Ein Caligula unseres Jahrhunderts [Reprint 2018 ed.] 9783111496290, 9783111130101

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Ein Caligula unseres Jahrhunderts [Reprint 2018 ed.]
 9783111496290, 9783111130101

Table of contents :
Vorrede
Capitel I.
Capitel II.
Capitel III.
Capitel IV.
Litteraturverzeichnis

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Ein

a l i g u t a unseres Jahrhunderts

von

Dr. Oscar Martens.

Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer. 1896.

Vorrede. Der Geschichte Süd-Amerikas ist bisher von deutschen Historikern wenig Interesse entgegengebracht worden. Eine kurze Darstellung der Entdeckung und Eroberung dieses Landes, kaum ein paar Worte über die vicekönigliche Periode, einige Daten über den Befreiungskrieg, bei denen die einzelnen Staaten kurzer Hand in einen Topf ge­ worfen werden, und höchstens noch einige Bemerkungen über diesen oder jenen Präsidenten und sein Schicksal, das ist im wesentlichen alles, was Geschichtswerke im Kapitel „Süd-Amerika" anhangsweise bringen. Ein zehn­ jähriger Aufenthalt in dem ehemals spanischen Amerika, der den Verfasser fast in sämtliche dazu gehörende Staaten führte, hat in ihm eine Vorliebe zu dem Stu­ dium der Geschichte dieses, seines zweiten Vaterlandes erweckt. Das vollständige Vertrautsein mit der spanischen Sprache, in der nicht nur die in Betracht kommenden l*

IV

Geschichtswerke, sondern auch alle sonstigen Dokumente und Aktenstücke der Staats- und Privatarchive abgefaßt find, hat ihm die Arbeit erleichtert, oder besser gesagt, möglich gemacht, denn alles, was von Franzosen oder Engländern Geschichtliches hierüber geschrieben worden ist, hat zu sehr einen kompilatorischen Charakter, um als Quelle Beachtung und Bedeutung zu gewinnen. Das nämliche ist man gezwungen von den deutschen hierauf bezüglichen Geschichtswerken oder Aufsätzen zu sagen, könnte aber als Ausnahme Karl Andröe's Werk*) an­ führen, der, obgleich das ethnologische Moment bei ihm immer im Vordergründe steht, doch auch über die Ge­ schichte der La Plata-Länder sehr Schätzenswertes bringt. Hingegen können Schriften wie die von Kuhr**) kaum wohl auf ernstliche Beachtung Anspruch machen, dessen Quellen „Mitteilungen dort ansässiger Deutschen und zu­ verlässiger Reisenden" sind. Es wimmelt denn auch meistens in solchen Werken von Ungenauigkeiten, von falsch verstandenen und am unrechten Ort vorgebrachten Tatsachen.

*) Buenos Aires und die argentinischen Provinzen von Karl Andree. Leipzig 1856. 8°. **) Buenos Aires und der Krieg am La Plata. über soziale Verhältnisse r«. von I. C. Kuhr.

Bemerkungen

Königsberg 1846. 8°.

V Als erstes Resultat meiner Arbeiten auf diesem Ge­ biete erschien im vorigen Jahre das kleine Merkchen über das Staatswesen der Jncas, in dem ich die natürlichen Bedingungen der Entstehung der alten südamerikanischen Kultur klar zu legen versuchte*). verschiedensten

Seiten

Das rege, von den

geäußerte Jntereste,

das

dieser

Schrift entgegengebracht wurde und bald die zweite Aus­ lage veranlaßte, hat mich zu weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete ermuntert.

Der vorliegende Aufsatz führt uns in

die neueste Periode der argentinischen Geschichte, welche mit der Losreißung dieses Staates von dem Mutterlande Spanien beginnt.

Aus dem allgemeinen Bilde dieser

Zeit hebt sich in scharfen Kontouren die Gestalt des Gouverneurs und Generalkapitäns Don Juan Manuel Rosa ab.

Wenn der Verfasier diesen merkwürdigen Mann

den Caligula unseres Jahrhunderts genannt hat, so soll damit nicht ausgedrückt sein, daß eine Parallele zwischen dem Diktator von Buenos Aires und

dem genannten

römischen Kaiser, mit Zirkel und Lineal nachgemessen, als korrekt gefunden werden würde, auch nicht einmal, daß

*) Ein sozialistischer Großstaat vor 400 Jahren.

Die ge­

schichtliche, soziale und politische Grundlage des Reiches Tahuantinsuyu, dem Staatswesen der Jncas, auf dem südamerikanischen Hochlande.

Berlin 1895.

Auflage II.

VI

die meisten Gewohnheiten, Taten und Verbrechen des einen denen des anderen ähnlich seien, wohl aber, daß das Leben und die Regierungsweise des Tyrannen Rosas Vieles enthielt, was den Leser unwillkürlich und unver­ meidlich an den römischen Caligula erinnern wird und erinnern muß.

Capitel I. Mag man der spanischen Kolonialpolitik noch so viel Ver­ kehrtes, Grausames, Kulturfeindliches vorwerfe», und mögen die Vorwürfe im Großen und Ganzen auch berechtigt sein, so müßen wir jedoch auch zugestehen, daß mit der Errichtung des Vice-Königtums in Buenos Aires im Jahre 1776 und der Be­ seitigung vieler Schranken in Bezug auf Handel und Verkehr für die 8a Plata-Länder eine Zeit bedeutenden und schnellen Aufschwungs begann, die bis zum Anfange der Revolutionsbewegungen gegen Spanien fortdauerte. Man war mit den Zu­ ständen im Allgemeinen zustieden, fühlte sich mit dem Mutter­ lande eins, betrachtete dessen Feinde als die eigenen und haßte sie demgemäß. Dieses beweisen die mit so großem Mut und Begeisterung zurückgewiesenen Einfälle der Engländer, besonders der letzte im Jahre 1807. Als dann aber Spanien von dem korsischen Eroberer gleich den meisten anderen europäischen Staaten niedergeworfen und sein Ansehen dadmch in den Kolonim physisch und moralisch zu Gründe gerichtet war, gelang es den unausgesetzten Einflüsterungen der Engländer sowohl als der Franzosen in den La Plata-Ländem Freiheitsbewegungen hervorzurufen. Man wies fortwährend auf das Beispiel der

2 Vereinigten Staaten von Nord-Amerika hin, pries die franzöfische Revolution als ein glorreiches geschichtliches Ereignis und verbrämte das Ganze mit wohlklingenden Rouffeauschen Phrasen. Nicht allzuschnell fanden die neuen Ideen Eingang,

als sie

aber einmal durchgedrungen warm, erfaßte die Bevölkerung eine

wahre Begeisterung

für den Freiheitskampf.

Es be­

gannen die Ruhmestage des argentinischen Volkes.

Große

Feldherrn, wie San Martin und Belgrano, tapfere Krieger wie die Kämpfer bei Tucuman und Salta, bei Maipu und Chacabuco, opferfteudige Bürger, wie die aller Städte von den An­ den bis zum La Plata, haben jahrelang Gut und Blut für die Sache des neu entstehenden Vaterlandes eingesetzt.

Sie erran-

gm nach schwerem Kampf den Sieg, vom argentinischen Boden war die gelb-rothe Flagge verschwunden. geschehen?

Was sollte aber nun

So lange der gemeinsame Zweck, die Bekämpfung

der Spanier, die sich schon damals hervorwagende Zwietracht immer wieder zurückdrängte, herrschte

eine relativ gute Ein­

tracht unter den Vertretern der einzelnen Landesteile, die das frühere Vice-Königtum am Rio de la Plata bildeten.

Jetzt

aber traten die Sonderintereffen, die verschiedenen Ansichten und Bestrebungen hervor und maßm sich mit fetndlichm Blicken. Die „geheiligte" spanische Majestät tn Madrid hatte in Buenos Aires keine Macht «ehr, die Hauptstadt empfing keine Befehle mehr von dort, sie war frei.

Aber frei fühlten sich nun auch

die Provinzen und widersetzten sich den Befehlm der Hauptstadt. In den Provtnzm wiederum beanspruchten die einzelnen Departemente, ja einzelne Städte das Recht der Selbst-Regierung und Selbst-Verwaltung.

In jedem der größerm oder kleineren

Landesteile griff ein kühner Mann ohne jegliche Vorbildung, sei es admtnistrattve oder andere, nach der Herrschaft und führte

3 die Regierung ganz nach seinem individuellen Dafürhalten. Nach glücklich beendeter Revolution herrschte bald die Anarchie in Bezug auf das Ganze, ein absoluter Personalismus in den einzelnen Landesteilen.

Dieser Personalismus ist der Grund­

fehler im öffentlichen Leben der spanischen Bevölkerung noch bis auf den heutigen Tag. Der Heroenkultus, der mit jedem einiger­ maßen bedeutenden Manne getrieben wird, führt fast immer zur Tyrannei des Vergötterten.

Wenn auch Rosas den Namen

eines Tyrannen im weitesten und reichlichsten Maße verdient, etwas von einem Rosas steckt in jedem argentinischen Präsi­ denten.

So nahm Bustos Besitz von Cordoba, Jbarro von

Santiago, Guemes und Araoz versuchten solches im Norden, Quiroga erschim in der Rioja und war dort bald absoluter Herr.

Sodann gerieten diese Miniaturherrscher unter einander

in Streit, und Ströme von Blut wurden vergossen immer unter der Devise: „Freiheit und gleiches Recht für alle".

Aus solchen

resultatlosen Kämpfen und Bemühungen rang sich allmählich die Ueberzeugung empor,

daß eine allgemeine Staatsorgani­

sation geschaffen werden mühte, sollte nicht Argentinien in voll­ ständige Barbarei zurücksinken.

Die einen sahen ihr Ideal und

die einzig mögliche Regierungsform in einer starken zentralisti­ schen Staatsgewalt, sie nannten sich Unitarier;

die anderen

wollten den einzelnen Provinzen eine möglichst weit gehende Selbständigkeit erhalten und nur dem Auslande gegenüber als ein Ganzes auftreten, diese nannten sich Föderale.

Genannte

Parteien sollten sich mehr als ein halbes Jahrhundert feindlich gegenüberstehen

und

alle

politischen Parteikämpfe

Schlachtfelde und in der Polemik beeinflussen.

auf

dem

Zunächst gelang

es keiner der Parteien einen endgültigen Sieg zu erringen. In schneller Reihenfolge wechselten die Regierungen der einen

4 und der anderen Partei. Von 1816—1829 hat Buenos Aires nicht weniger als 20 Gouverneure gehabt, an einem Tage sogar zwei. Selbst dem guten Willen und der Intelligenz eines Rivadavia gelang es nur vorübergehend bessere und geordnetere Zustände herbeizuführen. Jetzt trat aus diesen chaotischen Zuständen und endlosen Kämpfen die Gestalt des Diktators Jose Manuel Rosas hervor. Sympathisch ist diese Figur keinem Geschichtschreiber gewesm. Dies mag wohl der Grund dafür sein, daß spanische und selbst argentinische Autoren fich so wenig mit diesem, in jedem Falle doch sehr eigenartigen, Manne abgegeben haben. Die Ver­ fasser einer allgemeinen argentinischen Geschichte*) gehen mög­ lichst schnell an ihm vorüber. Bartolome Mitre**), der fähigste und gründlichste argentinische Historiker, hebt oft hervor, daß die Geschichte seines Vaterlandes vor der aller anderer südameri­ kanischer Staaten sehr reich an bedeutendm Männern sei, daß ein Plutarch Argenttniens Stoff zu dickbändigen Werken fände, wollte er das Leben aller Helden, Dichter, Staatsmänner der La Plataländer beschreiben. Er verfaßt selbst die Einleitung zu dem Prachtwerke***), das die größten Männer seines Landes uns in Bild und Wort vorführt, zählt darin außer den Haupt*) Luis L. Dominguez, Vicente F. Lopez, Antonio Diaz, C. L. Fregeiro. **) Historia de Belgrano y de la independencia Argentina. Tom. 1—3. Buenos Aires 1887. 8°. ***). Galeria de Celebridades Argentinas. Biografias de los personajes mas notables del Rio de la Plata pör los senores B. Mitre, D. F. Sarmiento, J. M. Gutierrez, M. Lozano, M. B. Garcia, J. Guido, M. Moreno, L. Dominguez, P. Lacara con retratos litografiados por Narciso Desmadryl.

5 Helden, wie Belgrano, San Martin, dem argentinischen Hannibal, Monteagudo jc., 18 Helden des Schwertes, 13 Staatsmänner,

15 Schristgelehrte (Dichter, Redner rc.) auf, erwähnt auch als abschreckende Beispiele Quiroga, Artiga, Aldao, aber über Rosas finden wir kein Wort.

Auch unter den 23 Biographieen des

Dr. Zuan M. Gutierrez ist die von Rosas nicht zu finden. Manuel Bilbao hat zwar angefangm eine Geschichte des Dik­ tators zu schreiben*), es blieb aber bei dem Anlauf.

Mit dem

Jahre 1832 bricht er schon ab und beschäftigt fich auch in dem, was er hervorgebracht hat, mehr mit den Kämpfen, die bis zu diesem Zeitpunkte in den Provinzen tobten, als mit der Person des Diktators. Eine Lebensbeschreibunng dieses eigentümlichen Mannes ist in zusammenhängender Darstellung bisher noch nicht ver­ öffentlicht worden.

Das Meiste, was Tagesblätter und Zeit­

schriften**) über ihn gebracht haben, zeigt mehr, wozu die Parteilichkeit führen kann, als daß es uns der Wahrheit näher bringt.

Es fehlt eine ruhige Darstellung, die frei von jedem

Parteistandpunkt das Leben und Wirken des Tyrannen dem Leser vorführt.

Der Verfasser hofft diese Aufgabe in gedräng­

tester Kürze zu lösen, gestützt auf die diesbezügliche Litteratur***) und auf eingehende archivalische Studien der noch vorhandenen Dokumente und Familienpapiere, deren Ergebnisse durch ihm persönlich gemachte Mitteilungen von Zeitgenossen des Diktators vervollständigt werden konnten. *) Historia de Rosas (desde 1810—1832) por Manuel Bilbao. Buenos Aires 1868. 4°. **) La Gazeta Mercantil, La Reforma, La Tribuna, La Nacion, La Prensa, El Siglo etc. ***) Ueber die Litteratur siehe das Ende des Schriftchens.

6 Juan Manuel Rosas wurde in Buenos Aires am 30. März 1793 geboren.

Seine Eltern, Don Leon Ortiz de Rosas und

Dosa Augustina Lopez de Osornio

find beides PorteSos***) ).

Der Großvater Don Domingo Orttz de Rosas war ein hoher Offizier im Heere Philipp V., später Gouverneur und General­ kapitän von Buenos Aires.

Der Vater Don Leon unternahm

Expedittonen gegen die Indianer, wobei er bei einem mißglückten Zuge lange Zeit in die Gefangenschaft der Wilden geriet.

End­

lich ausgelöst wurde er in Buenos Aires mit Ehren empfangen und mit hohen Aemtern geehrt.

Bei der Zurückweisung der

englischen Einfälle kämpfte er mit Mut und Energie in den vor­ dersten Reihen, zog sich dann aber ins Privatleben zurück (1808) und weihte sich nun nur noch der Bewirtschaftung seiner aus­ gedehnten Güter.

Von seinen zwanzig Kindern, zehn Buben

und zehn Mädchen, überlebten ihn nur die Hälfte. war unser Juan Manuel. bändigen.

Der älteste

Schon als Knabe war er schwer zu

Einst von seiner strengen Mutter eingesperrt, tobte

er im Zimmer umher, zerttümmerte alles, was er nur er­ reichen konnte und, als es nichts mehr zu zerstören gab, riß er selbst die Ziegelsteine heraus, die den Fußboden bildeten.

Die

Anfangsgründe des Wissens lernte er in der Schule des Don Francesco Algerius. ftühe

Dieser Schulunterricht wurde aber sehr

durch die erste englische Invasion

unterbrochen.

An

der zweiten nahm der fünfzehnjährige Knabe schon selbst Teil, zog dann aber mit seinem Vater nach der Estancia *) „Rincon

*) Sehr gebräuchliche Bezeichnung für alle, die in der Stadt Buenos Aires geboren sind. **) Estancia ist die Bezeichnung für einen großen Landbesitz, auf dem vorwiegend Vieh und Pferdezucht getrieben wird.

7 de Lopez" zurück.

Die Eltern dachten hier wenig an die geistige

Ausbildung des Knaben, noch weniger an seine Herzensbildung. Er sollte arbeiten lernen, seine physischen Kräfte durch täg­ liche Strapazen und Uebungen stählen, Geld verdienen und durch das Geld die Möglichkeit erlangen ein materialistisch ge­ nußreiches Leben zu führen.

Sie erreichten ihren Zweck. Schon

1811 konnte der Vater, der als rühriger Unternehmer bald in

seinen

Schlächtereien, bald in seinem Häuteexportgeschäft,

bald bei der Versendung von Maultieren nach Peru vollauf Arbeit fand, dem Sohn die Bewirtschaftung der Estancias über­ lasten.

Dieser arbeitete hier rastlos ohne sich um die inzwischen

ausgebrochene Revolution zu kümmern.

Was ihn aber von

seiner Arbeit abzog und zu häufigen Reisen nach der Hauptstadt veranlaßte, war seine Liebe zu Encarnacion Escurra.

Da

Rosas erst 18 Jahre zählte, widersetzen sich die Eltern einer so­ fortigen Eheschließung.

Was tat der junge Manuel?

