Einführung in das Germanische 3484104112, 9783484104112

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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Einführung in das Germanische
 3484104112, 9783484104112

Table of contents :
Vorwort
Abkürzungen und Zeichen
Zeitschriftenverzeichnis
Quellenverzeichnis
1. Kap. Das Gemeingermanische
1. Die germanischen Sprachen
1.1. Die Stammbaumtheorie
1.2. Die Wellentheorie
1.3. Periodisierung des Germanischen
1.3.1. Chronologie des Gemeingermanischen
2. Kap. Phonologie des Gemeingermanischen
2.1. Der Akzent
2.1.1. Der Vokalismus
2.1.2. Vokal- und Silbenquantität
2.1.3. Die Vokale e, a und o
2.1.4. Die Langvokale
2.1.5. Der Umlaut
2.1.6. Die ’Brechung’
2.1.7. Die Diphthonge
2.2. Der Konsonantismus
2.2.1. Die germanische Lautverschiebung
2.2.2. Das 'Vernersche Gesetz'
2.2.3. Die Sibilanten
2.2.4. Die Liquide und Nasale
2.2.5. Die vokalischen Sonanten
2.2.6. Die Kontextpositionen
2.3. Typologische Bemerkungen zur germ. Phonetik
3. Kap. Morphosyntax des Gemeingerm.: Der Nominalbereich
3.1. Flektierender und nicht-flektierender Typus
3.2. Die gem. Nominalstämme
3.2.1. Die Deklination der Substantiva
a) die a-Stämme
b) die ō-Stämme
a1) die ja-Stämme
a2) die wa-Stämme
b1) die jō-Stämme
b2) die wō-Stämme
c) die -i-Stämme
d) die u-Stämme
e) die konsonantischen Stämme
1. die n-Stämme
2. die r-Stämme
3. die nd-Stämme
4. die 'Wurzelradikale'
3.3. Das Adjektiv
3.3.1. Die starke und schwache Deklination des Adjektivs
3.3.2. Die Steigerung
3.4. Die Determinanten des Nominalsyntagmas; der Artikel
3.4.1. Der unbestimmte Artikel
3.4.2. Die Paradigmen der Pronominalf lexion
a) *sa, *sō, *þat
b) *sa-si, *sō-si, *þat-si
c) *jainaz
3.4.3. Die Personalpronomina
3.4.4. Die Possessivpronomina
3.5. Das Relativpronomen
3.5.1. Ursprung des Relativpronomens
3.5.2. DET, ADJ und die doppelte Determinierung
3.5.3. Zusammenfassung von § 3.5
3.6. Ausdruck des Relativsatzes
3.6.1. Relativpronomina und -Partikel
3.7. Interrogativ- und Indefinitpronomen
3.7.1. *hwaþaraz
3.7.2. *hwarjaz
3.7.3. *sumaz, *einaz
3.7.4. "niemand, nichts"
3.7.5. "jeder, wer immer"
3.8. Die Zahlwörter
3.8.1. Die Ordinalzahlwörter
3.8.2. Distributive und multiplikative Zahlwörter
3.8.3. Zusammenfassung
4. Kap. Morphosyntax des Gemeingermanischen: Konjunktionen, Adverbien und Präpositionen
4.1. Die Satzkonjunktionen
4.1.1. Konjunktionen des Gemeingermanischen
4.2. Konjunktionen von Syntagmen
4.3. Die Verneinung
4.4. Die Adverbien
4.4.1. Die Steigerung der Adverbien
4.4.2. Lokaladverbien
4.5. Die Präpositionen
4.5.1. Das Präpositionalsyntagna
4.5.2. Die Kasus
a) der Nominativ
b) der Genetiv
c) der Dativ
d) der Instrumentalis
e) der Akkusativ
4.6. Satzbildungsregel
5. Kap. Mo:rphosyntax des Gemeingermanischen: Das Verbum
5.0. Typologie des germanischen Verbums
5.1. Allgemeine Charakteristik
5.2. Die Diathese
5.3. Modus
a) Indikativ
b) Konjunktiv
c) Imperativ
d) Infinitiv
5.4. Tempus
5.5. Numerus
5.6. Die Personen des Verbums
5.7. Die starken und schwachen Verben. Die Präterito-Präsentia
5.7.1. Die Ablautreüien der starken Verben
5.7.2. Die Klassen der schwachen Verben
5.8. Die Paradigmen des Verbums
a) die starken Verben
b) die schwachen Verben
c) die Präterito-Präsentia
d) die Wurzelstämme
6. Kap. Morphophonemischer Wechsel
6.0. Phonologischer und norphologischer Wechsel
6.1. Wechselerscheinungen im Idg
6.1.1. Germanischer Wechsel Vǒc/Vǒc
6.1.2. Der 'grammatische Wechsel’
6.1.3. Der Wechsel von p,b/f; k,g/h
6.1.4. Der Umlaut
6.1.5. Der Ablaut
6.2. Zusammenfassung
7. Kap. Die Wortstellung
7.0. Vorbemerkung
7.0.1. Die Reihenfolge der Basiselemente
7.1. Die Reihenfolge der Basiselemente im Germanischen
7.1.1. Die Struktur der Komposita
7.1.2. Genetiv+Substantiv; Adjektiv+Substantiv
7.1.3. Die Steigerung
7.1.4. Der Relativsatz
7.1.5. Direktes und indirektes Objekt
7.1.6. Präpositionen und Postpositionen
7.1.7. Die Hilfszeitwörter
7.1.8. Der Typus Ælfred cyning
7.2. Der Übergang von SOV zu SVO
7.3. Zusammenfassung
8. Kap. Typologische Schlußfolgerungen
8.0. Die typologisch relevanten Merkmale
8.1. Typologisch relevante Änderungen des Germanischen
8.2. Typologische Charakteristiken des Gemeingermanischen
8.3. Schlußbemerkung
Bibliographie

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Linguistische Arbeiten

95

Herausgegeben von Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Paolo Ramat

Einführung in das Germanische

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1981

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ramat, Paolo:

Einfuhrung in das Germanische / Paolo Ramat. - Tübingen : Niemeyer, 1981. (Linguistische Arbeiten ; 95) ISBN 3-484-10411-2 NE: GT

ISBN 3-484-10411-2

ISSN 0344-6727

) Max Niemeyer Verlag Tübingen 1981 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany. Druck: fotokop Wilhelm weihe« KG, Darmstadt.

I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

Vorwort

IX

Abkürzungen und Zeichen Zeitschriftenverzeichnis Quellenverzeichnis 1. Kap. Das Gemeingermanische 1. Die germanischen Sprachen 1.1. Die Stammbaumtheorie 1.2. Die Wellentheorie 1.3. Periodisierung des Germanischen 1.3.1. Chronologie des Gemeingermanischen 2. Kap. Phänologie des Gemeingermanischen 2.1. Der Akzent 2.1.1. Der Vokalismus 2.1.2. Vokal- und Silbenquantität 2.1.2.1. Die Vokale und u 2.1.3. Die Vokale e, a und o 2.1.4.

Die Langvokale

2.1.5. Der Umlaut 2.1.5.1. a) i- und j-Umlaut b) -Umlaut c) u- und -Umlaut 2.1.6. Die 'Brechung1 2.1.7. Die Diphthonge 2.2. Der Konsonantismus 2.2.1. Die germanische Lautverschiebung 2.2.1.1. Interpretation der Lautverschiebung 2.2.1.2. Schematische Darstellung der Lautverschiebung 2.2.2. Das 'Vernersche Gesetz1 2.2.2.1. Interpretation des 'Vernerschen Gesetzes1 2.2.2.2. Zusammenfassend über die Lautverschiebung und das Vernersche Gesetz 2.2.3. Die Sibilanten

XIII XV XVI 1 1 3 5 7 10 17 17 19 20 21 22 23

25 27 27 28 28 29 3O 31 33 37 37 37 40 4O

2.2.4.

Die Liquide und Nasale

41

2.2.5.

Die vokalischen Sonanten

41

2.2.6.

Die Kontextpositionen

41

2.2.6.1. 2.2.6.2. 2.2.6.3. 2.2.6.4. 2.3.

Die Geminate Die 'Verschärfung1 Die wsstgerm. Konsonantengemination Konsonantenschwund Typologische Bemerkungen zur germ. Phonetik

43 44 44 46 47

VI

3. Kap. Morphosyntax des Gemeingerm. : Der Nominalbereich ............... 3.1. Flektierender und nicht-flektierender Typus ................ 3.2. Die germ. Nominalstämme .................................... 3.2.1. Die Deklination der Substantiva ............................ a) die -Stämme ............................................ b) die ö-Stärome ............................................ ^ ) die ja-Stämme ........................................... a2) die -Stämme ........................................... bl) die jö-Stämme ........................................... b ) die wö-Stäirme ........................................... c) die -Stämme ............................................ d) die w-Stämme ............................................ e) die konsonantischen Stämme .............................. 1 . die n-Stämme ......................................... 2 . die r-Stämme .........................................

3 . die ncZ-Stämme ........................................ 4 . die 'Wurzelradikale ' ................................. 3.3. Das Adjektiv ............................................... 3.3.1. Die starke und schwache Deklination des Adjektivs .......... 3.3.1.1. Funktion der schwachen Deklination ......................... 3.3.2. Die Steigerung ............................................. 3.3.2.1. Die unregelmäßige Steigerung ............................... 3.4. Die Determinanten des Nominalsyntagmas ; der Artikel ........ 3.4.1. 3.4.2.

Der unbestinmte Artikel .................................... Die Paradigmen der Pronominalflexion ....................... a) *sa, *so, *pat .......................................... b) *sa-si} *sö-si, *pat-si. ................................. c) *jai.naz ................................................. 3.4.3. Die Personalpronomina ...................................... 3.4.4. Die Possessivpronomina ..................................... 3.5. Das Relativpronomen ........................................ 3.5.1. Ursprung des Relativpronomens .............................. 3.5.2. DET, ADJ und die doppelte Determinierung ................... 3.5.3. Zusammenfassung von § 3.5 .................................. 3.6. Ausdruck des Relativsatzes ................................. 3.6.1. Relativpronomina und -Partikel ............................. 3.6.1.1. Weitere Entwicklungen der Relativfortnen .................... 3.7. Interrogativ- und Indefinitpronomen ........................ 3.7.1. *huaparaz .................................................. 3.7.2. *hu>arjaz ................................................... 3.7.3. *swnaz, *einaz ............................................. 3.7.4. "niemand, nichts" .......................................... 3.7.5. "jeder, wer immer" ......................................... 3.8. Die Zahlwörter ............................................. 3.8.1. Die Ordinalzahlwörter ....... . .............................. 3.8.2. Distributive und multiplikative Zahlwörter ................. 3.3.3. Zusammenfassung ............................................ 4. Kap. Morphosyntax des Gemeingermanischen: Konjunktionen, Adverbien und Präpositionen ................................................... 4.1 . Die Satzkonjunktionen ...................................... 4.1.1. Konjunktionen des Gemeingermanischen ....................... 4.2. Konjunktionen von Syntagmen ................................ 4.3. Die Verneinung ............................................. 4.4. Die Adverbien .............................................. 4.4.1. Die Steigerung der Adverbien ............................... 4.4.2. Lokaladverbien .......... . — .... ...........................

59 59 64 68 68 68 68 69 69 7O 7O 71 72 72 74

74 74 75 76 78 80 81 81 88 9O 90 9O 91 92 94 95 96 98 101 102 1O4 107 1O9 11O 111 111 112 114 115 118 118 119 128 128 131 1 32 132 134 1 35 136

VII

4.5. 4.5.1.

Die Präpositionen Das Präpositionalsyntagma

138 141

4.5.2.

Die Kasus

142

a) b) c) d) e)

142 142 143 144 145

der der der der der

Nominativ Genetiv Dativ Instrumentalis Akkusativ

4.5.2.1. Liste der germ. Präpositionen

4.6. Satzbildungsregel 5. Kap. Morphosyntax des Gemeingermanischen: Das Verbum 5.0. Typologie des germanischen Verbums 5.1. Allgemeine Charakteristik 5.2. 5.3.

5.4. 5.5.

145

148 152 153

Die Diathese MDdus

155 156

a) Indikativ b) Konjunktiv c) Imperativ

156 156 157

d) Infinitiv Tempus Numerus

158 159 161

5.6. 5.7. 5.7.1. 5.7.2. 5.8.

Die Personen des Verbums 161 Die starken und schwachen Verben. Die Präterito-Präsentia .. 161 Die Ablautreihen der starken Verben 162 Die Klassen der schwachen Verben 166 Die Paradigmen des Verbums 168 a) die starken Verben 168 b) die schwachen Verben 171 c) die Präterito-Präsentia 174 d) die Wurzelstämms 175 6. Kap. Morphophonemischer Wachsei 182 6.6. Phonologischer und morphologischer Wechsel 182 6.1. Wachselerscheinungen im Idg 182 6.1.1. Germanischer Wechsel Vöc/Vbc 182 6.1.2. Der 'grammatische Wechsel' 183 6.1.3. Der Wechsel von p,t>/f; k,g/h 184 6.1.4. 6.1.5.

Der Unlaut Der Ablaut

6.2. Zusammenfassung 7. Kap. Die Wortstellung

184 185

185 187

7.0.

Vorbemerkung

187

7.0.1. 7.1. 7.1.1.

Die Reihenfolge der Basiselemente Die Reihenfolge der Basiselemente im Germanischen Die Struktur der Komposita

187 19O 190

7.1.2.

Genetiv+Substantiv; Adjektiv+Substantiv

191

7.1.3. 7.1.4.

Die Steigerung Der Relativsatz

191 191

7.1.5.

Direktes und indirektes Objekt

193

7.1.6. 7.1.7. 7.1.8. 7.2. 7.3.

Präpositionen und Postpositionen Die Hilfszeitwörter Der Typus Klfred cyning Der Übergang von SOV zu SVO Zusammenfassung

194 195 196 197 199

VIII

8. Kap. Typologische Schlußfolgerungen 8.0. Die typologisch relevanten Merkmale 8.1. Typologisch relevante Änderungen des Germanischen 8.2. Typologische Charakteristiken des Gemeingermanischen 8.3. Schlußbemerkung

204 204 204 207 210

Bibliographie

213

V O R W O R T

Diese Einführung will anderen Zwecken dienen als die traditionellen Handbücher der altgermanischen Sprachen. Mein Anliegen war nicht, eine diachrone Darstellung vom Indogermanischen über das Urgernanische bis zu den Einzelsprachen zu geben, sondern eine (natürlich 'sui generis1) synchrone Beschreibung der Sprachsituation, die wir als Ausgangspunkt der späteren Entwicklung der germ. Sprachen betrachten können. Folglich werden die idg. Probleme und Vergleiche nur insofern berücksichtigt, als sie zum Verständnis germanischer Erscheinungen beitragen können. Es fehlt z. B. im Nominalbereich eine genaue Beschreibung der germ. Flexionsparadigmen vom idg. Standpunkt aus, da solche Paradigmen eine rein mechanische Fortsetzung des früheren Sprachzustandes darstellen, dessen funktioneller Wert als Opposition verschiedener Flexionsstänme völlig verlorengegangen ist - wobei sich allerdings Ansätze zu neuen funktioneilen Oppositionen (im Bereich der grammatischen Genera) zeigen. Bezüglich der starken und schwachen Deklination des Adjektivs werden hingegen auch außergerm. Parallelen angeführt, denn in diesem Fall gestatten die Parallelen, eine tiefere Einsicht in diese typologisch sehr interessante Opposition und die damit eng verbundenen Erscheinungen (wie die Relativsätze) zu gewinnen. Es war gleichfalls überflüssig, in diesem Zusammenhang aufs Neue Aa* vielerörterte Problem der Stellung des Germanischen innerhalb der idg. Sprachen zu behandeln. Ein solches Problem gehört eher in den Bereich der Indogermanistik als zur Germanistik. Andererseits konnten auch die Entwicklungen der einzelnen germ. Sprachen nur am Rand mitberücksichtigt werden. Der Schwerpunkt meiner Darstellung liegt, wie gesagt, auf dem Gemeingermanischen - und dazu gehören nur die sprachlichen Fakten der germ. Sprachen, die durch Vergleich auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt zurückführbar, bzw. deren Ansätze bereits im Gemeingerm. lokalisierbar sind. Doch "it seems to me that a grammar deserves to be called complete to the extent that it succeeds in representing the language under study. Such a gramrar may omit certain details and still be fairly complete, provided the

phenomena left out can be integrated into the picture in the wake of sate basic characteristics analysed in the picture" (Seiler 1976: 20O). Bei der Darstellung und Interpretation der sprachlichen Erscheinungen bin ich meistens einer funktionell-strukturalistischen Methode gefolgt - bei der phonologischen Beschreibung hat sich jedoch auch die generative Phänologie von Nutzen erwiesen. Bei der Darstellung der Syntax vergangener Sprachen, wo 'per definitionem1 die Konpetenz eines 'native speakers' fehlt, ist aber die Anwendung der GT-Grammatik kaum möglich. Es wird sich übrigens auf den folgenden Seiten zeigen, daß die funktionellstrukturalistische Methode für die typologische Beschreibung der Hauptcharakteristiken einer Sprache die geeignetste ist, denn die Typologie betrachtet ja eine Sprache als ein System von Strategien, die dazu dienen, die Probleme und Aufgaben der Kommunikation innerhalb einer historisch definierten Sprachgemeinschaft zu lösen. Diese Arbeit, die aus zehnjähriger Unterrichtserfahrung im Fach 'Geriranische Philologie1 an den Universitäten Cagliari und Pavia hervorgeht, wurde im Jahre 1970 begonnen, als ich mit einem Alexander von Humboldt-Stipendium an der Universität Köln arbeitete. Der Alexander von Humboldt-Stiftung bin ich auch für die finanzielle Unterstützung bei der kostspieligen Herstellung des Buches zu großem Dank verpflichtet. Vorliegende Untersuchung fügt sich im Rahmen eines Forschungsprojekts des italienischen Consiglio Nazionale delle Ricerche über die morphologische und syntaktische Typologie des Indogermanischen (diachron gesehen) ein, das im sprachwissenschaftlichen Institut der Universität Pavia durchgeführt wird (CT 79.00285.08). Einige Kollegen haben bereitwillig die Rohfassung oder Teile davon gelesen und mir wertvolle Hinweise und Ratschläge gegeben: ich möchte hier vor allem Hansjakob Seiler, Heinz Vater, Christian Lehmann (Köln), Paul Valentin (Paris), John Trumper (Padua) und Giorgio Graffi (Pavia) herzlich danken. Jürgen Untermann und Katharina Knappe (Köln) haben freundlicherweise das Ms. gelesen und mir sehr nützliche Verbesserungsvorschläge gemacht. Für Fehler im Buch bin ich selbstverständlich allein verantwortlich. Mein Dank gebührt auch meinem Freund Johann Drumbl, der mit großer Fachkenntnis die Übersetzung des italienischen Originals unternommen hat. Die Diskussion mit ihm hat dazu beigetragen, einige schwierige Punkte näher zu klären. Noch eine kurze Bemerkung: Daß ich bei der Darstellung des Germanischen andere Wege gegangen bin als die traditionellen Handbücher der Germanistik,

XI

soll auf keinen Fall bedeuten, daß ich diese Tradition der Forschung ablehne. Ohne die Errungenschaften von Streitberg, Hirt, Krähe, Mosse u.a.m. wäre es unmöglich gewesen, dieses Buch zu schreiben. Es ist aber ein schönes Vorrecht der Forschung, sich auf frühere Ergebnisse stützend ihr Untersuchungsobjekt immer aufs Neue zu gestalten: "c'est le point de vue qui cree l'objet". Ich widme diese Einführung meiner Frau, die weder "mühevoll meiner Arbeit mit Geduld beistand" noch "sorgfältig das Manuskript tippte".

Anmerkung i

"An adequate reconstruction accounts as simply as possible for the historical development from common source to divergency. The 'grammar' resulting from comparative reconstruction makes no claim to represent the intrinsic knowledge of a speaker of the proto-language; it is no grammar at all in the sense of generative grammar" (King 1969: 176; vgl. auch van de Velde 1971: 194).

A B K Ü R Z U N G E N

a. Abi. Adj.,ADJ Adv.

afries. ags. ai. air. aisl. Akk. akt. an. angl. anim. ARG arm. Art. äs. asl.

athem. AUX avest. C CCMP cymr. dän. Dat. DET Du.

engl. fär. Fern. franz. fries. Fut. gäl. germ. Gmc. got. gr. heth. idg. Inp. Indik.

