Eidos Poikilon: Zur Thematik der Metamorphose und zum Prinzip der Wandlung aus dem Gegensatz in den Dionysiaka des Nonnos von Panopolis 9783666251627, 9783525251621

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Eidos Poikilon: Zur Thematik der Metamorphose und zum Prinzip der Wandlung aus dem Gegensatz in den Dionysiaka des Nonnos von Panopolis
 9783666251627, 9783525251621

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HYPOMNEMATA 66

HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR A N T I K E UND ZU I H R E M N A C H L E B E N

Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse / Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones / Günther Patzig / Bruno Snell

H E F T 66

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

WOLFGANG FAUTH

EIDOS POIKILON Zur Thematik der Metamorphose und zum Prinzip der Wandlung aus dem Gegensatz in den Dionysiaka des Nonnos von Panopolis

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V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Fauth, Wolfgang: Eidos poikilon : zur Thematik d. Metamorphose u. zum Prinzip d. Wandlung aus d. Gegensatz in d. Dionysiaka d. Nonnos von Panopolis / Wolfgang Fauth. — Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1981. (Hypomnemata ; H. 66) ISBN 3 - 5 2 5 - 2 5 1 6 2 - 9 NE: G T Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ©Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1981. - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Die Anregung zu der vorliegenden Studie entstammt einem Seminar über die Dionysiaka des Nonnos, das ich im Sommersemester 1976 an der Universität Göttingen veranstaltet habe. Manche Einsichten, die anläßlich der damals erfolgten intensiven Beschäftigung mit diesem Werk gewonnen wurden, sind hier verwertet. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft habe ich für einen namhaften Druckkostenzuschuß, den Herausgebern und dem Verlag der „Hypomnemata" für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe zu danken. Insbesondere bin ich den Herren Kollegen Albrecht Dihle (Heidelberg) und Hartmut Erbse (Bonn) für ihre selbstlose Mühewaltung und ihr förderndes Interesse im Vorstadium der Publikation zu aufrichtigem Dank verpflichtet. Göttingen, im Juni 1980

Wolfgang Fauth

5

Inhaltsverzeichnis Verzeichnis der Abkürzungen

9

I. Einleitung Formale Verfassung und ideelle Konzeption des nonnianischen Gedichts

11

II. Hauptteil 1. Proteisches Prooemium

32

2. Wettstreit und Verwandlung. Maron — Silenos — Marsyas . . . .

39

3. Feuer und Wasser. Das Bad des Dionysos im lydischen Paktolos und die Überwindung des indischen Hydaspes

45

4. Die Ambivalenz und Palaimon

59

des Aquatischen.

Hydaspes und Deriades - Ino

5. Erotische Rivalität und elementare Konfrontation. zwischen Dionysos und Poseidon um Beroe

Der Kampf 71

6. Dionysische Mirakel. Verwandlung — Berauschung — Fesselung — Verblendung 93 7. Manische Metamorphosen — mänadischer Wahnsinn. Ino und Athamas — Bacchus furens — Agaue und Pentheus

113

8. Freude und Schmerz im Schicksal der Weindämonen und Winzerheroen. Ikarios - Staphylos und Botrys, Methe und Pithos - Ampelos

132

9. Blume und Baum - Vogel und Fels. Die episodische Rolle hellenistischer Verwandlungsgeschichten im nonnianischen Epos . .

144

10. Kosmischer Kreislauf und chaotische Katastrophen. Typhon — Drachenkampf des Kadmos — Zagreus-Mord und Sintflut — Phaethons Sturz - Dionysos und Astrochiton - Dionysos und Perseus — Die Tafeln der Harmonia

158

7

III. Abschluß Ποικιλία κόσμου und πολυμορφία θεοϋ. Die Dionysiaka als Spiegel einer von fatalen Ordnungsmächten erhaltenen und vom Erscheinen eines göttlichen Heilbringers erschütterten Welt

180

Ausgewählte Literatur

197

Register: Stellenverzeichnis (in Auswahl) Mythologische Namen

200 202

8

Verzeichnis der Abkürzungen AAH AC AFLS Nice AIPHOS APF ASNP BAH BCH BIEH BM BN BNJ Burs J b BZ CPh CQ CR DLZ EPRO GB Gl Gn GRBS Η HSCIPh HThR JAC JBL JDAI JHS JNES JOEAI LF MDAI(R) MEFR ΜΗ Mn MP MUSJ NHJ NTS OA

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9

PBSR Ph PhW PP QUCC RA RAC RBPhH RE REA REG RFIC RH RHR RIL RIPh RPh RW SbAWW SIFC SMSR SNC SUSFL TAPhA TSLL VC WS W Z Halle ZPE

10

Papers of the British School at Rome Philologus Philologische Wochenschrift Parola del Passato Quaderni Urbinati di Cultura Classica Revue Archeologique Rivista di Archeologia Christiana Revue Beige de Philologie et d'Histoire Realenzyklopädie der Klassischen Altertumswissenschaft Revue des fitudes Anciennes Revue des Etudes Grecques Rivista di Filologia e di Istruzione Classica Revue Historique Revue de l'Histoire des Religions Rendiconti dell' Istituto Lombardo Revue Internationale de Philosophie Revue de Philologie Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien Studi Italiani di Filologia Classica Studi e Materiali di Storia delle Religioni Studies of North Carolina Studi Urbinati di Storia, Filosofia e Letteratura Transactions and Proceedings of the American Philological Association Texas Studies in Language and Literature Vigiliae Christianae Wiener Studien Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, Gesellschafts- und Sprachwissenschaftliche Reihe Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik

I. EINLEITUNG

Formale Verfassung und ideelle Konzeption des nonnianischen Gedichts Die klassischen Philologen haben mit dem Riesenepos des Nonnos seit jeher ihre liebe Not gehabt; es hat ihnen mehr Mühe und Verdruß beschert als man es üblicherweise bei einem Stück antiker Literatur erwarten kann. Nicht wenigen unter ihnen verleidete die enorme und dementsprechend ungefüge Masse an Stoff von vornherein eine nähere Bekanntschaft; so blieb die Nonnos-Forschung lange Zeit auf einen verhältnismäßig engen Kreis von Namen b e s c h r ä n k t u n d das Spektrum ihrer Beiträge erschien ähnlich lückenhaft, uneinheitlich und kontinuitätsarm wie deren Gegenstand selbst 2 . Wer sich indes an das „monströse Literaturwerk..., die umfangreichste griechische Dichtung, die wir besitzen" (H. Gerstinger), heranwagte, um es einer genaueren Prüfung zu unterziehen, fand meist unter textkritischen, semantisch-stilistischen, kompositorischen, inhaltlichen und nicht zuletzt auch ästhetischen Gesichtspunkten beträchtliche Hindernisse für eine ungetrübte Rezeption und ein befriedigendes Verständnis des Ganzen vor, — jedenfalls wenn er die Kriterien einer an Homer und Hesiod, Apollonios und Arat, Vergil und Ovid orientierten literarischen Beurteilung und künstlerischen Bewertung zugrunde legte. In diesem Zusammenhang stellte sich zuerst einmal die Überzeugung ein, der Text der Dionysiaka befinde sich in einem besonders bedauerlichen Zustand der Verderbnis und Verwahrlosung, verursacht sowohl sekundär durch eine miserable Überlieferung mit vielen Fehlern und Lükken von der Hand unverständiger und unsorgfältiger Abschreiber 3 als 1 Ein Uberblick über die wichtigsten Stationen der Nonnos-Forschung seit Anfang des 19. Jahrhunderts nebst einer ausführlichen Bibliographie bis 1 9 6 3 bei G. D' lppolito, Studi Nonniani, Palermo 1 9 6 4 , 5 ff. 2 7 1 ff. 2 P. Maas, D L Z 3 1 , 1 9 1 0 , 2 5 8 8 , konstatierte vor nunmehr nahezu 7 0 Jahren, daß „der Nonnos-Forschung noch fast alles zu tun bleibe". Zwanzig Jahre später behauptete V. Stegemann, Astrologie und Universalgeschichte, Leipzig-Berlin 1 9 3 0 , 101 Anm. 1, „daß man sich für Nonnos immer noch vor der Tür befindet". Jetzt liest man bei B. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka des Nonnos von Panopolis, Frankfurt a. M . - L a s Vegas 1 9 7 7 , 2 9 , „daß die Forschung insofern defizient ist, als sich lange Zeit ein Großteil der Arbeiten in einem beschränkten Kreis von kaum variierten klischeehaften Vorstellungen und von solchen Einzelfragen bewegt hat, die einer Gesamterfassung des Werkes wenig förderlich sind". 3 Vgl. A. Ludwich, Η 12, 1 8 7 7 , 2 7 3 f f . R. Keydell, Η 7 9 , 1 9 4 4 , 13ff. F. Vian, RPh 4 9 , 1 9 7 5 , 196ff.

11

auch primär durch einen weitgehenden Mangel an formaler Ausbesserung und redaktioneller Überarbeitung seitens des Autors 4 . Demgemäß hat man sich, nach dem Vorgang von P. M a a s 5 und R. Keydell 6 , auch in den letzten Jahrzehnten sehr intensiv der Wiederherstellung und Umordnung einzelner Verse oder Versgruppen zugewandt 7 , aber W. Peek, einer der besten Kenner des nonnianischen Wortschatzes und Verfasser des unlängst erschienenen wertvollen Speziallexikons 8 , setzte diesen Bemühungen seinerzeit einen ziemlichen Dämpfer auf mit der Bemerkung, viele Versuche der Emendation bzw. der Ergänzung seien als verfehlt oder überflüssig zu betrachten, da sie gewisse methodische Grundsätze außer acht ließen und eine unzureichende Vertrautheit mit den sprachlich-stilistischen Eigenheiten des Nonnos verrieten 9 . Damit war zugleich indirekt ausgesprochen, daß die Extravaganzen des nonnianischen Sprachgebrauchs und die Absonderlichkeit seines Stils manche für das an klassischen und hellenistischen Regeln der Wortwahl und des Satzbaus geschulte Empfinden befremdliche und mißverständliche Formulierungen geschaffen haben, die sich erst dem mit allen Möglichkeiten der Diktion dieses spätantiken Dichters vertrauten Experten als individualtypisch und somit auch in textkritischer Hinsicht akzeptabel erschließen 10 . Man hat vor längerem die Fülle der stilistischen Anomalien, der Abweichungen von der gewohnten Norm, durch den Terminus „ b a r o c k " zu qualifizieren v e r s u c h t 1 o h n e damit die Eigentümlichkeiten nonnianischer Ausdrucksweise, unter anderem etwa die Massierung von semantisch verblaßten Epitheta 1 2 , die gezielte Verwendung der Alliteration in klanglicher und struktureller Funktionalität 1 3 , die bewußt eingesetzte Wortwiederholung einschließlich Paronomasie und Figura Etymologica im Rahmen eines ansonsten durchweg dominierenden Strebens nach variatio 1 4 , erschöpfend kennzeichnen zu können. In den beiden neueren Stiluntersu4 A. Scheindler, WS 2, 1880, 33 ff. P. Collart, N o n n o s de Panopolis, Le Caire 1930, 35 ff. R. Keydell, A C 1, 1932, 173 ff. Vgl. H . Bogner, Gn 7, 1931, 193 f. 5 B N J 2 , 1921, 4 4 2 f f . 3, 1922, 1 3 0 f f . 6 B N J 5 , 1 9 2 6 / 2 7 , 3 8 0 f f . 9, 1930/31, 3 9 f f . 7 F. Vian, RPh 34, 1960, 3 0 1 ff. A. Wifstrand, Gn 33, 1961, 4 4 ff. H. Lloyd-Jones, C R 75 [NS 11], 1961, 22 ff. M . L W e s t , CQ 56, 1962, 223 ff. G. Giangrande, CQ 57, 1963, 63 ff. Η 92, 1964, 4 8 I f f . W. Peek, Kritische und erklärende Beiträge zu den Dionysiaka des Nonnos, Berlin 1969. F. Wolff, Ph 117, 1973, 102ff. 8 W. Peek, Lexikon zu den Dionysiaka des Nonnos, Berlin 1968. 9 Beiträge 5 ; vgl. 13 u. Anm. 1. 3 4 f . 51. 1 0 Vgl. L. Castiglioni, RIL 65, 1932, 3 0 9 ff. 11 P. Friedländer, Η 47, 1912, 43. Α. Wifstrand, Von Kallimachos zu Nonnos, Lund 1933, 81 f. R. Keydell, R E 33, 911. 12 Wifstrand, Von Kallimachos zu N o n n o s 7 9 ff. - S. aber in einem Einzelfall G. Giangrande, Ph 117, 1973, 109f. (zu 12, 336 γαμψώνυχος αρπης). 13 I. Opelt, Gl 37, 1958, 2 0 5 ff. 1 4 Castiglioni, RIL 65, 17ff. R. Keydell, B Z 46, 1953, I f f . Vgl. M . Geizer, M H 25, 1968, 26 f.

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chungen von Margarete Riemschneider 15 und Martin String 16 wird die Adäquatheit dieses Begriffs denn auch angezweifelt 17 . Dabei gelangt die erstere allerdings, nachdem sie den Dionysiaka einen „abgeschliffenen Charakter der Sprache" mit „entseelter Wortstellung" und Häufung von Synonyma als Merkmalen der Dekadenz des Spätstils bescheinigt hat 1 8 , zu recht aufschlußreichen Beobachtungen über die lineare und kurvige Bewegungsrichtung innerhalb einer zweidimensionalen, flächenhaften Perspektive, über das Vorherrschen von Verben des Ritzens und Zeichnens beim Beschreiben einer Handlung oder eines Vorgangs bzw. von Nomina für runde, gekrümmte, gebogene oder sich biegende, sich ringelnde oder schlängelnde Objekte, schließlich über die Duplizierung des Gegenstandes im Abbild (τύπος, είκών, μίμημα, ίνδαλμα, φάσμα) mit den zwangsläufigen Attributen des Scheinbaren, Gespiegelten, Doppelgängerhaften und über die Verwendung des Paradoxons als stilistischen Reflex des Unsteten, Indefiniten, Oszillierenden der poetischen Vorstellung. Obwohl diese Ermittlungen, wie sich noch zeigen wird, für das Erfassen des Grundcharakters der Dionysiaka durchaus hilfreich sind (wobei sie übrigens die Einstufung als „barock" in einem weiteren Sinne ungewollt rechtfertigen), wurden sie, wegen einiger anfechtbarer Behauptungen, nach Keydells ablehnenden Notizen 19 bezeichnenderweise auch von Peek in einer kurzen Fußnote deklassiert und als „stark ästhetisierender Versuch", der „wissenschaftlich kaum ganz ernstzunehmen" sei, abgetan 20 , während sich sein Schüler String immerhin objektiv mit ihnen auseinandersetzt 21 . Davon abgesehen erhält Nonnos als Stilist bei letzterem denkbar schlechte Zensuren. Außer den bereits von A. Wifstrand vorgebrachten Beanstandungen (pathetische Monotonie, asyndetische Vereinzelung, Zurücktreten der Handlung bei überwiegender Neigung zum Oratorischen und Ekphrastischen, Fehlen der Dimension des zeitlichen Nacheinander, monologische Isolierung der Rede infolge Verkümmerung des dramatischen Wechselgesprächs) 22 werden - in immer wieder gesuchtem Vergleich mit Homer — vor allem schulmäßiger rhetorischer Schematismus, Mangel an Anschaulichkeit, Tiefgang und innerer Beteiligung, abruptes Umspringen der Blickrichtung und Gedankenführung, Unstimmigkeiten

Der Stil des Nonnos. In: Aus der byzantinistischen Arbeit der DDR, Berlin 1 9 5 7 , 4 6 . Untersuchungen zum Stil der Dionysiaka des Nonnos von Panopolis, Diss. Hamburg 1 9 6 6 , 4. 17 Vgl. aber D'Ippolito, Studi Nonniani IX. 3 2 f . 5 0 f f . u. Anm. 1. 5 2 f f . und zuletzt K. Kerenyi, Dionysos. Urbild des unzerstörbaren Lebens, München-Wien 1 9 7 6 , 3 0 1 . 15 16

18 19 20

Der Stil des Nonnos 4 7 f . R. Keydell, Gn 3 8 , 1 9 6 6 , 2 9 u. Anm. 2. Beiträge 5 7 Anm. 2.

Untersuchungen 3 f. Von Kallimachos zu Nonnos 7 8 . 8 2 f. 142. 145. 1 5 2 . - Das Eliminieren des Zeitmoments vermerkt auch Bogner, Gn 7 , 183 f. 21

22

13

und Nachlässigkeiten der Darstellung getadelt 23 , wobei sich für den letztgenannten Fall z.B. Ungenauigkeit und Unschärfe der sachlichen Beschreibung anhand einer Analyse der Kottabosszene mit Eros und Hymenaios (33, 60ff.) im Kontrast zur Vorlage des Apollonios Rhodios (Argon. 3, 112ff. Eros und Ganymedes beim Würfelspiel) herausgestellt finden 24 . Dabei ist zumindest bemerkenswert, daß — unter dem Vorzeichen eines recht abfälligen stilistischen Gesamturteils — gemäß der schon bei Peek sich andeutenden Sicht manche Ergebnisse der von Collart und Keydell gebotenen kompositorischen Durchleuchtung der Dionysiaka25 eine gewisse Korrektur erfahren 26 . Wenn dort mit zahlreichen Einschüben, nachträglichen Änderungen, Umgruppierungen, Zusammenrückungen und Erweiterungen von der Hand des Verfassers und nicht minder zahlreichen Interpolationen und Entstellungen durch spätere Kopisten, also mit einem Zustand der Unfertigkeit und einem Prozeß der Depravation gerechnet wurde, so verlagert sich nun die Ursache vieler logischer Inkonsequenzen und sachlicher Widersprüche, narrativer Frakturen und handlungsmäßiger Lücken originär auf die Sprunghaftigkeit und Sorglosigkeit, den mangelnden Überblick und das fehlende poetische Integrationsvermögen eines späten Homerepigonen, dessen Begabung von Verehrern wie V. Stegemann und Th. von Scheffer eben doch erheblich überschätzt worden sei. Durch diese Akzentverschiebung ändert sich natürlich an der seit jeher vorherrschenden negativen Meinung über die kompositorische Verfassung der Dionysiaka nichts, — im Gegenteil: die Verantwortung für alle möglichen Anstöße und Ungereimtheiten, für störende Dubletten, fehlende Motivierungen und Verknüpfungen, unnötige Ausweitungen und Abschweifungen fällt nun in stärkerem Maße allein dem Dichter zu, dem ja schon früher in dieser Hinsicht Liederlichkeit, Leichtherzigkeit und Zuchtlosigkeit vorgeworfen wurde. Wie stark sich Nonnos von momentanen Einfällen leiten lasse und wie wenig ihn dabei thematische Anakoluthe, Gedankensprünge, Wiederholungen, oberflächliche und undurchdachte Wendungen kümmerten, hat schließlich J. F. Schulze in einer Einzelbetrachtung der Geschichte von Dionysos und Pallene (48, 90ff.) zu demonstrieren sich bemüht 27 . Die von den Analytikern vertretene These, es handele sich im Grunde überhaupt nicht um ein einheitlich konzipiertes, planvoll angelegtes Gedicht, sondern um ein Gemenge vereinzelter, teils aus fremden, früheren Epen übernommener, teils von Nonnos selbst zu verschiedenen Zeiten

23 24

Untersuchungen 1 2 3 ff. Untersuchungen 15 ff. Vgl. J . F . Schulze, W Z Halle 18, 1 9 6 9 , 2 2 3 ff.

2 5 Collart, Nonnos de Panopolis 16ff. 2 8 f f . R. Keydell, Η 6 2 , 1 9 2 7 , 3 9 3 f f . A C 1 , 173ff. Vgl. zuletzt F. B o m m a n n , SIFC NS 4 7 , 1 9 7 5 , 5 2 ff. 2 6 String, Untersuchungen 125. 2 7 J . F . Schulze, W Z Halle 14, 1 9 6 5 , l O l f f . ; vgl. W Z Halle 2 2 , 1 9 7 3 , 106ff. 108.

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verfertigter Episoden und Teilstücke 28 , wurde durch die Epyllien-Theorie von D'Ippolito kaum gemildert 29 ; auch bei Riemschneider kann man sie wieder antreffen: die Dionysiaka sind „ein Mosaikwerk nachträglich zusammengestellter Einzelteile, die mitunter nicht einmal mehr als ein paar Zeilen umfassen, ohne daß der Dichter oder Herausgeber sich überhaupt die Mühe macht, wenigstens einen angefangenen Satz zu Ende zu führen" 3 0 . Anderenorts ist allerdings die zusätzliche Erkenntnis gewonnen, daß hier offenbar gar „nicht eine Gestaltung auf ein bestimmtes Thema, auf einen Höhepunkt oder eine Pointe hin" unternommen wird, daß vielmehr „eine Perlenschnur von Bildern" vorliegt, deren „Verbindung nicht logisch, sondern assoziativ" erfolgt 31 . Etwas Ähnliches kommt bei String dort zum Ausdruck, wo es heißt, die Unstimmigkeiten schienen „wenn nicht beabsichtigt, so doch Folge einer Absicht" zu sein, und wo vom „unepischen Charakter der Dionysiaka" gesprochen wird 32 . Was das letztere angeht, so sei daran erinnert, daß laut Gerstinger dem literarischen Genus nach in ihnen kein erzählendes Epos vorliegt, sondern daß sie eher enkomiastisches Gepräge aufweisen 33 . Was die „absichtsvollen Unstimmigkeiten" betrifft, so hat P. Krafft vor wenigen Jahren in einem sehr förderlichen und neue Einsichten erschließenden Aufsatz 34 gezeigt, daß manche der von den Nonnoskritikern monierten angeblichen Schwachstellen der kompositorischen Fügung und der narrativen Struktur sich aus einem ganz bestimmten, nicht auf Schlüssigkeit und Vollständigkeit der Erzählung, sondern auf Pathossteigerung und Psychagogie gerichteten Anliegen überzeugend begründen und damit den Angriffen der analytischen Kritik entziehen lassen, darunter etwa die von Keydell, D'Ippolito und Schulze gleichermaßen attackierte Darbietung der Ereignisse um Dionysos und Aure (48, 241 ff.) 3 5 . Die von Krafft gewonnenen Ergebnisse, daß scheinbar beziehungsloses und störendes Nebeneinander isolierter Impressionen der Erhöhung pathologischer Wirkungsintensität dient und 2 8 Collart, Nonnos de Panopolis 4 7 f . 2 7 1 . Keydell, Η 62, 4 3 4 . R E 3 3 , 9 1 0 . Vgl. das kritische Resümee von H . Gerstinger, W S 6 1 , 1 9 4 3 , 7 2 . 79ff. und Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 3 2 f. 4 5 ff. 2 9 Studi Nonniani 88ff. 103ff. 1 0 8 f f . llOff. 132ff. 146ff. 152ff. Vgl. Keydell, A C 1 , 188 ff. Gn 3 8 , 2 5 ff. und die weiterführenden Bemerkungen von Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 101 ff. 3 0 Die Rolle Ägyptens in den Dionysiaka des Nonnos. In: Probleme der koptischen Literatur, Halle 1 9 6 8 , 80. 31 32

Der Stil des Nonnos 6 8 f. Untersuchungen 124. 127.

3 3 WS 61, 7 3 f. 7 8 . Vgl. V. Stegemann, N H J 1 9 3 0 , 2 9 . 3 3 . E . D . Lasky, Η 1 0 6 , 1 9 7 8 , 357ff. 3 4 Erzählung und Psychagogie in Nonnos' Dionysiaka. In: Studien zur Literatur der Spätantike (Antiquitas 1), Bonn 1 9 7 5 , 91 ff. 3 5 Keydell, A C 1 , 1 9 9 f . D'Ippolito, Studi Nonniani 1 0 3 f f . J.F.Schulze, W Z Halle 15, 1 9 6 6 , 3 6 9 ff. 18, 2 3 3 f.

15

daß periphere Personen gleichsam kommentierend mit ihren Bemerkungen in das Handlungskontinuum eingeschaltet werden (z.B. 48,595ff. Peitho), ohne dieses im geringsten zu tangieren, sind geeignet, das früher so hoch eingeschätzte Gewicht der philologischen Nortnos-Analyse für das Verständnis des künstlerischen Habitus der Dionysiaka nicht unerheblich zu reduzieren. Nun hat man bekanntlich nicht nur die sprachlich-stilistische und kompositorische Verwilderung dieses Werkes gerügt, sondern — in enger Verschränkung damit — auch seine inhaltliche Qualität. Danach hätten wir eigentlich nichts anderes vor uns als einen mechanisch und unorganisch zusammengestoppelten, mit viel Leerlauf mühsam auf 48 Bücher ausgewalzten Flickenteppich spätantiker Mythenklitterung. „Niemand auf der Welt kann so beziehungsreich klittern wie Nonnos" schrieb vor etwa 50 Jahren Franz Domseiff 3 6 ; das war in gewissem Sinne noch durchaus positiv gemeint und zielte auf Passagen wie den Dryadenmonolog (2,113ff.), von Riemschneider als „Glanzstück einer Kombination verschiedenartiger Sagen unter dem Motto ,Was einem jungen Mädchen zustoßen kann'" bezeichnet 37 . Seitdem aber H.J.Rose geurteilt hatte, Nonnos habe als Mythologe kaum etwas zu bieten, sein Dionysos sei ein „detestable character", das ganze Opus „a faded and overcrowded tapestry, moving a little now and then as the breath of his sickly and unwholesome fancy stirs i t " 3 8 , erschien Keydells Ansicht, man habe es mit einem Versifikator zu tun, „dessen Erfindungskraft ebenso gering war wie seine Fähigkeit zu anschaulicher Gestaltung und dessen Kompositionskunst wohl wenig über ein Aneinanderreihen, Umstellen und Einschieben des Gegebenen hinausging", auch von der inhaltlichen Seite her bestätigt, und so sind Plakatierungen wie „mythological hodge podge" (A.W.James) oder „a course in almost all of classical literature and mythology" (G.Braden) bis in die jüngste Zeit zu lesen. Das rührt nicht zuletzt daher, daß Nonnos zum ersten, nachdem das Buch von R. Koehler schon früh seine weitgespannte und ausdrücklich betonte Homernachfolge im einzelnen aufgewiesen hatte 3 9 , weithin als Plagiator galt, der den größten und ältesten Epiker Griechenlands mit Ungeniertheit und oft genug auch mit wenig Geschick weidlich ausgeplündert habe 4 0 . Zum zweiten stand er anerkanntermaßen am Ende einer ganzen Kette literarischer Behandlungen des Dionysos-Themas (Eupho36

Die archaische Mythenerzählung, Berlin-Leipzig 1 9 3 3 , 7 1 .

Der Stil des Nonnos 6 9 f. 3 8 Mythological Introduction. In: Nonnos Dionysiaca with an English Tradition by W . Η . D. Rouse 1, London 1 9 4 0 , XII. X V f ; vgl. XIV. S. jetzt aber F. Vian, Prometheus 4 , 1 9 7 8 , 1 5 7 ff. 37

3 9 Über die Dionysiaka des Nonnos von Panopolis, Halle 1 8 5 3 , 7 f . 3 4 f f . 6 5 ff. Vgl. auch Keydell, AC 1, 1 8 6 f . 4 0 P. Orsini, Pallas 16, 1 9 6 9 , 13ff. Vgl. auch Bogner, Gn 7, 1 8 2 f . 184.

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rion, Soterichos, Dionysios, Theolytos von Methymna, Neoptolemos von Parion) 4 1 und hat diese weitgehend aufgesogen, so daß man von einer „Enzyklopädie der Dionysossagen" gesprochen hat, „in der alle früheren Dichtungen verschmolzen" wurden 4 2 . Zum dritten hat er überhaupt als poeta doctus dieser Endepoche direkt oder indirekt Anleihen und Anregungen aus nahezu dem gesamten poetischen Reservoir der hellenistischen und nachhellenistischen Vergangenheit bezogen, — von Kallimachos, Apollonios und Eratosthenes, Theokrit, Nikander und Nikainetos 4 3 über Parthenios und Ovid 4 4 bis zu Oppian und Claudian 4 5 . Hinsichtlich der Dionysos-Thematik kam U. von Wilamowitz zu dem kategorischen Schluß, die Originalität des Nonnos werde „überhaupt zum größten Teil nur auf Schein" beruhen 4 6 ; über die Frage der Benutzung Ovids hat es eine langdauernde Kontroverse zwischen Leugnern 4 7 und Befürwortern 4 8 gegeben. Was schließlich die Homerimitation angeht, so wußte wiederum J. F. Schulze kürzlich zu zeigen, wie wenig glücklich doch Nonnos beispielsweise bei der Schilderung vom Gang des Kadmos zum Palast der Elektra (3, 83ff.; nach Horn.Od. 7,14ff.) verfahren sei, aber auch, wie der Besuch des Hermes bei der gleichen Göttin ( 3 , 4 0 9 f f . ; nach Horn. Od. 1 0 , 2 7 4 f f . ) sowohl detaillierte Ubereinstimmungen als auch merkbare Abweichungen erkennen lasse 4 9 . Zu dem letztgenannten Punkt fördert bekräftigend die Inspektion der nonnianischen Gleichnisse durch A . W . J a m e s zutage, daß bei durchweg engem Anschluß an Homer be4 1 A.Gonzales Senmarti, BIEH 7, 1973, 53ff. Vgl. A.Barigazzi, II Dioniso di Euforione. In: Miscellanea A. Rostagni, Torino 1963, 416ff. - Zum Anonymus Londinensis (Pap. Lond.nr. 273) H. J . M . Milne-U. von Wilamowitz, APF 7, 1924, 3 ff. 11 ff. R. Keydell, PhW 49, 1929, 1101. A. Wifstrand, Eranos 28, 1930, 102 ff. 4 2 R. Dostalovä, A A H 1 5 , 1967, 4 3 8 . Vgl. H.Jeanmaire, Dionysos, Paris 1951, 4 7 6 f . 4 3 A.S. Hollis, C Q 70, 1976, 142 ff. Vgl. E. Livrea, Helikon 7, 1967, 435 ff. RFIC NS 99, 1971, 5 9 f . G. Capovilla, Helikon 8, 1968, 81 Anm. 10. S. ferner E. Maass, H 2 4 , 1889, 5 2 0 ff. J.F.Schulze, £iva Arn. 23, 1973, 23 ff. H. Oellacher, SIFC 18, 1941, 113ff. 140. J . C . Yardley, Maia 31, 1979, 132 u. Anm. 9. 4 4 I. Cazzaniga, Temi Poetici Alessandrini in Nonno Panopolitano. In: Miscellanea Α. Rostagni, Torino 1963 , 626ff. - J. Braune, Nonnos und Ovid, Greifswald 1935, 13 ff. 27ff. 33 ff. 38 ff. Vgl. J . Schwartz, Pseudo-Hesiodeia, Leiden 1960, 6 0 7 f . G.D'Ippolito, RFIC NS. 40, 1962, 2 9 9 f. 4 5 A. W.James, Antichthon 3, 1969, 85. 89. - J.Braune, M a i a l , 1948, 176 ff. Vgl. R. Keydell, G n l l , 1935, 604. E. Schmalzriedt, Nonnos aus Panopolis. In: Hauptwerke der antiken Literaturen, München 1976, 4 7 8 . 4 6 Die griechische Kultur des Altertums. In: Die Kultur der Gegenwart 1,8, Leipzig-Berlin 3 1912, 2 8 7 . Vgl. String, Untersuchungen 5. 4 7 P . M a a s , B Z 3 5 , 1935, 385ff. G.Schott, Hero und Leander bei Musaios und Ovid, Diss. Köln 1957, 21 ff. F. Vian, Recherches sur les Posthomerica de Quintus de Smyme, Paris 1959, 95 ff. 4 3 Stegemann, N H J 1930, 4 0 f . Keydell, Gn 11, 597ff. H. Haidacher, Quellen und Vorbilder der Dionysiaka des Nonnos von Panopolis, Diss. Graz 1949, 55 ff. D'Ippolito, Studi Nonniani 176ff. 182ff. 2 0 4 f f . 225ff. 234ff. 245ff. 255ff. Schulze, W Z Halle 1 5 , 3 7 2 f f . Vgl. zuletzt B. Otis, Ovid as an Epic Poet, Cambridge 2 1970, 139. 3 9 0 f . 400ff. 4 0 3 . 4 9 W Z Halle 1 8 , 2 2 7 f. 231 f.

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trächtliche originale Zutaten vorhanden sind und daß im Vergleich zu anderen späten Epikern, etwa Quintus von Smyrna, eine größere Zurückhaltung in der wörtlichen Übernahme von homerischen Phrasen mit einem höheren Anteil an natürlicher Kreativität Hand in Hand geht 5 0 . Ganz allgemein stellt F. Bornmann fest, es hätten sich für Nonnos angesichts des anders strukturierten Themas mit seinem ungeheuren Vorrat an mythologischem und literarischem Material, das ihn zu ständigen Unterbrechungen und Digressionen gezwungen habe, beim Versuch der Konkurrenz mit Homer enorme Schwierigkeiten ergeben müssen, durch die er als Dichter eben überfordert gewesen sei 5 1 . Die hier sichtbar werdenden vorsichtigen Differenzierungen des Urteils über den Grad der Abhängigkeit von altepischen Modellen setzen sich fort bei W. Elliger, wenn er schreibt, daß die geographische Extension des Schauplatzes bis in den fernen Osten im Verein mit dem Umfang und der Vielfalt des Geschehens eine andersartige geistige Tendenz verrate, in der der Exotismus, ungeachtet der äußeren Entlehnungen aus älterer Epik, den Maßstab setze 5 2 . Damit deutet sich aber gegenüber der Position von Bornmann an, daß nicht unbedingt Uberforderung und mangelnde dichterische Potenz, sondern unter Umständen bewußte künstlerische Absicht für die Inkongruenzen zwischen homerischer und nonnianischer Darstellung gleicher oder ähnlicher Szenen verantwortlich sein mag. Dementsprechend wird denn auch die von Schulze als Paradigma für die Homernachahmung des Nonnos herangezogene Ekphrasis des Gartens der Elektra ( 3 , 1 4 0 f f . ; nach Horn.Od. 1 0 , 2 7 4 f f . ) 5 3 bei Elliger kongenialer erfaßt: er hat gesehen, daß die deskriptive Ordnung des frühen Vorbildes zwar verlorengegangen, dafür aber ein anderes Regulativ der Gestaltung eingetreten ist. Die Reichhaltigkeit der den Garten füllenden Gewächse, Palme, Birne, Olive, Lorbeer, Myrte, Zypresse, Feige, Granate, Apfel und Hyazinthe, ist — als Vorklang der hochzeitlichen Verbindung Kadmos-Harmonia — zum erotischen Miteinander und Ineinander sich berührender und umschlingender Pflanzen geworden, deren verschiedenartige πάθη sich vor Nonnos in der hellenistischen Verwandlungsmythologie niedergeschlagen hatten; somit mündet die Aufzählung der Bäume und Sträucher unversehens in eine ätiologische Novelle um Zephyr, Apollon und Hyakinthos ( 3 , 1 5 3 - 1 6 3 ) , deren erotisch stimuliertes Gefühlskondensat aus Sehnsucht, Eifersucht und Trauer die objektive Ekphrasis verwandelnd in die subjektive Perspektive des Verliebten übergleiten läßt 5 4 . so Antichthon 3, 7 8 .

51

SIFC NS. 4 7 , 5 4 f f .

Die Darstellung der Landschaft in der griechischen Dichtung, Berlin-New York 1 9 7 5 , 4 1 7 . Vgl. Schmalzriedt, Nonnos aus Panopolis 4 7 7 f. A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, Bern 3 1 9 7 1 , 9 1 4 f . 5 3 W Z Halle 18, 2 2 9 ff. Vgl. D'Ippolito, Studi Nonniani 2 0 0 u. Anm. 3. 5 4 Elliger, Die Darstellung der Landschaft in der griechischen Dichtung, Berlin-New Y o r k 1975, 421ff. 52

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Eine Beobachtung wie diese ist in hohem Maße aufschlußreich für die Art der Verfremdung rezipierter altepischer Details im Medium der nonnianischen Poesie; sie weist darüber hinaus aber ganz allgemein den Weg zu einem angemesseneren Erfassen des eigenartigen Tenors und der ungewöhnlichen Intention der Dionysiaka. Auch sie trägt dazu bei, die Auffassung Gerstingers zu stützen, daß es eben verfehlt ist, aufgrund gewisser, wenn auch noch so prononciert erscheinender äußerer Parallelen und Analogien zu Homer ein posthomerisches Epos nach den sprachlich-stilistischen, kompositorischen und inhaltlichen Regeln und Gewohnheiten der älteren Dichtung zu erwarten und alles, was dieser Erwartung nicht entspricht, zu bemängeln 55 . Man beginnt inzwischen mehr und mehr zu begreifen, daß durch den die Kulturepoche des Hellenismus einleitenden historischen Auftakt der Alexanderzüge eine Flut ethnographischer, biographischer, paradoxographischer Literatur mit novellistischen, aretalogischen und mystisch-phantastischen Einschlägen ausgelöst wurde, deren Erbe die Dionysiaka angetreten und deren Mannigfaltigkeit sie in sich aufgenommen haben 56 . Die Assimilation Alexanders an Dionysos 57 und — damit übereingehend — die Interpretation seiner Asienzüge als geschichtliche Wiederholung der mythischen Orientokkupation des Gottes 5 8 standen in Wechselwirkung mit dem Einfluß der romanhaft ausgewucherten Alexanderhistorie auf die Dionysos-Dichtungen 59 . Als ein „Repertorium der Dionysos-Mythologie" mußte das Poem des Nonnos zwangsläufig zu einem Sammelbecken von allerlei aus dem ebengenannten Vorrat gespeisten lokalhistorischen und ethnographischen Traditionen werden 60 . Die Forschung hat ihr Interesse in den letzten Jahren dankenswerterweise stärker auf solche Gehalte konzentriert 61 , wobei auch die heimatliche 5 5 WS 61, 74. - Zur historischen Veränderung des epischen Genus im Verlauf einer langen Entwicklung und zu den Tendenzen einer Vermischung der literarischen Genera D'Ippolito, Studi Nonniani 37 ff. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 52 f. 5 6 Dostalovä, AAH 15, 439ff. 442ff. 446ff. 4 4 9 f . 5 7 W. Vollgraff, B C H 5 1 , 1927, 423 ff. Jeanmaire, Dionysos 351 ff. J . Servais, AC 28, 1958, 98 ff. F. Taeger, Alexanders Gottkönigsgedanke. In: The Sacral Kingship (Studies in the History of Religion 4), Leiden 1959, 396. P.A. Brunt, Greece and Rome 12, 1965, 2 1 1 . L. Edmond, GRBS 12, 1971, 374ff. J . Seibert, Alexander der Große (Erträge der Forschung 10), Darmstadt 1972, 192ff. 2 0 4 f f . F.F. Schwarz, East and West NS. 25, 1975, 198. Herrschaftslöwe und Kriegselefant, in: Hommages ä M. J . Vermaseren III (EPRO 68, 3), Leiden 1978, 118 f. 5 8 Dostalovä, AAH 15, 4 3 7 . Vgl. A. Dahlquist, Megasthenes and Indian Religion. Α in Motives and Types, Uppsala 1962, 177ff. S. aber auch S.S.Hartman, Temenos 1, 55 ff. - Vgl. ferner R.Turcan, Cesar et Dionysos. In: Hommages J.Carcopino, Paris 317ff. 320ff. - Zu den von Alexander gefeierten Dionysien A. Piganiol, REA 42, 285 ff.

Study 1965, 1977, 1940,

5 9 A.D. Nock, JHS 48, 1928, 21 ff. M . P . Nilsson, Geschichte der griechischen Religion 1, München 2 1955, 578. Vgl. Gerstinger, WS 61, 71. J . F . Schulze, W Z Halle 22, 1973, 103. 6 0 Dostalovä, AAH 1 5 , 4 4 1 . Vgl. A.Brelich, Religioni e Civiltä (SMSR NS) 1, 1972, 621 f. 6 1 R. Dostalovä, LF 4, 1956, 174ff. 5, 1957, 36ff. Klio 67, 1969, 39ff. Vgl. O. Eissfeldt, Ras Schamra und Sanchunjathon, Halle 1939, 128ff. L.Robert, Anatolia 3, 1958, 137ff.

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Umgebung des Dichters und die kulturellen Daten des spätantiken Ägypten in das Blickfeld einbezogen wurden 6 2 ; sie hat aber auch die Berührungen der Dionysiaka mit dem griechischen Roman der nachchristlichen A e r a 6 3 herausgearbeitet. Es ist kein Zufall, daß Nonnos die Neigung zu episodischen Einlagen (Kalamos und Karpos) mit Apuleius (Amor und Psyche) teilt 6 4 , daß er die Vorliebe für naturgeschichtlich-paradoxographische Exkurse und lokalmythische oder kultätiologische Fakten 6 5 mit einem Autor wie Achilleus Tatios ebenso gemeinsam hat wie den Hang zu gemäldehaften Genreszenen (Raub der Europa) 6 6 und ekphrastischen Kunststücken innerhalb des Palast- und Gartenmilieus ( 3 , 1 3 I f f . Garten der Elektra - 18, 62ff. Palast des Staphylos) 67 , welch letztere sich, wie Dostalova gezeigt h a t 6 8 , in den nachfolgenden Romanen und Historien der byzantinischen Zeit fortsetzen 6 9 . Noch wichtiger und auffälliger als diese Übereinstimmungen ist aber hier wie dort — das unverkennbare Streben nach „Buntheit" (ποικιλία) 70 . Es beschränkt sich nun allerdings bei Nonnos nicht auf das Anhäufen heterogener Materialien und deren vom Gedanken der Abwechslung bestimmte, auf „Sensation" bedachte Vorführung, ebensowenig auf die gesuchte Vielfalt und Verschiedenheit des sprachlichen Ausdrucks 7 1 ; auch die Collage diverser Stilgattungen und Genera, vom Epischen bis zum Bukolischen und Novellistischen, vom sakralen Hymnos bis zur magischen G . M . A . Hanfmann, H S C l P h 6 3 , 1958, 68 ff. P.T.English, JNES 18, 1959, 4 9 f f . 5 1 f . H. Herter, R h M 108, 1965, 189ff. J . Fontenrose, Typhon among the Arimoi. In: The Classical Tradition. Literary and Historical Studies in Honor of Harry Caplan, New York 1966, 64ff. 71 f. P. Walcot, Ugarit-Forschungen 1, 1969, 117. M . Flussin, R H 2 5 6 , 1976, 4ff. 6 2 R. Keydell, Kulturgeschichtliches in den Dionysiaka. In: Πεπραγμένα τοϋ θ'διέ-θνους Βυζαντινολογικοϋ συνεδρίου Θεσσαλονίκης 2, Athen 1955, 4 8 6 ff. Μ . Riemschneider, Die Rolle Ägyptens in den Dionysiaka des Nonnos. In: Probleme der koptischen Literatur, Halle 1968, 73ff. J.F.Schulze, W Z Halle 2 0 , 1971, 97ff. Vgl. auch Abel-WUmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 183 ff. 6 3 Wifstrand, Von Kallimachos zu Nonnos 147 ff. Q. Cataudella, Atene e Roma 38, 1936, 177. Gerstinger, WS 61, 83ff. 86. Haidacher, Quellen und Vorbilder 94ff. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 98 ff. Vgl. schon L.P. Chamberlayne, SNC 13, 1916, 42. 55 f. und (wenn auch mit falscher Chronologie) G. Rohde, Der griechische Roman und seine Vorläufer, Leipzig 3 1 9 1 4 [Darmstadt 1960], 5 0 4 f. 6 4 Gerstinger, WS 61, 85 f. 6 5 Vgl. R. Keydell, D L Z 55, 1934, 4 4 8 . 6 6 Gerstinger, WS 61, 84f. 6 7 P. Friedländer, Johannes von Gaza und Paulus Silentiarius, Leipzig-Berlin 1912, 5 1 ff. 6 8 Nonnos und der griechische Roman. In: Charisteria F. Novotny, Praha 1961, 203 ff. Vgl. D. Gigli, Alcune nuove concordanze fra Nonno e Achille Tazio, In: Studi in onore di Anthos Ardizzoni, Roma 1978, 4 3 3 ff. 6 9 Vgl. O. Schissel, Der byzantinische Garten. Seine Darstellung im gleichzeitigen Roman (SbAWW Ph.-Hist. Kl. 221, 2), Wien 1942, 5 ff. 7 0 String, Untersuchungen 125. 7 1 String, Untersuchungen 33 f. 3 7 f . — Vgl. zum manieristischen Stilcharakter des Nonnos noch M . Riemschneider, Klio 4 6 , 1965, 3 8 9 . 4 0 0 („Das Gegenständliche... tritt zurück; die ganze Natur kreist in Kurven und Ringen").

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Formel 72 , oder der Konflux differenter religiöser Elemente (heidnische Mythologie, Orphik, Mysterienglaube, Astrologisches, Magisches, Christliches) 73 repräsentieren jeweils für sich noch nicht die ganze Palette des ποικίλον είδος. Vielmehr zeigen sich seine eigentlichen und allenthalben wirksamen Komponenten in dem befremdlich anmutenden Erzeugen wechselnder, fluktuierender, scheinbar fragmentarischer Impressionen, einer „Flucht der Bilder" bis hin zum Kontradiktorischen, nicht mehr Nachvollziehbaren 7 4 , und dem reihenweise sich fortsetzenden, nicht minder frappierenden Verklammern des Gegenständigen, Korrelativen, aber auch Konträren, - in dem neulich publizierten Buch von B. Abel-Wilmanns als „serielle Kohärenz bzw. Rekurrenz handlungskonstitutiver Oppositionen" definiert 7S . Beide Arten der narrativen Strukturierung des nonnianischen Großgedichts entspringen aber nun nicht einfach einem manieristischen Tick; sie lassen sich einer ebenfalls durchgängigen thematischen Leitlinie zuordnen, die schon J. A. Weichert den Dionysiaka zugesprochen hatte 7 6 . Gemäß dieser „Grundidee" des Werkes, „von der es von Anfang bis Ende getragen ist", postulierte H. Gerstinger auch „ein einheitliches Gestaltungsprinzip, das Nonnos der Konzeption dieses Werkes zugrundegelegt hat" 7 7 . Versucht man die genannte Idee und das von ihr gesteuerte Gestaltungsprinzip zu formulieren, so wäre einfach zu sagen, daß sie in dem Phänomen Dionysos selbst, so wie der Dichter es empfand oder empfunden wissen wollte, wurzeln 78 . Dionysos ist seiner ureigenen Physis nach der Erzeuger von Bewegung und Veränderung, der Stifter seelischer Unruhe und geistiger Verwirrung, der große Wanderer und Eroberer, von seiner Geburt bis zu seiner Aufnahme im Olymp rastlos Länder und Meere durchmessend; er ist aber auch der Gott der Maske, vielgesichtig, bald bärtig, bald juvenil, bald schreckenerregend, bald milde 19 , darum auch der 7 2 Stegemann, N H J 1930, 34. Bogner, Gn 7, 185. D'Ippolito, Studi Nonniani 4 1 f. Vgl. Chamberlayne, SNC 13, 48 ff. P. Collart, RPh 37, 1913, 133 ff. Abel-Wümanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 91 f. 7 3 H. Bogner, Ph 89, 1934, 3 2 I f f . 324. 326. 3 2 7 f . 3 2 8 f . Vgl. Elliger, Die Darstellung der Landschaft 4 2 4 . 7 4 Vgl. Bogner, Gn 7, 182 f. 7 5 Der Erzählaufbau der Dionysiaka 126ff. 132ff. 135ff. 7 6 J . A. Weichert, De Nonno Panopolitano, Wittenberg 1810, 21. 7 7 Gerstinger, WS 61, 73. 7 8 Daran ist gegenüber Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 7 2 ff. festzuhalten, die den genealogischen Aspekt („von der Urgeschichte des Geschlechtes des Gottes bis zur Geburt des lakchos") zum verbindenden Moment der Gesamterzählung erklärt, dabei jedoch zugestehen muß, daß dies lediglich ein äußerlicher, lockerer und daher „schwacher" Kohärenzfaktor ist. Das „Phänomen Dionysos" umfaßt in der von mir gemeinten Bedeutung allerdings nicht nur die Person und das persönliche Wirken des Gottes, sondern die Ausstrahlung des Dionysischen schlechthin in alle zeitlichen und räumlichen Dimensionen der von Nonnos dargestellten „Universalgeschichte". 7 9 R.Turcan, M E F R 7 0 , 1958, 243 ff. W. Burkert, Die griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1977, 2 5 9 .

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große Verwandter, der überall dort, wohin er gelangt, seine aufwühlende und umformende Macht ausübt. Daher wimmelt das Gedicht des Nonnos als „bunter Hymnos" auf diesen Gott von Metamorphosen im weitesten Sinne des Wortes; es ist „pervers" 80 , weil es in seiner Ganzheit den universalen Prozeß der von ihm initiierten Umkehrung, der Permutation und Desintegration widerspiegeln möchte. Die von P. Friedländer 81 hervorgehobene „Auflösung der Form" durch Vermeiden jeglicher Symmetrie, das Übergleiten des Statisch-Beschreibenden ins Flüchtig-Bewegte, das Dominieren bizarrer und wunderbarer Erscheinungen, ungewöhnlicher und überraschender Wendungen stellt den — wie auch immer zu bewertenden — Versuch dar, dionysisches Flair in alle Träger ästhetischer Übermittlung eingehen zu lassen. Die „orotund and tediously balanced phraseology" (A.W. James) 8 2 , der „Niagara of words" (W.H.D. Rouse), der „den Leser zu überwältigen droht" (apt to overwhelm the reader) 83 , enthüllt sich unter diesem Blickwinkel als eine Art Wortzauber mit betäubendem und zugleich faszinierendem Effekt, wohl angemessen dem göttlichen „Lärmer" (Βρόμιος) 8 4 und Meister der Sinnesbetörung. Die paradoxen Spielereien, Wiederholungen, Akkumulationen, Paronomasien der nonnianischen Sprache stehen mit ihrer Verschmelzung von Magischem und Rhetorischem 85 im Dienste eines hypnotisierenden Pleonasmus, der Dinge und Vorgänge in Klängen und Namen zu bannen und so auf höchst seltsame Weise zu realisieren bestrebt ist, etwa bei der Kampfansage des Pentheus an seinen stiergestaltigen Widersacher: 4 4 , 1 5 8 - 1 6 2 και ού βουπλήγι δαίξω κυρτά βοοκραίροιο κεράατα δισσά μετώπου, οΰδέ διατμήξω μέσον αύχένος· άλλά έ τύψω εγχει χαλκείψ τετορημένον είς πτύχα μηροΰ, οττι Διός μεγάλοιο γονήν έψεύσατο μηροΰ 86 . G. Braden schreibt ganz treffend, daß gerade der „vordergründige Lärm" (the surface noise) in den Dionysiaka am stärksten unsere Aufmerksamkeit erregt, und er vermutet mit Recht eben darin die „Botschaft" des Nonnos, seine eigentümliche Version der dionysischen Erfahrung 87 , evoziert in Ausdrücken heftiger Bewegung und enthemmter Lautäuße-

80 81

G. Zuntz, Persephone, Oxford 1 9 7 1 , 1 6 7 Anm. 4. Johannes von Gaza und Paulus Silentiarius 2 2 f. Vgl. E. Simon, JDAI 7 9 , 1 9 6 4 , 2 8 5 .

Antichthon 3, 7 8 . Nonnos Dionysiaca 3, VII. 8 4 W . Fauth, Dionysos. In: Der Kleine Pauly 2, Stuttgart 1 9 6 7 , 8 1 . Vgl. A . J . van Windekens, B N 4, 1 9 5 3 , 1 2 5 ff. 8 5 Friedländer, Η 4 7 , 5 3 f. Vgl. J. de Romilly, Magic and Rhetoric in Ancient Greece, Cambridge M a s s - L o n d o n 1 9 7 5 und dazu E. R. Schwinge, Gn 5 2 , 1 9 8 0 , 1 6 5 ff. 8 6 Bogner, Ph 8 9 , 3 2 6 f . ; vgl. Gn 7, 190. 8 7 G. Braden, T S L L 15, 1 9 7 4 , 8 5 5 . 82

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rung 8 8 . In der T a t heißt diese auf dem Erfahren der neuartigen Gottesmacht gegründete Botschaft: Irritation, Aufruhr der Seele, Verwirrung der Sinne, Wesenswandel. Der Dichter selbst geriert sich als persönlich Betroffener, als ein dem Gott und seinen Zielen verbündeter und unterworfener Mitstreiter bei dessen gewaltigem Einbruch in die Welt ( 2 5 , 2 6 4 - 2 7 0 ) 8 9 . Sein hymnisches Poem zu Ehren des Bakchos behandelt in dessen „Biographie" zugleich die Bekehrung dieser Welt zu bakchischer Existenz 9 0 . Insofern präsentiert es „Universalgeschichte" (V. Stegemann), sowohl räumlich als auch zeitlich: sie beginnt auf menschlicher Ebene mit Kadmos, dem „wandernden Sucher" ( 1 , 4 5 άλλά, θεά, μαστήρος άλήμονος αρχεο Κ ά δ μου), auf göttlicher mit dem Räuber Europas, dem auf das Meer sich verirrenden Zeus-Stier ( 1 , 1 1 0 ταϋρε, παρεπλάγχϋης μετανάστιος). Beide Vorfahren des Dionysos antizipieren also bereits mit ihren ersten Aktionen die für den Nachkommen charakteristischen Merkmale der ruhelosen Bewegung, des Irrens und Suchens, der Perversion und der Metamorphose. Darauf bezüglich hat Braden am Paradigma des Europaraubes 9 1 sehr gut dargetan, in welchem Ausmaß „Verwirrung" (confusion) selbst zu einem hervorstechenden thematischen Faktor des Gedichtes wird 9 2 . In den Gedanken des — wie Zeus und Kadmos - unstet umherschweifenden, im übrigen aber nur beobachtenden und kommentierenden achäischen Seefahrers ( l , 9 0 f f . ) , einer episodischen Randfigur also, reflektiert sich die Phantastik des Adynatons (ein Stier als Reittier des Meeres) in einer Kette von Erwägungen, welche durch Multiplizierung oder Differenzierung personaler und elementarer Identitäten das imaginäre Produkt einer Konfusion der realen und normalen Gegebenheiten zustande bringen: ein Landstier teilt die Wogen der See (1, 93 f.) — Zeus macht die Erde schiffbar ( 1 , 9 5 ) — ein Wagen durchschneidet den Spiegel des Meeres ( 1 , 9 5 f.) — lenkt Selene ihr Stiergefährt jetzt über die Wellen statt durch den Äther? ( l , 9 7 f . ) — ist das Reittier ein Landrind, ein Meerrind oder ein Fisch? (1, lOOf.) — ist die Lenkerin eine Najade oder die Ährenherrin Demeter? (1,103—105) — im letzteren Falle soll Poseidon hinfort das Land besiedeln und mit seinem Schiff die Furchen der Erde durchpflügen ( 1 , 1 0 6 - 1 0 9 ) Nereus ist kein Hirt, Proteus kein Ackermann, Glaukos kein Winzer (1,1 lOf.) — Wiesen liegen nicht in der Meerflut, Seeleute spalten das Was-

8 8 Vgl. P. Friedländer, Vorklassisch und Nachklassisch. In: E. Jaeger (Hrsg.), Das Problem des Klassischen und die Antike, Leipzig-Berlin 1 9 3 1 , 4 4 f. P. McGinty, Interpretation and Dionysos. Method in the Study of a God, The Hague-Paris-New York 1 9 7 8 , 171 f. 89

Schulze, W Z Halle 2 0 , 1 1 0 £.

Braden, T S L L 15, 8 5 1 . Vgl. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur 9 1 4 („ein Z u g dionysisch-rauschhafter Erregung, der durch das Ganze geht", „eine große, alle Grenzen sprengende Bewegung"). 9 1 Vgl. zu dessen erzählerischen Charakteristika W . Bühler, Europa. Ein Überblick über die Zeugnisse des Mythos in der antiken Literatur und Kunst, München 1 9 6 8 , 2 8 . 9 2 Braden, T S L L 15, 8 5 6 f f . ; vgl. 8 6 4 (zum Κάδμος αλήτης 1, 3 2 1 ) . 90

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ser mit dem Ruder, nicht mit dem Pflug ( 1 , 1 1 2 - 1 1 4 ) - die Diener Poseidons bestellen keine Äcker, das Gewächs des Meeres ist Tang, das Saatfeld Wasser ( 1 , 1 1 6 ) - der Schiffer ist Landmann, die Schiffspur ist Furche, der Kiel ist Pflugsterz ( 1 , 1 1 7 ) - entführen Stiere jetzt Jungfrauen? ( 1 , 1 1 9 ) oder raubte Poseidon in der Hülle eines Stieres das Mädchen, wie er einst als falscher Enipeus (νόθος... Ένιπεύς) die Tyro berückte? ( 1 , 1 2 0 - 1 2 4 ) . Es entspinnt sich hier aus dem einfachen und zudem sattsam bekannten mythologischen Faktum, daß ein Gott in Stiergestalt mit einer Jungfrau auf dem Rücken das Meer durchschwimmt, im Spiegel des subjektiven, von θαΰμα überwältigten Empfindens ein Geflecht fluktuierender Vermutungen und Vorstellungen, die in ihrem verschwimmenden Übergang von der Negierung zur Identifikation eine visionäre Suggestivität entwickeln und den Leser hineinziehen in die UnUnterscheidbarkeit von Wirklichem, Möglichem und Unmöglichem. So entsteht in einem Kaleidoskop von „Einbildungen" der illusionäre, nur für die Spanne des Heraustretens aus der mythologischen Handlung Bestand habende Entwurf einer verkehrten, verwandelten Welt, um in einem abrupten, dieses Geflecht der Illusionen auflösenden Wechsel mit dem (zumindest sachlich, wenn auch nicht hinsichtlich der Person zutreffenden) Verdacht einer göttlichen Verkleidungslist, also einer anderen, trugvollen Art des Scheinhaften, zu enden. Wie oben schon erwähnt, gibt es neben dieser gleichsam linearen Tendenz zu flüchtigen, assoziativen Reihungen im Zeichen ungehinderter Fluktuation und Permutation eine andere, eher verklammernd wirkende Rhythmik der nonnianischen Erzählweise, bedacht auf die Koppelung konträrer Anteile in gesuchten Oppositionen. E. Schmalzriedt führt als Exempel die Typhonie des ersten und zweiten Buches an: „Ein greller Wechsel von Extremen (...): das gigantische Furioso des Beginns, ein das Universum erschütternder Kampf des Zeus mit dem Titanen Typhon, mündet ein in die liebliche Idylle eines Flötenspiels, das den Titanen bezaubert, und dieses wird wiederum abgelöst von dem donnernden Fortissimo des Schlachtgetümmels"; aber auch im kleinen gilt ein derartiges Bestreben: „In manchen Episoden verschmelzen Wildheit und Anmut, Lust und Askese, Idyllik und realistische Krudität zu einem Bild von geradezu schmerzhafter, explosiver Eindringlichkeit" 9 3 . Die Kontraste setzen sich fort bis in die Einzelheiten der Satz- und Wortfügung. Nonnos war seit D . J . Graefe bei den Philologen als „Antithesenjäger" abgestempelt 9 4 . Doch wird man ihm auch in diesem Falle nicht gerecht, wenn man sich begnügt, darin nichts weiter als eine exzentrische Marotte zu sehen. Die vielschichtige, manchmal ermüdend wirkende Antithetik ist letztlich der Ausfluß eines gleichsam wellenartig von einem Zentrum sich ausbreiten9 3 E. Schmalzriedt, Nonnos aus Panopolis, in: Hauptwerke der antiken Literaturen, München 1976, 478. 9 4 D.J. Graefe, Bull. Acad. Imp. St. Petersbourg 5, Leipzig 1848, 382. Keydell, Η 79, 20. Vgl. Schulze, W Z Halle 18, 2 3 4 f.

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den und in alle Details sich ergießenden Trends zur Schaffung von Kontrasten und Kontroversen (Kosmos und Chaos, Feuer und Wasser, Himmel und Erde, Leben und Tod) als Spiegel des fundamentalen dialektischen Gegensatzes von Liebe und Feindschaft, Eros und Ares, leidenschaftlicher Vereinigung und kämpferischer Auseinandersetzung, zugleich als Widerhall des unaufhebbaren Spannungsbogens von Sexualität und Letalität, Lust und Schrecken, Lebensüberschwang und Vernichtung in den dionysischen Mysterien 9S . V. Stegemann, dem nicht unbegründet manche Fehldeutung des Gehalts der Dionysiaka vorgeworfen wurde 96 , hat dies zumindest völlig richtig erkannt: „Indes sind das Kriegerische und das Erotische durchaus die die Dichtung beherrschenden Prinzipien: zerstörtes und aufgebautes Leben, Dionysos zerstörendes und erschaffendes Prinzip" 97 . Wiederum rührt also — wie bei der Variation — der Impuls für ein durchgängiges Charakteristikum der künstlerischen Formung aus der göttlichen Eigenart und der weltbewegenden Aufgabe der in den Dionysiaka hymnisierten Hauptfigur. Da Dionysos zu Beginn des 13. Buches von Zeus ausdrücklich den Auftrag erhält, „das Geschlecht der übermütigen Inder, das bar ist jeder Gesittung" (13,3 δίκης άδίδακτον υπερφιάλων γένος Ινδών) samt seinem König Deriades „mit vergeltungbringendem Thyrsos" (13,4 ποινήτορι θΰρσω) zu Lande und zur See zu bekämpfen, aus Asien zu vertreiben und den Völkern die Lehre seiner „nächtlich schwärmenden Feiern" (13,7 όργια νυκτιχόρευτα) und die „weinfarbene Frucht seiner Lese" (οϊνοπα καρπον όπώρης) zu bringen, tritt die eine Seite der in seinem Wesen angelegten oppositionellen Junktur offen zutage; es ist dabei zweifellos auch wichtig und für die Ponderanz dieses Kampfauftrages erhellend, mit J. F. Schulze festzuhalten, daß die von Hybris erfüllten „schwärzlichen Männer" (14,296 ανδρών κυανέων) Indiens als Feinde des ätherischen Zeussohnes und Verächter der von ihm gebrachten kulturellen Segnungen den Anstrich der erdhaft dunklen, barbarischen, rechtlosen, ja vielleicht auch ethnisch minderwertigen Widersacher des großen Befreiers erhalten 98 , so wie ihr Anführer, der „gehörnte Flußsohn" (13,5 ποταμήιον υία κεράστην) Deriades, der natürliche Gegenspieler des ebenfalls gehörnten, aber blitz- und feuergeborenen Bakchos ist. Man darf jedoch nicht in den Fehler verfallen, aufgrund der genannten, sehr auffällig hervortretenden Akzente und wegen der Tatsache, daß die Anlehnungen an Homer bei der Abhandlung des Inderfeldzuges naturgemäß besonders stark sind, von einer zentralen Stellung des Indienunternehmens 9 5 E . R . Dodds, Euripides Bacchae, Oxford 1944, XIV. J.Bruce Long, Numen 18, 1971, 180ff. 184. 194. 2 0 8 f . Burkert, Die griechische Religion 2 5 9 f . - Zum Charakteristikum des Paradoxons und der Ambiguität bei Dionysos s. jetzt auch A. Henrichs, Greek and Roman Glimpses of Dionysos, in: C. Houser (Ed.), Dionysus and his Circle: Ancient through Modern. Fogg Art Museum, Harvard University 1979, 1 ff. 9 6 Bogner, Gn 7, 177 ff. 9 7 N H J 1930, 35. 9 8 W Z Halle 22, 103 ff.; vgl. W Z Halle 18, 2 2 7 f .

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in den Dionysiaka zu sprechen und alles andere mehr oder weniger als Adnex, als Vor- oder Nachspiel dieses zentralen Ereignisses zu betracht e n " . Schon Chamberlayne und Gerstinger hatten dagegen protestiert 100 , und tatsächlich erhält der so überaus umfangreiche Komplex des Indienzuges innerhalb des Epos erst dann seinen richtigen Stellenwert, wenn man ihn in den Gesamtrahmen der missionierenden, befreienden und beglükkenden Tätigkeit des Gottes von seiner Geburt bis zu seiner Entrückung einordnet. Innerhalb dieses Rahmens aber — der Indienzug bildet dabei keine Ausnahme — erscheint, wenn auch auf mancherlei einzelne Episoden verstreut, das Erotische als Gegengewicht und Komplement des Martialischen mit durchaus gleichem Rang. Erst wenn man die immer wiederkehrenden Liebesaffären des Dionysos mit ihren zum Teil ins PathologischPerverse hineinreichenden sexuellen Anteilen 101 als „dekadenten und verdünnten Nachhall" (Stegemann) seiner kreativen und fertilisierenden Kompetenz, des notwendigen Ausgleichs zu der zerstörenden Wucht seiner gewaltsamen Okkupation, auffaßt, erhalten bestimmte Szenen, in denen Eros (48,264ff.) oder Hymenaios (29,15 ff.) im Krieg und auf der Jagd bestialische Wildheit — dem Dionysischen bekanntlich von jeher innewohnend — bändigen oder feindliche Kräfte mit Waffen vernichten 102 , ihren tieferen Sinn. Indem der pfeilbewehrte Liebesdämon im Traum der Aure zum Jäger von Panthern und Bären wird, gleichzeitig aber auch die Löwin mit „allbezauberndem Gürtel" (48,273 πανθελγέι κεστω) einfängt, demonstriert er, in die Rolle des Dionysos als δεσπότης Όηρών eintretend, sowohl die Macht der Liebe über die Mordlust des reißenden Tieres als auch die ständige Nähe des Erotischen zur verwundenden, todesträchtigen Gewalt im dionysischen Bereich; indem der Hochzeitsdämon Hymenaios als Favorit und Begleiter des Bakchos, mit dem Schwert in der Hand auf einer thessalischen Stute sitzend, die „dunklen Inder mit seiner rosigen Rechten erschlägt" (29,17 'Ινδούς κυανέους ροδοειδέι χειρί δαίζων) und somit das zeusgewollte Gegeneinander des „strahlenden Glanzes" und des „häßlichen Dunkels" eindrucksvoll zur Anschauung bringt (29,18f. ϊδοις δέ μιν είς μέσον 'Ινδών Φωσφόρον αί,γλήεντα δυσειδέι σύνδρομον ορφνη), erinnert er zugleich daran, daß hochzeitliche Hochstimmung und blutrünstiger Taumel in ebendemselben Bereich sich unmittelbar berühren, ja sogar ineinandergreifen können. E. Simon hat vor dem Hintergrund archäologischer Belege für den Konnex Eros-Dionysos-Ares sehr einleuchtend aufgewiesen, daß der in den 99

So Keydell, RE 17, 907f. 910. Schulze, WZ Halle 22, 103. Chamberlayne, SNC 13, 47 f. Gerstinger, WS 61, 77 f. Vgl. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 70 f. 101 S. Bezdechi, Symbolisme erotique dans les Dionysiaques de Nonnos. In: Τεσσαρακσνταετηρις Θεοφίλου Βορέα 1, Athen 1940, 379 ff. 102 Simon, JDAI 79, 312 f. Vgl. R. Turcan, Les sarcophages romains ä representations dionysiaques, Paris 1966, 480 ff. 100

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Dionysiaka allenthalben bemerkbare, durch mythisch-allegorische Figuren (Aphrodite, Adonis, Eros, Pothos, Hymenaios) unterstrichene erotische Einschlag seinen symbolischen Schlüssel in der relativ frühen, vor dem Auftreten des Dionysos liegenden Szene der Hochzeit von Kadmos und Harmonia (5,88 ff.) findet, wo als Eltern der Braut Ares und Aphrodite (Krieg und Liebe) auftreten und wo Nonnos den Schlachtengott, seines Helmes und Panzers ledig, auf der „hochzeitlichen Trompete das Lied der Eroten blasen (5,96 και γαμίη σάλπιγγι μελίζετο ρυθμόν Ερώτων) und mit unblutigen Blütenbüscheln geschmückt, dem Liebesgott einen dionysischen Komos widmen läßt" (5,99 f. μιτρώσας πλοκαμϊδας άναιμάκτοισι κορύμβοις, πλεξας κώμον "Ερωτι). Der von ihr herangezogene Satz von E. Panofsky („in Nonnos' Dionysiaca... the idea that only love and beauty can temper strife and hatred, and that their union results in universal harmony became so important, that Harmonia, the daughter of Mars and Venus, is almost omnipresent") 103 vertieft die Einsicht, daß der vom Zauber des Eros gebändigte „sanfte Ares" (5,94 μείλιχος "Αρης), in Gesellschaft seiner Gattin Aphrodite zur Feier seiner Tochter Harmonia im Hochzeitstanz sich wiegend, bedeutungsmäßig eingebunden ist in eine vom Dichter bewußt gewählte kosmische Disposition, die den Lebensweg und das existentielle Telos des kommenden, aus dieser Verbindung mittelbar sich herleitenden Gottes im voraus festlegt: Theben, der Ort der Vermählung von Kadmos und Harmonia und der Geburt des Dionysos, ist zuvor von dem Bräutigam als siebentorige Nachahmung des „siebenzonigen Himmels" (5, 64f. έπταπόρψ πυλεώνι περίδρομον άστυ χαράξας οΰρανόν έπτάζωνον έή μιμήσατο τέχνη) erbaut und zum „bunten irdischen Abbild des siderischen Firmaments" (5, 87 ποικίλον άσκήσας χθόvtov τύπον ίσον Όλύμπω) instituiert worden 104 . Der damit gegebene überirdische und überzeitliche Bezug erhebt die orchestische Bewegung des Ares im Banne des Eros auf dem „olympischen Tanzplatz Theben" (5,119) zu einem Präludium der „bunten" Aktivitäten des tänzerisch bewegten Dionysos im diametralen Kräftefeld von Liebe und Krieg; er erhebt zum anderen die thebanische Harmonia, das Kind des Ares und der Aphrodite, die Vorfahrin des thebanischen Dionysos sowie seiner gesamten in die dionysische Aura einbezogenen thebanischen Sippe 10S , zur wesensverwandten Kontrafaktur jener Harmonia genannten großen Schicksalsgottheit, deren Tafeln im 12. Buch die lange Evolution der Natur- und Menschheitsgeschichte bis zum erlösenden Aufkommen des Weines künE. Panofsky, Studies in Iconology, New York-Evanston 1 9 6 2 , 164. 104 v g l . Simon, JDAI 7 9 , 3 0 3 . - Zum Tanz der Götter in Theben anläßlich der DionysosGeburt (Paian des Philodamos) R. Vallois, B C H 5 5 , 1 9 3 1 , 2 4 5 f f . J. Laager, Geburt und Kindheit des Gottes in der griechischen Mythologie, Winterthur 1 9 5 7 , 133. 103

1 0 5 Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 7 3 sieht in diesen Versen entsprechend ihrer These von der genealogischen Struktur des Werkes „das Zentrum der Gesamtanlage oder ihren Knotenpunkt".

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den (12,29ff.), deren Haus im 41. Buch als περίτροχος είκών κόσμου (41,281) bezeichnet wird und deren Webstuhl im Dienste der αρμονία κόσμου (41,332) das Gewand der Welt wirkt als Inbegriff einer ewigen, im bunten Wechsel der Erscheinungen (ποικιλία) sich vollziehenden zyklischen Bewegung 106 : 4 1 , 2 9 5 - 3 0 2 ύφαινομένου δέ χιτώνος πρώτην γαϊαν επασσε μεσόμφαλον, άμφ'ι δέ γαιη ούρανον έσφαίρωσε τύπω κεχαραγμένον άστρων, συμφερτήν δέ θάλασσαν εφήρμοσε σύζυγι γαίη· και ποταμούς ποίκιλλεν, έπ' άνδρομεω δέ μετώπω ταυροφυής μορφοϋτο κερασφόρος εγχλοος είκών καί πυ μάτην παρά πέζαν έυκλώστοιο χιτώνος ώκεανόν κύκλωσε περίδρομον άντυγι κόσμου.

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Daß die pathosgeladene, aus einander widerstrebenden Moventien gespeiste, auf Wandel und Variation gerichtete Bewegtheit des nonnianischen Opus zumindest streckenweise vom Atem der dionysischen Mysterien mit ihrer Grundidee der Transition, des Ubergangs vom Tod zum Leben und der antinomischen Verflochtenheit beider existentialer Größen durchweht ist, blieb auch einem so nüchtern sondierenden und analysierenden Philologen wie Keydell nicht verborgen; er spricht von „der Wurzel des bakchischen Rausches, der den Versen des Nonnos eine Wirkung verleiht, der auch wir uns nicht entziehen können und die sein Gedicht über alles Vergleichbare hinaushebt, das wir aus jener Zeit besitzen" 107 . K. Kerenyi nannte es „die abschließende Bibel einer kosmischen und kosmopolitischen Dionysos-Religion" 108 . Der dadurch nahegelegte Vergleich mit der christlichen Erlösungsbotschaft läßt sich bekanntlich von der Existenz eines entsprechenden Äquivalents her, nämlich der nonnianischen Paraphrase des Johannesevangeliums 109 , sowie des weiteren aufgrund von (mehr oder minder überzeugenden) Entdeckungen christlicher Töne und Motive in den Dionysiaka (Verfolgung des göttlichen Kindes, englischer Gruß, Blindenheilung, Weinverwandlung, Makarismos unter Verwendung 1 0 6 Friedländer, Vorklassisch und Nachklassisch 4 5 f. Vgl. V. Stegemann, Astrologie und Universalgeschichte, Leipzig-Berlin 1 9 3 0 , 1 9 f . 107 108

A C 1, 2 0 2 . Dionysos 3 0 1 ; vgl. 1 9 7 .

1 0 9 Vgl. J . Golega, Studien über die Evangeliendichtung des Nonnos von Panopolis, Breslau 1 9 3 0 , 2 8 ff. R. Keydell, B Z 3 3 , 1 9 3 3 , 2 4 3 ff. Bogner, Ph 8 9 , 3 2 0 f . - Gegen Zweifel an der Verfasserschaft des Nonnos bei G. Costa, Bilychnis 3 6 , 1 9 3 1 , 1 4 3 ff. s. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 1 4 f. Vgl. auch C. Schneider, Geistesgeschichte der christlichen Antike, München 1 9 7 0 , 4 1 1 .

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der Trinitätsformel u.a.) 1 1 0 bis zu einem gewissen Grade stützen; demgemäß vermutete Collart, es könne hier mutatis mutandis ein paganes Gegenstück zum Neuen Testament vorliegen 111 . Ohne diese Vermutung im einzelnen bestätigen oder widerlegen zu wollen, kann gesagt werden, daß der soteriologische und thaumaturgische Zug in den Dionysiaka gleichberechtigt neben den erotischen und martialischen tritt 1 1 2 . Allerdings sind alle etwa an bestimmte neutestamentliche Passagen erinnernden Vorkommnisse hinsichtlich ihrer religiösen oder mythologischen Bedeutung in einer ganz spezifischen Weise dionysisch, das heißt also heidnisch, nicht christlich. Wenn der ungeborene Bakchos im mütterlichen Leib der reigentanzenden Semele hüpft (8,27ff.) wie das Kind Marias beim Gruß des Engels (Luk. 1,41), so haben wir das als einen Fingerzeig auf jenen tänzerischen Bewegungsdrang zu verstehen, der nicht nur die Dionysos-Mysterien prägt 113 , sondern der, von der expansiven Energie des Gottes erzeugt, auch dem ganzen nonnianischen Epos bis hin zu der abschließenden Geburt des Iakchos ( 4 8 , 9 5 8 f . ) 1 1 4 anhaftet. Wenn der Herr der Traube Wasser in Wein verwandelt (14,41 Iff.) wie der biblische Jesus bei der Hochzeit zu Kana (Joh. 2,1—11), so ist die damit verbundene Intention jedenfalls völlig andersartig und eigentümlich 115 : Ubermannung und Faszination widerstrebender Kontrahenten bei gleichzeitigem spektakulären Aufweis der uneingeschränkten Macht zur Metamorphose. Wenn schließlich der den konträren Affekten des Liebesverlangens und der Mordlust gleichermaßen heftig und andauernd unterliegende göttliche Held der Dionysiaka gleichwohl mit dem psychischen Attribut der Apatheia Christi ausgestattet erscheint 116 , so fügt sich diese — nach Meinung H. Bogners 117 aus der angezielten Rivalität zu dem Soter der Christen erwachsene - Widersprüchlichkeit durchaus in den Gesamteindruck eines von inhaltlichen Paradoxa und strukturellen Antinomien beherrschten poetischen Gebildes, dessen Schöpfer selbst, in seiner eigenen Person, die unaufgelöste Ambiva1 1 0 Collart, Nonnos de Panopolis 9. Golega, Studien 68 ff. Bogner, Ph 89, 3 2 9 f. Gerstinger, W S 6 1 , 8 3 . Braden, T S L L 15, 8 5 2 . Einschränkend Q . Cataudella, V C 2 9 , 1 9 7 5 , 1 6 6 ff. 1 1 1 Collart, Nonnos de Panopolis 2 7 2 f. Vgl. Gerstinger, WS 61, 8 0 . Jeanmaire, Dionysos 4 7 6 f. 1 1 2 L. Bieler, Θ Ε Ι Ο Σ A N H P 2, Wien 1 9 3 6 , 7 0 ff. 1 1 3 Vgl. H . G . Horn, Mysteriensymbolik auf dem Kölner Dionysosmosaik, Bonn 1 9 7 2 , 7 9 . Laager, Geburt und Kindheit des Gottes 1 2 9 u. Anm. 1 (mit Verweis auf Schol. Apoll. Rhod. 1, 6 3 9 ) . - Parallelen zusammengestellt bei R. Mach, Der Zaddik in Talmud und Midrasch, Leiden 1 9 5 7 , 6 0 f . 1 1 4 Vgl. zu Iakchos H . S . Versnel, Talanta 4, 1 9 7 2 , 2 3 ff. W . Fauth, Iakchos. In: Der Kleine Pauly 2, Stuttgart 1 9 6 7 , 1 3 0 1 f. 1 1 5 Vgl. E. Bouvy, Poetes et melodes, Nimes 1 8 8 6 , 6 2 und dazu Golega, Studien 7 3 ff. 7 7 . S. auch M . Smith, On the Wine God in Palestine (Gen. 18, Jh. 2 and Achilleus Tatios). In: S . W . Baron Jubilee Volume, Jerusalem 1 9 7 5 , 8 1 5 f f . 1 1 6 Bogner, Gn 7, 1 9 2 f . Ph 89, 3 3 0 f . Schulze, W Z Halle 2 2 , 1 0 2 f . 1 1 7 Ph 8 9 , 3 3 2 (mit Vergleich von D . 1 2 , 171 und Μ . 11, 124). Vgl. Golega, Studien 6 9 und ferner H . Bogner, Ph 3 3 , 1 9 2 4 , 2 8 2 (Herakles-Christus).

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lenz unterschiedlicher, ja gegensätzlicher geistiger, religiöser und ethnischkultureller Strömungen seines Jahrhunderts zu repräsentieren scheint. War Nonnos, von dessen Leben wir so wenig wissen, Grieche oder Orientale 118 , Heide oder Christ 1 1 9 , der letzte klassische oder der erste byzantinische Epiker 120 , ein bücherschreibender Epigone oder ein eigenwilliger poetischer Neuerer 1 2 1 , der Initiator einer neuen, mystisch-ontologischen Vision des Universums 122 ? Man wird die Reihe dieser Alternativfragen, wenn überhaupt, dann am ehesten mit einem „sowohl als auch" beantworten können 1 2 3 . Das Insistieren einer konservativen Philologie auf der Eindeutigkeit eines prosopographischen „entweder—oder" ist im Umkreis einer Übergangsperiode vom Altertum zum Mittelalter mit ihren Turbulenzen, Antagonismen, Mischungen und Durchdringungen ebenso deplaciert wie ihre Bemühungen um Restauration und Korrektion eines angeblich zerrütteten und in Planlosigkeit ausgewucherten Literaturwerkes. Wenn die narrative Struktur der Dionysiaka ein „Trümmerfeld" ist, ihre kausalen Verknüpfungen dunkel, ihre Spannungen und Steigerungen diffus, ihre Details oft widersprüchlich 124 , so hat man eben dabei zu bedenken, daß in ihnen ein riesiger Vorrat klassischer Tradition auf nahezu allen Gebieten der poetischen Literatur in den Strudel einer Entwicklung geraten ist, die auf einen epochalen Umschlag zusteuert 125 : „Nonnus has so far never been estimated as the poet of the breakdown of the ancient world and of the first mediaeval stages, of alchemic process and the vision of life as an endless series of transformations" 1 2 6 . Die vorliegende Arbeit möchte daher versuchen, unter Verzicht auf die Behandlung hinlänglich bekannter und ausführlich ventilierter Probleme der Komposition und des Stils nach der bisher vorwiegend betriebenen formalkritischen und strukturanalytischen Methode, an bestimmten Partien des nonnianischen Epos die grundsätzliche Gültigkeit und Wirksamkeit der beiden oben herausgestellten Momente der Metamorphose, des 118

Vgl. L.R. Lind, AC 7, 1938, 5 7 f f . (a piece of barbarian literature) und dazu kritisch R. Keydell, Bursjb 272, 1941, 3 7 f . 119 Vgl. H. Reich, Der Mimus 1, Berlin 1903, 106f. Rohde, Der griechische Roman 5 0 7 . Golega, Studien 79 ff. J. Geffcken, Der Ausgang des griechisch-römischen Heidentums, Heidelberg 1929, Darmstadt 1963, 176f. Bogner, Ph 89, 3 2 0 f . 333. 120 Vgl. Wifstrand, Von Kallimachos zu N o n n o s 153 Anm. 1. Schulze, W Z Halle 22, 102. 121 Vgl. R. Keydell, Mythendeutung in den Dionysiaka des Nonnos. In: Gedenkschrift G. Rohde, Tübingen 1961, 114. - K. Krumbacher, Geschichte der byzantinischen Literatur 1, N e w York 2 1 8 9 7 , 10. S. femer A. Heisenberg, BZ 5, 1896, 177 ff. (krit. Referat der phantastischen Deutung und Beurteilung der Dionysiaka durch C. Sathas). 122 J. Aisina, Estudios Clasicos 16, 1972, 139ff. 123 Vgl. für die Frage Heidentum-Christentum Golega, Studien 67. Bogner, Gn 7, 193. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka des Nonnos 17 f. 124 Braden, TSLL 15, 855. 125 D.S. Carne-Ross, Arion 4, 1965, 5 7 5 f . Vgl. Braden, TSLL 15, 851. 126 J. Lindsay, Leisure and Pleasure in Roman Egypt, N e w York 1966, XIII.