Er trat

vor die Eltern und eventuellen Schwiegereltern und erklärte, ein Vergehen, das erwiesener Maßen nicht begangen war, sich und seiner Geliebten andichtend, rund heraus: „Unsere Beziehungen sind schon so intim, daß ihr, falls ihr nicht eure Einwilligung zur Heirat gebt, Schande auf beide Familien ladet."

Man

beeilte sich die Hochzeit zu feiern. Aus dieser Ehe sind 3 Kinder entsprossen: Juan Manuel, ein kleines Mädchen, das im zarten Alter starb, und die be­ rühmte, bester berüchtigte Manuelita, mit der wir uns später noch eingehender beschäftigen werden. Jetzt trat ein Ereignis ein, das Rosas aus seinem Eltern­ hause vertrieb.

Seine Mutter verdächtigte ihn der Untreue in der

Verwaltung der väterlichen Güter.

Tief beleidigt warf er seinen

Eltem Schlüffe! und Verwaltungsbücher vor die Füße, entkleidete

8 sich sogar des Rockes und des Hemdes, Gegenstände, die ihm als Geschenke seiner Mutter jetzt unerträglich schienen, und verließ, man kann sagen, nackt das väterlicheHaus. Alle Bemühungen ihn wieder ins Elternhaus zu ziehen, waren vergebens. und

Auf seine Kraft

Geschicklichkeit bauend suchte er Beschäftigung

auf den

Landgütern.

Anfangs hatte er mit viel Not und Entbehrung

zu kämpfen.

Auf seinen Wanderungen, die ihn sogar bis nach

Uruguay führten, hatte er Mühe sich den notwendigsten Lebens­ unterhalt zu verdienen.

Endlich fand er in Buenos Aires Luis

Dorrego, der ihm etwas Kapital zur Verfügung stellte zur Gründung einiger Unternehmungen, die sich auf die Verwertung und den Vertrieb ländlicher Produkte bezogen.

Bei der harten

Arbeit, der sich der junge Rosas hier lange Zeit hindurch unter­ zog, fand er doch noch Zeit sich von Dr. D. Manuel Meente Maza im Rechnen und Schreiben unterweisen zu lassen.

Als

er aber durch Eifer und Arbeitsamkeit ein kleines Kapital zu­ sammengebracht hatte, zog es ihn wieder nach seinem eigentlichen Element, dem offenen Land,

der weiten Pampa zurück.

Er

wurde hier Leiter mehrerer Estancias, besondes auch der ausge­ dehnten Besitzungen seines Verwandten, des Dr. Anchorrena. Mt rastloser Energie arbeitete und schaffte er auch jetzt wieder. Seine Mühen wurden durch große pekuniäre Erfolge belohnt, er sah sich bald als Herr beträchtlicher Ländereien, die durch das Erbe seiner Frau zu einem ganz ansehnlichen Güterkomplex anwuchsen.

Der Kampf mit den niedrigsten Sorgen des Lebens

war so für ihn vorbei, er war nicht nur zu Wohlhabenheit, sondem direkt zu Reichtum gelangt. sehen, nach Macht.

Jetzt sehnte er sich nach An­

Mit seinem scharfen Blick sah er bald, daß

in diesem Lande, in dem neben der Gewalt bald kein Recht mehr existirte, nur der Bedeutung erlangen konnte, der sich auf

9 eine bewaffnete Macht zu stützen vermochte. Im Jahre 1818 wandte er sich an die Regierung des General Puyrredon und bat um Waffen, bie ihm ermöglichen sollten eine Sicherheits­ truppe gegen die Jndianereinfälle zu bilden. Die erbetenen Waffen wurden ihm übergeben. Von diesem Moment an datiert die Macht Rosas. Auf seinem Hauptgute Cerillos errichtete er — wer wird nicht an Rom erinnert? — eine Zufluchtsstätte für alle, die kommen wollten mit der Bedingung absoluter Ergebenheit seiner Person gegenüber. Deserteure der verschiedensten Heere und Häuptlingsbanden, verfolgte Verbrecher, aus der Gefangenschaft Entsprungene, alle fanden sie Aufnahme und Schutz gegen Ver­ folgung bei Rosas. Die schwache Polizei hütete sich gegen den reichen, über eine bewaffnete Macht verfügenden großen Grundbe­ sitzer einzuschreiten, ja fiel einmal ein dem Gefürchteten Ergebener in ihre Hände, so genügte ein Zettelchen von Rosas, den Gefangenen sofort auf freien Fuß zu setzen. Dabei sorgte der zukünftige Diktator für das leibliche Wohlbefinden seiner Untergebenen aufs beste. Gearbeitet mußte bei ihm werden, aber Armut und Elend gab es auf seinen Gütern nicht. So gründete sich Rosas eine nicht unbedeutende Macht. Man kann sagen, daß er schon in jener Zeit keine Regierung oder Obrigkeit über sich kannte. Auf feinen Besitzungen galt nur sein Wille, seine Befehle wurden blindlings ausgeführt, selbst wenn es sich um das Leben eines Menschen handelte. Was außerdem die Gauchos*) für ihn ein­ nahm, war seine Lebensweise, die Teilnahme an allen Strapazen und Gefahren des Pampasbewohners, an allen Vergnügungen, Wettrennen und Gelagen desselben. Er war der waghalsigste, ') Name der Pampasbewohner.

10 der beste Reiter, der kühnste, geschickteste Zähmer wilder Roste, der Stärkste, der Freigebigste unter ihnen.

Obgleich er nur eine

geringe Schulbildung besaß, zeigte er doch eine ungewöhnliche Beredsamkeit und verblüffte geradezu durch eine natürliche Klug­ heit und überraschende Schlauheit.

Umgeben hier von ihm un­

bedingt Ergebenen und jedem Winke Gehorchenden gewöhnte er sich keinen Widerspruch dulden zu dürfen.

Selbst der kleinste

Anlaß konnte ihn in Wut bringen, wobei dann schon damals sein Hang zu Grausamkeiten in eigentümlicher Weise hervortrat. Als ihm eines Tages in seinem Zimmer ein Huhn ein Tinten­ faß umgeworfen hatte, gab er den Befehl alles Federvieh auf der ganzen Estancia umzubringen. Bei einer solchen Lebensweise vergaß er doch nicht die öffent­ lichen Vorgänge zu verfolgen. Er unterhielt eine rege Korrespon­ denz mit den Männern von Bedeutung in Buenos Aires, die einige Stunden jeden Tages in Anspruch nahm.

Während er die im

Lande immer mehr heranwachsende Anarchie mit aufmerksamem Auge verfolgte, glaubte er den einzigen Grund allen Uebels in der Ordnung- und Zuchtlosigkeit zu erkennen und sah mit tiefet Verachtung auf alle Präsidenten und Gouverneure herab, die kaum zur Macht gelangt, dieselbe schon wieder verloren.

Indem

er alle verachtete und gelegentlich öffentlich verspottete, suchte er seine eigene Macht

immer

mehr und mehr zu

Bald war es seine innerste Ueberzeugung,

vergrößern.

daß er der Einzige

sei, welcher die Intelligenz und die Kraft habe, die Nation aus der heillosen Verwirrung und Gesetzlosigkeit zu retten.

Wie wir

wisten, war seine Bildung eine sehr mangelhafte, in seiner prak­ tische» Weise wußte er aber sich doch das Notwendigste über Gesetz, Verfaffung, Recht anzueignen, so

weit es praktische

Fragen erforderte; alles sonstige Wisten verachtete er als über-

11

flüssig, als Unsinn und haßte geradezu alle höhere Bildung, alle europäische Kultur, jeden Fortschritt der Civilisation. Daher auch seine Aversion gegen die Städter, seine Vorliebe für das Leben in der Pampa, wo er unstreitig der Erste, der Intelli­ genteste, die oberste Autorität in jeder Beziehung sein konnte. Daher seine Gauchomanieren, die er ostentativ auch in den Salons des Regierungsgebäudes von Buenos Aires beibehielt. So lange die gebildeten Städter die Regierung leiteten, so lange, begriff er, war es ihm unmöglich zu den höchsten Ehrenstellen zn gelangen. Seine Gauchos, die halb wilden Bewohner der Pampas, mußten die Enffcheidenden im Staate werden. Dann, das wußte er, würde er selbst bald der Erste des ganzen Landes sein. Mit Leib und Seele vertraute er sich seinen Reitern an, sie sollten ihn emporheben. Systematisch verfolgte er von nun an diesen Gedanken. Doch die Parteien, die Föderalen und Unitarier, die sich erbitterter als je die Herrschaft streitig machten, merkten nichts von den Vorbereitungen dieser neuen Macht, die sich zu unverdeckter Tyrannei entwickeln sollte. Keiner Partei in Wahrheit ergeben, hielt Rosas seinen Worten nach zu den Föderalen. Die trostlose Verwirrung des Jahres 1820 sollte Rosas an die Oeffentlichkeit ziehen. Der provisorische Gouverneur von Buenos Aires, Dorrego, aller Hilfsmittel beraubt, sah seine Feinde, die Gouverneure von Entre Rios und Santa Fe, die Hauptstadt selbst bedrohen. In seiner Verzweiflung rief er Rosas zu Hilfe und ernannte ihn zum Hauptmann. Dieser folgte dem Rufe, erschien zwar nur mit 600 Reitern, aber diese Reiter waren wohlberitten, kühn, tapfer bis zur Tollkühnheit, entschloffen die Befehle ihres Beschützers und Herrn auszuftchren ohne auch nur mit den Wimpern zu zucken. Auf diese NachM ckrt enö , Caligula.

2

12 richt kehrten die Provinzialhäuptlinge zwar eiligst um, wurden aber von Rosas und Dorrego eingeholt und zweimal, bei San Nicolas und Pavon aufs Haupt geschlagen.

Dorrego glaubte

jetzt Rosas nicht mehr nötig zu haben und beauftragte ihn mit der Bildung des „fünften Regiments".

Doch sollte Letzterer

kaum Zeit haben die Organisation dieses Regimentes durch­ zuführen, das fortan sein bevorzugtes Leibregiment bleiben und der Schrecken so mancher Stadt und Gegend werden sollte, denn schon mußte er zu Dorrego Niederlage erlitten hatte.

eilen, der ohne ihn eine

Auf dem Wege zu Dorrego ereilte

Rosas aber ein Brief des inzwischen zum gesetzmäßigen Gouver­ neur von Buenos Aires gewählten Generals Rodriguez.

Drei

Viertel der Bevölkerung waren gegen den neuen Herren im Aufftand, Rosas sollte helfen.

Dieser tat es und erstürmte mit

Leichtigkeit die Plaza Victoria von Buenos Aires, wo sich die Aufständischen verschanzt hatten.

So wurde Rosas zum ersten

male der Herr von Buenos Aires. Rodriguez ernannte ihn aus aufrichtig gefühlter Dankbarkeit zum Oberst. Nach einem Manifest an das Volk der Hauptstadt verließ Letzterer diese wiederum. In dem Manifeste führte er es dem Volke deutlich vor, wie er allein der Retter der Ordnung gewesen wäre und ermahnte die Portenos zum Gehorsam, indem er mit den Worten schloß: „Wie lange noch werden wir von Revolution zu Revolution schreiten? Wann werden die Befehle wieder respektiert werden? Was wir vor allem jetzt erzielen müssen ist Treue und Gehorsam."

Es

war ihm vorbehalten sich später den gewünschten Gehorsam zu erzwingen, allerdings durch die abscheulichsten Mittel. Nachdem sich Rosas so mit Ruhm bedeckt und auch fernere Dienste der Regierung gegen Lopez von Santa Fe und gegen die bis 15 Leguas von Buenos Aires vordringenden Indianer

13 geleistet hatte, zog er sich auf seine Estancias zurück und weihte sich wieder mit Eifer der Bewirtschaftung seiner Besitzungen. Die Regierungen, die wie bisher mit zahlreichen inneren und äußeren Feinden zu kämpfen und stets um ihre eigene Existenz zu ringen hatten, unterstützte er fortan in keiner Weise mehr, im Gegenteil, er griff sie jetzt in Reden und Briefen aufs heftigste und gehäßigste an, ja er scheute sich nicht die Regierungstruppen direkt zur Desertation zu verleiten. Ein­ mal war es ein offenes Geheimnis, daß fast die Hälfte des 17. Kavallerieregiments in voller Uniform auf den Feldern des Don Juan Manuel Rosas arbeitete, aber — — wer wagte gegen Letzteren einzuschreiten? Die Aktenstücke, welche die be­ treffenden Denunziationen hervorriefen, bedeckte bald der Staub der Büreaustube und sie wurden fortan in ihrer Ruhe nicht mehr gestört. Was Rosas zu Solchem veranlaßte? Es war die Furcht, ein Gouverneur mit einem starken Heere könnte, etwa durch einen Sieg über Brasilien, leicht populär werden und sich so in seiner Macht befestigen. Lieber wollte er die Heere seiner eigenen Landsleute von den ihm im übrigen sehr verhaßten Brasilianern zerstreut und vernichtet sehen, eher sollten die wilden Indianer Stadt und Land verwüsten und niederbrennen, als daß neben seiner Macht sich eine andere konsolidierte. Was kümmerte ihn das Vaterland, die Ehre der blau-weißen Fahne, wenn nur seine egoistischen, ehrgeizigen Pläne gefördert wurden?! Unterdeffen hatte Argentinien die gewaltigsten Anstrengungen gemacht zu geordneten Zuständen zu gelangen. An die neue Konstitution vom 24. Dezember 1826 und an Rivadavia hatte man die kühnsten Hoffnungen geknüpft. Vergebens. Auch ein Rivadavia konnte nicht Herr der widerstrebenden Parteigeisb'r 2*

14 werden, auch er verzweifelte an dem Gelingen und legte sein Amt nieder.

Nach der provisorischen Regierung von Lopez wurde

der Föderale Manuel Dorrego zum Gouverneur und Rosas, den man nicht ganz zu übergehen wagte, zum Befehlshaber sämmtlicher Miliztruppen der Provinz

ernannt.

Rosas der Chef der ganzen Truppenmacht, vinzialregierung rechnen konnte,

Somit war

mit der die Pro­

denn das Heer, das

gegen

Brasilien im Felde stand, war den Unitariern zugethan, wäh­ rend Dorrego doch Föderalist war.

Für den Ehrgeiz des Rosas

war das aber lange nicht genug, er arbeitete darauf hin selbst Gouverneur zu werden und bemühte sich auch nicht mehr dieses Streben zu verbergen.

So kam es, daß Manuel Dorrego bald

mchr die Partei fürchtete, deren Haupt Rosas war, als seine ursprünglichen Gegner, die Unitarier. Hieraus erklärte sich des Gouverneurs Wagnis einen großen Teil des Linienheeres nach Buenos Aires zurückzuberufen. Es leitete ihn dabei die Hoffnung, die Linientruppen würden im Jntereffe des öffentlichen Wohles und in gerechter Anerkennung seines

großmütigen Entgegen­

kommens einmal den alten Parteihaß vergeffen.

Er irrte sich.

Der Parteihaß, wie immer blind, sah in ihm nur den Gegner. Kaum waren die Regimenter in Buenos Aires unter dem Befehle des General Lavalle angelangt, als Dorrego

zwang.

Diesem blieb nichts anderes

Schutz zu suchen.

mit Leichtigkeit

auch schon die Revolte

begann,

stürzte

und

übrig

zur

Flucht

als bei Rosas

Letzterer nahm ihn zwar auf, verteidigte den

Gestürzten aber ohne Nachdruck und ließ ihn schließ! ch in die Hände Lavalle's fallen. Lavalle befahl Dorrego zu erschießen. Er glaubte durch den Tod des fähigsten Führers der Föderalen diese Partei unschädlich gemacht zu haben, trieb aber ihre Anhänger nur unter die Fahnen des Gauchohäuptlings Rosas, der nun im

Namen der Föderalen sich vorbereitete das Schreckensregiment anzutreten.

Nichts konnte Rosas erwünschter sein als der Tod

Dorregos.

Mit Lavalle, das wußte

Ende sein.

So geschah es auch.

er, würde es bald zu

Mit Hilfe des Gouverneurs

von Santa Fe, Lopez, bekämpfte Rosas Lavalle als einen Uni­ tarier, besiegte ihn und wußte es zu veranlassen, daß Biamonte, ein Rosarianer vom reinstem Wasser zum provisorischen Gouver­ neur gewählt wurde. Dieser entließ die Linientruppen, die zu den Unitariern gehalten hatten, versah die Miliztruppen reichlich mit Waffen, mit Munition und präparirte in jeder Weise den Boden für

die

Herrschaft

seines

gefürchteten

Parteigenossen.

Die

wieder einberufene Kammer wählte darauf mit allen gegen eine Stimme am 1. December 1828 Don Juan Manuel Rosas zum Gouverneur. So war Rosas vom Hirten zum Gouverneur der bedeu­ tendsten Provinz der La Plata-Staaten emporgestiegen. auch

das

war ihm noch nicht genug.

Doch

Sein alles besiegender

Einfluß hatte es vermocht die Repräsentantenkammer von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß dem neuen Gouverneur in An­ sehung so unruhiger Zeiten eine außerordentliche Gewalt, die eines unverantwortlichen Diktators übertragen werden müßte.

Mit

solchen Vollmachten ausgerüstet konnte Rosas nun mit derselben Unumschränktheit die Provinz Buenos Aires beherrschen, wie früher seine Estancias.

Seine Tyrannei war legalisiert.

Die Errichtung solcher unumschränkter Gewalten sieht man nirgends häufiger als in den Ländern spanischer Bevölkerung. Immer wird zum Vorwand

genommen,

daß das Vaterland,

die öffentliche Ordnung in Gefahr sei, und immer führt die Diktatur zum Despotismus.