U N D

alt Ablativ Adjektiv Adverb altfriesisch angelsächsisch altindisch altirisch altisländisch Akkusativ aktiv altnordisch anglisch belebt Argument armenisch Artikel altsächsisch altslawisch athemtisch Auxiliar avestisch Konsonant complementizer, komplementator cymrisch dänisch Dativ Determinans Dual englisch färoisch Femininum französisch friesisch Futurum gälisch germanisch Germanic gotisch griechisch hethitisch indogermanisch Inperativ Indikativ

Z E I C H E N

Instr. intrans. ital. kelt. kent. Kl. lat. lit. Lok. m. Mask. nhd. itnd. mndl. N

Instrumental intransitiv italienisch keltisch kentisch Klasse lateinisch litauisch Lokativ mittel Maskulinum mittelhochdeutsch mittelniederdeutsch mittelniederländisch Nomen

NEG

Negation

ndl. Neutr. nhd. Nom. nord. north. norw. NS o. Obj. Obj-dir. Ob^indir OS * P Part., PART Perf. pers. Pl. PP PPP PRfiD Präp. Präs. Prät. Pron. rel. rumän. run. s.

niederländisch Neutrum neuhochdeutsch Nominativ nordisch northuntorisch norwegisch Nominalsyntagm oben Objekt direktes Objekt indirektes Objekt Oberflächenstruktur Person Parti zip Perfekt persisch Plural 'Prepositional Phrase1 Partizip Perfekt Passiv Prädikat Präposition Präsens Präteritum Pronomen relativ rumänisch runisch siehe

XIV

schwed. Sg. Subj. Subst. Suff. TG them. trans.

schwedisch TS Singular u. Sx±>jekt V, Vb. Substantiv Vok., (V) Suffix vs. Transformations-Granmatik VS thematisch vulg.lat. transitiv Wrz.

B E S O N D E R E

Tiefenstruktur

unten Verbum Vokal versus Verbalsyntagma Vulgärlatein(isch) Wurzel

Z E I C H E N

Die phonetische Transkription erfolgt nach der Lautschrift der International Phonetic Association; dazu kommen aus germanistischer Tradition die Zeichen B, s$, Z für die stimmhaften Spiranten (Reibelaute) b stimmloser dentaler Reibelaut hv stimmloser labiovelarer Reibelaut (got. A r ) * bezeichnet Opposition < kcnmt von > geht über zu / Wechsel mit * erschlossene Form ** falsche Form *BHER erschlossene idg. Form [...] phonetische Transkription (z.B. engl. point [point]) /.../ phonematische Interpretation (z.B. engl. thin "dünn" = /bin/ vs. thing "Ding" = / bin/ : /n/ - , / /!) # Wort- oder Satzgrenze M,N,R,L idg. Sonanten 3, s

idg.

'Schwa1

Z E I T S C H R I F T E N V E R Z E I C H N I S

Archivio Glottologico Italiano, Firenze Anzeiger für deutsches Altertum, Wiesbaden Acta Linguistica Hungarica, Budapest Acta Linguistica Hafnensia, K0benhavn Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik, Amsterdam Berkeley Linguistics Society, Proceedings of the Annual Meetings BLS "BSL" Bulletin de la Societe Linguistique de Paris Cahiers Ferdinand de Saussure, Geneve "CFS" Chicago Linguistic Society, Papers from the Annual Meetings CLS "FoLi" Folia Linguistica.Acta Societatis Linguisticae Europaeae, The Hague-Paris "Found.of Lg" Foundations of Language.International Journal of Language and Philosophy, Dordrecht „ IF „ Indogermanische Forschungen. Zeitschrift für Indogermanistik und allgemeine Sprachwissenschaft, Berlin-New York "Inc.Ling." Incontri Lingulstici, Udine "KZ" Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung ('Kuhns Zeits c h r i f t ' ) , Göttingen "JEGPh" The Journal of English and Germanic Philology, Urbana (111.) "JIES" The Journal of Indo-European Studies, Washington "JL" Journal of Linguistics, Cambridge "Leuv.Bijdr." Leuvense Bijdragen.Tijdschrift voor Germaanse Filologie, Leuven "Lg" Language. Journal of the Linguistic Society of America, Baltimore "LiBer" Linguistische Berichte, Wiesbaden Lingua. International Review of General Linguistics, Amsterdam "Lingua" "MSS" Münchener Studien zur Sprachwissenschaft, München "NJL" Nordic Journal of Linguistics, Oslo PICL .. . Proceedings of the ( . . . ) International Congress of Linguists "PBrB" (T) , ( H ) Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur ('Pauls und Braunes Beiträge'), Tübingen u. Halle/S. ( = ( T ) , ( H ) ) "SILTA" Studi italiani di linguistica teorica e applicata, Padova "Sprache" Die Sprache. Zeitschrift für Sprachwissenschaft, Wiesbaden-Wien "Sprachwiss." Sprachwissenschaft, Heidelberg "SSL" Studi e Saggi Linguistici, Pisa "St.Germ." Studi Germanici, Roma "Theor.Ling." Theoretical Linguistics, Berlin-New York "TLP" Travaux Linguistiques de Prague "TPS " Transactions of the Philological Society, Hertford "USW" Us Wurk. Miedielingen fan it Frysk Ynstitut oan de Ryksuniversiteit to Grins (Groningen) "ZDL" Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Wiesbaden "ZfdA" Zeitschrift für deutsches Altertum, Wiesbaden "ZfMf" Zeitschrift für Mundartforschung, Wiesbaden "AGI" "AfdA" "ALH" "ALHafn" "Amst.Beitr."

XVI Q U E L L E N V E R Z E I C H N I S

£lfr. ,

.

£lfr.,Vitae

Akv. Alfr.,fleda

(Alfr.)Boeth.

(Alfrd.)C.Past (Alfr.)Orfos;. ATB Beow. Chron. a.

...

Park.Chron.

Pet.Chron. DB DNb E

l

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Exon.

Fm Fms Freid. Preis.Pn.

Gen.

G3r.

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XVII M

l,2

Hei.

Hild. Hrafn.

n. Is(id).

Iw. Job.

Jud. Jul.

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XVIII OTRB R

l

Rom. RV Sg. Skeir. Somn.Cruc. (1},(2) .

Tat. (l),(2)rhess. Trist. Vol Vbm. Yt.

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1. Kapitel G E M E I N G E R M A N I S C H "Definitio genetica dicitur, quae rei genesin seu modum, quo quo ea fieri potest, exponit", Chr. W o l f f , Logica Logia ( 1735), Part. I, Sect. II, Cap. IV, 195.

1.

Man braucht kein erfahrener Sprachwissenschaftler zu sein, um zu erkennen,

daß Englisch, Friesisch, Deutsch, Niederländisch, Afrikaans, Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Isländisch und Färöisch bemerkenswerte Übereinstirtinungen sowohl lexikalischer als auch morphosyntaktischer Art zeigen. Wir nennen diese Sprachgruppe "germanisch". Aber wenn auch nicht allzu viel dazu gehört, zu erkennen, daß Vater, father, fader "dasselbe" sind, so erreicht man diese Erkenntnis nicht immer auf dieselbe intuitive Weise: um engl. fee 'Steuer1, dt. Vieh, niedl. vee, dän. fae und schwed. fä alle mit derselben Bedeutung wie im Deutschen, aisl. fe "Reichtum, Vermögen" und got. faihu "Geld, Reichtum" miteinander zu verknüpfen, müssen die hierbei auftretenden Unterschiede erklärt werden. Dies geschieht mit Hilfe der sogenannten "Lautgesetze". Aus der Regelmäßigkeit von Übereinstimmungen wie father: lat. pater; fish: lat. piscis; feet: lat. pedes usw. erschließt man das 'Gesetz1: engl. /- = lat. p- (tatsächlich hat man, wie wir später sehen werden engl. f- = < *P-). Das "Lautgesetz1 ist also die a posteriorische Feststellung einer statistischen Regelmäßigkeit von Übereinstimmungen (oder von Veränderungen) . Diese Regelmäßigkeit kann nicht logisch nachgewiesen, aber leicht empirisch festgestellt werden - auch wenn es natürlich Faktoren gibt, die diese Regelmäßigkeit stören können. Wissenschaftlich betrachtet ist sie ein Postulat (um vergleichend untersuchen zu können), und ihr epistemologischer Status ist der einer Hypothese in Form einer "Verallgemeine2 rung der vorhandenen Daten" ; beim zitierten Beispiel verallgemeinert man aus Fällen der Übereinstimmung von engl. f- = lat. p- ein konstantes Verhältnis und behauptet, engl. /- entspräche lat. p-. Um nun zum Beispiel fee usw. zurückzukehren, so verweisen die verschiedenen bezeugten Formen auf *fehu, das noch im Gotischen erhalten ist

(wo ai den Lautwert / / hat!), und zwar auf Grund einer

Reihe von "Lautgesetzen", die die erfolgten Änderungen (die Entsprechungen in chronologischem Sinn zwischen einem früheren und einem späteren Stand) erklären. Der Menge von gemeinsamen Formeln, die von den erhaltenen Formen der germanischen Sprachen rekonstruiert werden können, oder, falls man dies vorzieht,

den Symbolen für die Entsprechungen zwischen den erhaltenen Formen (und zwar das ist zu beachten - nicht nur lexikalische Einheiten, wie bei den eben zitierten Beispielen, sondern auch Morpheme und syntaktische Eigenheiten) geben wir den Namen "Urgermanisch" bezw. "Gemeingennanisch" (vgl. unten § 1.3.). Es handelt sich beim Begriff des Germanischen demnach um einen rein sprachwissenschaftlichen Begriff , der im Bereich der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft entstand und entwickelt wurde und der seine hauptsächliche Evidenz im sprachlichen Bereich hat: Während es nämlich nicht immer einfach ist, sagen wir ein archäologisches Fundstück, ein Rechtsgebilde, ein literarisches Motiv oder Ähnliches als keltisch, slawisch oder germanisch usw. einzuordnen, so können wir mit Sicherheit sagen, ob ein Text, bestünde er auch nur aus einigen wenigen Worten, in einer germanischen, keltischen oder slawischen Sprache usw. geschrieben

ist. Die Ähnlichkeit zwischen den sogenannten germanischen Sprachen wird auf historische Weise erklärt. Diese Sprachen gehen auf einen gemeinsamen Ursprung zurück, sie sind also entwicklungsgeschichtlich miteinander verwandt. Der gemeinsame Ausgangspunkt ist allerdings, im Unterschied etwa zu den romanischen Sprachen, nicht dokumentiert. Aber gerade in Analogie zum Übergang von Lateinischen zu den verschiedenen romanischen Volkssprachen, müssen wir auch für die Entwicklung der germanischen Sprachen als Erkenntnis m o d e l l hypothetisch die Ableitung von einer (relativ) einheitlichen Ausgangsphase an4 setzen . Diese Hypothese wird übrigens dadurch bestätigt, daß die Ähnlichkeiten zwischen den germanischen Sprachen desto stärker sind, je weiter man zeitlich zurückgeht: m.engl. while "Zeitraum" und mhd. wile [*wi:le] stehen einander näher als die gegenwärtigen Formen while ['wail], und ff eile ('vaila) und ihrerseits sind das ags. hwil und and. hwlla ähnlicher als while und wile. Im Extremfall tendiert dieser Prozeß von Konvergenzen zu einem einheitlichen Ausgangspunkt. Diesem Ausganspunkt gibt man eben daher den Namen G e m e i n g e r manisch. Historische Sprachwissenschaft und Sprachgeographie haben andererseits deutlich gezeigt, daß es keine Sprache gibt, die in ihrem Bereich keine Dialektunterschiede kennt. Französisch, Provenzalisch, Katalanisch, Sizilianisch usw. sind ja nicht aus einem undifferenzierten 'Vulgärlatein1 entstanden, das als solches nie existiert hat, sondern aus den konkreten, wenn auch nicht inmer klar bezeugten historischen Varianten des Lateinischen wie es in Frankreich, in Spanien, in Sizilien gesprochen wurde. Das gilt auch für das Germanische: es gelingt nicht initer durch Vergleich, eine einheitliche Ausgangsform zu rekonstruieren. So verweisen zum Beispiel

got. bairh (ai= [ ]) und ags. (north.) berh auf eine ursprüngliche Form *berh, während ahd. thur(u)h (nhd. durah), ags. pur(u)h (engl. through) und afrs. thruah auf *purh zurückgehen. In analoger Weise ist es im morphologischen Bereich etwa unmöglich, die Formen der 2. PS. Sg. des Prät. Ind. der starken Verben auf einen einheitlichen Ausgangspunkt zurückzuführen: "du trugst" heißt got. und aisl. bort, aber im ags. beere im ahd. und äs. bari. Bei diesen Fällen ist es unmöglich, mit dem Begriff "Gemeingermanisch" zu operieren, weil wir über keine Anhaltspunkte verfügen, die darauf schließen ließen, daß eine der zwei Formen jünger ist als die andere, d. h. in jüngerer, nachgemeingermanischer Zeit entstanden ist als die erste. Das 'Gemeingermanische' ist daher eine wissenschaftliche Abstraktion, die Summe von Informationen, die aus den historisch bezeugten germanischen Sprachen erschlossen werden kann, der Punkt maximaler Konvergenz, an dem (tendentiell) die zwischensprachlichen Unterschiede aufgehoben sind. Es ist klar, daß diesem Produkt unseres Rekonstruktionsverfahrens viele jener Eigenschaften abgehen, die eine echte Sprache hat. Es hat zum Beispiel keinerlei soziolinguistische Schichtung, die in der konkreten historischen Situation mit Sicherheit vorhanden war, welche unserer Rekonstruktion zugrunde liegt. In der Sprache der ältesten Runeninschriften hat man ein Art schriftsprachlicher koine sehen wollen, weil in ihr keine bemerkenswerten Dialektunterschiede erscheinen ; das ist sicherlich eine annehmbare Deutung, auch im Hinblick auf den formelhaften Charakter vieler dieser Inschriften, die reich sind an Wiederholungen und an magischen Wörtern. Nun zeigt es sich aber, daß das von uns rekonstruierte Gemeingermanisch, gerade auf Grund der Art von Dokumentation, die wir besitzen, sich von dieser Art Sprache nur unwesentlich unterscheidet, und die Rekonstruktion selbst ist ganz entscheidend vom "Runischen" beeinflußt! Ek HlewagastiR HoltijaR horna tawido ("Ich, Hl., Sohn des Holt, schuf dieses Hörn") des berühmten Horns von Gallehus (ca. 400 n. Chr.), würde in der rekonstruierten Form der gemeingermanischen Phase nicht anders lauten, mit Ausnahme des Übergangs von -z zu -R. 1.1. Das Entwicklungsmodell von dieser hypothetischen gemeinsamen Phase aus ist die sogenannte S t a m m b a u m t h e o r i e , nach der sich von einem ursprünglichen germanischen Stamm zuerst drei Hauptzweige abgetrennt haben (Ost-, Nord- und Westgermanisch), die ihrerseits wieder weitere Verzweigungen hervorgebracht haben: Der westliche Zweig teilt sich zum Beispiel in Hochdeutsch und in Niederdeutsch; vom letzteren stanmen sodann das Friesische und das Sächsische; vom Sächsischen wiederum Angelsächsisch einerseits und Altsächsisch andererseits, und so weiter in einem Verzweigungsprozeß, dem theoretisch kein En-

de gesetzt ist und der bis zu den gegenwärtigen Dialekten und Unterdialekten fortreicht. Das Schema des Stammbaumes nach A. Schleicher a) b) c) d) e) f) g) h) i) j) k) 1) m) n) o) p) q) r) s)

Ostgermanisch (Gotisch) Westgermanisch ("Deutsch") Nordgermanisch Hochdeutsch Niederdeutsch Friesisch Sächsisch Angelsächsisch Altsächsisch . Plattdeutsch Niederländisch östliches Nordisch westliches Nordisch Norwegisch Isländisch Schwedisch Dänisch Ostgotisch Westgotisch

Gemeingermanisch

Es war für die historische Sprachwissenschaft ein Leichtes, die Grenzen und Unzulänglichkeiten eines solchermaßen fundierten Schemas bloßzulegen; es sieht keine Momente der Annäherung oder der Verschmelzung zwischen den verschiedenen Zweigen vor, nachdem sich diese vom Hauptstamm gelöst haben. Wer auch nur eine oberflächliche Kenntnis der deutschen Sprachgeschichte hat, weiß, daß das heutige Deutsch nicht aus einem linearen Prozeß der Abspaltung des Typs "Indogermanisch -» Geneingermanisch -» Westgermanisch -» Althochdeutsch (-» Mittelhochdeutsch -» Neuhochdeutsch)" hervorgegangen ist, sondern entstanden ist als komplexe Synthese verschiedener Dialekttraditionen, die im Mittelalter ihren Anfang hat, zur Zeit Luthers ihren Höhepunkt erreicht und im 17. und 18. Jahrhundert kodifizierte Norm wird. Der Begriff des Stammbaumes war jedoch einem großen Mißverständnis ausgesetzt: "Für viele Sprachwissenschaftler ist der Stammbaum unannehmbar, weil sie nicht unterscheiden zwischen seiner logischen Natur, deren Aufgabe es ist, die bestehenden Relationen getreu im itodell wiederzugeben, und der historischen Deutung des Modells. Sie glauben, jeder Knotenpunkt eines solchen Baumes stünde für ein konkretes historisches Volk und jeder Ast bedeute eine ebenso konkrete historische Wanderung eines ethnos. Da es schwierig ist, einen so mechanischen Standpunkt zu den prähistorischen Ereignissen zu akzeptieren, die Sprachfamilien

geschaffen haben, die wir auf Grund der überlieferten Texte kennen, neigten die Sprachwissenschaftler dazu, den Stammbaum als zu vereinfachend und mechanisch abzulehnen und versuchten, komplexere Schemata aufzustellen, die den Informationen zur ältesten Geschichte der Volksgruppen, die uns aus anderen Quellen bekannt sind, besser entsprächen. Sie bedenken dabei aber nicht, daß ein Stammbaum, in seiner Eigenschaft als Modell für die entwicklungsgeschichtliche Verwandtschaft zwischen Sprachen nur abstrakte Relationen aufstellt [des Typs ^ und das Problem, wie denn diese Relationen als histoA —» B, B --- » A, X^CJ 8 rische Ereignisse zu interpretieren seien, völlig offen läßt" . Wenn man daher aussagt, Neuhochdeutsch sei eine germanische, eine vom Englischen, Schwedischen, Friesischen usw. verschiedene Sprache, die aus einer bestimmten Untermenge der germanischen Sprachen staitmt, "so heißt dies, daß man als relevant für die entwicklungsgeschichtliche Klassifikation nur diejenigen Veränderungen ansieht, die auf unserem Baum als vertikale Äste dargestellt sind" (Katicic 197O: 123); und alle Wechselbeziehungen und späteren Einflüsse zwischen dem Deutschen, dem Englischen, Schwedischen, usw. unberücksichtigt läßt. 1.2.

Ein ganz anderes Problem als das der entwicklungsgeschichtlichen Klassifi-

kation ist daher das der Beziehungen zwischen den germanischen Sprachen, Beziehungen, die ebenfalls Spuren hinterlassen haben in Form von Ähnlichkeiten zwischen der einen und der anderen Sprache

( I s o g l o s s e n ) . Hier

ist das Modell eines Stammbaums, das Filiationsverhältnisse, d. h. sprachliche Abspaltungsprozesse, darstellen soll, nicht mehr anwendbar. So wissen wir zum Beispiel definitiv, daß sich die Goten zu einem bestimmten Zeitpunkt (1 . Jh. n. Ch.) von ihrem ursprünglichen Siedlungsraum entfernt und sich an der Weichselmündung niedergelassen haben, von wo sie später bis zum Nordufer des Schwar9 zen Meeres weiterzogen. (2. Jh. n. Ch.) . A n diesem Punkt ist die Geschichte der Goten von der der übrigen germanischen Völker ganz unabhängig, während andererseits starke wirtschaftliche Wechselbeziehungen und kulturelle Einflüsse zwischen den germanischen Völkern, die um die Nordsee angesiedelt waren, dahin wirkten, das Nordgermanische und die angelsächsischen Dialekte einander anzunähern, und zwar schon vor den Wikingereinbrüchen in England. Um die Kontakte zwischen den germanischen Sprachen zu erklären, und die gemeinsamen Neuerungen innerhalb der einen oder der anderen Untergruppe, braucht man ein Modell, das unter dem Namen

W e l l e n t h e o r i e

bekannt ist;

nach diesem Modell

werden verschiedene Zentren für sprachliche Neuerungen angenonnien, von denen aus die Neuerungen zu den anliegenden Gebieten gelangen, den Wellen gleich, die ein in den See geworfener Stein auf der Wasseroberfläche auslöst.

