Dubnow Institute Yearbook XVII/2018 [1 ed.]
 9783666370809, 9783525370803

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DUBNOW-INSTITUT

Jahrbuch ·Yearbook XVII 2018

JAHRBUCH DES DUBNOW-INSTITUTS (JBDI) DUBNOW INSTITUTE YEARBOOK (DIYB) 2018

Herausgeberin Editor

Yfaat Weiss Peer-Review-Verfahren Peer Reviewing Enrico Lucca Redaktion Manuscript Editor Petra Klara Gamke-Breitschopf Redaktionsbeirat Editorial Advisory Board Marion Aptroot, Düsseldorf · Aleida Assmann, Konstanz · Jacob Barnai, Haifa · Israel Bartal, Jerusalem · Omer Bartov, Provi­dence, N. J. · Esther Benbassa, Paris · Dominique Bourel, Paris · ­Michael Brenner, München/Washington, D. C. · Matti Bunzl, Ur­bana-Cham­ paign · Lois Dubin, Northampton, Mass. · Todd Endelman, Ann Arbor, Mich. · David Engel, New York · Shmuel Feiner, Ramat Gan · Norbert Frei, Jena · Sander L. Gilman, Atlanta, Ga. · Frank Golczewski, Hamburg · Michael Graetz (1933–2018), Heidelberg · Heiko Haumann, Basel · Susannah Heschel, Hanover, N. H. · Yosef Kaplan, Jerusalem · Cilly Kugelmann, Berlin · Mark Levene, South­ ampton · Leonid Luks, Eichstätt · Paul Mendes-Flohr, Jerusalem/ Chicago, Ill. · Ga­briel Motzkin, Jerusalem · David N. Myers, Los Angeles, Calif. · Jacques Picard, Basel · Gertrud Pickhan, Berlin · Antony Polonsky, Waltham, Mass. · Renée Poznanski, Beer Sheva · Peter Pulzer, Oxford · Monika Richarz, Berlin · Manfred Rudersdorf, Leipzig · Rachel Salamander, München · Winfried Schulze, München · Hannes Siegrist, Leipzig · Gerald Stourzh, Wien · Stefan Troebst, Leipzig · Monika Wohlrab-Sahr, Leipzig · Moshe Zimmermann, Jerusalem · Steven J. Zipperstein, Stanford, Calif. Gastherausgeber der Schwerpunkte Guest Editors of the Special Issues Lina Barouch Philipp Graf / Jeannette van Laak Begründet von Founding Editor Dan Diner

Jahrbuch des Dubnow-Instituts Dubnow Institute Yearbook

XVII 2018

Vandenhoeck & Ruprecht

Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom ­Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Redaktionsanschrift: Jahrbuch des Dubnow-Instituts / Dubnow Institute Yearbook Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow, Goldschmidtstraße 28, 04103 Leipzig E-Mail: [email protected] www.dubnow.de Gesamtlektorat und -korrektorat: André Zimmermann Lektorat englischsprachiger Texte und Übersetzungen: Tim Corbett und Jana Duman Bestellungen und Abonnementanfragen sind zu richten an: Vandenhoeck & Ruprecht Abteilung Vertrieb Robert-Bosch-Breite 6 D-37070 Göttingen Tel. +49 551 5084-40 Fax +49 551 5084-454 E-Mail: [email protected] / [email protected] www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Mit 12 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz und Layout: Reemers Publishing Services, Krefeld

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3458 ISBN 978-3-666-37080-9

Inhalt Yfaat Weiss Editorial. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Allgemeiner Teil Dina Berdichevsky, Tel Aviv High Exposure: The Poetics and Politics of Y. Ḥ. Brenner’s “Ocular Modernist Turn”. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Oskar Czendze, Chapel Hill, N. C. Between Loss and Invention: Landsmanshaftn and American Jewish Memory in the Interwar Period . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Michael Casper, Los Angeles, Calif. “Principled Diasporism”: Folkists, Zionists, and the Meaning of Doikayt. . . . . . . . . . . . . . . 57 Daniel Weidner, Berlin Epochenbruch, Hinterlassenschaft und Geschichte des Denkens: Georg Simmels Nachleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Ludwig Decke, Jena Ungleiche Weggefährten: Hannah Arendt, Melvin Lasky und der Antitotalitarismus im Kalten Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Schwerpunkt Jenseits des »verordneten Antifaschismus« – Neue Zugänge zur Geschichte der Juden in der DDR Herausgegeben von Philipp Graf und Jeannette van Laak Philipp Graf, Leipzig/Jeannette van Laak, Leipzig/Halle (Saale) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhalt

Jeannette van Laak, Leipzig/Halle (Saale) Eine Erfahrungsgeschichte der Rückkehr: Jüdische Emigranten-Ehepaare über ihre ersten Jahre in der SBZ/DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Alexander Walther, Jena Der Gerichtsreporter als Zeuge: Rudolf Hirsch und die Erinnerung an die Schoah in der DDR. . . . . . 183 Anja Thiele, Jena »Ich erzähl dir nicht die Nachkriegsgeschichte, ich erzähl dir, was mir passiert ist« – Jüdische Erinnerung an die Schoah in Erzähltexten von Stephan Hermlin, Fred Wander und Jurek Becker . . . . . . . . . . 211 Cathy S. Gelbin, Manchester Lehrjahre auf dem Weg zum Dissidenten: Stefan Heyms Freundschaft mit Robert Havemann und Wolf Biermann. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Philipp Graf, Leipzig »Dem Gesetzentwurf gibt das Zentralsekretariat seine Zustimmung« – Eine neue Sicht auf die Restitutionsfrage in der Sowjetischen Besatzungszone. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

Schwerpunkt The Return to the Archive: Dispersal, Transmission, and Anticipation in Personal Archives between Germany and Israel Herausgegeben von Lina Barouch Lina Barouch, Jerusalem Introduction. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Netta Cohen, Oxford Memories of a Zoologist: Reflections on the Role of the Archive in the Production of Knowledge and Memory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Shira Wilkof, Haifa City, Utopia, and Migrant Displacement: The Archive of Urban Planner Ariel Kahane. . . . . . . . . . . . . . . . 335

Inhalt

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Silja Behre, Tel Aviv Der Bücherdiplomat: Curt Wormanns Nachlass als Quelle für eine globale Bibliotheksgeschichte.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Judith Siepmann, Leipzig Büchergeschichten, Ordnungskonzepte und die Vielschichtigkeit der Erinnerung: Heinrich Loewe und die Sha’ar-Zion-Bibliothek in Tel Aviv. . . . . . . 395 Amit Levy, Jerusalem The Archive as Storyteller: Refractions of German-Jewish Oriental Studies Migration in Personal Archives. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Elena Müller, Tübingen Zoology in Translation: Archiving Heinz Steinitz’ Life in Science. . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Meirav Reuveny, Jerusalem The Heinz Steinitz Marine Biology Laboratory in Eilat: Science and Politics between Father and Son. . . . . . . . . . . . . . . . 473 Shelly Zer-Zion, Haifa The Archive of the Habima Secretariat: Margot Klausner and the Making of a National Stage. . . . . . . . . . . 497

Gelehrtenporträt Ernst Müller, Berlin Latenz und Explikation: Lazar Gulkowitsch und seine Begriffsgeschichte des jüdischen Geistes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

Dubnowiana Markus Krah, Potsdam/Nashville, Tenn. The Americanization of Simon Dubnow: Reception and Interpretation in Postwar Discourse on American Jewry. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539

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Inhalt

Aus der Forschung Ulrike Huhn, Bremen Parallele Wissenschaft: Die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission und die judaistischen Forschungen in der späten Sowjetunion. . . . . . . . . . . 569

Literaturbericht Tim Friedrich Meier, Leipzig Vom Messmakler zum Pelzhändler: Zur Wirtschaftsgeschichte der Leipziger Juden im 19. und frühen 20. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Abstracts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Contributors. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641

Editorial Die siebzehnte Ausgabe des Jahrbuches prägen insbesondere die beiden Schwerpunkte, von denen der erste mit einem Jubiläum in Verbindung steht. Dreißig Jahre Deutsche Einheit nehmen Philipp Graf (Leipzig) und Jean­ nette van Laak (Leipzig/Halle [Saale]) zum Anlass für einen Rück- und Ausblick auf die Forschungen zur Geschichte der Juden in der DDR. Während in den ersten beiden Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung das Verhältnis der SED zu den jüdischen DDR-Bürgerinnen und -bürgern sowie zum Staat Israel im Vordergrund des Interesses stand, wenden sich jüngere Vorhaben verstärkt erfahrungs- und kulturgeschichtlichen Aspekten zu. Mit Fragen nach der Lebensrealität und nach individuellen Selbstentwürfen im Spannungsfeld von Sozialismus und jüdischer Herkunft – ob bei Rudolf Hirsch und Leo Zuckermann, bei Stefan Heym, Stephan Hermlin, Fred Wander und Jurek Becker oder bei Ehepaaren, die in die SBZ/DDR remigrierten – reiht sich der Schwerpunkt in diese neuen Zugänge zur Geschichte der Juden in der DDR jenseits des »verordneten Antifaschismus« ein. Der zweite Schwerpunkt reflektiert die aktuell verstärkte Hinwendung des Dubnow-Instituts zu Fragen von Materialität und hier vor allem zu solchen, die aus neuen Archivfunden und der intensiven Beschäftigung mit den d­ arin enthaltenen Dokumenten erwachsen. Im Rahmen des vom Franz Rosenzweig Minerva Research Center an der Hebräischen Universität Jerusalem und vom Deutschen Literaturarchiv Marbach durchgeführten Erschließungsprojekts »Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel« wurden von 2012 bis 2018 Archivbestände und Privatsammlungen deutsch-jüdischer Provenienz in Israel katalogisiert. Für das Jahrbuch hat die Literaturwissenschaftlerin Lina Barouch (Jerusalem), die dem Verbundprojekt in dessen abschließender Phase als Koordinatorin vorstand, nun einen Schwerpunkt zusammengestellt. Er führt in das Gesamtprojekt wie auch in ausgewählte Einzelbestände ein, betrachtet dabei kritisch die der Archivierung zugrunde liegenden Prozesse und lässt einen verloren geglaubten Teil deutsch-jüdischer Kultur- und Wissenschaftsgeschichte wiedererstehen. Der Allgemeine Teil des Jahrbuches umfasst Arbeiten zur Literatur-, Politik- und Philosophiegeschichte. Zu den Anfängen der modernistischen hebräischen Literatur in Russland führt der Beitrag von Dina Berdichevsky (Tel Aviv), die sich der Prosa des Schriftstellers, Literaturkritikers und Übersetzers Yosef Ḥaim Brenner zuwendet und dessen Ringen um einen tragenden literarisch-ästhetischen Sehepunkt in der krisengeschüttelten osteuropäischjüdischen Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts veranschaulicht. Oskar Czendze (Chapel Hill, N.  C.) schließt chronologisch und inhaltlich hieran JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 9–11.

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Editorial

an, indem er die Erinnerungspraktiken der in Landsmanshaftn organisierten osteuropäisch-jüdischen Einwanderer im Amerika der Zwischenkriegszeit beleuchtet. Inmitten der vom Gefühl kulturellen Verlusts dominierten Migrationserfahrung wurden die Landsmanshaftn zum Katalysator empfundener Nostalgie und erlebten Traumas, wodurch sie das diasporische Gedächtnis und Selbstverständnis amerikanischer Jüdinnen und Juden entscheidend mit formten. Geschichte und Gebrauch des jiddischen Begriffs doikayt (»Hiesigkeit«) in der Zwischenkriegszeit sind Thema des Beitrags von Michael Cas­ per (New York). Dabei konzentriert er sich auf den Diskurs in Litauen und hier insbesondere auf die Debatte zwischen Yudl Mark und Jacob Robinson. Casper zeigt, wie im Konflikt zwischen den verschiedenen litauisch-jüdischen Parteien das Konzept der doikayt geradezu beschworen wurde und interpretiert dies nicht als Resultat einer Abwendung der Zionisten, sondern als Erfolg ihrer Einmischung in der Diaspora. Auch Daniel Weidner (Berlin) setzt in der Phase zwischen den Weltkriegen an. Er untersucht die posthume Wirkung und Deutung von Georg Simmel, die sich vielfach im Graubereich zwischen verschiedenen Disziplinen und Diskursen vollzog, wobei Werk und Person immer wieder zur Zeitdeutung herangezogen wurden: Simmel wurde, so seine These, eine ausgeprägte Physiognomie des Denkens zugeschrieben, in der sein »Jüdisch-Sein« eine zentrale Rolle einnahm. Ludwig Decke (Jena) betritt mit seinem Beitrag zur Beziehung zwischen Hannah Arendt und dem amerikanisch-jüdischen Publizisten Melvin Lasky weitgehend Neuland. Anhand von drei Begegnungskontexten – dem Milieu der New York Intellectuals, Laskys Zeitschrift Der Monat sowie dem Umfeld des Congress for Cultural Freedom (CCF) – vollzieht er Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihres Antitotalitarismus während der 1940er und 1950er Jahre nach. Das Gelehrtenporträt von Ernst Müller (Berlin) widmet sich dem Talmudforscher Lazar Gulkowitsch, der an der Universität Leipzig und nach ­seiner Vertreibung im estnischen Dorpat (Tartu) Wissenschaft des Judentums lehrte. Obwohl Gulkowitsch 1937 die erste Monografie über die begriffsgeschichtliche Methode veröffentlichte, ist er in diesem Forschungsfeld weithin unbekannt geblieben. Müller skizziert Gulkowitschs auf die Geschichte des Judentums bezogene Arbeit und stellt sie in den Kontext anderer Ansätze zur Begriffsgeschichte. Im Zentrum der Dubnowiana steht diesmal die Rezeption von Simon Dubnow in den Vereinigten Staaten. Markus Krah (Potsdam/Nashville, Tenn.) zeigt, das Dubnow vor allem von den 1940er bis 1960er Jahren Eingang in das amerikanisch-jüdische Denken fand. Dubnows Plädoyer für die Diasporagemeinschaft, so argumentiert Krah, wurde in den Vereinigten Staaten deswegen so populär, weil es die für viele amerikanische Jüdinnen und Juden essenzielle Erinnerung an das vergangene östliche ­Europa mit einschloss, Dubnows Konzept also gewissermaßen eine Synthese

Editorial

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aus Diasporanationalismus und amerikanischem Exzeptionalismus darstellte. In der Rubrik Aus der Forschung fragt Ulrike Huhn (Bremen) nach den Möglichkeiten judaistischer Forschung in der späten Sowjetunion. Hierzu blickt die Autorin auf die 1982 gegründete Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission. Sie legt dar, wie es der Kommission gelang, die Heterogenität der beteiligten Partner sowie die komplexe Binnenlogik der von ihnen vertretenen Institutionen produktiv zu wenden und judaistische Forschung reifen und öffentlich sichtbar werden zu lassen. Der den Band beschließende Literaturbericht gibt zu erkennen, wie eng jüdische Geschichte und Wirtschaftsgeschichte miteinander verzahnt sein können. Auf der Grundlage einer detaillierten Analyse von Quellen und Literatur zur Rauchwarenindustrie in Leipzig vom 19.  Jahrhundert bis in die Gegenwart spürt Tim Friedrich Meier (Leipzig) dem im städtischen Selbstverständnis bis heute aufscheinenden Nexus zwischen der Erinnerung an den einst blühenden Pelzhandel und der Erinnerung an das jüdische Leben in der Messestadt nach. Am Schluss dieses Editorials steht der herzliche Dank der Herausgeberin. Er gilt zuerst allen Beiträgerinnen und Beiträgern dieses Jahrbuches wie auch den Mitherausgeberinnen und Mitherausgebern der beiden Schwerpunkte. Besonders gedankt sei weiterhin Petra Klara Gamke-Breitschopf, die als Leiterin der wissenschaftlichen Redaktion die Entstehung des Bandes bis zum Druck begleitet hat. Dass sämtliche Beiträge im Vorfeld ein anonymisiertes Begutachtungsverfahren (Doppelblindgutachten) durchlaufen haben und so das Jahrbuch mit dieser Ausgabe erstmals vollständig als Refer­eed Journal erscheinen kann, ist zuvorderst der Arbeit von Enrico Lucca zu verdanken. Große Teile der Textredaktion hat Margarita Lerman übernommen, während das Gesamtlektorat erneut in der Verantwortung von André Zimmermann lag. Die englischsprachigen Lektorate und die Übersetzungen ins Englische haben Tim Corbett und Jana Duman besorgt. Für ihre unverzichtbare engagierte und zuverlässige Arbeit an dem Band sei allen Mitwirkenden sehr herzlich gedankt. Yfaat Weiss

Leipzig/Jerusalem, Winter 2020

Allgemeiner Teil

Dina Berdichevsky

High Exposure: The Poetics and Politics of Y. Ḥ. Brenner’s “Ocular Modernist Turn”

“[W]e have to sacrifice our souls and diminish evil in the world, the evil of hunger, of slavery, idleness, hypocrisy, and so on. It is necessary to understand everything, to understand and to distance ourselves from mysticism and illusion; it is necessary to increase reality and holiness in the world; it is necessary to mend the life of the people of Israel so that they become normal. The great suffering of my soul stems from my doubts in general. Is there a remedy? Are we moving forward? – You write a long historical poem – and that I cannot understand. Can we turn our attention away for even one moment from the present? Do you know the condition of our youth? Do you know that we are the last of the Mohicans? Do you know that our people are dying? Do you know that the world is sick? Do you know that this despair is destroying the soul? Do you have eyes?!”1

Such are the often-quoted lines written originally in Hebrew in the year 1900 by then 18-year-old writer Yosef Ḥayim Brenner to his close friend and fellow writer Uri Nissan Gnessin. They present a most glorious epilogue of a cultural epoch, voiced out of the liminal twilight zone, and capturing fundamental fin-de-siècle tensions. The intense desire for discovery, revelation, and progress was already fraught with existential doubts and apocalyptic visions of decay. Indeed, it was an epilogue – as the years that were to come carried Brenner far away from the bold conviction of the necessity “to increase reality and holiness in the world” and his uttered imperative to “have eyes.” The turbulent early years of the century, marked by historical atrocities, endless geographic movement, economic distress, intense political debate, and – most important for the current discussion – by new perceptions of artistic vision and physical visibility, brought about the earliest modernist literary expressions in the history of Hebrew writing. This revolutionary, early modernist chapter, formed during Brenner’s wanderings between Russia, London, and Galicia, is the topic of the present discussion. The essay 1 Original in: Menaḥem Poznanski (ed.), Igrot Y.  Ḥ. Brenner [Letters of Y.  Ḥ. Brenner], 2 vols., Tel Aviv 1941, here vol. 1, 86. Translation cit. from Michael Gluzman, The Politics of Canonicity. Lines of Resistance in Modernist Hebrew Poetry, Stanford, Calif., 2003, 7 (emphasis in the original). See also Gluzman’s discussion of the letter on pages 7 f. as well as Todd Hasak-Lowy, Here and Now. History, Nationalism, and Realism in Modern Hebrew Fiction, Syracuse, N. Y., 2008, xiii–xiv. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 15–33.

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begins with a description of the unique historical context of the formation of Hebrew modernism and Brenner’s crucial role in it. The wider historical framework presented in the first part will guide the analysis of significant formative moments of Brenner’s emerging modernist poetics of vision in the following sections. Rather than offering a comprehensive reading of a specific work, this paper endeavors to create an overarching understanding of the formative moment of the eclipse of vision as a principal foundation of early twentieth-century Hebrew poetics and address its political dimensions.

Poetic Revolutions in Days of Tumult The first years of the twentieth century marked the end of an historical era of the Jewish civilization in the Russian Pale of Settlement. The persistent suppression of Jewish rights by Alexander III, including limitations on their political rights, education, commercial activity, and residence, created mass unemployment and poverty. These, together with the wider social-economical processes of modernization and industrialization in Russia, resulted in the rapid impoverishment of the Jewish traditional shtetl and disintegration of its social structures. Witnessing the decay of the old world, the Jewish young intelligentsia of 1900 put their hopes for the future in the liberal ideologies of resistance to the autocrat Tsarist regime, which flourished in the Russian Empire in the very first years of the century. These liberal ideologies raised new expectations for reforms that would improve the political status of Jews in the Empire. All these hopes were lost just at that moment when they seemed closer than ever to realization. On 17 November 1905, following a year of revolutionary protests and mass strikes in Russia, Tsar Nicholas III proclaimed the October Manifesto in which he promised to establish a constitution to protect basic civil rights of the Russian people. This festive declaration caused an immediate counter-reaction in the form of mass pogroms against Jews throughout the Pale of Settlement and in the big cities Odessa and Kiev. Over one thousand people were killed, many more injured and raped; the damage to houses, businesses, and private property was far beyond what people could remember from the days of the “Storms in the Negev” (1881) or the Kishinev pogroms (1903).2 These atrocities, along with economic

2 For a broader discussion of the historical context of 1905–1906, see Jonathan Frankel, Prophecy and Politics. Socialism, Nationalism, and the Russian Jews, 1862–1917, Cambridge 1981, 134–170.

High Exposure

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and social crisis, stimulated mass Jewish emigration, within and outside the borders of the Empire. In the early twentieth century, Jewish migration from Russia turned from what used to be the movement of ambitious individuals to an unprecedented mass phenomenon that saw nearly two million Jews leave between the end of the nineteenth century and the outbreak of World War I.3 Naturally, the atrocities of the first decade of the century left their imprint on all aspects of Jewish life, material, spiritual, and cultural, including the field of Hebrew literature. Publishing houses and journals closed one after the other during the first half of the decade, publishers and writers faced professional and personal hardship, while the very culture of writing and reading was in jeopardy. Moreover, the vast migration movement, crisis of traditional education, and acculturation of Jewish youth to Russian culture deprived the Hebrew language of its audiences. Hebrew lost its privileged status as the Jewish elevated classical idiom for high literary speech and was replaced with the more approachable and popular Yiddish and Russian literatures.4 Hebrew writers felt they were creating in complete vacuum and expressed strong doubts whether Hebrew literary tradition would have any continuation into the future.5 Surprisingly, the age of the deepest crisis in the history of Hebrew modern literature appeared to be, in wider historical perspective, one of its greatest hours. Virtually all at once, the most prominent names of modern prose, such as Uri Nissan Gnessin, Shmuel Yosef Agnon, Dvora Baron, 3

See Yannay Spitzer, Pogroms, Networks, and Migration. The Jewish Migration from the Russian Empire to the United States 1881–1914, 29  May 2015, (1 Decem­ber 2019). 4 On the crisis of Hebrew publishing and readership, see Dan Miron, Bodedim be-mo’adam. Li-dyokna shel ha-republika ha-sifrutit ha-ivrit be-reshit ha-me’a ha-esrim [When Loners Come Together. A Portrait of Hebrew Literature at the Turn of the Twentieth Century], Tel Aviv 1987, 23–55. 5 See, e.  g., Ahad Ha’am’s declaration that the Hebrew literature of the early twentieth century did not create anything new and could not do so in the state it was in at the time. Hebrew writers should, therefore, according to Ahad Ha’am, put their efforts in the collection and canonization of the classics of past generations. See idem, Aḥrei eser shanim [After Ten Years], in: Lu’aḥ aḥi’asaf [Ahiasaf Annual] 10 (1903). On Ahad Ha’am’s negative views regarding the historical situation of Hebrew literature, see also Miron, Bodedim be-mo’adam, 36–39. In a similar manner, the writer, critic, and publisher David Frishman proclaimed in 1901: “We have no nation and we have no literature.” See idem, Kol kitvey David Frishman [The Collected Writings of David Frishman], 9 vols., Warsaw/New York 1929–1935, here vol. 8: Arukot u-kẓarot [At Length and Briefly], 16. Also, the younger Hebrew critic Fishel Lahover described the first decade of the century as the “sunset time” of Hebrew literature. See idem, Im shki’at ha-ḥama [At Sunset], in: David Frishman (ed.), Sifrut. Ma’asaf le-sifrut ha-yafa u-vikoret [Literature. Journal of Belletristic Literature and Criticism] 1 (1909–1910), 161–167.

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Gershon Shofman, Yaakov Steinberg, and Brenner himself, aside young distinguished modernist Yiddish writers, such as Dovid Bergelson or Dovid Hofsteyn, seem to have conquered the Jewish cultural arena in the early years of the twentieth century. As the last children of nineteenth-century Jewish-Russian civilization, they all belonged to that one generation of youth who – in their formative periods of childhood and adolescence – had witnessed its deterioration, and who, by the time they grew up, were destined to endless wandering between cities and continents without a clear goal or destination. The literary revolution of the first decade was not only a coincidental matter of a high number of talented individuals; rather, the spur of creative energies in these days of tumult was generated by the larger overall process of rapid modernization of Hebrew literature. Within this one decade between the mid-1890s and mid-1900s, Hebrew literature made the long way from progressive realism to twentieth-century experimental modernism. The prose of the young generation of writers mentioned above employed, surprisingly, a whole range of poetic innovations, including distorted narration, unusual metaphorical figures, generic heterogeneity, meta-literary sensitivity, and psychological introspective reflections.6 The question one cannot avoid in light of this simultaneity of historical-social crisis and daring modernist creativity is how this highly experimental Hebrew literary language far removed from a modern literary-cultural tradition could emerge in these days of tumult. This simultaneity might suggest that it was precisely the dead-end of politics which became the vital source of literary innovation; it was the impossibility of what Brenner was striving for in 1900, “to understand everything” and “to mend the life of the Jewish people,” which instigated literary novelty. Kenneth Moss, albeit skeptical regarding the exceptional status of the revolution of 1905 in particular, describes the common narrative according to which the suppression of the revolution was the cause for the opposite appeal to culture. Culture, he writes, 6

The historical process of Hebrew literature’s formation during the early twentieth century was studied and debated from various perspectives. See the important contributions on the topic: Robert Alter, The Invention of Hebrew Prose. Modern Fiction and the Language of Realism, Seattle, Wash., 1988; Benjamin Harshav (Hrushovski), Language in Time of Revolution, Berkeley, Calif./Los Angeles, Calif., 1993; Chana Kronfeld, On the Margins of Modernism. Decentering Literary Dynamics, Berkeley, Calif./Los Angeles, Calif.,/ London 1996; Hamutal Bar-Yosef, Maga’im shel dekadens. Bialik, Berdiẓevski, Brenner [Decadent Trends. Bialik, Berdyczewski, Brenner], Be’er Sheva 1997; Gluzman, The Politics of Canonicity; Hasak-Lowy, Here and Now; Shachar Pinsker, Literary Passports. The Making of Modernist Hebrew Fiction in Europe, Stanford, Calif., 2010; Allison Schachter, Diasporic Modernisms. Hebrew and Yiddish Literature in the Twentieth Century, New York 2012; Shai Ginsburg, Rhetoric and Nation. The Formation of Hebrew National Culture, 1880–1990, Syracuse, N. Y., 2014.

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was thought to serve “as a substitute or renunciation of politics.”7 Jewish youth sought for a new poetic voice to express their despair and this search gave way to new ideals of aesthetic autonomy. This process took place within the wider context of the Russian culture, in which, as well, traditional ways of life were dramatically undermined and individualism became a new social norm.8 Subsequently, the process of growing separation between the collective and the individual in fin-de-siècle Russia stimulated the concept of literary autonomy or, using Maurice Blanchot’s term, of literature’s “essential solitude.”9 Some of the astonishing Hebrew literary experiments of those years, to be discussed further on, were unprecedented by existing literary models, and preceded themselves later modernist developments in European literature. It will be argued here that this fact ought to be conceived precisely against the backdrop of the anomalous state of Hebrew literature at the outset of the twentieth century, for which Brenner’s œuvre provides one of the most striking examples. Scholars of Hebrew literature – Yitzhak Bakon, Hamutal Bar-Yosef, Hannan Hever, Shachar Pinsker, and Rafi Tsirkin-Sadan – have addressed, from various perspectives, the ways in which Brenner has paved new poetic paths in his writing. Bakon writes about Brenner’s “sublime pessimism” which set the tone of his post-1905 writings.10 Hever describes Brenner’s emerging notion of separation between writing and speech, as the writing – associated with the sublime literary reality – gained conceptual superiority over speech associated with the public sphere of politics.11 Tsirkin-Sadan shows how, during his time in London, Brenner adopted Gerhard Hauptmann’s concept of symbolic realism and stressed the alliance of literature with the subjective realm of individual experience.12 Hamutal Bar-Yosef discusses the early   7 Kenneth B. Moss, 1905 as a Jewish Cultural Revolution? Revolutionary and Evolutionary Dynamics in the East European Jewish Cultural Sphere, 1900–1914, in: Stefani Hoffman/ Ezra Mendelsohn (eds.), The Revolution of 1905 and Russia’s Jews. A Turning Point?, Philadelphia, Pa., 2008, 185–198, here 186–189.   8 Anna Geifman, Psychohistorical Approaches to 1905 Radicalism, in: Anthony  J. Heywood/Jonathan D. Smele (eds.), The Russian Revolution of 1905. Centenary Perspectives, London/New York 2005, 13–33, here 17–19.   9 Maurice Blanchot, The Space of Literature, transl., with an introduction, by Ann Smock, Lincoln, Nebr./London 1982, 19–34 (1st ed. in French, Paris 1955). 10 Yiẓḥak Bakon, Brenner ha-ẓa’ir. Ḥaiav ve-yeẓirotav shel Brenner ad le-hofa’at ha-me’orer be-London [The Young Brenner. His Life and Works before the Publication of ha-Meorer in London], Tel Aviv 1975, 211. 11 Hannan Hever, Rebellion in Writing. Yosef Haim Brenner and the 1905 Revolution, in: Hoffman/Mendelsohn (eds.), The Revolution of 1905 and Russia’s Jews, 152–173. 12 Rafi Tsirkin-Sadan, Otiyot yehudiyot be-sifriyat Pushkin. Yeẓirato shel Yosef Ḥayim Brenner ve-zikatah la-sifrut ve-lamaḥshava ha-rusit [Jewish Letters in Pushkin’s Library. Yosef Ḥaym Brenner’s Work and Its Connection to Russian Literature and Thought], Jerusalem 2013, 94–101.

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twentieth-century writers’ adoption of decadent modes at the turn of the century,13 while Shachar Pinsker points to the adoption of modernist techniques of narration and symbolist style.14 The following discussion aims to add another component to the understanding of the rise of modernist poetics out of the dead-end of politics by presenting Brenner’s parallel artistic process of fashioning new techniques of literary spectatorship. This essay will demonstrate further how the emerging forms of seeing in Brenner’s prose – essentially related to the changing experience of vision and visibility  – lay the foundations for the early twentieth-century rebellious notion of writing, and thus gave way to the earliest expressions of modernist literary experience, inseparable from the overall “civilizing process of Jewish subjectivity”15 in these years.

“Do You Have Eyes?!”: The Vicissitudes of a Literary Icon Brenner was born in 1881 into a poor Jewish family in a small town in the Pale of Settlement of the Russian Empire. Following his early years in the heder, he attended various yeshivas in Homel, Halusk, Konotop, and Pochep, which first exposed him to secular Hebrew Haskala literature and later to Russian literature and culture. After the publication of his earliest works, he was drafted into the Russian army, but deserted in 1904, making his long way to the other end of Europe, to East London. In London, Brenner became famous as publisher of the Hebrew literary periodical The Awakener (ha-­ Meorer), which he launched in October 1905, the only Hebrew periodical of its kind available in the subsequent two years. Parallel to his work for two other newspapers, Brenner acted as editor, publisher, typesetter, distributor, and frequently – under numerous pseudonyms – as author of his periodical. His three years in London were followed by residencies in Lvov, Jaffa (where Brenner settled in 1909), and Jerusalem, and by many more literary works and enterprises, publishing initiatives, and journalistic scandals. Brenner was rebellious and provocative, and took the public by surprise, but nevertheless succeeded in establishing himself as the most vital figure of the Hebrew literary scene in the Yishuv, and one of the leading Jewish intellectuals of his

13 Bar-Yosef, Maga’im shel dekadens. 14 Pinsker, Literary Passports, 80–85. 15 By “Civilizing Process” I refer to Norbert Elias, The Civilizing Process. Sociogenetic and Psychogenetic Investigations, ed. by Eric Dunning, Johan Goudsblom, and Stephen Mennell, transl. by Edmund Jepbcott, Oxford 2000.

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time. He remained deeply devoted to Hebrew literature all his life, until his tragic death on 2 May 1921 during the Jaffa riots.16 Returning to the beginning of this intensive, turbulent, and tragic life, Brenner’s literary career started on a high note. “Do you have eyes?!” he asked his friend Uri Nissan Gnessin in the above-quoted letter, implying that the writer’s ultimate devotion was the concrete historical struggles of his people, and his mission was to see. These words revitalized the powerful image of the nineteenth-century “Watchman to the house of Israel,” originally the name of the literary collection of Haskalah satirist Isaac Erter. Due to the “watchman’s” equivocality, meaning both “the one who guards” and “the one who watches,” this figure entered the Jewish discourse as the conceptual ideal of the modern public intellectual. The elevated position, epic perspective, and omnipotent gaze associated with the figure of the watchman, symbolically embodied the new regulative ideal of “knowledge.” Prominent writers and intellectuals of the late nineteenth century, including Abraham Uri Kovner, Avraham Paperna, Sholem Yankev Abramovitsh, and later M ­ icha Yosef Berdyczewski and Asher Zvi Ginsberg (Ahad Ha’am), repeatedly proclaimed that for many generations Jews had isolated themselves from the world outside and replaced life with scriptures, empty phrases, and rhetorical embellishments. Now was the time for Hebrew modern literature to turn its gaze back towards life, to put Jews back in touch with reality (“reality” as in secular history, state politics, nature, etc.). Literature was expected to fulfill the need for knowledge, and self-reflection seen as the precondition for historical progress.17 Hence, the artistic activity was associated with the elevated rational position of the sovereign Jewish subject, the realist artist who, according to Ahad Ha’am, could assist his people to understand themselves and to “plan their future wisely.”18 Thus, the figure of the watchman to the house of Israel gave the fullest expression to what Martin Jay has described

16 For Brenner’s rich biography, see Anita Shapira, Yosef Haim Brenner. A Life, Stanford, Calif., 2015. 17 For example, in the 1860s, the critic Abraham Uri Kovner wrote that a social novel was “what Israel needs right now.” See Shalom Kramer, Al bikoret u-mevakrim. Prakim betoldot ha-bikoret ha-ivrit [On Criticism and Critics. Chapters in the History of Hebrew Criticism], Tel Aviv 1980, 84. In a similar manner, the critic Avraham Paperna praised Abramovitsh’s novel Limdu hetev (Learn to Do Well) for presenting a clear picture (ẓiur, indicating also description or depiction) of the Jewish people, their nature and society. See Kramer, ibid. 117. This typical nineteenth-century praise of realist novels and clear pictures of social-historical reality were embodied in the mimetic norm of epic, all-encompassing perspective and architectonic advantage of the spectator over the objects of his fictive universe. 18 Ahad Ha’am [Asher Zvi Hirsch Ginsberg], Kol Kitvei Aḥad Ha-am [The Collected Writings of Ahad Ha’am], Tel Aviv/Jerusalem 1954, 127.

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as the “divine liberating aura of light and ocular capacity which gave enlightenment its name.”19 Clearly, the aura of the watchman had great impact on the 18-year-old Brenner, and it strongly resonates in his dramatic cry to Gnessin, “do you have eyes?!”. However, it is precisely against the backdrop of this swan song of the Enlightenment visions that one senses the dimensions of literary and epistemic crisis that was to come later, during the years of wandering, namely, after Brenner had deserted the Russian army and settled in London in 1904. Only seven years separated this famous letter from Brenner’s essay titled From London, from Lvov and from Other Places, published in 1907, in which he reflects on the city he had just left behind, London, as a figure and distinct existential state, as the mighty icon of historical chaos. The essay opens with the following lines: “There are universes in which only silence rules; because of the acknowledgment of the endless sorrow, because of the lack of power to mend or cure anything, […] there, in that universe you cannot look at anyone, neither hear a thing. […] [T]he boundaries are blurred. There, in this world, there is neither London nor Lvov, no analogies and no parallels, no speech and no controversies.”20

The opening lines of the essay give a striking record of the new experience inhibited by the feeling of loss. Things lose their essential identity and the lines separating spheres and objects blur. More so, the constitutive border between the subject – the one who sees – and his object – the world in front him – is vanishing. In other words, the subject does not see his objects since he has lost his spatial vantage point. One cannot point to the one catastrophe addressed in these lines; the historical crisis is the subjectivity crisis and the crisis of subjectivity is the eclipse of language. Ultimately, it seems that what happened to language, to writing, was more important here than London and Lvov; “There, in this world,” says the speaker in the last sentence, “there is neither London nor Lvov, no analogies and no parallels …” The speaker’s thoughts move naturally from the world outside to self-mirroring of his own text. The theme becomes now the mimetic eclipse, which negates analogies and parallels, that is, which negates language, representation itself. Clearly, this time, what is essential to the critic’s position is the inability to see and to reflect. In Brenner’s London novella From the Narrows (1908), written parallel to this essay, the protagonist, also a Jewish writer, constantly repeats one mantra, “where would one find a vision?”.21 It seems that the 19 Martin Jay, Downcast Eyes. The Denigration of Vision in Twentieth-Century French Thought, Berkeley, Calif./Los Angeles, Calif./London 1993, 89. 20 Yosef Ḥayim Brenner, Ktavim [Writings], 4 vols., Tel Aviv 1978–1985, here vol. 3: Criticism, 163 (emphases by the author). 21 Ibid., vol. 2: Short Stories, Novels, and Plays, 1027 and 1030.

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shining image of the watchman to the house of Israel had to clear the way for new conceptions of art and creativity. These new problematics of vision as the essence of the crisis of subjectivity would pave the new poetic paths in Brenner’s prose in the years following his flight from Russia, and the London reflections on vision and modernity would initiate the search for an adequate poetics to mirror present Jewish experience. This search is clearly captured through Brenner’s intriguing treatment of the trope of London fog in the same essay quoted above, From London, from Lvov and from Other Places: “[A]ll of us are in the ‘fog’ here, in the dark, smoggy, dusty fog. But you do not know, of course, naturally, what this fog is. For educated intelligentsia it is a dimness, something mystical, dark and lyrical. But, in reality, and for the half-intelligentsia, such as we are, it is nothing but the time when everything gets dark and turns into a cloud, a suffocating dark cloud […]. In times of ‘fog’ you do not see a thing until you stick your nose into this fog, and, even then, you do not see it, only through the fog, through dim.22”

The aesthetic manifesto for shaky hold of reality implied in this short piece says gazing through the fog. Each sentence here holds an account of the essence of writing in modern time and simultaneously performs a tense dialogue with European modern literary tradition. Through the solid articulation of the modern condition as the eclipse of seeing, this text joins the European discourse on the epistemic challenges of modern art. The debate goes half a century back to Gogol, who witnessed how the “unstable” and “arousing” historical reality stood in the way of “great” art,23 and to John Ruskin, who described a new historical state of darkness that turned all things “impossible to arrest, and difficult to comprehend.”24 In Brenner’s time, these concerns about the epistemological status of the object of art found their expressions through the multiple visual experiments of modernist artists who acknowledged and stressed the conditioned, subjective nature of seeing. One of the boldest expressions of these experiments was developed in a social sphere neighboring to Brenner’s, by the painter Kazimir Malevich – a Konotop-born Ukrainian artist, who presented his concept of Suprematism in 1913, fundamentally contesting the essential foundations of pictorial representation.25 At the same time, in Germany, Rainer Maria Rilke advanced his literary experiments of “annulation of gaze” in his revolutionary work of 1910 The

22 Ibid. 23 Nikolay Vasilyevich Gogol, Sobranie sochinenii v shesti tomakh [Collected Works in Six Volumes], 6 vols., Moscow 1952, here vol. 6: Selected Essays and Letters, 1855. 24 John Ruskin, Modern Painters, 3 vols., New York 1863, here vol. 3, 254. 25 On Malevich’s Suprematism, see Charlotte Douglas, Suprematism. The Sensible Dimension, in: The Russian Review 34 (July 1975), no. 3, 266–281. I wish to thank Inbal Ben-Asher Gitler for sharing with me her illuminating knowledge on Malevich and his visual modernism as well as this valuable source.

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Notebooks of Malte Laurids Brigge.26 Interestingly enough, Brenner preceded the experiments of those celebrated European modernists. The relation of the Hebrew writer to the wider European developments in literary style is not one of simple imitation or passive acceptance of prevailing poetical trends. Furthermore, through his treatment of the celebrated symbol of the London fog, Brenner himself articulates his complex stance toward the European Symbolism. He ironically rejects the neo-romantic symbolist praise of mystery with its attraction to ambiguous figures, undermining it by the low-realism of the image of the nose stuck into the dark cloud. The relative status of celebrated classical symbols of European literature is made present once again through the witty comparison between the distinct experience-languages of the intelligentsia vs. the half-intelligentsia. These nuances delineate Brenner’s search for an adequate language of representation, not only for the post-Enlightenment experience of loss of the fundamental foundations of rationalism, but for the Jewish, “half-intelligentsia’s” historical experience, as well. As the following section will endeavor to demonstrate, the ocular modernist turn of the first decade contained a “Jewish moment” due to its strong political impulse of rejection of what Martin Jay called “scopic regimes of modernity.”27

National Discourse and the Politics of Jewish Eyes Johanan Marshak, the main hero of Brenner’s 1907 play Beyond the Limits, is a Hebrew writer in London. His friend Dobe, who is in love with him, wonders why he is not willing to look straight at her: “Johanan: well, Dobe, go home, it’s time. The hour is late. Why are you looking at me? Dobe: am I looking at you? It is you who is looking at me. Oh, but I almost forgot: seeing is the novelists’ privilege, isn’t it? Flesh and blood human beings are not entitled to this. You don’t allow a single glance to go wasted, isn’t it so? Look at me, please.”28

Flesh and blood human beings were not entitled to look, says Dobe, only novelists. Clearly, she does not present her own views on that matter, but ironically reflects those of Johanan. What is not completely clear, however, 26 On the unique poetics of spectatorship in Rilke’s Novel, see Eric L. Santner, On Creaturely Life. Rilke, Benjamin, Sebald, Chicago, Ill., 2006, 47–49. Santner sees in Rilke’s novel the advent of “spectral materialism.” The terminology presented above, “annulation of gaze,” I owe to Nicolas Berg whom I thank for this conceptualization and the wise comments. 27 Jay, Downcast Eyes, 149–210. 28 Brenner, Ktavim, vol. 1: Short Stories, Novels, Plays, 873.

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is whether Dobe knows that Johanan himself rejects the realist novel and its scopic techniques of representation altogether. Prior to this scene, Johanan had already declared that there was no place for realist mimesis in present time and expressed his belief that symbolic realism was the right form for literary artistic expression.29 Indeed, Marshak disdains seeing; in one place, he compares himself to a boy striving “to darken the darkening world.”30 This association of writing, creativity, this new ideal of humanity itself, with blindness, darkening gaze, which  – in a striking opposition to the earlier imperative to have eyes – emerges in Brenner’s works during the first de­ cade, calls for close attention because Marshak is not alone in his surprising negation of seeing. In fact, practically no one sees clearly in Brenner’s plots of wandering. The hero of his 1908 novella From the Narrows, 65-year-old reb Leibush, is a typesetter in a printing house who fled the 1905 pogroms in Warsaw to London. Brenner’s narrator describes his constant blinking of eyes, as if he was “wondering about the place he stands in, in what sense is he standing there?”31 And in the following sentences he adds: “Reb Leibush was not at all satisfied with this printing house: there is no order in it! Everything is not in its place, turned upside down, the windows are open, the cold is strong, and here the electron light … this he could not stand at all! He would work an additional two hours every day, he would work without his glasses on, if he could only get rid of this trouble – the electron light …”32

Reb Leibush’s eyes are clearly representative of the epistemic distress in the strange metropole, but more so of his mental state as a Jewish refugee from the pogrom, humiliated and deprived of power. This might be the reason why the majority of Brenner’s Jewish figures of his European prose are suffering from eye diseases, above all Trachoma, a disease widespread in poor areas at the time that could lead to blindness. Interestingly, Brenner’s plots turn these eye diseases into the main obstacle of his heroes in their effort to set foot on dry land again. Thus, these plots draw clear parallels between seeing and sovereignty, or rather between their opposites, blindness and political nomadism. The mother of the nomadic family in the story Nerves (1910) is stopped numerous times by border inspectors because of her Trachoma, and the narrator repeatedly focuses on her oozing, infected eyes.33 Similarly, we learn about Shmaya Taller, one of the protagonists of From the Narrows, who got stuck in London since he was not allowed to enter America because

29 Ibid., 773. 30 Ibid., 806. 31 Ibid., vol. 2, 1055. 32 Ibid. 33 Ibid., 1238, 1243, and 1252.

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of his Trachoma infection.34 Not less intriguing is the fact that these heroes, who are suffering from eye conditions, are distinguished also by other “Jewish diseases.” The late brother of that same Shmaya Taller in From the Narrows is described as having “leaking eyes and a gibbous nose,”35 and another protagonist in the novella, Shalom Libermann, has “moist eyes” and is “not a man,” as he is unattractive to women and unworthy of having children.36 Thus, blindness and eye diseases are linked to the famous Jewish curved nose and the sexual Jewish anomaly, reflecting the Freudian-Oedipal replacement of castration with blindness. This association of Jewish existence with eye sickness is clearly articulated in one scene of From the Narrows, describing the study meetings between two print workers, a Jewish young woman and a Russian man. The narrator focuses on the differences between Jewish and non-Jewish gazes: “When Haya Rachel […] sits with him [the Russian worker Fyodor Shtaktorov], the difference between the eyes of the people of Israel and the eyes of the world’s nations stands out. Haya Rachel’s eyes are large, but she makes them seem small by blinking and squinting and by all the tricks she performs with them; Shtaktorov’s eyes, to the contrary, aren’t but two tiny pinholes, two small hollows, two short cracks, but for moments he tries to open them widely and make them large – and then to look straight ahead.”37

The representation of the “Jewish squinting” through the female figure is not accidental. Later the story reveals the true brutal nature of Shtaktorov, who abandons his Jewish lover after she gives birth to their son, and then attacks with an axe her Jewish protector. Hence, the blinking eyes are metonymic of the powerless Jews, or, in other words, national power-relations are symbolized through the dialectics of seeing versus blindness/visibility. No other Hebrew writer was as sensitive as Brenner to the strong connection between gaze and power, and he repeatedly reflected on the experience of visibility as the most fundamental threat of the ego. As Michael Gluzman wrote, the greatest anxiety of Brenner’s subject was the burden of gaze.38 Interestingly, it is only following his arrival in London, that the threat of the other’s gaze is clearly articulated in Brenner’s works. Starting from this period, one uncanny vision recurs in his writings, a vision of primal spectral humiliation in which powerful men or women are gazing and threatening Brenner’s Jewish protagonists. In Beyond the Limits, Johanan Marshak speaks in 34 35 36 37 38

Ibid., 1023 f. Ibid., 1065. Ibid., 1022. Ibid., 1050. Michael Gluzman, Ha-guf ha-ẓioni. Le’umiyut, migdar ve-miniyut ba-sifrut ha-ivrit ha-ḥadasha [The Zionist Body. Nationality, Gender, and Sexuality in the Modern Hebrew Literature], Tel Aviv 2007, 160.

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a delusionary mode of the essence of life “in spite of the laughter she laughed at you when spitting in your face.”39 Likewise, the plot of Brenner’s 1911 novel From Here and There is framed by two scenes of the mental breakdown of the protagonist each caused by a humiliating gaze directed at him.40 Brenner’s friend and colleague Asher Beilin described in his memoir on Brenner, how the latter used to turn to Beilin saying, “You must admit, people are following me with mocking eyes and laugh at me behind my back.”41

Brenner’s Sovereign Spectator and Modernist Masquerades Whatever the biographical origins of spectral humiliation, it seems to have become central during Brenner’s period of wandering, after his departure from Russia. These descriptions capture something of an emerging awareness of the Jewish body’s “objective” form within modern European society. Along with the many changes that a young man of Brenner’s generation experienced on the way from the Jewish town to the European metropoles, one should bear in mind the change of appearance, the shaving of the beard, and the haircut. All these designed for Brenner’s Jewish protagonists a new place in the public sphere. The urban experience is imbued from now on by a sense of masquerade. The possibility of looking like the Europeans goes hand in hand with doubt and wonder: How do they see me? Who am I, when I am among them, dressed like them?42 This process is taking place in London, in the very days when the intensification of the influx of refugees after October 1905 causes the authorities to be increasingly concerned for the future image of the capital and results in a decision to restrict Jewish immigration to London.43 Jews’ position as subjects to visual control in the political sphere 39 40 41 42

Brenner, Ktavim, vol. 1, 825. Ibid., vol. 2, 1278 and 1430. Ibid., 19. The question of visibility versus invisibility receives growing interest in contemporary scholarship in Jewish modern history, revealing that, in Lisa Silverman’s words, “Jewish difference mattered in the creation of modern culture in central Europe.” Lisa Silverman, Revealing Jews. Culture and Visibility in Modern Central Europe, in: Shofar 36 (Spring 2018), no. 1, 134–160, here 134. New studies on Jewish visibility shed light on the ways in which modern regimes of spectatorship affected Jewish subjective and social life. For synoptic review of contemporary scholarship, see ibid. The aim of the current essay, however, is to reveal the concrete ways in which the dialectics of visibility versus invisibility influenced the aesthetic realm and gave way to new forms of literary expression. 43 See David Englander, Booth’s Jews. The Presentation of Jews and Judaism in “Life and Labour of the People in London,” in: Victorian Studies 32 (Summer 1989), no.  4, 551–571.

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of the Western cities might give one explanation to the fact that the European symbolic spectator was constantly at work for Brenner in those years. However, the emerging psychological visibility complex was also grounded in two parallel historical developments: first, the rise of the physiological Darwinist antisemitic European discourse, which strongly effected the Jewish political self-image; and secondly, the rise of psychoanalysis which contributed to the positioning of the self – and his/her body – as an object of investigation and exploration, and as the ultimate object of sovereign discipline.44 Brenner gives the most striking description of this newly experienced scopic regime in his 1909 short story By the Way, which tells about the long sea voyage of a group of Jewish wanderers from Vienna, via Trieste and Alexandria, to Palestine. These Jewish passengers who have gathered on board the ship are nomads from Galicia, Russia, London, and Germany, but all pretentiously imagine themselves to be, and present themselves as, colonial “pioneers” traveling to revive the Land of Israel. With them on board are a London tourist and his “Lady,” who are so fascinated by this group of Jewish “pioneers,” that they suggest using the couple’s camera to take a photograph of the pioneers, which meets their excited approval. But suddenly the English photographer notices another Jewish figure aboard, a Jewish orthodox donation raiser from the Holy Land, holding his prayer book. The gentleman decides to include him in his picture as well. Unsatisfied, one of the European pioneers, the proud German-speaking teacher, explains that the orthodox emissary was not associated with the young colonialists, but “the Lady,” so we are told, “was so sorry to lose sight of what she saw, so far only in her imagination: a real ‘Hebrew’ with Psalms in his hands!”45 Brenner’s irony is clearly directed at the self-proclaimed pioneers’ inability to understand how the Europeans see them. They see themselves as European future colonialists in the Holy Land of Israel; but the English couple sees no difference between the group of “progressive” pioneers and the Jewish beggar. Those who consider themselves colonizers, however, are in fact the colonized. Brenner’s Lady and Gentlemen do not need the Jew as a partner in the European progress, but rather as an exotic souvenir, the negative image against which the subject of modernity can constitute itself as progressive, sovereign, and seeing. 44 For a selected bibliography on the topic, see Sander  L. Gilman, The Jew’s Body, New York/London 1991. For a focus on the racist context of Freud’s formulation of the Oedipal complex, see idem, Freud, Race, and Gender, Princeton, N. J., 1993, esp. chap. 1, 12–48. For a discussion on Zionism as an erotic revolution, see David Biale, Eros and the Jews. From Biblical Israel to Contemporary America, New York 1992, 176–203; Michael Gluzman, Ha-kemiha le-heteroseksu’aliyut. Ẓiyonut u-miniyut be-Altneuland [The Yearning for Heterosexuality. Zionism and Sexuality in Altneuland, in: Teoria u-vikoret [Theory and Criticism] 11 (1997), 145–162. 45 Brenner, Ktavim, vol. 2, 1128.

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The British tourists certainly would not have ascribed such a meaning to their own position. Their desire to explore the world and its exotic people, their technological advantage, love for the Bible, manners – all that posits them, in their eyes, as representatives of the Enlightenment, so commonly associated with the values of light and transparency of vision. The capacity to see incorporates for the Enlightenment subject the values of reason and progress. But, ironically, the implied author of Brenner’s story is the disciple of a Nietzschean school: Where the British explorer sees universal wisdom, Brenner’s author sees a desire for power, superiority, and control. For the Jew in the photography scene, the advantage of seeing is that of the sovereign (European) over his subordinate. Thus, this scene places the Jewish body at the center of the tension of subject-object dialectics, embodying the powerful encounter of the observer and the observed in the modern political space. Most intriguing in this scene is the understanding of the advantage of the European subject as the advantage of representation, of the one who is representing – by means of photography in this case – over the one who is being represented. The camera serves here as the means of the sovereign’s striving for what Laura Mulvey described in her 1975 paradigmatic essay Visual Pleasure and Narrative Cinema as the “pleasure in looking.”46 “Pleasure in looking” functions as a form of scopophilia, aiming at “taking other people as objects, subjecting them to a controlling and curious gaze.”47 For the narrative of Hollywood cinema, this “other,” according to Mulvey, was the castrated woman whose lack “gives order and meaning to the world”; in her lack, the woman “produces the phallus as symbolic presence.”48 In Brenner’s By the Way, it is the posing Jews in front of the camera who have that same function of signifying lack to the observer. National relations are structured as gender relations in this plot and are organized around the scopic phallic object – the camera. Hence, Brenner’s Jews provide for the sovereign the pleasure in looking; but what forms of pleasure – within the sphere of representation – remain available for the observed, for the objects of this sovereign patriarchal gaze? One form of “obedient” pleasure is achieved through the extreme efforts of the observed to satisfy the observer, or, in Mulvey’s words, “to make good the lack that the phallus signifies.”49 The subject who is observed – and such are Brenner’s heroes in the photography scene – identifies with the observer to the extent of receiving the pleasure of giving, of being looked at. Brenner

46 Laura Mulvey, Visual Pleasure and Narrative Cinema, in: idem, Visual and Other Plea­ sures, London 1989, 14–28, here 16. 47 Ibid. 48 Ibid., 14. 49 Ibid.

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himself, so we learn from Beilin’s memoir, had striven for such pleasures. Beilin wrote that Brenner suffered a “weakness for photography” and used to take photos of himself in order “to observe himself from the outside and to judge in a non-partisan manner, whether he was really ugly or not.”50 Yet there is an opposite form of pleasure available for the one observed: to deprive the observer of the pleasure of looking by hiding, sneaking out, switching masks, or, as Brenner’s hero Marshak had it, by “darken[ing] the darkening world.” In other words, experiencing spectatorship and representation itself as the privilege of the sovereign and as a violent position, gave rise to the aforementioned desire to describe reality “through the fog.” The endeavor of Brenner’s heroes to “darken the darkening world” gives voice to the subversive, anti-mimetic, even destructive impulse of the modernist artist, who does not only represent external darkness but adds to it the darkness from within. It is this destructive aesthetic impulse that holds, I suggest, Brenner’s political account of the nature and essence of Jewish modernism. Such process reveals the growing complication of the relationships between the public-political and the aesthetic realms: Literature presents now a form of formal negation of political language. If politics means the penetration of scopic control into the structure of subjective consciousness, then literature presents the negative reaction to politics through what Foucault described as festival literature and Bakhtin as the Carnivalesque;51 literature becomes the place of “suspended laws, lifted prohibitions, […] bodies mingling together without respect.”52 Such modernist rebellious impulse, it can be argued, laid the foundations for Brenner’s aesthetics of distorted vision. Among the emerging poetic strategies which would result from the crisis of vision and subjectivity are persistent efforts of self-positioning, location, and relocation of the subject in the process of writing. Thus, for example, in the essay From London, from Lvov and from Other Places, discussed above, the speaker indicates his constant shifts of position by switching his “masks.” At the beginning, he is the mysterious prophet, later he wears the mask of the readers’ intimate friend and shares with us personal letters he received from close friends, then his voice becomes that of the friend-addresser of the letter, but somehow within the same letter, the speaker seems to forget to whom is he speaking and occasionally adopts the position of a public speaker standing on a stage

50 Brenner, Ktavim, vol. 2, 1130. 51 See Michel Foucault, Discipline and Punish. The Birth of the Prison, transl. by Alan Sheridan, New York 1979, 197 f.; Mikhail Bakhtin, Rabelais and His World, transl. by Helene Iswolsky, Bloomington, Ind., 1984, 12–15. 52 Foucault, Discipline and Punish, 197 f.

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and addressing “my respected gentlemen.”53 The masquerade of speakers is explained by the unstable mental condition of the narrator who seems not to know exactly where he stands and where he is headed, both in his speech and life. “I am not completely healthy,” he says at the end, and adding, “enough, I’m out of joint, my strength is not with me and, meanwhile, I lost my ‘tone’ as well. I was not meant for writing such long letters, so it seems to me.”54 Nonetheless this masquerade becomes a strategy that enables the subject to remain unrecognizable and, therefore, never fully exposed to scopic control. This strategy takes up a part of the wider process of stylistic reformation of the prosaic form in Brenner’s plot of the wandering years. In these prose works, readers can sense how the whole atmosphere surrounding the course of events in the stories changes. Brenner’s narrators transmit the events in quasi-hallucinatory mode; reality appears as dark and mysterious. Such an atmosphere creates a strong feeling of separation between historical and literary universes, as if these two belonged to ontologically separate realms. On several of the poetic techniques used to evoke this separation – and thus bring about the modernist revolution of Hebrew prose – the focus shall be in this last section. Starting from Brenner’s days of wandering, ships appear as the key sites where his heroes’ fateful encounters take place. In the play Beyond the Limits we are told that Yohanan Marshak and his friend Elijahu Hezkuni met on a ship sailing to London, where Hezkuni mysteriously saved his friend.55 The plots of two of Brenner’s novellas, By the Way and Nerves, are placed entirely on board ships. The journeys of these plots never really end, and if Brenner’s heroes manage to get off the ship, it is only in order to get back on a month or a year later. Gradually, from a physical location, the liquid shapeless mass of the water is transformed into a symbol of Jewish existence. Hanna Soker-Schwager described Brenner’s story Nerves as “a fragmented and dispersed story, inhabited by a bunch of anonymous people who are adrift in the world, tossed from shore to shore. […] This is accompanied by a total absence of coordination in space, with one railway station replacing another, and one port changing into the next on a voyage whose destination, London, morphs into another, Vienna, which again finally changes into Eretz Israel.”56

This fragmented reality of constant drift, fundamental state of self-exclusion is reflected once again in the names Brenner chose for his works of these 53 Brenner, Ktavim, vol. 3, 171. 54 Ibid. 55 Brenner, Ktavim, vol. 1, 748 f. 56 Hanna Soker-Schwager, Brenner and the “Nerves” Genre. Between the Oedipal Narrative, the Jewish Joke, and the National Sublime, in: Prooftexts. A Journal of Jewish Literary History 31 (2011), no. 1–2, 60–94, here 65.

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years – Beyond the Limits, From the Narrows, By the Way, Between Waters – all imply that the transitive existence in borderless space is the symbol of Jewish-human condition. Thus, Brenner’s “waters” reflect not only the new historical reality of mass migration, but also the fundamental state of exclusion from the national political order of Europe. The relocation of the plots to the sea, aside from the transformation of the sea from material substance to a metaphysical symbol, stimulated the changes on the poetical level of representation. One of the most intriguing revelations of this process has to do with the fact that rather than representing reality, rather than imitating, the text tends to hide and disguise, to encrypt its content; to fix a vision barrier between reality and literature. Like the space of representation, which receives the qualities of the shapeless mass of water, the heroes, too, lose their contours as they appear nameless, that is, anonymous. In his earlier novels In Winter (1903) and Around the Point (1904), Brenner named and depicted his heroes according to the classical conventions of the realist novel: The heroes were representative of the various social types in concrete social reality. From the London period onwards, and even more so towards the end of the first decade of the century, in his novellas From A to M (1906), From the Narrows, and Nerves, and in short sketches and essays, such as On the Road (1905) and In the Hundredth Time (1909), Brenner presented a different kind of hero; no longer a representative assembly of social verity, but rather a series of figures who seem disturbingly similar to each other. Subsequently, human reality starts resembling the same shapeless and borderless dark mass. The multiple speeches of the different characters seem to merge into one ongoing “talk” and mark the appearance of an elusive voice that is only partly associated with a specific hero. Thus, speech itself moves to the front of the literary plot as the reflection on writing pushes aside the living historical reality. The joy of discovery in the style of “realism and holiness” was thus diverted in the days of wandering, toward the poetics of the secrets. Brenner’s contemporaneous prose tended more and more towards fragmentariness, idiosyncrasy, and obscurity, all of which reflected once again in his private letters. In 1909, Brenner writes to M. Ginsburg that he will not compose his autobiography, and talks about the “private secrets” which he would never share with a stranger.57 In the last year of his life, 1920, Brenner wrote to Berl Katznelson that he could not speak in public about his view on “the visions of life,” but would rather create in the “twilight zone.”58 The rhetoric of secrecy and cultivation of an aura of mystery deserves special attention in this context since Brenner’s secrets emerge as part of the new language 57 Poznanski (ed.), Igrot Y. Ḥ. Brenner, vol. 2, 20. 58 Ibid., 286 f.

High Exposure

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of the hiding artist, endlessly torn between the drive to confess and tear the masks of the face of reality, and his drive to sneak out, impersonate, and hide his identity. Thus, the long way Brenner went during the first decade of the twentieth century, on which his views on the essence and objective of literary work profoundly changed, is sharply epitomized in his two – very different – proclamations: the bold demand of 1900 to “increase reality and holiness in the world,” and the contrary conceptualization of artistic mission as delivered by Marshak in 1907, “to darken the darkening world.” As a concluding remark, we shall go back once again to the principal question concerning the origins and structure of the modernist revolution in Hebrew literature. The answer presented here goes beyond the examination of European literary sources that were influence and inspiration for the Hebrew writers. Literary revolutions, according to this view, result from social structural changes, and such was the case with Brenner and the early Hebrew modernism. The literary crisis of the early twentieth century was the crisis of a language that, as a social system, ceased to provide individuals with a means of symbolization of their concrete reality and immediate experience. Literature presents what Jacques Rancière called “dominant fiction”; a set of cultural images, a constitutive narrative, sense of place and models for behavior, feeling, and conceptualization of the daily struggles of living people.59 When the earth shattered underneath Eastern European Jews in the wake of the new century, their lives, along with their social languages, were dramatically altered. Predominant literary categories of plot and landscape, voice and gaze, conceptions and structures of time and space, imaginary figures of the author, narrator, hero, and reader, were problematized, examined, and reshaped. Hebrew writers, in a state of constant movement, undergoing religious, ideological, and social conversions, and practicing writing in a language yet unexplored as a medium of everyday communication, had to address fundamental questions regarding the origins, the essence, the means, and the ultimate goals of literary representation. Spectatorship, as the precondition of any act of representation of reality, was also problematized in times when the Hebrew narrator was looking for, and could not find, a vantage point from which to observe this reality. For Brenner, the problem of vision appeared at its most acute akin to the political-aesthetic form of Jewish modern experience. Thus, through his continuous debate on the status of vision – imbued with a strong impulse of criticism of sovereign power – he sketched the new contours of Hebrew modernist aesthetics.

59 On dominant fiction, see Kaja Silverman, Male Subjectivity at the Margins, New York/ London 1992, 30 f.

Oskar Czendze

Between Loss and Invention: Landsmanshaftn and American Jewish Memory in the Interwar Period Jewish immigrants from various Eastern European towns or cities established landsmanshaftn (Jewish hometown associations) at the height of the mass migration to the United States in the late nineteenth and early twentieth centuries.1 In their founding era, their members (landslayt) created a surrogate home, emotionally related to the places they left. Landsmanshaftn kept ties to, and memories of, their old homes while helping immigrants to meet their substantial needs in the New World. Between the early 1900s and the late 1930s, there were thousands of such societies in the New York City area alone, numbering altogether perhaps 20,000 in the rising industrial centers of the Northeastern and upper Midwestern United States.2 Each landsmanshaft was a dynamic entity: Some formed religious congregations, while others promoted their members’ radical politics or fostered the Americanization process. In general, they offered cultural and emotional stability, belonging, and community. This article examines the memory practices of American Jews from Eastern Europe, individual memoirists and activists in landsmanshaftn, in the period between 1918 and 1938. Specifically, it analyzes the production of the forms in which they remembered their diasporic homelands in Eastern Europe. What image or representation of Eastern Europe as a Jewish homeland dominated the life of Jewish immigrants in the interwar period? What does this memory tell us about the self-perception of Eastern European Jews in the American diaspora and the relationship between home and exile? What implications does memory have for identity formation? 1

This article draws on research that has been published in Oskar Czendze/Jason Francisco, Old Homes Made New. American Jews Travelling to Eastern Europe from 1920 until the Present, in: Sabine Marschall (ed.), Memory, Migration and Travel, London/New York 2018, 146–169. I would like to thank the Tam Institute for Jewish Studies at Emory University, in particular Eric Goldstein and Deborah Lipstadt, for supporting the research on which this article is based. Thanks to Karen Auerbach, Gaëlle Fisher, Jason Francisco, Leo Greenbaum, Günther Kronenbitter, Maren Röger, Elissa Sampson, and Daniel Soyer for providing insightful comments and sharing their expertise with me. 2 Daniel Soyer, Jewish Immigrant Associations and American Identity in New York, ­1880–1939, Cambridge, Mass., 1997, 201. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 35–56.

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Oskar Czendze

As memorial groups, landsmanshaftn manifested multiple dimensions of memory and diaspora across time and space. Yet, in A Brotherhood of Memory, the first published study on landsmanshaftn, Michael Weisser argued that Jewish hometown associations in the United States continued to live isolated from other ethnic groups in the world of the Eastern European shtetl, with its specific culture and customs. Like Irving Howe and Sidney Sorkin, Weisser saw landsmanshaftn as relics of the “Old World” that lost their role and importance in shaping American Jewish life after 1945.3 Recent scholarship, by contrast, has focused on aspects of transnationalism, transcultural networks, and diasporic identities. In his fundamental study on New York’s landsmanshaftn, Daniel Soyer argued that these societies maintained transatlantic networks and were shaped in culture and organization by both the old and new places.4 Rebecca Kobrin even showed how Jewish immigrants from the Polish city Białystok created a “multi-diasporic identity” that connected their various homelands in the United States, South America, Australia, Israel, and Europe.5 This article depicts landsmanshaftn as a special window onto the dialectic between loss and invention of Jewish collective memory and identity. Memory, as the sociologist Maurice Halbwachs observed, is given shape by social interactions in local milieus, shared experiences, and by the continuous discourse about the past in the present.6 One’s notions of the self and even one’s most private memories are determined by one’s social environment and conscious or unconscious interactions with it. Moreover, social groups shape forms of memory, and that collective memory, in turn, creates cohesion. In this sense, the past is never an exact historical reconstruction, but can only be seen through the lens of memory. I argue that the interwar period established the foundations of post-Holo­ caust memory and is the key to understanding representations of Eastern Europe that American Jews continue to feel attached to. American Jewish memory practices in the interwar period operated in distinct modalities, namely nostalgia, trauma, and invention. With the exception of invention, which symbolizes the productive encounter between imagination and real-

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See Michael R. Weisser, A Brotherhood of Memory. Jewish Landsmanshaftn in the New World, New York 1985; Irving Howe, World of our Fathers. The Journey of the East European Jews to America and the Life They Found and Made, New York 1994; Sidney Sorkin, Bridges to an American City. A Guide to Chicago’s Landsmanshaften, 1870 to 1990, New York 1993. Soyer, Jewish Immigrant Associations and American Identity in New York, 1880–1939, 30. Rebecca Kobrin, Jewish Bialystok and Its Diaspora, Bloomington, Ind., 2010, 249. Maurice Halbwachs, On Collective Memory, ed., transl., and with an introduction by Lewis A. Coser, Chicago, Ill., 1992, 52 f.

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ity, the forms of memory are based on the notion of loss. The sense of loss resulted from the notion of uprootedness caused by the experience of migration, and the increasing alienation from Eastern Europe as a homeland as a consequence of World War I and the pogroms which followed. Nostalgia and trauma as the constitutive forms of memory, usually associated with the disruptive force of the Holocaust, took place even before the destruction of Eastern European Jewry.

Nostalgia: The Acceleration of the Myth of the Shtetl “When someone leaves his native city, he leaves behind so many joys of youth, so many sweet and heartfelt memories, that he brings his memories along with him so that he can recall them joyfully. But what kinds of youthful memories did I bring with me? Kalush gave me nothing. No education. No one bothered with a poor orphan. Many Jewish orphans wandered in the streets in tatters, half naked, and the respectable Jews did not even want to take notice. They were immersed in themselves. And yet, I felt a longing upon leaving my native town.”7

Ben Reisman emigrated from the Galician town of Kałusz (nowadays Kalush, Ukraine) to New York in 1896. In this autobiographical essay written in 1942, he recounted the emotions that accompanied his departure. Although the poverty, misery, and indifference of the native social environment marked his memory of this Eastern European hometown, he maintained feelings of rootedness and attachment to his place of birth. In the United States, many Jewish immigrants like Reisman shared these emotions which stood in a dynamic tension with the desire for rapid economic and social mobility in the new society. In addition, hardship often continued during the transition from the old to the new homes. Landsmanshaftn absorbed these complex feelings of the newly arrived immigrants and created an affective home while maintaining their geographically targeted nature and offering mutual aid, for example, in finding a job or a doctor, paying debts, or burial benefits.8 One member of the Czenstochauer

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Ben Reisman, Why I Came to America, in: Jocelyn Cohen/Daniel Soyer (eds.), My Future Is in America. Autobiographies of Eastern European Jewish Immigrants, New York 2006, 35–105, here 65. Hannah Kliger, Traditions of Grass-Roots Organization and Leadership. The Continuity of Landsmanshaftn in New York, in: American Jewish History 76 (1986), no. 1, 25–39, here 30–33.

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B.V. and U.V. (Czenstochauer Bruder Verein und Unterstützungs Verein) recounted the foundation of his organization in 1938: “It was a cold, wintry day in December, 1888 […] when a group of eighteen courageous and far-sighted young men gathered at the corner of Delancey and Norfolk Sts. and laid the foundation of our organization. […] No sooner had it been set up, however, than it began to bring warmth and light into the hearts and minds of the membership which had joined its ranks.”9

Similar to Reisman’s hometown, a cold and depressive atmosphere dominated the early immigrant experience. In this itself nostalgic narrative, the landsmanshaft spread “warmth and light” to its members through a sense of community and belonging. This institution of people, however, was a dynamic entity. Each landsmanshaft continued to practice their Eastern European heritage in profoundly different ways depending on their specific place of origin and the religious, political, or cultural background of its members. Some, like the Congregation Bnai Jacob Anshei Brzezan, founded religious communities. In 1913, the landslayt from the Galician town Brzeżany (Berezhany, Ukraine) built their own synagogue in New York’s Stanton Street with an interior decoration that resembled traditional Galician ornaments and symbols. It provided its growing membership with a familiar atmosphere for prayer, a home away from home.10 Other hometown associations served as literary or poetry circles that celebrated the political ideals of their old home. The Golter-Bogopolier Yugnt from Golta (Halta) and Bogopolia (Bohopil; nowadays both to Pervomaisk, Ukraine) continued their revolutionary ideals and organized readings of proletarian Yiddish authors, such as Morris Rosenfeld or Dovid Edelshtat, followed by a discussion about trade unions, socialism, and the question of whether workers had a right to wealth.11 In their founding era, landsmanshaftn tried to recreate the world they had left in Eastern Europe to provide their members with a sense of continuity. However, as we will see, the mental distance to the old home increased with time, and obvious cultural differences between the landslayt in the United States increasingly disappeared. By the 1920s and 1930s, landsmanshaftn experienced a rapid transformation into memorial groups. Often, nostalgic pictures of Eastern Europe and a dream of the shtetl as a specific form of

9 YIVO Institute for Jewish Research (henceforth YIVO), RG 987, Box 1, United Czenstochover Relief Committee, Czenstochauer B.V. and U.V., Fiftieth Anniversary Manual, 25 December 1938. 10 Gerard R. Wolfe, The Synagogues of New York’s Lower East Side. A Retrospective and Contemporary View, New York 22013, 49–55. 11 Soyer, Jewish Immigrant Associations and American Identity in New York, 1880–1939, 69.

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collective memory replaced the reality of the homeland within the memory work of the landsmanshaftn. Svetlana Boym defined nostalgia as “longing for a home that no longer exists or has never existed, a sentiment of loss and displacement, but also a romance with one’s own fantasy.”12 Distance from home, however, does not necessarily produce longing for home. Rather, it emerges under certain conditions. The 1920s and 1930s in many ways represented a turning point in the lives of many Jewish immigrants from Eastern Europe, especially for members of landsmanshaftn. On the one hand, the National Origins Act in 1924 led to a ban on migration of Jews from Eastern Europe.13 It cut the possibility for landsmanshaftn to receive crucial waves of new members and thus to further a sense of continuity among its members. On the other hand, World War I caused huge destruction in the hometowns of Eastern European Jews. The famines and pogroms that occurred during the Ukrainian Civil War shattered communal organization and the possibility for immediate help in the Jewish communities.14 By contrast, Jews in the American diaspora were spared these events, and a key part of American Jewish nostalgia after World War I can be understood as a reactive approach to their own good fortune. As the United Brisker Relief (from Brześć/Brest, Belarus) expressed in a call to its members in 1917: “We, the fortunate Briskers, who are here in this free country, […] must take an interest in our Briskers and our brothers and sisters suffering from the war.”15 Being in a comparatively comfortable situation while friends and relatives suffered immensely across the ocean motivated landsmanshaftn to expand their contacts and launch an effort to rebuild the Jewish communities in their old homes. The immediate danger of a vanishing Jewish world due to the destructions of World War I transformed Eastern Europe into a central issue for the work of landsmanshaftn. The Rymanower Young Men’s Benevolent Association (from Rymanów, Poland), for example, commented that World War I “instilled the organization with a spirit of patriotism and self-sacrifice,”16 a spirit that dominated the American Jewish community after 1914. Landsmanshaftn mobilized an impressive amount of material help, transcending their ideological, political, and religious differences, and worked together with other 12 Svetlana Boym, The Future of Nostalgia, New York 2001, 19. 13 Hasia R. Diner, The Jews of the United States, 1654 to 2000, Berkeley, Calif., 2004, 78. 14 Annie Polland/Daniel Soyer, Emerging Metropolis. New York Jews in the Age of Immigration, 1840–1920, New York 2012, 165 f. 15 Cited in Daniel Soyer, Transnationalism and Americanization in East European Jewish Immigrant Public Life, in: Jack Wertheimer (ed.), Imagining the American Jewish Community, Waltham, Mass., 2007, 47–66, here 55. 16 YIVO, RG123, Box 12, Folder 272, Rymanower Young Men’s Benevolent Association, Invitation to 35th Anniversary Banquet, 24 October 1937.

