienen (Grundsatz der Formenwahlfreiheit).40 Kritisch wird gegen diese Rechtsauffassung eingewandt, auf ihrer Grundlage könne sich die Verwaltung nach Belieben den speziell auf ihr Handeln zugeschnittenen Regeln des öffentlichen Rechts entziehen und über Verwaltungsverfahren, Rechtsschutz und gerichtliche Kontrollmöglichkeiten disponieren.41 Für das Recht auf Formenwahl spricht jedoch neben dem traditionellen Rechtsverständnis auch das berechtigte Interesse an der Erhaltung flexibler administrativer Handlungsformen.42 Der Vorwurf des rechtsstaatlich bedenklichen Formenmißbrauchs verliert an Gewicht, wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Träger öffentlich-rechtlicher Verwaltung, auch wenn er sich zur Erreichung seiner Ziele eines privatrechtlichen Vertrages bedient, gleichwohl einer Vielzahl öffentlich-rechtlicher Einschränkungen unterliegt.43 Die Gemeinde bedient sich öffentlich-rechtlicher Handlungsformen beispielsweise bei der Bewilligung von verlorenen Zuschüssen44 in Form von Verwaltungsakten oder bei dem Erlaß einer Gebührenordnung für eine öffentliche Einrichtung im Wege einer Satzung.45 Privatrechtlich wird sie vor allem bei der Vergabe von Naturalsubventionen, die in gleicher Weise auch von Privatunternehmen erbracht werden könnten, tätig. Als Beispiele mögen hier der Darlehensvertrag gemäß § 488 Abs. 1, § 607 Abs. 1 BGB sowie der Dienst-46 oder Werkvertrag47 bei der öffentlichen Auftragsvergabe dienen. Die auf Hans Peter Ipsen48 zurückgehende Zweistufentheorie49 findet insbe40 Übersicht zu den Handlungsformen der Verwaltung bei H. Maurer, AllgVerwR, 2006, §§ 9, 13 ff.; B. Remmert, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allg. VerwR, 2006, § 16 Rdnr. 5. 41 D. Ehlers, VerwArch 1983, 112 (114); C. Pestalozza, DÖV 1974, 188 (188 f.). 42 Vgl. etwa K. Lange, JuS 1982, 500 (500); H. Knirsch, NVwZ 1984, 495 (496). 43 OVG Koblenz, NVwZ 1993, 381 (382); H. D. Jarass, JuS 1980, 115 (118); H. Knirsch, NVwZ 1984, 495 (496); H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 17 Rdnr. 1. Umstritten ist, inwieweit bei der Wahl privatrechtlicher Handlungsformen die Bindung an Recht und Gesetz, insbesondere an Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG besteht, vgl. hierzu D. Ehlers, in: Erichsen/ders. (Hrsg.), AllgVerwR, 2006, § 3 Rdnr. 79 ff.; W. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Verträge und Absprachen, 1994, S. 162 ff.; W. Kahl, Die rechtliche Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Jura 2002, 721 (727). 44 Die Zweistufentheorie greift nicht ein. Der beantragte Zuschuß wird durch Verwaltungsakt bewilligt und daraufhin ausbezahlt, vgl. H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 17 Rdnr. 29. 45 Siehe § 5 HessGO, § 4 S. 1 GOBW, § 4 Abs. 1 S. 1 SächsGO, § 7 Abs. 1 GONW, Art. 23 S. 1 BayGO. 46 Gemäß § 611 BGB. 47 Gemäß § 631 BGB. 48 H. P. Ipsen, Öffentliche Subventionierung Privater, 1956, S. 62 ff., insbesondere S. 67; ders., in: Vogel/Tipke (Hrsg.), FS Wacke, 1972, S. 139 (139 f.).

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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sondere im Rahmen der ersten und zweiten Fallgruppe der hier zu behandelnden Einheimischenprivilegierungen, den städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen und der Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen, Anwendung und wird dort genauer erläutert.50

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen Die von den Städten und Gemeinden praktizierten Einheimischenprivilegierungen widersprechen scheinbar diametral dem Binnenmarkt. Damit jedoch der Fall einer Kollision überhaupt eintreten kann, muß das EG-Recht auf die Einheimischenprivilegierungen Anwendung finden. Eine Anwendbarkeit könnte jedoch dann ausgeschlossen sein, wenn die Präferenzregelungen als Schutzgüter der verfassungsrechtlich in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung zu qualifizieren sind (I.) und dieser Verfassungsnorm der Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht zukommt (II.).

I. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG 1. Eigenart und Schutzrichtung der Verfassungsgarantie Die kommunale Selbstverwaltung51 ist in Deutschland ein fester Bestandteil der Staatsverfassung und als solcher vom Grundgesetz in Art. 28 Abs. 2 49 Zur Kritik an der Zweistufentheorie vgl. statt vieler V. Götz, Recht der Wirtschaftssubventionen, 1966, S. 56 ff.; H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 17 Rdnr. 24; D. Ehlers, VerwArch 1983, S. 112 (116 f.). 50 Vgl. unten 3. Teil A. I. 5., B. I. 3. 51 Der Begriff der kommunalen Selbstverwaltung kann sowohl politisch als auch juristisch verstanden werden. Vgl. neben anderen R. Hendler, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1999, § 106 Rdnr. 12. Kritisch E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1973, S. 474; W. Wertenbruch, in: Zacher (Hrsg.), FS Peters, 1975, S. 203 (209 ff.); E. Laux, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 51 (51). Unter politischer Selbstverwaltung ist die bürgerschaftliche Selbstverwaltung zu verstehen, deren Hauptmerkmal die ehrenamtliche Mitwirkung der Bürger an öffentlichen Aufgaben ist. Demgegenüber meint Selbstverwaltung im juristischen Sinn die „selbständige, fachweisungsfreie Wahrnehmung enumerativ oder global überlassener oder zugewiesener eigener öffentlicher Angelegenheiten durch unterstaatliche Träger oder Subjekte öffentlicher Verwaltung in eigenem Namen“, vgl. D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 70; siehe auch BVerfGE 11, 351 (363). Zum Begriff der Selbstverwaltung vgl. ferner R. Hendler, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1999, § 106 Rdnr. 12 ff. m. w. N; ders., in: Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip, 1984, S. 269 ff.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

S. 1 GG52 garantiert. Diese Verfassungsnorm gewährleistet den Gemeinden das Recht, „alle Angelegenheiten53 der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“ und fixiert somit den bundeseinheitlich geltenden Mindeststandard.54 Darüber hinaus enthalten die Landesverfassungen55 und Gemeindeordnungen56 – in nicht zu unterschätzender Breite und Vielfalt57 -entsprechende Gewährleistungen, die diesen Standard näher konkretisieren.58 Im folgenden soll ein kurzer Abriß zum Recht der kommunalen Selbstverwaltung gegeben werden, soweit es für den weiteren Gang der Arbeit von Bedeutung ist. a) Mangelnde Grundrechtsqualität kommunaler Selbstverwaltung Ursprünglich waren die Gemeinden aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem monarchischen Legitimationsverständnis des Staates dem gesellschaftlichen Bereich zugeordnet. Dies hatte zur Folge, daß in der Paulskirchenverfassung von 1848 die Garantie der Selbstverwaltung als Grundrecht ausgewiesen war.59 Der grundrechtliche Gehalt wurde allerdings bereits in der Weimarer Staatsrechtslehre obsolet, die dem formell noch im Grundrechtsteil der Reichsverfassung von 1919 angesiedelten Art. 127 WRV die Grundrechtsqualität absprach.60 Obwohl auch heute noch Anklänge an ein grund52 Zur Entstehungsgeschichte des Verfassungswortlauts von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG siehe W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 50 ff. 53 Der in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verwendete Begriff der Angelegenheit ist inhaltsgleich mit dem der „Aufgabe“, vgl. K. Vogelgesang, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar, Gesamtstand: April 2007, Art. 28 Rdnr. 102. A.A. W. Roters, in: v. Münch (Hrsg.), GG, Bd. 2, 1983, Art. 28 Rdnr. 39, der unter diesem Begriff nur „Teilaufgaben“ versteht. 54 K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 25. 55 Art. 137 Verf. Hess, Art. 78 Verf. NW, Art. 71 Verf. BW, Art. 11 Verf. Bay, Art. 144 Verf. Brem, Art. 49 Verf. RhPf, Art. 117 Verf. Saarl, Art. 39 Verf. SH. Art. 83 Abs. 1 Verf. Bay legt schließlich beispielhaft eine Reihe von Angelegenheiten fest, die in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallen. 56 Vgl. zum Beispiel § 2 HessGO, §§ 2 f. GONW, § 2 SächsGO, § 2 GOBW. 57 F. Hufen, in: Geis/Lorenz (Hrsg.), FS Maurer, 2001, S. 1177 (1178). 58 Zum Verhältnis der Verfassungsnormen untereinander vgl. A. v. Mutius, in: v. ders. (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 227 (241). 59 Siehe auch in der Weimarer Reichsverfassung gemäß Art. 127 mit der bezeichnenden Ausnahme der Wahlrechtsregeln Art. 17 Abs. 2 WRV. Nachklänge finden sich noch in der gemeindlichen Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG und in der Grundrechtsklage nach § 46 StGHG. 60 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 134. Nachweise zur Weimarer Diskussion bei H. Bethge, in: v. Mutius

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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rechtliches Verständnis kommunaler Selbstverwaltung, insbesondere auf der Ebene des Landesverfassungsrechts, zu finden sind61, kommt nach herrschender Meinung Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ein grundrechtlicher Charakter62 oder auch nur ein status negativus eines Freiheitsrechtes besonderer Art63 nicht zu.64 Auch formell hat die kommunale Verfassungsgarantie diese Änderung durch den Positionswechsel aus dem Grundrechtsteil der Weimarer Reichsverfassung in den allgemeinen organisatorischen Teil des Grundgesetzes vollzogen.65 Die Gemeinden stellen nach einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts nicht „eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen“66 dar, sondern sind „selbst ein Stück Staat“.67 Dies hat zur Konsequenz, daß die Gemeinden allgemein an die für die Ausübung hoheitlicher Gewalt geltenden Regelungen gebunden sind.68 Die aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG herzuleitende Selbstverwaltungsgarantie bewirkt demnach nur eine bürgerschaftliche Mitwirkung an der gemeindlichen Verwaltung einerseits und eine starke Dezentralisation der Verwaltungsorganisation andererseits69, nicht hingegen, daß die Verwaltung örtlicher Angelegenheiten nicht als staatliche Verwaltung anzusehen ist.70 Nach den Erfah(Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 149 (158); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 188 ff. 61 Vgl. die Verfassung von Rheinland-Pfalz, die die kommunale Selbstverwaltung im Grundrechtsteil führt sowie den BayVerfGH 29, 105 (119 ff.); 31, 99 (117); 34, 1 (6), der die landesverfassungsrechtliche Gewährleistung – wohl im Wesentlichen aus prozessualen Gründen – als grundrechtsähnliches Freiheitsrecht auffaßt. 62 So aber K. A. Bettermann, NJW 1969, 1321 (1327); ders., NJW 1977, 513 (514). 63 Bejahend F. E. Schnapp, DÖV 1971, 659 (662). 64 BVerfGE 48, 64 (79); 58, 177 (189). Zustimmend T. Clemens, NVwZ 1990, 834 (835); J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 135; H. Bethge, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 149 (158); M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), 2003, GG, Art. 28 Rdnr. 34; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 405. Für ein subjektives Recht W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 446 ff., insbesondere S. 450 f.; H. Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1041); M. Kenntner, DÖV 1998, 701 (706); U. Hösch, DÖV 2000, 393 (394 f.). 65 W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 93; H. Bethge, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 149 (158). 66 BVerfGE 61, 82 (103). 67 BVerfGE 73, 118 (191); kritisch dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 320 ff., 328. 68 BVerfGE 56, 298 (311); vgl. auch F. Schoch, Jura 2001, 121 (124 Fn. 7). 69 H. Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1040); K. Rennert, JZ 2003, 385 (387). 70 Stellvertretend für die herrschende Meinung D. Birkenfeld/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 148. A.A. H. Meyer, in: Meyer/Stolleis (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Hessen, 2000, S. 157, der diese Annahme „bestenfalls auf eine terminologische Verwirrung“ zurückführt.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

rungen aus der Zeit des Nationalsozialismus wollte der Verfassungsgeber mit der Stärkung der Gemeinde als Keimzelle der Demokratie71 vor allem den Aufbau der Demokratie von unten nach oben sichern.72 Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie stellt demnach kein Grundrecht dar.73 b) Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG als institutionelle Garantie Das Bundesverfassungsgericht74 – und ihm folgend weite Teile der Literatur75 – interpretieren die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung vielmehr als institutionelle Garantie. Damit knüpft das Gericht an die dogmatische Konzeption des Selbstverwaltungsrechts in der Weimarer Zeit an.76 Zunächst wurde dort Art. 127 WRV, der den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung innerhalb der Schranken der Gesetze gewährte, aufgrund des traditionellen Gesetzespositivismus der damaligen Zeit77 jegliche Bindungswirkung gegenüber dem Gesetzgeber abgesprochen, so daß die Norm wie Gerhard Lassar bemerkte „materiell inhaltslos und praktisch bedeutungslos“ war.78 Gegen diese Auslegung wandte sich die von Carl Schmitt näher entwickelte Lehre von den institutionellen Garantien.79 Danach dürfen die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen einschließlich der kommunalen 71 Vgl. BVerfGE 79, 127 (149): Die Gemeinde scheint am ehesten diktaturresistent zu sein. Insofern gibt § 1 Abs. 1 HessGO den verfassungsrechtlichen Stellenwert der Gemeinde als „Grundlage des demokratischen Staates“ exakt wieder; vgl. H. Meyer, in: Meyer/Stolleis (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Hessen, 2000, S. 152. 72 Vgl. W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 255 ff.; D. Birkenfeld-Pfeiffer/ A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 148; F.-L. Knemeyer/M. Wehr, VerwArch 2001, 318 (328 f.). 73 Statt vieler vgl. nur H. Bethge, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 149 (158). 74 Vgl. BVerfGE 1, 167 (174 ff.); 86, 90 (107); ähnlich BVerfGE 79, 127 (143); VerfGH, NW DVBl. 1997, 1107 (1109); anders BVerfG, NVwZ 2000, 675 (675): Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vermittelt den Gemeinden materielle Rechtspositionen. 75 Vgl. etwa § 16 Rdnr. 12; F.-L. Knemeyer/M. Wehr, VerwArch 2001, 317 (332); K. Stern, in: Dolzer/Vogel/Graßhof (Hrsg.), Bonner Kommentar, Gesamtstand: Februar 2007, Art. 28 Rdnr. 62 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), BesVerwR, 2005, Rdnr. 8 ff.; A. Gern, Kommunalrecht, 2004, Rdnr. 49 ff.; W. Blümel, in: v. Mutius (Hrsg.), FS v. Unruh, 1983, S. 265 (266 f.). 76 Vgl. dazu W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 188 ff.; D. Ehlers, DVBl. 2000, 1301 (1302); M. Kenntner, DÖV 1998, 701 (702 f.). 77 Der Gesetzespositivismus der Weimarer Zeit sprach den Grundrechten eine Begrenzungsfunktion dem Gesetzgeber gegenüber nicht zu; vgl. M. Kennter, DÖV 1998, 701 (702). 78 G. Lassar, Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt 1929, 524 (524). Ähnlich auch G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 1987, Art. 127 WRV Rdnr. 1.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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Selbstverwaltungsgarantie nicht schrankenlos dem Zugriff des Gesetzgebers preisgegeben werden. Vielmehr müssen die Einrichtungen als solche inklusive ihrer wesentlichen und typusbildenden Merkmale geschützt werden. Obwohl die dogmatische Figur der institutionellen Garantie in der Weimarer Rechtsverfassung nicht zu finden ist, hat sich diese Konzeption in der Folgezeit durchgesetzt.80 Auch der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich legte diese Sichtweise seiner Rechtsprechung zu Grunde und stellte in seiner Grundsatzentscheidung im Jahre 1929 fest, die Landesgesetzgebung dürfe „die Selbstverwaltung auch nicht derart einschränken, daß sie innerlich ausgehöhlt wird, die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verliert und nur noch ein Schattendasein führen kann“.81 Ohne eine vertiefte Auseinandersetzung mit Wesen und Dogmatik der institutionellen Garantie82 übernahm das Bundesverfassungsgericht83 bereits in der ersten einschlägigen Entscheidung dieses „Kunstgeschöpf“.84 Die institutionelle Garantie, die teilweise als solche85 wie auch zunehmend in ihrer Anwendbarkeit auf Art. 28 Abs. 2 GG in Frage gestellt wird86, läßt sich inhaltlich in drei wesentliche Aspekte gliedern, die im Anschluß an Klaus Stern87 üblicherweise als institutionelle 79 C. Schmitt, Verfassungslehre, 2003, S. 170 ff.; ders., in: Anschütz (Hrsg.) Hb des deutschen StaatsR, Bd. 2, 1998, S. 595. 80 M. Kenntner, DÖV 1998, 701 (703). 81 StGH, RGZ 124, Anh. 14 (22). 82 M. Kenntner, DÖV 1998, 701 (703). 83 BVerfGE 1, 167 (175): „Dieser Auslegung ist auch für Art. 28 Abs. 2 GG zu folgen“. Zustimmend zum Beispiel E. Schmidt-Jortzig, Kommunale Organisationshoheit, 1979, S. 82 ff.; A. v. Mutius, Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 140 ff. Das BVerfG erkennt jedoch entgegen seiner anfänglichen Einschätzung an, daß historisch nicht bloß an die Weimarer Verfassung angeknüpft werden kann, sondern auch gerade die Entwicklungen der Jahre 1946/47 zur Auslegung herangezogen werden müssen; vgl. BVerfGE 79, 129 (144, 149). Zustimmend H. Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1038); F.-L. Knemeyer/M. Wehr, VerwArch 2001, 317 (321 f.); ausführlich zum ganzen W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 320 ff. m. w. N. 84 G. Dürig, in: Maunz/Dürig u. a. (Hrsg.), GG, Bd. 1, Gesamtstand: November 2006, Art. 1 Abs. 3 Rdnr. 98. 85 Vgl. K. Waechter, Die Verwaltung, 1996, S. 47 (47 ff.). 86 Vgl. aus neuerer Zeit etwa W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 451 f.; A. Schink, VerwArch 1990, 385 (396); J. Ipsen, ZG 1994, 194 (195 ff.). Ablehnend zur Einordnung des Art. 28 Abs. 2 GG (auch) als institutionelle Garantie H. Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1041 f.); K. Waechter, Die Verwaltung 1996, 47 (63 ff.); M. Kenntner, DÖV 1998, 701 (702 ff.), der das schlechthin epochale Kunstgeschöpf als unablösbar mit den spezifischen Eigenheiten der Weimarer Reichsverfassung verknüpft sieht. Relativierend D. Ehlers, DVBl. 2000, 1301 (1304). 87 Vgl. dazu K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 409 ff.; ebenso H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, 2006, Art. 28 Rdnr. 96 ff.; D. Ehlers, DVBl. 2000, 1301 (1302 f.). Vgl. zum ganzen auch H.-U. Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 1997, S. 362 ff.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

Rechtssubjektsgarantie, objektive Rechtsinstitutionsgarantie und subjektive Rechtsstellungsgarantie bezeichnet werden. Die Rechtssubjektsgarantie gewährleistet die Eigenschaft der Gemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts und trifft damit zugleich eine konstitutive Aussage über die Staatsorganisation in der Bundesrepublik Deutschland.88 Die objektive Rechtsinstitutionsgarantie, zweite und bedeutsamste Garantieebene89, sichert den Gemeinden einen bestimmten Aufgabenbestand sowie das Recht zur eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung.90 Zum Schutz der genannten Garantien verbrieft schließlich der dritte Aspekt den Gemeinden das Recht, sich gegen eine vermeintliche Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie selbständig und im eigenen Namen gerichtlich zur Wehr zu setzen.91 Hervorzuheben ist, daß dieses Recht mit der institutionellen Garantie korrespondiert, also nur in dem Umfang und nach Maßgabe der institutionellen Garantie zum Tragen kommt.92 Die hier interessierende Frage nach der Gewährleistung gemeindlicher Handlungsbefugnisse im Hinblick auf die Einheimischenprivilegierung muß sich an der objektiven Rechtsinstitutionsgarantie entscheiden. c) Schutz eines eigenen Wirkungskreises Aus der ausdrücklichen Umschreibung des Aufgabenfeldes kommunaler Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG folgt, daß den Gemeinden innerhalb der staatlichen Organisation verfassungsrechtlich ein eigener gemeindlicher, gegenüber den sonstigen staatlichen Aufgaben abgegrenzter Wirkungskreis zusteht.93 Gegen diese Sichtweise wurde argumentiert, daß die Gemeinden und Landkreise keine eigenständigen Ebenen darstellten, sondern eng miteinander verbunden seien. Aufgrund dieser Verzahnung könne es einen abgrenzbaren eigenen Aufgabenbereich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht geben.94 Diese Ansichten sind zu 88 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 409; T. Karst, DÖV 2002, 809 (810); F. Schoch, Jura 2001, 121 (124). 89 F. Schoch, Jura 2001, 121 (124). 90 Vgl. BVerfGE 79, 127 (143) m. w. N. 91 H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, 2006, Art. 28 Rdnr. 96 ff. 92 Vgl. D. Ehlers, DVBl. 2000, 1301 (1303). Trotz der gewährten Rechte ist an dem institutionellen Charakter weiterhin festzuhalten. Dieser kommt darin zum Ausdruck, daß das prozessuale Instrument der Kommunalverfassungsbeschwerde in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG gesondert, außerhalb der Regelung für die GrundrechtsVerfassungsbeschwerde des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, verankert ist; vgl. T. Clemens, NVwZ 1990, 834 (835). 93 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 138. 94 J. Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, 1977, S. 24 ff., 69 ff.; W. Roters, Kommunale Mitwirkung an

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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Recht in der Literatur kritisiert worden.95 Sie verstoßen sowohl gegen das föderalistische Prinzip als auch gegen das Prinzip der vertikalen Gewaltenteilung durch Dezentralisation der Aufgaben.96 Auch das Bundesverfassungsgericht hat dieser Auffassung in seiner grundlegenden „Rastede-Entscheidung“97 konkludent eine Absage erteilt98, indem es die sogenannte interkommunale Geltung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts bekräftigt hat. Im Ergebnis ist daher ein eigenständiger, gegenüber den Aufgaben anderer staatlicher Verwaltungsträger abzugrenzender Aufgabenbereich der Gemeinde zu bejahen.99 aa) Allzuständigkeitsvermutung Nach dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG wird dieser gegenständliche Aufgabenbereich des Selbstverwaltungsrechts mit den Angelegenheiten umschrieben, die aus dem Zusammenleben der Menschen in der örtlichen Gemeinschaft erwachsen. Für die Gesamtheit dieser Angelegenheiten begründet das Selbstverwaltungsrecht eine universale sachliche Zuständigkeit der Gemeinden.100 Diese sogenannte Aufgabenallzuständigkeitsvermutung101 beinhaltet zwei Aspekte: eine grundsätzliche Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Gemeinden102 und die Befugnis, sich aller Angelegenhöherstufigen Entscheidungsprozessen, 1975, S. 11 ff., 42; ders., in: Püttner (Hrsg.), HKWP, Bd. 1, 1981 S. 296. 95 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 138; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 424 ff.; F. Schoch, VerwArch 1990, 18 (41 f.); W. Blümel, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 265 (279). 96 F.-L. Knemeyer, in: v. Mutius, FG v. Unruh, 1983, S. 209 (216 ff.). 97 BVerfGE 79, 127 (159). 98 So J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 138; F. Schoch, VerwArch 1990, 18 (41 f.). 99 Ebenso D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 114; F. Schoch, VerwArch 1990, 18 (28); A. v. Mutius, in: v. ders. (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 227 (234); K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 33 f. 100 BVerfGE 1, 167, (175); 8, 122 (134); 21, 117 (128); 23, 353 (365); A. v. Mutius, in: v. ders. (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 227 (245). 101 Die Allzuständigkeitsvermutung, bekannt auch unter den Begriffen „Universalitätsprinzip“, örtliche „Allzuständigkeit“ oder „Allseitigkeit des Wirkungskreises“, war bereits in der Steinschen Städteordnung anerkannt und seitdem unbestrittener Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung; vgl. auch BVerfGE 79, 127 (146); 83, 37 (54); K. Vogelgesang, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar, Gesamtstand: April 2007, Art. 28 Rdnr. 99; U. Lübking, in: Dieckmann/ Heinrichs (Hrsg.), Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 1996, § 2 Rdnr. 1. 102 K. Vogelgesang, in: Friauf/Höfling (Hrsg.) Berliner Kommentar, Gesamtstand: April 2007, Art. 28 Rdnr. 100.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

heiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen.103 Insoweit besitzen die Gemeinden ein Recht zur „Aufgaben- und Funktionserfindung“.104 Die Universalität für alle örtlichen Angelegenheiten wird vorliegend gleichwohl als eingeschränkte Allzuständigkeit bezeichnet, um so eine Abgrenzung zu der noch zu erörternden umfassenden Allzuständigkeit für alle öffentlichen Angelegenheiten vorzunehmen.105 bb) Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet den Gemeinden nicht nur einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich, sondern auch die Befugnis, die Geschäfte in diesem Bereich eigenverantwortlich zu führen.106 Die Eigenverantwortlichkeit ist das wichtigste Merkmal der gemeindlichen Selbstverwaltung. Sie ist für die dezentralisierende, bürgereinbeziehende Funktion schlechthin entscheidend.107 Den Gemeindeorganen ist mit der Eigenverantwortlichkeit die Freiheit zuerkannt, unabhängig von staatlicher oder sonstiger Bevormundung über die Zielprojektion, Zweckmäßigkeit und Form betreffend ihre Verwaltungstätigkeit im Rahmen der Rechtsordnung zu entscheiden, wobei sämtliche Stufen des Ablaufvorgangs der Aufgabenerfüllung mit umfaßt sind.108 Eigenverantwortlichkeit bedeutet demnach Weisungsfreiheit, Gestaltungsfreiheit, Ermessensfreiheit oder kurzum die Abwesenheit von Staatskuratel.109 Daraus ist jedoch nicht zu schließen, daß die Gemeinden keinerlei Aufsicht unterliegen. Die Kommunalaufsicht110 ist vielmehr das notwendige Korrelat zur Selbstverwaltung.111 103 BVerfGE 79, 127 (127); 83, 37 (54); BVerwGE 87, 228 (230); S. Hobe/ D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (807). 104 K. Stern, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar, Gesamtstand: Februar 2007, Art. 28 Rdnr. 87; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, 2006, Art. 28 Rdnr. 104. 105 Vgl. unten 5. Teil B. I. 4. a) bb). 106 BVerfGE 26, 228 (237 f.); 56, 298 (312); 59, 216 (226); 79, 127 (143). 107 A. v. Mutius, in: v. ders. (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 227 (248); ders., Jura 1982, 28 (31 f.). 108 Vgl. BVerfGE 83, 363 (382); F.-L. Knemeyer/M. Wehr, VerwArch 2001, 317 (334); P. J. Tettinger, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Bd. II, 2005, Art. 28 Rdnr. 178; A. v. Mutius, in: v. ders. (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 227 (248); E. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982, Rdnr. 480 f. 109 A. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2003, Rdnr. 75; W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 537.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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2. Einheimischenprivilegierungen als öffentliche Aufgaben Der Terminus „Angelegenheiten der . . . Gemeinschaft“ in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG weist ähnlich wie der Begriff „öffentliche Verwaltung“ in Art. 137 Abs. 1 S. 1 HV sowie § 2 S. 2 HessGO auf den grundsätzlich selbstverständlichen und vielleicht gerade deshalb häufig unerwähnt bleibenden Umstand hin, daß die Gemeinden sich nur solcher Aufgaben annehmen dürfen, die ein anerkanntes öffentliches Interesse112 aufweisen und insofern als öffentliche Aufgaben zu qualifizieren sind.113 Denn auch die gemeindliche Verwaltung ist wie das Handeln aller Träger von Staatsgewalt wegen des Zweckes der ihr anvertrauten Funktionen an das öffentliche Interesse gebunden114, das heißt sie muß sowohl ihr öffentlich-rechtliches als auch ihr privatrechtliches115 Tätigwerden am Maßstab des öffentlichen Interesses legitimieren können.116 Aufgrund der vielfältigen und breitgefächerten möglichen Zielsetzungen von Einheimischenprivilegierungen können an dieser Stelle nur grundsätzliche, abstrakte Ausführungen darüber gemacht werden, unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme der Einheimischenprivilegierung ein öffentliches Interesse aufweist und daher als öffentliche Aufgabe zu qualifizieren ist. Das Verständnis des Begriffs „öffentliches Interesse“ kann in dem pluralistischen Staatswesen der Gegenwart nicht ein für 110 Vgl. zu diesem Themenkomplex grundlegend W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 347 ff.; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, VerwR, Bd. 3, 2004, § 94 Rdnr. 124 ff. 111 BVerfGE 6, 104 (118); 78, 331 (341). 112 Vgl. grundlegend P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 32 ff.; R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999. Statt von einem öffentlichen Interesse wird vielfach auch von einem öffentlichen Zweck oder einer Bindung an das Wohl der Allgemeinheit ohne Unterschied in der Sache gesprochen; vgl. H. Rupp, Wohl der Allgemeinheit und öffentliche Interessen, 1968, S. 116 ff., 124. Vgl. insgesamt zum Gemeinwohl f. v. Zezschwitz, Das Gemeinwohl als Rechtsbegriff, 1967. Nach a. A. sind die Begriffe Allgemeininteresse und öffentliches Interesse nicht deckungsgleich, vgl. mit Begründung N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 83 f.; ebenso R. Noch, Vergaberecht und subjektiver Rechtsschutz, 1998, S. 64; a. A. I. Seidel, ZfBR 1995, 227 (228). 113 K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 26. 114 Zur Unterscheidung zwischen zweckgebundener Verwaltungstätigkeit und privatautonomem Handeln siehe W. Kahl, Die rechtliche Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, Jura 2002, 721 (725 ff.). 115 Vgl. statt vieler D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 109. Nichts anderes gilt für die Verwendung gesonderter Organisationsformen etwa des Zweckverbandes oder der Eigengesellschaft. 116 Vgl. auch D. Ehlers, in: Erichsen/ders. (Hrsg.), AllgVerwR, 2006, § 1 Rdnr. 28; H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 1 Rdnr. 10; K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftförderung, 1981, S. 26.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

allemal festgestellt werden. Es ist vielmehr dem Wandel der Zeit unterworfen und wird auch dort oft kontrovers diskutiert.117 Soll die Bindung an das öffentliche Interesse allerdings mehr als eine „lehrformelhafte Beschwörung“118 sein, muß sie präzisiert werden. Da eine Definition aufgrund der Unbestimmtheit Schwierigkeiten bereitet,119 sollen abstrakte Grundsätze allgemeinverbindlich im Wege der positiven und negativen Inhaltsbestimmung herausgearbeitet werden. a) Positive Bestimmung des öffentlichen Interesses Positiv bedeutet die Bindung an das öffentliche Interesse, daß die Einheimischenprivilegierung der Verwirklichung des Gemeinwohls dienen muß.120 Zuweilen wird das öffentliche Interesse mit dem Begriff der „Daseinsvorsorge“ gleichgesetzt.121 Der von Ernst Forsthoff geprägte Begriff122 kennzeichnet jedoch eher ein politisches Leitziel oder einen soziologischen Terminus als einen Rechtsbegriff, an den bestimmte Rechtsfolgen geknüpft werden könnten.123 Der Begriff des öffentlichen Interesses umfaßt daher zwar die Daseinsvorsorge, geht aber im übrigen darüber hinaus. Einigkeit besteht indes darüber, daß das öffentliche Interesse im Interesse aller liegen kann, aber nicht muß.124 Hierbei kann es sich mit Individualinteressen ganz oder teilweise decken, ihnen aber auch entgegenstehen.125 Selbst das Interesse eines Privaten kann zum Gegenstand eines inhaltsgleichen öffentlichen Interesses werden, da das Grundgesetz die Menschenwürde zum obersten 117 P. Häberle, Das öffentliche Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 206 ff.; vgl. auch G. Britz, NVwZ 2001, 380 (382). 118 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 110. 119 M. Uechtritz/O. Otting, in: Hoppe/Uechtritz (Hrsg.), Hb Kommunale Unternehmen, 2004, S. 77; W. Erbguth/S. Schlacke, NWVBl. 2002, 258 (262). 120 M. Uechtritz/O. Otting, in: Hoppe/Uechtritz (Hrsg.), Hb Kommunale Unternehmen, 2004, S. 77 f. 121 So H. Pagenkopf, Kommunalrecht, Bd. II, 1976, S. 150. 122 Grundlegend E. Forsthoff, Die Daseinsvorsorge und die Kommunen, 1958, S. 24. Der Begriff der Daseinsvorsorge umfaßt die Gesamtheit der Leistungen des Staates und privater Träger zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger für eine normale (das heißt dem jeweiligen Lebensstandard entsprechende) Lebensführung, wobei das Leistungsspektrum nicht auf die Erfüllung elementarer Bedürfnisse beschränkt sein soll. Der Begriff wird vorliegend jedoch erheblich weiter verstanden; vgl. auch D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 110, der zutreffend die Zukunftssorge gleichbedeutend mit Wohlfahrtspflege mit einbezieht. 123 So H. Hill, BB 1997, 425 (427); M. Ruffert, VerwArch 2001, 27 (41). 124 W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 177; D. Ehlers, in: Erichsen/ders. (Hrsg.), AllgVerwR, 2006, § 1 Rdnr. 29. 125 H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 1 Rdnr. 10.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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Konstitutionsprinzip erklärt und die Grundrechte nachdrücklich garantiert (Art. 1 ff. GG).126 b) Negative Bestimmung des öffentlichen Interesses Negativ gesehen verbietet die Bindung an das öffentliche Interesse, beliebige Ziele im Sinne einer privatautonomen Gestaltung zu verfolgen oder Gefälligkeitssubventionen beziehungsweise Geschenke zu vergeben.127 Insbesondere stellt die Privilegierung einer Privatperson oder eines bestimmten Unternehmens allein noch kein Handeln im öffentlichen Interesse dar.128 Grenzziehungen können sich auch aus den Grundrechten ergeben. Dieser verfassungsrechtliche Maßstab liegt dem Gemeinwohlinteresse immanent zugrunde. Das öffentliche Interesse ist folglich nicht mehr gegeben, wenn der Staat ohne Rechtfertigung Grundrechte einzelner verletzt.129 Ob und welche Gemeinwohlbelange die Gemeinden verfolgen wollen, bleibt – im Rahmen der rechtlichen Schranken – der eigenverantwortlichen Entscheidung den Kommunen überlassen. Ihnen wird insoweit ein sehr weiter Gestaltungsspielraum zugebilligt,130 der unter anderem auf die fehlende normative Verbindlichkeit einer bestimmten Wirtschaftsordnung zurückzuführen ist.131 Die juristisch zulässige Präzisierung der Bindung der Verwaltung an das öffentliche Interesse beschränkt sich vielmehr grundsätzlich auf das Verbot von Maßnahmen, die offensichtlich nicht dem Wohl der Gemeindeeinwohner/-organisationen dienen, und insofern als außerhalb der öffentlichen Zwecksetzung liegend qualifiziert werden.132 Die Einheimischenprivilegierung wird dem Empfänger nicht primär in dessen Interesse gewährt. Er soll in der Regel durch die Begünstigung zu einem bestimmten Verhal126 Vgl. D. Ehlers, in: Erichsen/ders. (Hrsg.), AllgVerwR, 2006, § 1 Rdnr. 29; vgl. auch P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 60 ff. Als Beispiele seien die Sozialfürsorge oder das Einschreiten zum Schutz privater Rechte genannt. 127 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 112 f.; K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 27. Positiv-rechtlich ergibt sich das Verbot, Geschenke zu verteilen, auch aus Art. 75 Abs. 3 S. 1 BayGO, § 90 Abs. 1 S. 2 SächsGO, § 90 Abs. 1 S. 2 GONW, § 92 Abs. 1 S. 2 GOBW. 128 Vgl. F.-L. Knemeyer/B. Rost-Haigis, DVBl. 1980, 241 (243). 129 W. Erbguth/S. Schlacke, NWVBl. 2002, 258 (263). 130 BVerfGE 83, 363 (383 f.). D. Ehlers, in: Erichsen/ders. (Hrsg.), AllgVerwR, 2006, § 1 Rdnr. 29. 131 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 110. 132 K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 27. A.A. R. Altenmüller, DVBl. 1981, 619 (620) mit Bezug zur Wirtschaftsförderung.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

ten veranlaßt werden, das zugleich wirtschafts-, sozial- oder allgemeinpolitischen Zielsetzungen dient.133 Die Unterstützung ist daher nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Als Beispiel mögen hier die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle dienen, die noch einer genaueren Untersuchung unterzogen werden.134 Diese Modelle werden als Instrumente gemeindlicher Bodenpolitik dazu eingesetzt, Einheimische, insbesondere junge Familien, durch die Förderung auf dem Grundstücksmarkt an die Gemeinde zu binden, um dadurch das städtebauliche Anliegen, die gewachsenen Bevölkerungsstrukturen in der Gemeinde zu erhalten, zu verwirklichen.135 Generell kann gelten: Sofern die Gemeinde hinsichtlich einer von ihr ins Auge gefaßten Maßnahme die beispielhaft aufgezählten Ziele136 der Einheimischenprivilegierung verfolgt, ist dies als Indiz für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses und der Qualifikation als öffentliche Aufgabe zu werten. 3. Einheimischenprivilegierung als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Einheimischenprivilegierungen mithin als Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft qualifiziert werden können. Eine allgemeingültige Subsumtion der Einheimischenprivilegierungen unter Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG kann aufgrund der facettenreichen Zielsetzungen und Erscheinungsformen vorliegend nicht geleistet werden. An dieser Stelle können lediglich konkrete Voraussetzungen erläutert und Beurteilungsmaßstäbe an die Hand gegeben werden, wann die von einer Gemeinde geplante beziehungsweise durchgeführte Einheimischenprivilegierung unter die kommunale Selbstverwaltung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG fällt. Eine konkrete Betrachtungsweise wird exemplarisch anhand der wichtigsten Erscheinungsformen von Einheimischenprivilegierungen im 5. Teil dieser Arbeit durchgeführt.137 Die Universalität des Wirkungskreises verleiht den Gemeinden gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG das Recht, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen, die nicht auf Grund des Gesetzesvorbehalts anderen Verwaltungsträgern zugewiesen sind.138 Darin liegt jedoch keine 133 Zum öffentlichen Zweck im Hinblick auf Subventionen vgl. H. Maurer, Allg. VerwR, 2004, § 17 Rdnr. 9. 134 Vgl. unten 3. Teil A. 135 S. Els, BayVBl. 1983, 421 (421). 136 Vgl. oben 1. Teil B. 137 Vgl. unten 5. Teil A. 138 Vgl. auch OVG Münster, DÖV 1962, 947 (948).

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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sachlich prinzipiell unbegrenzte Kompetenz dergestalt, daß die Gemeinden bei fehlender gesetzlicher Regelung für alle Verwaltungsmaßnahmen zuständig sind, die (auch) ihr Gebiet betreffen.139 Vielmehr wird die Einhaltung der oben umschriebenen gemeindlichen Verbandskompetenz durch eine doppelte Grenzziehung gekennzeichnet: Negativ darf eine bestimmte Aufgabe nicht (abschließend) einem anderen Rechtsträger zugewiesen sein. Ein allgemeiner Kompetenztitel zur Einheimischenprivilegierung existiert nicht. Insoweit ist jeweils im Einzelfall zu untersuchen, welchem Verwaltungsträger die in Rede stehende Aufgabe zugewiesen ist.140 Ein Blick auf die Rechtsordnung verdeutlicht aber, daß diese den Gemeinden mitunter die Kompetenz zum eigenverantwortlichen Einsatz zur Einheimischenprivilegierung gehörender Maßnahmen ausdrücklich zuspricht.141 Im positiven Sinne muß definitionsgemäß eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vorliegen.142 a) Begriff Sofern eine Aufgabe nicht ausdrücklich einem anderen Verwaltungsträger zugewiesen ist, darf sich die Gemeinde ihrer annehmen, vorausgesetzt, es handelt sich um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft.143 Das BVerfG hat in seiner grundlegenden Rastede-Entscheidung unter „Zurückdrängung des bürokratisch autoritären Elements“144 den Inhalt der Aufgaben der Gemeinden aus dem Zweck des Art. 28 Abs. 2 GG, bürgerschaftliches Engagement zu ermöglichen, bestimmt.145 Ausgehend von der Feststellung, diese Norm enthalte ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip zugunsten der Gemeinden, sieht es als Angelegenheiten der Gemeinden 139 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 114; a. A. wohl H.-U. Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 1997, S. 295, 322. 140 Hingegen existieren spezielle Kompetenztitel für einige Modelle der Einheimischenprivilegierung zugunsten der Gemeinde, auf die im folgenden noch einzugehen sein wird, vgl. beispielhaft unten 3. Teil A. I. 4. 141 Im Hinblick auf die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle vgl. § 11 BauGB als sedes materie des städtebaurechtlichen Vertrages sowie § 19 HessGO, Art. 21 Abs. 1 BayGO, § 8 Abs. 2 GONW, § 10 Abs. 2 SächsGO, § 10 Abs. 2 S. 2 GOBW bezüglich des Einwohnerprivilegs bei öffentlichen Einrichtungen. 142 Vgl. F. Schoch, Jura 2001, 121 (128). 143 Zum Begriff der Gemeinschaft vgl. W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 40 ff. 144 BVerfGE 7, 155 (167); 79, 127 (149). Vgl. auch E. Schmidt-Aßmann, in: Franßen/Redeker/Schlichter u. a. (Hrsg.), FS Sendler, 1991, S. 121 (123). 145 BVerfGE 79, 127 (149); K. Vogelgesang, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar, Bd. 2, Gesamtstand: April 2007, Art. 28 Rdnr. 106; M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 40.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

„diejenigen Bedürfnisse und Interessen an, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben,146 die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“.147 Das Bundesverfassungsgericht betont dabei weiter, daß es entgegen seiner früheren Rechtsprechung148 auf die „Verwaltungskraft der Gemeinde“ nicht ankomme.149 Dem ist insofern zuzustimmen, als daß die Verwaltungskraft von der finanziellen Ausstattung abhängt und daher der Staat in der Lage wäre, über Finanzzuweisungen den Umfang der gemeindlichen Angelegenheiten zu steuern.150 Daß die Anwendung dieser Definition gleichwohl Schwierigkeiten und Unsicherheiten bereitet, ist unbestritten. Die Gründe liegen in dem geschichtlichen Wandel des Aufgabenverständnisses („Wanderungsprozeß“), in der unauflösbaren Verbindung örtlicher und überörtlicher Komponenten, in den unterschiedlichen Einwohnerzahlen, flächenmäßigen Ausdehnungen sowie in den differierenden Wirtschafts- und Sozialstrukturen der Gemeinden.151 Die wesentlichen Anhaltspunkte für die verfassungsrechtliche Verortung einzelner Aufgaben wird daher im Allgemeinen zunächst in einer historischen Betrachtung152 und dann – mit Rücksicht auf die Wandelbarkeit des Aufgabencharakters – in einer funktionalen, auf den aktuellen Stand bezogenen Betrachtung gesucht.153

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Vgl. BVerfGE 8, 122 (134); 50, 195 (201); 52, 95 (120). BVerfGE 79, 127 (151 f.); ebenso VerfGH NW, DVBl. 2001, 1595 (1597). 148 BVerfGE 8, 122 (134), 52, 95 (120). 149 BVerfGE 79, 127 (152). Daraus wird in der Literatur auf die Aufgabe dieses Erfordernisses geschlossen, vgl. E. Schmidt-Aßmann, in: Franßen/Redeker/Schlichter u. a. (Hrsg.), FS Sendler, 1991, S. 121 (128); zweifelnd H. Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1043). 150 H. Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1043). Ebenso F. Schoch, Jura 2001, 121 (128); ders., VerwArch 1990, 18 (46 f.). 151 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 144; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2001, Art. 28 Rdnr. 45; E. Schmidt-Aßmann, in: Franßen/Redeker/Schlichter u. a. (Hrsg.), FS Sendler, 1991, S. 121 (129 f.). 152 Bei der historischen Auslegung ist jedoch nicht bei den Bestimmungen des 19. Jahrhunderts und der Weimarer Zeit sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung und Literatur stehenzubleiben, so aber ein Teil der Literatur und lange Zeit auch das BVerfG, vgl. BVerfGE 1, 167 (174 ff.); 91, 228 (236); anders jedoch 79, 127 (144, 149), sondern es muß auch und vor allem die unmittelbare Vorgeschichte des Grundgesetzes beachtet werden; vgl. H. Maurer, DVBl. 1995, 1037 (1039); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 274 ff. 153 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 144. 147

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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b) Zugehörigkeit gemeindlicher Einheimischenprivilegierungen zu den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Es ist Aufgabe der Gemeinde, das Wohl und das gesellschaftliche Zusammenleben ihrer Einwohner zu fördern.154 Damit wird die Leitlinie der Kommunalpolitik vorgegeben, an der sich die gemeindlichen Maßnahmen im Einzelfall zu orientieren haben. Dem gemeindlichen Betätigungsdrang wird allerdings durch den Bezug auf die Örtlichkeit der Angelegenheiten eine Grenze gesetzt. Allein aus der Tatsache, daß Begünstigte der Einheimischenprivilegierungen ausschließlich die in der Gemeinde ansässigen Einwohner und Organisationen sein sollen, kann eine spezifische Ortsbezogenheit nicht hergeleitet werden.155 Würde man das Merkmal der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bereits immer dann als erfüllt ansehen, wenn sich eine gemeindliche Regelung ausschließlich an die Einwohner/Organisationen in einer Gemeinde richtet, würde diesem kompetenzrechtlichen Zuordnungskriterium jede abgrenzende Kraft genommen.156 Deshalb erfordern die eingangs genannten Merkmale des Tatbestands der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eine spezifische über den reinen Sachbezug hinausgehende Ortsbezogenheit, die voraussetzt, daß die Aufgabe in der dargelegten Weise in der örtlichen Gemeinschaft wurzelt.157 Dabei ist festzuhalten, daß sich die Privilegierungen jeweils auf das Gemeindegebiet beziehen und daher die geforderte geographisch-räumliche Beziehung aufweisen. Eine sogleich zu erläuternde Ausnahme liegt bei sogenannten Wanderungsprozessen vor. Die aus den Begünstigungen resultierende Betroffenheit des Zusammenlebens und -wohnens der Gemeindeeinwohner, die die zweite Komponente der Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft kennzeichnet, muß bezüglich jeder einzelnen der Einheimischenprivilegierung zugehörigen Maßnahme festgestellt werden. Die Betroffenheit des Zusammenlebens und -wohnens oder, anders ausgedrückt, die Ortsverbundenheit kann sich in mannigfaltigen Aspekten äußern, indem zum Beispiel durch die Förderung von Unternehmen Arbeitsplätze erhalten beziehungsweise geschaffen werden oder eine öffentliche Einrichtung oder Wohnraum für die Gemeindeansässigen bereitgestellt wird. Schon mit Rücksicht auf die ge154 Vgl. stellvertretend § 1 Abs. 1 S. 2 HessGO, § 1 Abs. 2 SächsGO, § 1 S. 2 GONW, § 1 Abs. 2 GOBW. 155 Siehe OVG Münster, NVwZ 1995, 718 (720); nach K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 33 ist dies zumindest „möglich“. Allein auf die räumlich-geographische Komponente abstellend W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 29; P. J. Tettinger, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), GG, Bd. II, 2005, Art. 28 Rdnr. 16; T. Karst, DÖV 2002, 809 (809). 156 OVG Münster, NVwZ 1995, 718 (720). 157 Siehe hierzu BVerwGE 87, 228 (231).

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

schichtliche Entwicklung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die gemeinwohlgerechte Versorgung der Einwohner mit bestimmten Dienstleistungen und Gütern als wesentliche Aufgabe kommunaler Selbstverwaltung aufzufassen. Aufgaben der Daseinsvorsorge, zu denen verschiedene Maßnahmen der Einheimischenprivilegierung gezählt werden können, gehören demnach zu den typischen Aufgabenfeldern der kommunalen Selbstverwaltung.158 Die Einheimischenprivilegierungen dienen darüber hinaus auch der Förderung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Einwohner und damit der Einheitsbildung der Gemeinde an sich. Diese Zugehörigkeit stellt den Einwohner in ein erlebtes Verhältnis zu den übrigen Ortsbewohnern. Kraft seiner Zugehörigkeit kann er sich als betroffen ansehen, wenn die Belange der Gemeinde berührt werden, gleich, ob seine individuellen Interessen damit ebenfalls angesprochen sind oder nicht. Je engagierter, tatkräftiger und individueller spezifisch örtliche Einheimischenprivilegierung betrieben und in der Öffentlichkeit dargestellt wird, desto mehr wird die Integrationswirkung solcher Maßnahmen steigen und auf die örtliche Qualität solcher Maßnahmen zurückwirken. Aktivität und Anschaulichkeit der politischen, raumkörperschaftlichen Einheit Gemeinde und Intensität gemeindlicher Einheitsbildung stehen damit in einem Wechselbezug. Daraus ergibt sich, daß unter dem Gesichtspunkt verfassungsgewollter Entfaltung der örtlichen Kategorie nicht allein Integration als Voraussetzung für kraftvolle politische Selbstgestaltung geschützt und gefördert werden muß. Auch umgekehrt sind – weil zugleich Voraussetzung und Folge – die örtliche Politik, ihr Stil, ihr Inhalt, ihre Aktivität einschließlich der Einheimischenprivilegierung, daran zu messen, ob sie sich integrationsfördernd oder desintegrierend auswirken. Aus der Natur des Integrationsprozesses als Bewußtmachung und Betätigung überpersoneller Gruppeneinheit159 folgt ferner, daß jede Form der Verwirklichung und Äußerung lokalen Einheitsbewußtseins zugleich selbst wieder als erlebte, angeschaute Einheit auf Gemeinschaftsbildung hinwirkt, also ihrerseits wieder Integrationsfaktor ist. Indem die Einheit der Gruppe durch Betätigung und Artikulation sichtbar und erfahrbar wird, erwächst aus der Anschauung ihrer Äußerungen für den Anschauenden das Bewußtsein ihrer Existenz und damit der Antrieb eigener Einfügung und Betätigung. Demzufolge müssen alle Formen der gemeindlichen Integrationsäußerung zugleich als Anstoß und Faktor für die lokale Einheitsbildung bewertet werden. Weiterhin folgt daraus, daß je vielfältiger, häufiger, dichter und in158

J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 144; A. v. Mutius, in: ders. (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 227 (247); H.-U. Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 1997, S. 373; K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984 S. 412. 159 Zum Begriff „Integration“ vgl. S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaat, 1998, S. 1 f.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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tensiver das Bewußtsein der Einheit sich im gemeindlichen Leben zu äußern vermag, desto kräftiger und lebendiger entwickelt sich der Einheitsprozeß fort. Damit fördert die gemeindliche Einheimischenprivilegierung die Integration der Einwohner, die wiederum notwendiger Bestandteil gemeindlicher Selbstverwaltung im verfassungsvorausgesetzten Sinn ist.160 Als Beispiel für eine nach Ansicht der Rechtsprechung außerhalb der Verbandskompetenz liegende Einheimischenprivilegierung mag folgender Fall dienen: Eine Gemeinde zahlte den Unterhaltspflichtigen anläßlich der Geburt eines dritten oder weiteren Kindes eine Aufwendungsbeihilfe in Höhe von 500 Euro zum Zweck einer Ergänzung des allgemeinen Familienlastenausgleichs.161 Die Maßnahme stellt nach dem OVG Münster keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft dar und ist aus diesem Grund rechtswidrig. Feinsinnig versucht das OVG Münster zu unterscheiden: Im Gegensatz zu einem Patenschaftsgeld, das der Verbundenheit zwischen örtlicher Gemeinschaft und Neugeborenem diene, knüpfe die streitbefangene Aufwendungsbeihilfe allein an die wirtschaftliche Mehrbelastung der Familien an und verfolge ausschließlich das Ziel, diese Mehrbelastung durch die Gewährung einer nicht zweckgebundenen, aus dem Steueraufkommen stammenden Geldleistung zu mindern. Die beanstandete Beihilfe stellt sich daher nach Auffassung des Gerichts als eine Maßnahme des allgemeinen Familienlastenausgleichs dar, die als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ohne spezifische Ortsbezogenheit vom Staat wahrgenommen wird162 und der sich vielmehr der Bundesgesetzgeber des Familienlastenausgleichs als Aufgabe der Sozialgesetzgebung angenommen hat.163 Eine differenzierte Beurteilung danach, ob ein Patenschaftsgeld oder eine Aufwendungsbeihilfe vorliegt, stellt jedoch kein sachgerechtes Entscheidungskriterium dar. Abgesehen davon, daß das Abgrenzungsmerkmal Patenschaftsgeld wenig präzise ist, und der Gemeinde durch entsprechende textliche Begründungen eine Umgehungsmöglichkeit eröffnet, ist auch bei einer Aufwendungsbeihilfe regelmäßig ein spezifischer Ortsbezug zu bejahen. Bei anderer Sichtweise würde der durch die Verfassung verbürgte Umfang der kommunalen Selbstverwaltung verkannt.164 Die Aufwendungsbeihilfe als Maßnahme der Einheimi160 Vgl. W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 232. 161 OVG Münster, NVwZ 1995, 718 (718). 162 OVG Münster, NVwZ 1995, 718 (719). Ablehnend dazu M. Ch. Jakobs/K. Machens, NWVBl. 1996, 1 (2); H. Sendler, NJW 1999, 2233 (2234); zustimmend jedoch unter Hinweis auf § 31 SGB AT G. Prinz/S. Schuhmacher, NWVBl. 1996, 245 (247). 163 OVG Münster, NVwZ 1995, 718 (719). 164 Im Ergebnis ebenso Ch. Jakobs/K. Machens, NWVBl. 1996, 1 (5); H. Sendler, NJW 1999, 2233 (2234).

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schenprivilegierung gehört daher zu den durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. c) Externe Ursachen und Ausstrahlungswirkung in das Umland An dem so festgestellten spezifisch örtlichen Charakter ändert sich nichts, wenn die Ursachen für die in Rede stehende Einheimischenprivilegierung externer Natur sind165 wie zum Beispiel die gesamtwirtschaftliche Konjunkturschwäche oder die Wohnungsnot für Einheimische aufgrund des vermehrten Zuzugs Auswärtiger. Namentlich für die Arbeitsplatzsicherung wird vertreten, daß sie prinzipiell keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft sei, weil die Ursachen der Gefährdung von Arbeitsplätzen in der Regel nicht im örtlichen Bereich lägen und dauerhaft nur durch im größeren Zusammenhang stehende Maßnahmen für die Sicherheit gefährdeter Arbeitsplätze gesorgt werden könne.166 Entscheidend ist jedoch nicht, ob die Ursachen des Arbeitsplatzmangels im örtlichen Bereich liegen, sondern ob die Bekämpfung des Mangels dem Interesse der örtlichen Gemeinschaft dient und der Gemeinde auch grundsätzlich möglich ist.167 Die Gemeinden sind meist mit den Besonderheiten der örtlichen Wirtschaft besser vertraut als höherstufige staatliche Entscheidungsträger und können daher in der Regel auch schneller auf örtliche Strukturveränderungen reagieren.168 Die Frage hingegen, mit welchem Aufwand sie die Arbeitsplatzsicherung betreiben dürfen, betrifft die Grenzen der Einheimischenprivilegierung. Die Tatsache, daß die Wirkung der Begünstigung oftmals über den gemeindlichen Bereich in das Umland ausstrahlt und somit auch der Allgemeinheit zu Gute kommt, steht dem örtlichen Charakter ebenfalls nicht entgegen.169 Eine derartige Ausstrahlungswirkung kommt vielen Maßnahmen gemeindlicher Aufgabenerfüllung im Bereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG170 zu, so 165 Vgl. D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 115; K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 41; A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 35. 166 In diesem Sinne R. Altenmüller, DVBl. 1981, 619 (621); H. Heberlein, BayVBl. 1990, 268 (270). 167 Im Ergebnis bejahend BVerwG, DÖV 1990, 386 (386); vgl. auch K. Lange, Möglichkeiten und Grenzen gemeindlicher Wirtschaftsförderung, 1981, S. 42 f. 168 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Kommunale Wirtschaftsförderung, 1990, S. 115. 169 Vgl. auch K. Lange, DVBl. 1977, 873 (875); ders., Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1981, S. 43 f.; H.-P. Steinmetz, BayVBl. 1983, 97 (98 f.); F.-L. Knemeyer/ B. Rost-Haigis, DVBl. 1981, 241 (245); a. A. R. Altenmüller, DVBl. 1981, 619 (621). 170 Die Aufstellung eines Bebauungsplanes wirkt durch Ausweisung eines GEoder GI-Gebietes über die Gemeindegrenzen hinweg. Die von den Gemeinden er-

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daß ein überörtliches Interesse, das mitunter neben dem örtlichen steht, die Verbandskompetenz der Gemeinde nicht ausschließt. Allerdings können hinsichtlich einzelner Aufgaben durch gesellschaftliche und wirtschaftliche sowie technische Änderungen Wanderungsprozesse zur überörtlichen Ebene stattgefunden haben.171 Insoweit bleibt jeweils im einzelnen zu untersuchen, ob noch ein hinreichender örtlicher Bezug besteht. d) Ergebnis Einheimischenprivilegierungen betreffen regelmäßig Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Gleichwohl bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Die erste Komponente des Begriffs, der geographisch-räumliche Bezug, ist in der Regel gegeben, es sei denn, daß hinsichtlich der jeweiligen Angelegenheit aufgrund gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder technischer Änderungen ein Wanderungsprozeß zur überörtlichen Ebene stattgefunden hat. Die Förderung der Ortsverbundenheit als zweite Komponente des Begriffs kann grundsätzlich in vielfältiger Weise hergestellt werden. Da Einheimischenprivilegierungen immer auch das Ziel verfolgen, die Einheitsbildung sowie das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gemeinde zu stärken, ist die Betroffenheit des Zusammenlebens und -wohnens regelmäßig zu bejahen. Bestehen dennoch Zweifel, ob eine Maßnahme der Einheimischenprivilegierung zu den örtlichen Angelegenheiten gehört, so greift die Allzuständigkeitsvermutung ein.172 Folglich können Einheimischenprivilegierungen grundsätzlich als Schutzgüter der verfassungsrechtlich in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie qualifiziert werden. 4. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG als kompetenzielle Grenze Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist nicht nur die verfassungsrechtliche Grundlage für eine Einheimischenprivilegierung, sondern zugleich auch ihre kompetenzielle Grenze.173 Die kommunale Selbstverwaltung wird nur „im Rahmen stellten öffentlichen Einrichtungen (zum Beispiel Schwimmbäder) ziehen auch Einwohner anderer Gemeinden an; vgl. F.-L. Knemeyer, in: v. Mutius (Hrsg.), FS v. Unruh, 1983, S. 209 (222). 171 Dies gilt etwa für die Abfallbeseitigung im engeren Sinne, die nach dem BVerfG aus dem örtlichen Aufgabenkreis herausgewachsen ist; vgl. BVerfGE 79, 127 (156 f.); W. Kahl, in: Kloepfer (Hrsg.), Abfallwirtschaft in Bund und Ländern, 2003, S. 75 (88). 172 So auch U. Lübking, in: Dieckmann/Heinrichs (Hrsg.), Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 1996, § 2 Rdnr. 1. 173 Vgl. hierzu W. Kahl, in: Kloepfer (Hrsg.), Abfallwirtschaft in Bund und Ländern, 2003, S. 75 (88); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2001.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

der Gesetze“ gewährleistet.174 Durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes können Aufgabenverlagerungen zwischen Gemeinden und Kreisen vorgenommen oder das Maß der Eigenverantwortlichkeit durch Normierung von Aufsichtsrechten, Genehmigungs- und Sanktionsvorbehalten ausgestaltet beziehungsweise begrenzt werden.175 Der Gesetzgeber darf aber von dem Gesetzesvorbehalt,176 der sich trotz seiner sprachlichen (De-)Plazierung zwischen dem Universalitätsprinzip und der Eigenverantwortlichkeit auf beide Garantieelemente bezieht177, nicht beliebig Gebrauch machen. a) Schutz des Kernbereichs Einigkeit besteht trotz unterschiedlicher Akzentuierung in Rechtsprechung178 und Literatur179, daß zumindest ein unantastbarer Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung existiert180, der nicht ausgehöhlt werden darf181 und somit dem rahmensetzenden Gesetzgeber eine äußerste Grenze zieht. Dieser dem Gedanken der institutionellen Garantie verhaftete gesetzesfeste Wesensgehalt ist „das Essentiale einer Einrichtung, das man aus einer Institution nicht entfernen kann, ohne deren Struktur und Typus zu verändern“.182 Was aber letztlich zu diesen identitätsbestimmenden MerkArt. 28 Rdnr. 37; M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 155. 174 Daß die Selbstverwaltung nur „im Rahmen der Gesetze“ gewährleistet ist, ergibt sich bereits aus der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 46. 175 A. v. Mutius, in: v. ders. (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 227 (250). 176 R. Herzog, Staat und Recht im Wandel, 1993, S. 114; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Bd. 2, 2001, Art. 28 Rdnr. 59; F. Schoch, Jura 2001, 121 (126). Als Gesetze kommen nicht nur Gesetze im förmlichen Sinne, sondern auch Rechtsverordnungen, die auf einer dem Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG entsprechenden Ermächtigung beruhen, in Betracht; vgl. BVerfGE 26, 228 (228); 56, 298 (309); H. B. Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein (Hrsg.), Kommentar zum GG, 2004, Art. 28 Rdnr. 13. 177 BVerfGE 79, 127 (146). M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 46; F. Schoch, Jura 2001, 121 (125, 131). 178 BVerfGE 1, 167 (178); 38, 258 (278); 76, 107 (118); 79, 127 (146); BVerfG, DVBl. 1989, 300 (301). 179 Vgl. hierzu M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 48 m. w. N.; H.-J. Koch/R. Rubel/F. S. M. Heselhaus, AllgVerwR, 2003, § 2 Rdnr. 81; T. Maunz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Bd. IV, Gesamtstand: November 2006, Art. 28 Rdnr. 53. 180 Siehe dazu ausführlich K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 416 f.; S. Hobe/ D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (807). 181 BVerfGE 1, 167 (174 f.); 79, 127 (146). 182 K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 416.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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malen183 gehört, ist bis heute unklar geblieben.184 Auch das Bundesverfassungsgericht stellte fest, daß sich die identitätsbestimmenden Merkmale nicht in eine allgemeingültige Formel fassen lassen185 und zog zur näheren Konkretisierung neben der historischen Entwicklung das aktuelle Erscheinungsbild heran.186 Nunmehr hat es im Rastede-Beschluß eine neue Begriffsumschreibung vorgenommen. Danach gehört zum Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog187, wohl aber die Befugnis der Gemeinden, sich ohne besonderen Kompetenztitel aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen, die nicht anderen Verwaltungsträgern zugeordnet sind.188 Eine gesetzliche Ausgestaltung beziehungsweise der Entzug einzelner Maßnahmen, die zur Einheimischenprivilegierung gehören, würde jedoch das Recht der Gemeinde, sich bislang unbesetzter Aufgaben nach eigenem Ermessen anzunehmen und damit den so umschriebenen Wesensgehalt, nicht in Frage stellen. b) Schutz des Randbereichs Im sogenannten vorgelagerten Randbereich189 besteht nur eine relative Gestaltungs- und Eingriffsgrenze für den Gesetzgeber.190 Beim Zugriff auf den Aufgabenbestand gilt ein materielles Aufgabenverteilungsprinzip zu183

Begriff nach BVerfGE 83, 363 (381 f.); BVerfG, DVBl. 1995, 286 (287). Vgl. F.-L. Knemeyer/M. Wehr, VerwArch 2001, 317 (338); F. Schoch, Jura 2001, 121 (126). 185 BVerfGE 26, 228 (238). 186 BVerfGE 76, 107 (118); 79, 127 (146); 83, 363 (381); 86, 90 (107); 91, 228 (238). 187 Vgl. aber die Ausnahme des Art. 83 Verf. Bay, der einen Katalog von angestammten Kommunalaufgaben auflistet. Nach der Rechtsprechung genießt jede einzelne dort genannte Aufgabe einen Kernbereichsschutz; vgl. VerfGH München, VerfGHE 37, 59 (66) m. w. N. Die Selbstverwaltungsgarantie des Grundgesetz dürfte sich dem enumerativen Kompetenzschutz in Bayern überlegen erweisen, da Verwaltungsaufgaben ihr Gepräge verändern und damit fortschreitend neue Fragen aufwerfen, die ein starrer Katalog immer weniger beantworten kann; so auch K. Rennert, JZ 2003, 385 (387). 188 BVerfGE 79, 127 (146, 152). Ebenso K. Vogelgesang, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar, Bd. 2, Gesamtstand: April 2007, Art. 28 Rdnr. 98; B. Pieroth, in: Jarass/ders., GG, 2006, Art. 28 Rdnr. 12; M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), 2003, GG, Art. 28 Rdnr. 41. 189 Der Ausdruck „Randbereich“ wird zwar vom Bundesverfassungsgericht nicht verwendet. In BVerfGE 91, 228 (238 f.) ist vom „Vorfeld“ die Rede. Sachlich ist jedoch mit den „Rechtswirkungen außerhalb des Kernbereichs“ beziehungsweise dem „Vorfeld“ das gemeint, was in der Literatur anschaulich als „Randbereich“ bezeichnet wird. 190 Vgl. nur VerfG Potsdam, DVBl. 2000, 981 (984). 184

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gunsten der Gemeinden, das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat.191 Eine Aufgabe mit relevantem örtlichem Charakter darf nur aus Gründen des Gemeininteresses entzogen werden, insbesondere dann, wenn die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung anderweitig nicht sicherzustellen wäre.192 Verwaltungspraktische Gründe oder Effizienzüberlegungen reichen nicht.193 c) EG-Recht als rahmensetzendes Recht Vereinzelt wird die These vertreten, daß gemeinschaftsrechtliche Beschränkungen kommunaler Selbstverwaltung zum rahmensetzenden Recht im Sinne von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gehören.194 Dieser Aussage ist nur im Hinblick auf nationale Umsetzungsakte zuzustimmen. Insoweit handelt es sich um Äußerungen der bundesdeutschen Staatsgewalt, auch wenn sie auf gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen beruhen. Soweit EG-Recht jedoch innerstaatlich unmittelbar wirkt, stellt es kein rahmensetzendes Recht im Sinne dieser Verfassungsbestimmung dar.195 In rechtstatsächlicher Perspektive ist zwar zuzugeben, daß das unmittelbar anzuwendende Gemeinschaftsrecht ebenso wie nationales Recht die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen determiniert und seine Regelungen insofern auf Inkorporation in die innerstaatliche Struktur angelegt sind.196 Rechtlich entspringen die grundgesetzlich gewährleistete Garantie kommunaler Selbstverwaltung und das Gemeinschaftsrecht aber verschiedenen Quellen. Sie sind Bestandteile unterschiedlicher, autonomer Rechtsordnungen, so daß aus diesem Grund eine partielle Integration von Gemeinschaftsrecht als rahmensetzendes Recht in die Norm des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zu verneinen ist.

191 W. Kahl, in: Kloepfer (Hrsg.), Abfallwirtschaft in Bund und Ländern, 2003, S. 75 (89). 192 W. Kahl, in: Kloepfer (Hrsg.), Abfallwirtschaft in Bund und Ländern, 2003, S. 75 (90). 193 BVerfGE 79, 127 (147 ff.); VerfGH Münster, DVBl. 1993, 197 (198); VerfG Potsdam, NVwZ-RR 1997, 352 (354 f.); T. Clemens, NVwZ 1990, 834 (839 ff.); E. Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), BesVerwR, 2005, Rdnr. 22; F. Schoch, Jura 2001, 121 (126). 194 So R. v. Ameln, DVBl. 1992, 477 (478); W. Spannowsky, DVBl. 1991, 1120 (1123). 195 Im Ergebnis ebenso A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 76; zustimmend auch J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 18 Fn. 54. 196 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 68.

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II. Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Einheimischenprivilegierungen unterliegen nur insoweit europarechtlichen Grenzen, als das EG-Recht überhaupt zur Eingrenzung des nationalen Rechts imstande ist. Das damit angesprochene Problem des Verhältnisses des Europäischen Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten hat seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft eine sehr ausführliche richterliche und wissenschaftliche Erörterung erfahren. Zu kaum einer anderen EG-rechtlichen Fragestellung ist eine derartige Vielzahl an Theorien entwickelt worden.197 Diese Meinungsvielfalt setzt sich bezogen auf den hier bedeutsamen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG fort.198 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird jedoch auf eine nochmalige Wiedergabe der einzelnen Theorien verzichtet. Der Meinungsstand soll vielmehr nur insoweit dargelegt werden, als dies für die Kompetenz der Gemeinden, Einheimischenprivilegierung zu betreiben, notwendig ist. Die konkrete Behandlung einzelner Modelle der Einheimischenprivilegierung im Hinblick auf das EG-Recht bleibt dem dritten bis fünften Teil vorbehalten. 1. Kollisionsregelung aus der Gemeinschaftsrechtsperspektive Der EuGH geht seit den grundlegenden Urteilen in den Fällen Costa/ ENEL und Internationale Handelsgesellschaft in ständiger Rechtsprechung von einem absoluten Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor sämtlichen Normen des nationalen Rechts einschließlich des Verfassungsrechts aus.199 Begründet hat der Gerichtshof den Primat des Gemeinschaftsrechts insbesondere mit der Schaffung einer eigenständigen Rechtsordnung durch den EGVertrag, die „einheitlich in allen Mitgliedstaaten gelten müsse, wenn dem Gemeinschaftsrecht nicht sein Charakter als Gemeinschaftsrecht aberkannt und wenn nicht die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage ge197 Einen Überblick zu den unterschiedlichen Theorien in der Literatur geben etwa H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 267 ff.; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 848; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 180 ff. 198 Vgl. W. Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, S. 271 ff.; siehe weiterhin die Nachweise bei H.-W. Rengeling, DVBl. 1990, 893 (896); A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1130); H. Heberlein, BayVBl. 1992, 417 (422). 199 EuGH, Slg. 1964, 1251 (1270) – Costa/ENEL; Slg. 1970, 1125 (1135 Rdnr. 3) – Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreideund Futtermittel; Slg. 1969, 1 (14 Rdnr. 6) – Walt Wilhelm/Bundeskartellamt; Slg. 1978, 629 (644 Rdnr. 17/18) – Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal; Slg. 1987, 2345 (2357 Rdnr. 6) – Albako Margarinefabrik Maria von der Linde/BALM.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

stellt werden soll“.200 Obwohl sich der Gerichtshof nicht speziell zum Vorrang des EG-Rechts im Verhältnis zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geäußert hat, kann hierfür nichts anderes gelten. 2. Kollisionsregelung aus nationalrechtlicher Perspektive Der Sache nach erkennt das Bundesverfassungsgericht ebenfalls den Vorrang des Gemeinschaftsrechts prinzipiell201 an.202 Es folgert das Vorrangprinzip im Gegensatz zum Gerichtshof aber nicht aus dem Wesen des Gemeinschaftsrechts, sondern aus der verfassungsrechtlichen Ermächtigung.203 In Anlehnung an die völkerrechtliche Vollzugstheorie bewirkt der in den innerstaatlichen Zustimmungsgesetzen204 liegende Rechtsanwendungsbefehl den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.205 Einschränkend hat das Bundesverfassungsgericht jedoch in seiner früheren, noch zu Art. 24 Abs. 1 GG ergangenen Solange I-Entscheidung festgestellt, daß die Übertragung von Hoheitsrechten nicht zu einer Aushöhlung der identitätsstiftenden Grundstrukturen der Verfassung führen dürfe.206 Dennoch möchte das Gericht den Konflikt begrenzt halten. Es sieht sich vielmehr, wie es hinsichtlich der Grundrechtskontrolle bemerkte, in einem 200 EuGH, Slg. 1964, 1251 (1270) – Costa/ENEL; Slg. 1970 (1135 Rdnr. 3) – Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel. 201 Im Hinblick auf das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht zum einfachen nationalen Recht hat das BVerfG bereits 1967 (BVerfGE 22, 293 [295]) den Vorrang des Gemeinschaftsrechts angedeutet und 1971 in BVerfGE 31, 145 (174) ausdrücklich anerkannt. 202 BVerfGE 73, 339 (374); 75, 223 (244); 89, 155 (175); BVerfG, NJW 2000, 3124 (3124 f.). Einen Überblick über die Rechtsprechung der innerstaatlichen Gerichte gibt R. Bieber, in: ders./Epiney/Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, 2005, § 3 Rdnr. 38 ff.; zur Haltung des französischen Conseil d’Etat siehe R. Stotz, EuZW 1991, 11 (118 f.). Aus der Literatur vgl. nur M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32 a; S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (857); K. Stern, in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (31 m. w. N). 203 Vgl. nur BVerfGE 45, 142 (169); 73, 339 (367). Siehe eingehend dazu W. Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, S. 289. 204 Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG (früher Art. 24 Abs. 1 GG) jeweils in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG. 205 Besonders deutlich tritt dieses Verständnis im Solange II-Beschluß des BVerfG in BVerfGE 73, 339 (374 f.) zu Tage; vgl. auch BVerfGE 85, 191 (204); 102, 147 (162 ff.) – Bananenmarktbeschluß. 206 BVerfGE 37, 274 (277). An dieser Schranke hat das BVerfG auch in späteren Entscheidungen festgehalten, vgl. insbesondere zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle BVerfGE 73, 339 (375); 89, 155 (175); 102, 147. Aus der Literatur stellvertretend H. D. Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG, 2006, Art. 23 Rdnr. 32 ff.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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Kooperationsverhältnis zum EuGH.207 Speziell zum Vorrang des EG-Rechts gegenüber Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG hat sich das Bundesverfassungsgericht bislang noch nicht geäußert. a) Kommunale Selbstverwaltungsgarantie als Grenze der Übertragung von Hoheitsgewalt Die zunehmende Einwirkung des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die kommunalen Aktivitäten208 und darin eingeschlossen die Einheimischenprivilegierungen hat die Frage dringlicher gemacht, ob aus nationaler Sicht nicht für die Garantie kommunaler Selbstverwaltung eine spezifische verfassungsrechtliche Begrenzung der Übertragung von Hoheitsgewalt auf die Europäische Gemeinschaft und des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts hergeleitet, die Garantie kommunaler Selbstverwaltung in diesem Sinne als „europafest“ bezeichnet werden kann. Dieser Frage soll anhand der Bestimmung der in Art. 23 Abs. 1 GG geregelten verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Akt der Übertragung von Hoheitsgewalt auf die Europäische Gemeinschaft nachgegangen werden. Art. 23 Abs. 1 GG nimmt die inhaltlich bereits im Rahmen der Vorgängernorm209 diskutierten Aspekte auf und entwickelt sie weiter, indem er den möglichen Konflikt zwischen den europäischen und bundesstaatlichen Verfassungsstrukturen in einer differenzierenden Weise zweifach, in Art. 23 Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, behandelt.210 Allein an diesen beiden Regelungen muß im folgenden die Prüfung ansetzen, ob und inwieweit sich ein Verfassungsvorbehalt zugunsten der kommunalen Selbstverwaltung gegenüber der Anwendung von Gemeinschaftsrechtsakten ergibt. aa) Art. 23 Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG Als verfassungsrechtliche Abwehrposition kommt zunächst Art. 23 Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG in Betracht. Dieser verbietet die 207

BVerfGE 89, 155 (175, 178). Siehe die Nachweise bei A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 60; W. Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, S. 29 ff. 209 Siehe zur Frage, ob der früher einschlägige Art. 24 Abs. 1 GG die Verfassungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG umfaßt, fundiert W. Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, S. 51 ff. 210 Vgl. J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2001, S. 72. 208

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

Zustimmung zur Änderung oder Ergänzung der vertraglichen und vergleichbaren Rechtsgrundlagen der Europäischen Union, durch die das von Art. 79 Abs. 3 GG erfaßte revisionsfeste Verfassungsminimum verändert oder ergänzt wird.211 Nach ganz überwiegender Meinung zählt die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung indes nicht zu den in Art. 79 Abs. 3 GG genannten änderungsfesten Verfassungsstrukturen.212 Der Unantastbarkeitsgehalt bezieht sich ausdrücklich nur auf die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und auf die in Art. 1 GG und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze, nicht aber auf den institutionellen Bestand der untersten Verwaltungsebene. Zudem ist die Revisionsnorm wegen ihrer Funktion als Ausnahmevorschrift eng auszulegen.213 Diese Ansicht wird auch durch den sogenannten GoldenstedtBeschluß vom 29.10.1993 untermauert. In diesem Beschluß hat das Bundesverfassungsgericht eine gegen das Ratifikationsgesetz zum MaastrichtVertrag erhobene kommunale Verfassungsbeschwerde mit folgender Begründung nicht zur Entscheidung angenommen: „Die Beschwerdeführerin legt nicht hinreichend substantiiert dar, aus welchen Gründen das Recht zur kommunalen Selbstverwaltung entgegen dem Wortlaut des Art. 79 Abs. 3 GG in dessen Schutzbereich fallen könnte.“214 Der Versuch, die kommunale Selbstverwaltung als eine spezifische Ausprägung des Demokratieprinzips 211 Bereits bei Art. 24 GG wurde überwiegend zur Bestimmung der „europafesten“ Essentialia auf Art. 79 Abs. 3 GG abgestellt. Vgl. C. Degenhart, Staatsorganisationsrecht, 2006, Rdnr. 304; M. Herdegen, EuGRZ 1989, 309 (312); D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 42; A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1131). Vereinzelt wurde auch auf sonstige Grundgesetznormen, die eine überragende Bedeutung für das gesamte Verfassungsgefüge haben, zurückgegriffen; vgl. A. Martini/W. Müller, BayVBl. 1993, 161 (162); R. Neuhoff, DÖV 1952, 259 (260 f.). Diese Ansicht wird dadurch relativiert, daß das BVerfG im Maastricht-Urteil (BVerfGE 92, 203 [230 ff.]) nach der Einfügung des Art. 23 GG allein auf Art. 79 Abs. 3 GG abstellt. 212 S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (857); W. Frenz, Die Verwaltung 1995, 33 (48 f.); A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 71; M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32 b; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, 2006, Art. 28 Rdnr. 33; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 77; H.-W. Rengeling, DVBl. 1990, 893 (897 f.); A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1131 f.); H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (822); P. J. Tettinger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Bd. II, 2005, Art. 28 Rdnr. 145. 213 Vgl. statt aller nur S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (808); A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1131 f.); dies., in: Hoppe/Erichsen/Leidinger (Hrsg.), Aktuelle Probleme der kommunalen Selbstverwaltung, 1991, S. 160 (174). 214 S. 2 a. E. des (unveröffentlichten) Beschlusses im Verfahren 2 BVR 2203/93. Zitiert nach A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 71.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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in die Garantie des Art. 20 Abs. 1 GG mit einzubeziehen, läuft im Ergebnis auf eine Überstrapazierung dieses Grundsatzes hinaus.215 Zwar wurzelt das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung im Demokratiegedanken,216 doch stellt dieses allenfalls ein akzidentielles, nicht aber essentielles Element eines demokratischen Systems dar.217 Trotz der kaum zu überschätzenden Rolle, die die kommunale Selbstverwaltung für die freiheitlich-demokratische Verfassung spielt, setzt Demokratie begrifflich diese nicht voraus.218 Das belegt auch der vergleichende Blick auf andere Staaten, deren demokratische Verfassungen nicht in Frage zu stellen sind, die aber das Organisationsprinzip der kommunalen Selbstverwaltung deutscher Prägung fast vollständig entbehren.219 Eine Europaresistenz der Selbstverwaltungsgarantie kann sich daher aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG nicht ergeben. bb) Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG (1) Allgemeines Gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG wirkt „die Bundesrepublik bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen dem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“.220 Es handelt sich hierbei um eine Staatszielbestimmung,221 die nicht wie Art. 79 Abs. 3 GG negativ festlegt, welche Grundstrukturen der deutschen Verfassungsordnung nicht aufgegeben werden dürfen, sondern positiv-gestaltend zentrale Strukturen der zu 215

So aber G. Seele, Der Kreis aus europäischer Sicht, 1991, S. 57 f. Vgl. die durch das BVerfG hervorgehobene demokratisch-politische Funktion der kommunalen Selbstverwaltung. Siehe nur BVerfGE 79, 127 (147 ff., 153). 217 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 256; W. Frotscher, in: v. Mutius (Hrsg.), FS v. Unruh, 1983, S. 127 (143); H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (824); S. Hobe/ D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (806); A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1127). 218 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 626 f.; ders., in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (33); J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2001, S. 77; ähnlich auch E. SchmidtAßmann, in: Franßen/Redeker/Schlichter u. a. (Hrsg.), FS Sendler, 1991, S. 121 (124). 219 So auch K. Stern, in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, 21 (33); H. Siedentopf, DÖV 1988, 981 (982). 220 Vgl. dazu I. Pernice, in: Dreier (Hrsg.) GG, Bd. II, 2006, Art. 23 Rdnr. 16 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Bd. III, Gesamtstand: November 2006, Art. 23 Rdnr. 36 ff. 221 R. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 23 Rdnr. 10; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 72. 216

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

entwickelnden Europäischen Union vorgibt.222 Dieser neuen Bestimmung wird, teils negativ als Integrationshindernis,223 teils positiv als Schutzinstrument nationaler Verfassungselemente einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung224 aufgefaßt, eine große Wirksamkeit beigemessen. Ob ihr diese auch zusteht, ist im folgenden eingehender zu untersuchen.225 (2) Schutz des Kernbereichs aus dem Grundsatz der Subsidiarität Der Schutzlosigkeit der Selbstverwaltungsgarantie gegenüber Einwirkungen des EG-Rechts könnte durch die Einfügung der rechtlich verbindlichen226 Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG227 ein Ende gesetzt worden sein.228 Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat sowie der vom Bundestag eingesetzte Sonderausschuß „Europäische Union (Vertrag von Maastricht)“ betonten ausdrücklich, daß der in der Struktursicherungsklausel enthaltene Begriff der Subsidiarität229 die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung mit einschließt.230 Diese 222 U. Everling, DVBl. 1993, 936 (944); vgl. auch R. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 23 Rdnr. 16. 223 V. Götz, JZ 1993, 1081 (1983). 224 R. Scholz, NJW 1992, 2593 (2599). 225 Zweifelnd J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 72. 226 Im Ergebnis bejahend R. Streinz, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 23 Rdnr. 10; T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 238; S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 161; a. A. U. Everling, DVBl. 1993, 936 (943). 227 Vgl. hierzu grundlegend A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 74 ff. 228 So auch S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (808); H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (821); W. Frenz, Die Verwaltung 1995, 33 (49 f.); S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (858); M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32 b; D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 110. Siehe hierzu ausführlich A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 186 ff.; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 91. 229 Nach dem Grundsatz der Subsidiarität soll eine höhere Ebene Aufgaben dann nicht wahrnehmen, wenn dies durch eine niedrigere Ebene ebenso gut möglich ist; vgl. S. Hobe, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar, Bd. 2, Gesamtstand: April 2007, Art. 23 Rdnr. 32. 230 Siehe BT-DS 12/6000, S. 20 f.; vgl. auch R. Scholz, NJW 1992, 2593 (2599); M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32 b; a. A. J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 75. Von dem Vorschlag einer dahingehenden expliziten Erwähnung in dem Verfassungstext selbst

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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Aussage darf sicherlich nicht so verstanden werden, daß auf europäischer Ebene selbst eine Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung vorhanden sein muß. Sie macht aber deutlich, daß die kommunale Selbstverwaltung als derart wesentlich erachtet wurde, daß sie auch bei der Gründung beziehungsweise Weiterentwicklung der Europäischen Union durch die Organe der Bundesrepublik nicht preisgegeben werden darf.231 Soweit die Literatur demzufolge der Ansicht ist, daß der Subsidiaritätsgrundsatz Auswirkungen auf die Verfassungsposition der Kommunen hat232, wird abstrahierend von der „Sicherstellung“233 oder „Wahrung“234, dem „Erhalt“235 oder dem „Schutz236“ der kommunalen Selbstverwaltung gesprochen. Diese sei „allenfalls in einem Mindestumfang gewährleistet“.237 Erläuternd wird darauf hingewiesen, daß andernfalls die Gefahr bestünde, ein tragendes Element des Staatsaufbaus in der Bundesrepublik, ihr durch Dezentralisation gekennzeichneter Aufbau „von unten nach oben“, ruhend auf Selbstverwaltungskörperschaften mit spezifischen Funktionen, aufzugeben.238 Es bleibt aber fraglich, ob damit eine bloße Bestandsgarantie oder eine Garantie im Sinne der objektiven Rechtsinstitutionsgarantie abgesichert werden sollte. Aufschluß über die Reichweite des Schutzbereichs, den der Grundsatz der Subsidiarität in Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG zugunsten der Kommunen entfaltet, könnte § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EuZBLG)239 geben, der wegen seiner engen zeitlichen und inhaltlichen, den Motiven entnehmbaren Verknüpfung zur Auslegung des Verfassungsrechts herangezogen werden darf.240 § 10 EuZBLG bestimmt: „Bei Vorhaben der europäischen Union ist das Recht der Gemeinden und Gemeindeverbände zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu hat die Gemeinsame Verfassungskommission allerdings mit Rücksicht auf die unterschiedliche Verfassungslage in den Mitgliedstaaten abgesehen; vgl. BT-DS 12/6000, S. 21. 231 J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 91. 232 So J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 75. Ablehnend H. Heberlein, DVBl. 1994, 1213 (1220 f.); H. Mandelartz, in: Grawert/Schlink/Wahl u. a. (Hrsg.), FS Böckenförde, 1995, S. 163 (165 f.). 233 H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (821). 234 A. Martini/W. Müller, BayVBl. 1993, 161 (164). 235 G. Konow, DÖV 1996, 845 (851). 236 W. Frenz, Die Verwaltung 1995, 33 (49 f.). 237 W. Frenz, Die Verwaltung 1995, 33 (49 f.). 238 BVerfGE 52, 95 (111); ebenso A. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 102. 239 BGBl. 1993 I, S. 313 ff.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

wahren und sind ihre Belange zu schützen.“ Im Vergleich mit Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG wird jedoch deutlich, daß zwei Elemente der objektiven Rechtsinstitutionsgarantie fehlen: der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gemeinden und die Eigenverantwortlichkeit.241 Mehr als die Gewährleistung des Wesensgehalts des Selbstverwaltungsrechts ist § 10 EuZBLG daher nicht zu entnehmen. Insofern ist der Wille des Gesetzgebers bezüglich Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, der seinen objektiven Niederschlag in der Formulierung von § 10 EuZBLG gefunden hat,242 dahingehend auszulegen, daß der Integrationsgesetzgeber der Gemeinschaft keine Befugnis zum Erlaß von Maßnahmen erteilen darf, die den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland und damit das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden in ihrem Kern beeinträchtigen.243 Die aus dem Grundsatz der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG folgende Gewährleistungspflicht bedeutet, daß der Wesensgehalt nicht durch den – vom deutschen Zustimmungsgesetz gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG erteilten – Rechtsanwendungsbefehl zur Geltung des Anwendungsvorrangs von Gemeinschaftsrecht gegenüber dem deutschen Recht und zur unmittelbaren Wirkung von Gemeinschaftsrecht innerhalb der Rechtsordnung des Grundgesetzes determiniert werden darf. Ordnet Vertragsrecht, zu dem ein deutsches Zustimmungsgesetz auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ergeht, ausdrücklich den Einbruch in den vom Grundsatz der Subsidiarität geschützten Wesensgehalt der Selbstverwaltung an, so ist das Zustimmungsgesetz insoweit verfassungswidrig.244 (3) Prozessuales Vor dem Hintergrund der ermittelten Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die kommunale Selbstverwaltung erscheint es nicht erforderlich, Fragen der prozessualen Durchset240 A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 195 ff.; S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (808). 241 Dies mag daran liegen, daß § 10 EuZBLG auch die kommunale Selbstverwaltung der Gemeindeverbände regelt, wie es in Art. 28 Abs. 2 S. 2 GG garantiert ist. 242 A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 200; S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (808). 243 Ebenso M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32 b; D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 110. Siehe auch W. Hoppe, NVwZ 1990, 816 (818) allerdings mit Verweis auf Art. 79 Abs. 3 GG. 244 A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 238.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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zung im einzelnen nachzugehen.245 Es ist nicht zu verkennen, daß die objektiv-rechtliche Gewährleistung von Ausschnitten der Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG durch den Grundsatz der Subsidiarität nur Extremfälle einer Ingerenz des Gemeinschaftsrechts betrifft. Den Gemeinden steht sowohl gegen Zustimmungsgesetze auf der Grundlage des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG als auch gegen Gesetze des Bundes oder der Länder zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, §§ 13 Nr. 8 a, 91 BVerfGG offen.246 Diese hat jedoch nur in dem unwahrscheinlichen Fall Aussicht auf Erfolg, daß die Verletzung des Kernbereichs infolge der Aufhebung der Allzuständigkeit der Gemeinden zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, der Aufhebung der Eigenverantwortlichkeit der Kommunen oder einer anderweitigen Aushöhlung der Selbstverwaltungsgarantie schlüssig dargelegt werden kann. Das Verbot der schleichenden Aushöhlung der gemeindlichen Selbstverwaltung247 greift allerdings erst ein, wenn sich positiv feststellen läßt, daß der Gemeinde nach einem Aufgabenentzug praktisch keine Betätigungsmöglichkeit mehr verbleibt.248 Auf diese Weise besteht die Gefahr, daß durch die Summierung punktueller Eingriffe der Bereich der ortsgebundenen Unantastbarkeiten langsam ausgehöhlt wird, ohne daß den Kommunen rechtzeitig ein Anspruch auf Verteidigung ihres Aufgabenbestands zusteht.249 Einer wiederholten Erwähnung Wert erscheint in diesem Zusammenhang der Goldenstedt-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. Er belegt, daß nach Ansicht des Gerichts rügefähige Verletzungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie durch europäisches Vertragsrecht nicht von vornherein ausgeschlossen sind. Nach ständiger Rechtsprechung kann Gegenstand einer Kommunalverfassungsbeschwerde im Sinne von Art. 93 Nr. 4 b GG „jede Rechtsnorm des Bundes- oder Landesrechts sein, die Außenwirkung gegenüber Kommunen entfaltet“.250 Tauglicher Beschwerdegegenstand ist demnach nicht nur das Gesetz, mit dem Bund oder Länder der Verpflichtung zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in die mitgliedstaatliche Rechtsordnung 245 Vgl. zum Rechtsschutz der Kommunen in der EU den gleichnamigen Aufsatz von A. Gern, NVwZ, 1996, 532 (532 ff.). 246 A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 235. 247 Vgl. BVerfGE 1, 167 (174); 38, 258 (289). 248 BVerfGE 7, 127 (148), 83, 363 (382); 91, 228 (236 ff.). 249 S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (858); A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 64; M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 50; H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (821). 250 Vgl. nur BVerfGE 76, 107 (114); B. Pieroth, in: Jarass/ders., GG, 2006, Art. 93 Rdnr. 74.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

nachkommen, sondern auch ein Zustimmungsgesetz nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG.251 Die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde begründete das Bundesverfassungsgericht im Fall „Goldenstedt“ mit der nicht hinreichenden Substantiierung der Verletzung des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG: „Die Verfassungsbeschwerde läßt nicht erkennen, aus welchen Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union sich eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Beschwerdeführerin ergeben könne.“252 Das Bundesverfassungsgericht stützte die Unzulässigkeit somit auf das Fehlen der nach § 91 S. 1 BVerfGG erforderlichen Beschwerdebefugnis der Gemeinde Goldenstedt, durch das angegriffene Gesetz in ihrem Recht aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verletzt zu sein. Hieraus kann jedoch nicht, wie teilweise angenommen,253 auf die These geschlossen werden, das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Goldenstedt-Beschluß die Selbstverwaltungsgarantie auch in dem hier verneinten Vorfeldbereich „europafest“ gemacht.254 Zwar besteht nach Aussagen des Gerichts das in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete Recht nur im Rahmen der Gesetze, wobei der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber durch die genannte Norm gebunden ist.255 Diese Ausführungen stellen jedoch keine tragenden Gründe zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde dar. Es handelt sich vielmehr um obiter dicta, die nicht mehr besagen, als daß eine Verletzung der Selbstverwaltungsgarantie durch ein Zustimmungsgesetz nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.256 b) Ergebnis Die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG kann einen Abwehranspruch gegenüber einzelnen Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft begründen, sofern die Rechtsakte in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie eingreifen.257 Ein weiterreichender Schutz des Vorfeld251 A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 234. 252 BVerfG, (unveröffentlichter) Beschluß v. 29.10.1993 – 2 BvR 2203/93, S. 2, Sätze 4. Zitiert nach A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen; 2000, S. 234. 253 So aber A. Gern, NVwZ 1996, 532 (534). 254 J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 23; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 69 f. mit weiterer Begründung. 255 Zitiert nach A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 235. 256 A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 235.

E. Anwendbarkeit des EG-Rechts auf Einheimischenprivilegierungen

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bereichs der kommunalen Selbstverwaltung kann dem Subsidiaritätsprinzip im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nicht entnommen werden. Im Hinblick auf das Verhältnis von EG-Recht zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ist mit der Ausnahme des Kernbereichs ein Vorrang des EG-Rechts vor der Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung zu bejahen.258 Dieser Vorrang des Gemeinschaftsrechts, der im Verfassungsvertrag ausdrücklich in Art. I-6 Verfassungsvertrag (VV)259 verankert werden soll, ist freilich nicht wie im deutschen Kollisionsrecht ein Geltungsvorrang, sondern nur ein Anwendungsvorrang.260 Nationales Recht ist im Falle einer Kollision mit Gemeinschaftsrecht also nicht als unwirksam, sondern insoweit als unanwendbar anzusehen.261 Dies bedeutet, daß die Europäische Gemeinschaft Handlungsbegrenzungen rechtlicher Art aufstellen kann, durch die beispielsweise kommunale Handlungsfelder rechtlich umgrenzt bis vollständig bestimmt werden.262 Konkret für die Einheimischenprivilegierung folgt daraus, daß das EG-Recht dem Recht der Gemeinden, Einheimischenprivilegierung zu 257 S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, S. 161 f. Vgl. zu den Auswirkungen A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 213 ff. 258 Ebenso M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32 b; D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 110; A. Schink, DVBl. 2005, 861 (865); H.-J. Papier, DVBl. 2003, 686 (692 f.). Die Europaresistenz des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auch im Kernbereich verneinend K. Rennert, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), GG, Bd. I, 2002, Art. 28 Rdnr. 64; A. Faber, in: Hoppe/Erichsen/Leidinger (Hrsg.), Aktuelle Probleme der kommunalen Selbstverwaltung, 1991, S. 160 (175); H. Heberlein, BayVBl. 1992, 417 (426); P. J. Tettinger, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), GG, Bd. II, 2005, Art. 28 Rdnr. 145; K. Stern, in: Wendt/Höfling/ Karpen u. a. (Hrsg.), FS Friauf, 1996, S. 75 (83); H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG, Bd. II, 2006, Art. 28 Rdnr. 33; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 66 ff., 78; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2001, Art. 28 Rdnr. 95.; M.-B. Nagler, Die Einwirkung sekundären EWG-Rechts auf die kommunale Selbstverwaltung nach Art. 28 II S. 1 GG der Bundesrepublik Deutschland, 1992, S. 115. Die Vorrangfrage offen lassend J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der europäischen Union, 1996, S. 23. 259 Die Numerierung der Artikel und Zitate ist dem Ergebnis der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 29.10.2004 in Brüssel angepaßt (Dok.: CIG 87/2/04 – Rev 2), entsprechend der Ausgabe des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom November 2004. 260 EuGH, Slg. 1978, 629 (644 Rdnr. 17/18) – Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 2002, § 4 Rdnr. 123; H.-W. Arndt, Europarecht, 2006, S. 109. 261 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 179. 262 Vgl. zum Beispiel die EG-Vergaberichtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe; vgl. unten 3. Teil Fn. 768 f.

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1. Teil: Begriffliche und systematische Vorklärungen

betreiben, wirksam Grenzen setzen kann, indem es zum Beispiel genaue Voraussetzungen formuliert, wie eine Maßnahme der Einheimischenprivilegierung auszugestalten ist oder diese im Einzelfall auch gänzlich untersagt. Eine präzisere Bestimmung dieser Grenzen soll in den nachfolgenden Teilen der Arbeit erfolgen.

2. Teil

Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG Um das komplexe EG-rechtliche Spannungsverhältnis zwischen der Binnenmarktverwirklichung einerseits und den von zahlreichen Gemeinden praktizierten Einheimischenprivilegierungen andererseits zu durchleuchten, bedürfen zunächst die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundlagen der EG, insbesondere das Binnenmarktkonzept und die seiner Verwirklichung dienenden Instrumente – die Grundfreiheiten – einer näheren Erläuterung.

A. Die Wirtschaftsverfassung der EG I. Offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb Die Wirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft ist gemäß Art. 4 EG und Art. 98 EG ausdrücklich dem Grundsatz1 einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb2 verpflichtet.3 Grundidee dieses Marktes4 ist die Förderung der Wohlfahrtsmehrung durch die Schaffung von Freiräumen für privatautonomes Handeln – vorbehaltlich gemeinwohlorientierter Eingriffsmöglichkeiten.5 Als Regelungsgegenstand der gemeinschaftsrechtlichen6 Wirt1

Zur Funktion und Rechtsqualität des Grundsatzes siehe EuGH, Slg. 2000, I-8207 (8235 Rdnr. 25) – Echirolles Distribution. 2 Der Zusatz des „freien Wettbewerbs“ dürfte einen Idealzustand beschreiben, da auf einem Markt nicht wirklich freier Wettbewerb herrscht, vgl. R. Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 4 Rdnr. 8. 3 Dazu vgl. W. Kahl/P. Maier, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtschaftsR, 2004, § 1 Rdnr. 7 ff. 4 Vgl. zur Leitidee des Marktes nur P.-C. Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, A I Rdnr. 123. 5 K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 84; F. Rittner, JZ 1990, 838 (839 ff.). 6 E.-J. Mestmäcker, Die Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Union, 1993, S. 1 ff.; A. Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 683 ff. Ferner insbesondere zum Begriff W. Musseler, Die Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, 1998, S. 16 ff.; J. Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG, 1970, S. 45 ff.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

schaftsverfassung, die nach wie vor7 den Kern des europäischen Rechts darstellt, ist daher die schrittweise Beseitigung der Wirtschaftsgrenzen durch Ausschaltung staatlicher Maßnahmen als Steuerungsmittel des innergemeinschaftlichen Wirtschaftsaustauschs zu benennen.8 Insofern kommt ihr nicht nur eine konservierende, kanalisierende Funktion zu, vielmehr weist sie einen betont dynamischen Charakter auf. Die EG-Wirtschaftsverfassung weist eine Mischung aus marktwirtschaftlich/freiheitlichen (liberalen) und interventionistischen (dirigistischen) Elementen auf.9 Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten können zu unterschiedlichen Zwecken in die Marktprozesse eingreifen und dadurch die freie wirtschaftliche Entfaltung der Marktbeteiligten sowohl empfindlich beschränken als auch nachhaltig fördern. Der normative Gehalt der Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft ergibt sich daher erst in der Zusammenschau der marktwirtschaftlichen Garantien einerseits und den wirtschaftspolitischen Befugnissen gemeinschaftlicher und staatlicher Akteure andererseits.10 Zu Recht wird sie demzufolge als „gemischte Verfassung“ apostrophiert.11 Gleichwohl überwiegt bei einer umfassenden Betrachtung des EG-Vertrages ein liberales, marktwirtschaftliches Konzept.12 Materiell verweist diese Systementscheidung auf die von Jürgen Basedow prägnant herausgearbeiteten,13 justiziabel ausgestalteten Funktionsgarantien14 einer wettbewerbsgesteuerten Marktwirtschaft. Dazu zählen die Wirtschaftsfreiheit, die Privatautonomie15 sowie der freie Marktein- und -aus7 Insbesondere der EWG-Vertrag erwies sich als prototypische Wirtschaftsverfassung, obwohl er nur eine „Rumpfordnung“ ohne politischen Teil enthielt; vgl. A. Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 688; siehe auch J. Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG, 1970, S. 82. 8 K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 2002, § 7 Rdnr. 542. 9 T. Oppermann, Europarecht, 2005, § 13 Rdnr. 3; J. Schwarze, EuZW 2004, 135 (136). 10 A. Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 692. 11 G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 320. 12 J. Schwarze, EuZW 2004, 135 (136). 13 J. Basedow, Von der deutschen zur europäischen Wirtschaftsverfassung, 1992, S. 15 ff., 26 ff. 14 Diese betreffen einerseits Kernelemente einer marktwirtschaftlichen Ordnung, andererseits wird durch sie die spezifische Integrationsfunktion der europäischen Wirtschaftsverfassung rechtlich abgebildet. 15 Wirtschaftssubjekte wirtschaften dezentral durch die Verwirklichung selbstgesteckter Ziele; vgl. W. Musseler, Die Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Gemeinschaft im Wandel, 1998, S. 35. Juristisch wird die Privatautonomie durch die Rechtssubjektsqualität, die individuelle beziehungsweise unternehmerische Handlungsfreiheit sowie durch den Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht gewährleistet;

A. Die Wirtschaftsverfassung der EG

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tritt.16 Im Zentrum des marktwirtschaftlichen Systems steht der Ausgleich von Angebot und Nachfrage für Güter und Dienstleitungen durch zahlreiche individuelle Entscheidungen der Marktpartner.17 Das Wettbewerbsrecht der Art. 81 ff. EG (Art. III-161 ff. VV) ist Ausdruck18 der oben genannten Systementscheidung und sichert die Offenheit19 der Märkte in der Europäischen Gemeinschaft gegen Marktbeschränkungen und Verfälschungen durch Unternehmen und staatliche Urheber. Bislang ist anerkannt, daß das wirtschaftsverfassungsrechtliche Leitbild der offenen Marktwirtschaft keinen gesonderten, eigenständigen rechtlichen Maßstab für die Rechtsetzung der Gemeinschaft beinhaltet.20 Seine determinierende Kraft verbietet lediglich eine prinzipielle Abkehr von marktwirtschaftlichen Grundsätzen.21 Zum anderen begründet es ein generelles Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach Eingriffe in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gerechtfertigt werden können. Zudem ist der Grundsatz insbesondere als Leitprinzip der Auslegung der wirtschaftlich relevanten Garantien und Ermächtigungen des Primärrechts sowie Maßnahmen des Sekundärrechts bedeutsam.22

II. Wechsel zur sozialen Marktwirtschaft Der zukünftige Verfassungsvertrag bringt insofern eine Änderung, als er anstelle einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ in Art. I-3 Abs. 2 VV vom „Binnenmarkt mit freiem und unverfälschten Wettbewerb“ spricht. In Form einer inhaltlichen Ergänzung bestimmt der Vertrag im folgenden Absatz derselben Bestimmung in einem wenig greifbaren Formelkompromiß zwischen den wirtschaftsliberalen und sozialen Kräften im Konvent, daß die Union „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale siehe dazu A. Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 694. 16 Vgl. P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 1. 17 A. Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 696. 18 So insbesondere durch die Konkretisierung der Aufgabe in Art. 3 Abs. 1 lit. g EG, wonach ein „System unverfälschten Wettbewerbs“ errichtet werden soll. 19 Die Offenheit der Märkte sichert die grenzüberschreitende Wahrnehmung der Privatautonomie; vgl. P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, vor Art. 28–31 Rdnr. 3. 20 G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 320; J. Schwarze, EuZW 2004, 135 (136). 21 Vgl. A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 4 Rdnr. 9 m. w. N. 22 A. Hatje, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 693.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

Marktwirtschaft (anstrebt), die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“.23 Dies bedeutet, daß das Leitbild der sozialen Marktwirtschaft erstmals ausdrücklich als wirtschaftsverfassungsrechtliches Prinzip in die europäischen Gemeinschaftsverträge aufgenommen wird.24 Vergleicht man diese Änderung mit dem bisherigen Verständnis der europäischen Wirtschaftsverfassung, so wird deutlich, daß soziale Aspekte im Verfassungsvertrag an Bedeutung zunehmen. Der im EG-Vertrag verwendete Terminus der „offenen Marktwirtschaft“ darf jedoch nicht dahingehend verstanden werden, daß soziale Gesichtspunkte im geltenden Recht überhaupt nicht berücksichtigt werden, wie unter anderem ein Blick auf den XI. Titel über die Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung und Jugend (Art. 136 ff. EG) belegt. Da jedoch bislang ein liberales, marktwirtschaftliches Konzept die EG-Wirtschaftsverfassung kennzeichnet, findet insofern eine Veränderung der Akzentsetzung statt. Die sich für die Praxis hieraus ergebenden Konsequenzen werden jedoch als gering eingeschätzt.25 Die konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen sind an den einschlägigen Ermächtigungen, Geboten und Verboten des Vertrages sowie an den Grundrechten zu messen, so daß sich durch den Verfassungsvertrag keine prinzipielle Veränderung des wirtschaftsverfassungsrechtlichen Kontrollmaßstabs ergeben dürfte. Grundsätzlich ist festzustellen, daß der Verfassungsvertrag auf dem Gebiet der Wirtschaftsverfassung zumeist der traditionellen Linie folgt und das vorherrschende Leitbild der EG nicht wesentlich ändert, das durch Wirtschaftsfreiheit, Marktwirtschaft und möglichst unverfälschtem Wettbewerb geprägt wird.

23 Vgl. auch die auffällig häufige Wiederholung des Attributs sozial in Art. I-3 VV wie zum Beispiel die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und von Diskriminierungen sowie die Förderung sozialer Gerechtigkeit und sozialem Schutz. 24 Siehe zum Einfluß des deutschen Modells der sozialen Marktwirtschaft auf die europäische Wirtschaftsverfassung E.-J. Mestmäcker, in: ders. (Hrsg.), Wirtschaft und Verfassung in der Europäischen Union, 2003, S. 288 ff. 25 Vgl. J. Schwarze, EuZW 2004, 135 (136).

B. Aufgaben und Ziele der EG

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B. Aufgaben und Ziele der EG I. Allgemeines Die Struktur des Gemeinschaftsrechts zeichnet sich durch eine deutliche Zielorientiertheit aus.26 Die maßgebliche Zielsetzung27 der Europäischen Gemeinschaft formuliert Art. 2 EG (Art. I-3 VV) als zentrale Vorschrift der Wirtschaftsverfassung.28 Zu den unmittelbar wirtschaftsbezogenen Aufgaben der Europäischen Gemeinschaft gehören eine nachhaltige, harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens in der ganzen Gemeinschaft, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hoher Grad an Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistung sowie die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität sowie die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts.29 Die Verwirklichung dieser genannten Aufgaben und Ziele30 soll jedoch nicht auf jedwede Weise geschehen. Vielmehr werden der Gemeinschaft in Art. 2 EG, der Grundnorm des Integrationsprogramms,31 zugleich drei miteinander verbundene Verwirklichungswege32 vorgegeben: primär die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes, zum zweiten die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion und schließlich eine spezifizierte Gemeinschaftspolitik. Diese Aufgaben werden als Tätigkeiten in Art. 3 EG näher aufgeführt.

26 N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 133. 27 Die Vertragsziele besitzen „rechtsverbindlich steuernde Wirkung“, so M. Zuleeg, in: Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 2 Rdnr. 3. Sie sind keine bloßen Programmsätze. In diesem Sinne bereits EuGH, Slg. 1963, 141 (151) – Bundesrepublik Deutschland ./. Kommission. 28 A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 2 Rdnr. 1 nennt diese Norm auch „Generalkompaß“. 29 Weitere für die vorliegende Arbeit unerhebliche Ziele sind etwa die Gleichstellung von Mann und Frau, der Umweltschutz sowie die Förderung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. 30 Zur Begrifflichkeit vgl. M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 2 Rdnr. 1; vgl. auch EuGH, Slg. 1987, 3712 (3715) – Giménez Zaera. 31 J. Ukrow, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 2 Rdnr. 4. 32 Das schließt nicht aus, im Mittel selbst wieder ein Ziel zu erblicken, vgl. EuGH, Slg. 1987, 3712 (3715 f.) – Giménez Zaera/Instituto Nacional de la Seguridad Social; M. Zuleeg, in: Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 2 Rdnr. 13.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

II. Begriff und Bedeutung des Gemeinsamen Marktes Grundlage der Verwirklichung des Aufgabenvielecks des Art. 2 EG ist die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes. Dieser war seit den römischen Verträgen das zentrale Anliegen des EG-Vertrages und noch heute33 bildet er das Kernstück der Wirtschaftsverfassung der Europäischen Gemeinschaft.34 Die fundamentale Bedeutung eines Gemeinsamen Marktes zur Verwirklichung der europäischen Integration erschließt sich daraus, daß ohne einen Gemeinsamen Markt die Wirtschafts- und Währungsunion und auch die in Art. 3, 4 EG (vgl. Art. III-177 VV) aufgeführten gemeinsamen Politiken oder Maßnahmen weitgehend funktionslos sind.35 Der Begriff des Gemeinsamen Marktes36 wird im EG-Vertrag nicht definiert. Sein Inhalt ergibt sich aus den nachfolgenden Bestimmungen des Vertrages37 und läßt sich rechtlich mit drei Kernelementen und einem Zusatzelement kennzeichnen: den Grundfreiheiten, den Wettbewerbsregeln und der Rechtsangleichung.38 Hinzu kommen sektorale und flankierende Politiken. Der EuGH charakterisiert den Gemeinsamen Markt durch „die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt, dessen Bedingungen denjenigen eines wirklichen Binnenmarktes möglichst nahe kommen“.39

33 Die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes ist weder nach Ablauf der zwölfjährigen Übergangszeit nach der Gründung der Gemeinschaft noch zu einem späteren Zeitpunkt vollständig erreicht worden; R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 14 Rdnr. 2. Die Gründe hierfür liegen unter anderem in den strukturellen Schwächen des Art. 100 EWGV (jetzt Art. 94 EGV); vgl. H. G. Fischer, Europarecht, 2001, § 11 Rdnr. 1. 34 Vgl. Art. 2 EGV. 35 P.-C. Müller-Graff, in: Dauses, Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, A I Rdnr. 123. 36 Zum Begriff vgl. nur A. Bleckmann, MDR 1986, 5 (6 ff.). 37 Vgl. etwa Art. 15 Abs. 2, 32, 81 Abs. 1, 82 Abs. 1, 87, 94, 96 Abs. 1, 136 Abs. 3 und 296 Abs. 1 lit. b EG. 38 M. Seidel, in: Caesar/Scharrer (Hrsg.), Der unvollendete Binnenmarkt, 2003, S. 32; P.-C. Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, A I Rdnr. 126. 39 EuGH, Slg. 1982, 1409 (1431 f. Rdnr. 33) – Gaston Schul; siehe auch Slg. 1982, 329 (349 Rdnr. 18) – Polydor; EuGH, Slg. 1979, 3247 (3258 f. Rdnr. 7 f.) – Zollagenten; Slg. 1994, I-1829 (1847 Rdnr. 19) – Frankreich ./. Kommission.

C. Binnenmarktkonzept der EG

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C. Binnenmarktkonzept der EG I. Begriff Anders als für den Gemeinsamen Markt wird der Begriff des Binnenmarktes40 durch den EG-Vertrag legaldefiniert.41 Nach Art. 14 Abs. 2 EG (Art. III-130 Abs. 2 VV) „umfaßt er einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist“.42

II. Bedeutung und Verwirklichung des Binnenmarktes Mit dem wirtschaftsverfassungsrechtlichen Konzept des Binnenmarktes wurde die größte und vollständigste Freihandelszone der Welt geschaffen, in der ca. 470 Mio. Menschen in 25 Mitgliedstaaten leben. Der Binnenmarkt ist „Ausgangspunkt und Motor einer politischen Bewegung“,43 die 40 Zur Definition des Binnenmarktes als Rechtsbegriff vgl. N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 136 ff. 41 Das Verhältnis zwischen dem Gemeinsamen Markt und dem Binnenmarkt ist umstritten. Für eine Synonymität etwa A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 14 Rdnr. 7; N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 152; W. Kilian, Europäisches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 13; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 310; P. M. Schmidhuber, WuW 1992, 981 (981). Vertreter der Einschränkungstheorie halten den Binnenmarkt für ein Minus gegenüber dem Gemeinsamen Markt; vgl. A. Epiney, JZ 1992, 564 (566 f.); P. M. Huber, Das Recht der Europäischen Integration, 2002, S. 264; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 953 f.; P. Pescatore, EuR 1986, 153 (157); C. Koenig/A. Haratsch, Europarecht, 2003, Rdnr. 541. Nach vorzugswürdiger Ansicht entwickelt der Begriff des Binnenmarktes das Konzept des Gemeinsamen Marktes im Sinne einer Vertiefung fort, so daß Letzterer als eine inhaltliche und temporäre Vorstufe zum Binnenmarkt angesehen wird; so W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 11; A. v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 14 Rdnr. 8 f.; P.-C. Müller-Graff, EuR 1989, 107 (123 ff.); N. Reich, EuZW 1991, 203 (207 f.); E. Steindorff, ZHR 1986, 687 (689); M. Nettesheim, Jura 1994, 337 (339). Ausführlicher Überblick zum Meinungsstand bei W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 8–13. 42 Die Kommission entwickelte zum Abbau noch existierender Beschränkungen im Gemeinsamen Markt das Konzept des Binnenmarktes in ihrem „Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes“ (KOM [85] 310 endg.). Durch die Einheitliche Europäische Akte von 1986 wurde die Verwirklichung des Binnenmarktes zum Vertragsziel hochgestuft. Zum entstehungsgeschichtlichen Hintergrund vgl. insbesondere W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 1; S. Leible, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 14 Rdnr. 1 ff. 43 S. Leible, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 14 Rdnr. 9.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

sich eine Dynamisierung und Flexibilisierung des europäischen Integrationsprozesses zum Ziel gesetzt hat. Darüber hinaus kommt ihm aber auch eine wichtige rechtliche Bedeutung zu, da der Terminus Binnenmarkt unter anderem in verschiedenen Normen des EG-Vertrages den Ausgangspunkt für die Kompetenzbestimmung bildet. Zur Verwirklichung des in Art. 14 Abs. 2, 3 Abs. 1 lit. c EG genannten Binnenmarktziels sind mehrere Instrumente normiert. Dazu zählen neben den Harmonisierungsvorschriften der Art. 94, 95 EG (Art. III-172 f. VV) und den Wettbewerbsbestimmungen der Art. 81 ff. EG (III-161 ff. VV) auch die im Rahmen der vorliegenden Arbeit besonders interessierenden Grundfreiheiten. Die finale Ausrichtung dieser Instrumente auf die Binnenmarktverwirklichung ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 lit. c und lit. g EG (Art. I-3 Abs. 2 VV) sowie aus Art. 95 EG.44

III. Ziele Mit dem Binnenmarkt wird das nach wie vor aktuelle Ziel45 verfolgt, den in der Territorialität des nationalstaatlich geprägten Rechts angelegten Rechtsunterschieden – von Walter Hallstein im Vergleich mit den Schlagbäumen an den Binnengrenzen als „unsichtbare Grenzen“ bezeichnet46 – die Relevanz für das privatautonome Handeln so weit wie möglich zu nehmen.47 Das Ziel besteht dabei jedoch nicht in der Ablösung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen durch ein einheitliches supranationales Recht.48 Vielmehr bleiben nationale, historisch und kulturell bedingte Unterschiede zwischen den Regionen und Staaten Europas bestehen,49 so daß ein homogener Markt mit in allen Ländern austauschbaren, uniformen Verhältnissen nicht intendiert ist. Gemäß Art. 14 Abs. 1 EG sollte der gemeinsame Binnenmarkt schrittweise bis zum 31.12.1992 verwirklicht sein. Die Festsetzung dieses Datums beinhaltet jedoch nicht, daß Art. 14 EG automatisch kraft Fristablaufs unmittelbar anwendbar ist50 und entgegenstehendes 44 N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 133. 45 Der Stand der Umsetzung, der nur eine Momentaufnahme sein kann, ist ablesbar am sogenannten Binnenmarktanzeiger, den die Kommission in regelmäßigen Abständen herausgibt. Abrufbar auch im Internet unter: http://europa.eu.int/comm/ internal_market/de/update/score/index.htm. 46 W. Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, 1969, S. 94. 47 M. Hoffmann, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrrechte, 2000, S. 49. 48 A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, vor Art. 39–55 Rdnr. 92. 49 J. Ensthaler, Europäischer Binnenmarkt, 1989, S. 11. 50 Vgl. die Erklärung zu Art. 8 a des EWG-Vertrages in der Schlußakte der EEA; EuGH, Slg. 1999, I-6207 (6264 Rdnr. 40 ) – Wijsenbeek; C. O. Lenz, in: ders./Bor-

C. Binnenmarktkonzept der EG

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nationales Recht verdrängt.51 Vielmehr handelt es sich bei dieser Zielvorgabe um einen Auftrag52 an die Gemeinschaftsorgane, unter Einsatz der dort genannten Regelungsgrundlagen die bestehenden Hemmnisse für einen einheitlichen Markt zu beseitigen.53 Wirtschaftstheoretisch wird vom Freiverkehr der Produkte und der Produktionsfaktoren eine optimale Allokation der Ressourcen erwartet. Dies geschieht durch eine europaweite arbeitsteilige Wirtschaft und Angleichung der Wettbewerbsbedingungen nach dem Prinzip der vergleichsweise geringsten Kosten (Axiom des komparativen Kostenvorteils).54 Die Arbeitsteilung ermöglicht den Unternehmen und den Regionen die Konzentration auf ihre jeweiligen Stärken.55 Durch den Wegfall der Transaktionskosten und der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen und damit einhergehend niedrigeren Produktionskosten findet eine Intensivierung des Wettbewerbs bei weiter voranschreitender Arbeitsteilung innerhalb der Gemeinschaft statt.56 Der wachsende Wettbewerbsdruck sorgt für das dynamisch-innovative Moment. Unwirtschaftliche Produkte oder ineffektive Produktionsabläufe werden ersetzt. Durch den Konkurrenzdruck wird die Suche nach kostengünstigeren Verfahren und innovativen Produkten forciert.57 Dies hat zur Konsequenz, daß nicht nur der innergemeinschaftliche Handel zunimmt,58 chardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 14 Rdnr. 6 f.; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 947; ebenso W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 14. 51 A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 14 Rdnr. 15; W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 14; A. v. Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 14 Rdnr. 3; ausdrücklich bestätigt durch EuGH, Slg. 1993, I-5211 (5233 Rdnr. 16) – INPS/Bagliari und GA f. G. Jacobs, SchlA Slg. 1993, I-5211 (5224 Nr. 11 f.) – Baglieri. Vgl. aber die gegenteilige Auffassung der Kommission, SEK (92) 877 endg. 52 Art. 14 EG entfaltet eine zweifache rechtliche Bindungswirkung. Zum einen hinsichtlich des rechtzeitigen Erlasses der notwendigen Rechtsakte durch den Gemeinschaftsgesetzgeber, zum anderen führt er zu Handlungs- und Unterlassungspflichten der Mitgliedstaaten; vgl. W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 15; A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 14 Rdnr. 15. 53 M. Herdegen, Europarecht, 2006, § 14 Rdnr. 5; H. G. Fischer, Europarecht, 2001, § 11 Rdnr. 6. 54 K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 84; S. Leible, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 14 Rdnr. 6; P.-C. Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, A I Rdnr. 124. 55 G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 27. 56 J. Ensthaler, Europäischer Binnenmarkt, 1989, S. 11. 57 P.-C. Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, 1989, S. 7; N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 140.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit der in der Europäischen Gemeinschaft ansässigen Unternehmen sowie insgesamt die Wirtschaftskraft der Mitgliedstaaten auf den Weltmärkten.59 Durch die Expansion der Wirtschaft werden Arbeitsplätze geschaffen.60 Die Nutzung günstiger Angebote führt wiederum zu Ersparnissen in der Gesellschaft, Kaufkraft und Nachfrage werden vergrößert und erzeugen weitere Wachstumsimpulse.61 Auf Dauer erhöhen sich folglich die Wohlfahrtseffekte innerhalb der Gemeinschaft.62 Politikwissenschaftlich werden von einer wirtschaftlichen Verflechtung mit Wohlstandseffekten zudem Friedenseffekte insbesondere für das Verhältnis zwischen den beteiligten Staaten erwartet.63

IV. Strukturelemente Kennzeichen des Binnenmarktes sind seine Einheitlichkeit nach außen und die Freiheit nach innen.64 Die Freiheit nach innen wird in drei Strukturelemente aufgegliedert: Marktfreiheit, Marktgleichheit und Wettbewerbsfreiheit.65 Unter der Marktfreiheit wird die Öffnung beziehungsweise Offenhaltung der mitgliedstaatlichen Grenzen für die wirtschaftliche Betätigung ver58 M. Monti, Der Binnenmarkt und das Europa von morgen, 1997, S. 2 ff., 121 ff., 151 ff.; A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 14 Rdnr. 19. 59 G. Laule, in: Ress (Hrsg.), Rechtsentwicklungen innerhalb der EG im Hinblick auf den Binnenmarkt nach 1992 und mögliche Auswirkungen auf den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, 1989, S. 4. 60 S. Leible, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 14 Rdnr. 35; zu älteren Einschätzungen vgl. Mitteilung der Kommission, „Wirkung und Wirksamkeit der Binnenmarktmaßnahme“, KOM (1996) 520 endg. Zu den ökonomischen Anfangserwartungen vgl. P. Cecchini, Europa ’92: Der Vorteil des Binnenmarktes, 1988. 61 G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 27. 62 Seit 1992 wurde dank des Binnenmarktes ein materieller Wohlstandsgewinn von insgesamt 877 Mrd. Euro erzielt. Dies läßt sich anhand der gestiegenen Zahlen für Ausfuhren der Gemeinschaft in Drittländer von 6,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Gemeinschaft von 1992 auf 11,2 Prozent in 2001 belegen. Ausführliches Zahlenmaterial im Binnenmarktanzeiger 11, 12 und 13, abrufbar im Internet unter http://europa.eu.int/comm/internal_market/score/index_de.htm. 63 P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 4. 64 In bezug auf den Gemeinsamen Markt K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 84; H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 55. Vgl. auch A. Bleckmann, MDR 1986, 5 (6). 65 A. v. Bogdandy in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 2 Rdnr. 38; E. Grabitz, in: Baur/Hopt/Mailänder (Hrsg.), FS Steindorff, 1990, S. 1229 (1233); P. M. Huber, Das Recht der europäischen Integration, 2002, S. 263.

C. Binnenmarktkonzept der EG

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standen.66 Eine faire Wettbewerbslage für sämtliche Wirtschaftsgüter setzt voraus, daß die Produkte eines EG-Mitgliedstaates ungehinderten Zugang zu den Märkten der übrigen EG-Staaten haben, damit überhaupt eine Wettbewerbssituation entstehen kann. Ist der Marktzugang gesichert, kommt es darauf an, zwischen in- und ausländischen Wirtschaftsgütern gleiche Wettbewerbsbedingungen67 zu gewährleisten.68 Das Prinzip der Markt- oder Wettbewerbsgleichheit zielt auf Optimierung der Homogenität69 und Wettbewerbsneutralität70 der Ordnung innerhalb des Binnenmarktes.71 Mit dem dritten Begriffselement, der Wettbewerbsfreiheit, ist der Schutz des Wettbewerbs vor staatlichen und privaten Eingriffen angesprochen.72 Die Vorschriften des EG-Vertrages über die Wettbewerbsfreiheit (Art. 81 ff. EG, Art. III-161 ff. VV) stellen sicher, daß die Märkte für alle Wettbewerber offen bleiben und ein freier und unverfälschter Wettbewerb stattfinden kann.73 Der Binnenmarkt als institutioneller Ordnungsrahmen fordert indes keinen unbedingten Freihandel. Wie bereits der Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 lit. a und c EG impliziert, gilt es auf den Märkten der EG-Mitgliedstaaten für alle Wirtschaftsgüter unabhängig von ihrer Herkunft eine faire Wettbewerbslage zu schaffen. Mit der weitgehenden Verwirklichung von Marktfreiheit und Marktgleichheit erlangt das dritte Standbein des Binnenmarktes eine immer größere Bedeutung: die Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs.74 66 Vgl. A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 130 ff.; E.-J. Mestmäcker, in: Coing/Kronstein/Mestmäcker (Hrsg.), FS Böhm, 1965, S. 345 (345 ff.); E. Grabitz, in: Stödter/Thieme (Hrsg.), FS Ipsen, 1977, S. 645 (660). 67 M. Hoffmann, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrrechte, 2000, S. 44 f. bezeichnet diese treffend als Marktnutzungsbedingungen. 68 Vgl. auch EuGH, Slg. 1982, 1409 (1432) – Gaston Schul; H. G. Fischer, Europarecht in der Öffentlichen Verwaltung, 1994, S. 25. 69 Vgl. P. O. Mülbert, ZHR 1995, 2 (21), der von einem quasi-homogenen Markt spricht. 70 E. Grabitz, in: Baur/Hopt/Mailänder (Hrsg.), FS Steindorff, 1990, S. 1229 (1233); ebenso K.-D. Borchardt, Grundlagen der Europäischen Union, 2002, S. 208. 71 M. Hoffmann, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrrechte, 2000, S. 44. 72 K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 85; H. G. Fischer, Europarecht in der Öffentlichen Verwaltung, 1994, S. 25. 73 Vgl. A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 142; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 2002, Rdnr. 560. 74 P. M. Huber, Recht der europäischen Integration, 2002, S. 279. In der Rechtssache Titanoxid, EuGH, Slg. 1991, I-2867 (2899 Rdnr. 14), hat der EuGH das System eines unverfälschten Wettbewerbs zu den konstitutiven Elementen des Binnenmarktes gerechnet.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

V. Verhältnis des Binnenmarktziels zu anderen Vertragszielen Die Europäische Gemeinschaft verkörpert eine Wertegemeinschaft, die sich nicht nur auf die Erreichung wirtschaftlicher Ziele reduzieren läßt, wie der bereits angesprochene „Generalkompaß“75 des Art. 2 EG und die Präambel belegen. Aufgrund dieser Pluralität der Gemeinschaftsziele sind gemeinschaftsinterne Zielkonflikte von vornherein absehbar. Denn daß sich beispielsweise ökologische oder soziale und ökonomische Ziele nicht immer decken, ist offensichtlich. Ein Vorrang wirtschaftlicher Erwägungen76 würde daher die Vielzahl der Gemeinschaftsziele nicht in adäquater Weise widerspiegeln. Positiv gewendet bedeutet dies, daß keines der im Primärrecht oder auf seiner Stufe geschützten Güter und Interessen hinter eine gleichrangige Position gänzlich zurücktreten muß.77 Vielmehr hat sich das Ziel des Binnenmarktes im Sinne praktischer Konkordanz in die sonstigen Vertragsziele einzufügen.78 Dies gilt beispielsweise für die Berücksichtigung von Belangen des Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzes.79 Aber auch die sozialen Ziele der EG80 sind bei Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarktes in gleicher Weise zu berücksichtigen.81 Der Binnenmarkt darf sich nicht zu Lasten solcher Rechtsgüter entwickeln, die nach dem übereinstimmenden Willen der Mitgliedstaaten Schutz genießen.82 Dies bedeutet, daß eine Rechtfertigung von den Binnenmarkt beeinträchtigenden Maßnahmen grundsätzlich möglich ist, sofern die SchrankenSchranken des Gemeinschaftsrechts beachtet werden.

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A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 2 Rdnr.1. In diese Richtung aber J. Basedow, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling, Bd. I, S. 49 (60, 67). 77 Vgl. auch B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 649; G. Ress/J. Ukrow, EuZW 1990, 449 (503), H. Steinberger, VVDStRL 1991, S. 9 (27). 78 Im Ergebnis ebenso A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 14 Rdnr. 11; J. Pipkorn u. a., in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 14 Rdnr. 64 ff.; vgl. auch m. w. N. und Begründung W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 23, der vom „ökologisch und sozial qualifizierten Binnenmarkt“ spricht. 79 Diese wurden gleichzeitig mit dem Binnenmarktziel in die EEA eingefügt. Vgl. Art. 130 r; Art. 100 a Abs. 3 E(W)GV a. f. 80 Vgl. Art. 136 EG. 81 J. Pipkorn u. a., in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 14 Rdnr. 64. 82 Vgl. nur A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 14 Rdnr. 11. 76

D. Grundfreiheiten

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D. Grundfreiheiten Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich insbesondere mit der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten durch Einheimischenprivilegierungen. Daher sind zunächst einige grundsätzliche Bemerkungen voranzustellen. Wegen ihrer konstituierenden Bedeutung für die freien Verkehrsströme und insbesondere den freien Wirtschaftsverkehr werden die Gewährleistungen des freien Verkehrs von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital als die vier „Markt- oder Grundfreiheiten“83 des EG-Vertrages bezeichnet. In enger Verbindung hierzu steht die Sicherung des freien Zahlungsverkehrs, die zuweilen als fünfte Grundfreiheit verstanden wird.84 Auch im Verfassungsvertrag finden die Grundfreiheiten in Art. I-4 Abs. 1 VV an hervorgehobener Stelle Erwähnung. Sofern keine abweichenden Angaben erfolgen, gelten die folgenden Ausführungen grundsätzlich für sämtliche Grundfreiheiten des EGVertrages. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der vertraglichen Vorschriften gebieten eine Einschränkung im Hinblick auf einzelne grundfreiheitliche Aspekte. Insofern kann hier von einer Konvergenz der Grundfreiheiten gesprochen werden.85

I. Sinn und Zweck Die Grundfreiheiten sind final auf den tragenden Pfeiler der wirtschaftlichen Integration, den Binnenmarkt, bezogen86 und stellen prägende Komponenten der gemeinschaftsrechtlichen Wirtschaftsverfassung dar. Mitunter werden sie daher als „Stützpfeiler der Wirtschaftsverfassung“87 bezeichnet. 83 Der Begriff „Grundfreiheit“ wird in den Verträgen nicht ausdrücklich verwendet, hat sich aber in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur eingebürgert und wird seit Beginn der achtziger Jahre – meist jedoch nur beiläufig – auch vom EuGH verwendet, vgl. EuGH, Slg. 1981, 2595 (2613 Rdnr. 8) – Casati. Andere Sprachen kennen keine so gebräuchliche Bezeichnung. Im Englischen ist wohl „The four freedoms“ (D. Wyatt, European Union Law, 2000, S. 317 ff.) eine allerdings nur selten verwendete Entsprechung. Vgl. im Französischen „Les quatre libertés à fonction économique“ (J. Boulouis, Droit institutionel des communautés européennes, 1993, S. 211). Im zukünftigen Verfassungsvertrag wird der Begriff ausdrücklich als Überschrift des Art. I-4 VV verwendet. 84 Vgl. M. Herdegen, Europarecht, 2006, § 15 Rdnr. 1. Zur systematischen Einteilung der Grundfreiheiten vgl. R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 656; H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (205). 85 Zur Konvergenz auf Tatbestands- und Rechtfertigungsebene vgl. P. Steinberg, EuGRZ 2002, 13 (13 ff.). 86 T. Kingreen, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 644. 87 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 13.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

Aus einer spezifisch ökonomischen Sicht dient die Gewährleistung der Grundfreiheiten der „optimalen Allokation“ von wirtschaftlichen Ressourcen.88 Die Mitgliedstaaten neigen dazu, wirtschaftliche Probleme durch eine Abschottung ihrer Märkte nach außen zu lösen und auf diese Weise verfälschend in den innergemeinschaftlichen Wettbewerb einzugreifen.89 Durch die Grundfreiheiten wird ihnen die Pflicht auferlegt, eine gezielte Steuerung der Außenwirtschaft durch Schutzzölle, Kontingente, Devisenkontrollen und sonstige wirtschafts-protektionistische Maßnahmen zu unterlassen.90 Indem die Mitgliedstaaten untereinander auf solche Möglichkeiten einer Lenkung der Außenwirtschaft verzichten und ihre Märkte der Konkurrenz der übrigen Mitgliedstaaten öffnen, setzen sie die Kräfte des (Binnen-) Marktes frei, der auf diese Weise zu dem entscheidenden Instrument der Integration einzelstaatlicher Volkswirtschaften wird.91 Die Beseitigung der mitgliedstaatlichen Grenzziehungen dient darüber hinaus ganz allgemein dazu, die Funktionsfähigkeit der wirtschaftlichen Privatinitiative und Privatautonomie gegenüber hoheitlichen Steuerungsmaßnahmen des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs zu garantieren.92 Hiermit wird zugleich die soziale Verflechtung innerhalb der Gemeinschaft gefördert. Dieser Aspekt mißt den Grundfreiheiten eine weit über die wirtschaftliche Komponente hinausgehende Bedeutung zu.93 Insgesamt bewegen sich die Grundfreiheiten in einem komplexen Spannungsfeld: Sie sollen den unter ihrem Dach koexistierenden Teilrechtsordnungen ihre diskriminierenden Effekte nehmen, ohne die föderale Vielfalt und Unterschiedlichkeit einzuebnen.94

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R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 653. U. Scheffer, Die Marktfreiheiten als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997, S. 18; E.-J. Mestmäcker, in: Coing/Kronstein/Mestmäcker, FS Böhm, 1965, S. 345 (348 ff., 354 ff.). 90 U. Scheffer, Die Marktfreiheiten als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997, S. 19; D. Ehlers, Jura 2001 266 (266). 91 U. Scheffer, Die Marktfreiheiten als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997, S. 19. 92 Vgl. den Spaak-Bericht, benannt nach dem Vorsitzenden des Ausschusses, dem belgischen Außenminister, Paul-Henri Spaak, EG-Dok, MAE 120 d/56, S. 15: „Im Gemeinsamen Markt können sich Unternehmerinitiative und persönliche Leistung voll entfalten.“ 93 Vgl. R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 653; f. C. Haus/M. D. Cole, JuS 2003, 561 (561). 94 T. Kingreen, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 647. 89

D. Grundfreiheiten

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II. Berechtigte 1. Unionsbürger Berechtigte der Grundfreiheiten sind die Unionsbürger.95 Dies ergibt sich einerseits bereits aus dem Wortlaut,96 andererseits aus der systematischen Auslegung. Die Grundfreiheiten sind als Marktrechte darauf ausgerichtet, den Unionsbürgern die Vorteile des Binnenmarktes zu gewähren.97 Unionsbürger ist nach Art. 17 Abs. 1 S. 2 EG (Art. I-10 Abs. 1 VV), wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. 2. Juristische Personen und Personenmehrheiten innerhalb der Gemeinschaft Während die Grundfreiheiten unterschiedslos für alle natürlichen Personen aus den Mitgliedstaaten gelten, ist bei juristischen Personen und Personenmehrheiten zu differenzieren. Kraft ausdrücklicher Anordnung der Art. 48 Abs. 1 EG (Art. III-142 Abs. 1 VV) und Art. 55 EG (Art. III-150 VV) werden im Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit Gesellschaften98 den natürlichen Personen gleichgestellt. Unter Gesellschaften versteht der EG-Vertrag Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich Genossenschaften und sonstige juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen.99 Die Erwähnung der Genossenschaften und juristischen Personen des öffentlichen Rechts belegt, daß der Begriff des Erwerbszwecks weit zu verstehen ist und nicht im Sinne eines Gewinnstrebens ausgelegt werden darf.100 Vielmehr ist jede Teilnahme am Wirtschaftsleben mittels Angebot einer entgeltlichen, auf teilweise Kostendekkung abzielenden Tätigkeit ausreichend.101 Hinsichtlich der Warenverkehrs95

P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 2002, S. 260; so auch W. Hakenberg, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49/50 Rdnr. 2. 96 Vgl. Art. 39 Abs. 2, 43 Abs. 1 und 49 Abs. 1 EG. Für die Freiheit des Warensowie des Kapital- und Zahlungsverkehrs kann nichts anderes gelten. 97 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 80; N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 29. 98 Trotz des mißverständlichen Wortlauts werden auch nichtrechtsfähige Personenmehrheiten umfaßt; vgl. nur A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 48 Rdnr. 7. 99 Vgl. Art. 48 Abs. 2 EG (Art. III-27 Abs. 2 VV). 100 J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 48 Rdnr. 5; W. Müller-Huschke, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 48 Rdnr. 5.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

freiheit fehlt eine entsprechende Regelung. Gerade im Verhältnis zwischen Waren- und Dienstleistungsfreiheit besteht jedoch ein Konvergenzbedürfnis, um wirtschaftlich einheitliche Vorgänge nicht künstlich aufzuspalten. Art. 28 EG (Art. III-153 VV) ist daher auch und nur auf Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG (Art. III-142 Abs. 2 VV) anwendbar.102 Selbst die Arbeitnehmerfreizügigkeit soll nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nur Arbeitnehmern zugute kommen. Nach der neueren Entscheidung Clean Car Autoservice kann sich auch ein Arbeitgeber, gleichgültig ob natürliche oder juristische Person oder Personengesellschaft, auf Art. 39 EG (Art. III133 VV) stützen. Der Norm sei „kein Hinweis darauf zu entnehmen, daß sich nicht auch andere Personen, insbesondere Arbeitgeber, auf sie berufen könnten“.103 Diese Sichtweise überspielt jedoch den eindeutigen Wortlaut von Art. 39 EG.104 Es hätte näher gelegen, den genannten Fall über Art. 43 EG (Art. III-137 VV) zu lösen.

III. Verpflichtete Die Grundfreiheiten schützen in erster Linie gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten als den maßgeblichen Entscheidungsträgern.105 Da die Grundfreiheiten unmittelbare106 Wirkung im innerstaatlichen Recht entfalten, ist der Begriff des Mitgliedstaates in einem funktionalen Sinn zu verstehen.107 Erfaßt werden alle Träger von Staatsgewalt, wozu neben Bund, Ländern und Kommunen auch sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts gehören.108 Die Grundfreiheiten binden aber ebenso die Europäische Gemeinschaft selbst und ihre Organe, insbesondere im Rahmen ihrer 101

D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 38. 102 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 81; im Ergebnis ebenso D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 39. 103 EuGH, Slg. 1998, I-2521 (2545 Rdnr. 19) – Clean Car Autoservice. 104 Ebenso T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 81. Offen gelassen bei D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 39. 105 U. Scheffer, Die Marktfreiheiten als Ermessensgrenze des Gemeinschaftsgesetzgebers, 1997, S. 18 f.; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 706. 106 Vgl. unten 2. Teil D. V. 107 W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 2 § 2 Rdnr. 295 f.; A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 295 f.; G. Schimming, Konvergenz der Grundfreiheiten des EGV unter besonderer Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Einfuhr- u. Ausreisebedingungen, 2002, S. 40; H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (714). 108 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 43; N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 17.

D. Grundfreiheiten

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Rechtsetzung durch Richtlinien.109 Es wäre widersprüchlich, wenn die Gemeinschaft den Mitgliedstaaten Pflichten auferlegen könnte, die für sie selbst nicht gelten.110 Noch nicht hinreichend geklärt ist die Frage, ob und inwieweit Private durch die Grundfreiheiten, insbesondere durch Art. 39 EG, Art. 43 EG und Art. 49 EG gebunden sind.111 Diese sogenannte Drittwirkung oder horizontale Wirkung der Grundfreiheiten ist im Schrifttum stark umstritten.112 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist sie jedoch nicht von Bedeutung.

IV. Anerkennung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte Ein freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten kann sich nur entwickeln, wenn die Grundfreiheiten nicht nur Bindungen erzeugen, sondern dem einzelnen auch die Rechtsmacht einräumen, sich gegenüber den Verpflichteten auf diese Freiheitsverbürgerungen zu berufen.113 Daher entschied der EuGH bereits im Jahre 1963 in der Rechtssache van Gend & Loos,114 daß die auf den Binnenmarkt zielenden Grundfreiheiten auch individuelle Rechte für den einzelnen Wirtschaftsteilnehmer begründen.115 Diese – im Sinne der deutschen Terminolo109 EuGH, Slg. 1997, I-3629 (3655 Rdnr. 27) – Kieffer und Thill. Vgl. auch R. O. Schwemer, Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten, 1995, S. 45; C. Koenig/A. Haratsch, Europarecht, 2003, Rdnr. 486; T. Kingreen/ R. Störmer, EuR 1998, 263 (277); H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (213). 110 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 44; T. Kingreen/R. Störmer, EuR 1998, 263 (277). Soweit ersichtlich, wurde jedoch noch keine Verletzung der Grundfreiheiten durch Gemeinschaftsorgane bejaht. Vgl. EuGH, Slg. 1994, I-3879 (3898 Rdnr. 11) – Meyhui; Slg. 1997, I-3629, (3655 Rdnr. 27) – Kieffer und Thill. 111 Vgl. hierzu R. Streinz/S. Leible, EuZW 2000, S. 459 ff. m. w. N. Die Drittwirkung des Art. 28 EG wird in der Literatur mehrheitlich abgelehnt. Vgl. nur U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 28 Rdnr. 88 ff.; U. Forsthoff, EWS 2000, 389 (389, 392). 112 Für eine Drittwirkung vgl. beispielsweise A. Bleckmann, Europarecht, 1997, S. 269 ff.; D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 82 ff.; U. Forsthoff, EWS 2000, 389 (397). Gegen eine Drittwirkung M. Burgi, EWS 1999, 327 (330 f.); H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (210); ders., RIW 1993, 1 (7). 113 W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 2 § 2 Rdnr. 83; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 8; ders., Jura 2001, 266 (267). 114 EuGH, Slg. 1963, 1 (25) – van Gend & Loos. 115 Vgl. auch EuGH, Slg. 1976, 1333 (1341 f.) – Donà/Mantero; ebenso N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 29; U. Immenga, JA 1993, 257 (260); T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 23.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

gie – subjektiv-öffentlichen Rechte können vor den Gemeinschaftsgerichten und den nationalen Gerichten geltend gemacht werden.

V. Unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten Die Wirkung der hier skizzierten Grundfreiheiten für das Funktionieren des Binnenmarktes hängt von ihrer Durchsetzung ab. Als Folge der Anerkennung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte sind die Grundfreiheiten heute in den internen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nach Ablauf der Übergangszeiten116 unmittelbar anwendbares EG-Recht117 (self-executing). Dies gilt jedoch nur, soweit sie nicht durch primärrechtskonformes Sekundärrecht konkretisiert werden, das als lex specialis den allgemeinen Regelungen des EG-Vertrages vorgeht.118 Die frühere Sonderrolle des Kapitalverkehrs ist seit Inkrafttreten des Art. 56 Abs. 1 EGV (Art. III156 VV) am 1.1.1994 beseitigt.119

VI. Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhalts Die Grundfreiheiten richten sich auf Maßnahmen „zwischen den Mitgliedstaaten“.120 Daher erfassen sie nach ständiger Rechtsprechung des EuGH121 nur grenzüberschreitende Sachverhalte.122 Hierbei grenzt der Ge116 Art. 7 Abs. 1, Art. 31, Art. 33, Art. 35, Art. 48 Abs. 1, Art. 52 Abs. 1, Art. 59 Abs. 1, Art. 67 EWGV. 117 Grundlegend EuGH, Slg. 1964, 1251 (1273 Rdnr. 6/64) – Costa/ENEL. Für die Warenverkehrsfreiheit EuGH, Slg. 1977, 557 (576 Rdnr. 13) – Ianelli & Volpi/ Meroni; Slg. 1978, 2347 (2374 Rdnr. 66/67) – Pigs Marketing Board/Redmond; zur Arbeitnehmerfreiheit EuGH, Slg. 1976, 497 (511 Rdnr. 19/23) – Royer; zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Slg. 1974, 631 (651 ff. Rdnr. 14 ff.) – Reyners; Slg. 2002, I-9919 (9965 Rdnr. 60) – Überseering; zur Dienstleistungsfreiheit EuGH, Slg. 1974, 1299 (1310 ff. Rdnr. 18 ff.) – van Binsbergen. Aus der Literatur siehe G. Schimming, Konvergenz der Grundfreiheiten des EGV unter besonderer Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Einreise- und Einfuhrbeschränkungen, 2002, S. 38; H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (209); M. Eberhartinger, EWS 1997, 43 (43). 118 EuGH, Slg. 1979, 649 (662 Rdnr. 8) – Cassis. 119 EuGH, Slg. 1995, I-4821 (4841 ff. Rdnr. 48) – Sanz de Lera u. a. 120 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 20. 121 Vgl. EuGH, Slg. 1992, I-341 (357 Rdnr. 9) – Steen I; Slg. 1994, I-2715 (2724 Rdnr. 9) – Steen II. Zustimmend in der Literatur A. Hatje, Jura 2003, 160 (161); H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (708); G. Schimming, Konvergenz der Grundfreiheiten des EG-Vertrags unter besonderer Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Einfuhr- und Einreisebeschränkungen, 2002, S. 51; T. Schilling, JZ 1994, 8 (9); M. Rossi, EuR 2000, 197 (201); T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 117; P. M. Huber, Recht der Europäischen Integra-

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richtshof meist in negativer Weise ab, indem er „rein innerstaatliche“ Sachverhalte, die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen123 und auch sonst keinerlei Auslandsberührung besitzen,124 aus dem Schutzbereich der Grundfreiheiten ausklammert.125 Auch die rein hypothetische Möglichkeit eines Grenzübertritts reicht nicht aus.126 Hintergrund für diese Einschränkung ist zum einen die Abgrenzung von den Gemeinschaftsgrundrechten.127 Während Letztere einen umfassenden Schutz gegen staatliche Eingriffe in die Handlungsfreiheit gewährleisten, funktionieren die Grundfreiheiten „lediglich“ als Marktzugangs- beziehungsweise -nutzungsrechte, was jedoch nicht gleichbedeutend mit der generellen Liberalisierung des Wirtschaftsverkehrs ist.128 Zum anderen entfalten die Grundfreiheiten ihre Wirkung insbesondere im nicht harmonisierten Bereich, das heißt in Regelungsgebieten, die grundsätzlich in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen.129 Hier ist es notwendig, sensible Abgrenzungen in der Föderalstruktur der Gemeinschaft vorzunehmen. Das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhalts als spezifisches Kriterium der transnationalen Integrationsnormen130 impliziert zugleich, tion, § 17 Rdnr. 40; H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 39; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 302 f.; S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 41. Ablehnend A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 201, 203, 209 f.; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – Nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 55 ff., 67 ff. 122 Die dogmatische Einordnung dieses Kriteriums bereitet Probleme. T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 78, 84 stellt den grenzüberschreitenden Bezug auf der Beeinträchtigungsebene fest. Nach vorzugswürdiger Ansicht ist dieses Merkmal jedoch dem Schutzbereich der Grundfreiheiten zuzuordnen. Im Ergebnis ebenso S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 303. 123 EuGH, Slg. 1991, I-1979 (2090 Rdnr. 37 ff.) – Höfner u. Elser; Slg. 1997, I-195 (210 Rdnr. 19) – ULLS Nº 47 Di Biella. 124 EuGH, Slg. 1997, I-3171 (3188 Rdnr. 16) – Uecker u. Jacquet; Slg. 1998, I-4239 (4250 Rdnr. 22) – Kapa Sakalis. 125 Zu weiteren Nachweisen vgl. K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – Nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 55 ff. 126 EuGH, Slg. 1984, 2539 (2547 Rdnr. 18) – Moser; Slg. 1997, I-2629 (2645 Rdnr. 16) – Kremzow. 127 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 82 f.; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 302. 128 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 20; A. Hatje, Jura 2003, 160 (161). 129 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 302.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

daß den Mitgliedstaaten (reine) Inländerdiskriminierungen durch die Grundfreiheiten nicht untersagt werden.131 Der Charakter des rein internen nationalen Sachverhalts geht allerdings verloren, sobald ein Staatsangehöriger von seinen gemeinschaftsrechtlich geregelten Freiheiten Gebrauch gemacht hat.132 Wird er nun aufgrund des Gebrauchmachens diskriminiert, kann er sich gegenüber seinem eigenen Mitgliedstaat auf die Grundfreiheiten berufen.133

VII. Konkurrenzen Alle Grundfreiheiten betreffen unterschiedliche Materien. Daher entscheidet die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen zugleich über die Abgrenzung der Grundfreiheiten untereinander.134 Eine Trennlinie ist in Grenzbereichen jedoch nicht immer leicht zu ziehen, insbesondere dann nicht, wenn es um die Zuordnung von Annexrechten geht. Ob bei einem Sachverhalt parallel mehrere Grundfreiheiten einschlägig sein können oder ob diesbezüglich Exklusivität herrscht, ist nicht umfassend geklärt. Nach der Rechtsprechung des EuGH schließen sich die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit gegenseitig aus.135 Dieses zutreffende Ergebnis folgt tatbestandlich aus dem Wortlaut der jeweiligen Vorschrift, der entweder an eine vorübergehende (Art. 49 EG) oder dauerhafte (Art. 43 EG) wirtschaftliche Betätigung anknüpft. Dreh- und Angelpunkt136 für die Weichenstellung, welche Grundfreiheit für eine Tätigkeitsausübung einschlägig ist, ist hier 130 T. Kingreen, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 657. 131 So die herrschende Ansicht A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 6; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 685; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 20; H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 39 f.; für eine Erfassung auch umgekehrter Diskriminierungen vgl. G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 79 ff.; ders., EuR 1991, 95 (104); N. Reich, EuZW 1991, 203 (204 f.). Zu den sich aus der umgekehrten Diskriminierung ergebenden Problemen siehe grundlegend A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 419 ff. 132 Ebenso M. Haag, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 9; M. Rossi, EuR 2000, 197 (201). 133 EuGH, Slg. 1979, 399 (409 Rdnr. 17 ff.) – Knoors; aus jüngerer Zeit siehe EuGH, Slg. 2002, I-6191 (Rdnr. 30 ff.) – D’Hoop. In bezug auf Art. 12 EG vgl. M. Rossi, EuR 2000, 197 (201). 134 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 57. 135 EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4193 f. Rdnr. 19 ff.) – Gebhard; zustimmend C. Ohler, WM 1996, 1801 (1802). 136 A. Rohde, Freier Kapitalverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 91.

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also die Frage nach Dauer der Leistung, Häufigkeit, regelmäßiger Wiederkehr oder Kontinuität.137 Im übrigen sieht Art. 50 Abs. 1 EG (Art. III-145 VV) vor, daß die Dienstleistungsfreiheit nur dann eingreift, wenn nicht bereits andere Vorschriften Anwendung finden. Dies spricht ebenfalls für ein Exklusivitätsverhältnis. Gleiches läßt sich zum Verhältnis Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit auf der einen Seite und Arbeitnehmerfreizügigkeit auf der anderen Seite feststellen.138 Zur Abgrenzung dient das Kriterium der Selbständigkeit. Unproblematisch schließen sich die Warenverkehrsfreiheit und die Personenfreizügigkeiten aus.139 Somit verbleibt die Frage, ob die Kapitalverkehrsfreiheit ausschließlich oder kumulativ zu den anderen Freiheiten anzuwenden ist. Zu dieser Problematik soll jedoch erst an späterer Stelle Stellung genommen werden.140 Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG (Art. I-4 Abs. 2 VV) kommt dagegen aufgrund des in seinem Wortlaut angelegten Vorbehalts141 nur zum Zuge, wenn „der Vertrag keine besondere Regel der Nichtdiskriminierung vorsieht“.142 Es steht somit in einem Subsidiaritätsverhältnis zu den übrigen Freiheiten.143 Im Zweifel neigt der EuGH dazu, Handlungsweisen nach ihrem Schwerpunkt der einen oder der anderen Grundfreiheit zuzuordnen.144 Von dem genannten Exklusivitätsbegriff sorgfältig zu unterscheiden ist die Prüfung einer mitgliedstaatlichen Rechtsvorschrift, die zugleich in verschiedene Grundfreiheiten eingreift, weil die Regelung verschiedene wirtschaftliche Sachverhalte betrifft.145 Entsprechend ist die Regelung auch anhand der verschiedenen Freiheiten zu überprüfen, die auf die einzelnen Sachverhalte anwendbar sind.146 Dies ist die Konsequenz daraus, daß sich ein aufgrund einer Grundfreiheit Berechtigter nur insoweit auf den Vertrag berufen kann, als er auf ihn konkret anwendbar ist. 137

So EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4193 Rdnr. 20) – Gebhard. U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 35. 139 Vgl. C. Ohler, WM 1996, 1801 (1802). 140 Vgl. unten 3. Teil A. II. 1. e) bb). 141 „Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages“. 142 EuGH Slg. 1996, I-929 (951 Rdnr. 20) – Skanavi & Chryssanthkopoulos. 143 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 11; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 668. 144 Vgl. EuGH, Slg. 1994, I-1039 (1088 Rdnr. 22) – Schindler; Slg. 1994, 4837 (4857 Rdnr. 14) – van Schaik. Ebenso D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 57. 145 Diese Unterscheidung wird zumeist nicht vorgenommen, vgl. S. Weber, EuZW 1992, 561 (564); P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 332. 146 Ebenso A. Rohde, Freier Kapitalverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 91 f.; W. Schön, in: ders. (Hrsg.), GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 743 (749 f.). 138

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VIII. Gewährleistungsumfang der Grundfreiheiten 1. Diskriminierungsverbot Den Grundfreiheiten werden in erster Linie Diskriminierungsverbote entnommen, die das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG bereichsspezifisch konkretisieren.147 a) Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht Dem Begriff der Diskriminierung148, der aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammt und erst im Laufe des 19. Jahrhunderts Eingang in die Rechtssprache fand,149 haftet typischerweise eine negative Einfärbung im Sinne einer willkürlichen, rechtswidrigen oder verbotenen Unterscheidung an.150 Diesem allgemeinen Sprachgebrauch folgend wird die „Diskriminierung“ als Rechtsbegriff im Gemeinschaftsrecht ausschließlich in Verbotsnormen wie zum Beispiel den Grundfreiheiten gebraucht.151 Obwohl der Begriff der Diskriminierung im EG-Recht eine zentrale Rolle spielt, ist seine inhaltliche Belegung alles andere als eindeutig. Ausgangspunkt für die Betrachtung des Begriffs der Diskriminierung im Gemeinschaftsrecht ist zunächst die Untersuchung der Rechtsquellen des Primär- und des Sekundärrechts. Im geschriebenen Primärrecht findet der Begriff „Diskriminierung“ ausdrücklich nur an einigen Stellen Erwähnung.152 Darüber hinaus gibt es 147

Vgl. A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 7. Vgl. grundlegend zum Begriff der Diskriminierung S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 26 ff.; A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 62 ff. Der Begriff der Diskriminierung geht auf das lateinische Wort „discriminare“ (abtrennen) zurück, das den Wörtern „discernere“ (unterscheiden) und „cernere“ (scheiden) entlehnt ist, und besagt seinem ursprünglichen Wortsinn nach nicht mehr, als daß eine Unterscheidung getroffen wird. Vgl. zur Wortbedeutung und zur Entwicklung des Rechtsbegriffes G. Jaenicke, Der Begriff der Diskriminierung im modernen Völkerrecht, 1940, S. 24 ff., W. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. 1, 1972, S. 31; I. Bode, Die Diskriminierungsverbote im EWG-Vertrag, 1968, S. 4 ff. 149 J. Scherer, Die Wirtschaftsverfassung der EWG, 1970, S. 105; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 28. 150 I. Bode, Die Diskriminierungsverbote im EWG-Vertrag, 1968, S. 5. 151 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 33; M.-A. Reitmaier, Inländerdiskriminierungen im EWG-Vertrag, 1984, S. 12. 152 Oft knüpft die Diskriminierung an ein bestimmtes Kriterium an (siehe beispielsweise Art. 12, Art. 141 Abs. 2 EG) oder sie wird durch das Attribut „willkürlich“ eingeschränkt (beispielsweise Art. 30 S. 2, Art. 58 Abs. 3 EG). Ausführlich 148

D. Grundfreiheiten

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jedoch zahlreiche weitere Vorschriften, die sich mit „Ungleichbehandlungen“ oder ähnlichem befassen und daher zumindest aus inhaltlicher Sicht Diskriminierungen zum Gegenstand haben.153 Neben der weitgehenden Verwendung des Begriffs im Sekundärrecht154 hat auch der EuGH durch seine Rechtsprechung die Auslegung der normierten Diskriminierungsverbote forciert.155 Im Wege der Rechtsfortbildung führte er insbesondere im Bereich der Grundfreiheiten Diskriminierungsaspekte in den Prüfungsaufbau ein.156 Dennoch darf nicht übersehen werden, daß der EuGH seine Definition des Begriffes nicht offenlegt und auch durch seine uneinheitliche Rechtsprechung nicht immer zu einer Klärung beiträgt.157 Trotzdem hat sich in einem allgemeinen Gesamtkonsens eine Begriffsbestimmung herausgebildet, deren grundsätzliche Anerkennung als Grundlage aller Diskriminierungsverbote aufgrund des hohen Abstraktionsgrades nicht weiter verwunderlich ist. Definiert wird der Begriff „Diskriminierung“ – ungeachtet möglicher weiterer konkretisierender Merkmale – in der Rechtsprechung158 des EuGH und in der gemeinschaftsrechtlichen Literatur159 als unterschiedliche Behandlung dazu S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 30. 153 Zum Beispiel Art. 43 Abs. 2, Art. 50 Abs. 3 EG. Siehe auch Art. 39 Abs. 2, Art. 90 Abs. 1 EG. 154 Vgl. vor allem die Richtlinien zur Gleichbehandlung des Geschlechts: RL 75/ 117/EWG, ABl. 1975, Nr. L 45, S. 19; 76/207/EWG, ABl. 1976, Nr. L 39, S. 40; 79/7/EWG, ABl. 1979, Nr. L 6, S. 24; 86/378/EWG, ABl. 1986, Nr. L 225, S. 40 und 86/613/EWG, ABl. 1986, Nr. L 259, S. 56, die eine Definition der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung enthalten sowie die zwei zu Art. 13 EG ergangenen Richtlinien 2000/43/EG, ABl. EG 2000, Nr. L 180, S. 22 ff.; 2000/78/ EG, ABl. EG, Nr. L 303, S. 16 ff., die jeweils in Art. 2 den Begriff legaldefinieren. 155 EuGH, Slg. 1977, 1753 (1770 Rdnr. 7) – Ruckdeschel; Slg. 1981, 911 (925 Rdnr. 11) – Jenkins/Kingsgate; Slg. 1983, 371 (387 Rdnr. 18) – Wagner/BALM. 156 Vgl. zum Beispiel EuGH, Slg. 1981, 1625 (1639 Rdnr. 10) – Kommission ./. Irland: Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeininteresses nur bei „unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen“; siehe auch EuGH, Slg. 1993, I-6097 (6131 Rdnr. 16) – Keck und Mithouard: Tatbestandsausnahme bei Verkaufsmodalitäten. 157 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 41. 158 EuGH, Slg. 1977, 1753 (1770 Rdnr. 7) – Ruckdeschel; Slg. 1981, 911 (925 Rdnr. 11) – Jenkins/Kingsgate; Slg. 1983, 371 (387 Rdnr. 18) – Wagner/BALM. Der EuGH verwendet diese Umschreibung auch im Rahmen der grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbote, obwohl diese an ein bestimmtes Kriterium, die Staatsangehörigkeit, anknüpfen, vgl. zum Beispiel zu Art. 12 EG EuGH, Slg. 1963, 357 (384) – Italien ./. Kommission. 159 W. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. 1, 1972, S. 51; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth (Hrsg.), GG, 2006, Vorbemerkung zu Art. 1 Rdnr. 28, 51; N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 6 f.; A. Mohn, Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht, 1990, S. 47; R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/

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vergleichbarer Sachverhalte beziehungsweise als Gleichbehandlung nicht vergleichbarer Sachverhalte. Darüber hinaus wird nach einer Ansicht schon dem Begriff der Diskriminierung selbst entnommen, daß keine sachlichen oder objektiven Gründe für die Ungleichbehandlung gegeben sein dürften, so daß bei ihrem Vorliegen von vornherein eine Diskriminierung zu verneinen sei.160 Die Rechtsprechung des EuGH ist diesbezüglich widersprüchlich. In der Rechtssache Eurowings stellte der Gerichtshof beispielsweise fest, daß die fragliche Maßnahme „gerechtfertigt und daher keine Diskriminierung“ sei.161 Demnach wäre nur eine rechtlich zu mißbilligende und nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung unter den genannten Terminus zu subsumieren. In anderen Entscheidungen verwendete der EuGH den Begriff der Diskriminierung dagegen für das Ergebnis der tatbestandlichen Prüfung der Ungleichbehandlung.162 Es erscheint sachgerechter, die Diskriminierung im Sinne der zuletzt genannten Möglichkeit zu verstehen und als Synonym für eine bloße Ungleichbehandlung, Differenzierung beziehungsweise Benachteiligung zu verwenden.163 Die in Art. 30 S. 2 EG (Art. III-154 S. 2 VV) und Art. 58 Abs. 3 EG (Art. III-158 Abs. 3 VV) ausgedrückte Grenze der zulässigen Rechtfertigung von tatbestandlichen Eingriffen in den Anwendungsbereich wird mit dem Verbot „willkürlicher“ Diskriminierungen umschrieben. Damit ist implizit ausgedrückt, daß andere als willkürliche Diskriminierungen dem Grunde nach gerechtfertigt werden können. Der EG-Vertrag favorisiert somit das Verständnis der Diskriminierung als Ergebnis einer tatbestandlichen Erörterung.164 Der Diskriminierungsbegriff umfaßt daher die Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte, zu deren Vergleich aus irgendeinem Grund Anlaß besteht.165 Im Gegensatz zu dem allgemeinen Gleichheitssatz, EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 41; K. Feige, Der Gleichheitssatz im Recht der EWG, 1973, S. 190; U. Kischel, EuGRZ 1997, 1 (4); M.-A. Reitmaier, Inländerdiskriminierung im EWG-Vertrag, 1984, S. 31; A. Epiney, DVBl. 1993, 93 (94). 160 M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 1 f.; H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 36; I. Bode, Die Diskriminierungsverbote im EWG-Vertrag, 1968, S. 5, der von einer „ungerechtfertigten unterschiedlichen Behandlung“ spricht; ferner auch H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 604: „mißbilligte unterschiedliche Behandlung“. 161 EuGH, Slg. 1999, I-7447 (7470 Rdnr. 20) – Eurowings; ferner Slg. 2000, I-6857 (6907 Rdnr. 87) – Deutschland ./. Kommission. 162 Siehe auch EuGH, Slg. 1997, I-2343 (2376 Rdnr. 52) – Pistre u. a. 163 Vgl. A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 19 f.; dies., DVBl. 1993, 93 (94); N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 6 f. 164 So N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 7.

D. Grundfreiheiten

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der es verbietet unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln,166 zielen die Grundfreiheiten einseitig nur auf die Gleichbehandlung bestimmter Rechtssubjekte.167 Ein Unterscheidungsgebot im Hinblick auf ungleich gelagerte Sachverhalte kann über die Diskriminierungsverbote nicht vermittelt werden.168 b) Arten der Diskriminierung Neben dem Diskriminierungsbegriff als solchem birgt auch die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Arten von Diskriminierungen Schwierigkeiten.169 Im Allgemeinen lassen sich zwei Kategorien unterscheiden, auf die im folgenden eingegangen werden soll. aa) Unmittelbare Diskriminierung Die unmittelbare170, auch offen171, formal beziehungsweise formell172, rechtlich173 oder direkt174 genannte Diskriminierung umfaßt die ausdrück165 Vgl. auch EuGH, Slg. 1992, 5451 (5487 Rdnr. 21) – Gschwind; R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 6 Rdnr. 41, 53; M. Sedlaczek, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 58 Rdnr. 7; A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 20; W. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Bd. 1, 1972, S. 51; M.-A. Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag, 1984, S. 13. 166 Vgl. nur EuGH, Slg. 1997, I-4559 (4612 Rdnr. 61) – National Famers’Union. 167 So auch S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 269 f. 168 Vgl. A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 92. 169 Für die Auseinandersetzung mit dem Diskriminierungsbegriff beziehungsweise seinen unterschiedlichen Kategorien stellt sich stets das Problem, daß in Rechtsprechung und Literatur die Terminologie völlig uneinheitlich verwendet wird. So ist die Rede von offener, formeller, versteckter oder materieller Diskriminierung, wobei mitunter die Interpreten die einzelnen Begriffe wiederum jeweils mit unterschiedlichen Attributen versehen. Zurückzuführen ist diese Begriffsverwirrung letztlich auf das Schweigen des EuGH, der zu seinem Diskriminierungskonzept bislang nicht ausdrücklich Stellung genommen beziehungsweise sich auf allgemeine Aussagen beschränkt hat. Zudem ist eine Aufweichung des Diskriminierungsbegriffs erkennbar, der den zutreffenden Vorwurf der Inkonsistenz ausgelöst hat; so auch T. Ackermann, RIW 1994, 189 (190 f.). 170 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 164; S. Heselhaus, EuZW 2001, 645 (645). 171 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 120; P. Behrens, EuR 1992, 145 (159). 172 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis de Dijon-Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV, 1997, S. 73; G. Schimming, Konvergenz der Grundfreiheiten des EG-Vertrags unter besonderer Berücksichtigung der Einreise-

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lich tatbestandsmäßigen Ungleichbehandlungen zum Nachteil des grenzüberschreitenden Produkt- und Personenverkehrs.175 Bei den Grundfreiheiten handelt es sich um Benachteiligungen wegen der Staatsangehörigkeit.176 Im folgenden wird die Bezeichnung „unmittelbare Diskriminierungen“ gewählt, um den Aspekt des Zusammenhangs mit dem verbotenen Differenzierungskriterium zu unterstreichen. Unmittelbare Diskriminierungen sind nicht nur aufgrund ihrer klaren Erkennbarkeit selten geworden.177 Auch hat die mitgliedstaatliche Sensibilität gegenüber den Bedürfnissen des Gemeinsamen Marktes stark zugenommen.178 Gleichwohl liegt die Versuchung nahe, bei protektionistischen Maßnahmen die explizite Anknüpfung an das untersagte Kriterium dadurch zu umgehen, indem ein „neutrales“ Ersatzkriterium gewählt wird, das im Ergebnis einen vergleichbaren Effekt wie eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit besitzt.179 bb) Mittelbare Diskriminierung Der EuGH erkannte schon recht bald die Notwendigkeit einer erweiterten Auslegung des Diskriminierungsbegriffs,180 um die Wirksamkeit der Grundprinzipien der Gemeinschaft, insbesondere der Integration der einzelnen Märkte in einen Binnenmarkt, zu wahren.181 Präzedenzfall war insoweit die Entscheidung Sotgiu182, in der der Gerichtshof erstmalig die Rechtsfigur der „versteckten Form der Diskriminierung“183 anerkannte. und Einfuhrbeschränkungen, 2002, S. 54; N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 8. 173 J. Gundel, Jura 2001, 79 (80); H. D. Jarass, RIW 1993, 1 (6). 174 T. Eilmannsberger, JBl. 1999, 345 (348); U. Forsthoff, EWS 2000, 389 (395). 175 R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 667; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 22. 176 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 38. 177 J. Gundel, Jura 2001, 79 (80). Vgl. etwa EuGH, Slg. 1991, 4569 (4582 Rdnr. 11) – Kommission ./. Irland. 178 A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 103. 179 R. Streinz, in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann u. a. (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 199 (218); T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 38. 180 Einen Einfluß dürfte wohl auch die „disparate impact“-Rechtsprechung des U.S. Supreme Court gehabt haben; vgl. S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 54. 181 M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 4; U. Ehricke, IPRax 1993, 380 (380); A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 12 Rdnr. 15. 182 EuGH, Slg. 1974, 153 (164 Rdnr. 11) – Sotgiu.