Wahrlich, gekrönte Despoten hat

das spanische Volk zur Genüge gekannt und unter ihrer Willkür

16 gelitten, die republikanischen aber, die durch das Possenspiel einer Wahl den Titel Präsident, Gouverneur oder Dittator erhalten haben,

sie gaben ihren gekrönten Kollegen an Selbst­

sucht, Grausamkeit und einer Art Cäsarenwahnsinn, in den sie bei

der

Erlangung

so

ungewohnter

Machtfülle

verfielen,

nichts nach. Schon den

24. Dezember ließ Rosas

den

legislativen

Körper zusammentreten und ein Gesetz sanktionieren, das die Freiheit der Presse bis zu dem Grade beschränkte, daß ein Opposittonsblatt eine Unmöglichkeit wurde.

Zeitungen, die in

irgend welcher Weise Rosas angegriffen hatten, wurden gesammelt und verbrannt. Die Verbindungen mit dem apostolischen Stuhle hingegen wurden wieder angeknüpft.

Zuletzt hieß die Kammer

alle Thaten des Diktators ad hoc gut und ernannte ihn zum Brigadegeneral.

Rosas simulierte den Bescheidenen, wollte den

Ehrentitel nicht annehmen, der Dank des Volkes wäre ihm reichlicher Lohn, kurz er ließ sich noch tüchttg bitten und nahm schließlich an. Die Kammer löste sich darauf den 30. Januar auf. Unzufriedene gab

es freilich viele in Buenos Aires, aber

an Rebellion dachte damals wohl noch Niemand. entschloffen

es

auch nicht soweit kommen

eigenen Anhänger mußten Gerüchte

Rosas war

zu laffen.

von

Seine

Vorbereitungen

zu

Revolten verbreiten, und gestützt auf solche Gerüchte schritt man zu Maffenverhaftungen.

Die Gefängniffe waren bald zu klein,

um alle „politischen Verbrecher" zu fassen.

Ein Spionage­

system, bei dem die Weiber eine große Rolle spielten, wurde in Stadt und Land ausgebildet; bald blieb kein im vertrautesten Kämmerlein

gesprochenes Wort geheim.

durch einen Diener,

Die Verdächtigung

die Anklage eines unmündigen Mädchens

genügten, um den Angeschuldigten ohne weiteres Verhör ins

17

Gefängnis zu bringen. Waffen dursten nicht mehr verkauft werden, alle solche, die sich im Besitz von Civilpersonen befanden, mußten der Regierung übergeben werden. Der Paßzwang wurde eingeführt. Furcht und Mißtrauen griffen nach solchen Maßnahmen Platz. Diejenigen, welche nur irgend etwas zu fürchten hatten, flohen aus der Stadt. Durch die Flucht der einen und die Verhaftungen der anderen wurde Buenos Aires von allen Gegnern des Diktators entblößt. Die Anhänger des Gewalthabers schmückten sich zum äußeren Abzeichen mit einem blutroten Bande und bald sah man nur noch mit solchem Zeichen Geschmückte auf den Straßen. Jetzt drohte Rosas Herrschaft Gefahr von den Provinzen her. General Paz, ein eistiger ,und fähiger Anhänger der Unitarier hatte Quiroga, einen Parteigenoffen des Diktators in der Schlacht von Oncativo geschlagen und Cordoba sowohl als alle nördlichen Provinzen in seine Gewalt gebracht. Mehr als je waren die Unitarier jetzt gefährlich. Rosas, der genau wußte, daß er nur durch Gewalt und Schrecken herrschen konnte, hatte vom Augenblicke an, da er Gouverneur wurde, sein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, sich ein tüchtiges, ihm er­ gebenes Linienheer zu schaffen. Als Quiroga nun mit der Unglücksbotschaft eintraf, sah der Diktator ein, daß Eile Not tat, ließ in Buenos Aires einen Vertreter zurück und begab sich nach Pavon, um einerseits die Organisation und Disziplinierung der Truppen zu beschleunigen, andererseits um in näherem Kontakt mit den befreundeten, aber stets doch mit Mistrauen beobach­ teten Gouverneuren von Santa ge, (nitre Rios und Corrientes zu sein. Seine außerordentlichen Befugniffe als Diktator be­ hielt er sich für überall vor, wo er sich auch befände. Doch damit noch nicht genug, ließ er den Oberst Angel Pacheco zur

18 Aufrechterhaltung der Ordnung nach dem Süden der Provinz gehen, Don Gervasio Rosas mit gleichen Norden.

Zielen nach dem

Beide hatte der Diktator mit außergewöhnlichen und

nur ihm verantwortlichen Vollmachten und Rechten ausgestattet. So herrschte die strengste Diktatur sowohl auf dem platten Lande, in Stadt und Dorf, als im Lager der Truppen. Durch die Siege des Generals Paz im Norden ermuntert versuchten

die

Unitarier

sich

schwörungen anzuzetteln.

jetzt

zu

sammeln und 23er-

Durch seine Spione erfuhr Rosas,

daß der Major Montero hierbei eine Rolle spiele.

Er übergab

dem Major einen Brief an den Befehlshaber der Kaserne Ritiro,

in welchem

sich der lakonische Befehl befand:

„Der

Ueberbringer dieses ist sofort ohne weiteres Verhör zu erschießen". So geschah es.

Dieser auch ohne jeden Schein des gericht­

lichen Verfahrens verübte Mord zerriß den Schleier, mit dem der Diktator seine Politik bisher in heuchlerischer Weise zu ver­ hüllen gesucht hatte. Zur Niederwerfung der Provinzen im Innern verband sich Rosas

mit

zwei

Männern, die ihm

an Schlechtigkeit und

grausamen Instinkten nichts nachgaben. und Lopez von Santa Fe. „blutige Triumviriat". schonungslosen,

Es waren Quiroga

Diese drei bildeten das sogenannte

Ihren

barbarischen

vereinten

Kräften und

Kriegführung^)

gelang

ihrer es

in

kurzer Zeit die Provinzen zu besiegen und zum Gehorsam zu­ rückzuführen.

Quiroga war bald Herr der einen, Lopez der der

anderen Hälfte der inneren Provinzen, itttb Rosas durch die reichen Hilfsmittel von Buenos 2lires zugleich unumschränkter Macht­ haber in dieser Provinz als Oberherr aller anderen. *) z. B. ließ Quiroga vor Tucuman 93 Offiziere, die kapitu­ lierten, erschießen.

19 Mit der Macht wuchs

auch die Tyrannei des Diktators.

Es schien fast als ob er die Bluttaten des Tigers in Menschen­ gestalt, des Facundo Quiroga mit Neid betrachtete und etwas Gleiches vollführen wollte.

In seine Hände waren der Gou­

verneur von San Luis, zwei Majore und 4 Offiziere gefallen. Durch einen Zettel befahl er die Genannten und ein Kind von 14 Jahren zu erschießen.

Dieses Kind war des Hauptmanns

Montenegro einziger Sohn, den seine Mutter zur Pflege seines verwundeten Vaters abgesandt hatte, der also überhaupt keine Waffen in die Hand genommen hatte.

Schrecken, Enffetzen

und die tiefste Entrüstung bemächtigte sich Gefangenen,

der unglücklichen

als ihnen ihr Schicksal verkündet wurde.

protestierten laut und beriefen sich aus den Vertrag, mit ihnen bei ihrer Übergabe geschloffen.

Sie

den man

Alles vergebens.

Schließlich an ihrer eigenen Rettung verzweifelnd, bestürmten sie im Verein mit den Bewohnern von San Nicolas den mit der Vollstreckung beauftragten Oberst Ravelo, man solle doch wenigstens das Leben des unschuldigen, unmündigen Knaben schonen.

Statt jeder Antwort zeigte Ravelo einen von Rosas

Hand geschriebenen Zettel vor, der mit den Worten schloß: „Zwei Stunden, nachdem streckung

vorbei sein.

anzuhören.

Ich will keine andere Antwort als die, daß der

Befehl vollzogen ist. kürzester

Sie dies gelesen, muß die Voll­

Weder Bitten noch Vorstellungen sind

Frist

Im anderen Falle sind Sie selbst in

erschossen."

In

weniger

als zwei

standen die Verurteilten auf dem Richtplatz.

Stunden

Nochmals ver­

suchten die Unglücklichen durch lautes Schreien und Jammern auf das umstehende Volk und die Soldaten zu wirken, das Leben des Kindes war es, das sie erflehten.

Da erscholl eine

grelle, alles übertönende Tanzmusik und zwei Salven, gefolgt

20 von einem minutenlangen Gewehrfeuer zerschmetterten die Köpfe der Opfer und zerfleischten ihre Körper. blieben

die

Leichname

den Aasgeiern

Bis zum Abend preisgegeben,

dann

wurden sie in einen stinkenden Graben geworfen. Noch heute wiffen die Bewohner von San Nicolas mit Grausen von der Ermordung des unschuldigen Knaben zu er­ zählen.

Dem Verfaffer haben Leute,

die den verschiedensten

Parteien und Bildungsstufen angehörten, über diesen Vorgang berichtet, immer haben die Tatsachen in den Erzählungen über­ eingestimmt, so

daß wohl an der Wahrheit dieser traurigen

Begebenheiten nicht zu zweifeln ist. So gebrauchte Rosas seine außerordentlichen Vollmachten, wie er selbst heuchlerisch so oft beteuerte, „nach bestem Wissen und Gewissen".

Seine Gegner sollten es inne werden, was

ihnen beim geringsten Widerspruch bevorstand.

Trotzdem sollten

seine Wünsche für den Augenblick nicht in ihrer ganzen Aus­ dehnung in Erfüllung gehen, wie es später in Regierungsperiode geschah.

der zweiten

Das hohe Maß von Grausamkeit

ließ den Widerwillen selbst derjenigen, die einst dazu beigetragen hatten, den Diktator emporzuheben, gegen die Gewaltregierung erwachen.

Man wagte es noch einmal in den Tagesblättern

die Frage zu diskutieren, ob die diktatorische Gewalt noch ferner fortbestehen sollte oder nicht.

Sogar in

die Repräsentanten­

kammer pflanzte sich eine schüchterne, schwache Opposition fort, und der deputierte Aguirre beantragte die Diskussion über die Frage, ob und wann die diktatorische Gewalt ihr Ende erreichen sollte.

Solches war nicht nach dem Geschmacke Rosas.

kehrte

nach

Buenos

Aires

zurück,

organisierte

ein

Er

neues

Ministerium, unterdrückte die ihm unliebsamen Zeitungen, und erließ das erste Dekret des „Blutroten Bandes".

Nach diesem

21

war jeder vom Staate bezahlte Beamte verpflichtet dieses Ab­ zeichen zu tragen, die Verletzer dieses Gebotes aber sollten sofort unter Polizeiaufsicht gestellt werden. Auch jede Militärperson, ob hoch oder niedrig, mußte ebenfalls eine rote Schleife anlegen, auf der die Worte gedruckt standen: „Die Föderation oder der Tod". Nichtsdestoweniger wuchs in der öffentlichen Meinung der Wunsch, Rosas möchte die diktatorische Gewalt niederlegen mit solcher Macht, daß zuletzt nach monatelangem Sträuben und Diskutieren der gesetzgebende Körper dem Drucke der Volksstimmung nachgab und dem nur widerwillig gestellten Antrage Rosas, ihn der diktatorischen Gewalt zu entkleiden, entsprach. Rosas aber fiel es nicht ein anders als mit den Befugniffen und Rechten eines unumschränkten Diktators zu herrschen. Er verzichtete auch auf die Würde des Gouver­ neurs, verlangte aber gleichzeitig an die Spitze eines neu zu bildenden Heeres gegen die Indianer gestellt zu werden. Die Kammer beeilte sich ihm zu willfahren, bewilligte sogar eine Staatsanleihe von einer Million Pesos zu diesem Zwecke. Rosas hoffte so an der Spitze dieses Heeres nicht nur Land und Volk, sondern auch die ihm nachfolgenden Gouver­ neure zu beherrschen und so den günstigen Moment in Ruhe abwarten zu können, der ihn wieder in die ersehnte Machtfüfle zurückzuführen versprach. Obgleich er nun dreimal wieder­ gewählt wurde, man ihn dreimal mit Bitten bestürmte die Wahl anzunehmen, blieb er doch bei seinem Entschluß und den 17. Dezember 183*2 wurde Juan Ramon Balcarve Gouverneur. Rosas hatte seine Regierungszeit mit den tollsten Bedrückungen der Unitarier und seiner persönlichen Gegner ausgefüllt. Auf Krieg und Hinrichtungen zielten seine Verordnungen hin. Alle anderen Dekrete sind bedeutungslos. Oder soll man vielleicht

22 die Unterdrückung des griechischen Lehrstuhls an der Universität oder das Verbot Stuten zu töten, für

gesetzgeberische Werke

ansehen? Nach drei Zähren sollte eine zweite Periode der Diktatorialregierung beginnen, eine weit bluttriefendere als die erste ge­ wesen war.

Capitel II. Rosas hatte sich nicht geirrt,

es sollte kommen, wie er es

mit scharfem Auge vorausgesehen hatte.

An der Spitze eines

wohl ausgerüsteten Heeres zog er zunächst gegen die Indianer, schlug dieselben, wo er stetraf, verübte Greueltaten und Massenmorde an den Rothäuten, erlangte aber den Ruhm seine Zelte siegreich am Rio colorado aufgeschlagen zu haben. im Süd-Westen von Buenos Aires

Die gewaltige Pampa

bis zu dem genannten

Flusse hatte er,von den Wilden gesäubert, man nannte ihn fortan nur noch den „Held der Wüste".

In vollem Bewußt­

sein seines erworbenen Ruhmes und seiner unter den rohen Massen gesteigerten Popularität Estancias zurück und Diktatorwürde

zog

er sich jetzt auf seine

wartete ruhig

ab, bis ihm die neue

wie von selbst in

den Schoß fallen würde.

Scheinbar wenigstens verhielt er sich ganz untätig, intriguierte im Geheimen aber desto

eifriger.

Seinem Ränkespiel zum

großen Teile war es zuzuschreiben, daß keine Regierung und Ordnung Bestand hatte, daß die Anarchie immer weiter um sich griff, und schließlich die Blicke aller sich nach ihm wendeten, wie nach dem Einzigen, der Befähigung und Energie genug besäße, in so schwierigen Zeiten das Land

vor der völligen Auflösung

23 aller Ordnung zu bewahren. Im Jahre 1834 wurde er vier­ mal zum Gouverneur gewählt, viermal schlug er die Würde aus. Im Jahre 1835 endlich ernannte ihn die Kammer zum Gouverneur und Generalkapitän von Buenos Aires mit unumschränkter diktatorischer Gewalt. Auch jetzt noch bat er sich 12 Tage Bedenkzeit aus und nahm dann schließlich die nach seinen eigenen Worten „schreckliche Bürde" auf sich. Alle diejenigen, welche von Rosas in irgend welcher Rich­ tung etwas Gutes erwartet hatten, sahen sich getäuscht. Das erste, was er tat, war die Aufstellung einer langen Proskriptions­ liste. Die einen erwartete Gefängnis und Tod, die anderen Verbannung. Die Herrschaft des Schreckens war wieder be­ festigt, legalisiert und — o Schande! — durch ein Plebiszit vom Bolle gutgehießen worden. Es würde zu weit führen den Schleichwegen der wortbrüchigen Politik des Tyrannen im Ein­ zelnen zu folgen oder aller verübter Greueltaten Erwähnung zu tun. Es folgte ein wechselvoller, barbarisch geführter Bürger­ krieg, ein schauerliches, nie von Taten irgend welcher Geistes­ größe unterbrochenes Einerlei von Hinrichtungen, Morden und Metzeleien. Doch der systematisch organisierte Schrecken schien schließlich von Erfolg gekrönt zu werden, alles beugte sich im Lande vor dem Tyrannen. Die unbedingte Herrschaft über sein eigenes Land genügte offenbar Rosas auch jetzt nicht mehr. Selbst den Nachbarstaaten wollte er seinen Willen aufzwingen. Chile sollte die Magelhänsstraße herausgeben, da sie ehemals zum Bicekönigreich von Buenos Aires gehört hatte, aus dem­ selben Grunde Bolivien die Provinz Tanja; Paraguay und Uruguay sollten ganz von Buenos Aires abhängig werden. Mit England war der Diktator wegen der Falklandsinseln in Streit, mit Brasilien zürnte er, weil es den flüchtigen Unitariern gastfreie

— 24 Aufnahme gewährt hatte. Mit Frankreich entstanden die ersten ernstlichen Verwickelungen. 1838 wurden einige Franzosen ge­ mißhandelt und Frankreich forderte Genugtuung für die feinen Untertanen zugefügte Schmach. Als diese nicht gewährt wurde, erklärte es Buenos Aires am 23. März in den Blockadezustand. Da aber der Präsident der Republik Uruguay mit Rosas befteundet war, hatte die Blockade, die sich so nur auf die halbe Mündung des 8a Plata erstrecken konnte, wenig Erfolg. Am Ende des Jahres 1839 aber verbanden sich die Franzosen, die argentinischen Emigranten und alle Unzufriedenen zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen den Tyrannen, den man jetzt sicher zu stürzen hoffte. Marcos Avellaneda brachte die nörd­ lichen Provinzen in Aufruhr, im Süden der Provinz Buenos Aires pflanzte Castelli die Fahne der Revolution auf, General Lavalle, die Hoffnung und der Abgott der Unitarier, fiel in Entre Rios ein. Rosas hatte so außer gegen die Franzosen, gegen drei gefährliche Gegner zu kämpfen; er schien, von allen Seiten angegriffen, unterliegen zu müssen. Es sollte anders kommen. Zunächst wurde die Revolutton im Norden nieder­ geworfen, der Führer Avellaneda hingerichtet, sodann schritt man zur Unterdrückung der Unruhen im Süden von Buenos Aires. Diese Erhebung, die am 29. Oktober 1839 in Dolores, einem Städtchen, das 50 Leguas südlich von Buenos Aires liegt, aus­ brach, am 7. November in der Entscheidungsschlacht von Chascomus in dem ersten Zusammentreffen siegte, dann aber eine vollständige Niederlage erlitt, wurde von Estevan Echeverria in einem langen, mehr als 1000 Verse zählenden Heldengedicht*) *) Insurreccion del Sud de la provincia de Buenos Aires, en Octubre 1839. Poema (con notas y documentos) por Estevan Echeverria. Buenos Airis 1854.

