Einführung in das Werk Heinrich Heines 3534219457, 9783534219452

Der Band verortet Heines Werk im Kontext der politischen, philosophischen, ästhetischen und intellektuellen Diskurse sei

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Einführung in das Werk Heinrich Heines
 3534219457, 9783534219452

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
I. Heinrich Heine im 21. Jahrhundert
II. Zum Stand der Forschung
III. Der Autor in Seiner Zit
1. Zur Zeitgeschichte
2. Zur Lebens- und Werkgeschichte
IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes
1. Heines Schreibart
2. Heines Romantik
3. Heines Judentum
4. Lyrik
5. Versepen
6. Reisebilder
7. Feuilletons und Tagesberichte
V. Einzelanalysen
1. Almansor. Eine Tragödie
2. Die Harzreise. (1824)
3. Buch der Lieder
4. Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831
5. Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski
6. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland
7. Elementargeister
8. Ludwig Börne. Eine Denkschrift (Heinrich Heine über Ludwig Börne)
9. Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844
10. Romanzero
11. Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben
12. Geständnisse. Geschrieben im Winter 1854
VI. Heines Nachwirkung
Zleittafel
Kommentierte Bibliografie
Personenregister
Begriffsregister
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Einführungen Germanistik Herausgegeben von Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal

Sikander Singh

Einführung in das Werk Heinrich Heines

Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L’atmosphère, et la météorologie populaire, Paris 1888. i akg-images.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Umschlaggestaltung: schreiberVIS, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-21945-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-71905-1 eBook (epub): 978-3-534-71906-8

Inhalt I. Heinrich Heine im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Der Autor in seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zur Zeitgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Lebens- und Werkgeschichte . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes 1. Heines Schreibart . . . . . . . . . . . . 2. Heines Romantik . . . . . . . . . . . . . 3. Heines Judentum . . . . . . . . . . . . . 4. Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Versepen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Reisebilder . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Feuilletons und Tagesberichte . . . . . .

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V. Einzelanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Almansor. Eine Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Harzreise. (1824) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Buch der Lieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831 . . . . 5. Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski . . . . . 6. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland 7. Elementargeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Ludwig Börne. Eine Denkschrift (Heinrich Heine über Ludwig Börne) . . . . . . . . . . . . . 9. Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Romanzero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben . . . . . 12. Geständnisse. Geschrieben im Winter 1854 . . . . . . . . . .

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VI. Heines Nachwirkung

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Kommentierte Bibliografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Begriffsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zeittafel

I. Heinrich Heine im 21. Jahrhundert Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren der Literaturgeschichte, deren Dichtungen und Schriften von ihren Zeitgenossen in ihrem Rang und ihrer Bedeutung verkannt und deshalb nicht gelesen wurden, fanden die Werke Heinrich Heines bereits zu seinen Lebzeiten eine außerordentliche Beachtung. Je nach weltanschaulicher und ästhetischer Ausrichtung galt er als Künder einer neuen Epoche, einer neuen Literatur, die in Form, Sprache und Inhalt richtungsweisend war, oder als ein charakterloser Schriftsteller (ein Jude, Exilant und Vaterlandsverräter zudem), der mit moralischen und ästhetischen Werten brach und deshalb als Vorbote eines kulturellen Verfalls gesehen wurde. Die Geistesgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hat diese Urteile lange überholt und der hohe Rang der Werke Heines im Diskurs der deutschen Literatur gilt heute als unumstritten. Trotzdem nehmen seine Dichtungen und Schriften – im Gegensatz zu denen anderer Schriftsteller – bis in die Gegenwart eine Sonderstellung ein. So ist er der einzige Dichter, der in Deutschland wie in Frankreich gleichermaßen als ein kanonischer Autor der jeweils eigenen nationalen Literatur angesehen wird – bereits aus diesem Grund kann er als einer der ersten europäischen Denker und Intellektuellen gelten. Andererseits hat es beispielsweise in seiner Geburtsstadt Düsseldorf erst vor wenigen Jahrzehnten eine lang anhaltende, erbittert geführte Kontroverse gegeben über die Frage, ob die dortige Universität seinen Namen tragen solle – der internationales Aufsehen erregende Streit wurde im Jahr 1988 zugunsten einer Benennung nach dem Dichter entschieden. Ohnehin provozierten seine Person, sein Werk aber auch seine Nachwirkung immer wieder Skandale, die nicht nur von dem begrenzten Horizont der Vertreter einer lokalen (Kultur-)Politik Zeugnis ablegen, sondern auch sichtbar machen, dass selbst über 150 Jahre nach seinem Tod die ungebrochene Ehrung dieses Schriftstellers in Deutschland noch nicht ganz unproblematisch ist. Dies als einen Gradmesser für Heines Aktualität zu werten, bedeutete allerdings einen Trugschluss. Denn die Debatten, welche von der Nachwelt über einen Dichter geführt werden, sagen nur bedingt etwas aus über die Frage, ob die Themen- und Problemfelder, die in seinen Werken behandelt werden, einen Beitrag zu leisten vermögen zu den gesellschaftlichen oder ästhetischen Diskursen der Gegenwart. – Abgesehen von der Frage, ob dies überhaupt ein Kriterium ist, nach dem das literarische Kunstwerk angemessen bewertet werden kann und darf. Worin also liegt die Aktualität, die fortwährende Relevanz der Dichtungen und Schriften Heinrich Heines begründet? Die literaturgeschichtlich zentrale Frage, mit der sich seine Werke auseinandergesetzt haben, ist die nach der Bedeutung der klassisch-romantischen Ästhetik für seine Gegenwart. Bereits in den frühen Dichtungen, mit denen der junge Heine zu Beginn der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts an die Öffentlichkeit trat, be-

Urteile der Literaturgeschichte

Romantische Kunstanschauung

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I. Heinrich Heine im 21. Jahrhundert

Frühe Moderne

fragte er die Bilder und Metaphern, die Themen und Vorstellungen der spätzeitlich gewordenen Romantik auf ihre Relevanz für den Diskurs einer nunmehr veränderten zeit- und geistesgeschichtlichen Verfasstheit. Wenngleich er sich bis in sein Spätwerk mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat, dokumentieren die Urteile der Nachwelt, sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert, die dominierende Stellung der romantischen Kunstanschauung: Die abwartende oder ablehnende Haltung weiter Teile eines bildungsbürgerlichen Lesepublikums resultiert aus dem Widerspruch zwischen ihrer eigenen, romantisch geprägten Vorstellung des „Kunstschönen“ und dem ironischen Umgang Heines mit dieser Vorstellung. Die Gebrochenheit der Bildlichkeit und des Tons, die vielzitierten Stimmungswechsel, mit denen seine Gedichte und Prosatexte den Leser nicht nur konfrontieren, sondern allein lassen, irritieren und provozieren deshalb bis in die Gegenwart. Die Gebrochenheit oder Zerrissenheit – um ein Wort aufzugreifen, mit dem Heines Zeitgenossen diese Problematik bezeichneten – meint aber auch die Reflexion des Menschen über seine ontologische Verfasstheit. Nach der Dekonstruktion der Religion und ihrer paradigmatischen Stellung im gesellschaftlichen Diskurs durch die Philosophie der Aufklärung im 18. Jahrhundert, nach der sich diesem Prozess anschließenden Dekonstruktion Gottes thematisiert Heine die Erfahrungen von Einsamkeit und Entfremdung, stellt er die Frage nach dem Inhalt und der Bedeutung der menschlichen Existenz. Die Liebenden und Leidenden, die Kämpfer und Geschlagenen, die Helden und Narren seines Werkes sind Figurationen des Menschen, der in einer Welt, in der eine übergeordnete transzendente Instanz ihren normativen Einfluss verloren hat, nach einem individuellen Sinn sucht. Diese geistesgeschichtliche Verfasstheit, die seine Dichtungen abbilden, unterscheidet sich nicht wesentlich von der existentiellen Ratlosigkeit unserer eigenen Gegenwart. In der frühen Moderne ist es Heine gelungen, jene Sinnfragen auf eine prägnante, eindringliche und gültige Weise in literarische Bilder und Metaphern zu kleiden, die in der Post- (oder auch PostPost-)Moderne unverändert dringlich geblieben sind. In diesem Zusammenhang ist in besonderer Weise hervorzuheben, dass Heine eben nicht den Versuch macht, Antworten auf diese Fragen zu finden. Stattdessen thematisiert er die Ratlosigkeit, die Folge eines Bewusstseins ist, aus dem heraus Antworten nicht mehr gegeben werden können. Seine Aktualität erweist sich jedoch nicht nur im Bereich existentieller Fragestellungen. Im Paris der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts wird Heine zum Zeugen und Chronisten eines tiefgreifenden sozialen Veränderungsprozesses. Die Gesellschaft wandelt sich von einer agrarischen zu einer industriellen, von einer auf Subsistenz beruhenden Wirtschaft zu einer auf den Grundsätzen des Kapitals fußenden ökonomischen Ordnung. Indem der Schriftsteller Prozesse der unaufhaltsamen Beschleunigung des Lebens, den Einfluss der Macht des an den Börsen akkumulierten Kapitals auf das Leben des Menschen untersucht, indem er über die Bedeutung des schnellen Verkehrs von Waren und Personen für die Volkswirtschaft nachdenkt und über Prozesse der Globalisierung, die durch die Kolonialisierung der Länder Afrikas und des Vorderen Orients durch europäische Mächte ihren Anfang nimmt, gelangt er zu einer Diagnose seiner Gegenwart, die für die entfesselten ökonomischen Verhältnisse am Beginn

I. Heinrich Heine im 21. Jahrhundert

des globalisierten 21. Jahrhunderts unverändert ihre Gültigkeit bewahrt hat. Man sollte hieraus jedoch keineswegs den Schluss ziehen, der Dichter habe prognostische oder gar prophetische Kräfte besessen. Vielmehr sind die Erkenntnisse und Einsichten, die Heine über die Zustände seiner Zeit mitteilt, deshalb noch aktuell, weil unsere Gegenwart sich in der Endphase jenes Prozesses befindet, der in seiner Epoche seinen Anfang genommen hat. Nun gibt es – gerade in der Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – zahlreiche Schriftsteller, welche diese ontologischen und ökonomischen Entwicklungen in ihren Werken thematisiert haben und die gleichwohl aus den Diskursen unserer Zeit verschwunden sind. Die ungebrochene Modernität Heines erwächst daraus, dass er – trotz des politischen und sozialen Engagements, das sein Werk auszeichnet – den künstlerischen Anspruch niemals aufgegeben hat. In der Erkenntnis der tiefsten Ratlosigkeit ob des Zustandes der Welt glaubt Heine an das Unbedingte und Ausschließliche der Kunst. Er erachtet sie nicht als eine Möglichkeit oder Hoffnung, den Menschen oder die Welt zu bessern, sondern als einen Akt der Revolte gegen das zerstörerische Potential einer Ordnung, die nur mehr von vermeintlichen ökonomischen Notwendigkeiten bestimmt wird. Unter dem Schlagwort der Emanzipation streitet Heine nicht nur für Menschen- und Bürgerrechte, nicht nur für die Grundsätze von Freiheit und Gleichheit, nicht nur für den Frieden und die Aussöhnung zwischen den Völkern und Nationen, sondern auch für die Kunst als einen Bereich, in dem der Mensch sich frei und ohne Zwänge dem ihm gegebenen anthropologischen Potential im Spiel der Gedanken und Gefühle hingeben kann und auf diese Weise gegen das Nützlichkeitsdenken der Moderne zu revoltieren und seine politische Freiheit und ontologische Autonomie zu behaupten vermag. „Wie Sie wissen“, notiert Heine in den Briefen Über die französische Bühne in diesem Sinne, „bin ich für die Autonomie der Kunst; weder der Religion, noch der Politik soll sie als Magd dienen, sie ist sich selber letzter Zweck, wie die Welt selbst.“ (HSA VII, 260)

Kunstautonomie

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II. Zum Stand der Forschung Problematik der Heine-Forschung

Historisch-kritische Ausgaben

Wissenschaftliche Hilfsmittel

Mit dem Fall der Mauer im Jahr 1989 und dem Ende der Teilung Deutschlands in zwei Staaten in Folge des Zweiten Weltkrieges hat sich auch die Heine-Forschung, die traditionell von außerliterarischen und politischen Prämissen beeinflusst worden ist, grundlegend verändert. (Gutleben 1997) Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk des Dichters ist nicht länger ein Bereich, in dem die weltanschaulichen Differenzen der ost- und westdeutschen Germanistik stellvertretend ausgetragen werden, stattdessen hat sich auch hier die Kanonisierung des Schriftstellers als eines Vertreters der deutschen Literatur von Rang vollziehen können. Des Weiteren ist in der Folge nicht nur die in der Deutschen Demokratischen Republik propagierte Sicht auf den Schriftsteller als eines frühen Vertreters einer „bürgerlich-revolutionären“ Literatur in Frage gestellt worden, sondern auch die von Germanisten in der Bundesrepublik Deutschland tradierte bildungsbürgerliche Perspektive auf sein Werk, die über lange Jahre die im späten 19. Jahrhundert entwickelten Deutungstraditionen und Urteilsmuster fortgeschrieben hat. Die heutige wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Werk Heinrich Heines ist jedoch noch von einem anderen Aspekt geprägt worden. Das breite positive Wissen über das Leben des Schriftstellers, über die Entstehungs- und zeitgenössische Wirkungsgeschichte seiner Werke, das die beiden großen, in Düsseldorf und in Weimar sowie Paris entstandenen bzw. entstehenden historisch-kritischen Ausgaben der Werke und Briefe zusammengetragen haben, hat der Forschung neue Perspektiven eröffnet. Diese Werkeditionen haben nicht nur erstmals das Gesamtkorpus an literarischen Werken und Schriften in deutscher und französischer Sprache sowie Briefen erschlossen, sondern auch die oftmals komplizierten, zuvor nur lückenhaft bekannten Entstehungs-, Zensur- und Druckgeschichten seiner Werke aufgearbeitet. Ebenso verdienstvoll sind die Einzel- und Stellenkommentare, die im Rahmen dieser Ausgaben entstanden sind und die für das Verständnis der Texte wesentliche biografische, historische und literarische Kenntnisse bereitstellen. Die beiden historisch-kritischen Gesamtausgaben stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern ergänzen sich, da sie sich aufgrund ihrer jeweiligen editorischen Grundannahmen voneinander unterscheiden. Darüber hinaus sind in den vergangenen Jahrzehnten weitere grundlegende wissenschaftliche Hilfsmittel der Forschung zur Verfügung gestellt worden. Hierzu gehören zum einen die Heine-Chronik von Fritz Mende, die Sammlung von Gesprächen und Berichten der Zeitgenossen über Begegnungen mit Heine, die Michael Werner zusammengetragen hat, die zwölfbändige Quellensammlung Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeitgenossen, die Dokumente zur Rezeption seiner Werke im deutschen Sprachraum ediert, und die dreibändige Quellensammlung Die französische Heine-Kritik, in der Hans Hörling Dokumente zur Wirkungsgeschichte

II. Zum Stand der Forschung

Heines in Frankreich versammelt hat. Zum anderen zählen hierzu das zwischenzeitlich in der dritten Auflage überarbeitete, erweiterte und ergänzte Heine-Handbuch von Gerhard Höhn und nicht zuletzt die Sammlung von Lebenszeugnissen, also sämtlichen überlieferten zeitgenössischen Dokumenten, die Auskunft über das Leben des Dichters geben, und die im Rahmen der Heine-Säkularausgabe momentan in Weimar erarbeitet wird. Darüber hinaus hat das Heinrich-Heine-Portal den Text und Apparat der in Düsseldorf entstandenen historisch-kritischen Ausgabe sowie die Briefwechsel des Dichters, die in der Säkularausgabe ediert worden sind, zusammen mit anderen Materialien – wie Faksimiles zahlreicher handschriftlicher Entwurfsmanuskripte, Reinschriften, Druckvorlagen und Korrekturfahnen – im WorldWideWeb online verfügbar gemacht. Eine solche digitale Edition vermag die genannten historisch-kritischen Gesamtausgaben zwar nicht zu ersetzen, stellt aber gleichwohl eine Bereicherung für den Bereich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Dichter und seinem Werk dar. Diese beiden Aspekte haben die neuere Heine-Forschung nicht nur grundlegend bestimmt, sie haben auch zu einem Aufschwung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Dichter und seinem Werk im Inund Ausland geführt, wobei die Heine-Philologie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts traditionell auch Schwerpunkte in Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika aufweisen kann. Auskunft über die Vielzahl der jährlich erscheinenden wissenschaftlichen Studien gibt das Heine-Jahrbuch, das die Neuerscheinungen fortlaufend bibliografisch erfasst. Darüber hinaus sei an dieser Stelle auf die Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft verwiesen, die online verfügbar ist und die deutschen und internationalen wissenschaftlichen Publikationen zu Heine ebenfalls verzeichnet. Wenngleich das Feld der Themen und Fragestellungen im Bereich der Heine-Philologie bereits seit langem so ausdifferenziert ist, dass es in seiner Qualität wie Quantität geradezu unüberschaubar geworden ist, wie bereits George F. Peters (Peters 1998) und Jeffrey L. Sammons (Sammons 1999) in ihren Forschungsberichten herausgestellt haben, haben sich seitdem einzelne Tendenzen herausgebildet, die aufzuzeigen vermögen, welche Bereiche und Themenfelder in den vergangenen Jahrzehnten primär Beachtung gefunden haben. An der Biografie und den Lebensumständen des Schriftstellers orientierte Deutungen seines literarischen Werkes, welche die ältere Heine-Forschung dominierten, sind von neueren Ansätzen vor dem Hintergrund einer kritischen Methodenreflexion und Diversifizierung der methodischen Möglichkeiten zwar nicht gänzlich verworfen, aber deutlich relativiert worden. Sammlungen, wie die im Rahmen der Heine-Säkularausgabe entstehende Dokumentation der Lebenszeugnisse oder Studien zum familiären Hintergrund des Dichters, zu einzelnen Lebensstationen, zu Beziehungen zu Zeitgenossen, Freunden und Weggefährten sowie traditionelle biografische Gesamtdarstellungen tragen zwar dazu bei, zu einem differenzierteren Bild der lebens- und zeitgeschichtlichen Umstände zu gelangen, ihre Ergebnisse werden jedoch nur mehr bedingt zur Textinterpretation herangezogen. In diesem Kontext sind als grundlegende Arbeiten die von Jeffrey L. Sammons (Sammons 1979) sowie Michael Werner und Jan-Christoph Hauschild

Bibliografien

Biografische Darstellungen

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II. Zum Stand der Forschung

Literarische Selbstinszenierung

Judentum und jüdische Identität

Heine als politischer Schriftsteller

(Hauschild/Werner 1997) verfassten Biografien des Schriftstellers zu nennen sowie zahlreiche, jeweils Detailfragen gewidmete Aufsätze, wie diejenigen biografischen Einzelstudien zu Heines Familie sowie seinen Lebensstationen, die Joseph A. Kruse in dem Band Heine-Zeit zusammengefasst hat. (Kruse 1997) Grundlegend für die Abwendung von einer auf die Biografie ausgerichteten Textinterpretation waren, neben methodischen Neuorientierungen, die Studien von Michael Werner. (Werner 1977; Werner 1979) Diesen Ansatz fortschreibend und ausdifferenzierend hat die Forschung gezeigt, dass die Selbstporträts und -charakteristiken, die Verlassenheiten des Liebenden, des Kämpfenden, des Exilierten und schließlich des Sterbenden – und gerade die Verschränkung dieser Aspekte macht die Eigenart der Werke Heines aus – kalkuliertes literarisches Arrangement sind, aber auch dichterischer Ausdruck der eigenen Lebenswirklichkeit. (Bierwirth 1995) Als solche sind sie ein Teil der komplizierten, aber für die Analyse und Deutung des Werkes wesentlichen Verbindung von faktischen und fiktionalen Elementen, von dichterischem Werk und literarischer Inszenierung des eigenen Lebens. Sie sind Manifestationen der existentiellen Erfahrung des Verlassenseins des modernen Menschen und zugleich eine wesentliche Voraussetzung der eigenen künstlerischen Produktion. (Sammons 1999) Ausgehend von dem Gedanken, dass Heines Selbstdarstellungen ein künstlerisches Konstrukt sind, sind zahlreiche Aspekte und Probleme des Werkes in der Folge neu untersucht und interpretiert worden. Sicherlich zentral ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Einfluss und der Bedeutung der jüdischen Herkunft des Dichters auf sein Denken und sein literarisches Schreiben. Wesentliche Impulse in diesem Bereich der Forschung gab eine Studie von Klaus Briegleb, der jüdische Themen und Motive in Heines Dichtungen und Schriften untersucht und in ihrer Gebrochenheit als Signum der beginnenden Moderne gedeutet hat. (Briegleb 1997) Als weitere, die Forschung vorantreibende Studien sind die Arbeiten von Robert C. Holub, der die Frage betrachtet, inwiefern Heines kritische Perspektive auf die deutsche Romantik im Kontext der Diskurse der jüdischen Geistesgeschichte zu verstehen ist (Holub 1997), die Analyse von Walter Grab, die Momente jüdischen Denkens in Heines Dichtungen untersucht (Grab 1998), sowie die Arbeit von Regina Grundmann (Grundmann 2008), zu nennen, die neben Jeffrey Grossman (Grossman 2002) zugleich einen Überblick über die in diesem Themenspektrum diskutierten Fragen auf einem aktuellen Stand der Forschung bietet. Die Beschäftigung mit den jüdischen Einflüssen auf das Denken Heines hat auch im Bereich der Deutungen einzelner Werke neue Ansätze hervorgebracht. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Studien von Bernd Witte zu dem Erzähltext Der Rabbi von Bacherach (Witte 1997) und von Hartmut Steinecke zu dem späten Gedicht Jehuda ben Halevy (Steinecke 2000) als richtungsweisend zu nennen. Die Konstruktionen der literarischen Persona haben auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem politischen Schriftsteller Heine beeinflusst. Dieser Bereich der Forschung hat zwar von den späten sechziger bis in die achtziger Jahre die meiste Beachtung gefunden, was die sozial- und geistesgeschichtlich orientierten Studien von Walter Hinck (Hinck 1990)

II. Zum Stand der Forschung

und Walter Grab (Grab 1992) in großen Zügen zusammenfassend darstellen, ist aber in den vergangenen Jahren in Bezug auf den den politischen europäischen Einigungsprozess begleitenden philologisch-historischen Europa-Diskurs neu konturiert worden. So hat Stefan Bodo Würffel in diesem Kontext die Identitätsproblematik bei Heine untersucht (Würffel 1999) und Renate Stauf die Europaentwürfe von den frühen, in Deutschland entstandenen Schriften bis zu dem Spätwerk, in dem ihr Scheitern explizit wird, nachgezeichnet. (Stauf 1997) Das Spannungsfeld von nationalen und europäischen Gedanken, das Heine in seinen Werken thematisiert, ist des Weiteren von Albrecht Betz (Betz 1997) und von Annemarie Mejcher-Neef (MejcherNeef 2003) grundlegend behandelt worden. Vor diesem Hintergrund hat die Forschung auch das Verhältnis Heines zu der Literatur der Aufklärung und Romantik neuerlich fokussiert. Dies wird nicht nur in den Ergebnissen einer Tagung in den Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Jahr 1995 (Winkler 1997), der Arbeit von Maria-Christina Boener, welche die Anverwandlungen der romantischen Theoriebildung in den Prosaschriften Heines untersucht (Boener 1998) oder der Studie von Sandra Kerschbaumer, die dem Einfluss der frühromantischen Ästhetik auf den Schriftsteller nachgeht (Kerschbaumer 2000), deutlich, sondern auch in der Arbeit von Peter Bürger, der Heines Denken vor dem Hintergrund der Philosophie der Aufklärung interpretiert (Bürger 1999), sowie in dem Sammelband Heinrich Heines 18. Jahrhundert, der die vielfältigen Rekurse Heines auf das Jahrhundert der Aufklärung beleuchtet. (Singh 2006) Die genannten Untersuchungen dokumentieren den Versuch, zu einem tieferen Verständnis der Position und Bedeutung Heines im Diskurs der Literatur- und Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts zu gelangen. Dieser Ansatz wird auch von jenen Arbeiten verfolgt, welche einerseits die Geschichtsauffassung des Dichters fokussieren und andererseits nach der Position seines Werkes in den prozesshaften Übergängen zur literarischen Moderne fragen. In diesem Zusammenhang sind die Studien von Jürgen Ferner (Ferner 2000) und Dorothee Kimmich (Kimmich 2002) als grundlegend anzuführen, die Heines geschichtsphilosophische Reflexionen im Spannungsfeld der Literatur seiner Zeit betrachten. Bedeutende Impulse in diesem Feld der Forschung haben aber auch die französischsprachigen Arbeiten von Michel Espagne (Espagne 1998) und Michael Werner (Werner 1998) gegeben. Demgegenüber gehören – wie die älteren, aber gleichwohl noch aktuellen Studien von Jürgen Habermas (Habermas 1987) und Gerhard Höhn zeigen (Höhn 1994) – Fragen nach der Genealogie des Intellektuellen in der Moderne schon seit längerem zu den vielbeachteten Problemen der HeineForschung. Fortgeschrieben wurde dieser Diskurs durch die Arbeiten von Bernd Witte (Witte 1998) und Peter-Uwe Hohendahl. (Hohendahl 1996) Ebenfalls mit der Bedeutung des Schriftstellers für die ästhetische Moderne hat sich Gerhard Höhn in seinen Betrachtungen über Heine und Friedrich Nietzsche auseinandergesetzt. (Höhn 1997) Wegweisend sind ferner die Studien, in denen Peter Uwe Hohendahl aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Stellung Heines innerhalb der europäischen Moderne analysiert und einordnet. (Hohendahl 2008) Vor diesem Hintergrund sind zwei weitere Bereiche anzuführen, die in den vergangenen Jahren ebenfalls Beachtung gefunden haben. Zum einen

Literaturgeschichtliche Einordnung

Heine und die Moderne

Das Spätwerk

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II. Zum Stand der Forschung

Heines Poetik

Heine als Mythologe

Intertextualität und Intermedialität

ist dies die Auseinandersetzung mit dem Spätwerk des Dichters, dem über lange Zeit im wissenschaftlichen Diskurs eine nur geringe Bedeutung beigemessen wurde. Grundlegende Impulse verdankt dieser Bereich der HeineForschung immer noch der Studie von Dolf Oehler. (Oehler 2000) Die Fokussierung der nach 1848 entstandenen Dichtungen und Schriften Heines hat darüber hinaus zahlreiche Einzelinterpretationen hervorgebracht. So hat eine Potsdamer Tagung die unter dem Titel Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben zusammengefassten und zu einem geschlossenen Ganzen verbundenen Korrespondenzberichte neu bewertet (Pistiak/Rintz 2007), während andere Studien das lyrische Spätwerk eingehenden Untersuchungen unterzogen haben. (Cook 1998; Pistiak 1999) In den Kontext dieser Arbeiten gehört auch die Beschäftigung mit der dem Werk zugrunde liegenden Poetik, die Jacob Hessing vor allem vor dem Hintergrund jüdischer Diskurse beleuchtet hat (Hessing 2005), und die Studie von Madleen Podewski, welche die Implikationen der romantischen Theorie für das Werk Heines und die Genese seiner poetologischen Positionen im Spannungsfeld der idealistischen Ästhetik betrachtet hat. (Podewski 2002) Mit der Frage nach Heines Poetik hat sich auch Bodo Morawe in einer Studie auseinandergesetzt. Aus der hermeneutischen Reflexion über die in Frankreich entstandenen Werke des Dichters entwickelt er für das Verständnis und die literaturhistorische Einordnung des Gesamtwerkes impulsgebende Vorstellungen. (Morawe 2010–2011) Zum anderen sind die mythologischen Diskurse im Werk Heines in den Blickpunkt gerückt. Entscheidende Anregungen zu der Auseinandersetzung Heines mit der griechisch-römischen und der germanischen Mythologie hat die neuere Forschung der Arbeit von Robert C. Holub zu verdanken. (Holub 1997) Nicht zuletzt haben Ernst Behler (Behler 1999) sowie Renate Schlesier (Schlesier 2001) diesen, in der älteren Forschung vernachlässigten Bereich des Werkes beleuchtet und in den Zusammenhang der Reflexionen über die Mythologie, die den literarischen Diskurs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägten, eingeordnet. Als letzter großer Aspekt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Werk Heines soll an dieser Stelle das von den theoretischen Diskursen der Kulturwissenschaft wesentlich beeinflusste Interesse an intertextuellen und intermedialen Relationen in seinen Dichtungen und Schriften genannt werden. Dieser Bereich ist einerseits im Sinne der traditionellen Einflussforschung untersucht worden. Unter den zahlreichen Arbeiten hierzu bieten die Beiträge einer Londoner Konferenz im Jahr 1997 einen umfassenden Überblick. (Reed/Stillmark 2000) Andererseits haben neuere Studien die Frage nach der Funktion der Literarisierung von Musik und bildender Kunst, also der transmedialen Verwandlungsprozesse, für die Schreibart und die Poetik des Dichters aufgeworfen. Insbesondere die Vorträge einer Tagung in Düsseldorf im Jahr 2006 vermögen eine Übersicht über den aktuellen Stand der Debatten in diesem Bereich zu geben. (Herwig 2007) Bereits in diesem knappen Überblick über die wesentlichen Entwicklungstendenzen der Heine-Forschung der vergangenen Jahre zeigt sich, dass die wissenschaftliche Diskussion zwar zahlreiche neue Horizonte in der Auseinandersetzung mit dem Schriftsteller eröffnet hat, aber gleichwohl als ein „work in progress“ verstanden werden muss. Zugleich dokumentiert

II. Zum Stand der Forschung

sie die Relativität jener, in dem Bereich der naturwissenschaftlichen Forschung geprägten, Vorstellung eines wissenschaftlichen Fortschrittes für die philologisch-philosophischen Disziplinen. Lediglich in dem Bereich positiver Erkenntnisse über das Leben des Dichters, die Zeitumstände sowie die Entstehungs- und Druckgeschichten seines Werkes hat es quantifizierbare Weiterentwicklungen des Wissensstandes gegeben. Im Bereich der hermeneutischen Beschäftigung mit seinen Dichtungen und Schriften spiegeln sich in den Diskussionen und Debatten, die in den vergangenen Jahren geführt worden sind, zu einem Teil auch die Fragen und Probleme unserer Gegenwart. Das Werk des Dichters ist ein Reflexionsraum, dem das Potential eingeschrieben ist, auch den Diskursen nachfolgender Generationen Anregungen und Impulse zu geben. In diesem Sinne liegt in ihm die Aufforderung an kommende Leser, auf ihre eigenen Fragen eigene Antworten zu finden.

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III. Der Autor in seiner Zeit 1. Zur Zeitgeschichte Französische Revolution 1789

Befreiungskriege

Wiener Kongress

Deutscher Bund

Heinrich Heine lebte in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs. Nur wenige Jahre vor seiner Geburt im Jahr 1797 hatte am 14. Juli 1789 mit dem Sturm auf die Bastille die Französische Revolution begonnen. Bereits den Zeitgenossen galt diese Volkserhebung als Signum und sichtbares Zeichen des Zerfalls der feudalen Herrschaftsordnung. Wenige Jahre nach der Geburt Heines hatte dieser Erosionsprozess auch die deutschen Staaten erreicht: Napoléon Bonaparte besetzte mit seinen Armeen weite Teile des Reiches und zwang in der Konsequenz den Habsburger Franz II. am 6. August 1806 zum Verzicht auf die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. (Mazohl-Wallnig 2005) Wenngleich jenes Staatsgebilde, das Mitteleuropa für mehr als eintausend Jahre geprägt hatte, damit erloschen war, fanden sich die alten Feudalmächte in den Jahren 1813 bis 1815 in den sogenannten Befreiungskriegen zusammen, um gemeinsam gegen Napoléon und die Hegemonialstellung des revolutionären Frankreichs in Europa zu kämpfen. In der Schlacht bei Waterloo im Juni 1815 gelang der entscheidende Sieg über das letzte napoleonische Heer. Der Kaiser der Franzosen wurde gefangen gesetzt und in die Verbannung auf die abgelegene Insel St. Helena im südlichen Atlantik geschickt. Nachfolgend trafen sich die Vertreter aller europäischen Mächte in Wien, um nach zwei Jahrzehnten des Krieges, während derer nach dem Machtkalkül Napoléons Staaten entstanden und wieder untergegangen waren, Grenzen neu gezogen und wieder aufgehoben worden waren, Monarchen ein- und wieder abgesetzt worden waren, eine stabile und dauerhafte Ordnung auf dem Kontinent zu etablieren. Die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress war in erster Linie das Werk des österreichischen Staatskanzlers Clemens Fürst von Metternich. Unter der Ägide dieses konservativen Diplomaten setzte die Friedenskonferenz im Wesentlichen drei Prinzipien um: dasjenige der Restauration, also der Wiederherstellung des politischen Zustandes von 1792 (jener Ordnung, die vor dem Beginn des Ersten Koalitionskrieges bestanden hatte), dasjenige der Legitimität, also die erneute Festschreibung unveränderlicher dynastischer Ansprüche der alten Feudalherrscher, und dasjenige der Solidarität, also die gemeinsame Politik der europäischen Fürsten zur Abwehr von revolutionären Gedanken und Erhebungen. Für die deutschen Staaten auf dem Gebiet des untergegangenen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war das entscheidende Ergebnis der Wiener Schlussakte die territoriale Neuordnung und darauf basierend die Gründung des Deutschen Bundes, eines föderalen Zusammenschlusses von 39 auf dem alten Reichsgebiet entstandenen Mitgliedsstaaten mit einem ständigen Gesandtenkongress unter österreichischem Vorsitz in Frankfurt am Main. Zentrale Merkmale dieser politischen Ordnung, welche die deut-

1. Zur Zeitgeschichte

schen Länder bis zum Krieg des Jahres 1866 bestimmen sollte, waren die völkerrechtliche Unabhängigkeit jedes einzelnen Mitgliedes und die schwache Position der Zentralorgane. Einerseits gelangte Deutschland mit dieser friedlichen staatlichen Neuorganisation nach langen Jahren des Krieges, der Unruhe und der Unsicherheit zu geordneten politischen Verhältnissen, was von den Zeitgenossen durchaus begrüßt wurde. Andererseits war die neue Ordnung gekennzeichnet durch die verweigerte Teilhabe der Mehrheit der Gesellschaft an politischen Entscheidungen, den restaurierten Primat des Adels sowie das zunehmend repressive Vorgehen der Regierungen gegen als „Demagogen“ verfolgte liberale Gruppierungen, die von den Monarchen Verfassungen, Bürgerrechte, politische Mitbestimmung, das Ende des Partikularismus sowie die Einheit Deutschlands forderten. Solche liberalen, demokratischen und nationalen Reformerwartungen waren bereits in dem von Studenten aus ganz Deutschland anlässlich der 300. Wiederkehr von Martin Luthers Wittenberger Thesenanschlag und des vierten Jahrestages der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig initiierten Wartburgfest – das in der Verbrennung der zwei Jahre zuvor ratifizierten Bundesakte sowie als reaktionär angesehener Schriften gipfelte – im Jahr 1817 öffentlich geworden. Die politisch motivierte Ermordung des Schriftstellers und zaristisch-russischen Staatsrates August von Kotzebue durch den Jenaer Theologiestudenten Karl Ludwig Sand im März 1819 bot den Regierungen unter Federführung Metternichs in der Folge den äußeren Anlass, aus Gründen der Sicherheit und der Staatsraison Maßnahmen gegen liberale und nationale Bestrebungen zu ergreifen. Auf einer Geheimkonferenz in dem nordböhmischen Kurort Karlsbad verabschiedeten Vertreter der deutschen Bundesstaaten noch im selben Jahr Gesetzesvorlagen, die in der Geschichtsschreibung unter der Bezeichnung Karlsbader Beschlüsse zusammengefasst worden sind. Sie beinhalteten neben der strengen Beaufsichtigung der Universitäten und der Einrichtung einer „Central-Untersuchungs-Commission“ mit Sitz in Mainz, welche die Aufgabe hatte, die nationale und liberale Bewegung zu beobachten, die Einführung von restriktiven Zensurmaßnahmen für Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Flugschriften und alle Druckschriften, die im Gebiet des Deutschen Bundes gedruckt oder vertrieben werden sollten. Obwohl die Behörden diese Vorgaben in den einzelnen Staaten unterschiedlich umsetzten, galten die Zensurgesetze im gesamten Deutschen Bund. Des Weiteren etablierte sich ein ausdifferenziertes Netz von Geheimpolizisten und Spitzeln, das die Aufgabe hatte, revolutionäre Bestrebungen und liberale Gruppen zu unterlaufen und den Behörden zur Anzeige zu bringen. Als Folge dieser Politik wurden zahlreiche oppositionelle Schriftsteller und Intellektuelle verfolgt und verhaftet, während andere ihre deutsche Heimat verließen. Vor allem in der Schweiz, in Frankreich und in Belgien, aber auch in England und den Vereinigten Staaten von Amerika entstanden auf diese Weise größere deutsche Exilgemeinschaften. Die Namen von Heinrich Heine, Ludwig Börne und Karl Marx sind lediglich die prominentesten unter denjenigen zahlreicher in diesen Jahren in das Exil geflüchteter Deutscher. – So lebten beispielsweise in Paris im Jahr 1830, also ein Jahr bevor Heine in die französische Hauptstadt übersiedelte, siebentausend Bürger deutscher Staaten, 1848, im Jahr der Revolution, waren es bereits 62 Tausend.

Karlsbader Beschlüsse

Exil

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III. Der Autor in seiner Zeit

März-Revolution 1848

Juli-Revolution 1830

Trotz der restriktiven staatlichen Maßnahmen und Verfolgungen, die auf die Einschränkung und das Verbot politischer Betätigung zielten, waren die Jahre, die der Revolution im März 1848 vorausgingen und die deshalb als Vormärz charakterisiert worden sind, eine Zeit, in der politische Spannungen keineswegs nur latent, unter der Oberfläche gärten. Insbesondere die französische Juli-Revolution des Jahres 1830 führte zu einem Erstarken des politischen Protests auch in den deutschen Ländern, was unter anderem das als „Nationalfest der Deutschen“ begangene, sogenannte Hambacher Fest im Mai 1832 dokumentiert. Anhänger der Opposition (unter ihnen abermals zahlreiche Studenten) versammelten sich auf der Ruine des Hambacher Schlosses in der damals zu Bayern gehörenden Südpfalz und forderten einen deutschen Nationalstaat, Freiheit und in einer Verfassung kodifizierte Bürgerrechte. Die politische Situation eskalierte in diesen Jahren nicht nur aufgrund des Eindruckes, den die französische Volkserhebung in Deutschland hervorrief. Viele Menschen sahen sich auch in den nach 1815 gegebenen, aber in der Konsequenz nicht eingehaltenen Verfassungsversprechen der deutschen Fürsten getäuscht. Gleichwohl konnte die stabile, aber repressive Ordnung auch nach der Revolution des Jahres 1848 ihren Fortbestand sichern. Zwar griffen die Februar-Unruhen in Frankreich im März des Jahres auch auf Deutschland über, zwar kam es in vielen deutschen Staaten zu Volkserhebungen und blutigen Barrikadenkämpfen, der Versuch aber der in der Frankfurter Paulskirche zusammengetretenen Nationalversammlung, die staatliche Einheit Deutschlands und eine Verfassung zu etablieren, misslang, nachdem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die ihm angetragene deutsche Kaiserwürde mit dem Argument ablehnte, er könne keine Krone aus der Hand des Volkes akzeptieren. Das Scheitern dieser Bestrebungen, das gleichbedeutend ist mit dem Scheitern der März-Revolution von 1848, führte in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem neuerlichen Erstarken der politischen Restauration und zu einer Konsolidierung der bestehenden Machtstrukturen. Wie viele Schriftsteller und Intellektuelle hat Heine diese Entwicklungen in seiner deutschen Heimat während der letzten Jahre seines Lebens mit Hoffnungslosigkeit und Resignation betrachtet und in seinen Werken literarisch reflektiert. Seine Schriften thematisieren jedoch nicht nur die Konflikte zwischen Konservativen und Liberalen, Monarchisten und Republikanern, restaurativen und fortschrittlichen Kräften in den deutschen Staaten, sondern auch die politischen Verhältnisse in seiner französischen Wahlheimat. Auch jenseits des Rheins vollzog sich nach dem Wiener Kongress eine Restauration der feudalabsolutistischen Mächte. Im Gegensatz zu den übrigen europäischen Ländern hatte die Revolution des Jahres 1789 jedoch in Frankreich ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass ein Umsturz der politischen Verhältnisse, dass eine Beteiligung weiter Teile der Bevölkerung an der politischen Meinungsbildung möglich ist, weshalb die nach dem Wiener Kongress restaurierte Herrschaft der Bourbonenkönige Ludwig XVIII. und Karl X. in den Jahren bis 1830 zwar für über ein Jahrzehnt Bestand hatte, aber gleichwohl von politischen Unruhen geprägt war. Die gesellschaftlichen Spannungen entluden sich schließlich in der JuliRevolution des Jahres 1830, die eine Revision der Verfassung, die Abschaf-

1. Zur Zeitgeschichte

fung des Katholizismus als Staatsreligion, eine Erweiterung des Wahlrechts, eine Kommunalreform und Aufhebung der Pressezensur zur Folge hatte; nicht zuletzt erzwangen die Straßen- und Barrikadenkämpfe die Abdankung des ungeliebten Bourbonen-Königs Karl X. An seine Stelle trat als sogenannter Bürgerkönig Louis-Philippe, Herzog von Orléans, der sich zwar bis zur Februar-Revolution des Jahres 1848 an der Macht behaupten konnte, dessen Regierungszeit jedoch von außenpolitischen und wirtschaftlichen Krisen sowie innenpolitischen Skandalen überschattet war. Vor allem die fortschreitende Industrialisierung führte zu einer Verarmung weiter Bevölkerungsschichten und der Herausbildung eines städtischen Proletariats. Die ca. 860 Tausend Einwohner zählende französische Hauptstadt, in die Heine 1831 übersiedelte, war die größte Stadt auf dem europäischen Kontinent. Indem die Juli-Monarchie unter dem Einfluss von Bankiers, Aktionären und Großindustriellen stand, konnte der deutsche Dichter in Paris exemplarisch die Widersprüche, Umbrüche und Verwerfungen einer Gesellschaftsordnung beobachten, die von kapitalistischen Machtstrukturen beherrscht wurde. (Willms 1988) Die hieraus erwachsenden sozialen Spannungen kulminierten schließlich im Februar 1848 in einer erneuten Volkserhebung, in deren Folge Louis-Philippe seinerseits zur Abdankung gezwungen wurde. Es kam zur Ausrufung der Zweiten Republik als deren erster Präsident ein Neffe Napoléon I. Bonapartes gewählt wurde. Das Scheitern des revolutionären Gedankens, das in Deutschland im Fortbestand des Deutschen Bundes und der reaktionären Politik der Regierungen in den fünfziger Jahren sichtbar wurde, spiegelt sich in Frankreich in dem Staatsstreich vom Dezember 1851 und der Auflösung des Parlaments. Ein Jahr später, im Dezember 1852 begann das Zweite Kaiserreich, an dessen Spitze Napoléon III. stand, als „Kaiser der Franzosen durch die Gnade Gottes und den Willen der Nation“. Diese bedeutenden und die Geschichte bis weit in das 20. Jahrhundert prägenden politischen Entwicklungen in den ersten fünf Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind maßgeblich auch von jenen technischen und ökonomischen Neuerungen und Umwälzungen beeinflusst worden, die ihren Anfang in Großbritannien in der Mitte des 18. Jahrhunderts genommen haben und zunächst Frankreich und phasenverschoben, ab den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts, auch die deutschen Staaten erreichten. Die Geschichtsschreibung hat diese Modernisierungsprozesse mit dem Begriff Industrielle Revolution gekennzeichnet, womit bereits terminologisch die Radikalität und die die Gesellschaft grundlegend verändernde Dynamik dieser Entwicklung zum Ausdruck kommen. Die dampfbetriebenen Arbeitsmaschinen, deren Prinzip der Brite James Watt im Jahr 1769 entwickelt hatte, veränderten alle Bereiche der Produktion. Sie wurden eingesetzt in der Eisen- und Stahlindustrie, für den Kohleabbau (über und unter Tage), in der Textilindustrie (den Spinn- und Webmaschinen), in der Metallverarbeitung, dem Maschinenbau und dem Druckereiwesen. Nicht zuletzt revolutionierte der Dampf auch das Transportwesen. Auf dem europäischen Kontinent entstand, nach britischem Vorbild, ab den dreißiger Jahren ein im Laufe des Jahrhunderts immer dichter werdendes Netz von Eisenbahnverbindungen, das den Transport von Waren und Menschen grundlegend veränderte. Ebenfalls wurden die alten Segel-

Zweite Republik

Zweites Kaiserreich

Industrielle Revolution

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III. Der Autor in seiner Zeit

Strukturwandel

Pauperismus

und Treidelschiffe, die den Warenverkehr auf den Flüssen und dem Meer seit jeher bestimmt hatten, von Dampfschiffen verdrängt. Nicht nur, dass die Kutschen und Pferdegespanne der schnelleren und deshalb auch kostengünstigeren Konkurrenz weichen mussten, das gesamte Wirtschaftssystem entwickelte sich im Hinblick auf die nunmehr unaufhaltsame Beschleunigung des Verkehrswesens. Dies betraf nicht nur die veränderte Wahrnehmung von Entfernungen und Geschwindigkeiten, die von den Zeitgenossen zum Teil begeistert, zum Teil verstört beschrieben worden ist. Die dampfbetriebenen Lokomotiven erzeugten einen stetig wachsenden Bedarf an Steinkohle, zu deren Abbau weitere Maschinen benötigt wurden, was wiederum den Ausbau des industriell betriebenen Kohlebergbaus (beispielsweise im Ruhrgebiet) und damit verbunden einen radikalen Strukturwandel zur Folge hatte. Dem Ausbau des Schienennetzes gingen hohe Investitionskosten voran, die einzig durch die Gründung von Aktiengesellschaften und die damit einhergehende Kapitalakkumulation bedient werden konnten. Dies wiederum führte zu einem Aufschwung der Börsen, des Aktien- und Warenterminhandels, die von der unaufhörlich wachsenden Industrie und ihrer steten Kapitalnachfrage ihrerseits profitierten. Das Wachstum des industriellen Sektors revolutionierte ab den zwanziger Jahren die Sozialstruktur in Frankreich, ab den dreißiger Jahren auch die in den Ländern des Deutschen Bundes. Hatten bis 1815, dem Jahr des Wiener Kongresses, drei Viertel der Bevölkerung in der Land- und Forstwirtschaft gearbeitet, begannen die Menschen nunmehr in die Städte zu ziehen, um im Bereich der industriellen Fertigung Arbeit und Brot zu finden. Die Städte wiederum suchten durch unterschiedliche Maßnahmen den Zuzug dieser mittel- und arbeitslosen Menschen zu unterbinden. Gleichzeitig trugen technische Verbesserungen im Bereich von Bewirtschaftungsmethoden, neue Düngemittel, die Vergrößerung der Anbauflächen durch Bodenreformen, ein Wachstum des Viehbestandes sowie der Anbau neuer Feldfrüchte bei zu einem grundlegenden Wandel von einer Subsistenzwirtschaft, die noch das gesamte 18. Jahrhundert hindurch die Sozialstruktur der deutschen Länder bestimmt hatte, zu einer Produktionsweise, die an den Erfordernissen des Handels und des Marktes orientiert war. Impulsgebend für die Ausweitung des Handels war auch die Errichtung des Deutschen Zollvereins im Jahr 1834, der, indem er die unterschiedlichen Zollsysteme in den Staaten des Deutschen Bundes auf eine einheitliche Grundlage stellte, den freien Warenverkehr ermöglichte. Parallel zu diesem sich vollziehenden Strukturwandel kam es in den dreißiger und vierziger Jahren in den Staaten des Deutschen Bundes, aufgrund der verbesserten Versorgungslage, zu einem stetigen Wachstum der Bevölkerung. Da die aufkommende Industrie jedoch nur einen kleinen Teil dieser Menschen beschäftigen konnte, zugleich aber traditionelle Handwerks- und Fertigungsbetriebe aufgrund geringerer Produktionskosten in den Bankrott trieb, kam es zu einer Verelendung weiter Bevölkerungsschichten. Bereits die Zeitgenossen haben diese Entwicklung als Pauperismus bezeichnet. Die Massenarmut führte in der Folge nicht nur zu Aufständen, wie dem Hungeraufstand der Weber in Schlesien im Frühsommer des Jahres 1844, den Heinrich Heine in seinem in der Zeit auch als Flugblatt verbreiteten Gedicht

1. Zur Zeitgeschichte

Die schlesischen Weber thematisiert, sie trieb auch zahlreiche Menschen auf die Auswanderungsschiffe, die von den großen Hafenstädten an der deutschen Nordseeküste den alten Kontinent in Richtung Amerika und Afrika verließen. Die Dynamik dieser Prozesse veränderte das Leben der Menschen und die gesellschaftliche Ordnung grundlegend. Teile des Bürgertums profitierten von diesen Entwicklungen, indem sie an der industriellen Fertigung beteiligt waren, diese vorantrieben oder durch den Aktienhandel an den Börsen die entstehenden Gewinne abschöpften. Sie sind als eine kleine Schicht der Wirtschaftsbourgeoisie bezeichnet worden. Der alte Feudaladel, dessen vormaliger Reichtum größtenteils auf Landbesitz gründete, war durch den Niedergang der Forst- und Landwirtschaft ökonomisch geschwächt, zum Teil auch in seiner Existenz bedroht, und die Bauern, Handwerker und Arbeiter wurden zu großen Teilen in die Armut getrieben. Der Adel, dessen politisches Primat in der auf dem Wiener Kongress beschlossenen Nachkriegsordnung restauriert worden war, vermochte seine Vorrangstellung zwar gegenüber dem aufstrebenden Wirtschaftsbürgertum zu behaupten, gleichwohl sind die Jahre zwischen 1815 und 1848 von einer stetig wachsenden Spannung zwischen diesen Schichten geprägt. Heinrich Heines dichterische Werke wie seine journalistischen Arbeiten sind vor dem Hintergrund dieser politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu verstehen. In seinen Schriften wird ein Moment des Prozesshaften und Transitorischen greifbar, werden die Widersprüche und Verwerfungen der zerfallenden feudalen Ordnung mit den Mitteln der Literatur reflektiert. Seine Werke thematisieren jene Dynamik des Wandels, die nicht nur die Politik und Ökonomie, sondern auch die Literatur und das Verständnis, was Dichtung ist und zu leisten vermag, grundlegend verändert hat und die von nachfolgenden Generationen als Moderne benannt worden ist.

2. Zur Lebens- und Werkgeschichte Geboren wurde Heinrich Heine am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf, der Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Berg, als erster Sohn des jüdischen Kaufmanns Samson Heine und seiner ebenfalls jüdischen Frau Betty, geb. van Geldern. Der Vater unterhielt ein Manufakturwarengeschäft, das in den ersten Jahren gute Gewinne abwarf, später jedoch, nach dem Ende der von dem französischen Kaiser Napoléon gegen England verhängten Kontinentalsperre, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet und schließlich im Jahr 1819, aufgrund einer Erkrankung Samsons, liquidiert werden musste. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert hatte die Stadt am Rhein 16 Tausend Einwohner und nur eine kleine jüdische Gemeinde. Ohnehin ging man im Elternhaus des Dichters liberal mit der jüdischen Religion um: So wurde der Erstgeborene zwar beschnitten und besuchte ab 1803 eine israelitische Privatschule, im Gegensatz zu anderen jüdischen Familien spielte die Pflege religiöser Überlieferungen und Rituale jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Ein einschneidendes und folgenreiches Ereignis in der Kindheit des Dichters war die Okkupation seiner Vaterstadt durch die Armeen Napoléons im

Herkunft und Kindheit

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III. Der Autor in seiner Zeit

Lehrjahre

Studium in Bonn, Göttingen und Berlin

Salonkultur

Frühjahr 1806. Damit gelangte Düsseldorf nicht nur politisch unter den Herrschaftsbereich des revolutionären Frankreich, die liberale französische Gesetzgebung, welche die Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Religion festschrieb, der „Code Napoléon“, galt fortan auch im Rheinland, wie in allen von Frankreich besetzten Territorien. Die bürgerliche Gleichstellung schuf die Voraussetzung dafür, dass der junge Heine die Möglichkeit bekam, eine höhere Schule zu besuchen, was zuvor nur Angehörigen der christlichen Konfessionen offenstand. Ab 1807 war er Schüler des Düsseldorfer Lyzeums, das er jedoch 1814 ohne Reifezeugnis verließ. Er wechselte für kurze Zeit auf eine Handelsschule und begann schließlich 1815 im Bankhaus Rindskopf in Frankfurt am Main eine kaufmännische Lehre, die er allerdings nach nur zwei Monaten abbrach, um in sein Elternhaus zurückzukehren. Ein Jahr später verließ er Düsseldorf erneut und reiste nach Hamburg, wo er in dem Bankhaus seines Onkels, Salomon Heine, eine Lehre absolvierte. Der reiche Hamburger Bankier, der Zeit seines Lebens den Sohn seines Bruders finanziell unterstützen sollte, richtete ihm 1818, nach dem erfolgreichen Abschluss der Lehrzeit, ein Manufakturwarengeschäft in der Hansestadt ein. Nachdem das Unternehmen nach nur einem Jahr liquidiert werden musste, erklärte Salomon sich bereit, seinem Neffen ein Studium der Rechts- und Kameralwissenschaften zu ermöglichen. Während des Hamburger Aufenthaltes entstanden die ersten Dichtungen Heines. Diese Gedichte sind in der Forschung lange Zeit vor dem Hintergrund der unglücklichen, weil unerwiderten Liebe des jungen Dichters zu seiner Cousine Amalie, einer Tochter Salomon Heines gedeutet worden, spiegeln aber bereits den auch sein späteres Werk bestimmenden kritischironischen Umgang mit der Bild- und Formensprache der Romantik. Aus diesen Anfängen entstand während der Jahre seines Studiums, das Heine in den Jahren 1819 bis 1825 in Bonn, Göttingen und Berlin absolvierte, und unter dem Einfluss des romantischen Schriftstellers und Literaturtheoretikers August Wilhelm Schlegel, der an der Universität Bonn lehrte, eine ganz eigene Schreibart, mit der er, nach verstreuten Publikationen einzelner Gedichte in Zeitschriften und Journalen, im Jahr 1822 mit einem Band lyrischer Werke die Öffentlichkeit überraschte und provozierte. Prägend waren in diesen Jahren auch die Salons der Rahel Varnhagen von Ense und Elise von Hohenhausen, zu denen Heine bereits kurz nach seinem Wechsel an die Universität Berlin Zugang gefunden hatte. Nach französischem Vorbild avancierten Salons in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Treffpunkten musisch-künstlerischer aber auch politischer Kreise. Ihre spezifische Form von Geselligkeit bildete während der Restaurationszeit eine Art von Gegenöffentlichkeit derjenigen Schichten, denen die Teilnahme am höfischen Leben verwehrt blieb. (Seibert 1993) Im Kreis von Adligen, Gelehrten, Schriftstellern, Malern, Professoren und anderen Intellektuellen, wie Adelbert von Chamisso, Friedrich de la Motte-Fouqué, Christian Dietrich Grabbe oder Friedrich von Uechtritz, fand Heine Gesprächspartner, die seine literarische Arbeit anregten und förderten. So entstanden während seines Berliner Aufenthaltes nicht nur Gedichte, sondern auch Prosaarbeiten, wie die Briefe aus Berlin oder die frühe Reiseskizze Über Polen, die in Fortsetzungen in Zeitschriften publiziert wurden und gleich seinen lyrischen Produktionen Beachtung und Anerkennung fanden.