D. Grundfreiheiten

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(1) Begriff Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn die nationale Regelung zwar auf die ausdrückliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit verzichtet, aber durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führt.184 Ausgangspunkt einer mittelbaren Diskriminierung ist stets eine sogenannte „unterschiedliche Regelung“, das heißt eine Regelung, die an ein bestimmtes, „neutrales“ Unterscheidungskriterium anknüpft, dessen Anwendung sich aber wie eine Differenzierung nach dem verbotenen Kriterium der Staatsangehörigkeit auswirkt. Aus dogmatischer Sicht läßt sich diese Ausdehnung nur durch eine Lockerung der Anforderungen an den Zusammenhang mit dem verbotenen Differenzierungsmerkmal erreichen.185 Problematisch ist ebenfalls eine nicht immer einheitliche Bezeichnung dieser Diskriminierungsfälle. Während der EuGH meist von „versteckten Formen der Diskriminierung“ oder auch nur von „Diskriminierung“186 spricht, finden sich in der Literatur verschiedene Bezeichnungen wie mittelbar187, versteckt188, verschleiert189, verdeckt190, 183 Ausführlich zur Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 54 ff. 184 Vgl. etwa EuGH Slg. 1974, 153 (164 Rdnr. 11) – Sotgiu; später EuGH, Slg. 1988, 4635 (4659 Rdnr. 30) – Beentjes; Slg. 1990, I-1779 (1793 Rdnr. 14) – Biehl, Slg. 1996, I-2617 (2637 f. Rdnr. 17 ff.) – O’Flynn; Slg. 1998, 2521 (2546 Rdnr. 27) – Clean Car Autoservice; Slg. 1999, I-2517 (2536 Rdnr. 14) – Ciola; EuGH, EuZW 2005, 465 (466 Rdnr. 41) – Kommission ./. Österreich. Vgl. aus dem Schrifttum M. Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 12 Rdnr. 41 f.; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 22; K. Hailbronner/A. Nachbaur, EuZW 1992, 105 (110); T. Kingreen/ R. Störmer, EuR 1998, 263 (266). 185 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 55; vgl. zudem A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 104. 186 So zum Beispiel in EuGH, Slg. 1988, 1591 (1619 Rdnr. 11) – Allué. In der Rechtssache O’Flynn, Slg. 1996, I-2617 (2638 Rdnr. 18) gebraucht der EuGH beide Formulierungen nebeneinander. Siehe auch EuGH, Slg. 1998, I-2521 (2546 Rdnr. 27) – Clean Car Autoservice: „verdeckte Diskriminierung“. 187 Vgl. etwa S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 115; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 164; S. Heselhaus, EuZW 2001, 645 (645). 188 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis de Dijon-Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV, 1997, S. 33; P. Behrens, EuR 1992, 145 (159); T. Eilmannsberger, JBl. 1999, 345 (349). 189 M. Dauses, RIW 1984, 197 (202); H. Köhler, JuS 1993, 447 (448). 190 W. Schroeder, EuGRZ 1994, 373 (376).

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indirekt191, faktisch192 oder gar materiell193 wieder. Die terminologischen Differenzierungen bedeuten grundsätzlich keinen sachlichen Unterschied.194 Im Interesse der gebotenen Eindeutigkeit wird im folgenden jedoch der Begriff mittelbare Diskriminierung bevorzugt. (2) Aufgabe der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung In jüngerer Zeit mehren sich die Stimmen in der Literatur, die eine Aufgabe der Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung fordern.195 Eine klare Abgrenzung der mittelbaren Diskriminierung zum noch zu erörternden Tatbestand der „Beschränkung“ sei kaum zu leisten.196 Zu dieser Frage soll jedoch erst später abschließend Stellung genommen werden.197 c) Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten Eine Diskriminierung198 im Sinne der Grundfreiheiten ist dann anzunehmen, wenn ein grenzüberschreitender Vorgang notwendig oder typischerweise schlechter als der rein interne behandelt wird.199 Das tatbestandsimmanente Diskriminierungsverbot enthält somit ein Schlechterstellungsverbot.200 Es entfaltet nach der klassischen Betrachtungsweise in erster Linie Wirkungen als Abwehrrecht.201 Der hoheitlichen Gewalt wird untersagt, 191 Etwa A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 48 Rdnr. 76 ff.; W. Weiß, InfAuslR 2001, 1 (3). 192 J. Gundel, Jura 2001, 79 (80). 193 M. Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, 1999, S. 26. 194 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 22. Zu diesen jeweils parallel verwendeten Begriffen vgl. zum Beispiel M. Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, 1999, S. 25 f. 195 Vgl. P. Jeder, Die Meisterprüfung auf dem Prüfstand, 1992, S. 39; A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 63. 196 K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht, 2000, S. 226; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 55. 197 Vgl. unten 4. Teil B. III. 1. 198 Die folgenden Ausführungen gelten sowohl für unmittelbare als auch für mittelbare Diskriminierungen. 199 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 69. 200 EuGH, Slg. 1989, 195 (219 f. Rdnr. 10 ff.) – Cowan; H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (216). Unerheblich ist jedoch, ob die Schlechterstellung des grenzüberschreitenden Vorgangs auf finalem Handeln beruht oder unbeabsichtigt war, auf einen Rechts- oder Realakt zurückgeht, sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell wirkt und welche Intensität die Beeinträchtigung besitzt. Vgl. D. Eh-

D. Grundfreiheiten

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Personen, die sich in der gleichen Situation befinden, unterschiedlich zu behandeln. Diese Abwehr von Diskriminierungen erschöpft sich jedoch anders als bei den klassischen Abwehrrechten nicht in der Aufrechterhaltung eines Status quo, sondern führt zu einer Verbesserung der Rechtsstellung der betroffenen Personen.202 Umgekehrt formuliert normiert das Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit ein Gebot der Gleichbehandlung unter dem Gesichtspunkt der Staatsangehörigkeit.203 In diesem Sinne wirkt der Grundsatz der Nichtdiskriminierung auch als Vermittler eines Teilhaberechts, welches individuell einklagbar ist.204 Grundsätzlich folgt aus einem rechtswidrigen Begünstigungsausschluß nicht notwendigerweise, daß die Leistung gewährt werden muß.205 Im Gemeinschaftsrecht kann allerdings in der Regel davon ausgegangen werden, daß die Beseitigung der Diskriminierung nicht zu Lasten der Inländer erfolgen soll.206 Daher richtet sich das Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten viel häufiger als im nationalen Recht auf Teilhabe, wenn und soweit die Diskriminierung auf Vorenthaltung einer Begünstigung beruht.207 2. Entwicklung vom Diskriminierungs- zum Beschränkungsverbot Die Grundfreiheiten haben im Laufe der Zeit eine erhebliche Verdeutlichung und Konkretisierung durch die Rechtsprechung des EuGH erfahren.208 Die ursprünglich als Diskriminierungsverbote formulierten oder zulers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 69. 201 Siehe R. Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207); K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058); zu weiteren Funktionen der Grundfreiheiten siehe ausführlich D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 23. 202 K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058). 203 EuGH, Slg. 1989, 195 (219 f. Rdnr. 10 f.) – Cowan; R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 43. 204 Vgl. W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 2 § 6 Rdnr. 180; M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 13. 205 Im nationalen Recht sind drei Beseitigungsmöglichkeiten eines Verstoßes bekannt: Die Begünstigung wird ausgedehnt, entzogen oder der Sachverhalt wird neu geregelt. 206 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 30. 207 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 192. 208 Beispielsweise die Anerkennung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte; vgl. EuGH, Slg. 1963, 1 (25) – van Gend & Loos; Slg. 1976, 1333 (1341 f.) – Donà/Mantero.

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

mindest aufgefaßten Grundfreiheiten wurden, anders als das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 12 Abs. 1 EG,209 schrittweise zu allgemeinen, auch nicht-diskriminierende Maßnahmen erfassenden Beschränkungsverboten weiterentwickelt,210 in denen auch dogmatisch die Konturen wirtschaftlicher Freiheitsrechte erkennbar sind.211 Diese vorzugswürdige Sichtweise dürfte nach anfänglich verbreiteter Kritik, inzwischen jedenfalls im Grundsatz212 unbestritten sein.213 Der EuGH sah sich zu der Erweiterung durch die Erkenntnis veranlaßt, daß auch unterschiedslose, das heißt nicht zwischen In- und Ausländern differenzierende Maßnahmen den durch die Grundfreiheiten des EG-Vertrages angestrebten und geschützten Binnen209 Vgl. dazu nur M Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 12 Rdnr. 44. 210 Vgl. nur die Leitentscheidung EuGH, Slg. 1974, 837 (852 Rdnr. 5) – Dassonville. Zum Ganzen vgl. grundlegend A. Brigola, Das System der Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2004, S. 46 ff. 211 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 1 Rdnr. 36. Gegen ein freiheitsrechtliches Verständnis und für einen materiellen Diskriminierungsbegriff argumentieren T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 72, 115 ff.; T. Kingreen/ R. Störmer, EuR 1998, 263 (287 f.); W. Schroeder, EuGRZ 1994, 373 (380). Vgl. auch H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (216 ff.), der aber nunmehr den Grundfreiheiten auch ein Beschränkungsverbot entnimmt, vgl. ders., EuR 2000, 705 (710 ff.). 212 Zu den Grenzen des Beschränkungsverbots vgl. ausführlich G. Schimming, Konvergenz der Grundfreiheiten des EG-Vertrags unter besonderer Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Einreise- und Einfuhrbeschränkungen, 2002, S. 116 ff.; siehe auch N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 79 ff. 213 A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, vor Art. 39–55 Rdnr. 86; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 671; ders., in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann u. a. (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 199 (207); H.-W. Arndt, Europarecht 2004, S. 139 ff. Allgemein zur Entwicklung der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten vgl. P. Behrens, EuR 1992, 145 (148); E. Eberhartinger, EWS 1997, 43 (44); T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Rechts, 1999, S. 38 ff. Speziell zur Arbeitnehmerfreizügigkeit M. Nettesheim, NVwZ 1996, 342 (343 f.); H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (710); a. A. noch K. Hailbronner, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, D I 41 d. Zur Niederlassungsfreiheit vgl. A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 7; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 43 Rdnr. 84; vgl. W.-H. Roth, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, E I Rdnr. 77 m. w. N.; C. Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 10 Rdnr. 52; umfassend K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 249 ff. Zur Dienstleistungsfreiheit vgl. W. Hakenberg, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49/50 Rdnr. 22; D. Ehlers, NVwZ 1990, 810 (811); M. Kort, JZ 1996, 132 (135); S. Speyer, EuZW 1991, 588 (589 f.). Zur Warenverkehrsfreiheit vgl. A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 40; U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 28 Rdnr. 44.

D. Grundfreiheiten

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markt erheblich erschweren oder unmöglich machen können.214 Aufgrund der Gefährdung gebietet der Grundsatz des effet utile eine Auslegung dieser Bestimmungen über bloße Diskriminierungsverbote hinaus, zumal im Wortlaut eine derartige Auslegung bereits angelegt ist.215 Zudem enthält Art. 12 Abs. 1 EG bereits ein allgemeines Diskriminierungsverbot, so daß den Grundfreiheiten insoweit nur eine deklaratorische und konkretisierende Aussage zukommt.216 Um ihnen eine darüber hinausgehende eigenständige Bedeutung zu verleihen, sind daher grundsätzlich auch nichtdiskriminierende Rechtsakte unter das Beschränkungsverbot zu subsumieren.217 Die Ausweitung erfolgte zunächst im Jahre 1974 in der bis heute gültigen Leitentscheidung Dassonville218 für die Warenverkehrsfreiheit,219 noch im selben Jahr für die Dienstleistungsfreiheit220 und schließlich auch für die Arbeitnehmer-221 und Niederlassungsfreiheit.222 Den Begriff der Beschränkung hat 214

Vgl. EuGH, Slg. 1979, 35 (52) – Ministère public und ASBL/van Wesemael; P. Behrens, EuR 1992, 145 (148 ff.); R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 672; H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (710). Eine unterschiedslos anwendbare Regelung darf den Grundfreiheiten nicht jede praktische Wirksamkeit nehmen, so EuGH, Slg. 1991, I-4221 (4243 Rdnr. 12) – Säger/Dennemyer. 215 Nur die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist sprachlich etwas anders formuliert. Ebenso D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 24. A.A. R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 672; ders., in: Arndt/ Knemeyer/Kugelmann u. a. (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 199 (206): „Der Text des EG-Vertrages formuliert die Personenverkehrsfreiheiten einschließlich der Dienstleistungsfreiheit als Diskriminierungsverbote“. 216 So auch D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 25. 217 Vgl. H.-W. Arndt, Europarecht, 2006, S. 140. 218 EuGH, Slg. 1974, 837 (852 Rdnr. 5) – Dassonville. 219 Vgl. für die Warenverkehrsfreiheit EuGH, Slg. 1989, 3851 (3888 Rdnr. 11 ff.) – Torfaen Borough Council; Slg. 1992, 6635 (6656 Rdnr. 10) – B & Q; Slg. 1990, 3059 (3081 Rdnr. 11 – Quietlynn und Richards; Slg. 1985, 2605 (2626 Rdnr. 21) – Cinéthèque Fédération des cinémas francais; Slg. 1982, 4575 (4587 Rdnr. 15) – Osthoik’s Uitgewersmaatschappij; Slg. 1993, 2361 (2388) Rdnr. 10 – Yves Rocher. 220 Zur Dienstleistungsfreiheit vgl. EuGH, Slg. 1974, 1299 (1309 Rdnr. 10/12) – Van Binsbergen. Siehe auch EuGH, Slg. 1991, I-4221 (4243 Rdnr. 12) – Säger/ Dennemeyer; Slg. 1994, 1039 (1059 Rdnr. 53 ff.) – Schindler; Slg. 1999, I-8453 (8513 Rdnr. 33) – Arblade; Slg. 2003, 13031 (13095 f. Rdnr. 51) – Gambelli. Zur Entwicklung der Rechtsprechung siehe A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/ Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 49/50 Rdnr. 89 f. Für eine gleichheitsrechtliche Deutung dieser Entscheidung T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 59. 221 Zur Arbeitnehmerfreizügigkeit EuGH, Slg. 1993, I-1663 (1697 Rdnr. 32) – Kraus; Slg. 1995, I-4921 (5068 f. Rdnr. 94 ff.) – Bosman; Slg. 2000, I-493 (521 Rdnr. 18) – Graf. 222 Zur Niederlassungsfreiheit siehe nur das zentrale Urteil EuGH, Slg. 1991, I-2357 (2383 Rdnr. 15) – Vlassopoulou; vgl. auch EuGH, Slg. 2002, I-305 (364

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2. Teil: Wirtschaftsverfassungsrechtliche Grundlagen der EG

der EuGH schließlich im Jahre 1995 in der Rechtssache Gebhard223 allgemeingültig für alle Grundfreiheiten als jedwede „nationale Maßnahme, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Freiheiten behindert oder weniger attraktiv machen kann“, definiert. Das bedeutet, daß sich nunmehr auch diskriminierungsfreie, das heißt unterschiedslos auf In- und Ausländer beziehungsweise Import- und Inlandsprodukte anwendbare Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht hin überprüfen lassen müssen.224

E. Ergebnis Die Wirtschaftspolitik der EG hat sich gemäß Art. 4, 98 EG dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet. Regelungsgegenstand der gemeinschaftsrechtlichen Wirtschaftsverfassung ist die schrittweise Beseitigung der Wirtschaftsgrenzen durch Ausschaltung staatlicher Maßnahmen als Steuerungsmittel des innergemeinschaftlichen Wirtschaftsaustausches. Hierfür weist die Wirtschaftsverfassung eine Mischung aus marktwirtschaftlich/freiheitlichen und interventionistischen Elementen auf. Das gemeinschaftsrechtliche Binnenmarktkonzept dient der Dynamisierung und Flexibilisierung des europäischen Integrationsprozesses. Das Ziel des Binnenmarktes, der nach Art. 14 Abs. 2 EG einen Raum ohne Binnengrenzen umfaßt, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des EG-Vertrages gewährleistet ist, besteht darin, die vorhandenen Hemmnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, um eine optimale Allokation der Ressourcen zu gewährleisten. Gleichwohl fordert der Binnenmarkt keinen homogenen Markt mit in allen Ländern austauschbaren, uniformen Verhältnissen. Nationale, historisch und kulturell bedingte Unterschiede zwischen den Regionen und Staaten Europas sollen bestehen bleiben. Der Binnenmarkt wird in seiner dogmatischen Konstruktion von drei Strukturelementen bestimmt: Marktfreiheit, Marktgleichheit sowie Wettbewerbsfreiheit. Die EG läßt sich jedoch nicht nur auf die Erreichung wirtschaftlicher Ziele reduzieren. Sie verkörpert vielmehr eine Wertegemeinschaft, die sich Rdnr. 22) – Kommission ./. Italien; Slg. 2002, I-9919 (9970 Rdnr. 78 ff.) – Überseering. Eine umfassende Auswertung der Rechtsprechung bei K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 250 ff.; vgl. auch die Übersicht über die Entwicklung im Schlußantrag von GA C. O. Lenz, Slg. 1995, I-4921 (4991 ff. Nr. 164 ff.) – Bosman. 223 EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4197 f. Rdnr. 37) – Gebhard; vgl. hierzu auch EuGH, Slg. 1996, I-6511 (6537 Rdnr. 28) – Reisebüro Boede. 224 R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 671; ders,. in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 199 (207).

E. Ergebnis

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vielfältiger Aufgaben angenommen hat. Keines der im Primärrecht oder auf seiner Stufe geschützten Güter und Interessen muß gänzlich hinter eine gleichrangige Position zurücktreten. Daher hat sich das Ziel des Binnenmarktes im Sinne praktischer Konkordanz in die sonstigen Vertragsziele einzufügen. Die unmittelbar anwendbaren Grundfreiheiten gewährleisten die Freiheit des Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. Sie besitzen eine konstituierende Bedeutung für die wirtschaftlichen Zielsetzungen der EG und sind auf die Verwirklichung des Binnenmarktes ausgerichtet. Gleichzeitig definiert sich der Binnenmarkt seinerseits gemäß Art. 14 Abs. 2 EG über die Grundfreiheiten. Ein zentrales Element der grundfreiheitlichen Dogmatik bildet der Diskriminierungsbegriff. Er umfaßt die Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte. Im Gegensatz zu dem allgemeinen Gleichheitssatz, der es verbietet unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln, zielen die Grundfreiheiten einseitig nur auf die Gleichbehandlung bestimmter Rechtssubjekte. Unterschieden werden zwei Arten von Diskriminierungen: die sogenannten unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Maßnahme ausdrücklich anhand des Kriteriums der Staatsangehörigkeit zwischen zwei Vergleichsgruppen differenziert. Eine mittelbare Diskriminierung kommt in Betracht, wenn die nationale Regelung zwar auf die ausdrückliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit verzichtet, aber durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führt. Die Grundfreiheiten vermitteln für Unionsbürger, die sich in anderen Mitgliedstaaten bewegen, einen individuell einklagbaren Anspruch auf Inländergleichbehandlung. Dieser umfaßt auch die Teilhabe an Rechten und Leistungen, die den Angehörigen des Zielstaates zustehen. Im übrigen sind die Grundfreiheiten nach der hier vertretenen Ansicht nicht auf reine Diskriminierungsverbote begrenzt. Vielmehr enthalten sie darüber hinausgehende Wirkungsdimensionen, wonach auch unterschiedslose, das heißt nicht zwischen In- und Ausländern differenzierende Maßnahmen, die die Ausübung der Grundfreiheiten behindern oder weniger attraktiv machen, untersagt werden. Da die Grundfreiheiten auf Maßnahmen „zwischen den Mitgliedstaaten“ ausgerichtet sind, fordern sie zur Eröffnung ihres Anwendungsbereichs als spezifisch transnationales Element einen grenzüberschreitenden Bezug.

3. Teil

Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht Im folgenden sollen zunächst drei wesentliche Fallgruppen von Einheimischenprivilegierungen daraufhin untersucht werden, ob und inwiefern sie einen Eingriff in die primär- und sekundärrechtlichen Bestimmungen des EGRechts darstellen. Die Frage nach einer Rechtfertigung der möglicherweise festgestellten Beeinträchtigungen bleibt dem vierten und fünften Teil der Arbeit vorbehalten.

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle I. Grundlagen städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle 1. Begriff Unter dem Begriff der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle1 werden vereinfacht ausgedrückt Vereinbarungen zwischen Gemeinden und privaten Grundstückseigentümern verstanden, die häufig im Vorfeld der Bauleitplanung sicherstellen sollen, daß bei der Bebauung neuer, in der Regel bisher im Außenbereich liegender Grundstücke Ortsansässige bevorzugt werden.2 1 Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle existieren beispielsweise in den Gemeinden Weilheim, Traunstein, Echingen, Bad Ismaning, Eglfing, Finsing, Tölz, Pfaffenhofen, Landsberg am Lech, Weyarn, Wolfersdorf, Gauting, Brannenburg, Pfaffenhofen, Forchheim, Trodtelfingen, Grafing, Freigericht, Unterföhring, Stuttgart, Westerland, Landshut. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit vgl. eingehend D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 54 ff.; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 180. Siehe auch VGH München, BayVBl. 1991, 47 (49 f.). 2 BGH, DVBl. 2003, 519 (519); VGH München, BayVBl. 1991, 47 (47); H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 198; R. Jahn, BayVBl. 1990, 33 (33); H. Grziwotz, DNotZ 1994, 69 (69); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (24); vgl. grundlegend zu den städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 1 ff.; M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 1, 7 ff.; A. Glück, Wege zum Bauland, 1994, S. 125 ff.

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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2. Motivation und Zweck Einheimischenmodelle stellen eine Reaktion auf die zunehmende Verknappung und Verteuerung von Bauland und der damit einhergehenden Abwanderung Ortsansässiger dar.3 Insbesondere in hochverdichteten Ballungsgebieten, landschaftlich reizvollen Gegenden in der Nähe von größeren Städten sowie Fremdenverkehrs- und sonstigen attraktiven Siedlungsgebieten zeichnen sich Grenzen der Wohnbaulandreserven ab.4 Die starke Nachfrage nach Bauland führt in den genannten Gebieten zu einem deutlichen Mißverhältnis zwischen Zu- und Abzügen in der Weise, daß bei den Zuwanderungen im Verhältnis zu den Abwanderungen ein deutlicher Überhang besteht.5 Durch die hierdurch hervorgerufene Baulandverknappung steigen die Grundstückspreise in den betroffenen Gebieten in Höhen, die selbst für finanzkräftigere Menschen unerschwinglich sind.6 Demgegenüber bestehen in den Umlandgemeinden, zumindest im Verhältnis zu den Bedingungen in den Großstädten, noch sehr moderate Grundstückspreise. Das frühere Argument der Entfernung von der Großstadt zur Arbeitsstelle wurde durch die Verbesserung der Nahverkehrsstruktur entschärft.7 Zudem haben die Menschen den Erholungs- und Freizeitwert „auf dem Land“ gegenüber den Gegebenheiten in der Großstadt erkannt und drängen nun in die Umlandgemeinden, um dort Ruhe und Nähe zur Natur zu finden.8 Bis zum heutigen Tag führt die „Stadtflucht“ zu einer Suburbanisierung der Wohnbevölkerung und damit zu einer Verlagerung der Zielorte in die ländlichen Gemeinden. Der zunehmende Zuzug durch Auswärtige bringt jedoch für die Umlandgemeinden unübersehbare Probleme mit sich: Der vermehrte Grundstückserwerb durch Nichteinheimische beziehungsweise durch Personen, die nicht dauerhaft in der Gemeinde ihren Wohnsitz haben, begründet die Gefahr einer Entwicklung zu bloßen Schlaf- oder Rolladenorten, in denen faktisch kein gemeindliches Leben mehr stattfindet.9 Die Gemeinden drohen zuneh3 BGH, NZBau 2003, 145 (145); H. Roithmaier, NVwZ 2005, 56 (57); A. Bunzel, LKM 2003, 87 (87); H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 196; ders., JuS 1999, 36 (36); W. Brohm, JZ 2000, 321 (329); W. Spannowsky, DÖV 2000, 569 (573). 4 Vgl. zu den verschiedenen Einflüssen, die den Grundstücksmarkt geprägt haben, M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 1 f. 5 A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 181. 6 Die hohen Preise für Grund und Boden spiegeln sich bis heute in den Mietpreisen wider. Vgl. den bundesweiten Mietspiegel von 2005 unter http://www. softonic.de/ie/36008/. 7 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, 5. 8 Vgl. M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 2. 9 R. Kössinger, Die Vergabe gemeindlicher Baugrundstücke, 1987, S. 18 Fn. 9; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 12; T. Haller, Die pri-

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

mend auszufransen oder gar zu verstädtern und damit ihre kulturelle Identität und ihre Eigenart als Teil des ländlichen Raumes zu verlieren.10 Darüber hinaus entstehen auch schwierige soziale Probleme. Zahlungskräftige Stadtbewohner kaufen das vorhandene Bauland in den Gemeinden auf und bebauen es. Vielfach spielt dabei die Absicht, Ferien- und Zweitwohnsitze zu gründen, aber auch die Möglichkeit eine lohnende Kapitalanlage zu erwerben, eine vorrangige Rolle.11 Demzufolge steigen auch in den Umlandgemeinden die Grundstückspreise aufgrund der hohen Nachfrage.12 Diese „Explosion“ der Bodenpreise, die durch Grundstücksspekulanten zusätzlich gefördert wird, macht es der insoweit nicht mehr konkurrenzfähigen einheimischen Bevölkerung, insbesondere jungen Familien, oft unmöglich, auf dem normalen Immobilienmarkt Bauland zu erwerben und sich als Grundstückseigentümer in der Heimatgemeinde niederzulassen.13 Selbst die Mietpreise in den Umlandgemeinden steigen infolgedessen in Höhen, die von dem genannten Bevölkerungskreis nicht mehr finanziert werden können.14 Folge dieser Entwicklung ist, daß die ortsansässige Bevölkerung aus ihrer Heimat verdrängt wird. Zweck der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle ist daher, dem Verdrängungswettbewerb auf dem Immobilienmarkt zu Lasten der Einheimischen entgegenzuwirken15 und insbesondere jungen Familien zu ermöglichen, in ihrer Heimatgemeinde eine Existenz zu gründen, ohne eine aus ökologischen Gründen unerwünschte massive Ausweitung des Baulandbestandes vornehmen zu müssen.16 Zugleich gilt es auch, die gewachsenen vatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 62; H. Jäde, BayVBl. 1994, 549 (553). 10 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 12; H. Jäde, BayVBl. 1992, 549 (554). 11 Vgl. D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 12; M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 2; H. Grziwotz, NJW 1993, 2665 (2665); S. Els, BayVBl. 1983, 421 (421). 12 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 4; M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 2; W. Brohm, JZ 2000, 321 (324); H. Jäde, BayVBl. 1992, 549 (553). 13 BGH, DVBl. 2003, 519 (529); BVerwG, DNotZ 1993, 63 (66); H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 196; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (426). 14 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 6. 15 W. Brohm, JZ 2000, 321 (329); W. Kahl, DÖV 2000, 793 (796). 16 Bündig zu den Motiven vgl. VGH München, NVwZ 1990, 979 (979); ausführlicher R. Breuer, Bauplanungsrechtliche Instrumente zum Schutz der Sozialstruktur, 1985, S. 7 ff.; 47 f.; T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 62 ff.; M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 1 ff.

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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Bevölkerungsstrukturen und die gemeindliche Identität, insbesondere den dörflichen Charakter, durch die langjährige Bindung der Gemeindeangehörigen an die Gemeinde aufrecht zu erhalten.17 Die beschriebenen Zielsetzungen berühren kumulativ sowohl wohnungsund wirtschaftspolitische, aber auch soziale Gesichtspunkte ebenso wie landes- und ortsplanerische sowie städtebauliche und ökologische Anliegen.18 Zusammengefaßt dienen die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle dem kommunalpolitischen Ziel, „die kontinuierliche Entwicklung der Gemeinde unter Anknüpfung an die Ortsverbundenheit der Einwohner zu fördern“.19 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit interessieren neben den sozialen Aspekten hauptsächlich ortsplanerische und städtebauliche Anliegen. Durch die Einheimischenmodelle soll zum einen die bauplanungsrechtlich unerwünschte stetige Ausweisung neuer Bauflächen und Baugebiete begrenzt werden.20 Gleichzeitig sollen die Wohnbedürfnisse der Bevölkerung bei Vermeidung einseitiger Bevölkerungsstrukturen sowie die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung nachhaltig gefördert werden (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB).21 Die Gemeinden besitzen jedoch keine Möglichkeit, ein solches Programm im Wege der Bauleitplanung22 zu verwirklichen. Sie sind insoweit an den abschließenden Katalog des § 9 BauGB gebunden und verfügen nicht über ein darüber hinausgehendes bauplanungsrechtliches „Festsetzungsfindungsrecht“.23 § 9 Abs. 1 Nr. 8 BauGB, der zu Festsetzungen für „Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf“ ermächtigt, setzt voraus, daß dieser in baulichen Besonderheiten der Wohngebäude zum Ausdruck kommt, wie sie etwa für Behinderte oder Senioren notwendig sind. Die finanzielle Leistungskraft (allein) reicht dazu nicht.24 Andererseits enthält das Baugesetz17 VGH München, BayVBl. 1991, 47 (48); VG München, NVwZ-RR 1997, 375 (375); H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 198; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 12. 18 Vgl. VGH München, BayVBl. 1991, 47 (48 f.); H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 210; ders., NJW 1993, 2665 (2665); D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 13. Siehe auch W. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Absprachen und Verträge, 1994, S. 382. 19 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Baulandbericht 1993, 1993, S. 135; vgl. auch BVerwG, NJW 1993, 2695 (2697). 20 § 1 a Abs. 2 S. 1 BauGB. 21 VGH München, BayVBl. 1991, 47 (48); A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 91. 22 Ausgenommen ist hier der vorhabenbezogene Bebauungsplan, der nicht an den Festsetzungskatalog des § 9 BauGB gebunden ist; vgl. O. Reidt, NVwZ 1996, 1 (4). 23 BVerwGE 92, 56 (62); BVerwG, DNotZ 1994, 63 (63); vgl. auch BVerwG, DÖV 1993, 391 (392); H. Griwotz, JuS 1999, 36 (36); ders., DNotZ 1994, 69 (69); W. Spannowsky, DÖV 2000, 569 (573).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

buch darüber hinaus kein Verbot, auf städtebaulichem Gebiet die Bauleitplanung modifizierende und ergänzende vertragliche Regelungen zu treffen.25 3. Erscheinungsformen In den vergangenen 25 Jahren haben sich zunächst in dem dem stärksten Zuzugsdruck ausgesetzten Voralpengebiet, später im gesamten Bundesgebiet zahlreiche Modelle zur Baulandsicherung für Einheimische etabliert, die sich zwar in Art und Umfang voneinander unterscheiden, als einheitliche und gemeinsame Zielvorgabe indessen die Bereitstellung und Schaffung von Bauland für Einheimische im Auge haben.26 Trotz der Fülle der zwischenzeitlich praktizierten Modelle zur Einheimischenförderung haben sich im wesentlichen zwei von ihrer Ansatzweise unterschiedliche Modelle herausgebildet, das Zwischenerwerbsmodell und das Vertragsmodell. Beiden Spielarten ist zunächst gemeinsam, daß die Gemeinden Überlegungen hinsichtlich eines Einheimischenmodells auf ihrem Gebiet anstellen und zunehmend auch ein dahingehendes generelles Planungskonzept verabschieden. Ziel solcher, durch den Beschluß von Gemeinderat beziehungsweise -vertretung gefaßten Konzepte ist es, die Strategie im Hinblick auf zukünftiges Handeln festzulegen. Gleichzeitig will sich die Verwaltung hierdurch selbst binden, um sich nach außen als verläßlicher Partner zu präsentieren und um Eigentümern und Investoren eine transparente Grundlage für ihre Kalkulationen an die Hand zu geben.27 So kommt beispielsweise in den Konzepten zum Ausdruck, unter welchen Voraussetzungen eine planerische Ausweisung eines Wohngebiets erfolgen wird, in dem Einheimische wohnen sollen. Eng damit in Verbindung stehen Richtlinien, die unter anderem normieren, wer unter welchen Voraussetzungen die mit einer Einheimischenbindung versehenen Grundstücke erwerben kann. Die Bandbreite der einzelnen Beschlüsse und Richtlinien reicht von allgemeinen Aussagen bis hin zu schon im Vorfeld genau ausgearbeiteten Modellen, an die sich eine Gemeinde binden will.28 Auf diese Vergabericht24 BVerwG, DNotZ 1994, 63 (67); W. Brohm, JZ 2000, 321 (329); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (25). 25 So bereits VGH München, BayVBl. 1991, 47 (49); H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 199; W. Spannowsky, UPR 2003, 81 (87); a. A. T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 88 ff. 26 Zu den verschiedenen Modellen vgl. insbesondere m. w. N. A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 46 ff.; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 13 ff. 27 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 22. 28 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 332.

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linien wird an späterer Stelle noch genauer einzugehen sein.29 Anschließend wird ein konkretes Areal ausgesucht, auf dem ein Wohngebiet bauplanerisch ausgewiesen und eine Wohnbebauung für Ortsansässige betrieben werden soll. Bevorzugt werden Flächen im Außenbereich.30 Eine wirksame Grundstückspolitik im oben genannten Sinne kann jedoch nur betrieben werden, wenn vor Ausweisung der Grundstücke zu Bauland der gemeindliche Grundstücksankauf beziehungsweise die vertragliche Absicherung der späteren Grundstücksnutzung nach den sogleich vorzustellenden Modellen erfolgt. Denn nach Erstellung des Bebauungsplans wird selbstverständlich kein „vernünftig“ agierender Grundeigentümer noch zu Preisen verkaufen, die unter dem Marktniveau liegen, so daß der Planungsgewinn nicht oder zumindest nicht in vollem Umfang realisiert werden kann.31 Deshalb ist erforderlich, die spätere Verwendung der Grundstücke vor Eintritt der Planreife zu sichern.32 Im folgenden werden zunächst die Grundlagen des Zwischenerwerbs- und des Vertragsmodells genauer dargestellt. Die rechtliche Beurteilung eines Eingriffs in das EG-Recht erfolgt im Anschluß daran. a) Zwischenerwerbsmodell aa) Begriff Beim Zwischenerwerbsmodell kauft die Gemeinde vor Beginn des Planungsprozesses den gesamten Grund und Boden in dem für die Einheimischenförderung vorgesehenen Gebiet auf. Nach Abschluß des Bauleitplanverfahrens veräußert sie die nunmehr baureifen Grundstücke nach internen Vergaberichtlinien an Einheimische.33 Auf diese Weise nimmt die Kommune unmittelbar Einfluß auf den Bodenverkehr beziehungsweise den Grundstücksmarkt.34 Wegen der geringen Bauerwartung liegt der Ankaufspreis der Grundstücke in der Regel weit unter dem ortsüblichen Rohbaulandpreis.35 Daher ist es der Gemeinde möglich, nach Abschluß des Bau29

Vgl. 3. Teil A. I. 3. a) cc). Zu der Frage, ob der Außenbereich ohne Weiteres herangezogen werden darf, vgl. D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 338. 31 W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (24). 32 T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 20. 33 Vgl. zum Beispiel das Echinger, Stuttgarter oder Tölzer Modell. Siehe hierzu A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 56 f.; zum Echinger und Stuttgarter Modell D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 17 ff. 34 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 16; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 47. 35 Vgl. die Nachweise bei M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 85; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S 47. Zu dem Problem des Abschöp30

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

leitplanverfahrens die geschaffenen Baugrundstücke zu einem Preis zu verkaufen, der zwar über dem jeweiligen Ankaufspreis, aber weit unter dem ortsüblichen Baulandpreis liegt.36 Die Erfahrung zeigt, daß die gezielte und preisgünstige Baulandbereitstellungspraxis nicht nur auf die Grundstücke in den neu ausgewiesenen Baugebieten Einfluß besitzt, sondern auch insgesamt das Preisniveau auf dem örtlichen Bodenmarkt dämpft.37 bb) Vertragliche Vereinbarungen zur Sicherung der Nutzung des Bodens Die Gemeinden versuchen das bereits erwähnte Ziel, den Erhalt der gewachsenen Bevölkerungsstrukturen, durch eine Kombination von Absprachen mit den neuen Grundstückseigentümern zu sichern, denen erst in ihrer Gesamtheit beziehungsweise durch ihr Zusammenspiel der bezweckte nutzungssichernde Effekt zukommt.38 So muß der einzelne Erwerber bestimmte fristgebundene Verpflichtungen39 wie zum Beispiel das Herbeiführen der Bezugsfertigkeit, die Pflicht zum ganzjährigen Selbstbewohnen, Veräußerungsverbote und Nutzungsbeschränkungen eingehen, die durch ein Wieder- oder Rückkaufsrecht sowie durch Vertragsstrafen gesichert werden.40 Auf diese Weise kann die Gemeinde verhindern, daß das Grundstück lediglich zu Spekulationszwecken oder als Ferienwohnsitz angeschafft wird.41 Die Notwendigkeit einer Bindung ergibt sich auch aus kommunalrechtlichen Gesichtspunkten. Die Gemeinden dürfen Grundstücke wegen des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie dem Verbot, andere Aufgaben nicht zu beeinträchtigen,42 nur zum eigentlichen Verkehrsfens des Bodenwertzuwachses beziehungsweise des Planwertausgleichs aus der Sicht des Art. 14 GG vgl. D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 65 ff. 36 M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 86; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 47. 37 Vgl. zum Beispiel die Gemeinde Buch am Erlbach, in der sich die Baulandpreise innerhalb eines Jahres auf unter die Hälfte reduzierten; zitiert nach A. Glück, Mehr Bauland ist möglich, 1981, S. 21; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 48. 38 T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 24. 39 Vgl. hierzu grundlegend D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 365 ff. 40 Vgl. hierzu J. Rastätter, DNotZ 2000, 17 (17 ff.); D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 17. Zur Zulässigkeit und Absicherung vertraglicher Baugebote und Veräußerungsverbote vgl. H. Grziwotz, DVBl. 1991, 1348 (1348 ff.). 41 A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 46; H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 210.

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wert verkaufen.43 Veräußern sie jedoch Grundstücke zu vergünstigten Preisen, so sind sie bereits nach Kommunalrecht verpflichtet, die entsprechende Zweckverwertung sicherzustellen.44 cc) Grundstücksvergabe nach gemeindeeigenen Vergaberichtlinien Spätestens wenn es zur Verteilung der einzelnen Grundstücke kommt, erlassen die Gemeinden Richtlinien, um ihr zukünftiges Verhalten zu koordinieren. Diese Vergaberichtlinien haben in zweifacher Hinsicht Bedeutung: Zum einen konkretisieren sie die Obliegenheiten beziehungsweise Pflichten des Grundstückseigentümers, zum anderen dienen sie der möglichst gerechten „Vergabe“ der Grundstücke, indem sie die Zuteilung der baureif gewordenen Grundstücke nach ortsbezogenen Kriterien und nach für maßgeblich erachteten sozialen Merkmalen in vorhersehbarer Weise festlegen.45 Die Differenzierungskriterien können allerdings nicht beliebig gewählt werden, sondern müssen der von der Gemeinde verfolgten städtebaulichen Zielsetzung entsprechen und dürfen keine Willkür zulassen.46 Aufgrund der Selbstbindung der Verwaltung müssen alle Bewerber gemäß Art. 3 Abs. 1 GG anhand der dort enthaltenen Kriterien beurteilt werden. Aus sachlichen Gründen können allerdings die Kriterien einer neu eintretenden Situation angepaßt werden.47 Das VG München hat diesen Richtlinien eine normative Wirkung zugesprochen.48 Die Vergabemodalitäten für das Einheimischenmodell und die daraus resultierenden Entscheidungen stellen die Verbindung zwischen der öffentlich-rechtlich geregelten Bauleitplanung und der von der Gemeinde verfolgten Bodenpolitik dar und sind daher als öffentlich-recht42 Vgl. zum Beispiel § 92 Abs. 2, § 108 Abs. 1 S. 1 HessGO, Art. 61 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BayGO, § 77 GOBW, § 72 Abs. 1, 2 SächsGO, § 75 Abs. 1, 2 GONW. 43 Nach § 109 Abs. 1 S. 1 HessGO, Art. 75 Abs. 1 S. 2 BayGO, § 92 Abs. 1 S. 2 GOBW, § 90 Abs. 1 S. 2 SächsGO, § 90 Abs. 1 S. 2 GONW dürfen die Gemeinden Vermögensgegenstände in der Regel nur zu ihrem vollen Wert veräußern. Vgl. hierzu f. W. Schmidt/H.-O Kneip, HessGO, 1995, § 109 Rdnr. 1. 44 VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1011). 45 Vgl. R. Kössinger, Die Vergabe gemeindlicher Baugrundstücke, 1987, S. 39 ff.; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 332; H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 201. Zur Zulässigkeit sozialer Kriterien vgl. VG München, BayVBl. 1997, 533 (536). 46 VG München, NVwZ-RR 1997, 375 (375); so auch H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 201; siehe auch D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 348. 47 H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 201; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 346. 48 VG München, BayVBl. 1997, 533 (534 f.).

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liche Angelegenheiten anzusehen. Für die Kontrolle von Vergaberichtlinien einer Gemeinde ist folglich der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet.49 Diese Ausführungen dürfen nicht zu der Annahme verleiten, die Richtlinien seien unbeschränkt gerichtlich überprüfbar oder es seien gar bestimmte Kriterien in die Richtlinien aufzunehmen. Im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstverwaltungsgarantie, genauer ihrer Planungshoheit, kann die Gemeinde ihre städtebauliche Konzeption eigenverantwortlich ausgestalten.50 Demzufolge können die Richtlinien nur daraufhin überprüft werden, ob ihr Inhalt aus Sicht der städtebaulichen Zielsetzung plausibel, nachvollziehbar und vertretbar ist.51 Darüber hinaus ist natürlich die Bindung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG, insbesondere der Gleichheitssatz und die Grundrechte zu beachten. (1) Begriff des Einheimischen In den gemeindeinternen Richtlinien ist unter anderem die im Rahmen dieser Arbeit in erster Linie interessierende Frage geregelt, welcher Bewerber unter welcher Prämisse zum Zuge kommt. Das bedeutet, daß hier zunächst der gesetzlich nicht definierte Begriff des Einheimischen näher konkretisiert werden muß. Dabei werden Einheimische meist als Gemeindebürger definiert, die bei Antragstellung seit einer je nach Gemeinde variierenden Anzahl von Jahren52 ihren Hauptwohnsitz in der Gemeinde gemeldet haben.53 Die teilweise vorzufindende ausdrückliche Einbeziehung 49

VG München, BayVBl. 1997, 533 (533). Vgl. D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 349. 51 VG München, BayVBl. 1997, 533 (535). 52 12 Jahre: Gemeinde Finsing, Vergaberichtlinien für Bauland für Einheimische der Gemeinde Finsing, Stand: 2.12.2002, S. 1; 10 Jahre: Gemeinde Brannenburg, Bauland für Einheimische – Richtlinie für die Vergabe von Baugrundstücken für Einheimische, Mitteilungsblatt der Gemeinde Brannenburg vom 9.11.1993, S. 2; Gemeinde Unterföhring, Baulandbeschaffungsprogramm für Einheimische der Gemeinde Unterföhring 2000 für das Gebiet nördlich der Aschheimer Straße, Stand: 14.12.2000, S. 2; Gemeinde Eglfing, Bauland- und Einheimischenmodell der Gemeinde Eglfing, Stand: 13.2.1993, S. 1; Gemeinde Gauting, Einheimischenmodell Waldpromenade Gauting – Richtlinie, S. 1, Gautinger Anzeiger vom 25.6.1992; 5 Jahre: Gemeinde Landsberg am Lech, Allgemeine Richtlinien für die Vergabe von städtischen Baugrundstücken im Rahmen des Einheimischen-Modells, Stand: 1.7.2002, S. 1; 6 Monate: Stadt Traunstein, Richtlinie für die Vergabe von Baugrundstücken im Einheimischenmodell der Stadt Traunstein, Stand: 27.5.1998, S. 1. Vgl. zum Vertragsmodell: 5 Jahre: Gemeinde Weilheim, Richtlinie über die Vergabe von städtischen Grundstücken vom 16.9.1993, S. 1. 53 Vgl. auch H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 199; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (424). 50

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der EG-Bürger54 mag vordergründig den Anschein einer EG-Rechtskonformität derartiger Modelle erwecken. Bei genauerer Betrachtung bewirken solche Klauseln jedoch keine Erweiterung des antragsberechtigten Personenkreises. Das Kriterium Einheimischer ist grundsätzlich nicht an eine bestimmte – hier die deutsche – Staatsangehörigkeit geknüpft, so daß EG-Bürger auch bei nicht expliziter Einbeziehung antragsberechtigt sind.55 In letzter Zeit stellen die Gemeinden vermehrt alternativ zu dem Kriterium des Wohnsitzes auf das Vorhandensein eines Arbeitsplatzes im Gemeindegebiet ab.56 Zudem sind in der Regel auch Auswärtige antragsberechtigt, sofern sie früher ihren Hauptwohnsitz oder Arbeitsplatz in der Gemeinde besaßen.57 Eine derartige Anknüpfung bewirkt im Hinblick auf die EG-Rechtskonformität im Ergebnis keinen Unterschied.58 Da sich die vorliegende Untersuchung auf die Einheimischenprivilegierung konzentriert, wird im weiteren nur auf das Ansässigkeitserfordernis abgestellt. (2) Bonus-Malus-System Die Reihenfolge der zu berücksichtigenden Bewerber bei der Grundstücksvergabe bestimmt sich meist nach einem ebenfalls in den gemeindlichen Vergaberichtlinien näher festgelegten Punktekatalog, dem sogenannten Bonus-Malus-System. Als Kriterium kommen neben der Dauer der Ortsansässigkeit beispielsweise die Anzahl der Familienmitglieder, das Monatseinkommen oder auch das Lebensalter des Antragstellers in Betracht.59 Vielfach spielt ebenfalls eine Rolle, ob die Interessenten bereits über Grundstücke oder Eigenheime verfügen. Die vorgenannten Eigenschaften werden 54

Vertragsmodell Weilheim, Richtlinie über die Vergabe von städtischen Grundstücken vom 16.9.1993, S. 1. 55 Vgl. zum Beispiel Gemeinde Unterföhring, Baulandbeschaffungsprogramm für Einheimische der Gemeinde Unterföhring 2000 für das Gebiet nördlich der Aschheimer Straße, Stand: 14.12.2000, S. 2. 56 Gemeinde Eglfing, Bauland- und Einheimischenmodell der Gemeinde Eglfing, Stand: 13.2.2003, S. 2; Gemeinde Landsberg am Lech, Allgemeine Richtlinien für die Vergabe von städtischen Baugrundstücken im Rahmen des Einheimischen-Modells, Stand: 1.7.2002, S. 1. 57 Vgl. Landsberg am Lech, Allgemeine Richtlinien für die Vergabe von städtischen Baugrundstücken im Rahmen des Einheimischen-Modells, Stand: 1.7.2002, S. 1; Gemeinde Unterföhring, Baulandbeschaffungsprogramm für Einheimische der Gemeinde Unterföhring 2000 für das Gebiet nördlich der Aschheimer Straße, Stand: 14.12.2000, S. 2. 58 Vgl. 3. Teil A. II. 2. c) bb) (2) (d). 59 A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 48; S. Els, BayVBl. 1983, S. 421 (424). Zu Beispielen für Punktesysteme siehe auch A. Glück, Mehr Bauland ist möglich, 1981, S. 37, 47.

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in einem anonymen Verfahren mit Punkten bewertet. Derjenige Bewerber, der nach der Auszählung die meisten Punkte erreicht, bekommt das Grundstück zugewiesen.60 Je nach den Vergaberichtlinien der jeweiligen Gemeinde besteht kein Ermessen, sondern lediglich das Recht, die Punktezahl vor Bekanntgabe des Ergebnisses zu überprüfen.61 Andere Gemeinden behalten sich vor, in Härtefällen abweichend von den aufgestellten Richtlinien zu entscheiden.62 Bekannt ist auch eine Vergabe nach dem System des freien Ermessens,63 wobei hier die zweckentsprechende Verwendung des Grundstücks entscheidend sein muß. dd) Finanzierungsfrage und fehlende Verkaufsbereitschaft In der Finanzierungsfrage liegt ein strukturelles Problem des Zwischenerwerbsmodells.64 Da die Gemeinden sämtliche für die Einheimischenförderung in Aussicht genommenen Grundstücke vor der Vergabe an ortsansässige Erwerbsinteressenten ankaufen, sind für diesen Zwischenerwerb zunächst erhebliche Kapitalaufwendungen notwendig, womit insbesondere die ländlichen Gemeinden finanziell oftmals überfordert sind. Vor dem Hintergrund der drückenden Last der Vorfinanzierung, aber auch aufgrund der ständig abnehmenden Verkaufsbereitschaft privater Grundstückseigentümer haben einige Gemeinden eigene Variationen des Zwischenmodells entwickelt, die hier jedoch im einzelnen nicht referiert werden können.65

60 Siehe zum Beispiel die Gemeinde Traunstein, Richtlinie für die Vergabe von Baugrundstücken im Einheimischenmodell der Stadt Traunstein, Stand: 27.5.1998, S. 2; Gemeinde Freigericht, Richtlinie über den Erwerb von Baugelände und die Vergabe von gemeindeeigenen Grundstücken für den Wohnungsbau, Stand: 10.11.1994, S. 1; Gemeinde Unterföhring, Baulandbeschaffungsprogramm für Einheimische der Gemeinde Unterföhring 2000 für das Gebiet nördlich der Aschheimer Straße, Stand: 14.12.2000, S. 1. 61 Siehe die Gemeinde Unterföhring, Vergaberichtlinien: Baulandbeschaffungsprogramm für Einheimische der Gemeinde Unterföhring 2000, für das Gebiet nördlich der Aschheimer Straße, Stand: 14.12.2000, S. 1. 62 Vgl. Gemeinde Landsberg am Lech, Allgemeine Richtlinien für die Vergabe von städtischen Baugrundstücken im Rahmen des Einheimischen-Modells der Stadt Landsberg am Lech, Stand: 1.7.2002, S. 2. 63 Vgl. die Gemeinde Polling, zitiert nach D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 347. 64 Ausführlich zu möglichen Lösungsansätzen A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 51. 65 So verkauft der private Grundstückseigentümer nicht die gesamte Fläche an die Gemeinde, der Ankauf der Grundstücke wird mit einem förmlichen Umlegungsverfahren nach §§ 45 ff. BauGB verknüpft oder die Vergabe erfolgt im Erbbaurecht. Vgl. zum Beispiel das Echinger, Stuttgarter oder das Tölzer Modell. Siehe hierzu

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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b) Vertragsmodell Allen Vertragsmodellen ist gemeinsam, daß die Gemeinde die genannten Ziele ohne primär intendierten Eigentumserwerb erreicht, indem sie einen weitgehend von ihr gesteuerten Sondermarkt schafft, der ausschließlich den Einheimischen offen steht und sich deswegen durch ein deutlich niedrigeres Preisniveau auszeichnet.66 Die erforderliche Einflußnahme der Gemeinde auf die Eigentümerstruktur und den Bodenmarkt erfolgt bei den Vertragsmodellen in der Weise, daß sich die Gemeinde ein im Grundbuch dinglich gesichertes Mitentscheidungsrecht in bezug auf den künftigen Bodenverkehr einräumen läßt.67 Die Gemeinde legt – bildlich gesprochen – zunächst nur ihre Hand auf den Grund und Boden entwicklungsträchtiger Gebiete, ohne nach dem Eigentum zu greifen.68 Aus der Vielzahl von Modellvarianten69 haben sich zwei Grundmodelle, die nach dem Ort ihres Entstehens benannt sind, herausgebildet: das Weilheimer und das Traunsteiner Modell. aa) Typen (1) Weilheimer Modell Bei dem im Landkreis Weilheim-Schongau seit 1973 praktizierten Weilheimer Modell, vereinzelt auch als Ankaufsmodell bezeichnet, schließt die Gemeinde vor der Baulandausweisung mit den Grundstückseigentümern notarielle Optionsverträge, in denen das künftige Bauland der Gemeinde zum Kauf angeboten wird.70 Zur Sicherung des künftigen, durch die Annahme des Kaufangebots entstehenden Eigentumsverschaffungsanspruchs aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB bewilligt und beantragt der Grundstückseigentümer, zugunsten der Gemeinde eine Auflassungsvormerkung gemäß § 883 Abs. 1 S. 2 BGB ins Grundbuch eintragen zu lassen.71 Gleichzeitig muß der EiD. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 17 ff.; A Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 56 f. 66 A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 58; W. Brohm, JZ 2000, 321 (330); M. Jachmann, MittBayNot 1994, 93 (94). 67 M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 7; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 58. 68 R. Breuer, Bauplanungsrechtliche Instrumente zum Schutz der Sozialstruktur, 1985, S. 50. 69 Eingehend T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 20 ff. 70 A. Glück, Mehr Bauland ist möglich, 1981, 72 ff.; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 59; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (422); H. Griwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, Rdnr. 354; ders., JuS 1999, 36 (36). 71 Gemäß § 883 Abs. 1 Satz 2 BGB ist ein solcher Übereignungsanspruch als künftiger Anspruch vormerkbar; vgl. P. Bassenge, in: Palandt (Hrsg.), BGB, 2007,

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

gentümer eine Reihe von Verpflichtungen eingehen, die durch gemeindliche Vergaberichtlinien konkretisiert und durch ein ausgeklügeltes Sanktionssystem abgesichert werden.72 Hierunter fallen zum Beispiel die Pflicht zum Baubeginn und zur Baufertigstellung innerhalb einer festgesetzten Frist, verschiedene Nutzungspflichten und -beschränkungen wie die Pflicht zum ganzjährigen Selbstbewohnen, das Verbot der Weitervermietung, Veräußerungsverbote in Verbindung mit Bindungsfristen und sonstige Verpflichtungen wie diejenige, im Antragsformular richtige Angaben zu machen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Gemeinde, von dem Angebot keinen Gebrauch zu machen, wenn der Eigentümer das Grundstück binnen einer bestimmten Frist an den im Angebot beziehungsweise in den Richtlinien genannten Personenkreis veräußert.73 Bei einem Weiterverkauf muß der Erwerber erneut einen notariellen Vertrag mit der Gemeinde abschließen, so daß der neue Grundstückseigentümer in der gleichen Weise wie sein Vorgänger gebunden ist.74 Für den Fall der Nichteinhaltung kann die Gemeinde ihren Anspruch auf Annahme geltend machen. Ohne hier auf die Einzelheiten eingehen zu wollen, ist kurz anzumerken, daß die Kommune den Eigentümer beziehungsweise dessen Rechtsnachfolger über einen langen Zeitraum an sein Grundstück und damit an das Gemeindegebiet bindet.75 Macht die Gemeinde von ihrem Ankaufsrecht Gebrauch, wird der Kaufpreis nach dem vom Gutachterausschuß des Landratsamtes festgesetzten Verkehrswert bestimmt.76 Im Unterschied zu den anderen Baulandbeschaffungsmodellen nimmt das in dieser Form praktizierte Weilheimer Modell auf den Preis des verkauften Grundstücks keinen Einfluß. Zumindest innerhalb des bevorrechtigten Personenkreises findet ein freier Wettbewerb statt. Da jedoch einerseits auswärtige Bewerber von vornherein ausgeschlossen sind und andererseits die ortsansässige Bevölkerung tendenziell weniger finanzkräftig ist, § 883 Rdnr. 1, 14; H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 200; M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 10. 72 Zu den einzelnen Verpflichtungen, die auch für die Zwischenerwerbsmodelle gelten, vgl. grundlegend D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 363 ff.; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 48 ff. 73 H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 200; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (422); J. Busse, BayVBl. 1994, 353 (356). Den berücksichtigungsfähigen Personenkreis von „Einheimischen“ legt die Gemeinde in internen Vergaberichtlinien und nach zutreffender Ansicht auch im Vertrag mit dem Grundstückseigentümer fest. 74 T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 31; M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 11. 75 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 15. Zur Rechtmäßigkeit der zeitlichen Bindung vgl. OLG München, NJW 1998, 1962 (1962 ff.). 76 Das sind in der Regel 70 Prozent des Verkehrswertes, den das Grundstück im Zeitpunkt der Ausübung des Ankaufsrechtes hat; vgl. M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 10.

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wird in dem betreffenden Gebiet ein Sondermarkt geschaffen, der von der Gemeinde gesteuert wird, ausschließlich Einheimischen offen steht und sich daher durch ein deutlich niedrigeres Preisniveau auszeichnet und somit den in der Praxis gewünschten preisdämpfenden Effekt hat.77 (2) Traunsteiner Modell Beim Traunsteiner Modell, auch Zustimmungsmodell genannt, bindet sich der Eigentümer im Rahmen einer notariellen Vereinbarung dahingehend, daß Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte über das jeweilige Baugrundstück nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Gemeinde erfolgen dürfen.78 Um die später zu Bauland ausgewiesenen Grundstücke den Einheimischen zu erschwinglichen, unterhalb des Marktpreisniveaus befindlichen Preisen verfügbar machen zu können, wird ein bestimmter Höchstpreis je Quadratmeter vereinbart, der deutlich, regelmäßig bis zu 30 Prozent, unter dem Verkehrswert der Grundstücke liegt.79 Die festgelegten Höchstpreise bleiben für eine bestimmte Frist, in der Regel fünf Jahre, unverändert. Nach deren Ablauf kann eine Anpassung unter Zugrundelegung des Lebenshaltungsindexes erfolgen.80 Die Gemeinde kann und darf ihre Zustimmung nur verweigern, wenn nicht an den bevorzugten Personenkreis oder zum vorgeschriebenen Preis veräußert wird oder sich der Rechtsnachfolger des ursprünglichen Vertragspartners nicht durch einen eigenen Vertrag gemäß dem Traunsteiner Modell gegenüber der Gemeinde verpflichtet.81 Rechtstechnisch abgesichert wird diese Vereinbarung mit Hilfe eines durch eine Vormerkung gemäß § 883 Abs. 1 S. 2 BGB gesicherten schuldrechtlichen Vorkaufsrechts gemäß § 463 ff. BGB zu dem jeweils festgesetzten Höchstpreis.82 Zudem wird im Falle eines Verstoßes eine Vertragsstrafe gemäß § 339 BGB, die mindestens 5.000,– Euro beträgt, fällig. 77 A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 61; T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 33; M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 11; W. Brohm, JZ 2000, 321 (330). 78 M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 8; T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 31; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (422). 79 H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 202; ders., Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, Rdnr. 355; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 61. 80 T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlich-rechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 32; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (422). 81 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 15; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 62.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

bb) Vertragsgestaltung Bei der Gestaltung einer Vereinbarung nach dem Vertragsmodell83 mit dem Grundstückseigentümer ist darauf zu achten, daß dieser Vertrag seinem Inhalt nach hinreichend bestimmt, mindestens aber bestimmbar ist.84 Daher ist es notwendig, den Kreis der „erlaubten“ Geschäfte, das heißt die Person des bevorzugten Käufers, möglichst genau in dem Vertrag selbst festzulegen. Auch im Rahmen eines Vertragsmodells stellt der Gemeinderat analog zu den Zwischenerwerbsmodellen Vergaberichtlinien auf, die unter anderem den berücksichtigungsfähigen Personenkreis von Einheimischen konkretisieren.85 Grundsätzlich ist zwar eine sogenannte dynamische Verweisung auf diese Richtlinien gemäß §§ 315 ff. BGB zulässig. Bedenken ergeben sich jedoch bei einer öffentlich-rechtlichen Betrachtungsweise, da nach § 56 Abs. 1 VwVfG der Zweck im Vertrag vereinbart sein muß.86 Darunter ist auch die Bezeichnung der „Einheimischen“ zu fassen.87 c) Gewerbemodell Einige Gemeinden sind im Rahmen der Wirtschaftsförderung dazu übergegangen, den städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen ein weiteres Anwendungsfeld zu erschließen. Die ursprünglich für den Wohnungsbausektor entwickelte kommunale Bodenpolitik wird zunehmend auch zur Sicherung des örtlichen Gewerbes verwendet.88 Neben der Wohnbevölkerung sind häufig auch kleinere Betriebe nicht in der Lage, die Erwerbskosten für Grundstücke auf dem freien Markt zu bezahlen. Folge ist nicht selten die 82 Zutreffend A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 62; a. A. M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 8; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (422), nach denen die erforderliche Absicherung durch ein dingliches Vorkaufsrecht gemäß § 1094 BGB erfolgt. 83 Vgl. das Gestaltungsbeispiel eines Kaufangebots zum städtebaurechtlichen Einheimischenmodell bei H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, 203 ff.; vgl. auch ders., Baulanderschließung, 1993, S. 203 ff.; A. Glück, Mehr Bauland ist möglich, 1981, S. 76 ff. 84 BGHZ 45, 177 (183). 85 A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 60 Fn. 156; A. Glück, Mehr Bauland ist möglich, 1981, S. 60; J. Busse, BayVBl. 1994, 353 (356). 86 M. Jachmann, MittBayNot 1994, 93 (106 f.); H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 201. 87 Siehe zu der Definition des Begriffes Einheimischer die Ausführungen zum Zwischenerwerbsmodell, vgl. oben 3. Teil A. I. 3. a) cc) (1). 88 Siehe dazu VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1008 ff.) sowie R. Bleutge, MittBayNot 1999, 453 (453 ff.); H. Griwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, Rdnr. 357.

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Aufgabe oder Abwanderung einheimischer Gewerbebetriebe in andere Gemeinden und damit verbunden die Gefahr unerwünschter Änderungen der örtlichen Infrastruktur, des Verlustes von Arbeitsplätzen und Gewerbesteuereinnahmen.89 Insbesondere sollen auch Betriebsumsiedlungen aus dem Innenbereich der Gewerbegebiete zu angemessenen Preisen ermöglicht werden, um so ein städtebaulich unerwünschtes Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe, das sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, zu sanieren.90 Inhaltlich entspricht das Gewerbe-Einheimischenmodell den vorgenannten klassischen Wohnraummodellen mit der Ausnahme, daß es sich bei dem bevorzugten Erwerberkreis um ortsansässige Unternehmen handeln muß. Die Gemeinde ist – wie sich später noch zeigen wird – gut beraten, wenn sie die Ortsansässigkeit nicht als Sitz des Unternehmens in der Gemeinde definiert,91 sondern, wie vorliegend, den Begriff weiter faßt und hierunter das Vorhandensein einer Betriebsstätte, von Grundbesitz oder dergleichen im Gemeindegebiet versteht. 4. Rechtsgrundlage der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle Der Gesetzgeber billigte 1993 die aus der Not fehlender oder jedenfalls unzulänglicher hoheitlicher Instrumente des Städtebaurechts hervorgerufene weit verbreitete gemeindliche Baulandbeschaffungspolitik zugunsten der ortsansässigen Bevölkerung. Der bislang in § 124 Abs. 2 BauGB 1987 nur unzureichend geregelte „städtebauliche Vertrag“ wurde nach dem Vorbild des § 54 Abs. 1 BauZVO DDR 1990 in § 6 BauGBMaßnG 1993 zur Vollregelung geführt. Nach Inkrafttreten der BauROG 1998 stellt nunmehr § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB die Rechtsgrundlage für die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle dar.92 Es handelt sich folglich bei diesem nicht um eine originäre Rechtsschöpfung, sondern um eine Klarstellung und Absicherung bereits nach früherem Recht zulässiger öffentlich-rechtlicher Formen kooperativen Handelns im Städtebaurecht.93 89

VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1011); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24

(25). 90

H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 198. Vgl. unten 3. Teil A. II. 2. c) aa). 92 Ebenso BGH, NZBau 2003, 145 (145 f.); VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1009); H. Grziwotz, JuS 1999, 36 (36); W. Spannowsky, DÖV 2000, 569 (573); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (25). 93 BGH, DVBl. 2003, 519 (520); R.-P. Löhr, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 2007, § 11 Rdnr. 1; W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (25). Die Zulässigkeit der Einheimischenmodelle war bereits unter Geltung des BBauGB anerkannt; vgl. BVerwGE 92, 56 (59 ff.). 91

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Fraglich ist, ob diese Norm ebenfalls als Rechtsgrundlage für die Gewerbe-Einheimischenmodelle herangezogen werden kann. § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB nennt ausdrücklich nur die Schaffung von Wohnraum. Aus der Formulierung „insbesondere“ geht indes eindeutig hervor, daß die Aufzählung zulässiger Vertragsgegenstände nicht abschließend, sondern nur exemplarisch gemeint ist. Städtebauliche Verträge94 können auch der Sicherung anderer Belange dienen, soweit hierfür ein qualifiziertes öffentliches Interesse besteht. Als ein solches wird das Ziel der Sicherung des örtlichen Gewerbes und des örtlichen Handels anerkannt.95 Diese Sichtweise wird weiter durch § 1 Abs. 6 Nr. 8 a, c BauGB bestätigt, wonach bei der Bauleitplanung insbesondere die Belange der Wirtschaft und die Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen zu berücksichtigen sind. Hierzu gehören auch die Standortinteressen der Unternehmen, insbesondere an der weiteren Ausnutzung des vorhandenen Bestands, sowie das Bedürfnis nach Betriebserweiterung und Modernisierung.96 5. Rechtsnatur Der Vertrag im Rahmen eines Zwischenerwerbsmodells, in dem der Eigentümer sein Grundstück an die Gemeinde veräußert, ist nach einhelliger Meinung dem Privatrecht zuzuordnen.97 Die anschließende Bauplatzveräußerung vollzieht sich ähnlich wie bei der Subventionsvergabe in zwei Etappen.98 Zunächst entscheidet die Gemeinde darüber, ob dem Begehren eines Interessenten auf Erwerb eines Bauplatzes stattzugeben ist. Diese Entscheidung ist als Verwaltungsakt zu treffen.99 Dem eigentlichen Kaufvertrag geht 94 Der Begriff dient hier als Sammelbezeichnung für Verträge, die der Durchführung städtebaulicher Planungen und Maßnahmen dienen. 95 VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1010); M. Krautzberger, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg (Hrsg.), BauGB, Gesamtstand: Dezember 2006, § 11 Rdnr. 153 f.; W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (26); W. Kahl, DÖV 2000, 793 (796). 96 M. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 2007, § 1 Rdnr. 71; W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (26); W. Spannowsky, UPR 2003, 81 (85). 97 Statt vieler vgl. nur W. Brohm, JZ 2000, 321 (329). 98 Vgl. nur H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 17 Rdnr. 31. Für eine einstufige Vergabe hingegen M. Beck, Einheimischenmodelle in Bayern, 1993, S. 152 ff., die einen öffentlich-rechtlichen Vertrag annimmt, sowie D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 36, der seine Ansicht mit der abzulehnenden Trennung eines einheitlichen Vorgangs begründet, im Ergebnis aber die Rechtsnatur des Vertrages offen läßt. 99 OVG Koblenz, NVwZ 1993, 381 (382); VGH Mannheim, NVwZ-RR 2000, 814 (814); OVG Münster, NJW 2001, 698 (698); vgl. hierzu auch F. Hufen, JuS 2001, 615 (616); D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 36; H. Grziwotz, NJW 1995, 1927 (1929).

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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die – für die Beteiligten wesentliche – zuteilende Entscheidung voraus, die öffentlich-rechtlicher Natur ist.100 Der grundlegenden Auswahlentscheidung folgt auf der Abwicklungsstufe der Kaufvertrag über das Grundstück.101 Die Rechtsnatur dieses Vertrages sowie die der bei den Vertragsmodellen getroffenen Vereinbarungen sind jedoch umstritten.102 Die Zuordnung dieser Verträge zum privaten oder öffentlichen Recht ist von erheblicher Praxisrelevanz und hat vor allem Konsequenzen für das deliktische Haftungsrecht, das Prozeß- sowie das Vollstreckungsrecht.103 Materiell-rechtlich bleibt die Rechtsformbestimmung jedoch ohne größere Auswirkungen, da die Grundrechtsbindung staatlichen Handelns auch dort besteht, wo der Staat sich der Formen des Privatrechts bedient.104 Teile der Rechtsprechung105 und Literatur106 qualifizieren die oben genannten Vereinbarungen aufgrund ihrer Einbindung in die Bauleitplanung, welche ähnlich wie beim Folgekostenvertrag die Geschäftsgrundlage bildet, als öffentlich-rechtlich. Zudem verweist diese Ansicht auf die mit dem Vertragsabschluß verfolgten bereits dargelegten städtebaulichen Ziele. Die Ausweisung neuer Baugebiete soll begrenzt (§ 1 a Abs. 2 S. 1 BauGB), gleichzeitig aber auch die Wohnbedürfnisse der einheimischen Bevölkerung in besonderem Maße berücksichtigt werden.107 Der BGH108 geht ungeachtet des 100 OVG Münster, NJW 2001, 698 (698); H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 155. 101 Siehe nur OVG Koblenz, NVwZ 1993, 381 (382); F. Hufen, JuS 2001, 615 (616). H. Griwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 155. 102 Grundlegend E. Hien, in: Berkemann/Gaentzsch/Halama u. a. (Hrsg.), FS Schlichter, 1995, S. 129 (132 ff.) sowie insgesamt zum städtebaulichen Vertrag E. Schmidt-Aßmann/W. Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, 1992, S. 134 ff. 103 Vgl. allgemein A. Scherzberg, JuS 1992, 205 (206); W. Kahl, Jura 2002, 721 (725 ff.); H. Maurer, Allg. VerwR, 2004, § 14 Rdnr. 8; W. Spannowsky, UPR 2003, 81 (82). 104 M. Burgi, JZ 1999, 873 (877); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (25); a. A. R. Jahn, BayVBl. 1991, 33 (35), der die für öffentlich-rechtliche Verträge geltenden §§ 54 ff. VwVfG als weitergehende Schutzvorkehrungen zugunsten des privaten Vertragspartners ansieht als dies von Gesetzes wegen bei rein privatrechtlichen Verträgen der Fall ist. 105 VGH München, BayVBl. 1991, 47 (48 ff.); VGH München, MittBayNot 1990, 259 (259 ff.); VGH München, NVwZ 1990, 979 (980), der sich nunmehr ausdrücklich der Ansicht des BVerwG angeschlossen hat, so in VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1010). 106 Vgl. M. Beck, Die Einheimischenmodelle in Bayern, S. 149; R. Jahn, BayVBl. 1991, 33 (35 f.); T. Haller, Die privatrechtliche Gestaltung öffentlichrechtlicher Beziehungen am Beispiel der sogenannten Einheimischenmodelle, 1986, S. 81, der auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der nutzungssichernden Klauseln abstellt; wohl auch W. Brohm, JZ 2000, 321 (330); H. Griwotz, DNotZ 1994, 69 (70); ders., NJW 1993, 2665 (2666). 107 Vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2, 3 BauGB.

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Bezugs zur Bauleitplanung von einem zivilrechtlichen Verwaltungsvertrag aus, da die Pflicht zur Verschaffung des Eigentums an einem Grundstück im bürgerlichen Recht (§§ 433, 311 b BGB) geregelt ist.109 Dagegen bleibe die städteplanerische Intention trotz ihrer Offenlegung bloße Motivation und finde in der entsprechenden Vereinbarung keinen Niederschlag. Für eine Qualifizierung kommt es nach allgemeiner Ansicht maßgeblich auf den Gegenstand des Vertrages an, also nicht auf die Zuordnung zu einer Aufgabenkategorie oder auf die mit dem Vertrag bezweckten politischen Ziele.110 Das bedeutet, daß weder die Tatsache, daß es sich bei der Überlassung von Wohnbauland um eine Aufgabe im unmittelbaren öffentlichen Interesse handelt,111 noch der Umstand, daß dabei unter anderem das Ziel der Privilegierung Einheimischer verfolgt wird, unmittelbar auf die Vertragsqualifizierung durchschlagen.112 Aufgrund der eindeutigen Formenwahl sind der zwischen der Gemeinde und dem neuen Grundstückseigentümer geschlossene Kaufvertrag sowie die bei den Vertragsmodellen getroffenen Vereinbarungen als privatrechtlich zu qualifizieren. Da für zivilrechtliche Verwaltungsverträge keine spezialgesetzliche Rechtsfolgenregelung für Gesetzesverstöße existiert, richtet sich die Frage nach der Wirksamkeit eines Einheimischenmodellvertrags nach § 134 BGB.113 Hiernach ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig. Die im Rahmen der Arbeit insbesondere interessierenden Grundfreiheiten bedürfen als unmittelbar anwendbares Primärrecht114 keiner weiteren Konkretisierung. Zudem fordert das Prinzip der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts (effet utile) eine strikte Beachtung sämtlicher gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, auch bei privatrechtlichem Handeln der Verwaltung.115 Aus diesen Gründen werden die Grundfreiheiten nach allgemeiner Ansicht als Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB 108

BGH, DVBl. 2003, 519 (520). Ebenso VG München, MittBayNot 1996, 392 (393); BVerwG, NJW 1993, 2695 (2696); BVerwGE 38, 281 (283 f.); ausführlich hierzu E. Hien, in: Berkemann/Gaentzsch/Halama u. a. (Hrsg.), FS Schlichter, 1995, S. 129 (137 ff.); H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 17 Rdnr. 31; A. Glück, Mehr Bauland ist möglich, 1987, S. 44; M. Burgi, JZ 1999, 873 (877); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (25); H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 155. Differenzierend M. Jachmann, MittBayNot 1994, 93 (95 ff.); offen gelassen bei D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 37. 110 BGH, DVBl. 2003, 519 (520); BGHZ 32, 214 (216); 97, 112 (113 f.). 111 VG München, NVwZ 1997, 375 (375); D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 296; W. Brohm, JZ 2000, 321 (329). 112 M. Burgi, JZ 1999, 873 (877). 113 E. Schmidt-Aßmann/W. Krebs, Rechtsfragen städtebaulicher Verträge, 1992, S. 218 ff.; W. Spannowsky, UPR 2003, 81 (89). 114 Vgl. oben 2. Teil Fn. 117. 109

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aufgefaßt.116 Sofern also ein zivilrechtlicher Vertrag zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung die Grundfreiheiten ungerechtfertigt beeinträchtigt, ist er wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB unwirksam.

II. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle und Grundfreiheiten Nach diesen einführenden Vorklärungen zu den Grundlagen der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle kann nun in die Prüfung der Frage nach der Konformität solcher Konzepte mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten eingetreten werden. In einem ersten Schritt werden dazu alle durch die Wohnraum- und Gewerbemodelle im Anwendungsbereich tangierten Grundfreiheiten herausgearbeitet (1.). Sodann stellt sich die Frage, ob der Anknüpfung an die Eigenschaft als Einheimischer eine grundfreiheitsbeeinträchtigende Wirkung zukommt. Die Ausführungen hierzu (2.) gelten im übrigen nicht nur für die städtebaurechtlichen Modelle, sondern auch für die noch zu erörternden Fallgruppen sowie generell für alle Einheimischenprivilegierungen, da das Objekt der Begünstigung in allen Fällen der Ortsansässige ist. 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs Beim Anwendungsbereich117 wird zunächst das durch die Grundfreiheit zu schützende Inividualrechtsgut, also der prima facie jedem staatlichen Zugriff vorausliegende Schutzraum des Individuums, bestimmt.118 Die Privilegierung Einheimischer bei der Vergabe von Grundstücken kann nur dann eine Herausforderung an das Recht der Europäischen Gemeinschaft stellen, wo dessen Anwendungsbereich eröffnet ist, also ein grenzüberschreitender 115 V. Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, S. 555; H. Maurer, AllgVerwR, 2006, § 14 Rdnr. 43 a; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, VerwR, Bd. 2, 2000, § 54 Rdnr. 46. 116 Vgl. H. Heinrichs, in: Palandt (Hrsg.), BGB, 2007, § 134 Rdnr. 3; H. Palm, in: Westermann (Hrsg.), Erman BGB, 2004, § 134 Rdnr. 56; R. Sack, in: Staudinger (Hrsg.), BGB, 2003, § 134 Rdnr. 43; W. Spannowsky, UPR 2003, 81 (89). 117 Im Bereich der Grundfreiheiten wird mitunter auch vom Schutzbereich gesprochen; vgl. D. Ehlers, Jura 2001, 482 (482); T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 75 f. Diese Terminologie überzeugt nicht, soweit sie das grundfreiheitliche Diskriminierungsverbot tangiert. Gleichheitsrechte besitzen a priori keinen Schutzbereich, in welchen eingegriffen werden kann, vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 2006, Rdnr. 10. 118 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1999, S. 74.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Sachverhalt vorliegt.119 Diese europarechtliche Dimension erhalten die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle durch die erwerbende Person beziehungsweise Organisation, die aus einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen der Grundstücksbelegenheit stammt. Weiterhin ist zu untersuchen, welche Grundfreiheiten durch die bei den städtebaurechtlichen Gewerbe- und Wohnraummodellen getätigten Grundstücksgeschäfte betroffen sind. Je nach Art und Weise der geplanten Nutzung der Grundstücke sowie in Abhängigkeit von der Person des Erwerbers wirken sich städtebaurechtliche Einheimischenmodelle auf die Ausübung verschiedener gemeinschaftsrelevanter Tätigkeiten aus. So wird bei einem Grundstückserwerb häufig die Nutzung als Eigenheim im Vordergrund stehen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß der Erwerber die Liegenschaft in erster Linie als Anlage- und Spekulationsobjekt erwirbt. Dann geht es nicht um die Nutzung als Wohnung, sondern um die erwartete Wertsteigerung. Daneben können berufliche Absichten dem Grundstückskauf zu Grunde liegen. Die eigene Nutzung spielt in diesem Fall ebenfalls keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Der gewerbliche Erwerber wird das Grundstück beispielsweise für die Errichtung seiner Betriebsstätte, seines Büros etc. oder im Wege der Vermietung nutzen. Auch bei einem gewerblichen Erwerb kann der Gesichtspunkt der Anlage oder der Spekulation im Vordergrund stehen. Um die zweckentsprechende Verwendung der Grundstücke zu sichern, haben die Gemeinden in ihren Richtlinien Nutzungsverpflichtungen beziehungsweise Verbote getroffen. Eine in allen Verträgen wiederzufindende Verpflichtung der Grundstückskäufer besteht darin, das darauf errichtete Gebäude selbst zu bewohnen beziehungsweise es als eigene Betriebsstätte zu nutzen.120 Entsprechend dieser Verpflichtung zum Selbstbewohnen sehen weitere Klauseln vor, daß dem Einheimischen eine (schuldrechtliche) Weitervermietung oder eine Veräußerung zu Spekulationszwecken verboten ist.121 Diese zusätzlichen Bestimmungen können, ohne daß hier genauer darauf eingegangen werden soll, ebenfalls den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten tangieren.122 Aufgrund der Ausrichtung der vorliegenden Untersuchung auf die Einheimischenprivilegierung wird jedoch im folgenden nur unter dem Aspekt der Anknüpfung an die Ortsansässigkeit die Eröffnung des Anwendungsbe119

Vgl. H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (206); A. Hatje, Jura 2003, 160 (161). Vgl. stellvertretend Stadt Pfaffenhofen a. d. Ilm, Richtlinien für die Vergabe von Wohnbaugrundstücken der Stadt Pfaffenhofen u. Stadtentwicklungsgesellschaft Pfaffenhofen a. d. Ilm mbH vom 21.9.1998, S. 2. 121 Vgl. stellvertretend Stadt Forchheim, Baulandmodell der Stadt Forchheim: Verkauf an „Einheimische“, Muster Kaufvertrag zischen der Stadt Forchheim und einem Käufer, S. 4. 122 Diese Bestimmungen sind möglicherweise als unterschiedslos anwendbare Maßnahmen einzustufen, da sie zwar nicht zwischen In- und Ausländern unterscheiden, aber dennoch die Grundfreiheiten behindern. 120

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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reichs der Grundfreiheiten überprüft. Sofern eine Klausel auch dem Einheimischen eine bestimmte Nutzung untersagt, wird er diesbezüglich nicht gegenüber den EG-Ausländern privilegiert.123 Daher ist die geplante Nutzung als Zweit- oder Alterswohnsitz, aber auch als Spekulationsobjekt zum kurzfristigen Weiterverkauf von vornherein nicht Gegenstand der nachstehenden Erörterung. Davon zu unterscheiden ist allerdings die Verwendung als längerfristiges Anlageobjekt. Vorausgesetzt wird hier allerdings, daß der Erwerber es innerhalb der festgesetzten Fristen selbst bewohnt. a) VO (EWG) Nr. 1612/68 und Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 EG aa) Allgemeines Die Arbeitnehmerfreizügigkeit stellt einen fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar.124 Ihre besondere Bedeutung ergibt sich nicht nur aus der formalen Stellung am Anfang des 3. Titels, sondern vor allem aus der wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung für die Europäische Integration, nicht zuletzt aufgrund der durchgeführten Erweiterung.125 Art. 39 EG (Art. III-133 VV) vereinigt in sich verschiedene Schutzaspekte und enthält Freiheits- und Gleichheitsrechte zugunsten der EG-Arbeitnehmer.126 Gleichzeitig umfaßt diese Norm auch die für ihre Ausübung notwendigen oder die sie erleichternden Begleitrechte.127 So statuiert Absatz 2 zugunsten der Arbeitnehmer ein umfassendes Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit in bezug auf die Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Absatz 3 hingegen geht über Absatz 2 hinaus und gewährt Freiheitsrechte zur inhaltlichen Ausfüllung der Freizügigkeit, worunter auch das in Buchstabe c niedergelegte Recht gehört, sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort eine Beschäftigung auszuüben. Trotz ihrer prinzipiell unterschiedlichen Zielrichtungen ist nicht zu verkennen, daß sich Absatz 2 und Absatz 3 lit. c in den praktischen Folgen teilweise überschneiden. Auf der Grundlage des Art. 40 EG (Art. III-134 VV), der den Rat dazu ermächtigt, alle erforderlichen Maßnahmen zur Herstellung der 123 Dann stellt sich die Frage nach einer Beschränkung der Grundfreiheiten, auf die vorliegend nicht näher eingegangen werden soll. 124 EuGH, Slg. 1995, I-4921 (5064 Rdnr. 78, 5068 Rdnr. 93) – Bosman; ebenso f. C. Haus/M. D. Cole, JuS 2003, 561 (564); vgl. auch A. Epiney, in: Bieber/ dies./Haag, Die Europäische Union, 2005, § 14 Rdnr. 1. 125 T. Oppermann, Europarecht, 2005, § 25 Rdnr. 3. 126 Siehe hierzu grundlegend M. Dietrich, Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in der Europäischen Union, 1995, S. 184 f., 349 ff. 127 R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 39 Rdnr. 18.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Arbeitnehmerfreizügigkeit zu treffen, sind umfangreiche Sekundärrechtsvorschriften ergangen, die den Gewährleistungsinhalt des Art. 39 EG detailliert festschreiben.128 Der näheren Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgebots des Art. 39 Abs. 2 EG dient vor allem die EWG-Verordnung Nr. 1612/ 68129 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft und hier insbesondere die Art. 7 bis 9.130 Da die Verordnung keine Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften bezweckt, ist sie nicht als Harmonisierungsmaßnahme anzusehen,131 sondern vielmehr als Durchführungsmaßnahme im Hinblick auf die Abschaffung jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu werten. Die Verordnung bezieht sich ausdrücklich auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und zitiert eingangs Teile ihres Wortlauts. Daher ist bei ihrer Auslegung die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu beachten. Andererseits stellen die Bestimmungen der Verordnung nach ständiger Rechtsprechung die „notwendige Ergänzung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer132“ dar und fallen „daher unter das in Artikel 39 EG niedergelegte Verbot der Diskriminierung eines Staatsangehörigen“.133 Zwischen der Grundfreiheit und der Verordnung besteht insofern eine Wechselbeziehung. Im Rahmen von Art. 39 Abs. 2 EG und der VO (EWG) Nr. 1612/68 ist zunächst Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs die Eigenschaft als Arbeitnehmer.134 Eine Definition des 128 A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 39 Rdnr. 126; U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 3. Zum Teil enthält das sekundäre Gemeinschaftsrecht auch Verpflichtungen, die über Art. 39 EG hinausgehen. 129 EWG-VO Nr. 1612/68 des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, ABl. EG 1968, Nr. L 257, S. 2, zuletzt geändert durch EWG-VO Nr. 2434/92 (ABl. EG 1992, Nr. L 245, S. 1). Die Verordnung ist seit dem 1.1.1981 unmittelbar anwendbar, vgl. EuGH, Slg. 1989, 1461 (1477 Rdnr. 15 f.) – Kommission ./. Griechenland. 130 U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 53, 55; A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 42; M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 12, 100; M. Herdegen, Europarecht, 2006, § 17 Rdnr. 16; W. Kiemel, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 56 Rdnr. 18. Ebenso H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 34, 75, der andererseits in Rdnr. 70 davon spricht, daß Art. 7–9 der EWG-VO 1612/68 das in Art. 39 Abs. 3 lit. c EG gewährte Recht auf Ausübung der Beschäftigung konkretisiert. 131 So GA L.A. Geelhoed, SchlA, Slg. 2003, 9607 (9658 Nr. 166) – Akrich. 132 Vgl. auch die Präambel der VO (EWG) Nr. 1612/68, ABl. EG 1968, Nr. L 257, S. 2. 133 EuGH, Slg. 1989, 1461 (1479 Rdnr. 18) – Kommission ./. Griechenland. 134 Mitunter wird die Arbeitnehmereigenschaft auch unter dem persönlichen Anwendungsbereich geprüft, vgl. A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 6; A. Epiney, in: Beutler/dies./Haag (Hrsg.), Die Europäische

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Arbeitnehmerbegriffs ist dort nicht zu finden.135 Der EuGH legt diesen Begriff im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung der Arbeitnehmerfreiheit weit aus136 und versteht darunter nach ständiger Rechtsprechung Personen, die während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung eine wirtschaftliche Leistung erbringen und für ihre Tätigkeit eine Vergütung als Gegenleistung erhalten, ohne daß eine Qualifizierung ihrer Tätigkeit als sittenwidrig den Anwendungsbereich verschließt.137 bb) Wohnraummodelle Es stellt sich die Frage, ob der Grunderwerb eines EG-Arbeitnehmers in einem anderen Mitgliedstaat zu privaten Wohnzwecken die Anwendungsbereiche der VO Nr. 1612/68 und der Arbeitnehmerfreiheit gemäß Art. 39 Abs. 2 EG eröffnet. Gemäß Art. 7 Abs. 2 VO Nr. 1612/68 kommen Wanderarbeitnehmer138 in den gleichen Genuß sozialer oder steuerlicher Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer.139 Unionsbürger, die erst zuwandern, um eine Beschäftigung zu suchen, sind nicht anspruchsberechtigt.140 Als Sonderfall141 der sozialen Vergünstigung regelt Art. 9 VO Nr. 1612/68 das Recht auf Gleichbehandlung auf dem Wohnungsmarkt. Er besagt, daß Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt Union, 2005, § 14 Rdnr. 9. Unter engen Voraussetzungen können sich auch Familienangehörige auf Art. 39 EG berufen. 135 H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 11; M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 18. 136 Vgl. nur EuGH, Slg. 1999, I-3289 (3310 Rdnr. 13) – Meeusen. 137 EuGH, Slg. 1998, I-2691 (2719 Rdnr. 32) – Martínez Sala; Slg. 1986, 2121 (2143 f. Rdnr. 14) – Lawrie-Blum; Slg. 2001, I-8615 (8679 Rdnr. 50/56) – Jany. Ausführlich zum Begriff des Arbeitnehmers siehe U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 6 ff.; W. Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 39 Rdnr. 8 ff. 138 Darunter sind Arbeitnehmer zu verstehen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen und in einem anderen Mitgliedstaat abhängig beschäftigt sind. 139 Art. 7 Abs. 2 VO Nr. 1612/68; dazu aus dem Schrifttum insbesondere W. Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2002, Art. 39 Rdnr. 61 ff. 140 Vgl. EuGH, Slg. 1996, I-3265 (3283 Rdnr. 23) – Kommission ./. Belgien; zustimmend W. Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 39 Rdnr. 57. 141 Vgl. H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 80; U. Wölker/G. Grill (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 86; U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 23.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

sind,142 hinsichtlich einer Wohnung, einschließlich der Erlangung des Eigentums an der von ihnen benötigten Wohnung, alle Rechte und Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer genießen. Ausdrücklich räumt diese Bestimmung den Arbeitnehmern nur das Recht ein, Eigentum an einer Wohnung zu begründen. Fraglich ist daher, ob sich dieses Recht auch auf den Erwerb von Eigentum an Grundstücken zum Zweck der Errichtung von Wohnhäusern bezieht. Obgleich der Wortlaut der Verordnung nicht unbedingt für diese Annahme spricht143 und sich auch aus der englischen und französischen Formulierung144 keine Anhaltspunkte ergeben, darf bei der Auslegung dieses Begriffs nicht zu eng am Wortlaut gehaftet werden.145 Vielmehr ist diese Bestimmung im Lichte der Arbeitnehmerfreizügigkeit und den in der Präambel der Verordnung aufgestellten Erwägungsgründen auszulegen. Die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb der Gemeinschaft soll dem Arbeitnehmer als Mittel dienen, die Verbesserung seiner Lebens- und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, und damit auch seinen sozialen Aufstieg erleichtern.146 Anders als im Bereich der Niederlassungsfreiheit stellt der uneingeschränkte Grunderwerb zwar keine notwendige Voraussetzung dar, um als Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden.147 Im Rahmen des Art. 39 EG wird dem Arbeitnehmer das Recht gewährt, selbst zu bestimmen, in welchem EG-Staat und in welchem Unternehmen er tätig sein möchte. Er wird sich bei der Wahl vor allem an Gesichtspunkten wie Sicherheit des Arbeitsplatzes, Gewährung von Sozialleistungen sowie Höhe des Lohnes orientieren. Dennoch spielen auch die künftigen Wohnverhältnisse eine Rolle.148 Insbesondere für Familien mit mehreren Kindern ist es schwierig, eine geeignete Wohnung zu finden. Zudem ist der Erwerb eines Wohnhauses oftmals auf längere Sicht gesehen kostengünstiger. Die Entscheidung des Arbeitnehmers, in einem anderen Mitgliedstaat beruflich tätig zu werden, wird somit negativ beeinflußt, wenn der Arbeitnehmer in der Gemeinde einen für ihn erschwinglichen Bauplatz nicht erwerben kann. Der Grunderwerb erleichtert und fördert in nicht zu unterschätzender Weise die Ausübung der Arbeitnehmerfreiheit 142 Gemäß Art. 7 der VO Nr. 1251/70 gilt dieses Recht auch für Arbeitnehmer, die nach Beendigung der Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbleiben. 143 Vgl. W. Hummer/M. Schweitzer, Ausverkauf Österreichs?, 1990, S. 186 f. 144 Englische Fassung: „housing“; französische Fassung: „logement“. 145 So aber R. Schmidjell, Einschränkungen des Grundverkehrs in der EG, 1992, S. 8; M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (530). 146 Vgl. die Präambel der VO (EWG) Nr. 1612/68, ABl. EG 1968, Nr. L 257, S. 2. 147 Ebenso W. Hummer/M. Schweitzer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 317; A. Rohde, Freier Kapitalverkehr in der EG, 1997, S. 95. 148 Vgl. C. Ohler, WM 1996, 1801 (1803).

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und stellt zudem ein wesentliches Mittel zur Integration der Arbeitnehmer und ihrer Familien in die Lebensverhältnisse des Aufnahmelandes dar. Er trägt infolgedessen zur Verwirklichung des freien Binnenmarktes bei. Der Begriff der Wohnung ist damit weit zu verstehen und bezieht sich auch auf den Erwerb von Grundstücken.149 Nach Art. 9 VO (EWG) Nr. 1612/68 ist die Gleichbehandlung auch auf alle mit dem Grundstückskauf in Verbindung stehende, seitens des Staates oder der Gemeinde gewährte Vergünstigungen zu erstrecken.150 Der im Rahmen von städtebaurechtlichen Wohnraummodellen getätigte subventionierte Liegenschaftserwerb fällt demnach unter den Anwendungsbereich des Art. 9 der VO (EWG) Nr. 1612/68. Da die Verordnung eine Konkretisierung des Art. 39 Abs. 2 EG darstellt, genießt der Immobilienerwerb zum Zweck des eigenen Wohnens den Schutz der Arbeitnehmerfreizügigkeit.151 Dieses Ergebnis entspricht auch der Ansicht des EuGH. In der Rechtssache Kommission ./. Griechenland bezieht der EuGH generell „Rechtsgeschäfte über Immobilien“ in den Anwendungsbereich ein.152 Nach Dirk Hörmann greift die Arbeitnehmerfreizügigkeit hingegen in Anlehnung an Art. 11 GG nur dann, wenn der Bürger vom Zuzug in die Gemeinde völlig ferngehalten werden soll, das heißt ihm keinerlei Zugang zum Grundstücksmarkt ermöglicht wird.153 Zuzugeben ist zwar, daß auch die Freizügigkeitsregelungen keinen Schutz des Grunderwerbs in einem bestimmten Gebiet in der Gemeinde umfassen. Insofern genügt es, daß der EG-Ausländer überhaupt die Möglichkeit besitzt, in der Gemeinde Bauland zu kaufen. Hörmann verkennt jedoch, daß die gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsregelungen im Gegensatz zu Art. 11 GG als Diskriminierungsverbote ausgestaltet sind, also, anders formuliert, einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung beinhalten. Da der Grunderwerb zu privaten Wohnzwecken vom Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit umfaßt ist, ist der EG-Ausländer sowohl hinsichtlich der Antragsberechtigung als auch bezüglich der Vergünstigung gleich dem Inländer zu behandeln. 149 Vgl. H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 80; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der EU, 2002, § 10 Rdnr. 708; J. Glöckner, EuR 2000, 592 (599); H. Hörtenhuber, ZfRV 1995, 221 (224); a. A. W. Hummer/M. Schweitzer, Ausverkauf Österreichs?, 1990, S. 188; vgl. auch SchlA, GA f. G. Jacobs, Slg. 1989, 1461 (1471 Nr. 13) – Kommission ./. Griechenland. 150 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 43; vgl. auch M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 115. 151 C. Ohler, WM 1996, 1801 (1803); a. A.A. Rohde, Freier Kapitalverkehr in der EG, 1997, S. 95. 152 EuGH, Slg. 1989, 1461 (1478 Rdnr. 19) – Kommission ./. Griechenland. 153 So D. Hörmann, Die Grenzen städtebaurechtlicher Verträge, 2001, S. 352.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

cc) Gewerbemodelle Die Anwendungsbereiche der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der VO (EWG) Nr. 1612/68 sind hinsichtlich der Gewerbemodelle, bei denen es um den Erwerb eines Betriebsgrundstücks durch den Inhaber des Unternehmens geht, nicht einschlägig. Hier fehlt es in der Person des Erwerbers an der Eigenschaft als Arbeitnehmer. Dieser ist vielmehr selbständiger Unternehmer, der zur Errichtung oder Erweiterung seines Unternehmens ein Betriebsgrundstück erwerben möchte. Die Ansicht des EuGH, nach der sich grundsätzlich auch ein Unternehmer als Arbeitgeber auf Art. 39 EG berufen kann, ist aufgrund des speziell in Art. 43 EG geregelten Rechts auf freie Niederlassung abzulehnen.154 b) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG aa) Allgemeines Die Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit im EG-Vertrag bilden einen Teil der primärrechtlichen Vorschriften, die sich mit der Freizügigkeit von Personen befassen. Im Gegensatz zur Arbeitnehmerfreiheit geht es hier um die Freizügigkeit der Selbständigen, also der Freiberufler, Handwerker und sonstigen Gewerbetreibenden (Unternehmer).155 Auch Gesellschaften im Sinne des Art. 48 EG können sich auf Art. 43 EG (Art. III-137 VV) berufen, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet wurden und sich ihr satzungsgemäßer Sitz, ihre Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung innerhalb des EG-Wirtschaftsraums befindet. Sachlich setzt Art. 43 EG die Ausübung einer (wirtschaftlichen) Erwerbstätigkeit156 voraus, die selbständig157 und auf der Grundlage einer festen Einrichtung dauerhaft158 auf die Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates angelegt ist.159 154

Siehe 2. Teil D. II. 2. J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 43 Rdnr. 1; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 44. 156 Vgl. zum Begriff der Erwerbstätigkeit P. Troberg/J. Tiedje, in: v. d. Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 28 ff. 157 Zentraler Begriff für die Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreiheit gemäß Art. 39 EG ist die selbständige Tätigkeit. 158 Dieses Merkmal dient der Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EG. 159 J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 43 Rdnr. 10 ff.; siehe auch C. Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 10 Rdnr. 20 ff. 155

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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bb) Gewerbemodelle Einhellig anerkannt ist, daß der Niederlassungsfreiheit all diejenigen Vorschriften unterfallen, die sich speziell auf die Ausübung einer einschlägigen Berufstätigkeit beziehen. Die konkrete Verbundenheit der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit mit dem Recht auf Grunderwerb drückt Art. 44 Abs. 2 lit. e EG (Art. III-138 Abs. 2 lit. e VV) aus. Gemäß dieser Norm erfüllen der Rat und die Kommission die ihnen übertragenen Aufgaben, indem sie insbesondere „den Erwerb und die Nutzung von Grundbesitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch Angehörige eines anderen Mitgliedstaats ermöglichen“. Obgleich die Formulierung als Programmsatz verstanden werden könnte, läßt sich aus ihr eine grundsätzliche Entscheidung für die Freiheit des Grunderwerbs im Rahmen der Niederlassungsfreiheit ableiten.160 Der Regelungsgehalt der Norm ist klar: Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist eng verknüpft mit der Möglichkeit, Eigentum an Grund und Boden zu erwerben.161 Wer eine Niederlassung errichten will, ist daran interessiert, zu diesem Zweck ein Betriebsgrundstück zu kaufen. Die Pacht wird häufig unwirtschaftlich und unpraktikabel sein. Dieses Ergebnis entspricht auch der Sichtweise der Kommission. Auf eine schriftliche Anfrage, ob es Beschränkungen irgendwelcher Art gebe, Grundstücke für Büros, Werkstätten etc. in einem anderen Mitgliedstaat zu erwerben, antwortete die Kommission: „Durch den unmittelbar anwendbaren Art. 52 EWG-Vertrag (jetzt Art. 43 EG) sind Beschränkungen aller Art für den Erwerb von Grundstücken, die für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit bestimmt sind, in einem Mitgliedstaat (. . .) aufgehoben worden.“162 Der Erwerb von Gewerbebauland dient der Errichtung oder Erweiterung von Unternehmen und Produktionsstätten und steht damit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit.163 cc) Wohnraummodelle Bei den Wohnraumeinheimischenmodellen geht es hingegen nicht um das Recht, Bauland zu erwerben, das der Ausübung der Berufstätigkeit dienen soll. Insofern besteht kein funktionaler Zusammenhang zur Geschäftstätigkeit. Vielmehr dient der Erwerb des Grundstücks der (späteren) Nutzung als Privatwohnung und ist demnach also der Privatsphäre zuzuordnen. Klä160 P. Troberg/J. Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 44 Rdnr. 14, 19; J. Glöckner, EuR 2000, 592 (602). 161 P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 44 Rdnr. 15; W. Schweitzer/M. Hummer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 311. 162 ABl. EG 1984, Nr. C 213, S. 12 f. 163 Im Ergebnis bejahend A. Rohde, Freier Kapitalverkehr in der EG, 1997, S. 97.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

rung bedarf daher die Frage, ob die Wohnraummodelle überhaupt den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit tangieren. Nach Ansicht des EuGH unterfallen der Niederlassungsfreiheit „nicht allein die Vorschriften, die sich speziell auf die Ausübung der einschlägigen Berufstätigkeiten beziehen, sondern auch diejenigen, bei denen es um die verschiedenen, für die Ausübung dieser Tätigkeiten nützlichen allgemeinen Befugnisse geht“.164 Damit legt der EuGH nicht nur das Merkmal der Ausübung einer Erwerbstätigkeit weit aus,165 sondern schließt in den Anwendungsbereich des Art. 43 EG Maßnahmen ein, die sich auf die Ausübung der Erwerbstätigkeit nur mittelbar auswirken.166 Diese Ausweitung begründet der EuGH mit der Effektivität des Gemeinschaftsrechts.167 Insbesondere das Recht, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats Immobilien zu erwerben, zu nutzen und darüber zu verfügen, stelle die notwendige Ergänzung der Niederlassungsfreiheit dar.168 Bei einer natürlichen Person setze die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht nur den Zugang zu den Räumlichkeiten für die Ausübung dieser Tätigkeit voraus, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit eine private Wohnung zu beziehen.169 Die Möglichkeit Zugang zu vergünstigten Grundstücken zu erhalten, sei ein entscheidendes Mittel der Integration der selbständigen Berufstätigen und ihrer Familien in die Lebensverhältnisse des Aufnahmelandes und infolgedessen zur Verwirklichung des Ziels der Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt.170 Entsprechend diesen Ausführungen sei Inhalt der Niederlassungsfreiheit, daß in einem anderen Mitgliedstaat Grundstücke auch zu privaten Zwecken erworben, genutzt und über sie verfügt werden dürfe.171 164 EuGH, Slg. 1988, 29 (52 Rdnr. 14) – Kommission ./. Italien; siehe auch Slg. 1989, 1461 (1478 Rdnr. 21) – Kommission ./. Griechenland. 165 So wohl EuGH, Slg. 1985, 1819 (1827) – Steinhauser/Biarritz. 166 Zustimmend D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 94; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 49. 167 Vgl. als Beispiel EuGH, Slg. 1988, 29 (52 Rdnr. 12 f.) – Kommission ./. Italien. Vgl. auch GA f. G. Jakobs, SchlA, Slg. 1461 (1470 Nr. 8) – Kommission ./. Griechenland. 168 EuGH, Slg. 1989, 1461 (1478 f. Rdnr. 22) – Kommission ./. Griechenland. 169 EuGH, Slg. 1988, 29 (52 Rdnr. 15) – Kommission ./. Italien. 170 Vgl. bezüglich des Zugangs zu Sozialwohnungen GA J. L. Da Cruz Vilaca, SchlA, Slg. 1988, 29 (42 Nr. 46) – Kommission ./. Italien. 171 EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3131 Rdnr. 22) – Konle; Slg. 1989, 1461 (1478 f. Rdnr. 22) – Kommission ./. Griechenland. Zustimmend aus dem Schrifttum J. Glöckner, EuR 2000, 592 (602); J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV; 2002, Art. 44 Rdnr. 10; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 50; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 44; a. A. P. Troberg/J. Tiedje, in: v. d. Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV; 2003, Art. 44 Rdnr. 19, nach denen Art. 43 EG nur

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Das allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit172 hilft bei dieser Fragestellung nicht weiter. Es sieht den Abbau von Beschränkungen in bezug auf die Befugnis, unbewegliches Vermögen zu erwerben, zu nutzen oder darüber zu verfügen, nur für den Fall vor, daß diese ein normalerweise mit einer selbständigen Tätigkeit verbundenes Recht darstellt.173 Problematisch ist, daß der Grunderwerb zu privaten Wohnzwecken nicht „normalerweise“ mit einer selbständigen Tätigkeit verbunden ist. Grundstücke zur Errichtung des privaten Wohnsitzes sind in der Regel für den geschäftlichen Erfolg einer Niederlassung nicht unbedingt notwendig, da die Ertragsfähigkeit des Unternehmens nicht davon abhängt, ob der betreibende Unternehmer in einem eigenen Haus oder lediglich zu Miete wohnt. Angesichts der übrigen für die Zuteilung von Grundstücken aufgestellten Voraussetzungen können nur solche Selbständige betroffen sein, denen kleine oder allenfalls mittlere Unternehmen gehören, zumeist Inhaber von Einzelunternehmen oder Familienbetrieben, aber auch mitunternehmerisch tätige Personengesellschafter. Bei diesem Typ von Wirtschaftsteilnehmer ist die Trennwand zwischen beruflicher Tätigkeit und persönlichen wie familiären Lebensbedingungen, insbesondere Wohnverhältnissen ganz besonders dünn. Der soziale und wirtschaftliche Status dieser Berufstätigen nähert sich dem eines Arbeitnehmers. Bereits dieser Aspekt spricht für eine Gleichbehandlung. Eine andere Auslegung würde Selbständige im Verhältnis zu Arbeitnehmern entgegen den Zielen des EG-Vertrages benachteiligen.174 Von der Anerkennung des Rechts, unter den gleichen Voraussetzungen wie Inländer Zugang zu Wohnraummodellen zu erhalten, kann unter Umständen die Möglichkeit abhängen, die Niederlassung im Ausland beizubehalten. Gerade in Zeiten konjunktureller Schwierigkeiten, in denen der Unternehmer gezwungen sein mag, seine Ausgaben drastisch einzuschränken, kann ein vergünstigtes Grundstück durchaus der letzte Rettungsanker sein, um das Überleben eines kleinen Betriebes zu ermöglichen, sofern sich die Marktverhältnisse nicht bessern.175 Unter solchen Umständen verwischt die Grenze zwischen persönlichem Vermögen und Unternehmensvermögen derart, daß jeder Faktor, der ersteres beeinträchtigt, sich unmittelbar auf das Schicksal des Betriebs auswirken kann. Außerdem gestaleröffnet ist, wenn das betroffene Grundstück gewerblichen, nicht aber privaten Zwecken dient, da es um die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit geht, nicht aber um den Erwerb von Grundstücken schlechthin. 172 Vgl. ABl. EG 1962 Nr. 2, S. 36 vom 18.12.1961. 173 Abschnitt III/A lit. d des allgemeinen Programms. 174 H. Hörtenhuber, ZfRV 1995, 221 (224). 175 Vgl. GA J. L. da Cruz Vilaca, SchlA, Slg. 1988, 29 (43 Nr. 47) – Kommission ./. Italien; siehe auch K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 50.

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tet sich eine klare Unterscheidung von Betriebsgrundstücken und privat genutztem Eigentum in der Praxis nicht selten als undurchführbar. Oft wird ein Grundstück teilweise geschäftlich und teilweise privat genutzt. In diesen Fällen fällt der Grundstückserwerb selbstverständlich unter Art. 43 EG.176 Dennoch ist zu beachten, daß es vorliegend um die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit geht und nicht um den Grundstückserwerb schlechthin. Der private Grunderwerb unterfällt nur dann dem Anwendungsbereich des Art. 43 EG, wenn er im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht.177 Eine rein private Verlegung des Wohnsitzes reicht nicht aus, um sich auf die Freiheit berufen zu können.178 Das Recht auf Erwerb von Grundstücken zu privaten Wohnzwecken besteht in der Regel für diejenigen Selbständigen, die eine Hauptniederlassung im Aufenthaltsstaat errichten. Es kann sich aber auch auf Selbständige erstrecken, die im betreffenden Mitgliedstaat lediglich eine Zweit- oder Sekundärniederlassung begründen und gleichzeitig ihre Hauptniederlassung im Herkunftsstaat beibehalten.179 Hier kommt es jeweils darauf an, ob die berufliche Tätigkeit am Ort der Sekundärniederlassung, also etwa bei der Filiale eines Unternehmens, soviel Zeit in Anspruch nimmt, daß ein Wohnsitz benötigt wird.180 Wenn die Niederlassungsfreiheit grenzüberschreitende Investitionen fördern soll und wenn sie ein Grundpfeiler der Herstellung eines Binnenmarktes ist, dann muß für ihre Ausübung der notwendige Anreiz geschaffen werden. Ein solcher Anreiz kann durchaus auch in der Möglichkeit bestehen, sich am Ort der Niederlassung privates Grundeigentum schaffen zu können.181 Mit Blick auf den effet utile des Gemeinschaftsrechts ist daher der Ansicht des EuGH zuzustimmen. Als Ergebnis ist somit festzustellen, daß für den Erwerb von Privatgrundstücken zu Wohnzwecken unter den genannten Voraussetzungen der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist.182 Art. 43 EG schützt dabei nicht nur die Gleichbehandlung im Hinblick auf den Zugang zu den Grundstücken, sondern auch hinsichtlich der Inan176

Vgl. W. Hummer/M. Schweitzer, Ausverkauf Österreichs?, 1990, S. 159. Vgl. auch D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 44. 178 J. Glöckner, EuR 2000, 592 (602). 179 Vgl. R. Schmidjell, Einschränkungen der Freiheit des Grundverkehrs in der EG, 1992, S. 11; M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (531). 180 Vgl. EuGH, Slg. 1988, 29 (53) – Kommission ./. Italien. 181 So W. Hummer/M. Schweitzer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 312. 182 Im Ergebnis ebenso H. Hörtenhuber, ZfRV 1995, 221 (224); W. Hummer/M. Schweitzer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 312; dies., Ausverkauf Österreichs?, 1990, S. 159; a. A. A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 44 Rdnr. 28; P. Troberg/J. Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 44 Rdnr. 14, 19. 177

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spruchnahme der verschiedenen Vergünstigungen, die den eigenen Staatsangehörigen zur Milderung der damit verbundenen finanziellen Belastungen gewährt werden.183 c) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG aa) Allgemeines Die Dienstleistungsfreiheit ergänzt und vervollständigt den Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit im Binnenmarkt.184 Sie umfaßt für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten und Gesellschaften im Sinne des Art. 48 Abs. 2 EG das Recht, zeitlich begrenzte, in grenzüberschreitender Weise gegen Entgelt erbrachte Leistungen vor allem im gewerblichen, kaufmännischen, handwerklichen und freiberuflichen Bereich185 zu tätigen.186 Dabei werden alle für die Dienstleistungserbringung erforderlichen Handlungen und Maßnahmen umfaßt.187 bb) Gewerbemodelle Weder das primäre noch das sekundäre Gemeinschaftsrecht bezogen auf die Dienstleistungsfreiheit enthalten eine ausdrücklich einschlägige Regelung. Allerdings könnte man aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit argumentieren, daß das bei der Niederlassungsfreiheit geregelte Recht zum Grunderwerb auch für den Bereich der Dienstleistungsfreiheit gilt. Dem ist jedoch aus systematischen Gründen zu widersprechen. Art. 55 EG (Art. III-150 VV) erklärt lediglich die Art. 45 bis 48 EG (Art. III-139 ff. VV) als auf die Dienstleistungsfreiheit anwendbar. Damit spart er aber Art. 44 Abs. 2 lit. e EG aus, so daß sich der dort geäußerte Zusammenhang zwischen Grunderwerb und Niederlassungsfreiheit nicht auf die Dienstleistungsfreiheit erstreckt. Im Zuge der teleologischen Auslegung stellt sich jedoch die Frage, ob es zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit notwendig ist, daß der EG-Ausländer ein Grunderwerbsrecht besitzt. Dieser Ansatzpunkt liegt auch dem allgemeinen Programm zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungs183 Vgl. EuGH, Slg. 1988, 29 (53 Rdnr. 16) – Kommission ./. Italien, bezüglich der Vergünstigungen bei Sozialwohnungen. 184 W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 50 Rdnr. 1. 185 Zum Begriff der Dienstleistung vgl. nur E. Pache, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 11 Rdnr. 20. 186 Vgl. H. Hörtenhuber, ZfVR 1995, 221 (225). 187 W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 50 Rdnr. 26.

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verkehrs vom 18.12.1961188 zu Grunde. Dieses enthält zwar keine unmittelbar anwendbaren Vorschriften. Dennoch kommt ihm eine Klarstellungsund Auslegungsfunktion für das Gemeinschaftsrecht zu.189 Zu den dort in Abschnitt III Buchstabe a Absatz 3 Buchstabe e genannten Beispielen gehört auch die Befugnis, Immobilien und Rechte daran zu erwerben, zu nutzen oder darüber zu verfügen, sofern diese normalerweise mit der Erbringung von Dienstleistungen verbunden sind. Dies ist sicher nicht der Fall, wenn lediglich die Leistung die Grenze überschreitet oder der Leistungsempfänger zum Leistenden kommt.190 Es kann sich demnach nur um Fälle der sogenannten aktiven Dienstleistungsfreiheit191 handeln, in denen sich wie vorliegend ein Leistender zur Erbringung der Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat begibt.192 Dann stellt sich die Frage, ob der Grunderwerb zur Errichtung einer festen Betriebsstätte mit der Erbringung der Dienstleistung normalerweise verbunden ist193 oder, wie es der EuGH ausdrückt, ob „dies der effektiven Ausübung der Dienstleistungsfreiheit dient“.194 Auf die Notwendigkeit des Grunderwerbs kann es nicht ankommen. Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Dienstleistenden. Er genügt ihr indes, wenn er nachweisen kann, daß der Grunderwerb im Zusammenhang mit der von ihm erbrachten Dienstleistung steht und ihre Erbringung fördert oder erleichtert.195 So kann es für den Dienstleistenden wirtschaftlich sinnvoll sein, vor Ort eine Produktionsstätte oder ein Büro zu errichten und für dieses Vorhaben ein Betriebsgrundstück zu erwerben. Bei längerfristigen Dienstleistungserbringungen können gegenüber der Anmietung von Räumen gegebenenfalls Kosten erspart werden. Demnach folgt aus der Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich auch die Freiheit des Erwerbs eines Betriebsgrundstücks.196 Dennoch wird schon in der Mehrzahl der Fälle des Liegenschaftserwerbs die Erforderlichkeit für den Betriebszweck zu verneinen sein.197 Zudem ist im Rahmen der Gewerbemodelle die Besonderheit zu berücksichtigen, daß sich der Erwerber verpflichtet, längerfri188

ABl. EG 1962, S. 32. W. Hummer/M. Schweitzer, Ausverkauf Österreichs?, 1990, S. 170. 190 W. Hummer/M. Schweitzer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 314. 191 Vgl. hierzu R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 50 Rdnr. 6. 192 H. Hörtenhuber, ZfVR 1995, 221 (225). 193 R. Schmidjell, Einschränkungen der Freiheit des Grundverkehrs in der EG, 1992, S. 13; vgl. auch J. Glöckner, EuR 2000, 592 (603); M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553). 194 EuGH, Slg. 1989, 1461 (1479) – Kommission ./. Griechenland. 195 J. Glöckner, EuR 2000, 592 (604). 196 W. Hummer/M. Schweitzer, Ausverkauf Österreichs?, 1990, S. 170. 197 W. Hummer/M. Schweitzer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 315. 189

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stig seine Betriebstätte zu unterhalten. Aus diesem Grund besteht für den ausländischen Unternehmer kein Interesse an einer Antragsberechtigung, da er nach Beendigung der Erbringung der Dienstleistung das Grundstück in der Regel wieder veräußern möchte. Ansonsten handelt es sich im übrigen nicht mehr um einen vorübergehenden Aufenthalt und würde daher der Niederlassungsfreiheit zugeordnet. Zudem wird der Ortsfremde in diesem Punkt gleich einem einheimischen Unternehmen behandelt. Im Ergebnis ist aufgrund der genannten Einschränkung der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit für den Grunderwerb im Rahmen von Gewerbemodellen nicht eröffnet. Gleichwohl könnte die Klausel der längerfristigen Bindung Art. 49 Abs. 1 EG in seiner Komponente als Freiheitsrecht tangieren.198 Vereinzelt wurde der Versuch unternommen, in weitergehendem Umfang den Erwerb von Immobilien mit der Dienstleistungsfreiheit in Verbindung zu bringen. Generalanwalt Geelhoed argumentiert in seinen Schlußanträgen in der Rechtssache Reisch199 dahingehend, der Erwerb eines Grundstückes habe eine Vielzahl von Dienstleistungen zur Folge. Diese würden gegenüber dem Erwerber erbracht.200 Die Auffassung des Generalanwalts ist abzulehnen. Daß der Erwerb Dienstleistungen zur Folge hat, ist kein hinreichender Grund dafür, den Eigentumserwerb selbst als Gegenstand der Dienstleistungsfreiheit zu qualifizieren.201 cc) Wohnraummodelle Die Anwendbarkeit des Art. 49 Abs. 1 EG hinsichtlich der Wohnraummodelle ist aus zwei Gründen zu verneinen. Erstens müßte der Erwerb von Bauland der effektiven Erbringung der Dienstleistung dienen.202 Da diese Voraussetzung bereits beim Erwerb eines Betriebsgrundstückes zumeist nicht gegeben ist, besteht sie erst Recht nicht im Hinblick auf den privaten Kauf von Bauland.203 Zweitens ist das Wohnraummodell für den EG-Ausländer im Falle der Dienstleistungserbringung aufgrund der längerfristigen Bindung, wobei der Zeitraum meist zwischen zehn und zwanzig Jahren beträgt, nicht von Interesse.204 198 Sofern eine Beeinträchtigung bejaht werden sollte, können die Ausführungen im 4./5. Teil zur Rechtfertigung herangezogen werden. 199 GA L. A. Geelhoed, SchlA, Slg. 2002, I-2161 (2167 Nr. 31) – Reisch. 200 So beispielsweise bei dem Bau des Wohnhauses. 201 Vgl. auch S. Lange, EWS 2004, 389 (391). 202 So auch M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (532). 203 Ebenso W. Hummer/M. Schweitzer, Ausverkauf Österreichs?, 1990, S. 172. 204 Eine solche Klausel könnte einen eigenständigen Verstoß gegen die Grundfreiheiten beinhalten, da sie den Erwerber daran hindert, von seinen Grundfreiheiten Gebrauch zu machen.

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d) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG Die Warenverkehrsfreiheit ist generell nicht für den Handel mit Grundstücken und damit weder für den gewerblichen noch für den privaten Grundstückserwerb einschlägig. Grund dafür ist die Anknüpfung des Art. 28 EG (Art. III-153 VV) an die Bewegung der Ware über die Grenze.205 Grundstücke können ihrer Natur nach jedoch weder im- noch exportiert werden. Nach der Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Art. 28 EG durch die Dassonville-Rechtsprechung mag der Ausschluß auf den ersten Blick zweifelhaft erscheinen. Zweck der Warenverkehrsfreiheit ist die Öffnung der nationalen Märkte und die damit verbundene Förderung des Wettbewerbs im Interesse der Abnehmer. Dieser Zweck verlangt indes nicht die völlige Freigabe des Handelns mit Immobilien. Grundstücke werden durch ihre Lage wesensmäßig beschrieben. Sie sind lediglich eingeschränkt substituierbar und konkurrieren deshalb nur in geringem Umfang. Die Handelbarkeit von Grundstücken in einem Mitgliedstaat berührt die Preisentwicklung in einem anderen Mitgliedstaat nur unwesentlich. e) Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 Abs. 1 EG aa) Einheimischenmodelle Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs ist neben der Freiheit des Waren-, Personen- und Dienstleistungsverkehrs ein wesentlicher Bestandteil des im Binnenmarkt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. c EG zu verwirklichenden Konzepts der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Spätestens seit der Änderung des EWG-Vertrags durch den Vertrag von Maastricht ist die Kapitalverkehrsfreiheit keine angehängte „Hilfsfreiheit“ mehr, so daß der Anwendungsbereich des Art. 56 Abs. 1 EG (Art. III-156 VV) unabhängig von den übrigen Grundfreiheiten eröffnet sein kann.206 Um den Geltungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit abzustecken, ist zunächst zu klären, was „Kapitalverkehr“ ist. Allgemein wird unter diesem Begriff die Werteübertragung in Form von Sach- und Geldkapital, die regelmäßig zugleich eine Vermögensanlage darstellt, verstanden.207 Die Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG208 enthält eine nicht abschließende Nomen205

J. Glöckner, EuR 2000, 592 (595). Siehe J. Bröhmer, in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 56 Rdnr. 1; A. Knapp, EWS 1999, 409 (412). 207 A. Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 56 Rdnr. 7; P. v. Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 2; R. Freitag, EWS 1997, 186 (187); siehe auch EuGH, Slg 1984, 377 (404 Rdnr. 21) – Luigi & Carbone. 206

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klatur209 von Kapitalverkehrstransaktionen. Diese ist zwar vor der Einfügung des heutigen Art. 56 EG in den Vertrag erlassen worden und besitzt daher streng genommen keine Geltung mehr. Dennoch kommt der Aufzählung im Anhang der Richtlinie Hinweischarakter für die Definition des Begriffes zu und dient daher nach wie vor als Instrument zur Erfassung und Klassifizierung des Kapitalverkehrs.210 Dem Anhang I Buchstabe d der Nomenklatur zufolge fallen unter den Kapitalverkehr auch Immobilieninvestitionen, die als „Kauf von bebauten und unbebauten Grundstücken sowie der Bau von Gebäuden zu Erwerbszwecken oder persönlichen Zwecken durch Privatpersonen“ definiert werden. Demnach begründet die Kapitalverkehrsfreiheit nach überwiegender Lehrmeinung211, der sich auch der EuGH212 angeschlossen hat, ein umfassendes Grunderwerbsrecht, unabhängig von der Art und Weise der geplanten Nutzung. Nach der Rechtsprechung des EuGH gilt dies zutreffend auch dann, wenn der Immobilienerwerb zum Zwecke des eigenen Wohnens erfolgt.213 Der Anwendungsbereich ist auch aufgrund einer weiteren Überlegung eröffnet. Im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen werden Kaufpreisverpflichtungen eingegangen, die anschließend beglichen werden müssen. Der Anknüpfungspunkt der Freiheitsgewährung ist zwar grundsätzlich nicht die Bewegung der Vergütung. Im Urteil Luisi & Carbone hat der EuGH bereits 1984 klargestellt, daß der Transfer der zur Betätigung der Grundfreiheiten erforderlichen Beträge nicht von der Kapitalverkehrsfreiheit, sondern als Annex von den jeweiligen Grundfreiheiten selbst getragen wird.214 Vorliegend gilt allerdings die Besonderheit, daß die einem Grundstückserwerb zugrunde liegende Kapitaltransaktion einen komplexeren Charakter als diejenige beim Erwerb beweglicher Sachen besitzt. Erstens wird der Erwerb eines Grundstücks oft fremd finanziert und dazu eine Hypothek aufgenom208 RL 88/361/EWG des Rates vom 24.6.1988 zur Durchführung von Art. 67 des Vertrages, ABl. EG 1988, Nr. L 178, S. 5. 209 So auch M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (525). 210 So EuGH, Slg. 1999, I-1661 (1678 Rdnr. 21) – Trummer und Mayer; Slg. 2001, I-173 (197 Rdnr. 5) – Stefan; zustimmend auch A. Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 56 Rdnr. 7. 211 A. Honrath, Umfang und Grenzen der Freiheit des Kapitalverkehrs, 1998, S. 131; C. Hammerl/H. Sippel, RIW 1992, 883 (884 f.); H. Hörtenhuber, ZfVR 1995, 221 (225); M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (525), will demgegenüber verlangen, daß der Anlagezweck gegenüber einem bestimmten Nutzungszweck im Vordergrund stehen muß. 212 EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3131 Rdnr. 22) – Konle; Slg. 2000, I-5965 (6001 Rdnr. 14) – Albore; Slg. 2002 (2204 Rdnr. 30) – Reisch u. a. 213 Vgl. EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3128 Rdnr. 16) – Konle; dagegen C. Ohler, WM 1996, 1801 (1803 f.). 214 EuGH, Slg. 1984, 377 (404 Rdnr. 22) – Luisi & Carbone; zustimmend auch J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 56 Rdnr. 24.

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men.215 Zweitens enthält jeder Grundstückserwerb aus diesem Grund ein Anlageelement. Demzufolge sind die im Rahmen der Wohnraum- und Gewerbeeinheimischenmodelle getätigten Grundstückskäufe unproblematisch unter den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 Abs. 1 EG zu fassen.216 bb) Verhältnis zu den einschlägigen Grundfreiheiten Da vorliegend regelmäßig der Kapitalverkehr der Errichtung oder dem Betrieb einer Niederlassung oder den privaten Wohnzwecken eines Arbeitnehmers oder Selbständigen dient, würde neben der Kapitalverkehrsfreiheit auch die Gewährleistung der freien Niederlassung beziehungsweise die Arbeitnehmerfreizügigkeit eingreifen.217 Fraglich ist, ob die jeweils tatbestandlich einschlägigen Grundfreiheiten auf den hier in Rede stehenden Sachverhalt kumulativ oder exklusiv anzuwenden sind. Zunächst spricht das zu den anderen Grundfreiheiten vorgefundene Ergebnis dafür, auch in diesem Fall von einem Exklusivitätsverständnis des Vertrages auszugehen.218 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist in bezug auf diese Frage uneinheitlich. So spricht der EuGH einerseits von einem gegenseitigen Ausschluß der Grundfreiheiten.219 Andererseits führt er nicht selten ohne genaue Abgrenzung mehrere in Betracht kommende Grundfreiheiten kumulativ an.220 Mitunter läßt der Gerichtshof auch die anzuwendende Grundfreiheit offen.221 Zwei für die Frage der Einordnung von Grunderwerb in die Kapitalverkehrs- beziehungsweise Niederlassungsfreiheit relevante Entscheidungen sollen im folgenden genannt werden. In der Albore-Entscheidung erachtete der EuGH eine italienische Bestimmung, wonach nur Ausländer einer Genehmigung für den Erwerb eines Grundstücks in einem Gebiet von militäri215 Vgl. GA L. A. Geelhoed, SchlA, Slg. 2002, I-2157 (2177 Nr. 73) – Reisch u. a.; siehe auch EuGH, Slg. 1999, I-1661 (1679 Rdnr. 23) – Trummer und Mayer. 216 Vgl. auch D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 45. 217 Aus der Rechtsprechung siehe zum Beispiel EuGH, Slg. 1995, I-3955 (3977 f. Rdnr. 19 f.) – Svensson hinsichtlich der parallelen Anwendung von Art. 56 EG und Art. 49 EG. 218 So C. Ohler, WM 1996, 1801 (1802 f.); ausführlich zu allen Grundfreiheiten R. Freitag, EWS 1997, 186 (188 ff.); M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (528); A. Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 56 Rdnr. 11 ff. 219 Vgl. EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4193 f. Rdnr. 19 ff.) – Gebhard. 220 Vgl. EuGH, Slg. 1998, I-2133 (2144 Rdnr. 11) – Kommission ./. Deutschland; Slg. 1999, I-11 (29 Rdnr. 18) – Calfa. 221 Vgl. EuGH, Slg. 1978, 2293 (2302 f. Rdnr. 8 f.) – Choquet; Slg. 1992, 3351 (3383 ff. Rdnr. 23 ff.) – Ramrath; siehe auch EuGH, Slg. 1991, I-273 (293 Rdnr. 23) – Roux.

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scher Bedeutung bedurften, für unvereinbar mit der Kapitalverkehrsfreiheit und hielt wegen dieses Ergebnisses eine Prüfung der Fragen nach der Auslegung der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit für überflüssig.222 Im Urteil Konle betonte der EuGH, daß die gegenständlichen österreichischen Regelungen zum Grundstückserwerb sowohl am Maßstab der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit, als auch am Maßstab der Vorschriften über die Kapitalverkehrsfreiheit zu messen seien.223 Die Besonderheit des Falles lag darin, daß der Kläger in dem grundverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren versichert hatte, die Kaufimmobilie nicht als Freizeitimmobilie, sondern als Hauptwohnsitz nutzen zu wollen, um von dort aus eine kaufmännische Tätigkeit zu betreiben.224 Dieser dezidiert niederlassungsrechtliche Aspekt hinderte die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit jedoch nicht. Die vorgestellte Rechtsprechung des EuGH deutet auf eine kumulative Anwendung der Grundfreiheiten. Insbesondere die KonleEntscheidung zeigt in diese Richtung.225 Es ist dennoch nicht erstaunlich, daß sich in der Literatur unterschiedliche Meinungen bezüglich des Verhältnisses von Kapitalverkehrsfreiheit auf der einen Seite und Arbeitnehmer- oder Niederlassungsfreiheit auf der anderen Seite gebildet haben, die jeweils als Beleg für ihre Ansicht ein entsprechendes EuGH-Urteil vorweisen können. Als Grundrichtungen lassen sich, wie bereits angesprochen, die Vertreter der kumulativen Anwendbarkeit und die Anhänger der exklusiven Lehre unterscheiden. Um die Exklusivität einer Grundfreiheit herzustellen, plädiert die zuletzt genannte Auffassung226 dafür, den Grundfreiheitsschutz auf eine Grundfreiheit zu lenken und die andere(n) einschlägige Grundfreiheit zurücktreten zu lassen. Schwierigkeiten bereitet es jedoch, aus den berührten Grundfreiheiten diejenige auszuwählen, der der Vorrang gebühren soll. Als Beispiel mag zunächst das Zusammentreffen von Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit dienen. Zu diesem kommt es, wenn ein Unternehmer eine selbständige Tätigkeit ausübt und hierfür ein Grundstück erwirbt. Die Vertreter der kumulativen Anwendung unterstellen diesen Vermögenserwerb unproblematisch sowohl dem Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit als auch der Niederlassungsfreiheit.227 Von den Vertretern einer Exklusivität werden 222

EuGH, Slg. 2000, I-5965 (6001 Rdnr. 14, 6004 Rdnr. 25) – Albore. EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3131 Rdnr. 22) – Konle. 224 EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3128 Rdnr. 16) – Konle. 225 So auch J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 56 Rdnr. 22; a. A. A. Fischer, ZEuS 2000, 391 (400 f.), die jedoch übersieht, daß der EuGH einen Verstoß gegen Art. 56 EG festgestellt hat und aus diesem Grund nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit, deren Anwendungsbereich er als eröffnet ansah, einging. 226 Vgl. A. Fischer, ZEuS 2000, 391 (400 f.); R. Freitag, EWS 1997, 186 (188). 223

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

dagegen unterschiedliche Lösungen vorgeschlagen. Nach dem einen Teil genießt die Niederlassungsfreiheit prinzipiell Vorrang vor der Kapitalverkehrsfreiheit.228 Der andere Teil will der Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich den Vorrang gegenüber der Niederlassungsfreiheit einräumen.229 Andere Autoren wiederum ziehen zur Abgrenzung den Zweck und Inhalt einer grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Betätigung heran.230 Art. 43 Abs. 2 EG normiert, daß die Niederlassungsfreiheit vorbehaltlich der Vorschriften über die Kapitalverkehrsfreiheit zur Anwendung kommt. Dieser gleiche Vorrang wird jedoch der Niederlassungsfreiheit in einer Art Spiegelbild durch Art. 58 Abs. 2 EG gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit eingeräumt. Diese nur schwer miteinander zu vereinbarenden Zirkelverweisungen sollten nicht so verstanden werden, daß sie die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit von der Kapitalverkehrsfreiheit abzugrenzen versuchen. Beide Grundfreiheiten verpflichten zur Liberalisierung der von ihnen erfaßten wirtschaftlichen Vorgänge. Die Kreuzverweise bewirken also keine Einschränkung des jeweiligen Anwendungsbereiches, nur weil ein wirtschaftlicher Vorgang abstrakt auch in den Bereich der jeweils anderen Grundfreiheit zu fallen vermag.231 Mit ähnlichen Problemen sieht sich die Exklusivitätslehre konfrontiert, wenn Kapitalverkehrsfreiheit und Arbeitnehmerfreiheit zusammentreffen, beispielsweise bei dem Grundstückserwerb durch einen Wanderarbeitnehmer. Für die Zuweisung der Transaktion zu einer einzigen Grundfreiheit sind die Motive des Wanderarbeitnehmers maßgeblich.232 Nach diesem Ansatz würde die Arbeitnehmerfreizügigkeit die Regelung des freien Kapitalverkehrs dort verdrängen, wo der Immobilienerwerb vor allem zum Zweck des eigenen Wohnens geplant ist. Steht dagegen der Anlagecharakter eines Geschäfts im Vordergrund, ist allein auf die Kapitalverkehrsfreiheit abzustellen.233 Diese Differenzierung ist weder sinnvoll noch durchführbar, weil sich die genannten Erwerbszwecke nicht gegenseitig ausschließen, sondern gleichzeitig verfolgt werden können.234 Überdies 227 P. v. Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 3. 228 Vgl. R. Freitag, EWS 1997, 186 (191); C. Ohler, WM 1996, 1801 (1804). 229 G. Ress/J. Ukrow, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 58 Rdnr. 16; S. Weber, EuZW 1992, 561 (564). 230 Vgl. M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (529); ebenso A. Fischer, ZEuS 2000, 391 (402), im Hinblick auf Direktinvestitionen. 231 M. Sedlaczek, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 56 Rdnr. 11. 232 So C. Ohler, WM 1996, 1801 (1803 f.); vgl. auch M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (529). 233 Vgl. R. Freitag, EWS 1997, 186 (189); A. Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 56 Rdnr. 15. Ähnlich auch GA L. A. Geelhoed, SchlA, Slg. 2002, 2157 (2174 ff. Nr. 59 ff.) – Reisch u. a. für das Zusammentreffen von Kapitalverkehr und Dienstleistungserbringung.

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kann der Immobilienerwerb aufgrund der über Jahrzehnte andauernden und international feststellbaren Tendenz der Wertsteigerung von Grundeigentum als latent investiv betrachtet werden.235 Eine Abgrenzung nach dem individuell (schwerpunktmäßig) verfolgten Zweck würde daher die Rechtssicherheit unzumutbar beeinträchtigen.236 Die Auffassung, auf eine Transaktion könne nur eine einzige Grundfreiheit Anwendung finden, begründet ihre Ansicht mit der Verhinderung von Wertungswidersprüchen auf Eingriffstatbestands- und Rechtfertigungsebene.237 Die Entstehung von Wertungswidersprüchen bei der kumulativen Anwendung ist allerdings nicht nachvollziehbar. Nach der hier vertretenen Ansicht sind alle Grundfreiheiten auch als Beschränkungsverbote aufzufassen.238 Wie noch aufzuzeigen sein wird, besteht auf der Rechtfertigungsebene ebenfalls eine Konvergenz der Grundfreiheiten. Sollte dennoch der Fall eintreten, daß eine Grundfreiheit tatbestandlich weiter reicht, so ist es die Konsequenz der kumulativen Anwendung, daß sich deren Schutzumfang durchsetzt.239 Nationale Bestimmungen über den Grundverkehr haben den europarechtlichen Anforderungen in jeder Hinsicht zu genügen.240 Daher ist auch im Hinblick auf die verschiedenen Normzwecke241 von einer Janusköpfigkeit242 auszugehen. Das bedeutet, daß in den vorliegenden Fällen, in denen eine Kapitalbewegung, also der Grunderwerb, mit einer Niederlassung oder einer Arbeitsleistung einhergeht, zusätzlich zur jeweils berührten Grundfreiheit auch die Kapitalverkehrsfreiheit Anwendung findet.243 234

P. v. Willmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 3. 235 J. Glöckner, EuR 2000, 592 (608). 236 So auch S. Weber, EuZW 1992, 561 (564): „nicht sachgerecht“. 237 Vgl. C. Ohler, WM 1996, 1801 (1803); M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (528 f.). 238 Vgl. oben 2. Teil D. VIII. 2. 239 P. v. Willmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 3; J. Glöckner, EuR 2000, 592 (606). 240 A. Knapp, EWS 1999, 409 (411); vgl. auch EuGH, Slg. 1999, 3099 (3131 Rdnr. 22) – Konle. 241 P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 332. 242 A. Rohde, Freier Kapitalverkehr in der EG, 1997, S. 97. 243 Im Ergebnis ebenso EuGH, Slg. 1995, 3955 (3975 Rdnr. 10 f.) – Svensson; S. Weber, EuZW 1992, 561 (564 f.); R. Weber, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Vorbemerkung zu Art. 56–60 Rdnr. 11 f.; A. Glaesner, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 56 Rdnr. 8; ähnlich A. Honrath, Umfang und Grenzen der Freiheit des Kapitalverkehrs, 1998, S. 109 ff.; A. Knapp, EWS 1999, 409 (411); J. Glöckner, EuR 2000, 592 (608); P. v. Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 3; differenzierend R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 764 ff.; vgl. ausführlich J. Bröhmer, in: Cal-

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f) Allgemeines Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 18 Abs. 1 EG aa) Bedeutung und Zweck Die Gewährleistung der Feizügigkeit im Binnenraum ist für die Verfassung und das Selbstverständnis der Gemeinschaft und des Unionsbürgerstatus von grundlegender Bedeutung,244 da sich darin die Reichweite der Integration in einer für jeden einzelnen Unionsbürger245 erfahrbaren Dimension widerspiegelt. Aufbauend auf den langjährigen Bemühungen, ein Europa der Bürger246 zu schaffen, gewährleistet nunmehr Art. 18 EG (Art. I-10, III-125 VV)247 den Unionsbürgern ein allgemeines Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt in der Europäischen Gemeinschaft unabhängig von einer wirtschaftlichen Betätigung.248 Dieses Recht ergibt sich unmittelbar aus dem Status der Unionsbürgerschaft, nicht mehr wie bei den wirtschaftlichen Grundfreiheiten aus der Funktion zur Förderung der wirtschaftlichen Integration der Europäischen Gemeinschaft. Es geht damit über die bisherige Rechtslage qualitativ und nicht nur symbolisch hinaus.249 bb) Unmittelbare Anwendbarkeit Der mit Einführung dieser Bestimmung ausgebrochene Streit über die unmittelbare Anwendbarkeit ist inzwischen weitgehend beigelegt worden. Die Rechtsprechung250, die diese Frage anfangs bewußt umgangen hatte,251 und liess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 56 Rdnr. 14 ff.; M. Sedlaczek, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Rdnr. 11 ff. für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. 244 Siehe zweiter Bericht der Kommission über die Unionsbürgerschaft vom 27.5.1997 KOM (97) 230 endg., S. 29: „wichtigstes Merkmal“. 245 Zu Begriff und Funktion der Unionsbürgerschaft siehe M. Haag, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 17 Rdnr. 5 f. 246 Vgl. ABl. EG 1977, Nr. C 299, S. 26. 247 Der Maastrichter Vertrag normierte mit Wirkung ab dem 1.1.1993 im unmittelbaren Anschluß an die Einführung der Unionsbürgerschaft für alle Angehörigen der EG-Mitgliedstaaten die Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit dieser Unionsbürger in Art. 8 a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 18 EG). Zur Entstehungsgeschichte des Art. 18 EG vgl. nur D. H. Scheuing, EuR 2003, 744 (757 ff.). 248 W. Kaufmann-Bühler, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 1. 249 EuGH, Slg. 2002, I-7091 (7166 Rdnr. 84) – Baumbast; ebenso S. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 9. 250 EuGH, Slg. 2002, I-7091 (7166 Rdnr. 84 ff.) – Baumbast; zustimmend S. Bode, EuZW 2002, 767 (768). In diese Richtung bereits EuGH, Slg. 2000, I-2623 (Rdnr. 30) – Kaba; Slg. 2000, I-9265 (9297 Rdnr. 23) – Yiadom; EuGH, DVBl. 2005, 630 (632 Rdnr. 31) – Trojani/CPAS.

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auch die überwiegende Meinung in der Literatur252 gehen davon aus, daß die Norm nicht nur einen Gesetzgebungsauftrag, sondern ein unmittelbar anwendbares und einklagbares Individualrecht enthält. Für diese zutreffende Sichtweise spricht insbesondere der Wortlaut des Art. 18 EG (Art. I-10 VV). Dort ist in Absatz 1 klar von der Innehabung des allgemeinen Freizügigkeitsrechts durch die Unionsbürger und nicht etwa nur von einem Anspruch der Unionsbürger auf dessen Einräumung durch das Sekundärrecht die Rede.253 Zudem setzt die innere Systematik, die in Absatz 1 den Erlaß von Beschränkungen und Bedingungen mittels Durchführungsvorschriften und in Absatz 2 den Erlaß von Vorschriften zuläßt, die die Ausübung der Rechte erleichtern, die subjektive Gewährleistung voraus.254 Schließlich wäre die praktische Wirksamkeit des Art. 18 Abs. 1 EG auf einen rein symbolischen Gehalt reduziert, wenn das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht lediglich nach Maßgabe des Sekundärrechts bestehen würde.255 cc) Verpflichtete Die Regelung richtet sich in erster Linie gegen die Mitgliedstaaten, bindet aber auch die Gemeinschaftsorgane, soweit diese berufen sind, Beschränkungen und Durchführungsvorschriften zu erlassen.256 Ein Unions251 Offen gelassen in EuGH, Slg. 1998, I-2691 (2725 Rdnr. 60) – Martínez Sala; Slg. 1998, I-7637 (7655 Rdnr. 15) – Bickel und Franz; vgl. ferner EuGH, Slg. 1999, I-11 (32 Rdnr. 30) – Calfa. 252 A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 341 ff., 347; S. Kadelbach, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 553; M. Soria, JZ 2002, 643 (647); R. Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207); U. Becker, EuR 1999, 522 (528 f.); E. Klein/A. Haratsch, JuS 1995, 7 (11 f.); W. Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 2002, Art 18 Rdnr. 9; A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 Rdnr. 5; S. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 11. Ablehnend M. Degen, DÖV 1993, 749 (752); W. Kaufmann-Bühler, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 1. Die Autoren, die eine unmittelbare Anwendbarkeit ablehnen, unterstellen die Regelung einem Ausgestaltungsvorbehalt durch sekundäres Gemeinschaftsrecht. Begründet wird dies unter anderem mit dem historischen Willen der Regierungskonferenz, vgl. M. Degen, DÖV 1993, 749 (753 Fn. 19). 253 Auch Absatz 2 ist anzuführen, der zu Regelungen ermächtigt, mit denen die Ausübung „der Rechte nach Absatz 1“ erleichtert werden. Ausführliche Begründung bei D. H. Scheuing, EuR 2003, 744 (759 ff.); siehe auch A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 Rdnr. 5. 254 W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 9. 255 M. Soria, JZ 2002, 643 (647); K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2060). 256 W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 8. Völlig offen ist dagegen, ob zumindest Privatrechtsvereinigungen, die eine soziale Machtstellung innehaben (intermediäre Gewalten), an Art. 18 Abs. 1 EG gebunden sind.

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bürger kann sich analog der Grundfreiheiten nicht gegen seinen eigenen Mitgliedstaat wenden, wenn es sich um rein interne Sachverhalte handelt, die keinerlei Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweisen.257 Die Unionsbürgerschaft darf insoweit nicht den sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages ausweiten. Es wäre widersprüchlich, wenn Art. 18 EG als die subsidiäre Gewährleistung258 mehr Schutz böte als die wirtschaftlichen Grundfreiheiten.259 dd) Herleitung des Inländergleichbehandlungsgebots Art. 18 Abs. 1 EG sieht vor, daß sich jeder Unionsbürger im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten „vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen“260 frei bewegen und aufhalten kann. Erfaßt werden damit unabhängig von der Wahrnehmung sonstiger, insbesondere wirtschaftlicher Freiheiten, die Einreise in andere Mitgliedstaaten, die freie Bewegung in ihrem Hoheitsgebiet, das Verlassen des Hoheitsgebiets des Heimatstaates oder eines anderen Mitgliedstaates sowie der ständige Aufenthalt an einem Ort.261 In 257

Vgl. nur EuGH, Slg. 1979, 1129 (1135 Rdnr. 11) – Saunders; Slg. 1997, I-3171 (3188 Rdnr. 16 ff.) – Uecker und Jacquet; S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 41; a. A.A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 Rdnr. 6; W. Kluth, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 8; M. Hilf, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 18 Rdnr. 1 m. w. N. 258 Vgl. unten 3. Teil A. II. 1. ff). 259 S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 41. 260 Die Mitgliedstaaten verfolgten mit diesem Vorbehalt das Ziel, daß Personen, die nicht aktiv am Wirtschaftsleben beteiligt sind, im bisherigen Umfang für ihre Bedürfnisse selbst verantwortlich bleiben sollen, ohne daß ihnen durch die Unionsbürgerschaft zusätzliche Ansprüche auf öffentliche Mittel des Staates, in dem sie leben, eröffnet werden, vgl. die das Aufenthaltsrecht betreffenden Richtlinien RL 90/366/EWG über das Aufenthaltsrecht für Studenten; ABl. EG 1990, Nr. L 180, S. 30 ff.; ersetzt durch RL 93/96/EWG des Rates, ABl. EG 1993, Nr. L 317, S. 59; RL 90/365/EWG über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen, ABl. EG 1990, Nr. L 180, S. 28 ff.; RL 90/364/EWG über das Aufenthaltsrecht für Nichterwerbstätige, ABl. EG 1990, Nr. L 180, S. 26 ff., neuerdings zusammengefaßt in RL 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. EG 2004, Nr. L 158/77. Diese fordert dazu zwei Bedingungen: das Vorhandensein eines Krankenversicherungsschutzes und die Verfügbarkeit ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts (vgl. Art. 7 RL 2004/38/EG). 261 Vgl. nur W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EVG, 2002, Art. 18 Rdnr. 3; A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2002, Art. 18 Rdnr. 6.

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den sekundärrechtlichen Bestimmungen wird dem Aufenthaltsberechtigten gewährt, eine Wohnung zu nehmen.262 Es stellt sich somit auch hier die Frage, ob sich das Recht nur auf Wohnungen oder auch auf Grundstücke, die zur Errichtung eines Wohnhauses dienen sollen, bezieht. Für eine weite Auslegung sprechen der Wortlaut und der Zweck der Richtlinie: Dem Wortpaar „Wohnung nehmen“ ist weder ein bestimmter Rechtstitel immanent (Eigentum/Miete), noch intendiert es eine bestimmte Größe oder Konfiguration (Wohnhaus mit mehreren Wohnungen, Einfamilienhaus). Zweck dieser Regelung ist es, dem Anspruchsberechtigten ein Recht einzuräumen, im Mitgliedstaat einen Hauptwohnsitz zu gründen. Dabei müssen dem Anspruchsberechtigten schon im Hinblick auf das allgemeine Diskriminierungsverbot dieselben Rechtserwerbsmöglichkeiten wie Inländern zustehen. Der Begriff Wohnungsnahme im Sinne eines extensiv verstandenen Rechts ist daher auch auf den Erwerb von Grund und Boden zu erstrecken.263 Dennoch ist durch Art. 18 EG nicht das Recht geschützt, ein Grundstück in einem bestimmten Gebiet zu erwerben. Sofern es möglich ist, irgendein Grundstück in der ins Auge gefaßten Gemeinde zu erwerben, ist der Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 1 EG nicht eröffnet. Art. 18 Abs. 1 EG könnte jedoch aus einem anderen Gesichtspunkt einschlägig sein. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EuGH der Freizügigkeitsgarantie des Art. 18 EG teilweise sehr weitgehende Rechte auf inländergleichen Zugang zu Sozialleistungen264 entnommen.265 Immer häufiger findet sich seitdem die Feststellung, allen Unionsbürgern stehe ein Anspruch auf umfassende Gleichbehandlung zu.266 Daher stellt sich die Frage, ob und inwieweit Art. 18 Abs. 1 EG aufenthaltsberechtigten Unionsbürgern einen inländergleichen Zugang bei der Vergabe von Grundstücken im Rahmen eines städtebaurechtlichen Einheimischenmodells eröffnet. Die Vermittlung eines solchen Teilhaberechts könnte sich aus einem entsprechenden Diskriminierungsverbot ergeben, da sich die Abwehr von Diskriminierungen nicht in der Aufrechterhaltung des Status quo erschöpft, sondern durch die gefor262 Art. 1 Abs. 2 der Aufenthaltsrichtlinie 90/364/EWG, ABl. EG 1990, Nr. L 180, S. 26. 263 W. Hummer/M. Schweizer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 317. 264 Zu den Sozialleistungen gehören nach der weiten Begriffsdefinition des EuGH auch vergünstigte Baugrundstücke an sozial schwache Bürger. Zum Begriff der sozialen Vergünstigung vgl. unten 3. Teil B. III. 1. c). 265 EuGH, Slg. 1998, I-2691 (2726 Rdnr. 62 ff.) – Martínez Sala; Slg. 2001, I-6193 (6242 f. Rdnr. 30 f.) – Grzelczyk; Slg. 2002, I-6191 (6224 Rdnr. 35) – D’Hoop; vgl. auch EuGH, Slg. 1998, I-7637 (7655 Rdnr. 14 ff.) – Bickel und Franz. 266 Siehe an dieser Stelle nur M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553); K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058).

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derte Gleichbehandlung mit den Inländern regelmäßig zu einer Erweiterung der Rechtsposition des Betroffenen führt.267 Die Vorschrift des Art. 18 EG wirkt allerdings, anders als die Grundfreiheiten, in erster Linie als Beschränkungsverbot.268 Sie wendet sich gegen Vorschriften, die in nichtdiskriminierender Weise die Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechte behindern oder weniger attraktiv machen. Fraglich ist, ob Art. 18 Abs. 1 EG darüber hinaus analog der Rechtslage bei den wirtschaftlichen Grundfreiheiten selbst ein eigenständiges Inländergleichbehandlungsgebot enthält. Der EuGH hat in der Mehrzahl der tatbestandlich einschlägigen Fälle das Gleichbehandlungsgebot auf dem Umweg über das allgemeine Diskriminierungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 EG gewonnen.269 In der neueren Entscheidung D’Hoop allerdings, in der es um eine Belgierin ging, die von ihrer eigenen Behörde bei der Gewährung von Übergangsgeld deshalb nicht berücksichtigt wurde, weil sie ihre Schulausbildung in Frankreich abgeschlossen hatte, erwähnte der EuGH Art. 12 Abs. 1 EG an keiner Stelle des Urteils. Er hob hervor, daß eine solche Ungleichbehandlung den Grundsätzen widerspreche, „auf denen der Status eines Unionsbürgers beruht, nämlich der Garantie gleicher rechtlicher Behandlung bei Ausübung der Freizügigkeit“270. Diese Ausführungen scheinen auf eine unmittelbare Begründung eines Diskriminierungsverbots durch Art. 18 Abs. 1 EG zu deuten.271 Andererseits spricht für eine juristische Konstruktion über Art. 12 Abs. 1 EG der sich daran anschließende Verweis auf die Rechtssache Grzelczyk. Dort stellte der EuGH unmittelbar vor dieser zitierten Passage fest, daß „eine solche Diskriminierung nach Art. 6 EGV (jetzt Art. 12 EG) grundsätzlich verboten ist“ und daß „die Beurteilung seines Anwendungsbereichs in Verbindung mit den Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft zu sehen“ ist.272 In dem nachfolgenden Urteil Bidar273 aus dem Jahr 267 Vgl. oben 2. Teil D. VIII. 1. Vgl. auch EuGH, Slg. 1989, 195 (220 Rdnr. 11) – Cowan; vgl. auch R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 43; K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058); S. Bode, EuZW 2003, 552 (555). 268 W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 5; K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der EU, 2001, S. 136; K. Füßer, DÖV 1999, 96 (101); W. Obwexer, EuZW 2002, 56 (58). Differenzierend S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 20 Rdnr. 41, 44. 269 Vgl. EuGH, Slg. 1998, I-7637 (7655 Rdnr. 14 ff.) – Bickel und Franz; Slg. 2001, I-6193 (6243 Rdnr. 32 ff.) – Grzelczyk. 270 EuGH, Slg. 2002, I-6191 (6224 Rdnr. 35) – D’Hoop. 271 So H. D. Scheuing, EuR 2003, 744 (784); ablehnend S. Bode, EuZW 2002, 637 (638). 272 EuGH, Slg. 2001, I-6193 (6242 Rdnr. 30) – Grzelczyk. 273 EuGH, EuZW 2005, 276 (278 Rdnr. 31 ff.) – Bidar; vgl. auch EuGH, DVBl. 2005, 630 (631 f. Rdnr. 39 ff.) – Trojani/CPAS.

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2005 zieht der EuGH wieder ausdrücklich Art. 12 Abs. 1 EG heran. Daher ist festzustellen, daß der Gerichtshof das Inländergleichbehandlungsgebot erst über den Umweg des Art. 12 Abs. 1 EG konstruiert.274 In der Literatur ist die Herleitung des Inländergleichbehandlungsgebots direkt aus Art. 18 Abs. 1 EG umstritten. Für die Annahme eines tatbestandsimmanenten Inländergleichbehandlungsgebots275 führt Dieter H. Scheuing an, daß die Kombination der Art. 12 Abs. 1 EG (Art. I-4 Abs. 2 VV) und 18 Abs. 1 EG den falschen Eindruck entstehen lasse, hier würden disparate Anliegen eher zufällig miteinander in Verbindung gebracht. Zudem könnte der Weg über Art. 12 EG den EuGH dazu verleiten, zu pauschal gehaltene Gleichheitsüberlegungen anzustellen.276 Diese Argumentation überzeugt nicht. Bedenkt man, daß nahezu alle möglichen Situationen im weitesten Sinne mit dem Aufenthalt im Aufnahmestaat im Zusammenhang stehen, widerspricht eine derartige Reichweite des Art. 18 Abs. 1 EG nicht nur dem offensichtlichen Willen der Vertragspartner, sondern würde zudem alle bisherigen Abgrenzungen zu den immer noch als weiterreichend konzipierten Grundfreiheiten überflüssig machen.277 Daher gehen andere Autoren vermittelnd davon aus, daß unmittelbar das Aufenthaltsrecht betreffende Situationen an Art. 18 Abs. 1 EG zu messen sind, so daß insoweit die Heranziehung des Art. 12 Abs. 1 EG obsolet ist. Art. 12 Abs. 1 EG finde jedoch dort Anwendung, wo der Zusammenhang mit der Freizügigkeit nur mittelbarer Natur sei.278 Dieser Ansicht widerspricht jedoch, daß sich dem Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 EG, im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Grundfreiheiten, die das Inländergleichbehandlungsgebot als integralen Bestandteil enthalten,279 ein solches nicht entnehmen läßt.280 Da zudem während der Verhandlungen des Maastrichter Vertrags immer wieder Bezug auf 274 Ebenso S. Bode, EuZW 2002, 637 (638); auch GA L. A. Geelhoed hatte eine Lösung auf der Grundlage des Art. 12 EG vorgeschlagen; vgl. SchlA, Slg. 2002, I-6194 (Nr. 29, 34, 46) – D’Hoop; a. A. D. H. Scheuing, EuR 2003, 744 (784). 275 Vgl. W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 12 § 4 Rdnr. 2976 ff.; H. D. Scheuing, EuR 2003, 744 (783); ebenso A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 353; ferner K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058, 2060). 276 Mit ausführlicher Begründung anhand eines Beispiels H. D. Scheuing, EuR 2003, 744 (783). 277 S. Bode, EuZW 2003, 552 (556). 278 Vgl. W. Obwexer, EuZW 2002, 56 (57); ebenso S. Bode, EuZW 2003, 552 (555), die aber ein Recht auf Teilhabe an sozialen Vergünstigungen als mittelbar ansieht und daher diesbezüglich Art. 12 Abs. 1 EG heranzieht, anders noch dies., EuZW 2002, 637 (638). 279 Nach mehreren Vertragsänderungen so nur noch in Art. 39 Abs. 2 EG. 280 M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553); D. H. Scheuing, EuR 2003, 744 (782); S. Bode, EuZW 2003, 552 (556 Fn. 53).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Art. 12 Abs. 1 EG genommen wurde281 und die Anwendung desselben in seiner Wirkung auch nicht hinter einem tatbestandsimmanenten Gleichbehandlungsgebot zurückbleibt, läßt sich kein tragfähiges Argument für die Notwendigkeit oder Nützlichkeit eines derartigen immanenten Gebots finden. Diesen Ausführungen zufolge kann sich ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung nur aus Art. 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG ergeben.282 ee) Sachlicher Anwendungsbereich Wann nach Art. 12 Abs. 1 EG der Anwendungsbereich des Vertrages in sachlicher Hinsicht eröffnet ist,283 ist umstritten. Im wesentlichen lassen sich zwei Auffassungen unterscheiden.284 Nach einer restriktiven Ansicht zählen nur solche Sachverhalte zum Anwendungsbereich, die in den Regelungsbereich einer Kompetenz der EG fallen.285 Die zweite Auffassung orientiert sich dagegen an einem funktionalen Verständnis, indem sie einen Zusammenhang mit der Errichtung und dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes für ausreichend erachtet.286 Der EuGH tendiert offensichtlich zur zuletzt genannten, vorzugswürdigen Auffassung.287 Auf eine positive Gemeinschaftszuständigkeit zur Regelung des in Rede stehenden Sachver281 Ehemals Art. 6 EGV. Siehe dazu die Stellungnahme der spanischen Delegation, zitiert bei M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553). 282 Ebenso S. Bode, EuZW 2005, 279 (280); M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (554); S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 85, 99; M. Rossi, JZ 2002, 351 (352 f); S. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 15; W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 3; H.-W. Arndt, Europarecht, 2006, S. 125. 283 Der EuGH spricht nur von einer Gleichbehandlung der Unionsbürger im sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages; vgl. EuGH, Slg. 1998, I-2692 (2726 Rdnr. 63) – Martínez Sala; ferner Slg. 2001, I-6193 (6243 Rdnr. 32) – Grzelczyk. Zusätzlich muß auch der persönliche Anwendungsbereich des Art. 12 EG eröffnet sein. 284 Vgl. im einzelnen dazu A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV 2002, Art. 12 Rdnr. 21 f.; M. Schweitzer, in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann, (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 189 (192 f.); M. Rossi, EuR 2000, 197 (202 ff.). 285 So im Ergebnis T. Braun, IPRax 1994, 263 (264); W. Schroeder, JuS 1995, 1010 (1012). 286 Vgl. M. Schweitzer, in: Arndt/Knemeyer u. a. (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 189 (193). 287 Vgl. zum Beispiel EuGH, Slg. 1996, I-4661 (4675 Rdnr. 11 ff.) – Data Delecta, Slg. 1999, I-3999 (4008 f. Rdnr. 11 ff.) – Kommission ./. Belgien; Slg. 1998, I-7637 (7655 Rdnr. 14 ff.) – Bickel und Franz. Ihm folgend aus dem Schrifttum S. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 15; W. Obwexer, EuZW 2002, 56 (57).

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halts kann es nicht ankommen.288 Entscheidend ist vielmehr, daß eine gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation, das heißt ein Sachverhalt mit Gemeinschaftsbezug vorliegt.289 Hierbei geht der EuGH von einer sehr weiten Auslegung des Begriffes aus.290 Es genüge, wenn es sich um eine Situation handele, die im Zusammenhang mit der Ausübung einer Grundfreiheit stehe und zumindest mittelbar zu einer Beeinträchtigung derselben führen könne.291 Nunmehr hat der EuGH in seiner neueren Rechtsprechung klargestellt, daß zu den Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, auch diejenigen zählen, die zur Ausübung der durch Art. 18 EG verliehenen Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, gehören.292 Konkret bedeutet das, daß bereits mit Einreise in einen anderen Mitgliedstaat das Einfallstor zum Anwendungsbereich des EG-Vertrags aufgestoßen wird. Dabei erstreckt der EuGH den Anwendungsbereich des Vertrags auch noch auf mit der Freizügigkeit mittelbar zusammenhängende Begebenheiten, welche geeignet sind, die Ausübung des Freizügigkeitsrechts zu erleichtern.293 Entscheidend für die Reichweite des Anspruchs aus Art. 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG kommt es daher auf die bislang kaum erörterte Frage nach dem Inhalt des Aufenthaltsbegriffs an. Nach Matthias Pechstein/Artur Bunk gibt es hierfür nur zwei Deutungsmöglichkeiten: Entweder sichere das Aufenthaltsrecht nur das Recht auf physische Präsenz im Aufenthaltsstaat oder es ermögliche ebenso wie die wirtschaftlichen Grundfreiheiten eine Vollintegration des Aufenthaltsberechtigten. Im ersten Fall wird das Diskriminierungsverbot nicht viel bewirken, im zweiten Fall hingegen folgt daraus die Gleichstellung der Aufenthaltsberechtigten mit den Inländern in einer kaum überschaubaren, schier uferlosen294 Fülle von Einzelbelangen.295 Für eine Vollintegration spricht, daß die anfängliche Bedeutung der wirtschaftlichen Tätigkeit als Anknüpfungspunkt im EG-Vertrag 288 EuGH Slg. 1989, 195 (220 Rdnr. 13) – Cowan; siehe auch W. Obwexer, EuZW 2002, 56 (57). 289 EuGH, Slg. 1989, 195 (220 Rdnr. 13) – Cowan; Slg. 1998, I-7637 (7655 Rdnr. 15) – Bickel und Franz. 290 Dazu näher M. Rossi, EuR 2000, 197 (203 f.). 291 Siehe nur EuGH, Slg. 1996, I-4661 (4675 Rdnr. 12 f.) – Data Delecta. 292 EuGH, Slg. 2001, I-6193 (6242 Rdnr. 33) – Grzelczyk, mit Verweis auf die Entscheidung EuGH, Slg. 1998, I-7637 (7655 Rdnr. 14 ff.) – Bickel und Franz; EuGH, EuZW 2005, 276 (277 Rdnr. 33) – Bidar. 293 Vgl. EuGH, Slg. 2002, I-6191 (6223 Rdnr. 28 ff.) – D’Hoop; siehe auch R. Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207); a. A. W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 5. 294 R. Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207). 295 Vgl. M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (552), die für eine vollständige Gleichstellung (Vollintegration) plädieren.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

und dessen Diskriminierungsverbot in Anlehnung an das politische Fortschreiten der europäischen Integration relativiert wurde.296 Da die Europäische Gemeinschaft im Lichte der Formulierung des Art. 1 Abs. 2 EU zu einer „immer engeren Union der Völker Europas“ beitragen soll,297 besteht grundsätzlich kein Anlaß, die Vollintegration auf wirtschaftliche Tatbestände zu begrenzen.298 Vom Aufenthaltsrecht wäre danach prinzipiell299 jede auch den Inländern gestattete Tätigkeit umfaßt, so daß für jede aus Anlaß des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat vollzogene Handlung ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung bestünde.300 Dies hätte jedoch zur Folge, daß die durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EG, Art. I-11 VV) gesicherte thematische Beschränkung des EGVertrages, auf dem auch Art. 12 Abs. 1 EG aufbaut, untergraben, primärwie sekundärrechtliche Vorbehalte weitgehend leer laufen und insoweit die Legitimationsgrundlage der Gemeinschaft in Frage gestellt würde.301 Durch die Ausweitung des EuGH erfolgt zwar rein formal-rechtlich gesehen kein Eingriff in die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, sondern nur eine Beschränkung der Art und Weise der staatlichen Kompetenzausübung.302 Faktisch kann diese aber zu einem Harmonisierungszwang führen.303 Gerade im Hinblick auf die durchgeführte Erweiterung besitzt die Anerkennung eines umfassenden Gleichbehandlungsanspruchs besondere Brisanz. Insbesondere auf dem Gebiet der Sozialleistungen könnte ein solches Recht durch Sozialtourismus zu einem 296

P. Letzner, JuS 2003, 118 (119). Zur Bindung der Gemeinschaften an die Bestimmungen des Unionsvertrages vgl. M. Pechstein/C. Koenig, Die Europäische Union, 1995, Rdnr. 107 ff. 298 Ebenso M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553). 299 Dies gilt nur vorbehaltlich der spezielleren und damit vorrangigen wirtschaftlichen Grundfreiheiten. 300 EuGH, Slg. 2002, I-6191 (6223 Rdnr. 28 ff., 30) – D’Hoop; S. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 10; M. Hilf, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 18 Rdnr. 7; M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (554); P. Letzner, JuS 2003, 118 (121); K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2058); S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 43 f.; F. Montag, NJW 2000, 32 (33); f. Welti, JA 2005, 852 (854) wohl auch R. Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207). 301 S. Bode, EuZW 2002, 637 (638); dies., EuZW 2003, 552 (556); W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 5; R. Höfler, NVwZ 2002, 1206 (1207); vgl. auch W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 12 § 4 Rdnr. 2982. 302 Ähnlich P. Letzner, JuS 2003, 118 (121 f). 303 Dies kommt insbesondere im Hinblick auf die Pflicht zur sozialrechtlichen Gleichstellung aller Unionsbürger in Betracht, da die nationalen Sozialleistungssysteme in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fallen. Vgl. auch Art. 18 Abs. 3 EG. 297

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enormen Anstieg der Kosten führen und die öffentlichen Finanzen anläßlich des Aufenthalts über Gebühr belasten.304 Schon beim derzeitigen Integrationsstand aus Art. 18 Abs. 1 EG ein Recht auf Vollintegration und damit auf umfassende Inländergleichbehandlung ableiten zu wollen,305 würde in rechtlicher wie in politischer Hinsicht die Grenzen des EG-Vertrags überschreiten.306 Aus der hier vertretenen, eher vorsichtigen Interpretation, daß Art. 18 Abs. 1 EG kein alles überwölbendes Recht auf vollkommene Gleichstellung der Unionsbürger enthält, folgt allerdings keineswegs zwingend,307 daß sich der Inhalt des Aufenthaltsrechts lediglich auf die Einräumung der physischen Präsenz beschränkt. Ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung nach Art. 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG ist vermittelnd bei solchen Handlungen gegeben, die in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Aufenthaltszweck stehen und seiner effektiven Ausübung dienen.308 Bei der Beurteilung des engen Zusammenhangs ist jeweils auf den Einzelfall abzustellen. Da der rechtmäßige Aufenthalt zeitlich unbegrenzt gewährleistet wird, steht der Erwerb von Grundeigentum zweifellos in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung der Freiheit.309 Andernfalls wäre der Unionsbürger auf die Anmietung einer Wohnung beschränkt, eine Tatsache, die der effektiven Wahrneh304 Kritisch hierzu P. Hilpold, EuZW 2005, 647 (650 ff.); vgl. auch H.-W. Arndt, Europarecht, 2006, S. 125 f.; vehement dagegen K.-D. Borchardt, EuZW 2001, 321 (321). 305 So aber M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553); K.-D. Borchardt, NJW 2000, 2057 (2060). 306 S. Bode, EuZW 2003, 552 (557); siehe auch f. Sander, DVBl. 2005, 1014 (1018). Vgl. insofern den Richtlinienentwurf der Kommission, betreffend das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen (KOM [2003] 199 endg. 2001/0111 [COD]), nach dem Unionsbürger in den verschiedenen Mitgliedstaaten die Freizügigkeit unter ähnlichen Bedingungen ausüben können wie sie für die Bürger des Mitgliedstaates gelten. Ausdrücklich erwähnt die Kommission, daß die Harmonisierung der Bedingungen für den Aufenthalt der Unionsbürger in einem fremden Mitgliedstaat nicht zur Folge haben darf, daß einigen Mitgliedstaaten legislative Änderungen für einen Bereich auferlegt werden, für den die Kommission keine Legislativkompetenz hat, zum Beispiel im Familienrecht. 307 So aber M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (552). 308 W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 12 Rdnr. 2985 ff.; W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 5; G. Schulz, Freizügigkeit für Unionsbürger, 1997, S. 273; S. Bode, EuZW 2002, 637 (639); dies., EuZW 2003, 552 (556); GA S. Slynn, SchlA, Slg. 1988, I-3205 (3230) – Brown, die jeweils in unterschiedlicher Weise einen engen sachlichen Zusammenhang zur effektiven Ausübung des betroffenen Rechts fordern. 309 Im Ergebnis zustimmend M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553); W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 5; S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 43.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

mung des Rechts auf (weiteren) Aufenthalt nicht förderlich ist. Der Grundstückserwerb im Rahmen von Wohnraummodellen unterfällt somit dem aus Art. 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG abzuleitenden Gleichbehandlungsgebot. ff) Verhältnis zu den einschlägigen Grundfreiheiten Da in Art. 18 EG thematisch das Aufenthaltsrecht ausdrücklich geschützt ist, es aber im Rahmen der Grundfreiheiten (Art. 39, 43 und 49 EG) nur stillschweigend mitgarantiert ist, könnte die Ableitung als Annexgewährleistung obsolet geworden sein.310 Dagegen spricht jedoch, daß der Aufenthalt zum Zweck einer wirtschaftlichen Betätigung in unauflösbarem sachlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Grundfreiheit steht, soweit diese nicht ohne Aufenthalt im jeweiligen Mitgliedstaat ausgeübt werden kann.311 Da die Grundfreiheiten über Art. 18 EG hinaus noch ein Recht auf Teilnahme am Wirtschaftsverkehr gewähren, gehen sie als speziellere Regelungen vor.312 Für diese Annahme spricht auch die Neufassung der Rechtsetzungsermächtigung des Art. 18 Abs. 2 EG durch den Vertrag von Nizza.313 Eine Ausnahme stellt hierbei allerdings die Kapitalverkehrsfreiheit dar. Aufgrund der unterschiedlichen Schutzrichtungen ist diese analog zum Verhältnis zu den übrigen Grundfreiheiten314 neben Art. 18 Abs. 1 EG anwendbar.