25 in der überschwenglichsten Weise verherrlicht, brachte aber über Chascomus, Dolores und die anderen an dem Aufstande be­ teiligten Städte das größte Unheil, denn die Regierung erklärte alle, die irgend wie an der Bewegung Teil genommen hatten für vogelftei.

Es bedurfte nur dieses Zeichens, um die wilden

und halbwilden Pampasbewohner zu den entsetzlichsten Aus­ schreitungen, zu Raub und Massenmorden zu veranlassen.

Der

Anführer der Regierungstruppen war der Bruder des Tyrannen Don Prudencio O. de Rosas.

Dieser schickte nach dem Siege

das Haupt Castellis, des Anführers der Aufständischen, nach dessen Heimatsort Dolores

an den Hauptmann D. Mariano

Ramires mit folgender Begleitschrift:*) größten Genugtuung Ihnen Straßenräubers,

dieses

„Es

gereicht mir zur

das Haupt dieses Verräters und

unitarischen Wilden,

dieses

Pedro

Castelli zu übersenden, der sich von den vaterlandslosen, ehr­ vergessenen Rebellen General titulieren ließ.

Pflanzen

Sie

dieses Haupt auf einer hohen Stange auf dem Marktplatze auf, damit es Jedermann

sichtbar und seinen Gesinnungs­

genossenein Beweis dafür

sei,

Gebühren bestraft."

wie der Himmel

so wildes

Das ganze Heer dagegen, das den Auf­

stand, im Blute watend, niedergeworfen hatte, wurde zu größeren oder kleineren Grundbesitzern gemacht.

Man schenkte mit dem

Rechte sofortiger Veräußerungen jedem General „ „

Oberst

6 □ geguaS 5

Oberstlieutenant**) 4



*) Documentos referentcs a la Insurreccion del Sud de la Provincia de Buenos Aires, copiados de la Gaceta Mercantil, periodico oficial de Rosas. **) Oberstlieutenant ist in dem argentinischen Heere eine niedrigere Charge als Oberst.

26

jedem Major 2 QSeguaS „ Hauptmann 1 □ Legua „ Lieutenant 3A „ „ UnteroWer V„ „ Gemeinen V, „ Der gefährlichste und stärkste Gegner wurde sodann von Rosas mit Hilfe seines Freundes Manuel Oribe, zu jener Zeit Präsident der Republik Urugnay, in der Schlacht von Qnebracho aufs Haupt geschlagen. Hier scheint es am Platze Einiges über die Erlebnisse von Gefangenen einzuschalten, die in dieser denkwürdigen Schlacht von Quebracho in die Hände der Rosasianer fielen. Es möge eine Idee davon geben, auf welch' scheußliche Weise man zu Rosas Zeiten und wohl meistens auf seine spezielle Anregung Kriegsgefangenen mißhandelte *). Die Schlacht am Quebracho geht ihrem blutigen Ausgange entgegen. Die Niederlage der Unitarier ist gewiß. Um den unerschrockenen Don Pedro Jose Diaz haben sich die Reste ihrer Kämpfer geschart. Wie die ftanzösische Garde bei Waterloo sind sie entschlossen kämpfend zu sterben, ihr Leben aber so teuer als möglich zu verkaufen. Ein Versuch und wieder einer werden gemacht das zusammengedrängte Häuflein zu durchbrechen, zu zerstreuen. Immer vergebens. Da nähert sich ihnen General Pacheco und schwört auf seine Ehre und sein Schwert, daß das Leben der Kämpfenden unangetastet bleiben, ihre Freiheit ihnen in Kurzem wiedergegeben werden solle, sofern sie jetzt ohne weiteren Widerstand die Waffen niederlegen und sich *) Rasgos de la Politiea de Rosas o escensas de Barbarie seguidas a la batalla de Quebracho por un testigo presencial y paciente. Buenos Aires 1854.

27 ergeben würden. Als die heldenmütigen Kämpfer auf so ehren­ volle Bedingungen eingehen, wird in den Friedensunterhand­ lungen des Weiteren festgesetzt, daß das Häuflein der tapferen Unitarier nach der Uebergabe der Waffen das siegreiche Heer bis Buenos Aires begleiten, hier aber angelangt, die völlige Freiheit wiedererlangen solle. Als die Waffen niedergelegt sind, zählt man die Gefangenen; es sind 460 Mann einschließlich der Offiziere. Kaum sind die Waffen übergeben, als sich die wahre Ge­ sinnung der Sieger kundzugeben anfängt. Man beraubt die Wehrlosen, man reißt ihnen sogar die Kleider vom Leibe und weist hohnlachend auf die Verstümmelten und Toten. Bei ihnen sollen sie sich das Nötigste zur Bekleidung suchen. Dann geht es in Eilmärschen nach der Provinz Cordoba. Die Ge­ fangenen, denen meistens das Schuhwerk entwendet worden ist, werden gezwungen 10—12 Leguas den Tag zu marschieren. Obgleich bei dem dornigen und steinigen Boden die Füße bluten und entsetzlich schmerzen, werden sie durch Schlag und Stoß vorwärts getrieben. Wer ganz entkräftet zu Boden stürzt, wird einfach wie ein Tier mit dem langen Gauchomeffer abgeschlachtet. Die Kost ist dabei die denkbar schlechteste; doch mehr als alles andere plagt sie der Durst. Auf dem schattenlosen Wege sind sie der brennenden Sonne fortwährend ausgesetzt, zu Trinken bekommen sie aber kaum alle .24 Stunden einmal, nämlich nur, wenn sie an einer in dieser Gegend so seltenen Quellen vorbei­ kommen. Auch hier läßt man sie noch lange Zeit Tantalus­ qualen ausstehen. Ganz in die Nähe der Quelle gebracht, müssen sie erst zusehen, wie sich sämmtliche Soldaten des Heeres, jedes Pferd, jeder Esel satt getrunken haben; erst, wenn das Waffer der Quelle aufgerührt und von den Tieren verunreinigt ist, dürfen die Verschmachtenden ihren brennenden, quälenden Durst stillen. Kein Martens, (Laligula.

Z

28 Wunder, daß von den Gefangenen,

die von so vielen Uebeln

gequält und gemartert werden, täglich einige Zehn erliegen. Als einer der Unglücklichen beim Durchqueren eines Gehölzes zu entfliehen versucht, wird er vor den Augen der Kameraden,die inzwischen gezwungen werden Hochs auf Rosas auszustoßen, zu Tode gepeitscht. Plötzlich wird die Marschrichtung geändert, der Weg nach Süden eingeschlagen und am 6. Januar kommen die Gefangenen in dem Lager des Diktators in

Los

Santos Lugares an.

Hier ist die Stimmung der meist schwarzen oder roten Soldaten des Tyrannen zu einem „würdigen" Empfange der Unglücklichen vorbereitet. Man hat zu verbreiten gewußt, daß die Gefangenen, falls sie als Sieger hierher gelangt wären, die Absicht gehabt hätten, die Sümpfe um Buenos Aires mit Negern und In­ dianern anzufüllen.

Begreiflicher Weise ist die Wut

rohen und belogenen Menschen grenzenlos.

dieser

Man sticht, man

schlägt nach den Gefangenen, man bewirft sie mit Kot, speit ihnen ins Angesicht, und, als das Gesohle „Tod den Verrätern, nieder mit ihnen" nicht aufhört, werden sie in einem Gliede an einer langen, schwarzen Mauer, an welcher fast täglich Hin­ richtungen vorgenommen wurden, aufgestellt, und es wird hier mit ihnen eine Art Komödie aufgeführt, die es den Gequälten als sicher erscheinen läßt, daß ihr letztes Stündchen geschlagen habe. Dann werden sie plötzlich abgeführt.

Viele gewiß bedauerten,

daß mit dem Erschießen nicht Ernst gemacht wurde, sehen doch fast alle in dem Tod nur noch den ersehnten Erlöser von unaus­ gesetzter Qual! Doch so hart ihr Los bis jetzt gewesen, Schreck­ licheres stand ihnen noch bevor. Am nächsten Tage wird der Marsch fortgesetzt und nicht wieder unterbrochen, bis man in Buenos Aires anlangt.

Aber

29 an Stelle der den Unglücklichen versprochenen Freiheit, erwartet sie hier das Gefängnis.

Ein dumpfer Kerker nimmt sie auf,

der als einzige Ausstattung zwei Laternen und zwei Fäffer aufweist.

Das eine der letzteren ist für das Trinkwasser, das

andere zur Latrine bestimmt.

Kein Bett, kein Stroh wird den

„politischen Verbrechern" gewährt.

Selbst der Schlaf soll durch

die Schmerzen, die das Liegen auf den harten Steinen ver­ ursacht, zur Marter gemacht

werden!

Ein alter,

ergrauter

Mann, dessen Name „Cano" uns die Geschichte überliefert hat, verliert nach all' den tausendfachen Leiden und bei der kärg­ lichen Nahrung die Kraft sich auftecht zu halten.

Er ist nun

verurteilt unausgesetzt auf den Ziegelsteinen zu liegen, und der zum Skelett abgemagerte Körper reibt bei jeder Bewegung die wenig widerstandsfähige Haut durch.

Es entstehen bald offene

Wunden, die zu eitern beginnen und Würmer und Insekten aller Art herbeilocken.

Ein

Schauder erregendes Bild des

Jammers, wie es wohl selten ein Opfer der blutigsten, gefühl­ losesten Tyrannen

gewährt hat!

Erscheint

der

revidierende

Offizier, so flehen alle laut um Erbarmen für den bedauerns­ würdigen Greis.

Sie erreichen endlich, daß eine Eingabe an

den Diktator gemacht wird,

aber Don Juan Manuel Rosas,

der Wiederhersteller der Gesetze, der Brigadegeneral und famose „Held der Wüste" antwortet nicht, und alles bleibt wie zuvor. — Noch einige Tage lebt der Greis, dann stirbt er in einem jämmerlicheren

Zustande

als

ein

herrenloser

Hund.

Das

Schicksal Canos zeigt den Leidensgenoffen ihre Zukunft, ihr eigenes schreckliches Verhängnis. — — Zunächst vergeht

ein Tag wie der andere unter gleichen

Schmerzen und Entbehrungen. der Gefangenen immer

Doch allmählich wird die Lage

fürchterlicher.

Die Kleider zerreißen

3*

30 mehr und mehr und fallen schließlich buchstäblich vom Körper. Einige sind noch mit einem Poncho*) bekleidet, andere schleichen in dem Kerker umher mit weniger Bekleidung als die wilden Pampasindianer. erteilt.

Für die Kost hat Rosas selbst Vorschriften

Sie besteht in einem Stück Halb verfaultem Fleisch,

vier Unzen Brod und einer Tasse Fleischbrühe, auf bereit Ober­ fläche Unreinlichkeiten aller Art herumschwimmen.

Nur

der

größte Hunger konnte den Abscheu vor solch' einer Kost über­ winden.

Natürlich reicht sie lange nicht aus, um den Körper

eines Mannes zu ernähren. Tag ab,

Die Kräfte nehmen von Tag zu

schließlich vermögen die zu wahren Jammergestalten

reduzierten, früher von Kraft strotzenden Jnsasien dieses fürch­ terlichen Gefängnisies nicht mehr den Kerker zu durchqueren, sie kriechen nur noch oder schleichen, an den Wänden sich stützend, gleich Gespenstern einher.

Zu alle dem bedeckt sich geradezu

ihr Körper mit Ungeziefer, das bei dem Mangel jeder Reinlich­ keit zu bannen unmöglich ist.--------So vergehen Monate.

Als ein Zeichen körperlicher Zähig­

keit und Widerstandsfähigkeit der Gefangenen ist es anzusehen, daß nur wenige den Leiden erliegen, nicht betrauert, fast be­ neidet von ihren Leidensgenoffen um der endlichen Erlösung aus ununterbrochenen Qualen.

Da erscheint eines Tages der

Wachthabende des Kerkers, nennt 32 Namen der Unglücklichen und ruft ihnen zu:

„Nehmt Abschied" und bereitet Euch zum

Tode vor, ihr sollt erschoffen werden. *) Ein

viereckiges Stück Tuch,

von

Die Genannten nehmen iy2—2

Metern Durch­

messer, mit einem Einschnitt in der Mitte, durch den der Kopf ge­ stellt wird.

Es ist das gebräuchlichste Kleidungsstück der männlichen

Bewohner des flachen Landes tigen Tag.

in Argentinien

bis

auf

den heu­

31 Abschied und werden hinausgeführt.

Doch werden sie nicht

erschaffen; man wollte nur die letzte Gelegenheit benutzen sie mit Todesangst zu quälen: Sie werden frei gelassen.

Unaus­

gesetzte Bemühungen der Angehörigen, Bemühungen und Für­ sprachen,

die oft sogar bis in die Salons

der Tochter des

Tyrannen hinaufreichten, mehr aber noch kolossale Summen, die zur Bestechung

von Beamten, von hohen und höchsten

Persönlichkeiten geopfert wurden, haben sie frei gemacht. Im Laufe von 1'/- Jahren gelingt es so allmählich einen Gefangenen nach dem anderen herauszukaufen. Nur 14 bleiben. Diese sollen den Himmel nicht wiedersehen als in ihrer Todes­ stunde.

Im April 1842 wird Rosas von

einem seiner Um­

gebung an die unglücklichen Gefangenen erinnert.

Ohne eine

Erwiderung und ohne jedes Bedenken befiehlt er: „Ein Ende machen, erschießen".

In weniger als zwei Stunden ist der

Befehl ausgeführt. — Im Anschluß an die eben geschilderten Leiden der Kriegs­ gefangenen mögen zur weiteren Illustration der Kriegführungs­ methode, wie sie unter den Befehlshabern des Tyrannen Rosas Gang und Gebe war, hier noch einige Bruchstücke aus offiziellen Briefen angeführt werden*): Hauptlager von Metan, den 3. Oktober 1841. „..............Die wilden Unitarier, die mir vom Hauptmann Sandoval übergeben worden sind, Marocs M. Avellaneda, der sogenannte Gouverneur von Tucuman, der sogenannte Oberst I. M.

Videla,

der

*) Felix Frias, Santiago 1847.

8°.

Hauptmann

Lucio

La gloria del tirano

Casas,

der Major

Juan Manuel Rosas.

32 Gabriel Suarez, die Offiziere Leonardo Sousa sind sofort in der gewöhnlichen Weise erschossen worden, mit Aus­ nahme von Avellanedo, dem ich den Kopf habe abschlagen lassen, damit er auf der Plaza von Tucuman aufgepflanzt Wer*ie ' Manuel Oribe. Catamarca, den 29. im Monat „Rosas" im Jahre 1841. Seiner Excellenz dem Gouverneur Don Claudio A. Arredondo. „. . . . Nachdem wir zwei Stunden Gewehrfeuer unter­ halten hatten und die ganze'(feindliche) Infanterie mit dem Messer abschlachten konnten, gelang es uns auch die Kavallerie in die Flucht zu schlagen. Der Befehlshaber der letzteren befindet sich auf der Flucht mit 30 Begleitern. Man verfolgt ihn und bald wird sein Kopf auf der Plaza aufgesteckt sein, wie die der sogenannten Minister Gonzalez und Dulce und der Kopf des Gouverneurs Espiche". Mariano Maza. Catamarca, den 4. November 1841. Seiner Excellenz dem Gouverneur Don C. A. Arredondo. „.......... Also, mein Freund, die Truppenstärke dieses hartnäckigen wilden Unitariers bezifferte sich auf 700 (!) Mann. Sie sind gewesen. Wie ich es versprach ließ ich allen den Hals abschneiden. Mariano Maza. Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung zu den poli­ tischen Ereigniffen zurück, die sich um den Tyrannen abspielten.

33 Wir sahen, daß Rosas im Süden und im Norden sowohl als in Entre Rios über seine Gegner triumphiert hatte, nur die Franzosen standen ihm noch mit den Waffen in der Hand gegenüber.

Aber auch diese zeigten sich, als

Bundesgenoffen unterliegen sahen, bereit Vertrag

einzugehen,

auf

sie den

der den Diktator einstweilen

alle

ihre

Mackauauch

von

diesen Feinden befreite. Nun war es Rosas wieder möglich an die Vernichtung seiner Gegner im Lande selbst zu denken.

Dieses Geschäft be­

sorgte ihm in gewünschter Weise die Mazorca.

Es war dieses

eine Vereinigung der gewiffenlosesten Banditen, eine Organisation, die Rosas, schon bevor er Gouverneur geworden war, ins Leben ge­ rufen hatte: Von 1840 ab aber wurde dieselbe zu einem offiziellen Hebel der Regierungsmaschine.