2. Zur Lebens- und Werkgeschichte

Richtungsweisend wirkten in der preußischen Residenzstadt des Weiteren die Begegnung mit dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, bei dem Heine Vorlesungen hörte, sowie der Kontakt zu einer Gruppe jüdischer Studenten, die den „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ begründet hatten, dem der Dichter 1822 beitrat. (Lutz 1997) Ziel der Vereinigung war es, das Bildungsniveau der benachteiligten unteren jüdischen Bevölkerungsschichten zu heben und auf diese Weise ihre (Assimilations-)Chancen zu verbessern. So gliederte sich die Vereinstätigkeit in vier Bereiche: die wissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte der Juden, die Herausgabe einer Zeitschrift, die Errichtung einer Unterrichtsanstalt und den Aufbau eines Archivs zur Geschichte der jüdischen Kultur. In den Jahren 1822 und 1823 hat Heine sich als Sekretär und Lehrer, aber auch mit Beiträgen für die Zeitschrift am Wirken des Vereins beteiligt. Nach seinem Weggang aus Berlin (Salomon Heine drängte seinen Neffen zum Abschluss des Studiums und sah – wie Heines vielfältige Tätigkeiten belegen – die preußische Universitätsstadt hierfür als wenig geeignet an), blieb der Kontakt zu einzelnen Mitgliedern des Vereins zwar bestehen, aber sein Engagement für die Ziele der Gruppierung ließ nach und erlosch schließlich ganz. Zu Beginn des Jahres 1824 kehrte Heine zur Fortsetzung seines juristischen Studiums an die Universität Göttingen zurück, wo er bis zu seiner Promotion zum Doktor beider Rechte, die am 20. Juli 1825 vollzogen wurde, blieb. Kurz nach dem Examen und noch bevor er seine Thesen verteidigte, erfolgte am 28. Juni in Heiligenstadt der Übertritt zum evangelischen Glauben. Der Dichter, der bis zu diesem Zeitpunkt den Vornamen Harry führte (nach einem britischen Geschäftsfreund seines Vaters), nahm die christlichen Taufnamen Johann Christian Heinrich an. Diese Konversion hat in der Forschung viel Beachtung gefunden und ist bis in die Gegenwart kontrovers bewertet worden. (Schlingensiepen 1998) Nach der Rücknahme des preußischen Emanzipationsediktes von 1812 und vor dem Hintergrund eines zunehmenden Antisemitismus bezweckte Heine mit diesem Schritt wohl, seine Ausgangssituation für eine jener Laufbahnen im Staatsdienst zu verbessern, die für einen Juristen naheliegend waren. Wenn er, Jahre später, von dem „Taufzettel“ als dem „Entre Billet zur Europäischen Kultur“ spricht, deutet sich diese Überlegung an. (HSA XII, 246) Wie wenig glücklich Heine jedoch über den als notwendig erachteten Schritt war, belegt bereits ein Brief an den Berliner Freund Moses Moser aus dem Januar 1826: „Ich bin jetzt bey Christ und Jude verhaßt. Ich bereue sehr daß ich mich getauft hab; ich seh noch gar nicht ein daß es mir seitdem besser gegangen sey, im Gegentheil, ich habe seitdem nichts als Unglück –“ (HSA XX, 234) Mit dem Abschluss des Studiums und der Übersiedlung nach Hamburg begann für Heine eine Zeit, die geprägt war von Unruhe und Enttäuschung. Verschiedentlich unternahm er den Versuch, eine Anstellung im Staatsdienst zu erlangen, so beabsichtigte er zunächst, sich in der norddeutschen Handelsmetropole als Advokat niederzulassen, später strebte er eine Professur in München an. Seine Bemühungen, sich in einem bürgerlichen Leben zu etablieren, blieben jedoch erfolglos, stattdessen avancierte er in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zu einem zwar umstrittenen, aber gleichwohl anerkannten Schriftsteller. Grundlage seines Erfolges waren die

„Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“

Taufe und Promotion

Erste schriftstellerische Erfolge

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III. Der Autor in seiner Zeit

Julius Campe

Reisen und Kuraufenthalte

München und Italien

„Platen-Streit“

ersten beiden Bände der Reisebilder, die 1826 und 1827 im Hamburger Verlag Hoffmann & Campe erschienen. Der ironische Ton, die assoziative Schreibart, aber auch der kritische Blick, den diese Texte auf die literarischen und gesellschaftlichen Zustände der Zeit werfen, war neu und provozierend und überraschte in einer Periode, die geprägt war von der Bild- und Formensprache der bereits spätzeitlich gewordenen Romantik. Wesentlichen Anteil an den literarischen Erfolgen des jungen Schriftstellers hatte Julius Campe. Der Verleger und der Schriftsteller hatten sich Anfang 1826 in Hamburg kennengelernt, wo Campe nicht nur einen Verlag, sondern auch eine Buchhandlung unterhielt. Wenngleich die Beziehung geprägt war von oftmals langwierigen und erbittert geführten Auseinandersetzungen um Honorare, Auflagenhöhen, die Ausstattung von Büchern, Papierqualitäten oder Erscheinungstermine hatte das Geschäfts- und Freundschaftsverhältnis über drei Jahrzehnte bis zu Heines Tod Bestand. (Ziegler 1976) Trotz der Maßnahmen, mit denen die staatlichen Behörden die Publikation und Verbreitung von Heines Schriften zeitweilig zu unterbinden suchten, gelang es Campe, die Werke zum Druck zu befördern und auszuliefern. Und wenngleich der Schriftsteller nie müde wurde, über die Honorare für seine Werke zu klagen und dem Verleger die Eingriffe der Zensur in seine Texte vorzuwerfen, profitierte er von dem Geschick, das Campe bewies, wenn es um den Vertrieb und die Verbreitung seiner oftmals verbotenen Werke ging, und partizipierte in der Folge an dem wirtschaftlichen Erfolg, den der Verlag mit seinen Schriften erzielte. Den biografischen Hintergrund für die Reisebilder bildeten die Reisen, die Heine in den zwanziger Jahren unternahm. So machte er im Spätsommer 1824 von Göttingen aus eine Fußwanderung durch den Harz, woraus die Harzreise erwuchs, hielt sich, aufgrund seines bereits in jungen Jahren angeschlagenen Gesundheitszustandes, in den Sommermonaten oft und gern (und stets auf Kosten seines Onkels Salomon Heine) in Nordseebädern wie Cuxhaven, Ritzebüttel, Norderney oder Helgoland auf oder reiste im Jahr 1827 nach England und besuchte auf der Rückreise Holland sowie die Nordseeinsel Wangeoog. 1828 hatte er das Angebot angenommen, in München die in dem angesehenen Verlagshaus des Barons Johann Friedrich von Cotta erscheinende Zeitschrift Neue allgemeine politische Annalen zu redigieren. Von der bayerischen Residenz aus unternahm er von August bis November 1828 eine Reise nach Italien, die ihn auf den Spuren Johann Wolfgang von Goethes bis nach Sizilien führen sollte – die Nachricht von der Erkrankung seines Vaters veranlasste ihn jedoch bereits in Lucca zur vorzeitigen Rückkehr nach Hamburg. Gleichwohl traf er seinen Vater nicht mehr lebend an. Literarisches Ergebnis dieser Reise waren die drei Werke Reise von München nach Genua, Die Bäder von Lukka und Die Stadt Lukka. Sie erschienen im dritten und vierten Band der Reisebilder. Mit den Bädern von Lukka provozierte Heine einen literarischen Skandal, in dessen Verlauf seine jüdische Herkunft erstmals in den Rezensionen und Stellungnahmen der Feuilleton-Kritik eine bedeutende Rolle spielte: Der zweite Band der Reisebilder hatte mit einer Reihe von Xenien aus der Feder des befreundeten Schriftstellers Karl Leberecht Immermann geschlossen. Ohne dass dies von Heine oder Immermann beabsichtigt war, hatte der Dichter August Graf von Platen

2. Zur Lebens- und Werkgeschichte

eines der Epigramme auf sich und seine Werke bezogen. Er sah sich in einem solchen Maße angegriffen, dass er in dem als öffentliche Replik konzipierten Lustspiel Der romantische Ödipus sowohl Immermann als auch Heine lächerlich zu machen versuchte. In Bezug auf Heine zielten seine Ausfälle vor allem auf dessen jüdische Herkunft. Dieser wiederum nutzte die Bäder von Lukka, um auf die Angriffe Platens zu reagieren, indem er – ein in der Zeit unerhörtes Vorgehen – auf eine satirische Weise dessen homosexuelle Neigungen öffentlich bloßstellte. (Hermand 1993) Selbst im Kontext einer Epoche, welche die dialektische Methode der sauberen und wissenschaftlich korrekten Trennung von Idee und Person noch nicht kannte, weshalb jeder nicht nur argumentativ für seine Positionen und Vorstellungen einzustehen hatte, sondern mit seiner ganzen Person, bildete die Auseinandersetzung zwischen Heine und Platen eine vielbeachtete und -diskutierte Ausnahmeerscheinung des deutschen Literaturbetriebs. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam an diesem über Monate die Feuilletons der deutschen Zeitschriften und Journale beschäftigenden Skandal war der Umstand, dass Heine, erstmals in seiner schriftstellerischen Laufbahn, mit jenen antisemitischen Vorurteilen konfrontiert wurde, die die Aufnahme seiner Werke bis in das 20. Jahrhundert prägen sollten. Fünf Jahre nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums an der Göttinger Universität und nach einigen vergeblichen Versuchen, eine gesicherte, bürgerliche Existenz aufzubauen, entschloss sich Heine, als freier Berufsschriftsteller nach Paris überzusiedeln. Beeinflusst wurde dieser Schritt einerseits von der französischen Juli-Revolution des Jahres 1830, deren Dynamik ihn als liberalen Denker und kritischen Zeitschriftsteller faszinierte (in den in die Denkschrift über Ludwig Börne integrierten Briefen aus Helgoland berichtet er, zwischen Dichtung und Wahrheit changierend, über den Einfluss, den die Ereignisse in Frankreich auf seine Entscheidung genommen haben), und andererseits von dem Angebot des Barons Cotta für in seinem Verlagshaus erscheinende Zeitungen und Zeitschriften aus Paris als Korrespondent zu arbeiten. Im Mai 1831 verließ Heine Hamburg und reiste über Frankfurt und Straßburg in die Stadt an der Seine. Seine erste journalistische Arbeit in der französischen Hauptstadt war eine Reihe von Berichten über die große, jährlich stattfindende Gemäldeausstellung im Louvre. Seit der Revolution des Jahres 1789 hatte Paris deutsche Schriftsteller, Gelehrte, Publizisten und Denker angezogen. Als größte Metropole des europäischen Kontinents entwickelte die Stadt nicht nur im Bereich des politischen Diskurses eine ungeheure Dynamik, auch die technischen Neuerungen des Industriezeitalters, die innovative (und zugleich zerstörerische) Kraft des Kapitals, das in den Banken und an der Börse der französischen Hauptstadt akkumuliert, verwaltet und vermehrt wurde, bedingten gesellschaftliche Wandlungsprozesse, mit denen die Intellektuellen der Zeit sich in ihren Schriften auseinandersetzten. Heine fand auch hier schnell Zutritt zu den Salons, wie sie von Damen der Gesellschaft wie Caroline Jaubert, Cristina Principessa di Trivulzio Belgiojoso oder Betty Rothschild unterhalten wurden, knüpfte Kontakte zu Persönlichkeiten, die in der Politik dieser Jahre eine bedeutende Rolle spielten, wie den späteren Ministerpräsidenten François Guizot und Adolphe Thiers, zu Journalisten wie Michel Chevalier, zu Schriftstellern wie Alexandre Dumas, Théophile Gautier, Victor Hugo,

Übersiedlung nach Paris

Gesellschaftliches Leben

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III. Der Autor in seiner Zeit

Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich

Gérard de Nerval, George Sand, Honoré de Balzac, zu Musikern wie Frédéric Chopin, Hector Berlioz, Giacomo Meyerbeer, Franz Liszt, aber auch zu anderen deutschen Exilanten wie Ludwig Börne. (Kruse/Werner 1981; Deinet 2007) Ein Brief, den der Schriftsteller unmittelbar nach seiner Ankunft an Karl August Varnhagen von Ense nach Berlin schrieb, dokumentiert das Lebensgefühl, das in den ersten Jahren seines französischen Aufenthaltes bestimmend sein sollte: „Ich habe wahrhaftig nicht die Dinge auf die Spitze gestellt, sondern die Dinge haben mich auf die Spitze gestellt, auf die Spitze der Welt, auf Paris –“ (HSA XXI, 20) Unmittelbar nach seiner Ankunft begann Heine auch in französischen Zeitschriften zu publizieren. So sind die ersten Jahre in Frankreich werkgeschichtlich von dem Versuch bestimmt, in zwei dialektisch aufeinander bezogenen Sammlungen seiner Schriften, De l’Allemagne und De la France, dem französischen Publikum die deutsche Literatur und Geistesgeschichte zu vermitteln und die deutschen Leser mit den literarischen und philosophischen Diskursen der Franzosen vertraut zu machen. Noch in seinem im November 1851 niedergelegten Testament bezeichnete der Dichter diese Vermittlerrolle als „grande affaire de ma vie“. (HSA XXIII, 159) In einer historischen Periode wie der Restaurationszeit, die im Schatten der gegen die napoleonische Fremdherrschaft geführten Befreiungskriege lag, einer Epoche, in der, wie verschiedene politische Krisen dokumentieren, sich beide Länder feindlich gegenüberstanden, war Heines Eintreten für Frieden und Völkerverständigung ebenso bemerkenswert wie in seinen Auswirkungen vergeblich. In diesem Sinne schreibt er bereits am Ende des Reisebilds Englische Fragmente: […] die Freyheit ist eine neue Religion, die Religion unserer Zeit. […] Die Franzosen sind aber das auserlesene Volk der neuen Religion, in ihrer Sprache sind die ersten Evangelien und Dogmen verzeichnet, Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land der Freyheit trennt von dem Lande der Philister. (HSA V, 194)

Verbot des „Jungen Deutschlands“

Ludwig Börne

So war er zugleich auch darum bemüht, weiterhin als deutscher Schriftsteller wahrgenommen zu werden und auf dem literarischen Markt seiner Heimat präsent zu sein. Um so mehr trafen ihn die Beschlüsse, die der Deutsche Bundestag in Frankfurt am 10. Dezember 1835 auf Betreiben der preußischen Regierung gegen ihn und eine Reihe weiterer Autoren verhängte. Es handelte sich um ein umfassendes Publikationsverbot, mit dem die Regierungen nicht nur die Verbreitung seiner Schriften im Geltungsgebiet des Deutschen Bundes zu unterbinden beabsichtigten, sondern auch diejenigen einer jüngeren Generation von Schriftstellern, wie Ludolf Wienbarg, Heinrich Laube, Theodor Mundt und Karl Gutzkow, die sich sowohl in Stil und Schreibart als auch inhaltlich den kritischen Positionen Heines angeschlossen hatten. Diese unter der Bezeichnung „Junges Deutschland“ zusammengefassten Schriftsteller (Wülfing 1978, 150 f.) bildeten zwar keine literarische Gruppierung im programmatischen Sinn des Wortes, gleichwohl verband sie der Anspruch, mit den Mitteln der Literatur für eine Veränderung der politischen Verhältnisse in Deutschland einzutreten. Dass die kritisch-oppositionelle Literatur in unterschiedliche Lager gespalten war und in ihren politischen und ästhetischen Vorstellungen nur be-

2. Zur Lebens- und Werkgeschichte

dingt gemeinsame Ziele verfolgte, spiegelt sich auch in dem schwierigen, persönlich belasteten Verhältnis zwischen Heine und Ludwig Börne. In den Jahren, die beide Schriftsteller gemeinsam im französischen Exil verbrachten, trat jener grundlegende Dissens zu Tage, über den Heine drei Jahre nach Börnes Tod im Jahr 1837 in einer Denkschrift öffentlich nachdachte. (Enzensberger 1997) Der Skandal, den das Werk erregte (der Hauptvorwurf galt dem Umstand, dass Heine sich kritisch und abwertend über die verstorbene Leitfigur der liberalen Bewegung äußerte), hat seinem Ansehen in der literarischen Öffentlichkeit der Zeit dauerhaften Schaden zugefügt. Neben diesem Aspekt hatte der Skandal auch eine Duellforderung zur Folge. Salomon Strauß, der Gatte von Jeanette Wohl-Strauß (der ehemaligen Lebensgefährtin Börnes), sah durch Heines ironisch-mehrdeutig gehaltene Darstellung der Beziehung seine Ehre verletzt. Das Pistolenduell fand am 7. September 1842 statt, Heine erlitt einen Streifschuss an der Hüfte. Wenige Tage zuvor – wohl um sie im Falle seines Todes rechtlich abzusichern – hatte der Schriftsteller seine langjährige Lebensgefährtin Augustine-Crescence-Eugénie Mirat geheiratet. Die kirchliche Trauung wurde am 31. August auf ihren Wunsch nach katholischem Ritus vollzogen, die standesamtliche Eheschließung erfolgte am 1. September. Kennengelernt hatte Heine die Französin bereits im Oktober 1834. Und wenngleich die Beziehung zu der jungen Frau, die aus einfachsten Verhältnissen stammte und als Schuhverkäuferin arbeitete, eine Mesalliance war und der Schriftsteller, wie Briefe bezeugen, verschiedentlich den Versuch unternahm, sich von ihr zu trennen, hatte die Beziehung bis zu seinem Tod Bestand. Sie „erheitert mir das Leben durch beständige Unbeständigkeit der Laune“, schrieb der Dichter im Mai 1836 die Beziehung charakterisierend an August Lewald in Stuttgart. (HSA XXI, 154) Mathilde, wie er sie nannte, begleitete ihn auch während seines zweiten Besuches, den er nach der Übersiedlung nach Paris im Juli 1844 in der deutschen Heimat machte. Die erste Reise nach Hamburg hatte er im Herbst des Vorjahres unternommen, um seine Mutter und seine Familie wiederzusehen und mit dem Freund und Verleger Julius Campe zusammenzutreffen. Literarische Frucht dieses, nach zwölf Jahren des Exils unternommenen Aufenthaltes war das Versepos Deutschland. Ein Wintermährchen, das im Herbst 1844 veröffentlicht wurde. Im gleichen Jahr verschärfte die preußische Regierung die Maßnahmen gegen sein Werk. Anlass waren einerseits Veröffentlichungen in den Deutsch-französischen Jahrbüchern, andererseits seine Kontakte zu der revolutionären Zeitschrift Vorwärts!. Betraf das Verbot zunächst „lediglich“ den Vertrieb seiner Schriften in preußischen Gebieten, so folgte bald ein Haftbefehl gegen den Dichter selbst, in dessen Folge sein zunächst freiwillig gewähltes Exil zu einem endgültigen wurde. Der Haftbefehl lautet: „Heinrich Heine, Literat; – alt 50 Jahre, mittlerer Gestalt, Nase und Kinn spitz, von markirtem jüdischen Gepräge. Er ist ein Wüstling, dessen gesunkener Körper das Dickwerden bemerken läßt.“ (Jahreszeiten. Hamburger Neue Mode-Zeitung 1845, Bd. 1, S. 855) Nach seiner im Jahr 1844 unternommenen Reise hat Heine seine deutsche Heimat nicht wiedergesehen. Die vierziger Jahre waren für den Dichter ohnehin eine schwierige Zeit: Bald nach seiner Rückkehr aus Hamburg erreichte ihn die Nachricht vom

Eheschließung

Deutschlandreisen 1843 und 1844

Haftbefehl

Erbschaftsstreit

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III. Der Autor in seiner Zeit

Krankheit

„Matratzengruft“

Tod seines Onkels Salomon. Dieser hatte seinen Neffen stets finanziell unterstützt, worauf dieser, angesichts der unregelmäßigen Einkünfte, die der Schriftstellerberuf ihm brachte, durchaus angewiesen war. (Werner 1978) Als der Haupterbe des Bankiers, Heines Vetter Carl, sich zunächst weigerte, die Zahlungen fortzusetzen, entwickelte sich eine fast zwei Jahre währende Auseinandersetzung, an deren Ende Carl zwar einlenkte, die den Gesundheitszustand des Dichters jedoch weiter angriff und untergrub. Bereits in jungen Jahren von schwacher physischer Konstitution hatte Heine durch Kur- und Sanatorienaufenthalte sich lange Jahre wenn nicht Besserung, so doch Linderung verschafft. Im Laufe der vierziger Jahre verschlechterte sich sein Zustand jedoch stetig. Er litt unter zeitweiligen Lähmungserscheinungen an den Extremitäten, so dass er nicht eigenhändig schreiben konnte, zudem war phasenweise der gesamte Unterleib paralysiert. Die komplexe Symptomatik ist bereits von den Zeitgenossen sehr unterschiedlich bewertet worden. Heines Hauptleiden bestand in einer Erkrankung des Rückenmarks, die Lähmungserscheinungen in den Händen, Armen und Beinen hervorrief und in der Folge für die dauerhafte Bettlägerigkeit des Dichters ab dem Revolutionsjahr 1848 verantwortlich zu machen ist. (Montanus 1996) Wodurch das Rückenmarksleiden jedoch verursacht wurde, darüber gehen die Meinungen auseinander: Über eine lange Zeit hat man sich jener vom Dichter und seinen behandelnden Ärzten vertretenen Auffassung angeschlossen, er habe an den Spätfolgen einer syphilitischen Infektion, die er sich durch Ausschweifungen während seines Studiums in Göttingen zugezogen hat, gelitten. Andere Diagnosen lauteten auf eine myatropische Lateralsklerose oder eine tuberkulöse Infektion. Aber trotz detaillierter Studien, die von Medizinhistorikern in den vergangenen Jahren vorgelegt worden sind, ist es bis heute nicht möglich gewesen, die Krankheit des Dichters eindeutig zu diagnostizieren. (auf der Horst/Labisch 1999; auf der Horst/Labisch 2006) Seit dem endgültigen gesundheitlichen Zusammenbruch, der im Mai 1848 erfolgte, blieb Heine acht Jahre lang bis zu seinem Tod an das Bett gefesselt. Die Ärzte behandelten ihn einerseits mit Aderlässen, andererseits mit immer höheren Gaben von Morphium. Die Krankheit hinderte ihn jedoch nicht an seiner Arbeit, auch wenn die Lähmungserscheinungen und der schlechte Allgemeinzustand den Dichter dazu zwangen, seine Texte zu diktieren. Die Gedichte des Romanzero und der Sammlung Gedichte. 1853 und 1854, die in den Jahren der „Matratzengruft“ entstanden sind, wie er selbstironisch sein Krankenlager nannte (HSA III, 153), dokumentieren nicht nur den Lebenswillen ihres Verfassers, sondern auch die seinem Werk selbst in dieser Spätphase innewohnende innovative Gestaltungskraft. Die Dichtungen dieser Zeit sind jedoch nicht nur literarische Betrachtungen über das eigene Leiden: Nach dem Scheitern der Revolution des Jahres 1848, das mit dem Beginn seiner Krankheit zusammenfällt, deutete der Dichter seine individuellen Erfahrungen als die exemplarischen Leiden seiner Epoche. Neben Gedichtsammlungen entstanden in diesen Jahren auch autobiografische Schriften sowie Dichtungen, in denen er sich neuerlich mit mythologischen und religiösen Fragen auseinandersetzte. Schließlich überarbeitete er die in den vierziger Jahren für die Allgemeine Zeitung entstandenen Frankreich-Korrespondenzen und fasste sie zu dem Werk Lutezia. Berichte

2. Zur Lebens- und Werkgeschichte

über Politik, Kunst und Volksleben zusammen. Nicht zuletzt wollte er auch in dieser Phase seines Lebens nicht nur als deutscher Schriftsteller wahrgenommen werden, weshalb er intensiv an einer französischen Ausgabe seiner Werke arbeitete, die ab 1855 bei Lévy frères in Paris veröffentlicht wurde. In den Feuilletons der Zeitschriften und Journale wurden in diesen Jahren nicht nur die literarischen Werke Heines thematisiert. Zahlreiche Paris-Reisende, die den Dichter in seinem Krankenzimmer aufsuchten, berichteten von ihren Gesprächen mit dem Sterbenden und prägten auf diese Weise sein Bild, das in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert wurde. (Werner 1973) Elise Krinitz gehörte zwar nicht zu den prominentesten Besuchern dieser späten Jahre; der durchaus auch erotisch gefärbten, aufgrund seines Gesundheitszustandes aber platonisch geführten Beziehung, die sich zwischen dem Dichter und der jungen Frau zwischen Juni 1855 und Februar 1856 entwickelte, hat Heine gleichwohl in den Gedichten an die „Mouche“ ein literarisches Denkmal gesetzt. (Folkerts 1999) Nach acht Jahren, während derer er, wie er selbst bemerkte, zu einem „spiritualistischen Skelette“ abgemagert war (HSA III, 153), starb Heinrich Heine am 17. Februar 1856, wie die zeitgenössischen Ärzte konstatierten, an Schwäche in Folge eines Blutsturzes. Drei Tage später, am 20. Februar wurde er, seinem testamentarisch formulierten Wunsch gemäß, ohne kirchliche Einsegnung auf dem Pariser Friedhof Montmartre beigesetzt. Zu den ca. 100 Trauergästen, die seinem Sarg folgten, gehörten auch die Schriftsteller Alexandre Dumas und Théophile Gautier.

Tod und Beisetzung

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes 1. Heines Schreibart Witz, Humor, Ironie

Literaturgeschichtliche Traditionen

Heinrich Heine ist nicht witzig. Wenn man im Kontext seines Werkes überhaupt von ,Witz‘ sprechen möchte, so in dem Wortsinn des 18. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Kritik, der Polemik und Satire, dem Jahrhundert der Aufklärung, das sich des Instrumentes der Sprache bediente, um die theologischen und philosophischen Dogmen des christlichen Abendlandes hinterfragend zu dekonstruieren. ,Witz‘ also im Sinne des französischen Philosophen Voltaire, im Sinne des englischen Romanciers Henry Fielding oder des deutschen Publizisten und Schriftstellers Friedrich Nicolai. Heines Schreibart ist somit in dem Sinne mit dem Adjektiv ,witzig‘ zu beschreiben, wie es im Jahrhundert der Aufklärung gebraucht wurde: als Paarung des Scharfsinns und des Einfallsreichtums. Wenn in den folgenden Überlegungen von Heines ,Witz‘ die Rede ist, so in diesem, dem französischen Wortgebrauch ,Esprit‘ verwandten Sinne. Das mag bei einem Schriftsteller wie Heine, der die zweite Hälfte seines Lebens in Frankreich verbrachte, nicht verwunderlich sein. Blickt man jedoch auf die frühen Werke des Dichters, diejenigen, die zwischen 1819 und 1831, dem Jahr seiner Übersiedlung nach Paris entstanden sind, so trifft man auch dort auf jene eigentümliche Mischung aus tiefem Ernst, tragischem Pathos, beißendem Spott, ironischer Lust und satirischer Überzeichnung, die mit dem deutschen Wort ,Witz‘ nur unzutreffend bezeichnet werden kann. Auch die Begriffe ,Humor‘ oder ,humoristisch‘ vermögen nicht hinlänglich dem Charakteristischen dieser Schreibart gerecht zu werden. Einer Schreibart, die bereits von den Zeitgenossen als neu, jedoch nicht in der Bedeutung von innovativ, sondern im Sinne von verstörend, provozierend und blasphemisch erkannt wurde. (Best 1989) Parallel zu der in den Werken seiner Zeitgenossen Karl Leberecht Immermann und Moritz Gottlieb Saphir, in den Romanen Theodor Fontanes und den Erzählungen Gottfried Kellers im späteren 19. Jahrhundert oder der in der Lyrik Erich Kästners im 20. Jahrhundert fortgeführten humoristischen Tradition, die beginnend mit den Romanen des Barock über die vergessenen Lustspiele des 17. Jahrhunderts in den Komödien Heinrich von Kleists und den Romanen Jean Paul Friedrich Richters fortgeschrieben wurde, parallel zu dieser literaturgeschichtlich ununterbrochenen Tradition des Komischen in der deutschen Literatur findet Heine bereits in seinen frühen Werken zu einem vielschichtigen, mehrdeutigen Schreibstil, als dessen literarische Väter und stilbildende Lehrer die großen, in der literaturgeschichtlichen Wahrnehmung lange vergessenen Schriftsteller und Publizisten der Aufklärungszeit gesehen werden können: Friedrich Nicolai, Georg Christoph Lichtenberg und Christoph Martin Wieland. Heine wird damit, zusammen mit Ludwig Börne, dem anderen berühmten deutschen Paris-Exilanten der Restaurationszeit, zum Vor- und Leitbild einer Generation junger Schriftsteller

1. Heines Schreibart

und Publizisten, die sich in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts von den vom Idealismus der Klassik und dem regressiven Sehnsuchtsgedanken der Romantik geprägten Diskursen der frühen Restaurationsperiode lösen und der innovativen Emphase ihres Emanzipationsgedankens im Rückgriff auf das Aufklärungszeitalter eine geistesgeschichtliche Tradition und damit auch eine Legitimation zu geben bestrebt sind. Aus der Perspektive literaturgeschichtlicher Ordnungskriterien betrachtet, ist dies ein bemerkenswerter Vorgang. Denn anders als der philologischkonservierende und politisch-restaurierende Rückgriff der Romantik auf das politisch wie weltanschaulich als homogene Einheit verstandene Mittelalter ist der bewusst partielle und kritisch-abwägende Rückbezug der Jungdeutschen auf das 18. Jahrhundert der Versuch, in der Übergangszeit des Vormärz und der Ungewissheit des Nachmärz für die eigenen Zukunftsvorstellungen eine Grundlage in der Geschichte zu finden. Im Gegensatz jedoch zu den Schriftstellern des Vormärz und denen, die wie er selbst vom Bundestagsbeschluss gegen das „Junge Deutschland“ betroffen waren, ist Heinrich Heine schon biografisch einer anderen Generation angehörig. Bereits dieser Altersunterschied (Heine wurde 1797 geboren, Heinrich Laube 1806 und Karl Gutzkow 1811) mag dazu beigetragen haben, dass er – wo die Schreibart der Jungen sich durch einen für die Jugend charakteristischen Ernst, eine das Pathos nicht scheuende Emphase und einen durch die Unbedingtheit der Gewissheiten getragenen Zug des Spätadoleszenten auszeichnet – die Schwere und Ernsthaftigkeit seiner politischen und philosophischen Überzeugungen durch eine einem anderen Lebensalter zugehörige und an der Erfahrung geschulten Leichtigkeit unterläuft, die als Witz oder Ironie charakterisiert werden kann. Heines Prosa, beginnend mit den Reisebildern und endend mit den späten autobiografischen Aufzeichnungen der 1850er Jahre, zeichnet sich, wie seine lyrischen Werke, durch prägnante Sprachbilder aus sowie durch die Eigenart, überraschende Sinnzusammenhänge zwischen weit entfernten Gegenstandsbereichen herzustellen. Scheinbar mühelos gelingt es dem Dichter, abstrakte Begriffe und Vorstellungen in erstaunlich einfache und treffende Bilder zu übertragen. Die Schreibart seiner Prosa und Lyrik ist gekennzeichnet durch den spielerischen Umgang mit Antithesen und Dualismen, durch die Zusammenstellung entfernt voneinander liegender Aspekte, durch die Fähigkeit, Bezüge zwischen dem Tatsächlichen und dem Begrifflichen herzustellen und durch das intellektuelle Vergnügen an dem Vergleich des Vergleichswidrigen. Indem er zwischen Konkretem und Abstraktem einen Sinnzusammenhang stiftet, unterschiedliche Sprachbereiche miteinander konfrontiert und gegeneinander ausspielt, gelingt es ihm, einen Gedanken, eine Erkenntnis oder eine Beobachtung auf eine genaue und gleichwohl verblüffende Weise zu vermitteln. (Kovàcs 2009) Das Inkommensurable des ersten Satzes der 1824 entstandenen Harzreise ist hierfür ein gutes und daher häufig angeführtes Beispiel: „Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover, und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Rathskeller, wo das Bier sehr gut ist.“ (HSA V, 8) Auch in dem 1852 verfassten Nachwort zum Romanzero zeigt sich die Lust, einander ausschließende Diskurse mit-

Sprachskepsis und Emanzipation

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

einander zu verknüpfen und aus der so entstehenden Spannung eine die Aussage relativierende, ironische Brechung zu erzeugen. Heine berichtet von dem letzten Ausflug, der ihn vor dem Ausbruch seiner Krankheit in den Antikensaal des Louvre führt. Wie so oft hält die literarische Selbstaussage des Dichters die Balance zwischen Dichtung und Wahrheit. Dass sich sein Gesundheitszustand im Mai 1848 deutlich verschlechterte, ist belegbar, der Besuch im Louvre, den er als einschneidendes Erlebnis anführt, hingegen nicht. Es war im Mai 1848, an dem Tage, wo ich zum letzten Male ausging, als ich Abschied nahm von den holden Idolen, die ich angebetet in den Zeiten meines Glücks. Nur mit Mühe schleppte ich mich bis zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in den erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit, Unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen lag ich lange und ich weinte so heftig, daß sich dessen ein Stein erbarmen mußte. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch zugleich so trostlos als wollte sie sagen: siehst Du denn nicht, daß ich keine Arme habe und also nicht helfen kann? (HSA III, 156)

Kontrastästhetik

Durch die Zusammenstellung einer antik-heidnischen Göttin mit der christlichen Gottesmutter Maria erzeugt der Text eine ironische Spannung, welche die in der Restaurationszeit weiterhin noch konstitutive Dominanz des christlichen Weltbildes hinterfragt. In der Tradition der aufklärerischen Kritik erneuert Heine mit dieser Textpassage zudem das bilderstürmerische Potential erotischer Chiffren, indem er die Göttin der sinnlichen Liebe mit der Personifizierung der jungfräulichen Unschuld kontrastiert. Das Moment einer emanzipatorischen Sinnlichkeit aus dem Geist der Kritik hat die Zeitgenossen in besonderer Weise empört und wiederholt zu Verbotsmaßnahmen geführt, wie beispielsweise gegen das Gedicht Das Hohelied. Indem der Dichter in diesem Werk – entgegen der paulinischen Tradition, welche das salomonische Hohelied als Allegorie der göttlichen Liebe liest – den erotisch-sinnlichen Charakter des Textes in den Vordergrund stellt und parodierend überzeichnet, riskiert er nicht nur einen Verstoß gegen die geltende, christliche Moral, sondern greift auch die für die Gesellschaftsordnung der Biedermeierzeit konstitutive bürgerliche Norm an, wodurch der Frivolität des Textes zugleich eine zeit- und gesellschaftskritische Dimension erwächst. Das literarische Spiel mit Kontrasten zeigt sich auch auf anderen Ebenen. (Höhn 2009) Das wahrscheinlich im Herbst 1835 in Paris entstandene und in den Neuen Gedichten unter den Romanzen veröffentlichte Gedicht Ein Weib erzählt im Ton einer Moritat eine scheinbar harmlose Liebesgeschichte, deren Tragik sich sowohl durch den bereits im Kontext der Zeit als überzeichnet anmutenden hohen Ton enthüllt als auch durch die, jeweils in der vierten Zeile einer Strophe refrainartig wiederkehrende Schlusswendung: Sie hatten sich Beide so herzlich lieb, Spitzbübin war sie, er war ein Dieb. Wenn er Schelmenstreiche machte, Sie warf sich auf’s Bett und lachte.

1. Heines Schreibart

Der Tag verging in Freud und Lust, Des Nachts lag sie an seiner Brust. Als man in’s Gefängniß ihn brachte, Sie stand am Fenster und lachte. Er ließ ihr sagen: O komm zu mir, Ich sehne mich so sehr nach dir, Ich rufe nach dir, ich schmachte – Sie schüttelt’ das Haupt und lachte. Um Sechse des Morgens ward er gehenkt, Um Sieben ward er in’s Grab gesenkt; Sie aber schon um Achte Trank rothen Wein und lachte. (HSA II, 68) Der Witz wird jedoch nicht nur durch die inhaltlichen Dualismen, Paradoxien, Widersprüche und Antimonien erzeugt. In der Lyrik ist es vor allem der Reim, der die ironische, den Inhalt hinterfragende Brechung bewirkt. Heine spielt mit Reimen, die, weil sie in der deutschen Literatur seit der Empfindsamkeit häufig verwandt worden sind, im Kontext einer spätzeitlich gewordenen Romantik in den dreißiger und vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts ihr poetisches Potential bereits verbraucht haben. Wenn er in einer anderen Romanze, Anno 1839 betitelt, reimt, „Dem Dichter war so wohl daheime, / In Schilda’s theurem Eichenhain; / Dort wob ich meine zarten Reime / Aus Veilchenduft und Mondenschein“ (HSA II, 74), so unterstreicht schon die exponierte Reimbindung „Eichenhain“ und „Mondenschein“ das Unzeitgemäße der verwandten Begriffe. Zudem verweist der Reim „daheime“ und „Reime“ auf den epigonalen Charakter der spätromantisch-biedermeierlichen Dichtungen seiner Zeitgenossen, deren literarische Anschauungen das literaturästhetische Urteil in Deutschland weiterhin prägen. In anderen Gedichten nutzt Heine den Reim, um Begriffe und Vorstellungen miteinander zu verknüpfen und zu kontrastieren. In der Ballade Der Tannhäuser, die bereits auf der Ebene des Inhaltes als eine Kontrafaktur der romantischen Tannhäuser-Tradition zu lesen ist, reimt er „verweilet“ auf „geeilet“, „schnarchen“ auf „Monarchen“, „Wissenschaft“ auf „stockfinstre[] Nacht“ oder „Deutsche“ auf „Peitsche“ (HSA II, 52 f.), so dass die Unangemessenheit der Reime, indem sie Nichtzusammengehöriges zusammenstellen, den zeitkritischen Impuls des Gedichtes akzentuiert. (Solms 2004) Es ist eine vieldiskutierte Beobachtung, dass die politischen Überzeugungen Heines im Gegensatz zu denen der meisten anderen politischen Dichter des deutschen Vormärz nur indirekt zu erschließen sind. Während Georg Herwegh den literarischen Text dem Primat des Politischen unterordnet und ihn in der Tradition der politischen Rhetorik der Reformationszeit als ein Instrument nutzt, setzt Heines politische Lyrik auf die subversive Kraft der Ironie, die – wie Walter Hinck in seiner Studie über Heines Zeitgedichte herausgearbeitet hat –, „da sie die Rückübersetzung des Gesagten in das Gemeinte dem Rezeptionsvorgang überläßt, die eigene Denkleistung des Hörers oder Lesers“ mobilisiert. (Hinck 1973, 83) Dadurch gelingt es ihm, zu dem notwendigen politischen Diskurs der Zeit beizutragen, ihn möglicherweise sogar anzuregen, zugleich jedoch die Autonomie des literari-

Reime

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Romantische Ironie

schen Kunstwerkes zu wahren. Denn obwohl er in den drei Jahrzehnten zwischen 1826 und 1856 zu einem der bekanntesten, umstrittensten und deshalb auch einflussreichsten politischen Schriftsteller der Zeit wird, beharrt er auf der Vorstellung von der Freiheit seiner Kunst als eines unverzichtbaren Instrumentes im Kampf des Dichters. Das scheinbar anarchische Drunter und Drüber von Ernst und Spiel, Spiel im Ernst, von Satire und Ironie, gedanklicher Tiefe und philosophischer Reflexion, übermütigem Witz und beißender Zeitkritik findet seine geistigen Vorläufer nicht nur bei den Schriftstellern und Philosophen der Aufklärung. Heines Schreibart rekurriert zugleich auf die romantische Tradition der deutschen Literatur und dies weniger in dem Sinne des in den AthenäumsFragmenten entwickelten Ironie-Konzeptes des Jenaer Kreises, als in dem Versuch, die Vorstellungen der romantischen Philosophie und Poetik unter veränderten geistesgeschichtlichen Bedingungen fortzuschreiben und zu erneuern. (Petersdorff 2006) Heine hat mehrfach, nicht nur in dem Versepos Atta Troll. Ein Sommernachtstraum, darauf hingewiesen, dass er sich selbst als den letzten Dichter der deutschen Romantik begreift. Während viele seiner Zeitgenossen diese Tradition unkritisch fortschreiben, sich epigonal des romantischen Motivund Formeninventars bedienen, spiegelt sich in seinem Werk der Versuch, die veränderten politischen, gesellschaftlichen und geistesgeschichtlichen Diskurse der Jahre vor der Revolution von 1848 und die Sprache wie die Ästhetik der Romantik produktiv miteinander zu verbinden. Bereits die frühen Gedichte Heines halten daher die Balance zwischen Zitat und Parodie. Der charakteristische Wehmutston seiner Schreibart entsteht auch durch die Spannung zwischen der romantischen Ausdrucksform und der in den ironischen Brechungen sich ankündigenden Einsicht, dass die verwandten literarischen Chiffren im Kontext der veränderten, geistesgeschichtlichen Situation der zwanziger Jahre historisch geworden sind. An zentraler Stelle im Zyklus Die Heimkehr im Buch der Lieder reflektiert das lyrische Ich über diese Problematik: Das Herz ist mir bedrückt, und sehnlich Gedenke ich der alten Zeit; Die Welt war damals noch so wöhnlich, Und ruhig lebten hin die Leut’. Doch jetzt ist alles wie verschoben, Das ist ein Drängen! eine Noth! Gestorben ist der Herrgott oben, Und unten ist der Teufel todt. Und Alles schaut so grämlich trübe, So krausverwirrt und morsch und kalt, Und wäre nicht das bischen Liebe, So gäb’ es nirgends einen Halt. (HSA I, 111) Dass das Buch der Lieder nicht zuletzt durch die zahlreichen Vertonungen der Gedichte als ein romantisches Liederbuch in den großbürgerlichen Salons des 19. Jahrhunderts rezipiert werden konnte, ist Ausdruck eines generellen Missverstehens seiner Lyrik als Bekenntnisdichtung in der Nachfolge

1. Heines Schreibart

der Klassik und Romantik. Das Ironisch-Verstörende dieser Werke ist von den Zeitgenossen nur widerstrebend wahrgenommen worden. Indem Heine jedoch die romantischen Sprachbilder und Motive ironisch hinterfragt, gelingt es ihm, dem schon oft Gesagten eine neue Glaubwürdigkeit und Qualität des Ausdrucks zu geben. Was Heine in der für die französische Öffentlichkeit der frühen 1830er Jahre entstandenen Schrift Die romantische Schule über Jean Paul schreibt, ist deshalb zugleich als eine implizite Selbstaussage des Dichters zu verstehen: „[…] wenn sein Herz manchmal ganz tragisch bewegt ist, und er seine tiefsten blutenden Herzensgefühle aussprechen will, dann, zu seiner eignen Verwundrung, flattern von seinen Lippen die lachend ergötzlichsten Worte.“ (HSA VIII, 97) Es ist eines der Strukturprinzipien seines Werkes, im literarischen Urteil über andere auch einen Teil seines eigenen Selbstverständnisses zu enthüllen. (Bierwirth 1995) Literarische Bewertungen dienen einerseits dem programmatischen Selbstentwurf, andererseits skizziert Heine negative Dichterbilder, die er zum Vergleichsmaßstab seiner selbst oder anderer zeitgenössischer Dichter macht. Seine Zitate romantischer Landschaftsoder Gefühlsstimmungen halten auch deshalb die Balance zwischen Ironie und Pathos, weil der Dichter sich lediglich aus der Einsicht in die Notwendigkeit den Anforderungen der Gegenwart an die Literatur stellt. Seine Dichtungen sind weniger Ausdruck eines weltschmerzlichen Empfindens in der Nachfolge des englischen Dichters George Gordon Lord Byron, als eine Reaktion auf die Zerrissenheit zwischen romantischem Selbstverständnis und politischer Notwendigkeit. Der Schluss des im Herbst 1842 entstandenen Versepos Atta Troll. Ein Sommernachtstraum ist so einerseits als Kritik an der jungen Generation der politischen Dichter der frühen vierziger Jahre zu verstehen und zugleich Ausdruck dieser ambivalenten Befindlichkeit:

Weltschmerz und Zerrissenheit

Andre Zeiten! andre Vögel! Andre Vögel, andre Lieder! Sie gefielen mir vielleicht, Wenn ich andre Ohren hätte! (HSA II, 296) Die Komik und der Witz werden auch von der Tragik eines dichtenden Zeitschriftstellers und politischen Lyrikers grundiert. Diese Beobachtung ist keineswegs eine nur beiläufige Bemerkung, die Einblicke in die Labyrinthe und Spiegelkabinette der Schreibart Heines eröffnet, vielmehr erlauben die Überlegungen über das mehrdeutige, letztlich uneigentliche Sprechen weitergehende Einsichten in die literarische Gestaltung der Themen seines Werkes. Walter Hinck schreibt in seiner Studie über die Zeitgedichte Heines: „So geht die ironische Satire, als die subtilste Form von Satire überhaupt, aus einem Widerspruch hervor, ist ein lebendiges Paradoxon: sie deckt auf, indem sie verbirgt.“ (Hinck 1973, 83) Der Beginn der literarischen Arbeit Heines fällt in die Zeit, in der im böhmischen Karlsbad Vertreter der deutschen Bundesstaaten nach der Ermordung des in der Zeit populären Schriftstellers August von Kotzebue strengere Zensurmaßnahmen durchsetzten. Alle Werke, die Heine zu Lebzeiten in den Staaten des Deutschen Bundes veröffentlicht hat, unterlagen entweder der Vor- oder der Nachzensur. Seine Sprache passt sich diesen Bedingungen an, und insbesondere die Vielschichtigkeit seines Stils verdankt sich der

Politische Dichtung

Zensur und Selbstzensur

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Notwendigkeit, die Kritik an den politischen, gesellschaftlichen und sozialen Umständen der Gegenwart in ein vielschichtig-komplexes Bild zu kleiden, das dem unmittelbaren Eingriff der Zensur sich entzieht. Aus der Unmöglichkeit zur Eindeutigkeit erwächst die Erfordernis, diese über den Umweg der Mehrdeutigkeit dennoch zu erreichen – die uneigentliche Rede ermöglicht eine inhaltliche Kritik und Distanzierung unter Wahrung der äußeren Form. Gerhard Höhn bezeichnet die Zensursprache Heines als „die Verkehrsform der Freiheit unter unfreien Verhältnissen“. (Höhn 2004, 25) Hier zeigt sich, dass die Zensur nicht nur einen äußeren Eingriff in den Text bedeutet, sondern bereits bei der Entstehung eines literarischen Textes wirksam ist, indem sie den Autor Möglichkeiten ausloten lässt, eine ihm relevant und bedeutsam erscheinende Aussage in eine Form zu bringen, die sich dem externen Eingriff staatlicher Behörden in das literarische Kunstwerk entzieht. Der Witz und die Ironie sind deshalb mehr als bloße rhetorische Kategorien, sie ermöglichen dem Dichter, einen Inhalt, für den kein direkter und unmittelbarer Ausdruck verwendet werden darf, durch einen mittelbaren zu erschließen, weshalb die von Fanny Lewald 1849 überlieferte Aussage Heines neben der Lust an der Ironie zugleich eine zwar paradoxe, aber für das Selbstverständnis des Dichters wesentliche Einsicht beinhaltet: „Geschrieben!“ rief Heine, „ach! ich kann nicht mehr schreiben, ich kann nicht, denn wir haben keine Censur! Wie soll ein Mensch ohne Censur schreiben, der immer unter Censur gelebt hat? Aller Styl wird aufhören, die ganze Grammatik, die guten Sitten. Schrieb ich bisher etwas dummes, so dachte ich: nun, die Censur wird es streichen oder ändern, ich verließ mich auf die gute Censur. – Aber jetzt – ich fühle mich sehr unglücklich, sehr rathlos! Ich hoffe auch immer, es ist gar nicht wahr und die Censur dauert fort.“ (auf der Horst/Singh 2002–2006 X, 112 f.)

Selbstdistanzierung

Die ironische Schreibart, die einerseits eine Reaktion auf die Zensur und andererseits Ausdruck eines veränderten Epochenbewusstseins ist, hat in der deutschen Literatur eine unterbrochene und deshalb problematische Tradition. Was zunächst aus der politischen Notwendigkeit erwächst und von den Zeitgenossen bereits ab den späten 1830er Jahren als Manier, d. h. als aufgesetzt und affektiert gedeutet worden ist, wird in den späten Jahren des Schriftstellers zu einer Möglichkeit, das eigene Leben durch das Schreiben erträglich zu machen. In den acht Jahren von 1848 bis 1856, in denen der Dichter in wechselnden Pariser Wohnungen seine Krankheit zum Tode durchleidet, in den Jahren, die er selbst als die „Matratzengruft“ (HSA III, 153) bezeichnet, kann er auf den verzweifelten, existentiellen Kampf, den er täglich zu bestehen hat, nur ironisch reagieren. In den späten autobiografischen Geständnissen, die 1854 im ersten Band der Vermischten Schriften veröffentlicht wurden, reflektiert er über seine Krankheit: Ach! der Spott Gottes lastet schwer auf mir. Der große Autor des Weltalls, der Aristophanes des Himmels, wollte dem kleinen irdischen, sogenannten deutschen Aristophanes recht grell darthun, wie die witzigsten Sarcasmen desselben nur armselige Spöttereien gewesen im Vergleich mit den seinigen, und wie kläglich ich ihm nachstehen muß im Humor, in der colossalen Spaßmacherei. (HSA XII, 84 f.)

1. Heines Schreibart

Weil die Krankheit aussichtslos ist und keine Hoffnung auf Genesung besteht, dient das Schreiben über die Erfahrungen des Leidens der Objektivierung. Indem die Literatur Distanz erzeugt, eröffnet sie die Möglichkeit, die bedrückenden Lebenserfahrungen in ein schöpferisches Werk der Kunst zu verwandeln. Der Spott, die Satire und die Komik haben in diesem Kontext eine psychologische Entlastungsfunktion. Das literarische Kunstwerk wird zu einem anthropologischen Reflexionsraum und spiegelt auf diese Weise den Beginn aller Kunst als Möglichkeit wider, die individuellen und kollektiven Erfahrungen der Wirklichkeit zu abstrahieren, zu reflektieren und in den Bereich der Fiktion zu übertragen. Die oftmals so grellen Kontraste, die auf die Zeitgenossen wie die Leser im späten 19. Jahrhundert verstörend wirkten, sind ein dichterisches Verfahren, das, indem es Distanz erzeugt, dem Selbstschutz dient. Dieser Aspekt zeigt sich jedoch nicht erst im Spätwerk: Bereits der ironische Umgang mit der unerfüllten und scheiternden Liebe im Buch der Lieder oder in dem Reisebild Ideen. Das Buch Le Grand spiegelt die Bedeutsamkeit dieses Konzeptes auch für die Schreibart des jungen Heine. Die Forschung hat in diesem Kontext darauf hingewiesen, dass die kritische Distanzierung zur Bewusstseinsbildung beiträgt und damit auch zur „Selbstbehauptung“ des schreibenden Ich. (Höhn 2004, 70) Die Verzweiflung ist jedoch keineswegs, wie von den im biografischen Positivismus verhafteten Kritikern und Literaturhistorikern des 19. Jahrhunderts gedeutet, eine rein individuelle. Wenngleich Heines Lyrik, indem sie wie jedes Kunstwerk die Erfahrungen und die Individualität des Autors thematisiert, auch Bekenntnisdichtung im Sinne der seit dem Sturm und Drang ausgebildeten Bedeutung des Begriffes ist, so ist sie vor allem Ausdruck einer epochenspezifischen, existentiellen Verzweiflung des Menschen, nachdem im Prozess der Aufklärung das deistische Weltbild durch ein atheistisches verdrängt worden ist. Der Urgrund des Heineschen Witzes, seiner ironischen Schreibart ist die Frage nach Gott, ist die – nur wenige Jahre nach seinem Tod in den Werken Friedrich Nietzsches explizit werdende – existentielle Not des Menschen in der Moderne. Immer dann, wenn es besonders ernst wird – und dies gilt in vor allem Maße für die letzten Fragen –, wird Heine besonders witzig. Dies illustriert auch eine Passage aus Ideen. Das Buch le Grand. In der Reflexion über das „kalte, schwarze, leere Nichtseyn des Todes“ (HSA V, 91) flüchtet der Ich-Erzähler in ein geistreich-witziges, literarisches Spiel. Das Leben ist gar zu spaßhaft süß; und die Welt ist so lieblich verworren; sie ist der Traum eines weinberauschten Gottes, der sich aus der zechenden Götterversammlung à la française fortgeschlichen, und auf einem einsamen Stern sich schlafen gelegt, und selbst nicht weiß, daß er alles das auch erschafft, was er träumt – und die Traumgebilde gestalten sich oft buntscheckig toll, oft auch harmonisch vernünftig – die Ilias, Plato, die Schlacht bey Marathon, Moses, die medizäische Venus, der straßburger Münster, die französische Revoluzion, Hegel, die Dampfschiffe u. s. w. sind einzelne gute Gedanken in diesem schaffenden Gottestraum – aber es wird nicht lange dauern, und der Gott erwacht, und reibt sich die verschlafenen Augen, und lächelt – und unsre Welt ist zerronnen in Nichts, ja, sie hat nie existirt. (HSA V, 90 f.)

Reaktion auf die Moderne

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Die Poetik der lachenden Ernsthaftigkeit, die ein Axiom seines dichterischen Selbstverständnisses ist, wird in dem frühen Reisebild auch explizit formuliert. In dem elften Kapitel des Werkes, das wie kein anderes den inneren Monolog zum Strukturprinzip des literarischen Schreibens erhebt, notiert er: Aber das Leben ist im Grunde so fatal ernsthaft, daß es nicht zu ertragen wäre ohne solche Verbindung des Pathetischen mit dem Komischen. Das wissen unsere Poeten. Die grauenhaftesten Bilder des menschlichen Wahnsinns zeigt uns Aristophanes nur im lachenden Spiegel des Witzes, den großen Denkerschmerz, der seine eigne Nichtigkeit begreift, wagt Goethe nur in den Knittelversen eines Puppenspiels auszusprechen, und die tödlichste Klage über den Jammer der Welt legt Shakespeare in den Mund eines Narren, während er dessen Schellenkappe ängstlich schüttelt. […] Und im Himmel oben, im ersten Range, sitzen unterdessen die lieben Engelein, und lorgniren uns Komödianten hier unten, und der liebe Gott sitzt ernsthaft in seiner großen Loge, und langweilt sich vielleicht, oder rechnet nach, daß dieses Theater sich nicht lange mehr halten kann, weil der Eine zu viel Gage und der Andre zu wenig bekommt, und Alle viel zu schlecht spielen. (HSA V, 114 f.)