Die beiden Modelle sind nicht alternativ sondern komplementär, und sie erklären zwei Formen sprachlicher Entwicklung, die beide auf historischer Ebene reich bezeugt sind: die Stainmbaumtheorie bietet ein adäquates Modell, um die Prozesse der Sprachabspaltung darzustellen; die Wellentheorie hingegen erbringt diese Leistung für die Darstellung der zwischensprachlichen Kontakte. Um die Beziehungen zwischen den germanischen Sprachen darzustellen, könnte das Modell der Verbreitung mittels Wellen ungefähr folgendes Aussehen haben: X

X

X

X

X

X

X

*

In diesem Schema sind sprachliche Einheiten, die verschiedenen Epochen angehören synoptisch und daher ohne chronologische Dimension verflacht wiedergegeben. Bis zum 5. Jh. v. Chr. scheint es nicht möglich, spezifische Dialektunterscheidungen vorzunehmen, wenn man von der Ausgliederung der Goten absieht (Linie 1) 12 . Andererseits lassen die unleugbaren gotisch-nordischen Isoglossen (Linie 2) vermuten, daß es sich hierbei um Neuerungen handelt, die in einem beschränkten Gebiet, in dem auch die Goten siedelten, entstanden sind, und die in Skandinavien erst nach dem Abgang der Goten Verbreitung gefunden haben. Die Kontakte des Gotischen mit den germanischen Stämmen längs der Elbemündung (Linie 3) sind nur spärlich dokumentierbar, aber historisch gesehen zu jener Zeit sehr wahrscheinlich, als die Goten sich längs des mittleren und unteren Laufs der Weichsel befanden (1. Jh. v. Chr. - 1. Jh. n. Chr.). Die Linie 4 umschließt die Dialekte, die zum sogenannten 'Westgermanischen1 gehören. Nachdem sich die Angeln und Sachsen in ihren Inselwohnsitzen niedergelassen hatten, entwickelte sich langsam im Lauf des 5. Jh., hervorgerufen durch intensiven Wirtschaftsverkehr eine Art Sprachbund, zu dem die ältesten Phasen des Angelsächsischen, des Friesischen, des Altsächsischen, und in geringerem Ausmaß des (westlichen) Nordischen gehören (Linie 5). Diesem sprachlichen Verbund wurden unterschiedliche Namen gegeben: 'Ingwäonisch1, 'Anglo-Friesisch', 'Nordseegermanisch1. Das Problem der unterschiedlichen Benennungen kann hier beiseite gelassen werden ;

wichtig ist es, zu unterstreichen, daß ' ingwäonisch ' keinen Zweig des germanischen Stammbaums bezeichnet, sondern einen Prozeß, aus den jüngere Übereinstimmungen resultieren. (Vgl. Kühn 1955). Das Altsächsische wiederum zeigt die Tendenz sich immer mehr von der ingwäonischen Gruppe zu trennen und sich dem Hochdeutschen zu nähern. Die schriftlichen Zeugnisse, mit denen für uns die direkte Dokumentation des Sächsischen einsetzt (8. - 9. Jh.), zeigen schon diesen Vorgang der 'Verdeutschung1, d. h. der fortschreiterden Angleichung des Sächsischen an die sprachlichen Formen des Südens.14 Auf der Grundlage der Übereinstimmungen, bzw. der Divergenzen im Flexionssystem hat Ludwig Rösel eine schematische Gruppierung der germanischen Sprachen versucht, die auch die chronologischen Verhältnisse berücksichtigt, d. h. den Umstand, daß diese Gruppierungen mit der Zeit Veränderungen erfahren haben. Er gelangt dabei zu folgendem Schema : 200 v. 1OO v. 0 · 20O n. 500 n. 800 n.

Gotisch Gotisch Gotisch Gotisch Gotisch

+ Skandin. — Skandin. — Skandin. Skandin. Skandin. Skandin.

+ Engl. + Engl. — Engl. — Engl. — Engl. Engl. --

Sachs. Sachs. Sachs. Sachs. Sachs. Sachs.

+ + + — --

Ahd. Ahd. Ahd. Ahd. Ahd. Ahd.

— Gotisch

In diesem Schema gibt es ohne Zweifel mehrere revisionsbedürftige Punkte: Im Zeitraum 2OO v. Chr. gibt es weder sprachliche noch archäologische Elemente, die eine Präsenz von Angelsachsen ("Englisch" im Schema) im südlichen Skandinavien rechtfertigen würden (vgl. die Rezension von H. Kühn, "AfdA" (1963), 145-152); zudem ist unklar, wie sich in dieses Bild das Friesische einzufügen hat. Ich will hier aber nicht auf Details einer Diskussion eingehen, die in der Hauptsache den Zeitraum nach dem 'Gemeingermanischen1 betrifft, das unseres Untersuchungsobjekt darstellt. Unabhängig von den einzelnen fragwürdigen Punkten bleibt dennoch die Tatsache, Haß nur ein Schema dieser Art imstande zu sein scheint, der historischen Dynamik und der Veränderlichkeit der Beziehungen zwischen den germanischen Sprachen gerecht zu werden. 1.3. Weit wichtiger ist aus der Perspektive des 'Gemeingermanischen1 die Frage nach seiner eventuell möglichen P e r i o d i s i e r u n g . Ist es möglich, innerhalb dieses Abstraktums, dieser wissenschaftlichen Fiktion, die Abfolge unterschiedlicher sprachlicher Phasen zu unterscheiden? Metaphorisch ge-

sprechen können wir uns das Germanische (wie jede andere rekonstruierte (Ur-)Sprache auch) als eine Art Filmleinwand vorstellen, auf die die Bilder (= die aus den einzelnen germanischen Sprachen entnommenen Informationen) von Projektoren projiziert werden, die in verschiedenen Abständen aufgestellt sind (= die verschiedenen historischen Zeiträume der jeweiligen Zeugnisse: das Gotsiche ist im 4. Jh. bezeugt, das Friesische erst im 12. Jh.); das Bild wird mehr oder weniger unscharf sein (= das Resultat unserer Rekonstruktion ist mehr oder weniger zuverlässig; für die Rekonstruktion des Germanischen sind im allgemeinen die archaischen Dokumente entscheidender als die jüngeren). Ebenso wie aber das zweidimensionale Filmbild die Illusion der Tiefe vermittelt, ist es möglich, im Ergebnis unserer Rekonstruktion die Abfolge verschiedener sprachlicher Phasen zu erkennen; es ist also möglich, Spuren einer diachronen Dimension zu erfassen. Die Sprachwissenschaft hat versucht, dieser historischen Tiefe durch unterschiedliche Nomenklaturgebung gerecht zu werden. So hat man vom 'Vorgermanischen1 gesprochen, vom 'Urgermanischen1, vom 'Frühgermanischen1 sowie vom 'Gemeingermanischen' , wozu noch weiter differenzierte Periodisierungen kamen wie 'Frühurgermanisch1 oder 'Spätgemeingermanisch', ohne daß diesen Etiketten jeweils genau umgrenzte Inhalte zugeordnet hätten werden können. Ein und derselbe Terminus wurde von verschiedenen Autoren in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht, sodaß die Verwirrung noch größer wurde. Um den Spielraum dieser Nomenklatur aufzuzeigen, mag hier der Hinweis auf eine Anmerkung genügen, die der sowjetische Germanist E. A. Makaev seiner bedeutenden Arbeit über die morpho17 logische Struktur des Gemeingermanischen vorausschickt : "In früheren Arbeiten hat der Verfasser die Termini 'Urgermanisch (Proto-Germanic, protogermanskii sowie 'Gemeingermanisch1 (Coirmon Germanic, obscegermanskii) verwendet ( . . . ) . In der vorliegenden Arbeit entspricht der Terminus 'Frühgermanisch' (Early Germanic, rannegermanskii) dem früher verwendeten 'Urgermanisch1 und der Terminus 'Spätgermanisch'(Late Germanic, pozdnegermanskii) dem Terminus 'Gemeingermanisch1, wodurch die Beurteilung des Früh-, bzw. Spätgermanischen als zweier chronologischer Phasen in der Entwicklung des Gemeingermanischen erleichtert wird." Von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus, ist es offensichtlich, daß der Übergang vom Indogermanischen zum Germanischen, und von diesem zu den einzelnen germanischen Sprachen nur über verschiedene Stufen, also in einem Kontinuum, erfolgt sein kann. Die gerade erwähnten Feinperiodisierungen versuchen eben (im allgemeinen nach der Stairmbaumtheorie) diese unterschiedlichen Phasen zu konkretisieren. Ohne sich hier, wo es um die Darstellung sprachlicher Daten geht, auf nicht pertinente Diskussionen zur absoluten Chronologie einzulassen, die zu ei18 ner umfassenden Darstellung archäologischer Probleme führen würde , ist ein-

mal festzuhalten, daß zwischen der "indogermanischen Diaspora" (ca. 2500 2OOO v. Chr.?) und den ersten Runeninschriften, die - trotz unleugbarer Unterschiede - noch als Beispiel für eine in ihrer Substanz einheitliche Sprache gelten können, ungefähr 21/22 Jahrhunderte liegen! Es ist ganz klar, daß in einem so langen Zeitraum einander unterschiedliche sprachliche Phasen und Situationen gefolgt sind. Viel eher als zu einer absoluten Chronologie gelangen wir aber zu einer relativen Chronologie, die es gestattet, die erfolgten Änderungen zwischen dem indogermanischen Ausgangspunkt und dem germanischen Endpunkt in logischer und struktureller Ordnung des Früheren und des Späteren ein19 zuordnen . Trotz der terminologischen Schwankungen nähert sich auch Makaev jener Periodisierung in zwei unterschiedliche Phasen des Germanischen, die heute überwiegend angenommen wird

: auf Grund entscheidender Fakten morphophoneti-

scher Natur ('Grammatischer Wechsel1 und "Vernersches Gesetz1: vgl. § 6.1.2.) nimmt man an, das Germanische habe in seiner ältesten Phase noch den freien Akzent des Indogermanischen erhalten (wie im Sanskrit und, in bestimmten Grenzen, 21 im Griechischen), der hauptsächlich musikalischer Natur war . Diese erste Phase wird graduell von einer zweiten Phase abgelöst, in der das Germanische schrittweise die Eigenschaften erwirbt, die es kennzeichnen und gegenüber den übrigen indogermanischen Sprachen abgrenzen: Der Akzent wird auf der Stammsilbe (oft am Vfortanfang) fixiert und verändert seine Natur vom musikalischen Akzent zum stark dynamisch exspiratorischen Akzent22. Mit diesem grundlegenden Ereignis ist eine Reihe von Folgen verbunden, die sich zum Teil noch in der gemeingermanischen Periode einstellen, zum Teil parallel in den einzelnen germanischen Sprachen aufscheinen: die Abschwächung der unbetonten Silben, die sogar 23 ganz verschwinden können ; auf die geringe Autonomie der unbetonten Silben sind wiederum Phänomene wie der Unlaut und die Brechung (vgl. § 2.1.5.) zurückzuführen, sowie M morphologischen Bereich die noch schwerwiegenderen Konsequenzen, die das Flexionssystem betreffen (vgl. § 3.1.). Als Übergangsphase zwischen der ersten Periode (mit freiem Akzent) und der zweiten (Akzent in fixer Position) spricht man heute von der 'e-a-Periode', die gekennzeichnet ist von der Neuordnung des Vokalsystems in Anschluß an die Entwicklung von *O > und *Ä > o 24 (vgl. § 2 . 1 . ) . Die Vermengung des Lautwertes von [a] und [o] ist nicht nur dem Germanischen eigen, sondern findet sich auch im Slawischen, Baltischen und im Indo-Iranischen, sodaß sogar die Schlußfolgerung gezogen wurde, die Unterscheidung zwischen den beiden Vokalen gehe nicht bis auf das Indogermanische zu25 rück, sondern sei charakteristisch für eine Gruppe von Dialekten . Vom Germanischen aus betrachtet, gibt es allerdings keinen Grund, nicht das Dreieckssystem mit fünf Lautwerten als Ausgangspunkt anzunehmen:

10 /i/

/u/ /e/

/o/ /a/

Man wird vielmehr zu beachten haben, daß zwar die Abschwächung und der Totalschwund von (unbetonten) Vokalen mit dem dynamischen, stark exspiratorischen Akzent zusanmenhängt (vgl. oben Arm. 23), daß aber die Änderung des Lautwertes (*O > a, *Ä > ö) in Zusaimenhang mit einem Akzent musikalischer Art zu stehen scheint (vgl. H. Krähe 1958: 13): Wie später noch besser ersichtlich werden wird, wenn vom Akzent die Rede sein wird, scheint dies eine Bestätigung zu sein für einen graduellen Übergang von der ersten zur zweiten Phase des Germanischen, wie schon oben erwähnt wurde.

Während der "e-a-Periode" ist wahrschein-

lich noch zum Großteil der alte musikalische Akzent in Geltung, aber es greifen schon Veränderungen ein - wie eben die des Vokalismus - die ein neues Bild des Germanischen ankünden. Von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus, wird man festhalten müssen, daß Musikalität und Dynamik keine unvereinbaren Größen sind: Musikalität (ein höherer Ton für die betonte Silbe) ist auch beim vorwiegend dynamischen Akzent gegeben und umgekehrt; in ein und derselben sprachlichen Tradition ist es daher möglich, von Mal zu Mal die Vorherrschaft des einen wie des anderen Typs von Akzent zu finden (mit den sich daraus ergebenden eventuellen phonetischen Konsequenzen), wobei neben der pertinenten Funktion des einen Akzenttyps der andere redundant mitauftritt.

1.3.1.

Chronologie des Gemeingermanischen.

Frans von Coetsan faßt seine Ansicht im schon erwähnten Kurzen Grundriß der germanischen Philologie (I, 29) auf folgende Weise zusammen: die erste und älteste Periode des Germanischen reicht bis ins 2./1. Jh. v. Chr. (mit fortschreitender Dominanz des dynamischen Akzentes über den musikalischen); die 'e-a -Periode1: 2.-1. Jh. v. Chr.; die zweite Periode, zu Beginn der Zeitrechnung (mit allen für die germanischen Sprachen eigenen Charakteristiken, oder zumindest mit dem Ansatz zu Tendenzen, die sich später in den verschiedenen germanischen Sprachen entfalten werden); schließlich in den ersten Jahrhunderten n. Chr. die endgültige Abtrennung der germanischen Sprachen. Das ist, wie man sieht, eine auf Grund unserer beschränkten Kenntnisse notwendigerweise weitmaschige Periodisierung; die Übergänge von einer Phase zu einer anderen sind unbestiitint und lassen einen Spielraum von Jahrhunderten. So niitmt man z. B. an, daß die Änderung der Akzentverhältnisse - eine grundlegende

11

Tatsache für das Germanische (vgl. § 2.1.) - in der 2. Periode erfolgt sei, daß aber schon gegen Erde der 1. Periode der dynamische Akzent immer stärker im Vordringen gewesen sei (vgl. van Coetsem, loc. cit., S. 14). Das bedeutet, daß wir einen Spielraum von zwei oder drei Jahrhunderten annehmen müssen (vom 3. bis zum 1. Jh. v. Chr. ca.), während dessen sich eine ganze Reihe von Erscheinungen zeigen wie die Änderung in der Klangfarbe des Vokalismus (*0 > a, *Ä > ö) und die Lautverschiebung (§ 2.2.1.), die jedoch einerseits mit einem vorwiegend musikalischen Akzent in Zusammenhang stehen, und andererseits mit einem vorwiegend dynamischen. (Vgl. § 2.1.) Was die absolute Chronologie des Germanischen betrifft, sind wir daher hauptsächlich auf äußere Daten angewiesen, d. s. in erster Linie germanische Wertformen (in der Hauptsache Eigennamen) bei griechischen und lateinischen Autoren, mit all den Unsicherheitsfaktoren, die eine indirekte Überlieferung mit ' 29 sich bringt. 28 Namen wie Ariovistus (< *ARYO) bei Caesar, Caviovalda (< *KOR¥O-) und Langobardi (< *DLONGHO-) bei Tacitus, usw., zeigen unterschiedliche Behandlung von idg. *O: in betonter Silbe finden wir *O > a, in unbetonter tritt keine Änderung ein. Das bestätigt nicht nur, daß die Änderung der Klangfarbe, wie schon gesagt, mit dem (musikalischen) Akzent zusammenhängt, sondern auch, daß diese Änderung noch im 1. Jh. n. Chr. noch nicht Allgemeingut war, wie hingegen später, um 400 (vgl. hlewa-gastiR < *KLEWO- auf dem schon erwähnten Hörn von Gallehus 3O) . Das Paar Maas/Mosel wurde von H. Krähe benutzt, um den Übergang *0 > zu datieren. In der lat. (< kelt.) Überlieferung finden sich beide Formen mit o: Mosa, Mosella. Die Germanisierung von Maas muß daher vor dem Übergang von *O > erfolgt sein, die von Mosel jedoch zu einer Zeit, als dieser Lautwandel nicht mehr wirksam war (denn sonst hätte man *Masel). Von ihrer im Norden gelegenen Heimat hätten die Germanen also zuerst die Mosa, später dann die Mosella kennengelernt. Derselbe Wandel *0 > findet sich im Namen des Mains, bei Tacitus und Plinius Moenus. Ein "terminus post quern' für den Wandel *Ä > ö ist gesehen worden im Namen, den Caesar für den Harz verwendet: silva Bäaenis (< *BHÄGOS, vgl. lat fägus, griech. phegos), später bezeugt als Böeönia, ahd. Buohhunna. Der von Caesar überlieferte Name könnte jedoch kelt. Tradition entstammen. Auch das got. (4. Jh.) Hümöneis < lat. Körriärn· stellt keinen sicheren Nachweis dar, weil *Ä > ö in diesem Fall eine spätere Entwicklung des Got. sein könnte (bemerkenswert ist auf jeden Fall die Opposition zwischen ü:ü in Entsprechung von lat. : ; die Lautwerte von /o:/ und /a:/ sind daher nicht zusaitmengefallen). Ein wichtiger Hinweis könnte das aus dem Kelt, entlehnte *Dänovios darstellen, got. Dönawi, S

12 ahd. gen, Aber lung nen.

Tuonouwa (> Donau), denn wir wissen auf Grund archäologischer Überlegundaß die Germanen gegen Ende des 2. Jh. v. Chr. an die Donau gelangt sind. auch in diesem Fall ist die Überlieferung zu spät, um eine jüngere Entwick*Ä > ö innerhalb des Germanischen nach der Entlehnung ausschließen zu kön-

Zusanmenfassend kann daher festgehalten werden, daß die Belege aus den klassischen Autoren zum Lautwandel *0 > und *Ä > ö einen Spielraum von zwei Jahrhunderten zu Beginn der Zeitrechnung lassen, eine Epoche also, die im großen und ganzen mit dem Übergang von der le-a- Periode' zur 2. germ. Periode zusammenfällt. Auch im Bereich der bedeutendsten Erscheinungen, die das Germ, im Konsonantismus aufweist, ist es nicht möglich, zu einer genaueren chronologischen Angabe zu kortmen. Einige Forscher datieren die Lautverschiebung (§ 2.2.1.) um 500 v. Chr.; andere hingegen zwischen 45O und 250. Immerhin steht fest, daß schon die ältesten Dokumente, darunter die Personen- und Ortsnamen bei klassischen Autoren, übereinstimmend die Lautverschiebung zeigen. Ebenso Entlehnungen aus dem Kelt, wie got. reiks "Oberster" (vgl. kelt. Dumnorix, Biturtges mit stimmhaftem Velarlaut) , got. andbahts, ahd. anibaht "Knecht" < kelt. conbaktos, Ortsnamen wie ahd. Fergunna, mhd. Virgunt, das Mittelgebirge silva Hercyn-ia, das Caesar in der keltischen Form kannte (< *PERKWUNYÄ "Eichenwald"), nord. Harfafia(fjfll) "Karpathen" und Finne in Thüringen (< gall. Penna, vgl. zymbr. penn "Gipfel") und Lehnwörter wie äs. hanap, ags. hasnep, ahd. hanaf, aisl. hampr (dt. Hanf, engl. hemp), die auf germ. *hanapa- mit verschobenem Konsonantismus zurückweisen (vgl. griech. kannab-is, lat. cannabwn, cannaba). Auch die zahlreichen finnischen Lehnwörter aus dem Germanischen, für die man heute eine 33 , zeigen die Lautverschiebung: kuDatierung um das 1 . Jh. v./n. Chr. anninmt ningas "König", rengas "Ring", vantus "Handschuh" < germ. *kuningaz (idg. Wurzel *GEN3-), *hrengaz (< *KRENGHO-, vgl. asl. krpgu), *wantuz. Äußerst selten sind Fälle mit Wechsel zwischen verschobenen und unverschobenen Konsonanten: Vacalus bei Caesar vs. Vahalis bei Tacitus (Unterlauf des Rheins, heute Waal) könnte ebenfalls aus kelt. Überlieferung stammen, so wie der Name des Volkstammes Volcae (Caesar, d.b.G., VII, 7,64 und VI,24) sicher kelt. ist; in der germ. Form *Walhöz liegt er einer Fülle von Bezeichnungen für nicht-germ. Völker von Seiten der Germanen zu Grunde: ags. Wealas > engl. Wales (von Kelten besiedelt), aisl. Valir "Römer", niederl. Wallonen (im Gegensatz zu den Flamen der germanischen Sprachgruppe) , dt. welsch (< *walh-isk) "nicht-germanisch" (in Rotwelsch, 34 Kauderwelsch) . Es scheint somit, daß zu Beginn der (indirekten) Überlieferung die Haupt-

13 Charakteristiken des germ. Konsonantismus (Lautverschiebung und - nach Ausweis der Beispiele Fergunna, Harfaüa - 'Vernersches Gesetz1, vgl. § 2.2.2.) massiver belegt sind, als die des Vokalismus. Andererseits zeigen die ältesten lat. Wörter im Germanischen (ca. 1. Jh. v. Chr.), ebenso wie die einer zweiten keltischen Schichte, keine Lautverschiebung mehr: s. z. B. ahd. kellari "Keller" (nicht *hellari\) < celläriwn; ahd. trahtare, trihtere "Trichter" (nicht *tkpiehterel)

< träiectörium; mndl., per-

se (nicht *ferse!) "Presse", vgl. de pevs, usw., die alle zum Weinbau gehören, der von den Römern in den Tälern des Rheins un der Mosel eingeführt wurde (Ende des 1. Jh. v. Chr.). Auch die Entlehnungen aus dem Keltischen wie got. kelikn "offener Saal im Obergeschoß", sipöneis "Schüler, Gefährte" (< *SEKW- s. lat.

sequor) zeigen keine Lautverschiebung, und umso weniger die griechischen

Wörter in Wulfilas Bibel (Ende des 4. Jh.s) wie aipiskaupus "Bischof", paintekusten "Pfingsten", usw. Unter den kelt. Entlehnungen hat das schon erwähnte *Dänovios besondere Beachtung gefunden, das aus der Zeit um 10O v. Chr. stammt und den Übergang von *D > t schon nicht mehr aufweist. Die Epoche, in der die Lautverschiebung wirksam war, müßte daher zwischen 4CO und 20O v. Chr. angesetzt werden de1.