Den Namen hatte sie von dem

jungen Maiskolben (mazorca) erhalten, den Rosas und die Mit­ glieder als eine Art Symbol und Erkennungszeichen gebrauchten. Durch diese Blutmenschen hatte Rosas sich vorgenommen „den argentinischen Boden von den wilden Unitariern zu befreien". Nichts war vor dieser Bande sicher.

Sie drang in die Häuser

ein, raubte, plünderte, mordete und verübte die scheußlichsten Gewalttaten.

Es ist vorgekommen, daß Bürger, die sich von

dem gefährlichen Verdacht,

gegen Rosas zu agitieren, befreien

wollten, in ihrer Verzweiflung sich in die Mazorca aufnehmen ließen und dann gezwungen wurden Frauen Gewalt anzutun. Diese armen Frauen hatten ihrerseits kein weiteres Verbrechen be­ gangen als, daß sie es unterlassen hatten, ihre Pferde mit dem blut­ roten Bande derRosasianer zu schmücken. Ihre „Arbeit" verrichteten die Mordgesellen der Mazorca in der Nacht. Wenn 10—12 getötet waren, stieg eine Rakete in die Luft zum Zeichen für die Polizei, Karren auszusenden und die Leichname aufzusammeln.

Mehr als

34

einmal wurde Buenos Aires dieser Bande preisgegeben. Sie wurde allemal losgelassen, wenn Rosas es für nötig befand der Bevölkerung Furcht und Schrecken einzujagen. Ein Seitenstück zur Mazorca bildeten die Monitores, eine sehr eigentümliche Art von Attaches der Militärkapitäne, die außerhalb von Buenos Aires Rosas Tyrannei aufrecht hielten. Nichts kann diese uns besser schildern als ihre eigene, einem jeden von ihnen schriftlich mitgegebene Instruktion. Das Ori­ ginal derselben ist von Rosas selbst verfaßt und eigenhändig niedergeschrieben. Es befindet sich im Nationalarchiv *) in Buenos Aires und lautet in sinngetreuer, möglichst wörtlicher Uebersetzung wie folgt: „Die Monitore begleiten die Militärkapitäne in die letz­ teren untergeordneten Departemente. Es ist ihre Pflicht mit Eifer und großer Gewissenhaftigkeit darauf zu achten, welche Personen mit einem Schnurrbart einhergehen; welche von den Frauen an der linken Seite des Kopfes nicht das Abzeichen der Föderalen (jetzt Rosastaner) tragen; welche zwar jenes Zeichen, aber nicht Trauer um die „Heldin der Föderation" (die verstorbene Frau des Diktators) angelegt haben; wer von den Männern einen Vollbart trägt, der der Form nach an den Buchstaben U (das Abzeichen der Unitarier) erinnert oder etwas Grünes oder Blaues (Farbm der Unitarier) auf dem Leibe trägt. Auch ist es die Pflicht der Monitore in die Häuser einzudringen und zu sehen, was für eine Kleidung die Leute im Hause tragen. Was die Monitore an Bildern, Büchern, Zeitungen und anderen Drucksachen, wenn es auch englische, französische oder deutsche sind, vorfinden, sollen sie der Provinzial') Archive National. Tom I.

35 regierung einschicken.

Sie sollen auch nicht vergessen darauf zu

achten, ob das Porzellangeschirr in den Häusern die Farbe der Föderalen oder der Nnitarier hat. sehen,

hören

oder

fühlen,

Kurz von allem, was sie

müssen sie

ihrem Militärkapitän

Mitteilung machen, der seinerseits wiederum die Provinzial­ regierung informieren wird. Die Uniform der Monitore wird von roter Farbe sein. Sie werden außerdem ein schilde tragen.

blutrotes Band mit einem Blech-

An der Mütze wird ebenfalls ein Blechschild

in der Form eines Halbmondes befestigt sein.

An der Seite

werden sie einen Säbel, in der Hand einen wohl gedrehten, rot bemalten Ochsenziemer tragen, um mit diesem alle, seien es Frauen oder Männer, furchtbar

durchzuprügeln,

welche nicht

das Nationalabzeichen*) angelegt haben, und zwar, wo sie die­ selben treffen, sei es auf der Straße, in den Häusern oder in den Kirchen." Durch die Mazorca und die Monitores war bald jeder Widerstand

gebrochen.

Die

Repräsentantenkammer

behielt

Rosas nur zum Scheine bei, um äußerlich die gesetzmäßigen Formen zu wahren.

Was hätte der Diktator auch von einer

Kammer befürchten sollen, die er durch eine Prozedur entstehen ließ,

welche vielleicht jeden anderen

„freien Wahl" verdiente.

Namen als

den

einer

Bet dieser „Wahl" ging es so zu:

Jeder Bürger mußte, bevor er zur Urne schritt, vor den von Rosas ernannten und ihm blind ergebenen Friedensrichter treten. Angeblich geschah das, um die Berechtigung des Betreffenden zur Wahl darzutun, in Wahrheit aber wurde jeder ausgefragt, wen er zu wählen beabsichtige.

Wehe ihm, wenn er Jemand nannte,

0 gemeint ist natürlich das Abzeichen der Rosasianex.

36 der nicht zur Partei des Diktators gehörte! Der „freie Bürger der Republik" mußte in diesem Falle zuftieden sein, mit dem Leben davonzukommen, und froh sein, wenn er, sei es auch ge­ schunden und zerschlagen, seine Familie an demselben Tage noch wiedersehen durfte.

Es

erklärt sich, daß eine auf diese Weise

zu Stande gekommene „Volksvertretung" zugleich eine lächer­ liche und beklagenswerte Rolle spielen mußte. Die absolute, persönliche Herrschaft

des Tyrannen war

gesichert und wurde einstweilen von keiner Seite mehr an­ gefochten.

Wie unendlich segensreich hätte nicht diese unum­

schränkte Macht dem unerzogenen und zum größten Teile ganz ungebildeten Volke gegenüber sich erweisen können, wenn sie sich in

den

Talent,

Händen

eines

würdigen

Mannes

befunden

hätte!

Energie, eine merkwürdige Geistesgegenwart und vor

allem eine außergewöhnliche Schlauheit besaß

Rosas

sicher,

aber diese Gaben wurden nur angewandt, um die niedrigen Wünsche seines Tigerherzens zu beftiedigen.

Weder für das

von ihm beherrschte Volk, noch für seine Familie hat er je Regungen der Liebe und des Wohlwollens gekannt.

Er opferte

alles seinem maßlosen Ehrgeiz, seinen selbstsüchtigen Zwecken. Aber gerade diese Eigenschaften, diese Rücksichtslosigkeit gegen alles und jeden, mußten ihn in einem Lande, in dem im Namen der Freiheit jede Autorität mit Füßen getreten wurde, empor­ heben.

Mit logischer Konsequenz haben überstürzende Neue­

rungen und uferloser Freiheitsschwindel stets zur Tyranney eines selbstsüchtigen schlauen Mannes geführt.

Wo die rohe Maffe

sich zu herrschen anschickt, da regiert bald mit blutiger Strenge der diktatorische Knüppel eines aus den untersten Klaffen empor­ geschwemmten Volksdemagogen.

Rosas beherrschte

Maffen, weil er eine Emanation derselben war.

die

rohen

37

Der Diktator, nun vollständig Herr der argentinischen Provinzen, warf seine Heeresmassen nach Uruguay um das letzte Bollwerk der Freiheit, das seiner Tyrannei widerstand, Montevideo, zu belagern, zu erorbern. Er veranlaßte Oribe dazu, der bald vor den Mauern dieses festen Platzes stand. Verteidigt wurde Montevideo in erster Linie von einer großen Zahl von Auswanderern und Flüchtlingen aus Buenos Aires. Föderale und Unitarier vergaßen einstweilen ihre Parteistreitig­ keiten, ihren Parteihaß und fanden sich hier zur gemein­ samen Bekämpfung des Tyrannen zusammen. Die Orientalen*) von Montevideo waren ebenfalls in zwei Partein, die sich töd­ lich haßten, gespalten: Die Weißen und die Rothen. Die Ersteren waren die Anhänger Oribes, also Rosas Freunde, die Letzteren verteidigten unter der Führung Riveras Montevideo mit Hilfe der erwähnten, in freiwilliger oder gezwungener Ver­ bannung lebenden Portenos**). Es entbrannte ein langer hartnäckiger Kampf, während dessen Rosas nicht unterließ durch vermehrte Gewalttaten immer neue Scharen zur Auswanderung zu zwingen. Da Talent und Bildung besonders leicht verdächtig machte, sah man bald alle Nachbarländer von den fähigsten Argentinern angefüllt. Alle, welche früher oder später noch einmal als Helden der Feder oder des Schwertes hervortreten sollten, fand man damals unter den Emigranten, so in Chile Sarmiento, Mitre, Alberdi, Juan Ma. Gutierrez, Felix Frias, Vicente Fidel Lopes, in Montevideo den bedeutenden Dichter Estevan Echeverria, die hervorragenden Journalisten, den *) Eine am La Plata sehr gebräuchliche Bezeichnung für die Bewohner von Uruguay oder Banda oriental. **) Name für die Bewohner von Buenos Aires.

38 Unitarier Flavio Varela und den Vorfechter des

Föderativ­

systems Rivero Jndarte. Die Fähigsten und Besten des Landes hatten vor Rosas flüchten müßen und bekämpften ihn mit dem Schwerte und in heftiger Polemik.

Schon dieses allein würde,

wenn nicht tausend andere Gründe dafür sprächen, hinreichend sein die Politik des Diktators zu kennzeichnen und zu verdammen. Während um Montevideo der Kampf tobte, Rosas aber immer mehr und mehr Terrain gewann, griffen die Seemächte England und Frankreich in den Streit ein.

Obgleich sie sonst

am La Plata Rivalen waren und eifersüchtig und mißgünstig auf jeden vom Gegner errungenen Handelsvorteil blickten, so lag es doch jetzt im beiderseistgen Jntereffe Rosas absolute und den fremden Nationen feindliche Herrschaft sich nicht auf beiden

Seiten

des

Stromes

konsolidieren

zu lassen.

Sie

schlossen ein Bündnis, blockierten gemeinsam Buenos Aires, und es kam sogar zur Wegnahme der argentinischen Flotte und der Besetzung der Insel Martin Garcia, des Schlüffels der La Plata-Mündung.

Doch der eine der Verbündeten gönnte

dem anderen gegenseitig weder Ruhm noch Vorteil, bald be­ gannen beide vereinzelt und heimlich mit Rosas in Verhand­ lungen zu treten;

zuerst

schloß England,

dann Frankreich

Separat-Verträge mit dem Diktator, nach welchen die See­ mächte die Feindseligkeiten einstellen sollten und Rosas sich ver­ pflichtete

die argentinischen Truppen aus Uruguay zu ziehen.

Ersteres geschah, letzteres beteuerte der allgewaltige Machthaber von Buenos Aires nicht ausführen zu

dürfen,

weil — die

Nationalversammlung (!) diesem Beschlusse die Sanktion ver­ weigert hätte! Und Rosas glückte diese wortbrüchige Politik, er hatte die Umstände und seine Gegner richtig beurteilt, die See­ mächte erneuerten die Feindseligkeiten nicht.

39

So hatte die ausländische Intervention zu nichts geführt als zur Vermehrung der Popularität des Tyrannen unter den niederen, rohen, von Haß gegen die Ausländer überströmenden Volksschichten. Rosas war auf dem Gipfel seiner Macht angelangt und schien fester als je dazustehen, besonders da man den Fall von Montevideo nur als eine Frage der Zeit ansah. Jetzt aber erwuchs dem Besieger so zahlreicher Feinde und Völkerschaften ein Gegner aus seinen eigenen Reihen. Um Jusio Jose Urquiza, dem Gouverneur von Entre Rios, der 1840 die argen­ tinische Armee in Uruguay befehligt und noch am 28. März 1845 die Schlacht bei Jndia Muerte über Rivera für Rosas gewonnen hatte, scharten sich die Gegner des Diktators. Der kühne und verschlagene Urquiza wußte die Maffen an sich zu fesseln, wurde zum Rivalen Rosas und sagte sich bald: „Der oder ich". Durch die vielen, verunglückten Aufstände klug gemacht, versicherte Urquiza sich, bevor er offen mit seinen Absichten hervortrat, der Hilfe Brasiliens, das Uruguay nicht in Rosas Hände fallen laffen wollte. Die Montevideaner waren seine natürlichen Bundesgenoffen. Am 1. Mai 1851 trat der kühne Entrerianer offen gegen Rosas auf. Letzterer wollte sich wieder einmal recht bitten lassen die, wie er sich ausdrückte, entsetzliche Bürde der Vertretung sämmtlicher Provinzen in allen äußeren Angelegenheiten zu übernehmen, als ihn Urquiza beim Wort nahm und ohne Umschweife für die Vertretung seiner Provinz Entre RioS dankte. Corrientes schloß sich ihm an. Dann ging Urquiza noch einen Schritt weiter, entfernte bei seinen Truppen das Abzeichen der Partei Rosas, die blutrote Schleife mit der Devise „Tod den wilden Unitariern" und ersetzte dasselbe durch ein anderes, das die

40

Worte aufwies: „Tod allen Feinden der nationalen Organisation". Damit war der Krieg erklärt. Zuerst entsetzte Urquiza unter dem Schutze der brasilianischen Flotte Montevideo, das nach einer zehnjährigen Belagerung endlich frei wird; sodann drang „die große südamerikanische Befteiungsarmee" unter seiner Führung in die Provinz Buenos Aires. Rosas wie in einer Vorahnung seines unvermeidlichen Sturzes schien in dieser Zeit viel von seinem Talent, richtige, schnelle und durchgreifende Dispositionen zu treffen, verloren zu haben; seine Energie hatte ihn verlaffen, unschlüssig griff er bald zu diesem, bald zu jenem Mittel und glaubte mit Wüten und Schimpfen auf „die Hunde, die verbrecherischen, wilden Unitarier" alles getan zu haben. Zwar brachte er noch einige Bewegung in die unteren Masten, zwar veranlaßte er noch d e Kammer ihm die außerordentlichsten Vollmachten zu über­ tragen, alle seine Schritte schon im Voraus gut zu heißen, doch alles half nichts mehr, es war ihm nicht mehr möglich Begeisterung unter seine Truppen zu bringen, sie wurden am ß. Februar 1852 bei Castros vollständig besiegt, zersprengt, vernichtet. Damit brach die ganze Herrlichkeit seiner Macht mit einem Schlage zusammen. Rosas erkannte das und floh an Bord eines englischen Kriegsschiffes, sein würdiges Töchter­ lein Manuelita folgte ihm als Schiffsjunge verkleidet. — , Die politische Laufbahn dieses merkwürdigen republikanischen Gouverneurs hatte hiermit ihr End.e erreicht. Fortan lebte er als Privatmann in einem englischen Landstädtchen.

Capitel III.

Haben wir bis jetzt, abgesehen von einigen Bemerkungen über Rosas Jugendzeit, die Ereignisse in fast chronologischer Anordnung uns vorgeführt, die sich an die politische Laufbahn des Tyrannen knüpfen, so wollen wir jetzt kurz einen Blick auf den entscheidenden Einfluß werfen, den fein Auftreten und Handeln auf die Parteien des Landes, auf die große Maffe des Volkes, auf die verfassungsmäßigen Institutionen, auf die hohe und niedere Geistlichkeit des Landes gehabt hat. Zuletzt soll das Privatleben des Diktators uns beschäftigen. Rosas war ein Monstrum, das die Hölle gebar, so hört man es tausendfach in Buenos Aires wiederholen. Immer übersteht man, daß Rosas das Kind seiner Zeit war, ein Pro­ dukt der Anarchie des Jahres 1820, der chaotischen Zustände, die die mißverstandenen und mißbrauchten, überfteien republi­ kanischen Einrichtungen und Regierungsformen hervorriefen. Wie war es möglich, daß ein Tyrann so großen Stiles fast 20 Jahre sich in der Herrschaft hat halten können? Durch Furcht und Schrecken regierte er? Kann ein Mann dauernd ein ganzes Volk in Furcht und Zittern erhalten? Nein, Rosas hat seine Helfershelfer, die sich Volksbeglücker nannten und Volks­ bedrücker warew, gehabt und hinter diesen stand die große, be­ trogene Maffe, der man es — welch beißende Ironie! — nicht genug wiederholen konnte, sie wäre „das souveräne Volk". Wie schon erwähnt, fand Rosas, als er begann im öffent­ lichen Leben eine Rolle zu spielen, zwei sich heftig befehdende

42 Parteien vor.

Die Unitarier, bei welchen mehr

Denkende, doktrinären Ideen

Gebildete,

Nachjagende zu finden waren,

nahmen mehr die zentralistische Verfassung der französischen Re­ publik zum Vorbilde, die Föderalen hingegen gingen weniger abstrakten Freiheitsideen ' nach, erkannten mehr die wirklichen, existierenden Faktoren im politischen und wirthschaftlichen Leben und stellten sich die Verfassungsform der nordamerikanischen Union als erstrebenswertes Ziel auf. wurde Rosas Gouverneur.

Ende des Jahres 1828

Seit dieser Zeit verlor der Unita-

rismus seine konstitutionelle Richtschnur, die ihm der klare Ver­ stand

eines Rivadavia vorgezeichnet hatte,

er fing

an den

Gegnern in Bezug auf Verschwörungen und Gewaltakte nichts nachzugeben.

Wie die Föderalen sich an Häuptlinge hingen,

so begannen die Unitarier sich auf das Heer zu stützen. Dorrego wurde geopfert.