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Wandels im weitesten Sinne des Wortes, und der ihr zugeordneten oder zugrundeliegenden Konfrontation gegenläufiger Kräfte und Strebungen aufzuweisen. Es soll nach Möglichkeit verdeutlicht werden, wie der Dichter sich bemüht, diese Momente sowohl im Prozeß des mythischen Geschehens als solchem zum Zuge kommen zu lassen als auch sie in der poetischen Schilderung von Aktionen, Vorgängen, äußeren und inneren Zuständen sichtbar zu machen und durch gesuchte Effekte sprachlichstilistischer Art, durch Verwendung bestimmter, auf das Auslösen adäquater Vorstellungen gerichteter Wort- und Klangmittel ästhetisch zu intensivieren, so daß, ungeachtet der ansonsten gerügten kompositorischen Mängel, Form und Gehalt unter diesem Gesichtspunkt zusammenstimmen.

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II. HAUPTTEIL:

1. Proteisches Prooemium Der erste Teil der Dionysiaka (1,1 ff.) beginnt ebenso wie der zweite (25,Iff.) mit dem homerischen Anruf der Muse. Daß Nonnos sich betont als später Nachfahre Homers gibt, wurde eingangs erwähnt; die Kopien ganzer Komplexe aus der epischen Szenerie der Ilias sind unschwer zu erkennen 127 . Dabei erfolgt überdies mehrfach der ausdrückliche Hinweis auf das homerische Vorbild: Vor der nach dem Muster des Schiffskatalogs (II. 2 , 4 8 4 f f . ) angelegten Aufzählung aller von Dionysos gegen Indien aufgebotenen Streitkräfte (13,53 ff.) will der Dichter aus Panopolis sich „die Musen als Führer und Homer als Helfer rufen" (13,50 [Μούσας] ηγεμόνας και "Ομηρον άοσσητήρα καλέσσω), weil er sonst - gleich jenem — auch „mit zehn Zungen und zehn Mündern, mit einer Stimme von Erz" der gewaltigen Aufgabe nicht gewachsen wäre ( 1 3 , 4 7 f f . ~ II. 2 , 4 8 9 f f . ) . Und wenn 32,176ff. nach der Vorlage von I1.4,439ff. Eris und der blutrünstige Ares nebst seinen Trabanten Deimos und Phobos auf der Seite des Inderkönigs in den Kampf gegen Bakchos eingreifen, so werden 32,184ff. die Όμηρίδες Μοΰσαι aufgefordert, die Namen der vom Speer des Deriades erlegten Krieger zu nennen. In diesen Tenor scheint sich auch ganz und gar zu fügen, daß das Prooemium des zweiten Teils mit seiner Reminiszenz an das Sperlingsprodigium von Aulis (II. 2 , 3 0 5 ff.) den — freilich nicht realisierten — Vorsatz des Nonnos verbindet, wiederum gemäß der epischen Autorität des Iliasdichters (25, 8 τελέσας δε τύπον μιμηλον Όμηρου) nur das Schlachtgeschehen des letzten Jahres vor den Mauern der Inderstadt zu beschreiben (25, 8 - 1 0 ) 1 2 8 . Allerdings versäumt das gleiche Prooemium es andererseits auch nicht, wenige Verse später die Einmaligkeit und Vorrangigkeit des Dionysos-Feldzuges gerade gegenüber dem Ringen um Troja herauszustellen: 25,23-27 οΰ ποτε γάρ μόϋον άλλον όμοίιον εδρακεν ΑΙών Ή ώ ο υ προ μόθοιο, και ού μετά φύλοπιν 'Ινδών 1 2 7 Z u r Homernachfolge in 1, 1 - 4 5 und 2 5 , 2 5 3 - 2 7 0 Η . Wojtowicz, Meander 2 9 , 1 9 7 4 , 2 4 6 f f . Vgl. J. Mehler, Hermeneus 2 8 , 1 9 5 6 , 3 3 . 1 2 8 Vgl. Keydell, A C 1, 1 8 7 . D'Ippolito, Studi Nonniani 3 8 .

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αλλην όψιτέλεστον ίσόρροπον είδεν ένυώ, ούδέ τόσος στρατός ήλϋεν ές "Ιλιον, ού στόλος ανδρών τηλίκος. Dabei geschieht das Sich-Absetzen vom homerischen Modell aber nicht nur unter dem Gesichtspunkt des zahlenmäßigen Umfangs, der quantitativen Größenordnungen. Auch die Thematik zeigt sich eben grundlegend verschieden. Die Muse ist nicht — wie bei Homer - gebeten, den Zorn eines sterblichen Helden oder die Irrfahrten eines leidgeprüften Mannes zu besingen, sondern die Unternehmungen eines göttlichen Welteroberers, die der Dichter nur im Vergleich mit den martialischen Leistungen anderer Zeussöhne angemessen würdigen zu können vermeint (25,27ff.). Es geht für ihn nicht um das epische Nacherzählen der Schicksale irgendwelcher noch so berühmter Heroen der griechischen Sage, vielmehr um ein einmaliges, überdimensionales Loblied auf die siegreiche und glanzvolle Lebensbahn des zeusentsprossenen Dionysos, von seiner Geburt bis zu seiner Erhebung auf den Olymp, - eines fremdartigen, wundertätigen, alles Lebendige überwältigenden und in seinen Bann ziehenden Gottes. Damit wird die ständige Rückschau auf Homer zwangsläufig durchsetzt von einer Distanzierung aus dem Bewußtsein des unvergleichlich größeren poetischen Vorwurfs und des weitaus erhabeneren Anliegens (25,253—260) 129 . Die respektvolle Bitte an den Urahn aller epischen Kunst, der Eigenmächtigkeit des Epigonen zu verzeihen und ihm gleichwohl den machtvollen Atem seiner unsterblichen Stimme zur Bewältigung des Riesenvorhabens nicht zu versagen (25,260ff.), kann und soll nicht die kritische Bemerkung verdecken, daß eigentlich schon der Muse Homers, nicht erst der des Nonnos, das anspruchsvollere Thema, die Gigantensiege des Bakchos, angestanden hätte. Hinter dem paradoxen Spiel der Bezugnahme und der Abgrenzung von Homer wird das eigentümliche Gesicht des nonnianischen Werkes erkennbar; unter der Decke mannigfacher homerischer Versatzstücke kommt zum Vorschein, daß die Musen des Nonnos nicht mehr die alten helikonischen Schutzgeister der frühen Epiker sind; sie heißen jetzt Κορυβαντίδες Μοϋσαι (13,46) oder Μοΰσα ϋιασώδης (15,70), erscheinen also einbezogen in das dionysische Milieu des von religiöser Aufregung erfüllten Gedichts. Daher wird die Göttin des zweiten Prooemiums aufgerufen, „mit lebendigem Thyrsos den musischen Kampf zu bestreiten" (25,1 Μοΰσα, πάλιν πολέμιζε σοφόν μόθον εμφρονι θύρσω), und das erste Prooemium fordert von den Patroninnen der Poesie, die Schallbecken zu schwingen und ihrem Schützling Narthexstengel und Thyrsosstab zu reichen (1,11 f. αξατέ μοι νάρθηκα, τινάξατε κύμβαλα, Μοϋσαι, και παλάμη δότε θύρσον άειδομενου Διονύσου). Eine Veränderung ist im Vollzug, — man könnte sagen: eine Verwandlung unter dem Einfluß des bakchischen Taumels. Indem der Dichter von 129

Vgl. D'Ippolito, Studi Nonniani 39.

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den Musen die Attribute des ekstatischen Dienstes erbittet und empfängt, wird er - so möchte er den Leser glauben machen — selbst zum ausgelassenen Verehrer des Gottes, zum verzückten Mantiker 13 °. Er singt nicht mehr die gewöhnlichen Weisen der Homeriden, sondern „das Lied der aonischen Leier" ( 2 5 , 1 8 Άονίης.,.κι/θάρης κτύπον); und während er das siebentorige Theben, die Heimat des Dionysos, preist, gerät er unvermittelt in jene bakchisch erregte Umgebung, die ihn in einen Wirbel von Bildern und Figuren aus der mythischen Vergangenheit dieser vom Geist des Gottes heimgesuchten Stadt hineinzieht ( 2 5 , 1 1 ff.). So überrascht es nicht, daß ihn die Kette der Assoziationen auf Amphion, den mit der bewegenden, zustandverändernden Zaubermacht des Liedes begabten thebanischen Aöden führt und daß die Vorbildlichkeit Homers durch die des boiotischen Hymnikers Pindar verdrängt wird 1 3 1 . Nach Theben weist auch die Thematik des Musenappells zu Beginn des ersten Prooemiums, ohne daß hier jedoch eine ortsbestimmende Angabe zu finden wäre. Die Bakchos-Geburt ist eben als zentraler Gegenstand des nonniänischen Gesanges keine Angelegenheit lokaler Mythologie, sondern ein überragendes kosmisches Ereignis von unerhörter und erschreckender Seltsamkeit 1 3 2 . In ihr sind gleichsam exemplarisch vorgeführt die M o mente des Paradox-Antithetischen und des Vielgesichtig-Wandelbaren, also die in der Einleitung angesprochenen beiden dominierenden Charakteristika der gesamten künstlerischen Darstellung: der Blitz des Himmelsgottes vernichtet die sterbliche Mutter und entbindet zugleich den unsterblichen Sohn ( 1 , 2 μογόστοκον ασϋμα κεραυνοΰ); der göttliche Vater, das Kind aus dem Leibe der Semele errettend und in seinen eigenen Schenkel einschließend, wird solchermaßen zur hegenden Mutter ( 1 , 7 πατήρ και πότνια μήτηρ); Bakchos selbst schließlich, der zweimalgeborene ( 1 , 4 Βάκχου δισσοτόκοιο) 1 3 3 , wird in der Feuchte des mütterlichen Leibes von der Lohe des väterlichen Blitzes umhüllt ( 1 , 4 τον έκ πυρός ύγρόν) und damit von Anfang her zu den beiden gegensätzlichen Elementen Feuer und Wasser in Bezug gesetzt, die auch bei seinen späteren Taten und Leiden im Rahmen des Epos immer wieder bestimmend in Erscheinung treten werden, da sie verwandelt ineinander übergegangen und neuartig aufgehoben sind im dionysischen Rauschtrank des Weines. 130 Vgl. Friedländer, Vorklassisch und Nachklassisch 4 4 . 1 3 1 Z u Pindar und Dionysos C. Aurelio Privitera, Dioniso in O m e r o e nella poesia greca arcaica, R o m a 1 9 7 0 , 1 2 0 f f . - Gerstinger, W S 6 1 , 8 6 weist darauf hin, daß der in 1, 15 auftretende Schlüsselbegriff des ποικίλος ϋμνος bei Pind.Nem. 5, 4 2 (ποικίλων ϋμνων) vorgeprägt ist. 1 3 2 Vgl. Laager, Geburt und Kindheit des Gottes, Winterthur 1 9 5 7 , 1 1 2 f f . 126. 1 3 2 f . mit Ausblick auf die religionsgeschichtlichen Hintergründe und Verweis auf die mythologische Vervielfachung der Geburtsorte infolge der Ausdehnung des Kultes. 1 3 3 Z u den Epitheta διμάτωρ (Alexis fr. 2 8 4 Κ.), δίγανος (Eur. Hippol. 5 6 0 ) und δισσότοκος (Nonn. Dion. 1, 4) und zu Zeus als „zweiter M u t t e r " Laager, Geburt und Kindheit des Gottes 1 3 4 f.

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Es geht hier nicht darum, ein ästhetisches Urteil darüber zu fällen, ob die künstlerischen Mittel, deren sich Nonnos gleich zu Beginn seines Opus ebenso wie in den übrigen Teilen bedient, auf uns ansprechend oder eher abgeschmackt wirken, ob seine Prätention, als bakchisch inspirierter Sänger zu gelten, uns überzeugend oder affektiert und unglaubwürdig vorkommt; wir haben vorerst lediglich festzuhalten, daß durch sie mit beachtlicher Konsequenz und in erheblicher Massierung Eindrücke beim Leser erzeugt werden, die offenbar für das Empfinden der damaligen Zeit eine dem Dionysischen eigene, durch verwirrende Absonderlichkeit und trancehafte Faszination gekennzeichnete Stimmung vermittelten. Demnach ist das Auftreten konträrer Phänomene, welche die Dionysosgeburt bei Nonnos begleiten, symptomatisch für die vom Epos zu schildernde bakchische Sphäre mit ihrer paradoxen Vereinigung von Gegensätzen, dem schillernden Verfließen von scheinbar Unvereinbarem, dem ständigen Wechsel unterschiedlicher Bilder, Gestalten, Situationen. Die Suggestivkraft dieser Sphäre bringt den Dichter dazu, statt der homerischen Musen in 1,34 nunmehr die mänadischen Mimallonen zu apostrophieren, mit dem Ruf nach Pauke und Ziegenfell auch die Erinnerung an die Konkurrenz der enthemmten Doppelflöte des Marsyas mit der apollinischen Leier zu beschwören (1,39 ff.) und die buntgescheckte Nebris (1,35 νεβρίδα ποικιλόνωτον) anstatt des gewohnten Gewandes zu verlangen, die schwere Robbenhaut des Menelaos aber der Eidothea und damit ihrem Sänger Homer zu überlassen (1,37f.). Mit dieser neuerlichen Abgrenzung vom homerischen Epos in der gleichzeitigen Anspielung auf seine Szenerie wird die Eigenart der dionysischen Welt wiederum unterstrichen. Diese Welt ist bunt, — wie das gescheckte Rehfell der Mänaden; sie ist wirr und wechselnd, voller Schrekken und Wunder. Nonnos wird daher kein gewöhnliches episches Gedicht zu verfassen haben, sondern einen „bunten Hymnos" (1,15 ποικίλον ίμνον), das heißt ein umfassendes religiöses Preislied, ein Enkomion auf die Vielfalt bakchischer Erscheinungs- und Erlebnisweisen 134 . Darum wird, als homerischer Exponent dieser wechselvollen Vielfalt, der Πρωτεύς πολύτροπος von den Musen erbeten; er soll mit seiner bunt wechselnden Gestaltenfülle den Inbegriff des „bunten Liedes" abgeben: 1,14-15 στήσατε μοι Πρωτήα πολύτροπον, δφρα φανείη ποικίλον είδος εχων, ότι ποικίλον ΰμνον άράσσω. Dabei ist allerdings zu beachten, daß, da das eigentlich homerische Gepräge der Proteusszene (Od. 4,450ff.) — wie bemerkt — von Nonnos 134 Die Merkmale des hellenistischen Enkomions haben an den Dionysiaka Gerstinger, WS 61, 78. 81 und Stegemann, Astrologie und Universalgeschichte 2 0 9 f f . im einzelnen aufgewiesen.

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ausdrücklich den Abschied erhält, die Proteus-Figur an dieser Stelle nur insoweit aktualisiert wird, als sie ein geeignetes Symbol für die Mannigfaltigkeit des Dionysosporträts sein kann. Die einzelnen Manifestationen des Proteus liefern in ihrem Symbolcharakter mithin dem poetischen Ingenium assoziative Anstöße, bestimmte Seiten und Möglichkeiten, Funktionen und Wirkungsweisen des Gottes würdigend in Betracht zu ziehen 1 3 s . So weist er als Schlange auf Dionysos als Gegner der schlangenbehaarten Giganten ( 1 , 1 6 - 1 8 ) , das heißt auf seine Bedeutung und Bewährung in der Dimension kosmischer Auseinandersetzungen zwischen den Mächten des Himmels und denen des Abgrunds 1 3 6 , - ein uraltes Thema, das von Nonnos unter soteriologischen und eschatologischen Aspekten wieder aufgenommen wurde, wobei der Zeus-Typhon-Kampf des ersten Buches ( l , 1 7 0 f f . ) eine Vorwegnahme und zugleich einen Gegenpol zu der Gigantomachie des letzten ( 4 8 , I f f . ) bildet 1 3 7 . Proteus als Löwe ( 1 , 1 9 - 2 1 ) weckt die Assoziation an das von der löwenbezwingenden kleinasiatischen Rhea-Kybele ammenhaft genährte und gehütete göttliche Kind prähellenischen Typ u s 1 3 8 , hinter dem aber auch schon die Wesenheit des jugendlichen „Herrn der wilden Tiere" sichtbar wird ( 9 , 1 4 7 f f . ) 1 3 9 . Die Panther-Metamorphose erzeugt die Vorstellung von Dionysos auf dem Pardelgespann im siegreichen Vordringen gegen die Front der indischen Kriegselefanten (1,22—25) 1 4 0 ; wir erhalten also die Vision vom welterobernden, den Orient unterwerfenden Gott (17, Iff.), der in dem Welteroberer Alexander zu Beginn der Epoche des Hellenismus seinen historischen Doppelgänger f a n d 1 4 1 . Die Ebergestalt des Proteus ( 1 , 2 6 - 2 8 ) soll an Bakchos als Liebhaber der wildschweintötenden Aure, der Mutter des Iakchos ( 4 8 , 2 5 8 ff.), gemahnen; sie hat als Hypostase der Kybele zu gelten, weist also auf die Rolle des Gottes als Parhedros jungfräulich-maternaler Πότνιαι nach Art der Artemis-Rhea-Hipta 1 4 2 und damit auf seine Integration in ein von jagdlichen Tötungsriten und erotischer Überwältigung gekennzeichnetes Verhältnis zwischen den Partnern, das in der Aktaion-Artemis-Affaire us yg] String, Untersuchungen 33, der 132 Anm. 1 auf Himer, or. 68 (Πρωτεύς σοφιστής) verweist. 1 3 6 Dionysos als Giganten- und Titanenbekämpfer: J. Dörig, Kampf der Götter und Titanen, Basel 1961, 49f. 1 3 7 Vgl. Collart, Nonnos de Panopolis 65 f. 1 3 8 Turcan, Les sarcophages romains 547. Zur frühen Verbindung des Dionysos mit der mediterranen Großen Göttin B. C. Dietrich, The Origins of Greek Religion, Berlin-New York 1974, 116f. 1 3 9 Vgl. K. Schauenburg, Gymnasium 64, 1957, 2 2 1 . Horn, Mysteriensymbolik 107f. Turcan, Les sarcophages romains 5 5 4 ff. 1 4 0 Dionysos auf dem Pantherwagen: H. Graeven, JOEAI 4, 1901, 130ff. Schauenburg, Gymnasium 64, 2 2 2 f . Hom, Mysteriensymbolik l l l f . 1 4 1 Indientriumph des Dionysos: P.TTi. Hadzisteliou Price, Arch. Class. 24, 1972, 48 ff. Κ. Dunbabin, PBSR 39, 1971, 52 ff. 1 4 2 Zur Verbindung des Dionysos mit der kleinasiatischen Mater Magna G. Tarditi, QUCC 4, 1967, 107ff. B. Moreux, REG 83, 1970, Iff.

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( 5 , 2 8 7 f f . ) bereits antizipiert wurde 1 4 3 . Wasser als proteische Urform (1,29—30) evoziert den Meerbezug des Dionysos 1 4 4 , seine Flucht vor dem Thraker Lykurgos in poseidonische Tiefen ( 2 0 , 3 4 7 f f . ) 1 4 S , - eine mythische Chiffre für die Alternanz zwischen der Epiphanie des aus der Ferne im Nachen über die See herannahenden Segenspenders und seiner zeitweiligen Verborgenheit auf dem Grund des Meeres, als einem Bereich des Unterweltlichen, dem er von mütterlicher Seite her naturhaft verbunden w a r 1 4 6 . Die Pflanze (φυτόν) schließlich ( 1 , 3 1 - 3 3 ) , nicht mehr der „hochlaubige B a u m " der homerischen Odyssee ( 4 , 4 5 8 δένδρεον ύψιπέτηλον), kann unter den εϊδη des Proteus hier nur das Gewächs der Weinrebe in den Sinn bringen und mit ihm die Ampelos- und Ikarios-Passion ( l l , 2 1 5 f f . 4 7 , 1 1 6 f f . ) , das bakchische Ritual des gekelterten Weines, der auf mystische Weise ineinsgesetzt wird mit dem Blut des getöteten Freudenbringers und Menschheitsbeglückers. Es sind also in diesem präludierenden Kaleidoskop proteischer Verwandlungen nicht nur wichtige Wesensanteile der Zentralfigur des nonnianischen Epos berührt, sondern auch Ausschnitte aus dem Panorama dionysischer Aretalogie angeleuchtet 1 4 7 , die samt und sonders im Gefüge des Gesamtwerkes ausführlich behandelt werden. Damit ist ein Vorgriff geleistet auf das bunte Spektrum der Dionysiaka, — ein Vorgriff im Zeichen der Polymorphie, der unbegrenzten Abfolge von Präsentationen und Ansichten bakchischer Selbstverwirklichung: auf die Akte der Zeugung, Geburt und Vernichtung, auf das Martialisch-Exotische und das Kosmisch-Gigantische, auf den jagdliebenden Kindgott und den erotischen Verführer, auf die rauschhafte Offenbarung des Lyaios und die chthonische Untergründigkeit des lernäischen Dionysos. Diese Vorausschau aber ist verflochten mit Allusionen auf die Permutationskünste des Proteus, des dämonischen Vertreters jener dem Dionysos so überaus nahestehenden Urzone amöbenhafter Umformung 1 4 8 . Die Beschreibung dieser Künste ihrerseits bedient sich eines Wortmaterials, das verschiedene für die stilistische bzw. motivi1 4 3 W . Burkert, H o m o Necans ( R W 3 2 ) , Berlin-New York 1 9 7 2 , 1 2 8 f. Vgl. zur mythologischen Version der erotisch-letalen Beziehung zwischen Aktaion und dem Paar SemeleDionysos Kynegetes schon in den hesiodeischen Katalogen A. Casanova, RFIC 9 7 , 1 9 6 9 , 31 ff.

Otto, Dionysos 1 4 5 ff. Laager, Geburt und Kindheit des Gottes, Winterthur 1 9 5 7 , 120ff. (mit Zitat II. 5, 130ff.), der die Zugehörigkeit der Meeresflucht zu den Kindheitslegenden des Gottes betont, den Meerbezug des Dionysos aber fälschlich für sekundär hält. 144

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1 4 6 C . G . Jung-K. Kerenyi, Einführung in das Wesen der Mythologie, Amsterdam-Leipzig 1 9 4 1 , 9 8 f f . K. Kerenyi, Saeculum 7, 1 9 5 6 , 3 9 2 f f . Vgl. auch Turcan, Les sarcophages romains 4 7 3 (zu 2 1 , 1 8 3 ff.). Y.Verniere, Symboles et mythes dans la pensee de Plutarque, Paris 1 9 7 7 , 2 2 1 f. 1 4 7 R. Reitzenstein, Hellenistische Wundererzählungen, Leipzig 1 9 0 6 , 151 spricht vom halbsakralen Charakter des Hymnos und erkennt in Proteus den ägyptisch-hellenistischen Agathos Daimon bzw. Aion. 148

W . Fauth, Poetica 7, 1 9 7 5 , 2 5 1 ff.

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sehe Grundkonzeption der Dionysiaka maßgebende Aspekte zum Vorschein bringt: das kreisförmig sich Rundende ( 1 , 1 6 δράκων κυκλούμενος όλκώ), das Nachgeahmte, Ebenbildliche ( 1 , 2 6 δέμας ίσάζοιτο τύπω συός), das Scheinhafte ( 1 , 2 9 μιμηλόν ΰδωρ), das Täuschende, Unechte (1,31 νόθον ψιθύρισμα) und natürlich - alles Vorhergehende in sich bergend — das in raffinierter Artistik ständig Wechselnde (1,23 πολυδαίδαλον είδος αμείβων).

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2. Wettstreit und Verwandlung Maron, Silenos, Marsyas Am Ende des ersten Prooemiums steht — scheinbar beziehungslos — der Hinweis auf die Häutung des Marsyas durch Apollon (1,41—43), ein sichtbares Signal des unvereinbaren Widerstreits zwischen dem erhabenen Wohlklang der Kithara und den schrillen Weisen des orgiastischen Flötenspiels. Es muß dabei jedoch bedacht werden, daß der phrygische Marsyas als Flußgott von Kelainai in den Kreis der Kybele von Pessinus eingereiht wurde 1 4 9 , als silen- oder satyrhafter Erfinder des Aulos aber unter das Gefolge des kleinasiatischen Dionysos zu stellen ist 1 5 0 . Den Übergang des Satyrn zum gleichnamigen Fluß, entstanden aus dem Blut des Geschundenen und den Tränen der ihn betrauernden Waldgeister, hatte Ovid im sechsten Buch seiner Metamorphosen geschildert (met. 6 , 3 8 7 - 4 0 0 ) 1 S 1 . Daß Nonnos das künstlerisch in dieser Vollendung bereits vorgeformte Paradigma einer im Medium der Metamorphose sich andeutenden συγγένεια von Blut, Wasser und Wein mit ihrer Nähe zum bakchischen Symbolkreis nicht nach einem Ansatz im Prooemium einfach fallen lassen würde, war zu vermuten; daß er es im Rahmen eines dionysischen Wettstreits ( 1 9 , 1 1 8 f f . ) wieder aufnimmt, überrascht nicht; bemerkenswert im Hinblick auf das bewußte Verwerten und Anordnen solcher Motive ist indes, daß dort nun das Marsyas-Thema indirekt in Verbindung gesetzt wird mit dem Namen des ebenfalls im Prooemium wie beiläufig erwähnten Bakchos-Begleiters Maron. Das „vom Duft des maronischen Weines getränkte Rehfell" ( 1 , 3 5 - 3 7 ν ε β ρ ί δ α , . , Μ α ρ ω ν ί δ ο ς εμπλεον οδμης νεκταρέης) wollte der Dichter sich umlegen lassen, um der Eingliederung in den mänadischen Thiasos teilhaftig zu werden. Diese Nebris als Wahrzeichen einer Verwandlung im Rausch des Weines trat damit nicht nur in eine symbolische Parallelität zu der maritimen Robbenhaut des Menelaos, sondern auch in eine gleichsinnige Beziehung zu dem abgezogenen Fell des zum Fluß sich wandelnden Marsyas: der „Wechsel" der körperlichen Hülle erscheint im dionysischen Milieu nicht mehr als Mittel einer oberflächlichen Anpassung, — er ist Ausweis einer tiefgreifenden Veränderung der Daseinsform. M.Vogel, RhM 107, 1964, 34ff. 41. 44. Diod. 3, 59. K. Schauenburg, MDAI(R) 65, 1958, 4 7 u. Anm. 34. 65. 151 F. Börner, P. Ovidius Naso, Metamorphosen. Kommentar zu Buch VI—VII, Heidelberg 1976, 108 f. 149

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Im neunzehnten Buch treten sich nun anläßlich der Leichenspiele für Staphylos, den königlichen Exponenten der Traube, im orchestischen Wettkampf um den von Dionysos gestifteten goldenen Mischkrug der „gehörnte Silen" (19,158 κερόεις Σιληνός) und der „uralte Maron" (19,159 τριγέρων...Μάρων) gegenüber, um beflügelt von der Aussicht auf den Inhalt des kostbaren Gefäßes, „die Flut des süßduftenden Weines" (19,140 ήδυπότου χύσιν οίνου) 1 5 2 , sich im mimischen Tanz miteinander zu messen. Während die „Weinflut" nach der bei Nonnos beliebten sympathetischen Manier bereits den späteren „Wasserfluten" (19,288 χεύμασιν) des zum Fluß gewordenen Silen präludiert, wird über Maron gesagt, daß er verjüngt war von dem durch das überwältigende Aroma des Bakchos-Geschenks ausgelösten Verlangen und unter der Bereitschaft, die Füße im Tanz wirbeln zu lassen (19,165 και πόδας άμφελέλιζεν), die Bürde seiner Jahre vergaß (19,163 ff.). Die in tänzerischer Beschwingtheit sich kundtuende verwandelnde Wirkung der dionysischen Ekstase geht hier bezeichnenderweise — wie im Prooemium — einher mit einer neuerlichen betonten Divergenz vom mythologischen Konzept Homers. Die Odyssee (Od. 9,196ff.) kennt den Maron, obwohl er dort heimlicher Besitzer und freigebiger Spender eines wunderbar duftenden, süßen und schweren Weines ist (Od. 9 , 2 0 5 θείον ποτόν), als Priester des Apollon von Ismaros (Od. 9 , 1 9 8 Ιρεϋς 'Απόλλωνος, ος "Ισμαρον άμφιβεβήκει); die Dionysiaka lassen ihn bei seiner Selbstvorstellung im mimischen Agon sich ausdrücklich als Diener des heiteren Bakchos, nicht des ernsten Apollon bezeichnen (19, 181—184) 1 5 3 . Diese Transition des Maron von der apollinischen Domäne in die dionysische schließt folgerichtig eine wesensmäßige Distanzierung vom Gott der klagenden Leier ein (19,181f. εί,μί δε Βάκχου, ού θεράπων Φοίβοιο, και οΰ μάθον αϊλινα μελπειν); sie ermöglicht es Nonnos, ihn zum pantomimischen Nachgestalter olympischer Szenen mit den nektarschöpfenden Mundschenken Ganymed und Hebe zu machen, das heißt ihn einzubeziehen in ein kultisch motiviertes Schauspiel von der auch den Göttern unentbehrlichen Erquickung des himmlischen Trankes, dessen beglückender Macht die harmonische Bewegtheit des Tanzes vollkommen adäquat ist (19,214 ήν δέ οί άρμονίη γλυκερόν ποτόν). Das gebärdenhafte Ausmalen milieuspezifischer Handlungen und Situationen führt in diesem Falle gewissermaßen zur Identifizierung mit den vorgeführten Gestalten als Form der tänzerischen Metamorphose (19,210 οίνοχόον Κρονίδαο σοφή ποικίλλε σιωπή; 19,215 νέκταρ άρυομένην ώρχήσατο παρθένον "Ηβην). Die orchestisch-pantomimische Äußerung 1 5 2 Zum Hinschauen (άποσκοπεΐν) des Silen auf seinen im Wein sich manifestierenden Gott H. Jucker, M H 2 7 , 1970, 117 ff. 119. 1 5 3 Uber die genealogische Bindung des Euanthes-Sohnes Maron an Dionysos und über das Verhältnis Apollon-Dionysos s. Ch.B. Newcomer, CPh 2, 1907, 193 ff. Vgl. zuletzt H. Mühlestein, Antike und Abendland 25, 1979, 146 u. Anm. 20.

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ist damit — im Zeichen des Dionysischen - verwendet als musisches Mittel der anschaulichen Nachzeichnung ( 1 9 , 2 0 0 χαράσσων; 219 έχάρασσε) oder Nachbildung (19,202 νοήμονα φυθμόν ύφαίνων; 206 εγραφε φωνήεντι τύπω) dem Bakchos nahestehender himmlischer Trankspender; sie wird aber zugleich - durch das Einbringen eines ganz spezifischen Wort- und Begriffsmaterials — als eine Darbietung kreisender und dabei wechselnder Bewegung (19,198 έ χ ό ρ ε υ ε . , . έ λ ι κ ώ δ ε ι ταρσω; 199 μετήλυδα ταρσόν αμείβων) an sich signifikant für den dionysischen Drang zur körperlichen Demonstration des permanenten Zustandswechsels, der Labilität des Bestehenden, im rhythmischen Rütteln ( 1 9 , 2 0 3 κεφαλήν έτίνασσε) und Schütteln (19,203 βόστρυχα σείειν), Schwingen ( 1 9 , 2 1 9 πολύτροπα δάκτυλα πάλλων), Winden und Drehen ( 1 9 , 2 0 1 οφθαλμούς δ' έλέλιζεν άλήμονας; 220 ποδός εύρύθμοιο...άνεσείρασεν όρμήν) aller Glieder. Das Phänomen der Selbstverwandlung in der Fähigkeit zu tänzerischer Nachgestaltung ( 1 9 , 2 1 5 ώρχήσατο " Η β η ν - Abbild-Motiv: 1 9 , 2 0 1 εικόνα μύθων) geht demnach zusammen mit dem durch eben dieses Tun hervorgerufenen Eindruck der verschlungenen Vielfalt ( 1 9 , 2 2 1 πολυκάμπεα μέτρα χορείης) und verwirrenden Buntheit ( 1 9 , 2 1 0 οίνοχόον...ποίκιλλε) des Geschehens (Variatio-Motiv: 1 9 , 2 0 0 σιγήν ποικιλόμυθον). Gegenüber der pantomimischen Imitation Ganymeds und Hebes durch Maron realisiert der Tanz des Silen ( 1 9 , 2 2 5 ff.) eine andere Möglichkeit der Versinnlichung bakchischer Dynamis innerhalb der gleichen Thematik des Göttertrankes. Seine stummen Gebärden malen die dramatische Konkurrenz zwischen Aristaios, dem Sohn des Apollon, und Dionysos um das edlere und wohlschmeckendere Getränk, von Nonnos zuvor schon einmal dargestellt im Rahmen des Kriegerkatalogs (13,253ff.). In dieser neuartigen, bisher nicht dagewesenen Sparte des artistischen Leistungsvergleichs, dem Wettstreit der Becher, siegt natürlich der Wein des Zeussohnes über das von Aristaios zubereitete Honiggemisch, so daß der Herr der Trauben mit dem Preis der vollzählig versammelten Götter bedacht wird, was bedeutet, daß sein Erzeugnis auch die Hallen des Olymp erobert hat. Die kunstvolle, ebenfalls als Pantomimus gegebene Einlage des άθλος ποτικός der beiden Repräsentanten gegensätzlicher musisch-ästhetischer Ausdrucks- und Erlebnisweisen (Aristaios-Apollon — Dionysos) in den Rahmen des orchestischen Wetteiferns der Bakchos-Diener Maron und Silen kündigt bereits unverkennbar den Rückgriff auf das Marsyas-Motiv der agonalen Konfrontation im allgemeinen, des apollinisch-dionysischen Antagonismus im besonderen an. Dieser Rückgriff wird vollends deutlich mit der Flußverwandlung des Silen ( 1 9 , 2 6 3 ff. 285 ff.), die sich aus der durch die „Weinflut" angeregten Intensität tänzerischer Betätigung heraus vollzieht. Wir können zunächst feststellen, daß diese Betätigung mit den gleichen, allerdings noch reichhaltiger und gesuchter dargebotenen Wörtern und Wendungen des Zeichnens und Bildens ( 1 9 , 2 2 6 σύμβολα φωνήεντα κατέγραφε σιγαλέη χείρ; 263 σοφή παλάμη ύφαίνων), des 41

Drehens und Biegens (19,225 πολυστρέπτοιο δέ τέχνης; 268 πολυέλικτος.,.χορεύων; 276 καμπύλον.,.ταρσόν έλίξας), des Schütteins, Wirbeins und Schwingens (19,267 έτεραλκέι πάλλετο τέχνη; 269 έλικώδει σείετο παλμω; 277 βαλίη στροφάλιγγι παλιννόστοιο χορείης) wiedergegeben ist wie der Tanz des Maron. Allerdings steigern sich nun die virtuosen Verrenkungen des alten Weindämons zu einer grotesken, mit dem pantomimischen Vorwurf in keiner Weise mehr zusammenstimmenden Hyperbolik der λύσις μελέων (19,274f. και πόδα λαιόν αειρεν έπι πλευροΐο και ώμου κουφίζων έλικηδάν; 276 καμπύλον ήώρησεν έπ' αΰχένι ταρσόν έλίξας; 278 ύπτιος αύτοέλικτος έκάμπτετο κυκλάδι τέχνη), die aus der Enthemmtheit des tänzerischen Hingleitens und SichAuflösens unmittelbar in die entgliedernde leibliche Auflösung zum zerrinnenden Gewässer einmündet: 19,283-287 και ποδί λαχνήεντι πέδον Σιληνός έλίσσων αστατος ένθα και ένθα ποδών βακχεύετο παλμω. και τότε γούνατα κάμνε, τινασσομένου δέ καρήνου ύπτιος αύτοκύλιστος έπωλίσθησεν άρούρη και ποταμός μορφοΰτο. Die ursprüngliche Affinität der personalen Selbstentäußerung im bakchisch inspirierten Tanz zur Metamorphose als mythischem Sinnbild der Aufgabe des bisherigen festgefügten Seins ist solchermaßen vor Augen geführt. Damit nicht genug: Wenn der bejahrte und beleibte Silen aus einem Gewirr kunstvoll verschlungener Drehungen, wirbelnder Kreise und harmonischer Bögen unversehens in die strömenden und flutenden Windungen des feuchten Elements verfließt (19,287—295), so präsentiert diese marsyasähnliche Permutation die sinnträchtige Vermählung von Wasser und Wein, vom Dichter ausdrücklich dadurch akzentuiert, daß Maron den gefüllten silbernen Mischkrug in den neuentstandenen Fluß wirft und diesen so in den dem Silen eigentümlichen Zustand der Berauschtheit versetzt (19,295-301). Die rötliche Farbe des Rebensaftes, das silberne Blinken des Kruges, die Trunkenheit des Zechers und der Wirbel seiner tanzenden Füße teilen sich dem Produkt der Metamorphose als unverwechselbare Eigenschaften mit; der Silen-Strom ist οίνοδόκος (19,304) und άργυροδίνης (19,306), und im Zusammenklang dieser beiden, auf die Vermischung von „Weinflut" und „Wasserflut" zurückweisenden Attribute bewahrt er als εΰιον ΰδωρ (19,301) die Erinnerung an die hüpfenden und fließenden Figuren des dionysischen Tanzes: 19,307-309 είλιπόδη Σιληνέ, και έν προχοήσι χορεύεις, σεϊο ποδών στροφάλιγγα και έν ροθίοισι φυλάσσεις, εισέτι κωμάζεις διερόν τύπον. 42

Dies alles ist in seinen Einzelheiten, insbesondere auch in seiner fingierten ätiologischen Verankerung durchaus Eigentum des Nonnos. Das Muster der Marsyas-Legende bleibt verdeckt. In dem Augenblick allerdings, wo die Abschiedsapostrophe des siegreichen Maron an den unterlegenen Konkurrenten sich gedanklich noch einmal dem Wagnis des musischen Agons zuwendet, kann es nicht ausbleiben, daß nach all den voraufgegangenen Anspielungen und Ähnlichkeiten nun der unmittelbare Vergleich mit dem „anderen Silen" ( 1 9 , 3 1 7 Σιληνός.-.αλλος) hereingenommen wird, mit Marsyas nämlich, der sich ebenfalls erkühnte, gegen einen Stärkeren anzutreten (19,328 f. και σύ δέμας μετάμειψας άρείονι νεΐκος άνάψας Σιληνφ προτέρω πανομοίιος) 1 5 4 . Von der Gleichartigkeit der auslösenden Ursache über die Gleichheit der aus der Silensnatur im Ergebnis der Metamorphose jeweils entstehenden aquatischen Physis geht die Linie der Gemeinsamkeiten bis zu dem Faktum des Fortdauerns der musischen Aktivität im Dienst des Dionysos: wie Silens Tanzfiguren im Wellengeschlängel des Flusses wiederkehren, so verewigt sich das Flötengetön des Marsyas im Schilfdickicht seines singenden Gewässers: 19,323-327 καί μιν έποικτείρων μορφώσατο Δελφός 'Απόλλων, και ποταμον ποίησεν όμοίιον - είσέτι κείνου Σιληνοΰ λασίοιο φατίζεται άγκύλον ΰδωρ, και κτύπον ήνεμόφοιτον έρεύγεται, οίά περ αίεί άντιτύποις δονάκεσσι μελιζομενου ποταμοϊο. Damit bestätigt sich im Umkreis des dämonischen Dionysos-Gefolges gleichsam auf niederer Ebene, was schon das Prooemium aus der Personalität des Gottes selbst in ihren multiplen Brechungen, ihrer proteischen Disposition hatte erkennbar werden lassen: die aus trunkener Enthemmung und ekstatischer Erregung geborene Tendenz zur Instabilität, zu einem Fluktuieren des Erscheinungsbildes; die in der Mimetik des tänzerischen Nachvollzuges sich kundtuende „Abbildung" der bunten Mannigfaltigkeit der Welt unter gleichzeitiger Hindeutung auf ihre mystischen Triebfedern; weiterhin die in der aktionalen Note des künstlerisch-kulturellen Wettbewerbs sich konkretisierende Bereitschaft des Dionysischen zur Veränderung durch kämpferische Überwindung von Gegenkräften; schließlich die eigentümliche Nähe des vom Feuer des Weines geprägten bakchischen Temperaments zum fließenden, ständig bewegten, ständig sich verformenden Naß. Am Ende des Maron-Epilogs ( 1 9 , 3 3 0 ff.) kann Nonnos sich gar nicht genug tun, vergleichbare Erscheinungen aus dem alten, vom Wein, und aus dem neuen, vom Wasser bestimmten Seinsbezirk des verwandelten Silen 1 5 4 Z u m musischen Agon Apollon-Marsyas I. Weiler, Der Agon im Mythos (Impulse der Forschung 16), Darmstadt 1974, 3 7 f f .

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miteinander zu verflechten. Das von ihm gewobene Band „endloser" Assoziationen ruft den zweifellos beabsichtigten Eindruck hervor, daß das Gewesene im Neuentstandenen andersartig aufgehoben ist, daß auch im scheinbar gegensätzlichen Element die vertrauten Merkmale dionysischer Natur als dauernder Typus bewahrt bleiben. Das fliegende Haar der Bakchantinnen ähnelt dem fließenden Haar der Najaden; die sich ringelnden Schlangen der mänadischen Fauna werden ersetzt durch die schlangenartig in den Wellen dahingleitenden Fische; vom Mischkrug seines Herrn getrennt, läßt Silen gleichwohl Trauben an seinen feuchten Ufern gedeihen; dem ehemaligen Satyrgefolge entspricht nun die Schar befreundeter Flußnumina, und Silen selbst, der einst gehörnte, wird als Gott des Stromes das Stiergehörn der Wassergottheiten tragen. Vor allem aber gesellt sich zu den Relikten des dionysischen Eidos auch die Perseveranz orchestischer Bewegung ( 1 9 , 3 4 1 f. άντι δέ ληνοϋ Ώ κ ε α ν ο ϋ κελάδοντος υπέρ νώτοιο χορεύεις). Und diese Impression des Fortdauerns thiasotischer Begeisterung im Wandel des Leiblichen ist auch zugleich die letzte, abschließende Vorstellung, die Nonnos am Ende des neunzehnten Buches uns vermittelt. Die biegsame Wendigkeit des „gaukelnden Tänzers Silen" kehrt für alle Zeiten „abbildlich" und damit „typisch" für die bakchische Phänomenologie wieder in den Windungen des schlangengleich sich biegenden Flusses: 19,346-348 είπε Μ ά ρ ω ν και πάντες έθάμβεον άγκύλον ΰδωρ Σιληνοϋ ζαχύτοιο κυβιστητήρος Ιόόντες, ϊσοφυές μίμημα πολυγνάμπτου ποταμοΐο.

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3. Feuer und Wasser Das Bad des Dionysos

im lydischen Paktolos und die Überwindung indischen Hydaspes

des

Das vorige Kapitel hat bereits erkennbar werden lassen, wie Nonnos aus bakchischer Mentalität entspringende agonale Gegenstrebigkeit enden läßt: das Umschlagen in die veränderte Zustandsform als Höhepunkt der Selbstentäußerung und zugleich der Annäherung an ein Anderes, aber doch elementar Verwandtes erbringt die grundsätzliche Möglichkeit einer vertieften Kontingenz, — hier in dem Sinne, daß der zu Wasser gewordene Weintrinker Silen hinfort mit seiner Feuchtigkeit den Pflanzungen seines göttlichen Herrn Gedeihen und Vermehrung sichert (19,314f.). Dabei spielt die Frage der Realität oder auch nur der mythologischen „Wahrscheinlichkeit" solcher funktionalen Übergänge durch spontane Metamorphose für den Dichter offenbar eine ganz untergeordnete Rolle, eine weitaus größere dagegen das darin enthaltene symbolische Indiz für ein enges Verhältnis des Weingottes zur Hydrosphäre, das in den Dionysiaka immer wieder unter wechselnden Aspekten dargestellt wird. Im ersten Drittel des zehnten Buches rückt Nonnos zwei sehr unterschiedliche Vorgänge, die aber unter dem Gesichtspunkt der Beziehung des Dionysos zur Wasserwelt durchaus zusammengesehen werden müssen, unmittelbar und unverbunden aneinander. Nach dem Meeressprung der Bakchos-Amme Ino und ihrer Wandlung zur Leukothea (10,120ff.) fühlt sich Semele bemüßigt, vom Himmel herab die eigene Schwester, ungeachtet ihrer Verdienste um die Aufzucht des mutterlosen Götterkindes, herabzusetzen, indem sie den höheren Rang des für die ätherische Wohnung des Zeus bestimmten Weingottes gegenüber seinem im Meer waltenden Vetter und Milchbruder Melikertes-Palaimon proklamiert: 10,134-136 σος πάις ελλαχε πόντον, έμός τόκος αιθέρα ναίειν ϊξεται εις Διός οίκον ύπέρτερον ού γαρ έίσκω ούράνιον Διόνυσον ύποβρυχίω Μελικέ ρτη. Episch-dramaturgisch, nach den Regeln eines äußeren, kontinuierlichen Handlungsablaufs wirken diese Bemerkungen der Semele — wie so vieles in den Dionysiaka — höchst überflüssig, wenn nicht gar störend und deplaciert; im Zeichen des Hervortretens konträrer Blickrichtungen setzen sie jedoch einen bemerkenswerten Akzent: Unbeschadet der wichtigen Rolle,

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welche das Meer und seine Hüter im folgenden für die Unterstützung des Dionysos bei seinen Araber- und Inderkämpfen noch spielen werden, zielen die Worte der vom Blitz getöteten und von Zeus zum Olymp erhobenen M u t t e r 1 5 5 auf eine natürliche Distanz ihres Sohnes, des feuergeborenen und dem glühenden α ί θ ή ρ wesensnahen Gottes 1 S 6 , zu den Bewohnern der feuchten Tiefe, — eine Distanz, die sich auch in Spannungen und Kontroversen niederschlagen kann, etwa in dem späteren Streit des Dionysos mit Poseidon um Beroe. Gleich anschließend ( 1 0 , 1 3 9 f f . ) tut sich prompt die andere Seite der obengenannten Beziehung auf, — jene Seite, die Nonnos unter anderem auch an der Silenos-Marsyas-Episode sichtbar zu machen versucht hat. Auf Semeies Bemühen um eine Distinktion im Verhältnis zu den maritimen Potenzen folgt — gewissermaßen als Gegengewicht — die mit reichem Kolorit ausgestattete Beschreibung eines Bades des jugendlich herangewachsenen Zeussohnes in den Fluten des ihm durch seine kleinasiatische Nährerin und Hegerin Rhea-Kybele besonders eng verbundenen lydischen Paktolos 1 5 7 . Dabei wird hervorgehoben, wie der Fluß bereitwillig dem von ihm begünstigten Junggott seine kostbaren goldführenden Wasser zur Erfrischung ergießt und eine wunderbare Fülle goldroter Farbenpracht entfaltet ( 1 0 , 1 4 5 f . Πακτωλός κελάρυζε χέων χρυσόσπορον ΰδωρ πορφυρέαις ψαμάθοιοι)158. Nicht so sehr daß die Satyrn in das „überfließend reiche Gewässer" ( 1 0 , 1 5 2 ρυηφενές . . . ΰδωρ) eintauchen, seine Fläche „durchfurchen", schwimmend nach goldenen Fischen haschen, daß Silen seine Füße in den „schimmernden Schlamm" ( 1 0 , 1 6 2 στίλβοντι πηλω) des Grundes steckt oder daß ein anderer aus dem Gefolge des Dionysos seine Schenkel „mit funkelndem N a ß " (10,167 χεύματι μαρμαρέω) befeuchtet, zeigt die tiefgehende Vereinigung bakchischen Lebens mit dem Reichtum des asiatischen Stromes, sondern vor allem auch, daß der junge Gott selbst, von dem glänzenden Spiegel umflossen, den Mittelpunkt eines zauberhaften paradiesischen Milieus bildet, in dem, von spontan aufsprießenden bunten Blumen des Ufers umsäumt, das rötliche Gold der Wellen seine Leuchtkraft dem Haar des Badenden mitteilt: 1 5 5 Z u r Divinisierung der Semele durch den Blitztod bei Nonnos (8, 412f.) A . C . Assemat, AFLSNice 11, 1970, 4 9 . Vgl. zum mythischen und mystisch-symbolischen Hintergrund Verniere, Symboles et mythes, Paris 1977, 2 2 2 f. 1 5 0 Dionysos als χοραγος άστρων πϋρ πνειόντων (Soph. Ant. 1146): P. Vicaire, R E G 81, 1968, 361. 1 5 7 Z u m vergoldenden Bad des M i d a s im Paktolos und zu dessen symbolischer Bedeutung in den orphisch-dionysischen Mysterien R. Pettazzoni, L a confessione dei peccati 3, Bologna 1936, 119 f. G. Luck, König Midas und die orphischen Mysterien. In: Hommages ä Marcel Renard 2 (Collection Latomus 102), Bruxelles 1969, 4 7 0 f f . 1 5 8 Über das Arbeiten mit Farbbezeichnungen und Farbgegensätzen bei N o n n o s s. auch String, Untersuchungen 86 f.

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10,169-174 και θ ε ό ς ό ρ θ ώ σ α ς κεφαλήν και στέρνα πετάσσας χείρας έρετμώσας, χρυσέην έχάραξε γαλήνην και ρόδον αύτοτέλεστον άκύμονες επτυον όχθαι, και κρίνον έβλάστησε, και ήόνας εστεφον Ώ ρ α ι Β ά κ χ ο υ λουομενοιο, και άστράπτοντι ρ ε έ θ ρ ω απλοκα κυανέης έρυθαίνετο βόστρυχα χαίτης. Das sprachliche Instrumentarium der gesamten Partie ( 1 0 , 1 3 9 - 1 7 4 ) ist darauf angelegt, einerseits mit dem Schwimmen und Tauchen der Satyrn ( 1 0 , 1 5 2 ποσσίν ό π ι σ θ ο τ ό ν ο ι σ ι . . . εσχισεν ΰ δ ω ρ ; 1 6 6 f . οϋατα γυμνά τ ι τ α ί ν ω ν . . . λ α σ ί ο υ ς έδιήνατο μηρούς; 168 και ρόον αύτοέλικτος έμάστιε σύμφυτος ούρή) und den Kopfsprüngen des „schweifenden Silen" ( 1 0 , 1 5 9 f . Σιληνός αλήτης κύμβαχος αύτοκύλιστος έπεσκίρτησε ρ ε έ θ ρ ω ) eine starke, agonal getönte, dabei aber bis zur Losgelassenheit gesteigerte Bewegungsfreude des dionysischen Schwarms zu suggerieren, die im ungewohnten Medium des Feuchten ihre (für Nonnos charakteristischen) „einschneidenden" Spuren hinterläßt ( 1 0 , 1 5 1 οϊδμασιν 'ίχνος έρείσας; 152 εσχισεν ΰδωρ; 168 ρ ό ο ν . , . έ μ ά σ τ ι ε ; 170 χείρας έ ρ ε τ μ ώ σ α ς . . . έχάραξε) l s 9 , andererseits eine Skala von Farben aufscheinen zu lassen, die in ihrer Zusammensetzung aus goldenem bzw. silbernem und rötlichem Glanz ( 1 0 , 1 5 6 f . ί χ θ ύ α ς . . . φ ο ι ν ί σ σ ο ν τ α ς ; 173 άστράπτοντι ρ ε έ θ ρ ω ; 1 7 4 έρυθαίνετο βόστρυχα χαίτης) sowohl das erwähnte märchenhafte Kolorit um den badenden Dionysos erzeugt als auch vorbereitet auf die anschließende, in einer Symphonie aus Rot, Weiß, Gold und Silber sich ergehende Beschreibung seines Geliebten Ampelos ( 1 0 , 1 7 5 f f . ) : rosige Gestalt ( 1 0 , 1 7 6 ρ ο δ ώ π ι δ ι . . . μ ο ρ φ ή ) , rötliches Kinn ( 1 0 , 1 7 9 έρευθομενοιο γενείου), schneeweiße Wangen ( 1 0 , 1 8 0 χ ι ο ν έ η ς . , . π α ρ ε ι ή ς ) 1 6 0 , goldene Blüte der Jugend ( 1 0 , 1 8 1 ήβης χρύσεον άνθος), silbrige Schultern ( 1 0 , 1 8 2 έ π ' ά ρ γ υ φ έ ω ν . , . ώ μ ω ν ) , schattenloser Glanz des Nackens ( 1 0 , 1 8 6 σ έ λ α ς . . . λ ι π ό σ κ ι ο ς ) , dem Monde vergleichbar ( 1 0 , 1 8 7 οιά τ ε λάμπει μεσσοφανής...Σελήνη), honigsüße Laute aus rosigem Munde ( 1 0 , 1 8 8 στόματος ροδέοιο μ ε λ ί π ν ο ο ς . , . φ ω ν ή ) ; im Endeffekt e r s c h e i n t aufgrund einer von Nonnos bevorzugten, auch bei Ovid schon zu beobachtenden erotischen Sensualisierung des Ambiente 1 6 1 — der Knabe selbst als vollendetes Inbild jener von der Dichtung beschworenen Angleichung dionysischer Existenz an die üppige und farbenreiche Szenerie um den lydischen Paktolos und seine goldroten Wellen:

Die technische Seite ist behandelt bei E. Mehl, Antike Schwimmkunst, München 1927. Zum Farbkontrast Rot-Weiß s. auch Börner, Ovid, Metamorphosen, Kommentar zu Buch VI-VII 20. 161 Ch. P. Segal, Landscape in Ovid's Metamorphoses (Hermes Einzelschriften 23), Wiesbaden 1969, 39ff. 159

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10,189-192 έκ μελέων δ' ολον εΐαρ έφαίνετο - νισομένου δέ έκ ποδος άργυφέοιο ρόδων έρυΦαίνετο λ ε ι μ ώ ν εί δέ βοογλήνων φαέων εύφεγγέι κύκλω ο φ θ α λ μ ο ύ ς έλέλιζεν, ολη σελάγιζε Σελήνη. Die in ihrem agonalen Ungestüm und ihrem chromatischen Zauber atmosphärisch auf die spätere Ampelos-Metamorphose vorausweisende Ausmalung des Dionysos-Bades wird im übrigen mit ihren beiden kontrastierenden Momenten der bakchischen Turbulenz und des in sich ruhenden Farbidylls im folgenden Buch bewußt auf diese Metamorphose hin weitergeführt. Nonnos verlegt die erotische Zweisamkeit des Bakchos und seines jungen Geliebten — unter erneutem Rückgriff auf den A g o n 1 6 2 anläßlich eines Wettschwimmens ebenfalls an den Paktolos (11, I f f . ) und nimmt Gelegenheit, die zum Wettstreit im Wasser auffordernden Worte des Gottes an Ampelos ( 1 1 , 7 f f . ) mit einer Melange von gold- und rosafarbenen Tönen zu versehen, aus denen in verschwimmender Andeutung die genuine Verwandtschaft der goldroten Rebe (Ampelos) und des sie befeuchtenden goldroten Stromes (Paktolos) ersichtlich wird. Wenn Ampelos „mit goldener Hand die goldschimmernden Wogen durchschneidet" ( 1 1 , 1 9 χρυοείη παλάμη χρυσαύγεα ρεύματα τέμνων), wenn er die nackten Glieder schwingend bewegt, um zu siegen ( 1 1 , 2 0 και γυμνοΐς μελέεσσι τιταινομένου περί νίκης), dann geschieht an sich das gleiche, was zuvor Dionysos selbst an der Spitze seiner Silene und Satyrn getan hatte, nämlich das Aufrühren und Aufstören eines Teils der Natur im Streben nach einer innigen Berührung oder gar Verbindung mit ihr; wurden aber zuvor die Locken des Bakchos von der Flut des Paktolos gerötet ( 1 0 , 1 7 3 f.), so ergießt sich jetzt umgekehrt die Schönheit des Ampelos gleichsam veredelnd in das ihm adäquate und daher allein seiner würdige Gewässer ( 1 1 , 1 7 f. 21). In der von erotischem Begehren erhitzten Phantasie des Gottes findet eine Vermählung, ein Austausch zwischen leiblicher und elementarer Kostbarkeit im Sinne einer Sympathie statt, die das spätere Aufgehen des Ampelos im naturverbundenen kostbaren Gewächs schon prädisponiert: die farbverwandte Körperlichkeit ( 1 1 , 2 8 σύγχροον είδος) des blühenden Knaben soll „vom schweren Reichtum der Strömung" ( 1 1 , 2 7 β α θ υ π λ ο ύ τ ω ρ ε έ θ ρ ω ) aufgenommen werden, so daß „ Rose zu Rose sich gesellt" ( 1 1 , 3 0 ) und „ein einziges Strahlen auf rötlicher Haut und blitzender Strömung sich mischt" ( 1 1 , 3 0 f . ) ; Goldenes soll sich mit Goldenem vereinen ( 1 1 , 4 2 χρύσεος επλεο κούρος, εχοις και χρύσεον ΰδωρ). Die aus solchen Formulierungen zu entnehmende, oben schon erwähnte Andeutung einer sympathetischen Verwandtschaft von Pflanze und Fluß 1 6 2 Gymnische Agone in den Dionysiaka: J. Böhm, Die Leibesübungen in den Dionysiaka des Nonnos von Panopolis. In: Zur Weltgeschichte der Leibesübungen. Festgabe für Erwin Mehl zum 7 0 . Geburtstag, Frankfurt a . M . 1 9 6 0 , 8 4 ff.

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findet sich folgerichtig im Umkreis der Ampelos-Metamorphose des 12. Buches entsprechend verwertet. Nachdem Atropos zunächst dem Dionysos versichert hat, Ampelos werde nie „das bittere Wasser des Acheron" (12,143 πικρον υόωρ Άχέροντος) überqueren, verkündet sie seine Verwandlung „in lieblichen Trank, in süßen Nektar" (12,145f. Ιμερόεν.,.είς ποτόν, εις γλυκύ νέκταρ), und im Zusammenhang mit der Verheißung, daß die Heimat des zum Weinstock Gewordenen „den glänzenden Regen des rötlich schimmernden, vom Fluß genährten Saftes gedeihen lassen wird" (12,162f. και σέθεν ήιθέοιο φεραύγεα πατρίς άέξει ύγρόν έρευθομένης ποταμηίδος δμβρον έέρσης), erfolgt unvermeidlich auch die Erwähnung ihres Goldreichtums (12,164 χρυσω όλη κομόωσα) und der Quelle dieses Reichtums, des „Paktolischen Wassers" (12,166 Πακτώλιον ύδωρ). Danach wird im Trauerepilog des Gottes auf seinen getöteten Liebling, dessen Rehfell „zur farbigen Blüte der reifenden Lese geworden ist" (12,179f. έμορφώθη δέ και αύτη νεβρίς άεξομένης πολυδαίδαλον άνθος όπώρης), das zuvor geschilderte Ineinanderfließen der rosigen Haut des Knabenkörpers und des vom Edelmetall rötlich schimmernden Flusses durch hymnische Ergüsse auf das Farbenspiel der Blätter und Früchte des Verwandelten unübersehbar komplementiert: 12,226-228 χροιήν δ' ύμετέρην και έν ερνεσι, κούρε, φυλάσσεις· σων μελέων ακτίνα τεή κήρυξε τελευτή' ού πώ σε προλέλοιπεν έρευθαλέη σέο μορφή. Allerdings ergibt sich aus dem Anlaß dieser Äußerungen, aus ihrer Einbindung in einen Nekrolog zwangsläufig, daß die an eine fruchtbringende Affinität von Rebe und Gewässer sich knüpfenden positiven Empfindungen und Vorstellungen nicht uneingeschränkt dominieren können. Der gewaltsame Tod des vom Stier zerfleischten Ampelos bringt notwendigerweise auch die grundsätzliche Vergleichbarkeit des gekelterten Weines (12,195ff.) mit vergossenem Blut wieder ins Gedächtnis (12,251—253). Zwar sind hier das Mordblut des Ares und das Traubenblut des Dionysos noch konträr einander gegenübergestellt, aber um keine Unklarheit darüber bestehen zu lassen, daß die Intensität der Berührung mit dem Elementaren als Vorspiel der Metamorphose für Ampelos auch den Keim einer schmerzlichen Auflösung seiner bisherigen Körperlichkeit enthält, hat Nonnos in der Trostrede des Eros an den trauernden Dionysos mit dem Parallelschicksal der Kalamos-Karpos-Geschichte ( l l , 3 9 7 f f . ) die Ambivalenz des Gewässers, die Zugehörigkeit des Flusses zur Fatalität von Tod und Verwandlung (12,143 πικρον ΰδωρ Άχέροντος) noch von einer anderen Seite her nachdrücklich zur Anschauung gebracht. *

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Die Zwiegesichtigkeit des Feuchten, die Schwingungsbreite zwischen dem belebenden Feuer des blutvollen Traubensaftes und der Kälte des blut- und lebenraffenden Totenstromes, zwischen dem Leuchten des erfrischenden Bades und der Dunkelheit des nassen Grabes demonstriert das Epos während der Inderschlacht des 2 2 . Gesanges am Beispiel des Hydaspes, der einerseits zu Beginn des Buches durch die Gegenwart des Bakchos in ein paradiesisches Gemisch von Milch und Wein im Bannkreis eines dionysischen Schlaraffenlandes verwandelt wird ( 2 2 , 1 f f . ) 1 6 3 , wenig später aber als Schauplatz eines fürchterlichen Gemetzels sich rot färbt vom Blut der Gefallenen ( 2 2 , 3 5 4 f f . ) . Zunächst präsentiert sich der durch die Ankunft des Gottes und seiner Gefolgsleute gegebene Status an den Ufern des indischen Flusses in einer Dreiheit akustischer, optischer und kinetischer Phänomene. Die exotische Landschaft ist durchtönt von den Stimmen der Naturgeister (22,8 Νηιάδες ολόλυξαν; 8 / 1 0 Ν ύ μ φ α ι . , . έ λ ί γ α ι ν ο ν ομόζυγα ρυθμόν άοιδής; 14 Ά δ ρ υ ά δ ε ς άλάλαζον) und vom Gesang der Felsen und Bäume (22, 7 έμυκήσαντο δέ πέτραι; 12 ολη δ' έλελίζετο λόχμη; 13 μέλος έφθέγξαντο σοφαι δρύες εϊκελον αύλω); das Kolorit von Quelle und Fluß ist, entsprechend den mirakulösen Bestandteilen Milch und Wein, bestimmt durch den vom Ampelos-Porträt her bekannten reizvollen Kontrast von Weiß ( 2 2 , 1 6 χιονέω δέ γάλακτι χυτή λευκαίνετο πηγή; 18 Νηιάδες λούσαντο γαλαξαίοισι ρεέθροις και γάλα λευκον έ'πινον) und Rot ( 2 2 , 1 9 / 2 0 έρευθιόωντι δέ μαζώ οίνον έρευγομένη κραναή πορφύρετο πέτρη); der Tanz der Tiere ( 2 2 , 2 8 και κύνας όρχηστήρας έπηχύναντο λαγωοί; 4 4 σύννομος άντεχόρευε λέων βητάρμονι κάπρω) und tiergestaltigen Dämonen ( 2 2 , 3 9 f . Πάνες άλήται δύσβατα λεπταλέησι διέτρεχον οΰρεα χηλαΐς) bringt mit den geläufigen Termini des Drehens und Hüpfens ( 2 2 , 3 1 αύχένα δοχμώσαντες; 3 4 και δολιχής έλέλικτο περίπλοκος όλκος άκάνθης; 3 6 έλικηδον έπισκαίροντες; 38 έσμός άνεσκίρτησεν όρεσσινόμων ελεφάντων) die dem Dionysischen eigentümliche ekstatische Unrast ebenso zum Ausdruck wie den treibenden, expansiven Drang ( 2 2 , 4 9 f. όμοζήλω δέ πορείη πόρδαλις ύψιπότητος έπέτρεχε σύνδρομος άρκτω), der den Ansatz zur kriegerischen Aggression bereits in sich birgt ( 2 2 , 4 7 νίκην Ίνδοφόνοιο προϋεσπίζοντες αγώνος). Und wenn dieser Ansatz sich im folgenden zu der Realität eines spektakulären Getümmels zwischen den Indern des Thureus und den lydischen bzw. griechischen Streitern des Dionysos entwickelt, zeigt sich plötzlich die rotgoldene Harmonie der Badeszene am Paktolos unversehens zum drohenden Signal des bevorstehenden Blutvergießens umfunktioniert: 22,146-153 τεύχεσι δ' άφνειοΐσι κορύσσετο Λύδιος άνήρ, χρυσοφαή Αυκίοιο τύπον Γλαύκοιο κομίζων, 163

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Vgl. Κ. Wyß, Die Milch im Kultus der Griechen und Römer, Gießen 1914, 40 ff.

κηρύσσων έόν ουδας, οπη Πακτωλίδος οχϋης φαιδρός έρευϋομένης άμαρύσσεται ολβος έέρσης, και ροδέαις ήστραψε βολαϊς άντώπιον Ή ο ΰ ς , σείων ξανϋά μέτωπα ρυηφενέος τρυφαλείης Λυδός άνήρ άρίδηλος, ά π ό στέρνων δέ φορήος μαρμαρυγή σελάγιζεν έρευθομένοιο χιτώνος. Nachdem die Schlacht mit dem Eingreifen des Oiagros (22,168 ff.) und des Aiakos (22,284ff.) ihrem Höhepunkt zustrebt, bedient sich Nonnos nach außen hin wieder des homerischen Vorbildes, dadurch daß er Aiakos, den Vater des Peleus und somit den Ahn des Achill, an den Ufern des indischen Hydaspes wüten läßt (22,361 ff.) wie die Ilias den Peliden am Gestade des troischen Xanthos-Skamandros (II.21, Iff. 200ff.) 1 6 4 . Der Vergleich mit Homer wird eindeutig gesucht und die Verknüpfung durch einen prophetischen Vorverweis auf das zeitlich spätere Blutbad des Enkels in der Skamandros-Ebene ausdrücklich hergestellt (22,3 84 ff.). Im übrigen aber geht es nicht nur darum, Homer zu beschwören, um ihn zu überbieten, — etwa durch den Umfang und den Realismus der Mordszenen; es kommt vielmehr eine eigene, unverwechselbare Note hinein durch das in unverkennbare Entsprechung zu der Rot-Weiß (Gold)-Kolorierung der zuvor betrachteten Idyllen gesetzte, ständig wiederkehrende Thema der hämatogenen Flußverfärbung. Allein sechsmal innerhalb einer Spanne von fünfzig Versen drängt sich dieses optische Merkmal der Überwältigung feindlicher Mächte im Verein mit einer tiefgreifenden negativen Veränderung des natürlichen Schauplatzes auf und wird so zu einem dominierenden Faktor in dem breit ausgeführten Panorama der Inderschlacht am Hydaspes: Nachdem er mit Leichen gefüllt wurde, färbt sich der weiße Hydaspes (λευκός Ύδάσπης) rot (έρυθαίνετο) vom Blut der Toten (22,364f.). - In dem blutroten Strom (δαφοινήεντι ρεέθρω) tummeln sich die Najaden, und das schwärzliche Wasser (μέλαν ΰδωρ) wird purpurn (έφοινίχθη) von den blutigen Tropfen (φονίαις λιβάδεσσιν) (22,370-372). - Aiakos bringt zahllose Feinde mit den bloßen Händen um und färbt befleckend (μιαίνων) die Strömung des Flusses (22,380-382). - Eine der Flußnymphen fleht den Zeussohn an, das heilige Wasser des zeusentstammenden Stromes zu schonen und die Wellen nicht länger mit Mord zu verunreinigen (ούκέτι χεύμα μιαίνεις); auf der Suche nach unbefleckter Flut (ρόον άλλον άκήρατον) will sie das blutige Gewässer (αίματόεις ρόος) des Hydaspes der Erinys und dem Dionysos überlassen (22, 392—401). Mit diesem bedeutsamen Fingerzeig auf die unaufhaltsame Okkupation des Flusses durch die in Blut und Wein sich manifestierenden Kräfte der todesträchtigen Unterwelt und der verwandlungsträchtigen bakchischen 164

Bornmann, SFIC NS. 47, 58 ff.

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Ekstase schließt das 22. Buch, während das folgende sogleich wieder anhebt mit den unmittelbar weiterführenden Versen: 23,1-2 ώς φαμενη πατρωον έδύσατο φοίνιον ίίδωρ Νηιάς ύδατόεσσα διάβροχος αϊματι Νύμφη. Also sprechend tauchte ins rötliche Wasser des Vaters blutbenetzt die Nymphe, die wassergewohnte Najade. Das Thema setzt sich also fort, und zwar mit der Steigerung, daß Dionysos nun persönlich an der Seite des Aiakos in das Geschehen eingreift und mit unwiderstehlichem Ansturm in den Bereich des Flusses vordringt, sich in die feindlichen Fluten stürzt und dort seinen Gegnern „nassen Tod" bringt (23,19 ύγρόν έπ' άντιβίοισι φέρων μόρον), wobei Nonnos es nicht unterläßt zu betonen, daß eben Dionysos seit seiner Flucht vor Lykurg ja mit der Wassertiefe aufs engste vertraut sei (23,21—26). So kann der Weingott, aufgrund der paradoxen Tatsache seines Rückhalts am aquatischen Element des Meeres im Ringen mit dem aquatischen Element des Flusses, den Prozeß der farblichen Metamorphose des Hydaspes durch seine eigene unmittelbare Anwesenheit beschleunigen und verstärken, wobei er — statt wie einst am Paktolos in goldheller Flüssigkeit — nun in blutgesättigtem Morast badet. Die Folge: unter den von der Hand des Bakchos verwundeten Indern ergreift den einen „feuchtes Schlachtenlos im blutigen Wasser" (23,42 ύγρήν αίμαλέοιο δι' ύδατος είχεν ένυώ); dem anderen „röten sich die Enden der Haare, da ihn die drohend heranstürmende Flut umfängt" (23,48 f. ό δέ βόστρυχον άκρον έρεύσας δέχνυτο κυματόεσσαν έπαίσσουσαν άπειλήν); ein dritter „versinkt mit bebenden Lippen aufgesperrten Mundes in dem männermordenden Gewoge" (23,50f. εδυνε διάβροχα χείλεα σείων άνδροφάνον παρά χεΰμα σεσηρότος άνθερεώνος). Der Hydaspes wird zu einem Massengrab (23, 77 και επλετο τύμβος Ύδάσπης); seine μεταβολή vom Kraftquell und Lebensspender des Indervolkes zum Verschlinger der eigenen Kinder artikuliert sich in der verzweifelten Frage eines untergehenden Orientalen, wie es denn der heimische Strom, zum Blutmeer und Leichengefäß geworden (23,100 αίμαλέαις λιβάδεσσι φόνου πλημμυρίδα σύρων), noch wagen könne, seinen Bruderströmen oder seinem Vater Okeanos zu nahen und die unberührte See Poseidons mit seinen Miasmen zu verseuchen (23,98—103). Mit dem grotesken Fazit, daß das befreundete Numen des πατρώιος ποταμός den Indern inzwischen schlimmer zusetzt als der feindliche Thyrsos des fremden Eroberers, wird die funktionale Permutation in ihrer Koppelung mit der negativen Farbveränderung nachhaltig bestätigt und die totale Verkehrung des ursprünglichen Status als Konsequenz dionysischer Einwirkung auf die Elementarsphäre des zu unterwerfenden Landes deutlich gemacht. *

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Damit schließt diese Phase der Auseinandersetzung zwischen Dionysos und Hydaspes, um eine zweite folgen zu lassen, in der die Antinomie von Feuer und Wasser den Gang der Ereignisse bestimmt. Nachdem sich Hera eingeschaltet und den Widerstandswillen des Flußgottes stimuliert hat (23,120f.), beginnt 23,122ff. die Überquerung des Hydaspes durch die Scharen der Satyrn und Mänaden; eine neue Art der Kontingenz des Bakchischen mit dem Aquatischen tut sich auf. Eine Reihe bizarrer und phantastischer Bilder illustriert nach nonnianischer Manier das Wundersame und Ungewöhnliche dieses Unternehmens, bei dem das Gespann des Weingottes unbenetzt die feuchte Oberfläche des natürlichen Hindernisses durchfurcht (23,125 ff.) und der berauschte Maron den gefüllten Weinschlauch gleich einem Floß von den Wogen dahintragen läßt (23,208 ff.). Dabei verschlingt sich das sprachliche Indiz, daß eine solche Weise der Überfahrt nach den Miasmen der Blutverfärbung eine weitere Verletzung und Verfremdung des integren Zustandes durch „Schneiden" und „Ritzen" des Wasserspiegels bedeutet (23,127 ονυξ έχάραξεν; 139 οϊδματα τέμνων; 141 χαράσσων; 152 άκρα γαληναίοιο διαστείχων ποταμοΐο), mit mehrfachen Anspielungen darauf, daß hier Adynata passieren, die das Gesetz der Natur verkehren und daher den Eindruck des Unwirklichen, Falschen, Täuschenden hervorrufen (23,125 f. δι' οί'δματος ήνιοχεύων άρμασι χερσαίοισι νάθον πλόον; 132 έτερος δε νόθω ναυτίλλετο θεσμω; 141 ξείνην ναυτιλίην ψευδήμονι νηί χαράσσων). Der Bogen dieser Idee spannt sich von den „absonderlichen Gaukeleien der Seefahrt" (23,123 ναυτιλίης έτερότροπα μάγγανα) am Anfang bis zu der dreizeiligen Skizze des bakchischen Stierreiters, dessen Fahrt über den Fluß auf dem Rücken des „wandelnden" Landtieres die mit ähnlicher UnWirklichkeit und Paradoxic behaftete Zeus-Europaszene des ersten Buches in Erinnerung bringt: 23,157-159 άλλος υπέρ νώτοιο θορών όμόφοιτον άέλλαις εις πλόον ήνιόχευε καλαύροπι ταϋρον όδίτην και βοέοις όνύχεσσι κατέγραφεν αψοφον ΰδωρ. Auf diese beiden Gedanken der Versehrung und der Denaturierung ist auch der Aufruf des Hydaspes an einen benachbarten Fluß zur Hilfeleistung und zur gemeinsamen Abwehr bis zur Vernichtung der Angreifer in den Strudeln der reißenden Strömung abgestellt (23,162ff.). Das selbstverständliche Tangieren und das mühelose Überqueren der heiligen Wasser durch die Diener des Dionysos unter Führung ihres Herrn wird von der Gottheit des Flusses als Provokation und Erniedrigung empfunden (23,168 f. σοι και έμοί πέλεν αίσχος, οτε Βρομίοιο μαχηταί άβρέκτοις έμον οίδμα διασχίζουσι πεδίλοις); daß der Hydaspes für Landfahrzeuge passierbar wird und Wagenlenker sich in den Wogen einen „feuchten Weg" bahnen (23,173 f.), erscheint pervers und daher untragbar (23,179 ού μεν εγώ νήποινον άήθεα πορθμον έάσσω); der Einbruch des dionysi53

sehen Heeres hat für das geheiligte Terrain des indischen Stromes eine unerhörte Veränderung mit gleichzeitiger Entweihung zur Folge (23,183— 191). Neben die Verfärbung tritt also mit der physischen Perturbation, dem Stören der numinosen Sphäre ein weiteres Moment gewaltsamen dionysischen Einwirkens und Eindringens auf naturgebundene und daher scheinbar unveränderliche Gegebenheiten. Es ruft demgemäß eine Reaktion ähnlich der des homerischen Skamandros in seinem Appell an den Bruder Simoeis (II. 21,305 ff.) hervor. Der elementare Gegenschlag des Hydaspes nach dem Signal der „nassen Trompete" (23,194 διερή... σάλπιγξ), sowohl gegen die Satyrn als auch vornehmlich gegen deren Führer gerichtet, hält die epische Situation der Ilias (II. 21,324ff.) nach außen hin durch, gewinnt aber — getreu dem Prinzip der Divergenz und Überbietung — darüber hinaus eine Wucht, die „das purpurne Gewoge des himmelgespeisten Stromes" (11.21,326 πορφύρεον.,.κΰμα διχπετέος ποταμοΐο) bei Homer nach eigener Aussage des Nonnos erheblich übersteigt (23,215—224). Und während dort der ansonsten unbeteiligte Hephaistos quasi als deus ex machina eigens bemüht werden muß, um auf Heras Geheiß den Achilleus zu entlasten und den entfesselten Skamandros mit Feuerbränden in die Schranken zu weisen (II. 21,328ff. 342ff.), kann Nonnos hier ein direktes Duell zwischen zwei Unsterblichen folgerichtig aus der unmittelbaren Motivation ihres naturhaften Gegensatzes entstehen lassen. Demgemäß werden die Satyrn und Bassariden unter dem feindlichen Ansturm der Wassermassen aus dem wundersam leichten und unbenetzten Überschreiten plötzlich in einen unfreiwilligen feuchten Wirbeltanz hineingezogen, bei dem alle bekannten Vokabeln des Schütteins und Drehens wieder auftauchen (23,197 Βασσαρις άβροχίτων άπεσείσατο κύμβαλα χείρων και πόδας άμφελέλιζεν; 200f. ρόος ήνεμόεις πεφορημενος άχρι καρήνου Βάκχης νηχομενης έλικώδεας εκλυσε χαίτας; 206f. Σάτυρος παλάμησιν έρετμώσας χυτον ΰδωρ ίκμαλέην έλέλιζε δι' ύδατος ορθιον ούρήν). Aber dieser Übergang von der thiasotischen zur martialischen Berührung mit dem fluvialen Hindernis mündet nicht ohne weiteres in eine simple Konfrontation. Vielmehr bindet die Ansprache des Dionysos an Hydaspes (23,225 ff.) den naturhaften Gegensatz sogleich wieder in eine ebenso naturgegebene Verwandtschaft ein, wenn der feurige Gott den feuchten daran erinnert, daß er ja im Grunde ebenfalls von Zeus, dem Regenbringer herstamme, gleichwohl sich aber widersinnigerweise anschicke, einen Sproß des Zeus, der dessen konträre Eigenschaft des Blitzeschleuderers verkörpere, anzugreifen (23,226-229). Damit ist die Wurzel des nun einsetzenden Spiels mit Antithesen und Kohärenzen aufgedeckt. Hydaspes ist Διιπετής (23,226); er verdankt sein Dasein dem Gewölk des „Regen-Kronion" (23,227 ύέτιος Ζεύς), aber er muß den Blitz des Wolkensammlers fürchten (23,234f.), der seinerzeit den Zeussohn Dionysos aus dem Mutterschoß entbunden hat (23,231 στε-

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ροπήν Βρομίοιο γενέθλιον). Er ist seinem Wesen nach ύδατόεις, Dionysos seinem Wesen nach πυρόεις ( 2 3 , 2 3 4 ) 1 6 S . Gleich darauf wird dieser harte Kontrast aber wieder eingeschränkt: Hydaspes ist über seine Gattin Asteria-Astris dem Äther und der Sonne verschwägert, doch Zeus scheute sich ja einst nicht, auch den Heliossohn Phaethon mit seinem Blitz zu treffen ( 2 3 , 2 3 6 - 2 4 2 ) ; das Gegengewicht dazu: Hydaspes ist als Strom ein Kind des Okeanos, aber dieses genealogische Band wird ihn ebensowenig schützen, wie das Beispiel seines Bruders, des von Zeus mit Feuer versengten Eridanos, zu lehren vermag ( 2 3 , 2 4 3 - 2 4 9 ) . Weder Helios noch Okeanos wagten es, dem sengenden Strahl des Zeus die eigenen feurigen oder wässrigen Waffen entgegenzusetzen (23,242. 247. 249). So rät der Sproß des Blitzeschleuderers dem Verwandten des Sonnengottes und des Urstromes, die Gewalt des „feuerzüngigen Donnerkeils" ( 2 3 , 2 4 9 πυριγλώχινι κεραυνω) nicht herauszufordern, um nicht das Geschick des Eridanos zu teilen, — eine Vorausdeutung auf Verlauf und Ausgang des nun bevorstehenden Zusammenstoßes zwischen den beiden genealogisch verbundenen Vertretern unterschiedlicher Naturgewalten. Denn das durch Paradigmata angereicherte gedankliche Jonglieren mit der Möglichkeit oder Vermeidbarkeit elementarer Kollisionen zwischen αίΦήρ und ύδωρ wird gleich anschließend abgelöst von der krassen Realität des feindlichen Aufeinandertreffens. Dem Anprall des hochgeschwollenen Wassers (23,253 ύψίδρομον ί)δωρ) setzt Bakchos zwar nicht den Blitz des Vaters, wohl aber die Glut der am Sonnenfeuer entzündeten Narthexstaude ( 2 3 , 2 5 6 πυρσοτόκον νάρθηκα) entgegen. Mit diesem Instrument dionysischer und solarer Energien entfacht er einen Brand von solchen Graden und solchem Ausmaß, daß die vom Epos intendierte Umwandlung des Hydaspes aus einer feuchten und kühlen Zone der vegetativen Fruchtbarkeit in ein glühendes Chaos vollständig erreicht wird. Die Vernichtung der Vegetation an den Ufern des brennenden Flusses ( 2 3 , 2 6 0 καιομενου ποταμοϊο), gleichbedeutend mit der Verfärbung des lebendigen Grüns zu schwarzer Asche (23,263 και θρΰα πϋρ άμάθυνε; 265 ολη δ' έμελαίνετο λόχμη), vollzieht sich in einer Konfusion unvereinbarer Elemente, deren finsteres Produkt, qualmende, von Hitze und Feuchte genährte Rauchschwaden, eine Art Wirbeltanz aufführen, beschrieben mit den thiasotischen Termini des Drehens, Kreisens, Peitschens und stürmischen Eilens ( 2 3 , 2 6 1 και πολύς ήερόφοιτος έλίσσετο καπνός αλήτης; 263 f. πολυστροφάλιγγι δε ριπή καπνοϋ λιγνυόεντος έλιξ έμεθυσσεν άυτμή ήερίας αψίδας; 266 εύόδμοις άνέμοισιν Ιμασσομενων δονακήων; 270 f. καπνός... εμπυρος ύδατόεντι διεσσυτο σύνδρομος άτμω), wobei die Ausdrücke der Trunkenheit (έμεθυσσεν) und des Duftes (εύόδμοις) sich beziehungsvoll einmischen.