, und läge damit kurz vor der 'e-a-Perio-

Die jüngere Geschichte des Germanischen (Ausgliederung der Goten und der übrigen Völker des 'Ostgermanischen1, relative Homogeneität der restlichen germ. Gruppe bis gegen Ende des 5. Jh., schließlich die Auflösung dieser homogenen Gruppe und Ausbildung sekundärer Sprachgruppen) wurde schon oben erwähnt. (§ 1.2.) .

14

Anmerkungen 1

2

3 4

5

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7 8 9

Stammt die eine Sprache von der anderen ab (z. B. lat. > ital.), dann bezeichnet die vom Lautgesetz ausgedrückte Entsprechung eine Substitution (wie die Transformation von lat. I > ital. / e / ) , während man bei Sprachen derselben Herkunft eine horizontale Entsprechung findet: lat. p- « > engl. f-. Vgl. Katz 1966: l o f f . ; dt. Katz 1971: 18ff. Zum Themenbereich der Rekonstruktion vgl. aber vor allem Hjelmslev 1963, dt. 1968. Der Begriff "Gesetz" wird übrigens auch in der Erkenntnistheorie der Naturwissenschaften als Arbeitshypothese aufgefaßt, um eine bestimmte Anzahl von Phänomenen zu erklären (ersetzbar jedoch durch eine stärkere Hypothese, falls andere Phänomene dies erfordern). Vgl. Katicic 1973: 35f., 4 . Vgl. Penzl1972a: 6 f f . ; Devoto 1976: 16. Vgl. Seebold 1973a: 26ff. Im konkreten historischen Bereich sind natürlich die Unterschiede zwischen der Entwicklung vom Lat. zu den Vulgärsprachen der Romania und die vom "Gemeingerm." zu den germ. Sprachen sehr groß. Das Lat. hat über Jahrhunderte hindurch neben und über den Volkssprachen weiterbestanden als Faktor der Vereinheitlichung, während es im germ. Bereich nie eine sprachliche Erscheinung gleich großen Prestiges gegeben hat (außer dem L a t . ! ) . So Makaev 1965: 2O und passim (jetzt auch Makaev 1976: 29-41), während Krause 1961: 20O das Runische als eine Art "lingua franca" (auf der Grundlage des Nord.) ansieht. Zu den (beginnenden) Dialektdifferenzierungen des "Runischen" - z. B. tilarids (Lanze von Kowel, ca. 25O n. Chr.) mit -s wie in got gasts vs. aljamarkiR (Karstad, 3OO ( ? ) ) mit nord. -R (aisl. gestr.) - vgl. Düwel 1968: 15. Hirt 1931: I, 17. Unberücksichtigt bleiben sollen die völlig unhaltbaren Gedankenspielereien von Scardigli 1973: 26 (= Scardigli 1964: 31): die gotische Sprachtradition "ist das Werk einer uralten 'Priester- und Adelsschicht1 . Diese privilegierte Schicht verfügte seit Jahrhunderten über eine 'Dichtersprache 1 , welche dazu bestimmt war, mächtigen Einfluß ringsum auszuüben und deren Existenz den Hauptgrund dafür bildet, daß gemeingermanische Isoglossen entstehen und bestehen konnten." Von dieser alten Dichtersprache sollen Spuren in "schamanischen Ausdrücken" wie plinsjan "tanzen", frisahts "Bild", usw. existieren, ohne daß jedoch nur das geringste Indiz über den (asiatischen?) Ursprung dieser Ausdrücke gegeben würde (vgl. die Rezension von E. Stutz 1975: 184-91). Schleicher 1860: 94-96. Vgl. auch Streitberg 1896 (Nachdruck 1943): 13ff. Kataiic 197O: 119 (Kursiv von mir, P. R . ) . Vgl. meine Rezension, Ramat 1971: 1OO-1O3. Vgl. auch Ramat 1977 b: 19-34 und die übrigen Beiträge desselben Bandes. n Für eine rasche historische Einführung s. Mastrelli 1967 ( 1 9 7 5 ) , cap. II. Nicht von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Heimat der Goten, die jüngst von Wagner 1967 und von Hachmann 197 erneut aufgenommen wurde, ob nämlich die Heimat der Goten auf dem Kontinent oder im südlichen Skandinavien zu suchen sei, wie der Historiker Jordanes behauptete und wie zahlreiche Ortsnamen zu bestätigen scheinen (Götaland, Gotland). Ebenso scheint es mir nicht nötig, hier die äußerst komplexe und problematische Frage nach eventuellen Kontakten der Goten zu anderen germanischen Völkern zu behandeln, die etwa durch präsumptive Missionstätigkeit der Goten in Bayern zustande gekommen sein soll (5. - 6. Jh.) und die Spuren in der Lexik der bair. Dialekte hinterlassen haben soll (z. B. ertag "Dienstag", pfinztag "Donnerstag"). Vgl. dazu zuletzt Rotsaert Neppi Modona 1973: 237256. Sollte diese Hypothese zutreffen - was ich aber nicht glaube - dann wäre das ein weiteres Beispiel für gegenseitiges Sichentfernen und Sichwiedernähern im Lauf der Zeit.

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Die diffizile Diskussion um den Begriff "Entwicklungstendenzen" (analoge Prozesse entwickeln sich parallel aber unabhängig voneinander auf Grund gemeinsamer struktureller Voraussetzungen) soll hier ausgeklammert bleiben, ebenso die Diskussion um Begriffe wie "Isonomie" (eine Linie, die diejenigen Punkte miteinander verbindet, an denen eine bestimmte Regelmäßigkeit auftritt), sowie 'Sprachdrift' u. ä. m. Diese Vorschläge gehen vom gerechtfertigten Anspruch aus, die Möglichkeit zu bedenken, die komplementär zu einem zentralen Ausgangspunkt mit Ausbreitungswellen ist, daß es nämlich Parallelentwicklungen bei nicht notwendigerweise entwicklungsgeschichtlich miteinander verwandten Sprachen geben kann, auf Grund gleicher oder ähnlicher Ausgangspositionen. Vgl. Höfler 1955: 3O-66, Höfler 1956: I f f . (behandelt auch germ. Beispiele: e 2 , o ) ; Ramat 1976: 53ff.; zum Begriff Isonomie vgl. Trumper-Mioni 1979: 626-31; zum Begriff ' D r i f t ' s. natürlich die klassische Abhandlung von Sapir 1921: 147-170, dt. Sapir 1961: 138-154. Vgl. Kufner 1972: 74. Vgl. vor allem Kühn 1955: 1-47 und Schirmunski 1965: 1-36. Vgl. Ramat 1967a: 96ff. (dt. Ausgabe 1976: 5 7 f f . ) , sowie Markey 1976. Vgl. Cordes 1956: 1-51 und 65-78; Ramat 1969: Einleitung. In diesem Zusammenhang sollte darauf hingewiesen werden, daß auch der Begriff des Althochdeutschen einer kritischen Neubestimmung bedarf. Auch in diesem Fall handelt es sich um keinen einheitlichen Ast des Stammbaumes der germanischen Sprachen. Die ältesten Sprachdokumente belegen ganz offensichtlich das Fehlen einer einheitlichen sprachlichen Grundlage. Diese entwickelt sich erst im Lauf der späteren Geschichte der deutschen Sprache. Rösel: 1962: 12O. + bedeutet engen, -,— und mehr oder weniger lockeren Kontakt. Ramat 1967a: 95f. (dt. 1976: 56). Zu den wiederholt vorgebrachten Versuchen, die Beziehungen zwischen den germanischen Dialekten systematisch darzustellen, kommt nun der Versuch von Bannick 1973 auf der Grundlage morphologischer Kriterien. (Analyse der syntagmatischen Strukturen, wie sie von der Grammatik generiert werden können, im Vergleich mit den effektiv erhaltenen Formen, durchgeführt für Substantiva, Verben und Adjektive). Die Ergebnisse unterscheiden sich nicht wesentlich von den heute im allgemeinen anerkannten: die erste Abgrenzung betrifft das Gotische; Existenz eines "Nord-WestGermanischen"; Unterteilung des Westgermanischen (oder genauer des 'prewest-germanic') in "ingwäonisch", "istväonisch" (zwischen Rhein und Weser) und "irmionisch" (Elbegermanisch); Entstehung eines "Gemeinnordischen". Sehr nützlich ist übrigens im selben Buch die im l. Kapitel gegebene Darstellung der Geschichte dieses Problems. Vgl. auch Antonsen 1975: 2 7 f . Makaev 1964: 22-5O: übersetzt aus Makaev 1963: 54-73. Für einen raschen Überblick s. Ramat 1967a: 5 6 f f . (dt. 1976: 2 8 f f . ) . Dort auch Diskussion methodischer Probleme zu den Beziehungen zwischen Archäologie und Sprachwissenschaft (S. 4 9 f f . ; dt. S. 2 3 f f . ) . Ich stimme voll und ganz Fr. van Coetsem bei, was die Nomenklatur für diese Phasen betrifft: "Es scheint jetzt erwünscht, die weiter angenommenen Sprachperioden mit neutralen Benennungen (erste, zweite Periode) oder mit Termini, die sich auf eine Sprachcharakteristik beziehen (e-a-Periode), anzudeuten, wobei als umfassender Begriff das neutrale und für sich selbst redende "germanische Grundsprache" oder einfach "Germanisch" (dies insbesondere gegenüber Keltisch, Italisch usw.) angewandt werden", van Coetsem 197O: 14, Anm. 1. Penzl 1972a: Abschnitte 4 . 4 . 1 . und 7.1.3. mit weiterer Literatur. Zur Hypothese von Bennett, das Germanische hätte überhaupt nie einen mobilen Akzent besessen, vgl. unten, Kapitel II Anm. 71. Der musikalische Akzent erhöht den Ton der betonten Silben (d. h. die Zahl der Schwingungen pro Sekunde wird erhöht); der dynamische Akzent hingegen hebt die betonte Silbe durch erhöhte akustische Intensität gegenüber den unbetonten Silben hervor.

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36 37

Dieses Phänomen ist nicht auf das Germ, beschränkt: das Lat. hatte in einer nicht dokumentierten Epoche eine Phase mit stark dynamischem Akzent durchlaufen und hat qulndecim aus *quinque decem, hospes aus */iostipotis u. ä. Auch die Reduktionsstufe im idg. Vokalismus (*BHNDH- aus *BHENDH-, vgl. Abschnitt 5 . 7 . 1 . ) wurde mit einer Periode des Idg. mit dynamischem Akzent in Verbindung gebracht: vgl. Krähe 1958: 13; Lehmann 1952: 112f. Vgl. dazu van Coetsem 197O passim und bes. 4 2 f f . (dort auch die ältere Literatur). Kurylowicz 1956. Van Coetsem 197O: 45. Für eine Parallelerscheinung hierzu/ vgl. Malmberg 1967: I o 2 f f . über die Merkmale der Intensität und der Höhe in der Betonung des Schwed. Zum dynamischen und musikalischen Akzent im Idg. vgl. Krähe 1958: § § 1 1 und 13 (mit geringen Änderungen wiederholt in Krähe I960: §§ 25 und 2 7 ) . Man muß dabei nämlich berücksichtigen, daß Anpassungen des einen Phonemsystems an das andere möglich sind: vgl. z. B. got. Rümöneis = lat. Römänl, wobei ü = lat. und 5 = lat. ä. Die lat. Schreibung o in den erwähnten Beispielen könnte in unbetonter Stellung ein [S] wiedergeben, das - wie wir später sehen werden - zu einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung des germ. Vokalsystems vorhanden war (vgl. § 2 . 1 . 1 . ) . Wenn nicht aus *Hario-vistus, das mit dem Typus Cario-valda zu vergleichen wäre; vgl. Pokorny 1959: 67. Streitberg 1896; § 55 und Krause 1963: § 25,3, wo auch Komposita mit Ala(< *ALO-?) in den Götternamen Alagabiae, Alaferhviae, u. ä. erwähnt werden. Krähe 1954: 128. Van Coetsem 197O: 16 setzt jedoch die Änderung des Lautwertes von /a/ und /o/ vor der 'e-a-Periode' an. Vgl. Kylstra 1961. Als germ. Lehnwort finden wir es im Slawischen als vlachu "Welsch, Rumäne" und kommt sodann ins Ungarische: oläh, daraus olasz "Italiener". Ein Gegenbeispiel scheint in den Volksnamen Cimbri und Teutoni vorzuliegen, jene germ. Stämme, die von Marius bei Aquae Sextiae geschlagen wurden (102 v. C h r . ) . Nach den Regeln des germ. Konsonantensystems müßte es heißen: *Himbröz und *beu8anöz (vgl. Himber-sys&l und Thythe-sys&l in Dänemark). Krähe 1954: 133 denkt auch hier an eine kelt. Form der Namen: in der Tat haben wir Teuto-boduus, -burgium usw. Die ahd. Form Tuonouwa zeigt die zweite Lautverschiebung (: § 2 . 2 . 1 . ) . Schon Streitberg 1896: 137 schlug 4OO-25O vor. Vgl. Pisani 1949: 136-42. Zum Thema dieses Abschnittes s. zuletzt Hofstra 1976: 148-166 mit Diskussion der jüngeren Literatur.

2. Kapitel Phonologie

2.1.

des

G e m e i n g e r m a n i s c h e n

Der Akzent

Wegen der schon erwähnten Bedeutung der Akzentverhältnisse (§ 1.3.1.) scheint es angebracht, die Beschreibung der sprachlichen Situation des Germanischen mit dem Akzent zu beginnen. Im Idg. war der Akzent vorwiegend musikalisch und frei (vgl. § 1 .3.1 .) , wie ersichtlich ist aus ai.: bharamänas, Part. Präs. Med. mit Betonung auf j der viertletzten Silbe, jedoch bharämas, 1. P. Plural und bharati, 3. P. Präs. Dem Akzent kam morphologische Funktion zu, vgl. z. B. gr. Nom. pater (Betonung auf der Endsilbe) vs. Akk. patera (Betonung auf der vorletzten Silbe) und Gen. patros; ai. veda "ich weiß" vs. vidmäs "wir wissen"; er hatte auch semantische Funktion: gr. pharos "Tribut", tomos "Schnitt" vs. phoros "bringend, günstig (vom Winde gesagt)", tomos "scharf", ai. ardha- "Seite" vs. ardhä- "Hälfte". Den Übergang von einem freien (d. h. nicht an eine bestimnte Stelle fixierten) musikalischen Akzent zu einem dynamischen Akzent der Intensität in fester Position hat das Germ, gemein mit anderen westeuropäischen Sprachen wie OskischUmbrisch, Irisch, dem vorgeschichtlichen Latein (vgl. Kap. I, Anm. 23) und dem Französischen unter den romanischen Sprachen. Dadurch tritt eine wesentliche Funktionsänderung des Akzents ein: aus einem bedeutungstragenden Element im morpho-semantischen Bereich (vgl. ital. cono "ich liebe" vs. amo "er liebte" und meta "Ziel" vs. metd "Hälfte") wird ein Grenzsignal, das den Beginn oder das Ende von Wörtern anzeigt. Erst in jüngerer Zeit hat der Akzent, zumindest in einigen Fällen, in den germ. Sprachen wieder eine semantische Funktion wiedergewonnen (vgl. engl. the subject vs. to subject). Der allmähliche Verfall des Flexionssystems, das sich hauptsächlich auf Endungen stützte, wird allgemein mit der Einführung des starken dynamischen Akzents auf der Stammsilbe in Zusaimenhang gebracht; die Erklärung des Phänomens ist dabei in erster Linie phonetischer (und nur in untergeordneter Weise psychologischer) Art: die hohe Akzentintensität der Stammsilbe habe den größten Teil der Artikolationsenergie (und der psychologischen Aufmerksamkeit des Sprechers)

18

auf sich gezogen zu ungunsten der unbetonten Silben, die somit dazu tendieren, einen unbestimmten Lautwert anzunehmen , oder, im Extremfall, überhaupt wegzufallen: germ. *dagr-az (Nom.) > äs. dag, ebenso *da&-an (Akk.) > dag, bei Verlust der formalen Markierung von Nom. und Akk. (dt. Tag, engl. day) . Es handelt sich bei der phonetischen und psychologischen Erklärung jedoch um zwei Erklärungen grundsätzlich verschiedener Natur. Der Verfall, oder zumindest die Abschwächung der Flexion wird im 3. Kapitel behandelt, hier soll noch darauf hingewiesen werden, daß sich das Phänomen des Verfalls, bzw. der Abschwächung der Flexion auch in den romanischen Sprachen findet, für die man keinen dynamischen Akzent ansetzen kann, der an Stärke dem der germ. Sprachen entspräche, und bei denen der Akzent beweglich ist und daher semantische Unterschiede ausdrücken kann (vgl. ital. aapito "ich könne (zufällig)", capita "verstanden", capita "er geriet (zufällig)", "es geschah"; span, celebre (Adj.), celebre (Präs. Konj.), celebre (1. P. Sg. Perf.)2. ES scheint daher, daß der Ursprung dieses Phänomens nicht phonetischer Natur ist.

Andererseits kann man auch nicht

behaupten, der Verlust der Beweglichkeit und somit der Möglichkeit, semantische Unterschiede auszudrücken, nähme dem Akzent seine Bedeutung. Sie verschiebt sich bloß auf eine andere Ebene. Die Funktion des starren Akzents als Grenzsignal besteht darin, die Wortgrenze deutlich zu markieren; wo der Anfangsakzent hinfällt, dort beginnt offensichtlich ein Wort, und für den Hörer ist es daher ein Leichtes, den Satz in seine Bestandteile zu zerlegen. Der starre Akzent (Anfangsakzent für das Germ.) gehört demnach zu einer ganz bestimmten Perceptions Strategie und scheint, unter diesem Gesichtspunkt gesehen, einen höheren Effizienzgrad anzuzeigen als der vorhergegangene freie Akzent. Die phonetischen Fakten sind also zweifellos einer psychologischen Dimension zuzuordnen, allerdings in Form von Hör- und Perzeptionsstrategien, mit denen, wie wir noch sehen werden (vgl. Kap. 7 ) , auch andere Phänomene morphosyntaktischer Natur in Verbindung zu bringen sind. Es bestätigt sich hier die enge Wechselbeziehung zwischen Akzent, Phonetik und Morphosyntax, die von der historischen Sprachwissenschaft und später dann vom Strukturalismus allgemein erkannt worden ist;

nur die Interpretation dieser Wechselbeziehung erfolgt hier,

wie noch genauer gezeigt werden wird, in umgekehrter Reihenfolge. Beim Verbum fiel der Akzent auf die Staitrasilbe auch wenn dieser eine Vorsilbe voranging; beim Substantiv hingegen fiel der Akzent auf das Präfix ( d. i. auf die erste Silbe). Wir finden daher zwei grundsätzliche Akzentuierungsschemata: "und * * ( ' = Hauptakzent, "= Nebenakzent); got. bi-mait "Beschneidung", ga-qumjps "conventus, Zusammenkunft" vs. bi-maitan "beschneiden", ga-qiman "zu-

19

saimvenkcrmen". Es scheint, daß der Akzent in einer ersten Phase mechanisch und ohne jede Differenzierung auf die erste Silbe des Vfortes gefallen ist, und daß später der Bedeutungsaspekt stärker beachtet wurde, der Akzent demzufolge das Wurzelmonem hervorzuheben hatte (vgl. got. fra-lusts "Verderbnis" vs. ahd. fir-lust "Verlust", aber auch innerhalb des Got. selbst, ända-nähti "Abend" vs. and-staid "Angebot"; s. auch guda-laus "gottlos" vs. gud-hüs "Gotteshaus") . Da es möglich war, zwischen Präfix und Verb Partikel einzufügen, ist es wahrscheinlich, daß die Verbpräfixe ursprünglich den Hauptakzent hatten (got. uz-uh-iddja "und er ging weg" (Joh. 16.28), ga-p-pan mip-sandidedum imma "und dann haben wir mit ihm geschickt" (2 Koi>. 8.18) .5 Für das Ganeingermanische lassen sich höchstwahrscheinlich folgende Akzentuationsbedingungen rekonstruieren (vgl. Bennett 1972: 111f.): a) der Hauptakzent (') des Wortes fiel auf die erste Silbe (meistens zugleich die Stammsilbe); b) der Nebenakzent (*) fiel auf die erste Silbe (=Stammsilbe) des zweiten Glieds der Komposita: *auga-3ur- > got. auga-daüro (Neutr.) ags. eag-dura "Fenster"; c) beim Verbum (oder beim verbalen Syntagma? vgl. Arm. 5) fiel der Akzent auf die Stammsilbe (oder kam später wiederum dorthin); die Präfixe hatten einen Nebenakzent.