Literatur als Provokation

In der Tradition des griechischen Komödiendichters Aristophanes wird in Heines Betrachtungen über den Witz die Welt zu einem Spiel. Der seit Platon in der europäischen Dichtung tradierte Theatrum-mundi-Topos dekuvriert eine weitere Facette der Vorstellungswelt Heines: Die Einsicht in die Relativität menschlicher Erkenntnis gerinnt in der Ironie, welche den philosophischen Erkenntnisanspruch einerseits akzentuiert und zugleich relativiert. Insofern steht Heine auch in der Nachfolge der romantischen Auffassung des Ironischen, das Friedrich Schlegel als die höchste und reinste Form der Skepsis definiert. Dass sowohl im Urteil der zeitgenössischen Kritik als auch der späteren Literaturgeschichtsschreibung die ironische Schreibart Heines oftmals nicht verstanden und ablehnend bewertet wurde, zeigt, wie sehr der ästhetische Diskurs der deutschen Literatur von den poetologischen Positionen des Idealismus beeinflusst worden ist. Die Ambivalenz, das Spiel mit der wahren Lüge, mit der vermeintlich lügenden Wahrheit, das für die Prosa des Ausklärungszeitalters kennzeichnend ist und das Heine und in seiner Nachfolge auch die jungen Literaten vor dem März 1848 in ihren Werken zitierend fortschreiben, bleibt unter den Zeitgenossen unverstanden. Neben den inhaltlichen Aspekten wird gerade Heines Sprache von der Kritik der Zeit als Provokation verstanden. Nicht nur die Leichtfertigkeit seines Witzes, auch die Leichtfertigkeit und Mühelosigkeit seiner Sprache, die Verbindung von Witz und Poesie, von gedanklicher Tiefe und sprachlicher Eleganz, von Dichten und Denken hatte es in der deutschen Literatur seit Christoph Martin Wieland nicht mehr gegeben. Marcel Reich-Ranicki hat in diesem Kontext von der „Entpathetisierung der deutschen Dichtung“ durch Heine gesprochen: Er befreite sie vom Erhabenen und Würdevollen, vom Hymnischen und Feierlichen und auch vom Dunklen. Und er gab ihr, was sie dem deut-

1. Heines Schreibart

schen Leser meist vorenthalten hatte: Leichtigkeit und Anmut, Charme und Eleganz, Witz und Esprit, Rationalität und Urbanität und gelegentlich auch Frivolität. (Reich-Ranicki 1973, 61) Das Ambiguöse und Gegensätzliche der Schreibart Heines, sowohl auf inhaltlich-thematischer wie formaler Ebene, widersetzt sich dem Versuch der Einordnung und Klassifizierung und provoziert – bis in die Gegenwart – eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung der literarischen Kritik mit seinem Werk. Der Begriff der Provokation ist in diesem Kontext auf mehreren Ebenen zu verstehen. Er meint zum einen die Mischung aus Satire und Sentimentalität, aus Zerrissenheit und ironischer Hinterfragung der Zerrissenheit, das Spannungsverhältnis zwischen dem Gefühl und seiner ironischen Brechung, zwischen einer mit literarischen Mitteln evozierten Stimmung und ihrer dichterischen Kontrafaktur, die dem zeitgenössischen Verständnis von Literatur zuwiderläuft, welches die Evokation und Bewahrung der Stimmung als konstitutiven Bestandteil von Literarizität – in einem wertenden und nicht deskriptiven Sinn – begreift. Zum anderen entsteht die Provokation durch den bewussten und intendierten Bruch mit der literarischen Konvention, der von den Zeitgenossen aufgrund seiner Neuartigkeit thematisiert und diskutiert wurde. Charakteristischer Ausdruck dieser deutschen Befindlichkeit ist der bereits in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu beobachtende Versuch der zeitgenössischen Kritik, den Verfasser der Reisebilder als Humoristen zu klassifizieren. Die in der Biedermeierzeit verbreitete Witzkultur, auf die bereits Friedrich Sengle aufmerksam gemacht hat und als deren prominentester Vertreter der Wiener Schriftsteller, Publizist und Zeitschriftenherausgeber Moritz Gottlieb Saphir angesehen werden kann, ist in ihrem Wesen unpolitisch. (Sengle 1971–1980 I, 635–638) Der Witz wird nicht als Instrument einer intellektuellen Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Fragen angesehen, sondern bildet das Reservat einer bürgerlichen Schicht, deren Mitwirkung am politischen Diskurs der Epoche von den in ihrer politischen Funktion wieder restaurierten feudalen Schichten weder gefordert noch erwünscht ist. Der Versuch Ludwig Börnes und Heinrich Heines und in ihrer Nachfolge auch der jungdeutschen Schriftsteller, den Witz in der Tradition der Aufklärung als ein intellektuelles Instrument im Prozess des kritischen Diskurses der Restaurationszeit nutzbar zu machen, scheitert an der Unvereinbarkeit dieses Ansatzes mit dem herrschenden biedermeierlichen Zeitgeist, der für die grundlegende Auseinandersetzung mit politischen, literarischen oder moralisch-theologischen Fragen einen ernsthaften und keinen witzig-ironischen Ton erwartet. In diesem Sinne konstatiert der späte Heine in den Göttern im Exil: „Nein, ich gestehe bescheidentlich, mein Verbrechen war nicht der Gedanke, sondern die Schreibart, der Styl.“ (HSA XII, 268)

2. Heines Romantik 1821, in dem Jahr, an dessen Ende die Maurersche Buchhandlung in Berlin den ersten Gedichtband Heinrich Heines auslieferte, erschien Wilhelm

Zeitgenosse der späten Romantik

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Illusion und Ironie

Müllers Liederzyklus Die schöne Müllerin, Johann Wolfgang von Goethes Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre und Ludwig Tieck publizierte in den Hinterlassenen Schriften des so früh aus dem Leben geschiedenen Heinrich von Kleist die Hermannsschlacht sowie den Prinzen von Homburg. 1826, in dem gleichen Jahr, in dem der erste Band der Reisebilder von Julius Campe verlegt wurde, veröffentlichte Joseph von Eichendorff die Novellen Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. 1832, ein Jahr nach Heines Übersiedlung in die französische Hauptstadt, erschien der Künstlerroman Maler Nolten des schwäbischen Romantikers Eduard Mörike. 1844, als Heine das satirische Versepos Deutschland. Ein Wintermährchen publizierte, edierte Ludwig Uhland seine Sammlung Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder. Und 1853 schließlich, da Heine bereits seit einem halben Jahrzehnt in seiner „Matratzengruft“ zu Paris lag und trotz seines Zustandes begann, an den Vermischten Schriften zu arbeiten, starb in Dresden der romantische Schriftsteller und Shakespeare-Übersetzer Ludwig Tieck. Wenn Heine also von der „romantischen Schule“ spricht, um den Titel eines Werkes aufzugreifen, das er 1836 nach einem französischen Vorabdruck auch in Deutschland erscheinen ließ, so bezieht er sich nicht auf eine abgeschlossene Periode der deutschen Literaturgeschichte, sondern auf Dichtungen und Schriften, die in seiner Zeit eine unmittelbare Aktualität besaßen. Mehr noch bildeten die Werke der deutschen Romantik auch die Lektüre seiner frühen, bildenden Jahre – ganz abgesehen davon, dass der Dichter 1819 und 1820 an der Universität Bonn Vorlesungen des romantischen Schriftstellers und Kunsttheoretikers August Wilhelm Schlegel hörte oder in Berlin mit den späten Romantikern Friedrich de la Motte-Fouqué und Adelbert von Chamisso Bekanntschaft schloss. (Clasen 1979) Deshalb ist es wenig überraschend festzustellen, dass die Zyklen der Jungen Leiden, des Lyrischen Intermezzo oder der Heimkehr, mit denen er sein Buch der Lieder eröffnet, sowohl in ihrer Bildlichkeit und Natursymbolik, als auch in ihren metrischen Strukturen romantischen Vorbildern verpflichtet sind. Zugleich aber – und hierin liegt das bereits die Zeitgenossen irritierende Moment – lösen sich seine Dichtungen von den Traditionen, denen sie entwachsen sind, und finden zu einem ganz eigenen spielerischen Ton. Und es scheint, als ahnte bereits der junge Heine, dass die Literatur einer neuen Sprache bedürfe, weil sie in einer veränderten Zeit zu bestehen hat, in einer Welt, die mit neuen Fragen und Aufgaben konfrontiert ist. So liegt das Ungewöhnliche dieser Dichtungen in dem Versuch, die überkommene Metaphorik durch ironische Brechungen und Überzeichnungen zu bewahren. (Winkler 1997) In diesem Sinne beginnt das dreiundfünfzigste Gedicht des Lyrischen Intermezzo mit einem Bild, das den Lesern seiner Zeit aus den ebenso beliebten wie weit verbreiteten sentimentalen Taschenbüchern, Kalendern und Almanachen vertraut war. Bis in das Detail versammelt der Dichter noch einmal alle Requisiten romantischer Liebesdichtung: den einsam Liebenden in der Natur, das Motiv der unerfüllten Sehnsucht und schließlich sogar die Nachtigall und den Lindenbaum, der von Walther von der Vogelweide über die Dichter des Rokoko und des Göttinger Hains bis zu Wilhelm Müller zu dem unverzichtbaren Inventar deutscher Liebeslyrik gehört:

2. Heines Romantik

Ich steh’ auf des Berges Spitze, Und werde sentimental. „Wenn ich ein Vöglein wäre!“ Seufz’ ich viel tausendmal. Wenn ich eine Schwalbe wäre, So flög’ ich zu dir, mein Kind, Und baute mir ein Nestchen Wo deine Fenster sind. Wenn ich eine Nachtigall wäre, So flög’ ich zu Dir, mein Kind, Und sänge dir Nachts meine Lieder Herab von der grünen Lind’. Wenn ich ein Gimpel wäre, So flög’ ich gleich an dein Herz; Du bist ja hold den Gimpeln, Und heilest Gimpelschmerz. (HSA I, 84 f.) Dieses illusionsaufhebende Moment am Schluss des Gedichtes, das sowohl durch die Doppelbedeutung des Gimpels als Vogelname wie als Bezeichnung für einen beschränkten, einfältigen oder leichtgläubigen Menschen, als auch durch seine erotische Konnotation entsteht, musste das zeitgenössische Publikum provozieren. Und noch heute bevorzugen weite Leserschichten Dichtungen, welche die anfangs evozierte Stimmung halten, so dass sie im Prozess der Lektüre nach- und mitempfunden werden kann und dem Lesenden sich anverwandelt. Heines Gedicht ist jedoch vielschichtiger: Bereits zu Beginn finden sich einzelne Momente, die latent auf die Schlusswendung vorausdeuten. Das lyrische Ich ist nicht „sentimental“, sondern gleitet in dieses unechte, gemachte Gefühl ab. Das exponierte, der Welt der Menschen enthobene lyrische Ich, auf dem Gipfel des Berges stehend, wendet seinen Blick nicht mehr – wie in den dichterischen Werken Joseph von Eichendorffs – in die Ferne, die verheißungsvolle Weite und Unbestimmtheit des Gebirges, um in der Betrachtung der Natur von ihrer Erhabenheit und Größe überwältigt und in der Folge wieder mit sich selbst eins zu werden. Vielmehr ist die Aufmerksamkeit bereits ab der zweiten Zeile einzig auf das eigene Selbst gerichtet. Die zweite und die dritte Strophe, in denen das lyrische Ich imaginiert, es sei eine Schwalbe und eine Nachtigall, lassen jedoch durch den temperierten Ton unerfüllter Sehnsucht, der ganz in der Nachfolge romantischer Dichtungen steht, diese Momente in Vergessenheit geraten. Sie bilden den Stimmungshintergrund, vor dem die vierte Strophe ihre illusionsbrechende Ironie entfalten kann. Das Werk ist damit in Teilen ein bloßes Zitat romantischer Stimmungsdichtung. Die Natur hat ihren lindernden Einfluss auf den von innerseelischen Konflikten zerrissenen Menschen verloren und ist nur noch Kulisse seiner Einsamkeit. In dieser Einsamkeit aber gibt das lyrische Ich sich noch einmal der besänftigenden Schönheit der romantischen Bildlichkeit und Sprache hin. Erlösung findet es allerdings nicht mehr in jenem Bereich der Empfindung, den Ludwig Tieck, die Brüder Schlegel oder Friedrich von Har-

Poetik des Zitats

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Selbstdeutung als Romantiker

denberg (Novalis) gegen Ende des 18. Jahrhunderts als den Bereich menschlichen Seins und Wesens wiederentdeckt hatten, den die späte Aufklärung mit ihrer Fokussierung auf die Vernunft zwar nicht vergessen aber weitestgehend übergangen hatte. Indem Heine durch die Ironie das Gefühl hinterfragt und die Empfindsamkeit in Sentimentalität verkehrt, entsteht für das lyrische Ich, wie für den Leser, die Möglichkeit einer rational-distanzierten Betrachtung der eigenen Verfasstheit. Das Werk hält auf diese Weise die Balance zwischen Emotion und Reflexion, zwischen einem Stimmungsgedicht in der Nachfolge der Romantik und einer lehrhaft-didaktischen Dichtung in der Tradition der Aufklärung. Vor diesem Hintergrund ist auch die Selbstdeutung zu verstehen, die der Dichter am Ende seines Lebens in den Geständnissen formuliert hat. Hier spricht er davon, „das letzte freie Waldlied der Romantik“ gesungen zu haben und deshalb als der letzte Vertreter dieser literarischen Richtung in Deutschland gelten zu können. (HSA XII, 44) Mit der Formulierung von dem „letzten freien Waldlied der Romantik“ umschreibt Heine jedoch nicht nur bildhaft sein Verhältnis zu der Schule Tiecks, Eichendorffs und Uhlands sowie die Bedeutung seines Werkes für die deutsche Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sondern spielt zugleich mit einem Selbstzitat auf seine Dichtung Atta Troll. Ein Sommernachtstraum an. Dieses Versepos erschien nach einem Vorabdruck in der weithin gelesenen Zeitung für die elegante Welt im Jahr 1847 in Buchform in dem Verlag von Julius Campe. In dem letzten, dem siebenundzwanzigsten Kapitel, das dem mit dem Dichter befreundeten preußischen Diplomaten und Schriftsteller Karl August Varnhagen von Ense gewidmet ist, schreibt er über sein Werk: „Ach, es ist vielleicht das letzte / Freie Waldlied der Romantik!“ Und, auf die politischen Dichtungen anspielend, die in den Jahren, die der Revolution des Jahres 1848 vorangehen, die literarischen Debatten in Deutschland dominieren, ergänzt er: „In des Tages Brand- und Schlachtlärm / Wird es kümmerlich verhallen.“ (HSA II, 296) Eine mit diesen Versen korrespondierende Selbstdeutung findet sich auch in einem persönlichen Brief an Varnhagen. In den ersten Januartagen des Jahres 1846 schreibt Heine aus Paris an den Mentor, Freund und Weggefährten in der preußischen Residenz Berlin: Das tausendjährige Reich der Romantik hat ein Ende, und ich selbst war sein letzter abgedankter Fabelkönig. Hätte ich nicht die Krone vom Haupte fortgeschmissen, und den Kittel angezogen, sie hätten mich richtig geköpft. Vor vier Jahren hatte ich, ehe ich abtrünnig wurde von mir selber, noch ein Gelüste mit den alten Traumgenossen herumzutummeln im Mondschein – und ich schrieb den Atta Troll, den Schwanengesang der untergehenden Periode […]. (HSA XXII, 181) Von den Zeitgenossen wurde das satirische Versepos als ein Werk gelesen, das sich ebenso kritisch wie boshaft mit den politischen Schriftstellern der jüngeren Generation auseinandersetzte. Die Geschichte des Tanzbären Atta Troll, die sowohl an die Tierdichtungen der Romantik wie die der Aufklärung anknüpft, überzeichnet jedoch nicht nur die Vorstellungen und Ziele der vorrevolutionären, oppositionellen literarischen Bewegung in Deutschland, der sogenannten Tendenzdichter. Sie ist zugleich der Versuch, die

2. Heines Romantik

Ideale der romantischen Kunsttheorie noch einmal in eine Form zu überführen, die ästhetisch wie programmatisch auf der Höhe ihrer Zeit steht. Die Figuren, die zahlreichen Anspielungen auf Gespenster-, Feen- und Hexengeschichten, die den Verlauf der Handlung reflexiv kommentierenden Traumsequenzen, die Motivzitate und intertextuellen Bezüge, aber auch die arabeske, ironisch gebrochene Kompositionsform, die in diesem Versepos spielerisch miteinander verbunden werden, sind Merkmale der romantischen Tradition, weshalb sie bei den zeitgenössischen Lesern eine entsprechende Erwartungshaltung hervorriefen. Der ironische aber gleichwohl tiefsinnige Ton dieser Dichtung, ihre humoristische und gleichzeitig sentimentale Sprache sind jedoch bereits Indizien einer bewusst und zugleich lustvoll inszenierten Spätzeitlichkeit: Traum der Sommernacht! Phantastisch Zwecklos ist mein Lied. Ja, zwecklos Wie die Liebe, wie das Leben, Wie der Schöpfer sammt der Schöpfung! Nur der eignen Lust gehorchend, Gallopirend oder fliegend, Tummelt sich im Fabelreiche Mein geliebter Pegasus. Ist kein nützlich tugendhafter Karrengaul des Bürgerthums, Noch ein Schlachtpferd der Partheywuth, Das pathetisch stampft und wiehert! Goldbeschlagen sind die Hufen Meines weißen Flügelrößleins, Perlenschnüre sind die Zügel, Und ich laß sie lustig schießen. (HSA II, 235) Man könnte, und die Literaturgeschichtsschreibung hat dies bis in die Gegenwart getan – in der Nachfolge der Urteile, die bereits zu Lebzeiten des Dichters sich ausgebildet und verfestigt haben –, man könnte aus diesen Beobachtungen den Schluss ziehen, die Werke Heines seien Dichtungen des Übergangs (Kruse 1999), ihre Ambivalenz, ihre Ironie, ihre bilderstürmerische Respektlosigkeit, ihre ebenso distanzierte wie verstandesscharfe und manchmal sarkastische, dann wieder zarte Schreibart sei Ausdruck einer Position zwischen den Epochen, indiziere einerseits die Stellung dieses Dichters als Vertreter der romantischen Dichtungstradition und markiere andererseits bereits seine Rolle als Vorreiter der dissoziativen, ent- und verfremdenden Tendenzen der Moderne. Die Widersprüche seines Werkes, die Gleichzeitigkeit ungleichzeitiger, zum Teil unvereinbarer Bilder und Inhalte werden damit aber nicht erklärt, sondern lediglich phänomenologisch als ein Merkmal seines Denkens und literarischen Schreibens definiert. In den Selbstdeutungen dieses Dichters ist jedoch eine andere Antwort auf die Frage nach seinem Verhältnis zur Romantik angelegt, eine, die weniger offensichtlich, dafür aber sensibler ist, einen größeren geistesgeschicht-

Dichter des Übergangs

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

lichen Zusammenhang eröffnet und zugleich zu einem tieferen Verständnis der Wirkung führt, die diese Epoche auf die Ausbildung und Entwicklung des Literaturverständnisses in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert gehabt hat. Als der Dichter den Sommernachtstraum in Buchform veröffentlicht, stellt er seinem Versepos ein Vorwort in Prosa voran. In dieser im Dezember 1846 entstandenen Vorrede schreibt Heine: Was den ästhetischen Werth meines Poems betrifft, so gab ich ihn gern Preiß, wie ich es auch heute noch thue; ich schrieb dasselbe zu meiner eignen Lust und Freude, in der grillenhaften Traumweise jener romantischen Schule, wo ich meine angenehmsten Jugendjahre verlebt, und zuletzt den Schulmeister geprügelt habe. In dieser Beziehung ist mein Gedicht vielleicht verwerflich. Aber du lügst, Brutus, du lügst, Cassius, und auch du lügst, Asinus, wenn Ihr behauptet, mein Spott träfe jene Ideen, die eine kostbare Errungenschaft der Menschheit sind und für die ich selber so viel gestritten und gelitten habe. Nein, eben weil dem Dichter jene Ideen in herrlichster Klarheit und Größe beständig vorschweben, ergreift ihn desto unwiderstehlicher die Lachlust, wenn er sieht, wie roh, plump und täppisch von der beschränkten Zeitgenossenschaft jene Ideen aufgefaßt werden können. Er scherzt dann gleichsam über ihre temporelle Bärenhaut. Es giebt Spiegel, welche so verschoben geschliffen sind, daß selbst ein Apollo sich darin als eine Karikatur abspiegeln muß und uns zum Lachen reitzt. Wir lachen aber alsdann nur über das Zerrbild, nicht über den Gott. (HSA II, 229) Die Aussage kann vor dem Hintergrund der kritischen Auseinandersetzung mit den politischen Schriftstellern gelesen werden, die Heine in der Figur des Tanzbären Atta Troll – einer Allegorie auf die teils frühsozialistische, teils republikanische oder liberale Ideale vertretende Literatur dieser Jahre – in dem Versepos gestaltet. Die zeitgenössische Buchkritik hatte bereits nach der Veröffentlichung des Werkes in der Zeitung für die elegante Welt befremdet darauf reagiert, dass Heine, der selbst als ein Gegner der restaurativen Politik der deutschen Staaten galt, sich so deutlich von der jüngeren oppositionellen Bewegung distanziert und ihre Vorstellungen als illusionär und idealistisch karikiert hatte, weshalb das Vorwort zu der Buchausgabe des Sommernachtstraums als eine Reaktion auf diese öffentlich erhobenen Anwürfe gegen den Dichter verstanden werden kann. Diese Lesart übersieht jedoch, dass das Werk nicht nur eine politische, sondern auch eine literaturkritisch-ästhetische Absicht verfolgt, die über den Horizont der tagesaktuellen Debatten in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts hinausweist. Die Vorrede ist deshalb auch ein Beitrag zu einer Frage, die den Dichter seit seinen literarischen Anfängen begleitet und sein Werk deshalb wesentlich geprägt hat. Heine kämpft auch in diesem Text für die „unveräußerlichen Rechte des Geistes“, wie er selber formuliert. (HSA II, 229) Wenngleich dieses Versepos einer jener Spiegel ist, „welche so verschoben geschliffen sind“, dass der Traum der Romantik dem Leser in ihm wie eine „Karikatur“ erscheint, so bleibt doch das Ideal selbst von dieser Verzerrung der Perspektive bewahrt.

2. Heines Romantik

Die Literatur der Romantik, schreibt Heine in seiner bereits in Frankreich entstandenen Schrift Die romantische Schule, „war nichts anders als die Wiedererweckung der Poesie des Mittelalters, wie sie sich in dessen Liedern, Bild- und Bauwerken, in Kunst und Leben, manifestirt hatte. Diese Poesie aber war aus dem Christenthume hervorgegangen, sie war eine Passionsblume, die dem Blute Christi entsprossen.“ (HSA VIII, 9) In der Konsequenz dieser Feststellung liegt die Einsicht, dass die Dichtung der späten Romantik, die zu Lebzeiten des Dichters den literarischen Markt und die intellektuellen Debatten in Deutschland beherrschte, nichts anderes unternahm als den rückwärts gewandten – und eben deshalb vergeblichen – Versuch, das geistig wie politisch als Einheit verstandene Weltbild des Mittelalters in der Gegenwart wiederherzustellen. Die Antworten auf die im Prozess der Aufklärung aufgeworfenen Fragen nach der Bedeutung des Menschen und der Verfasstheit seiner gesellschaftlichen Ordnung, so der Vorwurf Heines, suchen Dichtung wie Philosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht in der eigenen Zeit, sondern in der Vergangenheit. Die Werke Heines kleiden diesen Gedanken in Bilder und Metaphern, die zwar an die Schönheit jener Geschichten erinnern, welche in den Erscheinungen der Natur sowie den alten, überlieferten Sagen die Möglichkeit erkannten, die Sehnsucht nach einem Aufgehobensein in einem Sinnzusammenhang zu stillen. Sie vermitteln aber zugleich die Einsicht, dass das Vergangene für immer vergangen sein wird, dass lediglich die unerfüllte Sehnsucht überführt und geläutert werden kann zu einer leisen Wehmut. Die Dichtungen Heines, des „letzten abgedankten Fabelkönigs“ der Romantik, sind auch deshalb der „Schwanengesang der untergehenden Periode“, wie er in seinem Schreiben an Varnhagen formuliert, weil in ihnen ein Kampf ausgetragen wird. Der Dichter ringt in seinen Werken mit den Bildern und Metaphern, den Träumen und Idealen der romantischen Tradition. Dieser Kampf ist jedoch nicht Ausdruck einer feindlichen, unvereinbaren Gegnerschaft. Vielmehr spiegelt sich in ihm der unbedingte Wunsch nach Aussöhnung, einer Aussöhnung in dem Bewusstsein, dass die Gegenwart zwar von der Vergangenheit bestimmt wird, dass ihr Verhältnis aber im Sinne Hegels in einem dialektischen Prozess und im Hinblick auf die Zukunft stets neu zu bestimmen ist. Die Welt- und Zeiterfahrungen, mit denen Heine in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konfrontiert war, die er mit seinen Werken kritisch kommentiert und zu beeinflussen sucht, weisen dem Schriftsteller eine schwierige, zuweilen auch paradoxe Doppelfunktion zu. Während die Romantik in einer verklärten, idealisierten und letztlich der historischen Wahrheit entkleideten Vorstellung des christlichen Mittelalters ein noch gültiges Leitbild erkannte und demzufolge dem Künstler und seinem Werk mit einer zwar säkularisierten aber gleichwohl unbedingten Heilserwartung entgegentrat, bezeugt Heine das Ende dieser von der Vergangenheit dominierten Perspektive. Heine, der „Fabelkönig“, überschreibt und verwandelt das erschöpfte Bild- und Sprachpotential im Grenzgebiet zwischen der späten Romantik und der beginnenden Moderne. Das Paradox aber dieser Aussöhnung der Vergangenheit mit der Zukunft in der Gegenwart ist eine Frage, auf die jeder Künstler im 19. Jahrhundert eine Antwort zu finden hatte.

Vollender und Überwinder der Romantik

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

3. Heines Judentum Antisemitisch geprägte Rezeption

Judentum und Außenseiterexistenz

Das Urteil über die Bedeutung und den Einfluss der religiösen und kulturellen Traditionen der jüdischen Herkunft auf die Person und das literarische Werk Heinrich Heines ist im Verlauf seiner Wirkungsgeschichte von außerliterarischen Faktoren bestimmt worden. Den judenfeindlichen Tendenzen und Strömungen, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland zunehmend den Diskurs über die Literatur bestimmten und in dem rassischen Antisemitismus der nationalsozialistischen Ideologie und dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden in den Jahren zwischen 1933 und 1945 kulminierten, ist der Versuch gemeinsam, die Bedeutung des Dichters für die deutsche Literatur- und Geistesgeschichte zu marginalisieren und zu negieren. Andererseits, dies zeigt sich sowohl während des Wilhelminischen Kaiserreiches als auch in den Jahren der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, galt Heine aufgrund seiner Außenseiterposition als Schriftsteller und Intellektueller jüdischer Herkunft im Diskurs einer reaktionären, christlichen Mehrheitsgesellschaft als eine Identifikationsfigur für freiheitlich-liberale Denker. Vor diesem Hintergrund konnte über die Bedeutung des Judentums für Heine und sein dichterisches Schaffen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf eine ideologiefreie und wissenschaftlich-sachliche Weise nachgedacht werden. Ein weiterer Aspekt, der das Urteil über diese Frage zusätzlich verkompliziert hat, ist in seinem Werk selbst angelegt: Indem autobiografisches Erleben und literarische Fiktion ineinander übergehen, indem Dichtung und Wahrheit auf eine stets ironische Weise einander ergänzen, kommentieren und aufheben, indem die jüdisch-christliche und die heidnisch-antike Tradition miteinander in Beziehung gesetzt werden und auf diese Weise die Brüche und Widersprüche der geistesgeschichtlichen Verfasstheit seiner Epoche abbilden, sind bereits die Aussagen und Selbstdeutungen Heines in Bezug auf seine jüdische Herkunft polyvalent. Grundlegend für die Einordnung und das Verständnis der Bedeutung des Judentums für den Dichter sind die Überlegungen von Hans Mayer und Klaus Briegleb. (Mayer 1975; Briegleb 1986) Sie haben herausgestellt, dass eine wesentlich prägende Erfahrung für das autobiografische Selbstbild und das intellektuelle Profil Heines die einer Außenseiterexistenz als Jude innerhalb der christlich dominierten Gesellschaft der Restaurationsepoche war. Bereits in der Kindheit und Jugend in Düsseldorf wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung ausgegrenzt. Im Gegensatz zu Frankfurt am Main mussten die Juden in der rheinischen Stadt zwar nicht in einem Ghetto leben, aber das abweichende religiöse Bekenntnis, das beispielsweise in der Nichtteilnahme an christlichen Feiertagen oder am christlichen Religionsunterricht sichtbar wurde, bot gleichwohl Anlass zu Stigmatisierungen. In dem erst aus dem Nachlass veröffentlichten Memoiren-Fragment findet sich ein literarisch überformter, humoristisch eingefasster Reflex solcher Erfahrungen aus der frühen Düsseldorfer Zeit: In meiner Vaterstadt wohnte ein Mann welcher der Dreckmichel hieß, weil er jeden Morgen mit einem Karren, woran ein Esel gespannt war die Straßen der Stadt durchzog und vor jedem Hause still hielt um den

3. Heines Judentum

Kehricht, welchen die Mädchen in zierlichen Haufen zusammengekehrt, aufzuladen u aus der Stadt nach dem Mistfelde zu transportiren. Der Mann sah aus wie sein Gewerbe und der Esel welcher seinerseits wie sein Herr aussah hielt still vor den Häusern oder setzte sich in Trab jenachdem die Modulazion war womit der Michel ihm das Wort Haarüh zurief. War solches sein wirklicher Name oder nur ein Stichwort? Ich weiß es nicht, doch so viel ist gewiß daß ich durch die Aehnlichkeit jenes Wortes mit meinem Namen Harry außerordentlich viel Leid von Schulkameraden und Nachbarskindern auszustehen hatte. Um mich zu nergeln sprachen sie ihn ganz so aus wie der Dreckmichel seinen Esel rief […]. In der Schule ward das Thema mit raffinirter Grausamkeit ausgebeutet; wenn nur irgend von einem Esel die Rede war, schielte man nach mir, der ich immer erröthete u es ist unglaublich wie Schulknaben überall Anzüglichkeiten hervorzuheben oder zu erfinden wissen. Z. B. der Eine frug den Anderen wie unterscheidet sich der Zebra von dem Esel des Barlaam Sohn Boers? Die Antwort lautete der Eine spricht Zebräisch und der Andre sprach Hebräisch. Dann kam die Frage: wie unterscheidet sich aber der Esel des Dreckmichels von seinem Namensvetter? und die impertinente Antwort war: den Unterschied wissen wir nicht. (HSA XII, 169 f.) Vor, während und nach den Befreiungskriegen und dem Sieg der alliierten Heere Österreichs, Preußens, Russlands und Großbritanniens über die Armeen Napoléons entfaltete sich in Deutschland nicht nur eine patriotischnationalistische Stimmung, sondern diese war auch mit judenfeindlichen Vorstellungen konnotiert. Die insbesondere nach 1815 wachsende Feindseligkeit hatte mehrere Ursachen: Zum einen fürchtete der Handel die Konkurrenz jüdischer Kaufleute, die durch einschränkende Gesetze nicht länger neutralisiert wurde. Zum anderen wurde den jüdischen Bevölkerungsteilen Sympathie und Teilnahme für das napoleonische Frankreich unterstellt. Wenngleich die Revolution des Jahres 1789 den Juden die völlige Gleichstellung vor dem Gesetz gebracht hatte und Napoléon dies, gemeinsam mit der französischen Gesetzgebung, auch in den von ihm okkupierten Territorien durchgesetzt hatte, hatten viele Juden durch Spenden den Krieg deutscher Staaten gegen die französische Besatzung unterstützt oder sich – zumindest in der preußischen Armee – als Soldaten auch aktiv am Kampf beteiligt und ausgezeichnet. Nicht zuletzt erwuchs die Judenfeindlichkeit dieser Jahre aus einer Stimmung, die das Deutsche durch den Gegensatz zu dem Anderen zu definieren bestrebt war. Heine rekurriert wiederholt kritisch auf dieses Moment des aufkommenden deutschen Nationalismus. So schreibt er in der Vorrede zum ersten Band des Salon: In Frankreich besteht auch der Patriotismus in der Liebe für ein Geburtsland, welches auch zugleich die Heimath der Civilisazion und des humanen Fortschritts. Obgedachter deutscher Patriotismus hingegen bestand in einem Hasse gegen die Franzosen, in einem Hasse gegen Civilisazion und Liberalismus. (HSA VII, 12) Als Student an der noch jungen Bonner Universität sah er sich mit der Judenfeindlichkeit deutsch-nationalistischer Burschenschaften konfrontiert.

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Literarische Auseinandersetzung mit dem Judentum

So kulminierte der wachsende Antisemitismus im Spätsommer 1819 in einem Pogrom. Gruppen zogen mit dem Ruf „Hep! Hep! Jude verreck!“ durch die Straßen, misshandelten Juden und verwüsteten ihre Wohnungen und Geschäfte. (Katz 1994) Auch wenn Heine von diesen Ausschreitungen persönlich nicht betroffen war, vermittelten sie ihm doch ein Gefühl von aus Misstrauen und Hass erwachsender Ausgrenzung. Als er ein Jahr später in Göttingen studierte, traf ihn die judenfeindliche Stimmung der Zeit ganz unmittelbar. Nach seiner Ankunft in der Universitätsstadt des Königreiches Hannover war er Mitglied einer Burschenschaft geworden. Aber bereits im Dezember desselben Jahres wurde er unter dem Vorwand einer mehr als fadenscheinigen Begründung ausgeschlossen. Die wahre Ursache für diesen Ausschluss lag in seiner jüdischen Abstammung, die, wie man glaubte befinden zu müssen, mit dem christlich-nationalen Geist der Verbindung nicht zu vereinen war. Nach der literarischen Auseinandersetzung mit August Graf von Platen, der den Dichter in seinem Lustspiel Der romantische Ödipus öffentlich als Juden denunziert hatte, begannen judenfeindliche Argumentationsmuster auch das Urteil über Heines literarisches Werk zu bestimmen. Im Spannungsfeld dieser Außenseiterposition ist auch seine mit der 1825 erfolgten Taufe vollzogene Konversion zum Christentum zu verstehen. Im Bestreben, eine Position innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu erlangen, sah sich Heine zwar zu diesem Schritt gezwungen – musste aber, wie er nur ein Jahr nach seiner Taufe in einem Schreiben an einen Berliner Freund formulierte – nach diesem Schritt erkennen, dass seine jüdische Herkunft gleichwohl ein „nie abzuwaschende[r]“ Makel blieb. (HSA XX, 265) Diese lebensweltlichen Erfahrungen haben auch ihren Niederschlag in seinem literarischen Werk gefunden. Vor ihrem Hintergrund ist bereits die frühe Tragödie Almansor, die während des Studiums in Bonn und Göttingen entstanden ist, als ein Werk verstanden worden, in dem der junge Heine seine Erfahrungen als Angehöriger der jüdischen Minderheit in der von Christen dominierten Gesellschaft der Restaurationszeit im Bild der im Spätmittelalter aus Spanien vertriebenen Mauren diskutiert. In dem Romanfragment Der Rabbi von Bacherach – das während seiner Zeit als Mitglied des „Vereins für Kultur und Wissenschaft der Juden“ in den frühen zwanziger Jahren in Berlin entstanden ist, aber erst 1840 als eine literarische Reaktion auf ein in der europäischen Öffentlichkeit der Zeit vielbeachtetes und -diskutiertes Judenpogrom in Damaskus veröffentlicht worden ist – entwirft er in der Gestalt des zynischen Freidenkers Don Isaac Abarbanel eine jüdische Figur, die auch als ein implizites Selbstportrait zu deuten ist. Zugleich kommt in dem Werk die ästhetische Faszination zum Ausdruck, welche die Rituale der jüdischen Tradition auf den Schriftsteller, der selbst kein orthodoxer Jude war, ausübten. Seine ebenfalls 1840 veröffentlichte Denkschrift über Ludwig Börne beinhaltet nicht nur den Versuch einer Rechtfertigung seiner eigenen politischen Positionen im Spiegel des verstorbenen Weggefährten und Konkurrenten, in ihr entfaltet Heine zudem ein Panorama der Erfahrungen eines Intellektuellen im Exil und stellt diese in die Tradition des Exils, welches das Volk Israel in Babylon erlitten hat. In den Hebräischen Melodien, einem Zyklus seiner späten Gedichtsammlung Romanzero, stilisiert er den mittel-

3. Heines Judentum

alterlichen spanisch-jüdischen Dichter Jehuda ben Halevy zu einer Präfiguration seiner eigenen Person als Dichter jüdischer Herkunft und formuliert in diesem historischen Gewand eine poetologische Betrachtung über die Möglichkeiten der Literatur im Diskurs seiner Gegenwart. Nicht zuletzt reflektieren Gedichte wie Disputation oder Prinzessin Sabbath jene jüdischen Stoffe und Motive, die bereits in vorangegangenen Sammlungen seiner lyrischen Werke eine bedeutsame Rolle gespielt haben. Aber nicht nur in Werken, die offensichtlich Bezug nehmen auf jüdische Themen, denkt Heine über das Problem des Außenseitertums und der jüdischen Identität nach. Seine Perspektive auf diese Fragen hält stets die Balance zwischen Identifikation mit der leidvollen Geschichte des jüdischen Volkes, der jüdischen Schrifttradition und den Erfahrungen von Ausgeschlossenheit und Fremdheit. So kann die Gestalt des fliegenden Holländers in dem fragmentarischen Schelmenroman Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski als eine Figuration des ewigen Juden Ahasver gelesen werden. Das frühe Reisebild Ideen. Das Buch Le Grand, das primär ein hintergründiges Spiel mit Themen und Motiven der Romantik inszeniert, thematisiert mit einer verhaltenen, aber gleichwohl unübersehbaren Ironie die jüdische Identität seines Verfassers. Und in der Schrift über Shakspeares Mädchen und Frauen aus dem Jahr 1839, einer Auftragsarbeit, in welcher der Schriftsteller über die weiblichen Gestalten in den Tragödien, Lustspielen und Historien des großen englischen Dramatikers nachdenkt, nimmt der Jude Shylock aus dem Kaufmann von Venedig (1600) eine zentrale Position ein. In diesem Zusammenhang sind auch jene Gestalten der Geistesgeschichte zu nennen, auf die sich Heine im Kontext unterschiedlicher Schriften beruft: Sieht er sein Schreiben in den frühen Jahren in der Tradition des antiken Rhapsoden Homer oder des deutschen Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing, so deutet er sich selbst in den späten Jahren in der Nachfolge des jüdischen Dichters Jehuda ben Halevi. (Steinecke 1999) Klaus Briegleb hat vor diesem Hintergrund die These aufgestellt, dass Heines Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft nicht als ein wiederholt aufgegriffenes Motiv zu verstehen sei, vielmehr das zentrale Moment des literarischen Werkes bilde: Nicht daß wir eine ,jüdische Schreibweise‘ an und für sich antreffen werden. Es gibt sie ebensowenig wie es eine selbstidentische christliche oder konfuzianische oder irische gäbe. […] Nein, der Schriftsteller Heine ist Jude so, wie seine Texte sind; nicht sie sind jüdisch (in einem ontologischen Sinne), sondern sie zeugen von einer Haltung, die wir lesend entdecken: Haltung eines Juden, der in radikaler Weise von seinem Gedächtnis Gebrauch macht und dessen biblische Reflexionen ins Ganze gehen. (Briegleb 1997, 119 f.) Wenngleich Heine in den ab den späten vierziger Jahren entstandenen Schriften die jüdische Tradition auf eine besondere Weise betont, explizit über seine jüdische Herkunft nachdenkt sowie über theologische Positionen der jüdischen Religion reflektiert, darf demgegenüber jedoch nicht übersehen werden, dass diese Diskurse einerseits im Zusammenhang jener Fragen nach der Existenz Gottes stehen, wie sie im Nachwort zu der Gedichtsammlung Romanzero formuliert werden. Andererseits stehen sie im Kontext

Religion und Geschichte

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

einer sich in seinem Werk entwickelnden pessimistischen Einschätzung der Möglichkeiten, welche der Menschheit gegeben sind, die Zustände der Welt zu verbessern. Während in seinem Frühwerk noch jener Optimismus des aufgeklärten Zeitalters aufscheint, der darauf setzte, den Menschen durch die Literatur auf den Weg einer besseren Erkenntnis führen zu können, wird Heines Spätwerk von einem abgründig-düsteren, bereits auf Arthur Schopenhauer vorausdeutenden Pessimismus bestimmt: Die Geschichte kennt keinen Fortschritt, sie ist ein sinnloser Kreislauf von Aufstieg, Niedergang und endgültigem Verfall. Und die Religionen sind nichts anderes als sinnlose Ideologien, deren vermeintliche Heilsversprechen im Laufe der Jahrhunderte stets erneut eine Legitimation dafür geliefert haben, dass die Menschheit anstelle eines Himmelreiches auf Erden – wie das erste Caput des Wintermährchens formuliert – sich in unnötigen Kämpfen blutig mordet. (HSA II, 298) Die Geschichte des jüdischen Volkes wird von Heine vor diesem Hintergrund als exemplarisch für die Geschichte der Menschheit verstanden. (Singh/Silverman 2007) In seiner im Jahr 1839 publizierten Schrift über Shakspeares Mädchen und Frauen betrachtet Heine mit Jessika und Portia auch zwei Figuren aus dem Kaufmann von Venedig, jener Tragödie, in welcher der englische Dramatiker über die Dialektik von jüdischen und christlichen Traditionen im Diskurs der europäischen Geistesgeschichte nachgedacht hat. Vor dem Hintergrund seines eigenen jüdischen Herkommens und seiner Erfahrungen als Marrane, aber auch im Hinblick auf die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ (Höhn 2004, 140 f.), von der die Menschheitsgeschichte erzählt – welche die Hoffnung des aufgeklärten Zeitalters, eine Versöhnung zwischen den Religionen möchte möglich sein, als eine freundliche Täuschung erscheinen lässt – erweist sich Heines Umgang mit den Traditionen des Judentums, seiner kulturbildenden Leistung und der daraus für den Dichter erwachsenden ästhetischen Faszination, nicht als Rekurs auf ein für seine Person und sein Werk identitätsstiftendes Paradigma, sondern als eine Reflexion über die Bedeutung, welche den Religionen an sich im Prozess der menschlichen Geschichte zukommt: „Oder ist die Religion überhaupt nur Vorwand, und die Menschen hassen sich, um sich zu hassen, wie sie sich lieben, um sich zu lieben?“ (HSA IX, 224)

4. Lyrik Lyriksammlungen

Heinrich Heines lyrisches Werk ist in fünf Gedichtsammlungen sowie zahlreichen Einzelpublikationen in Zeitschriften, Taschenbüchern und Almanachen erschienen. Im Jahr 1822 debütierte er mit dem Band Gedichte. In das 1827 veröffentlichte Buch der Lieder wurden diese frühen Gedichte ebenfalls aufgenommen, wie die Sammlung ohnehin seine in den ersten Schaffensjahren entstandenen und verstreut publizierten Dichtungen zusammenfasst und, zu fünf Zyklen arrangiert, zu einer formal wie inhaltlich geschlossenen Einheit verbindet. Die 1844, siebzehn Jahre später veröffentlichten Neuen Gedichte beinhalten ebenfalls fünf Zyklen und schließen mit dem für weitere Publikationen aus dem kompositorischen Zusammenhang des Bandes herausgelösten Versepos Deutschland. Ein Wintermährchen.

4. Lyrik

Die dritte Gedichtsammlung erschien unter dem Titel Romanzero im Jahr 1851 und umfasst drei Abteilungen. Drei Jahre später, 1854, veröffentlichte Heine schließlich im ersten Band der Vermischten Schriften seine letzte Sammlung, die Gedichte. 1853 und 1854. Bereits den Zeitgenossen galt Heine als der „unvergleichliche Sänger“ des Buches der Lieder, wie die Wiener Presse in einem im Todesjahr des Dichters erschienenen Nachruf formuliert. (auf der Horst/Singh 2002–2006 XII, 455) Der im Hamburger Verlag Hoffmann & Campe veröffentlichte Band, der erst einige Jahre nach seiner Publikation zu einem großen Publikumserfolg avancierte, wirkte schulbildend auf die Literatur der Zeit. In den Almanachen, Taschenbüchern, Zeitschriften und Lyrikanthologien, die den literarischen Markt der Restaurationsepoche maßgeblich bestimmten, finden sich zahlreiche Dichtungen, die den Ton und Gestus seiner Gedichte aufnehmen und nachzuahmen versuchen. Ebenso bedeutend für den wirkungsgeschichtlichen Erfolg des Bandes sind die Vertonungen, die in der geselligen Kultur der Biedermeierzeit rasche Verbreitung und Anerkennung fanden. Die Gedichte des frühen Heine sind in ihrer Bildlichkeit und formalen Struktur der Dichtungstradition der Romantik verpflichtet, die sie jedoch nicht epigonal fortschreiben, sondern auf eine ebenso neue wie originelle Weise weiterentwickeln. „Ich habe sehr früh schon das deutsche Volkslied auf mich einwirken lassen“, schreibt Heine in einem Brief an Wilhelm Müller aus dem Juni 1826 über diejenigen Impulse, die sein lyrisches Schaffen beeinflusst und geprägt haben, und fährt fort, „späterhin, als ich in Bonn studirte, hat mir August Schlegel viel metrische Geheimnisse aufgeschlossen“. (HSA XX, 250) Den Einfluss August Wilhelm Schlegels, bei dem er nach der Aufnahme seines Studiums an der Universität Bonn Vorlesungen hörte, betont Heine bereits in einem Schreiben an Friedrich von Beughem. (HSA XX, 25 f.) In diesem Brief aus dem Juli 1820 macht er darauf aufmerksam, dass er dem romantischen Schriftsteller und Shakespeare-Übersetzer vor allem in Bezug auf den kreativ-schöpferischen Umgang mit der Metrik zu Dank verpflichtet ist. (Bianchi 1983) Bei den Gedichten, von denen Heine dem Freund berichtet, handelt es sich um jene Werke, mit denen er im Jahr 1822 auf dem literarischen Markt debütierte. Bereits in diesen frühen Dichtungen ist der Einfluss des Volksliedes sichtbar, der, wie das zitierte Schreiben an Wilhelm Müller herausstellt, prägend für seine lyrische Sprache ist. Der unscharfe Begriff des Volksliedes meint – im Gegensatz zu dem Kunstlied – teils mündlich, teils schriftlich tradierte Lieder, deren Verfasser nicht namentlich überliefert sind und die in der Nachfolge der Sammlungen Johann Gottfried Herders (Volkslieder, 1778 f. und Stimmen der Völker in Liedern, 1807) vornehmlich in der Romantik als stilbildende Muster der lyrischen Ausdruckssprache rezipiert wurden, wie die in den Jahren 1806 bis 1808 von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellte Sammlung Des Knaben Wunderhorn und ihre Wirkung auf die Dichtung der Zeitgenossen dokumentiert. Neben der Gleichzeitigkeit von Pathos und Trivialität, dem Wechsel von melancholischen und heiteren Momenten, Sehnsuchtsmotiven, dem Verzicht auf Geschlossenheit und die Folgerichtigkeit eines oftmals nur angedeuteten Geschehens in balladesken Texten sowie dem Thema der unglück-

Das frühe lyrische Werk

Romantische Bildsprache

Volkslied und Volkston

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

lichen, unerwiderten oder aussichtslosen Liebe ist es vor allem der metrische Aufbau der Volkstondichtungen, den Heine in seinen Werken aufnimmt. Die in der Regel vierzeiligen Volksliedstrophen werden durch den Wechsel von kreuzgereimten Lang- und Kurzzeilen und das Alternieren von stumpfen und klingenden Kadenzen strukturiert. Indem Verse mit fester Hebungszahl und frei gefüllten Senkungen einander abwechseln, ist die auch von Johann Wolfgang von Goethe oder Joseph von Eichendorff verwandte Strophenform geeignet, die Anmutung des Volkstümlichen sowohl entstehen zu lassen als auch ironisch zu hinterfragen. Die oftmals jambisch geprägten Volksliedzeilen bieten zudem, aufgrund ihres melodiösen Gleichmaßes, eine ideale Voraussetzung für die Vertonung. In seinem Brief an Wilhelm Müller betont Heine deshalb, dass er nicht nur der Volksliedtradition, sondern auch ihrer künstlerischen Weiterentwicklung in der Dichtung der Romantik viel zu verdanken habe. Er schreibt an den Verfasser der Winterreise: […] aber ich glaube erst in Ihren Liedern den reinen Klang und die wahre Einfachheit, wonach ich immer strebte, gefunden zu haben. Wie rein, wie klar sind Ihre Lieder und sämmtlich sind es Volkslieder. In meinen Gedichten hingegen ist nur die Form einigermaßen volksthümlich, der Inhalt gehört der conventionnellen Gesellschaft. (HSA XX, 250)

Dichtungen einer Schwellenzeit

Damit zeigt sich bereits in seinen frühen Dichtungen, dass Heine den ihm eigenen, unverwechselbaren Ton in der bewussten Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition entwickelt hat. Seine lyrischen Werke stehen in der Nachfolge des seit dem Sturm und Drang die Poetik in Deutschland maßgeblich prägenden Stimmungsgedichtes und variieren den Volksliedton der Romantik, entwickeln aber ihre Eigenart, indem sie die zitierten Traditionen ironisch brechen. Heines Lyrik, beginnend mit den Gedichten des Jahres 1822 und endend mit den späten autobiografischen, bereits von Krankheit und Agonie bestimmten Werken der 1850er Jahre, zeichnet sich, wie seine Prosaschriften, durch prägnante Sprachbilder aus sowie durch die Eigenart, überraschende Sinnzusammenhänge zwischen weit entfernten Gegenstandsbereichen herzustellen. Scheinbar mühelos gelingt es dem Dichter, abstrakte Begriffe und Vorstellungen in erstaunlich einfache und treffende Bilder zu übertragen. Indem er zwischen Konkretem und Abstraktem einen Sinnzusammenhang stiftet, unterschiedliche Sprachbereiche miteinander konfrontiert und gegeneinander ausspielt, gelingt es ihm, einen Gedanken, eine Erkenntnis oder eine Beobachtung auf eine genaue und dennoch verblüffende Weise zu vermitteln. Diese eigentümliche Mischung aus tiefem Ernst, tragischem Pathos, beißendem Spott, ironischer Lust und satirischer Überzeichnung ist das Produkt einer literaturgeschichtlichen Schwellenzeit. Die Themen und Formen, aber auch die Bildlichkeit dessen, was seit dem Sturm und Drang als eine dem literarischen Schreiben angemessene Sprache galt, hatten sich spätestens mit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschöpft. Indem Heine die Schreibart und Metaphorik der späten Romantik ironisiert, vermag er sie noch einmal zu verwenden, gelingt es ihm, ihre gedankliche Tiefe in einem komplizierten, dialektischen Prozess im Spannungsfeld von Negation und Zitat noch einmal zu erreichen.

4. Lyrik

Diese ambivalente Haltung, die Heine mit ironischem Unterton inszeniert, spiegelt sich auch in der Entwicklung seines lyrischen Werkes nach der Veröffentlichung des Buches der Lieder. Denn mit den Neuen Gedichten, die im Jahr 1844 ebenfalls bei Hoffmann & Campe erschienen und die zu einem Teil bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren entstandene Werke zu einem geschlossenen, durchkomponierten Ganzen verbanden, provozierte er sein Publikum mit Dichtungen, die auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit Bezug nahmen. Zwar haben auch einzelne Gedichte des Buches der Lieder, etwa Die Grenadiere, eine zeitgeschichtliche Relevanz, in der neuen Sammlung wird der politische Anspruch jedoch unmittelbarer und provokanter formuliert. Zum einen reagiert Heine mit diesen Werken auf jene Bekenntnis- und Agitationsdichtungen, mit denen eine junge Generation von politisch engagierten Schriftstellern in den Jahren vor der Revolution von 1848 gegen die Restauration Position bezog. Im Gegensatz zu den Dichtungen von Georg Herwegh, Ferdinand Freiligrath oder August Heinrich Hoffmann von Fallersleben fehlt seinen Zeitgedichten deshalb eine konkrete politische Intention im Sinne einer eindeutigen programmatischen Parteinahme. Stattdessen betonen seine Gedichte, in der Nachfolge der Aufklärung, die allgemeine Notwendigkeit einer Emanzipation des Menschen von tradierten politischen und gesellschaftlichen Normen, die der freien Entfaltung seiner Individualität im Wege stehen. (Grab 1992) Dieses Humanitätsideal spiegelt sich nicht nur in den Liebesmotiven, die einerseits in der Nachfolge der Lyrik des Buches der Lieder zu verstehen sind und andererseits die Diskurse vornehmlich der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts über das emanzipatorische Ideal von Sinnlichkeit und Erotik fortschreiben, sondern auch in der expliziten Verweigerung gegenüber den Zielsetzungen der oppositionellen Dichtung seiner Zeitgenossen. Die programmatische Rhetorik und emphatischen Imperative dieser Dichtungen beantwortet Heine, indem er auf die Eigengesetzlichkeit der Kunst und ihre ästhetische Prägnanz verweist. Der Prozess einer Emanzipation von der feudalen Gesellschaftsordnung und die Teilhabe aller sozialen Schichten am politischen Diskurs, die eines der zentralen Themen der Neuen Gedichte darstellt, ist verbunden mit der Reflexion über die Dialektik der bereits spätzeitlich gewordenen Ästhetik des klassisch-romantischen Zeitalters und des Dichtungsverständnisses einer jüngeren Generation, die in der Literatur ein Mittel erkannte, den gesellschaftlichen Emanzipationsprozess zu befördern. Wiederholt hat Heine über diese, sein Schreiben wie die Wirkung seines Werkes wesentlich bestimmende Dichotomie von Autonomie und Heteronomie nachgedacht. So schreibt er in einem auf den 20. März 1843 datierten Artikel über die Musikalische Saison in Paris: Die wahrhaft großen Dichter haben von je die großen Interessen ihrer Zeit anders aufgefaßt als in gereimten Zeitungsartikeln, und sie haben sich wenig darum gekümmert wenn man sie des Aristokratismus beschuldigt, weil sie die Rohheit der knechtischen Menge abstieß. (HSA X, 189) In dem in der Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Bericht negiert er die Vorstellung einer Zweckbestimmung der Literatur, welche die ästhetischen Diskurse in Deutschland in den Jahren vor dem März 1848 dominiert hat,

Politische Lyrik der 1830er und 1840er Jahre

Autonomie und Heteronomie

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Das lyrische Spätwerk

und betont, im Sinne Friedrich Schillers, die Selbstbestimmung der Kunst als Mittel der Erziehung zur politischen Freiheit. Deutlich wird diese bereits in den ersten Jahren seines Pariser Aufenthaltes entwickelte Position nicht nur in den lyrischen Werken, sondern auch in der Vorrede zu der zweiten Auflage der Neuen Gedichte. Explizit nimmt Heine hier auch auf die nationalistische Tendenz der oppositionellen Bewegung Bezug, wenn er schreibt: „Pflanzt die schwarz-roth-goldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freyen Menschthums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben.“ (HSA II, 368) Die Dialektik von Kunstautonomie und -heteronomie, welche die Zeitgedichte bestimmt, prägt auch seine späte Lyrik. In den Gedichten des Romanzero und der Sammlung Gedichte. 1853 und 1854 wird die Frage, welchen Beitrag die Literatur in der Geschichte des Menschengeschlechts zu leisten vermag, jedoch von elegisch gefärbten Reflexionen über das historische Kontinuum von Zerfall und steter Wiederkehr des Gleichen überlagert. Die Skepsis gegenüber den politischen Entwicklungen in Deutschland, die bereits in den vor der Märzrevolution entstandenen Werken wiederholt thematisiert wird, geht nach dem Scheitern der europäischen Erhebungen des Jahres 1848 in eine tiefe und nachhaltige Resignation über. (Liedtke 2000) Die Balladen des Romanzeros wie auch der Rekurs auf jüdische Themen in den Hebräischen Melodien und den Gedichten. 1853 und 1854 sind Betrachtungen über den Kreislauf von Gewalt und Willkür, Streben und Scheitern, der die Geschichte des Menschen unausweichlich bestimmt. Heine stellt jedoch der Tragik des Seins Elemente des Komischen und Grotesken entgegen. Sowohl in den Bereichen des Reimes und der Metrik als auch der Metaphorik und Bildlichkeit gehen Humor und Ironie des Frühwerkes über in eine unbarmherzige Lustigkeit. Das Elend und der Glanz, der Ruhm und die Niederlage werden in den späten Gedichten in einer paradoxen Gleichzeitigkeit gezeigt, die dokumentiert, dass die sensualistisch-pantheistischen Hoffnungen seiner frühen Pariser Jahre einer existentiellen Ratlosigkeit gewichen sind. Bestimmt wird diese Grundtendenz der späten Lyrik nicht nur von dem Scheitern der Revolution von 1848, sondern auch von der Krankheit und dem Leiden, die den Dichter in den letzten acht Jahren seines Lebens an das Krankenlager fesselten. Individuelles und kollektives Erleben fallen in diesen Gedichten in eins und gerinnen in Bildern und Metaphern, die in der Sprache der deutschen Dichtung ebenso neu wie verstörend sind. Der Idealismus des klassisch-romantischen Zeitalters wird in diesen Werken bereits von Momenten der Verfremdung und Elementen einer spezifisch modernen Ästhetik des Hässlichen überformt und in der Konsequenz abgelöst. (Pistiak 1999) Diese, die Zeitgenossen befremdende Bildsprache ist jedoch nicht nur eine Reaktion auf die eigene Krankheit und das neuerliche Abgleiten seiner deutschen Heimat in Restauration und Nationalismus, sondern auch ein notwendiger Reflex auf die fortschreitende Industrialisierung und den damit einhergehenden tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel. Der „Dampfwagen der Eisenbahn giebt uns eine zittrige Gemüthserschüttrung, wobey kein Lied aufgehen kann, der Kohlendampf verscheucht die Sangesvögel und der Gasbeleuchtungsgestank verdirbt die duftige Mondnacht“, schreibt Heine in einer im Nachlass überlieferten Prosanotiz. (HSA XII, 203)

4. Lyrik

Wenngleich das lyrische Werk Heines sich durch ein vielfältiges Repertoire an Formen und Bildern, Themen und Metaphern auszeichnet, wenngleich lebensgeschichtliche Erfahrungen, wie die Übersiedlung nach Frankreich oder die langjährige Krankheit ebenso ihren Einfluss auf die Entwicklung seiner Sprache und Ästhetik genommen haben, wie die politischen und ökonomischen Diskurse der Zeit, sind seine Gedichte von einer grundlegenden geistigen Kontinuität bestimmt. Bereits in der Vorrede zur zweiten Auflage des Buches der Lieder aus dem Frühjahr 1837 schreibt Heine in diesem Sinne: „Bemerken muß ich jedoch, daß meine poetischen, eben so gut wie meine politischen, theologischen und philosophischen Schriften, einem und demselben Gedanken entsprossen sind, und daß man die einen nicht verdammen darf, ohne den andern allen Beifall zu entziehen.“ (HSA I, 9) Das Ironische und Sentimentale, das Ambivalente und Dissonante, die Emphase und der Pessimismus betonen stets die Autonomie des Individuums, die ein unveräußerliches Gut ist, welches es sowohl vor dem Zugriff der Gesellschaft wie vor der Agonie des eigenen körperlichen Leidens zu bewahren gilt.