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S. dazu H. Fuhrmann, J D A I 6 5 / 6 6 , 1950/51, 115 f.

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Während der Leser damit an die Vorstellung herangeführt wird, als erliege der widerspenstige Hydaspes gleichsam dem Anhauch des dionysischen Temperaments, unterstreicht die Flucht der Najaden aus dem „entflammten väterlichen Wasser" ( 2 3 , 2 7 4 φλογερόν πατρώιον ΰδωρ) mit seinen „glimmenden Fischen" ( 2 3 , 2 6 7 ίχθΰες αίθαλόεντες), „schwimmenden Funken" (269 νηχομενω σπινθήρι) und „kochenden Schlamm" ( 2 3 , 2 6 9 διάβροχος εζεεν Ιλύς) die Vollständigkeit der chaotischen und zugleich in jeder Beziehung paradoxen Permutation ( 2 3 , 2 7 2 - 2 7 9 ) ; die zunächst verbale — Intervention des Okeanos (23,280—320) weitet die Perspektive in kosmische Dimensionen aus und nimmt damit den Ideenfaden der oben angeführten Äußerungen des Dionysos gegenüber Hydaspes wieder auf: Es droht ein weltweiter Konflikt zwischen dem „glühenden" ( 2 3 , 2 8 6 αί/θαλόεις) und doch dabei auch regenspendenden ( 2 3 , 2 8 7 ύέτιος) Zeus, dem Erzeuger und Schützer des feuersprühenden Bakchos, und den Gottheiten des Urmeeres, den Eltern der von den ätherischen Mächten versengten Flüsse Asopos und Hydaspes (23, 2 8 4 - 2 9 0 ) . Aus dem lokalen Chaos beginnt sich — zumindest in der gedanklichen Projektion — ein universales zu entwickeln; denn Okeanos beabsichtigt, die Sonne mit Meeresfluten zu umspülen, die Gestirne in Wasser zu verhüllen und den Mond zu überschwemmen (23,291—293), ähnlich wie einst Poseidon in seinem Ringen mit Helios um die Stadt Korinth ( 2 3 , 3 1 2 f . ) . Wir geraten hier — wie auch später bei der Kontroverse zwischen Dionysos und Poseidon — an einen Ausblick auf das von Nonnos bei jeder Gelegenheit anvisierte umfassendere Terrain der globalen Metamorphosen, bei denen welterhaltende Urordnungen durch chaotische Potenzen erschüttert werden, — so etwa in den Typhon- und Gigantenaufständen des ersten und letzten Buches, wo es dem Dichter jeweils darum zu tun ist, das Bewußtsein von der erdumspannenden und ins Universum ausgreifenden Bedeutung des dionysischen Lebensweges mitsamt seiner mythischen und kosmischen Vorgeschichte wachzuhalten. In den Willenskundgebungen des Okeanos gibt Nonnos — wie auch anderswo — das Überschreiten der Grenzen zwischen Himmel und Erde, das Verwischen der säuberlichen Trennung von astralen und chthonischen Herrschaftsräumen nicht nur unter dem Vorzeichen eines naturwidrigen Ausgriffs in fremde, heterogene Regionen mit der paradoxen Zielsetzung, die Polachse und die trockene Spur des Großen Wagens in Fluten zu tauchen ( 2 3 , 2 9 4 f . ) , den Äther vom Feuer zu entblößen (23,301), die Sterne in Wasser zu hüllen ( 2 3 , 3 0 4 ) ; er verknüpft mit der aggressiven Tendenz zum Auslöschen der uranischen Quellen des Feuers wiederum die Begründung des ozeanischen Dranges zum Himmel aus einer gegenläufigen Hinneigung gewisser Sternbilder zum aquatischen Bereich: Die Delphine des Firmaments sollen wieder im Abgrund des Meeres schwimmen, der in Flammen aufgelöste und verstirnte Eridanos soll an seinen Ursprungsort im Keltenland zurückkehren, die Fische sollen ebenso wie der Stier ihren angestammten Platz in der Tiefe

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einnehmen (23,296—307). Andererseits will Okeanos selbst in Stiergestalt der stiergehörnten himmlischen Rinderhirtin, der Mondgöttin Selene, entgegentreten ( 2 3 , 3 0 7 - 3 0 9 ) ; er will das Sternbild der zeusverbundenen und daher feurigen Ziege (23,314 εμπυρον Αίγα) ebenso überfluten wie das des feuchten Wassermannes (23,314f. ύγροπόρω... Ύδροχοήι). Dieser ständige manieristische Wechsel von gegenseitiger Anziehung und Abstoßung, das Ineinander von homöopathischen und antipathischen Größen, in dem das Gedicht sich auch hier ergeht, mündet in den Aufruf des stierhorngeschmückten Okeanos gegen den stiergestaltigen Sohn des Zeus (23,316f. ταυροφυή...υία), der die gleichfalls tauromorphen Flüsse zu vernichten droht, da er die Wasser des Hydaspes durch seine Feuerbrände versengt (23,317—319). Es mag unnötig sein, einer solchermaßen „künstlich" ausgebreiteten Vision von dem gleichsam magnetischen, teils positiven, teils negativen Aneinandergeraten universaler Größen und Gewalten ideologischen Tiefsinn oder mystischen Symbolismus zu unterlegen, — mit Sicherheit fassen wir jedoch bei derartigen Gelegenheiten wiederum jenes Grundprinzip der epischen Motorik in den Dionysiaka, das Weltbewegung aus der Spannung von statischen, beharrenden Gegebenheiten und einer in Dionysos ansichtig gewordenen Tendenz zur „Konfusion" in großen, ebenso unbegrenzten wie ungeordneten Imaginationen vor Augen zu bringen versucht. Dabei ist der Bezug zur Wirklichkeit letztlich irrelevant. Auch der variationsreiche Wortschwall des Okeanos bleibt hier ohne praktische Konsequenz; denn Zeus hemmt zu Anfang des 24. Gesanges als oberster Schiedsrichter sowohl den Groll des Urgottes als auch die „flammende Kampfeswut" (24,4 ύσμίνην φλογόεσσαν) seines eigenen Sohnes. Statt dessen breitet der Dichter in der überraschend und übergangslos erfolgenden Kapitulationserklärung des Hydaspes (24, lOff.) erneut einen buntschillernden Teppich von Tönen und Nuancen aus, die bereits Gesagtes oder Angedeutetes wiederholend wenden und in leicht wechselnde Formulierungen kleiden. Dazu gehört die Bemerkung, daß auch die Ströme von Zeus stammen, also das Verwandtschaftsargument; dazu gehört der Hinweis auf die Wassergebundenheit der dionysischen Weinkultur (24,11 f.), während Bakchos unmittelbar vorher die Epitheta „feuermächtig" (24, 6 πυρισθενέος Διονύσου) bzw. „feurig" (24, 8 πυρόεντι) erhalten hatte und im folgenden von Hydaspes als „feuergenährt" (24,13 πυρίτρεφες) apostrophiert wird. Unmittelbar danach gerät das dionysische Feuer (24,14 σων δαίδων άμάρυγμα) in Konnex mit dem für die Ausstrahlung des bakchischen Furors so charakteristischen Motiv der „Verblendung" (24,13 άασάμην); ihm gesellt sich das inzwischen hinlänglich bekannte Phänomen der Blutverfärbung und Verunreinigung durch Mordspuren hinzu (24,18—20). Die Perversion des vom Feuer gekochten Wassers (24,23 παφλάζοντα τεω πυρί, ί)ερμόν Ύδάσπην) wird durch das ebenfalls schon dargebotene Thema der Najadenflucht illustriert (24,24—30). Die-

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sem antagonistischen Aspekt stellt sich abrupt das ausgedehnte Meditieren über die brückenschlagende Funktion des flußentsprossenen, für die dionysische Winzertechnik unentbehrlichen Schilfrohres und über die bakchische Musik mit ihren Rohrinstrumenten an die Seite (24,31—40). Die Paradoxie des Gegen- und Miteinander der physikalisch-biologischen Potenzen zeigt sich beispielhaft in den aphoristischen, chiastisch gebauten Zeilen über den Narthex: 24,41-42 λήγε τ ε ω νάρθηκι ρόον ποταμοϊο μαραίνων, δττι ρόος ποταμοϊο τεοϋς νάρθηκας άέξει. Die Reminiszenz an den von indischen Flußnymphen gepflegten Dionysosvorgänger Zagreus ( 2 4 , 4 3 - 4 9 ) oder an den lydischen Hydaspesbruder Paktolos ( 2 4 , 5 1 f.) akzentuiert abschließend noch einmal die verwandtschaftlich-verbindende Seite des komplizierten Verhältnisses zwischen den beiden Kontrahenten, und die paradox formulierte endliche Bitte, das Wasser doch nicht durch Feuer zu verbrennen, gründet sich — den Anfangsgedanken aufnehmend — auf die ebenso paradoxe Feststellung, daß der flußversengende Blitz des Zeus, das „Regen-Feuer" des Kroniden, ja aus Wasser entstanden sei: 24,55-56 μηδέ πυρι φλέξης ύδάτων χ ύ σ ι ν έ ξ υδάτων γαρ άστεροπή βλάστησε, τεοΰ Δ ι ό ς ύέτιον πΰρ. Das Ergebnis dieser irritierenden Ausführungen, der beim Leser sich einstellende Eindruck ist: Verwirrung in einem labyrinthischen Konglomerat von Einbildungen und Einfällen, die alles sowohl möglich als auch nicht möglich erscheinen lassen. So kann — nach Auflösung des kunstvollen Geflechts von Gegensätzen und Kongruenzen in einer coincidentia oppositorum — sich das eigentlich Unmögliche ereignen: die Glut des feuergetroffenen Stromes wird gekühlt, der unauslöschliche, von Götterhand gelegte Brand seiner Wellen wird gelöscht (24, 6 7 και ροθίων ασβεστον άπέσβεσε δαιμόνιον πΰρ).

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4. Die Ambivalenz des Aquatischen Hydaspes und Deriades — Ino und

Palaimon

Schon nach den Beobachtungen der ersten Kapitel zeichnet sich in etwa ab, worauf es Nonnos vornehmlich ankommt: Er möchte mit den ihm zuhandenen und von ihm für angemessen erachteten poetischen Mitteln dartun, wie sich aus der übermächtigen Präsenz und der expansiven Dynamik des Dionysos bzw. des Dionysischen Spannungen ergeben, die beispielsweise in von Trunkenheit beflügelten musisch-tänzerischen (SilenMaron), in erotisch angehauchten sportlichen (Dionysos-Ampelos) oder in elementar begründeten martialischen Begegnungen (Dionysos-Hydaspes) mit agonaler Komponente (auch der Flußkampf wird 2 2 , 4 7 als άγων angekündigt) ihren Niederschlag finden und deren Lösung mit diversen Variationen von „Verwandlung" einhergeht. Daß der Kontakt mit der Hydrosphäre dabei bisher immer eine besondere Rolle spielte, erklärt sich allgemein aus der „proteischen" Beschaffenheit des Wassers, im besonderen nicht zuletzt aus dem - daraus resultierenden - Bezug zu den mit bakchischer Symbolik beladenen Flüssigkeiten Wein und Blut. Die Bemühungen des Epos, diesen symbolträchtigen Bezug herauszuarbeiten, beschränken sich keineswegs auf die Partien um Silen, Ampelos und Hydaspes. Quelle, See und Fluß bilden darüber hinaus in den Dionysiaka mehrfach die Objekte oder Medien für eine Demonstration der verwandelnden Macht des Gottes bzw. der eidetischen Inkonsistenz seines Wirkungskreises 1 6 6 , indem sie im Ergebnis einer magischen „Verfremdung" sowohl den Intentionen des bakchischen Eros als auch denen des bakchischen Ares dienstbar gemacht werden: die von Dionysos in honiggelben Rauschtrank überführte Flut des astakischen Sees bezwingt zunächst die mordlustigen Inder (14,411 ff.) > danach versetzt ein Trunk davon die quellenliebende Bergnymphe Nikaia in wehrlosen Schlaf und liefert sie so der Begierde ihres göttlichen Verfolgers aus (16,250ff.). Die Variante dieses Abenteuers läßt, zum Ausklang des Epos, Aure, die artemisische Jägerin, aus einer von Lyaios dem Felsen entlockten Weinquelle trinken (48,566ff.) und nach der im betäubten Zustand erzwungenen Hochzeit durch einen Sprung in den phrygischen Sangarios den entscheidenden Schritt zur Metamorphose in eine rieselnde Bergquelle tun (48,928 ff.). Die Kombination von Verwand166 Zusammenschau der betreffenden Partien im Blick auf christliche Verwandlungsmirakel bei Golega, Studien 71 ff.

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lungszauber und erotischer Gewaltsamkeit hat ihr Aequivalent aus dem martialischen Bereich des Geschehens wie im 14. Buch so im 17., wo sich Orontes, der Schwiegersohn des Deriades, in sein Schwert stürzt, nachdem er angesichts seiner Niederlage am Tauros „den zaubererrungenen Sieg des schlachtunkundigen Lyaios und die Weinverwandlung des sinnberückenden Stromes" als Ursachen des Verhängnisses dem allesschauenden Helios vermeldet hat ( 1 7 , 2 7 0 f f . 2 7 6 f . ) . Und während er mit seinem Fall in die Wogen dem nunmehr aus einem Gemisch von Blut, Wein und Wasser bestehenden Fluß sterbend seinen Namen verleiht, richtet der siegreiche Gott in der Vorausschau auf das gleiche Ende des Deriades ( 1 7 , 2 9 2 f f . ) Worte an ihn, in denen sich die Doppelgesichtigkeit des feuchten Elements mit seiner Offenheit zur Süße des Lebens und zur Bitterkeit des Todes enthüllt ( 1 7 , 2 9 7 f f . ) : Da Orontes sich mit „mordgerötetem Eisen" ( 1 7 , 2 9 7 δ α φ ο ι ν ή ε ν τ ι . . . σ ι δ ή ρ ω ) umbrachte, ging er des üppigen Trunkes von der durch die magische Infiltration honigsüß gewordenen Flüssigkeit ( 1 7 , 2 9 8 άβρά ρ έ ε θ ρ α μελισταγέος ποταμοΐο) verlustig; da der Fluß ihn nun wie ein Leichentuch umgibt, kann er ihn ganz austrinken, aber eben nicht mehr als „süßen W e i n " ( 1 7 , 2 9 9 ήδέος οίνου), sondern als „bitteren G u ß " ( 1 7 , 3 0 2 χεύματι πικρω) des Totenstromes, der ihn, seinen Leib füllend, aufschwellen und im bewußtlosen Vergessen von Krieg ( 1 7 , 3 0 5 αρεος) und blutigem Kriegswerkzeug (αίμαλέοιο σιδήρου) versinken läßt. Diese Worte des Dionysos mit ihrem Schwall von gleichsam ineinandergeschwemmten Ausdrücken des Trinkens und Schlürfens decken aber neben der Ambivalenz des Feuchten auch die Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit seiner eigenen dämonischen Psyche auf. Nicht ohne Grund wird später ( 3 5 , 3 5 5 ff.) der weinverwandelte Hydaspes von ihm zum Wahrzeichen seines Triumphes über die vom dionysischen Zauber gebeugten Inder erhoben, während sein Widersacher Deriades kurz vor seiner endgültigen Niederlage ( 3 9 , 3 3 ff.) ihn — höchst aufschlußreich — aus der Sicht der Gegenseite bezichtigt, „arglistiges Gift" ( 3 9 , 4 0 πολύτροπα φάρμακα) in die Strömung gegossen und den Fluß mit thessalischen Kräutern ( 3 9 , 4 1 ανθεσι Θεσσαλικοΐσιν) purpurn gemacht zu haben. Nonnos ist darauf bedacht, alle Möglichkeiten einer Verknüpfung der proteischen Polyvalenz des Wassers mit der magisch-metamorphotischen Fähigkeit des Gottes zum Entwurf einer Bedrohung durch dionysische M a c h t sowohl im individuellen Raum des Erotischen als auch im kollektiven Umfeld kriegerischer Auseinandersetzungen zu nutzen.

Im vierzigsten Buch taucht Deriades — der zuvor erwähnten Prophetie des Dionysos gemäß - , vom Thyrsos seines göttlichen Feindes getroffen,

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todsuchend in die zu Wein gewordenen Wellen seines Vaters Hydaspes ein (40, 86ff.). Seine Tochter Protonoe beklagt mit ihm zugleich ihren versunkenen Gatten Orontes und wünscht sich in Wasser aufzulösen wie einst Komaitho, die Gemahlin des Kydnos ( 4 0 , 1 3 5 - 1 4 3 ) . Entsprechend will Orsiboe, die Gemahlin des Deriades, ihrem untergegangenen Mann in den Hydaspes folgen und sich als „eine zweite, dunkelfüßige Ino" ( 4 0 , 2 1 1 f. αντί δέ λευκής άλλη κυανόπεζα φανήσομαι ύδριάς Ίνώ) den Najaden zugesellen. Zwei emotionale Beweggründe läßt Nonnos in den hochpathetischen Äußerungen der beiden unglücklichen Frauen absichtsvoll zusammenklingen: den Wunsch nach Verbundenheit über den Tod hinaus mit dem Manne, der als kriegerisches Opfer eines zauberkundigen Gottes bereits in das Zwischenreich des Flusses als der Schwelle zum Jenseits eingegangen ist, und die weibliche Angst vor den Ausbrüchen jener erotischen Gewaltsamkeit, die - wie oben bemerkt — gerade auch für die Verhaltensweisen des dem feuchten Element so vielfältig verbundenen Dionysos kennzeichnend sind. Wenn die Quellmetamorphose der Komaitho, das von Protonoe gewählte mythische Exempel für die aus Liebe geborene Sehnsucht nach Vereinigung mit dem „Wassergemahl" ( 4 0 , 1 4 0 εΰυδρος έμος πόσις) 1 6 7 , im zweiten Buch von der durch Typhons wütende Verfolgung erschreckten Dryade unter zahlreichen anderen Fluchtmöglichkeiten erwogen wird, um dann allerdings sogleich im Hinblick auf die damit verknüpfte Gefährdung der eigenen Jungfräulichkeit wieder verworfen zu werden (2,143 ff.), so wird aus dem Ineinandergreifen dieser beiden räumlich so sehr voneinander entfernten Stellen das gedankliche Spiel des Dichters mit den beiden paradoxen Aussichten einer schützenden Bergung und einer gefährdenden „Veränderung" im Gewässer schon ersichtlich. Wenn andererseits Orsiboe die Vernichtung des ertrunkenen Gatten durch Bakchos teilen und „der Erde entsagend vom trauernden Wasser aufgenommen" werden möchte (40,203 γαΐαν άναινομενην έχέτω δέ με πένθερον ΰδωρ), so ruft die ersehnte Wiederholung des Meeressprunges der Ino Leukothea im Milieu des Flusses jene aus Angst geborene Entschlossenheit der vom Schwert des bakchisch rasenden Athamas verfolgten Semeleschwester und Dionysosamme vor Augen, die Nonnos im zehnten Buch (10, 80ff.) vor dem Hintergrund eines verändernden, todhaltigen, aber auch rettenden und bewahrenden Elementarbereichs geschildert hatte 1 6 S . Die Ansatzpunkte für die vom Epos vorgenommene Parallelisierung zwischen der Inderfürstin und der thebanischen Athamasgattin liegen also einmal in dem Dilemma einer von zwanghafter Not zum äußersten getrie1 6 7 Hollis, CQ 70, 143. 149 findet in der Wahl des Komaitho-Paradigmas eine Anlehnung an Parthenios fr. 22 Martini. 1 6 8 Zur Mythologie des Meeressprunges G. Nagy, HSClPh77, 1973, 137ff. 145 u. Anm. 31. 32.

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benen Frau (10,94f. ει περ ανάγκη, λώιον έν πελάγεσσι δαμήμεναι ήέ μαχαίρη), zum anderen in dem Verlangen nach Aufnahme in dem bergenden Schoß der Wassertiefe, der zuvor auch schon andere geborgen hat (10,113 δέχνυσο και Δανάης μετά λάρνακα σύμπλοον Ίνώ). Demgegenüber bleibt der grundlegende Unterschied zu konstatieren: Die durch Leid und Bedrohung ausgelöste Tendenz zu zustandveränderndem Überwechseln in die aquatische Sphäre entfaltet sich bei Ino nicht im Rahmen und in der Rangordnung episodischer Ereignisse und bleibt nicht — wie bei Orsiboe — im Vorfeld der Wunschideen stecken. Inos Schicksal, das Wunder der Verwandlung, der Angleichung an den neuen Seinsbezirk in Funktion und Erscheinung (10,120—125) 169 war gleichsam vorprogrammiert aufgrund ihrer Verschwisterung mit der Bakchosmutter Semele und ihrer Rolle als Nährerin des Dionysoskindes, und es ist in den Dionysiaka von exemplarischer Bedeutsamkeit als Vorwegnahme von Erlebnissen und Zuständen des Gottes selbst: Die von der durch Semeies Hochmut gereizten Hera geschickte Manie der Ino (10,243 ff.) wiederholt sich in dem von der gleichen Göttin bewirkten Wahnsinn des Bakchos (32,97ff.); ihre von Hermes (9,70ff. 78 ff.) feierlich angekündigte und als Belohnung des Zeus für den Ammendienst an seinem Sohn hingestellte Versetzung ins Meer geht der Flucht des Dionysos vor seinem Verfolger Lykurgos in den unterseeischen Palast des Nereus (20,35Iff.) voraus 1 7 0 , wo Nonnos — beziehungsreich genug — den Ankömmling von seiner ehemaligen Amme und deren Sohn Melikertes-Palaimon begrüßt und bewirtet werden läßt (21,174f.), während andererseits der tobende Lykurgos über das Versteck des flüchtigen Gottes bei seiner Tante Leukothea höhnt und sich anheischig macht, ihn zusammen mit Palaimon und dessen Mutter von Fischernetzen aus der schützenden Tiefe wieder ans Ufer ziehen zu lassen: Bakchos und Melikertes sollen beide, ihres maritimen Rückhalts beraubt, dem neuen Herrn zu Lande als Knechte dienen und so auf andere Art in einem Hause gemeinsam wohnen: 20,392-393 εις δόμος εστω είς δόμος άμφοτέροισι, Παλαίμονι και Διονύσω

m

.

Damit wäre die 10,134ff. proklamierte Distanz zwischen beiden, das von Semele vorgebrachte Indiz der Priorität des Dionysos, in einem negativen Sinne aufgehoben. 169 G. Becatti, Ninfe e divinitä marine. Ricerche mitologiche, iconografiche e stilistiche (Studi Miscellanei 17), Roma 1970/71, 41. 170 Manie in Verbindung mit dem Meeressprung: C. Gallini, SMSR 34, 1963, 83 f. 171 Verfolgung des Dionysos und der Mänaden durch Lykurg: Privitera, Dioniso in Omero 53 ff. Burkert, Homo Necans, Berlin-New York 1972, 197ff. Die griechische Religion 256. Zur Rolle der Ino als Schützerin des Dionysos mit Blick auf Homers Odyssee (Ino-Odysseus) Mühlestein, Antike und Abendland 25, 148 f.

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Ein Geflecht von Vorausdeutungen, Parallelen, Anklängen und Motivberührungen ist hier entworfen, das sich um die für das Dionysische relevanten Faktoren der Grenzsituation, des seelischen Ausnahmezustands, der existentiellen Bedrohung, des exzentrischen Tuns und Gebarens rankt. Der Wahnsinn der Ino, die über die Berge rast und sich Schlangen ins Haar windet (9,255ff.), und der Wahnsinn des sie verfolgenden Athamas, der seinen Sohn Learchos für ein Hirschkalb hält und mit seinem Jagdmesser verstümmelt (10,2ff. 50ff.), sind dem bakchischen Furor der schlangenwindenden und tierzerreißenden Mänaden verwandt. Der zwischen Entrückung in tödliche Tiefen und Aufhöhung im Jenseits schillernde Meeressprung der Ino 1 7 2 weist auf die Doppelseitigkeit der Beziehungen des Bakchos zu der Welt des Wassers, die dem Bedrängten Schutz gewährt (Flucht vor Lykurgos), die ihn aber auch als Bezwinger seiner Feinde erlebt, sowohl im Bannkreis des Flusses (Orontes, Protonoe - Deriades, Orsiboe) als auch bei der endgültigen Entscheidung gegen den Sohn des Flußgottes in der Schlacht auf offener See (39, 6ff.). Das Bild der Erfolge und Einbußen des in die Welt drängenden Heilbringers ist, gemäß dem durch die Proteus-Figur geprägten Auftakt des Prooemiums, proteisch wechselnd, und niemand anders als der „toronäische Proteus" (21,289 Τορωναίοιο παρά Πρωτήος) eröffnet denn auch dem bei Nereus' Töchtern schmausenden, von Melikertes mit Nektar versorgten und auf Geheiß der „Meerfrau Ino" (21,175 πόντιας Ίνώ) durch Lieder erfreuten Lyaios die große Wende auf dem festen Land zu seinen Gunsten gegen Lykurg und gibt ihm damit das Signal zu der von seinen Dienern ersehnten Rückkehr (21,289ff.). Das vom Beginn des 21. Buches an geschilderte Zusammenwirken chthonisch-neptunischer und olympischdionysischer Einflüsse zum Verderben des Araberkönigs — der in einem Gestaltentausch endende Kampf der Bassaride Ambrosia gegen ihn (21,3 ff.), die Tortur des von Weinranken Gefesselten durch die rasenden Bakchantinnen (21,55 ff.), das auf Rheas Geheiß von Poseidon erzeugte, ganz Arabien heimsuchende Erdbeben (21,90ff.), der von der Erinye Megaira über die männlichen und weiblichen Bewohner des Landes verhängte kindermordende und -verzehrende Furor (21, 107ff. 118ff.), schließlich die von Zeus verursachte Blindheit des Lykurgos (21,163 ff.) 1 7 2 3 —, alle diese im Übermaß gehäuften katastrophalen Ereignisse spiegeln verschiedene Ebenen und Erscheinungsformen einer μεταβολή, und sie werden in der Revelation durch Proteus (21,287—298) mit den bakchischen Termini der Erschütterung (21,290 παλμόν), des Irrens (21,291 άλήτην), des Wirbeltanzes (21,293 έλελίζετο), der Zerstückelung (21, 294 έδαιτρεύσαντο) und der kämpferischen Rebenumschlingung (21,298άμπελόεσ172

Zum religiösen Hintergrund L.R. Farneil, JHS 36, 1916, 36 ff. Zur Blendung als einer dionysischen Art der Bestrafung s. Mühlestein, Antike und Abendland 25, 151. 172a

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σαν ένυώ) noch einmal verdichtend zusammengefaßt als Kündung eines gravierenden oberweltlichen Wandels, der sein Echo im Stimmungsumschwung des verdrängten Gottes vom Kummer zu hoffnungsvoller Freude findet: 21,287-289 και θεός άμπελόεις προτέρας ερριψε μέριμνας τερπωλής τ' έπέβαι,νεν, έπει μάθεν ενδοϋε πόντου πάντα Τορωναίοιο παρά Πρωτήος άκούίον. In die kompositorische Gegenständigkeit von Ereignisschilderung (21,1—169) und seherischer Enthüllung dieser entscheidenden, zur Beugung des Bakchosfeindes Lykurg führenden Ereignisse durch Proteus (21,287—299) hat Nonnos nun, seiner Gewohnheit gemäß scheinbar unvermittelt, die Gesandtschaft des satyrgestaltigen Dionysosherolds zum Inderfürsten Deriades, dem anderen großen orientalischen Widerpart des Traubenspenders eingebaut (21,200-286). Dabei stellt sich heraus, daß diese Einlage darauf abzielt, gegenüber der im Kampf gegen den arabischen Lykurgos zutage getretenen Harmonie der Meeresgottheiten mit dem feuergeborenen Zeussohn jetzt den Kontrast in seinem Verhältnis zur Hydrosphäre hervortreten zu lassen: den im vorigen Kapitel bereits näher beleuchteten Antagonismus des indischen Flußnumens Hydaspes, hier vertreten in seinem wehrhaften Sohn Deriades, und des erobernd und missionierend in den Orient vordringenden Weinbringers Dionysos. Daß die Mission des Gottes als eine zivilisatorische Großtat im Dienste hellenischer ευσέβεια empfunden werden soll und daß seine Forderung, „die Inder sollten den Wein der leidverscheuchenden Lese empfangen" (21,234 Ι ν δ ο ύ ς δεχνυμενους λαθικήδεος οϊνον όπώρης), ein religiöses Anliegen gegenüber unfrommen Barbaren einschließt, nämlich die in Form der Libation sich ausdrückende Gottesverehrung 173 , erhellt aus den Worten des Herolds, der Flußgott Hydaspes möge „vor dem Thyrsos der Bassariden das Knie beugen" (21,237 θύρσοις Βασσαρίδων γόνυ δοϋλον ύποκλίνειν Ύδάσπην); die Hybris und die ασέβεια des Bakchosfeindes andererseits tritt zutage in der abweisenden Antwort des Deriades, er „verachte die Gaben des Dionysos und werde kein anderes Getränk schlürfen als den goldenen Hydaspes" (21,257f. άγνώσσω σέο δώρα και ήν όνόμηνας ό π ώ ρ η ν ού δέχομαι ποτον άλλο μετά χρϋσειον Ύδάσπην). Während Nonnos den Deriades höhnisch auf die Meerflucht des Bromios vor dem Beil des Lykurgos Bezug nehmen läßt (21,246f.), gewinnt er den Kontrapunkt zu diesem beiläufigen Hinweis auf das Bündnis des Meeres mit dem gehetzten Weingott aus den überheblichen Worten des Inders, die mit dem Blick auf die prinzipielle Unvereinbarkeit von

173

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Vgl. Turcan, Les sarcophages remains 467. 470.

Feuer und Wasser die Überlegenheit der Fluten des dionysosfeindlichen Hydaspes über die Blitze des Dionysosvaters Zeus behaupten: 21,222-226 και πυρόεις σέο Βάκχος ακούεται, οττι τεκούσης έκ λαγόνων άνέτελλε Διοβλήτοιο Θυώνης και πυρός έστιν ΰδωρ πολϋ φέρτερον - ην έθελήση χεύματι παφλάζοντι πατήρ έμός, 'Ινδός Ύδάσπης, Ζηνός άποσβέσσειε πυρίπνοον άσθμα κεραυνοϋ. Die Aufhebung des prinzipiellen, elementar wie weltanschaulich-religiös bedingten Gegensatzes zwischen Dionysos und dem Hydaspessohn erfolgt erst mit dem Tode des letzteren im vierzigsten Buch, und zwar in der oben schon mehrfach zum Vorschein gekommenen, für Nonnos typischen Weise des Paradoxons: Indem der Inderkönig sterbend in den Wellen seines Vaters versinkt, trinkt er zwar, seiner eigenen Versicherung gemäß, auch beim letzten Atemzug noch „das Wasser des goldenen Hydaspes", aber zugleich, da der Strom inzwischen bakchisch verwandelt wurde, auch - der Forderung des Dionysos entsprechend und seinem eigenen Vorsatz zuwider — den Rauschtrank des verhaßten Feindes. Anstatt also, wie er sich in seiner Hybris vermaß, das Feuer der Traube und das Leuchten des Blitzes in der Kühle des ihm verbündeten Gewässers zu ersticken, wird er selbst zum unfreiwilligen Zeugen für den Triumph der gewaltsam und wundertätig sich ausbreitenden dionysischen Weltveränderung: mit dem letzten, im Untergang sich vollziehenden „Trunk" vom weingewordenen Wasser des Flusses trinkt er — nachdem Hydaspes selbst von dem Blut zahlloser gefallener Inder „getränkt" ist — symbolisch schon das Wasser der Styx zum Zeichen seiner endgültigen Unterwerfung. So gilt für ihn die gleiche, um den Genuß und den Entzug des lebengebenden Getränkes kreisende Ambivalenz nonnianischer Wortfülle, wie sie aus dem Munde des siegreichen Gottes beim Wassertod des Orontes zu vernehmen war (17,297ff.), und beide, von Nonnos in der ihm eigenen Manier parallel, ähnlich gestalteten Schicksale dienen der Demonstration einer letztlichen Überlegenheit des bakchischen Thyrsos über das „blutige Eisen" des indischen Ares: 17,294-296 ύμέας άμφοτέρους έκυρόν και γαμβρόν όλέσσω, αντί δορός φονίοιο και εύθήκτοιο μαχαίρης σείων εΰια θύρσα και άμπελόεσσαν άκωκήν. *

*

Es gehört zu der thematisch und kompositorisch sich niederschlagenden Besonderheit der epischen Konzeption, daß das von Nonnos ständig variierte und reichlich ausgekostete Moment der fluktuierenden, sowohl den 65

positiven Aspekt des Lebens als auch den negativen des Todes enthaltenden Wertigkeit des Gewässers zwischen den beiden zuvor genannten Polen der Erzählung, der Botschaft des Dionysos an Deriades (21,200 ff.) und dessen Ende im Hydaspes (40,86ff.) im neununddreißigsten Buch vom Schauplatz des Flusses auf den des Meeres verlagert erscheint, wobei neben der prophetischen Instanz des Proteus auch Ino und ihr Sohn Melikertes erneut ins Bild rücken. Beim Herannahen der Flotte des Dionysos äußert Deriades angesichts der bevorstehenden Seeschlacht seine Absicht, den vom Meer und seinen Bewohnern unterstützten Gegner mit Feuerbränden zu vernichten (39,33—38). Beinahe in Umkehrung der oben zitierten Stelle des 21. Buches, wo nach der Wahnvorstellung des Inders der feuchte Schwall des Hydaspes die Feuernatur des Bakchos zum Erlöschen bringen sollte, und der im vorigen Kapitel betrachteten Partie des 23. Buches, wo dieses Unternehmen mit einer schweren Niederlage des ersteren endete, will Deriades nun „die wasserbefahrende Heerschar" des Feindes mit der Glut zahlloser Fackeln bezwingen (39,36 νήας ϊ ν α φλέξοιμι νεήλυδας α ΐ θ ο π ι δαλω) und den Herrn des Rebensaftes durch die sengende Flamme verderben (39,39 εί θεός επλετο Βάκχος, έμω πυρι Βάκχον όλεσσω). Das Meer, einst Zufluchtsort des Lyaios vor dem Araberkönig Lykurg, soll ihm und seinen Schiffen nun zum Grab werden (39,37f. και στρατον ύγροκέλευθον ένικρύψοιμι θαλασσή σϋν δορί, σϋν θώρηκι, σϋν όλκάσι, σϋν Διονύσω). Nachdem mit diesen Worten die Meerestiefe als potentielle Zone des Todes, nicht des bewahrenden Schutzes in den Blick genommen ist, läßt Nonnos — als Komplement dazu - in den Gedanken des Deriades die Weinverwandlung des Hydaspes auftauchen (39,40ff.), die „Vergiftung" jenes Flusses, der zuvor den mächtigen Rückhalt seiner kriegerischen Macht bildete (39,33) und nach der Infiltration durch die dionysischen φάρμακα zur Stätte seines Untergangs werden wird (40, 86ff.). Während der Inderfürst infolge der verhaßten μεταβολή des ihm verwandtschaftlich so eng verbundenen Hydaspes so weit gebracht wird, daß er das einst für ihn lebenswichtige, weil kraftspendende Wasser am liebsten unter Staubund Erdmassen begraben würde, wenn ihm nicht der Genius des eigenen Vaters innewohnte (3 9,45 ff.), rühmt sich auf der anderen Seite sein Gegenspieler, den er ins Meer hinabzustürzen gedachte, daß die Götter und Dämonen der See zu seinen Gunsten in den Kampf eingreifen und ihm zum kriegerischen Erfolg verhelfen werden (39,93 ff.). Poseidon selbst soll den erderschütternden Dreizack für ihn schwingen, und neben Seedämonen wie Glaukos und Phorkys figurieren in seiner siegesgewissen Vision (39,10ff.) mit Thetis, Proteus, Ino und Melikertes eben jene Gestalten als Mitstreiter, die ihm einst als Bedrängten und Verfolgten Zuflucht, Stärkung und Ermutigung gewährten (20,354ff.). Dieser positiven, durch die Siegesprophezeiung des Proteus (39,106ff.) abgesicherten, durch das Ensemble der niederen Meergötter illustrierten 66

Vorschau des Dionysos auf seinen maritimen Triumph stellt die Dichtung wiederum den breit ausgestalteten negativen Aspekt des Meeres als Ort allgemeiner Vernichtung gegenüber (39,225ff.). Im allmählichen Übergang der Farbe vom Blau des Wassers zum Rot des Blutes (39,227) — einer aquatischen Verwandlung analog zu der des sich blutig färbenden Flusses Hydaspes - kündigt sich die poetische Identifikation mit den bitteren Wogen der Unterweltströme, der Totenseen des Acheron an, — ein Ineinanderfließen der Bilder, wie es bereits bei der Orontes-Episode im fluvialen Bereich zu beobachten war (17,297ff.): Aufgedunsen (39,229 οίδαλέοι) treiben die Gefallenen in einer „von Mordblut kochenden See" (39,225 και εζεε κύματα λύθρω); in die Wirbel der Wellen hineingezogen schlürfen sie bitteres Wasser (39,233f. πιόντεςπικρόν ΰδωρ). Die Moira des nassen Todes fängt ihre Opfer ein wie ein riesiges Netz die Fische (39,234 ύποβρυχίης λίνα Μοίρης); das Meer wird zum Grab, zu einem chthonischen Schlund, in dem Ungeheuer ihre Beute verschlingen (39,239f. και τάφος επλετο πόντος, έτυμβεύοντο δε πολλοί κητείοις γενύεσσιν). Dabei sind farbliche Akzente sehr intensiv als Symptome dieser negativen Erscheinungsweise des feuchten Elements verwendet: die Flut ist schwarz (39,235 μελαν), von gleicher Farbe (όμόχροα) sind alle Leiber der „gedunsenen bläulichdunklen Leichen" (39,235f. οίδαλέων.,.κυανέων...νεκρών); die Robbe, an den versunkenen Kadavern sich mästend, erbricht gelblich-rotes Blut (39,242 ξανθόν έρευγομενη κόρον αίματος); das gleiche Farbwort begegnet kurz zuvor (39,43) für die in Wein verwandelte Strömung des Hydaspes; rötlicher Schaum (39,248 αφρός έρευθιόων) spritzt aus den grauen Wellen (πολιής άλμης), und blutige Streifen (39,249 αίμαλέω όλκω) ziehen sich durch den weißen Gischt (πάνλευκον χΰσιν), womit die eingangs gegebene Impression der Rotverfärbung der dunkelblauen Meeresoberfläche (39,227 αϊματι κυανέης έρυθαίνετο νώτα θαλάσσης) aufgegriffen und variierend ergänzt wird. In dem erzählungsmäßig so stark zerklüfteten, aus einzelnen fragmentarisch wirkenden Partien sich zusammensetzenden Panorama der Seeschlacht läßt Nonnos auch die dem Dionysos hilfreich verbundenen Meerdämonen, allen voran seine Amme Leukothea und seinen Ziehbruder Melikertes, äußerlich und innerlich von dieser durch das überdimensionale martialische Geschehen bewirkten „Veränderung" betroffen sein: 39,250-253 και φονίαις λιβάδεσσιν έφοινίχθη Μελικέρτης Λευκοθεη δ' ολόλυξε, τιθηνήτειρα Λυαίου, αυχένα γαΰρον έχουσα, και Ίνδοφόνου περί νίκης ανθεί φυκι,όεντι κόμην έστέψατο νύμφη. Melikertes, von purpurnen Blutstropfen der Gefallenen gerötet, und Ino, ob des Sieges über die Inder mit grünlichem Tang bekränzt, erscheinen in die Gesamtpalette farblicher Eindrücke einbezogen, unter denen das Rot 67

des Massenmordes sich immer mehr durchsetzt, — nicht zuletzt auch in den abgesprengten Versen, in denen Poseidon und Nereus gegen Ende des Gefechts gleichsam von höherer Warte aus feststellen müssen, daß sich die ihnen sonst so vertraute maritime Umgebung nun als ein blutrotes Leichenfeld präsentiert (39,295—299). Doch die Meergötter gewahren eine Veränderung des Normalzustandes nicht nur in bezug auf die Farbe ihres heimatlichen Elements; die Unzahl der Gefallenen, die nun den Fischen zur Nahrung dienen ( 3 9 , 2 9 8 ίχθύας άνδροφάγους), bedeckt die Oberfläche des Wassers so dicht, daß man trockenen Fußes wie auf einer Brücke darüber gehen könnte ( 3 9 , 2 9 8 f. πλήθια νεκρών γείτονος αβροχα νώτα γ ε φ υ ρ ω θ έ ν τ α θαλάσσης). Ein solches die Grenzen von Land und Meer verwischendes Paradoxon verträgt sich gewiß nicht sonderlich mit dem unmittelbar zuvor geschilderten Anblick der blutübergossenen Wellen ( 3 9 , 2 9 6 πόντον κατάρρυτον αϊματι); doch das kümmert Nonnos auf seiner Suche nach immer neuen Nuancen des Ungewöhnlichen und „Verkehrten" ebensowenig wie der Umstand, daß, nachdem in 3 9 , 2 9 5 bereits das Ende der Seeschlacht avisiert worden war, sich ab 3 9 , 3 0 0 f f . weitere, mit dem Vorhergehenden in keiner Weise abgestimmte Kampfhandlungen anreihen, da offenbar neue Möglichkeiten variabler, vielfältiger Beleuchtung des kriegerischen Prozesses sich ihm ergeben haben, — eines Prozesses, der als ständiger M o t o r von „Verwandlung" des Gewohnten auch den elementaren Bereich der See als Schauplatz der Kämpfe in jeder nur denkbaren Weise in Mitleidenschaft zieht. Nach der Symphonie der Verfärbungen fasziniert den Dichter — wie bei der Hydaspesüberquerung im 2 3 . Buch — eine weitere Art der Affektion: das Verletzen und Zertrennen des bisher Unberührten, Unversehrten durch schneidende und spießende Waffen oder Werkzeuge. Der Blick führt von den durch die Schwerter und Pfeile durchbohrten Kombattanten ( 3 9 , 3 0 1 - 3 0 5 ) zu den durch einen Pfeilregen gespickten Masten, Segeln, Rahen und Rippen der Schiffe ( 3 9 , 3 1 0 - 3 2 3 ) ; er geht andererseits von der See, die die Ruderer mit ihren Schlägen „spalten" (άνασχίζοντες), so daß sich die blauen Fluten mit weißem Gischt färben ( 3 9 , 3 0 8 κυανέην λεύκαινον έπασσυτέρην χύσιν άφρω), mithin sich wiederum farblich verändern ( 3 9 , 3 0 6 - 3 0 9 ) , zu deren Bewohnern, den Tieren des Meeres, die von den abirrenden Geschossen der Inder getroffen wurden und sich „mit gespaltenem Rücken sterbend im Tanze drehen" ( 3 9 , 3 3 9 ίχθύες ώρχήσαντο χαρασσομενων άπο νώτων). Der Gedanke der Verletzung der maritimen Sphäre durch die kriegerischen Aktionen wiederholt sich später: nachdem die Schiffe im Rammgefecht miteinander kollidiert sind (39, 3 4 0 - 3 5 1 ) und Morrheus vom Thyrsos des Dionysos verwundet wurde (39,351—359), stürzen viele Inder, den Lanzen, Schwertern oder anderen Waffen der Bakchen erlegen, von Bord und „greifen rudernd ins dunkle Gewässer mit schwimmunkundigen Händen" ( 3 9 , 3 6 6 χείρας έρετμώσαντες ά ή θ ε α ς ές μελαν ΰδωρ), um nach

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vergeblichem Zappeln und Paddeln ihr Grab in den Wellen zu finden (39,360-367). Diesem verzweifelten Aufwühlen der See in Todesangst setzt Nonnos absichtsvoll das erfolgreiche Ringen eines schiffbrüchigen Bromiosdieners entgegen, der mit „meerbekämpfenden Händen die Wogen durchschneidet" (39,369 f. κύματα τέμνων χερσ'ι θαλασσομόθοισιν) und „im brausenden Treffen kämpfend das Wasser spaltet" (39,370f. άλιρροίζω δε κυδοιμω μαρνάμενος... εσχισεν ύδωρ). Es zeigt sich nun, daß dieses mit Vokabeln wie έρετμοϋν, τέμνειν, σχίζειν bezeichnete Moment der Versehrung als eine Art der Veränderung des heilen Status der Natur, in diesem Falle des Meeres, in einer weiteren Variante in den folgenden Höhepunkt der Naumachie hineinreicht, da die Winde auf beiden Seiten sich einmischen und die Gottheiten der See persönlich und entscheidend in das Gefecht eingreifen. Boreas geißelt den Rücken des rasenden Meeres (39,383 αγρία μαινόμενης έπεμάστιε νώτα θαλάσσης) und Thetis türmt Wogen als schützenden Schild vor Lyaios auf (39,390 κύμασι πατρφοισι προασπίζουσα Λυαίου). Nachdem Poseidon selbst zum Dreizack gegriffen hat, Melikertes als sein Wagenlenker in jagender Fahrt ihn über die Wogen dahinführt (39,374—376) und Nereus das Muschelhorn aufbrüllen läßt (39,387f.), ist ein Grad totaler Erregung erreicht, an dem Nonnos das Schlachtgeschehen in ein großes Finale ausmünden lassen kann, das den elementaren Antagonismus von Feuer und Wasser wieder ins Spiel bringt. Von den Kabiren, urtümlichen, sowohl dem Erdfeuer auf Lemnos und damit dem Hephaistos als auch dem Meer und damit dem Poseidon zugeordneten Dämonen, entzündet einer sein eigenes Schiff und setzt mit dieser Riesenfackel die Flotte der Inder in Brand (39,391 ff.). Eine Feuersbrunst breitet sich auf dem gepeinigten Rücken des Meeres aus, so daß eine seiner Bewohnerinnen, Tochter des Nereus, sich den „sengenden Fluten" (39,399 πυριβλήτοιο θαλάσσης) durch die Flucht entziehen muß (39,399—401). Das spektakuläre Paradoxon einer Vereinigung konträrer Grundkräfte der Natur — als Neuauflage der Inflammation des Hydaspes im maritimen Bereich, einschließlich des episodischen Symptoms der Najadenflucht — hat der Dichter hier erstrebt und erreicht: eine schmerzhafte Begegnung und Verbindung der beiden feindlichen Elemente führt den vollständigen Sieg des feurigen Bakchos mit Hilfe der Wasserdämonen herbei. Brennendes Naß — wäßrige Flammen (39,401 αίθομίνου ΰδατος ίκμαλέον πϋρ), so lautet der paradoxe Chiasmus, mit dem „Verwandlung" des natürlichen Gleichgewichts der Gegensätze gekennzeichnet wird. Und wenn die Inder zum Schluß in Panik darüber vom Meer aufs Land drängen, wenn der „Seekämpfer Ares" (39,404 ναύμαχος "Αρης) dem Herrn des Erdfeuers Hephaistos (έκ πυρός Ήφαίστοιο) weichen muß, wenn der Gewässersohn Deriades selbst schleunigst vor der heranrasenden Glut (39,405 φλόγα σύνδρομον) in die Ebene flieht, um der „feuchten Kampfeswut" (39,407 ύγρόν αρηα) des „Meereskriegers" Dionysos zu entrinnen, wie umgekehrt einst Dionysos vor Lykurg in den 69

Schutz des πόντος flüchtete 174 , so sind alle Varianten der ambivalenten Beziehung des Gottes zu den beiden elementaren Mächten, die bei seiner Geburt Pate gestanden hatten, artistisch durchgespielt. In der Retrospektive zeigen sich die vermessenen Ankündigungen des Deriades, mit dem Wasser des Hydaspes das Feuer des Bakchos auszulöschen (21,222 ff.) bzw. mit Feuerbränden den meerverbundenen Gott zu vernichten (39,33 ff.), in jeder Beziehung durch die reale Verkehrung der Dinge ins Gegenteil ad absurdum geführt; in der Vorausschau aber ist das Signal gesetzt für das mit Buch 41 anhebende große Duell zwischen dem Meeresgebieter und dem Spender des Traubenfeuers, - ein Duell, das sich zu einer neuerlichen gewaltigen Auseinandersetzung zur See steigern wird. 174

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Turcan, Les sarcophages remains 144.

5. Erotische Rivalität und elementare Konfrontation Der Kampf zwischen Dionysos und Poseidon um Beroe Es war in der Einleitung hervorgehoben worden, daß die Dionysiaka neben dem Kriegerischen das Erotische als eine im Wesen ihres Helden liegende treibende Kraft zum Zuge kommen lassen, um die Allseitigkeit der Energien darzustellen, mit denen der neuerschienene Gott seine Umwelt aufrührt. Bisher ist dieser erotische Anteil nur gelegentlich in unser Blickfeld gerückt, etwa mit den Namen Ampelos und Nikaia, oder hat sich nur ganz flüchtig angedeutet, wie bei Protonoe und Orsiboe. Es zeigt sich jedoch, daß Nonnos nach den sehr ausgedehnten und stark pointierten Hydaspes- und Deriadeskämpfen im folgenden ein Äquivalent zu schaffen versucht hat, bei dem elementare Auseinandersetzung innerhalb der Hydrosphäre nicht von den Zielen kriegerischer Eroberung oder polemischen Widerstandes gesteuert, sondern durch erotische Regungen motiviert ist. Nach dem endgültigen Sieg über die Inder setzt Dionysos seinen Ausgriff in den Orient fort, und zwar in der friedlichen Form einer missionierenden Reise durch die Länder Arabiens und „Assyriens", das heißt Syriens und Phöniziens, um dort ebenfalls die Wahrzeichen seiner kulturellen Mission zu errichten und die Geheimnisse seines glückspendenden Dienstes zu lehren (40,294—297) 1 7 5 . Auch Berytos, die syrophönizische Küstenstadt am Fuße des Libanon, erfährt die verwandelnde Wirkung der Ankunft des Gottes: die Höhen des Gebirges bedecken sich mit Traubenpflanzungen, die Atmosphäre des bakchischen Rausches breitet sich über die fruchtbaren Gefilde des Landes aus und Efeu schlingt sich um den Stamm der Zypresse (41, Iff.). Sogar den heiligen Hain der Aphrodite überwuchern die jungen Triebe des Weinstocks (41,5). Damit ist der Kontakt zu den einheimischen Numina hergestellt: die Rebe gilt laut Nonnos als Geschenk des göttlichen Gastes an das hochzeitlich verbundene Paar der Vegetationsgötter Aphrodite und Adonis ( 4 1 , 6 άμπελόεν πόρε δώρον Άδωνίδι και Κυθερείτ]) 176 . Das Ziel des Dichters, Dionysos zu den epichorischen syrisch-orientalischen Gottheiten in eine Beziehung zu setzen, in der sich Wesensverwandtschaft spiegelt 177 , kommt 1 7 5 Z u m phönizischen Dionysos H . Seyrig, Syria 3 1 , 1 9 5 4 , 6 8 ff. Vgl. A.Henrichs, Die Phoinikika des Lollianos [Papyrologische Texte und Abhandlungen 14], 1 9 7 2 , 16 ff. Vgl. Ch. Segal, AC 3 8 , 1 9 6 9 , 8 2 ff. 1 7 7 Dionysos als Gott der Vegetation (Eur. Bacch. 1 0 5 ff.): Jeanmaire, Dionysos 12ff. Zur Verbindung von Feuchte, Vegetation und Sexualität im Wesensbereich des Dionysos Vemiere, Symboles et mythes, Paris 1 9 7 7 , 2 2 4 f.

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schon im 40. Buch bei seinem Besuch von Tyros und der initiatorischen Unterweisung im Tempel des Melqart-Herakles (40,298 ff. 3 66 ff.) zum Vorschein. Bildete dort die genealogische Rückbesinnung auf die mütterlichen Vorfahren Kadmos, Agenor und Europa das verbindende Glied, so ist es hier eher die wesensmäßige Nähe zu dem Dämon der Pflanzungen und Gärten, Adonis-Naaman 1 7 8 , und zu der meergeborenen AphroditeAstarte 1 7 9 , den orientalischen Repräsentanten jener eigenartigen Synthese von ländlicher Fruchtbarkeit und Kreativität des Meeres, die Nonnos in Berytos-Beroe 180 , der gartenreichen Hafenstadt, mythologisch zugleich der Tochter dieses göttlichen Paares, zu personifizieren sich bemüht hat. Das hymnische Lob auf Beroe in den Versen 4 1 , 1 3 ff. 1 8 1 läßt diese Synthese nachhaltig hervortreten: Beroe ist „dem Meer verhaftet" (41,15 ποντοπαγής), auf „schöner Insel" gelegen (41,15 εΰνησος), dabei „von herrlichem Grün" (41,15 έύχλοος); ihr Nacken wird von Wogen gepeitscht (41,17 κύμασιν.,.Ιμάσσεται όρθιος αΰχήν), unter duftenden Winden wiegen sich die Zypressen (41,21 εύόδμοις άνέμοισι τινασσομένων κυπαρίσσων), und der Bauer streut Saatgut in frischgezogene Furchen (41,24f. γεωμόρος...ραίνων άρτιχάρακτον όπισθοβόλω χθόνα καρπω) 1 8 2 , während der Schafhirt am Saum des nahrungspendenden Waldes weiden läßt (41,26 γείτονι μηλοβοτήρι παρά σφυρά φορβάδος ΰλης). Beroe ist aber auch als „Lebensgrund" (41,14 βιότου τρόπις) ein „Hafen der Liebe" (όρμος Ε ρ ώ τ ω ν ) ; das Lob enthält also eine betonte, von der Natur und Funktion Aphrodites her begründete erotische Komponente; sie läßt die Stadt am Gestade von den Armen des Meerherrschers gleichsam umschlungen werden und von ihm in dieser bräutlichen Umarmung die wertvollen Geschenke als Hochzeitsgaben empfangen, die Berytos der Tiefe der See verdankt ( 4 1 , 2 8 - 3 7 ) , 8 3 .

178

Ch. Picard, BCH 44, 1920, 292f. R. Mouterde, MUSJ 40, 2, 1964, 158. S. Ronzevalle, MUSJ 25, 1942/45, 13 ff. Mouterde, MUSJ 40, 2, 168. J. Lauffrey, Beyrouth. Archeologie et histoire. Epoques grecoromaines I. Periode hellenistique et HautEmpire romain. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 8, Berlin-New York 1977, 135 ff. 180 Die eponyme Göttin Beruth (Βηρούθ) als Parhedros des phönizischen Hochgottes Eliun schon bei Philon von Byblos (2, 12) vgl. R. du Mesnil du Buisson, fitudes sur les dieux pheniciens herites par l'Empire romain (EPRO 14), Leiden 1970, 31 f. 54. 181 Vgl. dazu Mouterde, MUSJ 40, 2, 151 f. 182 Uber die lokalen Gegebenheiten s. Lauffrey, Beyrouth. Archeologie et histoire, Epoques grecoromaines I, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II, 8, Berlin-New York 1977, 135 ff. 183 Die schon mit 41, 14 ff. einsetzende Verquickung von Landschaftsbeschreibung und Anthropomorphisierung der Natur in der Berytos-Schilderung ist von Elliger, Die Darstellung der Landschaft in der griechischen Dichtung, Berlin-New York 1975, 419f. beobachtet worden; er hebt auch das erotische Moment hervor „bei der Umsetzung eines geographischhistorischen Befundes... in einen künstlichen Mythos, der die Grenze zwischen Person und Landschaft aufhebt". 179

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Nonnos liebt solche metaphorischen Verquickungen des GeographischPhysikalischen mit dem Mythisch-Erotischen, wie der vorhergehende, ganz ähnliche Vergleich von Tyros mit einem „schwimmenden Mädchen" (νηχομενη.,.κούρη) zeigt, das „der Erderschütterer in fester Umarmung hält gleich einem feuchten Freier" (40,319-326). Er gewinnt daraus hier die reizvolle Möglichkeit einer fluktuierenden Überblendung der Stadt durch ihre eponyme Heroine, außerdem aber das Motiv für die Kontroverse zwischen Dionysos und Poseidon 184, den beiden ungleichen Bewerbern um die Gunst der Aphrodite-Tochter, — eine Kontroverse, die sich von den gegebenen Voraussetzungen her ausweiten kann zu dem elementaren Zusammenstoß des Herrn der ländlichen Wein- und Hortikultur mit dem Herrn der maritimen Region: 41,10-14 άλλά θεμιστοπόλου Βερόης παρά γείτονι πέζη ΰμνον \Αμυμώνης Λιβανηίδες είπατε Μοϋσαι και βυθάου Κρονίδαο και εύθύρσοιο Λυαίου αρεα κυματόεντα και άμπελόεσσαν ένυώ. * *

*

Das 42. Buch hebt an mit dem gleichgerichteten Anschlag des Eros auf Dionysos und Poseidon: von einundderselben Sehne schnellt er zwei „feurige Pfeile" (42,13 αμπυρα βέλεμνα), um die beiden Kontrahenten mit gleich hitzigem Verlangen (42,14 όμοίιον εις πόθο ν) nach dem Mädchen zu behaften. Die daraus sich ergebende Parallelität der werbenden und verfolgenden Aktionen entwickelt Nonnos zu einer kunstvollen Gegenständigkeit, verankert in der unterschiedlichen Kompetenz der wesensmäßig einander von jeher nahestehenden göttlichen Rivalen 18s : 42,15-16 διχθαδίους μνηστήρας όμοζήλων ύμεναίων δαίμονα βοτρυόεντα καΐ ήνιοχήα θαλάσσης. Ihr Zusammentreffen auf dem Gipfel des Libanon, wo sie beide im gleichen Augenblick dem Pfeil des Eros erliegen, soll diese „Symmetrie" ver184 Verbindung Poseidons (El) mit Berytos in lokaler Mythologie (Sanchunjathon-Philon von Byblos 2, 25) und numismatischer Dokumentation (seit 2. Jh. v.): Mouterde, MUSJ 40, 2, 150f. Mesnil du Buisson, Etudes 32. Lauffrey, Beyrouth. Archeologie et histoire. Epoques grecoromaines, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, 118, Berlin-New York 1977, 145. J. Teixidor, The Pagan God, N e w Jersey 1977, 4 2 f f . Vgl. G.Levi della Vida JBL 63, 1944, 7 u. Anm. 28. 185 Zur Wesens- und Funktionsähnlichkeit Dionysos-Poseidon im Bereich des Feuchten, der Vegetation und des Chthonischen G. A. Privitera, SUSFL 39, 1965, 180 ff. Capovilla, Helikon 8, 130.

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anschaulichen, desgleichen der Prospekt auf die jeweiligen Brautgeschenke an Beroe-Berytos, die Tochter des dionysosgleichen Adonis, zugleich aber auch die Eponyme der meeresnahen Stadt ( 4 2 , 2 8 άλιγείτονι κούρη). Der Weingott gibt Lebensfreude und die herbstlich reife Traube seines Getränks ( 4 2 , 2 6 ) ; der Seeherrscher bringt den Schaukampf der ναυμαχία und Frutti di mare ( 4 2 , 2 9 ) . Leibliche Genüsse sind gekoppelt mit sinnerregenden Affekten, und natürlich wird die erotische Empfindung der Freier zu den beiden von ihnen vertretenen Elementarsphären in Beziehung gesetzt: Wie Dionysos die Männer durch seinen Wein erhitzt, so Eros den Bakchos durch das Feuer der Liebe ( 4 2 , 3 8 f . ) ; wie das Meer des Poseidon unstet wogt und brandet, so ist auch der Gott jetzt umbrandet vom Wogenschwall des Liebeskummers ( 4 2 , 5 8 f.). Beide folgen den Spuren der Angebeteten auf den einsamen Pfaden des Libanon, und wenn Beroe in der Mittagshitze aus der Quelle Wasser schöpft, um ihren Durst zu stillen, so zwingt die Sehnsucht auch den Dionysos, aus der gleichen Quelle zu trinken. Um das durch den Eros verursachte Paradoxon zu verdeutlichen, daß der Spender des Weines um eines Mädchens willen „poseidonisches" Wasser trinkt, läßt der Dichter die örtliche Najade auftauchen und am Beispiel des in Europa verliebten Zeus und des in Arethusa verliebten Alpheios dartun, wie wenig das Naß der Quelle, ja selbst ein ganzer Ozean voll kühlender Fluten den Brand der Liebe zu löschen vermöchte. Eine Kaskade ineinandergreifenderWörter und Begriffe aus den konträren Bezirken des Feuchten und des Heißen entfaltet sich, um den Widerstreit elementarer Strebungen zu illustrieren: 42,100-107 ψυχρον ΰδωρ, Διόνυσε, μάτην πιες - οΰ δύναται γαρ σβέσσαι δίψαν έρωτος ολος ρόος Ώ κ ε α ν ο ΐ ο . εϊρεο σον γενέτην, δτι τηλίκον οϊδμα περήσας νύμφιος Ε υ ρ ώ π η ς ούκ εσβεσεν ίμερόεν πΰρ, άλλ'ετι μάλλον εκαμνεν έν ΰ δ α σ ι ν ύγροπόρου δε μάρτυρα λάτριν " Ε ρ ω τ ο ς εχεις Ά λ φ ε ι ο ν άλήτην, οττι τόσοις ροθίοισι δι'ΰδατος ΰδατα σύρων ού φύγε ϋερμον έρωτα, και εΐ πέλεν ύγρος άκοίτης. Dieses Schwelgen in einer Wortflut, das ja auch beim Wassertod des Orontes - dort mit dem Anklang an die letale Überschwemmung durch den wein- und blutgesättigten Strom — schon zu beobachten war, soll hier die sinnliche Intensität der ins Physische, Naturhafte gewendeten und solchermaßen anschaulich gemachten inneren Fluktuationen aufs höchstmögliche steigern. Der Antagonismus von Feuer und Wasser ist durch seine Suspension im Medium des Erotischen auf einer andersartigen Ebene reaktualisiert: dem In- und Gegeneinander der Elemente entspricht eine emotionale Turbulenz, eine Brandung der Gefühle, die sich — wie bei Non-

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nos nicht anders zu erwarten - in oszillierenden „Einbildungen" niederschlägt. So entspringt aus dem Neid des Dionysos auf seinen Nebenbuhler Poseidon, dessen Element, das Wasser, ganz unbeabsichtigt von der durstigen Beroe zum Trunk gewählt, mithin seinem eigenen Getränk, dem Wein, vorgezogen worden ist (42, llOff.), eine Warnung vor der aus dem Wasser drohenden erotischen Gefährdung, wie sie als Motiv bereits im 2. und 40. Buch zum Tragen kam (42,114-120). Aber während Dionysos die mögliche Bedrohung der Virginität Beroes durch liebesgierige dämonische Quellbewohner im Banne seiner Eifersucht unbedenklich auf den „weibertollen und zugleich ränkevollen" Poseidon (42,117 γυναιμανέων δολόεις) überträgt, verrät er sein eigenes libidinöses Naturell, das ihn nur zu oft an weinverwandelter Quelle ahnungslose Jungfrauen überwältigen ließ, durch den Wunsch, sich gleich dem Meeresgott in Gewässer verwandeln und unter dieser Form die geliebte Beroe umarmen zu können (42,121— 123). Mit der erotischen Wunschvorstellung des Dionysos ist der Anschluß an das zuvor entworfene Bild von der durch den „wässrigen Buhlen" umschlungenen Hafenstadt Berytos hergestellt, zugleich aber auch das Thema erotisch stimulierter Metamorphose angeschnitten, das im folgenden in den Mittelpunkt rücken wird. Der Gott hüllt sich in die Gestalt eines Jägers, um dem nymphenhaft durch Berge und Wälder schweifenden Mädchen unauffällig nahe sein zu können. Die äußere Verwandlung geht im übrigen einher mit einer inneren, mit einer Wesensveränderung unter der Gewalt des Eros; sie läßt den siegreichen, kampfgewohnten und furchtlosen Lyaios zu einem zaghaft bebenden, von banger Scheu gehemmten Verehrer werden (42,138 ff.). Von dem gleichfalls unglücklich verliebten Pan in den Künsten der Annäherung durch Schmeichelei, der geschickten Verstellung und der vielsagenden Anspielung unterwiesen (42,196ff.), gerät der aus der Rolle des Inderbesiegers in die des schmachtenden Liebhabers gedrängte Gott zwangsläufig in jenen von Ovid poetisch vorgeprägten Dunstkreis von mythisch belebter Vegetation und erotisch motivierter „Verwandlung", für den eine bukolisch und sinnlichsexuell ausgerichtete Figur wie Pan hinreichend repräsentativ erscheint 186 . Dieser hatte in seiner Belehrung schon exemplarisch auf Endymion und Selene, Adonis und Aphrodite, Eos und Kephalos hingewiesen (42, 243-249), hatte des weiteren die Namen der zu Pflanzen gewordenen Liebesverächterinnen Daphne und Pitys sowie den der nie verstummenden, liebesuchenden Echo genannt (42,256-261), um seinen Leidensgenossen auf die für einen zu Herzen gehenden Werbegesang vor Beroe angemessene Thematik einzustimmen. Demgemäß verändern sich sogleich übergangslos Umgebung und Situation, und mit ihnen natürlich auch die äußere Erscheinung des Dionysos. Vom Wald und Gebirge versetzt uns der 186

Belege für die Verbindung von Pan und Dionysos bei Horn, Mysteriensymbolik 120 ff.

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Dichter in eine von den Rebengärten der Kypris, von Saatfeldern, tauigen Wiesen und mannigfachen Bäumen geprägte Kulturzone ( 4 2 , 2 7 5 - 2 7 9 ) ; der Gott, eben noch ein Jäger, tritt nun plötzlich als Landmann vom Libanon ( 4 2 , 2 8 2 Λιβάνοιο γεωμόρος) auf, ohne daß sich Beroe durch diesen abrupten Wechsel der Profession ihres hartnäckigen Begleiters irgendwie irritiert zeigt. In der Tat ist die agrestische Zuständigkeit des Bakchos, ebenso wie seine jagdliche eingebunden in die Lokalität der phönizischen Küstenlandschaft und damit in die Domäne des Jägers Adonis und der Garten-Aphrodite, bei ihrer ausschließlichen Fixierung auf die Person der begehrten Beroe von Nonnos ganz unter das Vorzeichen der erotischen Sinnbildlichkeit gestellt. Nachdem die Pirsch auf den Spuren des scheuen und unnahbaren „Wildes" bisher ergebnislos verlaufen ist, versucht nun der „Landmann" sich in doppeldeutiger Rede ( 4 2 , 2 8 1 άσημάντω φωνή) der üppigen Geliebten als Pfleger und Pflücker ihrer „Früchte" zu empfehlen ( 4 2 , 2 8 2 — 3 1 2 ) 1 8 7 . Die erwähnte Überblendung der Stadt durch die jungfräuliche Heroine erleichtert es dem Poeten, sich einer aus orientalischen Dichtungen bekannten sexuellen Vegetationsmetaphorik zu bedienen, die mit umschreibenden Ausdrücken wie Blüte, Beere, Rebe, Frucht, Weinberg, aber auch Furche, Samen, Pflug, Ähre, Korn, des weiteren mit solchen wie Regen und Erde, Apfel und T r a u b e 1 8 8 , Aussaat und Ernte sowohl die Sphäre der Hortikultur als auch die des Ackerbaus ihrem Anliegen dienstbar macht. Bakchos' Sehnsuchtsträume auf den Blättern der Anemone, der Blume des Adonis, und sein gliederlösender Liebesschmerz neben dem Stamm der Myrte, des Baumes der Kypris ( 4 2 , 3 2 3 f . 3 4 2 f . ) , zeigen unmißverständlich, daß alle seine diesbezüglichen Auslassungen inspiriert sind von einer durch das orientalische Götterpaar verkörperten schwülen, gleichsam treibhausartigen Kondensation erotischer Phantasie, die von den imaginativen Auswüchsen ungehemmter Sinnlichkeit strotzt und sich in symbolträchtigen Vergleichen, beziehungsreichen genealogischen Anspielungen und parabolischen Episoden ergeht. Dionysos, nunmehr zur Abwechslung einmal wieder in seiner wahren göttlichen Gestalt ( 4 2 , 3 5 6 f . ) , spricht von der ambrosischen Schönheit und den nektarduftenden Gewändern Beroes, vom Zaubergürtel ihrer Mutter Aphrodite, von ihrem Bruder Eros, von den Weihen der Kypris, vom Blut des schönen Adonis, aus dem Beroe entsprossen ist (42,363—379), um schließlich, der Mahnung des Pan eingedenk, bei den Verwandlungen der spröden Syrinx und der liebesfeindlichen Daphne anzulangen als warnenden Beispielen für 1 8 7 Vgl. Bezdechi, Le symbolisme erotique dans les Dionysiaques 3 9 2 f. - Zur Landschaftsperiphrase J . P. Brown, The Lebanon and Phoenicia. Ancient Texts illustrating their Physical Geography and Native Industries 1, Beirut 1 9 6 9 , 4ff. 1 8 8 A. R. Littlewood, HSClPh 7 2 , 1 9 6 7 , 153. 157. 1 6 1 . Vgl. über Traube und Beere in diesem Sinne das Papyrus-Fragment eines Archilochos-Gedichts (Pap.Col.inv. 7 5 1 1 ) : J . EbertW . Luppe, Z P E 16, 1 9 7 5 , 2 2 7 f . (mit weiteren Belegen). S. auch W . Fauth, Persica 8, 1 9 7 9 , 2 9 .

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die Strafe von Jungfrauen, welche die Zuneigung eines Gottes verschmähen ( 4 2 , 3 8 0 - 3 9 0 ) . Die zur Rohrflöte des Pan gewordene Syrinx und die zum Lorbeerkranz Apollons gewordene Daphne sollen daran erinnern, daß auch Beroe-Berytos - nach Ansicht der Volksetymologie 1 8 9 - den Namen einer Pflanze, nämlich den der Zypresse (b e röt) trägt, worauf Nonnos schon beim Einzug des Bakchos in Phönizien (41, 9) und in dem Hymnos auf die Stadt (41,21) versteckt hingedeutet hatte. Andererseits führt die Warnung vor dem Zorn des Eros, der dem dryadenhaften und liebesscheuen Mädchen ein ähnliches Schicksal bereiten könnte, zum Verweis auf die verwandtschaftlichen und wesensähnlichen Bande zwischen dem jagdlustigen und hochzeitsfreudigen Bakchos und den göttlichen Eltern der Beroe: 42,394-395 και λίνα σεΐο τοκήος Ά δ ώ ν ι δ ο ς αύτος άείρων λεκτρον εγώ στορέσοιμι κασιγνήτης 'Αφροδίτης. Diesem Dringen auf Wesensähnlichkeit im Rahmen einer orientalisch angehauchten Szenerie vegetativer Kreativität und fruchtträchtiger Uberfülle stellt der Gott nun die apotreptische Kontrafaktur seines Rivalen Poseidon gegenüber: bitteres Wasser wird er anstatt süßen Weines der verwöhnten Braut zu bieten haben, übelriechende Robbenhäute statt kostbarer Pantherfelle auf das Hochzeitslager breiten (42,397—401). Hier taucht das Motiv des Proteus-Prooemiums ( 1 , 3 5 ff.) in anderem Zusammenhang wieder auf: die Robbenhaut als Vehikel einer Verwandlung unter den Bedingungen einer fremdartigen und reizlosen maritimen Einöde — die Nebris und der Thyrsos als Symbole der weinseligen thiasotischen Metamorphose. Die Thyrsoslanze steht nach Meinung des Rebengottes der Adonistochter als Jagdgerät besser an als der Dreizack des Poseidon; die Angleichung an die dionysische Farbigkeit der Wälder und Rebenhänge sollte ihr näher liegen als das Eintauchen in die eintönige, fischblütige Nixenwelt des Poseidon. Deren von Dionysos ausgemalter Kälte, Starrheit und Monotonie - so gar nicht mehr im Einklang mit den freundlichen Schilderungen unterseeischer Gastlichkeit und Geborgenheit in den früheren Büchern — entsprechen nun auch die Verwandlungsschicksale, die der Meeresherr seinen früheren Geliebten hat zuteil werden lassen: Amymone wurde zur Quelle, Skylla zum Felsenriff, Asteria und Euboia zu einsamen Inseln in grauer See ( 4 2 , 4 0 7 - 4 1 1 ) . Verwässerung, Versteinerung und inselhafte Verwurzelung im Meer beleuchten in der Warnrede des Bakchos die Kargheit, Unbeweglichkeit, ja Leblosigkeit, zu der blutvolles Leben und weibliche Schönheit im Machtbereich Poseidons letztlich verurteilt 1 8 9 Diese volksetymologische Deutung war im Altertum verbreitet. Tatsächlich kommt der N a m e Berytos von böröt „die Brunnen" (Mouterde, M U S J 40, 2, 149f. Lauffrey, Beyrouth. Archeologie et histoire. Epoques grecoromains, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, II 8, Berlin-New York 1977, 140.

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sind. Damit wird hinreichend ersichtlich, mit welcher Ausführlichkeit und Differenziertheit Nonnos das bereits aus anderen Zusammenhängen bekannte Thema der Ambivalenz des Aquatischen, seiner positiven, lebenfördernden und seiner negativen, lebensfeindlichen Möglichkeiten, in den von ihm entworfenen Kontext des Erotischen (Beroe als von zwei Göttern begehrte Jungfrau) und des Landschaftlich-Vegetativen (Beroe-Berytos als der terrestrischen Hortikultur und den maritimen Konditionen gleichermaßen zugewandte Stadt) einzubringen bemüht ist. Es ist daher kein Zufall, daß Dionysos abschließend den ärmlichen Hochzeitsgaben seines Nebenbuhlers - ein paar Tropfen Wasser, ein wenig Seetang, ein paar Muscheln (42,414f.) - Visionen entgegenhält, in denen der Glanz edler Metalle, die Farbigkeit knospender Blüten und die Lebendigkeit fließender Feuchte zu der Schönheit der angebeteten Jungfrau in Vergleich gesetzt werden, so daß ein genaues Analogon zu der Ampelos-Partie des 11. Buches entsteht: Gold vom lydischen Paktolos (vgl. 11,26 άστράπτει ρόος ούτος έρευϋιόωντι μετάλλω) dem Kind der „goldenen Aphrodite" (42,417 χρυσής Αφροδίτης), Silber aus dem kleinasiatischen Fluß Geudis bei Alybe (vgl. 11,37 Γεΰδις έχεκτεάνων υδάτων λευκαίνεται όλκω... άργυρέοισι ρεέθροις) der „silberarmigen" (42,419 άργυρόπηχυς) Beroe, Bernstein vom Eridanos, die schimmernde Gabe der Heliaden (vgl. l l , 3 2 f . ρόος Ήριδανοιο, Ή λ ι ά δ ω ν οθι δάκρυ ρυηφενές), für den Nacken des Mädchens, der gleich der Morgenröte und gleich der Helle des Bernsteins strahlt (42,422f. βολαΐς δ5 αντίρροπος Ή ο ΰ ς εϊκελος ήλέκτρω Βεράης άμαρύσσεται αύχήν); das Weiß des Bernsteins wird von der rosigen Haut Beroes übertroffen (42,421 f. ολβον έπαισχύνει σέο μορφή λευκόν έρευθιόωσα), der Marmor verblaßt vor ihrer Schönheit (42,424f.), das Feuer des Leuchtsteins vor dem Glanz ihrer Augen (42,425f.), frisch erblühte Rosen (vgl. l l , 3 0 f . πώς ρόδον είς ρόδον ήλθε) erreichen nicht die rosige Blüte ihrer Wangen (42,427 f. μή καλύκων ροδόεντος άναίσσοντα κορύμβου ooi ρόδα δώρα φέροιμι, ροδώπιδές εΐσι παρειαί). Das unruhig Changierende, Unwirkliche, ständig mit der Nichtrealisierbarkeit des erotischen Wunsches Spielende, das Flackern und Fließen der sinnlich geladenen Imagination verhält sich durchaus adäquat zu dem offerierten Gemisch von metallischem oder kristallinischem Feuer, aquatischem Reichtum, pflanzlicher Farbigkeit und körperlicher Vollkommenheit, in welches das Porträt Beroes verschwimmend getaucht ist. * *

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War der Monolog des Dionysos, der sich ab 42,438 ff. vorläufig zurückzieht, um seinem Konkurrenten Platz zu machen, durch die eben genannten optischen Eindrücke bestimmt, so wird der Auftritt Poseidons naturgemäß gekennzeichnet durch thalassogene und tektonische Begleiterscheinungen

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(42,441-446). Den Kontakt zu Beroe-Amymone sucht der „seewaltende Erderschütterer" (42,456 άλός μεδέων Ένοσίχθων) dementsprechend auch nicht über den bakchosähnlichen Adonis, sondern über die είναλίη Κυθέρεια, und die Liebeseloge auf die Erwählte erinnert an die maritime Schaumgeburt der „Meerestochter" Aphrodite (42,468 f. άλος -θυγάτηρ Αφροδίτη). Indem der gesamte poseidonische Machtbereich der Aphrodite-Tochter Beroe angetragen und ihr damit eine regale, der der olympischen Hera vergleichbare Position in Aussicht gestellt wird (42,470ff.), entbieten alle schon hinlänglich bekannten Geister der See der zukünftigen Gebieterin ihre höchst schätzenswerten Dienste, während — unter Bezugnahme auf das analoge Angebot des Dionysos (42,401) — die „rasenden Bassariden" (Βασσαρίδας μανιώδεας) und die „hüpfenden Satyrn" (Σάτυρον σκαίροντα) als mögliche Diener eines so schönen und edlen Geschöpfes disqualifiziert erscheinen (42,475 f.). Proteus, Glaukos, Melikertes, Nereus und seine Töchter sind aber eben jene, die zuvor dem meerverbundenen Dionysos Schutz, Gastlichkeit und Hilfe gewährt hatten; und Nonnos macht denn auch innerhalb der sich nunmehr abzeichnenden Dissoziation diese alte Verbundenheit noch einmal sichtbar, wenn Poseidon sich pikanterweise veranlaßt sieht, die Dionysos-Amme Ino aus dem Kreis des der Beroe zur Verfügung stehenden Gesindes ausdrücklich zu eliminieren (42,484f.). Das fugenhaft ineinandergreifende, zunehmend auf die elementaren Kontrapunkte Land und Meer ausgerichtete Widerspiel der göttlichen Konkurrenten in Wort und Verhalten bindet das Epos von vornherein gleichsam in der Mitte zusammen durch die notwendige Hinorientierung beider auf die elterliche Autorität des Paares Aphrodite-Adonis als die letztlich entscheidende Instanz, aber eben auch die letztlich auslösende Ursache des ganzen erotischen Konflikts. Nach Poseidons beziehungsreichem Lobpreis des Adonis, der sich zugleich Gatte der Schaumgeborenen (Άφρογενείης) und Vater der Beroe nennen dürfe (42,488-490), wenden sich die Bewerber im Bewußtsein ihrer bisher vergeblichen Anstrengungen mit Geschenken an die Eltern, beide „vom Gürtel der Aphrodite gegeißelt" bzw. „vom Pfeil des Eros getroffen" (42,491-495). Das zirkelhafte Zusammenfallen von Spiritus rector und maßgebendem Adressaten der Werbung in der Person der Liebesgöttin wird von deren Besuch bei Harmonia (41,305 ff.) und ihrem daraus resultierenden Auftrag an Eros am Ende des vorhergehenden Gesanges (41,399ff.) aus näher beleuchtet und macht die Aufforderung Aphrodites verständlich, um die ersehnte Braut einen gigantischen Zweikampf auszutragen, der dieser Hochzeit geradezu kosmische Bedeutung verleiht, da Zeus und alle Olympier sich auf den Höhen des Libanon als Zeugen dieses Waffenganges zweier mächtiger und verwandter Götter versammeln (42,531—533). Wie der martialisch disponierte Inderzug des Dionysos, so zeigt sich auch das erotisch motivierte Werben um Beroe in einem größeren Prozeß des Hervorbringens einer universalen 79

Heils- und Rechtsordnung integriert; denn Berytos ist nach der mittleren Tafel der Harmonia dazu ausersehen, als „Amme einer in windstiller Heiterkeit sich entfaltenden Lebensfülle" (41,396 βιότοιο γαληναίοιο τιθήνη) dem Land und dem Meer zugleich Gesetz und Recht zu geben (41,395. 397 δ ι κ ά ζ ε ι . . . γ α ι α ν όμοΰ και πόντον) 1 9 0 ; in ihr wird eine einzige Stadt alle anderen Städte der Welt mit dem Schutzwall ordnender Satzungen umwinden (41,397f. άκαμπέι τείχει θεσμών αστεα πυργώσασα, μία πτόλις αστεα κόσμου). Kosmische Harmonie erwächst also nach der Konzeption des Dichters aus der Spannung der regionalen Teilhabe an ländlicher Vegetation und der Weite des Meeres. Der Vertrag zum Schutz der Stadt vor dem Zorn des unterlegenen Freiers (42,518—525) läßt noch einmal ihre schicksalhafte Nachbarschaft zu den Rebenhängen des Hinterlandes wie zu den Seewegen und Fischgründen des Mare Internum vor Augen treten, und das Vogelzeichen mit Habicht, Taube und Seeadler (42,534-538) verbildlicht in seiner Vorausdeutung auf den Wettstreit die spannungsgeladene Dreierkonstellation Dionysos-Beroe-Poseidon als Quelle der sich nunmehr ergebenden, dem idealen Endzustand notwendig vorausgehenden Erschütterungen und Verwirrungen des normalen Weltenganges. Das 43. Buch hebt demgemäß an mit der Thematisierung der wohlbekannten polaren Verflechtung von Krieg und Liebe, seit jeher — schon in den frühen vorderasiatischen Kulturen — personifiziert in der Figur der bewaffneten Istar-Astarte-Aphrodite. Aniäßlich des aus Liebe zu Beroe entbrennenden Zwists zwischen Dionysos und Poseidon — zunächst einer Fortsetzung des agonalen Kräftemessens (Maron — Silen, Apollon — Marsyas, Dionysos — Hydaspes) auf einer höheren Ebene und in größeren Dimensionen — erscheint Ares, der olympische Liebhaber der Aphrodite, als όχετηγός Ε ρ ώ τ ω ν ; in dieser Eigenschaft läßt er „das hochzeitliche Getöse des bräutlichen Kampfes erschallen" (43,2 νυμφιδίης αλάλαζε μάχης θαλαμηπόλον ήχώ), und seine Begleiterin Enyo, die Patronin des blutigen Gemetzels, bereitet die Grundlagen des Krieges zwischen den beiden Konkurrenten. Damit ist bereits signalisiert, daß nicht etwa ein begrenztes Duell von zwei göttlichen Einzelkämpfern bevorsteht, sondern ein umfassender Zusammenstoß riesiger Götterheere. Das Stimulans erotischer Rivalität entfaltet aus der Wurzel einer agonalen Begegnung eine kriegerische Parallele zu dem Finale der Inderschlacht mitsamt seinen aus einer elementaren Antithetik gespeisten Implikationen. Dazu sind zunächst folgerichtig Vokabeln aus der martialischen Szenerie des homerischen Epos aufgeboten: Hymenaios erhält das Beiwort θοϋρος „stürmisch" (43,5); er erregt schüttelnd das Getümmel (43,4 κλόνον) für den Traubenherrn und den Erderschütterer, tanzend begibt er sich zur Schlacht 190

Zur Rechtsschule von Berytos in römischer Zeit P. Collinet, Histoire de l'Ecole de droit de Beyrouth, Paris 1925, 44 f. Mouterde, MUSJ 40, 2, 175.