Paz errichtete eine Diktatur im Norden.

Die

Partei der Unitarier wechselte ihr innerstes Wesen, die Föde­ ralen lösten sich

auf.

Bald gab

es keine Partei mehr, die

durch gleiche politische und sittliche Gesinnung zusammengehalten wurde.

An dem „Hofe" des Diktators sah man Unitarier und

Föderale.

Es waren unbedeutende, sitttlich verdorbene Männer,

die Rosas aufsuchten und ihn umgaben. Tyrannen

und

wüteten gegen

und Henker zu gleicher Zeit.

Sie zitterten vor dem

das Volk, sie waren Sklaven

Für die Fußtritte des Gebieters

rächten sie sich, indem sie dieselben nach unten weiter gaben; sie herrschten über die ihnen Untergeordneten durch dieselben Mittel, durch die sie selbst geknechtet wurden.

Andererseits sahen wir

Föderale und Unitarier im entgegengesetzten Lager durch das­ selbe Unglück, durch dieselbe Bedrückung einander näher gebracht. Writh und Aguero, Varela und Rivero Jndarte kosteten dasselbe Unglück und

verbrüderten sich in demselben Mißgeschick, mit

43

dem gemeinsamen Ziele, dem Sturze des Tyrannen. Als Machtfaktoren blieben nur auf der einen Seite das Heer übrig, auf der anderen das rohe, nach Art aller Südländer leicht zur Wut gebrachte, niedere Volk, das von Häuptlingen — eine species von Volksdemagogen sni generis — ausgesogen und zu blutigen Greueltaten benutzt wurde. Im Laufe des Bürger­ krieges zerfielen die Parteien ganz, die soziale Verwilderung wuchs, jede Mäßigung hörte auf. Die Unwissenheit, sittliche Roheit, der Egoismus, die Raubsucht wagten sich stech hervor und fanden keine Zurechtweisung, keinen Widerstand mehr. Der einzige, der alles meisterte, war Rosas. — Staunt man über die maßlose Tyrannei des Diktators, so muß man doch nicht minder erstaunen über die konsequente Hartnäckigkeit, mit der er den Schrecken methodisierte, über die Geschicklichkeit, mit der er sich von denselben Elementen, die ihn emporgehoben hatten, loszumachen verstand, um sie dann zu zerschmettern, über die Umsicht und den politischen Blick, durch die er zwei Dezennien hindurch sich auf seiner blutigen Höhe zu erhalten wußte. Er veranstaltete große Schlächtereien unbe­ deutender Menschen, um Furcht und Schrecken auch in die nie­ drigsten Hütten zu tragen, er ließ aber auch Persönlichkeiten, wie Maza, den Präsidenten der Kammer, unverhofft ermorden, um zu zeigen, daß kein Kopf vor ihm sicher war. Und als die ganze Gesellschaft vor Furcht und Enssetzen bis in die Einge­ weide zitterte, wagte er ihr die brutale Opferung der Camila O. Gorman zu bieten. Die Stadt hatte er durch das Land besiegt. Als er nach seiner ersten „Regierungsperiode" sich wieder aufs Land zurück­ zog, verband er sich mit Häuptlingen zweiten Ranges, die er später durch Dolch und Gift zu beseitigen hoffte. Mit Quiroga Martens, Caligula.

4

44

gewann er den großen Kampf gegen die Provinzen. Sie hatten beide gesiegt — jetzt waren sie Rivalen. Einer mußte untergehen. Quiroga wurde meuchlings erschosien, Rosas ge­ hörte das Schlachtfeld. Wie in einem Netze gefangen hielt er Buenos Aires und das ganze Land. Niemand wagte mehr zu widersprechen, Volk und Kammer und Offiziere, sie alle beugten das Knie vor dem Gewaltigen. Dieses eingeschüchterte Volk wurde veranlaßt durch ein Plebiszit kund zu geben, ob es die Handlungen des Dikta­ tors und die Regierungsweise gut hieße und deren Fortsetzung wünsche. Mit überwältigender Majorität geschah das. — Welch ein Beitrag zur Wertlehre der Plebiszite!! Rosas herrschte weiter. Räuberbanden stachelte er gegen seine eigenen Häuptlinge auf, verdrehte und kehrte um jede bis­ her bestehende Herrschaft und Ordnung; den Armen hetzte er gegen den Reichen, den Gaucho gegen den Städter, den Sol­ daten gegen den Gaucho, die Mazorca gegen den Soldaten, die Polizei gegen die Mazorca — alles wird niedergetreten, nur seine eigene Person sollte groß dastehen! Welche von den zahlreichen Institutionen und fteiheitlichen Einrichtungen, die nach der Unabhängigkeitserklärung, vornehm­ lich von Rivadavia eingeführt worden waren, hätte unter diesen Umständen bestehen bleiben können? Der Preffe, sonst die be­ rufene Beschützerin des Volkes und seiner Rechte, war jedes freie Worte verboten. Nicht der leiseste Tadel über Regierungs­ akte oder gar über den Diktator selbst war gestattet. Mit kriechenden Schmeicheleien oder mit niedrigem Klatsch waren die Spalten der Tagesblätter oder Zeitungen gefüllt. Wenige waren es, die überhaupt noch erschienen.

45

Von der Kammer, in die, wie wir gesehen haben, nur Repräsentanten Zutritt hatten, welche unbedingt dem Diktator er­ geben waren, konnte das Volk gewiß keine Verteidigung seiner Rechte erwarten. Kaum war es ihr erlaubt auch nur im aller bescheidensten Maße ihre eigene Meinung zur Geltung zu bringen. Die Ermordung des Präsidenten der Kammer, des Dr. Maza, in dem Sitzungsgebäude selbst gab ein beredtes Zeugnis dafür, daß Rosas mit dem Präsidenten des gesetzge­ benden Körpers ebensowenig Federlesen machte wie mit irgend einem Pferdeknecht auf seinen Estancias. Obgleich jede Ver­ spottung der Regierung oder der öffentlichen Gewalten den Deliquenten direkt in Lebensgefahr brachte, laß man doch eines Tages in großen Buchstaben an der Thüre des Sitzungs­ gebäudes die Worte: „Hier werden zahme Hammel verkauft, ihr Herr wohnt im gegenüberliegenden Hause." Das Haus des republikanischen Tyrannen befand sich vis-ä-vis dem Ge­ bäude der Repräsentanten. Wie es mit der richterlichen Gewalt stand? Was konnte man von ihrer Wirksamkeit verlangen, nachdem der Diktator durch die gesetzmäßig vollzogene Verleihung der außerordentlichen Gewalt über das Gesetz gestellt war und über Leben und Eigen­ tum der Bewohner in so alles verachtender Willkür verfügte, wie nur je ein Sultan oder Pascha im Innern Afrikas. Nach den sorgfältigen Angaben Jndartes*), die so oft bezweifelt, untersucht und bestätigt gefunden worden sind, verloren schon bis zum Jahre 1843 auf Veranlassung von Rosas ihr Leben durch *) Rosas y sus apositores por J. Rivera Indarte. Buenos AiresMontevideo.

46 4

Gift Halsabschneider«

3 765

Erschießen

1393

Erdolchen

722

Nach Schlachten und Gefechten 14 920 Anderweitige Mittel

11600 600 Total

22 404

Also 22 404 umgebrachte Menschen unter etwa l'/2 Millio­ nen *)!

Alle diese Unglücklichen verloren ihr Leben ohne jeg­

lichen Richterspruch.

Rosas verlangte außerdem von jedem

Richter und Advokaten beim Beginn seiner Tätigkeit den Eid der Treue auf die Föderation.

Was aber war im Grunde der

Sache die Föderation? Rosas selbst.

Zwei durch ihre Bered­

samkeit in Buenos Aires bekannte Advokaten, die Doctoren der Rechte Zaracha und Zorilla, wagten es

für einige vom

Diktator Verfolgte einzutreten: des anderen Morgens wurden sie tot in ihren Betten geftmden. Das Bestehen der öffentlichen Gewalten war eine Komödie; Rosas war Gouverneur, Richter und Gesetzgeber in einer Per­ son.

Aus

Schlauheit und Berechnung nur schaffte er diese

Institutionen nicht ab.

Weshalb auch? Sie hinderten die Aus­

führung seiner willkürlichen Pläne gewiß nicht. Schmerzlich aber vor allem berührt es konstatieren zu müssen, daß selbst die Kirche, so

oft in Zeiten der Anarchie und des

Faustrechtes der einzige Hort der Freiheit und das einzige Asyl der Verfolgten und Bedrückten, von Rosas ebenso gebeugt und

*) Auf soviel nur bezifferten sich damals ungefähr die Ein­ wohner der Länder, die das heutige Argentinien bilden.

47 niedergedrückt wurde und seinem Willen fügsam gemacht worden war, wie die öffentlichen Gewalten.

An den Bischof von San

Juan wagte der Diktator den 5. November 1841 zu schreiben: „Geben Ihre Heiligkeit ein leuchtendes Beispiel wahren, christ­ lichen Wohlwollens und veranlassen, daß alle Unitarier in Acht und Bann erklärt werden. energisch

Die wahre Liebe zum Volk fordert

die Ausrottung dieser gottesschänderischen Bande."

Auf Rosas direkte Verordnung — eine Ausgeburt des Cäsarenwahnfinns — wurde seinem Bilde fast göttliche Verehrung zu Teil.

Auf einem Wagen wurde es durch die Straßen der

Stadt gezogen, aber nicht von Pferden, sondern von Frauen aus reichen und angesehenen Familien.

Es blieb diesen kein

Ausweg, wollten sie nicht in die Hände der Mazorca fallen und geschändet werden.

Selbst die Frau des Generals Quiroga,

der, wie erwähnt, auf Veranlassung des Diktators ermordet worden war, wurde gezwungen sich vor diesen Wagen zu spannen, und als solches zu den Ohren des Tyrannen kam, sandte er der verzweifelnden Frau in cynischer Weise eine Kiste mit Heu und Stroh zu. — Nach einem derartigen Triumphzug durch die Straßen wurde das Bild des Machthabers in die Kirche de la Merced gebracht, auf den Hochaltar gestellt, wo bisher das Bildnis des Erlösers der Welt, des

gekreuzigten Christus

gethront hatte,

und die Priester mußten davor das Hochamt halten! Ja es wurde fortan Sitte, daß die Diener Gottes von der Kanzel herab die hohen Tugenden des Tyrannen priesen und

den

Segen des Allmächttgen für seine Taten herabflehten.

Die

Geschichte weist kein zweites Beispiel solch krasser Entheiligung und Schändung der Kirche durch Handlungen und Worte auf. Doch alles dieses rettete die Geistlichkeit nicht vor Verfolgung und

Tod.

Die Jesuiten wurdm

vertrieben,

die bejahrten

48 Priester Villafane, D. Felipe und v. Manuel Frias wurden bis aus der nördlichen Provinz Tuclunan unter Mißhandlungen aller Art bis nach Santos Lugares geschleppt und mit drama­ tischem Pompe hingerichtet. Wie über das Leben des zum rechtlosen Heloten herab­ gedrückten Bürgers verfügte der Diktator natürlich auch über das Eigentum desselben. Die politischen Gegner wurden für geringe oder ganz angedichtete Verbrechen mit hohen Geld­ strafen und der Konfiskation ihrer Güter bestraft. Ein Haupt­ schachzug des Tyrannen war das Dekret vom September 1840, wonach das bewegliche und unbewegliche Vermögen aller Emi­ granten eingezogen wurde. Eine große Anzahl von Häusern und Estancias fiel so in die Hände des Staates oder vielmehr in die des Diktators. Was konnte überhaupt der „freie Bürger der Republik" in den Zeiten des Rosas noch nach eigenem Ermessen betreiben oder bestimmen? Ueber alles existierten Polizeivorschristen. Nicht die Wahl der Farbe des Gewandes stand ihm zu. Sowohl Blau, das an die Fahne der Revolution erinnerte, als Grün, das auf die Unitarier hindeutete, waren verpönt. Auch Schwarz war direkt durch eine Vorschrift verboten; diese Farbe würde zu deutlich angezeigt haben, daß fast jedes Haus um einen An­ gehörigen zu trauern hatte, der das Opfer der Verfolgungs­ sucht des Tyrannen und seiner Helfershelfer geworden war. Nur die rote Farbe galt als unverdächtig. Selbst bei der Einführung von Waren aus dem Auslande waren Stoffe und Schmucksachen verboten, die grün oder blau waren. Die Frauen trugen Blumensträuße ohne Blätter, da Blätter grün, also verdächttg waren. Aus den Hüten der Damen durfte niemals ein roter Büschel fehlen, wollten ihre Trägerinnen fich nicht den

49 gröbsten Beschimpfungen und Belästigungen aussetzen. DieMänner mußten stets auf der Straße eine rote Schleife mit dem Bildniffe des Diktators tragen. Selbst im Schlafe ließ man die Bewohner von Buenos Aires nicht in Ruhe. Auch in der Nacht sollten sie an die Allgewalt des Diktators erinnert werden.

Jede Stunde

mußten die Nachtwächter in die stillen Straßen hineinschreien: Mueron los salvajes Unitarios! Viva ei restaurador de los leyes! (Tod den wilden Unitariern! Es lebe der Wiederhersteller des Rechts!) Dieses war die Formel des Wahlspruchs,

den

jeder Argentinier fortwährend im Munde führen,

jede

der

Handlung einleiten, auf jedem Schriftstück an hervorragender Stelle zu finden sein sollte. überall,

in

Man sah diese Worte deshalb

Zolldeklarationen, in

Regierungsdokumenten, in

Bittschriften, in Zeitungsankündigungen, in Privatbriefen, in Einladungskarten zu kirchlichen und weltlichen Festen; sie zierten das Pferdegeschirr und prangten in großen

Lettern an den

Kirchentüren, auf Flaggen und Fahnen. — Wenn wir bisher gesehen haben, daß Rosas Auftreten überall von Zerstörung und Vernichtung begleitet war und für das argentinische Volk nur traurige, negative Resultate zeitigte, so kommen wir jetzt zu einem Erfolge der Politik des Diktators, der merkwürdiger Weise von den Historikern entweder gar nicht oder doch nur flüchtig, wie etwas Nebensächliches, erwähnt worden ist.

Dieser Erfolg liegt auf wirtschaftlichem Gebiete.

Jeder Wirtschaftspolitiker weiß, daß heute Argentinien ein nicht unbedeutender Faktor auf dem Weltmarkt geworden ist, daß die Zeit vorbei ist, da man diesen Staat als eine „faule Kreolen­ republik", glaubte.

wie eine quantite negligable behandeln zu dürfen Die großen Ländermafsen von Feuerland bis zu den

subtropischen Provinzen Tucuman und Salta enthalten eine

50 rapid steigende Bevölkerung mit stark ausgeprägtem National­ gefühl und glühender Vaterlandsliebe. Eine nicht unbedeutende, gut bewaffnete und ausgerüstete Armee würde gegebenen Falles jedes Eingreifen einer auswärtigen Macht in die inneren An­ gelegenheiten des Landes mit Erfolg zurückzuweisen vermögen; die Flotte, bestehend aus Panzerschiffen, Kanonen- und Torpedo­ boten neuester Konstruktion, steht zwar in Südamerika noch an Zahl derjenigen Brasiliens nach, ist aber dieser in Bezug auf Verwendbarkeit, Schnelligkeit und Ausrüstung der Fahrzeuge bei weitem überlegen. In Paris auf der letzten Weltaus­ stellung zeigte Argentinien den erstaunten Besuchern in einem großartigem Ausstellungspalast, welche Fülle von Landes­ produkten und Jndustrieerzeugniffen es hervorzubringen im Stande sei. Im deutschen Reichstag debattierte man tagelang (den 13. und 14. März 1895. Antrag Hehl) über die Stellung­ nahme des Reiches diesem Lande gegenüber in der Zollpolitik, und heute lenkt Argentiniens verblüffend schnell sich steigender Export die Augen der Wirtschaftspolitiker aller Länder nach dem La Plata. Hierfür genügt es wohl anzuführen, das nach der „Deutschen Volkswirtschaftlichen Korrespondenz"*) Argen­ tinien an einem Tage (am 12. Dezember 1895) aus seinen Haupthäfen Buenos Aires und Rosario 3.221.910 kg Mais und 4 039190 kg Weizen und 84 000 000 kg Fleisch exportierte. Woher nahm nun Argentinien die koloffalen Summen, die Heeresbewaffnung und Flottenausrüstung erforderten? Wie kam es, daß aus Argentinien, das vor einem halben Jahrhundert noch außer einigen Tausend Häuten fast nichts für den Export *) Deutsche Volkswirtschaftliche Korrespondenz von Dr. Arthur Struker, Jahrgang XXL Nr. 7.