5. Versepen Die beiden zu Beginn der 1840er Jahre entstandenen zeitkritischen Versdichtungen Atta Troll. Ein Sommernachtstraum und Deutschland. Ein Wintermährchen stehen literaturgeschichtlich in der Tradition des Epos, das bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts als die höchste und vornehmste unter den drei Gattungen galt. Obwohl Heine auf seine im Herbst des Jahres 1843 unternommene Deutschlandreise anspielend das Wintermährchen als „versifizirte Reisebilder“ charakterisiert hat (HSA XXII, 96), kann nicht übersehen werden, dass gerade dieses Werk sowohl formal als auch thematisch Bezug nimmt auf jene Debatten um das Epos, die in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert geführt worden sind. Im Kontext des von Johann Gottfried Herder entwickelten Konzeptes nationaler Literaturen wurde seit der Mitte des aufgeklärten Jahrhunderts die Notwendigkeit eines Nationalepos als eines patriotischen Identifikationsmusters nach dem Vorbild der Ilias für Griechenland, der Aeneis für Rom, des Rolandsliedes für Frankreich und des Beowulfs für England von deutschen Schriftstellern erörtert. Das von dem Schweizer Schriftsteller und Literaturtheoretiker Johann Jakob Bodmer 1757 unter dem Titel Chriemhilden Rache neuzeitlich erstmals edierte Nibelungenlied galt in den Anfängen dieser Diskussionen als ebenso identitätsstiftend wie das zwischen 1748 und 1780 veröffentlichte empfindsam-religiöse Versepos Der Messias. Ein Heldengedicht von Friedrich Gottlieb Klopstock. In der Folge der Besetzung deutscher Staaten durch die französischen Revolutionstruppen und in der Konsequenz eines erwachenden Nationalismus im Zeitalter der Befreiungskriege behielt die Diskussion bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts ihre signifikante literarische und politische Aktualität. Indem Werke wie die Luisaden (1572) des portugiesischen Dichters Luís de Camões, die im Kontext der romantischen Auseinandersetzung mit den Literaturen katholischer Länder ins Deutsche übertragen worden sind, den historischen Aufstieg des eigenen Volkes reflektieren, ermöglichte die

Debatte um ein deutsches Nationalepos

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Kontrafaktur des heroischen Epos

Komische Epen

in den Feuilletons der Zeitschriften und Journale der Zeit ausgetragene Debatte zudem, indirekt die Situation in den von der restaurativen Politik des Fürsten Metternich dominierten Partikularstaaten des Deutschen Bundes zu thematisieren, ohne deshalb Gefahr zu laufen, von den staatlichen Behörden zensiert zu werden. Vor dem Hintergrund dieses gattungsgeschichtlichen Diskurses ist bereits der Zusatz „Deutschland“ im Titel des Wintermährchens als ein Verweis auf die Debatten um ein deutsches Nationalepos zu lesen. Heines Werk zielte jedoch darauf, die auf diese Weise geweckte Erwartungshaltung seiner zeitgenössischen Leser zu unterlaufen. Denn die Reise durch das winterliche Deutschland im Jahr 1843 ist eine Kontrafaktur der Bildlichkeit und Sprache des heroischen Epos und damit ein ironischer Kommentar zu der ebenso ernsthaft wie engagiert geführten Debatte um eine den Aufstieg und das Werden der deutschen Nation panegyrisch feiernde Dichtung. (Peters 1995) Dies zeigt sich in besonderer Weise im Bereich der Endreime, mit denen es Heine gelingt, witzige Pointen zu erzeugen und hintergründige Bezüge herzustellen. So reimt er „Tieck“ auf „Romantik“, „Mönchen“ auf das durch den Diminutiv ohnehin ironisch überformte „Denunziaziönchen“, „Französchen“ auf „Höschen“, „Strohwisch“ auf „philosophisch“, „Preußisch“ auf „Beychais’“, „Schakalen“ auf „Journalen“ oder „Gotte“ auf „Sprotte“. Diese anarchisch-assoziative Konjunktion von Begriffen aus unterschiedlichen Bereichen und Stilebenen, vor allem aber die regellos-spielerische Zusammenstellung von Bildern, die in dem Verständnis der klassisch-romantischen Poetik – welche das ästhetische Urteil weiter Leserschichten bis in das 20. Jahrhundert prägen sollte – für den Bereich der hohen Literatur als unangemessen galten, wirkte ebenso verstörend wie provozierend. Heine hinterfragte auf diese Weise nicht nur eine in seiner Zeit längst anachronistisch gewordene literarische Debatte. Er lieferte zugleich einen ironischen Beitrag zu der in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Gesellschaft in den Staaten des Deutschen Bundes prägenden Politik der Restauration. Durch den Zitatzusammenhang der literarischen Tradition entsteht nicht nur der zeitkritische Impuls des Wintermährchens. Auch in einem anderen Werk, dem Versepos Atta Troll. Ein Sommernachtstraum, spielt Heine mit den überlieferten Formen und Inhalten der Gattung. Während jedoch das Wintermährchen in der Nachfolge des nationalen Epos und seiner Weiterentwicklungen zu verstehen ist, zitiert der Sommernachtstraum jene Verserzählungen, komischen Epen und Epentravestieen, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus dem Impuls einer Abkehr von den epischen Großformen herausgebildet haben. (Robertson 2000) Als literaturgeschichtliche Muster, auf die Heines Dichtung sowohl indirekt als auch ganz unmittelbar rekurriert, sind in diesem Zusammenhang nicht nur Das Chorpult (1674) des Franzosen Nicolas Boileau-Despréaux oder die Abentheuer des frommen Helden Aeneas (1783) des österreichischen Dichters Alois Blumauer zu nennen, sondern auch diejenigen Werke, die in der Nachfolge der komischen Epen Christoph Martin Wielands oder der hintergründig-humoristischen Fabeln und Erzählungen (1746–1748) von Christian Fürchtegott Gellert in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden sind und Verbreitung gefunden haben. Dass Heine den Sommernachtstraum bewusst in der Tradition dieser Dichtungen

5. Versepen

gelesen sehen wollte, zeigt sich bereits in der Titelfigur seines Werkes, dem Tanzbären Atta Troll, der an den Protagonisten aus der Fabel von dem entlaufenen Tanzbären erinnert. (Woesler 1978) Gellert lässt den Bären, der hier als eine Figuration des Dichters auftritt, zu seinen Gefährten in den Wald zurückkehren, wo er jedoch von diesen aufgrund seiner in der Gefangenschaft erworbenen Kunstfertigkeiten verstoßen wird. Analog zu dem Werk des Leipziger Aufklärers, der in seiner Tierdichtung über ästhetische Fragen nachdenkt, setzt sich Heine in seinem Versepos ebenfalls mit den Möglichkeiten des Dichters und seiner Werke im Diskurs seiner Zeit auseinander. Der Sommernachtstraum und das Wintermährchen stehen jedoch nicht nur in einem Korrespondenzverhältnis mit den ihnen vorangegangenen epischen Dichtungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Werke wie die Idylle vom Bodensee von Eduard Mörike, die nur zwei Jahre nach dem Wintermährchen zur Herbstmesse 1846 erstveröffentlicht wurde, zeigen, dass Heine mit seinen Dichtungen die Zeitgenossen auch deshalb so nachhaltig zu provozieren vermochte, weil er zudem auf die Tradition idyllischer Kleinepen Bezug nahm, die in der Nachfolge von Johann Wolfgang von Goethes Hermann und Dorothea (1798) standen und zahlreichen bürgerlichen Lesern, denen in den Jahren nach dem Wiener Kongress die Teilhabe am politischen Diskurs verwehrt blieb, als Identifikationsmuster für ihren eigenen Rückzug in ein biedermeierlich-quietistisches Privatleben dienten. Die produktive Auseinandersetzung mit der literarischen Gattung des Epos, dessen gesellschaftliches und ästhetisches Ansehen mit dem Untergang einer von Adel und Klerus beherrschten Kultur und dem parallel verlaufenden Aufstieg bürgerlicher Schichten in den Jahrzehnten vor den revolutionären Erhebungen des Jahres 1848 sich ebenfalls im Niedergang befand, zeigt sich in Heines Schaffen zum letzten Mal in dem Fragment gebliebenen Werk Bimini. Die in den Jahren 1852 und 1853 begonnene Versdichtung spielt einerseits mit Elementen des Reiseepos und der Idylle, andererseits mit Bildern und stilistischen Anklängen an die Versepen des späten Christoph Martin Wieland. Die heiter-ironische, melancholisch-tiefgründige Dichtung, die in der Gleichzeitigkeit widerstreitender Tendenzen exemplarisch ist für die Spannungen und Dualismen, die Heines Werke von den frühesten Anfängen bestimmt haben, thematisiert die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Glücks. Heine verbindet hier noch einmal Momente des Wunderbaren (das in den theoretischen Diskursen des 18. Jahrhunderts als konstitutives Element des Epos aufgefasst worden ist) mit Reflexionen über die Poetologie und Metaphorik der Romantik. Die zu diesem Zeitpunkt bereits überkommene Gattung des Epos kommentiert in dieser Dichtung mit dem melancholischen Gestus der Vergeblichkeit ihre eigene Spätzeitlichkeit.

6. Reisebilder Die vier Bände der Reisebilder, die Heine in den Jahren 1826 bis 1831 im Hamburger Verlag Hoffmann & Campe erstveröffentlichte und die den jun-

Idyllische Kleinepen

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Reiseliteratur im 18. Jahrhundert

Didaktische Funktion

gen Schriftsteller zu einer ebenso geschätzten wie umstrittenen Größe auf dem deutschen Buchmarkt machten, stehen in einer langen Tradition der Reisebeschreibung in der europäischen Literatur und gehen zugleich, indem sie tradierte Konventionen der Gattung durchbrechen und eigene ästhetische Maßstäbe entwickeln, darüber hinaus. Radikal hinterfragen die Reisebilder die Tradition: Sie stellen dem geschlossenen Bericht einer Reise und der auf ihr gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten die anarchische Gleichzeitigkeit von Ernst und Spiel, von satirischen und ironischen Elementen, gedanklicher Tiefe und philosophischer Reflexion in fragmentarischer Form entgegen. Dies hat die Leser und Literaturkritiker der Zeit ebenso fasziniert wie verstört. (Anglade 1998) Zudem hat sie den Blick dafür verstellt, dass sich die Reisebilder zwar von den ihnen vorangegangenen Konventionen lösen, zugleich aber den vorläufigen Endpunkt einer Tradition der Reiseliteratur bilden, die mit der in der Aufklärung einsetzenden Emanzipation des Individuums begonnen hat. Indem seit den mittleren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts Reisebeschreibungen und -erzählungen künstlerisch gestaltet und die Anschauungen und Meinungen des reisenden Individuums mit der sachlichen Schilderung topografischer Gegebenheiten verbunden wurden, erlangte das Genre eine bis dahin beim Lesepublikum nicht erreichte Verbreitung. Vor dem Hintergrund der sich entfaltenden Genie-Ästhetik des Sturm und Drang spiegelt sich in den Reiseberichten die Individualität des Reisenden und umgekehrt wird die beschriebene Welt zum Spiegel des reisenden Subjektes. Diese ästhetische Entwicklung der Gattung ist zugleich Ausdruck einer sich in Folge der Aufklärung verändernden Gesellschaftsform: Das Primat der die europäische Geschichte bislang prägenden feudalen Ordnung wich der Dominanz einer bürgerlichen Kultur. Für die sich emanzipierenden bürgerlichen Schichten eröffnete sich die Möglichkeit, auf Reisen Bildung zu erlangen und hierdurch die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und auszubilden. Bereits in Johann Gottfried Herders Journal meiner Reise von Riga nach Frankreich im Jahr 1769 ist das Ziel der Reise nicht mehr die Kenntnis der objektiven, sondern die Entdeckung der subjektiven Welt, die Entfaltung der eigenen Individualität. Und Johann Wolfgang von Goethe verschränkt in seinen im Herbst 1779 entstandenen Briefen auf einer Reise nach dem Gotthard meteorologische und topografische Beobachtungen mit der Bildungsgeschichte des reisenden Ich. Wenn Friedrich Sengle über das erzählende Ich der Reisebilder sagt, es sei „keine durchgeführte Fiktion“, dann ist auch festzuhalten, dass die Identität von Erzähler und Autor bereits in der seit der Aufklärung akzentuierten subjektiven Tendenz der Gattung angelegt ist. (Sengle 1971–1980 III, 566) Neben der Bedeutung der Reiseliteratur, sowohl dem reisend Schreibenden wie dem lesend Reisenden Möglichkeiten zur Ausbildung seiner Persönlichkeit zu eröffnen, hatte die Gattung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der Tradition der seit der frühen Neuzeit verbreiteten wissenschaftlichen Reiseberichte, die Funktion, den Leser zu belehren, ihn über geografische, botanische, zoologische aber auch historische und politische Merkmale der bereisten Länder in Kenntnis zu setzen. Im Sinne der Aufklärung hatte die Reisebeschreibung somit auch eine didaktische Funktion: Die vermittelten Kenntnisse und Einsichten brachten dem Leser einen

6. Reisebilder

theoretischen wie praktischen Nutzen und wurden, nicht zuletzt auch aus diesem Grunde, auf eine unterhaltsame Weise vermittelt. Heines Reiseprosa zielt zwar nicht auf die Vermittlung positiven Wissens, gleichwohl verfolgen die Beobachtungen und Phantasien, die philosophischen und zeitkritischen Reflexionen, die Träume, Parodien und lyrischen Einschübe die Absicht, das politische Bewusstsein des Lesers zu verändern. Für den Verfasser wie den Leser von Reiseberichten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war ebenfalls bedeutsam, dass die Schilderungen des Fremden, bislang Unbekannten auch als indirekte, zumeist zeit- und kulturkritische Kommentare zu den Verhältnissen in der Heimat verstanden werden konnten. So sind Georg Forsters Aufzeichnungen seiner gemeinsam mit Alexander von Humboldt unternommenen Reise, die er unter dem Titel Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Junius 1790 im Jahr 1791 in Berlin veröffentlichte, auch als Reflexion über die Auswirkungen der Französischen Revolution auf die politischen Verhältnisse in Deutschland wie in Europa zu lesen. Das Widersprüchliche und Unabgeschlossene dieses Reiseberichtes korrespondiert mit der die feudale Gesellschaftsordnung in Frage stellenden Erhebung des Jahres 1789 und macht die Beobachtungen und Erfahrungen der Reise zu einem Rahmen für geschichtsphilosophische Betrachtungen. Forsters Reisebericht instrumentalisiert die Gattung als ein Medium seiner über die Literatur hinausweisenden politischen Anliegen und bereitet damit die in den Reisebildern sich entfaltende Schreibart vor, die in Anlehnung an diese Traditionen als nationalpädagogisch charakterisiert werden kann. Diese Tendenz zeigt sich auch in Berichten deutscher Schriftsteller über Reisen durch die Partikularstaaten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. So referiert Friedrich Nicolais Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781 im Stil der Reisehandbücher der Zeit aus anderen Reisebeschreibungen, Zeitschriften und Enzyklopädien zusammengetragene Fakten über die besuchten Städte und Landschaften und polemisiert zugleich gegen die Zeitverhältnisse, vor allem gegen die religiösen Normen, welche – wie Nicolai auch in seinen publizistischen Schriften betont – die Gewissensfreiheit des Einzelnen einschränken. Und die Reise nach Braunschweig, die Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr von Knigge 1792 publizierte, zeichnet sich durch eine latent ironische Schreibart aus, welche die Beschreibung von Sehenswürdigkeiten und regionalen Besonderheiten in den Hintergrund treten lässt und die Rückständigkeit Deutschlands im Sinne eines zeitkritischen Panoramas aufzeigt. Heines Verbindung von Reisebeschreibung, Ironie und Polemik, die bereits in den Briefen aus Berlin zu beobachten ist, ist somit auch als Rekurs auf diese in deutschen Reiseberichten der Aufklärung vorgebildeten Tendenzen zu verstehen. Diese politische und gesellschaftliche Relevanz der Gattung, die in der Aufklärung entwickelt und im Kontext der Emanzipationsbewegung der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts erneut akzentuiert wurde, war bereits in den fiktionalen Reiseromanen und -erzählungen seit der frühen Neuzeit angelegt. Daniel Defoes Das Leben und die seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe, eines Seemanns aus York (1719) oder Johann Gottfried

Zeit- und kulturkritische Funktion

Reiseromane und -erzählungen

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Soziale und politische Funktion

Goethes Italienreise

Reiseliteratur der Romantik

Schnabels Insel Felsenburg (1731–1743) nutzten den Rahmen einer Reise, um im Spiegel eines utopischen Gesellschaftsentwurfes die gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer Gegenwart zu hinterfragen. Die Tradition dieser fiktiven Reiseerzählungen wurde im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts in Jonathan Swifts Reisen in verschiedene ferne Länder der Erde. Von Lemuel Gulliver (1726), Ludvig Holbergs Niels Klims unterirdische Reise (1741) oder Voltaires Candide oder Der Optimismus (1759) fortgeführt. Zusammen mit empfindsamen Reisen, wie Lawrence Sternes Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Von Mr. Yorick (1768), Johann Timotheus Hermes’ Sophiens Reise von Memel nach Sachsen (1769–1773) oder Moritz August von Thümmels Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich im Jahr 1785–1786, in welchen Reiseerlebnisse als Hintergrund empfindsamer oder moralischer Reflexionen dienten, bilden sie die Tradition, in der die Genese des neuen Genres literarischer Reiseberichte mit sozialem und politischen Anspruch zu verstehen ist. So lenkt bereits Johann Gottfried Seumes Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 die Aufmerksamkeit des Lesers nicht auf die römischen Altertümer, sondern auf die politischen und sozialen Verhältnisse Italiens nach den napoleonischen Feldzügen. Indem Heine, von der Harzreise bis zu den Englischen Fragmenten, zwischen publizistischem Engagement und philosophischer Reflexion alternierend, die historische Notwendigkeit einer politischen Emanzipation thematisiert, zitiert er auch die Tradition der Reiseliteratur, welche die Gattung von der Anbindung an die Beschreibung geografischer und kulturhistorischer Erscheinungen löste und zu einem Medium philosophischer, moralischer oder zeitkritischer Reflexionen machte. Parallel hierzu entwickelte sich im späten 18. Jahrhundert unter dem Einfluss der Schriften Johann Joachim Winckelmanns sowie der Tradition der wissenschaftlichen Reisebeschreibung die Reiseliteratur der Klassik. Goethes Italiänische Reise (1816–1817) verbindet Beschreibungen kulturgeschichtlich bedeutsamer Stätten der römischen Antike mit eigenen Beobachtungen und Betrachtungen zu einer Programmschrift der klassischen Ästhetik. Die Reise dient als Hintergrund einer über die topografische Beschreibung hinausweisenden Reflexion, deren zentrales Moment das Bildungserlebnis des Künstlers ist. Heine hinterfragt in seinen italienischen Reisebildern zwar Goethes Werk, das die Entwicklung der Reiseberichte über Italien paradigmatisch geprägt hat, bleibt aber gleichwohl durch Parodie und Kontrafaktur auf Goethe bezogen. In der Romantik verliert der Reisebericht als Gattung an Bedeutung. Die romantische Poetik akzentuiert zwar das Motiv der Reise, allerdings als ein fiktives Geschehen. Das Wandern, als zentrales Motiv der Flucht vor der Enge der bürgerlichen Welt, verbindet sich in Ludwig Tiecks Franz Sternbalds Wanderungen (1798) oder Joseph von Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts (1832) mit aus der empfindsamen Tradition übernommenen Sehnsuchtstopoi, die, vornehmlich in den lyrischen Werken der Epoche, Motive des wehmütigen Abschieds thematisieren. Die Romantik versteht die Reise als Weltfahrt wie als Weltflucht, wobei der Ausbruch aus den Konventionen und Normen der bürgerlichen Welt auf eine für die Epoche charakteristisch paradoxe Weise dem aufklärerischen Gedanken einer Emanzipation des Individuums verpflichtet bleibt. Vor allem in den frühen

6. Reisebilder

Reisebildern greift Heine diese Motive auf, überträgt sie ironisch überzeichnet aus der Vergangenheit in eine eigene Bildsprache und erneuert in der Negation ihr wirkungsästhetisches Potential für die Gegenwart. Die Reisebilder stehen nicht nur unter dem Einfluss dieser seit der Aufklärung vollzogenen Entwicklungen des Genres, vielmehr sind sie durch ein Nebeneinander dieser, lediglich aus der Retrospektive der Literaturgeschichtsschreibung poetologisch wie programmatisch distinkten, Traditionen gekennzeichnet. Die kontroversen Diskussionen, welche die Reisebilder in den Feuilletons der deutschen Kulturzeitschriften auslösten, und der Erfolg, den sie auf dem literarischen Markt hatten – wie die Neuauflagen aller vier Bände der Sammlung bis zum Todesjahr des Dichters und darüber hinaus belegen –, basieren nicht nur auf der geschickten Vermarktungsstrategie Julius Campes und der Popularität des Genres an sich, sondern darauf, dass Heine, die unterschiedlichen Tendenzen und Traditionen der Gattung miteinander verbindend, einen neuen Typ der Reiseliteratur schuf. Erste Hinweise auf ein mehrbändiges Werk, das die in der ersten Hälfte der 1820er Jahre entstandenen lyrischen und prosaischen Arbeiten, die zu einem großen Teil als verstreute Zeitschriftendrucke erschienen waren, in Buchform zusammenfassen sollte, finden sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1825. In einem auf den 19. Dezember 1825 datierten Brief aus Hamburg berichtete Heine dem Berliner Freund Moses Moser von einem mehrbändigen „Wanderbuch“, das er plane. (HSA XX, 228) Der zu diesem Zeitpunkt verwandte Titel verweist zum einen auf die ältere Tradition der Bücher, die „früher die wandernden handwerksburschen bei sich tragen muszten und in das zeugnisse und polizeiliche bescheinigungen geschrieben wurden“, wie das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm definiert – eine Tradition, auf die Heine auch in der Begegnung „mit einem reisenden Handwerksburschen“ (HSA V, 14) in der Harzreise verweist und die zugleich die romantische Stilisierung des Wanderns als Weltfahrt anklingen lässt. Zum anderen bezeichnet der Begriff die seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten Reisehandbücher, die, in einer Epoche des Übergangs von der Grand tour und der Badereise des Adels zu dem bürgerlichen Phänomen des Tourismus, auf Reisen gewonnene Erkenntnisse und Erfahrungen in Form eines Reiseführers zusammenfassten und damit im Geist der Aufklärung anderen Menschen nützlich werden ließen. Auf seinen Reisen durch Deutschland, England und Italien hat Heine wiederholt auf solche Werke Bezug genommen. Bereits in dem angeführten Schreiben an Moses Moser verwendet Heine den von ihm geprägten Begriff „Reisebilder“ (HSA XX, 229), der Ende Januar 1826, nach dem ersten Zusammentreffen mit dem Verleger Julius Campe, zum Titel der gesamten Reihe werden sollte. Das von Heine eingeführte Kompositum charakterisiert die inhaltliche Struktur der Sammlung sehr präzise, indem die erste Konstituente die Erwartungshaltung des Lesers auf die Tradition der Werke lenkt, die auf Reisen gewonnene Einsichten literarisch verarbeiten, während die zweite bereits auf das Episodische und Unabgeschlossen-Fragmentarische der Erzähleinheiten verweist. Auch zeichnet sich bereits in diesem frühen Entwurf das für die ersten beiden Bände der Reisebilder charakteristische Nebeneinander von Lyrik

Reisebilder als neue Gattung

Entstehungsgeschichte der Reisebilder

Nebeneinander von Lyrik und Prosa

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Poetik des Zitats

und Prosa ab. Analog zu dem Kompositionsprinzip der einzelnen Werke bilden die Reisebilder-Bände eine Sammlung unterschiedlicher Texte und Gattungen. Während die besuchten Landschaften und Länder mit ihren jeweils spezifischen Eigenheiten für Heine nur einen äußeren Rahmen bilden, der es ermöglicht, ästhetische, politische, persönliche und historische Anschauungen in assoziativer Weise miteinander zu verknüpfen, und die Zusammenstellung dieser Bilder bezogen auf die thematisierten Inhalte und verwandten Gattungen nicht minder heterogen ist, werden die Reisebilder nicht nur durch die Satire, wie Ronald Schneider konstatiert, den Gedanken der Emanzipation, wie Gerhard Höhn herausstellt, und das Paradigma der Bewegung, wie Bernd Kortländer betont, zu einer Einheit. (Schneider 1975, 14; Höhn 2004, 186 f.; Kortländer 2003, 145 f.) Indem Heine die seit den mittleren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts entwickelten Formen der Reiseliteratur in seine Texte integriert, sie zitiert oder parodierend hinterfragt, entsteht ein komplexes Geflecht intertextueller Bezüge. Während die Reiseprosa der Aufklärung, wie zahlreiche Gattungen der Epoche, voraussetzungslos ist, weil sie das pädagogische Ziel verfolgt, den Leser zu belehren, Kenntnisse und Einsichten zu vermitteln und ihn zu bilden, erfordert die Lektüre der Reisebilder die Kenntnis der ihnen vorausgegangenen Werke des Genres. Somit korrespondiert das die Bände kennzeichnende Nebeneinander verschiedener Inhalte und Gattungen mit dem Nebeneinander unterschiedlicher Traditionen. Die durch das Zitat akzentuierte Gleichzeitigkeit ist jedoch nicht im Sinne einer postmodernen Gleichwertigkeit der Diskurse zu verstehen: Analog zu dem Anspruch der Aufklärung, die Emanzipation des Menschen durch Kritik zu befördern, eröffnen die Reisebilder, indem sie Traditionen adaptieren, transformieren und implizit kommentieren, dem Autor wie dem Leser die Möglichkeit, sich von den ästhetischen und programmatischen Paradigmen des literarischen Diskurses der Zeit zu befreien. Wenn Heine nach der Veröffentlichung des ersten Bandes in einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense vom 24. Oktober 1826 betont, „dieses Alles schreib ich Ihnen aus der ganz besondern Absicht, damit Sie sehen wie es mir ein Leichtes ist im 2ten Theil der Reisebilder Alles einzuweben, was ich will“, so spiegelt dies auch das Bewusstsein einer neugewonnenen Autonomie wider. (HSA XX, S. 272) Der Brief an Varnhagen belegt ferner, dass die äußere Form des von Heine erschaffenen Genres zugleich mit seinem Inhalt korrespondiert. In diesem Sinne schreibt Heine in einem Entwurf des Préface zur zweiten Auflage der Tableaux de voyage aus der Retrospektive des Jahres 1855: In dieser Beziehung ward es auch Prototyp einer Denk- und Schreibweise, die bey dem Autor erst einige Jahre später ganz zur Entwicklung kam […]. Dieser Autor bin ich selbst und ich rede von den Reisebildern, die in der That wie ein Gewitter einschlugen in die Zeit der Fäulniß und Trauer. (HSA XIV, 217) Die Publikationsform der Reisebilder eröffnet die Möglichkeit, unterschiedlichen Gattungen und verschiedenen entstehungsgeschichtlichen Kontexten zuzuordnende Werke zusammenzustellen und zu einem Gesamtwerk zu formen, dessen einzelne Teile in einem Korrespondenzverhältnis zueinan-

6. Reisebilder

der stehen. Die zeitgenössische Literaturkritik hob hervor, dass Heine sich damit von der paradigmatischen Vorstellung der Geschlossenheit des Kunstwerkes emanzipierte, welche von der klassischen Ästhetik postuliert worden war und über die Romantik bis in seine Gegenwart nachwirkte. Indem jedoch die Intertextualität die Einheit der Reisebilder und ihre künstlerische Autonomie konstituiert, findet Heine in der Dekonstruktion ästhetischer Paradigmen zurück zu einem integralen Kunstwerk. Dieser Zitatzusammenhang der Reisebilder ist vor dem Hintergrund der literaturgeschichtlichen Entwicklungen ihrer Entstehungszeit zu verstehen: Indem die Klassik auf die Antike als ästhetisches Paradigma verweist und die Romantik auf das Mittelalter, sind die den literarischen Diskurs der zwanziger Jahre prägenden Strömungen auf die Vergangenheit bezogen und stellen der Wirklichkeit die synthetische Vorstellung einer idealen Kunst kontrapunktisch gegenüber. In dem Zitat einer Tradition, die durch das Zitat einer anderen als Zitat dekuvriert wird, in der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher literarischer Ausdrucksformen, die sich gegenseitig aufheben, wird dem gegenüber in den Reisebildern die Gegenwart zum Paradigma der Literatur. Wenn die Erscheinungen der Zeit im Sinne Georg Wilhelm Friedrich Hegels Manifestationen eines historischen Bewusstseinszustandes sind, dann muss die Kunst, sofern sie den Anspruch gesellschaftlicher Relevanz erhebt, ein Spiegel dieser Erscheinungen sein. Die Reisebilder lösen diesen Anspruch ein, indem sie die literarischen und politischen Entwicklungen der Restaurationsepoche kritisch thematisieren und indem sie durch Kompositionsstruktur und Metatextualität die Pluralität der Diskurse ihrer Epoche kommentieren, ohne ihre künstlerische Autonomie zu veräußern. (Pabel 1977; Stein 1997)

7. Feuilletons und Tagesberichte Die ersten Werke, mit denen Heinrich Heine in den frühen zwanziger Jahren sich dem Urteil der Leser stellte, erschienen in Zeitschriften; und bis in die letzte Phase seines Lebens – die „Matratzengruft“, in den Jahren von 1848 bis 1856 – hat der Dichter viele seiner lyrischen und prosaischen Arbeiten nicht in Buchform erstveröffentlicht, sondern zuerst in Zeitungen und Journalen erscheinen lassen. Diese Publikationsstrategie ist charakteristisch für den durch prozesshafte Verwerfungen gekennzeichneten literarischen Markt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: ein Markt, der durch die Einführung der Schnellpresse, die Ausdifferenzierung des Buch- und Kommissionsbuchhandels, die Gründung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und die endlich durchgesetzten Urheberrechte einerseits auf allen Ebenen einer zuvor nicht gekannten Professionalisierung entgegenging, andererseits durch Zensur und Einschränkung der Pressefreiheit, durch das in allen Ländern des Deutschen Bundes ständig drohende Verbot kritischer Publikationen, durch eine immer noch stark regional bestimmte Kultur und ein zahlenmäßig beschränktes Lesepublikum zahlreiche Schriftsteller in der Abhängigkeit eines Brotberufes festhielt. (Hohendahl 1985) Die mit Heine als „Junges Deutschland“ im Jahr 1835 mit einem Publikations-

Literarischer Markt

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes

Zeitschriftenredakteur in München

Kontakte zu französischen Zeitschriften

verbot belegten Autoren sind hierfür ein gutes Beispiel. So gab Karl Gutzkow den über viele Jahre einflussreichen Telegraph für Deutschland heraus, der spätere Intendant des Wiener Burgtheaters Heinrich Laube redigierte über längere Zeit die Zeitung für die elegante Welt und veröffentlichte, ebenso wie Theodor Mundt, eine Literaturgeschichte. Auch andere Schriftsteller – wie der Schicksalsdramatiker Adolf Müllner, der über Jahre gemeinsam mit Wolfgang Menzel das Literaturblatt zum Morgenblatt für gebildete Stände redigierte, oder Willibald Alexis (eigentl. Wilhelm Häring), der Mitredakteur des Berliner Conversations-Blattes war – verstanden die verschiedenartigen Bereiche ihres Engagements nicht als Gegensätze, sondern als komplementäre Aspekte ihres Schaffens. Diese Verschränkung von dichterischen, publizistischen und literarhistorischen Interessen spiegelt sich auch bei Heine, der nicht nur literarische Werke in Zeitschriften und Journalen veröffentlichte, sondern zeitweilig auch als Redakteur und Korrespondent tätig war. Als der junge Dichter, nur wenige Jahre nach dem Abschluss seines Jurastudiums und einigen vergeblichen Versuchen, eine bürgerliche Existenz aufzubauen, von dem Stuttgarter Verleger Johann Friedrich von Cotta im Jahr 1827 das Angebot bekam, gemeinsam mit Friedrich Ludwig Lindner die in München erscheinenden Neuen allgemeinen politischen Annalen als Redakteur zu betreuen, nahm er an. Auch wenn Heine nur bis zum Dezember des Folgejahres der journalistischen Tätigkeit in München nachging, blieb der Kontakt zu dem ebenso angesehenen wie erfolgreichen Verleger bestehen, denn als er im Mai 1831 – nach weiteren erfolglosen Bestrebungen, eine Anstellung im Staatsdienst zu erhalten – Deutschland verließ und nach Paris übersiedelte, berichtete er im Auftrag Cottas über die jährlich stattfindende Gemäldeausstellung im Salon Carré des Louvre. Diese Korrespondenzartikel, die Heine im Herbst 1831 im Morgenblatt für gebildete Stände veröffentlichte und die drei Jahre später unter dem Titel Französische Maler im ersten Band des Salon erschienen, waren die erste literarische Arbeit des Schriftstellers nach seiner Übersiedlung in die französische Hauptstadt. Ohnehin widmete sich Heine nach seinem Umzug nach Paris weitaus stärker der publizistischen Arbeit als während der Jahre, die er in Deutschland verbracht hatte. Bereits wenige Tage nach seiner Ankunft besuchte er die Redaktion der saint-simonistischen Zeitschrift Le Globe, um Kontakt mit dem Redakteur Michel Chevalier aufzunehmen. Und in den folgenden Jahren veröffentlichte er Feuilletons, Reisebilder und Gedichte in zahlreichen französischen Zeitschriften, so in der Revue des Deux Mondes, der Nouvelle Revue germanique, der Revue des Paris, in L’Europe littéraire, in späteren Jahren auch in La France littérraire, in der Revue et Gazette musicale de Paris, der Revue du dix-neuvième siècle und dem Journal des Débats. Diese intensive Hinwendung zur journalistischen Arbeit war einerseits notwendig, da diese Tätigkeit dem freien Berufsschriftsteller ein zwar unregelmäßiges aber gleichwohl sicheres Einkommen gewährleistete, so dass er nicht ausschließlich auf die Tantiemen seiner deutschen Publikationen und die finanzielle Unterstützung seiner Hamburger Familie angewiesen war. Andererseits zeigen seine Kontakte zur französischen Publizistik, dass er bereits zu Beginn seines Aufenthaltes in Paris darum bemüht war, sich auch in Frank-

7. Feuilletons und Tagesberichte

reich einen Namen als Schriftsteller zu machen. Nicht zuletzt ermöglichte das im Vergleich zu den restaurativen Zuständen in seiner deutschen Heimat liberale Klima während der Regierungszeit des Bürgerkönigs Louis-Philippe dem Dichter, auch solche Texte zu veröffentlichen, die in Deutschland von der Zensur unterdrückt worden wären oder zumindest nur eingeschränkt hätten veröffentlicht werden können. Schriften wie Die romantische Schule oder Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, die später unter dem programmatischen, dialektisch auf Germaine de Staëls gleichnamiges Werk bezogenen Titel De l’Allemagne zusammengefasst werden sollten, zeigen zudem das Bestreben, als deutscher Schriftsteller in Paris eine Vermittlerrolle zwischen der deutschen und der französischen Kultur einzunehmen. Dieses für die Einordnung und Deutung seines Gesamtwerkes zentrale Selbstverständnis spiegelt sich auch in den Schriften der dreißiger Jahre, die Heine für deutsche Zeitschriften über Frankreich verfasst hat. Hierzu zählen die bereits erwähnten Korrespondenzartikel über die Gemäldeausstellung des Jahres 1831 ebenso wie die Französischen Zustände und die Artikel Über die französische Bühne. Die Französischen Zustände erschienen in der Augsburger Allgemeinen Zeitung – eine ebenso verbreitete wie angesehene Zeitung, die wie das Morgenblatt für gebildete Stände zu dem Verlagshaus des Barons Johann Friedrich von Cotta gehörte. Das gute Verhältnis, das Heine mit dem Stuttgarter Verleger, aber auch mit Gustav Kolb, dem Redakteur der Zeitung, verband, war Grundlage einer zwar gelegentlich unterbrochenen, aber gleichwohl bis in die fünfziger Jahre fortgesetzten geschäftlichen Beziehung. Bereits im Herbst des Jahres 1831, während einer Begegnung in Paris, besprachen Kolb und Heine die Konzeption der Artikelserie, die in acht Fortsetzungen in der ersten Hälfte des Jahres 1832 erschien. Die Französischen Zustände sind das erste rein politische Werk Heines, was sich auch daran zeigt, dass der Schriftsteller bereits während der Niederschrift Rücksicht auf die schwierigen Verhältnisse in seiner deutschen Heimat nahm. So schrieb er am 21. April 1832 an den Baron Cotta: „sorgen Sie, daß mir an meinen Artikeln wenig verändert wird, sie kommen ja doch schon censirt aus meinem Kopfe.“ (HSA XXI, 35) Gleichwohl sah sich Gustav Kolb wiederholt gezwungen, vor Drucklegung in die Artikel einzugreifen. Und nach dem Erscheinen der achten Fortsetzung wurde die ursprünglich auf ein Dutzend Artikel angelegte Serie aus politischen Gründen eingestellt. Das dritte Werk, das Heine im Auftrag einer deutschen Zeitschrift über Frankreich verfasste, waren die Briefe Über die französische Bühne. Sie erschienen im Dezember 1837 in der Allgemeinen Theater-Revue. Das von August Lewald betreute Journal gehörte ebenfalls dem Stuttgarter Baron Cotta. Auch diese Artikelfolge Heines schließt an die früheren Berichte an: Wenngleich er im Sinne von Tageskorrespondenzen über das französische Theater seiner Zeit schreibt, sind seine essayistischen Texte Reflexionen über die Verschiedenheit der deutschen und französischen Bühnen, also ein erneuter Beitrag zu der von ihm programmatisch angestrebten Vermittlerrolle zwischen den beiden Nationen. Acht Jahre nach den Französischen Zuständen publizierte Heine ab 1840 erneut in der Allgemeinen Zeitung. Gustav Kolb wies den Schriftsteller in

De l’Allemagne

Französische Zustände

Über die französische Bühne

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IV. Gattungen, Formen und Aspekte des Werkes Korrespondenzberichte der 1840er Jahre

Paris in einem auf den 27. Februar 1840 datierten Brief darauf hin, dass einschlägig politische Korrespondenzen, wie bereits in den frühen dreißiger Jahren, Konflikte mit den Zensurbehörden heraufbeschwören würden: Dagegen wäre mir höchst erwünscht, wenn Sie uns mit einer Reihe Berichte über Kunst und Litteratur erfreuen wollten […]. Am liebsten wärn mir streng abgeschloßene Charakterbilder, Portraits, Gemälde in engem Rahmen, wo Sie die Person, den Gegenstand aus sich heraus erklären, von Innen jedem Zuge Leben geben, mit möglichster Vermeidung blos äußerlich hinzukommender Ketzereien. (HSA XXV, 245 f.) Mit den 82 Artikeln, die Heine bis zum Jahr 1848 an die Augsburger Redaktion übermittelte, kam er den Wünschen Kolbs jedoch nur bedingt nach: Er berichtete zwar vom gesellschaftlichen Leben, den Entwicklungen in Kunst, Musik und Literatur in der französischen Hauptstadt, über in der Zeit viel diskutierte Ereignisse wie die Eröffnung von Eisenbahnlinien, über Debatten des Parlaments und die französische Innen- und Außenpolitik. Gleichwohl spiegelt sich in vielen Artikeln ebenso das sozialrevolutionäre und politische Engagement Heines. Er schreibt über den Kommunismus, die bürgerliche Gesellschaft, die Industrialisierung, das Verhältnis von Staat und Kirche, über die Rolle der Religion und den Einfluss konkurrenzkapitalistischer Strukturen auf den Lebensalltag der Menschen. Wenngleich die Korrespondenzen der vierziger Jahre nicht durchgängig so politisch waren wie die acht Artikel, die ein Jahrzehnt zuvor erschienen waren, konnten viele von ihnen gar nicht oder nur in zensierter, d. h. gekürzter und abgemilderter Form veröffentlicht werden. So unterschiedlich die Themen auch waren, die Heine mit seinen Artikeln aufgriff, ist ihnen doch eines gemeinsam: Er lieferte nicht nur Berichte über das Leben in Frankreich, sondern nahm direkt oder indirekt stets auch Bezug auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in seiner deutschen Heimat. Dass er Paris als einen Ort verstanden hat, an dem sich die prozesshaften Entwicklungen, die Umbrüche und Verwerfungen der beginnenden Moderne in exemplarischer Weise aufzeigen lassen, wird auch in dem Vorhaben deutlich, das der zu diesem Zeitpunkt bereits kranke Dichter zu Beginn der fünfziger Jahre verfolgte. (Lämke 1997) Er ließ sich von Gustav Kolb sämtliche im Druck erschienenen Korrespondenzen übermitteln und ordnete sie gemeinsam mit den ihm verbliebenen Brouillons und handschriftlichen Entwurfsfassungen zu einem Werk, das er Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben betitelte. Dass Heinrich Heine seine journalistischen Arbeiten sowohl in den dreißiger als auch in den vierziger Jahren in Buchform gebracht hat, dokumentiert, dass er diese Schriften nicht als bloße Feuilletons und Tagesberichte, sondern als integrale Bestandteile seines literarischen Werkes verstanden wissen wollte. Dieser inhaltliche Anspruch kommt auch in ihrer sprachkünstlerischen Gestaltung zum Ausdruck. Wie in seinen Dichtungen verbindet er unterschiedliche Stilebenen, spielt mit ungewöhnlichen Analogien, changiert zwischen kühlen und prägnanten Bildern und einem hintergründig-ironischen Pathos. (Schnell 1999) Eine Qualität aber seiner journalistischen Arbeiten ist für den heutigen Leser kaum mehr erkennbar: Deutlich unterscheidet sich seine literarisch gebildete und stilistisch ausgefeilte

7. Feuilletons und Tagesberichte

Schreibart von den platten, unausgereiften und schlecht formulierten, zu spaltenübergreifenden Satzungetümen akkumulierten, zumeist epigonalen Gedanken und Meinungen zahlreicher Skribenten, die heute zwar vergessen sind, aber die Feuilletons der Zeit gleichwohl dominierten.

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V. Einzelanalysen 1. Almansor. Eine Tragödie Autobiografischer Hintergrund

Die Tragödie Almansor, die in den Jahren 1820 und 1821 in Bonn und Göttingen aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Vertreibung der Mauren aus Spanien im Spätmittelalter entstanden ist, ist als ein Werk gelesen worden, in dem der junge Heine die aus seiner jüdischen Abstammung im Umfeld einer christlichen Mehrheitsgesellschaft herrührenden Erfahrungen, in ein historisches Gewand gekleidet, thematisiert. (Hinck 2004) In diesem Sinne bekennt er, noch während der Arbeit an den ersten Akten des Bühnenwerkes, im Oktober 1820 gegenüber dem Bonner Studienfreund Friedrich Steinmann: „In diesem Stücke habe ich mein eignes Selbst hineingeworfen, mit sammt meinen Paradoxyen, meiner Weisheit, meiner Liebe, meinem Hasse und meiner ganzen Verrücktheit.“ (HSA XX, 29) Gleichwohl lehnte der Dichter die Deutung des Werkes als bloßes Schlüsseldrama und Zeitstück ab. So erklärt er seinem Schwager Moritz Embden in Hamburg: Sie lesen in diesem Buche wie Menschen untergehn und Geschlechter, und wie dennoch dieser Untergang von einer höheren Nothwendigkeit bedingt und von der Vorsehung zu großen Zwecken beabsichtigt wird. Der ächte Dichter giebt nicht die Geschichte seiner eigenen Zeit sondern aller Zeiten, und darum ist ein ächtes Gedicht auch immer der Spiegel jeder Gegenwarth. (HSA XX, 82)

Literarhistorischer Kontext

Inhalt

Der Schriftsteller selbst betont jedoch die geschichtsphilosophische Dimension des Bühnengeschehens und verweist auf jene Religionstragödien, vor deren literarhistorischem Hintergrund seine Dichtung ebenfalls zu deuten ist. So haben bereits William Shakespeare mit dem Kaufmann von Venedig (1600) und Voltaire mit der Tragödie Zaïre (1732) das Gewalt- und Zerstörungspotential der Religionen thematisiert, während Gotthold Ephraim Lessing in Nathan der Weise (1779), mit dem Optimismus der Aufklärung, die Frage aufgeworfen hat, ob es nicht möglich sei, dass Menschen – trotz unterschiedlicher religiöser und kultureller Traditionen – einander vorurteilsfrei und tolerant begegnen möchten. Der Toleranzgedanke, den der von Heine geschätzte und vielfach zitierte Aufklärer Lessing in der Ringparabel in ein bis in die Gegenwart gültiges Bild gekleidet hat, erscheint in der düsteren Geschichte Almansors und Zuleimas als eine jener schönen Illusionen des aufgeklärten Zeitalters, die Heine einmal mit der ihm eigenen melancholischen Ironie als rosige „Morgenträume des achtzehnten Jahrhunderts“ charakterisiert hat. (HSA XXIII, 181) Nach dem Sieg der katholischen Könige und der Vertreibung der Mauren aus Spanien kehrt Almansor in das Land seiner Väter zurück. Verkleidet schleicht er des Nachts durch das zerstörte Schloss seiner Familie und be-

1. Almansor. Eine Tragödie

gegnet dort einer versprengten Schar bewaffneter Mauren, die, angeführt von seinem früheren Diener Hassan, gegen die siegreiche Reconquista einen ebenso verzweifelten wie aussichtslosen Kampf führen. Almansors eigentliches Ziel aber ist das Wiedersehen mit Zuleima, seiner Verlobten. Gemeinsam mit ihrem Vater Aly ist sie im Land geblieben, hat ihrem alten Glauben abgeschworen, sich taufen lassen und den christlichen Namen Clara angenommen. Da sie annehmen muss, Almansor sei in der Fremde gestorben, hat sie sich zwischenzeitlich dem christlichen Ritter Don Enrique versprochen. Als der tot geglaubte Almansor am Vorabend ihrer Hochzeit in ihren Gemächern erscheint, bekennt sie dem Zurückgekehrten zwar ihre unveränderten Gefühle, betont aber zugleich die zwischen ihnen eingetretene Entfremdung durch ihre Konversion zum Christentum. Almansor und Hassan beschließen daraufhin, Zuleima noch vor der Trauungszeremonie zu entführen. Die Ausführung des Plans misslingt allerdings: Auf ihrer Flucht werden sie von Aly bedrängt, auf einem Felsvorsprung glaubt Almansor schließlich sich in einer ausweglosen Situation und stürzt gemeinsam mit Zuleima in die Tiefe. Die Liebenden wissen nicht, dass sie unmittelbar nach der Geburt von ihren Eltern als Zeichen unverbrüchlicher Verbundenheit der Familien vertauscht und sich gegenseitig versprochen worden sind. Almansor ist also der Sohn Alys und Zuleima die Tochter der auf der Flucht gestorbenen Pflegeeltern Almansors. Beide können deshalb auch nicht wissen, dass Aly sie verfolgt, weil er den zurückgekehrten Almansor erkannt hat und glücklich darüber ist, seinen Sohn lebend wiederzufinden. Ihr Tod wird also nicht durch einen aus dem Bühnengeschehen erwachsenen, tragischen Konflikt motiviert, sondern mutet willkürlich und zufällig an – denn hätte Aly das fliehende Paar rechtzeitig erreicht, wären die verborgenen Zusammenhänge aufgeklärt und seine Absichten nicht verkannt worden. Die komplizierten genealogischen Beziehungen zwischen Almansor und Zuleima, die erst am Ende des Stückes entdeckt werden, betonen nicht nur die das Drama bestimmende Verschränkung von Liebes- und Religionskonflikt. Sie bilden zugleich den Hintergrund jenes Streitgespräches über Christentum und Islam, das die Liebenden in der Nacht nach Almansors Rückkehr in Zuleimas Gemächern führen. Der Dialog thematisiert einerseits die für das Verhältnis beider Religionen zentrale Frage nach der Bedeutung Jesu Christi und seiner Botschaft. Andererseits wird der Konflikt zwischen Christen und Muslimen auch hier im Kontext der Dialektik von Spiritualismus und Sensualismus gedeutet. Almansor berichtet, wie er nach seiner heimlichen Rückkehr in die verlorene Heimat eine nunmehr zum christlichen Gotteshaus umgewidmete ehemalige Moschee besucht hat und vor der Darstellung einer Pietà, die den Gekreuzigten in ihren Armen hält, zurückgeschaudert ist. Zuleima, die zum christlichen Glauben Bekehrte, hebt daraufhin an, dem Geliebten die weitreichenden theologischen Implikationen dieses Bildes zu erläutern: Die Liebe war’s, die du geschaut als Leiche, Im Mutterschooße jenes traur’gen Weibes. O, glaube mir, an jenem kalten Leichnahm Kann sich erwärmen eine ganze Menschheit,

Sensualismus und Spiritualismus

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V. Einzelanalysen

Aus jenem Blute sprossen schön’re Blumen, Als aus Alraschids stolzen Gartenbeeten, Und aus den Augen jenes traur’gen Weibes Fließt wunderbar ein süß’res Rosenöhl, Als alle Rosen Schiras liefern könnten. (HSA IV, 44) Diesem, in der christlichen Theologie formulierten Liebeskonzept begegnet Almansor mit völligem Unverständnis: „Du sprachest nur aus, Zuleima, jenes Wort, / Das Welten schafft und Welten hält zusammen; / Du sprachest aus das große Wörtlein ,Liebe!‘“, beginnt er seine Entgegnung und fährt fort: Und tausend Engel singen’s jauchzend nach, Und in den Himmeln klingt es schallend wieder; Du sprachst es aus, und Wolken wölben sich, Dort oben hoch, wie eines Domes Kuppel, Die Ulmen rauschen auf, wie Orgeltöne, Die Vöglein zwitschern fromme Andachtlieder, Der Boden dampft von wallend süßem Weihrauch, Der Blumenrasen hebt sich als Altar, – Nur eine Kirch’ der Liebe ist die Erde. (HSA IV, 44 f.)

Lessing und Voltaire

Die sich anschließende Entgegnung Zuleimas lässt die Unvereinbarkeit ihrer Liebeskonzeption mit dem sinnlichen Verständnis Almansors deutlich hervortreten: „Die Erde ist ein großes Golgatha, / Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.“ (HSA IV, 45) Die Verehrung der Geliebten hat für den Mauren bereits eine religiöse Dimension angenommen. So liegt in dem Konzept seiner sinnlich-menschlichen Liebe ein salvatorisches Moment, das die Hoffnung begründet erscheinen lässt, der Liebe möchte die Kraft gegeben sein, die Schranken religiöser Bindung zu überwinden. Indem Zuleima demgegenüber einzig in der Liebe und dem Opfertod Christi jene erlösende Kraft erkennt, die auch dem verzweifelten Almansor zu helfen vermöchte, wird der Dualismus von Spiritualismus und Sensualismus betont, die Unvereinbarkeit von Christentum und Islam. Nicht zuletzt liegt in Zuleimas Hinweis auf die Welt der Menschen als einer Richtstätte, wo „zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet“, eine ironische Vorausdeutung auf das düstere Ende der Liebenden, auf ihren Sprung in den Tod. Damit aber ist das Stück nicht nur ein „Widerruf“ jenes optimistischen Menschenbildes in Lessings Nathan, das noch an die Möglichkeit der Erziehung und Besserung glaubt. (Kuschel 2005) Indem das dramatische Erstlingswerk des jungen Heine die in der Geschichtsschreibung seiner Zeit positiv bewertete Rechristianisierung Spaniens grundlegend in Frage stellt, indem es das Publikum mit einem Helden konfrontiert, der Moslem ist und die kulturellen wie zivilisatorischen Leistungen der Maurenherrschaft betont, steht der Almansor auch in der Tradition Voltaires, der in seiner Tragödie Zaïre den Konflikt zwischen Christentum und Islam vor dem Hintergrund der religionskritischen Diskurse seiner Epoche gestaltet hat. Auch in Voltaires Stück steht am Ende nicht die unausweichliche Katastrophe, die als notwendige Konsequenz aus dem vorangegangenen Gesche-

1. Almansor. Eine Tragödie

hen erwachsen ist. Vielmehr ist der Tod der Liebenden auch hier eine Folge von unglücklichen Zufällen und Missverständnissen, die durch den Konflikt zwischen Christentum und Islam entstanden sind. Wie Heine ist dem französischen Schriftsteller deshalb der Vorwurf gemacht worden, dem Anspruch einer Tragödie, die das Sein des Menschen bestimmende äußere und innere Fatalität im Figurenspiel sichtbar zu machen, nicht gerecht geworden zu sein. Eine solche Deutung misst das Stück jedoch an den Vorstellungen der Dramaturgie der französischen Klassik und betrachtet auf diese Weise die – vornehmlich literaturgeschichtlich interessante – Frage, inwiefern eine Fortschreibung der Tragödie nach dem Vorbild des als musterhaft geltenden französischen Dramatikers Racine gelungen ist. Wenngleich der Tod der Liebenden weder bei Voltaire noch bei Heine unabwendbar wäre, richten beide Schriftsteller sowohl mit dem Ausgang ihrer Dramen als auch mit den jeweiligen Schlussmonologen die Aufmerksamkeit noch einmal auf den Gegensatz von Christentum und Islam, der dem Bühnengeschehen zugrunde liegt. Indem das Glück der Liebenden durch den Widerstreit religiöser Vorstellungen verhindert wird oder durch politische Entwicklungen, die ebenfalls aus dem Religionskonflikt erwachsen, versinnbildlicht der Ausgang beider Stücke das Leid und das Unglück, das die Religion als solche über den Menschen bringen kann. Dieses Leid ist nicht tragisch infolge einer individuellen moralischen Schuld. Es ist nicht tragisch aufgrund der unentrinnbaren Fügungen eines unergründlichen Schicksals. Dieses Leid ist sinnlos, und die einzige innere Notwendigkeit, aus der es erwächst, ist das ebenfalls sinnlose Beharren der Menschen auf den Vorzügen ihres jeweils eigenen religiösen Bekenntnisses. Die Irrtümer und Fehlschlüsse, die in Zaïre wie im Almansor zum Tod der Liebenden führen, sind eine Konsequenz der Irrtümer und Fehlschlüsse der Religion. In diesem Sinne ist das frühe dramatische Werk mit seinem Rekurs auf die radikale französische Aufklärung auch als ein indirekter Kommentar zu jenen judenfeindlichen Entwicklungen zu verstehen, mit denen Heine sich sowohl in Göttingen als auch in Berlin konfrontiert sah.

Geschichtspessimismus

2. Die Harzreise. (1824) Am 24. Januar 1824 kehrte Heine zur Fortsetzung seines juristischen Studiums nach Göttingen zurück und immatrikulierte sich am 30. Januar erneut an der dortigen Universität. Göttingen blieb sein Aufenthalt bis zu seiner Promotion zum Doktor beider Rechte, die am 20. Juli 1825 erfolgte. Fernab des literarischen und gesellschaftlichen Lebens, das die preußische Residenzstadt Berlin ihm in den Jahren 1821 bis 1823 geboten hatte, war es seine Absicht, in der Zurückgezogenheit der hannoverischen Universitätsstadt seine Studien abzuschließen. „Ich lebe sehr still“, schrieb er am 25. Februar an seinen Berliner Freund Moses Moser. „Das Corpus Juris ist mein Kopfkissen. Dennoch treibe ich noch manches andre z. B. Chronikenlesen und Biertrinken. Die Bibliothek und der Rathskeller ruiniren mich.“ (HSA XX, 145) In Heines Briefwechsel findet sich wiederholt der Gedanke einer Fußwanderung durch den Harz. So schrieb er am 7. April 1823 an Immanuel

Autobiografischer Hintergrund

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V. Einzelanalysen

Wohlwill: „Mein Arzt giebt mir Hoffnung daß mich das Reisen, besonders das Fußreisen, herstellen wird.“ (HSA XX, 74) Neben diesem gesundheitlichen Aspekt mag auch die Beliebtheit solcher Wanderungen durch den Harz bei den Göttinger Studenten den jungen Schriftsteller veranlasst haben, ebenfalls eine solche Reise zu unternehmen. Am Morgen des 12. oder 13. September 1824 brach er von Göttingen auf und wanderte über Weende, Angerstein und Nörten bis Northeim. Nach einer Übernachtung in Osterode marschierte er am folgenden Tag über Lerbach bis nach Clausthal und Zellerfeld, wo er im Gasthof „Zur Goldenen Krone“ logierte. Am 18. September besichtigte Heine die Clausthaler Erzgruben „Dorothea“ und „Karolina“ und wanderte anschließend weiter nach Goslar. Am 20. September bestieg er den Brocken und verbrachte die Nacht zum 21. September im Brockenhaus, um am Folgetag nach Ilsenburg und Wernigerode abzusteigen. Er wanderte weiter über Elbingerode und Rübeland nach Eisleben, erreichte am 27. September Halle und besuchte am 28. September in Weißenfels den Dramatiker Adolf Müllner, der sowohl die Gedichte wie die Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo im Stuttgarter Morgenblatt für gebildete Stände wohlwollend rezensiert hat. Am 29. und 30. September marschierte er über Naumburg nach Jena und gelangte am 1. Oktober nach Weimar, wo er am gleichen Tag ein Billet mit dem Ersuchen an Johann Wolfgang von Goethe schickte, bei diesem vorsprechen zu dürfen. Am folgenden Tag kam es zu einem allerdings kurzen, unverbindlichen Gespräch zwischen Heine und dem Weimarer Geheimrat. Der ebenso unverbindliche wie knappe Eintrag, den Goethe über den Besuch am Vormittag des 2. Oktober in sein Tagebuch machte, ist in seinem lakonischen Ton als ein Hinweis auf das Verfehlte dieser Begegnung häufig zitiert worden. Bereits am 3. Oktober reiste Heine weiter nach Erfurt und wanderte über Gotha bis nach Eisenach, wo er die Wartburg besichtigte. Am 7. Oktober besuchte er die ehemaligen Kommilitonen August von Haxthausen und Heinrich Straube sowie Ludwig Emil Grimm in Kassel und kehrte am 11. Oktober nach Göttingen zurück. Dem Freund Rudolf Christiani berichtete er am 26. Mai 1825 von der Fußwanderung des vorangegangenen Jahres: Den Herbst machte ich eine Fußreise nach dem Harz den ich die Kreuz und Quer durchstreifte, besuchte den Brocken, so wie auch Göthe auf meiner Rückreise über Weimar. Ich reiste nemlich über Eisleben, Halle Jena, Weimar, Erfurth, Gotha, Eisennacht und Kassel hierher wieder zurück. Viel Schönes habe ich auf dieser Reise gesehen, und unvergeßlich bleiben mir die Thäler der Bode und Selke. Wenn ich gut haushalte kann ich mein ganzes Leben lang meine Gedichte mit Harzbäumen ausstaffiren. (HSA XX, 199) Entstehungsgeschichte

Mit der Niederschrift der Harzreise begann Heine unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Göttingen. Bereits am 30. Oktober 1824 konnte er Moses Moser berichten: Ich habe jetzt meine „Harzreise“ schon zur Hälfte geschrieben, und will nicht abbrechen. Diese schreibe ich in einem lebendigen Enthousiastischen Styl, und es würde mir nicht allein nach einer Unterbrechung

2. Die Harzreise

schwer werden wieder hineinzugerathen, sondern auch würde es mir schwer fallen aus diesem Styl in die trockne gelehrten Anzeige Prosa überzugehen. (HSA XX, 181) Der „Enthousiastischen Styl“, von dem Heine gegenüber seinem Berliner Freund spricht, charakterisiert das Neue und für die deutsche Literatur der Zeit Ungewöhnliche seiner Reisebeschreibung. Der tatsächliche, biografisch belegbare Verlauf der Fußwanderung bleibt im Text als ein nur ungefähres Schema erhalten. Indem Heine auf den lebensgeschichtlichen Gehalt des Textes verweist, rekurriert er auf die Tradition der Reiseliteratur, die seit der Aufklärung als eine ebenso beliebte wie verbreitete Gattung galt. Zugleich aber unterläuft er die vermeintlich authentischen Momente seines Werkes durch ironische Bilder und Wendungen. So beschreibt der Harzreisende den Sonnenuntergang, den zu betrachten sich eine Gesellschaft auf dem Brocken versammelt hat, auf eine gebrochene und die Erwartungshaltung der Leser hinterfragende Weise: „Es ist ein erhabener Anblick, der die Seele zum Gebet stimmt“, berichtet er und fährt fort: „die Gesichter wurden vom Abendroth angestrahlt, die Hände falteten sich unwillkührlich.“ Die pathetische Gestimmtheit wird jedoch bereits mit den nächsten Absatz unterlaufen und der Lächerlichkeit preisgegeben: „Während ich so in Andacht versunken stehe, höre ich, daß neben mir Jemand ausruft: ,Wie ist die Natur doch im Allgemeinen so schön!‘“ (HSA V, 41 f.) Diese Dialektik von Evokation und Dekonstruktion ist ein wesentliches Strukturprinzip des Textes, der nicht nur durch die Gattung der Reisebeschreibung und durch seine Bildlichkeit auf die Romantik bezogen ist, sondern auch durch intertextuelle Rekurse auf diese literarische Tradition verweist. (Meier 1999) So zitiert das Eingangsgedicht, das Heine 1827 als Prolog auch dem Zyklus Aus der Harzreise im Buch der Lieder voranstellt, den Dualismus von Zivilisation und Natur, gesellschaftlichem Zwang und ungebundener Freiheit, der seit der Antike ein verbreiteter Topos der abendländischen Dichtung ist. Schwarze Röcke, seid’ne Strümpfe, Weiße, höfliche Manschetten, Sanfte Reden, Embrassiren – Ach, wenn sie nur Herzen hätten! Herzen in der Brust, und Liebe, Warme Liebe in dem Herzen – Ach, mich tödtet ihr Gesinge Von erlog’nen Liebesschmerzen. Auf die Berge will ich steigen, Wo die frommen Hütten stehen, Wo die Brust sich frey erschließet, Und die freyen Lüfte wehen. Auf die Berge will ich steigen, Wo die dunkeln Tannen ragen, Bäche rauschen, Vögel singen, Und die stolzen Wolken jagen.