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(43,5 ύσμίνην) und schwingt dabei die eherne Lanze (43,6 χάλκεον εγχος) der amykleischen Aphrodite. Bemerkenswert ist dabei jedoch, daß diese homerischen Vokabeln einer Figur erotischer Kompetenz zugewiesen sind. Aus dem Konglomerat von Liebe und Krieg erwachsen Permutation und Verfremdung: Der Genius der Vermählung ergeht sich im Waffentanz, - wie zuvor Ares, der Kriegsgott, als Gespannführer der Eroten auftrat. Die bewußte Vermischung der Affektionen des Mordrausches und der orgiastischen Festfreude wird erkennbar, wenn der Hochzeitsdämon auf der phrygischen Flöte (43, 7 Φρυγίω αΰλω) die Melodie des Ares ("Αρεος άρμονίην) ertönen läßt. An diese Vereinigung des Konträren fügt sich unmittelbar der elementare Gegensatz, wenn die für die beiden Antagonisten charakteristischen Waffen in den Blick treten: Poseidon rüstet sich mit dem assyrischen Dreizack (43,19 Ά σ σ υ ρ ί ω τριόδοντι), der zugleich die untergründige Unruhe des Meeres symbolisiert (43,20 πόντιον εγχος); das Brüllen des Gottes (43,18 βλοσυρον μύκημα) gemahnt an den Laut des Erdbebenstieres. Dionysos als Widerpart des Meeres fährt thyrsosbewehrt auf dem Wagen der asiatischen Bergmutter Rhea daher (43,22 μητρός όρεσσινόμοιο καθήμενος άρματι 'Ρείης), dem Wahrzeichen des gebirgigen Landes, und sein Zugtier, der Löwe, antwortet dem Geschrei des Meerherrschers mit „rauhem Gebrüll" (43,27 τρηχαλέον μύκημα σεσηρότι χείλει πέμπων). Die kunstvoll herausgearbeitete prinzipielle Gegenüberstellung verschärft sich des weiteren an einigen lokalen Kollisionen, welche sozusagen Präludien zu dem eigentlichen Hauptkampf bilden: ein Elefant, Trabant des Inderbezwingers Dionysos, trocknet mit seinem Rüssel eine Quelle aus und zwingt die darin hausende Nymphe zur Flucht (43,29—33); auf der anderen Seite rüsten sich die Nereiden und Seedämonen zum Gefecht; Wogenschwall erhebt sich von den peitschenden Schlägen der κόρυμβοι, und unter den erschütternden Stößen eines tektonischen Bebens verwüstet der Dreizack Poseidons die Rebenhänge des Libanon (43,34—39); umgekehrt werden die Rinder des Poseidon von den Thyiaden des Bakchos heimgesucht und ihr Anführer, der Stier, von den rasenden Weibern regelrecht zerrissen (43,40-51). Nonnos zeichnet mit flüchtiger Hand „Momentaufnahmen" von gewalttätigen Übergriffen in die jeweilige Domäne des Gegners, wie wir sie in ihrer sphärentypischen Eigenart auch aus anderen Handlungszusammenhängen der Dionysiaka kennen. Sie bilden als eine Art Vorgeplänkel den Auftakt zu dem herannahenden großen Treffen, das nun nach homerischem Muster durch die Präsentation der dionysischen Feldherrn mit ihren sprechenden Namen und durch eine ermunternde Ansprache des Oberbefehlshabers Bakchos an seine Bassariden eingeleitet wird. Diese Ansprache fällt ihrem Inhalt nach wieder gänzlich aus dem homerischen Rahmen heraus, indem sie in ihrer Umfänglichkeit Handlung durch monologische Gedankenprojektionen ersetzt und somit ganz unepi81

sehe, gemäldehafte Ausbreitung von visionären oder illusionären Vorstellungen ermöglicht. Sie bietet ein Paradebeispiel für die nonnianische Technik des Wiederaufgreifens bereits eingeführter Motive und Figuren im Zeichen der „endlosen Variation", zugleich damit aber auch für die anhaltende Tendenz des Epos zum „Wandel", zur Verkehrung des „Normalen" bis an die Grenze des Paradoxen. Dabei wird ersichtlich, daß Nonnos, bei aller ihm vorgeworfenen Vernachlässigung der großen Linien und durchgehenden Stimmigkeiten epischer Komposition, zu wohlüberlegter Anordnung im begrenzten Rahmen durchaus fähig und geneigt ist, wenn es ihm vom Thematischen her darauf ankommt. Der Einsatz erfolgt — dem Initiativcharakter des martialischen Signals (43,71 πολεμήιον ήχώ) angemessen — mit der Entgegensetzung der nicht nur akustisch kontrastierenden musikalischen Tonträger: der hörnernen Flöte bakchischer Provenienz (43,71 αυλός εμάς κερόεις) und des tritonischen Muschelhorns (43, 72 αντίτυπο ν μέλος μυκήτορι κόχλω). Flöten und Pauken (43,74 τύμπανα) aber sind von Natur aus die Instrumente der orgiastischen Feier, und der schon vorher angeklungene Gedanke einer Synthese von Waffengang und Festreigen setzt sich nun in der Rede des Gottes fort, wenn es von Maron heißt, daß er tanzend (43,74 χορεύων) wie seinerzeit im Agon mit Silen — dem Glaukos entgegentreten solle. Nachdem durch die dissonanten Klänge der Muschel und des Aulos von vornherein die Fronten abgesteckt sind, läßt Dionysos in der Konsequenz dieser Frontstellung die namhaften Kämpfer beider Parteien gegeneinander aufmarschieren, wie es auch bei den Heroen der Ilias der Fall ist. Nicht nur Maron soll mit „männermordendem Thyrsos" (43,75 ρηξήνορι θύρσω) dem Glaukos zu Leibe rücken; Melikertes ist zum Widerpart des trunkenen Silen ausersehen (43,79 f.), und der kampfgewohnte Satyr soll, den Narthex schwingend, den feuchten Nereus aus seinem Domizil vertreiben (43, 83 f.). In diese Aufreihung personaler Antithesen, bezeichnet durch die Namen bekannter bakchischer Dämonen und ebenso bekannter Meeresgenien, sind alternierend Verwandlungsankündigungen eingelagert, betreffend die überwundenen und dem Gebot des Dionysos zu unterwerfenden Gefolgsleute des Poseidon. In die Dreiheit Glaukos, Melikertes, Nereus schlingt sich damit dispositionsmäßig eine zweite Trias: Proteus, Phorkys und Palaimon, wobei es Nonnos nicht stört, daß der letztere offenkundig mit Melikertes identisch ist. Überwindung aber bedingt in diesem Falle auch immer Veränderung des Erscheinungsbildes, Assimilation an die bakchische Seinsweise. So soll Proteus zwar gefesselt und dadurch gezähmt werden, wie es in der Odyssee geschah, aber die Fesseln sollen aus Efeuranken bestehen, wie sie Midas einst dem trunkenen Silen umlegen ließ, und sie sollen ihm ins Haar gewunden sein wie den Thiasoten des Bakchos. Wenn ihm dann noch statt der homerischen Robbenhaut die gescheckte Nebris angezogen wird (43,78 νεβρίδα ποικιλόνωτον εχων μετά δέρματα 82

φώκης), so findet sich die Symbolik der Metamorphose aus dem ersten Prooemium erneut aktualisiert, und zwar in einer Variante, die in gezielter Kulmination die beiden permutationsträchtigen Komponenten Rehfell (im Prooemium statt der homerisch-proteischen Robbenhaut als Merkmal der dionysischen „Einfühlung" des Dichters gewählt) und Proteus-Figur (im Prooemium als homerischer Exponent von Wandelbarkeit zum Inbegriff der „Buntheit" des dionysischen Kosmos erhoben) miteinander verbindet. Die daraus resultierende Projektion eines Proteus Dionysiacus, eines bakchisch umgemodelten Meergreises, zeigt in ihrer Pointiertheit ein beachtliches Geschick im Umgang mit den Schlüsselmotiven, Hand in Hand gehend mit einer ebenso bemerkenswerten Fähigkeit zu weitgespannter episch-thematischer Übersicht. Die von Dionysos verheißene Permutation des Proteus ist beispielhaft für den Absolutheitsanspruch der bakchischen Mission, die ihre Gegner nicht nur zu besiegen, sondern in der Überwindung sich anzuverwandeln sucht. Auch das Meer wird zur dionysischen Provinz werden, wenn die herrische Version des Lyaios sich erfüllt: Nach seinem Willen soll der greise Phorkys in Zukunft die tangreichen Tiefen verlassen und als Bewohner des Tmolos-Gebirges den Thyrsos schwingen bzw. zum Rebengärtner werden (43, 81 f. 85). Palaimons Haar soll, ähnlich dem des Proteus, mit Rebengirlanden durchflochten sein, und er soll, solchermaßen verändert, vom Wagenlenker des Poseidon mit seiner „wäßrigen Geißel" (είναλίη μάστιγι) zum „Steuermann" (κυβερνητήρα) des Löwengespanns der Bergmutter Rhea überwechseln (43, 8 6 - 9 0 ) . In die Forderung nach „funktionaler Metamorphose", das heißt nach Wandlung des Habitus, nach Umorientierung der Tätigkeit, wird erwartungsgemäß das Argument der verwandtschaftlichen Bindung einbezogen ( 4 3 , 9 1 ού γάρ έμόν κατά πόντον άνεψιον είσέτ' έάσω). Dieser aus dem vom Epos vorher so nachdrücklich ausgestalteten Meerbezug des Dionysos resultierende Hemmungsfaktor für eine totale Konfrontation hatte sich schon in der Bemerkung 4 3 , 79 angedeutet, Melikertes solle gegen Silen streiten, „falls er es fertigbringt" (εΐ δύναται δέ); er wirkt fort in der Anweisung, das Haus der gastfreundlichen Thetis, die dem Flüchtling einst Schutz gewährte, zu schonen, obgleich sie ebenfalls zum γένος θ α λ ά σ σ η ς zu zählen sei (43, 95f.). Eingebettet aber sind solche Einschränkungen und Abschwächungen aufgrund alter gefühlsmäßiger Bande in einen Katalog immer weiter ausgreifender Unterwerfungsgebote für alle Meeresbewohner. Das gesamte Heer Poseidons soll, dem Beispiel des Proteus folgend, nach seiner Niederlage mit dem neuen Gewand der Nebris geschmückt erscheinen, die Nymphen sollen die ihnen ungewohnten Zymbeln bedienen und die Hydriaden dem Reigen der Bakchen einverleibt werden (43,92—95). Aus dieser umfassenden Gesamtheit heben sich im Anschluß an den Befehl zur exzeptionellen Behandlung der Thetis die bekanntesten Namen der Nereustöchter heraus, um die Kette der funktio83

nalen und habituellen Metamorphosen vom Allgemeinen wieder ins Individuelle überzuleiten: Leukothea wird den Kothurn anziehen, Doris die Fackel schwingen, Panopeia sich Schlangen ins Haar winden, Eidothea rasselnde Klappern zur Hand nehmen; die verliebte Galateia schließlich ist dazu ausersehen, — gemäß dem Prinzip der Homoeopathie — dem verliebten Bakchos ein Kleid als Hochzeitsangebinde für die ersehnte Beroe-Amymone zu weben ( 4 3 , 9 7 - 1 0 6 ) . Das alles wird in ungehemmter Wunschphantasie aufgebaut, variierend hin- und hergewendet, wiederholend abgewandelt, um dann gleichsam mit einer Handbewegung weggewischt zu werden ( 4 3 , 1 0 7 f . άλλά γένος Νηρήος έάσσατε· ποντοπόρους γαρ δμωίδας ούκ έ θ έ λ ω , Β ε ρ ό η μή ζήλον εγείρω). Gerade das plötzliche, unvermittelte Abbiegen zu einem anderen Gedanken oder Bild ist bei Nonnos an der Tagesordnung und enthüllt das Unverbindliche, Unwirkliche imaginärer Entwürfe. Daher besteht auch kein Anlaß zur Überraschung, wenn übergangslos nach der Beroe-Reminiszenz sowohl das Zweikampf-Motiv wiederkehrt ( 4 3 , 1 Ι Ο Ι 15 Pan soll mit seinen Hörnern die Brust Poseidons durchbohren oder mit seinen Klauen den Rücken Tritons zerreißen) als auch das Permutationsthema mit dem Paradigma Glaukos noch einmal anklingt ( 4 3 , 1 1 5 ff.), wobei der Dichter sich offenbar nicht das Geringste daraus macht, daß Glaukos bereits zu Anfang als Gegner des Maron in der Duell-Reihe berücksichtigt worden war. Das Prinzip des Alternierens zwischen Konfrontation und erzwungener Anpassung bleibt weiterhin gewahrt, nur daß jetzt, gegen Schluß der Dionysos-Rede das zuvor schon eingeführte Beroe-Thema als eigentlicher zentraler Faktor einbezogen wird: Es geht nicht in erster Linie um die Überwindung irgendwelcher Meergötter oder um deren Unterordnung unter das Gesetz des ekstatischen Eroberers; es geht nicht einmal allein um das Mädchen Beroe, sondern um ein Stück Erde und damit um ein Stück Weltherrschaft. Der Agon zwischen Dionysos und Poseidon um die Stadt Berytos, deren kosmische Rolle die Tafel der Harmonia verkündet hat, besitzt archetypische Bedeutung, wie einst der Streit zwischen Athene und Poseidon um Urathen: 43,125-127 άλλα παλαιοτέρην μετά Παλλάδα μάρτυρι Β ά κ χ ω Κέκροψ άλλος ϊκοιτο δικασπόλος, δφρα καΐ αύτη άμπελος άείδοιτο φερέπτολις, ώ ς περ έλαίη. Daher schließt der im Zweikampf vertretene Anspruch auf das Land am oder im Meer zugleich den Vorsatz zu geographischer Anverwandlung und kultureller Behauptung ein. Es geht um die Verteidigung der Positionen des ländlichen Wein- und Vegetationsspenders auf einem Terrain, das von der Umarmung des Seeherrschers okkupiert zu werden droht (43,120— 124). Daher läßt Nonnos seinen Titelhelden eine Absicht proklamieren,

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die die Umwandlung der Stadt und ihrer Umgebung durch den „felszerspaltenden Narthex" vorsieht mit dem Ziel, sie dem Zugriff des Meeres zu entziehen und vollständig der Kompetenz des Weingottes zu unterstellen: 43,128-132 και πόλιος τελέσας ετερον τύπον οΰ μιν έάσσω έγγϋς άλός, κραναάς δέ ταμών νάρϋηκι κολώνας γείτονα Βηρυτοΐο γεφυρώσω βυϋον άλμης, χερσώσας σκοπέλοισιν άλός πετροΰμενον ΰδωρ τρηχαλεη δέ κέλευϋος ίσάζεται όξέι ϋύρσω. Mit dieser großen Willenserklärung zu einer fundamentalen Landschaftsmetamorphose schließt die Ansprache des Dionysos. Und es ist kein Zufall, daß bei der Ankündigung des umstürzenden Vorhabens einer grundlegenden Verwandlung des geographischen Milieus um Beroe-Berytos der Hinweis auf die großen Triumphe des Indienfeldzugs erfolgt, wo der besiegte und verwandelte Fluß Hydaspes sich der Macht des Bromios beugen und hinfort „wogende Tränen" (43,138 δάκρυα κυματόεντα) seines zu Wein gewordenen und mit Blut versetzten Wassers vergießen mußte. So wie der indische Strom gezwungenermaßen Unterwerfung und Anpassung demonstrierte, möchte Dionysos auch den dem Hydaspes von Natur aus nahestehenden Wasserherrn Poseidon nach gewonnenem Kampf in eine Rolle drängen, die sich dem Gesamteindruck eines vollkommenen Triumphes über das maritime Potential einfügt; er darf ein Hochzeitslied für ihn und Beroe singen (43,148—151) und erhält damit zum Schein eine Gunst gewährt, die in Wahrheit für den mächtigen Nebenbuhler eine Demütigung darstellt.

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Notwendigerweise muß die Ökonomie des Epos gegenüber solchen provozierenden Äußerungen ein angemessenes Äquivalent in entsprechenden Worten des Poseidon schaffen. Sie setzen ein mit Erinnerungen und Admonitionen an die einstige Meerverbundenheit des Bakchos und leiten daraus — im Hinblick auf die Flucht vor Lykurg — die Unterstellung unkriegerischer Feigheit und demgemäß kämpferischer Ungleichwertigkeit ab, im Hinblick auf die Rettung durch Thetis aber den Vorwurf der Undankbarkeit, um im Zusammenhang damit auf die dem Feuchten diametral entgegengesetzte Feuernatur des Dionysos abzuheben — mit ihrer Unberechenbarkeit, Wechselhaftigkeit und Neigung zu rücksichtsloser Destruktion, die sich bei seiner Geburt sogar an der eigenen Mutter erwiesen habe. Das zwiespältige Verhältnis des „Feuergenährten" (43,176 πυριτρεφές) zum aquatischen Bereich wird bei dieser Gelegenheit also noch einmal aus der Sicht des Meerherrschers nachhaltig beleuchtet; aber nicht nur das, — Nonnos läßt darin die gefährliche Hitze des dionysischen Tem-

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peraments überhaupt mit ihrer aufpeitschenden, aber auch zerstörenden Ausstrahlung auf das Lebendige anklingen. Danach ergeht ein der Ansprache des Dionysos in etwa analoger Aufruf an die Tritonen, nun ihrerseits die Bakchen zu fesseln und zu „Meerbewohnern" ( 4 3 , 1 5 0 ποντοπόρους) zu machen. Die genau umgekehrte Intention des Erderschütterers ist also der des ländlichen Gottes ganz adäquat. Silen, von dem wir doch in einem früheren Buch erfahren haben ( 1 9 , 2 6 3 f f . ) , daß er bereits eine Flußverwandlung durchgemacht hatte, soll hier nach dem Willen Poseidons von den Wogen dahingeschleift werden ( 4 3 , 1 5 1 f Σ ι λ η ν ο ΐ ο . . . κ ύ μ α τ ι συρομενοιο), seine Schallbecken soll die Flut überspülen ( 4 3 , 1 5 1 τ ύ μ π α ν α . . . κ α τ α κ λ ύ ζ ο ι τ ο ϋαλάσση), so wie die Flöte des schwimmenden Satyrn auf den strudelnden Wassern im Wirbel dahintreiben soll ( 4 3 , 1 5 2 f f . οίδαίνοντι ρ ε έ θ ρ ω νηχομενου Σατύροιο φιλεύιος αύλος ά λ ά σ θ ω εις πλόον αύτοέλικτον). Äußere Widersprüche oder Unstimmigkeiten der epischen Erzählung nimmt Nonnos also, wie sich am Beispiel des Silen zeigt, unbedenklich in Kauf, um sie durch eine innere Kongruenz übergeordneter thematischer Berührungen und Verknüpfungen wieder aufzuheben. Andererseits geht die Parallelität zur Dionysosrede so weit, daß sogar die Entwicklung und die anschließende abrupte Verwerfung der Idee einer Übernahme der Gefolgschaft des Antipoden in analoger Weise ausgesprochen wird: 43,154-157 έν εύύδρω δέ μελάθρω Β α σ σ α ρ ί δ ε ς στορέσειαν έμόν λέχος άντί Λυαίου. ού χ α τ έ ω Σατύρων, ού Μαινάδας είς βυθόν ελκον Νηρείδες γεγάασιν άρείονες. Dabei gestaltet sich das Wunschbild einer Assimilation der besiegten Feinde unter einem noch negativeren Aspekt als in der Vision des Dionysos: die Mimallonen sollen Seewasser statt Wein schlürfen, die Bassariden, von Proteus' Lanze durchbohrt, einen Totentanz in den Wellen aufführen; Inder und Äthiopen sollen eine Beute der Nereiden werden, die Kinder der Kassiopeia als Sklaven der Doris späte Buße für die freche Zunge ihrer Ahnin zahlen ( 4 3 , 1 5 7 - 1 6 8 ) . Daraufhin steigern sich die Imaginationen — ähnlich der Okeanos-Drohung des 2 3 . Buches — in kosmische Ausmaße, da der dem Ikarios bzw. seiner Tochter Erigone und damit auch dem Dionysos zugeordnete Hundsstern ( 4 7 , 2 1 9 f f . ) , der „Reben-Sirius" ( 4 3 , 1 7 1 Σείριον άμπελόεντα), den Himmel verlassen und in den Spiegel des Okeanos eintauchen soll ( 4 3 , 1 6 8 - 1 7 1 ) . Dieses kosmische Niveau bleibt auch weiterhin anvisiert, wenn Poseidon seinen Rivalen auffordert, Thyrsos und Rehfell als untaugliche und unwürdige Waffen abzulegen und, dem beanspruchten Rang des feuerentbundenen Zeussohnes gerechtwerdend, zu den Blitzen des Vaters

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zu greifen, um dem Bruder des Götterkönigs gleichwertig entgegentreten zu können (43,172—178). Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Göttern wird hinsichtlich der Größenordnung entschieden über die Erfolge des Bakchos gegen die Inder und Araber samt ihren Fürsten Deriades und Lykurgos gestellt. Poseidon erinnert, — worauf schon Okeanos anläßlich seiner Drohung gegen Dionysos hingewiesen hatte (23,312f.) — um den rechten Maßstab aufzuzeigen, an den Zwist zwischen ihm und Helios um Korinth; dieser erscheint in der Rückblende als ein gewaltiges Ringen zwischen astralen und maritimen Mächten, bei dem sich die Wogen bis zum Äther erhoben, während umgekehrt der Wagen der Sonne ins Meer eintauchte und das Sternbild des Delphin mit dem Delphin der Wassertiefe zusammentraf (43,179—191). Ein solcher Zusammenprall von animalischen Fabelwesen des gestirnten Firmaments mit Bestien der Tiefenregion im Rahmen eines Ausgriffs des Okeanos zu den Sphären des Himmels wird nicht nur im 23. Buch bei der Drohrede des Urstromes beschworen, sondern auch mit gehöriger Breite im Rahmen des typhonischen Ansturms gegen den Olymp (2,276ff.) geschildert. Es sind also wiederum über eine weite Strecke Berührungspunkte geschaffen auf dem gemeinsamen Nenner des chaoserzeugenden universalen Konflikts mit seinen Auswirkungen einer tiefgreifenden Weltveränderung. Die παλίντονος άναρμοστία, das zwanghafte Aufeinanderzustreben des Gegenständigen, in oppositioneller Spannung, aber auch in einer gewissen konträren Affinität zueinander Befindlichen 191 wird von Nonnos in gedanklichem Projekt oder in mythischer Reminiszenz vorgeführt als kosmische Extrapolation jenes inneren, psychisch-emotionalen τόνος, den der Einbruch des Dionysischen in seinem Umfeld erzeugt. Nach solchen außergewöhnlichen Vorankündigungen dürfte der Leser ein entsprechend grandioses Spektakel kriegerischer Kollisionen zwischen den Scharen der beiden göttlichen Kontrahenten erwarten. In der Tat setzt mit den Versen 4 3 , 1 9 1 ff., im Anschluß an die Worte Poseidons und daher zunächst im Zeichen poseidonischer Aktivität, ein reichgefächertes Kaleidoskop einzelner Szenen und Handlungen ein; nach dem für Nonnos typischen Verfahren der Aneinanderreihung von „Momentaufnahmen" entsteht ein Mosaik, das im wesentlichen die Personen und Konfigurationen präsentiert, die auch schon in den Ansprachen der beiden Götter eine Rolle spielten: Melikertes tritt zu Beginn (43,196—204) als Rosselenker Poseidons auf dem „isthmischen Wagen" ("Ισθμιον άρμα), später als dreizackschwingender Kämpfer gegen Lyaios auf (43,305 f.), wobei er paradoxerweise die „mänadischen Sprünge" seiner Mutter Ino nachahmt (43,306 άλμασι μητρώοισιν έβακχεύθη Μελικέρτης). Von ihr war zuvor gesagt, daß sie, den früheren, vor ihrem Überwechseln ins Meer geäußerten Wahnsinn erneuernd, waffenlos gegen die Menge der Satyrn anstürmt 1,1

Vgl. Friedländer, Vorklassisch und Nachklassisch 44.

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(43,262f. άρχαίην επί λύσσαν άνέδραμεν άστατος Ίνώ, λευκόν έρευγομένη μανιώδεος άφρόν ύπήνης). Ob sie den Schaum bakchischer Ekstase oder den weißen Gischt des Meeres aus ihrem Munde hervortreten läßt, bleibt absichtlich offen; maritimes Ungestüm und dionysischer Furor sind bei diesen „amphibischen" Gestalten bewußt verquickt, wie denn auch der Chor der Meertöchter wenig vorher als bakchisch tobend bezeichnet wurde (43,260 έβακχεύΰη χορός άλμης). Die aus der Nähe des Rauschbringers entspringende homöopathische Beeinflussung gerade auch der ihm einst angeschlossenen Genien im Sinne einer nunmehr gegen ihn gerichteten Erneuerung bakchischer Wildheit hat sich Nonnos als Pointe nicht entgehen lassen. Wildenthemmte Bewegung herrscht überhaupt allenthalben vor: Beim Dahinrasen über die Wellen berühren die Rosse Poseidons die Oberfläche des Wassers nicht (43,203f.); dafür ritzt der Dreizack den Rücken der See (43,200 θαλάσσια νώτα χαράσσων). Das Motiv der Versehrung stellt sich also wieder ein. Der doppelleibige Triton stampft zum bakchischen Getümmel (43,205 έπέκτυπε Φυιάδιχάρμη). Glaukos verfolgt die Satyrn, indem er auf dem vom Wirbelwind (43,211 ώκυπόρω.-.θυέλλη) getragenen Gespann einherfährt und die Mähnen der trockenen Fußes über die Wogen dahinjagenden Pferde geißelt (43,212). Pan führt auf dem Kamm der See einen wilden Tanz auf und schlägt die Wellen mit seinem Hirtenstab (43,213-221). Nereus rennt mit dem „meerdurcheilenden Dreizack" (43,255 ποντοπόρω τριοδόντι) gegen die Elefanten des Dionysos an — δεινός Ιδεΐν (43,253-257). Panopeia geißelt den Rücken einer Seelöwin, die sie in stürmender Eile (διαίσσουσα) voranträgt (43,264f.). Galateia stürzt sich, mit der Keule des Polyphem bewehrt 1 9 2 , auf eine „rasende Bakchantin" (43,267 λυσσά δι Βάκχη). Eido wird von dem PompilosFisch „unbenetzten Fußes" (άβροχον) zum Ziel gebracht (43,268f.). Die einzelnen, von entfesseltem Impetus gesteuerten Handlungen münden in eine kavalleristische Attacke der Nereiden, die auf ihren ichthyomorphen Reittieren eine Art Wettrennen veranstalten (43,270-285). Alle Vorgänge wirken hektisch, forciert, atemlos; die verbalen Ausdrücke des Eilens, Peitschens und Rasens nähren einen Paroxysmus von Gesten und Bewegungen, in denen verwirrende, ungeordnete „Buntheit" überwiegt. Daher stehen inmitten der kurzen, oft nur in ein oder zwei Versen eingefangenen Impressionen, in welche die Darstellung der „Seeschlacht" sich aufsplittert, die Verwandlungen des Proteus, des „vielgestaltigen Robbenhirten" (43,229 φωκάων πολύμορφον,.,νομήα). Von den Indern des Dionysos umzingelt und gefesselt, greift der in Robbenfelle gehüllte Meergreis zum wohlbekannten Defensivmittel der multiplen Metamorphose mit ihrer bunten und erschreckenden Gestaltenfülle (43,225—230). Indem das Epos 192

Galateia als Nereide: H. Doerrie, Die schöne Galateia. Eine Gestalt am Rande des griechischen Mythos in antiker und neuzeitlicher Sicht, München 1968, 21 ff.

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die Situation der homerischen Odyssee dem Bedeutungsgehalt der Szene entsprechend abwandelt, wird Proteus zur Symbolfigur der Vielfalt und Wechselhaftigkeit, der verwirrenden Raschheit und Flüchtigkeit, aber damit eben auch der Vergeblichkeit, Nichtigkeit, ja man könnte sagen der Scheinhaftigkeit aller dieser so heftig tobenden Kampfhandlungen: 42,230-244 Vielfach war die Gestaltung des so umfesselten Greises; Proteus suchte sogleich die Glieder ahmend zu wechseln und verwandelte sich in den Leib eines scheckigen Pardels; aufrecht sproßte er dann als wachsender Stamm aus der Erde, ganz zum Baume verwandelt, und mit den beweglichen Blättern säuselte täuschend er ein Flüstern im wehenden Nordwind. Rings den Rücken bedeckt mit schönen farbigen Schuppen, kroch er als Drache, und hoch die Mitte des Bauches gezogen, hob er den Ringelleib, und dann mit tanzendem Schwünge wedelte er mit der Spitze des kreisend sich windenden Schweifes, aufgerichtet das Haupt, und aus den klaffenden Kiefern schleuderte er hervor das Gift aus zischender Kehle. Wetterwendisch sich wandelnd, gestaltvertauschend erschien er bald als starrender Löwe, als eilender Eber, als Wasser, und so umschlossen die Inder nur nasse Fluten mit schlimmen Banden, und vorgetäuscht entglitt das Wasser den Händen 1 9 3 . Der Leser soll nicht fragen, ob ein solcher Prozeß der Täuschung und Vexierung, des narrenden und irritierenden Umgangs mit Permutationen innerhalb einer Schlachtszenerie dieses Tempos und Tumults vorstellbar ist oder sinnvoll eingeordnet werden kann; denn der Dichter fragt ebenfalls nicht danach. Auch bei den übrigen vorgeführten Geschehnissen ist es ihm gleichgültig, ob sie realisierbar erscheinen oder sich miteinander in Einklang bringen lassen. Ihm kommt es einzig und allein darauf an, den Eindruck einer ungeheuren Turbulenz hervorzurufen, die, obwohl vorwiegend aus dem Einsatz maritimer Potenzen gespeist, den Grad und die Qualität mänadischer Ausgelassenheit erreicht, deren strategische Effektivität allerdings gleich Null ist. Wenn die Ströme im Namen Poseidons sich zum Rencontre mit Dionysos aufmachen, wenn das Brausen des Ozeans zur Schlachttrompete des Seeherrschers wird, wenn die einzelnen Meere und Meerbusen aufeinanderprallen, die Meerdämonen Berggipfel abbrechen und als Geschosse verwenden (43,286—304), so entstehen imposante Entwürfe eines weltweiten, chaosverbreitenden Aufruhrs, ohne daß klare Linien einer Planmäßigkeit oder Zielstrebigkeit erkennbar würden. Wenn auf der anderen Seite die Bassariden, ihre Haare schüttelnd, mit „schwärmender Tollheit" ( 4 3 , 3 0 9 φοιτάδι λύσση) zum „Wassergefecht" (είς μόθον ύδα193

Ubersetzung nach Th. von Scheffer, Nonnos Dionysiaka, Wiesbaden o.J.,

697.

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τόεντα) eilen, wenn sie nach Art der Korybanten auf die Klippen des Libanon hüpfen, wenn der Schaum ihres Mundes dem Schaum des Meeres gleicht, wenn die Silene, während sie mygdonische Löwen vor sich hertreiben, den „Tau kilikischen Weines aus ihren Mäulern speien" ( 4 3 , 3 1 9 f . Σιληνοι δέ Κίλισσαν αναβλύζοντες έέρσην Μυγδονίων έλατήρες έ θ ω ρ ή σ σ ο ν τ ο λεόντων) und „dem Gewimmel des Abgrunds lärmend entgegentanzen" ( 4 3 , 3 2 1 και βυθίω καναχηδον έπισκιρτώντες όμίλω), so ist der Ausnahmezustand thiasotischer Begeisterung in vielen Farben und Brechungen dem Schlachtverlauf so stark aufgeprägt, daß an gelenktes und überlegtes Vorgehen zum Zweck eines militärischen Erfolges nicht einen Augenblick lang zu denken ist. Gewaltige Anstrengungen werden unternommen, mächtige Energien freigesetzt, beeindruckende Eruptionen urhafter Dynamis vor Augen geführt, aber letztlich bleibt alles nur ein Schauspiel, bei dem Gesten und Gebärden bedeutsamer sind als die faktische Wirkung. Das Hin- und Herwogen der Ereignisse — unter Verzicht auf jede zeitliche und räumliche Orientierung —, die Vermengung der elementaren Fronten, die Exaltiertheit und Zügellosigkeit der Verhaltensweisen, die Verfremdung des normalen Ablaufs der Dinge durch mirakulöse, bizarre und paradoxe Phänomene hat Nonnos fasziniert; der rasche Wechsel von Szenen, die man in ihrer Knappheit und Absonderlichkeit kaum nachvollziehen kann, ist seine Spezialität. Extreme Mobilisierung des Pathos und eine exzentrische Dynamik der drohenden, aggressiven Attitüden behaupten, besonders auch in der Schlußpartie 4 3 , 3 2 6 — 3 5 8 , praktisch vollständig das Feld und unterstreichen den von Nonnos offenbar gewollten Charakter des phantastischen Scheingefechts, des großen martialischen Theaters. So wird denn auch, bevor die kriegerischen Anläufe und Gebärden ernsthafte Folgen zeitigen und bevor die beiden göttlichen Widersacher überhaupt persönlich aneinander geraten, durch einen Hilferuf der Psamathe an Zeus (43,359—371) eine Intervention des obersten der Götter ausgelöst, die den Hader auf wiederum paradoxe Weise beendet. Das strategische Ubergewicht des Dionysos, in den angstvollen Worten der Psamathe anerkannt und zum Ausdruck gebracht, muß der eigene Vater mit Blitz und Donner wettmachen, um den blitzentbundenen Sohn zu hemmen und dem älteren Gott die meerverbundene Heroine zu überlassen (43,372—380). Feuer und Wasser, im Konflikt der beiden Rivalen unversöhnlich aufeinandertreffend, versöhnen sich nach diesem Eingreifen des Zeus im Zeichen hochzeitlichen Jubels: 43,386-387 καΐ δονέων αοβεστον έν ΰδασι νυμφίδιον πΰρ παστον Ά μ υ μ ώ ν η ς θαλαμηπόλος ήντυε Νηρεύς. Damit rückt die erotische Kausalität des Ganzen wieder in den Vordergrund. Und wenn die Meerdämonen wie Phorkys, Glaukos, Melikertes

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und Galateia anläßlich des Brautfestes singen und tanzen (43,388— 393) 1 9 4 , während Bakchos von ferne neidisch zusehen muß, so vermag ihn sein Bruder Eros mit der Voraussage zu trösten, daß ihm zwar Beroe-Amymone, da als Tochter der schaumgeborenen Aphrodite (43,424f. βρυχίης 'Αφροδίτης παιδα) wesensmäßig dem Meer zugehörig und somit dem meerbeherrschenden Gatten (43,425 θαλασσοπόρο) παρακοίτη) ausersehen, vorenthalten bleibe, daß dafür aber — zum Ausgleich für den erlittenen Verlust — ihn außer den Liaisons mit Ariadne (47,457ff.) und Aure (48,613 ff.) die Hochzeit mit der thrakischen Jungfrau Pallene erwarte (43,432-436). Eben dieser Vorverweis des Eros auf Pallene spannt thematisch den Bogen zum 48. Buch, wo der Liebeswettkampf und die anschließende Vermählung des Siegers mit der Tochter des Thrakerkönigs Sithon (48,90 ff.) 1 9 5 die Kontinuität der erotisch-sexuell motivierten agonalen Bewährungsproben des Dionysos aufrechterhält. Damit nicht genug: diese Vermählung wird nicht nur von Silenen und Satyrn enthusiastisch gefeiert; es finden sich in plötzlich wiederhergestellter Harmonie auch Nereus und seine Töchter nebst Galateia, Thetis und Melikertes tanzend und singend zu dem festlichen Anlaß ein, um ihrem einstigen Gast und späteren Gegner nun freundlich die Ehre zu erweisen (48,188—200). An der variierenden Disponierung der Meergeister, mit ihren immer wiederkehrenden und daher dem Leser vertrauten Namen, zu den Zielsetzungen des Dionysos, — bald schützend und helfend, bald hemmend und widerstreitend, bald friedlich und freundlich in ausgelassener Geselligkeit - illustriert Nonnos die Eigenart der dionysischen Weltbewältigung in ihrem ständigen Kontakt mit Urkräften, aus denen sie Impulse, Reserven für ihre Unternehmungen schöpft, mit denen sie aber auch gelegentlich infolge ihres auf Absolutheit gerichteten totalen Expansionsdranges in Reibung und Widerspruch gerät. Der wechselhafte, in Robbenfelle gekleidete Proteus, dem Dionysos gern die Nebris angelegt wissen möchte, ist personaler Ausdruck dieser Zweiseitigkeit der Beziehung des Bakchos zu einem archaischen, alle Anfänge und Veränderungen in sich bergenden, daher „wetterwendischen", verwandlungsträchtigen Stoff: 43,246 κερδαλεος δέ γέρων πολυδαίδαλον είδος αμείβων Seinem Wirkungskreis bleibt das Dämonische, das heißt das NichtMenschliche, das Monströse, das heißt das Ungeheuerliche und zugleich Wundersame, und das Amphibische, das heißt die Flexibilität des Existenzbereichs, aufs engste verhaftet, — Qualitäten des „Proteischen", die Nonnos im gesamten Gedicht für die Aura des Dionysischen zu realisieren

194 19s

Textliche Verbesserung von 43, 388 bei Peek, Beiträge 46. Vgl. Weiler, Der Agon im Mythos (Impulse der Forschung 16), Darmstadt 1974, 218. 91

versucht, um sie von Zeit zu Zeit an dem Porträt des vom Meer aufs Land und vom Land ins Meer sich wendenden Proteus selbst sichtbar zu machen: 43,250-252 χερσαίην δέ γέροντος έκυκλώσαντο πορείην πώεα κητώεντα, φιλοψαμάΦοιο δέ φώκης οίγομενω βαρύδουπον ΰδωρ έπεπάφλασε λαιμω.

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6. Dionysische Mirakel Verwandlung - Berauschung - Fesselung -

Verblendung

Ein Grundzug der epischen Technik des Nonnos ist das permanente darstellungsmäßige Auswerten der verwandlungshaltigen Macht dionysischer Gegenwart für die Erzeugung einer nicht nur formalen, sondern auch im Inhaltlichen, Aktionalen hervortretenden ποικιλία. Diese Verwandlungsmacht präsentiert sich besonders eindringlich und offiziell in der Epiphanie des Gottes, seinem besitzergreifenden Auftreten in einem bestimmten Teil der Welt, das immer zugleich auch das Wirksamwerden seiner faszinierenden und erregenden Aura einschließt 196 . Ihr Einfluß läßt die jeweilige Landschaft als Schauplatz der dionysischen Epiphanie zum Spiegelbild der nyseischen Insel- und Grottenparadiese werden 1 9 7 . Nonnos hat in seiner Vorliebe für Antizipationen den verwandelnden Effekt der Dionysos-Präsenz bereits bei der Hochzeit seiner Eltern Zeus und Semele vorbereitet, indem er am Ende des 7. Gesanges anläßlich ihres Brautlagers in Theben „die ganze Erde lachen" (7,344 γαία δέ πάσα γέλασσε), Blumen aus den Mauern hervorsprießen (7,346 και δροσερού λειμώνος άνέβρυον ανθεα τοίχοι) und eine Rebenlaube um das Bett der Semele sich bilden läßt (7,344f. και αύτοφύτοισι πετήλοις ορχατος άμπελόεις Σεμέλης περιδέδρομεν εύνήν) ι 9 8 . Man mag sich auch hier zunächst wieder an das homerische Modell, den Zeus-Hera-Gamos des 14. Ilias-Buches (14,346ff.) erinnert fühlen, wo die Erde junges Grün, Lotos, Krokos und Hyazinthe hervorbringt, um der göttlichen Kohabitation angemessen zu korrespondieren. Doch muß man andererseits sehen, daß Nonnos insofern abweicht und seinem eigenen Konzept folgt, als das typisch bakchische Interieur der Semele-Hochzeit seine Entsprechung und zugleich seine Begründung in einem bakchisch verwandelten Zeus findet, der mit den Attributen seines noch ungeborenen, noch nicht einmal gezeugten Sohnes angetan (7,339-343), die Ekstasis und die aus der ekstatischen Epiphanie des Dionysos entspringenden paradiesischen Wunder in einem Akt des magischen „Vormachens" gewissermaßen programmiert: 196 Dionysos als der Einziehende, der „Kommende": Otto, Dionysos 71 ff. Burkert, Die griechische Religion 252 f. 197 Turcan, Les sarcophages romains 387 Anm. 5. 198 Laager, Die Geburt und Kindheit des Gottes, Winterthur 1957, 128 f.

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7,334-338 Ζευς δέ γάμω δήΦυνε, και ώς παρά γείτονι ληνω εΰιον έσμαράγησε, φιλεύιον υια φυτεύων και στόματι στόμα πηξεν έρωμανές, ίμερόεν δέ νέκταρ αναβλύζων Σεμέλην έμεθυσσεν άκοίτης, νεκταρέης ϊνα παΐδα τέκη σκηπτοΰχον όπώρης. Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, wie die Metamorphose der Gegend um den phönizischen Libanon als Widerhall der Ankunft des Bakchos das 4 1 . Buch einleitet mit seiner Hinführung auf die großartig sich entfaltende Fehde zwischen den göttlichen Repräsentanten von Land und Meer um Beroe-Berytos. In ähnlicher Weise wird zu Beginn des 4 7 . Buches die ekstatische Verwandlung der Menschen und der Fluren Attikas angesichts des bevorstehenden Erscheinens von Lyaios zum Auftakt des blutigen, symbolisch so gewichtigen Ikarios-Dramas ( 4 7 , 3 4 f f . ) . Dabei unterstreicht das Epos die Totalität dieses Prozesses unter anderem dadurch, daß in umfassender Vertretung ihrer von festlichem Jubel erfüllten und thiasotisch geschmückten Einwohner die Stadt selbst sich mit den Rebenzweigen des herankommenden Gottes umwindet ( 4 7 , 7 f . άεξιφύτοιο δέ Βάκχου ημερίδων πετάλοισιν έμιτρώϋησαν 'Αθήναι αυτόματοι). Die verlebendigende Personifikation der regionalen Szenerie — bei BeroeBerytos bis zur Konkretisierung in einer handlungstragenden Figur vorgetrieben - wird hier vervollständigt durch das Engagement der Fluten des Iiissos und der Gestade des Kephisos, die in ihrem Lobpreis des freudenbringenden Λυαΐος zur Abwechslung einmal wieder das uneingeschränkte Einvernehmen des feuchten Elements mit dem feurigen Herrn der Rebe bekunden. Ihr personhaftes Pathos gehört zu den Bestandteilen einer Transformation des gewohnten lokalen Milieus ins Paradiesisch-Wunderbare: das Tanzen der Wellen, das spontane Emporsprießen von Pflanzen und Trauben, die rötliche Verfärbung der Oliven, das Aufblühen buntfarbiger Blumen bilden darin eine Einheit mit der seltsam gemischten Begleitmusik fremder und heimischer Instrumente 1 9 9 . Dabei ist es offenbar weniger poetisches Ornament als ein bewußt hergestellter Anschluß an die literarische Tradition der hellenistischen Verwandlungssage, wenn diesem Gesamtgemälde dionysischer Überwältigung der Natur auch die Nachtigall als Exponent der bekannten, in Attika verwurzelten Metamorphose von Prokne, Philomela und T e r e u s 2 0 0 einbezogen erscheint ( 4 7 , 3 0 - 3 3 ) 2 0 1 . Allerdings wird bei dieser Gelegenheit — 1 9 9 Zum Fluidum des Goldenen Zeitalters und zur elysischen Szenerie in den dionysischen Mysterien Horn, Mysteriensymbolik 9 ff. 2 0 0 Uber die ursprüngliche Zugehörigkeit des Tereus-Mythos zum Dionysos-Kreis L. Koenen, Tereus in den Vögeln des Aristophanes. In: Studien zur Textgeschichte und Textkritik. Festgabe G. Jachmann, Köln 1959, 83 f. Burkert, Homo Necans 201 ff. 2 0 1 Vgl. Soph. Oed. Col. 670 ff., wo aber die Verwandlungssage nicht angesprochen wird: Vicaire, REG 81, 366f.

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und bei anderen Gelegenheiten im folgenden — das Anliegen des nonnianischen Epos faßbar, an geeigneter Stelle zu zeigen, wie die individuell vereinzelte und örtlich fixierte μεταμόρφωσις sich mitsamt ihrer überkommenen ätiologischen Gebundenheit dem großen Zug dionysischer Weltveränderung einfügt: das begrenzte, auf sich selbst verweisende Schicksal des unglücklichen Einzelwesens geht auf in der höheren Ordnung und Sinngebung einer universalen μεταβολή. Im übrigen ist der mirakulöse Übergang zum bakchisch durchdrungenen Landschaftsbild bei Nonnos nicht nur eine zwangsläufige Begleiterscheinung des Dionysos-Advents; er kann auch durch einen gezielten Willensakt des Gottes bewirkt werden oder im unmittelbaren Zusammenhang mit einem solchen Akt stehen. Als im 48. Buch die von Dionysos begehrte Aure, von Durst gepeinigt, eine Wasserstelle im Gebirge sucht, läßt ihr Verfolger durch einen Schlag mit dem Thyrsos einen Weinquell aus dem nahegelegenen Hügel entspringen (48,570ff.). Daraufhin sorgen des Helios Dienerinnen, die Hören, dem verliebten Gott zu Gefallen dafür, daß in der Umgebung dieser zauberischen Stätte der Versuchung eine Blumenaue mit allen Zutaten eines reizenden Naturidylls entsteht als Lockmittel für die geplante Berauschung und Verführung der unnahbaren Jungfrau (48,577ff.). Unter den Blumen werden Narzisse und Hyazinthe eigens hervorgehoben, und so ist auch hier der idyllischen Schilderung die Reminiszenz an eine notorische, später durch die ganze Weltliteratur weitergegebene hellenistische Permutationsgeschichte, nämlich die des Narkissos eingelagert ( 4 8 , 5 8 1 - 5 8 6 ) 2 0 2 , um durch die darin enthaltene Kombination des Spiegelbildlichen, Scheinhaften mit dem Letalen im Element des Wassers den entsprechenden Schatten auf das Schicksal Aures vorauszuwerfen: 48,584-586 ος πάρος ήπεροπήος έοϋ χροός ε ϊ δ ε ι κωφω εις τύπον αύτοτέλεστον Ιδών μορφούμενον ΰδωρ κάτθανε, παπταίνων σκιοειδέα φάσματα μορφής 2 0 3 . Eine Anspielung auf die typologisch ähnliche Blumenmetamorphose des Hyakinthos ist angeschlossen (48,587), um das verwandlungshaltige Klima im Umkreis der Wunderquelle, den darin enthaltenen Keim künftiger Schmerzen und Klagen und das für Aures Ubermannung bereitgehaltene Kraftfeld von Betäubung und erotischer Gewalt als den Mitteln einer erzwungenen personalen Veränderung eindringlicher hervortreten zu lassen. 2 0 2 L. Vinge, The Narcissus Theme in Western European Literature up to the early 19th Century, Lund 1967, 28. 203 Vinge, The Narcissus Theme 3 9 f . 3 4 1 (Anm. 146) sieht eine Parallele zwischen dem Wasserspiegel des Narkissos und dem Spiegel des Dionysos Zagreus (6, 173) als Symbolen einer tödlichen Illusion.

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Bei der Nikaia-Episode des 16. Buches sind die betreffenden Anteile nicht ohne Absicht ganz gleich; lediglich die erzählerische Anordnung weicht ab: Nachdem das Mädchen, durch die Sonnenhitze gequält, vom verzauberten, zu Wein gewordenen Wasser getrunken hat und taumelnd, vom Schlaf überwältigt niedergesunken ist (16,250ff.), vollzieht Bakchos die Hochzeit mit der Wehrlosen. Um das Mysterium der Vermählung schützend zu verbergen und zugleich symbolhaft zu umkleiden, läßt Gaia als Patronin allen Zeugens, Gebärens und Wachsens ein blühendes Geflecht aus Eppich, Efeu und Reben dem Boden entsprießen und sich zu einer üppigen Laube miteinander verschlingen (16,270—280). Und wie bei Aures Überlistung die aus Permutation entstandenen Blumen Narziß und Hyazinth die Sinne zur hochzeitlichen Hingabe einladen, erklingt bei Nikaias bräutlichem Schlummer aus dem Munde Echos, der unglücklichen Verehrerin des schönen Narziß, der Widerhall einer Liebesmelodie, welche der bergdurchstreifende Wind im Verein mit den Bäumen des Waldes als Antwort der Natur auf die bakchische Flöte des Hymenaios hervorbringt: 16,285-291 πολλή δ' ύψιπόρω σκιρτήματι θυιάδος ΰλης αστατος αύτοβόητος άνέπλεκεν ΰμνον Ε ρ ώ τ ω ν , και μέλος ήνεμόφοιτον όρεσσαύλων ύμεναίων αΐδομένοις στομάτεσσιν άμείβετο παρθένος Ή χ ώ , Πανιάς ύστερόφωνος* ύπέρ δαπέδου δε χορεύων αυλός έπεσμαράγησεν ΰμηνυμεναια λ ι γ α ί ν ω ν "ίμερόεις γάμος ούτος" όρεστιάς ϊαχε πεύκη 2 0 4 . *

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sf-

Die Berauschung und Vergewaltigung der Nikaia durch Dionysos liegt gleichsam insular, kompositorisch wie inhaltlich scheinbar beziehungslos inmitten des großen Komplexes der Inderkämpfe, die mit dem 14. Buch anheben und sich im 17. Buch unvermittelt fortsetzen 205 . Doch werden wir nach den oben gemachten Beobachtungen zur Korrelation von Krieg und Liebe kaum fehlgehen mit der Annahme, daß Nonnos den Kontrast zwischen den Massenszenen der Inderschlacht und der Zweipersonenhandlung um Dionysos und Nikaia durchaus gewollt hat, nicht zuletzt auch unter dem verbindenden Gesichtspunkt, daß Schmerz, Blut und physische Gewalt dem Wirken des Ares und dem des Eros gemeinsam sind. Im Bannkreis des Dionysischen wird diese Gemeinsamkeit unterstrichen durch die Tatsache, daß das gleiche, infolge bakchischen Zaubers zu 204

Zu den textlichen Problemen der letzten Zeile (16, 285) Peek, Beiträge 22 f. Zur phrygischen Lokalsage von Nikaia bei Memnon von Herakleia E.Maass, Η 24, 1889, 523ff.; zu ihrer Zurichtung uhd Einarbeitung durch Nonnos Golega, Studien 76f. 205

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Wein gewordene Gewässer 206 sowohl die wehrhafte Jägerin Nikaia mit Ohnmacht schlägt als auch die Scharen der feindlichen Inder in einen Zustand der Sinnestrübung versetzt (15,25 ff.). In beiden Fällen treten sogar genau die gleichen sensuellen Symptome auf, — ein untrügliches Indiz für gesuchte Parallelität. Von den Indern heißt es: 15,20-21 ομμασι δερκομένοισιν έδιπλώθησαν έρίπναι, και βλεφάροις δοκέεσκεν ιδειν διδυμόζυγον ΰδωρ. Bei Nikaia stellt sich die Wirkung des Weintrunks entsprechend folgendermaßen dar: 16,253-259 ξανθον ΰδωρ ένόησε φιλοκρήτου ποταμοϊο, και πίεν ηδύ ρέεθρον, όθεν πίον α ϊ θ ο π ε ς Ινδοί και φρένα δινηθεϊσα μέθη βακχεύετο κούρη, και κεφαλήν έλέλιζε μετήλυδα δίζυγι παλμω, και διδύμην έδόκησεν ίδεΐν πολυχανδέα λίμνην όμματα δινεύουσα - βαρυνομένου δέ καρήνου δέρκετο θηροβότου διπλοΰμενα νώτα κολώνης 2 0 7 . Die „Verdrehung" der Sinne, der Augentrug, der dem Berauschten alles um ihn herum „doppelt", das heißt spiegelhaft gebrochen, illusionär vervielfacht erscheinen läßt, ist Ausweis der Okkupation durch den Weingott im erotischen Zugriff bei Nikaia, im martialischen Angriff gegenüber den Indern. Das „gelbliche Wasser" (16,253 ξανθον ΰδωρ) ist lediglich eine Variation der „gelblichen Flut des Rauschtranks" (15,23 ξ α ν θ ό ν . . . μ έ θ η ς ρόον) und demonstriert die Identität des Ortes und der Umstände. Der Gelbton aber ist, wie Nonnos im 14. Buch dartut, Folge der „Einmischung" des Gottes. Sie besteht freilich nicht nur darin, daß er das „Geschenk der Trunkenheit" (14,412 μέθης γέρας) in den astakischen See schüttet und solchermaßen das „schneeweiße" (14,413 χιονέην) in „gelbfarbenes Wasser" (ξανθόχροον ΰδωρ) umschlagen läßt, so daß die Strömung nun „honigfließende Güsse" (14,414 μελίρρυτα χεύματα) dahinwälzt und die Ufer sich purpurn färben (14,417 οχθαι έφοινίσσοντο); sie umfaßt auch bereits die zuvor vermerkte Rötung durch das Blut der hingemordeten Feinde: 14,408-410 και πολύς εσμός ε π ι π τ ε ν όλη δ' έρυθαίνετο λύθρω ύγρω διψάς αρουρα, καΐ Ά σ τ α κ ί δ ο ς στόμα λίμνης αίμοβαφές κελάρυζε, φόνω κεκερασμένον 'Ινδών. 206 Η. Noetzel, Christus und Dionysos, Berlin 1960, 28 f. bestreitet das Vorkommen einer unmittelbaren Verwandlung von Wasser in Wein im dionysischen Kult und Mythos, berücksichtigt aber eben Nonnos überhaupt nicht. 207 Dieses visuelle Symptom der „Verwirrung" schon bei Eur. Bacch. 918 f£.: Massenzio, SMSR 40, 86 f. W. C. Scott, TAPhA 105, 1975, 3 3 3 ff.

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Die Süße des Lebens und die Bitterkeit des Todes liegen — wie schon an dem Beispiel des Orontes von Nonnos sichtbar gemacht wurde — in der von dionysischer Einmischung hervorgebrachten Mixtur dicht beisammen; Heiterkeit und Trauer sind im Kern bakchischen Wesens untrennbar vereinigt (14,411 άντιβίους δ' ώκτει,ρε ϋεος φιλοπαίγμονι θυμω). Lust und Schmerz verschlingen sich auch im weinerzeugten Rausch der Hochzeit des Dionysos mit Nikaia. Es ist kein Zufall, daß anfangs, sowohl bei dem vergeblichen, tödlich endenden Werben des Hirten Hymnos um die Amazone (15,204ff.) als auch bei den schließlich erfolgreichen, aber für Nikaia bitter endenden Anschlägen des Dionysos auf ihre Unberührtheit (16,11 ff.), die aus der Ampelos-Partie geläufigen lüsternen Farbvergleiche und -metaphern für die Vollkommenheit des weiblichen Körpers sich zunehmend akkumulieren (15,213 χιονώδεα κούρην; 219 ροδοειδέα κϋκλα προσώπου; 224 έλευκαίνοντο δέ μηροί; 225 και σφυρά φοινίσσοντο, και ώς κρίνον, ώς ανεμώνη χιονέων μελέων ροδόεις άνεφαίνετο λειμών; 232 λευκοφαής σελάγιζε μέσος γυμνούμενος αύχήν; 236 ροδόχροα δάκτυλα κοΰρης; 261 f. μαζω χιονέω; 16,17f. στίλβοντα δοκεΰων αυχένα γυμνωθέντα, σέλας πέμποντα Σελήνης; 43 δάκτυλα φοινίσσοντα; 46f. νέη ροδοδάκτυλος Ή ώ ς άλλη φαεσφόρος), wobei Dionysos unmittelbar nach der Goldsymbolik der Paktolos-Idylle die erotisch-sexuelle Blüten- und Pflanzenmetaphorik der Beroe-Betörung folgen läßt: 16,69-70. 7 5 - 8 1 επρεπε γαρ Νίκαιαν έμήν εϋώπιδα κούρην χρύσεον είδος εχουσαν εχειν χρύσειον άκοίτην. άρτι μόγις, Νίκαια, τεήν ίδον ένϋάδε μορφήν μή σέο κάλλος άμειψας ές (ίνϋεα; καλλιφυή γάρ παπταίνων ροδεώνα τεάς ένσησα παρειάς· άλλα τεόν θαλέει ρόδον εμπεδον άμφιέπεις γάρ εμφυτον ού λήγουσαν έρευϋομένην άνεμώνην εις κρίνον όμμα φέρων χιονώδεας είδον άγοστούς, άϋρήσας δ' υάκινθο ν ϊδον κυανόχροα χαίτην. Die Kehrseite dieser lustvollen Ausmalungen enthält ein gehöriges Maß an Krudität: Nachdem Vinolenz und sexuelle Gewalt die Jägerin entmachtet haben, folgt auf die Beschreibung des lieblichen Brautlagers und der blütenreichen Landschaftskulisse der dumpfe Traum der ihrer Virginität Beraubten mit der Vision des von ihr grausam getöteten Anbeters Hymnos (16,292ff.), in dessen racheerfüllten Worten die Ohnmacht des trunkenen Schlafes der unfreiwilligen Braut und die Ohnmacht des Todesschlafes des verschmähten Liebhabers gegeneinander aufgewogen, das Blut des mutwillig gemordeten Hirten und das Blut seiner gewaltsam deflorierten Mörderin in eine bedeutsame kausale Relation zueinander gesetzt werden: 98

16,298-301 π α ρ θ έ ν ε , χάλκεον ΰ π ν ο ν έρασσαμένω πόρες "Υμνώ π α ρ θ έ ν ε , νήδυμος ΰ π ν ο ς απώλεσε σεΐο κορείην. οίκτρον ϊδες γελόωσα δ ε δ ο υ π ό χ ο ς αί μα νομήος' οΐκτρότερον στενάχουσα τεής ί'δες α ί μ α κ ο ρ ε ί η ς 2 0 8 . S-

Aus der Trunkenheit geborener Schlaf mit seinen beseligenden und seinen beängstigenden Akzidentien bildet die eine, passive Seite des Phänomens der bakchischen Berauschung. Die Lust des Bakchos, der Schmerz und die verzweifelte Reaktion der Nikaia nach ihrem Erwachen (16,344ff.) münden in die Geburt der Telete (16,396ff.), des personifizierten Inbegriffs der von Wonne und Schrecken erfüllten dionysischen Nachtfeiern 2 0 9 . Dem passiven, durch paralytische „Besessenheit" gekennzeichneten Erleben steht auf der anderen Seite eine bis zur Raserei gesteigerte Aktivität gegenüber, begleitet von einer durch die magische M a c h t des Gottes hervorgerufenen völligen Konfusion des Tuns und Erleidens. Das nonnianische Epos arbeitet ausgiebig mit den beiden Extremen der Betäubung und der sinnverstörten Exaltation als Merkmalen eines tiefgreifenden, wenn auch vorübergehenden Verhaltenswechsels. Bevor die Inder nach dem Auskosten der in Wein verwandelten Wasserflut (15, Iff.) in schweren, todesähnlichen Schlaf verfallen, bei dem röchelndes Schnarchen und ersterbendes Lallen, wirre Träume und physisches Elend ein Stadium allgemeiner Paralyse anzeigen ( 1 5 , 8 7 - 1 1 8 ) , erfaßt sie der „Stachel d^s Rausches" (15,26 μέθης οί'στρω) und treibt sie in einen Strudel von verrückten, aus Verblendung geborenen Handlungen (15,26ff.): der eine schleift einen Stier an den Hörnern herbei, in dem Wahn, es sei der stiergehörnte Dionysos; ein anderer tötet einen Ziegenbock mit der Sichel und glaubt, dem bocksgestaltigen Pan die Kehle zu zerreißen; wieder ein anderer fällt in eine Rinderherde ein, da er sich einbildet, es mit den theriomorphen Satyrn zu tun zu haben; ein vierter schließlich verfolgt flüchtige Hirsche, weil er in ihrem gesprenkelten Fell die Nebris der Bassariden zu erkennen vermeint; sogar gegen die vom Windhauch bewegten Bäume rennt einer im Banne des magischen Augentruges an, zerfetzt das Laub und die Zweige, während er wähnt, die rebengleichen Haarflechten des Weingottes abzuschneiden. Sinnverwirrung ist also definiert als ein Sturm irreführender Assoziationen, ein durch das narrende Spiel des Gottes verursachtes, auf „Verwechslung" beruhendes Ausbrechen seiner Feinde gegen die unschuldige N a t u r . 208

Einzelheiten zur Komposition und Darstellung bei J.F.Schulze, Ziva Ant. 18, 1968,

3 ff. 209

Vgl. P. Boyance, REA 68, 1966, 34.

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Inmitten solcher eitlen, durch göttliche Sinnestäuschung zum Scheitern verurteilten und ins Absurde verkehrten Versuche der trunkenen Orientalen, den Gegner zu verletzen oder gar zu vernichten, meldet sich erneut das Motiv der Blutverfärbung: Nachdem zuvor der von Inderblut durchmischte See, mit Wein versetzt, ein andersartiges Kolorit gewonnen hat, bringt es nun ein durch das gierige Schlürfen von diesem Gemisch verwirrter Inder dahin, daß infolge seines wahnwitzigen Tuns der eigene dunkelbraune Leib sich vom vergossenen Blut der vermeintlichen Feinde rötlich färbt ( 1 5 , 4 2 f . και φονίαις λιβάδεσσιν ολον θώρηκα μιαίνων Ι ν δ ό ς άκοντιστήρι μέλας έρυθαίνετο λύθρω). Das Äquivalent zu dem Blutmiasma im erotischen Bereich (Hymnos-Nikaia) ist damit geschaffen, die fatale Verflechtung von Wein und Blut in der Ausnahmesituation des bakchischen Taumels wird unterstrichen. Das unermüdliche Umgehen des Dichters mit den changierenden Farben, Tönen, Äußerungen und Präsentationsweisen einer unter dem Schatten des Dionysos gelegenen Welt erfordert aber auch wieder das Gegengewicht zu den destruktiven Auswüchsen der mörderischen Verfolgung und des wahllosen Blutvergießens: nicht alle Inder bestreiten Scheingefechte gegen das Gefolge des Gottes; ein Teil von ihnen wird vielmehr beeinflußt im Sinne einer Identifizierung und verliert sich demgemäß in orgiastischer Musikausübung und korybantischen Sprüngen (15,52ff.). Die Benebelung der Sinne führt zu lustvoller Hingabe an das Toben des Thiasos. Das martialische Element verflüchtigt sich zur Pantomimik des Waffentanzes (15,65ff.), und der vom Wein stimulierte Hang zur Gewalt schlägt um in die für Dionysos so charakteristische, bei Nikaia und Aure von ihm selbst demonstrierte Triebhaftigkeit des Erotisch-Sexuellen ( 1 5 , 7 5 - 8 0 ) 2 , ° . Das Zweiseitige, das heißt das Vorhandensein positiver und negativer Züge bleibt bei Nonnos im Antlitz des Dionysischen stets gegenwärtig. Wie in einem Spiegel reflektiert der Bericht des Inderfürsten Astraeis an Orontes, den Schwiegersohn des Deriades, zwei Gesänge später (17,98 ff.), nach dem erotischen Nikaia-Abenteuer (16) und der bukolischen BrongosEpisode ( 1 7 , 3 2 f f . ) 2 1 1 , in starker Raffung noch einmal die seltsamen Symptome der Verdrehung und Unterjochung durch dionysische Magie: die Raserei ( 1 7 , 1 1 5 λύσσαν), den Tanz (χορείην) und den Schlaf ( 1 7 , 1 1 6 ΰπνος), die daraus resultierende Schwäche und Wehrlosigkeit (17,116— 119), das schmachvolle Unterliegen harter Kämpfer vor weichlichen Bakchosdienern, die todesähnliche Betäubung und das krankhafte Erbrechen des „tückischen Trankes" ( 1 7 , 1 2 5 βλύζοντες έπίκλοπον ί,κμάδα Βάκ2 1 0 Die Laszivität der Inder ist freilich bei Nonnos überdies von ihrer Anlage her vorgegeben und erscheint des öfteren als ein Negativum ihres ethnischen Porträts (17, 190. 35, 18. 29ff.): Schulze, WZ Halle 22, 105 f. 2 1 1 Die Ähnlichkeit der Brongos-Geschichte mit dem Besuch bei Ikarios hebt Merkelbach, Die Erigone des Eratosthenes 491 ff. hervor und vermutet Benutzung eines Dionysosgedichts, das seinerseits die Erigone des Eratosthenes nachahmt.

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χου), vor allem aber auch die farbverändernde Verfälschung des klaren Stromes durch jenes φάρμακον ύγρσν (17,111), das die schmähliche Überwindung tapferer Männer durch unkriegerisches Weibervolk ermöglichte. Bakchos ist ein Giftmischer (17,113 ίκμάδι φοινίξας γλυκερον ρόον), der „listigen S a f t " ( 1 7 , 1 1 2 δολόεσσαν έέρσην) ausgießt 2 1 2 ; von „zauberhaltiger Flut" ( 1 7 , 1 2 7 χεύματι φαρμακόεντι) wurden die Inder toll gemacht; vor dem „todbringenden N a ß " ( 1 7 , 1 2 8 φονίης.,.έέροης) und dem „trügerischen Wasser" (17,129 άπατήλιον ΰδωρ) sollte jeder fliehen, der seinen klaren Verstand und damit die Kontrolle über sich selbst nicht verlieren will. Die Möglichkeit, das schockierende Ereignis der bakchischen Verrükkung aller Normalität im Status der Natur und im Gebaren des Menschen aus zwei verschiedenen "Blickrichtungen zu beleuchten, nämlich aus der Perspektive der dem Gott ergebenen, sein Anliegen tragenden und bejahenden Kräfte, ebenso aber auch aus der Sicht seiner ihn bekämpfenden und ablehnenden Widersacher, wird von Nonnos mehr als einmal genutzt. So entfaltet sich am Anfang des 22. Buches — wie schon erwähnt — zunächst die berückende Pracht eines von bakchischer Segensfülle überquellenden irdischen Paradieses an den Ufern des fremdländischen, dem Weinbringer als Widerpart entgegenstehenden Hydaspes. Alles Lebendige scheint in jubelnder Ubereinkunft mit dem Lyaios: die Erde lacht, die Felsen dröhnen, die Bäume tanzen und singen, sogar die heimischen Waldgeister stimmen in diesen Freudenchor ein. Wir haben also eine weitere Auflage der in Attika und Phönizien sich vollziehenden Epiphanie-Metamorphose. Der Thiasos der Satyrn und Bassariden, das Bad der Najaden in den zu Milch und Wein gewordenen Wassern fügen sich mit dem spontanen Hervorfließen des Honigs aus der Eiche, dem Reifen von Äpfeln aus dem Dornstrauch und dem Träufeln des Öls aus der Olive zu einem Gemälde utopischer Üppigkeit und Harmonie, unter dessen konventionellen Anteilen auch der Friede zwischen den Tieren und der Reigen exotischer Bestien nicht fehlen, die ihre Wildheit nach dem Willen des allbefriedenden δεσπότης θηρών abgelegt haben ( 2 2 , 1 - 5 4 ) 2 n . Aber was der eingeweihte Teilnehmer an diesen expansiven Mysterien als außerordentliche Beglückung erlebt, erfüllt Thureus, den Feldherrn der Inder, und seine Leute mit Furcht und Entsetzen; es macht sie einem resignierenden Aufgeben des Kampfes geneigt, aber auch offen für die Einflüsterungen der Dionysosfeindin Hera, welche die paradiesischen Mirakel am Strom als Blendwerk eines giftmischenden Hexenmeisters hinstellt, der mit Kirkes schwarzer Kunst die ursprüngliche Reinheit des heimatlichen Gewässers verfälscht habe ( 2 2 , 7 6 ff. Θεσσαλίδων μάγον ΰμνον έφαψαμένη Δ ι ο 2 1 2 Wein als „Narkotikum" und drogenähnliches Stimulans: E. Jünger, Drugs and Ecstasy. In: Myths and Symbols. Studies in honor of Mircea Eliade, Chicago-London 1969, 327ff. 2 1 3 Vgl. zu diesem Motiv aus dem utopischen Vorstellungsraum der „Goldenen Zeit** Z. Kädär, AAH 16, 1968, 257 ff.

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νύσω και Κίρκης κυκεώνα, θεοκλήτοις έπαοιδαΐς οίά τε φαρμακτήρος άφαρμάκτου ποταμοΐο). Diese von der Göttin suggerierte Einschätzung der Verwandlungswunder des Bakchos ist bei Deriades noch im 39. Gesang wirksam, wenn er sich voller Ingrimm darüber beschwert, daß Lyaios der Strömung des Hydaspes πολύτροπα φάρμακα eingeträufelt habe (39,40) und sie mit „thessalischen Kräutern" ( 3 9 , 4 1 ανϋεσι Θεσσαλικοΐσιν) purpurn habe werden lassen (φοίνιξεν). Allgemein kehrt diese negative Sichtweise jedoch schon im 25. Buch wieder, wo angesichts der militärischen Erfolge von Satyrn und Silenen Trauer und Furcht bei den Indern herrscht und wo Deriades von der Weinberauschung seiner Untertanen und der Weinverwandlung des väterlichen Flusses mit Staunen, Entsetzen, Beschämung und Mißtrauen erfüllt wird (25,271—280). Sie erscheint hier aber sogleich aufgewogen durch das frappierende Wunder einer Blindenheilung ( 2 5 , 2 8 I f f . ) , bei der ein alter, gebrechlicher Mann seine Augen mit dem „gelblichen Naß des kummerlösenden Saftes" besprengt (25,283 ξανθήν λυσιπόνοιο μέθης ερραινεν έέρσην) und danach seine Sehfähigkeit wiedergewinnt 2 1 4 . Was also zuvor von den Bakchos-Gegnern als heimtückisches Gift verdächtigt wurde, erweist sich an diesem Fall als heilbringendes φάρμακον 2 1 5 , dessen wohltätige Macht die freudige Verehrung des fremden Gottes durch den Geheilten und die Errichtung seines ersten Altars auf indischem Boden veranlaßt (25,290f.). Das ständige Repetieren und Variieren, das unablässige Hin- und Herwenden gewisser, mit der dionysischen Okkupation des Orients verbundener Vorgänge, Situationen und Vorstellungen sucht nicht nur konträre Aspekte gleichsam prismatisch zu bündeln, um daraus „Spannung" abzuleiten; es setzt sich auch um des Zieles der Verdichtung und Verdeutlichung willen über das Gesetz der durch die epische Zeitfolge bedingten Einmaligkeit hinweg. Nachdem im 22., 25. und 29. Buch ( 2 9 , 2 9 1 ff.) die Weinmetamorphose des Hydaspes längst ebenso als Realität gegeben wurde wie die von ihr verursachte Verwirrung und Demoralisierung der Inder, wird beides desungeachtet sowohl Mitte des 27. Gesanges (27,176ff.) in der Ansprache des Dionysos an seine Truppen vor der Schlacht an der Indosmündung als auch am Ende des 35. Gesanges (35,352ff.) im Rahmen der Siegesprophezeiung des vom Wahnsinn geheilten und von Heras Milch gestärkten Zeussohnes noch einmal als bevorstehendes Ergebnis seines überlegenen Erfolges angekündigt 2 1 6 . Das Prinzip 2 1 4 Auf die NT-Parallele der Heilung des Blindgeborenen durch Besprengung der Augen mit Wasser (Joh 9,7) verweist mit Rücksicht auf die Wiederkehr des Verses 2 5 , 2 9 1 in der Johannesparaphrase (1, 43) Golega, Studien 77 f. 2 1 5 Zur iatrischen Fähigkeit des Dionysos Vicaire, R E G 81, 364. 2 1 6 Diese wiederholten Unstimmigkeiten sind nicht mit Keydell, Η 62, 396 ff. und Golega, Studien 72 (vgl. auch Bornmann, SIFC NS. 47, 5 7 f . zu 14, 4 1 1 f f . 22, 7 8 f f . 25, 2 8 0 f f . ) aus formalkompositorischer Nachlässigkeit zu erklären und mit dem Einschub der im 16. Gesang gegebenen Nikaia-Geschichte zu begründen.

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des linearen Fortschreitens der Geschehnisse ist ausgesetzt zugunsten eines „Immerfort wieder Geschehens", einer endlosen Kette von gleichen oder ähnlichen Demonstrationen der in der „Aneignung" sich vollziehenden Entmachtung des Antipoden. Dazu zählt neben der Verwandlung und Berauschung auch das Festhalten und Lahmen durch die dionysische „Umschlingung". Als Morrheus in Buch 3 5 , 2 0 4 f f . der Bassaride Chalkomedeia nachstellt und sie sich gewaltsam gefügig zu machen versucht, schnellt eine Schlange vom Leib der Angegriffenen gegen ihn und schützt zugleich in umwindender Krümmung den Gürtel des unvermählten Mädchens; damit nicht genug, schlingt sie sich überdies um den Nacken des Frevlers und sperrt den Rachen gegen ihn auf, so daß sich der Verfolger nun in die Rolle des von „Natternpfeilen" ( 3 5 , 2 1 9 έχιδνήεντες όιστοί) Bedrängten versetzt sieht ( 3 5 , 2 1 6 - 2 2 2 ) . Ein ähnlicher Vorgang war bereits 15, 80ff. zu beobachten; dort hatte sich eine Schlange dem Schoß der von einem anonymen Inder niedergeworfenen Bakchantin entwunden und den liebesgierigen Angreifer würgend umringelt (15, 82f. άμφί δέ δειρη ούραίαις έλίκεσσιν άνέπλεκε κυκλάδα μίτρην), so daß er zitternd und jeder eigenmächtigen Aktion unfähig von seinem Vorhaben abließ. Wenige Verse später (15,132ff.) bändigten die Gefolgsleute des Dionysos, dem Befehl ihres Herrn folgend, ihre Feinde mit Schlangenfesseln und zogen sie geknebelt „am Drachenbande" ( 1 5 , 1 3 4 δρακοντείη...σειρτ)) von dannen, während an anderer Stelle (15, 143 ff.) ein trunkener Inder mit Rebengewinden umwickelt ( 1 5 , 1 4 4 δεσμω βοτρυόεντι περίπλοκον αύχένα σύρων) hinweggeschleppt wurde. Demgemäß verheißt Lyaios, der „ L ö s e r " 2 1 7 , der aber eben zugleich auch der große Fessler und Bändiger ist, in der erwähnten Siegverkündung (35,359ff.) die baldige Demütigung und Depotenzierung des Deriades durch das Ranken- und Blättergewirr des nyseischen Efeus: 35,359-363 και θρασύν Ίνδον άνακτα καχάσχετον οϊνοπι κίσσω, ίλλόμενον πετάλοισι και άμπελόεντι κορύμβω, εΐκελα δεσμά φέροντα, τά περ μετά κύματα λύσσης Νυσιάδες βοόωσι Φεουδέες εισέτι νύμφαι, άλκής ήμετέρης έπιμάρτυρες... Seine Verheißung erfüllt sich im darauffolgenden Gesang (36,354ff.). Das Gespann des unbelehrbaren Antagonisten wird überwuchert von einem durch die magische Initiative des Gottes aus dem Boden hervorgerufenen Weinstock; er umkriecht nicht allein die Räder des Wagens und die Beine der ihn ziehenden Elefanten, so daß sie bewegungsunfähig werden, — 2 , 7 Vgl. L. Kahn, Hermes passe ou les ambiguites de la communication, Paris 1978, 113 ff. - Zur lösenden und befreienden Macht des Dionysos Horn, Mysteriensymbolik 102 u. Anm. 21.

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auch der König selbst muß erleben, wie er von den wundersam aufsprießenden Trieben völlig umzingelt und wehrlos gemacht wird (36,3 62 f. μαινομένου βασιλήος έπισκιόωντα προσώπω σείετο μιτρώσας ολον άνέρα), wie sich Blätter und Trauben über seinem Antlitz wölben und dem „Rasenden" neben der Umwindung mit ihrem Duft auch zugleich die bakchische Berauschung bringen (36,363 f. Δηριάδην δέ αυτοφυής έμεθυσσεν ελιξ εύώδει καρπω). Sein anhaltender Widerstand aber läßt die fesselnde Reben- und Traubengirlande zur tödlichen Schlinge werden, die ihm den Atem nimmt, seinen Stolz beugt und ihn zwingt, in „schreiendem Schweigen" die Gnade des Siegers zu erflehen (36,374—381). Die Fesselung des Deriades war aber von Dionysos nicht vorausgesagt worden ohne zugleich den Rückgriff in die Vergangenheit vorzunehmen und auf das analoge Vorkommnis der Umschnürung eines anderen Widersachers, nämlich des Araberfürsten Lykurgos 2 1 8 durch Efeu- und Rebengewinde zu verweisen (35,363-366). Der Verweis zielt auf den Beginn des 21. Buches, wo Nonnos in dem Zusammentreffen zwischen Lykurg und der Bassaride Ambrosia die beiden wichtigen Momente der Metamorphose und der Rebenfesselung miteinander gekoppelt hat, um sowohl die Beweglichkeit und Flexibilität dionysischer Manifestationen als auch ihre Beharrlichkeit und Unüberwindlichkeit vor Augen zu führen. Gegenüber dem Aressohn Lykurg, im 20. Buch vom Dichter als mörderischer (20,149 μιαιφόνος) und blutrünstiger (20,152 αίνομανής) Götterfeind und Menschenschlächter mit dem „Ochsenschläger" (βουπλήξ) skizziert 219 , wandelt sich Ambrosia, als er versucht, sie in Bande zu legen (21,18 δεσμά καθάψαι), um ihr in seinem Palast „den geknechteten Nacken mit scharfem Beil zu durchschlagen" (21,21 άμφιτόμω βουπλήγι μετάφρενα δούλια νύσσων), fliehend mit Hilfe der „fruchtgebärenden Gaia" (21,26 Γ α ί α . . . καρποτόκεια) zur Weinrebe und vermag nun ihrerseits mit Zweigen und Ranken den Verfolger zu binden und zu drosseln: 21,36-40 ουδέ, φυτόν περ έοΰσα, τεήν ποτε δήριν άλΰξω, σον δέμας ούτήσω και έν έ'ρνεσιν, άντί δέ σειρης χαλκείης άλύτοις σε περισφίγξοιμι πετήλοις· είς σέ και άμπελόεσσα κορύσσομαι, δφρα τις εΐπη· "Βασσαρίδες κτείνουσι και έν πετάλοισι φονήας" 2 2 0 .