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Dafür plädierend D. H. Scheuing, EuR 2003, 744 (765). A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 357; W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Abs. 10. 312 Aus jüngerer Zeit EuGH, Slg. 2002, I-10981 (11011 Rdnr. 26) – Olazabal; Slg. 1999, I-11 (31 f. Rdnr. 29 f.) – Calfa; Slg. 1996, I-929 (951 Rdnr. 22) – Skanavi; vgl. auch U. Becker, EuR 1999, 522 (532); S. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 7; A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 Rdnr. 12; W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art 18 Rdnr. 10; M. Pechstein/A. Bunk, EuGRZ 1997, 547 (553 Fn. 37); S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 38; H. Rothfuchs, Die traditionellen Personenverkehrsfreiheiten des EG-Vertrages und das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger, 1999, S. 227. Aus Vereinfachungsgründen möchte D. H. Scheuing, EuR 2003, 744 (765 f.), Art. 18 EG, obwohl rechtstechnisch lex generalis, allmählich als Hauptfreizügigkeit des EG-Vertrages heranziehen. 313 Die Rechtsetzungsermächtigung greift nur dann ein, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft zur Erleichterung der in Absatz 1 genannten Rechte erforderlich erscheint und der Vertrag hierfür keine Rechtsetzungsbefugnisse vorsieht, vgl. H. D. Scheuing, EuR 2003, 744 (764). 314 Vgl. oben 3. Teil A. II. 1. e) bb). 311

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g) Allgemeines Diskriminierungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 EG Das allgemeine Diskriminierungsverbot gemäß Art. 12 Abs. 1 EG315 scheidet aufgrund der vorrangig einschlägigen Grundfreiheiten316 in jedem Fall aus. h) Ergebnis Der Erwerb von Grundstücken im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen durch EG-Ausländer unterfällt generell dem Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit,317 da hier im Gegensatz zu den übrigen Grundfreiheiten das Recht auf inländergleichen Grunderwerb ohne das Erfordernis der Nützlichkeit für die Verfolgung der wirtschaftlichen Aktivitäten gewährt wird.318 Die Warenverkehrsfreiheit ist hingegen nie betroffen. Hinsichtlich der Wohnraummodelle sind in Abhängigkeit von der Person des Erwerbers zudem Art. 39, Art. 43 oder Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG tangiert, die jeweils in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen. Im Rahmen der Gewerbemodelle ist regelmäßig zusätzlich zur Kapitalverkehrsfreiheit der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet. 2. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle als Grundfreiheitseingriffe Während auf der Stufe des Anwendungsbereichs abstrakte Begrenzungen der Grundfreiheiten diskutiert wurden, rückt auf der zweiten Ebene der grundfreiheitlichen Tatbestandsprüfung die konkret zu beurteilende Maßnahme in den Vordergrund. Die Vereinbarkeit der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle mit den Grundfreiheiten hängt davon ab, ob die dabei getroffenen Regelungen bestimmte Eigenschaften aufweisen und daher als „Beeinträchtigungen“ einzustufen sind. Teile des europarechtlichen Schrifttums sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „Beschränkung“.319 Dieser Begriff birgt an dieser Stelle aber die Gefahr von Mißverständnissen. Zwar beziehen sich die grundfreiheitlichen Vorschriften ihrem Wortlaut nach überwiegend auf „Beschränkungen“.320 Mit diesem Begriff wird jedoch nunmehr in gefestigter Terminologie im Schrifttum nur ein 315 316 317 318 319 320

Vgl. hierzu ausführlich W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 11. Vgl. oben 3. Teil A. II. 1. a) b) e). Im Ergebnis ebenso A. Knapp, EWS 1999, 409 (412). J. Glöckner, EuR 2000, 592 (607). Vgl. etwa H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (708). Vgl. Art. 28 f., Art. 39 Abs. 3, Art 43 Abs. 1, Art. 49 Abs. 1, Art. 56 EG.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Ausschnitt der grundfreiheitlichen Beeinträchtigungen bezeichnet.321 Um begriffliche Irrtümer auszuschließen, wird daher im folgenden für Verkürzungen des grundfreiheitlichen Anwendungsbereichs der übergeordnete Terminus der Beeinträchtigung bevorzugt.322 Zunächst bedarf die Frage einer Klärung, ob die Gemeinde von den grundfreiheitlichen Vorschriften verpflichtet werden kann. Sodann sind allgemeine Charakteristika der beeinträchtigenden Maßnahme herauszuarbeiten. Erst im Anschluß daran kann erörtert werden, ob das im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen normierte Wohnsitzerfordernis eine der bereits angesprochenen Arten von Beeinträchtigungen darstellt. a) Gemeindliches Handeln als Beeinträchtigung der Grundfreiheiten Damit eine Maßnahme als Beeinträchtigung der Grundfreiheiten qualifiziert werden kann, muß sie von einem bestimmten Rechtssubjekt vorgenommen werden. Wie bereits erläutert binden die Grundfreiheiten als Verpflichtungsadressaten die Mitgliedstaaten.323 Aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts gelten die Mitgliedstaaten als Handlungseinheiten.324 Daher wird das „Staatlichkeitskriterium“ unter Zugrundelegung eines funktionalen Verständnisses vom EuGH sehr weit ausgelegt.325 Die Mitgliedstaaten haben aufgrund ihrer Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG (Art. I-5 Abs. 2 VV) dafür Sorge zu tragen, daß sich ihre innerstaatlichen Untergliederungen und Organe gemeinschaftsrechtmäßig verhalten. Aus den seitens der Mitgliedstaaten (innerstaatlich) zu gewährleistenden Bindungen an das Gemeinschaftsrecht ergibt sich die Einstehung der Mitgliedstaaten als gemeinschaftsrechtliches Zurechnungsendsubjekt für Vertragsverletzungen durch das Verhalten ihrer Organe, Institutionen und Körperschaften.326 Demzufolge erstrecken sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH übereinstimmend mit der Literatur die gemeinschaftsrechtlichen Bindungen nicht nur auf die Zentralstaaten als Vertragsparteien 321 Siehe nur S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 295; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 669. 322 Wie hier A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 293; D. Ehlers, Jura 2001, 482 (484). 323 Vgl. oben 2. Teil D. III. 324 M. Burgi, in: Rengeling/ Middeke/Gellermann (Hrsg.), Hb des Rechtsschutzes in der EU, 2003, § 6 Rdnr. 39. Zum Begriff der Handlungseinheit vgl. ausführlich M. Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, 1999, S. 145 f. 325 EuGH, Slg. 1997, I-6959 (6998 f. Rdnr. 30 f.) – Kommission ./. Frankreich; zustimmend A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 296. 326 C. Koenig/M. Pechstein/C. Sander, EU-/EG-Prozeßrecht, 2002, Rdnr. 288; W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 10 Rdnr. 14.

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und auf die von diesen beherrschten Einrichtungen der Mitgliedstaaten, sondern auf sämtliche lokale oder regionale Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts sowie auf alle selbst nicht rechtsfähigen Organe der Legislative, Exekutive und Judikative, gleich welcher körperschaftlichen Gliederungsebene sie in den Mitgliedstaaten angehören.327 Somit gilt, daß als Urheber der Beeinträchtigung alle Einrichtungen eines Mitgliedstaates in Betracht kommen, die an der Ausübung staatlicher Gewalt beteiligt sind.328 Einbezogen sind dabei auch eigenständige Unternehmen, sofern sie unter staatlicher Kontrolle stehen, sei es indem der Staat maßgeblichen Einfluß auf Personalfragen, vor allem auf der Führungsebene, nimmt, verbindliche Weisungen erteilt oder das Unternehmen finanziell von öffentlichen Geldern abhängig ist.329 Diese Auffassung ist sachgerecht, da die Mitgliedstaaten sich sonst dem EG-Vertrag entziehen könnten, indem sie nach diesem verbotene Maßnahmen durch vorgeschobene Einrichtungen erlassen. Die Gemeinde stellt eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts dar,330 so daß sie unproblematisch als Rechtssubjekt von den grundfreiheitlichen Vorschriften verpflichtet wird.331 b) Erscheinungsformen erfaßter Maßnahmen Objekt der grundfreiheitlichen Prüfung ist immer eine bestimme „Maßnahme“ eines Verpflichtungsadressaten,332 hier der Gemeinde. Diese Kennzeichnung ist als solche neutral. Insbesondere wird mit ihr kein Ausdruck einer besonderen rechtlichen Qualität verbunden.333 327

EuGH, Slg. 2003, 721 (742 Rdnr. 28) – Kommission ./. Italien; Slg. 2001, I-9445 (9499 Rdnr. 27) – De Coster; vgl. auch GA C. Stix-Hackl, SchlA, Slg. 2003, 721 (728 Nr. 25) – Kommission ./. Italien; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 43. 328 W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 10 Rdnr. 14; A. Hatje, in: Jura 2003, 160 (162); M. Mulert, Die deutschen Bundesländer vor dem EuGH, 1996, S. 160; J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 30; C. Koenig/M. Pechstein/C. Sander, EU-/EGProzeßrecht, 2002, Rdnr. 288. 329 Vgl. EuGH, Slg. 1990, I-4625 (4634 f. Rdnr. 15 ff.) – Hennen Olie; J. Schimming, Konvergenz der Grundfreiheiten des EGV unter besonderer Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Einfuhr- und Einreisebeschränkungen, 2002, S. 41. 330 Vgl. stellvertretend § 1 Abs. 2 HessGO, Art. 1 S. 1 BayGO, § 1 Abs. 2 GONW, § 1 Abs. 3 SächsGO, § 1 Abs. 3 GOBW; siehe auch BVerfGE 8, 122 (132); 38, 258 (270). 331 EuGH, Slg. 1988, 4929 (4965 Rdnr. 27) – Kommission ./. Irland; ebenso N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 17; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 41. 332 Diese Begrifflichkeit läßt sich auf den EG-Vertrag zurückführen, vgl. Art. 28 f., Art. 58 Abs. 1 lit. b EG.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

aa) Verwaltungsvorschriften In der Regel334 stellen die Gemeinden für alle Formen städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle verwaltungsinterne Richtlinien auf, in denen sie die Vergabe der Grundstücke näher festlegen. Insbesondere wird dort der antragsberechtigte Personenkreis auf Einheimische begrenzt. Fraglich ist zunächst, ob verwaltungsinterne Richtlinien, denen im nationalen Recht nach herrschender Auffassung grundsätzlich keine Außenwirkung beigemessen wird,335 überhaupt als Maßnahmen zu qualifizieren sind, die die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen vermögen. Unstreitig fallen unter diesen Begriff innerstaatliche Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsakte.336 Nach der vorzugswürdigen Rechtsprechung des EuGH ist der Verbindlichkeitsgrad einer hoheitlichen Maßnahme nicht von Bedeutung.337 Zu begründen ist diese Ansicht mit dem effet utile des Gemeinschaftsrechts. Demzufolge können auch interne Verwaltungsvorschriften die Grundfreiheiten beeinträchtigen. Selbst wenn die Gemeinde keine Verwaltungsvorschriften aufstellen und ihre Ortsansässigen lediglich in ständiger Verwaltungspraxis bevorzugen würde, wäre diese Vorgehensweise als Maßnahme im Sinne der Grundfreiheiten zu charakterisieren. Voraussetzung ist dann aber, daß sich diese Verwaltungsübung hinreichend verfestigt hat und einen bestimmten Grad an Allgemeinheit aufweist.338

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Synonym zum Begriff der Maßnahme wird vorliegend der Terminus Regelung verwendet, ohne daß es insoweit auf einen normativen Charakter ankommen soll. 334 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 331 sieht es als Pflicht der Gemeinden an, Richtlinien zu erlassen. 335 Vgl. nur U. Battis, AllgVerwR, 2002, S. 34. Zu beachten ist dennoch die bereits erwähnte mittelbare Außenwirkung über die Figur der sogenannten Selbstbindung der Verwaltung; zum Streitstand siehe F. Ossenbühl, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), AllgVerwR, 2004, § 6 Rdnr. 42 ff. 336 E. Pache, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 11 Rdnr. 41; C. Koenig/M. Pechstein/C. Sander, EU-/EG-Prozeßrecht, 2002, Rdnr. 288; N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 17. 337 EuGH, Slg. 1986, 559 (581 Rdnr. 9) – Bulk Oil; vgl. auch N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 17. 338 Für die Erfassung von Verwaltungspraxis auch M. Kort, DB 1996, 1323 (1324); K. D. Borchardt, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 228 Rdnr. 6; P. Karpenstein/U. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 226 Rdnr. 20.

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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bb) Verwaltungsakt Wie soeben erwähnt, können auch individuell-konkrete Einzelfallentscheidungen eine hoheitliche Maßnahme darstellen. Da bei den Zwischenerwerbsmodellen die Zuteilung der Grundstücke im Wege von Verwaltungsakten gemäß § 35 LVwVfG erfolgt, wird diese von den Grundfreiheiten ebenso erfaßt. cc) Privatrechtliche Verträge Bei der Frage nach der Geltung des Rechts interessiert weder die Organisations- noch die Rechtsform der Handlung, sondern allein die handelnde Körperschaft selbst. Das EG-Recht ist in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht.339 Es darf weder durch eine behördliche Rechtsgestaltung umgangen werden, noch ist es dispositiv.340 Es ist daher auf das Agieren der Gemeinden unabhängig von der Rechtsnatur der Handlungsform anzuwenden.341 Das bedeutet, daß auch die von den Gemeinden im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen getätigten privatrechtlichen Verträge am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen sind. Bereits an dieser Stelle ist vorweg zu nehmen, daß die bei den Zwischenerwerbsmodellen geschlossenen Kaufverträge im Sinne des § 433 BGB, mit denen die Gemeinde zunächst den Grund und Boden erwirbt, als Objekt der grundfreiheitlichen Prüfung ausscheiden. Durch diesen Erwerb erfolgt (noch) keine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten. Anders verhält es sich mit dem Kaufvertrag, in welchem der Einheimische das Grundstück von der Gemeinde erwirbt. Dieser kommt als beeinträchtigende Maßnahme ebenso in Betracht wie die bei allen Vertragsmodellen getroffenen Vereinbarungen, bei denen sich die Grundstückseigentümer verpflichten, unter Mitwirkung/Aufsicht der Gemeinde nur an einen Ortsansässigen zu verkaufen.342

339 Von der unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechts ist seine unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten zu unterscheiden. Die unmittelbare Anwendbarkeit besagt, daß das Gemeinschaftsrecht neben den Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten auch den Unionsbürgern/-unternehmen unmittelbar Rechte verleiht. 340 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 41. 341 EuGH, Slg. 1982, 4005 (4017 ff. Rdnr. 3 ff.) – Kommission ./. Irland; W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 3 § 2 Rdnr. 297 ff.; H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 200; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 41; A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 296; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 43. 342 Vgl. oben 3. Teil A. I. 3. b).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

dd) Ergebnis Somit ist festzuhalten, daß sowohl die gemeindeinternen Verwaltungsvorschriften zur Vergabe der Grundstücke als auch die Zuschlagserteilung in Form eines Verwaltungsaktes bei den Zwischenerwerbsmodellen sowie die genannten privatrechtlichen Verträge als Maßnahmen im Sinne der Grundfreiheiten in Betracht kommen. Allgemein gilt, daß Einheimischenprivilegierungen unabhängig von ihrer Rechtsform erfaßt werden. Im folgenden wird sich die Prüfung der Beeinträchtigung der Grundfreiheiten auf die Verwaltungsvorschriften konzentrieren. Sie bilden die Grundlage für die Konzeption der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle sowie für das spätere gemeindliche Handeln zur Durchführung dieser Projekte. Die nachstehenden Ausführungen sind jedoch ohne Unterschied auf die übrigen Handlungsformen übertragbar. c) Vorliegen einer Diskriminierung Voraussetzung für eine Antragsberechtigung im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen ist die Eigenschaft als Einheimischer, die auf der Ansässigkeit in der jeweiligen Gemeinde beruht. Vorliegend stellt sich die Frage, ob durch die Anknüpfung an die Ortsansässigkeit eine Beeinträchtigung im Sinne der Grundfreiheiten vorliegt. Was die Form und Modalitäten der Einwirkung betrifft, ist diese zunächst im Falle einer Diskriminierung gegeben. Allen Grundfreiheiten liegt ein einheitlicher Diskriminierungsbegriff zu Grunde.343 Der unterschiedliche Wortlaut steht dem nicht entgegen. Zudem könnte das Wohnsitzerfordernis einen eigenständigen Verstoß gegen Art. 9 der VO Nr. 1612/68 darstellen. Der dort niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet analog der Arbeitnehmerfreizügigkeit sowohl unmittelbare als auch mittelbare Diskriminierungen.344 Bei der nachfolgenden Prüfung ergeben sich insofern keine Besonderheiten, so daß hinsichtlich der Verordnung auf eine eigenständige Zitierung verzichtet wird. aa) Unmittelbare Diskriminierung Eine unmittelbar diskriminierende345 Maßnahme besitzt die höchste Beeinträchtigungsqualität.346 Sie liegt vor, wenn die Regelung tatbestandlich 343

Vgl. auch A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 100. So ausdrücklich EuGH, Slg. 1997, I-6689 (6720 Rdnr. 44) – Meints; Slg. 2000, I-2623 (2676 Rdnr. 27) – Kaba. 345 Zur synonymen Begrifflichkeit vgl. 2. Teil D. VIII. 1. b) aa). 346 Vgl. A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 325. 344

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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und damit unmittelbar an das Kriterium der Staatsangehörigkeit anknüpft.347 Die gemeindlichen Richtlinien zur Vergabe von Grundstücken im Rahmen von Wohnraummodellen normieren jedoch keine Sonderregelungen für „Angehörige fremder Staaten“, sondern treffen eine Unterscheidung aufgrund des Wohnsitzes in der Gemeinde.348 Eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit scheidet demnach aus. Anders hingegen sieht es bei den Gewerbemodellen aus, die nur an den Sitz des Unternehmens in der Gemeinde anknüpfen. Der satzungsgemäße Sitz eines Betriebs dient dazu, die Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen und ist mit der Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen gleichzustellen.349 Gewerbemodelle, die eine solche Voraussetzung normieren, treffen eine Unterscheidung anhand der Staatsangehörigkeit, so daß insofern eine unmittelbare Diskriminierung zu konstatieren ist. Diese ist im Ergebnis nur unter ganz engen Voraussetzungen zu rechtfertigen.350 Da vorliegend auf städtebaurechtliche Gewerbemodelle abgestellt wird, die weiter gefaßt sind und eine Verbindung zur Gemeinde fordern, sei es in Form einer festen Betriebsstätte oder durch Grundbesitz im Gemeindegebiet, kann auch hier eine unmittelbare Diskriminierung verneint werden. bb) Mittelbare Diskriminierung Erfaßt werden von den Grundfreiheiten neben den unmittelbaren auch die sogenannten mittelbaren Diskriminierungen.351 Diese zeichnen sich dadurch aus, daß die betreffende Maßnahme nicht ausdrücklich an die Staatsangehörigkeit anknüpft, aber durch die Verwendung anderer Differenzierungsmerkmale zum gleichen Ergebnis führt.352 Bevor die Frage geklärt werden kann, ob die Anknüpfung an die Ortsansässigkeit eine mittelbare Diskriminierung darstellt, bedarf es zunächst einer systematischen Vorklärung dieser Rechtsfigur. 347

U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 12; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 113. 348 Vgl. oben 3. Teil A. I. 3. a) cc) (1). 349 So ausdrücklich EuGH, Slg. 2000, I-6857 (6906 Rdnr. 82) – Deutschland ./. Kommission; Slg. 2003, I-10155 (10224 Rdnr. 97) – Inspire Art; Slg. 1999, I-1459 (1491 Rdnr. 20) – Centros; Slg. 2002, I-9919 (9964 Rdnr. 57) – Überseering. 350 Nach der (noch) herrschenden Meinung können unmittelbare Diskriminierungen nur durch die explizit im Vertrag geregelten, eng auszulegenden Rechtfertigungsgründe legitimiert werden. 351 Zu den synonym zur mittelbaren Diskriminierung verwendeten Begriffen vgl. 2. Teil D VIII. 1. b) bb). 352 D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 89; T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 38.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

(1) Sotgiu-Formel Der EuGH hat den Begriff der mittelbaren Diskriminierung noch nicht abschließend definiert. Geht man von der grundlegenden Formel der Sotgiu-Rechtsprechung353 aus, so besteht eine mittelbare Diskriminierung aus zwei Elementen: einer Anknüpfung an ein „neutrales“ Kriterium, die aber einer Entscheidung nach dem verbotenen Kriterium tatsächlich entspricht, und dem Fehlen eines wie auch immer gearteten sachlichen Grundes. (a) „Neutrales“ Kriterium als Ersatzanknüpfung (aa) Neutrales Kriterium Zunächst ist erforderlich, daß die streitige Regelung an ein „neutrales“ Kriterium anknüpft. Dieses Kriterium muß die gleichen protektionistischen beziehungsweise inländerbevorzugenden Wirkungen entfalten wie bei einem direkten Rückgriff auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit.354 Dies bedeutet, daß zwischen dem gewählten und dem verbotenen Kriterium ein gewisser Bezug im Sinne einer Ergebnis-Äquivalenz355 erforderlich ist.356 (bb) Tatsächlich gleiches Ergebnis Ungeklärt ist jedoch, in welchem Maß eine Benachteiligung der Ausländer stattfinden muß, damit sich der Schluß rechtfertigt, das angewandte Kriterium sei nicht mehr staatsangehörigkeitsneutral.357 Ist es erforderlich, daß die Benachteiligung Ausländer ausschließlich358 oder zumindest typischerweise359 betrifft? Genügt es, wenn die Staatsangehörigen anderer Mitglied353

EuGH, Slg. 1974, 153 (164 f. Rdnr. 11) – Sotgiu. Vgl. P. Troberg/J. Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 43. 355 Eingehend S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 56. 356 A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 12 Rdnr. 14; ausführlich dies., Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 105. 357 Vgl. D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 90 f.; M. Rolshoven, „Beschränkungen“ des freien Dienstleistungsverkehrs, 2002, S. 155 ff.; A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 104 ff. 358 Vgl. Abschnitt III B des Allgemeinen Programms zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, ABl. EG 1962, S. 36: „vorwiegend“. 359 F.-J. Schöne, Dienstleistungsfreiheit in der EG und deutsche Wirtschaftsaufsicht, 1989, S. 91; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1056; R. Wägenbauer, EuZW 1991, 427 (429). Ausführlich hierzu K. Lackhoff, Die Nieder354

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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staaten häufig360 gegenüber eigenen Staatsangehörigen benachteiligt werden? Reicht selten361 auch? a) Rechtsprechung des EuGH Der EuGH stellte im Rahmen des grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbots bereits früh fest,362 daß eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn eine Bestimmung zwar nicht formal, aber „faktisch“, „im wesentlichen“, „ganz überwiegend“ oder „ihrem Wesen nach eher“ fremde Staatsangehörige trifft und damit eigene Staatsangehörige im Ergebnis begünstigt.363 Es reiche aus, daß die betreffende Vorschrift geeignet sei, eine solche Wirkung hervorzurufen.364 Eine aussagekräftige Analyse der Rechtsprechung ist jedoch wegen der uneinheitlichen Wortwahl365 und Argumentationsweise des EuGH problematisch. Insbesondere darf nicht vergessen werden, daß der EuGH in keiner Entscheidung seinen Diskriminierungsbegriff offenlegt.366 Da er zudem jegliche Präzisierung oder Unterscheidung nach erkennbarer Finalität vermeidet,367 weist die Rechtsprechung insofern lassungsfreiheit im EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 230. 360 EuGH, Slg. 1990, I-1779 (1793 Rdnr. 15) – Biehl; vgl. auch S. Speyer, EuZW 1991, 588 (589). 361 B. Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 (2576). 362 EuGH, Slg. 1974, 153 (164 f. Rdnr. 11 ff.) – Sotgiu; Slg. 1978, 1489 (1498 Rdnr. 16 ff.) – Kenny. 363 Vgl. zu den im Text wiedergegebenen und weiteren Umschreibungen EuGH, Slg. 1989, 1591 (1610 Rdnr. 12) – Allué; Slg. 1992, I-5785 (5828 f. Rdnr. 42 ff.) – Kommission ./. Vereinigtes Königreich; Slg. 1996, I-2617 (2638 Rdnr. 20 ff.) – O\9Flynn; Slg. 1990, 1779 (1793 Rdnr. 14) – Biehl. 364 EuGH, Slg. 1996, I-2617 (2639 Rdnr. 21) – O’Flynn; Slg. 1996, I-4307 (4337 Rdnr. 20) – Kommission ./. Belgien; vgl. auch K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der EU, 2002, § 10 Rdnr. 702. 365 Obwohl der Gerichtshof häufig die Begriffe „Beschränkung“ oder „Beeinträchtigung“ verwendet, kann nicht zwingend darauf geschlossen werden, daß er eine mittelbare Diskriminierung verneinen und den Fall über das Beschränkungsverbot lösen möchte, vgl. EuGH, Slg. 1991, I-4069 (4093 Rdnr. 14 ff.) – Kommission ./. Niederlande; Slg. 1995, I-1141 (1176 Rdnr. 30 ff.) – Alpine Investments; Slg. 1997, I-2471 (2500 Rdnr. 24 ff.) – Futura Participation. 366 Die Entscheidung eines Falles, der die Anrechnung von in einem anderen Mitgliedstaat erworbener Berufserfahrung betraf, führte zu dem Vorwurf in der Literatur, daß der EuGH selbst nicht mehr wisse, was eine Diskriminierung sei, so M. Novak, EuZW 1999, 84 (85). 367 Insbesondere werden die Begriffe der mittelbaren, verdeckten oder verschleierten Diskriminierung nebeneinander und ohne erkennbares Konzept verwendet, vgl. U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 38.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

keine einheitlichen formalen Kriterien zur Feststellung eines unzulässigen Unterscheidungsmerkmals auf. Zu Recht wird daher beklagt, daß die Figur der mittelbaren Diskriminierung, wie sie sich in der Rechtsprechung darstellt, „unscharf“, „blaß“ und „konturenlos“ ist.368 Betrachtet man die Rechtsprechung des EuGH genauer, so ist festzustellen, daß der EuGH bei der Klärung der Frage, ob die Maßnahme einen „vergleichbaren Effekt“ wie bei einer Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit herbeiführt, von zwei unterschiedlichen Ansatzweisen ausgeht, die er gegebenenfalls miteinander kombiniert.369 aa) Statistische Betrachtungsweise Zum einen stellt der EuGH in einigen Entscheidungen370 auf das „tatsächlich gleiche Ergebnis“ ab. Er nimmt also, worauf das Merkmal „tatsächlich“ bereits hindeutet, eine statistische Betrachtung vor. Hierunter ist die rein tatsächliche, statistisch signifikante Korrelation der durch die Kriterien gebildeten Vergleichsgruppen zu verstehen, wobei die tatsächliche Auswirkung der Regelung wohl im Wege der Beweiserhebung zu klären wäre. Sofern der EuGH überhaupt statistische Vergleiche durchführt, geht er nicht von einer völligen Identität der Ergebnisse aus. Es genüge, wenn die Regelung in der „großen Mehrzahl“ der von der Norm geregelten Fälle Angehörige anderer Mitgliedstaaten treffe.371 In den Entscheidungen Allué I und Allué II beruft sich der Gerichtshof expressis verbis auf statistische Angaben. Dort ging es um nationale Regelungen, welche die universitäre Anstellung von Fremdsprachenlektoren einer zeitlichen Begrenzung unterwarfen, anderen Lehrkräften jedoch unbefristete Arbeitsverhältnisse gewährten. Da lediglich 25 Prozent der Fremdsprachenlektoren die inländische Staatsangehörigkeit besessen hätten, führten die betroffenen Regelungen zu einer Benachteiligung der EG-Ausländer und stellten somit eine mittelbare Diskriminierung dar.372

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B. Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 (2576); P. Behrens, EuR 1992, 145 (154). Siehe hierzu S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 57 ff. 370 Vgl. nur EuGH, Slg. 1974, 153 (164 Rdnr. 11) – Sotgiu; Slg. 1997, I-3659 (3685 Rdnr. 33) – Mora Romero; Slg. 1997, I-3279 (3313 Rdnr. 33) – Merino García. 371 Vgl. etwa EuGH, Slg. 1992, I-5785 (5828 f. Rdnr. 42) – Kommission ./. Vereinigtes Königreich. 372 EuGH, Slg. 1989, 1591 (1610 Rdnr. 12) – Allué I; Slg. 1993, I-4309 (4333 Rdnr. 12) – Allué II; ähnlich auch EuGH, Slg. 1993, I-5185 (5207 Rdnr. 18) – Spotti. 369

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bb) Normative Betrachtungsweise Meist spielen die echten Zahlenverhältnisse in der Rechtsprechung des EuGH jedoch kaum eine Rolle. Vielmehr bevorzugt der EuGH eine normative Betrachtungsweise. Das bedeutet, daß er „mittels eines typisierenden Wertungsvorganges“373 lediglich die Eignung des Differenzierungskriteriums zur Benachteiligung von Ausländern überprüft.374 Die Argumentation in jenen Entscheidungen beruht insofern nicht auf absoluten Zahlenverhältnissen, sondern auf der Basis bestimmter Lebenserfahrungen.375 Klassische Beispiele376 für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung sind unter anderem das Wohnsitzerfordernis im Inland, die Forderung nach einem langjährigen Aufenthalt im Inland oder die Beherrschung einer fremden Sprache.377 Einen abschließenden Katalog der verbotenen Anknüpfungsmerkmale gibt es jedoch nicht.378 b) Ansichten im Schrifttum Auch in der Literatur wird versucht, das einer mittelbaren Diskriminierung unstreitig eigene „quantitative Element“379 auf faßbare Kriterien zurückzuführen und nicht jeden Wirkungsunterschied genügen zu lassen. Festgemacht wird dies beispielsweise anhand besonderer Anforderungen an die Signifikanz der Auswirkung380 oder an der Art der getroffenen Regelung.381 Andere scheinen jede Art von Benachteiligung für ausreichend zu halten.382 Astrid Epiney zufolge kommt es bei dem gewählten Differenzierungskrite373 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 58; ähnlich auch R. Streinz, in: ders. (Hrsg.) EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 50. 374 EuGH, Slg. 1996, I-2617 (2639 Rdnr. 21) – O’Flynn; Slg. 1996, I-4307 (4337 Rdnr. 20) – Kommission ./. Belgien. 375 Vgl. A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 105; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 278 f. 376 Zu weiteren Beispielen siehe J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 76 ff. 377 Vgl. nur EuGH, Slg. 2003, 721 (738 Rdnr. 14) – Kommission ./. Italien. 378 Vgl. M. Rolshoven, „Beschränkungen“ des freien Dienstleistungsverkehrs, 2002, S. 156; D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 90. 379 B. Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 (2576); K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Freiheits- oder auch ein Gleichheitsrecht?, 2000, S. 230. 380 So wohl H. D. Jarass, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling, Bd. I, 1995, S. 593 (597); ders., EuR 2000, 705 (710). 381 W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 50 Rdnr. 37. 382 B. Knobbe-Keuk, DB 1990, 2573 (2576).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

rium weniger auf seine quantitative Auswirkung an. Vielmehr sei der inhaltliche Bezug zu dem Kriterium der Staatsangehörigkeit maßgebend.383 Aufgrund der unabdingbaren Parallelität zum Kriterium der Staatsangehörigkeit kämen aber nur personenbezogene Merkmale in Betracht. Maßnahmen, die sich ausschließlich auf Sachen beziehen, könnten von vornherein keine „materiellen“ Diskriminierungen begründen.384 Die wohl herrschende Meinung knüpft bei der Feststellung des vergleichbaren Effekts in Anlehnung an die Rechtsprechung an wertende Kriterien wie zum Beispiel eine „dem Wesen nach“385, in erster Linie386, „hauptsächlich“387, „vorwiegend“388, „regelmäßig“389 gegebene Bevorzugung innerstaatlicher Vorgänge an.390 g) Stellungnahme Die statistische Betrachtungsweise begegnet in zweierlei Hinsicht Bedenken. Zunächst ist eine Quantifizierung der betroffenen Personen naturgemäß nicht nur sehr schwierig,391 sondern birgt auch die Gefahr der Berücksichtigung einer rein zufälligen Faktenlage. Zum anderen fehlt der notwendige Bezug zu dem verbotenen Differenzierungskriterien, der Staatsangehörigkeit, wenn es als ausreichend erachtet wird, daß die Vergleichsgruppe von der betreffenden Maßnahme lediglich „oft“ betroffen ist.392 Entgegen der 383 A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), 2002, Art. 12 Rdnr. 14; dies., Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 105 f., dies sei etwa bei einem Rückgriff auf territoriale Aspekte (Wohnsitz) oder kulturelle Aspekte (Sprache) gegeben. Ebenso S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 59 ff.; wohl auch W. Weiß, InfAuslR 2001, 1 (3): „eng mit der Staatsangehörigkeit zusammenhängende Umstände“. 384 A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 12 Rdnr. 14; dies., Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 105 f. 385 U. Kischel, EuGRZ 1997, 1 (8). 386 A. Bleckmann, Europarecht, 1997, Rdnr. 1744. 387 EuGH, Slg. 1999, I-2517 (2536 Rdnr. 14) – Ciola. 388 P. Behrens, EuR 1992, 145 (151). 389 D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 90; I. Bode, Die Diskriminierungsverbote im EWG-Vertrag, 1968, S. 309. 390 W. Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 39 Rdnr. 46; R. Streinz, in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 199 (218 f.); T. Eilmannsberger, JBl. 1999, 345 (349 f.), der offenbar damit an die Absicht des Gesetzgebers anknüpfen will; ebenso M.-A. Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag, 1984, S. 47 f.; andeutungsweise auch A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 5; vgl. ausführlich M. Rolshoven, „Beschränkungen“ des freien Dienstleistungsverkehrs, 2002, S. 155 ff. 391 So auch S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 278. Vgl. etwa EuGH, Slg. 1980, 2299 (2315 Rdnr. 14) – Kommission ./. Frankreich. 392 So A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 106.

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ursprünglichen Zielsetzung der grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbote erfolgt insofern eine unüberschaubare Ausweitung des Anwendungsbereichs mittelbarer Diskriminierungen.393 Sinn und Zweck dieser Rechtsfigur ist es vielmehr, die Umgehungsmöglichkeiten einzuschränken.394 Folgt man hingegen der vorzugswürdigen typisierenden Betrachtungsweise, bleibt der Anwendungsbereich der mittelbaren Diskriminierung auf ein notwendiges Maß beschränkt.395 Dabei mögen die jeweiligen zahlenmäßigen Verhältnisse häufig Ausdruck jener Typizität sein. Sie sind jedoch nur die Folge, nicht die Ursache der charakteristischen Prägung bestimmter Sachverhalte. (b) Fehlen von sachlichen Gründen Des Weiteren sind einige kurze Bemerkungen hinsichtlich des zweiten Elements der Sotgiu-Formel erforderlich. Nach einer von der fünften Kammer geprägten und gelegentlich auch von der sechsten Kammer und vom Plenum gebrauchten Formulierung gehöre es zum Begriff der mittelbaren Diskriminierung, daß die angegriffene Vorschrift nicht durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sei.396 Auch in der Literatur wird teilweise geprüft, ob als ausschließendes Element ein sachlicher Grund für die Anwendung des „neutralen“ Kriteriums besteht.397 Diese Art von Rechtfertigungsprüfung398 wirft jedoch einen dogmatischen Wertungswiderspruch insofern auf, als daß sie einen Strukturunterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung begründet.399 Bei der unmittelbaren Diskriminie393

A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 105 zufolge wird dadurch „das Erfordernis der typischen Betroffenheit bis ins Unkenntliche ausgedehnt“. 394 A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 105. 395 M. Hintersteininger, Binnenmarkt und Diskriminierungsverbot, 1999, S. 36 ff. rekurriert zwar ebenfalls auf eine typische Betroffenheit ausländischer Staatsangehöriger, bejaht diese aber, wenn „in wesentlich mehr als die Hälfte, also der großen Mehrzahl der Fälle“ die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten betroffen seien. 396 EuGH, Slg. 1995, I- 225 (259 f. Rdnr. 30 ff.) – Schumacker; Slg. 1996, I-2617 (2638 Rdnr. 19) – O’Flynn; Slg. 1997; I-6689 (6720 Rdnr. 45) – Meints; Slg. 1998, I-5325 (5351 Rdnr. 38) – Kommission ./. Frankreich; Slg. 1999, I-5451 (5487 f. Rdnr. 21 ff.) – Gschwind. 397 Vgl. insbesondere zur dogmatischen Funktion S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 60; A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 108. 398 A. A. S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 60 f., der die „Sachlichkeitsprüfung“ höchstens in zweiter Linie als Rechtfertigungsfunktion ansieht und ihr vorrangig die Funktion einer Abgrenzung von unzulässigen Diskriminierungen aufgrund des verbotenen Kriteriums, der Staatsangehörigkeit und zulässigen Ungleichbehandlungen aufgrund anderer Merkmale zuweist.

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rung findet eine derartige, zusätzliche Prüfung nicht statt.400 Zudem erfolgt auf diese Weise eine wiederholte Prüfung der Rechtfertigung. Auffällig ist, daß der EuGH das Fehlen objektiver, von der Staatsangehörigkeit unabhängiger Erwägungen häufig bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit, um die es auch in der Entscheidung Sotgiu ging, prüft.401 Erklärlich ist diese Terminologie wohl durch die in der Rechtsprechung zu Art. 39 EG (Art. III-133 VV) stärker ausgeprägte gleichheitsrechtliche Dimension.402 In gleichheitsrechtlicher Perspektive wird schon das Vorliegen einer Ungleichbehandlung verneint, wenn „sachliche Gründe“ für die Unterscheidung gegeben sind. Dagegen liegt nach dem Sprachgebrauch zu anderen Grundfreiheiten, bei denen ein freiheitsrechtlicher Prüfungsansatz im Vordergrund steht, in solchen Fällen eine durch zwingende Gründe gerechtfertigte Beeinträchtigung vor.403 Es stellt sich somit die bereits an dieser Stelle anzudeutende Frage, ob nicht im Sinne einer Konvergenz sowohl der Grundfreiheiten als auch ihrer Rechtfertigungsmöglichkeiten diese Judikatur dahingehend interpretiert werden sollte, daß es hier nicht darum geht, den Diskriminierungstatbestand näher zu konkretisieren, sondern um eine Rechtfertigung der Regelung aus Gründen des Allgemeininteresses. Diese Problematik soll allerdings erst an späterer Stelle geklärt werden.404 Festzuhalten bleibt vorliegend in Anlehnung an den eingangs erwähnten Diskriminierungsbegriff, daß die Prüfung des Fehlens eines sachlichen Grundes für das „neutrale“ Kriterium als Voraussetzung einer mittelbaren Diskriminierung abzulehnen ist.405 (c) Exkurs: Finales oder kausales Diskriminierungskonzept Bevor genauer auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale einer mittelbaren Diskriminierung eingegangen wird, stellt sich vorab die Frage, ob durch das Anknüpfen an ein anderes Merkmal als die Staatsangehörigkeit ein ver399 Vgl. S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 60. 400 Daher wird die Ausdehnung der „Sachlichkeitsprüfung“ auf die unmittelbare Diskriminierung gefordert; vgl. etwa A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/ EGV, 2002, Art. 12 Rdnr. 42 m. w. N. 401 So bei EuGH, Slg. 1974, 153 (165 Rdnr. 12) – Sotgiu. 402 Ebenso P. Steinberg, EuGRZ 2002, 13 (24); J. Gundel, Jura 2001, 79 (81). 403 C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (629 f.); H.-W. Roth, wrp 2000, 979 (980 f.). 404 Vgl. unten 4. Teil B. III. 1. b). 405 Vgl. mit ausführlicher Argumentation K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 231 f.; siehe auch A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 39 Rdnr. 148.

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gleichbarer Zustand final herbeigeführt werden muß oder ob eine kausale Verursachung ausreicht.406 Die Rechtsprechung des EuGH ist diesbezüglich nicht ganz eindeutig.407 Grundsätzlich spielen subjektive Elemente in den Ausführungen des EuGH keine Rolle. Bislang gibt es lediglich Einzelfälle, die aber nicht die Aussage zulassen, das subjektive Moment sei ein generelles Prüfungskriterium.408 Vielmehr bezieht der Gerichtshof je nach Sachverhalt eine der beiden Alternativen oder beide kumulativ in seine Argumentation mit ein, ohne diesen Aspekt zu problematisieren.409 Vertreter des finalen Diskriminierungskonzepts410 begründen die Vorzugswürdigkeit ihrer Position mit dem Argument, daß ansonsten auch „zufällige Diskriminierungen“ erfaßt werden, deren Eintreten beim Erlaß der Maßnahme nicht vorhersehbar und deshalb seitens des Gesetzgebers auch gar nicht vermeidbar gewesen sei.411 Einer solchen Auffassung stehen jedoch erhebliche Bedenken entgegen. Insbesondere ist unter dem Blickwinkel der Effektivität der Diskriminierungsverbote nicht einleuchtend, warum zufällige Ungleichbehandlungen von ihnen ausgenommen sein sollten.412 Welchen Sinn und Zweck der Gesetzgeber der Norm zugedacht hat,413 ist kaum verläßlich zu ermitteln, so daß die Gefahr besteht, daß tatsächlich diskriminierend wirkende Maßnahmen nicht erfaßt werden.414 Die Grundfreiheiten dienen der Verwirklichung 406 Vgl. den Überblick bei A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 100 ff.; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 52 f. m. w. N. 407 Für eine finale Herbeiführung EuGH, Slg. 1980, 3424 (3436 f. Rdnr. 9 ff.) – Boussac; auf die Kausalität abstellend EuGH, Slg. 1978, 417 (450 Rdnr. 69/72) – Kommission ./. Irland; Slg. 1980, 2299 (2315 Rdnr. 14) – Kommission ./. Frankreich. 408 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 129. 409 Vgl. nur EuGH, Slg. 1989, 1591 (1610 f. Rdnr. 10 ff.) – Allué I; Slg. 1990, I-1779 (1792 f. Rdnr. 13 ff.) – Biehl. 410 R. C. Thümmel, EuZW 1994, 242 (244); M.-A. Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag, 1984, S. 48 m. w. N. Vgl. auch S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 295, wobei die protektionistischen Ziele zumindest als Nebenfolge bezweckt sein müssen. 411 R. C. Thümmel, EuZW 1994, 242 (244); mit ausführlicher Erläuterung M.-A. Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag, 1984, S. 45 ff. 412 A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, S. 101; mit ausführlicher Begründung: K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 228 f. 413 Daher müsse auf die objektive Zwecksetzung, wie sie in der Norm selbst, den Entwürfen und Beratungsprotokollen zum Ausdruck komme, abgestellt werden, so etwa M.-A. Reitmaier, Inländerdiskriminierungen nach dem EWG-Vertrag, 1984, S. 49 f. 414 U. Ehricke, IPRax 1993, 380 (381).

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der Vertragsziele, insbesondere des Binnenmarktes. Daher können sie keine Verbotsnormen in dem Sinn darstellen, daß eine Verletzung nur unter der Voraussetzung der Vorhersehbarkeit der diskriminierenden Wirkung vorliegen kann.415 Obwohl die Notwendigkeit besteht, dem Diskriminierungsbegriff durch bestimmte Restriktionen schärfere Konturen zu geben, so wenig sinnvoll ist es, diesbezüglich zwischen kausalen und finalen Konzeptionen zu unterscheiden.416 (d) Ergebnis Der Begriff der mittelbaren Diskriminierung setzt zunächst im Hinblick auf das Strukturmerkmal der Ungleichbehandlung eine tatbestandliche Differenzierung der betreffenden Maßnahme voraus. Dabei genügt es jedoch nicht, auf die Anknüpfung an bestimmte Kriterien zu rekurrieren. Darüber hinaus muß ein spezifischer Zusammenhang mit dem verbotenen Differenzierungsmerkmal, der Staatsangehörigkeit, festgestellt werden. Dabei ist keine statistische, sondern eine typisierende Betrachtung anzustellen. (2) Wohnsitzerfordernis in der Gemeinde als mittelbare Diskriminierung Bevor die Frage nach dem Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung durch das gemeindliche Wohnsitzerfordernis eingehender untersucht wird, erscheint zunächst das parallel zu den städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen gelagerte EuGH-Urteil „Kommission ./. Italien“ zum sozialen Wohnungsbau aus dem Jahre 1988 einer Erwähnung wert.

415

A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 70; A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 101 in bezug auf Art. 12 EG. 416 Im Ergebnis ebenso A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 71; ebenso A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 12 Rdnr. 6; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 229; U. Ehricke, IPRax 1993, 380 (381); T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Rechts, 1999, S. 39; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 22; J. Gundel, Jura 2001, 79 (80); U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 13.

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(a) EuGH-Urteil „Sozialer Wohnungsbau“ (aa) Sachverhalt Um den Wohnbedarf der Bürger zu decken,417 schufen der italienische Zentralstaat und verschiedene Regionen418 Vorschriften, nach denen der Erwerb und die Miete von mit Hilfe öffentlicher Mittel geförderten, sozialgebundenen Wohnungen an die italienische Staatsbürgerschaft geknüpft war. Gleiches galt für subventionierte Immobiliarkredite zur Förderung des privaten Wohnraums. Neben der italienischen Staatsangehörigkeit waren weitere, insbesondere soziale Kriterien zu erfüllen, wie zum Beispiel ein unterhalb eines bestimmten Betrages liegendes Familieneinkommen oder die Ansässigkeit oder Ausübung der Haupttätigkeit in der jeweiligen Gemeinde/ Region.419 Ein in Bologna wohnhafter belgischer Staatsangehöriger beabsichtigte eine für die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit notwendige Wohnung zu erwerben und beantragte die Gewährung eines Immobiliarkredites zu ermäßigtem Zinssatz. Dieser Antrag wurde von der Region EmiliaRomagna unter der Berufung auf die vorgenannten Bestimmungen abgelehnt. Nachdem sich der belgische Staatsangehörige bei der Kommission beschwerte, strengte diese ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EG (Art. III-360 VV) gegen die Italienische Republik an. Das in den Rechtsvorschriften über den sozialen Wohnungsbau enthaltene Staatsangehörigkeitserfordernis sei mit der Arbeitnehmer-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nicht zu vereinbaren. (bb) Vorverfahren In dem Vorverfahren räumte die italienische Regierung ein, daß die für den öffentlich geförderten Wohnungsbau geltenden staatlichen und regionalen Rechtsvorschriften einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 EG (Art. III-133 VV) und gegen Art. 9 der VO (EWG) Nr. 1612/68 darstellten.420 Sie änderte die Vorschriften dahingehend, daß Arbeitnehmer, die in Italien ansässig sind und/oder dort ihre Haupterwerbstätigkeit ausüben, den italienischen Bürgern in bezug auf die Zuteilung von 417 Vgl. nur Art. 4 des Gesetzes Nr. 33 der Region Apulien vom 24.4.1980, Bollettino ufficiale della regione Puglia Nr. 31 vom 2.5.1980. 418 Zu den verschiedenen Gesetzen der Regionen vgl. EuGH, Slg. 1988, 29 (30 f. Rdnr. 1 ff.) – Kommission ./. Italien. 419 GA J. L. Da Cruz Vilaca, SchlA, Slg. 1988, 29 (42 Nr. 38) – Kommission ./. Italien. 420 Vgl. das Vorbringen der Parteien in EuGH, Slg. 1988, 29 (33 Nr. 1, siehe auch 37 Nr. 9) – Kommission ./. Italien.

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der öffentlichen Hand errichteten Wohnungen und den Zugang zu den mit den staatlichen Wohnungsbeihilfen verbundenen Vergünstigungen gleichgestellt werden.421 Daraufhin sahen der Gerichtshof als auch die Kommission den bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit geltend gemachten Verstoß als beseitigt an.422 Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang insbesondere das Vorbringen der Kommission im schriftlichen Vorverfahren, das den Eindruck erweckte, daß sie die Klage nicht nur gegen die Staatsangehörigkeitsklausel richten wolle, sondern auch gegen die mit der Gewährung einer vergünstigten Wohnung verknüpften Bedingungen der Ortsansässigkeit oder der Haupterwerbstätigkeit in der Region. Der Generalanwalt José Luís Da Cruz Vilaca wertete in seinem Schlußantrag diese Bedingungen als „durchaus geeignet, eine mittelbare Diskriminierung zu schaffen“.423 Die Kommission beschränkte jedoch die Anträge in der Klageschrift förmlich auf die Staatsangehörigkeitsklausel, so daß eine Erweiterung des Streitgegenstands aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 226 EG nicht zulässig war. (cc) Würdigung durch den EuGH Der Gerichtshof stellte dementsprechend in seinem Urteil ausdrücklich fest, daß nur das in den italienischen Rechtsvorschriften enthaltene Erfordernis der Staatsangehörigkeit streitig sei, nicht aber die zusätzlichen Voraussetzungen.424 Gleichwohl erklärte er, daß weitere, mit den Zielen der Vorschrift über den sozialen Wohnungsbau zusammenhängende Bedingungen keine Diskriminierung darstellten.425 Eine Begründung lieferte er hierfür allerdings nicht. Folglich verneinte der EuGH eine mittelbare Diskriminierung für das Erfordernis der Ansässigkeit oder der Haupterwerbstätgkeit in der Region. Anzumerken ist hier allerdings, daß in dem Urteil mangels Offenlegung des Diskriminierungsbegriffs nicht deutlich wird, ob die mittelbare Diskriminierung ausscheidet, weil sie gerechtfertigt ist oder ob er im Jahre 1988 das Wohnsitzerfordernis in der Region nicht als Diskriminierung wertete. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre jedoch reine Spekulation und bringt daher für die vorliegende Untersuchung keinen Erkenntnisgewinn. 421 Siehe den GA J. L. Da Cruz Vilaca, SchlA, Slg. 1988, 29 (37 Nr. 9) – Kommission ./. Italien. 422 EuGH, Slg. 1988, 29 (54 Rdnr. 22) – Kommission ./. Italien. 423 Siehe den GA J. L. Da Cruz Vilaca, SchlA, Slg. 1988, 29 (38 Nr.15) – Kommission ./. Italien. 424 EuGH, Slg. 1988, 29 (51 Rdnr. 8) – Kommission ./. Italien. 425 EuGH, Slg. 1988, 29 (53 Rdnr. 18) – Kommission ./. Italien.

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(b) Ungleichbehandlung anhand eines neutralen Kriteriums Die gemeindlichen Verwaltungsvorschriften im Rahmen von städtebaurechtlichen Wohnraummodellen bestimmen, daß ausschließlich Bürger mit Wohnsitz in der Gemeinde bei der Vergabe von Grundstücken antragsberechtigt sind. Auswärtige sind somit von der Teilnahme an derartigen Modellen von vornherein ausgeschlossen. Die verwaltungsinternen Vergaberichtlinien differenzieren somit anhand des neutralen Kriteriums der Ansässigkeit in der Gemeinde. Die Gewerbemodelle stellen auf das Vorhandensein einer Betriebsstätte, von Grundbesitz oder ähnlichem ab, so daß hier ebenfalls an ein neutrales Kriterium angeknüpft wird. Da die nachstehenden Ausführungen unproblematisch auf die Gewerbemodelle übertragen werden können, wird erst im Ergebnis der folgenden Prüfung auf sie zurückzukommen sein. (c) Spezifischer Zusammenhang Eine bloße Differenzierung anhand dieses Kriteriums reicht nicht aus, um die Verwaltungsvorschriften als mittelbar diskriminierende Maßnahmen zu werten. Vielmehr ist erforderlich, daß anhand einer typisierenden Betrachtung eine spezifische Relation zu dem verbotenen Unterscheidungsmerkmal festgestellt wird. (aa) Wohnsitz im Inland Ein Wohnsitzerfordernis weist a priori einen gewissen „inneren“ Bezug zur Staatsangehörigkeit auf.426 Es ist daher nicht weiter verwunderlich, daß sowohl die Literatur427 als auch der EuGH428 in ständiger Rechtsprechung 426 Vgl. auch S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 142. 427 P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 78; N. Schneider/H. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 36. M. Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 49 Rdnr. 74; J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 43; Art. 43 Rdnr. 76; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht, 2000, S. 231; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 116; f. Welti, JA 2005, 852 (854); f. Wollenschläger, NVwZ 2005, 1023 (1024). 428 EuGH, Slg. 1982, 223 (235 Rdnr. 9) – Seco/EVI; Slg. 1995, I-2493 (2515 Rdnr. 18 ff.) – Wielockx; Slg. 1996, I-4328 (4340 Rdnr. 29) – Kommission ./. Belgien; Slg. 1997, I-3301 (3313 Rdnr. 34) – Merino Garcia; Slg. 1998, I-6717 (6744 Rdnr. 44) – Kommission ./. Spanien; Slg. 1999, I-2517 (2535 Rdnr. 10 ff.) – Ciola; Slg. 2000, I-1221 (1246 Rdnr. 31) – Kommission ./. Belgien; Slg. 2002, I-305 (368

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zumindest die Anknüpfung an den Wohnsitz im Inland ohne großen Begründungsaufwand als mittelbare Diskriminierung werten. Dem ist zuzustimmen. Nach den heutigen Gegebenheiten besteht die Bevölkerung eines Staates überwiegend aus Inländern. Diese erfüllen daher ein Wohnsitzerfordernis im Inland regelmäßig bereits kraft ihrer Inländereigenschaft.429 Eine Differenzierung anhand des Wohnsitzkriteriums im Inland wirkt sich typischerweise wie eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit aus.430 Der Rückbezug des in Rede stehenden Kriteriums auf das Merkmal der Staatsangehörigkeit ist in diesen Fällen unproblematisch zu bejahen. (bb) Wohnsitz in der Gemeinde Im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen wird allerdings nicht auf den Wohnsitz im Inland abgestellt, also keine Differenzierung entlang der Staatsgrenzen vorgenommen, sondern die Ansässigkeit nur in einem Teilgebiet dieses Staates, sprich in der Gemeinde, vorausgesetzt. Alle Deutschen, die nicht in der das städtebaurechtliche Einheimischenmodell anbietenden Gemeinde ansässig sind, besitzen keine Möglichkeit, in dessen Rahmen ein Grundstück unter dem objektiven Verkehrswert zu erwerben.431 Die Gruppe der bevorzugten Gemeindeeinwohner ist gemessen an der Einwohnerzahl der Bundesrepublik Deutschland relativ klein. Es sind somit in erheblichen Umfang auch die eigenen Staatsangehörigen von den im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen gewährten Vergünstigungen ausgeschlossen und werden durch die Gemeinde genauso wie Unionsbürger, die in einem anderen Mitgliedstaat leben, behandelt. Folglich stellt sich die Frage, ob das Erfordernis des Wohnsitzes in der Gemeinde ebenso wie das Ansässigkeitskriterium im Inland zu einer mittelbaren Diskriminierung der EG-Ausländer führt.

Rdnr. 30 f.) – Kommission ./. Italien; EuGH, EuZW 2005, 277 (278 Rdnr. 53) – Bidar; siehe aber EuGH, Slg. 2001, I-541 (566 Rdnr. 20) – Kommission ./. Italien, wo der EuGH nur von „Beschränkung“ spricht. 429 J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 76. 430 So auch A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 327; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 278; im Ergebnis ebenso EuGH, Slg. 1998, I-2521 (2547 Rdnr. 29) – Clean Car Service; Slg. 1999, I-2517 (2535 Rdnr. 14) – Ciola; Slg. 2003, 721 (738 Rdnr. 13) – Kommission ./. Italien. 431 Auf diese Argumentation stützen sich insbesondere die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es ebenfalls um die Anknüpfung an den Wohnsitz in einer Region ging.

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a) Rechtsprechung des EuGH Fraglich ist, ob die Rechtsprechung des EuGH in dieser Frage Aufschluß gibt. In der Rechtssache Du Pont de Nemours Italiana behandelte der EuGH erstmals eine Vorschrift, die an den Wohnsitz in einer bestimmten Region anknüpfte. Konkret ging es um eine italienische Präferenzregelung, die den in den Gebieten des Mezzogiorno ansässigen Unternehmen einen prozentualen Anteil an öffentlichen Lieferaufträgen vorbehielt. Hier stellte der Gerichtshof klar, daß der Umstand, daß auch andere ortsfremde italienische Unternehmen benachteiligt seien, an der festgestellten Diskriminierung nichts ändere.432 Es würden zwar nicht alle Erzeugnisse des fraglichen Mitgliedstaates gegenüber ausländischen Erzeugnissen bevorzugt, wohl aber seien alle433 Erzeugnisse, denen das Vorzugssystem zu Gute komme, inländische Erzeugnisse.434 Hinsichtlich der Anzahl der Bevorzugten reiche bereits die Begünstigung eines Inländers aus.435 Das Urteil Angonese nutzte der EuGH, um diese Ansicht konkreter auszuführen. Gegenstand dieser Entscheidung war allerdings kein Wohnsitzerfordernis in einer Region. Ein privater Arbeitgeber verpflichtete die Bewerber in einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Personal, ihre Sprachkenntnisse durch ein ausschließlich in der Provinz Bozen ausgestelltes Diplom nachzuweisen. Aus den Akten ergab sich, daß überwiegend Einwohner der besagten Provinz diese Prüfung ablegten. Daraus sei ersichtlich, daß Personen, die nicht in der Provinz Bozen wohnen, wenig Möglichkeiten haben, die Bescheinigung zu erwerben.436 Da die Mehrheit der Einwohner in Bozen die italienische Staatsangehörigkeit besäße, benachteilige die in Rede stehende Maßnahme die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Verhältnis zu diesen Einwohnern.437 Diese Schlußfolgerung könne nicht dadurch entkräftigt werden, daß die streitige Maßnahme sowohl die in anderen Teilen des Staatsgebiets wohnenden italienischen Staatsangehörigen genauso wie die Staatsangehöri432

EuGH, Slg. 1990, I-889 (920 Rdnr. 12) – Du Pont de Nemours Italiana; ebenso Slg. 1992, 3401 (3418 Rdnr. 9) – Kommission ./. Italien; Slg. 1991, I-4069 (4095 Rdnr. 25) – Kommission ./. Niederlande; Slg. 2000, I-4139 (4174 Rdnr. 41) – Angonese; Slg. 2003, I-721 (738 Rdnr. 14) – Kommission ./. Italien; Slg. 1991, I-4151 (4186 Rdnr. 24) – Aragonesa. 433 Zu erklären ist diese Tatsache mit der Identität von Sitz und Staatsangehörigkeit bei juristischen Personen, vgl. S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 141 Fn. 213. 434 EuGH, Slg. 1990, I-889 (920 Rdnr. 13) – Du Pont de Nemours Italiana; Slg. 1992, 3401 (3418 Rdnr. 9) – Kommission ./. Italien; vgl. auch GA N. Fennelly, SchlA, Slg. 1998, I-8033 (8045 f.) –Bluhme. 435 EuGH, Slg. 1991, I-4069 (4095 Rdnr. 25) – Kommission ./. Niederlande. 436 EuGH, Slg. 2000, I-4139 (4173 Rdnr. 39) – Angonese. 437 EuGH, Slg. 2000, I-4139 (4174 Rdnr. 40) – Angonese.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

gen der anderen Mitgliedstaaten treffe.438 Um eine Maßnahme als diskriminierend qualifizieren zu können, sei es nicht erforderlich, daß diese Maßnahme bewirke, daß alle inländische Staatsangehörige begünstigt oder daß unter Ausschluß aller Inländer nur Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden.439 Im Widerspruch zu diesen Ausführungen steht jedoch das Urteil Jokela und Pitkäranta. In diesem Fall ging es um eine finnische Regelung, nach der ein Landwirt, der mehr als zwölf Kilometer von seinem Hof entfernt wohnt, keine staatlichen Begünstigungen erhält. Hier verneinte der EuGH eine mittelbare Diskriminierung mit der Begründung, daß ein Landwirt, der nicht in diesem Umkreis ansässig ist, sich in derselben Lage befindet wie einer der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt.440 Eine mittelbare Diskriminierung scheidet folglich aus dem Grund aus, der in den oben genannten Urteilen gerade unerheblich war. Betrachtet man diese im Ergebnis begrüßenswerte Entscheidung genauer, so ist festzustellen, daß das Erfordernis eines Wohnsitzes im Umkreis von 12 Kilometern Entfernung von dem landwirtschaftlichen Hof nicht mehr mit dem in Rede stehenden Ansässigkeitserfordernis in einer Region vergleichbar ist. Das Wohnen in der Nähe des Hofes ist kein Merkmal, das ein Inländer typischerweise kraft seiner Inländereigenschaft erfüllt. Ein Rückbezug auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit, einer Voraussetzung der mittelbaren Diskriminierung, ist augenscheinlich nicht mehr gegeben. Seine ursprüngliche, insbesondere in der Rechtssache Angonese bekräftigte Rechtsprechung, bestätigte der EuGH in dem Urteil Kommission ./. Italien aus dem Jahr 2003. Hier ging es um durch örtliche und dezentrale Stellen des italienischen Staates gewährte Tarifermäßigungen für den Zugang zu öffentlichen Museen, Galerien, Ausgrabungsstätten etc., die den auf dem Gebiet der fraglichen kulturellen Einrichtung Ansässigen vorbehalten wurden. Der EuGH verwies auf seine bereits angeführte Rechtsprechung und erklärte, daß die 438 EuGH, Slg. 2000, I- 4139 (4174 Rdnr. 41) – Angonese; Slg. 2003, 721 (738 Rdnr. 14) – Kommission ./. Italien; Slg. 1991, I-4151 (4186 Rdnr. 24) – Aragonesa. 439 EuGH, Slg. 2003, 721 (738 Rdnr.14) – Kommission ./. Italien; in diesem Sinne bereits Slg. 2000, I-4139 (4174 Rdnr. 41) – Angonese; 1991, I-4151 (4186 Rdnr. 24) – Aragonesa; siehe auch GA N. Fennelly, SchlA, Slg. 1998, I-8033 (8046) – Bluhme; vgl. aber EuGH, Slg. 1992, I-4431 (4480 Rdnr. 34) – Kommission ./. Belgien. Hier ging es um eine Regelung, wonach die Verbringung und Entsorgung von nicht aus der Region Wallonien stammenden Abfällen in den dortigen Müllverwertungsanlagen untersagt war. Hier interpretierte der EuGH kurzerhand die zweifelsohne gegebene mittelbare Diskriminierung mit einem Verweis auf die Besonderheit der Abfälle weg. Diese konstruierte Begründung mag daran liegen, daß der EuGH zu diesem Zeitpunkt eine Ausdehnung der Rechtfertigungsmöglichkeiten durch zwingende Erfordernisse auf die mittelbare Diskriminierung noch verneinte, so daß im Falle der Bejahung einer mittelbaren Diskriminierung keine Rechtfertigungsmöglichkeit gegeben gewesen wäre. 440 EuGH, Slg. 2001, I-6267 (6302 Rdnr. 42) – Jokela und Pitkäranta.

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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Benachteiligung eigener Staatsangehöriger keine Rolle spiele.441 Insgesamt ist festzustellen, daß der EuGH die Anknüpfung an den Wohnsitz in Teilgebieten des Staates regelmäßig als mittelbare Diskriminierung wertet. b) Ansichten im Schrifttum Im Schrifttum wird das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung meist allenfalls mit einem kurzen Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH442 oder auf die strukturelle Ähnlichkeit zur Ausgangslage, des Wohnsitzes im Inland, begründet.443 Nach der Ansicht von Jürgen Tiedje/Peter Troberg läuft das Merkmal der Ortsansässigkeit in einer bestimmten Gemeinde oder Region lediglich in Ausnahmefällen nicht auf eine Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit hinaus.444 Hierbei soll der objektive Grund für das Erfordernis über das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung entscheiden. Diese Ansicht überzeugt nicht. Der Grund eines Wohnsitzerfordernisses entscheidet über die Rechtfertigung eines solchen, ist aber keinesfalls eine Voraussetzung für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung.445 Sofern in der Literatur konkret zur Beeinträchtigung der Grundfreiheiten durch städtebaurechtliche Einheimischenmodelle Stellung genommen wird, überwiegt die Ansicht, daß das dort normierte Wohnsitzerfordernis nicht auf eine mittelbare Diskriminierung zu Lasten Angehöriger fremder Mitgliedstaaten hinausläuft, da dieser Personenkreis von den genannten Erwerbsbeschränkungen weder potentiell noch realiter stärker betroffen sei als deutsche Staatsangehörige.446 Eine Benachteiligung der ausländischen Ortsfremden scheide vielmehr mit dem eingangs erwähnten Argument aus, daß in erheblichem Umfang auch die eigenen Staatsangehörigen benachteiligt werden.447 Die sich aus dieser Feststellung ergebende Konsequenz wird jedoch 441

EuGH, Slg. 2003, I-721 (738 Rdnr. 14) – Kommission ./. Italien. R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 43; A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 36; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 39 Rdnr. 146; U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 153; W.-H. Roth, in: Baur/ Hopt/Mailänder u. a. (Hrsg.), FS Steindorff, 1990, S. 1313 (1331). 443 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 183, 185 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung. 444 J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 78. 445 Vgl. 3. Teil A. II. 2. c) bb) (1) (b). 446 Vgl. A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 212. 447 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 43 f.; W. Kahl/ A. Röder, JuS 2001, 24 (28 Fn. 58). 442

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

unterschiedlich beurteilt, je nachdem, ob eine Ausweitung der Diskriminierungsverbote zu umfassenden Beschränkungsverboten bejaht wird. Dirk Hörmann entnimmt zumindest den Freizügigkeiten lediglich Inländergleichbehandlungsgebote, so daß seiner Ansicht zufolge Einheimischenmodelle, die lediglich eine Unterscheidung aufgrund des Wohnsitzes treffen, mit den Grundfreiheiten vereinbar seien.448 Wolfgang Kahl hingegen bejaht die Ausweitung der Grundfreiheiten zu Beschränkungsverboten und sieht demzufolge das im Rahmen von Einheimischenmodellen normierte Ansässigkeitserfordernis als unterschiedslos anwendbare Maßnahme an, die zu einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten führt.449 Andreas Pittino verneint eine mittelbare Diskriminierung überdies mit dem Argument, daß nicht alle im Gemeindegebiet gelegenen Grundstücke der Einheimischenbindung unterliegen, so daß die Gemeinschaftsangehörigen die Möglichkeit besäßen, Grundeigentum, wenn auch nur zu normalen Marktbedingungen, zu erwerben.450 Er verkennt jedoch, daß dieser Umstand bei der Frage nach der Inländergleichbehandlung irrelevant ist.451 g) Stellungnahme Hauptargument der vorgenannten Auffassungen gegen eine mittelbare Diskriminierung der EG-Ausländer ist, daß die Mehrzahl der inländischen Staatsbürger aufgrund der fehlenden Ortsansässigkeit ebenfalls nicht die Vorzüge der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle in Anspruch nehmen können. Demgegenüber ist der EuGH der Ansicht, daß es für eine Qualifizierung einer Maßnahme als Diskriminierung nicht darauf ankommt, ob auch eigene Staatsangehörige benachteiligt werden.452 Dies überzeugt insofern, als ansonsten die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung überflüssig wäre. Eine hundertprozentige Äquivalenz zum Kriterium der Staatsangehörigkeit gibt es nicht. Problematisch erscheint jedoch im vorliegenden Fall, daß nicht nur einige, sondern vielmehr die große Mehrheit der Deutschen bei dem Kriterium der Ortsansässigkeit in der Gemeinde ausgeschlossen sind und die Maßnahme somit zahlenmäßig gesehen nicht zwischen In- und Ausländern unterscheidet. Abgesehen davon, daß es zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen würde, wenn bei einer gewissen Anzahl betroffener eigener Staatsangehöriger eine Diskriminierung entfiele, sollen im folgenden weitere Gründe dafür herausgearbeitet werden, daß die 448

Vgl. D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 43 f. W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (28); ähnlich auch R. Streinz, JuS 1999, 1222 (1222) in bezug auf Anwohnerparkplätze. 450 So A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 212 f. 451 Vgl. oben 2. Teil D. VIII. 1 c). 452 Vgl. oben 3. Teil A. II. 2. c) bb) (2) (c) (bb) a). 449

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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gleichsam diskriminierten deutschen Personen und Unternehmen nur unerhebliche Begleiteffekte sind.453 Hinter dem Argument, daß In- und Ausländer gleichermaßen benachteiligt werden, steht die Frage nach der Vergleichsgruppenbildung. Wann eine Diskriminierung im Sinne der Grundfreiheiten vorliegt oder umgekehrt formuliert, wann das Recht auf Inländergleichbehandlung eingreift, hängt von dem zu Grunde zu legenden Vergleichsmaßstab ab. Entscheidend ist hierfür, ob die Rechtsposition der Ausländer mit der aller Inländer zu vergleichen ist oder ob nur Inländer berücksichtigt werden dürfen, die zu den von der Norm erfaßten Fällen gehören. Hierzu sollen zwei Überlegungen angestellt werden. Erstens ist auf die Vergleichsrichtung des grundfreiheitlichen Diskriminierungsbegriffs einzugehen. Zweitens ist auf die Problematik der Inländerdiskriminierung zu verweisen. Bei der Frage nach der Vergleichsrichtung sind zwei grundsätzlich verschiedene Ausgestaltungen denkbar.454 So kann der Begriff der Diskriminierung Ungleichbehandlungen von Personen sowohl ausländischer als auch inländischer Staatsangehörigkeit erfassen (symmetrischer Diskriminierungsbegriff). Andererseits ist denkbar, daß die grundfreiheitlichen Diskriminierungsverbote nur ausländische Staatsangehörige schützen (asymmetrischer Diskriminierungsbegriff).455 Im Ergebnis ist der zuletzt genannten asymmetrischen Ausrichtung der Vorzug zu gewähren.456 Dies ergibt sich zum Teil unmittelbar aus dem EG-Vertrag. So kann beispielsweise gemäß Art. 50 Abs. 3 EG der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt.457 Im übrigen läßt sich diese Sichtweise auch aus dem Erfordernis eines grenzüberschreitenden Bezugs folgern. Zweitens ist auf die Problematik der Inländerdiskriminierung zu verweisen. Mit dieser Bezeichnung wird üblicherweise der Zustand beschrieben, daß Inländer in der Jurisdiktion ihres Heimatstaates aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten mitunter schlechter behandelt werden als EG-Ausländer.458 Die Situation der Inländerdiskriminierung entsteht vor al453 GA C. O. Lenz, SchlA, Slg. 1990, I-889 (909 Nr. 34 f.) – Du Pont de Nemours Italiana; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 274 Fn. 174. 454 Vgl. zu dieser Problematik S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 273 ff. 455 A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 98 f. 456 Im Ergebnis ebenso A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 99; S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 274. 457 Vgl. auch Art. 43 Abs. 2 EG. 458 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 275.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

lem dann, wenn bestimmte nationale Regelungen, etwa wegen der grundfreiheitlichen Verbotswirkung auf Sachverhalte mit Auslandsbezug nicht mehr angewandt werden dürfen, im reinen Inlandsfall jedoch nach wie vor zu beachten sind.459 Nach Ansicht des EuGH sowie der überwiegenden Meinung im Schrifttum verbietet das Gemeinschaftsrecht richtigerweise diese Form der Diskriminierung nicht.460 Sie ist vielmehr eine Folge der beschränkten normativen Wirkung des Gemeinschaftsrechts. Das bedeutet, daß die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, alle eigenen Staatsangehörigen untereinander gleich zu behandeln, vorausgesetzt es handelt sich um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt.461 Das EG-Recht ist somit nicht betroffen, wenn die Einwohner deutscher Staatsangehörigkeit einer Gemeinde gegenüber den nicht in dieser Ortschaft ansässigen Deutschen privilegiert werden. Bei der Überprüfung einer Maßnahme auf ihren benachteiligenden Charakter sind somit nicht die ausgeschlossenen eigenen Staatsangehörigen zu berücksichtigen.462 Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß als Vergleichsobjekte nicht alle,463 sondern nur die von der Norm erfaßten Inländer in Betracht kommen. Diese Ansicht hinsichtlich der Vergleichsgruppe kann durch die ausdrückliche Rechtsprechung des EuGH untermauert werden.464 Die Rechtssache Aragonesa betraf ein Gesetz der Region Katalonien, das für seinen Geltungsbereich die Werbung für Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 23 Prozent in den Medien, in öffentlichen Verkehrsmitteln etc. untersagte. Hier führte der EuGH aus, daß einer staatlichen Maßnahme, die nur einen begrenzten räumlichen Geltungsbereich besitzt, weil sie nur für einen Teil des Staates gilt, der diskriminierende Charakter nicht abgesprochen werden kann.465 Die Maßnahme gelte zwar unterschiedslos für ausländische und spanische Produkte, nicht aber unterschiedslos für ausländische und aus der Region Kataloniens stammende Produkte.466 Der EuGH stellte somit keinen Vergleich mit inländischen Produkten schlechthin an, sondern stellte auf die von der Norm betroffenen Fälle ab. Demzufolge ist allein darauf abzustellen, ob die von dem Tatbe459

Vgl. A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 108 f. Siehe nur R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 685; differenzierend A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 526 f. 461 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 62; M. Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 12 Rdnr. 33. 462 W.-H. Roth, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, E I Rdnr. 82. 463 So aber D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 92 f. 464 Vgl. zum Beispiel auch EuGH, Slg. 1994, 1783 (1823 Rdnr. 34) – Corsica Ferries. 465 Vgl. auch EuGH, Slg. 1991, I-4151 (4186 Rdnr. 24) – Aragonesa; Slg. 1998, 8033 (8062 Rdnr. 20) – Bluhme. 466 EuGH, Slg. 1991, I-4151 (4185 ff. Rdnr. 22 ff.) – Aragonesa. 460

A. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle

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stand geregelten Fälle typischerweise deutsche Staatsangehörige bevorzugen. Auf der Basis der heutigen Gegebenheiten in der Gemeinschaft sind es zum ganz überwiegenden Teil die eigenen Staatsangehörigen, die bereits vor Ort residieren.467 Hierbei kann die zahlenmäßige Verteilung als Indiz gelten. Der Ausländeranteil468 an der Gesamtbevölkerung betrug am 31.13. 2003 im nationalen Durchschnitt 8,9 Prozent.469 In Gemeinden in Grenzregionen beziehungsweise Großstädten mag der Ausländeranteil zwar über dem nationalen Durchschnitt liegen, so beispielsweise in Berlin bei etwa 13,2 Prozent oder in Frankfurt bei fast 26 Prozent der Einwohner,470 gleichwohl besteht die überwiegende gemeindliche Bevölkerung aus den eigenen Staatsangehörigen. Der Rückbezug auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit ist auch im Falle der Beschränkung auf den Wohnsitz in der Gemeinde gegeben. An der Beurteilung der Anknüpfung an den Wohnsitz ändert sich somit nichts dadurch, daß die Ansässigkeit auf einen Teil des Staatsgebiets, die Gemeinde, begrenzt wird. (d) Ergebnis Dem Diskriminierungscharakter einer Maßnahme steht es nicht entgegen, wenn zu den benachteiligten Wirtschaftsteilnehmern in der Mehrzahl auch eigene Staatsangehörige gehören,471 sofern die durch den Tatbestand begünstigte Gruppe typischerweise aus Inländern besteht.472 Das in den Vergaberichtlinien im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen normierte Wohnsitzerfordernis in der Gemeinde privilegiert typischerweise inländische Staatsangehörige. Demzufolge liegt eine mittelbare Diskriminierung vor. Allgemeiner kann formuliert werden, daß das Kriterium des Wohnsitzes begrenzt auf die Gemeinde aufgrund der derzeit geltenden Rahmenbedingungen grundsätzlich eine mittelbare Diskriminierung bewirkt. Eine abweichende Beurteilung ist erst dann geboten, wenn sich 467

So auch M. Burgi, JZ 1999, 873 (880). Als Ausländer gelten alle Personen, die nicht Deutsche nach Art. 116 Abs. 1 GG sind, so daß bei dieser Statistik nicht nur EG-Ausländer berücksichtigt wurden. 469 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Strukturdaten der ausländischen Bevölkerung, Stand: 2004, S. 3; abgedruckt auf www. integrationsbeauftragte. de/download/Strukturdaten.pdf. 470 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Strukturdaten der ausländischen Bevölkerung, Stand: 2004, S. 11. 471 U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 13; R. Streinz, in: ders. (Hrsg), EUV/EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 43; P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003 Art. 49 Rdnr. 77; W.-H. Roth, in: Baur/Hopt/Mailänder u. a. (Hrsg.), FS Steindorff, 1990, S. 1313 (1331). 472 EuGH, Slg. 1994, I-1783 (1823 Rdnr. 34) – Corsica Ferries Italia; vgl. auch P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 77. 468

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

die zugrundeliegenden Verhältnisse dahingehend ändern, daß der Wohnsitz keine Rückschlüsse mehr auf die Staatsangehörigkeit der betreffenden Person zuläßt.473 Im Hinblick auf die Gewerbemodelle kann auf die oben genannten Ausführungen verwiesen werden. Es ist typischerweise das inländische Unternehmen, daß seinen Sitz in der Gemeinde unterhält oder dort über eine Betriebsstätte oder über Grundbesitz verfügt. Daher ist auch bei diesen Merkmalen der Rückschluß auf die Staatszugehörigkeit des Unternehmens unproblematisch gegeben. Die von den Städten und Gemeinden praktizierten Gewerbemodelle bewirken somit ebenfalls eine mittelbare Diskriminierung.

III. Gewerbemodelle und Beihilferecht Zusätzlich könnten die Gewerbemodelle gegen das EG-Beihilferecht verstoßen. Die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten verfolgen, wie bereits beschrieben, eine Wirtschaftspolitik, die dem Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.474 Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Wettbewerbsordnung ist die Sicherung der individuellen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer.475 Die Notwendigkeit eines freien Wettbewerbs erfordert, daß staatliche Interventionen in den Wettbewerb, wie zum Beispiel in Form von Beihilfen, einer entsprechenden Kontrolle unterliegen.476 Eine zentrale Komponente der EG-Wettbewerbspolitik ist daher die gemeinschaftliche Beihilfenkontrolle. Diese zielt jedoch nicht auf ein totales Beihilfeverbot, sondern auf eine maßvoll abwägende Überprüfung durch die Gemeinschaft im Wege der Überwachung mitgliedstaatlich geplanter Beihilfeprojekte nach Maßgabe der Art. 87 ff. EG (Art. III-167 ff. VV).477 Gemäß Art. 87 Abs. 1 EG sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Demgegenüber normieren Absatz 2 eine Bereichsausnahme und Absatz 3 eine Ausnahmeklausel in 473 Derzeit ist es üblich, im eigenen Land zu arbeiten, so daß auch bei der Anknüpfung an den Arbeitsplatz der Rückbezug auf die Staatsangehörigkeit unproblematisch gegeben ist. 474 Vgl. Art 4 Abs. 1 EG. 475 M. Sánchez Rydelsky, Hb EU BeihilfeR, 2003, S. 19. 476 Vgl. C. Koenig/J. Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 1; P. Niggemann, Staatsbürgschaften und Europäisches Beihilferecht, 2001, S. 11. 477 Vgl. C. Koenig/J. Kühling, NJW 2000, 1065 (1065).

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Form eines Ermessenstatbestands.478 Die EG-Beihilfenkontrolle unterstellt demnach die mitgliedstaatliche Beihilfengewährung genau genommen einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.479 Die Bedeutung der Unvereinbarkeitserklärung in Art. 87 Abs. 1 EG wird jedoch dadurch abgeschwächt, daß ihr, solange keine diesbezügliche Durchführungsverordnung auf der Grundlage von Art. 89 EG (Art. III-169 VV) erlassen worden ist, keine unmittelbare Wirkung zukommt.480 Einzelne Unternehmen können sich nicht auf die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem EG-Vertrag berufen, bevor nicht die Kommission eben diese Unvereinbarkeit festgestellt hat.481 Umgekehrt folgt aus dieser Rechtslage ein Prüfungsmonopol der Kommission, mit dem die gemeinschaftsweite homogene Anwendung der Beihilfebestimmungen gesichert werden soll. Die Veräußerung von Grundstücken im Rahmen von Gewerbemodellen beeinträchtigen sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch die Kapitalverkehrsfreiheit.482 Der Verkauf von Betriebsgelände unter dem objektiven Verkehrswert könnte zudem als staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG qualifiziert werden. Sollte dies zu bejahen sein, stellt sich die Frage, ob dieses Ergebnis Auswirkungen auf die Prüfung der Grundfreiheiten besitzt. Dazu wird das Verhältnis der Beihilferegeln zu den Grundfreiheiten einer eingehenden Untersuchung unterzogen. 1. Gewerbemodell als Beihilfe im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG Obwohl der EG-Vertrag keine konkrete Definition der Beihilfe enthält, gibt Art. 87 Abs. 1 EG einige Tatbestandsmerkmale vor. a) Gewährung einer Begünstigung Eine Beihilfe ist gegeben, wenn einem Unternehmen ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt wird, ohne daß diesem eine marktgerechte Gegenleistung des Unternehmens gegenübersteht.483 Grundsätzlich können staatliche 478 Vgl. EuGH, Slg. 1990, I-307 (355 Rdnr. 15) – Frankreich ./. Kommission; so auch H.-W. Arndt, Europarecht, 2006, S. 222. 479 W. Mederer/A. v. Ysendyck, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 2; M. Sánchez Rydelsky, Hb EU BeihilfeR, 2003, S. 55. 480 Vgl. EuGH Slg. 1977, 557 (575 Rdnr. 12) – Iannelli; G. Haverkate, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches WirtR, BT 1, 1995, § 4 Rdnr. 77 f.; W. Cremer, EuR 1996, 225 (227). 481 B. Bär-Boyssière, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 87 Rdnr. 2. 482 Vgl. oben 3. Teil A. II. 1. b) bb), e). 483 Vgl. nur EuGH, Slg. 1999, I-2459 (2486 Rdnr. 41) – Spanien ./. Kommission; Slg. 2000, II-2125 (2154 Rdnr. 78) – SIC ./. Kommission; vgl. auch G. Haverkate,

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Grundstücksverkäufe sowohl einer gefestigten Kommissionspraxis484 zufolge, die durch den Gerichtshof wiederholt bestätigt wurde485, als auch nach der Lehre486 Beihilfen darstellen. 1997 veröffentlichte die Kommission einen „allgemeinen Leitfaden“487 über „Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten und Grundstücken durch die öffentliche Hand“.488 Hiernach wird das Vorliegen einer Beihilfe ausgeschlossen, wenn die Grundstücksveräußerung nach den dort genannten Verfahrensarten vollzogen wird: der Verkauf auf Grundlage eines unabhängigen Wertgutachtens489 oder der Verkauf durch ein bedingungsfreies Bietverfahren.490 Zu Letzterem ist erforderlich, daß das Verkaufsangebot in einem der Bedeutung des Geländes entsprechenden Umfang bekannt gemacht wird und daß alle potentiellen Interessenten Gelegenheit zur Abgabe einer Offerte besitzen.491 Im Rahmen städtebaurechtlicher Gewerbemodelle ist der Bieterkreis von vornherein auf die ortsansässigen Unternehmen begrenzt, so daß eine Verin: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches WirtR, BT 1, 1995, § 4 Rdnr. 11; C. Herrmann, ZEuS 2004, 415 (428). 484 Vgl. bereits die Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 48, ABl. EG 1963, Nr. 125, S. 2235: Unter die Vorschriften der Art. 92 ff. EWGV (heute Art. 87 ff. EG) fallen grundsätzlich die „unentgeltliche oder besonders preiswerte Überlassung von Gebäuden und Grundstücken“. 485 EuGH, Slg. 1996, II-1655 (1664 Rdnr. 21, 1667 Rdnr. 28) – Mainz ./. Kommission; aus jüngerer Zeit vgl. EuG, Slg. 2003, II-1763 (1768 ff.) – Scott ./. Kommission; Slg. 2003, II-1789 (1795 ff.) – Departement Loire ./. Kommission. 486 Vgl. im Sinne der oben (3. Teil Fn. 485) zitierten Rechtsprechung auch G. v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 87 Rdnr. 61; F. Rawlinson, in: Borchardt/Lenz (Hrsg.), EUV/EGV, 2001, Art. 87 Rdnr. 20; W. Kahl/L. Diederichsen, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 7 Rdnr. 5; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 46 f.; V. Stapper, DB 1999, 2399 (2399); P. Schütterle, EuZW 1993, 625 (625 f.); C. Koenig/J. Kühling, NJW 2000, 1065 (1066); dazu auch M. Heidenhain, in: ders. (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 9 Rdnr. 1 ff.; T. Lübbig/A. M. Ehlers, BeihilfenR der EU, 2003, Rdnr. 178 ff. 487 M. Heidenhain, in: ders. (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 9 Rdnr. 1. 488 Mitteilung über „Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten und Grundstücken durch die öffentliche Hand“, ABl. EG 1997 Nr. C 209, S. 3. 489 Hierbei akzeptiert die Kommission auch eine bis zu fünfprozentige Abweichung vom Marktwert, vgl. Kommission ABl. EG 1992, Nr. L 6, S. 36 – Toyota. Vgl. zu diesem Verfahren T. Lübbig/A. M. Ehlers, BeihilfenR der EU, 2003, Rdnr. 187 ff. 490 Dieser Begriff taucht schon in der Veröffentlichung der Verfahrenseinstellung im Fall „Fresenius AG“, ABl. EG 1994, Nr. C 21, S. 4, 7 auf. Vgl. zu diesem Verfahren M. Heidenhain, in: ders. (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 9 Rdnr. 2. 491 Vgl. P. Schütterle, EuZW 193, 625 (625 f.).

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gabe mittels eines bedingungsfreien Bietverfahrens ausscheidet. Zudem verzichtet die Gemeinde auf die Erzielung eines maximalen Kaufpreises und unterschreitet vielmehr bewußt den objektiven Verkehrswert. Die genannten Grundstücksverkäufe verschaffen den begünstigten Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil in Höhe des reduzierten Kaufpreises, der nicht auf einer äquivalenten Gegenleistung beruht. Städtebaurechtliche Gewerbemodelle beinhalten daher immer ein Begünstigungselement. b) Gemeinde als Beihilfegeber Beihilfen sind jedoch nur solche Begünstigungen, die von staatlichen Institutionen oder aus staatlichen Mitteln gewährt werden. Nicht erforderlich ist, daß die Beihilfe auf zentralstaatlicher Ebene gewährt wird. Der Rechtsprechung des EuGH zufolge unterliegen auch die Vorteilsgewährungen der regionalen und lokalen Einrichtungen der Mitgliedstaaten, unabhängig von ihrem Status oder ihrer Bezeichnung, der gemeinschaftlichen Kontrolle gemäß Art. 87 ff. EG.492 Diese vorzugswürdige Auslegung ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 EG, der den Begriff „staatliche Beihilfen“ an Stelle von „Mitgliedstaaten“ verwendet.493 Zum anderen liefe es dem Interesse an einem lauteren Wettbewerb entgegen, wenn der einzelne Mitgliedstaat sich durch Verlagerung der Beihilfegewährung auf andere staatliche Hoheitsträger der unerwünschten Beihilfenkontrolle entziehen könnte.494 Somit ist festzuhalten, daß die Beihilfe auch von einer Gemeinde gewährt werden kann.495 c) Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels Den weiteren Tatbestandselementen, der Wettbewerbsverfälschung sowie der Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels, kommt lediglich eine geringfügige Begrenzung des Beihilfebegriffs zu.496 Bereits im Urteil 492

EuGH, Slg. 1987, 4036 (4041 Rdnr. 17) – Deutschland ./. Kommission; vgl. auch EuGH, Slg. 2002, I-4397 (4444 Rdnr. 51) – Frankreich ./. Kommission; ebenso auch M. Sánchez Rydelsky, Hb EU BeihilfeR, 2003, S. 58; C. Koenig/J. Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 43. 493 So auch P. Niggemann, Staatsbürgschaften und Europäisches Beihilferecht, 2001, S. 26; P.-C. Müller-Graff, ZHR 1988, 403 (415). 494 A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 92. 495 Im Ergebnis ebenso W. Kahl/L. Diederichsen, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 7 Rdnr. 8; A. Bleckmann, NVwZ 1990, 820 (821); A. Faber, DVBl. 1992, 1346 (1347).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Philip Morris hat der Gerichtshof beide Merkmale miteinander verbunden497 und, ohne das Vorliegen einer Wettbewerbsverfälschung im einzelnen zu erörtern, kurz und bündig festgestellt, der Wettbewerb werde verfälscht und der innergemeinschaftliche Handel beeinträchtigt, falls eine staatliche Beihilfe „die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im innergemeinschaftlichen Handel“ verstärke.498 Die Kommission sei nicht verpflichtet, eine tatsächliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs beziehungsweise des innergemeinschaftlichen Handels festzustellen.499 Vielmehr sei die Feststellung einer diesbezüglichen Eignung der Beihilfe ausreichend.500 Obwohl der EuGH beide Merkmale verbindet, sind diese aus Gründen der Transparenz vorliegend getrennt zu erörtern. Zunächst ist festzustellen, daß die Beihilfe in Form einer Grundstückszuweisung zu einer Wettbewerbsverfälschung führen kann. Durch das Grundstück erlangt der Unternehmer etwas, das seinen Konkurrenten nicht zuteil wird, das heißt seine Wettbewerbssituation wird dadurch verstärkt. Gleichzeitig wird anderen Unternehmen der Marktzutritt beziehungsweise die Behauptung am Markt erschwert, weil und wenn er nicht am selben Vorteil partizipieren darf. Auf die Dauer, Intensität oder Spürbarkeit der Begünstigung im Hinblick auf die marktmäßigen Folgen kommt es nicht an.501 Solche Kriterien sind dem Wortlaut des Art. 87 Abs. 1 EG nicht zu entnehmen.502 Zudem ist zu befürchten, daß ein Spürbarkeitserfordernis Umgehungsmöglich496 Vgl. hierzu V. Götz, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, H III Rdnr. 43 f. 497 Vgl. auch EuG, Slg. 2001, II-1169 (1191 Rdnr. 41) – Friuli Venezia Giulia ./. Kommission; EuG, Slg. 2000, II-2319 (2357 Rdnr. 81) – Alzetta Mauro ./. Kommission. 498 EuGH, Slg. 1980, 2671 (2688 f. Rdnr. 11) – Philip Morris ./. Kommission. 499 EuG, Slg. 2000, II-2319 (2356 Rdnr. 78.) – Alzetta Mauro ./. Kommission; Slg. 2001, II-1169 (1193 Rdnr. 49) – Friuli Venezia Giulia ./. Kommission; so auch P. Niggemann, Staatsbürgschaften und Europäisches Beihilferecht, 2001, S. 65. 500 Vgl. EuG, Slg. 2000, II-2319 (2362 Rdnr. 95) – Alzetta Mauro ./. Kommission; ebenso M. Sánchez Rydelsky, Hb EU BeihilfeR, 2003, S. 75. 501 Das Erfordernis eines Spürbarkeitskriteriums ist umstritten. Ablehnend F. Rawlinson, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 10; W. Kahl/L. Diederichsen, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 7 Rdnr. 10; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1306; P.-C. Müller-Graff, ZHR 1988, 403 (434); A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 128; a. A. G. Haverkate, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches WirtR, BT 1, 1995, § 4 Rdnr. 70; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 849. Die Rechtsprechung des EuGH ist widersprüchlich, dagegen spricht EuGH, Slg. 1990, I-959 (1015 Rdnr. 43) – Belgien ./. Kommission; dafür EuGH, Slg. 1987, 4013 (4041 Rdnr. 18) – Deutschland ./. Kommission. 502 So auch D. H. Stockhausen, Beihilfenrechtliche Grenzen einer nationalen Beschäftigungspolitik, 2002, S. 96; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 47.

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keiten eröffnen und den Mitgliedstaaten einen Anreiz schaffen würde, die Spürbarkeitsschwelle auszureizen.503 Durch diese (drohende) Wettbewerbsverfälschung muß der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden. Auch bei dieser Voraussetzung besteht Uneinigkeit über das Erfordernis der Spürbarkeit.504 Da insofern dieselben Argumente greifen, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Bei den Anforderungen, die an den Nachweis einer Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels zu stellen sind, hat die ständige Rechtsprechung Erfahrungssätze aufgestellt, die im praktischen Ergebnis unwiderlegbaren Vermutungen gleichkommen. Danach ist beispielsweise nicht erforderlich, daß das begünstigte Unternehmen selbst am innergemeinschaftlichen Handel beteiligt ist.505 Einer Ansicht zufolge reicht es zur Verneinung der Beihilfe bereits aus, daß die Tätigkeit des Unternehmens einen lokalen Charakter aufweist.506 Zu bedenken ist allerdings, daß auch Importeinschränkungen den Handel beeinträchtigen können. „Wenn nämlich ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine Beihilfe gewährt, kann die inländische Erzeugung dadurch beibehalten oder erhöht werden, so daß sich die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen, ihre Erzeugnisse auf den Markt dieses Mitgliedstaats auszuführen, verringern“507. Eine Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels scheidet demnach nur aus, wenn die beiden folgenden Voraussetzungen kumulativ gegeben sind: Erstens muß das in Rede stehende Unternehmen rein lokal tätig sein, und zweitens dürfen auf dem relevanten Markt keine ausländischen Unternehmen agieren beziehungsweise agieren wollen.508 Dieses Ergebnis 503

P. Niggemann, Staatsbürgschaften und Europäisches Beihilferecht, 2001,

S. 67. 504 Dagegen P.-C. Müller-Graff, ZHR 1988, 403 (434); W. Kahl/L. Diederichsen, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 7 Rdnr. 11; M. Heidenhain, in: ders. (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 4 Rdnr. 77; in diese Richtung auch G. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 87 Rdnr. 50; wohl auch C. Herrmann, ZEuS 2004, 415 (433); dafür W. Mederer/M. Strohschneider, in: v. d. Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 49. 505 Vgl. EuG, Slg. 2000, II-3207 (3240 Rdnr. 86) – CETM ./. Kommission. 506 So H.-W. Rengeling, ZHR 1988, 455 (465); P. Knopf, DVBl. 1980, 106 (107 f.). 507 EuG, Slg. 2000, II-1169 (1194 Rdnr. 51) – Friuli Venezia Giulia ./. Kommission; EuG, Slg. 2000, II-3207 (3240 Rdnr. 86) – CETM ./. Kommission. 508 Im Ergebnis ebenso M. Heidenhain, in: ders. (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 4 Rdnr. 75; C. Koenig/Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 59, jeweils mit Nachweisen zur Kommissionspraxis; C. Herrmann, ZEuS 204, 415 (433); ähnlich auch A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 133; G. v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 87 Rdnr. 48; D. H.

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entspricht auch der Entscheidungspraxis der Kommission. Sie verneinte eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels lediglich für Beihilfen, die die Sanierung und Unterhaltung eines kommunalen Schwimmbades einer Kleinstadt509 oder von Kulturdenkmälern510 betrafen. d) De-minimis-Beihilfen Die Verordnung Nr. 69/2001511 enthält eine negative Legaldefinition kraft derer De-minimis-Beihilfen als Maßnahmen gelten, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 87 Abs. 1 EG erfüllen und daher aus dem Beihilfekonrollregime des Gemeinschaftsrechts vollständig herausfallen.512 Bei diesen Beihilfen geht die Kommission davon aus, daß sie infolge der geringen festgelegten Summe in Höhe von 100.000 Euro binnen drei Jahren nicht dazu geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen.513 Dabei kommt es weder auf die Größe des Empfängerunternehmens noch auf die Art der Gewährung an. e) Ausnahmen aa) Art. 87 Abs. 2 EG Da neben dem Ziel der Herstellung eines unverfälschten Wettbewerbs auch sozial- und regionalpolitische Aspekte der Mitgliedstaaten berücksichtigt werden sollen, sieht Art. 87 EG eine Reihe von erlaubten Beihilfen vor. So sind durch Absatz 2 bestimmte, abschließend aufgezählte Beihilfen sozialer, schadensbeseitigender und nachteilsausgleichender Art ausdrücklich legalisiert. Die Grundstücksveräußerung im Rahmen der Gewerbemodelle wird jedoch in aller Regel nicht unter diesen Tatbestand fallen.

Stockhausen, Beihilfenrechtliche Grenzen einer nationalen Beschäftigungspolitik, 2002, S. 98. 509 Kommission vom 12.1.2001, Staatliche Beihilfe N 258/00 – Freizeitbad Dorsten. 510 Kommission vom 9.4.2002, Staatliche Beihilfe N 17/02 – Brighton West Pier. 511 ABl. EG 2001 Nr. L 10, S. 30. 512 Vgl. Art. 2 Abs. 1 VO 69/2001. Ausführlich hierzu R. Repplinger-Hach, in: Heidenhain (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 5. 513 Vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 2 VO 69/2001.

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bb) Art. 87 Abs. 3 EG Daneben gibt es die Ausnahmeregelungen des Art. 87 Abs. 3 EG, welche Ermessensregelungen zugunsten der Kommission darstellen und die Grundlage für die große Mehrheit aller Entscheidungen bilden. Vorbehaltlich von Buchstabe e setzt eine Freistellung von Beihilfen ein zweistufiges Prüfungsverfahren voraus. Nur wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahmebestimmungen nach Buchstabe a – d erfüllt sind, darf die Kommission ihr Rechtsfolgenermessen betätigen. Unbestritten verfügt die Kommission hierbei über einen weiten Spielraum.514 Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß die in Buchstabe a – d genannten Ziele durch Tatbestandsmerkmale umschrieben sind, die soziale und wirtschaftliche Wertungen erforderlich machen. Art. 87 Abs. 3 EG enthält also einerseits auf der Tatbestandsseite wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe und andererseits ein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite. Dennoch unterliegen die Entscheidungen der Kommission Einschränkungen. So muß das betreffende Beihilfevorhaben der Verwirklichung eines der in Art. 87 Abs. 3 EG genannten Ziele dienen und notwendig sein, um die gewünschte Entwicklung herbeizuführen.515 Zudem hat die Kommission das Ermessen nach Maßgabe wirtschaftlicher und sozialer Wertungen auszuüben, die auf die Gemeinschaft als Ganzes zu beziehen sind.516 Dabei ist sie verpflichtet, das gesamte primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht, demnach auch die Grundfreiheiten, zu berücksichtigen.517 Generell ist die Kommission gehalten, die Ausnahmetatbestände in Art. 87 Abs. 3 EG eng auszulegen.518 Im Hinblick auf die hier untersuchte Kategorie der Grundstücksveräußerungen kommen lediglich die in Buchstabe a und c vorgesehenen Ausnahmen in Betracht. Nach Buchstabe a sind Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, genehmigungsfähig. Wie bereits der Wortlaut verdeutlicht, sind hier nur ex514 EuGH, Slg. 1993, 3203 (3260 Rdnr. 41) – Matra; Slg. 2000, I-6857 (Rdnr. 67) – Deutschland ./. Kommission; W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/ EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 25; W. Kahl/L. Diederichsen, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 7 Rdnr. 14. 515 M. Sánchez Rydelsky, Hb Eu BeihilfeR, 2003, S. 112; G. v. Wallenberg, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 28 Rdnr. 111 f. 516 Vgl. nur EuG, Slg. 1995, II-2265 (2296 Rdnr. 82) – TWD ./. Kommission; so auch W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 28. 517 T. Jestaedt/Schweda, in: Heidenhain (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 14 Rdnr. 4. 518 EuGH, Slg. 1990, I-307 (328 Rdnr. 70) – Frankreich ./. Kommission; a. A. W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 30.

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trem unterentwickelte Gebiete gemeint. Dabei ist nicht der nationale Durchschnitt, sondern das Gemeinschaftsniveau maßgeblich.519 Die wirtschaftliche Lage wird anhand der Indikatoren Lebenshaltung und Unterbeschäftigung ermittelt. In der Bundesrepublik Deutschland sind die neuen Bundesländer bislang als sogenannte a-Gebiete anerkannt.520 Absatz 3 Buchstabe c erlaubt, Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete zu gewähren, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Der gegenüber Absatz 3 Buchstabe a weitere Wortlaut ermöglicht es der Kommission, zwei Arten von Beihilfen zu genehmigen: sektorale Beihilfen für bestimmte Wirtschaftszweige und Regionalbeihilfen, die die wirtschaftliche Förderung eines bestimmten Gebietes bezwecken. Hier werden konkrete Gebiete eines Mitgliedstaates erfaßt, die im Vergleich zur durchschnittlichen wirtschaftlichen Lage in diesem Staat und zum Gemeinschaftsniveau benachteiligt sind.521 Folgerichtig ist die zulässige Förderungsintensität geringer.522 Trotz des Fehlens der in Absatz 3 Buchstabe c ausdrücklich genannten Einschränkung, dürfen auch Beihilfen nach Buchstabe a nur gewährt werden, wenn sie nicht die Handelsbedingungen in einer Weise verändern, die dem Gemeinsamen Markt zuwiderlaufen.523 Die Kommission hat Leitlinien für die Gewährung staatlicher Beihilfen in den nationalen Fördergebieten nach Art. 87 Abs. 3 lit. a und c EG herausgegeben.524 Bei regionalen Beihilfen besteht die Zielsetzung darin, die Entwicklung bestimmter geographisch definierter Gebiete525 langfristig zu fördern. Regionalbeihilfen werden ausschließlich als Investitionsbeihilfen gewährt. Gegenstand sind damit entweder produktive Investitionen526 oder die inve519

F. Rawlinson, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 28; C. Koenig/J. Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 76. 520 Mitteilung der Kommission über die nationalen Fördergebietsbevölkerungshöchstgrenzen im Rahmen der Ausnahmebestimmungen des Art. 92 Abs. 3 Buchstaben a und c EG-Vertrag für den Zeitraum 2000 bis 2006, ABl. EG 1999 Nr. C 16, S. 5. 521 Vgl. hierzu M. Sánchez Rydelsky, Hb EU BeihilfeR, 2003, S. 113. 522 Vgl. W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 37. 523 So auch EuGH, Slg. 1997, I-132 (Rdnr. 16 f.) – Kommission ./. Spanien. 524 ABl. EG 1998, Nr. C 74, S. 9. 525 Grundlage der Gebietsdefinition ist die Nomenklatur der statistischen Gebietseinheiten (NUTS), Eurostat (Hrsg.), Regionen, Nomenklatur der statistischen Gebietseinheiten, 1995. Zur Bestimmung der Fördergebiete vgl. L. Jung/H. Hassold, DÖV 2000, 190 (191 ff.). 526 Produktive Investitionen (Erstinvestitionen) sind Anlageinvestitionen bei der Errichtung einer neuen oder Erweiterung einer bestehenden Betriebsstätte, vgl. T. Jestaedt, in: Heidenhain (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 15 Rdnr. 13.

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stitionsgebundene527 Schaffung von Arbeitsplätzen.528 Hingegen sind Betriebsbeihilfen, mit denen die laufenden Ausgaben eines Unternehmens gesenkt werden sollen, nach den Leitlinien grundsätzlich verboten.529 Derartige Beihilfen führen zu keiner strukturellen Verbesserung der Gebiete. Ihre Wirkungen enden mit der Beihilfe,530 so daß sie nicht dem Erfordernis der langfristigen und nachhaltigen Entwicklung benachteiligter Gebiete entsprechen. Abgesehen davon haben Betriebsbeihilfen regelmäßig eine erhebliche wettbewerbsverzerrende Wirkung, die sie in den meisten Fällen als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar macht.531 Sofern die Gemeinden in Regionen liegen, die als Fördergebiete im Sinne von Absatz 3 Buchstabe a oder c eingestuft werden, ist die von ihnen gewährte Beihilfe allerdings nicht automatisch freigestellt. Eine Entscheidung über die Zulässigkeit steht im Ermessen der Kommission.532 Die Kommission sieht Art. 87 Abs. 3 lit. c EG zudem als Auffangtatbestand für horizontale, das heißt nicht sektorbezogene, sondern auf bestimmte Ziele ausgerichtete533 Beihilfen.534 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) spielen eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und sind eine der Säulen für soziale Stabilität und wirtschaftliche Dynamik. Durch die Defizite des Marktes werden sie jedoch in ihrer Entwicklung aufgehalten. So haben sie wegen der geringen Risikobereitschaft bestimmter Finanzmärkte und ihrer begrenzten Möglichkeiten, Garantien zu bieten, Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Kapital.535 Im Wege einer Gruppenfreistellungsverordnung der Kommission werden Investitionsbeihilfen für diese Unternehmenskategorie auch außerhalb von regionalen Fördergebieten zugelassen,536 sofern die Handelsbedingungen dadurch nicht in einem Maß beeinträchtigt werden, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Hiernach dürfen Kleinunternehmen537 mit bis zu 527 Ein Arbeitsplatz gilt als investitionsgebunden, wenn sich die Investition auf die dort geleistete Tätigkeit bezieht. 528 ABl. EG 1998, Nr. C 74, S. 9 Tz. 4.1. 529 ABl. EG 1998, Nr. C 74, S. 9 Tz. 4.15. 530 T. Jestaedt, in: Heidenhain (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 15 Rdnr. 16. 531 Vgl. etwa EuGH, Slg. 2000, I-6857 (6894 Rdnr. 30) – Deutschland ./. Kommission; Slg. 1990, I-3891 (3909 Rdnr. 14 f.) – Italien ./. Kommission. 532 W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 31. 533 W. Mederer, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 194. 534 Der EuGH hat diese Anwendung nicht beanstandet, Slg. 1988, 4067 (4085 Rdnr. 7) – Frankreich ./. Kommission. 535 F. Rawlinson, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 47. 536 VO Nr. 70/2001, ABl. EG 2001, Nr. L 10, S. 33. 537 Maximal 50 Arbeitnehmer und ein Jahresumsatz von maximal 7 Mio. Euro.

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15 Prozent der Gesamtinvestitionskosten gefördert werden. Für mittlere Unternehmen538 gilt ein Quotient von 7,5 Prozent für die Gewährung von Investitionsbeihilfen.539 Beihilfen, die alle Voraussetzungen der KMU-Verordnung erfüllen, unterliegen nicht der Anmeldungspflicht nach Art. 88 Abs. 3 EG (Art. III-168 Abs. 3 VV).540 Die ansonsten übliche ex-anteÜberwachung wird durch eine ex-post-Kontrolle ersetzt.541 f) Ergebnis Die preisgünstige Grundstücksveräußerung im Rahmen städtebaulicher Gewerbemodelle stellt grundsätzlich eine Beihilfe dar, es sei denn, das begünstigte Unternehmen ist rein örtlich tätig und der betroffene Markt wird nur von inländischen Unternehmen genutzt.542 Eine Begünstigung ist auch dann von dem Tatbestand der Beihilfe ausgenommen, wenn die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem objektiven Verkehrswert des Grundstücks einen Betrag von 100.000 Euro nicht übersteigt.543 Im Rahmen von Gewerbemodellen werden überwiegend kleinere und mittlere Betriebe gefördert.544 Daher können die Gemeinden in diesen Fällen auf die Gruppenfreistellungsverordnung für horizontale Beihilfen, konkret die KMU-Verordnung, zurückgreifen. Voraussetzung ist jedoch, daß sich die Kommunen an die dort normierten Bedingungen hinsichtlich der Förderungshöchstgrenzen etc. halten. Dann handelt es sich um Freistellungen, die in einem Beihilfeprogramm hinreichend genau als genehmigungsfähig bestimmt sind und keiner Notifizierungspflicht nach Art. 88 Abs. 3 S. 1 EG545 unterliegen. Zu 538 Nicht mehr als 250 Beschäftigte und ein Jahresumsatz von nicht mehr als 40 Mio. Euro; vgl. hierzu F. Rawlinson, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 47. 539 Vgl. Art. 4 Abs. 2 VO 70/2001 (KMU), ABl. EG 2001, Nr. L 10, S. 33. 540 Art. 3 VO 70/2001 (KMU), ABl. EG 2001, Nr. L 10, S. 33. 541 W. Kahl/L. Diederichsen, in: Schmidt/Vollmöller (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 7 Rdnr. 20; C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-BeihilfenR, 2002, S. 102. Gemäß Art. 9 Abs. 1 KMU-Verordnung müssen die Mitgliedstaaten binnen 20 Arbeitstagen nach Erlaß einer Beihilfenregelung oder einer Einzelbeihilfe, die der Freistellungsverordnung unterfällt, der Kommission eine Kurzbeschreibung der Maßnahme übermitteln, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlich wird. Außerdem haben die Mitgliedstaaten einen Jahresbericht über die Anwendung der Verordnung zu erstellen, Art. 9 Abs. 3 der KMU-Verordnung. 542 Im Ergebnis ebenso W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (28). 543 Dabei sind alle weiteren staatlichen Begünstigungen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren hinzuzurechnen. 544 Dies ergibt sich auch bereits dadurch, daß mehr als 99% aller Unternehmen in der EG kleine und mittlere Unternehmen sind, vgl. KOM (2001) 98 endg., S. 16; der Agrarsektor ist nicht berücksichtigt.

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betonen ist jedoch, daß auch nach der KMU-Verordnung nur Begünstigungen mit eingeschränkter Zielsetzung, nämlich zur Investition, rechtmäßig sind. Gewerbemodelle, die der Sanierung der Innenstädte dienen, müssen daher mit einem investiven Moment verbunden werden, um vor dem gemeinschaftsrechtlichen Beihilfesystem Bestand zu haben. Vergünstigte Grundstücksverkäufe im Rahmen von Gewerbemodellen, mit denen ortsansässige Betriebe speziell vor der Insolvenz oder vor der Abwanderung in Regionen mit günstigeren Produktionskosten bewahrt werden sollen, stellen regelmäßig Betriebsbeihilfen zur Senkung der laufenden Ausgaben des Unternehmens dar. Derartigen Beihilfen fehlt der investive Charakter, so daß sie generell als gemeinschaftswidrig einzustufen sind. Nur für Gemeinden, die sich in einer Region befinden, die als förderungswürdiges Gebiet nach Absatz 3 Buchstabe a oder c eingestuft wurde, bietet sich die Möglichkeit, bei der Ausgestaltung ihrer Gewerbemodelle über die in der KMU-Verordnung genannten Förderbeträge und Betriebsgrößen hinauszugehen. Eine Genehmigung liegt dann im Ermessen der Kommission, wobei es hier ebenfalls darauf ankommt, daß die Begünstigung entweder eine produktive Investition546 beinhaltet oder investitionsgebundene547 Arbeitsplätze548 schafft. Damit sind auch in diesen Gebieten, die im übrigen nur einen geringen Teil des Gesamtstaates ausmachen, reine Betriebsbeihilfen EG-rechtswidrig. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß lediglich Gewerbemodelle, die der Sanierung der Innenstädte dienen, unter den genannten Voraussetzungen mit dem Beihilferecht vereinbar sind. 2. Verhältnis der Beihilferegelungen zu den Grundfreiheiten Nachdem nun festgestellt wurde, daß das Gewerbemodell sowohl die Grundfreiheiten beeinträchtigt als auch die beihilfenrechtlichen Regelungen des EG-Vertrages tangiert, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Vorschriften zueinander.

545

Zum Notifizierungsverfahren vgl. nur B. Bär-Bouyssière, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 88 Rdnr. 16 ff. 546 Produktive Investitionen (Erstinvestitionen) sind Anlageinvestitionen bei der Errichtung einer neuen oder Erweiterung einer bestehenden Betriebsstätte, vgl. T. Jestaedt, in: Heidenhain (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 15 Rdnr. 13. 547 Ein Arbeitsplatz gilt als investitionsgebunden, wenn sich die Investition auf die dort geleistete Tätigkeit bezieht. 548 ABl. EG 1998, Nr. C 74, S. 9 Tz. 4.1.

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a) Rechtsprechung des EuGH Im Urteil Iannelli aus dem Jahre 1977 hatte der Gerichtshof erstmals Rechtsvorschriften zu beurteilen, die sowohl als Beihilfe zu qualifizieren waren als auch von einer Grundfreiheit, Art. 28 EG (Art. III-153 VV), erfaßt wurden. In diesem Fall erhielten italienische Presseunternehmen für den Erwerb von Zeitungspapier aus einheimischer Herstellung Zuschüsse. Der Kauf von unmittelbar aus dem Ausland eingeführtem Zeitungspapier wurde dagegen nicht subventioniert.549 In seinem Schlußantrag führte Generalanwalt Jean-Pierre Warner aus, daß staatliche Maßnahmen, die von den Vorschriften über Beihilfen erfaßt würden, keinesfalls gleichzeitig am Maßstab des ebenfalls einschlägigen Art. 28 EG zu messen seien. Andernfalls würde im Ergebnis die Anwendung der Art. 87 ff. EG überflüssig, zumindest soweit es um Beihilfen gehe, die einheimische Produkte förderten.550 „Es hieße, ein grobes Werkzeug an die Stelle des Präzisionsinstruments zu setzen, das nach dem Willen der Verfasser des Vertrages hier benutzt werden sollte“551. Der Gerichtshof nahm diesen Gesichtspunkt zunächst auf und bestätigte, daß die Beihilfebestimmungen grundsätzlich als lex specialis dem Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung vorgehen.552 Ansonsten würde die Zuständigkeitsverteilung in Frage gestellt, die den Verfassern des Vertrages bei der Einführung des in Art. 93 EWGV (heute Art. 88 EG) geregelten Verfahrens zur fortlaufenden Überprüfung vorschwebte.553 Zur Erläuterung dieses Arguments ist kurz anzumerken, daß wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit der Grundfreiheiten die nationalen Gerichte berechtigt und verpflichtet sind, diese Vorschriften auf entsprechende mitgliedstaatliche Maßnahmen anzuwenden beziehungsweise gegebenenfalls dem Gerichtshof die Frage nach der Auslegung der einschlägigen Grundfreiheit vorzulegen. Der Verbotstatbestand des Art. 87 Abs. 1 EG ist dagegen nicht unmittelbar anwendbar.554 Gemäß Art. 88 EG (Art. III-168 VV) entscheidet die Kommission nach Notifizierung einer geplanten Beihilfe über die Vereinbarkeit mit Art. 87 EG. Erst im Anschluß an die Entscheidung der Kommission, die bei der Beurteilung einer Beihilfe über einen weiten Ermessensspielraum verfügt,555 bestehen Klagemöglichkeiten 549

Vgl. ausführlicher zum Sachverhalt EuGH, Slg. 1977, 557 (559 ff.) – Iannelli. GA J. P. Warner, SchlA, Slg. 1977, 557 (590) – Iannelli. 551 GA J. P. Warner, SchlA, Slg. 1977, 557 (590) – Iannelli. 552 EuGH, Slg. 1977, 557 (575 Rdnr. 9/10) – Iannelli. 553 EuGH, Slg. 1977, 557 (575 Rdnr. 11/12) – Iannelli. 554 Vgl. EuGH Slg. 1977, 557 (575 Rdnr. 11/12) – Iannelli; W. Cremer, EuR 1996, 225 (227). 555 EuGH, Slg. 1994, I-4103 (4162 Rdnr. 51) – Spanien ./. Kommission; P. Oliver, Free movement of Goods in the European Community, 2003, S. 84. 550

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vor dem EuGH. Der Gerichtshof ist daher der Ansicht, daß die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Beihilfe vorbehaltlich der Kontrolle durch den EuGH Sache der Kommission sei. Der einzelne könne ihre Unvereinbarkeit vor einem nationalen Gericht weder unmittelbar noch inzidenter überprüfen lassen.556 In seiner jüngeren Rechtsprechung bestätigte der EuGH seine in der Sache Iannelli aufgestellten Grundsätze, teilweise unter Wiedergabe des Wortlauts,557 und erstreckte sie auch auf das Verhältnis des Beihilferechts zu Art. 43 EG (Art. III-137 VV).558 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß der EuGH nicht jede staatliche Maßnahme, die als Beihilfe im Sinne der Art. 87 f. EG zu qualifizieren ist, an den Grundfreiheiten mißt, obwohl solche Maßnahmen nach seiner eigenen Rechtsprechung begrifflich den Verbotstatbeständen der je nach Fallkonstellation einschlägigen Grundfreiheit unterfallen. Lediglich wenn die Qualifizierung der staatlichen Maßnahme als Beihilfe rechtliche Probleme aufweist, sie mit den Worten des EuGH möglicherweise als Beihilfe im Sinne von Art. 87 EG betrachtet werden kann, konzentriert sich der EuGH auf die Grundfreiheiten als vorrangigen und alleinigen Prüfungsmaßstab.559 Im übrigen sei die Kommission für die Überprüfung von Beihilfen zuständig. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH folgt jedoch aus der Systematik des EG-Vertrages, daß das in den Art. 87 ff. EG vorgesehene Verfahren niemals zu einem Ergebnis führen darf, das zu den besonderen Vorschriften des Vertrags im Widerspruch steht.560 Ansonsten könne sich die Kommission mit einer Positiventscheidung über andere, unmittelbar anwendbare Vertragsregeln sehenden Auges hinwegsetzen. Daher sei die Kommission verpflichtet, im Verfahren nach Art. 88 EG zu prüfen, ob und inwieweit eine staatliche Beihilfe mit anderen Vorschriften des Vertrages vereinbar ist.561 Diese Verpflichtung gelte insbesondere dann, wenn mit diesen anderen Vorschriften ebenfalls das Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes verfolgt würde.562 Die Kommission könne eine staatliche Beihilfe, die wegen einer ihrer Modalitäten 556

EuGH, Slg. 1977, 557 (575 Rdnr. 11/12) – Iannelli. EuGH, Slg. I-2001, 3175 (3218 Rdnr. 41) – AEVP; Slg. 1993, I-3203 (3260 Rdnr. 41) – Matra; EuG, Slg. II-2001, 303 (329 Rdnr. 76 f.) – Weyl Beef. 558 EuGH, Slg. I-2000, 6857 (6905 Rdnr. 76 ff.) – Deutschland ./. Kommission. 559 W. Cremer, EuR 1996, 225 (231); so auch A. Stark, Einzelstaatlicher Protektionismus und föderale Rechtsprechung in einem Gemeinsamen Markt, 2003, S. 96 f. 560 EuGH, Slg. 2000, I-6857 (6905 Rdnr. 76 ff.) – Deutschland ./. Kommission; Slg. I-1993, 3203 (3260 Rdnr. 41) – Matra; ebenso C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-BeihilfenR, 2002, S. 36. 561 EuGH, Slg. 2001, I-3175 (Rdnr. 40 ff.) – Portugal ./. Kommission; EuG, Slg. 2001, II-303 (328 Rdnr. 75) – Weyl Beef. 562 EuG, Slg. 2001, II-303 (328 Rdnr. 75) – Weyl Beef. 557

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

gegen andere Bestimmungen des Vertrages verstoße, nicht als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklären.563 b) Ansichten im Schrifttum In der Literatur wird das Verhältnis der Art. 87 ff. EG zu den Grundfreiheiten564 unterschiedlich beurteilt. Einer Ansicht zufolge, die sich weitgehend an der Rechtsprechung des EuGH orientiert, ist die Lösung des Konkurrenzverhältnisses zwangsläufig nur durch die Annahme eines Anwendungsvorrangs der Beihilferegeln vor den Grundfreiheiten zu bewerkstelligen.565 Auf diese Weise könne ein Leerlauf der Beihilferegeln vermieden werden. Auch fänden die dort enthaltenen materiell-rechtlichen Vorgaben, insbesondere die Ausnahmeregelung in Art. 87 Abs. 3 EG, nur so noch Berücksichtigung. Die geschriebenen Rechtfertigungsgründe sowie die zwingenden Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung erlaubten jedenfalls keine Rechtfertigung aus rein wirtschaftlichen Gründen.566 Art. 87 Abs. 3 EG mache demgegenüber unmißverständlich deutlich, daß Beihilfen als Instrument der Wirtschaftspolitik zwar durch die Gemeinschaft kontrolliert werden sollten, ihre Rechtfertigung unter Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben aber gerade aufgrund (zum Beispiel regionaler oder branchenspezifischer) wirtschaftspolitischer Gesichtspunkte in Betracht kämen.567 Einige Vertreter dieser Position weisen dann aber, nachdem der Vorrang der Beihilferegeln konstatiert wurde, darauf hin, daß eine als Beihilfe qualifizierte staatliche Maßnahme dennoch nicht den Grundfreiheiten entzogen sei.568 Vielmehr sei die eine Beihilfe, die gegen die Grundfreihei563

EuGH, Slg. 2000, I-6857 (6905 Rdnr. 78) – Kommission ./. Deutschland, Slg. 1993, I-3203 (3261 Rdnr. 45) – Matra. 564 Das Konkurrenzproblem ist vorwiegend im Bereich des freien Warenverkehrs ausgetragen worden. Angesichts der Konvergenz der Grundfreiheiten sind die Ergebnisse auf die übrigen Grundfreiheiten übertragbar, so auch W. Cremer, in: Callies/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 48. 565 So K. Rosenfeld, Das Verfahrensrecht der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenaufsicht, 2000, S. 33 f.; W. Cremer, EuR 1996, 225 (237); wohl auch A. MartinEhlers, WuW 1999, 685 (688 f.). 566 W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 47 f.; A. Stark, Einzelstaatlicher Protektionismus und föderale Rechtsprechung in einem Gemeinsamen Markt, Frankfurt 2003, S. 95. 567 W. Cremer, EuR 1996, 225 (235); siehe auch D. Ehlers, JZ 1992, 199 (200). 568 So B. Bär-Bouyssière, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 87 Rdnr. 15, hinsichtlich Art. 28 EG, während bei Art. 12, 43, 49 EG eher ein Nebeneinander anklingt; so auch K. Rosenfeld, Das Verfahrensrecht der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenaufsicht, 2000, S. 34; vgl. ferner W. Mederer, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Vorbemerkung zu Art. 87–89 Rdnr. 10

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ten verstoße, nicht genehmigungsfähig.569 Aus der Verwendung des Begriffs „genehmigen“ läßt sich schließen, daß hier der Kommission insgesamt das Monopol für die Prüfung von Beihilfen auf ihre Vertragskonformität zugesprochen wird. Eine weitere Ansicht erkennt die Beihilfevorschriften und die Grundfreiheiten als gleichrangig und damit als nebeneinander anwendbar an.570 Unklar bleibt hier allerdings, wie prozedural zu verfahren ist.571 Generalanwalt Antonio Saggio lehnt die Heranziehung der Grundfreiheiten als weiteren Prüfungsmaßstab im Rahmen eines beihilferechtlichen Verfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG aus verfahrensrechtlichen Gründen ab.572 Art. 88 Abs. 2 EG biete der Kommission und jedem anderen Mitgliedstaat die Möglichkeit unmittelbar den EuGH anzurufen, ohne nach den Vorschriften der Art. 226 f. EG (Art. III-360 f. VV) zuvor eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgeben und dem Mitgliedstaat hierdurch Gelegenheit zur Äußerung einräumen zu müssen. Aus der besonderen Ausgestaltung des beihilferechtlichen Verfahrens, insbesondere aus der hier vorgesehenen Möglichkeit den Gerichtshof unmittelbar nach Abschluß des Verfahrens anzurufen, folgert Saggio, daß die Befugnis der Kommission im Rahmen eines derartigen Beihilfeverfahrens strikt auf die Fälle beschränkt sei, in denen die Kommission feststellt, daß ein Mitgliedstaat die Vorschriften des Vertrages über staatliche Beihilfen verletzt hat. Dagegen könne die Kommission nicht auf das besondere Verfahren nach Art. 88 EG zurückgreifen, um die nationale Maßnahme für mit anderen Vorschriften des Vertrags unvereinbar zu erklären. Sie müsse dann das Verfahren nach Art. 226 EG eröffnen. Hanns Ullrich hingegen vertritt die Auffassung von dem generellen Vorrang der Grundfreiheiten vor den Beihilfevorschriften insofern, als ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit573 die Genehmigung einer Beihilfe Nr. 3, der aber in Nr. 1 Art. 12 EG wiederum als lex specialis zu Art. 87 EG anerkennt. 569 C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-BeihilfenR, 2002, S. 37; so auch F. Rawlinson, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2001, Vorbemerkung Art. 87–89 Rdnr. 12. 570 M. Heidenhain, in: ders. (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 60 Rdnr. 9; M. Sánchez Rydelsky, Hb EU-BeihilfenR, 2003, S. 32 f.; C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-BeihilfenR, 2002, S. 37 f., der aber gegenüber Art. 28 EG das Beihilferecht als spezieller ansieht. 571 Vgl. M. Heidenhain, in: ders. (Hrsg.), Hb des Europäischen BeihilfenR, 2003, § 60, der in Rdnr. 9 der Kommission bei der Entscheidung über die Vereinbarkeit staatlicher Maßnahmen mit Art. 28 EG keine besonderen Befugnisse zuspricht. Andererseits dürfe die Kommission staatliche Beihilfen, die mit Art. 43 EG unvereinbar seien, nicht genehmigen, vgl. Rdnr. 13. 572 GA A. Saggio, SchlA, Slg. 2000, I-6857 (6880 Rdnr. 42 ff.) – Kommission ./. Deutschland.

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nach Art. 87 Abs. 3 EG ausschließe.574 Als problematisch erkennt er an, daß selbst unterschiedslos wirkende Beihilfesysteme vor dem Grundsatz des freien Warenverkehrs nur Bestand haben könnten, wenn sie spezifischen Gemeinwohlinteressen dienten. Allgemeine Interessen der Wirtschaftspolitik und die mit der Vergabe von Subventionen beabsichtigte Steigerung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit habe der Gerichtshof nicht in seinen Katalog aufgenommen. Aus diesem Grund solle in Fällen, in denen Beihilfen aufgrund wirtschaftspolitischer Gesichtspunkte wünschenswert sind, Art. 87 Abs. 3 EG ergänzend zur Rechtfertigung der mit der Beihilfe verbundenen Beeinträchtigung der Grundfreiheiten herangezogen werden können.575 c) Stellungnahme Zunächst ist festzuhalten, daß die mit der Beihilfenvergabe intendierte Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der subventionierten Unternehmen, die die Absatzchancen der nichtsubventionierten Konkurrenten auf dem Heimatmarkt des Begünstigten verschlechtern kann, insofern Einfluß auf die Warenverkehrsströme hat, als die Einfuhr von Waren zumindest mittelbar und potentiell behindert wird.576 Dieses Ergebnis ist auf das Verhältnis der Art. 49 ff. EG (Art. III-144 ff. VV) zu den Beihilferegeln übertragbar, da die Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr nach gefestigter Rechtsprechung ebenfalls ein Beschränkungsverbot enthalten.577 Rein begrifflich unterfällt die Vergabe von Beihilfen also regelmäßig, wenn nicht stets Art. 28 EG beziehungsweise Art. 49 EG.578 Insofern ist je nach Lösung des Konkurrenzverhältnisses durchaus die Gefahr eines Leerlaufs der Beihilferegeln zu konstatieren. Vorliegend soll nicht weiter auf das von Ullrich aufgestellte Postulat des Vorrangs der Grundfreiheiten vor den Beihilfevorschriften eingegangen werden. Es ist seinem eigenen Ansatz zufolge bereits fraglich, ob er von einem 573 Hanns Ullrich beschäftigt sich mit dem Konkurrenzproblem im Hinblick auf die Vergabe mitgliedstaatlicher Forschungssubventionen. Da die übrigen Grundfreiheiten auf Forschungsbeihilfen keine Anwendung finden, klammert er diese bewußt aus, vgl. H. Ullrich, EWS 1991, 1 (5 Fn. 70). 574 H. Ullrich, EWS 1991, 1 (5). 575 H. Ullrich, EWS 1991, 1 (7). 576 W. Cremer, EuR 1996, 225 (226). 577 Die Bestimmung der betroffenen Grundfreiheit hängt davon ab, ob durch die Subvention die Förderung des Warenabsatzes oder von Dienstleistungen intendiert ist. 578 So auch W. Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 87 Rdnr. 47; A. Stark, Einzelstaatlicher Protektionismus und föderale Rechtsprechung in einem Gemeinsamen Markt, 2003, S. 95.

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solchen Anwendungsvorrang überhaupt sprechen kann, wenn er ausführt, daß die Zielkonformität von Grundfreiheitsschutz und Beihilfenverbot durch die Aufsicht der Kommission abgesichert werde.579 Dann will er wohl an der primären Kompetenz der Kommission festhalten, die im Rahmen ihrer Beihilfenaufsicht auch einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten prüft. Von Interesse ist hier jedoch der von Ullrich aufgeworfene Ansatz, daß Art. 87 Abs. 3 EG neben den zwingenden Erfordernissen und den vertraglich kodifizierten Gründen zur Legitimation von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten Anwendung finden soll. Gegen die Ausweitung der Rechtfertigungsgründe auf die beihilferechtlichen Ausnahmetatbestände spricht die Gefahr einer Aufweichung der Grundfreiheiten nach wirtschaftlicher Opportunität. Art. 87 Abs. 2, 3 EG lassen Beihilfen, die aus bestimmten wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten wünschenswert sind, ausdrücklich zu. Der EuGH vertritt jedoch zutreffend den Standpunkt, daß die Grundfreiheiten für Rechtfertigungsgründe wirtschaftlicher Art nicht zugänglich sind.580 Wirtschaftlich motivierte Legitimationsgründe könnten ansonsten als Einfallstore zur Verfolgung solcher Zielvorstellungen dienen, die das Grundkonzept der binnenmarktweiten wettbewerblichen Selbststeuerung unterlaufen.581 Somit ist festzuhalten, daß die Ausnahmetatbestände der Beihilferegeln im Rahmen der Prüfung der Grundfreiheiten durch den EuGH nicht zur Legitimation von Beeinträchtigungen herangezogen werden können.582 Diese Ansicht entspricht auch der Entscheidungspraxis der Kommission.583 Nach der hier vertretenen Ansicht fällt die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Maßnahme in den Zuständigkeitsbereich der Kommission, sobald deren Beihilfecharakter feststeht. Demzufolge sind die Beihilferegeln grundsätzlich leges speciales. Dies gilt jedoch nur insoweit, als es sich bei den Auswirkungen einer begünstigenden Maßnahme um eine „der Beihilfe immanente584 Folge“585 handelt, da diese bereits als solche einen Schutz und folglich eine Besserstellung gegenüber den Erzeugnissen/Dienstleistungen anderer Unternehmen, die nicht in ihren Genuß kommen, bewirkt. 579

H. Ullrich, EWS 1991, 1 (7). Vgl. unten 4. Teil A. II. 1., insbesondere Fn. 42 f. 581 Vgl. unten 4. Teil Fn. 48. 582 So auch W. Cremer, EuR 1996, 225 (234). 583 Entscheidung 93/37/EWG der Kommission vom 10.5.1993 über eine im Ergebnis gegen Art. 43 EG verstoßende Steuerbeihilferegelung für Investitionen im Baskenland, ABl. EG 1993, Nr. L 134, S. 25. Art. 87 Abs. 2 und 3 EG wurden von der Kommission ausdrücklich nur hilfsweise geprüft. 584 Vgl. zur Auslegung des Begriffs „immanent“ Dirk Middelschulte, Öffentliche Aufträge als Gegenstand des EG-BeihilfeR, 2004, S. 118 ff. 585 EuG, Slg. 2001, II-303 (331 Rdnr. 84) – Weyl Beef. 580

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Dann ist die Beihilfe aufgrund ihrer Eigenart von dem Anwendungsbereich der einschlägigen Grundfreiheit auszunehmen. Durch diese Sichtweise wird nicht nur der Gefahr des Leerlaufens der besonders ausgestalteten Beihilferegeln entgegen gewirkt. Sie ergibt sich zudem bereits aus der Tatsache, daß im EG-Vertrag ein spezielles Verfahren geregelt ist, daß eben solche Begünstigungen erlaubt. Der EG-Vertrag will den Mitgliedstaaten die Förderung der in ihrem Hoheitsgebiet tätigen Unternehmen nicht generell versagen. Dies läßt die Koexistenz der Grundfreiheiten und der Beihilfevorschriften mit den flexiblen Genehmigungsmöglichkeiten der Art. 87 Abs. 2 und 3 EG erkennen.586 Art. 3 lit. g EG postuliert die Errichtung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs. Die Kommission ist aber trotz der grundsätzlich marktwirtschaftlichen Verfaßtheit der Gemeinschaft nicht verpflichtet, diesem Prinzip den Vorrang vor anderen Vertragszielen einzuräumen. Aus dem EG-Vertrag folgt nämlich nicht, daß das komplexe Zielgemenge des Art. 2 EG allein unter den Bedingungen eines von staatlichen Eingriffen völlig freien, unverfälschten Wettbewerbs verwirklicht werden soll. Mit Hilfe des Instruments der Beihilfe kann es vielmehr gelingen, wünschenswerte wirtschaftliche Entwicklungen zu fördern, die der Wettbewerb allein nicht zu erreichen vermag. Wenn sich bei der Untersuchung einer Beihilferegelung jedoch Voraussetzungen oder Bestandteile herausarbeiten lassen, die zwar zu dieser Regelung gehören, die aber über die Beihilfenvergabe hinausgehende grundfreiheitsbeschränkende Wirkungen verursachen, also nicht mehr der Beihilfe als solche als immanent zu qualifizieren sind, unterfallen sie selbstverständlich den Grundfreiheiten.587 Ginge man von einem generellen Vorrang der Beihilferegelungen aus, erhielten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Verbot ungerechtfertigter Handelsbeschränkungen über den Umweg diskriminierender Beihilfegewährung zu unterlaufen.588 Protektionistische Maßnahmen mit Zuwendungscharakter ließen sich im Wege der Notifizierung den im Verhältnis der Grundfreiheiten weniger strikten Vorschriften der Art. 87 ff. EG zugänglich machen. Praktisch wäre das eine Einladung zu einer „Flucht ins Beihilferecht“.589 Es stellt sich aber die Frage, ob der Kommission in Übereinstimmung mit der Auffassung des EuGH das Recht zuzubilligen ist, bereits im Verfah586 D. Middelschulte, Öffentliche Aufträge als Gegenstand des EG-BeihilfeR, 2004, S. 119. 587 EuGH, Slg. 557 (576 Rdnr. 14) – Iannelli. 588 A. Stark, Einzelstaatlicher Protektionismus und föderale Rechtsprechung in einem Gemeinsamen Markt, 2003, S. 98. 589 D. Middelschulte, Öffentliche Aufträge als Gegenstand des EG-BeihilfeR, 2004, S. 119.

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ren des Art. 88 Abs. 2 EG die Maßnahme auf sämtliche Vorschriften des EG-Vertrags hin zu untersuchen. Richtig ist, daß die Kommission bei der Prüfung der Vereinbarkeit der nationalen Maßnahme mit dem Binnenmarkt verpflichtet ist, auch die anderen Bestimmungen des EG-Vertrages zu berücksichtigen, um Widersprüche innerhalb der EG-vertraglichen Systematik zu vermeiden. Dies ergibt sich auch aus Art. 44 Abs. 2 lit. h EG (Art. III138 Abs. 2 lit. h VV). Nach diesem obliegt es dem Rat und der Kommission sicherzustellen, daß die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit nicht durch mitgliedstaatliche Beihilfen verfälscht wird. Art. 44 EG ist insoweit als Spezialregelung gegenüber Art. 87 EG anzusehen. Dennoch stellt sich die Frage, wie die geforderte „Sicherstellung“ zu erfolgen hat. Aus Art. 44 EG läßt sich nicht schließen, daß die Überprüfung im Rahmen des Verfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG vorzunehmen ist. Eine so beabsichtigte Ergänzung der Anwendung der Grundfreiheiten im Rahmen von Art. 88 Abs. 2 EG bringt hingegen durch die Überschneidung der Kompetenzbereiche nicht unbeachtliche Schwierigkeiten mit sich, da die Kommission eine Rechtfertigung der mitgliedstaatlichen Maßnahme nach den Cassis-deDijon-Grundsätzen beziehungsweise den vertraglich geregelten Gründen prüfen muß.590 Gegen eine Überprüfung aller übrigen Vorschriften des EG-Vertrages im beihilferechtlichen Verfahren sprechen zudem folgende Argumente: Würde man der Kommission die besagte Befugnis zugestehen, käme es zu einer deutlichen Ausweitung des beihilferechtlichen Kontrollmaßstabs. Diese Entwicklung ist bedenklich, da sowohl der Wortlaut des Art. 88 Abs. 2 EG als auch die Systematik dieser Vorschrift eine Beschränkung der Prüfung auf die Vorschrift des Art. 87 EG in Verbindung mit dem jeweils anwendbaren Sekundärrecht nahelegt. Auf Grund der Kompetenzen gemäß Art. 86 Abs. 1 EG ist die Kommission berechtigt, in allen Fällen einzuschreiten, in denen die Mitgliedstaaten in bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine diesem Vertrag widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten. Im Gegensatz zu Art. 88 Abs. 2 EG stellt Art. 86 Abs. 1 EG somit einen allgemeinen Tatbestand dar, mit dessen Hilfe die Kommission jegliches vertragswidrige Verhalten von mitgliedstaatlicher Seite zu ahnden vermag. Überträgt man dies auf das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG, so besteht die Gefahr, daß das beihilferechtliche Verfahren zu einem zweiten allgemeinen Vertragsverletzungsverfahren neben Art. 226 f. EG umgestaltet wird. Andererseits wird die Kontrolle der Beihilferegelungen auf ihren grundfreiheitsbeeinträchtigenden Aspekt entschärft, da es laut der Rechtsprechung 590 So A. Stark, Einzelstaatlicher Protektionismus und föderale Rechtsprechung in einem Gemeinsamen Markt, 2003, S. 97.

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des EuGH genügt,591 wenn die Kommission lediglich eine wirtschaftliche Analyse des Sachverhalts vornimmt und dabei zu der Überzeugung gelangt, daß kein Verstoß gegen die Grundfreiheiten vorliegt. Insofern würde zwar der Kontrollmaßstab ausgedehnt, die letztendliche Intensität jedoch verringert. Der systematische Vergleich gerade mit der Vorschrift des Art. 86 Abs. 1 EG macht deutlich, daß sich die Kommission im Rahmen einer beihilferechtlichen Prüfung nicht zum Hüter sämtlicher Vorschriften des EGVertrages aufspielen darf.592 Vielmehr ist die Kommission aus den oben genannten Gründen verpflichtet, über eine notifizierte Beihilfe zunächst insgesamt nicht zu entscheiden, sondern die Regelung dem Gerichtshof nach Einhaltung der hierzu erforderlichen Schritte zur Überprüfung am Maßstab der Grundfreiheiten vorzulegen.593 Sofern die von der Kommission im Vertragsverletzungsverfahren beanstandeten, die Ausgestaltung der Beihilfe betreffenden Regelungen im Ergebnis nicht gegen die Grundfreiheiten verstoßen, kann die Kommission die Beihilfe insgesamt genehmigen. Entgegen der Ansicht des EuGH ist der Kommission daher nicht das Recht zuzubilligen, im Rahmen des Verfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG alle übrigen Vorschriften des EG-Vertrags selbständig zu überprüfen. d) Ergebnis Konkret bezogen auf die Gewerbemodelle ist zu konstatieren, daß die Anknüpfung der Vergünstigung an die Voraussetzung einer Betriebsstätte in der Gemeinde nicht mehr als der Beihilfe immanent zu qualifizieren ist. Dies würde nur für den Fall gelten, daß die Zuwendung allen Unternehmen offen steht, die sich in dem Gebiet der Gemeinde ansiedeln möchten. Dies hat zur Konsequenz, daß die Kommission verpflichtet ist, vor einer Genehmigung der Beihilfe ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH wegen eines möglichen Verstoßes gegen die Grundfreiheiten anzustrengen. Insofern ist das städtebaurechtliche Einheimischenmodell sowohl an den Grundfreiheiten als auch an den Beihilfevorschriften zu messen. Dies gilt im übrigen auch nach der Ansicht des EuGH mit der Einschränkung, daß hier die Kommission im Rahmen des Art. 88 Abs. 2 EG eine Überprüfung anhand der Grundfreiheiten vornehmen darf.

591 592 593

Vgl. oben 3. Teil A. III. 2. a). So zutreffend auch A. Bartosch, ZIP 2000, 2010 (2016). W. Cremer, EuR 1996, 225 (237).

B. Öffentliche Einrichtungen

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IV. Ergebnis Zusammenfassend ist festzuhalten, daß städtebaurechtliche Wohnraumund Gewerbemodelle mittelbare Diskriminierungen der je nach Lebenssachverhalt einschlägigen Grundfreiheit(en)594 bewirken. Zusätzlich konfligieren die Gewerbemodelle mit dem gemeinschaftsrechtlichen Beihilfesystem, sofern der Wert der Begünstigung einen Betrag von 100.000 Euro übersteigt. Zugleich kann je nach Ausgestaltung des Einzelfalles die VO (EWG) Nr. 1612/68 als Teil des Sekundärrechts betroffen sein. Das Beihilfesystem des EG-Vertrags hat in verfahrensrechtlicher Hinsicht Vorrang vor den Grundfreiheiten. Sofern die Kommission der Auffassung ist, eine Maßnahme tangiere die Grundfreiheiten über das einer Beihilfe naturgemäß immanente Begünstigungselement hinaus, hat sie das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG auszusetzen und dem EuGH die Maßnahme in einem Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226 EG) vorzulegen.

B. Öffentliche Einrichtungen I. Grundlagen der öffentlichen Einrichtung 1. Begriff und Zweck der öffentlichen Einrichtung Die Gemeindeordnungen aller Länder bestimmen, daß die Gemeinden „in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen“ schaffen.595 Im Sinne der Kommunalgesetze wird unter einer öffentlichen Einrichtung jede Einrichtung verstanden, die von der Gebietskörperschaft durch Widmungsakt der allgemeinen Benutzung durch ihre Angehörigen und in ihrem Gebiet niedergelassene Vereinigungen zugänglich gemacht und im öffentlichen Interesse unterhalten wird.596 Die Widmung verleiht der Einrichtung den öffentlichen Charakter und bestimmt zugleich den Einrichtungszweck.597 Sie kann durch Satzung, durch dinglichen Ver594

Vgl. 3. Teil II. 2. c) bb) (2) (d). Vgl. nur § 10 Abs. 2 S. 1 GOBW, § 18 Abs. 1 GONW, § 19 Abs. 1 HessGO, Art. 21 Abs. 1 S. 1 BayGO, § 2 Abs. 1 SächsGO. Zur historischen Entwicklung siehe G. Bennemann, in: ders./Beinlich/Brodbeck (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Hessen, Bd. 1, Gesamtstand: Februar 2007, § 19 Rdnr. 5. 596 F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 2004, Rdnr. 311. Zu Abgrenzungen in bezug auf Sachen im Verwaltungsgebrauch sowie im Gemeingebrauch vgl. H. Roth, Die kommunalen Einrichtungen, 1998, S. 39 f. 597 Dazu ausführlich P. Axer, Die Widmung als Schlüsselbegriff des Rechts der öffentlichen Sachen, 1994, S. 138 ff. 595

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

waltungsakt598 oder konkludent durch faktische Indienststellung599 erfolgen. Öffentliche Einrichtungen sind das wesentliche organisatorische Mittel zur Erfüllung der Aufgaben der Daseinsvorsorge.600 Die Entscheidung über ihre Schaffung und Unterhaltung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Gemeinde, soweit nicht Pflichtaufgaben bestimmte organisatorische Vorkehrungen verlangen. Aus dem Wortlaut der Gemeindeordnungen folgt dabei, daß sich die Gemeinde von den Kriterien des öffentlichen Bedürfnisses und der Leistungsfähigkeit leiten lassen soll. Als Beispiele für öffentliche Einrichtungen sind Krankenhäuser, Friedhöfe, Museen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Verkehrsbetriebe, Kindergärten, Schulen etc. zu nennen.601 2. Organisationsformen Kraft der durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten Organisationshoheit hat die Gemeinde ein Wahlrecht, in welcher Rechtsform sie die Einrichtungen betreiben will.602 So kann die öffentliche Einrichtung etwa als Anstalt des öffentlichen Rechts, als wirtschaftliches Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Form (Eigenbetrieb), als wirtschaftliches oder nichtwirtschaftliches Unternehmen in Privatrechtsform (GmbH, AG) oder in öffentlich-rechtlicher oder privater Trägerschaft Dritter organisiert sein.603 Unabdingbar ist indes in allen Fällen, daß sich die Kommune vertraglich oder durch Organisationsstatut maßgeblichen Einfluß auf Betrieb und öffentliche Zweckerfüllung vorbehält.604 3. Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses Die Benutzung öffentlicher Einrichtungen wird nach vorzugswürdiger herrschender Ansicht605 rechtskonstruktiv in einem Zweistufen-Verfahren 598

Vgl. § 35 S. 2 Alt. 3 VwVfG. A. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2003, Rdnr. 529. 600 O. Seewald, in: Steiner (Hrsg.), BesVerwR, 2006, Rdnr. 140; A. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 584. 601 Vgl. zu weiteren Beispielen E. Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), BesVerwR, 2005, Rdnr. 105. 602 D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 198; G. Püttner/ S. Lingemann, JA 1984, 121 (122); W. Frotscher, in: Püttner (Hrsg.), HKWP, Bd. 3, 1983, S. 142. 603 Vgl. O. Seewald, in: Steiner (Hrsg.), BesVerwR, 2006, Rdnr. 141. 604 VG Augsburg, NVwZ-RR 2001, 468 (469); U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 144 (145). 605 Vgl. nur E. Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), BesVerwR, 2005, Rdnr. 111; O. Seewald, in: Steiner (Hrsg.), BesVerwR, 2006, Rdnr. 143; A. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 588. 599

B. Öffentliche Einrichtungen

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geregelt: Auf der ersten Stufe geht es um den Anspruch auf Benutzung dem Grunde nach, also um den Anspruch auf die sogenannte Zulassung zu der betreffenden Einrichtung. Die zweite Stufe betrifft eine Reihe weiterer Regelungen, mit denen das Benutzungsverhältnis im einzelnen ausgestaltet wird.606 Die Zulässigkeit eines derartigen Zweistufenmodells beruht letztlich auf der allgemein anerkannten Wahlfreiheit der Gemeinde hinsichtlich der Rechtsformen, in denen sie ihre Einrichtungen betreiben will.607 Die als Alternative zur dualistischen Doktrin entwickelte Theorie des öffentlichrechtlichen Einheitsmodells, nach der die Erbringung von Leistungen durch öffentliche Gemeinden durchgehend nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben zu beurteilen sei,608 ist abzulehnen. Sie orientiert sich zu wenig an der tatsächlich vorzufindenden und rechtlich nicht zu beanstandenden kommunalen Praxis.609 Die Grundfreiheiten erfassen, wie bereits erwähnt, jede gemeindliche Maßnahme unabhängig von ihrer Rechtsnatur. Daher soll diese Thematik im folgenden nicht weiter vertieft werden.610 4. Zulassungsanspruch a) Berechtigter Personenkreis Nach den Gemeindeordnungen der Länder haben die Einwohner der jeweiligen Gemeinde einen Anspruch auf Zulassung zu den öffentlichen Einrichtungen.611 Bezeichnet wird dieser Zulassungsanspruch als Einwohnerprivileg.612 Den Einwohnern gleichgestellt sind die sogenannten Forensen, natürliche Personen, die in der Gemeinde über Grundbesitz verfügen, sowie Gewerbetreibende, die in der Gemeinde einen Betrieb unterhalten.613 Die Ausdehnung des personellen Geltungsbereichs trägt dem Gedanken Rechnung, daß die angeführten Rechtssubjekte eine sachliche Verbindung zur konkreten Gemeinde aufweisen und ebenfalls die Gemeindelasten mittragen.614 Zudem wurde das Nutzungsrecht auf bestimmte ortsansässige juri606 Hierzu gehören beispielsweise die Bemessung des Entgelts für die Benutzung, Ordnungsbefugnisse, Haftung bei Schädigung infolge der Benutzung. 607 D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 210. 608 So F. Ossenbühl, DVBl. 1973, 289 (291 ff.). 609 R. Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, § 16 III 4. 610 Vgl. hierzu O. Seewald, in: Steiner (Hrsg.), BesVerwR, 2006, Rdnr. 148. 611 Vgl. etwa § 10 Abs. 2 GOBW; Art. 21 Abs. 1 BayGO; § 20 Abs. 1 HessGO; § 10 Abs. 2 SächsGO; § 8 Abs. 2 GONW. 612 Siehe W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (272); W. Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2004, Rdnr. 349. 613 Vgl. § 10 Abs. 3 GOBW, § 8 Abs. 2 GONW, Art. 21 Abs. 3 BayGO, § 20 Abs. 2 HessGO, § 10 Abs. 2 SächsGO.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

stische Personen und Personenvereinigungen ausgeweitet.615 Der Zulassungsanspruch besteht lediglich im Rahmen der Kapazität. Ist diese erschöpft, wandelt er sich in einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Zulassungsantrag um.616 Ortsfremde haben unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit keinen Anspruch auf Zulassung zu den öffentlichen Einrichtungen. Die Gemeinde kann allerdings durch Widmungserweiterung das Einwohnerprivileg aufgeben und so den Benutzerkreis auch auf Nichteinheimische ausdehnen.617 b) Rechtsnatur und Rechtsschutz Der Anspruch auf Zulassung zur Benutzung einer öffentlichen Einrichtung, die Frage des „Ob“, ist öffentlich-rechtlicher Natur. Dies gilt selbst dann, wenn das Benutzungsverhältnis, die Frage des „Wie“, privatrechtlich geregelt ist.618 Der Grund dafür ist, daß das Zulassungsrecht unbeschadet seiner unklaren Formulierung in den Gemeindeordnungen geregelt ist und daher ausschließlich einen Träger öffentlicher Gewalt verpflichtet. Für Klagen auf Zulassung ist demzufolge gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben.619 Hingegen ist das Zulassungsbegehren von Gebietsfremden als privatrechtlich zu qualifizieren, wenn die Einrichtung nach dem Widmungszweck auch diesem Personenkreis offensteht. Die Zulassungsregelungen der Gemeindeordnungen begründen zu ihren Gunsten kein Sonderrecht.620

614 G. Bennemann, in: ders./Beinlich/Brodbeck (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Hessen, Bd. 1, Gesamtstand: Februar 2007, § 20 Rdnr. 5; H.-A. Roth, WiVerw 1985, 46 (50); D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 200; vgl. auch oben 1. Teil A. II. 2. 615 Vgl. § 10 Abs. 4 GOBW, § 20 Abs. 3 HessGO, § 10 Abs. 5 SächsGO, § 8 Abs. 4 GONW, Art. 21 Abs. 4 BayGO. 616 Vgl. U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 348 (350). 617 W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (268). 618 F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 2004, Rdnr. 318; a. A. H. Roth, Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen, 1998, S. 118. 619 BVerwG, NVwZ 1991, 59 (59); E. Schmidt-Aßmann, in: ders. (Hrsg.), BesVerwR, 2005, Rdnr. 109; H.-U. Erichsen, Jura 1986, 196 (196). Wird die Einrichtung in privater Trägerschaft Dritter betrieben, haben die Einwohner ein Wahlrecht, ob sie den Anspruch auf Zulassung gegen die Gemeinde in der Form eines sogenannten öffentlich-rechtlichen Verschaffungsanspruchs geltend machen oder ob sie den Dritten selbst vor dem Zivilgericht in Anspruch nehmen wollen, vgl. BVerwG, NVwZ 1991, 59 (59). 620 A. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 594.

B. Öffentliche Einrichtungen

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5. Einwohnerprivileg bei Märkten und Volksfesten Die EG-Rechtskonformität des in den Gemeindeordnungen statuierten Einwohnerprivilegs soll im folgenden anhand konkreter Beispiele erörtert werden. Hierzu wurden die Märkte und Volksfeste ausgewählt, da sie wirtschaftlich relevante Auswirkungen auf das Wettbewerbsgeschehen besitzen.621 a) Begrifflichkeiten Die Klärung der Begrifflichkeiten erfolgt unter Rückgriff auf die Gewerbeordnung, auch wenn diese, wie sich noch zeigen wird, vorliegend nicht anwendbar ist. Unter einem Markt ist grundsätzlich eine regelmäßig wiederkehrende, zeitlich begrenzte622 Veranstaltung zu verstehen, bei der eine Vielzahl von Käufern und Verkäufern zusammentreffen, um Waren zu erstehen oder abzusetzen.623 Die Gewerbeordnung unterscheidet je nach dem Angebot der Waren den Groß-624, Spezial-625, Jahr-626 und den im Rahmen dieser Arbeit beispielhaft herausgegriffenen Wochenmarkt.627 Der Wochenmarkt dient der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln.628 Sein Warensortiment ist in der Regel auf das Feilbieten von Lebensmitteln, Produkten des Obst- und Gartenbaus, der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei sowie auf rohe Naturerzeugnisse begrenzt. Gemäß § 67 Abs. 2 GewO kann jedoch das Wochenmarktangebot der wirtschaftlichen Entwicklung und den örtlichen Bedürfnissen der Marktbesucher angepaßt werden. Volksfeste629 sind ursprünglich aus oder am Rande von Jahrmärkten entstanden. Kirchliche Feste und Wallfahrten boten nicht nur Anlaß Handel zu treiben, sondern zogen auch Spaßmacher, Spielleute und Gaukler an, die den Besuchern nach Beendigung der Veranstaltung Zerstreuung boten.630 621

Vgl. M. Burgi, JZ 1999, 873 (876). Eine Ausnahme stellt hier der Großmarkt dar, der per definitionem nicht zeitlich begrenzt sein muß. 623 Vgl. §§ 66 ff. GewO; siehe auch P. C. N. Rieß, Messe- und Ausstellungsrecht, 1998, S. 23. 624 § 66 GewO. 625 § 68 Abs. 1 GewO. 626 § 68 Abs. 2 GewO. 627 § 67 Abs. 1 GewO. 628 Vgl. hierzu U. Schönleiter, in: v. Landmann/Rohmer (Hrsg.), GewO, Bd. 1, Gesamtstand: Juni 2006, § 67 Rdnr. 5. 629 Beispiele hierfür sind das Münchener Oktoberfest, der Hamburger Dom, das Cannstatter Volksfest (in Stuttgart) und der Bremer Freimarkt. 630 Vgl. J. Wagner, in: Friauf (Hrsg.), GewO, 2003, § 60 b Rdnr. 1. 622

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Gemäß § 60 b GewO stellt ein Volksfest eine im Allgemeinen regelmäßig wiederkehrende, zeitlich begrenzte Veranstaltung dar, auf der eine Vielzahl von Anbietern unterhaltende Tätigkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 GewO631 ausübt und Waren feilbietet, die üblicherweise auf Veranstaltungen dieser Art angeboten werden. Die zeitliche Begrenzung eines Volksfestes ist ein historisch begründetes Merkmal. Es dient der Abgrenzung zu Dauerveranstaltungen von unterhaltenden Tätigkeiten, wie sie heute zum Beispiel in Freizeit- und Vergnügungsparks dargeboten werden.632 Bei Volksfesten steht die Ausübung selbständig unterhaltender Tätigkeiten von Schaustellern oder nach Schaustellerart im Vordergrund.633 Dazu zählen beinahe jede Art von Vergnügungsgeschäften wie Schau-, Fahr-, Geschicklichkeits- und Belustigungsgeschäfte.634 Das Feilbieten volksfesttypischer Waren stellt die zweite zugelassene Tätigkeitsform dar, die jedoch in Abgrenzung zu einem Jahrmarkt nicht den Schwerpunkt des Volksfestes ausmachen darf.635 Mit dem Attribut „üblicherweise“ ist eine wesentliche Einschränkung des Warenangebots auf Volksfesten verbunden. b) Märkte und Volksfeste als öffentliche Einrichtungen Das Einwohnerprivileg gilt nur dann, wenn Märkte und Volksfeste als öffentliche Einrichtungen gegründet und betrieben werden können. Dies ist nach vorzugswürdiger Meinung zu bejahen.636 Die von den Gemeinden zur Verfügung gestellten Verwaltungsmittel, insbesondere der Festplatz mit den notwendigen Versorgungs- und Erschließungsvorrichtungen, eine bereits langjährige Durchführung sowie die maßgebliche Einflußnahme der Gemeinde auf die Veranstaltung, sind für eine Klassifizierung der Markt- beziehungsweise Volksfestveranstaltung als öffentliche Einrichtung entscheidend.637 Der gemeindliche Widmungsakt ist bereits in der Zuordnung der 631 Im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 GewO: „selbständig unterhaltende Tätigkeiten als Schausteller oder nach Schaustellerart“. 632 P. J. Tettinger, in: ders./Wank (Hrsg.), GewO, 2004, § 60 b Rdnr. 5; J. Wagner, in: Friauf (Hrsg.), GewO, 2003, § 60 b Rdnr. 6. 633 U. Schönleiter, in: v. Landmann/Rohmer (Hrsg.), GewO, Bd. 1, Gesamtstand: Juni 2006, § 60 b Rdnr. 3; H. Vogel, GewArch 1977, 362 (363). 634 Vgl. hierzu P. J. Tettinger, in: ders./Wank (Hrsg.), 2004, § 55 Rdnr. 38, § 60 b Rdnr. 8. 635 H. Vogel, GewArch 1977, 362 (364). 636 T. Vollmöller, in: Schmidt/ders. (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 8 Rdnr. 62; H. Roth, Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen, 1998, S. 106; M. Mohl, Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen – Begriff und Zulassungsanspruch, 1988, S. 160; C. Gröpl, GewArch 1995, 367 (372); C. L. Lässig, NVwZ 1983, 18 (19); U. Fastenrath, NWVBl. 1992, 51 (52); U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 144 (145).

B. Öffentliche Einrichtungen

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Veranstaltungsorganisation und -betreuung zum Tätigkeitsbereich des gemeindlichen Fremdenverkehrsamts zu erblicken. Daraus kann zudem die Absicht zur allgemeinen Zugänglichkeit für die Gemeindeeinwohner und zur Unterhaltung im öffentlichen Interesse entnommen werden. In vielen Fällen bestehen darüber hinausgehende Gemeindesatzungen oder -verordnungen mit zum Teil detaillierten Organisationsregelungen. Wochenmärkte und Volksfeste stellen allerdings nur dann öffentliche Einrichtungen dar, wenn es sich um örtliche oder wenigstens vorwiegend örtliche Veranstaltungen handelt, die die Befriedigung der Bedürfnisse der Gemeindeeinwohner beziehungsweise ortsansässigen Gewerbetreibenden bezwecken.638 Das heißt nicht, daß grundsätzlich keine Gemeindefremden die öffentliche Einrichtung benutzen dürfen. Es bedeutet aber, daß eine Veranstaltung, die von vornherein darauf angelegt ist, ein überlokales Interesse zu wecken, keine öffentliche Einrichtung der Gemeinde ist. Dann käme auch das Einwohnerprivileg nicht zum Zuge.639 c) Kommunalrecht und Gewerberecht Die Gemeinde besitzt neben der öffentlichen Einrichtung auch die Möglichkeit, Märkte und Volksfeste als behördlich festgesetzte Veranstaltungen im Sinne der §§ 64 ff. GewO zu betreiben. Die Funktion der Festsetzung640 liegt vor allem darin, die Teilnehmer der festgesetzten Veranstaltung in den Genuß der sogenannten Marktprivilegien zu bringen. Zu nennen sind hier insbesondere die Befreiung von der Reisegewerbekartenpflicht des § 55 Abs. 1 GewO, die Nichtgeltung der Verbote des § 56 GewO und die Befreiung von den Ladenschlußzeiten des Ladenschlußgesetzes.641 Gleichzeitig verpflichtet sich der Veranstalter zur Durchführung der Veranstaltung.642 Liegt die genannte Festsetzung vor, so gilt als Ausfluß des Grundsatzes der Marktfreiheit643 der besondere Zulassungsanspruch des § 70 GewO. Nach diesem hat grundsätzlich Jedermann, der zum Teilnehmerkreis der fest637 VGH München, GewArch 1996, 159 (160); VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 650 (651). 638 Ebenso U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 348 (359); vgl. auch H.-A. Roth, WiVerw 1985, 46 (50). 639 So auch U. Fastenrath, NWVBl. 1992, 51 (52); W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (272); U. Hösch, GewArch 1996, 402 (406 f.). 640 Vgl. § 69 GewO. 641 Dazu im einzelnen W. Frotscher, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, BT 1, 1995, § 1 Rdnr. 177 ff.; U. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2003, S. 218 f. 642 Vgl. § 69 Abs. 2 GewO. 643 Siehe P. J. Tettinger, in: ders./Wank (Hrsg.), GewO, 2004, § 70 Rdnr. 1.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

gesetzten Veranstaltung gehört, das Recht auf Zugang im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen. Hinsichtlich des gewerberechtlichen Zulassungsanspruchs werden somit einheimische und auswärtige Anbieter gleich behandelt.644 Da § 70 GewO und die Gemeindeordnungen die Teilnahmevoraussetzungen unterschiedlich regeln, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese Vorschriften zueinander stehen. Der Vorwurf des Formenmißbrauchs, indem eine Gemeinde bewußt die Rechtsform der öffentlichen Einrichtung wählt, um bei der Auswahl der Teilnehmer die ortsansässigen Aussteller, Anbieter und Besucher zu bevorzugen, führt zu der Überlegung, ob nicht auch für gemeindlich betriebene Wochenmärkte und Volksfeste die Anwendung der gewerberechtlichen Vorschriften zwingend sein könnte.645 Die Annahme einer derartigen Überlagerung des Kommunalrechts durch gewerberechtliche Bestimmungen begegnet jedoch erheblichen Bedenken, die aus den völlig unterschiedlichen Regelungsgegenständen und -zielen der konkurrierenden Vorschriften resultieren.646 Die einschlägigen kommunalrechtlichen Bestimmungen über die öffentlichen Einrichtungen sind nicht gewerberechtlich motiviert. Vielmehr handelt es sich um eine Regelung der Infrastruktur und Daseinsvorsorge, die nicht die Sicherung der Markt- und Gewerbefreiheit bezweckt.647 Damit erwachsen die kommunalrechtlichen und gewerberechtlichen Zulassungsvorschriften weder einem einheitlichen Regelungsbereich, noch verfolgen sie ein einheitliches Regelungsziel. Aus diesem Grund können die landesrechtlichen Vorschriften und die bundesrechtlichen Bestimmungen nicht einfach in ein Verhältnis der Unter- und Überordnung gestellt werden.648 Es bleibt den Gemeinden damit freigestellt, im Rahmen ihrer Autonomie bei der Durchführung einer Veranstaltung entweder eine kommunalrechtliche oder eine gewerberechtliche Lösung zu wählen.649 Sofern es sich um eine nicht festgesetzte Veranstaltung handelt, bleiben daher die gewerberechtlichen Vorschriften bei der Zulas644

Ebenso G. Püttner/S. Lingemann, JA 1984, 121 (126). So ausdrücklich R. Pitschas, BayVBl. 1982, 641 (646 f.); siehe auch LG Karlsruhe, GewArch 1978, 295 (295 f.); nur im Ergebnis zustimmend U. Fastenrath, NWVBl. 1992, 51 (54). 646 W. Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und -verwaltungsrecht, 2004, Rdnr. 350; H. Roth, Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen, 1998, S. 141. 647 R. Stober, Hb des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 1117; H. Roth, Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen, 1998, S. 140. 648 So aber R. Pitschas, BayVBl. 1982, 641 (644); gegen die Überlagerungstheorie auch S. E. Meßmer, JuS 2002, 755 (757). 649 Ebenso VGH München, NVwZ-RR 1999, 574 (574); DÖV 2003, 819 (820); T. Vollmöller, in: Schmidt/ders. (Hrsg.), Kompendium Öffentliches WirtR, 2004, § 8 Rdnr. 62; R. Stober, BesWirtschaftsverwR, 2004, S. 73; W. Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und -verwaltungsrecht, 2004, Rdnr. 349 f.; U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 144 (145). 645

B. Öffentliche Einrichtungen

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sung zum Wochenmarkt oder zum Volksfest außer Betracht. Das Einwohnerprivileg kommt insoweit uneingeschränkt zum Tragen.650 d) Schausteller und Anbieter als Benutzer Im Zusammenhang mit dem Zulassungsanspruch zu Wochenmärkten/ Volksfesten ist weiterhin von Bedeutung, ob die Beschicker, also Schausteller und Warenanbieter, überhaupt als Benutzer der öffentlichen Einrichtung zu qualifizieren sind. Einer Ansicht zufolge sind lediglich die Besucher, zu deren Unterhaltung und Versorgung die Veranstaltung durchgeführt wird, Benutzer der Einrichtung. Schausteller und Leistungsanbieter seien vielmehr Erfüllungsgehilfen der Veranstalter651 und somit Teil652 der Einrichtung. Ein Volksfest zielt von seinem Widmungszweck primär auf die Unterhaltung und Vergnügung der Besucher des Festes ab.653 Wochenmärkte dienen der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Damit wird jedoch lediglich die soziale beziehungsweise kulturelle Funktion der Einrichtung zutreffend beschrieben.654 Nicht ausreichend gewürdigt wird aber die Tatsache, daß die Gemeinden derartige Veranstaltungen auch zur Förderung der lokalen Gewerbetreibenden, die dort auf sich und ihre Produkte aufmerksam machen können, durchführen.655 Ausschlaggebend ist demnach der Widmungszweck.656 Dient die Veranstaltung nicht nur der Belustigung des örtlichen Publikums, sondern auch der Förderung der kommunalen Wirtschaft, so sind die Gewerbetreibenden ebenfalls zum Benutzerkreis der öffentlichen Einrichtung zu rechnen. Sie sind dann Empfänger einer kommunalen Leistungsgewährung und nicht lediglich Bestandteil derselben.657 650 651 652

So auch VGH München, GewArch 1986, 241 (241). U. Fastenrath, NWVBl. 1992, 51 (54). W. Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und -verwaltungsrecht, 2004, Rdnr.

353. 653

Vgl. VGH München, NVwZ 1982, 120 (121). Vgl. W. Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und -verwaltungsrecht, 2004, Rdnr. 353. 655 W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (268 Fn. 15); U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 348 (349). 656 Ebenso U. Hösch, GewArch 1996, 402 (406). 657 So auch VGH München, NVwZ 1982, 120 (121); NVwZ-RR 1999, 574 (574); G. Püttner/S. Lingemann, JA 1984, 121 (122); C. L. Lässig, NVwZ 1983, 18 (19); M. Mohl, Die kommunalen öffentlichen Einrichtungen – Begriff und Zulassungsanspruch, 1988, S. 160 f., bejaht die Benutzereigenschaft lediglich im Hinblick auf das Volksfestgelände. Zuweilen wird die Benutzereigenschaft der Schausteller stillschweigend vorausgesetzt, vgl. R. Pitschas, BayVBl. 1982, 641 (644); offen gelassen bei VGH München, DÖV 2003, 819 (820). Die Benutzereigenschaft ablehnend W. Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und -verwaltungsrecht, 2004, Rdnr. 353; ferner U. Fastenrath, NWVBl. 1992, 51 (54). 654

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

e) Ergebnis Das Einwohnerprivileg gilt bei Volksfesten und Märkten nur unter folgenden Voraussetzungen: Erstens darf es sich nicht um eine im Sinne des § 69 GewO behördlich festgesetzte Veranstaltung handeln. Zweitens muß die fragliche Veranstaltung einen Ortsbezug aufweisen, also zumindest vorwiegend für die Einwohner und Gewerbetreibenden des Ortes durchgeführt werden. 6. Einheimischenabschlag Die Gemeinden greifen auf der Suche nach neuen Einnahmequellen vermehrt auf den sogenannten Auswärtigenzuschlag beziehungsweise Einheimischenabschlag zurück. Darunter ist allgemein die Erhebung erhöhter Gebühren für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen durch Nichtgemeindemitglieder zu verstehen. Im weiteren wird der Begriff des Einheimischenabschlags gewählt, da in der vorliegenden Arbeit die Privilegierung der Ortsansässigen im Vordergrund steht und die Benachteiligung Auswärtiger lediglich die unvermeidbare Kehrseite darstellt. Kennzeichen des Einheimischenabschlags ist, daß die Gemeinde ihre Bürger durch einen Zuschuß, den sie mit der Gebühr verrechnet, subventioniert. Dagegen werden Ortsfremde durch den Auswärtigenzuschlag mit zusätzlichen Gebührenteilen belastet.658 Insofern handelt es sich um einen „Strafzuschlag“, der lediglich wegen der Tatsache erhoben wird, daß der Benutzer kein Gemeindemitglied ist.659 Derartige Zu- und Abschläge sind nicht nur für Friedhöfe und Musikschulen denkbar, die die nationale Diskussion wegen der dazu ergangenen Urteile beherrschen,660 sondern auch für alle übrigen öffentlichen Einrichtungen. Die Zulässigkeit dieser unterschiedlichen Gebührenbemessungen für die Benutzer ist im nationalen Recht umstritten. Das Meinungsspektrum reicht von einer generellen Ablehnung661 über eine Zulässigkeit im Einzelfall662 bis hin zur generellen Zulässigkeit.663 Nach der hier vertretenen Ansicht ist die gebührenmäßige Bevorzugung gemeindlicher Einwohner unabhängig von der Ausgestaltung als Einheimischenabschlag oder als Auswärtigenzuschlag 658

M. Kellermann, BayVBl. 2003, 712 (713). A. Gern, VBlBW 1996, 201 (202). 660 Vgl. nur BVerwG, NJW 1998, 469 (469 ff.); OVG Münster, NJW 1979, 564 (565 f.). 661 Vgl. OVG Münster, NJW 1979, 565 (566); VGH Kassel, NJW 1977, 452 (453). 662 BVerwG, BayVBl. 1997, 437 (438 f.), siehe auch C. Brodersen, JuS 1998, 466 (466). 663 VG Aachen, KStZ 1971, 62 (63); vgl. auch J. Rüttgers, KStZ 1979, 125 (128). 659

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verfassungsrechtlich zulässig, wenn die Gebühr den Anforderungen des Äquivalenzprinzips entspricht und keine Kostenüberdeckung entsteht. Da sich die vorliegende Untersuchung auf die Konformität mit dem EG-Recht konzentriert, soll diese Frage nicht weiter vertieft werden.