Bildlichkeit der Romantik

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V. Einzelanalysen

Lebet wohl, ihr glatten Säle, Glatte Herren! Glatte Frauen! Auf die Berge will ich steigen, Lachend auf Euch niederschauen. (HSA V, 7)

Entfremdung und Moderne

Die in der Empfindsamkeit erneuerte idyllische und natursentimentalische Dichtungstradition entfaltete sich im Diskurs der literarischen Romantik und gelangte in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem wirkungsgeschichtlichen Höhepunkt. Die Satire auf die als Philister charakterisierten Bürger, die Natur- und Landschaftsbeschreibungen, das Spiel mit Motiven aus jenen Märchen und Sagen, die mit den Sammlungen der Brüder Grimm Verbreitung gefunden hatten, aber auch die immer wieder expliziten Bezugnahmen auf Johann Wolfgang von Goethe (beispielsweise die auf die Faust-Tragödie in dem der Reiseschilderung beigegebenen Gedicht Auf dem Berge steht die Hütte) oder Friedrich von Hardenbergs Roman Heinrich von Ofterdingen (der im Kontext des Besuchs einer Grube in Clausthal wiederholt zitiert wird) verweisen den Leser auf den Anspruch des Textes, in der Auseinandersetzung mit der Romantik als jener literarischen Strömung, aus der er hervorgegangen ist, zu einer neuen, dichterischen Ausdrucksform zu finden. Die Dialektik von Stadt und Land, Zivilisation und Natur, technisch-ökonomischem Fortschritt und Idylle beinhaltet, wie die Reflexionen über den Unabhängigkeitskampf der Amerikaner zeigen (vgl. HSA V, 18 f.), nicht nur ein sorgsam vor dem Eingriff der Zensurbehörden verborgenes Moment der Kritik an der politischen Ordnung in den Staaten des Deutschen Bundes nach dem Wiener Kongress. In dem Widerstreit von Tradition und Aufbruch, Natursehnsucht und unaufhaltsamer gesellschaftlicher Veränderung fragt der Text auch nach der Rolle des Individuums. Der Erzähler wird auf seiner Wanderung mit den kontrapunktischen Gegensätzen, welche die Welt in der frühen Moderne bestimmen, konfrontiert. Aus seiner kritischen Sicht auf die wissenschaftlichen Diskurse seiner Zeit (als deren Sinnbilder der rationalistische Philosoph Saul Ascher und der Jurist Gustav Hugo angeführt werden) flüchtet er in die Natur. Die Gegenwelt der Natur – im Sinne des aufgeklärten französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau – ist ihm allerdings fremd geworden. Die Unmittelbarkeit und Authentizität eines natürlichen Lebens begegnet ihm zwar in den Figuren des Hirtenknaben oder der des alten Bergmannes in Clausthal, ihre Welt und ihr Bewusstseinszustand bleiben dem Erzähler jedoch verschlossen. Indem er nicht mehr zu der ihr Leben prägenden unschuldigen und unverbildeten Einheit mit der Natur zurückfinden kann, wird er zu einer Chiffre für den modernen Menschen, dessen Erfahrungen von Gespaltenheit und Entfremdung irreversibel geworden sind. (Großklaus 1993) Im Gegensatz zu den Wanderern in Erzählungen und Romanen von Joseph von Eichendorff oder von Ludwig Tieck ist sein Blick auf die Landschaften des Harzes deshalb nicht mehr von der metaphysisch aufgeladenen Perspektive der Romantik geprägt, sondern kann als nüchtern und touristisch charakterisiert werden. (Kortländer 1998) Auf dieses Moment wird auch durch den wiederholten Bezug auf zeitgenössische Reiseführer wie das Handbuch für Harzreisende von Ludwig Ferdinand Niemann (Halberstadt

2. Die Harzreise

1824) oder das Taschenbuch für Reisende in den Harz des Schriftstellers und anhaltinischen Hofrats Caspar Friedrich Gottschalck (Magdeburg 1817) hingewiesen. Mit der Harzreise vollzieht Heine jedoch nicht nur eine ironische Dekonstruktion der romantischen Idylle. Indem er die biedermeierliche Innerlichkeit durch den Kontrast von Pathos und Trivialität, durch die Gleichzeitigkeit inkommensurabler Metaphern als anachronistisch dekuvriert, vermag er sie noch einmal zu zitieren. Das Zitat aber, dem seine Negation bereits eingeschrieben ist, betont ein letztes Mal die Schönheit der als bereits verloren zu betrachtenden Bilder. Es ist diese, bereits dem frühen Reisebild immanente Ambivalenz, die charakteristisch werden sollte für die Schreibart von Heines Prosawerken. Durch die Ironie gelingt es ihm, einer in den Dichtungen der romantischen Epoche erschöpften Bildlichkeit erneutes ästhetisches Potential einzuschreiben. Als die Harzreise im Januar und Februar des Jahres 1826 in der Berliner Zeitschrift Der Gesellschaft oder Blätter für Geist und Herz erschien und noch im gleichen Jahr in dem ersten Band der bei Hoffmann & Campe im Hamburg verlegten Reisebilder veröffentlicht wurde, wurde diese Ambivalenz zwar von den Literaturkritikern thematisiert. Der große Erfolg des Textes – der nach mehreren Neuauflagen im Rahmen der Reisebilder von Julius Campe in den fünfziger Jahren auch in einer Miniaturausgabe auf den Markt gebracht wurde – dokumentiert jedoch, dass die Leser der Zeit in dem Werk vor allem ein Denkmal der romantischen Literatur erkannt haben, wie ohnehin die Ironie der frühen lyrischen und prosaischen Werke Heines als ein die eigene Befindlichkeit verstörendes und befremdendes Moment von den Zeitgenossen geradezu systematisch überlesen worden ist.

Wirkungsgeschichte

3. Buch der Lieder „Das ,Buch der Lieder‘“, erklärte Heinrich Heine am 30. Oktober 1827 seinem Freund Moses Moser in Berlin, „ist nichts als eine Gesammtausgabe meiner bekannten Gedichte“. (HSA XX, 303) Tatsächlich enthält der Band, der im Herbst desselben Jahres bei Hoffmann & Campe erschien, lediglich sieben bislang ungedruckte Gedichte. Ansonsten umfasst die Sammlung die bereits in Buchform veröffentlichten lyrischen Zyklen in der chronologischen Folge ihres Erscheinens, ergänzt und erweitert um solche Gedichte, die in Zeitschriften und Journalen verstreut publiziert worden waren: Die Jungen Leiden, die den Band eröffnen, sind aus den Gedichten des Jahres 1822 entstanden, das Lyrische Intermezzo ist zusammen mit den Tragödien Almansor und William Ratcliff im Jahr 1823 in Berlin veröffentlicht worden, die Heimkehr eröffnete im Jahr 1826 den ersten Band der Reisebilder, in dem ebenfalls der das Buch der Lieder beschließende Nordsee-Zyklus erschienen ist. Und der Zyklus Aus der Harzreise umfasst die dem gleichnamigen Reisebild als lyrische Einschübe beigegebenen Gedichte. (Höhn 2004, 56 f.) Bereits der Briefwechsel zwischen dem Dichter und seinem Verleger Julius Campe, welcher in den Sommermonaten des Jahres der Drucklegung des Bandes vorausging, dokumentiert Heines selbstbewussten Wunsch, sei-

Entstehungsgeschichte

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V. Einzelanalysen

Autobiografische Deutung

Minnesang

Petrarkismus

ne lyrischen Werke möchten in einer Gesamtausgabe den Sammlungen Gottfried August Bürgers, Ludwig Uhlands oder Johann Wolfgang von Goethes an die Seite gestellt werden. Dieser poetologische Anspruch spiegelt sich auch in dem gewählten Titel, der in Anlehnung an den Zyklus Buch der Liebe in Goethes West-östlichem Divan (1819) zu verstehen ist. Den hochfliegenden, aber – wie jedoch erst die Wirkungsgeschichte zeigen sollte – berechtigten Ansprüchen Heines stand die ebenso nüchterne wie skeptische Einschätzung des Hamburger Verlegers gegenüber, der in einer Gesamtausgabe der lyrischen Produktion des zwar bereits bekannten, aber gleichwohl noch jungen Schriftstellers hauptsächlich ein ökonomisches Risiko sah. Und für einige Jahre schien Heine mit der in dem bereits zitierten Brief an Moses Moser gemachten Bemerkung Recht zu behalten: die Sammlung segele „wie ein harmloses Kauffahrtheyschiff“ in das „Meer der Vergessenheit“. (HSA XX, 303) Erst ab der Mitte der dreißiger Jahre wurde das Buch der Lieder zu einem bei der studentischen Jugend wie der bildungsbürgerlichen Lesewelt gleichermaßen populären Werk, das bis zum Tod Heines dreizehn Neuauflagen erlebte und jene Anerkennung, die er als Dichter unter seinen Zeitgenossen fand, wesentlich begründete. Die Gedichte, die Heine in dem Band versammelte, sind zwischen 1815 und 1827 entstanden, zum Teil also noch während seiner Düsseldorfer Schulzeit, zum Teil während seiner Aufenthalte in Hamburg und Lüneburg (wo seine Eltern zwischenzeitlich lebten) sowie während der Studienjahre in Bonn, Göttingen und Berlin. Die zeitgenössischen Leser haben die lyrischen Werke vor diesem Hintergrund als biografische Zeugnisse gelesen und die Motive unerfüllter Liebe, die in der Sammlung wiederholt variiert werden, auf den Verfasser zurückgespiegelt. Als Deutungsmuster wurde vor allem die unglückliche und aussichtslose Liebe des jugendlichen Heine zu seiner Cousine Amalie, der Tochter seines Onkels Salomon in Hamburg, herangezogen. (Hermand 1997) Aus dem Literaturverständnis der Zeit erkannte man in der Lyrik die subjektivste der drei Gattungen, in der das individuelle Erleben zwar einen dichterischen Ausdruck erlangte, zugleich aber in der Lebensgeschichte des Verfassers eine für die Literatur notwendige Beglaubigung fand. Diese Deutung von Heines lyrischen Werken als Erlebnisdichtungen, die in der Tradition eines seit dem Sturm und Drang in Deutschland verbreiteten Literaturverständnisses steht, hat bis in das 20. Jahrhundert auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Buch der Lieder bestimmt. Erst in der jüngeren Forschung sind Ansätze diskutiert worden, die dem ästhetischen Potential der frühen Gedichte Heines gerecht werden. (Perraudin 1989) So greifen die lyrischen Werke des Bandes einerseits das Motiv unerfüllter Liebe auf, wie es in der Konzeption der höfischen Minne angelegt ist und in den Liedern der mittelalterlichen Dichter ab dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert im Kontext der romantischen Bewegung neuzeitlich wiederentdeckt und durch Editionen und Nachdichtungen popularisiert worden ist. Andererseits stehen seine Gedichte, wie Manfred Windfuhr nachgewiesen hat, in der Nachfolge des italienischen Dichters Francesco Petrarca, der in seinen Sonetten die Sehnsucht und den Liebesschmerz des im Dienst für eine unnahbare, letztlich auch tyrannische Frau sich verzehrenden Mannes

3. Buch der Lieder

besingt. (Windfuhr 1975) Motive, Form- und Stilelemente dieser Tradition haben in der deutschen Literatur nicht nur im Zeitalter des Barock gewirkt, wie Werke von Martin Opitz oder Paul Fleming belegen, sondern haben über das Rokoko und die Empfindsamkeit auch die sich im Sturm und Drang herausbildende und in der Romantik zur Entfaltung kommende literarische Liebeskonzeption des 19. Jahrhunderts wesentlich beeinflusst. Ebenfalls zitiert Heine in seinen frühen lyrischen Werken die Tradition des Volksliedes, das – ausgehend von den Sammlungen Johann Gottfried Herders – in der Romantik einen wirkungsgeschichtlichen Höhepunkt erreichte und in dieser Epoche nicht nur durch philologisch motivierte Sammlungen, wie Des Knaben Wunderhorn (1806–1808) von Achim von Arnim und Clemens Brentano, Verbreitung fand, sondern auch auf eine ästhetisch produktive Weise auf Formen und Inhalte der lyrischen Ausdruckssprache selbst zu wirken vermochte. So lässt sich in Heines Gedichten nicht allein der prägende Einfluss der Volksliedstrophe und ihrer metrischen Strukturen oder das reiche, nur vermeintlich Simplizität erzeugende Repertoire an Stilmitteln, das Volksdichtungen auszeichnet, nachweisen. Es findet sich auch eine Übernahme von Motiven, zu denen wesentlich die Klage über die Liebe, die Sehnsucht nach der Geliebten, der Ausdruck des Schmerzes nach verlorenem oder enttäuschtem Liebesglück gehören. (Prawer 1960) Diese drei literarischen Strömungen (die Minnelieder der mittelalterlichen Dichtung, der Petrarkismus und das Volkslied) haben jedoch nur bedingt unmittelbar auf den jungen Heine gewirkt. Auch Schriftsteller wie Joseph von Eichendorff, Johann Wolfgang von Goethe oder der Engländer George Gordon Lord Byron nahmen in ihren Werken diese Traditionslinien auf, so dass Heines Dichtungen vor dem Hintergrund eines ebenso vielschichtigen wie komplexen Geflechtes von Abhängigkeiten und Einflüssen zu verstehen sind. Das Buch der Lieder steht zwar in einem Korrespondenzverhältnis mit diesen literarischen Vorläufern, ist deshalb aber keineswegs epigonal, sondern zeichnet sich durch den ästhetisch wie programmatisch produktiven Umgang mit den seine Inhalte wie Formen prägenden Traditionen aus. Die Dialektik von männlichem und weiblichem Prinzip, die Sehnsucht des Liebenden nach einer sich entziehenden Geliebten findet ihren Ausdruck in einer das lyrische Ich bestimmenden Gleichzeitigkeit von Lust und Schmerz, Liebe und Verzweiflung. Das wohl bekannteste Werk der Sammlung, das zweite Gedicht des Zyklus Die Heimkehr, verdeutlicht dies auf eine exemplarische Weise. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ erzählt von einer schönen, aber unnahbaren Frau, die auf einem Felsen am Rhein sitzt. Indem sie ihr „goldenes Haar“ kämmt und ihr „gold’nes Geschmeide“ im Abendsonnenschein aufglänzt, wird das evozierte Bild zu einem Urbild des sinnlich-verlockenden Weibes. (HSA I, 92 f.) Der Schiffer vergisst bei ihrem Anblick sich selbst und sein Boot und steuert, versunken in das Unbedingte ihrer Schönheit, in den Tod. Zwischen ihm und der Loreley gibt es jedoch keinerlei Dialog und bereits seine Position in einem „kleinen Schiffe“ auf dem Fluss am Fuße des Felsens, auf dem sie sitzt, versinnbildlicht die Unmöglichkeit einer Begegnung. Die Liebeserfahrung, von der das Gedicht spricht, ist eine Erfahrung von gesteigerter, vertiefter Einsamkeit. Es erzählt nicht von einer unglücklich verlaufenden Liebe, sondern von einer be-

Volksdichtung

Poetik des Zitats

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V. Einzelanalysen

Zerrissenheit der Moderne

reits am Anfang als aussichtslos ausgewiesenen. Damit aber fokussiert der Text die Einsamkeit des Individuums, das sich zwar aus ihr herauswünscht, aber auch in der Liebe keine Möglichkeit mehr hierzu findet. (Kortländer 1997) Die stets schönen und unnahbaren, die namenlosen, seltsam unpersönlich bleibenden Mädchen und Frauen, die dem Leser im Buch der Lieder begegnen, sind einerseits Kontrafakturen jener idealistisch aufgeladenen Vorstellung einer Parallelität von körperlicher und seelischer Schönheit, die in den Dichtungen der romantischen Epoche beherrschend ist und die mit einem Wort Goethes als „schöne Seele“ charakterisiert werden kann. Sie sind damit auch der Versuch, sich durch die Dekonstruktion eines literarisch tradierten Idealbildes von dem dominierenden Einfluss dieser Tradition zu emanzipieren. Andererseits verweisen Heines Gedichte, indem sie Erfahrungen existentieller Einsamkeit und Ausgeschlossenheit thematisieren, auf eine geistesgeschichtliche Befindlichkeit, die bereits von den Zeitgenossen als Zerrissenheit charakterisiert worden ist. (Sautermeister 1998) Weil Liebe und Gewalt, Sehnsucht und Enttäuschung unlösbar miteinander verbunden sind, ist das Oxymoron die zentrale, wiederkehrende rhetorische Figur der Gedichte. Diese Gegensätze, die in dem der dritten Auflage des Buches der Lieder vorangestellten Gedicht „Das ist der alte Mährchenwald“ in exemplarischer Weise zum Ausdruck kommen, sind Chiffren für die gespaltene Selbst- und Welterfahrung des lyrischen Ichs in der beginnenden Moderne. Entzückende Marter und wonniges Weh! Der Schmerz wie die Lust unermeßlich! Derweilen des Mundes Kuß mich beglückt, Verwunden die Tatzen mich gräßlich. Die Nachtigall sang: „O schöne Sphynx! O Liebe! was soll es bedeuten, Daß du vermischest mit Todesqual All deine Seligkeiten? (HSA I, 12)

Zyklische Komposition

Die Gedichte des Buches der Lieder stehen damit auch in der Tradition der Leiden des jungen Werther (1774) von Johann Wolfgang von Goethe. Der Titel dieses Briefromans klingt deshalb auch in dem Titel des Zyklus der Jungen Leiden an. Wie Werther eine exemplarische Gestalt ist, an der die schmerzlichen Verwerfungen der mit der Aufklärung angestoßenen Individualisierung aufgezeigt werden, so versinnbildlicht das lyrische Ich im Buch der Lieder die Weiterentwicklung dieses Bewusstseins im frühen 19. Jahrhundert. Diese Zerrissenheit ist damit aber nicht nur Ergebnis einer literaturgeschichtlich problematischen Position am Ende von Klassik und Romantik, sondern auch Folge eines zwar notwendigen, aber gleichwohl schmerzlichen Prozesses der Emanzipation. Die polaren Gegensätze prägen jedoch nicht nur die einzelnen Gedichte des Bandes: Die Zyklen sind so angeordnet, dass die Gedichte in einem Korrespondenzverhältnis zueinander stehen. So kontrastieren Werke in der Nachfolge des romantischen Stimmungsgedichtes mit Texten, deren Dunkelheit bereits auf die Dichtungen des Franzosen Charles Baudelaire vorausdeutet, Gedichte, die wie Abkömmlinge der Goetheschen Erlebnislyrik an-

3. Buch der Lieder

muten, mit Werken, deren Liebesmetaphorik zugleich auf gesellschaftliche Fragen verweist, ohne jedoch auf eine explizite Weise politisch zu werden. (Altenhofer 1993) Diese antithetische Struktur wird überformt von einer ästhetischen Strategie, welche die Komik und die Ironie als Mittel einsetzt, evozierte Stimmungen auf eine teils subtile, teils grelle Weise wieder aufzuheben. Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist ein Gedicht aus dem Lyrischen Intermezzo:

Kontrastästhetik

Es leuchtet meine Liebe, In ihrer dunkeln Pracht, Wie’n Mährchen traurig trübe, Erzählt in der Sommernacht. „Im Zaubergarten wallen Zwei Buhlen, stumm und allein; Es singen die Nachtigallen, Es flimmert der Mondenschein. „Die Jungfrau steht still wie ein Bildniß, Der Ritter vor ihr kniet. Da kommt der Riese der Wildniß, Die bange Jungfrau flieht. „Der Ritter sinkt blutend zur Erde, Es stolpert der Riese nach Haus –“ Wenn ich begraben werde, Dann ist das Mährchen aus. (HSA I, 81 f.) Mit der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Strömungen, die mit der Gleichzeitigkeit verschiedener literarischer Traditionen korrespondiert, hat Heine zu einer neuen und für die Zeitgenossen provozierenden Ausdrucksform gefunden. Es ist daher ein charakteristisches Merkmal der Rezeptionsgeschichte auch dieses Werkes, dass die Leser, bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, primär die Momente romantisch anmutender Liebesdichtung wahrgenommen haben. Dies spiegelt sich auch in den Vertonungen zahlreicher Gedichte. Das Ironische und Gebrochene, das die bedeutende Stellung der Sammlung in der Geschichte der deutschsprachigen Lyrik kennzeichnet, ist erst im wissenschaftlichen Diskurs des 20. Jahrhunderts erkannt worden, während die Zeitgenossen – geschult an den ästhetischen Paradigmen der Klassik und der Romantik – das Komische als „frivol“, das Gebrochene als „Lüge“ und das Ironische als „unwahr“ verwarfen.

4. Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831 Im Sommer des Jahres 1831, unmittelbar nach seiner Ankunft in Paris, besuchte Heinrich Heine die jährlich stattfindende Gemäldeausstellung im Salon Carrè des Louvre. Wie in jedem Jahr war in den Räumen des seit der großen Revolution als Museum genutzten ehemaligen Schlosses der Bourbonen-Könige während einiger Monate eine Auswahl von Bildern zu sehen,

Entstehungsgeschichte

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V. Einzelanalysen

Literarhistorische Traditionen

Kompositionsform

die als repräsentativer Querschnitt einen Eindruck von der in den vergangenen zwölf Monaten entstandenen Produktion der französischen Maler zu geben vermochte. Im Oktober und November desselben Jahres veröffentlichte der Schriftsteller im Morgenblatt für gebildete Stände eine Reihe von fünfzehn Korrespondenzartikeln, in denen er von dieser Gemäldeausstellung berichtete. Die Ausarbeitung dieser Berichte erfolgte wahrscheinlich – detaillierte Zeugnisse zu ihrer Entstehungsgeschichte sind nicht überliefert – unmittelbar nach der Besichtigung des Salons. Zwischen Anfang August und Mitte September, während der Sommerfrische in Boulogne-sur-Mer, seinem ersten Aufenthalt an der französischen Küste, setzte Heine die Arbeit an den Berichten fort, deren Reinschrift erst Anfang Oktober, nach seiner Rückkehr, in Paris entstand. Drei Jahre später erschienen sie, in überarbeiteter und ergänzter Form unter dem Titel Französische Maler im ersten Band des Salon bei Hoffmann & Campe. Das Werk steht in der Nachfolge der in Deutschland mit der Aufklärung beginnenden und in der Romantik fortgesetzten Tradition literarischer Bildbeschreibungen. (Zepf 1980; Hohendahl 1989) Schriftsteller wie Gotthold Ephraim Lessing, Karl Philipp Moritz, Johann Joachim Winckelmann, Johann Wolfgang von Goethe und Georg Forster, aber auch Heines Bonner Lehrer August Wilhelm Schlegel haben zudem in ihren Schriften theoretisch über das Verhältnis von bildender Kunst und literarischer Sprache nachgedacht. Indem Heine sowohl durch das Sujet als auch durch den Titel der Buchausgabe an die von Denis Diderot zwischen 1759 und 1781 veröffentlichten Kritiken der periodischen Ausstellungen französischer Maler im Salon Carré des Louvre anknüpft, können seine Gemäldeberichte zudem als eine Reflexion über die kulturhistorische wie politische Interdependenz deutscher und französischer Diskurse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelesen werden. (Kortländer 2006; Baumgärtel 2006) Die 23 Gemälde, die Heine aus den über 3000 im Salon Carré des Louvre in den Monaten Mai bis August 1831 ausgestellten Bildern auswählt und beschreibt, sind als Chiffren für den politischen Aufbruch nach der Juli-Revolution des Jahres 1830 und den poetologischen Neuanfang nach dem „Ende der Kunstperiode“ (HSA VII, 49) gedeutet worden. Indem Eugène Delacroix’ Bild Die Freiheit führt das Volk an als das zwölfte von 23 Gemälden den arithmetischen wie kompositorischen Mittelpunkt der Französischen Maler bildet, verweist der Text bereits durch die Anordnung der Bildbeschreibungen auf den Charakter der Gemälde als Signaturen der Epoche. Hier zeigt sich zudem die für Heines Schreibart charakteristische, sorgsame gedankliche Konzeption des Werkes, über die die Journalfassung, welche die Salon-Berichte in drei Artikel zu 15 Lieferungen aufteilt, ebenso hinwegtäuscht wie die Buchfassung, die das Werk einschließlich des Nachtrages aus dem Jahr 1833 in neun Kapitel unterteilt. Die ältere Forschung hat dieses für das Verständnis des Textes wesentliche kompositorische Moment, trotz intensiver Beschäftigung mit der Schrift, nicht erkannt. (Zepf 1980) Die Symmetrie des Textes erschließt sich nicht auf der Ebene seiner formalen Konzeption, sondern im Bereich der Bildbeschreibungen als inhaltliche Tiefenstruktur. Nicht zuletzt um den Eingriff der Zensurbehörden zu umgehen, liegt die Betrachtung des Gemäldes von Delacroix, die Heine

4. Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831

zum Anlass nimmt, erstmalig in seinem literarischen Werk über die Juli-Revolution des Jahres 1830 nachzudenken, hinter einer scheinbar zufälligen Kapitelfolge verborgen. (Singh 2007) Heine schreibt über das Gemälde: Eine Volksgruppe während den Juliustagen ist dargestellt, und in der Mitte, beinahe wie eine allegorische Figur, ragt hervor ein jugendliches Weib, mit einer rothen phrygischen Mütze auf dem Haupte, eine Flinte in der einen Hand und in der andern eine dreifarbige Fahne. Sie schreitet dahin über Leichen, zum Kampfe auffordernd, entblößt bis zur Hüfte, eine schöner, ungestümer Leib, das Gesicht ein kühnes Profil, frecher Schmerz in den Zügen, eine seltsame Mischung von Phryne, Poissarde und Freiheitsgöttin. […] Heilige Julitage von Paris! ihr werdet ewig Zeugniß geben von dem Uradel der Menschen, der nie ganz zerstört werden kann. Wer euch erlebt hat, der jammert nicht mehr auf den alten Gräbern, sondern freudig glaubt er jetzt an die Auferstehung der Völker. Heilige Julitage! wie schön war die Sonne und wie groß war das Volk von Paris! (HSA VII, 23 f.) So ist die Revolution, die der Dichter neun Jahre später in den der BörneSchrift eingeschobenen Briefen aus Helgoland zum eigentlichen Grund seiner Übersiedlung nach Paris stilisiert, bereits das zentrale Thema des ersten in Frankreich entstandenen Werkes und steht damit auch am Beginn des ersten Bandes des Salon. Den Zeitgenossen galt der Salon des Jahres 1831 nicht nur als ein bedeutendes kulturelles, sondern auch – indirekt – als ein politisches Ereignis – erwartete man doch, seinen Gemälden eine Reaktion der französischen Maler auf die im vorangegangenen Jahr stattgefundene Juli-Revolution ablesen zu können. Heine spielt auf diese politische Relevanz des Salons an, wenn er in dem im Jahr 1833 für die Buchausgabe verfassten Nachtrag schreibt: „Jener Salon war, nach dem allgemeinen Urtheil, der außerordentlichste den Frankreich je geliefert, und er bleibt denkwürdig in den Annalen der Kunst.“ (HSA VII, 53) Ebenfalls in diesem Nachtrag spricht er davon, dass „der Salon von 1831 noch von der Sonne des Julius durchglüht war“. (HSA VII, 54) Indem die Betrachtungen über die französischen Maler in Deutschland zunächst als Zeitungsartikel und später in Buchform erschienen sind, konnten sie von den zeitgenössischen Lesern zwar als ein mittelbarer Kommentar zu den politischen Verhältnissen in den Staaten des Deutschen Bundes gelesen werden. Die Begeisterung, der Enthusiasmus aber, mit dem der Korrespondent über das Gemälde von Ferdinand-Victor-Eugène Delacroix und die Volkserhebung im Juli 1830 spricht, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in diesem Werk jene Ambivalenz und Uneindeutigkeit aufscheint, die in den Dichtungen und Schriften ab den vierziger Jahren als ein unabdingbares Moment der Weltsicht Heines explizit wird. Dieser Aspekt wird zum einen deutlich, wenn er die ins Mythische überhöhte allegorische Gestalt der Freiheit in die Nähe einer Prostituierten rückt: Ich kann nicht umhin, zu gestehen, diese Figur erinnert mich an jene peripatetischen Philosophinnen, an jene Schnellläuferinnen der Liebe oder Schnellliebende, die des Abends auf den Boulevards umherschwärmen; ich gestehe, daß der kleine Schornsteinkupido, der, mit einer Pistole in

Juli-Revolution 1830

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V. Einzelanalysen

der Hand, neben dieser Gassenvenus steht, vielleicht nicht allein vom Ruß beschmutzt ist; […] – aber das ist es eben, ein großer Gedanke hat diese gemeinen Leute, diese Crapüle, geadelt und geheiligt und die entschlafene Würde in ihrer Seele wieder aufgeweckt. (HSA VII, 24)

Literatur und Engagement

Zum anderen zeigt sich diese zwischen Parteinahme und Skepsis changierende Haltung in der ironischen Beschreibung der Unterhaltungen anderer Ausstellungsbesucher, die Heine seiner Korrespondenz beigibt. So fragt die Tochter eines Anhängers der Partei der Karlisten, wer „die schmutzige Frau mit der rothen Mütze“ sei? Und der Vater antwortet auf die Lilie im Wappen des Hauses Bourbon anspielend: „nun freilich, liebes Kind, mit der Reinheit der Lilien hat sie nichts zu schaffen. Es ist die Freiheitsgöttin.“ (HSA VII, 25) Während diese ambivalente Position Heines in der Beschreibung von Delacroix’ Monumentalgemälde nur beiläufig angedeutet wird, wird sie am Ende der Französischen Maler, und damit in einer ebenfalls kompositorisch herausgehobenen Passage, im Kontext der Auseinandersetzung mit den im Salon von 1831 ausgestellten Arbeiten von Paul Delaroche explizit. Das Bild, dem Heine in diesem Zusammenhang die meiste Aufmerksamkeit widmet, stellt den Revolutionär Oliver Cromwell am Sarg des enthaupteten englischen Königs Karl I. dar. „Auf dem Gemälde sehen wir die beiden Helden des Stücks, den einen als Leiche im Sarge, den andern in voller Lebenskraft und den Sargdeckel aufhebend, um den todten Feind zu betrachten.“ (HSA VII, 40) Die Beschreibung des Gemäldes „Cromwell ouvrant le cercueil de Charles Ier“ ist ebenfalls ein poetischen Bild, welches über das historische Ereignis hinausweist und als ein symbolisches Geschehen zu lesen ist. Oder sind es etwa nicht die Helden selbst, sondern nur Schauspieler, denen vom Direktor der Welt ihre Rolle vorgeschrieben war, und die vielleicht, ohne es zu wissen, zwey kämpfende Prinzipien tragirten? Ich will sie hier nicht nennen, die beiden feindseligen Prinzipien, die zwey großen Gedanken, die sich vielleicht schon in der schaffenden Gottesbrust befehdeten, und die wir auf diesem Gemälde einander gegenüber sehen, das eine schmählig verwundet und verblutend, in der Person von Karl Stuart, das andere keck und siegreich, in der Person von Oliver Cromwel. (HSA VII, 40) Im Jahr 1838, in seiner Schrift über Shakspeares Mädchen und Frauen, benennt Heine diese beiden Prinzipien: „Mit dem Blute Karls des Ersten, des großen, wahren, letzten Königs, floß auch alle Poesie aus den Adern Englands.“ Heine sieht „jene nivellirende Puritanerzeit“ voraus, „die mit dem Königthum, so auch aller Lebenslust, aller Poesie und aller heitern Kunst ein Ende machen“ wird. (HSA IX, 154) Das Gemälde ist somit nicht nur eine Chiffre für das Nebeneinander von Vergangenheit und Zukunft, von restaurativen und revolutionären Tendenzen, das kennzeichnend ist für die Übergangsperiode der deutschen Geistesgeschichte zwischen der französischen Juli-Revolution des Jahres 1830 und den europäischen Erhebungen der Jahre 1848/49. Zugleich thematisiert Heine in der wechselseitigen Bezogenheit des Vergangenen und des Kommenden die Dialektik der bereits spätzeitlich

4. Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831

gewordenen Ästhetik des klassisch-romantischen Zeitalters und des Dichtungsverständnisses einer jüngeren Generation, die in der Literatur ein Mittel erkannte, den gesellschaftlichen Emanzipationsprozess zu befördern. In diesem Sinne schreibt er in den Gemäldeberichten: Welchen großen Weltschmerz hat der Maler hier mit wenigen Strichen ausgesprochen! Da liegt sie, die Herrlichkeit des Königthums, einst Trost und Blüthe der Menschheit, elendiglich verblutend. Englands Leben ist seitdem bleich und grau, und die entsezte Poesie floh den Boden, den sie ehmals mit ihren heitersten Farben geschmückt. (HSA VII, 41) Auf die Gegenwart verweisende Signifikanz erhält diese Reflexion über die englische Geschichte im Medium einer literarischen Beschreibung eines Werkes der bildenden Kunst zum einen durch den Rekurs auf den französischen König Ludwig XVI., der im Jahr 1793 im Kontext der Revolution ebenfalls hingerichtet worden ist: Warum war aber meine Seele nicht von eben so tiefen Gefühlen ergriffen, als ich jüngst zum ersten Male über den entsetzlichen Platz ging, wo Luwig XVI. gestorben? Ich glaube, weil dieser, als er starb, kein König mehr war, weil er, als sein Haupt fiel, schon vorher die Krone verloren hatte. König Karl verlor aber die Krone nur mit dem Haupte selbst. Er glaubte an diese Krone, an sein absolutes Recht; er kämpfte dafür, wie ein Ritter, kühn und schlank; er starb adelig stolz, protestirend gegen die Gesetzlichkeit seines Gerichts, ein wahrer Märtyrer des Königthums von Gottes Gnaden. Der arme Bourbon verdient nicht diesen Ruhm, sein Haupt war schon durch eine Jakobinermütze entkönigt […]. (HSA VII, 41 f.) Zum anderen spiegelt sich in diesem Text die metaphorische Gleichsetzung der Dichtung und des aristokratischen Prinzips. Heine lehnt die Idee einer Zweckbestimmung der Literatur ab, welche die ästhetischen Diskurse in Deutschland in den Jahren vor dem März 1848 dominiert hat, und verweist stattdessen auf die Selbstbestimmung der Kunst als Instrument einer Erziehung zur politischen Freiheit. Der englische König Karl I. ist damit, gleich Jehuda ben Halevi in dem Zyklus Hebräische Melodien des Romanzero, eine literarische Figuration des Dichters und versinnbildlicht das Prinzip ästhetischer Autonomie gegenüber den Forderungen der Tagesliteratur: Solchen Dichter von der Gnade Gottes nennen wir Genie: Unverantwortlicher König Des Gedankenreiches ist er. Nur dem Gotte steht er Rede, Nicht dem Volke – In der Kunst, Wie im Leben kann das Volk Tödten uns, doch niemals richten. – (HSA III, 115) So sind die Gemälde von Ary Scheffer, Horace Vernet, Alexandre-Gabriel Decamps, Emile-Aubert Lessore, Jean-Victor Schnetz, Léopold Robert und Paul Delaroche, die in den Französischen Malern zum Gegenstand mehr

Ästhetische Autonomie

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V. Einzelanalysen

oder weniger detaillierter Bildbetrachtungen werden, zwar um das Mittelstück der allegorischen Figur der Freiheit angeordnet. Zwar wird der Historismus der französischen Schule zu einer Chiffre für die Unmöglichkeit, den Forderungen der Gegenwart mit den tradierten Paradigmen der Literatur gerecht zu werden. Zugleich aber thematisiert Heine im Spiegel französischer Gemälde sowohl die obsolet gewordenen ästhetischen Paradigmen der Kunstperiode als auch die Notwendigkeit eines poetologischen Entwurfes, der den Widerspruch von egalitärem Republikanismus und elitärem Absolutismus, in dessen Spannungsfeld der Dichter den ästhetischen Diskurs seiner Gegenwart verortet, zu einem Ausgleich zu führen vermag. In diesem Sinne schließt der erst für die Buchpublikation verfasste Nachtrag zu den Gemäldeberichten mit den Zeilen: Ja, es ist meine heiligste Ueberzeugung, daß das Republikenthum unpassend, unersprießlich und unerquicklich wäre für die Völker Europas, und gar unmöglich für die Deutschen. Als, in blinder Nachäffung der Franzosen die deutschen Demagogen eine deutsche Republik predigten, und nicht bloß die Könige, sondern auch das Königthum selbst, die letzte Garantie unserer Gesellschaft, mit wahnsinniger Wuth zu verlästern und zu schmähen suchten: da hielt ich es für Pflicht mich auszusprechen, wie es in vorstehenden Blättern, in Beziehung auf den 21. Januar geschehen ist. […] Ich bin stolz darauf, daß ich einst den Muth besessen weder durch Liebkosung und Intrigue, noch durch Drohung, mich fortreißen zu lassen in Unverstand und Irsal. Wer nicht so weit geht als sein Herz ihn drängt und die Vernunft ihm erlaubt, ist eine Memme, wer weiter geht, als er gehen wollte, ist ein Sclave. (HSA VII, 61)

5. Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski Heine als Erzähler

Bereits in den frühen zwanziger Jahren hat Heinrich Heine sich an einem Werk der erzählenden Prosa versucht. Die Arbeit an dem historischen Roman Der Rabbi von Bacherach wurde jedoch aufgegeben, nachdem der junge Schriftsteller mit dem Wegzug aus der preußischen Residenzstadt Berlin sich nicht nur räumlich, sondern auch geistig von den Idealen und Vorstellungen des „Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden“ und der sich in diesem Kontext ausbildenden jüdischen Identität entfernte und eigene Wege ging. Die beiden anderen Erzähltexte in seinem Werk sind zehn Jahre später, während der ersten Zeit seines Pariser Aufenthaltes, entstanden: Die Memoiren des Herren von Schnabelewopski zwischen 1832 und 1833 – genauere Angaben zur Entstehungsgeschichte dieses Werkes sind nicht überliefert – und die Florentinischen Nächte in den Jahren 1835 und 1836. Alle drei Erzähltexte sind – ein bislang in der Forschung noch nicht diskutierter Aspekt – im Salon veröffentlicht worden, jenem vierbändigen Sammelwerk der dreißiger Jahre, mit dem Heine an den Erfolg der Reisebilder anzuschließen versuchte: Die Memoiren des Herren von Schnabelewopski wurden im Jahr 1834 im ersten Band publiziert, die Florentinischen Nächte erschienen im dritten, 1837 veröffentlichten Band und der Rabbi von

5. Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski

Bacherach im vierten und letzten Band, den Julius Campe im Oktober 1840 auf den Markt brachte. Ohnehin haben die fiktionalen Prosatexte Heines in der Forschung im Vergleich zu den Reisebildern oder den publizistischen Werken wenig Beachtung gefunden. In weiten Teilen hat sich die wissenschaftliche Rezeption damit jenem Selbsturteil angeschlossen, das der Schriftsteller während der Arbeit am Rabbi gegenüber dem Berliner Freund Moses Moser formuliert hat: „Bey dieser Gelegenheit merkte ich auch daß mir das Talent des Erzählens ganz fehlt; vielleicht thue ich mir auch Unrecht und es ist bloß die Sprödigkeit des Stoffes.“ (HSA XX, 168) Erst in jüngerer Zeit ist der Fragment gebliebene historische Roman über das Pogrom in Bacherach am Rhein vor dem Hintergrund eines erwachten Interesses an den jüdischen Wurzeln Heines und seiner Stellung im Kontext einer deutsch-jüdischen Literatur diskutiert worden (Witte 1997), wie die Florentinischen Nächte im Zusammenhang einer sich historisch ausdifferenzierenden Gender-Forschung Beachtung gefunden haben. (Herwig 2007) Demgegenüber sind die Memoiren des Herren von Schnabelewopski auch in der jüngeren Forschung nur am Rande behandelt worden. Dies ist insofern bemerkenswert, als dieses unmittelbar nach der Übersiedlung nach Paris entstandene Romanfragment den Übergang von den Reisebildern zu den essayistischen Texten der französischen Periode markiert und deshalb bereits aus werkgeschichtlicher Perspektive interessant ist. Gattungsgeschichtlich steht der Text in der Tradition des Schelmenromans, der mit der Wiederentdeckung von Christian Reuters Schelmuffskys wahrhafftiger curiöser und gefährlicher Reisebeschreibung zu Wasser und zu Lande aus dem Jahr 1696 durch die Romantik neuerlich Beachtung gefunden hatte. (Windfuhr 1993; Arendt 1997) Bereits der Titel dieses barocken Romans deutet auf zwei wesentliche Merkmale der Gattung: In Form einer fiktiven Biografie oder Autobiografie werden die Abenteuer und Erlebnisse eines Protagonisten erzählt, dessen – gemessen an bürgerlichen Moralvorstellungen zweifelhafter – Lebenswandel in deutlichem Gegensatz zu dem ungebrochenen Heldenschema des Abenteuerromans steht. Ein zentrales Moment ist ferner die grundlegend desillusionierte Haltung des Helden, der sich entweder als ein ge- und enttäuschter Idealist erweist oder in der Nachfolge des Parzival als ein reiner Tor, der sich jedoch der Schlechtigkeit der Welt und der Vergeblichkeit des Seins bewusst geworden ist. Während Heine mit der autobiografischen Erzählperspektive des Helden und in wenig geschlossenen, episodenhaft-assoziativen Erlebnissen und Erinnerungen, von denen in vierzehn Kapiteln erzählt wird, an die Tradition des Schelmenromans anschließt, bricht die Gestalt des Herren von Schnabelewopski selbst mit dem Schema der Pikareske. In der Figur des gebürtigen Polen, der zu Beginn des Textes von seiner Herkunft und Kindheit spricht, spiegeln sich einerseits die Erfahrungen mit dem Land, die der Schriftsteller selbst während einer kurzen im Jahr 1822 unternommenen Reise gemacht hat, andererseits die Begegnungen mit polnischen Exilanten in Paris, die nach dem Aufstand von 1830 ihre Heimat verlassen mussten. Gegenstand des Fragmentes sind jedoch nicht Polen und auch nicht die Stationen der Reise, die den Helden über Hamburg und Amsterdam nach Lei-

Literarhistorischer Hintergrund

Pikareske

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V. Einzelanalysen

Schreibart

den führt, wo er das Studium der Theologie aufnehmen soll, sondern philosophische Reflexionen, die sich mit erotischen oder kulinarischen Erinnerungen und Exkursen durchmischen und auf diese Weise eine Bildlichkeit evozieren, in der die das Denken Heines bestimmende Dialektik von Sensualismus und Spiritualismus bereits angelegt ist. (Calvié 1999) Das Motiv der Reise, das Episodenhafte der Ereignisse und das Assoziativ-Ungeordnete der Schreibart erinnern an die Prosa der Reisebilder, in denen Kontraste, fehlende Handlungsstrukturen, ironisch-groteske Beschreibungen und ernsthafte Betrachtungen einander in loser Folge abwechseln. In diesem Sinne sind auch die fiktiven Memoiren des polnischen Landadeligen zu verstehen, die bereits durch ihren Titel darauf aufmerksam machen, dass hier keine in sich geschlossene Lebensreise beschrieben werden soll, sondern einzelne Ereignisse und Begebenheiten exemplarisch herausgegriffen werden. Dieses anarchische Moment zeigt sich bereits bei der ersten Station seiner Reise: in Hamburg. Die Schilderung der Handelsmetropole, die Heine ebenfalls aus eigener Anschauung kannte und über die er auch in dem frühen Reisebild Ideen. Das Buch Le Grand nachdenkt, erfolgt im Stil der in der Zeit gebräuchlichen Reiseführer und -berichte. Sie wird jedoch durch unerwartete Wendungen und die Schilderung von für den Touristen in diesem Kontext nebensächlichen oder abseitigen Gegenständen gebrochen und ironisch unterlaufen: Hamburg ist erbaut von Carl dem Großen und wird bewohnt von 80,000 kleinen Leuten, die alle mit Carl dem Großen, der in Aachen begraben liegt, nicht tauschen würden. Vielleicht beträgt die Bevölkerung von Hamburg gegen 100,000; ich weiß es nicht genau, obgleich ich ganze Tage lang auf den Straßen ging um mir dort die Menschen zu betrachten. Auch habe ich gewiß manchen Mann übersehen, indem die Frauen meine besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Letztere fand ich durchaus nicht mager, sondern meistens sogar korpulent, mitunter reitzend schön, und im Durchschnitt, von einer gewissen wohlhabenden Sinnlichkeit, die mir bey Leibe! nicht mißfiel. (HSA VI, 187 f.)

Gesellschaftskritik

Durch die Konjunktion ganz unterschiedlicher, einander ausschließender Gegenstandsbereiche und den bewussten Verzicht auf eine geschlossene Darstellung erscheint die Hansestadt auf eine groteske Weise. Indem Schnabelewopski das Nebeneinander von Kaufmannsgeist und Politik, Erotik und Theater, Geschichte und Gegenwart, Bürgersinn und egoistischem Gewinnstreben fokussiert, stehen seine Betrachtungen nicht nur in der Tradition der Philisterkritik der Romantik, sondern verweisen den Leser zugleich auf eine in ihren Strukturen, Mechanismen und Zielsetzungen unberechenbar gewordene Welt. Vor dem Hintergrund der saint-simonistischen Vorstellungen, mit denen er sich in den frühen 1830er Jahren verstärkt beschäftigte, und im Vorgriff auf die Korrespondenzen, die er aus Paris über die Entwicklungen der französischen Verhältnisse in der beginnenden Moderne verfassen sollte, hinterfragt Heine bereits in diesem Erzählfragment die Dominanz des Ökonomischen, das Primat der die bürgerliche Gesellschaft der Restaurationszeit bestimmenden materiellen Interessen. Die ebenso treffende, wie provozierende Zentralmetapher hierfür ist die Käuflichkeit der Liebe:

5. Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski

Was die Männer betrifft, so sah ich meistens untersetzte Gestalten, verständige kalte Augen, kurze Stirn, nachlässig herabhängende, rothe Wangen, die Eßwerkzeuge besonders ausgebildet, der Hut wie festgenagelt auf dem Kopfe, und die Hände in beiden Hosentaschen, wie einer der eben fragen will: was hab’ ich zu bezahlen? (HSA VI, 188) Im Kontext solcher Betrachtungen zeigt sich das Pikareske der Figur des IchErzählers, der die Unvereinbarkeit und Gleichzeitigkeit all dieser Erscheinungen durch seine naive Perspektive auf eine besonders deutliche Weise sichtbar macht. Indem er seine mit dem Blick des Fremden gemachten Beobachtungen lediglich mitteilt und mit subjektiven Erinnerungen und Betrachtungen durchmischt, bleibt es jedoch dem Leser überlassen, das Dargestellte kritisch zu hinterfragen und zu überdenken. Diese Haltung kommt auch in den sich der Hamburg-Episode anschließenden Abschnitten über Amsterdam und Leiden zum Ausdruck, die ebenfalls von erotischen Abenteuern, kulinarischen Genüssen und philosophischen Betrachtungen bestimmt werden. So beschließt Schnabelewopski die Darstellung eines Tischgespräches, das er in Leiden über die Existenz Gottes führte, mit einer Betrachtung, welche die in der jüdisch-christlichen Tradition überlieferte Gottesvorstellung in Frage stellt und in ihrer skeptischen Grundhaltung in der Nachfolge der Ideen der französischen Aufklärung zu verstehen ist: Ich glaube, dieser Gott-reiner Geist, dieser Parvenü des Himmels, der jetzt so moralisch, so kosmopolitisch und universell gebildet ist, hegt ein geheimes Mißwollen gegen die armen Juden, die ihn noch in seiner ersten rohen Gestalt gekannt haben und ihn täglich in ihren Synagogen, an seine ehemaligen obscuren Nazionalverhältnisse erinnern. Vielleicht will es der alte Herr gar nicht mehr wissen, daß er palestinischen Ursprungs und einst der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs gewesen und damals Jehova geheißen hat. (HSA VI, 212) In diesen und ähnlichen Passagen wird die aufklärerisch-emanzipatorische Tendenz des Werkes deutlich, das die theologischen und philosophischen Diskurse seiner Zeit skeptisch hinterfragt. Gerhard Höhn hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass auf diese Weise „bestimmte Elemente durch Selektion und Montage Signaturcharakter“ erlangen. (Höhn 2004, 338) Die Skepsis ist auch für Heine ein Instrument der Befreiung von tradierten Vorstellungen, Normen und Werten. Am Ende des Romanfragmentes steht deshalb eine Reflexion über den niederländischen Maler Jan Steen, in dessen Gemälden der polnische Landedelmann die Widersprüche der spiritualistischen Traditionen der christlich-abendländischen Kultur und der materialistischen Gegenwart in der Vision einer befreiten Menschheit aufgelöst findet: Auch als religiöser Maler war Jan eben so groß, und das wird man einst ganz klar einsehn, wenn die Religion des Schmerzes erloschen ist, und die Religion der Freude den trüben Flor von den Rosenbüschen dieser Erde fortreißt, und die Nachtigallen endlich ihre lang verheimlichten Entzückungen hervorjauchzen dürfen. (HSA VI, 214)

Signatur der Zeit

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V. Einzelanalysen

6. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland Entstehungsgeschichte

Hegels Geschichtsphilosophie

Saint-Simonismus

In der Vorrede, die Heinrich Heine seiner Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland anlässlich ihres deutschen Erstdruckes im zweiten Band des Salon vorangestellt hat, definiert er als den Zweck seiner Darstellung, den französischen Lesern eine „Ueberschau deutscher Geistesvorgänge“ vermitteln zu wollen. (HSA VIII, 125) Mit dieser Selbstaussage stellt er heraus, dass auch die Philosophie-Schrift im Kontext derjenigen Werke zu verstehen ist, die er seit seiner Übersiedlung nach Paris für ein französisches Publikum über seine deutsche Heimat geschrieben hat. So war das Werk bereits ein Jahr zuvor als eine Folge von drei Artikeln in der Übertragung Pierre-Alexandre Spechts, eines Pariser Postbeamten, der häufiger Übersetzungen für Heine anfertigte, in der französischen Zeitschrift Revue des Deux Mondes erschienen. Die deutsche Fassung der Schrift in dem im Februar ausgelieferten zweiten Salon-Band war von deutlichen Eingriffen der Zensur im sächsischen Altenburg (dem Sitz der Druckerei, die für das Buch verantwortlich zeichnete) geprägt, so dass es nach Erscheinen des Bandes zu einer längeren Auseinandersetzung zwischen dem Schriftsteller und seinem Verleger Julius Campe kam, die erst im Laufe des Jahres 1835 beigelegt werden konnte. Dass die Schriften Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland und Die romantische Schule trotz ihrer unterschiedlichen Entstehungshintergründe, als Darstellungen der deutschen Geistesgeschichte für ein französischen Publikum verfasst, eine werkgeschichtliche Einheit bilden, dokumentiert ihre gemeinsame Publikation in dem Sammelwerk De l’Allemagne, das der Pariser Verleger Eugène Renduel im Jahr 1835 veröffentlichte. Bereits der Titel dieses Projektes verweist auf Anne-Louise-Germaine de Staël-Holsteins im Jahr 1813 im Londoner Exil erschienenes gleichnamiges Buch über Deutschland, als dessen kritische Revision Heine seine Schrift verstanden wissen wollte. (Höhn 2004, 342 f.) Den idealistisch eingefärbten Deutungen der Französin, die in den Jahren 1803/04 und 1807/08 ausgedehnte Reisen durch Deutschland unternahm und durch ihren Reisebegleiter August Wilhelm Schlegel die Bekanntschaft von zahlreichen Schriftstellern, Philosophen, Politikern und anderen in der Zeit führenden Persönlichkeiten machte, stellt Heine ein Bild Deutschlands entgegen, das einerseits geprägt ist von den geschichtsphilosophischen Vorstellungen seines Berliner Lehrers Georg Wilhelm Friedrich Hegel und andererseits von der Gesellschaftstheorie der Saint-Simonisten. (Lefevre 1986; Ferner 1994) Bereits unmittelbar nach seiner Ankunft in der französischen Hauptstadt hatte Heine den Kontakt zu führenden Vertretern dieser Gruppierung gesucht. In der Nachfolge des im Jahr 1825 gestorbenen Grafen Claude-Henri de Saint-Simon, eines Sozialwissenschaftlers und Reformers, hatte sich in den zwanziger und dreißiger Jahren in Frankreich eine frühsozialistische Bewegung entwickelt, welche die Geschichte der Menschheit als eine Abfolge von Klassenkämpfen betrachtete. Es sind die Implikationen dieser sozialpolitischen Vorstellung, welche Heines Schrift grundlegend bestimmen. (Preisendanz 1987)

6. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland

Ebenfalls wichtig für das Verständnis des Werkes ist, dass Heine nicht die Absicht verfolgte, eine in der Auffassung der Zeit systematische Darstellung der Entwicklung der Religion und Philosophie in Deutschland von der Reformation bis in seine eigene Gegenwart zu liefern, sondern mit seiner Schrift eine Deutung unternahm, die als ein theoretisch-programmatischer Unterbau jener Vorstellungen verstanden werden kann, welche in seinen in Deutschland entstandenen Werken, vornehmlich den Reisebildern, bereits literarisch entfaltet worden waren. (Freudenthal 2001) Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum Heine bei der Ausarbeitung des Werkes auf akademische Lehrbücher der Philosophie zurückgreifen musste, denn wenngleich er bereits während seiner Düsseldorfer Schulzeit einen gründlichen Unterricht in diesem Fach erhalten hatte, den er während seiner Studien in Bonn, Göttingen und vor allem Berlin vertiefen konnte, brachte eine Darstellung der deutschen Philosophie für ein französisches Publikum die Notwendigkeit mit sich, die Hauptströmungen und Entwicklungstendenzen auf eine prägnante, systematische und gleichwohl verständliche Weise zu erklären. „Es gilt“, schreibt Heine selbst, „die Ausdrücke einer Schulsprache zu vermeiden, die den Franzosen gänzlich unbekannt ist.“ (HSA VIII, 131) Das Werk ist in drei Abschnitte (Bücher) unterteilt, was mit dem triadischen Geschichtsmodell, das die Schrift entwirft, korrespondiert. Zu Beginn des ersten Buches betont der Schriftsteller die Bedeutung der nachfolgenden philosophie- und religionsgeschichtlichen Darlegungen für das Verständnis der literarischen Entwicklungen, die er in seiner Reflexion Die romantische Schule entfaltet. Die Implikationen der Genese religiöser und philosophischer Positionen für den literarischen Diskurs spiegeln sich auch in der Darstellung Martin Luthers, dem das erste Buch eine zentrale Position in der neuzeitlichen Geistesgeschichte zuschreibt. Der Reformator und seine Leistungen werden unter einer doppelten Perspektive betrachtet: Einerseits wirkte die mit seinen Lehren vollzogene Rückbesinnung auf die Heilige Schrift, durch das Prinzip „sola scriptura“, auf die Literatur; mit Luthers deutscher Übertragung der Bibel lässt Heine diese überhaupt erst beginnen. Indem Luther den Satz aussprach, daß man seine Lehre nur durch die Bibel selber, oder durch vernünftige Gründe, widerlegen müsse, war der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären und sie, die Vernunft, war als oberste Richterin in allen religiösen Streitfragen anerkannt. Dadurch entstand in Deutschland die sogenannte Geistesfreiheit, oder, wie man sie ebenfalls nennt, die Denkfreiheit. (HSA VIII, 153) Zugleich aber liegt in dieser philologischen Konzentration auf die Heilige Schrift bereits ein kritisches Moment, so dass dem Anspruch, den erschöpften und über Jahrhunderte durch die Tradition überformten theologischen Diskurs durch eine Rückbesinnung auf den Ursprung zu erneuern, bereits die Loslösung und endliche Überwindung der Religion eingeschrieben ist. (Hofmann 1993) Die deutsche Literatur – und dies ist eine der wesentlichen Thesen Heines – gründet auf der Religion. Andererseits kam, so Heines Deutung, mit dem Protestantismus auch jener sinnenfeindliche Spiritualismus zur Entfaltung,

Programmatische Deutung der Philosophie

Aufbau

Martin Luther und die Reformation

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V. Einzelanalysen

den der Schriftsteller mit dem alternativen Model einer diesseitsbezogenen Sinnlichkeit programmatisch kontrastiert. Im Spannungsfeld dieser divergenten, in Martin Luther ihren Anfang nehmenden Entwicklungen fokussiert die Philosophie-Schrift Heines auch die Genese des modernen Subjektivismus und seiner Implikationen in der individuellen Frömmigkeitshaltung des Protestantismus: Der allgemeine Charakter der modernen Literatur besteht darin, daß jetzt die Individualität und die Skepsis vorherrschen. Die Autoritäten sind niedergebrochen; nur die Vernunft ist jetzt des Menschen einzige Lampe, und sein Gewissen ist sein einziger Stab in den dunkeln Irrgängen dieses Lebens. (HSA VIII, 161)

Lessing und Spinoza

Mit dieser Argumentation macht er zum einen die These evident, dass die literarischen Entwicklungen in Deutschland nur vor dem Hintergrund der theologischen und philosophischen Diskurse der Neuzeit zu verstehen sind. (Ansel 1999) Zum anderen, dies ist jedoch ein Aspekt, der nur indirekt aufscheint, spiegelt sich in Heines Betrachtungen die Vorstellung, dass die Literatur im Prozess der seit der Reformation sich vollziehenden Dekonstruktion religiöser Paradigmen eine wesentliche ontologische Funktion zu übernehmen hat. Das zweite Buch umfasst die Entwicklung der deutschen Geistesgeschichte bis Gotthold Ephraim Lessing. Hierbei geht es Heine weder um eine geschlossene und systematische Darstellung des Einflusses der Thesen des Franzosen René Descartes auf die deutsche Philosophie noch um eine analytische Betrachtung der Frühaufklärung über Gottfried Wilhelm Leibniz bis zu Christian Wolff oder um die den aufklärerischen Diskurs in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmenden Debatten zwischen Materialisten, Rationalisten und Deisten. Statt dessen beleuchtet er die Vorstellungen Baruch Spinozas, weil er in dessen pantheistischer Philosophie eine Antwort auf die zu Beginn dieses zweiten Buches gestellte Frage nach „der Natur Gottes“ erkennt. (HSA VIII, 162) In der These, dass es „nur eine Substanz“ gebe und diese sei Gott, findet Heine einen philosophischen Ansatz, der die in der christlichen Tradition vertretene Trennung zwischen Körper und Geist aufhebt: Gott ist identisch mit der Welt. Er manifestirt sich in den Pflanzen, die ohne Bewußtsein ein kosmischmagnetisches Leben führen. Er manifestirt sich in den Thieren, die in ihrem sinnlichen Traumleben eine mehr oder minder dumpfe Existenz empfinden. Aber am herrlichsten manifestirt er sich in dem Menschen, der zugleich fühlt und denkt, der sich selbst individuell zu unterscheiden weiß von der objektiven Natur, und schon in seiner Vernunft die Ideen trägt, die sich ihm in der Erscheinungswelt kund geben. Im Menschen kommt die Gottheit zum Selbstbewußtsein, und solches Selbstbewußtsein offenbart sie wieder durch den Menschen. (HSA VIII, 174) Der von Martin Luther mit der Reformation angestoßene Emanzipationsprozess findet, in Heines Deutung, in dieser, in Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland letztlich auch mit saint-simonistischem Gedankengut angereicherten, Vorstellung seine Fortsetzung. Hier sieht Heine

6. Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland

auch die theoretische Begründung für eine die alten Herrschaftsstrukturen und -mechanismen beseitigende Revolution. Wir beförderten das Wohlsein der Materie, das materielle Glück der Völker, nicht weil wir gleich den Materialisten den Geist mißachten, sondern weil wir wissen, daß die Göttlichkeit des Menschen sich auch in seiner leiblichen Erscheinung kund giebt, und das Elend den Leib, das Bild Gottes, zerstört oder avilirt, und der Geist dadurch ebenfalls zu Grunde geht. (HSA VIII, 175) Dies ist das Paradigma, an dem Heine Philosophen und Denker der deutschen Aufklärung beurteilt. Vor diesem Hintergrund erschließt sich sowohl die Bedeutung, die er dem Reformator Luther als demjenigen zuschreibt, der sich von der Tradition emanzipiert hat, als auch die Relevanz, die er in Lessing als demjenigen erkennt, der „von diesem tyrannischen Buchstaben“ befreite. (HSA VIII, 190) Das dritte Buch umfasst die Geschichte der Philosophie von dem Auftreten Immanuel Kants bis in Heines unmittelbare Gegenwart, bis zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Auch hier verzichtet Heine auf eine systematische Darstellung und zieht statt dessen Vergleiche zwischen der deutschen und französischen Philosophiegeschichte. So erscheint Kant in dieser Deutung als ein Denker, dessen Werke die notwendige politische Umwälzung theoretisch vorbereiten:

Kant, Fichte, Hegel

Wenn einst, gleich der französischen Revoluzion, auch die deutsche Philosophie ihren Thiers und ihren Mignet findet, so wird die Geschichte derselben eine eben so merkwürdige Lektüre bieten, und der Deutsche wird sie mit Stolz und der Franzose wird sie mit Bewunderung lesen. (HSA VIII, 203) Dieser Gedanke spiegelt sich auch in der das dritte Buch bestimmenden Reflexion über Johann Gottlieb Fichte. In dessen Schriften findet Heine nicht nur den Pantheismus Spinozas wieder. Indem Fichte 1799 den Lehrstuhl an der Universität Jena verlassen musste, weil die Zeitgenossen sein Werk mit dem Vorwurf des Atheismus diskreditierten, fokussiert Heine zudem ein Moment politischer Verfolgung, von dem aus er indirekte Parallelen zu den Schicksalen zahlreicher Intellektueller in seiner eigenen Gegenwart zieht. Ebenfalls in der Traditionslinie des Pantheismus sieht er Friedrich Wilhelm Schelling, dessen transzendentaler Idealismus ihm jedoch fremd bleibt, weshalb er ihn auf eine hintergründig ironische Weise darstellt. In dieser Deutung erscheint Schelling als eine Gestalt des Übergangs, die bereits auf denjenigen Philosophen vorausdeutet, der im Zusammenhang des Fortschrittsgedankens, den Heine in seiner Schrift entwickelt, eine zentrale Position einnimmt: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. In ihm – bei dem Heine während seiner Studienjahre in Berlin Vorlesungen gehört hat – erkennt er den Vollender der deutschen Philosophie: „Unsere philosophische Revoluzion ist beendigt. Hegel hat ihren großen Kreis geschlossen.“ (HSA VIII, 226) In dem dreistufigen Geschichtsmodell, das die Schrift entwickelt, hat Luther die Emanzipation von der religiösen Tradition initiiert und Hegel die auf diesen Schritt aufbauenden philosophischen Modelle zu einem Ab-

Gedanke und Tat

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V. Einzelanalysen

schluss geführt. Nunmehr, so Heines These, beginnt eine Zeit, welche die im Idealismus angelegte und vorbereitete Befreiung in die Tat umsetzt. Lächelt nicht über den Phantasten, der im Reiche der Erscheinungen dieselbe Revoluzion erwartet, die im Gebiete des Geistes statt gefunden. Der Gedanke geht der That voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig, und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht. (HSA VIII, 229) Der Gedanke einer politisch-sozialen Befreiung, für den der Schriftsteller bereits in den vier Bänden der Reisebilder gestritten hat, und die Idee einer deutschen Erhebung nach dem Vorbild der französischen Revolutionen der Jahre 1789 und 1830, die in Schriften wie den Französischen Malern diskutiert worden sind, bekommen in der Philosophie-Schrift eine philosophischtheoretische Begründung. (Anglade 1999) Diese programmatische Deutung der Geschichte ist jedoch, charakteristisch für das Denken Heinrich Heines, ambivalent. Einerseits ist sie nicht viel mehr als ein Ausdruck der Hoffnung auf eine Veränderung der politischen Zustände im Deutschland der Restaurationszeit. Andererseits spiegelt sich in dieser Hoffnung auch ein Moment der Skepsis, denn die endliche Befreiung, die historisch notwenige Revolution birgt auch den Schrecken des Terrors und der Gewalt: „Es wird ein Stück aufgeführt werden in Deutschland, wogegen die französische Revolution nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte“, schreibt Heine am Ende des Werkes. (HSA VIII, 229) Die Furcht, die hier aufscheint, trägt in sich die Ahnung, dass die allgemeine Freiheit nichts anderes sein möchte als eine Diktatur der Freiheit, welche den unbedingten Individualismus der Kunst, ihre notwendige Ungebundenheit, ihr anarchisches und damit emanzipatorisches Potential nivellieren wird.