2.1.1.

Der Vokalismus

Durch den Vergleich der alten germ. Sprachen ist es möglich, für die 'e-a-Periode1 des Gemeingermanischen (vgl. § 1.3.1.) folgendes Vokalsystem zu rekonstruieren: /V /u/ /i:/ /u:/ /e/ /a/ /e:/ /o:/ Oder in bezug auf die distinktiven Merkmale:^ /i/ /e/ /u/ /a/ /i:/ /e:/ /u:/ hinten _ _ + _ _ _ +

vorne hoch tief lang

+ + + _ _ _ _ _

--+ + _

- + + _

_ +

+ -

+

+

+

/o:/ +

+

Im Vergleich zum ursprünglichen idg. System (§ 2.1.2f.) sind /a/ und /o/ zu /a/ zusammengefallen und /a:/ und /o:/ zu /o:/: vgl. got. hva, ags. faj&t,

20

aisl. hvat, ahd. was aus *KWOD, lat. quod; got. bropar, ags. bro3or, aisl. , ahd. fcruooer aus *BHRÄTER, lat. f räter. Aus einem dreieckigen System wurde somit ein viereckiges. Das heißt, daß die Opposition der Öffnungsgrade (Höhe) und die der Velarität bei /§/ und /o/ aufgehoben sind. 7 vom phonetisehen Standpunkt aus scheint es angemessen, an ein [ä] als Ergebnis der Fusion beider Laute zu denken. Auf ganz analoge Weise kann eine sehr offene Realisierung von /e:/ angenommen werden, nämlich [s:], zu der /a:/ nicht mehr in Opposition steht. Diese Hypothese wird durch die Entstehung eines neuen /e:/, des sogenannten e^· (§ 2.1.4.) bestätigt, dessen Realisierungen in den historisch bezeugten Sprachen IÄ

anders (geschlossener) sind als die des e^ der idg. Tradition. Was die Kurzvokale betrifft, so könnte man ebenfalls an eine Korrelation von /«/ ~ /ä/ in einem Viereckssystem mit nur zwei Öffnungsgraden denken, aber die historischen Ergebnisse des vorausgesetzten */ä/ als (got. hva) und der einzige vordere Mediallaut e haben auch dazu geführt, eine Opposition von /e/ ~ /a/ in einem unsymmetrischen Dreieckssystem mit drei Öffnungsgraden anzunehmen:

o

/i/

/u/ /e/ /a/

In diesem Fall hätten wir keine Syitmetrie zwischen dem System der Langvokale (Viereck und dem der Kurzvokale (Dreieck) , was natürlich zu Kompensationsund Ausgleichsprozessen geführt haben muß (vgl. Benediktsson 1967) . In der Tat werden im Lauf der späteren Entwicklung der einzelnen germ. Sprachen die verschwundenen Vokale auf die eine oder andere Weise wieder eingeführt und die Dreieckssysteme wieder hergestellt (die sodann durch verschiedene Phänomene, wie den önlaut u. ä. kompliziert werden) - was die von A. Martinet von allgemeinen Gesichtspunkten aus formulierte Ansicht stützt.

g

2.1.2. Bevor wir näher auf diese Probleme eingehen, sollen jedoch noch einige Beobachtungen zum System mit vier Elementen aus der 'e - -Periode1 näher behandelt werden. Mit Ausnahme der Fälle von ö und bewahrt das Germanische, wie wir gesehen haben, die Opposition zwischen Kurz- und Langvokalen. Diesen Zustand finden wir noch in den ältesten bezeugten Sprachen. In späterer Zeit verändert sich die Situation bei vielen germ. Sprachen, indem die Vokalquantität automatisch in Hinblick auf die Qualität der Silbe verteilt wird (und dadurch

21

die Quantität ihren Phoneitwert verliert). So werden beim Übergang vom Mhd. zun Nhd. die Vokale in offenen Silben^0 zu Langvokalen: mhd. täges, nemen, s-iben \,

nhd. ta-ges, neh-men, sie-ben, gegenüber hel-fen, ist, von usw.; Ursprüngliche Längen hingegen werden in geschlossenen Silben verkürzt; mhd. dähte, slöz, riächgebüre > nhd. daoh-te, Schloß, Näch-bar usw. Auch im Nordischen werden die Quantitätsbeziehungen neutralisiert und vom Silbenkontext abhängig: von den vier theoretisch möglichen Fällen a) VC

b) VC

c) VCC

d) VCC

(V = Vokal, C = Konsonant)

hat das Isländische nur b) und c) erhalten, sodaß die Vokalquantität automatisch mittels des Kontextes vorhergesagt werden kann (übrigens auch im Ital.: pä-la, fä-to vs. pal-la, fat-to!).^ Im Dänischen hat die Vereinfachung der Doppelkonsonanten die Opposition VC (< VCC) ~ VC wieder eingeführt und damit die Vokalquantität als Unterscheidungsmerkmal wie auch im Englischen und im Niederländischen: engl. sheep [Ji:p], feel [fi:l] vs. ship t/ip], fill- [fill, usw.; ndl. zaak "Sache" [za:k], boom "Baum" [bo:m] vs. zak "Sack" [zak], bom "Bombe" /bom// usw.12 2.1.2.1.

Idg. *I und *U bleiben im Germ, erhalten: *PISKOS "Fisch" > *fiskaz \y

(got. fisks, aisl. fiskr, ags., ahd. fisa, afries., äs. f-isk); *SÜNUS "Sohn" > *sunuz (got. sunus, aisl. sunr, ags., afries., äs., ahd. sunu). Die idg. Sonanten g, L, M, N mit Silbenwert bekommen im Germ, den unterstützenden Vokal u (im Lat. e, o, im Balto-Slawischen i, usw.): *BHRTIS (Wz. *BHER-, lat. ferö, gr. pherö) > *bur$is "Geburt" (äs. giburd, ahd. giburt und aisl. bur'Sr; ags. gebyrd mit Umlaut von u > y durch nachfolgendes i; got. gabauvps mit u > au (= /o/) vor r: § 2.1.3.); *WLKWOS "Wolf" (vgl. lit. v~lkas, asl. vliku) > *wulfaz

(got. wulfs, run. -wolAfR, ags., as. wulf, and. wolf);

*KMTQM "hundert"

(vgl. lat. centum, lit. sinttas) > *hun3a- (got. hunda-, aisl. hund-raS, ags. hun&, äs. hunde-rod, ahd. hundert); *DNT- "Zahn" (vgl. lat. dentem Akk.) > *tunp- (got. tunpus, afries. tüsk, ags. tusc (< *tunp-ska-)) usw. Der idg. Schwalaut *3, ein unbestinmter Murmellaut, aber im ursprünglichen Phonemsystem auch als sonantischer Faktor wirksam, entwickelt sich im Germ, wie in den meisten idg. Sprachen zu a: *P3TER "Vater" > *fa9er

(got. fadar, ahd.

fater, as. fadar, ags. f'sder, aisl. fa3ir). Diese Entwicklung bringen in Hinblick auf das phonematische System des Germanischen keine Änderungen, das heißt, sie führen keine neuen Elemente in das System ein. Ihr Einfluß betrifft hingegen die Frequenz der Vokale u und a, die stark ansteigt.

22

2.1.3. Beim Phonem /e/ hingegen scheint die Entwicklung zur Verarmung zu führen. Dem idg. *E entspricht im Gotischen i\ *ED- "essen" > got. itanj *PEIWCM "Fell" > got. -fill. Dazu *BHENDH- > *bind-, *PENKWE "fünf" > *finfe in allen germ. Sprachen: got. bindan fimf, aisl. binda firm, ags. bindan fZf, and. bintan finf, usw. Vor Nasal wird *E > germ. . Aus diesem Grund hat man lange diskutiert - und diskutiert noch - ob das System der Kurzvokale des Germ, zu einem bestürmten Zeitpunkt seiner Entwicklung eine Phase mit drei Elementen durchlaufen habe: /u (o)/

/i,e/ /a/

wo [i] und [e] Kcmbinationsvarianten (Allophone) desselben Phonems wären, mit folgendem Schema der komplementären Distribution (vgl. van Coetsem 1970: 51): vor Nasal: [i] Umlaut durch a: [e] Umlaut durch : [i] Umlaut durch u: [i]

,., . ,

Analog dazu bekäme man für /u/:

i

vor Nasal: [u] Umlaut durch a: [o] in den anderen Fällen: [u]

Die Opposition /i/~/e/ ist jedoch, allerdings mit ganz niedrigem Funktionswert, im Germanischen belegt, und zwar durch Minimalpaare wie *wig- "töte" (2. P. Sing. Imp.) ~ *we# "führe" (idem), *ist ~ *brest "bringt" (2. P. Pi. Imp.). 14 Um dieses System mit drei Elementen akzeptieren zu können, muß angenommen werden, daß im Viereckssystem, das zu Beginn von 2.1.1. schematisch dargestellt wurde, [ä.] in kohärenter Weise inner als [a] mit dem Merkmal [- hinten] realisiert wurde. In Analogie zur Situation, die sich in der vorderen Reihe ergab, hätte sodann /u/ eine Kombinationsvariante [o] entwickelt (nachdem idg. *O > [I] > /a/!). Im Gotischen finden wir tatsächlich komplementäre Distribution von u und au. au (= [o]) erscheint vor h, hv, r, während i. in derselben Position zu ai (= [ ]) wird: vgl. baurgs "Stadt" (ahd. bürg, ags. burh), bauhta "kaufte" (Inf. aber bugjani), wair "Mann" (vgl. lat. vir), taihvim "wir ließen" (ahd. liwwn).15

23

Auch in den anderen germ. Sprachen entwickelt sich auf analoge Weise der Phonemwert /o/: vor in der folgenden Silbe wird u zu o (zum -Unlaut s. § 2.1.4.1.): *YUGCM (lat. iugum "Joch") > and. joh, aisl. ok (got. aber iuk); vgl. den morphophonemischen Wechsel (§ 5.7.1.) ahd. bugum "wir bogen" ~ gibogan "gebogen", aisl. bugom ~ bogenn, ags. bugum ~bogen (aber got. bugum, bugans). Die Vokalsysteme der einzelnen Sprachen haben also den Vokal /o/ ([0,0]) wiedererlangt (später auch /o/ ~ /o/, z. B. im Nordischen), der im Vokalsystem der 'e-a-Periode1 noch ein 'leeres Fach1 war (vgl. § 2.1.1.)· Es findet also ein durch Umlaut bewirkter Übergang von u > o (und i > e) statt, der entgegengesetzte Aspekt desselben historischen Prozesses e > i, d. h. der Neuordnung des Systems der Kurzvokale im Nord- und WestgermanischenJ^ Die Frage ist allerdings, ob dieser neue Wert /o/ noch dem Gemeingermanischen zuzuweisen ist, oder ob es sich um eine Entwicklung handelt, die nach der Auflösung der Einheit eintrat. Aus den Befunden, daß /o,o/ in den verschiedenen Sprachen aus unterschiedlichen Formen entsteht, daß das Gotische keinen -Umlaut kennt, während die anderen Sprachen wiederum keinen konsonantischen Umlaut des u kennen (oder nur teilweise, wie im Nordischen) ,^ muß man schliessen, -daß das gemeingerm. Vokalsystem noch kein /o,o/ besaß.^ Aus den vorhergehenden Überlegungen kann somit zusammengefaßt werden, daß für das Gemeingermanische ein Viereckssystem der Kurzvokale anzunehmen ist: /i/ %/

/u/ /a/ (= [a])

Dieses System zeigt (schon in der gemeinsamen Periode und in den nachfolgenden Dialektphasen) etwa folgende Entwicklungstendenzen: /V Ve/

/V /ä/

^

A,e/

/u/ /a/

.

/i/ \e/

/u/ /o/'

/a/ (Die Pfeile zeigen die Veränderungstendenzen an). Nachdem in der 'e-a-Periode' o mit a zusammengefallen ist (2.1.1.), kann sich /a/ als [ä] realisieren; an diesem Punkt kann es zum Lautwert [a] zurückkehren, indem es /e/ (= [ae]) zu einer geschlosseneren Realisierung führt (: [i]): vgl. Mioni-Trumper 1979: 626-31 2.1.4. Im System der L a n g v o k a l e kommt es zu einer wichtigen Neuerung: es entsteht ein neues /e:/, das man konventionell als ~e bezeichnet, um es vom ~e\ der idg. Tradition unterscheiden zu können.

24

Im Got. zeigt e keine anderen Ergebnisse als e^ . Ebenso auch in einigen angelsächsischen Dialekten (angl. und kent.19). Man muß daher an eine spätere Entstehung von e? denken. Die Annahme, das Germanische habe zwei verschiedene /e:/ gekannt, ist vom Standpunkt des phonematischen Systems her völlig unwahrscheinlich; viel eher stellt diese Annahme das Ergebnis eines Additionsprozesses dar, wie es für vergleichend-rekonstruierende Verfahren typisch ist: got. sgps ~ and. sät und got. her aber ahd. hiar: also got. e ^ e (-seps ? her), also e^ und e 2 . Da jedoch 'germ, e^' die Ursache für den Übergang von e^ > "westgerm. ä' ist, und da wir in den westlichen Dialekten keinen solchen generellen Übergang finden, ist es nicht notwendig, für das Gemeingermanische ein 'e 2 ' anzunehmen.20 Der Ursprung des e^ ist noch Gegenstand von Diskussionen. Die wahrscheinlichste Hypothese ist wohl die, daß es aus dem Diphthong ei entstanden ist, und zwar als Stellungsvariante vor Vokal [+ tief]: ei > ee > e^·, genau wie ei > ii > 1 vor Vokal [+ hoch].2^ Diese Erklärung hat zudem den Vorteil, daß sie den Ursprung des e2 im Zusammenhang mit einer Reihe von Umlaut-Phänomenen sieht, die für das Germ, charakteristisch sind und daher keine spezielle 'ad hoc'-Regel braucht. Die Entstehung des e 2 verändert auf jeden Fall das ausgewogene altgermanische System der Langvokale, oder zumindest bei einem Großteil des Germanischen (vgl. Arm. 19), 2 2 In einem bestirnten Moment zeigt sich das System wie folgt: /i:/ /e:/ /t:/

/u:/ /o:/

/ :/ stellt die Fortsetzung von idg. *E (= f e ^ ' ) dar, entspricht dem Öffnungsgrad von /o:/ < *Ö (vgl. lat. JRöma > ahd. äs. Rwna, lat. Römäm > got. Rumoneis, wobei ö > u und ä > ö) und hat keine Gegenposition /a:/ (wir haben ja *Ä > ö). Im Nordischen, And., As. und Angelsächsischen (nur im Westsächsischen, nicht im Angl. und im Kent.) finden wir e als , (afries. angl. und kent. e ) : got. ga-deps "Tat" (< Wurzel *DHE3- > *DHE-); aisl. dä$ ahd. tat äs. däd ags. dsd (afries. ded, angl. kent. ded), während andererseits lat. e in den Lehnwörtern als i erscheint (velum > ahd. wil-) oder wie i 2 > ea, ia (tegula > ahd. ziagal, speaulum > spiagal): e^ konnte das Merkmal [+ tief]: [ae:] annehmen. Auf diese Weise wurde e 2 an Stelle von e* zur Minimalentsprechung von e (Entsprechung der Quantität), während e^ dieselbe Funktion gegenüber einnahm an Stelle der Entsprechung ~ ö: 2 ^

25 /i/ ~ /i:/ /e/ ~ /e:2/ /a/

/u/ ~ /u:/ /o/ ~ /o:/24

~ /e:V

Aber bald entwickelte sich im Germ, ein neues /a:/ und stellte damit, wie schon gesagt (§ 2.1.1.) auch für die Langvokale wieder ein Dreieckssystan mit fünf Elementen her. Das germ, entsteht durch konpensatorische Dehnung: die Lautverbindung [an ] > [an ] mit Nasalisierung des Vokals; sodann [§ ] bei Verlust des Nasallautes und Ersatzdehnung des Vokals; schließlich [§ ] mit Denasalisierung: *£> £ "ich dachte" (< Wurzel *TENG-/IONG-, vgl. lat. tongeö) > got. pähta, and. dahta (nhd. dachte), ags. pöhte (engl. thought), aisl. pätta. Analog zu /a:/ finden wir auch [i:] und [u:] aus [ ] und [un/]: *pir\xana got. peihan (ei = /i:/!), ahd. dthan (nhd. ge-deihen), äs. ththan; *pur\xton "dünkte" > got. fiühta, ahd. dühta, äs. thühte, aisl. pötta. Diese Fälle von [i:] und [u:] schufen jedoch keine neuen Phoneme, da /i:/ und /u:/ im Germ, beoc reits existierten. 2.1.5.

In den vorhergehenden Abschnitten war schon mehrmals von

U m l a u t

die Rede, d. h. der Änderung des Lautwertes von Vokalen durch den phonetischen Kontext. Es handelt sich hierbei um ein Phänomen, das in irgendeiner Form und in verschiedenen Mcmenten ihrer Geschichte alle germ. Sprachen betrifft. Hier können natürlich nicht alle einzelnen Umlauterscheinungen in den verschiedenen Sprachen behandelt werden. Vom Gemeingermanischen aus soll hier nur darauf

hin-

gewiesen werden, daß solche Einflüsse von Seiten des phonetischen Kontextes, sei es der eigenen (tautosyllabisch) oder einer fremden Silbe (heterosyllabisch), Zeichen dafür sind, daß die Silbengrenze ins Schwanken geraten ist,

was sicher-

lich mit dem starken Akzent der Intensität zusammenhängt ( v g l . § 2 . 1 . ) .

Die Diskussion, ob der Umlaut bereits im Gemeingerm. wirksam war, ist noch nicht abgeschlossen. Fr. van Coetsem bejaht die Frage mit dem Hinweis, daß Umlaut durch Vokaleinwirkung und Veränderungen durch Konsonanteneinfluß (z. B. u > got. au (= [o]) vor h, hv, r) nur spezielle Aspekte eines allgemeineren Phänomens sind, das er "Sequenzverhältnis" nennt.2^ Diese beiden Faktoren hätten sich gegenseitig beeinflußt mit dem Ergebnis, daß entweder der eine oder der andere Prozeß verallgemeinert wurde; im Got. hätte der Einfluß durch Konsonanten den Umlaut beseitigt. Im Got. findet sich jedoch nicht die geringste Spur eines vorhergehenden Umlautes, während Fälle vorkommen, bei denen wir hingegen, theoretisch gesehen, Spuren des Umlauts zu erwarten hätten.2^ Van Coetsem scheint eine ad hoc-Überlegung anzustellen, um ein Argument für die Präsenz

26

des Umlauts im Germ, zu erhalten. Darüber hinaus ist die Entstehung des Unlauts noch in den frühesten ahd. Texten nachweisbar, ebenso im As., d. h. in relativ später Zeit: vgl. dazu noch zu Beginn des 9. Jh. ahd. marigreoz "Margarite" in den Monseer Fragmenten, aHlenda in Isidor (nhd. elend) und man beachte den Wechsel in fremidi./ framid-i, mcmagi/manegt· sowie, innerhalb desselben Paradigmas, fort s "fährst"/ ferit "fährt" von far an "fahren". Der Umlaut des

durch i beginnt um 75O und

breitet sich in der zweiten Hälfte des 8. Jh. weiter aus.2** Dieselbe Sachlage findet sich auch im As.: elilandig "ausländisch"/elilendi "Ausland". Die ältesten Runeninschriften des Nord, zeigen noch keine Spur des Unlauts: -gastiR (Hörn von Gallehus, ca. 400 v. Chr.), aljamarkiR (Karstad, ca. 400), usw. Im allgemeinen setzt man den Umlaut im Nord, zwischen 65O und 050 an. ' Um die Hypothese des Umlauts schon in

vorhistorischer Zeit gegen die Schwierigkeiten

abzusichern, die die Überlieferung bereitet, hat man Überlegungen zur Schreibtradition ins Treffen gebracht: man habe zahiri (und nicht *zehii>i) "Tränen" durch Einfluß des Sg. zahar geschrieben; das lat. Alphabet sei ungeeignet, umgelautete Vokalwerte auszudrücken (aber sobald diese so große Bedeutung erlangten, daß das System verändert wurde, wurden sie auch graphisch festgehalten: man denke bloß an die angelsächsische Überlieferung!). Im Prinzip haben wir davon auszugehen, daß die graphischen (graphematischen) Systeme der germ. Sprachen in ihren ältesten Phasen, als es darum ging, eine Schreibtradition zu begründen, den phonetischen Tatsachen entsprechen, d. h. sie bemühen sich darum, die tatsächliche Aussprache getreu wiederzugeben.