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Jewish organizations like the American Joint Distribution Committee “to aid our distressed and war-torn brothers and their families on the other side.”17 The archives of the AJDC Landsmanshaftn Department show the dimensions of the effort: Between 1920 and 1938, for example, the Felshtiner Relief Committee (from Felsztyn, nowadays Hvardiiske, Western Ukraine) issued countless invoices amounting to between 50 and 200 USD with the reference line “economic aid.”18 Landslayt sent food and clothing packages to the Jewish communities abroad.19 Furthermore, during the war landsmanshaftn organized several relief societies as subsidiaries of their main organizations to facilitate immediate help for the Jewish communities in Eastern Europe.20 Abraham J. Senzer, the chairman of the United Czenstochover Relief, for example, recounted in 1942 its motivation to establish a subdivision of the Czenstochauer First Aid Society as follows: “The dire need; the distressful and pitiful pleas for aid; the imminent danger lest our own flesh and blood across the sea succumb to hunger; famine and typhus epidemics – brought our society to life […].”21 Facing the horror and distress of the war, landslayt in America erased the obvious cultural differences with their Jewish town fellows in Eastern Europe as the vice president of the Czenstochauer B.V. and U.V. expressed in 1938: “And, just as we say to our Landsleit here: ‘We are caring for you and will not let you down’ – just so are we saying to our Landsleit in Czenstochau: ‘We will not forsake you! We are with you, always, even though three thousand miles of water separate us.’”22

In contrast to the founding era of the landsmanshaftn, which focused on the immediate help for immigrants by creating a home that evoked an aura of the old country, American Jews now stressed their common bond with the inhabitants, friends, families, and former neighbors in their Eastern European hometowns. The focus of solidarity shifted from the immigrant community in the United States to Eastern Europe. From the perspective of memorial practices, this released a power of invention. The term landslayt no longer symbolized only the kinship among immigrants from a specific town or village, it rather emphasized a transatlantic unity that blurred actual cultural

17 Ibid. 18 YIVO, RG335.7, Box 3, Folder 99, AJDC Landsmanshaftn Department. 19 Ibid., RG987, Box 1, United Czenstochover Relief Committee, United Czenstochover Relief Committee and Ladies Auxiliary of New York, Bulletin no. 1 (3), January 1942. 20 Eli Lederhendler, American Jewry. A New History, Cambridge 2017, 130. 21 YIVO, RG987, Box 1, United Czenstochover Relief Committee, United Czenstochover Relief Committee and Ladies Auxiliary of New York, Bulletin no. 1 (3), January 1942. 22 Ibid., RG987, Box 1, United Czenstochover Relief Committee, Czenstochauer B.V. and U.V., Fiftieth Anniversary Manual, 25 December 1938.

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and social boundaries between both Jewish communities. Thus, it laid the foundations for a mythic image of a common place of origin. As a result of World War I and American immigration policies, American Jews, on the one hand, realized how far away they actually were from the events and therefore also from their families in Eastern Europe; on the other hand, this very distance reinforced feelings of attachment to their native towns and placed the old home in a central position in their new lives in the United States. American Jewish immigrants in the interwar period thus constantly negotiated their identities between their roots in Eastern Europe and participation in American society and culture.23 The danger of losing one’s ties in the face of war forms an important part of nostalgia. Strongly connected to this is moreover the danger of generating a psychological gap between life in America and the old home, which is also potentially more difficult to bridge than the physical distance. In response to both threats, many American Jews intensified not only their material aid but also their commemorative work, specifically the development of nostalgia. From the 1920s onward, memorial efforts increasingly became the binding element of landslayt in the United States, in keeping with Halbwachs’ observation that groups maintain unity by thinking of their old homes and their layout.24 Based on the notion of loss, landslayt strengthened ties with the old country through nostalgic forms of collective memory.25 The members of landsmanshaftn created positive pictures of their towns, images full of charm, pictures that reflected their own desires. A myth of the shtetl arose as a lost idyll of a simple and harmonious Jewish community destroyed by the modern world.26 This was an idealization of a lost and romanticized past, in which the shtetl became a genuinely Jewish and isolated place where interactions with the Christian population did not occur.27 The shtetl has, as a result, turned into a timeless synonym for the Eastern European Jewish community as a whole, a world of authentic Jewishness. Following the social and political changes of the 1920s, the shtetl as a common place of origin became central to conceptions of self-understanding among American Jewry. This imagination of Eastern European Jewish culture also dominated American popular culture after 1945, in fiction, theater, music, art, or most famously in the musical and subsequent film adaptation 23 Christian Wiese, Europe in the Experience and Imagination of American Jewry. An Introduction, in: idem/Cornelia Wilhelm (eds.), American Jewry. Transcending the European Experience?, London 2017, 2–30, here 5. 24 Halbwachs, On Collective Memory, 61. 25 David G. Roskies, The Jewish Search for a Usable Past, Bloomington, Ind., 1999, 59. 26 Ibid., 43 f. 27 Antony Polonsky, Introduction, in: idem. (ed.), The Shtetl. Myth and Reality, Oxford 2004, 3–24, here 4 f.

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Fiddler on the Roof during the 1960s.28 In some measure, such an image of the shtetl arose independently of the mass migration from Eastern Europe that began in the late nineteenth century and continued following the devastation of World War I, but was already a key feature of the renaissance of high literature in Yiddish, especially in the works of Sholem Aleichem and I. L. Peretz. Later writers include, for example, Peretz Markish, whose poetry cycle Di kupe responded to the Ukrainian pogroms in the aftermath of World War I. These tendencies towards nostalgia responded to the internal social and economic pressures and decline of the traditional shtetl that had begun as early as the 1860s.29 By the 1920s and 1930s, however, the trend of mythologizing the shtetl accelerated and found its permanent way into American Jewish self-understanding. In 1921, the American Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) commissioned Alter Kacyzne, a Yiddish writer and photographer in Warsaw, to document the emigration of Polish Jews. These pictures inspired Abraham Cahan, editor of the leading American Yiddish newspaper Forward, to appoint Kacyzne between 1923 and 1930 to provide pictures of Jewish life in interwar Poland, which he published in an ongoing series of photo essays.30 The photographs portrayed typical scenes of shtetl life as imagined in Yiddish literature. Traditionally dressed Jews in front of synagogues and wooden houses, people selling and buying on busy markets, and barefoot children in tattered clothing walking on muddy village streets were set in romantic, rustic, picturesque, but also depressing landscapes.31 The specific aim of Kacyzne’s photographic mission for the Forward was to address the homesickness of immigrant Jews in the United States. To immigrant readers, the photographs symbolized an abandoned world, disappearing in the face of the events of World War I. They fixed a specific image of Eastern European Jewry among American Jews that became the basis of the myth of the shtetl. This myth took root among memoirists as well. Saul Miler, a member of the First Dobromiler Young Men’s Sick and Benevolent Association, who arrived in the United States in 1907, portrayed his native town as follows:

28 Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Introduction, in: Mark Zborowski/Elizabeth Herzog, Life Is with People. The Culture of the Shtetl, New York 1995, ix–xlviii, here xlvii. For a detailed description of shtetl images in popular culture after 1945, see Jeffrey Shandler, Shtetl. A Vernacular Intellectual History, New Brunswick, N. J., 2014, 35–49. 29 See Yohanan Petrovsky-Shtern, The Golden Age Shtetl. A New History of Jewish Life in East Europe, Princeton, N. J., 2014; Antony Polonsky (ed.), The Shtetl; Yehuda Bauer, Der Tod des Schtetls, transl. by Klaus Binder, Berlin 2013. 30 Carol M. Zemel, Looking Jewish. Visual Culture and Modern Diaspora, Bloomington, Ind., 2015, 30–42. 31 See Alter Kacyzne, Poyln. Eine untergegangene jüdische Welt, ed. by Marek Web, transl. by Chris Hirte and Gunnar Cynybulk, Berlin 2000.

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“The little Jewish shtetl Dobromil was a little shtetl like all the other little shtetls of Ga­ litsia, but yet it lay in a setting of scenic natural beauty. It nestled there in a valley, this shtetl, ringed around with lofty green hills, with bountiful orchards, with flower gardens, an atmosphere fragrant with bracing fresh air.”32

Although Poles, Ukrainians, and Germans made up half of the population in the Galician town of Dobromil (Dobromyl, Ukraine) before World War I, Miler drew a picture of a genuine Jewish village with beautiful and idyllic natural surroundings, a timeless island untouched by the disorder of the surrounding sea. This “restorative nostalgia” emphasized a trans-historical and universal reconstruction of home.33 Longing for this imagined home dominated the life of immigrants, as Joachim Schoenfeld from the Galician town Śniatyn (Snjatyn, Ukraine) recounted in his memoir: “Although I never returned to my shtetl after the First World War, all my love and my most fervent feelings go back to that era.”34 However, some landslayt reflected on the aspect of longing and the contradictions it produced. As a landsman from Brześć, Paul Novick, wrote: “Just what is Brisk? The truth is that Brisk is what we want it to be.”35 This was a reconstruction of a past that had never altogether existed, except as a product of memory. Schoenfeld moreover admitted that “actually, it may be wrong to call the place a shtetl, and not a city as it really was. However, having in mind the core of the city, where the Jews lived on a kind of isle, surrounded by a sea of Gentiles, I call it the shtetl.”36 The historical town had to give way to the dream of the shtetl. As the philosopher Paul Ricœur mentioned, the fragmentation of place and time in memory creates a hole and produces a desire and need in ourselves to fill it with pleasure and repetition.37 As a result of the radical changes that took place in the interwar period, the myth of the shtetl as a common place of origin functioned as the new cornerstone of a specifically American Jewish identity.

32 Saul Miler, Dobromil. Life in a Galician Shtetl, 1890–1907, New York 1980, 3. 33 Boym, The Future of Nostalgia, 31. 34 Joachim Schoenfeld, Shtetl Memoirs. Jewish Life in Galicia under the Austro-Hungarian Empire and in the Reborn Poland, 1898–1939, Hoboken, N. J., 1985, 1. 35 Cit. in Soyer, Jewish Immigrant Associations and American Identity in New York, 1880– 1939, 196. 36 Schoenfeld, Shtetl Memoirs, 1. 37 Paul Ricœur, Memory, History, Forgetting, Chicago, Ill., 2004, 40–42 and 149 f.

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Invention: Visiting an Imagined Past in Eastern Europe Beyond memorializing and connecting with the past on an abstract level, traveling strengthened emotional ties with Eastern Europe in the 1920s and 1930s. Tourism was a growing phenomenon at a time when the European continent became more and more central not only to the immigrant societies but also to American society at large.38 For some American Jews, visiting their old homes in person enabled them to travel into their personal pasts, to reconnect with friends and families left behind. For others, it was more than just a journey into their own pasts, and rather a return to a future homeland. As a result of the October Revolution in 1917, the Soviet Union, for example, represented a dynamic and in many aspects more innovative alternative to the monotonous life in the United States.39 Eastern Europe could suddenly symbolize the place of a Jewish future. In this respect, an anonymous Jewish immigrant, who had participated in the revolutionary years at the beginning of the century in Russia, wrote to the editor of the column Bintel Brief in the Forward in 1917: “From time to time, however, I had the desire to visit Russia […]. But in America one is always busy […] so I never went. But now everything is changed. […] The ideal for which I fought has become a reality, and my heart draws me there more than ever now. […], and I’m ready to go home now.”40

Changing political situations in Eastern Europe caused this young person to imagine a return to his native country in terms of building a future homeland. Going back to Eastern Europe, however, did not always mean traveling to a new future; it was often a very personal journey into one’s own past and imagination. In 1932, Rose Schoenfeld visited her native town of Drohobycz (Drohobych, Ukraine) in interwar Poland to see her mother, whom she had not said goodbye to before leaving for the United States. She recounted this visit as follows:

38 Jeffrey Shandler, Ponownie spojrzenie przybysza [Newcomer Look Again], in: Polin Museum of the History of Polish Jews (ed.), Listy do tych, co daleko [Letters to Afar], Warsaw 2013 (exhibition catalogue), 30–39, here 31. 39 Daniel Soyer, Back to the Future. American Jews Visit the Soviet Union in the 1920s and 1930s, in: Jewish Social Studies 6 (2000), no. 3, 124–159, here 125. 40 Isaac Metzker (ed.), A Bintel Brief. Sixty Years of Letters from the Lower East Side to the Jewish Daily Forward, New York 1990, 132.

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“I did not enjoy the trip at all, because I found great poverty and desolation there. […] Each person cried, pleaded for help, and begged me to look up their friends and their landslayt in America so they could help them. […] My brother did not even have a tablecloth to lay on the table for the Sabbath. From all his wealth, only a mountain of ash remained, because the Russians had burned his houses.”41

Although Schoenfeld had always remembered her hometown as the place of a happy childhood and family, she was now shocked by the poverty and misery in Drohobycz. Similarly, the Yiddish humorist Khune Gottesfeld wrote about the muddy streets and the backward way of life he had witnessed during his visit to Skała in 1937.42 He further met his old friend Zalmen: “The door opened and in came a man with a large, wild beard (the kind of beard you see in America only in the movies, on a wild man wrestling with lions in Africa). He […] looked ancient, a real old geezer.”43 Schoenfeld and Gottesfeld realized that while their emotional ties to the old home on the one hand never completely vanished, their visits had on the other hand revealed to them how foreign Eastern European society and its environment, which they shared in their memories, had become. American Jews captured these moments not only in diaries and travel reports, but also in photographs, which were often shared with family or friends in the United States. In these pictures, American Jews posed, for example, in front of a farm, surrounded by a picturesque landscape, or together with old friends and relatives. Documenting their trips in photographs, they realized their personal transformation in American society, the growing cultural distance to their old homes, their families, and friends. This confirmed the distance between the conditions of the old country and the social and economic status of their new homes. At the same time, the feeling of foreignness in their former homelands was common. In their elegant clothes and with their modern cameras, many American Jews were regarded as “the other” by the local townspeople.44 These individual childhood trips can be characterized as nostalgic attempts to find a lost past. The anthropologist Marc Augé stressed the repressive aspect of memory and the sense that absence is constitutive of what we are. As he stated: “Oblivion is the life force of memory and remembrance is its

41 Rose Schoenfeld, What Drove Me to America and My Experiences in Europe and America, in: Cohen/Soyer (eds.), My Future Is in America, 160–188, here 186. 42 Chune Gottesfeld, Mayn rayze iber Galitsye [My Journey through Galicia], New York 1937. 43 Cited in Jack Kugelmass/Jeffrey Shandler, Going Home. How American Jews Invent the Old World, New York 1989, 16. 44 See Roberta Newman, Pictures of a Trip to the Old Country, in: YIVO Annual 21 (1993), 223–239

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product.”45 In Augé’s examination of oblivion, Marcel Proust’s narrator of In Search of Lost Time regains the past only through the erosion of memories that can no longer be sustained in the light of a visit to his childhood places in Combray, France.46 Things are not as he remembered them. Both American Jews and Proust’s narrator encountered their old homes through the lens of a different life. Members of Jewish hometown associations also went back to Eastern Europe in order to document the situation of their former neighbors and families there. In the 1920s and 1930s, many landsmanshaftn raised funds to send delegates with money and personal letters to their hometowns.47 During their travels, these members also documented their experiences of their old homes in film. For example, in 1929, Pesach Zuckerman from the Kolbushover Relief Committee and, in 1931, Alexander Harkavy, an important Jewish linguist, lexicographer, and member of the Nowogrodek Relief Committee, made professional movies of their respective hometowns, Kolbuszowa and Nowogródek (nowadays Navahrudak, Belarus) in Poland. They filmed the daily life and appearance of people, familiar places, and architecture, and captured greetings from people passing by. These moving images were unique as they functioned not only as a personal and intimate glimpse into the Eastern European Jewish culture for the landslayt and the broader public across the ocean, but also as they seemed to immortalize the hometowns. Moreover, these short movies reflected a very specific intention by the filmmaker. In the introductory title cards to A Pictorial Review of Kolbishev (1929), the narrator addressed the audience in the United States in English as follows: “Although we have made this glorious country as our second home, living under far better conditions and enjoying more freedom under the American flag, we still feel and consider in the depths of our hearts our native towns with all its shadows and faults as the sunny spot of the first happy years. Looking upon the schools, synagogues and all the other unique features prevalent in our idyllic towns, we feel as a shock of pride would touch us and many a tear relieves our very sensitive hearts while looking at these pictures and recalling the first episodes of our early lives.”48

In his movie, Pesach Zuckerman reproduced a sentimental image of an Eastern European shtetl as a shared space of Jewish origin based on the emotional memory of a happy childhood. Thus, scenes of traditional Jewish everyday life appear throughout the video: Jews buying and selling at the 45 Marc Augé, Oblivion, Minneapolis, Minn., 2004, 21. 46 Ibid., 68–70. 47 Soyer, Jewish Immigrant Associations and American Identity in New York, 1880–1939, 175–180. 48 YIVO, VM13, A Pictorial Review of Kolbishev, 1929, 02:00:30–02:01:05.

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marketplace, children going to the cheder, the traditional school, and Jews going to the synagogue. The filmmakers’ personal appearance in front of the camera praying at the gravestones of family members, for example, further emphasized the emotional tribute to the old home. Like Kacyzne’s mission to Poland and photographic work for the Forward, the movie increased both the nostalgic memory and the myth of the shtetl as a place of a more authentic Jewish life which were shared by the audience in the United States. Alexander Harkavy described this nostalgic attachment to the old home in a letter following the first of several later visits to his hometown Nowogródek in 1921: “After 3 hours, I finally arrived in my beloved and wonderful town. Looking at Nowogrodek made me cry […]. It has been almost 43 years since I left this place where my cradle stood, where I dreamed my youth, and where I left my mother’s grave.”49 His professional short movie Novogrudok ten years later, however, conveyed a more nuanced picture. Although he there also portrayed a simple and harmonious traditional Jewish life, Harkavy showed modern Jewish infrastructure such as Maccabi sports clubs and political parties. Moreover, he presented himself in front of the camera as a delegate of his landsmanshaft, distributing money to the town’s people.50 Emigrants from Nowogródek in New York and their landsmanshaft financed much of Jewish organized life there in the late 1920s and early 1930s, thereby maintaining Jewish life in their hometown. Harkavy himself contributed the large amount of 40,000 USD.51 By using common nostalgic images of Eastern European Jewish life and showing modern Jewish institutions together with American relief packages, Harkavy’s movie seems to have been aimed at encouraging American Jews to contribute aid to their old homes. Tourism offered landslayt the possibility to confront their fascination for Eastern Europe as a future homeland and their collective nostalgic images of the shtetl with the real present place. These dynamic cultural interactions connected the two antagonisms of new and old home, past and present.52 The private visits therefore symbolized, on the one hand, a journey back in time to an imagined past. On the other hand, the confrontation of individual memory and collective imagination with the physical space released a significant power of invention. The creation and existence of several, often

49 Tamara Sztyma, “Tam” i “Teraz”. Filmowe Plenery z Przeszłości [“Here” and “There”. Film Locations from the Past], in: Polin Museum of the History of Polish Jews (ed.), Listy do tych, co daleko, 16–27, here 17. 50 Yad Vashem Pedagogic Center, V1060, Nowogrodek 1931. 51 Yehuda Bauer, Nowogródek. The Story of a “Shtetl”, in: Yad Vashem Studies 35 (2007), no. 2, 5–40, here 9. 52 Shandler, Shtetl, 39–41.

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contradictory, modalities of representing memory connected the past with the Americanization process of the present. In the United States, visual and written travel reports confronted landslayt with their nostalgic longing and yearning for an imagined home, the shtetl. Like the travelers, the American audience shared the dynamic emotions between attachment to the former home and its people and obvious feelings of foreignness upon arrival. On the one hand, facing the simple life in these pictures contributed to a stronger nostalgic view of the shtetl as the place of common origin and a more authentic Jewish way of life. On the other hand, seeing and reading the reports of delegates about how they became “the other” made Jewish immigrants more confident and secure that they, in fact, had become Americans in the new country. However, at the same time, this process of Americanization had the paradoxical effect of making the landslayt turn more determinedly towards their former homes, intensifying the material help and relief work, and creating specific modalities of collective memory. Based on invention, it placed Eastern Europe in the interwar period in a central position in shaping Jewish diasporic identities, constructed in the dialectic between the new and old home.

Trauma: Commemorating Loss in Yizker Bikhern “The men demanded money. My father gave them what he had. My stepmother and father shivered out of fear … – ‘Why are you shivering so much?’ – One villain asked them. ‘Worse than death it won’t be.’ – ‘Be done with them’ – one commander ordered.”53 In the night between 17 and 18 February 1919, Ukrainian Cossacks, peasants, and other military units stormed the village Felsztyn in order to “liberate” it from the “Bolshevik Jews.” Joseph Baum, who offered this account of the pogrom, survived as a child hiding inside a closet while the troops smashed the windows of the house. His stepmother died, killed by the butt of a gun that crushed her skull. His father survived only because he pretended to be dead after the knife thrusts. One third of the Jewish population in Felsztyn, around 600 people, died that night. During the Ukrainian Civil War between 1917 and early 1921, over 1,000 pogroms occurred in over 500 places across Dnieper Ukraine, three quarters 53 First Felshtiner Progressive Benevolent Association (ed.), Felshtin. Zamlbukh tsum ondenk fun di Felshtiner kedoshim [Felshtin. Anthology in Memory of the Holy Felshtiner], New York 1937, 188.

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of them in the year 1919 alone. Estimates of the number of Jews killed in the pogroms range from 30,000 to 60,000. Until today, it is unclear whether White Russian armies, troops under the banner of the Ukrainian National Republic, groups loyal to the Bolsheviks, or uncontrolled looting bands under military chieftains like Nikifor Grigoriev and Nestor Makhno carried out the pogroms. Specifically, the role of the president of the Ukrainian People’s Republic, Symon Petlyura, has been the subject of much controversy among historians.54 In 1937, eighteen years after the pogrom, Joseph Baum and his fellow landslayt of the First Felshteener Benevolent Association in New York published a yizker bukh (memorial book), which includes several detailed reports and survivor testimonies of the Felsztyn massacre. In the chapter The Thirteen Questions, the Felshtiner Rabbi Dovid Novoselir listed the shocking inquiries people addressed to him about ritual purity only days after the pogrom: “First Question: When the Petlurists were coming up to the attic, my brother and I escaped through the chimney and ran away. After the pogrom, when we returned and went up to the attic, we found a pile of flesh, hacked and cut into pieces […]. We did not know whether or not it was our father whom we left behind in the attic. Should we take this flesh and bury it next to our mother, whom we found murdered on the frozen river?”55 “Ninth Question: They stuffed my son’s mouth with paper, and he choked to death. Should I bury him with the paper?”56

These inquiries to the rabbi reveal details about the traumatic dimensions of the massacres during the pogrom. The rabbi moreover depicted the people of Felsztyn as pious people, who maintained a Jewish religious identity despite the terrible tragedies that befell them, and felt obliged to follow the rituals of purity even in such a disruptive context. Jewish religion, he suggested to his readers, in this case the landslayt themselves, could be the key to coping with this trauma. He also suggested, as a consequence, the possibility of maintaining a Jewish future in this small town in Eastern Europe. Bonds with the hometown would not vanish in the American diaspora. Further questions also showed, by contrast, the victims’ incapability of working through the trauma in the aftermath of the pogrom:

54 See Lars Fischer, Whither “pogromshchina.” Historiographical Synthesis or Deconstruction?, in: East European Jewish Affairs 38 (2008), no. 3, 303–320; Paul Robert Magocsi, A History of Ukraine. The Land and Its Peoples, Toronto 22010, 536–539. 55 First Felshtiner Progressive Benevolent Association (ed.), Felshtin, 183. 56 Ibid., 185.

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“Tenth Question: We were eight people hiding in a cellar. My nursing baby was crying loudly. […] They pleaded with me to keep him quiet, but I could not. I told them: ‘Take the child and do whatever you want.’ ‘Heaven forbid,’ they all shouted, ‘we won’t touch the child.’ Petlurists soon came into the cellar and murdered everyone, including my child. They did not kill me. Now, Rabbi, my conscience is tormented, I cannot sleep. I think that I was the cause of their deaths?”57

Feeling guilty for someone’s death when there is no logical reason for it, or in other words, feeling guilty for having survived, is a psychological phenomenon that has often been described in the context of Holocaust survivors, most prominently in the example of Primo Levi’s life and work.58 This example shows how disruptive the annihilation of a third of the Jewish population was for the Felshtiner. The pogroms in Dnieper Ukraine during the revolutionary era had a lasting traumatic effect on its survivors. Furthermore, through its manifestation in the book and circulation within the American Jewish hometown association, these stories of survivor guilt created the collective notion of a catastrophe in Eastern Europe that had to be commemorated. A yizker bukh does not only narrate human tragedies, it also sacralizes Jewish death in the towns by using specific visual layouts. In 1924, five years after the pogrom in Khmelnitsky (Ukraine; until 1954 Proskurov/Proskuriv) in February 1919, the landslayt from the United Proskurover Relief in New York documented the massacre in their yizker bukh, as well as the situation of Jewish orphans and individual families after the pogrom, including extensive photographic material from mass grave sites and portraits of individual people who had died. The first chapter Khurbn59 Proskurov (The Destruction of Proskurov) recounts the history of the pogrom and incorporates into its narrative survivor testimonies from the night when the massacre occurred.60 Visually, the text of every single page in this chapter is arranged exactly like a page from the Talmud. This specific choice of a layout gives the very act of reading a sacred dimension and transforms the act of commemorating the human tragedy into a holy obligation, which can be fulfilled through repeated reading sessions within the community of the landsmanshaft or through private study.

57 Ibid. 58 See Berel Lang, Primo Levi. The Matter of a Life, New Haven, Conn., 2013, 1–16; Nicholas Patruno, Understanding Primo Levi, Columbia, S. C., 1995, 111–144. 59 After 1945, Yiddish-speaking Jews used the term khurbn to speak about the Holocaust in literature and in public. See Laura Jockusch, Collect and Record! Jewish Holocaust Documentation in Early Postwar Europe, New York 2012. 60 United Proskurover Relief (ed.), Khurbn Proskurov. Tsum ondenken fun die heylige neshomes, vos zaynen umgekumen in der shreklikher shite, vos iz ongefirt gevoren durkh di haydamakes [The Destruction of Proskurov. In Memory of the Holy Souls who Died in the Dreadful Massacres of the Haidamakas], New York 1924, 11–40.

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Illustrations with funereal iconography further emphasized the sacred character of the yizker bikher; either as framing a page or as an independent picture, preluding chapters on death and destruction. The title page of the Felshtin book, for example, shows a sea of oversized candles burning between the wooden houses of the town from which a huge gravestone arises with the inscription “Felshtin”.61 The list of contents in the Proskurov book is written on gravestones nested in a cloudy sky.62 As a result, yizker bikher served as substitute gravestones by including the names of the dead along with illustrations of gravestones.63 Yizker bikher are by definition multi-vocal. They include stories about Jewish life in the respective hometown, its landscape, and furthermore the life of its people in the American diaspora. Often, these stories are fueled with nostalgia. In the Felshtin book, for example, drawings by the children’s book illustrator Notte Kozlovsky accompany the stories and visualize the myth of the shtetl. Before the narration starts, a map shows a peaceful Felsztyn from a bird’s eye view, with the main street and the marketplace in the middle and a nearby synagogue as the nucleus of life in the town.64 Furthermore, one can find an illustration of everyday life depicting traditionally dressed Jews with a goose and a sheep on wooden wagons, ready to do their business at the market, or pious old men studying the Talmud together with the rabbi.65 However, as the front of World War I comes closer, the map of Felsztyn turns into a skull, anticipating the oncoming tragedy and the loss of life.66 Short stories that express the authors’ longing for their old homes accompany these illustrations. Secret rendezvous between cheder boys and girls give the reader the impression of a happy childhood despite the omnipresent poverty in the town.67 It is a simple but most pure Jewish childhood in the town where its people dream only of owning a horse, a new pair of boots, or a dress for Shabbat, the spiritual culmination of the whole week. Together with the stories, the illustrations visualize the universal nostalgic memory of a harmonious Jewish shtetl and its surroundings, soon to be destroyed by the war. In addition, yizker bikher include perspectives of hope and future as well, specifically in presenting the arrival of the immigrants in the United States. Kozlovsky remarkably captured this narrative moment in an illustration in 61 First Felshtiner Progressive Benevolent Association (ed.), Felshtin, i. 62 United Proskurover Relief (ed.), Khurbn Proskurov, 4 f. 63 Jack Kugelmass/Jonathan Boyarin (eds. and transls.), From a Ruined Garden. The Memorial Books of Polish Jewry, with a geographical index and bibliography by Zachary M. Baker, Bloomington, Ind., 1998, 25–27. 64 First Felshtiner Progressive Benevolent Association (ed.), Felshtin, xi. 65 Ibid., 367 and 418. 66 Ibid., 261. 67 Ibid., 485–529.

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the Felshtin book: the town’s cloudlike map rests upon the skyline of Manhattan, the “Promised Land.” The link between the past and the present is represented by a man who is giving a speech in front of a group of landslayt.68 It is the institution of the landsmanshaft, not a monument or the private family, that keeps the hometown and its people alive in memory through a collective sharing of experiences and stories in a community. Nostalgic as well as somber and traumatic forms of collective memory defined the American Jewish immigrant community in the interwar period. Yizker bikher manifested both modalities of American Jewish memory and served as portable memorials to their hometowns and their people. As the books show, within the social frameworks of landsmanshaftn the works of memory and mourning took place in the form of exchange. Communities depend on contact with others to complete the process of constituting their own narrative memory and identity.69 Both nostalgic and traumatic forms of memory thus revealed the deep emotional connections the members retained to their places of origin, and the imagined Eastern Europe they brought to the center of their collective identity constructions. After the Holocaust and the destruction of Jewish communities in Europe, the transformation of Jewish hometown associations into societies of commemoration based on loss was furthered. Whereas landslayt in the interwar period had focused on a Jewish landscape that still existed, although already transformed by violence, the question after 1945 became how one could deal with a representation of something that one engaged in the past but is no longer there. What did it mean to be a landsman or landsfroy from an Eastern European town where no Jewish community existed anymore?70 The unity of landslayt on both sides of the ocean that had been enthusiastically proclaimed in the wake of World War I seemed to be meaningless as the old home as a real place violently vanished. The landslayt’s mission then became to create a physical and mental space to bear witness to the legacy of their homes. Yizker bikher became the backbone of Holocaust memory and the biggest project of memorialization and documentation of vanished life, and would remain so until the early 1960s.71 The effort was international and even attracted new members into the societies. The books appeared in the United States, Canada, Israel, Latin America, South Africa, and Europe, and in different languages: Yiddish, English, and Hebrew. In addition, the very act

68 69 70 71

Ibid., 666. Ricœur, Memory, History, Forgetting, 120–124. See Kobrin, Jewish Bialystok and Its Diaspora. Hasia R. Diner, We Remember with Reverence and Love. American Jews and the Myth of Silence after the Holocaust, 1945–1962, New York 2009, 48–50.

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of writing and telling gave survivors the possibility to work through their trauma. However, it is the experience of the aftermath of World War I that set the foundations for this specific modality of memory. Together with the Proskurov yizker bukh, the Felshtin book served as a model for post-Holocaust yizker bikher; its archetypical pattern traced the community’s experiences from the mythologized and flowering shtetl to suffering and mass martyrdom, closing with the rebirth in the United States.72 Until today, yizker bikher maintain their initial purpose, serving mainly as portable memorials to commemorate the vanished places and their people by reconstructing Eastern European Jewry on paper and collectively giving testimony to massacres and destruction. American landslayt also held annual commemorations on the anniversaries of their respective hometown’s destruction or on specific dates to mark events such as pogroms and massacres during the Holocaust. Such events recalled the past in the present and held the community together. In 1948, the Czenstochower Relief and Ladies Auxiliary passed a resolution that marked 24 October 1942, the day when the first deportations from the ghetto in Częstochowa began, as an official commemorative day.73 Regular meetings included memorial services for the dead, in which landslayt gave testimony on the atrocities of World War II. During a meeting of the Rohatyner Young Men’s Society in March 1967, the landsman Dr. Lewender recited in tears a poem that recounted the mass execution of Jewish Rohatyners on the market square by SS troops on 20 March 1942. As the keeper of the minutes wrote, he begged the children and grandchildren not to forget this date; here the minutes stop with the note: “I cannot write, because of tears – when I think of our brothers. Nissan 2nd marketplace.”74 Until today, the Fraternal Order of Bendin-Sosnowicer (from Będzin and Sosnowiec, Poland), for example, holds such events with the slogan “Remember and Never Forget!”, including memorial services and lectures.75 Often, these memorial services took place at the cemeteries that had been established by the landsmanshaftn in their founding era, where Jewish hometown associations erected monuments commemorating the victims of the Holocaust. These monuments played a major role in constructing memory. By visiting the cemeteries, members of the societies were always confronted with the central monument, its inscription, and thus the destruction

72 Roskies, The Jewish Search for a Usable Past, 57–61. 73 YIVO, RG987, Box 1, United Czenstochower Relief Committee, Meeting Announcement, 21 October 1948. 74 YIVO, RG1016, Rohatyner Young Men’s Society Inc., Minutes from 1 March 1967. 75 YIVO, RG1198, Fraternal Order of Bendin-Sosnowicer, The 65th Annual Yizkor Commemoration, 5 October 2008.

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of the hometown’s community across the ocean.76 Memorial services at these monuments further intensified and ritualized the commemoration of the traumatic experience. Yizkher bikher, annual commemorations, and monuments strengthened traumatic forms of memory based on the notion of loss and absence. In the aftermath of the Holocaust, landsmanshaftn continued their work as memorial groups on the foundations of the already existing modalities from the interwar period, namely nostalgia and trauma. However, Eastern Europe increasingly became a hazy homeland in the American Jewish consciousness. The Holocaust, the hegemonic position of the Zionist narrative from the 1950s onward, closed borders, and the “othering” of Eastern Europe as a result of Cold War culture turned the places and hometowns of the old country for many Jews “into something remote and inaccessible, into an imaginary world of dreams and nightmares.”77 It seems that these forces made it easy to transform Eastern Europe into a model of anti-homeland, a “Holocaustland” built upon the notion of Jewish suffering and martyrdom. At the same time, anger and rejection even in the most horrible contexts can create a specific expression of attachment to these places, even a nostalgic one reminiscent of Ben Reisman’s account cited earlier. Longing for and recalling the world of one’s childhood is a universal human condition that shapes our individual identities. The trauma of relocation and loss, in this case, became blended with the yearning for childhood and home. Driven by emotional ties to his native place and feelings of attachment built on anger, William Mandel, a member of the Kieltzer Sick and Benevolent Society of New York, took a trip through several Eastern European countries in 1985. He described his encounter with the physical space in his Polish hometown Kielce as follows: “If a Jew who comes from that area and now lives somewhere else in the world, were to pass by those towns now, it would seem to him that he was in a deep trance. Often it seems as if the doors and windows of those houses will open and the faces of Jewish men, women and children would be looking out again. […] But, soon though, one comes out of the trance and sees immediately the tragic and bloody truth […], there is not even one Jewish person.”78

Eastern Europe is perceived as a space of Jewish death, not life; as a cemetery that only hosts the ghosts of the past. Traveling to these places and 76 James Edward Young, The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning, New Haven, Conn., 1993, 6 f. 77 Shimon Redlich, Returning to the Shtetl. Differing Perceptions, in: Antony Polonsky (ed.), The Shtetl, 267–275, here 268. 78 YIVO, RG1056, Box 1, Kieltzer Sick and Benevolent Society of New York, 80th Anniversary Kielce Journal, 1985, 18 f.

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entering these spaces can be a traumatic experience that conflates and confronts nostalgic memories of the past with reality. Confronting the reality that nothing is left, the act of remembering can, in the words of Holocaust scholar Lawrence Langer, only disturb.79

Between Loss and Invention: Eastern Europe as Diasporic Homeland The multiple and highly contested relations between Jewish homelands and diaspora are traditionally mediated by states of memorial longing and vari­ eties of exile consciousness. In Hebrew, diaspora is traditionally called galut and in Yiddish golus, a condition of exile, loss, and spiritual emptiness. However, this is not to say that living in the diaspora disables the normal processes of human attachment, that diasporic places resist becoming home. On the contrary, to live in the diaspora is to charge the lost and the dispersed with the urgency and the expectation of return; in effect, as Caryn Aviv and David Shneer have argued, to create multiple centers in interconnected relations.80 As a result, one place substitutes for another. In a phenomenon that Jonathan and Daniel Boyarin termed re-diasporization, Cairo might serve as a proxy for the remembered Córdoba, just as Los Angeles might serve as a proxy for the remembered Johannesburg, which in turn served as a proxy for the remembered Kaunas.81 By contrast to the traditional view, diaspora, in this case, is understood as a positive power of inspiration and dynamic cultural transformation across time and space. In the interwar period, the American Jewish collective memory of Eastern Europe as a homeland seemed to mirror the diasporic tensions between exile consciousness and positive creativity, between loss and invention. Inner-Jewish renewal and memory were based on notions of absence. In personal accounts of landslayt or publications such as the yizker bikher, nostalgic and traumatic forms of remembrance emerged. Contact with the real places and people in Eastern Europe, however, released a power of invention, as it replaced loss with the representation of the old home as a place of Jewish life in the present, in some cases even the future. It is also clear, however, that each of these modalities contains aspects of the other. The nostalgia of 79 Lawrence Langer, Holocaust Testimonies. The Ruins of Memory, New Haven, Conn., 1993, 175. 80 Caryn Aviv/David Shneer, New Jews. The End of the Jewish Diaspora, New York 2005, 7. 81 Jonathan Boyarin/Daniel Boyarin, Powers of Diaspora. Two Essays on the Relevance of Jewish Culture, Minneapolis, Minn., 2002, 11.

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the interwar period involved significant powers of invention, for example, reflecting a need to remember the old homes not just as they were, but as Jews wanted them to be. Likewise, trauma involves nostalgia, as they are both based on the absence of Jewish life and the longing for a past that is no longer there. Each of the forms of American Jewish memory had important implications on the level of identity formation, as the demand for meaning was mediated by reflection on the past. The historian Jacques Le Goff stated that we try to make sense of our selves through the constant rereading of the past in relation to the present.82 In this sense, the past is never an exact historical reconstruction; it is rather, as Halbwachs showed, shaped by social conditions in the present. By contrast to Sigmund Freud, for whom memories were shaped by the past and transmitted intact in the moment of repetition, Halbwachs saw the moment of recollection as decisive.83 It is here where individuals place themselves in social frameworks that offer definitions and values, and where the individual comes to appreciate the meaning of events. The exchange of memory places both the self and the other in a place where they can encounter each other’s identities, which are constituted in their reciprocal interaction.84 Eastern Europe played an integral part in the formation of American Jewish identity and memory. As we have seen, the assumption of a rapid assimilation in the late nineteenth and early twentieth centuries, whereby the Jewish immigrants had to play down their cultural legacy and heritage in order to be a successful part of the larger society, is a myth. Likewise, looking back to a lost and romanticized past is not a phenomenon of the post-Holocaust period only. American Jews already started to reimagine their native places of origin after the disruptive forces of World War I, thus laying the foundations for the modalities of Holocaust memory, namely trauma and nostalgia. The prevailing dialectic between loss and invention that has significantly shaped the memory of Eastern Europe since the 1920s could also be called a dialectic of Jewish death and Jewish life. It seems that Eastern Europe in the American Jewish consciousness of the interwar period admits consciousness of both in equal parts. It is both retention, a look back at the past, and protention, an image of the past for the future; it is at once a Jewish ruin and a place of Jewish return.85

82 83 84 85

Jacques Le Goff, History and Memory, New York 1996, 1–19. Halbwachs, On Collective Memory, 38–40. Ricœur, Memory, History, Forgetting, 166. Ibid., 113.

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“Principled Diasporism”: Folkists, Zionists, and the Meaning of Doikayt The term doikayt, which means “hereness” in Yiddish, has become a catchall term in Eastern European Jewish historiography for the commitment of various early twentieth-century non-Zionist political movements to the diaspora.1 As Ezra Mendelsohn defined it in The Jews of East Central Europe between the World Wars (1987), doikayt is “a Yiddish term indicating [its proponents’] belief that the struggle for Jewish equality and national rights must be fought and won in the Russian empire and in the other centers of East European Jewish life.”2 Doikayt has come to be closely associated with the Bund, the Jewish socialist party founded in 1897. This connection has so thoroughly permeated the literature that it has been claimed, without citations or more specific context, that doikayt was “a key Bundist idea before the Second World War,” “the cornerstone to the Bundist approach to problems confronting Jews,” and “the Bund’s central ideology.”3 In addition to being linked to the Bund, the word doikayt has been evoked in connection with Jewish engagements with Polish nationalism, Hungarian and Romanian 1 2 3

I am grateful to Nathaniel Deutsch, Kenneth Moss, and David Myers for their comments on this paper. Ezra Mendelsohn, The Jews of East Central Europe between the World Wars, Bloomington, Ind., 1987, 44, see also 45. Roni Gechtman, Nationalising the Bund? Zionist Historiography and the Jewish Labour Movement, in: East European Jewish Affairs 43 (2013), no. 3, 249–264, here 261, fn. 41; David Slucki, Here-Ness, There-Ness, and Everywhere-Ness. The Jewish Labour Bund and the Question of Israel, 1944–1955, in: Journal of Modern Jewish Studies 9 (2010), no. 3, 349–368, here 350; Joshua Karlip, The Tragedy of a Generation. The Rise and Fall of Jewish Nationalism in Eastern Europe, Cambridge, Mass., 2013, 230. See also Fruma Mohrer (ed.), Here and Now. The Vision of the Jewish Labor Bund in Interwar Poland, New York 2002, 1 and 8; Jack Jacobs, Bundist Counterculture in Interwar Poland, Syracuse, N. Y., 2009, 153; Marvin S. Zuckerman, Translator’s Preface, in: Bernard Goldstein, Twenty Years with the Jewish Labor Bund. A Memoir of Interwar Poland, transl. and ed. by Marvin S. Zuckerman, Lafayette, Ind., 2016, xiii–xxvi, here xxiv f.; Massimo Pieri, Doikeyt, noi stiamo qui ora! Gli ebrei del Bund nella Rivoluzione Russa [Hereness, We are Here Now! The Jews of the Bund in the Russian Revolution], Milan 2017; and several works by David Slucki, including: Bundists and Minority Rights after the Holocaust, in: East European Jewish Affairs 43 (2013), no. 3, 282–296, here 283; idem, The International Jewish Labor Bund after 1945. Toward a Global History, New Brunswick, N. J., 2012; idem, A Party of Naysayers. The Jewish Labor Bund after the Holocaust, in: AJS Perspectives. The Magazine of the Association for Jewish Studies (2013), no. 2, 42 f., here 42. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 57–85.

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“patriotism,” the Soviet experience, “literary diasporism,” the worldview of writer Isaac Leib Peretz, the Yiddishism of the YIVO Institute for Jewish Research (hereafter YIVO), and “the inner tensions inherent to [a] conception of East-European ethno-socialism.”4 In this article, I seek to historicize the term doikayt by looking closely at several concrete examples of its prewar usage and related phraseology. These examples come from the context of interwar Lithuania and polemics between Zionists and Folkists over the nature of Lithuania’s system of minority autonomy, especially the Jewish schools that fell under the auspices of autonomy, and Jews’ relationship to the Lithuanian national project. Some historians of Lithuanian Jewry have pointed to a general relationship between doikayt and Lithuanian Folkism, while others have connected the concept to Bundism.5 While the meaning of doikayt for Bundists before World War II 4

Respectively: Samuel Kassow, Travel and Local History as a National Mission, in: Julia Brauch/Anna Lipphardt/Alexandra Nocke (eds.), Jewish Topographies. Visions of Space, Traditions of Place, Aldershot/Burlington 2008, 244; Ezra Mendelsohn, On Modern Jewish Politics, Oxford/New York 1993, 10 f.; David Aberbach, The European Jews, Patriotism and the Liberal State, 1789–1939. A Study of Literature and Social Psychology, Abingdon/New York 2013, 105; Elissa Bemporad, Becoming Soviet Jews. The Bolshevik Experiment in Minsk, Bloomington, Ind., 2013, 72; Michael C. Steinlauf, Hope and Fear. Y.  L. Peretz and the Dialectics of Diaspora Nationalism, 1905–12, in: Glenn Dynner/ François Guesnet (eds.), Warsaw. The Jewish Metropolis. Essays in Honor of the 75th Birthday of Professor Antony Polonsky, Leiden 2015, 227–251, here 239  f.; Barbara Kirshenblatt-Gimblett/Marcus Moseley/Michael Stanislawski, Introduction, in: Jeffrey Shandler (ed.), Awakening Lives. Autobiographies of Jewish Youth in Poland before the Holocaust, New Haven, Conn., 2002, xi–xliii, here xiii f. and xxv; Gali Drucker Bar-Am, The Bund in Israel. Searching for Jewish Working Class Secular Brotherhood in Zion, in: Vincenzo Pinto (ed.), Bundist Legacy after the Second World War. “Real” Place versus “Displaced” Time, Leiden/Boston, Mass., 2018, 56–69, here 57. 5 See for example Solomonas Atamukas, Lietuvos žydų kelias. Nuo XIV amžiaus iki XX amžiaus pabaigos [Path of the Lithuanian Jews. From the Fourteenth Century to the End of the Twentieth Century], Vilnius 2007, 175, where he refers to “do-doiškait” (right-hereness), which he translates as “čia-čioniškumas.” There is no reference to doikayt in Shloyme Atamukas’s Yiddish-language monograph Yidn in Lite [Jews in Lithuania], Vilnius 1990. See also Dov Levin, The Litvaks. A Short History of the Jews of Lithuania, Jerusalem 2000, 176; Mordechai Zalkin, Žydų tautinė autonomija Lietuvoje [Jewish National Autonomy in Lithuania], in: Vladas Sirutavičius/Darius Staliūnas/Jurgita Šiaučiūnaitė-Verbickienė (eds.), Lietuvos žydai. Istorinė studija [The Jews of Lithuania. A Historical Study], Vilnius 2010, 323–330, here 323; Anna Verschik, Istorinės sociolingvistikos link. Savaitraštis “Apžvalga” (1935–1940) ir Lietuvos žydų tapatybės pokyčiai [Towards Historical Sociolinguistics. The Newspaper “The Review” (1935–1940) and Changes in Lithuanian Jewish Identity], in: Jurgita Šiaunčiūnaitė-Verbickienė (ed.), Abipusis pažinimas. Lietuvių ir žydų kultūriniai saitai [Mutual Knowledge. Lithuanian and Jewish Cultural Sites], Vilnius 2010, 183–200, here 197 f.; idem, Translations and Self-Representation. Literature as a Tool for a Mutual Jewish-Lithuanian Acquaintance, in: Jewish Culture and History 18 (2017), no. 2, 190–208, here 202 f.; and three works by Eglė Bendikaitė: Politinės Srovės [Political Currents], in: Larisa Lempertienė/Jurgita

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remains unclear, a close look at exactly how doikayt was evoked in Lithuania in the 1920s and 1930s, and by politically active Lithuanian Jews after World War II, shows that doikayt was a meaningful category of distinction in the particular context of Lithuania. While emigration to Palestine, or at least the specter of emigration, motivated the rhetorical uses of “here” and “there” of which doikayt was a part, I argue that doikayt, as a political philosophy, emerged in Lithuania in response to the success of Zionists working in the mode of Gegenwartsarbeit – work for the present – and not, as some historians have assumed, in response to Zionist abandonment of the diaspora. The word doikayt was evoked by the Folkspartey in Lithuania in the 1920s as part of a campaign to criticize local Zionists who held positions of authority in the institutions of autonomy and who sought to make Hebrew the language of instruction in Jewish schools. One of the best examples of this usage occurred in an exchange over the very meaning of the term that took place in the fall of 1926 between Yudl Mark (1897–1975), a leader of the Lithuanian Folkspartey and editor of its journal, Nais (News), and Jacob Robinson (1889–1977), a Zionist member of the Lithuanian parliament (Seimas) and editor of the General Zionist newspaper, Di idishe shtime (The Jewish Voice). Both men were dyed-in-the-wool diasporists who saw their respective movements as heirs to Simon Dubnow’s autonomism. Both returned from abroad to their native Lithuania in 1918 to work in politics and head small-town gymnasiums, which they considered to be the frontline of Jewish culture: in Mark’s case, a Yiddish folks-shul, and in Robinson’s, a Hebrew school in the Tarbut movement. Both men penned pedagogical manifestos for their respective schools.6 While debates over the meaning of doikayt were carried out in the Yiddish-language political journals of Kaunas, the capital of this small country, they were in some ways the culmination of decades of polemics between Zionists and non-Zionists over the future of Jews in Eastern European states such as Lithuania, where the system of minority autonomy exacerbated competing pressures for Jews to identify

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Šiaučiūnaitė-Verbickienė (eds.), Žydai Lietuvoje. Istorija, Kultūra, Paveldas [The Jews in Lithuania. History, Culture, Heritage], Vilnius 2009, 135–154, here 138 and Dalykų rodyklė [Index of Topics], in: ibid., 293–307, here 295; Sionistinis sąjūdis Lietuvoje [The Zionist Movement in Lithuania], Vilnius 2006, 206; and Politician without Political Party. A Zionist Appraisal of Jacob Robinson’s Activities in the Public Life of Lithuania, in: idem/Dirk Roland Haupt (eds.), The Life, Times and Work of Jokūbas Robinzonas – Jacob Robinson, Sankt Augustin 2016, 39–66, here 58 f. See Yudl Mark, Shul-gramatik in bayshpiln un oyfgabes [School Grammar with Examples and Exercises], Kaunas 1921; idem, Eynhaytlekhe folkshul. Avtonomye un shul. Unzere rikhtungen. Di eynhaytlekhe shul [United People’s School. Autonomy and School. Our ­Directions. The Integrated School], Kaunas/Šiauliai 1922; Jacob Robinson, Akhsanyah shel Torah. Duaḥ [din ve-ḥeshbon] shel ha-gimnasion ha-ivri be-Virbalen [Traveler’s Inn of ­Torah. Rules and Organization of the Hebrew Gymnasium in Virbalis], Berlin/Virbalis 1921.

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with republicanism and local history on the one hand and Jewish communal interests on the other.

Lithuanian Folkism The debate between Folkists and Zionists over the status of the Jewish diaspora had its roots in December 1906. That month, Dubnow founded the Folkspartey in response to the adoption by Russian Zionists, at the Helsingfors Conference that November, of a program of Gegenwartsarbeit, which added to these Zionists’ goal of settlement in Palestine the additional and more immediate objective of organizing material and communal resources in the galut or diaspora (Yidd. goles), in the ultimate service of eventual emigration.7 Dubnow helped draft a formal program for the Folkspartey, published in early 1907, which outlined a plan for Jewish communal self-administration in a democratic society. Despite the fractious political context of his party’s origins, Dubnow maintained a holistic, and what he saw as a pragmatic approach to Jewish political representation. The Folkist party itself, Dubnow proposed in the party manifesto, would be the “nucleus of the organized nation” – all Jews were welcome in its ranks.8 In the first issue of the party’s paper, in 1918, he wrote, “The fiery followers [khasidim] of the Zionist party call our school of thought ‘goles-nationalism.’ We accept this as a badge of honor. Yes, we are nationalists of the nine tenths of the Jewish people that will always remain outside of the Land of Israel, and also of that tenth part that might have the possibility to settle in our ancient land. But if you want to remain only in support of Palestine nationalism and leave the goles out of the minyan, you have no minyan.”9

An integral part of Dubnow’s commitment to the diaspora and national-cultural autonomy was the advancement of a theory that Jews had the same claim to indigeneity as do their neighbors in Europe. In one of his 1907 “letters,” originally published in 1898, Dubnow argued, “The Jews are entitled to demand for themselves the rights of long-established inhabitants of

7 See text of the statement in Paul Mendes-Flohr/Jehuda Reinharz (eds.), The Jew in the Modern World. A Documentary History, New York 2011, 555. 8 Simon Rabinovitch, Jewish Rights, National Rites. Nationalism and Autonomy in Late Imperial and Revolutionary Russia, Stanford, Calif., 2014, 118. 9 Simon Dubnow, Der nayer mabl [The New Flood]. Part  II, in: Yidishe folksblat (Petrograd), 20 January 1918, 12 f. (emphasis in the original).

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Europe.”10 While he noted that Jews were not concentrated in one territory, he argued: “This, however, does not detract from their right to be called native Europeans. Europe has been the home of the majority of the Jewish people for two thousand years […] Here, as Roman colonists, we witnessed the growth of Christian civilization. Here we developed our own spiritual and economic civilization whose influence extended also to our Christian neighbors.”

This approach to Jewish history and peoplehood, along with autonomous self-administration, was eagerly taken up by Lithuanian Folkists, such as Yudl Mark, who were excited by the Lithuanian government’s support for Jewish autonomy after the nation gained independence in 1918. Mark had fled the war in Lithuania at the end of 1915 and settled in Petrograd, where he studied with Folkists including Nokhem Shtif (1879–1933), Shmuel Niger (1883–1955), Yisroel Efroikin (1884–1953), and Zelig Kalmanovitch (1881–1944).11 The following year, he met Dubnow and began to see him as the “rebbe” of Folkism who needed followers to carry out his ideals.12 By the early 1920s, Mark was already active in the language debate in Lithuania, where, as headmaster of the Yiddish Gymnasium in Ukmergė (Yidd. Vilkomir), he came under attack by Jewish authorities that wanted to create a Hebrew-language school there. Mark had founded his school in 1920, before the expansion of Hebrew-language schools under the auspices of Jewish autonomy. An observer remembered that when these powers “created an extensive network of Hebrew and Zionist schools across the country, Ukmergė was the only city that secured a Yiddish gymnasium in which the language of instruction was not only Yiddish, but which was actively anti-Zionist in spirit.”13 The Lithuanian Folkspartey had a somewhat ragtag leadership, which included mercenary-like autonomists who had moved on from Ukraine, such as Nokhem Shtif, and Jews with close connections to the Lithuanian national movement, such as Uriah Katzenelenbogen (1885–1980). The idea that Jews had a long, peaceful, and integral history in Lithuania had been vigorously 10 Idem, The Jews as a Spiritual (Cultural-Historical) Nationality in the Midst of Political Nations (Second Letter, 1898), in: Koppel Pinson (ed.), Nationalism and History. Essays on Old and New Judaism, Philadelphia, Pa., 1958, 100–115, here 107 f. 11 Hebrew University of Jerusalem, Avraham Harman Institute of Contemporary Jewry (henceforth ICJ), Oral History Division, Interview with Gershon Weiner, File 1577, 29 October 1970, 8. 12 Ibid., 11 f. and 35. 13 Tuvia Liebowitz-Arieli, Ha-gimnasiyah ha-ivri ‘Or’ be-Vilkomir [The Hebrew Gymnasium ‘Or’ in Ukmergė], in: Jacob Oleiski et al. (eds.), Yahadut Lita [Lithuanian Jewry], 4 vols, here vol. 2, Tel Aviv 1972, 152–154, here 152 (emphasis in the original). A Hebrew gymnasium would be founded in Ukmergė in 1922.

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promoted by Jewish and non-Jewish political actors in Lithuania since the turn of the twentieth century, and Lithuanian Folkism subsumed this local brand of regionalism. Between 1914 and 1922, Katzenelenbogen sporadically published a Yiddish-language journal called Lite (Lithuania) expressly to advocate for the primacy of the Lithuanian place in a Jewish national consciousness. While the Folkists would enjoy some political and cultural successes, including representation in parliament and the establishment of the journal Nais to voice their positions, they operated in the shadow of the Zionists, who were more numerous, held positions of authority in the institutions of autonomy, and sought to shape autonomy, especially the school system, in their image.

The Origins of Doikayt in Lithuania In a 1972 interview with historian Dov Levin, Yudl Mark claimed: “In Nais these terms were coined which later extended to other countries – doikayt and dortikayt [thereness].”14 Levin asked, with evident surprise: “It all came from Nais?” Mark explained: “All from Lithuania. I will tell you how it came about. [Alexander] Mukdoyni was the editor of Nais, Shtif was a contributor, Kalmanovitch was a contributor, there were other contributors, and they kept saying how good it was and how fair everything was in Ukraine, and that in Lithuania things were not as they ought to be. At that time there was a columnist at the Di idishe shtime named [Yitzhak Eliezer] Leyzerovitch. Ley­ zerovitch wrote a feature article, ‘We the Tarabeynishkers’ – at home in Tarabeynishok. Tarabeynishok was a kind of tiny shtetl, and he called the Folkists ‘the Tarabeynishkers.’ So I wrote: ‘Not true, the Folkists are those who are linked with Lithuania, come from Lithuania; they live in harmony with their Lithuanian leaders. We are the doike [those from here] and the others are the dortike [those from there].’”15

Levin countered: “But they became very well-known terms.” Mark replied: “Doike, dortike – because the Bundists in Poland absorbed them.” Mark added that Max Soloveitchik, the Zionist Minister of Jewish Affairs in Lithuania, “wanted to exploit his doikayt for dortikayt,” indicating that Soloveitchik in14 Dov Levin, Jewish Autonomy in Inter-War Lithuania. An Interview with Yudl Mark, in: Polin. Studies in Polish Jewry 14 (2001), 192–211, here 209. I amended this English translation for accuracy and clarity. For a published partial transcript of the Yiddish original, see idem, Intervyu mit Yudl Mark vegn yidisher politik in Lite, 1919–1923 [Interview with Yudl Mark regarding Jewish Policy in Lithuania, 1919–1923], in: YIVO Bleter, New Series 2 (1994), 147–165, here 162. For this passage in the full transcript, see ICJ, File (12) 254, 17 October 1972, 29 f. 15 Idem, Jewish Autonomy in Inter-War Lithuania, 209.

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tended to leverage Lithuanian government resources towards supporting projects that fostered statist Zionism. In another interview recorded by Mark’s daughter, Riva, Mark similarly stated that the terms “di dortike, di doike, dortikayt, and doikayt” emerged from a feud between his paper and Di idishe shtime, and he claimed to have popularized them himself. “Di dortike and dortikayt was Zionism,” Mark told his daughter, “and di doike and doikayt, that’s non-Zionism, let’s say.”16 Mark also once told Gershon Weiner: “The most important thing about Folkism was not abstract ideas but serving the people as it exists, as it is here, and to have in mind its current interests.”17 Yitzhak Leyzerovitch (1883–1927), also known as Isidor Lazar, was a journalist who lived in Kaunas from 1920 to 1922 and who did indeed engage in polemics with Folkists centered on a fictional place called Tarabeynishok.18 While there is no apparent reference to doikayt in the Tarabeynishok exchanges, their timing in May 1922 is significant: Mark associated the origins of doikayt with a period in which Zionists and Folkists were heatedly debating the practical and theoretical outlines of autonomy under the watchful gaze of Dubnow himself, who had arrived in Kaunas that month and was considering accepting an invitation to serve as Chair in Jewish History at the University of Lithuania. In the spring of 1922, when representatives to the Lithuanian Constituent Assembly, the precursor to the parliament, were drafting the constitution, the future of autonomy was unclear. The government had appointed Soloveitchik to the position of Minister of Jewish Affairs, and the ministry’s leadership roles filled up with other Zionists. Discussions of the constitution’s chapter on national minorities began on 5 April 1922 and included a proposal, put forth by the Jewish ministry, to include articles specifically related to Jewish legal autonomy.19 Just five days later, Soloveitchik resigned “when it became evident [to him] that the constitutional amendments proposed by the Jewish faction were not going to

16 Zikhroynes fun Yudl Mark [Reminiscences of Yudl Mark], 1972, recorded by Riva Mark, transcribed and edited by Leyzer Burko, unpaginated [183 f.] I thank Leyzer Burko for sharing this document with me. 17 Interview with Yudl Mark by Gershon Weiner, 3 (emphasis underlined in the original transcript). 18 See e.  g. Hoykh politik [High Politics], in: Nais, 7  May 1922, 2; Der Tarabeynishker. Kleyner feuilleton. Mayn psevdonim [The Tarabeynishkers. A Little Feuilleton. My Pseudonym], in: Nais, 22 May 1922, 3; Memini. Gedeynkt! [Remember. Remember!], in: Di idishe shtime, 23 May 1922, 3. 19 Šarūnas Liekis, A State within a State? Jewish Autonomy in Lithuania, 1918–1925, Vilnius 2003, 153. See also Danutė Blažytė-Baužienė, Krikščionių demokratų ir liaudininkų koalicijos žlugimas [The Collapse of the Coalition of Christian Democrats and Populists], in: Česlovas Laurinavičius (ed.), Lietuvos istorija [History of Lithuania], vols. I–XII, here vol.  X: Nepriklausomybė (Independence), part  1: Nepriklausomybė 1918–1940 [Independence 1918–1940], Vilnius 2014, 491–494.

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pass.”20 Although Soloveitchik would continue to serve as minister “without portfolio” until the end of 1922, he became increasingly partisan in his politics, in particular over the autonomous Jewish school system, for which he and other Zionists envisioned Hebrew schools. Around the same time, in a closely watched process, the League of Nations was preparing to confirm a Mandate for Palestine. In May 1922, at the eighteenth session of the League of Nations in Geneva – at which Leyzerovitch was a correspondent for Di idishe shtime – Lithuania made a declaration of the Jews’ rights to cultural autonomy, protection to not work on the Sabbath, and education in their mother tongue. The mother tongue issue became a sticking point in debates between Zionists and Folkists, the latter focusing on the fact that Hebrew was not the Lithuanian Jews’ mother tongue. Dubnow would write in his memoirs while in Lithuania, “[I] put all my energy into peace between the warring parties,” specifically concerning “the party conflict over autonomy and language.”21 When sick in bed in Kaunas, Dubnow wrote an open letter to the Folkists, saying it was not “bashert,” or meant to be, for him to get in the middle of political arguments, wishing only that they should “not allow for a terrible war among parties.”22 The political fights that had perturbed the visiting éminence grise of autonomism gave rise to a discourse of “here” and “there” that paved the way for doikayt. It was Shtif who brought out the here/there dichotomy in Nais in 1922. A cofounder of the Vozrozhdenie group in 1903 and the Democratic Folkspartey in 1917, Shtif arrived in Kaunas in 1921 after serving for a year in the Ukrainian government and quickly joined the ranks of Nais. Despite his roots in Ukrainian Volhynia, Shtif took to the task of building Folkism and national autonomy in Lithuania with gusto, even writing, on more than one occasion, with sympathy about the particular history of the Lithuanians and their linguistic and cultural oppression under the Russian Tsar.23 Shtif 20 Liekis, A State within a State?, 181. See also Vladas Krivickas, The Coup d’État of 1926 in Lithuania (PhD thesis, Columbia University, 1971), 107 f. 21 Simon Dubnow, Dos bukh fun mayn lebn. Zikhroynes un rayoynes. Materialn tsu der geshikhte fun mayn tsayt [The Book of Life. Memories and Reflections. Materials on the History of My Time], 3 vols., New York/Buenos Aires 1962–1963, here vol. 3, New York/Buenos Aires 1963, 17 and 343; idem, Kniga zhizni. Vospominaniia i razmyshleniia. Materialy dlya istorii moyego vremeni [The Book of Life. Memories and Reflections. Materials on the History of My Time], Moscow 2004, 485 f. See also Verena Dohrn, State and Minorities. The First Lithuanian Republic and S. M. Dubnov’s Concept of Cultural Autonomy, in: Alvydas Nikžentaitis/Stefan Schreiner/Darius Staliūnas (eds.), The Vanished World of Lithuanian Jews, Amsterdam/New York 2004, 155173, here 164. 22 A briv fun Shimen Dubnov [A Letter from Simon Dubnow], in: Nais, 22 May 1922, 3. The letter is dated 16 May 1922. 23 See e. g. Nokhem Shtif, Yidn un yidish [Jews and Yiddish], Warsaw 1920, 89, and idem, Vilne un Lite [Vilnius and Lithuania], in: Lite (1922), 33–46.

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had in fact deployed the here/there rhetorical maneuver as early as 1910, in a long article published under his penname, Bal-Dimyen, in the Vilna review Folk un land. In this article, Zionism and the National Idea, Shtif repeatedly used phrases such as “here in goles” (in exile) while referring to Zion as “there,” and argued for greater investment in the diaspora.24 In 1920, he would lament the “sacrifice [of] Jewish children here in ‘goles’ for the sake of the dream of the Holy Land” when referring to Hebrew as the language of instruction.25 The first occasion in which Shtif used “here” and “there” in this way in Lithuania was in January 1922, in an article in which he lamented the lack of fanfare at the establishment of Yiddish courses at the University of Lithuania in Kaunas while noting that he had watched a parade in Kaunas in honor of the planned Hebrew University in Jerusalem. He compared “higher education ‘here’ [do] and ‘there’ [dortn],” claiming that Zionists were only interested in investing in secular institutions in the Holy Land while entering an imprudent alliance with the religious Akhdes party in Lithuania. “For ‘there’ [dortn], in Dreamland – enthusiasm and substance; for ‘here’ [hi], for the home – ordinariness and spirituality.”26 Shtif, who was in fact religious himself, argued that Zionists were interested in building “only for ‘there,’ for ‘their’ objective, and here for the godforsaken ‘goles’ they become mere men of spirituality.” In another article, he introduced a phrase to describe the Zionist dual loyalty that would recur in the context of doikayt: double bookkeeping. Autonomy in the hands of Zionists meant “outwardly – autonomy as an organic part of the state; internally – a ghetto, a protection against the state, against its possible personal demands.”27 In May 1922, Shtif returned to the here/there theme and expanded on it in the first installment of a series called On Forgotten Things. Zionism and “Goles” Politics, published under his given name in Nais. Shtif argued that Zionists built institutions in the diaspora only to see if they would work in the Holy Land.

24 Bal-Dimyen (Nokhem Stif), Der tsienizm un di natsyonale idee [Zionism and the National Idea], in: Moyshe Shalit (ed.), Folk un land. Zamlbikher spetsyel gevidmete der filozofish-gezelshaftlikher oyfklerung un der kritik fun tsienizm in breyten zin fun vort [Nation and Country. Collection Specially Dedicated to Social-Philosophical Enlightenment and Criticism of Zionism in the Broad Sense of the Word, Vilnius 1910, 37–56. A manuscript version of this essay dated 26 April 1910 can be found in YIVO, RG 57, Papers of Nokhem Shtif, 1879–1933 (1910–1933), Box 1, File 3022. 25 Idem, Yidn un yidish, 58. 26 N. a., Rukhniyes. Vegn di yidishe hoykhkursn in Kovne [Spirituality. On the Yiddish Advanced Courses in Kaunas], in: Nais, 30 January 1922, 2. 27 Nokhem Shtif, Haynt un lakhres-hayomim [Today and till the End of Days], in: Nais, 24 February 1922, 3.

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“So let us say outright about Zionism, too: The better it gets for the Jewish class in ‘goles,’ the more Jews will desire Zion and the more possibilities they will have to achieve such a thing, no longer needing, in the Zionist conception, to insert ‘here’ and ‘there’ [‘do’ un ‘dort’] (‘goles’ and Zion) instead of the socialist ‘now’ and ‘later’; two words change – nothing more.”28

Shtif broke down this dichotomy further: “Either my home is here [do], where generations have worked and struggled. Where Jews have built houses and led regular lives. So therefore I am staying; I will refine and beautify this home together with other peoples, here we will raise generations and renew our life, every class of Jews in its own way. Here is our fortress and our hope. Or my home is there [dort], in the land of dreams; here I am a stranger, a superfluous person, or a citizen on condition; here I stand where the least wind can knock me down; […] So what is there to speak of, of a struggle in goles, for better or worse, especially after such state-building as national autonomy, whose fundamental essence is rooted in the thought that this is for generations to come and for the country [land] and that this country is my home and my future?”29

Shtif thought that Lithuanian Zionists, including the politicians appointed to government ministries, did not wholeheartedly believe in autonomy, and that they would even have secretly been happy if it came to an end: “If autonomy fails, the loyal Zionist will not know if he should lament the defeat or celebrate a victory, because when push comes to shove there is actually a bit of consolation in seeing that Zionism is actually right, and that the ‘goles’ has nothing left to give, even as a formality.”

Shtif referred to the “psychological contradiction” whereby Zionism “has its head in ‘goles’ and its heart in a distant land” as “keeping two sets of books of the soul [doplte neshome-bukhhalterye] in its goles program.” Indeed, Yitzhak Gruenbaum (1879–1970), one of the theoreticians of Gegenwartsarbeit Zionism, wrote in his memoir: “When Soloveitchik was asked why he was willing to abandon Lithuania [in 1923], he answered that his work building up Jewish cultural autonomy in Lithuania was finished and he now wished to dedicate his energy to building up Eretz Yisroel [and] to the realization of Zionism.”30

Likewise, Yosef Berger, the head of the Jewish school system under autonomy, would recall after the war:

28 Idem, Vegn fargesene zakhn. Tsienizm un “goles”-politik [On Forgotten Things. Zionism and the Politics of the Diaspora], part 1, in: Nais, 19 May 1922, 3. 29 Ibid. 30 Yitzhak Gruenbaum, Fun mayn dor [From My Generation], Tel Aviv 1959, 370 f.

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“We Zionists always considered Eretz Yisroel to be the only land where the Jew had a secured future, and national autonomy in the diaspora countries was for us not the end goal but a temporary, intermediate goal. We knew that autonomy in the diaspora was a patch on a torn shoe.”31

Mark also took up the here/there pairing in 1922, in a book-length treatise arguing for a unified and apolitical school system. He took particular issue with what he saw as Zionist indoctrination in the Hebraist schools, which Mark understood to be the de facto outcome of the “Synthetic Zionism” proposed at Helsingfors.32 He wrote: “Autonomy is contradictory to Zionism. If you build here – it means you can still build in goles. It is not as desolate and barren as you make it out to be. ‘Synthetic Zionism! We are building here for there!’ Just as, for religious Jews, this world is an antechamber to the next, the real world, so is autonomy a traveler’s inn [akhsanyah] or a waystation on the road to Zion.”33

Mark argued in the same book that most Tarbut supporters did not expect to Hebraize the diaspora, but rather, in his words, to cultivate fruits for export. “First of all,” he wrote, “from where is it deduced that ad maiorem gloriam of Hebrew not here, but far, far away, in that holy land, Yiddish must be exterminated here, in the sinful goles?”34 The Zionist school, according to Mark, was too utopian and not connected to the realities of Jewish life in Lithuania. “A school is not an artistic orangery,” he wrote, “it is a natural garden, with natural air.”35 Mark had already cited the word akhsanyah, or traveler’s inn, which Jacob Robinson used in the title of his book on Hebrew schools. Then, in a comment that anticipated his future public debate with Robinson, Mark added: “How piquant it is that the representative of Tarbut ideas, Dr. Robinson, at the last general meeting of Jewish communities here in Lithuania, thoroughly endorsed this long antiquated viewpoint. And the foundational thought of his whole torah was (as far as the newspaper report can be understood) that the school needs to withdraw from life …”

31 Dr. Yosef Berger, Di yidishe natsyonale oytonomye in der zelbstshtendiker Lite, 1919– 1939 (perzenlekhe zikhroynes baglayt fun a kritishn iberblik) [Jewish National Autonomy in Independent Lithuania, 1919–1939 (Personal Memoirs Accompanied by a Critical Overview)], in: Mendl Sudarsky/Uriah Katzenelenbogen/I.  Kisin [Yekusiel Garnitsky] (eds.), Lite, 2 vols., New York/Tel Aviv 1951–1965, here vol. 1, New York 1951, 223–240, here 231. The second volume was edited by Ch. Leikowicz. 32 On “synthetic Zionism,” see Samuel Gringauz, Jewish National Autonomy in Lithuania (1918–1925), in: Jewish Social Studies 14 (1952), no. 3, 225–246, here 228. 33 Yudl Mark, Eynhaytlekhe folkshul, 9 and 92. 34 Ibid., 68. 35 Ibid., 78.

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The Fall and Rise of Autonomy The early 1920s saw increasing Jewish engagement with Lithuanian language and culture and with the political process – about 55,000 Jews voted in elections for the first Seimas in November 1922, which resulted in the creation of a Jewish bloc in parliament.36 Yet institutions of autonomy experienced growing pains. In protest against the failure to create religious schools under the auspices of the Ministry of Jewish Affairs, Akhdes, the religious party, resigned from the Jewish National Council and boycotted communal elections in February 1923. Mukdoyni, the editor of Nais, would later muse that Soloveitchik was not a good politician but “too good of a Zionist, and that was fatal, perhaps, for Jewish autonomy, which he personified.”37 After Soloveitchik’s resignation, and an unpopular attempt to replace him, the Ministry of Jewish Affairs was dismantled in June 1923. The following month, Yiddish- and Polish-language signage was officially banned, creating an ominous mood on the Jewish street.38 The Jewish National Council met for the last time in September 1924, following leader Shimshen Rosenbaum’s resignation. (Two of the autonomous institutions, the school system and the Jewish Folksbank, remained operational nonetheless, and a Jewish faction still caucused in the Seimas.) These general disappointments were alleviated by the election of the third – and what would turn out to be the last – democratically elected parliament of the interwar period, in May 1926. This new government, which began work on 2 June, was led by a coalition of Peasant Populists and Social Democrats, who had campaigned, in part, for the separation of church and state generating constitutional orthodoxy. As part of this project, the new government promised the restoration of Jewish autonomy. As Zigmas Toliušis, the leader of the Populist bloc in the Seimas, told journalist Yisroel Zhofer: “Regarding specific minority rights, our program is clear. We hold to the belief that minorities must receive the autonomy that was guaranteed to them in the constitution.”39 Heeding the Jewish faction’s demands for the reinstatement of autonomy, the newly elected prime minister, Mykolas 36 On Jews’ engagement with the Lithuanian language, see e. g. Anna Verschik, The Lithuanian-Language Jewish Periodicals “Mūsų garsas” (1924–1925) and “Apžvalga” (1935– 1940). A Sociolinguistic Evolution, in: Polin. Studies in Polish Jewry 25 (2012), 293–303, here 295 f. 37 Alexander Mukdoyni, A yor in der litvisher melukhe [A Year in the Lithuanian State], in: Sudarsky/Katzenelenbogen/Kisin (eds.), Lite, vol. 1, 1071–1098, here 1078. 38 Mendl Sudarsky, Yidn in umophengiker Lite [Jews in Independent Lithuania], in: ibid., 119–152, here 142 f. 39 Y[isroel] Zhofer, Vos rekhenen tsu ton liaudininkes [What the Lithuanian Peasant Populists Plan to Do], in: Di idishe shtime, 18 May 1926, 3.