II. Einwohnerprivileg und Grundfreiheiten 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs Die Benutzung von Wochenmärkten und Volksfesten durch ausländische Schausteller und Warenanbieter betrifft mehrere Grundfreiheiten. Der notwendige grenzüberschreitende Bezug ist gegeben, wenn es sich um Schausteller oder Warenanbieter EG-ausländischer Herkunft handelt, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Heimatstaat tätig werden möchten. a) Schausteller aa) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG Der gemeinschaftsrechtliche Begriff der Niederlassung ist im Interesse der Effektivität der Grundfreiheiten grundsätzlich weit auszulegen.664 Er umfaßt nach der Rechtsprechung des EuGH die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.665 Die Erwerbstätigkeit im Sinne des Art. 43 Abs. 2 EG (Art. III-137 Abs. 2 VV) bezieht sich auf alle geldwerten Güter und Leistungen, das heißt jede entgeltliche Tätigkeit.666 Die Schaustellerei dient regelmäßig der Beschaffung des Lebensunterhalts und ist daher auf den Erwerb von Einnahmen ausgerichtet. Unter einer festen Einrichtung ist jedoch keine feste Betriebsstätte im Sinne des § 42 Abs. 2 GewO zu verstehen. Vielmehr muß auf eine dauerhafte und stabile Integration des EG-Ausländers in das Wirtschaftsleben des Aufnahmestaates abgestellt werden.667 Sofern ein Schausteller seine Tätigkeit längerfristig und in 664

EuGH, Slg. 1996, I-6511 (6535 f. Rdnr. 20 – Broede); R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 43 Rdnr. 1. 665 EuGH, Slg. 1991, I-3956 (3965 Rdnr. 20) – Factortame; aus dem Schrifttum vgl. C. Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 10 Rdnr. 20. 666 Vgl. K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit des EGV – nur ein Gleichheitsoder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 34 f. 667 U. Randelzhofer/A. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 43 Rdnr. 10.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

kontinuierlicher Weise in einem anderen Mitgliedstaat ausübt beziehungsweise ausüben möchte, fällt er als Reisegewerbetreibender ohne feste Betriebsstätte in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit.668 bb) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG Im Gegensatz zur Niederlassungsfreiheit erfaßt die in Art. 49 Abs. 1 EG (Art. III-144 VV) normierte Dienstleistungsfreiheit nur die vorübergehend grenzüberschreitend ausgeübte Tätigkeit.669 Eine präzise Definition der Dienstleistung findet sich im EG-Vertrag nicht. Dennoch lassen sich aufgrund der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH und der Auslegung des Art. 50 EG (Art. III-145 VV) bestimmte Kriterien feststellen. Erstes Kriterium einer Dienstleistung ist gemäß Art. 50 Abs. 1 EG ihre Entgeltlichkeit. Die Besucher bezahlen für die ihnen dargebotenen Vergnügungen, so daß es sich bei der Schaustellerei um eine entgeltliche Leistung handelt.670 Diese ist, in Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit,671 von nichtkörperlicher Natur. Zudem unterfällt die wirtschaftliche Tätigkeit als Schausteller, wie sie auf Volksfesten und Märkten ausgeübt wird, einer der in Art. 50 Abs. 2 EG genannten traditionellen Kategorien, der gewerblichen Tätigkeit, und ist somit als Dienstleistung zu qualifizieren.672 Der Dienstleistungserbringer darf sich allerdings nur vorübergehend zwecks der Erbringung seiner Leistung in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, so daß keine wirtschaftliche Integration in diesen Mitgliedstaat erfolgen soll.673 Dieses Merkmal ist entscheidend für die Frage, ob sich der Schausteller auf die Dienstleistungs- oder auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann. Für ein Volksfest oder einen Markt ist es charakteristisch, daß dieser auf eine bestimmte Zeitspanne, höchstens mehrere Tage, beschränkt ist. Dementsprechend ist grundsätzlich die Dienstleistungsfreiheit einschlägig.674 Sofern der Schausteller jedoch regelmäßig und in kontinuierlicher 668

Vgl. auch EuGH, Slg. 2002, 305 (363 Rdnr. 21) – Kommission ./. Italien bezüglich der Veranstaltung von Messen; U. Fastenrath, NWVBl. 1002, 51 (55); U. Hösch, GewArch 1996, 402 (407). 669 W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 50 Rdnr. 7 ff. 670 Vgl. auch GA S. Alber, SchlA, Slg. 2002, I-305 (321 Nr. 42) – Kommission ./. Italien. 671 Vgl. zur Abgrenzung E. Pache, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 11 Rdnr. 23. 672 Vgl. auch GA S. Alber, SchlA, Slg. 2002, 305 (321 Nr. 41 f.) – Kommission ./. Italien, wo es um die Veranstaltung von Messen ging; P. C. N. Rieß, Messeund Ausstellungsrecht, 1998, S. 148; H. Hilderscheid, Die Zulassung zu Messen und Ausstellungen, 1999, S. 184; W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (266). 673 Vgl. J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 7.

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Weise in einem anderen Mitgliedstaat sein Gewerbe ausüben möchte, beispielsweise einen ständigen Standplatz bei einem Wochenmarkt begehrt, fällt er unter die Niederlassungsfreiheit.675 b) Warenanbieter aa) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG Unter Waren sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH alle körperlichen Objekte zu verstehen, die Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.676 Die Warenverkehrsfreiheit erfaßt allerdings gemäß Art. 23 Abs. 2 EG (Art. III-151 Abs. 2 VV) nur Waren „aus den Mitgliedstaaten“677, da sich die Vorschrift entsprechend der Zielsetzung des Binnenmarktes lediglich auf „Einfuhr“-Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung „zwischen den Mitgliedstaaten“ bezieht. Auf die Herstellung und den Vertrieb inländischer Waren durch ein ausländisches Unternehmen ist Art. 28 EG (Art. III-153 VV) nicht anwendbar.678 Die Warenverkehrsfreiheit ist demnach unter dem Aspekt betroffen, daß im EG-Ausland, insbesondere in grenznahen Gebieten ansässige Warenanbieter, ihre Produkte zusätzlich auch auf ausländischen Wochenmärkten und Volksfesten vertreiben möchten. bb) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG Sofern ein ausländischer Unternehmer in dem Staat, in dem auch die Veranstaltung stattfindet, eine dauerhafte und feste Niederlassung unterhält beziehungsweise beabsichtigt, eine dauerhafte Niederlassung zu errichten, und dort seine Produkte herstellt, ist ausschließlich die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG betroffen.679 Die Warenverkehrsfreiheit scheidet mangels Einführung von Waren aus. 674 Ebenso W. Frotscher, Wirtschaftsverfassungs- und -verwaltungsrecht, 2004, Rdnr. 352; grundsätzlich zum Präsenzerfordernis für Messeveranstalter siehe auch GA S. Alber, SchlA, Slg. 2002, 305 (330 ff. Nr. 85 ff.) – Kommission ./. Italien. 675 So auch EuGH, Slg. 2002, 305 (363 Rdnr. 21) – Kommission ./. Italien bezüglich der Veranstaltung von Messen; W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (272). 676 Vgl. nur EuGH, Slg. 1992, 4431 (4478 Rdnr. 23 ff.) – Kommission ./. Belgien; aus der neueren Rechtsprechung insbesondere EuGH, Slg. 1999, I-7319 (7342 Rdnr. 30) – Jägerskiöld; siehe auch K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der EU, 2002, S. 278. 677 Im Fall von aus Drittstaaten stammenden Waren müssen sich diese in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden. 678 W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 21. 679 Vgl. N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 19.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

c) Ergebnis Das in den Gemeindeordnungen statuierte Einwohnerprivileg bei Volksfesten und Wochenmärkten tangiert die Grundfreiheiten. So ist bezüglich der Schausteller je nach Lebenssachverhalt entweder der Anwendungsbereich der Niederlassungs- oder derjenige der Dienstleistungsfreiheit eröffnet. Bei den für die genannten Veranstaltungen zulässigen Warenanbietern kommt hingegen alternativ die Gewährleistung des freien Warenverkehrs oder die Niederlassungsfreiheit zum Tragen. 2. Einwohnerprivileg als Grundfreiheitseingriff a) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG Nach Art. 28 EG (Art. III-153 VV) sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Eine mengenmäßige spezifisch die Einfuhr beschränkende Maßnahme, also eine Kontingentierung oder ein Einfuhrverbot,680 liegt ersichtlich nicht vor, wenn ausländische potentielle Benutzer zur öffentlichen Einrichtung nicht zugelassen werden.681 Das Einwohnerprivileg könnte jedoch eine Maßnahme gleicher Wirkung darstellen. Ihre Einbeziehung in den Tatbestand des Art. 28 EG ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß der Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten ganz erheblich durch weniger sichtbare, gleichwohl aber sehr wirkungsvolle Maßnahmen beschränkt werden kann.682 Allerdings enthält der Vertrag keine Begriffsbestimmung. Daher kommt der Rechtsprechung eine besondere Bedeutung zu. Sie hat denn auch Auslegung und Tragweite des Art. 28 EG maßgeblich geprägt. Unter den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung fallen sämtliche Regelungen der Mitgliedstaaten, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern (Dassonville-Formel).683 Auffällig ist die weite Fassung der Begriffsbestimmung. Dabei sind drei Aspekte hervorzuheben. Zunächst genügt lediglich die Eignung einer Maßnahme, handelsbeschränkende Wirkungen zu entfalten. Unerheblich ist, ob diese tatsächlich eingetreten sind.684 Zweitens werden auch nur mittelbar wirkende Handlungen von Art. 28 EG verboten. Das ergibt 680 Zu diesem Begriff vgl. A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 28 Rdnr. 6. 681 U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 348 (351). 682 Siehe A. Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 8 Rdnr. 26. 683 Vgl. EuGH, Slg. 1974, 837 (853) – Dassonville. 684 Ausdrücklich EuGH, Slg. 1984, 1299 (1324 Rdnr. 20) – Prantl.

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sich aus dem Schutzzweck der Norm, der andernfalls an Bedeutung und Effektivität verliert.685 Drittens beinhaltet die Dassonville-Formel keine Aussagen über das Ausmaß der Beeinträchtigung.686 Nicht mehr erfaßt werden lediglich solche Maßnahmen, die sich nur rein hypothetisch auf den Warenverkehr auswirken können.687 Neben den diskriminierenden können auch unterschiedslos wirkende Maßnahmen, die In- und Ausländer gleichermaßen behindern, Maßnahmen gleicher Wirkung im Sinne von Art. 28 EG darstellen. Im Urteil Keck präzisierte der EuGH nach eigenem Bekunden die Dassonville-Formel. Nationale Bestimmungen, die Verkaufsmodalitäten enthalten, fallen dann nicht unter das Verbot des Art. 28 EG, wenn sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus dem Ausland rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.688 Verkaufsmodalitäten oder anders ausgedrückt vertriebsbeschränkende Regelungen werden jedoch dann als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen, wenn sie in dem Sinne diskriminierend wirken, daß der Marktzugang für eingeführte Produkte versperrt oder stärker behindert wird als für einheimische Produkte.689 Der Grund für diese Neuorientierung war der Umstand, daß der Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung nach dem bis dahin zugrunde gelegten Verständnis praktisch alle nationalen Regelungen erfaßte, die zumindest mittelbar die Absatzmöglichkeiten für Waren betrafen, und auf diese Weise nicht nur zu einer zunehmenden Belastung des EuGH, sondern auch zu einer immer größer werdenden Verengung der mitgliedstaatlichen Gestaltungsmöglichkeiten auf den verschiedensten Rechtsgebieten führte.690 Der unterschiedlichen rechtlichen Behandlung zufolge kommt der Abgrenzung zwischen vertriebsbezogenen und produktbezogenen Beschränkungen eine besondere Bedeutung zu. Der Anspruch auf Zulassung zum Wochenmarkt oder Volksfest hängt von der Ortsansässigkeit des Warenanbieters beziehungsweise der Betriebsstätte oder dem Grundbesitz des Unternehmens ab. Er knüpft demzufolge nicht direkt an die Herkunft der Ware an. Er setzt auch nicht bei sonstigen Merk685

Vgl. U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 28 Rdnr. 39. Vgl. R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 733. 687 Vgl. EuGH, Slg. 1995, I-2883 (2914 Rdnr. 41) – Spediporto: „zu ungewiß und indirekt“; siehe auch K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 2002, Rdnr. 637. 688 EuGH, Slg. 1993, I-6097 (6131 Rdnr. 16) – Keck und Mithouard. 689 Vgl. M. Lux, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 35; W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 46 f.; A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2004, S. 51. 690 Vgl. zu den Motiven N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2004, S. 88 ff. 686

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

malen oder Eigenschaften des konkreten Erzeugnisses, also insbesondere der Aufmachung, Form, Zusammensetzung etc., an. Der EG-Ausländer darf seine Waren überall, nur nicht auf dem betroffenen Wochenmarkt oder Volksfest vertreiben.691 Andererseits kann dort ein ortsansässiger Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten stammende Waren ohne jegliche Einschränkung verkaufen. Das Einwohnerprivileg trifft somit eine bloße Beschränkung des Kreises der Verkäufer für die besagte Veranstaltung. Es handelt sich demnach nicht um eine produktbezogene, sondern um eine vertriebsbezogene Regelung.692 Diese stellt nur unter der Voraussetzung eine Maßnahme gleicher Wirkung dar, daß sie eine diskriminierende Wirkung besitzt. Das Einwohnerprivileg gilt zumindest formal für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, da nicht an die Staatsangehörigkeit der Warenanbieter angeknüpft wird. Fraglich ist aber, ob die in Rede stehende Regelung das Inverkehrbringen inländischer und ausländischer Erzeugnisse rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise berührt. Ein Warenanbieter aus einem anderen Mitgliedstaat wäre gezwungen, in jeder Gemeinde, die ein ihn interessierendes Volksfest oder einen Wochenmarkt als öffentliche Einrichtung ohne Widmungserweiterung betreibt, eine Betriebsstätte zu gründen beziehungsweise ein Grundstück zu erwerben, um die erforderliche Verbindung zur Gemeinde herzustellen. Dies verursacht zwangsläufig zusätzliche Kosten und führt dazu, daß der Vertrieb auf ausländischen Wochenmärkten insbesondere für kleine Unternehmer nicht rentabel ist. Örtliche Wirtschaftsteilnehmer erfüllen die genannte Voraussetzung ohne Weiteres. Somit haben Waren aus anderen Mitgliedstaaten nicht den gleichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats wie inländische Waren. Faktisch kommt es sogar zu einer teilweisen Verneinung der Warenverkehrsfreiheit. Das Einwohnerprivileg diskriminiert somit die Einfuhrströme aus anderen Mitgliedstaaten.693 Dem kann auch nicht das bereits bekannte Argument entgegengehalten werden, daß die Regelung den Absatz der aus anderen Landesteilen stammenden Produkte gleichermaßen beeinträchtige.694 Entsprechend der dargelegten Argumentation ist eine staatliche Maßnahme auch dann als diskriminierend im Sinne der Vorschriften über den freien Warenverkehr zu qualifizieren, wenn sie nicht sämtliche inländische Erzeugnisse begünstigt.695 Das Einwohnerprivileg stellt somit eine 691

Aus diesem Grund verneint W. Spannowsky, GewArch 1995, 265 (266), das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung. 692 So auch U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 348 (351). 693 Ablehnend U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 348 (351), da der Absatz ausländischer Produkte auch nicht faktisch in besonderer Weise berührt werde; im Ergebnis ebenso H. Hilderscheid, Die Zulassung zu Messen und Ausstellungen, 1999, S. 185. 694 So aber GA S. Alber, SchlA, Slg. 2002, I-305 (331 Nr. 89) – Kommission ./. Italien; vgl. auch U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 348 (351).

B. Öffentliche Einrichtungen

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Maßnahme gleicher Wirkung dar und ist daher als Beeinträchtigung des Art. 28 EG zu werten. b) Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43, 49 Abs. 1 EG Wie bereits bei den städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen erläutert stellt die Anknüpfung an den Wohnsitz beziehungsweise an die Betriebsstätte oder den Grundbesitz in der Gemeinde regelmäßig eine mittelbare Diskriminierung der einschlägigen Grundfreiheiten, in diesem Fall der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit, dar.696

III. Einheimischenabschlag und Grundfreiheiten 1. Eröffnung des Anwendungsbereichs a) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist eröffnet, wenn durch die jeweilige öffentliche Einrichtung eine Dienstleistung im Sinne der Art. 49 f. EG (Art. III-144 f. VV) erbracht wird. Bei dieser Form der Einheimischenprivilegierung gilt die Besonderheit, daß sich hier der EGAusländer in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort die Dienstleistung in Empfang zu nehmen. Diese wird ihm allerdings aufgrund der höheren Gebühren nicht unter den gleichen Bedingungen wie einem Einheimischen gewährt. Die vorliegende Konstellation betrifft die sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit, die nicht ausdrücklich vom Wortlaut der Art. 49 f. EG erfaßt wird. Gleichwohl stellt ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich nach Ansicht des EuGH eine „notwendige Ergänzung . . . dar, die dem Ziel entspricht, jede gegen Entgelt geleistete Tätigkeit, die nicht unter den freien Waren- und Kapitalverkehr und die Freizügigkeit der Personen fällt, zu liberalisieren“697. Dem ist unter dem Gesichtspunkt einer möglichst effektiven und umfassenden Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt zuzustimmen.698 Vorliegend ist daher in Übereinstimmung mit 695 So auch EuGH, Slg. 2000, I-151 (170 f. Rdnr. 27) – TK Heimdienst; Slg. 1991, I-4151 (4186 Rdnr. 24) – Aragonesa. 696 Vgl. oben 3. Teil A. II. 2. c) bb) (2) (d). 697 Siehe nur EuGH, Slg. 1998, I-1842 (Rdnr. 29 ff.) – Decker und Kohll, im Ergebnis ebenso EuGH, Slg. 2003, I-13031 (13096 Rdnr. 55) – Gambelli. 698 Ebenso W.-H. Roth, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, E I Rdnr. 145,156; W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 50 Rdnr. 28.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

der Rechtsprechung des EuGH der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet.699 b) Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 Abs. 1 EG Die Kapitalverkehrsfreiheit ist hingegen bei der Gewährung des Einheimischenabschlags nicht einschlägig. Zwar geht es hier um die Zahlung eines Nutzungsentgelts. Der Anknüpfungspunkt dieser Freiheitsgewährung ist jedoch, wie bereits erörtert, grundsätzlich nicht die Bewegung der Vergütung. Der Transfer der zur Betätigung der Grundfreiheiten erforderlichen Beträge wird nicht von der Kapitalverkehrsfreiheit, sondern als Annex von den jeweiligen Grundfreiheiten selbst getragen.700 c) VO (EWG) Nr. 1612/68 Die Gewährung eines Einheimischenabschlags kann im Einzelfall zudem gegen die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68701 verstoßen. Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung kommen Wanderarbeitnehmer in den gleichen Genuß sozialer Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer. Nach ständiger Rechtsprechung werden unter diesen generalklauselartigen Begriff alle Sozialleistungen im weitesten702 Sinne gefaßt, die, ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen703 oder nicht, inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland704 gewährt werden und die jedenfalls zur Integration des Arbeitnehmers und seiner Familie in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltslandes beitragen und deshalb als geeignet erscheinen, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern.705 Einzubeziehen sind 699

Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-721 (738 Rdnr. 12) – Kommission ./. Italien. EuGH, Slg. 1984, 377 (404 Rdnr. 22) – Luisi & Carbone; zustimmend J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 56 Rdnr. 24; vgl. auch oben 3. Teil A. II. 1. e) aa). 701 Vgl. oben 3. Teil A. II. 1. a). 702 EuGH, Slg. 1997, I-6689 (6719 Rdnr. 39) – Meints; Slg. 1986, 1283 (1303 Rdnr. 25) – Reed. 703 EuGH, Slg. 1986, 1283 (1303 Rdnr. 26) – Reed; anders noch EuGH, Slg. 1973, 457 (463 Rdnr. 6/10) – Michel; kritisch K. Hailbronner, EuZW 1991, 171 (173 f.). 704 Darüber hinausgehende zusätzliche Voraussetzungen sind unerheblich, so GA Antonio La Pergola, SchlA, Slg. 1998, I-2691 (2700 Rdnr. 13) – Martínez Sala. 705 EuGH Slg. 1979, 2019 (2034 Rdnr. 22) – Even; Slg. 1982, 33 (44 Rdnr. 12) – Reina; Slg. 1984, 3199 (3213 Rdnr. 11) – Castelli, Slg. 1985, 1027 (1035 f. Rdnr. 24) – Scrivner; Slg. 1985, 973 (988 Rdnr. 20) – Hoeckx; Slg. 1997, I-6689 (6719 Rdnr. 39) – Meints; Slg. 1998, I-2691 (2717 Rdnr. 25) – Martínez Sala. Vgl. zu 700

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damit beispielsweise Fahrpreisermäßigungen706, Bestattungsgelder707 sowie Leistungen für kinderreiche Familien und Familienbeihilfen708. Auch eine nur einmalige Gewährung schadet nicht.709 Ob die gewährte Ermäßigung bei öffentlichen Einrichtungen den genannten Voraussetzungen unterfällt, kann nicht pauschal beurteilt werden, sondern ist jeweils anhand des konkreten Einzelfalles zu entscheiden. Zu bejahen ist dies beispielweise bei Kindergärten, kommunalen Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, Schwimmbädern etc. d) Ergebnis Damit ist hinsichtlich des Einheimischenabschlags regelmäßig der freie Dienstleistungsverkehr gemäß Art. 49 Abs. 1 EG betroffen. Je nach der Ausgestaltung im Einzelfall kann auch die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 tangiert sein. 2. Einheimischenabschlag als Grundfreiheitseingriff Die Anknüpfung an die Ortsansässigkeit der Personen beziehungsweise an die Betriebsstätte oder den Grundbesitz bei Unternehmen stellt mit vorgenannter Argumentation auch im Rahmen der Gewährung von Einheimischenabschlägen eine mittelbare Diskriminierung der Dienstleistungsfreiheit beziehungsweise der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 dar.710

IV. Einheimischenabschlag und Beihilferecht Bei dem Einheimischenabschlag handelt es sich zugleich um eine staatliche Beihilfe in Form einer gemeindlichen Förderung.711 In Höhe der Reduzierung der Gebühren ist die Benutzung gegenleistungsfrei. Gleichwohl kann auf eine tiefergehende Untersuchung verzichtet werden. Art. 87 EG dem Begriff der sozialen Vergünstigung im engeren und weiteren Sinne J. M. Soria, JZ 2002, 643 (643 f.). 706 EuGH, Slg. 1975, 1085 (1095 Rdnr. 10/13) – Cristini. 707 EuGH, Slg. 1996, I-2617 (2641 Rdnr. 30) – O’Flynn. 708 EuGH, Slg. 1998, I-6601 (6623 Rdnr. 21) – Kommission ./. Griechenland. Die Rechtsprechung zu den sozialen Vergünstigungen ist kaum mehr überschaubar, vgl. den ausführlichen Überblick bei U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 47 ff. 709 EuGH, Slg. 1997, I-6689 (6719 Rdnr. 42) – Meints. 710 Vgl. oben 3. Teil A. II. 2. c) bb) (2). 711 Vgl. auch U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 552 (555).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

(Art. III-167 VV) erstreckt sich nämlich nur auf Unternehmen und Produktionszweige. Werden, wie es in der Praxis bei Schwimmbädern, Museen, Musikschulen etc. vorwiegend der Fall ist, natürliche Personen subventioniert, greift das Beihilferecht nicht ein. Dennoch sind Fälle denkbar, in denen der Einheimischenabschlag den ortsansässigen Unternehmen zugute kommt. So kann die Gemeinde beispielsweise bei ihrem Volksfest nach einer entsprechenden Widmungserweiterung von auswärtigen Warenanbietern höhere Gebühren als von ortsansässigen verlangen. Dann greift in der Praxis regelmäßig die Gruppenfreistellungsverordnung für de-minimis-Beihilfen.712 Hiernach ist die Begünstigung aus dem Tatbestand des Art. 87 EG auszunehmen, wenn die Gesamtsumme der einem Unternehmen innerhalb von drei Jahren gewährten Förderungen 100.000 Euro nicht übersteigt. Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Summe in der Praxis überschritten wird, ist gering. Zum einen geht es lediglich um örtlich begrenzte Veranstaltungen, bei denen die Standplatzvergütungen moderat sind. Zum anderen darf bei der Ermittlung der Höhe der Beihilfe nur die Differenz zwischen den von Einheimischen und Ortsfremden gezahlten Gebühren berücksichtigt werden. Im übrigen sind die Ausführungen hinsichtlich der Ausnahmen im Rahmen des städtebaurechtlichen Gewerbemodells entsprechend heranzuziehen.713

V. Ergebnis Das Einwohnerprivileg bei Volksfesten und Wochenmärkten sowie der Einheimischenabschlag bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen konfligieren mit den je nach Lebenssachverhalt einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten. Zusätzlich kann je nach Ausgestaltung des Einzelfalles im Hinblick auf den Einheimischenabschlag auch das Sekundärrecht, konkret die VO (EWG) Nr. 1618/68, betroffen sein. Eine Kollision mit dem EG-Beihilferecht ist hingegen regelmäßig zu verneinen.

712 713

VO (EG) Nr. 69/2001, ABl. EG 2001, Nr. L 10/30. Vgl. oben 3. Teil A. III. 1 e).

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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C. Öffentliche Auftragsvergabe I. Grundlagen der öffentlichen Auftragsvergabe 1. Begriff und Zweck Die öffentliche Auftragsvergabe714 dient der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen, die der Staat benötigt, um seine vielfältigen Aufgaben zu erfüllen.715 Die Bedarfsdeckung ist dabei nicht auf den viel zitierten Bleistiftkauf begrenzt, sondern reicht vom Ankauf von Rüstungsgütern und Kläranlagen über bauliche Vorhaben wie zum Beispiel die Errichtung von Verwaltungsgebäuden, Straßen oder Kultureinrichtungen bis hin zur Vergabe von Forschungsaufträgen. Um diese Mittel zu beschaffen, stehen dem Staat mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Er kann eigene Betriebe durch eigene Mittel gründen, durch eine zwangsweise Beschaffung in Form des Hoheitsaktes „Enteignung“ vorgehen oder als herkömmlicher Marktteilnehmer einen Vertrag schließen.716 Dem Bereich des öffentlichen Auftragswesens ist dabei nur die zuletzt genannte Variante zuzuordnen. Der Begriff des öffentlichen Auftrags ist nicht mit der in § 662 BGB normierten engen zivilrechtlichen Legaldefinition gleichzusetzen.717 Er umfaßt vielmehr alle der Bedarfsdeckung dienenden, durch zweiseitiges Rechtsgeschäft begründeten Schuldverhältnisse im Sinne des BGB, „durch die sich eine Privatperson (Auftragnehmer) gegenüber einem Träger öffentlicher Verwaltung (Auftraggeber) zur entgeltlichen Lieferung beziehungsweise Herstellung einer Sache oder Erbringung einer Leistung verpflichtet“718. Obwohl das Attribut „öffentlich“ Anderes vermuten läßt, gehört die Vergabe öffentlicher Aufträge nach deutscher Rechtstradition im wesentlichen dem Zivilrecht an.719 Bei der Beschaffung handelt der Staat nicht hoheitlich, sondern tritt als Fis714 Zu den historischen Wurzeln vgl. nur J. Kokott, in: Byok/Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht, 2005, Einführung Rdnr. 2 ff.; T. Waldner, Bieterschutz im Vergaberecht unter Berücksichtigung der europäischen Vorgaben, 2000, S. 28 ff. 715 Siehe D. J. Elverfeld, Europäisches Recht und kommunales öffentliches Auftragswesen, 1992, S. 1. 716 Vgl. N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 1; F.-J. Kunert, Staatliche Bedarfsdeckungsgeschäfte und öffentliches Recht, 1977, S. 22 f. 717 V. J. Walthelm, Das öffentliche Auftragswesen, 1979, S. 7. 718 Vgl. E. Pache, DVBl. 2001, 1781 (1782); S. Huelmann, Öffentliche Beschaffungen nach EG-Recht, WTO und nach Deutsch-Amerikanischem Freundschaftsvertrag, 2000, S. 33; siehe auch A. Vetter, NVwZ 2001, 745 (748). 719 T. Waldner, Bieterschutz im Vergaberecht unter Berücksichtigung der europäischen Vorgaben, 2000, S. 33; I. Seidel, EuR 1990, 158 (158); J. Schwarze, EuZW 2000, 133 (133).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

kus auf.720 Die Auftragsvergabe selbst und ihre Abwicklung bestimmen sich daher stets nach Privatrecht.721 Dennoch bleibt der Staat an das öffentliche Recht gebunden.722 2. Wirtschaftliche Bedeutung Die wirtschaftliche Bedeutung der öffentlichen Auftragsvergabe kann kaum hoch genug eingeschätzt werden und befindet sich in stetigem Wachstum. Wurde in der Vergangenheit insofern auch von fiskalischen „Hilfsgeschäften“ gesprochen, täuschte dies über die wahre Dimension der Auftragsvergabe hinweg.723 Allein in der Bundesrepublik vergeben Bund, Länder und Gemeinden jährlich Aufträge in einer Größenordnung von 250 Mrd. Euro,724 die sich annähernd zu gleichen Teilen auf die Bereiche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge verteilen.725 Hinzu kommt ein Auftragsvolumen durch andere öffentliche Auftraggeber über weitere 200 Mrd. Euro, so daß in Deutschland jährlich eine Summe von mehr als 400 Mrd. Euro durch die Vergabe öffentlicher Aufträge investiert wird.726 Aufgrund der zunehmenden Dezentralisierung werden dabei mehr als die Hälfte dieser Projekte von den Kommunen vergeben.727 3. Binnenmarktbedeutung Eine ebenso zentrale volkswirtschaftliche Rolle spielen öffentliche Aufträge auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft. Dort beschaffen öffentliche Auftraggeber jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von mehr als 1,5 Bio. Euro. Das entspricht etwa 16 Prozent des Bruttoinlands720

Vgl. I. Seidel, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, H IV Rdnr. 6. 721 Vgl. BVerwGE 14, 65 (72). 722 Vgl. hierzu ausführlicher J. Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978, S. 365 ff.; M. Kling, Zur Zulässigkeit vergabefremder Regelungen im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, S. 41 ff. 723 Vgl. A. Faber, DÖV 1995, 403 (403). 724 W. Kahl, in: Aschke/Hase/Schmidt-De Caluwe (Hrsg.), FS v. Zezschwitz, 2005, S. 151 (152). 725 M. Schenk, Das neue Vergaberecht, 2001, S. 23; J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, S. 13 (14); J. Byok, NJW 1998, 2774 (2774). 726 E. Pache, DVBl. 2001, 1781 (1782); R. v. Ameln, Der StädteT 1989, 7 (7); vgl. auch die Zahlen bei A. Boesen, VergabeR, 2000, Einleitung Rdnr. 8 f. 727 Vgl. das Weißbuch der EG-Kommission zur „Vollendung des Binnenmarktes“ KOM (85) 310 endg.; H. Glahs, in: Kapellmann/Messerschmidt (Hrsg.), VOB/Teil A u. B, 2003, Einleitung Rdnr. 1: ca. 26% von den Ländern und 1% vom Bund.

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produktes der EG.728 Vor Einführung des Europäischen Vergaberechts wurde nur ein verschwindend geringer Anteil von ca. 0,14 Prozent über die mitgliedstaatlichen Grenzen hinweg vergeben.729 Durch die überall dominierende Politik des „buy national“730 stand der innergemeinschaftliche Handel in diesem Bereich praktisch still. Die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens bezweckt daher die europaweite Öffnung der Beschaffungsmärkte der öffentlichen Hand, so daß neben dem klassischen privaten Wirtschaftsmarkt unter dem Stichwort „go public“ ein zweiter, sogenannter öffentlicher Markt im Sinne eines Vergabebinnenmarktes geschaffen wird. Der Bereich der öffentlichen Beschaffungen wird auch als Prüfstein bei der Realisierung des Binnenmarktes angesehen.731 Um ihn zu verwirklichen, erließ der Gemeinschaftsgesetzgeber EG-Richtlinien, nach denen öffentliche Aufträge nicht in einer Staatsangehörige aus anderen Mitgliedstaaten diskriminierenden Weise ausgeschrieben werden dürfen.732 Gleichwohl werden diese Richtlinien heutzutage in der Praxis oftmals ignoriert oder umgangen. 4. Wirtschaftspolitische Funktionen Der Staat nutzt die öffentliche Auftragsvergabe zur Steuerung wirtschaftlicher Prozesse. Erstens fungiert sie als Instrument, um eine antizyklische Wirtschaftspolitik zu betreiben.733 Entsprechend der von Keynes konzipierten nachfrageorientierten Haushaltspolitik dosiert der Staat seine Auftragsvergabe und verlagert sie in die Wellentäler des Konjunkturzyklusses. Dadurch ersetzt er in konjunkturell ungünstigen Zeiten die fehlende private Nachfrage und beugt auf diese Weise Konjunkturschwankungen vor.734 Die Effektivität wird allerdings bezweifelt. So läßt sich der Zeitpunkt der Be728 Siehe W. Kahl, in: Aschke/Hase/Schmidt-De Caluwe (Hrsg.), FS v. Zezschwitz, 2005, S. 151 (152); O. Mader, EuZW 2004, 425 (425); E. Pache/C. Rüger, EuZW 2002, 169 (169) sprechen von 14%. 729 Vgl. K. Hailbronner, WiVerw 1994, 173 (175). 730 Vgl. J. Pietzcker, in: Motzke/ders./Prieß (Hrsg.), VOB/A, 2001, Syst II Rdnr. 8. 731 Vgl. R. Stober, BesWirtschaftsverwR, 2004, S. 399. 732 Vgl. RL 2004/18/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 31.3.2004, ABl. EU 2004, Nr. L 134, S. 114 ff., im folgenden „klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie“ genannt; RL 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004, ABl. EU 2004, Nr. L 134, S. 1 ff.; im folgenden „Sektorenrichtlinie“ genannt. 733 Dazu K. Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, 1991, S. 86 m. w. N. 734 Kritisch hierzu S. Huelmann, Öffentliche Beschaffungen nach EG-Recht, WTO und dem Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrag, 2000, S. 30; N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 5.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

schaffung nicht immer mit den konjunkturellen Phasen in Einklang bringen.735 Zweitens wird die Vergabe von Aufträgen durch die öffentliche Hand zur bewußten Lenkung und Förderung infrastruktureller, ökologischer, wettbewerblicher oder sozialstaatlicher Ziele eingesetzt.736 Dieser Aspekt verdient im Rahmen der vorliegenden Arbeit besondere Beachtung. 5. Vor- und Nachteile der Liberalisierung Einer der wichtigsten Vorteile ist längerfristig gesehen eine erhebliche Kostenersparnis bei der Vergabe öffentlicher Aufträge.737 Da verläßliche Angaben fehlen, schwanken die geschätzten Zahlen deutlich.738 Durch größere Transparenz der Vergabeverfahren sowie durch einen hohen Informationsgrad im Vorfeld der Auftragsvergabe wird die Beteiligung von Unternehmen an der Ausschreibung ausgedehnt und somit der Wettbewerb intensiviert.739 Die Unternehmen produzieren durch den steigenden Konkurrenzdruck kostengünstiger und ihre Innovations- und Investitionsbereitschaft nimmt zu.740 Da nach den EG-Richtlinien die Auftraggeber verpflichtet sind, technische Merkmale unter Bezugnahme auf europäische Normen oder Harmonisierungsunterlagen zu definieren, führt die Öffnung auch zur Vereinheitlichung von technischen Normen und dadurch zum Abbau von Handelshemmnissen. Auf diese Weise haben durch den Binnenmarkt auch die Bieter mehr Möglichkeiten, an Vergaben teilzunehmen und dadurch größere Chancen auf das beste Angebot.741 Die rationelle und effiziente Ver735 U. Vonderheid, Die Beschaffungswirtschaft kommunaler Versorgungs- und Verkehrsunternehmen und EG-Binnenmarkt, 1994, S. 261. 736 Vgl. W. Kahl, in: Aschke/Hase/Schmidt-De Caluwe (Hrsg.), FS v. Zezschwitz, 2005, S. 151 (152); R. Stober, BesWirtschaftsverwR, 2004, S. 398 mit w. N; J.-P. Schneider, DVBl. 2003, 1186 (1186). 737 Vgl. Kommission der EG, ABl. EG 1987, Nr. C 358, S. 1; S. Huelmann, Öffentliche Beschaffungen nach EG-Recht, WTO und dem Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrag, S. 25. 738 P. Cecchini, Europa ’92: Der Vorteil des Binnenmarktes, 1988, S. 39 hat beispielsweise 1988 die mögliche Kostenersparnis für die EG-Staaten auf 21,5 Mrd. ECU geschätzt, dagegen schätzte die Kommission die Ersparnis für 1987 auf 17,9 Mrd. ECU; vgl. Kommission der EG, Bulletin der EG, Beilage 6/88, S. 16. 739 Kommission der EG, ABl. EG 1987, Nr. C 385, S. 1. Durch die größere Bandbreite von potentiellen Bietern können Aufträge ausgeschrieben werden, die sonst nur mittels einer freihändigen Vergabe durchgeführt werden könnten, vgl. C. Corte/ S. Hesselmann/G. Kayser, Öffentliches Auftragswesen in der EG, 1990, S. 19. 740 Kommission der EG, ABl. EG 1987, Nr. C 385, S. 1; U. Vonderheid, Die Beschaffungsmärkte kommunaler Versorgungs- und Verkehrsunternehmen und EG-Binnenmarkt, 1994, S. 110. 741 C. Corte/S. Hesselmann/G. Kayser, Öffentliches Auftragswesen in der EG, 1990, S. 19.

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wendung öffentlicher Mittel bedeutet für die europäischen Unternehmen einen offenen Zugang zu einem einheitlichen Markt mit großen Absatzchancen sowie eine damit verbundene Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.742 Dem Steuerzahler und Verbraucher hingegen können aufgrund der erzielten Einsparungen bessere Leistungen zu günstigeren Preisen angeboten werden.743 Darüber hinaus mindert ein liberalisiertes Auftragswesen mit fairen, nicht-diskriminierenden und vor allem transparenten Vergabeverfahren das Betrugs- und Korruptionsrisiko.744 Die Liberalisierung bringt jedoch auch negative Folgen mit sich. So steigen beispielsweise in einigen Fällen die Beschaffungskosten, da die Vergabestellen aufgrund der komplizierten Verfahrensvorschriften einen erheblich größeren Verwaltungsaufwand betreiben müssen, der nicht in jedem Fall durch eine deutlich preiswertere Vergabe ausgeglichen werden kann. Überdies treten mit den diversen Bekanntgabe- und Mitteilungspflichten zeitliche Verzögerungen auf. Weiterhin besteht durch den zunehmenden Wettbewerb die Gefahr, daß es zu einer Verdrängung von schwächeren Unternehmen und damit einhergehend zum Verlust von Arbeitsplätzen kommt.745 6. Europarechtliche Vorgaben Das heutige deutsche Vergaberecht, auch Recht des staatlichen Einkaufs, der öffentlichen Auftragsvergabe, der staatlichen Beschaffung oder der Bedarfsdeckung genannt746, ist stark durch europarechtliche Vorgaben geprägt. Obwohl der liberalisierte Zugang zu öffentlichen Aufträgen eine erhebliche Bedeutung für die Verwirklichung des Binnenmarktes besitzt, enthält das primäre Gemeinschaftsrecht keine speziell auf das Vergabewesen zugeschnittenen Vorschriften. Lediglich im Kapitel für Forschung und technologische Entwicklung findet sich eine eher beiläufige Erwähnung des öffentlichen Auftragswesens.747 Um die allgemeinen primärrechtlichen Vorgaben, insbesondere die Grundfreiheiten, zu präzisieren und bestimmte Verhaltensweisen vorzuschreiben, wurden auf der Grundlage des Art. 95 EG (Art. III172 VV)748 die Vergaberichtlinien erlassen.749 742 P. Cecchini, Europa ’92, Der Vorteil des Binnenmarktes, 1988, S. 38; S. Huelmann, Öffentliche Beschaffungen nach EG-Recht, WTO und dem DeutschAmerikanischen Freundschaftsvertrag, S. 25. 743 J. Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 13 (19). 744 Vgl. N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 4. 745 S. Huelmann, Öffentliche Beschaffungen nach EG-Recht, WTO und dem Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsvertrag, S. 26. 746 J. Pietzcker, in: Motzke/ders./Prieß (Hrsg.), VOB/A, 2001, Syst II Rdnr. 2. 747 Vgl. Art. 163 Abs. 2 EG.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

a) Rechtslage vor der Reform Das bislang geltende EG-Vergaberecht ging teils auf Regelungen aus den 1970er Jahren zurück und basierte auf vier Richtlinien zum materiellen Vergaberecht und zwei Richtlinien zum Recht der Nachprüfung von Vergabeentscheidungen (Rechtsmittelrichtlinien750). Die zuletzt genannten Richtlinien, die auch heute noch Gültigkeit besitzen, sehen für jeden Bieter, der an einem öffentlichen Auftrag interessiert ist und dem durch einen möglichen Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliches Vergaberecht ein Schaden droht, zwingend die Eröffnung eines Nachprüfungsverfahrens vor. Das materielle Recht war getrennt geregelt durch je eine Richtlinie in den „klassischen“ Bereichen der Bauaufträge751, Lieferaufträge752 und Dienstleistungsaufträge753 sowie ergänzend in den sogenannten Sektoren754, die auch bestimmte Unternehmen der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Telekommunikation in den Anwendungsbereich des gemeinschaftlichen Vergaberechts einbezog. Alle Vergaberichtlinien galten nur für größere Aufträge ab bestimmten Schwellenwerten.755 Ihr Ziel war es, bei der Vergabe 748 Vgl. zur diesbezüglichen Kompetenz der Gemeinschaftsorgane H.-J. Prieß, in: Motzke/Pietzcker/ders. (Hrsg.), VOB/A, 2001, Syst I Rdnr. 28 ff. 749 Vgl. J. Schwarze, EuZW 2000, 133 (135). 750 RL 89/665/EWG des Rates v. 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. EG 1989, Nr. L 395, S. 33, geändert durch die RL 92/50/EWG, ABl. EG 1992, Nr. L 209, S. 1; RL 92/13/ EWG des Rates v. 25.2.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. EG 1992, Nr. L 76, S. 14. 751 RL 93/37/EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABL. EG 1993, Nr. L 199, S. 54, geändert durch RL 97/52/EG vom 13.10.1997, ABl. EG 1997, Nr. L 328, S. 1, im folgenden BKR genannt. 752 RL 93/36/EWG vom 14.6.1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. EG 1993, Nr. L 199, S. 1, geändert durch die RL 97/52/EG v. 13.10.1997, ABl. EG 1997, Nr. L 328, S. 1, im folgenden LKR genannt. 753 RL 92/50/EWG des Rates vom 18.6.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. EG 1992, Nr. L 209, S. 1, geändert durch die RL 97/52/EG v. 13.10.1997, ABl. EG 1997, Nr. L 328, S. 1, im folgenden DKR genannt. 754 RL 93/38/EWG des Rates v. 14.6.1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. EG 1993, Nr. L 199, S. 84; geändert durch RL 98/ 4/EG vom 16.2.1998, ABl. EG 1998, Nr. L 101, S. 1, im folgenden SKR genannt. 755 Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge 130 000 EUR, Art. 5 Abs. 1 lit. a RL 93/36/EWG des Rates vom 14.4.1993 über die Koordinierung der Verfahren zur

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von öffentlichen Aufträgen die Grundsätze der Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte, der Transparenz und der Gleichbehandlung aller Bieter zu gewährleisten.756 Dazu enthielten sie detaillierte Teilnahme- und Bekanntmachungsvorschriften sowie Regelungen zur Transparenz des Vergabeverfahrens und der Vergabeentscheidung. Im einzelnen war eine gemeinschaftsweite Ausschreibungspflicht normiert. Anschließend mußten die öffentlichen Aufträge in einer von drei gemeinschaftsrechtlich zugelassenen Verfahrensarten vergeben werden. Diese gliederten sich in das offene, das nicht offene sowie in das Verhandlungsverfahren.757 Beim offenen Verfahren erfolgt eine öffentliche Aufforderung zur Angebotsabgabe an eine unbeschränkte Zahl von Unternehmen. Beim nicht offenen Verfahren können nur die von dem öffentlichen Auftraggeber aufgeforderten Unternehmen ein Angebot vorlegen. Das Verhandlungsverfahren hingegen sieht eine Auftragsvergabe ohne förmliches Verfahren vor. Der Auftraggeber spricht ausgewählte Personen direkt an, um mit ihnen über die Auftragsbedingungen zu verhandeln. Weiter verpflichteten die Vergaberichtlinien die öffentlichen Auftraggeber, bei ihrer Vergabeentscheidung zentral auf gemeinschaftsrechtlich vorgegebene Eignungskriterien758, nämlich die Zuverlässigkeit sowie die finanzielle und technische Leistungsfähigkeit des Bieters sowie auf Zuschlagskriterien759, wobei hier alternativ auf das rein Quantitative, den niedrigsten Preis, oder das Wertungsbedürftige, das wirtschaftlich günstigste Angebot, abzustellen war.

Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. EG 1993, Nr. L 199, S. 1; Art. 7 lit. a RL 92/50/EWG in der Fassung der RL 97/52/EG vom 13.10.1997, ABl. EG 1997, Nr. L 328, S. 1; für Sektorenaufträge 400 000 EUR, Art. 14 Abs. 1 RL 93/38/EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. EG 1993, Nr. L 199, S. 88 ff.; für Bauaufträge 5 Mio. EUR, Art. 6 Abs. 1 RL 93/37/EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. EG 1993, Nr. L 199, S. 54. 756 Vgl. J. Pietzcker, in: Motzke/ders./Prieß (Hrsg.), VOB/A, 2001, Syst II, Rdnr. 8; W. Götz, EuR 1999, 621 (621). 757 Vgl. Art. 1 lit. e–g BKR, Art. 1 lit. d–f LKR, Art. 1 lit. d–g DKR und Art. 1 Nr. 7 SKR. 758 Vgl. Art. 26, 27 BKR, Art, 22, 23 LKR, Art. 31, 32 DKR. Die SKR verweist lediglich auf objektive Regelungen und Kriterien. 759 Art. 30 BKR, Art. 26 LKR, Art. 36 DKR, Art. 34 SKR.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

b) Aktuelle Rechtslage Am 30.4.2004 ist nach jahrelanger760 und intensiv geführter öffentlicher Diskussion das neue europäische Vergaberechtsregime761 in Kraft getreten.762 Der Reformprozeß folgte dem Gedanken einer kontinuierlichen Klärung und Verbesserung der Vergabevorschriften und sollte zudem die im Laufe des vergangenen Jahrzehnts zum Vergaberecht ergangene europäische Rechtsprechung763 inkorporieren.764 Er zielt auf Modernisierung, Flexibilisierung und Vereinfachung des geltenden Rechtsrahmens und strebt dadurch einen Fortschritt in der Realisierung des Binnenmarkts im Bereich des Auftragswesens an.765 Aufgrund der unterschiedlichen politischen Vorstellungen über die Funktion der Auftragsvergabe766 weist das sogenannte EG-Legislativpaket notwendigerweise einen Kompromißcharakter auf.767 Den neuen rechtlichen Rahmen zur Vergabe öffentlicher Aufträge bilden die Richtlinie zur „Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge“768 und die Richtlinie zur „Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste“769. Die offensichtlichste Neuerung besteht in der systematischen Zusammenlegung der drei genannten Standard-Vertragstypen in eine Richtlinie, wobei die meisten Regelungen bereits zuvor ohnehin identisch waren. Die beiden Rechtsmittelrichtlinien bleiben hingegen unverändert bestehen, so daß sich die Änderungen allein auf das Vergabeverfahrensrecht beziehen. Bezüglich ihres Anwendungsbereiches weist die Richtlinie keine grundlegenden Neu760

Dieser Prozeß nahm mehr als sieben Jahre in Anspruch. Vgl. zu den Neuerungen mit Bewertung O. Mader, EuZW 2004, 425 (429); M. Knauff, EuZW 2004, 142 (143 f.); S. Rechten, NZBau 2004, 366 (374 f.). 762 Die neuen Vergaberegeln müssen die Mitgliedstaaten bis spätestens 31.1.2006 in ihr nationales Recht umsetzen; vgl. Art. 80 Abs. 1 S. 1 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie; Art. 71 Abs. 1 S. 1 Sektorenrichtlinie. 763 Hierzu vgl. O. Mader, EuZW 1999, 331 (331 ff.). 764 O. Mader, EuZW 2004, 425 (425). 765 Vgl. I. Seidel, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, H IV Rdnr. 41; S. Rechten, NZBau 2004, 366 (366 f.); J.-P. Schneider, DVBl. 2003, 1186 (1189). 766 Zur Vergabe öffentlicher Aufträge als Steuerungsinstrument der Verwaltung siehe J. Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978, S. 304 ff. 767 Vgl. M. Knauff, EuZW 2004, 141 (141). 768 RL 2004/18/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 31.3.2004, ABl. EU 2004, Nr. L 134, S. 114 ff. 769 RL 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004, ABl. EU 2004, Nr. L 134, S. 1 ff. Die vier früheren Richtlinien wurden aufgehoben, Art. 82 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 73 Sektorenrichtlinie. 761

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regelungen auf.770 Allerdings wurden die Schwellenwerte für die verpflichtende Anwendung der in den Richtlinien enthaltenen Ausschreibungsregeln um 21 Prozent beziehungsweise knapp 25 Prozent erhöht.771 Dies entspricht zwar einer Anpassung an die im WTO-Beschaffungsübereinkommen (Government Procurement Agreement)772 genannten Werte. Im Hinblick auf das Ziel einer Vollendung des Binnenmarktes kann dieses Vorgehen nur als kontraproduktiv eingestuft werden. Letztlich führt es dazu, daß der ohnehin schmale Korridor der europaweit auszuschreibenden Aufträge773 noch einmal deutlich eingeschränkt wird.774 Grundlegende Neuerungen enthält die Richtlinie in verfahrensrechtlicher Hinsicht, die jedoch nur kurz angesprochen werden sollen. Neben der Einführung eines zusätzlichen Verfahrens, dem wettbewerblichen Dialog775, werden dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeiten der elektronischen Auftragsvergabe776 sowie des Abschlusses von Rahmenvereinbarungen777 und der Nutzung von dynamischen Beschaffungssystemen778 eröffnet.779 Insofern ist die Anpassung der Vergaberegeln an die Erfordernisse des Informationszeitalters zu begrüßen. Positiv ist ebenfalls die mit der Einführung neuer Verfahrens- und Vertragsarten verbundene teilweise Überwindung der Starrheit des Vergaberegimes. Dennoch muß sich der wettbewerbliche Dialog einer Bewährungsprobe in der praktischen Anwendung unterziehen. Wesentlich bedeutsamer für die vorlie770

Vgl. hierzu O. Mader, EuZW 2004, 425 (426). 162 000 Euro für zentrale Regierungsbehörden beziehungsweise 249 000 Euro für Liefer- und Dienstleistungsaufträge, 6,242 Mio. Euro für Bauaufträge, Art. 7 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie. Im Bereich der Sektoren gelten 499 000 Euro für Liefer- und Dienstleistungsaufträge und 6,242 Mio. Euro für Bauaufträge, Art. 16, 61 Sektorenrichtlinie. 772 ABl. EG 1996, Nr. L 336, S. 1. 773 Nur ca. 16% aller öffentlichen Aufträge werden im EU-Amtsblatt veröffentlicht, was wegen der Bekanntmachungspflicht auch ungefähr dem Anteil dieser Aufträge am Gesamtaufkommen entsprechen dürfte, vgl. die Studie „A report on the functioning of public procurement markets in the EU der EU-Kommission vom 3.2.2004, abrufbar unter http://europa.eu.int/comm/internal_market/publicprocure ment/studies_de.htm. 774 S. Rechten, NZBau 2004, 366 (367). 775 Dies gilt nur für die klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, vgl. Art. 29 sowie zur Definition Art. 1 Abs. 11 lit. c. Siehe hierzu M. Knauff, EuZW 2004, 141 (142). 776 Art. 42 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 48 Sektorenrichtlinie vgl. hierzu S. Rechten, NZBau 2004, 366 (369 f.). 777 Art. 1 Abs. 5, 32 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie; Art. 14 Sektorenrichtlinie vgl. hierzu O. Mader, EuZW 2004, 425 (426 f.). 778 Art. 33 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie; Art. 15 Sektorenrichtlinie, vgl. hierzu S. Rechten, NZBau 2004, 366 (371). 779 Zu beachten ist, daß die Umsetzung dieser Neuerungen mitunter optional für die Mitgliedstaaten ist. 771

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

gende Arbeit sind jedoch die Neuerungen bezüglich der Eignungs- und Zuschlagskriterien. Die Eignungskriterien regeln die Auswahl von Bietern, indem sie Ausschlußkriterien niederlegen, die der Isolierung derjenigen Bieter dienen, deren Angebote letztlich dem Vergleich nach dem jeweiligen Zuschlagskriterium unterworfen werden.780 Bislang durften Bewerber781 nur abgelehnt werden, wenn sie ihre Zuverlässigkeit sowie ihre technische und finanzielle Leistungsfähigkeit gemäß den vorgegebenen Möglichkeiten nicht nachweisen konnten. Um Korruption und organisierte Kriminalität besser bekämpfen zu können, wurde der neue Katalog der Eignungskriterien in beiden Richtlinien etwas erweitert.782 Sofern ein Bewerber wegen eines dort aufgelisteten Tatbestandes wie Betrug, Geldwäsche, Korruption etc. rechtskräftig verurteilt ist und der Auftraggeber davon Kenntnis erlangt, so hat er den potentiellen Teilnehmer vom Vergabeverfahren auszuschließen. Im Bereich der Zuschlagskriterien bleiben das „wirtschaftlich günstigste Angebot“783 und der „niedrigste Preis“784 maßgeblich für die Ermittlung des erfolgreichen Bieters. Unabhängig von der grundsätzlichen Wahl des Auftragsgegenstandes, die bereits für sich genommen zu einem gewissen Grad Sekundärzwecke berücksichtigen kann, ist es nun den öffentlichen Auftraggebern freigestellt, „zusätzliche Bedingungen“ für die Ausführung des Auftrags vorzuschreiben, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden.785 Diese umfassende Möglichkeit des vergaberechtskonformen Einbezugs von Sekundäraspekten, auf die später noch genauer einzugehen sein wird, bedarf ebenfalls einer Bewährungsprobe. Soweit den öffentlichen Auftraggebern die anspruchsvolle Aufgabe gelingt, anhand objektiver Kriterien vorab in den Ausschreibungsunterlagen diskriminierungsfrei vor allem umweltfreundliche oder sozialverträgliche Produktionsmethoden als Teil der Spezifikationen zu berücksichtigen, wird tatsächlich ein wesentliches mit den neuen Richtlinien verfolgtes Ziel erreicht. Dennoch kann der Einbezug zu deutlich mehr Intransparenz bei der Auftragsvergabe führen. 780

O. Mader, EuZW 2004, 425 (429). Der Einfachheit halber wird im folgenden keine Unterscheidung zwischen dem Begriff Bieter (offenes Verfahren) und Bewerber (nicht offenes Verfahren) vorgenommen, sondern beide Begriffe nebeneinander ohne Unterschied in der Sache verwendet. 782 Art. 45 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 54 Sektorenrichtlinie. 783 Die dazu anzuwendenden Abwägungsmerkmale können nur solche mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängende Kriterien wie Qualität, Preis, Kundendienst und technische Hilfe, Umwelteigenschaften etc. sein, Art. 53 Abs. 1 a klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie; Art. 55 Abs. 1 lit. a Sektorenrichtlinie. 784 Art. 53 Abs. 1 b klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie; Art. 55 Abs. 1 lit. b Sektorenrichtlinie. 785 Art. 26 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 38 Sektorenrichtlinie. 781

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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Zudem besteht die Gefahr, daß sich das Auftragswesen von seiner ursprünglichen Zielsetzung des „best value for taxpayer’s money“ entfernt. Das Ziel einer Vereinfachung des bisher geltenden Rechtsrahmens für diesen Bereich hat das Legislativpaket allerdings klar verfehlt. Das Ergebnis der teilweise sinnvollen Ansätze der Kommission in ihren ersten Entwürfen ist ein komplexes und kaum mehr beherrschbares Regelungsdickicht. Die Zusammenfassung der drei klassischen Vergaberichtlinien in einen Text, der zudem vielfältige Ausnahmeregelungen enthält, und die hohe Anzahl neuer und teilweise sehr komplexer Instrumente führt zur Unübersichtlichkeit.786 7. Begriff der vergabefremden Kriterien Vergabe- oder beschaffungsfremde Kriterien sind solche Anforderungen an die Teilnehmer eines Vergabeverfahrens, die nicht unmittelbar der wirtschaftlichen Beschaffung einer von der öffentlichen Hand benötigten Leistung dienen.787 Das bedeutet nicht zwingend, daß sie überhaupt nicht mehr im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen können. Vielmehr ist der Begriff vorliegend so weit zu verstehen, daß lediglich unmittelbar auf den Auftrag bezogene Kriterien ausscheiden.788 Für die Bewertung der rechtlichen Zulässigkeit der Implementation solcher externer Zwecksetzungen in das Vergabeverfahren muß auf der Wertungsneutralität des Begriffs „vergabefremde Zwecke“ bestanden werden. Durch ihre Berücksichtigung werden die unterschiedlichsten wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele verfolgt.789 Sie reichen von der Förderung von Betrieben, die Langzeitarbeitslose beschäftigen oder Lehrlinge ausbilden, über den Schutz des deutschen Tarifrechts gegen Unterwanderung durch ausländische Unternehmer, den Ausschluß von Betrieben, die zu mißliebigen Weltanschauungsgemeinschaften in Beziehung stehen, bis hin zur Förderung mittelständischer Unternehmen und zur Belohnung umweltfreundlicher Betriebs- und Produktorganisation.790 Zu den klassischen Sekundärzwecken791 zählt auch die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an ortsansässige Unternehmen. Begründet 786

S. Rechten, NZBau 2004, 366 (374). M. Schenk, Das neue Vergaberecht, 2001, S. 58; A. Fischer/R. Barth, NVwZ 2002, 1184 (1185). 788 Für die vorliegende Arbeit ist eine genaue Auseindersetzung mit dem Begriff vergabefremde Kriterien nicht erforderlich. 789 Vgl. D. Middelschulte, Öffentliche Aufträge als Gegenstand des EG-Beihilferechts, 2004, S. 6.; E. Pache, DVBl. 2001 1781 (1789). 790 J. Ziekow, NZBau 2001, 72 (72). 791 Vorliegend wird der Begriff Sekundärzweck synonym zu den bereits genannten Begriffen verwendet. Vgl. aber die Unterscheidung bei C. Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 17 ff., 21 f. 787

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

wird die als Unterfall der sogenannten Regionalförderung bekannte Privilegierung damit, daß auf diese Weise das örtliche Steueraufkommen gestärkt wird und Arbeitsplätze in der Gemeinde gesichert und geschaffen werden.792 Dabei unterliegt die Gestaltung der Bevorzugtenregelung dem Einfallsreichtum der Gemeinde. Die sicherlich effektivste Privilegierung wäre eine interne Verwaltungsvorschrift beziehungsweise ausgeübte Praxis, nach der alle gemeindlichen Aufträge nur an ortsansässige Unternehmen zu vergeben sind. Durch die Verteilung von Bonuspunkten für die Ortsansässigkeit, die mit in die Zuschlagsbewertung einfließen, oder die ständige Bevorzugung des ortsansässigen Unternehmens bei gleich wirtschaftlichen Angeboten kann die Gemeinde ebenfalls eine wirksame Lokalförderung durchführen. Denkbar ist auch, dem erfolgreichen Unternehmen die Pflicht aufzuerlegen, als Subunternehmer nur in der Gemeinde ansässige Betriebe zu verpflichten. Da die Berücksichtigung eines solchen Kriteriums wie auch der Einbezug von vergabefremden Zwecken insgesamt das Haupteinfallstor für Protektionismus bei der Auftragsvergabe sowie das hauptsächliche Hindernis für eine tatsächliche Liberalisierung der öffentlichen Beschaffungsmärkte darstellt,793 ist ihre EG-Rechtskonformität höchst streitig. Dabei sind verschiedene Normenkomplexe von Bedeutung: die Vergaberichtlinien und die Vorschriften des EG-Vertrages. Zu berücksichtigen ist aber, daß die sekundärrechtlichen Vergaberichtlinien von vornherein nur als Maßstab in Betracht kommen, wenn das Auftragsvolumen die dort genannten Schwellenwerte erreicht. Für Aufträge, deren Volumina unterhalb davon verbleiben, gilt ausschließlich das Primärrecht.

II. Öffentliche Aufträge und EG-Vergaberichtlinien Zunächst ist der Frage nachzugehen, inwieweit die EG-Vergaberichtlinien die Zulässigkeit vergabefremder Ziele, darin eingeschlossen die Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen, regeln. Ein explizites Verbot beschaffungsfremder Vergabekriterien enthält das sekundäre Gemeinschaftsrecht nicht. Angesichts der relativ präzisen gemeinschaftsrechtlichen Vergabekriterien ist allerdings fraglich, inwieweit nationale Auftraggeber darüber hinaus weitere, ergänzende Anforderungen an die zu berücksichtigenden Bie792

U. Vonderheid, Die Beschaffungsmärkte kommunaler Versorgungs- und Verkehrsunternehmen und EG-Binnenmarkt, 1994, S. 99; J. Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, 1978, S. 322 f.; E. Kayser, Nationale Regelungsspielräume im öffentlichen Auftragswesen und gemeinschaftsrechtliche Grenzen, 1999, S. 107. 793 Vgl. M. Knauff, EuZW 2004, 141 (143).

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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ter oder an das Angebot stellen dürfen. Durch die Änderung der Richtlinien wurden zumindest einige Neuerungen hinsichtlich der Berücksichtigung vergabefremder Aspekte aufgenommen.794 Das frühere Argument, der Gesetzgeber habe die Regelung dieser Problematik übersehen, kann damit als überholt gelten. Dennoch bleiben diesbezüglich einige Fragen offen, die im Wege der Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts beantwortet werden müssen. Dabei kommt der Rechtsprechung des EuGH eine vorrangige Bedeutung zu. Grundsätzlich gilt, daß den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Sekundärrechts nur dann noch eine Regelungsbefugnis und damit die Möglichkeit zu nationalen Sonderwegen verbleibt, wenn die umstrittene Rechtsfrage im Gemeinschaftsrecht nicht erschöpfend normiert wurde.795 1. Vergabefremde Kriterien im Vergabeverfahren Wegen der besonderen dogmatischen Relevanz wird im folgenden die Untersuchung des Ortsansässigkeitskriteriums anhand der üblichen vierteiligen796 Gliederung des Vergabeverfahrens stattfinden. Da jede Ebene unterschiedliche Funktionen aufweist, unterliegt sie ihren eigenen speziellen Regelungen. In der ersten Phase des Vergabeverfahrens (a) ist der Auftragsgegenstand zu definieren und seine technischen Spezifikationen festzulegen, danach folgt (b) die grundsätzliche Eignungsprüfung der Anbieter sowie (c) anhand der Wertung der Angebote der Zuschlag. Für die Vertragsausführung (d) können zusätzliche Vertragsbedingungen normiert werden. Zu klären ist nun, ob in der jeweiligen Phase vergabefremde Kriterien verwendet werden dürfen und wenn ja, ob auch gerade der Aspekt der Ansässigkeit in der Gemeinde zulässig ist. a) Technische Spezifikationen Auf der ersten von den europäischen Richtlinien erfaßten Stufe im Vergabeverfahren, beim Erstellen der Vergabeunterlagen, sind die „technischen Spezifikationen“ des Vertragsgegenstands in der Leistungsbeschreibung fest794 Vgl. zum Streitstand vor der Neuregelung gegen eine Berücksichtigung grundlegend M. Kling, Zur Zulässigkeit vergabefremder Regelungen im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, S. 160 ff.; F. Rittner, in: Schwarze (Hrsg), Die Vergabe öffentlicher Aufträge im Lichte des europäischen Wirtschaftsrechts, 2000, S. 87 (93 ff.); A. Martin-Ehlers, WuW 1999, 685 (689 ff.); für eine Berücksichtigung ausführlich C. Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 69 ff., 195; J. Gröning, ZIP 1999, 52 (55); V. Neßler, DÖV 2000, 145 (149 f.); U. Rust, EuZW 1999, 453 (454). 795 So W. Götz, EuR 1999, 621 (623); vgl. auch 4. Teil A. II. 3. 796 So auch J.-P. Schneider, DVBl. 2003, 1186 (1187).

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

zulegen. Dies kann wie bisher unter Bezugnahme auf die im Anhang797 zu den Richtlinien definierten technischen Spezifikationen erfolgen,798 aber auch durch eine Umschreibung in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen.799 Dazu können grundsätzlich vergabefremde Kriterien, neuerdings ausdrücklich auch Umweltschutzziele,800 herangezogen werden, sofern sie sich im Produkt niederschlagen und, sichtbar oder unsichtbar, zu dessen Charakterisierung beitragen.801 Das Kriterium der Ortsansässigkeit gehört allerdings nicht zu den technischen Spezifikationen, da es keinen Bezug zu dem Produkt aufweist, sondern vielmehr unternehmensbezogen ist. b) Eignungskriterien Im Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie verfügen die öffentlichen Auftraggeber bei dem Auswahlverfahren über einen großen Handlungsspielraum. Sie können die Grundsätze ihrer Auswahl weitgehend selbst bestimmen, vorausgesetzt, daß sie sich an objektiven Kriterien orientieren.802 Auf die in der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie genannten Eignungskriterien kann verwiesen werden.803 Damit ist es den Gemeinden grundsätzlich freigestellt, alle nicht ortsansässigen Unternehmen von dem Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie auszuschließen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das gewählte Kriterium weiteren Voraussetzungen genügen muß. Der Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen enthält im Gegensatz zu Art. 44 Abs. 3 der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie keine zusätzlichen Anforderungen. Danach müssen die objektiven Kriterien diskriminierungsfrei sein. Die Gemeinden können daher im Ergebnis die Ortsansässigkeit eines Unternehmens als Eignungskriterium nach der Sektorenrichtlinie grundsätzlich festlegen. Generelle Voraussetzung ist allerdings weiterhin, daß dieses Merkmal nicht mit dem Primärrecht, insbesondere den Grundfreiheiten, kollidiert. Konkreter ist der Regelungsgehalt der klassischen Vergaberichtlinien in der Phase der Auswahl der Bewerber. Hier wird im einzelnen auf die Eignung der Bewerber anhand der Kriterien der wirtschaftlichen, finanziellen 797 Anhang VI klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Anhang XXI Sektorenrichtlinie. 798 Art. 23 Abs. 3 lit. a klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 34 Abs. 3 lit. a Sektorenrichtlinie. 799 Art. 23 Abs. 3 lit. b – d klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 34 Abs. 3 lit. b – d Sektorenrichtlinie. 800 Vgl. nur Art. 23 Abs. 3 b klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie. 801 Vgl. die Mitteilung der Kommission unter II 1.2. 802 Art. 51 Abs. 1 b in Verbindung mit Art. 54 Sektorenrichtlinie. 803 Vgl. Art. 54 Abs. 4 S. 1 (vgl. aber S. 2) Sektorenrichtlinie.

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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und technischen Leistungsfähigkeit abgestellt, aber auch an die persönliche Situation des Bewerbers angeknüpft. Die Ortsansässigkeit eines Unternehmens kann unter keines der genannten Kriterien subsumiert werden. Eine gemeindliche Verwaltungsvorschrift, die den Bieterkreis auf ortsansässige Unternehmen beschränkt, würde ein zusätzliches, nicht normiertes Eignungskriterium fordern.804 Eine solche Voraussetzung wäre jedoch dann zulässig, wenn die Vergaberichtlinien diesbezüglich nicht abschließend geregelt sind, sondern lediglich einen Koordinierungscharakter aufweisen. Die Beantwortung dieser Frage wird erst im Anschluß an die Erörterung aller Phasen untersucht. c) Zuschlagskriterien In der Phase der Zuschlagserteilung geben beide Richtlinien zwei Kriterien vor: der niedrigste Preis und das wirtschaftlich günstigste Angebot.805 Bei der Bewertung des zuletzt genannten Kriteriums können etwa Qualität, Betriebskosten, Umwelteigenschaften, Kundendienst und technische Hilfe, Lieferzeitpunkt und Lieferungs- oder Ausführungsfrist herangezogen werden. Dabei belegt der Ausdruck „zum Beispiel“, daß es sich hier nicht um eine abschließende Aufzählung handelt.806 Der Tatbestand hat insofern gegenüber der alten Rechtslage in Anlehnung an die sogleich vorzustellende Rechtsprechung807 eine Konkretisierung erfahren, als daß die Unterkriterien, die der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienen, mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen müssen. Entgegen der Ansicht von Peter Friedrich Bultmann müssen die beschaffungsfremden Kriterien nicht positivrechtlich im Gemeinschaftsrecht verankert sein.808 Nach dem eindeutigen Wortlaut der Richtlinien reicht allein der Bezug zum Auftragsgegenstand aus. Kriterien, die lediglich mit dem Auftrag zusammenhängen, können nicht mehr berücksichtigt werden. Nicht zulässig sind im Rahmen des wirtschaftlich günstigsten Angebots ausschließlich bieterbezogene Kriterien, die nicht produktbezogen sind oder über den eigentlichen Auftragsgegenstand hinausgehende Anforderungen an die Bieterunternehmen stellen.809 Die lokale Herkunft der potentiellen Bewerber betrifft lediglich die Modali804 Im Ergebnis so auch EuGH, Slg. 1992, I-3401 (3419 f. Rdnr. 18 ff.) – Kommission ./. Italien. 805 Art. 53 Abs. 1 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 55 Abs. 1 Sektorenrichtlinie. 806 Bereits schon EuGH, Slg. 1988, 4635 (4659 Rdnr. 27) – Beentjes, siehe auch Slg. 2002, I-7213 (7275 Rdnr. 54) – Concordia Bus Finland. 807 So auch A. Kullack/R. Terner, ZfBR 2004, 244 (249). 808 P. F. Bultmann, ZfBR 2004, 134 (135). 809 So auch GA M. Darmon, SchlA, Slg. 1988, 4635 (4649 Nr. 35) – Beentjes.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

tät der Auftragserledigung durch das Unternehmen und steht in der Regel in keinem Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand. Regionalpolitische Kriterien können lediglich dann einbezogen werden, wenn sie für die Wirtschaftlichkeit der Vergabe relevant sind. Dies ist beispielsweise bei der Errichtung einer störanfälligen Anlage der Fall, bei der durch ein ortsansässiges Unternehmen schnellere und im Hinblick auf die Anfahrtskosten günstigere Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten gewährleistet werden. In diesen eng begrenzten Ausnahmefällen darf die Gemeinde die Ortsansässigkeit eines Unternehmens als bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots unter den noch vorzustellenden Voraussetzungen im Rahmen ihrer Auftragsausschreibung festlegen. Neben den in den Vergaberichtlinien genannten Zuschlagskriterien könnte aber noch Raum für die Ortsansässigkeit als ein zusätzliches Zuschlagskriterium verbleiben.810 Dies würde aber analog den Eignungskriterien voraussetzen, daß die Vergaberichtlinien nicht abschließend sind. Auch dieser Frage wird sich erst im Anschluß an die Bewertung aller Phasen gewidmet. d) Bedingungen für die Auftragsausführung Hervorgegangen aus der insofern mißverständlichen Beentjes-Rechtsprechung des EuGH sind bei der Neukonzipierung des Vergaberechts die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags. Gemäß den Bestimmungen beider Vergaberichtlinien ist es den öffentlichen Auftraggebern freigestellt, „zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorzuschreiben, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Die Bedingungen können insbesondere soziale811 und umweltbezogene Aspekte betreffen“812. An dieser Stelle verbleibt ein großer Spielraum für vergabefremde Kriterien. Zu beachten ist, daß die Bedingungen für die Auftragsausführung nicht Teil des eigentlichen Vergabeverfahrens, sondern der Zuschlagsentscheidung nachgelagert sind. Sie betreffen damit die Ausführungsphase eines öffentlichen Auftrags, in der mittels Auflagen oder Vertragsklauseln ein bestimmtes Verhalten des Auftragnehmers eingefordert wird. Nach den Vergaberichtlinien ist es daher grundsätzlich möglich, daß der Auftraggeber von einem Unternehmer, dessen Angebot ausgewählt wurde, beispielsweise verlangt, als Subunternehmer nur ortsansässige Unternehmen zu verpflichten. Weitere Voraussetzung ist dann, daß diese Form 810 Dies wäre beispielsweise durch die Verteilung von Bonuspunkten oder die Bevorzugung bei gleich wirtschaftlichen Angeboten der Fall. 811 Was unter sozialen Bedingungen zu verstehen ist, konkretisiert beispielsweise der 33. Erwägungsgrund der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie. 812 Art. 26 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 38 Sektorenrichtlinie.

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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der Privilegierung mit den übrigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere mit den Grundfreiheiten, in Einklang steht. Hierauf wird im Anschluß an eine Überprüfung der Vergaberichtlinien genauer einzugehen sein.813 e) Ergebnis Im Rahmen des Anwendungsbereichs der Sektorenrichtlinie darf die Gemeinde grundsätzlich814 als Eignungskriterium die Ortsansässigkeit des Unternehmens festlegen. Die klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie läßt hingegen ein solches Erfordernis nur dann zu, wenn sie im Bereich der Bieterauswahl nicht abschließend geregelt ist. Dies gilt ebenfalls für beide Richtlinien im Hinblick auf die Zuschlagskriterien. Die Ortsansässigkeit kann hier aber als berücksichtigungsfähiger Belang bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen, vorausgesetzt es besteht ein Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand. Bezüglich der Bedingungen für die Auftragsausführungen darf die Gemeinde Regelungen zugunsten ortsansässiger Betriebe treffen, sofern diese EG-rechtskonform ausgestaltet sind. 2. Rechtsprechung des EuGH und Auffassung der Kommission Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob die Richtlinien hinsichtlich der Eignungs- und Zuschlagskriterien abschließend normiert sind. Die sogleich vorzustellende Rechtsprechung bezog sich zwar noch auf eine ältere Fassung der Richtlinien. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Erkenntnisse, die die Rechtsprechung aus der vorherigen Fassung der Richtlinien gewonnen hat, nunmehr ohne Bedeutung sind. Da sich der Wortlaut der neuen Vorschriften diesbezüglich nur in einigen Punkten unterscheidet, kann die Aussage der Urteile auch heute noch auf die Bewerberauswahl und Zuschlagserteilung übertragen werden. a) Eignungskriterien Die Kommission sah im Hinblick auf die Eignungskriterien keinen Raum für die Berücksichtigung vergabefremder Aspekte und führte in ihrem Grünbuch aus: „Nach den Bestimmungen der Richtlinien können gegenwärtig jedoch soziale Belange in der Phase der Prüfung der Eignung der Bieter 813 814

nügt.

Vgl. unten 3. Teil C. III. Voraussetzung ist weiterhin, daß dieses Kriterium auch dem Primärrecht ge-

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

beziehungsweise Bewerber nach den Auswahlkriterien, welche die wirtschaftliche, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit betreffen . . . nicht berücksichtigt werden“815. Auch der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung von der Abgeschlossenheit der Richtlinien in bezug auf die Auswahlkriterien aus. Als Beispiel mag die Rechtssache Kommission ./. Italien dienen. Der zugrundeliegende Sachverhalt betraf ein Gesetz der italienischen Republik, wonach unter anderem der Konzessionär die Arbeiten zu einem Prozentsatz in Höhe von 15 bis 39 an Unternehmen übertragen mußte, die ihren Sitz in der Region hatten, in der die Arbeiten durchgeführt werden sollten. Außerdem sollten Bieterkonsortien ab 15 Mitgliedern dann bevorzugt werden, wenn daran ortsansässige Unternehmen beteiligt waren (Regionalpräferenz). Der Gerichtshof stellte hier fest, daß die italienischen Vorschriften ein Auswahlkriterium beinhalteten, das bei den Eignungskriterien der Baukoordinierungsrichtlinie nicht aufgeführt sei und das vor allem nicht den dort genannten wirtschaftlichen und technischen Bedingungen entspreche. Damit beziehe sich dieses Auswahlkriterium auf Umstände, die nicht Gegenstand der nach der Vergaberichtlinie vorgesehenen Auskünfte sein könnten. Deshalb verstoße das Auswahlkriterium der italienischen Regelung gegen die Richtlinie.816 In der Literatur stieß dieses Urteil auf Bedenken, da der EuGH in dem sogleich vorzustellenden Fall Beentjes die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen mit dem Hinweis auf den nicht abschließenden Charakter eben dieser Richtlinie als zulässiges Vergabekriterium erklärte.817 Dieser scheinbare Widerspruch besteht insofern nicht, als daß Eignungs- und Zuschlagskriterien strikt zu trennen sind und der EuGH auch im Urteil Beentjes818 die abschließende Koordinierungswirkung in bezug auf die Eignungsanforderungen, zu denen die Bevorzugung regionaler Wirtschaftsunternehmen gehört, festgestellt hat. Daher ist als Ergebnis hinsichtlich der Auswahlkriterien festzuhalten, daß der EuGH den Katalog der bieterbezogenen Kriterien der Ausschlußgründe und Eignungsnachweise als abschließend ansieht, so daß die Mitgliedstaaten keine weiteren Teilnahmebedingungen einführen dürfen.819

815 Grünbuch „Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union“, KOM (96) 583 endg., S. 50; vgl. ausführlich zum damaligen Standpunkt der Kommission C. Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 181 ff. 816 EuGH, Slg. 1992, I-3401 (3420 Rdnr. 20) – Kommission ./. Italien. 817 So aber W. Götz, EuR 1999, 621 (627). 818 EuGH, Slg. 1988, 4635 (4657 Rdnr. 17) – Beentjes. 819 EuGH, Slg. 1992, I-3401 (3420 Rdnr. 20) – Kommission ./. Italien; Slg. 1994, I-1409 (1442 Rdnr. 35) – Kommission ./. Italien.

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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b) Zuschlagskriterien Ursprünglich ging der EuGH auch von einer generellen Unzulässigkeit in bezug auf zusätzliche Zuschlagskriterien aus.820 Erstmals in dem Urteil Beentjes wich der EuGH von seiner damaligen Rechtsprechung ab. Dieser Fall betraf die Frage, ob die Fähigkeit eines Bieters, von der örtlichen Arbeitsbeschaffungsstelle vermittelte Langzeitarbeitslose zu beschäftigen, als Kriterium in einem Vergabeverfahren zulässig sei. Zunächst stellte der EuGH stellte fest, daß eine solche Befähigung weder mit der Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmen im Hinblick auf deren wirtschaftliche, finanzielle und technische Leistungsfähigkeit noch mit den in der Richtlinie genannten Zuschlagskriterien etwas zu tun habe.821 Entgegen den Schlußanträgen von Generalanwalt Marco Darmon822 erklärte der Gerichtshof, „daß die Richtlinie kein einheitliches und erschöpfendes Gemeinschaftsrecht schafft, sondern daß es den Mitgliedstaaten vorbehaltlich aller einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Verbote, die aus den vom Vertrag aufgestellten Grundsätzen auf dem Gebiet des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs folgen, unbenommen bleibt, materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Bestimmungen auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge aufrechtzuerhalten oder zu erlassen“823. In der Entscheidung Beentjes824 blieb jedoch unklar, in welchem Abschnitt des Vergabeverfahrens der Aspekt der Beschäftigungsförderung Eingang fand. Da der Gerichtshof weder die Eignungs- noch die Zuschlagskriterien als betroffen ansah, und statt dessen von einer „besonderen zusätzlichen Bedingung“825 sprach, ging insbesondere die Kommission826 davon aus, daß das Kriterium als „Ausführungsbedingung des Vertrages“ zu verstehen sei. Demzufolge rückte die Kommission von ihrer einstmals konsequent ablehnenden Haltung ab und ermutigte sogar ausdrücklich die Mit820

Vgl. nur EuGH, Slg. 1985, 1077 (1091 Rdnr. 26) – Kommission ./. Italien. EuGH, Slg. 1988, 4635 (4659 Rdnr. 28) – Beentjes. 822 Vgl. GA M. Darmon, SchlA, Slg. 1988, 4635 (4650 Nr. 39) – Beentjes. 823 EuGH, Slg. 1988, 4635 (4657 Rdnr. 20) – Beentjes. 824 Die Beentjes-Entscheidung wurde in der Literatur heftig kritisiert, vgl. nur M. Schenk, Das neue Vergaberecht, 2001, S. 60; E. Pache/C. Rüger, EuZW 2002, 169 (171); W. Götz, EuR 1999, 621 (625). 825 EuGH, Slg. 1988, 4635 (46561 Rdnr. 36) – Beentjes. 826 KOM (2000) 275 endg. v. 10.5.2000, Ziff. II der Begründung; vgl. auch die Mitteilung über die Auslegung des gemeinschaftlichen Vergaberechts und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Belange bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, KOM (2001) 566 endg., ABl. EG 2001, Nr. C 333, S. 27 ff. sowie die Mitteilung über die Auslegung des gemeinschaftlichen Vergaberechts und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, KOM (2001) 274 endg. v. 4.7.2001. 821

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

gliedstaaten dazu „ihre öffentliche Kaufkraft für die Verfolgung . . . soziale(r) Ziele zu benutzen“827. Mitunter wird für die europarechtliche Zulässigkeit vergabefremder Aspekte auch das Urteil in der Rechtssache Evans Medical angeführt. Der EuGH stellte dort fest, daß die Zuverlässigkeit und Kontinuität einer Belieferung eine Rolle bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots spielen könne.828 Dieser Fall betrifft ersichtlich nicht die Problematik der Zulässigkeit eines vergabefremden Kriteriums und ist daher für die hier interessierende Frage nicht weiterführend.829 Mit seinem Urteil in der Rechtssache „Nord-Pas-de-Calais“ im Herbst 2000 hat der Gerichtshof die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erneut als einen nach den EG-Vergaberichtlinien berücksichtigungsfähigen Belang anerkannt, diesmal aber in ausdrücklichem Widerspruch zur Kommission830 als Zuschlagskriterium qualifiziert.831 Damit bestätigte der EuGH seine Auffassung, daß die Angleichung des Vergaberechts durch die Richtlinien nicht abschließend ist und neben den genannten Zuschlagskriterien quasi außerhalb des Wirtschaftlichkeitskriteriums,832 Raum für weitere Zuschlagskriterien beläßt.833 Den Mitgliedstaaten bleibt dieser Rechtsprechung zufolge jenseits der Koordinierungswirkung ein Freiraum, den diese nach Maßgabe aller Verfahrensvorschriften der Richtlinie, insbesondere der Publizitätsvorschriften und unter Beachtung der wesentlichen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ausfüllen können.834 Die Kommission hielt gleichwohl an ihrer vormals geäußerten Ansicht fest und bekräftigte in ihrer Mitteilung zur Berücksichtigung von Umweltbelangen, daß der Auftraggeber zwar in der Leistungsbeschreibung alle gewünschten Umweltanforderungen stellen könne. Die Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots in der Zuschlagsphase dürfe aber nur auf Grund von Kriterien erfolgen, die mit einem wirtschaftlichen Nutzen für den Auftraggeber verbunden seien.835 Die Berücksichtigung sogenannter externer, das heißt von der Allgemeinheit zu 827 Mitteilung v. 11.3.1998, „Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union“, KOM (1998), 143 endg., Rdnr. 4.4. 828 EuGH, Slg. 1995, I-563 (610 Rdnr. 44 ff.) – Evans Medical. 829 In diesem Sinne bereits F. Rittner, EuWZ 1999, 677 (680). 830 So auch A. Fischer/R. Barth, NVwZ 2002, 1184 (1190). 831 Vgl. EuGH, Slg. 2000, I-7445 (7489 f. Rdnr. 51) – Kommission ./. Frankreich. Ein „groteskes Fehlurteil“ (M. Dreher, JZ 2001, 140 (140)), das „wiederum eine tragfähige Begründung vermissen“ lasse, so I. Seidel, EuZW 2000, 762 (762). 832 J.-P. Schneider, DVBl. 2003, 1186 (1188). 833 So auch J. Ziekow, NZBau 2001, 72 (76); A. Fischer/R. Barth, NVwZ 2002, 1184 (188). 834 Vgl. hierzu bereits EuGH, Slg. 1987, 3347 (3373) – CEI. 835 KOM (2001) 274 endg., ABl. EG 2001, Nr. C 333, S. 12 Nr. 3.1 a. E.

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tragender Umweltkosten oder Umweltauswirkungen, die mit der Produktherstellung verbunden sind, lehnte die Kommission ausdrücklich ab.836 Somit geht die Kommission von einer rein auf betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte fokussierten Sichtweise des Zuschlags aus. In seiner Entscheidung Concordia-Bus aus dem Jahr 2002 präzisierte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung und erteilte der restriktiven Haltung der Kommission eine Absage. Dabei griff der Gerichtshof nicht auf seine bisherige Argumentationslinie der Beentjes-Rechtsprechung zurück. Statt dessen unternahm er eine richtlinienimmanente Reinterpretation des Wirtschaftlichkeitsbegriffs.837 In dem betreffenden Fall hatte die Stadt Helsinki den Betrieb des innerstädtischen Busverkehrs öffentlich ausgeschrieben und einem Unternehmen mit einem preislich höher liegenden Angebot den Zuschlag erteilt. Sie begründete ihre Entscheidung damit, daß das Unternehmen besonders schadstoff- und geräuscharme Gasbusse einsetze. Der EuGH erklärte das besagte Kriterium zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots für zulässig, da dieses nicht notwendigerweise rein wirtschaftlicher Art sein müsse. Dies ergebe sich aus dem in den Vergaberichtlinien aufgelisteten Kriterium „Ästhetik“, das wohl schwerlich als direkt für den Auftraggeber wirtschaftlich relevant angesehen werden könne.838 Der zugrunde liegende Fall macht deutlich, daß kein betriebswirtschaftlicher Maßstab zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit, welcher die konkreten monetären Effekte lediglich des individuellen Auftrags berücksichtigt,839 angelegt wurde, sondern vielmehr eine weite, volkswirtschaftliche Sichtweise,840 wobei die Auswirkung des jeweiligen Kriteriums auf den Wert eines Angebots für den Auftraggeber maßgeblich sind.841 Nicht nur die Umweltfolgekosten, die dem öffentlichen Auftraggeber selbst entstehen, sondern auch die externen Kosten, also in diesem Fall die gesamtwirtschaftlichen Kosten für das Gesundheitswesen, verursacht durch erhöhte Abgas- und Lärmemissionen, konnten berücksichtigt werden. Auf dieser Basis und zudem unter Berufung auf die Querschnittsklausel des Art. 6 EG (Art. III-119 VV)842 ermöglicht 836

KOM (2001) 274 endg., ABl. EG 2001, Nr. C 333, S. 12 Nr. 3.3. Dies verkennt A. Egger, NZBau 2001, 601 (602 f.). 838 EuGH, Slg. 2002, I-7213 (7275 Rdnr. 55) – Concordia Bus Finland; zustimmend auch P. Steinberg, EuZW 2002, 634 (635). 839 Ebenso J.-P. Schneider, DVBl. 2003, 1186 (1190); M. Bungenberg, NVwZ 2003, 314 (315 f.). 840 So auch P. Steinberg, EuZW 2004, 76 (76). 841 EuGH, Slg. 2002, I-7213 (7275 Rdnr. 55, 7279 Rdnr. 69) – Concordia Bus Finland; ebenso M. Bungenberg, NVwZ 2003, 314 (315); a. A. GA J. Mischo, SchlA, Slg. 2002, I-7213 (7239 Nr. 105) – Concordia Bus Finland, der ein Umweltkriterium bereits dann für gerechtfertigt hält, wenn es für andere Personen als den Auftraggeber oder für die Umwelt im Allgemeinen vorteilhaft sei. 842 EuGH, Slg. 2002, I-7213 (7276 Rdnr. 57) – Concordia Bus Finland. 837

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

der EuGH daher in weitem Umfang die Einbeziehung von Umweltschutzaspekten. Damit nun die Bieter nicht der Willkür der Auftraggeber preisgegeben würden, arbeitete der EuGH im Anschluß an diese Feststellungen Grenzen heraus: erstens die notwendige Beachtung des Primärrechts sowie zweitens die Wahrung der Publizitätsanforderungen. Drittens dürfen die gewählten Zuschlagskriterien dem Auftraggeber keine unbegrenzte Entscheidungsfreiheit einräumen. Als vierte Voraussetzung forderte der Gerichtshof entgegen der Tendenz des Generalanwalts843, daß die Kriterien, auf die zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots abgestellt werde, mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen müssen.844 Da im vorliegenden Fall sogar eine unmittelbare Auftragsgegenstandsbezogenheit gegeben war,845 wurde das Problem der sogenannten „Sekundärzwecke im Vergaberecht“ nicht direkt angesprochen, denn den umstrittenen vergabefremden Aspekten wie der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen fehlt gerade dieser unmittelbar sachliche Bezug zum Gegenstand der Auftragsvergabe. Die in dem Urteil Concordia-Bus niedergelegten Grundsätze bekräftigte der EuGH in seiner Wienstrom-Entscheidung vom 4.12.2003.846 Hier ging es um die Frage, ob es der Richtlinie entspreche, nur die Menge an Strom aus erneuerbaren Energieträgern als Zuschlagskriterium zu werten, welche den Verbrauch im Rahmen des ausgeschriebenen Auftrags überschreitet. Der EuGH präzisierte die erstmalig im Concordia-Urteil aufgestellte Bedingung eines Zusammenhangs mit dem Auftragsgegenstand, der im Schrifttum bereits seit langem in unterschiedlicher Weise gefordert wurde.847 Einer Ansicht zufolge liegt der Auftragsgegenstandsbezug nur vor, wenn das Kriterium zwingend auf Grund des Auftrags erforderlich sei, das heißt wenn es sich im endgültigen Produkt niederschlage.848 Nach anderer Auffassung könne die Auftragsgegenstandsbezogenheit durch die Formulierung des Auftraggebers in der Leistungsbeschreibung selbst hergestellt werden.849 Der Gerichtshof entschied sich für eine Kombination aus beiden Modellen. Grundsätzlich könne ein Auftraggeber den notwendigen Bezug zum Auf843

GA J. Mischo, SchlA, Slg. 2002, I-7213 (7240 Nr. 112) – Concordia Bus Fin-

land. 844 EuGH, Slg. 2002, I-7213 (7276 f. Rdnr. 59 ff.) – Concordia Bus Finland, seither in ständiger Rechtsprechung vgl. jüngst EuGH, NZBau 2006, 193 (195 Rdnr. 21) – ATI La linea. 845 M. Bungenberg/C. Nowak, ZUR 2003, 10 (15). 846 EuGH, Slg. 2004, I-14527 (14575 Rdnr. 32 ff.) – Wienstrom. 847 K. Hailbronner, in: Byok/Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum Vergaberecht, 2005, § 97 Rdnr. 189; A. Egger, NZBau 2002, 601 (602). 848 Vgl. die Mitteilung der Kommission KOM (2002) 236 endg., S. 54. 849 So W. Frenz, WuW 2002, 352 (361); ähnlich auch A. Fischer/R. Barth, NVwZ 2002, 1184 (1188).

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tragsgegenstand durch die Ausschreibung festschreiben. Anforderungen müßten allerdings noch im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und dürften nicht völlig losgelöst von ihm sein. Im Fall Wienstrom verneinte der EuGH den erforderlichen Zusammenhang zwischen dem grundsätzlich zulässigen Zuschlagskriterium, dem Umweltschutz, und dem Auftragsgegenstand. Bei der Bewertung der Umweltverträglichkeit sei darauf abgestellt worden, welche Menge Strom aus erneuerbaren Energieträgern ein Bieter insgesamt liefern könne und nicht darauf welche Menge speziell dem Auftraggeber geliefert werden könne.850 c) Beurteilung der Rechtsprechung des EuGH Die vom Gerichtshof gefundene Einschränkung der großzügig gewährten Freiheit, die Wirtschaftlichkeit zu bestimmen, überzeugt. Sie gewährleistet, den Primärzweck der Vergabe nicht zu vernachlässigen, ohne daß die Möglichkeit, Gemeinwohlaspekte zu verwirklichen und flexibler zu kalkulieren, aus den Augen verloren wird.851 Spekuliert werden kann dagegen, ob die Berücksichtigung allgemeiner vergabefremder Kriterien auf Basis der „Beentjes-Entscheidung“ und der „Nord-Pas-de-Calais“-Rechtsprechung außerhalb der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots als „besonderes zusätzliches Zuschlagskriterium“ weiterhin gemeinschaftsrechtlich zulässig ist. Weder die Concordia-Bus noch die Wienstrom-Entscheidung enthalten einen ausdrücklichen Hinweis, wie sich der in Beentjes festgestellte nicht abschließende Charakter der Vergaberichtlinien zu dem nunmehr postulierten Erfordernis eines Zusammenhangs zwischen den zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots herangezogenen Kriterien und dem Auftragsgegenstand verhält. Der EuGH hat sich in den beiden Entscheidungen vielmehr auf die Auslegung des Wirtschaftlichkeitsbegriffs beschränkt.852 Zumindest zweierlei Alternativen der Auswirkungen sind denkbar. Einerseits ist eine Interpretation der genannten Urteile in der Weise möglich, daß die vieldiskutierte Calais- und Beentjes-Rechtsprechung des EuGH insoweit unangetastet bleibt.853 Andererseits könnte der EuGH seiner früheren Rechtsprechung stillschweigend eine Absage dahingehend erteilt haben, daß er die Zuschlagskriterien nunmehr als abschließend ansieht.854 850

EuGH, Slg. 2004, I-14527 (14585 Rdnr. 67 f.) – Wienstrom. P. Steinberg, EuZW 2004, 71 (77). 852 So auch W. Krohn, NZBau 2004, 92 (95); J.-P. Schneider, DVBl. 2003, 1186 (1190). 853 Im Ergebnis zustimmend aber ohne Begründung C. Jennert, NZBau 2003, 417 (417); W. Krohn, NZBau 2004, 92 (95). 854 Vgl. P. Steinberg, EuZW 2002, 634 (634); wohl auch K. Fischer, EuZW 2004, 492 (494). 851

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Für die zuerst genannte Auslegung spricht eine Formulierung in den Urteilsgründen der Concordia Bus Finland-Entscheidung, wo es unter Bezugnahme auf Art. 36 lit. a. RL 92/50/EWG heißt: „Da ein Angebot sich notwendigerweise auf den Auftragsgegenstand bezieht, müssen auch die Zuschlagskriterien, die nach dieser Vorschrift festgelegt werden können, mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen“855. Auch weist der EuGH nicht darauf hin, daß er von seiner bisherigen Rechtsprechung abweichen will.856 Gegen dieses Verständnis der Concordia-Entscheidung spricht allerdings die Art und Weise, wie der EuGH das Kriterium der Auftragsgegenstandsbezogenheit als gesonderte Voraussetzung herausstellt und seine Notwendigkeit entgegen der Ansicht des Generalanwalts betont.857 Dies ist umso erstaunlicher, da im konkreten Fall der unmittelbare Bezug zum Auftragsgegenstand unstreitig gegeben war. Generalanwalt Jean Mischo hielt das besagte Kriterium unter Bezugnahme auf die Calais-Rechtsprechung gerade für entbehrlich. Ein Umweltkriterium müsse, „nicht anders als ein Kriterium im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit, nicht, und schon gar nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen“858. Peter Friedrich Bultmann spricht von der „neuen Formel“ des Gerichtshofs, mit der stillschweigend die bisherige Rechtsprechung abgelöst wurde. Alle Zuschlagskriterien müßten nunmehr einen Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen.859 Bultmann liefert jedoch keine Begründung für den Rechtsprechungswandel, sondern setzt diesen voraus. Er verkennt, daß der EuGH in diesem Urteil lediglich den Begriff der Wirtschaftlichkeit genauer auslegt. Eine abschließende Klärung dieses Problems kann daher der Concordia Bus Finland-Entscheidung nicht entnommen werden. Die Literatur erhoffte sich allerdings eine Klarstellung der rechtlichen Behandlung zusätzlicher Zuschlagskriterien durch die Rechtssache Wienstrom,860 da es hier um die Zulässigkeit von nicht auftragsgegenstandsbezogenen Umweltkriterien ging. Aber auch in diesem Urteil beschränkt sich der EuGH lediglich auf die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsbegriffs und geht nicht auf die Frage ein, ob außerhalb des wirtschaftlich günstigsten Angebots noch weitere zusätzliche Zuschlagskriterien zulässig sind. Die Republik Österreich hatte, was in der Literatur wohl übersehen wurde, in ihrer Ausschreibung unter der Rubrik Zuschlagskriterien bekanntgegeben, 855 EuGH, Slg. 2002, I-7213 (Rdnr. 59) – Concordia Bus Finland; Hervorhebung durch den Verfasser. 856 So auch M. Bungenberg, NVwZ 2003, 314 (316). 857 Vgl. M. Bungenberg/C. Nowak, ZUR 2003, 10 (15). 858 GA J. Mischo, SchlA, Slg. 2002, I-7213 (7240 Nr. 112) – Concordia Bus Finland. 859 P. F. Bultmann, ZfBR 2004, 134 (134 f.). 860 Vgl. zum Beispiel M. Bungenberg, NVwZ 2003, 314 (317).

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daß das „wirtschaftlich günstigste Angebot nach den folgenden Kriterien: Umweltgerechtigkeit der Leistungen gemäß Ausschreibungsunterlagen“ bestimmt werde. Neben weiteren Zuschlagskriterien, die alle der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienten, wurde festgehalten, daß „nur die Menge der lieferbaren Energie aus erneuerbaren Energieträgern, die über 22,5 GWh pro Jahr hinausgeht, berücksichtigt“ werde. Das vorlegende Gericht formulierte aus diesem Grund seine Vorlagefrage dahingehend, ob die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts es einem öffentlichen Auftraggeber verwehren, im Rahmen der Beurteilung des wirtschaftlich günstigsten Angebots bei der Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von Strom ein Kriterium festzulegen, das die Lieferung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern verlangt.861 Der EuGH verneinte diese Frage, forderte aber seiner ConcordiaRechtsprechung folgend einen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand. Ein solcher war zutreffend nicht gegeben.862 Da die österreichische Republik das Kriterium ausdrücklich als Zuschlagskriterium, das zur Ermittlung der Wirtschaftlichkeit herangezogen werde, bezeichnet hatte, bestand für den EuGH keine Notwendigkeit, auf die Möglichkeit der Einbeziehung zusätzlicher Zuschlagskriterien einzugehen. Dagegen hatte der öffentliche Auftraggeber in der Nord-Pas-de-Calais-Entscheidung den Beschäftigungsaspekt in der Ausschreibung unter der mit dem Begriff „Zuschlagskriterien“ überschriebenen Rubrik mehrfach ausdrücklich als „zusätzliches Kriterium“ bezeichnet.863 Daß die Formulierung der jeweiligen Kriterien in der Ausschreibung über deren Zulässigkeit entscheidet, entspricht auch der ausdrücklichen Ansicht der Kommission.864 Der Generalanwalt Jean Mischo deutet die Ausführungen des EuGH dahingehend, daß dieser nunmehr für alle Zuschlagskriterien das Erfordernis eines Zusammenhangs mit dem Auftragsgegenstand postuliert.865 Aber auch dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden, da der EuGH niemals generell auf Zuschlagskriterien abstellt, sondern die Auftragsgegenstandsbezogenheit immer nur auf Kriterien bezieht, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienen. Damit läßt der EuGH die Frage der Zulässigkeit zusätzlicher Zuschlagskriterien offen. Eine Klärung durch die Rechtsprechung wäre unbedingt wünschenswert, da es widersprüchlich ist, an Zuschlagskri861 Vgl. EuGH, Slg. 2004, I-14527 (14573 Rdnr. 27) – Wienstrom; Hervorhebung durch den Verfasser. 862 Vgl. oben 3. Teil C II. 2. b). 863 Vgl. GA S. Alber, SchlA, Slg. 2000, 7445 (7459 Nr. 35) – Kommission ./. Frankreich. 864 Vgl. EuGH, Slg. 2000, I-7445 (7488 Rdnr. 46) – Kommission ./. Frankreich. 865 Vgl. insbesondere GA J. Mischo, SchlA, Slg. 2004, I-14527 (14545 Nr. 66 ff.) – Wienstrom.

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terien, die der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots dienen, höhere Anforderungen zu stellen als an, sofern man diese überhaupt als zulässig erachtet, zusätzlich formulierte Zuschlagskriterien, die eben keinen Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen müssen. Zudem erscheint fraglich, warum der EuGH den Wirtschaftlichkeitsbegriff derart weit auslegt, wenn zusätzliche Aspekte bei entsprechender Formulierung ebenfalls Eingang in das Vergabeverfahren finden können. Es bleibt demnach abzuwarten, ob der EuGH die inzwischen novellierten, insbesondere in bezug auf die vergabefremden Kriterien erweiterten Vergaberichtlinien in diesem Bereich immer noch als nicht abschließendes Gemeinschaftsrecht auslegt. 3. Stellungnahme Die Vergaberichtlinien enthalten detaillierte Regelungen über die anzuwendenden Vergabekriterien. Diese Tatsache könnte bereits darauf schließen lassen, daß die Koordinierungsrichtlinien insoweit abschließenden Charakter aufweisen. Allerdings verstößt eine pauschale Annahme der Abgeschlossenheit von Richtlinien gegen das Konzept der konkurrierenden Rechtsetzungskompetenz und dem dafür geltenden Subsidiaritätsprinzip gemäß Art. 5 Abs. 2 EG (Art. I-11 Abs. 3 VV). Demzufolge ist anhand einer Auslegung zu ermitteln, ob die rechtsetzenden Organe der Gemeinschaft dieser Materie lediglich Koordinierungswirkung beigemessen haben oder ob hier eine abschließende Regelung getroffen wurde. Der EuGH bedient sich bei der Auslegung des Sekundärrechts im wesentlichen der vier klassischen Methoden: der grammatischen, der systematischen, der historischen und der teleologischen Auslegung,866 die er durch EG-spezifische Kriterien, insbesondere den effet utile des Gemeinschaftsrechts, anreichert.867 a) Eignungskriterien aa) Grammatische Auslegung Der Wortlaut der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie über die Eignungskriterien läßt weder eindeutig erkennen, daß er abschließend ist,868 noch kann anhand der für beispielhafte Aufzählungen typischen Formulierung „in der Regel“ in Art. 47 Abs. 1 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie auf das Gegenteil geschlossen werden. Diese Wendung bezieht sich nämlich nur auf die (nicht enumerativ aufgelisteten) Nachweise für die 866 867 868

Vgl. T. Oppermann, Europarecht, 2005, Rdnr. 18 ff. Vgl. M. Lutter, JZ 1992, 593 (598 f.). So aber V. Neßler, DÖV 2000, 145 (149).

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wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und nicht auf die Eignungskriterien selbst.869 bb) Systematische Auslegung Die systematische Auslegung bezieht das allgemeine normative und das spezielle Umfeld der betreffenden Regelung ein. Hierdurch ist es möglich, von der Stellung einer Norm im Regelungsgefüge auf deren Inhalt zu schließen. Für den abschließenden Charakter der Auswahlkriterien spricht die Bestimmung über die Überprüfung der Eignung und Auswahl der Teilnehmer.870 Hiernach erfolgt die Eignungsprüfung nach den in den Artikeln 47 bis 52 der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie genannten Kriterien und gegebenenfalls nach den in Art. 44 Absatz 3 der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie genannten objektiven und diskriminierungsfreien Kriterien. Letztere gelten nicht für das offene Vergabeverfahren und dürfen nur dazu dienen, die Zahl der Bewerber zu begrenzen. Da hier aber ausdrücklich objektive und nichtdiskriminierende Vorschriften herangezogen werden können, bedeutet das im Umkehrschluß, daß beim offenen Vergabeverfahren nur die in der Richtlinie geregelten Eignungskriterien zulässig sind. Die Sektorenrichtlinie trifft hingegen bezüglich der Auswahlkriterien eine flexiblere Regelung. Die Unternehmerauswahl für die Teilnahme an Vergabeverfahren richtet sich hier nach „objektiven Regeln und Kriterien“871. Es wäre widersprüchlich, den Auftraggebern im Sektorenbereich ausdrücklich eine größere Flexibilität zuzugestehen, wenn im Anwendungsbereich der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie ohnehin zusätzliche Eignungskriterien zulässig wären.872 Die strukturellen Unterschiede der Vergaberichtlinien belegen damit, daß der europäische Gesetzgeber die Teilnahmevoraussetzungen für alle Auftraggeber im Bewußtsein normiert hat, daß im Rahmen der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie keine anderen Kriterien als die ausdrücklich genannten zulässig sein sollten. Als weiterer Beleg für die grundsätzliche Abgeschlossenheit der Auswahlkriterien sind die Vorschriften über die Nachweise zur Eintragung in amtliche Listen heranzuziehen. Diese Listen werden in einigen Mitgliedstaaten geführt und enthalten die zur Ausführung staatlicher Aufträge zugelassenen Unternehmen.873 Für gelistete Unternehmen besteht im Vergabefall eine Eignungsvermutung. Begehren Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten 869

So auch M. Kling, Zur Zulässigkeit vergabefremder Regelungen im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, S. 173. 870 Vgl. Art. 44 Abs. 1, 3 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie. 871 Vgl. Art. 51 Abs. 1 a und b, Art. 54 Abs. 1, Abs. 2 Sektorenrichtlinie. 872 W. Götz, EuR 1999, 621 (630 f.). 873 Dazu H.-J. Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts, 2005, S. 157 f.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

die Eintragung, so dürfen nach den Richtlinien hierfür ausschließlich die Nachweise verlangt werden, wie sie auch für die Eignungsprüfung vorgesehen sind. Wenn aber die Aufnahme in eine solche Liste nur von diesen Nachweisen abhängig gemacht werden darf, bedeutet das zugleich, daß andere Aufnahmekriterien schon deshalb unzulässig sind, weil die Richtlinien keine Belege zum Nachweis ihrer Erfüllung kennen.874 Wenn das Gemeinschaftsrecht aber schon bei der Einrichtung und Führung von amtlichen Unternehmerlisten zusätzliche Nachweise und damit zusätzliche Eignungskriterien nicht gestattet, warum sollen solche vergabefremden Kriterien dann im Rahmen der regulären Teilnahmeprüfung zulässig sein? Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, daß für gelistete Unternehmen die Eignung vermutet wird. Für ein solches Verständnis spricht damit auch die Rechtsklarheit.875 cc) Historische Auslegung Im Rahmen der historischen Auslegung soll der Kreis der Aspekte über den Wortlaut und Kontext hinaus um die Entstehungsgeschichte erweitert werden. Eingangs sei betont, daß die Rechtsakte der Gemeinschaft regelmäßig das Ergebnis eines aus Verhandlungen hervorgegangenen Kompromisses darstellen.876 Während es vor der Novellierung zweifelhaft war, ob der Gesetzgeber vergabefremde Zwecke bewußt nicht geregelt hat, kann dies heute angesichts der diesbezüglichen Diskussionen und Neuregelungen nicht mehr gelten.877 Die Kommission hatte in ihrem Richtlinienvorschlag die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Sozial- und Umweltkriterien nur sehr zurückhaltend vorgesehen.878 Demgegenüber erhoben die am Mitbestimmungsverfahren beteiligten Organe im weiteren Verlauf eine Reihe von Forderungen, vergabefremde Kriterien aufzunehmen. In einem Kompromiß wurden daher an verschiedenen Stellen, insbesondere in den Erwägungsgründen sowie in den Ausführungsbedingungen, die Möglichkeit der Berücksichtigung der vergabefremden Zwecke normiert. Im Hinblick auf die Eignungskriterien fand eine solche Erweiterung nicht statt, obwohl es bereits zu früheren Richtlinien immer wieder Versuche gab, die Ausnahmebereiche hinsichtlich der Auswahlkriterien auszudehnen.879 Andererseits sahen 874

Ebenso M. Schenk, Das neue Vergaberecht, 2001, S. 66 f. J. Pietzcker, ZHR 1998, 427 (466). 876 M. Lutter, JZ 1992, 593 (599). 877 Zustimmend W. Frenz, WuW 2002, 352 (354). 878 Vgl. Art. 23 Abs. 2 und Art. 53 Abs. 1 lit. b des Richtlinenvorschlags der Kommission; KOM (2000) 275 endg., ABl. EG 2001, Nr. C 29 E, S. 11. 879 M. Kling, Zur Zulässigkeit vergabefremder Regelungen im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, S. 218. 875

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die Vorgängerrichtlinien gewisse Ausnahmevorschriften zugunsten nationaler Präferenzregelungen vor,880 die allerdings nicht in die Neufassung der Richtlinie übernommen wurden. Diese Tatsachen belegen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber die Eignungskriterien bewußt auf die im Ergebnis vorzufindenden Möglichkeiten beschränkt hat. Die Richtlinien sind insoweit als abschließend zu werten. dd) Teleologische Auslegung Ziel der teleologischen Auslegung ist es, den Sinn und Zweck einer Rechtsnorm zu ermitteln. An dieser Stelle ist insbesondere das Prinzip des effet-utile des Gemeinschaftsrechts zu beachten. Danach ist derjenigen Interpretation der Vorrang zu geben, nach der die auszulegende Norm die größtmögliche Wirkung im Sinne des Gemeinschaftsrechts erhält.881 Die vorgenannte Auslegung entspricht konsequent der wettbewerbsorientierten Zielrichtung des europäischen Auftragsvergaberechts. Da zusätzliche Eignungskriterien von vornherein den Kreis der Bieter auf solche Unternehmen beschränken, die dieses Kriterium erfüllen, würde der Wettbewerb nicht nur erheblich eingeschränkt, sondern auch verfälscht. Die normierten Eignungskriterien bringen prinzipiell bei strikter Beachtung eine „materielle Richtigkeitsgewähr“ im Hinblick auf die zu treffende Vergabeentscheidung mit sich. Weiter besteht die Befürchtung, daß im Falle der Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Normierung vergabefremder Regelungen die ohnehin seltene grenzüberschreitende Vergabe noch weiter zurückgeht. ee) Ergebnis Damit bieten die Eignungskriterien auch unter Zugrundelegung der EuGH-Rechtsprechung, an die die Richtlinie ausdrücklich angelehnt wird,882 keine Möglichkeit zur Verankerung vergabefremder Zwecke.883 Die Gemeinden dürfen danach nicht die Teilnehmer im offenen Verhandlungsverfahren im Anwendungsbereich der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie auf ortsansässige Unternehmen begrenzen. Im Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie sowie eingeschränkt bei einigen Verfahren 880

Vgl. Art. 30 Abs. 3, Art. 31 Abs. 1 BKR, Art. 35 Abs. 1, 2 SKR. E. Kayser, Nationale Regelungsspielräume im öffentlichen Auftragswesen und gemeinschaftsrechtliche Grenzen, 1999, S. 67. 882 Vgl. 1. Erwägungsgrund klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie. 883 M. Kling, Die Zulässigkeit vergabefremder Regelungen im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, S. 175; K. Fischer, EuZW 2004, 492 (493); M. Dreher, JZ 2000, 519 (520); W. Frenz, WuW 2002, 352 (354). 881

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der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie verfügen die öffentlichen Auftraggeber über die Möglichkeit, objektive Regeln und Kriterien zur Eignungsprüfung aufzustellen. Die Anknüpfung an die Ortsansässigkeit ist dabei aufgrund seiner Nachprüfbarkeit als objektives und damit grundsätzlich zulässiges Vergabekriterium anzusehen. Die klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie normiert hingegen zusätzlich die Diskriminierungsfreiheit des gewählten Merkmals. Da aber die weiteren Vorschriften des EG-Vertrages eingehalten werden müssen und die diskriminierende Wirkung ebenfalls durch die Grundfreiheiten erfaßt wird, erübrigt sich an dieser Stelle eine Überprüfung. Vielmehr ist auf die nachstehende Untersuchung bezüglich der Grundfreiheiten zu verweisen.884 Soweit die EG-Vergaberichtlinien die Verfolgung vergabefremder Zwecke bei den Eignungskriterien ausschließen, wird auch die Bundesrepublik Deutschland bei der Ausgestaltung ihres Vergaberechts gebunden. Damit ist § 97 Abs. 4 GWB angesprochen, der eingangs den Grundsatz der Vergabe an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige Unternehmen statuiert. Gemäß dem 2. Halbsatz dürfen jedoch „andere oder weitergehende Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden“, sofern dies durch Bundesoder Landesgesetz vorgesehen ist.885 Da die EG-Vergaberichtlinien den Mitgliedstaaten nicht das Recht einräumen, zu den aufgeführten Eignungskriterien weitere bieterbezogene Anforderungen hinzuzufügen, steht das Regelungskonzept des § 97 Abs. 4 GWB im Widerspruch zu dem gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht.886 b) Zuschlagskriterien aa) Grammatische Auslegung Bei den Zuschlagskriterien wird bereits durch die Formulierung „entweder . . . oder“ im Wortlaut klargestellt, daß die Richtlinien diesbezüglich abschließend sind.

884

Vgl. unten 3. Teil C. III. Vgl. BT-DS 13/9340, S. 4, 35. 886 So auch M. Kling, Zur Zulässigkeit vergabefremder Regelungen im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, S. 238 f.; K. Fischer, EuZW 2004, 492 (495); ähnlich auch A. Martin-Ehlers, WuW 1999, 685 (694); a. A. A. Fischer/R. Barth, NVwZ 2002, 1186 (1191), die aber bereits verkennen, daß sich § 97 Abs. 4 GWB nur auf die Eignungskriterien, nicht aber auf Zuschlagskriterien bezieht. 885

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bb) Systematische Auslegung Dies wird auch durch die Erwägungsgründe der Richtlinien belegt, nach denen nur zwei Zuschlagskriterien, der „niedrigste Preis“ und das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ zuzulassen sind.887 Der in den Richtlinien enthaltene Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH zu den Zuschlagskriterien hilft allerdings nicht weiter, da bereits festgestellt wurde, daß die Rechtsprechung bezüglich der zusätzlichen Berücksichtigung von Zuschlagskriterien nicht eindeutig ist. Auch die bereits erwähnte Eingangsnorm zur Überprüfung der Eignung und Vergabe des Auftrags verweist sowohl bei den Zuschlags- als auch bei den Eignungskriterien auf konkrete Vorschriften. Dann wäre es aber nicht einsichtig, die Verweisung hinsichtlich der letzteren als abschließend,888 hinsichtlich der ersteren aber als nicht abschließend zu verstehen. Daher ist auch unter systematischen Erwägungen der Bereich der Zuschlagskriterien als enumerativ anzusehen. cc) Historische Auslegung Im empfindlichen Bereich der Zuschlagskriterien nehmen die Richtlinien erstmals vergabefremde Aspekte, insbesondere soziale Belange und Umweltbelange auf.889 Bis zuletzt war streitig, welche vergabefremden Aspekte als Zuschlagskriterium bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots ausdrücklich aufgenommen werden sollten. Erst im Vermittlungsverfahren konnte eine diesbezügliche Einigung getroffen werden. Im Unterschied zu den Vorgängerrichtlinien wurden vergabefremde Zwecke bei den Zuschlagskriterien beziehungsweise in den sich hierauf beziehenden Erwägungsgründen explizit erwähnt. Gleichwohl fand gegenüber der vorherigen Rechtslage insofern eine Verengung statt, als daß nunmehr die Kriterien mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen müssen. Seit der Novellierung können neuerdings aber derartige Kriterien ohne Bezug zum Auftragsgegenstand bei den Ausführungsbestimmungen über den Auftrag herangezogen werden.890 Auch nach der historischen Auslegung sind die Zuschlagskriterien aufgrund der Detailfülle der Neuregelungen abschließend.

887 Vgl. 46. Erwägungsgrund klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, 55. Erwägungsgrund Sektorenrichtlinie. 888 Vgl. oben 3. Teil C. II. 3. a) bb). 889 Vgl. 46., 33. Erwägungsgrund klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, 55. Erwägungsgrund Sektorenrichtlinie. 890 Vgl. Art. 26 klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie, Art. 38 Sektorenrichtlinie.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

dd) Teleologische Auslegung Fraglich ist, ob das im Wege der systematischen und historischen Auslegung gewonnene Ergebnis auch unter teleologischen Aspekten verifiziert werden kann. Das frühere Argument, daß beschaffungsfremde Kriterien in den Richtlinien überhaupt nicht geregelt seien,891 kann angesichts der Neuregelung nicht mehr aufrechterhalten werden. Für eine Zulässigkeit vergabefremder Zwecke kann jedoch angeführt werden, daß die Harmonisierung der unmittelbar beschaffungsbezogenen Zuschlagskriterien auf die Beseitigung von Diskriminierungen und die Öffnung des Binnenmarktes abzielen. Eine zusätzliche wirtschafts- oder sozialpolitische Instrumentalisierung durchkreuzt diesen Zweck nicht, sofern sie ihrerseits diskriminierungsfrei vorgenommen wird.892 Ziel der Richtlinien ist die Harmonisierung und Liberalisierung der nationalen Vergaberechte, des Abbaus diskriminierender Verhaltensweisen, der Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs und der Ermöglichung transparenter Vergabeentscheidungen.893 Eine noch weitergehende Zulassung vergabefremder Aspekte wäre allerdings kontraproduktiv. Die Schaffung und unkontrollierte Anwendung zusätzlicher vergabefremder Kriterien führt zu zunehmender Unübersichtlichkeit und mangelnder Transparenz der Auftragsvergabe. Die Bewerber wären mit Unsicherheiten belastet, da die Auftragsvergabe nicht von feststehenden Kriterien abhinge, sondern vom Gutdünken der Vergabestellen, die nach eigenem Ermessen immer weitere Kriterien schaffen könnten, was die Realisierung liberalisierter europaweiter Ausschreibungsverfahren behindern würde. Die derzeit bestehende Rechtslage stellt daher einen angemessenen Ausgleich zwischen der Öffnung des Binnenmarktes und der Verfolgung anderer gewichtiger mitgliedstaatlicher Ziele dar. Es wäre auch widersprüchlich, wenn im Primärrecht als Gesamtzielvorgabe für die Gemeinschaft in Art. 2 EG (Art. I-3 VV) an hervorgehobener Stelle die Berücksichtigung weiterer Ziele proklamiert, das Sekundärrecht diese Zielerweiterung aber unberücksichtigt lassen würde.894 Durch den aktuellen Kompromiß wird somit eine „praktische Konkordanz“ zwischen weiteren gemeinschaftsrechtlichen Zielen und der Wirtschaftsverfassung hergestellt. Zudem ist zu berücksichtigen, daß in umfangreichem Maße zusätzliche Bedingungen an die Ausführung des Auftrags geknüpft werden dürfen, sofern sie mit dem Gemeinschaftsrecht in 891 So die Argumentation von J. Pietzcker, ZHR 1998, 427 (466); U. Rust, EuZW 1999, 453 (455). 892 J. Pietzcker, ZHR 1998, 427 (467). 893 Vgl. hierzu M. Kling, Zur Zulässigkeit vergabefremder Kriterien im Vergabeverfahren, 2000, S. 193 f.; C. Braun, NZBau 2002, 1 (3). 894 Zu betonen ist, daß der Bezug des Kriteriums zum Auftragsgegenstand ausreicht, eine primärrechtliche Anknüpfung ist nicht erforderlich.

C. Öffentliche Auftragsvergabe

257

Einklang stehen. Aus teleologischer Sicht folgt damit: Die Implementierung zusätzlicher, außerhalb der in den Richtlinien anerkannten Möglichkeit der Berücksichtigung wettbewerbsfremder Zwecke bei den Zuschlagskriterien läuft den Zielen der Richtlinien und der Realisierung eines gemeinsamen Binnenmarktes mit unverfälschtem Wettbewerb im Bereich der Beschaffungsmärkte der Mitgliedstaaten zuwider. ee) Ergebnis Den Richtlinien ist demnach ihr Koordinierungscharakter zwar nicht grundsätzlich abzusprechen.895 Im Bereich der Zuschlagskriterien sind sie dennoch als abschließend zu werten. Dies bedeutet, daß Sekundärzwecke zwar im Rahmen des Zuschlags verfolgt werden können. Echte vergabefremde Kriterien ohne Auftragsgegenstandsbezug, die nach der Beentjesund Nord-Pas-de-Calais-Rechtsprechung noch zulässig waren, können nach den neuen EG-Vergaberichtlinien im Bereich der Zuschlagskriterien keine Berücksichtigung mehr finden.896 c) Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzustellen, daß ortsansässige Unternehmen im Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien mit den genannten Ausnahmen897 weder bei der Auswahl noch bei dem eigentlichen Zuschlag bevorzugt werden dürfen. Grund dafür ist erstens die Abgeschlossenheit der Richtlinien sowohl in bezug auf die Eignungs- als auch hinsichtlich der Zuschlagskriterien. Zweitens setzt der Begriff des wirtschaftlich günstigsten Angebotes bei der Zuschlagserteilung einen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand voraus, der bei der Bedingung der Ortsansässigkeit eines Unternehmens aufgrund der Bieterbezogenheit dieses Merkmals in der Regel898 ausscheidet. Lediglich im Rahmen der Auftragsausführung können grundsätzlich Bedingungen aufgenommen werden, die örtliche Betriebe privilegieren, sofern sie im Einklang mit den Grundfreiheiten stehen. Ob eine Klausel mit einem diesbezüglichen Inhalt vor dem EG-Recht Bestand haben wird, richtet sich nach dem Ergebnis der nachstehenden Untersu895 Vgl. den 2., 3. Erwägungsgrund klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie sowie den 2. Erwägungsgrund Sektorenrichtlinie. 896 So auch P. Steinberg, EuZW 2002, 634 (634); K. Fischer, EuZW 2004 492 (494); a. A. W. Krohn, NZBau 2004, 92 (95). 897 So im Sektorenbereich und in einigen untergeordneten Verfahren der klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie unter der Voraussetzung der Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten, vgl. hierzu 3. Teil C. II. 1. 898 Vgl. aber 3. Teil C. II. 1. c).

258

3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

chung.899 Bereits an dieser Stelle ist kurz festzuhalten, daß die Regulierung und Verrechtlichung der Vergabeverfahren die gestalterischen Handlungsspielräume der Gemeinden bei der Vergabe öffentlicher Aufträge reduziert.

III. Öffentliche Auftragsvergabe und Grundfreiheiten Die Unanwendbarkeit der EG-Vergaberichtlinien auf unterhalb der Schwellenwerte anzusiedelnde Aufträge bewirkt nicht, daß das Gemeinschaftsrecht völlig außer Betracht gelassen werden könnte. Wie überall im nicht harmonisierten Bereich900 müssen auch hier die allgemeinen Grundsätze der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere die Grundfreiheiten, beachtet werden,901 so daß ein „europarechtsfreier“ Raum nicht mehr existiert.902 Die Gemeinde besitzt, wie erörtert, viele Möglichkeiten, ihre einheimischen Unternehmen zu privilegieren. Sofern die Gemeinde direkt in der Ausschreibung des öffentlichen Auftrags das Erfordernis der Ortsansässigkeit als Eignungskriterium festschreibt, verstößt sie, vorausgesetzt der jeweilige Anwendungsbereich ist eröffnet, gegen die VOL/A und die VOB/A.903 Dort ist normiert, daß der Wettbewerb nicht auf Bewerber, die in bestimmten Bezirken ansässig sind, beschränkt werden darf.904 Für die Überprüfung einer Ausschreibung dieses Inhalts anhand der Grundfreiheiten kommt es allerdings auf die nach innerstaatlichem Recht zu beurteilende Wirksamkeit des Einzelaktes nicht an. Es genügt vielmehr, wenn die Handlungen der Normadressaten geeignet sind, das Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer zu lenken und damit die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen.905 Im Hinblick auf das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhalts gilt bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eine Besonderheit: Der EuGH nimmt zutreffend den grenzüberschreitenden Charakter der Maßnahme bereits auf Grund der Möglichkeit einer Beteiligung eines Bieters aus einem anderen 899

Vgl. unten 5. Teil C. III. 4. Zum Zusammenspiel von Grundfreiheiten und Harmonisierungsrichtlinien siehe etwa EuGH, Slg. 1995, I-923 (1940 f. Rdnr. 12) – Mars. 901 So ausdrücklich in bezug auf die öffentliche Auftragsvergabe EuGH, EuZW 2005, 529 (529 f. Rdnr. 16) – Coname. 902 T. Ax/M. Schneider/A. Nette, Hb Vergaberecht, 2002, Einführung Rdnr. 9. 903 Da die Gemeinde an die VOF/A nicht gebunden ist, darf sie im Rahmen der Ausschreibung einer freiberuflichen Leistung (zum Begriff vgl. R. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 2004, Rdnr. 823) auf die Ortsansässigkeit abstellen. Ob andere nationale Vorschriften einem solchen Erfordernis entgegenstehen, soll vorliegend nicht erörtert werden. 904 § 8 Abs. 1 S. 2 VOB/A; § 7 Abs. 1 S. 2 VOL/A. 905 Vgl. U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 28 Rdnr. 92 in bezug auf die Warenverkehrsfreiheit. 900

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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Mitgliedstaat an.906 In der Regel wird der ausländische Bieter nämlich bei einem Verstoß gegen das vom Gerichtshof entwickelte Transparenzgebot von einer europarechtswidrigen Vergabe nichts erfahren und besitzt somit keine Möglichkeit, sein Interesse am Erhalt des Auftrags kundzutun. Allein das Fehlen ausländischer Interessenten schließt damit die Anwendbarkeit der Grundfreiheiten nicht aus.907 In der Literatur wird ohne nähere Begründung, höchstens mit einem Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH, davon ausgegangen, daß die Bevorzugung örtlicher Unternehmen bei der öffentlichen Auftragsvergabe unabhängig von der Art und Weise gegen die Grundfreiheiten verstößt.908 Ob dieser Ansicht zuzustimmen ist, soll im folgenden geklärt werden.

1. Eröffnung des Anwendungsbereichs a) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG Die öffentliche Auftragsvergabe unterfällt als wirtschaftliche Betätigung der Marktteilnehmer in den Mitgliedstaaten den Grundsätzen über den freien Warenverkehr.909 Betroffen ist hier insbesondere der Bereich der Lieferaufträge, deren Gegenstand naturgemäß die Lieferung von Waren ist.910 Diese Ansicht entspricht auch der Praxis der Gemeinschaftsorgane. Die ersten Sekundärrechtsakte im Bereich der öffentlichen Lieferaufträge nehmen ausdrücklich auf die Vorschriften über die Warenverkehrsfreiheit Bezug.911 Auch die Kommission stellte im Weißbuch zur Vollendung des Binnen906 EuGH, EuZW 2005, 529 (530 Rdnr. 17) – Coname. Grundsätzlich reicht die bloße Möglichkeit einer Grenzüberschreitung zur Anwendbarkeit der Grundfreiheiten nicht aus; vgl. oben 2. Teil D. VI. 907 Im Ergebnis ebenso C. Braun/C. Hauswaldt, EuZW 2006, 176 (177). 908 Vgl. M. Kling, Zur Zulässigkeit vergabefremder Regelungen im Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, 2000, S. 294; D. Middelschulte, Öffentliche Aufträge als Gegenstand des EG-Beihilferechts, 2004, S. 127; C. Benedict, NJW 2001, 947 (948); J. Pietzcker, ZHR 1998, 427 (467); H. Thieme/C. Corell, DVBl. 1999, 884 (887); S. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 28 Rdnr. 56; T. Puhl, VVDStRL 60 (2000), 456 (490); R. Altenmüller, DVBl. 1982, 241 (243). 909 So auch K. Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, 1991, S. 5 ff.; C. Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 204 f.; S. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 28 Rdnr. 56. 910 Vgl. EuGH, Slg. 1999, I-7479 (7526 Rdnr. 79) – Kommission ./. Österreich; P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 155. 911 Vgl. den 4., 5. und 8. Erwägungsgrund der LLR; 1. Erwägungsgrund der LKR 1976.

260

3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

marktes die Anwendbarkeit des Art. 28 EG (Art. III-153 VV) auf die Lieferung von Waren an öffentliche Vergabestellen fest.912 Art. 28 EG (Art. III153 VV) unterfällt jedoch nur der Vertrieb von ausländischen Waren, da sich die Vorschrift entsprechend der Zielsetzung des Binnenmarktes lediglich auf „Einfuhr“beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung „zwischen den Mitgliedstaaten“ bezieht.913 b) Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 EG Die in Art. 49 Abs. 1 EG (Art. III-144 Abs. 1 VV) verankerte Dienstleistungsfreiheit ist anwendbar, sofern es sich um die Vergabe eines Auftrag handelt, der eine Leistung im Sinne des Art. 50 EG (Art. III-145 VV) zum Gegenstand besitzt. Für eine Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit kann die Einordnung des öffentlichen Auftrags entweder als Bauauftrag oder als Lieferauftrag hilfreich sein.914 Dazu ist das Verhältnis zwischen dem Wert der Waren und dem Wert der Leistungen eines konkreten Auftrags zu bestimmen.915 Wenn der Wert der betreffenden Waren den Wert der in dem Auftrag enthaltenen Leistungen überschreitet, liegt ein Liefervertrag vor. Umgekehrt handelt es sich um einen Bauauftrag, wenn die darin enthaltenen Leistungen Arbeiten sind, welche die im Anhang I zur klassischen Vergabekoordinierungsrichtlinie aufgeführten Tätigkeiten des Baugewerbes und des Hoch- und Tiefbaus umfassen und ihr Wert den der betreffenden Erzeugnisse überschreitet.916 Zwar ist grundsätzlich möglich, daß auch bei Bauaufträgen die Warenverkehrsfreiheit verletzt ist.917 So kann durch eine Einschränkung der zu verwendenden Baumaterialien in der Angebotsausschreibung bereits die Einfuhr beeinträchtigt werden. In den hier zu diskutierenden Fällen wird jedoch auf die Ansässigkeit des Unternehmens abgestellt, so daß vorliegend allein die Zuordnung des Auftragsgegenstands maßgebend ist. Gemäß Art. 55 (Art. III-150) in Verbindung mit Art. 45 EG (Art. III-139 VV) sind vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit alle Tätigkeiten ausgeschlossen, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zweitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Die Tat912 Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat „Vollendung des Binnenmarktes“ vom 14.6.1985, KOM (85), 310 endg., 2. Teil: Beseitigung der technischen Schranken, II. Öffentliches Auftragswesen, Rdnr. 82. 913 W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 21; vgl. auch oben 3. Teil B. II. 1 b) aa). 914 K. Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, 1991, S. 39. 915 Vgl. Art. 1 Abs. 2 d klassische Vergabekoordinierungsrichtlinie. 916 Vgl. auch Vademecum zum öffentlichen Auftragswesen in der Gemeinschaft, Mitteilung der Kommission, ABl. EG 1987, Nr. C 358, S. 16 f. 917 Vgl. EuGH, Slg. 1988, 49 (50 f.) – Irland ./. Kommission.

C. Öffentliche Auftragsvergabe

261

sache, daß es sich um einen öffentlichen Auftrag handelt, bedeutet jedoch nicht, daß die Auftragnehmer mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattet werden. Somit ist diese Ausnahmevorschrift im Zusammenhang mit der öffentlichen Auftragsvergabe nicht von Bedeutung.918 c) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG Sofern ein EG-ausländisches Unternehmen eine dauerhafte und feste Niederlassung in dem Staat unterhält, in der auch der öffentliche Auftraggeber ansässig ist, und von der die öffentlichen Aufträge erfüllt werden, ist ausschließlich die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG (Art. III-137 VV) betroffen.919 Das gilt sowohl für öffentliche Lieferaufträge als auch für öffentliche Bauaufträge und alle anderen Aufträge, die eine Dienstleistung zum Gegenstand haben.920 d) Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 EG Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist im Vergabesektor von untergeordneter Bedeutung921 und spielt im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung keine Rolle. Der Unternehmer macht durch die Entsendung seiner Arbeitnehmer von der Möglichkeit Gebrauch, seine Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat zu erbringen oder anzubieten. Daher ist auf den Arbeitgeber abzustellen. 2. Lokalpräferenz als Grundfreiheitseingriff a) Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 EG Das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung betrifft Maßnahmen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt getroffen werden.922 Auf die staatliche Organisationsebene kommt es nicht an, so daß auch das gemeindliche Handeln erfaßt wird.923 Sofern die Gemeinde in internen Verwaltungsvorschriften 918

Im Ergebnis ebenso K. Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, 1991,

S. 46. 919

Vgl. N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 19. So auch K. Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, 1991, S. 40. 921 Vgl. E. Kayser, Nationale Regelungsspielräume im öffentlichen Auftragswesen und gemeinschaftsrechtliche Grenzen, 1999, S. 18. 922 Vgl. oben 3. Teil A. II. 2. a). 923 P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 28 Rdnr. 289. 920

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

festlegt, daß alle öffentlichen Aufträge nur an ortsansässige Unternehmen zu vergeben sind, liegt unstreitig eine hoheitliche Maßnahme im Sinne von Art. 28 EG (Art. III-153 VV) vor.924 Dies gilt ebenso, falls sie die Aufträge im Rahmen einer allgemein geübten Verwaltungspraxis erteilt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch die Ausschreibung als einzelner Akt der Verwaltung, in der ebenfalls die Bevorzugung einheimischer Betriebe normiert ist, als Maßnahme zu qualifizieren ist. Nach der Definition der Kommission sind Maßnahmen im Sinne des Art. 28 EG alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Verwaltungspraktiken sowie alle Akte, die von einer Behörde ausgehen, einschließlich ihrer Anregungen.925 Daraus wurde zum Teil in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zu den postalischen Frankiermaschinen926 geschlossen, daß eine Maßnahme immer allgemeinen Charakter aufweisen und für eine unbestimmte Zahl von Fällen gelten müsse.927 Dementsprechend wären vereinzelte Ausschreibungen, die sich lediglich auf einen bestimmten Sachverhalt beziehen, ohne daß darin eine allgemeine Haltung zum Ausdruck käme, nicht an Art. 28 EG zu messen. Eine derartige Einschränkung läßt sich aber weder auf den Wortlaut der Norm stützen noch ist sie mit dem grundrechtsähnlichen Gehalt des Art. 28 EG, der individuelle Rechte der Marktteilnehmer begründet, in Übereinstimmung zu bringen.928 Die Beantwortung der Frage nach der Verletzung eines subjektiven Rechts kann nicht davon abhängen, ob auch andere Rechtssubjekte von einem Verwaltungshandeln in gleicher oder ähnlicher Weise betroffen sind.929 Auch Einzelakte der Verwaltung können gerade im Vergabesektor eine gravierende Handelsbehinderung auslösen. Sie sind für die potentiellen Teilnehmer von besonderer Wichtigkeit und entfalten oftmals eine Signalwirkung für zukünftiges Angebotsverhalten der Behörde. Das Abwarten einer gleichförmigen Handhabung erscheint jedoch unsachgerecht. Zudem widerspricht es dem Sinn des EG-Vertrags, die nationalen Vergabevorschriften, die den einzelnen Vergabestellen einen großen Ermessensspielraum belassen, als Maßnahmen anzusehen, aber die praktisch viel wichtigeren Einzelentscheidungen nicht dem Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung des Art. 28 EG zu unterwerfen.930 Von dieser Ansicht geht mittlerweile 924

Vgl. oben 3. Teil A. II. 2. b) aa). Vgl. RL 70/50/EWG, ABl. EG 1970, Nr. L 13, S. 29. 926 EuGH, Slg. 1985, 1355 (1364 f. Rdnr. 13) – Kommission ./. Frankreich. 927 Vgl. nur H. Matthies/R. v. Borries, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Altband I, Gesamtstand: Januar 2000, Art. 30 Rdnr. 5; ähnlich auch D. Ehle, AWD BB 1967, 453 (455), der jedoch von der falschen Prämisse ausgeht, daß Maßnahmen im Sinne des Art. 28 EG zwangsläufig öffentlich-rechtlichen Charakter aufweisen müssen. 928 U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 28 Rdnr. 94. 929 S. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 28 Rdnr. 5. 925

C. Öffentliche Auftragsvergabe

263

auch der EuGH aus. So wandte der Gerichtshof die Regeln über den freien Warenverkehr auf eine Klausel in den Verdingungsunterlagen für einen Lieferauftrag über Computersysteme an.931 Die Frage der Geltung für Einzelakte wurde dabei weder vom EuGH noch vom Generalanwalt problematisiert. Nachdem nun geklärt ist, daß die Ausschreibung des öffentlichen Auftrags932 als Maßnahme im Sinne des Art. 28 EG zu qualifizieren ist, stellt sich die Frage, ob hierdurch eine gleiche Wirkung wie bei mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen933 hervorgerufen wird. Problematisch ist, daß der öffentliche Auftraggeber nicht an die Ware selbst anknüpft, sondern durch die Forderung der Ortsansässigkeit im Grunde auf das Bewerberunternehmen abstellt,934 so daß eine vertriebsbezogene Regelung vorliegt. Auswärtige Bieter werden allein aufgrund ihrer Eigenschaft als ortsfremde potentielle Auftragnehmer von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen. Durch die Nichtzulassung zum Vergabeverfahren wird auch die Warenlieferung, die bei Zuschlag erfolgt wäre, unterbunden.935 Die Beschränkung auf ortsansässige Bieter bewirkt eine Abschottung des einheimischen Marktes vor auswärtigen Erzeugnissen. Dabei handelt es sich insbesondere um ausländische Waren, da die gemeindeangehörigen Unternehmen typischerweise inländische sind. Somit liegt eine mittelbar diskriminierende vertriebsbezogene Maßnahme vor, die eine gleiche Wirkung auf den freien Warenverkehr wie mengenmäßige Beschränkungen besitzt.936 Da Sinn und Zweck des Art. 28 EG darauf ausgerichtet sind, alle Maßnahmen zu verbieten, die die gleiche Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen auf die freien Warenströme haben können,937 stellen auch Ausschreibungsbedingungen, die ortsansässige Unternehmen gleich welcher Art bevorzugen, einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit dar.

930 Im Ergebnis ebenso K. Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, 1991, S. 35; P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 291; C. Benedict, Sekundärzwecke im Vergabeverfahren, 2000, S. 211. 931 EuGH, Slg. 1995, I-168 (176 Rdnr. 27) – UNIX. 932 Der Einfachheit halber wird im folgenden lediglich auf die Ausschreibung als Maßnahme abgestellt. Die Ausführungen sind ohne Unterschied heranzuziehen, sofern die Gemeinde die Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen im Wege einer Verwaltungsvorschrift oder lediglich in allgemeiner Verwaltungspraxis durchführt. 933 Vgl. zur Definition oben 3. Teil B. II. 2. a). 934 Vgl. oben 3. Teil C. II. 1. b). 935 Vgl. oben 3. Teil B. II. 2. a). 936 Im Ergebnis ebenso N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 17; H.-J. Prieß, Handbuch des europäischen Vergaberechts, 2005, S. 11 mit Beispielen aus der Rechtsprechung; vgl. auch oben 3. Teil B. II. 2. a). 937 Vgl. W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 34.

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

b) Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43, 49 Abs. 1 EG Im Hinblick auf die im Einzelfall einschlägige Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit stellt das in den Ausschreibungsunterlagen verwendete Kriterium der Ansässigkeit des Unternehmens in der Gemeinde nach den bereits bekannten Grundsätzen eine mittelbare Diskriminierung der ausländischen Bewerber dar. Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.938 3. Ergebnis Die Lokalpräferenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eröffnet alternativ den Anwendungsbereich des freien Warenverkehrs, der Dienstleistungs- oder der Niederlassungsfreiheit. Dabei ist das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts bereits dann zu bejahen, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, daß ein ausländischer Bieter an dem Vergabeverfahren teilgenommen hätte. Neben den gemeindeinternen Verwaltungsvorschriften, in denen festlegt wird, öffentliche Aufträge seien nur an ortsansässige Unternehmen zu vergeben, kommt zudem eine dahingehend ausgeübte allgemeine gemeindliche Verwaltungspraxis als Maßnahme mit grundfreiheitsbeeinträchtigender Wirkung in Betracht. Aber auch die Ausschreibung, die als Eignungskriterium die Ortsansässigkeit des Bieters vorschreibt, und nicht zuletzt der auf die Ausschreibung erfolgte Zuschlag, sind als Maßnahmen im Sinne der einschlägigen Grundfreiheiten zu qualifizieren.

IV. Öffentliche Auftragsvergabe und Beihilferecht Da die Bevorzugung einheimischer Betriebe als vergabefremdes Kriterium zu qualifizieren ist, stellt sich die Frage, ob die auf solche Merkmale gestützte Zuschlagsentscheidung mit dem EG-Beihilferecht kollidiert.939 Einleitend ist vorwegzunehmen, daß die Problematik nach der hier vertretenen Ansicht insofern entschärft ist, als daß Sekundärzwecke nicht mehr als zusätzliches Zuschlagskriterium neben dem wirtschaftlich günstigsten Angebot berücksichtigt werden dürfen.940 938

Vgl. oben 3. Teil A. II. 2. c) bb) (2). Im Ergebnis ohne Begründung bejahend J. Pietzcker, ZHR 1998, 427 (467); differenzierend C. Koenig/J. Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 42. 940 Anders aber C. Jennert, NZBau 2003, 417 (417), der sogar die Concordia Bus Finland-Entscheidung (EuGH, Slg. 2002, I-7213 ff.) als Beleg für die Zulässigkeit zusätzlicher Zuschlagskriterien heranzieht. 939

C. Öffentliche Auftragsvergabe

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Zentrales Tatbestandselement der Beihilfe ist das weit auszulegende Merkmal der Begünstigung.941 Diese ist ausgeschlossen, wenn der Vorteilsgewährung eine marktgerechte Gegenleistung gegenübersteht. Hierbei bedarf es keines rechtlichen Synallagmas, sondern es genügt ein wirtschaftlich verbundener, wechselseitiger Zusammenhang in tatsächlicher Hinsicht.942 Möglicherweise stellt nun die Einbeziehung der vergabefremden Zwecke bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots genau jene Gegenleistung dar, die eine Begünstigung entfallen läßt. Für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit ein Vorteil vorliegt, bedienen sich der EuGH, das EuG und die Kommission943 des „market economy investor“-Tests944. Hierbei ist zu prüfen, ob die staatliche Vergünstigung unter Bedingungen erfolgt, die für einen hypothetischen privaten Vergleichsinvestor unter normalen marktwirtschaftlichen Voraussetzungen in der konkreten Investitionssituation akzeptabel wären.945 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Durchführung des Vergleichs ist der Moment der Investitionsentscheidung.946 Bei dem Vergleich muß nicht auf den in kurzfristigen, rein betriebswirtschaftlichen Kategorien planenden Unternehmer abgestellt werden. Es reicht, daß sich das staatliche Handeln mit demjenigen eines Großunternehmens, insbesondere einer privaten Holding, vergleichen läßt, welches eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten und Synergieeffekten für die gesamte Unternehmensgruppe leiten läßt („long term investor“-Test).947 Es stellt sich nun die Frage, inwieweit auch solche Gegenleistungen in Ansatz gebracht werden können, die ein privater Investor überhaupt nicht berücksichtigen würde. Zu Recht hat es der EuGH beispielsweise abgelehnt, Gesamtrentabilitätsüberlegungen einzubeziehen, wonach auch gesamtwirtschaftliche Kosten des Staates, beispielsweise Sozialhilfe, Arbeitslosenunterstützung etc., bei der Berechnung der Angemessenheit der Gegenleistung einkalkuliert wurden.948 Auch die Fähigkeit zur Berücksichti941

F. Rawlinson, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 2. C. Koenig/J. Kühling, NJW, 1065 (1066). 943 Vgl. EuGH, Slg. I-1991, 1603 (1640 Rdnr. 19) – Alfa Romeo; EuG, Slg. II1999, 17 (50 Rdnr. 105); Kommission, ABl. EG 1996, Nr. L 53, S. 41 (44) – Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH. 944 Zum „Market Economy Investor Principle“ bei der Beurteilung einer Maßnahme als Beihilfe vgl. D. Middelschulte, Öffentliche Aufträge als Gegenstand des EG-Beihilferechts, 2004, S. 20 f. 945 Vgl. W. Mederer/A. v. Ysendyck, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 13. 946 W. Kahl, NVwZ 1996, 1082 (1085). 947 Siehe Kommissionsentscheidung ABl. EG 2002, Nr. L 92, S. 26 Nr. 29 f. – Santana Motor; vgl. auch EuGH, Slg. 1991, I-1603 (1640 Rdnr. 19) – Alfa Romeo; EuG, Slg. 1999, II-17 (51 Rdnr. 109) – Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH. 948 EuGH, Slg. 1994, I-4103 (4153 Rdnr. 20 ff.) – Spanien ./. Kommission. 942

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

gung der Erhöhung der Standortattraktivität einer Gebietskörperschaft wird verneint, um den Test nicht ad absurdum zu führen.949 Der geschilderte Test ist lediglich ein Denkmodell zur Ermittlung der gleichwertigen Leistung. Er besagt noch nichts über die Methoden zur Überprüfung der Äquivalenz. Die Analyse des Begünstigungscharakters gestaltet sich als verhältnismäßig unproblematisch, wenn ein etablierter Marktpreis für die angebotene Leistung vorliegt.950 Das ist bei der öffentlichen Auftragsvergabe in der Regel nicht der Fall. Aus diesem Grund greift die Kommission auf formale Kriterien zur Beurteilung der Begünstigungswirkung zurück. So entfällt zum Beispiel die Beihilfenvermutung, wenn derjenige, der die Gegenleistung erbringt, in einem hinreichend publizierten, allgemeinen und bedingungslosen Bietverfahren als Meistbietender ermittelt worden ist.951 Da das EG-Vergaberecht das Ziel verfolgt, das öffentliche Beschaffungswesen möglichst wettbewerbsorientiert und diskriminierungsfrei zu gestalten, ist daraus die Schlußfolgerung zu ziehen, daß ein öffentlicher Beschaffungsvorgang, der vergaberechtskonform,952 das heißt in der Regel im Wege des Ausschreibungsverfahrens, abgewickelt wurde, typischerweise keine Beihilfenelemente enthält.953 Sofern die Gegenleistung für die Verpflichtung, beispielsweise die Erbringung einer Dienstleistung, zu Marktbedingungen festgesetzt, also allen interessierten Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird, die Höhe der Gegenleistung anzugeben, die sie für die im Auftrag des Mitgliedstaates zu erbringende Dienstleistung fordern würden, und das mit der Dienstleistung betraute Unternehmen nach objektiven, geeigneten Kriterien ausgewählt wird, geht die Kommission davon aus, daß die Gegenleistung keine Beihilfe an den Dienstleistungserbringer darstellt.954 Genau diese Voraussetzungen sind bei der Ausschreibung eines öffentlichen Auftrags unter der zulässigen Einbeziehung vergabefremder Aspekte gegeben. „Meistbietender“ im Sinne der Kommissionspraxis ist der erfolgreiche Bieter, der das unter Berücksichtigung der vergabefremden Kriterien wirtschaftlichste Angebot eingereicht hat. Um dem Anspruch als formalisiertes Verfahren gerecht zu werden, dürfen in der Wertungsstufe, 949

So C. Koenig/J. Kühling, NJW 2000, 1065 (1067). C. Koenig/J. Kühling, NJW 2000, 1065 (1066). 951 Siehe den XXIX. Wettbewerbsbericht der Kommission 1999, SEK (2000) 720 endg., Ziff. 235. 952 Da das nationale Recht weitgehend dem EG-Recht angeglichen ist, reicht eine diesbezügliche Einhaltung. 953 So auch die Kommission, Mitteilung zum Fall Kiener Deponie Bachmanning, ABl. EG 1998, Nr. C 201, S. 8 (11); C. Koenig/J. Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 87 Rdnr. 36; T. Lübbig, EuZW 1999, 671 (672); vgl. auch EuGH, Slg. 2001, I-6117 (6173 Rdnr. 48, 77) – Banks. 954 Entscheidung Staatliche Beihilfe Nr. NN 70/98 – Deutschland, Nr. 6.1.1. 950

C. Öffentliche Auftragsvergabe

267

also bei der Zuschlagsentscheidung, nur Wirtschaftlichkeitsüberlegungen angestellt werden. Insoweit besteht Einigkeit. Vertreter, die den „Private-Investor“-Test anwenden, müssen an dieser Stelle den Vergleich ziehen, ob ein privater Nachfrager anhand einer auf umfassende betriebswirtschaftliche Erwägungen fokussierten Sichtweise ebenfalls bereit gewesen wäre, diesen Preis zu bezahlen.955 Da aber ein wirtschaftlich agierender Unternehmer, so unterstellt es die ständige Entscheidungspraxis der Kommission und Teile der Literatur, nicht auf Grund ökologischer956 oder anderer politischer Motive eine Zuschlagsentscheidung treffen würde, kommt diese Ansicht naturgemäß zu dem Ergebnis, daß die von der öffentlichen Hand entrichtete Auftragsvergütung wegen der nachgefragten vergabefremden Kriterien höher ist.957 In dieser marktunangemessenen Bezahlung liege dann eine Begünstigung des beauftragten Unternehmens und somit eine Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG (Art. III-167 Abs. 1 VV), die gegebenenfalls gemäß Art. 87 Abs. 2, 3 EG958 gerechtfertigt werden könnte. Die Höhe der Beihilfe entspreche dabei der Differenz zu demjenigen Angebot, das unter Außerachtlassung vergabefremder Aspekte das wirtschaftlich günstigste Angebot bildete. An dieser Stelle ist kurz anzumerken, daß ein Umkehrschluß dergestalt, daß die Berücksichtigung marktunüblicher Kriterien zwangsläufig zu einem Mehrpreis bei der Vergütung des öffentlichen Auftrags führt, nicht zwingend ist. Je nach Wirkungsweise des Sekundärzwecks wird zwar im Ergebnis eine Teilnehmerbeschränkung erreicht. Dennoch besteht gleichwohl die Möglichkeit, daß sich ein marktkonformes Angebot durchsetzt.959 Geht man hingegen von der durch die Rechtsprechung des EuGH vorgegebenen Definition des Begriffs „wirtschaftlich“ im Rahmen der Zuschlagserteilung aus,960 so ist gerade keine Orientierung an rein betriebswirtschaftlichen Fakten geboten, sondern es wird die Berücksichtigung volkswirtschaftlicher Gesichtspunkte anheim gestellt.961 Die Auswirkungen dieser beiden Ansichten sollen kurz anhand des hier interessierenden vergabefremden Kriteriums, der Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen, verdeutlichet werden. 955

So N. Dippel/C. Zeiss, NZBau 2002, 376 (377). Dies setzt voraus, daß es hierzu keine gesetzliche Vorschrift gibt. 957 So N. Dippel/C. Zeiss, NZBau 2002, 376 (377); A. Bartosch, EuZW 2001, 229 (231 f.); im Ergebnis ebenso M. Knipper, WuW 1999, 677 (684). 958 Vgl. 3. Teil A. III. 1. e). 959 So auch D. Middelschulte, Öffentliche Aufträge als Gegenstand des EG-Beihilferechts, 2004, S. 22. 960 Vgl. oben 3. Teil C. II. 2. b). 961 Vgl. nur EuGH, Slg. 2002, I-7213 (7279 Rdnr. 69) – Concordia Bus Finland: Umweltschutz. 956

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3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Volkswirtschaftlich gesehen ist die Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen bei der Auftragsvergabe durchaus als wirtschaftlich einzustufen, da diese Praxis vor Ort Arbeitsplätze sichert, die eigenen Sozialkassen entlastet, den heimischen Wirtschaftsstandort stärkt und schließlich den Beschaffungspreis über den Anteil des jeweiligen Gemeinwesens an der Umsatz-, Gewerbe- oder Körperschaftsteuer zumindest teilweise wieder in die eigenen Kassen zurückschleust. Demzufolge ist die Berücksichtigung dieses Kriteriums nach der Ansicht des EuGH als wirtschaftlich im Sinne des Vergaberechts anzusehen.962 Nach dem „market economy investor“-Test hingegen dürfen Kriterien wie die Zahlung von Sozialhilfe, wie eingangs erwähnt, nicht einbezogen werden, da sie betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll sind. Insofern kann eine EG-rechtskonforme Ausschreibung nicht als formalisiertes Verfahren zur Durchführung dieses Tests herangezogen werden, ohne die durch den EuGH vorgegebene Auslegung des Begriffs „wirtschaftlich“ im Sinne des Vergaberechts zu ändern. Auch aus einem weiteren Grund scheidet die Anwendbarkeit des „market economy investor“-Tests auf den Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens aus. Bei dem Prinzip des wirtschaftlich agierenden privaten Nachfragers handelt es sich um einen Maßstab zur Bestimmung der Marktüblichkeit, der für das Verhalten der öffentlichen Hand als Investor beziehungsweise Veräußerer von Vermögenswerten entwickelt wurde. Fraglich ist, ob dieser Maßstab unproblematisch auf andere Bereiche übertragen werden kann. In der Entscheidung BAI wandte das EuG, wie zuvor die Kommission963, erstmals Grundüberlegungen dieses Prinzips auch auf die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags an und überprüfte eine öffentliche Auftragsvergabe am Maßstab eines „normalen Handelsgeschäfts“964. Der EuGH hat hingegen zu diesem Problem bislang noch keine Stellung genommen.965 Sofern die Anwendbarkeit dieses Tests auf öffentliche Auftragsvergabe bejaht wird, hat dies zur Konsequenz, daß vergabefremde Kriterien, deren Berücksichtigung nach Vergaberecht zulässig ist, wegen des entgegenstehenden EG-Beihilfenrechts möglicherweise nicht mehr mit einbezogen werden dürfen. Dann würde das Vergaberecht regelmäßig bei der Verwendung vergabefremder Kriterien durch das Beihilferecht unterlaufen. 962

Gleichwohl ist zu beachten, daß in der Regel der Bezug zum Auftragsgegenstand nicht vorliegt, und der Einbezug dieses Kriteriums, wie erwähnt, aus diesem Grund unzulässig ist. 963 Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission im Fall Kiener Deponie Bachmanning, ABl. EG 1998, Nr. C 201, S. 11. 964 Vgl. erstmals EuG, Slg. 1999, II-139 (163 f. Rdnr. 72 ff.) – BAI ./. Kommission; bestätigt in Slg. 2003, II- 2957 (2994 f. Rdnr. 112 ff.) – P & Q European Ferries. 965 EuGH, Slg. 1990, I-889 (922 Rdnr. 21) – Du Pont de Nemours Italiana.

C. Öffentliche Auftragsvergabe

269

Weiterhin ist zu bedenken, daß der Markt für öffentliche Aufträge nicht mit dem allgemeinen Markt für die jeweiligen Produkte gleichzusetzen ist, da sowohl im Hinblick auf das nachgefragte Produkt als auch auf die rechtliche Normierung wesentliche Unterschiede bestehen.966 Daher ist ein Vergleich mit dem Handeln eines „market economy investor“ hier nicht sachgerecht. Die öffentliche Hand unterliegt bei der Auftragsvergabe, anders als ein privater Wirtschaftsteilnehmer, zahlreichen rechtlichen Normierungen und Aufgaben. Dies belegt bereits das besondere Vergaberechtsregime. Zugleich hat sie in der Regel eine andere Nachfragemacht als ein privater Auftraggeber.967 Der Markt für private Unternehmen entsteht allein aus Angebot und Nachfrage. Demgegenüber wird der Markt der öffentlichen Hand erst durch die Ausschreibung eines bestimmten Auftrags zu konkreten rechtlichen Konditionen geschaffen.968 Will sich ein Unternehmen am Markt für öffentliche Aufträge beteiligen, so muß es seinerseits spezifische Marktbedingungen erfüllen. Diese Fakten wirken sich auf die Gestaltung von Leistung und Gegenleistung aus und bedingen somit letztlich die Angemessenheit. Mangels einheitlichem Markt kann daher die Frage, wie ein „market economy investor“ handeln würde, nicht zur Beurteilung der Marktangemessenheit der von öffentlichen Auftraggebern unter Verwendung von vergabefremden Kriterien entrichteten Vergütung herangezogen werden.969 Vielmehr ist die Parallelität der Steuerungsprinzipien des EG-Beihilferechts und des Vergaberechts zu berücksichtigen. Insoweit besteht eine Konvergenz zwischen beiden Materien. Die Einhaltung der EG-vergaberechtlichen Anforderungen sichert grundsätzlich auch die beihilferechtliche Korrektheit des Ausschreibungsverfahrens. Sofern demnach der öffentliche Auftrag in einem zulässigen Ausschreibungsverfahren vergeben wurde, ist auch bei Verwendung von vergabefremden Kriterien die für die Gegenleistung entrichtete Vergütung als marktangemessen anzusehen, so daß eine Begünstigung des ausgewählten Auftragnehmers ausscheidet.970

V. Ergebnis Auch für die Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ist eine Kollision mit den je nach Ausgestaltung des 966 So auch K. Hailbronner, in: Byok/Jaeger (Hrsg.), Kommentar zum VergabeR, 2005, § 97 Rdnr. 184. 967 Vgl. dazu unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten M. Knipper, WuW 1999 677 (681). 968 C. Jennert, NZBau 2003, 417 (419 f.). 969 C. Jennert, NZBau 2003, 417 (420). 970 Im Ergebnis ebenso C. Jennert, NZBau 2003, 417 (419); verneinend A. Bartosch, WuW 2001, 673 (683 ff.).

270

3. Teil: Einheimischenprivilegierungen als Eingriffe in das EG-Recht

Einzelfalles tangierten Grundfreiheiten festzustellen. Darüber hinaus spielt bei dieser Form der Einheimischenprivilegierung das Sekundärrecht, die gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien, eine einschneidende Rolle. So verbieten diese in ihrem Anwendungsbereich sowohl bei den Eignungs- als auch den Zuschlagskriterien eine echte Lokalpräferenz. Einzig bei den Ausführungsbedingungen können Regelungen zur Bevorzugung einheimischer Unternehmen getroffen werden. Dies setzt jedoch voraus, daß nicht gegen Primärrecht, insbesondere gegen die Grundfreiheiten, verstoßen wird. Demgegenüber wird das Beihilferecht durch die Privilegierung ortsansässiger Betriebe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht tangiert, sofern die Ausschreibung EG-rechtskonform erfolgt.

D. Ergebnis Im Hinblick auf die Frage, welche gemeinschaftsrechtlichen Materien durch die Einheimischenprivilegierungen tangiert werden, ist erstens zu konstatieren, daß alle Formen als mittelbare Diskriminierungen der je nach Lebenssachverhalt einschlägigen Grundfreiheiten zu werten sind. Dies bedeutet noch nicht, daß auch per se ein Verstoß gegen dieselben gegeben ist. Wichtig ist an dieser Stelle zunächst, daß die Grundfreiheiten als eine Schranke des gemeindlichen Handlungsrahmens zu berücksichtigen sind. Die Frage, ob und welcher Gestaltungsspielraum letztendlich verbleibt, soll in den Teilen 4 und 5 anhand der Untersuchung der Rechtfertigung der durch die hier erörterten Einheimischenprivilegierungen bewirkten grundfreiheitlichen Beeinträchtigungen bestimmt werden. Sofern das Objekt der Privilegierung ein Unternehmen ist und durch die Maßnahme eine Begünstigung im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG erfolgt,971 die die Höhe von 100.000 Euro übersteigt, konnte zweitens eine Kollision mit dem gemeinschaftsrechtlichen Beihilfesystem konstatiert werden. Ausnahmen läßt Art. 87 Abs. 2, 3 EG nur unter den genannten engen Voraussetzungen zu. Damit begrenzen die gemeinschaftsrechtlichen Beihilferegeln ebenfalls die Möglichkeiten zur Einheimischenprivilegierung. Wie sich insbesondere am Beispiel der Lokalpräferenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zeigte, bildet auch das Sekundärrecht als dritte gemeinschaftsrechtliche Materie bereichsspezifisch eine Schranke des gemeindlichen Handlungsrahmens.

971 Eine Begünstigung ist beispielsweise bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu verneinen, wenn der Auftrag durch eine EG-rechtskonforme Ausschreibung erfolgt, vgl. oben 3. Teil C. IV.

4. Teil

Rechtfertigung durch anerkannte Gründe Um konkret bestimmen zu können, wie weit die Grundfreiheiten den gemeindlichen Handlungsspielraum bei der Einheimischenprivilegierung begrenzen, steht nun im folgenden die Frage nach der Rechtfertigung der festgestellten mittelbaren Diskriminierungen im Mittelpunkt der Untersuchung. Dazu soll zunächst erörtert werden, ob und welche durch den EG-Vertrag beziehungsweise durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannten Legitimationsgründe für eine Rechtfertigung der grundfreiheitlichen Beeinträchtigungen in Betracht kommen.

A. Allgemeines zur Rechtfertigungsdogmatik Ist eine Maßnahme als Beeinträchtigung im Anwendungsbereich einer Grundfreiheit einzustufen, stellt sie nicht notwendig eine Verletzung derselben dar. Vielmehr kann der Einsatz hoheitlicher oder hoheitlich-privatautonom gemischter Mittel zur Steuerung des Marktprozesses unter bestimmten Voraussetzungen, die sich aus der Grundentscheidung für einen gemeinsamen Markt ableiten, zulässig sein.1 Auf der Rechtfertigungsebene stellt sich demnach die Frage, wie weit der Markt in die Gesellschaft reichen soll beziehungsweise welche Möglichkeiten hoheitlicher Eingriffe in das Marktgeschehen legitim sind. Um diese Frage zu beantworten, gilt es „die Demarkationslinie zwischen Markt und Staat, zwischen wettbewerblicher Allokation und autoritativer Verantwortung“2 zu ziehen. Die Funktion der Rechtfertigungsgründe ergibt sich nicht aus dem Schutz der nationalen Souveränität in bestimmten Sachbereichen.3 Vielmehr tragen diese „Ausnahmebestimmungen“ dem Umstand Rechnung, daß es den Mitgliedstaaten im Einzelfall erlaubt sein muß, aus Gründen eines übergeordneten Allgemein1 P.-C. Müller-Graff, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, A I Rdnr. 124. 2 P. Genschel, PVS 1998, 55 (57). 3 In ständiger Rechtsprechung EuGH, Slg. 1979, 2555 (2564 Rdnr. 5) – Kommission ./. Deutschland m. w. N; S. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 30 Rdnr. 6; W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 2; J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 14.

272

4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

interesses ausnahmsweise auf Bestimmungen und Praktiken zurückzugreifen, die den freien Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen.4 Jede erfolgreiche Berufung eines Mitgliedstaates auf einen Rechtfertigungsgrund hat eine Ausweitung seines gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums zur Folge. Dies bedeutet aber nicht, daß der bestehenden Kompetenzverteilung im Rahmen der Abwägung zwischen dem durch die Grundfreiheiten geschützten Rechtsgut und dem Rechtsgut, das die Beeinträchtigung motiviert hat, eine Bedeutung zukommt. Die mitgliedstaatliche Kompetenzerweiterung ist lediglich die Folge der Auslegung der Rechtfertigungsgründe, keinesfalls jedoch ihr Kriterium.5

I. Schrankensystematik des Gemeinschaftsrechts Die Schrankensystematik6 des EuGH ist bekanntermaßen seit langem „janusköpfig“7. Zum einen enthält der EG-Vertrag diverse kodifizierte Rechtfertigungstatbestände.8 Zum anderen entwickelte der EuGH im Wege der Rechtsfortbildung die ungeschriebenen Schranken,9 die sogenannten zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls. 1. Erfordernis einer Ausweitung Die schrittweise vollzogene Interpretation der Grundfreiheiten als umfassende Beschränkungsverbote hat zur Konsequenz, daß praktisch sämtliche mitgliedstaatlichen Vorschriften, einschließlich der wirtschaftlichen Grundordnungen der Mitgliedstaaten, zu denen auch maßgebliche Teile der jeweiligen Privatrechtsordnung gehören, potentiell erfaßt und unter einen gemeinschaftsrechtlichen Rechtfertigungszwang gesetzt werden.10 Relativ bald wurde deutlich, daß die im EG-Vertrag aufgeführten Gründe nicht ausreichen, um dem Anliegen der Mitgliedstaaten eines effektiven Schutzes wichtiger Rechtsgüter Rechnung zu tragen.11 Dennoch entschied der EuGH hin4 A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 59; A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), 2002, Art. 30 Rdnr. 2. 5 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 150. 6 Vgl. hierzu nur H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (716). 7 T. Kingreen, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S. 670. 8 Vgl. Art. 30, Art. 39 Abs. 3, Art. 46 Abs. 1, Art. 55, Art. 57 ff. EG. 9 Im folgenden werden die Begriffe Schranken und Rechtfertigungsgründe synonym verwendet. 10 R. Streinz, in: Arndt/Knemeyer/Kugelmann u. a. (Hrsg.), FS Rudolf, 2001, S. 199 (210); C. Ranacher, ZfRV 2001, 95 (98).

A. Allgemeines zur Rechtfertigungsdogmatik

273

sichtlich der explizit geregelten Schranken bereits recht früh, daß diese aufgrund ihres Ausnahmecharakters eng und abschließend12 auszulegen seien.13 Durch die ausgesprochen restriktive Handhabung, die methodisch keineswegs zwingend war,14 hat sich der Gerichtshof selbst den Weg zu einer flexibleren Lösung, insbesondere über die Begriffe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, versperrt.15 Um der Regelungsintention der Grundfreiheiten gerecht zu werden, hätte er, wie zunächst von ihm selbst und von Stimmen in der Literatur16 favorisiert, die geschriebenen Rechtfertigungsgründe im Wege der Analogie ausdehnen können. Statt dessen erweiterte der EuGH rechtsdogmatisch wenig überzeugend17 die Legitimationsmöglichkeiten18 11 So stammt der in Art. 30 EG enthaltene Katalog beispielsweise aus dem Jahr 1957. Zudem zeigte sich im Laufe der Zeit, daß auch die Verfolgung anderer Schutzziele wie etwa der Verbraucher- oder Umweltschutz zwingend erforderlich ist, vgl. A. Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 8 Rdnr. 58. 12 Mit der Anerkennung der „zwingenden Erfordernisse“ geht insofern ein gewisse Relativierung des „Ausnahmecharakters“ einher, als daß der Katalog der Rechtfertigungstatbestände doch nicht mehr abschließend ist, vgl. insbesondere die Kritik an der Rechtsprechung bezüglich der Abstimmung von Art. 30 EG und den zwingenden Erfordernissen von P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EGV/EUV, 2003, Art. 30 Rdnr. 28 ff. 13 Aus der Rechtsprechung etwa EuGH, Slg. 1977, 5 (15 Rdnr. 12 ff.) – Bauhuis; Slg. 1981, 1625 (1638 Rdnr. 7) – Kommission ./. Irland; Slg. 1991, 1361 (1377 Rdnr. 9) – Kommission ./. Griechenland; Slg. 1999, I-11 (30 Rdnr. 23) – Calfa; siehe dazu auch C. Koenig/A. Haratsch, Europarecht 2003, Rdnr. 548, 607. 14 S. Leible in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 30 Rdnr. 3; W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 181 f. 15 Zutreffende Analyse bei R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 693; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1135; M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV, 1997, S. 62 ff.; T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 156. 16 Vgl. W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 181 f.; ebenso T. Jürgensen/I. Schlünder, AöR 1996, 200 (217); W.-H. Roth, wrp 2000, 979 (984). Der ordre-public-Vorbehalt, insbesondere der Begriff der öffentlichen Ordnung, hätte die vom EuGH entwickelten ungeschriebenen zwingenden Erfordernisse aufnehmen können, so ausdrücklich T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 158. K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 456 begreift die zwingenden Erfordernisse als Rechtfertigungsgründe, die in Art. 46 EG verankert sind. A.A. W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), 2003, Art. 30 Rdnr. 9, der den Anwendungsbereich der Schutzklausel dann als überdehnt ansieht. Ablehnend auch J. Gundel, Jura 2001, 79 (82), da sich bei einer erweiternden Auslegung der geschriebenen Rechtfertigungsgründe auch der Spielraum für unmittelbare Diskriminierungen vergrößere. 17 So auch M. Schweitzer/R. Streinz, RIW 1984, 39 (43 f.).