51 hervorbrachte, ein für den Welthandel einflußreiches Land wurde? Das Geld für Heer und Flotte gaben die großen, ausgedehnten Weizen- und Maisfelder, besonders die der Provinz Santa Fe, welche jetzt ein „Weizenmeer" genannt werden kann, während sie vor etwa 50 Jahren nur als ein Weideland einige Tausend Stück Vieh ernährte. Den ungeahnten Aufschwung brachte der Uebergang eines großen Teiles der Bevölkerung von der Vieh­ zucht und ausschließlichen Weidewirtschaft zum intensiven, mit europäischen Kenntnissen und Maschinen betriebenen Ackerbau hervor. Man begann mit dem Weizen, es folgten alle anderen Ackerbauerzeugniffe bis aus den Zucker, von dem die Provinz Tucuman heute mehr produzieren kann, als die Republik braucht. Wer veranlaßte den Gaucho, dessen eigenste Natur ihn auf Vieh- und Pferdezucht hinweist, zum Pflug zu greifen? Wer gab die Anregung zu dem plötzlichen Umschwung in der Beschäfti­ gung und Lebensweise von Tausenden, ein Umschwung, der sich sonst nur in langen Perioden und sehr allmählich zu vollziehen pflegt? Es war kein anderer als Rosas und ein Machtgebot von ihm, das diese weittragende Wirkung hervorrief und indirekt Argentinien zur heutigen Bedeutung verhalf. Rosas war es bei der jahrelangen Blockade, die Franzosen und Engländer über Buenos Aires verhängten, nicht entgangen, daß Argen­ tinien in Bezug auf die wichtigsten Lebensmittel, Mehl oder Getreide, ganz auf das Ausland angewiesen war. In seiner brutal durchgreifenden Regierungsweise verbot er einfach jede Einfuhr von Korn und Mehl. Tausende kamen dadurch in die größte Not, aber der Anfang mit dem Getreidebau wurde ge­ macht, und noch während der Herrschaft des Tyrannen, 1850, gingen 3800 Quarters La Plata-Weizen nach England. 1883 exportierte Argentinien schon für 18.898.044 Mark an Weizen,

52 Mais und Mehl, und

1894 warf es 17 Millionen Doppel-

zentner auf den Weltmarkt.--------Wir sind mit den Betrachtungen über die öffentliche Lauf­ bahn des Tyrannen und die Einwirkungen feines Regierungsfystems auf die politischen und sozialen Verhältniffe Argentiniens zu Ende.

Wir sahen wie Rosas durch kalte, kluge Berechnung

emporstieg, durch systematisch

vollführte

Grausamkeiten

den

Schrecken zu erhalten und sich selbst länger in der Herrschaft zu behaupten wußte, als irgend Jemand in ganz Süd-Amerika in unserem Jahrhundert; wir sahen, wie sein Auftreten für die ganzen, ausgedehnten La Plata-Länder von entscheidendem Ein­ fluß wurde.

Wenn wir so zu dem in die Augen springenden

Resultat gekommen sind, daß Rosas eine merkwürdige Erschei­ nung nicht nur in der Geschichte Süd-Amerikas, sondern in der Geschichte überhaupt bildet und wohl einiger Aufmerksamkeit von Seiten der Historiker und der Gebildeten überhaupt wert ist, so

gelangen

wir unwillkürlich zu

Tyrannen, wie Nero

einem zweiten Ergebnis:

oder Caligula, find nicht nur in den

Monarchieen zu suchen, der Cäsarenwahnsinn findet sich nicht nur auf dem Kaiserthron, die Bacillen dieser Krankheit finden einen ebenso vorteilhaften Nährboden in republikanischen Staa­ ten, auf den Gouverneur- und Präfidentenseffeln.

Capitel IV. Es bleibt uns, nachdem wir Rosas Verhalten im politischen Leben kennen gelernt haben, sein Privatleben, seine Vergnügungen, seine Gewohnheiten im täglichen Leben und Verkehr zu betrachten.

53 Wie er in der Pampa unter seinen Pferden, Ochsen und Halb­ wilden lebte, ist zur Genüge gezeigt worden, werfen wir jetzt einmal einen Blick in seine Häuslichkeit, als er in Pracht und Herrlichkeit auf dem Gipfel seiner Macht in seinem Schloß — man ist berechtigt sein umfangreiches, mit allem erdenklichen Luxus

ausgestattetes

Landhaus

so

zu nennen

— in

Pa­

lermo lebte. In

der Nähe von Buenos Aires, unweit des Parana-

Ufers befand sich ein sumpfiger, ungesunder Ort, bestehend aus einem Landhaus und einigen miserabel» Hütten, genannt Los pantanales de San Benito de Palermo. sollen, daß auf diesem Wald

von

Wer hätte glauben

sumpfreichen, unftuchtbaren Boden ein

Orangenbäumen,

herrlichen Alleen,

prachtvollen

Blumengärten entstehen sollte?! Nur die Hand eines mäch­ tigen Herrschers war fähig diese märchenhafte Umwandlung herbeizuführen.

Was kann,

fragt man unwillkürlich, Rosas

bewogen haben, in einem so unftuchtbaren, überdies noch in unmittelbarer Nähe des Hauptkirchhofes von Buenos Aires, der Recoleta, liegenden Terrains seine Residenz zu errichten? ist nicht anders zu erklären, mal zeigen, überwinden

daß

der Tyrann

Es

wollte wieder ein­

sein eiserner Wille alle Schwierigkeiten zu

vermochte.

Staunen sollte

sein

Werk

erregen.

Hier im Kontrast mit der weiteren' Umgebung mußte jeder Besucher die Herrlichkeiten seiner Gärten, seines Schlosses desto mehr bewundern.

Alles mußte hier erst geschaffen werden. Selbst

den Grund und Boden, auf dem die Gebäude errichtet werden sollten, selbst die Erde für die Anpflanzungen war man ge­ zwungen von weit herbeizuschaffen. die Millionen

verschlang,

machte

Eine zehnjährige Arbeit, Palermo zu

einem

Land­

aufenthalt, den die Besucher einstimmig als den schönsten und

54

prächtigsten Süd-Amerikas gepriesen haben. Man gelangte zu ihm auf einer breiten, von hohen Orangenbäumen gebildeten Allee, durch die von weit her schon das weiße, von zahlreichen Türmen gezierte Schlößchen durchblickte. Es wurde gesagt, daß der Architekt des Tyrannen das Tuilerienschloß der ftanzösischen Hauptstadt habe nachahmen wollen. Im Innern herrschte fürstlicher, den europäischen Höfen nachgeahmter Luxus. Merk­ würdig, hier in der mit sybaritischem Luxus ausgestatteten Um­ gebung wohnte Rosas, der fortwährend gegen europäische Sitten und Gewohnheiten, gegen europäische Verweichlichung und Prachtliebe eiferte und in allen öffentlichen Kundgebungen sich als den strengen, bedürfnislosen Republikaner*) hinstellte! Ob­ gleich eine Unzahl von Dienstboten und Beamten sich in den Gängen und Hausfluren hin und her bewegte, obgleich das Haus stets gefüllt war von solchen, die auf die Gunst warteten vor den Allmächtigen treten zu dürfen, herrschte doch immer eine klösterliche Stille in dem weiten Gebäude. Jedermann wußte, daß es verboten war hier laut zu sprechen, sich über Politik zu unterhalten, zu klagen oder zu lachen. Alles schwieg und begnügte sich mit einem geflüsterten Wort, mit einem Zeichen. In Palermo, wie in Buenos Aires schwieg man und — gehorchte. Seltsam, fast unnatürlich, wie des Tyrannen öffentliches Auftreten und Handeln spielt sich auch sein häusliches Leben von Tag zu Tag ab. In der Nacht arbeitete er, am Tage schlief und amüsierte er sich. Nachdem Rosas um 8 Uhr Morgens große Quantitäten Mate-Thee durch ein silbernes Röhrchen ge­ schlürft hatte, zog er sich in sein Schlafzimmer zurück. Ob er c) austero republicano.

55 dort schlief? Das war ein Geheimnis, das nur die schöne Eugenia hätte lüften können, die die einzige war, welche auch ungerufen stets eintreten dieselbe

sogar als die

durfte.

Böse Zungen bezeichneten

„Sultanin

von

Palermo".

Gewiß

ist, daß sie jedes Jahr ein Söhnchen gebar, denen der Diktator große Zuneigung bezeigte.

Um 2 Uhr Nachmittags ungefähr

forderte Rosas das Frühstück, das er meistens im Bette sitzend verzehrte.

Während besten empfing er gleichzeitig seine Werk­

zeuge, den Polizeichef, den Hafenkapitän, den Befehlshaber der Nachtwächter rc., falls etwas Wichtiges vorlag.

Einflußreiche

Persönlichkeiten waren die Genannten unter Rosas, wichtigere jedenfalls

als die Minister, die nur zum Scheine, um der

äußeren Form zu genügen, ernannt wurden.

Durch die vorher

Erwähnten und die zahlreichen, gut besoldeten Späher erfuhr der Tyrann alles,

entdeckte er jedes Geheimnis,

was

dazu

führte, daß die unwisfende Maste ihm übernatürliche Eigen­ schaften, eine Art Allwissenheit beilegte. ten Aberglauben hatte Rosas

Gegen diesen bornier­

natürlich nichts einzuwenden.

Nach der Bettaudienz kleidete sich Don Manuel nun seinen Privatvergnügungen nach.

an und ging

In der Art der Ver­

gnügungen wechselte er grundsätzlich jeden Tag ab und vermied eine feststehende Gewohnheit zu zeigen.

Niemand wußte im

Voraus, wann er das Haus verlassen würde und wohin er sich zu wenden beabsichtigte.

Nicht selten mischte

er sich bei seinen

Ausflügen, die. er mit Vorliebe allein zu unternehmen pflegte, unter gewöhnliche Arbeiter oder Fischer, trank mit ihnen Mate und nahm an ihren Unterhaltungen, ihren Gesängen und Ver­ gnügungen

Teil.

den Fischermädchen.

Oft

machte

er

auch

ein Tänzchen

mit

Ohne sich zu erkennen zu geben verließ er

meistens die Leute, die keine Ahnung hatten, mit dem gefürchteten

56 Tyrannen ihre Lustbarkeiten geteilt zu von Anekdoten,

haben.

Eine Unzahl

die sich auf solche Ausflüge beziehen, gehen

noch heute von Mund zu Mund, in denen Wahrheit und Dich­ tung vereint zu treffen sein werden. Der Regel nach, die an Ausnahmen allerdings sehr reich war, fing Rosas zwischen 7—8 Uhr Abends an zu arbeiten und die laufenden Geschäfte abzuwickeln.

Ungefähr zehn Schreiber

mußten die ganze Nacht zu seiner Verfügung sein.

Zwar ver­

langte der Diktator von ihnen nicht nur Gehorsam, sondern absolute Unterwürfigkeit, zwar war das für diese Geheimsekretäre vom Staate ausgesetzte Gehalt durchaus nicht verlockend, aber die persönlichen Geschenke, die der Tyrann auszuteilen gewohnt war, gingen geradezu ins Großartige. deshalb auch Söhne

Natürlich bemühten sich

der ersten Familien von Buenos Aires

solche Anstellungen zu erlangen, aber vergebens, Rosas zog es vor, die ihm geeignet scheinenden Persönlichkeiten unter anhangs­ losen, des Einflusses entbehrenden Jünglingen zu suchen.

War

ihr Heimatsort recht entfernt von der Hauptstadt, um so beffer. Wir sehen, alles war bei dem Diktator Berechnung, Vorsicht, Schlauheit. Während er mit seinem Stabe von Geheimschreibern die Nacht hindurch arbeitete, verbrachte er, wie wir schon ge­ sehen haben, den Tag schlafend und seinen eigentümlichen Ver­ gnügungen nachjagend.

Er hielt weder etwas vom geselligen

Verkehr mit Gebildeten, noch von glänzenden Gesellschaften oder Bällen.

Erschien er auf einer Festlichkeit, so geschah es sicher,

um irgend eine Ungezogenheit zu begehen oder ein gemeines Poffenspiel aufzuführen.

Bei einer Gesellschaft, die von seiner

Tochter Manuela gegeben wurde, durchzog er mit einem bunt herausgeputzten Esel an der Hand die mit prächtigen Teppichen belegten Gemächer, sagte jeder Dame ein paar unflätige Worte

57 nach Art der Eseltreiber und zog wieder von dannen.

Ein

anderes mal trat er mit zwei verwachsenen Zwergen, die er zu seiner Belustigung

gerne

um sich sah, herein

und

forderte

sämmtliche Damen auf den Narren die Hände zu küffen.

Eine

junge Dame weigerte sich solches zu tun: ein buckeliger, kleiner Neger mußte sie hinausführen,

entkleiden und durchpeitschen.

Wieder ein anderes mal rief er die Gesellschaft zusammen, um ihr etwas „Spaßiges" zu zeigen. deckten Schüffel begleitete ihn. sah

man

darin. aus.

zum

Entsetzen

Ein Diener mit einer ver­

Als

aller

dieselbe aufgedeckt wurde,

abgeschnittene

Menschenohren

„Eingesalzene Ohren der Unitarier", rief Rosas lachend Nur wenn es unumgänglich notwendig war, fügte er sich

dem Ceremoniell von Festlichkeiten oder öffentlichen Empfängen. Doch auch Bälle und Lustbarkeiten fanden in Palermo statt.

Diese führen uns zu der Tochter des Tyrannen, die dem

Bilde

der

„Hofhaltung"

Charakter gab.

in

Palermo

ihren

eigentümlichen

Ganz systematisch und mit kalter Berechnung

war Rosas vorgegangen, um nach und nach Herz und Gemüt seiner Tochter zu verderben und immer mehr und mehr zu be­ herrschen.

Als

er

überzeugt

war,

machte

dann von er

dem Gelingen seines Werkes

Manuela

zur

Mitwifferin

seiner

Schlechtigkeiten und teilte dann sowohl den Glanz als die Mühen seiner Tyrannenherrschaft mit ihr. Dona Manuelita sich

wie eine Prinzessin

Seitdem sah man kleiden und mit

einem Hofftaat von vornehmen Damen und Kavallieren um­ geben. von

Sie wurde der Mittelpunkt der vornehmen Gesellschaft In-

und

Ausländern.

Die Gesandten

der

Herrscher

Europas, englische Lords, stanzösische Vicomtes, wetteiferten um die Ehre von der schönen Kreolin empfangen zu werden.

Bald

wußte man, daß der beste, wohl auch der einzige Weg zur Gunst

58 des Tyrannen durch die Salons seiner schönen Tochter ging. Von ein Uhr Mittags an empfing sie in ihrem kleinen mit raffiniertem Luxus ausgestatteten Salon, in einer Art Audienz­ form, immer einen Besucher nach dem anderen. Obgleich sie nichts weniger als gütig und wohlwollend war, hatte der fortgesetzte Um­ gang mit wohl erzogenen Leuten sie doch gelehrt als solche immer zu erscheinen. Hier, in diesem kleinen, lauschigen Zimmer wurde so mancher offene oder versteckte Gegner, an den man nicht

gern

mit

Gift

oder

Dolch

heran

wollte,

durch

die

weitgehendste Liebenswürdigkeit des Töchterleins zum Bundes­ genoffen gemacht.-------Des Abends versammelte Manuela meistens eine große Gesellschaft um sich.

Wiederum war sie der Mittelpunkt, der

glänzende Stern, um den sich alles drehte.

Man bewunderte,

man vergötterte sie, wenn sie ihre spanischen Gesänge vortrug, wenn

sie Klavier spielte,

Unterhaltung

ihre

wenn sie in lebhafter, scherzender

Gewandheit im

Diskutieren

und

ihren

Mutterwitz bekundete, vor allem aber, wenn sie, ganz Enthusias­ mus, beim Tanz die den Kreolinnen eigentümliche Grazie bei jeder Bewegung, bei jeder Drehung zur Geltung brachte.

Eine

Sirene, so schön, so verführerisch, so verderbenbringend. Wie erwähnt, ließ der Vater sich bei alle dem selten blicken; dieses Feld überließ er vollständig der gut geschulten Tochter, er selbst fühlte sich mehr da zu Hause, wo die .brutale Gewalt herrschen konnte. Seine Belustigungen lagen auf einem anderen Gebiete, er fand

ein großes Vergnügen an der Ausführung

der tollsten Einfälle. darauf

kam

Juan

Was einem Teufel nicht eingefallen wäre, Manuel

Rosas!

Unzählig

find

die

Anekdoten, die man von seinen „Späßen" zu berichten weiß, und da die Art des Amüsements, dem Jemand nachzugehen

59 pflegt, meist Helle Streiflichter auf seinen Charakter wirft, so wollen wir nicht unterlassen auch einiges hierüber mitzuteilen. Leider sind die meisten „Späße" unflätig oder unanständig, so daß wir auf ihre Wiedergabe verzichten muffen.

Als Beispiele

„unschuldiger Scherze", bei denen auch nur ein Rosas Ver­ gnügen empfinden konnte, mögen hier einige wenige dienen:*) In des Tyrannen Umgebung befand sich ein Mensch, halb Spaßvogel, halb blödsinnig, liebe hatte.

der für Süßigkeiten große Vor­

Diesem wurde absichtlich eine Falle gestellt, indem

man ihn lange Zeit in einem Zimmer allein ließ, in welchem sich eingemachtes Obst befand.

Als er beim Naschen ertappt

wurde und sein Vergehen zitternd eingestand, rief ihm Rosas zu: „Jetzt sollst du mehr davon essen". der Nähe

Man befestigte ihn in

eines Ameisenhaufens und legte ihm eine große

Quantttät von Süßigkeiten vor, die er vor seiner Freilassung aufzuessen verpflichtet sein

sollte.

In einer Minute bedeckten

die Ameisen, vom Süßen angelockt, den Körper des Unglücklichen, bald brannte der ganze Körper von roten Tiere,

den Stichen

der großen

die sich in die Nase, in die Ohren, ins Haar

hineindrängten und das arme Opfer zur Verzweiflung brachten. Doch alles Schreien und Flehm war vergebens und erhöhte nur das Vergnügen des Tyrannen, der sich, den Bauch vor Lachen haltend, in unmittelbarer Nähe befand.

Obgleich

der

Unglückliche mit jedem Bisien eine Menge von Ameisen zu ver­ schlucken gezwungen war, kam er erst frei, als einige Pfunde der süßen Speise heruntergewürgt waren.