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Sleževičius, declared on 26  June that the new government would “devote all its efforts to guarantee the implementation of articles 73 and 74 of the constitution,” meaning those concerning the laws of autonomy, adding that “the government will pay special attention to education and questions of culture in general, taking into consideration the demands and needs of national minorities” and specifically the Jews’ “cultural affairs.”40 After the elections, the Jewish bloc in parliament issued an appeal for funding that stated: “The entire Jewish population celebrated the news of the triumph of democracy in the elections of 8 and 9 May.”41 Folkists acutely, and perhaps uniquely, felt this enthusiasm. Oyzer Finkelstein, then a Folkist member of the Seimas, was invited to preside over the first two parliamentary sessions under the new government. Nais resumed publication in May after a two-and-a-half-year hiatus. Perhaps most significantly, the new Lithuanian government formally recognized – or, as Mark would put it, “legalized” – a Folkist Yidishe bildungsgezelshaft, which would serve as a new central organization for the scattered and underrepresented Yiddish-language schools across Lithuania. At the first Cultural Conference of the organization, held in Kaunas in June 1926, Dr.  Esther Eliashev delivered the plenary speech, in which she criticized the previous approach to “Hebraize the whole Jewish reality of the goles, as the Zionists do.”42 In May 1926, Jacob Robinson was elected to the Seimas for the second time, on the Zionist ticket.43 Shortly after the election, he wrote an article in Di idishe shtime on the future of diaspora Zionism, in which he made a case for the success of Gegenwartsarbeit Zionism in the European political context, taking on a triumphant tone. He asked: “Isn’t it natural that especially [davke] Zionists, as consequential supporters of a national ideal, in its reading on a territorial basis, have been able to show the maximum understanding of the newly founded national states, have seen in them a natural success for a right to self-determination, and have followed the development of the young national state with compassion and sympathy?”44

40 Krivickas, The Coup d’État of 1926 in Lithuania, 183. See also chap. 3. 41 YIVO, RG 2 (Lithuanian Jewish Communities), Box 1, F 23, page 1135. 42 As cited in Eliyohu Shulman, Di yidish-veltlekhe shuln in Lite [The Yiddish Secular Schools in Lithuania], in: Ch. Leikowicz (ed.), Lite, vol. 2, Tel Aviv 1965, 334. See also YIVO, RG 540, Yudl Mark Papers, F 382, Di shul oyf yidish in der umophengiker Lite [The Yiddish-Language School in Independent Lithuania], n. d., 7. 43 For a good summary of his parliamentary activities, see Eglė Bendikaitė, Robinzonas Jakobas (Robinzon Jakob), in: Česlovas Juršėnas et al. (eds.), Didysis Lietuvos parlamentarų biografinis žodynas [The Great Biographical Dictionary of the Lithuanian Parliament], vols. 1–4, Vilnius 2006–2018, here vol. 3, Vilnius 2007, 443–445. 44 Jacob Robinson, Tsienizm un land-politik [Zionism and Land Politics], in: Di idishe shtime, 18 May 1926, 13 (emphasis in the original).

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Robinson, whom Gil Rubin has called “one of the most characteristic representatives of the second generation of Gegenwartsarbeit Zionism,” then compared Jews and Lithuanians as examples of people who balanced the demands of religious and national identity.45 Zionism, Robinson argued, represented all Jews and supported a “klal Yisroel [general Jewish] solidarity.” He asked: “Can we split hairs and say: ‘From here to there, Zionist – from there and beyond, citizen’? [Mi-kan ve-ad kan, tsienist – fun danen un vayter, birger] No, that is not necessary, because they are one and the same: We carry our Zionist impulses with us in our general work as citizens.”

Mark, for his part, wrote an article the following month called Autonomy without Autonomists, in which he excoriated local Zionists for only wanting “to build something here in order to properly prepare the people for the happy there.”46

Mark and Robinson on Doikayt It was in the context of renewed discussions over the possibility and outlines of Jewish autonomy that Mark returned to theorizing the significance of place by using the word doikayt. Emboldened by the favorable political climate, Mark made a renewed push to advocate for expanded instruction in Yiddish in the Jewish schools. In mid-July 1926, in an article called State and Autonomy, Mark proposed two foundational principles for national autonomy – secularism and education in the mother tongue – and called for stronger, and expressly non-Zionist, autonomism. He wrote: “We Folkists hold fast to the idea of autonomy. We diasporists [golesistn] believe that autonomy is the only possible form of statehood [medineshaftlekhkayt]. We democrats will never renounce following the majority [aḥarey rabim lehatos] in the field of state affairs, even if the majority is provisionally and incidentally against us.”47

Mark expanded on his foundational principles for successful autonomy a week later in the first installment of a series entitled When Is a Robust Na45 Gil Rubin, The End of Minority Rights. Jacob Robinson and the “Jewish Question” in World War II, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 11 (2012), 55–71, here 55 and 57. 46 Yudl Mark, Avtonomye un avtonomistn [Autonomy and Autonomists], in: Nais, 25 June 1922, 2. 47 Idem, Medine un avtonomye [State and Autonomy], in: Nais, 16 August 1922, 4 (emphasis in the original).

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tional Autonomy Possible? Mark answered the question posed in the article’s title with a multipoint program of preconditions, including doikayt: “1) a large amount of secularization [farveltlikhung] of Jewish life; 2) a strengthening of feelings of doikayt [doikayt-gefiln], principled diasporism [golesizm]; 3) the elimination of the language question; 4) the implementation of democratic revolution in Jewish daily life [af der idisher gas].”48

Mark’s definition of doikayt in this context as “principled diasporism” shows that he acknowledged the Lithuanian Zionists’ diasporism while criticizing their lack of commitment to the diaspora as a fundamental and guiding concept. Mark added to his explication of doikayt, the second precondition, in a subsection of the article titled Diasporism, in which he argued, following Shtif, that Zionists saw autonomy in Lithuania solely as practice for Jewish political autonomy in Palestine. Autonomy only worked, Mark wrote, when one believed in diasporism wholeheartedly: “In Zionist ideology, i. e. in the ideology of the majority of the well-to-do, autonomy is a palliative solution, a sort of entryway to the parlor of Eretz Yisroel, or a foreign inn [akhsanyah]”  – and here Mark again used Robinson’s word.49 “In Zionist hands,” according to Mark, “autonomy becomes a means for non-local [nit-hige] goals.” He explained: “Autonomy needs to affix the Jew in his present time [haynt], in the place where he lives. It is necessary that autonomy be based on the idea that this country [land] is ours, that here we are at home [heymishe], and that we can, and we must, live in brotherhood with the rest of our neighbors. And as beautifully as the Zionist heads of Jewish communities, and Zionist leaders and ministers, go on about autonomy, they say, with their Zionist agitation, that one Eretz Yisroel Jew is worth ten of ours, and that building in the goles is like building on sand.”50

Mark then juxtaposed doikayt against what Folkists saw as the Zionists’ dual loyalty: “Besides their non-doikayt,” he wrote, “the foundation of autonomy is undermined by the Zionists’ nationalist exclusivity [oysgeshlosnkayt],

48 Idem, Ven iz meglekh gezunte natsyonale avtonomye? [When is Healthy National Autonomy Possible?], in: Nais, 30 July 1926, 8 f (emphasis in the original). See also idem, Ven iz meglekh gezunte natsyonale avtonomye?, in: Nais, August/September [?] 1926, 4–6 and idem, Ven iz meglekh gezunte natsyonale avtonomye?, in: Nais, 8 September 1926, 3  f. (Clippings from Nais no.  9 [August/September 1926] can be found in the United States Holocaust Memorial Museum [henceforth USHMM], Washington, D.  C., Jacob and Nehemiah Robinson Papers.) Two scholars have mentioned this exchange in passing: Eglė Bendikaitė, Politician without Political Party, 58 f., and James Loeffler, “The Famous Trinity of 1917.” Zionist Internationalism in Historical Perspective, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 15 (2016), 211–238, here 222. 49 Yudl Mark, Ven iz meglekh gezunte natsyonale avtonomye?, in: Nais, 30 July 1926, 9. 50 Ibid.

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their […] double bookkeeping with an outward appearance but internal concerns, the ideological inheritance of the ghetto.” Mark also followed Shtif in leveling the accusation that control of the institutions of autonomy by men of one political persuasion made autonomy fundamentally undemocratic: “Just as it’s not republican to have a parliament in a republic in which the majority is disposed to monarchy, so, too, is it not in line with autonomy to have a Jewish community and a National Council where Zionists – the opponents of steadfast, autonomous, productive life in the diaspora – set the tone. This is why our autonomy in Lithuania has been such a runt.”

Folkist contributors to Nais had been making these claims since 1921. But now, with a new government sympathetic to the Folkist cause, Mark’s appeal seemed to demand a swift and pointed rebuttal. Robinson, one of the leading general Zionists to have remained in Lithuania after the departure of Solovei­ tchik, Rosenbaum, Julius Brutzkus, and others, took on the task. In some ways, Robinson was the perfect person to respond to Mark’s criticisms of autonomy and the Jewish place in the Lithuanian state. In addition to running the Hebrew gymnasium in the small town of Virbalis, from May 1919 until his election to the Seimas in August 1922, Robinson was co-director of the Tarbut teacher seminar from 1925 to 1926 and was, in the words of one Lithuanian Zionist activist, “one of the builders of Hebrew gymnasiums in Lithuania.”51 In 1921, Robinson wrote of the Virbalis school’s goal of “hebraisation of the younger generation’s thoughts” and the marginalization of Yiddish to cure the “disease of polyglotism.”52 Indeed, Robinson once said about Virbalis: “It was a little crazy – at home Russian was spoken, at the gymnasium, Hebrew. And the town spoke Yiddish.”53 In 1921, the same year Mark published the first Yiddish school grammar for use at his Yiddish gymnasium, Robinson published a treatise on the importance of Hebrew-language instruction in his own gymnasium.54 Robinson responded to Mark in a sprawling, seven-part series in Di idishe shtime, entitled The Folkist Attack. Robinson directly contested Mark’s understanding of how autonomy had functioned in Lithuania, and how it ought 51 L[eybl]. Shimoni, Tsu der geshikhte fun linke “Poele-Tsien” [On the History of Leftist Po’ale Ẓion], in: Ch. Leikowicz (ed.), Lite, vol. 2, 130. 52 Cit. in Omry Kaplan-Feuereisen, At the Service of the Jewish Nation. Jacob Robinson and International Law, in: Osteuropa 8–10 (2008), 157–170 (international version), here 162. 53 ICJ, Interview by Dov Levin with Jacob Robinson, File 45–56, part 2,  1. For more on Virbalis Hebrew gymnasium, see part 1, 11–13. 54 See Mark, Shul-gramatik in bayshpiln un oyfgabes; Robinson, Akhsanyah shel Torah. These schools were, for a time, two of only eight regional gymnasiums in Lithuania and therefore represent a quarter of such institutions in Lithuania. See Masha Greenbaum, The Jews of Lithuania. A History of a Remarkable Community, 1316–1945, Jerusalem 1995, 265.

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to function, beginning with an introductory article on 16 September – shortly after Mark’s articles were published in Nais  – in which he argued that an “abyss” lay between Dubnow’s Folkspartey in Russia and Noah Prylucki’s Folkspartey in Poland, writing that he did not even understand what the Lithuanian Folkists’ position was.55 While Robinson’s next article showed that he in fact closely considered Mark’s multipart proposals, Mark had clearly been working on a response to Robinson’s first piece.56 In between the second and third installments of Robinson’s series, Mark published a quick intervention entitled The Social Side of Folkism in Nais on 22 September.57 Here, Mark responded to Robinson’s opening article by historicizing the Lithuanian Folkspartey and arguing that, while Zionism was the ethos of the Jewish bourgeoisie, Folkism represented the progressive Jewish petite bourgeoisie as well as the working class. Robinson addressed Mark’s theory of doikayt directly in the sixth installment of the series: “Our opponents declare that we, Zionists, have no sense of ‘doikayt’ [‘doikayts’-gefil]. I will leave it to the philologists to judge how ingenious and good the word is,” Robinson wrote, in what may have been a dig at Mark’s vocation as a grammarian, “but let us consider its political content.”58 Robinson went on to dispute the belief held by Mark and “these ‘theoreticians’” that Zionism was incompatible with autonomy. Robinson wrote that it was Zionists who served as heads of the institutions of autonomy from the first days of the republic. “Even the initiator” of a classic critique of Zionism had later forsworn it, he wrote, pointing to a 1925 article by Maxim Vinaver entitled The Outstretched Hand.59 After making this point, Robinson turned to the “political content” of doikayt by analyzing what the word would mean when applied to a group. Using a variation on Mark’s terminology, Robinson wrote: “‘Doikayts-gefil’ can be collective or individual. When a community declares: Here is where I was born, I feel like I was formed on this very soil, there is no force in the world 55 E. B. (Jacob Robinson), Di folkistishe atake I [The Folkist Attack I], in: Di idishe shtime, 16 September 1926, 2. On the Folkspartey in Poland, see Haya Meller, Mifleget ha-Folkistim (Folks Partey) be-Polin 1915–1939 [The Folkspartey in Poland, 1915–1939] (PhD thesis, Bar-Ilan University, 2004), and Kalman Weiser, Jewish People, Yiddish Nation. Noah Prylucki and the Folkists in Poland, Toronto 2011. 56 E. B. (Jacob Robinson), Di folkistishe atake II [The Folkist Attack II], in: Di idishe shtime, 20 September 1926, 2. 57 Yudl Mark, Di sotsyale zayt fun folkizm [The Social Side of Folkism], in: Nais, 22 September 1926, 3. 58 E.  B. (Jacob Robinson), Di folkistishe atake  VI [The Folkist Attack  VI], in: Di idishe shtime, 29 September 1926, 2. 59 Golos ne-sionista [A Non-Zionist Voice], in: M. Gindes (ed.), Svershenie [Fulfillment], Berlin 1925. The essay, written in Paris in May 1924, ends with the line: “If you need it, our hand is outstretched.” Vinaver passed away in October 1926.

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that can tear me away from there, I will die here, then one can speak of a finding of ‘doikayt.’”60 During World War I, he argued, various peoples defended their territory from their enemies; now, in peacetime, this feeling remained in a hidden state. “What is relevant in this regard,” he wrote, “is that we know that today, when practically no distance exists, or at the very least, when you can travel the longest distances in the shortest amount of time, when peoples and their constituents are politically, economically, and culturally so closely bound together  – the individual ‘doikayt’ connection is a lot weaker than earlier.” Thus Robinson conceded that doikayt could possibly be instilled in a collective but seemed to suggest that claims of doikayt were weak in multiethnic areas such as Lithuania, whose recent history of nationalist territorial activism had heightened ethnic divisions. Robinson would return to this idea as part of the answer to the question posed by Were the Minorities Treaties a Failure?: “The mere existence of the minority provisions served the cause of peace in the immediate post-war period when passions were rampant and fresh hatreds were kindled in the new alignment of majorities and minorities.”61 Robinson then addressed what he called the “practical case of the Lithuanian-Jewish community,” asking: “What does ‘doikayt’ mean  – perhaps that one has imposed a restriction that one cannot move from a place, come what may? Or that the Jewish community in Lithuania simply knows that its fate is, to a very great extent, tied up in the fate of the Lithuanian state?” Robinson answered the first question with an emphatic “No!,” arguing that it was not only Jews but also “kosher Lithuanians” – referring ironically to non-Jewish Lithuanians – “who are moving to Brazil, Paraguay and France [and] have not imposed such a restriction” on themselves. “It is comical to speak of such a ‘doikayt’ in a state that has, over 25 to 30 years, sent abroad a million people, that, before the war, had an average [annual] emigration of 20 to 25 thousand souls.” The second question was entirely different, wrote Robinson, and “there cannot be two interpretations” of it, although the Folkists, in his view, had put one forward. “Doikayt means no more and no less than the ignorance of two powerful factors in our life: these are emigration on one side and general Jewish unity on the other side. From what was stated above it should be clear enough that the ‘doikayt-gefil’ ignores our problem of eternal wandering. The superficiality of the Folkist philosophy becomes clearer when we consider their attitude towards the klal Yisroel problem.”

60 E. B. (Jacob Robinson), Di folkistishe atake VI. 61 Jacob Robinson et al. (eds.), Were the Minority Treaties a Failure?, New York 1943, 261. For a history of this book and how Robinson’s views evolved during its production, see Matthew James Frank, Making Minorities History. Population Transfer in Twentieth-Century Europe, Oxford 2017, 176–178.

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For Robinson, not understanding the klal Yisroel problem – the goal of an idealized Jewish communal unity, identity, and support – was “not perceiving the minority problem in general, whereas the essence of this problem lay in two questions: first, in strengthening the attitude of the national minority to the national majority and, second, in strengthening the attitude of the national minority to its national majority.”

Robinson’s response to Mark is revealing because he did not point to emigration to Palestine as detracting from the feeling of doikayt but to emigration in general. In addition, he noted that Jews already resided in many states. To experience doikayt, Robinson suggested, Jews had to cohere as a supra-national group to manage its relations with Lithuanians and within the Jewish community. Robinson then used the case of the Polish minority in Lithuania, living next to a country in which Poles were the majority, as a way to think through how statist Zionism and klal Yisroel conceptions factored into the relationship of Jews to the Lithuanian state. He wrote – quoting a line from the Passover Haggadah: “Dayeinu [often translated as ‘it would have been enough’], for example, if the Polish minority problem in Lithuania consisted of strengthening the attitude towards the Lithuanian state and towards the Polish nation [natsyon]. In the majority of cases, the second problem expresses itself in the attitude to another state, to the national motherland. Staying with the same example, it means: the attitude of the Polish minority to the Polish government, in which the majority of the Polish nation lives and where Polish cultural life is formed. Naturally, we strive to depoliticize these attitudes and leave only a pure national-spiritual domain.”

Robinson brought up, as another example, the phenomenon of Russian Jews fighting against German Jews during World War I. In other words, he recognized the problem of minorities’ “dual loyalty” and envisioned, as a possible solution, framing Jewish identity as a fundamentally “national-spiritual” essence. In the follow-up, and final, installment in his series responding to Mark, Robinson opened with these questions: “What do the Folkists want from us? That we say that we do not have any relatives beyond Yanishok [Joniškis] and Virbalen [Virbalis]? That the borders of the Jewish nation [natsyon] stop right at the border posts of the state? That there is no such thing as a Jewish people, as something unified, that there are ‘hyphenated Jews’: Jewish Poles, Jewish Lithuanians, Jewish Germans, etc.?”62

Robinson added that he thought Folkists “do not even like the klal Yisroel in Lithuania, and they get angry at Zionists, taking offence that they stand

62 Idem, Di folkistishe atake VII [The Folkist Attack VII], in: Di idishe shtime, 30 September 1926, 11.

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for klal Yisroel politics.”63 Robinson made one final attempt to show what he saw as the contradiction in agitating for a feeling of doikayt among Lithuanian Jews: “As Mr. Mark does not announce his Lithuanian feelings, I have grounds for thinking that he would feel better with a Polish, or even a Romanian or a German Jew, than with a kaimietis” – here using the Lithuanian word for “villager” or “countryman” – “from the Ukmergė area.” Finally, Robinson brought his attention back to the problem of the language of education. He faulted Folkists for expecting to establish a thoroughly Yiddish-language-based school system. Ever the comparativist, Robinson pointed out that Jews were not the only minority to use the “national language” rather than their mother tongue in school. He cited the education of Swiss German-speaking Swiss in High German and how, for other European minorities that spoke distinct dialects, school systems used the state language. Robinson accordingly dismissed the “secular-Yiddishist-‘doist’ petit bourgeoisie,” using terms from the article Mark published in the midst of this series. “It is futile to look for apples on a pear tree or for sociological conditions in a party program.”

The Legacy of Doikayt A military coup d’état orchestrated by right-wing nationalists at the end of 1926 dashed all hopes of a revived system of autonomy, but the debates over doikayt resonated for years. In November 1926, journalist Rafael Chasman, who would move to Palestine in 1935, satirized “Yudl Mark’s ‘doikayt’-institutions” in Ukmergė. Robinson included his exchange with Mark in his 1928 reference book, The Minorities Problem and Its Literature, in the section on The Theoretical Foundations of Autonomy. There Robinson noted, in the thorough topical synopsis of the exchange, that he and Mark debated the relationship between autonomy and what he called “Jenseitsgrenzeconnationale,” cross-border national unity.64 Robinson offered an expanded version of the same concept in a contemporaneous German-language essay called East European Jewry as a National Minority, in which he revealed the concerns that motivated his unusually emotional critique on doikayt. In this essay, he asked: 63 Folkists in fact tended to strongly believe in this idea. Zelig Kalmanovitch, Mark’s colleague at Nais, would even write to Mark in 1936, “You have […] a too large desire for klal Yisroel.” See YIVO, RG 540, Yudl Mark Papers, F 161, Zelig Kalmanovitch to Yudl Mark, 24 July 1936, 1. 64 Jacob Robinson, Das Minoritätenproblem und seine Literatur. Kritische Einführung in die Quellen und die Literatur der europäischen Nationalitätenfrage der Nachkriegszeit, unter besonderer Berücksichtigung des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes, Allgemeiner Teil, Berlin/Leipzig 1928, 107.

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“After renouncing the propensity for inner isolation, after abandoning one’s own mother tongue and loosening ties with the ancient national language (Hebrew), renouncing the maintenance of inherited traditions, the abandonment of old Jewish occupations, the exodus from the ghetto, and other forms of topographic exclusivity, after loosening bonds with those of the same roots on the other side of the border [jenseits der Grenze] as a result of a strange interpretation of patriotism, what has remained of the Jews as such?”65

For Robinson, doikayt was incompatible with Jewish cross-border national unity. In 1932, Chasman returned to the theme, writing about a lecture by Aaron Singalowski, a representative of ORT that was entitled, “From New York to Los Angeles.”66 Asking, “How should [Jews] find a place in the foreign, non-Jewish world?,” Chasman recalled that Singalowski “gave a brief but content-rich reply that put under a harsh light the foundations of modern diaspora nationalism, the roots of the ‘doikayt’-ideology” by pointing out that antisemitism exists even in the United States. “The Achilles heel of the ‘doikayt’-ideology,” Chasman wrote, is not being able to determine when a situation gets bad enough for Jews to have to emigrate. He asked, “Maybe the ‘doike’ can give us a term that would be worth waiting for?”67 Mark, for his part, responded to Singalowski’s speech by emphasizing, “Jews must remain in Lithuania. This is their home, their country to which they are attached. They have a right to home and country right here where they reside. And they have nowhere to emigrate, to leave for. Whether according to right or according to need, they remain here.”68 Mark also noted about one of Robinson’s projects, “There is a Society for Lithuanian-Jewish Bonding but, first of all, it exists only on paper. And secondly, it is unfortunately only used for certain parades when ‘general Jewish’ leaders come here with the goals of there.” In 1936, while still in Lithuania, Mark would again evoke doikayt in the context of Folkism. Characterizing Katzenelenbogen’s journal Lite, Mark wrote: “The purpose of these collections was to bring about a cultural closeness between Jews and Lithuanians, to familiarize Jews with productions of Lithuanian literature and with the ideas of the various communal views of the Lithuanians, to instill in Jews themselves more connectedness to Lithuania and call for a principle standpoint of doikayt as a response to the Zionist dortikayt.”69

65 Idem, Die Juden Osteuropas als nationale Minderheit, Vienna 1927, here 4. 66 For a text of the lecture, see Dos yidishe kulturlebn in Amerike, in: Folksblat (Kaunas), 20 November 1932, 1 f. 67 Nachman Lurie (Rafael Chasman), Vos hert zikh in oylem ha-politike?, in: Unzer dreydl, 30 November 1926, 1. 68 Yudl Mark, A trit faroys, in: Folksblat (Kaunas), 23 November 1932, 2. 69 Idem, Yidishe periodishe oysgabes in Lite [Jewish Periodicals in Lithuania], in: Jacob Shatzky (ed.), Zamlbukh lekoved dem tsvey hundert un fuftsikstn yoyvl fun der yidisher prese, 1686–1936 [Anthology in Honor of the 250th Anniversary of the Yiddish Press, 1686–1936], New York 1937, 291. This chapter is dated September 1936.

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In what might have been a veiled answer to Robinson’s criticism that the Folkists’ desire for a feeling of doikayt was too theoretical or forced, Mark added: “In these collections, localness [ortikayt] and Lithuanianness were an organic phenomenon, not an abstract principled position of autonomists from everywhere else.” Other Folkists in Lithuania continued to refer to the doikayt paradigm in the 1930s. In the first issue of the party’s new paper, the Folksblat, in February 1930, Oyzer Finkelstein endorsed those “who want to create humane conditions for existence here.”70 Two years later, in an article called Thoughts on Zionism, Finkelstein wondered about the effects Zionist successes would have on Jewish peoplehood: “What will we achieve when all is said and done?,” he asked. “We will split our Jewish people into two peoples. Once upon a time, when religion played a large role in the life of the people, it used to hold us together. Now religion loses its significance more and more every day, both here and there [ay do ay dortn], so what will hold us together? Culture? Which one? The dortike or the doike? The Hebrew or the Yiddish?”71

While Robinson forcefully criticized the term doikayt in 1926, he later seemed to acknowledge the here/there distinction as a defining characteristic of interwar Lithuanian Jewish life, and even appeared to go out of his way to underscore the importance of investing in the “here.” On 2  May 1940, shortly before leaving Lithuania for good, and just weeks before the Soviet occupation, he gave a press conference in the Lithuanian OZE Hall in his capacity as leader of the local and foreign Jewish press. Robinson opened with these words: “It is not easy, in light of events that have shocked the world – and which are occurring in the north and are gearing up in the south – to engage with a subject such as our situation in Lithuania. One opinion is that our fate will be decided ‘there’ [dortn]. I do not deny it. But it would be a mistake to renounce the territorial milieu in which we grew up. In that vein, we proceed from the standpoint that a human being cannot wait for miracles that will come from ‘there.’ We acknowledge this dependence, but we do not have to neglect the ‘here’ [do] on account of ‘there.’ We have to make sense of events that are reflected here.”72

70 Oyzer Finkelstein, Di iluzyes zaynen tserunen [The Illusions Are Torn], in: Folksblat (Kaunas), 14 February 1930, 3 (emphasis in the original). 71 Idem, Gedankn vegn tsienizm [Thoughts on Zionism], in: Folksblat (Kaunas), 7 November 1930, 4. 72 YIVO, RG 2, Lithuanian Jewish Communities, F 1648, Kitser fun fortrog fun Dr. Y. Robinzon gehaltn oyf a prese-konferents far forshteyer fun der higer un oyslendisher prese in zal fun “OZE” [Summary of Dr. Jacob Robinson’s Talk Held at a Press Conference for Leaders of the Local and Foreign Press in the OZE Hall], page 74854 (2).

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Robinson also carried his 1926 conversation with Mark with him when he left Lithuania, quite literally: Their exchange comprises the majority of the Lithuanian clippings preserved among his papers, in which Mark’s contributions are heavily underlined in blue pencil.73 Postwar memoirs by other Lithuanian Zionists commonly evoked doikayt. Rafael Chasman remembered “schools and streams of political and literary thought, most importantly, in those days, along the dividing line between the Zionists and the ‘Hebraists’ and adherents of ‘doikayt’ [anshei ha-‘doikayt’], the Yiddishists and various Folkists,” identifying Mark as the “veteran fighter” for this idea.74 Elsewhere, Chasman glossed doikayt as “‘Kaniyut.’ That is to say: ‘This is our place.’”75 Leib Garfunkel, a former Zionist member of parliament and coeditor of Di idishe shtime, recalled after the war: “There were those who strongly accused the institutions of autonomy of having too little ‘doikayt,’ that is to say, that it fostered among the Jews of Lithuania too much of a ­Zionist sentiment, rather than strengthening their organic connection to their place of residence, which was in their view permanent, and not temporary (in a historical sense).”76

Garfunkel also once remembered that Reuben Rubinstein, in his newspaper and activities, advocated against “all kinds of anti-Zionist ideologies,” noting: “He criticized all the preachers of ‘doikayt’ in Lithuania, who were mistaken and lost, who misled and were deceptive, and went dangerously out of their way, in their countries, to prove that the future of the Jews is only ‘here,’ that is, in the places where they live in the lands of exile, and not ‘there,’ in the historic homeland of the Jewish people.”77

Avraham Tory, né Golub, a Zionist who lived in Kaunas before World War II, remembered: “All of these activities in this period were called ‘kegenvart-politik,’ meaning ‘policies of the present’ [in other words ‘Gegenwartsarbeit Zionism’]. These Zionist activists did not accept diaspora life and did not view ‘kegenvart-politik’ as a substitute for Zionism. Daily necessities required the organization of Jewish economic, cultural, educational,

73 See USHMM, Jacob and Nehemiah Robinson Papers, Box 4, Folder 8. 74 Rafael Chasman, Ha-sifrut ve-ha-itonut ha-yehudit be-Lita [Jewish Literature and Journalism in Lithuania], in: Yaakov Ulaysky et al. (ed.), Yahadut Lita [Lithuanian Jewry], 4 vols., Tel Aviv 1959–1984, here vol. 2: Lithuanian Jewry from 1918 to 1941, Tel Aviv 1972, 249–257, here 255. 75 Yudl Mark, Folkspartey, transl. by Rafael Chasman, in: ibid., 229–222 (Hebrew version), here 231. 76 Leib Garfunkel, Ma’avak shel yehudei Lita al zkhuyot le’umiyot [Lithuanian Jews’ Struggle for National Rights], in: ibid., 69. I here use Garfunkel’s spelling of the term. 77 Idem, Abir ha-et [Knight of the Pen], in: Avraham Lis (ed.), Sefer Reuben Rubinstein, Tel Aviv 1971, 15 f.

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and even political institutions. The General Zionists were of the opinion that Jewish communities should not be abandoned to the ‘Folkists,’ the ‘Bund,’ or to the factions that preached ‘doikayt,’ for acceptance of ‘existence in place.’”78

Elsewhere, Tory wrote: “The ‘Folkists’ espoused the slogan ‘Our place of residence is our homeland’ and denounced the Zionist utopia of the return to Zion, which – they claimed – did no more than mislead the masses with hopes for equality.”79 Yakov Amit, né Gottlieb, who was active in the HeḤaluẓ movement in Lithuania in the 1920s, remembered that the “anti-Zionists” Yudl Mark and Mendl Sudarski “advocated ‘doikayt’” in the Folksblat.80 Sara Shner-Neshamit, a Zionist activist, wrote that in interwar Lithuania the Socialist Zionist youth movement Yugnt held to “the doctrine of ‘doikayt.’”81 Memoirs of non-Zionists from Lithuania also associate the term doikayt with Folkism. Yosef Gar, a contributor to the Folksblat recollected: “As the tribune of the Jewish Folkspartey in Lithuania, the Folksblat emphasized ‘doikayt’ in contrast to the Zionist ‘dortikayt’; Yiddish, as the living and creative language of the people; Jewish secular culture in all of its [forms, and] Jewish schools, where the language of instruction was Yiddish.”82

David Tomback, a leader in the Kultur Lige in interwar Lithuania, mused about the origins of doikayt in the context of the conflict between local Zionist and non-Zionist elements, in particular “the Zionist control of economic institutions such as the Folksbank.”83 Despite the Kultur Lige’s support for Yiddish, the group’s members, according to Tomback, did not use the term “Yiddishist” to describe themselves. By contrast, “The word ‘doikayt,’ which I personally loved, was created by someone else outside the Kultur 78 Avraham Tory (Golub), Ẓiyonim klaliim. Alef ve-bet [General Zionists. Alef and Bet], in: Yahadut Lita, vol. 2, 189–197, here 192. 79 Idem, Lita ha-ẓiyonit. Kavim le-toldot yahadut Lita [Zionist Lithuania. Outline of the History of Lithuanian Jewry], Tel Aviv 1971, 22. See also idem, 700 shanot kiyum kibuẓ yehudi be-Lita [700 Years of Existence of the Jewish Community in Lithuania], in: idem (ed.), Mariyampol. Al gadot ha-nahar Sheshupeh, Lita [Marijampolė. On the Banks of the River Šešupė, Lithuania], Tel Aviv 1986, 5. 80 Yakov Amit/Daniel Ben-Nahum, Mabo‘. Yahadut Lita be-tekumah u-be-ḥurban [Introduction. The Origins and Destruction of Lithuanian Jewry], in: idem/Levi Deror (eds.), Me-re’shit ad aḥarit. Sefer korot ha-Shomer ha-Ẓa’ir be-Lita [From Beginning to End. A History of Ha-Shomer ha-Ẓair in Lithuania], Tel Aviv 1985/6, 19. 81 Sara Shner-Neshamit, Hayu ḥaluẓim be-Lita. Sipurah shel tenu’ah, 1916–1941 [There Were Pioneers in Lithuania. The Story of a Movement, 1916–1941], Tel Aviv 1983, 317, fn. 48. 82 Yosef Gar, Di Kovner togblat “Folksblat” [The Kaunas Newspaper “Folksblat”], in: Ch. Leikowicz (ed.), Lite, vol. 2, 420. 83 YIVO, RG 454, David and Leah Tomback Papers, Box 2, Untitled Manuscript on Kultur Lige, n. d., 19. This essay was listed in Sudarsky/Katzenelenbogen/Kisin, Lite, vol. 1 as forthcoming in the second volume, although it was never published. See Fun inhalt fun “Lite” bukh tsvey, in: ibid., vol. 1, 2002.

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Lige. In the Kultur Lige both of these concepts were self-evident.”84 Tomback also reflected at the beginning of his memoir: “It was good to work in the Kultur Lige for one who believed that education was not an entryway to the salon of the next world, not a preparation for the land of our ancestors, that children should be taught in their mother tongue and learning should be a pleasure, not a means to instill the East […].”85

In Mark’s own postwar memoir of Folkism in Lithuania, he remembered: “In the everyday rivalry with the Hebrew schools, the tactical line was to separate Hebraism from Zionism, something that was, as we know, impossible.”86 In this context, Mark noted: “It must also be said that the slogan doikayt and the calls of ‘We are staying here!’ [mir blaybn do] were directed outwardly, at first, to stress that the Lithuanian majority would not get rid of the Jewish minority.”

For Mark, the Folkist stance on “hereness” was a defiant “investment in the place where they are [afn ort].”87

Bundism and Doikayt The terms do and dort were commonly employed in early twentieth-century Yiddish letters to contrast Europe and Palestine. Historians sometimes point to Polish Bundist leader Vladimir Medem as a champion of doikayt, but he did not espouse a strong place-based political theory.88 Rather, like most Bundists, he viewed issues and events, including Zionism, through the lens of class struggle (with special attention to the conditions and status of the Jewish worker), the Bund’s relationship to other socialist parties and, when 84 Ibid. (emphasis underlined in the original). 85 Ibid., 1. 86 YIVO, RG 540, Yudl Mark Papers, F 382, Di yidishe folkspartey in Lite, n. d., 8. Published in Hebrew translation as Folkspartey, in: Yaakov Ulaysky et al. (eds.), Yahadut Lita, vol. 2. Note that the lyrics to the Partizaner Lid, with its famous refrain, “Mir zaynen do,” were written by Hirsh Glick in Vilnius between 1942 and 1943. See Mark Dvorzhetsky, Hirshke Glik. Der mekhaber fun partizaner-himn [Hirsh Glick. The Author of the Partisan Hymn], Paris 1966, 44–46. 87 YIVO, RG 540, Yudl Mark Papers, F 382, Di yidishe folkspartey in Lite, n. d., 9. 88 For examples of where scholars linked Medem and doikayt, see Yosef Gorny, Converging Alternatives. The Bund and the Zionist Labor Movement, 1897–1935, Albany, N. Y., 2006, 163; Daniel Blatman, Bund, in: Gershon David Hundert (ed.), The YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe, New Haven, Conn., 2008, 274–280, here 277; and Simon Rabinovitch (ed.), Jews and Diaspora Nationalism. Writings on Jewish Peoplehood in Europe and the United States, Waltham, Mass., 2012, 106.

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relevant, elections.89 Medem, who left Poland in 1920 and died in New York a few years later, did use the words “here” and “there” in his essays to refer to the diaspora and Palestine, for example in a touchstone polemic from 1917 entitled This is Zionism. He also contrasted the Zionist “there” as opposed to “home here” in 1920, in an essay called Why I Am against Zionism, but concluded: “We are asked why we are opposed to Zionism. The answer is simple: because we are socialists.”90 Bundist leader Henryk Ehrlich, Dubnow’s son-in-law, evoked the here/there distinction in a 1934 essay called The Central Issue of Bundism, in which he dismissed the exclusive purchase of Zionism on Jewish life. “Palestine can and will remain no more than one more goles land in the world,” he wrote.91 Ehrlich then used the here/there rhetoric of anti-Zionism, but in response to the growing attraction of Bundists to the Soviet Union: “To the question, ‘Here or there?,’ which was always the chief question of conflict between us and Zionism, life answered unequivocally: ‘Here!’”92 The strong postwar memory of doikayt among Polish Bundists may possibly be attributed to the rise of direct competition between Bundists and Zionists in the late 1930s. With the escalation in scale and rhetoric of antisemitism in the 1930s, the ascent of Zionists in local Polish elections and the world stage, the 1935 death of former president Józef Piłsudski, Poland’s economic slowdown, and Hitler’s rise in neighboring Germany, the Polish Bund shifted its position on Jewish affairs, responding more directly to antisemitism and even entering Jewish community elections (and winning some). These developments put Bundists in direct contact and confrontation with Zionists, who had been advocating more openly and fervently for emigration to Palestine. Zionist emigration, which was a largescale and ongoing phenomenon, was perceived by the Bund as a nationalist distraction from the urgency of class struggle for the Jewish masses, and as giving the antisemites what they wanted.93 89 Indeed, some of the only territorial claims made by early Bundists were done so in the Lithuanian context. See e. g. Henry J. Tobias, The Jewish Bund in Russia. From Its Origins to 1905, Palo Alto, Calif., 1972, 252 f. 90 As cit. in Bernard K. Johnpoll, The Politics of Futility. The General Jewish Workers Bund of Poland, 1917–1943, Ithaca, N. Y., 1967, 182 f. 91 Republished as Henryk Ehrlich, Der iker fun bundizm [The Central Issue of Bundism], New York 1935, 10. 92 Ibid., 11. 93 On emigration, see e. g. Joseph Marcus, Social and Political History of the Jews in Poland, 1919–1939, Berlin 1983, 388, and Kenneth B. Moss, Thinking with Restriction. Immigration Restriction and Polish Jewish Accounts of the Post-Liberal State, Empire, Race, and Political Reason 1926–39, in: East European Jewish Affairs 44 (2014), no. 2–3, 205–224, here 206 f. For a Bundist take on Zionism, see Henryk Ehrlich, Tsi iz tsienizm a bafrayende demokratishe baveygung? [Is Zionism a Democratic Liberation Movement?], in: Di tsukunft 43 (1938), no. 9, 566–572.

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The postwar memory of Bundist doikayt was perpetuated by writings of former Polish Bundists themselves, as extensively outlined in the scholarship of David Slucki.94 In 1943, Viktor Shulman, a Polish Bundist activist and journalist, wrote in New York about Medem: “This exceedingly clear contrast between ‘here’ and ‘there,’ and what’s more – building there at the expense of here – […] this was the weighty charge Medem came out with, and it stirred the whole Jewish world.”95 In 1949, the editors of Unzer tsayt used the word dortikayt when describing an essay by the Bundist Liebman Hersch, who had himself used the juxtaposition of do and dort to contrast Bundism and Zionism.96 The term doikayt crops up in an Australian Bundist journal from 1958, where Mishke Bargman argued: “The only way to build Jewish life is to follow the principles of doikayt, of believing in the life force, permanence and rootedness of the Jews, there where they live.”97 Ironically, Bundists even extended the meaning of doikayt to refer to attachment to Israel. Mordkhe Tsanin wrote in 1954, “doikayt is better in the Land of Israel.”98 In a series of articles in a Bundist journal published in Israel, Arthur Lerman, a former Bundist activist in Poland who lived in Vilnius from 1924 to 1929, wrote in 1983 about “the foundational principle [grunt-hanokhe] of doikayt” and also posited doikayt in relation to the term dortikayt.99 However, this was in the service of what Lerman called “doikayt Zionism, Israel-centrism in Jewish life.”100 Literary historian Ber Mark – no relation to Yudl – who actually used the word doikayt before the war to refer, apparently, to presentism in a general sense, was an outlier in suggesting a sequence of transmission of doikayt from Folkism to Bundism, when he wrote in the 1960s: “The Bund […] agreed with Dubnow’s

 94 See esp. Slucki, The International Jewish Labor Bund after 1945.  95 V[iktor] Shulman, Medem in Poyln [Medem in Poland], in: Vladimir Medem tsum tsvantsikstn yortsayt [Vladimir Medem On the Twentieth Anniversary of his Death], ed. by the American Representation of the General Jewish Workers’ Union of Poland, New York 1943, 141–159, here 148.  96 See Slucki, Here-Ness, There-Ness, and Everywhere-Ness, 355 f.  97 As cit. in idem, Theorising “Doykeyt.” Towards a History of the Melbourne Bund, in: Journal of the Australian Jewish Historical Society 19.2 (2008), no.  10, 211–220, here 211.  98 Cit. in Drucker Bar-Am, The Bund in Israel, 60 f.  99 Arthur Lerman, Doikayt amol un haynt [Doikayt Then and Now], in: Lebns-fragn, 1 May 1983, 11. 100 Idem, Doikayt un der tsienizm amol un haynt [Doikayt and Zionism Then and Now], in: Lebns-fragn, 1 July 1983, 11. For another reference to doikayt in the Israeli context, see Vincenzo Pinto, Introduction, in: idem (ed.), Bundist Legacy after the Second World War, 1–6, here 3.

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‘doism’ and presentism, his postulate of Yiddish, Jewish culture, and autonomism.”101 But while Bundists championed doikayt after the war, Yudl Mark rued his own prewar use of the term. Amidst his observations on the techniques of the political ideology that he labored for in Lithuania in his memoir of Folkism, Mark added an aside about doikayt in parentheses: “Here a remark: The person now telling you about the Folkspartey was reminded of this slogan in so many sleepless nights during the years of annihilation, with deepest remorse, with terrifying doubt – perhaps someone died because he was really taken with the idea of doikayt. And the only ‘reassurance’ was to consider: Well, and the ‘dortike,’ the Zionists – why did the great majority of them remain ‘doike’?!”102

His daughter Riva also wrote about her father’s complicated feelings, noting, “he felt, in a way, guilty for having said ‘mir blaybn do’ and for having left himself.”103 In late 1947 and early 1948 Mark published a series of approving impressions from a visit to Palestine, where some of his old anti-Zionist friends, meeting on Basel Street in Tel Aviv, told him: “You are talking like a total Zionist.”104 Mark left Lithuania in 1936, Robinson in 1940. In New York, they moved in overlapping circles on the Upper West Side of Manhattan, contributing to the nonpartisan journal Di tsukunft and working on various, though largely different YIVO projects. Mark retreated from politics, like many former Folkists, including Shtif. One observer remarked that Shtif’s “endeavor with the Democratic Folkspartey was his final triumph, and when this triumph also came to an end, he thought the game was over and made no more attempts to return to political activities. Then he went into science […].”105 101 Ber Mark, Shimen Dubnov. Der shefer fun der moderner yidisher historiografye [Simon Dubnow. The Founder of Modern Jewish Historiography], in: Nachman Meisel (ed.), Tsum hundertsten geboyrentog fun Shimen Dubnov [On the Occasion of Simon Dubnow’s Hundredth Birthday], New York 1961, 8 f. See also idem, Alter Kacyznes kinstlerishe perzenlekhkayt [Alter Kacyzne’s Artistic Personality], in: Literarishe bleter, 15 April 1938, 7 f. For other examples of postwar commentaries on Bundist “doism” see David Slucki, “The Goldene Medineh”? Bund and Jewish Left in the Post-War United States, in: Pinto (ed.), Bundist Legacy after the Second World War, 70–89, here 80. 102 YIVO, RG 540, Yudl Mark Papers, F 382, Di yidishe folkspartey in Lite, n. d., 9. 103 Riva Mark, Postscript, in: Zikhroynes fun Yudl Mark, 201. 104 Yudl Mark, Shtrikhn fun lebensshtayger un shtimung in Erets-Yisroel [Features of the Way of Life and the Situation in the Land of Israel], in: Di tsukunft 53 (1948), no.  2, 90–94, here 94. See also idem, Erets-Yisroel. Dos land fun sheynkayt un kontrastn [The Land of Israel. The Land of Beauty and Contrasts], in: Di tsukunft 52 (1947), no.  10, 646–650 and idem, Erets-Yisroel. Di shoyn faranene yidishe medine [The Land of Israel. The Jewish State that Already Exists], in: Di tsukunft 53 (1948), no. 1, 19–23. 105 Moyshe Silberfarb, Nokhem Shtif (Bal-Dimyen). Psikhologishe stires fun a gaystraykher perzenlekhkayt [Nokhem Shtif. Psychological Contradictions of a Brilliant Figure], in: idem, Gezamlte shriftn [Collected Writings], 3 vols., Warsaw/Paris 1935–1937, here vol. 2: Sotsyal-ekonomishe fragn [Socio-Economical Questions], Paris 1937, 248 f.

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Yudl Mark experienced a similar disillusionment. According to his daughter Riva: “On the ship across the ocean to America, he reflected on his departure and vowed not to become further engaged in political activity, but to confine himself to matters of Jewish education and to Yiddish language and linguistics.”106 Jacob Robinson, by contrast, doubled down on his political activities, founding the Institute of Jewish Affairs and turning his attention, more and more, towards Jewish settlement in Palestine.107 In a final ironic twist, Robinson remained in New York while Mark moved to Jerusalem in 1970, citing disappointment with the level of Yiddish culture in the United States.108

106 Zikhroynes fun Yudl Mark, 199. 107 James Loeffler, Rooted Cosmopolitans. Jews and Human Rights in the Twentieth Century, New Haven, Conn., 2018, 89 f., and Rubin, The End of Minority Rights. 108 Zikhroynes fun Yudl Mark, 199.

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Epochenbruch, Hinterlassenschaft und Geschichte des Denkens: Georg Simmels Nachleben 1923 gibt Gertrud Kantorowicz eine Sammlung von Aufsätzen und Auf­ zeichnungen aus dem Nachlass des fünf Jahre zuvor verstorbenen Georg Simmel heraus. Den darin enthaltenen Aufzeichnungen Aus dem nachgelassenen Tagebuche stellt sie ein Motto Simmels voran: »Ich weiß, daß ich ohne geistige Erben sterben werde (und es ist gut so). Meine Hinter­ lassenschaft ist wie eine in barem Gelde, das an viele Erben verteilt wird, und jeder setzt sein Teil in irgendeinen Erwerb um, der seiner Natur entspricht: dem die Provenienz aus jener Hinterlassenschaft nicht anzusehen ist.«1

Das Motto passt gut zu einer Nachlasspublikation und ist zugleich ein ironi­ scher Kommentar zu ihr. Und die Ironie scheint historisch nicht unberechtigt zu sein, gilt doch Simmel in der Tat oft als großer Anreger ohne Nachfolger. Einerseits zählt er zu den Begründern der Soziologie, seine Beschreibung ei­ ner immanenten, »tragischen« Krise der Moderne findet ein weites Echo und er ist Impulsgeber für den philosophischen Essayismus, der für die Theorie­ diskurse des 20.  Jahrhunderts zentral werden wird. Andererseits ist dieses Echo eigenartig indirekt und oft verdeckt, Referenzen auf ihn sind oft all­ gemein oder ablehnend, eigentliche Schüler hat er wenige, eine Erforschung seines Werkes setzt erst verspätet in den Sechzigerjahren ein.2 Interessant ist das Zitat aber auch deshalb, weil es dieses Verhältnis in einer typisch simmelschen Weise ausdrückt, eben in der Metaphorik des ­Geldes, die hier auf latent paradoxe Weise Vormodernes und Hochmodernes – Ge­ nealogie und Bargeld – zusammendenkt. Wie werden Gedanken »vererbt«, und wie geschieht das insbesondere unter den Bedingungen der Moderne? Wie wird Denken »weitergegeben« und wie kann es seinerseits darauf reflek­ tieren, was aus ihm wird, wie es angeeignet und »erworben« wird? Solche 1 2

Georg Simmel, Aus dem nachgelassenen Tagebuche, in: ders., Gesamtausgabe, 24 Bde., Berlin 1989–2015, hier Bd. 20: Postume Veröffentlichungen, Ungedrucktes, Schulpäda­ gogik, hg. von Torge Karlsruhen und Otthein Rammstedt, Berlin 2004, 261–296, hier 261. Zur frühen Rezeption siehe Michael Landmann, Einleitung des Herausgebers, in: Georg Simmel, Das individuelle Gesetz. Philosophische Exkurse, hg. und eingel. von Michael Landmann, Neuausgabe mit einem Nachwort von Klaus Christian Köhnke, Frankfurt a. M. 1987 (zuerst 1968), 7–28. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 87–116.

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­ ragen sind für die Geschichte des Denkens immer schon wichtig gewesen, F werden aber unter den Bedingungen der Moderne besonders virulent: Wenn der Wandel zum Prinzip wird, wird (ver)erben generell problematisch; wenn Denken nicht mehr aus Lehrsätzen besteht, lässt sich schwierig tradieren; wenn Gedanken keinen festen Ort – eine Disziplin – mehr haben, wird un­ klar, wer die Erben sind. Theorien der Moderne haben ein Problem mit der Geschichte und haben ihre eigene Geschichtlichkeit. Freilich gibt es, das ist in der Metapher ebenso angedeutet, auch spezifisch moderne Arten zu erben: nicht nur die Weitergabe von Dingen, Gütern und Ideen, die direkt und gewissermaßen integral überliefert werden, sondern auch indirekte, vermittelte, immaterielle Formen. Und gerade an diesen kann man auch eine andere Geschichte erzählen, eine Geschichte aus Perspek­ tive der Erben, die nicht nach den Dingen fragt, die weitergegeben werden, sondern danach, was mit ihnen geschieht, die sich weniger für das Urbild interessiert, dem sich die Erben nachbilden, als für die Nachbilder, die sich bei ihnen einstellen und die »Provenienz« des Denkens nachträglich erzeu­ gen. Was bedeutet Simmel für die Nachkommen, welche Bilder haben sie von ihm, als was überliefern sie sein Denken? Wie wird es in die Geschich­ te eingetragen und welche Geschichte wird von ihm aus erschlossen? Wie ­lesen die Zeitgenossen und die Nachfolger Simmel und was machen sie mit seinen Texten und auch mit seiner Selbstdeutung? Was geschieht etwa in dem Moment, in dem Kantorowicz ihrer Nachlasspublikation genau dieses Zitat voranstellt, und wie taucht der Topos von der Erbenlosigkeit in an­ deren Kontexten auf? Noch 1957 wird sich Karl Berger erinnern, Simmel habe sich über den »eigenen Nachruhm« »keinen Täuschungen« hingegeben und oft ausgesprochen, was er später »in milderer Form« habe drucken las­ sen: ­»Meine Arbeit wird nicht verlorengehen; man wird mich, der ich keine Erben hinterlasse, benutzen, doch wird man vergessen, den Zitaten meinen Namen hinzuzufügen.«3 Eine Untersuchung solcher Fragen muss sehr verschiedene Zeugnisse be­ rücksichtigen, vom Nachruf zur privaten Erinnerung, vom Zitat über die Ab­ grenzung bis zum bewussten Verschweigen. Erleichtert wird sie hier, weil es bereits ein Korpus solcher Zeugnisse gibt: Das Buch des Dankes, das 1958 von Kurt Gassen und Michael Landmann als Sammlung solcher Zeugnisse herausgegeben wurde.4 Auf diese Auswahl wird im Folgenden überwiegend zurückgegriffen, weil sich schon an diesem Material – das sicher zu erwei­ tern wäre – eine Typik der Rezeption zeigt, die höchst aufschlussreich für 3 4

Karl Berger, Erinnerungen an Simmel, in: Kurt Gassen/Michael Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel. Briefe, Erinnerungen, Bibliographie Berlin ²1993, 241– 250, hier 249 (zuerst 1958). Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel.

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die erwähnte Historizität der Theorie ist. Dazu soll nach einigen einleitenden Überlegungen zur Theoriegeschichte und zur Nachgeschichte sowie zu Sim­ mels Wirkung in der Disziplin erörtert werden, wie sich das Bild Simmels in den Nachrufen ausprägt und in welche Aporien frühe Versuche der Ge­ samtdarstellung geraten. Anschließend wird gezeigt, wie die folgende Re­ zeption eine intellektuelle und persönliche Physiognomie ausarbeitet, in der besonders die jüdische Gestalt Simmels zentral ist, und wie diese Gestalt schließlich nach 1945 genutzt wird, um auf die deutsch-jüdische Geschichte insgesamt zurückzublicken.

Nachgeschichte und Theoriegeschichte Walter Benjamin sagt einmal, etwas historisch zu verstehen heiße, es aus sei­ ner Vor- und Nachgeschichte zu verstehen.5 Denn eigentlich geschichtliche Gegenstände – Gegenstände, die Geschichte haben und an denen sich diese nicht nur vollzieht – seien nicht einfach isolierte Data an einem bestimm­ ten Ort in »der« Geschichte, sondern Konstellationen: Konfigurationen ver­ schiedener Zeitlichkeiten, die selbst Ansichten der Geschichte sind  – im Bild gesprochen nicht Tropfen im Strom der Zeit, sondern Strudel, in denen Geschichte sich zu einer Gestalt verdichtet.6 Etwas zu historisieren hieße demnach auch nicht, etwas an die richtige Stelle in diesem Strom zu stellen, sondern seinen historischen Gehalt zu entfalten. Man muss die mit diesen Äußerungen verbundene Geschichtsmetaphysik nicht teilen, um ihre Be­ deutung zu verstehen. Es gibt eben verschiedene Historizitäten, ein Kunst­ werk etwa – um dessen Geschichte geht es Benjamin – gehört nicht nur an 5 Kunstwerke »integrieren für den, der sich als historischer Dialektiker mit ihnen befaßt, ihre Vor- wie ihre Nachgeschichte – eine Nachgeschichte, kraft deren auch ihre Vorge­ schichte als in ständigem Wandel begriffen erkennbar wird. Sie lehren ihn, wie ihre Funk­ tion, ihren Schöpfer zu überdauern, seine Intentionen hinter sich zu lassen vermag; wie die Aufnahme durch seine Zeitgenossen ein Bestandteil der Wirkung ist, die das Kunst­ werk heute auf uns selber hat, und wie die letztere auf der Begegnung nicht allein mit ihm, sondern mit der Geschichte beruht, die es bis auf unsere Tage hat kommen lassen.« (Walter Benjamin, Eduard Fuchs, der Sammler und der Historiker, in: ders., Gesammelte Schriften, 7  Bde., hg.  von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1972–1991, hier Bd. 2, Teil 2: Aufsätze, Essays, Vorträge, Frankfurt a. M. 1977, 465–505, hier 467). Siehe dazu auch Daniel Weidner, Fort-, Über-, Nachleben. Zu einer Denkfigur bei Benjamin, in: ders./Sigrid Weigel (Hgg.), Benjamin-Studien, 3 Bde., Mün­ chen 2008–2014, hier Bd. 2, München 2011, 161–178. 6 Siehe die Formulierungen zum Ursprung in Walter Benjamin, Der Ursprung des deut­ schen Trauerspiels, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, Teil 1: Abhandlungen, Frank­ furt a. M. 1974, 203–430, hier 225–228.

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einen bestimmten Ort in der Geschichte, sondern erzählt die Geschichte auch selbst; es widersetzt sich der »Einordnung« in eine bestimmte »Epoche« und versucht stattdessen, selbst »Epoche zu machen« und »historisch« zu wer­ den. Dieser Versuch, seine Nachgeschichte, ist daher Teil seiner Bedeutung. Dass freilich auch Denken überhaupt eine Geschichte hat, ist nicht selbst­ verständlich. War doch theoria in ihrem antiken Sinne gerade als Anschau­ ung des Unwandelbaren bestimmt und damit vom Alltag und seiner Wech­ selhaftigkeit abgegrenzt.7 Die Philosophiegeschichte ist eine Entdeckung der Neuzeit, die um den Wandel und Wechsel der Ansichten und Dogmen weiß, aber diesen Wandel eben auch selbst interpretiert als Entwicklung des Geistes. Neben ihr bildet sich eine Geschichte der Wissenschaft, die an­ ders erzählt wird: zunächst, noch gewissermaßen naiv als Geschichte des Fortschritts an Einzelwissen, dann als Geschichte einer sozialen Praxis, als Geschichte von Disziplinen. Dogmengeschichte, Geistesgeschichte, Diszi­ plingeschichte – all das sind Versuche, mit jeweils spezifischen Vorausset­ zungen der Historizität des Denkens gerecht zu werden.8 Sie scheinen aber alle nicht recht zu dem modernen Denken zu passen, das die Geschichtlich­ keit selber, ja den aktuellen Moment zum Gegenstand hat. Um 1900 wird die philosophische Tradition als unterbrochen erlebt und der wissenschaftliche Fortschritt infrage gestellt, und in einer instabilen disziplinären Landschaft entsteht eine neue Form des Denkens, die später ebenfalls »Theorie« heißen wird, nun freilich in einem anderen Sinn als jene alte theoria: gerade im Sinn der unmittelbaren Zeitbeobachtung. Die Soziologie als »dritte Kultur« zwischen Literatur und Wissenschaft erwächst in diesem unsicheren Raum und trägt entscheidend zur allgemeinen Theoriebildung bei, bevor sie selbst zur Disziplin wird.9 Die Nähe zur Literatur ist dabei von entscheidender Bedeutung. Für die Wirksamkeit Simmels wird immer wieder der literarische Charakter seines Werks betont: die intensive Beschäftigung mit ästhetischen Fragen und die literarische Form seiner Texte.10 Literarisch ist Simmels Denken nicht nur in seinen Gedanken, Begriffen und Institutionen, sondern auch und gerade

 7 Siehe die klassischen Formulierungen in Hans Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans (1964), in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, Auswahl und Nachwort von Anselm Haverkamp, Frankfurt a. M. 2001, 47–73.  8 Siehe zur Differenzierung dieser Konzepte Lutz Danneberg/Wolfgang Höppner/Ralf Klausnitzer (Hgg.), Analyse und Erprobung von Konzepten wissenschaftsgeschichtlicher Rekonstruktion, 2 Teile, Frankfurt a. M. 2005–2013, hier Teil 1: Stil, Schule, Disziplin, Frankfurt a. M. 2005.   9 Siehe Wolf Lepenies, Die drei Kulturen. Soziologie zwischen Literatur und Wissenschaft, München/Wien 1985. 10 Siehe Klaus Lichtblau, Kulturkrise und Soziologie um die Jahrhundertwende. Zur Genea­ logie der Kultursoziologie in Deutschland, Frankfurt a. M. 1996, bes. 178–279.

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in dem, was jenen vorhergeht und sie umspielt: Narrative und Metaphern, Anekdoten und Improvisationen, Bilder und Fiktionen.11 Diese Formen des Unbegrifflichen sind für die Nachgeschichte des Denkens entscheidend, und zwar besonders, wo diese sich außerhalb vom festen konzeptuellen oder in­ stitutionellen Rahmen vollzieht. Was keine Lehrpläne hat, hat Fallgeschich­ ten, was keine Kanons mehr hat, hat bestimmte Genres, was nicht dogma­ tisch überliefert wird, gewinnt Form in der Anekdote. Hierhin gehört auch und gerade die Person des Denkers. Die Philosophiegeschichte ist daran ge­ wöhnt, das Denken von ihr abzukoppeln, in der Wissenschaft ist der Einzelne ohnehin dazu verurteilt, überholt und vergessen zu werden. Dagegen kennt gerade der Theoriediskurs des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Diskursbe­ gründern – Freud, Marx und Nietzsche –, die nun auf neue Art zu Klassikern werden, einen bestimmten »Stil« des Denkens verkörpern und damit auch als »Personen« interessant werden – mitsamt ihrer Biografie, ihren kulturel­ len Zuschreibungen, individuellen Eigenheiten.12 Gerade diese unbegriffliche Bedeutsamkeit des Denkens entsteht, wächst, wandelt sich in der Nachgeschichte; gerade die »Person« ist Resultat einer Arbeit am Bild des Denkers, die sich in Prozessen der Rezeption vollzieht und die jene Prägnanzen hervorbringt, an denen sich die späteren Bezugnah­ men abarbeiten.13 Rezeptionsprozesse sind entscheidend für die Historizität des Denkens, denn in doppeltem Sinne wird etwas erst historisch, indem es weitergegeben wird: Es wirkt weiter und es verändert sich; ihm wächst eine »Provenienz« zu, gerade indem es von jemand anders empfangen wird. Re­ zeption ist ein sozialer Prozess und vollzieht sich in verschiedenen Formen – in der Familie, der Glaubensgemeinschaft, der Schule, der Disziplin – auf verschiedene Weise. Sie ist ein »dialogisches« oder dialektisches Gesche­ hen, in dem sich Rezipierender und Rezipiertes in ein Verhältnis setzen – ein Verhältnis, das oft geprägt ist durch komplexe Umbesetzungen, durch An­ eignungs- und Abwehrmechanismen, durch Einflussangst.14 Ganz besonders ist das wohl an der Schwelle vom Leben zum Fortleben der Fall, also dort, wo entschieden wird, was postum von einem Denken bleibt und als was es 11 Siehe Hans Blumenberg, Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit (1979), in: ders., Ästhetische und metaphorologische Schriften, 193–209. 12 Siehe Michel Foucault, Was ist ein Autor (1969), in: ders., Schriften zur Literatur, übers. von Karin von Hofer und Anneliese Botond, Frankfurt a.  M. 1988, 7–31, sowie Dieter Thomä/Ulrich Schmid/Vincent Kaufmann, Der Einfall des Lebens. Theorie als geheime Autobiographie, München 2015. 13 »Zeit schleift die Prägnanzen nicht ab, sie holt aus ihnen heraus, ohne daß man hinzufügen dürfte: ›was darin ist‹.« Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt a. M. 1979, 79. Siehe auch das Kapitel »Die Rezeption der Quellen schafft die Quellen der Rezeption«, in ebd., 329–358. 14 Siehe Harold Bloom, Einflußangst. Eine Theorie der Dichtung, übers. von Angelika Schweikhart, Basel/Frankfurt a. M. 1995 (zuerst engl. 1973).

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e­ rinnert werden wird: Wenn das Leben und Wissen eines Menschen am Ster­ benden »tradierbare Form« annimmt, dann sind die Nachrufe, aber auch die Erinnerungen seiner Zeitgenossen und seiner Schüler entscheidend daran be­ teiligt, das Bild eines Denkers zu bestimmen.15 Theoriegeschichte, also die komplexe und schwierige Geschichte jenes spezifisch modernen Denkens, muss auch nach der hier erzeugten Bedeutsamkeit fragen, die gerade an der Nach- und Rezeptionsgeschichte ablesbar ist.

Disziplin und Schülerschaft Die eingangs zitierte Sentenz von der Hinterlassenschaft in Bargeld ist zu­ nächst zu relativieren. Simmels Name und die »Provenienz« seiner Gedan­ ken werden anfänglich keineswegs vergessen, sondern bleiben auch für die disziplinäre Entwicklung der Soziologie wichtig. Bereits zu Lebzeiten spielt Simmel nicht nur eine wichtige Rolle in der unter anderem auf seine An­ regung hin gegründeten Gesellschaft für Soziologie, er trägt auch entschei­ dend zur Popularisierung der Soziologie bei, unter anderem vermittelt über Martin Buber und dessen Schriftenreihe Die Gesellschaft.16 In der Weima­ rer Zeit wird sein Werk konstant gelesen und erforscht und Gegenstand von einigen, wenn auch nicht besonders zahlreichen Dissertationen.17 Simmels Soziologie ist wichtiger Bezugspunkt für Leopold von Wiese, der das 1919 gegründete Kölner Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften leitet und die ­Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie herausgibt  – zwei zentrale In­

15 Benjamin betont »daß nicht etwa nur das Wissen oder die Weisheit des Menschen, sondern vor allem sein gelebtes Leben […] tradierbare Form am ersten am Sterbenden annimmt […].« Walter Benjamin, Der Erzähler. Betrachtungen zum Werk Nikolai Lesskows, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Teil 2, 438–465, hier 451. 16 Siehe dazu Erhard Stölting, Akademische Soziologie in der Weimarer Republik, Berlin 1986, 41–63, sowie zur »Gesellschaft« siehe Paul Mendes Flohr, Von der Mystik zum Dialog. Martin Bubers geistige Entwicklung bis hin zu »Ich und Du«, eingeführt von Ernst Simon, übers. von Dafna A. von Kries, Königstein 1979, bes. 111–130. 17 Siehe etwa Otto Dietrich, Georg Simmel und seine Bedeutung für die Nationalökonomie (unveröff. Dissertation, Universität Freiburg, 1921); Alfred Klemmt, Georg Simmel. Eine kritische Charakterstudie und Erläuterung der Grundprobleme der gegenwärtigen Philo­ sophie (unveröff. Dissertation, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1925); Karl-Alfred von Marcard, Der Begriff des Kunstwerkes bei Georg Simmel (unveröff. Dissertation, Universität Leipzig, 1929); Hermann Gerson, Die Entwicklung der ethischen Anschau­ ungen bei Georg Simmel (unveröff. Dissertation, Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1932).

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stitutionen für die Disziplinwerdung der Soziologie.18 Ausgehend von Sim­ mels Frage nach den Formen der Vergesellschaftung entwickelt von Wiese dabei eine höchst komplexe Lehre sozialer Beziehungen mitsamt einer fein verästelten Klassifizierung, wobei er offensichtlich daran interessiert ist, der immer noch umstrittenen Soziologie eine Lehrgestalt zu geben – anders als Simmel konzentriert er sich daher auf die Entwicklung einer dogmatisier­ baren Nomenklatur. Auch international wird Simmel rezipiert und ist vor allem für die ameri­ kanische Soziologie für lange Zeit der wichtigste und am häufigsten zitier­ te europäische Soziologe, der vermittelt über die Chicago-School eine be­ trächtliche Wirkung hat.19 Viele wichtige Soziologen haben Simmel gehört, seine Texte werden früh übersetzt und schon 1925 erscheint eine englische Monografie von Nicolas Spykman über Simmels Soziologie, die dessen gro­ ßen Einfluss betont.20 Erst Talcott Parsons Systemtheorie und ihr Bezug auf Weber sowie später der Reimport der weberschen Soziologie aus den USA in die Bundesrepublik drängen diesen Entwurf der Soziologie allgemein in den Hintergrund und lassen auch Wieses Beziehungslehre nur noch als Kuriosum erscheinen. Allerdings begrenzt Spykman die Wirkung Simmels auf das Gebiet der Soziologie, philosophisch sei sein Einfluss diffus geblieben: »Simmel had a great influence on the numerous students who passed beneath his touch during his thirty years of teaching. But he made no school in the narrow sense of the term. He aided his students in finding themselves rather than encouraged them to con­ tinue his own work. This was due also to the peculiar characteristics of his philosophy. Containing practically no structure, being a method rather than a system, it was not likely to suggest any substantial additions.«21

Nicht unähnlich beschreibt Ludwig Marcuse 1928 Simmel als »Systematiker der Unsystematik«: »Aber nur der dogmatische Begriff ist tradierbar. Irisie­ rendes kann man nicht fixieren. So gibt es keine Simmelianer (wenn auch genug Simmel-Similis) wie es Marburger, Südwestdeutsche, Phänomenolo­ 18 Siehe dazu Stölting, Akademische Soziologie in der Weimarer Republik, 280–315, sowie Heine von Alemann, Leopold von Wiese und das Forschungsinstitut für Sozialwissen­ schaften in Köln 1919 bis 1934, in: Wolf Lepenies (Hg.), Geschichte der Soziologie. Stu­ dien zur kognitiven, sozialen und historischen Identität einer Disziplin, Übersetzungen von Wolf-Hagen Kraut, 4 Bde., Frankfurt a. M. 1981, hier Bd. 2, 349–389. Zur Position im akademischen Feld siehe auch Fritz Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890–1933, übers. von Klaus Laermann, Stuttgart 1983, hier 209–211 (zuerst engl. 1969). 19 Donald N. Levine u. a., Simmels Einfluß auf die amerikanische Soziologie, in: Lepenies (Hg.), Geschichte der Soziologie, Bd. 4, 32–81. 20 Siehe Nicholas J. Spykman, The Social Theory of Georg Simmel, Chicago, Ill., 1925. 21 Ebd., zit. nach Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 185–188, hier 186 f.

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gen gibt.«22 Hier wird gerade die dogmatische Offenheit zum Problem der Weitergabe, wie Simmel selber schon geahnt habe – Marcuse zitiert hier die eingangs erwähnte Sentenz der baren Hinterlassenschaft. Zwar lebe Simmel im »Schlagwort« des »Perspektivismus« fort, zwar fänden sich die »Denk­ motive Simmels« auch »in Leopold Ziegler und Ortega, in Spranger und Jung, in Spengler und Scheler«,23 wichtiger als Worte und Motive sei aber et­ was anderes: »Er lebt vor allem in denen, die ihn als Urbild des Philosophen im Gedächtnis bewahren, denen er der einzige Kontakt mit einem lebenden Philosophen geworden ist.«24 Es ist also weniger Simmels Philosophie, die fortlebt, als seine »Person«: die Rolle und das Bild des Philosophen, die man im Kontakt mit ihm erlebt hat. Noch 1968 schreibt Michael Landmann: »Ähnlich wie die Gundolfs […] war Simmels Begabung eine persönliche, von her­ kömmlichen Spezialisierungen und Methoden unabhängige. Sie war eben deshalb auch unübertragbar. Wie der eigengeprägte Stil eines Künstlers faszinierte sie als ›Attitüde‹ des Denkens, ohne daß sie sich nachahmen ließ.«25

Dieser Stil und seine komplexe Nachgeschichte stehen im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen. Wenn Simmel auch keine Schule machte, so hatte er durchaus Schüler, etwa den Soziologen und Historiker Bernhard von Groethuysen, die schon erwähnte Herausgeberin des Nachlassbandes Gertrud Kantorowicz oder Margarethe Susman und Siegfried Kracauer, die beide an Darstellungen Simmels arbeiteten, auf die später einzugehen sein wird. Charakteristisch für diese Schüler ist freilich, dass sie keine stabilen Universitätskarrieren mehr haben: Groethuysen bleibt Privatdozent, pendelt zwischen Paris und Berlin und arbeitet auch als Übersetzer, Kantorowicz wird freie Kunsthistorikerin und publiziert Lyrik, Susman verfasst ebenfalls Lyrik und essayistische Tex­ te und arbeitet bei verschiedenen Zeitschriften, Kracauer wendet sich dem Journalismus zu und wird Mitglied in der Redaktion der Frankfurter Zeitung.26 Diese Karrieren haben ökonomische wie disziplinäre Gründe, etwa

22 Ludwig Marcuse, Georg Simmels Gegenwart, in: Hannoverscher Kurier, 26. September 1928 (durchgesehen und erweitert 1957), zit. nach Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 188–192, hier 190. 23 Ebd., 191. 24 Ebd. 25 Landmann, Einleitung des Herausgebers, in: ebd., 22. 26 Siehe Klaus Große Kracht, Zwischen Berlin und Paris. Bernhard Groethuysen (1880– 1946). Eine intellektuelle Biographie, Tübingen 2002; Barbara Paul, Gertrud Kantorowicz (1876–1945). Kunstgeschichte als Lebensentwurf, in: Barbara Hahn (Hg.), Frauen in den Kulturwissenschaften. Von Lou Andreas-Salomé bis Hannah Arendt, München 1994, 96– 109; Anke Gilleir/Barbara Hahn (Hgg.), Grenzgänge zwischen Dichtung, Philosophie und Kulturkritik. Über Margarete Susman, Göttingen 2012; Jörg Später, Siegfried Kracauer. Eine Biographie, Berlin 2016.

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die allgemeine Stagnation des Hochschulbereichs in der frühen Weimarer Zeit und die besonders problematische Situation in der Soziologie, die dazu führen, dass die traditionellen Lehrer-Schüler-Verhältnisse nicht mehr auto­ matisch einen Einstieg in die Universität ermöglichen – in dieser Hinsicht ist das quasi genealogische Modell der Schule, in der ein Schatz von Genera­ tion zu Generation weitergegeben wird, tatsächlich unterbrochen und an ihre Stelle müssen prekärere Formen der Überlieferung treten.27 Das heißt freilich noch nicht, dass das Verhältnis von Simmels Schülern damit bloß sachlich wäre, wie es das Bild vom Bargeld suggeriert – ganz im Gegenteil kann es auch besonders eng und persönlich werden, wie sich ja schon bei Marcuse andeutet. Denn historisch entstehen schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts andere Formen denkerischer Vergemeinschaftung ne­ ben der »Schule« oder der arbeitsteiligen »betriebshaften« Wissenschaft, etwa die »Gruppe« oder der »Kreis«, die nicht mehr auf traditionaler Ge­ folgschaft oder rationalen Verfahren beruhen, sondern auf loseren Formen der Geselligkeit und insbesondere auf persönlichem Charisma.28 Simmel und seine Schüler und auch die Gruppe, die sich im wöchentlichen simmelschen jour kennenlernt, sind dabei besonders interessant, weil ihr Verhältnis gewis­ sermaßen zwischen diesen Formen steht und weil Simmel selbst einerseits eine große Affinität zum George-Kreis hat und andererseits doch an der Uni­ versität bleibt; die »radikale Möglichkeit einer völligen Loslösung von einer akademischen Institution« habe Simmel nie erwogen, erinnert sich Kurt Singer.29 Die Wirkung Simmels folgt daher in der Tat einer anderen, kom­ plexeren Geschichtlichkeit als die einer »Schule« und ist von deutlich stär­ keren Ambivalenzen geprägt: Wer sich in der Nachfolge Simmels betrachtet, muss nicht einfach dessen Ideen übernehmen oder dessen Arbeitsprogramm fortführen, sondern sich auch mit der »Person« Simmel auseinandersetzen. ­Diese Arbeit an der Person beginnt schon zu Lebzeiten, wird aber vor allem in den Nachrufen prägnant.

27 Siehe dazu Martin Mulsow, Prekäres Wissen. Eine andere Ideengeschichte der Frühen Neuzeit, Berlin 2012, bes. 14–26. 28 Siehe dazu am Beispiel des Weber-Kreises Gesa von Essen, Max Weber und die Kunst der Geselligkeit, in: Richard Faber/Christine Holste (Hgg.), Kreise – Gruppen – Bünde. Zur Soziologie moderner Intellektuellenassoziation, Würzburg 2000, 239–264, bes. 245–257; zum Bezug auf Simmels Überlegungen zur Geselligkeit siehe ebd., 253–255. 29 Kurt Singer, Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 294–298, hier 295. Nach Singer habe Simmel großen Respekt vor Martin Buber gehabt, der es gewagt habe, »sein Leben als Denker ohne jede Bindung an eine Universität zu führen« (ebd.).

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Nachrufe Georg Simmel stirbt am 26. September 1918, in den letzten Tagen des Ers­ ten Weltkrieges, die ihn nicht nur physisch und psychisch stark anstrengen, sondern die er auch als Krise seines Lebenswerkes erlebt. Er sei überzeugt, so äußert er schon 1915, »daß eine neue Weltperiode beginnt […] u. daß ich zur alten gehören werde«;30 ein Jahr später konkretisiert er das: »Die friedli­ chen Zeiten der allmählichen Übergänge, der Mischungen, des angenehmen Halbdunkels, in dem man sich auch den einander ausschließenden Gegen­ sätzen abwechselnd hingeben kann, dürften vorbei sein.«31 Die befürchtete Erbenlosigkeit steht also im Zusammenhang einer Zeitdiagnose, die sich als erstaunlich hellsichtig erweisen sollte. Trotz der sich überstürzenden Ereignisse im letzten Kriegsjahr  – am 29.  September durchbrechen die Alliierten die Siegfriedstellung und die Heeresleitung verlangt nach Waffenstillstand, einen Monat später bricht die Novemberrevolution aus – erscheinen eine ganze Reihe von Nachrufen auf und Erinnerungen an Simmel in den wichtigsten Tageszeitungen.32 All diese Texte sprechen genrekonform von »Trauer und Erschütterung«33 über Sim­ mels Tod und betonen die Bedeutung des Verstorbenen; hier sei ein Leben »abgebrochen, das auf die geistige Entwickelung der jüngeren Generation einen stärkeren Einfluß ausgeübt hat, als die Mehrzahl seiner Amtsgenos­ sen«.34 Simmel habe, so etwa Karl Joël, »nicht so sehr auf Fach und Schule« gewirkt »wie auf die Zeit«, er sei eine »geistige Kulturpotenz« gewesen: 30 Georg Simmel an Anna und Ignaz Jastrow am 12. Juli 1915, in: Georg Simmel, Gesamt­ ausgabe, hier Bd. 23: Briefe 1912–1918, Jugendbriefe, bearb. und hg. von Otthein und Angela Rammstedt, Frankfurt a. M. 2008, 534. Siehe dazu Daniel Weidner, Innere Wand­ lung und Selbstmord Europas. Georg Simmel im Ersten Weltkrieg, in: Hans Richard Britt­ nacher/Irmela von der Lühe (Hgg.), Kriegstaumel und Pazifismus. Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 2016, 161–178. 31 Georg Simmel, Der Krieg und die geistigen Entscheidungen, in: ders., Gesamtausgabe, Bd. 16: Der Krieg und die geistigen Entscheidungen, Grundfragen der Soziologie, Vom Wesen des historischen Verstehens, Der Konflikt der modernen Lebensanschauung, hg. von Gregor Fitzi und Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M. 1999, 7–58, hier 43 (Rede, ge­ halten im Januar 1916). 32 Siehe die in Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 154–179 abgedruckten Nachrufe von Paul Fechter in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung (28.  September 1918), von Frank Thiess im Berliner Tageblatt (28.  September 1918), von Georg Hermann in der Vossischen Zeitung (29. September 1918), von Georg Lukács im Pester Lloyd (2. Oktober 1918), von Richard Lewinsohn in der Frankfurter Zeitung (5. Oktober 1918), von Karl Joël in der Neuen Zürcher Zeitung (16. Oktober 1918) sowie wenig später ein Aufsatz von Emil Ludwig über »Simmels Vortrag« in der Vossischen Zeitung (22. Oktober 1918). 33 Paul Fechter, Georg Simmel  †, in: Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 28.  September 1918, zit. nach ebd., 157–162, hier 157. 34 Ebd.