7. Elementargeister Literarhistorischer Hintergrund

Mit den Elementargeistern führt Heinrich Heine zwar die philologisch-sammelnde und dichterisch-produktive Auseinandersetzung mit der germanisch-nordischen Mythologie und dem Volksglauben fort, die von den Dichtern und Denkern der deutschen Romantik auf eine programmatische Weise betrieben worden ist. Zugleich ist seine der Mythologie gewidmete Schrift jedoch auch als eine bewusste Abkehr von dem lediglich historischkonservierenden Gestus der späten Romantik zu verstehen. Gleichwohl dokumentieren die Quellen, auf die er im Prozess seiner Arbeit zurückgriff, die intensive Beschäftigung mit den Sammlungen und Dichtungen der ihm vorangegangenen romantischen Generation. Hierzu gehören die Kinderund Hausmärchen (1812–1813) und die Deutschen Sagen (1816–1818) der Brüder Grimm ebenso wie die von Wilhelm Grimm herausgegebenen Altdänischen Heldenlieder, Balladen und Märchen (1811) oder die Deutsche Mythologie von Jacob Grimm (1835). Neben Sammlungen, wie dem von Achim von Arnim und Clemens Brentano zusammengestellten Wunder-

7. Elementargeister

horn (1806–1808), befasste sich Heine zudem auch mit historischen Werken, so mit Schriften von Heinrich Kornmann, Agrippa von Nettesheim oder Johannes Praetorius, die bereits von den Romantikern als Quellen ihrer Sammlungen und Dichtungen ausgewertet worden waren. (Höhn 2004, 362 f.) Im Gegensatz aber zu seinen Vorläufern ist Heines Interesse an der Mythologie nicht philologisch ausgerichtet und auch seine dichterische Anverwandlung solcherart tradierter Stoffe geht, indem sie eine kulturphilosophische, auf die Gegenwart ausgerichtete Perspektive einnimmt, andere Wege. (Winkler 1995) Dies wird bereits durch den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang sichtbar, in dem die Elementargeister zu verorten sind. Die Schrift gehört zu dem Komplex jener Werke, die der Schriftsteller nach seiner Übersiedlung nach Paris für ein französisches Publikum in der Absicht verfasst hat, die philosophie-, religions- und literaturgeschichtlichen Strömungen im Deutschland der Gegenwart im Nachbarland bekannt zu machen. So sind die ersten Teile der Schrift in französischer Sprache im zweiten Band von De l’Allemagne im Jahr 1835 im Anschluss an die Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland veröffentlicht worden. Zwischen dem Jahr der Erstveröffentlichung im Pariser Verlag von Eugène Renduel und dem Erscheinen der deutschen Fassung im dritten Band des Salon im Jahr 1837 hat Heine in unterschiedlichen Phasen an dem Text gearbeitet. Die komplizierte Entstehungsgeschichte des Werkes ist zum Teil auch auf die Beschlüsse des Bundestages gegen ihn und weitere, unter dem Namen „Junges Deutschland“ subsumierte Schriftsteller und Publizisten im Dezember 1835 zurückzuführen. Das Publikationsverbot und die damit einhergehenden verschärften Zensurbedingungen führten dazu, dass er bereits im Prozess der Niederschrift seine Werke selbst zensierte und politische Aussagen wenn nicht vermied, so doch nur in abgeschwächter Form machte. In diesem Sinne schrieb Heine am 8. März 1836 an seinen Verleger Julius Campe nach Hamburg, dass „alles Politische und Antireligiöse“ in dem Werk „ausgemerzt“ sei. Und er fügt ebenso ironisch wie bitter hinzu: „Wie gefällt Ihnen der Titel: ,Das Stille Buch’? Gefällt Ihnen dieser Titel nicht, so können Sie das Buch ,Mährchen‘ tituliren.“ (HSA XXI, 142) Werkgeschichtlich sind die Elementargeister jedoch nicht nur im Zusammenhang seiner Schriften über Deutschland zu verstehen. Sie stehen auch im Kontext einer ebenso intensiven wie breit angelegten Auseinandersetzung mit der griechisch-römischen sowie germanischen Mythologie, die Heines lyrische und prosaische Werke von den ersten bis zu den letzten Publikationen kennzeichnet. (Winkler 1995) So finden sich bereits im Buch der Lieder sowohl Nixen, Wasserfeen und Berggeister als auch Figuren der antiken Überlieferung. Und auch in den Neuen Gedichten, dem Romanzero und den Gedichten. 1853 und 1854 spielen Sagen, Legenden und Mythen eine bedeutende Rolle. Darüber hinaus wird in späten Dichtungen – wie Die Götter im Exil, Die Göttin Diana oder Der Doktor Faust – die theoretische Beschäftigung mit der Mythologie dichterisch neuerlich explizit. Während jedoch die Literatur der Klassik programmatisch auf die Sagenwelt der griechischen und römischen Antike Bezug nahm und die nachfolgende romantische Generation nicht minder programmatisch die

Entstehungsgeschichte

Werkgeschichtlicher Kontext

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V. Einzelanalysen

Aufbau

Bedeutung der germanischen Überlieferung betonte, stellt Heine beide Vorstellungswelten gleichberechtigt nebeneinander. (Reitter 2002) Dieser Ansatz spiegelt sich auch in den Elementargeistern, die sich in zwei Abschnitte aufgliedern. Der erste Teil ist den Elementargeistern selbst gewidmet. Nach der Lehre des mittelalterlichen Arztes, Naturforschers und Philosophen Paracelsus handelt es sich hierbei um zwar seelenlose, aber gleichwohl mit Vernunft begabte Wesen, die in den Elementen Erde, Feuer, Wasser und Luft leben. Diese Gestalten der niederen Mythologie – im Gegensatz zu denjenigen der Göttermythologie – hatten bereits das Interesse der Romantiker geweckt. Dies dokumentieren dichterische Anverwandlungen wie die Erzählung Undine (1811) von Friedrich de la Motte-Fouqué. Heines Darstellung ist jedoch keine repetierende Revision der bei Paracelsus entwickelten Vorstellungswelt, sondern zeichnet sich durch eine narrative, teils arabeske, teils ironische Behandlung aus. Indem das Werk einen reihenden, zusammengesetzten Eindruck vermittelt, eröffnet es die Möglichkeit, nach dem Vorbild der Reisebilder oder anderer Prosaschriften des Autors den Gegenstand des Textes nur als Ausgangspunkt für eine weitergehende, das eigentliche Thema verlassende Reflexion zu betrachten. So nimmt der Schriftsteller eine Darstellung von Elfen und Nixen zum Anlass, unter Berufung auf eine historische Quelle sogenannte „Seebischöfe“ zu thematisieren. (HSA IX, 100) Diese Gestalten wiederum bieten die Gelegenheit, auf eine indirekte und in nur wenigen Passagen explizit werdende Weise die hierarchische Struktur der christlichen Kirchen zu ironisieren. So findet sich in diesem Zusammenhang die beiläufige Bemerkung: „Einigen Engländern, mit denen ich mich gestern über die Reform der anglikanisch episkopalen Kirche unterhielt, habe ich den Rath gegeben, aus ihren Landbischöfen lauter Meerbischöfe zu machen.“ (HSA IX, 101) Unter den dargestellten Geistwesen sind vor allem die „Willis“ aufgrund ihrer Wirkungsgeschichte bedeutsam. Es handelt sich hierbei um jungfräuliche, noch vor ihrer Hochzeit verstorbene Bräute, die im Grab keine Ruhe finden können und in den Nächten junge Männer zum Tanz verführen. Mit ihnen tanzen sie so exzessiv, bis diese ihre Kräfte verbraucht haben und tot zu Boden sinken. Heine beschreibt diese Gestalten nicht nur in den Elementargeistern, sondern auch in den Florentinischen Nächten, in den Erläuterungen zum Doktor Faust und im ersten Teil der Lutezia. Vernoy de Saint Georges, Théophile Gautier und Jean Coralli ließen sich von den Passagen in Heines Werk zu dem Libretto des Balletts Giselle ou les Willis anregen, das mit der Musik von Adolphe Adam im Juni des Jahres 1841 an der Pariser Oper uraufgeführt wurde und bis in die Gegenwart auf den Bühnen lebendig geblieben ist. Der zweite Teil der Schrift thematisiert den „Sieg des Christenthums über das Heidenthum“ (HSA IX, 120), jenen in der Spätantike vollzogenen Prozess also, in dessen Verlauf die mythologischen Vorstellungen des griechischen und römischen Altertums vom Christentum zunächst überlagert, dann vereinnahmt und schließlich dämonisiert wurden: In diesen Statuen und Tempeln sah der Christ nicht bloß die Gegenstände eines fremden Cultus, eines nichtigen Irrglaubens, dem alle Realität fehle: sondern diese Tempel hielt er für die Burgen wirklicher Dämonen,

7. Elementargeister

und den Göttern, die diese Statuen darstellten, verlieh er eine unbestrittene Existenz; sie waren nemlich lauter Teufel. (HSA IX, 120) Hiervon ausgehend untersucht Heine das Fort- und Weiterleben der antiken Göttergestalten als Dämonen und Teufel des mittelalterlichen Volksglaubens. Zugleich – und hierin zeigt sich ebenfalls der zeitkritische Impuls des Werkes – deutet er den Teufel nicht nur als eine Chiffre für die sensualistische Sinnenfreude und die Freiheit des Denkens, er erkennt in ihm auch eine Verkörperung des Prinzips der Vernunft: Der Teufel ist ein Logiker. Er ist nicht bloß der Repräsentant der weltlichen Herrlichkeit, der Sinnenfreude, des Fleisches, er ist auch Repräsentant der menschlichen Vernunft, eben weil diese alle Rechte der Materie vindizirt; und er bildet somit den Gegensatz zu Christus, der nicht bloß den Geist, die ascetische Entsinnlichung, das himmlische Heil, sondern auch den Glauben repräsentirt. Der Teufel glaubt nicht, er stützt sich nicht blindlings auf fremde Autoritäten, er will vielmehr dem eignen Denken vertrauen, er macht Gebrauch von der Vernunft! Dieses ist nun freylich etwas Entsetzliches, und mit Recht hat die römisch-katholischapostolische Kirche das Selbstdenken als Teufeley verdammt und den Teufel, den Repräsentanten der Vernunft, für den Vater der Lüge erklärt. (HSA IX, 114 f.) Bezug nehmend auf Heinrich Kornmanns im Jahr 1614 in Frankfurt am Main veröffentlichte Schrift Mons Veneris beschließt Heine seine Darstellung mit einer Nachdichtung der Tannhäuser-Legende, die der Jurist Kornmann in seinem Werk verzeichnet hat. Anders jedoch als Achim von Arnim und Clemens Brentano, deren im Wunderhorn publizierte Fassung des Liedes ebenfalls auf der Überlieferung in der Schrift Mons Veneris fußt, überformt er den historischen Stoff, bricht ihn ironisch und verleiht ihm auf diese Weise eine auf die Gegenwart bezogene politische Relevanz. (Küppers 1994, 195 ff.) Die humoristisch-groteske Wanderung Tannhäusers durch das politisch rückständige Deutschland antizipiert zum einen bereits Motive, die einige Jahre später in dem Versepos Deutschland. Ein Wintermährchen zur Entfaltung kommen sollten. Andererseits spiegelt sich in der Dialektik von sinnlichem Verlangen und Entsagung, Fortschritt und Restauration, die in den Figuren der Frau Venus und des Ritters Tannhäuser angelegt ist, jener Gegensatz von Sensualismus und Spiritualismus, der im ersten Teil des Werkes entfaltet worden ist und den bereits die Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland thematisiert hat. Heine betrachtet den germanischen Volksglauben und die antike Mythologie somit vor dem Hintergrund des für sein dichterisches wie essayistisches Werk wesentlichen Gedankens der Emanzipation. (Schlesier 2001) Die befreite Körperlichkeit, die im Tanz der „Willis“ zum Ausdruck kommt, ist, wie die Sinnlichkeit der in der christlichen Deutung dämonisierten heidnischen Göttergestalten, eine Chiffre für den in der abendländischen Tradition unterdrückten Sensualismus. (Sternberger 1976) Während also bei den Schriftstellern und Denkern der Romantik, die sich mit dem Volksglauben beschäftigt haben, die Dialektik von Mythos und Vernunft im Kontext der philosophischen Auseinandersetzung mit der Aufklärung dominiert, fokus-

Mythologie und Emanzipation

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V. Einzelanalysen

siert Heine aus einer kulturphilosophischen Perspektive die politische Notwendigkeit des Fortschritts und der Emanzipation.

8. Ludwig Börne. Eine Denkschrift (Heinrich Heine über Ludwig Börne) Wirkungsgeschichte

Verhältnis Heine-Börne

Die Denkschrift über Ludwig Börne, die im August 1840 bei Hoffmann & Campe erschien, ist dasjenige Werk Heinrich Heines, das zu Lebzeiten des Autors in der Öffentlichkeit die meisten Diskussionen hervorgerufen hat. In der Wirkungsgeschichte seines Schaffens kann die Schrift sogar als ein Wendepunkt angesehen werden, denn beginnend mit dem Herbst des Jahres 1840 bis zu seinem Tod haben die Feuilletons der deutschen Zeitschriften und Journale dem im Pariser Exil lebenden Schriftsteller vorgeworfen, seinen verstorbenen Weggefährten Ludwig Börne posthum auf eine persönlich-unfaire Weise angegriffen und verleumdet zu haben. Auch Börnes Seelenfreundin Jeannette Wohl und deren Ehemann Salomon Strauß fühlten sich durch die in ihrer Zweideutigkeit beleidigende Art der Darstellung ihrer Verhältnisse zu dem Verstorbenen verletzt, woraus sich in der Konsequenz eine in der deutschen Presse ebenfalls vielbeachtete Duellaffäre zwischen Heine und Strauß entwickelte. (Enzensberger 1997) Obwohl die Zeitgenossen die Mitte der 1830er Jahre einsetzende Distanzierung Börnes von seinem politischen Mitstreiter Heine – und dessen Schweigen hierzu – zunächst verwundert, aber dann mit zunehmender Akzeptanz als Ausdruck und Symptom der Differenzen und Spannungen des liberalen Lagers registriert hatten, wurden beide Dichter auch weiterhin neben- und gegeneinander gestellt. Die Gründe hierfür liegen zum einen in dem bald nach Börnes Rezension von Heines De l’Allemagne, in der er dem einstigen Weggefährten Charakterlosigkeit und politische Indifferenz vorwarf, erlassenen Verbot des Jungen Deutschlands, als dessen literarische Galionsfiguren und geistesgeschichtliche Väter die beiden gedeutet wurden. Sie liegen zum anderen in der Distanz der beiden progressiven deutschen Publizisten in Paris zu den literarischen Verhältnissen in ihrem deutschen Vaterland. Die Zusammenstellung ihrer Namen auch nach Börnes im Réformateur veröffentlichten Rezension ist zugleich ein Indiz für die zunehmende Entfremdung vom deutschen Lesepublikum, die als Preis für das freiwillig-unfreiwillige Exil von Heine wie Börne gleichermaßen entrichtet wurde. Die nach Börnes Tod einsetzende Stilisierung zum politischen Vorkämpfer, zum nationalen Freiheitshelden, der aus Liebe zum Vaterland im Exil lebt, hat darüber hinaus seine Distanzierung von Heine keineswegs vergessen gemacht, vielmehr verraten die Bewertungen der Zeitgenossen bis 1840 den weitreichenden Einfluss der Urteile Ludwig Börnes über den Weggefährten und Antipoden innerhalb der literarischen Kritik. Diese Urteile führen jedoch bis heute ein Eigenleben und werden auf primärer Ebene nicht mehr mit ihrem Urheber verbunden, der statt dessen auch weiterhin, wie Norbert Oellers formuliert, „beinahe formelhaft“ mit Heine zusammen genannt wird. (Oellers 1972, 71) Heine „erschien früher“, wie es in einer erst

8. Ludwig Börne. Eine Denkschrift

1841 erschienenen Rezension der Denkschrift heißt, als „Börne’s geistiger Doppelgänger“. (Galley/Estermann 1981–1992 VI, 439) Die stereotype Verknüpfung beider Namen miteinander, die mehr eine literarische Richtung und politische Anschauung als zwei Schriftsteller meint, wird von den Zeitgenossen häufig thematisiert. Gerade in dem Vergleich mit Goethe und Schiller, der in diesem Kontext herangezogen wird, zeigt sich, dass hier eine literarische Bewegung definiert werden soll: Wie die Nennung der beiden Weimarer Dioskuren die Klassik bezeichnet, stehen Heine und Börne als Chiffre für das Junge Deutschland und die progressivoppositionelle Literatur insgesamt. Heine trat also drei Jahre nach Börnes Tod zu einem Zeitpunkt mit seinem Buch an die Öffentlichkeit, da sich das Bild Börnes in Deutschland konsolidiert hatte. Mit dem Schwinden der tagespolitischen Aktualität – die zunehmende historische Distanz nahm Börne zwar nichts von seiner satirischen Schärfe und Prägnanz, lockerte jedoch den Stachel einer die unmittelbare Gegenwart kritisch betrachtenden Aktualität – wurde Börne zu einer Projektionsfläche patriotischer und politischer Vorstellungen der Gegenwart der beginnenden 1840er Jahre und, wie Inge Rippmann formuliert, zu einer „Integrationsfigur der deutschen Republikaner“. (Rippmann 1981, 107) Die ersten Nachrichten über die Denkschrift sind auch deshalb so positiv, weil Heine mit der Wahl seines Sujets den Zeitgeist getroffen hatte. In welchem Maße diese Erwartungshaltung der Leser ge- und enttäuscht wurde, belegen die heftigen Reaktionen nach dem Erscheinen des Werkes. Ein großer Teil des ungeheuren und lange währenden Skandals, den die Denkschrift hervorrief, beruht also auf der Stilisierung Börnes durch seine Zeitgenossen und der damit verbundenen hoch gesteckten Erwartung an Heines Werk. Ein nicht unerheblicher Teil der Kritik und Ablehnung, die nach der Veröffentlichung des Werkes von den Rezensenten in den deutschen Feuilletons formuliert wurde, entzündete sich bereits an dem Titel des Buches. Wie er in einem Brief aus dem Juli des Jahres 1840 erläuterte, hatte Heine „nicht eigentlich eine Schrift über Börne geschrieben“, sondern ein Werk „über den Zeitkreis worinn“ Börne „sich zunächst bewegte“. (HSA XXI, 371) Er verstand das Buch als eine letztlich auf die Gegenwart zielende Reflexion über die Politik und Literatur in den von der Restauration bestimmten zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vor diesem Hintergrund hatte er sein Werk Ludwig Börne. Eine Denkschrift überschrieben. Demgegenüber hat Julius Campe den Titel eigenmächtig in Heinrich Heine über Ludwig Börne verändert. In seinem Juli-Brief an den Hamburger Verleger monierte der Schriftsteller, nachdem er den neuen Titel auf den Korrekturbögen entdeckt hatte, dies nachdrücklich: „Haben Sie nur einen Moment darüber nachgedacht so begreifen Sie leicht, daß mir der Umschlagtitel Heinrich Heine über Ludwig Börne ein Greul seyn muß und daß ich Sie schleunigst angehe, ihn zu verändern.“ (HSA XXI, 371) In seinem Antwortschreiben vermeldete Campe jedoch, dass es zu spät sei und dass der Druck und die Bindung des Buches bereits zu weit vorangeschritten seien, um den Titel, den Wünschen des Autors folgend, anzupassen. Während der von Heine gewählte Titel die diskursive Offenheit des Textes in dem durchaus auch juristisch konnotierten Sinne von Erklärung, Ge-

Stilisierung Börnes

Diskussion um Werktitel

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V. Einzelanalysen

Entstehungsgeschichte

Individual- und Zeitgeschichte

such, Eingabe hervorhebt und zudem den Charakter des Buches als ein Werk der Erinnerung betont, wurde der von Campe veränderte und letztlich zum Druck gebrachte Titel von den Zeitgenossen als eine wenig ehrenhafte posthume Abrechnung und Selbstüberhebung Heines über den ehemaligen Weggefährten aufgefasst. Diese Wirkung wurde verstärkt durch die nahezu zeitgleich veröffentlichte Börne-Biografie von Karl Gutzkow, die sich auf die Schilderung persönlicher Begegnungen konzentrierte und im Gegensatz zu Heines Werk die Erwartungshaltung der Leser bediente, den Verstorbenen unkritisch und als eine der Leitfiguren der liberalen Bewegung in Deutschland dargestellt zu sehen. Bereits unmittelbar nach Börnes Tod hatte sich Heine mit dem Gedanken getragen, öffentlich auf die gegen ihn von dem Verstorbenen erhobenen Vorwürfe und Anschuldigungen zu reagieren. Die ersten Entwürfe zu der Denkschrift sind daher auf die zweite Hälfte des Jahres 1837 zu datieren. Die bereits erwähnte Börne-Biografie von Gutzkow, von deren Entstehen Heine durch einen Brief Campes aus dem August 1838 erfuhr, gab den Anstoß zu einer neuerlichen Arbeit an dem Manuskript. Der Schriftsteller arbeitete also in einem zweiten Schritt 1839 an dem Werk, das er wahrscheinlich zu weiten Teilen bis zum Ende dieses Jahres fertigstellen konnte. In einer letzten, auf das Jahr 1840 zu datierenden Arbeitsphase ergänzte er das Buch um einen weiteren Teil. Dieser umschließt die sogenannten Briefe aus Helgoland, deren entstehungsgeschichtlicher Hintergrund in der Forschung bis in die Gegenwart umstritten geblieben ist: Heine verbrachte zwar den Sommer des Jahres 1830 auf der Nordseeinsel, so dass die zeitliche Einordnung der Briefe durchaus authentisch sein könnte. Die acht, auf den Juli und August 1830 datierten Schreiben, die Bezug nehmen auf die revolutionäre Erhebung desselben Jahres in Frankreich, fügen sich jedoch so nahtlos in den kompositorischen Zusammenhang der Denkschrift, dass es nahezu ausgeschlossen scheint, sie möchten tatsächlich neun Jahre vor der Niederschrift des Börne-Buches entstanden sein. (Nickel 2001) Neuere wissenschaftliche Darstellungen gehen deshalb davon aus, dass sie frühestens nach Heines Rückkehr von der Insel Helgoland im Herbst des Jahres 1830 als tagebuchartige Aufzeichnungen konzipiert worden sind und im Prozess der Integration in das Erinnerungsbuch über Börne eine grundlegende Überarbeitung erfahren haben. Ihr Gegenstand, die Juli-Revolution des Jahres 1830, lenkt die Aufmerksamkeit aus zweifacher Perspektive auf das Thema der Denkschrift. Diese akzentuiert zum einen im Rekurs auf die französische Volkserhebung die Opposition gegen die spätfeudalistischen Strukturen der Restauration sowie die Dynamik der republikanischen Bewegung in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, die Heine und Börne zugleich verband und trennte. Zum anderen – und dieser Aspekt wird vor allem durch die „Neun Jahre später“ überschriebene Notiz betont, welche die Folge von acht Briefen beschließt – verweist Heine durch diesen, den retrospektiven Charakter seiner Erinnerungen an Ludwig Börne durchbrechenden Einschub auf die Zäsur in dem persönlichen Verhältnis der beiden Weggefährten: „Zwischen meinem ersten und meinem zweiten Begegniß mit Ludwig Börne liegt jene Juliusrevoluzion, welche unsere Zeit gleichsam in zwei Hälften auseinander sprengte.“ (HSA IX, 322)

8. Ludwig Börne. Eine Denkschrift

Indem individuelles Erleben und Zeitgeschichte parallel verlaufen, unterstreicht der Autor zum einen den politischen Anspruch, den die als Erinnerungsbuch ausgewiesenen Aufzeichnungen haben, und betont zum anderen, dass die Schrift auch als der Versuch zu verstehen ist, in dem Porträt des Anderen die eigenen Positionen zu konturieren und verständlich zu machen. Die Denkschrift thematisiert also in den Figuren Börnes und Heines die Dialektik der politischen und damit verbunden der ästhetischen Positionen, die das Verhältnis zwischen den beiden Exilanten im Paris der dreißiger Jahre zunehmend belastet und schließlich unmöglich gemacht hat. (Rippmann 1995) Heine geht in seiner Darstellung chronologisch vor, inszeniert das Zerwürfnis also in Form einer Entwicklungsgeschichte: beginnend mit dem ersten Kennenlernen im September des Jahres 1815 in Frankfurt über die Wiederbegegnung, die im November 1827 ebenfalls in Frankfurt stattfand, bis zu ihrem Zusammentreffen als Exilanten in der französischen Hauptstadt zu Beginn der dreißiger Jahre und den damit verbundenen hochfliegenden, aber gleichwohl bereits spannungsreichen Erwartungen, die beide in ihr Verhältnis setzten. Er thematisiert ferner die ihnen gemeinsamen Erfahrungen: die jüdische Herkunft, die daraus erwachsenen Ausgrenzungen und Stigmatisierungen, die freiwillig-unfreiwillige Konversion zum Christentum und den damit einhergehenden Versuch, einen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft der Restaurationszeit zu erlangen, die Opposition zu den politischen Verhältnissen in der deutschen Heimat, die Schwierigkeiten einer Existenz als freier Schriftsteller, dessen Werke von der Zensur bedroht sind, und schließlich das Leben im Exil, den Umgang mit anderen deutschen und europäischen Emigranten sowie die Teilhabe an den Diskursen der deutschen Republikaner in Paris. In keiner anderen Schrift hat Heine seine eigene Situation, aber auch die Empfindungen, die das Leben in der Fremde hervorrief, auf eine so eindringliche und dichte Weise beschrieben:

Aufbau

Exilerfahrungen

Auch für ihn wurde die Entfernung vom Vaterlande eine wahre Marter, und manches böse Wort in seinen Schriften hat diese Qual hervorgepreßt. Wer das Exil nicht kennt, begreift nicht, wie grell es unsere Schmerzen färbt, und wie es Nacht und Gift in unsere Gedanken gießt. Dante schrieb seine Hölle im Exil. Nur wer im Exil gelebt hat, weiß auch was Vaterlandsliebe ist, Vaterlandsliebe mit all ihren süßen Schrecken und sehnsüchtigen Kümmernissen! (HSA IX, 366) Die gemeinsamen Erfahrungen sind jedoch nur der Hintergrund für jene Betrachtungen, die den eigentlichen Gegenstand der Denkschrift bilden. Bereits mit den Reisebildern, aber erst recht mit den Deutschland- und Frankreich-Schriften der dreißiger Jahre nahm die poetologische Selbstbestimmung im Spannungsfeld von Kunst und Politik eine zentrale Rolle im Denken Heines ein. In der Börne-Schrift vermag er, die eigene Position durch einen Antipoden genauer zu definieren. Bereits im ersten Buch der Denkschrift diskutiert er, indem er Börnes ablehnende Haltung gegenüber Goethe thematisiert, den Gegensatz von Nazarenertum und Hellenismus. Diese sowohl kulturgeschichtlich als auch typologisch aufzufassende Dialektik basiert auf dem bereits in den De

Nazarenertum und Hellenismus

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V. Einzelanalysen

l’Allemagne-Schriften entwickelten Dualismus von Spiritualismus und Sensualismus: Ich sage nazarenisch, um mich weder des Ausdrucks „jüdisch“ noch „christlich“ zu bedienen, obgleich beide Ausdrücke für mich synonym sind und von mir nicht gebraucht werden, um einen Glauben, sondern um ein Naturell zu bezeichnen. „Juden“ und „Christen“ sind für mich ganz sinnverwandte Worte im Gegensatz zu „Hellenen,“ mit welchem Namen ich ebenfalls kein bestimmtes Volk, sondern eine sowohl angeborne als angebildete Geistesrichtung und Anschauungsweise bezeichne. In dieser Beziehung möchte ich sagen: alle Menschen sind entweder Juden oder Hellenen, Menschen mit ascetischen, bildfeindlichen, vergeistigungssüchtigen Trieben, oder Menschen von lebensheiterem, entfaltungsstolzem und realistischem Wesen. (HSA IX, 288)

Autonomie der Kunst

Der radikale Republikanismus, als dessen Vertreter Börne im Folgenden erscheint, ist in Heines Deutung nazarenisch geprägt. Demgegenüber konturiert er seine eigene Position als Künstler in der Traditionslinie des Hellenentums, dessen literarisches wie politisches Streben auf die geistigmoralische wie lebenspraktische Emanzipation des Menschen gerichtet ist. Nach Jahren der kritischen Auseinandersetzung mit Vertretern des republikanischen Gedankens unter den deutschen Schriftstellern und Intellektuellen, aber auch im Kreis der Pariser Exilanten, formuliert Heine damit am Ende des Börne-Buches ein ästhetisches Programm, das – weil es die Autonomie der Kunst betont – bis in die Gegenwart widersprüchliche Deutungen hervorgerufen hat. (Hessing 1999) Die Denkschrift – der Skandal, den das Werk provozierte, hat diesen Aspekt lange Zeit in den Hintergrund treten lassen – ist eine Reflexion über die Frage, welchen Beitrag die Dichtung zu der Geschichte und Entwicklung des Menschengeschlechts zu leisten vermag. Dem Prinzip ästhetischer Autonomie, das Heine in seinen Werken trotz ihres tagespolitischen Bezuges zu bewahren sucht, liegt die Einsicht zugrunde, dass die Kunst der Freiheit bedarf, um überhaupt Kunst zu sein, und dass die Freiheit der Kunst bedarf, um eine wirkliche Freiheit zu sein. Für die Schönheit und das Genie wird sich kein Platz finden in dem Gemeinwesen unserer neuen Puritaner, und beide werden fletrirt und unterdrückt werden, noch weit betrübsamer als unter dem älteren Regimente. Denn Schönheit und Genie sind ja auch eine Art Königthum, und sie passen nicht in eine Gesellschaft, wo jeder, im Mißgefühl der eigenen Mittelmäßigkeit, alle höhere Begabniß herabzuwürdigen sucht, bis aufs banale Niveau. (HSA IX, 388)

9. Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844 Autobiografischer Hintergrund

Zwölf Jahre nachdem er Deutschland verlassen hatte und in die französische Hauptstadt übergesiedelt war, unternahm Heinrich Heine im Herbst des Jahres 1843 eine Reise in seine alte Heimat. Am 21. Oktober verließ er Paris und gelangte mit der Eisenbahn, der Postkutsche und dem Schiff über

9. Deutschland. Ein Wintermährchen

Brüssel, Aachen, Köln, Hagen, Unna, Münster, Osnabrück und Bremen nach Hamburg, das er am 29. Oktober erreichte. Zweck der Reise war ein Wiedersehen mit seiner Familie, vor allem mit seiner Mutter, und ein Besuch bei Julius Campe, dem langjährigen Verleger seiner Werke in Deutschland. Nach einem knapp siebenwöchigen Aufenthalt in der Hansestadt trat der Schriftsteller am 7. Dezember die Rückreise an, die ihn über Celle, Hannover, Minden, Bückeburg, Münster, Hagen, Köln und Brüssel wieder nach Paris führte, wo er am 16. Dezember ankam. Bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr begann er mit der Niederschrift des Versepos, die er, nach lediglich kurzen Arbeitspausen, im Mai des Jahres 1844 abschließen konnte. Nach brieflichen Auseinandersetzungen mit Campe über die Möglichkeiten eines zensurfreien Drucks und über das hieraus erwachsende verlegerische Risiko erschien das Werk mit dem Titel Deutschland. Ein Wintermährchen im September desselben Jahres gemeinsam mit den Neuen Gedichten. Die Veröffentlichung dieses Bandes ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Es handelt sich um das einzige nach seiner Übersiedlung nach Frankreich entstandene Werk, dessen Drucklegung der Schriftsteller persönlich überwachen konnte, reiste er doch im Juli 1844 neuerlich nach Hamburg, wo er bis in den Oktober blieb. (Anders jedoch als bei seiner im vorangegangenen Jahr unternommenen Reise nahm er nicht den Landweg, sondern erreichte die norddeutsche Handelsmetropole mit dem Dampfschiff von Le Havre kommend.) Die andere Besonderheit dieses Buches liegt in seiner inhaltlichen Komposition, die in den nachfolgenden, zu Lebzeiten des Dichters erfolgten Drucken, aber auch in den wissenschaftlichen Ausgaben des 20. Jahrhunderts nicht berücksichtigt worden ist: Der Band wurde eröffnet mit den fünf lyrischen Zyklen (Neuer Frühling, Verschiedene, Romanzen, Zur Ollea und Zeitgedichte) der Neuen Gedichte. Unmittelbar im Anschluss an die Zeitgedichte also steht das Wintermährchen, das den Band beschließt. Diese Zusammenstellung ist zwar einerseits den Rücksichten geschuldet, die Autor und Verleger auf die in den deutschen Ländern geltenden Zensurbestimmungen nehmen mussten. Nach den für alle Bundesstaaten geltenden Zensurgesetzen vom 20. September 1819, die im Rahmen der Karlsbader Beschlüsse verabschiedet worden waren, durften Schriften (Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Flugschriften), die weniger als zwanzig Druckbogen umfassten, nicht ohne vorherige Durchsicht und Genehmigung der in dem jeweiligen Staat des Deutschen Bundes zuständigen Landesbehörden gedruckt werden. Die zunächst auf fünf Jahre gültige Gesetzesregelung wurde am 16. August 1824 durch den Deutschen Bundestag auf unbestimmte Zeit verlängert und erst infolge der revolutionären Erhebungen des Jahres 1848, am 2. April 1848, aufgehoben. Ein Druckbogen umfasste sechzehn Seiten im Oktavformat, 20 Bogen Umfang entsprachen somit 320 Seiten. Indem also die Neuen Gedichte und das Wintermährchen zu einem Buch zusammengefasst wurden, erreichte der Band einen Umfang von mehr als 320 Seiten. Er unterlag damit nicht mehr der Vorzensur, sondern wurde nach der Veröffentlichung der Nachzensur vorgelegt, die über eventuelle Verbotsmaßnahmen zu entscheiden hatte. Julius Campe hat wiederholt auf diese Strategie zurückgegriffen, wenn es darum ging, Werke, die von Verboten bedroht waren, zu vermarkten.

Entstehungs- und Druckgeschichte

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V. Einzelanalysen Kompositorischer Zusammenhang

Literarische Deutschlandreise

Gleichwohl darf andererseits nicht übersehen werden, dass die Zusammenstellung beider Werke auch inhaltlichen und künstlerischen Maßgaben folgt. Der Zyklus Neuer Frühling, der den Band eröffnet, steht in Bezug auf seinen Ton und seine Bildlichkeit in der Tradition des Buches der Lieder. Die nachfolgenden Zyklen werden demgegenüber mehr und mehr von gesellschaftskritischen Inhalten bestimmt, was schließlich in den bereits durch ihren Titel als Zeitgedichte ausgewiesenen Werken kulminiert. Den Abschluss dieses Zyklus wiederum bildet das wegen seiner Eingangszeilen so berühmt gewordene Gedicht Nachtgedanken, welches die Reflexionen über die politischen Verhältnisse in Deutschland, die in den vorangegangenen Gedichten aufgeschienen sind, in einem vielschichtigen und zugleich programmatischen Text zusammenschließt. Dieses Gedicht nun leitet über zum Wintermährchen, so dass dessen Eingangszeilen („Im traurigen Monat November war’s, / Die Tage wurden trüber“; HSA II, 297) auf die Zeilen „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ (HSA II, 117) antworten, das Thema also aufgreifen und fortschreibend vertiefen. Das Wintermährchen ist zwar die Kontrafaktur eines Nationalepos (vgl. Kap. IV.5), es ist aber zugleich als ein Langgedicht zu verstehen, mit dem die Neuen Gedichte schließen. Es kann zwar als ein eigenständiges Werk gelesen und gedeutet werden, seine Erstveröffentlichung im Kontext der Neuen Gedichte ist jedoch als ein impliziter Kommentar des Dichters zu seiner ästhetischen Entwicklung zu deuten. So spiegelt sich die fortschreitende Politisierung seines Werkes in den dreißiger und vierziger Jahren auch in der Anlage des Bandes. Gleichzeitig macht die Präsenz von Gedichten, welche ihre inhaltliche und ästhetische Autonomie gegenüber einem heteronomen Kunstverständnis behaupten, die poetologische Position Heines sichtbar, der die paradoxe Gleichzeitigkeit von Engagement und Ästhetizismus als ein wesentliches Moment der intellektuellen Freiheit betonte. Diese Position zeigt sich auch in dem Versepos, in dem der Erzähler, nach dem Muster der Reisebilder, von einer Reise durch Deutschland berichtet. Die einzelnen Stationen der Reise, die ihn mit der Postkutsche über Aachen, Köln, Mühlheim, Hagen, den Teutoburger Wald, Paderborn, Minden, Bückeburg, Hannover, Harburg nach Hamburg führt, sind eine Kontamination jener Orte, die der Schriftsteller selbst auf seinen Fahrten von Paris nach Hamburg und retour gesehen hat. Heine inszeniert jedoch, wie in zahlreichen Werken seines Œuvres, das literarische Geschehen als ein autobiografisches Erleben. Das Wintermährchen ist somit ein Teil der komplexen, doch für das Verständnis des Gesamtwerkes wesentlichen Verschränkung von Faktischem und Fiktionalem, von dichterischem Werk und literarischer Inszenierung des eigenen Lebens, mit welcher der Schriftsteller dem Vorbild Johann Wolfgang von Goethes gefolgt ist. Die Orte seines Aufenthaltes sind, und auch hierin folgt das Versepos dem Strukturprinzip der Reisebilder, Anlass für Reflexionen über die gesellschaftliche, politische und geistesgeschichtliche Verfasstheit der deutschen Staaten in den frühen vierziger Jahren. In diesem Sinne bezeichnete Heine das Werk in einem an Campe adressierten Brief als „versifizirte Reisebilder“. (HSA XXII, 96) Bereits im ersten Caput werden, im Sinne einer Exposition, die zentralen Themen und Motive des Werkes angerissen:

9. Deutschland. Ein Wintermährchen

Im traurigen Monat November war’s, Die Tage wurden trüber, Der Wind riß von den Bäumen das Laub, Da reist’ ich nach Deutschland hinüber. Und als ich an die Grenze kam, Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen In meiner Brust, ich glaube sogar Die Augen begunnen zu tropfen. Und als ich die deutsche Sprache vernahm, Da ward mir seltsam zu Muthe; Ich meinte nicht anders, als ob das Herz Recht angenehm verblute. (HSA II, 297) Trotz des Witzes, des Humoristischen und Ironischen sowie einer gelegentlich in das Groteske abgleitenden Schreibart wird die Dichtung von einem melancholischen Ton grundiert, der schon in der ersten Strophe in dem Bild einer im „traurigen Monat November“ angetretenen Winterreise aufscheint. Der Titel, der kontrapunktisch auf das vorangegangene Versepos Atta Troll. Ein Sommernachtstraum bezogen ist und zudem auf William Shakespeares Das Wintermärchen (1611) und dessen tragikomische Weltdeutung verweist, ist zugleich die Zentralmetapher für die Zustände, in denen die Staaten des Deutschen Bundes unter der Ägide des österreichischen Staatskanzlers Metternich und seiner restaurativen Politik erstarrt sind. Das von seiner Reise erzählende Ich thematisiert darüber hinaus auch seine eigene Situation und Befindlichkeit als Exilant, der nach langen Jahren der Abwesenheit seine Heimat besucht und aus einer Perspektive, in der sich (enttäuschte) Vaterlandsliebe und das Gefühl von Fremdheit abwechseln, die Verhältnisse in Deutschland betrachtet und reflektiert. Programmatisch ist daher die Figur des Harfenmädchens – eine Reminiszenz an Johann Wolfgang von Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795–1796) und die diesem Werk nachfolgenden Dichtungen der romantischen Periode –, der er an der deutschen Grenze begegnet. Im Rekurs auf die in den Deutschland-Schriften der dreißiger Jahre entwickelte Dialektik von spiritualistischer Reaktion und sensualistischer Emanzipation ist ihre Figur eine Chiffre für die erstarrte, rückwärtsgewandte Ideologie, die aus dem Geist einer spätzeitlich-unproduktiv und reaktionär-nationalistisch gewordenen Romantik die Notwendigkeit einer politischen Neuordnung negiert und stattdessen auf ein jenseitiges Glücks- und Erlösungsversprechen verweist. Das Lied, das der Winterreisende dem ihrigen entgegenstellt, bleibt zwar in seinen Zielvorstellungen unbestimmt, fokussiert jedoch die historische Notwendigkeit einer alle Bereiche des menschlichen Lebens umfassenden Emanzipation: Ein neues Lied, ein besseres Lied, O Freunde, will ich Euch dichten! Wir wollen hier auf Erden schon Das Himmelreich errichten.

Ironie und Melancholie

Exil und Vaterlandsliebe

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V. Einzelanalysen

Wir wollen auf Erden glücklich seyn, Und wollen nicht mehr darben; Verschlemmen soll nicht der faule Bauch Was fleißige Hände erwarben. Es wächst hienieden Brod genug Für alle Menschenkinder, Auch Rosen und Myrthen, Schönheit und Lust, Und Zuckererbsen nicht minder. (HSA II, 298) Zukunftsvision

Religionskritik

Das Glücksversprechen, das in der Forderung „Zuckererbsen für Jedermann“ kulminiert, ist zwar wenig konkret (was Heine sowohl von den Zeitgenossen wie nachfolgenden Generationen zum Vorwurf gemacht worden ist), verweist jedoch neuerlich auf sein Selbstverständnis als Dichter: Während der Schriftsteller mit dem Atta Troll auf eine zwar ironische aber unmittelbare Weise auf die Werke einer jungen Generation politischer Dichter reagierte, die in den dreißiger und vierziger Jahren aufstanden und die Literatur in den Dienst einer gesellschaftlichen Bewegung stellten, ist das Wintermährchen der Versuch, die Eigengesetzlichkeit der Kunst mit der Notwendigkeit einer politischen Dichtung zu vereinen. Die Schönheit des literarischen Kunstwerkes ist, aus dieser Perspektive betrachtet, Teil jenes sensualistischen Programms, welches das sinnliche Glück des Einzelnen („Rosen und Myrthen, Schönheit und Lust“) als eine Voraussetzung der gesellschaftlichen Befreiung von tradierten Ordnungsmustern und moralischen Vorgaben begreift. In diesem Sinne stellt sich Heine mit dem Wintermährchen einmal mehr in die Tradition des aufgeklärten Jahrhunderts, in dessen programmatischem Selbstverständnis die Emanzipation des Individuums Bedingung ist zur Errichtung einer gesellschaftlichen Ordnung, welche die Freiheit und das Glück des Einzelnen als wesentliches Ziel allen philosophischen und politischen Strebens begreift. Vor diesem Hintergrund wird auch die antiklerikale Tendenz des Versepos verständlich („Den Himmel überlassen wir / Den Engeln und den Spatzen“; HSA II, 298). Die christlichen Kirchen erscheinen als Bewahrer einer gesellschaftlichen Ordnung, welche die Freiheit des Individuums unterdrückt und auf diese Weise dazu beiträgt, den status quo zu konservieren. Im Spannungsfeld dieser Vorstellungen sind die einzelnen Stationen der winterlichen Reise zu verstehen. So reflektiert der Erzähler in Köln über die unter anderem auch von der (protestantischen) preußischen Regierung unterstützten Bestrebungen, den seit dem Mittelalter unvollendeten (römischkatholischen) Dom fertigzustellen. (Kramp 2002) Er nennt das Bauwerk in Anspielung auf die Französische Revolution „des Geistes Bastille“, deutet es als ein Sinnbild für die rückwärts gewandte Politik seiner Zeit: „Ihr armen Schelme vom Dombauverein, / Ihr wollt mit schwachen Händen / Fortsetzen das unterbrochene Werk, / Und die alte Zwingburg vollenden!“ (HSA II, 304) In der Nähe von Paderborn erblickt er im frühen Morgenlicht ein am Wegrand stehendes Kreuz. Jesus Christus wird hier auf eine für die Zeit geradezu unerhört blasphemische Weise mit dem Dichter gleichgesetzt: „Mit Wehmuth erfüllt mich jedesmahl / Dein Anblick, mein armer Vetter, / Der du die Welt erlösen gewollt, / Du Narr, du Menschheitsretter!“ In dieser Parallelführung des religiösen und des säkularen Erlösungsversprechens liegt

9. Deutschland. Ein Wintermährchen

einerseits eine ironische Kontrafaktur der romantischen Idee der Kunstreligion, andererseits zeigt sich deutlich die Radikalität, mit der das Werk den Kampf des Dichters für die politische Befreiung des Menschengeschlechts vertritt. „Zu deinem Malheur war die Buchdruckerey / Noch nicht in jenen Tagen / Erfunden“, heißt es an den Gekreuzigten gewandt, „Du hättest geschrieben ein Buch / Ueber die Himmelsfragen. // Der Censor hätte gestrichen darin / Was etwa anzüglich auf Erden, / Und liebend bewahrte dich die Censur / Vor dem Gekreuzigtwerden.“ (HSA II, 321 f.) Aber nicht nur die Religion wird in ihrer Funktion als Bewahrerin einer alten, überkommenen Ordnung hinterfragt. Hinter Hagen fährt die Kutsche des Winterreisenden durch den Teutoburger Wald. Er nimmt dies zum Anlass, über den bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem Gründungsmythos der deutschen Nation stilisierten Kampf zwischen dem Cherusker Arminius und den römischen Truppen unter Varus nachzudenken. Aber auch dieses Geschehen wird in seiner programmatischen Bedeutung für die Gegenwart ironisch hinterfragt: „Hier schlug ihn der Cheruskerfürst, / Der Hermann, der edle Recke; / Die deutsche Nationalität, / Die siegte in diesem Drecke.“ (HSA II, 318) Auf die Debatten der Zeit über die Bildung eines deutschen Nationalstaates ist auch ein sich dieser Szene anschließender Traum bezogen. Während der Fahrt in der Postkutsche einschlafend begegnet der Reisende dem Kaiser Barbarossa, der nach alter Überlieferung im Kyffhäuser auf seine Wiederkehr wartet. (Perraudin 2000) Indem der Träumende dem alten Kaiser die Zustände der Gegenwart schildert, wird jedoch deutlich, dass auch dieser Mythos nur rückwärts gewandt ist, weshalb der Erzähler zu dem Schluss kommt:

Deutscher Nationalismus

Auch deine Fahne gefällt mir nicht mehr, Die altdeutschen Narren verdarben Mir schon in der Burschenschaft die Lust An den schwarz-roth-goldnen Farben. Das Beste wäre du bliebest zu Haus, Hier in dem alten Kiffhäuser – Bedenk’ ich die Sache ganz genau, So brauchen wir gar keinen Kaiser. (HSA II, 330 f.) Besonders deutlich fällt die Kritik an dem preußischen Obrigkeitsstaat aus, von dessen restriktiver Zensurpolitik der Schriftsteller Heine in besonderem Maße betroffen war. Bereits beim Überschreiten der preußischen Grenze bei Aachen thematisiert das Wintermährchen vor diesem Hintergrund die Durchsuchung der Koffer durch die Polizeibeamten: „Ihr Thoren, die Ihr im Koffer sucht! / Hier werdet Ihr nichts entdecken! / Die Contrebande, die mit mir reist, / Die hab’ ich im Kopfe stecken.“ (HSA II, 299) Ebenso wird der preußische Militarismus thematisiert. Der Erzähler berichtet von einem Traum, der ihn in Minden heimgesucht hat. Hier stilisiert er sich in der Tradition Johann Wolfgang von Goethes zu einem Prometheus, dessen Leber von dem preußischen Adler gefressen wird. Höhepunkt der ironischen Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Verhältnisse in seiner deutschen Heimat ist jedoch die Begegnung mit der

Kritik an Preußen

Geschichtspessimismus

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V. Einzelanalysen

Hamburger Stadtgöttin Hammonia. Sie erscheint dem Winterreisenden als ein Freudenmädchen, das ihn mit auf ihr Zimmer nimmt. Sie zeigt ihm den Nachtstuhl ihres Vaters, Karls des Großen, und verspricht ihm, er könne in ihm die Zukunft Deutschlands erkennen. Dieses provozierende Bild noch steigernd beschreibt der Erzähler, was er dort gerochen: Ich denke mit Widerwillen noch An jene schnöden, verfluchten Vorspielgerüche, das schien ein Gemisch Von altem Kohl und Juchten. Entsetzlich waren die Düfte, o Gott! Die sich nachher erhuben; Es war als fegte man den Mist Aus sechs und dreißig Gruben. – – – Ich weiß wohl was Saint-Juist gesagt Weiland im Wohlfahrtsausschuß: Man heile die große Krankheit nicht Mit Rosenöl und Moschus. Doch dieser deutsche Zukunftsduft Mocht alles überragen Was meine Nase je geahnt – Ich konnt es nicht länger ertragen – – – (HSA II, 352)

Wirkungsgeschichte

Damit zeigt sich im Schlusstableau nicht nur die pessimistische Sicht des Schriftstellers auf die Zukunft seiner Heimat. In der Skepsis spiegelt sich bereits jene resignative Perspektive auf den historischen Fortschritt, die zu einem der zentralen Themen seines Spätwerkes werden sollte. Unter den Zeitgenossen war das Werk umstritten. Während das Versepos einerseits als ein in seiner Radikalität notwendiger Text wahrgenommen wurde, der im Sinne einer engagierten Literatur die Verhältnisse der Gegenwart anprangerte, wurde es von Seiten konservativer Leser grundlegend abgelehnt. Diese ambivalente Aufnahme hat der Wirkungsgeschichte des Wintermährchens jedoch nicht geschadet. Wolf Biermanns Aktualisierung des Textes im Hinblick auf die Verhältnisse im geteilten Deutschland im Jahr 1972 sowie weitere literarische Bearbeitungen und Weiterentwicklungen haben die politische Weitsicht des Werkes auch im Diskurs der deutschen Frage im 20. Jahrhundert bestätigt.