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S. zu diesem Capovilla, Helikon 8, 121 Anm. 119. 126 Anm. 139. 129 Anm. 147. P. Boyance, Le culte des Muses, Paris 1937, 6 4 f. 89. Turcan, Les sarcophages romains 456. Vgl. Massenzio, SMSR 40, 5 8 ff. 220 Bildliche Darstellung der Rebenverwandlung Ambrosias: Ph. Bruneau-C. Vatin, BCH 90, 1966, 3 9 1 ff.; bildliche Wiedergaben der Rebenumwindung Lykurgs: F. Mayance, BAH 30, 1939, 9 7 5 f f . Tf. II 2 (Relief aus Apameia in Syrien). E. Coche de la Ferte, MP 48, 1956, 131 ff. (Schale aus Antiochia). Vgl. Dostalovä, Klio 67, 43 f. Turcan, Les sarcophages romains 451. 219

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Es ist unschwer zu erkennen, was Nonnos mit diesen Fesselungsmirakeln im Hinblick auf sein Dionysos-Bild deutlich machen möchte: Im Zwist mit den eisenklirrenden und blutlechzenden Aressöhnen (auch die Inder kämpfen ja unter der Ägide dieses Gottes) erweisen sich die Dienerinnen des weibischen Gottes mit ihren vegetativen Waffen als überlegen; aus dem Paradox, daß die paradiesischen Pflanzenwunder der Erde nun in den Dienst kriegerischer Duelle treten, geht die Umkehrung der bisher gültigen Maßstäbe für lebenspendende und lebenraubende Potenzen hervor. Das unbegreifliche θαϋμα, daß schwaches Laub, biegsames Gewächs eine wirksamere Waffe sein kann als Schwert und Beil, tritt exemplarisch vor Augen und untermauert, was im Thyrsos- und Narthexattribut des Gottes und seiner Scharen sinnbildlich ausgesagt ist: die sanfte Gewalt eines unaufhaltsam sich ausbreitenden, aus vegetativen Wurzeln und rauschhafter Begeisterung sich speisenden missionarischen Kults 2 2 1 . W o sich Widerstand regt, können 1 die beglückenden Gaben des Freudenspenders unversehens zu Werkzeugen des Krieges werden (22,41—44). Die Hilflosigkeit und die unlösliche Verstrickung des Lykurg wie des Deriades spiegelt in der gewollten Ähnlichkeit des Ablaufs der Dinge die Fatalität des Unterliegens aller Dionysosverächter. Bei dem ersteren kommt allerdings mit der Peinigung des Gefangenen durch die Mänaden noch ein weiterer Faktor der Konversion dionysischer Qualitäten hinzu: Die weinbeflügelte Hochstimmung der weiblichen Verehrer kann jäh in den gräßlichen Furor der Omophagie umschlagen; der latente Funke des Wahnsinns, der stets im bakchischen Taumel glüht, kann rasch in verzehrendes Feuer ausbrechen. Was Nonnos ansonsten in den zahlreichen Schlachtszenen mit ihren greulichen Details fühlbar zu machen sich bemüht, — eine aus Animalität geborene, lusterfüllte Grausamkeit, bringt er bei der Tortur des Lykurgos in eine Ausdrucksform, die furienhafte Quälerei mit Einschlägen mysterienhafter Fustigation durchsetzt und Berührung mit jenen im Radius der dionysischen πάθη auftretenden manischen Verhaltensweisen zeigt, die im folgenden Kapitel betrachtet werden sollen 2 2 2 . Daneben mag nicht unerwähnt bleiben, wie das Epos Gelegenheit nimmt, das Moment der Fesselung und Umstrickung im Imaginationsfeld der verwirrten Psyche mit der oben dargestellten Opposition von Feuer und Wasser zu kombinieren, indem es den Gedanken des solchermaßen malträtierten Araberkönigs ein aus Qual, Trotz, Verstörtheit und wütender Hemmungslosigkeit entspringendes Gewirr von Absichten und Vorstellungen unterlegt, — vergleichbar dem wirren Geranke der ihn umschlingenden Reben. Darin klingt die anderweitig so erschöpfend ausgebreitete Antinomie der beiden Elemente ein weiteres Mal an, und zwar insofern 2 2 1 Z u m Thyrsos als wunderwirkender Zauberstab, der seinen Träger vor Verletzungen schützt und die Feinde des Dionysos vernichtet s. Horn, Mysteriensymbolik 1 1 3 f. 2 2 2 Zur dionysischen Passion des Lykurg und seiner Annäherung an den (leidenden) Dionysos Burkert, H o m o Necans 1 9 8 f.

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gleichsam verdreht und verfremdet, als Lykurg nun die „bakchischen Zweige" ( 2 1 , 1 3 6 Βακχικά... πέτηλα) sowohl mit Feuer vernichten als auch die „brennenden Reben" (21,136f. αίθομενας.,.ήμερίδας) ins Meer, das derzeitige Versteck des Dionysos, hinabschleudern möchte, wo Thetis die „feuervernichtete Lese" (21,139 πυρίκαυτον όπώρην) und die „Asche des Weinstocks" (21,140 τέφρην άμπελόεσσαν) in ihren Wellen zum Erlöschen bringen soll (21,135-140). Wenn hier der im Wasser sich bergende Gott mit dem ihm wesensverwandten Feuer bedroht wird, so entsteht eine Parallele zu dem Vorhaben des Deriades in der Seeschlacht des 39. Buches, aber die Erstickung der glimmenden Rebe durch Meeresfeuchte bringt überdies auch noch ansatzweise den umgekehrten Aspekt (Wasser überwältigt Feuer) hinein. Andererseits geht die konfuse Identifikation des Bromios mit seinen augenblicklichen Beschützern bei Lykurgos so weit, daß er auch dem Seedämon Melikertes mit Fackeln zu Leibe rücken will (21,145 f. έμω ποινήτορι πυρσω ξεινοδόκον Βρομίοιο καταφλέξω Μελικέρτην). Diese auf die direkte Kollision der Elemente Feuer und Wasser zielende Idee aber wird in ihrer Motivation erst verständlich aus den unmittelbar vorhergehenden Versen, wo der dionysische Zaubertrick der Rebenfesselung von dem Gefangenen in seiner Verstörtheit — offenbar aufgrund der engen Gemeinschaft des Bakchos mit dem maritimen Pantheon - als μάγγανα Νηρείδων Ποσιδήια (21,142) angesehen wird, so daß er die Urheberschaft des dionysischen „Blendwerks" (21,141 φάσματα... και αίόλα μάγγανα δεσμών) bezeichnenderweise dem „zauberkundigen, täuschungsmächtigen Zukunfts verkünder" Proteus anlastet (21,143 f.). Die vexierende Kunst proteischer Polymorphie ist demnach ineinsgesetzt mit der illusionsträchtigen Umstrickung durch bakchische Vegetationsmagie unter dem gemeinsamen Vorzeichen der Flexibilität des Sich Entwindens und „Überwindens" im Ringen mit dem Aggressor, während der verwirrten Phantasie des gepeinigten Dionysosfeindes ein nicht mehr auflösbares Wahngespinst vom Gegeneinander der dionysosfreundlichen Elemente Feuer und Wasser entsteigt.

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Am Fall des Lykurgos zeigen die Dionysiaka besonders eindringlich die funktionale Verwandlung freudeverheißender Rebengirlanden in tödliche Schlingen bei der Behauptung der Bakchosdiener gegenüber den Bakchosverächtern. Die Skala der Möglichkeiten des Überwindens mörderisch gerüsteter Gegenwehr durch die wunderbare Elastizität und Dynamik aller Requisiten des bakchischen Pandämoniums reicht aber noch weiter. Wenn nach dem Selbstmord des Orontes und seinem Untergang im Fluß sich gegen Ende des 17. Buches die Schlacht ihrer Entscheidung zuneigt, beruft der Dichter die Anzeichen einer Verkehrung jeder empirischen Gewohn106

heit und eines Außerkrafttretens physikalischer Gesetzmäßigkeiten, um anschaulich zu machen, daß die Weichlichkeit eines aus der Ekstase gestärkten bakchantischen Schwanns wider alle Erwartung die harten, kriegserfahrenen Streiter der Gegenseite zu Fall bringt (17,315ff.): schwächliche Zweige werden zu todbringenden Lanzen, der zarte Efeu zerschneidet eherne Panzer; der „Traubenspeer" (17,324) durchbohrt das Metall, von Satyrnhand geworfenes Laub verursacht klaffende Wunden 2 2 3 . Umgekehrt stürzen sich die Bakchen ungeschützt ins Getümmel; übermenschliche Begeisterung macht sie immun gegen gewöhnliche Waffen ( 1 7 , 3 3 2 - 3 3 6 ) . Es handelt sich nicht um ein normales Gefecht. Enyo, auf der Seite des Dionysos die Kontrafaktur des indischen Ares, ist selber „trunken vom Wüten der Schlacht" (17,321 αρει βακχευθεΐσα) und beschießt, einer Mänade gleich ( 1 7 , 3 1 9 ϋυιάς Ένυώ), die Inder mit „mordenden Zweigen" ( 1 7 , 3 2 0 άνδροφόνοισιν...κορύμβοις). Die Atmosphäre des „Außersichseins" ermöglicht die Paradoxa des „hölzernen Eisens" (17,322) und des „schneidenden Efeus" ( 1 7 , 3 2 6 ) ; sie erzeugt die Blutverfärbung der zweigzerfetzten Gewänder des Feindes ( 1 7 , 3 2 8 f.) und die Einschnürung der Inder im lebenden Ring der Bakchanten (17,330f.). Die bekannten dionysischen Phänomene der Verfärbung und Umschlingung realisieren sich im Raum eines Kampfgeschehens, das durch die hypnotisierende Macht der orgiastischen Musik ( 1 7 , 3 3 2 θρασύς αυλός εμελπε φόνου μέλος) Lähmung und Willenlosigkeit des Gegners mit den Mirakeln der eigenen Unverwundbarkeit und des mühelosen Verwundens erzbewehrter Feinde zu einem umfassenden Schauspiel der aus ekstatischer Energie hervorgebrachten Permutatio naturae vereinigt ( 1 7 , 3 4 3 - 3 5 2 ) . Sehr pointiert hat Nonnos seine Anschauung über die aus der psychischen Struktur dionysischer Besessenheit sich ergebende Koppelung von pathologischer Raserei und wundersamer Verwandlung, von machtraubender Blendung und tödlicher Wasserversenkung der Frevler im 44. Buch (44,217ff.) der Mondgöttin in den Mund gelegt, der mit Wahn und Zauberei so eng vertrauten, dem Wasser, dem Pflanzenreich und der Unterwelt gleichermaßen verbundenen „bakchischen M e n e " ( 4 4 , 2 2 7 f . Μήνη Βακχιάς) 2 2 4 . Die „Gebieterin entarteter Tollheit" (κοιρανέω μανίης έτερόφρονος) erinnert in ihren Worten an den blind umherirrenden Lykurgos, an den der Efeulanze erlegenen, im Strom versunkenen Deriades und an den vom Thyrsos getroffenen, in der Weinflut untergegangenen Orontes (44,231—239. 2 5 0 - 2 5 2 ) . Dazwischen aber gedenkt sie jener ruchlosen Tyrrhener, die zu ihrem Schrecken die Reben-, Trauben- und SchlangenVgl. Greven, J O E A I 4 , 141. Der voraufgehende Bitthymnos des Bakchos an Mene (44, 191-216) ist behandelt bei F. Braun, Hymnen bei Nonnos von Panopolis, Diss. Königsberg 1915, 29 ff. - Den magischen Beschwörungscharakter dieses Hymnos betont Bogner, Ph 89, 3 2 2 f. 223 224

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metamorphose ihres Schiffes erleben mußten und zur Strafe für ihre Blasphemie selbst für immer in die leibliche Hülle von Meerestieren eingingen: 44,245-249 βροτέην δέ φυήν και έχέφρονα βουλήν δυσμενέες ρίψαντες άμειβομένοιο προσώπου άφραδέες δελφινες ένιπλώουσι θαλασσή είσέτι κωμάζουσι και έν ροϋίοις Διονύσω οία κυβιστητήρες έπισκαίρουσι γαλήνη. Die Bestrafung der Tyrrhener war seit dem Homerischen Hymnos das klassische Beispiel für den spektakulären Zusammenklang aller Möglichkeiten der Äußerung dionysischer Gewalt über die Gesetze der Natur und über die Sinne der Menschen 2 2 5 ; Ovid hatte in den Metamorphosen ( 3 , 6 0 5 ff.) alle Einzelheiten dieser Machtdemonstration dramatisch genutzt: die Verkappung des Gottes, die Verblendung der Gottlosen, welche auch vor der warnenden Stimme des Acoetes nicht weicht; der plötzlich einsetzende, unaufhaltsame Übergang der gewohnten Umgebung in ein phantastisches Arrangement bakchischer Epiphanie; die ebenso unaufhaltsame Degradierung der Seeleute zu Delphinen und damit ihre Unterwerfung und Einordnung in den dionysischen Kosmos, der auch die maritime Kompetenz einschließt 2 2 6 ; nicht zuletzt aber auch die alle Vorgänge durchziehende Aura von Entsetzen und Wahnsinn (met. 3 , 6 7 0 f . sive hoc insania fecit sive timor) 2 2 7 . Nonnos hat im 45. Gesang seines Epos ( 4 5 , 9 5 f f . ) — wie Ovid — die Rolle des Warners mit der des Erzählers zusammengelegt; allerdings handelt es sich dabei nicht um einen frommen und ahnungsvollen Steuermann, sondern um den thebanischen Seher Teiresias, den Archegeten mantischer Weissagung. Die Tyrrhenergeschichte ist also als Parabel eingebettet in das von Verfolgungswut und manischer Verblendung geprägte Fluidum der Heimatstadt des Bakchos unter der Regierung seines Erzfeindes Pentheus. Wie die Worte der wahnschaffenden Mene mit ihrer paradigmatischen Erwähnung der Tyrrhener die Raserei der Frauen von Theben (44,253 ff.) einleiten, so bildet die Mahnung des von Bakchos besessenen Mantikers Teiresias (vgl. 45, 60ff.) das Vorspiel zu den von Furor diktierten Ereignissen um Pentheus und sein Ende (45,219ff.). Doch ist die letztere breiter angelegt und umständlicher dargeboten; sie beginnt mit dem räuberischen Unwesen der tyrrhenischen Seefahrer ( 4 5 , 1 0 5 - 1 1 8 ) , dem listigen Gestaltentrug des Dionysos, dessen knabenhafte Erscheinung und purpurfarbene, kostbare Gewandung ausführlich geschildert werden (45,119—127), und leitet über zu seiner Fesselung und Beraubung ( 4 5 , 1 3 0 - 1 3 2 ) . Gegenüber Fauth, Poetica 7, 2 5 8 f . A . W . J a m e s , Antichthon 9, 1975, 17ff. Vgl. Burkert, H o m o Necans 218 ff. 2 2 1 ff. R. Schiffer, Arcadia 3 , 1 9 7 3 , 2 3 5 ff. 2 2 7 Vgl. F. Börner, P. Ovidius N a s o , Metamorphosen. Kommentar zu Buch I—III, Heidelberg 1 9 6 9 , 5 8 8 f f . H . Herter, Α Ρ Χ Α Ι Ο Γ Ν Ω Σ Ι Α 1, 1980, l O l f f . 225

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der kindlichen Weichlichkeit und scheinbar hilflosen Passivität des Gottes wird dann sein jähes Emporwachsen ins Riesenhafte, die Schreckensepiphanie des zum Himmel Ragenden mit dem areshaften Brüllen ä la Homer als ein wirksamer Kontrast gestaltet ( 4 5 , 1 3 3 - 1 3 6 ) . Bei der zugleich damit einsetzenden Verwandlung des Schiffes steht demzufolge zunächst das furchterregende Moment der Schlangen- und Drachenmetamorphose im Vordergrund ( 4 5 , 1 3 7 - 1 4 0 ) . Ihr folgt - wiederum kontrastierend - die Entfaltung dionysischer Flora mit Zypresse, Efeu und Weinstock (45,141— 146), wobei Nonnos aber schon über seine dichterischen Vorlagen hinausgeht, indem er aus dem Hinterdeck eine weinspendende Quelle emporsprudeln läßt ( 4 5 , 1 4 7 f . πρύμνης δ'ήδυτόκοιο βαθυνομένου δια κόλπου οίνον αναβλύζουσα μέθης βακχεύετο πηγή). Diese Manifestation eines überirdischen Labsals wird abgelöst von dem Horror, den das Auftauchen wilder Tiere und deren schauerliches Gebrüll verbreiten (45,149—151). Die von Angst und Schrecken beförderte Manie der Tyrrhener (45,152 f. ΤυρσηνοΙ δ'ίάχησαν, έβακχεύοντο δέ λύσση εις φόβον οίστρηθέντες), bereits halb und halb in die Qualität des bakchischen Enthusiasmus gewendet (έβακχεύοντο), wird euphorisch modifiziert und auf neue Weise genährt durch Pflanzenwunder des Meeres, die sich zu einer überwältigenden optischen Illusion ausweiten. Der aus Rosen, Lilien und anderen seentsprossenen Blumen erblühende Garten, ein phantomhaftes Konterfei der dionysischen Fluß- und Küstenparadiese (Hydaspes, Iiissos, Berytos), vermittelt eine Art der Tollheit, bei der die Tyrrhener als Opfer eines zauberischen Augentrugs sich in visuellen und akustischen Eindrücken verlieren, welche ihnen bergiges und wiesenreiches Land mit bukolischen Bildern des Friedens und der Freude vorgaukeln und sie zum verwandelnden Sprung in die See verlocken ( 4 5 , 1 5 3 - 1 6 8 ) . Die wechselnden Affektionen von Furcht und Entzücken im Ablauf der Tyrrhenerepisode entsprechen dem Grunderlebnis des mit dem bakchischen Orgiasmus in Berührung geratenen Initianden 2 2 8 . Die dadurch vermittelte Synthese von ungebändigter Wildheit und exotischer Üppigkeit erfährt eine eindeutige Ergänzung hinsichtlich der im zarten Laub der Rebe verborgenen letalen Dynamis durch den anschließenden Bericht vom Tod des baumschleudernden pelorischen Riesen Alpos durch den Thyrsosspeer des Dionysos ( 4 5 , 1 7 2 f f . ) : die Tötungsmacht des sinnlich und feminin erscheinenden Vegetationsgottes in der heroischen Rolle des Gigantenbezwingers weist ebenso wie seine Fähigkeiten der Verwandlung und Verblendung im Abenteuer mit den Tyrrhenern voraus auf seine Bewährung gegen den gigantenentsprossenen und mit manischer Blindheit geschlagenen Pentheus ( 4 5 , 1 7 1 αύτόσπορον αίμα Γιγάντων; 244 λυσσαλέου βασιλήος). Das 44. Buch entrollt mit dem Einzug des Lyaios nach Mittelgriechenland aus 2 2 8 D a s Tyrrhenermirakel als mythischer Reflex des dionysischen Carrus navalis: W. Atallah, Adonis dans la litterature et l'art grec, Paris 1966, 238 f.

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den Nordregionen Illyriens und Thessaliens, mit seinem Vormarsch auf die Grenzen Boiotiens bereits eine ganze Kette von Mirabilien, die in ihrem Epiphaniecharakter jene Doppelheit von lustvoller Enthemmung und schreckenvoller Erschütterung enthalten: Wirbel von Feuer und Wasser (44, 8 f.), entsprechend der genuinen Zwienatur des Gottes, auf die Teiresias (45, 99 f.) noch einmal ausdrücklich aufmerksam macht; Tanz und Gesang der Naturgeister ( 4 4 , 9 - 4 4 ) ; Öffnungswunder an den Türen und Pforten der siebentorigen Feste Theben (44,20—23) 2 2 9 ; ängstliche Resignation der Wächter und Krieger vor dem unbewaffneten Festzug des Bakchos und Umschlagen ihres Kampfesmutes — wie bei den Indern — in den Zwang zu orchestischer Betätigung (44,24—29. 33); bedrohliche Losgelassenheit der Bestien des Gebirges, Bären, Panther und Löwen (44,30-34). Die prodigienhaften Zeichen des Erdbebens, das eine andere, ominöse Art der Türöffnung bewirkt (44,35—38), der Einsturz des Altars der Athene Onka, das Schwitzen ihres Idols, der Blutstrom aus dem Bilde des Ares (44,38—45) stehen als Vorankündigung einer katastrophalen Entwicklung in einem äußeren Kontrast, nichtsdestoweniger aber in einem inneren Bezug zu dem Taumel des Tanzes, der Laubausschmückung Thebens und der Rebenbegrünung des noch immer vom Brande schwelenden Brautgemachs der thebanischen Semele (44,123—130). Beide Ereignisfolgen umrahmen als „vielfältige Formen der schaurigen Wunder des Bakchos" ( 4 4 , 1 3 0 φ ρ ι κ τ ά . . . π ο λ υ ε ί δ ε α θαύματα Βάκχου) den aus Furcht und Insania geborenen Unheilstraum der Agaue ( 4 4 , 4 6 - 7 9 ) und die prodigienerfüllte Opferszene mit Teiresias, Agaue und Kadmos ( 4 4 , 8 0 - 1 2 2 ) , unverkennbare Signale der bevorstehenden Pentheus-Tragödie. Das Präludium zu dieser Tragödie setzt sich in der nonnianischen Erzählung zusammen aus den Anteilen eines fatalen Verwirrspiels, mit dem der Gott den wutschäumenden König narrt, und der warnenden Enthüllung dionysischen Wesens, deren die Untertanen des Pentheus zu ihrer Bestürzung teilhaftig werden. Pentheus rüstet, um den „umherstreunenden Schwächling" ( 4 5 , 2 2 1 άνάλκιδα... άλήτην) zu fangen, ihn fesseln und geißeln zu lassen, die weiberverführende Wirkung seines Zaubertrankes zu brechen ( 4 5 , 2 2 3 μηκέτι φαρμακόεντι ποτω ϋέλξειε γυναίκας). Dionysos entzieht sich dem Zugriff durch übermenschliche Fähigkeit, schlägt die Verfolger in seinen Bann und präsentiert in der Maske eines thebanischen Kriegers dem betrogenen Pentheus einen Wildstier als den angeblichen Βάκχος ταυρόμορφος ( 4 5 , 2 2 8 - 2 5 1 ) . Auf die Bindung des Stieres und der Bassariden durch den betörten König folgt unverzüglich die ekstatische Befreiung der Mänaden von Riemen und Ketten, die spontane Öffnung der Türen ihres Verlieses und ihr Ausschwärmen in das nahe Gebirge 229 Yg] o . Weinreich, Gebet und Wunder. In: Genethliakon Wilhelm Schmid (Tübinger Beiträge zur Altertumswissenschaft 5), Stuttgart 1929, 243 ff. ( = Religionsgeschichtliche Studien, Darmstadt 1968, 8 I f f . ) .

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(45,273—286). Die magischen Lösungsmechanismen im Namen des unstet schweifenden, das Land umstürzend durchziehenden Gottes 230 stellen sich den vegetativen Fesselungswundern der früheren Bücher gleichberechtigt an die Seite 231 . Ihnen reiht sich die ganze Vielfalt der Exhibition dionysischer δυνάμεις an: der Sparagmos von Rindern, Schafen und Ziegen mit dem Motiv der Blutverfärbung (45,287—293); die Säugung von Löwenjungen und Menschenkindern durch die jungfräulichen Bakchantinnen (45,294—305); das Hervorlocken von Wein- und Milchbächen aus dem Felsgestein (45,306—310); die Verwandlung einer Schlange in den baumumwindenden Efeu (45,311-314); das Zähmen wilder Tiere durch Satyrn und Silene (45,315—322). Die nach der bekannten Manier nur hingeworfenen, bunt aneinandergereihten Bilder mit ihren unübersehbaren Ansätzen zur paradiesischen Metamorphose und zur Schreckensepiphanie münden in die „bunten Wunder" (θαύματα ποικίλα), die Dionysos „sämtlichen Bürgern im leiererrichteten Theben zeigte" (45,323f.): der Thiasos läßt die Straßen der Stadt erbeben, Funken sprühen auf, die Fundamente der Häuser wanken, die Pforten dröhnen, der Königspalast ist erfüllt von trompetenartigem Getön (45,325—331). Diese optischen und akustischen Symptome des Erfülltseins vom Geiste des heimischen Dämons enden in einem regelrechten „Feuerzauber", der das Haus des Pentheus, sein Ruhelager und sogar seinen eigenen Körper einhüllt und ihm die Allgegenwart seines Gegners, seine Ungreifbarkeit und Unüberwindlichkeit erschreckend vor Augen führt (45,335 ff.). Das Buch endet mit dem vergeblichen Versuch des Königs, dieses magische Feuer mit Wassergüssen zu löschen, und rückt mit dem Ineinanderfließen von optischer Illusion und visueller Enthüllung der bakchischen Feuernatur die konträre Beziehung von Wasser und Feuer im dionysischen Bereich ein weiteres Mal ins Licht: 45,347-358 και σέλας αύτοέλικτον ίδών βρυχήσατο Πενϋεύς, κέκλετο δέ δμώεσσιν αγειν άλκτήριον ΰδωρ, οφρα κατασβέσσωσιν άναπτομενην φλόγα πυρσοϋ δώμα περιρραίνοντες άλεξικάκοισι ρεέθροις· και γλαφυρών γυάλων έφάνη γυμνούμενον ΰδωρ, και, μεγάλη περ έοΰσα, ρόον τερσαίνετο πηγή αγγεσι νηρίθμοισιν άφυσσομενου ποταμοϊο. και πόνος άχρήιστος έην και έτώσιον ΰδωρ, και διεραΐς λιβάδεσσιν άέξετο βαλλόμενον πϋρ ϋερμοτέραις άκτΐσι - και ώς πόλεων ά π ό ταύρων μυκηθμοϋ κελάδοντος ύπωροφίη πελεν ήχώ, βρονταϊς δ'ένδομύχοισιν έπέκτυπε Πενϋέος αυλή. 230 Zum Motiv des reisenden oder wandernden und dabei seine Identität verhüllenden Gottes A.P. Burnett, CPh 65, 1970, 24 ff. 231 Vgl. zur dionysischen Fähigkeit der Lösung aus Fesseln H.S. Versnel, Lampas 9, 1976, 22. 27.

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Ähnlich wie bei Deriades wird zugleich damit aber die im vorhergehenden Buch geäußerte Prahlerei des Pentheus, er werde dem feuerentstandenen Bakchos mit Feuer zu Leibe rücken (44,149 έκ πυρός εί πέλε Βάκχος, εγώ πυρί Βάκχον όπάσσω) und dem Blitzgeborenen gleichsam als irdischer Zeus mit dem Blitz gegenübertreten (44,150-152 Ζεύς Σεμέλην έδάμασσεν, έγώ Διόνυσον όλέσσω. εί όέ κε πειρήσαιτο και ήμτέροιο κεραυνοί], γνώσεται οίον έχω χθόνιον σέλας), um im homöopathischen Verfahren himmlische Glut durch chthonische zu neutralisieren (44,152 f. ουρανίου γάρ θερμοτέρους σπινθήρας έμον λάχεν άντίτυπον πΰρ), als nichtige Selbstüberhebung in eindrucksvoller Weise entlarvt, der prahlerische Frevler (44,154 σήμερον αΐϋαλόεντα τον άμπελόεντα τελέσσω) in seiner kläglichen Hilflosigkeit gegenüber dem bakchischen Feuer bezüglich seines Anspruchs auf Gleichrangigkeit oder gar Überlegenheit per demonstrationem widerlegt.

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7. Manische Metamorphosen — mänadischer Wahnsinn Ino und Athamas - Bacchus furens - Agaue und Pentheus Es hat sich aus den soeben vorgenommenen Betrachtungen ergeben, daß die von den dionysischen Mirabilien tangierten, von dionysischer Magie ausgelösten oder beeinflußten Aktionen, Verhaltensweisen, Befindlichkeiten bei Nonnos ausnahmslos mit dem Pathos der μανία behaftet sind und daß dieses Pathos nicht zuletzt auch die im Epos immer wieder profilierten Polaritäten von Liebe und Tod, Blut und Wein, Begehren und Verschmähen, Zeugung und Vernichtung, Feuer und Wasser umgreift und durchdringt. Die trunkenen Inder „rasen" ( 1 5 , 5 2 μαίνετο δ'άντιβίων ε τ ε ρ ο ς χορός), wenn sie sich auf ihre vermeintlichen Feinde stürzen, aber sie unterliegen nicht minder der Raserei (λύσσα), wenn sie sich dem thiasotischen Getöse überlassen ( 1 5 , 7 5 ) , und in ihrer Gier nähern sie sich den Mänaden „mit liebestollen Händen" ( 1 5 , 7 9 χερσιν έρωμανέεσσιν); λύσσαν εχοντες stampfen diese Bakchosgegener im Tanzschritt ( 1 7 , 1 1 5 ) , doch auch die Bakchantinnen vermischen Tanz und Kampf ( 1 7 , 3 4 4 f f . ) , nachdem die bakchische Enyo „den Schwall rasender Drohung ausgespien h a t " ( 1 7 , 3 1 8 έρευγομένη μανιώδεος ογκον απειλής). Nonnos gibt die μανία als ein Kontagium, das von seinen Trägern auf die Kontrahenten ausstrahlt: Deriades ist vom Wahn gepackt ( 3 6 , 3 6 2 μαινομενου βασιλήος), da die berauschende Rebe ihn umwunden hat, und er „fleht mit wahnerfüllter Stimme" ( 3 6 , 3 7 7 έλίσσετο μαινάδι φωνή). Lykurg beginnt zu toben ( 2 0 , 3 0 7 μαίνετο), als er das Nahen des thiasotischen Schwarms wahrnimmt ( 2 0 , 3 0 4 f f . ) ; die Verfolgung des Bakchos und seiner Diener erweist ihn als „seiner Sinne beraubt" ( 2 0 , 3 9 7 άφραίνεις), aber auch die Bassaride Ambrosia, die ihn durch die Rebenfessel bezwingt, zeigt „kriegerisch wütende Kühnheit" ( 2 1 , 4 θ ά ρ σ ο ς άρειμανές), so daß sie „bakchisch tobend, vom Schwall der Raserei ergriffen" ( 2 1 , 5 βακχευθεΐσα κατάσχετος οϊδματι λύσσης) gegen ihn antritt, und von den Peinigerinnen Lykurgs in seinem Laubgefängnis faßt eine seinen Leib „mit wütender H a n d " ( 2 1 , 7 1 γαστέρι άντιβίου μανιώδεα χείρα βαλοΰσα), eine andere ritzt „wild rasend" (αίνομανής) seinen Rücken mit scharfen Dornen (21, 8 0 f . ) . Pentheus wird aufgrund seiner Auflehnung gegen Dionysos und in seiner Verblendung vor dem Angesicht des Gottes, das er nicht erkennt, als λυσσαλέος βασιλεύς ( 4 5 , 2 4 4 ) qualifiziert; er schleudert, von sinnloser Wut 113

besessen, drohende Worte gegen den verkappten Bromios (45,252f. κατάσχετος αφρονι λύσση μϋθον άπειλητήρα θεημάχος ϊαχε ΠενΦεύς), doch wenig später gibt sich auch der Gott, gleich einem Stier brüllend, als „Rasender", so daß der von λύσσα erfüllte Dionysos (45,334 λυσσήεις) dem von Manie erfüllten Pentheus (45,335 Πενϋηα μεμηνότα) gegenübersteht. Es liegt hier offensichtlich mehr vor als eine äußere Akrobatik der Antithesen und Kohärenzen. Nonnos versucht die psychische Pathologie seiner Personen als Ausfluß einer allgemeinen atmosphärischen Konsistenz des Dionysischen darzutun, — sowohl anläßlich des Aufeinandertreffens in Feindschaft als auch anläßlich der Begegnung im Bann des Eros. Morrheus ist durch die Liebe zu der Bassaride Chalkomedeia außer sich geraten (35,103 έρωμανές όμμα τιταίνων); die wilde Thyiade (35,208 ίΚηάδα κούρην), die sich ihm gleichwohl schamvoll entzieht (35,205 αίδήμονι νύμφη), hat ihn mit „bräutlichem Feuer" (35,208 νυμφιδίω σπινΦήρι) erfüllt, so daß er des Kampfes vergißt; Dionysos wiederum erliegt dem Zauber der spröden Jägerin Nikaia, nachdem ihn der „heiße Pfeil" des Eros zu „süßem Wahn" entflammt hat (16,13 ήδυμανή πυρόεντι νόον δεδόνητο βελέμνω); das Epos nennt ihn in diesem Zusammenhang zweimal „weibertoll" (16,229. 252 γυναιμανής), dreimal „liebestoll" (16,71. 190. 247 έρωμανέων); er erhält damit die gleichen Attribute wie sein Gegner Morrheus bzw. die übrigen Inder, aber auch genau die gleichen wie sein Vater Zeus (dessen erotische Verkleidung er sich zu eigen machen möchte: 16,49ff.) bei seiner bakchischen Vermählung mit Semele im 7. Buch (7,336 στόμα...έρωμανές; 342 γυναιμανέος...φορήος); die gegenüber seiner Begierde unempfindliche, „züchtige" (16,206 σαόφρονι...κούρτ)), dabei gleichwohl „wilde" (16,246 θυιάδι κούρη) Nikaia ihrerseits verliert die Kontrolle über ihre Sinne (16,255 φρένα δινηθεΐσα) und verfällt dem bakchischen Taumel (βακχεύετο), nachdem sie vom Weingewässer ihres Verführers gekostet hat. Noch krasser sind die Extreme manischer Appetition und manischer Reaktion bei der Aure-Affäre herausgearbeitet: Eros hat seinen Bruder „mit sinnbetörendem Feuerbrand versengt" (48,477 έφλεγε...θελξίφρονι πυρσω) und zur Sehnsucht nach der „wilden, widerspenstigen Aure" (48,478 θ υ ι ά δ ο ς . . . άπειϋέος εις γάμον Αΰρης) verdammt, so daß er „von brodelnder Leidenschaft geschüttelt, mit rasender Stimme schreit" (48,487f. παφλάζοντι π ό θ ω δεδονημένος Α υ ρ η ς . . . ϊ α χ ε λυσσάδι φωνή); Aure gerät, nachdem sie vom Weinrausch erwacht ist und die Spuren ihrer Vergewaltigung entdeckt hat, in rasende Wut (48, 658 μαίνετο παπταίνουσα) und beginnt ihr Rachewerk an den Tieren und Landleuten mit „Sprüngen des Wahnsinns" (48, 661 κατάσχετος αλματι λύσσης). Dabei wird erkennbar, daß ihre Exzesse der Vernichtung mit der Überantwortung ihrer neugeborenen Kinder zum Fraß an die wilden Tiere des Gebirges (48,909 ff.) sich über antidionysische Destruktion einem Stadium nähern, in dem sie nach Art der Mänaden einen der 114

beiden Knaben hoch in die Luft schleudert, um ihn danach bestialisch zu verschlingen (48,917ff.). Man könnte die Beispiele für furiose Alteration aus der Identifizierung oder aus dem Protest gegenüber dem Dionysischen ohne Schwierigkeiten vermehren. Es gibt in dem ganzen Gedicht des Nonnos kaum eine Figur mit „normalem", affektfreiem Verhalten. Fast alle agieren wie im Fieber, mit einer hochgradigen, beinahe hysterischen Gereiztheit der Gefühle und Begierden. Ständig wiederkehrende, scheinbar wahllos an alle möglichen Personen verteilte Qualifizierungen unter der Rubrik μανία sollen dem Leser eine Grundstimmung nahebringen, die gleichsam meteorisch über dem Horizont der epischen Handlung schwebt und sie allenthalben durchdringt, die dabei aber in dem „Helden" Dionysos ihren Ausgangs- und Zentralisationspunkt hat. Im 44. Buch blickt der von Pentheus bedrängte Gott zum Himmel empor und ruft die „kreisende M e n e " ( 4 4 , 1 9 0 κυκλάδι Μήνη) um Hilfe an; denn sie ist gleich ihm der Nacht und dem Feuer, den sinnlichen Akzidentien der μανία, verbunden (44,192ff.), und sie ist als Hekate-Persephone Senderin der Furien mit ihren wahnsinnerregenden Geißeln (44,204ff.). Nonnos macht sie zur uranischen und unterweltlichen Quelle dieser diffusen Ausstrahlung von insania ( 4 4 , 2 2 9 και μανίης μεδέω και λύσσαν εγείρω); eben darum ist sie „dem Bakchos gleich" ( 4 4 , 2 2 6 f . ) und Bakchos ist „Begleiter der M e n e " (44,218). Die Sympathie beruht auf einer von Anfang an im Wesen des Dionysos angelegten Tendenz zur tartarischen „Umnachtung" und zum Ausbruch manischer Gluten 2 3 2 . Darin liegt für den Dichter der Ansatz, Vorkommnisse um den Gott und sein Gefolge mit dem außerordentlichen Stimulus des Wahns zu motivieren und mit den exzentrischen Begleiterscheinungen der Tollheit auszustatten. Aufschlußreich ist dabei nicht zuletzt, daß Nonnos das eben genannte Movens auch vor dem agonalen Zweikampf zwischen Dionysos und Perseus zum Zuge kommen läßt als integrierenden Bestandteil eines verbalen Vorgefechts und eines meteorischen Präludiums. Als im 47. Gesang die beiden Zeussöhne, der Gorgonenbezwinger und der Inderbesieger, gegeneinander antreten, um im Beisein Heras, der Anstifterin ihres Zwistes, ihre Kräfte zu messen (47,567ff.), verhöhnt der erstere „mit schaurigem Lachen" (47,595 φρικαλεον γελόων) die nichtigen Geschosse des Thyrsosträgers, stellt dem goldhaltigen Wasser des dionysoshörigen lydischen Paktolos das vom Goldregen des himmlischen Bräutigams glänzende Gemach seiner jungfräulichen Mutter Danae gegenüber und fordert den Sohn der Semele auf, aus Argos zu weichen, weil dort die perseusfreundliche und dem Dionysos feindlich gesinnte Hera ihren Sitz habe, die den von

2 3 2 Berührung des Bakchischen mit dem Unterweltlichen: O. von Vacano, Vanth-Aphrodite. In: H o m m a g e s A. Grenier 3 (Collection Latomus 58), Bruxelles 1962, 1535.

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ihrer Nebenbuhlerin hervorgebrachten Bastard einst mit Wahnsinn schlug und nun aufs neue zum Wahnsinn treiben könnte: 47, 6 0 5 - 6 0 6 μή σε τον οίστρήσαντα και οίστρηΰέντα τελέσση, μή σε πάλιν μανίη τεθοωμενον όψέ νοήσω. Der maliziöse Hinweis auf das widersprüchliche Faktum, daß der Aufstachler zur Raserei (οίστρήσαντα) selbst vom Stachel der Raserei getroffen werden kann (οίστρηϋέντα), zielt, wie inzwischen deutlich geworden ist, über die obligatorische Wortspielerei hinaus auf die vom nonnianischen Epos vielfach eingefangene Nähe der bakchischen Feuernatur zur Hitze des pathologischen Furors, auf die Verwandtschaft dionysischer Mirakel mit den Ausnahmezuständen wahnhafter Visionen und manischer Exaltiertheit 2 3 3 . Dieser Grenzbezirk des Ekstatisch-Pathologischen wird im folgenden sinnlich spürbar, wenn Hera die Atmosphäre gewissermaßen physikalisch auflädt, indem sie das dem Bakchos wesensgleiche blitzgeborene Feuer wider ihn und seine Scharen entfacht (47,609—611). Dieser elementaren und zugleich emotionalen Aufladung gemäß antwortet der herausgeforderte, von der Flamme attackierte Gott „lachend mit rasender Stimme" ( 4 7 , 6 1 2 γ ε λ ό ω ν . . . θ υ ι ά δ ι φωνή) 2 3 4 , wobei seine Worte alle für sein furioses Naturell erhellenden Eigenschaften und Fähigkeiten enthüllen: die Vertrautheit mit dem „glühenden Keuchen" ( 4 7 , 6 1 7 άφλεγές άσθμα) der Wetterstrahlen, in denen er schon als Neugeborener gebadet wurde (47,614—617); die martialische Hemmungslosigkeit, welcher die Inder und Araber ebenso erliegen wie die gigantischen Abkommen der Erde ( 4 7 , 6 2 4 - 6 2 9 ) ; die wunderwirkende Allgewalt seiner Mission, welche die Tyrrhener zu Tieren degradiert, Pentheus durch die Hand seiner rasenden Mutter umbringt und die argivischen Frauen in den Irrsinn des Kindermordes hineintreibt (47, 629—637); die Verkehrung lieblicher Rebenzweige und -blätter in tödliche, lanzen- und sichelartige Instrumente der Vernichtung (47,638—644) unter den Bedingungen einer anomalen Aktivierung extremer psychischer Aggressivität. Das Epos hat die Diagnose solcher Symptome auf eine manische Wurzel der expansiven Energie vom Beginn des Dionysos-Bios her vorbereitet. Gleich von seiner monströsen Geburt an, nachdem Zeus, zur „selbsttätigen Wehmutter" (9, 6 αύτομάτη μαία) geworden, ihn aus dem „kreißenden Schenkel" (9,8 ώδίνοντος μηροΰ) als „männlichem Mutterleib" ( 9 , 1 0 αρσενα...γαστέρα) entlassen hatte 2 3 5 , umgibt es den Daseinslauf des 2 3 3 J. Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum D r a m a des 5. Jahrhunderts (Bibliothek der Altertumswissenschaften N F . 2. Reihe, Band 36), Heidelberg 1970, 38 ff. Vgl. K. Cavander, Horizon 14, 1972, 10 ff. 2 3 4 Βάκχος „der Rasende" bzw. „der rasend Schreiende": Burkert, Die griechische Religion 2 5 2 Anm. 3. 2 3 5 Erotische bzw. homoerotische Bedeutung der Schenkelwunde: W. Burkert, Phronesis 14, 1969, 24 f. Die griechische Religion 257.

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zweimalgeborenen Gottes mit dem Stigma des rastlosen Schweifens und den Schatten der insania 2 3 6 ; sie treten in gewollten Kontrast zu den Lichtund Farbeffekten eines glückverheißenden Auftakts, da die efeubekränzten Hören dem „gehörnten und stiergestaltigen Dionysos" ( 9 , 1 5 ταυροφυή Δισνυσον.,.κεράστην) das Haupt mit Blumen umwinden „unter dem krummen Gewinde hörnertragender Drachen" ( 9 , 1 4 εύκεράων σκολιησι ύπό σπείρησι δρακόντων). Während die Blumenzier der Jahreszeiten die positive Einbettung der dionysischen Aktivitäten in den Kreislauf des vegetativen Lebens anzeigt und den bakchischen Landschaftsparadiesen vorausgeht, verheißt das Symbol der gehörnten Schlange Einbrüche erinyenhafter Düsternis und Anfälle manischer Vergiftung; die Schlangenfesseln der Mänaden markieren das Eingangs-, die Natternpeitsche der Erinyen das Endstadium dieser potentiellen Entwicklung. Das auf dem Gebirge Drakanon (9,16), dem Drachenberg, entbundene Bakchoskind trägt mit Gehörn und Stiergestalt seine genuine Veranlagung zu animalischen Anwandlungen destruktiver Wildheit zur Schau, wenn auch im weiteren Verlauf der epischen Erzählung die eifersüchtige Hera als mythologischer Spiritus rector für das periodische Auflodern von Raserei im dionysischen Wirkungsfeld vorgeschoben wird 2 3 7 . Das geschieht zum Beispiel gleich an der ersten Station der Lebensbahn des Dionysos, als Hermes den Säugling zur Nährung und Pflege an die Flußnymphen des Lamos übergeben hat ( 9 , 2 5 ff.). Die freundlichen Genien der Fruchtbarkeit, welche den „Traubenpfleger" ( 9 , 2 9 σταφυληκόμον) zunächst in der Feuchte ihrer Wasserregion und mit der reichlichen Flüssigkeit ihrer Milch ( 9 , 3 1 γλαγόεσσαν...ίκμάδα) gehegt hatten 2 3 8 , werden unter der „Geißel dämonischer Bosheit" ( 9 , 3 9 δαιμονίης κακότητος.,.Ιμάσθλη) zu mörderischen Furien ( 9 , 3 7 f f . ) 2 3 9 ; sie wechseln damit aus kreativer Kühle in zerstörendes Feuer, aus den Wogen des Flusses in die „Woge des schweifenden Wahnsinns" ( 9 , 4 9 φοιταλέης έτερόφρονι κύματι λύσσης); ihr Gewand ist nicht mehr vom Schaum der Flut, sondern vom Schaum der Raserei weißlich gefärbt ( 9 , 4 7 f . ) , wobei es Nonnos nicht unterläßt, der Beschreibung dieses Wechsels Termini bakchantischer εκστασις einzuflechten ( 9 , 3 9 έβακχεύθησαν; 42 άλάλαζον; 43 οφθαλμούς έλελιζον; 46 και πλοκάμους βάκχευον ές ήέρα θυιάόες αύραι πλαζομένους) 2 4 0 . Zu diesen Symptomen Massenzio, S M S R 4 0 , 60 ff. Hera als Urheberin des Wahnsinns: Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos 3 7 f . ; der Herazorn als sekundäres Motiv: Laager, Geburt und Kindheit des Gottes, Winterthur 1957, 130. - Zu der ähnlichen Rolle der Iuno Stimula bei Ovid. 6, 4 7 3 ff. L. u. P. Brind Amour, Latomus 30, 1971, 1018 f. 2 3 8 Nymphen als Ammen des Dionysoskindes: H . Philippart, RBPhH 9, 1930, 28 ff. Laager, Geburt und Kindheit des Gottes 142 ff. 2 3 9 A. Greifenhagen, M D A I ( R ) 46, 1931, 4 6 f . Turcan, Les sarcophages romains 4 3 2 f . 2 4 0 Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum D r a m a des 5. Jahrhunderts, Heidelberg 1970, 67 u. Anm. 39. 236

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Die in der bakchischen Existenzweise angelegte grundsätzliche Möglichkeit des Zurückschlagens destruktiver, manisch enthemmter Dynamis auf den Auslöser ekstatischer Unbändigkeit selbst ist zwar auch in diesem Falle durch die epische Verursacherrolle Heras bis zu einem gewissen Grade kaschiert 241 ; im übrigen geben die Dionysiaka aber dem Umstand der Gefährdung und des Leidens ihres göttlichen Helden bzw. seiner Hypostasen hinreichend Raum, lassen also den partiellen Passionscharakter des traditionellen Dionysosbildes nicht zu kurz kommen. Demgemäß akzentuieren sie als eine Variante der πλάνη des Gottes das Verfolgungsmotiv der Kindheitsgeschichte mit der Überführung des von Zerstückelung durch die tollgewordenen Lamostöchter bedrohten Knaben (9,50) in das versteckte Gemach der Thebanerin Ino, wo weder Sonne noch Mond sein Heranwachsen beobachten sollen (9,65—69) 242 . Mit seiner Gefährdung hält auch das Risiko für seine Beschützer oder Wärter an: wenn Hermes in seiner Ansprache an die neue Pflegemutter den Flammentod der Semele, das schlimme Ende Autonoes und ihres Sohnes Aktaion, den Mord der Agaue an ihrem Sohn Pentheus aufzählt (9,73—78), so beruft er damit alle jene der thebanischen Verwandtschaft des Dionysos aus dessen übermächtiger und verstörender Gegenwart zugekommenen Übel, ohne wohlweislich des der Ino bevorstehenden Leidensweges zu gedenken. Ihre Seligpreisung (9,72) mit der Prophezeiung der künftigen Meerresidenz (9,79-91) verschweigt das schmerzliche Zwischenstadium der Vertreibung Inos durch Hera und ihres wütenden Umherirrens auf der rachegetriebenen Suche nach dem längst von Hermes ein weiteres Mal entrafften und der Berggöttin Rhea übergebenen Bakchos (9,243-249) 2 4 3 . Ihre Vorüberkunft an der Drachenhöhle von Delphi (9,250-253) scheint unmotiviert und beziehungslos, aber wer Nonnos kennt, begreift, daß diese Episode unter dem Stichwort Schlange-Erinys-Wahnsinn 244 zum einen zurückweisen soll auf die symbolhaltige Schlangenumgürtung des Dionysos bei seiner Initiation durch Inos Magd Mystis 24S , die Personifizierung der bakchischen Mysterien (9,129-131) 2 4 6 , zum anderen vorausdeuten soll auf die phäno-

241 Zu der Rolle der „Stiefmutter" aus psychoanalytischer Sicht Ph. E. Slater, Arethusa 7, 1974, 35. 242 Hermes in der Funktion des Kurotrophos: B. Combet Famoux, MEFR 72, 1960, 156. 160. 243 Vgl. Turcan, Les sarcophages romains 3 98 f. 244 Die Erinys als Bringerin des Wahnsinns: B. C. Dietrich, Death, Fate and the Gods, London 1965, 107ff. 139 ff. 245 Vgl. Boyance, REA 68, 33 ff. 40 Anm. 4. 42. Turcan, Les sarcophages romains 408f. Bildliche Darstellungen der Erziehung und Initiation des Dionysos durch Silen und Nymphen: C. Berard, Pro Aventico 19, 1967, 57 ff. 246 Zum puerilen Dionysos Mystes in der Gesellschaft maternaler Pflegerinnen Turcan, Les sarcophages romains 3 97 f.

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typische Verwandlung Inos zur schlangenumwundenen, bergdurchstürmenden Mänade ( 9 , 2 5 7 - 2 6 0 ) 2 4 7 . Der Einfall des Dichters, die von Raserei Ergriffene in den apollinischen Tempelbezirk einbrechen zu lassen, um die Pythia zu vertreiben und die prophetische Ekstase aus dem heiligen Lorbeer Apollons durch die wilden Chöre der Bakchen zu verdrängen, welche sich „mit den gliederstriemenden Gewinden des langrankenden Efeus geißeln" (9,263 f. τανυπλέκτοιο δέ κισσοΰ γυιοβόροις έλίκεσσιν έμαστίζοντο γυναίκες), gibt im Zusammenhang mit der Einschläferung der besessenen Bakchosamme durch den Allheiler Apollon die Auffassung des Gedichts kund von der krankhaften Qualität dieses mit dionysischen Symptomen einhergehenden Außersichseins, das schließlich, nach dem Gesetz der Sympathie, im Rahmen der konträren kultischen Berührung zwischen Dionysos und Apollon am delphischen Omphalos, anläßlich der neugegründeten Nachtfeiern thiasotischer Chöre von den „heiligen Händen" korykischer Bakchosverehrerinnen geheilt wird (9,288 f. και ζαϋέαις παλάμησιν άλεξητήρια λύσσης φάρμακα συλλέξαντο και ίήσαντο γυναίκα) 2 4 8 . Dem negativen Phänomen der λύσσα setzt die Dichtung somit — wie bei der Blindenheilung am Hydaspes — eine positive iatrische, die apollinische Kompetenz überlagernde Kraft der dionysischen Begeisterung entgegen. Gegenüber der mänadisch getönten, in mystisch-orgiastischem Zwielicht endenden πλάνη der Ino kehrt Nonnos bei der Manie des Athamas (10, Iff.) eine andere, wenn man will, die männliche Seite bakchischer μανία hervor. Der Gemahl der Ino wird zum „wilden J ä g e r " und Tierschlächter, in Herden einbrechend, wehrloses Vieh fesselnd und die eigene Frau mitsamt dem unmündigen Sohn als vermeintliche Jagdbeute hetzend ( 1 0 , 5 f f . 5 0 f f . ) 2 4 9 . Bemerkenswert ist, daß der Verfolgungsdrang und die Vernichtungswut mit Halluzinationen und Phantasmen gekoppelt sind 2 5 0 , wie sie sowohl vom Gift der Erinyen als auch von der sinnverwirrenden Aura des Dionysos hervorgerufen werden. In der Tat wird Athamas zunächst von der „rasendmachenden Geißel des Pan aufgestachelt" ( 1 0 , 4 οίστρηθεις Ά θ ά μ α ς μανιώδει Πάνος Ιμάσθλη) 2 5 1 ; in Panik verfallen schwingt er selbst die Peitsche gegen harmlose Schafe und Ziegen, da ihm 2 4 7 Vgl. A. Henrichs, HSCIPh 82, 1978, 137 ff. - Mänadische Raserei der Ino, verursacht durch das Gift der Tisiphone bei Ovid. met. 4, 5 1 9 ff. E. J . Bernbeck, Beobachtungen zur Darstellungsart in Ovids Metamorphosen (Zetemata 43), München 1967, 3 2 f f . 2 4 8 Z u m Dionysos Iatros in Delphi und zur Relation Dionysos-Apollon E. R. Dodds, The Greeks and the Irrational, Berkeley-Los Angeles 2 1 9 5 1 , 76. 94 (Anm. 78). 2 4 9 Z u den mit Jagdbildem gekoppelten manischen Affektionen D. Korzeniewski, Helikon 6, 1966, 558 ff.; vgl. Gymnasium 79, 1972, 3 4 9 . 250 v g l . Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum Drama des 5. Jahrhunderts, Heidelberg 1970, 6 0 f f . (Aggressivität und Illusion). 2 5 1 Mattes, ebd., 105. Diese Funktion des Pan ist in den Dionysiaka weitaus markanter als die von P. Merivale, Pan the G o a t God, Cambridge M a s s . 1969, 4 einzig und allein erwähnte martialische Vervielfältigung des Gottes (14, 67ff.).

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täuschende Visionen die Gegenwart von Frau und Kind vorspiegeln 252 . In diese aus einer dem dionysischen Bereich zugehörigen Quelle fließende panische Affektion ( 1 0 , 1 2 f.) 2 5 3 münden aber bei Nonnos auch schon die durch das Nahen der Erinyen ausgelösten wahnhaften Sinneswahrnehmungen ( 1 0 , 1 8 f, Ταρταρίης δ'όφιώδες ίδών ίνδαλμα θεαίνη'ς πάλλετο δειμαίνων έτερόχροα φάσματα μορφής). Die Mischung von Jagdfieber und Verfolgungswahn, verbunden mit den physischen Merkmalen des pathologischen Persönlichkeitswandels (geifernder Mund, rollende, blutunterlaufene Augen, Blutandrang im Kopf, trunkenes Schwanken, lallende, unverständliche Rede, stierer Blick: 10,20—31), konkretisiert das Epos in dem Schattenkampf gegen die Megaira mit dem Versuch, der Peinigerin die Natternpeitsche zu entreißen (10,34—40) 2 5 4 , und in der manischen Hinwendung an die vermeintlich gegenwärtige Artemis (10,41—44), in deren Trugbild (10,43 έπίκλοπον εΙκόνα) sich die Gier des Verrückten nach blutiger Jagd ( 1 0 , 4 4 ϊμερον.,.αγρης) verdichtet. Aus der Schemenhaftigkeit der visuellen und akustischen Heimsuchungen des panisch und erinyisch Verblendeten entwickelt Nonnos dann folgerichtig mit der Rückkehr der Ino die jähe Wendung zur realen Mordlust der „Hirschhatz" ( 1 0 , 5 πόθον...κεμαδοσσόον αγρης), bei der die Scheinverwandlung des Learchos in ein flüchtiges Rehwild ( 1 0 , 6 0 κεφαλήν ...φάσματι νεβρωθεΐσαν) und die grausige Tatsache seiner Erlegung und Zerstückelung durch den Vater (10,59 καΐ κεφαλήν αγνωστον άπηλοίησε μαχαίρη) aus der gleichen Wurzel des mit Augentrug und Tötungszwang einhergehenden Furors stammen. Daneben tritt ein weiteres Indiz manischer Perversion auf, diesmal an den Ino-Sohn Melikertes geknüpft: das Eintauchen des eigenen Kindes in einen siedenden Kessel (10,67—71) 2 S S , was Nonnos Gelegenheit gibt, der Antinomie Feuer-Wasser unter dem Aspekt des psychischen „Brandes" eine weitere ungewöhnliche Seite abzugewinnen: 10,69-71 στηρίξας δέ λέβητα πυρίπνοον έσχαρεώνι, εις μέσον υΐέα θήκεν- άναπτομενοιο δέ πυρσοΰ φοίνιος ύδατόεντι λέβης έπεπάφλασεν άτμω. 2 5 2 Z u m Bild der Geißel des Wahnsinns H. Mielke, Die Bildersprache des Aischylos, Diss. Breslau 1 9 3 4 , 114ff. 2 5 3 Pan als Begleiter des Dionysos: R. Herbig, Pan. Der griechische Bocksgott, Frankfurt a. M . 1 9 4 9 , 2 2 ff. - Pan als Verursacher der Manie, der Phantasmen und des panischen Schreckens: R. Caillois, R H R 1 1 6 , 1 9 3 7 , 81. 1 4 4 f f . Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum D r a m a des 5. Jahrhunderts, Heidelberg 1 9 7 0 , 4 3 f.; s. aber H . Herter, Gn 4 6 , 1 9 7 4 , 7 0 8 . - Bei Pind. Pyth. 3, 7 7 f f . u. fr. 9 5 Sehr, ist Pan mit der in manischen Aktionen sich vollziehenden Verehrung der M a t e r M a g n a verbunden (J. A. Haidane, Phoenix 2 2 , 1 9 6 8 , 18ff.). 2 5 4 Die Erinye (Tisiphone) als Bringerin des Wahnsinns bei Athamas in Ovids Metamorphosen: F. Börner, Ovidius Naso, Metamorphosen. Kommentar zu Buch I V - V , Heidelberg 2 5 S Vgl. Burkert, H o m o Necans 199. 1 9 7 6 , 1 7 0 f. 172.

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Die Kombination von Zerstückelung und Kochen im Kessel bestätigt die Vermutung, daß Nonnos die von Athamas vorgenommenen Handlungen — ebenso wie später das Schicksal des Thebaners Pentheus 2 5 6 — als mythische Brechung der Dionysos-Passion verstanden wissen wollte 2 5 7 . Beide Motive sind Bestandteile des orphischen Zagreus-Mythos 2 5 8 , und Nonnos hatte im 6. Buch unverhohlen ausgesprochen, daß die von ihm dort dargestellte Zerstückelung des jugendlichen Zagreus durch das „Tartaros-Messer" ( 6 , 1 7 2 Ταρταρίη μαχαίρη) der Titanen eine „Schlachtung des früheren Dionysos" 6,206 προτέροιο δαίζομενου Διονύσου) sei, bei der der stiergestaltige Gott als prototypisches Opfer unter den Hieben seiner Mörder zusammenbricht und nach Art eines Opfertieres zerlegt wird ( 6 , 2 0 4 f. άμοιβαίτ] δέ φονηες ταυροφυή Διόνυσον έμιστύλλοντο μαχαίρη). Andererseits: als Hera sich zu Beginn des 31. Gesanges zum Hofe des Hades begibt, um Persephone für ein Eingreifen gegen Dionysos zu gewinnen, zieht sie - ausgerechnet vor der Mutter des Zagreus — die Parallele zwischen dem ersten Erben des himmlischen Blitzes und dem möglichen zweiten Anwärter auf dieses Erbe und spricht von dem „durch Messer hingeschlachteten Zagreus, dem himmlischen Dionysos" ( 3 1 , 4 7 f. δαίζομενου δέ μαχαίραις Ζαγρέος...επουρανίου Διονύσου). Nonnos versäumt nicht, diese Parallelitäten im folgenden Gesang dadurch zu unterstreichen, daß er die auf Heras Drängen von der Erinys dem schweifenden Dionysos zugefügten manischen Affektionen 2 5 9 in vielerlei Hinsicht denen des Athamas gleichen läßt. Das gilt für das Knallen der Natternpeitsche (32, 102f. 1 2 3 f . ) 2 6 0 , für die Schreckensgesichte unterweltlicher Schlangen und löwenartiger Untiere ( 3 2 , 1 0 4 f . 107-109) und besonders für die Ansiedlung der „buntgestalteten Phantasmen" (32, 1 2 1 ) 2 6 1 in der von Artemis kontrollierten Sphäre der J a g d ( 3 2 , 1 1 0 - 1 1 8 ) ; der auch für Athamas charakteristische Wandertrieb ( 3 2 , 1 2 5 f f . ) 2 6 2 wächst sich demgemäß — wie bei jenem — zum sinn- und planlosen Verlangen nach Verfolgung und Erlegung des Wildes aus, in diesem Falle erweitert auf die gesamte, dem Gott ansonsten befreundete Natur (32,133—145). Die durch das Gift der Megaira erzeugte Verkehrung der hegenden, schützenden und gedeihenbringenden Tätigkeit in das 256 vgl. Kerenyi, Dionysos 72. Massenzio, SMSR 40, 89 f. - Ableitung des Namens Πεν&εύς von πένθος „Leid": O. Musso, SIFC NS. 40, 1968, 178ff. 2 5 7 Zur Passion des Dionysos Jeanmaire, Dionysos 372ff. 387. Vgl. zum Aufkochen des Gottes durch seine Ammen (Schol. Aristoph. Equ. 1321). J. Taillardat, Les images d'Aristophane, Paris 2 1965, 49. 2 5 8 Vgl. zuletzt M. Detienne, ASNP 4,1974, 1193 ff. W. Fauth, RE (2. R.) 18,2274 ff. 2 5 9 Dionysos von Manie erfaßt: Jeanmaire, Dionysos 61 ff. 2 6 0 P. Boyance, RAC 42, 1966, 61. 2 6 1 Vgl. Boyance, RAC 42, 62 u. Anm. 2 mit Hinweis auf die φάσματα und δείματα bei den dionysischen Mysterien (Orig. c. Cels. 4, 10). 2 6 2 Mattes, Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der griechischen Dichtung bis zum 5. Jahrhundert, Heidelberg 1970, 63 ff.

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Gegenteil, nämlich in wahllose Destruktion, bedroht - wie bei Athamas die nächsten Verwandten und Angehörigen des Dionysos (32,146ff.), und die Verseuchung der unberührten Landschaft (32,106 και σκοπιήν έ'ρραινον έρημάδα πίδακες ίοΰ) im Verein mit der psychischen und physiognomischen Perversion des in ihr waltenden Gottes (39,149 f.) ist eindrucksvoll abgespiegelt in der Verwandlung der Nymphe Echo, wenn sie, die von den schaumbedeckten Lippen des Tollwütigen strömenden „befremdlichen Laute" (32,149 έτερόϋροον ηχώ) getreulich nachahmend, selbst der Verfremdung des Wahnsinns anheimfällt 32,130-132 Πανα δέ καλλείψασα και ύστερόφωνον άοιδήν φθόγγο} μαινομένω μυκήσατο δύσθροος Ήχώ, άντίτυπον θρασϋν ήχον αμειβόμενη Διονύσου. *

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Mit der Übertragung der μανία von dem göttlichen Urheber psychischer Enthemmung auf die umgebende Natur, die seine Lautäußerung im „abbildlichen Widerhall" (32,132 άντίτυπον...ήχον) reflektiert, versucht Nonnos auf besondere Weise kundzutun, bis zu welchem Ausmaß in seinem Werk die Durchdringung alles Gegenständlichen mit dem Hauch des dionysischen Geistes vorgestellt werden soll; dabei wird zugleich ersichtlich, daß die manischen Extravaganzen des Gottes selbst wie auch aller in seinen Dunstkreis Geratenen nichts anderes als Übersteigerungen des originären bakchischen Habitus sind, Ausweitungen ins Extreme, an denen der Dichter gleichwohl oder vielmehr gerade mit besonderer Eindringlichkeit die ihm wichtigen Grundlinien des Dionysos-Porträts bzw. des von Dionysos berührten Daseins hervortreten lassen kann: Das ziellose Umherirren des vom Wahn Ereilten, die Poriomanie, ist lediglich eine pervertierte Form der dionysischen Unruhe, welche Wanderung, Mission und Expansion des religiösen Dienstes steuert; die von der Megaira gegen das Haupt des Bromios geschleuderten, wahnerregenden „giftigen Tropfen und schaurigen Funken" (32,122f. Ιοβόλοι ραθάμιγγες...και βλοσυροί σπινθήρες) bilden nur eine pathologische Variante der dem Gott von vornherein vom Dichter zugeordneten elementaren Syzygie von Feuchte und Hitze; die von der „buntgestalteten Erinys" (32,100 ποικιλόμορφος... Έρινύς) dem Bakchos geschickten „buntgestalteten Phantasmen" (32,120 φάσματα ποικιλόμορφα) sind krankhafte Auswüchse in jenem Kosmos von Farben, Gebilden und Tönen, von Phantasmagorie und Metamorphose, den die Dichtung nach dem Prinzip der ποικιλία um den Gott in der buntscheckigen Nebris zu errichten bestrebt ist. In welchem Umfang sich die durch solche Perversion herbeigeführte Denaturierung von Sterblichen und Unsterblichen in den Dionysiaka —

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entsprechend dem Fingerzeig der Echo-Episode - allen Arten und Stufen der Physis mitteilen kann, bringt die von Nonnos dargebotene Geschehensfolge des 21. Buches zum Vorschein. Zunächst zerreißt (21, 69 ff.) die Horde der pflanzenbewehrten Mänaden dem von Ranken gefesselten Lykurgos mit den Nägeln der bloßen Hände (21,72 αρπαγι παλμω) Gewand und Rüstung, rupft ihm Haupt- und Barthaare aus, zersticht oder zerkratzt seine Haut mit den Stacheln von Dornen oder den Spitzen des Narthex und peitscht seinen Körper mit seilartigen Gewinden aus Reben und Efeu, so daß er sich blutig verfärbt: 21,78-79 εύπετάλω μάστιγι δέμας φοίνιξε Λυκούργου αίμαλεη σμώδιγγι χαραοσομενων άπό νώτων. Nach dieser unmenschlichen, die leibliche Entstellung des Geschundenen bis zur „Entmenschlichung" steigernden Tortur durch furienhafte weibliche Quälgeister — zugleich dämonische Symbolfiguren der versehrenden Eigenschaft dionysischer Pflanzlichkeit — vollzieht sich die Zerstörung des heilen Angesichts der Erde vermittels eines tektonischen Bebens (21,91 ff.), bei dem Felsen zerreißen, Bäume entwurzelt werden, Paläste zerbersten und Schlünde aufbrechen wie Wunden an einem geschlagenen und zerstochenen Leib. Nonnos unterstreicht die Parallelität zu der Peinigung des Lykurgos, indem er dem Ausdruck αρπαγι παλμω (21,72) eine unübersehbare Duplikation νωμήτορι παλμω (21,97) und τινάκτορι... παλμω (21,100) zur Seite stellt. Darüber hinaus aber wird der Vergleich zwischen der seismischen Erschütterung und dem „raffenden Schwung" des mänadischen Folterungstriebes noch dadurch vertieft, daß die „Eingeweide" (κενεώνες) der Erde von den Winden ebenso gepeitscht werden (21,96 ένδομύχοις άνέμοισιν ίμασσομενων κενεώνων) wie die Glieder des Lykurg von den Hieben der Blättergeißeln gerötet und die Weichen (κενεώνες) seines Leibes von Dornen geritzt wurden (21, 85 δυσμενέος κενεώνα κατέγραφεν όξέι κέντρω). Das arabische Land unterliegt den aufwühlenden, schmerzhaft verwandelnden und damit die ursprüngliche Identität zerstörenden Anfällen bakchischer Konvulsion nicht anders als das gemarterte menschliche Individuum (21,101-104). In diesen allgemeinen Umsturz der Natur mit den Merkmalen der Entwurzelung und Deformation mischt sich ganz unmittelbar der Ausbruch von Mordlust und Blutgier bei den Frauen von Nysa (21,107 ff.). Nach außen ergibt sich — wie so häufig in den Dionysiaka - ein störender kompositorischer Bruch in der Lykurgos-Passion, die ja mit 21,124ff. weitergeführt wird; mythologisch und phänomenologisch liegt die Rechtfertigung dafür auf der Hand: Wie von Lykurg die Sage zu berichten weiß, daß er im Zwang des Wahns seinen Sohn Dryas mit dem Beil erschlug, weil er ihn für eine Rebe hielt, um dann selbst den dionysischen Martern der 123

Fesselung, Kreuzigung, Blendung und Zerreißung ausgesetzt zu werden 2 6 3 , wird bei den Frauen von Nysa das passive Schicksal des Uberfallenseins von den Zwängen manischer Gewalt — veranschaulicht durch die Metapher der Tartaros-Geißel (21,108 θεινόμεναι μάστιγι δρακοντοκόμοιο Μεγαίρης) — umgekehrt in einen animalischen Vernichtungsdrang transponiert, der sie zu blinden Wüten gegen das eigene Fleisch und Blut antreibt 2 6 4 . Die schlangenbehaarte Megaira (21,108) enthüllt — wie bei Athamas im 10. Buch (10,37f.) - eine infernalische Quelle des Wahnsinns, aber die Schleifung der Kinder und ihre Zerstückelung mit dem Messer ( 2 1 , 1 1 6 f . ) trägt - wie dort (10,59f.) - den Anstrich dionysischer Sparagmos-Rituale 2 6 5 , an die eben auch die Lykurgos-Folter erinnert. Übereinstimmend damit gilt für die von Nonnos geschaffene männliche Kontrafaktur zu dem Furor der nyseischen Weiber, nämlich für den Kindermord der arabischen Hirten ( 2 1 , 1 1 8 ff.), daß die verwirrungstiftende Peitsche des Pan ( 2 1 , 1 1 8 μανιώδεα Πανός Ιμάσθλην), die andernorts den Athamas zum Einfall in seine eigenen Herden hetzte (10,13), hier einen an die mänadische Omophagie erinnernden Kannibalismus hervorruft (21,121—123), ähnlich dem der von Dionysos vergewaltigten Aure ( 4 8 , 9 2 3 f f . ) , die ihren neugeborenen Knaben zuvor ebenso bakchantisch in die Luft schleudert wie die Frauen von Nysa es mit ihren Söhnen vor der Zerstückelung tun (21, l l O f f . ) . Unermüdlich knüpft Nonnos in seinem äußerlich so zerrissen erscheinenden Opus auf solche Weise verbindende Fäden, — Wiederholungen und Dubletten nicht scheuend. Wenn es von einer der Bewohnerinnen Nysas heißt, sie werde, da das „kindermordende Eisen ihr die Hand blutig rötete" ( 2 1 , 1 1 4 αλλη παιδοφόνω παλάμην φοίνιξε σιδηρω), zur „rasenden Agaue" ( 2 1 , 1 1 5 μαινάς Α γ α ύ η ) , so schlägt er expressis verbis die Brücke zu dem großen Pentheus-Komplex, wo in einer weiträumig angelegten Klimax vom 44. bis zum 46. Buch alle Modalitäten physischer und psychischer Passion unter dem Einfluß des Mänadismus ausgebreitet sind, — von der Heimsuchung der Agaue durch die geißelschwingende Erinys ( 4 4 , 2 6 0 ff.) bis zum διασπασμός des Pentheus unter den Händen der von Agaue und Autonoe angeführten thebänischen Bakchantinnen (46,210ff.). * *

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Bezeichnend für die pleonastische Erzählweise des Epos, bei der sich bestimmte Abläufe multipliziert und jeweils nur leicht abgewandelt überlagern, ist der Umstand, daß die Verfolgung und Zerreißung des Pentheus durch die Mänaden ebenso wie sein vorhergehender eigener Persönlich2 6 3 Diod. 3 , 6 4 . Apollod. 3, 5, 1. Ovid. fast. 3, 722. H. von Geisau, Lykurgos. In: Der Kleine Pauly 3, Stuttgart 1969, 822. M . Delcourt, S M S R 3 4 , 1963, 18. 2 6 4 Vgl. Boyance, R A C 42, 62. Verniere, Symboles et mythes, Paris 1977, 4 6 f. 2 6 5 Vgl. M . Delcourt, S M S R 37, 1966, 140 f.

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keitsverlust vor ihrem realen Eintreten (46,98ff. 176ff.) zunächst traumhaft verhüllt in einem nächtlichen Gesicht seiner Mutter, zugleich seiner künftigen Mörderin, schon einmal abgespielt werden, — in einer der für Nonnos typischen wahnartigen, die Wirklichkeit abbildlich verdoppelnden und zugleich imaginativ verzerrenden Visionen, die hier - wenngleich zeitlich zurückliegend — den gravierenden Abschluß der zu Beginn des 44. Gesanges aufgezählten Ankunftsprodigien des Dionysos bildet und sich somit in die Kausalkette der durch die Präsenz des Gottes verursachten vielfältigen Katastrophen einreiht. Zwei wesentliche Metamorphosen bzw. deren Endzustände machen den Inhalt des Traumes aus: Zunächst erscheint Pentheus als „tanzender üppiger Wanderer" (χοροίτυπον άβρόν όδίτην) in der Gewandung und Haltung des schweifenden, weichlich gekleideten Lyaios (44,54—57). Sodann erlebt Agaue vorausschauend, wie sie selbst in Gestalt einer „wilden Löwin" (άγροτέρη λέαινα) den eigenen Sohn zerfleischt und die blutige Trophäe seines abgerissenen Hauptes dem Vater Kadmos als vermeintlich erlegtes Wild überbringt (44,58—79). Während die nur scheinbare Änigmatik dieser Unheilsgesichte von dem kundigen Weissager Teiresias absichtlich nicht aufgehellt wird (44, 80ff.), bringt der 46. Gesang mit ihrer Realisierung die Einbettung der von ihnen angekündigten vollständigen personalen Umkehrungen in ein dichtes Netz dionysischer Infiltration: Aus dem Groll des Pentheus über die unbegreifliche Befreiung der gefangenen Bassariden (46,Iff.) erwächst in der Schmährede gegen den efeubekränzten, langbehaarten Fremdling (46,6ff.) der blasphemische Zweifel an der göttlichen Geburt des Bakchos und damit die Abwandlung des Motivs der dionysischen Feuernatur ins Negativ-Verächtliche (46,33—35). Dem steht gegenüber das hochmütige Pochen auf die eigene Abstammung aus dem Geschlecht des drachengesäten Echion (46,49-51) 2 6 6 , ein Gegenstück zu der zwei Gesänge vorher (44,169 ff.) vorgetragenen fiktiven Behauptung einer Herkunft von Helios und Selene, Zeus und Aither und dem daraus abgeleiteten vermessenen Anspruch auf olympische Theogamien 2 6 7 nach dem Muster des Typhon (l,468ff.). Die dadurch provozierte Gegenrede des Dionysos (46,54ff.) korrespondiert diesen beiden Argumenten mit einer Auswertung der sattsam bekannten Feuer-Wasser-Antithetik unter der Idee des Echtheitsordals: 46,58-62 ού μεν εγώ 'Ρήνοιο φατιζομενου ποταμοΐο χεύμαοιν ούτιδανοισι δικάζομαι, αλλά ρεέθρων πιστότεροι κήρυκες έμοί γεγάασι κεραυνοί κρείσσονα μαρτυρίην σχεροπής μή δίζεο, Πενθεΰ ΰδατι μεν Γαλάτης, σϋ δέ πείϋεο μάρτυρι πυρσω. 266 Frevelhaftigkeit (ασέβεια) und Torheit (αφροσύνη) des Pentheus in den Bakchen des Euripides (263ff. 395ff.): H. Musurillo, TAPhA 97, 1966, 301 f. 267

Vgl. O. Weinreich, Η 67, 1932, 3 6 2 f.

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Wie das Blitzfeuer stärker und beweiskräftiger ist als das irdische Wasser des Flusses, so ist die Heimat des himmlischen Äthers den dunklen Gründen der Erde, dem Wohnsitz der chthonischen Drachensöhne, vorzuziehen, der siebenzonige Himmel seinem von Kadmos errichteten Abbild, dem siebentorigen Theben, dem Sitz des Pentheus, überlegen (46,63—68). Demgemäß knüpft sich an die Anspielung auf das im Namen Πενθεύς prädispondierte, unmittelbar bevorstehende Leidens- und Todesgeschick des Echionsohnes die Reminiszenz an die Niederlage seiner Vorfahren, der gegen die Götter rebellierenden Giganten (46,73—76), die mit der Tötung des Pentheus durch Dionysos eine Wiederholung oder Fortsetzung erfahren soll (46,77f.). Vergangenheit und Zukunft verschlingen sich bei der fatalen Anbahnung des Pentheus-Endes, nicht minder aber auch Konfrontation und Identifizierung. Nachdem zuvor der genuine Unterschied zwischen dem Zeussohn und dem Gigantensproß betont worden war, erfolgt übergangslos — unter der Decke eines trügerisch überredenden Rates — die sinnverstörende Suggestion des Kleidertausches, des Überwechseins vom königlichen Ornat in feminine Gewandung (46, 8 2 - 8 4 ) 2 6 8 . Was dem Pentheus in seiner Verblendung plötzlich als listige Tarnung akzeptabel erscheint (46,97f,), hat zum Ergebnis, daß der nun seiner eigenen Mutter gleichende Herrscher (46, 83) damit, ohne es zu merken, auch zu einem Zerrbild des von ihm gehaßten und bekämpften Gottes geworden ist, zum weibischen, thyrsosschwingenden Schwärmer, wie ihn Agaue zuvor in ihrem Traum erblicken mußte (44,54—57) 2 6 9 . Diese von beinahe tragischer Ironie erfüllte Perversion in die Maske des Todfeindes aber ist nur erklärbar aus dem Befall seines Verstandes mit dem Gift der von Dionysos über ihn geschickten insania 2 7 0 . So bemüht Nonnos dann zwangsläufig wieder die „dämonische Geißel" ( 4 6 , 1 0 0 δαιμονίη μάστιγι), diesmal nicht von der Erinye, sondern von der mit Lyaios verbündeten Mondgöttin geschwungen 2 7 1 . Der „rasendmachende Stachel der sinnzerrüttenden Selene" ( 4 6 , 1 0 1 λυσσήεις... οίστρος άμερσινόοιο Σελήνης) gaukelt dem Pentheus ähnlich „buntgestaltete Bilder" ( 4 6 , 1 0 2 φάσματα ποικιλόμορφα) und ähnlich täuschende und verführende Klänge vor (46,102—105) wie sie die Peitsche der Tartarosbotin dem Athamas einflößte (10,14ff.), und das Anlegen der purpurnen Frauenkleider Agaues 2 6 8 Anlegen weiblicher Tracht im dionysischen Milieu: H. Brandenburg, Studien zur Mitra, Münster 1966, 7 6 f f . 1 3 3 f f . H . K e n n e r , Das Phänomen der verkehrten Welt in der griechisch-römischen Antike, Klagenfurt 1970, 112 ff. P. Boyance, Une allusion de Piaute aux mysteres de Dionysos. In: Melanges A. Ernout, Paris 1940, 29 ff. Vgl. K. Gaiser, Z u m Miles gloriosus des Plautus: Eine neuerschlossene Menanderkomödie und ihre literaturgeschichtliche Stellung. In: Die römische Komödie: Plautus und Terenz, Darmstadt 1973, 2 4 2 Anm.

Z u Eur. Bacch. 915 ff. als Vorbild Boyance, REA 68, 5 1 f. Vgl. Jeanmaire, Dionysos 138 ff. (Wahnsinnssymptome des Pentheus in den Bakchen 2 7 1 Boyance, R A C 42, 63 f. des Euripides). 269 270

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durch den Wahnsinnigen, sein Hineinschlüpfen in die äußere Hülle und zugleich in die manische Verfassung einer der Bakchantinnen, deren Opfer er wenig später werden wird 2 7 2 , wird von Nonnos erneut benutzt, um die Untrennbarkeit des bakchischen Taumels und der von höllischen Mächten gebrachten Verirrung des Verstandes zu zeigen. Der von „süßem Wahn befallene" Thebanerfürst ( 4 6 , 1 1 7 ήδυμανής) gewinnt die Leichtigkeit einer tanzenden Mänade (46,123 f. ή τάχα φαίης αγρία κωμάζουσαν ίδεϊν λυσσώδεα Βάκχην), aber er erleidet auch die typischen Halluzinationen des bakchisch Infizierten ( 4 6 , 1 2 5 και διδύμους Φαέθοντας έδέρκετο και δύο Θήβας). Das beschwingte Ausschwärmen im Gefolge des Rebenherrn zum mystischen Weiheplatz vor den Toren der Stadt (46,139ff.), dem Ort der dionysischen τ ε λ ε τ α ί 2 7 3 , zugleich dem „Rehjagdgefilde der barfüssigen Bassariden" ( 4 6 , 1 4 7 Βασσαρίδων άπέδιλος... κεμαδοσόος αγρη), ist identisch mit dem willenlosen Hintreiben des von den Erinyen verfolgten Opfers zur Stätte seiner in eben diesem Jagdrevier wartenden Vernichtung (46,148 ff.). In die Darstellung des von μανία stimulierten Prozesses der Verwandlung des Pentheus, der mit seiner körperlichen „Auflösung" endet, hat das Epos nun die Entwicklung des zweiten, komplementären Vorgangs der personalen Permutation hineingewoben, um beide am Ende in der Sparagmos-Tragödie zusammenfließen zu lassen 2 7 4 . Nachdem die Pentheus-Mutter Agaue in ihrem prodigiösen Traum den Sturz ihres weiblich gekleideten Sohnes von der Fichte unter die zu wilden Tieren verwandelten Bakchantinnen erschaut und sich selbst als Löwin mit menschlicher Stimme über die Zerreißung des „Wildes" triumphieren gehört hat (46,58—79), nachdem des weiteren beim eilig vollzogenen Sühnopfer die Hände der zukünftigen Sohnesmörderin mit dem Blut des geschlachteten Stieres zeichenhaft gefärbt wurden ( 4 4 , 1 0 6 χείρας έρευϋιόωντι φόνω πόρφυρεν Α γ α ύ η ς ) , nachdem schließlich der über die Hybris des Pentheus erzürnte Dionysos im Anruf an die ihm verschwisterte Mene-Hekate-Artemis-Persephone die Entsendung der rächenden Erinyen mit ihrer Tartarosgeißel (44,208 f. Τισιφόνης μανιώδεος ήέ Μεγαίρης Ταρταρίη μάστιγι) verlangt hat ( 4 4 , 1 9 1 ff.) 2 7 5 , entwickelt das Gedicht auf dem Boden dieser Voraussetzungen und Vorankündigungen über verschiedene Stationen und Stufen die Umformung Agaues von der besorgten Mutter in eine reißende Bestie; dabei ist das Zusammenwirken infernalischer und dionysischer Potenzen wiederum in kunstvoller Weise dargetan: eine der Eumeniden, die Nat2 7 2 Z u m rituellen Hintergrund des Kleidertausches C. Gallini, S M S R 3 4 , 1963, 21 I f f . Vgl. Burkert, Die griechische Religion 256 f. 2 7 3 Vgl. Boyance, REA 68, 3 4 f . 2 7 4 Bildliche Darstellungen gesammelt bei Philippart, RBPhH 9, 50 ff. A. Greifenhagen, B M N . F . 16, 1966, 2, 2 ff. 2 7 5 Boyance, R A C 42, 62 f. 65 ff., der in der geflügelten Gestalt des Mysterienmosaiks der Villa Item Mene-Hekate erkennt.