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­»­[J] eder konnte etwas davon spüren, daß in diesem Kopfe der Zeitgeist sel­ ber lebendig geworden«35 sei, weil sich in Simmels Entwicklung »wie kaum in einem anderen die Wandlung dieses Zeitalters vollzog aus der Oberfläche in die Tiefe«.36 Simmel steht als Philosoph für die Zeit – eine Gleichung, die sich durchaus kritisch gegen seine philosophischen »Amtsgenossen« wen­ den kann, etwa bei Georg Hermann: »Wir aber, die wir seine Schüler sind, die wir schon vor 25 Jahren zu seinen Füßen ge­ sessen haben, bedauern es tief, daß dieser Mann, der der Abgott der Jugend war, der das größte Erlebnis unserer Universitätsjahre war, stets abseits stehen mußte. In einer, wenn auch nicht selbstgewählten Vereinsamung.«37

Die erste Person Plural verbindet hier deutlich die betrauerte Person mit der Erfahrung des Trauernden und beide mit einer Wir-Erfahrung einer bestimm­ ten Generation. Gerade diese Doppelheit kann als charakteristisch für den Nachruf bezeichnet werden, der ein Porträt des Verstorbenen aus den Augen des Porträtierenden und ein Porträt der Zeit aus der Perspektive des Dahin­ geschiedenen ermöglicht.38 Dabei ist in der Rede von der »Vereinsamung« allerdings bereits die Be­ grenztheit der Wirkungen angedeutet, eine Einschränkung, die viele Nach­ rufe leicht ambivalent macht: Simmel habe stärker gewirkt als die meisten seiner akademischen Zeitgenossen, sei aber wohl »letzten Endes niemals ein Philosoph gewesen«,39 so Fechter. Es sei »seine Stärke und seine Tragik« gewesen, dass er über »gesteigerte Intellektualität« verfügte, ihm aber die Kraft zur Konzentration gefehlt habe: »[D]ie Synthese blieb aus«.40 Richard Lewinsohn wiederum mag ihn nicht unter die »Berühmtheiten« rechnen, »deren Namen man ewig nennt: »Denn er hat ja kein System hinterlassen und nicht einmal ein großes Schlagwort. Aber er wird zu den Bleibenden gehören.«41 Deutlich ist die Kompromissbildung: Simmel ist mehr als der

35 Karl Joël, Georg Simmel, in: Neue Zürcher Zeitung, 16.  Oktober 1918, zit. nach ebd., 166–169, hier 166. 36 Ebd., 169. 37 Georg Hermann, Erinnerungen an Simmel, in: Vossische Zeitung, 29. September 1918, zit. nach ebd., 162–166, hier 163. 38 Siehe zum Nachruf als Genre und insbesondere zur Ausbildung von Autorrollen Ralf Georg Bogner, Der Autor im Nachruf. Formen und Funktionen der literarischen Memo­ rialkultur von der Reformation bis zum Vormärz, Tübingen 2006. Zur wenig beforschten »literarischen Grauzone« des Nachrufs siehe auch Anna Echterhölter, Schattengefechte. Genealogische Praktiken in Nachrufen auf Naturwissenschaftler (1710–1860), Göttingen 2012, bes. 58–71. 39 Fechter, Georg Simmel †, 157. 40 Ebd., 158. 41 Richard Lewinsohn, Georg Simmel †, in: Frankfurter Zeitung, 5. Oktober 1918, zit. nach Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 169–171, hier 171.

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Modephilosoph, als den ihn viele sehen, aber doch auch kein Denker für die Ewigkeit, seine Hinterlassenschaft ist daher problematisch. Noch markanter ist diese Ambivalenz bei Georg Lukács, dessen Nachruf im Pester Lloyd Simmel generell zur zeittypischen Gestalt erklärt: »Georg Simmel war zweifellos die bedeutendste und interessanteste Übergangserschei­ nung in der ganzen modernen Philosophie. Deshalb war er für alle wirklich philoso­ phisch Veranlagten der jüngeren Denkergeneration […] so überaus anziehend, daß es fast keinen unter ihnen gibt, der nicht für kürzere oder längere Zeit dem Zauber seines Denkens erlegen wäre. Aus ebendemselben Grunde aber war diese Anziehung nur in den seltensten Fällen dauerhaft: Simmel hat keine ›Schüler‹ gehabt wie Cohen, Rickert, oder Husserl; er war ein großer Anreger, aber weder ein großer Erzieher noch […] ein wirklicher Vollender.«42

Im Topos der »Übergangserscheinung« werden die verschiedenen bekannten Motive – die große Wirkung bei fehlender akademischer Anerkennung, die Nähe zum Zeitgeist, die denkerische Attraktivität und Unkonventionalität – zu einem Sujet verdichtet, in dem auch das immer wieder aufgerufene Bild von Simmel als Relativist seinen Ort hat. Simmel ist anziehend, weil er für den Übergang steht, aber damit geht eben auch einher, dass er nicht dauer­ haft wirkt; das hat nicht nur äußerliche Gründe, sondern ist motiviert, denn obwohl Simmel »ein philosophischer Geist im echtesten und unverfälschtes­ ten Sinne« gewesen sei, bleibe er letztlich »bloß ein blendend-›geistreicher‹ Anreger«.43 Der Nachruf erfüllt seine Aufgabe, indem er diese Motivierung nachvollzieht und zeigt, dass Simmels Schicksal durch sein Wesen bestimmt ist: »Der Grund dieses Versagens dem Höchsten gegenüber bezeichnet zugleich den Punkt, wo die reichsten und fruchtbarsten Fähigkeiten Simmels verankert waren: seine gren­ zenlose und hemmungslose Sensibilität kann man es, das positive daran betonend, nen­ nen; von einem Mangel an Zentrum, von einer Unfähigkeit zu letzhinnigen, überhangs­ losen Entscheidungen muß man sprechen, wenn man die hier zutage tretenden Grenzen seines Wesens genau bezeichnen will.«44

Grenze und Größe entspringen also denselben Eigenschaften, sodass noch die Begrenztheit Simmels tragische Züge trägt. Gerade weil auch seine Feh­ ler notwendig sind, kann Simmel für eine Generation stehen, deren Grenzen aufzeigen und schließlich sogar über sich hinausweisen. Er sei, so Lukács, »der wahre Philosoph des Impressionismus«45 – also einer bereits vergange­

42 Georg Lukács, Georg Simmel, in: Pester Lloyd, 2. Oktober 1918, zit. nach ebd., 171–176, hier 171. 43 Ebd., 172. 44 Ebd. 45 Ebd.

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nen Kunstrichtung –, oder, noch konkreter: »[E]r war ein Monet der Philo­ sophie, auf den bis jetzt noch kein Cezanne gefolgt ist.«46 Lukács’ Nachruf wird zur Momentaufnahme der Zeit und bestimmt da­ durch sowohl den Ort des Verstorbenen wie auch den eigenen: Simmel steht für die Gegenwart, die aber bereits von einer weiteren Zukunft überholt wird. Simmel wird aus seiner Zeit verständlich, die Zeit aber auch aus Simmel heraus; sein Denken bekommt eine Epochensignatur, sein Tod stellt eine Zä­ sur dar und verweist bereits auf eine andere Zukunft, in welcher der junge Lukács sich dabei implizit selbst situiert.47 Der Nachruf erzeugt also Be­ deutsamkeit durch ein figurales Verfahren: Indem er Simmel zum Vorgänger erklärt, begründet er die eigene Position; er verbindet die Dynamik der Ein­ flussangst und das Ringen um Genealogie mit einer historischen Diagnose.

Porträts In Simmels Rezeption während der Zwischenkriegszeit spielen die klas­ sischen Formen nur eine untergeordnete Rolle: Es erscheinen zwar einige Nachlasspublikationen, aber keine Fest- oder Gedenkschrift und wie er­ wähnt auch nur wenige ihm gewidmete Dissertationen, von denen keine als Gesamtdarstellung gelten kann. Das hat ökonomische und institutionelle Gründe: Das Verlagswesen ist in der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Krise, Simmel hat keinen unmittelbaren Schüler oder Lehrstuhlnachfolger, der sich für diese Art der Traditionspflege verantwortlich fühlt. Es liegt aber auch in der Ambivalenz begründet, die sich schon in den Nachrufen manifes­ tiert und die eine solche Form der Würdigung zumindest erschwert. Deutlich ist das etwa an Siegfried Kracauers Texten über Simmel. Kracau­ er hatte bereits während des Studiums ausgiebig Simmels Vorlesungen be­ sucht und wurde von diesem später dazu ermutigt, eine akademische Karriere zu ergreifen. Nach dem Tod seines Lehrers beginnt er mit der Arbeit an einer umfassenden Studie über Simmel, die er 1920 abschließt und gegenüber dem Verleger brieflich als Gesamtdarstellung für einen »breiteren Leserkreis« ankündigt, die mit den »Wesenstopographien« wie Simmels Rembrandt, Gundolfs Goethe oder Bertrams Nietzsche zu vergleichen sei.48 Tatsächlich 46 Ebd., 173. 47 Zum Topos des epochemachenden Todes am Beispiel der Nachrufe auf Goethe siehe Bog­ ner, Der Autor im Nachruf, 344–350. 48 Zit. nach Ingrid Belke, Nachbemerkungen und editorische Notiz, in: Siegfried Kracauer. Werke, 9 Bde., Frankfurt a. M. 2004–2012, hier Bd. 9, Teil 2: Frühe Schriften aus dem Nachlaß, hg. von dems., Frankfurt a. M. 2004, 292–312, hier 303.

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knüpft Kracauers Manuskript Georg Simmel. Ein Beitrag zur Deutung des geistigen Lebens unserer Zeit vor allem an Simmels Goethe an, in dem zu­ gleich Leben und Werk dargestellt wird, aber eben nicht in der Form einer Biografie, sondern als Darstellung des »›Urphänomen[s]‹ Goethe« und des »geistigen Sinn[s] der Goetheschen Existenz«.49 Ganz ähnlich enthält auch Kracauers Text Kapitel über »Entwicklung«, »Persönlichkeit«, »Typus« etc., die jeweils Simmels Individualität und Gesamtexistenz aus einer bestimm­ ten Perspektive umreißen. Der Vergleich mit Gundolf und Bertram stellt das eigene Projekt gegenüber dem Verleger darüber hinaus in eine Reihe von Erfolgsprojekten  – freilich vergeblich, der Adressat ging wohl davon aus, dass sich dieses Interesse mehr auf Goethe und Nietzsche, nicht auf Simmel selbst richte, jedenfalls findet Kracauer keinen Verleger, sodass letztlich zu seinen Lebzeiten nur der erste Teil 1920 als Aufsatz im Logos erscheint. Kracauers Darstellung hat auch immanente Probleme. Kracauer betont den »einheitlichen Charakter« von Simmels Werk und Denken, aber auch die Schwierigkeit, diesen Charakter auf den Begriff zu bringen, weswegen er nur einen »Querschnitt« liefern könne, der sich vor allem auf dessen Denk­ verfahren konzentrieren werde.50 Letztlich sei Simmel weder »Empiriker« noch »Metaphysiker«, sondern »der geborene Mittler zwischen der Erschei­ nung und den Ideen«.51 Das Grundprinzip seines Denkens sei die »Befreiung des Dings aus seiner Vereinzelung« durch Analogie und Gleichnis, die alles gewissermaßen horizontal verknüpfen, ein Verfahren, das freilich begrenzt geblieben sei: »Sicherlich hat niemand tiefer als er selbst gefühlt, das einzig der Mensch absoluter Werte und Gewißheiten das Mannigfaltige einzurahmen, die Totalität zu bannen ver­ mag, aber seinem eigenen Vorstoß in das Reich des Absoluten ist der letzte Erfolg ver­ sagt geblieben und hat ihm, infolge der ganzen Beschaffenheit seines Wesens, versagt bleiben müssen.«52

Simmel wird also letztlich negativ charakterisiert, durch das, was ihm versagt geblieben ist oder was er sich versagt hat. Diese Perspektive bildet gleichsam den Rahmen, in dem sich die Topoi sammeln, die schon aus den Nachrufen bekannt sind. Auch Kracauer beschreibt Simmel als »den Philosophen der 49 Georg Simmel, Goethe, in: ders., Gesamtausgabe, hier Bd.  15: Goethe, Deutschlands innere Wandlung, Das Problem der historischen Zeit, Rembrandt, hg. von Uta Kösser, Berlin 2003, 7–270, hier 7; siehe dazu Daniel Weidner, »Überwert«, »individuelles Ge­ setz« und »Mehr-Leben«. Georg Simmels Goethe zwischen kulturwissenschaftlicher und lebensphilosophischer Begriffsbildung, in: Claude Haas/Johannes Steizinger/ders. (Hgg.), Goethe um 1900, Berlin 2017, 92–115. 50 Siegfried Kracauer, Georg Simmel. Ein Beitrag zur Deutung des geistigen Lebens unserer Zeit, in: Siegfried Kracauer. Werke, Bd. 9, Teil 2, 139–280, hier 149 f. 51 Ebd., 171. 52 Ebd., 158.

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westeuropäischen Zivilisation in dem Zustand ihrer höchsten Reife«53 und betont Simmels extreme »Erlebnisfähigkeit«, die allerdings an »etwas Nega­ tives«, nämlich an die »Ideenlosigkeit des Denkers«, geknüpft sei.54 Simmel sei »Relativist«, bei ihm finde »das Absolute keine Stätte und kann sie hier gar nicht finden, da keine Idee tief genug in dem Wesen des Denkens wur­ zelt, um das unerschütterliche Fundament sämtlicher Anschauungen seines Geistes zu bilden«.55 Simmels Vielseitigkeit stehe zwar einem Streben nach Einheit gegenüber, das aber letztlich nur ein Streben bleibe: »In dem Mangel an elementaren Glaubensinhalten erblicke ich die Tragik von Simmels Denkerpersönlichkeit. Gerade er, der in jedem Winkel des Herzens zu Hause ist und dessen feingesponnenen Netzen keine seelische Regung so leicht entgeht, muß erkannt haben, aus welchen Quellen sich seine geschmeidige Vielseitigkeit herleitet, muß sich seiner Wurzellosigkeit als der notwendigen – und einzig darum auch tragischen – Vor­ bedingung für die besondere Entfaltungsweise seines Geistes bewußt gewesen sein.«56

Das schon bei Lukács entwickelte Sujet des allzu vielseitigen und gerade darum tragisch scheiternden Denkers wird hier wiederholt, und zwar aus­ gerechnet mit dem Hinweis auf die »Wurzellosigkeit«, deren jüdische Konnotationen schwer zu überhören sind. Dabei wird Simmels Begrenzt­ heit, die bei Lukács trocken konstatiert wird, in Kracauers Text mit seiner monografischen Länge und dem Interesse für die »Persönlichkeit« und die »Entwicklung« Simmels fast ins Melodramatische gezogen, indem Kracauer wieder und wieder Simmels Sehnsucht und Streben betont: »Vielleicht rührt eben daher die Inbrunst seines schicksalhaften Drängens nach der absoluten Wahrheit, lodert doch gerade in dem Herzen des unglücklich Liebenden die Flamme der Sehnsucht am höchsten empor.«57 Im Manuskript ist das »Lodern« der Flamme der Sehnsucht hier mit ei­ nem Fragezeichen versehen58  – die Stelle scheint einem Leser dann doch ein wenig kitschig geraten zu sein. Sie ist jedenfalls charakteristisch dafür, dass Kracauer Simmel allenfalls metaphorisch beschreiben kann und will: In der abschließenden Würdigung etwa zeigt er ihn in einem »Gleichnis« als »Gast« und »Wanderer«.59 Sie verdeutlicht auch noch einmal die Außen­ perspektive auf Simmel, die den ganzen Text prägt und auf den allerletzten Seiten nochmals explizit wird:

53 54 55 56 57 58

Ebd., 242. Ebd., 177 und 182. Ebd., 231. Ebd., 187. Ebd., 241. Ingrid Belke, Anmerkungen der Herausgeberin, in: Siegfried Kracauer. Werke, Bd.  9, Teil 2, 281–291, hier 290. 59 Kracauer, Georg Simmel, 271.

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»Ein namenloser Schauder packt uns an vor der Zeit, die uns ihr wahres Antlitz im Welt­ krieg enthüllt hat, wir sind hellsehend geworden, weil wir durch ein Meer von Leiden hindurchgegangen sind. Abgrundtief fühlen wir uns getrennt von einer Epoche, der das sinnentleerte Leben als letzte treibende Kraft des Daseins galt und die, wurzellos wie sie war, kein Wohin, kein Wozu über sich besaß.«60

Simmel erscheint hier wie schon bei Lukács als Antityp und als Präfigura­ tion, als Denker der Immanenz, in dem die Sehnsucht nach etwas »über« ihm erwacht; eine Sehnsucht, die dann freilich die intendierte Darstellung der Individualität sprengt, was umso paradoxer ist, als Kracauer mehrfach be­ tont, dass Simmel gerade hier, auf der Ebene der Individualität, positive Er­ füllung findet: »Die Sinneinheit, die Simmel der Welt versagt, schenkt er den Individuen.«61 Was Simmel also mit Rembrandt und Goethe gelungen war, gelingt Kracauer selber mit Simmel nicht. Sein Bild wird durch das mono­ tone, beständig wiederholte Motiv einer Sehnsucht nach dem Absoluten zu einer Art Dauerkritik, die sich kaum zu einem Porträt rundet. Diese Kritik ist wohl verantwortlich dafür, dass sich Kracauer auch in der zwei Jahre später publizierten Abhandlung Soziologie als Wissenschaft eher in den Aporien der Erkenntniskritik verfängt denn einen produktiven Standpunkt gewinnt.62 Bezeichnenderweise wird er dann selber die Form wechseln, selbst eher als Essayist schreiben und die Gesamtdarstellung zumindest bis zum Offenbach-Buch meiden.

Physiognomien Wo das Gesamtporträt nicht gelingt, steht die Arbeit der Rezeption trotz­ dem nicht still, sie greift vielmehr zu anderen Genres: zu kurzen Essays, gesprächsweisen Erinnerungen, anekdotischen Überlieferungen und ande­ ren Texten, in denen zunehmend die Person Simmels vor sein Werk tritt. Zum zehnten Todestag schreibt Leo Matthias 1928 im Berliner Tageblatt, was Simmel gelehrt habe, sei »gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß er einer Generation nur durch seine Erscheinung eine Vorstellung davon gab, was ein Philosoph ist«.63 Natürlich sind das konventionelle Formulierungen, natürlich kann man sie kompensatorisch lesen: Weil Simmels Lehren we­ 60 Ebd., 279. 61 Ebd., 171. 62 Siehe Inka Mülder-Bach, Siegfried Kracauer. Grenzgänger zwischen Theorie und Litera­ tur. Seine frühen Schriften 1913–1933, Stuttgart 1985, 24–35. 63 Leo Matthias, In memoriam Georg Simmel, in: Berliner Tageblatt, 4. September 1928, zit. nach Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 192–194, hier 193.

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nig Schüler gefunden haben, wird seine »Erscheinung« in den Vordergrund geschoben. Aber sie erlauben auch spezifische Fortschreibungen und Ein­ sichten, denn Matthias betont, dass gerade der unkonventionelle Denkstil Simmel zum »Schöpfer des philosophischen Essays«64 gemacht habe: »Er verzichtete auf das System (das übrigens auch ein Marxist notwendig als kapitalistische Form des Denkens ablehnen müßte) und rettete daher die ›Möglichkeit‹.«65 Auch in anderen Erinnerungen tritt Simmel als Person in den Vorder­ grund – mitsamt eigentlich persönlichen Zügen und sehr persönlichen Erin­ nerungen seiner Freunde. Sabine Lepsius etwa hebt Simmels »Liebesfähig­ keit« und seine Fähigkeit zuzuhören hervor und betont, »daß schrankenloses Eingehen auf seine Freunde einen Teil seines Lebens ausmachte«.66 Edith Landmann berichtet ausführlich von der persönlichen Begegnung bei der Anmeldung für eine Übung,67 Gertrud Kupfer von geteilter Kunsterfah­ rung,68 Karl Berger von privaten Gesprächen während des Studiums, »bei einem solchen ganz persönlichen Verhältnis zwischen Meister und Schülern wurden in Simmel Gedanken geboren, die weiterwirkten wie ein ins Wasser geworfener Stein Kreise und wieder Kreise zieht«.69 In solchen Gesprächen, habe Simmel oft Dinge geäußert, »die man in ihrer Treffsicherheit am liebs­ ten gleich niedergeschrieben hätte«;70 dementsprechend finden sich auch ­viele solcher Aussprüche direkt oder indirekt überliefert.71 In ihrer Prägnanz sind sie der ideale Ausgangspunkt zur Deutung Simmels: So berichtet etwa Max Dessoir, er wisse von Paul Ernst, dass Simmel im Gespräch einmal gesagt habe, er hätte auch Rechtsanwalt werden können, und folgert: »Dies Gespräch ist aufschlußreich. In der Tat fehlte es Simmel an Naivität, an der schlichten Weisheit, die einem Philosophen so wohl ansteht, es fehlte ihm

64 Ebd., 194. 65 Ebd., 193. 66 Sabine Lepsius, Stefan George. Geschichte einer Freundschaft, Berlin 1935, zit. nach ebd., 198–200, hier 199. 67 Siehe Edith Landmann, Erinnerungen an Simmel, ebd., 208–211, hier 209 f. 68 Siehe Gertrud Kupfer, Erinnerungen an Simmel, ebd., 270–272. 69 Berger, Erinnerungen an Simmel, 247. 70 Ebd. 71 Diese Anekdoten gibt es in Fülle, oft wird auch von ihrer Produktion selbst erzählt; Bloch und Simmel etwa machten »sich einen Sport daraus, große Philosophien auf lakonische Kurzformeln zu bringen, wobei auch der Spaß zu seinem Recht kam« (Michael Land­ mann, Ernst Bloch über Simmel, in: Hannes Böhringer/Karlfried Gründer [Hgg.], Äs­ thetik und Soziologie um die Jahrhundertwende. Georg Simmel, Frankfurt a. M. 1976, 269–271, hier 270). Andere Anekdoten handeln vom Bild Simmels. So habe Simmel über ein Porträtfoto von sich selbst zu Karl Berger gesagt: »Bitte zeigen Sie es niemand, so­ lange ich lebe. Es enthüllt zu viel von mir« (ders., Erinnerungen an Simmel, 250).

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auch die Kunst der Vereinfachung.«72 Die Prägnanz der Anekdote erlaubt es ihrem Interpreten, ebenjene Vereinfachung nun an Simmel selbst zu voll­ ziehen. Noch häufiger wird die Prägnanz aber physiognomisch erzeugt. Kaum eine der Erinnerungen kommt ohne Bemerkungen zu Simmels Vorlesungs­ stil aus, wobei besonders deutlich wird, dass die »Erscheinung« Simmels sich zunehmend vor seine »Lehre« schiebt. Das setzte bereits zu Lebzeiten ein. Schon 1914 – bezeichnenderweise ebenfalls zum Abschied, anlässlich von Simmels Wegberufung aus Berlin nach Straßburg  – hatte Ferdinand Bruckner Simmels Vorlesungsstil markant beschrieben: »›Er denkt laut‹, hat jemand von ihm gesagt. Man könnte noch hinzufügen: er denkt sichtbar; man glaubt zu sehen, wie er einen Gedanken … wie ihn ein Wort in seinem Vortrag […] anhalten läßt; und wie, mit einem Mal, sich in ihm eine ungeahnte Reihe neuer Folgerungen öffnet.«73

Simmel müsse man gesehen haben, um ihn zu verstehen, warnt Bruckner seine Leser, die das nun ja entbehren müssten: »Leicht ist sicher nicht, ihn zu lesen, ohne ihn je gehört zu haben.«74 Den Vortragenden wieder in effigie hörbar zu machen ist denn auch die Funktion der Nachrufe: Zu Füßen Simmels hatte Frank Thiess seine Erinnerung an Simmel betitelt und von dessen »Werk« und »Weltanschauung« ganz abgesehen: »Denn das alles trat ja voll­ kommen zurück gegenüber dem Typischen und schlechthin Unvergeßlichen seiner Lehrstunde, deren Gesicht so ungewöhnlich war wie ihr geistiger Ge­ halt.«75 Gerade das Ephemere der mündlichen Lehre wird zu dem eigentlich Unvergesslichen, zum Schlüssel, um Simmel zu verstehen. Bei Leo Matthias heißt es zum zehnjährigen Todestag bereits, man habe »unzähligemal beschrieben, wie Simmel auf dem Podium hin und her ging, den Federhalter am oberen Ende zwischen drei Fingern, und, schreitend, zö­ gernd, Begriffe suchend, ihn langsam in die Luft tauchte, so als ob er einen Käfer mit einer Nadel fangen wollte«.76 Tatsächlich gehören diese oder jene Gesten, die »seltsamen Bewegungen«, die oft, aber »selten zugänglich« be­ schrieben worden seien,77 zum festen Bestand der Erinnerungen. Richard Kroner charakterisiert Simmels Bewegung wie Sprechweise als »sich win­ dend, aber nicht gewunden«, dabei sei der komplexe sprachliche Vortrag 72 Max Dessoir, Buch der Erinnerung, Stuttgart 1946, zit. nach Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 207 f., hier 207. 73 Ferdinand Bruckner, Georg Simmel, in: Die Zukunft 89 (1914), zit. nach ebd., 147–152, hier 147. 74 Ebd., 151. 75 Frank Thiess, Zu Füßen Simmels. Ein Wort der Erinnerung, in: Berliner Tageblatt, 28. September 1918 (Abendausgabe), zit. nach ebd., 176–179, hier 177. 76 Matthias, In memoriam Georg Simmel, 193. 77 Singer, Erinnerungen an Simmel, 296.

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»begleitet von vollkommen entsprechenden, selber redenden und bildhaft die Bewegung veranschaulichenden Gestikulationen. Die rechte Hand und der Arm schienen sich drehend und windend emporzuarbeiten«.78 Simmel habe einen Gedanken nicht nur formuliert, so Paul Fechter, »er hob ihn ge­ wissermaßen sichtbar mit der Hand, deren Finger sich nach oben spreiz­ ten«.79 Kurt Gassen beschreibt »vielleicht zuweilen groteske, immer aber ungemein nachdrückliche und maieutisch fruchtbare, seltsam gewundene Bewegungen von Körper, Arm und Hand, die mit ge­ spitztem Bleistift sozusagen in die Probleme hineinstieß, ihre Einzelheiten aufzeigte, ihre Entwicklung demonstrativ begleitete«.80

Schon diese Beispiele machen deutlich, dass die Erinnerung an die Gestik leicht in die Deutung der Gesamtperson übergehen kann. So wird die Tat­ sache, dass Simmel »den gespitzten Bleistift in die Luft bohrte«, für Ludwig Marcuse zum »Symbol des passionierten Analytikers«,81 Werner Weisbach assoziiert sie mit zersetzender Kritik: »Er stellte Gedanken vor die Hörer, nahm sie dann Stück für Stück in die Hände, zerpflückte sie. Er bohrte sich in die Dinge ein, um ihr Mark herauszusaugen.«82 Für andere wie Paul Fech­ ter wird dieselbe Vortragsweise zum Ausdruck einer besonderen »Intensität des Sprechens, die zugleich letzte Spannung des Denkens war«,83 Rudolf Pannwitz beschreibt sie sogar als »dionysisch«: »Die schlangenhaften Be­ wegungen bildeten genau die Entstehung, die Windungen und den Strom des Denkens ab.«84 Die Deutung kann also durchaus variieren, meist ist sie von Ambivalenzen geprägt. So hatte etwa Emil Ludwig 1914 geschrieben, 78 Richard Kroner, Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dan­ kes an Georg Simmel, 228–230, hier 229. 79 Fechter, Georg Simmel  †, 160. Bei Simmel werde das Denken gestisch prägnant, man habe an ihm sehen können, »wie der Prozeß des Denkens Besitz ergriff vom ganzen Man­ ne« (ebd.). Nicht selten wird das fortgeführt bis zur Physiognomie im eigentlichen Sinne, so schreibt Sabine Lepsius, dass Simmel als hässlich gegolten habe, auch wenn er das eigentlich nicht gewesen sei: »Aber die Natur hatte ihm sowohl das schöne Gleichgewicht der Bewegungen versagt als auch das der Ruhe, deren er nur selten fähig war« (dies., ­Stefan George, 199). Ebenso, wenn Werner Weisbach konstatiert, Simmels Gestalt, »an der jedes Glied herumschlenkerte«, habe es an »Gesamtrhythmus« gefehlt (ders., Und al­ les ist zerstoben. Erinnerungen aus der Jahrhundertwende, Wien/Leipzig/Zürich 1937, zit. nach Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, ­202–206, hier 202). 80 Kurt Gassen, Erinnerungen an Simmel, in: ebd., 298–308, hier 300. 81 Marcuse, Georg Simmels Gegenwart, 191. Auch Hugo Marcus erwähnt Simmels Blei­ stift, »der sein kleiner Balancierstab war und mit dem er leise Gebärden vollführte«. Vgl. ders., Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 273–276, hier 273. 82 Weisbach, Und alles ist zerstoben, 206. 83 Fechter, Georg Simmel †, 160. 84 Rudolf Pannwitz, Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dan­ kes an Georg Simmel, 230–240, hier 235.

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Simmels Vortrag habe »impressionistische Betrachtung mit logischer Anord­ nung« verbunden: »Nicht Künstler genug, um sich willenlos dem Gegen­ stande hinzugeben, aber Künstler genug, um die Motion des Denkers durch vollkommene Darstellung freundlich zu verhüllen«.85 Siebzehn Jahre später, in seinen Memoiren, wird er deutlicher: »Georg Simmel, der große Analy­ tiker vom Beginn des Jahrhunderts, hatte eine wunderliche Art vorzutragen; sie war so häßlich und faszinierend wie er selbst.«86 Das Begriffspaar von Künstler und Analytiker prägt auch die Rezeption im George-Kreis, dem Simmel nahestand und der daher zumindest potenziell Ort einer anderen Überlieferung hätte sein können.87 Tatsächlich hatte Otto Heuschle 1925 in seinem Brief an einen Toten Simmel noch in die Nähe Gun­ dolfs gestellt und seine Sehergabe betont: »[O]bwohl Sie nie Prophet waren und sein wollten, wird doch Ihrem Werk in der Zukunft die große Wirkung vorbehalten bleiben.«88 Fünf Jahre später basiert Friedrich Wolters‘ kreis­ offizielle Darstellung bereits vollständig auf dem »Gegensatz zwischen dem Dichter und dem Denker«,89 profiliert also Simmel negativ gegen George: Simmel sei als »geborener Erkenntnissucher mit dem ganzen Rüstzeug des Verstandes, ja was mehr ist, mit der zartesten Feinfühligkeit des geistigen Taktes ausgerüstet« gewesen, er habe aber zugleich das »Unglück« gehabt, »in einer Zeit zu leben, die dem Erkenner kein Ganzes mehr zur Erkenntnis darbot«;90 weil ihm darüber hinaus die »Fähigkeit Mitte zu bilden« geman­ gelt habe – er also keinen Kreis bilden konnte –, sei es nur konsequent, dass er »schülerlos blieb, obwohl 500 Studierende jährlich zu seinen Füßen sa­ ßen«.91 Wie bei Lukács erklären sich also Wesen und Schicksal, Begrenztheit und Scheitern wechselseitig: Wahre Schülerschaft, so hätte Wolters wohl ge­ urteilt, lässt sich auch wirklich nicht als Bargeld denken.

85 Emil Ludwig, Simmel auf dem Katheder, in: Die Schaubühne 10 (1914), zit. nach ebd., 152–156, hier 152 f. 86 Ders., Geschenke des Lebens. Ein Rückblick, Berlin 1931, zit. nach ebd., 156 f. 87 Siehe Ulrich Raulff, Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München 2009; Grundsätzliches zum Nachleben bes. ebd., 11–18; zum Verhältnis Simmels zum GeorgeKreis siehe auch Lepenies, Die drei Kulturen, 335–355. 88 Otto Heuschele, Georg Simmel. Brief an einen Toten, in: Kölnische Zeitung. Literatur und Unterhaltungsblatt, 18. August 1925 (Beilage), zit. nach Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 179–185, hier 181. 89 Friedrich Wolters, Stefan George und die Blätter für die Kunst. Deutsche Geistesgeschich­ te seit 1890, Berlin 1930, zit. nach ebd., 194–197, hier 196. 90 Ebd., 195. 91 Ebd.

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»Jüdisch-Sein« Ein konstantes Element in den postum entworfenen Bildern von Simmel ist dessen Jude-Sein. Häufig ist in den Erinnerungen davon die Rede, dass Simmels Äußeres »generell jüdisch«92 gewesen sei, man erwähnt seine »aus­ geprägt semitische Nase«93 oder allgemeiner seine Erscheinung von »aus­ gesprochen jüdischem Typ«, die »vielleicht direkt grotesk« gewesen sei,94 insbesondere in ihren »ostjüdischen Bewegungen«, an die sich Ernst Bloch erinnert: »Wiewohl in assimiliertem Milieu und von schon getauften Eltern geboren, hatte Sim­ mel, womit er unter anderen seiner Schicht eine Ausnahme bildete, spezifisch jüdische, ja ostjüdische Bewegungen und Sprechgewohnheiten an sich, und auch dies, nicht nur sein jüdischer Ursprung als solcher, war ein Grund dafür, weshalb er erst so spät ein Ordinariat erhielt.«95

In solchen Äußerungen wird Simmels intellektueller Stil ganz selbstver­ ständlich als jüdisch charakterisiert, für Ludwig Marcuse etwa verbindet Simmel »ein Maximum an Empfänglichkeit, an Erlebnisweite und Erlebnis­ tiefe mit einem Maximum an Intellektualität, an Scholastik, an Talmudistik, an Rationalisierungssucht«.96 Und auch wo nicht vom Talmud die Rede ist, sind viele der erwähnten Topoi wie die gesteigerte Intellektualität, der Hang zum Analytischen und natürlich auch die groteske Körperlichkeit im zeitge­ nössischen Diskurs deutlich als »jüdisch« konnotiert – sie machen Simmel geradezu zum Musterfall des jüdischen Intellektuellen. Ein Denken, das sich niemals explizit mit dem Judentum beschäftigt, kann »jüdisch« vielleicht überhaupt erst durch die »Person« des Denkers werden – durch so komplexe wie ambige Zuschreibungen, die gerade aus der Perspektive der Nachgeschichte erkennbar werden. Denn Simmels »JüdischSein« changiert offensichtlich zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen ebenso wie zwischen manifesten und latenten sowie öffentlichen und pri­ vaten Aussagen, die darüber hinaus jeweils auch ganz anderes unter dem »Jüdisch-Sein« verstehen. Nach einer prägnanten Formulierung Christian Köhnkes ging Simmel »nicht selten als Deutscher fort und kehrte als Jude

92 Lepsius, Stefan George, 199. 93 Kroner, Erinnerungen an Simmel, 228. 94 Sophie Rickert, Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 211 f., hier 212. 95 Landmann, Ernst Bloch über Simmel, 270 f. 96 Marcuse, Georg Simmels Gegenwart, 189.

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nach Hause zurück«.97 Er habe sich primär als Deutscher gefühlt und sei als solcher aufgetreten  – während des Krieges sogar als patriotischer Kriegs­ redner –, sei jedoch von den Deutschen dezidiert als Jude wahrgenommen worden und sich dessen auch deutlich bewusst gewesen, obgleich er nur selten darüber gesprochen habe. Privat nimmt er zu jüdischen Streitfragen Stellung, kritisiert etwa, wie viele seiner Zeitgenossen, den Zionismus, steht aber auch dem Ziel einer »Assimilation« der Juden an die deutsche Kultur kritisch gegenüber, an dessen Stelle nach Simmel eine Verschmelzung von Deutschem und Jüdischem treten solle, die etwas Neues, Drittes, hervorbrin­ gen könne.98 Öffentlich äußert er sich zu jüdischen Fragen hingegen fast gar nicht, thematisch kommt das Judentum in seinem Werk nicht vor. Gerade wegen dieser Zurückhaltung wird sein »Jüdisch-Sein« in der Nachgeschichte oft an Äußerungen und Anekdoten verhandelt, in denen die Überlieferer mindestens so viel von ihrem Jüdisch-Sein verraten wie von dem des Porträtierten und die darüber hinaus oft indirekt überliefert sind. So kommentiert etwa Martin Buber in einem Gespräch, das er 1951 mit Michael Landmann führt, Simmels Gestik mit »das ist der talmudische Pilpul« und erzählt, dass Simmel »das jüdische Prinzip« – »das Prinzip des immer-wie­ der-Aufsprengens von scheinbaren Selbstverständlichkeiten«99 – immer be­ jaht habe.100 Buber erinnert sich auch, Simmel ein einziges Mal von »Wir« reden gehört zu haben: Nach der Lektüre chassidischer Geschichten habe er gesagt: »Wir sind doch ein merkwürdiges Volk.«101 Hier wird über Prinzip und Pronomen eine Gemeinschaft gebildet, ein »Volk«, das sich aber eben  97 Klaus Christian Köhnke, Der junge Simmel in Theoriebeziehungen und sozialen Bewe­ gungen, Frankfurt a. M. 1996, 141. Siehe generell das Unterkapitel »Exkurs: Georg Sim­ mel als Jude«, in: ebd., 122–148.  98 Siehe dazu John McCole, Geheimnis und schriftlicher Verkehr. Georg Simmel, Sprache und Deutsch-Jüdische Selbstinszenierung, in: Stephan Braese/Daniel Weidner (Hgg.), Meine Sprache ist Deutsch. Deutsche Sprachkultur von Juden und die Geisteswissen­ schaften 1870–1970, Berlin 2015, 23–35.  99 Martin Buber, Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 222 f. 100 Gewissermaßen die umgekehrte Identifizierung überliefert Gershom Scholem von Walter Benjamin: Als er diesem von den Diskussionen im Talmud erzählt habe, bei denen ein Gegenstand von allen Seiten betrachtet werde, habe Benjamin zu seiner Überraschung ge­ sagt: »Also etwas wie bei Simmel« (Gershom Scholem, Walter Benjamin. Die Geschichte einer Freundschaft, Frankfurt a. M. 1975, 24). 101 Buber, Erinnerungen an Simmel, 222. Siehe ähnlich den von Hermann Schmalenbach überlieferten Ausspruch: »Mit dem Judentum werden Sie ebensowenig zurande kommen, wie wir alle.« (ders., Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 213). Ebenso werden aber auch Aussagen in der dritten Person überliefert, so etwa »Die Juden sind zerrissene Menschen« oder: »Eigenartig, die Juden sind entweder unausstehlich oder sie sind wundervoll« (Michael Landmann, Arthur Steins Erinnerungen an Georg Simmel, in: Böhringer/Gründer (Hgg.), Ästhetik und Soziologie um die Jahrhundertwende, 272–276, hier 272).

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nur im privaten Gespräch manifestiert – und auch nur privat weitergegeben werden kann, in dem Gespräch mit Landmann, das 1951, nach dem Zivilisa­ tionsbruch und als Gespräch zwischen einem Deutschen und einem Juden, noch eine Fülle von weiteren Bedeutungsschichten hat. Der vielfach gebrochenen und zurückgenommenen Selbstzuschreibung steht eine massive Fremdzuschreibung gegenüber, die, gerade weil sie oft latent ist, als kultureller Code verstanden werden kann, durch den man sich verständigt und seinerseits Zugehörigkeit erzeugt.102 Bekannt ist etwa das Gutachten Dietrich Schäfers, das 1908 wohl entscheidend zum Scheitern von Simmels Berufung nach Heidelberg beigetragen hat: Wenn Schäfer schreibt, er wisse nicht, ob Simmel getauft sei, aber er sei jedenfalls »Israelit durch und durch, in seiner äußeren Erscheinung, in seinem Auftreten und seiner Geistesart«,103 so teilt das dem Adressaten implizit mit, dass eine Berufung nicht infrage kommt. Ähnlich denunziatorisch verfährt auch Ludwig Klages’ Analyse von Simmels Handschrift, in der alle Zeichen von Übervergeisti­ gung und Künstlichkeit zu erkennen seien – nachdem Klages erfuhr, dass sie von Simmel stammte.104 Nicht alle Zuschreibungen des Jüdisch-Seins sind dabei antisemitisch, manche sind freundlich, die meisten ambivalent. Oft wird Simmel einfach als jüdischer Philosoph bezeichnet oder, impliziter, in jüdische Reihen ge­ stellt: Ludwig Curtius nennt Simmel einen modernen Spinoza,105 Kurt Hil­ ler stellt ihn in eine Reihe mit Leonard Nelson, Alfred Kerr und Sigmund Freud.106 Hier wie überhaupt ist die Reihenbildung ein zentrales Merkmal der Ordnung wie der Steigerung der Prägnanz, denn neben wen man jeman­ den stellt, zeigt auch, wer er für einen ist. Nicht selten stehen die Reihen ihrerseits noch einmal für eine Epoche. So schreibt Erich Przywara noch 1955 in seinen Erinnerungen über das neue Denken der Zwischenkriegszeit: »Die Initiatoren des Neuen sind die drei großen vergessenen Juden: Georg Simmel, Ed­ mund Husserl, Max Scheler. Sie sind so groß und so vergessen, daß sie heute Brunnen sind, aus denen man geheim schöpft, ohne Gefahr zu laufen, daß einer diese Brunnen entdeckt.«107 102 Siehe Shulamit Volkov, Antisemitismus als kultureller Code. Zehn Essays, 2., durch ein Register erweiterte Aufl., München 2000. 103 Zit. nach Köhnke, Der junge Simmel in Theoriebeziehungen und sozialen Bewegungen, 141; siehe zu dem Fall der Berufung ebd., 141–147. 104 Siehe Theodor Lessing, Gesammelte Schriften in zehn Bänden, hier Bd. 1: Einmal und nie wieder. Lebenserinnerungen, hg. von H. G. Adler, Prag 1935, 350 f. 105 Siehe Ludwig Curtius, Deutsche und antike Welt. Lebenserinnerungen, Stuttgart 1950, 138. 106 Siehe Kurt Hiller, Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dan­ kes an Georg Simmel, 257–262, hier 257. 107 Erich Przywara, In und gegen. Stellungnahmen zur Zeit, Nürnberg 1955, zit. nach ebd., 224–227, hier 224.

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Es gibt also durchaus große und fruchtbare Juden, dabei ist es gleichgültig, ob jemand getauft ist – wie alle drei genannten – oder auch dezidiert als ka­ tholisch auftritt wie Scheler. Häufig wird das Jüdisch-Sein von Simmel zum Explanans: Es soll helfen, die so irritierend empfundene Ambivalenz zu artikulieren. Besonders deut­ lich ist das in der Fiktion: In Paul Ernsts 1902 veröffentlichter Novelle Die Badia von Fiesole tritt kaum verhüllt auch Georg Simmel auf: »Der Philosoph war von Geburt Jude und hatte in merkwürdiger Weise den bestim­ menden Zügen jüdischen Empfindens und Denkens einesteils durch den Einfluß der Frau, welche christlicher Abstammung war, Inhalte ganz deutscher Art einbilden lassen, andernteils Ziele des philosophischen Ideals vorgestellt, so daß er sich zu einem wun­ derbar vielfältigen Menschen gemacht, dessen Eigenschaften sich um eine außerordent­ lich zähe und starke und wie ein dünner Stahlstab elastisch gewordene Einheitlichkeit ringten.«108

Simmels spezifische Person erscheint hier als Mischung von Jüdischem und Deutschem beziehungsweise Christlichem beschreibbar, weil es gerade der Reichtum und die Implizitheit kultureller Codierungen erlauben, auch zwei­ deutige und exzeptionelle Positionen wie die eines »wunderbar vielfältigen Menschen« zu semantisieren. Wie attraktiv solche Zuschreibungen sind, kann man noch 1956 bei Rudolf Pannwitz sehen: »Simmel gehörte zu jener Schicht von Juden und Halbjuden, die mit an erster Stelle den deutschen Geist repräsentierten, politisch liberal bis sozialistisch gesinnt waren und eine internationale Tendenz mit entschiedenem Patriotismus verbanden. Von dem so häufi­ gen jüdischen Antisemitismus hatte er nichts, um so mehr von der Ironie der Juden sich selbst gegenüber. Die Mischung des Jüdischen und des Deutschen bewirkte eine Art von doppelter und elastisch gespannter Geistigkeit und diese wieder eine höchst verfeinerte Überklugheit, eine Sinnlichkeit im Intellekt und Intellektualität in den Sinnen.«109

Nicht nur die Person und der intellektuelle Habitus Simmels werden als jü­ disch charakterisiert, sondern auch sein Werk und oft sogar das Fachgebiet, das er begründete. So setzt etwa Pannwitz fort, Simmels erstes Hauptwerk sei »nicht zufällig« die Philosophie des Geldes, denn »er stammte aus Krei­ sen, in denen das die Hauptrolle spielte. Und er behandelte den Gegenstand, ebenfalls nicht zufällig, soziologisch.«110 In typisch andeutender Form wird »das« – der »Gegenstand«, den der Erinnernde nicht wörtlich in den Mund nehmen mag: das Geld – ebenso mit dem Jüdischen assoziiert wie die So­ ziologie: Hier wird die Bedeutsamkeit zur Tautologie gesteigert: dass ein jüdischer Denker jüdisch über ein jüdisches Thema schreibt. 108 Paul Ernst, Die Badia von Fiesole. Einleitungserzählung zu »Altitaliänische Novellen«, Leipzig 1902, zit. nach ebd., 139–142, hier 139. 109 Pannwitz, Erinnerungen an Simmel, 234. 110 Ebd.

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Die Verbindung der Soziologie mit dem Jüdisch-Sein hat ihre eigene Ge­ schichte, die nicht zufällig ebenfalls mit der Anekdote beginnt, Friedrich Gundolf habe nach dem Besuch des Heidelberger Soziologentages von 1924 gesagt, nun wisse er, was die Soziologie sei: eine jüdische Sekte.111 Wie in der Rede von der hinterlassenen Barschaft spielt auch hier zweierlei inein­ ander, ist doch Sekte gleichzeitig ein religiöser und ein soziologischer Be­ griff und handelt es sich bei der Zuschreibung doch unter Umständen auch um eine ironische Umkehrung von Max Webers soziologischer Charakteri­ sierung des George-Kreises als einer Sekte. Der Topos von der »Jüdischen Soziologie« wird dann weiterverhandelt über René Königs Radiovortrag Die Juden und die Soziologie von 1960 und eine Konstanzer Ringvorlesung von 1989;112 immer wieder wird dabei auch auf Simmel selbst zurückgegriffen und sein kurzer Exkurs über den Fremden als paradigmatischer Text sowohl über den Juden wie auch über den Soziologen gelesen – für beide stellt die Außenperspektive eine besondere Erkenntnischance dar –, obwohl Simmel diese Parallele vom Fremden zum Juden gerade nicht gezogen hat.113 Auch die soziologische Einsicht, wenn es denn eine ist, bleibt in der Latenz, und es ist theoriegeschichtlich entscheidend, wie mit dieser Latenz umgegangen wird. Denn wirksam bleibt das »Jüdisch-Sein« von Simmel gerade in der Diffusität und Latenz einer gleichzeitig über- und unterdeterminierten Zu­ schreibung, die ihrer Natur nach immer weitere Deutungen und Ergänzun­ gen verlangt.

Wiedererinnerung Simmels Nachgeschichte endet nicht in der Zwischenkriegszeit. Auch nach 1945 taucht er oft in Erinnerungen auf, meist wird dabei noch stärker betont, wie vergessen er ist, etwa in der zitierten Rede Przywaras von den »verbor­ genen Brunnen«: »Das Lebenswerk Georg Simmels verflatterte überhaupt 111 Auch diese Anekdote ist indirekt überliefert bei René König, Die Juden und die Sozio­ logie, in: ders., Studien zur Soziologie. Thema mit Variationen, Frankfurt a.  M. 1971, 123–136, hier 123. 112 Siehe ebd.; Erhard R. Wiehn (Hg.), Juden in der Soziologie. Eine öffentliche Vortragsreihe an der Universität Konstanz 1989, Konstanz 1989. 113 Die Parallele wird bereits 1928 von Robert Park gezogen: »Der emanzipierte Jude war und ist historisch und typologisch gesehen der marginal man […]. Er ist der Fremde par excel­ lence, den Simmel, selbst ein Jude, mit solch tiefer Einsicht und Einfühlung beschrieben hat« (Robert Park, Human Migration and Marginal Man, zit. nach Levine u. a., Simmels Einfluß auf die amerikanische Soziologie, 56). Siehe zur Problematik dieser Gleichset­ zung McCole, Geheimnis und schriftlicher Verkehr.

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in alle Winde.«114 Damit wird aber die Erinnerung an Simmel insgesamt zu einem Akt der Wiedererinnerung einer vergangenen Epoche, in der die Person Simmels nun zum Schlüssel für eine ganze Epoche wird. Besonders aufschlussreich sind hier Texte, die Margarete Susman in den Fünfzigerjah­ ren veröffentlicht. Susman hatte bereits vor 1933 eine Arbeit über Simmel begonnen, diese jedoch nie abgeschlossen. Nun publiziert sie zunächst 1958 eine Erinnerungsskizze im Buch des Dankes und ein Jahr später als eigen­ ständiges Buch einen Essay über Die geistige Gestalt Georg Simmels, der wie schon Kracauers Text eine Gesamtdarstellung von Simmels »Doppelver­ such eines lebendigen Philosophierens und eines philosophischen Lebens«115 entwirft. Allerdings unternimmt sie diesen Versuch nun aus historischer Dis­ tanz, als Wiedererinnerung, wie Susman am Anfang ihrer Erinnerungsskizze betont: »Meine Erinnerungen an Georg Simmel liegen so weit zurück, es hat sich so viel an geschichtlichen und persönlichen Erfahrungen dazwischen­ geschoben, daß ich mir seine Erscheinung aus einer weiten Ferne zurück­ holen muß.«116 Aus dieser Ferne betrachtet, wird sich die Person Simmels noch einmal wandeln. Susman schildert Simmel als vergessenen Denker: Die Skizze beginnt gleich mit der Sentenz über die Hinterlassenschaft ohne Provenienz; der Es­ say betont, Simmel sei der »Einsamste«117 von seinen Zeitgenossen gewesen. Was im Folgenden dann in jenem Text an einer Reihe von Begegnungen und Aussprüchen veranschaulicht wird, wird im Essay konsequent auf die Zeit bezogen: Isoliert sei Simmel gewesen, weil er schon früh erkannt habe, dass die zeitgenössischen Begriffe die Wirklichkeit nicht mehr zu erfassen ver­ mochten. Er sei sich der Krise bewusst gewesen und habe die unhaltbaren Konstruktionen analysiert, »am Rande einer neuen Wirklichkeit stehend, de­ ren zerstörenden Charakter er nur vorausahnen konnte«.118 Sein eigener Ent­ wurf eines »kosmischen Relativismus« sei daher »ein grandioser Versuch, die sich völlig auflösende Welt noch einmal zur Anschauung eines Ganzen zu bringen«.119 Besonders Simmels späteste Gedanken zur Philosophie des Lebens und des Todes entwickelt Susman dabei in großer Breite, weil sich

114 Przywara, In und gegen, 225. 115 Margarete Susman, Die geistige Gestalt Georg Simmels. Essay, in: dies., »Das Nah- und Fernsein des Fremden«. Essays und Briefe, hg. von Ingeborg Nordmann, Frankfurt a. M. 1992, 31–71, hier 67. 116 Dies., Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 278–291, hier 278. 117 Dies., Die geistige Gestalt Georg Simmels, 31. 118 Ebd., 40. 119 Ebd., 46 f.

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gerade an ihnen die Einheit von Leben und Werk besonders deutlich manifes­ tiere.120 Dabei wird Simmels Tod im Rückblick zum bedeutsamen Zeichen: »Simmels Tod am Ende des ersten Weltkriegs bezeichnet die Grenze, von der ab eine neue Form des Denkens ansetzt. […] Damals begann ein Exodus aus der bisherigen Phi­ losophie. […] Die abendländische Philosophie als Ganzes war wirklich an ihrem Ende angelangt. Es bedurfte eines neuen Denkens und einer neuen Sprache, um die Probleme einer neuen Zeit auszudrücken.«121

Wie bereits bei Lukács wird Simmel auch hier zu einer Übergangsgestalt: Sein Denken kreise um die Formeln »Kultur« und »Seele«, das neue Denken der neuen folgenden Generation um »Entscheidung« und »Existenz«: »Kultur – dieses Wort war nicht nur im Denken, es war auch im Leben Simmels ein zentraler, fast religiöser Begriff. Und es ist sicher vor allem dies, was die unmittelbar auf ihn folgende Generation an ihm so sehr mißverstanden hat. Denn in der Kultur steckt keine Entscheidung und Entscheidung war das Zentrum, um welches das Denken der Nachkriegsgeneration kreiste.«122

Simmels Tod wird hier zur Zäsur, die zwei Idiome und auch zwei Gene­ rationen trennt, deren jüngere Susman 1959 immer wieder anachronistisch als »Nachkriegsgeneration« bezeichnet. »Im Individuellen wie im Sozialen klafft hier zwischen Simmel und der Nachkriegsgeneration ein breiter Gra­ ben.«123 Anders als Lukács schreibt Susman dabei schon deutlich jenseits der Zäsur, die keine Schwelle zur eigenen Gegenwart darstellt, sondern selbst bereits wieder Vergangenheit geworden ist und nur in der Erinnerung wieder lebendig wird. Die Distanz ist dabei freilich nicht nur eine zeitliche. In ihrem Essay folgt auf den zitierten Topos des breiten Grabens unvermittelt:

120 Dass Simmel seinen eigenen Tod vorausgeahnt habe, spielt in vielen Erinnerungen eine Rolle und dürfte einer der klassischen Topoi des Nachrufs sein. So zitiert etwa Mari­ anne Weber in ihren Lebenserinnerungen einen Brief von Simmel: »Für mich selbst ist das Buch eine Art Abschluß, eine letzte Verwendung der bisherigen Begriffsbildungen. Ich setze nun die Segel um und suche ein unbetretenes Land.« (dies., Erinnerungen an Simmel, in: Gassen/Landmann [Hgg.], Buch des Dankes an Georg Simmel, 213–219, hier 216). Charles Hauter überliefert, dass Simmel 1917 in der Herbststimmung gesagt habe: »Ich scheine an meiner Grenze angekommen zu sein. Mein Denken verharrt an der Stelle, wo es sich schon eine Zeitlang befindet. Ich habe das Empfinden, daß ich sterben sollte.« (ders., Erinnerungen an Simmel, in: ebd., 251–257, hier 256). Siehe Klaus Chris­ tian Köhnkes Lektüre von Simmels Lebensphilosophie als »Paradebeispiel für die Selbst­ referenz einer Theorie«, in: ders., Der junge Simmel in Theoriebeziehungen und sozialen Bewegungen, 505. 121 Susman, Die geistige Gestalt Georg Simmels, 63. 122 Ebd., 56. 123 Ebd., 65.

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»Es kommt aber noch ein anderes hinzu. Das Schicksal des deutschen Juden ist im Exis­ tenzgrund Simmels unverkennbar. Er, ganz und gar ein Deutscher, der deutsch gedacht und deutsch geschrieben hat, der, obwohl er seine jüdische Abstammung nie verleugne­ te, an Deutschland als sein Vaterland noch glaubte, als er die ganze europäische Kultur bereits zusammenbrechen sah, hat doch in allen seinen Beziehungen das Schicksal des deutschen Juden erfahren.«124

Simmel steht nicht nur paradigmatisch für eine vergangene Epoche, sondern auch für eine bestimmte Gruppe: die deutschen Juden, die man verstehen müsse, um Simmel zu verstehen. Auch Susman greift dabei auf den Exkurs über den Fremden als eine Art jüdisches Selbstbild Simmels zurück, aber der Fremde ist für sie keine Figur kühl analytischer Distanz, sondern von heißer Sehnsucht und Liebe: Wie für viele deutsche Juden sei Simmels Pa­ triotismus gerade deswegen so tief und echt gewesen, »weil Deutschland für sie nicht nur die Heimat, sondern zugleich die Fremde war«.125 Interes­ sant, und gerade in ihrer Form interessant, ist freilich auch eine Einschrän­ kung, die Susman bei der Besprechung von Simmels Exkurs macht: »Hätten wir nicht die unmenschliche Katastrophe des deutschen Judentums erlebt, so wäre das Bild des Juden in dieser Darstellung des Fremden vorwegge­ nommen.«126 ­Irritierend ist hier vor allem der Konjunktiv. Denn wir haben ja diese Vernichtung erlebt, und das hat, so scheint der Text anzunehmen, auch Simmels Bild des Juden modifiziert. Anders gesagt, was hätte die Dar­ stellung des Fremden vorweggenommen, hätte es jene »Katastrophe« nicht gegeben – eine andere, bessere Geschichte? Und wäre nicht selbst vor dem Hintergrund einer besseren Geschichte, einer Geschichte, wie sie eigentlich hätte sein müssen, Simmels ausgeprägter Patriotismus problematisch, wie Susman immerhin andeutet: »Soviel Künftiges Simmel durch seinen philo­ sophischen Scharfblick vorausgesehen hat, im Politischen traf er darum eine Entscheidung, der die Geschichte nicht recht gegeben hat.«127 Susmans Essay schließt mit diesen Ausführungen. Was diese irreale Mög­ lichkeit oder diese historisch falsche Entscheidung für Konsequenzen hat und was sie für ein Porträt Simmels bedeutet, darüber schweigt sich der Text aus. Ist es »die Katastrophe«, die Vernichtung der deutschen Juden, die noch »hinzukommt« zu den Schwierigkeiten, Simmel zu verstehen? Oder ist be­ reits sein »Jüdisch-Sein«, seine Zugehörigkeit zum vergangenen deutschen Judentum, die »hinzukommende« Schwierigkeit – während jener Untergang des deutschen Judentums eine weitere Schwierigkeit wäre, über die der Text aber nicht mehr sprechen kann? Gerade in diesen mehr angedeuteten als

124 Ebd., 56. 125 Ebd., 67. 126 Ebd., 66. 127 Ebd., 67.

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durchgeführten Ausweichbewegungen kommt der Text sichtbar in die Nähe der Latenz, die der Frage nach dem Jude-Sein nach 1945 eigen ist. Sie ma­ chen überdies deutlich, dass die Person Simmels gewissermaßen zum Re­ lais wird, durch das man sich der Vergangenheit wiedererinnern kann – oder auch: durch das gerade die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens deut­ lich wird. 1958 schreiben Kurt Gassen und Michael Landmann, ihr Buch des Dankes sei unbeabsichtigt zu einem »Zeitbild« geworden: »Mit der Persönlich­ keit Simmels wird auch ein Stück des Epochenhintergrunds sichtbar.«128 Ein »Zeitbild« stellen die Erinnerungen an Simmel nicht nur in dem trivialen Sinn dar, dass man aus der Abfolge verschiedener Bilder von Simmel sehen kann, wie sich die Zeit verändert – sondern die Bilder verändern sich selbst, sie wachsen mit der Zeit und nehmen die Zeit in sich auf. Im Bild Sim­ mels zeigt sich die Moderne und ihre Geschichte, spiegelt sich die Art, wie die Gegenwart wahrgenommen und zu Geschichte gemacht wird, wie Ver­ bindungen geknüpft und Trennlinien gezogen werden, wie die Zeit geformt wird, um sich selbst in ihr situieren zu können. Ein solches Bild hat notwendig eine gewisse Streuung und Uneindeu­ tigkeit. Viele Ansichten gehen darin ein, oft verliert es sich in Nebensäch­ lichkeiten und Anekdoten oder verläuft sich in Richtungen, von denen man kaum noch entscheiden kann, ob sie mit »Simmel« zu tun haben. Aber gera­ de diese Diffusität steht auch für den sozialen Prozess, der Rezeption eben ist, vor allem an den Rändern der Disziplinen und insbesondere unter den Bedingungen der Moderne. Sie erlaubt es, eine bestimmte Typik dieser Re­ zeption zu erkennen, die sich bei Simmel exemplarisch zeigt. Entgegen dem ersten Anschein gibt es zwar durchaus auch eine disziplinäre Wirkung, aber für eine breitere Öffentlichkeit lässt sich bereits an den Nachrufen erken­ nen, wie Simmel als Figur der Ambivalenz entworfen und mit der Krisen­ erfahrung des Kriegsendes verbunden wird. Durch diese Zäsur wird es dann immer schwieriger, sein Werk als Ganzes zu verstehen, dagegen gewinnt in der Erinnerung die Person Simmels physiognomische Prägnanz. Zur immer unscharfen, zugleich über- und unterdeterminierten Gestalt dieser Person ge­ hören kulturelle Zuschreibungen wie das »Jüdisch-Sein«, mit dessen H ­ ilfe Simmel permanent gedeutet wird, die aber auch ihrerseits durch Ideen Sim­ mels wie den »Fremden« lesbar werden. Dadurch können sich die Leser dann, vermittelt über die Person Simmels, mit dem »Jüdisch-Sein« und der jüdischen Geschichte auseinandersetzen – sogar nach 1945. In den Verwer­ fungen jener immer neuen Lektüren kann man ablesen, wie die Rezipienten ihre historische Position an Simmel vermessen und wie sich die historischen

128 Gassen/Landmann (Hgg.), Buch des Dankes an Georg Simmel, 5.

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Zeitläufte, jene »Epochenbrüche« und »Katastrophen«, in das Denken selbst einschreiben. Simmels Nachgeschichte ist also nicht nur die eines Vergessens und nicht nur die Fortwirkung einzelner Gedanken oder Impulse, sie erschöpft sich auch nicht in der verspäteten Rehabilitation durch eine Werkausgabe und eine inzwischen beträchtliche Forschung. Denn sie hat ihre eigene Zeitlich­ keit und ihr eigenes Leben, weil die Rezeption eine Person herausbildet, die für das Verständnis von Simmel zentral ist – für das Verständnis seines Denkens wie seiner historischen Erscheinung. Das ist nicht einfach eine Wir­ kungsgeschichte, denn die Arbeit der Rezeption geht oft weite Umwege, sie setzt oft nicht am Kern des Denkens an, sie trägt oft deutlichere Impulse des Aufnehmenden als des Gebenden. Aber gerade durch diese Umwege erzeugt sich jene Bedeutsamkeit, der ein Denken bedarf, das jenseits etablierter For­ men entwickelt und ohne festen Ort weitergegeben wird – und das auch da­ durch zum »Zeitbild« der Moderne wird.

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Ungleiche Weggefährten: Hannah Arendt, Melvin Lasky und der Antitotalitarismus im Kalten Krieg Im Jahr 1957, auf einem Höhepunkt der Blockkonfrontation, stellte ein Sonderberater von US-Präsident Dwight D. Eisenhower die Bedeutung der Kultur im Wettstreit der Supermächte heraus: »›Culture‹ is no longer a sissy word. […] The tangible, visible and audible expression of national idealism is culture.«1 Schon Ende der Vierzigerjahre hatte sich auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs die Erkenntnis durchgesetzt, dass der weltanschauliche Gegner nicht nur auf militärischem Gebiet, sondern auch in den Köpfen der Menschen bekämpft werden müsse. Den Intellektuellen kam dabei – in Ost wie West – eine besondere Rolle zu; im Kalten Krieg waren sie sowohl Akteure als auch Zielgruppe umfassender staatlicher Propaganda.2 Aufseiten des amerikanischen Kampfes um kulturelle Hegemonie tauchten dabei während der Vierziger- und Fünfzigerjahre immer wieder die Namen Hannah Arendt (1906–1975) und Melvin Lasky (1920–2004) im Zusammenhang auf – eine Konstellation, die den Gegenstand der vorliegenden Studie bildet. Trotz der unerschöpflichen Literatur zu Person und Werk Arendts wurde ihrer Beziehung zu dem amerikanisch-jüdischen Publizisten Melvin Lasky bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt.3 Ein Grund für diese Leerstelle 1 2 3

Charles Douglas Jackson, 26. März 1957, zit. nach Frances Stonor Saunders, The Cultural Cold War. The CIA and the World of Arts and Letters, New York 2000, 225. Jessica C. E. Gienow-Hecht, Culture and the Cold War in Europe, in: Melvyn P. Leffler/ Odd Arne Westad (Hgg.), The Cambridge History of the Cold War, 3 Bde., Cambridge u. a. 2010, hier Bd. 1: Origins, 398–419, hier 401. Im Namensregister des Hannah-Arendt-Handbuches fehlt der Name »Lasky« völlig. Das Standardwerk der Arendt-Forschung, die imposante Biografie von Elisabeth Young-­Bruehl, Hannah Arendt. Leben, Werk und Zeit (aus dem Amerik. von Hans Günther Holl, Frankfurt a. M. 1986), bibliografiert Arendts Beiträge in Laskys Zeitschrift Der Monat nur unvollständig. Erst seit Kurzem widmet sich überhaupt eine Monografie Arendts Wirken in den Vereinigten Staaten; siehe Richard H. King, Arendt and America, Chicago, Ill., 2015. Wie wenig Aufmerksamkeit selbst hier ihrer Beziehung zum Congress for Cultural Freedom (CCF) und den damit verbundenen Personen und Institutionen gewidmet wird, sieht man daran, dass der Monat mit der deutschen Zeitschrift Merkur verwechselt und fälschlicherweise der CCF als dessen Gründer angegeben wird (ebd., 44). Eine Ausnahme stellt ein Aufsatz von Anson Rabinbach dar: ders., Hannah Arendt und die New Yorker Intellektuellen, in: Gary Smith (Hg.), Hannah Arendt Revisited. »Eichmann in Jerusalem« und die Folgen, Frankfurt a. M. 2000, 33–56. Darin ist zwar Lasky selbst nicht genannt, jedoch wird Arendts Verhältnis zu dessen New Yorker Umfeld besprochen. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 117–144.

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dürfte sicherlich die Tatsache sein, dass jener weder in die wissenschaftliche Forschung noch ins öffentliche Bewusstsein wirklich Eingang gefunden hat.4 Dies ist, gemessen an seiner Bedeutung für den Kulturkampf im Kalten Krieg sowie für das intellektuelle Leben der Bundesrepublik, durchaus überraschend. So war Lasky Chefredakteur zweier bedeutender Zeitschriften in der Nachkriegszeit  – des deutschen Monat und des britischen Encounter – und trug maßgeblich zur Gründung des antikommunistischen Congress for Cultural Freedom (CCF) bei. Durch sein weitreichendes Netzwerk, dem zahlreiche bedeutende Intellektuelle seiner Zeit angehörten – neben Arendt sind hier exemplarisch Thomas Mann, Bertrand Russell und George Orwell zu nennen –, seine freundschaftlichen Beziehungen zu Politikern wie Willy Brandt und Carlo Schmid5 sowie nicht zuletzt durch seine öffentlichen Auftritte in Werner Höfers populärer Fernsehsendung Der Internationale Frühschoppen wirkte er auch am kulturpolitischen Profil der Bundesrepublik mit. Der vorliegende Artikel versucht die Bezüge zwischen Hannah Arendt und Melvin Lasky in ihrer privaten wie beruflichen Dimension zu erfassen. Dadurch soll zum einen dem bekannten Bild von Arendt eine weitere Facette hinzugefügt werden: der Kontakt zu ihrem 13 Jahre jüngeren Bewunderer, der sie nicht nur zur Mitarbeit in seinem Zeitschriftenprojekt Der Monat einlud, sondern sie auch ins Umfeld des CCF und damit in den Kulturkampf des Kalten Krieges einband. Neben dieser biografischen Dimension verfolgt der vorliegende Beitrag auch ein ideengeschichtliches Erkenntnisinteresse. Es wird versucht, Arendts Denken und Handeln vor dem Hintergrund der Blockkonfrontation einzuordnen: Am Ende steht die Frage, ob sie sich wie Lasky dem Kreis der Kalten Krieger zurechnen lässt. Hierfür sollen im Folgenden drei Kontaktzonen ausgeleuchtet werden, in denen sich die Biografien von Arendt und Lasky verschränkten: New York als Schauplatz der sogenannten New York Intellectuals, Laskys Zeitschrift Der Monat sowie das Umfeld des CCF. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung beginnt dabei mit der Herausbildung ihrer antitotalitären Positionen in den Vierzigerjahren und endet im Jahr 1958, in dem beide nahezu gleich-

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In der Ausstellung Parapolitik. Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg (November 2017– Januar 2018) im Berliner Haus der Kulturen der Welt wurde näher auf Laskys Rolle in der Bundesrepublik eingegangen. Gleichwohl befindet sich die Lasky-Forschung noch in ihren Anfängen. 2009 wurde das an der Ludwig-Maximilians-Universität München angesiedelte Lasky Center for Transatlantic Studies gegründet, das Laskys Bibliothek sowie seine umfangreiche Korrespondenz beherbergt. Derzeit entsteht dort eine erste Monografie zu seiner Person. Deren Autorin Maren Roth, die auch für das Archiv verantwortlich ist, hat mich bei der Recherche zur vorliegenden Arbeit dankenswerterweise unterstützt. Siehe z. B. Carlo Schmid, Erinnerungen, in: ders., Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 3, Bern/München/Wien 1979, 314.

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zeitig eine Schrift zum Ungarnaufstand publizierten und Lasky Deutschland in Richtung England verließ.

Vom Antistalinismus zum Antitotalitarismus: Im Umfeld der New York Intellectuals Im Mai 1941 erreichten Hannah Arendt und ihr Ehemann Heinrich Blücher Amerika.6 Mit dem Betreten des amerikanischen Kontinents ging eine Flucht zu Ende, die 1933 begonnen hatte und zu der gehörte, dass Arendt nach sieben Exiljahren in Paris ins Konzentrationslager Gurs deportiert worden war. Angekommen in New York, das wie keine andere Stadt das Schicksal deutsch-jüdischer Emigranten jener Zeit symbolisiert,7 standen sie vor der Aufgabe, ihr berufliches und soziales Leben neu zu organisieren. Um den Lebensunterhalt ihrer Familie zu sichern – seit Juni lebte auch Arendts Mutter Martha in der kleinen Wohnung in der 95. Straße, 317 West – und um an ihr vormaliges intellektuelles Leben anzuknüpfen, suchte Arendt in ihrer neuen Heimat nach Möglichkeiten, eigene Texte zu veröffentlichen. Nach ihrem ersten festen Arbeitsvertrag bei der deutsch-jüdischen Emigrantenzeitung Aufbau, für die sie eine Kolumne in deutscher Sprache verfasste,8 folgten bis Kriegsende ein Dutzend Zeitschriftenartikel, in denen sie sich mehrheitlich zu Themen äußerte, die sich – direkt oder indirekt – mit der Lage der Juden Europas befassten. Dazu kamen einige Vorarbeiten für ihr späteres Buch über den Totalitarismus, die in diesem Zeitraum gedruckt wurden. Arendts publizistisches Schaffen der frühen amerikanischen Jahre, in dem ihr scharfer Blick für historisch-politische Zusammenhänge wie auch ihre Kenntnis der deutschen Kultur und Philosophie im Besonderen zum Ausdruck kamen, blieb nicht ohne Wirkung. Anfang 1945 wurde der Herausgeber und Essayist Dwight Macdonald auf einen ihrer Aufsätze aufmerksam.9 Für einen Artikel in seiner Zeitschrift politics übernahm er Arendts Überlegungen zum Verhältnis von Schuld und Verantwortung im nationalsozialisti-

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Für diese und alle weiteren biografischen Angaben siehe Young-Bruehl, Hannah Arendt, hier 238. Siehe Eckart Goebel/Sigrid Weigel (Hgg.), »Escape to Life«. German Intellectuals in New York. A Compendium on Exile after 1933, Berlin/Boston, Mass., 2012. Die Artikel sind abgedruckt in Hannah Arendt, Vor dem Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung »Aufbau« 1941–1945, hg. von Marie Luise Knott, München/Zürich 2000. Bei dem Artikel handelt es sich um dies., Organized Guilt and Universal Responsibility, in: Jewish Frontier 12 (1945), H. 1, 19–23.

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schen Deutschland für seine eigene Argumentation.10 Macdonald war so von Arendt überzeugt, dass er sie drei Jahre später sogar als Mitherausgeberin für sein Magazin in Erwägung zog.11 Von einem etablierten Autor wie Dwight Macdonald Wertschätzung zu erfahren, der seit den Dreißigerjahren eine der Gallionsfiguren des intellektuellen Lebens Amerikas war,12 muss für die deutsch-jüdische Emigrantin von großer Bedeutung gewesen sein. Neben Macdonald, zu dem sie bald ein freundschaftliches Verhältnis entwickelte, kam Arendt durch ihre Arbeit beim Schocken-Verlag und ihr publizistisches Schaffen schnell mit anderen namhaften Leuten wie Irving Howe, Nathan Glazer und Alfred Kazin in Kontakt.13 Damit hatte sie schon vor Kriegsende an ein Umfeld Anschluss gefunden, das später als New York Intellectuals bekannt wurde.14 Jenes Umfeld entwickelte sich zur Schnittstelle zwischen Hannah Arendt und Melvin Lasky. Aufgrund der geografischen und zeitlichen Überschneidung sowie des Bezugs auf dieselben Personen, Texte und Themen kann man hier  – obwohl bislang kein Hinweis auf eine persönliche Begegnung der beiden vor 1945 vorliegt – von einer »indirekten« Zusammenkunft sprechen. Die heterogene, anfangs durch ihre trotzkistische, später konsensliberale Grundorientierung zusammenhängende Gruppe vornehmlich jüdischer Intellektueller avancierte in den Dreißigerjahren zur kulturellen und politischen Avantgarde der Vereinigten Staaten. Während die Eltern größtenteils noch der Welt des osteuropäischen Schtetls entstammten und in den USA als kleine Ladenbesitzer und Handwerker ihr Auskommen suchten, beschritten die Söhne – es handelte sich fast ausschließlich um Männer15 – den Weg ins

10 Dwight Macdonald, The Responsibility of Peoples, in: Politics, 2. März 1945, 82–93, zit. nach King, Arendt and America, 27–29. 11 Michael Wreszin, A Rebel in Defense of Tradition. The Life and Politics of Dwight Macdonald, New York 1994, 212. 12 John Rodden, Memorial for a Revolutionist. Dwight Macdonald, a Critical American, in: Society 44 (2007), 51–61, hier 51. 13 Young-Bruehl, Hannah Arendt, 280. 14 Zu den New York Intellectuals siehe Alexander Bloom, Prodigal Sons. The New York Intellectuals & Their World, New York/Oxford 1986; Alan M. Wald, The New York Intellectuals. The Rise and Decline of the Anti-Stalinist Left from the 1930s to the 1980s, Chapel Hill, N. C./London 1987; Terry A. Cooney, The Rise of the New York Intellectuals. »Partisan Review« and Its Circle, Madison, Wis., 1986. Siehe auch den Film von Joseph Dorman, Arguing the World. The New York Intellectuals in Their Own Words (Doku, USA, 1999). Für ihr Verhältnis zu Arendt, besonders nach ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess, siehe Rabinbach, Hannah Arendt und die New Yorker Intellektuellen. 15 Zur Maskulinität der New York Intellectuals sowie zur prekären Stellung der Frauen in jenem Umfeld siehe Ronnie A. Grinberg, Neither »Sissy« Boy Nor Patrician Man. New York Intellectuals and the Construction of American Jewish Masculinity, in: American Jewish History 98 (2014), H. 3, 127–151. Ich danke Nick Underwood (Boulder, Col.) für diese Literaturempfehlung.