10. Romanzero Autobiografischer Hintergrund

Als Heinrich Heine im Jahr 1851 bei Hoffmann & Campe den Romanzero veröffentlichte, glaubte er, zum letzten Mal mit einer Lyriksammlung an die Öffentlichkeit zu treten. Seit den frühen 1840er Jahren war der Dichter ernsthaft erkrankt, was nicht nur die zahlreichen Krankenhaus- und Kuraufenthalte, die ihn an die französische Atlantikküste oder in die Pyrenäen führten, dokumentieren, sondern auch die Briefe dieser Zeit, die detailliert Auskunft geben über das Fortschreiten der Erkrankung. 1848, dem Jahr der Revolution in Deutschland und Frankreich sowie zahlreichen anderen euro-

10. Romanzero

päischen Staaten, hatte sich sein Zustand derart verschlechtert, dass er bis zu seinem Tod 1856 dauerhaft an das Bett gefesselt blieb. Berichte über diese Leiden in den deutschen Zeitschriften und Journalen bestimmten in den letzten Jahren vor seinem Tod das Bild Heines und seines Werkes in der literarischen Öffentlichkeit. Beginnend mit Artikeln in den späten 1840er Jahren bis zu persönlich gefärbten Darstellungen von Freunden und Weggefährten sowie Nachrichten über seine Krankheit und Lebensumstände wurde die Wahrnehmung seines Schaffens in den deutschen Feuilletons von dieser Perspektive dominiert. Der Prozess der Gleichsetzung des literarischen Diskurses mit der Person des Schriftstellers, der durch die Parallelisierung des lyrischen Ichs in den Dichtungen und des Ich-Erzählers in den Prosatexten mit der Persona des Dichters bereits mit den ersten Veröffentlichungen Heines begonnen hatte, hat auch zu dem kommerziellen Erfolg des Romanzero, der Mitte Oktober 1851 ausgeliefert wurde und bis Mitte Dezember vier Auflagen erreichte, beigetragen. Dass die Gedichtsammlung trotz des sich verschlechternden Gesundheitszustandes entstanden ist und möglicherweise Antworten auf die in den Gesprächen aufgeworfenen Fragen nach dem religiösen Bekenntnis des Dichters und seiner Position zu den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in Deutschland nach dem Scheitern der Revolution von 1848 gibt, ist ein weiterer Faktor, der das Interesse an dem Werk maßgeblich beeinflusste. Zudem hat Heine zu der Stilisierung seiner Person in der Öffentlichkeit selbst wesentlich beigetragen: So suggeriert er auch in dem auf den September 1851 datierten Nachwort zum Romanzero, die in der Sammlung veröffentlichten Gedichte seien in den Jahren 1848 bis 1851 auf dem Krankenlager entstanden. In einer Zeit, welche die Aussagen eines literarischen Werkes als persönliche Meinungen des Schriftstellers begreift, spielt Heine, indem er seinen Dichtungen den Anschein von autobiografischer Authentizität verleiht, mit der Erwartungshaltung seines Publikums. Dieser ironische Gestus, der durch die doppelte Brechung entsteht, verweist noch einmal auf die Eigengesetzlichkeit seiner Kunst, jenseits lebensweltlicher Deutungen. Tatsächlich sind zwar die meisten Gedichte der Sammlung in dem von Heine genannten Zeitraum entstanden, ein Teil ist jedoch auf die Zeit zwischen der Veröffentlichung der Neuen Gedichte und der Revolution des Jahres 1848 zu datieren. Bei der Frage nach dem Zeitpunkt der Niederschrift der Gedichte handelt es sich keineswegs um eine nur aus werkgeschichtlicher und editorischer Sicht interessante Problematik: Wie viele seiner Zeitgenossen hat der Schriftsteller auf den europäischen Völkerfrühling, die Erhebungen der Jahre 1848 und 1849 große Hoffnungen gesetzt, die durch das Scheitern der revolutionären Bewegung und das neuerliche Erstarken der reaktionären Kräfte bitter enttäuscht wurden. Insbesondere der Blick auf die Schriften, die in den dreißiger Jahren in der französischen Hauptstadt entstanden sind, verdeutlicht das Ausmaß der Enttäuschung – hat sich Heine in diesen Werken doch für einen politischen Umsturz in seiner deutschen Heimat ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund ist auch zu verstehen, dass die zweifache Signifikanz, die das Jahr 1848 für ihn hatte, in dem Nachwort deutlich herausgestellt wird. Für ihn persönlich bedeutete es den Beginn einer langen und qualvollen Krankheit, für den politischen Schriftsteller das Scheitern seiner Hoffnungen. (Liedtke 2000)

Entstehungsgeschichte

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V. Einzelanalysen Rückkehr zu Gott?

Das Nachwort verweist zugleich auf einen weiteren Aspekt, der auch in den lyrischen Zyklen aus unterschiedlichen Perspektiven aufgegriffen wird. Spätestens seit den Kampagnen der katholischen Presse, die in den späten zwanziger Jahren, als Heine in der Redaktion der liberalen Zeitschrift Neue allgemeine politische Annalen in München tätig war, einsetzten und in den frühen dreißiger Jahren in massiven Angriffen gegen die letzten Bände der Reisebilder gipfelten, galt Heine in der deutschen Öffentlichkeit nicht nur als ein Freund der Franzosen und „Vaterlandsverräter“. Ein zentrales Element der Kritik, die sich an seiner Auseinandersetzung mit der christlichen Religion und den Kirchen entzündete, war zudem der Vorwurf des Atheismus. Auch die neuere Forschung hat diese Debatte wiederholt geführt und bislang vergeblich versucht, die Gottesvorstellung, die sein Werk formuliert, zu fassen und einzuordnen. Indem Heine im Romanzero das Thema selbst aufgreift, lieferte er der langjährigen Diskussion neuerlich Nahrung. Aber ich will auch ohne Tortur alles bekennen. Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der verlorene Sohn, nachdem ich lange Zeit bei den Hegelianern die Schweine gehütet. War es die Misère, die mich zurücktrieb? Vielleicht ein minder miserabler Grund. Das himmlische Heimweh überfiel mich und trieb mich fort durch Wälder und Schluchten, über die schwindlichsten Bergpfade der Dialektik. Auf meinem Wege fand ich den Gott der Pantheisten, aber ich konnte ihn nicht gebrauchen. Dies arme träumerische Wesen ist mit der Welt verwebt und verwachsen, gleichsam in ihr eingekerkert, und gähnt dich an, willenlos und ohnmächtig. Um einen Willen zu haben, muß man eine Person seyn, und, um ihn zu manifestiren, muß man die Ellbogen frei haben. Wenn man nun einen Gott begehrt, der zu helfen vermag – und das ist doch die Hauptsache – so muß man auch seine Persönlichkeit, seine Außerweltlichkeit und seine heiligen Attribute, die Allgüte, die Allweisheit, die Allgerechtigkeit u. s. w. annehmen. (HSA III, 155)

Dichtung und Geschichte

Bedeutet dies, wie von vielen Zeitgenossen angenommen, eine „Rückkehr“ Heines zur Religion? Die Aussage kann nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr muss bei ihrer Deutung zum einen berücksichtigt werden, dass es sich um einen literarischen Text handelt, innerhalb dessen sie steht, zum anderen, dass sie im Zusammenhang mit jenen Gedichten zu lesen ist, auf die das Nachwort insgesamt bezogen ist. Der Romanzero gliedert sich in drei Bücher: Die Historien, die Lamentationen und die Hebräischen Melodien. Die unter der Überschrift Historien zusammengefassten Gedichte stehen in der Nachfolge der seit dem Sturm und Drang, der Klassik und Romantik in der deutschen Literatur ebenso beliebten wie verbreiteten Gattung der Kunstballade. Gleichermaßen virtuos wie ironisch spielt Heine mit Motiven und Versatzstücken dieser Tradition. Er zitiert jene tragisch-heroischen Stoffe aus der europäischen Geschichte, die das Bild der Gattung wesentlich geprägt haben, erzählt von den Schicksalen afrikanischer oder indischer Fürsten, dem Untergang des Aztekenreiches, spielt mit Bildern der persischen Geschichte, erzählt vom Tanz der Juden um das Goldene Kalb oder von dem sagenhaften König David. Den Gedichten gemeinsam ist die stets präsente Einsicht in die Vergeblichkeit menschlichen Strebens, von der mit einer leisen, gleichwohl iro-

10. Romanzero

nisch gebrochenen Resignation gesprochen wird. Der Dichter umreißt damit eine Gegenposition zu dem Geschichtsbild, das sein Denken in den 1820er und 1830er Jahren bestimmt hat und das er in der Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland programmatisch entfaltet hat. (Prawer 1961) Den Historien ist eine Revision jenes optimistischen Glaubens an die Entwicklung des Menschen im historischen Prozess eingeschrieben, der seine unter dem Einfluss Georg Wilhelm Friedrich Hegels herausgebildeten geschichtsphilosophischen Positionen geprägt hat. Die Vorstellung, „wonach alle irdischen Dinge einer schönen Vollkommenheit entgegen reifen“, ist hier der Erkenntnis gewichen, dass die Geschichte ein Kreislauf ist, der „im Leben der Völker wie im Leben der Individuen“ stets wiederkehrt, wie Heine in dem Aufsatz über verschiedenartige Geschichtsauffassungen – zyklisches und lineares Geschichtsmodell einander als These und Antithese gegenüberstellend – konstatiert. (HSA VIII, 233) Das nachfolgende Buch, die Lamentationen, nimmt die Bildlichkeit und diesen Ton zwar auf, verschiebt die Perspektive jedoch von historischen Themen in den Bereich ontologischer Betrachtungen. Der Titel des Buches verweist auf die Klagelieder Jeremiä über die Zerstörung Jerusalems. Ohnehin sind die Gedichte dieses Buches auf biblische Themen bezogen. Dies dokumentiert insbesondere der diesen Teil beschließende Lazarus-Zyklus. Heine rekurriert damit auf zwei Gestalten des Neuen Testaments, deren Züge sich in den Gedichten überlagern, diejenige des armen, aussätzigen Lazarus und diejenige des Lazarus von Bethanien, des Bruders von Maria und Martha, der von Jesus Christus von den Toten wiedererweckt worden ist. Nicht zuletzt ist das Buch eine Reflexion über die alttestamentarische Gestalt des Hiob, eines wohlhabenden, glücklichen und gottesfürchtigen Menschen, der seinen Besitz und seine Familie verliert, aber trotz des Schmerzes und der Verzweiflung an seinem Glauben festhält. Wie die Bibel über die Fragen nachdenkt, ob Gott gerecht sei, ob er den Menschen nahe sei oder so fern, dass er ihre verzweifelten Anrufungen und Gebete nicht höre, ob der Mensch überhaupt die Möglichkeit habe, die Absichten und Pläne Gottes zu erkennen, so stellen auch die hier versammelten Gedichte die Frage nach Gott und seinem Verhältniss zu den leidvollen Erfahrungen des menschlichen Lebens. Beschlossen wird der Romanzero von den Hebräischen Melodien. Der pessimistische Blick auf den Menschen, den die Historien akzentuieren und das Theodizee-Problem, das im Rekurs auf Gestalten des Alten und Neuen Testaments in den Lamentationen thematisiert wird, spiegelt sich in den Hebräischen Melodien in den Leiden des jüdischen Volkes. (Hallensleben 2001) Heine findet auf diese Weise erneut zu einer Chiffre, die auch einen Aspekt seiner eigenen Existenz berührt: seine jüdische Herkunft. So steht im Zentrum dieses Buches ein Fragment gebliebenes Gedicht über die Gestalt des spanisch-jüdischen Arztes, Dichters und Religionsphilosophen Jehuda ben Samuel Halevi. Heine deutet ihn als Archetypus des Dichters; er ist ein Außenseiter, ein Vertriebener, ein Exilant und damit eine literarische Figuration seiner eigenen Person, wie der Romanzero zahlreiche Gedichte enthält, die für das Verständnis des Spätwerkes zentrale poetologische Selbstaussagen formulieren.

Dichtungen der Klage

Judentum

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V. Einzelanalysen Geschichtspessimismus

Dass die Hebräischen Melodien keineswegs als ein Bekenntnis zur jüdischen Religion seiner Väter verstanden werden können, sondern als ein Bekenntnis zu dem jüdischen Volk, als einer verfolgten und exilierten Gemeinschaft, dokumentiert das abschließende Gedicht der Sammlung. In der Disputation führen ein Mönch und ein Rabbi ein Streitgespräch über die Frage, welcher „der wahre Gott“ sei. (HSA III, 136) Die am Ende stehende, ironisch-hintergründige Antwort leitet bereits über zum Nachwort. Sie lautet: Welcher Recht hat, weiß ich nicht – Doch es will mich schier bedünken, Daß der Rabbi und der Mönch, Daß sie alle beide stinken. (HSA III, 148) Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Selbstaussagen zur Religion im Nachwort nicht als Rückkehr zu einer konfessionellen Bindung zu verstehen sind. Gleichwohl beinhalten sie die Einsicht, dass der Glaube an den historischen Fortschritt, wie Heine ihn über lange Jahre im Sinne seines akademischen Lehrers an der Berliner Universität, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in seinen Schriften vertreten hat, eine Illusion gewesen sein möchte. Konfrontiert mit dieser Erkenntnis, wissend um die Nähe des eigenen Todes und täglich von Schmerzen und Krämpfen heimgesucht, wird Gott im Denken Heines zu einer Notwendigkeit. Im Sinne einer Revolte entlässt das Nachwort Gott als den Schöpfer nicht aus der Verantwortung für seine Schöpfung.

11. Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben Entstehungsgeschichte

In einem Brief, den Heinrich Heine im Juni 1852 an seinen Verleger Julius Campe in Hamburg sandte, ist erstmals von einer Überarbeitung derjenigen Korrespondenzartikel die Rede, die unter dem Titel Lutezia den zweiten und dritten Band der im Jahr 1854 veröffentlichten Vermischten Schriften bilden sollten. Der Schriftsteller spricht in diesem Schreiben von der „Schilderung sozialer und politischer Zustände“, welcher er den Vorzug gäbe vor „dem alten belletristischen Kunst- und Literatur-Geschwätze“. (HSA XXIII, 210) Vor diesem gedanklichen Hintergrund, so Heine weiter, sei ihm die Idee zu einem Buch gekommen, das die in den Korrespondenzen festgehaltenen und kommentierten Entwicklungen in der französischen Juli-Monarchie in den vierziger Jahren zu einem geschlossenen Ganzen formt, zu einem Werk mit einem sowohl kulturhistorischen als auch ideengeschichtlichen Anspruch. Er bezieht sich in dem Brief an seinen deutschen Verleger auf diejenigen journalistischen Arbeiten, die er in den vierziger Jahren für die in Augsburg erscheinende Allgemeine Zeitung als Korrespondenzberichte über das politische und gesellschaftliche Tagesgeschehen sowie wichtige Ereignisse des kulturellen Lebens in der französischen Hauptstadt verfasst hatte und die er zwischen 1852 und 1854 überarbeitete, ergänzte und mit großer Sorgfalt

11. Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben

und ästhetischer Raffinesse zu einer geschlossenen Komposition verband. (Höhn 2004, 470 f.) Wie mühsam diese Arbeit für den kranken Schriftsteller war, dokumentiert ein Brief aus dem April 1854 an Campe: „Tag und Nacht beschäftigte mich diese Hundearbeit des Umarbeitens, des Hinzuschmiedens von etwa 8 bis 10 Bogen, Alles um das Werk artistisch vollendet und mit den Zeitfragen im Einklang erscheinen zu lassen.“ Dasselbe Schreiben an den norddeutschen Verleger gibt auch Aufschluss über Art und Umfang der Umarbeitungen, die der Autor vornahm: „Sie dürfen aber bey Leibe nicht verrathen daß ich von alten Berichten kaum 1/10 stehen ließ und meinen tollsten Humor in neugeschmiedeten Briefen ausließ. Wer das Handwerk versteht verräth den Meister nicht.“ (HSA XXIII, 320) Das Werk, dessen Titel Lutezia Bezug nimmt auf den alten, lateinischen Namen der Stadt Paris und dessen Untertitel Berichte über Politik, Kunst und Volksleben auf die gesellschaftliche Relevanz der Artikel sowie auf das breite, in ihnen behandelte Themenspektrum verweist, ist in drei Teile gegliedert: Der erste umfasst zweiundvierzig Artikel aus dem Zeitraum Februar 1840 bis Februar 1842, der zweite die Artikel dreiundvierzig bis einundsechzig vom April 1842 bis zum Juni 1843. Der Anhang enthält drei Artikel unter der Überschrift Communismus, Philosophie und Clerisei, die aus Zensurgründen nicht in der Allgemeinen Zeitung hatten veröffentlicht werden können, einen Bericht über die Gefängnißreform und Strafgesetzgebung, drei Korrespondenzen Aus den Pyrenäen sowie zwei Artikel über die Musikalische Saison von 1844 in Paris. Bereits diese inhaltliche Skizze zeigt, dass der Fokus des Werkes auf den Jahren 1842 bis 1844 liegt und damit jene Epoche in der französischen Geschichte in den Blick nimmt, die – zwischen der Juli-Revolution 1830 und der Februar-Revolution 1848 gelegen – als der Scheitelpunkt in der achtzehnjährigen Regierungszeit des sogenannten Bürgerkönigs LouisPhilippe von Orléans verstanden werden kann. So berichten die Artikel über die Gestalt dieses ebenso umstrittenen wie verspotteten Königs, über seine Ministerpräsidenten und Kabinette, über die bedeutenden politischen Köpfe des Juste-Milieu sowie innen- und außenpolitische Debatten oder Krisen. Desgleichen thematisiert Heine die Bedeutung, die der Bereich des Ökonomischen in der Zeit erreicht hat. Er schreibt über die Börse und den Aktienhandel, den Aufstieg der Eisenbahngesellschaften, die Industrialisierung und die Landflucht, die Verarmung immer größerer Bevölkerungsschichten durch die Ausbreitung einer kapitalistischen Marktordnung und die daraus resultierenden sozialen Konflikte und Spannungen. Andererseits berichtet er auch über das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der französischen Hauptstadt: über Opernaufführungen und Konzerte, berühmte Virtuosen, die in Paris auftreten, über die Theaterbühnen der Stadt und Gemäldeausstellungen, Bälle und Abendunterhaltungen der großbürgerlichen und adligen Gesellschaft, die zahlreichen Salons, in denen er auch als deutscher Schriftsteller ein gern gesehener Gast war, über die Boulevards und Plätze, die Gärten und Passagen, die Vorstädte, über die Cafés und Restaurants. Paris, das Walter Benjamin – ein anderer deutscher Schriftsteller und Intellektueller, der seine Heimat verlassen musste – knappe einhundert Jahre später in seinem Passagen-Werk auf die geistesgeschichtliche Bedeutung der Metropole rekurrierend die

Aufbau

Geschichte de Juli-Monarchie

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V. Einzelanalysen

Analyse der frühen Moderne

Kapitalismuskritik

„Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ genannt hat, ist also das Thema dieser Korrespondenzen. Gleichwohl sind die Berichte über Politik, Kunst und Volksleben nicht als das bloße Porträt einer Stadt in Sinne eines Werkes der Reiseliteratur zu verstehen, auch wenn der Schriftsteller zu Beginn des der Lutezia vorangestellten Zueignungsbriefes auf diese Tradition anspielt. (HSA XI, 7) Vielmehr erweist sich die französische Hauptstadt als der Ort, an dem eine geistige Auseinandersetzung sichtbar wird, an dem die Dialektik des Alten und des Neuen wirkt und der somit den Konflikt des vormodernen Geistes mit der beginnenden Moderne versinnbildlicht. (Höhn 2004, 472 f.) In diesem Sinne deutet Heine die Juli-Monarchie, den beständigen Widerstreit zwischen dem König und den Kammern des Parlaments oder das Ringen bürgerlicher und aristokratischer Gesellschaftsschichten um Macht und Einfluss als eine Erscheinung des Übergangs nicht nur zwischen der Revolution des Jahres 1830 und der Volkserhebung im Februar 1848, sondern auch als eine für die europäische Geschichte exemplarische, transitorische Phase. „Ich habe nicht das Gewitter, sondern die Wetterwolken beschrieben“, notiert er auf diesen Aspekt anspielend in dem an den Fürsten Pückler-Muskau adressierten Zueignungsbrief. (HSA XI, 10) Wenngleich der Schriftsteller damit erneut die Notwendigkeit einer Befreiung von den überkommenen feudalabsolutistischen Machtstrukturen thematisiert (indem er über Frankreich spricht, verweist er indirekt auch auf die politischen Verhältnisse in den Staaten des Deutschen Bundes), nimmt er gleichwohl Abstand von jenem optimistischen Glauben an den Fortschritt der Geschichte, der noch, im Rekurs auf Hegel, sein Denken und seine Schriften in den dreißiger Jahren bestimmt hat. Die Dynamik des politischen Geschehens, von dem die Korrespondenzartikel berichten, die sich ausbreitende Dominanz konkurrenzkapitalistischer Strukturen und die nahezu unbeschränkte Macht des Kapitals, als dessen Personifikation Heine den Pariser Bankier Baron James von Rothschild versteht (mit dem er übrigens persönlich bekannt war), aber auch die Problematik der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten werden zwar in ihrem Entstehen und in ihren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen auf eine präzise Weise offengelegt und kritisch hinterfragt, gleichwohl vermag der Korrespondent keine alternative Möglichkeit mehr aufzuzeigen. „Hier in Frankreich herrscht gegenwärtig die größte Ruhe. Ein abgematteter, schläfriger, gähnender Friede. Es ist alles still, wie in einer verschneiten Winternacht“, konstatiert er am Ende des Artikels LII. „Nur ein leiser, monotoner Tropfenfall. Das sind die Zinsen, die fortlaufend hinabträufeln in die Capitalien, welche beständig anschwellen; man hört ordentlich wie sie wachsen, die Reichthümer der Reichen. Dazwischen das leise Schluchzen der Armuth.“ Zugleich verweist Heine jedoch auf die unter der ruhigen Oberfläche bereits gärenden Kräfte der Revolution, indem er hinzufügt: „Manchmal auch klirrt etwas, wie ein Messer das gewetzt wird.“ (HSA XI, 163) Diese und ähnliche Passagen des Werkes sind nicht nur als eine retrospektive Deutung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Jahren, die der Revolution von 1848 vorangingen, zu lesen. (Liedtke 2004) Sie kommentieren zugleich – aufgrund der herrschenden Zensurbedingungen jedoch nur implizit – die Zustände in den frühen fünfziger Jahren, nach dem Scheitern der

11. Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben

Volkserhebung, und deuten die wieder eingekehrte Ruhe und Ordnung in den deutschen und europäischen Staaten als ebenso trügerisch wie diejenige, die zu Beginn der vierziger Jahre in Frankreich herrschte. Die Dialektik von Stillstand und Wandel, Reaktion und Revolution, Restauration und Liberalismus, der unauflösliche Widerspruch unterschiedlicher, in ihren Interessen und Ansprüchen unvereinbarer gesellschaftlicher Gruppierungen haben auch Auswirkungen auf die Literatur und die Position des Schriftstellers. Schon im Zueignungsbrief macht Heine deshalb auf einen dokumentarischen Anspruch seines Werkes aufmerksam, der bereits auf die ästhetischen Positionen des Realismus vorausdeutet. Er wählt hierfür das Bild der Daguerreotypie, eines frühen fotografischen Verfahrens, das seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts Verbreitung gefunden hatte:

Daguerreotypie

Ein ehrliches Daguerreotyp muß eine Fliege eben so gut wie das stolzeste Pferd treu wiedergeben, und meine Berichte sind ein daguerreotypisches Geschichtsbuch, worin jeder Tag sich selber abconterfeite, und durch die Zusammenstellung solcher Bilder hat der ordnende Geist des Künstlers ein Werk geliefert, worin das Dargestellte seine Treue authentisch durch sich selbst documentirt. (HSA XI, 10) Die poetologischen Positionen, die Heine in den Korrespondenzartikeln formuliert und die in der Forschung kontroverse Debatten hervorgerufen haben, sind des Weiteren auch mit den Deutungen der politischen Verhältnisse verbunden, vor allem mit den Urteilen über die frühsozialistischen und frühkommunistischen Bewegungen, die sich seit den späten zwanziger Jahren ausgebildet hatten und in den vierziger Jahren sowohl von den französischen Intellektuellen als auch von den zahlreichen in Paris lebenden Exilanten kontrovers diskutiert wurden. (Lämke 1998) Wenn Heine von Frühsozialisten spricht, so bezieht er sich primär auf Sozialtheoretiker wie Claude-Henri de Rouvroy, Comte de Saint-Simon, mit dessen Bewegung er unmittelbar nach seiner Übersiedlung in die französische Hauptstadt in Kontakt getreten war, François-Marie-Charles Fourier oder Pierre Leroux. Und mit der Benennung Kommunismus meint er nicht solche Entwicklungen, wie sie in den Diskursen des 19. und 20. Jahrhunderts in Anlehnung an die wissenschaftlichen Theoriebildungen von Karl Marx und Friedrich Engels unter dem Begriff des Marxismus zusammengefasst worden sind, sondern Strömungen, wie sie im Anschluss an die Vorstellungen François-Noël Babeufs oder Louis-Marie de Cormenins in seiner Zeit Verbreitung gefunden hatten. Das zentrale Moment in der Auseinandersetzung mit diesen Tendenzen ist die Frage, inwiefern eine republikanische Verfassung als eine adäquate Antwort auf die krisenhaft sich zuspitzenden gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen seiner Zeit angesehen werden kann. So spricht Heine in Artikel L davon, dass die Republik in der Gegenwart „nicht mehr die Principien der neunziger Jahre vertreten möchte, sondern nur die Form wäre, worin sich eine neue, unerhörte Proletarierherrschaft mit allen Glaubenssätzen der Gütergemeinschaft geltend machen würde“. (HSA XI, 154) In der Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse der Juli-Monarchie gelangt der Schriftsteller deshalb zu der Einsicht, dass ein solcher (gewaltsa-

Kommunismus

Republikanismus

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V. Einzelanalysen

mer) politischer Umsturz unumgänglich sei, weil der entfesselten Kraft des Kapitalismus bereits die sich historisch notwendig vollziehende Dynamik der Revolution eingeschrieben ist. Zugleich, und dieser Aspekt hat in der Forschung ebenfalls kontroverse Diskussionen hervorgerufen, wird in Heines Position ein Widerspruch offenbar zwischen der Einsicht in die Notwendigkeit einer gewalttätigen Volkserhebung und einer nicht zu überlesenden Furcht davor. In diesem Sinne schreibt er in Artikel XXXVII: Die zerstörenden Doctrinen haben in Frankreich zu sehr die unteren Classen ergriffen – es handelt sich nicht mehr um Gleichheit der Rechte, sondern um Gleichheit des Genusses auf dieser Erde, und es giebt in Paris etwa 400,000 rohe Fäuste, welche nur des Losungsworts harren, um die Idee der absoluten Gleichheit zu verwirklichen, die in ihren rohen Köpfen brütet. […] die Propaganda des Communismus besitzt eine Sprache, die jedes Volk versteht: die Elemente dieser Universalsprache sind so einfach, wie der Hunger, wie der Neid, wie der Tod. Das lernt sich so leicht! (HSA XI, 120 f.)

Kunst und Kapital

Da der Schriftsteller, trotz dieser widersprüchlichen Haltung, zu vergleichbaren Thesen über die kapitalistische Gesellschaftsordnung und ihr notwendiges Ende gelangt wie der in diesen Jahren ebenfalls in Paris lebende Karl Marx, ist im 20. Jahrhundert der Schluss abgeleitet worden, Heine habe sich den Lehren des deutschen Philosophen angeschlossen. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall. Denn Heine beschäftigt sich – bereits in den vierziger Jahren, vor allem aber nach der gescheiterten Revolution von 1848 – primär mit den Implikationen dieser ihm evident scheinenden gesellschaftlichen Entwicklungen für die Kunst. So zeigt er, dass das Kapital und seine Interessen auch die Herrschaft über das kulturelle Leben (die Musik, das Theater, die Literatur und die bildende Kunst) der französischen Hauptstadt gewonnen haben. Opernkomponisten wie Giacomo Meyerbeer aber auch Virtuosen wie Franz Liszt oder Niccolò Paganini, deren zeitgenössisch viel beachtete Auftritte in Paris verschiedene Korrespondenzen thematisieren, werden in der Lutezia zu Sinnbildern einer kommerzialisierten, nur auf den materiellen Erfolg ausgerichteten Kunst, die das industrielle Zeitalter hervorgebracht hat und befördert. Auch in diesem Bereich beweist sich für Heine also die These, dass das Geld „der Gott unserer Zeit“ ist, wie der Artikel XXXII formuliert. (HSA XI, 105) Das Virtuosentum und die in den Zeitschriften und Journalen ganz Europas Aufmerksamkeit erregenden Auftritte dieser Musiker sind, so Heines Lesart, Folgen einer Anpassung und endlichen Unterwerfung der Kunst unter den Geschmack breiter (letztlich ungebildeter) Publikumsschichten. Die Kunst ist nach der Analyse des Schriftstellers in doppelter Hinsicht bedroht. Zum einen durch die unaufhaltsam fortschreitende Kommerzialisierung aller gesellschaftlichen Diskurse, andererseits – und diese Position kommt in anderen Werken der Spätzeit ebenfalls im Kontext der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zum Ausdruck – durch eine nach einem radikalen politischen Umsturz errichtete Gesellschaftsordnung, deren egalitäre Vorstellungen dem Elitären, das jedem Kunstwerk notwendig eigen ist, widerspricht. Gerhard Höhn hat für diese Haltung das prägnante

11. Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben

Wort von Heines „ästhetischem (Anti-)Kommunismus“ verwandt. (Höhn 2004, 479) Auch vor diesem Hintergrund erweist sich Paris und das nach der Revolution des Jahres 1830 errichtete Bürgerkönigtum Louis-Philippes als eine Phase des historischen Übergangs. „Wir tanzen hier auf einem Vulcan“, charakterisiert der Schriftsteller zu Beginn des Artikels XLII die Zustände in der Juli-Monarchie und er fügt hinzu, „aber wir tanzen“. (HSA XI, 133) In seinen Korrespondenzen gelingt es Heine, die Vielzahl von widersprüchlichen und unvereinbaren Aspekten, die dieses Moment des Transitorischen kennzeichnen, festzuhalten und im Sinne seiner eingangs formulierten Absicht einer Daguerreotypie detailgenau abzubilden. (Pistiak/Rintz 2007) Ein zentrales Moment dieser Darstellungsform ist nicht nur der durch die Textsorte der Korrespondenz mögliche serielle Blick auf unterschiedliche Themenfelder und Diskursebenen, sondern auch die seinem Stil bereits seit den ersten Prosaschriften eigene assoziative Schreibart, die scheinbar weit auseinander liegende Gegenstände und Bereiche mühelos miteinander verbindet oder vergleicht, eine Schreibart, welche die Paradoxien einer im Wandel begriffenen Welt überführt in Oxymora und Antithesen und damit im literarischen Text sichtbar macht. Die Berichte über Politik, Kunst und Volksleben sind – bereits vorausdeutend auf Walter Benjamins Passagen-Projekt, das ohne Heines Werk nicht möglich gewesen wäre – ein Abbild der unauflösbaren Antithesen und Widersprüche der Moderne. (Witte 1998) Heine ist der Berichterstatter, der dieses Geschehen den in ihrer historischen Entwicklung rückständigen deutschen Lesern mit einem zwar präzisen aber gleichwohl melancholischen Blick vermittelt. Zentralmetapher für diese Entwicklungen ist die Eisenbahn und die mit ihr einhergehende Beschleunigung des Lebens. Die Beschleunigung aber, die den Menschen zum Objekt der von ihm selbst entfesselten Kräfte macht, ist das Signum einer neuen Zeit:

Widersprüche der Moderne

Während aber die große Menge verdutzt und betäubt die äußere Erscheinung der großen Bewegungsmächte anstarrt, erfaßt den Denker ein unheimliches Grauen, wie wir es immer empfinden, wenn das Ungeheuerste, das Unerhörteste geschieht, dessen Folgen unabsehbar und unberechenbar sind. Wir merken blos, daß unsre ganze Existenz in neue Gleise fortgerissen, fortgeschleudert wird, daß neue Verhältnisse, Freuden und Drangsale uns erwarten, und das Unbekannte übt seinen schauerlichen Reiz, verlockend und zugleich beängstigend. (HSA XI, 181 f.)

12. Geständnisse. Geschrieben im Winter 1854 Im Winter des Jahres 1853/1854 schreibt Heinrich Heine an einem Werk, das er im folgenden Herbst unter dem Titel Geständnisse im ersten Band der Vermischten Schriften bei Verlag Hoffmann & Campe publizieren wird. Im Gegensatz zu den erst nach seinem Tod aus dem Nachlass veröffentlichten Memoiren-Fragmenten, die zahlreiche autobiografische Reminiszenzen an die Jahre seiner Kindheit und Jugend in Düsseldorf enthalten, ist das Werk kein Erinnerungsbuch. Es bietet weder das reuige Eingeständnis politischer,

Autobiografischer Hintergrund

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V. Einzelanalysen

Programmatische Standortbestimmung

religiöser oder erotischer Verfehlungen, das die zeitgenössischen Leser spätestens seit dem Nachwort zu der Gedichtsammlung Romanzero von dem moribunden Dichter in Paris erwarteten, noch jene Abrechnung mit seiner Hamburger Familie, die er seit dem in Zeitschriften und Journalen ausgetragenen Erbschaftsstreit mit seinem Vetter, dem Bankier Carl Heine, öffentlich zu machen gedroht hatte. Dennoch sind die Geständnisse ein persönliches Buch, was bereits in ihrem gleichermaßen auf die Confessiones (um 400) des Kirchenvaters Augustinus wie die Die Bekenntnisse (1782–1788) des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau anspielenden Titel zum Ausdruck kommt. Es sind die Aufzeichnungen eines Intellektuellen, der seit Jahren an das Bett gefesselt, von Schmerzen gequält und von Morphium betäubt, in einem abgedunkelten Zimmer seiner Pariser Wohnung liegt, die Betrachtungen eines Menschen, der einerseits eine Krankheit erduldet, die bis heute von Medizinhistorikern nicht eindeutig bestimmt werden konnte, und der andererseits an den politischen wie ästhetischen Zuständen seiner Zeit leidet – einer Zeit, die nach der gescheiterten revolutionären Erhebung des Jahres 1848 zurückfiel in eine erneute Phase der Restauration und gesellschaftlichen Stagnation. Es sind also keine autobiografischen Bekenntnisse, sondern die „philosophischen und religiösen Variationen“, die Heine, wie er selbst formuliert, „zu Nutz und Frommen des Lesers“ in diesem Werk thematisiert. (HSA XII, 45 f.) Die Philosophie aber und die Religion sind im Denken dieses Schriftstellers stets verbunden mit der Literatur. Und die Literatur wiederum ist politisch. In diesem Sinne beginnt die Schrift mit einer beiläufigen Bemerkung über Frankreich, die zugleich als ein impliziter Verweis auf die Heimat des Dichters gelesen werden kann, um dann überzuleiten auf eine ebenso ironische wie tiefsinnige Reflexion über die Literatur der deutschen Romantik, die Bedeutung seines eigenen Werkes innerhalb der ästhetischen Debatten und die Rolle des Künstlers in dieser Zeit: Ein geistreicher Franzose – vor einigen Jahren hätten diese Worte einen Pleonasmus gebildet – nannte mich einst einen romantique défroqué. Ich hege eine Schwäche für alles was Geist ist, und so boshaft die Benennung war, hat sie mich dennoch höchlich ergötzt. Sie ist treffend. Trotz meiner exerminatorischen Feldzüge gegen die Romantik, blieb ich doch selbst immer ein Romantiker, und ich war es in einem höhern Grade, als ich selbst ahnte. Nachdem ich dem Sinne für romantische Poesie in Deutschland die tödtlichsten Schläge beigebracht, beschlich mich selbst wieder eine unendliche Sehnsucht nach der blauen Blume im Traumlande der Romantik, und ich ergriff die bezauberte Laute und sang ein Lied, worin ich mich allen holdseligen Uebertreibungen, aller Mondscheintrunkenheit, allem blühenden Nachtigallen-Wahnsinn der einst so geliebten Weise hingab. Ich weiß, es war „das letzte freie Waldlied der Romantik“, und ich bin ihr letzter Dichter: mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik von mir eröffnet ward. Diese Doppelbedeutung wird mir von den deutschen Literarhistorikern zugeschrieben. Es ziemt mir nicht, mich hierüber weitläufig auszulassen, aber ich darf mit gutem

12. Geständnisse

Fuge sagen, daß ich in der Geschichte der deutschen Romantik eine große Erwähnung verdiene. (HSA XII, 43 f.) Bescheidenheit gehört weder in den ersten Jahrzehnten seines öffentlichen Auftretens noch in den späten Jahren der Agonie zu den vorzüglichsten Eigenschaften dieses Dichters, allenfalls als ein rhetorischer Gestus von spöttischer Hintergründigkeit. Gleichwohl liegt in der Selbstdeutung nicht nur eine jener programmatischen Standortbestimmungen, wie sie von Literaten aller Epochen – vielleicht zurückhaltender, aber mit nicht minder großem Nachdruck – formuliert worden sind. Heine spielt jedoch auch auf die Urteile der literarischen und wissenschaftlichen Kritik in Deutschland an, die sein Werk an den von der klassischen und romantischen Kunsttheorie entwickelten ästhetischen Vorstellungen maßen und aus diesem Vergleich den Schluss zogen, er spiele lediglich mit Motiven und Sujets der Romantik, weshalb seine Dichtungen ebenso „frivol“ wie „unecht“ seien – um zwei verbreitete Schlagworte dieser Zeit aufzugreifen. Indem Heine in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts in seinen Gedichten und Prosatexten begann, die Sprache und Metaphorik der romantischen Schule im Zitat zu überzeichnen, indem er ihre Traumbilder als Trugbilder entlarvte, indem er eine politische Vision Europas entwarf, welche die patriotischen Emphasen seiner Zeitgenossen als nationalistische Aggression und chauvinistische Rhetorik bloßstellte, avancierte sein Werk zu einem Skandalon. Die Leser der Zeit erkannten in seinen Schriften eine ungeheure, bisher nie dagewesene Provokation. Zunächst waren sie Vertreter eines Autonomiekonzeptes von Literatur, d. h. ihre ästhetische Wertung wurde geprägt von den Konventionen der klassischen und romantischen Literatur. Wäre Heine ein Vertreter der politischen Poesie gewesen, hätte er diesen Erwartungen zwar auch nicht entsprochen; sein „Fehler“ bestand jedoch darin, trotz der politischen und revolutionären Ausrichtung seiner Schriften auf der Autonomie und Schönheit seiner Kunst zu bestehen. Gleichzeitig verstörte er die Vertreter der politischen Literatur, die für demokratische Ideale und Vorstellungen eintraten, durch seinen Versuch der Synthese einer prononciert politischen Literatur mit dem Konzept der Kunstautonomie. Und nicht zuletzt fanden sich beide Seiten durch Heines Witz gleichermaßen bedroht und bedrängt, ist es doch stets verdächtig, wie bereits der Heine-Biograf Ludwig Marcuse bemerkte, wenn einer Witz hat, wenn er mühelos erscheint, wenn er keines Kommentars bedarf. Die Geständnisse sind vor diesem Hintergrund als der Versuch zu lesen, die gedankliche und philosophische Einheit seines, von den zeitgenössischen Lesern als widersprüchlich und deshalb irritierend verstandenen Werkes mit einer abschließenden, retrospektiven Deutung herauszustellen. Gerhard Höhn diskutiert in diesem Zusammenhang im Anschluss an Gerd Heinemann das Spannungsverhältnis zwischen Künstler- und Gelehrtenbiografie, in dem die Erinnerungsschrift zu verorten ist. (Höhn 2004, 487) Ein weiterer wesentlicher Aspekt, neben der Frage nach dem Verhältnis seiner Dichtungen zu denjenigen der romantischen Epoche, ist die Auseinandersetzung mit der deutschen Philosophie des Idealismus. Mit den Schriften der dreißiger und vierziger Jahre hatte Heine sich in die Denktradition Hegels gestellt und betont, dass der Atheismus keine notwendige Folge der Po-

Literatur und Provokation

Retrospektive Selbstdeutung

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V. Einzelanalysen

Religiöse Standortbestimmung

sitionen seines Berliner Lehrers sei, sondern lediglich von den Vertretern der junghegelianischen Schule als eine solche gesehen worden ist, während er selbst aus der Negation des Deismus zu einer Erneuerung des Pantheismus gefunden habe. Dieser Gedankengang hat eine doppelte Konsequenz: Politisch bildeten die Vorstellungen Hegels die Grundlage für die Ausbildung frühkommunistischer Strömungen, denen Heine kritisch gegenüberstand. In diesem Sinne schreibt er: „ich sah nämlich, daß der Atheismus ein mehr oder minder geheimes Bündniß geschlossen mit dem schauderhaft nacktesten, ganz feigenblattlosen, communen Communismus.“ (HSA XII, 59) Und wie zuvor in den Korrespondenzberichten der Lutezia formuliert er auch in dieser autobiografischen Schrift grundlegende, aus seinem Selbstverständnis als Künstler resultierende Zweifel am Kommunismus, den er aber gleichwohl für historisch notwendig hält. (Hermand 1999) „Ganz besonders empfindet der Dichter ein unheimliches Grauen vor dem Regierungsantritt dieses täppischen Souverains.“ (HSA XII, 60) Im Spannungsfeld seiner Betrachtungen über die deutsche Philosophie und die politischen sowie poetologischen Implikationen atheistischer, deistischer und pantheistischer Vorstellungen zeigt sich, dass der Titel Geständnisse nicht nur in seinem Rekurs auf Augustinus und Rousseau ambivalent ist. Denn der Begriff meint einerseits in einem juristischen Sinne das Einräumen einer Schuld oder Verfehlung, andererseits bezeichnet das Wort in einem weiten Sinne ein Bekenntnis, ein Anerkenntnis oder Eingeständnis. Es ist diese Mehrdeutigkeit, die der Schriftsteller betont, wenn er in dem zweiten Teil des Werkes über sein Verhältnis zur Bibel spricht. Bereits in der Schrift über Ludwig Börne hatte Heine die Bedeutung der biblischen Überlieferung für seine Denkart herausgestellt und in dem den Romanzero beschließenden Nachwort die Notwendigkeit eines persönlichen Gottes für den leidenden Menschen betont. In den Geständnissen bekennt er nun: „Die Wiedererweckung meines religiösen Gefühls verdanke ich jenem heiligen Buche [der Bibel], und dasselbe ward für mich eben so sehr eine Quelle des Heils, als ein Gegenstand der frömmigsten Bewunderung.“ (HSA XII, 69) Diese neuerliche Hinwendung zur Religion bedeutet jedoch keineswegs eine Rückkehr zu einer konfessionellen Bindung. Die Geständnisse sind also auch als eine Replik zu lesen auf die öffentlichen Debatten über Heines religiöse Orientierung, die das Nachwort zum Romanzero ausgelöst hatte: Sie hat, wie ich oben gesagt, das religiöse Gefühl wieder in mir erweckt; und diese Wiedergeburt des religiösen Gefühls genügte dem Dichter, der vielleicht weit leichter als andre Sterbliche der positiven Glaubensdogmen entbehren kann. Er hat die Gnade, und seinem Geist erschließt sich die Symbolik des Himmels und der Erde; er bedarf dazu keines Kirchenschlüssels. (HSA XII, 71) Die sich nun anschließenden Betrachtungen über die jüdischen Traditionen, denen er sich aufgrund seiner Herkunft teilweise verpflichtet fühlt, über sein Verhältnis zum Protestantismus als demjenigen christlichen Bekenntnis, das er mit der Taufe im Jahr 1825 selbst angenommen hat, sowie über die ästhetische Faszination, die der Katholizismus auf ihn ausübt, enden mit einem Bild, das in seiner Ambivalenz kennzeichnend für die diskursive Offenheit

12. Geständnisse

des Werkes insgesamt ist. (Holub 2002) Zum einen verweist Heine am Ende des Textes noch einmal auf Hiob. In dem Bild des leidenden Schriftstellers, der seit Jahren ohne Hoffnung auf Genesung und nur auf den Tod wartend an das Krankenlager gefesselt liegt, findet sich zwar eine Gleichsetzung mit der alttestamentarischen Gestalt, sie wird jedoch zugleich ironisch gebrochen, wenn Heine bemerkt: Ach! der Spott Gottes lastet schwer auf mir. Der große Autor des Weltalls, der Aristophanes des Himmels, wollte dem kleinen irdischen, sogenannten deutschen Aristophanes recht grell darthun, wie die witzigsten Sarcasmen desselben nur armselige Spöttereien gewesen im Vergleich mit den seinigen, und wie kläglich ich ihm nachstehen muß im Humor, in der colossalen Spaßmacherei. (HSA XII, 84 f.) Wie bereits in früheren Werken sieht sich Heine in der Nachfolge des griechischen Komödiendichters. Und wie Aristophanes deutet er die Welt als ein Spiel. Der Theatrum-mundi-Topos aber macht die Relativität der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten sichtbar. Insofern ist die gebrochene Ernsthaftigkeit der uneigentlichen Rede, die Ironie, von der diese Textpassage bestimmt wird, Ausdruck des Versuches, diese Einsicht sowohl zu akzentuieren als auch zu relativieren. Indem das literarische Spiel auf dem philosophischen Prinzip des Zweifels gründet, wird es selbst zu einem Erkenntnisinstrument. Damit deutet Heine zugleich auf die philosophischen Diskurse der Romantik, in deren Nachfolge er sich ebenfalls begreift. Denn in den theoretischen Erörterungen der frühen Romantik ist die Skepsis als Grundlage des Ironischen aufgefasst worden. Wenn Heine die Hoffnungslosigkeit seines Zustandes spöttisch betrachtet und die Einsicht, dass es für ihn keine Hoffnung auf Genesung mehr gibt, auf eine höchst ironische Weise kommentiert, so zeigt sich, dass dem Schreiben für ihn in diesen Jahren auch eine psychologische Entlastungsfunktion zukommt. Sich selbst aus der Distanz eines literarischen Spiels von Dichtung und Wahrheit betrachtend, wird das erzählende Ich der Geständnisse jedoch nicht nur zu einer Figuration des Dichters. Es wird zu einem Sinnbild für die Zeit, wie bereits im Romanzero die leidvollen Erfahrungen des Einzelnen über das bloß Individuelle hinausgewiesen haben in den Bereich des Kollektiven. Erneut ist Heines Leiden ein exemplarisches Leiden, chiffriert er in den literarischen Figurationen seines Selbst die Fragen, Widersprüche und Umbrüche seiner Epoche. Dies zeigt sich auch in dem anderen Bild, mit dem Heine die Geständnisse beschließt. Er berichtet von einem spätmittelalterlichen „Clericus, von dessen Ruhm als Liederdichter die obengenannte Limburger Chronik gesprochen“. Während seine Lieder in ganz Deutschland gesungen wurden, litt er selbst unter Aussatz. In dieser Figur, in der sowohl Züge Hiobs als auch der beiden neutestamentarischen Lazarus-Gestalten verschmelzen, erkennt Heine jene ratlos-fragende Ambivalenz im Angesicht des Widerspruches von Schönheit und Bedeutung, Ruhm und Elend, Glanz und Untergang, die nicht nur seine Existenz als Künstler prägen, sondern das Signum der unauflösbaren Antimonien der Moderne sind, als deren Repräsentanten er den Dichter deutet:

Individual- und Zeitgeschichte

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V. Einzelanalysen

Manchmal in meinen trüben Nachtgesichten glaube ich den armen Clericus der Limburger Chronik, meinen Bruder in Apoll, vor mir zu sehen, und seine leidenden Augen lugen sonderbar stier hervor aus seiner Kapuze; aber im selben Augenblick huscht er von dannen, und verhallend, wie das Echo eines Traumes, hör’ ich die knarrenden Töne der LazarusKlapper. (HSA XII, 86)

VI. Heines Nachwirkung Dass Heine zu den umstrittensten Schriftstellern der deutschen Literaturgeschichte gehört, ist eine Feststellung, die nicht nur in der Forschung zur Rezeption seiner Dichtungen und Schriften im 19. und 20. Jahrhundert stereotyp wiederholt worden ist. Bereits die Feststellung selbst ist ein Teilaspekt der Nachwirkung jenes Streites, den bereits die Zeitgenossen um den Dichter geführt haben. Denn nicht nur die zeitgenössischen Wertungen, auch die Urteile der Schriftsteller und Intellektuellen, der Kulturkritiker und Literaturwissenschaftler, die sich nach seinem Tod mit seinem Werk und seiner Person auseinandergesetzt haben, spiegeln ambiguöse und widersprüchliche Standpunkte. Linke wie rechte, konservative wie progressive Kritiker haben den Dichter in den seit seinem Tod vergangenen 150 Jahren mit immer gleichen Argumenten und Fehlinterpretationen seines Werkes für die eigene Sache vereinnahmt. Diese strukturelle Parallelität der Argumente, ungeachtet der inhaltlichen und sachlichen Differenzen, macht Heine zu einer Ausnahme in der deutschen Literaturgeschichte. Das von Franz Sandvoß bereits 1888 geprägte Wort von einem „Pfahl in unserm Fleische“ (Goltschnigg/Steinecke 2006 ff. I, 279) oder Theodor W. Adornos in einem Radiovortrag im Jahr 1956 getroffene und viel zitierte Feststellung von der „Wunde Heine“ (Goltschnigg/Steinecke 2006 ff. II, 533) sind beredter Ausdruck dieser Schwierigkeit der Mit- und Nachwelt im Umgang mit einem – wie schon die Zeitgenossen, trotz aller Meinungsverschiedenheiten, nicht müde wurden zu betonen – bedeutenden deutschen Schriftsteller und Dichter. Während die Widersprüche in den Werken anderer zu ihren Lebzeiten umstrittener Dichter von der Literaturgeschichtsschreibung oder dem Lesepublikum im Prozess der Kanonisierung historisiert und nivelliert worden sind, wodurch ein zwar verkürztes aber homogenes Urteil tradiert werden konnte, haben die Werke und die Persönlichkeit Heines bis in die jüngste Vergangenheit kontroverse Diskussionen ausgelöst. (Reich-Ranicki 1973, 72) Dass die Historisierung einzelner Werke und Werkgruppen ein die literarische Kanonisierung konstituierender Prozess ist, spiegelt sich beispielsweise in der einseitigen Bewertung Gotthold Ephraim Lessings, dessen vielschichtiges und zu seinen Lebzeiten in den Debatten des Aufklärungszeitalters kontrovers diskutiertes Œuvre im 19. und 20. Jahrhundert auf das Bild eines Vertreters des bürgerlichen Trauerspiels reduziert worden ist. Ebenso ist in der Nachwirkung Gottfried Benns Spätwerk stets von der nachhaltigen Provokation seiner frühen Morgue-Gedichte überschattet worden. Mit der inhaltlichen wie formalen Vielschichtigkeit seines literarischen Gesamtwerkes ist diese Entwicklung der Heine-Wirkung nicht zu erklären. Sicherlich werden im Prozess der Rezeption einzelne Werke ausgeblendet, oftmals wird diese Entwicklung durch die Gattung eines Werkes begünstigt, die im Gesamtschaffen eine Ausnahme oder Randerscheinung bleibt. Aber auch für gegenteilige Entwicklungen gibt es Beispiele aus der Literaturge-

Streit um Heine

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VI. Heines Nachwirkung

Ursachen des Streits um Heine

Deutscher Nationalismus

schichte, etwa Annette von Droste-Hülshoff, die bis heute – trotz der eigentümlich subversiven Kraft ihrer lyrischen und epischen Werke – die Autorin der Judenbuche geblieben ist. Andere Autoren, wie Johann Wolfgang von Goethe, sind demgegenüber trotz der Themen- und Gattungsvielfalt ihres Werkes in ihrer Gesamtheit wahrgenommen worden. Die Ursachen des Streits um Heine, der mit der Veröffentlichung des ersten Gedichtbandes im Dezember 1821 begonnen hat und bis in die öffentlichen Diskussionen der jüngsten Vergangenheit hineinreicht, sind vielfach untersucht worden und mindestens ebenso umstritten wie das Urteil über den Dichter selbst. Dabei haben sich die Forschungsarbeiten zur Wirkungsgeschichte auf unterschiedlichen Ebenen bemüht, die möglichen Ursachen zu beleuchten. Es sind hierbei im Wesentlichen drei Bereiche zu unterscheiden, die sich jedoch gegenseitig beeinflussen und bedingen. Die Auseinandersetzungen um seine Person und sein Werk werden einerseits von außerliterarischen, an der Person und Biografie Heines orientierten Faktoren und Argumenten gesteuert. Und die ab den 1830er Jahren bis in das 20. Jahrhundert geführten Diskussionen um sein Talent und seinen angeblich mangelnden Charakter sind Ausdruck dieser Extrapolation über den Bereich der Literatur hinaus. Andererseits fordern die dem Werk immanenten Dualismen und Widersprüche ambivalente Reaktionen der literarischen Kritik geradezu heraus. Das Ambiguöse und Gegensätzliche, sowohl auf inhaltlichthematischer wie formaler Ebene, widersetzt sich dem Versuch der Einordnung und Klassifizierung und provoziert eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung der literarischen Kritik mit dem Werk. Schließlich wird die Aufnahme von der Diskrepanz zwischen dem Erwartungshorizont der Literaturkritik und den Positionen des Dichters geprägt. Die Wirkungsgeschichte Heines zu seinen Lebzeiten und bis in das 20. Jahrhundert spiegelt den für die literarische Wertung in Deutschland spezifischen Kontrast zwischen den normativen, aus dem Kontext klassisch-romantischer Kunstanschauung tradierten Paradigmen und den notwendigen Brüchen und Widersprüchen in den Werken Heines, die der veränderten geistes- und zeitgeschichtlichen Situation seiner Epoche geschuldet sind, den Brüchen und Verwerfungen der Moderne, die der Schriftsteller selbst thematisiert. (Singh 2006, 293 f.; Koopmann 1975) Dass Heine im Jahr 1831 nach Paris übergesiedelt ist, dass der größte Teil seines literarischen Werkes in Frankreich entstanden ist und dass er publizistisch für ein friedliches Miteinander beider seit den napoleonischen Kriegen verfeindeten Länder eingetreten ist, sind ebenfalls Aspekte seines Schaffens, die seine Wirkungsgeschichte in der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts negativ bestimmt haben. Der sich entfaltende und radikalisierende deutsche Nationalismus, die von fast allen politischen Parteien und Gruppierungen als „Erbfeindschaft“ propagierte deutsch-französische Gegnerschaft, die im Krieg von 1870/71 und der sich anschließenden Proklamation des preußischen Königs zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal von Versailles sowie in den beiden Weltkriegen manifest wird, ließen im Kanon der deutschen Literatur keinen Platz für einen Schriftsteller, der in der Einigung Europas und der Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs zentrale politische Ziele seiner Epoche erkannte. Und wie bereits seine Zeitgenossen seine Übersiedlung in die als moralisch verdorben

VI. Heines Nachwirkung

angesehene französische Hauptstadt als Verrat am Vaterland verstanden und seine ironische Schreibart als französisch und frivol ablehnten, so fand auch die Literaturgeschichtsschreibung des späten 19. Jahrhunderts hierin Argumente, den Schriftsteller als „Vaterlandsverräter“ zu diffamieren. George F. Peters hat in diesem Zusammenhang herausgearbeitet, dass diese Tendenzen nicht nur das Ergebnis der inhaltlich wie formal kritischen Qualität der Werke Heines waren, die durch ihre Angriffe auf literarische, moralische und politische Konventionen eine Gegenreaktion provozierten, sondern auch ein Reflex auf den Juden Heine, der ein bedeutender deutscher Schriftsteller war. (Peters 2000, 2) Wenngleich der Antisemitismus erst im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Argument innerhalb literarischer und künstlerischer Debatten wurde, wird Heines jüdische Abstammung bereits kurz nach Erscheinen der ersten Werke thematisiert. Die Diskussionen über sein jüdisches Elternhaus, die Gerüchte über seine angeblich katholische Mutter und seine katholische Erziehung, die Vermutungen über seine Taufe zeigen, dass sein Judentum ein weiterer Faktor war, der sowohl seine zeitgenössischen Leser als auch die nachgeborene Literaturgeschichtsschreibung verunsicherte. Auch in diesem Bereich entzog sich Heine der Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit. Dass der Dichter über diesen generellen Zweifel an seiner konfessionellen Bindung hinaus in seinen Werken religiöse Fragen thematisiert, über lange Jahre als Sensualist und Atheist betrachtet wird und aus der Perspektive der Öffentlichkeit erst auf dem Krankenlager zu Gott zurückfindet, hat – wie die lebhaften Auseinandersetzungen zeigen – diese grundlegende Streitfrage zusätzlich verkompliziert. (Peters 1990) Zugleich zeigt sich in antisemitischen Urteilen über den Dichter, wie sie von Richard Wagner über Heinrich von Treitschke und Viktor Hehn bis zu Joseph Nadler formuliert worden sind, bereits jener in großen Teilen der Gesellschaft verbreitete Antisemitismus, der die Rassengesetze der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft überhaupt erst ermöglichte. (vgl. Goltschnigg/Steinecke 2006 ff. I) Die Nachwirkung Heines wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert jedoch nicht nur von nationalistisch-chauvinistischen und antisemitischen Positionen bestimmt. Vor und nach der Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs, vor allem jedoch in den Jahren der Weimarer Republik avancierte der Dichter zu einer Identifikationsfigur für liberale und linke Intellektuelle und Schriftsteller. Positive Wertschätzung spiegelt sich auch in der Herausgabe der ersten wissenschaftlichen Gesamtausgaben seiner Werke, wie der ersten kritischen Edition, die der Germanist Ernst Elster in den Jahren 1887 bis 1890 im Verlag des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien veröffentlichte, oder der zehnbändigen Ausgabe, die Oskar Walzel zwischen 1910 und 1920 im Leipziger Insel Verlag vorlegte, sowie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Dichter, die in vielen Bereichen die Grundlage für die Heine-Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg gelegt hat. Auch die verschiedenen Bestrebungen, dem Dichter in seiner Heimatstadt Düsseldorf ein Denkmal zu setzen und ihm auf diese Weise zu einer späten Anerkennung zu verhelfen, sind in dieser Hinsicht zu nennen. (Peters 2000, 69–95) Gleichwohl zeigt sich auch in der Geschichte der Heine-Denkmäler das ambivalente Verhältnis der deutschen Öffentlichkeit zu dem jüdischen

Antisemitismus

Identifikationsfigur liberaler Intellektueller

Anfänge der Heine-Forschung

Heine-Denkmäler

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VI. Heines Nachwirkung

Heine im Nationalsozialismus

Heine in der DDR

Dichter, der sein Leben im französischen Exil beschloss. So wurde im Herbst 1887 in Düsseldorf ein „Comité für die Errichtung eines HeineDenkmals“ gegründet, dem auch die für ihre Heine-Verehrung bekannte österreichische Kaiserin Elisabeth beitrat. Nach ebenso kontrovers wie polemisch geführten Diskussionen, die deutlich von nationalistischen und antisemitischen Argumenten beeinflusst waren und über die Grenzen Düsseldorfs hinaus in Deutschland Beachtungen fanden, wurde der Denkmalsplan jedoch 1893 fallengelassen. Anlässlich des 70. Todestages Heines im Jahr 1926 verfassten die Schriftsteller Herbert Eulenberg und Hanns H. Ewers neuerlich einen Aufruf zur Errichtung eines Heine-Denkmals in Düsseldorf. 1929 bildete sich ein vom Düsseldorfer Oberbürgermeister getragener Ortsausschuss, nebst einem Ehrenausschuss, dem zahlreiche Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Politik angehörten. Bis zum Jahr 1930 sammelte dieser Ausschuss Spenden für die Errichtung des Denkmals. Die Nationalsozialisten, die bereits vor 1933 publizistisch gegen die Errichtung eines Denkmals zu Ehren des Dichters agitiert hatten, verhinderten jedoch nach der Machtergreifung die Aufstellung. (Schubert 1999) Auch hier zeigt sich, dass die Heine-Rezeption parallel mit der geistesgeschichtlichen und politischen Entwicklung Deutschlands verlief, denn mit dem Versagen der progressiven, demokratischen Kräfte, die auch an dem Niedergang der ersten deutschen Demokratie von Weimar und dem Aufstieg des Faschismus Anteil hatten, gelang es den konservativ-antisemitischen Heine-Kritikern, das Werk des Dichters aus dem Kanon der deutschen Literaturgeschichte zu verdrängen. (Peters 2000, 99–111) Wenngleich seine Schriften bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 nicht verbrannt wurden, konnten seine Werke aufgrund seiner jüdischen Herkunft in Deutschland nach 1933 jedoch nicht mehr veröffentlicht oder verbreitet werden. (Goltschnigg/Steinecke 2006 ff. II, 91–101) Stattdessen haben die Schriftsteller, die, im Dritten Reich verfolgt und verboten, das nationalsozialistische Deutschland verlassen mussten, sich mit dem Leben und Werk Heines auseinandergesetzt. Das Leben des Dichters eröffnete ihnen die Möglichkeit zur Identifikation, denn auch Heine musste aufgrund der politischen Verhältnisse in der Restaurationszeit seine deutsche Heimat verlassen. Zum einen wurden seine Werke in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts von den Exil-Verlagen in Amsterdam, Paris, Stockholm oder Moskau nachgedruckt, weil sie die Erfahrung der Emigration widerspiegelten. Zum anderen können die Publikationen als Geste des Widerstands gegen das Verbot seiner Schriften in Deutschland angesehen werden. Zudem akzentuierten die Exilanten mit dem Bezug auf das Leben und das Werk Heines die liberale und aufgeklärte Tradition der deutschen Geistesgeschichte, die sie mit ihrem eigenen Werk gegen die faschistische Deutung deutscher Kultur verteidigten. (Goltschnigg/Steinecke 2006 ff. II, 111–125) Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur entwickelten sich in Ost- und Westdeutschland erneut widersprüchliche und letztlich unvereinbare Perspektiven auf den Dichter und sein Werk. Die Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik, die von zahlreichen ehemaligen Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes getragen wurde, berief sich auf Heine als frühen Vertreter einer „bürgerlich-revolutionären“ Literatur in

VI. Heines Nachwirkung

Deutschland. (Kaiser 2007) Indem seine Auseinandersetzung mit den sozialreformerischen Vorstellungen des Saint-Simonismus, seine Freundschaft mit Karl Marx und die soziale Tendenz seiner Schriften – die sich in dem Versepos Deutschland. Ein Wintermährchen gleichermaßen zeigt wie in dem Gedicht Die schlesischen Weber – ebenso hervorgehoben wurden wie seine Wirkung auf die Vertreter der frühen sozialistischen und sozialdemokratischen Bewegungen im 19. Jahrhundert, wurde die Vielschichtigkeit seines literarischen Œuvres auf einzelne Facetten verkürzt und erneut in den Dienst einer ideologischen Weltsicht gestellt. (Goltschnigg/Steinecke 2006 ff. II, 147–160) Demgegenüber rekurrierte die westdeutsche Rezeption auf das bürgerliche Heine-Bild, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden war. In den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten waren weite Teile der öffentlichen, aber auch der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Dichter von dem Versuch geprägt, seine Werke (und damit auch das Urteil über sie) zu entpolitisieren. (Goltschnigg/Steinecke 2006 ff. II, 135–147) Darüber hinaus bot die Auseinandersetzung mit dem deutsch-jüdischen Dichter, der die zweite Hälfte seines Lebens im französischen Exil verbracht hatte, in der jungen Bundesrepublik die Möglichkeit, an diejenigen Traditionen der deutschen Geistesgeschichte anzuknüpfen, die zwischen 1933 und 1945 diffamiert und verleugnet worden waren. Die unterschiedlichen ideologischen und weltanschaulichen Positionen in den beiden deutschen Staaten führten zudem zu einer Konkurrenz der ost- und der westdeutschen Heine-Forschung. Dies spiegelt sich nicht nur in über Jahrzehnte geführten, zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen um philologische und hermeneutische Fragen, sondern wird auch in zwei konkurrierenden historisch-kritischen Ausgaben seiner Werke manifest, die ab den sechziger Jahren im Osten und im Westen vor dem Hintergrund unterschiedlicher editionsphilologischer Kriterien erarbeitet wurden. Die endgültige Kanonisierung des Dichters und seines Werkes hat sich erst nach der Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands vollzogen. Zwar hatte bereits die studentische Bewegung des Jahres 1968 zu einer Neubewertung im Westen geführt, aber erst nach dem Ende des Ost-WestKonfliktes ist es in der Wissenschaft wie auch in der Öffentlichkeit gelungen, das Werk dieses Schriftstellers frei von ideologischen Prämissen in seiner Stellung innerhalb der deutschen und europäischen Literatur- und Geistesgeschichte zu betrachten. Dass diese Aussöhnung mit dem Dichter sich nicht nur im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit seinem Werk entwickelt hat, sondern auch von der literarisch interessierten Öffentlichkeit nachvollzogen worden ist, kommt ebenso in den Ausstellungen, Vorträgen, Lesungen und Publikationen zum Ausdruck, die zum 200. Geburtstag des Dichters im Jahr 1997 oder anlässlich seines 150. Todestages im Jahr 2006 veranstaltet worden sind, wie auch in der Aufnahme seiner Schriften in den Kanon derjenigen Werke der Literaturgeschichte, die im Deutschunterricht der Schulen behandelt werden.