(Das schließt selbstverständ-

lich Ausgleichsprozesse und Analogien innerhalb der Paradigmen, sowie spezifische Inkongruenzen, bzw. Fehlleistungen nicht aus.^°) Der Bruch zwischen Schreibung und Aussprache vergrößert sich erst später, nachdem sich eine normierte Schreibtradition durchgesetzt hat. Auf Grund dieser Überlegungen muß man wohl der traditionellen Darstellung in den historischen Handbüchern den Vorzug geben: der Umlaut erscheint jeweils in den Einzelsprachen; die Voraussetzung dafür findet sich allerdings im Gemeingermanischen.3 ^ Zu diesem Ergebnis führt auch der Umstand, daß die Beispiele für den Umlaut keine systematische Grundlage haben: wir finden zwar nest mit Umlaut des

(§ 2.1.5.1.b) aber auch fisk ohne Umlaut; ahd. wer (s. u.

Arm. 35) steht ahd. skif gegenüber (ags. afries. aisl. skip < *skipa-) usw. Die Verteilung scheint daher nicht automatisch zu sein, d. h. in strenger Abhängigkeit vom phonetischen Kontext, wie man es bei Allophonen desselben Phonems zu erwarten hätte, und wie wir es zweifellos, mit ganz wenigen Ausnahmen, im got. ai. : i., au : u finden.32

27

2.1.5.1.

In den ältesten Phasen der germ. Sprachen finden sich drei Hauptty-

pen von Umlaut, die in mehreren Einzelsprachen belegt sind und daher einer voreinzelsprachlichen Periode zugewiesen werden können. (Jüngere einzelsprachliche Entwicklungen des Vokalsystems, auch wenn sie Umlautprozesse betreffen, wie z. B. /u:/ /y:/ (geschrieben iu) vor i, j im Mhd. müssen im Rahmen dieser Darstellung der Verhältnisse des Gemeingerm. unberücksichtigt bleiben.) a) Umlaut durch i, j (schon besprochen) i. ii.

> e: *KORYO- "Heer" > and. heri ags. here aisl. herr (aber got. harjisl); e > ii *ESTI "er ist" > got. ahd. äs. ist, ags. is;

iii. u > y, o > ff: germ. *pur\kjan "dünken" > aisl. pykkia (got. pugkjan, and. dunchen > mhd. dünken, äs. thunkian), afries. thinka, ags. pynoan > engl. think wobei y > i-, *doht(e)viz "Töchter" (Nbm. Pl.) > run. dohtriR (Tune, Anfang des 5. Jh.) > aisl. dtftr. Auf analoge Weise bei den Diphthongen: *au > aisl. ey (: *hlaupjan > hleypa) ; *eu > ags. i-e (später -, y) (: *leuhtjan, *liuhtjan "leuchten" > liehtan, Ithtan, lyhtan), aisl. y (: nysa "schauen" = got. -niuhsjan),^3 ahd. iu (: liuhten) Dasselbe gilt auch für die Langvokale (z. B. aisl. stfka = got. sokjan "suchen"), der i, j-Umlaut kann daher durch die folgende Pegel (= Spezifizierung der Regel in Anm. 31) dargestellt werden:34 - konson V

+ hoch

* [-hinten] /

- hinten (d. h.: alle Vokale werden weiter vorne realisiert, wenn in der nachfolgenden Silbe i oder j aufscheint. Die vorderen Kurzvokale erhalten das Merkmal [-tief]: a > e. b) Umlaut durch a (vgl. § 2.1.3.) i.

i > e: *NIZDOS > *nfystas &

ii.

u > : * *gulpa > aisl. goll, ags. afries. as. ahd. gold (got. aber

gulpl, vgl. § 2.1.3.). Umlaut tritt nicht ein, wenn -a Nasal + Konsonant vorangeht: äs. aisl. tunga, ags. afries. tunge, ahd. zunga < *DNGHWÄ (wobei *N > un). Bei einem solchen phonetischen Kontext herrscht die entgegengesetzte Tendenz on > un (parallel zu *EN > in: lat. pondus > ags. pund, ahd. p fund, lat. nonna > ags. nunne, ahd. nunna "Nonne"). Im Westgerm. und Nordgerm, tritt dieses Phänomen weit regelmäßiger auf, als der Übergang i > e, und wir finden es ständig in den Verbformen: ahd. giwortan "geworden" vs. wurtum "wurden", ags. fluten, aisl. flutum "wir flössen" (Endung *-um) vs. flöten, flotenn, giflotan usw.

28

Wie schon oben gesagt (§ 2.1.3.), stellt der Übergang von u > o die entgegengesetzte Bewegung zum Übergang von e > i dar. u bleibt nicht nur erhalten, auch wenn die nachfolgende Silbe

hat, sondern auch vor Nasal + Konsonant

(+ j ) und vor u (bugum); und gerade bei diesen Bedingungen kcmmt es zum Übergang e>i. Es handelt sich offensichtlich um Assimilationsvorgänge, die den Öffnungsgrad der Vokale betreffen und die bei der Neuordnung des Vokalsystems von denselben phonetischen Kontextbedingungen abhängig sind.3° Auf analoge Weise bei den Diphthongen: (*EU >) *iu > nord. eo > iö, äs. ahd. eo >

, ags. eo (z. B. *TEUTA > *piudö- > aisl. biö3 as. thiodo. and. diot

ags. beod got. piudo.}. ' Für Umlaut von 1, ü durch o sind keine Beispiele bekannt. Aus dem oben Gesagten ergibt dann sich folgende Regel für den Umlaut: [+ hDCh] [- langj



[- hoch] / /

c?

[

tief]

c) Umlaut durch u, w i. ii.

> 0: *landwn (Dat. Pl.) > aisl. Iqndom "Ländern" e > 0: *gorwjan "machen" > *gerwa > aisl. gtfrua

iii. i > y. *sir\gwan "singen" > aisl. syngua Es handelt sich um ein spezifisches Phänomen des Nordischen, das auch die Langvokale betrifft (: Qtom "wir aßen", got. eturn ahd. äzzwn; *wi-kwan > ykva "weichen", äs. wlkan, ahd.

-hhan). Es handelt sich dabei praktisch um die

Velarisieruhg der vorderen Vokale (eine Assimilation zum Merkmal [+ hinten] von u, w ) . Im Ahd. finden wir hingegen e >

(: nimu "ich nehme" gibu "ich gebe"

filu "viel", usw.) mit Assimilation zum Merkmal [+ hoch]. Der Übergang e > ,jq im Nordischen (mjqk < *meku), sowie > eo Im Angelsächsischen

> ea,

>

, e

(*efiwraz > eofov usw.) gehört zu den Phänomenen der .

sogenannten 'Brechung', die im folgenden Abschnitt behandelt wird. 2.1.6.

Unter

B r e c h u n g

versteht man den Übergang eines kurzen (Stamm) ·

vokals in einen Diphthong bei bestimmten phonetischen Kontextvoraussetzungen: z. B. germ. *e15ux'az "Eber" ags. eofor, aisl.

jffurr.

Die Brechung findet sich vor allem im Angelsächsischen und im Nordischen. Es gibt aber genügend Anhaltspunkte, um anzunehmen, daß auch ai und au des Got. (aus -i, u vgl. § 2.1.3.) durch Brechung entstanden sind: die phonetischen Voraussetzungen des Übergangs -i, u > ai, au sind im Prinzip genau dieselben wie diejenigen, die für die Brechung im Angelsächs. und im Nord, bestürmend sind. ° Brechung der Vokale e, i,, s, ä (d. i. [-hinten]) tritt dann ein, wenn u, u

29

oder h, r, l + Konsonant folgen: *meluk "Milch" > ags. mioluk ['mi°luk] (> engl. milk), aisl. mj'glk (schwed., norw. mjölk); *erbö "Erde" > ags. eorSe aisl. jor9 und got. airpa (aber and. erda, as. erthal); *ehwaz "Pferd" > ags. eoh aisl. j'ör und got. aihva-, Dieses Phänomen ist in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich realisiert, es betrifft daher nicht das Gemeingerm.; als gemeinsamen Faktor kann man festhalten, daß die Brechung darin besteht, daß der Velarcharakter des nachfolgenden Lautes (u, w, aber auch , 1, h, d. h. uvulares [R], velares [1] und [x]) antizipiert wird durch einen velaren (: [ ] nach e, i: ags. seolf, bzw. mioluo) oder zumindest weiter hinten realisierten "Gleitvokal" (: [ a ] nach ae: germ. *ahtö "acht" > sf-hta > ags. eahta > engl. eight). Die Brechung hat demnach folgende Regel:

0

konson. silbisch vorne

V

+ hinten 1+ kontinuierl.J

(C)

Sowohl die Erscheinungen der Brechung als auch die des Umlautes sind letztlich Assimilationsvorgänge und lassen sich darauf zurückführen, daß die Silbengrenzen unter dem Einfluß des starken germanischen Intensitätsakzents ihre Grenzmarkierung eingebüßt hatten. ' 2.1.7. Neben den einfachen Vokalen besaß des Germ, natürlich auch D i p h t h o n g e , die teilweise der idg. Überlieferung entstammen, und teilweise jüngeren Ursprungs sind. Für das Gemeingermanische können die folgenden Diphthonge angenommen werden: ai (< *OI, *AI) mit späterer Monophthongierung: *WOIDA "ich weiß" > *uait > got. wait (ai = [ ]!), ags. wät, as. afries. wet oder durnerhin mit verminderter Distanz zwischen den beiden Vokalen: ahd. weiz aisl. Veit); au (< *OU, *AU): Wurzel *AUG- (lat. augere "wachsen, vermehren") > *aukanan > got. aukan (au = [o]!), aisl. auka ags. eaeian mit späterer Monophthongierung: äs. ökian; eu (< *EU), spärlich bezeugt wegen der nachfolgenden Änderungen, aber sicher rekonstruierbar schon wegen der morphophonemischen Alternanzen der starken Verben der II. Klasse, eu findet sich noch in der Runeninschrift auf der Fibel von Nordendorf (Anfang des 6. Jh.): leubwinix und in der von Schulerloch (6./7, Jh.) birg, leub. selbrade - falls sie authentisch ist. Aus denselben Donauraum ist weiter leubo belegt (Schretzheim, 7. Jh.). Sonst herrscht die Tendenz vor, eu zu iu, io zu schließen: Wurzel *GEUS- (lat. gustäre) > got. kiusan, aisl.

30

kiosa ags. aeosan (> engl. ohoose "wählen") ahd. aheosan, kiosan (nhd. kiesen) . Es ist also klar, daß die Diphthonge biphonematisch den Lautwert der zwei Einzelvokale behalten, wobei jeder von ihnen die Änderungen erlebt, die er auch als Einzellaut erfahren hätte. So erhält sich auch der Diphthong *YU (: *juüungaz aus *YUv"JNKQS - vgl. lat. iuoenous - daraus ahd. äs. afries. Jung ags. geong O > engl. young) und nimmt, wie wir schon gesehen haben, auch die von *EU stamnenden Diphthonge auf. *EI schließlich gibt 1 (< ii): Wurzel *STEIGH- "schreiten", "steigen" > got. steigan (ei = [i:] nach dem i^odell der griech. Schreibung im Neuen Testament), aisl. afries. stlga ags. äs. und ahd. sttgan "steigen". 2.2.

Der Konsonantismus

Durch Vergleich der germ. Sprachen in ihren ältesten Phasen kann man das folgende Konsonantensystem als Ausgangspunkt für das Gemeingerm, rekonstruieren, mit den zwei Kategorien Cbstruenten (Verschlußlaute und Spiranten) und Sonanten (Nasale, Liquide und Halbvokale):44

Cbstruenten [

labial p f B (b)

dental velar (labiovelar) t b 3 (d) k 4 (g) kw xw -gw (gw) ,. S (Z)

m

Sonanten

n l r

·{ w

( ) j

Die Labiovelare stehen in Klammern, weil ihre Existenz nur im Got. bezeugt ist (und zwar , geschrieben & (hier hv) und JQ ), während in den anderen Sprachen die Entwicklung der alten Labiovelare keinen Unterschied zu den Verbindungen Velar+ w zeigt. Die stiitmhaften Verschlußlaute (b d g (und gW) ) erscheinen, wie wir noch sehen werden, als Stellungsvarianten der entsprechenden Spiranten (ß 3 -g (und jg- w )). Dasselbe gilt für bezüglich n (vgl. § 2 . 2 . 4 . ) . Was die Verschlußlaute betrifft, haben wir also ein System mit drei Elementen, die sich in den Merkmalen [± stimmhaft] (z. B. p.f * (b)) und [± dauernd] (beim Kontrast der Spiranten/Verschlußlaute: z. 3. f,ß (b)) unterscheiden. Wach seinen distinktiven Merkmalen stellt sich das germ. System wie folgt dar:45 W

f

l

W

31

silbisch sonantisch konsonantisch nasal stimmhaft dauernd koronal vorne hinten zischend

p b (B) t d (9) - - - --

k g (g1) - - -

+

- + - --+

+ +

-+ ++

f p s z x m n l r w j _ _ _ _ - - - - - + + + +(+)(+) (-)(-) ++ - - - + + + + + + + + ++ - + + + — +++ — ++ +

Ein stimmhafter Obstruent (z. B. /b (&)/), der nicht spezifiziert ist hinsichtlich des Merkmals [dauernd], steht auf diese Weise sowohl zu /f/ als auch zu /p/ durch das Merkmal Ostimmhaft] in Opposition, während /p/ gleichzeitig zu /f/ durch das Merkmal [-dauernd] in Opposition steht. Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, daß die idg. stimmhaften Aspiratae im Germanischen je nach ihrem phonetischen Kontext entweder als stinmhafte Verschlußlaute oder als stimmhafte Spiranten in Erscheinung treten je nach dem phonetischen Kontext ihrer Positionen: *BH > b/ -l l (d. h. am Beginn eines Wortes und nach Nasal) und in den Geminaten; sonst aber BH > E>.46 2.2.1. In Hinsicht auf das idg. System hat der germ. Konsonantismus eine tiefgreifende Veränderung erfahren, die nach Jacob Grimm als Lautvers c h i e b u n g bekannt ist - man spricht daher auch von 'Griitmschen Gesetz1 .47 Das dem Germ, zugrundeliegende idg. Konsonantensystem wird auf folgende Weise rekonstruiert: Aft° labial stimmlos Obstruenten | stimmhaft

Sonanten

stimmh. aspir. Sibilant Nasale ·{ Liquide Halbvokale

dental

*P *B

*T *D

*BH *M

velar *K *G

*DH *GH *S (*Z) *N *L,*R *W *Y

labiovelar *KW *GW

*GWH

Bei den Verschlußlauten kannte das System demnach eine Opposition hinsieht-

32 lieh der Stirrmhaftigkeit [± stimmhaft] *P

* ,*

sowie eine Opposition hin-

sichtlich der Aspiration [+ aspiriert] *BH # *B,*P. In diachronischer Hinsicht kann man folgende Entsprechungen anführen: *P > f:

*P31f:R "Vater" > got. fadar

(wobei d = [3]) ags. f&der (> engl.

father) ; *KIJEP- "stehlen" > got. hlifan; *T > p:

*TKEYES "drei" > got. preis (wobei ei = [i:]); ags. prie (engl. three ) ; *WERT- "drehen" > got. wairpan (wobei ai = [ ] ) ;

*K > h:

*KLEP- "stehlen" > got. hlifan; *WEIK- "kämpfen" > got. weihan;

W

*K

*KWOD "was?" > got. hva ags. hwst (> engl. what);

> hv:

*LEIKW- "lassen" > got. leihvan; *B > p: 49

*DHECJB- "tief" > got. diups ags. d8op (> engl. deep)

*D > t-

*DEM- "bauen" > got. timbrjan; *POD- "Fuß" > got. fötus ags. föt

(> engl. foot)

*G > k:

*GEL(3)- "frieren" > got. kalds ags. c(e)ald

(> engl. cold);

*GW > T^:

*GWEM- "sich bewegen" > got. qiman (wobei q = [kv]) ags. oiman (> engl. come) ; *EEGWOS "Finsternis" > got. riqis;

*BH > ^5:^° *BHEID- "spalten" > got. beitan ags. bitan (> engl. bite); *LEUBH- "lieben" > got. liuba (b = [ß]) ags. lufu

(> engl.

love) ; >

*DH > ,3 ^- *DHUR- "Türe" > got. daur (au = [o]) ags. dor (> engl. door) ; *GH > g,&:

c/-\

*GHOSTIS "Frender" > got. gasts ags. giest (engl. guest < aisl. gestr) ; *STEIGH- "voranschreiten" > got. steigan (eig = [iug·]);

W

*G H > gw,#w,g,w:^ *SENGWH- "singen" > got. siggwan (gg = [ng]) ags. singan (> engl. sing) ; *GWHEN- "töten" > aisl. gudr "Schlacht" und ags. güp (< *gun*GWHORyDS "warm" > got. uarm-jan "wärmen" ags. warm (= engl.). Diese Reihe von Veränderungen erweckt tatsächlich den Eindruck einer Verschiebung, z. B. in der Reihe der Labiale:

33

(I)

sr Aspiratae ./ Tenues (*P,*T,*K,*KW)

(*BH, *DH, *GH, *GWH)
p , *T > t usw., und zwar: C

- stimmhaft l - aspiriert]

C

, [+ asp]

r

oder

- stiitmhaftl

[+ gespannt]

- gespannt J CQ

wodurch tatsächlich das leere Fach im Diagramm (II) gefüllt würde. Phonetisch betrachtet, bereitet der Übergang p > p keine Schwierigkeiten wie die Phonetiker der vergangenen Generation sehr wohl bemerkt hatten·^ wenn man nämlich den starken Aushaucheffekt beim germanischen Akzent mitberücksichtigt: *P + vok > ph vok

Auch vom Standpunkt der distinktiven Merkmale aus betrachtet, sind es im Ausgangssystem des Idg. die stimmlosen Laute, die am ehesten zu Veränderungen tendieren wegen der Redundanz des Merkmals [gespannt]:

35 *P

(III)

*BH

stimmhaft gespannt

*B

61

wo das Merkaml von *P [- gespannt] redundant ist, da *P ja bereits zu *BH, dem zentralen Glied der Opposition mit drei Elementen, als [- stimmhaft]· gegenüber [+ stirrmhaft] in Opposition steht, und zu *B wiederum als [- stimmhaft] gegenüber [+ stimmhaft]. Das Schema der einzelnen Fächer würde sich an diesem Punkt bei gleichen Parametern wie folgt darstellen: (IV)

+ aspiriert + stiitmhaf t *BH - stimmh. Ph

- aspiriert *B

Der zweite Akt der Lautverschiebung besteht sodann in der Lenisierung der Verschlußlaute zu Reibelauten, von der Fourquet spricht (vgl. Anm. 58): p > f, th > p, kh > und gleichzeitig *BH > (b), *DH > 3 (d), *GH > q (g), während die stimmhaften Laute ebenfalls zu einer lenisierten Aussprache tendieren: *B = [b], die für die germ. Sprachen auch in späterer Zeit charakteristisch ist.62 An diesem Punkt hat sich das idg. System [*P ~ *BH ~ *B] verändert zu [f

~ *B]

d. h. als zweifache Beziehung von Stimmhaftigkeit und Dauer: (V)

+ stürmh. - stimmh.

-l- dauernd

- dauernd

6

*B

f

das zentrale Glied darstellt, das sich zu /f/ durch [+ stimmh.] in Opposition befindet und zu /b/ (das idg. *B) durch [+ dauernd]. Das Merkmal [+ stimmh.] für /b/ ist redundant, weil /b/ sowohl zu /f/ als auch zu /b/ durch [- dauernd] in Opposition steht. Der Übergang von [+ stiitmh.] -> [- stimmh.] (d. h. *B > p, *D > t, usw.) der die Lautverschiebung abschließt und das leere Fach der stimmlosen Verschlußlaute füllt, ist nun leicht zu verstehen, wenn man bedenkt, daß [p] vom Standpunkt der allgemeinen Phonologie aus im Paar [p] ~ [b] das nicht markierte Element darstellt.63

wobei /B/ V_

36

Wir gelangen somit zum System des Gemeingermanischen: /f / ~ /p/ ~ /B/

stinmloser Reibelaut, stimmloser Verschlußlaut urd stimmhafter Reibelaut, mit /p/ als zentralem Glied:

(VI) + stimmh. - stimnh.