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Zentrum der amerikanischen Intellektuellenszene.16 Obwohl ihrem Selbstverständnis nach zunächst überzeugte Kommunisten, nahmen sie nach den Moskauer Schauprozessen, den darauffolgenden Massenhinrichtungen und den sowjetischen »Säuberungen« im Spanischen Bürgerkrieg eine dezidiert antistalinistische Haltung an. Wichtigstes Sprachrohr dieses Milieus war die Zeitschrift Partisan Review.17 Zu den Herausgebern des 1937 im Zeichen des Antistalinismus neu gegründeten Magazins gehörte neben Dwight Macdonald und den Literaturkritikern Philip Rahv und William Phillips kurzzeitig auch Hannah Arendts spätere enge Freundin Mary McCarthy.18 Erklärtes Ziel der Zeitschrift war es, eine Brücke zwischen unorthodoxem Marxismus und literarischer Avantgarde zu schlagen.19 Zur eifrigen Leserschaft des Blattes zählte eine Gruppe junger Leute, die sich Ende der Dreißigerjahre am New Yorker City College heftige Diskussionen mit Anhängern der stalinistischen Linken lieferte.20 Diese überwiegend dem Trotzkismus nahestehenden Studenten trafen sich regelmäßig in »Alcove No. 1«, ihrer angestammten Sitzecke in der Kantine des City College. Hier diskutierten sie über die Volksfront in Frankreich, den amerikanischen New Deal und Karl Marx.21 Die Zeitschrift von Macdonald, Rahv und Phillips bildete dabei ihren wichtigsten Bezugspunkt. »Partisan Review«, erinnerte sich der spätere Soziologe Daniel Bell, »was the place we wanted to publish. Appearing in Partisan Review was a sign of acceptance.«22 Mit von der Partie in diesem politisierten Milieu des City College war auch ein ehrgeiziger Student der Sozialwissenschaften: Melvin J. Lasky. Der am 15. Januar 1920 geborene Sohn jüdisch-polnischer Immigranten zeigte

16 Bloom, Prodigal Sons, 4. Zum soziokulturellen Milieu der ostjüdischen Einwanderer in New York siehe Gerald Sorin, Art. »New York«, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von Dan Diner, 7 Bde., Stuttgart 2011–2017 (nachfolgend EJGK), hier Bd. 4, Stuttgart 2013, 358–364. 17 Andere Zeitschriften, um die sich die New York Intellectuals gruppierten, waren der von Elliot Cohen und später von Norman Podhoretz herausgegebene Commentary, dessen liberale Orientierung sich im Kalten Krieg zugunsten neokonservativer Positionen verschob, sowie der sozialdemokratisch ausgerichtete New Leader und Macdonalds politics. 18 Mary McCarthy, die zu diesem Zeitpunkt mit Philip Rahv liiert war, gab nach der Neugründung die ersten drei Ausgaben des Partisan Review mit heraus. 19 Siehe das programmatische Editorial von 1937: [O. A.], Editorial Statement, in: Partisan Review 4 (1937), H. 1, 3 f. 20 Cooney, The Rise of the New York Intellectuals, 226. Zur Bedeutung jener Bildungsinstitution für die New York Intellectuals siehe Julian Levinson, Art. »City College«, in: EJGK, Bd. 1, Stuttgart 2011, 502–505. 21 Siehe Maren M. Roth, Melvin J. Lasky – Intellektueller Agent. Vom jüdischen Trotzkisten zum antikommunistischen Kulturkrieger, in: dies./Charlotte A. Lerg (Hgg.), Cold War Politics. Melvin Lasky. New York – Berlin – London, München 22012, 6–13, hier 7. 22 Zit. nach Bloom, Prodigal Sons, 81.

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schon in seiner frühen Jugend großes Interesse an kulturellen und politischen Fragen.23 Neben regelmäßiger Zeitungslektüre und hitzigen Diskussionen über die Geschehnisse in Europa gehörten die deutsche Sprache und Kultur zum Familienalltag der Laskys. In seiner Zeit am City College, das er von 1935 bis 1939 besuchte, kam der junge Student durch seine Kommilitonen Irving Howe, Irving Kristol, Daniel Bell und Seymour Martin Lipset in Kontakt mit den New York Intellectuals. Seinen ersten eigenen Beitrag im Partisan Review, einer Rezension von Henri Pirennes A History of Eu­rope, publizierte er während seines letzten Collegejahrs.24 Dem trotzkistischen Standpunkt, den er darin vertrat – er »entlarvte« den belgischen Historiker als Ideologen der fortschrittlichen Bourgeoisie25 – blieb er auch noch während seiner Abschlussarbeit an der University of Michigan treu, einer Interpretation des amerikanischen Bürgerkrieges unter Rückgriff auf Lenin und Trotzki.26 Solche linken Positionen sollten innerhalb der New York Intellectuals jedoch schon bald einer Revision unterzogen werden. Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg brach sich ein Gesinnungswandel Bahn, der frühere Trotzkisten wie Lasky vom Kommunismus entfernte. Angesichts des drohenden Sieges des Faschismus sahen sich die Linksintellektuellen gezwungen, die Alliierten im Kampf gegen Nazideutschland zu unterstützen – selbst wenn dadurch die entschiedene Parteilosigkeit früherer Jahre sowie die ablehnende Haltung gegenüber der US-Regierung aufgegeben werden mussten.27 Am folgenreichsten war letztendlich die neue Sicht auf ihr Heimatland: Amerika wurde für die New York Intellectuals zur Projektionsfläche für ihre kulturpolitischen Ziele.28 In dieser Phase der ideologischen Neuorientierung kam Hannah Arendt in Tuchfühlung mit den New York Intellectuals. Aus deren Sicht erhob sich 23 Zu Laskys Biografie siehe Roth, Melvin J. Lasky – Intellektueller Agent; Michael Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen, München 1998, 151. 24 Melvin J. Lasky, The Pirenne Thesis (Rezension zu Henri Pirenne, A History of Europe. From the Invasions to the XVI Century), in: Partisan Review 6 (1939), H. 3, 123–125. Zu den »Pirenne-Thesen« siehe Dan Diner, Neutralisierung durch »Gesellschaft«. Henri Pirennes »Muhammed und Karl der Große«, in: ders., Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten, München 2003, 79–112. 25 Lasky, The Pirenne Thesis, 125. 26 Siehe Wald, The New York Intellectuals, 277. Wald weist darauf hin, dass sich Lasky dort auch als kommunistischer Agitator betätigte und dadurch etwa den Schriftsteller Harvey Swados zum Trotzkismus bekehrte. Ebd., 334. 27 Bloom, Prodigal Sons, 131–133. 28 Diese neue Sicht auf die Vereinigten Staaten kam beispielhaft im Symposium Our Country and Our Culture zum Ausdruck, das 1952 in drei Ausgaben des Partisan Review erschien. Siehe Partisan Review 19 (1952), H. 3, 282–326; ebd., H. 4, 420–450; ebd., H. 5, 562–597.

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die Stimme der Europäerin zur rechten Zeit, verschaffte sie ihnen doch mit ihrem aus eigener Erfahrung gespeisten und in der kontinentalen Philosophie geschulten Denken ein Instrument, mit dem sie ihren Wandel vom Antistalinismus der Dreißigerjahre zum Antitotalitarismus im Kalten Krieg vollziehen konnten. Einen Vorgeschmack dessen lieferte Arendts erste, im Herbst 1944 veröffentlichte Arbeit über Franz Kafka.29 Mit diesem Aufsatz gelang ihr zweierlei: Indem sie ihrem amerikanischen Publikum einen Autor vorstellte, der in den USA zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich unbekannt war, trat sie als Vermittlerin zwischen Alter und Neuer Welt auf.30 Noch bedeutsamer war jedoch, dass Arendt in dem Text erstmals versuchte, das Wesen totaler Herrschaft zu durchdringen. Sie sah den Grund für die Verlassenheit, die allen Helden Kafkas gemein ist, in einer Ideologie, die das Weltgeschehen in ein Korsett blinder Notwendigkeit zwängt.31 Da Kafkas Protagonisten stets einer unabänderlichen Ordnung gegenüberstehen, sei ihnen jedwede Möglichkeit zum Handeln versagt.32 Durch diesen Essay machte Arendt die Leserschaft des Partisan Review mit einem Grundgedanken ihres Totalitarismus-Verständnisses vertraut, dessen umfassende Darstellung jedoch noch sieben Jahre auf sich warten lassen sollte: dem terroristischen Gehalt des Notwendigkeitsdenkens.33 Arendts Überlegungen fielen in ihrem New Yorker Umfeld durchaus auf fruchtbaren Boden. In einem Artikel aus den frühen Fünfzigerjahren übertrug Dwight Macdonald ihre Gedanken zu Kafka auf die Sowjetunion: »The Castle has taken shape as the Kremlin, millions of people have been condemned to death like K in The Trial, without even being able to discover what they are accused of.«34 In den Kriegs- und frühen Nachkriegsjahren veröffentlichte Arendt zwölf Essays, die den Totalitarismus zum Gegenstand hatten  – allein vier davon im Partisan Review. Als schließlich ihr monumentales Werk The Origins of

29 Hannah Arendt, Kafka. A Revaluation. On the Occasion of the Twentieth Anniversary of His Death (1944), in: dies., Essays in Understanding, 1930–1954, hg. von Jerome Kohn, New York/San Diego, Calif./London 1994, 1930–1954, hier 69–80. 30 Siehe Young-Bruehl, Hannah Arendt, 275. Dort wird auch die Anekdote erzählt, auf einer Party habe einmal jemand aus dem Partisan-Umfeld Arendt gefragt, wer »Francis« Kafka sei. 31 Arendt, Kafka, 70. 32 Einige Jahre später, in ihrem Buch The Human Condition, wird das Handeln zum eigentlichen Kern ihrer politischen Philosophie. Siehe dies., Vita activa oder Vom tätigen Leben, München/Berlin/Zürich 172016 (zuerst engl. 1958). 33 Sowohl im Nationalsozialismus als auch im Kommunismus sieht Arendt eine Ideologie der Notwendigkeit am Werk, die sich in der Verabsolutierung von Natur bzw. Geschichte ausdrückt. Siehe dies., Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft, München/Berlin/Zürich 192016, hier 955 (zuerst engl. 1951; dt. 1955). 34 Zit. nach Wreszin, A Rebel in Defense of Tradition, 255.

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Totalitarianism 1951 erschien, waren ihr Aufmerksamkeit und Hochachtung vonseiten der New York Intellectuals gewiss.35 Ihr entschiedenes Votum für die liberale Demokratie gepaart mit der intellektuellen Qualität ihres Denkens führte dazu, dass sie Anfang der Fünfzigerjahre zum zentralen Bezugspunkt dieser Intellektuellen avancierte.36 Durch die vielen neuen Bekanntschaften und den Zuspruch, den sie nach den prekären Jahren im französischen Exil erfuhr, war Arendt, wie ihre Biografin Elisabeth Young-Bruehl schildert, erregt und auch ein wenig überwältigt.37 Das Interesse, das jener Personenkreis Hannah Arendts Arbeiten zum Totalitarismus entgegenbrachte, hing mit der schon angesprochenen Verschiebung seiner politischen Grundsätze zusammen: Anfang der Fünfzigerjahre war die Metamorphose der New York Intellectuals von kommunistischen Antistalinisten hin zu Vertretern eines im amerikanischen Konsensliberalismus verwurzelten Antitotalitarismus größtenteils vollzogen. Zu Beginn des Kalten Krieges hatten sie sich vollends von ihren antikapitalistischen Grundsätzen verabschiedet und die Gegnerschaft zum Totalitarismus als neuen Orientierungspunkt gewählt.38 Nun galt es nicht mehr, eine marxistische Gesellschaftsutopie zu verwirklichen, sondern die »kulturelle Freiheit« gegenüber der totalitären Bedrohung zu verteidigen, die nun gleichermaßen in den Regimen Hitlers und Stalins verortet wurde. Vor diesem Hintergrund schien Hannah Arendts Totalitarismus-Buch den New York Intellectuals eine zur rechten Zeit kommende Bestätigung, mit der sich die Gleichartigkeit von Kommunismus und Nationalsozialismus belegen ließ – auch für Melvin Lasky wurde The Origins of Totalitarianism ein wichtiger Referenzpunkt seines Antitotalitarismus.39 Und tatsächlich: Arendt stellte in dem Werk die Verwandtschaft beider Systeme heraus, die in deren ideologischer Form  – dem Notwendigkeitsdenken  – und in ihrer terroristischen Herrschaftspraxis  – versinnbildlicht im Lager, das heißt dem nationalsozialistischen Konzentrations- und Ver35 Am eindrücklichsten kommt dies vielleicht in der Erinnerung Norman Podhoretz’ zum Ausdruck, des späteren Herausgebers des antikommunistischen Commentary, der die Veröffentlichung von The Origins of Totalitarianism als junger Student an der Columbia University erlebte: »Reading it threw me into so fevered a condition of intellectual exhilaration that I had to keep putting it down every few pages in order to regain the composure to go on«. Zit. nach Benjamin Balint, Running Commentary. The Contentious Magazine that Transformed the Jewish Left into the Neoconservative Right, New York 2010, 103. Arendts Popularität reichte zu diesem Zeitpunkt sogar so weit, dass sie auf dem Cover des Magazins Saturday Review abgebildet wurde. Siehe King, Arendt in America, 13. 36 Ebd., 12 f.; Bloom, Prodigal Sons, 219 und 381. 37 Young-Bruehl, Hannah Arendt, 280 f. 38 Wald, The New York Intellectuals, 311 f. 39 So z. B. in Melvin J. Lasky, Why the Kremlin Extorts Confessions. The Most Jealous God, the Cruelest Inquisition, in: Commentary 13 (1952), H. 1, 1–6, hier 4.

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nichtungslager und dem sowjetischen Gulag-System – bestehe.40 Vor diesem Hintergrund votierte sie für den bürgerlichen Rechtsstaat und gegen die totalitäre Willkürherrschaft.41 Nichtsdestotrotz bedeutete es eine grobe Vereinfachung, ihre Analyse der totalitären Herrschaft mit dem Antitotalitarismus der New York Intellectuals gleichzusetzen. Zu große Unterschiede bestanden hinsichtlich Ausgangspunkt und Anlage des jeweiligen Denkens. Für Arendt, die 1943 durch die Nachrichten über die nationalsozialistischen Vernichtungslager zutiefst erschüttert worden war, bildete das Entsetzen über den Mord an den europäischen Juden das »emotionale Schockzentrum« ihres Totalitarismus-Buches, wie es Eric Voegelin richtig beobachtet hat.42 Die New York Intellectuals hingegen thematisierten Antisemitismus und Judenverfolgung während des Zweiten Weltkrieges und auch danach nur am Rande.43 Stattdessen lag ihrem politischen Denken seit Mitte der Dreißigerjahre die Gegnerschaft zum Stalinismus zugrunde. Dementsprechend sahen sie in Arendts Totalitarismustheorie weniger einen Beitrag zur Analyse der nationalsozialistischen Herrschaft, sondern vielmehr ein wertvolles Mittel im Kampf gegen den Kommunismus – eine Lesart, die der Anlage des Werkes kaum entspricht. Darüber hinaus beobachtete Arendt die Verwandlung vieler New York Intellectuals von linken hommes de lettres zu tatkräftigen Unterstützern der offiziellen amerikanischen Politik mit Skepsis. Antikommunisten, die bereit waren, freiheitlich-demokratische und soziale Rechte zugunsten ihrer politischen Überzeugung aufzugeben, erregten ihr Misstrauen. Schließlich war sie überzeugt, dass die Elemente totaler Herrschaft auch in demokratischen Gesellschaften heranreifen und sich an neuralgischen Punkten kristallisieren können – in The Origins of Totalitarianism verdeutlicht sie dies am Umgang der westeuropäischen Nationen mit staatenlosen Ausländern.44 Somit könne die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und politischer Zugehörigkeit nicht einfach hintangestellt werden. Als am Beginn des Kalten Krieges in ihren Augen »einige Antitotalitaristen bereits damit begannen, gewisse ›kleinere

40 Siehe Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, bes. 907–943 und 955. 41 Siehe z. B. ebd., 957. 42 Eric Voegelin, Die Ursprünge des Totalitarismus (1953), in: Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Über den Totalitarismus. Texte Hannah Arendts aus den Jahren 1951 und 1953, aus dem Engl. übertragen von Ursula Ludz, Kommentar von Ingeborg Nordmann, Dresden 1998, 33–42, hier 35. 43 Bloom, Prodigal Sons, 137 f.; Rabinbach, Hannah Arendt und die New Yorker Intellektuellen, 42. Ausschlaggebend dafür, dass Anfang der 1960er Jahre innerhalb der Gruppe eine Beschäftigung mit dem Holocaust einsetzte, war interessanterweise auch Hannah Arendts Bericht über den Jerusalemer Eichmann-Prozess; siehe ebd. 44 Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 598 f.

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Übel‹ zu loben«,45 trat sie für einen Antitotalitarismus ein, der Missstände im eigenen Lager nicht ausblendete. Somit war New York also nicht nur Begegnungsort, sondern auch Produktionsstätte von Begriffen, Biografien und Institutionen, die im Kalten Krieg eine wichtige Rolle spielen sollten.46 Aus den Reihen der New York Intellectuals rekrutierten sich zahlreiche überzeugte Antikommunisten, die ab den späten Vierziger- beziehungsweise während der Fünfzigerjahre in zwei zentralen Institutionen des westlichen Lagers, der Zeitschrift Der Monat und dem CCF, aktiv waren.47 Hannah Arendts Totalitarismustheorie, deren Veröffentlichung mit der politischen Neuorientierung jener Intellektuellengemeinde zusammenfiel, bildete einen wichtigen Bezugspunkt für diese Gruppe, wenngleich in der Bewertung des Nationalsozialismus und der Konzeption des Antitotalitarismus Unterschiede zu Arendt bestanden. Melvin Lasky, dessen eigentliche Karriere erst außerhalb New Yorks einsetzte, war Teil jenes New Yorker Umfelds und kam so auch mit dem Denken der politischen Theoretikerin in Berührung. Der erste tatsächliche Kontakt zwischen Arendt und Lasky ereignete sich jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Zwischen Reflexion und Propaganda: Zusammenarbeit in der Zeitschrift Der Monat Unmittelbar nach dem Kriegsende, der Sieg über das nationalsozialistische Deutschland war noch keine drei Monate alt, kam es im amerikanisch besetzten Heidelberg zu einem Gespräch über die New York Intellectuals. Initiator des Dialogs war Melvin Lasky, sein Gegenüber der Philosoph Karl Jaspers, das Thema unter anderem Jaspers ehemalige Schülerin Hannah Arendt. Lasky, der wie viele seiner ehemaligen Kommilitonen am City College im November 1943 den Einberufungsbefehl für die US-Armee erhalten hatte, war Anfang 1945 als Oberleutnant der amerikanischen Streitkräfte in Frankreich angekommen und zusammen mit der 7.  US-Armee in Deutschland einmarschiert.48 In seiner Funktion als Armeehistoriker hatte er die Kämpfe 45 »Some anti-totalitarians have already started even to praise certain ›lesser evils‹.« Dies., The Eggs Speak Up, in: dies., Essays in Understanding, 1930–1954, 270–284, hier 272. 46 Siehe auch Anson Rabinbach, Begriffe aus dem Kalten Krieg. Totalitarismus, Antifaschismus, Genozid, Göttingen 2009. 47 Von rund dreißig New York Intellectuals gehörten zwei Drittel dem Congress for Cultural Freedom bzw. seinem amerikanischen Ableger an. Siehe Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 85, Anm. 81. 48 Roth, Melvin J. Lasky – Intellektueller Agent, 9.

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seiner Einheit zu dokumentieren und Befragungen von Soldaten und einheimischer Bevölkerung durchzuführen. Seine Eindrücke aus dem eroberten Feindesland, dessen Kultur er seit früher Jugend schätzte und nun, als Soldat, mit eigenen Augen bestaunen konnte, hielt er in einem Kriegstagebuch fest.49 Lasky, der sich in der Armee eher als Intellektueller denn als Soldat verstand, wollte die Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen, während seiner Stationierung die lebenden Vertreter der deutschen Kultur persönlich kennenzulernen. So kam es am 25. Juli 1945 zum ersten Besuch bei Jaspers, dem viele weitere folgen sollten.50 Während des ersten Treffens überreichte Lasky dem Professor mehrere Ausgaben der New Yorker Zeitschrift politics. Zufrieden berichtete er dem befreundeten Herausgeber Dwight Macdonald, dass Jaspers nach Jahren der geistigen Dürre über den kritischen und unabhängigen Geist des Blattes hocherfreut gewesen sei.51 Noch enthusiastischer äußerte sich der Philosoph über den Partisan Review, den ihm Lasky geborgt hatte: »als ob die Welt wieder aufgehe, in der man miteinander reden und diskutieren kann«.52 In einem der in politics erschienenen Artikel taucht auch der Name Hannah Arendt auf – für den Philosophen die erste Begegnung mit seiner ehemaligen Studentin und Freundin, seitdem er 1938 das letzte Mal von ihr gehört hatte. Karl Jaspers und seine Frau Gertrud baten Lasky, ihrer Bekannten Grüße auszurichten, was dieser über sein Schreiben an Macdonald auch tat. In den folgenden Monaten erwies sich der junge Offizier für Hannah Arendt als wertvolle Brücke zwischen Ostküste und Westdeutschland. Er berichtete ihr nicht nur über den Verbleib ihres alten Freundes Hans Jonas, den er eines Abends zufällig in einem Gasthaus in Göttingen getroffen hatte;53 seine Briefe, in denen er den Alltag im Hause Jaspers schildert, waren

49 Melvin  J. Lasky, »Und alles war still«. Deutsches Tagebuch 1945, hg. und mit einem Nachwort versehen von Wolfgang Schuller, aus dem Engl. von Christa Krüger und Henning Thies, Berlin 2014. So nutzte Lasky direkt nach Kriegsende die Gelegenheit, Sehenswürdigkeiten wie das zerstörte Goethehaus in Frankfurt zu besuchen. Roth, Melvin J. Lasky – Intellektueller Agent, 9. 50 Wolfgang Schuller, Bücher und Philosophen. Lt. Melvin J. Lasky in Heidelberg, in: Lerg/ Roth (Hgg.), Cold War Politics, 14–17, hier 15. In seinem ersten Brief an Arendt berichtet Jaspers davon, dass er und Lasky »Freunde geworden« seien. Jaspers an Arendt, 28. Oktober 1945, in: Hannah Arendt/Karl Jaspers, Briefwechsel. 1926–1969, hg. von Lotte Köhler und Hans Saner, München/Zürich 22001, 57. 51 Archiv des Lasky Center for Transatlantic Studies (nachfolgend ALC), Lasky an Dwight Macdonald, 31. Juli 1945. Das Archiv bafand sich zum Zeitpunkt der Recherche noch im Aufbau, deshalb stehen die entsprechenden Quellen hier und im Folgenden ohne Signatur. 52 Jaspers an Arendt, 2. Dezember 1945, in: Arendt/Jaspers, Briefwechsel, 63 53 ALC, Lasky an Arendt, 8. September 1945.

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für Arendt ein Fenster zur neuen Lebensrealität ihrer alten Bekannten.54 Da Lasky als Mitglied der Besatzungsarmee einen privilegierten Status genoss, schickte Arendt über ihn einen Großteil der mit Konserven, Zigaretten und Lektüre gefüllten Verpflegungspakete für ihre deutschen Freunde.55 Ohne dass sich die beiden je persönlich getroffen hatten, entwickelte sich im ersten Nachkriegsjahr zwischen ihnen eine Korrespondenz, in der sich einerseits die Verehrung und Hochachtung des jungen Offiziers gegenüber der Philosophin widerspiegelt und andererseits Arendts Dankbarkeit für dessen Hilfe zum Ausdruck kommt: »I don’t know how many drinks I shall owe you when you finally will arrive in person«, schrieb sie an ihren amerikanischen Helfer.56 Der Kontakt brach jedoch im Laufe des Jahres 1946 ab und wurde erst zwei Jahre später von Lasky wieder aufgenommen. In der Zwischenzeit hatte sich viel verändert. Lasky war nicht mehr der frisch ins Land gekommene Soldat, sondern hatte sich unter den deutschen Intellektuellen sowie bei den amerikanischen Besatzungsbehörden einen Namen gemacht. Ausschlaggebend hierfür war sein Auftritt beim Ersten Deutschen Schriftstellerkongress vom 4. bis 8. Oktober 1947 in Berlin.57 Der Kongress markierte ein wichtiges Ereignis in der Geschichte des Kalten Krieges. Er verfestigte die Lagerbildung innerhalb der deutschen Intellektuellen, wodurch die Idee eines vereinten Deutschlands unterlaufen wurde und sich die Systemkonkurrenz zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion als entscheidendes Ordnungsmuster durchsetzen konnte.58 Um dem geschlossenen Auftreten der moskautreuen Schriftsteller etwas entgegenzusetzten, die sich um den Schriftsteller Johannes R. Becher gruppierten, wurde am dritten Veranstaltungstag auf Anregung der Kulturabteilung der amerikanischen Militärverwaltungsbehörde OMGUS der nahezu unbekannte Korrespondent von Partisan Review und New Leader, Melvin Lasky,

54 »Lasky schreibt hin und her von den Vorlesungen des ›Professors‹, wie er ihn [Karl Jaspers] so schön nennt. Das berührt mich immer sehr.« Arendt an Gertrud Jaspers, 22. April 1946, in: Arendt/Jaspers, Briefwechsel, 74. 55 Neben dem Ehepaar Jaspers zählten zu den Empfängern u. a. Marianne Weber, die Ehefrau des verstorbenen Max Weber, sowie Dolf Sternberger, der spätere Herausgeber der Zeitschrift Die Wandlung. 56 ALC, Arendt an Lasky, 22. April 1946. 57 Zum Kongress siehe Ursula Reinhold/Dieter Schlenstedt, Vorgeschichte, Umfeld, Nachgeschichte des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses, in: dies./Horst Tanneberger (Hgg.), Erster Deutscher Schriftstellerkongreß. 4.–8. Oktober 1947. Protokolle und Dokumente, Berlin 1997, 13–76; für die Beobachtung eines Teilnehmers siehe Hans Mayer, Der Turm von Babel. Erinnerungen an eine Deutsche Demokratische Republik, Frankfurt a. M. 1991, 195–197. 58 Siehe Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 139.

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spontan auf die Rednerliste gesetzt.59 In seiner Rede gab Lasky dem »Gefühl des Entsetzens und der Furcht vor der totalitären Gesellschaft« Ausdruck, die unter heutigen Kulturschaffenden herrschen – ein im Zusammenspiel mit seiner Betonung der in Amerika geltenden Freiheiten unmissverständliches Signal in Richtung der ostdeutschen Delegierten.60 Er hob die Bedeutung des Schriftstellers für den »Kampf um die kulturelle Freiheit« hervor und bekundete seine Solidarität mit den in der Sowjetunion unterdrückten Künstlern.61 Diese offene Attacke gegen den anwesenden Becher-Kreis und die Angehörigen der sowjetischen Behörden führte zu einem (wahrscheinlich von der amerikanischen Seite bewusst kalkulierten) Eklat: Lasky, dessen Rede aufgrund lauten Protests unterbrochen werden musste, wurde, nachdem die Delegation der Sowjetischen Militäradministration geschlossen den Saal verlassen hatte, von kommunistischen Delegierten als »lebendige[r] Kriegsbrandstifter« bezeichnet und in eine Reihe mit Joseph Goebbels gestellt.62 Lasky selbst jedoch hatte damit seine Eignung als kulturpolitischer Vorkämpfer für den antikommunistischen Kurs der Vereinigten Staaten unter Beweis gestellt. Als Journalist, der enge Kontakte zu Intellektuellen auf beiden Seiten des Atlantiks pflegte und sich sowohl als überzeugter Antikommunist erwies als auch im Konsensliberalismus der New York Intellectuals zu Hause war, schien Melvin Lasky der ideale Kandidat für die amerikanischen Pläne einer umfassenden antisowjetischen Propagandakampagne zu sein. Eine solche war aus Sicht der US-Behörden notwendig geworden, zeigte doch das schon deutlich früher einsetzende kulturpolitische Engagement der Sowjets und ihrer fellow-travellers, dass das kulturelle Leben ein entscheidendes Betätigungsfeld im Kampf zwischen den weltanschaulichen Systemen darstellte.63 Deutschland wurde dabei sowohl von sowjetischer als auch von amerikanischer Seite als wichtiger Schauplatz betrachtet, weshalb sich dort ein großer Teil der Aufmerksamkeit und der finanziellen Mittel konzentrierte. Vor dem Hintergrund des erfolgreichen Auftretens der moskautreuen Autoren auf dem Schriftstellerkongress von 1947 initiierte General Lucius Clay unmittelbar im Anschluss die Operation »Talk Back«, mit der er versuchte, einen proamerikanischen, der liberalen Demokratie verpflichteten Wertekonsens in

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Ebd., 141 f. Reinhold/Schlenstedt/Tannenberger (Hgg.), Erster Deutscher Schriftstellerkongreß, 296. Ebd., 299 f. Ebd., 336. Für eine eindrückliche Schilderung der Rede Laskys und der Reaktionen aus dem Publikum siehe Jack Raymond, America’s Free Speech Defense Causes Uproar in Berlin Meeting. Melvin J. Lasky, Journalist, in Convention Sponsored by Russians, Angers the Reds with Attack on Totalitarianism, in: New York Times, 8. Oktober 1947, 16. 63 Siehe Gienow-Hecht, Culture and the Cold War in Europe, 399–401.

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der deutschen Bevölkerung zu verankern.64 Zum zentralen Bestandteil dieser neuen Strategie der re-orientation gehörte die Gründung von Zeitschriften, mit denen die deutsche Öffentlichkeit – vor allem in den Westzonen – von der Überlegenheit amerikanischer Werte überzeugt werden sollte. Vermutlich schon Ende 1947 entstand der Plan, ein Periodikum zu gründen, das sich speziell an eine belesene, an kulturellen und politischen Fragen interessierte Leserschaft richtete. Damit war die Idee zur Zeitschrift Der Monat geboren. Für deren Leitung nahm man Melvin Lasky in den Blick.65 In einem Brief an Arendt präsentierte Lasky seine Pläne für dieses neue, von den Vereinigten Staaten finanzierte deutschsprachige Magazin mit politisch-kultureller Ausrichtung.66 Davon, dass das Projekt die offizielle Unterstützung von General Clay besaß und einem klar definierten politischen Zweck diente, sprach er freilich nicht. Stattdessen warb er nachdrücklich um Arendts Mitarbeit, da sie zu den wenigen Menschen jenseits des Atlantiks gehöre, die wüssten, welche Art von Artikeln sich für die Veröffentlichung in Deutschland eigne. Aus der Bemerkung, dass es ihr völlig offenstehe, jegliche Art von Beitrag einzusenden, wird Laskys unbedingter Wunsch ersichtlich, sie von Anfang an als Autorin zu gewinnen. Die erste, 1948 publizierte Ausgabe des Monat erschien jedoch ohne einen Artikel von Hannah Arendt. Gleichwohl hatte Lasky, der zusammen mit dem Journalisten Hellmut Jaesrich die Redaktion leitete, namhafte Autoren, etwa den Philosophen Bertrand Russell und den Historiker Arnold J. Toynbee, gewinnen können. Schon hier zeichnete sich die Charakteristik der Zeitschrift ab, die unter der Ägide Laskys stets Plattform für renommierte Intellektuelle aus aller Welt sein wollte. Das Zusammenbringen von literaturkritischen Essays und Artikeln zu politischen Fragen sowie der um gute Lesbarkeit bemühte Sprachstil verweisen offenkundig auf die Zeitschriften der New York Intellectuals, die sich Lasky zum Vorbild genommen hatte.67 Dass die weltläufige Ausrichtung des Blattes bei dessen Zielgruppe  – dazu zählten neben dem sich links der Mitte verortenden Bildungsbürgertum Schüler und Studenten sowie liberale Protestanten und Sozialdemokraten – positiven An64 Marko Martin, »Eine Zeitschrift gegen das Vergessen«. Bundesrepublikanische Traditionen und Umbrüche im Spiegel der Kulturzeitschrift »Der Monat«, Frankfurt a. M. 2003, 17. 65 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 149 f. Neben dem Monat gründete die amerikanische Information Service Division drei weitere Zeitschriften; siehe Birgit Bödeker, Amerikanische Zeitschriften in deutscher Sprache 1945–1952. Ein Beitrag zur Literatur und Publizistik im Nachkriegsdeutschland, Frankfurt a. M. 1993, 60. 66 »American sponsored, in the German language, and political and cultural in character.« ALC, Lasky an Arendt, 15. Juni 1948. 67 In der Rückschau bestätigte Lasky die Vorbildfunktion von Partisan Review, Commentary und anderen Zeitschriften der New York Intellectuals für den Monat. Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 149, Anm. 400.

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klang fand, lässt sich an der Auflagenhöhe festmachen: Die 60 000 Exemplare der ersten Nummer verkauften sich in kürzester Zeit.68 Auch wenn die Zusammensetzung der Autorinnen und Autoren, die aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern kamen, sowie die schiere Anzahl intellektueller Prominenz – neben George Orwell, Albert Camus und JeanPaul Sartre schrieben auch Golo Mann, Isaiah Berlin und Theodor W. Adorno für das Blatt – in der nachkriegsdeutschen Presselandschaft ihresgleichen suchten, darf der Monat nicht als bloßes Kulturmagazin missverstanden werden. Vielmehr hatte Lasky stets den Anspruch, seine Zeitschrift als ideologisches Instrument im Kampf gegen den seiner Ansicht nach freiheitsbedrohenden Kommunismus einzusetzen.69 Für ihn spielte sich der große Konflikt seiner Zeit »zwischen einer geschlossenen Gesellschaftsform ab, in der das Individuum ein bloßes Rädchen im Getriebe eines totalitären Staates ist, und einer offenen, in der jeder Einzelne für seine Ideale und Vorstellungen kämpfen kann«.70 Gemäß dem Grundsatz eines »demokratischen Humanismus«71 sollte der Monat den Antikommunismus nicht nur aus der Ferne kommentieren, sondern durch seinen Einfluss auf intellektuelle Debatten im Sinne eines liberaldemokratischen Antitotalitarismus aktiv mitgestalten.72 Aus Sicht der US-Behörden, die den Monat in den ersten Jahren finanzierten, war die Zeitschrift mit diesem Vorhaben durchaus erfolgreich: Im August 1949 stellte der amerikanische Militärgouverneur fest, dass die vielen kommunistischen Diffamierungsversuche des Blattes von dessen Effektivität und Popularität zeugten.73 Welche Rolle spielte nun Hannah Arendt für die publizistische Arbeit der Zeitschrift? Die Reaktion der Philosophin auf die Offerten des Chefredakteurs war zunächst eher verhalten: Zwar versuchte Lasky mit Nachdruck,

68 Bödeker, Amerikanische Zeitschriften in deutscher Sprache 1945–1952, 157. Während der nächsten Ausgaben erreichte die Auflage dann eine durchschnittliche Höhe von ca. 20  000 Exemplaren. In einem Spiegel-Artikel von 1954 wird der Monat als »die wohl beste politischliterarische Monatsschrift, die gegenwärtig in deutscher Sprache erscheint«, bezeichnet. [O. A.], Umzug ins Privatquartier, in: Der Spiegel, 13. Oktober 1954, 37 f., hier 37. 69 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 175. 70 Lasky, [Antwort auf Leserbrief], in: Der Monat 2 (1949/50), H. 16, 443. 71 Ders., [Antwort auf Leserbrief], in: Der Monat 1 (1949), H. 4, 126. 72 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 156. Ein Heraushalten aus dem Konflikt zwischen »freier Welt« und Kommunismus war für Lasky keine Option: »In the present context of the world struggle it does seem to me that any ›neutrality‹ converts to ›compromise‹. For all the deficiencies of the Western way of life, the conflict of today does represent the difference between a (relatively) free world and a (terribly) enslaved world. […] How can one be neutral on the issue of freedom?« Lasky an Noel Brailsford, 8. Juli 1949, zit. nach ebd., 156, Anm. 433. 73 Bödeker, Amerikanische Zeitschriften in deutscher Sprache 1945–1952, 188.

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Arendt zu einem Beitrag in seinem Magazin zu bewegen,74 auch kam es in den nächsten Jahren zu freundschaftlichen Treffen in Berlin.75 Doch erst nach wiederholter Nachfrage erhielt er von ihr die Zusage für ein kurzes Stück über Bertolt Brecht und sie schlug vor, einen Essay über einen ihrer Freunde, den Schriftsteller Hermann Broch, einzureichen.76 Aus Laskys Briefen geht hervor, dass Arendts Urteil trotz dieser Zurückhaltung einen hohen Stellenwert für die Zeitschrift besaß – mehrmals bat er sie um Kritik und Vorschläge.77 Der Broch-Aufsatz, in dem Arendt die Bedeutung des Schriftstellers für den modernen Roman würdigt, war ihre erste Veröffentlichung im Monat.78 Zwischen 1949 und 1968 erschienen sieben weitere Beiträge von ihr in Laskys Zeitschrift. Bei drei Artikeln handelte es sich um spätere Kapitel aus Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, der 1955 veröffentlichten deutschen Übersetzung ihres Totalitarismus-Buches von 1951.79 Vergleicht man Arendts Ausführungen zur Totalitarismustheorie mit thematisch verwandten Beiträgen anderer Autoren in der Zeitschrift, springt ihre Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung von Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus ins Auge. Zwar arbeitet sie in ihren Analysen durchweg ähnliche Strukturmerkmale für beide Staaten heraus, etwa hinsichtlich des 74 Library of Congress, Washington, D.  C., Hannah Arendt Papers Series (nachfolgend HAP), Correspondence, 1938–1976, Box 31, Lasky an Arendt, 18. Juni 1948; ebd., Lasky an Arendt, 29. September 1948. 75 »Gestern bei Lasky im ›Monat‹, für den ich Amerika darstellte. Sehr lustig. Ich erklärte ihm rasch ein bißchen Deutschland, auch sehr lustig. Heute Lunch und Dinner mit ihm.« Arendt an Blücher, 14. Februar 1950, in: Hannah Arendt/Heinrich Blücher, Briefe 1936–1968, hg. und mit einer Einführung versehen von Lotte Köhler, München/Zürich 2 2013, 216. Während desselben Aufenthalts lud Lasky seine Bekannte zu einer Vorführung von Bertolt Brechts Mutter Courage ein. Dabei handelte es sich um eine verhältnismäßig konservativ inszenierte Aufführung des Berliner Ensembles. Die Tatsache, dass die beiden antitotalitären Intellektuellen am Ostberliner Kulturleben teilnahmen, ist durchaus bemerkenswert. Ich danke Stefan Hofmann (Leipzig) für diesen Hinweis. 76 Dies geht aus dem Antwortschreiben Laskys hervor; siehe HAP, Correspondence, 1938– 1976, Box 31, Lasky an Arendt, 4. November 1948. 77 Ebd., Lasky an Arendt, 4. November 1948; ebd., Lasky an Arendt, 23. Juni 1949. 78 Hannah Arendt, Hermann Broch und der moderne Roman, in: Der Monat 1 (1949), H. 8/9, 147–151. Broch zeigte sich »tiefgerührt« über Arendts Würdigung seines Werks im Monat. Siehe ders. an Arendt, 21. Dezember 1948, in: Hannah Arendt/Hermann Broch, Briefwechsel. 1946 bis 1951, hg. von Paul Michael Lützeler, Frankfurt a. M. 1996, 86. 79 Hannah Arendt, Der imperialistische Charakter. Eine psychologisch-soziologische Studie, in: Der Monat 2 (1950), H. 24, 509–522; dies., Totalitäre Propaganda. Ein Kapitel aus »Die Ursprünge des Totalitarismus«, in: Der Monat 3 (1951), H. 33, 241–258; dies., Die Geheimpolizei. Ihre Rolle im totalitären Herrschaftsapparat, in: Der Monat 4 (1952), H. 46, 370–388. Weitere Artikel im Monat waren: dies., Bei Hitler zu Tisch, in: Der Monat 4 (1951), H. 37, 85–90 (Rezension); dies., Was ist Autorität?, in: Der Monat 8 (1956), H. 89, 29–44; dies., Die Krise der Erziehung. Gedanken zur »Progressive Education«, in: Der Monat 11 (1959), H. 124, 48–61; dies., Rosa Luxemburg, in: Der Monat 20 (1968), H. 243, 28–40.

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Stellenwerts, den Terror und Geheimpolizei für sie besitzen, jedoch macht sie auch auf deutliche Unterschiede aufmerksam. So geht Arendt im Aufsatz Totalitäre Propaganda ausführlich auf die zentrale Rolle des Antisemitismus für die NS-Bewegung ein und hebt die Diskrepanz zwischen den Utopien von klassenloser Gesellschaft und Volksgemeinschaft hervor.80 Während sie der Besprechung der genuinen Merkmale nationalsozialistischer Herrschaft viel Platz einräumt, erfährt die sowjetische Seite deutlich weniger Aufmerksamkeit. Schon zuvor hatte Arendt in einer Besprechung des Buches Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier von Henry Picker den Lesern des Monat die Funktionsweise des Nationalsozialismus erörtert.81 Neben einer scharfen und historisch fundiert argumentierten Polemik gegen die apologetische Tendenz jener Publikation versucht sie dort, Hitlers Erfolg bei seinen Anhängern sowie das politische und moralische Versagen der deutschen Bevölkerung aufzuschlüsseln.82 Abschließend verweist sie auf den »anwachsenden Neonazismus in Deutschland« sowie die »Unaufgeklärtheit des deutschen Volkes über die Ereignisse seiner jüngsten Geschichte«.83 Arendts nuancierte Hinweise auf existierende Unterschiede zwischen den zwei totalitären Systemen waren für Laskys Magazin durchaus ungewöhnlich, verstanden die meisten Autorinnen und Autoren des Monat die Regime Hitlers und Stalins doch als prinzipiell gleichwertig. Lasky selbst sah keinen wirklichen Unterschied zwischen der Volkspolizei der DDR und den NS-Polizeibehörden; der Staatssicherheitsdienst sei seiner Struktur und seinem Handeln nach der direkte Nachfolger von Hitlers Gestapo.84 Für Arendt, die demgegenüber strukturelle Differenzen zwischen beiden totalitären Systemen geltend machte, besaß die historische Singularität des Nationalsozialismus auch eine erkenntnistheoretische Dimension: Die systematische Ermordung der Juden Europas stelle einen qualitativen Bruch in der bisherigen Menschheitsgeschichte dar.85

80 Dies., Totalitäre Propaganda, 251–256. 81 Dies., Bei Hitler zu Tisch, 85–90. Der vollständige Titel des rezensierten Werks lautet: Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–1942, im Auftrag des Dt. Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, geordnet, eingeleitet und veröffentlicht von Gerhard Ritter, Bonn 1951. 82 Arendt, Bei Hitler zu Tisch, 89. Für die Exzeptionalität des Holocaust siehe auch dies., Approaches to the »German Problem« (1945), in: dies., Essays in Understanding, 1930– 1954, 106–120. 83 Dies., Bei Hitler zu Tisch, 90. An einem anderen publizistischen Ort, der Zeitschrift Die Wandlung, schreibt Arendt noch expliziter über den Nationalsozialismus. 84 Lasky, The Red and the Brown, in: Twentieth Century, März 1951, zit. nach Bloom, Prodigal Sons, 220. An anderer Stelle schreibt Lasky: »The historical uniqueness of Stalinism should not blind us to the fact that morally and politically it is identical with Nazism.« Ders., Why the Kremlin Extorts Confessions, 5 (Hervorhebungen im Original). 85 Arendt, Approaches to the »German Problem« (1945), 109.

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Gründe für diese andere Perspektive sind sicherlich Arendts eigene Verfolgungs- und Exilerfahrung als deutsche Jüdin sowie ihre intensive Beschäftigung mit den Auswirkungen des Holocaust, durch die sie sich nach dem Krieg die Spezifik und Logik des nationalsozialistischen Judenhasses vergegenwärtigte.86 Gegenüber dem ehemaligen Trotzkisten Lasky und Renegaten wie Ruth Fischer und Arthur Koestler war ihre Biografie weniger durch die Erfahrung von Denunziation und politischer Verfolgung durch andere Linke geprägt.87 Der grundsätzlich verschiedene Erfahrungshorizont mag auch die bemerkenswerte Präsenz der NS-Vergangenheit in den Beiträgen Hannah Arendts erklären, wodurch sie sich von der programmatischen Ausrichtung der Zeitschrift abhebt: Neben ihrer Buchbesprechung beschäftigten sich während der gesamten Zeit seines Erscheinens nur drei weitere Beiträge im Monat ausführlich mit dem NS-Staat und der Ermordung der europäischen Juden.88 Selbst wenn die Behauptung unzutreffend wäre, der Monat habe sich einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus verweigert, wurde eine solche doch zumindest zugunsten antikommunistischer und proamerikanischer Themen hintangestellt.89 Will man Hannah Arendts Mitarbeit beim Monat  – dem Historiker Michael Hochgeschwender zufolge ein »Ideologieträger ersten Ranges«90 – abschließend bewerten, ergibt sich ein durchaus differenziertes Bild. Zunächst fällt eine Reihe von pragmatischen Gründen für Arendts Mitarbeit ins Auge: Kaum eine andere Zeitschrift besaß zu dieser Zeit ein vergleichbares Re86 Siehe z. B. Elisabeth Gallas, »Das Leichenhaus der Bücher«. Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945, 2., durchges. Aufl., Göttingen/Bristol, Conn., 2016. 87 Gleichwohl waren Arendt diese Erfahrungen aufgrund der kommunistischen Vergangenheit ihres Ehemannes Heinrich Blücher nicht unbekannt. 88 Joachim Gmehling, Kritik des Nationalsozialismus und des Sowjetkommunismus in der Zeitschrift »Der Monat« (Diss., Universität Hamburg 2010), (1.  Dezember 2019), 841. Außer Arendts Rezension nennt Gmehling Friedrich Carl Westphal, Noch einmal »Die verhinderten Hochverräter«, in: Der Monat 3 (1951), H. 32, 216–218 (Leserbrief); Herbert Lü­ thy, Der Führer persönlich. Gedanken beim Lesen zweier Biographien, in: Der Monat 6 (1953), H. 63, 149–161; Walter Laqueur, Walther [sic] Laqueur schreibt aus Jerusalem. Die »Affäre Kastner«. Wo liegt die Grenze zwischen Heldentum und Verrat?, in: Der Monat 7 (1955), H. 84, 553–563. 89 Für ersteres Urteil siehe Gmehling, Kritik des Nationalsozialismus und des Sowjetkommunismus in der Zeitschrift »Der Monat«, 842. Für eine Sichtweise, die den Monat als Plattform für durch den Nationalsozialismus Vertriebene interpretiert, die im Nachkriegsdeutschland einzigartig war, siehe Martin, »Eine Zeitschrift gegen das Vergessen«, 25. Dass die NS-Vergangenheit nicht gänzlich unbeachtet blieb, zeigt auch ein Schwerpunkt zur Gefahr einer möglichen Renazifizierung in Deutschland – gleichwohl wird die Kritik des deutschen Nationalismus sofort mit einer Kritik am kommunistischen Herrschaftsbereich verknüpft; siehe [o. A.], Erwacht Deutschland schon wieder?, in: Der Monat (1949), H. 8/9, 3 f. 90 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 175.

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nommee, sodass es attraktiv erscheinen musste, zu ihren Autoren zu zählen. Gleichzeitig war das Blatt – ähnlich wie die von Dolf Sternberger und Karl Jaspers herausgegebene Zeitschrift Die Wandlung  – ein Medium, mit dessen Hilfe Arendt Teile ihres Totalitarismus-Buches einem deutschsprachigen Publikum näherbringen konnte.91 Das persönliche, durch gegenseitige Anerkennung und Dankbarkeit gekennzeichnete Verhältnis zu Melvin Lasky während der ersten Nachkriegsmonate mag ebenfalls dazu beigetragen haben, dass Arendt das Zeitschriftenprojekt mit Sympathie betrachtete. Entscheidender waren allerdings die großen Überschneidungen zwischen ihrem eigenen antitotalitären Politikverständnis und dem Anliegen der Zeitschrift, kompromisslos für eine freiheitliche Gesellschaft und gegen die Gefahr des Sowjetkommunismus einzutreten. Somit war es nur konsequent, wenn sie den Monat als führendes Organ des kulturellen Antitotalitarismus unterstützte. Demgegenüber muss jedoch betont werden, dass Arendt nicht als »typische« Autorin des Blattes bezeichnet werden kann. Sie verzichtete auf die historische Unterschiede verwischende Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus und ließ sich nicht auf die manichäische Gegenüberstellung von »freier« und »unfreier« Welt und einen damit verbundenen dogmatischen Antikommunismus ein.

Public Intellectuals im Kalten Krieg: Arendt, Lasky und der Congress for Cultural Freedom Die Zeitschrift Der Monat war nur ein Umfeld, in dem sich Hannah Arendt und Melvin Lasky während des Kalten Krieges in gemeinsamer Sache wiederfanden. In den Fünfzigerjahren füllten beide die Rolle des public intellectual aus, um der totalitären Gefahr, die in ihren Augen von den kommunistischen Staaten ausging, öffentlich entgegenzutreten. Dabei kamen sie – in unterschiedlichem Ausmaß  – mit einer Organisation in Berührung, die im Kampf der Supermächte um die kulturelle Hegemonie eine maßgebliche Bedeutung besaß: dem Congress for Cultural Freedom (CFF).92 Die Geschichte des CCF ist eng mit dem Umfeld der New York Intellectuals verknüpft. Seit den späten Dreißigerjahren hatten sich linke Antistalinisten in verschiedenen Organisationen mit dem Ziel zusammengefun91 Lasky hatte Arendt sogar angeboten, die deutsche Übersetzung ihres Totalitarismus-Buches zu finanzieren; siehe Arendt an Blücher, 18. Mai 1952, in: Arendt/Blücher, Briefe 1936–1968, 267. 92 Für eine Überblicksdarstellung des CCF siehe Malachi H. Hacohen, Art. »Congress for Cultural Freedom«, in: EJGK, Bd. 2, Stuttgart 2012, 22–28.

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den, die kulturelle Freiheit in den Vereinigten Staaten gegen Faschismus und Stalinismus zu verteidigen.93 Angesichts der erfolgreichen sowjetischen Propagandaaktivitäten nach Kriegsende musste die amerikanische Seite jedoch einsehen, dass sie ins Hintertreffen geraten war. Als im März 1949 die Cultural and Scientific Conference for World Peace im New Yorker Hotel Waldorf-Astoria stattfand, gingen einige Intellektuelle, die mit der Appeasement-Psychologie der Veranstaltung gegenüber der Sowjetunion haderten, zur Offensive über. Eine Gruppe um den Philosophen Sidney Hook, der auch Dwight Macdonald und Mary McCarthy angehörten, organisierte eine antikommunistische Gegenveranstaltung, die große Aufmerksamkeit erfuhr.94 Auf der anderen Seite des Atlantiks zeigte sich Melvin Lasky, den der Vorsprung Moskaus in Sachen Propaganda ebenfalls besorgte, vom Erfolg der Waldorf-Astoria-Konferenz beeindruckt. In den folgenden Monaten zählte er zu den entschiedenen Befürwortern einer vergleichbaren Veranstaltung in Europa. Dadurch hoffte er, den konsensliberalen Standpunkt innerhalb der europäischen Linksintellektuellen zu stärken und sie vor der Hinwendung zum Kommunismus zu bewahren. Im August 1949 kam es in Frankfurt am Main zu einem Treffen, an dem neben Ruth Fischer, Franz Borkenau und Lasky selbst auch dessen Bekannter Michael Josselson teilnahm, ein verdeckter CIA-Agent, wie sich später herausstellte.95 Während dieser Zusammenkunft wurde mit der konkreten Vorbereitung einer Konferenz begonnen, deren Austragungsort Westberlin sein sollte.96 Lasky, der als Herausgeber des Monat auf personelle und institutionelle Ressourcen sowie auf einen großen Kreis potenzieller Ansprechpartner zurückgreifen konnte, übernahm von nun an die organisatorische Leitung des Vorhabens: Ab Dezember 1949 hatte er offiziell die Rolle des Generalsekretärs inne und leitete alle notwendigen Schritte für den Kongress in Berlin ein.97 Der Kongress für kulturelle Freiheit, der vom 26. bis zum 30. Juni 1950 im Westberliner Titaniapalast stattfand, war ein Stelldichein von über einhundert 93 So etwa die League for Cultural Freedom and Socialism, der die gesamte Redaktion des Partisan Review angehörte, sowie das von Sidney Hook geleitete American Committee for Cultural Freedom. Siehe Bloom, Prodigal Sons, 89 und 259; Michael Hochgeschwender, Die Mission der Kultur im Zeitalter der Extreme. Melvin J. Lasky, »Der Monat« und der Kongress für kulturelle Freiheit, in: Lerg/Roth (Hgg.), Cold War Politics, 18–24, hier 21. 94 Zur Waldorf-Astoria-Konferenz siehe Neil Jumonville, Critical Crossings. The New York Intellectuals in Postwar America, Berkeley, Calif./Los Angeles, Calif./Oxford 1991, 1–48; Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 216 f. 95 Hacohen, Art. »Congress for Cultural Freedom«, 23. Zu Josselson siehe Christoph Nitschke, Michael Josselson (1908–1978). Creating a Transatlantic Cultural Community between Intelligence and Intelligentsia, in: Transatlantic Perspectives, (1. Dezember 2019). 96 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 220. 97 Ebd., 223 und 233.

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nicht- beziehungsweise antikommunistischen Intellektuellen aus aller Welt. Entgegen der Beteuerung, »spontane[r] Ausdruck einer gemeinsamen Sorge der Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und Politiker« zu sein,98 wurde er von Beginn an von der CIA finanziert.99 Ganz nach sowjetischem Vorbild begleiteten zahlreiche Medienvertreter das Ereignis. Zur großen Aufmerksamkeit, die der Veranstaltung vonseiten der westlichen Intellektuellen entgegengebracht wurde, trugen sicherlich die Ehrenpräsidentschaften von fünf bedeutenden Philosophen bei, zu denen auch Arendts und Laskys Freund Karl Jaspers gehörte.100 Die Teilnehmerliste wiederum setzte sich überwiegend aus dem Autorenkreis des Monat zusammen, was Laskys Einfluss auf den Kongress unterstreicht. Erklärtes Ziel der Kongressteilnehmer war es, der »Bedrohung der geistigen Freiheit« entgegenzutreten und eine »geistige Offensive der Freiheit« einzuleiten.101 Die Tatsache, dass die Veranstaltung zeitlich mit dem Beginn des Koreakrieges zusammenfiel, verschärfte die antitotalitäre Rhetorik unter den Anwesenden noch einmal und verstärkte die öffentliche Wahrnehmung der Tagung. Obgleich sich der Kongress prinzipiell gegen linke und rechte totalitäre Systeme richtete, waren die Redebeiträge inhaltlich von einem »moralischen Antikommunismus«102 durchdrungen. Zu dessen Gesicht wurde Melvin Lasky als Organisator und Generalsekretär der Veranstaltung, was ihm – nach dem Schriftstellerkongress von 1947 – abermals die Feindschaft der sowjetischen Seite einbrachte.103 Zum Ende des fünftägigen Treffens hatte das westliche Lager gegenüber der sowjetischen Propaganda aufgeholt und die Fähigkeit antikommunistischer Intellektueller bewiesen, im Kampf um die kulturelle Hegemonie zu bestehen. Dieser Erfolg förderte den Entschluss der amerikanischen Behörden, den Berliner Kongress in eine dauerhafte Institution zu überführen.104 Der so entstandene Congress for Cultural Freedom, dessen Sekretariat in Paris von Michael Josselson geleitet wurde, war das Herzstück der CIA-Aktivi 98 [O. A.], Kongress für Kulturelle Freiheit, in: Der Monat 2 (1950), H. 22/23, 339 f.  99 Hugh Wilford, Melvin  J. Lasky und die CIA, in: Lerg/Roth (Hgg.), Cold War Politics, 25–30, hier 26. 100 Als weitere Ehrenpräsidenten fungierten John Dewey, Benedetto Croce, Bertrand Russell und Jacques Maritain. Jaspers selbst hielt eine Grußbotschaft, in der er sich gegen den »rasenden Sturz« seiner Gegenwart »in die Unfreiheit« aussprach und für die freiheitliche Verfasstheit des Menschseins argumentierte. Ders., Über Gefahren und Chancen der Freiheit, in: Der Monat 2 (1950), H. 22/23, 396–406. 101 [O. A.], Kongress für Kulturelle Freiheit, 340. 102 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 245. 103 »The Soviet army’s official newspaper in East Berlin denounced the meeting, calling Lasky the ›chief agent of atomic strategy in Berlin.‹« Time, 1. Mai 1950, zit. nach Bloom, Prodigal Sons, 262. 104 Wilford, Melvin J. Lasky und die CIA, 26.

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täten im Kulturkampf des Kalten Krieges.105 Seine Büros verteilten sich über 35 Länder, seine 280 Mitarbeiter organisierten eine Fülle von internationalen Konferenzen und Kulturveranstaltungen; zudem gab er mehrere Zeitschriften heraus. Durch seine Veröffentlichungen, so eine interne Einschätzung, erreichte der CCF regelmäßig rund eine Viertelmillion an politischen und intellektuellen Themen interessierte Menschen auf der ganzen Welt.106 Wie schon bei den Vorbereitungen zum Berliner Kongress kam Melvin Lasky beim Aufbau der Organisation eine herausragende Stellung zu. Auch wenn ihn die CIA aufgrund seiner allzu offensichtlichen Verbindungen zur amerikanischen Regierung, die er als Herausgeber des Monat besaß, am liebsten in die zweite Reihe verbannt hätte, konnte langfristig nicht auf ihn verzichtet werden. Seine Zeitschrift, die ab 1953 vom CCF finanziert wurde, stellte über die Fünfzigerjahre hinweg nicht nur das wichtigste Kommunikationsmittel des Kongresses in Deutschland dar; Laskys außerordentliches Talent als Netzwerker und seine Verbindungen zu prominenten Intellektuellen auf beiden Seiten des Atlantiks hatten darüber hinaus großen Anteil daran, dass die Organisation Persönlichkeiten mit den verschiedensten politischen und weltanschaulichen Hintergründen an sich binden konnte.107 Ende 1953 wurde Lasky Mitglied des Tri-Magazine Editorial Committee, das die wichtigsten Zeitschriften des CCF  – neben dem Berliner Monat waren das die Magazine Preuves in Paris und Encounter in London – koordinierte.108 Anders als Melvin Lasky, der sich von Beginn an im Zentrum der Aktivitäten des CCF befand, kam Hannah Arendt mit der Organisation nur am Rande in Berührung und wurde doch während der Fünfzigerjahre ein wichtiges Aushängeschild des Kongresses. Lasky, der – wie schon in seiner Funktion als Chefredakteur des Monat  – nichts unversucht ließ, seine Bekannte für die eigene Sache zu gewinnen, kam in dieser Beziehung die Rolle des Vermittlers zu. 1952 lud er Arendt im Namen des CCF für einen gut bezahlten Vortrag nach Berlin ein.109 Aufgrund der angespannten Lage in der geteilten Stadt und auf Drängen ihres Ehemanns musste sie ihm jedoch absagen110 – es sollte weitere drei Jahre dauern, bis sie zum Kongress stieß. 105 Gienow-Hecht, Culture and the Cold War in Europe, 411. 106 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 167. Zum Vergleich: In der Blütezeit des westdeutschen Zeitschriftenwesens druckte Die Wandlung bis zu 35 000 Hefte pro Ausgabe, die Auflage der Frankfurter Hefte ging von anfangs 75 000 Exemplaren bis 1950 auf 25 000 zurück. Siehe Claudia Kinkela, Die Rehabilitierung des Bürgerlichen im Werk Dolf Sternbergers, Würzburg 2001, 127; Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1999, 231. 107 Hochgeschwender, Die Mission der Kultur im Zeitalter der Extreme, 22. 108 Wilford, Melvin J. Lasky und die CIA, 28. 109 Siehe Arendt an Blücher, 24. April 1952, in: Arendt/Blücher, Briefe 1936–1968, 254. 110 Arendt an Blücher, 18. Mai 1952, in: ebd., 268; Arendt an Blücher, 24. Mai 1952, in: ebd., 276; Arendt an Blücher, 30. Mai 1952, in: ebd., 280.

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Ihren ersten Auftritt hatte Arendt 1955 während einer CCF-Konferenz in Mailand. Vom 12. bis 17. September versammelten sich rund 150 Intellektuelle und Politiker aus den westlichen Industrienationen und einigen Entwicklungsländern in der norditalienischen Stadt, um über die »Zukunft der Freiheit«, so der Titel der Veranstaltung, zu diskutieren.111 Arendt, die einen Kurzvortrag hielt,112 fand sich nun inmitten von überzeugten Antikommunisten wieder, deren Positionen sie keineswegs teilte; vielmehr ging sie mit der Veranstaltung und den beteiligten Personen hart ins Gericht: Nicht nur, dass die Vorträge in ihren Augen »zum Sterben langweilig« gewesen seien, sodass sie sich gezwungen sah, Teile der Konferenz zu schwänzen;113 aufgrund des offen zur Schau gestellten Luxus des Konferenzumfelds sowie der hochgradig korrumpierten Teilnehmer war für sie die »ganze Sache ein Riesenskandal«.114 Ihren eigenen Beitrag nahm sie dementsprechend nicht sonderlich ernst: »[W]enn ich mir mein paper ansehe,« schrieb sie, »muß ich wirklich lachen.«115 Es kam sogar zur offenen Konfrontation zwischen Arendt und dem Konferenzteilnehmer Sidney Hook.116 Dieser war für Arendt schon länger ein rotes Tuch – nicht nur, weil er am Rande der Veranstaltung gegen ihren Freund Dwight Macdonald intrigierte.117 In ihm sah sie – wie in vielen anderen Teilnehmern, etwa Bertram Wolfe und Manès Sperber – das Paradebeispiel eines ehemaligen Kommunisten, der sich mit unveränderter ideologischer Blindheit der Gegenseite zugewandt hatte, anstatt einen reflektierten Umgang mit seiner eigenen politischen Vergangenheit zu suchen.118 Angesichts dieser harschen Urteile stellt sich die Frage, warum Arendt überhaupt an dem Treffen teilgenommen hat, zumal ihr der CCF nicht un-

111 Zur Mailänder Konferenz siehe Giles Scott-Smith, The Congress for Cultural Freedom, the End of Ideology and the 1955 Milan Conference. »Defining the Parameters of Discourse«, in: Journal of Contemporary History 37 (2002), H. 3, 437–455. Der Monat berichtete in einer Sonderausgabe ausführlich über das Ereignis. 112 Der Vortrag ist veröffentlicht in Hannah Arendt, The Rise and Development of Totalitarianism and Authoritarian Forms of Government in the Twentieth Century, in: The Future of Freedom. A Compilation of Papers Submitted to the International Conference on the Future of Freedom by the Congress for Cultural Freedom Held in Milan (Italy) from 12 to 17 September 1955, Bombay 1955, 180–206. 113 Arendt an Blücher, 12.  September 1955, in: Arendt/Blücher, Briefe 1936–1968, 396; Arendt an Jaspers, 13. September 1955, in: Arendt/Jaspers, Briefwechsel, 304. 114 Arendt an Blücher, 13. September 1955, in: Arendt/Blücher, Briefe 1936–1968, 398. 115 Ebd. 116 Arendt an Blücher, 13. September 1955, in: ebd., 401. 117 Siehe Wreszin, A Rebel in Defense of Tradition, 299–302. 118 Siehe Hannah Arendt, The Ex-Communists (1953), in: dies., Essays in Understanding, 391–400.

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bekannt war.119 Der Schluss liegt nahe, dass Melvin Lasky hierbei eine wesentliche Rolle zukam. Arendt brachte ihrem Bekannten, mit dem sie seit nunmehr zehn Jahren Kontakt hielt, im Gegensatz zu den anderen Führungspersönlichkeiten des CCF immer noch einige Wertschätzung entgegen.120 So nahm sie wenige Monate nach der Konferenz in Mailand erneut an einem von Lasky initiierten Projekt des CCF teil. Dieser hatte im Sommer 1954 der CCF-Führung die Idee einer hochkarätig besetzten Vortragsreihe an der Freien Universität Berlin vorgestellt, mit der die intellektuelle Öffentlichkeit Westberlins erreicht werden sollte.121 In der Pariser Kongresszentrale zeigte man sich äußerst interessiert an seinem Vorhaben und drängte auf dessen schnelle Umsetzung. Der zwei Jahre zuvor verstorbene, hochgeschätzte Regierende Bürgermeister Ernst Reuter sollte der Namensgeber der Reihe werden; als Schirmherr konnte Bundespräsident Theodor Heuss gewonnen werden. Nachdem zuvor unter anderem Arnold Toynbee, George F. Kennan und Richard Löwenthal referiert hatten, hielt am 8. Dezember 1955 Hannah Arendt ihren Vortrag zum Thema »Autoritäre und totalitäre Staatsform«.122 Auch wenn sie selbst dem Auftritt keine größere Bedeutung zumaß,123 hatte sie abermals ihren Namen für die Aktivitäten des CCF hergegeben  – oder, andersherum betrachtet, die Gelegenheit genutzt, im Rahmen einer prestigeträchtigen Veranstaltungsreihe vorzutragen. Welche Gründe auch immer Arendt zu diesem Schritt bewogen haben mögen – bloßer Pragmatismus, inhaltliche Überzeugung oder Pflichtschuldigkeit gegenüber Lasky –, es bleibt relevant, dass Arendt mit Lasky offensichtlich das Interesse teilte, in die deutsche Öffentlichkeit hineinzuwirken. Einen Höhepunkt erlebte diese von Arendt und Lasky angenommene Rolle 119 Schon 1950 hatte sie die Zusammenkunft antikommunistischer Intellektueller in Berlin als »widerwärtig« und »ganz und gar nutzlos« bezeichnet; Arendt an Broch, 26. Juli 1950, in: Arendt/Broch, Briefwechsel, 145. Zwei Jahre später wurde sie von einer Freundin über eine Veranstaltung der Organisation unterrichtet. In dem Brief wird die einvernehmliche Kritik der Briefpartnerinnen am CCF spürbar. Siehe Rose Feitelson an Hannah Arendt, [April/Mai 1952], in: Hannah Arendt, Wie ich einmal ohne dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen. Briefwechsel mit den Freundinnen Charlotte Beradt, Rose Feitelson, Hilde Fränkel, Anne Weil und Helen Wolff, hg. von Ingeborg Nordmann und Ursula Ludz, München 2017, 461–472. 120 An Jaspers schrieb sie, dass Lasky »besser als manche andere« aus dem CCF-Umfeld sei. Arendt an Jaspers, 13. September 1955, in: Arendt/Jaspers, Briefwechsel, 304. Arendts Freundin Mary McCarthy dagegen findet weniger schmeichelhafte Worte, aber auch sie hebt Laskys »bemerkenswerte[…] Überzeugungen« hervor. McCarthy an Arendt, 29. September 1955, in: Hannah Arendt/Mary McCarthy, Im Vertrauen. Briefwechsel 1949–1975, München/Zürich 21996, 91. 121 Hochgeschwender, Freiheit in der Offensive?, 483. 122 Der Vortrag wurde später unter anderem Namen im Monat veröffentlicht. Siehe Arendt, Was ist Autorität?. 123 Siehe Arendt an Blücher, 9. Dezember 1955, in: Arendt/Blücher, Briefe 1936–1968, 437.

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des public intellectual im Zuge des Ungarnaufstands 1956 – und zugleich werden hier die Differenzen zwischen beiden deutlich. Nachdem sowjetische Truppen die Aufstände niedergeschlagen und damit jede Hoffnung auf die Reformierbarkeit des real existierenden Sozialismus im Keim erstickt hatten, fühlten sich beide zu einer publizistischen Reaktion verpflichtet. Vor allem für Arendt war Ungarn ein Schlüsselereignis, das sie emotional beschäftigte und zu wichtigen Reflexionen in ihrem weiteren Werk anregte.124 Zwei Jahre später veröffentlichten sowohl Melvin Lasky als auch Hannah Arendt je ein Werk zur Ungarischen Revolution. Lasky hatte sich für eine Dokumentensammlung im Stil eines Weißbuches entschieden.125 Seine Absicht war es, die Ereignisse von verschiedenen Perspektiven aus zu beleuchten und somit ein umfassendes Gesamtbild des Aufstands und seiner Niederschlagung zu generieren. Zwar steuerte er selbst keinen eigenen Beitrag bei, zeigte aber wieder sein außerordentliches Talent als Netzwerker: Für die vom CCF offiziell geförderte Publikation gewann er den renommierten Experten der russischen Geschichte Hugh Seton-Watson sowie den ebenfalls im CCF engagierten Literaturkritiker François Bondy; Karl Jaspers konnte er überzeugen, das Vorwort zu verfassen. Dieser interpretierte das sowjetische Vorgehen in Ungarn vor dem Hintergrund des Gegensatzes von Freiheit und Totalitarismus und kleidete seine Worte in ein Pathos, das dem seiner Rede beim Kongress für kulturelle Freiheit in Berlin glich: »Das Ende war: ein Volk, das zur nationalen Freiheit drängte, ist in die Knechtschaft zurückgezwungen. Die äußere Vergewaltigung des Volkes durch die Sowjets bewirkte zugleich die innere Vergewaltigung seiner politischen Freiheit durch den Totalitarismus.«126

Laskys Publikation bescheinigte er »das größte Verdienst«, da sie durch ihre anschauliche Darstellung helfe, jenes weltpolitische Ereignis nicht dem Vergessen anheimzugeben.127

124 Jaspers schreibt davon, dass Arendt beim Eintreffen der Nachrichten aus Ungarn in Jubel ausbrach; Jaspers an Arendt, 23. November 1957, in: Arendt/Jaspers, Briefwechsel, 370. Neben dem im Folgenden besprochenen Aufsatz behandelt Arendt die Ereignisse in ihren Werken The Human Condition und On Revolution. 125 Melvin Lasky (Hg.), Die Ungarische Revolution. Ein Weißbuch. Die Geschichte des Oktober-Aufstandes nach Dokumenten, Meldungen, Augenzeugenberichten und dem Echo der Weltöffentlichkeit, mit einem Vorwort von Karl Jaspers, veröffentlicht für den Kongress für die Freiheit der Kultur, West-Berlin 1958. 126 Karl Jaspers, Vorwort, in: Lasky (Hg.), Die Ungarische Revolution, 11–13, hier 12. Zuvor vergleicht Jaspers die Invasion der Sowjets in Ungarn mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen; ebd., 11. 127 Ebd., 13.

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Im Gegensatz zum Weißbuch versuchte Hannah Arendt in Die Ungarische Revolution und der totalitäre Imperialismus, das Geschehen mittels eines historisch-analytischen Zugangs zu erschließen.128 Mit Lasky teilte sie jedoch den Anspruch, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen; vor der gedruckten Fassung wurde ihr Essay Anfang 1958 in drei Sendungen des Bayerischen Rundfunks präsentiert. In der Beurteilung der Ereignisse in Ungarn stimmte Arendt zunächst mit der von Karl Jaspers ausgedrückten antitotalitären Sichtweise überein. Auch sie sah in der Niederschlagung des Aufstands die Absicht eines totalitären Staates, die Freiheitsbestrebungen unterdrückter Menschen niederzuringen. Gleichwohl belässt sie es nicht bei dieser Dichotomie, sondern geht zu einer Analyse der politischen Form des Aufstands über. Als charakteristisch empfindet sie das hohe Maß an Spontanität der Ungarn, das beide Seiten, Kommunisten wie Antikommunisten, überrascht habe.129 Am eindrücklichsten ist für sie jedoch, dass in kürzester Zeit und mit überraschend wenig Gewalt ein in dieser Gestalt völlig neues politisches Ordnungsprinzip etabliert worden sei: das Rätesystem. Dieses betrachtet Arendt als die »einzige Alternative einer demokratischen Regierung in der Moderne«,130 in der eine neue, wahrhaftige Form von Freiheit verwirklicht werden könne. Die »positive Freiheit«, die die Ungarn für einige Tage errichtet hatten, »war der Freiheit, die in der ›freien Welt‹ Wirklichkeit ist, prinzipiell überlegen; denn die ›freie Welt‹, zu der immerhin auch Franco-Spanien gehört, ist ja nur frei, wenn wir sie an der totalen Herrschaft messen; gemessen an der Freiheit der Ungarischen Revolutionäre und Freiheitskämpfer war auch die ›freie Welt‹ nicht frei.«131

Dieses Urteil ist in unserem Zusammenhang bemerkenswert: Arendt wandte sich hier gegen einen dogmatischen Freiheitsbegriff, der die Welt in zwei klar voneinander getrennte Blöcke einteilte. Für sie war ein Antitotalitarismus, der sich auf ideologischen Antikommunismus beschränkte und vor den politischen Entwicklungen im eigenen Lager die Augen verschloss, problematisch. Ihre Schrift kann damit als mehr oder weniger offene Kritik an der Programmatik des CCF interpretiert werden. Arendt zufolge zeigte sich in Ungarn, dass wahre Freiheit nur durch die Spontanität vieler, nicht aber durch den planmäßigen Lobbyismus einiger weniger Intellektueller verwirklicht werden kann. Gegenüber solchen Leuten, die »den Mund vollgenommen hatten mit hochtönenden Phrasen über die Pflicht der Völker, gegen totalitären Terror zu rebellieren«, ohne dabei zu berücksichtigen, »welchen 128 Hannah Arendt, Die Ungarische Revolution und der totalitäre Imperialismus, München 1958. 129 Ebd., 11 f. 130 Ebd., 43. 131 Ebd., 60.

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Preis andere für ihre Redensarten zu zahlen haben würden«,132 hatte Arendt nicht viel übrig. Somit fällt ihr Verhältnis zum CCF ambivalent aus: Zwar teilte sie mit diesem die prinzipielle Gegnerschaft zu den totalitären Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs – das Mittel der antitotalitären Propaganda erachtete sie dagegen für grundfalsch.133 Ebenso hielt der dogmatische Antikommunismus, wie er vor allem von der Fraktion um Arthur Koestler und Sidney Hook vertreten wurde, Arendt in Distanz zum CCF. Dies hinderte sie jedoch offenbar nicht daran, an ausgewählten Veranstaltungen des Kongresses teilzunehmen und damit zu dessen Nimbus als Vereinigung herausragender antikommunistischer Intellektueller beizutragen.