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ternpeitsche schwingend (44,261 Ταρταρίην έλέλιζεν έχιδνήεσσαν Ιμάσθλην), naht sich dem Hause des Pentheus und benetzt die zum Mord bestimmte Hand der Agaue mit dem Wasser der Unterweltströme, während sie das Werkzeug der Zerstückelung am Ort der grausigen Tat unter den Wurzeln der Pentheusfichte verbirgt und deren Stamm mit den Purpurtropfen des Gorgonenblutes bestreicht (44,258-276); indessen bringt Dionysos gegenüber den stygischen Flüssigkeiten (Wasser und Blut) sein hitzig-feuriges Naturell zum Vorschein (44,278 νυκτιφαής; 282 θυιάδι φωνή), während er, die Geißel des Pan in den Händen (44,280 αίΟύσσων Κρονίην μανιώδεα Πάνος Ιμάσθλην), Agaues Schwester Autonoe mit der aberwitzigen Hoffnung erfüllt, ihren von Artemis getöteten Sohn Aktaion wider alle Vernunft doch lebend als Jäger und Begleiter der Göttin bei der Hirschjagd im Gebirge anzutreffen (44,278-45,3). In beiden Fällen greift — wie schon bei anderen Gelegenheiten — der Dichter auf Zerreißungs- und Zerstückelungsschicksale in Verbindung mit individuellen Metamorphosen an der Peripherie des bakchischen Kreises zurück, um das aufgestaute Potential der bevorstehenden διάσπασις untergründig anzureichern. Das von der Erinye verscharrte, zur Tötung des Pentheus bestimmte Messer ist das gleiche, mit dem die Schwestern Prokne und Philomela einst den Itylos umbrachten (44,265 ff.), ein unheilvolles Instrument des Kindermordes also, das nun Agaue zum gleichen Zweck gebrauchen wird (auf die Tereus-Sage wird beim Einzug des Dionysos in Attika 47,3Off. Bezug genommen); Aktaion war schon im 5. Buch der Dionysiaka (5,316ff.), in die Truggestalt eines flüchtigen Hirsches verbannt (5,321 και στικτοΐς μελέεσσι νόϋη ποικίλλετο μορφή), als Opfer bestialischer Wildheit von einer tobenden Hundemeute zerrissen vorgeführt worden, wobei der Faktor der Verblendung, der Sinnestäuschung unter dem Einfluß gottverhängter μανία eine entscheidende Bedeutung besaß (5,326-331). Im Zeichen dieser von Dämonen angelegten, mit dem Kolorit früherer Zerfleischungs- und Verwandlungsakte getönten Unheilskonstellation stürmen zu Beginn des 45. Buches Autonoe und Agaue zu den Höhen des Kithairon hinauf; dabei führt Nonnos die zuvor von der Erinye berührte Pentheus-Mutter nunmehr ganz unbedenklich als bakchantische Novizin, von der „Kronos-Geißel" des Pan getroffen (45, 6 και Κρονίης μάστιγος Ιμασσομενη φρένα κέντρω) vor, die nach Zymbeln und Pauken verlangt, sich dem Reigen der Bassariden anzuschließen und mit ihnen gemeinsam den Euios und seine Mutter „im Schimmer der leuchtenden hochzeitlichen Blitze" (45,35 σέλας εύφαέων γ α μ ί ω ν . . . κεραυνών) zu preisen wünscht und die schließlich sowohl die Pfeilgöttin Artemis bei der Jagd im Waldgebirge zu begleiten als auch im Namen des Dionysos den gepanzerten Widersacher ihres neuen Herrn, das heißt ihren eigenen Sohn, mit Rebenspeer und Thyrsoslanze zu bezwingen sich anheischig macht (45,7—30). Diese zweite Phase der Umformung Agaues ist gekennzeichnet 128

durch das Aufgehen ihrer individuellen Bekehrung zur Bakchosverehrerin in einem ganzTheben erfassenden Enthusiasmus mit den typischen Merkmalen ausnahmsloser Durchdrungenheit vom dionysischen Geiste. Das Epos zeichnet diesen allesergreifenden Enthusiasmus in drei Stufen: Agaue wird zur hüpfenden Mimallone ( 4 5 , 3 1 - 3 5 ) ; im wundersamen Konzert der Natur mit jauchzenden Felsen und schwärmenden Bäumen brechen die Jungfrauen Thebens aus ihren Kammern aus und werden, der Agaue gleich, zu „aonischen Bakchen" ( 4 5 , 3 6 - 5 1 ) ; trotz ihres vorgerückten Alters fühlen sich Kadmos, der Vater der Agaue, und Teiresias, der Seher des Pentheus, gedrungen, dem heimischen Gott zu Ehren efeubekränzt einen „phrygischen Reigen" (Φρύγα κώμον) zu tanzen ( 4 5 , 5 6 - 6 3 ) . Der durch die drei ausschnittartigen Szenen beleuchteten allgemeinen Rage des Taumeltanzes entwächst Agaues Auftritt im Chor der Mänaden auf dem Kithairon (45,158 ff.). Ihr Appell an Autonoe und die anderen thebanischen Frauen trägt bezeichnenderweise das Gepräge eines Aufrufs zum agonalen Vergleich des eigenen orchestischen Eifers mit dem der lydischen und phrygischen Bakchen, nicht zuletzt aber auch mit Ino und Melikertes, den thebanischen Verwandten und alterprobten Helfern des Dionysos (46,162-175). Der Gedanke des tänzerischen Wettstreits zu Ehren des Bakchos erinnert durchaus an den Agon zwischen Maron und Silen; aber gleich darauf wird dem Leser klar, daß kein harmonisches Eingehen eines weinbeflügelten Dämons in die Elementarsphäre daraus erwächst, sondern die Verwandlung verzückter Gottesdienerinnen in reißende Tiere. Die Termini des Sich-Messens ( 4 6 , 1 7 4 έρίζομεν) und Siegens ( 4 6 , 1 7 5 νίκησε) meinen nicht die musische Anstrengung im Gedenken an einen vom Tode ereilten „weinbeseligten König" wie Staphylos (19,59ff.), für den der „Trauerfeind" Bakchos einen fröhlichen Wettkampf ansetzt ( 1 9 , 5 9 f . Σταφύλοιο μεθυσφαλέος παρά τύμβω νηπενθής Διόνυσος άπενθέα θήκεν αγώνα), sie gehen auf den unmittelbar zukünftigen σπαραγμός des weinverschmähenden Königs Pentheus, dessen schreckliches Ende die Nachtseite des Dionysischen aufdeckt 2 7 6 . Die agonale Idee tritt unter den verfremdenden Schatten des Wahnsinns; die im Tanz sich anstauende manische Aktivität — nicht zuletzt auch mit dem Namen der rasenden Bakchosamme Ino beschworen — schafft die inneren Voraussetzungen für das jähe Umspringen der thiasotischen Ausgelassenheit in physische Gewalt mit der Entwurzelung der Fichte und der Ergreifung des darin versteckten Pentheus durch die thebanischen Frauen ( 4 6 , 1 7 6 ff.). Die Endphase der Verwandlung Agaues setzt ein mit dem paradoxen zeitlichen Zusammentreffen ihrer eigenen Verblendung, die ihr den Sohn als wildes Tier (46,179 θήρα) erscheinen läßt, und dem Erwachen des Pen276

189ff.

J. Kott, The Eating of the Gods. An Interpretation of Greek Tragedy, London 1974,

129

theus aus der Benebelung seiner Sinne (46,189), da er erkennen muß, daß die Mutter zu einer menschengestaltigen Bestie geworden ist (46,192 ff.). Denn die nun folgende Zerreißung ist in der Tat bestialisch und zugleich unverkennbar dionysisch (46,210ff.) 2 7 7 , in den anschließenden Worten der Agaue aber bricht aus dem Dunkel anhaltender Sinnestäuschung und Verstandestrübung in manischer Verzerrtheit das Motiv des jagdlichen Wettstreits und des agonalen Triumphes durch: 46,229-238 σΰ δέ, Κάδμε, τεών έπιβήτορα θώκων Πενθέα δεΰρο κάλεσαον, όπως φϋονερησιν όπωπαϊς θηροφόνους Ιδρώτας όπιπεύσειε τεκούσης. δμώες έμοί, σπέρχεσ&ε, παρά προπύλαια δέ Κάδμου πήξατε τοϋτο κάρηνον έμης αναθήματα νίκης, τηλίκον οΰ ποτε θήρα κατέκτανε σύγγονος ΊνώΑύτονόη, σκοπίαζε και αυχένα κάμψον 'Αγαύη· ού γαρ έμοί λάχες ευχος όμοίιον, ύμετέρου δέ μητρός Άρισταίοιο φατιζομένην ετι νίκην σης έκυρής ησχυνα λεοντοφόνοιο Κυρήνης. Agaue, die ihrer Meinung nach im sportlichen Ringen um den Rang der besten Jägerin vor ihren Verwandten Ino, Autonoe und Kyrene den ersten Preis davontrug (46,222 άριστεύουσαν Άγαύην), ist in Wahrheit dem Bann des gottgesandten Wahns so weit unterworfen, daß das von Nonnos besonders bevorzugte Phänomen der halluzinatorischen Verdoppelung an ihr in schauriger Abwandlung zutage tritt: Pentheus soll voller Neid das Beweisstück des jagdlichen Erfolges seiner Mutter, nämlich das Haupt des zerrissenen Pentheus bestaunen (46,229—231). Die Koinzidenz von rauschhaftem Ritualmord und blutigem Jagdeifer im Medium der μανία klingt noch in den Vorwürfen des Kadmos an seine Tochter nach mit dem dreimaligen οίον ΰηρα δάμασσας (46,242-244) und dem zweimaligen δέρκεο σεΐο λέοντα (46,245. 246). Und wenn Agaue nach ihrer Ernüchterung an die schrecklichen Schicksale ihrer Neffen Learchos und Aktaion erinnert (46,289 ff.), so sind damit eben diese beiden Anteile angesprochen. Daher ist es keine überflüssige Appendix, sondern rundet den von Nonnos entworfenen Bilder- und Ideenreigen unter den Stichwörtern Manie — Verwandlung — Jagd (in einem von Manie verursachten agonalen Eifer) ergänzend ab, wenn Autonoe, während ihre Schwester sich in die Besinnungslosigkeit der bakchischen λύσσα mit ihrem ekstatischen Hochgefühl zurückwünscht (46,284-286), zu einem Leidensmonolog ansetzt, in dessen Mittelpunkt die traurige Reminiszenz an den hirschleibigen Leichnam des Aktaion steht, verbunden mit dem Wunsch, gleich jenem 2 7 7 Vgl. E.R. Dodds, HThR33, 1940, 164 ff. Jeanmaire, Dionysos 150. 341. Turcan, Les sarcophages romains 452.

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zum Hirsch verwandelt an Ort und Stelle von der Meute der Artemis zerrissen zu werden (46,326ff.)· Den Pentheus hielt das kranke Hirn seiner Mutter für einen Löwen (46,288), der den Mänaden zur Beute bestimmt sei, obwohl er in Wahrheit sein menschliches Aussehen behielt; damit hat Agaue auch im Agon des Leidens den Sieg davongetragen, und Autonoe empfindet Eifersucht deswegen (46,322 ζήλον ε χ ω . , . τ ε η ς κακότητος, Α γ α ύ η ) , weil sie selbst anstatt ihre Sohnes Aktaion einen Hirsch beweinen und begraben mußte ( 4 6 , 3 2 6 - 3 2 8 ) , weil also noch nach der Stillung der vernichtenden Wut durch den T o d des Opfers das Perverse der Theriomorphie und damit das Falsche, Trügerische, durch seine Scheinhaftigkeit Verwirrende als Resultat der manischen Affektion dauernd bestehen blieb: 46,332-334 μούνη δ' έδρακον υϊα νόθον νέκυν, άλλοφυή δέ και στικτήν και αναυδον έκώκυον εΙκόνα μορφής, και μήτηρ έλάφοιο και ούκέτι παιδός άκούω.

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8. Freude und Schmerz im Schicksal der Weindämonen und Winzerheroen Ikarios — Staphylos und Botrys, Methe und Pithos — Ampelos Übermenschliche Verzückung und unmenschliche Pein führen — wie im vorigen Kapitel zu sehen war — im Rahmen des von Nonnos entworfenen Tableaus zu Extremlagen, in denen „Verwandlung" — welcher Art auch immer - mit Notwendigkeit erwünscht oder widerwillig erlitten wird als Folge des Aufeinandertreffens unvereinbarer Strebungen. Die diesem Antagonismus zugrundeliegende bewußte Auflehnung oder unbewußte Hemmung gegenüber dem Ansturm des Dionysischen ist dem Dichter gegenwärtig und wird von ihm verwendet als handlungsbewegender oder besser „seelenbewegender", psychagogischer Faktor. Der permanente Wechsel der π ά θ η Freude und Leid, der emotionalen Äußerungen von Jubel und Trauer soll den Leser beunruhigen und in Atem halten, eine unbeteiligte, distanzierte Aufnahme des Gebotenen — ebenso wie die übrigen auf dem Prinzip der Antithese beruhenden „Sensationen" — unmöglich machen. Nach der Ermordung des Pentheus trauert das Kithairon-Gebirge samt seinen Bäumen und Quellnymphen ( 4 6 , 2 6 5 ff.). Die boiotische Landschaft stimmt in den allgemeinen Chor der Klage um den bakchantisch Zerrissenen ein. Der allumfassende Umschwung von überschäumendem Jubel ( 4 6 , 1 5 8 f f . ) zu tiefstem Jammer entspricht dem Grundrhythmus des dionysischen Erlebens. Der Gott selbst trägt nach den Worten des Nonnos auch hier beide Seiten dieses Erlebens in seinem Angesicht zur Schau ( 4 6 , 2 6 9 f. άπενθήτου δε προσώπου μίξας δάκρυ γέλωτι). Doch noch an einer anderen Stelle deutet die Dichtung auf einen Widerhall der dem DionysosNaturell eigentümlichen Schmerzensneigung und Leidensbereitschaft in der Pentheus-Passion hin 2 7 8 . Agaues Brust rötet sich blutig ( 4 6 , 2 7 9 σ τ ή θ ε α φοινίξασα και άσκεπέων πτύχα μαζών) im Gram der Selbstpeinigung angesichts des blutbesudelten Hauptes ( 4 6 , 2 8 1 έρευθομενοιο καρήνου) ihres toten Sohnes; nicht genug damit, auch ihre Hände und ihr Gewand sind gefärbt von dem Blut, das diesem entströmt (46,310—312). Mit der Erkenntnis, daß sie in ihrem manisch-mänadischen Status sich selbst durchtränkt hat mit dem Lebenssaft des geschlachteten Opfers, verbindet 278

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Pentheus als Dublette des zerrissenen Dionysos: M . C . Astour, R H R 164, 1963, 2 f.

sich nun die bemerkenswerte Aussage, das Blut des Pentheus sei als Weihegabe anstelle des Weines dem Becher des Bromios bestimmt: 46,313-314 ναί, λίτομαι, Βρομίου δότε μοι δέπας" αντί γάρ οίνου λίνθρον έμοϋ Πενϋηος έπισπένδω Διονύσω. Die auch sonst beobachtete Affinität von Blut und Wein, ihre optische Ähnlichkeit und funktionale Vergleichbarkeit 279 , berührt sich mit dem eben erwähnten Umschlagen von Freude in Schmerz, dem harten Nebeneinander von Wonnetrunkenheit und sinnlosem Mordrausch. Nicht von ungefähr wird denn auch das threnetische Pathos der thebanischen Frauen vom Gott selbst durch das Leniment des Weines gestillt (46,356ff.); Trost und Vergessenmachen des Kummers sind im zwiegesichtigen dionysischen Ereignisfeld ebenso seine wesentliche Aufgabe wie Erheiterung und Enthemmung. Das nonnianische Epos erhellt diese Wechselbeziehung an den ätiologischen Geschichten um die dem Dionysos zugehörigen, zwischen Personifikation und Legendengestalt angesiedelten dämonischen oder heroischen Exponenten der Weinkultur. Der attische Ikarios empfängt im 47. Gesang den heranziehenden Lyaios vor dem Hintergrund eines festlich geschmückten, in freudige Erregung versetzten Landes (47, I f f . 34ff.) 2 8 0 , indem er gleich den thebanischen Greisen Kadmos und Teiresias trotz vorgerückten Alters spontan, unter dem Eindruck der Gottesnähe, die Füße im Tanz bewegt (47,37f.). Die Bewirtung des hohen Gastes wird mit der Gegengabe des „kummerlösenden Rauschtranks" (47,42 λυσιπόνοιο μέθης) gelohnt, und die Seligpreisung des solchermaßen beglückten Landmannes in der Ansprache des Traubenspenders stellt ihn neben Triptolemos, den attischen Heros des Getreidebaus, sein Geschenk neben oder gar über die heilige Ähre der eleusinischen Demeter (47,45ff.) 2 8 1 ; damit ist der Mysteriencharakter des vom Gott initiierten Werkes der Winzerei 282 und die daraus sich ergebende universale Heilswirkung des Rebensaftes vom Dichter nachdrücklich herausgestellt (47,53-55 θυμοβόρους γάρ ού στάχυες λΰουσι μεληδόνας, οί,νοτόκοι δέ βότρυες άνδρομεης παιήονές είσιν άνίης). Aber in die Überfülle des Ausschanks und die Unersättlichkeit des Genusses mischt sich bereits der erste zaghafte Hinweis auf das düstere Antlitz des Dionysischen, wenn dem wankenden und taumelnd tanzenden 279 Vgl. K. Kircher, Die sakrale Bedeutung des Weines im Altertum ( R W 9, 2), Gießen 1910, 82 ff. 87 ff. 280 Über die Vorlage, das ätiologische Gedicht Erigone des Eratosthenes, und ihren Inhalt unter Verwertung der Nonnos-Partien Merkelbach, Die Erigone des Eratosthenes 4 6 9 ff. 4 8 9 f f . Vgl. F. Solmsen, TAPhA 78, 1947, 2 5 2 f f . 281 Verbindung Demeter-Dionysos als Kulturstifter: A . D . Ure, JHS 89, 1969, 120f. 282 Zum kultischen Hintergrund Massenzio, SMSR 40, 2 9 ff. (strukturalistisch).

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Ikarios das „Lied auf Zagreus" (47,65 Ζαγρέος εϋιον ΰμνον) von den Lippen kommt, jenes ersten Dionysos also, der unter den Messern der Titanen sein Ende fand. Desgleichen betont die anschließende Partie über die Verbreitung des Kulturgewächses unter den übrigen Bauern Attikas zwar die positiven Züge seiner Süße, seines Duftes, seiner Reichhaltigkeit und seines belebenden Feuers (47,70-76); doch klingt in der Resonanz auf diese unerwartete Segnung auch das Empfinden für die Fremdartigkeit und Unbestimmbarkeit der „honigsüßen Gabe" (47, 80 μελιηδέα δώρα), gerade auch hinsichtlich ihrer möglichen Wirkungen an. Nonnos ergreift dabei die Gelegenheit, noch einmal - in einer weiteren Variation - das Verhältnis des Weines zum Wasser und zu den übrigen Flüssigkeiten, die dem Menschen Labung und Genuß verschaffen, spielerisch durchzugehen (47,7885) und dabei Identifikation (47, 85 γλυκερώτερον ΰδωρ) und Differenzierung (47, 82 ού ρόος Ίλίσσοιο χυτω φοινίσσεται όλκω) miteinander zu verflechten. Der Honigtrank, die Milch, die rötliche Flut des Stromes waren im Agon mit Aristaios, im paradiesischen Ambiente des Thiasos und bei der Verzauberung orientalischer Gewässer zum Wein, dem „andersartigen Wasser" (47, 84f. άλλοφυές...ΰδωρ), in eine Relation getreten; hier wird nun seine Einzigartigkeit, die aber auch etwas Fremdes, Unbegreifliches, daher Verwirrendes enthält (47,93 λυσίπονον και ξεϊνον άγεις ποτόν), unverhohlen ausgesprochen. Der Wein ist Sorgenloser (47,93 f.), doch die Zerstreuung der Sorgen wird in einem Zustand erreicht, den Nonnos mit dem Wort ήδυμανής (47,105) qualifiziert, — ein Attribut, das auch der todgeweihte Pentheus bei seiner Verwandlung zur Mänade erhielt (46,117). Der „holde Wahnsinn" der trunkenen Landleute ist bereits Vorbote eines verderblichen Stadiums der Berauschtheit, in dem das Anschwellen der Stirnadern, die Rötung der Wangen, das Rollen der Augen eine krankhafte Veränderung der physischen Normalität verraten. Optische Täuschungen und der Verlust der Kontrolle über die Glieder des Leibes (47,108 ff.) fanden sich als Folgen der Trunkenheit auch bei den Indern des Deriades (15,26ff. 87ff.); das jähe Aufflackern von Mordgier (47,116 φονίω...ο'ιστρω) und mänadischer Tobsucht (47,117 Φυιάδι λύσση) resultiert hier zwar nicht aus dem Schlag der panischen oder eumenidischen Geißel, sondern aus der Einbildung, dem Gebräu eines listigen Giftmischers erlegen zu sein (47,118 οϊά τε φαρμακόεντα κερασσαμενου δόλον οίνου), wie sie im 22. Buch den Indern von Hera suggeriert worden war (22,74ff.), aber die von diesen Affekten gesteuerte Marterung und Mißhandlung des Ikarios mit Sicheln, Hacken, Peitschen, Knüppeln und Stacheln (47,119-124) gemahnt nichtsdestoweniger an die Torturen des Lykurg oder den διαμελισμός des Pentheus 283 , während das Verenden des Niedergemetzelten im 283

134

Vgl. Turcan, Les sarcophages romains 532 f.

Mischgefäß die symbolhaltige Synthese von Blut und Wein 2 8 4 in den mystischen Begehungen des Traubengottes erneut ins Gedächtnis ruft: 47,126-130 έπισκαίρων δέ τραπέζη τ ύ ψ ε μέθης κρητήρα, και α'ίθοπος εις χύσιν οίνου ήμιθανής κεκύλιστο - βαρυνομένου δέ καρήνου αγρονόμων πληγησιν άμοιβαίησι τυπέντος αίμαλέη φοίνιξεν όμόχροον οίνον έέρση 2 8 5 . Den symbolischen Wert der Vereinigung zweier farbgleicher Substanzen hat Nonnos den sterbenden Winzerheros aussprechen lassen 2 8 6 ; das Paradoxon der unlösbaren Korrelation von Trauer und Frohsinn in der Person und der soteriologischen Botschaft des Lyaios erhält eine weitere kunstvolle Formulierung: der sorgenlösende Wein war anderen süß, dem Ikarios bitter, brachte anderen Freude, dem Ikarios bitteren Tod (47,133 ff. εύφροσύνην γάρ άνδράσι πασιν οπασσε και Ίκαρίω πόρε πότμον); der leidlose Bakchos brachte Erigone, der Tochter des Ikarios Leid ( 4 7 , 1 3 5 f. ήμετέρην γάρ νη πένθη ς Διόνυσος έθήκατο πενθάδα κούρην). Nach dem Erwachen der unfreiwilligen Mörder aus totenähnlichem Schlaf mit allen Merkmalen der Ernüchterung und des Schreckens ( 4 7 , 1 4 0 ff.) und vor dem Beginn der Suche Erigones nach dem erschlagenen und heimlich verscharrten Vater (47,188ff.) findet sich aus dem Bestreben des Dichters nach Verstärkung der Effekte durch Vervielfältigung eine Traummanifestation des toten Ikarios vor seiner Tochter eingelegt ( 4 7 , 1 4 8 f f . ) 2 8 7 ; darin wird mit dem blutgeröteten Kleid, den zerfleischten Gliedern, dem wundenbedeckten Haupt und dem bluttriefenden Mund die Thematik des leiblichen Martyriums im Namen und an der Stelle des Dionysos — nach der Methode der reflektorischen Verdoppelung — noch einmal ansichtig gemacht und dabei die kausale Verflechtung der beiden artverwandten Stoffe Blut ( 4 7 , 1 7 2 αϊματι πορφύροντας έμοϋς...χιτώνας) und Wein ( 4 7 , 1 7 3 f. οίνωθέντες... αγρονόμοι βλύζοντες άήθεος ίκμάδα Βάκχου) in der Klage des Schattens vor Augen gerückt. Der echoartigen Funktion des Traumes entspricht das Echomotiv in der Traum2 8 4 Vgl. Kircher, Die sakrale Bedeutung des Weines 82 f. H.Herter, R h M 100, 1957, 109 f. E. Simon, Zagreus. Uber orphische Motive in Campana-Reliefs. In: Hommages A. Grenier 3 (Collection Latomus 58), Bruxelles 1962, 1418 ff. Burkert, H o m o Necans 2 4 7 f . 2 4 9 u. A n m . 4 4 . Henrichs, Die Phoinikika des Lollianos, Papyrologische Texte und Abhandlungen 14, 1972, 74 ff. 2 8 5 Der Tod des Ikarios als Aition der Lenaeen und als Reflex der Passion des Gottes selbst (Diod. 3, 62, 7. Cornut. 30. Schol. Clem. Al. protr. 4 , 4 ) : Merkelbach, Die Erigone des Eratosthenes 498 ff. 5 0 2 f. 2 8 6 Z u m Spiel der Antithesen D'Ippolito, Studi Nonniani 154. 287 Merkelbach, Die Erigone des Eratosthenes 4 8 2 f. erkennt hier Parallelen zum T r a u m der Charite im Roman des Apuleius und konstituiert als mystisch-rituelles Muster die ägyptische Osiris-Isis-Seth-Legende (?).

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erzählung des Ikarios: Wie beim Wahnsinnsgebrüll des von der Erinye heimgesuchten Dionysos geht der Schrei des gepeinigten Dionysosdieners in die Natur ein, wird von der Nymphe des Widerhalls gehört, zurückgegeben und vielstimmig bewahrt ( 4 7 , 1 7 7 f . μούνη δ'ύστερόφωνος έμον κτύπον εκλυεν Ή χ ώ θρήνοις άντιτύποισι τεον στενάχουσα τοκήα), während Erigone als letztes Vermächtnis des Vaters den Auftrag erhält, im Sinne jener am Ikarios-Schicksal exemplifizierten Verflechtung von Freude und Leid hinfort das Einbringen des süßen Weines mit den bitteren Tränen um den im Weingefäß verbluteten Winzerheros zu verbinden ( 4 7 , 1 8 4 f. άλλά μελιρραθάμιγγος έμής άκόρητος όπώρης κλαίε τεον γενέτην με δεδουπότα)288. * *

*

Anders sind die Akzente gesetzt bei dem romanhaften Bericht des 18. Buches vom Besuch des gegen die Inder ziehenden Gottes in Assyrien und seiner Zusammenkunft mit dessen Regenten Staphylos. Nonnos hat diesen schon früher im Dionysos-Kreis nachweisbaren „Mann der Weintraub e " 2 8 9 ohne weiteres in den Orient transponiert und mit einem Ensemble von Familienmitgliedern umgeben, die sich durch ihre sprechenden Namen als Personifikationen wichtiger Begriffe aus dem Gebiet der Weinbereitung und des Weinkonsums zu erkennen geben 2 9 0 . Offenheit für die Bewillkommnung und Beherbergung des aus der Fremde Ankommenden ist demgemäß von vornherein selbstverständlich 2 9 1 ; seine Begrüßung durch Staphylos, von ehrfürchtigen Gesten und umständlicher Rede gekennzeichnet, verrät orientalisches Pathos und leitet einen pompösen Festzug des Bakchos zum Hof des Königs mit allen Begleiterscheinungen des lusterfüllten, bewegungsgeladenen Thiasos ein ( 1 8 , 7 f f . 17ff. 42ff.). Pracht und Herrlichkeit des Morgenlandes sind in der Schilderung des von Gold, Edelsteinen, kostbaren Hölzern und Metallen glänzenden Palastes (18,69— 86) an die Stelle der bäuerlich einfachen Szenerie des Ikarios-Aufenthalts getreten. Der gewaltigen Zurüstung des Schmauses mit dem Schlachten und Zubereiten ganzer Rinder- und Schafherden durch eine zahlreiche Dienerschar hält die vollkommene Durchdringung aller Gemächer des königlichen Hauses, ja aller Straßen der Stadt mit den Düften der vom Wein geschwängerten dionysischen Feier die Waage (18,99—107). Dem betäubenden Gemisch von Gerüchen und Geräuschen eines unter den Klängen orgiastischer Flöten, Schalmeien und Pauken in Weindunst 2 8 8 Die Änderung des von Graefe in den T e x t genommenen, von Keydell beibehaltenen άκόρητος in άκόρητον (Peek, Beiträge 4 8 f.) würde diese Pointe nachhaltig zerstören.

H . von Geisau, Staphylos. In: Der Kleine Pauly 5, Stuttgart 1 9 7 5 , 3 4 2 . Über die Zugehörigkeit der Weindämonen (Ampelos, Staphylos, Oinopion, Oineus) zu Dionysos Jeanmaire, Dionysos 2 4 ff. 2 9 1 Vgl. Massenzio, SMSR 4 0 , 5 2 ff. 289 290

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und Weihrauchdämpfen sich abspielenden riesigen Gelages entringt sich eine Reihe von tänzerischen Vorführungen bakchisch beschwingter Trunkenheit: zuerst hüpft Maron, mit Weinschlauch und Becher bewehrt, torkelnd im Reigen der Bakchen und gibt dem von dem ungewohnten Getränk aufgestachelten Gesinde Anstoß und Beispiel zu losgelassener Bewegung der Glieder (18,197—123); danach zeichnet Nonnos das kunstvoll verschlungene Ineinander der vom Rausch angeregten orchestischen Betätigungen des Staphylos, seiner Gemahlin Methe, seines Sohnes Botrys und des greisen Dieners Pithos, wobei jeweils verschiedene Äußerungsweisen des Befallenseins vom Spiritus vini in den Vordergrund treten: Methe, die personifizierte Berauschung, mit schwerem Haupt, gelöstem Haar, unersättlich nach einem neuen Krug verlangend, droht jeden Augenblick umzusinken (18,124—132); Botrys, die „Traube", mit geröteten Wangen, gleich dem Vater mit Efeu bekränzt, übt in jugendlicher Leichtigkeit den Wechselschritt bei unausgesetzter wirbelnder Drehung ( 1 8 , 1 3 3 - 1 3 9 ) ; Staphylos selbst preist, während er sich mit Botrys im Kreise herumschwingt und die Locken bakchantisch schüttelt, singend die Gabe des Lyaios ( 1 8 , 1 4 0 - 1 4 5 ) ; Pithos, das „Weinfaß", seinem Zweck entsprechend „gefüllt bis zum Rande" (18,150), erbricht nach taumelnder Runde den köstlichen Inhalt aus der Tiefe seines Schlundes (18,149—153). Das Gewirr der miteinander verflochtenen Tänzer ( 1 8 , 1 4 5 ff.) in ihrer zwischen mythologischem Porträt und funktionaler Charakteristik verschwimmenden Beschreibung löst sich auf zu einem von weinbeschwertem Schlaf und vielfältigen Träumen beherrschten Nachtlager. Das Epos versäumt es nicht, nach dem Jubel des Bakchanals dem schlafenden Dionysos sowohl die Schrecken der Verfolgung durch Lykurgos als auch dessen Rebenfesselung und Blendung antizipierend vor Augen zu rücken (18,169—195). Diese auf Moll gestimmte Vorausschau, täuschende, duplizierende Abbilder furchtbarer Auseinandersetzungen und schwerer Peinigungen enthaltend (18,171 άπατήλιον εικόνα χάρμης; 176 μιμηλης...μάχης ίνδαλμα Λυκούργου), erhält ein Gegengewicht in der Abschiedsrede des Staphylos an den zur entscheidenden Inderschlacht aufbrechenden Gott mit ihren weitläufigen Anknüpfungen an erfolgreiche Kämpfe des Zeus, des Ares und Perseus gegen gigantische und tartarische Chaosabkömmlinge (18,216ff.) und mit ihrer Ermutigung zu siegreicher Vertilgung der „feindlichen Saat der Indergiganten" ( 1 8 , 2 6 7 χαμαιγενέων στάχυν Ινδών). Umgekehrt dämpft der Dichter die triumphale Verbreitung der Traube in Assyrien (18,322ff.) durch den offenbar aus diesem Prozeß schicksalhaft erwachsenden Tod des „Traubenheros" Staphylos ( 1 8 , 3 2 9 ff.). Der von seiner missionierenden Rundreise zurückkehrende Gott findet Methe, Botrys und Pithos einem ebenso hemmungslosen Schmerz hingegeben, wie sie zuvor einer ausgelassenen Fröhlichkeit gehuldigt hatten (18,334ff.). Aber die mit dem Kummer über das vorübergehende Fernsein des Bakchos ineinsgehende Trauer über das Hin137

scheiden des Hüters der Traube (19,8—11) ruft nach dem in den Dionysiaka waltenden Prinzip sogleich wieder das lindernde Gegengift in der Wiederkehr des Gottes und dem damit gegebenen Trost des Rebensaftes auf den Plan (19,13 εύνήσω βαρύ πένθος άπενθήτω σέθεν οϊνω). Die sorgenlösende und damit seelenverwandelnde Macht der Tropfen des dionysischen φάρμακον erweist sich an Methe, Botrys und Pithos im Sinne einer vollständigen Integration in den bakchischen Wirkungsbereich mit phänotypischer Angleichung der ersteren an die Bassariden und mit funktionaler Eingliederung der beiden letzteren in die Offizien der kultischen Weihe, des missionarischen Kampfes und der winzerischen Arbeit im Dienste des Gottes (19,30-41), den der Dichter die aufhöhende Verwandlung von Methe, Staphylos und Botrys zu dämonischen Kraft- und Bedeutungsträgern seines ländlichen Mysteriums feierlich verkünden läßt (19,44—58). Ergänzend dazu bringt das 20. Buch die Institution des Pithos (20,127ff.) als Garant und Sinnbild des Gefäßes, das den frischgekelterten Wein in seiner Höhlung aufnimmt. Dabei entspricht es der auf Reziprozität gerichteten artifiziellen Tendenz nonnianischer Darstellung, daß nach der Hindeutung von der Person des Pithos auf das durch ihn verkörperte Gefäß nun umgekehrt auch der Rückverweis vom traubenbergenden Faß (πίθος), dem letzten Behältnis für die „gestorbenen" Weindämonen Botrys und Staphylos bzw. für ihr zu Wein gewordenes Blut 292 , auf die personale Trias von Vater, Sohn und Erzieher in dem von Nonnos aufgebauten mythologischen Szenarium erfolgt: 20,137-141 εί,μί Πίθος, προτέροιο φερώνυμος, αγχι δε ληνού δέχνυμαι ημερίδων γλυκερον ρ ό ο ν Άσσυρίου δέ λάτρις εγώ Σταφύλου και Βότρυος, άμφοτέρους δέ νηπιάχους εθρεψα γέρων τροφός· εισέτι δ'αμφω οία πάλιν ζώοντας, έμαις λαγσνεσσιν άείρω.

*

*

Für die epische Technik der Dionysiaka ist, wie wir bereits feststellen konnten, der musische oder sportliche Wettstreit — neben dem blutigen Gemetzel — ein Mittel, wesensbedingten inneren Spannungen (FreudeLeid) oder elementaren Gegensätzen (Feuer-Wasser) in ihrer konträren Notwendigkeit innerhalb einer dionysisch imprägnierten Welt eine geregelte, spektakulär nach außen geöffnete und auf „Lösung" gerichtete Realisation des antithetischen Prinzips zur Seite zu stellen und damit 2,2

Zur Weintraube und ihrem Saft als dem Fleisch und Blut des Dionysos Botrys Horn, Mysteriensymbolik 94ff. L. Eckhart, JAC 19, 1976, 188. Vgl. Simon, Zagreus. Über orphische Motive in Campana-Reliefs, in: Hommages A. Grenier 3 (Collection Latomus 58), Bruxelles 1962, 1425 ff.

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dessen durchgängige Gültigkeit im dynamischen Geschehen dieser Welt zu unterstreichen. Bei den Leichenspielen für Staphylos schlägt die von den beiden mythischen Kitharoden Erechtheus und Oiagros (19,59ff.) gewählte Thematik die Brücke von dem äußeren Gegeneinander des Agons zu der seinem Anlaß, dem Tod des fürstlichen Dionysosverehrers, zugrundeliegenden Wechselbeziehung von ηδονή und λύπη in der prototypisch gebildeten Mythologie der ländlichen Fruchtbarkeitsgottheiten. Der attische Erechtheus vergleicht den Gram der Methe und des Botrys über das Ableben des zuvor so reich beschenkten und hochgeehrten Staphylos und ihre Tröstung durch den göttlichen Spender des betäubenden Trankes mit der Betrübnis der Metaneira und des Triptolemos um den verstorbenen attischen König Keleos, den mit dem Segen des Kornes bedachten Gastgeber und Günstling der Demeter, und der Linderung ihres Wehs durch die teilnahmsvolle Herrin des Getreides ( 1 9 , 8 0 - 9 6 ) ; damit ist ein Komplement geschaffen zu der im 47. Buch von Dionysos selbst gezogenen Parallele zwischen dem Hieros Logos der agrarischen Mysterien von Eleusis und der in Ikarios und Staphylos repräsentierten Ätiologie des lust- und schmerzerfüllten mystischen Bakchosdienstes. Sein Konkurrent, der Orpheussohn Oiagros, holt demgegenüber ( 1 9 , 1 0 0 - 1 0 5 ) das in einer konservierenden Verwandlung zur gleichnamigen Blume ausmündende Todeslos des Apollonlieblings Hyakinthos heran, um das Geschick des gestorbenen und in der gekelterten Traube verewigten Staphylos jener Kategorie von todgeweihten, aber gottbegünstigten, daher andersartig wiederbelebten Wesen zuzuweisen, in deren Bios Beglückung und leidvolle Versehrung wechselseitig verbunden sind; damit ergibt sich eine innere Begründung für die paradoxe Aussage des Dichters, daß am Grabe des Staphylos „der Trauerfeind Bakchos einen fröhlichen Wettkampf befiehlt" ( 1 9 , 5 9 f. Σταφύλοιο μεθυσφαλεος παρά τύμβω νηπενΰής Διόνυσος άπενθέα θηκεν αγώνα). Wenn auf diese beziehungsreiche musische Konkurrenz als zweiter Akt der Leichenspiele der oben im einzelnen gewürdigte mimisch-orchestische Agon zwischen Maron und Silenos folgt ( 1 9 , 1 1 8 ff.), weil auch der tote Staphylos ein bakchisch begeisterter Tänzer war ( 1 9 , 1 4 9 f. Σταφύλω δέ, καταφθιμένω βασιλήι, άνδρί φιλοσκάρθμω, φιλοπαίγμονα κώμον εγείρω), so gibt die wiederholte Versicherung des ersteren, er sei „der lusterfüllte Diener des leidlosen Dionysos" ( 1 9 , 1 7 4 Ιμερόεις.,.λάτρις άπενθητου Διονύσου), und die betonte Distanzierung von dem durch die threnetischen Lieder auf Atymnios, die Tränen der Heliaden um Phaethon und die „zarten Blätter der tränenliebenden Hyazinthen" (άβρά πέτηλα φιλοκλαύτων υακίνθων) gekennzeichneten apollinischen Pathos ( 1 9 , 1 8 2 188) eben gerade dem Gedanken an ein Aufgehobensein der gegensätzlichen Empfindungen Trauer-Freude im dionysischen Bereich neue Nahrung; die gesuchten Wendungen vom tränenlosen Tanz am Grabhügel (19,170f.), vom Trunk aus der Lethe und vom Trunk aus dem Weinkrug 139

(19,175f.), vom Reigen für den Lebenden wie für den Toten (19,178), vom κώμος επιτύμβιος (19,181) halten diese Junktur fest. Und während Silen mit dem certamen poculorum zwischen Aristaios und Dionysos als Inhalt seiner Tanzpantomime ( 1 9 , 2 2 5 ff.) die Möglichkeit einer leidlosen Auflösung des Widerstreits konkurrierender Kräfte im Jauchzen der weinbeseligten Götter zum Ausdruck bringt ( 1 9 , 2 5 9 f. αθάνατοι δ'όλόλυξαν, έπετρέψαντο δε Βάκχω οίνάδος ήδυπότοιο φέρειν πρεσβήια νίκης), beruft seine abschließende Metamorphose zum weingesättigten Strom die Erinnerung an das physische Leiden und die tränenvolle „Auflösung" des beim dionysisch-apollinischen Wettkampf unterlegenen Satyrn Marsyas (19,317-325). * *

*

Was die Leichenspiele für Staphylos als Nachhall eines unabwendbaren schmerzlichen Ereignisses zur Entfaltung bringen, nämlich die Spannung differenter Affekte im Spiegel agonaler Bemühungen, ist im AmpelosKomplex der Bücher 10—12 dem fatalen Ausgang bedeutungsvoll vorgelagert. Nonnos erhellt Erscheinung und Wesenheit des jugendlichen Ampelos („Weinstock") im Rahmen einer Dreizahl athletischer Übungen, die dieser gemeinsam mit seinem göttlichen Beschützer und Liebhaber absolviert. Indem der Ringkampf ( 1 0 , 3 3 0 ff.) mit seiner unübersehbaren erotischen Komponente das für die Rebe eigentümliche Umschlingungs- und Fesselungsmotiv anklingen läßt (10,365—371) 2 9 3 , indem der anschließende Wettlauf (10,385ff.) den Ampelos mit anderen satyrgestaltigen Symbolträgern der dionysischen Vegetation (Κισσός) 2 9 4 und Weinbereitung (Ληνεύς) zusammenbringt (10,400f.), indem schließlich das Wettschwimmen im goldführenden Paktolos (11,6f.) die körperliche Schönheit des Knaben, vor allem den rosigen Schimmer seiner Haut, zum rotgoldenen Ton des Wassers und zum rötlichen Licht der Sonne in Vergleich setzt (11,17—27), wird sowohl die Assimilation des Ampelos an den göttlichen Freund in Gestus, Tracht und Betätigung (11,56ff.) als auch sein späteres Aufgehen in den rotfarbenen Blättern des Weinstocks ( 1 2 , 1 3 8 ff.) unterschwellig vorbereitet. Da der Akt der Verwandlung neben den Momenten der natürlichen Lieblichkeit und des erotischen Wohlgefallens auch die der körperlichen Versehrung und der blutigen Entstellung zur Voraussetzung hat, folgt auf die Warnung des Gottes vor den „Hörnern des unbarmherzigen Stieres" 2 9 3 Vgl. Bogner, Gn 7, 191. Schulze, W Z Halle 18, 102 (mit Verweis auf den ähnlichen Einschlag des Erotischen im Ringkampf Dionysos-Pallene 48, 106ff.). 2 9 4 Z u Dionysos Kissos (Paus 1, 31) und zur ätiologischen Legende des Dionysos Perikionios O. Kern, J D A I 11, 1896, 113ff. Laager, Geburt und Kindheit des Gottes, Winterthur 1957, 134.

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( 1 1 , 8 0 άμειλίκτοιο κεράατα...ταύρου) das Unheilsprodigium des von der gehörnten Schlange auf dem Altar zerfleischten Rehjungen (11,83— 90). Das herabtropfende Blut des zarten, dem Ampelos vergleichbaren Opfertieres aber erscheint dem Dionysos wie die Tropfen gespendeten Weines: 11,91-93 αίματος όλκω λάινος αίμαλέαις έρυθαίνετο βωμός έέρσαις, οίνου λειβομένοιο φέρων τύπον. Die mystische Verwandtschaft von Blut und Wein 2 9 5 bestätigt sich an dem von der Unbändigkeit tauromorpher Bestialität verursachten Opfertod des Ampelos als einer Form der dionysischen Passion: das Blut des Weinstocks (άμπελος) ist der Saft der Rebe; das Verbluten des gleich dem mänadisch zerrissenen νεβρός zu Tode kommenden Verkörperers der Rebe weckt die für das Sentiment des Dionysos und seiner Winzerheroen obligate zwiespältige Stimmung von Weinen und Lachen: 11,96-98 πενθεί μΐξε γέλωτα, και αστατον είχε μενοινήν διχθαδίην, κραδίη δέ μερίζετο, γείτονα πότμου ήβητήν στενάχων, γελόων χάριν ήδέος οίνου. Die in Ate, der „todbringenden Göttin" ( 1 1 , 1 1 3 θανατηφόρος "Ατη), personifizierte Verblendung ist zwar dem Epos zufolge von Hera geschickt, um den Günstling des verhaßten Stiefsohnes zu Leichtsinn und Ubermut zu verleiten (11,115—154); der mörderische Stier andererseits wurde vom Stachel der über den Hochmut des Ampelos erzürnten MeneSelene zur Raserei getrieben (11,185—193). Aber daß Mene als Urheberin manischer Anwandlungen zu Dionysos gehört, wurde im vorigen Kapitel erkennbar, und so wird aus dem Aufgebot von Randfiguren, aus dem jonglierenden Umgehen des Dichters mit Assoziationen zwischen der gehörnten Mondgöttin, dem hörnertragenden Stier, dem mit Satyrgehörn geschmückten Ampelos und seinem gelegentlich stiergestaltigen, daher ebenfalls gehörnten Protektor ( 1 1 , 1 4 8 - 1 5 1 . 185-187, 209 f.) 2 9 6 versteckt 2 9 5 Wein als „Blut der Reben": Burkert, H o m o Necans 248 Anm. 38. Die griechische Religion 255. O. Böcher, Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der christlichen Taufe (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, Fünfte Folge, Heft 10), Stuttgart 1970, 216. - Ähnliche Vorstellungen über die Verwandtschaft von Blut und Wein im N T (Apok. 14, 19 f. 17, 16. 18, 24): O. Böcher, Christus Exorcista. Dämonismus und Taufe im Neuen Testament (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament. Fünfte Folge, Heft 16), Stuttgart 1972, 25 f. 2 9 6 Tauromorphie des Dionysos: J. Tondriau, Dionysos, dieu royal: Du Bacchos tauromorphe primitif aux souverains hellenistiques Neoi Dionysoi. In: Π Α Γ Κ Α Ρ Π Ε Ι Α Melanges Henri Gregoire 4 (AIPHOS 12), 1952, Bruxelles 1953, 4 4 4 f f . K. Giannoulidou, Athena 63, 1959, 316. - Verbindung und ikonographische Berührung des Dionysos mit dem Stier als

141

die in Sinnverwirrung und animalischem Ungestüm sich offenbarende wesenhafte Gefährlichkeit des bakchischen Temperaments als eigentliche Wurzel des Ampelos-Dramas spürbar. Nachdem zuvor der positiven Rolle des männlichen Rindes bei der Bewässerung der Rebenplantagen gedacht worden war (11,161—166), enthüllt sich die negative Eigenschaft seiner zerstörenden Wildheit als Inbild des dionysischen Furors 2 9 7 bei Nonnos in der paradoxen Weise, daß der zum Schlachtopfer des tauromorphen Gottes auserkorene Stier von dem Gehörn des rächenden Liebhabers ebenso zerrissen werden soll, wie er selbst den Ampelos umgebracht hat (11,264— 270). Was aber aus dem spiegelbildartigen Reflex der Tötung des Opfers durch den tauromorphen Dämon (Dionysos - Stier / Stier - Ampelos) schon erahnt werden kann, nämlich das personale Ineinanderfließen des liebend bewahrenden und des grausam zerstörenden Herrn der Weinrebe, setzt sich im folgenden klarer erfaßbar um in das von Nonnos ausgebreitete Farbenspiel: Bei der Schleifung und Zerfetzung durch den Stier bedeckt sich der weiße Leib des Ampelos „purpurn mit rötlichem Blut" (11,223 λευκόν έρευϋιόωντι δέμας φοινίσσετο λύθρω); auf der anderen Seite ist auch nach dem Tode „die Rosengestalt des schönen, zerschmettert am Boden liegenden Leichnams noch nicht verblaßt" (11,244ff. και νέκυος χαρίεντος υπέρ δαπέδοιο ταΦέντος ού χλόος άμφεχύΰη ροδόεν δέμας). Der aus dem rosigen Glanz der Haut wie aus dem Purpurrot der Wunden sich nährende kontrastierende Farbeffekt überträgt sich darauf in den Empfindungs- und Aktionsbereich des Gottes, dessen Klagemonolog zunächst — die erotisch inspirierte Beschreibung der Schönheit des Knaben aus Buch 10,178 ff. fortführend — die ästhetisch entzückende Verbindung von Weiß und Rosa auf dem Körper des toten Ampelos würdigt (11,283— 286). Dann aber tritt noch einmal der grelle Gegensatz von blutiger Röte und tödlichem Weiß zutage, wenn der trauernde und dabei doch „tränengemiedene" Dionysos (12,138 στενάχοντος άδακρύτου Διονύσου) triumphierend die Früchte des zum Weinstock gewordenen Jünglings abschneidet und sie in seinen Händen zerquetscht, so daß dem Ampelos in veränderter Gestalt ein zweites Mal leibliche Versehrung und sanftes Verbluten beschert wird:

12,201-202

και οίνοχύτου Διονύσου λευκά διαινομένων έρυθαίνετο δάκτυλα χειρών. Der nochmalige, nun andersartige, vegetative Vorgang des AmpelosSterbens, bei dem „die weißen Finger des weinvergießenden Bakchos an Inbegriff der Kraft, der maskulinen Sexualität und der Vegetation: Bruce Long, Numen 18, 199 ff. Vgl. P. Mitter, Much Maligned Monsters. History of European Reactions to Indian Art, Oxford 1977, 90. 2 9 7 Otto, Dionysos 150 ff.

142

den feuchten Händen sich röten", präsentiert sich mit der artistisch durchgeführten Farbsymbolik nicht zuletzt als Inbegriff der notwendigen Verquickung von Freude und Leid im bakchischen Mysterium: auf die allgemeine Trauer der Bäume und Flüsse (12,117ff.) um Ampelos und seinen untröstlichen Freund antwortet der Spruch der Moiren mit der Verheißung des Weiterlebens in neuer, unerhörter Existenz, mit dem Ruhm einer unvergleichlichen Wundergabe, in der sich das widersprüchliche Geheimnis schmerzenreichen Duldens und heiterer Menschheitsbeglückung verbirgt: 12,167-171 "Αμπελε, πένθος οπασσας άπενθήτω Διονύσω, δφρα μελιρραθάμιγγος άεξομενου σέθεν οίνου τερπωλήν όπάσειας ολω τετράζυγι κόσμω και σπονδήν μακάρεσσι και εΰφροσϋνην Διονύσω Βάκχος αναξ δάκρυσε, βροτών ϊνα δάκρυα λύση.

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9. Blume und Baum — Vogel und Fels Die episodische

Rolle hellenistischer im nonnianischen

Verwandlungsgeschichten Epos

Man hat in den zuletzt zitierten Versen des 12. Buches vom Weinen des Bakchos, das die Tränen der Welt zum Versiegen bringen soll, Anklänge an die christliche Idee von der Erlösung der leidenden Menschheit durch das Leiden des Erlösers finden wollen. Es muß aber bedacht werden, daß gerade bei Nonnos die unzweifelhaft zugrundeliegende Vorstellung einer mystischen Passion des Freudenbringers, sichtbar gemacht an dem zu Wein gewordenen Blut des Rebendämons 298 , vielfach eingebettet ist in eine dem Christentum — ungeachtet des substituierenden Austausche von Blut und Wein im Kommunionssakrament — gänzlich fremde Vegetationssymbolik 299 , deren soteriologischer Extrakt sich in den Worten vom Wein als Erquickung (12,169 τερπωλήν) für den „viergegliederten Kosmos" (ολω τετράζυγι κόσμω), als Opferspende für die Himmlischen (12,170 σπονδήν μακάρεσσι) und als Quelle des Frohsinns für Dionysos und seine Verehrer (12,170 και εύφροσύνην Διονύσω) niederschlägt. Die in den Dionysiaka nach ovidischen Mustern in allen einzelnen Schritten und Teilen dargestellte Ampelos-Metamorphose ( 1 2 , 1 7 3 - 1 8 4 ) 3 0 0 wächst sich gleichsam aus zu einem vollständigen, in unaufhaltsamer organischer Gesetzmäßigkeit sich vollziehenden Aufgehen des anthropomorphen Objekts der erotischen Zuneigung, des ästhetischen Entzückens und der tränenreichen Klage des Dionysos in die wuchernde Üppigkeit eines zu unbegrenzter Ausdehnung und damit zu weltumschlingender kultureller Expansion ansetzenden Gewächses (12,185—187). Über diese totale Transition von jugendlich blühender Fleischlichkeit zu farbenreicher, saftstrotzender und fruchttragender Pflanzlichkeit hinaus findet sich der gesamte Ampelos-Komplex aber nun noch zusätzlich angereichert mit allerlei Erwähnungen von Permutationen, die den Eindruck 298

Vg[

Timoth. fr. 2, 5 D. Horn, Mysteriensymbolik 9 6 .

Kein hellenistischer Einfluß (Dionysos) auf die Erzählung vom Weinwunder zu Kana: W . Nicol, The Semeia in the Fourth Gospel. Tradition and Redaction (Supplements to Novum Testamentum 3 2 ) , Leiden 1 9 7 2 , 5 3 . 5 4 Anm. 7 . S. zuletzt Ε. Linnemann, NTS 2 0 , 1 9 7 3 / 7 4 , 4 0 8 f f . Vgl. zu einer entsprechenden Distanzierung bei Clem. Al.protr. 1 2 G. Zacharias, Antaios 1, 1 9 5 9 / 6 0 , 3 2 1 . 299

3 0 0 Darstellung der Verwandlung des Ampelos auf einem römischen Sarkophag von Aqua Traversa: R. Turcan, RA 1 9 6 1 , 1 6 3 ff.; vgl. Les sarcophages romains 5 6 5 f .

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verstärken, daß das Ereignis des Ampelos-Todes einerseits in einen großen und vielfältigen vegetationsmythischen Metabolismus hineingehört, daß es andererseits darin aber aus der Sicht der Dionysiaka als der zum Heilsgeschenk des Weines führende Vorgang, als ein μέγα θάμβος (12,173), eine zentrale Stelle einnimmt, während sich alle anderen pflanzlichen Metamorphosen als Rankenwerk ergänzend, auffüllend, variierend und kontrastierend zum Gesamtbild eines von naturhafter Seinsbestimmung und kreatürlichem Leiden erfüllten Kosmos fügen. Dementsprechend folgt auf den Lobpreis der körperlichen Vorzüge des Ampelos ( 1 0 , 1 7 5 ff.), den der rosige Teint ( 1 0 , 1 7 6 ) und die schneeweißen Wangen (10,180) in der „goldenen Blüte der Jugend" ( 1 0 , 1 8 1 ήβης χρύσεον άνθος) zu einem „frischentsprossenen Reis der Eroten" ( 1 0 , 1 7 8 νεοτρεφές ερνος Ε ρ ώ τ ω ν ) machen, zunächst im Hinblick auf seine blumenähnliche Konstitution und sein mondartig-ätherisches Aussehen der Vergleich mit dem von anderen geliebten und in sich selbst verliebten Narkissos (10,215), wenig später unter dem Aspekt der daraus sich ergebenden Verletzlichkeit des Knaben der Gedanke an den vom Hauch des Zephyr getöteten Hyakinthos ( 1 0 , 2 5 2 f f . ) 3 0 1 . Neben der Furcht des eifersüchtigen Gottes vor der allgegenwärtigen, von Begierde gelenkten erotischen Gewaltsamkeit in Form von Raub und Entführung (Zeus-Ganymedes, Poseidon-Pelops) trübt die Freude seiner verliebten Betrachtungen der Schatten eines möglichen frühen Hinschwindens, geknüpft wiederum an die Namen Narziß und Hyazinth, um sich nach dem Eintreten des Unglücks mit eben diesen Namen zur Düsternis der Totenklage zu verbinden ( 1 2 , 2 6 1 . 323) 3 0 2 . Die Angst des Bakchos um das Leben des Ampelos verdichtet sich in dem Paradigma von der Sorge des Herakles um den verschwundenen, von begehrlichen Nymphen in die Quelle hinabgezogenen Hylas (11,227ff.); der Gram über seinen Tod bringt Apollons Kummer um den als Lenker des Sonnenwagens verunglückten Atymnios in den Sinn 303 , — ein Kummer, der durch das wundersame Aufblühen der Blume Therapnais als Andenken an den Dahingeschiedenen gelindert wurde (11,258 ff.), wie später der des Dionysos durch die Konservierung des Ampelos im Rebengewächs. Der im Symbolbezug grundsätzlich verankerte Trend zur dauernden Gemeinschaft zwischen Dionysos und seinem „ Weinstock" 3 0 4 konkretisiert sich in dem Wunsch, Vgl. zur poetischen Behandlung dieses Themas I. Cazzaniga, PP 13, 1 9 5 8 , 1 4 9 ff. Vgl. die Verbindung von Eros und Totenreich in den Blumen der Unterweltswiese (Hyakinthos, Krokos, Adonis) bei Ausonius, Cupido cruciatus: Atallah, Adonis dans la litterature et l'art grec, Paris 1 9 6 6 , 5 5 . Segal, Landscape in Ovid's Metamorphoses 3 5 f. W . Fauth, GB 2, 1 9 7 4 , 4 2 . 301

302

Klage Apollons über Atymnios und Hyakinthos: Cazzaniga, PP 13, 106ff. Uber die Legende von der Wunderrebe im euböischen Nysa und am Parnaß (Soph. fr. 2 3 4 N. Eur.Phoen. 2 2 9 f f . Euphor.fr. 1 1 8 Scheidw. Schol.il. 12, 21 a.b. Schol.Soph.Ant. 1 1 3 3 . Steph. Byz.p. 4 7 9 ) H . Usener, Der heilige Tychon, Leipzig-Berlin 1 9 0 7 , 3 0 f f . 303

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der Gott möchte in Zukunft Άμπελόεις zubenannt sein 3 0 5 , so wie Apollon sich den Namen des Hyakinthos beilegte (11,328ff.); das Wissen um das Verwachsensein des Ampelos mit der Gesamtheit der Pflanzenwelt verkündigt sich in der tröstenden Admonition des Eros, daß der Jüngling Kyparissos („Zypresse") einst dem Zephyr als Ersatz für den verlorenen Hyakinthos zuteilgeworden sei (11,363—365). Das Pflanzen einer neuen Blume anstatt der dahingewelkten bringt dem Herzen des Gärtners Linderung (11,366-368); das ständige Stirb und Werde der Vegetation gilt auch als Gesetz für die Ampelos-Liebe des Rebengottes mit ihrem exemplarischen Rhythmus von Lust und Schmerz. Demzufolge sind die auf den erkalteten Körper des Ampelos gestreuten Rosen, Lilien und Anemonen (11,235 ff.) eine sinnreiche Zierde für das gemordete und zertretene Wesen, dem nun der Übertritt in das Reich der Blumen und Blüten bevorsteht, wo es nach den Worten seines Herrn in der neuen Daseinsform allen möglichen Gewächsen verbunden ist, da es ihren Duft und ihr Aroma in sich enthält und sie somit in seiner Vollkommenheit samt und sonders übertrifft: 12,237-244 ού δύναται φυτον άλλοτεαϊς σταφυλήσιν έρίζειν ού ρόδον, ού νάρκισσος εϋχροος, ούκ ανεμώνη, ού κρίνον, ούχ υάκινθος Ισάζεται ερνει Βάκχου, οττι πολυτρίπτοιο νέαις λιβάδεσσιν όπώρης σον ποτόν άνθεα πάντα δεδέξεται - εν ποτον εσται μιγνύμενον πάντεσσι, και είς μίαν ϊξεται όδμήν άνθεσι παντοίοις κεκερασμένον είαρινήν γάρ κοσμήσει τεόν άνθος ολην λειμωνίδα ποίην. Die Sonderstellung des Weines und der Traube als trink- und eßbare Gaben eines überragenden göttlichen Kulturbringers 306 im Kranz der von Göttern gehegten, geheimnisvoll beseelten Pflanzenwelt hebt das Epos im Wechselspiel des Vergleichs mit anderen Götterlieblingen heraus, die als Folie des Geschehens um Ampelos immer wieder am Rande auftauchen; Atymnios mußte sterben, Ampelos aber lebt andersartig fort; sein Leib ist in Nektar verwandelt (12,223 σον δέμας είς γλυκύ νέκταρ άναξ ημειψε Κρονίων). Phoibos kann sich die Blätter seiner Daphne und die Blüten seines Hyakinthos gedenkend ins Haar winden, aber er kann weder die 3 0 5 W. Schetter, Nemesians Bucolica und die Anfänge der spätlateinischen Dichtung. In: Studien zur Literatur der Spätantike (Antiquitas 1), Bonn 1975, 2 6 f . macht auf den in Nemesians 3. Ekloge hergestellten Synchronimus zwischen dem Heranwachsen des Bakchoskindes und der Traubenreife des Weinstocks aufmerksam und verweist dabei auch auf die entsprechenden Verse bei Nonnos (12, 195 f.), wo Bakchos die in wundersamer Eile gereiften Früchte des eben verwandelten Knaben erntet. 3 0 6 Zu dem in 12, 2 0 7 ff. 2 1 1 erhobenen Anspruch des Dionysos, in Überbietung anderer Götter mit Ampelos der Menschheit nicht nur Trank (Wein), sondern auch Speise (Trauben) zu schenken vgl. A. Henrichs, ZPE 16, 1975, 139 ff. 141 ff.

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Früchte des Lorbeers essen noch die Hyazinthe trinken ( 1 2 , 2 0 8 f.); so muß er dem Bakchos weichen, da dieser Wein schöpfend und sich mit Reben bekränzend den Ampelos selbst „im Herzen trägt" ( 1 2 , 2 4 9 f. ήδυπότην δέ ένδον έμής κραδίης ολον "Αμπελον αύτόν άείρω). Auf vielerlei Weise versucht Nonnos, die Ampelos-Erzählung in eine Art Bukett episodisch oder paradigmatisch berührter Verwandlungsgeschichten einzubinden und dadurch das Klima der vegetativen, als Metamorphose sich ausdrückenden Kreativität, Wachstumsfreudigkeit und Hinfälligkeit zu verstärken. Unmittelbar nach Ampelos wird auch sein Spielgefährte Kissos, einen Baum erklimmend, zu dem gleichnamigen Gewächs des Efeus und windet sich füllend und bereichernd um den gerade entstandenen Rebengarten ( 1 2 , 1 8 8 - 1 9 2 ) . Eros erweitert im 11. Buch seine consolatio durch die im Anschluß an das Hyakinthos-Kyparissos-Beispiel gegebene Legende von Kalamos und Karpos ( l l , 3 6 9 f f . ) , wobei Nonnos, seiner Tendenz zur variierenden Wiederholung gemäß, das Verhältnis zwischen dem jungen Kalamos und dem noch jüngeren Karpos mit den gleichen Nuancen des ästhetischen Wohlgefallens an körperlicher Vollkommenheit, der erotischen Zuneigung, des agonalen Eifers und des bedeutungsvollen Hingezogenseins zum strömenden Wasser des Flusses versieht, wie sie auch bei Dionysos und Ampelos zu finden waren. Danach allerdings biegen die Dinge in ein anderes Gleis: der Untergang des Karpos in den Fluten ist von einem heimtückischen Wind verursacht, ähnlich wie das Ende des Hyakinthos ( 1 1 , 4 2 4 f f . 435ff.) 3 0 7 ; das Hylas-Thema des von Nymphen herabgezogenen Geliebten klingt im Sehnsuchtsruf des Kalamos an ( l l , 4 4 2 f f . ) ; Selbstmordgedanken mischen sich mit Vorwürfen gegen den väterlichen Maiandros, der Karpos zum Grab geworden ist (11,459ff.) so wie der indische Hydaspes dem Orontes und Deriades. Das Haaropfer des Trauernden wird zum Signal des eigenen freiwilligen Todes ( 1 1 , 4 6 4 f f . ) ; das Prinzip der Sympathie löst hier nicht — wie bei Ampelos — die physische Angleichung des Beklagten an das vegetative Wirkungsfeld des Freundes aus, sondern Kalamos folgt umgekehrt dem verlorenen Gespielen in den feuchten Abgrund, indem er „des weigernden Vaters den Sohn ermordende Wellen trinkt" (11,479 πατρός άναινομενοιο π ιών παιδοκτόνο ν ΰδωρ). Die Linien der Lebensschicksale beider Jünglinge laufen im verwandelnden Medium des Wassers zusammen, um von diesem gemeinsamen Punkt der Permutation aus zu neuer, pflanzlicher, also generell gleichgearteter, im einzelnen aber doch getrennter Daseinsform auseinanderzugehen ( l l , 4 8 0 f . καΐ Κάλαμος καλάμοισιν έπώνυμον ώπασε μορφήν ίσοφυή, καΐ Καρπός άέξετο καρπός άρούρης). Die Unfähigkeit des einen, ohne den anderen zu leben, die daraus sich ergebende Gemein3 0 7 Fusion der Varianten (Apollon bzw. Zephyros Liebhaber des Hyakinthos) bei Nonnos und Übertragung des Eifersuchtsmotivs von Zephyros-Hyakinthos auf Kalamos-Aetes: Cazzaniga, PP 13, 150 u. Anm. 1.

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schaft im Leben und Sterben (11,468 ff.) schließt eine erneute Demonstration der ambivalenten Werthaltigkeit des Wassers ein, — sowohl in der Lust des erotisch angehauchten Wettschwimmens (11,406ff.) als auch in der Bitterkeit des Ertrinkens im verwandten Fluß (11,424ff.), wo „die Glut der Liebe mit dem Trank aus dem Acheron gelöscht wird" (11,463 σβέσσω θερμόν έρωτα πιών Άχερούσιον ΰδωρ). Die von Kalamos vollzogene und der Nachwelt als Opfergabe für beide anempfohlene Haarschur (11,443-445) aber weist voraus auf das dem Schilfrohr (κάλαμος) wie der Feldfrucht (καρπός) beschiedene, somit den beiden Verwandelten immer wieder zufallende Los des vegetativen Todes unter der Schneide der Sichel. Die Kalamos-Karpos-Einlage bildet nur eines unter mehreren narrativen Gliedern, in denen sich — ohne sonderliche Rücksichtnahme auf den linearen Fortgang der epischen Erzählung — die von Nonnos der Aura des Dionysischen in multiplen Brechungen zugeordnete Verkettung von Liebe und Leid, von erotischer Verbundenheit und schmerzlicher, trennender Versehrtheit ausspricht. Als im 29. Gesang Hymenaios, ein weiterer jugendlicher Favorit des Bakchos (13, 84f.), an der Seite des Gottes gegen die Inder reitet (29,15 ff.), schwingt in dessen liebevoller Bewunderung auch die wissende Sorge um die Gefährdung dieser sterblichen Schönheit durch feindliche Pfeile mit (29,20-37), und sogleich stellt sich wiederum das mythologische Beispiel von Phoibos und Atymnios ein, um den Gedanken an den aus der Zuneigung notwendig erwachsenden Schmerz des Unsterblichen um das verwundbare Menschenkind vorzubereiten (29,25—31). Die von Nonnos angebotene Kombination einer sorglichen Abwehr der den Hymenaios bedrohenden Geschosse durch den Schild des Dionysos mit dem Eingeständnis des Beschützers, er selbst sei durch die Anmut seines Geliebten im Herzen verwundet (29,40 κάλλει Βάκχον έ'βαλλες), und andererseits mit der Aufforderung an den Knaben, den Inder Deriades durch einen wohlgezielten Pfeil zu erlegen (29,39—44), unterstreicht die bekannte konträre Bindung von Krieg und Liebe, die aus der aktiven Beteiligung der unheilwehrenden Aphrodite (29, 82-86) und des unheilstiftenden Ares (29,123-126) bei der Verletzung des Hymenaios noch greifbarer vor Augen tritt. Der Atymnios-Vergleich hingegen setzt sich fort mit der erneuten Hereinnahme des Hyakinthos-Geschicks und der Trauer Apollons um den vom eifersüchtigen Zephyros Hingerafften (29, 95—97) und versucht so das paradoxe Phänomen der Tränen des nie weinenden Bakchos (29,99) als Ausdruck eines fatalen, im Existenzraum paidophiler und zugleich naturverbundener Götter gegründeten Verhängnisses zu kennzeichnen (29,118 f.). Demgemäß wird auch zunächst der heilkundige Apollon herbeigewünscht, damit er den am Schenkel getroffenen Hymenaios behandele, gleich darauf aber verzichtet Dionysos ausdrücklich auf sein Kommen, weil die Erinnerung an den Tod und die Pflanzenmetamorphose des Hya148

kinthos durch das hervorströmende Blut des Bakchoslieblings schmerzlich aufgefrischt werden könnte ( 2 9 , 1 3 9 - 1 4 3 ) 3 0 S . Indem Dionysos den Hymenaios daneben zum Doppelgänger des von Ares getroffenen, baumgeborenen Aphroditegeliebten Adonis stempelt 3 0 9 , aus dessen Schenkel nun zum zweiten Mal „das Blut der Eroten" (29,138 λύθρος ερώτων) zur Erde rinnt (29,135—138), und indem er die Schenkelwunde des HymenaiosAdonis mit ihrem eindeutigen Genitalbezug der eigenen, von den üblichen Blessuren des Gefechts tief unterschiedenen Herzensverwundung gleichsetzt ( 2 9 , 1 4 9 f. έν κραδίη δέ λοίγιον έλκος έχοντι συνουτήΰην Ύ μ ε ναίω), bereitet die Dichtung vor dem Hintergrund des Ares-Eros-Kontrastes den Boden für die aus den vegetativen Reserven des Gottes zustandegebrachte Heilung des Hymenaios, welche die Selbstheilung des Verliebten einschließt: die leise Berührung der „doppelfarbigen, weißroten Wund e " ( 2 9 , 1 5 4 λευκόν έρευθομενω διδυμόχροον έλκος άφάσσων) und das Auflegen des heilenden Efeus ( 2 9 , 1 5 5 έω παιήονι κισσω) erbringt einen Kontakt von Pflanze und Fleisch im dionysischen Fluidum ( 2 9 , 1 5 3 μηρω ένθα και ένθα φιλεύιον άνθος έλίξας), zu dessen eigentümlicher Art der „Umwindung" (έλίξας) des weiteren die Benetzung mit dem Zaubersaft des Rebenspenders tritt (29,156). Das Rot des οίνος άλεξητήρ, in seinem Heileffekt verglichen mit dem „schneeweißen T a u " ( 2 9 , 1 6 0 χ ι ο ν έ η ς . . . έέρσης) geronnener Milch, greift auf die farbliche Dualität des έλκος διδυμόχροον zurück und illustriert die iatrische Kompetenz des Dionysos Soter, der naturgemäß auch die „apollinische Kunst" des Wunderarztes beherrscht, da er über den Reichtum lindernder Kräuter und blutstillender Säfte in seinem Pflanzenreich verfügt (29,161—163). 4*

*

Im 6. Kapitel war bereits gezeigt worden, daß in der Skala der dionysischen Wunder phytogene und phytomorphe Erscheinungen einen hervorragenden Platz einnehmen, nicht zuletzt auch bei den von erotisch-sexuellen Antrieben ausgelösten Akten gewaltsamer Vermählung unter Einsatz sinnverführender Lockmittel. Dabei wurde auch erwähnt, daß im Anschluß an die Gartenmirakel der Abenteuer mit Aure und Nikaia das Hyakinthos-Narkissos-Thema bzw. das Hallphänomen der leiblich geschwundenen Echo eingebracht wird, um die erotisch und zugleich elegisch angehauchte Stimmung innerhalb dieser vegetativen Kulisse zu charakterisieren. Um das von Nonnos angewandte Verfahren der Milieukomplementierung durch solche Akzidentien noch schärfer zu beleuchten, sei nun hinzugefügt, daß in der Nikaia-Geschichte das Echo-Motiv schon mit den Ver308 309

Vgl. Cazzaniga, PP 13, 154. Vgl. Atallah, Adonis dans la literature et Part grec, Paris 1966, 53 ff.

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sen 1 6 , 2 1 0 f f . vorbereitet wird, wenn der das Mädchen verfolgende Dionysos einen ihm vom Gotte Pan geschenkten Jagdhund anredet und ihn unter anderem auffordert, sowohl „die unstete, schweifende Echo" (16,210 φοιταλέην... αστατον Ήχώ) von Nikaia fernzuhalten, damit sie nicht deren Abscheu vor dem Eros verstärke, als auch den Echo-Liebhaber Pan zu vertreiben, damit er die Jungfrau nicht mit jener Gewalt zur Liebe zwinge, die Dionysos selbst so gern anwenden würde und später ja tatsächlich auch anwendet ( 1 6 , 2 1 0 - 2 1 4 ) . Die beiden mythischen Personen, an die sich diese in genau einander entgegengesetzte Richtungen gehenden Besorgnisse heften, kommen etwa hundert Verse später wieder in den Blick, da Pan als heimlicher Beobachter der Vereinigung des Dionysos mit Nikaia seiner vergeblichen Bemühungen um die Nymphe Echo gedenkt und sich vom Hirten zum Weingärtner, vom Produzenten tierischer Milch zum Herrn der Rebe zu wandeln wünscht, um die widerspenstige Echo mit der Macht des berauschenden Saftes sich gefügig zu machen ( 1 6 , 3 2 0 330). Die elegische Reminiszenz des Pan an Echos ungreifbare Flüchtigkeit erweitert sich sodann auf die genauso seinem Werben abholde Syrinx, die inzwischen, zur Rohrflöte geworden, gemeinsam mit der widerhallenden Echo in den Hochzeitshymnos auf Bakchos und Nikaia eingestimmt hat310: 16,332-338 Σ ύ ρ ι γ ξ Πάνος εφευγεν άνυμφεύτους ύμεναίους και γάμον άρτιτέλεστον άνευάζει Διονύσου αύτομάτοις μελέεσσί' το δέ πλέον ή θ ά δ ι μολπη φϋεγγομένης Σύριγγος άμείβετο σύνθροος Ήχώ. νυμφιδίης Διόνυσε μέθης ϋελξίμβροτε ποιμήν, εύρες άοσσητήρα γαμοστόλον οϊνον Ε ρ ώ τ ω ν . Damit ist die Kollektion der vom Dichter herangeholten atmosphärischen Untermalungen zu dem an der Begegnung Dionysos-Nikaia zutagetretenden pathologischen Antagonismus von Liebesverlangen und Liebesscheu jedoch noch nicht erschöpft, da auch das verführte Mädchen nach dem Erwachen aus dem von der „List des vermählenden Weines" ( 1 6 , 3 2 1 τελεσσιγάμου δόλον οίνου) erzeugten hochzeitlichen Schlaf voller Verzweiflung fragt, warum — wenn schon Artemis und die Nymphen des Waldes sie im Stich ließen — nicht wenigstens jene weiblichen Wesen ihr Warnung und Hilfe gewährten, die sich dem Zugriff der Begierde durch das Entweichen in den Schoß der Natur entzogen haben: Echo, welche die Ehe mit Pan verschmähte, Pitys, die wie Syrinx vor dem gehörnten Dämon floh und zur Fichte wurde, Daphne, die sich dem Apollon verweigerte und nur als Lorbeer von ihm ergriffen werden konnte ( 1 6 , 3 6 0 - 3 6 4 ) . Hier werden bewußt mythologische Figurationen aus der vorhergehenden Hymnos-Nikaia-Episode ( 1 5 , 1 6 9 ff.) aufgenommen und in ähnlicher, 310

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Pan und Syrinx: Oellacher, SIFC 18, 113 ff.

aber nicht gleicher Anordnung und Formulierung vorgetragen; denn auch dort handelt es sich ja um das Problem des erotischen Begehrens und der Verweigerung, so daß diese Einlage die Beziehung zwischen Dionysos und Nikaia im voraus spiegelt, wie die Kalamos-Karpos-Episode das Verhältnis zwischen Dionysos und Ampelos im nachhinein reflektiert. Hymnos stellt zunächst einen gedanklichen Konnex zwischen Nikaia und Daphne her: die Lorbeergestaltige soll das grausame Gemüt der Jägerin durch das Säuseln ihrer Zweige milder stimmen; dann gleitet — für Nonnos bezeichnend — die Assoziation spielerisch weiter zu einem imaginären, als Wunschidee gegebenen Austausch der beiden spröden Mädchen: 15,301-302 αϊθε καλή Νίκαια πάρος πέλε, καί κεν 'Απόλλων άβροτέρην έδίωκε, και ού φυτόν επλετο Δάφνη 3 1 1 . Nikaia ihrerseits benutzt das Daphne-Beispiel, um ihre Unnachgiebigkeit gegenüber dem Verehrer zu unterstreichen (15,310f.). Davor erinnert sie außer an Daphnis, auf dessen Tod aus unerwiderter Liebe Nonnos das Hymnos-Schicksal eindeutig zugeschnitten hat, auch an Pans melodisches, doch vergebliches Werben um Echo, so daß die hochzeitliche Schalmei des Hymnos zu den Weisen der ohne Erfolg die Oreade verlockenden Pansflöte in bedeutsame Parallele tritt: 15,306-307 ηδύς ό συρίζων Παφίης μέλος υμέτερος Πάν πολλάκι μέλψεν "Ερωτα και ού πέλε νύμφιος Ήχοϋς. Solche Allusionen gewinnen bei Nonnos geradezu leitmotivische Funktion 3 1 2 ; denn auch die für die Leidenschaft des Morrheus unempfängliche Chalkomedeia erzählt von Daphnes Entweichen vor Apollon und weckt dadurch in ihrem Anbeter die bange Ahnung, daß er sie wohl nie besitzen werde (33,210-224); umgekehrt warnt Dionysos die erosfeindliche Beroe vor den durch Ehescheu heraufbeschworenen Pflanzenmetamorphosen der von Pan begehrten Syrinx und der von Apollon begehrten Daphne: 42,383-390 οΐσϋα γάρ, ώς πυρόεσσαν άτιμήσασα φαρέτρην μΰθον άγηνορίης φιλοπάρθενος ώπασε Σύριγξ, οττι φυτον γεγαυΐα νόθη δονακώδει μορφή έκφυγε Πάνος έρωτα, πόθους δ'έτι Πανός άείδει και ϋυγάτηρ Λάδωνος, άειδομένου ποταμοΐο, έργα γάμων στυγέουσα δέμας δενδρώσατο Νύμφη έμπνοα συρίζουσα, καί όμφήεντι κορύμβω Φοίβου λέκτρα φυγοΰσα κόμην έστέψατο Φοίβου 3 1 3 . 3 1 1 Vgl. Υ. F. Α. Giraud, La fable de Daphne. Essai sur un type de metamorphose vegetale dans la litterature et dans les arts jusqu'a la fin du XVII e siecle, Geneve 1968, 5 0 f . 3 1 2 Vgl. Giraud, ebd., 39. 59. 3 1 3 Vgl. Giraud, ebd., 79.

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In der Hymnos-Geschichte bilden aber nicht allein verpflanzlichte oder luftartig verflüchtigte Jungfrauen den mythischen Hintergrund für die Hoffnungslosigkeit des männlichen Strebens und die Unerreichbarkeit seines weiblichen Objekts; es tritt innerhalb der elegischen Meditationen des Hirten über sein ersehntes martyrienhaftes Ende durch den Pfeil der Geliebten (15,315ff.) im Zusammenhang mit dem Blut-Motiv (15,350f.) auch der sinnträchtige, daher als letzte Gunst erbetene Grabschmuck der auf Liebessehnsucht und Liebesgram hinweisenden, aus blutiger und schmerzvoller Verwandlung entstandenen Blumen Narkissos, Krokos, Milax und Anemone in den Blick ( 1 5 , 3 5 2 - 3 5 6 ) . Während die Blüten dieser vier ανθη Ε ρ ώ τ ω ν (15,354), gemäß einer durchaus überlegten Disposition des Dichters, im 32. Buch der Erde entsprießen, um das hochzeitliche Lager des Götterpaares Zeus und Hera zu schmücken und das Geheimnis der Kohabitation verbergend zu umkränzen (32, 8 4 - 9 2 ) 3 1 4 , sind sie hier beredte Zeichen für das bittere Menschenlos des raschen Verwelkens und jähen Dahinsterbens blühender Jugend an der Grausamkeit des Eros: 15,355-356 είαρινήν χε φύτευε μινυνθαδίην άνεμώνην πΰσιν άπαγγέλουσαν έμήν μινυώριον ηβην. Der Ausklang der Hymnos-Nikaia-Episode in einem großen Threnos der belebten und gefühlbegabten Waldlandschaft mit einem bukolischen Klagelied nach dem Muster der theokriteischen Daphnis-Idylle führt außer Najaden und Oreaden, neben Niobe und Abarbarea, den Astakiden und Heliaden, den Göttinnen Rhea und Adrasteia (15,370ff.) auch noch einmal Echo, die „ehehassende Jungfrau" ( 1 5 , 3 8 9 γάμον έχθαίρουσ α . . . π α ρ θ έ ν ο ς Ήχώ) im Trauerchor der Natur auf, und unter die weherufenden Stimmen der Tiere und Bäume mischt sich zuletzt der Ruf der beiden unglücklich liebenden Götter Phoibos und Pan, dessen Syrinx nun nach dem Tode des Hymnos zum Schweigen verurteilt ist (15,417—419). * *

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Um richtig einzuschätzen, welchen Stellenwert die hier betrachteten, zunächst als ornamentale Zutaten gelehrter Dichtung erscheinenden Bezugnahmen auf mythische μεταβολαί im thematischen Gesamtgefüge 3 1 4 Elliger, Die Darstellung der Landschaft in der griechischen Dichtung, Berlin-New York 1975, 423 f. hat gut herausgearbeitet, wie sich die Symmixis des Götterpaares in der sehnsuchtsvollen, mit sexuellen und maieutischen Termini ausgestatteten gegenseitigen Verflechtung der Pflanzen gleichsam wiederholt und wie die Blumen Anemone und Narzisse als heimliche Beobachter in einer anthropopathischen Mischung von diskreter Heimlichkeit und erotischer Erregung an der verborgenen Szene teilnehmen.

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besitzen, muß man beachten, daß sie auch außerhalb der intimen Sphäre erotischer Affekte und Konflikte zu finden sind, und zwar gerade in dem weltumgreifenden Rahmen kosmischer Fixierungen und chaotischer Umwälzungen, auf die im nächsten Kapitel noch näher einzugehen sein wird. So bringt das 2. Buch der Dionysiaka als Konsequenz der weit- und tiefreichenden Zerstörung der Erdoberfläche durch den Giganten Typhon (2,66ff.) die Lamentatio der olympischen Götter über ihre vernichteten Lieblingspflanzen: Apollon besingt wehmütig die zertretene Hyazinthe und den zerrissenen Lorbeer, Pan beugt sich bedrückt über die zerbrochene Fichte, Athene bestöhnt den zersplitterten ölbaum, Aphrodite die im Staube zerdrückten Anemonen und Rosen; Demeter grämt sich um die geknickten und verdorbenen Feldfrüchte, die Nymphen des Waldes weinen über den Verlust ihrer pflanzlichen Symbionten, der schütz- und schattenspendenden Bäume (2, 81—93). Aus diesem letzten Glied einer Kette von göttlichen, die Vollständigkeit und Gründlichkeit der chaotischen Destruktion illustrierenden Wehklagen ergibt sich die Brücke zu den dialogartigen, dramatisch bewegten Äußerungen zweier Dryaden mit einer andersgelagerten Perspektive, nämlich der der unmittelbar bedrohten und betroffenen, vor Typhons wütendem Zugriff zitternden, weil verletzlichen, um ihre pflanzliche Unberührtheit bangenden Weiblichkeit. Unter dem Stichwort „jungfräuliche Flucht vor dem gewalttätigen Unhold" aber breitet sich nun ein umfangreiches Repertoire von Metamorphosen aus, die allesamt geeignet sind, diese eben erwähnte Perspektive zu vertiefen 315 . Dabei ist es naheliegend, aber von Nonnos auch absichtlich so eingerichtet, daß die beiden weiblichen Baumgeister zunächst wieder an Pan und Apollon denken (2,98 f.), da von diesen Göttern ja die Integrität der Pitys und der Daphne vor Zeiten angegriffen wurde. Nachdem die Scheu vor dem Eros mit dem Ansinnen an den Holzfäller, den Stamm von Fichte und Lorbeer zu verschonen, damit er nicht das Element der Aphrodite berühren müsse (2,100-103), und mit der Bitte, statt dessen den menschlichen Leib der Nymphe mit dem Eisen der Jungfrau Athene zu schlagen, bevor er durch die Berührung des Mannes entweiht werde (2, 104—108), fast bis an die Grenze zum Absurden vorgetrieben worden ist, erfolgt mit der abschließenden Bemerkung, daß Pitys und Daphne als eponyme Heroinen von Fichte und Lorbeer für deren Nymphen das Vorbild hinsichtlich strenger Virginität abgegeben haben (2,108 εισέτι νήις "Ερωτος α περ Πίτυς, οιά τε Δάφνη), der Versuch einer assimilatorischen Selbsttarnung der Fichtenjungfrau mit dem pflanzlichen Kleid ihres Baumes, das heißt ein Anlauf zum Überwechseln von anthropomorpher Weiblichkeit in die Verborgenheit des Vegetativen:

315 Zur Ähnlichkeit der vorgestellten Alternativen mit den Überlegungen der geraubten Europa (1, 128 ff.) Braden, TSLL 15, 875.