Heine in der Bundesrepublik

Heine in der Gegenwart

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13. Dezember: Geburt Harry Heines als erstes von vier Kindern des jüdischen Kaufmanns Samson Heine (1764–1828) und seiner Ehefrau Betty, geb. van Geldern (1771–1859) in Düsseldorf Februar: Beschneidung und Eintrag in das Register der jüdischen Gemeinde Besuch der israelitischen Privatschule Rintelsohn Eintritt in die Normalschule im ehemaligen Franziskanerkloster Eintritt in die Vorbereitungsklasse des Lyzeums im ehemaligen Franziskanerkloster Aufnahme in die untere Klasse des Lyzeums 29. September: Heine verlässt das Lyzeum ohne Reifezeugnis Oktober: Besuch der Handelsschule Vahrenkampf September: Beginn einer kaufmännischen Lehre bei dem Bankhaus Rindskopf in Frankfurt am Main November: Abbruch der Lehre und Rückkehr nach Düsseldorf Juni: Abreise nach Hamburg und Beginn einer Lehre im Kontor seines Onkels Salomon Heine Mai: Salomon Heine richtet seinem Neffen ein Manufakturwarengeschäft ein („Harry Heine & Comp.“) März: wegen drohenden Bankrotts Liquidation von „Harry Heine & Comp.“ Juni: Rückreise nach Düsseldorf und Vorbereitung auf das von Salomon Heine finanzierte Studium Dezember: Immatrikulation an der Universität Bonn in den Fächern Rechts- und Kameralwissenschaft Oktober: Immatrikulation an der Universität Göttingen 23. Januar: „consilium abeundi“ von der Universität Göttingen für ein halbes Jahr 20. März: Ankunft in Berlin 4. April: Immatrikulation an der Universität Berlin 4. August: Aufnahme in den „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“ August/September: Reise nach Polen 19. Mai: Abreise von Berlin nach Lüneburg, wo seine Eltern seit 1821 wohnen Sommer und Herbst: Aufenthalt in Hamburg; Badereise nach Cuxhaven und Ritzebüttel; erneuter Aufenthalt in Lüneburg 30. Januar: erneute Immatrikulation an der Universität Göttingen September: Wanderung durch den Harz 2. Oktober: Besuch bei Johann Wolfgang von Goethe in Weimar 28. Juni: Konversion zum evangelischen Glauben und Taufe in Heiligenstadt (Taufnamen: Johann Christian Heinrich) 20. Juli: Promotion zum Doktor beider Rechte

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Sommer/Herbst: Sommeraufenthalt auf Norderney November: Übersiedlung nach Hamburg in der Absicht, sich als Advokat niederzulassen Januar: Veröffentlichung der Harzreise in der Zeitschrift Der Gesellschafter oder Blätter für Herz und Geist; in Hamburg erste Begegnung mit dem Verleger Julius Campe Mai: Veröffentlichung des ersten Bandes der Reisebilder Juli bis September: Sommeraufenthalt auf Norderney April: Veröffentlichung des zweiten Bandes der Reisebilder April bis September: Reise nach England Oktober: Veröffentlichung des Buches der Lieder 26. November: Ankunft in München, Tätigkeit als Herausgeber der Neuen allgemeinen politischen Annalen für den Verleger Johann Friedrich von Cotta August bis November: Italienreise 2. Dezember: Tod des Vaters in Hamburg Dezember: Veröffentlichung des dritten Bandes der Reisebilder Juni bis August: Sommeraufenthalt auf Helgoland, Heine verfolgt die Berichte über die Juli-Revolution in Paris Januar: Veröffentlichung der Nachträge zu den Reisebildern Mai: Übersiedlung nach Paris als freier Berufsschriftsteller August: Sommeraufenthalt in Boulogne-sur-Mer Oktober: Beginn der Tätigkeit als Korrespondent für deutsche Zeitungen und Zeitschriften Januar: Heine besucht die Versammlungen der Saint-Simonisten; in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen die ersten Korrespondenzberichte März: in der Zeitschrift L’Europe littéraire veröffentlicht Heine eine Artikelfolge, die später unter dem Titel Die romantische Schule erscheinen wird März: in der Zeitschrift Revue des Deux Mondes veröffentlicht Heine drei Essays, die später unter dem Titel Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland erscheinen werden Oktober: Bekanntschaft mit Augustine-Crescence-Eugénie Mirat 10. Dezember: Publikationsverbot aufgrund des Bundestagsbeschlusses gegen das sog. Junge Deutschland (Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Theodor Mundt und Ludolf Wienbarg) 11. Dezember: Verbot sämtlicher Schriften Heines in Preußen September bis Dezember: Reise in die Provence 10. Februar: in der Allgemeinen Zeitung erscheinen die ersten Korrespondenzartikel, die später unter dem Titel Lutezia in Buchform veröffentlicht werden August: Veröffentlichung der Denkschrift über Ludwig Börne unter dem Titel Heinrich Heine über Ludwig Börne 31. August: Heirat mit Augustine-Crescence-Eugénie Mirat in der Pariser Kirche Saint-Sulpice 7. September: Duell mit Salomon Strauß, dem Ehemann von Jeanette Wohl-Strauß, aufgrund des Skandals um die Denkschrift über Ludwig Börne

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21. Oktober bis 16. Dezember: Reise nach Hamburg 20. Dezember: Bekanntschaft mit Karl Marx in Paris 19. Juli bis 16. Oktober: Reise nach Hamburg in Begleitung seiner Frau September/Oktober: Veröffentlichung der Neuen Gedichte und von Deutschland. Ein Wintermährchen 23. Dezember: Tod Salomon Heines in Hamburg und Beginn langjähriger Auseinandersetzungen um die Weiterzahlung seiner von diesem gewährten Jahresrente Januar: Veröffentlichung der Buchfassung von Atta Troll. Ein Sommernachtstraum September: Heine ist ständig bettlägerig Juli: Besuch von Julius Campe in Paris Oktober: Veröffentlichung der Gedichtsammlung Romanzero Oktober: Veröffentlichung der Vermischten Schriften 18. Juni: erster Besuch von Elise Krinitz („Mouche“) bei dem sterbenden Dichter 17. Februar: Tod Heines 20. Februar: Beisetzung auf dem Friedhof Montmartre

Kommentierte Bibliografie 1. Werk- und Briefausgaben Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. In Verbindung mit dem Heinrich-Heine-Institut hrsg. v. Manfred Windfuhr im Auftrag der Landeshauptstadt Düsseldorf mit Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Freie und Hansestadt Hamburg, das Ministerium für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen. Hamburg 1973–1997. Heinrich Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Säkularausgabe. Hrsg. v. d. Klassik Stiftung Weimar (vormals Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar) u. d. Centre National de la Recherche Scientifique in Paris. Berlin u. Paris 1970 ff. (Im Text mit der Sigle HSA unter Angabe von römischer Band- und arabischer Seitenzahl zitiert.) Heinrich-Heine-Portal: http://germanzope.uni-trier. de/Projects/HHP

2. Einführungen, Handbücher, Quellensammlungen auf der Horst, Christoph u. Sikander Singh (Hrsg.): Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeitgenossen. Bd. 7–12. Stuttgart u. Weimar 2002–2006. [Heine-Studien] (Umfassende Sammlung von Zeugnissen zur Aufnahme der Werke in Deutschland zwischen 1841 und 1856.) Cook, Roger F. (Hrsg.): A Companion to the Works of Heinrich Heine. Rochester 2002. (Informative Überblicksartikel zu einzelnen Werken und Themen auf dem damaligen Stand der Forschung.) Galley, Eberhard u. Alfred Estermann (Hrsg.): Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeitgenossen. Bd. 1–6. Hamburg 1981–1992. [Heine-Studien] (Umfassende Sammlung von Zeugnissen zur Aufnahme der Werke in Deutschland zwischen 1821 und 1841.) Goltschnigg, Dietmar u. Hartmut Steinecke (Hrsg.): Heine und die Nachwelt. Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen Ländern. Bd. 1–3. Berlin 2006 ff. (Sammlung von ausgewählten Zeugnissen zur Wirkungsgeschichte in Deutschland von 1856 bis 2006.) Höhn, Gerhard: Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk. 3. aktual. u. erw. Aufl. Stuttgart u. Weimar

2004. (Umfassende Analyse der Werke und Darstellung des Forschungsstandes zum Werk im zeitund lebensgeschichtlichen Kontext.) Hörling, Hans (Hrsg.): Die französische Heine-Kritik. Bd. 1–3. Stuttgart u. Weimar 1996–2002. [HeineStudien] (Umfassende Sammlung von Zeugnissen zur Aufnahme der Werke in Frankreich zwischen 1831 und 1856.) Kortländer, Bernd: Heinrich Heine. Stuttgart 2003. (Grundlegende Einführung in Leben und Werk.) Liedtke, Christian: Heinrich Heine. Reinbek bei Hamburg 1997. [rowohlts monographien] (Knappe Einführung in Leben und Werk.) Mende, Fritz: Heinrich Heine. Chronik seines Lebens und Werkes. 2., bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart [u. a.] 1981. (Umfassende Chronik des Lebens und des Werkes.) Sammons, Jeffrey L.: Heinrich Heine. Stuttgart 1991. [Sammlung Metzler] (Instruktive Einführung in Leben und Werk auf dem damaligen Stand der Forschung.) Schnell, Ralf: Heinrich Heine. Zur Einführung. Hamburg 1996. (Instruktive Einführung in Leben und Werk auf dem damaligen Stand der Forschung.) Werner, Michael (Hrsg.): Begegnungen mit Heine. Berichte der Zeitgenossen. In Fortführung von H. H. Houbens „Gespräche mit Heine“. Hamburg 1973. (Umfassende Sammlung von zeitgenössischen Gesprächen mit Heine und Aufzeichnungen Dritter in Briefen und Tagebüchern über Person und Werk.)

3. Weitere Forschungsliteratur zu übergreifenden Aspekten Altenhofer, Norbert: Die verlorene Augensprache. Über Heinrich Heine. Hrsg. v. Volker Bohn. Frankfurt a. M. u. Leipzig 1993. (Grundlegende Arbeiten zu Fragen der Poetik und Ästhetik Heines.) Briegleb, Klaus: Bei den Wassern Babels. Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller in der Moderne. München 1997. (Studie über die Bedeutung und den Einfluss des Judentums auf Heines Denken.) Briegleb, Klaus u. Itta Shedletzky (Hrsg.): Das Jerusalemer Heine-Symposium. Gedächtnis, Mythos, Modernität. Hamburg 2001. (Versammelt Forschungsbeiträge, die aus unterschiedlichen Perspektiven Relationen zwischen den Kategorien Ge-

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Kommentierte Bibliografie dächtnis, Mythos, Modernität sowie Heines jüdischer Herkunft und Ideenwelt untersuchen.) Häfner, Ralph: Die Weisheit des Silen. Heinrich Heine und die Kritik des Lebens. Berlin u. New York 2006. [Spectrum Literaturwissenschaft 7] (Grundlegende Studie, die Heines melancholisches Selbstverständnis und dessen Implikationen für das Werk im Kontext der europäischen Geistesgeschichte seiner Zeit untersucht.) Häfner, Ralph (Hrsg.): Heinrich Heine und die Kunstkritik seiner Zeit. Akten des Internationalen und interdisziplinären Kolloquiums, Paris 26. bis 30. April 2006. Heidelberg 2010. (Versammelt Forschungsbeiträge, die sich mit dem Verhältnis Heines zu Kunst, Kunstkritik und Künstlern seiner Epoche beschäftigen.) Heine-Jahrbuch. Hrsg. v. Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf. Bd. 1–32. Hamburg 1962–1994, Bd. 33 ff. Stuttgart u. Weimar 1995 ff. (Periodikum mit Forschungsbeiträgen zu Leben, Werk und Wirkung Heines und der Literatur seiner Zeit, beinhaltet einen umfangreichen Rezensionsteil und eine fortlaufende Bibliografie.) Hermand, Jost u. Robert C. Holub (Hrsg.): Heinrich Heine’s contested Identities. Politics, Religion and Nationalism in Nineteenth-Century Germany. New York [u. a.] 1999. (Forschungsbeiträge, die Heines Werk im Spannungsfeld politischer, religiöser und nationalistischer Diskurse in Deutschland im 19. Jahrhundert untersuchen.) Herwig, Henriette [u. a.] (Hrsg.): Übergänge. Zwischen Künsten und Kulturen. Internationaler Kongreß zum 150. Todesjahr von Heinrich Heine und Robert Schumann. Stuttgart u. Weimar 2007. (Forschungsbeiträge zu Heines Verhältnis zu Musik und bildender Kunst.) Höhn, Gerhard (Hrsg.): Heinrich Heine. Ästhetischpolitische Profile. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1997. (Forschungsbeiträge, die das Verhältnis von Kunstanschauung und politischem Engagement im Werk Heines untersuchen.) Koopmann, Helmut (Hrsg.): Heinrich Heine. Darmstadt 1975. [Wege der Forschung 289] (Aufsatzsammlung, die exemplarisch wesentliche Forschungsbeiträge bis 1975 vorstellt.) Kuttenkeuler, Wolfgang (Hrsg.): Heinrich Heine. Artistik und Engagement. Stuttgart 1977. (Sammlung von Forschungsbeiträgen, die das Spannungsverhältnis von autonomen und heteronomen Kunstanschauungen im Werk beleuchten.) Liedtke, Christian (Hrsg.): Heinrich Heine. Neue Wege der Forschung. Darmstadt 2000. (Aufsatzsammlung, die exemplarisch wesentliche Forschungsbeiträge zwischen 1975 und 2000 vorstellt.)

Morawe, Bodo: Citoyen Heine. Das Pariser Werk. Bd. 1–2. Bielefeld 2010–2011. (Umfassende Untersuchung, Deutung und Neubewertung der in Frankreich entstandenen Werke unter dem Gesichtspunkt der Auseinandersetzung Heines mit der radikalen Aufklärung und dem Republikanismus.) Reed, Terence J. u. Alexander Stillmark (Hrsg.): Heine und die Weltliteratur. Oxford 2000. (Aufsatzsammlung mit Forschungsbeiträgen zu Heines Umgang mit bedeutenden Autoren der europäischen Literaturgeschichte von der Antike bis in seine Gegenwart.) Singh, Sikander (Hrsg.): „Aber der Tod ist nicht poetischer als das Leben“. Heinrich Heines 18. Jahrhundert. Bielefeld 2006. (Aufsatzsammlung mit Forschungsbeiträgen zum Einfluss der Literatur und Philosophie des Aufklärungszeitalters auf das Werk Heines.) Winkler, Markus (Hrsg.): Heinrich Heine und die Romantik. Tübingen 1997. (Aufsatzsammlung mit Forschungsbeiträgen zu Heines kritisch-produktivem Umgang mit der Literatur und Poetik der Romantik.) Witte, Bernd [u. a.] (Hrsg.): Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Stuttgart u. Weimar 1999. (Versammelt Forschungsbeiträge, die aus unterschiedlichen Perspektiven Heines ästhetische Positionen, seine Ideenwelt und seine Stellung im Diskurs seiner Zeit untersuchen.)

4. Literatur zu den einzelnen Kapiteln (einschließlich der zitierten Schriften, sofern diese nicht bereits unter den Rubriken „Werkausgaben“ und „Einführungen, Handbücher, Quellensammlungen“ aufgeführt wurden) Kapitel I und II: Behler, Ernst: Mythos und Ironie im literarischen Diskurs Heinrich Heines. In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. v. Bernd Witte [u. a.]. Stuttgart u. Weimar 1999, S. 353–366. Betz, Albrecht: Deutscher – Europäer – Kosmopolit. In: Ders.: Der Charme des Ruhestörers. Heine-Studien. Ästhetik und Politik II. Aachen 1997, S. 7–18. Bierwirth, Sabine: Heines Dichterbilder. Stationen seines ästhetischen Selbstverständnisses. Stuttgart u. Weimar 1995. [Heine-Studien] Boener, Maria-Christina: „Die ganze Janitscharenmusik der Weltqual“. Heines Auseinandersetzung mit

Kommentierte Bibliografie der romantischen Theorie. Stuttgart u. Weimar 1998. [Heine-Studien] Bürger, Peter: Zweite Aufklärung. Ein Versuch über Heine. In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. v. Bernd Witte [u. a.]. Stuttgart u. Weimar 1999, S. 19–32. Cook, Roger F.: By the Rivers of Babylon. Heinrich Heine’s Late Songs and Reflections. Detroit 1998. Espagne, Michel: Heine historien de la culture. In: Revue Germanique Internationale 9 (1998), S. 27–45. Ferner, Jürgen: „O wer lesen könnte!“ Heines geschichtsphilosophisches Denken im Kontext von Vor- und Nachmärz. In: Vormärz – Nachmärz. Bruch oder Kontinuität? Hrsg. v. Norbert Otto Eke u. Renate Werner. Bielefeld 2000, S. 185–211. Glaser, Horst Albert (Hrsg.): Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte. Bd. 6: Vormärz: Biedermeier, Junges Deutschland, Demokraten. 1815–1848. Hrsg. v. Bernd Witte. Reinbek 1980. Grab, Walter: Heinrich Heine als politischer Dichter. Frankfurt a. M. 1992. Grab, Walter: Jüdische Aspekte in den Dichtungen Heinrich Heines. In: „Dichter unbekannt“. Heine lesen heute. Internationales Heine-Symposium Bonn, Mai 1997. Hrsg. v. Dolf Oehler u. Karin Hempel-Soos. Bonn 1998, S. 55–67. Grimminger, Rolf (Hrsg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 5: Zwischen Restauration und Revolution. 1815–1848. Hrsg. v. Gert Sautermeister u. Ulrich Schmid. München u. Wien 1998. Grossman, Jeffrey: Heine and Jewish Culture: The Poetics of Appropriation. In: A Companion to the Works of Heinrich Heine. Hrsg. v. Roger F. Cook. Rochester 2002, S. 251–282. Grundmann, Regina: „Rabbi, Faibisch, Was auf Hochdeutsch heißt Apollo“. Judentum, Dichtertum, Schlemihltum in Heinrich Heines Werk. Stuttgart u. Weimar 2008. [Heine-Studien] Gutleben, Burkhard: Die deutsch-deutsche HeineForschung. Kontroversen und Konvergenzen 1949–1990. Frankfurt a. M. 1997. Habermas, Jürgen: Heinrich Heine und die Rolle des Intellektuellen in Deutschland. In: Ders.: Kleine politische Schriften Bd. 6. Frankfurt a. M. 1987, S. 27–54. Hauschild, Jan-Christoph u. Michael Werner: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“. Heinrich Heine. Eine Biographie. Köln 1997. Hessing, Jakob: Der Traum und der Tod. Heinrich Heines Poetik des Scheiterns. Göttingen 2005. Hinck, Walter: Die Wunde Deutschland. Heinrich Heines Dichtung im Widerstreit von Nationalidee,

Judentum und Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1990. Hohendahl, Peter Uwe: Heinrich Heine. Europäischer Schriftsteller und Intellektueller. Berlin 2008. [Philologische Studien und Quellen 212] Hohendahl, Peter Uwe: Heinrich Heine. Macht und Ohnmacht des Intellektuellen. In: Responsibility and Commitment. Ethische Postulate der Kulturvermittlung. Hrsg. v. Klaus R. Scherpe [u. a.]. Frankfurt a. M. 1996, S. 91–107. Höhn, Gerhard: „Farceur“ und „Fanatiker des Ausdrucks“. Nietzsche, Heineaner malgré lui? In: Heine-Jahrbuch 36 (1997), S. 134–152. Höhn, Gerhard: Heinrich Heine. Un intellectuel moderne. Paris 1994. Holub, Robert C.: Heine als Mythologe. In: Heinrich Heine. Ästhetisch-politische Profile. Hrsg. v. Gerhard Höhn. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1997, S. 314–329. Holub, Robert C.: Personal Roots and German Traditions. The Jewish Element in Heine’s Turn against Romanticism. In: Heinrich Heine und die Romantik. Hrsg. v. Markus Winkler. Tübingen 1997, S. 40–56. Kerschbaumer, Sandra: Heines moderne Romantik. Paderborn [u. a.] 2000. Kimmich, Dorothee: Heinrich Heine oder: Wie oft war die Geschichte schon zu Ende? In: Dies.: Studien zur Geschichte und Geschichtlichkeit bei Heine, Büchner, Immermann, Stendhal, Keller und Flaubert. München 2002, S. 101–133. Mejcher-Neef, Annemarie: Hadern mit Deutschland – Heinrich Heines Bekenntnis zu Frankreich und Europa. 2. Bde. Hamburg 2003. Oehler, Dolf: Letzte Worte – Die Lektion aus der Matratzengruft. In: Heinrich Heine. Neue Wege der Forschung. Hrsg. v. Christian Liedtke. Darmstadt 2000, S. 118–146. Peters, George F.: Review Essay. Heinrich Heine at 200. In: The German Quarterly 71 (1998), S. 284–297. Pistiak, Arnold u. Julia Rintz (Hrsg.): Zu Heinrich Heines Spätwerk „Lutezia“. Kunstcharakter und europäischer Kontext. Berlin 2007. Pistiak, Arnold: „Ich will das rote Sefchen küssen“. Nachdenken über Heines letzten Gedichtzyklus. Stuttgart u. Weimar 1999. Podewski, Madleen: Kunsttheorie als Experiment. Untersuchungen zum ästhetischen Diskurs Heinrich Heines. Frankfurt a. M. 2002. Sammons, Jeffrey L.: Heinrich Heine. A Modern Biography. Princeton/New Jersey 1979. Sammons, Jeffrey L.: Review Essay: The Bicentennial of Heinrich Heine 1997. An Overview. In: Goethe Yearbook 9 (1999), S. 346–383.

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Kommentierte Bibliografie Sammons, Jeffrey L.: Who did Heine think he was? In: Heinrich Heine’s contested Identities. Politics, Religion and Nationalism in Nineteenth-Century Germany. Hrsg. v. Jost Hermand u. Robert C. Holub. New York [u. a.] 1999, S. 1–24. Schlesier, Renate: Der große Maskenball. Heines exilierte Götter. In: Das Jerusalemer Heine-Symposium. Gedächtnis, Mythos, Modernität. Hrsg. v. Klaus Briegleb u. Itta Shedletzky. Hamburg 2001, S. 93–110. Stauf, Renate: Der problematische Europäer. Heinrich Heine im Konflikt zwischen Nationenkritik und gesellschaftlicher Utopie. Heidelberg 1997. Steinecke, Hartmut: Jüdische Dichter-Bilder in Heines „Jehuda ben Halevy“. In: Heine und die Weltliteratur. Hrsg. v. Terence J. Reed u. Alexander Stillmark. Oxford 2000, S. 122–139. Werner, Michael: Imagepflege. Heines Presselenkung zur Propagierung seines Persönlichkeitsbildes. In: Heinrich Heine. Artistik und Engagement. Hrsg. v. Wolfgang Kuttenkeuler. Stuttgart 1977, S. 267–283. Werner, Michael: Réflexion et révolution. Notes sur travail de l’histoire dans l’œuvre de Heine. In: Revue Germanique Internationale 9 (1998), S. 47–60. Werner, Michael: Rollenspiel oder Ichbezogenheit? Zum Problem der Selbstdarstellung in Heines Werk. In: Heine-Jahrbuch 18 (1979), S. 99–117. Witte, Bernd: Der Ursprung der deutsch-jüdischen Literatur in Heinrich Heines „Der Rabbi von Bacherach“. In: Die von Geldern Haggadah und Heinrich Heines „Der Rabbi von Bacherach“. Hrsg. v. Emile G. L. Schrijver u. Falk Wiesemann. Wien [u. a.] 1997, S. 37–47. Witte, Bernd: Heinrich Heine und die Moderne. Zu seinen frühen Prosaschriften. In: Heine gehört auch uns. Tagungsband des Internationalen HeineSymposiums 1997 Beijing. Hrsg. v. Zhang Yushu. Peking 1998, S. 51–72. Würffel, Stefan Bodo: Geistige Bastillen und Tempel der Freiheit. Zur Konstruktion politischer Identität bei Heine im Spannungsfeld von Nationalismus und Kosmopolitismus. In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. v. Bernd Witte [u. a.]. Stuttgart u. Weimar 1999, S. 137–152. Kapitel III: auf der Horst, Christoph u. Alfons Labisch: Heinrich Heine, der Verdacht einer Bleivergiftung und Heines Opium-Abusus. In: Heine-Jahrbuch 38 (1999), S. 105–131. auf der Horst, Christoph u. Alfons Labisch: Woran starb Heinrich Heine wirklich? In: Geschichte der

Medizin – Geschichte in der Medizin: Forschungsthemen und Perspektiven. Hrsg. v. Jörg Vögele [u. a.]. Hamburg u. Münster 2006 [Medizingeschichte 2], S. 197–204. Deinet, Klaus: Heinrich Heine und Frankreich – eine Neueinordnung. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 32 (2007), S. 112–152. Enzensberger, Hans Magnus (Hrsg.): Ludwig Börne und Heinrich Heine. Ein deutsches Zerwürfnis. Frankfurt a. M. 1997. Folkerts, Menso: Wer war Heines „Mouche“? Dichtung und Wahrheit. In: Heine-Jahrbuch 38 (1999), S. 133–151. Hermand, Jost: Heine contra Platen. Zur Anatomie eines Skandals. In: Ders.: Mehr als ein Liberaler. Über Heinrich Heine. Frankfurt a. M. 1993, S. 51–63. Kocka, Jürgen: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit, Nation und bürgerliche Gesellschaft. Stuttgart 2001. [Handbuch der deutschen Geschichte 13] Kruse, Joseph A. u. Michael Werner (Hrsg.): Heine in Paris: 1831–1856. Düsseldorf 1981. Liedtke, Christian (Hrsg.): Heinrich Heine im Porträt. Wie Künstler seiner Zeit ihn sahen. Hamburg 2006. Lutz, Edith: Der „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ und sein Mitglied H. Heine. Stuttgart u. Weimar 1997. [Heine-Studien] Mazohl-Wallnig, Brigitte: Zeitenwende 1806. Das Heilige Römische Reich und die Geburt des modernen Europa. Wien [u. a.] 2005. Mommsen, Wolfgang J.: 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830–1848. Frankfurt a. M. 1998. Montanus, Henner: Der kranke Heine. Stuttgart 1996. [Heine-Studien] Schlingensiepen, Ferdinand: Heines Taufe in Heiligenstadt. In: Heinrich Heine und die Religion, ein kritischer Rückblick. Hrsg. v. Ferdinand Schlingensiepen u. Manfred Windfuhr. Düsseldorf 1998, S. 81–126. Seibert, Peter: Der literarische Salon. Literatur und Geselligkeit zwischen Aufklärung und Vormärz. Stuttgart 1993. Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1848/49. München 1989. Werner, Michael: Genius und Geldsack. Zum Problem des Schriftstellerberufs bei Heinrich Heine. Hamburg 1978. [Heine-Studien] Willms, Johannes: Paris. Hauptstadt Europas 1789–1914. München 1988. Wülfing, Wulf: Junges Deutschland. Texte – Kontexte,

Kommentierte Bibliografie Abbildungen, Kommentar. München u. Wien 1978. Ziegler, Edda: Julius Campe. Der Verleger Heinrich Heines. Hamburg 1976. [Heine-Studien] Kapitel IV: Anglade, René (Hrsg.): Reisebilder de Heinrich Heine. Lectures d’une Œuvre. Paris 1998. Best, Otto F.: Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip. Darmstadt 1989. [Erträge der Forschung 264] Bianchi, Danilo: Die unmögliche Synthese. Heines Frühwerk im Spannungsfeld von petrarkistischer Tradition und frühromantischer Dichtungstheorie. Bern 1983. Briegleb, Klaus: Opfer Heine? Versuche über Schriftzüge der Revolution. Frankfurt a. M. 1986. Clasen, Herbert: Heinrich Heines Romantikkritik. Hamburg 1979. [Heine-Studien] Hinck, Walter: Ironie im Zeitgedicht Heinrich Heines. Zur Theorie der politischen Lyrik. In: Internationaler Heine-Kongreß Düsseldorf 1971. Referate und Diskussionen. Hrsg. v. Manfred Windfuhr. Hamburg 1973, S. 81–104. Hohendahl, Peter Uwe: Literarische Kultur im Zeitalter des Liberalismus: 1830–1870. München 1985. Höhn, Gerhard: Kontrastästhetik. Heines Programm einer neuen Schreibart. In: Heinrich Heine. Ein Wegbereiter der Moderne. Hrsg. v. Paolo Chiarini u. Walter Hinderer. Würzburg 2009, S. 43–66. Höhn, Gerhard: „La force des choses“. Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Heines „Reisebildern“. In: Reisebilder de Heinrich Heine. Lectures d’une Œuvre. Hrsg. v. René Anglade. Paris 1998, S. 84–102. Katz, Jacob: Die Hep-Hep-Verfolgungen in Deutschland 1819. Berlin 1994. Kovàcs, Kálmán (Hrsg.): Rhetorik als Skandal. Heinrich Heines Sprache. Bielefeld 2009. Kruse, Joseph A.: Zwischen Weltschmerz und Engagement: Heine. Über historische Grenzen und deren Bestimmbarkeit, fließende Übergänge und die Nähe von Klassik und Romantik zur deutschen Literatur des Vormärz. In: Vormärz und Klassik. Hrsg. v. Lothar Ehrlich [u. a.]. Bielefeld 1999, S. 33–47. Lämke, Ortwin: Heinrich Heines Begriff der Geschichte. Der Journalist Heinrich Heine und die Julimonarchie. Stuttgart u. Weimar 1997. [HeineStudien] Liedtke, Christian: „Ich kann ertragen kaum den Duft der Sieger“. Zur politischen Dichtung Heinrich Heines nach 1848. In: Heinrich Heine. Neue Wege der Forschung. Hrsg. v. Christian Liedtke. Darmstadt 2000, S. 216–236.

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Kommentierte Bibliografie Kapitel V: Altenhofer, Norbert: Ästhetik des Arrangements. Zu Heines „Buch der Lieder“. In: Ders.: Die verlorene Augensprache. Über Heinrich Heine. Hrsg. v. Volker Bohn. Frankfurt a. M. u. Leipzig 1993, S. 154–173. Anglade, René: Heinrich Heine: Von der französischen „Spezialrevoluzion“ zur deutschen „Universalrevoluzion“. In: Heine-Jahrbuch 38 (1999), S. 46–73. Ansel, Michael: Auf dem Weg zur Verwissenschaftlichung der Literaturgeschichtsschreibung: Heines Abhandlungen „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ und „Die Romantische Schule“. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur 17/2 (1992), S. 61–94. Arendt, Dieter: Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski oder Ein Pikaro am Jungfernstieg. In: Heine-Jahrbuch 36 (1997), S. 40–69. Baumgärtel, Bettina: Heine und die Malerei: deutschfranzösischer Kulturtransfer. In: „Das letzte Wort der Kunst“. Heinrich Heine und Robert Schumann zum 150. Todesjahr. Hrsg. v. Joseph A. Kruse. Stuttgart u. Kassel 2006. S. 33–49. Calvié, Lucien: „Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski“. Autobiographie, Parodie, Kunstperiode und Politik. In: Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. Hrsg. v. Bernd Witte [u. a.]. Stuttgart u. Weimar 1999, S. 783–798. Ferner, Jürgen: Versöhnung und Progression. Zum geschichtsphilosophischen Denken Heines. Bielefeld 1994. Freudenthal, Gideon: Heines poetische Geschichte der Philosophie. In: Das Jerusalemer Heine-Symposium. Gedächtnis, Mythos, Modernität. Hrsg. v. Klaus Briegleb u. Itta Shedletzky. Hamburg 2001, S. 111–127. Großklaus, Götz: Ästhetische Kartographie: Neue Landschaftswahrnehmung im Übergang zur „bürgerlichen Moderne“ (1775–1825). In: Ders.: Natur – Raum. Von der Utopie zur Simulation. München 1993, S. 41–80. Hallensleben, Markus: Heines „Romanzero“ als ZeitTriptychon: Jüdische Memorliteratur als intertextuelle Gedächtniskunst. In: Heine-Jahrbuch 40 (2001), S. 79–93. Hermand, Jost: Vom „Buch der Lieder“ zu den „Verschiedenen“. Heines zweimalige Partnerverfehlung. In: Heinrich Heine. Ästhetisch-politische Profile. Hrsg. v. Gerhard Höhn. 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1997, S. 214–225. Hermand, Jost: Tribune of the People or Aristocrat of the Spirit? Heine’s Ambivalence Toward the Mas-

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Kommentierte Bibliografie Lämke, Ortwin: Heine, „Lutèce“ et le communisme. Une nouvelle conception de l’histoire après 1848? In: Revue Germanique Internationale 9 (1998), S. 89–101. Lefevre, Jean-Pierre: Der gute Trommler. Heines Beziehungen zu Hegel. Hamburg 1986. [Heine-Studien] Liedtke, Christian: „… die überwuchernde Macht des Kapitals“. Geld, Gold und Eisenbahnen im Spätwerk Heinrich Heines. In: „… und die Welt ist so lieblich verworren“. Heinrich Heines dialektisches Denken. Hrsg. v. Bernd Kortländer u. Sikander Singh. Bielefeld 2004, S. 73–100. Liedtke, Christian: „Ich kann ertragen kaum den Duft der Sieger“. Zur politischen Dichtung Heinrich Heines nach 1848. In: Heinrich Heine. Neue Wege der Forschung. Hrsg. v. Christian Liedtke. Darmstadt 2000, S. 216–236. Meier, Andreas: „vom Schwindel erfaßt“. Heines „Harzreise“ als Symptom eines kulturgeschichtlichen Paradigmenwechsels. In: Wirkendes Wort 49 (1999), S. 329–354. Nickel, Jutta: Zur Figur biblischen Sprechens in Heinrich Heines „Briefen aus Helgoland“. In: Briefkultur im Vormärz. Hrsg. v. Bernd Füllner. Bielefeld 2001, S. 97–122. Oellers, Norbert: Die zerstrittenen Dioskuren. Aspekte der Auseinandersetzung Heines mit Börne. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 91, Sonderheft (1972), S. 66–90. Perraudin, Michael: Heinrich Heine. Poetry in Context. A Study of „Buch der Lieder“. Oxford [u. a.] 1989. Perraudin, Michael: The Popular Nationalism of Heine’s „Deutschland. Ein Wintermärchen“. In: Ders.: Literature, the Volk and the Revolution in MidNineteenth Century Germany. New York [u. a.] 2000, S. 133–157. Prawer, Siegbert S.: Heine: Buch der Lieder. London 1960. Prawer, Siegbert S.: Heine. The Tragic Satirist. A Study of the Later Poetry 1827–1856. Cambridge 1961. Preisendanz, Wolfgang: Heine, Saint-Simonismus und Kunstautonomie. In: Art social und art industriel. Funktionen der Kunst im Zeitalter des Industrialismus. Hrsg. v. Hans Robert Jauß u. Françoise Gaillard. München 1987, S. 153–169. Reitter, Paul: Heinrich Heine and the Discourse of Mythology. In: A Companion to the Works of Heinrich Heine. Hrsg. v. Roger F. Cook. Rochester 2002, S. 201–226. Rippmann, Inge: Börne und Heine. In: Heinrich Heine 1797–1856. Internationaler Veranstaltungszyklus zum 125. Todesjahr 1981 bei Eröffnung des Studienzentrums Karl-Marx-Haus Trier. Trier 1981

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Personenregister Adam, Adolphe-Charles (1803–1856) 94 Adorno, Theodor W. (1903–1969) 121 Alexis, Willibald (Georg Wilhelm Heinrich Häring) (1798–1871) 64 Aristophanes (um 450–um 380 v. Chr.) 36, 38, 119 Arnim, Ludwig Achim von (1781–1831) 51, 77, 92, 95 Arminius (Hermann der Cherusker) (um 17 v. Chr.–um 21 n. Chr.) 105 Ascher, Saul (1767–1822) 74 Augustinus von Hippo (354–430) 116, 118

Campe, Julius (1792–1867) 24, 27, 40, 42, 61, 75 f., 85, 88, 93, 97 f., 101 f., 110 f. Chamisso, Adalbert von (1781–1838) 22, 40 Chevalier, Michel (1806–1879) 25, 64 Chopin, Frédéric (1810–1849) 26 Christiani, Rudolf (1797–1858) 72 Coralli Peracini, Jean (1779–1854) 94 Cormenin, Louis-Marie de la Haye, Vicomte de (1788–1868) 113 Cotta, Johann Friedrich von (1764– 1832) 24 f., 64 f. Cromwell, Oliver (1599–1658) 82

Babeuf, François-Noël (1760–1797) 113 Balzac, Honoré de (1799–1850) 26 Baudelaire, Charles (1821–1867) 78 Belgiojoso-Trivulzio, Cristina Principessa di (1808–1871) 25 Benn, Gottfried (1886–1956) 121 Benjamin, Walter (1892–1940) 111, 115 Berlioz, Hector (1803–1869) 26 Beughem, Friedrich von (1796–?) 51 Biermann, Wolf (geb. 1936) 106 Blumauer, Alois (1755–1798) 56 Bodmer, Johann Jakob (1698–1783) 55 Boileau-Despréaux, Nicolas (1636– 1711) 56 Bonaparte, Napoléon (Napoléon I.) (1769–1821) 16, 19, 21 f., 26, 47, 60, 122 Bonaparte, Charles-Louis-Napoléon (Napoléon III.) (1808–1873) 19 Börne, Ludwig (Juda Löw Baruch) (1786–1837) 17, 26f., 30, 39, 48, 81, 96–99, 118 Brentano, Clemens von (1778–1842) 51, 77, 92, 95 Bürger, Gottfried August (1747–1794) 76 Byron, George Noel Gordon Lord (1788–1824) 35, 77

David, König von Juda und Israel (um 1010–970 v. Chr.) 108 Decamps, Alexandre-Gabriel (1803– 1860) 83 Defoe, Daniel (1660–1731) 59 Delacroix, Ferdinand-Victor-Eugène (1798–1863) 80–82 Delaroche, Paul (1797–1856) 82 f. Descartes, René (1596–1650) 90 Diderot, Denis (1713–1784) 80 Droste-Hülshoff, Annette von (1797– 1848) 122 Dumas, Alexandre (1802–1870) 25, 29

Camões, Luís Vaz de (1524/25–1579/ 80) 55

Eichendorff, Joseph Freiherr von (1788– 1857) 40–42, 52, 60, 74, 77 Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837– 1898) 124 Embden, Moritz (1790–1866) 68 Engels, Friedrich (1820–1895) 113 Eulenberg, Herbert (1876–1949) 124 Ewers, Hanns Heinz (1871–1943) 124 Fichte, Johann Gottlieb (1762–1814) 91 Fielding, Henry (1707–1754) 30 Fleming, Paul (1609–1640) 77 Fontane, Theodor (1819–1898) 30 Forster, Johann Georg Adam (1754– 1794) 59, 80 Fouqué, Friedrich de la Motte (1777– 1843) 22, 40, 94

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Personenregister Fourier, François-Marie-Charles (1772– 1837) 113 Franz II. Joseph Karl, Kaiser von Österreich (1768–1835) 16 Freiligrath, Ferdinand (1810–1876) 53 Friedländer, Amalie, geb. Heine (1799– 1838) 22, 76 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (um 1122–1190) 105 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen (1795–1861) 18

Hoffmann, August Heinrich (von Fallersleben) (1798–1874) 53 Hohenhausen, Elise von, geb. von Ochs (1789–1857) 22 Holberg, Ludvig Baron (1684–1754) 60 Homer (8. Jahrhundert v. Chr.) 49 Hugo, Victor (1802–1885) 25, 74 Humboldt, Alexander von (1769–1859) 59

Gautier, Théophile (1811–1872) 25, 29, 94 Gellert, Christian Fürchtegott (1715– 1769) 56 f. Goethe, Johann Wolfgang von (1749– 1832) 24, 40, 52, 57 f., 60, 72, 74, 76–78, 80, 97, 99, 102 f., 105, 122 Gottschalck, Caspar Friedrich (1772– 1836) 75 Grabbe, Christian Dietrich (1801–1836) 22 Grimm, Jacob Ludwig Karl (1785–1863) 61, 74, 92 Grimm, Ludwig Emil (1790–1863) 72 Grimm, Wilhelm Karl (1786–1859) 61, 74, 92 Guizot, François-Pierre-Guillaume (1787–1874) 25 Gutzkow, Karl (1811–1878) 26, 31, 64, 98

Jaubert, Caroline, geb. d'Alton-Shée (1803–1883) 25 Jehuda ben Samuel Halevi (um 1075– 1141) 49, 83, 109 Jesus von Nazareth (um 4 v. Chr.–um 30 n. Chr.) 45, 69 f., 95, 104, 109

Haxthausen, August von (1792–1866) 72 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770– 1831) 23, 37, 45, 63, 88, 91, 108– 110, 112, 117 f. Hehn, Victor (1813–1890) 123 Heine, Augustine-Crescence-Eugénie, geb. Mirat (1815–1883) 27 Heine, Betty (Peira), geb. van Geldern (1771–1859) 21, 27, 76, 101 Heine, Carl (1810–1865) 28, 116 Heine, Salomon (1767–1844) 22–24, 28, 76 Heine, Samson (1764–1828) 21, 24, 76 Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 51, 55, 58, 77 Hermes, Johann Timotheus (1738–1821) 60 Herwegh, Georg (1817–1875) 33, 53

Immermann, Karl Leberecht (1796– 1840) 24 f., 30

Kant, Immanuel (1724–1804) 91 Karl I. der Große, Römisch-Deutscher Kaiser (742–814) 86, 106 Karl I. Stuart, König von England, Schottland und Irland (1600–1649) 82 f. Karl X., König von Frankreich (1757– 1836) 18 f. Kästner, Erich (1899–1974) 30 Keller, Gottfried (1819–1890) 30 Kleist, Heinrich von (1777–1811) 30, 40 Klopstock, Friedrich Gottlieb (1724– 1803) 55 Knigge, Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr von (1752–1796) 59 Kolb, Gustav (1798–1865) 65 f. Kornmann, Heinrich (1579–1628) 93, 95 Kotzebue, August von (1761–1819) 17, 35 Krinitz, Elise (1828–1896) 29 Laube, Heinrich (1806–1884) 26, 31, 64 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 90 Leroux, Pierre (1797–1871) 113 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) 49, 68, 70, 80, 90 f., 121 Lessore, Emile-Aubert (1805–1876) 83 Lévy, Michel (1821–1875) 29 Lewald, August (1792–1871) 65 Lewald, Fanny (1811–1889) 36

Personenregister Lichtenberg, Georg Christoph (1742– 1799) 30 Lindner, Friedrich Ludwig (1772–1845) 64 Liszt, Franz (1811–1886) 26, 114 Ludwig XVI., König von Frankreich (1754–1793) 83 Ludwig XVIII., König von Frankreich (1755–1824) 18 Ludwig-Philipp I., König von Frankreich (1773–1850) 19, 65, 111, 115 Luther, Martin (1483–1546) 17, 89–91 Marx, Karl (1818–1883) 17, 113 f., 125 Menzel, Wolfgang (1798–1873) 64 Metternich, Clemens Lothar Wenzel Fürst von (1773–1859) 16 f., 56, 103 Meyerbeer, Giacomo (1791–1864) 26, 114 Mörike, Eduard (1804–1875) 40, 57 Moritz, Karl Philipp (1756–1793) 80 Moser, Moses (1796–1838) 23, 48, 61, 71–73, 75 f., 85 Moses (13. Jahrhundert v. Chr.) 37 Müller, Wilhelm (1794–1827) 39 f., 52 Müllner, Adolf (1774–1829) 64, 72 Mundt, Theodor (1808–1861) 26, 64 Nadler, Joseph (1884–1963) 123 Nerval, Gérard de (1808–1855) 26 Nettesheim, Heinrich Cornelius Agrippa von (1486–1535) 93 Nicolai, Christoph Friedrich (1733– 1811) 30, 59 Niemann, Ludwig Ferdinand (1781– 1836) 74 Nietzsche, Friedrich Wilhelm (1844– 1900) 37 Novalis (Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg) (1772– 1801) 41 f., 74 Opitz, Martin (1597–1639) 77 Paganini, Niccolò (1784–1840) 114 Paracelsus, Phillipus Aureolus Theophrastus (Theophrastus von Hohenheim) (1493–1541) 94 Paulus von Tarsus (1. Jahrhundert n. Chr.) 32 Petrarca, Francesco (1304–1374) 76 Platen-Hallermund, August Graf von (1796–1835) 24 f., 48 Platon (427–347 v. Chr.) 37 f.

Praetorius, Johannes (Johannes Schultze) (1630–1687) 93 Pückler-Muskau, Hermann Fürst von (1785–1871) 112 Racine, Jean-Baptiste (1639–1699) 71 Renduel, Eugène (1798–1874) 88, 93 Reuter, Christian (1665–1712) 85 Richter, Johann Paul Friedrich (Jean Paul) (1763–1825) 30, 35 Rindskopf (zum Goldstein), Nehm Beer (1781–1819) 22 Robert, Louis-Léopold (1794–1835) 83 Rothschild, Betty de, geb. Rothschild (1805–1886) 25 Rothschild, James Meyer de (1792– 1868) 112 Rousseau, Jean-Jacques (1712–1778) 74, 116, 118 Saint-Georges, Jules-Henri Vernoy de (1799–1875) 94 Saint-Simon, Claude-Henri de Rouvroy, Comte de (1760–1825) 86, 88, 90, 113, 125 Salomon, König von Israel und Juda (um 965–926 v. Chr.) 32 Sand, George (Lucile-Aurore Dudevant) (1804–1876) 26 Sand, Karl Ludwig (1795–1819) 17 Sandvoß, Franz (1833–1913) 121 Saphir, Moritz Gottlieb (1795–1858) 30, 39 Scheffer, Ary (1795–1858) 83 Schelling, Friedrich Wilhelm Ritter von (1775–1854) 91 Schiller, Friedrich von (1759–1805) 54, 97 Schlegel, August Wilhelm von (1767– 1845) 22, 40 f., 51, 80, 88 Schlegel, Friedrich von (1772–1829) 38, 40 Schnabel, Johann Gottfried (1692–1751/ 58) 59 f. Schnetz, Jean-Victor (1787–1870) 83 Schopenhauer, Arthur (1788–1860) 50 Seume, Johann Gottfried (1763–1810) 60 Shakespeare, William (1564–1616) 49–51, 68, 82, 103 Specht, Pierre-Alexandre (1798–1874) 88 Spinoza, Baruch de (1632–1677) 90 f. Staël-Holstein, Anne-Louise-Germaine de, geb. Necker (1766–1817) 65, 88

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Personenregister Steen, Jan (um 1626–1679) 87 Steinmann, Friedrich Arnold (1801– 1875) 68 Sterne, Lawrence (1713–1768) 60 Straube, Heinrich (1794–1847) 72 Strauß, Jeanette, geb. Wohl (1783– 1861) 27, 96 Strauß, Salomon (1795–1866) 27, 96 Swift, Jonathan (1667–1745) 60

Varnhagen von Ense, Rahel Antonie Friederike, geb. Levin-Marcus (1771– 1833) 22 Varus, Publius Quinctilius (47/46 v. Chr.–9 n. Chr.) 105 Vernet, Emile-Jean-Horace (1789–1863) 83 Voltaire (François-Marie Arouet) (1694– 1778) 30, 60, 68, 70 f.

Thiers, Adolphe (1797–1877) 25 Thümmel, Moritz August von (1738– 1817) 60 Tieck, Ludwig (1773–1853) 40–42, 56, 60, 74 Treitschke, Heinrich Gotthard von (1834–1896) 123

Wagner, Richard (1813–1883) 123 Walther von der Vogelweide (um 1170– um 1230) 40 Watt, James (1736–1819) 19 Wieland, Christoph Martin (1733–1813) 30, 38, 56 f. Wienbarg, Ludolf (1802–1872) 26 Wilhelm I. von Preußen, Deutscher Kaiser (1797–1888) 122 Winckelmann, Johann Joachim (1717– 1768) 60, 80 Wohlwill, Immanuel (1799–1847) 71 f. Wolff, Christian (1679–1754) 90

Uechtritz, Friedrich von (1800–1875) 22 Uhland, Ludwig (1787–1862) 40, 42, 76 Varnhagen von Ense, Karl August (1785–1858) 26, 42, 45, 62

Begriffsregister Antisemitismus 23–25, 46–48, 71, 123 f. Atheismus 37, 91, 108, 117 f., 123 Aufklärung 8, 13, 30f., 39, 42, 45, 50, 53, 55, 58–60, 68, 71, 48, 80, 90, 104 Außenseiter 46–49 Ballett 94 Befreiungskriege 16, 47, 55 Beisetzung 29 Bekenntnisdichtung 34 f., 37 Bibel 49, 89, 109, 118 Börse 8, 20 f., 25, 111 Daguerreotypie 113, 115 Deismus 37, 90, 118 Denkmäler 123 f. Duell 27, 96 Eheschließung 27 Eisenbahn 19, 54, 67, 100, 111, 115 Emanzipation 32, 53, 58–60, 62, 78, 83, 90, 92, 95, 103 f., 112 Empfindsamkeit 33, 42, 55, 60, 74, 77 Erbschaftsstreit 27 f. Erlebnisdichtung 76, 78 f. Exil 17, 27, 48, 96, 99, 103, 124 Göttinger Hain 40 Haftbefehl 27 Hellenismus 99 f. Humor 30, 39, 43, 54 Idealismus 14, 31, 38, 44, 54, 78, 88, 91 f., 117 Industrie 8, 20, 54, 66, 111 Industrielle Revolution 19 Intellektuelle(r) 7, 13, 17 f., 23, 26, 46, 49, 91, 100, 112, 116, 123 Intertextualität 14, 63, 73 Ironie 8, 30, 33, 36, 38, 40–43, 49, 52, 54 f., 59, 75, 79, 119 Journalismus 63–67, 110 f.

Judentum 12, 21, 23, 46–50, 85, 99, 109 f., 118 Junges Deutschland 26, 31, 63, 93, 96 f. Kapital/Kapitalismus 8, 25, 111 f., 114 Karlsbader Beschlüsse 17, 35, 101 Klassik 31,35, 60, 63, 78, 79, 93, 97, 108, 117 Kleinepos 57 Komisches Epos 56 Kommunismus 66, 113–115, 118 Kontrastästhetik 32, 79 Krankheit 28, 106 f. Kunstautonomie 9, 33 f., 53 f., 63, 83, 92, 100, 102, 107, 117 Kunstballade 108 Kunstlied 51 Minnesang 76 f. Moderne 8 f., 12 f., 21, 37, 43, 45, 54, 66, 74, 78, 86, 112, 115, 119, 122 Mythologie 14, 92–96 Nationalepos 55 f., 102 Nationalismus 47, 54, 55, 103, 105, 117, 122–124 Nationalversammlung 18 Nazarenertum 99 f. Oper 111, 114 Pantheismus 91, 118 Pauperismus 20 Pessimismus 50, 71, 105 f., 109 f. Petrarkismus 76 f. Philisterkritik 74, 86 Politische Lyrik 53 Promotion 23, 71 Provokation 38 f., 117 Realismus 113 Reformation 89 f. Reim(e) 33, 54, 56 Reiseliteratur 58–63, 73 Republikanismus 44, 84, 97–100, 113

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Begriffsregister Restauration 16, 18, 26, 30 f., 39, 44, 51, 53, 55 f., 63, 86, 92, 98, 103, 116 Revolution 1789 18, 47, 59, 83, 92, 104 1830 18 f., 25, 80–82, 92, 98, 111f ., 115 1848 19, 42, 54, 82, 92, 106 f., 111 f., 116 Romantik 7 f., 13, 34, 39–45, 49, 51 f., 57, 60 f., 63, 73 f., 77 f., 80, 86, 93f., 103, 105, 116 f., 119 Saint-Simonismus 86, 88, 90, 125 Salon 22, 25 f., 111 Schulzeit 22, 76, 89 Sensualismus 69 f., 86, 95, 100, 103, 123 Sozialismus 44, 88, 113, 125 Spiritualismus 69 f., 86, 89, 95, 100, 103 Stimmungsgedicht 41 f., 52, 78 Strukturwandel 20 Studium 22, 71, 89

Sturm und Drang 37, 52, 58, 76 f., 108 Tanz 94 f., 115 Taufe 23, 48 Tendenzdichtung 42 Theodizee 109 Verfassung 18 Vertonungen 79 Virtuose(ntum) 111, 114 Volkslied 51 f., 77 Weltschmerz 35, 83 Wiener Kongress 16, 18, 21 Wirkungsgeschichte 25, 46, 51, 75 f., 79, 94, 96, 106, 121–125 Witz 30–36 Zensur 17, 35 f., 56, 65, 74, 93, 101, 105 Zerrissenheit 8, 35, 39, 41, 78 Zitat 62 f., 75, 77, 117