Zusammenfassung Der Blick auf die Zusammenarbeit in der Zeitschrift Der Monat sowie das Engagement beider im Congress for Cultural Freedom hat gezeigt, dass Arendt und Lasky einen Teil ihres Weges im Kalten Krieg gemeinsam beschritten. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen entstand in dem New Yorker Umfeld der Vierzigerjahre eine gemeinsame Gesprächsgrundlage – man kannte dieselben Personen, man las dieselben Zeitschriften und diskutierte über dieselben Themen; darüber hinaus wurde Arendt durch ihr publizistisches Schaffen in jener Phase für Lasky zu einem wichtigen Bezugspunkt seiner intellektuellen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion. Seine Hilfe bei der Versorgung von Arendts Freunden in den ersten Nachkriegsjahren trug ebenfalls zu dem guten Verhältnis bei. Am bedeutsamsten war jedoch sicherlich die geteilte Überzeugung, dass die kommunistischen Herrschaftssysteme eine ernsthafte Bedrohung für die freiheitliche Gesellschaft darstellten und dagegen öffentlich Stellung bezogen werden musste. Genau an diesem Punkt traten aber auch Differenzen zwischen beiden auf: Während Lasky prinzipiell  – wenn auch weniger fundamental als andere  – die Analogie »Rot gleich Braun« bejahte, betonte Arendt stets die Unterschiede zwischen NS-Regime und Sowjetherrschaft. Lasky hatte vor allem den Kommunismus im Sinn, wenn er vom Totalitarismus sprach; im Denken Arendts blieben neben der Sowjetunion auch Nationalsozialismus 132 Ebd., 11. 133 Ihre Kritik an der westlichen Gegenpropaganda formulierte Arendt pikanterweise im Monat: »Totalitäre Propaganda ist keine Propaganda im üblichen Sinne und kann daher nicht durch Gegenpropaganda widerlegt oder bekämpft werden. Sie ist Teil der totalitären Welt und wird nur mit ihr zusammen vernichtet.« Dies., Totalitäre Propaganda, 257.

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und Holocaust fortwährend wichtige Bezugspunkte. Schließlich beruhte der Freiheitsbegriff Laskys auf dem Gegensatz von liberalem Westen und totalitärem Osten, was seinen propagandistischen Wert erhöhte. Demgegenüber fasste Arendt Freiheit weniger abstrakt und dichotomisch, sondern bezog sie auf die Möglichkeit von Spontanität und politischem Handeln – wodurch sie auch Fehlentwicklungen in der sogenannten freien Welt kritisieren konnte. Füllte Melvin Lasky also durchaus die Rolle des »intellektuellen Agenten« aus,134 war Hannah Arendt in Denken und Handeln zu eigenwillig, um zur Gruppe der Kalten Krieger zu gehören. War er ein überzeugter »Partisan« der antikommunistischen Sache, kann Arendts Part im Kulturkampf des Kalten Krieges vielleicht am besten mit der Metapher vom Paria umschrieben werden, jenem selbstbewussten jüdischen Außenseiter, dem Arendt selbst ein schriftliches Denkmal gesetzt hat.135 Abschließend sei auf ein Ereignis verwiesen, das jener Konstellation ein Ende bereitete: Als 1967 öffentlich bekannt wurde, dass der CCF und seine Zeitschriften jahrelang von der CIA finanziert worden waren,136 war dies für Arendt, die immer wieder als dessen Unterstützerin aufgetreten war, eine schockierende Nachricht. Sichtlich berührt durch die »politisch sehr deprimierende Situation« schrieb sie an Jaspers: »[I]ch würde, was Amerika anlangt, heute nicht mehr so optimistisch sein. […] Der Kongreß für die kulturelle Freiheit ist eine der hauptsächlich betroffenen Organisationen bei den Aufdeckungen jetzt, Lasky sicher eine Schlüsselfigur, vielleicht auch Bondy. Ich wünschte, Mary [McCarthy] wäre hier, dann würde man sich wenigstens nicht so alleine fühlen.«137

Die Enthüllungen zogen einen endgültigen Schlussstrich unter die Beziehung von Hannah Arendt und Melvin Lasky.138 Damit trennten sich die Wege zweier Intellektueller, die trotz ihrer teilweise sehr unterschiedlichen Ansichten lange Jahre im Kampf gegen den Totalitarismus verbunden waren.139

134 Siehe Roth, Melvin J. Lasky – Intellektueller Agent, 13. 135 Siehe Hannah Arendt, The Jew as Pariah. A Hidden Tradition, in: Jewish Social Studies 6 (1944), H.  2, 99–122. Zu diesem Gedanken, interessanterweise im Partisan Review erschienen, siehe Judith N. Shklar, Hannah Arendt as Pariah, in: Partisan Review 50 (1983), H. 1, 64–77. 136 Hochgeschwender, Die Mission der Kultur im Zeitalter der Extreme, 24. 137 Arendt an Gertrud und Karl Jaspers, 21.  März 1967, in: Arendt/Jaspers, Briefwechsel, 703. 138 Dass sich das Verhältnis schon zuvor abgekühlt hatte, geht aus einem Brief Arendts an den Redakteur des Encounter hervor; siehe ALC, Arendt an Lasky, 30. Januar 1967. 139 Ich danke Nicolas Berg und Elisabeth Gallas, den Diskutantinnen und Diskutanten des Forschungsressorts »Wissen« am Dubnow-Institut sowie Laura Stöbener für die wertvolle Unterstützung bei der Umsetzung dieses Artikels.

Schwerpunkt Jenseits des »verordneten Antifaschismus« – Neue Zugänge zur Geschichte der Juden in der DDR Herausgegeben von Philipp Graf und Jeannette van Laak

Philipp Graf und Jeannette van Laak

Einführung Zum Jahresende 1966 erhielt das Leo Baeck Institute in Jerusalem Post aus der Deutschen Demokratischen Republik, genauer: aus Leipzig. Auf Briefpapier des staatlichen Unternehmens Interpelz Deutsche Rauchwaren Export- und Import-GmbH hieß es: »Wir erlauben uns als Vertreter des traditionsreichen Leipziger Brühl Ihnen einen Textbeitrag mit 3  Fotos zur Vervollständigung Ihres Archivs oder für Veröffentlichungszwecke zur Verfügung zu stellen.« In der Tat enthielt das Schreiben einen Zeitungsbericht und drei Fotografien von der Einweihung eines Gedenksteins für die Opfer des Novemberpogroms 1938, die am 10. November 1966 in der Leipziger Gottschedstraße stattgefunden hatte und an der auch Vertreter von Interpelz teilgenommen und im Namen ihres Unternehmens einen Kranz niedergelegt hatten. Ein nicht näher identifizierbarer Mitarbeiter hatte den Brief unterzeichnet und am 23. November 1966 aufgegeben.1 Dieser Vorgang ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich, will er doch nicht so recht zu dem Bild passen, das man gemeinhin vom Stellenwert des jüdischen Schicksals innerhalb der DDR-Erinnerung an den Nationalsozialismus hat, und auch nicht zu den restriktiven Auflagen, denen die Beziehungen zu Israel oder internationalen jüdischen Einrichtungen für gewöhnlich unterlagen. Dennoch verstand sich im Leipzig des Jahres 1966 zumindest ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin von Interpelz als Nachfolger beziehungsweise Nachfolgerin des »traditionsreichen Leipziger Brühl« und verwies dezidiert auf dessen jüdische Geschichte. Die genauen Beweggründe für das Schreiben können ohne weitere Forschung nur vermutet werden: Handelte die Person aus eigenem Antrieb oder im Auftrag der Unternehmensleitung? Wer hatte den Kontakt zum Leo Baeck Institute hergestellt? Kannte sie den Brühl von vor 1938 noch aus eigener Erfahrung? Gab es eine Antwort aus Jerusalem? Wenngleich nicht auszuschließen ist, dass für die Kontaktaufnahme wirtschaftliche Erwägungen mitentscheidend waren  – immerhin war Interpelz für den Außenhandel der durchaus wichtigen Branche zuständig – dokumen-

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Leo Baeck Institute New York, Robert Weltsch Collection, MF 491, AR 2185, Reel 30, Box 9, Folder 4. Die Unterschrift ist unleserlich, ein Briefumschlag oder dergleichen nicht überliefert. Die Herausgeber danken Martin Jost, Leipzig, für den freundlichen Hinweis auf das Dokument. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 147–154.

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tiert der Brief ein offenbar selbst im Arbeiter- und Bauern-Staat überraschend deutlich vorhandenes Problembewusstsein für die jüdische Erfahrung, das augenscheinlich am Holocaust gebildet war. Damit zeigt das Schreiben, dass es in der DDR auch eine Sensibilität für die NS-Verbrechen an den Juden gab, die in der später inflationär gebrauchten Formel vom »verordneten Antifaschismus«, der die Gedächtniskultur der DDR bestimmt und jüdischen Themen keinen Platz eingeräumt habe, nicht so recht aufgehen will. Sowohl Interpelz als auch andere staatliche Pelzunternehmen in Leipzig waren aus dem bis 1933 hier florierenden Rauchwarenhandel hervorgegangen. Um 1929 hatte es mehr als 1 100 Pelzwarenunternehmen in der Stadt gegeben, deren Rohwarenumsatz 30 bis 35 Prozent des Weltmarkts entsprach; etwa die Hälfte von ihnen wurde von jüdischen Pelzhändlern und -bearbeitern betrieben, die meist aus dem östlichen Europa stammten.2 Zwar hatten die Nationalsozialisten jüdische Unternehmer und Angestellte verfolgt, vertrieben oder ermordet und damit auch dem Standort schweren Schaden zugefügt, dennoch siedelte sich die Branche nach Kriegsende wieder an. Wie viele der nach 1945 noch bestehenden, zunächst ca. 170 Rauchwarenhandlungen allerdings erneut von jüdischen Geschäftsleuten geleitet und betrieben wurden, wie viele jüdische Färber, Gerber und Kürschner zurückgekehrt waren, wie sie sich angesichts von Verstaatlichungen und Planwirtschaft in die DDR-Ökonomie einfügten, aber auch weshalb sich ein staatliches Unternehmen wie Interpelz 1966 derart positiv auf die jüdische Tradition des Brühl bezog: All das sind vorerst offene Fragen. In der nicht unbedeutenden Forschung zur Geschichte der Juden in der DDR, die vermehrt nach dem Mauerfall, bisweilen aber auch schon davor entstand,3 ist das jüdische Erbe der reichen Leipziger Pelzwarentradition zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und 1990 noch nicht ausführlich behandelt worden, obgleich sich an ihm ein faszinierendes Panorama jüdischer Geschichte in der DDR entfalten ließe, das unterschiedliche Perspektiven repräsentiert: die jahrhundertealte jüdische Wirtschaftstradition Leipzigs ebenso wie ihr gewaltsames Ende durch den Nationalsozialismus, den materiellen wie ideellen Umgang der DDR damit und die jüdischen Re-

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Siehe Walter Fellmann, Der Leipziger Brühl. Geschichte und Geschichten des Rauchwarenhandels, illustriert von Lutz-Erich Müller, Leipzig 1989; Steffen Held, Art. »Leipzig«, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von Dan Diner, 7 Bde., Stuttgart 2011–2017, hier Bd. 3, Stuttgart 2012, 491–496. 3 Robin Ostow, Jüdisches Leben in der DDR, Frankfurt a.  M. 1988; Wolfgang Herzberg (Hg.), Überleben heißt Erinnern. Lebensgeschichten deutscher Juden, Berlin/Weimar 1990; Vincent von Wroblewsky (Hg.), Zwischen Thora und Trabant. Juden in der DDR, Berlin 1993; John Borneman/Jeffrey M. Peck, Sojourners. The Return of German Jews and the Question of Identity, Lincoln, Nebr., 1995.

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aktionen darauf. Dass ein solcher multiperspektivischer Zugriff auf die jüdische Geschichte in der DDR bislang selten gewählt wurde, ist indes nicht verwunderlich, war die ab 1990 dominante Forschungslandschaft doch zunächst vom plötzlichen Ende der SED-Herrschaft und den damit aufgeworfenen Fragen nach ihrem Vermächtnis geprägt. So wie die deutsche Zeitgeschichtsforschung ganz allgemein darüber stritt, welchen Charakter die untergegangene DDR nun hatte: Unrechtsstaat und zweite Diktatur auf deutschem Boden oder historisch legitimes sozialistisches Experiment4 – wobei wenig überraschend westdeutsche Forschungen die Deutungshoheit ausübten –, standen auch die Arbeiten zur Geschichte der Juden in der DDR und zu verwandten Themen unter jenem Vorbehalt. Ungeachtet des Verdiensts, verschiedene Aspekte der jüdischen Geschichte in der DDR nach Jahrzehnten eingeschränkter Zugänglichkeit der Quellen überhaupt erstmals erforscht zu haben, folgten nicht wenige Arbeiten jener Frontstellung von Abrechnung versus Ehrenrettung.5 Die Pole konnten dabei weit voneinander entfernt liegen: Hier der Vorwurf, Juden in der DDR seien willfährige Diener des SEDRegimes gewesen,6 dort der Versuch nachzuweisen, es hätte in der DDR keinen Antisemitismus gegeben.7 Eine zusätzliche Engführung bestand darin, dass die politisch aufgeladene Frage nach der Legitimität der DDR hinsichtlich ihrer jüdischen Anteile eine Konzentration auf Phänomene der staatlichen Ebene nach sich zog, wobei dem Umgang der SED mit jüdischen Themen im Nachhinein gewissermaßen die Funktion eines Gradmessers zukam. Erforscht wurden in erster Linie Anspruch und Wirklichkeit des offiziellen DDR-Antifaschismus,8 Ausprägungen des Antisemitismus (vor allem die Parteisäuberungen der frühen 1950er Jahre)9 und das problematische Verhältnis zu Israel.10 Bedingt wurde dies   4 Für eine differenzierte Auseinandersetzung siehe Sigrid Meuschel, Legitimation und Parteiherrschaft. Zum Paradox von Stabilität und Revolution in der DDR 1945–1989, Frankfurt a. M. 1992.  5 Constantin Goschler, Offenberg, Ulrike. »Seid vorsichtig gegen die Machthaber«. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945–1990, Berlin 1998 (Rezension), in: H-Soz-Kult, 1.  Januar 1999, (1. Dezember 2019).   6 Michael Wolffsohn, Die Deutschland Akte. Juden und Deutsche in Ost und West. Tatsachen und Legenden, München 1995, 13.   7 Detlef Joseph, Die DDR und die Juden. Eine kritische Untersuchung, mit einer Bibliografie von Renate Kirchner, Berlin 2010.   8 U. a. Kulturamt Prenzlauer Berg/Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.  V. (Hg.), Mythos Antifaschismus. Ein Traditionskabinett wird kommentiert. Begleitbuch zur Ausstellung in der Museumswerkstatt, Berlin 1992.   9 Mario Keßler, Die SED und die Juden. Zwischen Repression und Toleranz. Politische Entwicklungen bis 1967, Berlin 1995. 10 V. a. Angelika Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997.

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auch durch die in der Tat schillernde Häufung von der SED angehörenden oder ihr nahestehenden Juden, seien es Funktionäre, Schriftsteller, Akademiker oder Künstler, die in nicht unerheblichem Maß das Geistesleben der DDR und damit auch deren Außenwahrnehmung prägten. Während die oftmals faszinierenden Karrieren dieser kommunistisch orientierten »nichtjüdischen Juden« großes Interesse hervorriefen, blieb eine andere jüdische Geschichte der DDR, die der jüdischen Gemeinden und ihrer nicht in der Öffentlichkeit stehenden »einfachen« Mitglieder, genauso wie die Wirtschafts-, Sozial- und Alltagsgeschichte weitgehend unterbelichtet, wie sich bis heute zeigt.11 Eine derartige Fixierung auf die politische Geschichte wurde zudem durch die unverhoffte Zugänglichkeit der Quellen gestützt. So sehr es ein Geschenk war, dass die Öffnung der staatlichen Archive der DDR erstmals ein genaueres Bild erlaubte, so sehr ging damit eine Konzentration auf Quellen staatlicher Provenienz einher: etwa auf Partei- und Kaderakten, auf Unterlagen der Staatssicherheit und auf staatlich gelenkte Presseerzeugnisse. Indem freilich vorrangig offizielle, im staatlichen Kontext entstandene Quellen konsultiert wurden, gerieten Phänomene, die unterhalb oder jenseits der staatlichen Ebene verliefen, nur selten ins Blickfeld. Emblematischen Ausdruck fand diese politische Engführung in dem bereits genannten, 1987 von Ralph Giordano geprägten Schlagwort eines von oben »verordneten Antifaschismus«,12 das von der Forschung der 1990er Jahre bereitwillig übernommen wurde. Man könnte also konstatieren: Die Forschung der Nachwendejahre hat eine dezidiert jüdische Perspektive kaum oder nur sehr selten eingenommen – stattdessen untersuchte sie die Juden in der DDR oder jüdische Aspekte der DDR-Geschichte meist nur im Hinblick auf das Verhältnis zur SED.13 In der Zwischenzeit, nach dem Ende des Forschungsbooms Anfang der 2000er Jahre und in Anerkennung einer konzeptionellen wie methodischen »Verinselung«,14 in die man sich begeben hatte, hat sich die DDR-Forschung

11 Das heißt nicht, dass es keine Studien zur jüdischen Geschichte gegeben hätte. Siehe etwa Ulrike Offenberg, »Seid vorsichtig gegen die Machthaber«. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945–1990, Berlin 1998, oder die entsprechenden Passagen in Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft, München 2012. Eine neuere Studie mit vielversprechendem Zugang ist: Hendrik Niether, Leipziger Juden und die DDR. Eine Existenzerfahrung im Kalten Krieg, Göttingen/Bristol, Conn., 2015. 12 Ralph Giordano, Der verordnete Antifaschismus. Ein Wort zum Thema »NS-Erbe und DDR«, in: ders., Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein, Hamburg 1987, 215–228. 13 Bis heute eine Ausnahme: Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000. 14 Thomas Lindenberger/Martin Sabrow, Zwischen Verinselung und Europäisierung. Die Zukunft der DDR-Geschichte, in: Deutschland Archiv 37 (2004), H. 1, 123–127.

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unterdessen neu aufgestellt15 und Arbeiten, die in jüngerer und jüngster Zeit aus ihr heraus zu Aspekten jüdischer Geschichte entstanden sind, spiegeln neue Fragestellungen. Dies mag mit dem Generationswechsel in der Wissenschaft zusammenhängen – die Nachwuchsgeneration ist biografisch nicht mehr von den Grabenkämpfen der 1990er Jahre betroffen –, aber auch mit der Erkenntnis, dass die bestehenden Narrative zur DDR-Geschichte, die sich auf die Erforschung der Herrschaftspraxis der SED und der Führungsebenen konzentrierten, zahlreichen Facetten des DDR-Alltags nicht gerecht werden. Die ostdeutsche Gesellschaft war in sich heterogener, als es das Bild der Einparteienherrschaft nahelegt. So erfolgen in neueren Studien Kontextualisierungen jüdischer Aspekte der DDR-Geschichte in größeren Zusammenhängen, die eine zuvor getroffene bloße Einordnung in Raum und Zeit überschreiten. Dazu zählen beispielsweise der Vergleich mit Aspekten der bundesrepublikanischen Geschichte,16 die mittels der Erforschung jüdischer Biografien vorgenommene Einordnung der DDR in die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts17 oder der Blick über die deutschen Grenzen hinaus auf die »Bruderstaaten« des vormaligen Ostblocks und deren jüdische Gemeinden.18 Ein nachgerade eigenes, weniger akademisch geprägtes Genre stellen Familienbiografien dar, die die jüdische Erfahrung in der DDR befragen und nicht selten popularisieren.19 Schließlich bezieht die Forschung zur Geschichte der Juden in der DDR seit geraumer Zeit Impulse aus jenem Paradigmenwechsel, den die Geschichtswissenschaft seit der Jahrtausendwende ganz allgemein vollzogen

15 Siehe Stefanie Eisenhuth/Hanno Hochmuth/Konrad  H. Jarausch, Alles andere als ausgeforscht. Aktuelle Erweiterungen der DDR-Forschung, 11.  Januar 2016, (1.  Dezember 2019); Ulrich Mählert, Totgesagte leben länger. Oder: Konjunkturen der DDR-Forschung vor und nach 1989. Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, 9–22. 16 Florian Korn, »Die ausgestellte Aufarbeitung. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit anhand von ausgewählten Ausstellungen in der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik von 1960 bis zur Wiedervereinigung« (Dissertationsprojekt bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur). 17 Siehe die Beiträge von Cathy S. Gelbin und Philipp Graf in diesem Schwerpunkt. 18 Stephan Stach, Dissidentes Gedenken. Der Umgang Oppositioneller mit Holocaustgedenktagen in der Volksrepublik Polen und der DDR, in: Peter Hallama/ders. (Hgg.), Gegengeschichte. Zweiter Weltkrieg und Holocaust im ostmitteleuropäischen Dissens, Leipzig 2015, 207–236; David Shneer, Eberhard Rebling, Lin Jaldati, and Yiddish Music in East Germany, 1949–1962, in: Lily E. Hirsch/Tina Frühauf (Hgg.), Dislocated Memories. Jews, Music, and Postwar German Culture, Oxford 2014, 161–186. 19 Siehe stellvertretend Maxim Leo, Haltet euer Herz bereit. Eine ostdeutsche Familiengeschichte, München 2009; Marion Brasch, Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie, Frankfurt a. M. 2012; André Herzberg, Was aus uns geworden ist. Roman, Berlin 2018.

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hat – dem von »Gesellschaft« zu »Gedächtnis«.20 Mit Wucht hatte das Ende des Ost-West-Konflikts 1989/1991 die von der Ordnung des Kalten Krieges für Jahrzehnte überfrorenen nationalen Gedächtnisse und die mit ihnen verbundenen historischen Zeiten wieder an die Oberfläche treten lassen. Der Holocaust als Kern des Zweiten Weltkrieges und die Frage, wie sich die europäischen Gesellschaften zu ihm verhalten hatten, wurden hierin bald zum allgegenwärtigen Referenzpunkt. Es ist daher wenig verwunderlich, dass der Großteil der neueren Forschung zur Geschichte der Juden in der DDR in einer Art nachholender Bewegung die Wahrnehmung des Holocaust in der DDR-Gesellschaft zum Gegenstand hat, wodurch nun verschiedene Studien zu dessen erstaunlicher Präsenz etwa in Film, Radio, bildenden Künsten oder Literatur vorliegen.21 Viel stärker als bislang angenommen existierte unterhalb der parteioffiziellen Erinnerung an NS-Herrschaft und Zweiten Weltkrieg, für die das Schlagwort vom »verordneten Antifaschismus« in der Tat gelten mag, eine rege – oftmals, aber nicht nur von jüdischer Seite initiierte – Beschäftigung mit der Vernichtung der europäischen Juden. Das solitär gewordene Bild eines allein staatlich determinierten Antifaschismus, das bis heute unsere Wahrnehmung der DDR bestimmt, kommt dadurch freilich ins Wanken.22 Wie das eingangs aufgeworfene Leipziger Beispiel zeigt, ist der Gegenstand damit aber noch nicht erschöpft. Die sich aufgrund neuer Sensibilität für den Holocaust einstellende Wahrnehmung eines eigenständigen jüdischen Selbstverständnisses wie auch eines davon abgeleiteten souveränen Agierens vermag vielmehr als Türöffner für weitergehende Forschungen fungieren. Diese können im Wesentlichen auf zwei Ebenen verortet werden: Zum einen scheint es lohnenswert, jene Bereiche unterhalb der weitgehend erforschten staatlichen Ebene in den Blick zu nehmen, so beispielsweise die nicht oder nur bruchstückhaft untersuchten jüdischen Gemeinden (wie auch ihre zum Teil einflussreichen Repräsentanten und ihren Dachverband), für die mit Ausnahme Leipzigs gar keine oder keine aktuellen Studien exis20 Dan Diner, Statt eines Vorwortes: Von »Gesellschaft« zu »Gedächtnis«. Über historische Paradigmenwechsel, in: ders., Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten, München 2003, 7–15. 21 Siehe z. B. Manuela Gerlof, Tonspuren. Erinnerungen an den Holocaust im Hörspiel der DDR (1945–1989), Berlin/New York 2010; René Wolf, The Undivided Sky. The Holocaust on East and West German Radio in the 1960s, Basingstoke 2010; Kathrin Hoffmann-Curtius, Bilder zum Judenmord. Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess, Marburg 22015; Elke Schieber, Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisueller Medien der SBZ und der DDR 1946 bis 1990. Eine Dokumentation, Berlin 2016. 22 Siehe dazu auch: Enrico Heitzer u. a. (Hgg.), Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR. Plädoyer für einen Paradigmenwechsel in der DDR-Zeitgeschichtsforschung, Frankfurt a. M. 2018.

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tieren; Aspekte der Wirtschafts- und Sozialstruktur wie etwa die auffällige Häufung von Jüdinnen in Führungspositionen (Sibylle Boden-Gerstner, Hilde Eisler, Hilde Neumann, Margarete Wittkowski); aber auch die nicht ungebrochenen Selbstverständnisse jüdischer Intellektueller und Parteifunktionäre wie Friedrich Karl Kaul, Jürgen Kuczynski, Albert Norden oder Anna Seghers, deren Selbstdarstellung als linientreue Kommunisten sich bei genauerem Hinsehen – etwa auf das reiche Genre der Memoirenliteratur und ihre Leerstellen – als brüchig erweisen. Zum anderen wären – und das ginge aus einem solchen Zugriff hervor  – die Schriftsteller, Künstler, Journalisten, Wissenschaftler, Unternehmer, Gemeindemitglieder wie auch die Parteifunktionäre jüdischer Herkunft nicht länger allein als Objekte der SED-Herrschaft zu betrachten, sondern als Akteure mit eigener Agenda und eigenen Erfahrungen ernst zu nehmen. Diesem neuen Zugang zur Geschichte der Juden in der DDR jenseits des »verordneten Antifaschismus« fühlen sich die Beiträge des Schwerpunkts verpflichtet. Jeannette van Laak (Leipzig) eröffnet diesen mit Überlegungen über die Remigration jüdischer Paare in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) beziehungsweise die DDR und setzt so die Geschichte der dortigen Juden ins Verhältnis zum bislang stark vernachlässigten Aspekt der Geschlechtergeschichte. Ihr besonderes Interesse gilt hierbei der Frage, wie jüdische Emigrantinnen und ihre Ehepartner versuchten, die in unterschiedlichen Lebensstationen gemachten Erfahrungen vielfältiger Emanzipation nach der Rückkehr nach Deutschland und dem Neubeginn in der Sowjetischen Besatzungszone zu bewahren. Dabei wird deutlich, dass die Rückkehrmotive dieser Paare entgegen späteren Darstellungen nicht primär oder gar ausschließlich auf ihre kommunistische Einstellung zurückzuführen sind, sondern ebenso auf politische Verhältnisse des Emigrationslandes und auf private Lebensumstände. Alexander Walther (Jena) präsentiert in seinem Artikel die Bemühungen des Journalisten Rudolf Hirsch (1907–1998), die Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden an die Öffentlichkeit zu bringen. Dies gelang ihm etwa über seine wöchentlichen Gerichtsreportagen für die beliebte Zeitschrift Wochenpost, in denen er auch von den Frankfurter Auschwitz-­Prozessen berichtete; Hirsch war Herausgeber und Autor einer Handvoll Bücher und Dokumentationen, die dezidiert an das jüdische Schicksal während des Zweiten Weltkrieges erinnerten. Dabei ermöglicht es seine Geschichte, unseren Blick für den Stellenwert des Holocaust in der DDR zu schärfen, und zwar nicht im Sinne eines »Entweder-oder« (Kommunist oder Jude), sondern eines »Sowohl-als-auch« (Kommunist und Jude): Dem überzeugten Kommunisten Hirsch gelang es, sowohl Parteilinie als auch Erinnerung an den Holocaust in einer Position zu vereinen.

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Anja Thiele (Jena) hinterfragt am Beispiel der DDR-Literatur ebenfalls den Befund vom »verordneten Antifaschismus« und zeigt zugleich auf, dass die Germanistik in diesem Fall den Annahmen der Geschichtswissenschaft von einer weitgehenden Absenz des Themas folgte. Dies unterstreicht einmal mehr die westliche Forschungsdominanz der 1990er und 2000er Jahre. Wie an Werken von Stephan Hermlin, Fred Wander und Jurek Becker verdeutlicht wird, rekurrieren diese zwar stets auf die Meistererzählung vom antifaschistischen Widerstand, jedoch offenbaren sie über die gesamte Zeit der Existenz der DDR hinweg zugleich eine erstaunliche Bandbreite an expliziter literarischer Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung. Cathy  S. Gelbin (Manchester) widmet sich in ihrem Beitrag einem der bekanntesten Remigranten in die DDR. Sie fragt, wie sich der »Jahrhundertzeuge« Stefan Heym (1913–2001) von einem »linientreuen« jüdischen Schriftsteller zu einem Dissidenten entwickelte, der vor allem jüdische Sensibilitäten in der DDR-Öffentlichkeit wenn nicht stark, so doch publik zu machen versuchte. Wie Gelbin anhand der Rolle von Freundschaften Heyms, insbesondere denen zu Robert Havemann und Wolf Biermann, darstellt, verlief diese Entwicklung alles andere als geradlinig und vollzog sich oftmals unter Bezugnahme auf explizit jüdische Aspekte seiner Biografie. Der Beitrag von Philipp Graf (Leipzig) über den jüdischen Juristen Leo Zuckermann (1908–1985) verfolgt abschließend die zwar oftmals zur Kenntnis genommenen, jedoch selten nach den Hintergründen befragten Versuche, 1948 in der SBZ ein Restitutionsgesetz zu verabschieden, für die Zuckermann neben einer Reihe weiterer Personen zentral war. Dabei wird nicht nur die ­ uckermann Bereitschaft sowohl der SED als auch eines Kommunisten wie Z sichtbar, jüdischen Forderungen in einer bemerkenswerten »Zwischenzeit« (Dan Diner) zwischen 1945 und dem Anheben des Kalten Krieges 1948/49, Gehör zu verschaffen. Vielmehr kann am Beispiel Zuckermanns verdeutlicht werden, inwieweit die DDR-Geschichte auch eine Geschichte der ihr vo­ rausgegangenen Zeiten ist, zumal sein erstaunliches Engagement zugunsten jüdischer Belange 1948 nur durch seine Vorgeschichte zu erklären ist.

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Eine Erfahrungsgeschichte der Rückkehr: Jüdische Emigranten-Ehepaare über ihre ersten Jahre in der SBZ/DDR »Wir waren nicht das, was sie wollten, aber sie wollten auch nicht verlieren, was sie mit uns hatten.«1 Mit diesen Worten soll Helene Weigel das Spannungsverhältnis zur SED beziehungsweise zu den SED-Kadern beschrieben haben, auf die das im Plural verwendete Personalpronomen »sie« verweist. Naheliegend ist, dass Weigel mit dem »wir« Brecht, sich selbst und das Kollektiv des Berliner Ensembles meinte. Weigels Herkunft lässt darauf schließen, dass mit dem »wir« auch Intellektuelle, Westremigranten, Kommunisten, Frauen oder Juden gemeint sein könnten. Sowohl die Geschichte der Intellektuellen als auch die der jüdisch-deutschen Remigranten in der DDR wurden bereits historisch untersucht.2 Bislang ging die Forschung davon aus, dass die Rückkehr der politischen und der jüdisch-kommunistischen Remigranten unter dem Vorsatz erfolgte, politisch dort anzuknüpfen, wo die Rückkehrer in den Jahren zwischen 1933 und 1945 hatten aufhören müssen.3 Der eingangs zitierte Satz stammt nun jedoch nicht von Hans Eisler, Arnold Zweig oder einem anderen jüdischen Rückkehrer, sondern von Helene Weigel. Deshalb stellt sich die Frage, wie sich die weiblich-jüdische Perspektive auf die Rückkehr nach Europa, konkret in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) und die junge DDR gestaltete? Helene Weigel gehörte zu den zahlreichen jüdisch-deutschen Rückkehrerinnen ihrer Generation, die sich in der SBZ/DDR einen Namen machten: Weigel wurde Intendantin des Berliner Ensembles. Die Malerin Lea Grundig kehrte aus Palästina/Israel zurück und wurde 1950 Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden.4 Hilde Eisler, die Ehefrau Ger-

1 Asja Braune, Geschichte einer Berliner Bühne. Das Theater am Schiffbauerdamm, o. D., (1. Dezember 2019). 2 Werner Mittenzwei, Die Intellektuellen. Literatur und Politik in Ostdeutschland 1945 bis 2000, Berlin 2003; Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000. 3 Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998, 105 f. 4 Lea Grundig, Gesichte und Geschichte, Berlin 101984. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 155–182.

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hard Eislers, wurde Chefredakteurin des Magazins.5 Sibylle Boden-Gerstner, Rückkehrerin aus dem französischen Exil, war 1956 Mitbegründerin einer Zeitschrift für Mode und Kultur, der sie ihren Namen lieh, und machte die Sibylle zu einem über die Landesgrenzen hinweg wahrgenommenen Blatt.6 Weigels Äußerung lässt ahnen, dass die Wege dieser Karrieren alles andere als geradlinig waren, aber dennoch: Es waren Karrieren und die Frauen machten von sich reden. Weigel genoss innerhalb der DDR-Theaterwelt den Ruf einer Grande Dame, erst als Schauspielerin, dann als Intendantin,7 vermutlich auch als Gesellschafterin. Ähnliche Anerkennung und Verehrung erfuhren Anna Seghers, Hilde Eisler oder Lea Grundig.8 Gemeinsam ist diesen und anderen Rückkehrerinnen – Karola Bloch, Louise Eisler, Beatrice Zweig, Ruth Seydewitz9 –, dass sie als jüdische Kommunistinnen beziehungsweise als kommunistische Sympathisantinnen Ende der 1940er Jahre in die SBZ/DDR kamen. Sie verbindet außerdem, dass sie meist mit ihren Partnern gemeinsam übersiedelten. Damit gehören diese Paare zu einer Minderheit, die nach Kriegsende überhaupt zurückkehren wollte. Die Forschung spricht von einem Drittel aller politischen Emigranten und von etwa vier Prozent aller jüdischen Emigranten, die in den Nachkriegsjahren nach Deutschland zurückkehrten.10 Zwischen Frauen und Männern wird dabei nicht unterschieden. Bekannt ist, dass etwa 400 kommunistische Juden aus dem englischen Exil in die SBZ kamen. Weitere 800 Sudetendeutsche remigrierten in die alte Heimat, um diese 1946/47 erneut verlassen zu müssen. Je 200 Personen kehrten aus der Schweiz und   5 Mario Keßler, Westemigranten. Deutsche Kommunisten zwischen USA-Exil und DDR, Köln/Weimar/Wien 2019, 415–424.  6 Siehe Andreas Krase, »Kumpels, Kohlen, Kapriolen«, in: Ute Mahler/Uwe Neumann (Hgg.), Sibylle. Zeitschrift für Mode und Kultur 1956–1995, Stuttgart 2017, 35–99, hier 35–39, bes. 35.   7 Carola Stern, Männer lieben anders. Helene Weigel und Bertolt Brecht, Berlin 2000; Sabine Kebir, Abstieg in den Ruhm. Helene Weigel. Eine Biografie, Berlin 2000.   8 Christiane Zehl Romero, Anna Seghers. Eine Biographie, 2 Bde., Berlin 2000–2003.   9 Siehe Keßler, Westemigranten, 380–394; Doris Danzer, »Mit guten Grüßen auch an Ihre Frau!« Exil und Remigration als Beziehungs- und Bewährungsprobe im Leben der Ehefrauen kommunistischer Intellektueller, in: Hiltrud Häntzschel/Inge Hansen-Schaberg (Hgg.), Politik – Parteiarbeit – Pazifismus in der Emigration. Frauen handeln, München 2010, 39–58; Irene Scherer/Welf Schröter (Hgg.), Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin. Eine Neuentdeckung des Wirkens der Bauhaus-Schülerin, Mössingen-Talheim 2010; Louise Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe. Texte und Briefe, hg. von Maren Köster, Jürgen Schebera und Friederike Wißmann, Wien 2006. 10 Harry Maòr, Über den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinden in Deutschland seit 1945 (unveröffentlichte Diss., Universität Mainz, 1961), 32; Edda Ziegler, Verboten, verfemt, vertrieben. Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, München 2010, 312 f.; Atina Grossmann/Tamar Lewinsky, 1945–1949. Zwischenstation, in: Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart, München 2012, 67–152, bes. 122–125.

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aus der Sowjetunion, 160 aus Frankreich und den Benelux-Ländern und 80 aus Mexiko zurück. 1947 kamen 429 Deutsche aus Schanghai an. Schätzungen zufolge gingen etwa 150 Personen aus den USA in die SBZ/DDR.11 Noch seltener als Männer remigrierten Frauen ins Nachkriegsdeutschland. Vor allem ledige Frauen hatten Sorge, bei ihrer Rückkehr hinter die inzwischen in der Fremde erlangten Emanzipationserfahrungen zurückzufallen.12 Diese Furcht verweist darauf, dass sie sich unter großen Anstrengungen mit den oftmals widrigen Bedingungen des Aufnahmelandes arrangiert hatten, was auch für die hier genannten Frauen gilt. Trotzdem machten sie sich nach Kriegsende erneut auf den Weg. Dieser führte sie zwar territorial in die alte Heimat beziehungsweise in deren Nähe. Im Hinblick auf die Zukunft war er jedoch ebenso ungewiss wie die Wege, die sie vorher beschritten hatten. Im Folgenden wird deshalb gefragt, welche Umstände dazu führten, dass sich Emigranten für eine Rückkehr entschieden, und welche Erfahrungen sie hierbei machten. Was hatten diese Remigranten, das die SED-Führung zwar so nicht haben, worauf sie aber auch nicht verzichten wollte? Lag es in ihrer Herkunft, in ihrer gesellschaftlichen und politischen Sozialisation, in den Erfahrungen des Exils begründet? Jenem »Etwas« versucht der vorliegende Aufsatz auf die Spur zu kommen, indem nach Herkunft und Sozialisation dieser Frauen gefragt wird. Darüber hinaus interessieren Erfahrungen, auf die sie zum Zeitpunkt der Emigration zurückblickten: Welche davon konnten sie in Deutschland, konkret der SBZ/DDR, bewahren?

Sozialisation in der Zwischenkriegszeit und während der Emigration Die genannten Frauen wurden um 1900 geboren und waren Töchter jüdischer, bürgerlich etablierter Familien. Gemeinsam teilten sie in ihrer Kindheit die Erfahrung des Ersten Weltkrieges, während ihre Adoleszenz in die Jahre der Revolution fiel, für die sich nicht wenige begeisterten. Die Spanne 11 Michael F. Scholz, Sowjetische Besatzungszone und DDR, in: Claus-Dieter Krohn u. a. (Hgg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945, Darmstadt 1998, Sp. 1180–1188, hier 1180; Françoise Kreissler, Remigration aus China. Die soziopolitischen Kontexte im Shanghai der Nachkriegszeit (1945–1946), in: Katharina Prager/ Wolfgang Straub (Hgg), Bilderbuch-Heimkehr? Remigration im Kontext, Wuppertal 2017, 349–359; Mario Keßler, Westemigranten. Deutsche Kommunisten zwischen USA-Exil und DDR, Köln u.a. 2019. 12 Karen Schniedewind, Fremde in der Alten Welt. Die transatlantische Rückwanderung, in: Klaus J. Bade (Hg.), Deutsche im Ausland, Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, München 1993, 179–184.

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zwischen 1920 und 1933 nahmen sie – wie andere auch – als »Zeit des Möglichen« wahr.13 Mit Billigung beziehungsweise Unterstützung der Eltern erlernten sie einen Beruf und waren in diesem tätig. Weigel wurde Schauspielerin; Karola Bloch setzte sowohl bei ihren Eltern als auch bei dem zwanzig Jahre älteren Bloch ein Architekturstudium durch, Lea Grundig besuchte erst die Kunstgewerbeschule und anschließend drei Semester die Dresdner Kunstakademie. Anna Seghers machte sich als Autorin einen Namen. Selbst Beatrice Zweig, die nicht zu dieser Altersgruppe gehört, studierte mit Ende dreißig in Paris Malerei.14 Während die einen sehr selbstbestimmt und (von ihren Männern) unabhängig eigene berufliche Wege beschritten, arbeiteten Louise Eisler oder Ruth Seydewitz mit ihren Lebensgefährten eng zusammen.15 Diese Wege waren innerhalb des Bürgertums ebenso neu wie der Umstand, dass Paare gemeinsame Projekte verfolgten. Lea und Hans Grundig etwa unterstützten mit ihren Bildern die politische Arbeit der Dresdner KPD, Gertrud und Wieland Herzfelde waren gemeinsam in einem eigenen Verlag tätig.16 Hervorzuheben ist, dass die Frauen nicht aus wirtschaftlicher Not heraus einen Beruf ergriffen oder ausübten. Vielmehr hatten die jungen bürgerlichen Frauen in dieser Zeit das Bedürfnis, sich für eine Gesellschaft, mit der sie sich identifizierten, nützlich zu machen, sich mit ihrem Beruf und dessen Ausübung in die Gesellschaft einzubringen. Dieser Anspruch beinhaltete zudem eine Emanzipationserfahrung, denn die jungen Frauen befreiten sich von den bis dahin geltenden Traditionen, die im jüdischen Bürgertum für Frauen ausschließlich eine Rolle innerhalb der Familie vorsahen. Im Privaten gingen diese mit der Rolle und den Aufgaben einer jüdischen Ehefrau durchaus vertrauten Frauen ebenfalls eigene Wege. Keine von ihnen schloss eine »arrangierte Ehe«, wie sie in jüdischen Kreisen damals üblich war. Vielmehr versuchten sie sich im bürgerlich-protestantischen Modell der »glücklichen Ehe«,17 manchmal mit, manchmal ohne Trauschein. Sie wähl-

13 Marion A. Kaplan, Jüdisches Bürgertum. Frau, Familie und Identität im Kaiserreich, übers. von Ingrid Strobel, Hamburg 1997, 229–249. 14 Siehe Jens Flemming, Junge Frau von 1933. Arnold Zweig, Lily Offenstadt und das Exil in Palästina, in: Pierre Béhar/Françoise Lartillot/Uwe Puschner (Hgg.), Médiation et conviction. Mélanges offerts à Michel Grunewald, Paris 2007, 501–520. 15 Eine Ausnahme bildet die aus adligen Kreisen stammende Louise Eisler, die weder eine Ausbildung abgeschlossen noch studiert hatte. Sie entwickelte sich zur Autodidaktin, war als Übersetzerin tätig und bezeichnete sich selbst als Managerin von Hanns Eisler. Siehe Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe. Außerdem Manja Finnberg, Ruth Seydewitz im Exil. Unsichtbare politische Arbeit und die Entdeckung der Geschlechterdifferenz, in:  Häntzschel/Hansen-Schaberg (Hgg.), Politik – Parteiarbeit – Pazifismus in der Emigration, 59–77. 16 Siehe Grundig, Gesichte und Geschichte, sowie Danzer, »Mit guten Grüßen auch an Ihre Frau!«, 47–49. 17 Kaplan, Jüdisches Bürgertum, 158.

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ten also ihre Partner ebenso selbstbestimmt wie ihre Berufe. Lea heiratete gegen den Willen des Vaters den Arbeiterkünstler Hans Grundig. Helene war zwar mit Brecht verheiratet, akzeptierte zugleich aber zahlreiche andere Frauen an seiner Seite. Ähnlich praktizierte es das Ehepaar Zweig.18 Die Eislers oder die Blochs lebten in den 1920er und den frühen 1930er Jahren zunächst unverheiratet zusammen. Auf diese Weise erfuhr die Institution Ehe eine Erweiterung sowohl um den Anspruch der Selbstbestimmung als auch um das Zusammengehörigkeitsgefühl um seiner selbst willen, wie es beispielsweise bei Seghers und ihrem Mann stark ausgeprägt war.19 Das bis dahin geltende bürgerliche Verständnis, wonach der Mann als Ernährer, die Frau als Hüterin des Hauses und der Kinder verstanden wurde, wollten sowohl Männer als auch Frauen durch »moderne« Lebensformen aufheben beziehungsweise überwinden. Dabei verfolgten die Geschlechter unterschiedliche Interessen, wie die Lektüre des 1929 erschienenen Buches Die Frau von morgen, wie wir sie wünschen belegt.20 Für einen Großteil der Autoren, die darin ihre Vorstellungen publizierten, bedeuteten moderne Ehevorstellungen vor allem offene Beziehungen. Zwar unterhielten sie diese ohnehin, mit ihrer legalisierenden Proklamation erweiterten sie jedoch bürgerliche Moralvorstellungen und entledigten sich zugleich der Verantwortung für eine »glückliche Ehe«. Es galt ihnen als modern, sich dem Ehestand absichtlich zu verweigern. In jedem Falle konnte damit die eigene Einstellung zu den herkömmlichen Konventionen demonstriert werden. Frauen stellten die Konventionen der Ehe ebenso infrage: Allerdings wollten sie ihre Festgelegtheit auf Haushalt und Kinder überwinden und den Männern eine Gefährtin sein. In der Öffentlichkeit wollten sie nicht nur als Ehefrau, sondern als eigenständig wahrgenommen werden.21 Mit diesen Ansichten standen sie in jenen Jahren nicht allein, auch in anderen Kreisen wurden alternative Lebensentwürfe gerade in Bezug auf die Stellung von Mann und Frau in Ehe und Familie diskutiert. Eine besondere Schnittmenge ergab sich mit kommunistischen Auffassungen über die Ehe. Nicht wenige Kommunisten betrachteten die Ehe als bürgerliches Relikt, das es zu überwin-

18 Jens Flemming, Der Mann weist den Weg. Arnold Zweig, die Frauen und die Emanzipation, in: Detlef Sack (Hg.), Soziale Demokratie, die Stadt und das randständige Ich. Dialoge zwischen politischer Theorie und Lebenswelt, Kassel 2008, 124–139, 134–136. 19 Siehe Zehl Romero, Anna Seghers, Bd. 1: 1900–1947, 170 f. 20 Friedrich M. Huebner (Hg.), Die Frau von morgen, wie wir sie wünschen, Leipzig 1929; Jens Flemming, »Neue Frau«? Bilder, Projektionen, Realitäten, in: Werner Faulstich (Hg.), Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, 9 Bde., Paderborn/München 2002–2010, hier Bd. 1: Die Kultur der 20er Jahre, München 2008, 55–70. 21 Zur »Gefährtenehe« siehe Hannelore Schlaffer, Die intellektuelle Ehe. Der Plan vom Le­ ben als Paar, München 2011.

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den galt. Vorstellungen von Partnerschaft beziehungsweise Kameradschaft sollten an deren Stelle treten und Bedürfnisse nach Zueinandergehörigkeit ersetzen.22 Die Vertreter der Boheme, die das Gefährten-Modell favorisierten, sahen das ähnlich.23 Zwar ist nicht entschieden, wer in dieser Frage wen beeinflusste, gleichwohl korrespondierte die Nähe der Ansichten mit der Sympathie der Paare für die kommunistische Idee. Die Paare diskutierten also über die Institution Ehe und suchten nach Wegen, eigene Interessen und gesellschaftliche Konventionen in Beziehung zueinander zu setzen.24 Seinen Ausdruck fand dies darin, dass die Frauen nach der Trauung ihre Berufstätigkeit fortsetzten. Unabhängig davon gehörten die Organisation des Haushaltes und die Betreuung der Kinder weiterhin in ihre Verantwortung.25 Neu war ebenfalls, dass nun nicht mehr die Herkunft aus gleichen gesellschaftlichen Schichten als ausschlaggebend für eine funktionierende Beziehung angesehen wurde, sondern ähnliche bis gleiche politische Ansichten. Die genannten Paare waren meist gemeinsam von der kommunistischen Idee und deren Idealen von Freiheit und Gleichheit angetan. Mit dieser Hinwendung zum Kommunismus, für manche verbunden mit dem Parteieintritt, eröffnete sich den Frauen eine weitere emanzipierend wirkende Erfahrung: die der politischen Betätigung. Vordergründig wurde das oftmals als Provokation und Protest gegen die Eltern, auch gegen die Gesellschaft und deren Konventionen aufgefasst, als Versuch, sich von den Herkunftsfamilien abzugrenzen.26 Dies verband sich mit der Vision einer künftigen toleranten Gesellschaft, einer besseren Welt – eine Vision, für die gegenwärtige Spannungen und Schwierigkeiten durchaus ertragen wurden. Manche beließen es bei Sympathiebekundungen und emphatischen Diskussionen, anderen war eine Mitgliedschaft in kommunistischen Parteien wichtig. Ernst Bloch sympathisierte mit der kommunistischen Idee und verfolgte aufmerksam die Entwicklungen in der Sowjetunion, trat aber nie der KPD bei; ganz anders seine Lebensgefährtin und spätere Frau Karola, die im Berlin der 1930er Jahre in die KPD und später in den Vereinigten Staaten in die dortige KP eintrat. Zu diesen emanzipierenden Faktoren gesellte sich ein weiterer ideeller Erfahrungsvorsprung vor allem derjenigen, die in den 1920er und 1930er Jahren wiederholt den Wohnort gewechselt hatten, um zu studieren, um das Studium abzuschließen, um eine neue Arbeit aufzunehmen oder um der drohenden Verfolgung aus rassischen und politischen Gründen zu entgehen. 22 Doris Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat. Deutschsprachige kommunistische Intellek­ tuelle und ihre sozialen Beziehungen (1918–1960), Göttingen 2012, 141. 23 Ebd., 142–147. 24 Ernst Bloch, Das Abenteuer der Treue. Briefe an Karola 1928–1949, hg. von Anna Czajka, Frankfurt a. M. 2005, 18–21. 25 Siehe Kaplan, Jüdisches Bürgertum. 26 Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat, 146.

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Letzteres wirkte umso einschneidender, als die Betroffenen weniger aus eigenem Antrieb handelten, sondern weil sie gehen mussten. Konkret bedeutete das, komplexe Bindungen, Zugehörigkeiten und staatlich garantierte Schutzverhältnisse aufzugeben und sich in dieser Hinsicht einer unsicheren Zukunft zu stellen. Diese Erfahrungen waren einschneidend, wie der 1938 von Seghers verfasste Essay Frauen und Kinder in der Emigration zeigt: »Der Entschluss, aus dem eigenen Leben wegzugehen, ob er plötzlich kam, weil das Leben plötzlich in Gefahr war, oder ganz allmählich, weil das Leben ganz allmählich untragbar wurde – dieser Entschluss ist schon der Anfang der Emigration. Wer ihn gefasst hat, dem brennt schon der Boden unter den Füßen, dem blättern schon die Wände ab.«27

Dieser Entschluss war deshalb so existenziell, weil bisherige Sicherheiten nicht mehr trugen und der Alltag im Exilland kaum den bisherigen Erfahrungen entsprach: »Nach dem Anlass der Emigration pflegt man die Familien in politische und wirtschaftliche Emigranten einzuteilen. Aber die Wirklichkeit entzieht sich oft allzu straffen Einteilungen. Wirtschaftlich oder politisch – sobald die Last untragbar, sobald das Leben unlebbar, sobald der Entschluss zur Emigration unweigerlich ist, tritt die Frau ganz auf den Plan. Dieser Entschluss weckt ihr ganzes Wesen, Teile ihres Wesens, die ein gewöhn­liches, alltägliches Leben wahrscheinlich nie gezeigt hätte.«28

Seghers verarbeitet hier sowohl eigene Erfahrungen als auch ihre Beobachtung, dass Frauen in unwägbaren Situationen über sich hinauswuchsen, ihre Lebensverhältnisse denen des Aufnahmelandes anpassten, um sich im Aufnahmeland zurechtfinden zu können. Zu den neuen Aufgaben gehörte, den Mann aus einem Lager zu holen und Reiseunterlagen zu organisieren, die zu den bisherigen, wie die Versorgung der Kinder, hinzukamen. Umso erstaunlicher, dass Seghers Zeit blieb, ihre Beobachtungen zu notieren und den Roman Transit zu schreiben.29 Das Streben der Frauen in der Emigration war darauf gerichtet, den Alltag als Familie beziehungsweise Paar wie gewohnt fortzusetzen: eine mehr oder weniger akzeptable Unterkunft und Verdienstmöglichkeiten zu organisieren. Hierfür besannen sich die Frauen auf bewährte Handlungsmuster. Karola Bloch erinnert sich anlässlich der verschiedenen Umzüge in den 27 Anna Seghers, Frauen und Kinder in der Emigration, in: dies./Wieland Herzfelde, Gewöhn­ liches und gefährliches Leben. Ein Briefwechsel aus der Zeit des Exils 1939–1946, hg. von Ursula Emmerich und Erika Pick im Auftrag der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik, Darmstadt/Neuwied 1986, 128–145, hier 128 f. 28 Ebd., 129. 29 Siehe Philipp Graf, Art. »Transit«, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von Dan Diner, 7 Bde., Stuttgart 2011–2017, hier Bd. 6, Stuttgart 2015, 151–156.

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1920er und 1930er Jahren daran, wie aufwendig es war, ein Zimmer, besser eine Wohnung zu finden und die Möbel nachzuholen. Es galt, akzeptable Arbeitsbedingungen für Ernst Bloch, danach auch für sie selbst zu schaffen. Dabei erleichterte die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern manches.30 Dennoch führte jede Migrationsetappe dazu, dass die Frauen eigene Interessen und Bedürfnisse hinter die der Familie zurückstellten. Als Seghers in Paris ankam, organisierte sie die Unterbringung der Kinder in Kindergarten und Schule und erst dann für sich annehmbare Arbeits-, das heißt Schreibbedingungen. Wiederholt verglich sie ihre Situation mit der von Männern, die auf die organisatorischen Fähigkeiten ihrer Frauen vertrauen konnten. Seghers war sich dieser doppelten Belastung bewusst, Unterstützung von ihrem Mann erwartete sie dabei nicht.31 Im Nachhinein konstatierte sie, dass die Sorge um die Kinder sie vor der – bei anderen Emigranten verbreiteten – Hoffnungslosigkeit bewahrt habe.32 Damit deutete sie ihre Überlastung als individuelle Selbsthilfe um, was die Komplexität der Exilerfahrung einmal mehr belegt. In den jeweiligen Emigrationsländern mussten die Paare beziehungsweise Familien die Erfahrung machen, dass ihre bisherigen Lebenskonzepte nicht überall in gleicher Weise funktionierten. Ungetraute Paare etwa heirateten, um ein Visum oder eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Dies betraf beispielsweise die Blochs und die Eislers. Damit beugten sie sich den Konventionen der Aufnahmeländer, bevor sie überhaupt eine Einreisegenehmigung hatten. Die Übersiedlung in die Vereinigten Staaten, auf den südamerikanischen Kontinent oder gar nach Asien bedingte oftmals drastische Veränderungen. Frauen und Männer, die in ihrem Beruf auf die Sprache angewiesen waren, stellte die Emigration vor besonders große Herausforderungen. Hiervon waren Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen in gleichem Maß wie ihre männlichen Kollegen betroffen. Zwar konnte auch frau überall schreiben, doch wo das Publikum fehlte, fehlte Resonanz. Weigel war Brecht 1933 in die Emigration gefolgt, weder in Dänemark noch in Schweden oder in den Vereinigten Staaten erhielt sie jedoch langfristige Bühnenengagements. Zwischen 1933 und 1945 stand sie nur wenige Male auf einer Bühne, in den Vereinigten Staaten musste sie sich mit einer kleinen Nebenrolle begnügen. Für Weigel stellte die verordnete berufliche Untätigkeit eine der größten Herausforderungen während der Emigration dar. Sie widmete sich Haushaltsführung und Kinderbetreuung und übernahm damit gezwungenermaßen tradierte Handlungsmuster. Doch schon 1937 be30 Siehe Karola Bloch, Aus meinem Leben, Pfullingen 1981. 31 Zehl Romero, Anna Seghers, Bd. 1, 286. 32 Ebd.

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schwerte sie sich: »Meine idiotische Existenz hängt mir sehr zum Hals raus. Ich war und bin auch noch immer eine brauchbare Person und der Winterschlaf dauert zu lange.«33 Erschwerend kam hinzu, dass die Emigranten oftmals mittellos in den Aufnahmeländern eintrafen.34 Jeder Neuanfang ließ die Ersparnisse schrumpfen. Zudem wurde eine finanzielle Unterstützung durch in Europa verbliebene Verwandte immer schwieriger, bis sie in den 1940er Jahren ganz ausblieb. Bei der Arbeitssuche in den Aufnahmeländern hatten vor allem die Männer Schwierigkeiten.35 Wie schwer ihnen ein Umdenken fiel beziehungsweise wie schwer es ihnen fiel, sich auf die Lebensbedingungen des Aufnahmelandes einzulassen, zeigt ein Brief Ernst Blochs an Wieland Herzfelde vom März 1939: »Ich arbeite täglich zwölf Stunden und mehr an dem Buch; auch dieses läßt mir wenig Zeit für anderes. Doch ich weiß natürlich, die zwölfstündige Arbeit ist selbst nur ein Mittel, um mich von der verhassten Schuljungen-Arbeit am Englischen zu dispensieren.«36 Zwar lernte Bloch mit den Jahren die englische Sprache, doch seine Versuche, Aushilfsjobs zu erhalten, scheiterten. Er hatte nie etwas anderes gemacht als zu studieren und Aufsätze oder Bücher zu schreiben. Wer hätte einem Gelehrten einen Aushilfsjob zugetraut? Andere Ehemänner holten US-amerikanische Berufsabschlüsse nach, um die Chancen auf eine Anstellung zu erhöhen, aber auch das auf Kosten ihrer Frauen.37 Den Ehefrauen blieb also oftmals nichts übrig, als in unterbezahlten Anstellungen ungeliebte Arbeiten zu verrichten. Das war für sie eine neue Erfahrung ebenso wie der Umstand, tatsächlich den Lebensunterhalt für die Familie zu bestreiten. Und auch das war nicht einfach. So gelang es Karola Bloch zwar, im ersten Emigrationsjahr in den Vereinigten Staaten ein Haus zu projektieren und den Bau zu betreuen, die damit verbundene Hoffnung auf Folgeaufträge erfüllte sich indes nicht. Also verkaufte sie Versicherungen oder kellnerte. Der Sohn wurde zwischenzeitlich in einem Kinderheim untergebracht. Noch einschränkender empfand sie die Zeit, als sie und ihr Mann gemeinsam mit anderen Emigranten von einer jüdischen Mäzenin 33 Helene Weigel, »Wir sind zu berühmt, um überall hinzugehen«. Briefwechsel 1935–1971, hg. von Stefan Mahlke, Berlin 2000, 15. 34 Zu den Ausreisebedingungen siehe Susanne Meinl/Jutta Zwilling, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt a. M./New York 2005, 42 f. 35 George Wyland-Herzfelde, Herzfeldes Sohn, beschreibt in seinen Erinnerungen, dass ­Ernst Bloch sich in Cambrigde (Massachusetts) als Heizer beworben, aber keine Anstellung erhalten hatte. Ders., Glück gehabt. Erinnerungen, München 2003, 227. 36 Ernst Bloch/Wieland Herzfelde, »Wir haben das Leben wieder vor uns«. Briefwechsel 1938–1949, hg. von Jürgen Jahn, Frankfurt a. M. 2001, 44. 37 Sibylle Quack, Zuflucht Amerika. Zur Sozialgeschichte der Emigration deutsch-jüdischer Frauen in den USA 1933–1945, Bonn 1995, 134–140.

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auf einen Landsitz eingeladen wurden. Hier eröffneten sich zwar für Ernst Bloch gute Schreibbedingungen und anregende Gesprächskreise, Karola jedoch wurde bald gebeten, die Versorgung und Bedienung der Gesellschaft zu übernehmen.38 Diese Aufgabe übernahm sie nur aus Pragmatismus: weil es der Familie zuträglich war und weil sie den Sohn nicht schon wieder in fremde Hände geben wollte. Sie verband mit der Hausfrauentätigkeit weder Kreativität noch Selbstverwirklichung. Aus der Unzufriedenheit resultierte schließlich eine Erkrankung, die ihre weitere Tätigkeit bei der Mäzenin verhinderte. Ernst Bloch anerkannte ihre Klage darüber, »nichts Eigenes« zu haben, und trug so wesentlich dazu bei, dass seine Frau nicht verzweifelte.39 Erst in den Nachkriegsjahren konnte Karola Bloch berufsverwandt als technische Zeichnerin arbeiten. Für Louise Eisler war die Anstellung als Kindermädchen so etwas wie ein Tiefpunkt ihrer Berufstätigkeit in der Emigration.40 Bereitwillig gab sie diese auf, als Hanns Eisler wieder in seinem Beruf als Komponist tätig sein konnte: »Hanns Eisler brauchte mich, da hörte meine Emanzipation auf. Er hatte Arbeit gefunden, da war Not an der Frau – er brauchte eine Haushälterin, eine Sekretärin – vor allem aber einen Chauffeur.«41 Sie kokettiert hier mit dem Begriff der Emanzipation beziehungsweise mit deren Ende. Im Grunde war sie erleichtert darüber, die ungeliebte, gesellschaftlichen Abstieg symbolisierende Tätigkeit als Kindermädchen aufgeben zu können. Da versprach das »Chauffieren« ihres Mannes weitaus mehr individuelle Selbstverwirklichung. Auch später verlegte sie sich auf Tätigkeiten, die sie anderen »voraushatte«, zum Beispiel auf das Übersetzen. Selbst als Sekretärin unterstützte sie Eisler und machte sich damit als Gefährtin unersetzlich. Zwischen 1933 und 1945 waren in den Vereinigten Staaten 48 Prozent aller Migrantinnen berufstätig, darunter viele verheiratete.42 Das bedeutete eine starke Mobilisierung der weiblichen Arbeitskraft insgesamt und gerade für Migrantinnen meist einen Erfahrungsvorsprung. Für die hier untersuchten Frauen bestand dieser darin, dass sie, die in Deutschland bereits berufstätig gewesen waren, nun Tätigkeiten übernehmen mussten, die mit dem Anspruch auf Selbstverwirklichung kaum etwas gemein hatten. Indem sie ungeliebte und kaum prestigeträchtige Aufgaben annahmen, näherten sie sich den Erfahrungen von Arbeiterinnen an. Einige nahmen das als Ausdruck sozialen Abstiegs wahr, so etwa Louise Eisler. Anderen, wie Karola Bloch,

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Bloch, Aus meinem Leben, 150–153. Ebd., 156 f. Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe, 53. Ebd., 55. Quack, Zuflucht Amerika, 124.

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mag ihre kommunistische Haltung geholfen haben, sich mit den Umständen zu arrangieren. Eine weitere Anpassungsleistung bestand darin, sich dem Diktat der berufstätigen Frauen in den Vereinigten Staaten zu beugen, demzufolge sich Berufstätigkeit und Attraktivität nicht ausschlossen. Diesem Anspruch konnten die Emigrantinnen aufgrund ihrer eingeschränkten finanziellen Mittel zunächst oft nicht nachkommen. Louise Eisler und Karola Bloch etwa beklagten, wie schwer es ihnen gefallen sei, das Image der Attraktivität zu pflegen. Als sie schließlich über das nötige Geld verfügten, passten sie sich den Gepflogenheiten der berufstätigen amerikanischen Frau an, vor allem, um nicht länger als Immigrantin aufzufallen. Die Emigrantinnen reagierten auf die jeweiligen alltäglichen Lebensumstände in den Aufnahmeländern verhältnismäßig flexibel. Dabei setzten sie ihre Vorstellungen von einem selbstbestimmten Leben zu den vor Ort üblichen Konventionen in Beziehung und wägten ab, in welchen Bereichen Zugeständnisse sinnvoll waren. So nahmen sie bestimmte gesellschaftliche Rückentwicklungen beziehungsweise Konventionen wie etwa die notwendige Eheschließung oder ungeliebte Tätigkeiten in Kauf. In politischen Fragen hingegen zeigten sich nicht alle kompromissbereit. Viele blieben bei ihrer kommunistischen Einstellung, manche unterstrichen diese sogar mit einem Parteieintritt im Aufnahmeland. Damit bekräftigten sie frühere politische Entscheidungen und betonten ihre politische Zugehörigkeit vor Ort, während die Mehrheit der (Aufnahme)Gesellschaft darauf mit Unverständnis reagierte.

Remigrationsmotive Ins »Land der Täter« zurückzukehren war für die Mehrheit der jüdischen Emigranten während des Krieges undenkbar geworden. Deutschland war nach dem Krieg mit einem Bann belegt, der eine Rückkehr ausschloss, beinahe verbot.43 Wenige jüdische Emigranten ignorierten dies nach 1945. Die Motive hierfür waren heterogen. Sie reichten von politischen, sprachlichkulturellen bis zu wirtschaftlichen Gründen. Auch Heimweh war ein wichtiges Motiv,44 ebenso die Sehnsucht, frühere Bindungen und Verantwortlich-

43 Dan Diner, Im Zeichen des Banns, in: Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart, 15–66. 44 Siehe hierzu und zum Folgenden Erica Burgauer, Jüdisches Leben in Deutschland (BRD und DDR) 1945–1990 (unveröffentlichte Diss., Universität Zürich, 1992), 10.

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keiten zu erneuern, exemplarisch bei Lea Grundig, die nach dem Krieg aus Palästina/Israel zu ihrem Mann zurückkehren wollte.45 Nicht selten waren es politische Veränderungen in den Aufnahmeländern, die zum Nachdenken über eine Rückkehr führten. So schildert Karola Bloch, wie sich das Paar nach Kriegsende aufgrund der in Amerika beginnenden antikommunistischen Kampagne zunehmend heimatlos fühlte. Auch das Ehepaar Eisler bekam diese unmittelbar zu spüren. Nachdem Gerhard Eisler, der Bruder von Hanns, antiamerikanischer Aktivitäten für schuldig befunden worden war und Hanns Eisler sich nicht in aller Deutlichkeit von ihm distanziert hatte, wurde das Ehepaar Eisler im März 1948 ausgewiesen.46 Beide wurden nach Wien ausgeflogen und versuchten dort längerfristig, Kontakte zu knüpfen. Doch jemand, »der aus Amerika ausgewiesen worden war, sah sich vor verschlossenen Türen«, vermerkt Louise in ihren Erinnerungen.47 Als die Versuche, in Prag und Wien eine Anstellung zu erhalten, nicht fruchteten, nahm Hanns Eisler den Lehrstuhl für Komposition an der Akademie der Künste in Ost-Berlin an. Was sich als ein scheinbar folgerichtiger Schritt aufgrund seiner Sympathie mit der kommunistischen Idee darstellte, war bei genauerer Betrachtung eine Notlösung, zumal Eisler bis dahin beruflich sehr erfolgreich in Hollywood hatte arbeiten können. Viele Emigranten hofften wohl auf Einladungen aus Deutschland, sich am Wiederaufbau zu beteiligen. Dies verstanden sie meist auch als eine Form symbolischer Wiedergutmachung. Ernst Bloch zum Beispiel erhielt 1948 den Ruf an die Leipziger Universität, in dem ihm sogar zwei Professuren angeboten wurden. Bloch selbst eröffneten sich damit Möglichkeiten, mit denen er schon nicht mehr gerechnet hatte: Er erfuhr im Alter von 64 Jahren erstmals eine berufliche Anerkennung für seine bisherige wissenschaftliche Arbeit.48 Und er sah sich, was mindestens ebenso wichtig war, damit in die Lage versetzt, eine Familie versorgen zu können; eine Aufgabe, die bisher Karola übernommen hatte. Seinem Sohn nun zu beweisen, dass er als Wissenschaftler die Familie ernähren könne und nicht länger ein »nobody« sei, war für Bloch einer der Gründe, Amerika zu verlassen und das Angebot aus Leipzig anzunehmen.49 In diesem Konflikt zeigt sich, wie sehr die Blochs in Amerika angekommen waren. Die Erfahrung vieler US-amerikanischer Familienväter, die ihre Arbeit in den 1930er und 1940er Jahren verloren hatten und fortan akzeptieren mussten, dass ihre Rolle in der Familie brüchig wur-

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Siehe Lea Grundig, Gesichte und Geschichte. Siehe Keßler, Westemigranten. Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe, 67. Keßler, Westemigranten, 384. Bloch, Aus meinem Leben, 186.

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de,50 schien mehr oder weniger offen auch in der Familie Bloch diskutiert worden zu sein. Karola stand der Rückkehr skeptisch gegenüber und ließ ihren Mann »vorausgehen«. Sie hatte sich mit den amerikanischen Verhältnissen durchaus arrangiert, zumal zahlreiche Freunde hier lebten. In den Anfang der 1980er Jahre erschienenen Erinnerungen verwies sie darauf, dass Amerika die Heimat ihres Sohnes gewesen sei, die er mit der Übersiedlung nach Deutschland verloren habe. Dass sie ihre Befindlichkeit dem Sohn zuschrieb, war ebenfalls eine für Migrantinnen durchaus übliche Praxis.51 Auch für andere Ehefrauen war die Rückkehr keine vorrangige Option. So soll sich Beatrice Zweig in eine Nervenkrankheit geflüchtet haben, weil sie ihrem Mann Arnold Zweig nicht nach Berlin folgen wollte.52 Zweig hingegen wollte endlich wieder für ein deutschsprachiges Publikum schreiben. In Palästina/Israel hatte er nur wenige Leser erreicht, zumal weder er noch seine Frau Hebräisch gelernt hatten. Die Kulturfunktionäre um Johannes R. Becher stellten ihm Neuauflagen seiner früheren Romane in Aussicht53 und empfingen ihn mit großem Aufgebot in Berlin.54 Hiervon war er so angetan, dass er schnell bereit war, im Nachkriegsberlin zu bleiben. Anders war es bei Lea Grundig: Sie wollte zurückkehren, als sie erfuhr, dass ihr Mann Hans Grundig, von dem sie 1939 getrennt worden war, Krieg und Lagerhaft überlebt hatte.55 Das war nicht einfach, weil ihr Ausweis 1946 bei den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Palästina verloren gegangen war. Mit den Erlösen ihrer Bilder bei Ausstellungen in Tel Aviv, Jerusalem und London konnte sie schließlich neue legale Papiere erwerben. Doch israelischen Staatsbürgern war es untersagt, mit dem Pass nach Deutschland einzureisen, weshalb Remigranten wie Zweig und Grundig den Weg über Prag wählten und hier auf eine Einreisegenehmigung in die Sowjetische Besatzungszone warteten. Bis auf Grundig, Seghers und Weigel hatten die Frauen kaum Gründe, in die alte Heimat zurückzukehren, vielmehr hatten sie sich mit den Situatio50 Jürgen Martschukat, Die Ordnung des Sozialen. Väter und Familien in der amerikanischen Geschichte seit 1770, Frankfurt a. M. 2013, 248 f. 51 Martina Kliner-Fruck, Jüdische Frauen zwischen NS-Deutschland, Emigration nach Palästina und ihrer Rückkehr, in: Julius H. Schoeps (Hg.), Leben im Land der Täter. Juden im Nachkriegsdeutschland (1945–1952), Berlin 2001, 287–301, hier 294. 52 Arnold Zweig/Beatrice Zweig/Ruth Klinger, »Das nenn ich ein haltbares Bündnis«. Briefwechsel (1936–1962), hg. von Ludger Heid, Bern u. a. 2005, 58. 53 Ebd., 45–60; siehe auch Lion Feuchtwanger/Arnold Zweig, Briefwechsel 1933–1958, 2 Bde., hier Bd. 2: 1949–1958, Frankfurt a. M. 1986. 54 O. A., Arnold Zweig in Berlin, in: Neues Deutschland, 19. Oktober 1948, 3; o. A., Empfang für Arnold Zweig, in: Neues Deutschland, 21. Oktober 1948, 5. 55 Archiv der Akademie der Künste Berlin (nachfolgend AdK), Lea Grundig, Altregistratur K 224, Brief Lea Grundig an Hans Grundig, 29. Juni 1946.

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nen in den Aufnahmeländern arrangiert. Wenn sie dennoch zurückgingen, dann meist, weil sich ihren Männern neue Perspektiven eröffneten. Zudem waren Ortswechsel gewissermaßen zu einem konstitutiven Merkmal dieser Ehen geworden. Die Paare waren sowohl darin geübt, aufzubrechen, als auch darin, sich in die vorgefundenen Verhältnisse hineinzufinden. Aus mancher Ortsveränderung wurde kreative Kraft geschöpft, um den Situationen überhaupt etwas Positives abgewinnen zu können. So schrieb Hanns Eisler im April 1948 an Adorno: »Europa, soweit ich das jetzt sehe, hat eine äußerst befruchtende Wirkung auf mich. […] Ich habe mich seit langem geistig nicht so wohl gefühlt, trotz provisorischer Lebensumstände, die gewiss Unbequemlichkeiten mit sich bringen. Aber diese Unbequemlichkei­ ten enthalten echten produktiven Anreiz.«56

Diese Zeilen verdeutlichen das Spannungsverhältnis zum Zeitpunkt der Remigration und verweisen auf Eislers Fähigkeit, unbefriedigenden Lebenslagen wenn schon nichts Positives, dafür aber immerhin etwas Kreatives abzugewinnen. Die genannten Paare können als »geübte Migrantenpaare« bezeichnet werden. Sie waren in der Lage, Bindungen aufzugeben und an anderen Orten neue einzugehen. Dies wurde weiterhin begünstigt durch die entstandenen Netzwerke, deren Mitgliedern man sich freundschaftlich, zum Teil auch beruflich verbunden fühlte, die man wiedertraf, zu denen man Kontakt hielt. Noch ein weiterer Umstand beeinflusste die Rückkehr: Die Paare standen mit Mitte vierzig oder Anfang fünfzig am Beginn eines neuen Lebensabschnitts, der nachelterlichen Familienphase. Die Kinder waren in der Emigration herangewachsen, die aus pragmatischen Gründen angenommene Rolle als Mutter und Hausfrau war nicht länger notwendig. Dies wird bei Weigel und Seghers besonders deutlich: Weigels Sohn hatte das Elternhaus in Santa Monica bereits verlassen. 1946 schreibt Weigel an Ernst Busch »Ich bin in diesen vielen Jahren auch nicht schöner geworden und ich hoffe, nur bald mal wieder arbeiten zu können. Mein Hausfrauentum hängt mir, da meine beiden Kinder erwachsen sind, zum Halse raus.«57 Seghers’ Kinder erhielten 1947 Stipendien für französische Schulen und Universitäten. Auch das Ehepaar Zweig kehrte ohne die Söhne nach Deutschland zurück. Damit ließen vor allem die Mütter die enge Phase der Familienversorgung hinter sich, was ihnen ebenfalls neue Optionen eröffnete.

56 Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe, 231. 57 Weigel, »Wir sind zu berühmt, um überall hinzugehen«, 18.