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2,109-111 ώς φαμένη πετάλοισι νοθην ποιήσατο μίτρην, και χλοερω ζωστήρι κατέσκεπεν αντυγα μαζοϋ αΐδομεην, και μηρον έπεσφηκώσατο μηρω. Die Antwort der Lorbeerhamadryade variiert danach das von ihrer Leidensgenossin angeschlagene Thema des παρθενίης εμφυλος φόβος (2,113), indem zwischen der Identifikation mit der wesensverwandten, von Apollon gejagten Daphne (2,113 f.) und dem Vergleich der eigenen Lage mit den Bedrängnissen der von Pan verfolgten und wie jene verpflanzlichten Pitys und Syrinx (2,117f.) die Vergegenwärtigung der typhonischen Zerstörungswut hereinkommt, welche auch die geringste Möglichkeit, sich fliehend zu verbergen, zunichtegemacht hat, so daß eigentlich nur die völlige leibliche Verflüchtigung nach dem Vorgang der tönenden Echo übrigbleibt (2,118f.). Auf diesem thematischen Fundament mit der obligatorischen Reminiszenz an die spröden Pan- und Apollongeliebten baut sich dann eine Reihe von Assoziationen unter dem übergeordneten Gesichtspunkt der erotischen Gefährdung, der daraus sich ergebenden Notlage und der damit in Zusammenhang stehenden physischen Verwandlung auf, wobei zwischendurch immer wieder der Grundtenor einer durch die beängstigende Nähe Typhons hervorgerufenen virginalen Phobie durchklingt: Kallisto erlag den Anschlägen des Zeus trotz ihrer Zurückgezogenheit im unwirtlichen Bergrevier der jungfräulichen Artemis (2,120— 123); Asteria war auch als irrende Insel Ortygia im Meer nicht sicher vor den Attacken des „weibertollen Poseidon" (2,124f.); um in der Luft vor den hochreichenden Händen Typhons sicher zu sein, müßte sich die Nymphe schon mit dem Federkleid eines Vogels bedecken, — aber auch dort könnte „schlimme Vermählung" ( 2 , 1 3 0 γάμοι άδικοι) auf sie warten, und so hätte sie über ihr Los zu jammern wie einst Prokne um ihren Sohn, oder sie würde als Schwalbe vor Typhon enteilen müssen wie jene vor dem rachedurstigen Tereus ( 2 , 1 2 6 - 1 3 9 ) 3 1 6 . D a Erde und Meer, Gebirge und Luftraum keinen zuverlässigen Schutz vor dem Riesen bieten, bliebe als weiterer Ausweg die Verflüssigung zum Bach oder Strom, aber im Gedanken an Komaitho, die sich auf solche Art mit ihrem Geliebten, dem Flusse Kydnos vermählte, wird auch diese Lösung als untauglich verworfen (2,143—146). Das unschlüssig tastende Umherirren der von Furcht beflügelten Phantasie kehrt zu der vertrauten Umgebung des Waldes zurück: das flüchtige Überwandern von einem Baum zum anderen könnte der Dryade vielleicht den Ruhm der keuschen Daphne bewahren und die Schmach der Myrrha, die noch als Myrrhenbaum die Frucht verbotener Liebe ans Licht bringen mußte, vermeiden (2,149—151). Im Verein der um 3 1 6 Textkritische Behandlung der korrupten Stelle 2, 131 (Ιπταμένη ώς Φιλομήλη lies ϊπταμαι ώς Φιλομήλη) bei Peek, Beiträge 8.

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Phaethon weinenden, in Pappeln oder Weiden eingegangenen Heliaden könnte sie um ihre gefährdete Jungfräulichkeit Bernsteintränen vergießen (2,152—156) oder gleich der zum Fels erstarrten Niobe als „steinerne Stöhnerin" ( 2 , 1 6 0 λαινέην στενάχουσαν) vorbeiziehende Wanderer zum Mitleid bewegen ( 2 , 1 5 9 - 1 6 2 ) . Das artistische Vermögen des Nonnos bringt es zustande, den gleichsam atemlos, gehetzt vorgetragenen Strudel von Ideen, Eingebungen und illusionären Wünschen in ihrer Unfolgerichtigkeit und ihrer gewissermaßen fragmentarischen Ausbildung zu einem seelischen Spiegel des von Typhon heraufbeschworenen Chaos zu machen und dabei gleichzeitig dem Leser eine Fülle von mythologischen Relationen anzubieten, die seine Vorstellung vexierend in immer neue Bahnen lenken. Die manieristische Methode, das Gewaltige, Überdimensionale mit dem Begrenzten, Individuellen und Minutiösen erzählerisch zu verkoppeln und das erstere im letzteren auf eine besondere, exklusive Weise ansichtig zu machen, wird auch bei der Sintflutschilderung des 6. Buches angewendet. Und sicherlich ist es kein Zufall, daß dort mit den Namen Echo, Pan und Syrinx wiederum das bukolisch-erotische Air der hellenistischen Kleinmetamorphose in den Großraum des weltumspannenden κατακλυσμός eingefügt wird ( 6 , 2 2 9 f f . ) : Von astronomischen bzw. astrologischen Prospekten über kosmische Unwetter und chthonische Aufbrüche verengt sich der Blick auf die Nymphen des Gebirges, die hier ebenso um ihre Unversehrtheit bangen müssen wie die Dryaden des 2. Buches bei der typhonischen Katastrophe. Das Motiv der Gefährdung durch maskuline Aggressivität kommt erneut zum Zuge, da Echo, sonst ständig auf der Hut vor den Händen Pans, nun darauf bedacht sein muß, den Händen Poseidons zu entkommen (6,260— 262). Im allgemeinen Ineinander und Durcheinander von Erde und Meer, wo Triton und Nereus bis zu den Berghöhlen des Pan vorstoßen (6,270— 275), muß dieser, in Echos Behausung sich bergend, die geliebte Syrinx über die ihm ungewohnte Flut hin entgleiten lassen: 6,276-278 μυδαλεην σύριγγα διαπλώουσαν έάσσας, και ναέτης πετραΐος ορος μετά πόντον αμείβων ίκμαλεον σπέος εϊχεν ύπωροφίης δόμον Ήχοΰς. Tändelnde, mit bizarren Pointen arbeitende Kleinmalerei stellt solche barocken Miniaturen bewußt gegen Kolossalgemälde von menschenausrottender Überschwemmung ( 6 , 2 7 9 - 2 9 1 ) . Nachdem Seen, Ströme und Meere sich zu einer ungeheuren, diluvialen Wassermasse zusammengefunden haben, läßt Nonnos zierliche Nereiden auf ihrer Oberfläche fischgestaltige Reittiere lenken (6,292-297), um dieses Genrebild in einen Dialog zwischen Pan und Galateia ausmünden zu lassen, der die beiden durch die Paare Pan-Echo und Polyphem-Galateia bezeichneten erotischen Verwandlungsgeschichten ebenso leicht und gekonnt miteinander verwebt 155

(6,300-324), wie es — nach einem grandiosen Gemälde von der Überflutung der Berge und dem Andrang der See zu den Gestirnen (6,326-338) wenige Verse später mit den aquatischen Permutationen von AlpheiosArethusa und Pyramos-Thisbe geschieht (6,339—365). Aber abgesehen von dem unbestreitbaren ästhetischen Reiz einer Kombination des Unterschiedlichen und eigentlich Unvereinbaren ist es offenbar die Auffassung des Dichters, daß erst ein solches Eingehen auf die Intimität der individuellen Metamorphose und des ihr vorausgehenden oder zugrundeliegenden psychischen Erleidens und Erlebens der Universalität jener von ihm zum Vorwurf genommenen, unter dem Namen und der Gestalt des Dionysos angekündigten Wandlungsprozesse gerecht wird. Nur so wird es verständlich, wenn bei der astrologischen Zuweisung des Weines und der Rebenlese an die Höre des Herbstes auf der dritten Tafel der Harmonia (12,64f.) als Inhalt eines „uralten und sagenbewanderten Wissens" sich eine Sammlung von vorausgesagten, somit in der Weltordnung angelegten Verwandlungen findet, die dem eben beschriebenen Typus entsprechen. Mit den ornithomorphen und löwenartigen Einkörperungen des Argos, der Harpalyke, der Philomele und Atalante (12,70-78. 88f.), mit der Versteinerung der Niobe und des Pyrrhos (12, 79—83), mit der Liquefaktion des Paares Pyramos und Thisbe (12, 84f.) ist ein buntes Ensemble aus der mythischen Morphologie der Natur zusammengestellt, das zum Teil schon anderweitig angezogene Metamorphosen enthält und dem sich daher Milax und Krokos (12, 85f.), sowohl beim kosmisch-olympischen Hochzeitslager von Zeus und Hera (32, 84 ff.) als auch in der bukolischen Grabesvision des Hymnos (15,352ff.) präsent, vervollständigend einfügen. Dieses ganze Arrangement aus Fauna, Flora, Mineral- und Elementarsphäre bildet die Vorstufe und den Rahmen für die zentrale Prophezeiung der Genese und vegetativen Integration des Weines, vorgestellt in der Dreiheit der Metamorphosen des Kissos (Efeu), des Kalamos (Schilfrohr) und des Ampelos (Rebstock), Symbolen der dionysischen Gartenlandschaft und Traubenkultur, zugleich aber auch der genuinen Tendenz zur Wandlung in der bakchischen Welt: 12, 97-102 Κισσός άερσιπότης, έρόεις νέος, ές φυτόν έρπων εσται κισσός έλιξ και έν ερνεσιν ήιθέου δε όρθιος έκ Καλάμοιο δόναξ κυρτούμενος αΰραις λεπτόν άεξιφύτοιο φανήσεται ερνος άρούρης, ημερίδων στήριγμα" και είς φυτόν είδος άμείψας 'Άμπελος άμπελόεντι χαρίζεται οΰνομα καρπω. Prädisposition in Namen und Wesen für die letztendliche, nach der Verpflanzlichung eintretende Eingebundenheit in die kulturelle Wirkungssphäre des Bakchos bei Kissos, Kalamos und Ampelos steht einer Abgeneigtheit weiblicher Erosferne bei Syrinx und Daphne gegenüber, deren 156

paradoxes Resultat von emotionaler Zurückweisung des Gottes im menschlichen Daseinsabschnitt und funktionaler Anbindung an ihn im pflanzlichen Endstadium der Dichter in eine kunstvolle chiastische Formel faßt (42,386 εκφυγε Πάνος έρωτα, πόθους δ'έτι Πάνος άείδει; 390 Φοίβου λεκτρα φυγοΰσα κόμην έστέψατο Φοίβου). Die von Freude und Leid, Begehren und Verweigerung, Werden und Vergehen erfüllte organische Bewegtheit, die phänomenologische Fluktuation der vegetativen Inkorporationen und die dahinter wirksame Massierung der Affekte aber sollen nach dem Willen des Nonnos verankert sein im ewigen und unveränderlichen Gefüge einer von Urgöttern entworfenen und getragenen Vorherbestimmung. Darum liest die Erntehore unter dem Bild des nektarschenkenden Ganymedes im Palast des Helios den Spruch der „vierten Verkündung" (12,107 χαρασσομενων έπέων τετράζυγος όμφή), wonach die Rebe des Bakchos neben dem Lorbeer des Apollon, der Rose der Kypris, der Olive der Athene und der Ähre der Demeter zu den von Zeus sanktionierten menschheiterhaltenden und weltverschönernden pflanzlichen Kreationen gehört, in denen Wechsel und Dauer des Lebendigen beispielhaft niedergelegt sind (12,110-113).

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10. Kosmischer Kreislauf und chaotische Katastrophen Typhon — Drachenkampf des Kadmos — Zagreus-Mord und Sintflut — Phaethons Sturz - Dionysos und Astrochiton - Dionysos und Perseus Die Tafeln der Harmonia M a n könnte es zu den oft bemängelten Nachlässigkeiten und Ungereimtheiten der nonnianischen Epentechnik rechnen, daß unmittelbar an die Ampelos-Metamorphose eine „andere, ältere Sage" ( 1 2 , 2 9 4 αλλη πρεσβύτερη φάτις) von der Entstehung des Weines angeschlossen wird, die aus dem umgrenzten Raum der erotischen Bindung zwischen dem Gott und dem knabenhaften Satyrn mit seiner elegischen Stimmung um die schmerzlich tangierte und. schließlich wundersam verwandelte Jugendschönheit hinausführt in eine archaische Wildnis, wo vor undenklichen Zeiten auf dem Terrain eines dschungelhaft wuchernden Pflanzenwuchses vom Himmel geronnenes Götterblut ( 1 2 , 2 9 5 ούρανάθεν φερέκαρπος 'Ολύμπιος ερρεεν ί χ ώ ρ ) 3 1 7 die Rebe in der ungezügelten Üppigkeit eines urtümlichen Dickichts aufsprießen ließ ( 1 2 , 2 9 4 - 3 1 8 ) 3 1 8 . Aber wenn man an dem abrupten, durch eine antiquarisch-mythographische Bemerkung ( 1 2 , 2 9 3 f.) eher noch härter wirkenden Nacheinander dieser zwei Versionen vom formalkompositorischen Standpunkt aus berechtigten Anstoß nehmen mag, so ist jedenfalls unverkennbar, daß inhaltlich-thematisch die zweite Ätiologie dem Dichter hilft, das Aufkommen der Rebe und die Gewinnung des Weines rangmäßig auf eine Ebene zu rücken, wo Protogonien und uranfängliche Prädestination des Weltenlaufs mit Aufständen und Ausbrüchen chaotischer Kräfte in Reibung und Konflikt geraten und wo das Vorspiel und das tatsächliche Geschehnis der Dionysos-Ankunft auf Erden gewaltige und erschütternde Peripetien zur Folge hat. Einer solchen Einstufung dient einmal der primordiale Charakter der wildwachsenden, jeder Kultivierung entbehrenden Vegetation, innerhalb 3 1 7 Ein Mythos vom Blut, das bei der Ordnung der Welt durch Zeus vom Himmel tropft und Menschen entstehen läßt (Julian, ep. ad Theod. p. 159 Bidez), vermutlich orphisch (Blut des Dionysos Zagreus?}; s. R. Turcan, Mithras Platonicus. Recherches sur l'hellenisation philosophique de Mithra (EPRO 47), Leiden 1975, 125. Vgl. jetzt auch M.Tardieu, Trois mythes gnostiques. Adam, Eros et les animaux d'Egypte dans un ecrit de Nag Hammadi (II 5), Paris 1974, 2 0 9 f. u. Anm. 373. 3 1 8 Kerenyi, Dionysos 62 vermutet darin den kleinasiatischen Ursprungsmythos der Weinkultur.

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deren sich die Rebe mit urhafter Dynamik, in überreicher Fülle und in einer geradezu orgiastischen Vielfalt von Farben ausbreitet ( 1 2 , 3 0 2 - 3 1 8 ) . Die Farborgie (Rot, Weiß, Goldgelb, Blauschwarz, Silber) im Verein mit der triebhaften Tendenz, alle benachbarten Pflanzen zu umschlingen und zu überwinden, erhält ihren tieferen Sinngehalt aus dem mythischen Detail vom herabregnenden, die Erde befruchtenden Götterblut: die fundamentale Affinität von Blut und Wein wird dadurch aus dem Faktum einer primitiven kosmogonischen Urzeugung abgeleitet, zugleich damit aber taucht die Ahnung auf von archetypischen Kämpfen zwischen himmlischen und chthonischen Mächten, deren blutige Spuren in den erstarrten Malen einer aus Kontroversen gespeisten kulturellen Evolution fortdauern. Die ständige Nähe der dionysischen Kultur zum Infernalischen und Destruktiv-Chaotischen kommt hier zum Ausdruck durch die Symbolfigur des Drachen, der die Traube verschlingt, den daraus hervorquellenden Wein schlürft und dann purpurrot, wie mit Blut gefärbt, in die Tiefe des Abgrunds hinabtaucht ( 1 2 , 3 1 9 - 3 2 8 ) . Das Moment der Vernichtung, das notwendig immer an den Gewinn der kulturellen Bereicherung durch die Gabe des Weines geknüpft ist, — in der ersten Version verdeutlicht am Tode des Ampelos — spricht nun aus der Kombination der blühenden dionysischen Flora mit der tellurischen Schlange, wie sie bereits im 9. Buch bei der Begabung des neugeborenen Bakchoskindes durch die Hören vorausweisend sichtbar wurde: 9,11-15 τον μεν ύπερκύψαντα θεηγενέος τοκετοΐο στέμματι κισσήεντι λεχωίδες εστεφον Ώ ρ α ι έσσομενων κήρυκες, έπ'άνθοκόμω δέ καρήνω εύκεράων σκολιησιν υπό σπείρησι δρακόντων ταυροφυή Διόνυσον έμιτρώσαντο κεράστην. Alles in allem ergibt sich aus dieser auf die Kreation des Weines ausgerichteten uranischen und hypochthonischen Symbolik, daß sowohl die Expansion der Rebe und die Verbreitung des Dionysos-Dienstes zur Größenordnung erdumspannender Auseinandersetzungen und kosmischer Kraftproben aufrücken als auch die Prozedur der Weinbereitung aus der Kelter, wie sie von Bakchos in einem urzeitlichen, primitiven Arbeitsgang prototypisch durchgeführt wird (12,329ff.), als ein Akt versehrender, schneidender, zerquetschender und zerstampfender Gewaltsamkeit sich darstellt, bei dem aus dem Gebrodel des blutgleich unter den tretenden Füßen der Satyrn hervorquellenden Traubensaftes der Stachel der Berauschung, die befleckende Purpurfärbung des Leibes und die Brutalität der sexuellen Nötigung als Kennzeichen eines bestürzenden Wesenswandels unter dem Einfluß des neugefundenen Getränks in den Blick treten (12,3.56-393). * 4-

*

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Es ist im Hinblick auf diese eben hervorgehobenen Berührungen und Verflechtungen nun gewiß aufschlußreich, daß der Einsatz des Epos mit Kadmos, dem Vater der Dionysos-Mutter Semele, und Zeus, dem göttlichen Erzeuger des Weinbringers, eine erotische Entführung (Zeus raubt die Europa und wird von deren Bruder Kadmos verfolgt: 1,45ff.) und ein gigantisches interstellares Ringen (Zeus kämpft mit Typhon und wird von Kadmos dabei unterstützt: 1,154ff.) kompositorisch nicht nur eng aneinanderrückt, sondern regelrecht ineinander verschachtelt ( 1 , 3 2 1 ff. Fortsetzung der Zeus-Europa-Geschichte; 1 , 3 6 2 f f . Fortsetzung des Zeus-Typhon-Kampfes) 319 . Das geschieht gewiß nicht etwa aus manieristischer Willkür; denn auch thematisch hat Nonnos ja eine Brücke geschaffen, indem - gemäß dem Wunsch des Zeus - Typhon durch die Schalmei des Kadmos und den Pfeil des Eros ebenso bezaubert werden soll, wie Zeus von dem Anblick Europas bezaubert wurde ( 1 , 3 7 8 - 4 0 7 ) 3 2 °, und so ist denn auch der Vergleich, der die Wirkung der Schalmeienklänge auf den kriegslüsternen Riesen anschaulich macht, in starken erotisch-sexuellen Tönen und Bildern gehalten (1,525—534) 3 2 1 . Dabei handelt es sich keineswegs um ein äußerlich aufgesetztes Detail: die Dionysiaka lassen in der Aggressivität Typhons eine ganz erhebliche Komponente geschlechtlichen Okkupationsdranges mitschwingen (2,209ff. 305ff. 317ff.), — eine Komponente, die sich nicht zuletzt im angstvollen Dialog der Dryaden (2,138 ff.) widerspiegelt. Das Moment der sexuellen Besitzgier aber geht bei Nonnos eine Verbindung ein mit dem der Metamorphose: Während Zeus aus Sehnsucht nach einer Sterblichen in die Gestalt eines Tieres überwechselt ( l , 4 6 f f . ) , — jenes Tieres übrigens, dessen Phänotyp sein Sohn Dionysos annehmen wird und das zum Mörder des Ampelos, das heißt zum Zerstampfen der Weinrebe ausersehen ist, — wirft sich der monströse, aus Tieren zusammengewachsene Typhon, nachdem er die in Vogelleiber geschlüpften Götter nach Ägypten vertrieben hat (1,142ff. 2 , 2 1 9 f f . ) 3 2 2 , zum blitzschleudernden olympischen Zeus auf ( l , 2 9 4 f f . ) , um zugleich mit dem Himmel auch das eheliche Lager der Zeusgemahlin Hera zu erobern (1,471-480).

3 1 9 Vgl. Keydell, A C l , 1 7 4 f . - Z u r Widerspiegelung dieser kompositorisch verklammerten Partien in der bildenden Kunst E. Simon, JDAI 7 9 , 1 9 6 4 , 2 9 5 ff. 320 v g i . Braden, T S L L 15, 8 7 0 , der auf die grundsätzliche Ähnlichkeit der tranceartigen Visionen des Typhon ( 1 , 4 6 8 - 4 7 5 ) mit den Imaginationen des achäischen Seefahrers beim Anblick des verwandelten Zeus abhebt. 3 2 1 Eine hurritische Parallele für die Verbindung von Sexualität und Musik bei der Betörung eines Monsters: F. Vian, Le mythe de Typhee et le probleme de ses origines orientales. In: Elements orientaux dans la religion grecque ancienne, Paris 1 9 6 0 , 3 2 . 3 2 2 Z u m Thema der theriomorphen Flucht der griechischen Götter nach Ägypten bei Nikander (Ant. Lib. 28), Ovid. met. 5, 3 2 1 ff., Hygin. astr. 2 , 2 8 und Lucian. deor. conc. lOf. de sacr. 1 4 s. J . Gwyn Griffiths, Η 8 8 , 1 9 6 0 , 3 7 4 f f . Vian, Le mythe de Typhee 3 2 . J. Schwartz, Biographie de Lucian de Samosate (Collection Latomus 88), Bruxelles 1 9 6 5 , 6 8 f .

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Die auf einen Rollentausch hintendierende Konversion der erscheinungsmäßigen und funktionalen Eigenheiten beider Kontrahenten erhält ihr Gewicht und ihr Profil im Hinblick auf die vom Dichter konzipierte polytheriomorphe Körperstruktur des Erdsohnes Typhon als Gegenpol zu den mannigfachen, auch tierischen Maskeraden des erotisch so sehr aktiven Himmelsherrschers Zeus: 1,156-162 πετάσας δέ βαρυσμαράγων στίχα λαιμών παντοίην άλάλαζεν όμοφϋόγγων δπα θ η ρ ώ ν συμφυέες δέ δράκοντες έπερρώοντο προσώπω πορδαλίων, βλοσυρός δέ κόμας λιχμώντο λεόντων, και βοέας σπειρηδόν έμιτρώσαντο κεραίας ούραίαις έλίκεσσι, τανυγλώσσων δέ γενείων LÖV άκοντιστήρα συών έπεμίγνυον άφρω. Die Vielgliedrigkeit des aus Anteilen von Schlangen, Panthern, Ebern, Löwen, Stieren und Hunden zusammengesetzten Typhon, von Nonnos an zwei gegenständigen Stellen, nämlich beim ersten Angriff des Götterfeindes gegen den Olymp (1,154ff.) und bei der Spottrede des Zeus auf den getöteten Riesen am Ende des Kampfes (2,209 ff.) vor Augen gerückt, insofern die ganze Τυφώνεια gewissermaßen einrahmend, bezieht ihren Wert als sinnhafte Figuration der gestalthaften Polyvalenz und auf Veränderung gerichteten Unfertigkeit des Chthonisch-Chaotischen aus ebenfalls gegenständig angelegten, in diesen Rahmen eingelagerten Schilderungen der von Typhon angerichteten totalen Konfusion aller göttlich gefügten Ordnungen. Sie beginnen mit dem Einbruch in die astralen Regionen, wo Typhon zunächst Sterne und Sternbilder aus ihren Bahnen oder Standorten verdrängt, indem er die Schlangenungeheuer seines Leibes gegen sie anspringen läßt (1,165—218), um später in einer blasphemischen Rede den Einsturz der Weltsäule und die Befreiung des titanischen Himmelsträgers Atlas, die chaotische Vermischung der Elemente, die Knechtung der vier Winde, die Überflutung der Gestirne anzukündigen (2,258—280) und am Ende wieder auszumünden in die Drohung vom sympathetischen Anrennen seiner bestialischen Monstren gegen die ihnen entsprechenden himmlischen Tiere des Zodiakos (2,281-290) 3 2 3 . Wie Braden gezeigt hat, entwickelt sich aus dieser Drohung mit den folgenden Versen ein typhonisches Programm zur Umkrempelung des bestehenden Ordo mundi, in dem die monströsen Tierleiber die Konstellationen ersetzen, Iapetos und Poseidon, Prometheus und Hephaistos, Zeus und Atlas die Plätze tauschen (2,291—300. 314f.), Hermes statt Ares ins Faß gesteckt, Ares aber gefesselt als Beute des Giganten weggeführt wird (2,301-304. 308-311), während ein anderer, stärkerer Adler um den Kaukasos kreist, neue, furchtba323

Vgl. Bogner, Gn 7, 181 f.

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rere Blitze geschmiedet werden und ein höherer Himmel mit helleren Sternen entsteht (2,297f. 344—349). Wenn nach der Befreiung der Titanen und ihrer Reetablierung neben den erdverhafteten Kyklopen im Äther (2,337—342) Artemis den Orion, Leto den Tityos, Athena den Ephialtes und Hera den Typhon heiraten soll (2,305-308. 311-313. 317), wobei Helios die Hochzeitsfackel zu halten, Kypris und Selene das Brautlager, die Hören das Ehebett zu bereiten, Apollon das Festlied zu singen und alle Göttinnen des Olymp dem Bräutigam Okeanoswasser herbeizuholen haben (2,319—333), so ergibt sich mit dieser depotenzierenden Unterwerfung des himmlischen Pantheons unter den Willen des Erdsohnes ihre Eingliederung in jene oben bereits erwähnte, von Nonnos um die Typhon-Gestalt errichtete erotisch-nuptiale Extensität, welche letztendlich — die Tendenz der dionysischen Ausbreitung in der Welt vorwegnehmend — auf eine Sexualisierung des gesamten Universums hinauswill: 2,350-355 και μετά θήλεα τέκνα και άρσενόπαιδα γενέθλην πουλυτόκου Κρονίδαο πολυσπερές άλλο φυτεύσω αίμα νέον μακάρων πολυαύχενον ού χορόν άστρων λείψω νόσφι γάμων άχρήιον, άλλα συνάψω άρσενι ΰηλυτέρην, ϊ ν α δούλια τέκνα λοχεύση Παρθενική πτερόεσσα παρευνηθείσα Βοώτη 3 2 4 . Das Äquivalerit zu den realen und irrealen Anläufen zur Himmelseroberung gibt Nonnos mit den Auswirkungen der typhonischen Erhebung auf die irdischen und unterirdischen Regionen: Berge erschütternd und Felsen schleudernd versetzt der tierleibige Gigant die Tierwelt des Landes und des Meeres in Angst und Verwirrung; das vollständige Verwischen der natürlichen Grenzen durch Aufpeitschen der Fluten zum Firmament und die Zerrüttung der gewachsenen Landschaft durch Herausbrechen und Emporschleudern von Inseln und Vorgebirgen soll das Image des poseidonischen Έ ν ο σ ί χ θ ω ν dem unmittelbar folgenden des olympischen Blitzschleuderers entgegensetzen (1,258-293). Die komplementäre Partie des zweiten Buches (2,29—81) entwickelt aus den Eruptionen der tektonischen Beben, aus den Einstürzen, Zusammenbrüchen, Kataklysmen und Verseuchungen der Gewässer, die auf den Spuren des Ungeheuers zurückbleiben, über die wiederum nach dem sympathetischen Prinzip gegebene Vertilgung des Getiers durch die Bären-, Adler- und Natternhäupter des Typhon (2,42—52) 325 jene offenbar vorrangige Impression einer chaotisch verwandelten Erde, auf der die Ströme ausgedörrt, die Flüsse versandet sind, statt dessen aber neue Wasser aus verborgenen Abgründen hervorbrechen, auf der Landmassen verschwinden und dafür neue Inseln emporsteigen, so daß 324 325

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TSLL 15, 876. Zur Denkform der Magie in diesen antithetischen Bildungen Bogner, Ph 89, 3 2 7 .

das schrecklich zerfurchte Angesicht der menschenbergenden Gaia vom Ende aller sorgsam gehegten vegetativen Schönheit Zeugnis gibt (2,75— 81). In den chiastischen Aufbau der allseitigen Darstellung einer σύγχυσις κόσμου durch Typhon ist an dritter Stelle die für das Epos durchweg obligatorische agonale Konfrontation eingebracht, die hier mit dem bewaffneten Auszug der siderischen Streitkräfte gegen den gigantischen Usurpator anhebt (1,219—257) und im entsprechenden Abschnitt des 2. Buches ( 2 , 1 6 3 ff.) von der nächtlichen Ruhepause vor der letzten Entscheidung und der Bewachung der belagerten Himmelsburg durch die Hören ( 2 , 1 6 3 - 1 8 1 ) über die Postenrunden und Wachtfeuer der Sterne mit ihren gleißenden meteorischen Energieausbrüchen (2,182—204) zu dem großen Duell zwischen Zeus und Typhon (2,244—256. 356—563) anwächst. Dabei bringt der Dichter einerseits zum Ausdruck, daß es auch in diesem übermenschlichen Duell um einen Preis nach agonalem Muster geht, allerdings nicht um ein Rind, ein Schaf oder eine Frau, sondern um den Besitz des Himmels und den Thron der Weltherrschaft (2,359—363). Andererseits wird die Vorstellung von einem Zweikampf — ähnlich wie bei dem Streit zwischen Dionysos und Poseidon um Beroe, wo es ja ebenfalls übergreifende Herrschaftsansprüche zu vertreten gilt — überdeckt und verwischt durch Merkmale einer breitangelegten Schlacht, da die Vielgliedrigkeit des Typhon gewissermaßen ein wohlgerüstetes Heer ersetzt (2,368—383). Dabei ist allerdings die mit 2 , 4 2 9 ff. auf die Spitze getriebene Verselbständigung der Teile zu einem „losely definied focus of various heads and bodies" (Braden), von denen jeder fähig ist, auf eigene abenteuerliche Aktionen auszugehen, offensichtlich das Produkt einer poetischen Absicht, in diesem chaotischen Wirrwarr das Walten eines personalen Willens und eines partikulären Verstandes mit bestimmten Zielen und Methoden zurücktreten zu lassen zugunsten des Eindrucks einer Eigenständigkeit kosmischer Energie, die sich von der kognitiven oder planenden Intelligenz ihres Trägers oder Lenkers weitgehend abgelöst hat, um in einer alptraumhaften Vielfalt (fanatical multiplicity) von Köpfen und Extremitäten und in wüsten Ballungen und Umwälzungen ungeordneter Materie den Mechanismus einer allesergreifenden Katastrophe voranzutreiben 3 2 6 . Zwar bringt Nonnos gewohnheitsmäßig in dieses Gemälde weltweiter Konfusion ein paar traditionelle Farbtupfer, da nach homerischem Muster auf Seiten des Zeus neben Nike die Aressöhne Deimos und Phobos sich in das Treffen stürzen ( 2 , 4 1 4 - 4 1 9 ) , während Enyo, die Dämonin des kriegerischen Gemetzels, auf beiden Seiten zu finden ist (2,475f.). Doch diese Ansätze zu einer iliadischen Szenerie vom Getümmel der Götter und Heroen verlieren sich in dem Schwall von Bildern einer universalen Verkehrung und Zertrümmerung des geordneten Alls nach Art und Ausmaß jener 326

Braden, TSLL 15, 864.

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Gigantomachie, in deren Rahmen Nonnos zu Beginn des letzten Gesanges seinen göttlichen Helden Dionysos sich als Sohn und Erbe des Zeus bewähren läßt (48, Iff.). Das Auftürmen von Bergen und Klippen zu einer Himmelsleiter (2,372—379), das Entwurzeln und Emporschleudern von Bäumen, die vom Blitz des Zeus zu Asche verbrannt werden (2,384—390), das Aufwirbeln der Staub- und Wassermassen durch die Winde (2,391— 394) und das Zerschmettern von Inseln, Küsten und bewaldeten Höhenzügen (2,394—402) sind Ausdrucksformen einer eschatologischen Metamorphose der Welt, in deren Zentrum sich die Begegnung zwischen Zeus und Typhon unter den Begleiterscheinungen eines elementaren Zusammenpralls von Himmel und Erde vollzieht. Dabei kann Nonnos das schon anderweitig beobachtete Grundmotiv des Antagonismus von Feuer und Wasser hier insofern modifizieren, als Zeus, der Wetterherr, sowohl mit den sengenden Geschossen des Blitzes als auch mit den „Wassersäulen" (2,428 κίονες ύδατόεντες) des Regens und den „Hieben des schneeigen Hagels" ( 2 , 4 3 2 νιφοβλήτοιο τομή.,.χαλάζης) angreift ( 2 , 4 2 0 - 4 3 5 ) , wogegen Typhon die vulkanisch-eruptiven Potenzen der Mutter Gaia ebenso aufbietet wie die hydrodynamischen ( 2 , 4 3 7 f f . 453ff.). S o werfen sich zum einen die Gießbäche der Gebirgsschluchten den Blitzstrahlen des Äthers entgegen (2,441—444): „die ätherische Flamme leuchtet durch das Wasser in heftigeren Funken auf" ( 2 , 4 4 5 f. σελάγιζε δι'ΰδατος α ί ϋ ε ρ ί η φλοξ λαβροτέρω σπινθηρι), „das in Glut versetzte Wasser wird trocken und siedet" ( 2 , 4 4 6 f . εζεσε δ ί ψ ι ο ν ΰδωρ αίϋαλόεν), „Feuchtigkeit trocknet durch Feuerbrände" ( 2 , 4 4 7 διερή δέ φύσις τερσαίνετο πυρσω); Typhon möchte das himmlische Feuer durch Nässe löschen (2,448), aber er müht sich vergebens, denn „feurige Blitze entstehen aus regenschwangeren Wolken" ( 2 , 4 5 0 πυραυγέες...κεραυνοί και στεροπαί γεγάασιν άπ' όμβροτόκων νεφελάων). Zum anderen gerät — unter dem Beschüß mit Hitze und Feuchte — der ungefüge Leib des Giganten wechselweise in eisige Erstarrung und schwelende Glut ( 2 , 5 0 8 - 5 5 2 ) , die den schließlich unterlegenen „falschen Z e u s " ( 1 , 3 9 1 νόθου Διός) in einen zu Asche verbrannten, qualmenden und glimmenden Kadaver verwandelt (2,553— 5 63)327. Mitten zwischen diesen beiden Komplexen finden wir — anknüpfend an die reichlich ausgekostete, auf originäre Verwandtschaft der Elemente hinauslaufende Feuer-Wasser-Antithetik der Verse 2 , 4 3 5 ff. — eine naturkundliche Darstellung darüber, wie sich aus der Berührung und Durchdringung von feurig-trockenen und wässrig-feuchten Substanzen des Luftraums und des Erdbodens das meteorologische Phänomen des Gewitters

3 2 7 Der glimmende Typhon als Gefangener des Aetna bei Hesiod, Aischylos und Pindar: J. Duchemin, Le captif de l'Etna: Typhee „frere" de Promethee. In: Studi Classici in onore di Quintino Cataudella 1, Catania 1972, 149ff.

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entwickelt ( 2 , 4 8 0 - 5 0 7 ) 3 2 8 . Die naturhafte Gesetzlichkeit der Entstehung und Veränderung aus dem Konflux feindlicher Stoffe zeigt sich durch diese Anordnung auf urzeitliche mythische Kampfhandlungen zurückgeführt, diese wiederum sind zu der Bedeutsamkeit primordialer, maßgebender und schöpferisch wirksamer Vorgänge erhoben. Die Dionysiaka sind reich an solchen Rückführungen und Rückbezügen auf archaische Antagonismen. Von der um die thebanische Semele gruppierten Trias Zeus (Gatte), Dionysos (Sohn) und Kadmos (Vater) mußte der erstere nicht nur gegen den Erdriesen Indos, den Urahn aller Inder und Feldherrn des tückischen Zeuserzeugers Kronos (18,268 ff.), und gegen die „buntgestaltete Kampe" (18,257), einen mit zahllosen Tierköpfen ausgestatteten weiblichen Typhon (18,236-264), die „Natternbestie des Kronos" (18,264) antreten, sondern er mußte auch gegen seinen eigenen Vater, den Herrn und Meister dieser chthonischen Unholde, und dessen feuchte und eisige Waffen — wie gegen Typhon — das ätherische Feuer einsetzen (18,233 f. κορύσσετο πυρσοφόρος Ζεϋς θερμοτέρω σπινθηρι λύων πετρούμενον ΰδωρ) 3 2 9 . Sein Sohn Dionysos aber wird von Staphylos mit der Erinnerung an diese protagonistischen Leistungen sowohl auf den Sieg über die Inder als auch auf die Teilnahme an der Gigantomachie verpflichtet, wo abschließend und eine schicksalhaft bestimmte Linie des Weltenlaufs krönend der Sohn des Zeus mit der „irdischen Fackel", dem Abbild der zeusgeschleuderten Blitze (48,65. 66), einem „jüngeren Typhon, hochgestaltet und völlig dem früheren ähnlich" (48,77f. νέος...Τυφωεύς ύψιφανής, προτέρψ πανομοίιος) gegenüberstehen wird, so daß der ewige Zwist des Wohlgestalteten mit dem Ungestalteten sich als Sinnbild kosmischen Wandels aufgrund höherer Fügung wiederholt. Kadmos endlich wird mit seinem ländlichen Instrument zu einem typhonischen Schlangenbeschwörer (1,365ff.) 3 3 0 , damit aber — dem Ausspruch des 3 2 8 Vgl. die eingehende Analyse von Keydell, Mythendeutung in den Dionysiaka des Nonnos 1 0 5 ff., wo auch auf die Parallele des bei Lydus de mens. 4 , 3 geschilderten Gigantenkampfes (F. Vian, R E G 6 5 , 1 9 5 2 , 2 7 ) mit der Konfrontation Zeus (Sonne) und Briareos (Winter) verwiesen wird. Es ist jedoch nicht erlaubt, diese vom Dichter offenbar vorgefundene und übernommene physikalische Interpretation mit Keydell 1 0 7 für die Begegnung zwischen Zeus und Typhon bei Nonnos schlechthin verbindlich zu machen („Der Kampf des Zeus mit Typhon ist also als Wintergewitter gedeutet. Er endet mit dem Sieg des Zeus, denn der Winter geht schließlich zu Ende. Zeus siegt also über den Winter"). Sie bildet lediglich für Nonnos eine willkommene Gelegenheit, auf der Basis seiner hesiodeischen Vorlage (theog. 8 3 9 - 8 6 8 ) die von ihm bevorzugte Antithetik kosmisch-elementarer Kräfte noch augenfälliger zu machen, ist aber im übrigen nur eine Komponente in der Gesamtdarstellung der Typhoneia. 3 2 9 Richtig haben Stegemann, Astrologie und Universalgeschichte 1 4 8 Anm. 6 3 und Keydell, Mythendeutung 1 0 7 f. gegen H. J. Rose eine astrologische Deutung (Planet Juppiter gegen Planet Satum) abgelehnt und auch hier das Ringen des frühlingbringenden, feurigen Zeus gegen den winterlich starren und kalten Kronos erkannt. Letzterer vermutet ( 1 0 9 ) die Benutzung eines allegorisierenden Kommentars zu Hesiods Theogonie durch Nonnos. 3 3 0 Zu diesem Zug in der Typhon-Mythologie F. Vian, Le mythe de Typhee et le probleme de ses origines orientales. In: Elements orientaux dans la religion grecque ancienne, Paris 1960, 29.

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Zeus gemäß — zum „Retter der Welten-Harmonie" und so zum künftigen Gatten der Harmonia ( 1 , 3 9 6 f . σέ γαρ ρυτηρα τελέσσω άρμονίης κόσμοιο και Ά ρ μ ο ν ί η ς παρακοίτην). Von Typhon zum „freundlichen Wettstreit" ( 1 , 4 3 9 φιλίην εριν) zwischen Schalmeienklang und Donnergrollen aufgefordert, redet er beziehungsreich von der Macht der Musik über die Geschöpfe der N a t u r 3 3 1 und den Lauf der Gestirne (1,492—499) und von einem der martialischen Begegnung zwischen Typhon und Zeus parallel zu setzenden musischen Agon zwischen ihm und Phoibos ( 1 , 5 0 0 - 5 0 3 ) . Als Gründer von Theben, das heißt als Bereiter des schicksalhaften Ortes der Bakchos-Geburt, hat Kadmos den Drachen des Ares zu bezwingen, eine gottgewollte und von einer Göttin (Athene) initiierte Tat, absichtsvoll von Nonnos in Bezug gesetzt zu seiner Bewährung als Helfer des Zeus gegen Typhon ( 4 , 3 9 3 - 3 9 5 ) 3 3 2 . Denn die Tötung der Ares-Schlange ( 4 , 4 0 8 415) hat, nicht anders als die Aussaat der Drachenzähne und das Gemetzel unter den erdentsprossenen Sparten (4,422—463), den Rang einer archaischen Synthese von Überwindung kulturfeindlicher Kreaturen amorpher Abgründe und anfänglicher Setzung von Keimen menschlicher Sozietät und Gesittung 3 3 3 . Nicht zufällig betont das Epos bei der Entstehung der Sparten das in diesem Mythos enthaltene eigentümliche Gemisch agrikultureller Betätigung (Pflügen und Säen 4,421—427), protogonischer Erzeugung des Geschlechts der Thebaner (4,404f.) und Vernichtung der Giganten im Stil des Zeus und des Dionysos (4,441—445). Es treten also in den Taten des Kadmos wie in denen des Zeus Züge auf, die sich in dem vom Epos aufgerollten Dionysos-Bios variiert wiederfinden: 1. In der Überlegenheit des einfachen Instruments der ländlichen Flöte über das bombastische Getöse eines gigantischen Lärmmachers (1,429 ff.) erweist sich die bezaubernde Macht dämonisch inspirierter Musik über die Ausbrüche des Chaotischen 3 3 4 . 2. Der davon ausströmende hypnotische, eine psychische Stagnation des Giganten hervorrufende Einfluß des Eros (1,398 ff.) erzeugt neben tranceartigen Phantastereien von einer Umordnung kosmischer Positionen nuptiale Wunschträume, deren reale Kontrafaktur die mit musischer, erotischer und kosmischer Symbolik beladene Hochzeit des Kadmos mit Harmonia (5, 88 ff.) darstellt 3 3 5 . 3. Der Drachenkampf und die Saat der Sparten implizieren 3 3 1 K a d m o s als Zähmer der wilden Tiere durch Musik (1, 494) in einer Orpheus-Rolle: Schauenburg, Gymnasium 64, 215 Anm. 27. 3 3 2 Die von Nonnos geschaffene vielschichtige Beziehung des K a d m o s zu Typhon als Drachenkämpfer, Garte der Harmonia und Verwandter des Amphion in der Rolle des bezaubernden Schlangenbeschwörers und musikalischen Typhon-Lieblings schon herausgehoben von Dornseiff, Die archaische Mythenerzählung 71. 3 3 3 Z u m religionsgeschichtlichen und soziologischen Hintergrund F. Vian, Les origines de Thebes, C a d m u s et les Spartes (Etudes et Commentaires 48), Paris 1963. 3 3 4 Braden, T S L L 15, 869. 3 3 5 Simon, J D A I 79, 300 f. Vgl. Braden, T S L L 15, 868. 870 (mit Verweis auf die parallelen Visionen der Zeus-Europa-Geschichte).

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eine oppositionelle Union von spermatischer Schöpfung und blutiger Vernichtung. Das Morden unter den Erdgeborenen und das Rinnen ihres Blutes gemahnt an Vorstellungen vom Mähen und Düngen des Ackerfeldes (5,1—3); es ist, gleich dem zwischen Gründungsopfer (5,Iff.) und grundlegender Umfurchung des Areals der zu gründenden Stadt (5,49 ff.) geschilderten kriegerischen „Abschneiden der barbarischen Aressaat" (5,38 βάρβαρον άμώων στάχυν "Αρεος) feindlicher Stämme, Teil eines für die Lebensbahn des aus Theben hervorgehenden Gottes relevanten Bedeutungsgefüges, in dem die Untergründigkeit des Schlangensymbols und der permanente Kampf mit Barbaren und tellurischen Abkömmlingen (Deriades, Pentheus) eine Rolle spielen. Der ursprüngliche Konnex zwischen Drachensieg und Verwandtschaft mit dem Drachengeschlecht der Sparten fixiert sich nach der dionysischen Zerreißung des Echionsohnes Pentheus in der ophiomorphen Versteinerung des Paares Kadmos-Harmonia (46,364—367), — wie die Drachengefechte von einer Gottheit (Ares, Vater der Harmonia und Gegenspieler des Dionysos) angestiftet und vorverkündet (4,418—420), zudem noch prodigienhaft antizipiert zu der Stunde, da die Kadmostochter Agaue beim Opfer ihre Hände mit dem Blut des bevorstehenden Pentheus-Mordes bespritzt sieht (44,10^1—118). *

*

*

Die Beharrlichkeit und Geschicklichkeit des Dichters im Verfolgen und Wiederaufnehmen bestimmter Stränge eines epischen Komplexes, aus denen der Leser Einsichten in größere Sinnzusammenhänge gewinnen soll, verbindet sich mit der Fähigkeit, das von der Mythologie vorgegebene Material seinen Intentionen gefügig zu machen und dem entworfenen Bedeutungsgeflecht einzuverleiben. Nachdem von dem Erzählkreis um Kadmos der genuine Einschlag des Drakontomorphen im Gewebe der dionysischen Welt in den Vordergrund gerückt wurde, nimmt das sechste Buch diesen Einschlag auf und vertieft ihn nun von einer anderen Seite her, indem neben das Tellurisch-Gigantische in der Vorgeschichte des Dionysos-Mythos die chthonische Götterwelt tritt anläßlich der Schlangenhochzeit Zeus-Persephone und der Geburt des Zagreus 3 3 6 . Bereits im fünften Buch (5, 552ff.) erfolgt von Theben aus nach der Zerreißung des Aktaion und anläßlich der Geburt des Pentheus, im Gedanken an die BakchosAmme Ino und die Bakchos-Mutter Semele der ideelle Brückenschlag zwischen dem „neuen Dionysos", dem „gehörnten Abbild des früher geborenen Bakchos" (5,564 ταυροφυές μίμημα παλαιγενέος Διονύσου), und seinem Vorgänger, dem „elend verendeten Zagreus" (5,565 αίνομόρου Ζαγρηος); dabei gedenkt Nonnos des letzteren als der Frucht einer συγ336

Vgl. Capovilla, Helikon 8, 118 ff. Zuntz, Persephone 107 Η. 398.

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γένεια der „verborgenen" Unterweltsherrin Persephoneia und des in die körperliche Hülle eines Drachen geschlüpften Herrschers der olympischen Götter: 5,566-571 öv τέκε Περσεφόνεια δρακοντείη Διός εύνη σύγγαμος ούδαίοιο μελαγχλαίνου βασιλήος, Ζευς οτε πουλυέλικτος, εχων ψευδήμονα μορφήν, μείλιχος ίμερόεντι δράκων κυκλούμενος όλκω Περσεφόνης σύλησεν άνυμφεύτοιο κορείην κευθομενης... 3 3 7 . Zu Beginn des sechsten Buches erhalten die mit glühenden erotischen Farben ausgemalte Neigung des Zeus zu der Demeter-Tochter (5,586-621) und der monströse Liebesbund (δρακοντείη εύνή) der beiden Gottheiten weitreichendes Gewicht durch den Gang der Brautmutter zu Astraios (6,15ff.) und dessen astrologische Prophezeiung über den „heimlichen, theriomorph sich nahenden listigen Gatten" (6,95f. νόθον λαθραΐον άκοίτην ΰηρομιγή δολόμητιν) angesichts der Konstellation von Ares und Kypris neben dem Sternbild des Drachen (6,97f.). Die Akzentuierung des drakontomorphen Milieus um die chthonische Demeter (6,109—119) und die Abschirmung der von Freiern bedrängten Tochter durch Wächterschlangen in einer finsteren Felsenhöhle Siziliens ( 6 , 1 3 4 139) hebt die adäquate Schlangenmetamorphose des Zeus (6,157f. Ζεϋς. ..πολυέλικτος άμειβομενοιο προσώπου νυμφίος Ιμερόεντι δράκων κυκλοΰμενος όλκω) und die daraus sich ergebenden δρακόντειοι ύμεναϊοι aus der Zufälligkeit eines ephemeren Abenteuers in die Bedeutsamkeit des Zeichenhaften. Wie die Stierverwandlung bei der Verführung Europas und die Blitzepiphanie bei der Hochzeit mit Semele birgt auch die Schlangengestalt in der Vereinigung mit Persephone für Nonnos einen phänomenologischen Faktor der Wesenheit des Dionysos, vorweggenommen in dem proteischen Formenwechsel des Zagreus bei seinem Kampf gegen die mörderischen Titanen (6,176—199). Die eidetische Identifikation mit dem Blitzschleuderer und Aigishalter Zeus (6,165-168. 177), mit dem gehörnten Drachen (6,191-195) und dem hornbewehrten Stier (6,197-200) zählt zu einer Abfolge von Verwirklichungen des Göttlichen in einer Welt der Widerstände von Seiten der Dunkelmächte. Tod und Zerstückelung des polyeidetischen Zagreus als Stier ist nach Aussage des Dichters Anstoß zu neuem Werden aus Uranfängen: 6,175 τέρμα βίου Διόνυσος εχων παλινάγρετον άρχήν. Die im Schlangenring des Uroboros sichtbar gemachte Verschlingung von Anfang und Ende überträgt das Epos auf die durch den Zagreus-Mord 337

168

Vgl. Kerenyi, Dionysos 102 f. Fauth, RE (2.R.) 1 8 , 2 2 3 4 . 2 7 7 0 f.

ausgelöste Kette universaler Katastrophen, von der Entzündung und Versengung der Titanenmutter Gaia ( 6 , 2 0 6 - 2 2 3 ) über die löschende, aber auch allesüberschwemmende Sintflut (6,224—365) bis zum Neubeginn mit Deukalion und einer „frischentstandenen Menschheit" ( 6 , 3 8 6 άρτιγόνοις μερόπεσσιν) auf wiederemporgetauchtem Grund in einem völlig neuen Aufbau von Kultur und Zivilisation ( 6 , 3 6 6 - 3 8 8 ) . Den nach allen vier Himmelsrichtungen sich erstreckenden Brand der Erde läßt Nonnos auch auf die Meere übergreifen; er benutzt diese Hyperbolik, um - mit Hilfe einer entsprechenden Ausdehnung der Wirkungen des Kataklysmos auf den Lauf der Gestirne und deren Standort in den jeweiligen zodiakalen „Häusern" ( 6 , 2 2 9 - 2 4 9 . 3 3 2 - 3 3 8 ) - die elementare Antinomie von Feuer und Wasser kunstvoll vervielfacht auf ein weltumspannendes Niveau zu heben, unterhalb dessen - wie im vorigen Kapitel gezeigt - sich die Einzelszenen der Nymphen- und Nixenwelt als Detailillustrationen der allgemeinen permutatio rerum darbieten ( 6 , 2 5 3 - 3 6 5 ) . * *

»

Das Bemühen des Dichters, auch themenfremde, dem Dionysos-Zyklus fernstehende Mythen heranzuholen und einzubauen, damit die um den Weg des Gottes von seiner Geburt bis zu seiner olympischen Glorifizierung errichtete Kulisse kosmischer Fatalität und überzeitlicher Bedeutsamkeit noch reichhaltiger werde, tritt besonders im 38. Buch zutage. Nach der Unterbrechung durch den Waffenstillstand, die Bestattung der Toten und die Leichenspiele für Opheltes ( 3 6 , 4 7 6 f f . 37, I f f . 103ff.) hebt eine letzte und entscheidende Phase des Inderkrieges an. Sie wird eingeleitet von einer Sonnenfinsternis als „vorverkündendem Zeichen des Himmels" ( 3 8 , 1 6 ούράνιον.,.σημα προάγγελον). Auf dem Hintergrund dieses uranischen Signals einer großen Wende hebt sich das erdnähere Zeichen der von einem Adler durch die Luft einhergetragenen gehörnten Schlange ab, die seinen Fängen entgleitend in den indischen Hydaspes eintaucht (38,26— 29). Die von Nonnos solchermaßen hergestellte Konjunktion siderischer und chthonischer Prodigien erfährt ihre Bestätigung und zugleich ihre erklärende Auflösung in einer doppelten Auskunft: zunächst interpretiert der sternkundige Phryger Idmon das Eintauchen der Schlange als den Untergang des gehörnten Deriades in der Flut seines Vaters Hydaspes ( 3 8 , 5 8 - 6 9 ) ; danach sucht der olympische Bote und unterweltliche Seelengeleiter Hermes seinen Bruder auf, um ihm die Verfinsterung der Sonne als caelestisches Gleichnis der vorübergehenden Trübung des feurig strahlenden Bakchos durch seinen dunkelhäutigen, erdverhafteten Feind, den Inderfürsten, darüber hinaus aber auch als Widerspiegelung der zeitweisen Umnachtung seiner Augen und Sinne durch die Finsternis des Wahnsinns zu deuten ( 3 8 , 8 0 - 8 9 ) . 169

Die bei dieser Gelegenheit aufkommende Erinnerung an ein anderes, vor langem geschehenes Wunder kosmischer Verkehrung, den Sturz des Phaethon vom Sonnenwagen in den keltischen Eridanos (38,90-95), scheint nur sehr oberflächlich angeschlossen, zumal die nähere Erkundigung des Dionysos nach Phaethons Fahrt durch den Äther den Hermes zu einem weitläufigen Exkurs veranlaßt (38,103—434), der — den größten Teil des 38. Buches füllend — den epischen Verlauf nachhaltig unterbricht. Hält man jedoch die Phaethon-Einlage der Dionysiaka einmal mit der entsprechenden Partie im zweiten Buch der Metamorphosen des Ovid zusammen 3 3 8 , so wird ohne weiteres klar, daß Nonnos nicht nur eine breitere, sondern auch eine mit anderen Akzenten und Schwerpunkten versehene Darbietung vorlegt, — Schwerpunkten, die offenkundig wiederum im Bereich der für den Gesamtaspekt des Werkes angezielten Synthese von primordialer Kausalität, astraler Vorbestimmung, erotischer Pathologie und universaler Perkussion liegen. Zu ihnen gehören die Liebesentflammung des Helios für die Okeanostochter Klymene und die Vermählung der beiden, den konträren Elementen Feuer und Wasser verhafteten Gottwesen (38,108—141) sowie die aus dem hochzeitlichen Eingang der Sonne ins Bett des Urmeeres sich ergebende Partizipation des Sohnes Phaethon an der hegenden Aufzucht durch die Okeaniden und an der Gesellschaft der ihn beim Eintauchen in die Tiefe tanzend umringenden Sterne (38,145—150); des weiteren Prädestinationsmotive wie die zukunftsweisende Vorwegnahme des Phaethon-Falles durch das Wurfspiel des Okeanos (38,155-166), die kindlichspielerische Antizipation der Fahrt mit dem Sonnengespann durch den Knaben auf den Wiesen von Thrinakia (38,167—183) oder das Betasten der väterlichen Flamme und der Teile des Wagens bzw. der Helios-Pferde und ihres Geschirrs als Symptom der Verfallenheit an das Fatum der Unglücksfahrt (38, 184—192)339, — bis hin zu dem gewichtigen, den Anschluß an den Dionysos-Kreis vermittelnden Verweis auf das Schicksal des Zagreus, der kindlich unerfahren die Blitze des Vaters zur Hand nahm und darum von den Mächten des Dunkels vernichtet wurde: 38,209-211 άλλ' έρέεις· "Ζαγρήι πόρεν σπινθήρα κεραυνοΰ". Ζαγρεϋς σκηπτον άειρε και ώμίλησεν όλέθρω" άζεο και σύ, τέκος, πανομοίια πήματα πάσχειν. Aus diesen Anzeichen einer unabwendbaren Entwicklung ergibt sich bei Nonnos — im Unterschied zu Ovid — die erzwungene Gewährung der Bitte des Phaethon durch Helios aufgrund eines astralen Fatalismus (38,217f. αύτάρ ό θυμω εμπεδα γινώσκων άμετάτροπα νήματα Μοίρης άσχαλόων

338

Eingehende Synkrisis bei D'Ippolito, Studi Nonniani 2 5 3 ff. Braune, N o n n o s und Ovid 16. 18 bezeichnet das hier hereinkommende Detail als „Sonnenwagenkomplex". 339

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έπένευσεν), dessen kosmisches Fundament in der umfänglichen lehrhaften Darlegung des Sonnengottes über die zwölf Häuser des Tierkreises und die sie durchwandernden Planeten (38,222—233), insbesondere aber über den eigenen Lauf sichtbar wird, der in ewigem Gleichmaß, Tage, Monate und Jahre bezeichnend, Frühling, Sommer, Herbst und Winter heraufführend, Licht und Dunkel, Hitze und Feuchte bringend, Ähre und Traube reif machend, beispielhaft das Gesetz der Dauer im Wechsel repräsentiert (38,233—286). Im Angesicht dieser Gesetzmäßigkeit wird der durch die planlose Willkür des unerfahrenen Lenkers provozierte Aufruhr der Himmelsbilder zum Schaustück einer Entfesselung auch im schön geordneten Firmament schlummernder desorganisierender Energien und eines von ihnen herbeigeführten Zusammenbruchs der uranischen Ordnung, den erst der Blitz des Zeus aufzuhalten vermag, „neugewonnene Fügung wie früher fesselnd und einend" ( 3 8 , 4 1 2 δήσας δ'άρμονίην παλινάγρετον ήλικι δεσμω). Während Phaethon, in den Eridanos stürzend (38,410f.), bei seinem Tode die solare Feuernatur mit den Wassern der Erde vermengt und damit — wenn auch unter anderen, negativen Umständen — zur Ausgangssitutation seiner Geburt und Kindheit zurückkehrt, gießt Zeus umgekehrt löschenden Regen vom Himmel auf die brennenden Länder (38,417f.), so daß nach einer Phase tiefgreifender Störung und Unterbrechung das Saatfeld und der Weinberg als Geschenke einer heilen und friedvollen Welt wieder das alte Gleichmaß der von den Hören geschützten Jahreszeiten erleben: 38,421-423 Ήέλιος δ'άνέτελλε παλίνδρομον άρμα νομεύων και σπόρος ήέξητο, πάλιν δ'έγέλασσαν άλωαί, δεχνύμεναι προτέρην βιοτήσιον αιθέρος αϊγλην.

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Wie man an der Phaethon-Einlage sieht, legt Nonnos Wert darauf, die im Wesen des Bakchischen angelegten Spannungen, augenfällig gemacht etwa in der von ihm besonders bevorzugten Antithetik von Feuer und Wasser, Himmel und Erde, Kosmos und Chaos, auf einen Großhorizont zu projizieren, der diese internen Spannungen umfassend und vertiefend reflektiert. In ähnlicher Weise sucht er das dem Dionysischen eigentümliche Prinzip der μεταβολή auf eine möglichst weitausgreifende zeitliche Dimension auszudehnen und dadurch jeder möglichen Note des Akzidentiellen und Augenblickgebundenen zu entkleiden; dabei bedient er sich mit Vorliebe astronomischer oder astrologischer Daten und Faktoren, weil aus ihnen mit der Unverbrüchlichkeit des Äonischen und der Regelmäßigkeit des harmonisch Bewegten menschliche Kulturgeschichte und göttliche 171

Heilsgeschichte abgeleitet und providentiell begründet werden kann. Wenn Dionysos im 40. Buch nach Tyros gelangt, jenem Ort, wo sich die Wogenrosse Poseidons und der Drachenwagen der Demeter begegnen ( 4 0 , 3 4 6 - 3 5 0 ) , so betritt er nicht nur die Heimatstadt seiner Ahnen Agenor, Kadmos und Europa (40,356—359) und damit ein Stück der eigenen genealogischen Vergangenheit, sondern er nimmt auch Kontakt auf mit dem orientalischen Pantheos 3 4 0 , der als Helios den Himmel umfährt und den Kreislauf der Jahreszeiten regiert, somit eben die erwähnte kosmische Harmonie verkörpert, deren Ausgewogenheit sich auch die bakchische Weltmission einfügen soll: 40,370-374 Ήέλιε, βροτέοιο βίου δολιχόσκιε ποιμήν, Ιππεύων έλικηδον ολον πόδον α ϊ θ ο π ι δίσκψ, υϊα χρόνου λυκάβαντα δυωδεκάμηνον έλίσσων, κύκλον άγεις μετά κύκλον άφ'ύμετέροιο δε δίφρου γήραι και νεότητι ρέει μορφούμενος α ι ώ ν 3 4 1 . Was also im Phaethon-Exkurs bereits zum Inbegriff der Tätigkeit und Erscheinung des Helios proklamiert wurde, der zyklische Wandel in Raum und Zeit, zeigt sich hier gesteigert zum in Ewigkeit sich wiederholenden Allwalten des Welterhalters und -ernährers ( 4 0 , 3 8 5 - 3 9 1 ) , zur Vielgesichtigkeit des Pantheos 3 4 2 mit seinen unter den Völkern wechselnden Namen ( 4 0 , 3 9 2 - 4 0 9 ) 3 4 3 . Darum erhält Herakles-Helios-Astrochiton bei Nonnos den Vogel Phoenix zugewiesen, „der Zeit sich erneuerndes Abbild" ( 4 0 , 3 9 7 χρόνου παλινάγρετος είκών) 3 4 4 , und darum wird ihm die Rekapitulation der Entstehungsgeschichte von Tyros in den Mund gelegt ( 4 0 , 4 3 0 f f . ) 3 4 5 , die nichts anderes ist als ein protogonischer Mythos vom Hervorgehen der Menschheit aus dem Schlamm der neugeborenen Erde im

340 Yg] z u Herakles Astrochiton L. A. Campbell, Mithraic Iconography and Ideology (EPRO 11), Leiden 1968, 2 3 6 f . 3 4 1 Aufbau und Elemente des Astrochiton-Hymnos - allerdings ohne Blick auf das Gesamtwerk und ohne religionsgeschichtlichen Befund - bei Braun, Hymnen bei Nonnos von Panopolis 9 ff. 3 4 2 Astrochiton, der „ G o t t im Sternenmantel" als Bezeichnung für den obersten Himmelsherrn: R. Eisler, Sternenmantel und Himmelszelt 1, München 1910, 9 2 f . 2 5 5 f f . 5 4 0 f . Braun, Hymnen 9 f. 3 4 3 Einzelheiten bei Braun, Hymnen 13 ff. 3 4 4 Der Phoenix als Symbol des Aion-Chronos: R. van den Broek, The Myth of the Phoenix according to Classical and Early Christian Traditions (EPRO 24), Leiden 1972, 3 0 0 f. 3 4 5 Einzeluntersuchung mit Erörterung der Quellenfrage bei Dostalova, L F 5 , 3 7 ff. 51 f. Z u den phönizisch-orientalischen Wurzeln des Gründungsmythos und der Gestalt des Herakles Astrochiton (Baal Melqart) Eissfeldt, Ras Schamra und Sanchunjathon 132 ff. E.Will, Berytus 10, 1952/53, I f f . R. du Mesnil du Buisson, R H R 164, 1963, 133ff. M U S J 41, 1965, 3 f f . lOf. 15. 2 0 f . C. Grottanelli, O A 11, 1 9 7 2 , 4 9 f f . Vicino Oriente 2, 1979, 5 9 f f .

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Rhythmus von Erneuerung und Bewahrung des mit ihr zugleich entstandenen ewigen Zeitmessers Aion (40,430-439) 3 4 6 . Die Neigung des Dichters, in echte oder von ihm fingierte Urmythen zurückzutauchen, um von ihnen her die Stätten, Ereignisse und Personen des dionysischen Erdenlaufs in ein Gespinst von Praefigurationen zu hüllen, bestätigt sich im folgenden Gesang am Beispiel von Berytos. Das starke Engagement, welches der wandernde Gott hier in seiner Monomachie mit Poseidon an den Tag legt, erfährt seine eigentliche Begründung durch den umständlichen Rekurs auf die Stadt als den auserwählten Ort einer Urzeugung menschlichen Lebens aus der konträren Vereinigung von Feuer und Wasser (41,51—57) 347 . Mag diese Erzählung mit späten, spekulativen Anteilen versetzt sein, mag sie mit der kurz zuvor gebrachten Tyros-Protogonie 348 in unvereinbarer Konkurrenz stehen, — das alles kümmert den Dichter nicht; ihm ist es allein wichtig, daß er in ihr Züge prädisponieren kann, die für seine Grundkonzeption der Dionysiaka relevant sind: die Drakontomorphie in der hybriden Bildung des halb schlangen-, halb menschenförmigen Archanthropos (Kekrops, Erechtheus) und — als ihr Antityp - die gottebenbildliche „goldene Saat der ersten Menschen" (41,66 πρωτοφανής χρύσειος...στάχυς ανδρών); die Errichtung der Stadt Beroe als Urwohnstatt der Schlamm- und Lehmentsprossenen durch den Titanen Kronos (41,67f.) und in einem Atemzuge damit die Steinschwangerschaft und Schiundgeburt des kinderfressenden Gottes als mythologische Veranschaulichung archaischer Generationsprozesse (41,69-76) 3 4 8 3 ; den primordialen Status dieses kronosgegründeten Berytos, entstanden „zugleich mit der Erde" (41,83 άμα γαίη) im Angesicht des σύμφυτος Αιών, daher älter als Theben und Tarsos, älter auch als Sardes und Arkadien, die doch beide Mond und Sonne an Alter gleichkommen oder gar übertreffen (41, 85-90), ja sogar - mit bewußter hyperbolischer Korrektur des anfänglich Gesagten — noch vor der Erde selbst aus „der düsteren Hülle des Chaos" (41,96 χάεος ζοφόεσσαν... καλύπτρην) hervorgegangen; schließlich die Landung der eben aus dem Schaum des Meeres geborenen Aphrodite an der Küste Phöniziens (41,97—118) und die damit gegebene Präferenz des uralten Beroe-Berytos — vor Kypros, Korinth, Byblos und Kythera — als Schauplatz einer durch die Anwesenheit 346

Aion als Symbol der unveränderlichen Ewigkeit (μεταβολής αμέτοχος) und der ewig sich wandelnden Zeit (ό μεταμορφού μένος είς πάντα) in mystischen und magischen Texten (R. Reitzenstein, Poimandres, Leipzig 1904, 22. A. Dieterich, Abraxas, Leipzig 1891, 176 Z. 12-13): H . D . Versnel, Mn 27, 1974, 4 0 4 f . Vgl. A. Alföldi, Madrider Beiträge 6, 1979, 15 f. 18 f. 347 Vgl. zu Einzelheiten Eissfeldt, Ras Schamra und Sanchunjathon, Halle 1939, 139ff. Dostalovä, LF 5, 43 ff. 53. 348 Vgl. Mesnil du Buisson, MUSJ 41, 6 f . Etudes 3 2 Anm. 1. 43. 348a Die narrativen Unstimmigkeiten tadelt P. Walcot, Hesiod and the Near East, Cardiff 1966, 13 f.

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der Liebes- und Fruchbarkeitsgöttin ausgelösten paradiesischen Landschaftsmetamorphose, wie sie auch für die Dionysos-Epiphanie vom Epos als charakteristisch vorgeführt wird: 41,119-128 και ύψόθι γείτονος ορμου αυτοφυείς λειμώνες έρευγόμενοι βρύα ποίης ήνθεον ενθα και ένθα, πολυψαμάθω δ'ένί κόλπω ήιόνες ροδέοισιν έφοινίσσοντο κορύμβοις, πέτρη δ'άφριόωσα θυώδεος έγκυος οίνου πορφυρέην ώδΐνα χαραδραίω τέκε μαζω ληναίαις λιβάδεσσι, και άρκιον ομβρον έέρσης άργεννή κελάρυζε γαλαξαίω χύσις όλκω, αύτοχύτου δέ μύροιο μετάρσιον άτμον έλίσσων ήερίους έμέθυσσε πόρους εΰοδμος άήτης. Indem Nonnos die Purpurfärbung der Ufer durch aufblühende Rosen, das Entspringen des Weines aus dem Felsen, das Hervorquellen von Milchbächen und das Aufsteigen von Myrrhenduft als partielle Phänomene dieser mirakulösen Milieuverwandlung zum Vorspiel und zur Vorbereitung der Eros-Geburt (41,129—142) erhebt, schafft er einen archetypischen Plafond für die in den Dionysiaka immer wieder vorgenommene Einbettung erotischer Szenen in die Farbigkeit und Üppigkeit einer von Wunderkräften durchwalteten Natur. Die gemeinsame, kultisch und mythisch motivierte Ansiedlung der Kypris mit ihren Eroten, des Bakchos, der Artemis, des Ares, des Zeus und der protozoischen Meergötter auf dem Terrain dieser πολίων τροφός, der „Schwester des Aion" (41,144 Αίώνος όμόσπορε), „gleichaltrig dem Weltall" (σύγχρονε κόσμου) 349 , gestattet es, die vom Epos um die Gestalt und den Daseinslauf des Dionysos einflußmächtig piazierten Potenzen der Liebe, des Krieges, der Jagdhetze und Tiertötung, des himmlischen Feuers und der maritimen Polymorphie in einer temporalen und lokalen Urzelle aller irdischen Entwicklung keimhaft anzulegen und damit implizit für die Phänomenologie und Pathologie der dichterisch gestalteten dionysischen Aktivitäten verbindlich zu machen. Die Eigentümlichkeit der Bündelung und Verflechtung dieser verschiedenartigen Potenzen kristallisiert sich klarer heraus, dadurch daß Nonnos bei mehreren Gelegenheiten den Welteroberer, Menschheitsbeglücker und Gigantenbezwinger Bakchos gegen einen anderen Zeussohn absetzt, nämlich gegen Perseus, den Töter der Gorgo. Der von Staphylos im 18. Buch gezogene Vergleich zwischen beiden (18,289—305) rückt zunächst die Gemeinsamkeit der gottgewollten Vernichtung bösartiger Unholde ins Licht, wobei es aufschlußreich ist, daß die Erfolge des ersteren über die „erythräischen Inder" (18,299 Έρυθραίων γένος Ινδών) nicht zuletzt 349

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Zu den hymnischen Formeln Braun, Hymnen 3 9 ff.

deswegen über die Erlegung des „erythräischen Meerungeheuers" (18,298 κήτος Έ ρ υ ϋ ρ α ί ω παρά πόντω) durch den letzteren gestellt werden, weil Perseus damit zwar die Andromeda rettete, Dionysos aber durch seinen endgültigen Sieg über die „erdgeborenen Inder" (18,221 γηγενέων γένος Ινδών) die „Sternenjungfrau" (18,304 Παρθένον άστερόεσσαν), die astrale Manifestation des göttlichen Rechts (Dike), aus ihrer Bedrängnis durch die indischen Gigantenabkömmlinge befreien und damit das Fundament der Weltordnung sichern wird. Darüber hinaus aber kommt bereits eine wesentliche Differenz zwischen den beiden konkurrierenden Halbbrüdern zur Sprache: der eine ist mit dem Attribut des versteinernden Medusenhauptes auf den lebensfeindlichen Aspekt der Erstarrung festgelegt, der andere trägt im Attribut der Traube die Botschaft der Belebung und der Lebensfreude zur Schau: 18,295-297 άλλ' ό μέν ήέρταζεν άθηήτοιο Μεδούσης Γοργόνος ακρα κάρηνα, σΰ δ'οϊνοπα καρπον άείρεις, άγγελον ευφροσύνης, βροτέης έπίληΟον άνίης. Von dieser Wesensdifferanz her steuert Nonnos über mehrere Stationen der Erzählung eine Kollision der Konkurrenten an, die sich im agonalen Modus des Zweikampfes realisiert 350 . Die Stationen sind der Eingang des 25. Buches, wo nach der persönlichen Einschätzung des Dichters der heimliche Mörder der Medusa ob seines „mühelosen Sieges" (25,42f. άπτολεμου...νίκης) abgewertet wird gegenüber den martialischen Leistungen des Thyrsosträgers, die in ihrem Effekt von der blutigen Verfärbung der Erde und der Gewässer (25,67—70) bis zum elementaren Ringen des fackelschwingenden Gottes mit dem wogenauftürmenden indischen Strom (25, 74—79) reichen; weiter die Mahnrede der Athene an den vor Deriades weichenden Bakchos gegen Ende des 30. Buches, wo mit verändertem Akzent dem Zaudernden und vor Heras Grimm Zurückbebenden die Taten des Perseus als vorbildlich und in allen Landen gerühmt vor Augen gehalten werden (30,258—277); drittens daran sich anschließend der Blick auf die beiden unehelichen Zeussöhne von der Warte der eifersüchtigen Hera zu Anfang des 31. Gesanges, wo die Leichenhaufen der von Dionysos mit Thyrsospfeilen gemordeten Inder (31, 6 f.) neben den Fesseln der von Perseus befreiten Andromeda und der ehernen Sichel als Instrument des Gorgomörders (31, 8—12) ins Bild rücken, um als Trophäen weltweiter Erfolge der verhaßten νόθοι den Ingrimm der rechtmäßigen Gattin gleichsam gemeinschaftlich zu erregen (31,24f.); schließlich die Synkrisis des okkupierend herannahenden Dionysos mit dem autochthonen Perseus aus dem Munde eines Einwohners von Argos in Buch 47, bei der naturgemäß 350 Vgl. Ch. Dugas, REG 69, 1956, 11 ff. K. Schauenburg, Perseus in der Kunst des Altertums, Bonn 1960, 93 ff. 139 f. Burkert, H o m o Necans 197. J. Lindsay, Men and Gods on the Roman Nile, London 1968, 364ff.

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im Sinne der heimischen Schutzgöttin Hera der δρεπανηφόρος Περσεύς dem Βάκχος θυρσοφόρος vorgezogen wird (47,503 f.), da der letztere zwar das Thyrsenerschiff versteinerte, der erstere dafür aber das Meerungeheuer zu Stein verwandelte (47,508 f.), da der erstere zwar die Ariadne gerettet, der letztere aber die Andromeda befreit hat (47,510-513), da die Mutter des Bakchos vom Blitz des himmlischen Bräutigams verbrannt, die Mutter des Perseus aber von ihm als goldener Regen umflossen wurde (47,516—519). Die Kette dieser artistischen Komparatistik endet dann folgerichtig in dem Gedanken an einen möglichen direkten Zusammenstoß der beiden so unterschiedlichen Bewerber um den unsterblichen Ruhm des Helfers und Befreiers der von chthonischen Übeln heimgesuchten Menschheit; dabei kommt — nun in genauer Umkehrung der im 25. Buch entwikkelten Perspektive — die unkriegerische Weichlichkeit des efeu- und rebenbekränzten Anführers von wilden Weiberhorden in ein ungünstiges Licht bei der Gegenüberstellung mit dem männlich düsteren, vom Nimbus des Gorgonenhauptes umschatteten Vertreter des „rossenährenden Argos" (47,520-532). In Fortführung und Steigerung dieser Idee verschärft und vertieft Nonnos gleich danach beim aufstachelnden Appell Heras an Perseus, den Heerführer des von ihr beherrschten Argos, die antidionysischen Züge des Gorgotöters zum Prinzipiellen hin, wenn die schlangenmähende Sichel den schlangenumwundenen Mänaden zu Leibe rücken und das versteinernde Medusenhaupt die von bakchischer Entzückung bewegten Gesichter der Bassariden erstarren lassen soll (47,537—562). Gegenüber der einseitig letalen, depotenzierenden Kompetenz des Perseus leuchtet dann in der Selbstprädikation des Dionysos (47,613—653) die Vielfalt seiner Behauptungsmöglichkeiten innerhalb einer Welt von Widerständen auf: die Unverwundbarkeit des im Blitzfeuer Gebadeten, die vitalen Reserven des von der Muttergöttin Rhea Gesäugten, der nie versiegende Elan des Giganten- und Inderbezwingers, die Verwandlungsmacht des seefahrenden Weinspenders, die Verblendungs- und Täuschungskunst des Pentheusüberwinders, das wahnstiftende Wirken des göttlichen Weiberherrn. Mit der Ausweitung des Zweikampfes zur Schlacht gibt Nonnos das Aufwachsen der Antipoden ins Riesenhafte, den irdischen Schauplatz Übersteigende als Indiz der spektakulären Einmaligkeit des Bruderzwistes, in dem die agonalen άρεταί des Dionysos aufs neue einen Gipfelpunkt erreichen: 47,657-663 ύψώοας δ' Ίόβακχος έον δέμας, αίθέρι γείτων απτερος ύψικέλευθος άείρετο μείζονι μορφή Ιπταμένου Περσήος υπέρτερος, έπταπόρω δέ αίθέρι χείρα πέλασσε, και ώμίλησεν Ό λ ύ μ π ω και νεφέλας εθλιψε - φόβω δ'έλελίζετο Περσεύς δεξιτερήν άκίχητον όπιπεύων Διονύσου ήελίου ψαύουσαν, έφαπτομένην δέ σελήνης. 176

Olympisches Format ist damit gegenüber dem Heragünstling dokumentiert. Die Versteinerung der Bakchosbraut Ariadne durch die Tartaroswaffe des Perseus (47, 665 f.) und das Versprechen ihrer Verstirnung aus dem Munde des Zeusboten Hermes ( 4 7 , 7 0 0 - 7 0 4 ) bezeichnen die polaren Fixpunkte des Himmels und der Unterwelt, welche die Grenzen dieser Auseinandersetzung abstecken.

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Alle diese enormen Eskalationen, der ganze gewaltige Aufwand des Epikers an großen Worten und grellen Farben rechtfertigen sich letzten Endes erst aus einer Art soteriologischem Dogma, daß nämlich der Auftritt des Dionysos auf der Bühne des Universums ein aus kosmischer Notwendigkeit geborenes, revolutionierendes und befreiendes, zugleich aber göttlichem Ratschluß entstammendes und damit absolut singuläres Ereignis sei. Nach der Katastrophe der Sintflut (6) wendet sich zu Beginn des 7. Buches der greise Aion an Zeus und schildert ihm die Leiden und Nöte des von Mangel, Mühe, Hader, Freudlosigkeit und frühem Alter gequälten Geschlechts der Sterblichen ( 7 , 7 f f . 22ff.). Zeus antwortet mit einem „Wahrspruch, gewichtiger als der der prophetischen Achse" (7, 72 άξονος όμφήεντος υπέρτερα θέσφατα φαίνων); dieser sein in die Unabänderlichkeit eines Orakels gegossener Zukunftsplan aber schließt neuartige, nie zuvor dagewesene, das Antlitz der Erde verwandelnde Vorgänge ein: die Schenkelgeburt eines Gottes, das Aufsprießen der vom Saft des Weines rotgefärbten Rebe, den ekstatischen Jubel der trunkenen Bakchen, den globalen Triumphzug des Traubenspenders, der sich nach unerhörten Kämpfen und Siegen zum „Sternenlauf" des Menschheitsbeglückers mit dem letzten Ziel der Glorie auf dem olympischen Sitz emporschwingt: 7,95-99 πάντες άνευάξουσιν έπ' εϋκελάδοιο τραπέζης άνδρομέης Διόνυσον άλεξητήρα γενέθλης. τοϋτον άθλεΰσαντα μετά χθόνα σύνδρομον άστρων, Γηγενέων μετά δήριν, όμοΰ μετά φύλοπιν Ι ν δ ώ ν Ζηνί συναστράπτοντα δεδέξεται αίόλος αίθήρ. Die von den Moiren benickte und von den Hören benieste ( 7 , 1 0 6 f.), damit in ihrer Unverbrüchlichkeit bestätigte Prophetie enthält gewissermaßen in nuce das Programm des Epos, das danach unverzüglich anläuft mit zwei Akten von fataler und ominöser Inhaltlichkeit: der kosmogonische Eros ( 7 , 1 1 0 σοφος αυτοδίδακτος " Ε ρ ω ς αιώνα νομεύων) wählt aus den zwölf für die Liebesmetamorphosen des Zeus bestimmten Pfeilen den fünften heraus mit der goldenen Aufschrift: πέμπτος έπεντύνει Σ ε μ έ λ η φλογερούς ύμεναί,ους ( 7 , 1 2 1 ) ; analog dazu erhält Semele einen „Weissa-

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gung bunt malenden Traum" (7,142 f. όνείρω θέσφατα ποικίλλοντι) von dem traubenbehangenen Rebengewächs im Garten, das von Kronions Tau befeuchtet und von seinem Feuer versengt, eine noch nicht ausgereifte Frucht dem Himmelsvater im Verglühen überlassen muß, aus der in wundersamer Verwandlung ein stiergestalteter Mann „sich selbst vollendend" (αυτοτελής) hervorgeht (7,143-154). Die mit solchen Fanalen der Vorsehung ausgestattete, auf die beiden Eltern gerichtete προαγγελία der Zeugung und Geburt des Retters findet kompositorisch ihre Entsprechung in der astrologischen Voraussage des Weines am Anfang des 12. Buches. Eingeleitet von dem Aufzug der Hören, der „Töchter des schnellen Erzeugers, des unbeständigen Jahres" (11,486 θυγατέρες λυκάβαντος, άελλοπόδοιο τοκήος), gleichzeitig aber der Kinder des Helios, des Garanten ewiger Beständigkeit des planetaren Umlaufs (12,2) 3 S 1 vollzieht sich das „Nahen der Schicksalsstunde" (11,520 άλλά τότε χρόνος ήλθε μεμορ μένος) unter Aufgebot aller siderischen und zeitregulierenden Potenzen in der Größenordnung einer äonischen Zaesur. Umgeben vom Chor der zwölf Chronostöchter (12,15 ff.) übermittelt der Sonnengott der bittstellenden Höre des Herbstes den Wahlentscheid des Aion und zeigt ihr die von Götterhand geschriebenen Schicksalssprüche des ewigen Phanes auf den Doppeltafeln der Harmonia: 12,29-35 έσσομένης δέ τιθηνήτειραν όπώρης Ήέλιος θάρσυνε, και άντιπόρω παρά τοίχω δάκτυλον όρθώσας έπεδείκνυε κυκλάδι κούρη κύρβιας Ά ρ μ ο ν ί η ς έτερόζυγας, αίς ενι κείται είν ένι θέσφατα πάντα, τά περ πεπρώμενα κόσμω πρωτογόνοιο Φάνητος έπέγραφε μαντιπόλος χειρ, και γραφίδων ποίκιλλεν έφάρμενον οίκον εκάστη. In den Apparat eines astralen Mystizismus verpackt, erscheint die Zuweisung des Weines an Lyaios als epochaler Höhepunkt einer Folge von kreativen oder konfundierenden Geschehnissen, die auf den vier Tafeln in der unverrückbaren Form „schicksalbestimmter und tiefer Orakel des Weltalls in purpurnen Lettern mit künstlichem Rötel ein uraltes und sagenbewandertes Wissen weissagend eingeritzt hat" (12,66—69 μόρσιμα παπταίνουσα πολύτροπα θέσφατα κόσμου γράμματα φοινίσσοντα, σοφη κεχαραγμένα μίλτψ, όππόσα ποικιλόμυθος έπέγραφεν αρχέγονος φρήν); sie reichen von den auf der ersten Tafel verzeichneten archegonischen und protoplastischen Prozessen unter den titanischen Allregenten Ophion und Kronos (12,43—51) über die Entstehung des Menschengeschlechtes aus Fichte und Föhre, seine Vertilgung durch die Sintflut und 351

617f.