274

4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

für die diskriminierungsfreien Maßnahmen über die vertraglich vertypten Tatbestände hinaus mittels Rückgriffs auf die immanenten Schranken. Erstmals 1979 erkannte der Gerichtshof in der Entscheidung Cassis de Dijon19, die die Warenverkehrsfreiheit betraf, die „zwingenden20 Erfordernisse des Allgemeininteresses“ als ungeschriebene Einschränkungsmöglichkeiten an. Mittlerweile wurde die Anwendung zusätzlicher Rechtfertigungsgründe in ständiger Rechtsprechung auf die übrigen Grundfreiheiten übertragen.21 2. Methodisch-systematische Einordnung der ungeschriebenen Schranken In methodischer Hinsicht kommen zwei Konstruktionen für die Einschränkung der Grundfreiheiten durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses in Betracht. Einerseits können ungeschriebene Schranken als immanente Tatbestandsmerkmale verstanden werden, welche bereits den Eingriffstatbestand der Grundfreiheiten begrenzen.22 Diese Ansicht stützt sich sowohl auf die historische Entwicklung als auch auf entsprechende Aussagen des EuGH. Andere qualifizieren die zwingenden Erfordernisse als eigenständige Rechtfertigungsgründe,23 die gleichberechtigt neben den ge18 Ob die zwingenden Erfordernisse Rechtfertigungs- oder Tatbestandsausschließungsgründe darstellen, wird sogleich geklärt. 19 EuGH, Slg. 1979, 649 (664 Rdnr. 14) – Rewe. 20 Auch wenn die Umschreibung „zwingend“ („imperative“, „mandatory“) anderes vermuten läßt, ist der Kreis der schützenswerten Rechtsgüter weit gefaßt; vgl. die Beispiele bei P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 107 f.; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 89. 21 EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4197 Rdnr. 37) – Gebhard. Die leicht variierende Terminologie (vgl. für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit EuGH, Slg. 1999, I-2835 [2860 Rdnr. 19)] – Peiffer: „zwingende Gründe des Gemeinwohls“; zur Arbeitnehmerfreizügigkeit EuGH, Slg. 1996, I-2617 [2638 Rdnr. 19] – O’Flynn: „objektive Erwägungen“) begründet keinen Unterschied in der Sache. Im folgenden werden die Begriffe zwingende Erfordernisse und Allgmeinwohlinteressen synonym verwendet. 22 Im Ergebnis zustimmend C. Moench, NJW 1987, 1109 (1109); R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 28 Rdnr. 17; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 57; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 155; S. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 28 Rdnr. 20. Ausführlich zum Streitstand siehe I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 93 ff. Die gewählten Bezeichnungen reichen von „tatbestandsauschließende Merkmale“ über (ungeschriebene) negative Tatbestandsmerkmale bis hin zu „immanenter Vorbehalt“ oder „immanente Schranken“. 23 So A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 28 Rdnr. 38; W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 73; R. Sack/D.

A. Allgemeines zur Rechtfertigungsdogmatik

275

schriebenen Schranken zur Anwendung gelangen. Im ersten Fall wären die den zwingenden Erfordernissen entsprechenden Maßnahmen folglich nicht tatbestandsmäßig, im zweiten hingegen zwar tatbestandsmäßig, aber gerechtfertigt. Die Rechtsprechung ist diesbezüglich ambivalent. Teilweise nennt der Gerichtshof die zwingenden Erfordernisse im Zusammenhang mit der Auslegung des Tatbestandes.24 An anderer Stelle, insbesondere in jüngeren Entscheidungen, betont er dagegen die Parallele zu den benannten Ausnahmen,25 spricht sogar von Rechtfertigung.26 Die Charakterisierung der zwingenden Erfordernisse als immanentes Tatbestandsmerkmal vermag dogmatisch nicht zu überzeugen. Praktisch gibt es keinen Grund für eine Unterscheidung zwischen den zwei Kategorien von Rechtfertigungsgründen.27 Überdies haben beide dieselbe Funktion, die Bedeutung der Verkehrsfreiheiten gegenüber wichtigen Allgemeinwohlinteressen zu relativieren.28 Auch die parallele Struktur der Cassis-Formel einerseits und der geschriebenen Gründe andererseits untermauert diese Sichtweise.29 Der EuGH wendet zudem die gleichen Prüfungskriterien auf beide Gruppen von Gemeinwohlüberlegungen an, insbesondere das Verbot der Geltendmachung wirtschaftlicher Gründe und die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.30 Letzteres setzt aber immer voraus, daß im konkreten Fall tatsächlich zwei Rechtsgüter miteinander in Konflikt geraten, das heißt von den jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen her muß einerseits eine Beeinträchtigung der Grundfreiheit, andererseits die Zuordnung zu einem zur Rechtfertigung geeigneten Schutzgut festgestellt werden.31 Fasshold, wrp 1987, 519 (521); T. Schilling, EuR 1994, 50 (52 f.); H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (719); U. Becker, EuR 1994, 162 (166) m. w. N.; H.-J. Schütz, Jura 1998, 631 (641). Unklar bleibt die Zuordnung bei W. Möschel, RIW 1984, 524 (526), der einerseits meint, die zwingenden Erfordernisse schlössen den Tatbestand aus, sie andererseits als Rechtfertigungsgründe bezeichnet. M. Schweiter/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1135 verstehen die Konstruktion des EuGH als Tatbestandseinschränkung, bevorzugen aber selbst die Einordnung als Rechtfertigungsgrund. 24 EuGH, Slg. 1991, I-4151 (4184 Rdnr. 13) – Aragonesa; wohl auch EuGH, Slg. 1999, I-731 (759 Rdnr. 19) – Van der Laan. 25 Etwa EuGH, Slg. 1988, 793 (811 Rdnr. 7) – Kommission ./. Französische Republik; Slg. 2002, I-5845 (5885 Rdnr. 42) – Radiosistemi. 26 EuGH, Slg. 1995, I-4921 (5075 f. Rdnr. 121 ff.) – Bosman; Slg. 1997, I-3689 (3715 Rdnr. 18) – Familiapress; Slg. 2003, 721 (739 Rdnr. 18) – Kommission ./. Italien. 27 W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 33. 28 Vgl. nur EuGH, Slg. 1980, 3839 (3853 Rdnr. 9) – Fietje. 29 Vgl. E. Millarg, EuR 1979, 420 (427); T. Schilling, EuR 1994, 50 (52). 30 H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (719). 31 U. Becker, EuR 1994, 162 (166); ders., in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 28 Rdnr. 108.

276

4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Methodisch ist es daher konsequent, von einer Rechtsfortbildung auszugehen, die neben den geschriebenen Rechtfertigungsgründen einen weiteren, inhaltlich offenen Rechtfertigungstatbestand schafft. Die in der Literatur weiterhin zu dieser Frage anzutreffenden Divergenzen wirken sich jedoch lediglich auf den Prüfungsaufbau, nicht dagegen auf Prüfungsmaßstab und Ergebnis aus.32

II. Bereichsübergreifende Aspekte Bevor auf die Frage der Rechtfertigung der Einheimischenprivilegierungen eingegangen werden kann, sind vorab einige bereichsübergreifende Fragen, allgemeingültig für beide Rechtfertigungsarten, zu klären. 1. Nicht-wirtschaftlicher Charakter Der Gerichtshof entschied in bezug auf die geschriebenen Rechtfertigungsgründe bereits recht früh,33 im Rahmen der zwingenden Erfordernisse hingegen erst über zwanzig Jahre später,34 daß rein wirtschaftliche Gründe eine Beschränkung der Grundfreiheiten nicht legitimieren können. Durch diesen schlagwortartigen Ausschluß „wirtschaftlicher“ Zielsetzungen ist allerdings für eine Eingrenzung der Rechtfertigungsgründe nicht viel Klarheit gewonnen. Der Begriff der „Wirtschaftsbezogenheit“ ist so dehnbar und ungenau, daß damit die unzulässigen Maßnahmen nicht hinreichend präzisiert werden.35 Im folgenden soll jedoch kein Versuch einer begrifflichen Ermitt32

J. Gundel, Jura 2001, 79 (79); I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 94; M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 82. 33 Grundlegend EuGH, Slg. 1961, 693 (720) – Kommission ./. Italien; Slg. 1982, 2187 (2205 Rdnr. 27) – Kommission ./. Italien; Slg. 2001, I-7915 (7942 Rdnr. 39) – Kommision/Griechenland; jüngst EuGH, Slg. 2003, I-721 (739 f. Rdnr. 19) – Kommission ./. Italien; vgl. auch Art. 2 Abs. 2 der RL 64/221/EWG. Dieses Kriterium darf allerdings nicht überbewertet werden, da hinsichtlich des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Rahmen des Art. 30 S. 1 EG bereits zweifelhaft ist, ob es sich um einen Rechtfertigungsgrund nicht-wirtschaftlicher Art handelt. Kritisch auch M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 273. 34 EuGH, Slg. 1998, I-1831 (1884 Rdnr. 39) – Decker; Slg. 1998, I-4075 (4127 Rdnr. 44) –Dusseldorp; Slg. 2000, I-151 (172 Rdnr. 33) – Sass; jüngst EuGH, Slg. 2003, I-721 (740 Rdnr. 22) – Kommission ./. Italien. Die Literatur ging bereits früh von einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu den geschriebenen Rechtfertigungsgründen auf die zwingenden Erfordernisse aus, vgl. P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 204; U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 30 Rdnr. 60.

A. Allgemeines zur Rechtfertigungsdogmatik

277

lung dahingehend unternommen werden, was unter „wirtschaftlich“ verstanden werden kann. Vielmehr ist eine Eingrenzung dieses Kriteriums anhand von Sinn und Zweck des Ausschlusses sowie der Rechtsprechung des EuGH für die vorliegende Untersuchung ausreichend. Als Grund für eine Ausgrenzung wirtschaftlicher Zwecke wird das wesentliche Ziel des Binnenmarktes angeführt, das in der Schaffung einer Wirtschaftsordnung besteht, die frei von Verfälschungen durch die Mitgliedstaaten ist,36 einen umfassenden wechselseitigen Austausch von Handelsgütern ermöglicht37 und die auf diese Weise die Entwicklung effektiver Wirtschaftsstrukturen begünstigt.38 Die Rechtfertigungsgründe dürfen daher nicht als Einfallstor zur Verfolgung solcher Zielvorstellungen dienen, die das Grundkonzept der binnenmarktweiten wettbewerblichen Selbststeuerung unterlaufen.39 Unzulässig sind aus diesem Grund insbesondere Vorschriften, die die wirtschaftlichen Strukturen erhalten sollen, welche durch die Öffnung nationaler Märkte in Gefahr geraten.40 Ein wirtschaftlicher Charakter ist im Ergebnis auch dann anzunehmen, wenn es bei den angegriffenen Maßnahmen letztlich um Wirtschaftslenkung namentlich zur Überwindung sektoraler, regionaler oder konjunktureller Schwierigkeiten, die Erreichung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen oder ganz allgemein um die Abwendung wirtschaftlicher Nachteile geht.41 Fraglich ist, wie diejenigen Fälle zu beurteilen sind, in denen die Berufung auf die Rechtfertigungsgründe von einem Bündel aus wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Erwägungen getragen wird. In der Entscheidung Campus Oil Limited ging es um die Sicherung der nationalen 35 So auch A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 134 f.; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 205. 36 Vgl. Art. 3 lit. c und g, Art. 4 Abs. 1 EG. 37 Vgl. P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 34 f. 38 I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 206; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 60. 39 Beispielhaft siehe EuGH, Slg. 1988, 2085 (2135 Rdnr. 34) – Bond van Adverteerders; aus dem Schrifttum etwa A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/ EGV, 2002, Art. 30 Rdnr. 14; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 125. 40 Vgl. EuGH, Slg. 1984, 2727 (2752 Rdnr. 35) – Campus Oil Limited; M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 277; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 124 f.; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 207. 41 EuGH, Slg. 1982, 2187 (2202) – Kommission ./. Italien; Slg. 1995, I-563 (608 Rdnr. 36) – Evans; Slg. 1997, I-6959 (7004 Rdnr. 61 f.) – Kommission ./. Frankreich; vgl. auch A. Epiney, in: Bieber/dies./Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, 2005, § 13 Rdnr. 58; dies., in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 8 Rdnr. 63; R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 30 Rdnr. 5.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Erdölversorgung in Irland. Das für sich genommen nicht wirtschaftliche, also legitime Ziel, konnte nach Ansicht der irischen Regierung nur durch regulierende Eingriffe in den Markt erreicht werden, indem das wirtschaftliche Überleben der einzigen Erdölraffinerie des Landes gewährleistet wurde. Der EuGH schloß sich dieser Auffassung an und bejahte eine Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.42 Sofern also in den freien Markt nicht aus protektionistischen Gründen, sondern aus vorrangigen Belangen des Allgemeinwohls eingegriffen wird, läuft dies der Grundidee des Binnenmarktes nicht zuwider.43 Der Verfolgung (auch) wirtschaftlicher Zielsetzungen steht demnach einer Berufung auf die Rechtfertigungsgründe dann nicht entgegen, wenn es sich bei diesen um notwendige Zwischenziele handelt, die der Erreichung eines übergeordneten „Allgemeininteresses“ dienen und diesem gegenüber deutlich in den Hintergrund treten.44 Darin liegt ein tragfähiger Kompromiß, der sowohl den Grundsatz der Unzulässigkeit wirtschaftlicher Schutzgründe unterstreicht als auch die nötige Flexibilität für die Behandlung derjenigen Fälle aufweist, in denen nichtwirtschaftliche Ziele nur durch den Einsatz wirtschaftlicher Mittel zu erreichen sind. 2. Inhaltsbestimmung der Rechtsgüter Die in den kodifizierten Schranken aufgeführten Schutzgüter sind als Bestandteil einer gemeinschaftsrechtlichen Norm gemeinschaftsrechtlich auszulegen,45 das heißt sie müssen grundsätzlich autonom aus dem EG-Recht heraus bestimmt werden. Ihre Auslegung obliegt daher letztverbindlich dem EuGH.46 Für die ungeschriebenen Schranken kann nichts Anderes gelten. Die Rechtfertigungsgründe sind weiterhin nach ständiger Rechtsprechung 42

EuGH, Slg. 1984, 2727 (2752 f.) – Campus Oil Limited. Vgl. GA G. Tesauro, SchlA, Slg. 1998, I-1831 (1865 Nr. 53) – Decker; ebenso I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 208. 44 P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze, EUV/EGV, 2003 Art. 30 Rdnr. 36; A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 30 Rdnr. 14; dies., in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 8 Rdnr. 65; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 125; ähnlich au GA F. Mancini, SchlA, Slg. 1984, 523 (550) – Duphar, der es für ausreichend hält, daß ein anerkanntes Regelungsziel „die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers in ausschlaggebendem Maße beeinflußt“ hat. 45 Statt vieler vgl. nur P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 7; siehe auch A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 30 Rdnr. 21; a. A. A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 46 Rdnr. 17 f. 46 M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 128. 43

A. Allgemeines zur Rechtfertigungsdogmatik

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des EuGH47 und ganz herrschender Auffassung eng auszulegen,48 ein Grundsatz, der auf dem Zusammenwirken von vertragssystematischen und teleologischen Argumenten beruht. Aus der Systematik des EG-Vertrags folgt er insofern, als die Ausnahmebestimmungen in Verbindung mit den ihnen zugrundeliegenden Garantien gelesen werden und insoweit auf das Wechselspiel zwischen beiden abgestellt wird.49 Eine Orientierung an Sinn und Zweck der Regelung zeigt sich daran, daß aufgrund der besonderen Bedeutung der Grundfreiheiten für das Funktionieren des Binnenmarktes als dem grundlegenden Vertragsziel der effet utile dieser Freiheitsrechte nicht beeinträchtigt werden darf.50 3. Verhältnis zu bestehendem Gemeinschaftsrecht Die Rechtfertigungsgründe sind nur anwendbar,51 soweit keine abschließende gemeinschaftsrechtliche Regelung52 besteht.53 Diese nur für mitgliedstaatliche Vorschriften einschlägige Einschränkung54 ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der den Mitgliedstaaten eröffneten Möglichkeit des Rückgriffs auf die Rechtfertigungsgründe. Sofern das entsprechende Rechtsgut bereits durch gemeinschaftsrechtliche Regelungen umfassend und abschließend geschützt wird, fehlt das Bedürfnis nach einem autonomen mitgliedstaatlichen Schutz. Bei anderer Sichtweise würde die vorgenommene Gemeinschaftsregelung ausgehöhlt, was wiederum dem Grundsatz des Vorrangs 47 Kritisch zur nicht immer ausreichenden Begründung des EuGH sowie insgesamt zum Grundsatz der engen Auslegung von Ausnahmen aus rechtstheoretischer Perspektive T. Schilling, EuR 1996, 44 (49). 48 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 117 f.; H. Köhler, JuS 1993, 447 (449); J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Scharze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 14; T. Schilling, EuR 1996, 44 (57). 49 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 118. 50 I. Millarg, Die Schranken der Warenverkehrsfreiheit, 2001, S. 76 f. 51 Nach T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 151 ist die Existenz einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung nicht erst eine Frage der Rechtfertigung. Da das Sekundärrecht das Primärrecht konkretisiert, seien die Grundfreiheiten in dem durch die Harmonisierung abgesteckten Rahmen bereits tatbestandlich nicht einschlägig. So auch EuGH, Slg. 1997, I-1729 (1746 Rdnr. 17) – Phytheron International. 52 Siehe als Beispiel die Harmonisierungsrichtlinien gemäß Art. 94, 95 EG. 53 EuGH, Slg. 1994, 5077 (5107 Rdnr. 31) – Centre d’insémination de la Crespelle; Slg. 1998, I- 6871 (6901 Rdnr. 26) – Kommission ./. Deutschland; so auch R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 28 Rdnr. 24. 54 Vgl. A. Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 8 Rdnr. 53.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

des Gemeinschaftsrechts widerspräche.55 Ob die in Frage stehende Regelung abschließenden Charakter besitzt, ist durch Auslegung56 zu ermitteln.57 Solange und soweit die nationale Schutzmaßnahme demnach nicht durch eine entsprechende Regelung auf Gemeinschaftsebene obsolet geworden ist, dürfen die Mitgliedstaaten nationale (Ergänzungs-)Maßnahmen ergreifen.58 4. Gesetzesvorbehalt Des Weiteren stellt sich die Frage, ob für das mitgliedstaatliche Handeln eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist und sofern dies bejaht wird, ob hierfür nur ein formelles Gesetz in Betracht kommt oder ob auch sonstige Normen, etwa Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, als Ermächtigungsgrundlage für Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten ausreichen. Nach der Hoechst-Entscheidung des EuGH bedürfen „Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder natürlichen oder juristischen Person einer Rechtsgrundlage“59. Dabei beruft sich der EuGH insbesondere auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die allesamt ein derartiges Erfordernis aufstellen. Folglich erkennt er den Vorbehalt des Gesetzes als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts60 an.61 Da 55 S. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 30 Rdnr. 10. 56 Die Feststellung, ob einer Regelung ein abschließender Charakter zukommt, findet nach den bereits bekannten Methoden statt und kann im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Ausführlich zu diesem Problemkreis A. Furrer, Die Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen, 1994, S. 90 ff. 57 Vgl. als Beispielsfall zum abschließenden Schutz EuGH, Slg. 1998, I-1251 (1297 f. Rdnr. 49 ff.) – Compassion in World Farming. 58 Siehe etwa EuGH, Slg. 1996, I-2553 (2611 Rdnr. 18) – Hedley Lomas; Slg. 1999, I-2921 (2943 f. Rdnr. 24 ff.) – Monsees. Eine Sonderregelung gilt jedoch für Binnenmarktvorschriften, die auf Grundlage des Art. 95 EG erlassen wurden, vgl. hierzu W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 95 Rdnr. 20 ff.; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 965 ff. 59 EuGH, Slg. 1989, 2859 (2824 Rdnr. 19) – Hoechst. 60 Gestützt auf Art. 220 EG, der die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit zur „Wahrung des Rechts“ ermächtigt, hat der EuGH eine Vielzahl sogenannter allgemeiner Rechtsgrundsätze entwickelt. Methodisch erfolgt die Erkenntnis der für die Gemeinschaft verbindlichen materiellen Rechtlichkeitsstandards im Wege wertender Rechtsvergleichung, wobei Anknüpfungspunkte der inhaltlichen Konkretisierung neben dem geschriebenen Gemeinschaftsrecht vor allem die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sind, vgl. nur EuGH, Slg. 1997, I-2629 (2645 Rdnr. 14) – Kremzow. 61 Vgl. auch T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 153; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 82; B. Wegener, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 220 Rdnr. 34.

A. Allgemeines zur Rechtfertigungsdogmatik

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sich die zitierten Passagen jedoch auf die Einschränkung von Gemeinschaftsgrundrechten beziehen,62 ist fraglich, ob das Erfordernis eines Gesetzesvorbehalts auch für die Grundfreiheiten gilt, eine Problematik, die in der Rechtsprechung bislang überhaupt nicht und in der Literatur nur sehr spärlich63 erörtert wurde. Für die Annahme eines Gesetzesvorbehalts sprechen mehrere Argumente. Die Grundfreiheiten stellen nach zutreffender Ansicht grundrechtsähnliche Ausprägungen dar, welche aufgrund der zusätzlichen Voraussetzung, dem grenzüberschreitenden Bezug, den allgemeinen Grundrechten vorgehen und diese verdrängen, soweit sie anwendbar sind.64 Es kann somit für die Grundfreiheiten nichts Anderes als für die EG-Grundrechte gelten, insbesondere wenn man den allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gesetzmäßigkeitsprinzips zugrunde legt.65 Für eine irgendwie geartete gesetzliche Grundlage spricht auch der Wortlaut des Art. 46 EG (Art. III-140 VV). Der ordre-public-Vorbehalt kommt zum Tragen, wenn der betreffende Mitgliedstaat durch den Erlaß von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften davon Gebrauch gemacht hat. Da jedoch die anderen Rechtfertigungstatbestände einen derartigen Hinweis nicht enthalten, liegt der Umkehrschluß nahe, daß nur die Niederlassungsfreiheit und – aufgrund des Verweises in Art. 55 EG (III-150 VV) – auch die Dienstleistungsfreiheit unter dem Vorbehalt des Gesetzes stehen. Eine derartige Auslegung widerspricht jedoch der einheitlichen Schrankendogmatik der Grundfreiheiten,66 insbesondere unter Berücksichtigung der Parallelität von Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit.67 Demzufolge ist die Vorgabe auf alle Grundfreiheiten zu erstrecken.68 62 Vgl. zur Geltung des Gesetzesvorbehalts bei Gemeinschaftsgrundrechten A. Weber, NJW 2000, 537 (543). 63 Siehe hierzu die treffenden Bezeichnungen „unbeackertes Feld“ von T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 153 sowie „völlig ungesichertes Gelände“ H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (222). 64 Etwa A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 237 f., der aber vor einer unbesehenen Übertragung der Strukturen warnt; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 82; a. A. T. Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 6 EU Rdnr. 81 Fn. 222, der eine Idealkonkurrenz zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten annimmt, um die unterschiedlichen Schutzrichtungen und Schutzwirkungen zur Geltung zu bringen. 65 Vgl. auch A. Bleckmann, Europarecht, 1997, Rdnr. 779; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 82; tendenziell ebenso H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (222), der von einem Rechtsnormvorbehalt für alle Grundfreiheiten ausgeht, ähnlich dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes, allerdings erweitert auf Verwaltungsvorschriften. 66 Vgl. A. Epiney, in: Bieber/dies./Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, 2005, § 14 Rdnr. 39; A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 366 f.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Unklar ist noch, ob der Gesetzesvorbehalt im Sinne eines Parlamentsvorbehalts zu verstehen ist. Hierbei müssen sowohl für sämtliche freiheitsverkürzenden Maßnahmen der Mitgliedstaaten als auch für die der Gemeinschaft gleiche Maßstäbe angelegt werden.69 Eine dem deutschen Parlamentsvorbehalt vergleichbare demokratische Legitimation kann der gemeinschaftsrechtliche Regelungsvorbehalt nur eingeschränkt, im Mitentscheidungs- und Zustimmungsverfahren des Europäischen Parlaments, erfüllen.70 Obwohl die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen mit Ausnahme Großbritanniens fast durchweg den formellen Gesetzesvorbehalt kennen, ist eine schlichte Übernahme dieses Gesetzesvorbehalts wenig hilfreich.71 Berücksichtigt man die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die der Sondersituation im Rechtskreis des common law insofern Rechnung trägt, als daß sie eine Einschränkung der EMRK-Rechte auch durch ungeschriebenes case law zuläßt,72 so ist in Anlehnung daran festzustellen, daß eine ungeschriebene Rechtsgrundlage, sofern sie hinreichend klar und bestimmt ist, für eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten ebenfalls ausreicht.73 5. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Den ausdrücklichen und ungeschriebenen Schranken sind jedoch ihrerseits wiederum Gegenschranken durch die Gemeinschaftsgrundrechte, die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesetzt.74 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit75 erfüllt insbesondere 67 Vgl. J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 46 Rdnr. 1; H. Schneider/N. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 39 Rdnr. 1. 68 Im Ergebnis wohl auch H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (222). 69 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 154; ders., in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 6 EU Rdnr. 72 (bezogen auf Grundrechte) hält eine Anlehnung an die – strukturell unterschiedlichen – rechtlichen Grundlagen im nationalen Recht vorzugswürdig. Es gelte das „Regime derjenigen Rechtsordnung, der die grundfreiheitsbeschränkende Maßnahme entstammt“. Für die Gemeinschaft hänge hingegen die Frage nach einem Gesetzes- oder Parlamentsvorbehalt von der Beteiligungsform des Parlaments ab, die der Vertrag für die konkret zu regelnde Materie vorsehe. 70 Dies hängt damit zusammen, daß das Europäische Parlament im Vergleich mit den mitgliedstaatlichen Volksvertretungen nur eine eingeschränkte Rolle bei der Gesetzgebung spielt. 71 Vgl. ausführlicher A. Weber, NJW 2000, 537 (543). 72 Vgl. EGMR, EuGRZ 1979, 386 (387 Rdnr. 47) – Sunday Times. 73 Ebenso D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 83; a. A. H. D. Jarass, EuR 1995, 202 (222).

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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die Funktion einer Abwägungsrichtlinie, die Vorgaben für den Ausgleich der kollidierenden Rechtsgüter enthält.76 Ihm kommt im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung regelmäßig eine zentrale Bedeutung zu.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle Nachdem nun festgestellt wurde, daß die Anknüpfung an die Ortsansässigkeit in der Gemeinde im Rahmen der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle als mittelbare Diskriminierung der einschlägigen77 Grundfreiheiten zu qualifizieren ist, besteht nun die Aufgabe der vorliegenden Arbeit darin, die Rechtfertigungsmöglichkeiten genauer zu untersuchen. Sollte bereits die Anknüpfung an dieses Verteilungskriterium als europarechtswidrig einzustufen und als Konsequenz der antragsberechtigte Personenkreis auf EG-Ausländer unabhängig von einer Ortsansässigkeit auszuweiten sein, würden die Konzepte allenfalls als bodenpolitische Sozialmodelle fungieren können. Die Prüfung der Rechtfertigung erfolgt vorliegend in zwei Schritten. Zunächst ist zu untersuchen, ob die von den Gemeinden verfolgten Ziele als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen sind. Sodann ist zu erörtern, ob die Maßnahme in bezug auf ihr legitimes Ziel verhältnismäßig ist. Die nationalen Behörden sind bei Fallgestaltungen der mittelbaren Diskriminierung für die Rechtfertigungsgründe beweispflichtig.78 Das bedeutet, daß ihnen nicht nur die Darlegungs- und Beweislast für ein objektives Allgemeininteresse obliegt, sondern auch dafür, daß die Maßnahme geeignet und erforderlich ist, um den Rechtsgutsgefährdungen zu begegnen. Hierin kommt ein allge74 Vgl. etwa T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 164 ff.; C. Koenig/A. Haratsch, Europarecht, 2003, Rdnr. 488. 75 Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts, der nach herrschender Ansicht im Schrifttum dreistufig aufgebaut ist (vgl. statt vieler nur H. D. Jarass, EuR 2000, 705 [721]; T. Schilling, EuR 1994, 50 [53]; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 96), besteht aus den Teilprinzipien der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit, vgl. EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4197 Rdnr. 37) – Gebhard. 76 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 168. 77 Sofern vorliegend der Begriff der einschlägigen Grundfreiheiten verwendet wird, ist auch Art. 18 Abs. 1 EG erfaßt. 78 J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 43 Rdnr. 117, Art. 49 Rdnr. 70; W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 57.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

meiner Grundsatz zum Ausdruck, wonach die Nachweispflicht denjenigen trifft, der sich auf einen Ausnahmetatbestand beruft.79 Folglich hat in den vorliegenden Fällen der Mitgliedstaat darzulegen, warum eine bestimmte Handlung zur Gefährdung eines bestimmten Rechtsgutes führt. Der so geforderte Nachweis eines Zurechnungszusammenhangs kann sich als schwierig erweisen. Im Zweifel ist zugunsten der Grundfreiheit zu entscheiden.80

I. Exkurs: Grenzen der Eigentumsordnung gemäß Art. 295 EG Vorab stellt sich die Frage, ob die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle aufgrund ihres Zusammenhangs mit einer Art. 295 EG (Art. III-425 VV) unterfallenden Materie vom Erfordernis der Vereinbarkeit mit dem Vertrag und der entsprechenden Prüfung durch den Gerichtshof befreit sind. Nach Art. 295 EG läßt der Vertrag die Eigentumsordnung der Mitgliedstaaten unberührt. Aus seiner Stellung in den „Allgemeinen und Schlußbestimmungen“ des EG-Vertrages ergibt sich, daß Art. 295 EG auf alle Vertragsbestimmungen anzuwenden ist. Er stellt eine negative Kompetenznorm dar. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die Eigentumsordnung in ihren Ländern auszugestalten, wobei unter Eigentumsordnung das umfassende verfassungsmäßige Gefüge der Eigentumsrechte zu verstehen ist.81 Die Gemeinschaft hingegen besitzt keine Kompetenz, um in diesen Bereich einzugreifen. Dennoch sind der Ausgestaltung der Eigentumsordnung durch die Mitgliedstaaten Grenzen gesetzt, sofern Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere die Grundfreiheiten, verletzt werden oder das Gemeinschaftsrecht selbst im Rahmen der ausdrücklichen Gemeinschaftskompetenzen eigentumsrelevante Regelungen bereithält.82 In der Rechtssache Fearon führt der EuGH aus, „daß zwar Art. 222 EWGV (Art. 295 EG n.f.) die Befugnis der Mitgliedstaaten, ein System der staatlichen Enteignung einzurichten, nicht in Frage stellt, daß aber auch für ein solches System der Grundsatz der Nichtdiskriminierung . . . gilt“83. Art. 295 EG kann daher nicht als „Freibrief“84 für die Mitgliedstaaten verstanden werden, ein System der Eigen79

U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), Schwarze, Art. 30 Rdnr. 75. J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 49 Rdnr. 70. 81 T. Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 295 Rdnr. 9. 82 J. Glöckner, EuR 2000, 592 (595); H. Hörtenhuber, ZfRV 1995, 221 (222); A. Knapp, EWS 1999, 409 (412); siehe auch EuGH, Slg. 1984, 3677 (3684 f. Rdnr. 5 ff.) – Fearon; GA A. La Pergola, SchlA, Slg. 1999, I-3099 (3112 Nr. 14) – Konle; aus jüngerer Zeit vgl. EuGH, Slg. 2003, 4899 (4936 Rdnr. 39) – Salzmann. 83 EuGH, Slg. 1984, 3677 (3682 und 3685) – Fearon. 84 H. Hörtenhuber, ZfRV 1995, 221 (222). 80

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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tumsordnung ohne Rücksichtnahme auf gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zu erlassen.85

II. Kodifizierte Rechtfertigungsgründe 1. Schutzgut der öffentlichen Ordnung Der konstatierte Eingriff in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten könnte zunächst durch den auch als klassisches „Sicherheitsventil für nationale Interessen“86 bezeichneten Tatbestand der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt sein. In der Anfangsphase des EG-Vertrags verwendete der EuGH die Begriffe öffentliche Sicherheit und öffentliche Ordnung synonym.87 Seit der Rechtssache Bouchereau88 wird die öffentliche Ordnung zutreffend als eigenständiges Schutzgut aufgefaßt, das von der öffentlichen Sicherheit zu unterscheiden ist.89 a) Anwendbarkeit aa) Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 Abs. 3 EG Problematisch erscheint die Anwendbarkeit des Schutzguts der öffentlichen Ordnung insbesondere im Hinblick auf die vorliegend betroffene Arbeitnehmerfreiheit gemäß Art. 39 Abs. 2 EG (Art. III-133 Abs. 2 VV). Die Stellung des „ordre-public-Vorbehalts“90 scheint dafür zu sprechen, ihn nur auf die in Absatz 3 gewährleisteten Rechte und nicht auf das Diskriminie85

Vgl. auch R. Schmidt, Die Verwaltung 1995, 281 (290 f.). S. Leible, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 9; eingehend hierzu H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 68 ff. 87 EuGH, Slg. 1975, 297 (306 Rdnr. 5 ff.) – Bonsignor/Oberstadtdirektor der Stadt Köln; Slg. 1976, 507 (513 Rdnr. 41/42) – Royer/Belgien. 88 EuGH, Slg. 1977, 1999, (2025 f.) – Bouchereau; noch deutlicher bei GA J.-P. Warner, SchlA, Slg. 1982, 1665 (1707 Rdnr. 7) – Adoui u. Cornuaille/Belgien. 89 Für einen einheitlichen Begriff vgl. W. Bongen, Schranken der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1975, S. 80; E. Grabitz, Europäisches Bürgerrecht, 1970, S. 96. Ablehnend H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 33 f.; A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 30 Rdnr. 33 betrachtet die öffentliche Sicherheit als Teilbereich der öffentlichen Ordnung. 90 U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 122. Der Begriff ist jedoch nicht mit dem „ordre public“ aus dem Internationalen Privatrecht gleichzusetzen, vgl. J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 22. 86

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

rungsverbot in Art. 39 Abs. 2 EG zu erstrecken,91 insbesondere wenn man die enge Auslegung der Ausnahmevorschriften durch den EuGH berücksichtigt.92 Zudem ist der unterschiedliche Regelungszweck der Absätze 2 und 3 zu bedenken. Art. 39 Abs. 3 EG erstreckt sich auf die Rechte der Bewerbung auf eine Stelle, der Einreise, des Aufenthalts und des Verbleibs im Beschäftigungsstaat und erfaßt daher den „politischen“ Aspekt der Freizügigkeit. Absatz 2 hingegen stellt stärker auf den „wirtschaftlichen“ Gehalt der Freizügigkeit ab, indem er an die Beschäftigungs-, Entlohnungs- und sonstigen Arbeitsbedingungen anknüpft.93 Dennoch ist im Ergebnis die Anwendbarkeit des Rechtfertigungsgrundes zu erweitern und allgemein auf die Gewährleistungen des Art. 39 EG zu beziehen.94 Die Freizügigkeit wird als einheitliche Grundfreiheit aufgefaßt.95 Da Absatz 3 weitgehend das Recht auf Inländergleichbehandlung ausformt, ist eine unterschiedliche Rechtfertigungsmöglichkeit je nach Ausprägung nicht tragbar.96 Auch bei der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ist der explizit genannte Vorbehalt nicht nur für einen Teilbereich der Gewährleistungen einschlägig.97

91 A. Bleckmann, Europarecht, 1997, Rdnr. 1582; W. Brechmann, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 39 Rdnr. 89; GA M. Darmon, SchlA, Slg. 1989, 3979 (3985 Rdnr. 35) – Groener; M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 127; wohl auch A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 73; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1161. 92 Vgl. nur EuGH, Slg. 1999, I-11 (30 Rdnr. 23) – Calfa. 93 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 31 f. 94 Ebenso A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 39 Rdnr. 209, die aber anmerken, daß der Meinungsstreit in der Sache selbst kaum zu abweichenden Ergebnissen führen dürfte; N. Schneider/H. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EUV, 2000, Art. 39 Rdnr. 120 ff.; U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze, Kommentar zu EU-/ EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 122. 95 Für eine übereinstimmende Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 39 Abs. 3 und Art. 46 EG: C. Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 10 Rdnr. 58; ausführlich N. Schneider/H. Wunderlich, in: Schwarze (Hrsg.), EUV, 2000, Art. 39 Rdnr. 118; J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 46 Rdnr. 1. 96 U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 47. 97 A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 39 Rdnr. 209; R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 39 Rdnr. 43.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

287

bb) Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 46 Abs. 1 EG In bezug auf die Anwendbarkeit der öffentlichen Ordnung auf die Niederlassungsfreiheit wird in der Literatur verschiedentlich die Ansicht geäußert, diese könne gemäß Art. 46 Abs. 1 EG (Art. III-140 VV)98 nur ausländerpolizeiliche Sonderregelungen rechtfertigen.99 Gestützt wird diese Auffassung auf die Aussage des EuGH, daß Ausnahmevorschriften eng auszulegen seien. Außerdem spreche die historische Auslegung für diese Sichtweise.100 Diese Ansicht erscheint aber schon deshalb fragwürdig, weil die Qualifikation einer Norm als „ausländerpolizeilich“ nicht eindeutig ist.101 In gewisser Weise ist jede Norm, die Ausländer anders behandelt als Inländer, eine ausländerpolizeiliche Norm.102 Im Gegensatz zu Art. 39 Abs. 3 EG beschränkt sich Art. 46 Abs. 1 EG schon seinem Wortlaut nach nicht auf aufenthaltsrechtliche Fragestellungen im engeren Sinne, sondern spricht allgemein von „Sonderregelungen für Ausländer“103. Vor diesem Hintergrund wäre es auch sachlich nur schwer verständlich, wenn gerade die Ziele des Ausländerpolizeirechts eine Privilegierung erfahren sollten, obwohl sie nicht a priori höher einzustufen sind als Ziele anderer Rechtsgebiete.104 Dementsprechend hat auch der EuGH im Fall Segers den Schutz des nationalen Krankenversicherungssystems vor Mißbräuchen als möglichen Aspekt der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 46 Abs. 1 EG diskutiert.105 In seinem originären Anwendungsbereich vermag Art. 46 Abs. 1 EG demzufolge auch Diskriminierungen außerhalb des Bereichs des Ausländerrechts zu rechtfertigen.106 98

Umfassend zu Art. 46 Abs. 1 EG vgl. U. Forsthoff, EWS 2001, 59 (59 ff.). C. Tietje, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 10 Rdnr. 58: „primär ausländerrechtliche Dimension“; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 46 Rdnr. 7; grds. auch U. Forsthoff, EWS 2001, 59 (59 f.): „Ausweitung nur mit äußerster Vorsicht“. 100 F.-J. Schöne, Dienstleistungsfreiheit in der EG und deutsche Wirtschaftsaufsicht, 1989, S. 152, 158. 101 U. Forsthoff, EWS 2001, 59 (59 f.). 102 J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 46 Rdnr. 1. 103 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 36. 104 H. D. Jarass, RIW 1993, 1 (6); vgl. auch K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 448. 105 EuGH, Slg. 1986, 2375 (2388 Rdnr. 17) – Segers. 106 Im Ergebnis ebenso H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 36; T. C. W. Beyer/W. Freitag, JuS 2000, 852 (855); H. D. Jarass, RIW 1993, 1 (6); M. Schlag, in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, 2000, Art. 46 Rdnr. 3; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 448. 99

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

cc) Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 Abs. 1 EG Gemäß Art. 58 Abs. 1 lit. b EG (Art. III-158 Abs. 1 lit. b VV) sind Beeinträchtigungen des freien Kapitalverkehrs ebenfalls aus Gründen der öffentlichen Ordnung zulässig. dd) Allgemeines Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 18 Abs. 1 EG Die allgemeine Freizügigkeit wird vorbehaltlich der in den übrigen Vertrags- und Durchführungsbestimmungen geregelten Beschränkungen und Bedingungen gewährleistet. Dieser Schrankenvorbehalt stellt klar, daß die vertraglichen und sekundärrechtlichen Ausnahmebestimmungen im Bereich der Grundfreiheiten auch hier anwendbar sind.107 Daher ist der ordre-public-Vorbehalt, wie er für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Dienstleistungs-, Niederlassungs- und Warenverkehrsfreiheit sowie bezüglich des freien Kapitalverkehrs gilt, für Art. 18 Abs. 1 EG (Art. I-10 Abs. 2 VV) entsprechend heranzuziehen.108 Dieses Ergebnis geht mit der Wertung der drei Aufenthaltsrichtlinien konform,109 nach denen ebenfalls das Recht auf Bewegung und Aufenthalt durch den Tatbestand der öffentlichen Ordnung begrenzt werden darf.110 Die einschränkenden Vorschriften müssen ihrerseits die Wertentscheidung des Artikels 18 Abs. 1 EG beachten und sind im Lichte dieser Bestimmungen auszulegen. Dabei dürfen sie jedenfalls den Wesensgehalt des Rechts der Unionsbürger auf freie Bewegung und freien Aufenthalt im Mitgliedstaat nicht antasten.111 ee) Ergebnis Gemäß Art. 39 Abs. 3 EG, Art. 46 Abs. 1 EG sowie Art. 58 Abs. 1 lit. b EG können EG-Ausländer benachteiligende Vorschriften grundsätzlich gerechtfertigt werden, wenn die öffentliche Ordnung es erfordert. Obwohl sich die vorgenannten Bestimmungen ihrem Wortlaut nach nur auf natürliche Personen beziehen, sind sie jedoch ihrem Zweck entsprechend auch 107 Vgl. auch EuGH, Slg. 2000, I-2623 (2676 f. Rdnr. 30) – Kaba; A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 Rdnr. 10; W. Kluth, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 12. 108 Im Ergebnis ebenso A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 354; S. Kadelbach, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 21 Rdnr. 46. 109 Diese gelten auch nach der Einführung des Art. 18 EG fort. 110 Vgl. nur Art. 10 RL 68/360/EWG. 111 M. Haag, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 16.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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auf Regelungen anwendbar, die Gesellschaften im Sinne von Art. 48 Abs. 2 EG (Art. III-142 Abs. 2 VV) diskriminieren.112 b) Kompetenz zur Inhaltsbestimmung Im weiteren interessiert die Frage, wer über die Kompetenz zur Inhaltsbestimmung des Schutzguts verfügt. Handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff oder um eine Rückverweisung auf die Rechtsordnung des die Einschränkung vornehmenden Mitgliedstaats?113 Im Völkervertragsrecht weist der Begriff „öffentliche Ordnung“ eine die Souveränität der Mitgliedstaaten betonende Funktion auf, so daß die Kompetenzfrage dort eindeutig zugunsten der nationalen Ebene entschieden wird.114 Gegen eine gemeinschaftsrechtliche Bestimmung wird zudem angeführt, daß die Ausfüllung eines für alle EU-Staaten einheitlichen Begriffs der öffentlichen Ordnung „angesichts der in den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich voneinander abweichenden Verfassungs-, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialstrukturen einschließlich der hierin zum Ausdruck kommenden allgemeinen Wertevorstellungen“ zum Scheitern verurteilt sei.115 Eine einheitliche gemeinschaftliche Definition vermöge diesen Unterschieden keine Rechnung zu tragen.116 Dieser Auffassung ist zuzugeben, daß wie der EuGH selbst feststellte „die besonderen Umstände (. . .) von Land zu Land und im zeitlichen Wechsel verschieden“ sein können.117 Dennoch ist die öffentliche Ordnung als gemeinschaftsrechtlicher Begriff,118 genauer gesagt als gemeinschafts112 A. Scheuer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 5; siehe für Art. 46 EG auch K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 449; M. Schlag, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 46 Rdnr. 4. 113 Unter dem Begriff der Öffentlichen Ordnung versteht man im deutschen Recht die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen (staatsbürgerlichen) Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird, vgl. BVerfG, NJW 1985, 2395 (2398); T. Würtenberger/D. Heckmann/R. Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 2002, Rdnr. 408 ff.; W.-R. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 2005, Rdnr. 62 ff. 114 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1999, S. 158; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 67. 115 P. Selmer, DÖV 1967, 328 (331). 116 A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 46 Rdnr. 18. 117 Vgl. etwa EuGH, Slg. 1974, 1337 (1350 Rdnr. 18/19) – Van Duyn; EuGH, Slg. 2004, I-9609 (9652 Rdnr. 31) – OMEGA; siehe auch C. Moench, NJW 1982, 2689 (2693 f.).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

rechtlicher Rahmenbegriff, zu verstehen.119 Aufgrund der Besonderheit erfolgt die Inhaltsbestimmung in einem zweistufigen Mechanismus.120 Auf der ersten Stufe wird dem Mitgliedstaat ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt, so daß diese den konkreten Inhalt im wesentlichen frei nach ihren nationalen Bedürfnissen bestimmen können.121 Die Grenzen dieses Spielraums zieht der EuGH auf der zweiten Stufe unter Beachtung des „fundamentalen Grundsatzes der Freizügigkeit in der Gemeinschaft“122, wobei er auf die sittlichen Grundüberzeugungen eines Mitgliedstaates, welche in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zum Ausdruck kommen, Rücksicht nimmt.123 Die Tragweite der zulässigen Ausnahmen wird somit in letzter Instanz durch das Gemeinschaftsrecht bestimmt. Parallelen aus dem innerstaatlichen polizeirechtlichen Begriff sind daher bei der Auslegung dieses gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbegriffes nur bedingt hilfreich.124

118 Vgl. aus der Literatur ausführlich H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 68 ff.; M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 63; W. Bongen, Schranken der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1975, S. 70 ff.; W. Brechmann, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 39 Rdnr. 90; J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 46 Rdnr. 3; H. Krieger, JZ 2005, 1021 (1028); für einen autonomen gemeinschaftsrechtlichen Begriff E. Grabitz, Europäisches Bürgerrecht, 1970, S. 93. 119 Vgl. ausführlich zum Begriff der öffentlichen Ordnung H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 68 ff., 77 f.; P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 51. 120 Vgl. grundlegend EuGH, Slg. 1974, 1337 (1350 Rdnr. 19) – Van Duyk. 121 EuGH, Slg. 1975, 1219 (1231 Rdnr. 26/28) – Rutili; vgl. auch M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 134. 122 EuGH, Slg. 1975, 297 (306 Rdnr. 5) – Bonsignore; siehe auch Slg. 1977, 1999 (2013 Rdnr. 33/35) – Bouchereau; Slg. 1982, 1665 (1707 f. Rdnr. 8) – Adoui und Cornuaille; vgl. auch A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 30 Rdnr. 31. Die Frage nach der Einordnung ist jedoch eher von dogmatischem als von praktischem Interesse. 123 Grundlegend EuGH, Slg. 1974, 1337 (1350 Rdnr. 18 f.) – Van Duyn. 124 W. Bongen, Schranken der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1975, S. 71; J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 46 Rdnr. 3; ähnlich auch T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 156; a. A. D. Schnichels, Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S. 99 f.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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c) Begriff der öffentlichen Ordnung Nachdem nun geklärt ist, wer die Kompetenz zur Inhaltsbestimmung besitzt, drängt sich die Frage nach der Definition des Begriffes auf. Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird weder durch das geschriebene Gemeinschaftsrecht noch durch den EuGH definiert. Eine präzise und erschöpfende Definition ist, wie die Kommission selbst feststellte, aufgrund der Unbestimmtheit und Relativität „extrem schwierig“ und „nicht zweckmäßig“125. Daher verwundert es nicht, daß Thomas Oppermann die Inhaltsbestimmung der öffentlichen Ordnung für das Gemeinschaftsrecht als eines der „dornenvollsten Auslegungsproblem(e)“ bezeichnet hat.126 Zum einen wird in der Literatur vorgeschlagen, den Begriff der öffentlichen Ordnung als „die Gesamtheit der hoheitlich festgelegten, unverzichtbaren Grundregeln, die im Interesse der politischen und sozialen Struktur des jeweiligen Gemeinwesens erlassen worden sind“, zu definieren.127 Andere Autoren konzentrieren sich statt dessen auf die Bildung von Fallgruppen.128 Der hier vorgenommene Versuch einer inhaltlichen Eingrenzung des Begriffs der öffentlichen Ordnung wird sich im wesentlichen auf die Herausarbeitung von Auslegungslinien, typischen Fallgruppen und charakterisierenden Merkmale beschränken.129 Methodisch sind dabei zwei Mechanismen zu unterscheiden, die auf unterschiedliche Weise zur Konkretisierung des Ordnungsvorbehalts beitragen: zum einen die positive Inhaltsausfüllung, zum anderen die negative Inhaltsabgrenzung. Im Anschluß an diese abstrakten Ausführungen sollen Fallgruppen herausgearbeitet werden, in denen der EuGH den Tatbestand der öffentlichen Ordnung heranzieht. 125 Siehe die Mitteilung der Kommission zu den Sondervorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Unionsbürgern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, RL 64/221/EWG KOM (99) 372 endg., Ziff. 3.1.1. 126 T. Oppermann, in: Institut für das Recht der Europäischen Gemeinschaften der Universität Köln (Hrsg.), Die Europäische Rechtsprechung nach zwanzig Jahren Gemeinschaftsleben, 1976, S. 871 (890). 127 Etwa P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG, 2003, Art. 30 Rdnr. 50; ihm folgend K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 452; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 85; U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EUV, 2000, Art. 30 Rdnr. 11, die von staatlichen Interessen von fundamentaler Bedeutung sprechen; vgl. auch J. Tiedje/ P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze, Kommentar zu EU-/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 19. 128 F. Hubeau, CDE 1987, 207 (217). 129 Ausführlich zum Versuch der Inhaltseingrenzung siehe H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 84 ff.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

aa) Inhaltseingrenzung (1) Tatbestandliche Konkretisierung der öffentlichen Ordnung auf Gemeinschaftsebene Hinsichtlich der tatbestandlichen Konkretisierung des Begriffs der öffentlichen Ordnung ist im folgenden zum einen die Tätigkeit des Gemeinschaftsgesetzgebers, zum anderen die Rechtsprechung des Gerichtshofs genauer zu beleuchten. (a) Gemeinschaftsgesetzgeber Der Gemeinschaftsgesetzgeber erließ im Jahr 1964 die auf Art. 56 Abs. 2 EWGV gestützte130 Richtlinie 64/221/EWG131 mit dem Ziel, die Anwendung nationaler Ordnungsmaßnahmen „mit dem fundamentalen Grundsatz der Freizügigkeit in der Gemeinschaft (. . .) in Einklang zu bringen“132. In sachlicher Hinsicht ist die Richtlinie gemäß Art. 2 Abs. 1 auf diejenigen Vorschriften anwendbar, welche die Mitgliedstaaten „aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“ für „die Einreise, die Erteilung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet“ erlassen. Sie gilt daher nur für das Aufenthaltsrecht von Personen, nicht aber für sonstige grenzüberschreitende Tätigkeiten, die von einzelnen Mitgliedstaaten als ordnungsbedrohend angesehen werden.133 Da es im vorliegenden Fall nicht um eine Regelung bezüglich des Aufenthaltsrechts von Personen geht, findet diese Richtlinie vorliegend keine Anwendung. Auch für eine Konkretisierung des Begriffes der öffentlichen Ordnung ist sie, obwohl sie inhaltlich in den Art. 2 Abs. 2 bis 7 eine Reihe von Schranken enthält, welche die Geltendmachung der nationalen Sondervorschriften beschränken sollen, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht relevant.134

130 Richtiger wäre es gewesen die Richtlinie neben Art. 56 Abs. 2 EWG auch auf Art. 49 EWG und – hinsichtlich des Dienstleistungsverkehrs – auf Art. 66 EWGV zu stützen, vgl. U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 130. 131 RL 64/221/EWG v. 25.2.1964, ABl. EG 1964, S. 850. 132 EuGH, Slg. 1975, 297 (306 Rdnr. 5) – Bonsignore. 133 Vgl. auch H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 110. 134 Lediglich Art. 2 Abs. 2 ist insofern interessant, als daß er den Ausschluß wirtschaftlicher Zwecke normiert. Diese Regel ist die positivrechtliche Bestätigung eines für alle Grundfreiheiten geltenden Prinzips; vgl. oben 4. Teil A. II. 1.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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(b) EuGH Daher ist insbesondere auf die Rechtsprechung des EuGH zurückzugreifen, der im Rahmen seiner Auslegungs- und Rechtsanwendungskompetenz gemäß Art. 220 EG (Art. I-29 VV) zu einer inhaltlichen Eingrenzung beiträgt. (aa) Positive Zuordnung Der EuGH vermied bislang eine positive Zuordnung135 bestimmter nationaler Interessen zum Begriff der öffentlichen Ordnung. Vielmehr versucht er regelmäßig, die Prüfung der Verhältnismäßigkeit in den Vordergrund zu stellen und die nationalen Maßnahmen, „selbst wenn die Ziele der Vorschrift als Ziele der öffentlichen Ordnung angesehen werden könnten,136 als unverhältnismäßig zu qualifizieren. Eines der wenigen Beispiele137 positiver Zuordnung bestimmter Schutzgüter findet sich in der Rechtssache Thompson. Hier ging es um verschiedene britische Im- und Exportverbote für Münzen, die kein gültiges Zahlungsmittel mehr darstellten. Der EuGH wertete den mit der Regelung bezweckten „Schutz des Münzrechts, das herkömmlich als wesentliches Interesse des Staates betrachtet wird“, ausdrücklich als Teil der öffentlichen Ordnung.138 Erst fünfzehn Jahre später wies er erneut, allerdings implizit, die „Bekämpfung rechtswidriger Tätigkeiten, wie der Steuerhinterziehung, der Geldwäsche, des Drogenhandels und des Terrorismus“ diesem Merkmal zu, als er über eine spanische Bestimmung zu entscheiden hatte, nach der die Ausfuhr von Banknoten im Wert von mehr als fünf Millionen Peseten einer Genehmigung bedurfte.139 (bb) Grundfreiheitssichernde Auslegung des Ordnungsvorbehalts Die positive Festlegung der zur öffentlichen Ordnung gehörenden Schutzgüter ist somit für eine Inhaltseingrenzung wenig aufschlußreich. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß der Gerichtshof in diversen Urteilen 135 Eine positive Zuordnung bestimmter Schutzgüter zu der öffentlichen Ordnung steht nicht im Widerspruch zur Abstraktheit des Begriffs. 136 EuGH, Slg. 1996, I-2691 (2726 Rdnr. 26) – Kommission ./. Italien; ähnlich auch Slg. 1991, I-2023 (2040 Rdnr. 23) – Boscher, Studer und Fromentin. 137 Vgl. auch EuGH, Slg. 1995, I-361 (384 Rdnr. 21 f.) – Bordessa: Bekämpfung schwerwiegender Straftaten. 138 EuGH, Slg. 1978, 2247 (2275 Rdnr. 30/31) – Thompson. 139 EuGH, Slg. 1995, I-4821 (4837 Rdnr. 22, 4838 Rdnr. 28) – Sanz de Lera u. a.; in diese Richtung bereits EuGH, Slg. 1986, 2375 (2388 Rdnr. 17) – Segers.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

zumindest Konkretisierungshinweise geliefert hat, die im folgenden kurz dargelegt werden sollen. a) Enge Auslegung Nach der grundlegenden Formel der Rechtssache Van Duyn140 und seither in ständiger Rechtsprechung141 ist der gemeinschaftsrechtliche Rahmenbegriff der öffentlichen Ordnung als Ausnahme von den binnenmarktkonstitutiven Grundfreiheiten eng und im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze, darin eingeschlossen die (noch) ungeschriebenen Gemeinschaftsgrundrechte, auszulegen.142 b) Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft Erstmals konkretisierte der EuGH den Begriff der öffentlichen Ordnung näher im Bereich der Personenfreizügigkeiten. Grundlegend ist insofern die Rechtssache Bouchereau, die einen französischen Staatsangehörigen betraf, der wegen mehrfach unerlaubtem Drogenbesitzes in Großbritannien vor Gericht stand. Neben einer strafrechtlichen Verurteilung beabsichtigte das englische Gericht, dem zuständigen Minister die Ausweisung des Herrn Bouchereau vorzuschlagen. Diese Maßnahme wäre nach nationalem Recht zulässig gewesen. Gleichwohl zögerte das Gericht und legte dem EuGH die Frage vor, ob eine derartige Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. In seinem Urteil verwies der Gerichtshof zunächst auf die für seine spätere Rechtsprechung richtungsweisenden Ausführungen in der Rechtssache Van Duyn, nach denen der Begriff der öffentlichen Ordnung eng zu verstehen sei.143 Aus diesem Grundsatz leitete er ab, daß die Berufung auf die öffentliche Ordnung jedenfalls voraussetze, daß „außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“144. Für den gemeinschaftsrecht140

EuGH, Slg. 1974, 1337 (1350 Rdnr. 19) – Van Duyn. EuGH, Slg. 1977, 5 (15 Rdnr. 12 ff.) – Bauhuis; Slg. 1981, 1625 (1638 Rdnr. 7) – Kommission ./. Irland; Slg. 1991, 1361 (1377 Rdnr. 9) – Kommission ./. Griechenland; Slg. 1999, I-11 (30 Rdnr. 23) – Calfa; EuGH, Slg. 2004, I-9609 (9651 f. Rdnr. 30) – OMEGA; aus dem Schrifttum vgl. A. Dauses, RIW 1984, S. 197 (203 ff.); P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 23; J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 46 Rdnr. 1; C. Koenig/A. Haratsch, Europarecht 2003, Rdnr. 548, 607. 142 EuGH, Slg. 1991, I-2925 (2964 Rdnr. 43) – ERT. 143 EuGH, Slg. 1974, 1337 (1350 Rdnr. 18/19) – Van Duyn. 144 Vgl. EuGH, Slg. 1977, 1999 (2013 Rdnr. 35) – Bouchereau zu Art. 39 Abs. 3 EG; seither in ständiger Rechtsprechung Slg. 1999, I-11 (30 Rdnr. 21) – Calfa; Slg. 141

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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lichen Begriff der öffentlichen Ordnung beinhaltet das Urteil Bouchereau zwei Aspekte. Zum einen müssen staatliche Schutzgüter von fundamentaler Bedeutung berührt sein, das heißt, es muß sich um elementare unverzichtbare Grundregeln handeln, die im Interesse der zivilen und politischen Struktur der Gesellschaft in einem Mitgliedstaat erlassen werden.145 Offen bleibt allerdings, wonach sich der Rang der innerstaatlichen Schutzgüter bestimmt. Zum anderen wird der gemeinschaftsrechtliche Ordnungsvorbehalt unabhängig von der objektiven Rechtsordnung des Mitgliedstaates eröffnet, da eine Gesetzesverletzung für die Berufung auf die öffentliche Ordnung gerade nicht ausreicht.146 g) Übertragbarkeit auf nicht-personenbezogene Freizügigkeiten Der EuGH verwendete lange Zeit die Bouchereau-Formel ausdrücklich nur in bezug auf die personenbezogenen Freizügigkeiten. Daher stellt sich die Frage, ob dieses Konzept auch für die Auslegung der Ordnungsvorbehalte der übrigen Grundfreiheiten heranzuziehen ist. Untersucht man Entscheidungen, die die zuletzt genannten Freiheiten betreffen, so ist festzustellen, daß der EuGH dort gewisse begriffliche Anleihen tätigt. So fordert er beispielsweise in der bereits erwähnten Rechtssache Thompson das Vorliegen eines wesentlichen Interesses des Staates.147 Andererseits lassen sich zahlreiche Urteile anführen, in denen der EuGH nicht auf dieses Kriterium einging, obwohl es sich nicht nur angeboten hätte, sondern auch durch die Generalanwälte gefordert wurde.148 In dem Urteil Eglise de Scientologie hingegen übertrug der Gerichtshof seine Ausführungen ausdrücklich auf die Kapitalverkehrsfreiheit.149 Zudem stellte er erstmals das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auf, indem er anführte, daß Maßnahmen durch die öffentliche Ordnung nur gerechtfertigt sein könnten, „wenn sie zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten erforderlich sind, und auch nur insoweit, als diese Ziele nicht mit Maßnahmen erreicht werden können, die den freien Kapitalverkehr weniger einschränken“150. In der nachfolgenden 2000, I-1221 (1246 Rdnr. 28) – Kommission ./. Belgien, Slg. 2002, 10981 (11014 Rdnr. 39) – Olazabal; EuGH, Slg. 2004, I-9609 (9651 f. Rdnr. 30) – OMEGA. 145 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 126. 146 Vgl. auch EuGH, Slg. 1991, I-273 (294 Rdnr. 30 f.) – Roux. 147 EuGH, Slg. 1978, 2247 (2275 f. Rdnr. 32/34) – Thompson. 148 Vgl. GA F. Mancini, SchlA, Slg. 1988, 2085 (2118) – Bond van Adverteerders u. a; GA W. van Gerven, SchlA, Slg. 1989, 3851 (3881) – Torfaen Borough Council/B&C plc.; ders., SchlA, Slg. 1993, 2233 (2260 Nr. 21) – FEDICINE/Spanien. 149 EuGH, Slg. 2000, I-1335 (1361 Rdnr. 17) – Eglise de Scientologie.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Rechtssache Omega, in der es um die Dienstleistungsfreiheit ging, bestätigte der Gerichtshof explizit seine vorstehend genannte Rechtsprechung zum Tatbestand der öffentlichen Ordnung.151 In der Literatur herrscht seit jeher Einigkeit über den prinzipiellen Gleichklang aller Vorbehalte der öffentlichen Ordnung.152 Eine nähere Begründung ist allerdings nur bei Hartmut Schneider zu finden, der die Übertragbarkeit aus der Funktion und dem Charakter der nicht personenbezogenen Freizügigkeiten und ihrer Ausnahmen ableitet. Aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive bestehe ein besonderes Interesse daran, den Ordnungsvorbehalt auf den engen Bereich hochwertiger Schutzgüter zu beschränken. Ansonsten könnten die Klauseln zu Einfallstoren für nationale Interessen ausgeweitet werden, die an anderer Stelle keine Berücksichtigung mehr fänden.153 Für dieses vorzugswürdige Ergebnis spricht auch die Konvergenz der Grundfreiheiten auf der Tatbestands- und Rechtfertigungsebene.154 Nicht nur die einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts, sondern auch die Wirksamkeit desselbigen und damit insgesamt die Rechtssicherheit und -klarheit, würden in Frage gestellt, sollte der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung je nach Grundfreiheit primär durch die Mitgliedstaaten unterschiedlich bestimmt werden. Demzufolge ist der Begriff der öffentlichen Ordnung für alle Grundfreiheiten einheitlich auszulegen.155

150 EuGH, Slg. 2000, I-1335 (1362 Rdnr. 18) – Eglise de Scientologie; bestätigt in EuGH, Slg. 2002, I-10981 (11015 Rdnr. 43) – Olazabal; EuGH, Slg. 2004, I-9609 (9653 Rdnr. 36) – OMEGA für die Dienstleistungsfreiheit. 151 EuGH, Slg. 2004, I-9609 (9651 f. Rdnr. 30 f., 36) – OMEGA. 152 M. Schlag, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 46 Rdnr. 6; J. Bröhmer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 46 Rdnr. 1; J. Tiedje/ P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 15; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 179; W. H. Roth, Hb WirtR, Gesamtstand: Mai 2004, E. I. Rdnr. 125; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 126 ff.; P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 46 Rdnr. 7. 153 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Verkehr, 1998, S. 127. 154 Zu diesem Aspekt etwa M. Eberhartinger, EWS 1997, 43 (43 ff.); H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (706 ff.); siehe auch EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4197 f. Rdnr. 37) – Gebhard. 155 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 122 ff. geht dagegen im Ergebnis nicht von einem völligen Gleichklang aus.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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(2) Negative Abgrenzung auf Gemeinschaftsebene Neben der positiven Inhaltsausfüllung wird der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung auch dadurch konkretisiert, daß sein Anwendungsbereich durch die Gemeinschaftsorgane negativ abgegrenzt wird. Um den Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht zu sprengen, sollen im folgenden nur zwei wesentlich erscheinende Aspekte der negativen Abgrenzung herausgegriffen werden.156 (a) Gemeinschaftsgesetzgeber Der Gemeinschaftsgesetzgeber kann im Rahmen seiner Kompetenz Harmonisierungsmaßnahmen nach Art. 94, 95 EG (Art. III-172 f. VV) erlassen,157 die, wie bereits erläutert, eine Sperrwirkung158 zu Lasten der mitgliedstaatlichen Regelungskompetenz bewirken. Sofern sich die Maßnahmen auf das unter den Ordnungsvorbehalt zu fassende Schutzgut beziehen, ist den Mitgliedstaaten somit die Berufung auf diesen verwehrt.159 Eine Berücksichtigung eventuell fortbestehender Schutzinteressen einzelner Mitgliedstaaten ist nur dann möglich, wenn der betreffende Rechtsakt eine Schutzklausel enthält.160 Mit der gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung ist daher eine gewisse Zurückdrängung der Anwendungsfelder der öffentlichen Ordnung verbunden.161 (b) EuGH Der EuGH ließ in der Cassis de Dijon-Entscheidung zunächst offen, in welchem Verhältnis die „zwingenden Erfordernisse“ zu den geschriebenen Schranken, insbesondere zum Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, stehen.162 Später stellte er fest, daß die immanenten Ausnahmen von den geschriebenen Schutzgründen strikt zu trennen seien,163 so daß von Ersteren 156 Vgl. hierzu ausführlich H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 139 ff. 157 Vgl. hierzu die obigen Ausführungen im 4. Teil A. II. 3. 158 Vgl. zu diesem Begriff H. P. Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 701. 159 Vgl. nur EuGH, Slg. 1986, 1707 (1721) – Legie/Gesundheitsminister; I. Millarg, Die Schranken der Warenverkehrsfreiheit, 2001, S. 87; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 107. 160 Vgl. Art. 95 Abs. 10 EG. 161 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 139. 162 EuGH, Slg. 1979, 649 (664 Rdnr. 14) – Rewe. 163 EuGH, Slg. 1981, 1625 (1638 Rdnr. 7 f.) – Kommission ./. Irland; bestätigend etwa EuGH, Slg. 1984, 3651 (3663 Rdnr. 19) – Kohl; Slg. 1985, 1 (35 Rdnr. 30) –

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

erfaßte Schutzgüter nicht unter die öffentliche Ordnung subsumiert werden könnten. Dieses Verständnis der strikten Trennung trägt zu einem erheblichen Bedeutungsverlust des Vorbehalts der öffentlichen Ordnung bei.164 Jede Fortentwicklung des grundsätzlich nicht abgeschlossenen Katalogs der zwingenden Erfordernisse hat zur Konsequenz, daß diese Schutzgüter nicht mehr Gegenstand der öffentlichen Ordnung sein können. In der Literatur wurde diese strikte Trennung mit der Überlegung untermauert, daß zu den immanenten Ausnahmen nur solche Schutzgüter gehören, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Gründe der öffentlichen Ordnung hingegen seien auf Bereiche beschränkt, in denen sich Partikularinteressen der Mitgliedstaaten widerspiegeln, die nicht von allen Mitgliedstaaten geteilt werden.165 Diese Argumentation und das Festhalten an einer strikten Trennung sind durch einige Urteile des EuGH in Zweifel gezogen worden. So zählt der Gerichtshof zu den zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses auch solche Schutzgüter, die „Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen“ der Mitgliedstaaten und den „landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepaßt“ sind.166 Zudem erkennt er den Schutz der Sozialordnung als zwingendes Erfordernis an, obwohl dieses Interesse nach dem herkömmlichen Verständnis der öffentlichen Ordnung zuzuweisen gewesen wäre.167 Dem Grundsatz der strikten Trennung widerspricht scheinbar, daß der Gerichtshof in der noch näher zu erläuternden Rechtssache Svensson die Kohärenz des nationalen Steuersystems im Rahmen von Art. 55 EG (Art. 56 a. f.) erörtert,168 während er dieses Schutzgut noch im Urteil Bachmann als Grund des Allgemeininteresses bezeichnet hatte.169 Diese Überschneidungen sind insbesondere dort zu finden, wo Besonderheiten des Einzelfalls auch diskriminierende Maßnahmen als gemeinschaftsrechtlich zulässig erscheinen lassen, das einschlägige Schutzgut bislang aufgrund der ursprünglich vorherrschenden SchrankenAssociation des Centres distributeurs Edouard Leclerc u. a.; Slg. 1994, I-4797 (4832 Rdnr. 18/19) – TV; zustimmend aus der Literatur I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 202; C. Moench, NJW 1987, 1109 (1109 Fn. 6); H.-W. Rengeling/K. Heinz, JuS 1990, 613 (616); A. Epiney, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2003, § 8 Rdnr. 53. 164 H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 160. 165 Vgl. H. Gaudemet-Tallon, RTDE 1992, 167 (176). 166 EuGH, Slg. 1989, 3851 (3889 Rdnr. 14) – Torfaen; GA W. van Gerven, SchlA, Slg. 1991, I-4685 (4717) – Society for the protection of Unborn Children Ireland/Stephen Grogan. 167 Siehe auch EuGH, Slg. 1994, I-1039 (1096 Rdnr. 58) – Schindler. 168 EuGH, Slg. 1995, I-3955 (3976 f. Rdnr. 15) – Svensson; so auch R. Wernsmann, EuR 1999, 754 (762). 169 EuGH, Slg. 1992, I-249 (284 Rdnr. 32) – Bachmann.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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dogmatik170 aber nur zur Rechtfertigung nichtdiskriminierender Regelungen anerkannt war. Aufgrund der noch aufzuzeigenden171 vorzugswürdigen neueren Rechtsprechung zu einer einheitlichen Rechtfertigung von mittelbar diskriminierenden und unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen ist allerdings zu erwarten, daß der EuGH seine vormals geäußerte Ansicht von einer Trennung der Schutzgüter zugeordnet zu den zwingenden Erfordernissen einerseits und zu denjenigen der öffentlichen Ordnung andererseits wieder aufnehmen wird. Daher ist die Liste der immanenten Rechtfertigungsgründe weiterhin als inhaltseingrenzendes Kriterium der öffentlichen Ordnung zu verstehen, so daß ein den zwingenden Erfordernissen zugewiesenes Schutzgut nicht gleichzeitig zu einer Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung führen kann.172 (3) Ergebnis Die Bezeichnung „öffentliche Ordnung“ ist ihrem restriktiven Charakter entsprechend nicht als Oberbegriff für sämtliche Ausnahmemöglichkeiten zu verstehen, sondern auf den engen Bereich besonders hochwertiger Schutzgüter zu beschränken, der mit dem Merkmal des „Grundinteresses der Gesellschaft“ umschrieben wird.173 Gleichwohl ist damit nicht viel Klarheit gewonnen. Eine Begrenzung auf in der Verfassung abgesicherte Grundwerte des menschlichen Lebens, wie etwa das Recht auf Leben, erscheint allerdings zu kurz gegriffen.174 Als gemeinschaftsrechtlicher Rahmenbegriff unterliegt der Ordnungsvorbehalt letztlich der Kontrolle des EuGH, doch öffnet er den Mitgliedstaaten aufgrund der landestypischen Besonderheiten und des zeitlichen Wandels einen Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den Vertrag gesetzten Grenzen. Der nicht abschließende Katalog der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses wirkt weiterhin als inhaltsbegrenzendes Kriterium der öffentlichen Ordnung, ebenso wie das harmonisierende Sekundärrecht. Sofern ein Schutzgut dem ordre-public-Tatbestand zugewiesen wird, ist im Anschluß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung 170

Vgl. oben 4. Teil A. I. sowie unten 4. Teil B. III. 1. Vgl. 4. Teil B. III. 1. 172 So auch I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 202; a. A. H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 162. 173 Im Ergebnis ebenso A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2004, S. 21; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 85; U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 30 Rdnr. 11. 174 So aber wohl H. P. Roth, in: Dauses (Hrsg.), Hb EU-WirtR, Gesamtstand: August 2006, E I Rdnr. 96 ff. 171

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

vorzunehmen. Erst dann kann im Ergebnis eine Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung bejaht werden. bb) Fallgruppen der öffentlichen Ordnung im Gemeinschaftsrecht Im nachstehenden Abschnitt sollen zur Verdeutlichung des Begriffs des Grundinteresses die Verwendungsformen der öffentlichen Ordnung im Gemeinschaftsrecht aufgezeigt werden. Untersucht man die vom EuGH bereits entschiedenen Fälle, in denen er eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung erwogen hat, so lassen sich die jeweiligen Regelungsanliegen von einigen Überschneidungen abgesehen in drei Fallgruppen einteilen. (1) Abwehr störenden Verhaltens einzelner Personen In der ersten Fallgruppe besitzt der Ordnungsvorbehalt eine typisch polizeirechtliche Funktion.175 Hier geht es um Regelungen, die die Mitgliedstaaten ergreifen, um bedrohlich empfundenes Verhalten des einzelnen abzuwehren.176 Die von dem Tatbestand der öffentlichen Ordnung erfaßten Gefahren sind dabei solche, die unmittelbar von dem Unionsbürger ausgehen.177 (2) Abwehr ausländischer Standards Der zweiten Gruppe unterfallen Bestimmungen, die das Eindringen abweichender ausländischer Kontrollstandards in die eigene Rechtsordnung verhindern sollen.178 Die Gefahr geht hier weniger vom Verhalten des einzelnen aus, sondern entstammt letztlich aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Allerdings lehnte der Gerichtshof hier im Ergebnis eine Berufung auf die öffentliche Ordnung zumeist ab, so beispielsweise als sich die italienische Regierung auf den Schutz der Anleger und die Stabilität und Transparenz der Kapitalmärkte berief179 oder die niederländische Regierung 175 Vgl. zum ganzen H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 87. 176 Vgl. jüngst EuGH, Slg. 2002, I-10981 (11016 Rdnr. 45) – Olazabal; Slg. 1974, 1337 (1350 f. Rdnr. 18/19 ff.) – Van Duyn; Slg. 1975, 297 (307 Rdnr. 6) – Bonsignore/Oberstadtdireketor der Stadt Köln; Slg. 1975, 1219 (1231 f. Rdnr. 26/ 28) – Rutili. 177 Vgl. Art. 3 Abs.1 RL 64/221/EWG. 178 Vgl. aus der Rechtsprechung EuGH, Slg. 1996, I-2701 (Rdnr. 28, 30) – Kommission ./. Italien; Slg. 1984, 1299 (1329 Rdnr. 32) – Prantl; Slg. 1988, 2085 (2135 Rdnr. 36) – Bond van Adverteerders u. a.

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ihre Maßnahme auf die Aufrechterhaltung des nichtkommerziellen und damit pluralistischen Charakters des inländischen Rundfunks stützte.180 (3) Erhaltung nationaler Strukturen Die Regelungen, die von der dritten Fallgruppe erfaßt werden, bezwekken den Bestandsschutz bestimmter Strukturen der nationalen Rechts- und Gesellschaftsordnungen.181 In Abgrenzung zur zweiten Fallgruppe geht es hier nicht um die Abwehr eines bestimmten Regelungsniveaus anderer Mitgliedstaaten, sondern vielmehr um die Erhaltung nationaler Einrichtungen und Politiken. 2. Ziele der Wohnraummodelle als Schutzgut der öffentlichen Ordnung Die Baulandausweisung begrenzt auf Einheimische dient nicht primär der Schaffung von Vermögensvorteilen für diese Bürger.182 Vielmehr verfolgt die Gemeinde mit der Errichtung eine Vielzahl von Motiven, die nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. So ist beispielsweise eine erklärte Zielsetzung die Lenkung der Preisentwicklung auf dem Grundstücksmarkt durch die Verhinderung von Bodenspekulation/Dämpfung der Nachfrage. Außerdem soll der Tendenz der Entstehung von „Rolladensiedlungen“ oder „Geisterstädten“183 und den damit verbundenen finanziellen und städtebaulich nicht vertretbaren Belastungen einer nicht ausgenutzten, gleichwohl aber vorzuhaltenden Infrastruktur entgegengewirkt werden. Aus diesem nicht abschließendem, je nach Gemeinde variierendem Motivbündel läßt sich jedoch ein gemeinsames Hauptanliegen herausarbeiten: die Erhaltung der langjährig gewachsenen, intakten Sozialstrukturen sowie die damit verbundene gemeindliche Identität und Eigenart als Teil des ländlichen Raumes. 179 EuGH, Slg. 1996, I-2691 (2694 Nr. 8, 2726 Rdnr. 26) – Kommission ./. Italien. 180 EuGH, Slg. 1988, 2085 (2135 Rdnr. 33 ff.) – Bond van Adverteerders u. a. 181 Vgl. etwa EuGH, Slg. 1995, I-3955 (3976 Rdnr. 13) – Svensson und Gustavsson; Slg. 1986, 2375 (2388 Rdnr. 17) – Segers; ähnlich auch, allerdings zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit EuGH, Slg. 1984, 2727 (2751 Rdnr. 32 ff.) – Campus Oil Limited. 182 Vgl. die Vergaberichtlinien: Baulandbeschaffungsprogramm für Einheimische der Gemeinde Unterföhring für das Gebiet nördlich der Aschheimer Straße, 2000, S. 1. 183 BVerwG, ZfBR 1996, 48 (49); zur Verödungsgefahr siehe auch OVG Lüneburg, ZfBR 1983, 238 (238 ff.).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Voraussetzung für eine Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung ist zunächst, daß das besagte Schutzgut ein elementares Grundinteresse der zivilen und politischen Struktur der Gesellschaft in einem Mitgliedstaat darstellt. Die nur einige Gemeinden betreffende Sicherung ihres eigenständigen Charakters und Wahrung ihres kulturellen Erbes könnte aufgrund der tangierten Minderheit möglicherweise bereits nicht ausreichen, um als für die gesamte Gesellschaft wesentlich eingestuft zu werden.184 Es ist unstreitig, daß die Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft nicht nur Einfluß auf die Nationalstaaten besitzt und diese nicht alleinige Adressaten der Verordnungen wie auch der Zielvorgaben der EG-Richtlinien sind. Die Gemeinden sind vielmehr Hauptakteure für die Umsetzung des europäischen Rechts vor Ort. Daher kann im Grunde kein Zweifel daran bestehen, daß den Gemeinden auch die Berufung auf die Rechtfertigungsgründe ermöglicht sein muß. Es macht somit keinen Unterschied, ob die Maßnahme nur für einen begrenzten Raum und daher nur für einen Teil der Gesellschaft gilt. Entscheidend ist vielmehr, ob die Erhaltung der gewachsenen Bevölkerungsstrukturen und die kulturelle Identität der Gemeinde unabhängig von der Anzahl der betroffenen Personen als Grundinteresse eingestuft werden kann. Dazu soll zunächst überprüft werden, ob das Schutzgut unter eine anerkannte Fallgruppe gefaßt werden kann. Die Zugehörigkeit der Regelungsanliegen der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle zur ersten Fallgruppe, der Abwehr von störendem Verhalten einzelner Personen, scheidet ersichtlich aus, da sich die Maßnahme nicht gegen ein individuelles, zudem noch gefährliches Verhalten eines einzelnen richtet. Vielmehr knüpft die Regelung nur indirekt an ein persönliches Verhalten an, nämlich an die Absicht Auswärtiger, in der betroffenen Gemeinde Grundstücke als Spekulationsobjekte oder als Ferien- beziehungsweise Zweitwohnsitze zu erwerben. Auch die Zugehörigkeit zur zweiten Fallgruppe ist zu verneinen, da es nicht um die Abwehr ausländischer Kontrollstandards geht. Eine Zuordnung könnte allerdings zur dritten Fallgruppe, also die Erhaltung nationaler Einrichtungen und Politiken, erfolgen. Das Vorhandensein von Gemeinden als Institutionen gehört ohne Zweifel zu den elementaren Grundprinzipien, die im Interesse der politischen und sozialen Struktur des jeweiligen Gemeinwesens vorliegen. Die Gemeinden sind das Fundament eines demokratischen Staats.185 Ihnen kommt die entscheidende Rolle bei der bürgernahen 184 Im Ergebnis so wohl A. Knapp, EWS 1999, 409 (416), der den Schutz einer kulturellen Minderheit auf den Inseln Aland als nicht wesentlich für die gesamte finnische Gesellschaft wertete. 185 Vgl. § 1 Abs. 1 HessGO; Art. 11 Abs. 4 BayVerf. Vgl. auch BVerfGE 79, 127 (149); H. Meyer, in: Meyer/Stolleis (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Hessen, 2000, S. 152; siehe auch D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 148; F.-L. Knemeyer/M. Wehr, VerwArch 2001, 318 (328 f.).

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Verwaltung zu.186 Allerdings ist festzustellen, daß vorliegend nicht die Institution der Gemeinde an sich gefährdet ist. Es geht um die Erhaltung der kulturellen Identität und der vorhandenen Sozialstruktur einiger Gemeinden. Dieses Ziel ist ebenfalls als wichtiges gesellschaftliches Anliegen einzustufen. Ohne Identität werden die Ortsbezogenheit und die soziale Heimat der Menschen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit bei den Betroffenen zerstört. Im Ergebnis scheidet die öffentliche Ordnung jedoch als Rechtfertigungsgrund aus. Der Tatbestand ist restriktiv auszulegen. Es bestehen daher bereits bedenken, ob das Schutzgut der öffentlichen Ordnung neben der Gewährleistung der Gemeinden als Institutionen auch noch die Wahrung ihrer kulturellen Identität und Sozialstruktur umfaßt. Die Liste der immanenten Rechtfertigungsgründe ist als inhaltseingrenzendes Kriterium der öffentlichen Ordnung zu verstehen. Ein den zwingenden Erfordernissen zugewiesenes Schutzgut kann nicht gleichzeitig zur Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung führen.187 An dieser Stelle sei vorweggenommen, daß der EuGH Ziele der Raumplanung und Bodenpolitik, wozu auch der Erhalt des gemeindlichen Charakters und der gewachsenen Bevölkerungsstruktur zählen,188 den Allgemeininteressen zuordnet.189 3. Ziele der Gewerbemodelle als Schutzgut der öffentlichen Ordnung Wie bereits erläutert,190 werden Gewerbemodelle zur Sicherung des örtlichen Gewerbes verwendet.191 Mit ihnen soll der Aufgabe oder Abwanderung einheimischer Gewerbebetriebe in andere Gemeinden und der damit verbundenen Gefahr unerwünschter Änderungen der örtlichen Infrastruktur und des Verlustes von Gewerbesteuereinnahmen und Arbeitsplätzen der einheimischen Bevölkerung entgegengewirkt werden.192 Zudem sollen auch Betriebsumsiedlungen aus dem Innenbereich der Gewerbegebiete zu angemessenen Preisen ermöglicht werden, um so ein städtebaulich unerwünschtes Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe, das sich im Laufe der Zeit 186

So auch G. Püttner, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. IV, 1999, § 107 Rdnr. 4. Vgl. oben 4. Teil B. II. 1. c) aa) (2) (b); im Ergebnis ebenso I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, S. 202. 188 Vgl. unten 4. Teil B. III. 5. b) dd). 189 Vgl. nur EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3135 Rdnr. 40) – Konle. 190 Vgl. oben 3. Teil A. I. 3. c). 191 Siehe dazu VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1009 ff.) sowie R. Bleutge, MittBayNot 1999, 453 (453 ff.); H. Griwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, Rdnr. 357. 192 VGH München, NVwZ 1999, 1008 (1011); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (25). 187

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

entwickelt hat, zu sanieren.193 Die zuletzt genannte Zielsetzung ist allerdings der Fallgruppe der Raumplanung zuzurechnen194 und scheidet bereits aus diesem Grund als Schutzgut der öffentlichen Ordnung aus. Bei näherer Betrachtung der mit den Gewerbemodellen anvisierten Zielvorstellungen fällt die starke wirtschaftliche Komponente dieser Konzepte ins Auge. Der EuGH betonte hinsichtlich des ordre-public-Vorbehalts seit jeher, daß rein wirtschaftliche Gründe eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten nicht zu legitimieren vermögen. Grund dafür ist, daß sich die Ausnahmetatbestände an den Grundsätzen des Vertrages, insbesondere dem Ziel eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt gemäß Art. 3 lit. c und g EG orientieren müssen, und sich daher auf Schutzziele zu beschränken haben, die diesen Prinzipien nicht zuwiderlaufen.195 Nach einhelliger Auffassung weist die Zielvorstellung der Verhinderung der Aufgabe oder Abwanderung einheimischer Gewerbebetriebe einen wirtschaftlichen Charakter auf,196 da das Überleben eines Betriebs zwangsläufig nur mit wirtschaftlichen Maßnahmen gesichert werden kann. Das Verbot der Geltendmachung wirtschaftlicher Gründe greift jedoch dann nicht, wenn mit diesen Maßnahmen ein darüber hinausgehendes primäres Schutzziel verfolgt wird, das nicht der genannten Kategorie zugerechnet werden kann.197 Daher sind die mit der Sicherung des örtlichen Gewerbes bezweckten weiteren Zielsetzungen daraufhin zu untersuchen, ob sie nichtwirtschaftlicher Art sind und gegenüber den wirtschaftlichen Gründen eindeutig im Vordergrund stehen. Das Anführen einer Änderung der örtlichen Infrastruktur ist als Argument jedoch nur eingeschränkt nachvollziehbar, da in dem geplanten Gewerbegebiet, das zukünftig der Einheimischenbindung unterliegen soll, in jedem Fall eine Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden muß, ob sie nun durch das einheimische Unternehmen oder durch das neu anzusiedelnde ausländische genutzt wird. Dennoch ist zumindest in Betracht zu ziehen, daß aufgrund der möglicherweise geänderten Bedürfnisse der „neuen“ Arbeitskräfte beziehungsweise des Unternehmens, andere Anforderungen an die übrige gemeindliche Infrastruktur, insbesondere an die Sozialeinrichtungen sowie an das Kultur- und Freizeitangebot, gestellt werden. Die Anpassung würde erhebliche finanzielle Aufwendungen seitens der Gemeinde erfordern. Derartige Überlegungen zur gemeindlichen Haushaltspolitik sind allerdings ebenfalls von wirtschaftlicher Art. Als Mitglieder der EU dürfen die einzelnen Staa193

H. Grziwotz, Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, 2002, S. 198. Vgl. unten 4. Teil B. III. 4. b) ee). 195 Vgl. G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 60. 196 Vgl. nur EuGH, Slg. 1995, 563 (608) – Evans Medical; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 206; H. Schneider, Die öffentliche Ordnung als Schranke der Grundfreiheiten im EG-Vertrag, 1998, S. 124. 197 Siehe EuGH, Slg. 1984, 2727 (2737 f.) – Campus Oil Limited. 194

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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ten, darin eingeschlossen auch die Gemeinden, Einsparungen nicht auf Kosten des freien Binnenmarktes erzielen, sondern müssen sich um Lösungen bemühen, die nicht zu Lasten der EU gehen. Diesem Ergebnis entsprechend erkennt auch der EuGH haushaltspolitische Erwägungen aufgrund ihres wirtschaftlichen Charakters für eine Rechtfertigung nicht an.198 Das Argument des Verlustes von Gewerbesteuereinnahmen überzeugt bereits dem Grunde nach nicht. Gemäß § 2 Abs. 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb199 der Gewerbesteuer, soweit für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird. Hebeberechtigt ist dabei die Gemeinde, in der das Unternehmen eine Betriebsstätte zur Ausübung des Gewerbes unterhält.200 Sofern demnach ein ausländisches Unternehmen ein Grundstück im Rahmen des Gewerbemodells erwerben möchte, um dort eine Betriebsstätte zu errichten, unterliegt es der an die Gemeinde zu zahlenden Gewerbesteuer. An dieser Sichtweise ändert die Ausländereigenschaft des Betriebes aufgrund der zwischen den EG-Mitgliedstaaten abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen201 nichts. Grundsätzlich können Unternehmensgewinne nur in dem Wohnsitzstaat202 des Unternehmers besteuert werden. Als Ausnahme von diesem Grundsatz gilt, daß Unternehmensgewinne auch im Quellenstaat203 besteuert werden können, wenn das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt und das Ergebnis dieser Betriebsstätte zuzuordnen ist (sogenanntes Betriebsstättenprinzip).204 Folglich müssen der ausländische ansiedelungswillige Betrieb genau 198 Vgl. EuGH, Slg. 1976, 613 (636 Rdnr. 18) – Peijper; Slg. 1984, 523 (542 Rdnr. 23) – Duphar/Niederlande. 199 Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen. 200 Vgl. §§ 1, 4 GewStG. 201 Vgl. zu allen deutschen Doppelbesteuerungsabkommen mit Kommentierung H. Debatin/F. Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Bd. I – VI, Stand: Oktober 2003. 202 Nach dem Wohnsitzprinzip werden in dem Staat, in dem der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz hat, seine gesamte steuerliche Leistungsfähigkeit umfassend besteuert; vgl. D. Birk, Steuerrecht, 2006, Rdnr. 200. 203 Der Quellenstaat beansprucht das Quellenprinzip. Danach werden nur inländische Einkünfte und Inlandsvermögen besteuert, vgl. J. Lang, in: Tipke/ders. (Hrsg.), Steuerrecht, 2005, § 2 Rdnr. 37. 204 Vgl. Art. 5 Abs. 1–3 des OECD-Musterabkommens 2003 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen; stellvertretend vgl. Art. 2 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1–3, Art. 7 Abs. 1 des Abkommens der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Litauen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl. 1998, II, S. 1572; Art. 2 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1–3, Art. 7 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

wie das einheimische Unternehmen, das seine Betriebsstätte verlegen möchte, ihren Gewinn aus dem dann eingerichteten Gewerbebetrieb an die Gemeinde abführen. Im Ergebnis kann sich die Gemeinde daher zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung Einheimischer und Gebietsfremder nicht auf den Verlust von Gewerbesteuereinnahmen berufen. Als letztes Argument verbleibt die Sicherung von Arbeitsplätzen der einheimischen Bevölkerung. Ein über mehrere Jahre hinweg ortsansässiges Unternehmen beschäftigt in der Regel eine große Anzahl einheimischer Bürger. Dies ergibt sich daraus, daß sich viele Arbeitnehmer im Laufe der Zeit am Ort ihres Arbeitsplatzes auch gleichzeitig ihren Wohnsitz schaffen. Sofern nun das Gewerbemodell für alle Unternehmen geöffnet wird und der Zuschlag für ein vergünstigtes Grundstück an einen ausländischen Betrieb geht, werden zwar ebenfalls Arbeitsplätze geschaffen. Dennoch können in diesem Fall aus Sicht der Gemeinde erhebliche Nachteile für die Arbeitsplatzsicherung ihrer ortsansässigen Bürger eintreten. Zum einen wird bei einer Betriebsumsiedelung ein Teil der bereits angestellten ausländischen Arbeitskräfte, insbesondere die Geschäftsleitung, mit umziehen. Bei der Einstellung neuer Arbeitnehmer werden sich aufgrund der derzeitigen Arbeitsmarktlage Personen aus der gesamten Bundesrepublik Deutschland bewerben, so daß der Erhalt von Arbeitsplätzen gerade der einheimischen Bevölkerung durch ausländische Unternehmen nicht sichergestellt werden kann. Da der einheimische Betrieb seine finanzielle Lage nicht mehr durch ein vergünstigtes Grundstück im Rahmen des Gewerbemodells, den Zuschlag erhielt das ortsfremde Unternehmen, verbessern kann, verbleibt ihm oftmals nur noch die Insolvenz oder die Abwanderung in eine andere Region. Dies führt häufig dazu, daß die vormals angestellten einheimischen Bürger auf der Suche nach neuer Arbeit oder im Zuge der Betriebsumsiedelung die Gemeinde verlassen. Auf diese Weise wird die Sozialstruktur der gemeindlichen Bevölkerung gefährdet. Die Arbeitsplatzsicherung der Einheimischen kann daher als nachvollziehbarer Grund für eine unterschiedliche Behandlung dienen. Im Ergebnis hält er jedoch den EG-rechtlichen Anforderungen an einen Rechtfertigungsgrund nicht stand. Der EG-Vertrag nennt einerseits die Förderung der Beschäftigung in Art. 136 Abs. 1 EG (Art. III-209 VV), der unter dem Titel der Sozialpolitik steht. Dennoch können auch sozialpolitische Belange von wirtschaftlicher Art sein. Die Festlegung der gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik bezieht sich nach Art. 98 EG (Art. III-178 VV) auch auf die Aufgabenbeschreibung in Art. 2 EG (Art. I-3 VV), so daß die Verpflichtung auf ein hohes Beschäftigungsniveau als Gegenstand der Wirtschaftspolitik anzusehen ist.205 Wirtschafts- und Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerkürzung, BGBl. 1990, II, S. 743.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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Beschäftigungspolitik sind somit nach der Systematik des EG-Vertrags durch Art. 2 EG und Art. 99 ff. EG (Art. III-179 VV) miteinander verbunden und werden nunmehr auch durch die speziellen Regelungen zur Beschäftigung in Art. 125 ff. EG (Art. III-203 ff. VV) ergänzt. Das bedeutet allerdings noch nicht, daß die Arbeitsplatzsicherung zwingend als wirtschaftlich im Sinne des EG-Rechts anzusehen ist. Sofern jedoch der Schutz von Arbeitsplätzen nicht durch allgemeine Programme oder Regelungen bewirkt wird, sondern durch die Sicherung eines Unternehmens vor Insolvenz, könnte durch die Berufung auf dieses Argument der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gerade in dem Fall umgangen werden, in dem aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht gravierend in den Wettbewerb eingegriffen wird. Folglich schlägt vorliegend der wirtschaftliche Charakter der Maßnahme auf ein den sozialpolitischen Belangen zuzuordnendes Ziel derart durch, daß die hier bezweckte Arbeitsplatzsicherung nicht durch den Tatbestand der öffentlichen Ordnung legitimiert werden kann. Eine Berufung scheidet zudem noch aus einem weiteren Grund aus. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist ein gemeinschaftsrechtlicher Rahmenbegriff, der sich in die Ziele des EG-Vertrags einfügen muß. Die Beschäftigungspolitik verbleibt zwar in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, dennoch müssen die jeweiligen nationalen Strategien im Einklang mit den gemeinschaftlichen Grundzügen der Wirtschaftspolitik stehen. Gemäß Art. 126 Abs. 2 EG (Art. III204 Abs. 2 VV) betrachten die Mitgliedstaaten die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und stimmen ihre diesbezüglichen Tätigkeiten aufeinander ab. Als Ausprägung des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue206 wird den Mitgliedstaaten somit die Pflicht auferlegt, einzelstaatliche Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung nicht zu Lasten der Beschäftigungslage in anderen Mitgliedstaaten zu ergreifen.207 Schädliche Auswirkungen auf die anderen Mitgliedstaaten sind nicht nur soweit wie möglich,208 sondern gänzlich zu vermeiden.209 Der Erhalt der bestehenden Arbeitsplätze in der Gemeinde geht auf Kosten anderer Arbeitsplätze, darin eingeschlossen diejenigen anderer Mitgliedstaaten.

205

E. Kreßel, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 125 Rdnr. 9. Art. 10 EG. Vgl. dazu unten 5. Teil B. I. 2. e). 207 M. Niedobitek, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 126 Rdnr. 11; ähnlich auch S. Krebber, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 127 Rdnr. 4. 208 So E.-J. Mestmäcker, in: Basedow/Hopt/Kötz (Hrsg.), FS Drobnig, 1998, S. 81 (93). 209 Zutreffend E. Kreßel, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 126 Rdnr. 3. 206

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

III. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe Vorliegend sind keine weiteren explizit im EG-Vertrag geregelten Gründe ersichtlich, die zur Rechtfertigung der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle dienen könnten. Dies führt zu der Überlegung, ob nicht auf die bereits erwähnten ungeschriebenen Schranken zurückgegriffen werden kann. Voraussetzung hierfür ist, daß die zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls auf die Beeinträchtigungsform der hier gegebenen mittelbaren Diskriminierung Anwendung finden.

1. Anwendbarkeit zwingender Erfordernisse auf mittelbare Diskriminierungen a) Problemaufriß Der EuGH entwickelte erstmals in der Entscheidung Cassis de Dijon die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe.210 Eine Einschränkung der Anwendbarkeit auf eine konkrete Beeinträchtigungsform wurde im Urteil selbst nicht postuliert. In der sogenannten Gebhard-Formel aus dem gleichnamigen Urteil verlangte der EuGH für eine Rechtfertigung durch ungeschriebene Schranken die nichtdiskriminierende Anwendung der staatlichen Regelung.211 Unmittelbar und mittelbar diskriminierende Grundfreiheitseingriffe lassen sich demnach lediglich durch die vertraglich explizit geregelten Rechtfertigungsgründe legitimieren. In späteren Urteilen spricht der EuGH allerdings nicht mehr von nicht diskriminierend, sondern von einer unterschiedslosen Anwendbarkeit der Maßnahme.212 Diese klare Formel der Rechtsprechung überdeckt ein Problem: die Behandlung der mittelbar diskriminierenden Maßnahmen, die, rein formal gesehen, In- und Ausländer unterschiedslos treffen. Angesichts der ursprünglichen Formulierung behandelte der EuGH diese Beeinträchtigungsform auch weiterhin wie eine unmittelbare Diskriminierung mit der Folge, daß eine Rechtfertigung nur durch geschriebene Schranken erfolgen konnte. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet diese Zuordnung, daß die zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls keine Anwendung auf die durch die städtebaurechtlichen Einheimi210

EuGH, Slg. 1979, 649 (662 Rdnr. 8) – Rewe. Vgl. EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4199 Rdnr. 39) – Gebhard; vgl. auch Slg. 1996, I-6511 (6537 f. Rdnr. 28) – Reisebüro Broede zu Art. 49 EG. Voraussetzung ist weiterhin die Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 212 Stellvertretend vgl. EuGH, Slg. 1981, 1625 (1639 Rdnr. 10) – Kommission ./. Irland; Slg. 1991, I-4151 (4184 Rdnr. 13) – Aragonesa; Slg. 1992, I-4431 (4480 Rdnr. 34) – Kommission ./. Belgien. 211

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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schenmodelle bewirkten mittelbaren Diskriminierungen fänden, so daß diese Modelle im Ergebnis als grundfreiheitswidrig einzustufen wären. In jüngerer Zeit lassen sich indes in einer Reihe von Urteilen des EuGH213 bereichsübergreifend für alle Grundfreiheiten Systembrüche dahingehend feststellen, daß der Gerichtshof für mittelbar diskriminierende Maßnahmen nicht nur auf die explizit im Vertrag genannten Gründe, sondern auch auf die Allgemeininteressen rekurriert.214 Dabei meidet er zwar meist den Begriff der Diskriminierung und spricht allgemein von Beschränkung,215 obwohl beispielsweise Generalanwalt Giuseppe Tesauro im Fall Decker auf die genaue Einordnung der streitigen nationalen Maßnahme gedrungen hatte.216 Gleichwohl handelte es sich um mittelbar diskriminierende Maßnahmen, so daß eine „Inkonsistenz“ der Rechtsprechung festzustellen ist.217 b) Rechtsprechung Im folgenden soll die Rechtsprechung, in der der EuGH zwingende Gründe des Allgemeininteresses als Rechtfertigungsgründe für Eingriffe der Mitgliedstaaten in die Grundfreiheiten anerkannt hat, obwohl es dort jeweils um mittelbare Diskriminierungen ging, genauer analysiert werden. aa) Bachmann In dem Urteil Bachmann handelte es sich um eine belgische Regelung, welche die Steuerabzugsfähigkeit von Beiträgen zu bestimmten Versicherungen davon abhängig machte, daß diese im Inland gezahlt worden waren. 213 Vgl. zum Beispiel EuGH, Slg. 1998, I-4695 (4721) – Imperial Chemical Industries; Slg. 1998, I-1931 (1945 f.) – Kohll. 214 Vgl. etwa EuGH, Slg. 2003, I-721 (740 Rdnr. 21 ff.) – Kommission ./. Italien; Slg. 2001, I-2099 (2185 Rdnr. 73 ff.) – Preussen Elektra; Slg. 2000, I-4139 (4174 Rdnr. 42) – Angonese; Slg. 1998, I-2521 (2547 ff. Rdnr. 31–37) – Clean Car Autoservice; Slg. 1998, I-1831 (1884 Rdnr. 39) – Decker; Slg. 1998, I 1931 (1948 Rdnr. 41) – Kohll; Slg. 1998, I-4695 (4722 f. Rdnr. 25 ff.) – Imperial Chemical Industries; Slg. 1997, I-2471 (2500 f. Rdnr. 26 ff.) – Futura Participation; Slg. 1995, I-2493 (2516 Rdnr. 24) – Wielockx; Slg. 1992, I-249 (279 Rdnr. 9, 284 f. Rdnr. 31 f.) – Bachmann; Slg. 1992, 305 (317 Rdnr. 7, 319 Rdnr. 14–16) – Kommission ./. Belgien; Slg. 1992, I-3351 (3384 Rdnr. 29 ff.). – Ramrath. Vgl. zum ganzen W. Kahl, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 176 Rdnr. 20 m. w. N. in Fn. 53; siehe auch A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 143 f.; R. Streinz/S. Leible, EuZW 2000, 459 (462 f.). 215 EuGH, Slg. 1998, 1931 (1945 f.) – Kohll. 216 Vgl. GA G. Tesauro, SchlA, Slg. 1998, I-1834 (1860 Nr. 46 ff., insbesondere Nr. 50) – Decker. 217 T. Kingreen/R. Störmer, EuR 1998, 263 (267).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Der EuGH stellte hier fest, daß sich die zu beurteilende Maßnahme besonders zum Nachteil ausländischer Arbeitnehmer auswirke.218 Gleichwohl rechtfertigte er sie unter dem Gesichtspunkt der Kohärenz des Steuersystems,219 einem ungeschriebenen Grund des Allgemeininteresses.220 Teile des Schrifttums interpretierten diese Judikatur in der bereits angesprochenen Weise,221 daß es hier nicht um eine Rechtfertigung aus Gründen des Allgemeininteresses gehe, sondern allein darum, den Diskriminierungstatbestand zu konkretisieren. Eine Ungleichbehandlung stelle nur dann eine Diskriminierung dar, wenn sie nicht auf objektiven Überlegungen beruhe.222 In der Tat fällt auf, daß der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Feststellung des Vorliegens einer ungerechtfertigten Diskriminierung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht auf die zwingenden Erfordernisse beziehungsweise auf die Gründe des Allgemeininteresses rekurriert. Dies mag auf den ersten Blick den Schluß nahe legen, die Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse erstrecke sich lediglich auf unterschiedslos anwendbare staatliche Vorschriften. Dieser Sichtweise ist indes zu widersprechen. In dem Urteil Bachmann geht es nämlich nicht nur um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, sondern auch um die Dienstleistungsfreiheit. Diesbezüglich prüfte der EuGH ausdrücklich den Rechtfertigungsgrund der Kohärenz des Steuersystems unter dem Aspekt des „im Allgemeininteresses verfolgten Zwecks“223. Es widerspräche jedoch der Konvergenz der Grundfreiheiten, wenn bei der Arbeitnehmerfreiheit die Kohärenz des Steuersystems im Rahmen des Diskriminierungsbegriffs zu erörtern wäre, bezüglich der weiteren einschlägigen Grundfreiheiten dieses Schutzguts aber bei der Rechtfertigung herangezogen würde. Daher ist festzuhalten, daß der Gerichtshof in der Entscheidung Bachmann eine mittelbare Diskriminierung durch ein zwingendes Erfordernis legitimierte. bb) Clean Car Autoservice Als Beleg für diese Sichtweise ist weiterhin das Urteil Clean Car Autoservice heranzuziehen. Hier ging es um eine österreichische Regelung, die einer Gesellschaft mit einem nicht in Österreich wohnhaften Geschäftsfüh218

EuGH, Slg. 1992, I-249 (279 Rdnr. 9) – Bachmann. EuGH, Slg. 1992, I-249 (279 Rdnr. 9, 284 f. Rdnr. 31 f.) – Bachmann; ähnlich auch Slg. 1992, 305 (317 Rdnr. 7, 319 Rdnr. 14–16) – Kommission ./. Belgien. 220 So auch A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 394. 221 Vgl. oben 3. Teil A. II. 2 c) bb) (1) (b). 222 S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S. 60; A. Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 108. 223 EuGH, Slg. I-249 (284 Rdnr. 32) – Bachmann; ähnlich auch Slg. 1992, I-305 (321 Rdnr. 23) – Kommission ./. Belgien. 219

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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rer die Anmeldung zur Gewerbeausübung verwehrte. Der EuGH setzte sich in seltener begrifflicher Deutlichkeit mit dem Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung auseinander,224 wobei er zugleich das Vorliegen von ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen wie die Ermöglichung der Zustellung und Vollstreckung von Strafen gegen den Geschäftsführer sowie ein Betätigungsgebot im Betrieb diskutierte.225 Dennoch wird die scheinbar klare Sicht auf eine dogmatische Erkenntnis des EuGH durch die Tatsache getrübt, daß der Gerichtshof bei Durchgreifen der ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe häufig bereits das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung verneint, mithin also nicht ausreichend zwischen Tatbestands- und Rechtfertigungsebene differenziert. Da erst im Anschluß an ihre Verneinung eine mittelbare Diskriminierung bejaht wird, erscheint denkbar, daß der Gerichtshof die zwingenden Erfordernisse lediglich zur tatbestandlichen Feststellung einer Diskriminierung erörtert. Gleichwohl kann mit der gebotenen Vorsicht zumindest eine entsprechende Tendenz in der Rechtsprechung konstatiert werden, die durch die vorangegangenen Entscheidungen bereits angedeutet wurde. cc) Ciola Die nach der vorgestellten Rechtsprechung naheliegende Annahme, es handele sich um einen Rechtsprechungswandel, ist durch das Urteil des EuGH vom 29.4.1999 in der Rechtssache Ciola wieder in Zweifel gezogen worden. Eine österreichische Regelung untersagte einem Betreiber eines Bootshafens unter Strafandrohung, Bootsliegeplätze über ein bestimmtes Kontingent hinaus an Eigner mit Wohnsitz im Ausland zu vermieten. Der EuGH bejahte auch hier eine mittelbare Diskriminierung und entschied mit Hinweis auf sein Urteil Bond van Adverteerders226, daß sich innerstaatliche Vorschriften, die nicht unterschiedslos auf alle Dienstleistungen ohne Rücksicht auf den Wohnort anwendbar und somit diskriminierend sind, nur dann mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbaren lassen, wenn sie unter die ausdrückliche Schrankenregelung des EG-Vertrages fallen.227 Damit steht das Urteil im Widerspruch zu der oben festgestellten Tendenz, daß der EuGH im Begriffe ist, auch mittelbare Diskriminierung dem Rechtfertigungsmaßstab aller ungeschriebenen Erfordernisse des Allgemeininteresses zu unterwerfen. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß es sich bei dem Urteil Ciola 224

EuGH, Slg. 1998, I-2521 (2549 Rdnr. 38) – Clean Car Autoservice. EuGH, Slg. 1998, I-2521 (2547 ff. Rdnr. 31–37) – Clean Car Autoservice. 226 EuGH, Slg. 1988, 2085 (2134 Rdnr. 32) – Bond van Adverteerders u. a. 227 EuGH, Slg. 1999, I-2517 (2536 Rdnr. 16) – Ciola. Hervorhebung durch den Verfasser; ablehnend dazu J. Gundel, EuR 1999, 781 (783 ff.); C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (630 f.); skeptisch auch W.-H. Roth, wrp 2000, 979 (982). 225

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

„nur“ um eine Entscheidung einer Dreier-Kammer handelt. Es bleiben daher Zweifel, ob der EuGH die schrankensystematische Gleichbehandlung wirklich rückgängig machen wollte.228 dd) Vestergaard Das nachfolgende Urteil Vestergaard untermauert hingegen die These des umfassenden Rechtsprechungswandel. Zwar hat der Gerichtshof den im Grunde begrüßenswerten Ansatz der Ciola-Entscheidung zu begrifflicher Klarheit wieder aufgegeben und sich im Rahmen der tatbestandlichen Prüfung der Dienstleistungsfreiheit auf den ungenaueren Terminus der Ungleichbehandlung zurückgezogen.229 Im Anschluß daran wurde die Kohärenz des Steuersystems als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund herangezogen.230 Im Hinblick auf mögliche Rechtfertigungsgründe hatte Generalanwalt Antonio Saggio zunächst an die vom Gerichtshof vertretene Trennung zwischen vertraglich niedergelegten und ungeschriebenen nationalen Regelungsinteressen erinnert, bevor er auf die gerade im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs schwankende Handhabung der tatbestandlichen Einordnung einer mitgliedstaatlichen Vorschrift vor dem Hintergrund des davon abhängigen Zugangs zu den verschiedenen Rechtfertigungskategorien hinwies.231 Der EuGH verzichtete auf jegliche weitere Abgrenzung im Rechtfertigungsbereich und stellte grundsätzlich fest, daß sowohl die „Notwendigkeit, die Kohärenz des Steuersystems zu wahren“, als auch „die Wirksamkeit der Steuerkontrollen“ als mögliche Rechtfertigungsgründe für Regelungen anzuerkennen sind, die die vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten einschränken können.232 ee) Angonese Durch die Plenarentscheidung des EuGH in der Rechtssache Angonese, wird das Festhalten an der eingeschlagenen Richtung untermauert. Ein privater Arbeitgeber verpflichtete die Bewerber in einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Personal, ihre Sprachkenntnisse durch ein ausschließlich in der Provinz Bozen ausgestelltes Diplom nachzuweisen. Der EuGH quali228 Vgl. auch C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (631); kritisch auch A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum Beschränkungsverbot, 2004, S. 164, der das Urteil Ciola als „Fremdkörper“ bezeichnet. 229 EuGH, Slg. 1999, I-7641 (7666 Rdnr. 22) – Vestergaard. 230 EuGH, Slg. 1999, I-7641 (7666 f. Rdnr. 23 ff.) – Vestergaard. 231 GA A. Saggio, SchlA, Slg. 1999, I-7641 (7652 f. Rdnr. 30 f.) – Vestergaard. 232 EuGH, Slg. 1999, I-7641 (7666 Rdnr. 23) – Vestergaard.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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fizierte dieses Erfordernis als „Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit“233. Das Erfordernis unterfalle nicht lediglich dem geschriebenen Rechtfertigungsmaßstab des Art. 48 EG (jetzt Art. 39 EG), sondern könne bereits dann gerechtfertigt werden, wenn es „auf sachliche Erwägungen gestützt wäre, die unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen und in bezug auf das berechtigterweise verfolgte Ziel verhältnismäßig sind“234. Da vorliegend keine staatliche, sondern eine private Maßnahme Prüfungsgegenstand war, wurde hierin eine Weiterentwicklung des Rechtfertigungsmaßstabs der ungeschriebenen Gründe speziell für den Fall der Drittwirkung der Grundfreiheiten gesehen.235 Bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit wird allerdings in ständiger Rechtsprechung von objektiven, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen anstatt von Allgemeinwohlinteressen gesprochen.236 Daher ist zweifelhaft, ob die „sachlichen Erwägungen“ und die „objektiven Erwägungen“ unterschiedliche Rechtfertigungsmaßstäbe darstellen sollen.237 Diese Frage muß hier jedoch nicht vertieft werden, denn der EuGH hat im Ergebnis jedenfalls bei diskriminierenden Regelungen ungeschriebene Rechtfertigungsgründe zugelassen. ff) Kommission ./. Italien Das aus dem Jahre 2003 stammende Urteil Kommission ./. Italien zur Dienstleistungsfreiheit belegt nun eindeutig den umfassenden Rechtsprechungswandel im Hinblick auf die schrankensystematische Gleichbehandlung von mittelbarer Diskriminierung und Beschränkung. Dort ging es um die Frage, ob der kostenlose Eintritt zu kommunalen Museen an die Ansässigkeit in einer Region/Gemeinde beziehungsweise an die Staatsangehörigkeit geknüpft werden darf. Zunächst führte der EuGH aus, daß die Dienstleistungsfreiheit alle verschleierten Formen der Diskriminierung verbietet, wozu auch eine Maßnahme gehört, die eine Unterscheidung nach dem Wohnsitz trifft, da sie sich hauptsächlich zum Nachteil von Angehörigen fremder Staaten auswirkt.238 Sodann zog er für ihre Rechtfertigung ausdrücklich zwingende Gründe des Allgemeininteresses, darin eingeschlossen die Kohärenz des Steuersystems, in Erwägung.239 Diese Ausführungen sind umso bemerkenswerter, als daß erstens die Generalanwältin Christine StixHackl explizit die Anwendbarkeit der zwingenden Gründe des Allgemein233 234 235 236 237 238 239

EuGH, Slg. 2000, I-4139 (4173 f. Rdnr. 37 ff., 4175 Rdnr. 45) – Angonese. EuGH, Slg. 2000, I-4139 (4174 Rdnr. 42) – Angonese. U. Forsthoff, EWS 2000, 389 (395). Vgl. unten Fn. 21. So auch A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 405 Fn. 386. EuGH, Slg. 2003, I-721 (738 Rdnr. 13 ff.) – Kommission ./. Italien. EuGH, Slg. 2003, I-721 (740 Rdnr. 21 ff.) – Kommission ./. Italien.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

interesses auf mittelbare Diskriminierungen verneint hatte240 und zweitens der Gerichtshof für eine Legitimation der ebenfalls in diesem Urteil festgestellten unmittelbaren Diskriminierung nur die vertraglich geregelten Ausnahmebestimmungen heranzog.241 gg) Ergebnis Als Ergebnis bleibt damit – allgemeingültig für alle Grundfreiheiten242 – festzuhalten, daß sich die Rechtsprechung des EuGH in der Weise geändert hat, daß nunmehr zur Rechtfertigung mittelbar diskriminierender Maßnahmen alle anerkennenswerten Gründe des Allgemeininteresses herangezogen werden können.243 Wie bereits angesprochen, verwendet der EuGH die zwingenden Erfordernisse häufig zur Konkretisierung des Diskriminierungsbegriffs bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit.244 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird jedoch mit Blick auf die Konvergenz der Grundfreiheiten und die Rechtsklarheit eine einheitliche Definition der Diskriminierung bevorzugt, wobei auf das Prüfen von sachlichen Erwägungen im Tatbestand verzichtet wird.245 Da der EuGH auch bei seiner Begriffsbestimmung der mittelbaren Diskriminierung nicht nur die explizit im Vertrag genannten Gründe, sondern auch zwingende Erwägungen,246 verschoben in den Tatbestand,247 erörtert,248 führen diese divergierenden Ansichten regelmäßig 240

GA C. Stix-Hackl, SchlA, Slg. 2003, I-721 (730 Nr. 35) – Kommission ./. Ita-

lien. 241

EuGH, Slg. 2003, I-721 (739 f. Rdnr. 19 f.) – Kommission ./. Italien. Vgl. zu Art. 39 EG EuGH, Slg. 1992, I-249 (284 Rdnr. 32) – Bachmann; Art. 49 EG schulmäßige Prüfung bei EuGH, Slg. 2003, I-721 (739 f. Rdnr. 19) – Kommission ./. Italien; zu Art. 28 EG EuGH, Slg. 1997, I-3843 (3891 Rdnr. 44 f.) – De Agostini; zu Art. 56 EG EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3137 Rdnr. 49) – Konle sowie zu Art. 43 EG EuGH, Slg. 1995, I-2493 (2516 Rdnr. 24) – Wielockx. 243 Im Ergebnis ebenso A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2004, S. 77; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 90; H.-W. Roth, wrp 2000, 979 (982); M. Burgi, JZ 2006, 305 (306). 244 Vgl. oben 3. Teil A. II. 2. c) bb) (1) (b). P. Steinberg, EuGRZ 2002, 13 (24) erklärt diesen Ansatz mit der stärkeren gleichheitsrechtlichen Dimension des Art. 39 EG und der Parallelität zu den Art. 12, Art. 141 EG. 245 Vgl. oben 2. Teil D. VIII. 1. b) bb) (1). 246 Oftmals verwendet er den Begriff objektive Kriterien. Diese müssen keinen Bezug zur Ungleichbehandlung aufweisen, so daß im Ergebnis Allgemeinwohlinteressen überprüft werden. 247 Zu unterscheiden ist diese Problematik von der Auffassung, daß die zwingenden Erfordernisse tatbestandsausschließende Wirkung besitzen. 248 Vgl. nur EuGH, Slg. 1998, I-2521 (2547 ff. Rdnr. 30 ff.) – Clean Car Autoservice. 242

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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zu dem gleichen Ergebnis, ob letztendlich eine verbotene Beeinträchtigung zu bejahen ist. c) Schrifttum In der Literatur bietet sich bezüglich dieser Frage ein disparates Bild. Aufgrund der vormals inkonsistenten Rechtsprechung sieht sich fast jede Auffassung durch einschlägige Entscheidungen, die angeblich den aktuellen Meinungsstand der Gemeinschaftsgerichte wiedergeben, bestätigt.249 Materielle Argumente werden selten genannt. Nach der früher mehrheitlich im Schrifttum vertretenen Ansicht werden mittelbare Diskriminierungen in schrankensystematischer Hinsicht wie unmittelbare Diskriminierungen behandelt.250 Dies hat zur Konsequenz, daß zur Rechtfertigung der mittelbaren Diskriminierung nur ausdrücklich im EG-Vertrag geregelte Gründe zur Anwendung gelangen. Als Begründung wird neben dem Verweis auf die Rechtsprechung die Überlegung angeführt, daß eine geschickte „Tarnung“ von Diskriminierungen, die der Gesetzgeber durch den Verzicht auf formal diskriminierende Regelungen erreichen könne, nicht durch die Eröffnung von zusätzlichen Rechtfertigungsgründen prämiert werden dürfe.251 Insbesondere das neuere Schrifttum ordnet mittelbare Diskriminierungen den diskriminierungsfreien Maßnahmen zu, so daß sich mitgliedstaatliche Regelungen nach Maßgabe der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigen lassen.252 Als Begründung findet sich auch hier der Bezug auf die 249 So sieht zum Beispiel J. Gundel, Jura 2001, 79 (82 Fn. 37) die Entscheidung Ciola bereits als überholt an, während C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (639) sie als Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung werten. P. Steinberg, EuGRZ 2002, 13 (20 ff.) und C. Zacker/S. Wernicke, Examinatorium Europarecht, 2004, S. 210 gehen davon aus, daß der EuGH in den Bereichen Umwelt-, Steuerund Sozialrecht einen richterrechtlichen Sonderweg einschlägt und nur hier eine Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen durch zwingende Erfordernisse zuläßt. 250 So etwa S. Plötscher, Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht 2003, S. 320; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S. 178 f.; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 739; M. Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, 2000, Art. 49 Rdnr. 99; T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 48; F. Emmert, Europarecht, 1996, S. 336; M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1139. 251 T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 51, 120 f. 252 A. Epiney, in: Bieber/dies. /Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, 2005, § 13 Rdnr. 72 f.; § 14 Rdnr. 39; dies., NVwZ 2002, 1429 (1435); P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 103 f.; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 39 Rdnr. 211, Art. 43 Rdnr. 109, Art. 49 Rdnr. 129; W. Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 34; W. Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/ EGV, 2002, Art. 50 Rdnr. 57; D. Ehlers, in: ders (Hrsg.), Europäische Grundrechte

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

eigene Deutung der EuGH-Rechtsprechung.253 Abgesehen davon, daß sich beide Beeinträchtigungsformen im Einzelfall nur schwer voneinander abgrenzen ließen,254 seien Fälle der mittelbaren Diskriminierung in der Rechtsprechung aufgrund der Weite des Begriffs nicht immer voraussehbar und könnten somit nicht stets als getarnte unmittelbare Diskriminierungen aufgefaßt werden. Häufig verfolgten mitgliedstaatliche Regelungen, die als mittelbare Diskriminierungen anzusehen sind, sachlich völlig legitime Anliegen. Eine Beschränkung auf die eng zu verstehenden explizit geregelten Schranken würde dieser Sachlage keine Rechnung tragen.255 d) Stellungnahme und Ergebnis Eine Analyse der Gebhard-Formel beziehungsweise der Cassis-Rechtsprechung gibt zu diesem Problem wenig Aufschluß. Zwar ist dort, wie bereits erwähnt, von unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen die Rede, so daß man annehmen könnte, daß auch die mittelbaren Diskriminierungen einer Rechtfertigung zugänglich seien.256 Einzig auf dieses sehr formale Wortlautargument kann aber die Erweiterung der Rechtfertigungsmöglichkeiten für mittelbare Diskriminierungen nicht gestützt werden. Die Aufgabe der schrankensystematischen Unterscheidung zwischen beschränkenden und mittelbar diskriminierenden Maßnahmen257 erscheint auch aus dogmatischer und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 90; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 457 f.; M. Schlag, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 43 Rdnr. 53; U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 50; J. Gundel, Jura 2001, 79 (82). In den Ausführungen widersprüchlich, aber im Ergebnis wohl bejahend U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 149 und Rdnr. 154; wohl auch J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 116 ff. 253 Vgl. ausführlich A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2004, S. 71 ff., 98 ff., 136 ff., 155 ff.; U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 149. 254 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 90; U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 30 Rdnr. 41; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 457; C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (631). 255 W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 4 § 4 Rdnr. 487 ff.; J. Gundel, Jura 2001, 79 (82); A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, vor Art. 39–55 Rdnr. 139. 256 So etwa P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 74; ebenso U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 30 Rdnr. 41. 257 Der Frage, ob die schrankensystematische Gleichbehandlung selbst für unmittelbar diskriminierende Regelungen gilt, soll an dieser Stelle nicht nachgegangen

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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Sicht dringend geboten. Insofern ist der Rechtsprechung und dem neueren Schrifttum der Sache nach zuzustimmen. Eine Differenzierung zwängt die Interessenabwägung in ein formales Korsett, das der Komplexität der Konflikte zwischen mitgliedstaatlicher Regelungsgewalt und Wirtschaftsintegration kaum gerecht wird. Die Auswahl der katalogisierten Rechtfertigungsgründe ist letztlich historisch bedingt und kann daher, auch angesichts der ursprünglich durch den Gesetzgeber nicht vorgesehenen Erstreckung der Grundfreiheiten auf mittelbare Diskriminierungen,258 nicht mehr als abschließend angesehen werden.259 Die Notwendigkeit einer Erweiterung ergibt sich auch aus folgender Überlegung. Die Abgrenzung zwischen beschränkenden und mittelbar diskriminierenden Maßnahmen ist problematisch260 und bisweilen schillernd261 und wird – abgesehen von wenigen Ausnahmen262 – vom EuGH nicht immer klar vorgenommen.263 Aufgrund der Weite des Diskriminierungsbegriffs könnte sich herausstellen, daß statt einer diskriminierungsfreien Beschränkung eine mittelbare Diskriminierung vorliegt. Das führt, sofern man nicht der hier vertretenen Ansicht folgt, möglicherweise dazu, daß legitime öffentliche Interessen, die auch das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich billigt, von den Mitgliedstaaten nicht mehr verfolgt werden dürfen. Weiterhin besteht bei Verneinung einer Erweiterung werden. Vgl. aus der Literatur für eine Gleichbehandlung A. Brigola, Das System der Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2004, S. 76; M. Eberhartinger, EWS 1997, 43 (51); A. Epiney, in: Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 30 Rdnr. 3; W. Weiß, EuZW 1999, 493 (497 f.); M. Novak, DB 1997, 2589 (2593); ausführlich H.-W. Roth, wrp 2000, 979 (983 f.); insbesondere in bezug auf den Umweltschutz S. Heselhaus, EuZW 2001, 645 (650). Dagegen A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 413 f.; U. Wölker/G. Grill, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 39 Rdnr. 154; A. Randelzhofer/U. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 39 Rdnr. 211, Art. 43 Rdnr. 109, Art. 49 Rdnr. 129; J. Gundel, Jura 2001, 79 (82). 258 W.-H. Roth, wrp 2000, 979 (983). 259 Zu Art. 30 EG A. Epiney, NVwZ 2002, 1429 (1435); G. Kühne, JZ 2001, 759 (760). 260 Ebenso A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 128; D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 90; siehe auch mit Beispiel P. Steinberg, EuGRZ 2002, 13 (24); auch J. Gundel, Jura 2001, 79 (82). 261 D. H. Scheuing, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 158. 262 Symptomatisch vgl. nur EuGH, Slg. 1999, I-345 (390 Rdnr. 41) – Terhoeve. 263 Siehe zu entsprechenden Unsicherheiten EuGH, Slg. 1992, I-4431 (4480 Rdnr. 34) – Kommission ./. Belgien; Slg. 1994, I-3453 (3505 Rdnr. 59) – Peralta; vgl. auch GA N. Fennely, SchlA, Slg. 1998, I-8033 (8035, 8047 f. Rdnr. 25 f.) – Bluhme; vgl. ferner C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (631), der davon ausgeht, daß der EuGH eine klare Abgrenzung nicht immer leisten kann; so auch W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 50 Rdnr. 56.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

die im Urteil Wallonien zu Tage getretene Gefahr, daß der EuGH auf der Eingriffsebene ergebnisorientiert entscheidet. Dort ging es um eine Regelung der wallonischen Regionalverwaltung, die die Lagerung von Abfällen aus einem fremden Staat untersagte. Die gekünstelte und kaum überzeugende Aussage zur fehlenden Diskriminierung,264 die nach damaliger Ansicht die einzige Möglichkeit bot, den Weg zu einer Rechtfertigung der Regelung durch Gründe des Umweltschutzes frei zu machen, zeigt den Gerichtshofs in den Fesseln seines verfehlten Ansatzes, zwingende Gründe nur zur Rechtfertigung diskriminierungsfreier Regelungen heranzuziehen. Da die Qualifizierung einer mitgliedstaatlichen Regelung als beschränkend oder als mittelbar diskriminierend bisweilen vom Zufall beziehungsweise der genauen Formulierung der Mitgliedstaaten abhängt, erscheint es auch im Sinne der Rechtssicherheit dringend geboten, beide Beeinträchtigungsformen in bezug auf die Rechtfertigung gleich zu behandeln.265 Hinsichtlich des Arguments der Gegenmeinung bezüglich der Gefahr der „strategischen“ Umgestaltungen ist anzumerken, daß eine als mittelbare Diskriminierung ausgestaltete Regelung zwar per definitionem typischerweise ausländische Vergleichsgruppen trifft. Inländer beziehungsweise inländische Waren sind allerdings nicht zwingend von ihrem Geltungsbereich ausgeschlossen, so daß die Maßnahme dann zumindest nicht mehr in gleicher Weise den genannten Kreis benachteiligen kann.266 Zudem erfolgt in jedem Fall auf die grundsätzliche Anerkennung eines Rechtfertigungsgrundes stets noch die Verhältnismäßigkeitsprüfung,267 die als Korrektiv dient268 und eine ausreichende Kontrolle vor Mißbräuchen bietet269. Manipulationsversuche des Gesetzgebers führen daher nicht weit. Die formale Unterscheidung zwischen mittelbar diskriminierenden und beschränkenden Maßnahmen verliert somit im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung an Bedeutung. Der diskriminierende Charakter einer mitgliedstaatlichen Regelung spielt jedoch bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eine 264

Vgl. EuGH, Slg. 1992, I-4431 (4479 f. Rdnr. 35) – Kommission ./. Belgien, wo der EuGH den zweifelsohne gegebenen diskriminierenden Charakter der in Rede stehenden Regelung mit der „Besonderheit der Abfälle“ und den „Grundsätzen der Entsorgungsautarkie und der Entsorgungsnähe“ weginterpretierte. 265 So auch G. Kühne, JZ 2001, 759 (760); A. Epiney, NVwZ 1996, 1429 (1435); C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (631); R. Ruge, EuWZ 2001, 247 (248). 266 So J. Gundel, Jura 2001, 79 (83). 267 Zur gemeinschaftsrechtlichen Ausgestaltung dieses Grundsatzes vgl. E. Pache, NVwZ 1999, 1033 (1033 f.). 268 D. Ehlers, in: ders. (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 90. 269 W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 4 § 4 Rdnr. 490; vgl. auch C. Nowak/J. Schnitzler, EuZW 2000, 627 (631), „sofern der EuGH an der bisher praktizierten Prüfdichte in diesem Bereich festhält“.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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Rolle.270 Der ungleichen Eingriffsqualität von mittelbar diskriminierenden und diskriminierungsfreien Maßnahmen ist nach der vorliegend vertretenen Ansicht mit einer unterschiedlichen Kontrolldichte der Schranken-Schranken Rechnung zu tragen.271 Das bedeutet, daß bei der Legitimation der zuerst genannten Beeinträchtigungsform regelmäßig eine höhere Intensitätsschwelle anzusetzen ist. Zusammenfassend ist als Ergebnis festzustellen, daß zusätzlich zu den beschränkenden auch mittelbar diskriminierende Maßnahmen über die ungeschriebenen Cassis-Kriterien unter Einhaltung einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden können. Dadurch ist eine Abgrenzung beider Eingriffskategorien und damit die Rechtsfigur der mittelbaren Diskriminierung nicht obsolet geworden.272 Die Zuordnung besitzt allerdings nicht mehr derart einschneidende Konsequenzen. Sofern Zweifel an einer Einordnung vorhanden sein sollten, können diese im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. 2. Anwendbarkeit zwingender Erfordernisse auf Art. 18 Abs. 1 EG Das den Unionsbürgern in Art. 18 Abs. 1 EG (Art. I-10 Abs. 2 VV) gewährleistete Recht auf allgemeine Freizügigkeit besteht nur vorbehaltlich der in dem Vertrag oder in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen. Daher könnte man zunächst annehmen, daß eine Rechtfertigung nur durch die ausdrücklich geregelten Gründe möglich ist.273 Als Folge der hier vertretenen tatbestandlichen Weite von Art. 18 Abs. 1 EG einerseits sowie der engen Begrenzung dieser vertraglichen Schutzklauseln andererseits stellt sich das bereits aus der Betrachtung der Marktfreiheiten bekannte Problem: Es wird ein breites Feld mitgliedstaatlicher Vorschriften aus den unterschiedlichsten Rechtsbereichen vom tatbestandlichen Anwendungsbereich der allgemeinen Freizügigkeit erfaßt, ohne 270 Etwa D. H. Scheuing, in: Dolde (Hrsg.), Umweltrecht im Wandel, 2001, S. 158. 271 Ebenso A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 413; M. Burgi, JZ 2006, 305 (306); G. Kühne, JZ 2001, 759 (760); A. Epiney, NVwZ 2002, 1429 (1435). Nach M. Novak, DB 1997, 2589 (2592) soll bei diskriminierenden Maßnahmen eine abschließende Prüfung durch den EuGH erfolgen. Bei diskriminierungsfreien Vorschriften hingegen könne die Verhältnismäßigkeitsprüfung dem nationalen Richter überlassen werden. 272 Vgl. 2. Teil D. VIII. 1. b) bb) (2). 273 So wohl W. Kaufmann-Bühler, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 1; A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 Rdnr. 10.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

daß sich die jeweiligen nationalen Regelungsinteressen rechtfertigen ließen.274 Dieses Problem kann nur durch eine entsprechende Anwendung der Cassis-Doktrin auch auf Art. 18 Abs. 1 EG gelöst werden.275 Da Art. 18 Abs. 1 EG eine den Grundfreiheiten äquivalente Struktur aufweist, und aus diesem Grund mitunter auch als solche qualifiziert wird,276 sind die im Bereich der wirtschaftlichen Grundfreiheiten entwickelten Ausnahmetatbestände ebenfalls entsprechend heranzuziehen. Auch aus dem Zusammenwirken mit Art. 12 Abs. 1 EG (Art. I-4 Abs. 2 VV) ergibt sich nichts anderes. Hinsichtlich des Art. 12 Abs. 1 EG ist zwar fraglich, ob dieser einer Rechtfertigung überhaupt zugänglich ist. Der EuGH hat Zweifel277 hieran richtigerweise dahingehend beseitigt, daß das Verbot mittelbarer Diskriminierungen ein relatives ist und demzufolge entgegen der Ansicht der Kommission278 aus „objektive(n) Gründen gerechtfertigt“ werden kann.279 Bedenkt man, daß Art. 12 Abs. 1 EG als allgemeiner Tatbestand im Verhältnis zu den Grundfreiheiten, deren spezielle Diskriminierungsverbote sowohl ausdrücklich280 als auch ungeschrieben die Möglichkeit einer Rechtfertigung differenzierender Maßnahmen vorsehen, eher in Bereiche hineinreichen kann, die grundsätzlich in der Regelungsgewalt der Mitgliedstaaten verblieben sind, ist nicht verständlich, warum hier objektiv rechtfertigende Gründe von vornherein ausgeschlossen sein sollen. Zudem ist Art. 12 Abs. 1 EG wie auch Art. 18 Abs. 1 EG nur eine spezielle Konkretisierung des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatzes, der in seiner Grundform davon ausgeht, daß bei jedem verbotenen Anknüpfungsmerkmal zwingende Ausnahmegründe vorstellbar sind.281 Es ist somit auch für das aus Art. 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG hergeleitete Inländer274

Vgl. oben 4. Teil A. I. 1. Im Ergebnis wie hier A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 355; I. Niemann, EuR 2004, 946 (953). 276 So EuGH, Slg. 2000, I-9265 (9297 Rdnr. 23 f.) – Yiadom; M. Haag, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 6; a. A.A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 18 Rdnr. 1; S. Magiera, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 18 Rdnr. 10; W. Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 18 Rdnr. 9, die Art. 18 EG als Grundrecht auffassen. 277 Vgl. dazu R. Streinz/S. Leible, IPrax 1998, 162 (168). 278 Vgl. EuGH, EuZW 2005, 465 (466 Rdnr. 51) – Kommission ./. Österreich. 279 EuGH, EuZW 2005, 465 (466 Rdnr. 48 ff.) – Kommission ./. Österreich; Slg. 2002, I-6191 (6224 Rdnr. 36) – D’Hoop; ebenso R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 12 Rdnr. 55; A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 12 Rdnr. 42 m. w. N. 280 Stellt man allein auf die ausdrückliche Benennung ab, so könnte hieraus auch der Umkehrschluß gezogen werden. 281 Vgl. EuGH, Slg. 1998, I-2265 (2301 Rdnr. 114) – Vereinigtes Königreich ./. Kommission. 275

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gleichbehandlungsgebot von einer umfassenden Rechtfertigungsstufe auszugehen, innerhalb derer die vertraglichen Schutzklauseln nur den besonderen Ausdruck einer weitergehenden Kategorie schützenswerter mitgliedstaatlicher Allgemeininteressen bilden.282 Die hier vertretene Ansicht entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH, der beispielsweise im Fall D’Hoop ohne Problematisierung eine mögliche Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 18 EG durch ungeschriebene Gründe untersucht.283 3. Gewinnung und inhaltliche Bestimmung zwingender Erfordernisse In der Literatur ist der Frage, welche konkreten Regelungsanliegen für eine Anerkennung als zwingende Erfordernisse in Betracht kommen, bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.284 Im Laufe der vergangenen 25 Jahre hat der EuGH mitunter sehr umfangreiche und nuancierte Fallgruppen der zwingenden Erfordernisse entwickelt. Die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs zeigt, daß die im Rahmen einer bestimmten Grundfreiheit anerkannten Allgemeininteressen auch zur Verteidigung nationaler Regelungen gegenüber allen anderen Grundfreiheiten geltend gemacht werden können.285 Mit dieser vereinheitlichenden Judikatur ziehen tatbestandliche Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich in den Grenzbereichen zwischen den Grundfreiheiten stellen können, auf der Rechtfertigungsebene nicht auch noch weitere dogmatische Abgrenzungsprobleme nach sich. Im folgenden soll der Versuch unternommen werden, anhand der Rechtsprechung des Gerichtshofs allgemeingültige, inhaltliche Anforderungen herauszuarbeiten, die für alle, insbesondere zukünftig anerkennenswerte Allgemeininteressen gelten. Bevor auf die Entwicklung einer allgemeinen Leitlinie zur Erfassung zwingender Erfordernisse eingegangen wird, soll zunächst kurz die durch die Judikatur des EuGH geschaffene Ausgangslage skizziert werden. 282 Im Ergebnis ebenso A. Cordewener, Nationales Steuerrecht und europäische Grundfreiheiten, 2002, S. 355. 283 EuGH, Slg. 2002, I-6191 (6224 f. Rdnr. 36 ff.) – D’Hoop; vgl. auch EuGH, EuZW 2005, 276 (278 Rdnr. 54) – Bidar. 284 Für den Bereich der Warenverkehrsfreiheit jedoch grundlegend M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 248 ff.; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 200 ff. 285 Vgl. nur EuGH, Slg. 1997, I-3689 (3715 Rdnr. 18) – Vereinigte Familiapress, Slg. 1998, I-1931 (1948 Rdnr. 41) – Kohll; ausdrücklich auch GA J. Mischo, SchlA, Slg. 1999 I-2835 (2848 f. Nr. 62) – Pfeiffer; zustimmend auch A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 138.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

a) Inhaltliche Offenheit der Cassis-Formel In seiner grundlegenden Entscheidung Cassis de Dijon gab der EuGH durch das Voranstellen des Begriffs „insbesondere“ deutlich zu erkennen, daß der nachfolgenden Auflistung zwingender Erfordernisse lediglich Beispielcharakter zukommt, diese aber nicht als abschließend anzusehen ist.286 Die inhaltliche Offenheit der Cassis-Formel hat ihren Grund in ihrer Legitimation und Konzeption als immanente Schranke. Aus dem Prinzip der enumerativen Einzelermächtigung folgt, daß die Mitgliedstaaten grundsätzlich jeden beliebigen Regelungszweck verfolgen können, sofern sie es für notwendig erachten.287 Diese einzelstaatlichen Belange sind ihrerseits jedoch so vielfältig und variabel, daß eine abschließende Aufzählung nicht möglich erscheint.288 Die Gemeinschaft kann und darf andererseits nicht sämtliche Regelungsziele des staatlichen Zusammenlebens berücksichtigen. Somit entspricht es der Aufgabe der Mitgliedstaaten, von ihnen als anerkennenswert erachtete Anliegen im Rahmen ihrer Rechtsordnung zu schützen.289 Diese Ausführungen dürfen jedoch nicht zu der Annahme verleiten, daß ein Mitgliedstaat lediglich ein zwingendes Erfordernis behaupten könnte und der Gerichtshof habe das vorgegebene Regelungsbedürfnis nicht mehr bezüglich seiner Anerkennungsfähigkeit im Gemeinschaftsrecht zu überprüfen, sondern nur mit der einschlägigen Grundfreiheit abzuwägen.290 Vielmehr formuliert der EuGH wiederholt, daß eine staatliche Maßnahme „ein nach Gemeinschaftsrecht gerechtfertigtes Ziel verfolgen muß“. Als Beispiel mag ein Urteil zum Verbot der Ladenöffnung am Sonntag dienen, in dem der EuGH ausführt, daß eine staatliche Festlegung von Arbeits- und Verkaufszeiten für Bäcker eine Entscheidung darstellt, „die den im allgemeinen Interesse liegenden Zielen des Vertrages entspricht“291. Zudem ergibt sich aus der Kompetenzzuweisung des Art. 220 EG (Art. I-29 VV), daß über die Anerkennung und Reichweite letztlich verbindlich nur der EuGH zu entscheiden hat.292 Auch in der Literatur ist daher weitgehend anerkannt, daß das Allgemeininteresse gemeinschaftsrechtlich zu bestimmen ist.293 Was 286

EuGH, Slg. 1979, 649 (662 Rdnr. 8) – Rewe. M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 249; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 201. 288 Ebenso I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 201. 289 R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 253. 290 So aber H. D. Jarass, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling, Bd. I, 1995, S. 593 (606); ähnlich auch A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 139. 291 EuGH, Slg. 1989, 3851 (3888 f. Rdnr. 13) – Torfaen. 292 I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 209. 287

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genau hierunter zu verstehen ist, wird anhand der nachfolgenden Ausführungen verdeutlicht. b) Herleitung zwingender Erfordernisse Nach diesen Überlegungen stellt sich zunächst die Frage, welche Rechtsquellen für die Anerkennung der Allgemeininteressen in Betracht kommen. Bei der Untersuchung der einschlägigen Rechtsprechung ist, soviel sei vorab angemerkt, erstens festzustellen, daß der EuGH in der Regel auf eine positive Herleitung des eingreifenden zwingenden Erfordernisses verzichtet, selbst wenn es sich explizit auf Bestimmungen des EG-Vertrags zurückführen läßt.294 Zweitens ist die Tendenz erkennbar, daß sich nicht die Allgemeinwohlinteressen aus den Zielvorstellungen des EG-Vertrages ableiten, sondern vielmehr die Entwicklung in der Cassis-Rechtsprechung umgekehrt einen Hinweis für den Gemeinschaftsgesetzgeber darstellt, ein bestimmtes Anliegen in den EG-Vertrag aufzunehmen. Durch die fortschreitende, weite Interpretation der Grundfreiheiten wurden immer mehr Felder der Politik und des Rechts erfaßt, die in der Rechtsordnung einer überwiegend wirtschaftlich ausgerichteten Gemeinschaft noch nicht zum Ausdruck kamen und deren legitime Anliegen der Gerichtshof aber nicht ignorieren konnte und wollte.295 So waren beispielsweise der Umweltschutz, der Verbraucherschutz sowie die Ziele der Kulturpolitik bereits vom Gerichtshof als zwingende Erfordernisse anerkannt, bevor der Gesetzgeber sie in den EG-Vertrag aufnahm. In anderen Bereichen wie etwa der Erhaltung der Sozialsysteme oder der Verbesserung der Arbeitsbedingungen bestanden zwar Ansätze im geschriebenen Gemeinschaftsrecht, die auf bestimmte diesbezügliche Zielvorstellungen schließen lassen konnten, eine Konkretisierung fand jedoch erst später durch die Einheitliche Europäische Akte und den EG-Vertrag statt.296 Schließlich gibt es auch anerkannte zwingende Erfor293 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu Art. 30 EGV, 1997, S. 249; A. Deringer, in: Grewe/Rupp/Schneider (Hrsg.), FS Kutscher, 1981, S. 95 (100); C.-D. Ehlermann, in: Stödter/Thieme (Hrsg.), FS Ipsen, 1977, S. 579 (592); P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 206; E. Steindorff, wrp 1993, 139 (142). Vgl. auch I. Millarg, Die Schranken der Warenverkehrsfreiheit in der EG, 2001, S. 210 f. 294 Vgl. als Ausnahme EuGH, Slg. 1988, 4607 (4630) – Kommission ./. Dänemark. 295 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu Art. 30 EGV, 1997, S. 250. 296 Vgl. hierzu im einzelnen M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 185 ff.; 193 ff.

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dernisse wie die Lauterkeit des Handelsverkehrs oder die wirksame steuerliche Kontrolle, die bis heute nicht als Zielvorstellungen vertraglich normiert sind. Nachdem zwar dieser Vorgang integrationspolitisch erklärbar ist, besteht dennoch die Notwendigkeit, die möglichen rechtlichen Grundlagen der zwingenden Erfordernisse zu benennen und sie zur Ausfüllung der Cassis-Formel heranzuziehen. Die Annahme eines zwingenden Erfordernisses, also eines Allgemeinwohlinteresses, das so gewichtig ist, daß es eine Einschränkung der Grundfreiheiten zu legitimieren vermag, bedarf der positiven Begründung. Unter diesen Vorzeichen sollen zunächst die möglichen Rechtsquellen betrachtet werden, die für eine Herleitung gemeinschaftsrechtlich anzuerkennender Allgemeininteressen in Betracht kommen. Hierzu ist von zwei unterschiedlichen Ansätzen auszugehen: Der erste Ansatz besteht in der ausschließlichen Anknüpfung an die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, der zweite bezieht sich auf die Gewinnung von Wertungen und Zielvorstellungen für zwingende Erfordernisse durch Rechtsvergleichung der mitgliedstaatlichen Regelungen. aa) Herleitung aus dem geschriebenen Gemeinschaftsrecht Die durch den EuGH getroffene Voraussetzung, daß zwingende Erfordernisse ein durch Gemeinschaftsrecht verfolgtes Ziel wiedergeben müssen, deutet zunächst darauf hin, daß der EG-Vertrag eine mögliche Rechtsquelle zur Gewinnung der Schutzgüter darstellt.297 In Betracht kommen dabei nicht nur die Vertragsziele im Sinne der Art. 2 EG (Art. I-3 VV) und Art. 3 EG, sondern auch die weiteren Bestimmungen, insbesondere die Präambel.298 Eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch andere Vorschriften des EG-Vertrages erscheint plausibel, da sich im Gemeinschaftsrecht wie in anderen Rechtsordnungen299 auch Zielkonflikte ergeben können, die eine wechselseitige Begrenzung der widerstreitenden Grundprinzipien erforderlich machen. Die alleinige Beschränkung der Herleitung der zwingenden Erfordernisse auf den EG-Vertrag stößt allerdings auf Bedenken. Der EuGH hätte bei diesem engen Anknüpfungspunkt einen Großteil der von ihm entwickelten Fallgruppen gar nicht – oder zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht – entwickeln dürfen. Er geht demnach offenkundig davon aus, daß 297 W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 4 § 4 Rdnr. 498; M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 251; vgl. auch U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 30 Rdnr. 37. 298 I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 216 mit einer Aufzählung der wesentlichen Bestimmungen. 299 Vgl. zum Grundgesetz und der Kollision von Grundrechten und anderen Verfassungsprinzipien BVerfGE 30, 173 (193 f.).

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sich die zwingenden Erfordernisse nicht allein aus den geschriebenen Bestimmungen des Primärrechts ergeben müssen. Dieser Ansicht ist aus folgenden Gründen zuzustimmen. Ohne das Korrelat der ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe wäre eine starke Ausweitung des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten durch die Dassonville-Rechtsprechung schwer durchführbar gewesen, ohne die wiederum die Verwirklichung des Binnenmarktes stark verlangsamt und nicht annähernd mit dem heutigen Stand vergleichbar wäre.300 Zweifel erweckt die Beschränkung der Herleitung unter Abstützung auf den EG-Vertrag auch insofern, als daß der EG-Vertrag die Aufgaben und Ziele der Gemeinschaft nennt. Demgegenüber beschreiben die zwingenden Erfordernisse die Zielvorstellungen der Mitgliedstaaten, die diese zulässigerweise verfolgen dürfen. Die Zielvorstellungen, zu denen die Mitgliedstaaten die Kompetenz besitzen, sind aber gerade nicht positiv im Gemeinschaftsrecht formuliert.301 Die Feststellung des Gerichtshofs, daß nur ein nach dem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigtes Ziel als zwingendes Erfordernis in Betracht kommt, kann daher nicht in dem Sinn verstanden werden, daß dieses positiv im EG-Vertrag normiert sein muß. Vorausgesetzt wird vielmehr, daß dem Regelungsziel die ausdrücklich formulierten Vertragsziele nicht entgegenstehen dürfen.302 Vereinzelt hat sich der EuGH bei der Ausfüllung der Cassis-Formel auch des sekundären Gemeinschaftsrechts bedient.303 Zwar verfolgen sekundärrechtliche Regelungen, gerade im Bereich der Harmonisierung des Binnenmarktes, oftmals gleichgelagerte Zielvorstellungen wie die von den Mitgliedstaaten unter Berufung auf die zwingenden Erfordernisse erlassenen Vorschriften. Dennoch ist eine Heranziehung dieser Quelle nur mit größter Vorsicht möglich. Aufgrund seiner hierarchischen Nachrangigkeit kann das Sekundärrecht als alleinige Legitimationsgrundlage für die Anerkennung einzelstaatlicher Regelungsinteressen nicht in Betracht kommen. Es besteht aber die Möglichkeit, es für eine zusätzliche Bestätigung anderweitig aufgefundener zwingender Erfordernisse heranzuziehen.304

300 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 252. 301 Vgl. I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 217. 302 So auch M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 253. 303 EuGH, Slg. 1989, 1235 (1252 f. Rdnr. 16) – Buet, bezugnehmend auf die Begründungserwägung einer Richtlinie. 304 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 266; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 219.

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bb) Herleitung aus dem ungeschriebenen Gemeinschaftsrecht (1) Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts Für die Herleitung zwingender Erfordernisse aus dem ungeschriebenen EG-Recht kommt zunächst der Rückgriff auf die der Gemeinschaftsrechtsordnung selbst immanenten allgemeinen Rechtsgrundsätze in Betracht. Diese werden unmittelbar dem Gemeinschaftsrecht entnommen,305 wobei jedoch im einzelnen über die Methode der Ermittlung viele Unklarheiten bestehen, die vorliegend nicht thematisiert werden müssen.306 (2) Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Aus der Rechtsprechung des EuGH307 ergibt sich, daß der Gerichtshof zudem die im Wege der wertenden Rechtsvergleichung308 fruchtbar gemachten einzelstaatlichen Rechtsordnungen309 als Quelle und Ursprung der Allgemeininteressen ansieht. Bei der Schöpfung des Gemeinschaftsrechts war den Mitgliedstaaten bewußt, daß dieses nicht vollkommen ist.310 Da die Gemeinschaftsrechtsordnung ihre Basis in den nationalen Rechtsordnungen und damit in den Struktur- und Rechtsprinzipien Letzterer hat, spielt seit jeher der Rückgriff auf die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsätze311 zur Lückenschließung eine bedeutsame Rolle.312 Insbesondere im Bereich des Grundrechtsschutzes äußert sich der EuGH dementsprechend zum Rechtsgewinnungsprozeß dahingehend, daß er 305 H. Lecheler, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 1967, S. 150 ordnet die der Gemeinschaftsordnung immanenten Rechtsgrundsätze wohl dem geschriebenen Gemeinschaftsrecht zu. Dies überzeugt nicht, da es sich bei diesen gerade nicht um schriftlich festgelegtes Recht handelt. 306 Vgl. zu diesem Problem W. Kahl, Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 76 ff. 307 Vgl. EuGH, Slg. 1982, 707 (717 Rdnr. 9) – Beele; Slg. 1985, 2605 (2625 Rdnr. 19 f.) –Cinéthèque. 308 Zu Begriff und Funktion der wertenden Rechtsvergleichung siehe A. Bleckmann, NVwZ 1993, 824 (826). 309 Darunter ist sowohl das Verfassungsrecht als auch einfaches Gesetzesrecht zu verstehen; vgl. auch W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 4 § 4 Rdnr. 499. 310 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 261; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 223. 311 Als Beispiel siehe etwa EuGH, Slg. 1960, 1163 (1188) – Humblet; Slg. 1969, 43 (51 Rdnr. 13) – Klomp. 312 B. Schaffarzik, Hdb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 611.

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„bei der Gewährleistung dieser Rechte von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen auszugehen hat“. Hiernach könne er keine Maßnahmen als rechtens anerkennen, die nicht mit den von den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Grundrechte vereinbar sei.313 Im Gegensatz zu den zwingenden Erfordernissen rekurriert der EuGH hier explizit auf die Gemeinsamkeiten der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Berücksichtigt man, daß die Cassis-Formel die Ausübung jener mitgliedstaatlichen Kompetenzen ermöglichen soll, die wegen der nur beschränkten Ermächtigung der Gemeinschaft im EG-Vertrag fortbestehen und die von den Mitgliedstaaten weiterhin ausgeübt werden sollen, so ist der damit angesprochene Bestand nationaler Befugnisse naturgemäß auf eine Gewinnung aus den Wertungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen angewiesen.314 Insofern bedarf es auch bei der Herleitung zwingender Erfordernisse der rechtsvergleichenden Analyse der nationalen Rechtsordnungen. Diese sind daraufhin zu untersuchen, welche Regelungsinteressen dort als legitim angesehen werden. Hierbei ist die Theorie des kleinsten gemeinsamen Nenners wegen ihrer geringen Praktikabilität und Effektivität abzulehnen.315 Die zwingenden Erfordernisse dienen im Gemeinschaftsrecht in erster Linie der Gewährleistung wertkonstituierender Positionen gegenüber den EG-Organen. Orientiert man sich dabei an dem Staat mit dem relativ schwächsten Garantiesystem, wären die Güter im Widerspruch zur generellen Zielsetzung der Allgemeinwohlinteressen in der Gemeinschaft kaum jemals ausreichend geschützt. Auch das Modell der Maximallösung erscheint nicht vorzugswürdig. Zwingende Erfordernisse, die nur in der Rechtsordnung eines einzigen Mitgliedstaates vorkommen, können nicht mit dem Beiwort „allgemein“ belegt werden.316 Vielmehr sind mit dem EuGH317 im Rahmen einer wertenden Rechtsvergleichung auch solche rechtlichen Lösungen zu akzeptieren, an denen sich die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen tendenziell orientieren.318 Die mangelnde Akzeptanz in bloß einer nationalen Rechtsordnung 313

EuGH, Slg. 1974, 491 (507 Rdnr. 13) – Nold ./. Kommission. Im Ergebnis ebenso M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 262; I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 226 f. 315 So auch T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 264; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 145 f.; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 47; wohl auch J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 125. 316 B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 625 f. 317 Grundlegend EuGH, Slg. 1974, 491 (507 Rdnr. 13) – Nold ./. Kommission; Slg. 1979, 3727 (3744 f. Rdnr. 15) – Hauer; vgl. auch Slg. 1982, 707 (717 Rdnr. 9) – Beele. 314

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steht der gemeinschaftsrechtlichen Geltung eines solchen Allgemeininteresses nicht entgegen.319 So wandte der Gerichtshof beispielsweise Art. 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte an, obwohl zwei der damals zwölf Mitgliedstaaten nicht an den Pakt gebunden waren.320 Die jeweilige Ausrichtung der zwingenden Erfordernisse auf die nationalen Rechtskreise, in denen die betreffende Position überwiegend geschützt wird, läßt nämlich das Interesse der übrigen Staaten an der Konservierung ihres Garantiesystems unberührt. Ist die Europäische Gemeinschaft an ein allgemeines Prinzip gebunden, das in diesen Staaten nur mit geringerer Reichweite oder überhaupt nicht gilt, so unterliegt die von ihnen grundsätzlich zu respektierende Ausübung gemeinschaftlicher Hoheitsrechte einem sich möglicherweise zu ihren Gunsten auswirkenden beschränkenden Regulativ. Andererseits werden Inhalt und Ausmaß der innerstaatlichen Gewährleistungen durch den weiter gehenden Schutz auf der Ebene der Gemeinschaft nicht präjudiziert, da sich der Vorrang des EG-Rechts nicht auch auf die zwingenden Erfordernisse erstreckt. Es darf jedoch nicht das interne Recht eines oder mehrerer Mitgliedstaaten dem herzuleitenden Grundsatz geradezu widersprechen.321 In wie vielen nationalen Rechtsordnungen das Allgemeinwohlinteresse verankert sein muß, wird aus den Urteilen des EuGH nicht ersichtlich. Vielmehr schenkt der Gerichtshof den genauen inhaltlichen Abmessungen eines Rechtsprinzips in der Regel eher geringe Beachtung. Für die Wirksamkeit gemeinschaftserheblicher zwingender Erfordernisse genügt es einer nicht unumstrittenen Ansicht zufolge, daß diese von der überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten befolgt werden.322 Die Angabe einer konkreten Anerkennungsquote ist für die vorliegende Untersuchung allerdings, wie sich noch zeigen wird, unerheblich. Einzelstaatliche Werte und Wertungen können dennoch auch bei überwiegender Anerkennung nicht beliebig in das Gemeinschaftsrecht übernommen und implantiert werden. Vielmehr ist bei dieser Rezeption von besonderer Bedeutung, daß sich die Regelungsanliegen in die Strukturen und Ziele der Gemeinschaft einfügen, um als zwingende Erfordernisse Bestand zu haben.323 Dabei sind 318 P. M. Huber, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 220 Rdnr. 14; ebenso M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 15 f. 319 Ebenso M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 51. 320 Vgl. EuGH, Slg. 1989, 3283 (3351 Rdnr. 31) – Orkem ./. Kommission; vgl. auch Slg. 1978, 1365 (1379 Rdnr. 26/29) – Defrenne ./. Sabena. 321 B. Schaffarzik, Hdb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 626; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 151; R. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 402. 322 Vgl. beispielhaft EuGH, Slg. 1989, 3283 (3351 Rdnr. 31) – Orkem ./. Kommission; vgl. auch Slg. 1978, 1365 (1379 Rdnr. 26/29) – Defrenne ./. Sabena.

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hier allein die im primären EG-Recht verankerten konkreten Gemeinschaftsinteressen von Bedeutung.324 Insoweit nimmt der EuGH eine einzelfallorientierte Abwägung vor. Die eigentliche Konkretisierung der Rechtsprinzipien erfolgt demnach erst durch ihre Gewichtung im Verhältnis zu den Aufgaben und Belangen der EG, die gewissermaßen eine Schranke bilden. Diese Schwerpunktsetzung entfaltet zudem gewisse Vorwirkungen, da der positive Schutzbereich eines Allgemeinwohlinteresses im Wege wertender Rechtsvergleichung ermittelt wird und in diese Wertung oftmals schon die Zielsetzungen der Gemeinschaft mit einfließen. Dadurch erfährt das zwingende Erfordernis a priori eine gewisse Loslösung von seinem nationalrechtlichen Substrat, so daß zwangsläufig auch die Bedeutung der Frage nach dem konkreten Umfang seiner Anerkennung durch die Staaten relativiert wird.325 Da sich dann das Gemeinschaftsrecht diesen Wertungen zugunsten bestimmter Zielvorstellungen nicht entziehen kann und sie auch hier Beachtung finden müssen, werden sie als ungeschriebene Bestandteile des Gemeinschaftsrechts angesehen.326 Als solche stehen sie gleichrangig neben den Bestimmungen des geschriebenen Gemeinschaftsrechts und öffnen diese für eine Berücksichtigung positivrechtlich nicht erfaßter Wertungen.327 Der eingangs erwähnten Voraussetzung des EuGH, dem Vorliegen eines nach dem Gemeinschaftsrecht gerechtfertigten Ziels, ist dadurch bei dem Gewinnungsprozeß der zwingenden Erfordernisse aus der Rechtsvergleichung Genüge getan. (3) Völkerrecht In der Rechtsprechung des EuGH lassen sich Beispiele dafür finden, daß auch die Wertvorstellungen des Völkerrechts herangezogen werden. In dem Fall Beele wurden Wertungen aus der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums entnommen.328 Allerdings ist festzustellen, daß der EuGH hier dem Völkerrecht lediglich eine gewisse „Hilfsfunktion“ zuwies, um die auf der Grundlage einer Betrachtung der nationa323 Vgl. dazu EuGH, Slg. 1970, 1125 (1135 Rdnr. 4) – Internationale Handelsgesellschaft; ebenso I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 228. 324 B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 646. 325 B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 628. 326 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 262. 327 I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 222. 328 EuGH, Slg. 1982, 707 (717 Rdnr. 9) – Beele.

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len Rechtsordnungen gewonnenen Rechtsprinzipien zu untermauern.329 Dieser Ansicht ist insofern zuzustimmen, als das Völkerrecht nach überwiegender Auffassung das primäre Gemeinschaftsrecht im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft nicht unmittelbar aus eigenem Geltungsanspruch zu beschränken vermag.330 Da das EG-Recht gegenüber dem Völkerrecht eine selbständige, insbesondere nicht nachrangige Rechtsordnung bildet, erlauben völkerrechtliche Verpflichtungen den Mitgliedstaaten keine Veränderung des primären Gemeinschaftsrechts.331 Das Völkerrecht repräsentiert in der Regel die auf internationaler Ebene „geronnenen Wertvorstellungen“332 der beigetretenen Staaten. Sofern eine Vielzahl von Mitgliedstaaten der Gemeinschaft das Abkommen ratifiziert, kann der betreffende völkerrechtliche Vertrag als Wertmaßstab für das Gemeinschaftsrecht herangezogen werden. Denn unter diesen Umständen liegt die Annahme nahe, daß die Mehrheit der Mitgliedstaaten für sich die Befugnis beansprucht, durch einzelstaatliche Maßnahmen zur Verwirklichung der in dem Abkommen genannten Ziele beizutragen.333 Daher kann das Völkerrecht als Quelle zwingender Erfordernisse dienen, sofern die Anerkennung des betreffenden Anliegens durch die EG-Mitgliedstaaten gesichert ist und kein Widerspruch zu den Zielen des Gemeinschaftsrechts besteht.334 c) Inhaltliche Bestimmbarkeit zwingender Erfordernisse Nachdem nun die rechtliche Verankerung zwingender Erfordernisse untersucht wurde, stellt sich die Frage, ob die Qualifikation eines Regelungsziels als zwingendes Erfordernis allgemeinen inhaltlichen Anforderungen ausgesetzt ist. Der Rechtsprechung des EuGH lassen sich bislang keine positiv formulierten subsumtionsfähigen Kriterien zur Inhaltsumschreibung entnehmen. Im Hinblick auf eine negative Ausgrenzung inhaltlicher Anforderungen an die zwingenden Erfordernisse durch den EuGH ist auf die Ausführungen zur öffentlichen Ordnung zu verweisen.335 So werden die Allgemeinwohlinteressen durch die kodifizierten Rechtfertigungsgründe, 329

So auch P. Pescatore, in: Bernhardt/Geck/Jaenicke u. a. (Hrsg.), FS Mosler, 1983, S. 661 (669). 330 Vgl. statt vieler M. Schweiter/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 683 ff. 331 I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 228. 332 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 264. 333 I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001, S. 229, der aber eine Herleitung aus den völkerrechtlichen Handelsverträgen bezweifelt. 334 Für eine direkte Herleitung aber A. Schultz, Das Verhältnis von Gemeinschaftsgrundrechten und Grundfreiheiten des EGV, 2005, S. 99. 335 Vgl. oben 4. Teil B. II. 1 c) aa) (2).

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das sekundäre Gemeinschaftsrecht sowie durch das Postulat des nicht-wirtschaftlichen Charakters begrenzt. Die Auffassungen in der Literatur zur inhaltlichen Umschreibung des Begriffs der zwingenden Erfordernisse sind gespalten. Axel Cordewener sieht in dem Zusatz „zwingend“ lediglich einen Hinweis auf den bei der Prüfung dieser Erfordernisse stets zu berücksichtigenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.336 Diese Auffassung vermag insofern nicht zu überzeugen, als die Prüfung der Verhältnismäßigkeit erst die zweite Stufe darstellt und bereits ausscheidet, sofern es an einem zulässigerweise verfolgbaren, das heißt zwingendem Regelungsbedürfnis fehlt.337 Die Regelungsziele sind nur dann als „zwingend“ anzuerkennen, wenn sie als so dringlich empfunden werden, daß sich auch das Gemeinschaftsrecht ihnen nicht verschließen kann.338 Damit ist jedoch nicht viel an Klarheit gewonnen, da bereits festgestellt wurde, daß der Katalog der Cassis-Formel von den Mitgliedstaaten nicht beliebig erweitert werden kann. Zu beachten ist, daß die zwingenden Erfordernisse großzügiger als die wesentlichen Grundinteressen, die unter den Tatbestand der öffentlichen Ordnung fallen, zu verstehen sind. Auch die ebenfalls verwendeten Bezeichnungen des „Gemeinwohls“339 oder des „Allgemeininteresses“340 sind kaum geeignet, eine inhaltliche Charakterisierung weiterer Cassis-Tatbestände zu ermöglichen.341 d) Ergebnis Der EuGH formuliert bei der Rechtsgewinnung zwingender Erfordernisse von wenigen negativen Ausgrenzungen abgesehen keine inhaltlichen Kriterien und macht auch die Herleitung in den meisten Fällen nicht transparent. 336 A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 139; G. Nicolaysen, Europarecht II, 1996, S 60; ebenso M. Schweitzer/W. Hummer, Europarecht, 1996, Rdnr. 1138; R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 700 a. 337 So auch I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs, 2001, S. 211. 338 Vgl. W. Frenz, Hb Europarecht, Bd. 1, 2004, Kap. 4 § 4 Rdnr. 499; M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 270; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 459; anders U. Becker, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 9 Rdnr. 51: Auch wenn die Umschreibung „zwingend“ anderes vermuten läßt, ist der Kreis der schützenswerten Güter weit gefaßt; vgl. auch R. Streinz, Europarecht, 2005, Rdnr. 702: „beliebige Allgemeinwohlbelange“. 339 Vgl. nur EuGH, Slg. 1980, 3839 (3853 Rdnr. 9) – Fietje. 340 EuGH, Slg. 1979, 649 (664 Rdnr. 14) – Rewe. 341 Ebenso I. Millarg, Die Schranken des freien Warenverkehrs, 2001, S. 211; M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 271.

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Eine positive Definition der anerkennenswerten zwingenden Erfordernisse kann daher nicht in genereller Form gegeben werden. Vielmehr wird die Anerkennungsfähigkeit des mitgliedstaatlichen Regelungsanliegens sachverhaltsbezogen im Rahmen der jeweiligen Einzelfreiheit zu konkretisieren sein.342 Erstens wird vorausgesetzt, daß es sich um ein gewichtiges Interesse des Mitgliedstaates handelt, wobei diesem ein Beurteilungsspielraum beziehungsweise eine Ausfüllungsbefugnis zukommt. Zweitens findet eine Eingrenzung der Anerkennungsfähigkeit insofern statt, als daß die Regelungsanliegen nur aus den vorgestellten Rechtsquellen unter den genannten Voraussetzungen hergeleitet werden dürfen. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß das mitgliedstaatliche Schutzgut gleichrangig neben dem grundfreiheitlich verfolgten Binnenmarktziel steht und den weiteren Grundwertungen des EG-Vertrags nicht widerspricht. 4. Bereits anerkannte Fallgruppen Im folgenden wird zunächst der Versuch unternommen, eine Rechtfertigung der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle anhand der vom EuGH bereits entschiedenen, Fallgruppen zwingender Erfordernisse zu erörtern. Neben der begrifflichen Prägung durch den EuGH soll kurz die jeweilige Rechtsquelle erörtert werden. a) Landesweite und regionale soziale oder kulturelle Besonderheiten aa) Begriffsprägung durch den EuGH Die Rechtsprechung zu dieser begrifflich weit gefaßten Fallgruppe der landesweiten und regionalen sozialen oder kulturellen Besonderheiten beschäftigte sich ausschließlich mit Sonntagsverkaufs- und Sonntagsarbeitsverboten in den Mitgliedstaaten.343 Die erste Entscheidung in der Reihe der sunday trading cases erging 1989 in der Rechtssache Torfaen Borough Council. Gegenstand des dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Verfahrens war eine Regelung des Vereinigten Königreichs, die 342 Vgl. A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 202, S. 133; ähnlich auch K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 458 f.: ausfüllungsbedürftiger „Rahmenbegriff“. 343 Vgl. EuGH, Slg. 1989, 3851 (3889 Rdnr. 14) – Torfaen Borough Council; Slg. 1991, I-997 (1025 Rdnr. 11) – Conforama; Slg. 1991, I-1027 (1040 Rdnr. 12) – Marchandise; Slg. 1992, I-6457 (6491 Rdnr. 10) – Rochdale Borough Council; Slg. 1992, I-6493 (6521 Rdnr. 8 f.) – Reding Borough Council, Slg. 1992, I-6635 (6658 Rdnr. 11) – Council of Stoke-on-Trent.