+ dauernd b f

- dauernd P

oder: /f/

/P/

stimmhaft dauernd

+ +

Wenn wir nun die nicht-zentrale Rolle von /B/ mit dem redundanten Merkmal [+ dauernd] berücksichtigen und dazu das leere Fach in (VI), dann ist leicht einzusehen, daß es zur Entstehung eines [b] gekommen ist, des stiitmhaften Verschlußlautes. Wir haben ja schon bei den Beispielen aus 2.2.1. gesehen, daß die stimmhaften Verschlußlaute als Stellungsvarianten der stimmhaften Reibelaute am Wbrtanfang und nach Nasal vorkamen: /b,B/ schon im Gemeingerm. mit Aufhebung des Merkmals [dauernd]. Wenn wir mit King annehmen, die zugrundeliegende Form habe imner /£>/, dann muß folgende Regel gelten: + obstruent + stimmhaft - zischend

-> [- dauernd]

f{+*nasar} l

+ obstruent + stimmhaft - zischend

d. h.: die stimmhaften Reibelaute i> $ j$ werden zu stimmhaften b d g am Anfang des Wortes, nach Nasal und in der Gemination. Da im Typus bindern "binden" gaggan "gehen" usw. keine Fälle von Wechsel zwischen b u. B, d u. 3 usw. auftreten, hat es hier wenig Sinn - im Gegensatz zu Fällen wie giban "geben" ~ gaf "gab", hlaifs "Brot" (Wem.) ~ hlaibis (Gen.) - zu fragen, welche die zugrunde liegende Form sei: seit dem Gemeingerm, gab es in den erwähnten Beispielen in ganz kohärenter Weise die Formen b-, -nd-, g- und -r\g- in Übereinstimmung mit der Beobachtung zur Präsenz von [b], [d] usw. schon im Gemeingerm.

37

2.2.1.2. Zusammenfassend kann man die einzelnen Fakten der Lautverschiebung vielleicht durch folgendes Schema veranschaulichen:6^ (VII)

I (idg.) II

*BH *BH

III

IV (Gemeingerm.) Die Regel *P > p hat gegenüber *B (> b) > p den Status einer "Bleedingebenso *B > p gegenüber *BH > ß,b. Das heißt, das neue /p/ ist nicht mehr vom Übergang *P (> p ) > /f/ betroffen, und ebensowenig das neue /b/ vom Übergang *B (> b) > /p/: die Regeln sind also chronologisch geordnet.6** 2.2.2. Dieser Hinweis auf die chronologische Ordnung der Regeln der Lautverschiebung führt uns zum sogenannten V e r n e r s c h e n G e s e t z . Bisher haben wir gesehen, daß die idg. stimmlosen Verschlußlaute im Germ, zu stimmlosen Reibelauten werden (*P > f, *D > p usw.). Es gibt jedoch Fälle, wo einem idg. ^ stimmlosen Verschlußlaut ein germ, stimmhafter Reibelaut entspricht: idg. *P31ER 'Vater" > germ. *fa3er (got. fadar isl. fader ags. fsder afries. fader); *SWEKRU- "Schwiegermutter" > germ. *swegux> (ags..* sweger ahd. swigar). Analog dazu die Sonorisierung *S > 2 (*SNUSÄ "Schwiegertochter" > germ. *snuzö, aisl. snor ags. snoru and. snur(a)) . Der dänische Sprachwissenschaftler Karl Verner fand als erster eine Erklärung für diese zweifachen Ergebnisse der idg. stimmlosen Verschlußlaute im Germ. 9 Seine Formulierung des 'Gesetzes' lautet: "Indogerm. k, t, p gingen erst überall in h, p, f über; die so entstandenen tonlosen fricativae nebst der vom indogermanischen ererbten tonlosen fricativa s wurden weiter inlautend bei tönender nachbarschaft selbst tönend, erhielten sich aber als tonlose im nachlaute betonter silben" (loc. cit. S. 114). 2.2.2.1.

Dieser Interpretation zufolge, die wir als traditionell bezeichnen

können, hätten wir *P > / > f>, d. h. eine geordnete Abfolge von Regeln:

(i.) *P > f (ii.) f > & wobei die Bedingungen für (ii.) auf folgende Weise ausgedrückt werden können:

38

+ obstruent

+ stimnh. ->

+ dauernd

[+ stimmh.]

[+ stimnh.] - akzentuiert

d. h., die Reibelaute werden stittmhaft in stimnhaftem Kontext, wenn ihnen ein unbetontes Segment vorangeht.^0 Aus dieser Formulierung der Regel, sowie aus den in den Anmerkungen wiedergegebenen, geht eindeutig die negative Bedingung hervor, die der Akzent darstellt: nur wenn der Akzent nicht auf die unmittelbar vorhergehende Silbe fiel, erfuhr der Konsonant in stintnhaf ter Umgebung die in der Vernerschen Regel beschriebene Sonorisierung. Die Sonorisierung der idg. stimmlosen Laute hängt daher von der Variable Akzent ab, die es im Germ, eigentlich gar nicht mehr geben dürfte (vgl. oben § 2.1.) » da sich der germ. Akzent gegen Ende der 1. Periode ('Protogermanisch1 : § 1.3.1.) auf der Stammsilbe fixiert. Und gerade diese Beobachtung bereitet der traditionellen Erklärung des 'Gesetzes' (*P > f > b) erhebliche Schwierigkeiten. Wenn nämlich die oben gegebene Interpretation der Lautverschiebung richtig ist (§ 2.2.1 .1 .) , dann steht ihr erster Akt in enger Verbindung mit dem festen Akzent der Intensität (*P > p -) , während das Vernersche Gesetz eindeutig mit dem freien (musikalischen) Akzent des Idg. zu tun hat, wie wir später, bei der Behandlung des "grammatischen Wechsels1 noch genauer sehen werden (Morphophonemlk: § 6.1 .2.). Das Vernersche Gesetz muß daher dem Grimmschen vorangehen. Wir bekommen daher nicht *P (> p ) > / > & , sondern *P > E>. Die aus den stimmlosen Verschlußlauten hervorgegangenen stirrtnhaf ten Reibelaute (b % jzfl fallen auf diese Weise mit den stirtnihaften Reibelauten zusammen, die aus den idg. stinmhaften Aspiratae stairmen, und erfahren sodann dieselbe Entspirantisierung zu jenen Lauten, die ursprünglich bloße allophone Varianten der stittrtihaf ten Reibelaute waren ( : /& b/ sodann /£>/ > /b/) . Die Regel für die Sonorisierung der stiumlosen Laute ist daher: + obstruentl

- dauernd

/ + stiirmhaft L~ akzentuiert L~

stlnrnhJ71

oder in informeller Schreibung, indem betont wird, daß *P *T *K *S im Germ. zwei unterschiedliche Fortsetzungen haben (Grimmsches und Vernersches Gesetz)

39

konsonantA ~[ + dauernd l v+ zischend /

W

*P *T *K (*K ) *S —> { I £ J £w> J

+ stimmh. -

akzent.JI

[+ stimmh.]

Diese Interpretation72 hat gegenüber der traditionellen, die auch von den Generativisten aufgenonmen wurde,7^ den Vorteil, daß sie zwei unterschiedliche Resultate (*P > /, >) auf ein einziges Prinzip zurückführt, nämlich auf die Abhängigkeit von einer Variable (dam freien Akzent), während die andere Interpretation (*P > / > 5) das Vernersche Gesetz nach dem Grirumschen ansetzen muß, was zu den schon erwähnten Schwierigkeiten führt.

Von Gesichtspunkt

der phonetischen Artikulation aus gesehen, gibt sich das Vernersche Gesetz als ganz normale Lenisierungs- und Sonorisierungsprozeß der stduinlosen Verschlußlaute und des stimmlosen *S in stimmhafter Umgebung zu erkennen, für die man genügend andere Beispiele kennt (vgl. vulg. lat. foau > span, fuego /'fweyo/; patre afr. pathre mit /3/, das später verschwand (franz. peve); poteve > ital. podere), auch in Bezug auf die Position des Akzents, z. B. venezianisch [li'yaa(o)](ital. legato) > [li'ya], mit Verlust des dentalen Reibelauts, aber [liva'^ura] (ital. legatura).7;> Der unmittelbar vorhergehende Akzent verwickelt den nachfolgenden Konsonanten in seine Artikulationsspannung und dieser wird verschoben und zeigt sich, wenn verschoben, als Fortis f,p,x,s (: [+ gespannt]) an Stelle von Lenis f>,3,ef,z spannt]).76

(: [-ge-

Der Akzent stellt also, wie schon gesagt, eine negative Bedingung dar für den Übergang zu jenem Zustand der Stirnnhaftigkeit, den die Phonologen für einen Konsonanten zwischen Vokalen oder in stiumhaf ter Umgebung als nicht-markiert (d. h. natürlich) ansehen:77 -p > -6. Das Vernersche Gesetz sollte demnach betrachtet werden als Assimilation der benachbarten Laute an Hag Merkmal [+ Stimnhaftigkeit]. Es handelt sich dabei, wie auch die zitierten Beispiele aus den romanischen Sprachen gezeigt haben, um eine ziemlich weit verbreitete Vereinfachungsregel . 2.2.2.1.1.

Schließlich soll noch auf die Hypothese von W. H. Bennett hinge-

wiesen werden, derzufolge auch die Proclitica von Vernerschen Gesetz betroffen worden seien: *KQMr- (vgl. lat. oum) > *ga(n)-; z. B. *KGMMDINIS > lat. commünis, got. gcanains dt. gemein; ebenso im modernen Engl. the man [3a'maen], und nicht **[

'

], is a man [izae'maen] und nicht **[isaE'maen].

40

2.2.2.2. Die Anordnung der Regeln, die das Grimmsche und das Vernersche Gesetz zusammenfassen, kann abschließend auf folgende Weise dargestellt werden (vgl. 2.2.1.2.): (1.)

+ C -_ (2.) "" L (3.) (4.)

obstruent sonant stimmhaft stimmh. l aspiriert] aspiriert]

(Vernersches Gesetz) > [+ aspir.] / außer in (1.): z. B. -*P > -ph ( 1 ^ Akfc der Lautverschiebung)

[- dauernd] > [+ dauernd]: z. B. p > f und *BH > £>, dessen Ergebnis mit dem aus (1.) zusammenfällt. [+ stiirroh.] > [- stimmhaft]: z. B. *B > p. 79

Man kann dazu noch anmerken, daß man im Germ, niemals f für *BH findet. Das bedeutet, daß es keinen allophonen Wechsel **/f ~ B/ gegeben hat**0 (vgl. übrigens die Minimalpaare bindan : findan, Bier : vier, brown : frown, usw.). Wo man den Wechsel f ~ findet (z. B. got. hlaifs (Nom.) : hlaibis [hleßis] (Gen.) "Brot": vgl. § 2.2.6.), ist er morphophonemischer Natur. Laut (3.) ist ja der Übergang p > f gleichzeitig mit *BH > E>; in der ersten Phase des Germ, müssen daher zwei verschiedene Entwicklungen der stimmlosen Verschlußlaute angenommen werden: *P > E> auf der Grundlage von (1.) und *P > p auf der Grundlage von (2.) (also kein direkter Übergang *P > f , der Verwirrungen zwischen Allophonen stiften würde, die überhaupt nicht bezeugt sind). ft1 Zur absoluten Chronologie von Lautverschiebung und Vernerschem Gesetz vgl. § 1.3.1. 2.2.3. Wie schon in Abschnitt 2.2. gesagt wurde, besaß das Germ, einen stimmlosen S i b i l a n t e n idg. Herkunft (: *SEPTM "sieben" > germ. *s{7"}bun > engl. seven dan. syv) zu dem die allophone Variante *Z in stimmhafter Umgebung hinzukam: *SED- "sitzen" > *sitjan > engl. sit schwed. sitta aber *NI-ZD-OS "Nest" von der Nullstufe des Stammes gebildet (vgl. § 6.1.) > altslawisch gnezdo.82 Als Ergebnis des Vernerschen Gesetzes entwickelt sich im Germ, ein stiimihafter Sibilant als eigenständiges Phonem (§ 2.2.2.), das im Nord, und in den Dialekten des Westgerm, zu r wird, im Runischen zu Ä: *WESME > ags. uaeron, ahd. warum aisl. vfrom. Am Wortende bringt -*S morphologische Probleme mit sich, denn es erscheint

41

in vielen Endungen sowohl im nominalen als auch im verbalen Bereich, bald als -s bald als germ, -z (vgl. § 3.2. .). 2.2.4. Die L i q u i d e des Germ, sind /r/ und /!/, deren Artikulation weit zurückverschoben sein kann, wie man aus den Erscheinungen der vokalischen Brechung entnehmen kann (§ 2.1.6.). Die idg. sonantischen Liquide R, L haben O O den unterstützenden Vokal u entwickelt (§ 2.1.2.1.). Die Nasale sind /m/ und /n/. Es gibt auch den velaren Nasal [ ] vor den Velarlauten: got. siggwan ['singwan] ags. ahd. singan, engl. sing [sin] "singen"; seine Distribution ist jedoch kcrrplementär zu /n/, und es handelt sich daher nicht um ein autonomes Phonem; wie etwa im Engl., wo sing [sin] "singen" in Opposition steht zu sin [sin] "sündigen".^3 Die idg. sonantischen Nasale M, N entwickeln den unterstützenden Vokal 0 * 0 u (§ 2.1.2.1.). Es scheint daher nicht sinnvoll, bei der Beschreibung des germ, phonologischen Systems eine eigene Sektion für die Sonanten vorzusehen, die ja als solche nicht mehr existieren. In den einzelnen germ. Sprachen sind sodann neue Sonanten entstanden und zwar in Anschluß an den Verlust der unbetonten Vokale: got. tag l "Haar" (< *DOKLO-?), tagr "Träne" (< *DAKMJ-), maibms "Geschenk" ibns "gleich", u. ä. m.; vgl. dt. Gürtel, sieben oft realisiert als ['gyrtl], ['si:bn], engl. bottle ['bwtl], broken t'brsukg]. 3

2.2.5. /j/ und /w/ sind die v o k a l i s c h e n S o n a n t e n , unterschieden durch [- hinten], bzw. [+ hinten]. Sie stammen von den idg. Halbvokalen: *YUGQM "Joch" (lat. iugim) > *jukan > got. juk ags. jeoo (engl. yoke) aisl. ok (dän. aag) ahd. joh; *WPDHO- "Wort" (lat. verbum) > *worda > got. waurd ags. word (engl. word) aisl. or3 (dän. ord) ahd. wort. Zur Distribution der Liquide und Nasale und zu ihren Veränderungen (in der Hauptsache jedoch in der nach-gemeingermanischen Periode) s. die nachfolgenden Abschnitte. 2.2.6. Die german. Konsonanten (Verschlußlaute, Spiranten und Sonanten) können in vier verschiedenen K o n t e x t p o s i t i o n e n erscheinen: a) am Anfang des Wortes; b) im Wortinneren als Geminate zwischen Vokalen; c) im Wortinneren als einfacher Konsonant; d) am Wortende. Wenn wir die Labiovelare unberücksichtigt lassen (sind sie mono- oder biphonematisch? vgl. § 2.2.), dann

42

bekamen wir folgende Möglichkeiten:"^

p- -ppf- -ffb- -bb-

m-

-nm-

w- -\M-

-p-f-B-

-m-

-^w-

-p

t-

-f -b

P-

-m

ds-

-tt-bb-dd-ss-

-t-b-3— s~~ -z-

n1r-

-nn-11-rr-

-n-1-r-

-P

kh-

-3

g-

-kk- -k-xx- -x-gg-

j-

-jj-

-t

-k -x

-s -z -n -1

-r

-w

-j-

-

Aus diesem Schema ist ersichtlich, daß /h-, -x(x)-, -x/ als Stellungsvarianten eingeführt werden, ebenso der Wechsel zwischen stimmhaftem Verschlußlaut am Wbrtanfang und stimmhaftem Spiranten zwischen Vokalen: /z/ schließlich wird nicht in Anfangsstellung und auch nicht in der Gemination angeführt. Ein spezielles Problem stellen die stimmhaften Spiranten im Wbrtauslaut dar. Im Got. wurde jeder stirnnhafte Spirant im Wortauslaut oder vor -s desonor isiert: obstruentl + dauernd J

_

l L"

stM1mhaft

#

Wir erhalten somit Wechsel von hlaiba (Dat. Sg.) [ 'hleßa] vs. hlaif (Akk.) , hlaifs (Nom.) "Brot"; stada (Dat. Sg.) ['sta3a] vs. & (Akk.), sto^s (Nom.) "Stätte" und auch giban (Inf.) [ 'gifjan] vs. gaf "gab".85 Auch im Runischen gilt dieselbe Desonorisierungsregel : gAf vs. g-ibu, mit der Ausnahme, daß -R nicht zu -s wird: meR. Vgl. aisl. gaf und gefa Inf., baub "ich bot" (= got. baujpl) und b-iöba Inf. (got. aber biudan!) , usw. Ags. geaf und giefan "geben", engl. give, fleah (-g) "ich flog" vs. fleogan (mit [g·]) (engl. /ly) . Afries. ief vs. und fläch vs. fl-iaga. As. ^a/ vs. g'eßan und /Zo/z vs. fliogan (mit -[g1]-) .

/

Wenn man die weite Verbreitung dieses Phänomens berücksichtigt und dazu den Unstand, daß die Desonorisierung der Spiranten zu einem umf angreicheren und allgemeinen Desonorisierungsprozeß gehört (vgl. Arm. 86), dann ist

anzunehmen,

daß die stimmhaften Spiranten schon im Germ, im Auslaut zu stimmlosen Spiranten wurden; eine idg. stimmhafte Aspirata hat demnach drei verschiedene Entwicklungen im Germ.: *BH > 1. -6-; 2. -f;

3. b-.

Im rekonstruierten Idg. finden sich keine Geminate, die hingegen häufig

43

im Germ, aufscheinen, vor allem Liquide, Nasale und Halbvokale, als Geminationen in expressiven Ausdrücken, beim Schwund von unbetonten Vokalen und bei Assimilationen.^ 2.2.6.1.