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Die Hören als Hüterinnen der Weltordnung: Turcan, Les sarcophages romains 601 f.

die Irrfahrt der Arche Deukalions auf dem wässrigen Chaos der überschwemmten Erde (12,55—63), über das bunte Spektrum mannigfacher, in polyeidetischer Verformung sich ausdrückender, von ερως und πένθος bestimmter menschlicher μεταβολαί (12,70—89) bis zu der entscheidenden und abschließenden Ankündigung auf der vierten Tafel, wo die Trias der dionysischen Vegetationsmetamorphosen des Kissos, Kalamos und Ampelos (12,96—102), prophezeit unter dem astralen Symbol der traubentragenden Jungfrau im Hause des Löwen (12,93 f.), auf das Mysterium der τετράζυγος όμφή (12,107) vorbereitet, mit der die Rebe des Bakchos dem Zirkel der großen kulturellen Gaben aus dem Schoß der pflanzenerzeugenden Natur als letzte und höchste eingereiht wird: 12,110-113 Φοίβω Ζευς έπένευσεν εχειν μαντώδεα δάφνην και ρόδα φοινίσσοντα ροδόχροι Κυπρογενείη, γλαυκον Ά θ η ν α ι η γλαυκώπιδι θαλλόν έλαίης, και στάχυας Δήμητρι, καϊ ημερίδας Διονύσω.

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III. A B S C H L U S S

Ποικιλία κόσμου und πολυμορφία θεοΰ Die Dionysiaka als Spiegel einer von fatalen Ordnungsmächten erhaltenen und vom Erscheinen eines göttlichen Heilbringers erschütterten Welt V. Stegemann, der bisher als einziger eine Gesamtinterpretation der Dionysiaka vorgelegt hat, stellte vor einem halben Jahrhundert die These auf, das Werk besitze eine auf astrologischer Systematik basierende Grundstruktur, in die Nonnos die Genealogie und die Aretalogie des Dionysos als „Universalgeschichte" eingebaut habe. Der Versuch, diese These in seinem gelehrten Buch zu erhärten, mußte jedoch mißlingen, weil sich große Partien des Epos einer solchen Auffassung überhaupt nicht fügen wollten, während es in den anderen zumeist nicht ohne künstliche Konstruktionen oder gewaltsames Zurechtbiegen der Gegebenheiten abging. Die Kritik der analytischen Philologie hatte es daher nicht allzu schwer, den Ansatz des Buches für verfehlt zu erklären und demzufolge den Interpretationsversuch als gescheitert zu verwerfen. Dabei bestand der Fehler Stegemanns genau genommen nur darin, die Schwerpunkte verwechselt zu haben. Die umfangreichen astronomischastrologischen Anteile der Dionysiaka und das unbestreitbare Interesse des Dichters an astraler Mystik und Astromagie geben kein tragendes, systematisches Gerüst ab für Konzeption und Komposition; sie bilden lediglich einen — gewiß nicht unwichtigen - Faktor in der nonnianischen Aufzeichnung des um das Tun und Erleiden des Soter Dionysos errichteten Weltpanoramas. Die von diesen Anteilen bestimmten Szenen und Einlagen vermitteln — wie das ganze Gedicht - die fundamentalen Momente der Bewegung, der Abbildlichkeit und der vielfältigen „Buntheit". Allerdings sind die genannten drei Momente darin — komplementär zu der Unruhe, den vexierenden Spiegelungen und der verwirrenden Wechselhaftigkeit des dionysischen Daseinsraumes — von den Eigenschaften der Harmonie, der kosmischen Sinnhaftigkeit und der schönen Regelmäßigkeit begleitet. P. Friedländer hat die damit gegebene Gegenpoligkeit erkannt und treffend formuliert, indem er zum einen von der „Tollheit des Naturvorgangs", von der Ungeheuerlichkeit der Gestalten und Handlungen in den Dionysiaka gesprochen hat, andererseits von der universalen Weite der Dimensionen, der symbolisch-prototypischen Relevanz mancher Worte, Gesten 180

und Verrichtungen, der strengen fatalistischen Festgelegtheit des Geschehens 3 5 2 . Wie die „kreisende Höre" im Palast des Helios die Schicksalstafeln der Harmonia beschaut (12,29 ff.), so bespäht Astraios, der Gott der Prophetie, in seinem Haus auf Bitten der Demeter „die sich drehende Kugel, das Abbild des Äthers, das Modell des Weltalls" (6,65 σφαΐραν έλισσομένην, τύπον αιθέρος, είκάνα κόσμου). Sie ist „ständig bewegt" (6, 87 σφαΐραν άειδίνητον) und „auf ihrem Rücken bunt" (6,88 σφαΐραν ποικιλάνωτον), mithin ein Spiegel des geregelten Umlaufs des Himmelsgewölbes um die Polachse (6, 70-73) und der Buntheit des sterngeschmückten Firmaments. Da aber das astrologische Orakel des Astraios auf die Schlangen-Hochzeit der Demetertochter Persephone mit Zeus gerichtet ist (6,90ff.) und sowohl den „durch Tiergestalt getarnten Freier" (6, 95f. ν ό θ ο ν . , . ά κ ο ί τ η ν θηρομιγή) als auch den „aufsteigenden Drachen" (6,98 Δράκοντα παραντέλλοντα) nennt, kann man das Moment der kosmischen Rundung im kreisenden Gewinde der „scheinbaren Schlange" Zeus (5,568 f. 6,157f. Ζεύς. ..πουλυέλικτος, εχων ψευδήμονα μορφήν..., δράκων κυκλούμενος όλκω), das der optischen Reflexion in der Selbstbespiegelung der künftigen Schlangengattin Persephone (5,594ff.) und ihres aus der Schlangenhochzeit entsprungenen Sohnes Zagreus (6,173) wiederfinden 353 . Die Buntheit der σφαίρα ποικιλόνωτος reflektiert sich in der bunt gesprenkelten Nebris des „zweiten Dionysos"; denn Nonnos erhebt nach orphischer Vorlage (Orph. fr. 238 Kern δέρμα πολύσηκτον θηρος κατά δέξιον ώμον άστρων δαιδαλέων μίμημ' ίεροϋ τε πόλοιο) das Rehfell des jugendlichen Herrn der Tiere (9,186f. δαιδαλέην έλάφοιο φέρων ώμοισι καλύπτρην αιθέριων μιμηλόν εχων τύπον αίόλον άστρων) und des Inderbekämpfers (14,238 f. νεβρίδα λαχνήεσσαν επί στέρνοιο κ α θ ά ψ α ς στικτόν έχων θώρηκα, τύπον κεχαραγμένον άστρων) zum Abbild des gestirnten Himmels 354 . Im 41. Gesang kommt Aphrodite, um eine Prophezeiung über Beroe zu erlangen, zu dem nach Norden, Süden, Osten und Westen geöffneten Haus der Allmutter Harmonia (41,277f.), dem „im Kreis umlaufenden Ebenbild des Weltalls" (41,281 περίτροχον εικόνα κόσμου). Die von Harmonia ausgeübte Tätigkeit, das Weben eines Gewandes aus Himmel, Erde und Meer 3 5 5 enthält die Charakteristika des Bunten (41,299 ποταμούς ποίκιλλεν) 3 S 6 , des Imitativen, „Abgemalten" (41,297 τ ύ π ψ κεχαραγμένον άστρων) und des zyklisch Bewegten (41,296 ούρανον 352

Friedländer, Vorklassisch und Nachklassisch 43 f. 4 5 f. Zum Spiegel des Zagreus J. Pepin, RlPh 24, 1970, 3 0 4 f f . 3 1 2 f f . 354 Bogner, Ph 89, 324. 355 Zur spinnenden Göttin und zur Welt als Gewebe oder Gewand F. Vonessen, Antaios 4, 1963, Iff. 13. - Bei Nonnos webt auch Persephone in der Drachenhöhle (6, 140ff.) vor der Hochzeit mit Zeus: Eisler, Weltenmantel und Himmelszelt 1, 118; vgl. 162f. 356 Eisler, Weltenmantel und Himmelszelt 1,248. 353

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έσφαίρωσε; 302 ώκεανόν κύκλωσε περίδρομον αντυγι κόσμου). Die gleichen Eigenschaften hat Nonnos aber auch dem von Hephaistos gefertigten goldenen Halsband beigelegt, das ebendieselbe Aphrodite ihrer Tochter Harmonia, der thebanischen Doppelgängerin der Allgottheit 357 , zur Hochzeit mit Kadmos, dem Großvater des Dionysos überreicht: ein buntes Gewinde mit sternhell glänzendem Rücken (5,144 ποικίλον ορμον.,.άστεροφεγγέι νώτω), der gebogenen Gestalt einer Schlange gleichend (5,145 ώς όφις ήν έλικώδες εχων δέμας), das Zischen des sich ringelnden Reptils täuschend nachahmend (5,156f. έλισσομενη κεφαλή πολυδίνει παλμώ ψευδαλέον σύριγμα διήρυγεν άνθερεώνος) 3 5 8 . Obwohl der Dichter der Schlange mit Rücksicht auf die spätere Schlangenmetamorphose des Paares Kadmos-Harmonia zwei Köpfe gegeben hat, halte ich die imaginative Anlehnung an den Uroboros, die sich kreisförmig rundende, Weltraum und Weltzeit in ihren zyklischen Umläufen verkörpernde kosmische Schlange 359 , für unabweisbar. Es ist sicherlich kein Zufall, daß der „buntgestaltige Aion" (7,23 Αιών ποικιλόμορφος) mit seiner leiblichen Krümmung im Angesicht des Zeus (7,24ff.) nach der Entbindung Aphrodites von Beroe einer sich häutenden Schlange gleich vom Alter zur Jugend zyklisch überwechselt (41,180 f. γήραος άχθος αμείβων ώς όφις άδρανέων φολίδων σπείρημα τινάξας εμπαλιν ήβήσειε) 3 6 0 , zumal ihm auch sonst die Fähigkeit der kriechenden, sich dahinwälzenden Umgestaltung zugesprochen wird (3,255f. 36,422f.). Vor dem Abenteuer mit dem Sonnenwagen erteilt Helios seinem Sohn Phaethon eine lange belehrende Auskunft über den Bau der uranischen Sphäre und die Bahnen der einzelnen Planeten durch die Häuser des Tierkreises (38,222ff.). Dabei entfaltet sich eine ganze Kaskade von nominalen und verbalen Bezeichnungen des zirkelhaften, in sich gekrümmten Laufes: der Zodiakos ist kreisförmig gewölbt (38,223 Ζωδιακού γλαφυροϊο...κύκλου), der Pfad der Planeten schief gewunden (38,225 λοξή πουλυέλικτος άταρπιτός έστι πλανήτων); Kronos durchwandert seine Stationen im Bogen (38,226 ελιξ Κρόνος οίκον αμείβει); von den Kreisen des sich erneuernden Mondes ist die Rede (38,228), vom verschlungenen sphärischen Weg der Sonne (38,234f.), die sich selber kugelförmig dreht (38,248), von dem durch ihren Gang garantierten Kreislauf der Jahreszeiten (38,236. 250ff. 270ff.). Die beiden übrigen Komponenten des Bunten und des Abbildlichen treten hinzu, wenn Kadmos im 5. Buch mit der Errichtung des siebentorigen Theben, der Geburtsstätte des Dionysos, „die 3 5 7 Vgl. schon Stegemann, Astrologie und Universalgeschichte 114 f. S. ferner H . von Geisau, Harmonia. In: Der Kleine Pauly 2, Stuttgart 1 9 6 7 , 9 4 1 . 3 5 8 Vgl. Friedländer Johannes von Gaza und Paulus Silentiarius 2 1 f. 3 5 9 G . H . Mohr, Lexikon der Symbole, Düsseldorf-Köln 3 1974, 257. Vgl. A. DelattePh. Derchain, Les intailles magiques greco-egyptiennes, Paris 1964, 3 6 4 (Index). A.A1földi, Chiron 9, 1979, 567. 3 6 0 Golega, Studien 6 4 f . Vgl. W. Fauth, Aion. In: Der Kleine Pauly 1, Stuttgart 1964, 186.

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von sieben Türmen umringte Stadt als verkleinerte Nachahmung des siebenzonigen Himmels zeichnet" ( 5 , 6 4 f . έπταπόρω πυλεώνι περίδρομον άστυ χαράξας ούρανόν έπτάζωνον έη μιμήσατο τέχνη) und dabei „ein buntes irdisches, dem uranischen Original gleichendes Konterfei erschafft" (5, 87 ποικίλον άσκήσας χθόνιον τύπον ίσον Ό λ ύ μ π ω ) 3 6 \ Diese Korresponsion im Vorfeld der Dionysos-Epiphanie auf Erden erstreckt sich aber nicht nur auf das Räumlich-Statische, sondern auch auf das Zeitlich-Evolutionäre; denn Nonnos läßt den Kadmos im davorliegenden Buch als Kulturschöpfer - und damit auch in dieser Hinsicht Vorgänger des thebanischen Gottes - die kreisförmig gebogenen Bildzeichen der Schrift aufzeichnen (4,268 f. χαράγματα λοξά χαράσσων εγραφεν αγκύλα κύκλα), die Weihen des „ägyptischen Dionysos" lehren ( 4 , 2 7 0 f.) und, in Fortführung und Übertragung der „verbindenden Harmonie" ( 4 , 2 6 1 f. συμφυέος...άρμονίης) auf universale Ausmaße, „den Bogen der feurigen Sterne ausmessen" ( 4 , 2 7 6 μετρήσας φλογόεσσαν... ί'τυν άστρων) und „die ruhelosen Kreise der immer wiederkehrenden Selene erfassen" ( 4 , 2 7 9 άστατα κύκλα νόησε παλιννόστοιο Σελήνης). Neben dem erotischen Symbol der Götter- oder Heroenhochzeit (ZeusPersephone, Kadmos-Harmonia) und dem konstitutiven Symbol der Stadtgründung und Kulturvermittlung (Kadmos-Theben, Kadmos-τέχναι der Schrift und Astronomie) wird als drittes selbstverständlich auch das kriegerische durch die Beziehung zu kosmischen Konfigurationen bei Nonnos von einer höchsten Warte aus mit bedeutungsvollem Gewicht versehen. Beim Wiedereintritt in die Inderschlacht wird Dionysos Mitte des 25. Buches von Attis, dem Abgesandten der kleinasiatischen Rhea-Kybele, ermutigt und als „Schwinger des unverletzlichen ätherischen Sternenschildes" ( 2 5 , 3 5 2 αιθέρος άστερόεσσαν άνούτατον ασπίδα πάλλων) angeredet. Dieser von Hephaistos gefertigte Schild ist wie die Kugel des Astraios, das Halsband der Harmonia und die ringförmige Stadt des Kadmos ein durch τέχνη hervorgebrachter Reflex des Universums; denn es sind auf ihm neben der Erde das Meer, der Äther und die Sterne abgebildet (25,335). Und auch hier wird das Faktum der anähnelnden Verdoppelung im kleineren Format durch die Eigenschaften der ποικιλία und der περιστροφή zu einer höchstmöglichen Übereinstimmung mit dem Original verknüpft: Der Schild ist vielfarbig ( 2 5 , 3 8 7 ασπίδα...πολύχροον); auf ihm sieht man in der Mitte „die umlaufende Erde" ( 2 5 , 3 8 7 f . ένι μέσσω...γαΐαν περίδρομον), um sie herum „schalenartig den sternbesäten Himmel geritzt" (25,388 f. άμφ'ι δέ γαίη ούρανον έσφαίρωσε χορω κεχαραγμένον άστρων); aus Gold „bunt gefertigt" ist der himmlische Helios ( 2 5 , 3 9 0 f . αίθέριον δέ χ ρ υ σ ψ . . . Ή έ λ ι ο ν ποίκιλλεν), aus Silber die „radförmige Selene", weißlich im Kreis gebogen (25,392f. άπ' άργυρέου δέ μετάλλου λευκαίνων τροχόεσσαν ολην κύκλωσε Σελήνην); die Sternbil361

Vgl. Stegemann, Astrologie und Universalgeschichte 2 3 0 ff.

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der schließlich sind „kranzartig gedreht", einem Gürtel gleich den sieben Zonen des Äthers als bunter Schmuck umgelegt (25,394f. τείρεα πάντ α . . . μιτρώσας στεφανηδόν ελιξ ποικίλλεται αί§ήρ επτά περί ζώνησιν). Solchermaßen geht es — wie bei Nonnos üblich — scheinbar endlos weiter mit sich ringelnden, schlangelnden und biegenden Tierzeichen (25,396ff.) bis hinunter zu den Erdregionen mit der unter Amphions Lied von selbst sich drehenden runden Säule Thebens (25,419ff.), dem im Kampf um Tylos sich krümmenden chthonischen Drachen (25,451 ff.) in der Heimat des Bakchos, Maionien und dem „vorgetäuschten Zeus", von der Dionysosamme Rhea-Kybele dem kinderfressenden Kronos überreicht (25,553 ff.). Der mit siderischen Emblemen bedeckte, in seiner heraldischen Thematik aber bis in tellurische Zonen herunterreichende Schild des Dionysos, dessen „radförmiges Rund" (25,566 σάκεος τροχόεντος) die Begleiter seines Trägers nach dem Prinzip der magischen Analogie „kreisförmig umringen" (έκυκλώσαντο), verleiht — nach Aussage des Attis — die Unbezwinglichkeit und Unverwundbarkeit der auf ihm wiedergegebenen astralen Potenzen gegenüber den erdverhafteten Idolen der Inder, Hydaspes und Deriades (25,355ff.) 3 6 2 . In ganz ähnlichem Sinne legt Hermes als Bote des Zeus im 38. Buch das Prodigium der vorübergehenden Sonnenfinsternis aus als zeitweilige Trübung, aber letztlichen Sieg des „lichtbringenden Bakchos" (38,81 φεραυγέα Βάκχον) über die „dunkelhäutigen Inder" (38, 82 μελανόχροον Ίνδόν). Aber das Dunkel steht dem Lichtund Segenbringer nicht nur feindlich gegenüber, es wohnt auch in der Form sinnestrübender μανία in seiner eigenen Brust; darum läßt Nonnos den Hermes noch eine zweite Deutung geben: wie Helios den finsteren Nebel zerstreute, so vertrieb Dionysos die undurchsichtige Dunkelwolke des eumenidischen Wahnsinns von seinem Gemüt und wird nun im Krieg so hell erstrahlen wie die Sonne am Himmel (38,85-89) 3 6 3 . Aus den beiden letzten Stellen kann man mit hinreichender Gewißheit entnehmen, daß die von Nonnos gerade im caelestisch-astralen Bereich unermüdlich traktierten Bewegungsarten des in sich zurückkehrenden Umlaufs (Sonne, Mond, Himmelskugel, Erde, Planeten) und des regulierten Wechsels (Verfinsterung und Wiederaufleuchten der Sonne, Reigen der Jahreszeiten, Alter und Verjüngung des Aion) nicht einfach oberflächliche Produkte eines Wortfetischismus oder einer stilistischen Monomanie sind. Die „Zwangsvorstellung des Kreises", von der Riemschneider gesprochen hat 3 6 4 und die in den Dionysiaka ja auch den Weg der Seele zwischen den Polen Leben und Tod einschließt (37,5 f. ψυχής πεμπομένης, οΰεν ήλυθε, κυκλάδι σειρή νύσσαν ές άρχαίην), vertritt für den Dichter ein notwendi362 363 364

184

Stegemann, ebd., 86. Vgl. Stegemann, ebd., 44 ff. 80 ff. Riemschneider, Der Stil des Nonnos 66 f.

ges ideelles Äquivalent der harmonischen Geschlossenheit, in dem die heftigen Eruptionen chaotischer Energie, aber auch die explosiven Spannungen einer gleichsam linear in die Welt hineinstoßenden dionysischen Aktivität aufgefangen und abgeleitet werden. Die Katalyse von grundlegenden und unausweichlichen Gegensätzen, etwa denen zwischen den Pflanzern und Verehrern der Rebe (Oineus, Ikarios) und den Verächtern und Vernichtern der Rebe (Lykurg, Deriades) 3 6 5 , fordert zunächst grausame und blutige Zusammenstöße, die den Einklang paradiesischer Idyllen oder den Urfrieden archegonischer Akte (Geburt des Eros — Geburt der Beroe: 4 1 , 1 1 9 ff. 155 ff. 185 ff.) nachhaltig zerstören. Daraus bezieht das Epos seine Motorik und seine Farbigkeit (ποικιλία), in der das Rot des Weins und des Blutes, aber auch der (mit beiden Substanzen verschwisterten) Liebe nicht zufällig dominiert ( 4 , 3 2 0 f f . Tereus und Philomela — 1 2 , 3 6 3 f f . Satyrn und Nymphen). Schon die Buchstaben der HarmoniaTafeln mit der Anzeige zahlreicher Groß- und Kleinmetamorphosen sind „purpurn, mit weisem Rötel geritzt" ( 1 2 , 6 7 γράμματα φοινίσσοντα, σοφη κεχαραγμένα μίλτω). Was ein „urgezeugter, mit bunten Mythen erfüllter Sinn" ( 1 2 , 6 8 ποικιλόμυθος...αρχέγονος φρήν) dort geschrieben oder besser „vorgeschrieben" hat, bietet das verschlungene, wirre, manchmal kaum durchschaubare Gewimmel des Epos dem Leser dar; doch ist das alles eben nicht beliebig, sondern eingebunden in die Providenz fataler, astrologisch oder astralsymbolisch abgesicherter und manifest gemachter Ratschlüsse. Die ideale und ewig dauernde Bewegung der kreisenden Gestirne und Sphären verleiht den flüchtig, unvollkommen, willkürlich und erregt scheinenden Bewegungen der von Dionysos betroffenen Welt einen metaphysischen Rückhalt. Die Unstetigkeit und abbildhafte Gebrochenheit dieser Welt in Doppelungen, Parallelen, Resonanzen fängt die Dichtung ein mit den Mitteln der Maske, des Modells, des Tanzes, des Traumes, der wahnhaften Vision und der Verwandlung 3 6 6 . Eine Unzahl von Götterverkleidungen nach homerischem Muster (z.B. 3 , 8 5 . 4 , 6 9 f f . 8 , 3 9 f f . 1 8 1 f f . 9 , 1 4 1 . 2 7 7 . 1 1 , 1 1 5 . 3 5 2 . 1 4 , 3 0 3 f . 2 0 , 1 8 8 f. 2 6 , 4 . 4 0 , 8 usw.), Zwangsmetamorphosen und Katasterismen nach hellenistischer Tradition (z.B. 3 , 2 6 4 f f . 5 , 2 8 8 f f . 1 4 , 2 7 0 f f . 3 6 , 6 9 f f . 4 7 , 2 4 6 f f . 4 7 , 7 0 0 f . ) ist über die 48 Bücher des Epos ausgestreut; sie mögen in ihrem episodischen bzw. akzidentiellen, augenblicksgebundenen oder parenthetischen Charakter als ornamentales Beiwerk gelehrter Poesie angesehen werden. Wir gelangen jedoch darüber hinaus unter dem phänomenologischen Begriff der Selbstverwandlung an eine tieferreichende Schicht des erzählerischen Anliegens mit den erotischen Maskeraden des Zeus; denn sie sind schon nicht mehr nur zweckund funktionsbedingte Kunststücke, beschränkt auf die kurze Zeitspanne

365

Massenzio, S M S R 4 0 , 6 2 .

367

Vgl. Riemschneider, Der Stil des Nonnos 5 8 . 5 9 .

185

einer bestimmten Situation, sondern werfen sowohl mit ihrer erotischsexuellen Motivierung als auch mit ihrer wechselnden Fülle und ihrer überwiegenden Tendenz zur Theriomorphie vom Wesen des olympischen Vaters her Licht und Schatten auf den schillernden, vom Hell-Dunkel unbändiger Triebe und Kräfte beherrschten, animalisch enthemmten Impetus des Sohnes Dionysos-Bakchos. Wenn Eros im 7. Buch zwölf Pfeile als fatale Erreger der Liebesleidenschaft des Zeus zu sterblichen und unsterblichen Frauen in seinem Köcher trägt ( 7 , 1 1 0 - 1 2 8 ) , so sind in dieser kosmosymbolischen Zwölfzahl jene unter Deckfiguren kaschierten Vermählungen mit Europa, Danae, Semele, Aigina, Antiope, Demeter und Persephone enthalten, die im Verlauf des Epos - mit unterschiedlicher Akzentuierung - zum Teil mehrfach in den Blick genommen werden. So läßt sich beobachten, daß die Entführung der Europa durch den Stier ( 1 , 4 4 ff.), das eposeinleitende Präludium zur Geburt des Bakchos, im Orakel an Kadmos (4,293 ff.) wiederaufgenommen, mit dem Monolog des Zeussohnes über seine Liebe zu Nikaia (16,49 ff.) und dem daraus erwachsenden Wunsch nach erotischer Autometamorphose weitergeführt — die Erinnerung daran taucht beim Besuch in Tyros beziehungsvoll auf (40,356ff.) - und ihm zuletzt bei dem Werben um Beroe von einer Quellnymphe ins Gedächtnis gerufen wird (42,102ff.), während sie andererseits bezeichnenderweise im Rahmen der Überschwemmungsdrohung des Okeanos (23,304ff.) und der Beroe-Legende mit der Andeutung einer möglichen kosmischen Kollision Zeus-Poseidon (41,237ff.) Erwähnung findet. Aber auch an einer Nebenfigur wie Aiakos, dem Halbbruder und Begleiter des Dionysos auf dem Indienfeldzug, wird das Thema der Adlerhochzeit des Zeus mit der Aigina von vornherein als qualifizierendes und genealogisch verbindendes Moment eingebracht (13,201—221), in der Okeanos-Rede unter der parallelisierenden Klammer des Antagonismus zwischen dem adlergestaltigen Zeus und dem Vater der Aigina, dem Flußgott Asopos einerseits, dem stiergestaltigen Zeussohn Dionysos und dem stiergestaltigen Flußgott Hydaspes andererseits (23,288f.) mit einer neuen Perspektive versehen, während der Inderschlacht als Grund und Voraussetzung für eine zweite Manifestation des Himmelsherrschers als Adler herangezogen, diesmal mit dem Ziel der Stärkung des Semele-Sohnes und der Entrückung des Aigina-Sohnes im Zuge einer allgemeinen und umfassenden Hilfeleistung der Götter für ihre kämpfenden Schützlinge (24,73—122), endlich während des Seegefechts im Gebet des Aiakos an seinen Erzeuger als Unterpfand für ein günstiges Omen in einem Atemzuge mit der Bitte um eine nochmalige Blitzverklärung des Bakchos beschworen (39,135—170). Neben diesen gleichsam insular immer wieder auftretenden Einzelepisoden erfährt auch der in Buch 7 gebotene Verwandlungskatalog eine mehrfach variierte Neuauflage, wenn 1 6 , 2 3 0 f f . die Eschennymphe Melie den vor Nikaia zagenden Dionysos an die allomorphen Abenteuer seines Va186

ters mit Semele, Danae, Dia und Antiope gemahnt (16,236-243), wenn Aphrodite ihre Besucherin Hera über eine mögliche Wiederholung der Eskapaden ihres ungetreuen Gatten als Regen, Stier, Satyr, Roß und blitzleuchtender Bräutigam ausforscht (31,212-227) oder wenn Morrheus verliebt den gestirnten Himmel betrachtet und dort die astralen Monumente der polymorphen Wendigkeit des Zeus, den Stier, die Bärin und den Adler entdeckt, so daß ihm der Wunsch entsteht, er möchte sich um Chalkomedeias willen zum Satyr wandeln können, um es dem Gotte bei seiner Vereinigung mit Antiope nachzutun (33,287-306). Alle die genannten Reminiszenzen aber sind nur Abschattungen und Nachklänge des in Buch 7, etwa hundert Verse nach dem Eros-Katalog einsetzenden Konglomerats von Metamorphosen bei der hochzeitlichen Annäherung an Semele. Nachdem der Anblick der im Asopos badenden Jungfrau als erstes im Sinn des Zeus die Ähnlichkeit mit ihrer Verwandten Europa hat zum Bewußtsein kommen lassen (7,205—209), wiederholt sich die Adler-Epiphanie über dem Asopos wie seinerzeit anläßlich der „wohlbeflügelten Hochzeit mit Aigina" (7,210-214). Nachdem zum zweiten eine Najade die im Fluß schwimmende Semele mit einer neuen Kypris, mit Selene und Athene verglichen hat (7,221—254), trägt sich der ungeduldige Zeus mit dem Gedanken, Helios und Eos zu verhüllen, den Gang des Tages und der Nacht zu verkehren und am hellen Mittag Hesperos mitsamt den Gestirnen heraufzurufen, um unter dem pflanzenfördernden Strahl der Selene und unter dem liebeverheißenden Licht des Sternes der Kypris die der Bakchos-Geburt dienende Vermählung zu vollziehen (7,28 6— 307). Die in solchen Erwägungen einer uranisch-meteorischen Metamorphose involvierten Vorausdeutungen auf den Sohn der Semele und seine astrale wie phytophile Wesenheit konkretisieren sich anschließend unübersehbar im Wechselspiel der Erscheinungen, mit dem der Himmelsgott die Auserwählte umgaukelt (7,319—333). Die Theriomorphose zum Löwen, zum Panther und zur Schlange, der Übergang zum rindsgehörnten, stierhaft brüllenden Monstrum und die Annahme der kennzeichnenden Attribute des Rebengewindes, des Efeukranzes und des Schlangenringels der Locken (7,325 f. μιτρωθεΐσαν ύπο σπείρησι δρακόντων νυμφίος άμπελόεντι κόμην έσφίγγετο δεσμω, οϊνοπα δινεύων έλικώδεα κισσον έθείρης, Βάκχου πλεκτον άγαλμα) antizipieren allesamt eidetische Besonderheiten des Dionysos, in denen sich das „Bunte" mit dem Runden, Gekrümmten zu einem faszinierenden Gewirr vereinigt. Doch Nonnos begnügt sich nicht damit, den Zeus bei der Zeugung des Sohnes ein ΐσοφυές μίμημα βοοκραίρου Διονύσου (7,321) annehmen und dadurch eine abbildartige Duplizität entstehen zu lassen, er entfaltet auch um das hochzeitliche Lager im voraus schon jene Abundanz bakchischer Paradieswunder und Vegetationsverwandlungen, die später das Walten des neuen Gottes auf Schritt und Tritt begleitet (7,334-349). 187

Zeus im Hirschfell, auf den Narthex gestützt, den Thyrsos schüttelnd und die Traube zukunftskündend erhebend, wird so nach dem Willen des Dichters zum Prototyp des Dionysos, daneben aber auch zum lebenden Paradigma, zum ersten Zeugen der metamorphotischen Macht des bakchischen Rausches, die alles Lebendige, nicht zuletzt ja auch den Poeten selbst berührt. Der Sohn seinerseits wiederholt und bestätigt den vom Vater bei der Hochzeit ominös produzierten Zug vielfältiger mutatio figurae bereits in frühester Kindheit, als er, von den gehörnten Pheren umsorgt, sich vor den Ränken der Hera durch allerlei theriomorphe und anthropomorphe Tarnverkleidungen zu schützen sucht (14,148ff.) 3 6 7 , so daß die Stiefmutter, „da sie die immer wechselnden Formen des Lyaios erspähte" (14,170 μορφήν άλλοπρόσαλλον όπιπεύουσα Λυαίου), in ihrem Grimm die Wächter des Kindes zu rinderähnlichen Ungeheuern werden ließ 368 . Wandlungsfähig und von verwandelten Wesen umgeben wird der Dionysos des Nonnos als erwachsener Inderbesieger vom Flußgott Hydaspes zum alter ego des Zagreus erklärt (24,47 και σϋ φέρεις Ζαγρήος δλον δέμας), der einst zur Verteidigung gegen die Titanen die verschiedensten Inkorporationen wählte (6,176 άλλοφυής μορφοΰτο πολυσπερές είδος αμείβων). Das proteische Element der Dionysos-Natur wird vom Epos unermüdlich vorgeführt als Quelle und Bezugspunkt der unaufhörlichen Fluktuation, die das gesamte Werk in mannigfachen Ausdrucksweisen durchzieht. Was die Satyrn beim Aufmarsch zur Inderschlacht tun, indem sie die tierischen Hüllen von Rindern, Löwen, Panthern und Hirschen umlegen (14,128 ff.), ist nichts anderes als eine künstliche Nachahmung der Vielgestaltigkeit, die ihr Herr im Kampf mit dem Inderfürsten Deriades als Waffe einsetzt 369 . Nicht ohne Grund nennt dieser ihn im 40. Buche einen stets entgleitenden, nie faßbaren Gegner (40,38 έον δέμας αίέν αμείβων) und erläutert seine Behauptung an der Abfolge von Metamorphosen, mit denen Bakchos irritierend aufwartet: Pardel, Löwe, Schlange, Bär, Feuer, Eber, Stier, Baum und Wasser (40,40-56) 3 7 0 . Die πολυφάρμακα θαύματα τέχνης (40,57) und die φύλοπις αλλοπρόσαλλος (40,58), vor denen Deriades zittert, sind aber letztlich nur eine erweiterte Skala jener Manifestationen des Proteus, die der Dichter tonangebend an den Anfang seines Gedichts gestellt hatte und die er, leicht abgewandelt, im

367 Zur Bocksgestalt des von Herraes bei den Nymphen von Nysa versteckten DionysosKindes (Apollod. 3, 29) Horn, Mysteriensymbolik 122. 368 Die Verwendung von Θεσσαλίδος δολόεντα... ανθεα ποίης (14, 172) und μάγγανα φαρμακόεντα (14, 174), welche Hera aus den Händen der Achlys empfängt, um diese Verwandlung zu bewerkstelligen, zeigt ihre antizipatorische Annäherung an die spätere infiltrierende und verwandelnde Tätigkeit des Dionysos. - Zur Lesart der Stelle Peek, Beiträge 21. 369 Vgl. Turcan, Les sarcophages romains 542. 370 Schreckmanifestationen des Dionysos als Löwe, Drache, Panther und Stier schon bei Eur. Bacch. 1007f.: Noetzel, Christus und Dionysos 12. - Löwen- und Panthergestalt des Dionysos und seiner Mysten: Horn, Mysteriensymbolik 107, 110.

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36. Gesang auf den proteushaften Herrn der Pflanzen und Tiere, den Vertrauten des Feuers und des Wassers, im Ringen mit dem Sohn des Hydaspes überträgt: 36,292-333 Und Dionysos warf sich wider den wuchtigen König, kreuzend mit der Lanze den Thyrsos; und er verhüllte wechselnd seine Gestalt vor dem lanzenwerfenden Gegner, mannigfach verwandelt, verborgen in bunten Gebilden. Bald erschien er gerüstet als stürmische, rasende Flamme; flackernd flirrte ihr Glanz in wechselnd qualmigem Rauche, dann aber strömte er wild in Wogen als täuschendes Wasser feucht und entsandte die Nässe der Pfeile, dann aber wieder ward er völlig an Haupt gleich einem Löwen gebildet; steil nach oben warf er den Kopf, und grausiges Brüllen strömte ihm dabei aus mähnenhaariger Kehle, gleich dem Donnerton des eigenen, krachenden Vaters. Dann aber zeigend sein schattiges, vielfach sich änderndes Antlitz ganz verwandelt erschien er, und gleich einer Pflanze der Erde schoß er von selbst empor und ragte bis hoch an den Äther wie eine Fichte, wie eine Platane. Die Haare des Hauptes ahmten Blätter nach und waren wie unechtes Baumhaar; und es wurde sein Leib zu mächtigem Stamme, zu Ästen machte er seine Hände und schuf zur Rinde die Kleidung, eingewurzelt die Füße, und hindernd des kämpfenden Königs Hörner, umsäuselte er mit diesem Laube sein Antlitz. Dann aber ließ er die Glieder zu fleckigem Bilde verwandeln, und im Sprunge schoß er empor als schnellender Pardel, sprang dann auf den Nacken der Elefantenkolosse leichtbeschwingt, und der Elefant, den Wagen zerschmetternd, schleuderte ins Gefild den gottbekämpfenden Lenker, rüttelte wild das Joch, und die bogigen Zäume zerbrachen. Aber auch sinkend kämpfte der mächtige Held mit des Bakchos Truggebild und verletzte mit seiner Lanze den Pardel. Wieder wandelte sich der Gott, und heiß in die Lüfte tauchte er auf und drehte sich schweifend in feurigem Kreise windbewegt als ein flammend Geschoß, und so überquerte er die zottige Brust des indischen Königs im Kreise, und von den springenden Funken des hochaufqualmenden Rauches war an den silbernen Flanken geschwärzt der arabische Harnisch, funkenübersprüht. Des feuergetroffenen Trägers halbverbrannter Helm ward heiß auf dem kochenden Haupte. Statt des gräßlichen Löwen erschien ein tobender Eber, riesig öffnete er den Schlund des borstigen Maules, näherte sich mit dem Nacken dem Bauch des indischen Königs. 189

Auf die Hinterfüße sich hebend, versuchte das Untier mitten in die Hüfte die spitzen Hauer zu stoßen. Und Deriades rang mit dem unempfindlichen Trugbild, eitle Hoffnung im Herzen: mit nichtsberührenden Händen wollte er immer ergreifen den unerreichbaren Schatten 3 7 1 . Beim Vergleich mit dem Proteus-Kaleidoskop fällt auf, daß hier Feuer und Wasser gleich am Eingang des langen und buntgemischten Reigens betont gegeneinandergesetzt sind, — in Übereinstimmung mit dem beherrschenden Motiv einer Kollision dieser beiden dem Gott in verschiedener Weise nahestehenden Elemente, wobei der fliegende, kometenhafte Feuerschweif ( 3 6 , 3 2 2 πυρσός αλήτης) seine Verwandtschaft mit den blitzgenährten ätherischen Bränden des Himmels besonders heraushebt. Die dendromorphe Variante bringt den für Dionysos-Epiphanien bei Nonnos auch sonst zu konstatierenden Trend zum Gigantischen, Überdimensionalen (36,306). Das Ensemble der Tiereinkörperungen ist vollständig (die Schlange wohl nach 3 6 , 2 9 5 in den Handschriften ausgefallen), der Angriff des Pardels auf den Reitelefanten des Königs dabei zur phantastischen Impression einer indischen Dschungeljagd ausgestaltet. Letztlich überwiegt — für die dionysischen Mirakel allgemein zutreffend — das Unwirkliche, Phantomartige eines visuellen Verwirrspiels (36,334ff.) und unterstreicht die Neigung des Gottes, potentielle Gegner zu narren, zu verblenden, ihre Sinne irrezuführen. Was Deriades als listige Täuschung anprangert (36,339. 343) und der Feigheit, Kampfuntüchtigkeit des Weinspenders zuschreibt, die έτερότροπα φάσματα Βάκχου (36,350), ist in Wahrheit Ausdruck der ekstatischen Illusion, die dem Erlebnis der bezaubernden bakchischen Gegenwart anhaftet 3 7 2 und in den „bunten Gebilden wechselnder Gesichte" (36,295) die traumhafte Realität einer andersartigen, von ungewöhnlichen Impulsen und absonderlichen Möglichkeiten regierten Existenz spiegelt. Nach allem, was bisher festgestellt wurde, ist aber nun die gesamte Ereignisabfolge des Epos selbst nichts anderes als eine Art Spiegel dieser an der Gestalt und dem Wesen des Gottes ansichtig werdenden Instabilität, Polymorphie und tranceähnlichen Konfluenz der „Einbildungen". Unter dem Begriff der „Metamorphose" im weitesten, allgemeinsten Sinne können wir unter anderem verzeichnen: die tänzerische Elementarverwandlung des dionysischen Dämons (Silen - Fluß) die existentielle Wandlung des dionysischen Dämons zur Rebe (Ampelos) Übertragung: Th. von Scheffer, Nonnos Dionysiaka, Wiesbaden o. J., 554 ff. Zu Dionysos als master of magical illusions und Herr der M a s k e sowie der maskenhaften Verkleidung Dodds, The Greek and the Irrational, Berkeley-Los Angeles, 2 1 9 5 1 , 77. Noetzel, Christus und Dionysos 20. 371

372

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die kämpferische Verwandlung der Bakchantin zur Pflanze (Ambrosia) die funktionale Verwandlung der dionysischen Winzerheroen (Staphylos, Botrys, Pithos) die aus manischer Affektion resultierende Verwandlung (Ino) die aus dionysischer Epiphanie resultierende Theriomorphose (Tyrrhener) die aus dionysischer Epiphanie resultierende Landschaftsverwandlung (Attika, Phönizien) die aus erotischem Pathos geborene Pflanzenmetamorphose (Kalamos und Karpos) die aus antidionysischer Resistenz geborene Quellmetamorphose (Aure) die Infiltrationsverwandlung des gegnerischen Flusses (Wein-Blut, Feuchte-Hitze) (Hydaspes) die funktionale Wandlung des Dionysosfeindes (Verfolger-Opfer) (Lykurgos) die habituelle Verwandlung des Dionysosfeindes (Pentheus) die Entmenschlichung im mänadischen Wahnsinn (Agaue, Lamostöchter) die Vision der elementaren Umkehrung (Nereiden — Bakchen) die Vision der kontinentalen Veränderung (Berytos) die Vision der kosmischen Umkehrung (Okeanos) die Vision des kosmischen Herrschaftswechsels (Typhon) die globale Katastrophe (Sintflut) die universale Katastrophe (Zeus-Typhon, Götter-Giganten) * *

*

Es ist nicht erstaunlich, daß die überquellende Fülle teils identischer, teils ähnlicher Deskriptionen in oft nahezu gleichartigen Worten und 191

Wendungen den modernen Betrachter der Dionysiaka zunächst irritiert und abstößt. Bei dem enormen Umfang des Werkes haben die ausufernden Pleonasmen, die diffusen, verschwommenen Formulierungen und der Hang zur Dublette, durch die die narrative Linie gestört und die epische Illusion beeinträchtigt wird 3 7 3 , unter Umständen etwas Entnervendes. Die bombastischen Monologe ohne reale Konsequenz 374 , die Ausbreitung von gelehrtem Buchwissen mit kommentierenden Exkursen, die Einführung einer kosmischen Mythologie mit entlegenen, in ihrer Nähe zur Allegorie oft abstrakt und unlebendig wirkenden Figuren 375 vermögen uns kaum Anteilnahme abzugewinnen. Aber trotzdem ist es gewiß voreilig und kritischer Objektivität unangemessen, aus einem subjektiven Eindruck zu folgern, man habe es mit dem Elaborat eines effekthaschenden, rhetorischer Spielerei verfallenen und Bücher ausschreibenden Dichterling zu tun, auf dessen eingehendere Erschließung Mühe zu verwenden sich kaum verlohne. Erst recht hat sich die Philologie davor zu hüten, aufgrund eben dieses Eindrucks den Autor nachträglich zu schulmeistern, ihn durch Ausschaltungen und Zurechtrückungen ganzer Komplexe verbessern zu wollen oder durch negative Werturteile vorschnell abzuqualifizieren, wie es beispielshalber E. Maass getan hat, als er bei der Analyse der HymnosNikaia-Geschichte die Verdoppelung der Liebhaber (Hymnos — Dionysos) als „etwas ganz Überflüssiges" bezeichnete, an dem Verhalten des Dionysos wie des Hymnos gegenüber Nikaia „eine ebenso zwecklose wie widerliche Obertreibung" zu entdecken meinte, die Einfachheit und Wirksamkeit der ovidischen Parallele (Milanion und Atalante ars. am. 2,195 f.) gegenüber der „effektlosen Darstellung" bei Nonnos lobte, um am Ende mit der mißbilligenden Bemerkung aufzuwarten: „Es zeugt von großem Ungeschick, ja Unvermögen, wenn der Dichter seinen Dionysos der spröden Nymphe, um sie zu gewinnen, Dinge verheißen läßt, die sie verschmäht. Das ist verkehrte Welt. Ich halte es für erwiesen, daß das behandelte Motiv aus der Nikaia des Nonnos als unmöglich ausgesondert werden muß" 3 7 6 . Aus einer angeblichen inhaltlichen Unstimmigkeit wird hier also die Forderung nach einer Änderung am überlieferten Text abgeleitet von einem Philologen, der bei seiner sicherlich ausgiebigen Nonnos-Lektüre nicht gemerkt hat, daß das „Verkehrte" den Dionysiaka in jeder Beziehung seinen eigentümlichen künstlerischen Stempel aufdrückt. Die vorliegende Untersuchung hat demgegenüber, wie ich meine, hinreichend bestätigt, was in letzter Zeit mit zunehmender Distanzierung von der analyti373

Vgl. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 82. Haidacher, Quellen und Vorbilder 108: „Die Typhonie ist in der Schilderung des Nonnos gar kein richtiger Kampf, sondern nur ein großes Wortspiel". Vgl. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 122. 375 Keydell, Mythendeutung in den Dionysiaka des N o n n o s 11 I f f . 113f. 376 E. Maass, Η 24, 1889, 5 2 3 ff. 5 2 7 f . (zu den Stellen 16, 82ff. 94ff.). 374

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sehen und rekonstruierenden Methode sich an Einsichten über das Werk anzubahnen beginnt: Die Dichtung des Nonnos folgt von vornherein in semantischer, ästhetischer und kompositorischer Hinsicht ganz anderen Gesetzen als denen, welche die konservative, an klassischen Maßstäben orientierte und ständig auf die Frage der Originalität fixierte Forschung auf sie angewandt wissen wollte. Daher darf eine an sich richtige Beobachtung, wie die von P. Collart über das Vorhandensein von kompositorisch gegenständigen Gruppen gleichartiger oder identischer inhaltlicher Struktur (Buch 1: Typhonie - Buch 48: Gigantomachie; Buch 19: Leichenspiele für Staphylos - Buch 37: Leichenspiele für Opheltes) 3 7 7 nicht zu unhaltbaren Schlüssen hinsichtlich der Genese führen, in diesem Fall zu der Behauptung, Nonnos habe die Typhonie im letzten Moment in die EuropaKadmos-Handlung eingefügt, um eine Symmetrie zu den Gigantenkämpfen im letzten Buch zu erreichen 378 . Denn nach der in unserer Untersuchung aufgedeckten poetischen Leitidee des Wandels aus der Auflösung oppositioneller Spannungen muß das agonale Aufeinandertreffen ZeusTyphon bzw. Kadmos-Typhon als unentbehrlicher, integrierender Bestandteil des Ganzen gelten: der soteriologische Grundzug der Dichtung erfordert es, daß anarchische Potenz zunächst von Protagonisten überwunden wird, um dann gewandelt und gebändigt in der Person eines neuen Olympiers (Dionysos) aufzutreten; der evolutionäre Fortschritt von archaischer, absoluter Wildheit (Typhon) zu der zivilisierten Abfolge von Ordnung und Entfesselung durch die Konstitution der jährlichen Dionysien ist damit angezeigt 379 . Da nach den Ergebnissen der Arbeit von B. Abel-Wilmanns die epische Anlage der Dionysiaka nur ein äußerer Kohärenzfaktor ist, die „Funktion einer äußersten, d. h. umfassendsten Klammer" hat, wobei die zahlreichen „expliziten und impliziten Beziehungen zu den homerischen Epen für die Seite der literarischen Tradition und Konvention stehen" 3 8 0 , und da laut String die konkreten Angaben zur epischen Aktion lediglich einen „Leitfaden" abgeben, an dem in sich geschlossene statische „Bilder" aufgereiht werden 3 8 1 , ist es geboten, die innere Einheit des Gedichts in der die narrative Stringenz übergreifenden oder negierenden thematischen bzw. motivischen Verflechtung zu suchen, die sich nach dem oben Dargelegten auch über weite Intervalle hin ergibt. Nachdem erkennbar geworden ist, daß Nonnos den Eintritt des neues Gottes in die Welt und seinen Ausgriff auf deren Totalität unter den Modi der kriegerischen Eroberung, der ekstatischen Überwältigung und der erotischen Inbesitznahme demonstriert, kann man das Schema der daraus sich ergebenden Oppositionen anhand 377 378 379 380 381

Vgl. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau der Dionysiaka 97. Collart, Nonnos de Panopolis 59. 65 f. Braden, TSLL 15, 878. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau in den Dionysiaka 89 f. Untersuchungen 54. Vgl. Abel-Wilmanns, Der Erzählaufbau in den Dionysiaka 86.

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der in der Untersuchung gewonnenen Einsichten mit Hilfe einiger ausgewählter Beispiele entwickeln: 1. Martialischer

Komplex

a) Prinzipielle Opposition: Dionysos — Deriades (Inder) (Hell-Dunkel) b) Elementarer Zusammenprall: Dionysos — Hydaspes (Feuer — Wasser) Okeanos — Uranos c) Kosmische Konfrontation: Typhon — Zeus Dionysos — Perseus d) Rivalisierende Auseinandersetzung: (Zeus - Hera) Eros — Ares Pathologische Paradoxie: e) (Hymenaios im Gefecht) (Verbindung zum erotischen Komplex) 2. Dionysisch-Ekstatischer a) b) c) d) e)

Prinzipielle Opposition: Komplementäre Opposition: Sensueller Kontrast: Metaphysischer Kontrast: Pathologischer Kontrast:

f) Musisch-ästhetische renz:

Konkur-

Komplex

Dionysos-Lykurg Dionysos-Pentheus Farbverbindung Rot-Weiß Leben—Tod (Ambivalenz des Wassers) Wein - Blut (Ikarios) Freude — Trauer (Staphylos) Lust — Schmerz (Ampelos) (Verbindung zum erotischen Komplex)

Maron — Silenos (tänzerischer Agon) Kadmos — Typhon (musikalischer Agon) g) Martialische Konkurrenz: Dionysos — Ares (Pflanzenwaffe — Eisenwaffe) (Bakchen — Inder) (Verbindung zum martialischen Komplex) h) Illusionäre Paradoxie: Dionysos — Tyrrhener (Land - Meer) 3. Erotischer a) Elementare Konfrontation: b) Agonaler Zweikampf: c) Pathologischer Gegensatz: (Liebesscheu — Liebesgier) d) Metaphysischer Kontrast: (Liebe — Tod)

194

Komplex

Dionysos — Poseidon (Verbindung zum martial. Komplex) Dionysos — Pallene Dionysos — Nikaia Dionysos — Aure Hymnos — Nikaia

e) Phänomenologische ParadoZeus — Semele xic: (Hochzeit — Verbrennung) f) Illusionäre Paradoxie: Zeus - Europa (Verbindung zum (Meer — Land) schen Komplex)

dionysisch-ekstati-

Natürlich muß man sich gegenwärtig halten, daß eine solche Schematisierung keinesfalls ein systematisches Strukturgerüst der Dionysiaka vortäuschen soll. Es handelt sich um eine künstliche Abstraktion, die lediglich den Zweck erfüllen kann, eine erste Ubersicht über die multiplen Brechungen und Abwandlungen der in der fundamentalen Opposition Eros — Ares grob eingefangenen Grundthematik zu vermitteln. Sie kann schon deshalb der ποικιλία des Epos nicht gerecht werden, weil sie die beiden anderen von uns in Betracht gezogenen Komponenten, die Vervielfältigung im Abbild und die Vielfalt der „Bewegung" notgedrungen ausklammert. Es ist aber in den vorangegangenen Kapiteln doch vielleicht deutlich geworden, daß erst die Zusammenschau aller dieser Ingredienzien einen Zugang zum Kern des nonnianischen Opus ermöglicht. Die Starrheit der Antithesen im großen wie im kleinen Detail wird ja aufgehoben oder besser erst gar nicht zugelassen durch die Oszillation, das ständige Schaukeln der Beschreibung zwischen Identifikation und Differenzierung 382 . Dieses amöbenhafte Verfließen, die verzerrende Unschärfe der Vorstellung, hervorgerufen durch halb synonyme Ausdrücke, die sich zum Teil überlagern, jedoch nicht völlig deckungsgleich sind, geht zusammen mit den Kunstgriffen der Spiegelung, Verdoppelung und Wiederholung. Die dadurch verursachte Verwirrung und Desorientierung geht gewiß nicht auf das Konto eines einfallslosen Epigonen, der sich selbst kopiert und es darauf ankommen läßt, daß seine Leser von faden Repetitionen gelangweilt werden. Es fällt uns vom heutigen Standpunkt aus naturgemäß schwer, die geistigen Wurzeln und das weltanschauliche Substrat dieser Dichtung zu erfassen, noch schwerer, seine ästhetische und affektive Wirkung zu ermessen. Aber vielleicht ist man doch auf dem richtigen Wege, wenn man in der permanenten Beschwörung von Analogie und Opposition, in der geradezu besessenen Wiederholung bestimmter Wörter und Wendungen, in dem ständigen Hin- und Herpendeln zwischen Realität und psychischer Fiktion 3 8 3 Spuren einer kosmomagischen oder astromagischen Weltansicht vermutet, wie es einleitend schon angedeutet worden war. Es fällt immerhin auf, daß auf dem Verbalsektor neben den mannigfaltigen Bezeichnungen für den Lärm der bakchischen Orgie und des thiasotischen Schwarmzuges, der ja letztlich auch auf Zielsetzungen apotropäischer Magie zurückgeht 3 8 4 , vor 3β2 Vgl. Riemschneider, Der Stil des Nonnos 48. 61 f. 383 384

Vgl. ebd., 60f. Turcan, Les sarcophages romains 5 5 0 .

195

allem solche des Drehens (δινεΐν), Umwindens (περισφίγγειν), Umrundens (κυκλοϋσθαι), des Fesseins (δεσμεύειν), des Schwingens (τιχαίνειν), des Ritzens oder Schreibens (χαράσσειν, γράφειν), des Stechens (καταγράφει/ν), Schneidens (τέμνειν) und Peitschens (μαστίειν), des Verfärbens (έρυθαίνειν) und Vergiftens (μιαίνειν) vorkommen, die sich mitsamt den zugehörigen Nominalbegriffen der Kugel, des Kreises, der runden Scheibe (des Mondes), des Rades, des Pendels, der Schlinge und der Schaukel, der Nadel, des Griffels, des Messers und des Pharmakons ohne Schwierigkeit mit der Praxis des Zaubers assoziieren lassen. Nahezu alle diese Termini enthalten aber auch eine kinetische oder aktionale Disposition, und Bewegung, vor allem unruhige, ziellose und hemmungslose Bewegung, die allenthalben ihre Spuren und Folgen hinterläßt und somit Störungen, Trübungen und Veränderungen der bisher „unbeschriebenen Fläche", das heißt des ruhenden, intakten Status hervorruft, hatte seinerzeit M. Riemschneider völlig zutreffend als ein Hauptmerkmal des „Stils" der Dionysiaka herausgehoben 385 . Der innere, vom Gegenstand her begründete Anstoß zu dieser Mobilität und Irritationsbereitschaft rührt, wenn nicht alles täuscht, aus dem bakchischen Temperament, von dem auch der Dichter einen Hauch verspürt zu haben behauptet; ihm eignet eine „Unersättlichkeit", aus der auch der Absolutheitsanspruch des Gottes entspringt 386 : Unersättlichkeit im Genuß des Weines, die kein Maß des Trinkens kennt (19,256ff.); Unersättlichkeit im Liebesgenuß, die jede jungfräuliche Unberührtheit kontaminierend zu erobern trachtet (1,525ff.), und Maßlosigkeit in der gewaltsamen Okkupation der Oikumene, die bewaffneten Widerstand in Blut und Feuer erstickt und psychisches Sträuben in den Wahnsinn der Selbstzerfleischung verkehrt ( 4 7 , 4 8 I f f . ) . Doch die expansive, ja explosive Dynamik dieses Strebens nach totaler Aneignung, von den Dionysiaka in bunten, überquellenden Bildern eingefangen, wird bei Nonnos aufgehoben in der Unerschütterlichkeit ewiger, in sich ruhender oder in sich selbst zurückfließender kosmischer Zyklen. Das Gedicht selbst scheint in seiner formal- und literarästhetischen Konzeption etwas von dieser Gegenpoligkeit zu reflektieren, wenn G. Braden recht hat mit seiner Überlegung, daß eine wirkliche, tiefreichende Analyse die eigentliche Bedeutung des Werkes am ehesten zu suchen habe im Zusammentreffen eines aufgeregten, verwirrten Stils mit dem, was es auf der Grundlage einer tausendjährigen literarisch-mythologischen Tradition uns inhaltlich zu sagen versucht („...in the final analysis the significance of the poem is perhaps to be sought in the encounter of its excited, confusing style with what a millenium of precedents . . . assures us it is trying to say") 3 8 7 . 385 386 387

196

Riemschneider, Der Stil des Nonnos 50 ff. Vgl. Braden, TSLL 15, 872 f. TSLL 15, 855.

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Register Z u g r u n d e g e l e g t e T e x t a u s g a b e : N o n n i P a n o p o l i t a n i D i o n y s i a c a , rec. R . Keydell, V o l . I et II, Berolini 1 9 5 9 .

Stellenverzeichnis (in Auswahl) 1 0 , 8 0 ff. 1 2 0 ff. 1 6 9 ff. 4 5 ff. 6 1 f . 1 4 5

Nonnos, Dionys.

10,330ff.

140

36

11, I f f . ll,215ff.

4 8 . 1 4 0 f. 37

2 , 6 6 ff.

153 ff.

2 , 2 0 9 ff. 2 7 6 f f .

16 61 8 7 . 1 6 0 ff.

ll,227ff. 258ff. 1 1 , 3 6 9 ff.

1 4 5 f.

2 , 1 1 3 ff. 2 , 1 4 3 ff.

1 2 , 2 ff. 2 9 ff. 1 2 , 6 4 ff.

28. 178 156ff. 185 4 9 . 1 4 0 . 1 4 2 ff. 146

1 , 1 ff. 1 , 3 5 ff. 9 0 f f .

3 2 . 3 3 f.

1 , 1 7 0 ff.

2 3 f. 3 5 . 3 9 . 1 6 0 f .

147f.

3 , 8 3 ff.

17

3,13 Iff. 3 , 4 0 9 ff.

18.20 17

4 , 2 6 1 ff. 4 , 3 93 ff.

183

1 3 , 3 ff.

25

167 167

1 3 , 4 6 ff.

32. 33

1 4 , 1 2 8 ff. 1 4 , 4 0 8 ff.

188 29. 59. 97f.

15,Iff. 20ff. 1 5 , 3 0 1 ff. 3 5 2 ff.

97. 9 9 f . 113. 134 15 I f f . 1 5 6

1 6 , 1 1 ff. 16,210ff. 250ff.

98. 114 5 9 . 9 6 f. 9 9 . 1 5 0 .

16,396f.

99

17, I f f .

36

1 7 , 9 8 ff.

1 0 0 f. 60. 65. 67 107. 113

4 , 4 1 8 ff. 5, I f f .

1 2 , 1 3 8 ff. 1 4 3 f f . 12,237ff. 1 2 , 2 9 3 ff.

1 5 8 f.

5 , 8 8 ff. 5 , 1 4 4 ff.

1 6 7 . 1 8 2 f. 27. 166 182

5 , 2 8 7 ff. 5 , 5 5 2 ff. 5 , 5 9 4 ff.

3 6 f. 1 2 8 167 181

6 , 1 5 ff. 1 7 2 ff. 6 , 2 0 6 ff. 2 2 4 f f .

1 2 1 . 1 6 8 f. 1 8 1 1 5 5 f. 1 6 9

7, 7 ff. 7 , 2 0 5 ff. 7 , 3 3 4 ff.

1 7 7 f. 187 9 3 f. 1 1 4

8 , 2 7 ff.

29

9, 6 ff. 9 , 6 5 ff. 9 , 1 4 7 ff. 9 , 2 4 3 ff. 2 5 5 ff. 10, I f f .

116ff. 159 62

1 8 , 2 6 8 ff.

136f. 20 165. 174

36 6 3 . 1 1 8 f. 119f.

1 9 , 8 ff. 1 9 , 5 9 ff.

138 139

200

186

1 7 , 2 7 0 ff. 1 7 , 3 1 5 ff. 18,7ff. 18,62ff.

1 9 , 1 1 8 ff. 1 4 0 ff.

3 9 ff. 1 3 9 f.

4 0 , 3 8 ff.

188

1 9 , 2 2 5 ff.

4 1 ff. 45.

4 0 , 8 6 ff.

61. 66

4 0 , 2 9 4 ff.

7 1 . 7 2 f.

20,127ff.

104.

4 0 , 3 4 6 ff.

1 7 2 f.

20,304ff. 347ff.

37. 62.

2 1 , 3 ff. 5 5 ff. 9 0 ff.

6 3 f. 1 0 4 .

86

138 113

113.

1 2 3 f. 2 1 , 2 0 0 ff.

64. 66

2 2 , I f f . 1 4 6 ff.

5 0 f. 1 0 4 . 105.

101.

134

41, Iff.

7 1 ff. 1 7 3 f.

41,277ff.

28.

4 1 , 3 0 5 f f . 3 9 5 ff.

7 9 f.

4 2 , 1 3 ff.

7 3 ff.

4 2 , 2 3 0 ff.

89

4 2 , 2 4 3 ff.

7 5 ff.

181

2 2 , 1 6 8 ff.

51

4 2 , 3 8 3 ff.

151.

22,354ff.

5 0 f.

4 2 , 4 3 8 ff.

7 8 ff.

23, Iff.

5 2 ff.

43, Iff.

8 0 ff.

2 3 , 1 5 7 ff.

5 3 ff.

23,312f.

87

24, Iff.

5 7 f.

25,Iff. 8ff.

32. 33.

175

23. 33.

102

2 5 , 2 5 3 ff. 2 6 4 ff. 27 Iff.

1 8 3 f.

2 7 , 1 7 6 ff.

102

2 9 , 1 5 ff.

2 6 . 1 4 8 f.

3 0 , 2 5 8 ff.

175

31,6ff.

121.

3 2 , 8 4 ff.

4 3 , 1 5 0 ff. 1 9 1 ff.

8 5 ff.

4 3 , 3 2 6 ff.

90

4 3 , 4 3 2 ff.

91

4 4 , 8 ff.

110.

4 4 , 1 5 8 ff.

22.

152.

175

125 115

4 4 , 1 9 1 ff. 2 0 4 ff. 2 1 7 ff.

2 5 , 3 3 5 ff.

157

1 0 7 f . 1 1 5 . 1 2 7 f.

4 4 , 2 5 3 ff.

108

4 5 , 6 ff.

1 2 8 ff.

4 5 , 9 5 ff.

108

45,172ff.

1 0 9 ff.

4 5 , 2 4 4 ff.

1 1 3 f.

4 6 , 6 ff.

1 2 5 ff.

4 6 , 1 5 8 ff.

1 2 9 ff. 1 3 2 ff.

46,364ff.

167

156

32,102ff.

1 2 1 f.

47, Iff. 30ff.

9 4 f. 1 2 8 . 1 3 3 ff.

3 2 , 1 7 6 ff.

32

4 7 , 1 1 6 ff.

37

4 7 , 2 1 9 ff.

86

3 3 , 6 0 ff.

14

4 7 , 5 0 3 ff. 5 6 7 ff.

1 1 5 f. 1 7 5 f.

33,210ff.

151

3 5 , 2 0 4 ff.

103.

3 5 , 3 5 2 ff.

114

60. 102.

104

3 6 , 2 9 2 ff.

189f.

36,354ff.

1 0 3 f. 1 1 3

1 0 3 ff. 1 6 9

3 8 , 1 6 ff.

1 6 9 ff.

38,222ff.

182

3 9 , 6 ff.

63 60. 66.

3 9 , 2 2 5 ff.

6 7 ff.

3 6 . 1 6 4 f. 14. 9 1

4 8 , 2 4 1 ff. 2 6 4 ff.

15. 26. 3 6

48,477ff. 566ff.

37, Iff.

3 9 , 3 3 ff.

48, Iff. 4 8 , 9 0 ff.

5 9 5 ff.

16.59.91.

5 9 . 1 1 4 f. 1 2 4

4 8 , 9 5 8 f.

29

Apoll.Rhod. Arg. 3,112f.

14

H o r n . II. 102

95.114

4 8 , 9 0 9 ff. 9 2 8 ff.

2 , 3 0 5 ff.

32

2 , 4 8 4 ff.

32

4 , 4 3 9 ff. 14,346ff.

32 93

21,Iff. 200f. 21,305ff. 324ff.

51 54

Od. 4 , 4 5 0 ff.

35.37

7,14ff.

17

9 , 1 8 1 ff.

40

10,274ff.

17. 18

Orph.fr. 238 K.

181

Ovid.met. 3 , 6 0 5 ff.

108

6,3 87 ff. ars am. 2 , 1 9 5 f.

39

192

Verzeichnis der mythologischen Namen Abarbarea 152 Acheron 148 Achilleus 5 1 Adonis 27, 71 f., 75 f., 79, 149 Adrasteia 152 Agaue 110, 118, 126ff., 167 Agenor 72, 172 Aiakos 51, 186 Aigina 186 f. Aion 177, 182 Aither 125 Aktaion 36 f., 118, 128, 130, 167 Alpheios 74, 156 Alpos 109 Ambrosia 63, 104, 113 Ampelos 3 7 , 4 7 f f . , 59, 71, 78, 98, 140ff., 156, 158 f., 160, 179 Amphion 3 4 Amymone 77 Andromeda 175 f. Anemone 152 Antiope 186 f. Aphrodite 27, 71 f., 75 f., 79f., 91, 148, 153, 157, 162, 168, 174, 181 f., 187 Apollon 18, 39, 4 0 f . , 119, 139, 146f., 148 f., 152f., 157, 162, 166 Ares 27, 32, 49, 80, 110, 137, 148f., 161, 166 ff., 174 Arethusa 74, 156 Argos 156 Ariadne 9 1

202

Aristaios 41, 140 Artemis 36, 120f., 128, 130, 154, 162, 174 Asopos 56, 186 f. Astakiden 152 Asteria 55, 77, 154 Astraeis 100 Astraios 168, 181 Astrochiton (Melqart-Herakles-Helios) 72, 172 Atalante 156, 192 Ate 141 Athamas 61, 63, 119ff., 126 Athene 110,153,157,162,166 Atlas 161 Atropos 49 Attis 183 Atymnios 139, 145 f., 148 Aure 36, 59, 91, 95, 114f., 124 Autonoe 118, 128, 130 f. Beroe-Berytos 71 ff., 7 9 f f . , 8 4 f f . , 94, 98, 173 ff., 182, 185 f. Boreas 69 Botrys 137 ff. Brongos 100 Chalkomedeia

103, 114, 151

Danae 115, 186f. Daphne 75 ff., 146f., 150f., 153 f., 156f.

Daphnis 151 f. Deimos und Phobos 32, 163 Demeter 23, 133, 139, 153, 157, 168, 172, 181 Deriades 25, 60f., 64ff., 102ff., 113, 134, 148, 169, 184f. Deukalion 169, 179 Dia 187 Dike (Astraia) 175 Dionysos (Bromios, Lyaios) passim Doris 84, 86 Drakanon 117 Dryaden 16, 61, 153 ff. Dry as 123 Echion 125 f. Echo 96, 122, 135f., 149f., 152, 154f. Eido 88 Eidothea 35, 84 Elektra 17, 18, 20 Enipeus 24 Endymion 75 Enyo 80, 107, 113, 163 Eos 75 Ephialtes 162 Erechtheus 139, 173 Eridanos 55, 78, 170 f. Erigone 86, 135 Erinyen 51, 117, 119ff. Eris 32 Eros 14, 26, 27, 49, 73 f., 76, 91, 114, 146 f., 160, 166, 174, 177, 185 Euboia 77 Europa 20, 23, 53, 72, 74, 160, 168, 172, 186 Gaia 96, 104, 164, 169 Galateia 84, 88, 91, 155 Ganymedes 14, 40 f. Geudis 78 Giganten 36, 56, 126, 193 Glaukos 23, 66, 79, 82, 84, 88, 90f. Harmonia 18, 27, 79, 84, 156, 166f., 178, 18 Iff. Harpalyke 156 Hebe 40 f. Heliaden 139, 152, 155 Helios 55, 60, 125, 157, 170 f., 172, 178 Hephaistos 54, 69, 95, 161, 182f. Hera 53 f., 62, 79, 93, 101 f., 115 ff., 121, 134, 152, 156, 160, 162, 176, 187f. Herakles 145

Hermes 17, 62, 117f., 161, 169 f., 184 Hesperos 187 Hören 95, 117, 156f., 159, 177f., 181 Hyakinthos 18, 95, 139, 145 ff., 148 Hydaspes 50ff., 59, 60f., 64ff., 85, 101f., 169, 184, 188 Hydriaden 83 Hylas 145, 147 Hymenaios 14, 26, 27, 80 f., 96, 148 f. Hymnos 98 f., 100, 150 ff., 156, 192

Iakchos 29, 36 Iapetos 161 Idmon 169 Ikarios 37, 86, 94, 133 ff., 185 Iiissos 94 Indos 165 Ino (Leukothea) 45, 6 I f f . , 66f., 79, 84, 87 f., 118 ff., 167 Itylos 128

Kabiren 69 Kadmos 17, 18, 23, 27, 110. 126, 129f., 160, 165 ff., 172, 182 f., 186, 193 Kalamos und Karpos 20, 49, 147, 156, 179 Kallisto 154 Kampe 165 Kassiopeia 86 Kaukasos 161 Kekrops 173 Keleos 139 Kephalos 75 Kephisos 94 Kissos 140, 147, 156, 179 Kithairon 132 Klymene 170 Komaitho 61, 154 Krokos 152, 156 Kronos 165, 173, 184 Kydnos 61, 184 Kyklopen 162 Kyparissos 146 Kyrene 130

Lamos, Töchter des 117 f. Learchos 63, 120, 130 Leneus 140 Leukothea s. Ino Lykurgos 37, 62ff., 66, 69f., 85, 104ff., 113, 123 f., 134, 137, 185

203

Mänaden (Bakchen, Bassariden) 35, 53 f., 63, 81, 86, 89f., 99, 101, 103, 105, 107, 119, 123, 125 ff. Maiandros 147 Maron 39ff., 53, 59, 82, 129, 137, 139 Marsyas 35, 39, 41 f., 43, 140 Medusa (Gorgo) 175 Megaira 63, 120 ff. Melie 186 Melikertes (Palaimon) 45, 62 f., 66 f., 69, 79, 82 f., 87, 90 f., 106, 120 Mene (Selene-Hekate) 23, 57, 75, 107f., 115, 125 ff., 141 Menelaos 35, 39 Metaneira 139 Methe 137ff. Milanion 192 Milax 152, 156 Moiren 143, 177 Morrheus 103, 114, 151 Musen 32 ff. Myrrha 118 Najaden 50, 51f., 56, 69, 74, 101, 152, 187 Narkissos 95 f., 145, 152 Nereiden 69, 81, 83 f., 88, 155 Nereus 62, 68 f., 82, 88, 91, 155 Nikaia 59, 71, 96ff., 100, 114, 149f., 186, 192 Nike 163 Niobe 152, 155 Nysa, Frauen von 123 f. Oiagros 51, 139 Oineus 185 Okeaniden 170 Okeanos 55ff., 86f., 170 Opheltes 169, 193 Ophion 178 Oreaden 152 Orion 162 Orontes 60 f., 63, 74, 98, 100, 106 Orsiboe 61, 63, 71 Ortygia 154 Paktolos 46 ff., 50, 58, 78, 98, 115, 140 Pallene 1 4 , 9 1 Pan 75 ff., 84, 88, 99, 119, 124, 150f., 152f., 155 Panopeia 84, 88 Peitho 16 Peleus 51

204

Pentheus 22, 108ff., 113ff., 124ff., 134, 167 Persephone 121, 137, 174ff. Phaethon 55, 139, 154f., 170f. Phanes 178 Pheren 188 Philomela 94, 128, 156, 185 Phoinix 172 Phorkys 66, 82 f., 90 f. Pithos 137f. Pitys 75, 150, 153 f. Polyphemos 155 Poseidon 23 f., 63, 66, 68 f., 73 ff., 78 ff., 85 ff., 154f., 161, 172 Pothos 27 Prokne 94, 128, 154 Prometheus 161 Proteus 23, 35ff., 63 f., 66, 77, 79, 82f., 86, 88 f., 91 f., 106, 188, 190 Psamathe 90 Pyramos und Thisbe 156 Pyrrhos 156 Pythia 119 Rhea (Kybele) 36, 39, 46, 63, 81, 118, 152, 176, 184 Satyroi 46f., 53 f., 82, 87, 91, 99, 101, 159 Semele 29, 45f., 62, 93, 118, 167f., 186f. Seinos 86 Silenos 40ff., 45, 47, 59, 82f., 86, 90f., 129, 139 f. Simoeis 54 Sithon 91 Skamandros 5 1 , 5 4 Skylla 77 Spartoi 166 f. Staphylos 20, 40, 129, 136ff., 165, 174 Syrinx 76f., 150f., 152, 154f., 156f. Teiresias 108, 129 Telete 99 Tereus 94, 128, 154, 185 Therapnais 145 Thetis 66, 69, 8 3 , 8 5 , 9 1 Thureus 50, 101 Titanen 121, 162, 168 Tityos 162 Triptolemos 133, 139 Triton 84, 86, 88, 155 Tylos 184 Typhon 24, 36, 56, 61, 153f., 160ff„ 193

Tyro 24 Tyros 73, 172 f. Tyrrhenoi 107 ff. Uroboros

168

Zagreus 58, 121, 134, 167 £., 181, 188 Zephyros 18, 146, 148 Zeus 23 f., 25 , 36, 53 ff., 65, 74, 79, 93, 114, 116, 137, 152, 154, 156, 160 ff., 167f„ 174, 177 f., 181, 185ff.

205

Wolf-Hartmut Friedrich · Dauer im Wechsel G e s a m m e l t e Aufsätze. Herausgegeben von C . J o a c h i m Classen und Ulrich Schindel. 1 9 7 7 . 4 4 0 Seiten, Leinen Inhalt: I. Allgemeines: Zur philologischen Methode / Philologen als Teleologen / Uber den Hexameter / II. Zur griechischen Dichtung und zu ihrem Nachleben: Odvsseus weint. Zum Gefüge der homerischen Epen / Prolegomena zu den Phönissen / Zu Euripides' Hypsipyle / Zwei Szenen in Racines Phedre / Menander redivivus. Zur Wiedererkennung im Nathan / III. Zur lateinischen Dichtung und zu ihrem Nachleben: Zur altlateinischen Dichtung / Ennius-Erklärungen (Auszug) / Otto Ribbeck und die römischen Tragiker / Exkurse zur Aeneis (Auszug) / Europa und der Stier. Angewandte Mythologie bei Horaz und Properz / Lückenbüßer: Zu Ausonius / Sprache und Stil des Hercules Oetaeus / Cato, Caesar und Fortuna bei Lucan / IV. Zu antiken Prosa-Autoren: Der Tod des Tyrannen. Die poetische Gerechtigkeit der alten Geschichtsschreiber - und Herodot / Caesar und sein Glück / Multa Caesarem incitabant / Eine stilistische Tugend Senecas / Eine Denkform bei Tacitus / Stilistische Symptome der Geschichtsauffassung des Tacitus.

Karl Reinhardt · Tradition und Geist G e s a m m e l t e Essays zur Dichtung. Herausgegeben von Carl Becker. 1960. 4 4 8 Seiten, Leinen Inhalt: Tradition und Geist im homerischen Epos / Das Parisurteil / Homer und dieTelemachie / Die Abenteuer der Odyssee / Solons Elegie εις έαντόν / Zum Epigramm auf die Gefallenen von Koroneia / Zur Niobe des Aischylos / Vorschläge zum neuen Aischylos / Prometheus / Die Sinneskrise bei Euripides / Aristophanes und Athen / Goethe and Antiquity / Tod und Held in Goethes Achilleis / Die klassische Walpurgisnacht / Deutsches und antikes Drama / Sprachliches zu Schillers Jungfrau / Hölderlin und Sophokles / Hans Carossa / Die Krise des Helden / Vorwort zu „Von Werken und Formen" / Nachwort / Register.

Bruno Snell · Gesammelte Schriften 1 9 6 6 . 2 3 0 Seiten, kartoniert Aus dem Inhalt: Das Bewußtsein von eigenen Entscheidungen im frühen Griechentum / Zwei Beiträge zu Homer / Beitäge zu frühgriechischer Lyrik (u.a. Alkman, Sappho, Alkaios, Pindar, Kallimachos) / Zu frühgriechischer Philosophie (Thaies, Heraklit, Parmenides) / Zur griechischen Tragödie (über Aischylos und Euripides) / Beiträge zu Horaz, Vergil, Seneca, Apuleius / Philologie von heute und morgen / Die Arbeiten Hermann Fränkels / Rezensionen über Zucker (Syneidesis-Conscientia) / Jaeger (Paideia) / Schuursma (zu Aischylos) - Nachrufe.

Wolf Aly · Volksmärchen, Sage und Novelle bei Herodot und seinen Zeitgenossen Eine Untersuchung über die volkstümlichen Elemente der altgriechischen Prosaerzählung. 2., durchgesehene Auflage, besorgt und mit einem N a c h w o r t versehen von L u d w i g H u b e r . Im Anschluß d a r a n : Bibliographie Wolf Aly, zusammengestellt von Hans-Dieter Reeker. 1969. VI, 3 4 1 Seiten, Leinen

V A N D E N H O E C K & RUPRECHT IN GÖTTINGEN UND ZÜRICH

Studienhefte zur Altertumswissenschaft Herausgegeben von Bruno Snell und Hartmut Erbse

1. Bruno Snell · Griechische Metrik 4. Auflage 1981

2. Albin Lesky · Die tragische Dichtung der Hellenen 3., völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage 1972. 5 4 4 Seiten, Leinen und kartonierte Studienausgabe

3. Oskar Becker - Das mathematische Denken der Antike 2., durchges. Auflage mit einem Nachtrag von Günther Patzig 1 9 6 6 . 1 3 1 Seiten mit 7 0 Abbildungen, kartoniert

5. Ulrich Knoche · Die römische Satire 3. veränderte Auflage 1971. 142 Seiten, kartoniert

6. Günther Klaffenbach · Griechische Epigraphik 2., verbesserte Auflage 1966. 110 Seiten, kartoniert

7. Albrecht Dihle · Die Goldene Regel Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vulgärethik. 1 9 6 2 . 135 Seiten, kartoniert

8. James Halporn / Martin Ostwald · Lateinische Metrik 2. Auflage 1980. 6 2 Seiten, kartoniert

9. Τ. B. L. Webster · Griechische Bühnenaltertümer 1963. 83 Seiten und 8 Tafeln, kartoniert

10. Reinhold Merkelbach / Helmut van Thiel Griechisches Leseheft zur Einführung in Paläographie und Textkritik 1965. 11 Seiten und 111 Tafeln, kartoniert

11. Rüdiger Vischer - Das einfache Leben Wort- und motivgeschichtliche Untersuchungen zu einem Wertbegriff der antiken Literatur. 1965. 185 Seiten, kartoniert

12. Alfred Heubeck · Aus der Welt der frühgriechischen Lineartafeln Eine kurze Einführung in Grundlagen, Aufgaben und Ergebnisse der Mykenologie. 1966. 115 Seiten und 5 Abbildungen, kartoniert

13. Reinhold Merkelbach / Helmut van Thiel Lateinisches Leseheft zur Einführung in Paläographie und Textkritik 1969. 1 2 2 Seiten, davon 111 Seiten Tafeln, kartoniert

14. Helmut van Thiel · Mittellateinische Texte Ein Handschriften-Lesebuch. kartoniert VANDENHOECK

&

1972. 14 Seiten und 8 0 Kunstdrucktafeln,

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