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grundsätzlich den Verkauf von Waren an Sonntagen untersagte. Die Regelung bewirkte eine Senkung der Gesamtverkäufe und somit auch eine entsprechende Senkung der Verkäufe von im Sortiment befindlicher Waren aus anderen Mitgliedstaaten. Der Gerichtshof bejahte dieser Ansicht folgend kurz das Vorliegen einer unterschiedslos anwendbaren Maßnahme. Bereits in der Rechtssache Oebel344 zum deutschen Nachtbackverbot habe er festgestellt, „daß eine innerstaatliche Regelung der Arbeits-, Liefer- und Verkaufszeiten des Bäcker- und Konditoreigewerbes eine berechtigte wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidung darstellt, die den im allgemeinen Interesse liegenden Zielen des Vertrages entspricht“345. Verallgemeinernd fuhr der EuGH fort, daß auch die innerstaatlichen Regelungen der Verkaufszeiten im Einzelhandel „Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen“ seien, „da sie die Verteilung der Arbeitszeiten und der arbeitsfreien Zeiten sicherstellen sollen, die den landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepaßt ist, deren Beurteilung beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Sache der Mitgliedstaaten ist“346. In der wissenschaftlichen Literatur hat das Urteil insbesondere wegen seiner apodiktischen Kürze und der dadurch verursachten dogmatischen Unsicherheiten Kritik erfahren.347 Aufgrund der mangelnden Zuordnung der landesweiten und regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten der Mitgliedstaaten zur Cassis-Formel konnte zwar nicht eindeutig auf die Anerkennung als eigenständiges zwingendes Erfordernis geschlossen werden. Dennoch wertete das Schrifttum das Abstellen auf dieses Schutzgut allgemein als eine neue Kreation.348 In den nachfolgenden Urteilen Conforma349 und Marchandise350, die sonntägliche Arbeitsverbote betrafen, sowie in weiteren Entscheidungen, in denen das englische Sonntagsverkaufsverbot gegenständlich war,351 zog der EuGH die in Rede stehende Fall344

EuGH, Slg. 1981, 1993 (2008 Rdnr. 12) – Oebel. EuGH, Slg. 1989, 3851 (3888 f. Rdnr. 13) – Torfaen Borough Council. 346 EuGH, Slg. 1989, 3851 (3889 Rdnr. 14) – Torfaen Borough Council. 347 Vgl. die Nachweise bei M. Niedobitek, Kultur und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 142 sowie bei N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 69 f. 348 So N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 69; O. Dörr, RabelsZ 1990, 677 (689); vgl. auch M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof zu Art. 30 EGV, 1997, S. 209 mit Verweis auf die nachfolgenden Urteile. 349 EuGH, Slg. 1991, I-997 (1025 Rdnr. 11) – Conforma. 350 EuGH, Slg. 1991, I-1027 (1040 Rdnr. 12) – Marchandise. 351 EuGH, Slg. 1992, I-6457 (6491 Rdnr. 10) – Rochdale Borough Council; Slg. 1992, I-6493 (6521 Rdnr. 8 f.) – Reding Borough Council, Slg. 1992, I-6635 (6658 Rdnr. 11) – Council of Stoke-on-Trent. 345

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

gruppe erneut heran, so daß er stillschweigend die im Schrifttum vorherrschende Ansicht bestätigte. Mit dieser neuen, sehr weit formulierten Fallgruppe, die neben den „klassischen“352 zwingenden Erfordernissen zur Anwendung gelangt, öffnet der Gerichtshof die Cassis-Rechtsprechung potentiell für neue Fallkonstellationen, in denen gesellschaftlich und kulturell motivierte Regeln des einzelstaatlichen oder regionalen Wirtschaftslebens legitimiert werden können. bb) Rechtsquelle Der EuGH zog erstmals im Urteil Torfaen Borough Council die landesweiten und regionalen sozialen oder kulturellen Besonderheiten als Fallgruppe heran, ohne Ausführungen über die Herleitung oder eine inhaltliche Konkretisierung zu machen. Auch der Rückgriff auf die Entscheidung Oebel, auf die der EuGH ausdrücklich verweist, hilft nicht weiter. Der Gerichtshof sah das Herstellungsverbot für Bäckereien und Konditoreien vor vier Uhr morgens als eine berechtigte wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidung an, die den im allgemeinen Interesse liegenden Zielen des Vertrages entsprach. Dieses Verbot bezwecke die Verbesserung der Arbeitsbedingungen,353 ein Schutzziel, das bereits explizit in den römischen Gründungsverträgen formuliert war.354 Daß beide Fallgruppen voneinander zu trennen seien, machte Generalanwalt Walter van Gerven im Urteil Conforma deutlich. Die Zielsetzung der Verbesserung der Arbeitsbedingungen enthalte keine ausreichende Rechtfertigung dafür, den wöchentlichen Ruhetag für alle Arbeitnehmer gleichermaßen an Sonntagen festzusetzen. Hierzu bedürfe es einer Begründung, daß gerade an Sonntagen Raum für familiäre, religiöse, kulturelle oder sportliche Betätigungen geschaffen werden soll.355 Der EuGH folgte dieser nachträglichen Klarstellung des Generalanwalts und ging in den folgenden Urteilen nicht mehr auf die engere Zielsetzung der Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein. Zum Zeitpunkt der für diese Fallgruppe relevant werdenden Urteile ließ sich dem EG-Vertrag nur sehr wenig über kulturelle Ziele und Wertungen der Mitgliedstaaten entnehmen. Dennoch lag es auf der Hand, daß bei der Durchsetzung der Marktfreiheiten Konflikte mit Zielen der einzelstaatlichen Besonderheiten zu berücksichtigen waren. Dies zeigt sich schon in dem Rechtfertigungsgrund des „Schutzes des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ in Art. 30 S. 1 EG (Art. III-154 VV), der allerdings 352 353 354 355

So GA W. van Gerven, SchlA, Slg. 1991, I-997 (1014 Nr. 10) – Conforma. EuGH, Slg. 1981, 1993 (2008 Rdnr. 12) – Oebel. Vgl. Art. 117 EWGV, heute Art. 136 ff. EG. Siehe GA W. v. Gerven, SchlA, Slg. 1991, I-997 (1013 f. Nr. 9) – Conforma.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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nur bestimmte Fälle abzudecken vermag. Da das Ziel der Europäischen Gemeinschaft nicht die Schaffung eines homogenen europäischen Staates ist, sondern die Identität der Mitgliedstaaten gewahrt werden soll, ist zur Herleitung der landesweiten und regionalen sozialen oder kulturellen Besonderheiten auch auf das Prinzip der enumerativen Einzelermächtigungen zurückzugreifen. Dieses belegt, daß die Mitgliedstaaten ihre Rechtsordnungen nicht für jede Regelung durch das EG-Recht öffnen, sondern ihre landesweiten und regionalen sozialen oder kulturellen Besonderheiten und somit ihre Identität schützen wollen. Nach den Vertragsänderungen kann in diesem Zusammenhang vor allem auf Art. 151 Abs. 1 EG (Art. III-280 Abs. 1 VV) in Verbindung mit Art. 3 lit. q EG abgestellt werden, wonach die Gemeinschaft einen Beitrag „zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt“ leistet.

cc) Aufgabe durch die Keck-Rechtsprechung Die Anerkennung der Fallgruppe der landesweiten und regionalen sozialen oder kulturellen Besonderheiten hat in der Literatur zum Teil heftige Kritik hervorgerufen. Zum einen wurde sie als zu unbestimmt erachtet, um eine durch Rechtssicherheit gekennzeichnete Rechtsprechung zu ermöglichen.356 Zum anderen wurde die erhebliche Mißbrauchsgefahr bemängelt357 und für die Aufgabe dieses Schutzguts plädiert. Zweifel an dem Fortbestand dieser Fallgruppe bestehen seit der Entscheidung Keck358. Der EuGH hatte hier darüber zu entscheiden, ob das französische Verbot, Waren unter dem Einkaufspreis weiterzuverkaufen, gegen Art. 28 EG (Art. III-153 VV) verstößt. Ausgangspunkt der Argumentation des Gerichtshofs war die Feststellung, daß die betroffene Vorschrift keine Regelung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten bezwecke. Der EuGH führte weiter aus, daß sich „die Wirtschaftsteilnehmer immer häufiger auf Art. 30 EWGV (Art. 28 EG n.f.) berufen, um jedwede Regelung zu beanstanden, die sich als Beschränkung ihrer geschäftlichen Freiheit auswirkt, auch wenn sie nicht auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten gerichtet ist“359. Demzufolge wäre es an der Zeit, die bisherige Rechtsprechung bezüglich unterschiedslos anwendbarer Maßnahmen zu überprüfen und klarzustellen. Dabei müsse zwischen Regelungen unterschieden werden, die Vorschriften über die Waren 356

D. Chalmers, ICLQ 1993, 269 (289). Vgl. U. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 30 Rdnr. 58; ähnlich auch P. Oliver, Free movement of goods in the European Community, 2003, S. 246. 358 EuGH, Slg. 1993, I-6097 ff. – Keck & Mithouard. 359 EuGH, Slg. 1993, I-6097 (6131 Rdnr. 14) – Keck & Mithouard. 357

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

selbst enthielten und solchen, die nur bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränkten oder verböten. Während die produktbezogenen360 Regelungen nach wie vor unter Art. 28 EG fielen, sah der EuGH nationale Regelungen, die lediglich Verkaufsmodalitäten361 enthielten, als nicht geeignet an, den Marktzugang für importierte Erzeugnisse zu versperren, so daß Art. 28 EG diesbezüglich ausscheide.362 Voraussetzung sei freilich, daß die angegriffene Regelung in- und ausländische Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühre.363 Es bedarf keiner ausholenden Begründung, um zu erkennen, daß die in der Keck-Formel aufgestellten Kriterien zur Ausgrenzung bestimmter Fallkonstellationen aus dem Anwendungsbereich des Art. 28 EG auf die bisher unter dieser Fallgruppe erörterten Sonntagsverkaufs- und -arbeitsverbote zutreffen. Zunächst handelt es sich um unterschiedslos anwendbare Maßnahmen, da in- und ausländische Waren gleichermaßen betroffen sind. Zudem beziehen sich die in Rede stehenden Regelungen auf die Modalitäten des Verkaufs, nicht jedoch auf die Ware selbst. Untermauert wird diese Sichtweise durch die nachfolgende Rechtsprechung betreffend die Ladenöffnungszeiten. In diesbezüglichen Entscheidungen zitierte der EuGH lediglich die einschlägigen Passagen aus dem Keck-Urteil, ohne die landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten zu erwähnen.364 Auch der Generalanwalt Walter van Gerven griff zunächst noch ausdrücklich die genannte Fallgruppe auf, lehnte sie jedoch im Ergebnis aufgrund des Eingreifens der Keck-Rechtsprechung ab.365 Hieraus wurde in der Literatur auf eine vollständige Aufgabe der in Rede stehenden Fallgruppe geschlossen.366 360 Vgl. die exemplarische Aufzählung bei EuGH, Slg. 1993, I-6097 (6131 Rdnr. 15) – Keck & Mithouard: Regelungen der Bezeichnung, der Form, der Abmessungen, der Etikettierung, der Verpackung etc. 361 Der EuGH definiert diesen Begriff zwar nicht, wendet die Keck-Formel seit 1993 jedoch regelmäßig bei Monopolvorschriften, Preisregelungen, Absatzförderungsregelungen und Ladenöffnungszeiten an. 362 Vgl. oben 3. Teil B. II. 2. a). 363 EuGH, Slg. 1993, I-6097 (6131 f. Rdnr. 16 f.) – Keck & Mithouard; seitdem in ständiger Rechtsprechung EuGH, Slg. 1993, 6787 (6823 Rdnr. 21) – Hünermund; Slg. 2001, I-1795 (1823 Rdnr. 18) – Gourmet International Products. 364 EuGH, Slg. 1994, I-2199 (2232 f. Rdnr. 12–14) – ’t Heukske vof und Boermans; Slg. 1994, I-2355 (2368 f. Rdnr. 12–14) – Punto Casa SpA und PPV. 365 Vgl. GA W. v. Gerven, SchlA, Slg. 1994, I-2199 (2209 Nr. 13) – ’t Heukske vof und Boermans; im nachfolgenden Urteil erklärte er eine Rechtfertigung für überflüssig, da wegen der Keck-Rechtsprechung bereits ein Eingriff zu verneinen sei, Slg. 1994, I-2355 (2316 Nr. 9) – Punto Casa SpA und PPV. 366 N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 254; N. Reich, CMLR 1994, 459 (488); S. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Gesamtstand: Oktober 2006, Art. 28 Rdnr. 19; M. Petschke, EuZW

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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Dieser Ansicht kann jedoch nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Festzuhalten ist, daß die bisher unter dieser Fallgruppe erörterten Konstellationen für ein solches zwingendes Erfordernis nicht mehr in Betracht kommen,367 da sie bereits durch die Keck-Rechtsprechung aus dem Anwendungsbereich des Art. 28 EG herausfallen. Denkbar ist jedoch, daß die Fallgruppe der nationalen oder regionalen gesellschaftlich-kulturellen Eigenheiten eines Mitgliedstaats auf neue Fallkonstellationen bezogen wird. Eine vollständige Aufgabe dieser Fallgruppe nach der Keck-Rechtsprechung ist daher nicht geboten.368 Die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Schindler könnten für diese Sichtweise sprechen. Dort sah er eine die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigende Regelung aus Gründen soziokultureller Besonderheiten des Mitgliedstaats für gerechtfertigt an.369 Der EuGH faßte diese Erwägung jedoch unter den Oberbegriff „Schutz des Verbrauchers und der Sozialordnung“370, so daß ein direkter Zusammenhang mit der hier vorliegenden allgruppe wohl zu verneinen ist.371 Bevor jedoch Überlegungen dahingehend angestellt werden, welche für die vorliegende Arbeit interessierenden Schutzgüter unter die Fallgruppe der landesweiten und regionalen kulturellen oder sozialen Besonderheiten gefaßt werden können, sollen weitere, möglichst konkretere Schutzzielbestimmungen, die als zwingende Erfordernisse durch den EuGH anerkannt wurden beziehungsweise anzuerkennen sind, herausgearbeitet werden. b) Raumplanerische Ziele Die Entscheidung Konle aus dem Jahr 1999 gibt Anlaß zu der Annahme, daß der Gerichtshof eine weitere Fallgruppe zwingender Gründe des Allgemeinwohls anerkannt hat, die sogenannten „raumplanerischen Ziele“372.

1994, 107 (111); a. A. P.-C. Müller-Graff, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 28 Rdnr. 225. 367 Ebenso M. Zuleeg, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling Bd. II, 1995, S. 1717 (1721). 368 So auch M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 211. 369 EuGH, Slg. 1994, I-1039 (1097 Rdnr. 61) – Schindler. 370 EuGH, Slg. 1994, I-1039 (1096 Rdnr. 58) – Schindler. 371 Vgl. auch M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 207 Fn. 655. 372 EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3135 Rdnr. 40) – Konle, seither in ständiger Rechtsprechung vgl. nur EuGH, Slg. 2003, I-4899 (4937 Rdnr. 44); jüngst EuGH, EuZW 2006, 148 (149 Rdnr. 39) – Burtscher ./. Stauderer.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

aa) Begriffsprägung durch den EuGH Die Rechtsprechung des EuGH zu dieser neueren Fallgruppe beschäftigt sich ausschließlich mit dem Grundstücksverkehrsrecht der Mitgliedstaaten. Gegenstand der Rechtssache Konle war die Frage, ob das nach Tiroler Recht vor die Eigentumserlangung an Grundstücken geschaltete Genehmigungsverfahren gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt. Der Generalanwalt Antonio La Pergola hatte in seinem Schlußantrag ausdrücklich die Ziele der Raumordnung, die von den Besonderheiten der betroffenen Regionen geprägt sind, als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses anerkannt.373 Unter diesen Oberbegriff seien beispielsweise folgende Anliegen zu fassen: das dringende Erfordernis der Gewährleistung ausreichenden Wohnraums für die ansässige Bevölkerung gegenüber der Gefahr, daß die mögliche Zunahme der bereits sehr hohen Zahl von Zweitwohnungen zu einem Anstieg der Preise für Immobilien führe und ihren Erwerb erschwere sowie den Vorteil für spätere Urbanisierungskosten und anderer Belastungen, die auf die Gebietskörperschaft zukämen, wenn die Nachfrage nach Zweitwohnungen nicht angemessen kanalisiert werde.374 Der EuGH verzichtete zwar auf die Formulierung der „zwingenden Gründe“. Gleichwohl erkannte er die von der Republik Österreich zur Rechtfertigung des Genehmigungserfordernisses angegebenen raumplanerischen Ziele wie die Erhaltung einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung und einer in einigen Gebieten vom Tourismus unabhängigen Wirtschaftstätigkeit ausdrücklich als im Allgemeininteresse liegend an.375 Weiter führte er aus, daß die in dem Genehmigungserfordernis des Tiroler Grundverkehrsgesetzes enthaltene Beschränkung nur zulässig sei, „wenn sie nicht diskriminierend angewandt wird und wenn keine anderen, weniger einschneidenden Verfahren erlauben, das gleiche Ergebnis zu erreichen“376. Die Verwendung der sogenannten GebhardFormel377 belegt, daß der Gerichtshof hier ein weiteres zwingendes Erfordernis in den Katalog der Cassis-Rechtsprechung aufnahm.378 In der nachfolgenden Entscheidung Reisch zog der EuGH ebenfalls die raumplanerischen Ziele als möglichen ungeschriebenen Rechtfertigungsgrund heran. Hier ging es um die Vereinbarkeit des Grundverkehrsgesetzes des Bundeslands Salzburg379 mit dem Gemeinschaftsrecht. Der Gerichtshof wertete die 373 Vgl. GA A. La Pergola, SchlA, Slg. 1999, I-3099 (3113 Nr. 16, 3120 Nr. 28) – Konle. 374 GA A. La Pergola, SchlA, Slg. 1999, I-3099 (3113 Nr. 16) – Konle. 375 EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3135 Rdnr. 40) – Konle. 376 EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3135 Rdnr. 40) – Konle. 377 EuGH, Slg. 1995, I-4165 (4197 f. Rdnr. 37) – Gebhard. 378 Ebenso GA L. A. Geelhoed, SchlA, Slg. 2002, I-2157 (2189 Nr. 126) – Reisch.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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Verfolgung raumplanerischer Ziele zur Erhaltung einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung als Beitrag zu einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel.380 Diese Feststellung könne durch andere Anliegen, die diesen Maßnahmen zugrunde liegen, nur erhärtet werden.381 Damit ist im Ergebnis festzuhalten, daß der EuGH die raumplanerischen Ziele als eigenständige Fallgruppe des Cassis-Tatbestands anerkennt. Aus der beispielhaften Aufzählung ergibt sich, daß die Bezeichnung Raumplanung382 den Oberbegriff bildet. Die getätigten Zuordnungen, wie die dauerhaft ansässige Bevölkerung sowie eine vom Tourismus unabhängige Wirtschaftstätigkeit, lassen erkennen, daß der Gerichtshof diese Fallgruppe sehr weit faßt und keinesfalls auf die aus dem nationalen Recht bekannten Definitionen für den Begriff der Raumplanung beschränkt.383 Welche weiteren konkreten Sachverhalte darunter zu subsumieren sind, richtet sich im Einzelfall nach den Besonderheiten der jeweiligen Regionen. So erkannte der Gerichtshof beispielsweise in der Rechtssache Fearon, in der es um den Schutz vor Enteignungsmaßnahmen bei Grundstücksgesellschaften ging, auch die Verhinderung von Bodenspekulation als legitimes Ziel an.384 bb) Rechtsquelle (1) Gemeinsame Erklärung Nr. 5 Dem genannten Schutzziel wurde auf der Gemeinschaftsebene im Zusammenhang mit dem Beitritt Norwegens, Österreichs, Schwedens und Finnlands Rechnung getragen. In der Gemeinsamen Erklärung Nr. 5 zu Zweitwohnungen, die als Schlußakte der Beitrittsakte der jeweiligen Staaten beigefügt ist, ist festgehalten, daß alle Mitgliedstaaten Maßnahmen betreffend Zweitwohnungen auf nationaler, regionaler oder örtlicher Ebene treffen können, sofern diese aus Gründen der Raumordnung, der Bodennutzung und des Umweltschutzes erforderlich sind.385 Fraglich ist, welche 379

Gesetz des Landes Salzburg über den Grundstücksverkehr, LGBl. Nr. 11/

1999. 380

EuGH, Slg. 2002, I-2157 (2205 Rdnr. 33 f.) – Reisch. EuGH, Slg. 2002, I-2157 (2205 Rdnr. 34) – Reisch. 382 Zudem wird als Synonym oftmals auch „Raumordnung“ verwendet. 383 Vgl. dazu nur W. Brohm, Öffentliches Baurecht, 2005, Rdnr. 23. 384 EuGH, Slg. 1984, 3677 (3684 Rdnr. 3, 10) – Fearon; zustimmend aus der Literatur M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (533); siehe auch A. Knapp, EWS 1999, 409 (412), der die Bodenspekulation als eigenständiges zwingendes Erfordernis neben der Raumplanung anerkennt. 385 Gemeinsame Erklärung zu Zweitwohnungen, ABl. EG 1994, Nr. C 241, S. 382. 381

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Rechtswirkung der gemeinsamen Erklärung beizumessen ist. Zum primären Gemeinschaftsrecht gehören grundsätzlich auch die im Zusammenhang mit dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten in Kraft gesetzten Abkommen.386 Diese Abkommen werden aus rechtstechnischen Gründen regelmäßig in zwei Bestandteile aufgeteilt, den „Vertrag über den Beitritt“ (Beitrittsakte) und die „Akte über die Bedingungen des Beitritts (. . .) und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge“ (Schlußakte).387 Die Beitrittsakte als solche wird als Bestandteil des Vertrages aufgefaßt und gehört somit zum Primärrecht.388 Die Schlußakte hingegen ist nicht Inhalt des Beitrittsvertrags und wird daher nicht zum Primärrecht gezählt. Durch sie werden gemeinsame und einseitige Absichts- und Interpretationserklärungen in den weiteren Rahmen des EG-Vertrags einbezogen. Die Schlußakte kann aber vorliegend als zusätzlicher Interpretationsbeleg herangezogen werden.389 (2) Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Im Urteil Konle berufen sich sowohl Österreich als auch Griechenland darauf, daß die Raumordnungspolitik in ihren Rechtsordnungen als Allgemeininteresse anerkannt wird.390 Demzufolge könnte eine Herleitung im Wege eines wertenden Rechtsvergleichs391 aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen erfolgen. In Finnland unterliegt der Erwerb von Ferienwohnungen durch Erwerber mit ausländischem Wohn- oder Gesellschaftssitz der vorherigen Genehmigung durch die jeweilige Regionalbehörde.392 Dabei kann die Genehmigung des Erwerbs einer Zweitwohnung393 versagt werden, wenn dadurch der Grundeigentumserwerb der regionalen Bevölke386 M. Haag, in: Bieber/Epiney/ders. (Hrsg.), Die Europäische Union, 2005, § 6 Rdnr. 12; W. Meng, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 EUV Rdnr. 115. 387 M. Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 EUV Rdnr. 10. 388 Vgl. zum Beispiel Art. 1 Abs. 2 Beitrittsvertrag, ABl. EG 1994, Nr. C 241/9 S. 13. 389 Vgl. hierzu allgemein W. Meng, in: Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 EUV Rdnr. 114; vgl. auch SchlA GA A. La Pergola, Slg. 1999, 3099 (3113 Nr. 16 Fn. 19); a. A. M. Bachlechner, ZEuS 1999, 519 (527 f.), der der Gemeinsamen Erklärung die gleiche Rechtsqualität wie der Beitrittsakte zumißt, da die Äußerungen übereinstimmende Willenserklärungen aller Vertragsparteien der Beitrittsakte seien. 390 EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3134 Rdnr. 37) – Konle. 391 Zu dieser Herleitung vgl. oben 4. Teil B. III. 3. b) bb) (2). 392 Art. 2 ff. Gesetz 1613/1992 über die Überwachung des Erwerbs von Immobilien durch Personen mit Wohnsitz im Ausland und ausländische juristische Personen. 393 Unter Zweitwohnungen werden Häuser oder Wohnungen verstanden, die nur wenige Wochen im Jahr bewohnt werden und in der übrigen Zeit leer stehen.

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rung durch Preissteigerungen bedroht ist. In Dänemark ist der Erwerb von Ferienhäusern für Nichtgebietsansässige ebenfalls an die vorherige Genehmigung durch das Justizministerium geknüpft.394 Hintergrund der dänischen Regelung ist die Angst vor Überfremdung, das heißt des Ausverkaufs von dänischem Grund und Boden an EG-Bürger.395 Zudem sieht die dänische Regierung durch erhebliche Preissteigerungen eine Gefahr für den dänischen Immobilienmarkt, insbesondere entlang der Küste.396 Auch in Schweden unterliegt der Kauf von bestimmten Ein- und Zweifamilienhäusern einem Genehmigungsvorbehalt, sofern der Erwerber eine nichtschwedische juristische Person oder eine natürliche Person ist, die keinen inländischen Wohnsitz besitzt.397 Handelt es sich bei dem Objekt um keine Ferienwohnung, so muß die Genehmigung erteilt werden. Geht es jedoch um eine derartige Nutzung, so ist die Genehmigung zu versagen, sofern gegen allgemeine Interessen verstoßen wird oder durch eine zu hohe Nachfrage nach diesen Immobilien ein Preisanstieg zu befürchten ist. Wie bereits angesprochen, versucht auch die österreichische Republik, die Verbreitung von Zweitwohnsitzen zu verhindern. Die Grundverkehrsgesetze aller Bundesländer sehen aus diesem Grund in der einen oder anderen Form besondere Beschränkungen für den Erwerb von Immobilien vor.398 Als Ziel dieser Ländergesetzgebung werden die Sicherung des Wohn- und Wirtschaftsbedarfs der ansässigen Bevölkerung sowie die Lenkung der Preisentwicklung durch Dämpfung der Nachfrage angegeben.399 In Portugal unterliegen sämtliche Immobilienkaufverträge, an denen Nicht-Residente beteiligt sind, der vorherigen Prüfung durch die portugiesische Zentralbank (Banco de Portugal) und/oder des dem Außenhandelsministerium unterstehenden Instituts für Außenhandel (Instituto do Comércio Externo de Portugal).400 Dabei kommt den Behörden insbesondere bei landwirtschaftlich genutzten oder nutzbaren Grundstücken eine besonders weitreichende Prüfungskompetenz zu.401 Dieser Umstand beruht auf der Tatsache, daß im portugiesischen Staatsgebiet ein Mangel an landwirtschaftlich nutzbaren Flächen herrscht, landwirt394 Art. 1 ff. Gesetz über den Erwerb von Grundeigentum Nr. 566 vom 28.8.1986, geändert durch das Gesetz Nr. 1102 vom 21.12.1994. 395 R. Schmidjell, Einschränkungen der Freiheit des Grundverkehrs in der EG, 1992, S. 31; siehe auch S. Lange, EWS 2004, 389 (394). 396 C. Hammerl/H. Sippel, RIW 1992, 883 (884). 397 §§ 1 ff. Gesetz Nr. 1992 über die Genehmigung des Erwerbs bestimmter Immobilien. 398 Siehe etwa §§ 9, 10 BgldGVG 1995; § 13 f. OöGVG 1994. 399 M. Schweitzer/W. Hummer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 275 f.; dies., Ausverkauf Österreichs? Ausländergrundverkehr und EWG, 1990, S. 16 ff. 400 Vgl. die Decreto Lei Nr. 197-D/86, Nr. 326/85, Nr. 38/86, Nr. 351/85. 401 Vgl. hierzu ausführlich A. Reichmann/A. Heininger, RIW 1992, 458 (460).

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schaftliche Nutzflächen aus Spekulationsgründen zum Zwecke der Bebauung erworben werden und der Kauf von landwirtschaftlichen Grundstücken für den Wohnungsbau kleine Streusiedlungen zur Folge hat, die umfangreiche Investitionen für die Infrastruktur erforderlich machen und hohe soziale Kosten verursachen. In Griechenland402 können In- und Ausländer grundsätzlich keine Rechte an Grundstücken erwerben, die sich in bestimmten militärisch wichtigen Gebieten befinden (sogenannte Sperrgebiete).403 Der Erwerb einer Immobilie als Zweitwohnsitz oder als Investitionsanlage ist in den Grenzgebieten gänzlich ausgeschlossen. Aus diesen Regelungen ist ersichtlich, daß auch Griechenland versucht, Preissteigerungen zu verhindern und im Rahmen der Möglichkeiten den Einheimischen Grundstücke in begehrten Gebieten vorzubehalten. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß sich die raumplanerischen Ziele in einem wertenden Vergleich vieler mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen als zwingende Erfordernisse herleiten lassen. Aus der Gemeinsamen Erklärung Nr. 5 ergibt sich das Einfügen derartiger Anliegen in die Ziele des Gemeinschaftsrechts. cc) Ergebnis In der Literatur wird die Erhaltung einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung als zwingendes Erfordernis unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH im Urteil Konle allgemein anerkannt.404 Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Bei den raumplanerischen Zielen handelt es sich um gewichtige Interessen der Mitgliedstaaten, was anhand der Vielzahl der Länder deutlich wird, die derartige Maßnahmen erlassen sowie aufgrund der Tatsache, daß diese Regelungsanliegen in die Schlußakte aufgenommen wurden. Die raumplanerischen Gründe sind somit als eine Fallgruppe der zwingenden Erfordernisse anzuerkennen, die eine Einschränkung der Grundfreiheiten zu legitimieren vermögen. Unter die raumplanerischen Ziele als nicht abschlie402 Siehe zum Immobilienerwerb in Griechenland I. Vlassopoulou, RIW 1995, 894 (894 ff.). 403 Nach der Verurteilung durch den EuGH, Slg. 1989, 1461 (1480 Rdnr. 29) – Kommission ./. Griechenland wurde die Größe des Sperrgebiets, vormals 55 Prozent des gesamten Staatsgebiets, drastisch verringert. Vgl. aber Art. 24, 25, 26 Gesetz 1892/1990 in Verbindung mit dem Rundschreiben des Wirtschaftsministeriums Nr. 9566/139 vom 12.3.1991. 404 Im Ergebnis M. Schweitzer/W. Hummer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa 1992, S. 312; A. Fischer, ZEuS 2000, 391 (411); M. Bachlechner, ZEuS 1998, 519 (528, 533); A. Rohde, Freies Kapital in der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S. 163; P. v. Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 33; A. Knapp, EWS 1999, 409 (413); C. Ohler, EuZW 2002, 251 (253); vgl. auch SchlA A. La Pergola, Slg. 1999, I-3099 (3113 f. Nr. 16 f.) – Konle sowie allgemeiner S. Lange, EWS 2004, 389 (395).

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ßenden405 Oberbegriff ist in Anlehnung an die EuGH-Rechtsprechung auch die Erhaltung einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung zu fassen. Je mehr sich Zweitwohnungen ausbreiten, desto stärker verödet das betroffene Ortsgebiet außerhalb der Urlaubszeiten. Es entstehen Stadtviertel, welche die längste Zeit im Jahr nicht bewohnt werden, so daß die Lebendigkeit dieser Gebiete beeinträchtigt und ein soziales Leben erschwert wird.406 Zudem sind weitere städtebaulich nachteilige Folgen zu befürchten, die zwar für sich genommen aufgrund ihres wirtschaftlichen Charakters keine Legitimation darstellen, aber dennoch in der Gesamtschau aufgrund ihres Zusammenhangs berücksichtigt werden dürfen. Durch die sogenannten Rolladensiedlungen besteht nicht nur die Gefahr einer finanziellen und städtebaulich nicht mehr vertretbaren Belastung, die von einer nicht ausgenutzten, gleichwohl aber vorzuhaltenden Infrastruktur herrührt.407 Außerdem verwahrlost das betroffene Gebiet während des saisonbedingten Leerstands. Leere Fenster und ungenutzte Häuser provozieren Vandalismus und setzen einen Prozeß der sich selbst beschleunigenden Entleerung in Gang, der städtebaulich höchst unerwünscht ist. dd) Ziele der Wohnraummodelle als Gründe der Raumplanung Die Gemeinden verfolgen mit den städtebaurechtlichen Wohnraummodellen das Ziel, die Preisentwicklung durch die Verhinderung von Bodenspekulation/Dämpfung der Nachfrage zu lenken, die unerwünschte Ausweisung von neuem Bauland sowie Veränderungen hinsichtlich der Infrastruktur zu verhindern sowie der Gefahr der Entwicklung zu Rolladen- oder Trabantenstädte entgegenzuwirken. Diese Aspekte dienen dazu, städtebauliche Nachteile zu vermeiden und sind den Gründen der Raumplanung zuzuordnen. Die Reservierung knappen Baulands und Wohnraums für die einheimische Bevölkerung hingegen stellt nach Peter von Willmowsky kein Ziel der Allgemeinheit dar.408 Dabei verkennt er, daß es zu den Aufgaben städtebaulicher Planung gehört, die sozialen Wohnbedürfnisse der Bevölkerung zufrie405

Vgl. GA L. A. Geelhoed, SchlA, Slg. 2002, I-2157 (2189 Nr. 126) – Reisch, der beispielsweise den Naturschutz als weiteres rechtmäßiges raumplanerisches Ziel anerkennt; vgl. auch A. Fischer, ZEuS 2000, 391 (411); ferner S. Lange, EWS 2004, 389 (395). 406 W. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg u. a. (Hrsg.), BauGB, Gesamtstand: Dezember 2006, § 22 Rdnr. 9; zur Verödungsgefahr und Störung der sozialen Infrastruktur siehe auch OVG Lüneburg, ZfBR 1983, 238 (238 ff.) sowie BVerwG, DVBl. 1994, 1149 (1151). 407 BVerwG, ZfBR 1996, 48 (49), ZfBR 1996, 51 (51). 408 P. v. Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 33.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

denzustellen,409 so daß mit Generalanwalt Antonio La Pergola die Gewährleistung ausreichenden Wohnraums für die ansässige Bevölkerung als zwingendes Erfordernis anzusehen ist.410 Gleichwohl stellen diese Anliegen lediglich das Mittel zur Verwirklichung von übergeordneten Zielsetzungen dar: die Wahrung der kulturellen Identität, insbesondere des individuellen Charakters, der Gemeinde und die Erhaltung der gewachsenen und für positiv erachteten Bevölkerungsstruktur, wobei Letztere auch nach der Ansicht von Willmowsky als legitimes Ziel anzuerkennen sei.411 Die Identität und ästhetische Individualität der Gemeinde wird insbesondere bestimmt durch die lokale Kulturgeschichte, städtische Kunsttraditionen, den spezifischen Lebensformen und Lebensgewohnheiten ihrer Bürger wie sie in Stadtgestalt und Architektur nicht statisch, sondern dynamisch bewahrt und zeitgemäß genutzt, zum Ausdruck kommt, durch Sprache und Alltagsgewohnheiten sowie durch Eßkultur, lokalen Erinnerungen, aber auch durch lokales Engagement.412 Sie äußert sich beispielsweise in der häufig spontanen, nicht institutionalisierten Reaktionsweise der Bevölkerung auf das Geschehen in der Gemeinde. Dabei sind insbesondere solche Aktivitäten von Interesse, bei denen die Anteilnahme des einzelnen allein an seine Zugehörigkeit zu einer konkreten Gemeinde geknüpft ist, also eine unmittelbare, persönliche und partikulare Betroffenheit nicht gegeben ist. Aus der Identitäts- oder Persönlichkeitsforschung ist bekannt, daß die Identität eines einzelnen Menschen aber auch eines so vielschichtigen Gebildes wie einer Gemeinde an drei entscheidende Bedingungen geknüpft ist: Kontinuität, Kohärenz und Komplexität. Kontinuität meint im Hinblick auf die Gemeinde, daß die Geschichte der Gemeinde als ein gewordenes und gewachsenes, als ein nachvollziehbares Geschehen die Grundlage ihrer Identität bildet. Kohärenz zielt hingegen auf den Zusammenhang einer Gemeinde als ein Ganzes, auf eine Zusammengehörigkeit aller Teile zu einem Ganzen ab, das in jedem Teil spürbar ist. Identität stellt sich aber nur dann ein, wenn Kontinuität und Kohärenz nicht in Monotonie münden, sondern Komplexität, also Vielfalt, zum Beispiel von Erfahrungen, Ansichten und Äußerungen, umfassen.413 Die Dynamik von Wandlungen und Entwicklungen ge409

Vgl. § 1 Abs. 5 S. 1 Nr. 2, 3 BauGB. GA A. La Pergola, SchlA, Slg. 1999, I-3099 (3113 Nr. 16) – Konle. A. Brigola, Das System der EG-Grundfreiheiten: Vom Diskriminierungsverbot zum spezifischen Beschränkungsverbot, 2004, S. 161 erkennt die angemessene Teilhabe der Wohnbevölkerung an Freizeitmöglichkeiten vor Ort als Ziel des Allgemeininteresses an; ähnlich auch J. Gundel, EuR 1999, 781 (784 f.). 411 P. v. Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 12 Rdnr. 33. 412 So auch A. Göschel, der städtetag 4/2003, 24 (24). 413 A. Göschel, der städtetag 4/2003, 24 (25). 410

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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rade in der Bevölkerungsstruktur der Einwohner, die durch die Abwanderungen einzelner Schichten entsteht, gefährdet offensichtlich die Kontinuitätserfahrungen. Überfremdung, fehlende Ortsbezogenheit und wachsende Ungleichheit, die alle die Stabilität von Wachstum, Wohlstand und relativer Gleichheit unter- oder gar abbrechen können, beeinträchtigen in den Gemeinden in besonderem Maße die identitätsstiftende Kontinuität. Das Flächenwachstum, das durch eine massive Ausweitung des Baulands aufgrund des Zuzugs Auswärtiger zwangsläufig bedingt ist, sofern keine anderweitige Abhilfe geschaffen wird, schließt die Wahrnehmung der Gemeinde als ein kohärentes Ganzes, als Gemeinschaft und Einheit zunehmend aus. Einseitige Bevölkerungsstrukturen, der Verlust der Traditionen beziehungsweise saisonbedingte Leerstände können zu Reduktionen von gemeindlicher Komplexität führen. Die Identität einer Gemeinde wird somit insgesamt entscheidend durch das bauliche Erbe, die geographischen Voraussetzungen sowie durch die Naturbedingungen bestimmt, die in der jeweiligen Gegend vorherrschen. Die Nutzung des Bodens wirkt sich stark auf die Identität aus. So beeinflußt beispielsweise die weitere Ausweitung des Baulandbestandes, wie erläutert, negativ das Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch im gemeindlichen Außenbereich, der den Einwohnern zur Erholung dient und möglicherweise ökologisch wertvolle Eigenarten aufweist, besteht die Gefahr von Veränderungen, die zum einen die Kohärenz, aber wiederum auch die Kontinuität betrifft. Wie sehr das bauliche Ortsbild, Straßenzüge, Straßennamen, Verkehrsstrukturen, Plätze und Geschäftszentren als Objektivierung der Einheit „Gemeinde“ erlebt werden, deuten die Bürgerinitiativen an, die gerade bei Eingriffen in diese Substanz spontan entstehen und Aktivitäten entfalten.414 Damit sind die Zielsetzungen der städtebaurechtlichen Wohnraummodelle alles in allem als zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Cassis-Rechtsprechung, zugeordnet der Fallgruppe der raumplanerischen Ziele, die von den Besonderheiten der Region geprägt sind, zu qualifizieren. Daß vorliegend nicht die Interessen der gesamten mitgliedstaatlichen Bevölkerung geschützt werden, sondern lediglich Partikularinteressen einzelner Bevölkerungskreise gegen eine andere Gruppe, steht der Anerkennung als zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses nicht entgegen. Die Allgemeinheit besteht aus einer Vielzahl von Gruppen, deren Interessen diffus sind und auch sein müssen. Zwar sind die bislang anerkannten zwingenden Erfordernisse größtenteils Interessen aller gesellschaftlichen Gruppen, wie zum Beispiel kulturelle Werte oder der Umweltschutz. Dennoch werden auch beispielsweise mit der Anerkennung des Arbeiter- und Verbraucherschutzes Interessen nur einzelner Bevölkerungskreise geschützt.415 414 Vgl. auch W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 236.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

ee) Ziele der Gewerbemodelle als Gründe der Raumplanung Im Hinblick auf die Gewerbemodelle stellt sich die Frage, ob die Sanierung der Innenstädte als legitimes zwingendes Erfordernis Anerkennung verdient. Im Laufe der Zeit hat sich insbesondere in den innergemeindlichen Gebieten oft ein unerwünschtes Nebeneinander von Wohngebäuden und Gewerbebetrieben416 entwickelt. In der Praxis ergeben sich jedoch häufig Konflikte aus diesem Nebeneinander von Wohnen einerseits und Industrie oder Gewerbe andererseits. Die nationale Rechtsprechung hat daher den Grundsatz der Trennung von nicht miteinander verträglichen Nutzungen entwickelt: Ein wesentliches Element geordneter städtebaulicher Entwicklung und damit ein „elementarer Grundsatz städtebaulicher Planung“ ist danach, „daß Wohngebiete und die nach ihrem Wesen umgebungsbelastenden Industriegebiete möglichst nicht nebeneinander liegen sollten“417. Wenn aber ganze Gebiete nicht nebeneinander angeordnet werden sollten, dann gilt dies erst recht für den Fall, in dem in einem Gebiet beide Gruppen vermischt vorzufinden sind. Ziel der gemeindlichen Gewerbemodelle ist es, diesen städtebaulichen Mißstand, der sich aus einer sich gegenseitig negativ berührenden unterschiedlichen Nutzung von gemischten Wohn- und Betriebsgebäuden ergibt, zu beheben, indem Betriebe in dafür vorgesehene Gewerbegebiete im Randbereich der Gemeinde umgesiedelt werden.418 Auf diese Weise kann der Kern der Gemeinde wieder in ein Wohngebiet umgewandelt werden, das nicht durch störenden Verkehrs- und Industrielärm sowie durch erhöhte Abgase und Verunreinigungen belastet wird. Auch wird die soziale Lebendigkeit dieser Gegend verstärkt, wenn die Örtlichkeit nicht durch Industriegebäude unterbrochen wird. Eine Umsiedelung wirkt sich regelmäßig auch auf das oftmals historische Ortsbild der Gemeinde aus, das durch die Wiedererrichtung von Wohnhäusern verschönert wird. Die gewichtige Aufgabe der physischen Gestaltung der Städte und Gemeinden gehört zur städtebaulichen Planung und ist daher als weiterer Unterfall der raumplanerischen Gründe schützenswert. Es schadet vorliegend nicht, daß dieses übergeordnete Ziel durch wirtschaftliche Maßnahmen, der verbilligten Veräußerung von Grundstücken, verfolgt wird.419

415 M. Ahlfeld, Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art. 30 EGV, 1997, S. 271. 416 Hierbei fallen unter Gewerbebetriebe natürlich nicht kleinere Geschäft wie Lebensmittelläden, Bäckereien etc., sondern größere Produktionsbetriebe. 417 BVerwGE 45, 309 (327). 418 Vgl. § 136 Abs. 3 d, f BauGB. 419 Vgl. dazu oben 4. Teil A. II. 1.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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IV. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes sagt noch nichts über die endgültige Vereinbarkeit der diskriminierenden Zulassungsregel zu städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen mit den betroffenen Grundfreiheiten aus. Die eigentliche Hürde ist die folgende Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz420 ist ein „Geschöpf“ der Rechtsprechung des EuGH und inzwischen einhellig als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt.421 Heute ist er teilweise422 in Art. 5 Abs. 3 EG (Art. I-11 Abs. 4 VV) kodifiziert.423 Abgesehen von einer nicht immer einheitlichen Terminologie läßt sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Anlehnung an die im deutschen Recht vorgenommene Dreigliederung in die Elemente der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erkennen.424 Die konkrete Ausgestaltung ist jedoch stets vor dem Hintergrund der spezifischen gemeinschaftsrechtlichen Strukturen zu sehen und soll im folgenden anhand der Rechtsprechung des EuGH näher erläutert werden.

420 Vgl. hierzu grundlegend O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 158 ff. 421 Statt vieler vgl. nur EuGH, Slg. 1997, I-1847 (1867 Rdnr. 21) – Bakers of Nailsea; Slg. 1996, I-427 (455 Rdnr. 69) – NMB France II; aus der Literatur siehe O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 159. 422 Vgl. dazu T. Kingreen, Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S. 168 ff. 423 Zur Entwicklung vgl. H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 512 f. Die Herleitung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist umstritten, siehe J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1988, S. 692 ff. Teils wird versucht, diesen Grundsatz allein auf seine im Vertrag festgeschriebenen Ausprägungen zu stützen, teils wird in ihm ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts gesehen, der aus dem den nationalen Rechtsordnungen oder dem Gemeinschaftsrecht immanenten Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird. 424 Zu den einzelnen Elementen vgl. J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der EU, 1996, S. 96 ff.; U. Kischel, EuR 2000, 380 (383 f.).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

1. Wohnraummodelle a) Geeignetheit Der EuGH sieht eine Maßnahme als geeignet an, wenn durch sie das angestrebte Ziel wirksam erreicht werden kann.425 Dabei ist der Eignungstest mehr als Ausschluß denn als Optimierungskriterium anzusehen, da wie im deutschen Recht keine optimale, sondern lediglich eine minimale Wirkung verlangt wird.426 Geeignet ist somit eine Maßnahme, wenn sie das fragliche Ziel zumindest fördert.427 Den Mitgliedstaaten wird hinsichtlich der Beurteilung eine weite Einschätzungsprärogative zugestanden.428 Eine mangelnde Eignung führt zur Unverhältnismäßigkeit und damit zur Rechtswidrigkeit einer Maßnahme. In der überwiegenden Zahl der bereits durchgeführten Eignungsprüfungen bestanden allerdings keine Zweifel an der Eignungsprognose der Mitgliedstaaten, so daß sich dieses Kriterium letztlich eher als stumpfes Schwert erweist,429 das im Ergebnis lediglich Extremfälle einer Zweckverfehlung auszuschalten vermag.430 Im vorliegenden Fall ist fraglich, ob die verbilligte Veräußerung von Bauland an die einheimische Bevölkerung zur Errichtung von Eigenheimen die anvisierten Ziele überhaupt fördert. Dabei darf die hier problematisierte Zulassungsvoraussetzung zu diesen Konzepten nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr sind auch die übrigen Regelungen der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle zu berücksichtigen, da sie erst in ihrer Gesamtheit den Erfolg des Modells ausmachen. Hauptanliegen dieser Projekte ist, wie soeben dargestellt,431 die Erhaltung einer intakten Sozialstruktur in der Bevölkerung sowie die Wahrung der gemeindlichen Identität und Lebendigkeit. Um die Wirkung der Maßnahme treffend prognostizieren zu können, ist es in einem ersten Schritt notwendig, die gegenwärtigen, tatsächlich vorhandenen Wirkungsmechanismen, die zu den bisherigen unerwünschten Effekten geführt haben, genau zu analysieren. Hierbei ist auf die zur Fallgruppe der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle eingangs ausführlich beschriebene 425 Vgl. zum Beispiel EuGH, Slg. 1970, 1125 (1136 f.) – Internationale Handelsgesellschaft mbH. 426 O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 207. 427 Etwa EuGH, Slg. 1980, 2299 (2316 Rdnr. 17) – Kommission ./. Frankreich; vgl. auch H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (721 f.). 428 D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2005, § 7 Rdnr. 96. 429 So auch S. Heinsohn, Der öffentlichrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1997, S. 111; J. Schwarze, Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 833 f. 430 C. Calliess: in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 5 Rdnr. 46; J. Schwarze (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, S. 834. 431 Vgl. dazu oben 4. Teil B. III. 5. b) dd).

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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Motivation dieser Modelle zurückzugreifen.432 An dieser Stelle soll nur noch eine kurze Zusammenfassung erfolgen. Aufgrund der hohen Nachfrage kapitalkräftiger EG-Bürger nach Bauland zur Errichtung von Zweit- oder Alterswohnsitzen sowie zu Spekulationszwecken steigen insbesondere in den Umlandgemeinden größerer Ballungsgebiete und Fremdenverkehrsregionen die Bodenpreise in enorme Höhen. Diese „Inflationierung“ der Bodenpreise erlaubt es der heranwachsenden heimischen Bevölkerung kommender Generationen nicht mehr, ein Eigenheim in der „eigenen“ Gemeinde zu erwerben und zu finanzieren. Während die ursprünglich ortsansässigen Personen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, wird die Gemeinde durch den Zuzug von Auswärtigen überfremdet und verliert ihre kulturelle Identität. Zudem besteht aufgrund der dann hohen Anzahl von Zweit- und Alterswohnsitzen die Gefahr der Verödung und Überalterung der Gemeinden, was letztlich zu einer nicht intakten Sozialstruktur in der Bevölkerung führt. Als zweiten Schritt setzt die Prüfung der Geeignetheit zwingend eine Prognose voraus, ob und auf welche Weise die Maßnahme voraussichtlich in den Kausalverlauf eingreift. Dazu ist auf die Sachlage abzustellen, wie sie dem Handelnden zum Zeitpunkt des Handelns bekannt war (ex-ante-Sicht).433 Um die Identität zu gewährleisten, ist, wie erwähnt, insbesondere Kontinuität erforderlich, die sich vor allem durch eine über lange Jahre hinweg gewachsene Bevölkerung auszeichnet. Ob und inwieweit die Menschen bereit und in der Lage sind, auf Dauer in „ihrer“ Stadt zu leben und sich mit ihr zu identifizieren, hängt maßgeblich von der Lebensqualität ab, die ihnen von und in der Gemeinde geboten wird. Diese wird von vielen Faktoren bestimmt. Ganz oben auf der Bedeutungsskala rangieren Grundbedürfnisse wie Verdienstmöglichkeiten, Bildungseinrichtungen sowie medizinische Versorgung, vor allem aber auch angemessener Wohnraum und ein attraktives Wohnumfeld.434 Sofern also bezahlbare und attraktive Wohnungsangebote für alle Bevölkerungsschichten sowohl im Eigentum als auch im Mietwohnungsbereich in einem lebenswerten Wohnumfeld zur Verfügung gestellt werden, hat dies eine positive Auswirkung auf eine dauerhafte Bindung der einheimischen Bevölkerung an die Gemeinde. Da regelmäßig gerade die jungen, sozial schwächeren Ortsansässigen zur Abwanderung gezwungen sind, richten sich die städtebaurechtlichen Wohnraummodellen an diese Zielgruppe, wobei die Normierung zusätzlicher Kriterien wie Einkommensgrenzen, niedriges Lebensalter und Kinderzahl die Zweckerreichung sicherstellt. Zudem verpflichten sich die späteren Grund432

Vgl. oben 3. Teil A. I. 2. O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 208; U. Kischel, EuR 2000, 380 (386). 434 So B. Meyer, der städtetag 5/2003, 32 (32). 433

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

stückseigentümer, über einen Zeitraum von in der Regel zehn Jahren in der Gemeinde wohnhaft zu bleiben, so daß die anvisierte langjährige Bindung sichergestellt wird. Auf diese Weise bleibt die intakte, ausgewogene Sozialstruktur erhalten. Da nun auch weiterhin eine große Anzahl von Einheimischen in der Gemeinde lebt, können Traditionen und Alltagsgewohnheiten fortgeführt sowie durch soziale Kontakte lokale Erinnerungen und sprachliche Eigentümlichkeiten erneuert werden. Die Einschränkung dieser Modelle auf Einheimische bewirkt somit die Wahrung der gemeindlichen Identität. Da zudem in den der Einheimischenbindung unterliegenden Gebieten der ganzjährige Wohnsitz Voraussetzung ist, wird auch den weiteren Zielvorstellungen der Gemeinde, der Gefahr der Entwicklung zu sogenannten Rolladen- oder Geisterstädten, entsprochen. Was die ebenfalls anvisierte Verhinderung des Anstiegs der Bodenpreise betrifft, so haben die Erfahrungen gezeigt, daß die gezielte und preisgünstige Baulandbereitstellungspraxis nicht nur auf die Grundstücke in den neu ausgewiesenen Baugebieten Einfluß besitzt, sondern auch insgesamt das Preisniveau auf dem örtlichen Bodenmarkt dämpft.435 Nach dem zu erwartenden Kausalverlauf werden durch die Errichtung der städtebaurechtlichen Wohnraummodelle die anvisierten Zielvorstellungen der Gemeinde gefördert. Die Maßnahme ist mithin geeignet. Das genaue Ausmaß der Förderung spielt an dieser Stelle keine Rolle.436 b) Erforderlichkeit Der Grundsatz der Erforderlichkeit dominiert in der Rechtsprechung des EuGH die gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung.437 Das Merkmal der Erforderlichkeit besagt, daß eine Maßnahme nur dann zulässig ist, wenn es keine milderen Mittel gibt, um das angestrebte Ziel ebenso wirksam zu erreichen.438 Maßnahmen, die zwar schonender für die betroffene Grundfreiheit sind, aber einen geringeren Wirkungsgrad bei der Erreichung des angestrebten Ziels aufweisen, scheiden als milderes Mittel im Sinne des Erforderlichkeitsgrundsatzes aus. Dabei gibt sich der EuGH zumeist nicht mit einer Vertretbarkeitskontrolle zufrieden, sondern überprüft 435 Vgl. zum Beispiel die Gemeinde Buch am Erlbach, in der sich die Baulandpreise innerhalb eines Jahres auf unter die Hälfte reduzierten; zitiert nach A. Glück, Mehr Bauland ist möglich, 1981, S. 21; A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 48. 436 Vgl. auch A. Epiney, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 30 Rdnr. 53; O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 283. 437 Vgl. J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1988, S. 834. 438 M. Lux, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 30 Rdnr. 28; H. D. Jarass, EuR 2000, 705 (722).

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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die nationalen Maßnahmen eingehend auf ihre Effektivität im Hinblick auf das angegebene Schutzziel. Zudem untersucht er in der Regel genau, ob nicht Alternativmaßnahmen vorhanden sind, die die tangierte Grundfreiheit weniger beeinträchtigen.439 Generell darf die Maßnahme nicht über das zur Verfolgung des Ziels Notwendige hinausgehen.440 Der Umstand, daß andere Mitgliedstaaten weniger strenge Schutzvorschriften erlassen haben, spricht noch nicht gegen die Erforderlichkeit.441 Eine Diskriminierung ist zudem in der Regel unzulässig, wenn das Ziel durch eine unterschiedslos anwendbare Regelung erreicht werden kann.442 Wohnraummodelle sind nur dann erforderlich, wenn sich das Aufkommen eines Verdrängungsprozesses im jeweiligen Einzelfall mit der bei Prognoseentscheidungen erforderlichen Sicherheit abschätzen läßt. Vage Befürchtungen, daß es zu nachteiligen Folgen für die einheimische Bevölkerung kommen wird, reichen nicht aus. Zur Feststellung der Verdrängungsgefahr der ortsansässigen Bevölkerung bedient sich die Praxis häufig bestimmter Höchstbelastungswerte,443 die zum Beispiel aus sogenannten gebietsspezifischen Mietspiegeln abgeleitet werden.444 Diese „Höchstbelastungswerte“ müssen in methodisch einwandfreier und nachvollziehbarer Weise ermittelt werden. Die Anzahl der bereits vorhandenen Zweitwohnungen oder Statistiken des Einwohnermeldeamtes, aus denen der Abzug der einheimischen Bevölkerung ersichtlich ist, können ebenfalls als Indiz einer drohenden Überfremdung herangezogen werden. Fraglich ist, ob vorliegend eine Ausweitung der antragsberechtigten Personen auf alle EG-Bürger als mildere Ausgestaltung der Maßnahme durch den Grundsatz der Erforderlichkeit geboten ist. Eine Ausweitung der Modelle auf den genannten Kreis unabhängig von ihrem Wohnsitz bewirkt grundsätzlich, daß zwar eine stabile Sozialstruktur beibehalten wird, bei der auch weiterhin die Stufe der jüngeren, kinderreichen und damit sozial schwächeren Bevölkerung vertreten ist. Die gleichermaßen angestrebte Wahrung der kulturellen Identität kann aber auf diese Weise nicht sichergestellt werden, so daß eine andere Ausgestaltung der Wohnraummodelle nicht zu dem gewünschten Erfolg führt. Daher steht im Zentrum der nun 439 Etwa EuGH, Slg. 1982, 3961 (3973 Rdnr. 17) – Rau ./. De Smedt; J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1988, S. 835. 440 EuGH, Slg. 1998, I-4473 (4489 Rdnr. 20) – Aher-Waggon. 441 Vgl. EuGH, Slg. 1995, I-1141 (1180 f. Rdnr. 50 ff.) – Alpine Investments; Slg. 2001, I-837 (868 Rdnr. 33) – Mac Quen. 442 H. D. Jarass, RIW 1993, 1 (6); ders., EuR 2000, 705 (722). 443 Die Höchstbelastungsgrenze wird auf der Basis der durch Haushaltsbefragungen ermittelten gebietsspezifischen Einkommensstrukturen ermittelt und gibt Aufschluß über die finanzielle Belastbarkeit der jeweils ansässigen Wohnbevölkerung, vgl. BVerwG, DVBl. 1998, 40 (41). 444 M. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 2007, § 172 Rdnr. 47.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

folgenden Erforderlichkeitsprüfung die Suche nach alternativen Handlungsmöglichkeiten, die sich als gleich wirksame Mittel zur Erreichung der von den Gemeinden angestrebten Ziele qualifizieren lassen. aa) Nationale Regelungen In einem ersten Schritt soll zunächst die nationale Rechtsordnung daraufhin überprüft werden, ob den Gemeinden anderweitige Maßnahmen zum Schutz ihrer angestammten Bevölkerung zur Verfügung stehen, die die betroffenen Grundfreiheiten weniger beeinträchtigen, aber dennoch das angestrebte Ziel ebenso wirkungsvoll erreichen. Auf den ersten Blick scheinen verschiedene städtebauliche Instrumente des Baugesetzbuches, konkret die Genehmigungstatbestände des § 144 BauGB, das allgemeine Institut der Erhaltungssatzung nach § 172 BauGB sowie die Sicherung von Fremdenverkehrsregionen nach § 22 BauGB, durchaus als mildere Mittel in Betracht zu kommen. (1) Sanierungssatzung Innerhalb förmlich festgelegter Sanierungsgebiete unterliegen verschiedene Vorhaben und Rechtsgeschäfte, unter anderem der Erwerb eines Grundstücks, nach § 144 BauGB einem besonderen sanierungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalt.445 Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Gemeinde die gesetzlichen Grenzen des Sanierungskonzeptes im Sinne des § 136 BauGB überschreitet, wenn sie zusätzlich zu dem Ziel der rein baulichen Sanierung auch die genannten sozialen Zielsetzungen in ihr Stadterneuerungskonzept aufnimmt. Bislang besteht mit unterschiedlicher Begründung im Ergebnis weitgehend Einigkeit darüber, daß der Schutz der angestammten Wohnbevölkerung vor Verdrängung ein mit den Mitteln des Sanierungsrechts zulässigerweise verfolgbares Ziel darstellt. So wird teilweise argumentiert, daß die in § 136 Abs. 4 S. 2 BauGB genannten Ziele nicht abschließend seien, sondern beispielhafte Konkretisierungen des in § 136 Abs. 4 S. 1 BauGB angesprochenen „Wohls der Allgemeinheit“446. Es könne ohne Weiteres im Allgemeinwohl liegen, die Zusammensetzung der angestammten Wohnbevölkerung zu erhalten. Da es sich um eine „bevölkerungsorientierte und sozialgesteuerte Gefügesatzung“447 handele, dürfe ein Sanierungskonzept auch die Erhaltung gewachsener und für positiv 445

Vgl. § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB. F.-J. Peine, DÖV 1992, 85 (87). 447 R. Breuer, Bauplanungsrechtliche Instrumente zum Schutz der Sozialstruktur, 1985, S. 30. 446

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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erachteter Bevölkerungsstrukturen bezwecken. Andere Autoren folgern aus § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 BauGB, der dazu beiträgt, daß „die bauliche Struktur in allen Teilen des Bundesgebiets nach den sozialen . . . Erfordernissen entwickelt wird“, daß sich die „sozialen Erfordernisse“ auch auf die Bevölkerungsstruktur beziehen. Die an die bauliche Struktur zu stellenden sozialen Erfordernisse seien untrennbar mit den Bewohnern verbunden. Insoweit müßten auch die sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung berücksichtigt werden.448 Neuerdings mehren sich jedoch Stimmen, die zutreffend gegen die Zulässigkeit der genannten Zielsetzung argumentieren. Zunächst ist festzustellen, daß § 136 Abs. 4 BauGB nicht ausdrücklich die Erhaltung der ortsansässigen Wohnbevölkerung als Sanierungsziel nennt. Zwar ist einzuräumen, daß der Begriff „soziale Erfordernisse“ durchaus auch in einem weiten, den „Verdrängungsschutz“ mit umfassenden Kontext verstanden werden kann. Im Hinblick auf die systematische Auslegung ist aber § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB, auf den im Anschluß noch genauer einzugehen sein wird, hierfür vorrangig heranzuziehen. Dort ist die Erhaltung der Wohnbevölkerung als Ziel einer Erhaltungssatzung ausdrücklich normiert. Der Gesetzgeber hat demnach die Notwendigkeit des Verdrängungsschutzes klar gesehen und mit § 172 Abs. 4 Nr. 1 BauGB eine detaillierte Norm geschaffen, die zugleich eine differenzierte Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG darstellt.449 Die Sanierungssatzung enthält keine vergleichbare Regelung. Gerade in einem solch grundrechtssensiblen Bereich, in dem der Schutz der Wohnbevölkerung zu Lasten der Grundstückseigentümer geht, hätte der Gesetzgeber bei Anerkennung eines derartigen Zieles klarstellend tätig werden müssen. Auch die historische Entwicklung des Sanierungsrechts zeigt, daß der Gesetzgeber den Verdrängungsschutz nicht als Ziel der Sanierungssatzung ansah.450 Vielmehr wurde erst im Jahre 1976 das als schützenswert anzuerkennende Ziel in das Städtebaurecht des Bundesbaugesetzes in Gestalt der Erhaltungssatzung nach § 39 h Abs. 1 BBauGB eingefügt.451 Zudem ist zu berücksichtigen, daß es grundsätzlich einer solchen Auslegung des § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 BauGB nicht bedarf, da das Instrumentarium der Erhaltungssatzung mit dem Sanierungsrecht kombiniert werden kann.452 Tatsächlich wird eine derartige 448 Im Ergebnis in diesem Sinne R. May, DÖV 1994, 862 (865); H.-G. Fieseler, NVwZ 1997, 867 (870); G. Schmidt-Eichsteadt, ZfBR 2002, 212 (213 f.); C. Federwisch, NVwZ 2003, 1035 (1040). 449 VG Berlin, BauR 2003, 1025 (1027); so auch A. Kunze/F. Badtke, BauR 2003, 976 (980). 450 Ebenso C. J. Partsch, NVwZ 1997, 139 (139). 451 Vgl. hierzu M. Krautzberger, ZfBR 1981, 209 (211 f.). 452 So auch H.-G. Fieseler, NVwZ 1997, 867 (870); F.-J. Peine, DÖV 1992, 85 (92); C. Federwisch, NVwZ 2003, 1035 (1040).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Kombination wohl kaum vorkommen, da sie in der Regel zu einem unauflösbaren Widerspruch führt. Einerseits soll die durchgreifende Modernisierung von Gebäuden gefördert werden (was eine Entmietung während der Bauphase praktisch voraussetzt), andererseits aber mit Hilfe der Erhaltungssatzung darauf beharrt werden, daß die ortsansässige Wohnbevölkerung dauerhaft geschützt wird.453 Zudem stellt sich die Frage, ob der Verdrängungsschutz überhaupt effektiv nach dem Sinn und Zweck der Sanierungssatzung gestaltet werden kann. Die Sanierungsmaßnahmen sind zeitlich begrenzt. Nach ihrem Abschluß wird die Satzung gemäß § 162 BauGB aufgehoben und es entfallen alle besonderen Rechtsfolgen. Ein dauerhafter und nachhaltiger Schutz der vorhandenen Wohnbevölkerung kann daher mit der Sanierungssatzung nicht erreicht werden.454 Diesen Ausführungen zufolge ergibt sich, daß der Schutz der ansässigen Wohnbevölkerung vor der Verdrängung einerseits bereits kein legitimes Sanierungsziel darstellt.455 Andererseits bewirkt die Sanierungssatzung gemäß § 136 ff. BauGB nicht den von den Gemeinden gewünschten Effekt, so daß dieses Instrument als Handlungsalternative ausscheidet. (2) Erhaltungssatzung Gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB kann die Gemeinde durch Bebauungsplan oder sonstige Satzung Gebiete festsetzen, in denen die „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ erhalten werden soll. In vielen Städten sind nahe der Innenstadt gelegene alte Wohnviertel durch Modernisierungen und Nutzungsumwandlungen erheblichen Veränderungen in bezug auf die Zusammensetzung der ansässigen Wohnbevölkerung unterworfen. Die dort in der Regel wohnenden Familien mit geringem Einkommen, ältere Bürger und Studenten sind zunehmend nicht mehr in der Lage, die auf Grund der Modernisierungen angehobenen Mieten aufzubringen und müssen sich hinsichtlich ihres Wohnorts neu orientieren.456 Daher ist ein ausdrücklich erklärtes Ziel dieser sogenannten Milieuschutzsatzung, den Bürgern, die in einem intakten Gebiet wohnen, den Bestand der Umgebung zu sichern und so die Bevölkerungsstruktur vor unerwünschten Veränderungen zu schützen.457 Eine besondere Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur wird vom Gesetz nicht verlangt.458 Jede Wohnbevölkerung, wie 453 Vgl. OVG Berlin, BauR 2003, 1124 (1124 f.); siehe auch G. Schmidt-Eichstaedt, ZfBR 2002, 212 (216). 454 So auch A. Kunze/F. Badtke, BauR 2003, 976 (983). 455 VG Berlin, BauR 2003, 1025 (1028); C. J. Partsch, NVWZ 1997, 139 (140); A. Kunze/F. Badtke, BauR 2003, 976 (982). 456 M. Schladebach, BauR 2000, 1137 (1137). 457 BVerfG, DVBl. 1987, 465 (465 f.).

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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auch immer sie zusammengesetzt sein mag, ist potentiell schutzwürdig, da sie für ihre Bewohner ein Stück soziale und räumliche Heimat darstellt. Besondere Gesichtspunkte werden erst bei den städtebaulichen Erhaltungsgründen gefordert.459 Auf dieser Grundlage ist somit auch eine bestimmte gewachsene Bevölkerungsstruktur, die aus Einheimischen besteht, erhaltenswert.460 Gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 BauGB bedürfen in von der Gemeinde ausgewählten Gebieten bauliche Maßnahmen einer besonderen Genehmigung. In dem Genehmigungsverfahren wird geprüft, ob der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen eine nachteilige Wirkung auf das genannte Erhaltungsziel besitzt und deshalb durch Versagung zu verhindern ist. Als milderes Mittel können jedoch nur solche Maßnahmen in Betracht gezogen werden, die potentiell gleichermaßen geeignet sind, die angestrebten Ziele zu verwirklichen. Die Vorschrift dient als städtebauliches Instrument nur mittelbar dem Schutz einzelner konkreter Bewohner und bezweckt vielmehr – auf lange Sicht gesehen – das Ziel der Erhaltung der Sozialstruktur und der kulturellen Identität von Städten und Dörfern,461 indem sie verhindert, daß die in diesem Gebiet wohnenden, regelmäßig der sozial schwächeren Bevölkerungsschicht angehörenden Bürger aus der Gemeinde wegziehen müssen. Da zur Annahme der Eignung bereits eine minimale Förderung ausreicht, ist die Eignung der Milieuschutzsatzung hinsichtlich der anvisierten Ziele zu bejahen. Ob diese Alternativmaßnahme auch eine gleiche Wirksamkeit wie die städtebaurechtlichen Wohnraummodelle erreicht, erscheint hingegen fraglich. Grundsätzlich rechtfertigt auch die Gefahr der Umwandlung von Wohnungen der eingesessenen Bevölkerung in Ferien- oder Zweitwohnungen in Kurorten eine Milieuschutzsatzung,462 so daß sowohl Fremdenverkehrsregionen als auch Ballungszentren erfaßt werden. Bei der Betrachtung der Grundkonzeption der Milieuschutzsatzung ist allerdings festzustellen, daß sie lediglich in den Gebieten der Verdrängungsgefahr Abhilfe schaffen kann, in denen die Abwanderung durch Modernisierungen und Nutzungsumwandlungen hervorgerufen wird. Eine Anwendbarkeit auf Problemgebiete, die ohne bauliche Veränderungen unter Ver458 Nahezu einhellige Meinung, vgl. etwa VGH Mannheim, NVwZ-RR, 1994, 313 (313); VGH Kassel, DVBl. 1986, 693 (694); K.-H. Neuhausen, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, Gesamtstand: September 2006, § 172 Rdnr. 25. 459 BVerwG, DVBl. 1998, 40 (40). 460 Ebenso D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 216. 461 M. Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg.), BauGB, 2007, § 172 Rdnr. 1; K.-H. Neuhausen, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, Gesamtstand: September 2006, § 172 Rdnr. 24. 462 K.-H. Neuhausen, in: Brügelmann (Hrsg.), BauGB, Gesamtstand: September 2006, § 172 Rdnr. 26.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

drängungsdruck geraten, ist hingegen ausgeschlossen.463 Im vorliegenden Fall geht die Gefahr überwiegend von Baulandspekulanten und ansiedelungswilligen finanzkräftigen Auswärtigen aus, die in der Gemeinde ein Grundstück als Zweit- oder Alterswohnsitz erwerben möchten. Auf den Bodenmarkt kann die Milieuschutzsatzung allerdings keinen Einfluß nehmen, so daß auch diese Handlungsalternative aufgrund der geringeren Wirksamkeit ausscheidet. (3) Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen Gegenstand des § 22 BauGB ist die Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen. Konkret verfolgt die Vorschrift den Zweck, für einen wechselnden Personenkreis von Feriengästen die Beherbergungsmöglichkeiten, die für die Wahrnehmung von Aufgaben von Ferienorten erforderlich sind, zu erhalten sowie die sich aus der Nutzung als Zweitwohnung ergebenden Nachteile für die Struktur des betreffenden Gebiets und die Gefahr der Unterausnutzung von Infrastruktur zu verhindern.464 Dazu normiert § 22 BauGB eine Genehmigungspflicht für die Begründung oder Teilung von Wohn- oder Teileigentum.465 Diese kann sich je nach Bedarf auch auf unbebaute Grundstücke beziehen.466 Es werden also die sachenrechtlichen Rechtsvorgänge unterbunden, die nach den Erfahrungen der Praxis in der Regel den Einstieg in die Nutzung als Zweitwohnung darstellen. Bereits aus der Zielsetzung ist ersichtlich, daß der dann erhaltene „Wohnraum“ nicht für die Einheimischen verwendet, sondern für die wechselnden Urlaubsgäste zur Verfügung gestellt werden soll. Durch die Kontrolle des Zweitwohnungsmarkts wird jedoch aufgrund der geringeren Nachfrage der Preis für Wohnungen und Grundstücke gedämpft. Zudem wird gewährleistet, daß genügend Wohnraum beziehungsweise Grundstücke auch für Einheimische zur Verfügung stehen. Daher trägt der Genehmigungsvorbehalt zur Verwirklichung der gemeindlichen Ziele zumindest bei. Es stellt sich die Frage, ob eine Satzung nach § 22 BauGB ein milderes Mittel gegenüber den städtebaurechtlichen Wohnraummodellen darstellt. Zu beachten ist zunächst ihr begrenzter Anwendungsbereich, da sie nur für Gemeinden in Betracht kommt, die überwiegend durch den Fremdenverkehr geprägt sind. Allerdings konnte bezüglich der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle 463

R. May, DÖV 1994, 862 (863). W. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg u. a. (Hrsg.), BauGB, Gesamtstand: Dezember 2006, § 22 Rdnr. 9; M. Krautzberger, in: Battis/ders./Löhr (Hrsg.), BauGB, 2007, § 22 Rdnr. 1. 465 Vgl. § 1 Wohnungseigentumsgesetz. 466 Vgl. W. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg u. a. (Hrsg.), BauGB, Gesamtstand: Dezember 2006, § 22 Rdnr. 39. 464

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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festgestellt werden, daß diese hauptsächlich in Fremdenverkehrsregionen anzutreffen sind. Sie finden aber auch in Umlandgemeinden von großen Städten Anwendung. Hier geht die Verdrängungsgefahr nicht von Auswärtigen aus, die dort ihren Zweitwohnsitz errichten möchten, sondern von Berufspendlern, die in der Großstadt arbeiten und es vorziehen, in einem Haus im Grünen zu wohnen. Die Satzung gemäß § 22 BauGB könnte demnach nur in Fremdenverkehrsregionen als milderes Mittel in Betracht kommen. Ob durch das Verbot von Zweitwohnungen die Ursachen genauso wirksam bekämpft sowie die Zielvorstellungen der Gemeinde gleichermaßen wie bei den städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen verfolgt werden können, soll erst im Anschluß an die sogleich folgende Erörterung der Regelungen anderer Mitgliedstaaten, die ebenfalls die Verhinderung von Zweitwohnungen bezwecken, für beide Varianten gemeinsam erörtert werden.

bb) Regelungen anderer Mitgliedstaaten Wie bereits erwähnt verfolgen verschiedene Mitgliedstaaten, insbesondere Österreich, ähnliche raumplanerische Ziele. Daher liegt es nahe zu überprüfen, ob nicht die von den anderen Mitgliedstaaten zur Lösung ihrer raumplanerischen Zielsetzungen angewendeten Vorschriften als Handlungsalternative in Betracht kommen. In Österreich wenden einige Bundesländer ein vom EuGH für EG-rechtskonform erklärtes System an, nach dem der Erwerber eines Grundstücks vorab schriftlich versichern muß, das später bebaute Grundstück nicht als Zweitwohnung zu nutzen. Sollte sich die Versicherung als falsch herausstellen, besteht für die Behörde die Möglichkeit, nachträglich einzuschreiten.467 Die österreichischen Grundverkehrsgesetze verfolgen eine mehrfache Zielsetzung: Neben dem Leitgedanken der Sicherung des Wohn- und Wirtschaftsbedarfs für die ansässige Bevölkerung steht die Verhinderung der Überfremdung und Verödung der Regionen und die Lenkung der Preisentwicklung durch Dämpfung der Nachfrage im Vordergrund. Zwar unterliegt in Deutschland im Gegensatz zu Österreich das Grundverkehrsrecht, das sich auf den Erwerb und die Veräußerung von Grundstücken bezieht, soweit dies öffentlich-rechtlich geregelt wird,468 gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG der konkurrierenden Gesetzgebung. Doch interessiert das EG-Recht die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung nicht,469 so daß eine Regelung dergestalt, daß eine Gemeinde eine Voraber467

EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3136 f. Rdnr. 46 ff.) – Konle. P. Kunig, in: Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 3, 2003, Art. 74 Rdnr. 81; S. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Bonner GG, Bd. 2, 2005, Art. 74 Rdnr. 159. 469 Vgl. EuGH, Slg. 2003, I-721 (741 f. Rdnr. 26 f.) – Kommission ./. Italien. 468

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klärung beim Erwerb eines in ihrem Gebiet liegenden Grundstücks verlangt, als milderes Mittel in Betracht kommt. Durch die Verhinderung der Entstehung von Zweitwohnungen sinkt die Nachfrage nach Wohnraum und Bauland. Die Immobilienpreise fallen. Dadurch kann die in der Tendenz finanziell schwächere einheimische Bevölkerung zu moderaten Preisen Grundstücke erwerben und bleibt auf diese Weise der Gemeinde erhalten. Dieses Modell trägt damit zur Sicherung der Bevölkerungsstruktur und zum Erhalt der gemeindlichen Identität bei, so daß die Eignung unproblematisch zu bejahen ist. Es ist festzustellen, daß es sich bei der vorgeschlagenen Lösung im Gegensatz zu den mittelbar diskriminierenden städtebaurechtlichen Wohnraummodellen um eine unterschiedslos wirkende Maßnahme handelt, die eine geringere Eingriffsintensität aufweist und bereits aus diesem Grund eine geringere Beeinträchtigung der Grundfreiheiten bewirkt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß durch diese Maßnahme viel mehr, nämlich alle Bürger, die ein Grundstück in der Gemeinde erwerben möchten, betroffen sind. Die Kontrolle über die Entwicklung des Zweitwohnungsmarktes bewirkt ebenfalls die von den städtebaurechtlichen Wohnraummodellen verfolgten Ziele wie die Verhinderung von Rolladenstädten und Kriminalität bei saisonbedingten Leerständen, eine gleichmäßige Auslastung der vorhandenen Infrastruktur, die Zurverfügungstellung von ausreichendem Wohnraum sowie den Schutz der Landschaft vor andernfalls notwendig werdenden Neuausweisungen von Bauland. Betrachtet man hingegen den Schutz der eingesessenen Bevölkerung und die Gefahr der Überfremdung, so ist zu konstatieren, daß die Entstehung von Zweitwohnungen in der Praxis die ausschlaggebende Ursache ist, die zu einer Preiserhöhung auf dem Immobilienmarkt und zu einem Wegzug der Einheimischen führt. Gefördert wird diese Preisspirale zusätzlich durch Bodenspekulation. Durch das Verbot der Errichtung von Zweitwohnungen, sei es durch eine Voraberklärung oder durch einen Genehmigungsvorbehalt, tritt ein preisdämpfender Effekt ein, Bodenspekulationen erscheinen nicht mehr rentabel und werden regelmäßig ebenfalls zurückgedrängt. Damit wäre die Abwanderung der ortsansässigen Bevölkerung verhindert. Allerdings bedeutet das noch nicht, daß auch eine intakte Sozialstruktur erhalten bleibt. Trotz des preisdämpfenden Effekts kann die Gemeinde nicht verhindern, daß möglicherweise die Grundstückspreise für junge, sozial schwache Familien immer noch zu hoch sind. Gerade diese Bevölkerungsgruppe zu erhalten, ist jedoch das Anliegen der städtebaurechtlichen Wohnraummodelle. Die Gefahr der Überalterung der Gemeinde wird zudem erhöht, da mit dem Verbot von Zweitwohnungen nicht der Errichtung von Alterswohnsitzen entgegengewirkt wird. Die Überalterung könnte verhindert werden, indem unabhängig von der Ortsansässigkeit allen jungen, kinderreichen Familien die Möglichkeit zum vergünstig-

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ten Grundstückserwerb gegeben wird. Diese diskriminierungsfreien Sozialmodelle tragen jedoch nicht dazu bei, die gemeindliche Identität zu erhalten und das kulturelle Erbe weiterzugeben. Demzufolge kann durch ein wie auch immer ausgestaltetes Verbot von Zweitwohnungen zwar eine dauerhaft ansässige erreicht werden. Das gemeindliche Hauptanliegen, die Erhaltung einer intakten Sozialstruktur sowie die Wahrung des kulturellen Erbes und der Eigenart als Teil des ländlichen Raumes, wird jedoch nicht mit der gleichen treffsicheren Wirkung verfolgt wie bei den städtebaurechtlichen Wohnraummodellen, die auch erst durch das Zusammenwirken der verschiedenen Klauseln das gewünschte Ergebnis bewirken. cc) Ergebnis Gegenüber den städtebaurechtlichen Wohnraummodellen sind gleich wirksame Handlungsalternativen nicht ersichtlich. Die Modelle sind folglich auch erforderlich. c) Angemessenheit Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung wird eine Maßnahme daraufhin analysiert, ob zwischen der Schwere der Einschränkung und der Bedeutung des Schutzgutes ein grobes Mißverhältnis besteht.470 Im deutschen Recht wird die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne durch eine Abwägung zwischen dem beeinträchtigten subjektiven Recht und dem geförderten Allgemeininteresse ermittelt. Der EuGH prüft hingegen zumeist anhand einer „Globalabwägung“471 aller relevanten Interessen, ob eine mitgliedstaatliche Regelung unverhältnismäßig ist. Hierbei werden insbesondere zwei im öffentlichen Interesse liegende Ziele gegeneinander abgewogen, nämlich das öffentliche Interesse der Gemeinschaft am Bestand der betroffenen Grundfreiheit und das öffentliche Interesse eines Mitgliedstaats im konkreten Fall.472 Damit trägt der Gerichtshof dem Umstand Rechnung, daß sich die Interessenlage im Gemeinschaftsrecht von der des nationalen Rechts insofern unterscheidet, als daß hier regelmäßig die Interessen von drei beteiligten Ebenen zu berücksichtigen sind: Zum Interessengegensatz zwischen Staat und Bürger tritt als dritter Pol der Abwägung die Ebene der Gemein470 Vgl. S. Heinsohn, Der öffentlichrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, 1997, S. 125; K. Lackhoff, Die Niederlassungsfreiheit – nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S. 465. 471 O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 228. 472 Als Beispiel vgl. etwa EuGH, Slg. 1974, 533 (543 Rdnr. 5 f.) – Fleischkontor; siehe auch R. Uerpmann, Das öffentliche Interesse, 1999, S. 263.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

schaftsinteressen hinzu. Bei der Prüfung der Angemessenheit durch den EuGH handelt es sich also um eine umfassende „multipolare“ Interessenabwägung, bei der die verschiedenen geförderten und beeinträchtigten Interessen im Mittelpunkt stehen.473 Allerdings dient auch das gemeinschaftsrechtliche Konzept nicht dazu, optimale Entscheidungen zu erzielen, sondern dazu, ein offensichtlich unangemessenes Verhältnis zwischen Mitteln und Zielen zu verhindern.474 Die Unangemessenheit der Maßnahme ist daher nicht schon dann zu bejahen, wenn die Nachteile die Vorteile nur geringfügig überwiegen. Zu beachten ist, daß die Kontrollintensität bei Diskriminierungen höher als bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen ist.475 Vorliegend ist demnach die Frage klärungsbedürftig, ob zwischen den mit den städtebaurechtlichen Wohnraummodellen verbundenen Belastungen und ihren Vorteilen ein evidentes Mißverhältnis besteht. aa) Ermittlung der beteiligten Rechtsgüter Grundvoraussetzung jedes transparenten Abwägungsvorganges ist zunächst die klare Herausarbeitung der verfolgten Ziele sowie der beeinträchtigten Rechtspositionen. Die raumplanerischen Zielsetzungen der Gemeinde wurden bereits genannt476 und sollen daher hier nur stichpunkthaltig wiederholt werden. Im Vordergrund stehen die Erhaltung einer intakten Sozialstruktur in der Bevölkerung und die Bewahrung der gemeindlichen Identität. Gleichzeitig sollen die Ursachen und Folgeprobleme bekämpft werden, die durch eine Überfremdung durch Auswärtige entstehen. So sollen Bodenspekulationen verhindert, den Gefahren, die von Schlaf- und Rolladenstädten ausgehen, entgegengewirkt, drohende infrastrukturelle Probleme verhindert und die Bevölkerung mit Wohnraum versorgt werden, ohne dafür eine ökologisch unerwünschte massive Ausweitung des Baulandbestandes vorzunehmen. Als beeinträchtigte Rechtsposition steht auf der anderen Seite das durch die Grundfreiheiten geschützte Rechtsgut: die Verwirklichung eines freien Binnenmarktes, der in sich unstrittig als anerkennenswertes Allgemeininteresse der EU gilt.477 Zugleich dienen die Grundfreiheiten dem Schutz des einzelnen gegenüber hoheitlichen Eingriffen anderer Mitglied473

Vgl. etwa GA G. Cosmas, SchlA, Slg. 1998, I-6629 (6670 Nr. 122) – Zani-

notto. 474 So auch J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, Bd. II, 1988, S. 837; O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 229. 475 Vgl. oben 4. Teil B. III. 1 d). 476 Vgl. oben 3. Teil A. I. 2. 477 Vgl. nur J. Tiedje/P. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 70.

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staaten, so daß auch die Individualinteressen der Unionsbürger, die sich auf die im Einzelfall einschlägigen Grundfreiheiten berufen können, zu beachten sind. Im vorliegenden Fall gehen diese Interessen jedoch konform mit dem gemeinschaftsrechtlichen Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes. Im Ergebnis ist somit eine Güterabwägung zwischen den Zielen der städtebaurechtlichen Wohnraummodellen, insbesondere der Wahrung des gemeindlichen Charakters und der gewachsenen Bevölkerungsstruktur, einerseits und der vollen Entfaltung des Binnenmarkts andererseits vorzunehmen. bb) Gewichtung der beteiligten Rechtsgüter Nach der Präzisierung der beteiligten Interessen kommt es nun auf eine erkennbare Gewichtung der betroffenen Rechtspositionen an, da die Gewichtung der einzelnen Interessen eine unabdingbare Voraussetzung für die rationale Nachvollziehbarkeit des Ergebnisses des Abwägungsvorgangs ist. Zur Bestimmung des Gewichts der auf dem Spiel stehenden Interessen kann dabei nicht nur auf den Charakter des jeweiligen Rechtsguts, sondern auch auf die Wertungen der Verträge, der Grundrechtecharta oder sekundärrechtlicher Normen abgestellt werden.478 (1) Erhaltung der Bevölkerungsstrukturen und der kulturellen Identität der Gemeinde Den raumplanerischen Gründen wurde auf der Gemeinschaftsebene im Zusammenhang mit dem Beitritt von Norwegen, Österreich, Schweden und Finnland Rechnung getragen.479 In der Gemeinsamen Erklärung Nr. 5 zu Zweitwohnungen ist festgehalten, daß alle Mitgliedstaaten bestimmte Maßnahmen aus Gründen der Raumordnung, der Bodennutzung und des Umweltschutzes treffen dürfen.480 Aus der ausdrücklichen Aufnahme dieser Passagen in die Schlußakte wird ersichtlich, daß raumplanerische Ziele sowohl bei den Mitgliedstaaten als auch im Gemeinschaftsrecht als bedeutsame Gründe eingestuft werden.481 Nachfolgend soll zudem noch konkret bezogen auf die Schutzgüter der Erhaltung der intakten Bevölkerungsstruktur und der Wahrung der kulturellen Identität der Gemeinde eine Gewichtung vorgenommen werden. 478 O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2004, S. 288. 479 Vgl. oben 4. Teil B. III. 5. b) bb) (1). 480 Gemeinsame Erklärung zu Zweitwohnungen, ABl. EG 1994, Nr. C 241, S. 382. 481 Im Ergebnis ebenso GA A. La Pergola, Slg. 1999, I-3099 (3113 Nr. 16) – Konle: „schwerwiegend“.

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Die Suche nach der Identität ist zweifellos eines der Grundanliegen der modernen Zeit.482 Die sozialen Bezugsfelder des einzelnen weiten sich aus und werden zunehmend komplizierter und unüberschaubarer. Die Suche und das Erkennen des eigenen „Selbst“, der erlebten inneren Einheit, vermitteln Konstanz, Halt und Handlungsorientiertheit. Identität gilt als unentbehrlicher Wegweiser.483 Wird die Identität bedroht, beispielsweise durch die Einebnung von kulturellen Eigenheiten und aufgrund des Versagens der Problemlösungsfähigkeit auf überregionaler Ebene, folgt meist unweigerlich der Versuch, durch Rückwärtsschauen und Flucht in die Vergangenheit früher erfahrene Identität wiederzufinden. Entsprechend ist der Rückzug beziehungsweise die Wiederentdeckung der engeren Bezugsräume kennzeichnend, wie es auch der Aufschwung der lokalen Identitäten gegenwärtig anzeigt.484 In Art. 6 Abs. 3 EU ist das Gebot der Achtung der nationalen Identität als ein die Europäische Union prägender Grundsatz normiert. Nach der Bedeutung des Begriffs „Identität“ handelt es sich dabei um die Ideengehalte, mit denen sich eine Person oder in diesem Fall eine Nation zur Findung ihrer Selbstbestimmung und ihres Selbstverständnisses identifiziert.485 Der Zusatz national stellt auf dasjenige Zusammengehörigkeitsgefühl ab, das sich in einem Volk aus historischen, wirtschaftlichen, religiösen oder sonstigen soziokulturellen Unterschieden zu anderen Nationen bildet.486 Im Gegensatz zur „kulturellen Identität“, die wichtige Gemeinsamkeiten umschreibt, kommt mit der nationalen Identität bei aller Gemeinsamkeit vor allem das Element der Ausgrenzung hinzu.487 Art. 6 Abs. 3 EU scheint daher für die Gewichtung kaum hilfreich. Bedeutsam ist das Gebot der Achtung der nationalen Identitäten allerdings insofern, als daß es auf die einer jeden Großorganisation eigenen Funktionsbedingung hinweist, nach der lebendige, in selbstverantwortlicher Weise mitgestaltende Einheiten auf der unteren Ebene Voraussetzung dafür sind, daß die Gesamtorganisation legitimiert erscheint und, was hier von Interesse ist, die in ihr ruhenden Potentiale optimal ausgeschöpft werden können. Auch wenn sich dieser Grundsatz zunächst einmal auf die Ebene der Mitgliedstaaten bezieht, kann seine Aussage auf die Gemeindeebene übertragen werden. Die Gemeinden erfüllen einen wichtigen Teil der öffentlichen Aufgaben und bilden so in 482

S. N. Eisenstadt, in: Giesen (Hrsg.), Nationale und kulturelle Identität, 1996,

S. 37. 483 484

K. Weigelt, in: ders. (Hrsg.), Heimat und Nation, 1984, S. 15. M. Hilf, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), GS Grabitz, 1995, S. 157

(159). 485 A. Puttler, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 6 Rdnr. 213; A. Bleckmann, JZ 1997, 265 (265 f.). 486 M. Hilf, in: Randelzhofer/Scholz/Wilke (Hrsg.), GS Grabitz, 1995, S. 157 (163). 487 D. Löcherbach, PVS 1983, 188 (197).

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ihrer Verzahnung mit Wirtschaft und Gesellschaft eine relativ solide und aktive Basis des Staates.488 Ohne die verantwortliche Teilnahme der Bürger kann die kommunale Selbstverwaltung in der Gemeinde und damit diese selbst nicht mehr funktionieren. Vielmehr lebt sie von der aktiven Gestaltung durch ihre Ortsansässigen. Die EU hingegen ist auf handlungs- und leistungsfähige Mitgliedstaaten, dazu gehörend auch die Kommunen, angewiesen. Die Wahrnehmung eines lebendigen demokratischen Prozesses und bürgernaher Entscheidungen, die insbesondere auf der lokalen Ebene ihren Anfang nehmen, ist eine wesentliche Funktionsbedingung für die EU.489 Voraussetzung hierfür ist, die aktive Gestaltung des Gemeindelebens durch verantwortungsbewußte Bürger. Dazu ist eine intakte Bevölkerungsstruktur notwendig, die nicht durch eine Überalterung gefährdet ist. Diese bewahrt die kulturelle Identität, die wiederum aufgrund ihrer Kontinuität eine Identifikation der Bürger mit ihrer Gemeinde bewirkt. Die Nachkommen wachsen mit den erhaltenswerten Traditionen auf, pflegen diese aufgrund der sozialen Kontakte zur gesamten Gemeinde, geben diese weiter und identifizieren sich auf diese Weise mit der Gemeinde. Unter diesen Bedingungen besteht auch Interesse, aktiv am Gemeindeleben durch die Übernahme eines Amtes oder einer sonstigen Tätigkeit die vielfältigen eigenen Lebensbedingungen vor Ort mitzubestimmen. Eine reine Schlaf- oder Erholungsstätte bietet mangels Ortsverbundenheit kaum Anreize für den Bürger, sich mit der Gemeinde zu identifizieren und ihren einzigartigen Charakter zu erhalten. Dort wandelt sich vielmehr der Wunsch nach Bewahrung der Heimat tendenziell eher in eine konsumierende Anspruchshaltung gegenüber dem Wohnort um. Die Erhaltung der gewachsenen Bevölkerungsstrukturen und die kulturelle Identität der Gemeinde sind daher sowohl aus nationaler als auch aus gemeinschaftsrechtlicher Perspektive als Schutzziel von besonders hohem Rang einzustufen. (2) Binnenmarkt Bei der schrittweisen Verwirklichung des Binnenmarktes handelt es sich um ein zentrales, rechtlich verbindliches490 Ziel der Europäischen Gemeinschaft, das als tragender Grundsatz des EG-Vertrages in Art. 2, 3 Abs. 1 lit. c, 14 EG (Art. III-130 Abs. 2 VV) ausdrücklich niedergelegt ist. Man kann sogar von einem verfassungsrechtlichen Querschnittsziel von fundamentaler Relevanz für die Identität der Europäischen Gemeinschaft sprechen.491 488

G. Püttner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1999, § 107 Rdnr. 57. Vgl. den 6. und 12. Erwägungsgrund der Präambel des Unionsvertrages sowie BVerfGE 89, 155 (186). 490 GA G. Cosmas, SchlA, Slg. 1999, I-6207 (6224 Nr. 38) – Wijsenbeek. 491 W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 14 Rdnr. 4. 489

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Bereits die Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 hatten als grundlegendes Ziel einen internen, von Behinderungen freien Wirtschaftsraum vor Augen und normierten diesen als zentralen Regelungsgegenstand der materiellen Vertragsbestimmungen.492 Zudem ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 14 EG,493 daß der Binnenmarkt den Ausgangspunkt und Motor zur Belebung und Fortführung des europäischen Integrationsprozesses darstellt. Obwohl die Europäische Gemeinschaft in der Zwischenzeit zahlreiche weitere Vertragsziele in ihren Gründungsvertrag aufgenommen hat, so daß von einer Entwicklung der Wirtschaftsgemeinschaft zu einer Rechts- und Wertegemeinschaft gesprochen werden kann,494 bleibt die Verwirklichung des Binnenmarktes weiterhin nicht nur ein grundlegendes Anliegen der Europäischen Gemeinschaft, sondern stellt auch gleichzeitig das Mittel zur Verfolgung weiterer Ziele wie der harmonischen und stetigen Wirtschaftsentwicklung und der politischen Zusammenarbeit dar.495 Daher ist der Freihandel in einem vereinigten Wirtschaftsraum als ein Schutzziel von besonders hohem Rang einzustufen. Das hier betroffene Recht auf freien Kapitalverkehr und die Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit sowie das allgemeine Freizügigkeitsrecht sind ebenfalls von fundamentaler Bedeutung. cc) Bestimmung des Ausmaßes der Beeinträchtigung des Binnenmarktes Entscheidend für eine rational nachvollziehbare Abwägungsentscheidung ist neben der Gewichtung der jeweils einschlägigen Interessen das Ausmaß der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter. Es ist also zu untersuchen, auf welcher Stufe einer hypothetischen Skala unterschiedlich schwerer Eingriffe der jeweilige Eingriff anzusiedeln ist. Betrachtet man die drei Strukturelemente des Binnenmarktes, so ist zunächst festzustellen, daß die Marktfreiheit nicht betroffen ist, da die Gemeinde den Zugang nicht zu ihrem gesamten Grundstücksmarkt verwehrt und der EG-Ausländer daher Bauland erwerben kann. Der notwendige Marktzugang soll dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer aber nicht nur in seiner Absolutheit eröffnet werden, sondern wird auch durch einen modalen Aspekt näher bestimmt. In der Beantwortung der Frage nach dem „Wie“ des Marktzugangs liegt die funktionale Bedeutung 492

R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 3 Rdnr. 13. Vgl. oben 2. Teil Fn. 42. 494 Vgl. O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2004, S. 572. 495 Vgl. auch Art. I-3 Abs. 2 VV. 493

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der Marktgleichheit als dem zweiten charakteristischen Element des Binnenmarktes.496 Die Marktgleichheit ist auf die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen gerichtet und soll also Wettbewerbsneutralität innerhalb der Ordnung des Binnenmarktes sicherstellen.497 Wie bereits erläutert, stellt die Anknüpfung an den gemeindlichen Wohnsitz einen mittelbar diskriminierenden Eingriff dar. Das Vorliegen einer mittelbar diskriminierenden Maßnahme bedeutet per se, daß ungleiche Marktbedingungen für die Wirtschaftsteilnehmer gegeben sind. Für die Qualifizierung der Schwere der Beeinträchtigung ist zu ermitteln, ob der Eingriff in den Kern- oder Randbereich des Binnenmarktes stattfindet. Der Binnenmarkt betrachtet die Gesamtheit der Unternehmer und Konsumenten auf dem Gebiet der Europäischen Gemeinschaft als Teilnehmer eines einheitlichen Marktes, auf dem das europaweite Angebot an Waren, Dienstleistungen, Arbeitskraft und Kapital einer ebenfalls europaweiten Nachfrage gegenübergestellt wird.498 Dadurch trägt er gesamtwirtschaftlich gesehen zu einer positiven Wirtschaftsentwicklung bei. Der Erwerb des Grundstücks, sei es durch einen Arbeitnehmer, Selbständigen etc., dient der (späteren) Nutzung als Privatwohnung und ist demnach der Privatsphäre zuzuordnen. Es besteht insofern kein funktionaler Zusammenhang zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Somit stellt das Recht auf Grunderwerb lediglich ein Begleitrecht499 dar,500 das die Ausübung der im Einzelfall einschlägigen Grundfreiheit erleichtert. Das bedeutet im Ergebnis, daß durch die Errichtung von städtebaurechtlichen Wohnraummodellen lediglich die durch Art. 39 EG (Art. III-133 VV), Art. 43 EG (Art. III-137 VV) und Art. 18 EG (Art. I-10 VV) geschützten Randbereiche des Binnenmarktes betroffen sind. Es stellt sich weiterhin die Frage, wie die Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs zu bewerten ist. In dem Anhang der Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG wird der Kauf von bebauten und unbebauten Grundstükken zu Erwerbzwecken oder persönlichen Zwecken durch Privatpersonen ausdrücklich den Kapitalverkehrstransaktionen zugeordnet. Der Erwerb stellt somit kein Begleitrecht dar, das als Annex im Randbereich der Kapitalverkehrsfreiheit geschützt wird. Vielmehr ist zu konstatieren, daß bei Regelungen hinsichtlich des Grundstücksverkehrs regelmäßig der Kernbereich des Art. 56 EG (Art. III-156 VV) betroffen ist. 496

A. Mühl, Diskriminierung und Beschränkung, 2004, S. 137. M. Hoffmann, Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrrechte, 2000, S. 44. 498 W. Schön, IStR 2004, 289 (290). 499 Vgl. zur Einbeziehung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in den Anwendungsbereich R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 39 Rdnr. 18. 500 Vgl. oben 3. Teil A. II. 1. a) bb), b) cc). 497

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Die Intensität der Eingriffe in Art. 39 EG, Art. 43 EG und Art. 18 EG als auch in die Kapitalverkehrsfreiheit ist jedoch als gering einzustufen. Die Möglichkeit, günstig Bauland zu erwerben, mag für die Wirtschaftssubjekte einen Anreiz zur Mobilität in einen anderen Mitgliedstaat sein, um sich dort ein eigenes Haus leisten zu können, ist aber nicht der ausschlaggebende Punkt für eine letztendliche Entscheidung. Daher wird die volle Entfaltung des Angebots und der damit angestrebten effizienten Allokation von Ressourcen nur peripher tangiert, jedoch nicht in das ureigene Marktgeschehen eingegriffen. Zudem ist zu berücksichtigen, daß nur bestimmte gemeindliche Gebiete der Einheimischenbindung unterliegen, so daß der Erwerb von Bauland auch weiterhin möglich ist. Die Anzahl der betroffenen Grundstücke ist regelmäßig gering. Nachdem die Beeinträchtigung für den Binnenmarkt erörtert wurde, bleiben die sich aus den Modellen für den einzelnen Unionsbürger ergebenden Nachteile festzustellen. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer besitzt Geltung auch als Freiheit des einzelnen, seine Existenzgrundlage dort zu erwerben, wo ihm die Voraussetzungen dafür am Günstigsten erscheinen.501 Die Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb der Gemeinschaft soll dem Arbeitnehmer als Mittel dienen, die Verbesserung seiner Lebens- und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen und damit auch seinen sozialen Aufstieg zu erleichtern. Der Grunderwerb stellt allerdings keine notwendige Voraussetzung dar, um als Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat tätig zu werden.502 Zuzugeben ist, daß ein eigenes Haus die Lebensbedingungen verbessern kann und möglicherweise das soziale Ansehen einer Person steigert. Damit fördert der Grunderwerb nicht nur grundsätzlich die Ausübung der Arbeitnehmerfreiheit, sondern stellt auch ein wesentliches Mittel zur Integration der Arbeitnehmer und ihrer Familien in die Lebensverhältnisse des Aufnahmelandes dar. Sofern dem EG-Ausländer die Antragsberechtigung zu den Wohnraummodellen versagt wird, kann er gleichwohl in der Gemeinde ein Grundstück zu objektiven Marktbedingungen erwerben. Insofern ist der Nachteil rein finanzieller Art. Andererseits ist zu bedenken, daß in Gemeinden, die Einheimischenmodelle durchführen, generell die Grundstückspreise gesunken sind, so daß die Errichtung mittelbar auch dem EG-Ausländer zu Gute kommt. Sofern der Unionsbürger dennoch nicht in der Lage ist, den objektiven Verkehrswert zu zahlen, so muß er vor Ort eine Wohnung anmieten oder ein Grundstück in einer Nachbargemeinde mit niedrigeren Baulandpreisen erwerben. Dann ist er allerdings gezwungen, längere Anfahrts501 M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 1. Vgl. auch die Begründungserwägungen der VO Nr. 1612/68, ABl. EG 1968, Nr. L 257, S. 2, zuletzt geändert durch die VO (EWG) Nr. 2434/92, ABl. EG 1992, Nr. L 245, S. 1. 502 Ebenso W. Hummer/M. Schweitzer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 317; A. Rohde, Freier Kapitalverkehr in der EG, 1997, S. 95.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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zeiten zu seiner Arbeitsstelle in Kauf zu nehmen. Gleichwohl kann er den Ort seiner Existenzgrundlage frei wählen und auch seine Lebensbedingungen verbessern, wenn auch um einen höheren Preis. Sicherlich beeinflussen beide Alternativen die Lebensbedingungen in negativer Weise, doch ist die Intensität der Beeinträchtigung als gering einzustufen. Berücksichtigt man zudem, daß Sinn und Zweck der Arbeitnehmerfreiheit gesamtwirtschaftlich gesehen die Beweglichkeit des Produktionsfaktors Arbeit ist,503 der es ermöglicht, ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und dem Einsatz des Faktors „Arbeit“ am Ort des größten wirtschaftlichen Nutzens herzustellen,504 so greifen die festgestellten Nachteile auch für den einzelnen Arbeitnehmer nicht gravierend in sein in Art. 39 Abs. 2 EG verbürgtes Recht ein. Der Zweck der Niederlassungsfreiheit liegt darin, die Selbständigen in den binnenmarktlichen Freiverkehr der wirtschaftlich tätigen Personen einzubeziehen, ihnen dadurch freie binnengrenzüberschreitende Standortstrategien zu eröffnen und insgesamt einen gemeinschaftsweiten Wettbewerb der Standortentscheidungen zu ermöglichen.505 Auch in bezug auf die Beeinträchtigung des freien Kapitalverkehrs ist lediglich ein wirtschaftlicher Nachteil, nämlich die Zahlung eines höheren Preises, zu konstatieren. Im übrigen Gemeindegebiet unterliegt der Grundstücksverkehr keinerlei Beschränkungen. Art. 18 EG zielt auf eine Förderung der sozialen Verflechtung zwischen den Mitgliedstaaten.506 Das Recht auf freien Aufenthalt und Bewegung ist für sich genommen nicht beeinträchtigt, da der Unionsbürger in der von ihm ausgewählten Gemeinde ein Eigenheim errichten kann. Zusammenfassend ist daher das Ausmaß der Beeinträchtigung des Binnenmarktes als gering einzustufen. dd) Bestimmung des Ausmaßes der Beeinträchtigung bei fehlender Schutzgutsicherung Es verbleibt die Frage nach der Schwere der Beeinträchtigung der gemeindlichen Identität und Bevölkerungsstruktur bei fehlender Sicherung. Dabei sind sowohl nachteilige Folgen für die Gemeinde als auch für ihre Einwohner zu konstatieren. Um für die einheimische Bevölkerung ausreichend Bauplätze zu schaffen beziehungsweise deren Kaufpreise erschwinglich zu halten, wäre eine massive Ausweitung des Baulandbestandes erforderlich, die jedoch das ökologische System stark gefährdet. Gerade der Außenbereich soll, nicht zuletzt auch wegen seiner Erholungsfunktion, vor 503 M. Franzen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 39 Rdnr. 1; C. Koenig/A. Haratsch, Europarecht, 2003, Rdnr. 592. 504 K.-D. Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der EU, 2002, § 10 Rdnr. 689. 505 P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 43 Rdnr. 5. 506 H.-W. Arndt, Europarecht, 2006, S. 130.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Zersiedelung geschützt werden. Städtebauliche Nachteile entstehen, wenn infolge der Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung in einem Gebiet die vorhandene kommunale Infrastruktur nicht mehr richtig genutzt werden kann. In intakten Wohngegenden mit langen Wohndauern und vielfältigen sozialen Kontakten ist die vorhandene öffentliche und private Infrastruktur besonders auf die in dem Gebiet ansässige Bevölkerung so zugeschnitten, daß sie nicht ohne Weiteres ersetzt werden kann.507 Zu dieser Infrastruktur zählen neben öffentlichen und privaten Kultur- und Sozialeinrichtungen auch Restaurants, Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe.508 Durch den Zuzug einkommensstarker Bevölkerungskreise werden auf Grund einer Erhöhung des Motorisierungsgrades Um- und Neubaumaßnahmen der öffentlichen Verkehrsflächen erforderlich. Zusätzlich wird durch den saisonbedingten Leerstand Vandalismus und Kriminalität begünstigt. Die Gemeinde ist nicht mehr in der Lage, ihren Einwohnern ein angenehmes, lebenswertes Umfeld mit vielfältigen Freizeitmöglichkeiten zu bieten. Die kulturelle Identität und die intakte Bevölkerungsstruktur können nicht mehr gewahrt werden. Die junge ortsansässige Bevölkerung wandert in andere Gegenden ab. Demzufolge droht die Kommune zu veraltern und so ihre Lebendigkeit zu verlieren. Der einstige Ort der sozialen Begegnungsstätte verweist. Die Gemeinden vermögen ihrer Bevölkerung nicht mehr die erforderliche Identität zu stiften. Die Möglichkeit, auch in der Zukunft das lokale Eingebundensein zu erfahren, schwindet. Damit wird ein „Teufelskreis“ in Gang gesetzt: Da sich der einzelne nicht mehr mit seiner Heimatstätte identifiziert, verliert er sein Interesse daran, aktiv an der Gestaltung des Gemeindelebens teilzunehmen. Neben dem finanziellen Schaden, der durch die erforderlich werdenden Um- und Neubaumaßnahmen der Infrastruktur herrührt, liegen die Nachteile insbesondere darin, daß die Gemeinde viele ursprünglich durchgeführte Aktivitäten aufgrund des schwindenden Engagements der Bürger nicht mehr durchführen kann. Ohne eine aktive Gestaltung der Freizeit und des Lebensumfelds verlassen viele Einheimische die Gemeinde, so daß nur noch ineffektiv arbeitende, kleine Ortschaften übrig bleiben, die sich nicht mehr ausreichend selbst verwalten können. ee) Gesamtbilanz Der Ermittlung des Gewichts der beteiligten Rechtspositionen sowie der Bewertung der Auswirkungen bei Verwirklichung beziehungsweise Nichtverwirklichung der Sicherung des Schutzgutes schließt sich die eigentliche Abwägung an. Hierfür bedarf es einer rationalen Entscheidungsregel, die 507 508

Vgl. dazu auch VGH Kassel, DVBl. 1986, 693 (695 ff.). H. Köhler, in: Schrödter (Hrsg.), BauGB, 2006, § 172 Rdnr. 94.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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angibt, wann eine Maßnahme als verhältnismäßig anzusehen ist. Naheliegend wäre es, das Ergebnis durch eine schlichte Saldierung der Vor- und Nachteile unter Berücksichtigung ihrer Gewichte zu ermitteln und sich für das jeweils überwiegende Interesse zu entscheiden. Eine solche Vorgehensweise bereitet jedoch Schwierigkeiten: Die gegenübergestellten Interessen, bei denen es sich zudem um solche öffentlicher und privater Art509 handelt, müßten genau skalierbar sein, um willkürliche Ergebnisse zu vermeiden. Dies ist jedoch kaum möglich. Alle Versuche, die im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vorzunehmende Abwägungsentscheidung mit empirischen Methoden darzustellen, sind also zum Scheitern verurteilt. Daher hält der Gerichtshof nicht schon jedes Überwiegen des beeinträchtigten Interesses für ausschlaggebend,510 sondern fordert ein „offensichtliches“ Mißverhältnis. Somit muß als Ergebnis des nachfolgenden Vergleichs der angestrebten Ziele mit den damit verbundenen Nachteilen kein idealer Ausgleich zwischen allen betroffenen Rechtsgütern geschaffen werden. Vielmehr darf die Maßnahme nicht die Grenze der Zumutbarkeit überschreiten (sogenannter Negativtest). Zunächst ist festzuhalten, daß es sich jeweils um Rechtsgüter von bedeutendem Rang handelt, die beide auf der Primärrechtsebene anzusiedeln sind. Keines der im Primärrecht geschützten Güter und Interessen hat a priori hinter eine gleichrangige Position zurückzutreten.511 Vielmehr ist zwischen beiden Gütern eine praktische Konkordanz herzustellen.512 Der Konkordanzgedanke führt dabei nicht zu einem unbedingten Schutz des Binnenmarktes, da dieser eben auch durch die sonstigen Interessen der Europäischen Gemeinschaft beschränkt wird. Die Folgen, die bei einem Nichteingreifen für die Gemeinde und ihre Bevölkerung entstehen, sind gravierend. So droht am Ende der nicht aufgehaltenen Entwicklung der Verlust der Identität und der effektiven Aufgabenerfüllung der örtlichen Gemeinschaft. Die mit den Einheimischenmodellen bewirkten Eingriffe in den Binnenmarkt sind hingegen von geringer Intensität. Es wird lediglich ein Anreiz zur Ausübung der Grundfreiheiten beeinträchtigt. Für die Unionsbürger stellt sich die Frage, ob die genannten Alternativen bei Verneinung der Zulassungsberechtigung unzumutbar sind. Eine hohe Anzahl der Bevölkerung lebt in (Miet-)Wohnungen. Rückschlüsse auf die sozialen Verhältnisse lassen sich dadurch nicht ziehen. In der heutigen Zeit ist es auch selbstver509

Zum Problem fehlender Vergleichbarkeit privater und öffentlicher Interessen vgl. M. Nettesheim, EuZW 1995, 106 (106). 510 Vgl. EuG, Slg. 1994, II-1201 (1229 Rdnr. 71) – Unifruit Hellas. 511 Vgl. auch B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 649; G. Ress/J. Ukrow, EuZW 1990, 449 (503), H. Steinberger, VVDStRL 1991, S. 9 (27). 512 Vgl. auch B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 649; G. Ress/J. Ukrow, EuZW 1990, 449 (503), H. Steinberger, VVDStRL 1991, S. 9 (27).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

ständlich, längere Anfahrtszeiten zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen. Ein offensichtliches Mißverhältnis zwischen den konstatierten Nachteilen für den Binnenmarkt und die Unionsbürger gegenüber den Vorteilen für die Gemeinde und ihrer Einwohner kann nicht festgestellt werden. Im Gegenteil: Einheimischenmodelle erweisen sich auch für die EG-Ausländer als vorteilhaft. Durch die Errichtung der Wohnraummodelle wird der Preis insgesamt auf dem gemeindlichen Bodenmarkt gedämpft. Da sich die Zielvorstellungen der Gemeinde bei der Ausweitung des zugangsberechtigten Personenkreises nicht mehr sinnvoll verwirklichen ließen, kann davon ausgegangen werden, daß die Gemeinden auf die Durchführung solcher Vorhaben gänzlich verzichten würden. Dies hätte zu Konsequenz, daß der reguläre Grundstückspreis aufgrund der hohen Nachfrage steigt, so daß der EG-Ausländer bei Nichteingreifen zwar gleich einem Ortsansässigen behandelt wird, aber regelmäßig einen höheren Preis bezahlen muß. Zugunsten der Einheimischenmodelle ist zudem zu bedenken, daß sie auch soziale Ziele verfolgen, die allgemein als zwingende Erfordernisse in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt sind,513 und somit zusätzlich einem weiteren Rechtfertigungsgrund zugänglich sind. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß kein offensichtliches Mißverhältnis zwischen der Beeinträchtigung des Binnenmarktes durch die Wohnraummodelle und der bezweckten Schutzgutsicherung, den raumplanerischen Zielen, gegeben ist. Je höher die Verdrängungsgefahr der einheimischen Bevölkerung einzustufen ist, desto größer darf das von der Gemeinde für die Einheimischenbindung vorgesehene Gebiet sein. Dabei richtet sich die Anzahl der Grundstücke nach der Größe der Gemeinde und ihrer Einwohnerzahl. Sofern die Gemeinde eine überwiegende Bindung der Grundstücke im Gemeindegebiet plant, hat sie den EG-Ausländern einen gewissen Prozentsatz vorzubehalten. Dieser ist abhängig von der Anzahl der Gemeindemitglieder und der in der Gemeinde vorhandenen nichtgebundenen Grundstücke zu wählen. Ein offensichtliches Mißverhältnis zu Lasten des Binnenmarktes ist dann festzustellen, wenn der Zuzug in die Gemeinde generell unmöglich gemacht wird, weil keine Baugrundstücke ohne Einheimischenbindung für EG-Ausländer zur Verfügung stehen. In diesem Fall ist nicht mehr die Marktgleichheit betroffen, sondern es wird für ein räumlich abgegrenztes Gebiet der Zugang zum Grundstücksmarkt vollständig verneint. Dann kann nicht mehr von einer praktischen Konkordanz der betroffenen Schutzgüter gesprochen werden.

513 Vgl. nur EuGH, Slg. 2001, I-5473 (5533 f. Rdnr. 72 ff.) – Smits und Peerbooms; ebenso P. Tiedje/J. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 61.

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

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d) Ergebnis Sofern die EG-Ausländer überhaupt über die Möglichkeit verfügen, Grundstücke in der Gemeinde zu erwerben, sind die städtebaurechtlichen Wohnraummodelle als verhältnismäßig und daher als grundfreiheitskonform anzusehen. Bei der Errichtung dieser Modelle verfügen die Gemeinden über einen weiten Handlungsspielraum. Ihnen sind hinsichtlich der Gestaltung und Höhe der Förderung nur wenig Grenzen gesetzt. 2. Gewerbemodelle Weiterhin stellt sich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der städtebaurechtlichen Gewerbemodelle. a) Geeignetheit Zur Behebung der städtebaulichen Mißstände, die durch ein Nebeneinander von Wohn- und Industriestätten entstanden sind, bedarf es einer auf die Zielvorstellung des örtlichen Gemeinwesens abgestimmten räumlichen und sachlichen Lenkung der Grundstücksnutzung. Da die Gemeinde den innerörtlichen Bereich als Wohnraum nutzen möchte, bleibt ihr nichts anderes übrig, als den umzusiedelnden Gewerbebetrieben Grundstücke im Randbereich zur Verfügung zu stellen. Damit das Unternehmen überhaupt seinen derzeitigen, möglicherweise seit Jahren bestehenden Standort verläßt, dürfen für dieses wirtschaftlich gesehen keinesfalls Mehrkosten entstehen. Eine Veräußerung des Bodens unter dem objektiven Verkehrswert stellt daher den notwendigen Anreiz für einen Umzug dar und fördert somit die Zielvorstellung der Gemeinde. b) Erforderlichkeit Die Gemeinde könnte versuchen, den Randbereich durch wesentlich günstigere Standortbedingungen derart attraktiv zu gestalten, daß der Industriebetrieb ohne weiteres Zutun umsiedeln möchte. Dann besteht allerdings die Gefahr, daß auch auswärtige Unternehmen ein Grundstück zu erwerben versuchen, so daß sich die Preise für den Baulandmarkt erhöhen und ein Umzug für die tendenziell finanzschwächeren einheimischen Betriebe nicht mehr rentabel ist. Damit ist der günstige Erwerb eines Betriebsgrundstückes das effektivste Mittel, um das wirtschaftlich denkende Unternehmen zur Aufgabe seines derzeitigen Standorts zu bewegen und auf diese Weise auch gleichzeitig sicherzustellen, daß es nicht in andere Gemeinden abwandert.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

c) Angemessenheit Auf der einen Seite stehen auch hier der freie Binnenmarkt, auf der anderen Seite die raumplanerischen Ziele, wobei es hier konkret um die Sanierung von städtebaulich unerwünschtem Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe geht. Die Gewichtung des Binnenmarktes als hochrangiges Schutzgut des Integrationsprozesses der EG wurde bereits ausführlich erläutert.514 Es stellt sich aber die Frage, welche Wertigkeit dem Sanierungsziel beizumessen ist. Mit diesem Anliegen möchte die Gemeinde die ihrem Wesen nach umgebungsbelastende Industrie aus dem Ortskern in die Randgebiete umsiedeln. Dadurch wird erstens die Gesundheit der Anwohner vor erhöhten Abgasen und Verunreinigungen, aber auch vor störendem Industrielärm geschützt. Zweitens verbessern sich insgesamt die Lebensqualität und das Wohnumfeld in der Gemeinde. Die innerörtliche Infrastruktur wird nicht mehr durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, insbesondere durch Lkws, belastet. Damit handelt es sich auch bei dem Sanierungsziel um ein hochrangiges Schutzgut, das allerdings gemeinschaftsrechtlich im Ergebnis niedriger als der Binnenmarkt einzustufen ist. Weiterhin ist das Ausmaß der Beeinträchtigung der durch die einschlägigen Grundfreiheiten, Art. 43 EG und Art. 56 Abs. 1 EG, geschützten Bereiche des Binnenmarktes zu bestimmen. Die Garantie der Niederlassungsfreiheit schützt diejenigen Tätigkeiten, die sich speziell auf die Ausübung einer einschlägigen Berufstätigkeit beziehen. Aus Art. 44 Abs. 3 lit. e EG (Art. III-138 Abs. 2 lit. e VV) läßt sich die grundsätzliche Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft für die Freiheit des Grunderwerbs im Rahmen der Niederlassungsfreiheit ableiten.515 Der Regelungsgehalt der Norm ist klar: Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist eng verknüpft mit der Möglichkeit, Eigentum an Grund und Boden zu erwerben.516 Wer eine Niederlassung errichten will, ist daran interessiert, zu diesem Zweck ein Betriebsgrundstück zu kaufen. Aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem Erwerb von Gewerbebauland zur Errichtung oder Erweiterung von Unternehmen und Produktionsstätten und der Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit ist vorliegend ein Eingriff in den Kernbereich zu konstatieren. In bezug auf die Kapitalverkehrsfreiheit sind die Ausführungen hinsichtlich der Wohnraummodelle heranzuziehen, da hier nicht zwischen der gewerblichen oder privaten Nutzung unterschieden wird. 514

Vgl. oben 4. Teil B. IV. 1. c) bb) (2). P. Troberg/J. Tiedje, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 44 Rdnr. 14, 19; J. Glöckner, EuR 2000, 592 (602). 516 P.-C. Müller-Graff, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 44 Rdnr. 15; W. Schweitzer/M. Hummer, Raumordnung und Bodenrecht in Europa, 1992, S. 311. 515

B. Rechtfertigung städtebaurechtlicher Einheimischenmodelle

373

Bedeutsam ist weiterhin die Intensität des Eingriffs. Solange der EG-ausländische Unternehmer in der Gemeinde ein Grundstück zu dem objektiven Verkehrswert kaufen kann, ist die freie Standortwahl nicht betroffen. Ihm wird ein geldwerter Vorteil vorenthalten. Fraglich ist, welche Konsequenzen daraus entstehen. Denkbar ist erstens, daß der einheimische Betrieb seine Produkte im Ergebnis billiger anbieten kann und somit konkurrenzfähiger ist, da die Grundstückskosten letztendlich auf die Produkte umgelegt werden. Zweitens könnte durch den vergünstigten Baulanderwerb ein ortsansässiges Unternehmen aus konjunkturellen Schwierigkeiten gerettet und somit sein Überleben gewahrt werden, während ein ausländischer Gewerbebetrieb diesen Rettungsanker nicht erhält. Die genannten Konsequenzen erscheinen zunächst gravierend. Bei genauer Betrachtung werden sie jedoch in dieser Form nur sehr selten eintreten. Der Grund dafür ist das gemeinschaftsrechtliche Beihilfesystem. Betriebsbeihilfen sind grundsätzlich EGrechtswidrig. Die Höhe der Begünstigung darf maximal 100 000 Euro517 betragen. Dann gilt sie als Maßnahme, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 87 Abs. 1 EG (Art. III-167 Abs. 1 VV) erfüllt. In diesem Fall wird davon ausgegangen, daß sie keine nennenswerten Auswirkungen auf die zwischenstaatlichen Handelsströme besitzt.518 Durch eine Beihilfe von maximal 100 000 Euro können die Produktionskosten von Waren in der Regel nicht längerfristig derart gesenkt werden, daß hieraus ein Vorteil vor den Produkten der Konkurrenz gewonnen wird. Hinsichtlich dieser Konsequenz kann also die Intensität des Eingriffs als gering eingestuft werden. Bezüglich der zweiten Folgeerscheinung ist festzustellen, daß Gewerbemodelle durch die eingeschränkte Zielsetzung, die bereits von dem Beihilferecht vorgeschrieben wird, nämlich investive Beihilfen für kleine und mittlere Unternehmen, nicht zur Rettung von einheimischen Betrieben verwendet werden können. Begünstigungen unterhalb des genannten Schwellenwertes reichen selten aus, um ein Unternehmen vor der Insolvenz zu retten. Die von Gewerbemodellen durch selektive Begünstigung einzelner Unternehmen hervorgerufenen Wettbewerbsstörungen vermögen damit nicht, eine effiziente Ressourcenallokation zu verhindern. Dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung zufolge ist vorliegend davon auszugehen, daß die Gewerbemodelle, deren Differenz zum objektiven Verkehrswert 100 000 Euro unterschreiten sowie diejenigen, die den Schwellenwert zwar übersteigen, gleichwohl aber nach der KMU-Verordnung zulässig sind, den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr nur unerheblich beeinträchtigen. Damit ist die Eingriffsintensität als gering einzustufen. Betrachtet man hingegen die Auswirkungen, die eine fehlende Sanierung für die Gemeinde und ihre Be517 Dabei sind alle Leistungen innerhalb von drei Jahren zu berücksichtigen, die ein Unternehmen von staatlicher Seite erhält, vgl. oben 3. Teil A. III. 1. d). 518 C. Koenig/J. Kühling/N. Ritter, EG-BeihilfenR, 2002, S. 87.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

völkerung hervorruft, so ist Folgendes anzumerken: Für die Einwohner sind gesundheitliche Langzeitschäden durch die ständige Lärm- und Abgasbelastung zu befürchten. Weiterhin hat die Gemeinde städtebauliche Nachteile wie ein erhöhtes innergemeindliches Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Daneben wird das Ortsbild von einem Nebeneinander von Industrieund Wohngebäuden empfindlich gestört, was zu Identitätsproblemen führen kann. Das Ausmaß der Nachteile bei fehlender Sanierung ist daher gravierend. Als Gesamtbilanz ist festzuhalten, daß die Gewerbemodelle zwar den Kernbereich des Binnenmarktes beeinträchtigen, gleichwohl aber nur eine geringe Eingriffsintensität aufweisen. Die hier möglicherweise auftretenden Folgen werden für den Markt aufgrund des spezielleren Beihilferechts aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht als zumutbar gewertet. Durch die enge Eingrenzung auf das Ziel der Raumplanung sowie die genannten Förderhöchstgrenzen können Wettbewerbsstörungen nur in geringem Maße auftreten. Das raumplanerische Ziel der Sanierung der Gemeinde ist zwar gegenüber dem beeinträchtigten Rechtsgut grundsätzlich als geringer einzustufen. Die Auswirkungen bei fehlender Schutzwirkung sind hier allerdings beträchtlich. Daher ist im Ergebnis zu konstatieren, daß zwischen der Binnenmarktbeeinträchtigung und der Sanierung der Gemeinde kein offensichtliches Mißverhältnis besteht, mithin die Errichtung von Gewerbemodellen unter den genannten Voraussetzungen angemessen ist. Sofern die Errichtung städtebaurechtlicher Gewerbemodelle der gemeindlichen Sanierung dient, ist die Zulassungsbegrenzung auf einheimische Unternehmen als grundfreiheitskonform anzusehen. Dabei ist es nicht erforderlich, daß das letztendlich den Zuschlag erhaltene Unternehmen im Ortskern der Gemeinde liegt. Wichtig ist vielmehr, daß die Umsiedelung in ihrer Gesamtheit betrachtet der Sanierung dient. Hierbei ist auf die Bedürfnisse und Vergrößerungswünsche der Unternehmen Rücksicht zu nehmen. So kann das freiwerdende Grundstück des begünstigten Betriebes wiederum einem nicht umweltbelastenden Unternehmen oder zu Wohnzwecken zur Verfügung gestellt werden. Da vorliegend ein, wenn auch großzügig zu bemessener Zusammenhang mit dem Sanierungskonzept verlangt wird, können die Gewerbemodelle nicht ohne Weiteres zur Behebung konjunktureller Schwierigkeiten mißbraucht werden. d) Ergebnis Gewerbemodelle, die der Verwirklichung raumplanerischer Ziele dienen, sind regelmäßig mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags vereinbar. Die Berufung auf die Rettung einheimischer Betriebe vor Abwanderung oder Insolvenz hingegen verstößt mangels gemeinschaftsrechtlich anerkanntem Rechtfertigungsgrundes sowohl gegen die Niederlassungs- als auch gegen

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags

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die Kapitalverkehrsfreiheit.519 Der gemeindliche Handlungsspielraum ist hier im Gegensatz zu den städtebaurechtlichen Wohnraummodellen deutlich stärker begrenzt.

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/ Einheimischenabschlags bei öffentlichen Einrichtungen I. Einheimischenprivileg Die Einwohner der Gemeinden sind im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen und verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen.520 Dabei handelt es sich in einer arbeitsteilig ausgebildeten Geldwirtschaft vornehmlich um Abgabelasten in Gestalt von Steuern, Beiträgen und Gebühren.521 Der Lastenbegriff beschränkt sich allerdings nicht auf die fiskalische Seite. Er kann auch als Naturallast aufgefaßt werden. Zum einen ist der Bürger verpflichtet, eine ehrenamtliche Tätigkeit zu übernehmen und auszuüben.522 Zum anderen kann die Gemeinde die Einwohner zur Erfüllung dringlicher öffentlicher Aufgaben zu persönlichen Diensten und anderen Leistungen für eine beschränkte Zeit heranziehen.523 Im nationalen Recht wird dieses Prinzip zur Rechtfertigung des Einwohnerprivilegs herangezogen. Es stellt sich die Frage, ob dieses Argument auch vor den Grundfreiheiten Bestand hat. 1. Schutzgut der öffentlichen Ordnung Ob das Prinzip der Lastentragung als ein wesentliches Grundinteresse der Gesellschaft zu qualifizieren ist und damit unter die öffentliche Ordnung fällt, kann dahinstehen. Voraussetzung dieses Tatbestandes ist zudem, daß eine hinreichend schwere Gefährdung des geschützten Interesses vorliegt. Das Prinzip der Lastentragung bleibt mit oder ohne Einwohnerprivileg 519 Eine Rechtfertigung könnte sich ergeben, sofern vorliegend ein bislang nicht anerkannter Rechtfertigungsgrund für Einheimischenprivilegierungen herausgearbeitet werden kann. Dann sind die Ausführungen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit entsprechend heranzuziehen, vgl. unten 5. Teil C. 520 Vgl. nur § 20 Abs. 1 HessGO, § 10 Abs. 2 SächsGO, § 10 Abs. 2 S. 3 GOBW, § 8 Abs. 2 GONW, Art. 21 Abs. 1 S. 1 BayGO. 521 Der Umfang ergibt sich aus den jeweiligen kommunalen Abgabengesetzen und aus den gemeindlichen Abgabensatzungen. 522 Vgl. stellvertretend § 21 Abs. 1 S. 2 HessGO, § 17 Abs. 1 SächsGO, § 15 Abs. 1 GOBW, § 28 Abs. 1 GONW, Art. 19 Abs. 1 BayGO. 523 Vgl. § 22 S. 1 HessGO, § 10 Abs. 4 SächsGO, § 10 Abs. 5 GOBW, Art. 24 Abs. 1 Nr. 4 BayGO.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

gänzlich unangetastet.524 Vielmehr wurde der Zulassungsanspruch „nur“ als ausgleichende Gerechtigkeit dafür normiert, daß die Gemeindeeinwohner sich an dem Aufwand beteiligen, der notwendig ist, um die Existenz und Funktionsfähigkeit der Gemeindeverwaltung, also die Erfüllung der Zweckund Existenzaufgaben der Kommunen, zu gewährleisten.525 Da vorliegend keine Gefährdung des Lastentragungsprinzips erkennbar ist, scheidet der Tatbestand der öffentlichen Ordnung als Rechtfertigungsgrund des Einwohnerprivilegs aus. 2. Kohärenz des Steuersystems Sofern es darum geht, die Vereinbarkeit nationaler, insbesondere steuerrechtlicher Regelungen mit dem EG-Recht zu verteidigen, kommt dem Prinzip der Kohärenz des Steuersystems in der Argumentation der Regierungen der Mitgliedstaaten die größte Bedeutung zu. Ebenso regelmäßig allerdings, wie die Regierungen diesen Rechtfertigungsgrund bemühen, wird er vom EuGH verworfen. Erstmals erkannte der EuGH die steuerrechtliche Kohärenz in der Entscheidung Bachmann im Jahre 1992 als zwingendes Erfordernis an. Die Konturenlosigkeit526 und Weite dieses Rechtfertigungsgrundes hat allerdings im Schrifttum zum Vorwurf der Rechtsunsicherheit und zu Fehlinterpretationen geführt.527 Stellt man bei der Bestimmung des Kerngehalts allein auf die vom EuGH gewählte Formulierung der „Kohärenz“ ab, so ist schnell zu erkennen, daß dieser Begriff lediglich eine inhaltslose Worthülse darstellt.528 Die Kohärenz wird gemeinhin definiert als das Gebot eines aufeinander abgestimmten, zusammenhängenden Verhaltens.529 Auch die Heranziehung der zahlreichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts,530 in denen der Begriff verwendet wird, ist als Auslegungshilfe ungeeignet. Näheren Aufschluß über eine inhaltliche Präzisierung ergeben die Entscheidungsgründe, die ihrerseits wiederum im wesentlichen auf den Überlegungen der Generalanwälte beruhen. Im folgenden sollen daher kurz anhand einer Analyse der Rechtsprechung die Voraussetzungen des Legitimationsgrundes der Kohärenz des Steuersystems dargelegt werden.531 524

Vgl. unten 4. Teil C. I. 2. c). H.-U. Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, 1997, S. 78. 526 O. Thömmes, in: Schön (Hrsg.), GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 795 (829). 527 Vgl. J. Sedemund, IStR 2002, 390 (392 f.); M. Köplin/J. Sedemund, IStR 2002, 120 (121); G. Hirsch, DStZ 1998, 489 (493). 528 So auch A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 446. 529 H. G. Krenzle/H. Schneider, EuR 1994, 144 (145); W. Birkenfeld, StuW 1998, 55 (69). 530 Vgl. Art. 1, 3 EU. Siehe zu einer inflationären Verwendung dieses Begriffs im Vertrag von Nizza die Nachweise bei P. Schäfer, EuZW 2001, 641 (641). 525

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags

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a) Rechtsprechung des EuGH aa) Bachmann Nach belgischem Recht konnten gewisse Versicherungsbeiträge, die an einen in Belgien ansässigen Versicherungsträger gezahlt wurden, von den steuerpflichtigen Einkünften steuermindernd abgezogen werden. Im Gegenzug dazu wurde die spätere Auszahlung der Versicherungsleistungen besteuert.532 Der Gerichtshof wertete die strittige Regelung als eine gegen Art. 39 EG (Art. III-133 VV) und Art. 49 EG (Art. III-144 VV) verstoßende mittelbare Diskriminierung, die aber im Ergebnis entgegen dem Antrag des Generalanwalts um der Kohärenz der belgischen Steuerregelung willen legitimiert sei.533 Die Gestaltung der Steuerregelung sei Sache des einzelnen Mitgliedstaates. Innerhalb der belgischen Regelung bestünde ein Zusammenhang zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den Versicherern später auszuzahlenden Beiträge.534 Der Einnahmeverlust, der sich aus dem Abzug der Beträge ergebe, werde durch die Besteuerung der von den Versicherern zu zahlenden Leistungen ausgeglichen.535 Wenn aber Beiträge bei einer im Ausland ansässigen Versicherung gezahlt würden, könnten die später im Ausland ausgezahlten Beträge in den Niederlanden nicht mehr besteuert werden. Die Kohärenz einer solchen Steuerregelung setze aber voraus, daß dieser Staat, wäre er verpflichtet, den Abzug der in einem anderen Mitgliedstaat gezahlten Versicherungsbeiträge zuzulassen, korrelierend die von den Versicherern zu zahlenden Beträge besteuern könnte.536 Da aber die letztgenannte Voraussetzung bei einer im Ausland ansässigen Versicherung nicht erfüllt sei, rechtfertige die Kohärenz der Steuerregelung eine Versagung der Abzugsfähigkeit der Versicherungsprämien.537 531 Vgl. zum ganzen A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 480 ff., 958 ff. 532 Parallel zu der Klage des deutschen Staatsangehörigen Bachmann strengte auch die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen diese Vorschriften an. 533 EuGH, Slg. 1992, I-249 (283 f. Rdnr. 28) – Bachmann; Slg. 1992, I-305 (Rdnr. 320 f. Rdnr. 21) – Kommission ./. Belgien; vgl. zu diesem Urteil auch oben 4. Teil B. III. 1. b) aa). 534 EuGH, Slg. 1992, I-249 (282 Rdnr. 21) – Bachmann; Slg. 1992, I-305 (319 Rdnr. 14) – Kommission ./. Belgien. 535 EuGH, Slg. 1992, I-249 (282 Rdnr. 22) – Bachmann; Slg. 1992, I-305 (319 Rdnr. 15) – Kommission ./. Belgien. 536 EuGH, Slg. 1992, I-249 (282 Rdnr. 23) – Bachmann; Slg. 1992, I-305 (319 Rdnr. 16) – Kommission ./. Belgien. 537 EuGH, Slg. 1992, I-249 (283 f. Rdnr. 24, 28) – Bachmann; Slg. 1992, I-305 (320 f. Rdnr. 17, 21) – Kommission ./. Belgien.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Die Anerkennung der im EG-Vertrag nirgends ausdrücklich vorgesehenen Wahrung der Kohärenz der nationalen Steuerregelung als schutzwürdiges Allgemeininteresse der Mitgliedstaaten hat in der Literatur vielfach Kritik erfahren. Dabei richtete sich die Kritik weniger gegen die dem Urteil zugrunde liegende Überlegung, die legitimen Interessen des einzelnen Mitgliedstaates an einer Sicherstellung seines Steueraufkommens zu schützen. Gegenstand der Kritik war überwiegend, daß der EuGH die sich aus dem von Belgien abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen ergebende Rechtslage falsch eingeschätzt habe.538 Zur inhaltlichen Ausfüllung des vorgenannten Rechtfertigungsgrundes sind allerdings lediglich die Entscheidungsgründe selbst von Interesse. Im Grunde erkennt der EuGH zunächst nur an, daß die Mitgliedstaaten auch weiterhin die Kompetenz und das Ermessen zur Ausgestaltung ihres jeweiligen Steuersystems haben und daß jeder Mitgliedstaat ein abstraktes schützenswertes Interesse an einer effektiven Absicherung und Durchsetzung seiner nationalen Steuerrechtsordnung besitzt.539 Bei der konkreten Ausgestaltung liegt es allein im Ermessen des jeweiligen Staates, für den Steuerpflichtigen günstige und belastende Vorschriften miteinander in Beziehung zu setzen. Zugleich muß er aber auch dafür Sorge tragen, daß die einheitliche Anwendung der beiden miteinander verknüpften Vorschriften, im Bachmann-Fall der Beitragsabzug und die Auszahlungsbesteuerung, gewährleistet ist und so der Gefahr entgegengewirkt wird, daß durch eine endgültige Steuerbefreiung das System leerläuft. Sofern diese Gewährleistung nicht möglich ist, kann es dem Mitgliedstaat zur Erhaltung der Systemgerechtigkeit und Lastengleichheit540 erlaubt sein, einen Ausschluß von der Inanspruchnahme der begünstigten Regelung festzulegen.541 bb) Wielockx Besondere Bedeutung kommt weiterhin der Entscheidung Wielockx zu,542 da sie eine Reihe wichtiger Ergänzungen zu dem im Bachmann-Urteil festgestellten Grundsatz der Kohärenz der Steuerregelung vermittelt. Nach niederländischem Recht konnten in diesem Staat ansässige Selbständige einen Teil ihres Gewinns für die Bildung einer steuermindernden 538 Vgl. hierzu O. Thömmes, in: Schön (Hrsg.), GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 795 (827 ff.). 539 Vgl. N. Dautzenberg, BB 1992, 2400 (2404). 540 Mit diesem Inhalt versieht R. Voss, StuW 1993, 155 (166 f.) den KohärenzGedanken der Bachmann-Rechtsprechung. 541 Ausführlich hierzu A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 446 ff. 542 Vgl. zur Prüfung der Rechtfertigung ausführlich A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 513 ff.

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags

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Altersrücklage verwenden. Die Altersrücklage wurde bei der Auszahlung als Einkommen angesehen und dann auch versteuert. In anderen Staaten ansässigen Personen, die ihre Einkünfte in den Niederlanden versteuern mußten, blieb hingegen der Abzug verwehrt. Der EuGH entschied, daß das Durchgreifen der steuerlichen Kohärenz als Rechtfertigungsgrund an zwei Voraussetzungen geknüpft sei. Erstens könne sich ein Mitgliedstaat nicht mehr auf den besagten Grundsatz berufen, wenn der Staat für diese Sachmaterie ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen habe.543 Mit dieser Einbeziehung einer externen Komponente der zwischenstaatlichen Doppelbesteuerungsabkommen ist ein erheblicher Qualitätssprung in der Beurteilung des nationalen Rechts verbunden. Es geht nun nicht mehr um die Kohärenz der einfach-gesetzlichen Regelung in den Mitgliedstaaten, sondern um die Kohärenz des nationalen Steuerrechts insgesamt. Insofern wird in der Literatur von einem Schritt von der Mikro- zur Makro-Kohärenz gesprochen.544 Zweitens fordert der Gerichtshof „eine strenge Wechselbeziehung zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der Renten“545. Es reicht also nicht irgendein loser Zusammenhang wie gegenseitige Verweise oder Bezugnahmen zwischen beliebigen nationalen Vorschriften. Erforderlich ist vielmehr, daß exakt identifizierbare steuerliche Vorund Nachteile durch eine „spezifische innere Konditionalität“ miteinander verbunden sind.546 cc) Svensson In der Urteilsbegründung zu der Entscheidung Svensson unterzog der EuGH das Kohärenzprinzip erneut einer weiteren inhaltlichen Präzisierung. Konkret hatte der EuGH hier zu untersuchen, ob eine nationale Regelung, welche die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau in Form von Zinsvergünstigungen von der Bedingung abhängig machte, daß die Empfänger ein Konto bei einer Luxemburger Bank unterhielten, im Einklang mit den Grundfreiheiten steht. Auf die Behauptung, daß die „Diskriminierung aus Gründen der Niederlassung“ nur durch ausdrücklich geregelte Gründe gerechtfertigt werden könne,547 folgt unmittelbar die Prüfung des ungeschriebenen Rechtfertigungsgrundes der Kohärenz der Steuerregelung.548 Diese widersprüchliche Argumentation scheint daraufhin zu deuten, 543

EuGH, Slg. 1995, I-2493 (2517 Rdnr. 25) – Wielockx. Vgl. A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 523. 545 EuGH, Slg. 1995, I-2493 (2516 Rdnr. 24) – Wielockx. 546 So zutreffend A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 521. 547 EuGH, Slg. 1995, I-3955 (3976 f. Rdnr. 12, 15) – Svensson. 544

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

daß der Gerichtshof das in Rede stehende Schutzgut unter die geschriebenen Gründe fassen möchte. In nachfolgender ständiger Rechtsprechung verortet er jedoch die Kohärenz des Steuersystems wieder bei den zwingenden Erfordernissen, so daß dieser Abweichung keine weitere Bedeutung beizumessen ist.549 Ein Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes lehnt der EuGH jedoch mit der Begründung ab, daß im vorliegenden Fall „kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung der Zinsvergütung an die Darlehensnehmer und der Finanzierung dieser Vergütung durch die auf die Gewinne der Finanzinstitute erhobenen Steuer“550 besteht. So wird die bereits aus dem Wielockx-Urteil abgeleitete spezifische innere Konditionalität zwischen ganz bestimmten begünstigenden und belastenden Steuervorschriften nochmals verdeutlichend hervorgehoben, indem zwischen ihnen ein „unmittelbarer Zusammenhang“, eine Art synallagmatische Verbindung, verlangt wird.551 Über diese sachliche Verbundenheit bestimmter Steuervorschriften hinaus läßt sich im Zusammenhang mit den Ausführungen des Generalanwalts noch eine weitere Klarstellung in persönlicher Hinsicht entnehmen. Die Abzugsfähigkeit bestimmter Zahlungen und deren Besteuerung müssen sich bei ein und demselben Steuerpflichtigen ergeben, um eine Kohärenz der Steuerregelung zu begründen.552 dd) Kommission ./. Belgien In der Rechtssache Kommission ./. Belgien ging es um eine belgische Vorschrift, wonach Euroanleihen „weder unmittelbar noch mittelbar im Königreich Belgien ansässigen Personen, Gesellschaften oder anderen Rechtssubjekten verkauft werden dürfen“. Die Regierung verteidigte die strittige Bestimmung, da es die Kohärenz der belgischen Zinsbesteuerung zu gewährleisten gelte. Der EuGH verwarf dieses Vorbringen kurz und bündig, nicht etwa aus dogmatischen Gründen mangels Anwendbarkeit des Kohärenzgrundsatzes auf eine diskriminierungsverdächtige Regelung,553 sondern allein in inhaltlicher Sicht unter Verweisung auf die Ausführung seines Ge548

EuGH, Slg. 1995, I-3955 (3977 Rdnr.16) – Svensson. Zu dieser Argumentation vgl. 4. Teil B. III. 1. d). 550 EuGH, Slg. 1995, I-3955 (3977 Rdnr. 18) – Svensson. 551 A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 551. 552 Vgl. EuGH, Slg. 1995, I-3955 (3977 Rdnr. 18) – Svensson; vgl. auch GA M. Elmer, SchlA, Slg. 1995, I-3955 (3965 Nr. 29) – Svensson; ausdrücklich in EuGH, Slg. 2000, 4071 (4132 Rdnr. 57) – Verkooijen; vgl. zu einer diesbezüglichen Erweiterung auf rechtlich und wirtschaftlich eng miteinander verflochtene Personen, insbesondere bei Konzernverhältnissen EuGH, Slg. 2001, I-1727 (1784 f. Rdnr. 69 ff.) – Metallgesellschaft Ldt. u. a.; im Ergebnis zustimmend K. Eiker/S. Müller, RIW 2001, 438 (441). 549

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags

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neralanwalts, wonach ein zur Wahrung der steuerlichen Kohärenz notwendiger „unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem Steuervorteil und einem Steuernachteil“ hier nicht gegeben sei.554 Der Generalanwalt hatte angemerkt, daß es sich bei der fraglichen Maßnahme der Verkaufsbeschränkung für Euroanleihen schon gar nicht um eine benachteiligende steuerrechtliche Regelung handele und daß bereits aus diesem Grund die vom Gerichtshof entwickelte Kohärenz-Rechtsprechung zum unmittelbaren Ausgleich steuerlicher Vor- und Nachteile, die sich gegenseitig aufwiegen, nicht anwendbar sei. Darüber hinaus hatte der Generalanwalt auch die von belgischer Seite vorgetragene Wechselwirkung innerhalb der nationalen Bestimmungen nicht zu erkennen vermocht.555 ee) Asscher Erneut zu beschäftigen hatte sich der EuGH mit dem Kohärenz-Argument in der Entscheidung Asscher. Hier ging es um eine niederländische Regelung, nach der Personen einen höheren Steuersatz zahlen müssen, sofern sie in diesem Staat nicht zugleich auch sozialversicherungspflichtig sind. Zur Rechtfertigung der vom EuGH festgestellten Diskriminierung der Gebietsfremden führte die niederländische Regierung einmal mehr die Kohärenz des Steuersystems ins Feld. Ein Eingreifen verneinte der Gerichtshof jedoch, da kein unmittelbarer Zusammenhang „zwischen der im Bereich des Steuerrechts liegenden Anwendung eines erhöhten Steuersatzes auf die Einkünfte bestimmter Gebietsfremder und der Sozialabgabenfreiheit für diesen Personenkreis“556 bestehe. Demnach läßt sich die geforderte Verbindung nicht zwischen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften herstellen. Aus der vorgenannten Rechtsprechung ist ersichtlich, daß der Gerichtshof unter den Kohärenz-Grundsatz nur Regelungen des Steuerrechts faßt. ff) Ergebnis Der vom EuGH für anerkennenswert erachtete Rechtfertigungsgrund der Kohärenz des Steuersystems ist einer der schillerndsten Begriffe, die das europäische Steuerrecht bislang hervorgebracht hat.557 Eine Analyse der 553 Dieses Urteil kann damit als weiterer Beleg dafür herangezogen werden, daß der EuGH mittelbare Diskriminierungen durch zwingende Erfordernisse rechtfertigt; vgl. oben 4. Teil B. III. 1. 554 EuGH, Slg. 2000, I-7587 (7624 Rdnr. 34 f.) – Kommission ./. Belgien. 555 GA F. Jacobs, SchlA, Slg. 2000, I-7587 (7608 f. Rdnr. 57) – Kommission ./. Belgien. 556 EuGH, Slg. 1996, I-3089 (3129 Rdnr. 59) – Asscher. 557 O. Thömmes, in: Schön (Hrsg.), GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 795 (826).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Rechtsprechung hat gezeigt, daß dieser Grundsatz im Konfliktfeld zwischen den Grundfreiheiten und dem nationalen Steuerrecht weder zum Allheilmittel emporgehoben noch zur bloßen Leerformel degradiert worden ist.558 Der EuGH gibt mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen, daß er trotz der mannigfachen Kritik auch weiterhin nicht gewillt ist, den Kohärenz-Gedanken aus dem Repertoire der gemeinschaftsrechtlich akzeptablen Rechtfertigungsgründe für Grundfreiheitsbeeinträchtigungen zu verabschieden. Vielmehr hat er ihn im Rahmen sämtlicher Marktfreiheiten anerkannt559 und inhaltlich präzisiert. Hervorzuheben ist nochmals, daß es nicht um irgendeine abstrakte Kohärenz einer nationalen Steuerordnung geht, sondern um einen konkreten Zusammenhang bestimmter steuerrechtlicher Einzelvorschriften,560 wobei allerdings ihre Einbindung in das Gesamtsystem zu beachten ist.561 Dabei fällt die im Gegensatz zu früheren Urteilen, in denen noch auf die Kohärenz der betreffenden Steuerregelung abgestellt wurde, erstmals der in der Rechtssache Imperial Chemical Industries562 weiter gefaßte Wortwahl hinsichtlich der Kohärenz des Steuersystems entgegen einer im Schrifttum geäußerten Ansicht563 nicht negativ ins Gewicht. In positiver Hinsicht verlangt der EuGH eine strenge Wechselbeziehung, das heißt einen unmittelbaren sachlichen Zusammenhang im Sinne einer spezifischen Konditionalität zwischen konkreten Steuervor- und –nachteilen, wofür bloße Kompensationseffekte in außersteuerlichen Bereichen nicht genügen.564 Zum anderen muß sich dieser Zusammenhang in der Person ein und desselben Steuerpflichtigen ergeben. Als negative Bedingung darf die Kohärenz nicht bereits durch eine gegenseitige Abkommensregelung, etwa durch ein Doppelbesteuerungsabkommen, hergestellt worden sein.565 558 So auch A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 958. 559 Vgl. die Zusammenstellung bei GA N. Fennelly, SchlA, Slg. 2001, I-1727 (1745 f. Nr. 32) – Metallgesellschaft Ltd. u. a. 560 So auch H. Hahn, IStR 2000, 436 (437). 561 Vgl. nur die Berücksichtigung von Doppelbesteuerungsabkommen, vgl. dazu 4. Teil C. II. 2. a) bb). 562 EuGH, Slg. 1998, 4695 (4723 Rdnr. 29) – ICI; ebenso in EuGH, Slg. 1999, I-7641 (7666 Rdnr. 23) – Vestergaard. 563 So aber R. Hummel, EWS 2001, 323 (326) der angesichts der Weite das Argument der Kohärenz endgültig als entwertet ansieht. 564 In ständiger Rechtsprechung EuGH, Slg. 1996, I-3089 (3129 Rdnr. 59) – Asscher; Slg. 1998, I-4695 (4723 Rdnr. 29) – Imperial Chemical Industries; Slg. 1999, I-7641 (7666 f. Rdnr. 24) – Vestergaard; Slg. 2000, I-7587 (7624 Rdnr. 33 ff.) – Kommission ./. Belgien; Slg. 2003, 721 (740 f. Rdnr. 23 f.) – Kommission ./. Italien; zuletzt etwa EuGH, Slg. 2004, I-7477 (7510 Rdnr. 40 ff.) – Manninen. 565 Vgl. zu den Voraussetzungen des EuGH auch M. Elicker, IStR 2005, 89 (89 f.).

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags

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b) Schrifttum und eigene Stellungnahme Bislang gibt es viele Aussagen darüber, wann ein Kohärenzverhältnis nicht besteht, andererseits sind die Hinweise in der Rechtsprechung darauf, unter welchen Voraussetzungen es zur Anwendung gelangt, überschaubar. Deshalb ist es nicht verwunderlich, daß hierüber im Schrifttum unterschiedliche Ansichten bestehen. Rainer Wernsmann lehnt die Kohärenz des nationalen Steuerrechts als Rechtfertigungsgrund gänzlich ab. Sie laufe den Zielen des EG-Vertrags zuwider, da der Bindungsadressat über das Ausmaß seiner Bindung selbst entscheiden könne. Vorliegend könnten die Mitgliedstaaten als eine Adressatengruppe der Grundfreiheiten durch Differenzierungen im Steuersystem über die Möglichkeit von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten disponieren.566 Diese Argumentation überzeugt nicht. Für die Mitgliedstaaten besteht seit jeher die Möglichkeit, einzelstaatliche Maßnahmen unter Berufung auf Rechtfertigungsgründe zu legitimieren. Greifen diese ein, wird der grundfreiheitlich geschützte Bereich verkürzt. Über die letztendliche Anerkennung entscheidet gemäß Art. 220 EG (Art. I-29 VV) auch im Falle der Berufung auf die Kohärenz des Steuersystems der EuGH, so daß nicht ersichtlich ist, daß der Bindungsadressat allein über die Grundfreiheit verfügen kann. Zudem stellt das Bedürfnis der Mitgliedstaaten nach einer Aufrechterhaltung des Funktions- und Gerechtigkeitszusammenhangs ihrer nationalen Steuerrechtsordnung ein schutzwürdiges Interesse dar, zumal Harmonisierungsmaßnahmen in diesem Bereich fehlen.567 Demnach ist dieser Rechtfertigungsgrund grundsätzlich anzuerkennen. Es stellt sich vielmehr die Frage nach dessen Umfang beziehungsweise Grenzen. Nach einer sehr weiten Fassung von Ben Terra/Peter Wattel bedeutet Kohärenz „the need to maintain the integrity of the fiscal regime“568. Hiergegen ist mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH einzuwenden, daß im Bereich der direkten Steuern zwar die Souveränität der Mitgliedstaaten fortbesteht, jedoch nur im Rahmen der Grundfreiheiten des EG-Vertrags. Somit kann unter Kohärenz nicht die Integrität des Steuersystems als solches verstanden werden. Die Grundfreiheiten schränken diese Integrität jedenfalls potentiell ein, so daß diesem Erfordernis gerade nicht entnommen werden kann, wieweit diese Einschränkung reichen darf.569 Richtigerweise ist von einem engeren Begriff der Kohärenz auszugehen, wobei eine Beschränkung des 566 R. Wernsmann, EuR 1999, 754 (775); ablehnend auch O. Thömmes, in: Schön (Hrsg.), GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 795 (831 ff.), der diesen Grundsatz als „Leerformel“ bezeichnet. 567 Vgl. G. Frotscher, Internationales Steuerrecht, 2005, § 2 Rdnr. 23. 568 B. Terra/P. Wattel, European Tax Law, 1997, S. 24. 569 Kritisch hierzu auch E. Reimer, in: Lehner (Hrsg.), Grundfreiheiten im Steuerrecht der EU-Staaten, 2000, S. 39 (61 f.).

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Kohärenz-Prinzips allein auf bloße „kompensatorische Effekte“, wie es von Jan Sedemund vertreten wird,570 doch als zu kurz gegriffen erscheint. Ausgangspunkt für eine Inhaltsbestimmung ist der Ausdruck „unmittelbarer Zusammenhang“, der daher auch in der Literatur zu Recht oft zur Kennzeichnung der Kohärenz herangezogen wird.571 Voraussetzung für ein Durchgreifen der Rechtfertigung aus Gründen der Kohärenz des Steuersystems ist ein systematischer und funktioneller Zusammenhang zwischen grundfreiheitsbeeinträchtigenden und weiteren Normen in der Weise, daß bei Wegfall der einen Norm auch die andere Vorschrift in ihrer Funktionstüchtigkeit beeinträchtigt würde.572 Ein Teilaspekt kann daher nicht in seiner Wirkung isoliert beurteilt werden.573 Zu betrachten ist vielmehr die Systematik der Gesamtregelung, wobei diese als weitere Bedingung als angemessenes systemgerechtes Gefüge anzuerkennen sein muß.574 Außerdem ist eine Identität in persönlicher Hinsicht vorauszusetzen.575 Im Ergebnis wird daher im Vergleich zur Inhaltsbestimmung des EuGH eine weitere Definition des Kohärenzgrundsatzes bevorzugt. Versteht man nämlich den Kohärenzgrundsatz als verallgemeinerungsfähigen Ausdruck schützenswürdiger Interessen der Mitgliedstaaten,576 so wird man sich von den engen, oben genannten Fallumständen lösen und die dort vorausgesetzte Wechselbeziehung zweier steuerrechtlicher Normen als einen besonders strengen Unterfall der systematisch-zwingenden Verknüpfung mehrerer Vorschriften miteinander ansehen müssen. Im weiteren wird daher der Begriff „Steuersystem“ durch die Bezeichnung „Regelungssystem“ ersetzt. Eine äußere Grenze für das Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes besteht in sachlicher Hinsicht spätestens dort, wo ein innerer Zusammenhang zwischen den Vorschriften lediglich behauptet wird, ohne daß die betreffenden Bestimmungen in einer auch nur ansatzweise erkennbaren systematischen Sonderverbindung zueinander stehen.

570 J. Sedemund, IStR 2001, 190 (192); ders., IStR 2002, 390 (392 f.); M. Köplin/J. Sedemund, IStR 2002, 120 (121). 571 Vgl. etwa W. Birkenfeld, StuW 1998, 55 (69). 572 R. Hummel, EWS 2001, 323 (326); H. Hahn, IStR 2000, 436 (437). 573 M. Elicker, IStR 2005, 89 (89). 574 G. Frotscher, Internationales Steuerrecht, 2005, § 2 Rdnr. 23; M. Elicker, IStR 2005, 89 (89). 575 So auch W. Birkenfeld, STuW 1998, 55 (69), der allerdings zudem eine Identität des Steuerhoheitsträgers verlangt; a. A. H. Hahn, IStR 2000, 436 (437 f.). 576 So in der Tendenz A. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, S. 968; für ein erweitertes Verständnis auch A. Musil, IStR 2001, 482 (488).

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c) Fazit Nach diesen Vorklärungen zum Rechtfertigungsgrund der Kohärenz des Regelungssystems stellt sich die Frage, ob der Anspruch auf Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Prinzip der Lastentragung dergestalt steht, daß beim Wegfall der einen Regelung auch die andere in ihrer Funktionstüchtigkeit beeinträchtigt wird. Dabei kommt der Zusammenhang zwischen beiden Regelungen in der expliziten Verknüpfung des Anspruchs mit der Verpflichtung in den jeweiligen Gemeindevorschriften zum Ausdruck.577 Die Besonderheit des Regelungsgefüges ergibt sich aus folgender Überlegung: Die Bereitstellung der zum sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Wohl der Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen fällt unter die in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete kommunale Selbstverwaltung.578 Da die Errichtung und Unterhaltung öffentlicher Einrichtungen sowie die weitere Gemeindeverwaltung Geld kostet, ist es nur folgerichtig, daß die Gemeindeordnungen in diesem Zusammenhang den Rechtsanspruch auf Nutzung der öffentlichen Einrichtung der Gemeinde mit der Verpflichtung der Tragung der gemeindlichen Lasten verbinden. Da auch die geforderte Personenidentität offensichtlich ist, verbleibt die in der Praxis üblicherweise zur Verneinung des Eingreifens des steuerrechtlichen Rechtfertigungsgrundes führende Frage nach der Unmittelbarkeit des Zusammenhangs. Die hier vorliegende, einleuchtende Verknüpfung kann sich dann nicht zu einem Funktionszusammenhang verdichten, wenn es Einwohner gibt, die keine Verpflichtung trifft, zu den Gemeindelasten beizutragen. Nach Gerhard Bennemann gehören zu dieser Gruppe regelmäßig Kinder und Jugendliche, die in der Gemeinde wohnen. Sie seien zwar Einwohner der Gemeinde im Sinne der jeweiligen Gemeindeordnungen, ein eigener Beitrag zum Tragen der Gemeindelasten entfalle jedoch regelmäßig wegen der fehlenden Steuerpflichtigkeit beziehungsweise Geschäftsfähigkeit.579 Dieses Argument überzeugt insofern nicht, als daß sich aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmung der Gemeindeordnung ergibt, daß alle Einwohner der Gemeinde die Lasten tragen müssen. Einwohner ist, wer in der Gemeinde wohnt.580 Bei genauer Betrachtung der einzelnen Gemeindelasten fällt auf, daß mit Ausnahme der Pflicht zur Übernahme eines Ehrenamtes, die auf die Eigenschaft als Bürger abstellt,581 alle übrigen Abgaben bei der Einwohnerschaft ansetzen. Auch 577

So ausdrücklich § 20 Abs. 1 HessGO, § 10 Abs. 2 SächsGO. Vgl. dazu näher 5. Teil A. II. 579 So G. Bennemann, in: ders./Beinlich/Brodbeck u. a. (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Hessen, Bd. I, Gesamtstand: Februar 2007, § 20 Rdnr. 105. 580 Vgl. § 8 Abs. 1 HessGO, § 21 Abs. 1 GONW, § 10 Abs. 1 SächsGO, § 10 Abs. 1 GOBW, Art. 15 Abs. 1 BayGO. 578

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

die Steuerpflicht knüpft nicht an das Alter, sondern an den zu besteuernden Gegenstand an.582 Da auch ein Minderjähriger beispielsweise über Grundbesitz im Gemeindegebiet verfügen beziehungsweise Kapitaleinkünfte besitzen kann, unterliegt er ebenso wie ein Erwachsener der Steuerpflicht. Zwar mag die Pflicht zur Lastentragung tatsächlich die Minderjährigen in geringerer Weise treffen, rein rechtlich gesehen – und darauf kommt es an – werden alle Einwohner gleichermaßen herangezogen. Ein unmittelbarer Funktionszusammenhang ist jedoch aus den folgenden Gründen zu verneinen. Für die Gemeinde besteht die Möglichkeit durch Widmungserweiterung das Einwohnerprivileg aufzugeben, indem der Zulassungsanspruch zu den öffentlichen Einrichtungen auf Auswärtige ausgedehnt wird. Dem Anspruch der Ortsfremden steht dann allerdings keine Verpflichtung zur Tragung der Gemeindelasten gegenüber, während die Einheimischen auch weiterhin die gemeindlichen Abgaben leisten müssen. Die Gemeinde kann eine Widmungserweiterung auf alle im Gemeindegebiet liegenden öffentlichen Einrichtungen ausdehnen, so daß im Ergebnis den Auswärtigen zwar nicht gesetzlich normiert, aber aus den jeweiligen Satzungen ein Zulassungsanspruch gleich den Einwohnern zukommt. Die Möglichkeit der Erweiterung des Adressatenkreises ohne Übernahme der Verpflichtungen bedeutet, daß beide Regelungen nicht in einer strengen Wechselbeziehung miteinander stehen. Die funktionelle Beziehung der Vorschriften ist nämlich bereits dann gestört, wenn die Vorteilsnahme einseitig ist und die korrelierenden Nachteile allein den gemeindeinternen Wirtschaftsverkehr treffen. Die unterschiedliche Rechtsgrundlage ändert daran nichts. Als weiteres Argument gegen eine synallagmatische Verbindung ist anzuführen, daß die Tragung der Gemeindelasten zwar im Zusammenhang mit dem Zulassungsanspruch in den Gemeindeordnungen normiert ist. Die entsprechenden Steuer-, Gebührensatzungen und Beitragsregelungen finden ihre Grundlage allerdings im Kommunalabgabengesetz beziehungsweise in Fachgesetzen wie dem Baugesetzbuch mit den Bestimmungen über den Erschließungsbeitrag.583 Die jeweils einschlägigen Paragraphen der Gemeindeordnungen formulieren nur in allgemeiner Form das Prinzip der Lastentragung. Aufgrund ihrer Unbestimmtheit ergibt sich aus ihnen kein konkretes Abgabenschuldverhältnis, wie es für eine funktionale Beziehung notwendig wäre. Sollte das Einwohnerprivileg abgeschafft werden, bleibt die 581 § 8 Abs. 2 HessGO, § 12 Abs. 1 S. 1 GOBW, § 15 Abs. 1 S. 1 SächsGO, Art. 15 Abs. 2 BayGO, § 21 Abs. 2 GONW. 582 Vgl. beispielsweise § 2 GrStG, § 1, § 2 EStG. 583 B. Zielke, in: Dieckmann/Heinrichs (Hrsg.), Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 1996, § 8 Rdnr. 2.

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags

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Gemeindebevölkerung gleichwohl zur Zahlung der Abgaben verpflichtet. Die Verknüpfung wird vielmehr aus einer inneren Systemgerechtigkeit heraus gewährt, daß derjenige, der die Lasten zu tragen hat, auch den Nutzen haben soll. Die spezifische innere Konditionalität scheidet weiterhin aus folgender Überlegung aus. Nach allen Kommunalabgabengesetzen können die Gemeinden zur Deckung der Kosten für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung und den Ausbau öffentlicher Einrichtungen Beiträge von Grundstückseigentümern584 erheben, denen die Anschlußmöglichkeit ihres Grundstücks nicht nur vorübergehende Vorteile verschafft.585 Dieser Aufwendungsersatz wird erhoben, weil eine konkrete Gegenleistung, ein konkreter wirtschaftlicher Vorteil, in Anspruch genommen werden kann beziehungsweise die Möglichkeit hierzu geboten wird.586 Hier ist ein bestimmter kompensatorischer Zusammenhang zwischen Begünstigung und Belastung zu bejahen. Da aber die Kommunen gleichwohl die Herstellungskosten etc. nach ihrer Wahl auch ganz oder teilweise über Benutzungsgebühren finanzieren können,587 ist die Möglichkeit der Inanspruchnahme nicht derart mit der Lastentragung verbunden, daß eine gegenseitige Bedingung gegeben ist. Wenn sich aber die Bestandteile dieser speziellen Regelung, die sich nur auf gewisse Beitragsschuldner bezieht, nicht in eine funktionale Beziehung miteinander setzen lassen, so gilt dies erst Recht nicht für den lediglich lapidar588 formulierten Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Lastentragung und dem Einwohnerprivileg. Daß das Prinzip der Lastentragung nicht eigentlich an den Zulassungsanspruch zu öffentlichen Einrichtungen geknüpft ist, sondern durch die Eigenschaft als Einwohner bedingt ist, kommt etwa in der Gemeindeordnung von Nordrhein-Westfalen deutlich zum Ausdruck. Danach müssen die Einwohner die Lasten tragen, die sich aus ihrer Zugehörigkeit zu der Gemeinde ergeben.589 Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß die Teilregelungen nicht funktional aufeinander bezogen und in ihrer Gesamtheit Bestandteil des Subsystems sind. Selbst wenn das Einwohnerprivileg als gemeinschaftsrechtswidrig qualifiziert würde, könnte die Gemeinde ihre Einwohner auch weiterhin zu den Gemeindelasten heranziehen. Beide Teilaspekte können in ihrer Wirkung isoliert betrachtet werden, ohne daß eine Lücke wie beispielsweise in den Fällen der Besteuerung der 584 Zum Beitragsschuldner vgl. nur §§ 21, 31 SächsKAG, § 8 Abs. 2, 4 KAGNW, Art. 5 Abs. 6 BayKAG. 585 Vgl. stellvertretend § 10 KAGBW, Art. 5 Abs. 1 S. 1 BayKAG, § 11 HessKAG,§ 17 SächsKAG. 586 J. Lang, in: Tipke/ders. (Hrsg.), Steuerrecht, 2005, § 3 Rdnr. 20. 587 A. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2003, Rdnr. 1109. 588 R. Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 237. 589 § 8 Abs. 2 a. E. GONW.

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4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

Altersvorsorge auftritt. Mangels unmittelbaren Zusammenhangs kann die durch das gemeindliche Einwohnerprivileg bewirkte mittelbare Diskriminierung nicht durch die Kohärenz des Regelungssystems gerechtfertigt werden. Auch nach der Ansicht des EuGH würde im vorliegenden Fall eine Legitimation wohl ebenfalls ausscheiden, da bereits keine zwei steuerrechtlichen Regelungen gegeben sind.

II. Einheimischenabschlag Die Gemeinden können für die Inanspruchnahme ihrer öffentlichen Einrichtungen bei öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnissen nach dem Kommunalabgabengesetz Benutzungsgebühren590 und bei privatrechtlichen Benutzungsverhältnissen privatrechtliche Entgelte erheben. Die Beitragssätze sind in der Regel so zu bemessen, daß die Kosten der Einrichtung gedeckt werden.591 Dennoch steht es der Gemeinde frei, ihre öffentlichen Einrichtungen aus allgemeinen Steuermitteln der Gemeinde zu unterstützen. Dabei sei es ein nachvollziehbares Unterscheidungskriterium, wenn diese Förderung nur dem Personenkreis zugute kommen soll, der als Ortsansässiger mit seinen Zahlungen auch zum allgemeinen Steueraufkommen der Gemeinde beitrage. Bei einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Beiträge der Einwohner zu den Gemeindelasten stelle vielmehr die erhöhte Benutzungsgebühr für Auswärtige erst die Gleichbehandlung dar.592 Die Inanspruchnahme nach Art und Umfang der Leistung bei Ortsfremden weist zunächst keinen Unterschied zur Benutzung durch Gemeindeangehörige auf. Der Schluß, daß die Gemeinde, wenn sie eine Zulassung Auswärtiger ablehnen kann, dann erst Recht für den Fall, daß sie sie zuläßt, erhöhte Gebühren verlangen kann,593 ist nicht zwingend, da das eine mit dem anderen nicht unmittelbar etwas zu tun hat.594 Dieses im nationalen Recht vorzufindende Argument greift vorliegend auch aus dem Grund nicht, daß bislang noch kein Rechtfertigungsgrund für die EG-Rechtskonformität des Einwohnerprivilegs ersichtlich ist. Bevor auf das Argument der pauschalen Lastentragung eingegangen wird, soll kurz die Rechtssache Kommission ./. 590 § 10 Abs. 1 HessKAG, Art. 8 Abs. 1 BayKAG, § 9 Abs. 1 KAG BW, § 9 Abs. 1 SächsKAG, vgl. auch § 6 Abs. 1 KAG NW, nach dem Gebühren zu erheben sind. 591 § 10 Abs. 2 S. 1 HessKAG, Art. 8 Abs. 2 S. 1 BayKAG. Nach § 10 Abs 1 SächsKAG, § 6 Abs. 1 S. 3 KAGNW, wird die Kostendeckung als Höchstgrenze festgelegt. 592 G. Bennemann, in: ders./Beinlich/Brodbeck (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Hessen, Bd. I, Gesamtstand: Februar 2007, § 20 Rdnr. 92. 593 So aber VG Aachen, KStZ 1971, 62 (63); OVG Münster, KStZ 1979, 49 (50). 594 G. Püttner/S. Lingemann, JA 1984, 121 (125).