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In der SBZ/DDR – Rückkehr und Ankunft Die Erfahrungen bei der Rückkehr bewegten sich zwischen einem freundlichen, teils überschwänglichen Empfang, privilegierten Lebensverhältnissen und der Ernüchterung über die Begegnungen mit den Deutschen. Remigranten, die ab 1948 in die SBZ einreisten, wurden dann mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit bedacht, wenn sie in der Zwischenkriegszeit prominent gewesen waren oder mittlerweile eine gewisse Berühmtheit erlangt hatten. Das galt zum Beispiel für Arnold Zweig, der schon vor 1933 ein angesehener deutscher Autor gewesen war. Ähnlich bekannt waren Brecht, Weigel oder Seghers. Zweig wurde im Oktober 1948 in Dresden ein großer Empfang bereitet, ebenso Lea Grundig 1949.58 Diejenigen, die nach Berlin zurückkehrten, wurden im Hotel Adlon untergebracht, wenig später erhielten sie Wohnungen zugewiesen, die zuvor beschlagnahmt worden waren. Für die Remigranten war wichtig, dass die berufliche Frage im Vorfeld geklärt wurde. Wieland Herzfelde bestand noch in New York darauf, dass ihm Wohnung und Arbeit garantiert wurden. Damit verdeutlichte er, dass er nicht bereit war, seine bescheidenen Lebensverhältnisse in New York für eine erneut ungewisse Zukunft aufzugeben.59 Die SED-Führung traf entsprechende Vorkehrungen oder ließ geeignete Angebote unterbreiten. Zweig wurde Präsident der Akademie der Künste, Hanns Eisler übernahm einen Lehrstuhl für Komposition an dieser Akademie. Brecht bekam ein eigenes Theater, Weigel organisierte fortan das Berliner Ensemble.60 Seghers übernahm eine Funktion im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands.61 Lea Grundig erhielt einen Lehrstuhl an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden.62 Bloch und Herzfelde wurden nach Leipzig berufen.63 Damit fanden sich die genannten Emigranten in der sowjetisch besetzten Zone im Vergleich zur übrigen Bevölkerung in privilegierten Verhältnissen wieder: Sie erhielten gute Anstellungen und damit verbunden relativ großzügige Gehälter und wurden bei der Wohnraumvergabe bevorzugt. Das ist angesichts der allgemein angespannten Nachkriegssituation kein unerheblicher Befund.

58 O. A., Arnold Zweig in Berlin; o. A., Empfang für Arnold Zweig; Andreas Schätzke, »Unendlich viel Neues …« Lea Grundigs Rückkehr aus dem Exil, in: Lea Grundig. Jüdin, Kommunistin, Graphikerin (Ausstellungskatalog), Berlin 1996, 56–67, hier 59. 59 Siehe Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat, 434. 60 Siehe Stern, Männer lieben anders; Kebir, Abstieg in den Ruhm. 61 Nicolas Berg, Das Ich im Wir. Anna Seghers und Victor Klemperer in der frühen DDR, in: Einsicht 15. Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Frankfurt a. M. 2016, 38–49, bes. 42 f. 62 Siehe Reinhold Tetzlaff, »… und ich würde Deine Mitarbeit an der Schule dringend brauchen«. Lea Grundig und die Hochschule für Bildende Künste Dresden, in: Lea Grundig. Jüdin, Kommunistin, Graphikerin, 68–73. 63 Siehe Bloch/Herzfelde, »Wir haben das Leben wieder vor uns«.

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Ihre im Vergleich zur deutschen Nachkriegsbevölkerung bevorzugte Stellung entging ihnen keineswegs. Louise Eisler schrieb im Februar 1949 an Lion Feuchtwanger: »Künstler und Wissenschaftler sind enorm privilegiert, es gibt kein finanzielles und kein ökonomisches Problem, auch sind die Lebensbedingungen für diese Kreise, dort wo ich war, ausgezeichnet.«64 Damit wollte sie ihn damals noch überzeugen, ebenfalls zurückzukommen. In ihrem autobiografischen Text heißt es später: »Die ersten beiden Jahre war ich gern in Berlin, obwohl es vieles gab, was mir nicht gefiel. Ich hatte Arbeit. […] Uns Intellektuellen und Künstlern ging es zu gut, wir waren zu privilegiert. Das war man wohl überall, wo man sich durchgesetzt hatte, aber man war schon sehr verwöhnt hier hergekommen und bildete sich etwas darauf ein, dass man seine Bedürfnisse ohnehin schon so heruntergeschraubt habe, in diesem Teil Deutschlands, wo es an allem mangelte.«65

Im Rückblick irritierte Louise Eisler dieses »zu gut«, »zu privilegiert« noch lange, auch wenn sie es zeitweise in der SBZ/DDR genossen hatte.66 Zu den bereits aufgeführten Privilegien kamen weitere: So konnten sich die Remigranten bis Anfang der 1950er Jahre mit zwei Staatsbürgerschaften und damit mit zwei Pässen innerhalb Europas frei bewegen. Darüber hinaus hatten sie durch Paketsendungen von Freunden oder auf ihren Reisen Zugang zu Waren, die im Land nicht erhältlich waren. Während die zurückkehrenden Männer sich für den Wiederaufbau des Landes engagierten und darauf vertrauten, dass die momentanen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse vorübergehender Natur wären und zu den Anfangsschwierigkeiten gehörten, setzten ihre Frauen andere Schwerpunkte. Sie vermerkten unter anderem, welche Deformationen Nationalsozialismus und Krieg bei den Menschen hinterlassen hatten: »Die Bevölkerung, soweit ich sie als Tourist beurteilen kann, ist schweigsam, missgelaunt, auch gehässig und fleißig. Ein idiotischer Ameisenfleiß, durch Arbeit wieder irgendwie das Leben herzustellen. Sie sind verbittert, weil sie den Krieg verloren haben«, berichtete Louise Eisler im Februar 1949 Feuchtwanger.67 Ähnliches beobachtete Hannah Arendt 1950 bei ihrer Reise durch Deutschland. Auch sie war durch die Geschäftigkeit der Deutschen irritiert und interpretierte sie

64 Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe, 235. 65 Ebd., 68 f. 66 So verhandelte Louise Eisler 1951 mit den Verantwortlichen im Kurort Ahrenshoop darüber, dass nicht nur das Ehepaar Eisler, sondern auch die Familie von Ernst Fischer eine Ferienunterkunft erhielt. Hierfür nutzte sie ganz bewusst die Stellung ihres Mannes, um das Personal vor Ort einzuschüchtern. Siehe AdK, Johannes-R.-Becher-Korrespondenz, 4188, Johannes R. Becher an Hanns Eisler, 30. Juni 1952. 67 Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe, 235.

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als unmittelbare Verdrängungsleistung, als Ausweichen vor der unbequemen Frage nach Verantwortlichkeiten.68 Selbst Seghers, die sich im mexikanischen Exil nach Europa, nach Deutschland so verzehrt hatte, reagierte ernüchtert, beinahe verstört. Im Juni 1947 schrieb sie nach Mexiko: »Berlin ist aussen wie innen so kaputt, wie man es vorher gewusst hat. In einer schwer erklaerbaren und beschreibbaren Finsternis, die sich aber anders dartut, als wir es uns vorstellen konnten […]. Der Hunger, der gross ist, macht die Leute auch nicht lebhafter im Denken.«69

Über ihre Eindrücke und Erfahrungen tauschten sich die Remigranten untereinander aus. 1948 beriet sich Brecht zunächst mit Seghers in Paris. Im Anschluss daran entschied er, sich in Europa mehrere Perspektiven offenzuhalten.70 Seghers’ Briefe belegen, wie fremd sie sich in Berlin und den deutschen Besatzungszonen in den ersten Nachkriegsjahren gefühlt hat. Georg Lukács gegenüber verriet sie: »Ich bin in die Eiszeit geraten, so kalt kommt mir alles vor. […] weil viele Sachen ganz beklemmend und ganz unwahrscheinlich frostig fuer mich sind, ob es um Arbeit, um Freundschaft, um politische, um menschliche Sachen geht.«71 Dies verdeutlicht die politische und gesellschaftliche Stimmung im Nachkriegsdeutschland. Keine der Remigrantinnen beschreibt greifbare Anfeindungen oder Ausgrenzungssituationen in ihren Briefen und Egodokumenten, vielmehr reflektieren sie darüber ähnlich wie Seghers. Untereinander erzählten sie sich jedoch solche Begebenheiten durchaus. Mittels der intergenerationellen Weitergabe haben manche Eingang in die Literatur gefunden, zum Beispiel in die Romane von Barbara Honigmann, deren Eltern 1949 aus dem englischen Exil in die SBZ/DDR gekommen waren. In Alles, alles Liebe! erhält die Protagonistin Anna von ihrer Freundin Eva einen Brief, in dem diese berichtet: »Meine Mutter hat tausendmal erzählt, wie sie nach Berlin in die Wohnung ihrer Eltern zurückgekommen ist, die Eltern waren vergast worden und in der Wohnung sitzen wi­ derliche Deutsche und behaupten, alles gehöre ihnen, die Wohnung, die Möbel, Teppiche, das Geschirr und die Standuhr, alles, was ihren Eltern gehört hatte. Sie haben sie aus ihrer eigenen Wohnung rausgeschmissen, die widerlichen Deutschen, und haben noch geklagt über die Bomben und wie schlecht es ihnen ginge.«72

68 Hannah Arendt, The Aftermath of Nazi Rule. Report from Germany, Commentary 10 (1950), H. 10, 342–353. 69 Anna Seghers, Ich erwarte Eure Briefe wie den Besuch der besten Freunde. Briefe 1924– 1952, hg. von Christiane Zehl Romero und Almut Giesecke, Berlin 2008, 218 f. 70 Siehe Klaus Völker, Bertolt Brecht. Eine Biografie, München/Wien 1976. 71 Seghers, Ich erwarte Eure Briefe wie den Besuch der besten Freunde, 310. 72 Barbara Honigmann, Alles, alles Liebe! Roman, München/Wien 2000, 42 f.

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Belegen die Briefzitate die Fremdheit der Remigranten bei ihrer Rückkehr, so konkretisiert die literarische Verarbeitung diese Fremdheit in alltäglichen Situationen. Alfred Schütz hat die Situation so beschrieben: »Der Heimkehrer erwartet […], in eine Umwelt zurückzukehren, von der er immer und auch jetzt wieder – so denkt er – intime Kenntnis besitzt und besessen hat, die er nun wieder fraglos annehmen muss, um sich dort selbst wieder zurechtzufinden.«73 Die Remigranten erkannten spätestens bei ihrer Rückkehr, dass nicht nur sie sich verändert hatten, sondern auch ihre Heimat, ihr Land. Diese Veränderungen waren so umfassend, dass von einer Rückkehr im Grunde kaum die Rede sein konnte. Dieser Eindruck basierte auf dem in der Emigration Erlebten, insbesondere aber auf dessen Kontrast zu den Erfahrungen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Die Rückkehrer trafen auf Dagebliebene, deren Ideale und Sicherheiten erst bei Kriegsende zusammengebrochen waren. Die Deutschen sahen sich nach 1945 mit vielfältigen Verlusten konfrontiert. Die Erfahrung, heimat- beziehungsweise vaterlandslos zu sein, weil sich die politischen Verhältnisse angesichts der bedingungslosen Kapitulation aufgelöst hatten, war für viele Deutsche eine enorme und teilweise erdrückende Erfahrung. Die Emigranten hatten ähnlich schwerwiegende Erfahrungen mit dem Unterschied, dass sie sich während des Exils mit diesen auseinandergesetzt hatten, vor allem mit der Erfahrung des Verlusts jeglicher staatsbürgerschaftlichen Sicherheiten und Garantien. Diese Auseinandersetzung hatten die jüdischen Remigranten den Deutschen gewissermaßen voraus. Dass sie nun bereit waren, die in der Emigration mühsam gewachsenen Bindungen aufzugeben, um sich am deutschen Wiederaufbau zu beteiligen, führte zu weiterem gegenseitigen Befremden.74 Die Emigranten reagierten auf diese Fremdheit, indem sie sich auf ihre früheren Netzwerke und Bekanntschaften fokussierten und sich untereinander trafen. Ernst Bloch und die Herzfeldes wurden von Hanns und Louise Eisler bei ihrer Ankunft in Berlin beinahe ungeduldig erwartet und freundschaftlich empfangen. Seghers erwartete 1949 sehnsüchtig das Ehepaar Brecht/Weigel. Bis dahin war sie oft zwischen Paris, der Schweiz und Berlin unterwegs gewesen, vordergründig um ihre Kinder zu besuchen, aber auch, um den bedrückenden Verhältnissen zu entfliehen. Erschwerend kam für sie hinzu, dass ihr Mann László Radványi erst 1952 in die DDR kam und zudem

73 Alfred Schütz, Der Heimkehrer, in: ders., Gesammelte Aufsätze, 3 Bde., Den Haag 1971– 1972, hier Bd. 2: Studien zur soziologischen Theorie, hg. von Arvid Brodersen, übers. von Alexander von Baeyer, Den Haag 1972, 70–84, hier 70. 74 Claus-Dieter Krohn, Exilforschung (Version 1.0), in: Docupedia-Zeitgeschichte. Begriffe, Methoden und Debatten der zeithistorischen Forschung, 20. Dezember 2012, (1. Dezember 2019).

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seine neue Lebensgefährtin mitbrachte.75 Seghers musste sich im Grunde mit drei Veränderungen arrangieren: der Fremdheit in der einst vertrauten Heimat, der Entfremdung innerhalb ihrer Ehe und dem Bedeutungsverlust ihrer Mutterrolle. Doch nicht jede Rückkehrerin erhielt ein offizielles Angebot zur Mitarbeit, zum Wiederaufbau. Wie reagierten sie hierauf und welche ihrer Erfahrungen konnten sie in die SBZ/DDR einbringen? Exemplarisch sei auf die Blochs verwiesen: Verglichen mit anderen Lebensstationen der Blochs stand die Ankunft in Leipzig unter komfortablen Vorzeichen. Mit der Wohnung und dem regelmäßigen Einkommen ihres Mannes waren wichtige Lebensgrundlagen gesichert. Dies waren neue Erfahrungen für das Paar, denn während der vorangegangenen Umzüge hatte die Organisation dieser Fragen bei Karola Bloch gelegen. Auch der Umstand, dass die Leipziger Wohnung bald geräumt werden musste, war nicht besonders problematisch oder erschütternd für das Paar, denn Karola konnte nun auf erprobte Handlungsmuster zurückgreifen. Sie suchte eine neue Wohnung und richtete diese ein. Anschließend begann sie, sich nach einer Anstellung umzusehen. Auch dies war weniger einer Notwendigkeit geschuldet als vielmehr einer mit den Jahren internalisierten Praxis. Es entsprach der bisherigen Migrationserfahrung, dass es hilfreich war, sich mit vielen Personen bekannt zu machen, sei es, um eine Wohnung zu finden, eine Arbeit zu erhalten oder Netzwerke zu reaktivieren beziehungsweise zu knüpfen. Karola Bloch begann auch in der SBZ/DDR das ihr vertraute Klinkenputzen und sprach bei verschiedenen Institutionen vor. Schließlich wurde sie Mitglied des Deutschen Architektenbundes und von diesem als freie Mitarbeiterin beschäftigt. In dieser Position wurde sie an die Baumwollspinnerei in Leipzig vermittelt, die damals einen Wochenkindergarten benötigte. Hierfür fertigte sie die Entwürfe an, später beschäftigte sie sich mit Planungen für Großküchen volkseigener Betriebe.76 Dass sie keine Festanstellung erhielt, problematisierte Karola Bloch in ihren Erinnerungen nicht. Vielmehr hatte sie bereits in den Vereinigten Staaten die Vorzüge der freien Mitarbeit schätzen gelernt. Inwieweit sie das Entwerfen von Kindergärten und Großküchen als kreative Tätigkeit verstand, muss dahingestellt bleiben. Den in ihren Kreisen besonders gewürdigten Aspekt der Nützlichkeit erfüllte es allemal, darüber hinaus hatte sie auch außerhalb der Familie einen eigenen Verantwortungsbereich. Da sie viele Menschen kennenlernte und zugleich auf Freundschaften aus den Emigrantennetzwerken zurückgreifen konnte, fand sie zudem bald Wirkungsfelder, die auch ihrem Anspruch nach Selbstverwirklichung gerecht wurden. So verfasste sie unter

75 Zehl Romero, Anna Seghers, Bd. 1, 66–70 und 148 f. 76 Bloch, Aus meinem Leben, 203.

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anderem kleinere Beiträge für die Zeitschrift Das Magazin oder moderierte für den Deutschen Fernsehfunk Ratgebersendungen zum Thema Wohnen.77 Ähnlich erging es Louise Eisler. Auch sie konnte in Berlin ihren Interessen nachgehen und erhielt Tantiemen für ihre Artikel, die sie ebenfalls im Magazin veröffentlichte.78 Sie blieb weiterhin Eislers Managerin, außerdem betätigte sie sich als Übersetzerin und wohnte den Proben des Berliner Ensembles bei. Dies alles verstand sie als selbstbestimmtes Handeln und Ausdruck individueller Freiheit, vergleichbar dem Autofahren im Exil. Waren die Frauen in den Vereinigten Staaten aufgefallen, weil sie sich anfangs nicht so schick wie die ebenfalls berufstätigen Amerikanerinnen kleiden konnten, so fielen sie im grauen, kalten Nachkriegsdeutschland auf, weil sie sich so anspruchsvoll kleideten. Barbara Honigmann lässt das im Roman Ein Kapitel aus meinem Leben plastisch werden: »Gerade das Aussehen und Auftreten meiner Eltern scheint die Ablehnung ihrer neuen Nachbarn hervorgerufen zu haben, jedenfalls nahmen diese äußeren Aspekte den größten Raum in den Spitzelberichten, die ich später gelesen habe, ein. Die ‚auffällig westliche Kleidung‘, ihre ‚Arroganz‘, ihr ‚renommiertes Auftreten‘.«79

Annette Leo, Tochter von jüdischen Rückkehrern aus Frankreich, fasst es folgendermaßen zusammen: »In die abgeschottete DDR-Welt brachten die Rückkehrer aus dem Exil ein wenig Farbe und Glanz.« Die Zurückgekehrten fielen aufgrund »ihrer Qualität, ihrer Kreativität, der rhetorischen Gewalt, der Aura von Liberalität und Weltläufigkeit« auf.80 Der spätere Chefredakteur des Magazins erinnerte sich etwa an Hilde Eisler als »eine gepflegte Dame, die so gar nicht dem Typ der Frau entsprach, der damals in der DDR Karriere machte, sie war modern gekleidet und dezent geschminkt«.81 Solche Eigenschaften und Äußerlichkeiten waren für diese Emigrantinnen gewissermaßen zu einem Kapital geworden, das sie sich bei ihrer Rückkehr nicht abhandeln ließen. Und um dieses Kapital beneideten sie viele Deutsche, die den Krieg – und dadurch »alles« – verloren hatten. Weder in ihrem Auftreten noch in ihren Charakterzügen entsprachen die Rückkehrerinnen also dem staatlich propagierten Frauenbild. Erschwerend 77 Siehe Irene Scherer, Karola Bloch im Prozess der historischen Emanzipation. Kontinuität und Bruch im Leben einer eigenständigen Architektin, in: dies./Schröter, Karola Bloch – Architektin, Sozialistin, Freundin, 13–94. 78 Siehe Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe. 79 Barbara Honigmann, Ein Kapitel aus meinem Leben, München 2006, 117 f. 80 Annette Leo, Die Falle der Loyalität. Wolfgang Steinitz und die Generation der DDRGründerväter und -mütter, in: Irmela von der Lühe/Axel Schildt/Stefanie Schüler-­ Springorum, »Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause«. Jüdische Remigration nach 1945, Göttingen 2008, 299–312, hier 306. 81 Manfred Gebhardt, Die Nackte unterm Ladentisch. Das Magazin in der DDR, Berlin 2006, 6.

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kam hinzu, dass zwar die Gleichstellung von Mann und Frau in der DDR offiziell gewollt war, die Nachkriegssituation auf dem Arbeitsmarkt sich in Ost und West jedoch kaum voneinander unterschied. Auch in der SBZ sahen sich die während des Krieges für die Wirtschaft mobilisierten Frauen damit konfrontiert, die Arbeitsplätze für die aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Männer zu räumen.82 Dies traf vor allem Familien mit Doppelverdienern hart, ganz selbstverständlich wurden die Frauen entlassen. So wundert es kaum, dass Remigrantinnen zunächst nur selten Arbeitsangebote unterbreitet wurden, vielmehr teilten sie das allgemeine Schicksal deutscher Frauen im ersten Nachkriegsjahrzehnt. Davon ausgenommen waren lediglich zuverlässige Parteiarbeiterinnen, vor allem, wenn sie im sowjetischen Exil gewesen waren. Sie wurden mit Parteifunktionen und -ämtern bedacht, jedoch meist in einer ihren Ehemännern untergeordneten Funktion. Lilly Becher wurde Redakteurin der Neuen Berliner Illustrierten, ihr Mann Minister für Kultur. Ruth Seydewitz übernahm die Pressestelle der Sächsischen Landesregierung, der ihr Mann als Ministerpräsident vorstand.83 Hilde Eisler, die Ehefrau Gerhart Eislers, gründete die Wochenpost und wurde 1955 Chefredakteurin des Magazins. Sibylle Boden-Gerstner gründete die Zeitschrift Sibylle, während ihr Mann als Journalist und Geheimdienstmitarbeiter tätig war. Es bliebe weiterhin zu untersuchen, ob die Berufstätigkeit der Frau in der SBZ/DDR damit den Umweg über die »mithelfende Ehefrau« nahm. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass die SED-Führung zwar das Bürgerliche und erst recht das Kleinbürgerliche hatte überwinden wollen, zumal sie sich als Avantgarde verstand und vorgeblich eine fortschrittliche Gesellschaft etablieren wollte. Ihre Politik aber – wie hier am Beispiel der Berufstätigkeit von Frauen deutlich wurde – schien eher darauf angelegt, Elemente der Kleinbürgerlichkeit zu konservieren. Doch so, wie sich die Frauen in der Emigration zu helfen gewusst hatten, halfen sie sich auch in der SBZ/DDR, um selbstbestimmt tätig zu werden. Gerade die genannten Zeitschriften, das Radio und bald auch das neue Medium Fernsehen boten ihnen eine Vielzahl unkonventioneller Arbeitsmöglichkeiten. Jüdische Remigrantinnen, die solchen Medien vorstanden oder dort wichtige Redakteursposten innehatten, konnten anderen jüdischen Remigrantinnen Recherche- und Schreibaufträge vermitteln. Deutlich wird, wie bestehende Netzwerke funktionierten und dass schon in den frühen Jahren der DDR die Nische, der Ausweichraum entstand.

82 Michael Schwartz, Emanzipation zur sozialen Nützlichkeit. Bedingungen und Grenzen von Frauenpolitik in der DDR, in: Dierk Hoffmann/ders. (Hgg.), Sozialstaatlichkeit in der DDR. Sozialpolitische Entwicklungen im Spannungsfeld von Diktatur und Gesellschaft 1945/49–1989, München 2005, 47–87, hier 54. 83 Finnberg, Ruth Seydewitz im Exil, 71.

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Das Verhältnis zur Partei Wenngleich die Rückkehrer mit großer Aufmerksamkeit bedacht wurden, waren die Arme der SED doch nur bedingt offen. Rückkehrwillige hatten einen Antrag bei den SED-Kadern zu stellen, in dem sie ihr Leben in der Emigration darlegen und ihre Rückkehr begründen mussten.84 Diese Angaben wurden akribisch überprüft. Als Einladungen zur Rückkehr beziehungsweise zur Beteiligung am Wiederaufbau können solche Formalien kaum verstanden werden. Inwieweit die Rückkehrer dies als eine Form der Kontrolle wahrnahmen, muss hier offenbleiben. Ausgeglichen wurde dies sicherlich durch den direkten Zugang zur Macht, also zu hohen Parteifunktionären. So verhandelte Weigel mit Wilhelm Pieck über die Ausstattung des Theaters, Lea Grundig korrespondierte mit Otto Grotewohl über ihre Bilder.85 Die Mitgliedschaft in der SED war für viele so selbstverständlich wie die Zugehörigkeit zu verschiedenen Gremien der Staatsführung: Zweig wurde 1950 Abgeordneter der Volkskammer, Lea Grundig fungierte zwischen 1950 und 1952 als Abgeordnete im Sächsischen Landtag, anschließend war sie SEDBezirksabgeordnete in der Bezirksverordnetenversammlung, ab 1967 sogar Mitglied des ZK der SED. Dies kann nicht zuletzt den Privilegien zugeschrieben werden, die die Parteiführung ihnen zunächst gewährte. Die Privilegien schützten die Rückkehrer aus dem Westen jedoch nicht vor Verleumdungen oder Parteiausschlussverfahren. 1950 schon hatte sich Seghers im Zuge der Noel-Field-Affäre einer parteiinternen Überprüfung zu stellen.86 Dies verunsicherte sie stark, dennoch parierte sie das mit einer Taktik aus der Widerstandszeit gegen den Nationalsozialismus: Sie gab nur zu, was ohnehin schon bekannt war.87 Sie reagierte auf diesen Angriff, indem sie in jenen Jahren in Europa Freunde und nahe Familienangehörige besuchte, mehrfach die Sowjetunion oder etwa China bereiste.88 Ganz ähnlich verhielt sich Lea Grundig, als sie ein Jahr nach ihrer Rückkehr angefeindet wurde. Zunächst war ihr in Palästina entstandener Bilderzyklus Niemals wieder! nicht publiziert worden, im Januar 1951 wurde eine Zeichnung aus diesem Zyklus gar als nicht zeitgemäß und »entartet« 84 Keßler, Westemigranten, 223–229. 85 Siehe Weigel, »Wir sind zu berühmt, um überall hinzugehen«; Eckhart Gillen, Jüdische Identität und kommunistischer Glaube. Lea Grundigs Weg von Dresden über Palästina zurück nach Dresden, Bezirkshauptstadt der DDR 1922–1977, o. D., (1. Dezember 2019), 18. 86 Zur Noel-Field-Affäre siehe Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat, 449–462. 87 Ebd., 474. 88 Zehl Romero, Anna Seghers, Bd. 1, 66–70 und 108–115.

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bezeichnet.89 Lea und Hans Grundig protestierten zwar gegen diese Verunglimpfung, dennoch mussten beide wiederholt hinnehmen, dass Grafiken, Zeichnungen und Gemälde, in denen sie Nationalsozialismus, Holocaust und komplexe Lagererfahrungen künstlerisch verarbeiteten, in der DDR der 1950er Jahre nicht ausgestellt wurden, weil die Partei meinte, es sei wichtiger, die Zukunft zu gestalten als die Vergangenheit aufzuarbeiten. Auch Lea Grundig suchte nach einem Arrangement, das ihr ein Bleiben im Land ermöglichte. Sie nahm jede Einladung an, um Ausstellungen im Ausland zu organisieren und zu reisen.90 Wieland und Gertrude Herzfelde wurde 1951 der kleine Briefmarkenladen, den sie in New York betrieben hatten, zum Verhängnis. SED-Funktionäre unterstellten ihnen, das Geschäft habe als Anlaufpunkt und Informationsdrehscheibe für feindliche Agenten gedient,91 was schließlich zum Parteiausschluss führte. Karola Bloch wurde 1950 nicht in die SED aufgenommen. Obgleich sie auf langjährige Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei verweisen konnte, wurde sie aufgrund ihrer Bekanntschaft mit Noel Field kein ordentliches Mitglied, durfte aber an Parteiversammlungen teilnehmen. Das war zwar einigermaßen ernüchternd, führte aber nicht zu innerer Abkehr. Nachdem Field 1956 innerhalb des Ostblocks rehabilitiert worden war, erhielten die aus solchen Gründen Ausgeschlossenen oder noch nicht Aufgenommenen die volle Mitgliedschaft. Umso schockierter war Karola Bloch, als sie im Januar 1957 wieder aus der SED ausgeschlossen wurde. In ihrer Autobiografie heißt es hierzu: »Schon früher hatte eine mir unbekannte Genossin vorgeschlagen, mich aus der Partei auszuschließen, da ich eine Anhängerin von Lukács sei. […] Ich wurde zum ‚Parteiund Arbeiterfeind‘ erklärt. Das traf mich tief, trotz aller Vorahnungen. Meine Stimme wollte mir nur schwer gehorchen, als ich erwiderte, dass ich seit meiner Jugend für die Interessen der Arbeiter eingetreten sei, auch Sozialistin bleiben wolle. […] Als gefragt wurde, wer für meinen Ausschluss stimme, hoben alle die Hände. Ich musste mein Parteibuch abgeben.«92

Bloch war fassungslos über die Reaktionen in ihrer Parteigruppe. Ihr Mann war schon 1956 in den Ruhestand versetzt worden, weil er für eine offene Marx-Rezeption in der DDR eingetreten war. Mit dem Parteiausschluss 89 Hierzu und zum Folgenden Gillen, Jüdische Identität und kommunistischer Glaube, 18 f. 90 Siehe Grundig, Gesichte und Geschichte. Ähnlich sind die Erinnerungen von Lin Jaldati und Eberhardt Rebling gehalten. Siehe Lin Jaldati/Eberhard Rebling, Sag nie, du gehst den letzten Weg. Erinnerungen, Berlin 1986. 91 Wieland Herzfelde, Tagebuch eines Laien. Meran 30./31. März und 25. April 1926. Mit unveröffentlichten Briefen und Dokumenten. Mit einem Text seines Sohnes George Wyland-Herzfelde, hg. von Ulrich Faure und Jürgen Seuss, Assenheim 1996, 150; Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat, 476–479. 92 Bloch, Aus meinem Leben, 224 f.

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fühlte sich Karola erneut heimatlos. In der Folge lebte das Ehepaar Bloch in der DDR zurückgezogen, öffentliche Auftritte von Bloch waren undenkbar. In der DDR wurde er zur Persona non grata. Das Ehepaar, dem solches Vorgehen aus der Vergangenheit nicht unbekannt war, reagierte auf diese Zurücksetzung – wie andere Rückkehrer auch – mit Reisen. Ernst Bloch wurde zu zahlreichen Vorträgen nach Westeuropa eingeladen, seine Frau besuchte unter anderem Angehörige in Israel. Weil sich beide weiterhin und unabhängig von der SED-Linie als Marxisten verstanden, kam eine Ausreise für sie lange nicht infrage. Ähnlich war es in den frühen 1950er Jahren Alfred Kantorowicz ergangen.93 Im Grunde fanden sich viele westliche Remigranten innerhalb der ersten zehn Nachkriegsjahre recht bald in einer Situation des inneren Rückzugs wieder. Es bliebe zu diskutieren, ob das Bemühen, selbst nicht auffällig zu werden, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, Konfrontationen mit der Partei zu vermeiden, aber auch nicht publiziert und nicht zu öffentlichen Vorträgen eingeladen zu werden, als eine weitere Existenzform innerer Emigration beschrieben werden kann. Die Netzwerke von einst erleichterten den Rückzug aus der beruflichen Öffentlichkeit und aus politischen Zusammenhängen, befriedigen konnten sie die Betroffenen jedoch ebenso wenig wie die ihnen gewährten Privilegien. Auffällig ist, dass sich viele Rückkehrer scheuten, die DDR zu verlassen. Zum einen, weil sie bereits wiederholt die Erfahrung des Nichtgewolltseins gemacht hatten, bevor sie sich in der SBZ niedergelassen hatten, zum anderen, weil sie sich trotzdem als Kommunisten beziehungsweise als Marxisten verstanden. Vielleicht reichten aber auch ihre Kräfte nicht mehr für einen erneuten Ortswechsel. Zudem begann ab Mitte der 1950er Jahre eine kulturpolitische Tauwetterphase: Das Misstrauen gegenüber der früheren Prominenz wich deren erneuter Instrumentalisierung, die »verdienstvollen« Künstler erhielten nun wieder Staatspreise und Funktionärsposten. Es bliebe zu fragen, ob die SED-Führung damit tatsächlich die Leistungen von einst anerkannte oder durch die Würdigung international bekannter Remigranten weltweit Aufmerksamkeit zu erregen hoffte. Die Zurückgekehrten erfuhren die lange vermisste Anerkennung und hatten in der Folge einen Preis zu zahlen, der sich, wie Doris Danzer konstatiert, »in Widersprüchlichkeiten im Verhalten, im geschriebenen und gesprochenen Wort«94 ausdrückte. Das Verhältnis der Remigranten zur Partei gestaltete sich ebenso spannungsreich wie das Verhältnis zur Nachkriegsgesellschaft. Gerade westliche Emigranten waren in den 1950er Jahren zahlreichen Diffamierungen und 93 In der inneren Emigration hatte auch Alfred Kantorowicz gelebt, nachdem seine Zeitschrift Ost-West bereits wenige Wochen nach der Staatsgründung eingestellt worden war. 1957 reiste er in die Bundesrepublik aus. 94 Danzer, Zwischen Vertrauen und Verrat, 490.

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Herabwürdigungen durch parteiinterne Überprüfungen ausgesetzt.95 Dies steht in gewissem Widerspruch zu den Hoffnungen, die SED-Funktionäre in die Emigranten und deren früheres Renommee gesetzt hatten. Es bliebe zu fragen, ob die Prominenten von einst die Legitimationsgrundlage für die zu errichtende sozialistische Nachkriegsgesellschaft bilden sollten? Oder sollten sie beispielhaft demonstrieren, dass bürgerliche Ordnungsmuster in der DDR tatsächlich überwunden waren? Wurde die Einbindung der vorrangig jüdischen Remigranten als Form der Wiedergutmachung verstanden? Für all dies spräche etwa ihre Privilegierung. Die wiederholten Herabsetzungen und Verfolgungen hingegen konterkarierten eine Wiedergutmachung ebenso wie die Einbeziehung des früheren deutsch-jüdischen Bürgertums in die sozialistische Gesellschaft. Ein angespanntes Verhältnis zur übrigen Nachkriegsgesellschaft hatten die Emigranten in ihren Überlegungen über eine Rückkehr einkalkuliert. Von dem dauerhaft unsicheren Status,96 dem sie sich innerhalb der Partei ausgesetzt sahen, wurden sie jedoch überrascht: Die kommunistische Idee beziehungsweise die SED als deren Vertreterin sollten eigentlich zur neuen Heimat, ja zum Familienersatz werden.97 Viele waren ernüchtert und zogen sich, wie oben ausgeführt, ins Private zurück, bis sich die politische Wetterlage wieder änderte, bis sie starben oder in die Bundesrepublik gingen. Für Louise Eisler kam ein Rückzug ins Private nicht infrage. Das widersprach ihrem Temperament und ihrem Selbstverständnis. Dennoch, hatte sie 1949 und 1950 Feuchtwanger noch agitiert, doch ebenfalls nach Deutschland beziehungsweise in die SBZ/DDR zu kommen, warb sie in der Folge hierfür kaum noch.98 Ohnehin thematisierte sie in ihren Briefen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR ab einen bestimmten Zeitpunkt nicht mehr. Zwar äußerte sie sich nicht konkret über Irritationen und Zumutungen, die von der parteioffiziellen Seite an Eisler und sie selbst gestellt wurden, dennoch ertrug sie die Stimmung im Land immer weniger. Regelmäßig reiste sie deshalb nach Wien und ließ sich dort schließlich 1953 nieder. Dies wurde sicherlich auch durch eine neue Beziehung begünstigt, sie lebte in diesen Jahren in einer Dreiecksbeziehung mit Hanns Eisler und Ernst Fischer.99 Die Blochs schließlich, im August 1961 auf Vortragsreise in 95 Siehe Scholz, Sowjetische Besatzungszone und DDR. 96 Siehe Yfaat Weiss, Im Schreiben das Leben verändern. Barbara Honigmann als Chronistin des jüdischen Lebens in Deutschland, in: Amir Eshel/dies. (Hgg.), Kurz hinter der Wahrheit und dicht neben der Lüge. Zum Werk Barbara Honigmanns, München 2013, 17–28. 97 Siehe Danzer, Vertrauen und Verrat, 133–135. 98 Siehe AdK, Hanns-Eisler-Archiv, 4702, Brief Louise Eisler an Lion Feuchtwanger, 13. Januar 1951. 99 Siehe Eisler-Fischer, Es war nicht immer Liebe.

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der Bundesrepublik und in Österreich, entschieden sich mit dem Mauerbau, nicht in die DDR zurückzukehren. Ihr erwachsener Sohn Jan Robert tat es ihnen gleich. Andere reagierten auf diese Form der Verunsicherung, indem sie sich auf private Aufgabenfelder konzentrierten und auf Handlungsmuster zurückgriffen, die sie in ihrer Jugend vielleicht hatten überwinden wollen. So konzentrierte sich Helene Weigel darauf, das Berliner Ensemble zu leiten, die Schauspielerinnen zusammenzuhalten und den Background für gute Inszenierungen zu schaffen. Privat pflegte sie ihre Netzwerke und gesellschaftlichen Kreise, so wie sie es aus der Zwischenkriegszeit kannte. Auf diese Weise entwickelte sich so manche Rückkehrerin zu einer Grande Dame ihres Metiers. Begünstigt wurde dies durch die nachlassende gesellschaftliche und politische Forderung nach Entbürgerlichung.

Zusammenfassung Die Rückkehr aus der Emigration nach Deutschland war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eher die Ausnahme. Das galt insbesondere für die deutsch-jüdischen Emigranten aus dem Bürgertum, die in den 1930er Jahren aus Deutschland und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auch vom Kontinent vertrieben worden waren. Zwar waren sie zum Beginn des Exils fest von einer Rückkehr nach Ende der NS-Herrschaft ausgegangen, doch die Erfahrungen in den verschiedenen Aufnahmeländern sowie das Wissen über die NS-Verbrechen und den Holocaust führten dazu, dass letztlich nur wenige Emigranten tatsächlich ins Land ihrer Eltern beziehungsweise in den deutschsprachigen Kulturraum zurückkehrten. Weiterhin zeigte sich, dass die hier verhandelten Personen erfahrene Migrantenpaare geworden waren, die beim Verlassen ihrer Aufnahmeländer auf mehrere Lebensstationen zurückblicken konnten. Für einige von ihnen stellte die Rückkehr in die SBZ/DDR nur eine Etappe dar, der sich weitere anschlossen. Deshalb wurden hier auch und vor allem Migrationserfahrungen erörtert. Die Anpassungsfähigkeit an unbekannte und verunsichernde Lebenssituationen wurde zu einer Fähigkeit, die elastische Reaktionen auf die Zumutungen der jeweiligen Migrationsetappe zuließ, um entweder die eigenen Emanzipationserfahrungen zu erhalten oder diese den jeweils vorgefundenen Bedingungen anzupassen. Hierzu gehörte auch, hinter bereits gemachte emanzipierend wirkende Erfahrungen zurückzutreten, etwa bei der Ausübung des Berufes oder bei der Übernahme parteipolitischer Aufgaben.

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Die Frauen, die in den 1920er Jahren aus der konventionellen Enge aufgebrochen waren, Berufe erlernt hatten und diese ausübten, wollten damit nicht zuletzt familiäre Traditionen und gesellschaftliche Konventionen verändern. Wiederholt machten sie die Erfahrung, dass ihnen der Rückgriff auf bekannte und zum Teil in den Familien bewährte Handlungsmuster – etwa die Organisierung des Haushaltes und die Kinderbetreuung – gerade in unwägbaren Lebenssituationen Stabilität verlieh. Ihre Berufstätigkeit jedoch erweiterte die familiären Traditionen bürgerlicher Ehe allgemein. Ein Großteil dieser Ehen hatte bis zum Lebensende eines Partners Bestand. Eingeübte Routinen gegenseitiger ehelicher Sorge und Verantwortlichkeit wurden während der verschiedenen Migrationsstationen und auch in der DDR beibehalten. In der Emigration hatte sich gezeigt, dass Frauen in praktischen Berufen den Familienunterhalt bestreiten konnten. Damit verschob sich das ursprüngliche familiäre Rollenmodell nicht unerheblich. Da sich die Männer nur selten über Langeweile beklagten, weil sie ihrem Selbstbild entsprechend weiterhin intellektuell und/oder künstlerisch und damit in ihrem Beruf tätig waren, veränderte sich zwischen den Paaren vermutlich kaum etwas, hatten sie doch die Form der Aufgabenverteilung bereits in den 1920er und 1930er Jahren praktiziert.100 Nach ihrer Rückkehr in die SBZ/DDR unterstützen die Ehefrauen erneut oder weiterhin ihre Männer. Helene Weigel etwa oder Ruth Seydewitz übernahmen Tätigkeiten, die funktional eng mit denen ihrer Männer verbunden waren. Bei anderen Paaren veränderten sich die Beziehungen, wie das Beispiel der Eislers gezeigt hat. Louise heiratete später Ernst Fischer, blieb ihrem früheren Ehemann jedoch weiterhin verbunden. Seghers und ihr Mann blieben verheiratet, gingen jedoch privat getrennte Wege. Diese Paare verband die vielfältige und vielgestaltige Erfahrung von Emigration und Rückkehr. Ihre Ehen waren geprägt durch Loyalität und Zugehörigkeit. Diese Werte wogen umso mehr, als sich zeigte, dass die kommunistische Partei als Ersatz für Familie und Freunde keinen zuverlässigen Schutz bot. Damit wurde ihnen die eheliche Zusammengehörigkeit zur letzten Bastion von Stabilität und Sicherheit. Abschließend sei noch einmal jenes noch immer vage »Etwas« in den Blick genommen, das die SED-Führung im Zusammenhang mit den jüdischen Rückkehren zwar nicht wollte, aber dennoch benötigte. Es scheint sich um eine Melange aus den vielfältigen hier beschriebenen Erfahrungen zu handeln, zu denen das Jüdische und das Bürgerliche ebenso gehörten wie Selbstbewusstsein, Weltgewandtheit und Anpassungsfähigkeit, obgleich die Protagonisten auch versucht hatten, gerade Merkmale der Herkunft abzu-

100 Siehe Bloch, Aus meinem Leben.

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legen. Jene Idee, die Herkunft einfach abzustreifen, hatte das vergangene 20. Jahrhundert wie kaum eine andere Zeit geprägt. Erst im Rückblick und in der Langzeitperspektive der Lebenswege wird deutlich, dass diese Entledigung oft unmöglich war. Bemerkenswert ist, dass die Rückkehrer auch in der DDR weltgewandt, liberal und selbstbestimmt auftraten. Die SED-Führung beargwöhnte diesen Habitus, duldete ihn jedoch, auch weil er als Türöffner auf internationalem Parkett dienen konnte.

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Der Gerichtsreporter als Zeuge: Rudolf Hirsch und die Erinnerung an die Schoah in der DDR Am 17.  November 1982 sandte Klaus Höpcke, stellvertretender Minister für Kultur und Leiter der für die Zensur zuständigen Hauptverwaltung Ver­ lage und Buchhandel,1 einen Brief an den Berliner Gerichtsreporter Rudolf Hirsch zu dessen 75. Geburtstag. Darin schrieb er: »Mit Deinem neuen Buch Um die Endlösung über den Lischka-Prozeß in Köln und den Auschwitz-Prozeß in Frankfurt am Main leistest Du einen bedeutsamen Beitrag zur Auseinandersetzung mit unserer nationalen Geschichte und reihst Dich ein in die großen Friedensbemühungen unserer Tage im Kampf gegen Faschismus und Neofa­ schismus in der Welt.«2

Dass Höpcke mit Rudolf Hirsch (1907–1998) einen einflussreichen Ge­ richtsreporter ehrte, ist wenig verwunderlich, galt Hirsch doch als Belieb­ tester seines Fachs in der DDR. Dass er den Nationalsozialismus, genauer gesagt die Schoah, als »unsere nationale Geschichte« beschrieb, ist hingegen bemerkenswert und zeugt von einer veränderten Wahrnehmung dieses Ereig­ nisses zu Beginn der 1980er Jahre. Dieser Paradigmenwechsel erscheint zunächst überraschend, denn in der DDR wurde der Schoah innerhalb der Erinnerung an den Nationalsozialis­ mus zumeist eine marginale Rolle attestiert. Auch in der Forschung wurde eine besondere Würdigung jüdischer Opfer im Antifaschismus oft übersehen oder für unmöglich gehalten, teils durchaus berechtigt.3 Im staatsoffiziellen Gedenken wurde das Beispiel der kommunistischen Widerstandskämpfer und KZ-Gefangenen überbordend betont und sinnstiftend im Sinne der Par­ tei inszeniert. Andere Gruppen von Verfolgten wurden dabei zwar erwähnt, spielten aber eine untergeordnete Rolle. Jüdische Opfer wurden in diesem

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Siehe Siegfried Lokatis, Die Hauptverwaltung des Leselandes, in: Aus Politik und Zeit­ geschichte 11 (2009), 23–31. Bundesarchiv Berlin (nachfolgend BArch), DR 1/16311, Klaus Höpcke an Rudolf Hirsch, 17. November 1982. Siehe exemplarisch Anne Rothe, The Third Reich and the Holocaust in East German Offi­ cial Memory, in: Louise O. Vasvári/Steven Tötösy de Zepetnek (Hgg.), Comparative Cen­ tral European Holocaust Studies, West Lafayette, Ind., 2009, 79–94. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 183–210.

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Sinn konsequent als eine von vielen Opfergruppen aufgefasst.4 Das Regime leitete aus dieser Deutung einen Herrschaftsanspruch ab, der auch durch die eigene Erfahrung legitimiert schien, da hochrangige Parteimitglieder während der nationalsozialistischen Herrschaft entweder in Konzentrations­ lagern interniert gewesen waren oder aber die Zeit im Exil in westlichen Ländern beziehungsweise – dies galt besonders für die Führungselite – in Moskau verbracht hatten.5 Die enorme Diskrepanz – so eine zentrale These dieses Aufsatzes – dieser Erfahrungshintergründe sollte die Art der Erinne­ rung an den Nationalsozialismus in der DDR dauerhaft prägen. Gerade diese Diskrepanz beförderte eine oft vergessene Pluralität in der Gedenkpraxis der DDR, denn schließlich, so Bill Niven, »war die DDR zwar kein pluralisti­ scher Staat, aber auch nicht frei von Pluralismus«.6 In der Erforschung des DDR-Gedenkens wurde dies jedoch lange weit­ gehend ignoriert und auf einen stark dichotomen Blick von Herrschaft und Widerstand in Diktaturen reduziert.7 Auch die Frage nach der Erinnerung an die Schoah folgte diesem Muster.8 In den letzten Jahren entstanden al­ lerdings verschiedene Studien zur Erinnerungskultur der DDR, die auf eine Thematisierung der Schoah in einzelnen Aspekten des kulturellen Lebens

4

Siehe Olaf Groehler, Der Holocaust in der Geschichtsschreibung der DDR, in: Bernhard Moltmann (Hg.), Erinnerung. Zur Gegenwart des Holocaust in Deutschland-West und Deutschland-Ost, Frankfurt a. M. 1993, 47–65, bes. 47 f.; Jeffrey Herf, Zweierlei Erinne­ rung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, übers. von Klaus-Dieter Schmidt, Berlin 1998, 87–238; Angelika Timm, Die DDR, die Schoah und der offizielle Antizionis­ mus, in: Mario Keßler (Hg.), Antisemitismus und Arbeiterbewegung. Entwicklungslinien im 20. Jahrhundert, Bonn 1994, 65–78. 5 Siehe François Furet, Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20.  Jahrhundert, übers. von Karola Bartsch, München/Zürich 1996, 503; Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, ­101–106. 6 »The GDR may not have been a pluralist state, but it was not without plurality.« Bill Niven, Remembering Nazi Anti-Semitism in the GDR, in: ders./Chloe Paver (Hgg.), Me­ morialization in Germany since 1945, Basingstoke 2010, 205–213, hier 207. 7 Siehe Stefanie Eisenhuth/Hanno Hochmuth/Konrad H. Jarausch, Alles andere als ausge­ forscht. Aktuelle Erweiterungen der DDR-Forschung, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Deutschland Archiv, 11.  Januar 2016, (1.  Dezember 2019); Ulrich Mählert, Totgesagte leben länger. Oder: Konjunkturen der DDR-Forschung vor und nach 1989. Eine Einführung, in: ders. (Hg.), Die DDR als Chance. Neue Perspek­ tiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, 9–22. 8 Für einen Überblick siehe Helmut Peitsch, Antifaschistisches Verständnis der eigenen jü­ dischen Herkunft in Texten von DDR-SchriftstellerInnen, in: Elke-Vera Kotowski (Hg.), Das Kulturerbe deutschsprachiger Juden. Eine Spurensuche in den Ursprungs-, Transitund Emigrationsländern, Berlin 2015, 117–142, bes. 117 f. Für ein aktuelles Beispiel sie­ he Katrin Hammerstein, Gemeinsame Vergangenheit – getrennte Erinnerung? Der Natio­ nalsozialismus in Gedächtnisdiskursen und Identitätskonstruktionen von Bundesrepublik Deutschland, DDR und Österreich, Göttingen 2017, 49–56.

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fokussierten.9 Dass berufliches und öffentliches Auftreten einerseits und privates Leben andererseits besonders in Diktaturen nicht zwingend in eins fallen und vielmehr Spielräume und Eigensinn ermöglichen, ist eine eigent­ lich längst etablierte Erkenntnis.10 Um diese auch auf den Kulturbetrieb der DDR anzuwenden, ist vor allem die Betrachtung der jeweiligen Akteure und Akteurinnen entscheidend. Wie konnten im kulturellen Leben der DDR Werke entstehen, die sich der Schoah als eigenständigem Ereignis widmeten? Bedingt durch die Arbeitsund Publikationsbedingungen sind diese Zeugnisse oft ideologisch gefärbt. Umso ertragreicher aber sind die Analyse dieser Texte und die Freilegung der Intention der Autoren, denn besonders früheren NS-Verfolgten, die aus dem Exil zurückgekehrt waren, erlaubte diese Erfahrung eine kritische Distanz zu den Entwicklungen im neuen deutschen Staat. Die Probleme, mit denen das »Ich im Wir«, wie Nicolas Berg es nannte,11 verortet werden konnte, und die entscheidende Bedeutung dieser Perspektive für eine kritischere und diffe­ renziertere Betrachtung der Schoah sollen hier am Beispiel Rudolf Hirschs diskutiert werden. Hirsch verband eine kommunistische Überzeugung mit seiner jüdischen Verfolgungserfahrung und steht somit archetypisch für die­ se besondere Gruppe von zurückgekehrten Exilierten.12 Gerade diese Kom­ bination ermöglichte eine öffentliche Thematisierung der Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas innerhalb des Antifaschis­ mus der DDR. Auf diese Weise konnten Kulturschaffende und Personen des   9 Siehe Manuela Gerlof, Tonspuren. Erinnerungen an den Holocaust im Hörspiel der DDR (1945–1989), Berlin/Boston, Mass., 2010; Philipp Graf, Erinnerungskultur in der DDR. Am Beispiel von Anna Seghers, in: Andreas H. Apelt/Maria Hufenreuter (Hgg.), Antise­ mitismus in der DDR und die Folgen, Halle/Saale 2016, 139–154; Kathrin Hoffmann-Cur­ tius, Bilder zum Judenmord. Eine kommentierte Sichtung der Malerei und Zeichenkunst in Deutschland von 1945 bis zum Auschwitz-Prozess, 2.,  korrigierte Auflage, Marburg 2015; Peitsch, Antifaschistisches Verständnis der eigenen jüdischen Herkunft in Texten von DDR-SchriftstellerInnen; Elke Schieber, Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisueller Medien der SBZ und der DDR 1946 bis 1990. Eine Dokumenta­ tion, Berlin 2016; Stephan Stach, Dissidentes Gedenken. Der Umgang Oppositioneller mit Holocaustgedenktagen in der Volksrepublik Polen und der DDR, in: Peter Hallama/ders. (Hgg.), Gegengeschichte. Zweiter Weltkrieg und Holocaust im ostmitteleuropäischen Dis­ sens, Leipzig 2015, 207–236; Alexander Walther, Keine Erinnerung, nirgends? Die Shoah und die DDR, in: Deutschland-Archiv, 6. August 2019, (1. De­ zember 2019). 10 Siehe Thomas Lindenberger, Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand (Version  1), in: Docupedia-Zeitgeschichte. Begriffe, Methoden und Debatten der zeithistorischen Forschung, 2.  September 2014, (1. Dezember 2019). 11 Nicolas Berg, Das Ich im Wir. Anna Seghers und Victor Klemperer in der frühen DDR, in: Einsicht 15. Bulletin des Fritz Bauer Instituts, Frankfurt a. M. 2016, 38–49. 12 Für eine Analyse der jüdischen Kommunisten im politischen Betrieb der DDR siehe die immer noch grundlegende Studie von Karin Hartewig, Zurückgekehrt.

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öffentlichen Lebens wie Arnold Zweig, Lea Grundig, Lin Jaldati oder Martin Riesenburger in verschiedensten Bereichen auf die Besonderheit der jüdi­ schen Verfolgung durch das NS-Regime hinweisen. Das Besondere an diesen Arbeiten liegt darin, dass sie scheinbar selbstver­ ständlich eigensinnige Motivlagen mit ideologischen Vorgaben zu kombinie­ ren wussten, mehr noch: Sie fügten dem Antifaschismus der DDR eine jüdi­ sche Sichtweise bei. Anhand der Arbeiten Rudolf Hirschs soll daher gezeigt werden, wie sich die Darstellung und Deutung der Schoah innerhalb des Antifaschismus präsentieren konnte und welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen diese spezielle Form der Auseinandersetzung bot. Insbesondere das Beispiel Hirschs bietet Einblicke in die oft widersprüchlichen, sich ändern­ den Repräsentationsformen der Schoah, denn Hirsch avancierte neben seiner Haupttätigkeit als Gerichtsreporter zu einem viel gelesenen, allerdings wis­ senschaftlich kaum beachteten Protagonisten in der Darstellung und Deu­ tung der Schoah in der DDR.

Kampagnenpolitik und persönliche Erfahrungen Obwohl die Auseinandersetzung in den 1960er Jahren noch vornehmlich durch den ideologischen Dauerkonflikt mit der Bundesrepublik geprägt war, konnten in dieser Zeit Werke entstehen, die sich explizit der Schoah und den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus widmeten. Vor allem der Eich­ mann-Prozess 1961 hatte das Thema in beiden deutschen Staaten auf die Ta­ gesordnung des politischen und kulturellen Lebens gesetzt.13 Die SED nutzte diesen Moment, um Propagandakampagnen gegen die Bundesrepublik zu initiieren. Rudolf Hirschs erster Versuch, die Schoah öffentlich zu themati­ sieren, fand hier statt. Der Ausschuss für Deutsche Einheit, eine direkt dem Politbüro der SED unterstellte Gruppe, die die Kampagnen gegen die Bundesrepublik steuerte, gab am 28. Juli 1960 eine Pressekonferenz in Ost-Berlin.14 Der Vorsitzende des Ausschusses, Albert Norden, hielt eine Rede über Globke, den »Eich­ 13 Siehe Peter Krause, Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse, Frankfurt a. M./New York 2002; Angelika Timm, Der Eichmann-Prozeß. Eine Zäsur für den Umgang mit der Schoah in der DDR, in: Manfred Weißbecker/Reinhard Kühnl (Hgg.), Rassismus, Fa­ schismus, Antifaschismus. Forschungen und Betrachtungen gewidmet Kurt Pätzold zum 70. Geburtstag, Köln 2000, 340–356. 14 Siehe Heike Amos, Die Westpolitik der SED 1948/49–1961. »Arbeit nach Westdeutsch­ land« durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1999, 258–267; Michael Lemke, Instru­ mentalisierter Antifaschismus und SED-Kampagnenpolitik im deutschen Sonderkonflikt

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mann von Bonn«, wie er seit der bekannt gewordenen Verhaftung Adolf Eichmanns im Mai 1960 oft bezeichnet wurde. Darin bescheinigte er Glob­ ke eine »aktive und führende Mitwirkung« an den NS-Verbrechen und sah den »Verfasser dieser Nürnberger Blutgesetze […] heute am Schalthebel der Adenauer-Diktatur«.15 An der Konferenz nahmen neben Norden prominente Vertreter jüdischen Lebens in der DDR teil, etwa Arnold Zweig und Martin Riesenburger, der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Ost-Berlins.16 Die Pressekonferenz war der Auftakt einer neuen Kampagne im Rahmen der Anschuldigungen, die die SED seit Ende der 1950er Jahre gegen die west­ deutsche Regierung vorgebracht hatte. Mit Unterstützung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das die notwendigen Akten in eigenen und auslän­ dischen Archiven beschaffte – wodurch oft erstmalig eine Sichtung des um­ fangreichen Aktenmaterials in DDR-Archiven stattfand –, veröffentlichte der Ausschuss Broschüren, in denen frühere NS-Täter in prominenten Positionen in der Bundesrepublik exponiert und deren frühere Tätigkeiten angeprangert wurden – oft mit Erfolg.17 1963 fand vor dem Obersten Gericht der DDR ein Schauprozess gegen Hans Globke statt, nach dem er zu lebenslanger Zucht­ hausstrafe verurteilt wurde.18 Im Zuge des Prozesses hatten mindestens 28 von über 600 vernommenen Personen ausgesagt, darunter prominente Kultur­ schaffende der DDR wie Peter Edel, Lea Grundig, Lin Jaldati und Eberhard Rebling.19 Der Prozess bildete den Höhepunkt der Angriffe gegen die Regie­ rung der Bundesrepublik Anfang der 1960er Jahre, die – hier am Beispiel der Schoah – die Mittäterschaft von Regierungsmitgliedern darstellen und deren scheinbar revanchistischen und neofaschistischen Charakter beweisen sollten. Ein beliebtes Mittel zur Beweisführung und Anprangerung lag in der Ver­ öffentlichung von Broschüren, die in hoher Stückzahl gedruckt und auch in

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1960–1968, in: Jürgen Danyel (Hg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Na­ tionalsozialismus und Widerstand in den beiden deutschen Staaten, Berlin 1995, 61–86. Ausschuß für Deutsche Einheit (Hg.), Globke und die Ausrottung der Juden. Über die verbrecherische Vergangenheit des Staatssekretärs im Amt des Bundeskanzlers Adenauer, Berlin (Ost) 1960, 111. Siehe ebd., 114–116. Siehe Henry Leide, NS-Verbrecher und Staatssicherheit. Die geheime Vergangenheits­ politik der DDR, Göttingen 2005, 73–88; Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigung 1949–1969. Oder: eine deutschdeutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn u. a. 2002, 151–157. Siehe das Urteil in Christiaan F. Rüter (Hg.), DDR-Justiz und NS-Verbrechen, 12 Bde., München/Amsterdam 2002–2008, hier Bd.  3: Die Verfahren Nr.  1064–1114 der Jahre 1955–1964, Amsterdam 2003, 75–194. Die Prozessakten, Zeugenaussagen und Beweis­ mittel finden sich in Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, MfS, Ast I-7/63 und BArch, DP 3/913-972. Siehe Erika Schwarz, Juden im Zeugenstand. Die Spur des Hans Globke im Gedächtnis von Überlebenden der Schoa, Berlin/Teetz 2009.

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der Bundesrepublik verteilt wurden.20 Insgesamt wurden fünf Broschüren über Globke veröffentlicht.21 Die erste dieser Art, Globke und die Ausrottung der Juden, die auf der Pressekonferenz im Juli 1960 vorgestellt wurde, versam­ melte Faksimiles von Dokumenten und Zitaten, die die Schuld Globkes bele­ gen sollten. Die Broschüre war Teil der Kampagnenpolitik der SED, in der es weniger um historische Aufarbeitung denn um Propaganda ging. Der oft über­ spitzte und polemische Ton der Broschüre resultierte vor allem aus einer star­ ken Über- oder Fehlinterpretation der dort abgedruckten Dokumente.22 Diese stammten mehrheitlich aus dem Staatsarchiv der DDR in Potsdam, das einen großen Teil der Akten des ehemaligen Reichsinnenministeriums beherbergte. Zwar wurde in der Broschüre versucht, Globkes Taten in ihrer Bedeutung zu überhöhen und ihn als zweiten Eichmann zu präsentieren; dafür konnten aber trotz großer Anstrengungen letztlich keine Beweise gefunden werden.23 Globke galt laut den begleitenden Texten nur als »mitverantwortlich für die Vernichtung von mehreren Millionen Juden«.24 Trotz aller Polemik wurde

20 Siehe Jutta Illichmann, Die DDR und die Juden. Die deutschlandpolitische Instrumentali­ sierung von Juden und Judentum durch die Partei- und Staatsführung der SBZ/DDR von 1945 bis 1990, Frankfurt a. M. 1997, 154. 21 Ausschuß für Deutsche Einheit, Globke und die Ausrottung der Juden; ders., Neue Bewei­ se für Globkes Verbrechen gegen die Juden, Berlin (Ost) 1960; ders., Der unaufhaltsame Aufstieg des Dr. Hans Maria Globke, Berlin (Ost) 1961; ders., Globke, der Bürokrat des Todes. Eine Dokumentation über die Blutschuld des höchsten Bonner Staatsbeamten bei der Ausrottung der Juden, Berlin (Ost) 1963; ders., Globkes braune Notstandsexekuti­ ve. Das Bonner Geheimkabinett der Staatssekretäre – ein Exklusivverein belasteter Nazis und Antisemiten. Faschistische Mörder und SS-Verbrecher im Bundesverwaltungsgericht. Eine Dokumentation vom Ausschuss für Deutsche Einheit, Berlin (Ost) 1963. 22 Siehe Fabian Wendler, NS-Täter in der Geschichtsschreibung der SBZ und DDR bis in die 1960er-Jahre, Berlin 2017, 324–351. 23 Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, 156. Erik Lommatzsch deutet in seiner Globke-Biografie die Broschüren als Propagandamittel, die dessen Hand­ lungen deutlich überspitzt dargestellt hätten. Als ersten Schritt der Kampagnen erkennt er den Vorwurf an Globke, »dem nationalsozialistischen Regime als Beamter gedient zu ha­ ben und nun ganz oben in der Bonner Hierarchie zu stehen«. Was an diesem Befund strit­ tig sein könnte, bleibt unklar. Zwar sind die vorgebrachten Beweise und Argumente der Kampagnen durchaus kritikwürdig. Wie scheinbar normal jedoch eine Nachkriegskarriere für einen ehemaligen Beamten des Reichsinnenministeriums in der Bundesrepublik (und oft auch in der DDR) war – und noch immer so wahrgenommen wird –, zeigt sich deutlich in dieser Einschätzung. Auch die »sogenannten Zeugenaussagen« im erwähnten Ost-Ber­ liner Prozess gelten offenbar wenig, da das MfS jeden Zeugen vor Aussage auf Tauglich­ keit befragt hatte. Einen Eigensinn der aussagenden Person und den Wert der Aussage selbst erkennt Lommatzsch nicht. Siehe Erik Lommatzsch, Hans Globke (1898–1973). Beamter im Dritten Reich und Staatssekretär Adenauers, Frankfurt a. M. 2009, 19 f. und 312. Kritisch hierzu Magnus Brechtken, Nürnberger Gesetze, Nachgeschichte und His­ toriografie. Der Fall Globke, in: ders. u.  a. (Hgg.), Die Nürnberger Gesetze  – 80  Jahre danach. Vorgeschichte, Entstehung, Auswirkungen, Göttingen 2017, 249–266. 24 Ausschuß für Deutsche Einheit, Globke und die Ausrottung der Juden, 86.

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in der Broschüre durch die abgedruckten Dokumente die Tragweite seiner Handlungen nachgezeichnet und zumindest auf dessen Mittäterschaft hinge­ wiesen, wodurch nun stärker als zuvor die Rolle der »Weltanschauungstäter« betont wurde. Globke erscheint hierin überspitzt als »Bürokrat des Todes«.25 Dabei verwies der Ausschuss, obgleich wohl unfreiwillig, auf die Bedeu­ tung der scheinbar einfachen Beamten im Zuge der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus, ähnlich wie Raul Hilberg es in dieser Zeit – fachlich deutlich präziser – in seiner Studie zeigte.26 Globke hatte zunächst versucht, die Verbreitung der Broschüre zu unterbin­ den, woraufhin sich der Autor des Textes bei der Staatsanwaltschaft meldete: Rudolf Hirsch.27 Obwohl das Bundeskanzleramt – wohl zu Recht – Zwei­ fel an dessen Autorschaft hegte, da Hirsch lediglich »ein kleiner Gerichts­ reporter des SED-Organs Wochenpost« sei, bleibt seine Bereitschaft, sich als Autor zu bekennen, bemerkenswert und zeugt von seinem Willen, in diesem Zusammenhang tätig zu werden.28 Denn obwohl er das Politbüro in dessen Kampagne unterstützte, verfolgte Hirsch auch eigene Ziele. Die öffentliche Kritik an einem hohen Beamten der Bundesrepublik, die Offenlegung von dessen NS-Vergangenheit und vor allem die deutliche Thematisierung der Schoah waren offenbar das Entscheidende. Wie aber kam Hirsch dazu, sich in dieser Angelegenheit zu Wort zu melden, zumal er vermutlich höchstens Mitautor der Broschüre war? Hierzu muss Hirschs biografischer Hintergrund betrachtet werden. Rudolf Hirsch wurde 1907 in einer bürgerlichen jüdischen Familie in Kre­ feld geboren. Sein Vater, ein »rheinisch-westfälischer Patriot«, wie Hirsch ihn beschrieb, besaß ein florierendes Schuhgeschäft in Krefeld.29 Finanziell schien die Familie gut ausgestattet, pflegte einen gehobenen Lebensstil, sam­ 25 Ders., Globke, der Bürokrat des Todes. 26 Zu Globke siehe Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, 3 Bde., Frankfurt a. M. 1990, hier Bd. 1, 38 und 185, und Bd. 3, 1065 und 1164 (zuerst engl. 1961); Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden. Gesamtausgabe, übers. von Martin Pfeiffer, München 2008, 169, 276 und 685. Zur Rolle der Beamten siehe Raul Hilberg, Täter, Opfer, Zuschauer. Die Vernichtung der Juden 1933–1945, übers. von Hans Günter Holl, Frankfurt a. M. 1992, 33–39. Fabian Wendler bemerkt dazu, dass der Ausschuss zu dieser Zeit Hilbergs Thesen noch nicht hätte rezipieren können, letztlich aber ähnlich argumen­ tierte. Siehe Wendler, NS-Täter in der Geschichtsschreibung der SBZ und DDR bis in die 1960er-Jahre, 338 f.; zum Täterbild der Broschüren siehe ebd., 324–383. 27 Siehe Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (nachfolgend LAV NRW), Abteilung Rhein­ land, Gerichte Rep. 231 Nr. 1488, Bl. 139 f.; Friedrich Karl Kaul, Der Fall Eichmann, Berlin (Ost) 1963, 213. 28 LAV NRW, Abteilung Rheinland, Gerichte Rep. 231 Nr. 1488, Bl. 142 f., Zitat 142, Man­ fred Baden, persönlicher Referent Globkes, an den Staatsanwalt Werner Pfromm, Bonn, 26. April 1961. 29 Siehe Rudolf Hirsch, Aus einer verlorenen Welt, hg. von Walter Nowojski, Berlin 2002, 10.

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melte Kunst und leistete sich ein Kindermädchen. Speisevorschriften wur­ den weitgehend ignoriert und die Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde begründete der Vater lediglich mit einem anhaltenden Antisemitismus in der Gesellschaft. Sobald dieser überwunden sei, werde er austreten. Zionistische Bestrebungen lehnte er ebenso ab wie jüdische Einwanderer aus dem öst­ lichen Europa.30 Hirsch beendete vorzeitig die Schule, wegen des Antisemitismus seiner Mitschüler und Lehrer, wie er selbst sagte.31 Er wurde zum Kaufmann ausge­ bildet und als Erbe des väterlichen Schuhgeschäfts gehandelt. Der Verwüs­ tung des Geschäfts im Februar 1933 folgte ein weitgehender Boykott seitens der Bevölkerung Krefelds. Hirsch, ab 1931 KPD-Mitglied, war als jüdischer Kommunist zweifach gefährdet und versteckte sich zunächst bei Freunden in Köln und Mönchengladbach. Von dort ging er nach Amsterdam, wo er einige Monate lebte, bevor er Ende des Jahres nach Belgien ausgewiesen wurde. Dort arbeitete er in der Matratzenfabrik eines Verwandten. Im November 1934 ging er zurück nach Krefeld und wurde nach kurzer Aussage bei der Gestapo auf freien Fuß gesetzt.32 Hirsch arbeitete danach im Schuhgeschäft seiner Verwandten in Düsseldorf.33 1935 wurde er von einer Freundin im Berliner Ableger der Widerstands­ gruppe »Neu Beginnen« vorgestellt.34 Die 1929 gegründete Gruppe hatte zu­ nächst um ein gemeinsames Vorgehen von KPD und SPD gegen rechte und vermeintlich bürgerliche Kräfte geworben, bevor sie sich nach 1933 auf den Aufbau von Netzwerken und die Verbreitung von Schulungsmaterial inner­ halb der Arbeiterbewegung fokussierte. Die im Exil von der SPD produzier­ ten »Berichte über die Lage in Deutschland« speisten sich unter anderem aus Informationen der Mitglieder dieser Widerstandsgruppe im Reich.35 Diese versammelte ein breites Spektrum von Kommunisten, Sozialisten, Sozial­ demokraten und Gewerkschaftern, obgleich das Führungsgremium sozial­ demokratisch ausgerichtet war und Kontakte zur KPD zu unterbinden ver­ suchte.36 1938 wurde die Führungsriege schließlich verhaftet und die Gruppe damit faktisch zerschlagen.

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Siehe ebd., 65. Siehe ebd., 64. Siehe seine Angaben in LAV NRW, Abteilung Rheinland, RW 0058 Nr. 58296, Bl. 5–7. Siehe Hirsch, Aus einer verlorenen Welt, 5–85. Siehe Tobias Kühne, Das Netzwerk »Neu Beginnen« und die Berliner SPD nach 1945, Berlin 2018, 59–99; Richard Löwenthal, Die Widerstandsgruppe »Neu Beginnen«, Berlin 1982. Ich danke Felix Pankonin (Leipzig) für diese Hinweise. 35 Siehe Bernd Stöver, Berichte über die Lage in Deutschland. Die Lagemeldungen der Gruppe Neu Beginnen aus dem Dritten Reich 1933–1936, Bonn 1996. 36 Siehe Hirsch, Aus einer verlorenen Welt, 46–51 und 175–180.

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1937 wurde Rudolf Hirsch von seinen Freunden zur Ausreise gedrängt, um sich zu schützen und die Widerstandsarbeit aus dem Ausland weiter­ zuführen. Er beantragte ein Visum für Palästina und durfte nach Tel Aviv ausreisen. Nach wenigen Monaten fuhr er über Osteuropa nach Schweden, um sich Mitgliedern seiner Widerstandsgruppe anzuschließen. Jedoch wur­ de Hirsch bereits im Frühjahr 1939 wieder ausgewiesen und erreichte im Juni erneut Palästina.37 In Tel Aviv arbeitete er als Schuhfräser und gründete mit anderen deutschen Emigranten ein Nationalkomitee »Freies Deutsch­ land« nach dem Moskauer Vorbild. Prominentestes Mitglied wurde Arnold Zweig, mit dem ihn eine langjährige Freundschaft verbinden sollte. Neben der Tätigkeit im Nationalkomitee schloss sich Hirsch einer weiteren Grup­ pe deutscher Emigranten an und beteiligte sich an Diskussionen über einen möglichen Neuanfang. »Wir waren fest entschlossen, nach dem Krieg in die Heimat zurückzukehren, um für ein besseres Deutschland zu wirken,« fasste Hirsch diese Zeit Jahrzehnte später zusammen.38 Obgleich eine solche Ein­ schätzung rückblickend leicht getroffen werden kann, fügt sie sich doch in Hirschs damalige Aktivitäten und das Profil seiner Mitstreiter. Palästina und später Israel war keine potenzielle neue Heimat, sondern temporärer Zu­ fluchtsort. 1949 beschloss Hirsch, nach Deutschland zurückzukehren. Da ihm die Einreise nach Krefeld, also in die britische Besatzungszone, verwehrt wurde, ging er auf Vermittlung Arnold Zweigs nach Ost-Berlin. Das Misstrauen gegenüber den zurückgekehrten Westemigranten war groß, was Hirsch zu spüren bekam, der in einer mit Sozialdemokraten zusammen­ arbeitenden Widerstandsgruppe aktiv gewesen war. Sein Antrag auf Mit­ gliedschaft in der SED wurde daher auch zunächst abgelehnt und erst 1959 genehmigt. Fast zwanzig Jahre später erstritt er bei der Zentralen Parteikon­ trollkommission die Bestätigung seiner durchgehenden Parteimitgliedschaft seit seinem Eintritt in die KPD 1931.39 1950 vermittelte ihm eine Cousine eine Anstellung als Reporter bei der von der sowjetischen Militäradministra­ tion geleiteten Täglichen Rundschau. Hirsch beschloss, wie er später schrieb, das neue Land zunächst kennenzulernen, bevor er zu einem brauchbaren Journalisten werden könne. Da er sich in Palästina als Krimiautor versucht hatte, habe es ihn zum Gericht gezogen. Die Entscheidung bestimmte sein gesamtes berufliches Leben.40 Nach dem 17. Juni 1953 verschärfte sich die Anspannung in der Redaktion zusehends und unliebsam gewordene Redakteure wurden kurzerhand entlas­

37 Siehe ebd., 75–103. 38 Ebd., 114. 39 BArch, DY 30/11046, Zentrale Parteikontrollkommission, Anerkennung der durchgehen­ den Mitgliedschaft Rudolf Hirschs, 14. Dezember 1977. 40 Siehe Hirsch, Aus einer verlorenen Welt, 183.

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sen. Eine zumindest in Teilen kritische Berichterstattung über Gerichtspro­ zesse schien jetzt kaum noch möglich.41 Als Reaktion auf den Aufstand ließ die Parteiführung jedoch eine Reihe kritischerer und offenerer Zeitungen zu. Die Ende desselben Jahres neu gegründete Wochenzeitung Wochenpost wur­ de Hirschs Stammblatt bis zu seiner Kündigung 1981. Hier nun wurde er vollends zum Gerichtsreporter. Er habe dieses Genre gewählt, um die junge, sozialistische Rechtsprechung im Aufbau zu unterstützen. Obwohl es ihm an juristischer Erfahrung gemangelt habe, sei er deutlich älter als die meis­ ten neu eingestellten Richter und Staatsanwälte gewesen. Diese, so Hirsch, hätten des Urteils eines erfahreneren Beobachters bedurft, um ihr rechtliches Empfinden zu schärfen.42 Durch seine Berichte, in denen er auch ganz offen Urteile kritisierte, selbst aussprach und begründete, entwickelte sich Hirsch tatsächlich für viele Menschen zu einer Instanz sozialistischer Rechtspre­ chung. Die Freiheiten wurden durch seinen Arbeitgeber ermöglicht, denn die Wochenpost verstand sich dezidiert als wohl »einzige Alternative zum Neuen Deutschland« und stand für eine etwas offenere Themen- und Sprach­ wahl.43 Gleichwohl blieb auch ihm die Berichterstattung über politische und Mordprozesse zumeist verwehrt, wie er später beklagte.44 Seine Gerichtsre­ portagen erschienen in der Regel wöchentlich auf der letzten Seite. So trat er 1 400-mal Als Zeuge in dieser Sache, so der Titel seiner Kolumne, auf. Die »Leitartikel des kleinen Mannes«, wie die Reportagen auch genannt wurden, waren beim Publikum der Zeitung beliebt, die rasch eine Auflage von bis zu 1,3 Millionen Exemplaren erreichte.45

Der erste Auschwitz-Prozess (1963–1965) Seine wohl bekanntesten und eindrücklichsten Reportagen entstanden wäh­ rend des ersten Auschwitz-Prozesses, der zwischen 1963 und 1965 in Frank­ furt am Main geführt wurde. Hirsch nahm an sechzig bis siebzig Prozess­ tagen als Berichterstatter für die Wochenpost und die Berliner Zeitung teil und zählte somit zu den am häufigsten anwesenden Journalisten aus der

41 Siehe ebd., 186. 42 Siehe ders., Zeuge in Ost und West. Aus dem Gerichtsalltag, Rudolstadt 1965, 7–9. 43 Siehe Klaus Polkehn, Das war die Wochenpost. Geschichte und Geschichten einer Zei­ tung, Berlin 1997, 7. 44 Siehe Rudolf Hirsch, Das Leben. Was sonst, 2 Teile, Berlin 1991, hier Teil 2: Vom Mäd­ chen, das nur schlafen wollte, Berlin 1991, 6; Polkehn, Das war die Wochenpost, 217. 45 Siehe Polkehn, Das war die Wochenpost, 11 und 215–221.