Stimmhafte

Geminate

finden sich im Got. fast ausschließ-

lich in Entlehnungen des Typs sabbato (es fehlen Beispiele für -gg-). Häufiger finden sie sich im Nord., allerdings in Wörtern unklarer Etymologie wie Trabbi "Krabbe" (ags. arabba > engl. crab, nhd. Krabbe < mnd. krabbe), kobbi "Seehund" lubba "Dorsch", koddi "Sack, Hodensack" (ags. oodd, mnd. kodde), kaggi "Faß" u. ä. m. über den Ursprung dieser Geminate - für die die Runeninschriften natürlich keine Belege bieten, weil Doppelkonsonanten nicht graphisch realisiert oo wurden - wird schon lange diskutiert, aber bisher hat diese Diskussion keine befriedigenden Ergebnisse erbracht. Zu den got. Konsonantenverbindungen -ddj ggw- und zum nord. -ggj ggvs. den nächsten Abschnitt (2.2.6.2.). Zu den Konsonantengeminationen im Westgerm, s. § 2.2.6.3. Hier sollen noch Fälle wie die aisl. Gemination in ntfkkvegr "nackt" < *NOG O/ EDHOS (got. naqabs engl. naked) erwähnt werden, mit Verdoppelung des k vor w (biphonematische Sequenz), sowie rvkkr "Finsternis" < *rekwaz < *EBGWOS (gr. erebos) (got. riqis) . Beispiele für stimmlose Geminate im Got. sind sakkus "Sack", snakka "Feige" (Entlehnungen), skatts 'Vermögen, Geld, Schatz", atta "Vater" (aus dem Wortschatz der Kindersprache entnommen), also Einzelfälle, die nicht ausreichen, um die Existenz stimmloser Ganinate im Germ, zu belegen. Im Anschluß an den Wegfall unbetonter Vokale haben wir Präterita wie ahd. sautta und ratta. neben scutita und retita von scutten "schütteln" bzw. retten, aisl. latta "ich verhinderte" < *latiSo, u. ä. An Assimilationsprozesse wie *PN, *BN, *BHN > pp hat man gedacht, um die seltenen Fälle zu erklären wie ahd. leckön "lecken" (wurde mit gr. liohneuein verglichen), sowie ags. friaoea "Herold" < *fri&m,-; niederl. kloppen "klopfen" < *klofm-; aisl. snoppa "Schnauze" < *sttc>f>z-.89 Da got. fraihnan "verlangen" ohne Assimilation aufscheint, da weiters ahd. kloppen auch ein ahd. chlaphon entspricht, weiters snoppa und nhd. schnauben, können diese Geminate nicht auf einen Assimilationsprozeß der Nasale im Gemeingerman. zurückgeführt werden; ^ während man an Geminationen expressiver Natur aus späterer Zeit denken könnte (man bedenke, daß es sich oft um Verben handelt, die Geräusche ausdrücken wie klopfen) . Daraus ist zu schließen, daß die stinmlosen Geminate, auch wenn man sie für das Gemeingerm, nicht ganz ausschließen kann, so doch eine sehr niedrige Frequenz gehabt haben müssen und auf einige bevorzugte semantische Bereiche be-

44

schränkt waren (Tiernamen, Kosenamen - d. h. stark verkürzte Namen: got. Segga, and. Siouo vgl. dagegen Sigi-merus, Sigi-bertus u. ä.; Otto und dagegen Odoberht, Odo-wavt u. ä., Friddo, Fritto und dagegen Fridi-viaus u. ä.; Intensivund Iterativverben wie ahd. zockon "sich aneignen" (aus "heftig ziehen" vgl. and. ziohan > mhd. ziehen), itihd. bocken "niederschlagen" (vgl. ahd. biogan > nhd. biegen); onomatopoetische Bildungen wie das schon behandelte kloppen und tropfen). 91 Viel besser belegt sind -ss-, -II-, -n»-, -mm-, -nn- und -ww-, -33-, letztere mit speziellen Erscheinungen: vgl. missa- Präfix mit negativer Bedeutung, s. got. missadeps "Fehler" (nhd. Missetat), ags. as. bill "Schwert" < *BHID-I/>(Wurzel *BHEID- "spalten": Assimilation vor der Lautverschiebung); got. wulla. "Wolle" (engl. wool) < *WLNA durch Assimilation; qairrus "freundlich", fairra "fern"92 (engl. far); pamma (Dat. Sg. des Demonstrativpron.: ai. tasmäi); kinnus "Wange" (dt. Kinn, eng. chin) < *GENW- und aisl. tvennr "doppelt" ags. twinn "Zwilling" < *DWISNO (vgl. lat. blnl) durch Assimilation. Besonders starken Zuwachs erhielten die sibilantischen Geminaten aus den Verbindungen *TT und *TS: *SED-TOS Part. Prät. von *SED- "sitzen" > *SETIOS (lat. sessus) > aisl. ags. äs. sess "Sitz", *WID-TOS Part. Prät. von *WEID"sehen, kennen" > *WITTOS (lat. vlsus) > ahd. gi-wisso > gewiss, so wie auch das schon erwähnte missa- < *

- - (ai. mithas "gegenseitig"); *WIDS-NT >

*wits- > *wiss- > ahd. wiss-un "sie wußten" (gr. isan). ·* Wie die lat. Vergleichsbeispiele zeigen (und die keltischen: visus = airl. fiss) ist die Entwicklung zu -ss(-) vorgennanisch. 2.2.6.2.

Die halbvokalischen Geminate des Germ, ^ww- und -jj- sind das Er-

gebnis der sogenannten

V e r s c h ä r f u n g 94

schen Vokalen nach kurzer Wurzelsilbe: n

der Halbvokale *Y, *W zwi-

*SKUWÄ->germ.*skuwaa "Spiegel",

*DH3-YONCM > *dajja-na . Im Got. ergibt dieses - ?

ggw- [ngw]: skuggwa

(aisl. skugg-sjä), während es im Ags. und im Dt. zu einem Diphthong führt,

in-

dem sich der erste Halbvokal mit dem vorangehenden Vokal verbindet: ags. sau(w)a ahd. scüao (vgl. noch got. glaggwo "genau" ags. gleau ahd. glau "intelligent", u. ä. m . ) . Auf analoge Weise -33- > got. -ddj- [j:]: daddy an "stillen" (altschwed. dsggja), aber ahd. taju (1. P. Präs. Ind.) "ich stille". Vgl. noch got. zwaddje

(Gen.) "der zwei" ahd. zweiio < germ. *taajjö

; got. triggwa

"Pakt" aisl. tryggva ahd. tviuaa "Treue" < germ. *tveiM>ö, u. ä. m. 2.2.6.3.

In den westlichen Dialekten des Germ, gibt es einen großen Zuwachs

von Geminaten durch die sogenannte

w e s t g e r m a n i s c h eK o n -

45

s o n a n t e n - V e r d o p p e l u n g Vor Sonanten (m, n, r, l, j ,

oder -Dehnung.

) tendieren fast alle Konsonanten zur Ver-

doppelung: am häufigsten vor j, manchmal vor r, l', am sei testen vor w, m, n: got. bidjan aisl. biSja hingegen äs. biddian ags. biddan ahd. bitten·, aisl. fremja hingegen äs. fremmian ags. fremman ahd. frerrmen "vollbringen"; got. hugjan hingegen äs. huggian ags. hycgan ahd. huggen/hucken "nachdenken"; got. akrs aisl. akr (< *akraz < *AGROS: lat. ager) hingegen as. akkar and. ackar afries. ekker "Acker"; got. hlütrs "lauter" (< *hlutraz) hingegen äs. hlüttar ags. hlüttor (später hlütor) ahd. hlüttar (später (h)lütar lauter); aisl. epli "Apfel" (< *aplja-) ahd. apfel,-ul

hingegen ags. sppel

> nhd.

(> engl. apple)

(< *aplaz); got. leitils aisl. litill "klein" (< *litilaz) hin-

gegen äs. luttil ahd. luzzil > mhd. lützel (vgl. engl. little) (< *liutlaz), u. ä. m. 97

Die Verdoppelung von k vor

wurde schon erwähnt (dt. nackt < ahd. nahhud,

aisl. n0kkve3r altschwed. nakvidher < *nakwipaz: vgl. § 2.2.6.1.); dieses Phänomen ist nicht nur für das Westgerm, charakteristisch. Selten sind, wie schon gesagt, Geminationen vor Nasal: ahd. trucknen > nhd.

trocknen (trans.) < *druknan. In der rigorosen Sicht der Verzweigung des

germanischen Stanmbaums (vgl. § 1.1.) wollte man diese Gemination unterscheiden von den Fällen von Verdoppelung der stimmlosen Verschlußlaute wie leckon und kloppen, die auf die gemeingerm. Periode zurückgeführt werden können (vgl. § 2.2.6.1.) weil "von einer Assimilation des zweiten Lautes an den ersten keine Rede sein kann";9

die Beispiele, die normalerweise angeführt werden (ahd.

trakko neben tracho < lat. draco "Drache", bakko "Bäcker" neben bacho, brocc(h)o nhd. Brocken neben got. gabruka "Brocken" und gebrochen, u. ä.

QQ

) unter-

scheiden sich nicht von jenen des Typs leckon, die auf Assimilation -kn- > -kk- zurückgeführt werden können. Die Kbnsonantengemination fand vor der zweiten (der hochdeutschen) Lautverschiebung statt, wie zu ersehen ist aus: *satjan (got. satjan) > *settjan (äs. settian, ags. settan, afries. setta) > ahd. setzen, wobei -tt- > -tz-; *apla > *appla (ags. sppel, mnd. appel) > ahd. apfel, wobei -pp- > -pf-, usw. Somit steht die 'westgermanische Gemination', wie schon erwähnt, in Zusammenhang mit der oben behandelten Gemination des Gemeingerm, (vgl. § 2.2.6.1.), ohne daß es möglich wäre, zwischen der einen und der anderen eine genaue Grenzlinie zu ziehen (s. z. B. den Fall von nvkkvedr ~ nahhud). Außerdem ist die Gemination jünger als der Schwund der unbetonten Vokale: *AGBDS > *akraz > akrz > got. akrs aisl. akr hingegen ahd. ackar,-er äs. akkar afries. ekker; *aplaz > *aplz > ahd. apful

afries. äs. appel ags. sppel, usw., mit der Ent-

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Wicklung eines neuen unterstützenden Vokals für den Sonanten (vgl. § 2 . 2 . 4 . ) . Auch die Entlehnungen aus dem Lat. sind von der Genination betroffen: apium "Eppich, Sellerie" > ahd. epfi; putiwn (< puteum "Brunnen") > ahd. p(h)uzz-L, ags. pytt usw. Nach der traditionellen Interpretation wären diese Ausdrücke vor der Konsonantengemination entlehnt worden, welche somit ins 3. - 5. Jh. v. Chr. zu datieren wäre; jüngst wurde jedoch eingewendet, daß die lat. Lehnwörter kein Beweis für eine so späte Datierung der Gemination sind, weil ein Lehnwort sich unweigerlich an die phonotaktischen Regeln anpaßt, die in der Sprache gelten, in die das Wort aufgenommen wird.'^ Auf Grund der noch wirksamen Regel für die Gemination

CVOCj-

mußte eine Lautstruktur wie [pütj-] notwendigerweise entweder zu *p(h)üzi werden (vgl. (h)tutor, Arm. 96) oder zu p(h)üzzi. Die Gemination brachte auf jeden Fall ein Schließen der Silbe mit sich (: CVC-Cj) in Hinblick auf die Neuverteilung der Silbenquantität (§ 2.1.2.), von der man eine erste Spur schon im Got. beim Wechsel -ji-/-ei- in der Flexion findet ('Sieversches Gesetz1): -ji- nach Kurzvokal in geschlossener Stammsilbe (har-i harjis "Heer", Nom. u. Gen. Sg., ras-: nas-jip "er rettet", die auf Silbenebene als harj-is, nasj-ip zu analysieren sind, da j keine genügende Kraft hat, um nach einem Konsonanten einen Silbenanfang zu konstituieren und daher die vorangehende Silbe schließt) oder aber nach Langvokal oder Diphthong in offener Stanmsilbe (stö-: stoj-ip "er urteilt", siu-: siuj-ip "er näht"); hingegen -ei- (=/i:/) nach langer und geschlossener Stammsilbe (sök- sokeip [*so:-ki:b] aus [*so:kj-ib] "er sucht": in diesem Fall verschmilzt j mit dem nachfolgenden i zu [i:]) oder nach Mehrsilber (riqizeip "es dunkelt", siponeis "Jünger", u. ä. m.). 1O2 Auch diese Beobachtungen bestätigen, daß die Konsonantengemination kein exklusives Charakteristikum des Westgerm, ist. sondern sich einfügt in eine umfassende Tendenz des Germ., die Silben neu zu strukturieren, die man auch mit dem exspiratorischen Akzent in Verbindung gebracht hat J^ 2.2.6.4. Aus diachroner Sicht muß schließlich noch auf den S c h w u n d von Konsonanten hingewiesen werden; diese Konsonanten gehören demnach nicht zu einer Beschreibung des Gemeingerm. aus synchroner Sicht. Der velare Nasal [ ] verschwindet vor /x/ (: [anx] > [a:x]: § 2.1.4.).

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In den Dialekten des sogenannten Ingwäonisch (§ 1.2.) kamt es zu Schwund des Nasals auch vor f, p, s: ags. afries. äs. ftf "fünf" (engl. five), gös "Gans" (engl. goose), ags. as. mü3 "Mund" afries. müth (und nord. mü?r!) hingegen got. fimf, murips and. fünf, gans, mund. Vereinfachung von Konsonantenverbindungen findet man in *9JTYOS "real, effektiv" > got. sunjis "wahr" mit Schwund des Dentals; and. findet man sinnan "reisen, sich begeben" < *sinp-nan, vgl. got. gasinpa, ahd. gisind "Reisebegleiter" oder waskan, ags. wasaan aisl. vaska "waschen" (engl. to wash schwed. vaska) < *wat-skan mit der Wurzel für "Wasser". Der Halbvokal ist geschwunden in got. ga-hardjan as. herdian ahd. herten "verstärken" < *har3wjan, vgl. got. hardus "hart". 2.3.

Typologische Bemerkungen zum germanischen Phonetismus

a. Vokalismus Das Vokalsystem des Gemeingerm, ist ziemlich einfach und benutzt nur eine geringe Zahl von distinktiven Merkmalen für die phonematischen Oppositionen (vgl. § 2.1.1.). Die 'Vierecksanordnung1 der Vokale trägt jedoch die Möglichkeit in sich zu späteren Entwicklungen zu einer 'Dreiecksanordnung' (: §§ 2.1.3. und 2.1.4.). Dabei handelt es sich um einzelsprachliche Entwicklungen in Anschluß an die Abschwächung der Silbengrenze (: § 2.1.5. zum Umlaut, § 2.1.6. zur Brechung), für die es schon in gemeingerm. Zeit Anzeichen gibt (z. B. *WOIDA "ich weiß", zweisilbig > germ. *wait (got. wait, dt. weiß, usw.) einsilbig; auch der Schwund von unbetonten Vokalen im Wortinneren führt zu einer Reduzierung der Silbenzahl eines Wortes: sandte ohne ·£-Umlaut, jedoch Inf. senden < sandjan, äs. sanda/sendian, got. jedoch noch sandida, usw. Die allgemeine Tendenz der jüngeren Entwicklung führt zu erheblich komplizierteren Systemen: das moderne Friesisch hat z. B. folgendes Vokalsystem: 105 lang tief diffus halbtief { gerundet .diffus halbhoch { 'gerundet

kurz a:

a

: D:

e: o: ö: .diffus i: hoch { gerundet ü: u: vorne hinten

D

inartikuliertes a

L

0

i ü vorne

U

hinten

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Hier finden wir vier verschiedene Vokalhöhen (im Geraeingerm. nur zwei), drei verschiedene Grade auf der Achse vorne-hinten(im Gemeingerm, nur zwei: [gerundet] war kein distinktives Merkmal) mit Opposition zwischen diffus und gerundet: L ~ (bit "Loch im Eis" ~ burd [b/\t] "Bart"), i ~ ü (byt [bit] "Biß" ~ but [but] "Beute"). Die Opposition lang ~ kurz wurde schon behandelt (§ 2.1.2.; so auch im Fries.: bekken [beksn], Flur. "Schnäbel" ~ beaken [be:ksn] "Leuchtturm"; aber keine automatische Distribution wie im Isländischen: Vgl. tarn [lam] "lahm" ~ laem [la:m] "Lamm") . Eine ähnliche, wenn nicht noch größere Komplizierung betrifft die Diphthonge: im modernen Fries, gibt es sechzehn davon, während es im Germ, vier waren (: § 2.1.7.). Der größere Reichtum im Vokalismus der heutigen germ. Sprachen in Bezug auf das Gemeingerm, kann vielleicht damit in Verbindung gebracht werden, daß der progressive Schwund der unbetonten Bestandteile des Wortes (in vielen Fällen wird der Vokal im Auslaut zu a reduziert), eine große Zahl von Einsilbern hervorgebracht hat mit der daraus folgenden Notwendigkeit, sowohl lexematische als auch morphematische Oppositionen im Einsilber selbst zu unterscheiden:^° z. B. engl. foot (Sg.) ~ feet (PI,) < germ. *fötuz ~ *fötiz; isl. land "Land" (Sg.) ~ lönd (Pl.) < *lända(n) ~ ländö; Vgl. hierzu auch den Einsatz des Umlauts als Pluralkennzeichen seit dem Mhd.: Mutter ~ Mütter, Vater ~ Väter, u. ä. m. b. Konsonantismus Im Vergleich zum Vokalismus zeigt sich der germ. Konsonantismus, auch in seinen nachgemeingermanischen Entwicklungen, weit stabiler und konservativer mit Ausnahme des Deutschen natürlich, das die zweite Lautverschiebung erlebt (vgl. Arm. 52). In den einzelnen Sprachen konmt es zu einem geringfügigen Ausgleich des gemeingerm. Systans, und zwar zum Übergang der stimmhaften Spiranten in stimmhafte Verschlußlaute (ß > b, 3 > d usw.: vgl. § 2.2.1.1. ind der VI. Phase). Im Großen und Ganzen ist ein Konsonantensystem mit stimmlosen Spiranten ~ stimmhaften Verschlußlauten (bzw. stimmhaften Spiranten) ~ stimmlosen Verschlußlauten typologisch betrachtet, gut ausgewogen, weit ausgewogener als das entsprechende Vierecksystem des Vokalismus. Diachron betrachtet, zeigt sich, daß das Germ., trotz der Umwälzung durch die Lautverschiebung das ursprüngliche idg. System in höherem Maß erhalten hat als andere Sprachen; die aus der Lautverschiebung hervorgegangenen Phoneme sind nämlich durch Bündel von Beziehungen zwischen distinktiven Merkmalen gleicher Koitplexität geschaffen wie die Phoneme des Idg. Nehmen wir dagegen das Lat.,

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das nur in der Reihe der Labiale die Dreiteilung bewahrt /p ~ b ~ f / (bei den Velaren wurde h-, das in vorhistorischer Zeit verschwunden war, in klassischer Zeit wieder eingeführt, aber ohne etymologische Kohärenz) und daher *DH entweder als -d- in einem zweigeteilten System /t ~ d/ wiedergibt, oder überhaupt ^

^

die Artikulationsstelle ändert (: *MEDHYOS > medius und *DHUMOS > fümus) . Natürlich sollte man diesen funktionalen Gesichtspunkt auch nicht überbewerten, als ob die phonetische Realisierung der phonematischen Oppositionen, die im Germ, gegenüber dem idg. Ausgangspunkt so unterschiedlich ist,

ganz

0

unbedeutend sei,^ ' auf jeden Fall kann man von der Typologie her behaupten, daß vom Idg. zum Germ, und zu den germ. Sprachen eine gewisse Kontinuität vorherrscht. 108 Neben diesen konservativen Aspekten finden wir jedoch auch Neuerungen, wie die Entstehung neuer Konsonantenverbindungen in Anschluß an den Schwund der unbetonten Vokale. Im Abschnitt 2.2.6.4. wurden Fälle von Vereinfachungen von Konsonantenverbindungen im Gemeingerm, vorgeführt, wo z. B. nur die Verbindung Spirans + Verschlußlaut ( f t , ht) oder Sibilant + Verschlußlaut (st, zd) erlaubt waren, nicht jedoch die von zwei Verschlußlauten (*pt, kti das erste Element hat die Lautverschiebung mitgemacht). Durch Vokalschwund in unbetonten Silben entwickeln sich jedoch sodann noch komplexere Verbindungen (z. B. engl. first < fyrest, dt. erst < eristo, Herbst < herbist sowie in der Verbalflexion fährst < fares-t(u) schnalzt < schnalzet, u. v. m . ) . Darüberhinaus erscheint auch die Verbindung Spirans + Verschlußlaut wieder: vgl. engl. apt vs. aft "hinter" ndl. naakt vs. naaht, dt. gibt vs. Gift, usw.10^ Auch beim Konsonantismus können wir als letzlich die Tendenz zu einer größeren Komplexität feststellen, obwohl in diesem Fall die nachgemeingermanische Entwicklung keine neuen Phoneme gebracht hat, im Gegensatz zu dem, was sich allgemein im Vokalismus ereignet hat (das Dt. ist natürlich von diesem Urteil ausgeschlossen, weil es die Affrikata [pf, ts, kh] hervorgebracht hat).

50 Anmerkungen 1 Genau das trat in historischer Zeit beim Übergang vom Ahd. zum Mhd. ein: z. B. firstozan, betalöta > verstozen, betel(e)te (nhd. verstoßen, bettelte). 2 Vgl. lordan-Manoliu 1972 (ital. Übers. 1974: 171-4). 3 Vgl. Shane 1972: 199ff., bes. 221f. Unter diesem Gesichtspunkt erhält die Bemerkung von Antonsen 1965: 24 besonderen Wert: "... once the accent has been shifted and fixed, the root syllable is consistently distinguished from all others", und ebda. Anm. 17: "It is primarily the fixation of the stress on the root syllable rather than its dynamic nature which should be noted here". 4 Zur Bedeutung des Akzents für die germ. Sprachen vgl. Meillet 193O: 72: "Die Einführung des Intensitätsakzents in fester Position, nämlich auf der ersten Silbe, war eine Revolution; nichts charakterisiert das Germ, in höherem Maße." 5 Vgl. Reis 1974: 213f. Außer man wollte Fälle wie us-gaggan und ga-sandjan nicht als Komposita sondern als verbale Syntagmen interpretieren wie Bennett 1972. 6 In unserem Zusammenhang ist es nicht notwendig, auf die hochspezialisierte Diskussion zu den verschiedenen bisher vorgeschlagenen Matrices des germ. Vokalismus einzugehen, wobei jeweils unterschiedliche distinktive Merkmale als pertinent erklärt wurden (z. B. Benediktsson 1967: 175 [long, diffuse, acute]; Antonsen 1972: 132 [high / low, spread / rounded]). Für eine kurze Diskussion vgl. Trumper 1976: 2 8 2 f f . , wo folgende Matrix für den protoidg. Vokalismus vorgeschlagen wird, deren Merkmale jedoch auch für den protogerm. Vokalismus Geltung haben müßten:

/i:/ /e:/ /u:/ /o:/ /a : / /i/ /e/ /u/ /o/ /