C. Rechtfertigung des Einheimischenprivilegs/Einheimischenabschlags

389

Italien dargestellt werden, die die Frage nach einem Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht durch Einheimischenabschläge bei öffentlichen Einrichtungen zum Gegenstand hatte. Konkret ging es um kommunale Vorschriften, die den ortsansässigen Bürgern über 60 beziehungsweise 65 Jahren Tarifermäßigungen beim Eintritt in öffentliche Museen, Denkmäler etc. gewährten. Zur Rechtfertigung der vom EuGH festgestellten mittelbaren Diskriminierung wies die italienische Regierung zunächst darauf hin, daß angesichts der durch die Verwaltung der Kulturgüter entstehenden Kosten der ermäßigte Zugang zu diesen Gütern nicht unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen gewährt werden könne.595 Der EuGH begnügte sich hinsichtlich dieses Arguments mit dem kurzen, zutreffenden Hinweis darauf, daß rein wirtschaftliche Ziele weder unter die öffentliche Ordnung noch unter die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zu fassen seien.596 Weiterhin berief sich die italienische Republik auf die fehlende Zuständigkeit ihrerseits, die streitigen kommunalen Regelungen fielen nicht ihre Kompetenz. Insoweit wies der EuGH auch diese Argumentation zurück, da ein Mitgliedstaat nicht die Umstände seiner internen Rechtsordnung anführen könne, um die Nichtbeachtung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben. Auch wenn jeder Mitgliedstaat die internen Gesetzgebungsbefugnisse so verteilen könne, wie er es für richtig halte, so bleibe er doch nach Art. 226 EG (Art. III-360 VV) der Gemeinschaft für die Beachtung dieser Verpflichtungen allein verantwortlich.597 Dieser Sichtweise ist mit Blick auf den effet utile des Gemeinschaftsrechts zuzustimmen. Schließlich führte die italienische Republik an, daß die den Gebietsansässigen vorbehaltene Vorzugsbehandlung durch Gründe der Kohärenz des Steuersystems gerechtfertigt sei, da diese Vorteile die Gegenleistung für die Zahlung von Steuern darstellten, mit denen sich diese Gebietsansässigen an der Verwaltung der betreffenden Stätten beteiligten.598 Der EuGH stellte hinsichtlich des Kohärenzprinzips fest, daß im Gegensatz zum Urteil Bachmann599 kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen irgendeiner Besteuerung und der Anwendung der Vorzugstarife für den Zugang zu öffentlichen Museen bestehe. Dies gelte umso mehr, als die Anwendung der streitigen Tarifvorteile davon abhänge, daß der Betreffende im Gebiet der Einrichtung wohne, die das jeweilige öffentliche Museum betreibe, wobei alle anderen Personen, die in Italien wohnten und deshalb ebenfalls in diesem Mitgliedstaat steuerpflichtig seien, ausgeschlossen würden.600 Einen Widerspruch 595 596 597 598 599 600

EuGH, EuGH, EuGH, EuGH, EuGH, EuGH,

Slg. Slg. Slg. Slg. Slg. Slg.

2003, 2003, 2003, 2003, 1992, 2003,

I-721 I-721 I-721 I-721 I-249 I-721

(739 Rdnr. 18) – Kommission ./. Italien. (740 Rdnr. 19, 22) – Kommission ./. Italien. ( 741 Rdnr. 26 ff.) – Kommission ./. Italien. (739 Rdnr. 18) – Kommission ./. Italien. (282 Rdnr. 21 ff.) – Bachmann. (741 Rdnr. 24) – Kommission ./. Italien.

390

4. Teil: Rechtfertigung durch anerkannte Gründe

weist die italienische Verteidigung auch insofern auf, als daß alle unter 60- beziehungsweise 65-jährigen ortsansässigen Italiener ebenfalls Steuern bezahlen, aber dennoch keine Vergünstigung erhalten. Vorliegend stellt sich die Frage, inwiefern die vorgenannte Argumentation auf den hier in Rede stehenden Einheimischenabschlag übertragen werden kann. Ein Unterschied besteht darin, daß im Gegensatz zu dem italienischen Modell die Tarifermäßigung allen Ortsansässigen gewährt wird. Während beim Einwohnerprivileg zumindest noch ein Zusammenhang der Regelungen aufgrund der systematischen Stellung in den Gemeindeordnungen erkennbar war, ergeben sich im Fall Kommission ./. Italien bereits Zweifel an der lediglich behaupteten Verknüpfung zwischen den gewährten Tarifermäßigungen und den zu leistenden Gemeindesteuern oder auch allgemeiner, den Abgaben. Gegen eine systematische Beziehung ist einzuwenden, daß diese bereits dort fehlt, wo die öffentliche Einrichtung vollständig über die Erhebung von Gebühren beziehungsweise Beiträgen finanziert wird. Wie eingangs erwähnt, kann sich die Gemeinde entscheiden, die Einrichtung zum Teil aus Steuermitteln zu fördern. Eine gemeindliche Steuer zur Verwaltung von öffentlichen Einrichtungen existiert allerdings nicht. Zwar lassen sich Gemeindesteuern ausmachen, die von dem begünstigten Kreis zu zahlen sind. Anzuführen ist erstens die Grundsteuer. Diese erstreckt sich auf den realen, lokal verorteten Vermögensgegenstand „Grundbesitz“ und steht daher als Realsteuer gemäß Art. 106 Abs. 6 GG, § 1 Abs. 1 GrStG den Gemeinden zu. Zweitens ist die Gewerbesteuer, die auf der Basis des Äquivalenzprinzips, das heißt als Ausgleich für die unmittelbaren und mittelbaren Lasten, die die Gewerbebetriebe für die Gemeinde verursachen, konzipiert wurde,601 gemäß Art. 106 Abs. 6 GG, § 1 GewStG an die Gemeinde abzuführen. Drittens erhalten die Gemeinden nach Art. 106 Abs. 5 GG einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer, der von den Ländern an ihre Gemeinden auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner weiterzuleiten ist. Seiner Rechtsnatur ist der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer keine Finanzzuweisung, sondern eine eigene gemeindliche Einnahmequelle.602 Mit diesen Zahlungen trägt der Ortsansässige zum allgemeinen Steueraufkommen bei, aus dem die Gebührenermäßigungen finanziert werden. Ein unmittelbarer Zusammenhang ist hier allerdings nicht ersichtlich, zumal das allgemeine Steueraufkommen zudem noch aus Finanzzuweisungen des Bundes besteht. Vorliegend dienen die Tarifermäßigungen nicht zur Aufrechterhaltung des Funktions- und Gerechtigkeitszusammenhangs der gemeindlichen Lastentragung, sondern beruhen auf allgemeinen haushaltspolitischen Erwägungen. 601 602

H. Montag, in: Tipke/ Lang (Hrsg.), Steuerrecht, 2005, § 12 Rdnr. 1. A. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 737.

D. Rechtfertigung der Bevorzugung bei öffentlicher Auftragsvergabe

391

Daher besteht zwischen den Gemeindeabgaben und den Vorzugstarifen lediglich ein wirtschaftlicher Zusammenhang, nicht aber eine funktionelle Beziehung in der Weise, daß die eine nur im Zusammenwirken mit der anderen ihre Funktion erfüllen kann.

D. Rechtfertigung der Bevorzugung bei öffentlicher Auftragsvergabe Zur Rechtfertigung der Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt an ortsansässige Unternehmen führen die Gemeinden insbesondere die Sicherung dieser Betriebe vor Aufgabe oder Abwanderung und die Erhaltung von Arbeitsplätzen der einheimischen Bevölkerung an. Vor dem EG-Recht haben beide Argumente aufgrund ihres wirtschaftlichen Charakters keinen Bestand.603 Übrig bleibt schließlich noch das Argument der Gewerbesteuereinnahmen. Durch die Vergabe öffentlicher Aufträge an einen ortsansässigen Betrieb erhöht sich der Gewinn dieses Unternehmens, so daß durch die Zahlung von Gewerbesteuern die Gemeinde einen Teil ihres gezahlten Geldbetrages über die Einnahme von Steuern wieder zurückerlangt. Ein Eingreifen des Rechtfertigungsgrundes der Kohärenz des Steuersystems ist allerdings vorliegend offensichtlich zu verneinen. Erstens liegt bereits kein schützenswertes Regelungsgefüge vor, bei dem zweitens ein unmittelbarer Zusammenhang erst Recht nicht zu erkennen ist. Steuermindereinnahmen werden nach ständiger Rechtsprechung des EuGH generell nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses angesehen, wie zuletzt etwa in der Entscheidung Hughes de Lateyrie du Saillant erneut betont wurde.604

603

Vgl. dazu 4. Teil B. II. 3. Vgl. EuGH, Slg. 2004, 2409 (2456 Rdnr. 60) – Hughes de Lasteyrie du Saillant; siehe auch EuGH, Slg. 2003, I-13031 (13098 Rdnr. 61) – Gambelli. 604

5. Teil

Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung Die Ungleichbehandlung des Einheimischenabschlags legitimiert die Literatur zum Teil mit Gründen, die sich aus dem Zusammenleben in der örtlichen Gemeinschaft ergeben.1 Die Formulierung des Zusammenlebens in der örtlichen Gemeinschaft sowie die Feststellung, daß Einheimischenprivilegierungen regelmäßig unter den Schutz des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG fallen,2 führt zu der Überlegung, ob nicht die kommunale Selbstverwaltung zur Rechtfertigung der durch die Bevorzugung der Ortsansässigen bewirkten mittelbaren Diskriminierungen in Betracht kommt. Diese Frage soll anhand der erneuten Überprüfung der verschiedenen Fallgruppen im folgenden beantwortet werden, wobei auch die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle mit einbezogen werden. Obwohl hier bereits eine Legitimation aus raumplanerischen Zielen bejaht wurde, könnte, sofern die folgende Prüfung im Ergebnis positiv ausfällt, kumulativ3 auch der Rechtfertigungsgrund der kommunalen Selbstverwaltung eingreifen.

A. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Bevor auf die Frage nach der Anerkennungsfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis eingegangen werden kann, ist zunächst festzustellen, ob die hier untersuchten Fallgruppen, die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle, das Einwohnerprivileg, der Einheimischenabschlag sowie die Vergabe öffentlicher Aufträge, unter den Schutz der Verfassungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG fallen.

1 G. Bennemann, in: ders./Beinlich/Brodbeck (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Hessen, Bd. I, Gesamtstand: Februar 2007, § 20 Rdnr. 91. 2 Vgl. oben 1. Teil E. I. 3 Vgl. EuGH, Slg. 2002, I-2157 (2205 Rdnr. 34) – Reisch.

A. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter

393

I. Städtebaurechtliche Einheimischenmodelle Wie das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung formuliert, sichert Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich. Das bedeutet, daß die Gemeindeorgane die Freiheit besitzen, die in ihrer Verbandskompetenz liegenden Aufgaben – im Rahmen der Rechtsordnung – nach eigenem Gestaltungswillen und unabhängig von staatlicher Weisung zu erfüllen.4 Unter diese umfangreichen Aufgaben, denen kein gegenständlich bestimmter Katalog angehört,5 ist es auch subsumierbar, wenn sich die Gemeinde um die Ortsverbundenheit und -eingliederung ihrer Einwohner kümmert.6 Die „sozialpsychologische Bedeutung einheimischer Bevölkerungsteile für Bestand und Entwicklung eines Gemeinwesens wie einer Gemeinde, vor allem in Gemeinden kleineren Zuschnitts“, bedarf nach dem Bundesverwaltungsgericht „keiner weiteren Erörterung“7. Anzumerken ist dennoch kurz, daß die Ortsverbundenheit das gesellschaftliche Leben sowie die Durchführung von Aktivitäten, aber auch die Besetzung politischer Ämter etc. beeinflußt. Bei einem stetigen Wechsel der Gemeindeeinwohner fehlt diese Ortsverbundenheit und damit der Zusammenhalt in der Gemeinde und die Rückbesinnung auf die gemeindliche Identität. Die Gefahr des Verlustes des dörflichen Charakters und der Entstehung von bloßen Schlaf- und Trabantenstädten liegt nahe. Dies gilt umso mehr, wenn insbesondere die junge und damit produktive ortsansässige Bevölkerung gezwungen ist abzuwandern,8 so daß auch die zukünftige Wirtschaftskraft schwindet. Für die älteren Gemeindebürger ist es nicht möglich, die gesellschaftlichen Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Historische und kulturelle Ereignisse geraten in Vergessenheit. Es kommt zu einer Vergreisung der Gemeinde. Den genannten Gründen zufolge wirkt sich eine organisch gewachsene Bevölkerungsstruktur positiv auf die Ortsverbundenheit aus und erhält damit den sozialen Frieden in der Dorfgemeinschaft.9

4 BVerfGE 26, 228 (237 f.); 56, 298 (312); 59, 216 (226); 79, 127 (143); 91, 28 (236); vgl. hierzu auch oben 1. Teil E. I. 1. c). 5 Vgl. nur A. Gern, Sächsisches Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 52. 6 BVerwG, NJW 1993, 2695 (2697); D. Hörmann, Die Grenzen städtebaurechtlicher Vertrage, 2001, S. 92. 7 Siehe BVerwG, NJW 1993, 2695 (2696). 8 VG München, BayVBl. 1997, 533 (533). 9 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 288.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

Da spezielle Regelungen fehlen, wie die Ortsverbundenheit zu stärken ist, kann dies auch über die Förderung auf dem Grundstücksmarkt erfolgen.10 Natürlich setzt die Teilhabe des einzelnen an dem Bestand und der Entwicklung der örtlichen Gemeinschaft kein individuelles Grundeigentum in der Gemeinde voraus. Doch wird einem fest in der örtlichen Gemeinschaft verwurzelten Teil der Bevölkerung dadurch die Möglichkeit eingeräumt, auch weiterhin am Zusammenleben innerhalb der Gemeinschaft der Gemeinde teilzuhaben.11 Zudem mißbilligt das Baugesetzbuch die Eigentumsbildung als solche nicht, sondern erwähnt diese vielmehr als bei der Bauleitplanung zu berücksichtigenden Belang in § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB. Die Bereitschaft zum Grunderwerb, der in aller Regel mit erheblichen Investitionen verbunden ist, wird zwar auch bei dem von den Einheimischenmodellen erfaßten kaufberechtigten Personenkreis von den Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, die ein Ort oder eine Region bieten, bestimmt. Eine von solchen Gesichtspunkten determinierte persönliche Ortswahl mag die Bedeutung der Ortsverbundenheit mindern, läßt sie aber nicht ganz entfallen. Gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB sind die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung ebenfalls bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen. Damit werden zwar nicht die Bedürfnisse der Einheimischen umschrieben, doch lassen sie sich einem kommunalpolitischen Ziel zuordnen, das darauf gerichtet ist, die kontinuierliche Entwicklung der Gemeinde unter Anknüpfung an die Ortsverbundenheit der Einwohner zu fördern.12 Zudem korrespondiert hiermit eine in den Gemeindeordnungen13 festgeschriebene Fürsorgepflicht der Gemeinde für das soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner. Insofern gehört dazu auch die Pflicht, dafür zu Sorge zu tragen, daß die Gemeindeeinwohner in der von ihnen geprägten Heimat seßhaft bleiben können.14 Dem entspricht es, daß auch der Pflege lebendiger örtlicher Eigenart seit je ein hoher Stellenwert im gemeindlichen Aufgabenkomplex eingeräumt wird.15 Es fragt sich, ob nicht gerade in der Sicherstellung der Bewahrung und Entfaltung solcher Individualität als eines zentralen „Lebensimpuls(es) der Selbstverwaltung“16 die entscheidende Legitimation der Verfassungsgewährleistung gesehen werden kann. Gerade eine derartige Akzentsetzung würde den Eigenwert gemeindlicher Existenz mit ihrem 10

D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 92. D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 288. 12 BVerwGE 92, 56 (63). 13 Vgl. nur § 1 Abs. 1 S. 2 HessGO, § 1 Abs. 1 S. 2 GONW, § 1 Abs. 2 SächsGO, § 1 Abs. 2 GOBW, Art. 57 Abs. 1 S. 1 BayGO. 14 A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 91; S. Els, BayVBl. 1983, 421 (421). 15 Zustimmend BVerfGE 11, 266 (276). 16 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2001, S. 251. 11

A. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter

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Funktionswert in der gesamtstaatlichen Ordnung in besonderem Maße zur Geltung bringen. Daß städtebaurechtliche Einheimischenmodelle unter die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft fallen, kann durch einen weiteren Gesichtspunkt belegt werden. Ein wesentlicher Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung, verstanden als Recht zur Einflußnahme auf die örtliche Sozialstruktur und zur Gewährleistung der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung ihres Gebiets, ist die Planungshoheit.17 Unter dem Begriff der Planungshoheit versteht man die „Kompetenz (. . .), ohne durchgängige und strikte Bindung an staatliche Vorgaben aufgrund eigenen politisch-administrativen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums über die bauliche und sonstige Verwendung und Nutzung von Grund und Boden des Gemeindegebiets zu disponieren, und die zur Verwirklichung des eigenverantwortlichen, wahrzunehmenden Gestaltungspotentials erforderlichen planerischen Leitlinien ohne imperative, staatliche Beeinflussung zu entwickeln“18. Hauptpunkt ist damit die autonome Gestaltung der Nutzbarkeit von Grund und Boden.19 Die Gemeinden sind allgemein zur Ordnung und Gestaltung ihres Gebiets durch eine planmäßige und gezielte Boden- und Siedlungspolitik verpflichtet. Dabei ist die Aufgabe der Gemeinde nicht auf die Planung zu beschränken, sondern umfaßt auch die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen. Dazu gehören der Erwerb und die Veräußerung von Grundstücken. Soweit demnach eine Gemeinde im Zuge der von ihr durchzuführenden Bodenund Siedlungspolitik Grundstücke verkauft, nimmt sie hoheitliche Aufgaben wahr.20 Insoweit ist zu beachten, daß die Gemeinde eine städtebauliche, eigenverantwortlich erarbeitete Konzeption verfolgt, im Rahmen derer es ihr auch zukommen muß, die näheren Umstände autonom zu regeln. Die Planungshoheit umfaßt das Recht der Gemeinden, gezielt als Maßnahme zur Verhinderung von Verdrängungseffekten den städtebaulichen Zielen des Baugesetzbuches entsprechende Vorzugsleistungen, sprich Bauland, für Einheimische beziehungsweise Unternehmen bereitzustellen, um damit unmittelbar auf die örtliche Sozial- und Bevölkerungsstruktur Einfluß zu nehmen.21 Durch die Einführung des § 6 BauGB-MaßnG, nunmehr § 11 Abs. 1 17 B. Stüer, Städtebaurecht 2001, 2001, S. 34; A. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2003, Rdnr. 170; D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 93; F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 2004, S. 17. 18 M. Dossmann, Die Bebauungsplanzusage, 1985, S. 4; siehe auch A. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2003, Rdnr. 170; ders., Sächsisches Kommunalrecht, 2000, Rdnr. 178 ff. 19 D. Hörmann, Die Grenzen städtebaulicher Verträge, 2001, S. 93. 20 C. Steger, BWGZ 1981, 879 (880). 21 VGH München, BayVBl. 1991, 47 (49); A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 90.

396

5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

S. 2 Nr. 2 BauGB,22 hat der Gesetzgeber schließlich auch die letzten Zweifel23 ausgeräumt. Die Gemeinden bewegen sich daher bei der Schaffung städtebaurechtlicher, klassischer24 wie gewerblicher Einheimischenmodelle im Schutzbereich ihres nach Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf Selbstverwaltung.25 Fraglich ist, ob städtebaurechtliche Einheimischenmodelle nicht nur unter den Schutz des Randbereichs fallen, sondern auch zum sogenannten Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gehören. Dies ist insofern von Bedeutung, als nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Kernbereich oder Wesensgehalt der Selbstverwaltungsgarantie dem rahmensetzenden Gesetzgeber eine Grenze setzt.26 Schwierigkeiten bereitet wie beschrieben27 die Konturierung des Kernbereichs. Verletzt ist der Kernbereich jedenfalls, wenn mittels der sogenannten Subtraktionsmethode festgestellt werden kann, daß den Gemeinden nach dem Aufgabenentzug keine Aufgaben von hinreichend substantiellem Gewicht verbleiben.28 Eine gesetzliche Ausgestaltung der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle oder gar ihr Entzug würden die Planungshoheit der Gemeinden jedoch nicht derart aushöhlen, daß in diesem Bereich keine Betätigungsmöglichkeit mehr besteht. 22 Nach A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 89 ist § 11 BauGB in erster Linie von der gesetzgeberischen Zielsetzung geprägt, das kooperative Verwaltungshandeln im Bereich des Städtebaurechts zu stärken, als von der Intention, speziell der Gebietskörperschaft „Gemeinde“ eine solche Aufgabe zuzuweisen. 23 M. Jachmann, MittBayNot 1994, 93 (99); W. Brohm, JZ 2000, 321 (330). 24 Dieser Begriff bezeichnet die Wohnraummodelle. 25 VGH München, NVwZ 1990, 979 (981); NVwZ 1999, 1008 (1010); VG München, NVwZ-RR 1997, 375 (375); BVerwGE 92, 56 (62 f.) mit Verweis auf die kommunale Kompetenz; H. Grziwotz, NJW 1993, 2665 (2665); VG München, NVwZ-RR 1997, 375 (375); W. Kahl/A. Röder, JuS 2001, 24 (26); M. Jachmann, MittBayNot 1994, 93 (99); D. Hörmann, Die Grenzen städtebaurechtlicher Verträge, 2001, S. 92; R. Kössinger, Die Vergabe gemeindeeigener Baugrundstücke, 1987, S. 15 ff.; W. Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns durch Absprachen und Verträge, 1994, S. 88 f.; H. Jäde, BayVBl. 1992, 549 (552); W. Kahl, DÖV 2000, 793 (797). Einfachgesetzlich ergibt sich die Verbandskompetenz aus § 11 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BauGB. Andere ziehen zudem § 1 und § 89 Abs. 2 II. WoBauG, § 1 Abs. 6 Nr. 2, Nr. 3 BauGB heran. Vgl. ausführlich A. Pittino, Einheimischenmodelle, 2000, S. 90 ff.; BayVGH, BayVBl. 1991, 47 (47); R. Jahn, BayVBl. 1991, 33 (34); H. Grziwotz, Baulanderschließung, 1993, S. 199. 26 Zur Frage, ob das EG-Recht zum rahmensetzenden Recht gehört vgl. oben 1. Teil E. I. 4. c). 27 Siehe dazu oben den 1. Teil E. I. 4. a). 28 BVerfGE 7, 358 (365). Mittlerweile mehren sich die Stimmen, die diese Methode kritisieren, da sie eine sukzessive Entleerung der Selbstverwaltung bewirke. Vgl. nur F.-L. Knemeyer, Bayerisches Kommunalrecht, 2004, S. 46 m. w. N. Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik gehört jedoch nicht in den Rahmen der vorliegenden Arbeit.

A. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter

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Auch das Recht der Gemeinden, sich bislang unbesetzter Aufgaben nach eigenem Ermessen anzunehmen, würde nicht in Frage gestellt. Daher zählen die städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle nicht zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Dieses Ergebnis bestätigt die bereits getroffene Feststellung, daß Einheimischenprivilegierungen regelmäßig nicht unter den Kernbereich fallen,29 so daß hinsichtlich der weiteren Fallgruppen auf diese Frage nicht weiter eingegangen wird.

II. Einwohnerprivileg bei Volksfesten und Wochenmärkten Eine gesetzliche Zuweisung der Veranstaltung von Wochenmärkten und Volksfesten zum kommunalen Bereich besteht nicht. Somit scheidet eine kommunale Pflicht zur Aufgabenerfüllung aus. Fraglich ist, ob die Veranstaltung von Märkten und Volksfesten eine durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete freie Selbstverwaltungsaufgabe im Bereich der Daseinsvorsorge darstellt. Dazu müßten Wochenmärkte und Volksfeste für das wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Wohl der Gemeindeeinwohner erforderlich sein und einen spezifischen Ortsbezug aufweisen. Die genannten Tatbestandsmerkmale weisen eine Häufung von unbestimmten Rechtsbegriffen auf und gewähren den Gemeinden damit im Rahmen ihrer Selbstverwaltung einen großen politischen Beurteilungsspielraum. Auf abstrakt-genereller Ebene lassen sie keine eindeutigen Schlußfolgerungen zu. Oftmals werden Märkte und Volksfeste mit guten Argumenten als Faktor zur kulturellen Betreuung der Gemeindeangehörigen anzusehen sein. Denn zumindest in ihren Kernbereichen blicken derartige Veranstaltungen nach ihrem historisch gewachsenen Verständnis und Erscheinungsbild meist auf eine längere profane oder religiöse Tradition zurück und bilden mit ihren Festzügen, Prozessionen, Spezialitäten und anderen im regionalen Brauchtum verwurzelten Besonderheiten einen volkstümlichen Bestandteil der lokalen Gesellschaft.30 Auch das wirtschaftliche Wohl wird durch Märkte und Volksfeste gefördert. Denn sie dienen ihren Beschickern, insbesondere den Marktkaufleuten und Schaustellern, als wesentliche Einkommensquelle. Die Beschikker können für ihre überwiegend heimischen Produkte werben und diese einem breiten Publikum anbieten. Schließlich ist weiterhin der soziale Gesichtspunkt nicht zu vernachlässigen: Die Standvergütungen werden von den Beschickern auf die Besucher umgelegt. Sofern die Gemeinde moderate, wirtschaftlich angemessene Standvergütungen festsetzt und sich nicht an Gewinnerzielung orientiert, trägt sie dazu bei, das Preisniveau auf Märkten und Volksfesten auf einer auch für ihre sozial schwächeren Gemeinde29 30

Vgl. oben 1. Teil E. I. 4. a). C. Gröpl, GewArch 1995, 367 (368 f.).

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

einwohner erschwinglichen Höhe zu halten. Abgesehen davon kann sich die soziale Dimension derartiger Veranstaltungen auch in ihrer Funktion als Forum für gesellschaftliche Kommunikation sowie für die Freizeitgestaltung moderner Prägung zeigen. Angesichts ihrer lokalen, kulturellen und sozialen Verwurzelung im örtlichen Bereich erfüllen die Gemeinden bei der Ausrichtung traditioneller und traditionsbildender Wochenmärkte und Volksfeste freie Selbstverwaltungsaufgaben im Rahmen der Daseinsvorsorge, die durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützt werden.31 Diese Garantie umfaßt auch das Recht der Gemeinden, nur ihren Einheimischen einen Zulassungsanspruch zu örtlich begrenzten öffentlichen Einrichtungen zu gewähren, da das Tätigkeitsfeld der Gemeinde von Verfassungs wegen grundsätzlich auf das eigene Gebiet und die Sorge für die eigenen Einwohner beschränkt ist.32

III. Einheimischenabschlag Weiterhin stellt sich die Frage, ob der Einheimischenabschlag unter den Schutz der verfassungsrechtlich in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verbürgten Garantie fällt.33 Zu dem Selbstverwaltungsrecht zählt unter anderem die Finanzhoheit, das heißt die freie Entscheidung, für welche (zulässigen) Ziele welche Mittel gemäß den finanziellen Möglichkeiten verwendet werden sollen. Der Einheimischenabschlag als Gebührenreduzierung beruht auf einer bewußten Kostenunterschreitung und damit auf einer (indirekten) Subventionierung der Einwohner aus Haushaltsmitteln der Gemeinde. Sofern die in Rede stehende öffentliche Einrichtung dem Selbstverwaltungsbereich der Gemeinde zugerechnet werden kann, steht es ihr frei im Rahmen ihrer kommunalen Kultur- und Bildungspolitik Förderungsmaßnahmen vorzusehen und auf ihre eigenen Bürger zu beschränken.34 Die Gemeinden vermögen auf diese Weise in bürgerschaftlicher Selbstverwaltung das gemeinsame Wohl ihrer Einwohner zu fördern, wie es auch in den Gemeindeordnungen deklaratorisch festgeschrieben ist.35

31 Vgl. VG Augsburg, GewArch 2000, 200 (201); H. Hilderscheid, Die Zulassung zu Messen und Ausstellungen, 1999, S. 144, 147; U. Hösch, GewArch 2002, 402 (406); vgl. auch P. C. N. Rieß, Messe- und Ausstellungsrecht, 1998, S. 87. 32 Ebenso H. Roth, Die kommunalen Einrichtungen, 1998, S. 53 f.; U. Fastenrath, NWVBl. 1992, 51 (52). 33 Im Ergebnis bejahend BVerwG, BayVBl. 1997, 437 (438). 34 J. Rüttgers, KStZ 1979, 125 (128); A. Gern, VBlBW 1996, 201 (202). 35 Vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 HessGO, Art. 57 Abs. 1 S. 1 BayGO, § 1 Abs. 1 S. 2 GONW, § 1 Abs. 2 SächsGO, § 1 Abs. 2 GOBW.

A. Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter

399

IV. Öffentliche Auftragsvergabe Die Gemeinden decken mit der Vergabe von öffentlichen Aufträgen den Bedarf, der bei der Erfüllung ihrer Aufgaben entsteht. Sofern die Aufgabe in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Bereich der Selbstverwaltung fällt, umfaßt die Garantie aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG ebenfalls die Vergabe öffentlicher Aufträge als deren Annex.36 Das Recht auf Selbstverwaltung wird jedoch nur im Rahmen der Gesetze garantiert. Betrachtet man die historische Entwicklung37 des öffentlichen Vergabewesens, so zeigt sich, daß immer wieder Einschränkungen des Selbstverwaltungsbereichs hinsichtlich des Vergabeverfahrens erfolgten, um eine Vereinheitlichung zu gewährleisten. So wurden nach der Etablierung des Verfahrens der „Lization“ oder „Abstreichverhandlung“ im 18. Jahrhundert38 zunächst auf Länderebene in Bayern 1833 und in Preußen 1834 Verdingungsordnungen eingeführt.39 Nunmehr erfährt das mittlerweile bundesweit geltende Vergaberecht aufgrund der Anforderungen auf europäischer Ebene fortlaufend neue Anpassungen. Gleichwohl ist zu konstatieren, daß die eigenverantwortliche Vergabe von öffentlichen Aufträgen grundsätzlich durch das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung gewährleistet wird.

V. Ergebnis Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß alle Fallgruppen der hier untersuchten Einheimischenprivilegierungen als Schutzgüter des in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verankerten Rechts der kommunalen Selbstverwaltung zu qualifizieren sind.

36

Vgl. A. Schäfer, Öffentliche Belange im Auftragswesen und Europarecht, S. 129; R. Altenmüller, DVBl. 1982, 241 (242); R. v. Ameln, Der Städtetag 1989, 7 (7); im Ergebnis ebenso M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 103. 37 Dazu im einzelnen F. Rittner, Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze des öffentlichen Auftragswesens, 1988, Rdnr. 17 ff. 38 F.-J. Kunert, Staatliche Bedarfsdeckung und öffentliches Recht 1977, S. 30. 39 F. Rittner, Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze des öffentlichen Auftragswesens, 1988, Rdnr. 19.

400

5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis Klärungsbedürftig ist nun die Frage, ob die kommunale Selbstverwaltung als neues zwingendes Erfordernis, welches eine Beeinträchtigung der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten zu legitimieren vermag, anzuerkennen ist. In der Offenlegung und Benennung neuer zwingender Erfordernisse liegt keine Fortbildung des Gemeinschaftsrechts, für die der Gerichtshof allein zuständig sein könnte. Gewiß wird dieser bei der Herleitung der zwingenden Gründe sowie bei der Ausgestaltung derselben in gewisser Weise rechtsschöpferisch aktiv. Dabei bewegt er sich aber im Rahmen seiner in Art. 220 EG (Art. I-29 VV) festgelegten Aufgabe der Sicherung und Wahrung des Rechts, da die Allgemeininteressen bereits in den zulässigen Rechtsquellen existent sind und durch ihn nur zutage gefördert werden. Die entsprechende Ermittlung anerkennenswerter zwingender Erfordernisse bleibt daher letztlich ein Akt der Rechtserkenntnis, der somit auch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung vorgenommen werden darf. Gegen die Begründung eines solchen zwingenden Erfordernisses könnten jedoch aus dogmatischen Gründen Einwände erhoben werden. Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe hat der EuGH bislang nicht zum Schutz bestimmter Verfassungsstrukturen angewandt.40 Gründe, die gegen eine solche Ausweitung sprechen, sind nicht ersichtlich. Zudem kann der Gerichthof nur die Rechtfertigungsgründe erörtern, die in den ihm vorgelegten Rechtssachen relevanten werden, so daß die bloße Tatsache, daß der EuGH eine solche Ausweitung bislang noch nicht vorgenommen hat, nicht gegen die folgende Prüfung spricht.41 Daher soll nunmehr in die Untersuchung eingetreten werden, ob die kommunale Selbstverwaltung als ein von der Europäischen Gemeinschaft berücksichtigungsfähiges zwingendes Erfordernis anzuerkennen ist.

I. Herleitung Um sicherzustellen, daß ein zwingendes Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung gleichrangig neben dem grundfreiheitlich verfolgten Binnenmarktziel steht und den Wertungen des EG-Vertrags nicht widerspricht, setzt die Anerkennung in einem ersten Schritt seine Herleitung aus den bereits vorgestellten Rechtsquellen unter den dabei zu berücksichtigenden Be40 Aus diesem Grund gegen einen Rechtsgrundsatz der kommunalen Selbstverwaltung H.-J. Blanke, DVB. 1993, 817 (825); ihm folgend M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 52. 41 Im Ergebnis ebenso T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 273.

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

401

dingungen voraus. Erst im Anschluß daran kann in einem zweiten Schritt die genaue inhaltliche Ausgestaltung herausgearbeitet werden. Vorwegzunehmen ist bezüglich des Inhalts lediglich, daß es vorliegend nicht darum geht, eine institutionelle Garantie kommunaler Selbstverwaltung dergestalt zu schaffen, daß das Gemeinschaftsrecht lokale Selbstverwaltungskörperschaften für Mitgliedstaaten verpflichtend vorsähe.42 Grund dafür ist einerseits, daß der Gemeinschaft der Zugriff auf das innerstaatliche Organisations- und Kompetenzgefüge der Mitgliedstaaten und damit auch auf den Bestand oder elementare Ordnungsprinzipien der Kommunen versagt ist.43 Andererseits widerspricht ein solcher Inhalt bereits dem Sinn und Zweck eines zwingenden Erfordernisses, das darauf ausgerichtet ist, gewichtige Interessen der Mitgliedstaaten zu schützen. 1. Geschriebenes Gemeinschaftsrecht Im folgenden soll zunächst der EG-Vertrag nach einem besonderen Schutzgehalt hinsichtlich der lokalen Gebietskörperschaften und ihrer Selbstverwaltung überprüft werden. a) Ausdrückliche Verankerung Eine ausdrückliche Verankerung der kommunalen Selbstverwaltung, wie diese in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG festgeschrieben ist, findet sich auf der Gemeinschaftsebene nicht. Im Gegenteil, die Gemeinschaftsverträge sehen weder Selbstverwaltungskörperschaften auf EG-Ebene vor, noch nehmen sie materiell-rechtlich Bezug auf regionale oder lokale Untergliederungen der Mitgliedstaaten. b) Ausschuß der Regionen Lediglich die Beteiligung kommunaler Vertreter im Ausschuß der Regionen44 nach Art. 263 ff. EG (Art. 198 a ff. a. f.), der den 1988 von der Kom42 J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der europäischen Union, 1996, S. 24 f., 41, 50 f. 43 Es fehlt nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelkompetenz, Art. 5 Abs. 1 EG, insofern eine Gemeinschaftskompetenz; im Ergebnis zustimmend J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 50 f.; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 126; A. Epiney, EuR 1994, 301 (305). 44 Vgl. zu Ausschuß der Regionen grundlegend J. Nazarek, Kommunale Selbstverwaltung und Europäische Integration, 2001, S. 120 ff.; S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 303 ff.; R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen an den Entscheidungen der

402

5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

mission eingesetzten EG-Beirat der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften45 mit den Maastrichter Verträgen abgelöst hat,46 ist ein Beleg dafür, daß die Gemeinschaft ihre ursprüngliche „Kommunalblindheit“47 aufgegeben hat. Die Institutionalisierung eines Ausschusses der innerstaatlichen Untergliederungen auf Gemeinschaftsebene stellt daher immerhin einen ersten Ansatz zur Absicherung der kommunalen Selbstverwaltung dar und eröffnet im Grundsatz die Möglichkeit, auch kommunale Belange in den europäischen Integrationsprozeß einzubringen. Jedoch bleibt dieser Ansatz in doppelter Hinsicht unbefriedigend.48 Der Ausschuß der Regionen ist kein Organ im Sinne des Art. 7 Abs. 1 EG (Art. I-19 VV),49 das die europäische Politik mitbestimmt. Ihm kommt nach Art. 7 Abs. 2 EG (Art. I-32 Abs. 1 VV) lediglich eine beratende Aufgabe zu. Gemäß Art. 265 EG (Art. III-388 VV) hat der Ausschuß zwar verschiedene Möglichkeiten auch aus eigener Initiative Stellungnahmen abzugeben. Diese entfalten jedoch in der Sache keine rechtliche Bindungswirkung.50 Im übrigen ist lediglich seine vorherige Anhörung in einer größer gewordenen Zahl von Fällen obligatorisch.51 Zum anderen ist gemeinschaftsrechtlich nicht sichergestellt, daß sich der Ausschuß als spezifisch kommunale Interessenvertretung konstituiert.52 WeEU, 1999, S. 167 ff.; T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 311 ff.; T. Wiedmann, EuR 1999, S. 49 ff. 45 Beschluß der Kommission vom 24.6.1988, ABl. EG 1988, Nr. L 247, S. 23 f.; vgl. hierzu J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 27 f.; K. Stern, in: M. Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (39). 46 Vgl. zur Entstehung dieses Ausschusses R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der Europäischen Union, 1999, S. 167 ff.; siehe auch M. Burgi, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 263 Rdnr. 2; O. Suhr, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 263 Rdnr. 2 ff.; J. Wuermeling, EuR 1993, 196 (197 ff.). 47 So A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1127), in Anlehnung an den von H. P. Ipsen, in: V. Caemmerer/Schlochauer/Steindorff (Hrsg.), FS Hallstein, 1966, S. 248 (256) entwickelten Begriff der „Landes-Blindheit“. 48 Hierzu vgl. auch T. Wiedmann, EuR 1999, 49 (54). 49 M. Burgi, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 263 Rdnr. 1; O. Suhr, in: Calliss/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 263 Rdnr. 11 f.; J. Wuermeling, EuR 1993, 196 (200). 50 T. Wiedmann, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 263 Rdnr. 19; ders., EuR 1999, 49 (65). 51 Vgl. zum Beispiel Art. 71 Abs. 1, Art. 128 Abs. 2, Art. 129, Art. 137 Abs. 2, 3 EG. Zur Ausweitung der obligatorischen Befassung vgl. J. Nazarek, Kommunale Selbstverwaltung und Europäische Integration, 2001, S. 127. 52 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 122; siehe auch J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 45. Zur Zusammensetzung, Benennung und Status vgl. J. Wuermeling, EuR 1992, 196 (200 f.).

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

403

der der EG-Vertrag noch die im Zusammenhang mit dem Unionsvertrag beschlossenen Protokolle enthalten eine Definition der Begriffe „Region“ beziehungsweise „regionale und lokale Gebietskörperschaften“53. Fest steht lediglich, daß es sich bei den Gebietskörperschaften um innerstaatliche Einheiten handeln muß, die über eine gewisse Selbständigkeit im Verhältnis zum Gesamtstaat verfügen.54 Repräsentanten rein zentralstaatlicher Instanzen sind damit ausgeschlossen.55 Innerhalb dieses Rahmens bleibt es aber den nationalen Rechtsordnungen vorbehalten, zu bestimmen, was unter diesen Begriffen zu verstehen ist und wie viele kommunale Vertreter letztendlich zu entsenden sind.56 In der Bundesrepublik hatte die Frage der Besetzung der 24 bundesdeutschen Sitze einen erheblichen Streit zwischen den Bundesländern und den Kommunen ausgelöst, der durch § 14 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union57 weitgehend beigelegt worden ist.58 Im Ergebnis wird die deutsche lokale Ebene nur mit drei Vertretern im Ausschuß repräsentiert, eine Tatsache, die belegt, daß der Ausschuß kein kommunales Vertretungsorgan ist.59 Für eine wirkungsvollere Interessenvertretung wäre eine Stärkung der lokalen Position im Ausschuß notwendig.60 Die Verankerung einer regionalen und lokalen Interessenvertretung bedeutet zwar ohne Zweifel einen gewissen substantiellen Fortschritt für die Handlungsmöglichkeiten der mitgliedstaatlichen Untergliederungen.61 Daraus resultiert allerdings noch kein materieller Schutzgehalt zugunsten der Kommunen.62 Die bloße Erwähnung von lokalen Gebietskörperschaften sagt noch nichts darüber aus, ob und in welchem Umfang diesen auch Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sein sollen.63 Zudem spricht auch die sy53

Vgl. hierzu H. G. Fischer, NWVBl. 1994, 161 (162). O. Suhr, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 263 Rdnr. 19. 55 H. G. Fischer, NWVBl. 1994, 161 (162). 56 R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 263 Rdnr. 4; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 122.; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 44 f. 57 BGBl. 1993, I, S. 313 ff. 58 Ausführlich zu den Argumenten für und gegen eine Beteiligung der Kommunen H. Heberlein, DVBL. 1994, 1213 (1214 ff.). 59 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 122; siehe auch S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (805 Fn. 32). Zur Verteilung der AdR-Mitglieder auf die verschiedenen Ebenen der Gebietskörperschaften vgl. T. Wiedmann, EuR 1999, 49 (82). 60 Vgl. hierzu den Vorschlag von S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (810). 61 K. Stern, in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (39). 62 Ebenso J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 122; S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (858). 54

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

stematische Stellung der Vorschrift im institutionellen Teil des EG-Vertrags gegen eine solche Gewährung, die im übrigen von der Mehrheit der Vertragsparteien zum damaligen Zeitpunkt auch gar nicht beabsichtigt war.64 Eine materielle Garantie des Selbstverwaltungsrechts, das einen eigenverantwortlich zu regelnden Wirkungskreis der Kommunen und damit auch darunter subsumierbare Einheimischenprivilegierungen schützt, ist somit ausdrücklich nicht im Gemeinschaftsrecht zu finden. Die Forderung nach der Aufnahme einer solchen Verankerung in das geschriebene Gemeinschaftsrecht wurde zwar verschiedentlich erhoben,65 ist aber mangels hinreichender Unterstützung im Ergebnis erfolglos geblieben.66 2. Gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze Das Fehlen einer expliziten Garantie hat allerdings eine Reihe von unterschiedlich ansetzenden und verschieden weit reichenden Versuchen eines materiell-rechtlichen Schutzes der kommunalen Selbstverwaltung aus den bereits anerkannten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundsätzen provoziert. a) Subsidiaritätsprinzip So wird versucht, einen entsprechenden Schutzgehalt aus dem Subsidiaritätsprinzip, dessen zentrale Vorschrift sich im Gemeinschaftsrecht in Art. 5 Abs. 2 EG (Art. I-11 Abs. 3 VV)67 findet, herzuleiten. aa) Ursprung und Inhalt Das Subsidiaritätsprinzip hat in der katholischen Soziallehre, in der Enzyklika „Quadragesimo Anno“ von Papst Pius XI vom 15.5.193168 seinen Na63

S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (805). T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der Europäischen Union, 1998, S. 263. 65 Siehe H.-U. Erichsen, in: Blümel/Hill (Hrsg.), Die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung, 1991, S. 89 (110); F.-L. Knemeyer, DÖV 1988, 997 (1001). 66 Vgl. aber unten den 6. Teil. 67 Das Subsidiaritätsprinzip wird des Weiteren in der Präambel des EU-Vertrages und in Art. 2 Abs. 2 EU erwähnt. 68 Die bekannte und vielzitierte Formulierung des Subsidiaritätsprinzips dort in Art. 79 lautet: „So verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen“, Abschnitt 79 der Enzyklika, abgedruckt bei E. Schmidt-Jortzig/Schink (Hrsg.), Subsidiaritätsprinzip 64

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

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men und eine relativ konkrete Ausprägung gefunden,69 die eine weltweite Auseinandersetzung mit diesem Grundsatz70 und seine begriffliche Rezeption in die verschiedensten wissenschaftlichen Bereiche auslöste.71 Es besteht aber weitgehend Einigkeit darüber, daß dieses Prinzip viel älter ist als der Begriff,72 wobei die Wurzeln bis hin zu Aristoteles73 und Thomas von Aquin74 reichen.75 Seit 1931 hat es zahllose weitere Definitionsversuche gegeben,76 deren gemeinsamer Nenner stets der Gedanke des „Vorrangs der kleineren Einheit gegenüber der größeren Einheit nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit“ ist.77 Hierin liegt trotz großer Abstraktionshöhe der materielle Gehalt des (allgemeinen) Subsidiaritätsprinzips.78 Die ihm innewohnende Offenheit und Flexibilität machen es allerdings zu einem „Relationsbegriff“79, dessen nähere Konturen mit Blick auf das normative Umfeld systematisch konkretisiert werden müssen.

und Kommunalordnung, 1982, S. 5. Vgl. hierzu näher J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2001, S. 18 ff.; S. U. Pieper, Subsidiarität, 1994, S. 32 ff. 69 Siehe C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 28 f.; A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1133); R. v. Borries, EuR 1994, 263 (265); P. M. Schmidhuber, DVBl. 1993, 417 (417). 70 Wegen der Fülle der Publikationen können die Autoren/Fundstellen nur beispielhaft angegeben werden. Allein aus der deutschsprachigen Literatur vgl. J. Gaster, in: Timmermann (Hrsg.), Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, 1998, S. 19 ff.; W. Moersch, Leistungsfähigkeit und Grenze des Subsidiaritätsprinzips, 2001; C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 25 ff.; J. Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, 2001, S. 14 ff.; W. Kahl, AöR 1993, S. 414 ff. 71 Kritisch P. Pescatore, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling, Bd. II, 1995, S. 1071 (1072 f.); aus jüngerer Zeit siehe C. Koenig/R. A. Lorz, JZ 2003, 167 (167 ff.). 72 Statt vieler nur R. v. Borries, EuR 1994, 263 (265) m. w. N. 73 H.-J. Blanke, ZG 1991, 133 (134 Fn. 9). 74 Vgl. K.-H. Millgramm, DVBl. 1990, 740 (744). 75 Vgl. hierzu J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 29; W. Kahl, AöR 1993, 414 (414) m. w. N.; S. U. Pieper, DVBl. 1993, 705 (706). 76 Vgl. nur J. Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, 2001, S. 28 f.; H. Lecheler, Das Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 43 ff. 77 C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 5 Rdnr. 1; zusammenfassend ders., Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 32 f.; grundlegend J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 30; R. Scholz, in: Letzgus/Hill/ Klein (Hrsg.), FS Helmrich, 1994, S. 411 (413 f.); K. Stern, in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (34 f.). 78 Ausführlich C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 32 f.; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2001, S. 73.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

bb) Gemeinschaftsrechtliche Ausgestaltung Der Subsidiaritätsgedanke, in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wenig ausgeprägt,80 war im Gemeinschaftsrecht ebenfalls nur in Ansätzen vorhanden.81 Die Ausweitung der Kompetenzen durch die Einheitliche Europäische Akte, die insbesondere den deutschen (Bundes-)Ländern die damit einhergehenden Kompetenzverluste bewußt machte, führte im Rahmen der Diskussion eines weiteren, erheblichen Integrationsschrittes82 durch den Vertrag von Maastricht zum grundsätzlichen Überdenken der Fragen zu Dezentralisation, Stellung der Regionen und Bürgernähe.83 Zum einen sollte durch die Einführung des Subsidiaritätsprinzips ein gewisses Gegengewicht zur Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen durch den Vertrag über die Europäische Union geschaffen84 und somit der befürchteten „Zentralisierung“ der Europäischen Union ein für allemal ein Riegel vorgeschoben werden.85 Dezentrale Lösungen verbessern die Komplexität des Entscheidungsprozesses und tragen auf diese Weise zu einer erhöhten Transparenz bei. Die Entscheidungen werden dort getroffen, wo die Informationen angesiedelt sind. Der engere Kontakt mit den Betroffenen und die bessere Vertrautheit mit den örtlichen Gegebenheiten ermöglichen es der dezentralisierten Verwaltung, das Eigentümliche, Besondere der jeweiligen Sachlage eingehender zu berücksichtigen als es eine zentralisierte Bürokratie leisten kann.86 Daraus folgt nicht nur die Verbesserung der Effizienz des gesamten Entscheidungsprozesses.87 Die betroffenen Bürger können sich besser mit den politischen 79

C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 5 Rdnr. 1; ähnlich, W. Moersch, Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, 2001, S. 51 ff. m. w. N. 80 In Großbritannien war er zuvor kaum bekannt, so F.-L. Knemeyer, DVBl. 1990, 449 (451). 81 Vgl. zu anfänglichen Erwähnungen des Subsidiaritätsgedanken C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 35 ff.; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 31; W. Kahl, AöR 1993, 414 (415 f.); ausführlich hierzu auch A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 177 ff. 82 Wirtschafts- und Währungseinheit. 83 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 5 Rdnr. 30; F.-L. Knemeyer, DVBL. 1990, 449 (450); vgl. zur Entstehungsgeschichte des Art. 3 b a. f. EGV (heute Art. 5 Abs. 2 EG) C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 1999, S. 52 ff.; F.-L. Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 34 (42 ff.). 84 T. Stein, in: Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1994, S. 23 (26 f.). 85 P. M. Schmidhuber, DVBl. 1993, 417 (417). Zum mißlungenen Versuch, den zentralisierenden Gravitationskräften in der europäischen Integrationspraxis entgegenzuwirken, vgl. mit Begründung C. Koenig/R. A. Lorz, JZ 2003, 167 (168 f.). 86 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2001, S. 100 f.

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

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Entscheidungen identifizieren, wenn diese „bürgernah“ getroffen werden, so daß zudem auch eine Erhöhung der Akzeptanz der Europäischen Gemeinschaft bei den Bürgern erwartet wird.88 Zum anderen sollte die Normierung des Subsidiaritätsprinzips einer Kompensation des kulturellen Identitätsverlusts der Mitgliedstaaten dienen, der in der Konsequenz einer interdependenten Kommunikationsgesellschaft und der damit einhergehenden Internationalisierung und Bildung supranationaler Strukturen liegt.89 Aus diesen Gründen wurde das Subsidiaritätsprinzip erstmals ausdrücklich90 im Vertrag von Maastricht91 normiert. Heute ist es als allgemeines politisches Prinzip92 im 12. Erwägungsgrund der Präambel sowie in Art. 1 Abs. 2 EUV zu finden, während Art. 5 Abs. 2 EG eine juristisch verbindliche Präzisierung93 dieses Grundsatzes enthält. Das Subsidiaritätsprinzips in seiner Kernbestimmung94 des Art. 5 Abs. 2 EG besagt: „In Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit95 fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahme auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“ Diese Formulierung, die nicht gerade ein Ausbund an Klarheit96 ist, stellt das Ergebnis eines politischen Kompromisses dar, der zwei unterschiedliche Denkansätze97 zur Bestimmung des Subsidiaritätsprinzips miteinander zu verbinden versucht. Voraus87

R. Mayntz, AöR 1990, 232 ( 239). Vgl. S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 53 ff. 89 H. D. Jarass, EuGRZ 1994, 209 (213). 90 Vgl. aber bereits Art. 130 r Abs. 4 EWGV, Art. 100 EWGV. 91 Das Subsidiaritätsprinzip ist dort im 11. Erwägungsgrund in der Präambel des Unionsvertrages, in Art. A Abs. 2 und Art. B Abs. 2 EUV sowie in Art. 3 b EGV zu finden. 92 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 5 Rdnr. 30. 93 C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 5 Rdnr. 3; M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 5 Rdnr. 26; R. Geiger, EUV/EGV, 2004, Art. 5 Rdnr. 15. Zur Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips vgl. J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 35 ff.; W. Kahl, AöR 1993, 414 (439 ff.). 94 Nach M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 5 Rdnr. 25 ist Art. 5 Abs. 2 EG lediglich ein Unterfall des weiteren Subsidiaritätsprinzips aus dem 12. Erwägungsgrund der Präambel des EU-Vertrags. 95 Die Schwierigkeit besteht darin, den Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit von dem der nicht ausschließlichen Zuständigkeit zu unterscheiden, da der EGVertrag keinen Zuständigkeitskatalog oder dergleichen enthält. Zu den Ansichten im Schrifttum und in der Rechtsprechung vgl. C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 5 Rdnr. 19 ff., G. Lienbacher, in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, 2000, Art. 5 Rdnr. 13 f. 96 K. Stern, in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (35). 88

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setzung für ein Tätigwerden der Gemeinschaft ist nämlich nicht nur, daß diese zur Erreichung der Ziele einer Maßnahme besser in der Lage ist (Effizienzprinzip). Es kommt vielmehr auch98 darauf an, daß die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahme auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können (Erforderlichkeits- oder Notwendigkeitsansatz).99 Die Rechtsfolge des Subsidiaritätsprinzips besteht allerdings nicht darin, daß der Gemeinschaft Kompetenzen genommen und diese an die Mitgliedstaaten zurück übertragen werden. Vielmehr wird der Ausübung vorhandener Kompetenzen eine Schranke gesetzt. Das Prinzip der Subsidiarität gemeinschaftlichen Handelns ist mithin keine Kompetenzverteilungs-, sondern eine Kompetenzausübungsmaxime.100 cc) Schutzwirkung Will man aus dem Subsidiaritätsprinzip einen Nutzen für die kommunale Selbstverwaltung ziehen, so sind zwei Fragen zu klären. Entfaltet das Subsidiaritätsprinzip auch im Verhältnis der Gemeinschaft zu den Kommunen eine Schutzwirkung? Wenn ja, welche Art der Schutzwirkung kann aus dem gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip hergeleitet werden? (1) Wirkung im Verhältnis der Gemeinschaft zu den Kommunen Gemeinhin gilt die kommunale Selbstverwaltung als klassisches Musterbeispiel der Verwirklichung des Subsidiaritätsprinzips.101 Dies ergibt sich daraus, daß die Gesellschaft eine Pyramide darstellt, deren unterste Stufe 97 Vgl. zu den vertretenden Positionen grundlegend W. Kahl, AöR 1993, 414 (425 ff.); siehe auch J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 30 m. w. N. 98 Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Dies folgt aus der Verknüpfung des Negativkriteriums mit dem Positivkriterium durch das Wort „und“, vgl. W. Kahl, AöR 1993, 414 (435). Es hat daher logisch zwingend eine zweistufige Prüfung zu erfolgen, so auch C. Koenig/R. A. Lorz, JZ 2003, 167 (167); R. v. Borries, EuR 1994, 263 (277). 99 Die Notwendigkeitsklausel wurde auf deutschen Druck in letzter Minute eingefügt. Eine – mit Blick auf Praktikabilität und Justiziabilität bedeutsame – Konkretisierung erfährt Art. 5 Abs. 2 EG durch das mit dem Vertrag von Amsterdam eingefügte Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, siehe dazu T. Stein, in: Hummer (Hrsg.), Die EU nach dem Vertrag von Amsterdam, 1998, S. 141 (146). 100 So G. Lienbacher, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 5 Rdnr. 12; C. Koenig/R. A. Lorz, JZ 2003, 167 (167); M. Zuleeg, in: v. d. Groeben/ Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV; 2003, Art. 5 Rdnr. 26; H. D. Jarass, EuGRZ 1994, 209 (213); a. A. D. Merten, in: ders. (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1994, S. 77 (81); W. Kahl, AöR 1993, 414 (433).

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der Einzelmensch ist, der sich mit anderen zu immer größeren Gruppen zusammenfügt.102 Diesem Gedanken entsprechend hat das Subsidiaritätsprinzip auch nach deutschem Verständnis vor allem die Bedeutung einer „Schutzfunktion“ zugunsten der innerstaatlichen Gebietskörperschaften, also der Länder und der Gemeinden, die den Verlust ihrer Eigenständigkeit befürchten.103 Dies wird auch durch die bereits angesprochene Entstehungsgeschichte des Art. 5 Abs. 2 EG belegt, der letztlich auf die Forderung der deutschen Länder zurückgeht.104 Problematisch an dieser Argumentation ist jedoch, daß sie aus dem nationalen Verständnis auf die Interpretation des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips schließt. Da eine EG-rechtliche Norm autonom aus ihrem eigenen Rechtskreis auszulegen ist,105 kann die Frage nach der Wirkung zugunsten der Gemeinden nur durch das Gemeinschaftsrecht selbst beantwortet werden. Art. 5 Abs. 2 EG spricht ausdrücklich nur von der „Gemeinschaftsebene“ und der „Ebene der Mitgliedstaaten“, geht also seinem Wortlaut nach von einem zweistufigen Aufbau aus. Als hieraus gezogene Konsequenz bleiben einer Ansicht zufolge die mitgliedstaatlichen Untergliederungen, demzufolge auch der gemeindliche Wirkungskreis, außer Betracht.106 Die Staats- und Regierungschefs erklärten dies auf dem Europäischen Rat in Birmingham am 18.10.1992: „Il appartient à chaque Etat membre de décider comment ses pouvoirs doivent être exercés chez lui“107. Angesichts des Umstandes, daß die Mehrzahl der 101 J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2001, S. 240 m. w. N.; ausführlich hierzu W. Moersch, Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, 2001, S. 163 ff.; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 181. 102 A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Ingerenz des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 82. 103 H. W. Rengeling, ZG 1994, 277 (289). 104 Vgl. dazu F.-L. Knemeyer, DVBl. 1990, 449 (452); siehe auch das Memorandum der Bundesregierung zum Subsidiaritätsprinzip (abgedruckt bei D. Merten (Hrsg.), Die Subsidiarität Europas, 1994, S. 130 ff.), wonach der Begriff der Subsidiarität auch die Wahrung der Rechte und Gemeinden und Gemeindeverbänden zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft mit einschließt. 105 Vgl. oben 4. Teil A. II. 2. 106 A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Ingerenz des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 85 f.; K. Stern, in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (38); F. Schoch, in: Henneke (Hrsg.), Kommunen und Europa – Chancen und Herausforderungen, 1999, S. 11 (27); D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 103; K. Stern, in: Wendt/Höfling/Karpen u. a. (Hrsg.), FS Friauf, 1997, S. 75 (87); S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (859); S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (806); H. D. Jarass, EuGRZ 1994, 209 (213 f.); H. J. Lambers, EuR 1993, 229 (235); H.-W. Rengeling, ZG 1994, 277 (290); T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (941); H. Heberlein, DVBl. 1994, 1213 (1217 f.), der jedoch eine ausdrückliche Ausdehnung auf die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften fordert. 107 Conclusion de la Présidence, Agence Europe No 5839, vom 18.10.1992, S. 3.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

Mitgliedstaaten keine föderativen Strukturen besitze, könne dies auch nicht anders sein.108 Daran ändere auch das Subsidiaritätsprotokoll zum Vertrag von Amsterdam109 nichts. Obgleich ihm Primärrechtscharakter zukomme und es insgesamt die Operationalität der Aufgabenbegrenzung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten verbessere,110 enthalte das Protokoll keine Aussage zum Schutz der unteren Verwaltungsebenen.111 Die Bewahrung mitgliedstaatlicher Kompetenzen könne lediglich innerstaatlich auch den Ländern, Regionen und Kreisen zugute kommen.112 Auf den ersten Blick spricht daher nicht nur der Wortlaut dafür, daß sich das Subsidiaritätsprinzip allein auf das Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft und den als impermeabel gedachten Mitgliedstaaten bezieht. Andererseits ist das Subsidiaritätsprinzip in seiner ihm durch die Gründungsverträge verliehenen konkreten Ausformung zu betrachten.113 Es darf nicht übersehen werden, daß das Prinzip eng mit dem Grundsatz der Bürgernähe verbunden ist. Darauf deutet zunächst die Entschließung der Teilnehmer der Konferenz „Europa der Regionen“114 hin, die das Subsidiaritätsprinzip im Sinne eines „Architekturprinzips Europas“ wie folgt beschreibt: „Die größere Einheit darf niemals Aufgaben übernehmen, die die kleinere Einheit zufriedenstellend erfüllen kann. Daher dürfen die Gemeinschaften neue Aufgaben nur übernehmen, wenn ihre Erfüllung auf europäischer Ebene im Interesse der Bürger unabweisbar notwendig ist und ihre volle Wirksamkeit nur auf Gemeinschaftsebene erreicht werden kann. Die nationalen, regionalen und lokalen Behörden müssen einen eigenverantwortlichen Verwaltungsspielraum behalten, damit sachgerechte und bürgernahe Entscheidungen getroffen werden können.“ Für eine Einbeziehung der Gemeinden in das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip sprechen auch die Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates (Edinburgh) vom 11./12.12. 108

H. D. Jarass, EuGRZ 1994, 209 (214). Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, BGBl. 1998, II, S. 434 f.; dazu M. Kenntner, NJW 1998, 2871 (2871 ff.). 110 Vgl. insbesondere die Ziffern 5 bis 7 des Protokolls sowie S. Lehr, in: Bergmann/Lenz (Hrsg.), Der Amsterdamer Vertrag, 1998, Kap. 9 Rdnr. 50 ff. 111 D. Birkenfeld-Pfeiffer/A. Gern, Kommunalrecht, 2005, Rdnr. 104 f.; S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (859). 112 A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Ingerenz des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 87; K. Stern, in: Nierhaus (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 21 (38); S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (806): „mittelbar“; T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 291. 113 Zutreffend C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 5 Rdnr. 4; T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (941). 114 Vom 19.10.1989, abgedruckt bei F.-L. Knemeyer, DVBl. 1990, 449 (449 f.). 109

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1992, nach denen das Subsidiaritätsprinzip dazu beiträgt, daß die nationale Identität der Mitgliedstaaten gewahrt und ihre Befugnisse erhalten bleiben. Es bezwecke, daß Beschlüsse im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft so bürgernah wie möglich gefaßt werden.115 In diesem Sinne gehen denn auch die Gemeinschaftsorgane von einer Einbeziehung der Gemeinden aus. So erklärten beispielsweise die Kommission und das Europäische Parlament ausdrücklich, daß der Begriff „Subsidiarität“ im Sinne möglichst bürgernaher Entscheidungen zu verstehen sei und daher bei der Anwendung des Prinzips systematisch untersucht werden müsse, ob gemessen an den Möglichkeiten auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene ein Tätigwerden der Gemeinschaft gerechtfertigt sei.116 Die Wirkungsweise zugunsten der Gemeinden kann auch durch das geschriebene Gemeinschaftsrecht belegt werden. Nach Art. 1 Abs. 2 EU sollen Entscheidungen möglichst bürgernah117 gefällt werden, wobei die Präambel des Unionsvertrages den Regelungszusammenhang zu Art. 5 Abs. 2 EG herstellt, indem sie konkretisierend festlegt, daß die Entscheidungen „entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah“ getroffen werden müssen.118 Bürgernähe bedeutet, daß die Entscheidungen auf der Ebene getroffen werden, die dem Bürger am nächsten steht, also auf der „untersten“.119 Die kommunale Selbstverwaltung stellt sich wegen der besonderen Einwirkungsmöglichkeiten der Bürger auf den überschaubaren und von ihnen konkret gestaltbaren kommunalen Bereich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft120 als die bürgernächste Form öffentlicher Verwaltung dar.121 Durch Art. 1 Abs. 2 EU wird insofern die Beziehung des Subsidiaritätsprinzips zu den regionalen und lokalen Bestimmungen erkennbar hergestellt. Zudem ist unstreitig, daß die Rechtsetzung der Europäischen Gemeinschaft vermehrt nicht nur Einfluß auf die Nationalstaaten hat und diese nicht alleinige Adressaten der Verordnungen wie auch der Zielvorgaben der EG-Richtlinien sind. Aus diesem Grund kann 115

Zitiert nach Bulletin der BReg. Nr. 140 vom 20.12.1992, S. 1277 (1280 ff.). „Bericht der Kommission an den Europäischen Rat über die Anpassung der geltenden Rechtsvorschriften an das Subsidiaritätsprinzip“ vom 24.11.1993, KOM (93) 545 endg., S. 1; vgl. auch das Europäische Parlament, ABl. EG 1993, Nr. C 329, S. 279 (280 f.). 117 Dieser Begriff ist der Ersatz für den auf britischen Wunsch letztlich gestrichenen Hinweis auf die föderale Struktur der Union, so J. Pipkorn, EuZW 1992, 697 (698). 118 Vgl. auch J. Pipkorn, EuZW 1992, 697 (698). 119 H.-W. Rengeling, ZG 1994, 277 (288). 120 Vgl. dazu unten 5. Teil B. I. 4. a). 121 Der Zusammenhang zwischen Bürgernähe und kommunaler Selbstverwaltung kommt besonders deutlich in der Präambel der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung sowie in Art. 4 Abs. 3 EKC zum Ausdruck. 116

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

kein Zweifel daran bestehen, daß der Grundsatz der Subsidiarität auch auf das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft einerseits und den Trägern kommunaler und regionaler Selbstverwaltung andererseits Anwendung finden muß.122 Im Ergebnis läßt sich daher eingedenk der bereits konstatierten Aufwertung der regionalen und lokalen Untergliederungen der Mitgliedstaaten eine möglichst weitgehende Berücksichtigung dezentraler Entscheidungsebenen ableiten. Aus dem EG-Vertrag ist damit der Grundsatz zu entnehmen, daß die Entscheidungen vorrangig auf der Ebene der Gemeinden oder der Länder getroffen werden müssen,123 so daß Art. 5 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 EU auch im Verhältnis der Gemeinschaft zu den Kommunen wirkt. (2) Art der Schutzwirkung Fraglich ist, wie sich die konstatierte Anwendbarkeit des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips im Verhältnis der Gemeinschaft zu den Kommunen auf die Art der Schutzwirkung auswirkt. Art. 5 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 EU begründen eine gewisse Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Gemeinschaft muß bei Eingriffen in den kommunalen Bereich die Notwendigkeit einer gemeinschaftlichen Regelung besonders prüfen und entsprechend der allgemeinen Begründungspflicht für Rechtsakte der Gemeinschaft gemäß Art. 253 EG (Art. I-38 VV) darlegen, warum eine Lösung auf der Ebene der Kommunen beziehungsweise Regionen nicht den gewünschten Erfolg bewirkt. Dennoch beinhaltet das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip keine Gewährleistung, die die eigenverantwortliche Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch kommunale Untergliederungen vorsieht. Vielmehr schreibt es lediglich in allgemeiner, ausfüllungsbedürftiger Form vor, daß die Europäische Gemeinschaft zur Zurückhaltung bei Eingriffen in die Selbstverwaltungshoheit der Kommunen verpflichtet ist. Daher ist das Subsidiaritätsprinzip zwar nicht als Leerformel abzustempeln,124 ein wirksamer rechtlicher Schutz der kommunalen Selbstverwaltung kann ihm jedoch nicht attestiert werden.125 122 H. Hoffschulte, in: Knemeyer (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, 135 (154). 123 A. Bleckmann, DVBl. 1992, 335 (336); im Ergebnis ebenso H. Hoffschulte, in: Knemeyer (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, 135 (154); W. Frenz, in: Hoffmann/Kromberg/Roth u. a. (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996, S. 9 (22); ebenso C. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der EU, 1999, S. 155 ff.; M. Zuleeg, DVBl. 1992, 1329 (1334); J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 40. 124 So aber G. Konow, DÖV 1996, 845 (849).

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

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b) Grundsatz der Demokratie Eine weitere These des mittelbaren Schutzes kommunaler Selbstverwaltung geht auf den zunächst eher beiläufig von Manfred Zuleeg126 unternommenen, vereinzelt und vorsichtig aufgegriffenen127 Versuch zurück, den Kern der Selbstverwaltung unter den Schutz des gemeinschaftsrechtlichen Demokratieprinzips zu fassen. Das Demokratieprinzip stellt ein allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen inharänten Grundsatz dar und ist somit zutreffend vom EuGH128 als allgemeines Prinzip des Gemeinschaftsrechts anerkannt worden.129 Dennoch ist Zuleegs Ansatz entgegenzuhalten, daß das gemeinschaftsrechtliche Demokratieprinzip die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung nicht einschließt.130 Zwar wird vereinzelt im deutschen Landesverfassungsrecht131 und in der Literatur132 der enge Zusammenhang zwischen kommunaler Selbstverwaltung auf lokaler Ebene und dem Aufbau der Demokratie im staatlichen Bereich betont, doch handelt es sich hier um ein Spezifikum des deutschen Rechts, das nicht unbesehen auf die Gemeinschaftsebene übertragen werden darf.133 Die kommunale Selbstverwaltung gehört zu den wesentlichen, aber nicht zu den unabdingbaren Elementen einer demokratischen Ordnung.134 Demokratie ist auch ohne kommunale Selbstverwaltung denkbar.135 Zudem bezieht sich der gemeinschaftsrechtliche Demokratiegrundsatz auf die demokratische Organisation einer zwischenstaatlichen Gemeinschaft und beinhaltet inso125 Ebenso F. Schoch, in: Henneke (Hrsg.), Kommunen und Europa – Herausforderungen und Chancen, 1999, S. 11 (27 f.). 126 M. Zuleeg, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 91 ( 93). 127 Vgl. G. Seele, Der Kreis aus europäischer Sicht, 1991, S. 57 sowie W.-H. Rengeling, ZG 1994, 277 (287); P. Häberle, EuGRZ 1991, 261 (263). 128 EuGH, Slg. 1980, 3393 (3424 Rdnr. 34) – Maizena. 129 Zustimmend auch T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 265. 130 Im Ergebnis ebenso S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (805); T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (940); S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (858); A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1127 f.); A. Martini/W. Müller, BayVBl. 1993, 161 (165); H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (824); A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 173; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2001, S. 124; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 52. 131 Art. 11 Abs. 4 BayVerf. 132 Ausführlich hierzu siehe W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 256 ff.; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 169 ff. m. w. N. 133 A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 171; T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (939 f.). 134 S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (858); H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (824). 135 W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 256.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

weit nicht notwendig den gleichen Gehalt wie das auf die staatliche Ordnung bezogene Prinzip.136 c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Der gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz137 ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt138 und heute teilweise139 in Art. 5 Abs. 3 EG (Art. I-11 Abs. 4 VV) kodifiziert.140 Er soll unter anderem als Maßstab für eine Kompetenzabgrenzung zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft dienen141 und beschränkt insoweit als Kompetenzausübungsregel das gemeinschaftliche Handeln gegenüber den Mitgliedstaaten.142 Es stellt sich daher die Frage, ob der gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung gegenüber Maßnahmen der Unionsorgane bewirkt. In Anlehnung an das Subsidiaritätsprinzip ist davon auszugehen, daß sich Art. 5 Abs. 3 EG von seiner Wirkung her auch auf die unterstaatlichen Ebenen, also auch auf die Gemeinden, auswirkt.143 Ein denkbarer relativer und mittelbarer Schutz sollte freilich nicht überschätzt werden. Ganz abgesehen von dem Problem der Justiziabilität des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf Gemeinschaftsebene144 muß zur rechtlichen Substanz erkannt werden, 136 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2001, S. 124. 137 Vgl. hierzu grundlegend O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 158 ff. 138 Statt vieler vgl. nur EuGH, Slg. 1997, I-1847 (1867) – Bakers of Nailsea; Slg. 1996, I-427 (455 Rdnr. 69) – NMB France II; aus der Literatur siehe O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 159; vgl. dazu auch oben 4. Teil B. IV. 139 Vgl. dazu O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 166 f. 140 Zur Kontrolle durch den EuGH vgl. ausführlich U. Kischel, EuR 2000, 380 (380 ff.). 141 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 5 Rdnr. 45; S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (859). 142 O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 165 m. w. N.; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der EU, 1996, S. 101; M. Zuleeg, DVBl. 1992, 1329 (1334). 143 Ebenso J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der EU, 1996, S. 102; M. Zuleeg, DVBl. 1992, 1329 (1334); vgl. schon W. Spannowsky, DVBl. 1991, 1120 (1123). 144 Vgl. hierzu nur G. Langguth, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 5 Rdnr. 38 ff.

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daß die kommunale Selbstverwaltung dadurch gerade nicht gewährleistet wird.145 Die Anerkennung einer gemeinschaftsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie liegt im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht begründet, sondern wird – als andernorts erfolgt – vorausgesetzt, um gegebenenfalls gewisse Schutzfunktionen zugunsten betroffener Gemeinden entfalten zu können.146 Eine dem Schutzniveau des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG entsprechende Verbürgerung kann durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vermittelt werden.147 d) Identität der Mitgliedstaaten Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß bislang kaum eine wirksame Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung auf EG-rechtlicher Ebene besteht. Daher stellt sich die Frage, ob nicht die Pflicht zur Respektierung elementarer mitgliedstaatlicher Verfassungsstrukturen als Anknüpfungspunkt für eine Sicherung der kommunalen Selbstverwaltung und damit für eine Herleitung als zwingendes Erfordernis fruchtbar zu machen ist. Gemäß Art. 6 Abs. 3 EU achtet die Union die nationale Identität148 ihrer Mitgliedstaaten. Die Aufnahme dieses Grundsatzes im Jahre 1992 in den Vertragstext entsprang der Sorge der Nationalstaaten vor einer möglichen Entstaatlichung und schrittweisen Auflösung im Rahmen der Europäischen Union.149 Art. 6 Abs. 3 EU, an den auch die Europäische Gemeinschaft als Bestandteil der Europäischen Union gebunden ist,150 besitzt jedoch den gravierenden Nachteil, daß gemäß Art. 46 EU insoweit keine Zuständigkeit des EuGH begründet ist.151 145 So S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, 1997, S. 261. 146 F. Schoch, in: Henneke (Hrsg.), Kommunen und Europa – Chancen und Herausforderungen, 1999, S. 11 (27). 147 S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (859); H.-J. Blanke, DVBL. 1993, 819 (827); a. A. J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 104. 148 Zur nationalen Identität vgl. ausführlich A. Bleckmann, JZ 1997, 265 (265 ff.); K. Doehring, in: Due/Lutter/Schwarze (Hrsg.), FS Everling, Bd. I, 1995, S. 263 (263 ff.). 149 A. Puttler, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 6 Rdnr. 212; C. Stumpf, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 6 Rdnr. 42. 150 Vgl. Art. 1 Abs. 3 EU. 151 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Willensbildung, 2000, S. 128; A. Epiney, EuR 1994, 301 (307). Im Ergebnis ebenfalls ablehnend T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 278 f.; S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 243 f.; F. Schoch, in: Henneke (Hrsg.), Kommunen und Europa – Herausforderungen und Chancen, 1999, S. 11 (25).

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e) Grundsatz der Gemeinschaftstreue In dem seiner Jurisdiktion unterliegenden Gemeinschaftsrecht bleibt als möglicher weiterer Anknüpfungspunkt die insbesondere bei Art. 10 EG (Art. I-5 Abs. 2 VV) verortete Rechtsfigur der Gemeinschaftstreue. Sie wird in der Literatur inzwischen weithin anerkannt152 und auch vom EuGH153 mit unterschiedlicher Terminologie der Sache nach verwendet. Obwohl dies im eindimensional gefaßten Wortlaut154 nicht zum Ausdruck kommt, begründet Art. 10 EG wechselseitige Pflichten, somit nicht nur Pflichten der Mitgliedstaaten gegenüber der Gemeinschaft, sondern auch Pflichten der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten.155 Demzufolge ist unter dem Begriff der Gemeinschaftstreue die gegenseitige Verpflichtung der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft beziehungsweise ihrer Organe zur Loyalität und Unterstützung zu verstehen.156 Entsprechend der Fassung des Art. 10 EG ist der Grundsatz der Gemeinschaftstreue in der Literatur bisher vorrangig unter dem Gesichtspunkt einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten erörtert worden. Im Rahmen der hier vorzunehmenden Untersuchung interessiert der Grundsatz aber gerade insoweit, als er die Gemeinschaften und ihre Organe in ihrem Verhalten gegenüber den Mitgliedstaaten bindet. Vorliegend stellt sich die Frage, welche mitgliedstaatlichen Belange die Gemeinschaft konkret zu beachten hat. Die Funktionsfähigkeit und Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft hängt von der fortdauernden Integrationsbereitschaft der Mitgliedstaaten ab. Diese wäre zumindest eingeschränkt, wenn die Union ohne jede Rücksichtnahme die verfassungsrecht152 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 10 Rdnr. 1; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Willensbildung, 2000, S. 128 f.; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 66; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 138 f.; M. Haag, in: Bieber/Epiney/ders. (Hrsg.), Die Europäische Union, 2005, § 2 Rdnr. 60 f.; a. A. noch R. Söllner, Art. 5 EWG-Vertrag in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, 1985, S. 28. 153 „Grundsatz (Prinzip) loyaler Zusammenarbeit“, EuGH, Slg. 1998, I-6337 (6361 Rdnr. 30) – Kellinghusen und Ketelsen; „Pflicht zur Solidarität“, EuGH, Slg. 1969, 523 (540 Rdnr. 14/17) – Kommission ./. Frankreich; meist „Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit“, so in EuGH, Slg. 2000, I-4897 (4934 Rdnr. 40) – Kommission ./. Portugal; vgl. zu den Begrifflichkeiten des EuGH W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 10 Rdnr. 1. 154 W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 10 Rdnr. 14. 155 Aus der Rechtsprechung vgl. nur EuGH, Slg. 1998, I-6337 (6361 f. Rdnr. 30 ff.) – Kellinghusen und Ketelsen. Vgl. auch A. Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EUKommentar, 2000, Art. 10 Rdnr. 5; R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 10 Rdnr. 2; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 138. 156 M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 36; K. Hailbronner, JZ 1990, 149 (152).

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lichen Gegebenheiten der Mitgliedstaaten beeinflussen könnte.157 Unter dieser Prämisse bestünde die Gefahr, daß die Mitgliedstaaten nicht mehr die Gemeinschaftsorgane bei der Verfolgung von Gemeinschaftszielen unterstützen, sondern sich ausschließlich eigenen Interessen widmen.158 Aus den bisher angestellten Überlegungen ergibt sich, daß die Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue notwendigerweise ein an die Gemeinschaft gerichtetes Gebot zur Rücksichtnahme auf gewisse mitgliedstaatliche Verfassungsstrukturen beinhaltet.159 Von dieser Rechtspflicht sind alle die Identität prägenden Fundamentalnormen und –prinzipien der Verfassungen der Mitgliedstaaten erfaßt.160 Die Pflicht zur Respektierung identitätsstiftender Elemente der Mitgliedstaaten ist nicht mit Blick auf die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft auf solche Strukturen zu beschränken, die zumindest in einer gewissen Mindestzahl von Mitgliedstaaten Bedeutung besitzen,161 sondern vielmehr darauf auszurichten, was jede einzelne mitgliedstaatliche Verfassung für sich selbst als elementar festlegt.162 Klärungsbedarf besteht somit hinsichtlich der Frage, ob auch die in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete kommunale Selbstverwaltung zu den Prinzipien gehört, die als Teil der deutschen identitätsstiftenden Verfassungsstruktur von der Gemeinschaft aus Gründen der Loyalitätspflicht beachtet werden müssen. Festzuhalten ist, daß nicht jede nationale Besonderheit, die verfassungsrechtlich geschützt ist, für die Identität des Grundgesetzes prägend ist.163 In der Literatur wird häufig auf Art. 79 Abs. 3 GG verwiesen, dem nicht selten die Funktion einer „Legaldefinition der unentbehrlichen Grundsubstanz des Grundgesetzes, welche die Identität der grundgesetzlichen Verfassungsordnung ausmache“, zugesprochen wird.164 Diese Ansicht ist zu eng. Der Umfang der gemein157

J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 70. 158 Vgl. A. Epiney, EuR 1994, 301 (307). 159 Im Ergebnis ebenso T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 280; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 138; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 128 f.; A. Epiney, EuR 1994, 301 (314 ff.). 160 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 10 Rdnr. 49; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 139. 161 Dazu tendiert etwa H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (825 f.). 162 R. Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 10 Rdnr. 49; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 129; vgl. auch W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 10 Rdnr. 52. 163 Vgl. auch W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 10 Rdnr. 52; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 73. 164 Vgl. hierzu statt vieler nur W. Müller, Die Entscheidung des Grundgesetzes für die gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen Integration, 1992, S. 171 f. m. w. N. Im Ergebnis ablehnend S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (857);

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

schaftsrechtlich zu beachtenden Verfassungselemente ist jedenfalls mit dem gleichzusetzen, was der einzelne Mitgliedstaat verfassungsrechtlich als auf die Gemeinschaft nicht übertragbar definiert hat.165 Deshalb können insofern die aus der umgekehrten, mitgliedstaatlichen Perspektive angestellten Überlegungen zu dem Grundsatz der Subsidiarität aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG herangezogen werden. Der Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung im Sinne des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zählt zu den identitätsbestimmenden Strukturelementen des Grundgesetzes,166 die auch um den Preis eines vereinten Europas nicht disponibel sind. Eine Eingrenzung auf den Kernbereich folgt zudem aus der Überlegung, daß man als identitätsbestimmend nur solche Verfassungsinhalte ansehen kann, die der Verfügungsgewalt des einfachen Gesetzgebers (absolut) entzogen sind. Die Europäische Gemeinschaft und ihre Organe sind demzufolge nach dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 10 EG zur Rücksichtnahme auf diesen Kernbereich verpflichtet.167 Ein zwingendes Erfordernis, das lediglich den Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung umfaßt, bewirkt jedoch vorliegend keinen effektiven Schutz des gemeindlichen Handlungsspielraumes, da die Einheimischenprivilegierungen regelmäßig nicht zu diesem Bereich zu zählen sind.168

W. Frenz, Die Verwaltung 1995, 33 (48 f.); A. Hübner, Normative Auswirkungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG auf die Verfassungsposition der Kommunen, 2000, S. 71; M. Nierhaus, in: Sachs (Hrsg.), GG, 2003, Art. 28 Rdnr. 32 b; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 77; W.-H. Rengeling, DVBl. 1990, 893 (897 f.); A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1131 f.); H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (822); P. J. Tettinger, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Bd. II, 2005, Art. 28 Rdnr. 145. A.A. G. Seele, Der Kreis aus europäischer Sicht, 1991, S. 57 f. unter bedenklicher Einbeziehung des Art. 28 Abs. 2 GG in die Garantie des Demokratieprinzips in Art. 20 GG. Vgl. dazu auch oben 1. Teil E. II. 2. a) aa). 165 So auch J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 79 ff. 166 Vgl. W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 255 ff. 167 J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 91; W. Kahl, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2002, Art. 10 Rdnr. 52; a. A. S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 242 f.; M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 36 f.; A. Puttler, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), 2002, EUV/EGV, Art. 6 EU Rdnr. 216; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 142; T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 281; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 129. 168 Vgl. oben 1. Teil E. I. 4. a).

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3. Völkerrecht Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung (EKC)169 stellt das erste völkerrechtliche Dokument dar, welches eine Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung in den Staaten des Europarats in Form einer Konvention verbindlich festzuschreiben versucht. Diese im Jahre 1988 in Kraft getretene Charta wird von Bernd Schaffarzik für die These, die kommunale Selbstverwaltung sei ein der Gemeinschaftsordnung inhärentes Rechtsprinzip, herangezogen.170 Sofern diese Ansicht überzeugt, könnte die EKC auch als Rechtsquelle für ein zwingendes Erfordernis kommunaler Selbstverwaltung in Betracht kommen. Überwiegend wird allerdings den Regelungen der EKC die Qualität als allgemeiner Rechtsgrundsatz mit der Begründung abgesprochen, daß die Charta nicht für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft völkerrechtlich verbindlich ist.171 a) Inhalt der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung Entsprechend dem Auftrag, unter dem der Europarat angetreten ist, als Garant von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und sozialer Sicherung zu wirken,172 bündelt die EKC einige wenige, aber zentrale Elemente demokratischer und rechtsstaatlicher Grundsätze auf lokaler Ebene. Sie geht zunächst in ihrer Präambel davon aus, daß kommunale Gebietskörperschaf169 BGBl. 1987 II, S. 66 f. sowie BGBl. 1988 II, S. 653 ff.; abgedruckt auch in: NVwZ 1988, 1111. Zu ihrer Entstehung vgl. F.-L. Knemeyer, in: ders. (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S. 39 ff.; U. Bohner, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 20 ff.; sowie allgemein H. Heberlein, in: Ipsen/Rengeling (Hrsg.), Gemeinden und Kreise in einem vereinten Europa, 1999, S. 55 (55 ff.); S. v. ZimmermannWienhues, Kommunale Selbstverwaltung in der Europäischen Union, 1997, S. 257 ff.; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der EU, 1996, S. 53 ff. 170 Vgl. B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 627. 171 So H.-J. Blanke, DVBL. 1993, 819 (825); W. Frenz, VerwArch 1995, 378 (394); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, Bd. 2, 2001, Art. 28 Rdnr. 99; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1996, S. 62 f.; T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung im Recht der Europäischen Union, 1998, S. 271; A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Europäische Ingerenz, 1996, S. 14 f., 171; gegen ein solches Erfordernis S. Magiera, in: Grupp/Ronellenfitsch (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland und Europa, 1995, S. 13 (31). 172 G. Engel, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 37 (39).

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ten eine der wesentlichen Grundlagen jeder demokratischen Staatsform sind. In dem Bewußtsein, daß der Schutz und die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung in den verschiedenen europäischen Staaten einen wichtigen Beitrag zum Aufbau eines gemeinsamen Europas darstellt, das auf den Grundsätzen der Demokratie und der Dezentralisierung der Macht gründet, soll in dieser Charta das Bestehen kommunaler Gebietskörperschaften garantiert werden, die über demokratisch bestellte Entscheidungsorgane verfügen und weitgehende Selbständigkeit hinsichtlich der Art und Weise der Erfüllung ihrer Aufgaben und der Beschaffung sowie des Einsatzes der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Mittel besitzen. In ihrem materiellrechtlichen Teil der Art. 2–11 erfaßt die Charta wesentliche Aspekte der kommunalen Selbstverwaltung. Art. 3 EKC definiert die kommunale Selbstverwaltung als „das Recht und die tatsächliche Fähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaften, im Rahmen der Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zum Wohl ihrer Einwohner zu regeln und zu gestalten“. Bedeutsam ist weiterhin die Bestimmung des Art. 4 EKC, der den Umfang der kommunalen Selbstverwaltung betrifft. Nach Absatz 1 Satz 1 werden die grundlegenden Zuständigkeiten der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften durch die Verfassung oder durch Gesetz festgelegt. Gemäß Absatz 2 können sich die Kommunen im Rahmen der Gesetze mit allen Angelegenheiten befassen, die nicht aus ihrer Zuständigkeit ausgeschlossen sind oder einer anderen Stelle übertragen wurden. Schließlich erwähnt Absatz 3 den Grundsatz der Bürgernähe, demzufolge die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben im Allgemeinen vorzugsweise den Behörden obliegen soll, die den Bürgern am nächsten sind (Subsidiaritätsprinzip). Im weiteren werden einzelne Aspekte kommunaler Selbstverwaltung näher umschrieben, wobei die Charta freilich die ratifizierenden Staaten nicht zur Annahme aller, sondern nur einer bestimmten Mindestzahl an Vorschriften verpflichtet173 (sogenannte à la carteKlausel174) und auch Beschränkungen des Anwendungsbereichs der Charta auf bestimmte Arten von kommunalen Gebietskörperschaften zuläßt,175 wovon rege Gebrauch gemacht wurde.176 Die EKC erscheint damit als eine inhaltlich umfassende und in ihrem materiellen Schutzniveau spürbar förmlich177 dem Vorbild des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG vergleichbare, dabei aber wesentlich präzisere Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung, 173

Art. 12 EKC. So F.-L. Knemeyer, in: Köbler/Heinze/Hromadka (Hrsg.), FS Söllner, 2000, S. 507 (514). 175 Art. 16 EKC. 176 W. Frenz, in: Hoffmann/Kromberg/Roth u. a. (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungs- und Verwaltungsrecht, 1995, S. 9 (24). 177 K. Stern, in: Wendt/Höfling/Karpen u. a. (Hrsg.), FS Friauf, 1996, S. 75 (90). 174

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welcher allerdings der über die Vertragsstaaten hinausweisende gerichtliche Schutz fehlt.178 b) Bedeutung Die Charta ist in der kommunalrechtlichen Literatur zwar überwiegend positiv aufgenommen worden, über die rechtliche und politische Bedeutung gehen die Auffassungen jedoch weit auseinander.179 Ohne auf die einzelnen Positionen einzugehen, mag mit Horst Heberlein formuliert werden: „Schon aus der Bindung lediglich „à la carte“ und der fehlenden rechtlichen Durchsetzbarkeit ergibt sich, daß die Bedeutung der Charta weniger in deren rechtlicher, als vielmehr in ihrer politischen Relevanz liegt“180. Einen nicht zu unterschätzenden Bedeutungszuwachs hat die EKC allerdings mit dem Zusammenbruch des Ostblocks entfaltet. Viele mittel- und osteuropäische Staaten haben die in der EKC festgelegten Standards der kommunalen Selbstverwaltung im wesentlichen in ihr Rechtssystem übernommen, um so den „Aufbau eines demokratischen Staates von unten nach oben“181 zu sichern.182 c) Bindungswirkung Gleichwohl treffen die in der Charta umschriebenen Verpflichtungen zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung als solche die Europäische Gemeinschaft nicht. Eine ausdrückliche vertragliche Inkorporation der Charta vergleichbar der Einbeziehung von Protokollen nach Art. 311 EG (Art. IV442 VV) ist bisher nicht erfolgt. Auch eine Selbstverpflichtung zur Beachtung, wie sie in Art. 6 Abs. 2 EU für die Europäische Union hinsichtlich der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten enthalten ist oder zumindest eine „Eingedenkerklärung“ wie zur Europäischen Sozialcharta nach Art. 136 Abs. 1 EG (Art. III-209 VV) liegen nicht vor. Allein aus der Unterzeichnung der Charta durch alle Mitglieder 178 Siehe T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (939); zur Kontrolle vgl. G. Engel, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 37 (43 ff.). 179 Vgl. nur A. Martinti/W. Müller, BayVBl. 1993, 161 (169); S. v. ZimmermannWienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, 1997, S. 257 f.; T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 272. 180 H. Heberlein, in: Ipsen/Rengeling (Hrsg.), Gemeinden und Kreise in einem vereinten Europa, 1999, S. 55 (62). 181 F.-L. Knemeyer, DÖV 1988, 997 (997). 182 F.-L. Knemeyer, BayVBl. 2000, 449 (451); zu einigen Anwendungsbeispielen vgl. U. Bohner, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 19 (31 ff.).

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

der Gemeinschaft, ungeachtet der noch ausstehenden Ratifikationen,183 läßt sich keine vertragliche Bindung der Gemeinschaft selbst herleiten.184 Völkerrechtliche Verträge, zu denen die Charta zählt, binden grundsätzlich nur die Vertragspartner, nicht aber automatisch die internationalen Organisationen, zu denen die Vertragspartner gehören.185 Speziell im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht gilt, daß dieses als autonome supranationale Rechtsordnung nicht mit Verpflichtungen belastet sein darf, die sich aus völkerrechtlichen Verträgen der Mitgliedstaaten ergeben, es sei denn, etwas anderes ließe sich den Gemeinschaftsverträgen oder dem allgemeinen Völkerrecht entnehmen.186 Im übrigen ist zu betonen, daß der Versuch, die Charta selbst für die Europäische Gemeinschaft verpflichtend zu machen, auf ein kompetenzrechtliches Hindernis stößt. Die Charta wendet sich nach Wortlaut, Inhalt und Struktur ausschließlich an souveräne Staaten, denen eine entsprechende Gestaltung ihrer Rechtsordnung aufgegeben wird. Dabei ist die Charta als nicht transformabler völkerrechtlicher Vertrag auf die Ausfüllung durch nationale Vorschriften angewiesen.187 Der Europäischen Gemeinschaft als supranationaler Einrichtung fehlt die Kompetenz zu einer der Charta gemäßen Gestaltung der internen Organisation der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und zum Erlaß der im Rahmen der Umsetzung der EKC notwendigen Durchführungsbestimmungen.188 Zudem steht die Charta als halboffener Vertrag189 nach Art. 15 Abs. 1 S. 1 EKC derzeit nur den Mitgliedern des Europarates offen. Ein Beitritt der Europäischen Gemeinschaft ist wegen der fehlenden Beitrittsklausel rechtlich somit nicht möglich.190 Eine geplante 183

Vgl. zum Stand der Ratifikation unten 5. Teil B. I. 3. d). J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der EU, 1996, S: 58; T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (938); A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1128). 185 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2001, S. 126. 186 A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1128); H.-W. Rengeling, EuR 1979, 124 (127 f.). Vgl. zu erwogenen, aber im Ergebnis abzulehnenden Ansätzen in der Literatur J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der EU, 1996, S. 59 f. 187 Siehe G. Engel, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 37 (39). 188 So J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2001, S. 127; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der EU, 1996, S. 61; A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1128 f.). 189 Zum Begriff siehe D. Carreau, Droit international, 1999, S. 131; a. A. T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (946 f.), der die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nicht als negative Kompetenznorm im Sinne des Inhalts, ein Hoheitsträger darf keine Maßnahmen ergreifen, die die Selbstverwaltung verletzt, sondern als Beschränkung der Ausübung anderer Kompetenzen deutet. 190 J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2001, S. 126 f.; T. I. Schmidt, EuR 2003, 936 (947); J. Hofmann, in: Knemeyer 184

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

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Änderung ist nicht ersichtlich. Die Europäischen Kommunalverbände haben zwar die Forderung erhoben, die Charta der kommunalen Selbstverwaltung entweder wie im Falle der Menschenrechtskonvention durch einen entsprechenden Verweis in den zukünftigen Verfassungsvertrag einzubinden oder wesentliche Teile der Charta, also die als „Essentialia“ bezeichneten Grundsätze der Charta, in einem eigenen Kapitel über die Beziehungen zu den Kommunen möglicherweise in Verbindung mit den Bestimmungen über den Ausschuß der Regionen und dem Subsidiaritätsprinzip zusammenzufassen.191 Ob und gegebenenfalls wie diese Forderung im Verfassungsvertrag umgesetzt wurde, soll an späterer Stelle gezeigt werden.192 d) Rechtsinhalte der Charta als Gegenstand eines zwingenden Erfordernisses Fraglich ist, ob in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zur Heranziehung der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Entwicklung des gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes die Rechtsinhalte der EKC zur Herleitung eines zwingenden Erfordernisses dienen können.193 Wie bereits ausgeführt,194 ist grundsätzlich anerkannt, daß auch internationale Verträge, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt sind, zur Auffindung der Allgemeinwohlinteressen beitragen können, da sich in ihnen gemeinsame Rechtsauffassungen der Mitgliedstaaten widerspiegeln.195 Hierbei genügt für die Annahme einer gemeinsamen Überzeugung, wenn der völkerrechtliche Vertrag in diesen Mitgliedstaaten verbindlich ist.196 Wann die völkerrechtliche Verbindlichkeit eintritt, kann im Einzelfall schwierig zu beurteilen sein. (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S. 211 (217) hat einen solchen Beitritt der Union – nach einer entsprechenden Änderung der Charta – vorgeschlagen; kritisch hierzu A. Faber, DVBl. 1991, 1126 (1128 f.), die auf die gleichgelagerte Problematik eines Beitritts der Gemeinschaft zur EMRK hinweist. 191 Vgl. zu den Vorschlägen seit 1992 Knemeyer, in: ders (Hrsg.), Europa der Regionen – Europa der Kommunen, 1994, S. 155 ff. 192 Vgl. unten 6. Teil B. I. 2. 193 So für die Annahme eines entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. W. Haneklaus, DVBl. 1991, 295 (299); W. Spannowsky, DVBl. 1991, 1120 (1124); H.-W. Rengeling, DVBl. 1990, 893 (899); A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 206 ff. zieht zur Unterstützung die EKC heran. 194 Vgl. oben 4. Teil B. III. 3. b) bb) (3). 195 Vgl. für den Grundrechtsschutz EuGH, Slg. 1974, 491 (507 Rdnr. 13) – Nold ./. Kommission. 196 A. Kleffner-Riedel, Regionalausschuß und Subsidiaritätsprinzip, 1993, S. 111; A. Martini, Gemeinden in Europa,1992, S. 208.

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Im Fall der EKC wird man ausweislich des Art. 15 Abs. 1 EKC erst ab Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde von einer Verbindlichkeit ausgehen können.197 Erst nach erfolgter Ratifikation tritt die Charta in dem jeweiligen Mitgliedstaat in Kraft.198 Selbst wenn man der Ansicht folgt, die Charta reiche allein aus, um ein zwingendes Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung herzuleiten,199 ist fraglich, ob sie den erforderlichen Nachweis einer den Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundüberzeugung zu erbringen vermag.200 Zu berücksichtigen ist zudem, daß die Staaten in aller Regel die geltenden Regelungen im eigenen Lande zum Maßstab genommen und all das akzeptiert haben, was bereits paßt oder unschädlich ist. Da nur 20 der etwas mehr als 30 Absätze der Charta übernommen werden müssen, ist selbst die Ratifizierung unter Umständen nicht viel aussagekräftiger als eine Herleitung aus den gemeinsamen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten.201 Die EKC wird gerne neben der EMRK, der Europäischen Sozialcharta und dem Europäischen Kulturabkommen als der vierte Pfeiler des Europarates oder gar als in der Bedeutung mit der EMRK vergleichbar angesehen.202 Dennoch dürfen die Unterschiede zwischen den Verträgen nicht aus den Augen verloren werden.203 Die EKC ist zwar mittlerweile von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unterzeich197 Ebenso J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 62 Fn. 311; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 208. 198 Vgl. Art. 15 Abs. 3 EKC. 199 Ablehnend gegenüber einem entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatz T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 272; S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 257; M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 55 f.; H. Heberlein, BayVBl. 1993, 676 (678); S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (806) mit Verweis auf EuGH, Slg. 1971, 491 (507 Rdnr. 13) – Nold ./. Kommission. Der Gerichtshof führt hier aus, daß die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Gemeinschaft zu zählen sind und daß die internationalen Verträge, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren, Hinweise zu ihrem Auffinden geben könnten. 200 Ablehnend J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 128; J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 62; H. Heberlein, BayVBl. 1993, 676 (678); S. Hobe/D. Biehl/N. Schroeter, DÖV 2003, 803 (806). 201 A.A. B. Schaffarzik, Hb der europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 592. 202 F.-L. Knemeyer, DÖV 1988, 997 (997). 203 Hingewiesen sei auf die wesentlichen Unterschiede zwischen EMRK und EKC. Im Gegensatz zur EMRK ist die EKC nicht von allen EG-Mitgliedstaaten ratifiziert worden, sie ist als „à-la-carte-System“ ausgestaltet und schließlich fehlt ihr ein Kontrollsystem, wie es in der EMRK durch die Europäische Kommission für Menschenrechte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte enthalten ist, vgl. näher dazu A. Martini, Gemeinden in Europa, S. 207.

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net, aber nicht von allen ratifiziert worden.204 Nachfolgend soll kurz ein Blick auf den Stand der Ratifizierung geworfen werden.205 Die im Wege der Osterweiterung neu beigetretenen Staaten haben allesamt die EKC sowohl unterzeichnet als auch ratifiziert, da sie hierfür auf Traditionen zwischen den beiden Weltkriegen, und auch vor dem ersten Weltkrieg zurückgreifen konnten.206 Demgegenüber erwies sich die Umsetzung im Westen als schwierig. In Großbritannien war die Charta Gegenstand einer breit angelegten politischen Debatte.207 Die Regierung Thatcher lehnte prinzipiell einen Beitritt ab und ergriff sogar Maßnahmen zur Beschränkung der kommunalen Selbstverwaltung. Tony Blair hingegen verpflichtete sich zu einer Unterzeichnung und stellte die Charta sogar in seinem Parteiprogramm vor.208 In der Tat erfolgte dann eine Ratifizierung nach seiner Amtsübernahme am 24.4.1998. Nach einem langwierigen Prozeß hat am 25.8.2004 auch Belgien als vorletzter Staat die EKC ratifiziert. Dort lagen die Schwierigkeiten in der föderalen Struktur des Landes, nach der innerstaatlich sieben verschiedene Ebenen zustimmen mußten. Nachdem nun 24 EG-Mitgliedstaaten die Charta in ihr innerstaatliches Recht umgesetzt haben, steht derzeit nur noch die Ratifikation durch das Gründungsmitglied Frankreich aus, obwohl dieser Staat den Konventionstext sofort zu Beginn im Jahre 1985 unterzeichnet hatte. In Frankreich spricht sich insbesondere der Conseil d’Etat gegen eine Ratifizierung aus. Verschiedene Bestimmungen der Charta stünden mit dem französischen Verfassungsrecht nicht in Einklang. Zwar besitzt dort jede Gemeinde eine mittelbar vom Volk gewählte Exekutive. Entsprechend älterer Tradition sind diese Exekutivorgane aber gegenüber den Versammlungen nicht verantwortlich. Insoweit entspricht das französische Recht nicht ganz dem System der EKC.209 Auch die Fixierung des Grundsatzes der Bürgernähe (Subsidiaritätsprinzip in Verfassung und Gesetz)210 ist fraglich. Die besondere Bürgernähe wird zwar betont.211 Die Anzahl der Gemeinden und 204 Zum Zeichnungs- und Ratifikationsstand vgl. F.-L. Knemeyer, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, Anhang S. 141 f. 205 Zum aktuellen Ratifizierungsstand siehe http://conventions.coe.int/Treaty/ Commun/ChercheSig.asp?NT=122&CM=8&DF=15/07/2005&CL=GER. 206 U. Bohner, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 17 (26 f.). 207 Vgl. insofern den Länderbericht von N. Johnson, in: Knemeyer (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S. 121 (121 ff.). 208 U. Bohner, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 17 (24). 209 M. Fromont, in: Knemeyer (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S. 97 (100). 210 Art. 4 Abs. 3 EKC. 211 So auch B. Preuschoff, Die Stellung der Kommunen im politischen System Frankreichs der V. Republik, 1982, S. 44.

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vor allem die Aufteilung der Einwohnerzahlen212 bewirken jedoch einen für die Gemeinden unerträglichen Zustand verwaltungstechnischer und finanzieller Zersplitterung.213 Durch diese Zerstückelung ist eine sachgerechte Ausübung der Kompetenzen schwierig und entspricht nicht dem Erfordernis einer effektiven Verwaltung.214 Die verminderte Leistungsfähigkeit unter gleichzeitigem Aufgabenzuwachs hat zur Folge, daß insbesondere kleine, ländliche Gemeinden der ihnen übertragenen Verantwortung immer weniger gerecht werden. Wegen fehlender finanzieller215 und personeller Mittel sind sie oft nicht mehr in der Lage, ihre Pflichtaufgaben allein zu erfüllen, weshalb sie sich an Nachbargemeinden und Zweckverbände wenden. Diese können de facto detailliert Einfluß nehmen, was ein Verlust kommunaler Autonomie bedeutet. Da zudem für die staatlichen Behörden keine Pflicht besteht, die Gemeinden bei Planungsvorhaben anzuhören, bei denen gemeindliche Belange betroffen sein können, ist Art. 4 Abs. 6 EKC nicht verwirklicht. Des Weiteren sind die kommunalen Gebietskörperschaften nach französischem Recht nicht in der Lage, die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes durch ein Gericht prüfen zu lassen. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Konvention gemäß Art. 55 der französischen Verfassung höheren Rang als nationale Gesetze genießen würde. Um diese Fragen werden in Frankreich heftige Debatten geführt, „als stehe der Ausverkauf des Nationalstaats vor der Tür“. Gleichwohl äußern sich Vertreter der verschiedenen großen Parteien zugunsten einer baldigen Ratifizierung.216 Die Regierung vertritt derzeit jedoch den Standpunkt, daß eine Inkraftsetzung nicht nötig sei, weil die französische Kommunalgesetzgebung der Charta im wesentlichen bereits gerecht werde. Eher drohe nach ihrer Meinung eine Schwächung der kommunalen Selbstverwaltung.217 Überzeugend ist diese Einschätzung nicht. Wahrscheinlicher ist, daß sich Frankreich schwer damit tut, die Ausübung eigener Souveränitätsrechte an völkerrechtliche Absprachen zu binden. Denn die Übernahme der EKC würde die kommunale Selbstverwaltung 212

Ca. 60 Prozent der 36800 Gemeinden haben weniger als 500 Einwohner; vgl. U. Hübner/V. Constantinesco, Einführung in das französische Recht, 2001, S. 82. 213 Vgl. zum Scheitern des Reformvorhabens B. Preuschoff, Die Stellung der Kommunen im politischen System Frankreichs der V. Republik, 1992, S. 46; M. Fromont, in: Erichsen/Hoppe/Leidinger (Hrsg.), Kommunalverfassungen in Europa, 1988, S. 81 (83). 214 B. Preuschoff, Die Stellung der Kommunen im politischen System Frankreichs der V. Republik, 1992, S. 45; G. Treffer, Französisches Kommunalrecht, 1982, S. 3. 215 Die Verfügung über angemessene Eigenmittel, wie sie Art. 9 EKC fordert, darf demnach ebenfalls bezweifelt werden. 216 U. Bohner, in: Knemeyer (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Ost und West, 2003, S. 17 (24). 217 So auch M. Fromont, in: Knemeyer (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S. 97 (116).

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in Frankreich deutlich aufwerten, wie sich aus den oben genannten Abweichungen ergibt. Dies hätte allerdings zur Folge, daß im Ergebnis der Zentralstaat geschwächt würde. Bernd Schaffarzik zufolge kann trotz der fehlenden Ratifikation Frankreichs ein allgemeiner Rechtsgrundsatz aus der EKC hergeleitet werden.218 Der bislang ferngebliebene Mitgliedstaat lehne die Charta inhaltlich nicht völlig ab. Den lokalen Gebietskörperschaften werde durch das nationale Rechtssystem jener Staaten vielmehr eine Rechtsstellung gewährleistet, die von dem in der Charta vorgesehenen kommunalen Rechtsstatus zumindest nicht übermäßig weit entfernt sei.219 Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Obwohl die Ratifikation der EKC in allen EG-Mitgliedstaaten greifbar nahe erscheint,220 ist im Augenblick eine völkerrechtliche Verbindlichkeit für alle Mitgliedstaaten zu verneinen. Von einer gemeinsamen Grundüberzeugung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Inhalte der EKC kann (noch) nicht die Rede sein. An diesem Befund vermag auch der Hinweis auf das Erfordernis einer bloß „wertenden“ Rechtsvergleichung nichts zu ändern.221 Das Fernbleiben einzelner Mitgliedstaaten von völkerrechtlichen Verträgen erweist sich zwar für die Anerkennung eines zwingenden Erfordernisses als unschädlich.222 Gleichwohl fordert die wertende Rechtsvergleichung, daß das aufzufindende Allgemeinwohlinteresse zumindest keiner mitgliedstaatlichen Rechtsauffassung zuwider läuft.223 Vorliegend kann zwar nicht mehr mit der prinzipiell ablehnenden Haltung Großbritanniens224 argumentiert werden. An den politischen Debatten in Frankreich seit den Anfängen der Charta ist jedoch deutlich erkennbar, daß dieser Mit218 A. A. J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 63 f.; wohl auch J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 128; S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (859). 219 B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 627. 220 Bulgarien und Rumänien, die voraussichtlich 2007 der EG beitreten werde, haben die EKC bereits ebenfalls ratifiziert. 221 Im Ergebnis ebenso J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 62. 222 Wie hier aber in bezug auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 623; vgl. auch oben 4. Teil B. III. 3. b) bb) (2). 223 In bezug auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 51; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 128; vgl. dazu auch oben 4. Teil B. III. 3. b) bb) (2). 224 So J. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 62; J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 128, der allerdings übersieht, daß Großbritannien die EKC bereits 1998 ratifizierte.

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gliedstaat ohne eine vorherige innerstaatliche Klärung nicht an die Rechtsinhalte der EKC gebunden sein möchte. Würde man nun die EKC als einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts heranziehen, würde diesem Staat ein Rechtssystem aufgezwungen, zu dem er derzeit noch nicht bereit ist und das damit im Widerspruch zu seiner Überzeugung steht.225 Gleichwohl ist zu betonen, daß in Frankreich eine verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstverwaltungsgarantie mit einer eingeschränkten Allzuständigkeit besteht. Rein rechtlich gesehen, und das ist vorliegend maßgeblich, ist die Stellung der französischen Gebietskörperschaften durchaus mit derjenigen der deutschen Kommunen zu vergleichen. In tatsächlicher Hinsicht differieren allerdings beide Systeme stark.226 Die EKC könnte jedoch unter der Bedingung, daß sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft die Charta ratifizieren oder daß ihr zumindest keine Rechtsordnung entgegensteht, zukünftig als Erkenntnisquelle eines zwingenden Erfordernisses in Betracht kommen. 4. Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Die Tatsache, daß immerhin 24 von 25 Mitgliedstaaten die EKC ratifiziert haben, deutet zumindest auf eine gemeinsame Grundauffassung hinsichtlich der kommunalen Selbstverwaltung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hin. Dennoch ist zu bedenken, daß durch die Ratifizierung à la carte nicht zwingend ein einheitliches Bild entstanden ist. Demzufolge ist es zur Herleitung des zwingenden Erfordernisses der kommunalen Selbstverwaltung erforderlich, die Rechtslage in den einzelnen Ländern auf Gemeinsamkeiten hin zu überprüfen. a) Mitgliedstaatliche Gemeinsamkeiten „Auch bei einem flüchtigen Blick auf die kommunale Ebene fällt eines sofort auf: ihre Vielfalt. Ob es sich um die Struktur der Gebietskörperschaft handelt, um ihre Aufgaben, ihre finanzielle Ausstattung, ihre innere Verfassung oder ihr Verhältnis zu den staatlichen Behörden, es kommen die ver225 Der Ansicht von A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 208 f., der es mit einem Verweis auf EuGH, Slg. 1974, 491 (507 f.) – Nold ./. Kommission für ausreichend hält, daß alle Mitgliedstaaten bei der Aushandlung mitgewirkt haben, kann nicht gefolgt werden. In diesem Urteil fordert der EuGH gerade eine Beteiligung beim Abschluß der internationalen Verträge beziehungsweise späteren Beitritt, so daß eine bloße Mitwirkung bei der Aushandlung nicht ausreicht, so auch S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (859). 226 So auch H.-J. Sonnenberger/C. Autexier, Einführung in das französische Recht, 2000, S. 69.

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schiedensten Gestaltungsformen vor.“227 Diese Aussage wurde vor mehr als 15 Jahren getroffen und in der Zwischenzeit haben sich in vielen Staaten wie beispielsweise in Großbritannien grundlegende Änderungen auf der kommunalen Ebene vollzogen. Daher stellt sich die Frage, ob sie auch heute noch Gültigkeit besitzt. Unproblematisch ist festzustellen, daß alle Mitgliedstaaten lokale Verwaltungsträger eingerichtet und sie mit einer gewissen Autonomie ausgestattet haben.228 Zur Bestimmung einer gemeinsamen Rechtsauffassung bedarf es jedoch einer genaueren Betrachtung. Im Rahmen dieser Arbeit kann keine umfassende Rechtvergleichung der 25 nationalen Rechtsordnungen geleistet werden. Im folgenden sollen hauptsächlich die Absicherung des Grundsatzes in der jeweiligen Verfassung, die Allzuständigkeit, die finanzielle Ausstattung und die staatlichen Aufsichtsbefugnisse untersucht werden.229 Die Auffindung eines Allgemeininteresses ist dabei nicht darauf angewiesen, alle Übereinstimmungen und Abweichungen im Detail herauszufinden. Vielmehr soll sie die Gemeinsamkeiten dem Grunde nach bestimmen. Denn die Rechtsvergleichung bildet nur ein Element, das zusammen mit anderen Kriterien, insbesondere dem Einfügen in die Ziele und Struktur der Gemeinschaft, durch einen schöpferischen Vorgang zu einer Lösung gelangt.230 aa) Verfassungsrechtliche Absicherung Bei genauer Betrachtung der mitgliedstaatlichen Verfassungen ist zu konstatieren, daß die Grundordnungen aller Länder mit Ausnahme der zyprischen und mangels geschriebener Verfassung auch diejenige von Großbritannien eine mehr oder weniger deutliche Normierung des kommunalen Selbstverwaltungsgedankens enthalten.231 Insbesondere in den Verfassungen 227

P. Blair, DÖV 1988, 1002. J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 125; vgl. auch G. Seele, Der Kreis aus europäischer Sicht, 1991, S. 207 ff.; S. Schmahl, DÖV 1999, 852 (858). 229 Vgl. auch G. Marcou, in: Ardant/Duhamel/Guillaume (Hrsg.), La Commune en France et en Europe, 2000, S. 69 (69 ff.); A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Ingerenz des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 53 ff.; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 187 ff.; M. Deubert/G. Liegmann, Rechtsgrundlagen kommunaler Selbstverwaltung und regionale Strukturen, 1989, S. 18 ff. 230 Vgl. dazu oben 4. Teil B. III. 3. b) bb) (2). 231 Vgl. Art. 162 ff. Verfassung des Königreichs Belgiens; § 82 Grundgesetz des Reiches Dänemark; Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG für die Bundesrepublik Deutschland; §§ 154 ff. Verfassung der Republik Estland; § 121 Grundgesetz Finnland; Art. 72 f. Verfassung der Französischen Republik; Art. 102 Verfassung der Griechischen Republik; Art. 28 A Verfassung der Republik Irland; Art. 114 ff. Verfassung der Italienischen Republik; Art. 119 ff. Verfassung der Republik Litauen; Art. 107 f. Verfas228

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der neu beigetretenen Länder – Slowakei232, Slowenien233, Polen234, Tschechische Republik235, Ungarn236, Litauen237 und Estland238 – sind ausführliche Regelungen vor allem hinsichtlich des Gewährleistungsumfangs, der Aufsicht und den Finanzen der territorialen Selbstverwaltungseinheiten zu finden. Andere Verfassungen, wie beispielsweise die der Niederlande239, sind diesbezüglich eher zurückhaltend formuliert. Aus der Verfassung der Republik Lettland ergibt sich zumindest indirekt, daß örtliche Selbstverwaltungen vorhanden sein müssen, da den Bürgern Lettlands die Beteiligung an diesen Stellen als Grundrecht gewährleistet ist.240 Im Hinblick auf das Grundgesetz des Königreichs Dänemark und die Verfassung der Französischen Republik wird mitunter bezweifelt, ob hier der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung überhaupt verfassungsrechtlich verankert oder ob er lediglich unter den Schutz des Gesetzgebers gestellt wird, sich also nur gegen Maßnahmen der Staatsverwaltung richtet.241 Die einschlägigen Vorschriften sind jedoch in dem Sinne auszulegen, daß sie eine verfassungsrechtliche Gewährleistung des besagten Grundsatzes darstellen, daß aber die Modalitäten des Funktionierens der Gebietskörperschaften erst durch Gesetz festgelegt werden und in diesem gesetzlichen Rahmen Selbstverwaltung garantiert ist. Hervorzuheben ist auch die Neuregelung in der Verfassung der Republik Irland, in die nach einem Volksreferendum Vorschriften über die örtliche Selbstverwaltung aufgenommen wurden.242 Einen der kommunalen sung des Großherzogtums Luxemburg; Art. 115 A Verfassung der Republik Malta; Art. 124 Verfassung des Königreichs der Niederlande; Art. 115 ff. Bundesverfassungsgesetz der Republik Österreich; §§ 163 ff. Verfassung der Polnischen Republik; Art. 6 Abs. 1, 235 ff. Verfassung der Portugiesischen Republik; Kap. 1 § 1 Abs. 2 Verfassung des Königreichs Schweden; Art. 64 ff. Verfassung der Slowakischen Republik; Art. 9, Art. 138 ff. Verfassung der Republik Slowenien; Art. 137, 140 ff. Verfassung des Königreichs Spanien; Art. 8, 99 ff. Verfassungsgesetz des Tschechischen Nationalrates; Art. 41 ff. Verfassung der Republik Ungarn. 232 Art. 64 ff. Verfassung der Slowakischen Republik. 233 Nach Art. 9, 138 ff. Verfassung der Republik Slowenien. 234 Art. 16 Nr. 2, 163 ff. Verfassung der Polnischen Republik. 235 Art. 8, 99 ff. Verfassungsgesetz des Tschechischen Nationalrates. 236 Vgl. §§ 41 ff. Verfassung der Republik Ungarn. 237 Vgl. Art. 119 ff. Verfassung der Republik Litauen. 238 §§ 154 ff. Verfassung der Republik Estland. 239 Vgl. Art. 124 Abs. 1 Verfassung des Königreichs der Niederlande. 240 Vgl. Art. 101 Verfassung der Republik Lettland. 241 Vgl. die dänische und französische Verfassung. § 82 des Grundgesetzes des Reiches Dänemark besagt: „Das Recht der Gemeinden, unter Aufsicht des Staates ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen, wird durch Gesetz geregelt“. Art. 72 der Verfassung der Französischen Republik bestimmt, daß sich die Gebietskörperschaften selbst durch gewählte Räte und nach Maßgabe der Gesetze verwalten. 242 Vgl. Art. 28 A Verfassung der Republik Irland.

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Selbstverwaltungsgarantie im Sinne von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG für die Bundesrepublik Deutschland vergleichbaren Schutzgehalt enthalten etwa die Verfassung der Griechischen Republik243, die Verfassung der Portugiesischen Republik244, die Verfassung der Republik Ungarn245, die Verfassung der Republik Estland246, die Verfassung der Republik Slowenien247 und die die Verfasung des Königreichs Spanien248. Diese sehen sowohl eine selbständige Verwaltung der Gemeinden als auch eine Zuständigkeit für alle örtlichen Angelegenheiten vor. Das Bundesverfassungsgesetz der Republik Österreich erkennt zwar prinzipiell in Art. 118 die Allzuständigkeit und die Eigenverantwortlichkeit an. Dies wird jedoch dadurch relativiert, daß dieser Grundsatz keine unmittelbare Geltung gegenüber den Gemeinden entfaltet, sondern erst durch einfache Gesetze umgesetzt werden muß.249 Auf einem Mittelweg befinden sich Art. 128 der Verfassung der Italienischen Republik, der die Allzuständigkeit einschränkt,250 sowie die Verfassung des Königreichs Belgien251 und die Verfassung des Großherzogtums Luxemburg252, die jeweils die eigenverantwortliche Aufgabenerfüllung begrenzen.253 Zusammenfassend ist festzustellen, daß mit Ausnahme Zyperns und Großbritanniens sowie eingeschränkt in der Verfassung der Republik Lettland die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten, genau genommen 88 Prozent, den Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung verfassungsrechtlich verankert hat.254 Diese große Anzahl sowie die Aufnahme dieses Prinzips in die Verfassung der Republik Irland, einem Land, das traditionell den Ge243

Art. 102 Verfassung der Griechischen Republik. Art. 237 Abs. 2 Verfassung der Portugiesischen Republik. 245 § 42 Verfassung der Republik Ungarn. 246 § 154 der Verfassung der Republik Estland. 247 Art. 140 Verfassung der Republik Slowenien. 248 Art. 140 in Verbindung mit Art. 137 Verfassung des Königreichs Spanien. 249 Vgl. Art. 118 Abs. 2 Bundesverfassungsgesetz der Republik Österreich. 250 Art. 128 Verfassung der Italienischen Republik lautet: „Die Provinzen und Gemeinden sind Selbstverwaltungskörperschaften im Rahmen der von den allgemeinen Gesetzen der Republik festgelegten Grundsätze, die ihre Aufgaben bestimmen.“ 251 Art. 162 Abs. 2 Nr. 2 Verfassung des Königreichs Belgien sieht nämlich die Billigung der Handhabung der Provinzial- und Gemeinderäte „in den Fällen und in der Art und Weise, die das Gesetz bestimmt“ vor. 252 Vgl. Art. 107 Verfassung des Großherzogtums Luxemburg, insbesondere Abs. 6 über die Aufsicht. 253 Die Verfassung der Polnischen Republik statuiert zwar die Zuständigkeit für alle öffentlichen Aufgaben, sofern diese nicht einem anderen Organ zugewiesen sind (Art. 163, 164 Nr. 2 Verfassung), sagt aber nichts über die Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenerfüllung aus. 254 Ebenso T. Marauhn, in: Hoffmann/Kromberg/Roth (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996, S. 71 (82). 244

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meinden lediglich die Funktion von unteren Verwaltungseinheiten zuwies, belegen, daß dem Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung in den Mitgliedstaaten nicht nur ein hoher Stellenwert eingeräumt wird, sondern daß dieser auch stetig steigt. Diese Entwicklung ist auch durch die zunehmende Ratifikation der EKC bestätigt worden. bb) Allzuständigkeit Hinsichtlich des gegenständlichen Umfangs der Selbstverwaltung lassen sich im wesentlichen drei Systeme unterscheiden. Der Gesamtstaat kann den Aktionsradius der Kommunen durch eine Art negative Bezugnahme auf solche staatlichen Vorschriften angeben, die ihnen bestimmte Betätigungen verwehren oder Kompetenzen für sonstige Aufgabenträger reservieren. Er statuiert damit eine kommunale Residualzuständigkeit, welche „nur“ diejenigen Angelegenheiten erfaßt, die nicht schon anderen Funktionssubjekten im Staat zugeordnet sind. Indem er auf diese Weise den Kommunen vorbehaltlich anderer Zuständigkeitsfestlegungen schlechthin alle öffentlichen Angelegenheiten zur Erledigung zuweist, nimmt der positive Schutzbereich dieser allgemeinen Selbstverwaltungsgarantie die denkbar weiteste Dimension ein.255 Diese grundsätzlich umfassende, wenn auch durch die Gesetze einschränkbare Aufgabenkompetenz der Gemeinden ist lediglich in Malta zu finden. Die lokalen Selbstverwaltungseinheiten besitzen dem Local Council Act zufolge die Kompetenz, alle Angelegenheiten zu regeln, die nicht aus ihrem Aufgabengebiet per Gesetz ausgeschlossen oder einem anderen Organ zugewiesen wurden.256 Gleichwohl ist festzustellen, daß hinsichtlich vieler Zuständigkeiten aufgrund der geringen Größe dieses Staates eine Übertragung auf den Zentralstaat stattfand. Die zweite Variante, die eingeschränkte Allzuständigkeit, bleibt im Hinblick auf die Ausdehnung ihres jeweiligen Schutzbereichs hinter der umfassenden Allzuständigkeit zurück. Denn die Selbstverwaltungstätigkeit setzt hier stets einen spezifischen lokalen Bezug voraus. Diese Variante liegt vor, wenn der allgemeine Wirkungskreis der kommunalen Gebietskörperschaften auf Angelegenheiten der „örtlichen Gemeinschaft“, von „lokalem Interesse“ oder ähnlich begrenzt wird. Verfassungsrechtlich wird diese örtlich begrenzte Allzuständigkeit in Deutschland257, Griechenland258, Luxem255 Vgl. Art. 4 Abs. 2 EKC. Siehe auch B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 328. 256 Vgl. Art. 33 Abs. 1 lit. o, Chapter 364 Local Council Act. 257 Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG für die Bundesrepublik Deutschland. 258 Verfassungsrechtlich in Art. 102 Abs. 1 Verfassung der Griechischen Republik garantiert und einfachgesetzlich konkretisiert.

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burg259, Niederlanden260, Portugal261, Spanien262 sowie in Belgien263 garantiert. Einfachgesetzlich wird sie in Finnland264, Schweden265 und in Frankreich266 gewährleistet. Da jedoch in Frankreich der Gesetzgeber den Begriff der kommunalen Angelegenheit restriktiv bestimmt, gibt es dort trotz einfachgesetzlicher Anerkennung der Allzuständigkeit keine Kompetenzvermutung zugunsten der Gemeinde.267 Ehemals bestanden zahlreiche Gesetze, die den französischen Gemeinden viele Kompetenzen wieder entzogen. Erst durch die Reform von 1982 wurde die Aufgabenstruktur der Gemeinden wesentlich verbessert.268 Aus dem italienischen Kommunalrecht ergibt sich für die Gemeinden ebenfalls, dies ist allerdings nicht unumstritten, das Prinzip der Allzuständigkeit.269 Dagegen galt für die britischen Selbstverwaltungskörperschaften trotz einiger Generalklauseln im Local Government Act von 1972 lange Zeit nur ein gesetzlich zugewiesener Aufgabenkatalog.270 Die Forderung nach einer eingeschränkten Allzuständigkeit nach kontinentalem Vorbild wurde zunächst abgelehnt, da die britischen Kommunen mit ihrer relativ breiten Palette von klar umrissenen, teilweise wichtigen Eigenfunktionen so umfassend ausgestattet seien, daß jedenfalls in der Praxis ein ausreichender Spielraum bestehe.271 Mit der Verabschiedung des Local Government Bill 2000 erhielten die örtlichen Selbstverwaltungsein259 Art. 107 Abs. 1 Verfassung des Großherzogtums Luxemburg. Ein weiteres Indiz für die Allzuständigkeit ist die Tatsache, daß Luxemburg alle Absätze des ersten Teils der Charta, also auch Art. 4 Abs. 2 EKC, der die Universalität des Aufgabenkreises bestimmt, ohne Vorbehalt angenommen hat. 260 Vgl. Art. 124 Verfassung des Königreichs der Niederlande. 261 Vgl. Art. 237, aber auch Art. 242 Verfassung der Portugiesischen Republik. 262 Vgl. Art. 137 Verfassung des Königreichs Spanien; vgl. auch R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der Europäischen Union, 1999, S. 51. 263 Vgl. Art. 162 Abs. 1 Nr. 2 Verfassung des Königreichs Belgien. 264 Vgl. § 5 Abs. 1 Gemeindegesetz, siehe hierzu auch P. Vataja, in: Erichsen/ Hoppe/Leidinger (Hrsg.), Kommunalverfassungen in Europa, 1989, S. 1 (11). 265 Vgl. C. Krage, Einführung in das schwedische Kommunalrecht, 1990, S. 86 ff. Die schwedischen Gemeinden besitzen eine weitreichende Autonomie, vgl. R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der Europäischen Union, 1999, S. 51. 266 Siehe Art. L. 2121-29 Code général des collecitvités territoriales, Gesetz vom 21.2.1996. 267 A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Ingerenz des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 73. 268 Vgl. N. Giumezanes, Introduction au droit francais, 1999, S. 93. 269 So E. Ferarri, in: Hoppe/Leidinger/Erichsen (Hrsg.), Kommunalverfassungen in Europa, 1989, S. 65 (71). 270 Vgl. auch M. Deubert/G. Liegmann, Rechtsgrundlagen kommunaler Selbstverwaltung und regionale Strukturen in Europa, 1989, S. 24. 271 So P. Blair, DÖV 1988, 1002 (1006).

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heiten erstmals die Befugnis, alle Angelegenheiten, die das „well-being“ der örtlichen Gemeinschaft in ökologischen, ökonomischen und sozialen Belangen betreffen, zu regeln.272 Damit kann auch für Großbritannien eine eingeschränkte Allzuständigkeit der Gemeinden konstatiert werden. Gemäß § 82 des dänischen Grundgesetzes haben die Gemeinden das Recht auf selbständige Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. Daraus läßt sich ebenfalls eine Kompetenzvermutung in kommunalen Angelegenheiten zugunsten der Gemeinden herleiten.273 Im ungarischen System der kommunalen Selbstverwaltung wurde auf die prinzipielle Verankerung des in anderen Mitgliedstaaten überwiegend vorzufindenden dualistischen Aufgabenmodells aus Selbstverwaltungs- und staatlichen Auftragsangelegenheiten verzichtet. Statt dessen gehen die einfachgesetzlichen Regelungen von einer umfassenden Aufgabenvermutung der kommunalen Selbstverwaltung aus,274 wobei auch ein zwingender Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich festgelegt werden kann.275 In Polen weisen sowohl Art. 163 f. der Verfassung der Polnischen Republik als auch Art. 6 des Gesetzes über die territoriale Selbstverwaltung (SvG) den Gemeinden alle öffentlichen Angelegenheiten von örtlicher Bedeutung zu, soweit sie nicht durch Gesetz anderen Subjekten vorbehalten sind.276 Art. 7 Abs. 1 SvG hebt diejenigen Aufgaben hervor, die der Befriedigung der gemeinsamen Bedürfnisse der örtlichen Gemeinschaft dienen, und enthält eine nicht abschließende277 Aufzählung einzelner Bereiche. Eine gewisse Begrenzung der eigenverantwortlichen Aufgabenfindung erfährt die kommunale Selbstverwaltung allerdings durch die Einführung der zahlreichen pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben.278 Dem Verfassungsgesetz des Tschechischen Nationalrates zufolge sind die Gemeindevertretungen in Angelegenheiten der Selbstverwaltung zur Entscheidung befugt, sofern nicht die Vertretung einer höheren Selbstverwaltungseinheit mit diesen Angelegenheiten betraut ist.279 Im Gesetz des Tschechischen Nationalrates über die Gemeinden werden dann auch die Aufgabenbereiche nicht inhaltlich, sondern nur rahmenrechtlich festge272 Art. 2 Abs. 2 Part 1 Local Government Bill 2000; vgl. auch die explanatory notes, Nr. 4 ff., 15, Department of the Environment, Transport and Regions. 273 I. Dübeck, Einführung in das dänische Recht, 1996, S. 99, a. A. R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen, S. 48. 274 § 42 S. 2 Verfassung der Republik Ungarn, § 1 Abs. 4 S. 1 Gesetz Nr. LXV/ 1990 über die örtlichen Selbstverwaltungen (1990). 275 Vgl. § 1 Abs. 5 Gesetz Nr. LXV/1990. § 8 dieses Gesetzes enthält einen beispielhaften Aufgabenkatalog. 276 Art. 6 Gesetz über die territoriale Selbstverwaltung (1990). Art. 7 enthält einen nicht abschließenden Aufgabenkatalog. 277 Dazu J. Michaelsen, ROW 1996, 1 (2). 278 Art. 7 Abs. 2 SvG. 279 Art. 104 Verfassungsgesetz des Tschechischen Nationalrates.

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legt.280 § 14 der Gemeindeordnung enthält eine nicht abschließende, gleichwohl ausführliche Aufzählung der Gebiete, die zur selbständigen Zuständigkeit der Gemeinden zählen. Auch die Gemeinden in Estland verfügen über ein verfassungsrechtlich garantiertes Recht, alle Fragen des örtlichen Lebens selbständig und abschließend zu regeln und durchzuführen.281 Einfachgesetzlich wird diese Gewährleistung durch einen beispielhaften Aufgabenkatalog und eine Allzuständigkeitsvermutung konkretisiert.282 Art. 140 der Verfassung der Republik Slowenien normiert, daß lokale Angelegenheiten, die von der Gemeinde selbständig geregelt werden können und die lediglich die Einwohner der Gemeinde tangieren, in den Wirkungsbereich der Gemeinde gehören. Auch in der Slowakei treffen die Gemeinden nach dem Wortlaut der Verfassung der Slowakischen Republik283 ihre Entscheidungen in Angelegenheiten der territorialen Selbstverwaltung selbständig. Obwohl in Lettland eine Verankerung der kommunalen Selbstverwaltung in der wieder in Kraft gesetzten Verfassung der Republik Lettlands von 1992 nicht erfolgte, entstanden lokale Selbstverwaltungseinheiten durch verschiedene Kommunalgesetze284 zwar vergleichsweise erst spät, dennoch aber als unabhängige Rechtssubjekte mit eigenen Handlungs- und Entscheidungsspielräumen.285 Das Gesetz über die kommunale Selbstverwaltung unterscheidet mehrere Kategorien kommunaler Aufgabenbereiche. Entsprechend gibt es ständige Aufgaben, die gesetzlich definiert sind, zeitlich begrenzte Aufgaben, die gesetzlich zugewiesen werden, delegierte staatlich-administrative Funktionen, Sonderaufgaben und freiwillige Aufgaben.286 Unter letzteren sind alle Angelegenheiten zu fassen, die einen örtlichen Bezug aufweisen und der Leistungsfähigkeit der Gemeinde entsprechen. Demnach kann grundsätzlich auch für Lettland die eingeschränkte Allzuständigkeit konstatiert werden. Als dritte und gleichzeitig engste Variante der Bestimmung des gemeindlichen Wirkungskreises ist in den Rechtsordnungen der folgenden Mitgliedstaaten die Aufgabenzuweisung nach einem gegenständlich bestimmten Katalog zu finden. Obwohl zwar in Österreich eine verfassungsrechtliche 280 Vgl. § 13 Abs. 1 Gesetz des Tschechischen Nationalrates über die Gemeinden (1990). 281 Vgl. Art. 154 Verfassung der Republik Estland. 282 §§ 3, 6 Gesetz über die Organisation der lokalen Selbstverwaltung (1993). 283 Vgl. Art. 67 Verfassung der Slowakischen Republik. 284 Kommunalwahlgesetz, Gesetz über die kommunale Selbstverwaltung (1994), Gesetz über kommunale Haushalte (1995), Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich (1998). 285 M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 46. 286 Art. 6–12 Gesetz über die kommunale Selbstverwaltung, vgl. auch den Katalog des Art. 15.

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Anerkennung der Allzuständigkeit besteht, läuft diese weitgehend leer, da die notwendigen Umsetzungsgesetze sich darauf beschränkt haben, den beispielhaften Katalog, der deklaratorisch in der Verfassung vorgegeben wird, als abschließenden Katalog zu übernehmen.287 Gleichwohl umfaßt dieser wesentliche Aufgabengebiete von lokaler Bedeutung. Auch bei den irischen Kommunen erfolgt die Übertragung von Verwaltungszuständigkeiten trotz diversen Verfassungs- und Gesetzesänderungen weiterhin durch einen enumerativ normierten Aufgabenkatalog.288 Dabei wurden jedoch die Handlungsspielräume beachtlich ausgeweitet,289 so daß den irischen Selbstverwaltungseinheiten im Ergebnis die Regelung zahlreicher örtlicher Angelegenheiten obliegt290. Die Zuständigkeiten der unteren Gebietskörperschaften in Litauen werden durch das Gesetz zur kommunalen Selbstverwaltung genau bestimmt, das den Gemeinden 68 Aufgabenbereiche zuweist. Während die Erledigung der bedeutsamen übertragenen Aufgaben291 zusätzlich in Einzelgesetzen geregelt wird, obliegt die Organisation und die Bestimmung des Umfangs unabhängiger Aufgaben292 den Gemeinden in alleiniger Verantwortung. Damit besitzen litauischen Kommunen zwar keine Allzuständigkeit. Ihnen wird allerdings durch Gesetz ein breit gefächerter, alle wesentlichen örtlichen Angelegenheiten betreffender Aufgabenkatalog zugestanden. Neben den Kommunen in Österreich, Irland, Litauen steht auch den zyprischen lokalen Selbstverwaltungseinheiten, getrennt in Land- und Stadtgemeinden, lediglich ein abgeschlossener Kompetenzkatalog zu.293 Als Grund wird in diesem 700.000-Einwohner-Staat angeführt, daß für den Zentralstaat nichts außer Außenpolitik und Verteidigung übrig bliebe,294 wenn alle örtlichen Angelegenheiten von den Gemeinden geregelt würden. Dagegen könnte man zwar einwenden, daß Malta, ein Staat mit vergleichbarer Größe, sogar die umfassende Allzuständigkeit normiert hat. Aber auch dort ist festzustellen, daß viele wesentliche Aufgaben von lokalem Interesse auf den Zentralstaat übertragen worden sind. Aufgrund der geringen Staatsgrö287 Vgl. R. Rack, in: Erichsen/Hoppe/Leidinger (Hrsg.), Kommunalverfassungen in Europa, 1989, S. 51 (56). 288 Vgl. Local Government Act 2001, Part 1, Schedule 12. 289 So R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 50. 290 Vgl. A. Martini, Gemeinden in Europa, S. 196. 291 Vgl. den Katalog des Art. 7 Gesetz zur kommunalen Selbstverwaltung. 292 Vgl. den Katalog des Art. 6 Gesetz zur kommunalen Selbstverwaltung. 293 Beispielsweise sind die Erziehung und der Wohnungsbau dem Zentralstaat zugewiesen. Interessant ist zudem, daß die Stadtgemeinden wesentlich mehr Kompetenzen besitzen als die Landgemeinden vgl. Municipalities Law 1985, Communities Law 1999. 294 Vgl. Lellos Demitriades, Bürgermeister von Nikosia, zitiert nach G. Treffer, der Städtetag 8/1995, 554 (557).

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ßen von Malta und Zypern, die in vielen Mitgliedstaaten bereits von einzelnen Gebietskörperschaften übertroffen werden, können diese beiden Staaten bei der Rechtsvergleichung hinsichtlich des Aufgabenbestandes nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zusammenfassend ist davon auszugehen, daß in etwa 75 Prozent der Mitgliedstaaten eine Allzuständigkeit für Angelegenheiten von lokalem Interesse verfassungsrechtlich oder einfachgesetzlich statuiert hat. Die Gemeinden in Malta verfügen sogar, zumindest was die rechtliche Gewährleistung angeht, über einen darüber hinaus gehenden Zuständigkeitsbereich für alle öffentlichen Angelegenheiten. Lediglich den Gemeinden in Österreich, Irland, Litauen und Zypern werden durch abgeschlossene Kompetenzkataloge die Zuständigkeitsbereiche zugewiesen. Bei näherer Betrachtung der dortigen gesetzlichen Kataloge konnte jedoch festgestellt werden, daß diese jeweils relativ umfassend die Bereiche, die gemeinhin für den örtlichen Wirkungskreis als wesentlich erachtet werden, den Gemeinden zuweisen. Somit kann eine gemeinsame Grundüberzeugung der überwiegenden Mehrheit aller Mitgliedstaaten dahingehend festgestellt werden, daß die Gemeinden über eine Zuständigkeit für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft verfügen. Damit ist als erste Komponente eines vorliegend herzuleitenden zwingenden Erfordernisses der kommunalen Selbstverwaltung die eingeschränkte Allzuständigkeit anzusehen. Eine mitgliedstaatliche Rechtsordnung, die nur gesetzlich zugewiesene, aber regelmäßig weitreichende Kompetenzkataloge kennt, steht nicht in Widerspruch zu einem zwingenden Erfordernis diesen Inhalts, da ein solches lediglich die Erweiterung der mitgliedstaatlichen Schutzmöglichkeiten bewirkt. cc) Eigenständigkeit und Aufsichtsbefugnisse In allen Mitgliedstaaten ist, überwiegend sogar verfassungsrechtlich, normiert, daß die örtlichen Selbstverwaltungskörperschaften ihre Angelegenheiten selbständig beziehungsweise eigenverantwortlich regeln.295 Die Gewährleistung einer solchen Gestaltungsautonomie zugunsten der Gemeinden impliziert, daß die staatliche Kontrolle nur eingeschränkt ausgeübt wird. Bevor ein Vergleich bezüglich der Aufsichtsbefugnisse angestellt wird, ist kurz an295 Vgl. stellvertretend Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG für die Bundesrepublik Deutschland; Art. 118 Abs. 4 Bundesverfassungsgesetz der Republik Österreich; Art. 165 Abs. 2 Verfassung der Polnischen Republik; § 154 Abs. 1 S. 1 Verfassung der Republik Estland; Art. 102 Abs. 2 Verfassung der Griechischen Republik; Art. 120 Verfassung der Republik Litauen; Art. 101 Abs. 1 Verfassungsgesetz des Tschechischen Nationalrates; Art. 42 der Verfassung der Republik Ungarn; Art. 140 S. 1 Verfassung der Republik Slowenien.

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zumerken, daß in der überwiegenden Anzahl der Staaten296 die Gemeinden auch sogenannte Auftragsangelegenheiten wahrnehmen, die nach dem Rechtsverständnis dieser Staaten nicht zu den Aufgaben des eigenen Wirkungskreises zählen. Für diese Bereiche gilt keine Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden, vielmehr unterliegen diese Maßnahmen in der Regel der Fachaufsicht der Zentralgewalt. Da es hier jedoch um den eigenen Wirkungskreis geht, soll dieser Punkt im folgenden nicht weiter vertieft werden. In allen Mitgliedstaaten gibt es zunächst die Rechtsaufsicht.297 In Spanien298 sind ausschließlich die Gerichte dazu befugt, die Rechtsakte der Gebietskörperschaften auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu überprüfen und bei Rechtswidrigkeit aufzuheben. Dies gilt auch für Frankreich. Dort sind im Bereich der gemeindlichen Aufgaben die Aufsichtsbefugnisse durch das Dezentralisierungsgesetz von 1982299 deutlich beschränkt worden. Die bis dahin bestehende a priori-Kontrolle wurde durch eine nachträgliche, bloße Rechtmäßigkeitskontrolle ersetzt. Beispielsweise in Deutschland, Polen sowie in Italien besteht die Möglichkeit, die Maßnahme bereits vor dem Erlaß überprüfen zu lassen, in Frankreich können hingegen nur in Kraft getretene Maßnahmen kontrolliert werden.300 In Großbritannien regeln die jeweiligen aufgabenzuweisenden Gesetze selbst die dazugehörige Aufsicht.301 In der Praxis machen die Ministerien von ihren Befugnissen jedoch kaum Gebrauch, wodurch ein großer Spielraum auf kommunaler Ebene entsteht.302 Im Einzelfall findet eine Überprüfung durch die Gerichte statt.303 Auch in Irland ist die Aufsicht einzelgesetzlich geregelt. Meist obliegt sie dem Minister of the Environment.304 In Schweden üben die Bezirksregierungen eine Art von kombinierter Fach- und Rechtsaufsicht aus. Österreich kennt ebenfalls keine Trennung nach Rechts- und Fachaufsicht, wobei die Aufsicht an sich den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung obliegt.305 Eine 296

So beispielsweise in Frankreich, Deutschland, Spanien, Dänemark, Luxemburg, den Niederlanden, Polen, Lettland, Estland, Litauen, Slowenien, Slowakei. 297 Vgl. als Beispiel Art. 243 Verfassung der Portugiesischen Republik, Art. 130 Verfassung der Italienischen Republik, Art. 102 Abs. 5 Verfassung der Griechischen Republik. Dänemark kennt lediglich die begrenzte allgemeine Staatsaufsicht, vgl. § 82 Grundgesetz des Reiches Dänemark. 298 Dazu siehe A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 202. 299 Gesetz Nr. 82-213 vom 2.3.1982. 300 G. Marcou, in: Ardant/Duhamel/Guillaume (Hrsg.), La commune en France et en Europe, 2000, S. 69 (75). 301 Vgl. beispielsweise für Großbritannien Art. 3 Abs. 1 Local Government Bill 2000. 302 A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 196. 303 R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 60. 304 A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 196.

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generelle Fachaufsicht gibt es lediglich in Belgien. In Griechenland306, Luxemburg307 und Finnland wird eine solche Aufsicht gelegentlich ausgeübt. In Italien besteht in gesetzlich bestimmten Fällen auch die Fachaufsicht, jedoch nur in der Form einer begründeten Aufforderung an die beschließenden Körperschaften, ihren Beschluß erneut zu überprüfen.308 Eine Aufhebung der Rechtsakte durch die übergeordnete Behörde wegen Rechtswidrigkeit ist in Verbindung mit milden Sanktionen in Dänemark, Deutschland, in den Niederlanden, in Portugal, in Italien und unter der Voraussetzung, daß der Akt von einem einzelnen angefochten wird, auch in Irland möglich. Vorherige Zustimmungen oder nachträgliche Genehmigungsvorbehalte der übergeordneten Behörde zu Rechtsakten einer Gebietskörperschaft sind in den meisten Staaten nur in ganz bestimmten Fällen erforderlich.309 Dagegen bestehen in Österreich umfangreiche Vorlagepflichten und Genehmigungsvorbehalte.310 Die einschneidendsten Aufsichtsformen, die Ersatzvornahme und die Auflösung der Vertretungskörperschaft, hat dagegen in den Staaten,311 wo sie existiert, lediglich einen Ausnahmecharakter.312 Nachfolgend soll die Kommunalaufsicht in den neu beigetretenen Mitgliedstaaten genauer betrachtet werden. In Estland wird der Verfassung zufolge die Aufsicht über die Tätigkeit der örtlichen Selbstverwaltung durch ein Gesetz näher geregelt.313 Als Organe der Kommunalaufsicht fungieren gemäß § 66 des Gesetzes über die Organisation der lokalen Selbstverwaltung der Landkreisälteste und der Justizminister, wobei letzterer die rechtsschöpfenden Akte der Selbstverwaltungsorgane der Gemeinde auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft. Die starke Stellung der Regierung kommt allerdings darin zum Ausdruck, daß bei der Auflösung der Selbstverwaltungs305

Vgl. Art. 119 a Abs. 1–3 Bundesverfassungsgesetz für die Republik Öster-

reich. 306 Vgl. Art. 105 Abs. 5 Verfassung der Griechischen Republik. Bemerkenswert ist hier, daß der für die Aufsicht einschlägige Art. 8 Abs. 2 EKC bei der Ratifikation der Charta ausgenommen wurde. 307 Vgl. Art. 103 ff. Gemeindegesetz. 308 Art. 130 Abs. 2 Verfassung der Italienischen Verfassung, vgl. auch F. Kroll, Italienisches Kommunalrecht, 1985, S. 58. 309 So in Frankreich, Belgien und Spanien sowie gemäß Art. 107 Abs. 6 der Verfassung des Großherzogtums Luxemburg auch in Luxemburg. 310 Siehe dazu R. Rack, in: Hoppe/Leidinger/Erichsen (Hrsg.), Kommunalverfassungen in Europa, 1989, S. 51 (55). 311 Siehe Frankreich, Deutschland, Belgien, Italien, Spanien, Niederlande, Österreich, Italien, Großbritannien. 312 A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Ingerenz des Gemeinschaftsrechts, 1996, S. 64. 313 § 160 Verfassung der Republik Estland.

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einheit der betroffenen Gemeinde nur Anhörungsrechte zustehen.314 Die Kommunalaufsicht in Lettland wird von kommunalen und staatlichen Gremien und Institutionen wahrgenommen. Der Rat der Kommune wählt eine bürgerschaftlich zusammengesetzte Prüfungskommission, die die laufenden Geschäfte der Kommune kontrolliert. Daneben prüft eine staatliche Verwaltungsstelle die rechtliche Integrität kommunalen Handelns und sorgt gegebenenfalls für die juristische Klärung der Rechtsgültigkeit kommunaler Entscheidungen. Die am weitestgehenden Eingriffsrechte stehen jedoch dem Parlament zu, das den Gemeinderat, dessen Vorsitzenden und die Prüfungskommission bei wiederholten Rechtsverstößen auflösen beziehungsweise absetzen kann.315 In Litauen werden die Aktivitäten und Tätigkeiten der Kommunen von kommunalen und staatlichen Organen beaufsichtigt.316 Der staatlichen Verwaltung unterstehen Ombudsmänner als Anlaufstellen für Beschwerden der Bürger und staatliche Regierungsvertreter auf Bezirksebene, die die Rechtmäßigkeit des kommunalen Handelns überprüfen und Entscheidungen kommunaler Organe anfechten können.317 Gravierende Eingriffsrechte kommen dem Parlament selbst zu, welches das lokale Organ bei schwerwiegenden Rechtsverstößen entbinden und die direkte Regierungsgewalt auf dem Gebiet der betreffenden Kommune übernehmen kann.318 In Polen hat die Aufsicht über die Tätigkeit der Gemeinden allein schon deshalb große Bedeutung, weil den Gemeinden ein besonders bedeutender Anteil an übertragenen Aufgaben zugewiesen wurde. Dort findet gemäß Art. 95 in Verbindung mit Art. 85 Abs. 2 SvG die Fachaufsicht Anwendung.319 Im Bereich der Selbstverwaltungsaufgaben wird die Aufsicht gemäß der Verfassung nur dahingehend ausgeübt, ob die gemeindlichen Entscheidungen gegen höherrangige Rechtsnormen verstoßen. Aufsichtsbehörden sind der Vorsitzende des Ministerrates und die Woiwodschaften.320 Eine Reihe von gemeindlichen Entscheidungen ist in ihrer Wirksamkeit abhängig von Bestätigungen, Zustimmungen und Beurteilungen staatlicher Organe. Als repressives Aufsichtsmittel ist die Feststellung der Unwirksamkeit in Art. 91 f. SvG vorgesehen. Als extremste Handhabe zur Wiederherstellung einer rechtmäßigen Gemeindeverwaltung kann der Gemeinderat aufge314

§ 15 Abs. 1 Gesetz über die Organisation der lokalen Selbstverwaltung. Art. 91 ff. Gesetz über die kommunale Selbstverwaltung (1994). 316 Vgl. Art. 123 Abs. 2 ff. Verfassung der Republik Litauen. 317 Art. 15 Law on Local Self-government (1994); vgl. auch Law on Administrative Supervision of Local Authorities (1998). 318 Vgl. Art. 123 Abs. 2 Verfassung der Republik Litauen; sowie M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 53. 319 Vgl. die ähnliche Situation in den Niederlanden. 320 Art. 171 Verfassung der Polnischen Republik, Art. 85 Nr. 1, Art. 86 SvG. 315

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löst oder es können kommissarische Vertretungen eingesetzt werden.321 In ihrer Gesamtheit belegen diese Regelungen auch hier die vergleichsweise starke Stellung der Regierung im Hinblick auf die Kommunalaufsicht. Auch in Zypern gibt es eine strenge staatliche Kontrolle. So unterliegen viele Aufgabenbereiche der Zustimmung des Ministerrats. In Ungarn hingegen sind die Eingriffsmöglichkeiten der Kommunalaufsicht begrenzt und beschränken sich auf die rechtliche Überprüfung kommunaler Aktivitäten.322 Direkte Eingriffe sind nur möglich, wenn Verstöße gegen die Verfassung festgestellt werden.323 Das bedeutet aber nicht, daß die Kommunen tatsächlich am unabhängigsten handeln können. Der ungarische Ansatz der Dezentralisierung mit einem monistischen Aufgabenmodell hat zur Folge, daß auch auf der lokalen Ebene staatliche Verwaltungsinstitutionen anzutreffen sind, die durch ihre Aktivitäten kommunale Handlungsspielräume begrenzen.324 Zudem verfügt das Parlament über das Recht, durch Gesetz die ausschließlichen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereiche, die Rechtsstellung, die materiellen Mittel und die grundlegenden Regeln über die Wirtschaftsführung zu bestimmen.325 Art. 71 der Verfassung der Slowakischen Republik bestimmt, daß im Hinblick auf durch Gesetz übertragene Auftragsverwaltung des Staates eine Fachaufsicht seitens der Regierung besteht. Da Vorschriften bezüglich der Aufsicht über den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden in der Verfassung fehlen, ist insoweit in einem Umkehrschluß lediglich von der milderen Form der Rechtsaufsicht auszugehen. Demgegenüber normiert die Verfassung der Republik Slowenien ausdrücklich in Art. 144 die Rechtsaufsicht der Staatsorgane über die Tätigkeit der lokalen Gebietskörperschaft. In Tschechien sind die Gemeinden nach § 62 der Gemeindeordnung ebenfalls nur an den Rahmen der gesetzlichen Regelungen gebunden. Die Kreisbehörde verfügt über die Möglichkeit, den Vollzug der ihrer Ansicht nach rechtswidrigen Maßnahme auszusetzen und diese, sofern keine Abhilfe geschaffen wird, dem Tschechischen Nationalrat zur Überprüfung vorzulegen. In Malta obliegt die Aufsicht dem Ministerium, das beispielsweise Widerspruch gegen den Erlaß von Satzungen erheben kann.326

321

Vgl. Art. 171 Nr. 3 Verfassung der Polnischen Republik. § 44/A Abs. 1 a Verfassung der Republik Ungarn, § 95 a Gesetz Nr. LXV/ 1990 über die örtlichen Selbstverwaltungen. 323 § 19 Abs. 3 lit. i Verfassung der Republik Ungarn, § 93 Abs. 2 Gesetz Nr. LXV/1990 über die örtlichen Selbstverwaltungen. 324 M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 60. 325 § 93 Abs. 1 Gesetz Nr. LXV/1990 über die örtlichen Selbstverwaltungen. 326 Vgl. Art. 35 Abs. 7 Local Government Act Malta. 322

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Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten über die Aufsichtsbefugnisse sehr vielseitig sind. Überwiegend beschränkt sich die von der Zentralgewalt ausgeübte Kontrolle auf die Rechtmäßigkeit des Handelns. Dänemark, Schweden und Österreich üben weitergehend eine Art von kombinierter Fach- und Rechtsaufsicht aus. Eine generelle Fachaufsicht, die am stärksten den gemeindlichen Handlungsspielraum einschränkt, gibt es dagegen nur in Belgien. Andere Mitgliedstaaten327 greifen auf die Fachaufsicht nur in Ausnahmefällen zurück, so daß dieser Umstand vorliegend zu vernachlässigen ist. Die Intensität der Rechtsaufsicht variiert jedoch. Dies hängt davon ab, ob die Kontrolle vor oder nach Erlaß der Maßnahme beziehungsweise ob sie durch die Verwaltung oder die Gerichte wahrgenommen wird. Im Hinblick auf die neu beigetretenen Länder verfügt der Zentralstaat insbesondere in Estland, Lettland, Litauen und Polen über sehr weitgehende Eingriffsrechte. Dies liegt daran, daß hier Zustimmungsvorbehalte, Ersatzvornahmen und Auflösungsrechte regelmäßig an geringere Voraussetzungen geknüpft sind als beispielsweise in den alten Mitgliedstaaten, wo diese Instrumente nur in Ausnahmefällen zur Anwendung gelangen. In allen Mitgliedstaaten kommt den Gemeinden die selbständige Regelung ihres eigenen Wirkungskreises als überwiegend verfassungsrechtlich garantiertes Recht zu. Diesem Prinzip entsprechend haben die einzelnen Staaten nur eine eingeschränkte Aufsicht über die Tätigkeit der örtlichen Selbstverwaltungseinheiten normiert. Damit kann als zweite Komponente eines zwingenden Erfordernisses der kommunalen Selbstverwaltung die Eigenständigkeit der Regelung der Angelegenheiten von lokaler Bedeutung festgehalten werden. dd) Finanzielle Autonomie Die sogenannte Finanzhoheit, die auch als Korrelat zur Eigenverantwortlichkeit bezeichnet werden kann, umfaßt auf der Einnahmeseite die freie Entscheidung über Art und Umfang der Finanzierungsmittel (Einnahme-, insbesondere Abgabehoheit), auf der Ausgabenseite die Rechtsmacht, über die eingenommenen Gelder nach eigenen Vorstellungen zu disponieren (Ausgabehoheit) sowie generell die Zuständigkeit für die betreffende Hauswirtschaft.328 Die zuletzt genannte Komponente, auch Finanzverwaltungshoheit genannt, kommt den örtlichen Selbstverwaltungseinheiten aller Mitgliedstaaten zu, da ihnen die eigenständige Aufstellung eines Haushaltsplans329 und das Recht der selbständigen budgetmäßigen Bewirtschaftung 327

Griechenland, Luxemburg, Finnland und eingeschränkt Italien. BVerfGE 71, 25 (36 f.), B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, S. 108. 328

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von eigenen Finanzmitteln überwiegend nicht nur einfachgesetzlich, sondern auch verfassungsrechtlich garantiert ist.330 Damit die Frage nach der Finanzhoheit als überwiegend anerkannte Gemeinsamkeit der in den Mitgliedstaaten praktizierten kommunalen Selbstverwaltung bejaht werden kann, müssen den Gebietskörperschaften erstens ausreichend Möglichkeiten des eigenständigen Zugriffs auf Finanzierungsmittel geboten werden und zweitens auch die Freiheit, über diese Einkünfte zumindest teilweise uneingeschränkt verfügen zu dürfen. Zu den grundlegenden Einnahmetypen zählen in allen europäischen Staaten die Abgaben, die nach Maßgabe des öffentlichen Rechts kraft autoritativer Anordnung von den pflichtigen Rechtspersonen erhoben werden. Überwiegend werden diesbezüglich die klassischen Ausprägungen der Steuern inklusive Steueranteile und die nichtsteuerlichen Einkünfte wie Gebühren, Beiträge, Geldstrafen etc. unterschieden. Daneben zählen zu den Einnahmequellen verschiedene Formen von staatlichen Zuschüssen und die Möglichkeit der Kreditaufnahme.331 Ein wichtiger Teil der Einnahmehoheit stellt auch die Befugnis dar, jedenfalls im Hinblick auf bestimmte Steuern im gesetzlichen Rahmen einen Hebesatz zu determinieren. Dadurch verfügen die Kommunen über die Rechtsmacht, eine generelle prozentuale Rate für die Besteuerung nach eigenem Ermessen festzulegen. In allen Mitgliedstaaten ist – überwiegend einfachgesetzlich – normiert, daß die Selbstverwaltungseinheiten die Art und die Höhe der örtlichen Gebühren im Rahmen der Gesetze festlegen dürfen.332 Ein originäres gemeindliches Besteuerungsrecht, wobei hier unter diesen Begriff sowohl das Steuerfindungsrecht als auch die Zuteilung einzelner konkreter Steuern durch den Staat gefaßt werden, wird ebenfalls in den meisten Mitgliedstaaten, teilweise verfassungsrechtlich, garan329 In einigen Mitgliedstaaten, siehe nur Deutschland und Österreich, unterliegen die kommunalen Haushalte einer Genehmigungspflicht, vgl. R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 59. 330 Vgl. als Beispiel Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 238 Abs. 4 Verfassung der Portugiesischen Republik, Art. 102 Abs. 2 Verfassung der Griechischen Republik, Art. 119 Abs. 1 Verfassung der Italienischen Republik, Art. 65 Abs. 1 Verfassung der Slowakischen Republik, Art. 157 S. 1 Verfassung der Republik Estland, Art. 121 Verfassung der Republik Litauen, Art. 148 Verfassung der Republik Slowenien, Art. 44 a Abs. 1 b Verfassung der Republik Ungarn, Art. 101 Abs. 3 Verfassungsgesetz des Tschechischen Nationalrates, § 19 Gesetz des Tschechischen Nationalrates über die Gemeinden (1990). 331 Auf die Möglichkeit der Privatisierung kann hier aus Raumgründen nicht näher eingegangen werden. 332 Vgl. beispielhaft § 14 Gesetz Nr. 184/1991 des Tschechischen Nationalrates; Chapter 363 Local Government Act Malta, siehe aber auch Art. 121 Verfassung der Republik Litauen, § 44 A Abs. 1 d Verfassung der Republik Ungarn, Art. 168 Verfassung der Polnischen Republik, Art. 147 S. 2 Verfassung der Republik Slowenien.

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tiert.333 Die einzige Ausnahme unter den alten EG-Mitgliedstaaten ist Österreich. Hier besitzen die Kommunen kein originäres Steuerfindungsrecht,334 sondern sind aufgrund des ausgeprägten Verbundsystems im wesentlichen auf aufgeteilte Steuereinnahmen angewiesen. Im Hinblick auf die neuen Mitgliedstaaten der EU ist festzustellen, daß in Litauen, Tschechien, Lettland und Malta die kommunale Finanzgrundlage weitgehend vom Zentralstaat vorgegeben wird. Die Gemeinden verfügen über kein originäres Besteuerungsrecht.335 In den übrigen Beitrittsländern sind die kommunalen Finanzsysteme autonomiefreundlicher geregelt. So gewährleistet beispielsweise § 154 der Verfassung der Republik Estland den territorialen Selbstverwaltungseinheiten das Recht, Steuern auf der Grundlage der Gesetze einzuführen und zu erheben.336 Einfachgesetzlich ist in Zypern337 ein originäres Besteuerungsrecht bezüglich konkreter Steuern festgeschrieben. Das ungarische kommunale Finanzsystem ist teilweise in der Verfassung verankert und einfachgesetzlich ausführlich geregelt.338 § 82 Abs. 1 a des Gesetzes Nr. LXV billigt den kommunalen Selbstverwaltungen zu, die in der gesetzlich bestimmten Weise festgelegten und bemessenen örtlichen Steuern zu erheben. Den slowakischen Gemeinden stehen nach Art. 59 in Verbindung mit Art. 65 Abs. 2 S. 2 der Verfassung immerhin eigene Steuern und Abgaben zu, deren Art, Erhebung und Bemessung jedoch gesetzlich geregelt werden. Auch in Slowenien dürfen die lokalen Gemeinschaften nach Art. 147 S. 2 der Verfassung der Republik Slowenien unter den durch die Gesetze festgelegten Voraussetzungen Steuern erheben. Zusammenfassend bietet sich im Hinblick auf die kommunale Einnahmehoheit in der EU ein disparates Bild. Gleichwohl lassen sich einige allge333

Verfassungsrechtlich garantiert wird ein eigenes Steuererhebungsrecht, wobei mitunter der Steuererhebungsspielraum gesetzlich festgelegt wird, vgl. Art. 28 Abs. 2 S. 3, 104 a, 106 Abs. 5–9 GG für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 110 § 4 Verfassung des Königreichs Belgien, Art. 142 Abs. 5 Verfassung der Königreichs Spaniens, Art. 102 Abs. 6 Verfassung der Griechischen Republik, Kap. 1 § 7 Abs. 2 Verfassung des Königreichs Schweden, Art. 107 Abs. 3 S. 3 Verfassung des Großherzogtums Luxemburg, Art. 238 Abs. IV Verfassung der Portugiesichen Republik, Art. 132 VI Verfassung des Königreichs der Niederlande. 334 So auch T. Marauhn, in: Hoffmann/Kromberg/Roth (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996, S. 71 (84). 335 Vgl. Art. 121, 127 Verfassung der Republik Litauen; Chapter 363 Local Government Act Malta. 336 Einfachgesetzlich konkretisiert in §§ 5, 36 Gesetz über die Organisation der lokalen Selbstverwaltung (1993). 337 Vgl. G. Treffer, Der Städtetag 1995, 554 (557). 338 Vgl. § 44 A Abs. 1 b, d Verfassung der Republik Ungarn, §§ 77 ff. Gesetz Nr. LXV/1990.

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meine, für die vorliegende Arbeit wesentliche Übereinstimmungen erkennen. Im Hinblick auf die Erhebung von Gebühren ist festzustellen, daß die örtlichen Selbstverwaltungseinheiten in allen Mitgliedstaaten deren Art und Höhe in der Regel im Rahmen der Gesetze selbst bestimmen dürfen. Faßt man das originäre Besteuerungsrecht großzügig als das Recht auf, Steuern oder Zuschläge zu staatlichen Steuern beziehungsweise Hebesätze im Rahmen gesetzlicher Spielräume festzulegen, so wird dieses ebenfalls in fast allen EU-Staaten den Gemeinden eingeräumt.339 Lediglich die lokalen Gebietskörperschaften in Österreich, Litauen, Tschechien, Lettland und Malta besitzen nicht die für die Einnahmekategorie der Eigenmittel charakteristische finanzökonomische Selbständigkeit, da hier die Steuerhoheit grundsätzlich beim Staat liegt. In Zahlen ausgedrückt kann als Ergebnis festgehalten werden, daß 80 Prozent der Mitgliedstaaten ihren Kommunen die Einnahmehoheit sowohl hinsichtlich der Gebühren als auch hinsichtlich der Steuern gewähren. Für die fünf Länder, für die dies nicht gilt, ist diese Erkenntnis nicht gleichbedeutend mit dem generellen Fehlen finanzieller Autonomie, da auch diesen zumindest die Gebührenerhebung zugestanden wird. Zudem können Restriktionen bei der Einnahmehoheit durch anderweitige günstige Regelungen bezüglich der Ausgabehoheit wieder ausgeglichen werden, so daß ein endgültiges Ergebnis erst nach der Gesamtbetrachtung der Finanzgrundlagen festgestellt werden kann. Für die Ausgabehoheit ist die freie Disponibilität von Eigenmitteln entscheidend. Besteht die kommunale Einnahmequelle zu einem hohen Anteil aus jährlich festgesetzten staatlichen Zuweisungen ergibt sich zum einen das Problem, daß die Höhe von der Situation des Staatshaushaltes abhängt und der gewährte Umfang nicht unbedingt den finanziellen Bedürfnissen der Kommunen bei der Finanzierung der Pflichtaufgaben entspricht. Zum anderen werden diese Zuweisungen oft zweckgebunden gewährt, so daß die kommunalen Handlungsräume durch die Abhängigkeit vom staatlichen Budget eingeengt werden. In Schweden ist die Erhebung lokaler Steuern, insbesondere der Einkommensteuer, ein wesentlicher Garant der kommunalen Selbstverwaltung, die im Ergebnis rund 40 Prozent der kommunalen Einnahmen ausmachen.340 Insgesamt verfügen die schwedischen Selbstverwaltungseinheiten über eine hohe finanzielle Autonomie. Aus der freien Festlegung der kommunalen Einkommensteuer und durch die Erhebung von Gebühren beziehen die dänischen Gemeinden rund 90 Prozent ihrer Einnahmen.341 Dafür überwiegen bei den staatlichen Zuschüssen bei weitem die zweckgebunde339 Vgl. auch T. Marauhn, in: Hoffmann/Kromberg/Roth (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996, S. 71 (85). 340 Vgl. A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 341 Vgl. A. Galette, in: v. Mutius (Hrsg.), FG v. Unruh, 1983, S. 1077 (1089).