Es fehlte nicht viel,

und er hätte bei diesem „Spaß" sein Leben verloren.

*) Diabluras, diversiones y aneedotas de Don Juan Manuel Rosas por F. B. Ed. 2. Buenos Aires 1859. Murtens, Caligula.

8°.

60 Ein

anderes Bild:

Als Rosas nach

der Schlacht von

Santa Crux die Glückwünsche seiner Umgebung entgegennahm, näherte sich ihm in großer Uniform der ehrwürdige General Soler.

Als Rosas

diesen auf sich zukommen sah, sagte er

zu seiner Umgebung: „Dieser Herr kommt wohl mehr hierher, weil er das Bedürfnis hat seine in allen möglichen Raufereien erworbenen Orden zu zeigen,

als um mich zu beglückwünschen.

Gleich werde ich mich umziehen, um ihn würdig zu empfangen." In einigen Minuten kehrte

er wieder und trat dem General

ohne Rock und in Unterhosen entgegen.

Nicht die Verdienste,

nicht die grauen Haare des Generals vermochten ihn vor einer derartigen Verspottung durch den Diktator zu schützen. Einen anderen General, der schon in den Unabhängigkeits­ kriegen mitgefochten

hatte,

vertrieb Rosas

durch grobe Un­

anständigkeiten, die er von seinen halbverrückten Spaßmachern ausführen ließ, aus seinem Hause und eröffnete sodann ein Bombardement von faulen Eiern auf den Davoneilenden.

Die

Freude des Diktators war groß den tapferen General in so eiliger Flucht zu sehen. So verfuhr Rosas

mit hohen Offizieren; doch auch vor

der hohen Geistlichkeit machten seine groben Ungezogenheiten nicht Halt.

Als der Bischof Medrano einst nach Palermo

kam, ging ihm Rosas entgegen, ergriff ihn, hob ihn auf seine Schulter und fing mit ihm an zu springen, zu tanzen und im Garten herumzulaufen.

Der ehrwürdige Bischof verlor sein

Käppchen, seine Schuhe, schrie, jammerte und strampelte, um sich loszumachen.

Rosas freute sich über die Hilflosigkeit des

hohen Prälaten, lief mit ihm endlich ins Zimmer, warf ihn wie einen Sack auf ein Sopha und fragte ihn dann mit tiefer Verbeugung: „Womit kann ich Hochwürden dienen?"

61 Seinem eigenen Hauskaplan Lara spielte Rosas ebenfalls einen Übeln Streich.

Dieser Kaplan war der geplagteste Mann

in der ganzen Republik in Bezug auf Hühneraugen. Zu Hause trug er recht weiche und umfangreiche Morgenschuhe, aber, zu Rosas befohlen, war er gezwungen Stiefel

anzulegen.

War

dies nun schon an und für sich eine Pein für ihn, so sollte doch das schlimmste noch kommen.

Als er nach der Aufwartung bei

dem Tyrannen die Treppe hinabstieg, eilte ein Diener an ihm vorbei und trat ihm, von seinem würdigen Herrn dazu ange­ halten, wie von ungefähr kräftig auf den Fuß.

Lara, vor

Schmerz aufschreiend und seinen heiligen Stand

vergessend,

wünschte den Uebeltäter zu allen Teufeln, Rosas aber rief ihm lachend zu:

„Tut nichts, Kaplänchen, das betet und beichtet er

alles wieder ab." Am 31. Juli 1838,

als ungefähr

150 Personen, unter

welchen die höchsten Würdenträger nicht fehlten, sich in des Tyrannen Landhaus befanden, schließen,

ließ er plötzlich die Haustüren

erschien auf dem großen Hofe in Gauchotracht, mit

einem gewaltigen Strohhut auf dem Kopf und einer Reitpeitsche in der Hand und befahl, daß alle im Hause Anwesenden sich versammeln sollten. Nachdem dieses geschehen war, rief er San Jgnacio de Loyola zum neuen Schutzpatron von Buenos Aires aus, ließ den von ihm neu eingesetzten Heiligen und die Födera­ tionhochleben und warf dann Goldmünzen unter die Versammelten. Noch vor einigen Minuten standen die großen Herren stolz in einiger Entfernung von den Uebrigen, in vornehmer Ruhe sich von den Dienern und

Angestellten des Hauses

Jetzt aber, welche Veränderung! Gold machte alle gleich.

absondernd.

Die Begierde, die Jagd nach

Die Generaladjudanten, die schwarzen

Diener, das Küchenpersonal mit weißen Mützen und Schürzen

62 die Minister, die halbblödsinnigen Hansnarren, alles zusammen bildete bald einen Knäuel,

ein widriges Durcheinander,

das

stößt, springt, läuft, schlägt, auf der Erde kriecht, ja selbst das Beißen nicht verschmäht, nur um in den Besitz von möglichst viel Gold zu gelangen. — Rosas stand dabei, schlug ab und zu mit der Peitsche dazwischen und wußte sich vor Lachen nicht zu helfen. Hieran anknüpfend erschien das Dekret der Absetzung des alten und der Ernennung des neuen Schutzpatrons von Buenos Aires.

Dieses Dekret, in dem der Tyrann Rosas sich schon

fast Machtbefugnisse im Vorhof des Himmels anmaßte, steht wohl einzig in seiner Art in der Weltgeschichte da, es möge daher hier vollständig in sinngetreuer Uebersetzung seinen Platz finden: „Es lebe die Föderation!

BuenosAires, den 31. Juli 1839 im 30. Jahre der Freiheit, im 24. Jahre der Unabhängigkeit und im 10. der Argentinischen Konföderation. Die Regierung in Anbetracht 1.

„Daß diese Stadt, die von ihrer Gründung an unter

dem Schutz des Franzosen San Martin, Bischofs von Tour, gestanden hat, bis zur Gegenwart sich nicht hat befreien können von verderblichen Wechselfiebern, von anhaltender Trockenheit, von Epidemieen,

die in

den verschiedensten Zeitepochen unser

Vieh und unsere Ernte zerstörten, ebenfalls sich nicht hat be­ fteien können von Ueberschwemmungen, die fast jährlich Häuser, ja ganze Orsschaften zerstören, und

daß ferner dieser Schutz­

patron von seiner Seite aus nie etwas für das Verschwinden der schrecklichen Pockenplage getan hat, die doch

nach

der

63 Anwendung von

Kuhlymphe

so

leicht

hat

beseitigt werden

können, und 2) daß wir zur Beseitigung der Indianer-Einfälle und der Beendigung der inneren und äußeren Kriege, die uns so oft in Bedrängnis versetzt haben, immer unsere Zuflucht haben nehmen müssen in Bezug auf die Ersteren zu der Jungftau von Lusan, in Bezug auf die Letzteren zu den Jungftauen Mercedes und Santa Clara, triumphierten,

während

unser

durch bereit alleinige Hilfe wir ftanzösischer

Schutzpatron in

schönster Ruhe im Himmel blieb, ohne uns die geringste Unter­ stützung angedeihen zu lassen, was doch seine Pflicht gewesen wäre, und 3) daß der alte Schutzpatron uns heute,

wo wir wieder

von inneren und äußeren Feinden bedroht find, wahrscheinlich aus Parteinahme für sein Vaterland, vollständig vernachlässigt, so daß San Jgnacio de Loyola mit dem nobeln Heroismus, der ihn schon in seinem irdischen Leben auszeichnete, und nur aus Vorliebe für das Land, bei dessen Koloniefierung er mit­ wirkte, und wo seine Kinder blühende Missionen gründeten, zweimal im Verein mit der Jungftau von Rosario uns zu Hilfe kommen mußte, einmal bei der Vernichtung eines englischen Heeres von 11 000 Mann am 5. Juli 1807, das andere mal am 31. Juli, dem Jahrestage seiner Himmelfahrt, indem er die ftanzösischen Schiffe hinwegfegte, die unseren Hafen blockier­ ten, und 4) daß es die Pflicht der Regierung ist mit aller ihr ge­ gebenen Macht und

mit Rücksicht auf das hohe.Patronat,

welches sie über die Kirche ausübt, alle heiligen und profanen Angelegenheiten zum Wohle des Volkes

zu ordnen und die

Verwaltung von allen schlechten, unitarischen,

ausländischen

64 Dienern, seien es Lebende oder Tote, zu reinigen, die Diener aber, welche die heilige, nationale Sache der Föderation fördern, zu belohnen, und 6) daß die Verdienste des berühmten Spaniers San Jgnacio de Loyola um so schätzenswerter sind, da sie freiwillig geschahen, so daß sie die Verdienste seines Bruders in der Er­ oberung von Paraguay noch mehr verherrlichen, der neben allen anderen Verdienste das hat, daß er in der Republik naturalisiert ist und hier sein Haus und seine Familie hat, alles Vorzüge, die der bisherige Schutzpatron nicht für sich anführen kann, also in Anbetracht alles dessen hält die Regierung für gut und dekretiert: Art. 1. Der bisherige Schutzpatron San Martin, Bischof von Tour, der als Franzose und Unitarier das Vertrauen des Volkes und der Regierung verloren und aus Parteilichkeit für seine Landsleute, für Rivera und die anderen unitarischen Wilden uns gegenwärtig ganz vernachlässigt hat, verliert für immer seinen Posten als Schutzpatron von Buenos Aires. So verlangt es das Wohl des Volkes und unsere heilige Sache, die Föderation. Art. 2. In Anrechnung seiner langjährigen Dienste werden ihm bei seiner Absetzung noch als Pension 4 Wachslichte ä 1 Pfund jedes und eine Meffe an seinem Namenstage jährlich bewilligt. Art. 3. Es wird hiermit zum Schutzpatron von Buenos Aires San Jgnacio de Loyola mit dem Grade eines Brigardegenerals und der Erlaubnis die Kokarde der Föderalen zu tragen, ernannt. A r t. 4. Diese Kokarde dürfen fortan auch alle seine Kinder tragen und letztere werden fortan eine nie endende Pension von 800Pesos erhalten.

65 Art. 5.

Seine Exellenz der neue Schutzpatron haben auf

dieselben 40 Messen in der Kathedrale Anspruch, wie der Vor­ gänger, nicht gerechnet die, welche ihm dargebracht werden, in der ihm speziell geweihten Woche. Art. 6.

Am

Vorabend

des

Namenstages

des neuen

Schutzheiligen und 3 Tage hinter einander werden Illumination, Feuerwerk, öffentliche Vergnügungen und Spiele stattfinden, bei denen sich auch die afrikanischen Völker mit ihren eigentümlichen Tänzen beteiligen sollen. Art. 7.

Die Einsetzung

Kathedrale in feierlicher

des Schutzpatrons wird in der

Weise im Beisein der Vertreter der

Regierung und des Ministers für auswärtige Angelegenheiten stattfinden und unter Jnnehaltung folgenden Ceremoniells vor sich gehen: Am Vorabend wird der Generalinspektor der Armee eine große Parade vor suiten abhalten.

der Kathedale und dem Gebäude der Je­

Die Väter Jesu werden das Bildnis seiner

Exeellenz, des heiligen föderalen Schutzpatrons, in feierlicher Prozession von ihrem Hause nach der Hauptkirche hinüberführen. In

der

Begleitung

sollen

sich

befinden:

der

hochwürdige

Bischof der Diözese, die hohe und niedere Geistlichkeit und alle frommen Korporationen, ferner Lehrer und Schüler sämmtlicher Schulen, auch die schwarze Vereinigung des heiligen Benito von Palermo.

Vier Generäle werden neben der Tragbahre

des Heiligenbildes einhergehen, das ganze Heer soll präsentieren und wenn der Heilige hinter der Pforte des Tempels ver­ schwunden ist, eine große Salve abgeben, die von den Kanonen der Landartillerie sowohl als von denen der Flotte beantwortet werden wird.

Vor dem Bildniffe soll des Diktators General­

adjutant auf einem mit den Farben der Föderalen geschmückten

66 Rosse einherreiten und den Kommandostab

des heiligen Bri-

gardegenerals und dieses Dekret auf einem Sammtkiffen voran­ tragen.

Das Dekret wird bei der Feier dem Heiligen

Füßen gelegt und später in der Taufkapelle aufbewahrt. Befehlshaber-Stab wird San Jgnacio

von

zu Der

einem Major in

die Hand gelegt werden, wobei der Offizier eine Rede halten soll, die der Kultusminister vorher geprüft und gut gehießen hat. Art. 8.

Dieses zur gefälligen Kenntnisnahme, zur Ver­

öffentlichung und Veranlaffung des Weiteren." Zuletzt noch einige Worte über das Verhältnis des Dikta­ tors zu seiner Gattin. teuflisch muß

Nicht nur tyrannisch, sondern geradezu

man das Benehmen Rosas

Encarnacion Escurra nennen.

zu

seiner

Frau

Wie anfangs erwähnt wurde,

hatte er seinen Eltern und Schwiegereltern die Einwilligung zur Eheschließung abzutrotzen gewußt; die Ehe sollte Encarnacion kein Glück bringen.

Obgleich sie von allen Seiten als schön,

sanft und ehrenwert geschildert wird,

erfuhr sie

von Seiten

ihres Gemahls bald nur mißachtende Behandlung, öffentlichen Beleidigungen nicht zurückschreckte.

die vor

Im Jahre 1838

starb sie nach einem langen, schmerzensvollen Krankenlager. Noch in den letzten Wochen vor ihrem Tode war sie nur von den Narren des Tyrannen umgeben, welche die arme Frau durch ihr wüstes Lärmen und Schreien zu keiner Ruhe kommen ließen.

Diese waren ihre Wärter,

diese ihre Pfleger!! Der

Gemahl hatte nur satanisch-satyrische Bemerkungen über ihren Zustand für sie.

Als die Bedauernswerte ihr letztes Stündlein

herannahen fühlte, schrie und flehte sie laut nach einem Beicht­ vater.

Obgleich die Verweigerung eines solchen für eine streng

im katholischen Glauben erzogene Frau das Entsetzlichste ist, was man ihr in der letzten Stunde antun kann, verbot doch

67 Rosas jedem Geistlichen den Zutritt zu der Sterbenden. Cynisch bemerkte er: „Die Weiber wiffen so manches, was sie in der letzten Stunde auszuplaudern geneigt sein könnten; ich traue den Pfäfflein nicht, sie benutzen späterhin, was die Dummen ihnen beichteten." Wer nur einigermaßen das traurige Ver­ hältnis, das zwischen Rosas und seiner Gattin Encarnacion herrschte, kennen gelernt hatte, dem mußte das Manifest, das der Tyrann 2 Jahre später am 19. Oktober 1840 erließ, als ein widriger Akt ärgster Heuchelei erscheinen. Er rühmte darin der verstorbenen Gattin hohe Tugenden, ihre unübertreff­ lichen Eigenschaften, floß über von Trauerbezeugungen, sprach von seinem nie endenden Schmerz, der an seinem Herzen wie ein zerstörender Wurm nage, und forderte das ganze Land auf die „engelgleiche Dahingeschiedene" zu beweinen. So verschieden waren des Tyrannen Worte von seinen Taten. Das war Rosas, der den offiziellen Titel „der Wiederher­ steller der Gesetze" führte, unter dessen Regierung aber kein Gesetz mehr gehalten, kein Recht mehr geachtet wurde. Das war Rosas, der von Schmeichlern unter Bücklingen als der „Held der Wüste" gepriesen wurde, welchen man aber niemals mit den Waffen in der Hand einem Feinde gegenüber gesehen hatte. Das war Rosas, der bei jeder Eröffnungsrede der Kammer die Repräsentanten aufforderte sich mit dem größten Freimut zu äußern und seine Regierungsakte ihrer Kritik zu unterwerfen, der aber auf einen bloßen Verdacht hin den Präsi­ denten der Kammer im Sitzungssaale selbst ermorden ließ. Das war Rosas, der in die Welt hinausposaute, daß er der Hort und Schutz des Föderativsystems wäre, der aber 7 Gouverneure umbringen ließ, weil sie dieses System in die Praxis über­ setzen wollten. Das war Rosas, der sich der Verteidiger des Martens, Caligula.

6

68 Continents titulieren ließ, der aber niemals einem Lande die geringste

Protektion gewährte,

sondem

mit

staaten in Feindschaft lebte und jahrelang

allen

Nachbar­

die Kräfte seines

Landes vergeudete, um Uruguay unter seine Herrschaft und in Knechtschaft zu bringen.

Das war Rosas, der unablässig von

der „Stimme des Volkes" sprach, das Volk aber nur in dem durch alkoholische Getränke aufgereizten Straßenpöbel sah, einem Pöbel, der seine Hinrichtungen und Bluttaten mit Johlen und bestialischen Freudenbezeigungen feierte.

Das war Rosas, der

Menschen wie Fliegen oder unnützes Ungeziefer hinschlachten ließ, der die Heiligen des Himmels ein- und abzusetzen sich er­ stechte, für sich selbst aber fast göttliche Verehrung beanspruchte. Das war endlich Rosas, der durch seine Scheußlichkeiten es fertig brachte Tausende, ja Millionen trotz Krümmens und Aufbäumens seinem starken Willen zu unterwerfen, zwanzig Jahre die Geschicke der Bewohner ungeheurer Ländermassen nach seinem Gutdünken zu bestimmen, in summa der Mann, welcher der ganzen Geschichte eines großen Teiles von Südamerika in der ersten Hälfte des Jahrhunderts den Stempel aufdrückte.

Ein Mann

war es, wie so oft, der die Geschichte machte — leider war es dieses Mal ein Tyrann der verabscheuungswürdigsten Sorte.

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