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nen Einnahmen.342 Die unteren Selbstverwaltungseinheiten nehmen eine dominante Stellung im öffentlichen Sektor Dänemarks ein343 und genießen auch europaweit gesehen eine ausgesprochen hohe finanzielle Autonomie – vergleichbar nur noch mit Schweden. In Finnland machen den größten Teil der kommunalen Einnahmen die Erhebung eigener Steuern aus. Staatliche Zuwendungen, gekoppelt an die Anzahl der Bewohner und deren Altersstruktur, tragen ca. 30 Prozent zu ihren Einkünften bei.344 Die luxemburgischen Gemeinden bestreiten ihren Kommunalhaushalt zu ca. 50 Prozent aus Steuern und lediglich zu ca. 30 Prozent aus Zuwendungen des Zentralstaates.345 In Spanien, wo die Rechtsposition der Kommunen verhältnismäßig stark ist, sind die kommunalen Einnahmequellen ebenfalls autonomiefreundlich geregelt. Den Gemeinden stehen kraft der Verfassung mehrere kommunale Steuern mit dem Recht zur Festlegung der Steuersätze zur Verfügung.346 Zuwendungen des Zentralstaates außerhalb der Beteiligung am Steuersystem sind allerdings meist zweckgebunden.347 Die Stärkung der kommunalen Ebene in Italien erfolgte durch die Veränderung der Finanzierung des Gemeindehaushaltes. Durch die Einführung einer kommunalen Gewerbe- und Grundsteuer stieg beispielsweise der Anteil der Gemeindesteuern von 22 auf 44 Prozent.348 Zudem stehen die staatlichen Zuwendungen in der Regel zur freien Verfügung.349 Die österreichischen Kommunen bestreiten ihren Kommunalhaushalt zu 50 Prozent aus Steuern.350 Die Einnahmequelle der französischen Gemeinden besteht knapp zur Hälfte aus kommunalen Steuern. Staatliche Finanzzuweisungen bilden etwa ein Drittel, wobei die zweckgebundenen Mittel den geringeren Teil darstellen.351 In Portugal 342

Vgl. P. Blair, DÖV 1988, 1002 (1008). R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 55. 344 Ausschuß der Regionen, Regional and Local Government in the European Union, 1996, S. 80 f. 345 R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 56; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 198. 346 Art. 142 Abs. 5 Verfassung des Königreichs Spanien. 347 Dennoch sorgt die Übertragung von Aufgaben der Daseinsvorsorge vom Zentralstaat auf die kommunale Ebene ohne gleichzeitige Bereitstellung angemessener Einnahmequellen für eine angespannte Haushaltslage vieler Kommunen, vgl. S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 45 f. 348 R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 56. 349 A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 198. 350 T. Marauhn, in: Hoffmann/Kromberg/Roth (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996, S. 71 (84). 351 Vgl. auch Art. 34 Abs. 4 Verfassung der Französischen Republik sowie A. Martini, Gemeinden in Europa 1992, S. 190. 343

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machen die Steuern den geringeren Anteil bei den kommunalen Finanzen aus. Dafür werden allerdings staatliche Zuweisungen weitgehend ungebunden vergeben.352 Die Einkünfte der niederländischen Gemeinden bestehen zwar nur zu einem geringen Teil aus eigenverantwortlich festgesetzten Steuern und zu ca. 75 Prozent353 aus staatlichen Zuweisungen, die etwa je zur Hälfte allgemeinen und zweckgebundenen Charakter haben.354 Die hohen allgemeinen Finanzzuweisungen ermöglichen den niederländischen Gemeinden aber auch mit den geringen lokalen Einnahmequellen politische Schwerpunkte zu setzen. Mit einem Anteil von 12 Prozent am Bruttosozialprodukt und 20 Prozent aller öffentlichen Ausgaben nehmen die Kommunen eine relativ starke Stellung in den Niederlanden ein.355 In Deutschland steht die vergleichsweise hohe formalrechtliche Autonomie der Kommunen in keinem Verhältnis zu ihrer finanziellen Ausstattung. So machen die Steuern hier nur ca. 35 Prozent der Einkünfte aus.356 Den griechischen Gemeinden wird zwar das Recht zugebilligt, bei bestimmten Steuern den ihnen zufließenden Hebesatz selbst festzulegen, dennoch werden hieraus weniger als 20 Prozent des Gemeindehaushalts gedeckt.357 Art. 102 Abs. 6 der Griechischen Verfassung sieht es vielmehr als staatliche Aufgabe an, die finanziellen Mittel für die griechischen Kommunen sicherund bereitzustellen. Belgische Kommunen bestreiten über 85 Prozent ihres Haushaltes mit Transferzahlungen übergeordneter Ebenen.358 Das britische System ist dadurch gekennzeichnet, daß den Kommunen für eigene politische Zielvorstellungen kaum nennenswerte eigene finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Steuereinnahmen beschränken sich auf ein Viertel der Gesamteinnahmen, wobei die Hälfte aus anteiligen Steuern besteht, staatliche Zuweisungen machen dagegen rund 60 Prozent ihrer Einkünfte aus.359 Dennoch sind Lockerungen sowohl in der Finanzkontrolle als auch 352 R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 57. 353 Vgl. R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 56. 354 A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S 199. 355 Ausschuß der Regionen, Regional and Local Government in the European Union, 1996, S. 166; R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 57. 356 B. Schaffarzik, Hb der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 2002, S. 538. 357 A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 192. 358 Ausschuß der Regionen, Regional and Local Government in the European Union, 1996, S. 55; vgl. auch A. Cathaly-Stelkens, Kommunale Selbstverwaltung und Europäische Ingerenz, 1996, S. 70. 359 Vgl. Ausschuß der Regionen, Regional and Local Government in the European Union, 1996, S. 223; R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung

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hinsichtlich der Möglichkeiten, Kredite aufzunehmen, erkennbar.360 Die irische Lokalverwaltung ist in finanzieller Hinsicht mit der Einführung des neuen Gemeindefinanzierungsgesetzes am 1.1.1997, das ihnen auch die Erhebung eigener Steuern zubilligt, unabhängiger vom Zentralstaat geworden.361 Der Anteil der staatlichen Zuweisungen überwiegt jedoch noch immer362. Im ungarischen kommunalen Finanzsystem ist der niedrige Anteil steuerlicher Einkünfte (28,1 bis 33,1 Prozent) gegenüber dem hohen Anteil überwiegend zweckgebundener staatlicher Zuweisungen (49,9 bis 53,7 Prozent) auffällig.363 Rund 20 Prozent machen die übrigen Einkünfte aus. Zwar geht der Trend hin zu mehr Steuern und weniger Zuschüssen. Dennoch wird deutlich, daß die relativ hohe Selbständigkeit der Kommunen, wie sie in den rechtlichen Regelungen zur kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt, durch die Finanzverfassung nicht unterstützt wird. Die Einkünfte der estländischen Kommunen setzen sich zu zwei Dritteln aus Steuern und Steueranteilen zusammen, staatliche Zuweisungen machen dagegen nur 22 bis 23 Prozent aus.364 Obwohl die Finanzierung kommunaler Aufgaben somit nur zu einem vergleichsweise geringen Teil von staatlichen Zuweisungen abhängt, wird über die Begrenzung der kommunalen Kreditaufnahme dennoch eine starke Kontrolle der kommunalen Finanzen im Interesse einer niedrigen Staatsverschuldung ausgeübt. Mit Ausnahme kurzfristiger Kredite für den laufenden Betrieb dürfen Verpflichtungen nur eingegangen werden, um im kommunalen Entwicklungsplan vorgesehene Investitionen zu tätigen. Ein Teil der staatlichen Zuweisungen wird als nicht zweckgebundener Zuschuß aus einem Unterstützungsfonds vergeben. Über den Umfang und die Verteilung dieser Mittel wird jährlich in Verhandlungen neu entschieden, wobei dieses System zugleich als Instrument des Finanzausgleichs zugunsten finanziell schlechter gestellter oder mit besonders hohen Ausgaben belasteter Kommunen dient. Die Einkünfte der Gemeinden in Lettland bestehen zu knapp 55 Prozent aus Steuern und Steueranteilen, zu rund 20 Prozent aus nicht steuerlichen Einkünften und zu der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 58; A. Martini, Gemeinden in Europa, 1992, S. 193; vgl. auch Local Government Finance Act 1992. 360 Vgl. den Local Government Act 2003. 361 R. Saller, Möglichkeiten und Grenzen der Beteiligung der Kommunen und Regionen an den Entscheidungen der EU, 1999, S. 50. 362 Vgl. T. Marauhn, in: Hoffmann/Krobmerg/Roth (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1996, S. 71 (86). 363 Vgl. die Tabelle 13 bei M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 35. 364 Vgl. auch die Tabelle 16 bei M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 41.

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knapp 25 Prozent aus staatlichen Zuweisungen.365 Der Zugang der Kommunen zu Krediten unterliegt erheblichen Restriktionen, denn in den jährlichen Budgetverhandlungen zwischen dem Finanzminister und dem Verband der lokalen und regionalen Selbstverwaltung (LPS) wird neben dem Umfang der staatlichen Zuweisungen auch der kommunale Kreditrahmen festgelegt. Da die Kommunen aber ohnehin kaum über „freie“ Einkünfte verfügen, die als operative Reserven zur Kreditfinanzierung verwendet werden könnten, sind die zur Verfügung stehenden Mittel für Investitionen sehr gering. Verschärft wird diese Situation durch häufige Veränderungen der komplexen und widersprüchlichen Regelungen zu den kommunalen Finanzen, jährlich erneut durchzuführende Verfahren zur Beantragung von Investitionszuschüssen sowie eine nicht vorhandene mittelfristige Finanzplanung, die den Umfang staatlicher Zuweisungen kalkulierbar machen würde.366 Die Struktur der kommunalen Einkünfte in Litauen unterscheidet sich erheblich von der Struktur in den anderen untersuchten Ländern. So machten beispielsweise im Jahre 1999 die Steuereinnahmen mehr als 90 Prozent der kommunalen Einkünfte aus, eine Folge der Zuordnung der dynamisch wachsenden Einnahmen aus der Einkommensteuer zur kommunalen Ebene. Umgekehrt betrugen die staatlichen Zuweisungen nur noch einen Bruchteil zuvor erreichter Werte, was auch durch die Zunahme der Steuereinnahmen nicht ausgeglichen werden konnte und folglich zu einem deutlichen Rückgang der kommunalen Einkünfte führte.367 Diese Entwicklung ist insbesondere auf den Mechanismus des kommunalen Finanzausgleichs zurückzuführen, der an die kommunalen Einkünfte und Ausgaben gebunden ist und über die interkommunale Umverteilungsfunktion hinaus der Kalkulation nicht zweckgebundener Zuweisungen aus dem staatlichen Haushalt dient. Als Basis werden finanzielle Indikatoren herangezogen, die jährlich in Verhandlungen zwischen dem Kommunalverband LSA und dem Finanzministerium für einen Zeitraum von drei Jahren festgelegt werden. Zwar erhalten die Kommunen durch diese mittelfristige Finanzplanung eine gewisse Sicherheit über die Höhe der kommenden staatlichen Zuweisungen, andererseits wird die finanzielle Unabhängigkeit der kommunalen Haushalte durch ein starres Ausgleichssystem stark eingeschränkt.368 Im übrigen besitzen die örtlichen Selbstverwaltungseinheiten freien Zugang zu den Kapitalmärkten, so daß 365 Vgl. die Tabelle 19 bei M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 48. 366 The Urban Institute, Legal Framework for Local Government Finance in Latvia, 2000, S. 12, 28. 367 Vgl. die Tabelle 22 bei M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 57. 368 Siehe M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 56.

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die Aufnahme langfristiger Kredite zur Finanzierung von Investitionen diesbezüglich keinen Restriktionen unterliegt.369 Allerdings darf das kommunale Kreditaufnahmevolumen höchstens 15 Prozent der Einnahmen des laufenden Haushaltsjahres betragen.370 Die Verfassung der Polnischen Republik sichert den Gemeinden eigene Einnahmen, allgemeine Finanzzuweisungen und zweckgebundene Zuweisungen. Konkret bestimmt das Gesetz über die Finanzierung der Gemeinden (1993), welches das jährlich wiederholt erlassene Gesetz über die Einkünfte der Gemeinden ablöste, die wesentlichen Einnahmen. Damit ist erstmals eine dauerhafte Grundlage für das Recht der gemeindlichen Einnahmen vorhanden. Bei der Betrachtung der Einnahmestruktur der lokalen Ebene in Polen ist festzustellen, daß die Einkünfte aus Steuern inklusive Steueranteilen und die staatlichen Zuweisungen, die allerdings größtenteils zweckgebunden sind, mit je 35 Prozent gleich hoch sind. Rund 30 Prozent machen die nicht steuerlichen Einkünfte aus.371 Zudem kann der Gemeinderat sowohl lang- als auch kurzfristige Kredite aufnehmen.372 Rund 55 Prozent der kommunalen Einnahmen in der Tschechischen Republik resultieren aus Steuern, 25 Prozent aus nicht steuerlichen Einnahmen und knapp 18 Prozent aus staatlichen Zuweisungen.373 Zudem besteht auch hier die Möglichkeit der Kreditaufnahme.374 In Zypern überwiegen sowohl in den Communities als auch in den Municipalities die Einkünfte durch Steuern.375 Die Gebühren belaufen sich auf rund 28 Prozent. Die jährlichen Zuweisungen des Zentralstaates in Höhe von 21 Prozent beziehungsweise 26 Prozent, die von dem zyprischen Städtetag vorgenommen werden, stellen den kleineren Teil dar. Insgesamt ist die Finanzausstattung der Gemeinden in Zypern und in der Republik Tschechien recht autonomiefreundlich geregelt, da hier die Einkünfte zu mehr als der Hälfte aus Steuern bezogen werden. Auch die gesetzlich geregelte Finanzbasis der örtlichen Selbstverwaltungseinheiten in Litauen spricht grundsätzlich für eine hohe Autonomie, da die Einnahmen zu 90 Prozent aus Steuern bestehen und die Kreditaufnahme möglich ist. Gleichwohl ist hier in der Praxis aufgrund der Ersetzung der staatlichen Zuwendungen durch die Einkommensteuer eine starke Reduktion der kommunalen Einkünfte zu verzeichnen. In den übrigen neu beigetretenen Mitglied369

Vgl. Law on the Budget Structure (1990), Art. 10. Law on the Budget Structure (1990), Art. 17, 26. 371 M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 23. 372 § 18 Nr. 2 Abs. 9 c, d Gesetz über die territoriale Selbstverwaltung. 373 M. Reents/C. Krüger/J. Libbe, Dezentralisierung und Umweltverwaltungsstrukturen in Mittel- und Osteuropa, 2002, S. 29. 374 § 36 a Abs. 1 d Gesetz des Tschechischen Nationalrates über die Gemeinden. 375 Communities: 53 Prozent, Municipalities: 33 Prozent. 370

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staaten wird die kommunale Finanzbasis weitgehend extern vorgegeben. Die ungarischen und polnischen Selbstverwaltungseinheiten erhalten zu einem Großteil zweckgebundene Mittel. Demgegenüber verfügen die lokalen Gebietskörperschaften in Estland und Lettland zwar überwiegend über freie Einnahmequellen. Dort findet jedoch eine Restriktion der Finanzhoheit über die Begrenzung der Kreditaufnahme statt. Im Hinblick auf die alten Mitgliedstaaten wird insbesondere den skandinavischen Gemeinden eine hohe finanzielle Autonomie gewährleistet. Demgegenüber überwiegen bei den örtlichen Selbstverwaltungen in Irland und Großbritannien die Zuwendungen des Staates, so daß weit in die kommunalen Handlungsspielräume eingegriffen wird. Dennoch ist hier, wie auch in anderen europäischen Staaten, eine mehr oder weniger deutliche Abkehr von Zweckzuweisungen sowie insgesamt eine Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Kommunen zu beobachten. Im übrigen liegt der Anteil an Steuern bei den kommunalen Einkünften bei den meisten Mitgliedstaaten bei ca. 50 Prozent. Dazu ist noch das Einkommen aus Gebühren zu zählen, so daß auch hier die finanziellen Mittel überwiegend zur freien Verfügung stehen. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, daß in den EG-Mitgliedstaaten grundsätzlich die Ausgabehoheit gewährt wird. Die in einigen Ländern konstatierten Einschränkungen hinsichtlich der Einnahmehoheit werden in Österreich und Tschechien über die freie Disponibilität genügender Eigenmittel wieder ausgeglichen. In Litauen wurde zumindest der Versuch der Erweiterung der finanziellen Unabhängigkeit unternommen, wenngleich er zu einer Reduktion der Gesamtheit der kommunalen Einkünfte führte. Obgleich in Lettland zwar rund 75 Prozent der Finanzmittel zur freien Verfügung stehen, ist hier der finanzielle Handlungsrahmen am stärksten eingeschränkt. Grund dafür ist der eingeschränkte Zugang zu staatlichen Krediten und die häufige Veränderung des Systems der Finanzzuweisungen. Dennoch kann auch hier aufgrund der hohen Prozentzahl disponibler Einnahmen trotz eingeschränkter Einnahmehoheit noch von einer finanziellen Autonomie der Kommunen gesprochen werden, die allerdings, gemessen an der europaweiten Ausstattung, am unteren Ende der Skala anzusiedeln ist. Anhand dieses Vergleichs der finanziellen Autonomie in den einzelnen Mitgliedstaaten konnte verdeutlicht werden, daß die Gemeinden sowohl eigenständigen Zugriff auf finanzielle Mittel besitzen als auch über die Verwendung der jeweiligen Einnahmen in ausreichendem Umfang entscheiden dürfen, ihnen mithin Finanzhoheit gewährleistet wird. Den Gemeinden kommt daher in allen Mitgliedstaaten nicht nur die Funktion von unteren Verwaltungseinheiten zu, sondern sie sind vielmehr mit echter Selbstverwaltung ausgestattet, die es ihnen erlaubt, den ihnen zugestandenen Handlungsspielraum, die eigenverantwortliche Regelung aller Angelegenheiten von örtlicher Bedeutung, wahrzunehmen.

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ee) Ergebnis Die vorstehende rechtsvergleichende Darstellung der kommunalen Selbstverwaltung innerhalb der EU ergibt zwar kein einheitliches Bild, zeigt aber doch gemeinsame Grundwerte im Sinne einer allgemeinen Anerkennung kommunaler Selbstverwaltung als elementarer Bestandteil des Staatsaufbaus. Als erstes und vielleicht wichtigstes Ergebnis läßt sich feststellen, daß die kommunale Selbstverwaltung keiner der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten strukturell widerspricht. In allen Mitgliedstaaten gibt es rechtsfähige Selbstverwaltungskörper einer lokalen, das heißt den Bürgern unmittelbar zugeordneten, Verwaltungsstufe. Neben Deutschland ist vor allem in den skandinavischen Ländern Schweden und Finnland eine weitgehende Autonomie der kommunalen Ebene zu beobachten. Demgegenüber lassen sich gerade in den baltischen Staaten noch Defizite feststellen. Obwohl hier ausführliche Regelungen zur kommunalen Selbstverwaltung in den Verfassungen zu finden sind, werden die gemeindlichen Handlungsspielräume stark über weitreichende Aufsichtsbefugnisse und die finanzielle Ausstattung begrenzt. Grundsätzliche Unterschiede in den maßgeblichen einfachgesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Vorschriften über die kommunale Selbstverwaltung bestehen nicht. Die Tätigkeit der Gemeinden ist in allen Mitgliedsstaaten in fast allen Bereichen auf die konkrete Organisation des örtlichen öffentlichen Lebens beschränkt. In den meisten Ländern sind die Gemeinden zumindest mit einer allgemeinen Kompetenz für alle örtlichen Angelegenheiten ausgestattet. Sie verfügen regelmäßig über eigene Einnahmequellen und unterliegen in ihrem Wirkungsbereich nur einer eingeschränkten Aufsicht. Zwar lassen sich in einigen Mitgliedstaaten Regelungen finden, die hinsichtlich der Staatsaufsicht als außerordentlich liberal erscheinen. Als Beispiel sind hier die Aufsichtsbefugnisse über die Gemeinden in Ungarn anzuführen. Diese Freiheit wird jedoch an anderer Stelle durch restriktive Vorschriften wieder aufgewogen.376 Differenzen lassen sich, wie am Beispiel Frankreichs dargelegt, insgesamt in der tatsächlichen Situation feststellen. Dies hängt insbesondere mit der unterschiedlichen Größe der Gemeinden und der finanziellen Gesamtsituation des Staates zusammen. Gleichwohl wird die Existenz eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der kommunalen Selbstverwaltung, der sich aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gewinnen läßt, von der herrschenden Lehre aufgrund der zum Teil schwachen Rechtsposition der Kommunen im Ausland verneint.377 In376

Vgl. nur die finanzielle Ausstattung. H. Siedentopf, DÖV 1988, 981 (982); A. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992, S. 55; H. Heberlein, DVBl. 1994, 1213 377

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soweit wird aber die rechtliche Situation nur selten näher analysiert. Als Argument gegen die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der kommunalen Selbstverwaltung wird erstens die fehlende Ratifikation der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Belgien, Irland, Großbritannien und Frankreich sowie zweitens die Situation in Irland und Großbritannien angeführt, wo den lokalen Gebietskörperschaften lediglich der Status von unteren Verwaltungseinheiten zukomme.378 Die in der Literatur vorgebrachten Gegenargumente sind jedoch aus heutiger Sicht nicht mehr haltbar. Betrachtet man zunächst den Stand der Ratifikation der EKC, so spricht dieser nicht mehr gegen, sondern vielmehr für eine gemeinsame Grundüberzeugung der Mitgliedstaaten. Frankreich ist das einzige Land, das die Charta noch nicht in sein nationales Recht umgesetzt hat.379 Durch die zwischenzeitliche Ratifizierung wurden die Regelungen über die lokalen Selbstverwaltungen einander angenähert und stimmen nun in wesentlichen Bereichen zumindest tendenziell überein. Dabei muß keine bis ins kleinste Detail übereinstimmende Form der kommunalen Selbstverwaltung gefunden werden. Für die hier zu untersuchende Herleitung eines zwingenden Erfordernisses geht es nur darum, eine gemeinsame Grundüberzeugung hinsichtlich bestimmter Hauptmerkmale festzustellen. Voraussetzung dieser Übereinstimmung ist nicht, daß diese in allen Mitgliedstaaten vorhanden ist, sondern lediglich in der überwiegenden Mehrheit. Als zweiter Grund gegen die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes wird der Status der lokalen Gebietskörperschaften in Großbritannien und Irland angeführt. Das britische Kommunalsystem stehe in völligem Widerspruch zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz kommunaler Selbstverwaltung, welcher auf eine Absicherung des kommunalen Aufgabenbestandes gerichtet sei. Dies ergebe sich zum einen aus der fehlenden Verfassungsgarantie und zum anderen aus der nicht vorhandenen Verankerung der eingeschränkten Allzuständigkeit. Die mangelnde Absicherung in der Verfassung ist auf das Rechtssystem ohne eine geschriebene Verfassung zurückzuführen und vermag daher als Argument nicht zu überzeugen. Auch der Einwand der fehlenden Allzuständigkeit ist neuerdings nicht mehr haltbar. Durch die Verabschiedung der Local Government Bill 2000 wurde den britischen Gemeinden die Allzuständigkeit in den Angelegenheiten, die das „well-being“ der örtlichen Gemein(1219 f.); W. Frenz, VerwArch 1995, 378 (394); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 2, 2001, Art. 28 Rdnr. 98; S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer Europäischen Union, 1997, S. 257 f.; F. Schoch, in: Henneke (Hrsg.), Kommunen und Europa – Herausforderungen und Chancen, 1999, S. 11 (28 f.); J. Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, 2000, S. 124 ff. 378 T. Schäfer, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung in der EU, 1998, S. 273. 379 Vgl. oben 5. Teil B. I. 3. d).

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schaft in ökologischen, ökonomischen und sozialen Belangen betreffen, gewährt. Demzufolge kann nicht mehr davon gesprochen werden, daß den Gemeinden dort nur der Status einer reinen staatlichen Verwaltungseinheit zukommt.380 In der Literatur wird weiterhin auf das irische Kommunalsystem verwiesen.381 Irland hat in den letzten Jahren mehrere durchgreifende Gesetzesänderungen hinsichtlich der lokalen Gebietskörperschaften durchgeführt. So fand im Jahre 1999 eine Absicherung der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 A der irischen Verfassung statt. Zudem wurde die bis dato vorzufindende umfassende staatliche Aufsicht zurückgefahren. Es bleibt somit lediglich die fehlende Allzuständigkeit zu kritisieren. Gleichwohl ist eine fehlende Allzuständigkeit nicht gleichbedeutend mit einer mangelnden Handlungsfähigkeit der Kommunen sowie einer bloßen Reduktion auf Organe, die ausschließlich dem Vollzug von zentralstaatlichen Vorgaben dienen. Der gesetzlich abschließend normierte Aufgabenkatalog ist in Irland so umfassend ausgestaltet, daß den Gemeinden wichtige Aufgaben, die das örtliche Zusammensein betreffen, zugewiesen werden. Auch die EKC sieht das Merkmal der Allzuständigkeit zwar als bedeutsam, aber nicht als zwingend an. So ist durch das à-la-carte-System ein Verzicht auf die Ratifikation des Art. 4 Abs. 2 EKC möglich, ohne daß in diesem Fall die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung in Frage gestellt wird. Es kommt vielmehr auf die Regelungen in ihrer Gesamtheit an. Das irische Kommunalsystem billigt nunmehr seinen lokalen Gebietskörperschaften ausreichend Raum für eine effektive Selbstverwaltung, die allerdings, gemessen an den europaweiten Maßstäben, im unteren Bereich anzusiedeln ist. Angesichts dieser Verbesserung der gemeindlichen Autonomie sowohl in Irland als auch in Großbritannien kann nicht mehr gegen einen allgemeinen Rechtsgrundsatz beziehungsweise vorliegend gegen ein zwingendes Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung argumentiert werden, daß dieses im Widerspruch zu zwei mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen stünde.382 b) Einfügung in die Struktur und Ziele der EG Weitere Voraussetzung für die Anerkennung als zwingendes Erfordernis ist, daß sich dieses Allgemeininteresse auch in die Struktur und in die Ziele der Gemeinschaft einfügt. Der pauschale Hinweis auf die unzureichende Er380 So aber noch M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 28. 381 M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 54. 382 So aber noch M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 54.

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wähnung der Kommunen im Gemeinschaftsrecht383 genügt nicht zur Ablehnung einer Strukturkonformität. Der lokale Bereich ist nicht zuletzt durch die Einrichtung des Ausschusses der Regionen in den Art. 263 ff. EG (Art. I-32, II-386 ff. VV) zunehmend in das Blickfeld des Gemeinschaftsrechts gerückt. „Einfügen in die Struktur“ bedeutet, daß sich ein aus den nationalen Rechtsordnungen stammendes Schutzgut auf die Gemeinschaftsebene übertragen lassen muß. Die Gemeinschaft, die ihre Aufgaben im Regelfall nicht selbst vollzieht, ist von ihrer Struktur her auf eine dezentrale Aufgabenerfüllung angelegt. Sie hat ein Interesse an einem möglichst effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts. Zuzugeben ist, daß die Einbindung der Kommunen in den indirekten Verwaltungsvollzug des Gemeinschaftsrechts nicht zwingend für ein strukturelles Einfügen spricht. Denn der Vollzug erfolgt zwar faktisch durch die Kommunen, aber de iure ist das Gemeinschaftsrecht diesbezüglich offen, so daß eine bestimmte Strukturvorgabe der Organisation des Vollzuges nicht besteht. Gemäß der Präambel des Unionsvertrages, der nach Aussagen des EuGH Bindungswirkung zukommt,384 wollen die Vertragsparteien eine „immer engere (. . .) Union der Völker Europas schaffen, in der die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden“. Die „Absichtserklärung“ macht deutlich, daß die Gemeinschaft und ihr Recht dem Bürger näher gebracht werden sollen.385 Auf diese Weise will man versuchen, die für eine Weiterentwicklung notwenige Akzeptanz durch die Bürger der Gemeinschaft zu erreichen, was die Staats- und Regierungschefs in der Erklärung von Birmingham für „Eine bürgernahe Gemeinschaft“386 nochmals ausdrücklich betonten. Die Reflexionsgruppe zur Regierungskonferenz 1996 hob hervor: „Die wichtigste Herausforderung für die Union im inneren Kontext ist (. . .) die Aussöhnung mit ihren Bürgern.387 Die Undurchsichtigkeit europäischer Entscheidungsvorgänge, die geographische Distanz Brüssels und das sogenannte Demokratiedefizit der europäischen Institutionen werden immer wieder kritisiert. Eine öffentliche Gewalt wie die Gemeinschaft, die dem Bürger ferner steht als bisherige Hoheitsträger, bedarf zu ihrer Akzeptanz der Mitwirkung der Bürger an den 383

So noch H.-J. Blanke, DVBl. 1993, 819 (825). Vgl. nur EuGH, Slg. 1976, 455 (473 Rdnr.) – Defrenne ./. Sabena. 385 Vgl. dazu auch C. Wiethoff, in: Coen/Hölscheidt/Pieper (Hrsg.), Europa ’93 – Auf dem Weg zur Europäischen Union, 1993, S. 319 (321). 386 Europäischer Rat von Birmingham, Schlußfolgerungen des Vorsitzes, BulletinEG 10/1992, S. 8 (9 f.). 387 Bericht der Reflexionsgruppe, Zweiter Teil Nr. 10, Messina, 2. Juni–5. Dezember, Brüssel, abgedruckt unter http://www.europarl.eu.int/enlargement/cu/agree ments/pdf/reflex1_de.pdf. 384

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öffentlichen Angelegenheiten. Dies erlangt insbesondere vor dem Hintergrund Bedeutung, daß die Volksreferenden zum Verfassungsvertrag in Frankreich und in den Niederlanden gescheitert sind.388 Obwohl innenpolitische Schwierigkeiten ebenfalls zu diesem Ergebnis beigetragen haben, wird doch anhand dieser Entscheidungen die fehlende Akzeptanz der EU bei den Unionsbürgern deutlich. Nach Aussagen des deutschen Bundesverfassungsgerichts bedeutet „kommunale Selbstverwaltung – wie sie heute verstanden wird – ihrem Wesen und ihrer Intention nach Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten, die die in der örtlichen Gemeinschaft lebendigen Kräfte des Volkes zur eigenverantwortlichen Erfüllung öffentlicher Aufgaben der engeren Heimat zusammenschließt mit dem Ziel, das Wohl der Einwohner zu fördern und die geschichtliche und heimatliche Eigenart zu wahren“389. Kommunale Selbstverwaltung hat somit zunächst die Funktion, eine Basis für die Selbstaktivierung der Bürger und ihr Engagement für das Gemeinwohl zu schaffen. Sie verbreitet die offene, konkurrierende Willensbildung der Bürger und intensiviert somit die Beteiligung des einzelnen Bürgers. Sie gibt dem einzelnen das Bewußtsein, daß seine Stimme nicht wertlos ist und daß er mit seiner eigenen Meinung und seinem Engagement etwas bewirken kann. Hierdurch werden das politische Interesse und das Gefühl gestärkt, für die Gesamtheit in der Gemeinde mitverantwortlich zu sein.390 Der Selbstverwaltung auf der Gemeindeebene ist es zusätzlich eigen, daß die Personen, die die Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, durch Wahlen demokratisch legitimiert sind. Damit trägt diese Verwaltungsform gleichzeitig zur Verwirklichung des Demokratieprinzips bei.391 Gerade dieses Tätigwerden, das im Zusammenwirken von Politik 388 Die französischen Wähler haben den Verfassungsvertrag mit 55,6 Prozent abgelehnt, während in den Niederlanden 61,8 Prozent der Wähler gegen den Verfassungsvertrag stimmten. 389 BVerfGE 11, 266 (275 f.). 390 S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 55; ähnlich ferner K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 403, F.-L. Knemeyer, in: Esterbauer/Kalkbrenner/Mattmüller u. a. (Hrsg.), FS Gasser, 1983, S. 285 (293). Vgl. auch Freiherr K. v. Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. V, 1964, S. 431 (432): „Eine Staatsverfassung kann allein durch Erziehung des Volks zur Einsicht und Tat begründet und belebt werden. Diese Erziehung bewirken Einrichtungen, die der Tätigkeit des einzelnen einen freien Spielraum anweisen und ihm Gelegenheit geben zur Sammlung von Erfahrungen, indem er die Angelegenheiten der Gemeinde verwaltet und so den Grund legt zur Empfänglichkeit für die Liebe zum Allgemeinen. Denn die ersten Keime der Vaterlandsliebe entwickeln sich aus der Anhänglichkeit an den Wohnort“. Dazu ausführlich W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 66 ff. 391 Vgl. K. Stern, Staatsrecht, Bd. I, 1984, S. 403; E. Schmidt-Aßmann, in: Franßen/Redeker/Schlichter u. a. (Hrsg.), FS Sendler, 1991, S. 121 (124); W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 258 f.

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

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und Verwaltung das Gemeinwohl bezweckt, ermöglicht es die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zu überbrücken und die innere Identifikation letztendlich auch der Unionsbürger mit der EU zu fördern.392 Die Selbstverwaltung verstärkt die von der EU ausgehenden integrierenden Wirkungen und leistet damit einen Beitrag zur politischen Legitimation des Gemeinwesens. Zudem können Probleme des örtlichen Bereiches am schnellsten und besten dort gelöst werden, wo sie entstehen, denn lange Befehlsstränge erzeugen Reibungsverluste. Die kommunale Selbstverwaltung stellt somit ein geeignetes Mittel dar, das Ausufern ortsferner Bürokratien zu verhindern und bürokratische Verfahrensweisen zu begrenzen. Kommunale Selbstverwaltung ermöglicht aber auch die angemessene Berücksichtigung der unterschiedlichen örtlichen und überörtlichen Interessenlagen bei Verwaltungsentscheidungen und erzielt damit ein hohes Maß an Sach- und Bedarfsgerechtigkeit. Die demokratiefördernden Elemente der kommunalen Selbstverwaltung unterstreichen die Rolle der Kommunen für den Aufbau Europas von unten nach oben.393 Gemeinden als selbstbestimmte untere Verwaltungseinheiten eines Staatswesens können dem einzelnen Bürger aufgrund ihrer räumlichen Nähe größere Übersichtlichkeit und Einblick in die Entscheidungsvorgänge bieten und damit die politische Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen erhöhen.394 Sie gelten gleichzeitig als Ausdruck des gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips, das nach der hier vertretenen Ansicht auch die lokale Ebene mit einbezieht,395 sowie als „Keimzellen der Demokratie“396. Zu Recht wird die kommunale Selbstverwaltung sogar als conditio sine qua non für die Zielverwirklichung eines „Europas der Bürger“ bezeichnet, das sich auf Demokratie, Dezentralisierung und das Subsidiaritätsprinzip gründen soll.397 In diese Richtung geht auch die von dem Schweizer Historiker Adolf Gasser in seinem Werk „Gemeindefreiheit als Rettung Europas“ postulierte Theorie von der „umfassenden kommunalen Ermessensfreiheit als unentbehrliche Voraussetzung für jede politische, soziale und moralische Gesundung Europas“398. 392 So etwa R. Hendler, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1999, § 106 Rdnr. 67. 393 Vgl. den 7. Grund der Präambel der Europäschen Charta der kommunalen Selbstverwaltung. 394 Vgl. G. Püttner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IV, 1999, § 107 Rdnr. 4. 395 Siehe dazu oben 5. Teil B. I. 2. a) cc) (1). 396 BVerfGE 79, 127 (149). 397 J. Hofmann, in: Knemeyer (Hrsg.), Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung, 1989, S. 211 (213); vgl. auch A. Delcamp, in: Ardant/Duhamel/ Guillaume (Hrsg.), La commune en France et en Europe, 2000, Rdnr. 144. 398 A. Gasser, Gemeindefreiheit als Rettung Europas, 1983, S. 6. Anzumerken ist, daß Gasser den Begriff „Gemeindefreiheit“ in einem weiteren Sinne versteht, als

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

Die selbstverwaltete Kommune ist zugleich Träger der kulturellen Identität. Eine starke örtliche Verwurzelung des einzelnen ist Voraussetzung, um dem europäischen Einigungsprozeß aufgeschlossen gegenüberzustehen. Richtig verstandenes Heimatbewußtsein ist damit europaförderlich. Auf diesem Weg kann auf lokaler Ebene auch das im neunten Erwägungsgrund der Präambel zum EU-Vertrag angesprochene Ziel der Stärkung der Identität Europas wirksam verfolgt werden. Sollen die identitätswahrenden und akzeptanzfördernden Elemente zum Tragen kommen, reicht die Einrichtung einer bürgernahen Verwaltung allerdings allein nicht aus. Vielmehr bedarf es hierzu einer demokratisch gewählten Vertretung, die über einen entsprechenden eigenverantwortlich wahrzunehmenden Aufgabenbereich verfügt. Die Vorzüge der kommunalen Ebene hat die Kommission inzwischen erkannt und die Gemeinden in ihr Konzept für die Entwicklung einer bürgernahen, demokratischen und dezentralen EU eingebunden. Die Kommission geht davon aus, daß die EU sich mit steigender Mitgliederzahl immer mehr auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und sich auch dort zunehmend darauf beschränken muß, allgemeine Rahmenvorgaben zu setzen, deren Ausfüllung den Mitgliedstaaten und ihren kommunalen Gebietskörperschaften obliegt. Je größer die Union wird, umso dezentralisierter muß sie nach Überzeugung des Kommissionspräsidenten werden.399 Die Gemeinschaft ist somit auf die Mitwirkung der kommunalen Ebene angewiesen und betrachtet sie als Teil ihrer Strategie zum Aufbau Europas und zur Untermauerung des europäischen Gesellschaftsmodells. Die Zuweisung dieser Mittlerfunktion verlangt naturgemäß, daß auch die Gemeinschaft als Konsequenz das Interesse der Kommunen an einem möglichst großen selbstverwalteten Aufgabengebiet respektiert und unterstützt, indem ihnen ein ausreichender Handlungsspielraum zugewiesen wird, um die Zielvorstellungen der Stärkung des Vertrauens und der Akzeptanz übergeordneter Entscheidungsprozesse zu verwirklichen.400 Dazu müssen gemeindliche Aktivitäten und Engagement vor Ort gefördert werden, so daß die Einwohner Selbstverantwortung und eine Zusammenarbeit erleben können, woraus ein neues Gemeinschaftsgefühl entsteht.401

dies in der deutschen Rechtsordnung oder in der EKC der Fall ist. Für ihn ist darunter auch die Freiheit vom Staat zu fassen; vgl. zur Begrifflichkeit auch F.-L. Knemeyer, in: Esterbauer/Kalkbrenner/Mattmüller (Hrsg.), FS Gasser, 1983, S. 285 (287 ff.). 399 Vgl. die Rede von Romano Prodi, dem ehemaligen Präsidenten der Kommission, vom 20.9.2001 vor dem Ausschuß der Regionen in Brüssel, Speech 01/398, abgedruckt unter http://europa.eu.int/rapid/searchResultAction.do. 400 Ähnlich auch A. Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, 2000, S. 17. 401 So auch H. Hill, der städtetag 2/2002, 29 (31).

B. Kommunale Selbstverwaltung als zwingendes Erfordernis

459

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß eine Verwaltung, die auf mit Selbstverwaltungsrecht ausgestatteten Gemeinden aufbaut, bürgernah sein, die Freiheit des einzelnen sichern und das Demokratieprinzip stärken kann. Sie eröffnet dem Bürger zum einen die Möglichkeit zur politischen Partizipation, wodurch eine Identifikation mit dem Staatswesen möglich wird. Diese Funktionen und Eigenschaften kommunaler Selbstverwaltung bieten sich an, um bestimmten Problemen der Europäischen Gemeinschaft, die sich insbesondere aus der „Bürgerferne“ der Gemeinschaftsinstitutionen ergeben, zu begegnen. Zum anderen kann in einem dezentralisierten Staatsaufbau mit eigenständigen Verwaltungseinheiten in diesen Gliederungen Demokratie in nachvollziehbarer Weise praktiziert werden.402 Diese trägt dazu bei, das demokratische Bewußtsein zu stärken. Ein zwingendes Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung würde sich damit vortrefflich in die Struktur und die Zielsetzungen des durch die Prinzipien der Demokratie, Subsidiarität (Art. 5 Abs. 2 EG) und der Bürgernähe (vgl. Art. 1 Abs. 2 EU) geprägten Gemeinschaftsrechts einfügen. Untermauert wird diese Sichtweise speziell durch die Beteiligungsmöglichkeiten der Kommunen an den Arbeiten des Ausschusses der Regionen und bei der Durchführung von Gemeinschaftspolitiken, insbesondere der Strukturpolitik.403

II. Inhalt Vorliegend kommt es entscheidend darauf an, welcher Inhalt diesem zwingenden Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung zugewiesen wird. Mit Recht könnten ansonsten gegen ein solches Allgemeininteresse Bedenken dahingehend geäußert werden, daß dieses zu unbestimmt sei, um eine durch Rechtssicherheit gekennzeichnete Rechtsprechung zu ermöglichen. Ein Rechtfertigungsgrund muß ein Höchstmaß an Eindeutigkeit, Abgrenzbarkeit und inhaltlicher Bestimmbarkeit aufweisen, damit seine Merkmale klar sind und einem Mißbrauch entgegengewirkt wird. Daher bedarf es auch bei dem zwingenden Erfordernis kommunaler Selbstverwaltung einer inhaltlichen Ausfüllung mittels rechtlich definierbarer Elemente. Der Inhalt bezieht sich auf den Schutz des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden in ihren Angelegenheiten sowie auf die eigenverantwortliche Regelung. Die Möglichkeit der Definierbarkeit der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wurde bereits im 2. Teil verdeutlicht. Daher bestehen hinsicht402

Zustimmend auch F.-L. Knemeyer, in: Esterbauer/Kalkbrenner/Mattmüller u. a. (Hrsg.), FS Gasser, 1983, S. 285 (302); vgl. auch W. Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 257 f. 403 Für das Einfügen der kommunalen Selbstverwaltung in das Recht der EG im Ergebnis ebenso S. Magiera, in: Grupp/Ronellenfitsch (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland und Europa, 1995, S. 13 (31).

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

lich der Bestimmtheit keine Bedenken. Um als zwingendes Erfordernis Bestand zu haben, müßte das Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung mit dem herausgearbeiteten Inhalt ein gewichtiges, im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgen,404 das nicht wirtschaftspolitisch motiviert ist. Dabei ist der Begriff des Allgemeininteresses relativ, da der EuGH, vorwiegend im Bereich der Arbeitnehmerfreiheit, allein von objektiven Erwägungen spricht.405 Betrachtet man beispielsweise die Wortbedeutung des im deutschen Recht zur Beschreibung der Selbstverwaltung verwendeten Begriffs „Gemeinschaft“ aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG, so ist damit in quantitativer Hinsicht eine Mehrheit von Personen bezeichnet.406 Durch die Wendung „Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ wird zum Ausdruck gebracht, daß Gegebenheiten, Interessen, Bedürfnisse oder Notwendigkeiten vorhanden sind, die den Gruppenmitgliedern in ihrer Gesamtheit gerade insofern eigentümlich sind, als sie Mitglieder der Gruppe sind. In allen EG-Mitgliedstaaten besteht die Aufgabe der Selbstverwaltungskörperschaft darin, das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Wohl ihrer Einwohner und ihr gesellschaftliches Zusammenleben zu fördern. Daher ist zu den Gründen des öffentlichen Wohls auch die Gewährleistung des Selbstverwaltungsprinzips zu zählen.407 Die Bedeutsamkeit dieses Schutzgutes ergibt sich daraus, daß die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten die kommunale Selbstverwaltung in ihrer Verfassung normiert hat.408 Die kommunale Selbstverwaltung ist grundsätzlich nicht wirtschaftspolitisch motiviert. Dennoch können einzelne Maßnahmen, die unter diese Gewährleistung fallen, einen wirtschaftlichen Charakter aufweisen. Dies läßt jedoch nicht die kommunale Selbstverwaltung an sich als legitimes Schutzgut entfallen, sondern ist im Einzelfall im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Maßnahme zu berücksichtigen. Als Ergebnis ist daher festzustellen, daß das zwingende Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung inhaltlich den Schutz der eigenverantwortlichen Regelung der Angelegenheiten von örtlicher Bedeutung umfaßt. Damit ist es als hinreichend bestimmt anzusehen, so daß einer Mißbrauchsgefahr entgegengewirkt wird. Die Gemeinde kann sich somit auf das zwingende Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung berufen, sofern es sich bei der zu rechtfertigenden Maßnahme um eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft handelt.

404

EuGH, Slg. 1999, I-3099 (3135 Rdnr. 40) – Konle. Vgl. EuGH, Slg. 1996, I-2617 (2638 Rdnr. 19) – O’Flynn. 406 W. Loschelder, Kommunale Selbstverwaltungsgarantie und gemeindliche Gebietsgestaltung, 1976, S. 40. 407 So ausdrücklich, wenn auch mit fehlender Begründung, E. Becker, in: Achterberg (Hrsg.), FS Scupin, 1973, S. 59 (72). 408 Vgl. oben 5. Teil B. I. 4. a) aa). 405

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

461

III. Ergebnis Die Grundsätze der Demokratie, Bürgernähe und der Subsidiarität sowie die Beteiligungsmöglichkeit der Gemeinden im Ausschuß der Regionen und bei den Gemeinschaftspolitiken ermöglichen im Zusammenwirken mit dem Ergebnis der Rechtsvergleichung die Feststellung eines zwingenden Erfordernisses der kommunalen Selbstverwaltung. Konkret schützt dieses Allgemeinwohlinteresse die eigenverantwortliche Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Dieses schutzwürdige mitgliedstaatliche Interesse genießt primärrechtlichen Rang409 und vermag die Grundfreiheiten grundsätzlich wirksam zu beschränken. Die Gemeinde kann daher zur Rechtfertigung ihrer Einheimischenprivilegierungen die kommunale Selbstverwaltung als zulässigen Legitimationsgrund anführen.

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Die Feststellung eines zulässigen Legitimationsgrundes der kommunalen Selbstverwaltung reicht allein nicht aus, um die mittelbar diskriminierenden Einheimischenprivilegierungen zu rechtfertigen. Weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Maßnahme. Da hinsichtlich der städtebaurechtlichen Einheimischenmodelle bereits eine Rechtfertigung aus Gründen der Raumplanung bejaht wurde, soll hierzu nur kurz Folgendes angemerkt werden: Da in diesem Fall kumulativ auch die kommunale Selbstverwaltung als Legitimationsgrund einschlägig ist, erhöht sich naturgemäß das Gewicht der mit den Einheimischenmodellen verfolgten zulässigen Ziele gegenüber dem Binnenmarkt, so daß im Endeffekt das bereits festgestellte Abwägungsergebnis gestärkt wird.410 Somit verbleiben an dieser Stelle noch die Prüfungen des Einwohnerprivilegs, des Einheimischenabschlags sowie die Lokalpräferenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

I. Geeignetheit 1. Einwohnerprivileg Das Einwohnerprivileg bei Wochenmärkten und Volksfesten fällt regelmäßig unter das in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete Selbstverwaltungsrecht der Gemeinde.411 Die in Rede stehenden Veranstaltungen blicken 409 410 411

Vgl. oben 4. Teil B. III. 3. d). Vgl. EuGH, Slg. 2002, I-2157 (2205 Rdnr. 34) – Reisch: „erhärtet“. Vgl. oben 5. Teil A. II.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

nach ihrem historisch gewachsenen Verständnis und Erscheinungsbild meist auf eine längere profane oder religiöse Tradition zurück.412 Die einheimischen Warenanbieter und Schausteller tragen dazu bei, die in dem lokalen Brauchtum verwurzelten Besonderheiten als volkstümlichen Bestandteil der örtlichen Gemeinschaft aufrecht zu erhalten und weiter zu geben. Die Unternehmer profitieren von den ihnen zur Verfügung gestellten Möglichkeiten, im Rahmen von Volksfesten und Wochenmärkten ihre Produkte einem breiten Publikum anzubieten und für ihre einheimischen Spezialitäten zu werben. Um diese Absatzchancen auch weiterhin zu ermöglichen, werden sie bereit sein, ihren Beitrag zumindest für die Durchführung dieser traditionsreichen Veranstaltungen zu leisten. Durch die Ausrichtung wird zudem der soziale Kontakt im Austausch mit und unter den Einwohnern gepflegt. Das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der einheimischen Bevölkerung wird gestärkt, so daß das Einwohnerprivileg bei Volksfesten und Wochenmärkten einen effektiven Beitrag zur Förderung der Erledigung der eigenen Angelegenheiten in der Gemeinde durch eine verantwortungsvolle Mitarbeit der Bürger leistet. 2. Einheimischenabschlag Auch der Einheimischenabschlag fällt als Ausfluß der Finanzhoheit regelmäßig unter das in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete Selbstverwaltungsrecht.413 Durch die sozialen Kontakte, die durch die vielfältige, häufige und für alle Bevölkerungsschichten bezahlbare Benutzung öffentlicher Einrichtungen entstehen, werden typische Alltagsgewohnheiten und lokale Erinnerungen ausgetauscht, Sprache und Freundschaft gepflegt. Das Interesse, aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen und die vielfältigen eigenen Lebensbedingungen mitzubestimmen, wird gefördert. Durch eine rege Bereitschaft zur Übernahme von Ämtern, aber auch kleineren Tätigkeiten, hat die Kommune einen größeren Handlungsspielraum zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Daher erweist sich auch der Einheimischenabschlag zumindest als förderlich im Hinblick auf eine effektive Selbstverwaltung der Gemeinde. 3. Öffentliche Auftragsvergabe Schließlich stellt sich auch für die Lokalpräferenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die als Annex unter den Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG zu fassen ist,414 die Frage nach der Geeignetheit zur Förderung 412 413 414

C. Gröpl, GewArch 1995, 367 (368 f.). Vgl. oben 5. Teil A. III. Vgl. oben 5. Teil A. IV.

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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der kommunalen Selbstverwaltung. Analog der Argumentation zu den beiden vorgenannten Einheimischenprivilegierungen ist zu konstatieren, daß die Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ebenfalls einen wirksamen Beitrag zur kommunalen Selbstverwaltung leistet. Das privilegierte Unternehmen wird im Rahmen der Möglichkeiten versuchen, die Beziehungen zur Gemeinde zu verbessern und sich beispielsweise über Sponsoring gemeindlicher Aktivitäten für die Vergünstigungen revanchieren. Zudem ist zu berücksichtigen, daß durch die Bevorzugung Arbeitsplätze in der Gemeinde gesichert werden. Dies trägt zum Erhalt der ansässigen Bevölkerung bei, die sich mit der Gemeinde identifizieren und sich bürgerschaftlich beteiligen kann. Andererseits begegnen viele Bürger einer Auftragsvergabe an Unternehmen außerhalb der Gemeindegrenzen mit Unverständnis, insbesondere dann, wenn der Kostenvorteil durch die Vergabe an den Auswärtigen nicht gravierend ist.415 Die Begünstigung lokaler Unternehmen entspricht daher der Auffassung der zumindest überwiegenden Anzahl der Einwohner in ländlichen Gegenden von Aufgabenerfüllung, so daß die Akzeptanz der gemeindlichen Tätigkeit erhöht wird. Zwar mag hier die Verknüpfung zur Förderung der kommunalen Selbstverwaltung nicht so augenscheinlich sein wie in den zuvor genannten Fällen. Das konkrete Ausmaß der Förderung ist an dieser Stelle jedoch nicht von Interesse. Ein Extremfall der Zweckverfehlung ist vorliegend nicht ersichtlich, so daß die Eignung der öffentlichen Auftragsvergabe zur Förderung der kommunalen Selbstverwaltung zu bejahen ist. 4. Ergebnis Im Hinblick auf alle drei Formen von Einheimischenprivilegierungen konnte die Geeignetheit bejaht werden. Fraglich ist nun, ob sich anhand der vorgestellten Formen Rückschlüsse auf allgemeine Aussagen zur Eignung von Maßnahmen der Lokalpräferenz für die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung ziehen lassen. Eine Begünstigung bewirkt per se eine Besserstellung gegenüber anderen. Diese fördert zum einen das Zusammengehörigkeitsgefühl. Denn nur als Mitglied der Einheit „Gemeinde“ kann der Einwohner in den Genuß der Vorzugsleistung kommen. Da zudem immer ein Vorteil gewährt wird, wird die Einstellung zur Gemeinde und ihrer Tätigkeit positiv beeinflußt. Nur bei einer hinreichend ausgeprägten Ortsverbundenheit ist der Bürger bereit, sich in die örtliche Gemeinschaft einzubringen und sich selbstverantwortlich für seine Kommune und ihre Zukunft zu engagieren. Dieses ehrenamtliche Tätigsein ist unerläßliche Voraussetzung für das Bestehen und Funktionieren der kommunalen Selbstverwal415

A. Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, 2000, S. 165.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

tung.416 Daher ist anzunehmen, daß Einheimischenprivilegierungen grundsätzlich als Maßnahmen zur Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung geeignet sind, so daß regelmäßig die Qualifizierung einer begünstigenden Maßnahme als Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung gleichzeitig auch die Verwirklichung der sie umfassenden Gewährleistung bedeutet.

II. Erforderlichkeit 1. Einwohnerprivileg Anhand der Heranziehung des konkreten Zwecks der Veranstaltung läßt sich bereits eine Aussage über das Vorhandensein von milderen Mittel treffen. Sofern beispielsweise ein Volksfest lediglich zur Belustigung des örtlichen Publikums und zur Förderung der gesellschaftlichen Kommunikation beziehungsweise dazu veranstaltet wird, das Preisniveau in einer Höhe zu halten, die es auch den sozial schwächeren Gemeindeeinwohnern möglich macht, an dieser Freizeitgestaltung teilzunehmen,417 so ist eine Begrenzung auf die ortsansässigen Schausteller und Warenanbieter nicht erforderlich. Dieses Ziel kann unproblematisch auch mit auswärtigen Unternehmen erreicht werden. Bezweckt die Gemeinde, wie vorliegend angenommen, jedoch, den örtlichen Betrieben Gelegenheit zum Anbieten ihrer Waren und Künste zu verschaffen, so ist die Begrenzung auf die ortsansässigen Unternehmen unerläßlich. Eine mildere Wirkungsweise könnte zwar grundsätzlich durch die Ausdehnung des anspruchsberechtigten Personenkreises auf EG-ausländische Unternehmen erreicht werden. Jedoch ist dagegen erstens anzuführen, daß das erweiterte Einwohnerprivileg die kommunale Selbstverwaltung dann nicht mehr in demselben Umfang fördert. Die Auswärtigen besitzen keine zusätzliche Bindung zur Gemeinde, so daß ein lokales Engagement von ihnen nicht erwartet werden kann. Zweitens widerspricht eine derartige Ausdehnung bereits grundsätzlich dem als legitimen Rechtfertigungsgrund anerkannten Ziel der kommunalen Selbstverwaltung. Dem herausgearbeiteten Inhalt des zwingenden Erfordernisses zufolge obliegt es der lokalen Gebietskörperschaft, die Angelegenheiten ihres Wirkungskreises selbständig zu regeln. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Art und Weise der Aufgabenwahrnehmung, die auch die Bestimmung des Adressatenkreises der Maßnahme umfaßt. Es wäre widersprüchlich, wenn die Gemeinde nur Angelegenheiten von örtlicher Bedeutung wahrnehmen dürfte, im Gegenzug dafür aber ihre Leistungen grundsätzlich allen Personen ohne 416 F.-L. Knemeyer, in: Esterbauer/Kalkbrenner/Mattmüller u. a. (Hrsg.), FS Gassner, 1983, S. 285 (293). 417 Vgl. oben 5. Teil A. II.

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

465

Rücksicht auf einen Ortsbezug zur Verfügung stellen müßte. Somit liegt es in der Natur der Sache dieser Gewährleistung, die Vergabe von Vorzugsleistungen auf die einheimische Bevölkerung zu begrenzen. Da die kommunale Selbstverwaltung als legitimer Grund zur Rechtfertigung von grundfreiheitlichen Beeinträchtigungen anzuerkennen ist, kann die Verwirklichung dieses Ziels grundsätzlich nicht durch eine Ausweitung des bevorzugten Personenkreises unterlaufen werden. Der Rechtfertigungsgrund der kommunalen Selbstverwaltung bezweckt nicht nur die Verfolgung einer konkreten Zielsetzung. Vielmehr ist er darauf ausgerichtet, den Gemeinden in einem bestimmten Bereich größtmögliche Handlungsfreiheit zu gewähren. Damit beinhaltet er grundsätzlich auch das Recht, darüber zu entscheiden, welche und wie viele konkrete Maßnahmen zur Förderung der Einwohner getroffen werden sollen. Klärung bedarf daher die Frage, wie der Grundsatz der Erforderlichkeit in derartigen Fällen anzuwenden ist. Bei näherer Betrachtung der Rechtsprechung des EuGH lassen sich mehrere Rechtfertigungsgründe erkennen, die Parallelen zu der vorliegenden Besonderheit aufweisen: die Kohärenz des Steuersystems418 sowie die landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten.419 Bei der zuletzt genannten Fallgruppe geht es um Sonntagsverkaufsverbote, die „Ausdruck bestimmter politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen“ sind, „da sie die Verteilung der Arbeitszeiten und der arbeitsfreien Zeiten sicherstellen sollen, die den landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten angepaßt ist, deren Beurteilung beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Sache der Mitgliedstaaten ist“420. Derartige Regelungen seien nicht dazu bestimmt, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln. Die Frage nach den Wirkungen einer bestimmten nationalen Regelung sei von tatsächlicher Art, so daß der Gerichtshof sie zurück an das innerstaatliche Gericht verwies. Dieses müsse nun beurteilen, ob die sich ergebenden beschränkenden Wirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel den Rahmen der einer solchen Regelung eigentümlichen Wirkung nicht überschreiten.421 In der zweiten Entscheidung aus der Reihe der sunday trading cases erklärte der EuGH hingegen ohne weitere Begründung, daß die beschränkenden Wirkungen, die sich möglicherweise aus dieser Regelung ergeben, im Hinblick auf den verfolgten Zweck nicht als unverhältnismäßig anzusehen seien.422 Auch Ge418

Vgl. oben 4. Teil C. I. 2. Vgl. oben 4. Teil B. III. 5 a). 420 EuGH, Slg. 1989, 3851 (3889 Rdnr. 14) – Torfaen Borough Council; Slg. 1991, I-997 (1025 Rdnr. 11) – Conforama. 421 EuGH, Slg. 1989, 3851 (3889 Rdnr. 15 ff.) – Torfaen Borough Council. 422 EuGH, Slg. 1991, I-995 (1025 Rdnr. 12) – Conforama; so auch Slg. I-1027 (1040 Rdnr. 11) – Marchandise. 419

466

5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

neralanwalt Walter van Gerven betonte ausdrücklich, daß die Regelung nicht dazu dient, die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln und „daß unter diesen Umständen nicht anzunehmen sei, daß die verursachten Behinderungen über das hinausgehen, was für das angestrebte Ziel erforderlich ist, oder daß sie zu dem angestrebten Ziel außer Verhältnis stünden“423. Im Hinblick auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Kohärenz des Steuersystems stellt der EuGH ebenfalls fest, die Ausgestaltung der Steuerregelung sei Sache des einzelnen Mitgliedstaates.424 Eine Sicherstellung des Abzugs der Beiträge zur Lebensversicherung und Besteuerung bei späterer Auszahlung sei nur dadurch möglich, daß der Rat die erforderlichen Koordinierungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen erlasse. Daraus ergebe sich beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Konsequenz, daß die Kohärenz einer solchen Steuerregelung nicht durch weniger einschränkende Bestimmungen gewährleistet werden könne und daß jede andere Maßnahme im Ergebnis ähnliche Folgen hätte wie die beschriebenen.425 Damit ist festzustellen, daß der Gerichtshof in diesen Entscheidungen gar nicht versucht, die Frage nach der Erforderlichkeit der Maßnahme als solche zu stellen. So könnte beispielsweise der Erhalt der landesweiten oder regionalen sozialen und kulturellen Besonderheiten womöglich durch anderweitige Regelungen erreicht oder die Kohärenz des Steuersystems durch die Besteuerung eines anderen Steuergegenstands gewahrt werden. Der Grund für das fehlende Eingehen auf diese Problematik liegt darin, daß der Gerichtshof beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts für beide Bereiche keine Rechtsetzungskompetenz besitzt. Vielmehr obliegt die Ausgestaltung jeweils dem betroffenen Mitgliedstaat, dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt. Der EuGH gibt deutlich zu erkennen, daß er grundsätzlich nicht über die Frage nach der Notwendigkeit einer ins Auge gefaßten Regelung entscheidet, sondern diese dem Ermessen der Mitgliedstaaten überläßt. Auffällig ist allerdings, daß der EuGH regelmäßig die Maßnahme daraufhin untersucht, ob sie eine Regelung der innergemeinschaftlichen Handelsströme bezweckt. Sofern die Beeinträchtigung des Binnenmarktes lediglich als unvermeidbare Folge anzusehen ist und keine Protektion der einheimischen Produkte beziehungsweise Bürger im Vordergrund steht, wird die Verhältnismäßigkeit in der Regel bejaht. Beim Tatbestand der öffentlichen Ordnung lassen sich ebenfalls hinsichtlich der Reichweite der Erforderlichkeitsprüfung Parallelen feststellen. Auch hier billigt der Gerichtshof den Mitgliedstaaten bezüglich der Mittel zur Erreichung des Ziels einen weiten Beurteilungsspielraum zu.426 Dabei 423 424 425

GA W. van Gerven, SchlA Slg. 1991, I-997 (1017 Nr. 15) – Conforama. EuGH, Slg. 1992, I-249 (282 Rdnr. 23) – Bachmann. EuGH, Slg. 1992, I-249 (283 Rdnr. 27) – Bachmann.

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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ist für die Beurteilung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Regelungen ohne Belang, daß in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Schutzregelungen in diesem Bereich bestehen.427 Dieses Auswahlermessen reduziert sich nur dann, wenn der Mitgliedstaat sich mißbräuchlich auf diesen Rechtfertigungsgrund beruft, obwohl er ihn tatsächlich oder offenkundig nicht verfolgt.428 Gleichwohl ist festzustellen, daß der Gerichtshof nicht bei jedem Eingreifen von ordnungsrechtlichen Zielsetzungen den Umfang des Ermessens ausdehnt. Der EuGH begründete den weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten in dem Fall Heinonen ausdrücklich damit, daß die Mitgliedstaaten für die öffentliche Ordnung allein zuständig bleiben.429 Die EG verfügt nämlich auch in dieser Materie nur über beschränkte Kompetenzen. Der EuGH erweitert den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten ebenfalls, wenn es um den Schutz der kulturellen, sittlichen oder religiösen Besonderheiten geht.430 Ein Kriterium für die Ausdehnung des Spielraums im Hinblick auf die Mittel ist zudem die Verzerrungswirkung nationaler Alleingänge. Mit dem zunehmenden Grad der Harmonisierung eines Regelungsbereiches erhöht sich auch die Kontrolldichte.431 In harmonisierten Materien wird der Wettbewerb regelmäßig stärker verzerrt, wenn ein Mitgliedstaat einen Alleingang unternimmt, als in nicht harmonisierten Bereichen, in denen die Marktteilnehmer ohnehin unterschiedlichen Vorschriften unterliegen.432 Das Fehlen gemeinsamer Standards erklärt auch hier die große Einschätzungsprärogative bei der Bewertung der Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen für die öffentliche Ordnung. Für die Reichweite der mitgliedstaatlichen Gestaltungsfreiheit ist daher entscheidend, welcher Umfang den EG-Kompetenzen für den jeweiligen Bereich, dem die Privilegierungsmaßnahme zuzuordnen ist, zukommt, ob kulturelle und gesellschaftliche Anliegen berührt sind oder/und ob nationale Alleingänge zu Wettbewerbsverzerrungen führen würden.433 Es ist auch vorliegend davon auszugehen, daß der Gemeinde ein Beurteilungsspielraum dahingehend zuzubilligen ist, mit welchen Maßnahmen sie 426

EuGH, Slg. 1999, I-7289 (7315 Rdnr. 33) – Zenatti. EuGH, Slg. 1999, I-7289 (7315 Rdnr. 33 f.) – Zenatti; EuGH, Slg. 2004, I-9609 (9654 Rdnr. 38) – OMEGA. 428 H. Krieger, JZ 2005, 1021 (1026). 429 EuGH, Slg. 1999, I-3599 (3629 f. Rdnr. 43) – Heinonen; siehe auch Slg. 1997, I-6959 (6999 Rdnr. 33) – Kommission ./. Frankreich. 430 EuGH, Slg. 2004, I-9609 (9654 Rdnr. 37) – OMEGA; vgl. bereits EuGH, Slg. 1994, I-1039 (1090 Rdnr. 32, 60) – Schindler. 431 H. Krieger, JZ 2005, 1021 (1027). 432 Vgl. O. Koch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003, S. 551. 433 Vgl. H. Krieger, JZ 2005, 1021 (1028) bzgl. des Ordnungsrechts. 427

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

ihr Recht auf kommunale Selbstverwaltung wahrnehmen möchte. Die EG verfügt in den vorliegenden Bereichen nicht über Kompetenzen. Zudem werden kulturelle und gesellschaftliche Anliegen berührt. Es stellt sich somit lediglich die Frage, ob das Einwohnerprivileg primär auf die Regelung der innergemeinschaftlichen Handelsströme gerichtet ist. Der Zulassungsanspruch ist wie bereits angesprochen in den Gemeindeordnungen mit dem Prinzip der Lastentragung verknüpft.434 Daraus ergibt sich, daß er als Ausgleich für die sich aus der Zahlungsverpflichtung ergebenden Nachteile normiert wurde. Eine Absicht zur Regelung des Binnenmarktverkehrs der Gemeinschaft ist nicht ersichtlich, zumal auch alle inländischen Schausteller und Warenanbieter ausgeschlossen werden. Demzufolge ist das Einwohnerprivileg bei Volksfesten und Wochenmärkten aufgrund des der Gemeinde zustehenden Gestaltungsspielraumes zur Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung erforderlich. 2. Einheimischenabschlag In Anlehnung an die vorstehenden Ausführungen stellt sich auch bei dem Einheimischenabschlag die Frage nach einer im Vordergrund stehenden Absicht der Regelung der innergemeinschaftlichen Handelsströme. Die Tarifermäßigungen sollen in erster Linie die Einheimischen dazu anregen und überhaupt in die Lage versetzen, die öffentlichen Einrichtungen regelmäßig zu benutzen. So trägt die Gemeinde aktiv zur Freizeitgestaltung ihrer Einwohner bei, wodurch die Lebendigkeit der Ortschaft und das soziale Leben aufrechterhalten werden. Auch bei dieser Fallgruppe ist der Einfluß auf den Binnenverkehr, konkret die Dienstleistungsfreiheit, lediglich eine Nebenfolge, aber nicht eigentlicher Zweck der Maßnahme. Da vorliegend nur örtlich begrenzte Einrichtungen Gegenstand der Untersuchung sind, erhärtet die räumliche Komponente diese Sichtweise. 3. Öffentliche Auftragsvergabe Bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge ist den Gemeinden ebenfalls ein – wenn auch eingeschränkter – Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Vorliegend geht es zwar nur um Aufträge in Größenordnungen unterhalb der Schwellenwerte, also um den nicht durch die Vergaberichtlinien harmonisierten Bereich. Gleichwohl kommt den Vergaberichtlinien auch unterhalb der Schwellenwerte eine gewisse Signalwirkung zu. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, daß die Kommission bemüht ist, zumindest die tragenden Prinzipien der Vergaberichtlinien, Transparenz und Gleichbe434

Vgl. oben 4. Teil C. I. 1., 2. c).

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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handlung, auf alle öffentlichen Auftragsvergaben anzuwenden. Eine gewisse Verzerrungswirkung durch diesbezügliche nationale Regelungen ist daher festzustellen. Es ergibt sich jedoch insofern eine Besonderheit, als daß die Gemeinde über diverse Möglichkeiten der Gestaltung der Präferenzregelung verfügt. Beispielsweise kann die Privilegierung bei der öffentlichen Auftragsvergabe von vornherein so ausgestaltet werden, daß als Eignungskriterium die Ortsansässigkeit des Unternehmens vorausgesetzt wird. Dann wird den ausländischen Betrieben bereits die Möglichkeit genommen, überhaupt ein Angebot abzugeben. Sofern die Einheimischen hingegen erst bei der Zuschlagserteilung bevorzugt zum Zuge kommen, gelangt das Angebot des auswärtigen Unternehmens mit in die entscheidende Auswertung. Da die Gemeinde auch bei dieser Variante nicht daran gehindert ist, den Zuschlag dem einheimischen Unternehmen zu erteilen, sondern vielmehr einen größeren Kreis an Auswahlmöglichkeiten erhält, stellt die zuletzt genannte Ausgestaltung die mildere Variante dar. Die Gemeinde ist daher verpflichtet, diese Form der Präferenzregelung zu wählen, um dem Grundsatz der Erforderlichkeit genüge zu tun. Es verbleibt schließlich die Frage nach dem Zweck der Bevorzugung Einheimischer bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Hier ist zweifellos eine gewisse Absicht der Regelung zur Abschottung des gemeindlichen Marktes gegenüber auswärtigen Unternehmen festzustellen, wobei sich auch hier die Regelung nicht speziell gegen Betriebe aus der EG richtet. Gleichwohl kann ein solches Verhalten für Gemeinden individuell rational sein, wenn Aufträge an lokale gewerbesteuerzahlende Unternehmen vergeben werden und dadurch eventuell noch die Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeausgaben der Gemeinden für Arbeitslose reduziert werden,435 so daß das Fernhalten ausländischer Betriebe nicht als im Vordergrund stehend angesehen werden kann. Zudem handelt es sich in der Regel um örtlich tätig werdende Unternehmen und zwingend um Aufträge in Größenordnungen, die unterhalb der Schwellenwerte liegen,436 so daß der Gemeinde keine primäre Absicht zur Regelung innergemeinschaftlicher Handelsströme unterstellt werden kann. 4. Ergebnis Die Feststellung der Erforderlichkeit einer Einheimischenprivilegierung zur Wahrung der kommunalen Selbstverwaltung bereitet Schwierigkeiten. Es bietet sich eine Fülle von Maßnahmen an, die zur Herausführung ge435 Vgl. auch A. Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, 2000, S. 165. 436 Oberhalb der Schwellenwerte gelten die EG-Vergaberichtlinien, die eine Bevorzugung ortsansässiger Unternehmen im Rahmen der Zuschlagskriterien nicht gestatten.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

meindlicher Integration über bloße Passivität zu dem verfassungsrechtlich erforderlichen ständig latenten, sich hinreichend aktualisierenden Einheitsbewußtsein beitragen können. Die vielfältigen Gestaltungsformen von Einheimischenprivilegierungen zeigen, welch breites Instrumentarium sich soziale Einheitsbildung nutzbar machen kann. Sie sind zugleich Ausdruck der Variabilität und Komplexität, die den Prozeß stetiger Formierung einer Summe von Individuen zur politischen Gemeinschaft kennzeichnen. Infolgedessen kann ein solcher Prozeß nicht abschließend, sondern lediglich beispielhaft, in typischen Abläufen beschrieben werden. So bedarf Integration zwar eines Mindestbestandes an Formen, in denen sie sich realisiert und äußert. Denn als sozialer, zwischenmenschlicher Vorgang setzt sie voraus, daß die beteiligten Individuen aus dem Kreis der je eigenen, abgeschlossenen Subjektivität heraustreten, daß sie miteinander kommunizieren und daß ihre Gemeinsamkeiten im Handeln und Verhalten in Erscheinung treten und sich verfestigen. Das bedeutet aber nicht, daß jedes einzelne Mittel der Objektivierung von Integration für sich genommen unverzichtbar wäre. Der ersatzlose Fortfall diverser Einheimischenprivilegierungen in größerem Umfang indiziert jedoch eine Minderung der Integration insgesamt. Darüber hinaus ist festzuhalten, daß, wie auch immer die Formen und Einrichtungen der Einheitsbildung und –betätigung im einzelnen beschaffen sein mögen, jedenfalls ein Mindestbestand vorhanden sein sollte, damit sich gemeindliche Integration vollziehen kann. Schließlich wird man der Bedeutung nach zwischen zahlreichen denkbaren und vorhandenen Ansätzen und Artikulationsmöglichkeiten unterscheiden müssen. Einige wird man für schwer oder gar nicht verzichtbar halten, andere dagegen schon. Da jede gemeindliche Integration auf den konkreten personellen und sächlichen Gegebenheiten des jeweiligen lokalen Bereichs beruht, sich auf die konkrete und individuelle Einheit der jeweiligen örtlichen Gemeinschaft richtet, bleiben allgemeinen Aussagen über integrationsrelevante Maßnahmen enge Grenzen gezogen. Die Vielzahl der Determinanten entzieht gemeindliche Integration strikter genereller und abstrakter Berechenbarkeit. Selbst auf den konkreten Fall hin sind der Prognose Schranken gezogen. Die Zahl der Determinanten, ihre vielfältigen Konsequenzen, der letztlich irrationale Prozeß ihres Zusammenwirkens erlauben keine restlose Ausschöpfung. Die Differenzierungen vervielfältigen sich dadurch, daß sich auch gleiche Bedürfnisse von Gemeinde zu Gemeinde nicht in gleicher Weise umsetzen lassen. Umgekehrt freilich ergibt sich: Nur solche Maßnahmen können der individuellen gemeindlichen Integration gerecht werden, die an den objektiven und subjektiven Gegebenheiten und Tendenzen des je konkreten Falles möglichst präzise anknüpfen. Im Ergebnis ist bezogen auf die Prüfung des Erforderlichkeitsgrundsatzes folgendes festzustellen: Der Rechtfertigungsgrund der kommunalen Selbst-

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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verwaltung bezweckt nicht nur die Verfolgung einer konkreten Zielsetzung wie beispielsweise der Rechtfertigungsgrund der raumplanerischen Ziele. Vielmehr ist er darauf ausgerichtet, den Gemeinden in einem bestimmten Bereich größtmögliche Handlungsfreiheit zu gewähren. Damit beinhaltet er grundsätzlich auch das Recht, darüber zu entscheiden, welche und wie viele konkrete Maßnahmen zur Förderung der Einwohner getroffen werden sollen. Es kann daher bei der Prüfung der Erforderlichkeit grundsätzlich nicht darum gehen, ob die kommunale Selbstverwaltung nicht durch eine andere Maßnahme der Einheimischenprivilegierung gewährleistet werden kann. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit hat die die Gemeinde zunächst den konkreten Zweck der Maßnahme der Einheimischenprivilegierung herauszuarbeiten. Anhand der Zielsetzung ist zu untersuchen, ob eine Begrenzung der Maßnahme auf die Einheimischen zur Erreichung des Zwecks tatsächlich erforderlich ist.437 Die Gemeinde hat in der Regel aufgrund des Gestaltungsspielraums nicht zu überprüfen, ob sie anstatt der anvisierten Einheimischenprivilegierung A die Einheimischenprivilegierung B wählt, da diese möglicherweise weniger einschränkende Konsequenzen besitzt. Voraussetzung ist dann aber, daß die Maßnahme nicht primär auf die Regelung der innergemeinschaftlichen Handelsströme gerichtet ist. Für die Reichweite der gemeindlichen Gestaltungsfreiheit bei der konkreten Auswahl der Maßnahme ist in Anlehnung an die oben genannte Rechtsprechung des EuGH438 weiterhin entscheidend, welcher Umfang den EG-Kompetenzen für den jeweiligen Bereich, dem die Privilegierungsmaßnahme zuzuordnen ist, zukommt, ob die Maßnahme nicht als nationaler Alleingang zu Wettbewerbsverzerrungen führt und daß kein Mißbrauch des Rechtfertigungsgrundes vorliegt. Sofern kulturelle oder gesellschaftliche Anliegen berührt werden, wird der Gestaltungsspielraum der Gemeinde zusätzlich erhöht. Im Anschluß daran ist die anvisierte Maßnahme nur noch daraufhin zu überprüfen, ob verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten der konkreten Regelung denkbar sind. Ist dies der Fall, ist zwingend die mildere Variante zu wählen.439 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Maßnahme den EGAusländern das Recht auf Zugang gänzlich verwehrt. Die Forderung nach einer grundsätzlichen Ausweitung des Adressatenkreises der Vorzugsleistung widerspricht allerdings der Anerkennung der kommunalen Selbstverwaltung als legitimes zwingendes Erfordernis.

437 438 439

Vgl. beispielhaft oben 5. Teil C. II. 1. Vgl. oben 5. Teil C. II. 1. Vgl. beispielhaft oben 5. Teil C. II. 3.

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

III. Angemessenheit Abschließend stellt sich die Frage, ob ein offensichtliches Mißverhältnis zwischen der Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung und der Beeinträchtigung des Binnenmarktes durch die jeweilige Einheimischenprivilegierung besteht. Die kommunale Selbstverwaltung ist ein Gut, das in den meisten EG-Mitgliedstaaten nationalen Verfassungsrang genießt, und somit bereits aus diesem Grund als hochrangiges Ziel anzusehen. Da die Verwirklichung eines freien Binnenmarktes von fundamentaler Relevanz für die Europäische Gemeinschaft ist und an hervorgehobener Stelle im EGVertrag verankert wurde,440 sind die in Rede stehenden konfligierenden Ziele als zunächst gleichrangig einzustufen. Um ein Abwägen dieser beiden hochrangigen Schutzgüter zu ermöglichen, ist einerseits das Maß der Beeinträchtigung des freien Handelsverkehrs durch die jeweiligen Einheimischenprivilegierungen zu bestimmen und andererseits die Frage zu erörtern, wie es sich auf das zu schützende Gut – die kommunale Selbstverwaltung – auswirkt, wenn die betroffene Einheimischenprivilegierung nicht durchgeführt werden dürfte. Eine Gefährdung des Wesensgehalts der kommunalen Selbstverwaltung wird regelmäßig nicht eintreten, wenn Einheimischenprivilegierungen ersatzlos wegfallen, da diese nicht zum Kernbereich dieser Gewährleistung zählen. Den Ausführungen zum Grundsatz der Erforderlichkeit zufolge steht den Gemeinden ein Handlungsspielraum zu, mit welchen Maßnahmen sie die kommunale Selbstverwaltung fördern wollen. Kommunale Selbstverwaltung entwickelt sich aus den konkreten personellen und sächlichen, räumlichen und zeitlichen Gegebenheiten im Einzelfall. Sie zielt auf Individualität, ist enumerativ nicht ausschöpfbar noch quantifizierbar und kann infolgedessen mit generalisierenden Maßstäben nicht sachgerecht erfaßt werden. Da solche Einheitsbildung der örtlichen Gemeinschaft wesentlich auf geschichtlicher Entwicklung und gewachsenen Strukturen beruht, folgt daraus, daß dieser Bestand als Eigenwert sachangemessen zu berücksichtigen und eine konkrete Prüfung und Bewertung im Einzelfall notwendig ist. Dabei spielt zum einen eine Rolle, ob die Gemeinde bereits mehrere Vorzugsleistungen an Einheimische vergibt. Die Möglichkeit, einen gewissen Bestand an derartigen Maßnahmen zu verwirklichen, wirkt sich positiv auf die Einheitsbildung in der Gemeinde aus, da durch das gemeinsame Miteinander das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt und auch nach außen hin sichtbar wird. Sofern die Gemeinde hingegen bei allen Leistungen den begünstigten Personenkreis nur auf Einheimische begrenzt, kann die Grenze zur Zumutbarkeit überschritten werden. Andererseits ist zu berücksichtigen, ob die Maßnahme eine wesentliche Aufgabe des örtlichen 440

Vgl. dazu bereits 2. Teil C. III.

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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Wirkungskreises betrifft. Zwar stellt sich regelmäßig nicht die Frage nach der Zuordnung der einzelnen Maßnahme zum Kern- oder Randbereich, wohl aber, ob es sich um eine Aufgabe handelt, die als wesentlicher Bestandteil der gemeindlichen Tätigkeit angesehen wird. So stellen beispielsweise die Schaffung von öffentlichen Einrichtungen zum Wohl der Einwohner sowie auch die Vergabe öffentlicher Aufträge wichtige Bereiche der Selbstverwaltungsangelegenheiten dar. In diesem Fall erhöht sich auch der zu berücksichtigende Stellenwert der Maßnahme. Wenn die Einheimischenprivilegierung lediglich im äußersten Randbereich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzusiedeln ist, kann eher auf sie verzichtet werden. Zudem ist die Bedeutung der jeweiligen Einheimischenprivilegierung für die konkrete Gemeinde zu beachten, so daß ein und dieselbe Begünstigung in der einen Kommune unangemessen erscheint, in der anderen hingegen nicht. So kann beispielsweise in einer kleinen ländlichen Gemeinde das Schwimmbad oder ein besonderes Heimatmuseum die Hauptattraktivität darstellen, die als Treffpunkt für Einheimische dient und die die gemeindliche Besonderheit ausmacht. Dort stellt eine Privilegierung möglicherweise die einzige effektiv wirkende Begünstigung dar. Eine andere Beurteilung kann sich in einer Großstadt ergeben, die viele öffentliche Einrichtungen besitzt. Im Ergebnis ist die jeweilige Beurteilung im Einzelfall entscheidend, wobei den Gemeinden zugebilligte Handlungsspielraum angemessen zu berücksichtigen ist. Da vorliegend sowohl hinsichtlich der Zulassung und der Benutzung öffentlicher Einrichtungen als auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wesentliche Aufgabenbereiche der Gemeinde betroffen sind, fallen diese Maßnahmen der Einheimischenprivilegierungen im Hinblick auf die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung schwer ins Gewicht. Nachfolgend ist nunmehr das Ausmaß des Eingriffs in den Binnenmarkt durch die jeweilige Form der Einheimischenprivilegierung gesondert zu bestimmen. 1. Einwohnerprivileg Bei der Frage nach der Intensität der Beeinträchtigung kommt es zunächst darauf an, ob das gemeindliche Einwohnerprivileg bei Märkten und Volksfesten in den Kern- oder Randbereich des Binnenmarktes eingreift. Durch die Beschränkung des Teilnehmerkreises auf Einheimische wird dem ortsfremden EG-Ausländer das Anbieten von Waren beziehungsweise die Unterhaltung des Publikums gänzlich versagt. Der Zugang zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit wird demnach für ein bestimmtes räumliches Gebiet in einem konkreten Zeitraum verneint. Andererseits führt das Einwohnerprivileg nicht dazu, daß eine freie Standortwahl generell nicht mehr möglich erscheint. Der Unternehmer kann seine Tätigkeit grundsätzlich dort anbie-

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

ten, wo ihm die Voraussetzungen am günstigsten erscheinen. Da jedoch das Einwohnerprivileg zumindest teilweise den Zugang zu einem wirtschaftlichen Tätigwerden der ausländischen Unternehmer verneint, ist ein Eingriff in den Kernbereich des Binnenmarktes zu konstatieren. Weiterhin stellt sich die Frage nach der Intensität. An dieser Stelle ist zu berücksichtigen, daß die Warenanbieter oder Schausteller ihre Produkte und Künste im gesamten Inland anbieten können mit Ausnahme derjenigen Gemeinden, die ihre Volksfeste und Jahrmärkte als öffentliche Einrichtungen ohne Widmungserweiterungen durchführen. Zusätzlich ist zu bedenken, daß es sich nur um eine örtlich begrenzte Veranstaltung handelt, die regelmäßig nur das einheimische Publikum ansprechen soll. Insofern ist der Vorteil für die einheimischen Betriebe bei örtlich begrenzten Wochenmärkten sehr groß, da es sich in der Regel bei dem Angebot um verderbliche Waren handelt, die vor Ort bezogen werden, so daß zu erwarten ist, daß sich auf diese Weise längerfristige Kundenbeziehungen mit einigen anwesenden Bürgern entwickeln. Dabei ist auch die Anzahl der pro Gemeinde veranstalteten Volksfeste in Betracht zu ziehen. Regelmäßig handelt es sich hierbei nur um eine Veranstaltung pro Jahr, so daß ein Ausschluß nicht unzumutbar erscheint. Eine andere Sichtweise ergibt sich bezüglich des Wochenmarktes. Sofern der ausländische Warenanbieter Interesse hat, regelmäßig an dieser Veranstaltung teilzunehmen, ist im Einzelfall zu erörtern, ob die Gemeinde einen gewissen Prozentsatz in Abhängigkeit von der Größe des Wochenmarktes und der ausländischen Interessenten für Letztere zu reservieren hat. Im Einzelfall ist weiterhin in Betracht zu ziehen, ob den ausländischen Unternehmern noch genügend Raum verbleibt, ihre Produkte und Schaustellereien grundsätzlich anzubieten. Dabei ist die Gesamtsituation in einem Mitgliedstaat zu berücksichtigen. Einerseits kann die Kommune solche Veranstaltungen nach § 69 GewO festsetzen, so daß sich der anspruchsberechtigte Teilnehmerkreis auch auf EG-Ausländer erstreckt, andererseits gibt es andere staatliche Stellen, die nicht über die Möglichkeit der Zulassungsbeschränkung verfügen. Sofern alle Gemeinden Volksfeste und Wochenmärkte ausschließlich als öffentliche Einrichtungen ohne Widmungserweiterungen betreiben, kommt dies faktisch einem Zugangsverbot zu diesem speziellen Markt gleich. Wenn aber ausreichend weitere Möglichkeiten bestehen, um wirtschaftlich tätig zu werden, ist das Einwohnerprivileg zu örtlichen Volksfesten und Wochenmärkten dem ortsfremden Schausteller oder Warenanbieter aus einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich zuzumuten.

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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2. Einheimischenabschlag Beim Einheimischenabschlag ist zunächst festzustellen, daß hier die passive Dienstleistungsfreiheit betroffen ist. Insofern ist jedoch keine geringere Eingriffsintensität als bei der aktiven Gewährleistung festzustellen. Nach dem Sinn und Zweck der Grundfreiheiten sind beide Varianten gleichermaßen schützenswert. Es macht schließlich keinen Unterschied, ob ein Unionsbürger eine Leistung nicht in Empfang nehmen darf oder ob ihm die Leistungserbringung unmöglich gemacht wird.441 Berücksichtigt man das gemeinschaftsrechtliche Beihilferecht, so ergibt sich, daß einer Begünstigung bis 100.000 Euro keine spürbaren Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr beigemessen wird. Dies bedeutet aber gleichzeitig, daß den einzelnen Unternehmen die Nachteile aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zugemutet werden, sofern die Höhe den genannten Betrag nicht übersteigt. Die Eingriffsintensität in den Binnenmarkt ist daher als gering einzustufen. Zudem wird dem Unionsbürger beziehungsweise dem EGausländischen Unternehmen nicht der Zugang zur Dienstleistung gänzlich versagt. Er kann die Leistung grundsätzlich in Anspruch nehmen. Das in den kommunalen Abgabengesetzen verankerte442 Äquivalenzprinzip, eine abgabenrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,443 verlangt eine Bemessung der Gebühren nach dem Ausmaß der Benutzung der öffentlichen Einrichtung. Die danach erforderliche leistungsorientierte Bemessung muß sich somit grundsätzlich am Wirklichkeitsmaßstab, das heißt dem tatsächlich quantifizierten Benutzungsverhalten orientieren.444 Da die Gemeinden an das Äquivalenzprinip gebunden sind, werden sie regelmäßig die erhöhte Gebühr für Auswärtige an den Wert der konkret erbrachten Verwaltungsleistung anpassen, und darauf bedacht sein, daß die Summe der auf dieser Basis insgesamt zu erbringenden Gebühren den zur Kostendeckung erforderlichen Betrag nicht überschreitet.445 Daraus ergibt sich, daß die Gemeinden die Gebühr für Auswärtige nicht in einer Höhe festsetzen, die faktisch einem Zugangsverbot gleichkommt. Sofern der Besuch der öffentlichen Einrichtung unproblematisch in diesem Bereich liegt, ist nicht von einer Unzumutbarkeit für die EG-ausländischen Unternehmen beziehungsweise Bürger auszugehen. 441 So auch P. Tiedje/J. Troberg, in: v. d. Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/ EGV, 2003, Art. 49 Rdnr. 10. 442 Vgl. § 9 BWKAG, Art. 8 Abs. 4 BayKAG, § 6 NWKAG, § 10 SächsKAG. 443 BVerfGE 50, 217 (227). 444 U. Becker/M. Sichert, JuS 2000, 552 (554). Die Gebühr wird heutzutage jedoch auch als Lenkungsinstrument verstanden, so daß zusätzlich lenkende Nebenzwecke mit einbezogen werden können, vgl. BVerfGE 50, 217 (227). 445 BVerwG, BayVBl. 1997, 437 (438); C. Brodersen, JuS 1998, 466 (466).

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

3. Öffentliche Auftragsvergabe Hinsichtlich der privilegierten Auftragsvergabe ist eine starke Eingriffsintensität in den Binnenmarkt festzustellen. Zwar wird auch hier aufgrund des Grundsatzes der Erforderlichkeit nicht der Zugang zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit gänzlich unterbunden. Gleichwohl könnte es faktisch zu einer Zugangsuntersagung kommen, wenn die Gemeinde bei der Zuschlagserteilung nicht in angemessener Weise alle abgegebenen Angebote prüft, sondern direkt die ortsansässigen Unternehmen bevorzugt. Der öffentliche Auftragsmarkt gilt als Prüfstein der Liberalisierung der Handelsströme, so daß mit einer Bevorzugung der ortsansässigen Unternehmen in den Kernbereich des Binnenmarktes eingegriffen wird. Da etwa die Hälfte aller öffentlichen Aufträge von der lokalen und regionalen Ebene vergeben wird, wäre dieser große Markt praktisch für den realen Wettbewerb auf Gemeinschaftsebene unzugänglich. Angesichts der großen Nachfragemacht der Gemeinden wurden die Kosten, die durch diese „Nichtverwirklichung Europas“ im öffentlichen Beschaffungswesen entstehen, auf 21,5 Mrd. Euro beziffert.446 Der erhöhte Konkurrenzdruck bewirkt eine größere Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen auf dem Weltmarkt.447 Diese positive, durch die Gemeinschaft ausdrücklich angestrebte Folge wird konterkariert, wenn ein solch großer Bereich des freien Handelsverkehrs als Sondermarkt mit eigenen Regeln qualifiziert wird. Ein liberalisiertes Auftragswesen mit transparenten und fairen Vergabeverfahren trägt auch dazu bei, Betrug und Korruption in der öffentlichen Verwaltung zu verringern und die Verwaltung insgesamt effektiver zu machen,448 was grundsätzlich die Handlungsspielräume für eine effiziente Leistungserstellung entsprechend den Präferenzen der Bürger erhöht.449 Führt das Verfahren zur Auswahl der günstigsten Bieter, können Kosten eingespart werden, so daß sich die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde erhöhen. Daher beeinflußt die privilegierte Vergabe an ortsansässige Unternehmen nicht nur in gravierendem Ausmaß den freien Binnenverkehr, sondern bringt auch Nachteile für die Gemeinde mit sich. Auch die Möglichkeit, einen gewissen prozentualen Anteil der öffentlichen Aufträge den örtlichen Unternehmen vorzubehalten, ist aufgrund der Gefahr von Mißbräuchen abzulehnen. Angesichts der vielfältigen weiteren Wege, die kommunale Selbstverwaltung zu verwirklichen, steht die Wahrung dieses Schutzguts zu der konstatierten Beeinträchtigung des Binnenmarktes grundsätzlich in einem offensichtlichen Mißverhältnis. 446

P. Cecchini, Europa ’92: Der Vorteil des Binnenmarktes, 1988, S. 39. N. Crass, Der öffentliche Auftraggeber, 2004, S. 4. 448 Kommission, Grünbuch – Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft, KOM (96), 583 endg., S. 9. 449 A. Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, 2000, S. 163. 447

C. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

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4. Ergebnis Regelmäßig kommt im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Prüfung der Verhältnismäßigkeit dem Grundsatz der Erforderlichkeit bei der Frage nach der EG-Rechtskonformität eine maßgebende Bedeutung zu. Da in den vorliegenden Fällen die Erforderlichkeit einer Maßnahme nur eingeschränkt überprüfbar ist, entscheidet hier die Untersuchung der Angemessenheit über den Bestand der Einheimischenprivilegierung vor dem EG-Recht. Das Ergebnis muß auf einer sorgfältigen Abwägung aller für und gegen es sprechenden Gesichtspunkte beruhen, die die Auswirkungen auf den betroffenen Bereich des Binnenmarktes voll und unter Beachtung seines Stellenwertes im EG-Vertrag einbeziehen. Weil der Binnenmarkt als fundamentaler Verfassungswert statuiert ist, der Berücksichtigung und Förderung verlangt, kann eine Maßnahme der Einheimischenprivilegierung rechtlich keinen Bestand haben, die diesen Wert nicht hinreichend in Bedacht nimmt. Erforderlich ist daher, daß im Entscheidungsprozeß festgestellt wird, ob und in welchem Maße, gemessen an der vorhandenen Situation und im Vergleich mit den prognostizierten Konsequenzen der geplanten Maßnahme, der Aspekt der Verwirklichung des Binnenmarktes sie als förderlich oder mindernd ausweist. Das so gewonnene Ergebnis ist dann weiterhin erschöpfend in Bezug zu allen übrigen legitimen Gesichtspunkten zu setzen, die für und gegen die Entscheidung sprechen. Im Hinblick auf das Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die in Rede stehende Einheimischenprivilegierung ein wesentliches Aufgabengebiet von lokaler Bedeutung betrifft und ob sich Anhaltspunkte für einen Mißbrauch der Lokalpräferenz zu Vetternwirtschaft und Abschottung des Marktes feststellen lassen. Es würde den Wertungsvorgang unzulässig verkürzen beziehungsweise seiner sachgegebenen Komplexität nicht gerecht werden, wollte man das gemeinschaftsrechtliche Gut des freien Handelsverkehrs als auch die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung grundsätzlich als einheitliches, in seiner Argumentationsrichtung eindeutiges Interesse in Ansatz bringen. Daher kann weder ein genereller Vorrang des Binnenmarktes noch ein grundsätzliches Zurücktreten des Freiverkehrs hinter die kommunale Selbstverwaltung postuliert werden. Gerade angesichts der Besonderheit jedes einzelnen Falles erscheint eine derartige generelle Aussage nicht sachangemessen. Generell gilt: Eine Inanspruchnahme der Leistung für EG-Ausländer unter schlechteren Bedingungen als Inländer kann eher gerechtfertigt werden als ein vollständiges Zugangsverbot zu dieser Leistung. Je weniger die Maßnahme an wirtschaftliche Momente anknüpft oder anders formuliert, je mehr sie andere als wirtschaftliche Zwecke wie etwa gemeinnützige oder mildtätige Gesichtspunkte in den Vordergrund stellt, desto eher wird die Maßnahme als mit dem gemeinsamen Binnenmarkt vereinbar angese-

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5. Teil: Rechtfertigung durch die kommunale Selbstverwaltung

hen. Sofern beispielsweise eine Gemeinde nur ihren ortsansässigen gemeinnützigen Vereinen die Stadthalle für Theateraufführungen etc. zu verbilligten Konditionen zur Verfügung stellt, ist diese Bevorzugung Einheimischer als wenig wirtschaftlich und daher eher als angemessen zu bewerten, als wenn sie die Stadthalle nur ortsansässigen Unternehmen für gewerbliche Zwecke etwa einer Firmenpräsentation verbilligt überlassen möchte. Des weiteren ist die Gesamtsituation in der Gemeinde entscheidend. Je weniger Leistungen oder Angebote die Gemeinde bislang auf ihre Einheimischen begrenzt hat, desto eher wird die Angemessenheit zu bejahen sein, da ein Mindestbestand an Privilegierungsmaßnahmen in jedem Fall möglich sein muß. Konkret bezogen auf die vorliegenden Fallgruppen ist folgendes Ergebnis festzustellen: Wenn den EG-ausländischen Schaustellern und Warenanbietern ausreichend weitere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um im Inland ihre Künste und Produkte anzubieten, steht das Einwohnerprivileg zu örtlichen Volksfesten und Wochenmärkten grundsätzlich nicht in einem offensichtlichen Mißverhältnis zum gemeinschaftsrechtlichen Binnenmarkt und ist damit als verhältnismäßig anzusehen. Sofern die Gemeinde die Gebühr für Auswärtige nicht in einer Höhe festsetzt, die faktisch einem Zugangsverbot gleichkommt, ist der Einheimischenabschlag bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen grundsätzlich verhältnismäßig. Bei der bevorzugten Vergabe öffentlicher Aufträge an lokale Unternehmen überwiegt hingegen das gemeinschaftsrechtliche Ziel des Binnenmarktes, so daß diese Maßnahmen der Einheimischenprivilegierung aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als EG-rechtswidrig einzustufen sind. Folglich ist auch eine Privilegierung im Rahmen der Bedingungen über die Auftragsausführung oberhalb der Schwellenwerte der EG-Vergaberichtlinien nicht möglich.450

450

Vgl. oben 3. Teil C. II. 3. c).

6. Teil

Ausblick A. Schutzgehalt der kommunalen Selbstverwaltung durch die zukünftige Europäische Verfassung Der vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs in Laeken im Jahre 2001 einberufene „Konvent zur Zukunft Europas“ legte am 18.7.2003 einen Entwurf für einen „Vertrag über eine Verfassung für Europa (VV)“1 vor. Die Regierungskonferenz überarbeitete diesen Entwurf und nahm im Rahmen der Tagung des Europäischen Rates am 18.6.2004 einstimmig den endgültigen Text des Verfassungsvertrags an.2 Gemäß Art. IV-447 Abs. 1 VV bedarf dieser Verfassungsvertrag nun der Ratifikation durch jeden Mitgliedstaat nach den jeweiligen nationalen Vorschriften.3 Der Vertrag sollte am 1.11.2006 in Kraft treten, sofern bis zu diesem Zeitpunkt die Ratifikationsurkunden aller Mitgliedstaaten bei der italienischen Regierung hinterlegt worden sind, oder andernfalls am ersten Tag des zweiten auf die Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde folgenden Monats.4 Bislang wurde der Verfassungsvertrag von 13 Ländern ratifiziert: Österreich, Zypern, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Slowakei, Slowenien und Spanien. Da sich allerdings sowohl die französische als auch die niederländische Regierung aufgrund gescheiterter Volksreferenden gegen den Verfassungsvertrag entschieden haben, wurde der Ratifikationsprozeß zunächst für ein Jahr unterbrochen. Die Aussagen des Verfassungsvertrags werden jedoch im Hinblick 1

Vgl. hierzu den Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa, übergeben an den Präsidenten des Europäischen Rates in Rom am 18.7.2003. 2 Aus der Literatur zur zukünftigen Verfassung der EU siehe grundlegend R. Streinz/C. Ohler/C. Herrmann, Die neue Verfassung für Europa, 2005; C. Berg/ G. K. Kampfer (Hrsg.), Verfassung für Europa, 2004; T. Oppermann, DVBl. 2003, 1 (1 ff.); H. H. Rupp, JZ 2003, 18 (18 ff.); vgl. auch W. Schwanengel/T. Stoltenberg, BayVBl. 2004, 77 (77 ff.). 3 In Irland und Dänemark sind Referenden zwingend erforderlich, in Frankreich, Niederlande, Belgien, Luxemburg, Großbritannien, Spanien, Portugal, Polen, Tschechien wahrscheinlich und in Deutschland, Griechenland, Malta und Zypern nach gegenwärtiger Rechtslage nicht möglich. Die übrigen Mitgliedstaaten könnten Volksabstimmungen durchführen, sind aber noch unentschieden. 4 Vgl. Art. IV-447 Abs. 2 VV.

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6. Teil: Ausblick

auf das vorliegende Thema, unabhängig von dem weiteren Schicksal des Vertrags, jedenfalls in der Tendenz ihre Gültigkeit nicht verlieren. Wie der Vertrag letztlich umgesetzt wird, ob er in dieser Form bestehen bleibt, in veränderter Form oder aufgeteilt in verschiedene Vertragsrevisionen zum EU- bzw. EG-Vertrag Realität wird, mag dahinstehen. Der Inhalt der hier interessierenden Vorschriften über die Gemeinden, die Dezentralisation und die Bürgernähe wird nicht hinter den Stand des Verfassungsvertrags zurückfallen. Teil I des Verfassungsvertrags war insgesamt weitgehend unstrittig, insbesondere hinsichtlich der Regelungen, die die oben genannten Bereiche betrafen. Der Verfassungsvertrag scheiterte vielmehr unter anderem daran, daß er noch immer zu wenig Bürgernähe gewährleistet. Im folgenden ist daher erstens zu klären, welchen Schutzgehalt der zukünftige Verfassungsvertrag der lokalen Ebene gewährt, und zweitens, welche Auswirkungen diese Zuweisung auf die kommunalen Handlungsspielräume besitzt.

I. Allgemeines Der von den Staats- und Regierungschefs am 18.6.2004 angenommene und gegenüber dem vom Europäischen Konvent5 am 18.7.2003 verabschiedeten Entwurf fortgeschriebene Vertrag über eine Verfassung für Europa6 bringt nicht nur gegenüber dem geltenden Recht einen wesentlichen Fortschritt, sondern bewegt sich ungeachtet gewisser inhaltlicher Spannungen, Brüche und Redundanzen auf hohem Niveau.7 In ihren fortschreitenden und konsolidierenden Gehalten stellt sich die Verfassung als bedeutender Schritt nach vorn dar. Die Beanspruchung des Begriffs „Verfassung“ für die völkerrechtliche Grundlage der Europäischen Union, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits vor geraumer Zeit als Verfassungsurkunde der Union qualifiziert worden ist und im funktionalen Sinn zweifelsohne eine verfassungsrechtliche Grundordnung bildet,8 bedeutet keinen Wandel in der Identität der EU.9 Der vorgelegte Verfassungsvertrag läßt deutlich erkennen, daß eine Konstituierung als Staat nicht beabsichtigt ist und der Union auch keine Kompetenz-Kompetenz eingeräumt werden soll.10 Die Herrschaft der Mitgliedstaaten über die Verträge bleibt demnach erhalten.11 Betrachtet man 5 Zur Zusammensetzung und Arbeitsweise des Konvents vgl. T. Oppermann, DVBl. 2004, 1264 (1265 ff.). 6 Vgl. CIG 86/04. 7 M. Nettesheim, EuR 2004, 511 (513). 8 Vgl. EuGH, Slg. 1986, 1339 (1365 Rdnr. 23) – Les Verts; Slg. 1991, I-6079 (6102 Rdnr. 21) – EWR-Gutachten. 9 So aber D. Grimm, Die größte Erfindung unserer Zeit, in: FAZ Nr. 137 v. 16.6.2003, S. 35. 10 J. Wuermeling, BayVBl. 2004, 577 (578).

A. Schutzgehalt der kommunalen Selbstverwaltung

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die verschiedenen Vertragsänderungen, an deren Abschluß nun der Verfassungsvertrag steht, so ist festzustellen, daß sich das Bild der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in den letzten fünfzig Jahren von einem rein ökonomisch orientierten Staatenverbund hin zu einer politischen Union wandelte, deren Interessen auf einer weitaus größeren Basis als früher stehen, und die als umfassende Wertegemeinschaft verstanden werden kann.12 Dennoch hat die ökonomische Komponente nicht an Bedeutung verloren. Obwohl die Union kein reines Wirtschaftsbündnis mehr darstellt, spielt das Binnenmarktziel auch in Zukunft eine entscheidende Rolle.13 Die EU soll ihren Bürgerinnen und Bürgern auch weiterhin einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb bieten.14

II. Stellenwert der Kommunen im zukünftigen Verfassungsvertrag Die Kommunen in ganz Europa stehen vor neuen Herausforderungen, die es sinnvoll erscheinen ließen, ihre Rolle und künftige Stellung in der EU zu überdenken und neu zu definieren. Dem Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE), der mit über 100.000 Gebietskörperschaften den größten Interessenverband der Kommunen und Regionen in der EU darstellt, gelang es, alle anderen größeren europaweit agierenden Kommunal- und/oder Regionalverbände der EU für eine einheitliche Linie von Forderungen zu gewinnen. Angesichts des zunehmend größeren Raumes, den die regionale und lokale Dimension im Leben der Union einnimmt, stand an erster Stelle der Erwartungen und Forderungen die feste Verankerung kommunaler Selbstverwaltung und lokaler Autonomie in den ersten Artikeln der Verfassung der EU.15 Weitere bedeutsame Forderungen der Kommunen an den EU-Konvent betrafen die Konkretisierung der kommunalen und regionalen Rechte bezüglich des Grundsatzes der Subsidiarität sowie die Bereiche der 11 So auch T. v. Danwitz, NJW 2005, 529 (529); T. Oppermann, DVBl. 2004, 1264 (1271). 12 Vgl. N. Rauer, Zwischen Binnenmarkt und Wahrung nationaler Identität, 2003, S. 135. 13 J. Schwarze, EuR 2003, 535 (539). 14 Vgl. Art. I-3 Abs. 2 VV. 15 Zusammenfassung der Beratungen der Kontaktgruppe „Regionale und lokale Gebietskörperschaften, CONV 523/03, vom 31.1.2003, S. 2, http://www.europakonvent.info/europa konvent/konvent/psfile/download/44/Regionen_d3e426c193b155. pdf; vgl. auch den Übermittlungsvermerk des Präsidiums an den Konvent betreffend die regionale und lokale Dimension in Europa, CONV 518/03, vom 29.1.2003, S. 3 Nr. 5, abgedruckt unter http://register.consilium.eu.int/pdf/de/03/cv00/cv00518de03. pdf; C. Einem, Beitrag zur regionalen und lokalen Dimension in Europa, 7.2.2003, Nr. 1, abgedruckt unter http://european-convention.eu.int/docs/speeches/7028.pdf.

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6. Teil: Ausblick

Gesetzesfolgenabschätzung und der finanziellen Belastungen der Gebietskörperschaften bei EU-Vorhaben.16 Schließlich sollte eine Stärkung des beratenden Ausschusses der Regionen erfolgen, indem dieser mit organschaftlichen Rechten, insbesondere einem eigenen Klagerecht vor dem EuGH ausgestattet wird.17 Die von den europäischen Kommunalverbänden wie auch von den Regionen geforderte Einsetzung eines eigenen Arbeitskreises des Konvents, der sich mit der Rolle der Kommunen und Regionen im Aufbau der EU befassen sollte, ließ sich allerdings nicht durchsetzen. Der Konvent befürchtete zu viele vergleichbare Wünsche anderer Verbände und Organisationen. Dennoch bildete der Präsident des Konvents eine Kontaktgruppe zu den Verbänden der Kommunen und Regionen, in der diese ihre Forderungen und Vorschläge gezielt einbringen konnten. Diese Kontaktgruppe wurde zu einem wichtigen Instrument für die kommunalrelevanten Ergebnisse.18 Zudem nahmen sechs Vertreter aus dem beratenden Ausschuß der Regionen mit dem Recht zur schriftlichen und mündlichen Stellungnahme am Konvent beobachtend teil. Da sowohl der Ausschuß der Regionen als auch das Europäische Parlament die wichtigsten kommunalen Ziele in ihren Stellungnahmen übernahmen, haben die Gemeinden im Ergebnis eine Reihe wichtiger Reformziele erreicht. 1. Achtung der nationalen Identität Der gemeinsamen Forderung der Plattform der Verbände, des Europäischen Parlaments, der Kommission und des Ausschusses der Regionen19 wurde entsprochen und die lokale und regionale Selbstverwaltung mit Art. 16 Vgl. den Übermittlungsvermerk des Präsidiums an den Konvent betreffend die regionale und lokale Dimension in Europa, CONV 518/03, vom 29.1.2003, S. 6 Nr. 13, http://register.consilium.eu.int/pdf/de/03/cv00/cv00518de03.pdf. 17 Vgl. CONV 523/03 vom 31.1.2003, S. 2, http://www.euro pakonvent.info/ europakonvent/konvent/psfile/download/44/Regionen_d3e426c193b155.pdf; vgl. den Übermittlungsvermerk des Präsidiums an den Konvent betreffend die regionale und lokale Dimension in Europa, CONV 518/03, vom 29.1.2003, S. 7 ff. Nr. 14 ff., http://register.consilium.eu.int/pdf/de/03/cv00/cv00518de03.pdf; a. A. C. Einem, Beitrag zur regionalen und lokalen Dimension in Europa, v. 7.2.2003, Nr. 3, http:// european-convention.eu.int/docs/speeches/7028.pdf; A. Bore, der städtetag 2/2002, 16 (18). 18 Vgl. die Zusammenfassung der Beratungen der Kontaktgruppe „Regionale und lokale Gebietskörperschaften“, CONV 523/03 vom 31.1.2003, S. 1 ff., http:// www.europakonvent.info/europakonvent/konvent/psfile/download/44/Regionen_d3e 426c193b155.pdf. 19 Vgl. das Arbeitspapier der europäischen Vereinigungen lokaler und regionaler Körperschaften, Anlage zu CONV 523/03, vom 31.1.2003, http://www.europa konvent.info/europakonvent/konvent/psfile/download/44/Regionen_d3e426c193b155. pdf.

A. Schutzgehalt der kommunalen Selbstverwaltung

483

I-5 Abs. 1 S. 1 VV erstmalig in der Geschichte der EU ausdrücklich an hervorgehobener Stelle primärrechtlich festgeschrieben. Der RGRE20 wollte ursprünglich den Rechtsstand der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung des Europarates durch Nennung derselben verankert wissen.21 Ein entsprechender Antrag im Europäischen Parlament fand aber nicht die Zustimmung der Abgeordneten. Man einigte sich lediglich auf die konkrete Nennung der regionalen und lokalen Selbstverwaltung.22 Der Konvent folgte schließlich dieser Anregung des Europäischen Parlaments. Nun heißt es in Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VV23 unter dem Titel „Beziehungen zwischen der Union und den Mitgliedstaaten“ in der nach dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe benannten „Christophersen-Klausel“24, daß die Union die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor der Verfassung wie auch die nationale Identität der Mitgliedstaaten achtet, „die in deren grundlegender politischer und verfassungsrechtlicher Struktur einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt“25. Mit der Aufnahme des Elements der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung in Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VV erkennt die EU somit erstmals explizit die Aufgaben dieser Gebietskörperschaften auf der Ebene des geschriebenen Primärrechts an. Damit wird ein zentrales staatsinternes Organisationsprinzip in die europäische Verfassungsebene aufgenommen, das auf diese Weise zugleich zu einem organisationsrechtlichen Baustein des europäischen Mehrebenensystems wird.26 Für die europäische Verfassungsebene ist nunmehr zu konstatieren, daß die kommunale Selbstverwaltung zu den „Unantastbarkeiten“, 20

Ebenso wie der Verband Eurocities, vgl. A. Bore, der städtetag 2/2002, 16

(17). 21

Vgl. die Zusammenfassung der Beratungen der Kontaktgruppe „Regionale und lokale Gebietskörperschaften“, CONV 523/03 vom 31.1.2003, S. 2, Anlage Nr. 3, http://www.europakonvent.info/europakonvent/konvent/psfile/download/44/Regionen _d3e426c193b155.pdf. 22 Vgl. die Endfassung des Dokuments „Report on the role of regional and local authorities in European integration“ des Ausschusses für Verfassungsfragen des Europäischen Parlaments, A5-0427/2002 vom 14.1.2003, http://europa.eu.int/ comm/regional_policy/debate/document/futur/europ/report_role_%20of_regional_ and_local_authorities_in_european_integration_041203.pdf. 23 Die Numerierung der Artikel und Zitate ist dem Ergebnis der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 29.10.2004 in Brüssel angepaßt (Dok.: CIG 87/2/04 – Rev 2), entsprechend der Ausgabe des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom November 2004. 24 H. Brecht, ZEuS 2003, 135 (136). 25 Diese Formulierung entspricht im Hinblick auf die Nennung der kommunalen Selbstverwaltung der Empfehlung der Arbeitsgruppe V „Ergänzende Zuständigkeiten“, CONV 375/1/02 REV 1, vom 4.11.2002, S. 12, http://64.233.183.104/search? q=cache:PJxBwF79a3UJ:register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00375-r1d2.pdf+ CONV+375/1/02+&hl=de. 26 A. Schink, DVBl. 2005, 861 (865).

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6. Teil: Ausblick

zum „Hausgut“ der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung zählt.27 Die „Kommunalblindheit“ des europäischen geschriebenen Primärrechts gehört somit der Vergangenheit an.28 2. Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sind auch weiterhin die wichtigsten Kriterien zur Abwehr eines angestrebten Zentralismus der EU. Wörtlich heißt es nun in Art. I-11 Abs. 3 VV: „Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser erreicht werden können“29. Der Verfassungsvertrag differenziert an dieser Stelle zwischen „regional“ und „lokal“, während in Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VV von regionaler und kommunaler Selbstverwaltung gesprochen wird. Hierbei dürfte es sich jedoch lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit handeln. Von Art. 5 Abs. 2 EG unterscheidet sich die Neuregelung insbesondere dadurch, daß nunmehr ausdrücklich auch die regionale und die lokale Ebene in die Betrachtung einbezogen werden.30 Darüber hinaus wird die bereits durch das Amsterdamer Subsidiaritätsprotokoll31 klargestellte kumulative Verknüpfung des Negativkriteriums mit dem Positivkriterium dadurch sprachlich verdeutlicht, daß an die Stelle der die beiden Kriterien verbindenden Formulierung „und daher“ die Wendung „sondern vielmehr“ tritt.32 Eine inhaltliche Verschärfung der Kriterien, die Auswirkungen auf die gerichtliche Kontrolle haben könnte, ist dagegen nicht ersichtlich.33 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat nur eine ge27 T. Oppermann, DVBl. 2003, 1165 (1170). Nach A. Puttler, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Verfassung der EU, 2006, Art. I-5 Rdnr. 13 bestimmt allein die Verfassungsordnung des Mitgliedstaats, ob die Selbstverwaltung zur nationalen Identität gehört. 28 U. Schliesky, NdsVBl. 2005, 57 (57). 29 Hervorhebung durch den Verfasser. 30 Vgl. insoweit den übereinstimmenden Vorschlag von der Plattform der Verbände, des Europäischen Parlaments, des Ausschusses der Regionen, zusammengestellt in der Anlage zu CONV 523/03, vom 31.1.2003, http://www.europakonvent. info/europakonvent/konvent/psfile/download/44/Regionen_d3e426c193b155.pdf. 31 ABl. EG 1978, Nr. C 340, S. 105 Ziffer 5. 32 C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), Verfassung der EU, 2006, Art. I-11 Rdnr. 22, 27; C. Wenning/F. Ziegenbalg, in: Berg/Kampfer (Hrsg.), Verfassung für Europa, 2004, S. 74; J. Schwarze, EuR 2003, 535 (542); C. Ritzer/M. Ruttloff, EuR 2006, 116 (128 f.).

A. Schutzgehalt der kommunalen Selbstverwaltung

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ringfügige Änderung erfahren. So stellt Art. I-11 Abs. 4 VV klar, daß die Maßnahmen der Union nicht nur inhaltlich, sondern auch formal, das heißt bei der Wahl der Handlungsform, nicht über das für die Erreichung der Ziele der Verfassung erforderliche Maß hinausgehen dürfen.34 Die EU-Organe sind damit gefordert, regelmäßig und intensiv darüber zu wachen, daß jedwede Regelung sich auf das zur Erreichung der Ziele der Verfassung erforderliche Maß beschränkt und damit nationaler, regionaler und lokaler Anwendungs- und Handhabungspraxis einen maximalen Handlungsspielraum gewährt. Eine gravierende Stärkung des Subsidiaritätsprinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die kommunale Beteiligung werden künftig durch frühzeitige Konsultationen im Rahmen eines „politischen Frühwarnsystems“35 im Vorfeld der Rechtsetzung und der Programmbeschlüsse der EU einerseits sowie durch ein nachträgliches, vor dem EuGH durchzuführendes Klageverfahren andererseits erreicht. Gleich zu Beginn formuliert das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit,36 das gemäß Art. IV-442 VV vollen Verfassungsrang erhält, eine Verpflichtung der Kommission, vor dem Vorschlag gesetzgeberischer Akte Anhörungen durchzuführen, die der regionalen und lokalen Dimension der in Betracht gezogenen Maßnahme Rechnung tragen.37 Dieser Regelpflicht muß die Kommission vor der Vorlage eines Gesetzgebungsvorschlags nachkommen. Andernfalls dürfte es sich um einen wesentlichen Verfahrensfehler handeln, der die Nichtigkeit der späteren Gesetzgebungsakte nach sich zieht.38 Die Kommission besitzt jedoch die Möglichkeit, in außergewöhnlich dringenden Fällen von der Anhörung abzusehen. Diese Regelung birgt ein kompetenzielle Konfliktpotential, wenn die Kommission unter regelmäßiger Berufung auf die außergewöhnliche Dringlichkeit die Anhörungspflicht praktisch leerlaufen ließe.39 Auf die Frage, wie die Anhörung der regionalen und lokalen Dimension in der gebotenen umfassenden Weise zu bewältigen ist, soll vorliegend nicht näher eingegangen werden. Das Subsidiaritätsprotokoll stellt weiterhin klar, daß die Kommission von Anfang an ihre Vorschläge mit Blick auf die Grundsätze der 33

M. Ludwigs, ZEuS 2004, 211 (218); W. Schröder, JZ 2004, 8 (11). Damit bleibt weiterhin ungeklärt, ob auch das Kriterium der Angemessenheit als Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Sinne des Art. I-11 Abs. 4 VV anzuerkennen ist. 35 J. Schwarze, EuR 2003, 535 (546). 36 Im folgenden wird das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit als Subsidiaritätsprotokoll bezeichnet. 37 Vgl. Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll. 38 M. Schröder, JZ 2004, 8 (11). 39 C. Ritzer/M. Ruttloff, EuR 2006, 116 (130). 34

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6. Teil: Ausblick

Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit begründen muß. Sie berücksichtigt dabei, daß „die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der (. . .) regionalen und lokalen Behörden (. . .) so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen“40. Verlangt werden detaillierte Angaben anhand eines Prüfbogens, die eine Beurteilung im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip ermöglichen. Bislang stellt der EuGH an die Begründung eher geringe Anforderungen.41 Den genannten Verschärfungen der Begründungspflicht zum Schutz der mitgliedstaatlichen Sphären sollte jedoch bei der gerichtlichen Kontrolle Rechnung getragen werden.42 Auf der Grundlage des „Subsidiaritätsbogens“ können die nationalen Parlamente innerhalb von sechs Wochen Stellung nehmen und gegebenenfalls die fehlende Vereinbarkeit des Rechtsetzungsvorschlags mit dem Subsidiaritätsprinzip rügen. Die Frist ist knapp bemessen, insbesondere wenn der Vorschlag regionale Gesetzgebungsbefugnisse tangiert. In diesem Fall obliegt es den nationalen Parlamenten, die Stellungnahmen der regionalen Gesetzgebungsorgane einzuholen. Hierzu müßten vorab die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Zu berücksichtigen ist jedoch auch dann der äußerst enge Zeitrahmen von sechs Wochen, so daß im Ergebnis nur wenige Tage für eine fundierte Stellungnahme zu umfangreichen Rechtsetzungsakten verbleiben werden. Im Ergebnis ist daher ein faktisches Leerlaufen der Regelung zu befürchten. Die begründeten Stellungnahmen sind grundsätzlich im weiteren Verlauf zu „berücksichtigen“43, wofür die bloße Kenntnisnahme durch die Unionsorgane ausreichend ist. Werden begründete Stellungnahmen von den nationalen Parlamenten oder deren Kammern,44 die mindestens ein Drittel der Gesamtzahl der Gesamtstimmen betragen, abgegeben, so muß der Gesetzgebungsvorschlag von dem Organ überprüft werden, das ihn vorgelegt hat.45 Nicht geklärt ist hier jedoch die Frage der erforderlichen Überprüfungstiefe und ob die Nichteinhaltung der Verpflichtung justiziabel ist, worauf die erneute Begründungspflicht bezüglich der Entscheidung nach erfolgter Überprüfung46 hindeutet.47 Eine weitere Neuerung betrifft das Klagerecht. Nunmehr können die Parlamente, und zwar beide Kammern einzeln, über die Regierungen der Mit40

Vgl. Art. 5 S. 5 Subsidiaritätsprotokoll. M. Schröder, JZ 2004, 8 (12). 42 Ebenso U. Mager, ZEuS 2003, 471 (478). 43 Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll. 44 Jedes nationale Parlament besitzt zwei Stimmen, die sich bei Zwei-KammerSystemen auf beide Kammern verteilen; vgl. Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll. 45 Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll. 46 Vgl. Art. 7 Abs. 4 Subsidiaritätsprotokoll. 47 So C. Ritzer/M. Ruttloff, EuR 2006, 116 (131). 41

A. Schutzgehalt der kommunalen Selbstverwaltung

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gliedstaaten48 wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip Klage vor dem EuGH erheben.49 Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet dieses System der zwei Stimmen, daß neben dem Bundestag auch dem Bundesrat, obwohl diesem aus der Sicht des nationalen Rechts die Qualität als zweiter Kammer regelmäßig abgesprochen wird,50 politische Einspruchsrechte gewährt werden. Über den Bundesrat können sich die deutschen Bundesländer somit wegen der Gefahr der Kompetenzüberschreitung seitens der Union gerichtlich zur Wehr setzen. Das Protokoll ermächtigt jedoch lediglich zur Prozeßführung durch die Mitgliedstaaten nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts. Hier liegt die Schwachstelle des Klagerechts: Nur wenn nationale Bestimmungen bestehen, die eine Prozeßführung im Namen der Parlamente ermöglichen, kann von dem Klagerecht Gebrauch gemacht werden.51 Die Mitgliedstaaten legen dabei die Bedingungen fest.52 Für die Bundesrepublik Deutschland wird dieser Auftrag der Bundesregierung, eigene Klagen des Bundestags zu übermitteln, bislang vom Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union noch nicht erfaßt. Dagegen schreibt § 7 Abs. 1 S. 1 EuZBLG zumindest im Grundsatz eine Verpflichtung zur Klageerhebung auf Verlangen des Bundesrates vor. Dieser Übermittlungsauftrag steht allerdings noch unter Vorbehalten, die entfallen sollten, um eine effektive Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll i. V. m. Art. III-365 Abs. 2 VV zu erreichen. Durch die Einführung des Frühwarnmechanismus und der mittelbaren Klageberechtigung auch einzelner Kammern wird die regionale und lokale Ebene rechtzeitig und besser einbezogen und so ihre Position in nennenswertem Umfang gestärkt.53 Gleichwohl wird es vor allem auf die Parlamente beziehungsweise nationalen Kammern ankommen, ob sie ihre Rechte auch gezielt und im Interesse des Schutzes der kommunalen Selbstverwaltung einsetzen. Während bislang die Erfahrungen zumindest in Deutschland mit einer entsprechenden gesetzlichen Selbstverpflichtung, nämlich nach § 10 EuZBLG bei Vorhaben der EU das Recht der Gemeinden zur Regelung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu wahren und ihre 48 Diesen kommt insofern eine „Briefträgerfunktion“ zu. Begriff nach J. Meyer/ S. Hölscheidt, EuZW 2003, 613 (621). 49 Vgl. Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll. Die Zubilligung eines Klagerechts für einzelne Regionen lehnte die Arbeitsgruppe I „Subsidiaritätsprinzip“ ausdrücklich ab, vgl. CONV 286/02 vom 23.9.2002, S. 8, http://register.consilium.eu.int/pdf/de/02/ cv00/00286d2.pdf. 50 C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), Verfassung der EU, 2006, Art. I-11 Rdnr. 74; U. Schliesky, NdsVBl. 2004, 57 (59). 51 M. Schröder, JZ 2004, 8 (12). 52 Vgl. Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll. 53 J. Schwarze, EuR 2003, 535 (546 f.); ähnlich auch C. Wenning/F. Ziegenbalg, in: Berg/Kampfer (Hrsg.), Verfassung für Europa, 2004, S. 82.

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6. Teil: Ausblick

Belange zu schützen, nicht zufriedenstellend waren, enthält diese Selbstverpflichtung im Lichte der neuen EU-Verfassung eine gänzlich unerwartete Aufwertung ihres Stellenwerts. Das ohnehin überarbeitungsbedürftige EuZBLG müßte unter anderem einen neuen Konsultationsmechanismus einführen, der auch den Kommunen institutionelle Mitwirkungsrechte garantiert und sie so in den europäischen Rechtsetzungsprozeß einbezieht. Nur auf der lokalen und regionalen Ebene kann Subsidiarität rechtzeitig und wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden.54 3. Ausschuß der Regionen Der Ausschuß der Regionen findet seinen Platz in der künftigen Verfassung unter den beratenden Einrichtungen in Art. I-32 Abs. 1, 2, III-386 ff. VV. Sein bisheriger Status wird durch ein in der Vergangenheit bereits wiederholt eingefordertes55, lange Zeit umstrittenes eigenes Klagerecht wegen Verletzung der Subsidiarität gestärkt.56 Eine Aufwertung zum Organ der EU ist zwar nicht gelungen,57 doch wird er gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank, dem Rechnungshof und nunmehr vor dem Wirtschaftsund Sozialausschuß als Institution genannt.58 Zwar könnte man annehmen, daß der veränderten Stellung keine Bedeutung beizumessen sei. Doch gerade diese Feinheit zeigt, daß sich die Wertvorstellungen der Verantwortlichen auf EU-Ebene geändert haben: weg von rein wirtschaftlichen Interessen hin zu einem neuen Mittelpunkt, dem europäischen Bürger.59 An dem absoluten Mißverhältnis der kommunalen Beteiligung in der deutschen AdR-Delegation hat sich bislang noch nichts geändert.60 In Art. I-32 Abs. 5 S. 2 VV ist jedoch zumindest eine zahlenmäßige Erhöhung der kommunalen Vertreter im Ausschuß der Regionen angelegt, da die Art der Zusammensetzung des Ausschusses in regelmäßigen Abständen vom Rat überprüft 54

U. Schliesky, NdsVBl. 2004, 57 (59). Entschließung des Bundesrates vom 20.12.2001 zur Kompetenzabgrenzung im Rahmen der Reformdiskussion zur Zukunft der EU, BR-Drucksache 1081/01, S. 8; vgl. auch den Redebeitrag des vom Bundesrat in den Konvent entsandten badenwürttembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel zum Abschlußbericht der Arbeitsgruppe I „Subsidiarität“ bei der Konventssitzung vom 3./4.10.2002, http:// european-convention.eu.int/docs/speeches/3519.pdf. 56 Vgl. Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll. 57 Vgl. die Zusammenfassung der Beratungen der Kontaktgruppe „Regionale und lokale Gebietskörperschaften“, CONV 523/03 vom 31.1.2003, S. 2, http://www. europakonvent.info/europakonvent/konvent/psfile/download/44/Regionen_d3e426c1 93b155.pdf. 58 Art. I-32 Abs. 1 VV. 59 T. Schwab, in: Berg/Kampfer (Hrsg.), Verfassung für Europa, 2004, S. 146. 60 Von den 24 deutschen Sitzen entfallen bislang lediglich drei auf die Kommunen. 55

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werden soll, um der wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Entwicklung in der Union Rechnung zu tragen. Der Vorschlag, die Größe der EU-Mitgliedstaaten auch in dem genannten Ausschuß zu berücksichtigen61 und somit im Ergebnis eine Erhöhung der gesamten deutschen Delegation zu bewirken, wie es nach der Formulierung des Art. I-31 Abs. 5 des Entwurfes über den Verfassungsvertrag nahe gelegen hätte, wurde jedoch bei der Überarbeitung des Verfassungsvertrags verworfen. Nach Art. 8 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll in Verbindung mit Art. III-365 VV, dessen Absatz 3 um den Ausschuß der Regionen ergänzt wurde, steht dem Ausschuß der Regionen, wie bereits erwähnt, die Möglichkeit zu, eigenständig Klage wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips vor dem EuGH zu erheben. Diese Subsidiaritätsklage ist jedoch auf Gesetzgebungsakte, für deren Annahme die Anhörung des Ausschusses der Regionen nach dem Verfassungsvertrag vorgeschrieben ist,62 beschränkt. Die beiden Zuständigkeitsbereiche des Ausschusses der Regionen, die Subsidiarität und die Anhörung, wurden somit verknüpft. Beide Bereiche müssen jedoch nicht notwendigerweise zusammenhängen. Grundsätzlich ist die Einführung eines eigenen Klagerechts zu begrüßen. Doch wird aufgrund der getroffenen Verknüpfung der Anwendungsbereich dieses Klagerechts eingeschränkt. Eine ausdrückliche Normierung dahingehend, daß sich die gerichtliche Prüfung auch auf die Einhaltung des Prinzips der Einzelermächtigung und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezieht, konnte im Europäischen Konvent nicht durchgesetzt werden.63 Gleichwohl ist zumindest das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in den Prüfungsmaßstab der Subsidiaritätsbeschwerde einzubeziehen. Das Subsidiaritätsprinzip setzt nach dem Wortlaut des Art. I-11 Abs. 3 VV das Bestehen einer nicht ausschließlichen Kompetenz nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung mittelbar voraus. Systematisch umfaßt die Prüfung der Subsidiarität daher immer eine Prüfung der Kompetenzgrundlage als Vorprüfung. Eine Subsidiaritätsprüfung ohne den Einstieg über das Vorhandensein einer (nicht ausschließlichen) Zuständigkeit nach dem Verständnis der begrenzten Einzelermächtigung bedeutete sozusagen den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun.64 Hieraus läßt sich schließen, daß sich der gerichtliche Prüfungsmaßstab auch auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erstreckt.65 61 Hiernach könnte sich die deutsche AdR-Delegation auf bis zu 49 Delegierte verdoppeln, vgl. C. Glietsch, BWGZ 2003, 674 (678 Fn. 17). 62 Vgl. die Schlußfolgerungen der Arbeitsgruppe I „Subsidiaritätsprinzip“, CONV 286/02 vom 23.9.2002, S. 8, http://register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00286d2. pdf. 63 Vgl. J. Wuermeling, EuR 2004, 216 (225). 64 Vgl. C. Ritzer/M. Ruttloff, EuR 2006, 116 (134); im Ergebnis ebenso C. Calliess, in: ders./Ruffert (Hrsg.), Verfassung der EU, 2006, Art. I-11 Rdnr. 77.

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6. Teil: Ausblick

Dem Umstand, daß der Ausschuß der Regionen nunmehr in Art. III-365 Abs. 3 VV aufgenommen wurde, kommt eine darüber hinausgehende Bedeutung nicht zu. Nach dieser Norm hat der Ausschuß der Regionen ein Klagerecht zur Wahrung seiner Rechte. Dies sind Anhörungsrechte und das Recht auf Wahrung des Subsidiaritätsprinzips. Beides wird von Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll geregelt, so daß kein Raum verbleibt, weitergehende Klagerechte auf Art. III-365 Abs. 3 VV zu stützen.66 4. Präambel der Grundrechtecharta Darüber hinaus erkennt auch die Präambel der Grundrechtecharta, die als Teil II vollständig in den Verfassungsvertrag übernommen wurde, die lokale Selbstorganisation an. Dort heißt es: „Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei“67. Durch die Aufnahme der Präambel der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag wird der Stellenwert der lokalen Gebietskörperschaften ebenfalls hervorgehoben. 5. Grundsatz der partizipativen Demokratie Schließlich sind unter dem Stichwort „Grundsatz der partizipativen Demokratie“ nach Art. 47 Abs. 2, 3 VV die Organe der EU verpflichtet, den Bürgern und den repräsentativen Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit zu geben, „ihre Ansichten in allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen. Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.“ Nach Absatz 3 führt die EUKommission „zur Gewährleistung der Kohärenz und der Transparenz (. . .) umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch“. Der Verfassungsvertrag unterscheidet hier deutlich zwischen den repräsentativen Verbänden einerseits und der Zivilgesellschaft andererseits. Diese Differenzierung ist gerechtfertigt, da die kommunalen Spitzenverbände als repräsentative Verbände der kommunalen Gebietskörperschaften auf eine demokratische Legitimation und Gemeinwohlbindung verweisen können. Diese Qualität fehlt 65 Siehe zur im Ergebnis verneinten Einbeziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in die Prüfung des Subsidiaritätsprinzips C. Ritzer/M. Ruttloff, EuR 2006, 116 (132 ff.). 66 Vgl. M. Schladebach, LKV 2005, 95 (98). 67 Vgl. den II. Teil des VV, 5. Satz der Präambel.

A. Schutzgehalt der kommunalen Selbstverwaltung

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den Vertretern und Verbänden sektoraler Interessen. Art. 47 VV läßt sich künftig nutzen, um die erforderlichen Dialoge seitens der Europäischen Kommunalverbände zu suchen, die von der Kommission in ihrem Weißbuch angebotenen Konsultationen einzufordern und sich zum Nutzen der Dezentralisation der EU, zur Respektierung des Prinzips der Subsidiarität und zur Stärkung der lokalen und regionalen Selbstverwaltung nachhaltig einzubringen.68 In der Vergangenheit hatte die Kommission, teils strukturiert, teils willkürlich, bereits mehrfach um Stellungnahmen zu bestimmten Gesetzgebungsvorhaben und anderen Maßnahmen gebeten,69 nun besteht hierzu eine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Wie auch immer diese Konsultation später ausgestaltet sein wird, im Ergebnis bewirkt sie, daß die kommunale Mitsprache in der EU in stärkerem Maße verankert ist als derzeit die nationalen Mitwirkungsrechte der kommunalen Spitzenverbände beim Bund und den Ländern.70 6. Bewertung Wenn auch eine Gesamtbewertung des Verfassungsvertrags ambivalent ausfällt,71 so enthält er doch im Hinblick auf die Kommunen eine Reihe inhaltlicher Verbesserungen und sprachlicher Klarstellungen. Die Kommunen haben sich mit ihren Anliegen weitgehend durchgesetzt, zwar nicht immer mit ihren formalen Wünschen, wohl aber mit dem Kern ihrer seit Maastricht entwickelten Forderungen. Die EU erkennt erstmals auf Primärebene ausdrücklich die Tätigkeiten und Beiträge der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften an und verleiht ihnen so eine neue Qualität auf europäischer Ebene.72 Der Verfassungsvertrag stellt damit einen Erfolg für die Stellung der Kommunen und Regionen dar.73 Die festgeschriebenen Konsultations- und Gesetzesfolgenabschätzungsverfahren bieten den Kommunen endlich eine vertragliche Grundlage, auf die sie sich gegenüber der Kommission berufen können. Klagen einzelner Kommunen sind freilich nach dem Verfassungsvertrag nicht möglich, mag die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips auch noch so gravierend sein. Grund hierfür war die Befürchtung, daß eine Flut von Klagen letztlich den EuGH „lahm legen“ und künftige Gesetzgebungsvorhaben behindern würde. Ob durch die Anerkennung 68

H. Hoffschulte, DVBl. 2005, 202 (208). C. Glietsch, BWGZ 2003, 674 (676). 70 H.-G. v. Lennep/D. Fröhlich, Städte- und Gemeinderat 2003 Nr. 7/8, 6 (7). 71 Vgl. beispielsweise M. Ludwigs, ZEuS 2004, 211 (248 f.). 72 K. H. Fischer, Der Europäische Verfassungsvertrag, 2005, S. 129; ders., Konvent zur Zukunft Europas, 2003, S. 127; A. Schink, DVBl. 2005, 851 (865). 73 Im Ergebnis ebenso C. Wenning/F. Ziegenbalg, in: Berg/Kampfer (Hrsg.), Verfassung für Europa, 2004, S. 79. 69

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6. Teil: Ausblick

der lokalen und regionalen Selbstverwaltung in einigen Grundsatzbestimmungen des Verfassungsvertrags auch tatsächlich eine Stärkung der lokalen und regionalen Position erreicht wird, hängt entscheidend von der innerstaatlichen Umsetzung und Ausgestaltung ab. Maßgeblich für eine Aufwertung wird ebenfalls sein, inwiefern es den Kommunen und Regionen gelingt, von dem neuen Klagerecht des Ausschusses der Regionen konstruktiv Gebrauch zu machen.

B. Auswirkungen Abschließend stellt sich die Frage, wie sich die zukünftige Verfassung auf die herausgearbeiteten kommunalen Handlungsspielräume auswirkt. Dem Schlußbericht der Gruppe V „Ergänzende Zuständigkeiten“ zufolge bezweckte die Einführung des Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VV, die bisher in Art. 6 Abs. 3 EU-Vertrag angesprochene Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten durch die Union zu verdeutlichen.74 Dabei sollte mehr Transparenz in die Frage gebracht werden, was die nationale Identität, welche die EU bei der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten zu achten habe, in ihren wesentlichen Bestandteilen ausmache. Ausdrückliches Hauptanliegen der Arbeitsgruppe war es, die Rolle und die Bedeutung der Mitgliedstaaten im Vertrag zu gewährleisten und gleichzeitig der EU den erforderlichen Spielraum für Flexibilität einzuräumen. Was diese Flexibilität betrifft, so wurde hervorgehoben, daß die Vorschrift keine Ausnahmeklausel darstelle. Die Mitgliedstaaten seien auch weiterhin verpflichtet, die Vertragsbestimmungen zu beachten. Der Artikel enthalte keine Definition der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und dürfe damit auch nicht fälschlicherweise den Eindruck vermitteln, das Handeln der Union könne sich nie auf diese Bereiche auswirken. Vielmehr sollte der geltende Grundsatz, wonach die Union verpflichtet sei, bei der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, sichtbarer und operativer gestaltet werden. Diese Klausel sollte bei der vorgeschlagenen Formulierung ein wichtiges Signal an die Bürger aussenden und könnte den Unionsorganen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben als nützliche Richtschnur dienen.75 Der Wortlaut der Christophersen-Klausel sowie die Beweggründe führen zu der Überlegung, ob vorliegend überhaupt eine europäische Lösung der 74

Schlußbericht der Gruppe V „Ergänzende Zuständigkeiten“, CONV 375/1/02, REV 1, vom 4.11.2002, S. 10, http://64.233.183.104/search?q=cache:PJxBwF79a 3UJ:register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00375-r1d2.pdf+CONV+375/1/02+&hl =de; so auch L. Hager, in: Berg/Kampfer (Hrsg.), Verfassung für Europa, 2004, S. 56. 75 Schlußbericht der Gruppe V „Ergänzende Zuständigkeiten“, CONV 375/1/02, REV 1, vom 4.11.2002, S. 11, http://64.233.183.104/search?q=cache:PJxBwF79a 3UJ:register.consilium.eu.int/pdf/de/02/cv00/00375-r1d2.pdf+CONV+375/1/02+&hl =de.

B. Auswirkungen

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Wahrung der lokalen Gebietskörperschaften angestrebt wurde. Denkbar wäre die Auffassung, es handele sich lediglich um eine gemeinschaftsrechtliche Anerkennung oder um das Tolerieren innerstaatlicher Schutzmechanismen.76 Dann könnte die kommunale Selbstverwaltung nicht als eigenständiger, vom Gemeinschaftsrecht geschützter Wert qualifiziert werden. Für diese Ansicht spricht, daß keine selbständige Aufnahme dieses Belanges unter Anknüpfung an den Rechtsstand der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung erfolgte, sondern die kommunale Selbstverwaltung als Ausdruck der mitgliedstaatlichen Identität normiert wurde. Der Begriff beziehungsweise der Inhalt der kommunalen Selbstverwaltung kann somit nicht aus dem Gemeinschaftsrecht autonom heraus bestimmt werden. Auch das gemeinschaftsrechtliche Subsidiaritätsprinzip gemäß Art. I-11 Abs. 3 VV scheint in Richtung auf die vorgenannte Auslegung zu deuten, wenn dort die Rede davon ist, daß die Maßnahme von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden kann. Auch hier wird die lokale Position den Mitgliedstaaten zugeordnet, wie zudem die Normierung der Klagemöglichkeit der einzelnen Kammern der Parlamente über die Regierungen gegen das Subsidiaritätsprinzip belegt. Gleichwohl ist die Auffassung, bei der Einführung der kommunalen Selbstverwaltung in die zukünftige Verfassung handele es sich um keine europäische Lösung,77 nicht überzeugend. Zwar geht es auch in der Verfassung nicht darum, daß das Gemeinschaftsrecht zwingend lokale Gebietskörperschaften auf mitgliedstaatlicher Ebene vorschreibt. Dazu besitzt die EU keine Kompetenz. Sie nimmt die Mitgliedstaaten grundsätzlich als solche, so wie sie aufgebaut und organisiert sind, zur Kenntnis, ohne bestimmte Anforderungen an ihre interne Struktur zu stellen.78 Gleichwohl ist die kommunale Selbstverwaltung als gemeinschaftsrechtlich geschützter, eigenständiger Belang zu qualifizieren, der aus dem Gemeinschaftsrecht selbst heraus zu schützen und der nicht lediglich als mitgliedstaatliches Interesse zu tolerieren beziehungsweise zu berücksichtigen ist. Grund für diese Sichtweise ist die Stärkung der Position des Ausschusses der Regionen. Dieser erhält durch die Neuregelung ein eigenes Klagerecht bei Verletzung der Subsidiarität in Bezug auf ihn betreffende Gesetzgebungsakte. Da dem Ausschuß der Regionen, der die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften repräsentiert, ein eigenes Klagerecht zukommt, wird ihm auf Gemeinschaftsebene eine eigenständige Rechtsposition zuerkannt, die mit genügend Kompetenzen ausgestattet ist, um seine Interessen wirksam durch76 So S. v. Zimmermann-Wienhues, Kommunale Selbstverwaltung in einer EU, 1997, S. 244. 77 So aber wohl f. Welti, AöR 2005, 529 (565). 78 A. Kaltenborn, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung im Recht der EU, 1996, S. 110.

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6. Teil: Ausblick

zusetzen. Diese Position ist nicht lediglich Ausdruck der mitgliedstaatlichen Identitäten. Den Kommunen wird – wenn auch noch in begrenztem Maße – die Möglichkeit verschafft, selbst an den Entscheidungsprozessen der EU mitzuwirken, indem sie die Ergebnisse gerichtlich überprüfen lassen können. Früher stellte der Ausschuß der Regionen lediglich ein beratendes Gremium dar, dessen Stellungnahmen jegliche Verbindlichkeit fehlte. Nunmehr kommt ihm ein echtes Teilhaberecht am Prozeß der europäischen Willensbildung zu, so daß den Stimmen der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften auf europäischer Ebene ein angemessenes Gewicht verliehen wurde. Für eine europäische Lösung spricht auch das unter dem Stichwort der partizipativen Demokratie neu eingeführte Konsultationsverfahren, nach dem die Kommission verpflichtet ist, die Kommunen bzw. die Kommunalverbände, zumindest in den Bereichen, in denen sie betroffen sind, anzuhören und mit ihnen einen regelmäßigen Dialog zu pflegen. Hieran schließt sich die Frage an, welche Auswirkungen der zukünftige Verfassungsvertrag auf die im Rahmen dieser Arbeit herausgearbeiteten Ergebnisse besitzt. Bezogen auf die Herleitung des zwingenden Erfordernisses der kommunalen Selbstverwaltung kann nach Inkrafttreten des Verfassungsvertrags ein solches direkt aus der Verfassung, genauer gesagt aus Art. I-5 Abs. 1 S. 1, I-11 Abs. 3 sowie i. V. m. Art. I-32 VV hergeleitet werden. Dies macht gleichwohl einen Rückgriff auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht entbehrlich, da aufgrund des Verzichts der Anknüpfung an die EKC eine konkrete inhaltliche Bestimmung des Begriffs der kommunalen Selbstverwaltung aus der europäischen Verfassung selbst nicht möglich ist. Der hohe Stellenwert, der diesem Allgemeininteresse bereits aufgrund der verfassungsrechtlichen Verankerung in den meisten Mitgliedstaaten zugewiesen wurde, wird durch die Aufnahme in den Verfassungsvertrag bekräftigt. Bestehen hinsichtlich des derzeit geltenden EG-Vertrags noch Zweifel, ob sich die kommunale Selbstverwaltung in die Struktur und Ziele der EG einfügt,79 so wären diese durch die Nennung der kommunalen Selbstverwaltung an hervorgehobener Stelle des Verfassungsvertrags sowie insbesondere durch die Einführung eines eigenen Klagerechts des Ausschusses der Regionen einschließlich erweiterter Anhörungsrechte und Begründungspflichten der Kommission, die eine echte Beteiligung der lokalen Gebietskörperschaften an gemeinschaftsrechtlichen Entscheidungsprozessen ermöglichen, widerlegt. Betrachtet man nun die Auswirkungen der Rechtsentwicklung auf die kommunalen Handlungsspielräume, so ist eine Erweiterung dahingehend 79 So beispielsweise M. Thies, Zur Situation der gemeindlichen Selbstverwaltung im europäischen Einigungsprozeß, 1995, S. 54 im Zusammenhang mit der Begründung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes; vgl. dazu oben 5. Teil B. I. 4. a) ff).

B. Auswirkungen

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festzustellen, daß die Ebene der Kommunen bei dem Handeln der Gemeinschaftsorgane möglichst weitgehend zu berücksichtigen ist. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Im Hinblick auf Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VV stellt sich die Frage, was genau unter „Achtung der nationalen Identität“ und damit der kommunalen Selbstverwaltung zu verstehen ist, welche Bedeutung dem Wort „achten“ konkret zukommt. Der Verfassungsvertrag verwendet das Wort „achten“ im Indikativ und formuliert somit keinen schlichten Programmsatz, sondern eine strikte rechtliche Verpflichtung. „Achten“ bedeutet demnach eine Verpflichtung der EU und ihrer Organe, zugleich aber auch einen Anspruch der Mitgliedstaaten und nunmehr auch ihrer inneren Organisationsebenen der Regionen und Kommunen auf Einhaltung dieser Verpflichtung.80 Sofern aber die Identität der Mitgliedstaaten sowie ihrer Regionen und Kommunen geschützt werden soll, so muß dies neben der bloßen Existenz konsequenterweise auch das konkrete Tätigwerden und damit die jeweiligen Aufgabenbereiche erfassen. Zu berücksichtigen sind die jeweiligen Aufgaben, welche die Identität des Aufgabenträgers, in diesem Fall der Kommune, ausmachen. Die Verpflichtung zur Achtung der nationalen Identität umfaßt aus diesem Grund auch die Wahrung der jeweiligen Kompetenzen auf den einzelnen Ebenen des europäischen Mehrebenensystems, und zwar nunmehr explizit auch die Achtung der kommunalen Selbstverwaltungskompetenz.81 Konkret heißt dies, daß den Kommunen die eigenverantwortliche Regelung der Angelegenheiten von örtlicher Bedeutung so weit wie möglich selbst überlassen bleiben muß. Sofern eine Maßnahme der Gemeinde die Grundfreiheiten beeinträchtigt und einer Rechtfertigung bedarf, ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung dem zwingenden Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung ein entsprechender Stellenwert und den Kommunen ein größtmöglicher Handlungsspielraum zuzubilligen. Das bedeutet, daß eine Maßnahme der Einheimischenprivilegierung nur dann in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu Lasten des Binnenmarktes steht, wenn dadurch ein erheblicher Eingriff in Kernbereiche des freien Handelsverkehrs erfolgt beziehungsweise die Gemeinde diesen Legitimationsgrund zur Abschottung ihres Marktes mißbraucht. Ein starres Prioritätsverhältnis etwa in der Weise, daß der kommunalen Selbstverwaltung immer Vorrang vor dem Binnenmarkt zukommt, ist dagegen nicht abzuleiten. Dies folgt unmittelbar aus dem Umstand, daß die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung in der gemeinschaftsrechtlichen Ordnung nicht isoliert steht, sondern eingebettet ist in den Gesamtzusammenhang von Wertsetzungen und Regelungselementen, die aufeinander bezogen sind, ihren Stellen80 81

U. Schliesky, NdsVBl. 2005, 57 (57). U. Schliesky, NdsVBl. 2005, 57 (58).

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6. Teil: Ausblick

wert im Gesamtsystem haben und entsprechend miteinander zu harmonisieren sind, so daß sie in praktische Konkordanz gebracht werden müssen (Einheit der Verfassung). Auch die Aufnahme der kommunalen Selbstverwaltung in die Verfassung als eigenständiger gemeinschaftsrechtlich anerkannter Belang kann nicht dazu führen, daß die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung als Rechtsfertigungsgrund für jegliche Form der Einheimischenprivilegierung oder – allgemeiner formuliert – für alle Maßnahmen, die von örtlicher Bedeutung sind, herangezogen werden kann.

Zusammenfassung (Thesen) 1. Unter dem Begriff Einheimischenprivilegierung werden alle Leistungen im weitesten Sinne verstanden, die auf die Gemeinde zurückzuführen sind und mit dem Ziel der Besserstellung der ortsansässigen Personen und privatrechtlichen Organisationen gegenüber Auswärtigen gewährt werden [1. Teil A. II.]. 2. Einheimischenprivilegierungen sind regelmäßig als Schutzgüter der verfassungsrechtlich in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantierten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zu qualifizieren. Sie sind jedoch nicht Gewährleistungsgegenstand des Kernbereichs [1. Teil E. I. 3.]. 3. Die Struktursicherungsklausel des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG begründet einen Abwehranspruch der Mitgliedstaaten gegenüber Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, sofern die Rechtsakte in den Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie eingreifen. Ein weiterreichender Schutz des Vorfeldbereichs der kommunalen Selbstverwaltung kann dem Subsidiaritätsprinzip im Sinne des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG nicht entnommen werden. Damit ist auch im Hinblick auf das Verhältnis von EG-Recht zu Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich ein Anwendungsvorrang des EG-Rechts zu bejahen. Konkret bezogen auf die Einheimischenprivilegierung bedeutet dies, daß das EG-Recht dem Recht der Gemeinden, Einheimischenprivilegierung zu betreiben, wirksam Grenzen setzen kann [1. Teil E. II. 2. a) bb), b)]. 4. Regelungsgegenstand der gemeinschaftsrechtlichen Wirtschaftsverfassung ist die schrittweise Beseitigung der Wirtschaftsgrenzen durch Ausschaltung staatlicher Maßnahmen als Steuerungsmittel des innergemeinschaftlichen Wirtschaftsaustausches. Ziel des Binnenmarktes ist es, die vorhandenen Hemmnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen, um eine optimale Allokation der Ressourcen zu gewährleisten. In seiner dogmatischen Konstruktion wird der Binnenmarkt von drei Strukturelementen bestimmt: Marktfreiheit, Marktgleichheit und Wettbewerbsfreiheit. Die EG verkörpert eine Wertegemeinschaft, die sich vielfältigen Aufgaben angenommen hat. Das Ziel des Binnenmarktes hat sich im Sinne praktischer Konkordanz in die sonstigen Vertragsziele einzufügen [2. Teil A., C.]. 5. Aus Art. 18 Abs. 1 EG in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG kann sich ein Anspruch des Unionsbürgers auf Inländergleichbehandlung ergeben, wenn der begehrte Vorteil in einem engen sachlichen Zusammenhang

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mit dem jeweiligen Aufenthaltszweck steht und der effektiven Ausübung des Aufenthaltsrechts dient. Bei der Beurteilung des engen Zusammenhangs ist auf den Einzelfall abzustellen [3. Teil A. II. 1. f) ee), ff)]. 6. a) Der Erwerb von Grundstücken im Rahmen von städtebaurechtlichen Einheimischenmodellen durch EG-Ausländer unterfällt generell dem Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 EG). Die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 EG) ist hingegen nicht betroffen. Hinsichtlich der Wohnraummodelle sind in Abhängigkeit von der Person des Erwerbers zudem Art. 39, Art. 43 oder Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 EG tangiert, die jeweils in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen. Im Rahmen der Gewerbemodelle ist regelmäßig zusätzlich zu Art. 56 Abs. 1 EG der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) eröffnet [3. Teil A. II. 1.]. b) Die preisgünstige Grundstücksveräußerung an Einheimische im Rahmen städtebaulicher Gewerbemodelle stellt grundsätzlich eine Beihilfe (Art. 87 Abs. 1 EG) dar, es sei denn, das begünstigte Unternehmen ist rein örtlich tätig und der betroffene Markt wird nur von inländischen Unternehmen genutzt. Eine Begünstigung entfällt auch dann, wenn die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem objektiven Verkehrswert des Grundstücks einen Betrag von 100.000 Euro nicht übersteigt. Ist der Tatbestand des Art. 87 Abs. 1 EG hingegen eröffnet, haben nur Gewerbemodelle, die der Sanierung der Innenstädte dienen und zusätzlich mit einem investiven Element verbunden sind, vor dem gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbot Bestand [3. Teil A. III. 1.]. 7. Das Beihilfesystem des EG-Vertrags hat in verfahrensrechtlicher Hinsicht Vorrang vor den Grundfreiheiten. Sofern die Kommission der Auffassung ist, eine Maßnahme tangiere die Grundfreiheiten über das einer Beihilfe naturgemäß immanente Begünstigungselement hinaus, hat sie das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG auszusetzen und dem EuGH die Maßnahme in einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG vorzulegen [3. Teil A. III. 2.]. 8. Das in den Gemeindeordnungen statuierte Einheimischenprivileg bei Volksfesten und Wochenmärkten betrifft die Grundfreiheiten. So ist bezüglich der Schausteller je nach Lebenssachverhalt entweder der Anwendungsbereich der Niederlassungs- oder der Dienstleistungsfreiheit eröffnet. Hinsichtlich der für die genannten Veranstaltungen zulässigen Warenanbieter kommt hingegen alternativ die Gewährleistung des freien Warenverkehrs oder die Niederlassungsfreiheit zum Tragen [3. Teil B. II. 1.]. 9. Hinsichtlich des Einheimischenabschlags ist regelmäßig der freie Dienstleistungsverkehr gemäß Art. 49 Abs. 1 EG betroffen. Je nach Ausge-

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staltung im Einzelfall kann auch die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 einschlägig sein [3. Teil B. III. 1]. 10. a) Ortsansässige Unternehmen dürfen im Anwendungsbereich der gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien weder bei der Auswahl noch bei dem Zuschlag bevorzugt werden. Da die EG-Vergaberichtlinien den Mitgliedstaaten nicht das Recht einräumen, zu den aufgeführten Eignungskriterien weitere bieterbezogene Anforderungen hinzuzufügen, steht das Regelungskonzept des § 97 Abs. 4 GWB im Widerspruch zu dem gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht [3. Teil C. II.]. b) Die Lokalpräferenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft alternativ den Anwendungsbereich des freien Warenverkehrs, der Dienstleistungs- oder der Niederlassungsfreiheit [3. Teil C. III.]. c) Die Vergabe öffentlicher Aufträge bevorzugt an örtliche Unternehmen verstößt nicht gegen das gemeinschaftsrechtliche Beihilfeverbot. Die Einhaltung der EG-vergaberechtlichen Anforderungen sichert grundsätzlich die beihilferechtliche Korrektheit der Vergabe öffentlicher Aufträge. Für die Beurteilung der Marktangemessenheit der von öffentlichen Auftraggebern unter Verwendung von vergabefremden Kriterien entrichteten Vergütung kann der „market economy investor“-Test nicht herangezogen werden [3. Teil C. IV.]. 11. Die gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten erfassen Einheimischenprivilegierungen unabhängig von ihrer Rechtsform [3. Teil A. II. 2. b)]. 12. Der Begriff der mittelbaren Diskriminierung setzt im Hinblick auf das Strukturmerkmal der Ungleichbehandlung eine tatbestandliche Differenzierung der betreffenden Maßnahme voraus. Anhand des verwendeten Differenzierungsmerkmals müssen sich typischerweise Rückschlüsse auf das verbotene Kriterium, die Staatsangehörigkeit, ziehen lassen. Dabei ist keine statistische, sondern eine typisierende Betrachtung maßgeblich [3. Teil A. II. 2. c) bb) (1)]. 13. Einheimischenprivilegierungen sind aufgrund der Anknüpfung an den Wohnsitz in der Gemeinde bei natürlichen Personen sowie an den Sitz, die Betriebsstätte etc. bei juristischen Personen und Personenmehrheiten regelmäßig als mittelbare Diskriminierungen zu qualifizieren. Einheimischenprivilegierungen, die eine der genannten Grundfreiheiten beeinträchtigen, bedürfen daher immer einer Rechtfertigung [3. Teil A. II. 2. c) bb) (2), B. II. 2., III. 2., C. III. 2.]. 14. Der ausdrücklich im EG-Vertrag geregelte Rechtfertigungsrund der öffentlichen Ordnung, der auf den engen Bereich besonders hochwertiger Schutzgüter zu beschränken ist, der mit dem Merkmal des „Grundinteresses der Gesellschaft“ umschrieben wird, greift bei den vorliegend erörterten

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Fallgruppen von Einheimischenprivilegierungen nicht ein [4. Teil B. II, C. I. 1.]. 15. Mittelbar diskriminierende Maßnahmen können zusätzlich zu den vertraglich vertypten Ausnahmen über die ungeschriebenen Cassis-Kriterien unter Einhaltung einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden. Da unterschiedliche Maßstäbe hinsichtlich der Intensität der Verhältnismäßigkeitsprüfung gelten, ist die Abgrenzung zwischen unterschiedslos wirkenden und mittelbar diskriminierenden Maßnahmen und damit generell die Rechtsfigur der zuletzt genannten Eingriffskategorie nicht obsolet geworden [4. Teil B. III. 1.]. 16. Städtebaurechtliche Wohnraummodelle und Gewerbemodelle, die der Sanierung der Innenstädte dienen, können kumulativ durch raumplanerische Gründe sowie durch die kommunale Selbstverwaltung als zwingende Allgemeininteressen gerechtfertigt werden [4. Teil B. III. 5. b), IV.]. 17. Die Rechtfertigung aus Gründen der Kohärenz des Regelungssystems setzt neben der Personenidentität einen systematischen und funktionellen Zusammenhang zwischen grundfreiheitsbeeinträchtigenden und weiteren Normen in der Weise voraus, daß bei Wegfall der einen Norm auch die andere Vorschrift in ihrer Funktionstüchtigkeit beeinträchtigt würde. Das Prinzip der Lastentragung steht weder in einem unmittelbaren Zusammenhang zu dem gemeindlichen Einwohnerprivileg noch zu dem Einheimischenabschlag, so daß hier eine Rechtfertigung durch die Kohärenz des Regelungssystems ausscheidet [4. Teil C. I. 2., II.]. 18. Ein zwingendes Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung läßt sich weder aus dem EG-Vertrag, dem Subsidiaritätsprinzip, den Grundsätzen der Demokratie, der Verhältnismäßigkeit oder der Gemeinschaftstreue noch aus der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung oder aus Art. 6 Abs. 3 EU gewinnen [5. Teil B. I. 1.–3.]. 19. Die Verwirklichung der kommunalen Selbstverwaltung ist als neues zwingendes Erfordernis anzuerkennen. Die Herleitung wird durch einen Vergleich der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen im Zusammenwirken mit den Grundsätzen der Demokratie, der Bürgernähe und der Subsidiarität sowie durch die Beteiligungsmöglichkeit der Gemeinden im Ausschuß der Regionen und bei den Gemeinschaftspolitiken ermöglicht. Konkret schützt dieses Allgemeinwohlinteresse die eigenverantwortliche Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft [5. Teil B. I. 4., II.]. 20. Einheimischenprivilegierungen können durch die kommunale Selbstverwaltung unter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt werden. Bei der Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Einwohnerprivilegs sowie bei dem Einheimischenabschlag richtet sich die Prüfung

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grundsätzlich nach den jeweiligen gemeindlichen Umständen im Einzelfall. Allgemein gilt: Je geringer die wirtschaftliche Relevanz der öffentlichen Einrichtung und je mehr die Einrichtung als lokaler Bezugspunkt in der betroffenen Gemeinde anzusehen ist, desto eher entsprechen sowohl das Einwohnerprivileg als auch der Einheimischenabschlag dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wenn den EG-ausländischen Schaustellern und Warenanbietern ausreichend weitere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um im Inland ihre Künste und Produkte anzubieten, steht das Einwohnerprivileg zu örtlichen Volksfesten und Wochenmärkten grundsätzlich nicht in einem offensichtlichen Mißverhältnis zum gemeinschaftsrechtlichen Binnenmarkt und ist damit als verhältnismäßig anzusehen. Sofern die Gemeinde die Gebühr für Auswärtige nicht in einer Höhe festsetzt, die faktisch einem Zugangsverbot gleichkommt, ist der Einheimischenabschlag bei der Benutzung öffentlicher Einrichtungen als zumutbar für die EG-ausländischen Unternehmen beziehungsweise Bürger zu werten. Bei der bevorzugten Vergabe öffentlicher Aufträge an lokale Unternehmen überwiegt hingegen das gemeinschaftsrechtliche Ziel des Binnenmarktes, so daß diese Maßnahmen der Einheimischenprivilegierung aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als EG-rechtswidrig einzustufen sind. Aus diesem Grund ist auch eine Privilegierung im Rahmen der Bedingungen über die Auftragsausführung oberhalb der Schwellenwerte der EG-Vergaberichtlinien EG-rechtswidrig [5. Teil C.]. 21. Die Legitimität der behandelten Einheimischenprivilegierungen ist rechtsformunabhängig und bereichsspezifisch. Strukturen lokaler Gemeinschaftlichkeit können gepflegt und lokale Identitäten dürfen erhalten werden, auch und gerade im Zeitalter der Globalisierung, die korrelativ mit einer Re-Lokalisierung der Politik einhergeht. Gleichwohl bieten Einheimischenprivilegierungen keine Legitimität zur Abschottung der Märkte und Vetternwirtschaft und haben den Grundsatz der Offenheit, auch kommunaler, Märkte zu beachten [5. Teil]. 22. Mit der Aufnahme des Elements der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung in den Verfassungsvertrag erkennt die EU erstmals die Existenz und die Aufgaben dieser Gebietskörperschaften auf der Ebene des geschriebenen Primärrechts an (Art. I-5 Abs. 1 S. 1, Art. I-11 Abs. 3 VV, 5. Satz der Präambel der Grundrechtecharta). Die kommunale Selbstverwaltung zählt für die gemeinschaftsrechtliche Verfassungsebene zu den „Unantastbarkeiten“ der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Sie wird als zentrales staatsinternes Organisationsprinzip explizit zu einem organisationsrechtlichen Baustein des europäischen Mehrebenensystems. Durch die Einführung eines „politischen Frühwarnsystems“, erweiterten Begründungspflichten sowie der Einführung eines Klagerechts des Ausschusses der Regionen und einer Kammer eines nationalen Parlamentes wegen Verletzung

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der Subsidiarität (Art. 2, 5, 6 und 8 Subsidiaritätsprotokoll) wurde die Position der Kommunen und Regionen in der EU in nennenswertem Umfang verbessert. Ob hierdurch eine tatsächliche Stärkung der lokalen und regionalen Ebene erreicht wird, hängt von der Umsetzung der Neuerungen in das nationale Recht sowie von dem konstruktiven Gebrauch des Klagerechts durch den Ausschuß der Regionen ab [6. Teil A.]. 23. Die kommunale Selbstverwaltung ist als eigenständig aus dem Gemeinschaftsrecht heraus geschützter Belang zu qualifizieren. Aus Art. I-5 Abs. 1 S. 1 VV ergibt sich die Verpflichtung der EU-Organe bei ihrem Handeln, neben der Existenz der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften auch ihr konkretes Tätigwerden und ihre jeweiligen Aufgabenbereiche zu berücksichtigen. Sofern eine Maßnahme der Kommune die Grundfreiheiten beeinträchtigt und daher einer Rechtfertigung bedarf, ist dem zwingenden Erfordernis der kommunalen Selbstverwaltung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein entsprechender Stellenwert und den Kommunen ein größtmöglicher Handlungsspielraum zuzubilligen. Ein starres Prioritätsverhältnis in der Weise, daß der kommunalen Selbstverwaltung stets der Vorrang vor dem Binnenmarkt gebührt, ist durch den Verfassungsvertrag nicht festgeschrieben. Vielmehr sind beide gemeinschaftsrechtlichen Zielsetzungen nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung in praktische Konkordanz zu bringen [6. Teil B.].

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Sachverzeichnis Allgemeines Freizügigkeitsrecht – Inländergleichbehandlungsgebot 152 – Konkurrenzen 156 – sachlicher Anwendungsbereich 156 – unmittelbare Anwendbarkeit 147 – Verpflichtete 148 Allzuständigkeit 46, 437, 454 Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft 52, 57 Angemessenheit 360, 374, 476 Angonese 178 Anwendungsvorrang 72 Äquivalenzprinzip 390 Aragonesa 182 Arbeitnehmerfreiheit 129, 261 Aufsichtsbefugnis 46, 442 Ausschuß der Regionen 404, 490, 494 Bachmann 378, 389 Beentjes 242, 244 Beihilfe – Beeinträchtigung des grenzüberschreitenden Handels 190 – Begünstigung 187 – De-minimis-Verordnung 190 – Gemeinde als Beihilfegeber 187 – Gewerbemodelle 195 – KMU-Verordnung 194 – Regionalbeihilfen 192 – Sektorale Beihilfen 192 – und Grundfreiheiten 204 – Wettbewerbsverfälschung 190 Beschicker 213 Binnenmarkt – Begriff 79

– Grundfreiheiten 86 – Strukturelemente 83 – Verhältnis zu anderen Vertragszielen 84 – Verhältnismäßigkeit 367, 370, 374, 476 – Ziel 82 Bürgernähe 407, 411, 456 Cassis de Dijon 198, 274, 297, 320, 322 Concordia-Bus-Finland 246, 250 Dassonville 103, 218–219, 325 Dezentralisation 406 Dienstleistungsfreiheit 137, 217, 221– 222, 261 Diskriminierung – asymmetrischer Diskriminierungsbegriff 181 – Begriff 97 – finales oder kausales Diskriminierungskonzept 172 – mittelbare Diskriminierung 100, 172 – sachliche Gründe als Tatbestandsmerkmal 170 – subjektives Element 172 – symmetrischer Diskriminierungsbegriff 181 – unmittelbare Diskriminierung 98, 163 Du Pont de Nemours Italiana 177 Eigentumsordnung 285 Einheimischenabschlag – als Beihilfe 224

Sachverzeichnis – Anwendungsbereich der Grundfreiheiten 223 – Begriff 215 – Eingriff in Grundfreiheiten 223 – Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung 398 Einheimischenprivilegierung – Begriff 35 – Handlungsformen 39 – Instrumente 37 – Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung 57, 399 – Ziele 36 Einheimischer, Begriff 34, 115 Einwohnerprivileg – Anwendungsbereich der Grundfreiheiten 218 – Begriff 208 – bei Märkten und Volksfesten 214, 398 – Eingriff in Grundfreiheiten 221 – Rechtsnatur 208 – Rechtsschutz 208 – Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung 398 Erforderlichkeit 359, 371 Erhaltungssatzung 356 Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung – Bindungswirkung 423 – Inhalt 421 – zwingendes Erfordernis des Allgemeinwohls 428 Festsetzung 212 Finanzhoheit 451 Gebhard 308, 104 Geeignetheit 350, 371 gemeinsamer Markt 78 Gemeinschaftstreue 418 Gewerbemodelle 121 – Beihilfe 204 – mittelbare Diskriminierung 184

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gewerberechtlicher Zulassungsanspruch 212 Grundfreiheiten – Beschränkungsverbot 104 – Diskriminierungsverbot 101 – grenzüberschreitender Sachverhalt 92 – Konkurrenzen 93 – subjektiv-öffentliches Recht 90 – unmittelbare Anwendbarkeit 90 – Verpflichtete 89, 159 Grundrechtecharta 490 Grundsatz der Demokratie 414, 457 Grundsatz der partizipativen Demokratie 491, 494 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 283, 347, 486, 415, 461 Handlungsgrenzen 27 Iannelli 196 Identität – kulturelle Identität 108, 302, 349, 363, 368, 458 – nationale Identität der Mitgliedstaaten 495, 411, 492, 484, 415 Inländerdiskriminierung 182 juristische Person 88, 208 Kapitalverkehrsfreiheit 145, 222, 288 Keck 219, 336 Kohärenz des Steuer-/Regelungssystems 384, 388, 391 Kommission ./. Italien 179, 390 Kommunalblindheit 28, 402, 484 Konle 143, 338 landesweite und regionale soziale oder kulturelle Besonderheiten 337 Market economy investor test 269 Marktprivilegien 211 Marktwirtschaft 75

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Sachverzeichnis

Maßnahmen – öffentliche Ausschreibung 263 – privatrechtliche Verträge 161 – Verwaltungsakt 161 – Verwaltungspraxis 262 – Verwaltungsvorschriften 160, 262 Niederlassungsfreiheit 132, 216–217, 221, 261 Nord-Pas-de-Calais 245

raumplanerische Ziele – Begriff 339 – Gewerbemodelle 346 – Rechtsquelle 342 – Wohnraummodelle 345 Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten 329, 342, 428 Rechtsvergleich siehe wertender Rechtsvergleich 342 Reisch 339

öffentliche Auftragsvergabe – Begriff 225 – Beihilfe 269 – Eignungskriterien 239, 242, 254 – Grundfreiheiten 264 – Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung 399 – vergabefremde Kriterien 236 – Vergaberichtlinien 235 – Zuschlagskriterien 240, 247, 257 öffentliche Einrichtung – Begriff 205 – Benutzungsverhältnis 207 – Märkte und Volksfeste 211 – Organisationsformen 206 – Widmung 206 öffentliche Ordnung – Anwendbarkeit 289 – Begriff 300 – Einwohnerprivileg 376 – Gewerbemodelle 307 – Wohnraummodelle 303 öffentliches Interesse 50

Sanierungssatzung 354 Selbstverwaltungsgarantie – als zwingendes Erfordernis des Allgemeinwohls 461 – institutionelle Garantie 44 – Kernbereich 59, 68, 397 – Randbereich 60 Sotgiu-Formel 164 sozialer Wohnungsbau 174 städtebaurechtliche Einheimischenmodelle – Begriff 106 – Erscheinungsformen 121 – Rechtsgrundlage 122 – Rechtsnatur 125 – Schutzgut der kommunalen Selbstverwaltung 397 Struktursicherungsklausel 67, 72 Subsidiaritätsprinzip 412, 493, 484, 457

Personenmehrheit 88 praktische Konkordanz 84, 105, 256, 369–370, 496 Prinzip der Lastentragung 376, 388, 391 Privilegierung 31

Verfassungsvertrag 77, 85 – Rolle der Kommunen 482 Vergaberichtlinien 232, 235, 258 Vertragsmodell 120 VO (EWG) Nr. 1612/68 223, 131 Völkerrecht 330, 419

Traunsteiner Modell 119 Unionsbürger 87

Sachverzeichnis Warenverkehrsfreiheit 88, 140, 217, 221, 260, 263 Weilheimer Modell 119 wertender Rechtsvergleich 328, 459 – Allzuständigkeit 437 – Eigenverantwortlichkeit und Aufsichtsbefugnisse 442 – finanzielle Autonomie 451 – raumplanerische Ziele 342 – verfassungsrechtliche Absicherung 432 Wienstrom 247, 250 Wirtschaftsverfassung 77, 85 Wohnraummodelle, Mittelbare Diskriminierung 184 Wohnsitzerfordernis – als mittelbare Diskriminierung 184 – als unmittelbare Diskriminierung 163

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Zweistufentheorie 38 Zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls – Anwendbarkeit auf das allgemeine Freizügigkeitsrecht 321 – Anwendbarkeit auf mittelbare Diskriminierungen 319 – Gesetzesvorbehalt 282 – Herleitung 330 – inhaltliche Bestimmbarkeit 331 – Kohärenz des Steuer-/Regelungssystems 384, 388, 391 – kommunale Selbstverwaltung 400, 461, 494 – landesweite und regionale soziale oder kulturelle Besonderheiten 337 – methodisch-systematische Einordnung 276 – nicht-wirtschaftlicher Charakter 278 – Raumplanerische Ziele 346 Zwischenerwerbsmodell 116