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DDR. Neben ihm berichteten Vertreter der staatlichen Nachrichtenagentur ADN, des Deutschlandsenders oder auch des Neuen Deutschlands.46 Ähnlich wie die Kampagnen gegen Globke und andere sollte auch der Auschwitz-Prozess die Bundesrepublik in einem möglichst schlechten Licht erscheinen lassen und den Fokus auf die vermeintlich wahren Schuldigen lenken. Der Prozess sollte laut einem Politbürobeschluss in ein »Tribunal gegen den IG-Farben-Konzern« verwandelt werden.47 Hierfür wurde Fried­ rich Karl Kaul, der schon als Anwalt in anderen NS-Prozessen aufgetreten war und sich 1961 vergeblich um eine Beteiligung als Anwalt im EichmannProzess in Jerusalem beworben hatte, als Vertreter der in der DDR lebenden Nebenkläger entsandt. Dieser unterstützte Rudolf Hirschs Bitte, die er an die zuständige Westkommission des Politbüros der SED gerichtet hatte, vom Prozess berichten zu dürfen.48 Auch durch die Benennung von Zeugen und Gutachtern versuchte die Staatsführung, Einfluss auf das Prozessgeschehen zu nehmen und den Fokus auf westdeutsche Industrielle, besonders ehema­ lige hochrangige I.G.-Farben-Mitarbeiter, zu lenken.49 Die Berichterstattung sollte sich diesem Muster unterordnen.50 Gleich in seinem ersten Bericht übte Hirsch harsche Kritik an der west­ deutschen Justiz. Hier finden sich bereits Elemente seiner durch die Faschis­ mustheorie geprägten Lesart des Nationalsozialismus, wenn er schreibt: »Auschwitz  – kein Ort auf dieser Welt hat je Grauenvolleres gesehen. Hier wurden etwa vier Millionen Menschen ermordet – maschinell. Sie wurden wie das Vieh aus­ geschlachtet, was von ihnen nach Vergasung und Verbrennung übrigblieb, industriell verwertet.«51

46 Siehe Marcel Atze, Rudolf Hirsch. »Mörder, merkt’s euch, wie billig das Leben in West­ deutschland ist.«, in: Irmtrud Wojak (Hg.), Auschwitz-Prozeß 4 Ks 2/63, Frankfurt am Main, Köln 2004, 752–758. 47 BArch, DY 30/J IV 2/2/906, Politbüro-Beschluß vom 19. November 1963, Arbeitsproto­ koll Nr. 41 zur Sitzung vom 19. November 1963. Siehe auch Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, 239. 48 BArch, DY 30/68942, Bl.  1, Heinz Geggel an Rudolf Singer, 16.  Dezember 1963. Zit. nach Henry Leide, Auschwitz und die Staatssicherheit. Strafverfolgung, Propaganda und Geheimhaltung in der DDR, Berlin 2019, 39. 49 So fokussierten Kauls Nachfragen und Einwürfe oft auf die Nachkriegskarrieren führen­ der Industrieller, die in Auschwitz  III Gefangene von der SS zur Zwangsarbeit hatten antreiben lassen. Im Juni 1964 gipfelte diese Strategie, indem Kaul bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft u. a. gegen Otto Ambros, Fritz ter Meer und Heinrich Bütefisch, frühe­ re führende Köpfe der I.G. Farben, Anzeige wegen Mordes erstattete. Das Verfahren wur­ de jedoch nicht aufgenommen. Siehe Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, 244. 50 Siehe Atze, Rudolf Hirsch, 755. 51 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 104. Die »vier Millionen Menschen«, die Hirsch hier nennt, entspringen nicht seiner Fantasie. Vielmehr war dies die offizielle Opferzahl, die die Gedenkstätte Auschwitz veröffentlicht hatte. Sie beruht auf einer Schätzung der ersten

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Hirsch bezieht sich hier auf die Beraubung der Leichen und die Plünderung der Besitztümer der Deportierten. Diese als »Leichenfledderei« bezeichnete Praxis war ein häufig verwendetes Bild der sozialistischen Lesart, da es ein­ seitig auf die ökonomischen Interessen von SS und Konzernen hinwies.52 Hirsch bemerkte danach, dass der eigentlich vorgesehene vorsitzende Richter wegen Befangenheit zurücktreten musste. Beinahe, so fügte er sar­ kastisch hinzu, wären die Täter straffrei ausgegangen, da sich kaum noch ein unbefangener Richter habe finden lassen.53 Auch die Auswahl der An­ geklagten und deren Erscheinen kommentierte Hirsch. Robert Mulka etwa, der frühere Adjutant des Lagerkommandanten Höß, hatte durch Stellung einer Kaution von 50 000 DM seine Entlassung aus der Untersuchungshaft erwirkt. Polemisch merkte Hirsch hierzu an: »[F]ür jeden der ermordeten Juden, Polen, Russen, Deutschen, Zigeuner braucht er nicht einmal zwei Pfennige zu hinterlegen. Mörder, merkt’s euch, wie billig das Leben in West­ deutschland ist.«54 Und letztlich, so Hirsch, gehe es keinesfalls nur um die in Auschwitz tätigen SS-Männer. Die wahren Schuldigen säßen nicht auf der Anklagebank: »Es soll weich verhandelt werden. Nur nicht so stark hineinleuchten in die Mord- und Leichenverwertungsindustrie. Der gute Name von westdeutschen Industrieführern. Der gute Name von Bundeswehroffizieren. Der gute Name von Landgerichtsdirektoren, der gute Name von Polizeidirektoren. Der gute Name von medizinischen Kapazitäten. Zu­ viel steht auf dem Spiel. Denn sie alle haben am Mord verdient.«55

Rudolf Hirschs Berichte erfüllten auf den ersten Blick genau die Erwartun­ gen, die an sie gerichtet wurden. Im Zuge des Prozesses sollten weniger die Taten der Angeklagten selbst, als vielmehr die Beteiligung der Industrie und deren vermeintliche Rolle als Initiator der Verbrechen beleuchtet und damit letztlich die Bundesrepublik als Ganzes abgewertet und delegitimiert werden. Industrie und Konzerne spielten bei Rudolf Hirsch zweifelsfrei eine herausragende Rolle. Dem Gericht attestierte er vorsätzliche Nichtbeachtung der ökonomischen Rahmenbedingungen. Es versuche, »wo es eben geht, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ursachen des Konzentrationslagers Auschwitz auszuklammern. Denn 4,4 Milliarden Umsatz von Bayer-Lever­

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sowjetisch-polnischen Untersuchungskommission, die diese schon 1945 abgegeben hatte. Trotz besseren Wissens blieb die Zahl bis 1989 in den sozialistischen Staaten sakrosankt. Siehe Imke Hansen, »Nie wieder Auschwitz!« Die Entstehung eines Symbols und der All­ tag einer Gedenkstätte 1945–1955, Göttingen 2015, 78. Siehe etwa Heinz Kühnrich, Der KZ-Staat. Rolle und Entwicklung der faschistischen Konzentrationslager 1933 bis 1945, Berlin (Ost) 1960, 82–87. Hirsch, Zeuge in Ost und West, 104. Ebd., 106. Ebd., 109.

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kusen haben dort eine stärkere Überzeugungskraft als 4 Millionen Tote.«56 Hirsch polemisierte und beschrieb immer wieder die Funktionen prominen­ ter Industrieller wie Otto Ambros oder Fritz ter Meer, die nur als Zeugen oder überhaupt nicht im Gerichtssaal auftauchten. Dabei pochte er auf eine vermeintlich reibungslose Kontinuität der dominierenden Stellung der in Auschwitz beteiligten Konzerne. Seine Berichte unterstützten somit die vom Politbüro initiierte Kampagne und betonten die durch die Faschismusformel geprägte Lesart des Nationalsozialismus. Doch Hirsch war mehr als ein scheinbar willfähriger Gehilfe der Partei­ führung, denn er wusste differenzierter zu beschreiben als mancher seiner Kollegen.57 Ein wiederkehrender Kritikpunkt Hirschs ist die Verfahrenspra­ xis des Gerichts. Da bereits während der Beweisaufnahme zahlreiche andere Taten und Täter angesprochen wurden, kündigten sich Nachfolgeprozesse an. Hirsch kommentiert: »Die Schuld aller einundzwanzig ist längst erwiesen. Der eine hat gemordet mit dem Knüppel, der andere mit Gas und Wasser, der dritte mit der Phenolspritze und dem Hunger, mit dem Revolver, mit der Maschinenpistole, mit einem Wink des Fingers To­ desurteile verkündet nach der Richtlinie: Des Todes würdig, wer nicht arbeitsfähig. Das Schwurgericht in Frankfurt am Main hat sich die Aufgabe gestellt, jedem einzelnen jede einzelne Mordtat möglichst mit Namen des Opfers und mit Datum nachzuweisen. Aber jeder Überlebende hat ja mehr gesehen, denn es wurde zu Millionen gemordet. Von einer zum Morden bestellten Verbrecherorganisation. Das Übermaß der Schuld sprengt den Rahmen des klassischen Strafprozesses.«58

Der Aspekt der Gemeinschaftstat ist hier das Bemerkenswerte. Da die west­ deutsche Justiz NS-Verbrechen nicht, wie in der DDR, nach Sondergeset­ zen oder internationalen Statuten verhandelte, konnte den Angeklagten der verschiedenen Prozesse, in denen es um ehemalige Konzentrationslager und Tötungsorte ging, nur selten eine konkrete Tat nachgewiesen werden. Eine Verurteilung zum Mord hingegen verlangt jene konkrete Tat. Erst mit dem Urteil gegen John Demjanjuk 2011 änderte sich diese Praxis: Nun galt schon

56 Ebd., 145. 57 Der Historiker Hans-Jürgen Döscher urteilte 2001 in seiner Rezension der neu aufgeleg­ ten Prozessberichte Hirschs, dessen in »vulgärmarxistischem Tenor« geschriebene Berichte entbehrten jeglicher »unabhängig-kritischer Analyse und sachkundiger Beurteilung« und dienten »vorwiegend als Anklage gegen die bundesrepublikanische Justiz und Exekutive«. Zudem bemängelte er, dass in der DDR-Originalausgabe Hinweise auf Hirschs jüdischen Familienhintergrund fehlten, worin er »latent antisemitisch[e] Vorbehalt[e] in der DDR ge­ genüber jüdischen Autoren« erkannte, in der Neuausgabe hingegen jener Verweis aus »mer­ kantilistischen Beweggründen des Verlags in der Gegenwart« eingefügt worden sei. Ders., Fader Nachgeschmack, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. August 2001, 7. Döschers Sicht wird unkritisch übernommen von Leide, Auschwitz und die Staatssicherheit, 39 f. 58 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 143 f. Siehe auch ebd., 169.

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die Tätigkeit an einem dieser Orte als Beihilfe zum Mord.59 Denn ohne die Betätigung an diesen Orten und die Befolgung der Befehle hätten die Mas­ sentötungen nicht in diesem Maße stattfinden können. Dieses Problem hatte schon Fritz Bauer, hessischer Generalstaatsanwalt und Initiator der Ausch­ witz-Prozesse, erkannt und versucht, durch die Einbeziehung von Gutach­ tern die Taten in ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext verhan­ delt zu wissen.60 Hirsch griff diesen Punkt mehrfach auf und kritisierte dabei das Beharren des Gerichts auf konkreten Daten.61 Das entsprechend niedrige Strafmaß ist auch in der Bundesrepublik teils kritisch aufgenommen worden, spielte aber der Strategie des Politbüros in die Hände und wurde entsprechend präsentiert.62 Auch Hirsch kritisierte die Urteile und das Verfahren und wies zu Recht darauf hin, dass zumeist nur auf Drängen Friedrich Karl Kauls und des von ihm bestellten Gutachters Jürgen Kuczynski, der letztlich vom Gericht nicht zugelassen wurde, die Rolle der I.G.  Farben im Verfahren diskutiert worden war.63 In einer vermeintlichen Verschleppung von weiterführenden Prozessen erkannte er daher auch eine »westdeutsche Wirklichkeit 1965«.64 Doch gerade der Auschwitz-Prozess 59 Siehe Hans-Christian Jasch/Wolf Kaiser, Der Holocaust vor deutschen Gerichten. Amnes­ tieren, Verdrängen, Bestrafen, Ditzingen 2017, 189–191. Das Urteil gegen Demjanjuk in Christiaan F. Rüter/Dick W. de Mildt (Hgg.), Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung der deutschen Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, 49 Bde., Amster­ dam 1968–2012, hier Bd. 49: Die vom 01.01.2002 bis zum 01.01.2012 ergangenen Straf­ urteile. Lfd. Nr. 920–924. Nebst Ergänzungsteil zu Bd. I–XXII (Nachtragsverfahren Lfd. Nr. 950–959), Amsterdam 2012, 227–386. 60 Siehe Fritz Bauer, Im Namen des Volkes. Die strafrechtliche Bewältigung der Vergangen­ heit (1965), in: ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften, hg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak, Frankfurt a. M. 1998, 77–90, hier 83; Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, 236 f. 61 Siehe Atze, Rudolf Hirsch, 756. 62 Siehe Skandalöse Urteile im Auschwitzprozeß. Sturm der Empörung gegen De-facto-Re­ habilitierung der SS-Massenmörder durch westdeutsche Justiz. Urteil entspricht der Poli­ tik der Bonner Kriegspartei, in: Neues Deutschland, 20. August 1965, 1. 63 Kuczynskis Gutachten war zwar ideologisch enorm geformt, dennoch konnte er mit den Verhandlungen zwischen I.G. Farben und SS bei der Wahl des Standortes Auschwitz auf ein Desiderat der damaligen Forschung hinweisen, eine Frage, die bis heute kontrovers diskutiert wird. Siehe Florian Schmaltz, Das historische Gutachten Jürgen Kuczynskis zur Rolle der I.G. Farben und des KZ Monowitz im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess, in: Irmtrud Wojak (Hg.), »Gerichtstag halten über uns selbst …« Geschichte und Wirkung des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, Frankfurt a. M./New York 2001, 117–140; zur Frage der Standortentscheidung siehe Hans Deichmann/Peter Hayes, Standort Ausch­ witz. Eine Kontroverse über die Entscheidungsgründe für den Bau des I.G. Farben-Werks in Auschwitz, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 11 (1996), H. 1, 79–101; Florian Schmaltz/Karl Heinz Roth, Neue Dokumente zur Vorge­ schichte des I.G. Farben-Werks Auschwitz-Monowitz. Zugleich eine Stellungnahme zur Kontroverse zwischen Hans Deichmann und Peter Hayes, in: 1999. Zeitschrift für Sozial­ geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 13 (1998), H. 2, 100–116. 64 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 257.

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zeigte, dass auch in der DDR NS-Täter weitgehend unbehelligt lebten und entsprechende Verfahren nur noch selten angestoßen wurden; dies wurde nie öffentlich kommuniziert.65 Hirschs Berichte waren gleichwohl vielfältiger und konzentrierten sich nicht ausschließlich auf den politischen Charakter des Prozesses, denn er gab den Zeugen viel Raum, was ihm allerdings auch Kritik einbrachte.66 In manchen Texten führte er fast ausschließlich, wörtlich oder paraphrasiert, die Aussagen der geladenen Zeugen an.67 Dadurch stellte er deren Worte einem größeren Publikum zur Verfügung. Mehr noch, er nahm sich ihrer Worte an, machte sie sich zu eigen und wurde damit selbst zum »Zeugen in dieser Sache«. Hirsch sah die Aussagen nicht nur als Beweise in einem Prozess, vielmehr deutet die oft behutsame Wiedergabe ganzer Passagen auf eine echte Wertschätzung des Zeugnisses hin. Immerhin war das Wissen um die Schoah zu Beginn der 1960er Jahre noch kaum ins öffentliche Bewusst­ sein gedrungen. Die Aussagen der Zeugen waren daher eine wichtige Infor­ mationsquelle, besonders im Kontrast zu den Angeklagten, die zumeist vor­ gaben, sich an nichts erinnern zu können. Oft waren die Zeugenbefragungen der Überlebenden die wenigen »Momente der Wahrheit«, wie es Hannah Arendt 1965 formulierte.68 Auch der vielfach scharfe Ton, mit dem die Anwälte der Verteidigung die Zeugen befragten, veranlasste Hirsch zur öffentlichen Würdigung der Zeugen: »[Nie] habe ich gehört, daß auch nur einer der SS-Anwälte einem Zeugen, bevor er Fra­ gen an ihn richtete, erklärt: ›Sie haben durch die deutsche Armee und SS Schreckliches erlebt. Wir respektieren Ihr Leiden, und wenn ich Sie jetzt frage, verstehen Sie mich bitte richtig: ich tue es nur, um einige Unklarheiten aufzuklären.‹ So reden sie nicht. Das dürfen sie nicht. Und am allerschlimmsten – das wollen sie nicht.«69

65 Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, 246. 66 Kaul, der ihn anfangs protegiert hatte, schlug im September 1964 vor, Hirsch die Genehmi­ gung zur Berichterstattung zu entziehen. Man sei »mit seiner Arbeit gar nicht zufrieden«, so Arne Rehan, Leiter der Westabteilung im ZK der SED, denn Hirsch nutze die Gelegenheit in Frankfurt nur, um Geld von seinem Konto abzuheben und damit Ausflüge zu finanzieren. Außerdem schreibe er »über Nebensächliches«, womit wohl auch die Zeugenaussagen ge­ meint waren. BArch, DY 30/68942, Bl. 22, Arne Rehan an Rudi Singer, 14. September 1964. 67 Siehe etwa die Aussagen von Otto Wolken, Otto Dov Kulka und Aron Bejlin in Hirsch, Zeuge in Ost und West, 109–115, 167 und 172–174. 68 Hannah Arendt, Der Auschwitz-Prozeß (zuerst 1965), in: Eike Geisel/Klaus Bittermann (Hgg.), Hannah Arendt. Essays und Kommentare, 2 Teile, hier Teil 1: Nach Auschwitz, übers. von Eike Geisel, mit einem Nachwort von Henryk M. Broder, Berlin 1989, 99–136, Zitat 135. Der Hinweis auf Arendt findet sich bei Dagi Knellessen, »Momente der Wahr­ heit«. Überlebende als Zeugen im Auschwitz-Prozess – Rudolf Vrba und seine Aussage gegen den Angeklagten Robert Mulka, in: Irmtrud Wojak/Susanne Meinl (Hgg.), Im La­ byrinth der Schuld. Täter, Opfer, Ankläger, Frankfurt a. M./New York 2003, 95–132. 69 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 135.

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Erstaunlich ist nicht nur, dass Hirsch hier neben der SS auch die Wehrmacht als Täter benennt und so der klaren Schuldzuweisung an einige wenige wi­ derspricht. Auch seine Sympathie für die Würde der Zeugen sticht hervor. Hirsch beschreibt an anderer Stelle, dass manche der Befragten ihren Na­ men aus Angst vor Benachteiligung oder zum Schutz der Angehörigen von Toten, über die sie berichteten, nicht öffentlich machen wollten.70 Bei aller Aufmerksamkeit gegenüber den Angeklagten verlor Hirsch nie die Zeugen aus den Augen. Mehr noch, er betonte deren Bedeutung für die Wahrheits­ findung des Gerichts und erinnerte an die Entwürdigung der Verfolgten und Getöteten zur Zeit des Nationalsozialismus und, wie in der Behandlung vor Gericht sichtbar, auch allzu oft noch in der damaligen Gegenwart.71 Für den DDR-Kontext ist außerdem bemerkenswert, dass Hirsch mehr­ fach Hermann Langbein erwähnte. Langbein war Mitbegründer des Inter­ nationalen Auschwitz-Komitees und dessen erster Generalsekretär, zur Zeit des Prozesses allerdings wegen politischer Differenzen bereits dieses Pos­ tens enthoben. In der DDR wurde Langbein spätestens 1957 zur Persona non grata erklärt. Er schrieb das Vorwort zur deutschen Ausgabe von Erich Kulkas und Ota Kraus’ Buch über Auschwitz, Die Todesfabrik.72 Darin kri­ tisierte Langbein den Einmarsch sowjetischer Truppen zur Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn 1956. Sein Name wurde aus Büchern gestrichen und jeder offizielle Kontakt eingestellt. Hirsch wird diesen Hintergrund ge­ kannt oder mindestens nach der ersten Erwähnung Langbeins davon erfahren haben. Dass der Name weiterhin auftaucht, ist also keineswegs Zufall.73

Erklärungssuche zwischen politischer Überzeugung und persönlichen Motiven Der wohl eindrücklichste Text seiner Prozessberichte erschien im Dezember 1964. Nachdem mehrfach ein Ortstermin des Gerichts in Auschwitz und Bir­ kenau verschoben worden war, willigte der Vorsitzende Richter schließlich ein. Hirsch war Teil der Delegation von annähernd einhundert Journalisten,

70 Siehe ebd., 129 f. und 140 f. 71 Ähnlich hatte auch Friedrich Karl Kaul, der sonst keine rhetorische Überspitzung scheu­ te, seinen Bericht als Beobachter des Eichmann-Prozesses in Jerusalem verfasst. Auch dort finden sich oft genaue Wiedergaben von Zeugenaussagen. Kaul, Der Fall Eichmann, 182–194 und 273–284. Siehe auch Hartewig, Zurückgekehrt, 498 f. und 503. 72 Ota Kraus/Erich Kulka, Die Todesfabrik, übers. von Zora Weil-Zimmering, Berlin 1957. 73 Siehe Katharina Stengel, Hermann Langbein. Ein Auschwitz-Überlebender in den erinne­ rungspolitischen Konflikten der Nachkriegszeit, Frankfurt a. M. 2012, 218–222.

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die das Gericht und einen Teil der Anwälte begleiteten.74 Sein daraus ent­ standener Bericht »Dezembermorgen in Auschwitz« ist nüchterner verfasst als andere.75 Für die Vorgänge in Birkenau wählte er nicht den Weg der Be­ schreibung, sondern er zitierte aus einem Dokument des Leiters der Zent­ ralbaustelle Auschwitz. Darin meldet dieser die Kapazität der installierten Einäscherungsöfen und beziffert sie auf über 4  700 Leichen pro Tag. Die Dimension der Tötungsvorgänge stellt er so eindrücklich dar, ohne in pathe­ tische Floskeln zu verfallen. Wie schon in einer früheren Reportage sprach Hirsch danach den Aufstand des jüdischen Zwangsarbeitskommandos vom Oktober 1944 an.76 Der jüdische Widerstand war Hirsch, wie noch gezeigt wird, ein besonderes Anliegen. Abschließend beschrieb er die Exponate der Ausstellungen im »Stammlager« Auschwitz: »Eine große, eine riesige Vitrine. Frauenhaar. Haare von jungen, von alten, von mütter­ lichen, von liebenden Frauen. Es ist nicht mehr zu entwirren, es ist leblos. […] An­ dere Vitrinen. Riesige Berge von zerrissenen Schuhen. Männerschuhe, Frauenschuhe, Kinderschuhe. Berge von zerschlagenen Brillen, Berge von Rasierpinseln, Zahnbürsten, Haarkämmen. […] Berge von erbärmlichen und zerschlissenen Koffern. Die Namen der Besitzer sind mit großen Buchstaben darauf geschrieben. Sie hatten gehofft, man würde ihnen die Koffer wieder aushändigen. Mit Herzklopfen lese ich die Namen und fürchte, hoffe, einen bekannten Namen zu finden. Nein, kein Bekannter. Es sind zu viele.«77

Dieser Bericht ist der erste der Sammlung, in dem er Persönliches zulässt. Zwar war Hirschs jüdische Herkunft kein Geheimnis, aber auch kein allzu prominenter Fakt. Und Auschwitz war auch kein unpersönlicher Ort für ihn. Rudolf Hirschs Vater war 1926 an Diabetes gestorben, seine Schwester in die Sowjetunion emigriert und dort vermutlich dem Großen Terror der Jahre 1937 und 1938 zum Opfer gefallen.78 Seine Mutter hatte das Schuhgeschäft bereits 1933 wegen Gewinneinbußen infolge der April-Boykotte zu einem Spottpreis verkaufen müssen.79 Isoliert und verarmt wurde sie 1942 nach Theresienstadt deportiert.80 Ende 1945 erhielt Rudolf Hirsch einen Brief aus Prag. Darin schrieb ihm eine Freundin seiner Mutter: 74 Devin  O. Pendas, Der Auschwitz-Prozess. Völkermord vor Gericht, München 2013, 190; Werner Renz, Tatort Auschwitz. Der Ortstermin des Frankfurter Schwurgerichts im Auschwitz-Prozess, in: Hefte von Auschwitz 23 (2008), 168–188. 75 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 223–227. 76 Siehe dazu Gideon Greif/Itamar Levin, Aufstand in Auschwitz. Die Revolte des jüdischen »Sonderkommandos« am 7. Oktober 1944, übers. von Beatrice Greif, Köln/Weimar/Wien 2015. 77 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 227. 78 Hirsch, Aus einer verlorenen Welt, 69 und 101–103. 79 Claudia Flümann, »… doch nicht bei uns in Krefeld!«. Arisierung – Enteignung – Wieder­ gutmachung in der Samt- und Seidenstadt 1933 bis 1963, Essen 2015, 24–26. 80 Siehe den Eintrag »Meta Hirsch«, in: Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945, (1. Dezember 2019).

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»Ihre Mutter wurde am 9.10.1944 nach Auschwitz mit vielen anderen geschickt. Sie gab mir im letzten Moment den Brief für Sie und Ihre Adresse und bat mich, den Brief nur abzusenden, falls sie nicht zurückkehren würde. […] Ich brachte Ihre Mutter und meine Schwester […] bis zur Sperre […] und wenn wir natürlich beim Abschied nicht sehr froh waren, so hatten wir doch Hoffnung, daß wir uns bald wiedersehen würden, wozu die politische Lage uns damals berechtigte. Meine Schwester ist auch nicht zurückge­ kommen, und es ist so gut wie sicher, daß sie gleich von der Bahn aus in die Vergasung gekommen sind […]. Ihre Mutter hat es in Theresienstadt nicht schlecht gehabt, weil sie es nicht schlimm empfunden hat und Sie beide in Sicherheit glaubte.«81

Hirsch besuchte in Auschwitz also nicht nur den historischen Ort zum gleich­ namigen Prozess, er ging an den Ort, an dem seine Mutter getötet wurde. Zu Be­ ginn des Berichts schrieb er: »Unsere Mütter, Väter, unsere Schwestern und Brü­ der, unsere Kinder lebten hier und starben.«82 In dieser Formulierung ist Hirsch nicht wie sonst der aktive Antifaschist und Kommunist. Er ist ein ehemaliger Verfolgter und Überlebender der Schoah, der um seine Mutter trauert. Diese Art von Anteilnahme und Empathie sucht man in anderen P ­ rozessberichten in der DDR (und zumeist auch in der Bundesrepublik) vergeblich.83 Hirsch leitete den Bericht mit dem Verweis auf ein unkonkretes »wir« ein. »Wir gehen über die Rampe zu den Trümmern der Krematorien, zu den Schei­ terhaufen, und es friert uns. […] Es ist kalt. Und wir schämen uns.«84 Das »wir« – auch bei der Nennung »unserer« Angehörigen – scheint sich kaum auf die Delegation der Journalisten zu beziehen. Denn Hirsch war in diesem Mo­ ment eben nicht Teil einer deutschen Delegation, sondern Sohn einer dort Ge­ töteten. Vielmehr scheint die Scham, die er anspricht, jene zu sein, die immer wieder Überlebende empfinden, da sie überlebt haben und ihre Angehörigen nicht. Im Gespräch mit dem Herausgeber seiner Autobiografie, Walter Nowoj­ ski, hatte Hirsch erklärt, dass er sich ein Leben lang Vorwürfe gemacht habe, seine Mutter nicht zur Ausreise gedrängt und so gerettet zu haben.85 Diese Hintergründe waren den Leserinnen und Lesern seiner Berichte natürlich un­ bekannt. Erst in einem Bericht vom zweiten Auschwitz-Prozess 1966 erklärte Hirsch ganz explizit, dass seine Mutter in Birkenau getötet worden war.86

81 »Sie beide« bezieht sich auf Hirsch und dessen Schwester. Hirsch, Aus einer verlorenen Welt, 106–110. 82 Ders., Zeuge in Ost und West, 223. 83 Lediglich Bernd Naumanns Berichte in der FAZ stachen hier heraus, obgleich sein Text über den Besuch in Auschwitz zum größten Teil die Arbeiten der Vertreter des Gerichts beschreibt und weniger auf den Ort selbst eingeht. Siehe Bernd Naumann, Auschwitz. Be­ richt über die Strafsache gegen Mulka u. a. vor dem Schwurgericht Frankfurt, Frankfurt a. M. 1965, 408–413. 84 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 223. 85 Ders., Aus einer verlorenen Welt, 171. 86 Ders., Um die Endlösung. Prozeßberichte, Berlin 2001, 216.

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Diese persönliche Verbindung kann ebenfalls ein Grund dafür gewesen sein, dass sich Hirschs Lesart der Schoah und seine Formulierungen veränderten und er beständig auf der Suche nach einer Erklärung zu sein schien. Die häufigen Bemerkungen zu den Verbindungen der SS zur Industrie und seine Kritik, die wahren Schuldigen säßen nicht auf der Anklagebank, waren dabei mehr als rei­ ne Ideologie. Schließlich war der Grad personeller Kontinuitäten in der Wirt­ schaft extrem hoch.87 Die Betonung der Rolle der I.G. Farben und anderer ist auch im Kontext von Auschwitz keineswegs willkürlich, denn wie sollte über Auschwitz  III Monowitz verhandelt werden, ohne die I.G.  Farben zu erwäh­ nen?88 Nachdem jedoch der einzige Angeklagte, der eine direkte Verbindung zu Auschwitz III hatte, gesundheitsbedingt im Juli 1964 ausgeschieden war, sa­ hen sich das Politbüro und Kaul ihrer einzigen Option beraubt, diesen Bezug zu thematisieren.89 Dennoch wurde auch in Birkenau die Verbindung zwischen Zwangsarbeit und Völkermord sehr deutlich, besonders im Hinblick auf die Se­ lektion. Doch ist dies eben nur ein Teil der Schoah. Hirsch hätte ebenso von den Prozessen zu anderen Tötungsorten berichten können, an denen kaum eine Se­ lektion stattfand und die den »Kern des Holocaust« deutlicher gezeigt hätten.90 Der Prozess zu Kulmhof/Chełmno, der 1962 bis 1963 in Bonn geführt wurde, oder die Prozesse zu den Orten der »Aktion Reinhardt«, Bełżec, Treblinka und Sobibór, die zwischen 1963 und 1966 in München, Düsseldorf und Hagen statt­ fanden, erfuhren in beiden deutschen Staaten eine geringere Aufmerksamkeit.91 Die Besonderheit der Schoah wurde innerhalb der Geschichtswissenschaft der DDR kaum zur Kenntnis genommen. Durch ein meist strenges Beharren auf der Faschismusformel taten sich die Historiker schwer damit, die Schoah als gesondertes Ereignis zu benennen oder zu erklären. Das Wechselverhältnis zwischen Zwangsarbeit und unmittelbarer Tötung stellte die Historiker vor eine besondere Herausforderung.92 Bruno Baum, jüdisch-kommunistischer Ausch­ 87 Siehe Tim Schanetzky, Unternehmer. Profiteure des Unrechts, in: Norbert Frei (Hg.), Hit­ lers Eliten nach 1945, München 22004, 69–116. 88 Siehe Sybille Steinbacher, »Musterstadt« Auschwitz. Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien, München 2000, 205–222; Robert Jan van Pelt/Debórah Dwork, Ausch­ witz. Von 1270 bis heute, übers. von Klaus Rupprecht, Zürich/München 2000, 2­ 17–258. 89 Siehe Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, 244–246. 90 Stephan Lehnstaedt, Der Kern des Holocaust. Bełżec, Sobibór, Treblinka und die Aktion Reinhardt, München 2017. 91 Siehe Ullrich Kröger, Die Ahndung von NS-Verbrechen vor westdeutschen Gerichten und ihre Rezeption in der deutschen Öffentlichkeit 1958 bis 1965, unter besonderer Berück­ sichtigung von »Spiegel«, »Stern«, »Zeit«, »SZ«, »FAZ«, »Welt«, »Bild«, »Hamburger Abendblatt«, »NZ« und »Neuem Deutschland« (unveröffentlichte Diss., Universität Ham­ burg, 1973); Sara Berger, Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka, Hamburg 2013, 377–380. 92 Siehe Joachim Käppner, Erstarrte Geschichte. Judenverfolgung und Judenvernichtung im Spiegel der Geschichtswissenschaft und Geschichtspropaganda der DDR, Hamburg 1999, 84–91.

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witz-Überlebender, hatte noch 1957 formulieren können, dass die jüdische Be­ völkerung Europas »in Lagern wie Auschwitz physisch vernichtet werden« soll­ te. Die Industrie habe zwar daran verdient, doch seien nur etwa 10 Prozent der Deportierten zur Zwangsarbeit selektiert worden, während »alle anderen sofort vernichtet wurden.«93 Der Fokus lag also auf der Tötung und nicht auf der Aus­ beutung der verschleppten Menschen, obgleich Baum, teils freiwillig, teils unter Druck des einflussreichen Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, für die Neuausgabe seines Berichtes 1957 extra ein Kapitel über die Konzerne als »die wahren Schuldigen an den Verbrechen in Auschwitz« eingefügt hatte.94 In der Sicht der meisten DDR-Historiker war der Zusammenhang zwi­ schen Ausbeutung und Tötung deutlicher. Die Deportationen hätten vor­ nehmlich dazu gedient, neue Zwangsarbeiter für die Industrie zu erhalten. Der Antisemitismus oder »Rassenwahn«, wie es stets hieß, spielte hier nur eine untergeordnete Rolle. Dieser sei lediglich eine Eigenschaft der »Fa­ schisten« gewesen, die die »Monopolkapitalisten« ihnen nur zugestanden hätten. Das eigentliche Ziel, so Heinz Kühnrich, Historiker am Institut für Marxismus-Leninismus, sei die Zerschlagung der Arbeiterklasse gewesen. »Gefängnis, Zuchthaus, Konzentrationslager und planmäßiger Massenmord, alles richtete sich in erster Linie gegen die aktivsten antifaschistischen Kräf­ te, die Mitglieder der KPD.«95 Die Schoah gerät hier allenfalls zur Fußnote, und Impulse, dem zu widersprechen, wurden meist verhindert.96 Hirsch schien – auch in seinen Formulierungen – zwischen diesen Polen zu schwanken und konnte offenbar keiner These gänzlich folgen. So suchte er in seinen Texten nach einem Mittelweg: »Auschwitz war erst einmal das Ergebnis der nationalsozialistischen Rassenlehre. Ju­ den mußten sterben, Polen sollten vernichtet werden. Und Deutsche konnten ermordet werden. Aber alle erst, wenn ihre allerletzten Reste an Arbeitskraft verwertet waren. Die Bedürfnisse der Industrie gingen mit diesem Prinzip konform.«97

Ausbeutung und Zwangsarbeit sind hier wichtige Komponenten, Ursprung der Verbrechen scheint für Hirsch aber die NS-Ideologie zu sein. Diese Tendenz setzt sich fort. In seinen späteren Arbeiten betonte Hirsch zu­ nehmend die Rolle des Antisemitismus, den er dann eindeutig als wichtigstes Erklärungsmuster der Schoah ansah. In einer Sammlung seiner Berichte des

93 Bruno Baum, Widerstand in Auschwitz, Berlin (Ost) 1957, 11. 94 Siehe ebd., 49–64. 95 Heinz Kühnrich, Der KZ-Staat. Die faschistischen Konzentrationslager 1933–1945, 2., neubearb. Aufl., Berlin (Ost) 1980, 18. 96 Siehe hierzu Alexander Walther, (Jüdische) Historiker in der DDR und die Erforschung von Judentum und Shoah, in: Jörg Ganzenmüller (Hg.), Jüdisches Leben in Deutschland und Europa nach der Shoah (in Vorbereitung). 97 Hirsch, Zeuge in Ost und West, 144.

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Auschwitz- und des Lischka-Prozesses, die 1982 erschien, bezeichnete er den Antisemitismus als »alte Ideologie« in Deutschland. Seinen kurzen Abriss der Verfolgungsgeschichte der jüdischen Bevölkerung wollte er ausdrücklich nicht als Apologie oder Teleologie verstanden wissen. »Wenn wir die Wurzeln [des Antisemitismus] bloßzulegen versuchen, geschieht es nicht, um etwas zu verzeihen oder um zu sagen: Weil die Geschichte so verlaufen ist, mußte es ja so kommen. Nein, es mußte nicht so kommen. Der Judenhaß […] war keineswegs Allge­ meingut. Er hatte weite Teile des deutschen Besitzbürgertums beeinflußt, auch in der ländli­ chen Bevölkerung war er verbreitet und im Mittelstand. In der Arbeiterklasse, in den großen Arbeiterparteien war er unbekannt, wurde er abgelehnt und leidenschaftlich bekämpft.«98

Zwar konstruiert Hirsch hier noch immer den Antisemitismus als Ergebnis eines Klassenkampfes. Die wahren Schuldigen, Adel und Klerus, hätten durch ihre Herrschaft die Bauern und Arbeiter ausgebeutet, und um von sich abzulenken, sei dann die Verantwortung auf die Juden übertragen worden. Hirsch erklärte die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung hier eindeutig marxistisch. In Bezug auf die Schoah aber scheint dieses Bild zu wanken. Immerhin unterstrich er die Bedeutung des Antisemitismus innerhalb des Nationalsozialismus und seiner rassistischen Ideologie. Nimmt man Hirschs eigene kommunistisch-jüdische Verfolgungserfahrung ernst, kann in diesem marxistischen Deutungsansatz auch der Versuch gelegen haben, die nur schwer zu verstehende Bedingungslosigkeit der Schoah zu erklären. Indem Hirsch die vermeintlichen ökonomischen Hin­ tergründe zur Begründung he­ranzog, befriedigte er ein vermutlich auch ganz persönlich empfundenes Gefühl der Sinnsuche. So erscheint eine marxistische Lesart der Schoah hier nicht als reine Ideologie, sondern vielmehr als ein ein­ drücklicher, obgleich stark vereinfachter Erklärungsansatz.

Berichte und Anthologien: andere Arbeiten zur Schoah Hirsch polemisierte keinesfalls bei jedem Bericht oder versuchte krampfhaft, bei jeder Verhandlung eine Nähe des Angeklagten zur Industrie zu konstru­ ieren. 1966 wurde der Prozess gegen Horst Fischer eröffnet, früher Stand­ ortarzt in Auschwitz III Monowitz. Auch hier verwies Hirsch gelegentlich auf die I.G. Farben. Doch konnte er sich, anders als im Frankfurter Ausch­ witz-Prozess, nicht darüber beklagen, dass Fischer erst so spät der Prozess 98 Ders., Um die Endlösung. Prozeßberichte über den Lischka-Prozeß in Köln und den Auschwitz-Prozeß in Frankfurt/M., Rudolstadt 1982, 6. In der erweiterten Neuauflage von 2001, für die er das Vorwort noch vor seinem Tod 1998 überarbeitet hatte, schrieb Hirsch dann, der Antisemitismus sei in den Arbeiterparteien »weitgehend unbekannt« gewesen. Ders., Um die Endlösung, 2001, 16.

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gemacht wurde, denn der lebte und praktizierte als Arzt in der DDR. Doch Hirsch verschwieg diesen Fakt nicht etwa, sondern führte ihn in lakonischer Manier übertrieben detailliert aus: »Das Haus […] liegt außerhalb des Dorfes, zwischen Spreenhagen und Großhartmanns­ dorf im Kreis Fürstenwalde, Bezirk Frankfurt/Oder. […] Am Gartentor das Schild: Dr. H. Fischer. Praktischer Arzt. Sprechstunden täglich von 9–11 Uhr, außer Sonnabend. Hier lebte zwanzig Jahre lang Dr. med. Horst Paul Silvester Fischer, angeklagt wegen tausendfachen Mordes.«99

Der nachfolgende Schauprozess war die Antwort der DDR-Führung auf den Frankfurter Prozess und sollte den vermeintlich richtigen Umgang mit NSTätern zeigen. Dementsprechend wurde Horst Fischer zum Tode verurteilt und im Juli 1966 in Leipzig hingerichtet.100 Ob Hirsch dieses Urteil begrüßte, ist nicht überliefert. Hirschs Reportagen müssen im zeitlichen Kontext gelesen werden. War die NS-Vergangenheit während der Hochzeit der Kampagnen gegen die Bundes­ republik in den frühen 1960er Jahren noch beliebtes Druckmittel der SED, er­ regten NS-Prozesse schon in den 1970ern nur noch wenig Aufsehen. Prominente NS-Täter waren kaum noch in führenden Positionen in der Bundesrepublik zu finden, damit war der Partei die Angriffsfläche genommen.101 Hirschs Berichte des Majdanek-Prozesses und des Prozesses gegen Kurt Lischka und andere in Köln wiesen statt Polemik nun verstärkt Sarkasmus und Empörung ob der späten Strafverfolgung auf. Er stellte die oft entwürdigende Behandlung der Zeugen durch die Verteidiger und die Karrieren der Angeklagten nach 1945 in den Mit­ telpunkt. Da das Verfahren auch keinerlei Verbindung zu westdeutschen Konzer­ nen aufwies, sparte Hirsch diesen Aspekt aus. Vielmehr verfolgte er weiterhin seine Strategie der möglichst genauen Wiedergabe der Zeugenaussagen. In der 1982 erschienenen Sammlung seiner Berichte fügte er jenen über den LischkaProzess noch Dokumente aus dem Centre de documentation juive contemporai­ ne in Paris bei, aus denen er zuvor zitiert hatte. In seinen Berichten nahm Hirsch damit mehr die Position eines Historikers als die des Gerichtsreporters ein. Er illustrierte anhand von Quellen die Taten der Angeklagten und betonte die Rolle von »Schreibtischtätern« wie Lischka im Prozess der Schoah.102  99 Ebd., 187. 100 Siehe Christian Dirks, Die Verbrechen der anderen. Auschwitz und der Auschwitz-Prozess der DDR. Das Verfahren gegen den KZ-Arzt Dr. Horst Fischer, Paderborn u. a. 2006. 101 Siehe Andreas Mix, Das Ghetto vor Gericht. Zwei Strafprozesse gegen Exzeßtäter aus dem Warschauer Ghetto vor bundesdeutschen und DDR-Gerichten im Vergleich, in: Ste­ phan Alexander Glienke/Volker Paulmann/Joachim Perels (Hgg.), Erfolgsgeschichte Bun­ desrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus, Göttingen 2008, 319–345, hier 337. 102 Hirsch, Um die Endlösung, 1982, 92–108. Siehe hierzu Dirk van Laak/Dirk Rose (Hgg.), Schreibtischtäter. Begriff, Geschichte, Typologie, Göttingen 2018.

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Hirsch beschäftigte sich auch abseits seiner Gerichtsreportagen mit der Schoah. Der damalige Leiter des Union-Verlages, des Verlages der CDU in der DDR, Hubert Faensen, initiierte Anfang der 1960er Jahre die Heraus­ gabe eines Bandes mit jiddischen Geschichten. Arnold Zweig hatte diese Aufgabe abgelehnt, dem Verlag jedoch Rudolf Hirsch empfohlen.103 Die­ ser willigte ein und agierte fortan auch als Herausgeber. Die Heimfahrt des Rabbi Chanina und andere Erzählungen und Geschichten aus dem Jiddischen erschien 1962 und versammelte 25  Geschichten von mehr als zehn osteuropäischen Autoren.104 Der Band war eine der wenigen Publikationen jiddischer Texte in der DDR, da das Ostjudentum und seine Kultur weitge­ hend ignoriert wurden. Eine Veröffentlichung dieser Werke ging meist auf das genuine Interesse weniger Herausgeber zurück.105 Außerdem implizierte dieses Thema immer auch einen Hinweis auf die Zerstörung jüdischer Kultur im Nationalsozialismus. Auf der Druckgenehmigung vom April 1962 stand noch der vermutlich von Hirsch gewählte Titel »Aus einer verbrannten Welt. Anthologie ostjüdischer Geschichten«.106 Wieso der Titel letztlich geändert wurde, lässt sich nicht mehr nachvollziehen, da das Verlagsarchiv während der mehrfachen Verkäufe des Verlages nach der Wiedervereinigung verloren ging.107 Der Bezug zur Schoah ist aber unverkennbar. In seinem Nachwort betonte Hirsch die Reichhaltigkeit der jüdischen Kultur des östlichen Euro­ pa. Gleich zu Beginn macht er jedoch deutlich, vor welchem Hintergrund diese Anthologie entstand: »Aus einer Welt, die fast völlig zerstört, verbrannt und vergast ist, stammen die in die­ sem Buch gesammelten Geschichten. […] Diese Welt ist nicht mehr. Die Juden, die den Terror der Nazis und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges überlebt haben in diesen 103 Telefonat mit Hubert Faensen am 21. April 2017. Siehe außerdem die Korrespondenz zwischen Hubert Faensen und Arnold Zweig in: Akademie der Künste, Berlin, ArnoldZweig-Archiv, Nr. 20135. 104 Rudolf Hirsch (Hg.), Die Heimfahrt des Rabbi Chanina und andere Erzählungen und Ge­ schichten aus dem Jiddischen, Berlin (Ost) 1962. 105 Neben Hubert Faensen sind hier v. a. Jutta Janke, Walter Czollek und Georgina Baum vom Verlag Volk und Welt zu nennen sowie Jürgen Rennert (lange ebenfalls Volk und Welt) und Hubert Witt (Reclam), die sich für die Übersetzung und Herausgabe jiddischer Texte in der DDR einsetzten. Siehe exemplarisch Hubert Witt, Der Fiedler vom Getto. Jiddische Dichtung aus Polen, eingel. von Bernard Mark, Leipzig 1966; Jürgen Rennert, Jüdische Literatur 1. Mit Engagement und Liebe herausgebracht, in: Simone Barck/Siegfried Lo­ katis (Hgg.), Fenster zur Welt. Eine Geschichte des DDR-Verlages Volk und Welt, Berlin 2003, 295–297. Siehe auch Hirschs befürwortendes Gutachten zu Eduard Petiška, Der Golem. Jüdische Märchen und Legenden aus dem alten Prag, Berlin (Ost) 1972 in: BArch, DR 1/2432, 182 f. 106 BArch, DR 1/2422, Bl. 146, Druckgenehmigung »Aus einer verbrannten Welt. Anthologie ostjüdischer Geschichten«, erteilt am 17. April 1962. 107 Christoph Links, Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konse­ quenzen, Berlin 2009, 264 f.

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Ländern, sind nur einige Hunderttausend. […] Diese Welt ist völlig verschwunden, sie lebt nur noch in der Literatur, und hier zeigt es sich, wie die Menschen damals und dort gefühlt, gelebt und gedacht haben. Aus der Kulturgeschichte der Menschheit ist diese Welt nicht fortzudenken.«108

Hirsch betonte eindrücklich die durch die Deutschen zerstörte ostjüdische Kultur und reihte sie ein in eine »Kulturgeschichte der Menschheit«. Neben seiner Faszination für die jiddische Sprache und Kultur kann hierin auch ein Akt später Emanzipation gesehen werden: Sein Vater hatte ihm, wie er in sei­ ner Autobiografie beschrieb, zu verstehen gegeben, dass die Juden Osteuro­ pas verarmt und kulturlos seien.109 Vor allem aber wehrte er sich hier gegen die nationalsozialistische Propaganda, die dem osteuropäischen Judentum jeden Wert und letztlich die Daseinsberechtigung abgesprochen hatte. Nach diesem Buch entschloss sich Hirsch, ebenfalls im Union-Verlag eine Sammlung von Texten aus dem und über das Warschauer Ghetto herauszu­ geben. Im Mai 1963 reiste er dafür nach Warschau, um Bernard Mark zu tref­ fen, den Direktor des Jüdischen Historischen Instituts. Dabei ging es Hirsch, so der Verlagsleiter Faensen an Mark, »vor allem [um] Material über den antifaschistischen Widerstandskampf«.110 Hatte der Verlag anfangs noch drei Bücher für 1965 und 1966 angekündigt, beschränkte man sich schließlich auf einen Band, der vor allem literarische Texte enthielt, die noch im Ghetto geschrieben worden waren. Ein bestehendes Vorwort von Mark wurde ab­ gelehnt und Hirsch mit dem Abfassen einer eigenen Version beauftragt. Im Juli 1966 wurde die Druckgenehmigung erteilt, das Buch erschien Ende des Jahres.111 In seinem Vorwort betonte Hirsch die Bedeutung der vorliegenden Texte und bezeichnete sie als »Zeugnisse einer schmachvollen, einer heroi­ schen Zeit, kostbarstes Gut der Menschheit, literarische Hinterlassenschaft aus dem Warschauer Ghetto.«112 Seine ursprüngliche Intention, Dokumente des Widerstandskampfes herauszugeben, tritt deutlich hervor. Die treibende Kraft hinter dem Warschauer Ghettoaufstand schrieb er kommunistischen und linken zionistischen Verbänden zu, vor allem der Arbeiterjugend. Seine politische Überzeugung sah er durch Bernard Marks in der DDR wohlbe­ kannte Studie zum Ghettoaufstand bestätigt.113 Wie schon vier Jahre zuvor

108 Hirsch, Die Heimfahrt des Rabbi Chanina und andere Erzählungen und Geschichten aus dem Jiddischen, 237–241. 109 Ders., Aus einer verlorenen Welt, 168 f. 110 Archiwum Żydowskiego Instytutu Historycznego, Warszawa [Archiv des Jüdischen His­ torischen Instituts, Warschau], 310/476, Hubert Faensen an Bernard Mark, 7. Mai 1963. 111 Ghetto. Berichte aus dem Warschauer Ghetto 1939–1945, mit einem Vorwort von Rudolf Hirsch, Berlin (Ost) 1966. 112 Ebd., 5. 113 Bernard Mark, Der Aufstand im Warschauer Ghetto. Entstehung und Verlauf, Berlin (Ost) 1957.

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unterstrich er zum wiederholten Mal die Bedeutung der Texte und zeigte sie als zentralen Bestandteil menschlicher Kultur. Hirschs Deutung der Schoah wechselt erneut. Gegen die Bedenken des Gutachters hatte er durchgesetzt, dass im Vorwort konsequent von »Natio­ nalsozialisten«, nicht von »Faschisten« die Rede ist, da dies für die »deut­ sche Prägung« des Faschismus exakter sei.114 Die Nationalsozialisten seien zwar auch durch die Großindustrie »an die Macht geschoben« worden. Doch bezeichnete Hirsch den Antisemitismus »als einen wesentlichen Bestand­ teil der Staatsdoktrin«, räumte also dem rassistischen Antisemitismus erneut einen bedeutenden Platz ein.115 Gerade weil die Bücher in einer Zeit erschie­ nen, in der die politische Auseinandersetzung beider deutscher Staaten stark mit Verweisen auf den Nationalsozialismus geführt wurde, konnte Hirsch hier Akzente setzen. Während das Ministerium für Kultur in den Büchern einen wichtigen Beitrag zur Anprangerung »faschistischer« Verbrechen und zur antifaschistischen Umerziehung der DDR-Jugend erkannte, schaffte es Hirsch, die besondere Erfahrung der jüdischen NS-Opfer und ihrer zerstör­ ten Kultur zu unterstreichen. Beide Bücher waren keine Bestseller und er­ schienen, nicht untypisch für die DDR, im auch religiös profilierten UnionVerlag. Gerade dieses Nischendasein eröffnete Hirsch in der Formulierung mancher Passagen Freiheiten, zumal er sich auf prominenter Bühne als ver­ lässlicher Journalist erwiesen hatte. Neben seinen Reportagen avancierte Hirsch zum Romancier. 1983 er­ schien sein autobiografischer Roman Patria Israel, in dem der Untergang der SS Patria im November 1940 beschrieben wird.116 Auf das Schiff hatte die britische Besatzungsbehörde in Palästina jüdische Geflüchtete aus Europa gebracht, die zuvor versucht hatten, im britischen Mandatsgebiet aufgenom­ men zu werden. Die Patria sollte sie nach Mauritius bringen. Gegen diese Absicht erhob die Hagana, die jüdische paramilitärische Organisation in Pa­ lästina, Widerstand. Da nach damaligem Recht Schiffbrüchige im Land auf­ genommen werden mussten, sollten das Schiff beschädigt und die Menschen so an Land gebracht werden. Die Bombenexplosion war jedoch zu stark und über zweihundert Menschen starben.117 Hirsch hatte von diesem Vorfall gehört und auch mit der Malerin Lea Grun­ dig, die selbst den Untergang der Patria überlebt hatte, darüber gesprochen.118 114 BArch, DR 1/2424, Bl. 125–127, Horst Dohle an Mara Marquard, 10. Juni 1966, Zitat 126. Siehe auch das Gutachten von Horst Dohle und die Verlagskorrespondenz, in: ebd., Bl. 124–155. 115 Ghetto, 5. 116 Rudolf Hirsch, Patria Israel. Roman, Rudolstadt 1983. 117 Dalia Ofer, Escaping the Holocaust. Illegal Immigration to the Land of Israel, 1939–1944, New York 1990, 32–39. 118 Lea Grundig, Gesichte und Geschichte, Berlin 81976, 225–229 (zuerst 1958).

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Seine ohnehin israelkritische Einstellung fand in diesem missglückten Ret­ tungsversuch ein geeignetes Motiv. Im Roman gipfelte Hirschs Kritik in der Frage: »Müssen die Vertriebenen Vertreiber werden? Die Verfolgten Verfol­ ger?«119 In der weitgehenden Ablehnung der israelischen Staatsgründung be­ fand sich Rudolf Hirsch auf einer Linie mit dem Politbüro.120 Doch auch hier verhinderte seine eigene Erfahrung eine undifferenzierte Polemik. »Nie aber darf man bei der Bewertung der Ereignisse vergessen, daß dieses Geschehen eine Folge der barbarischen Judenmordpolitik der deutschen Nazis war«, gab er am Ende des Buches zu bedenken.121 Als Hirsch vor Drucklegung ge­ beten wurde, die Kritik am vermeintlich imperialistischen Israel deutlicher zu formulieren, bekräftigte er seine differenzierte Haltung. Er weigere sich, »Zionisten einfach als Kapitalistenknechte zu kennzeichnen«.122 Den vielen Menschen, denen Hirsch vor seiner Zeit in Palästina begegnet war, wollte er in seinem Roman vielmehr ein Denkmal setzen. So betonte er, dass viele von ihnen »in den Vernichtungslagern umgekommen« seien.123 Auch seine Versuche, jüdische Kultur in der Literatur der DDR zu etab­ lieren, setzte er hier fort. Hirsch hatte sich für die Umschlaggestaltung Aus­ züge aus dem Machsor Lipsiae (Leipziger Machsor) erbeten, einer mittel­ alterlichen Sammlung von Gebeten für die jüdischen Festtage. Der Verlag kam diesem Wunsch gern entgegen, obgleich der Roman nur wenig religiöse Inhalte hatte. Kritik äußerte Hirsch lediglich an der gewählten Schriftart des Buchtitels, da sie allzu stark an die »hebraisierte Schrift vom ›Stürmer‹« er­ innere.124 Das Publikum dürfte die Ähnlichkeit ebenfalls erkannt haben, teils noch aus eigener Erfahrung. Trotz mancher Polemik war Patria Israel ein weiterer Versuch Hirschs, einen Aspekt der Schoah einem breiteren Publikum nahezubringen. Das Er­ zählen der eigenen Geschichte als jüdisch-kommunistisch Verfolgter wich deutlich von den Erfahrungen der nach Moskau emigrierten KPD-Führung ab. »Die Welt war schwer zu verstehen. Dort, wo du nicht hinwillst, will man dich haben. Dort, wo du herkommst, wo du hingehörst, wirst du getreten«, heißt es zu Beginn des Buches.125 Hirsch gab den Erfahrungen der deutsch-

119 Hirsch, Patria Israel, 327. 120 Siehe grundlegend dazu Angelika Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Ver­ hältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997. 121 Hirsch, Patria Israel, 325. 122 Zit. nach ders., Aus einer verlorenen Welt, 208. 123 Ders., Patria Israel, 325. Siehe auch Erika Haas, »Land der Väter« – Vaterland? Rudolf Hirschs Exilroman »Patria Israel«, in: Exil. Forschung  – Erkenntnisse  – Ergebnisse 25 (2005), H. 1, 52–63. 124 Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Rudolstadt, Greifenverlag zu Rudolstadt, Nr. 1421 und 1422, unpaginiert. 125 Hirsch, Patria Israel, 10.

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jüdischen Kommunisten im Exil eine Stimme und verdeutlichte die prekäre Situation, in der sich viele derer befunden hatten, die Deutschland nach 1933 hastig hatten verlassen müssen. Der Roman ist daher zudem als Teil einer ganz persönlichen Vergangenheitsbewältigung zu sehen. Die Suche nach Sinn und Erklärung beschäftigte ihn auch danach noch. Gemeinsam mit seiner Frau Rosemarie Schuder (1928–2018) gab er 1987 eine viel beachtete und 1989 aufgrund der hohen Nachfrage mit 50 000 Ex­ emplaren neu aufgelegte Sammlung von Essays heraus, die die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland seit dem frühen Mittelalter beschrei­ ben.126 Darin bestimmten sie eine religiöse und eine rassistische Linie des Antisemitismus, die sich letztlich im Nationalsozialismus vereint hätten. Im Vorwort räumte Hirsch der Schoah aber unmissverständlich die prominen­ teste Rolle unter den NS-Verbrechen ein. Die Opfer des Faschismus seien »in erster Linie jüdische Menschen« gewesen.127 Kurz vor dem Zusammen­ bruch der DDR hatte Rudolf Hirsch somit der Schoah noch einen bedeu­ tenden Platz im Kontext der NS-Verbrechen attestiert und den besonderen Charakter dieses Verbrechens benannt. Dass dies in der DDR möglich war, lag nicht zuletzt auch an seinen Arbeiten.

Schluss Rudolf Hirsch selbst sah sich als aktiven Antifaschisten und Widerstands­ kämpfer. In seinen Attacken gegen die Bundesrepublik, die vermeintliche Klassenjustiz und das »Monopolkapital« entsprach er den Wünschen und Vorgaben des Politbüros. Doch scheint hier Hirschs Eigensinnigkeit ent­ scheidend. Eigensinn impliziert, dass die Positionierung der untersuchten Individuen innerhalb der Gesellschaft und Herrschaftspraxis einer Diktatur Veränderungen unterworfen ist. Vorgegebener ideologischer Sinn und in­ dividuelle Sinnzuschreibung durch die Akteure können von außen ähnlich wirken und müssen doch nicht identisch sein.128 Am Beispiel Hirschs heißt das konkret: Obwohl die politischen Vorgaben und Hirschs Reportagen äu­ ßerlich betrachtet komplementär erscheinen, steckte, wie hier zu zeigen war, in seinen Texten meist eine verborgene, eigene Intention. Dabei verstand sich Hirsch keineswegs als Dissident oder Abweichler. Die Rahmenbedingungen und Vorgaben, die er zu beachten hatte, ließen ihn 126 Rosemarie Schuder/Rudolf Hirsch, Der gelbe Fleck. Wurzeln und Wirkungen des Juden­ hasses in der deutschen Geschichte. Essays, Berlin (Ost) 1987 (21989). 127 Ebd., 7. 128 Lindenberger, Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand.

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jedoch stets eine gewisse Distanz wahren. So kündigte er 1981 seine An­ stellung bei der Wochenpost nicht etwa aus gesundheitlichen oder Alters­ gründen. Ihm waren vor allem die einschränkenden Vorgaben, über welche Prozesse er berichten durfte und welche ihm verschlossen blieben, zu viel geworden.129 Hinsichtlich des Antifaschismus drückte sich Hirschs Eigen­ sinn in einer beständigen Thematisierung der Schoah aus. Obwohl er auch von NS-Prozessen berichtete, in denen es nicht um jüdische Opfer ging, do­ minierten doch die hier beschriebenen.130 Es soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass Hirschs Betonung der Schoah auf Unmut getroffen wäre. Die Schoah war kein Tabu in der DDR. Seine Bücher mit jiddischen Geschichten und denen aus dem Warschauer Ghetto wurden von den zuständigen Gutachtern gelobt und als wichtiger Beitrag zur antifaschistischen Erziehung der Jugend gesehen. Die Thema­ tisierung der Schoah erfüllte ja, wie bei den Kampagnen gegen Globke zu sehen war, durchaus die Bedürfnisse der Parteiführung. Hirsch verortete sich damit also inmitten der antifaschistischen Bemühungen der DDR. Doch hebt ihn eben sein Beharren, dieses Ereignis nicht mit einer schlichten Faschis­ mus-Formel zu erklären oder zur reinen Propaganda verkommen zu lassen, hier heraus. Mehr noch, es ist auch seinen Bemühungen zu verdanken, dass die Schoah zunehmende Beachtung fand und, wie Klaus Höpcke es in sei­ nem Brief formulierte, als Teil der nationalen Geschichte verstanden wurde. Natürlich blieben seine Arbeiten marxistisch vorgeprägt und konnten so den Kern des Verbrechens letztlich nie ganz ergründen. Doch die jüdische Sicht­ weise des Antifaschismus trug enorm dazu bei, dass die Nachkriegsgenera­ tion der DDR überhaupt Fragen nach der Beteiligung vermeintlich einfacher Deutscher an den Verbrechen des Nationalsozialismus stellen konnte. Rudolf Hirsch ist vielen noch als Gerichtsreporter in Erinnerung. Sein Bemühen um eine Darstellung der Schoah ist hingegen noch weitgehend unbekannt – zu Unrecht, wie es scheint.

129 Hirsch, Aus einer verlorenen Welt, 203 f.; ders., Vom Mädchen, das nur schlafen wollte, 6–8. 130 Siehe ders., Die Blutwoche von Köpenick aus dem Gerichtssaal. Berichte über den »Pro­ zess gegen Plönzke und andere« in der Täglichen Rundschau vom 6. Juni bis 20. Juli 1950, 5., überarbeitete Aufl., Berlin 2014, und die Berichte zum Frankfurter Prozess gegen Be­ teiligte der »Aktion T4« in Hirsch, Um die Endlösung, 2001, 219–227.

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»Ich erzähl dir nicht die Nachkriegsgeschichte, ich erzähl dir, was mir passiert ist« – Jüdische Erinnerung an die Schoah in Erzähltexten von Stephan Hermlin, Fred Wander und Jurek Becker Analog zur Marginalisierungsthese in der geschichtswissenschaftlichen Forschung etablierte sich in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft nach 1989 die Behauptung, die Schoah sei eine »Leerstelle« der DDR-Literatur gewesen.1 Als Begründung wurden insbesondere die fehlgeleitete Analyse des Nationalsozialismus und der Gründungsmythos Antifaschismus angeführt, denen das Gros der Autorinnen und Autoren angehangen habe; dadurch sei die Thematisierung der Schoah verhindert worden. Aktuelle literaturwissenschaftliche Studien zeigen allerdings ein differenzierteres Bild: Obwohl die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus in der Tat kein zentrales Thema der DDR-Literatur darstellte, gab es doch eine Vielzahl literarischer Auseinandersetzungen mit der Schoah.2 Weshalb wurden diese Stimmen in der deutschsprachigen Germanistik3 so lange nicht wahrgenommen? Zunächst ließe sich anführen, dass man der DDR-Literatur im literatur­ wissenschaftlichen und feuilletonistischen Diskurs der unmittelbaren Nachwendezeit ganz allgemein mit Abwertung und später mit Desinteresse 1 Wolfgang Emmerich, Fast eine Leerstelle. Über die verleugnete Präsenz des Holocaust in der DDR-Literatur, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 9 (2010), 57–84. Das Titelzitat ist entnommen: Jurek Becker, Der Boxer. Roman, Frankfurt a. M. 1979, 93. 2 Helmut Peitsch, Antifaschistisches Verständnis der eigenen jüdischen Herkunft in Texten von DDR-SchriftstellerInnen, in: Elke-Vera Kotowski (Hg.), Das Kulturerbe deutschsprachiger Juden. Eine Spurensuche in den Ursprungs-, Transit- und Emigrationsländern, Berlin/München/Boston, Mass., 2015, 117–142; Carola Hähnel-Mesnard/Katja Schubert, Störfall Holocaust. Eine Leerstelle in der ostdeutschen Literatur nach 1989? Antworten an Wolfgang Emmerich, in: dies. (Hgg.), Störfall? Auschwitz und die ostdeutsche Literatur nach 1989, Berlin 2016, 7–40. 3 Die Auslandsgermanistik dagegen widmete sich recht frühzeitig und vorbehaltslos nicht nur der DDR-Literatur allgemein, sondern auch dem literarischen Umgang mit der Schoah, siehe Pól Ó Dochartaigh (Paul O’Doherty), The Portrayal of Jews in GDR Prose Fiction, Amsterdam/Atlanta, Ga., 1997; Thomas C. Fox, Stated Memory. East Germany and the Holocaust, Rochester, N. Y., 1999; Bill Niven, The Buchenwald Child. Truth, Fiction and Propaganda, Rochester, N. Y., 2007. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 211–235.

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begegnete.4 Beides gründete unter anderem in dem Generalverdacht, die Autorinnen und Autoren hätten reine »Gesinnungsästhetik« geschaffen.5 Doch selbst als sich Ende der 1990er Jahre eine nuanciertere Betrachtung durchsetzte, blieb der Fokus der Forschung meist auf kanonisierte Autorinnen und Autoren sowie deren bekannteste Werke gerichtet. So waren zahlreiche Texte, die den Genozid an den europäischen Juden thematisieren, vor allem nichtfiktionale, schlicht nicht bekannt und wurden erst in den letzten Jahren (wieder-)entdeckt.6 Die Mehrheit derjenigen, die sich dem Thema literarisch widmeten – auch die Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft – verstanden sich selbst als Sozialisten oder Antifaschisten, die ihren offiziellen schriftstellerischen Auftrag, das Selbstkonzept des Staates zu stabilisieren und den Leser im Sinne des Sozialismus zu erziehen, ernst nahmen. Allerdings steht die Darstellung der Judenvernichtung zwangsläufig in Konflikt mit der institutionalisierten Geschichtsdeutung und der staatlichen Definition des antifaschistischen Widerstands als kommunistisch, parteilich organisiert, militant und heldenhaft.7 Es stellt sich die Frage, wie Autoren jüdischer Herkunft, oft selbst Überlebende, die Erinnerung an die Schoah vor dem Hintergrund des institutionalisierten Begriffs von Antifaschismus literarisch thematisierten. Am Beispiel fiktionaler Texte von Stephan Hermlin, Fred Wander und Jurek Becker werden drei verschiedene Versuche gezeigt, die jüdische Erfahrung der Schoah beziehungsweise die Erinnerung daran mit dem Deutungsmuster Antifaschismus literarisch in ein Verhältnis zu setzen. Unabhängig vom Selbstverständnis der Autoren spiegeln die ausgewählten Texte jüdische Erfahrung der Schoah wider, weil die Autoren während der Schoah von den Nationalsozialisten als Juden verfolgt wurden und weil die Texte die jüdische Erfahrung der Schoah inhaltlich explizit verhandeln  – sei es durch jüdische Figuren oder durch eine jüdische Erzählerstimme. Die drei vorgestellten Versuche – Synthese, Aneignung und Demontage – bilden keinen erschöpfenden Kategorienkatalog ab, sondern stellen vielmehr Beispiele der Auseinandersetzung jüdischer Autoren und Autorinnen mit der Schoah 4 Katrin Max, Zur Standortbestimmung der gegenwärtigen DDR-Literatur-Forschung, in: dies. (Hg.), Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen DDR-Literatur-Forschung, Würzburg 2016, 11–33, hier 27. 5 Michael Hofmann, Rezeption der DDR-Literatur in der BRD, in: Michael Opitz/ders. (Hgg.), Metzler Lexikon DDR-Literatur, Stuttgart 2009, 277–279, hier 278. 6 Das Paradebeispiel für eine solche Neuentdeckung ist das Werk Fred Wanders, das erst seit Mitte der 2000er Jahre allmählich in den Rang internationaler Holocaustliteratur aufsteigt. 7 Thomas Taterka, »Buchenwald liegt in der Deutschen Demokratischen Republik«. Grundzüge des Lagerdiskurses in der DDR, in: Birgit Dahlke/Martina Langermann/ders. (Hgg.), Literaturgesellschaft DDR. Kanonkämpfe und ihre Geschichte(n), Stuttgart/Weimar 2000, 312–365, hier 318.

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dar, die jeweils für einen bestimmten Zeitraum der DDR-Geschichte charakteristisch sind. Der hier skizzierte chronologische Abriss ermöglicht einen groben literaturgeschichtlichen Überblick über die historische Entwicklung in der künstlerischen Bearbeitung des Themas.8 Die drei Wege lassen sich folgendermaßen beschreiben: In der frühen Gründungszeit (1945–1950) der DDR wird erstens versucht, eine Art Synthese zwischen der jüdischen Erfahrung der Schoah und der sich langsam institutionalisierenden Lesart des Antifaschismus herzustellen. So plausibilisiert Stephan Hermlins Text den Antifaschismus als die Fortführung einer im historischen Gedächtnis der Juden gespeicherten Tradition des Kampfes. Zweitens erfährt der mittlerweile auf eine einzige Bedeutung festgelegte staatliche Begriff des antifaschistischen Widerstandskampfes gegen Ende der Sechzigerjahre eine Aneignung und kritische Umdeutung aus jüdischer Perspektive. Fred Wander beispielsweise setzt der offiziellen Widerstandskonzeption eine eigene Deutung ent8

Tatsächlich erschien nur eine Handvoll fiktionaler Texte von Autoren jüdischer Herkunft über die Schoah, darunter – neben den hier behandelten Texten – Stephan Hermlins Erzählband Die erste Reihe (1951), Peter Edels Roman Die Bilder des Zeugen Schattmann (1969), Jurek Beckers Roman Jakob der Lügner (1971) sowie einige Kurzgeschichten Günter Kunerts (Betonformen/Ortsangaben, 1969). Es ist Wolfgang Emmerich darin zuzustimmen, dass ein Großteil der renommierten jüdischen Schriftsteller – etwa Anna Seghers, Arnold Zweig, Stephan Heym – die Schoah nie zum zentralen Thema des literarischen Schaffens machte. Allerdings äußerten sich zahlreiche namhafte jüdische Autoren und Autorinnen der DDR in lyrischer Form über die Schoah, so etwa Louis Fürnberg (Den Mitmenschen, 1945), Stefan Heym (Ich aber ging über die Grenze, 1946; Rechtfertigung, 1946), Günter Kunert (Wenn die Feuer verloschen sind, 1965) und Stephan Hermlin (Die Asche von Birkenau, 1949). Einen Überblick über die reiche Sammlung dieser lyrischen Auseinandersetzungen bietet die 1968 in der DDR veröffentlichte Gedichtanthologie Welch Wort in die Kälte gerufen – eine Sammlung, die allein die jüdische Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus zum Thema hatte. Siehe Anja Thiele, »Welch Wort in die Kälte gerufen«. Eine Lyrikanthologie über die Schoah im Kontext der DDR-Erinnerungskultur, in: Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 10 (2016), H. 19, 1–15, (1. Dezember 2019).  – Der in der Tat eher rar gesäten belletristischen Auseinandersetzung jüdischer Autoren und Autorinnen mit der Schoah steht eine Fülle von (journalistischen) Berichten, Essays und Autobiografien gegenüber, u. a. Victor Klemperers LTI (1947), Bruno Baums Widerstand in Auschwitz (1949), Lea Grundigs Gesichte und Geschichte (1958), Peter Edels Wenn es ans Leben geht (1979), Vera Friedländers Späte Notizen (1982). Mittel der Wahl für die schriftliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust scheint hier in der Tendenz die Kategorie der Sachliteratur zu sein. Arnold Zweig wiederum tat sich als Herausgeber übersetzter jüdischer Zeugnisse der Schoah hervor (Fahrt zum Acheron, 1951; Im Feuer vergangen. Tagebücher aus dem Ghetto, 1959). – Nicht zu vergessen sind die zahlenmäßig weitaus dominierenden Texte nichtjüdischer DDR-Autoren und -Autorinnen über die Schoah. Allein in den Gattungen Prosa, Lyrik und Dramatik finden sich über dreißig Beispiele, darunter z.  B. Elfriede Brünings Damit du weiterlebst (1949), Franz Fühmanns Judenauto (1962), Lyrik und Kurzgeschichten von Johannes Bobrowski, Sarah Kirsch und Klaus Schlesinger, Christa Wolfs Kindheitsmuster (1976) und Christoph Heins Passage (1988).

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gegen, die künstlerische und alltägliche Praktiken mit einschließt und im Chassidismus begründet ist. Ab Mitte der Siebzigerjahre werden drittens die institutionalisierten Legitimationsmythen Antifaschismus und Widerstand gänzlich infrage gestellt. Jurek Beckers Text demontiert sowohl den Sozialismus als auch das Judentum als sinnstiftende Angebote nach der Schoah.

Synthese: Stephan Hermlin, Die Zeit der Gemeinsamkeit (1949) Beispielhaft für den Weg der Synthese von jüdischer Erfahrung der Schoah und Antifaschismus steht Stephan Hermlins frühe Erzählung Die Zeit der Gemeinsamkeit aus dem Jahr 1949. Sie erschien, zusammen mit zwei weiteren über den Widerstand der Résistance und der Roten Armee gegen den Nationalsozialismus, kurz nach Gründung der DDR in einem gleichnamigen Prosaband. Hermlin erzählt darin eine auf den ersten Blick prototypisch wirkende Heldengeschichte des kommunistischen Widerstandskampfes, wie sie später den Begriff des Antifaschismus in der DDR dominieren sollte – seine Protagonisten sind allerdings dezidiert jüdische Kommunisten. Der antifaschistisch-kommunistische Widerstand wird sogar als Fortführung einer bestimmten jüdischen Tradition des Aufstands gedeutet und erhält damit eine historische Rückverlängerung. Dass eine für die jüdische Erfahrung Partei ergreifende und insofern außergewöhnliche Erzählung veröffentlicht wurde, liegt zunächst daran, dass in den transitional years von 1945 bis zur Staatsgründung »Schuld und Verantwortung, Erinnerung und Wiedergutmachung« relativ offen und »kontrovers diskutiert« werden konnten.9 Bis 1949 gab es weder einen auf den kommunistischen Widerstand verengten Antifaschismusbegriff noch eine staatlich kanonisierte Version der nationalsozialistischen Vergangenheit. Selbst Anfang der 1950er Jahre konnten Lagererfahrungen verschiedenster Provenienz – von Juden, Westemigranten, Moskauemigranten, KZ-Überlebenden oder Widerstandskämpfern – noch ungehindert nebeneinander veröffentlicht werden.10 Auch gestaltete sich das Verhältnis zu Israel um 1948/49 in der SBZ weitgehend offen: Die Gründung des jüdischen Staates 1948 wurde von der UdSSR und in der SBZ begrüßt, da sie zunächst ins machtpolitische Kal-

  9 Hendrik Niether, Leipziger Juden und die DDR. Eine Existenzerfahrung im Kalten Krieg, Göttingen/Bristol, Conn., 2015, 17. 10 Taterka, »Buchenwald liegt in der Deutschen Demokratischen Republik«, 315.

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kül der Sowjetunion passte.11 Sogar eine kollektive Entschädigungsleistung an Israel stand zur Debatte.12 Die juristische Verfolgung von antisemitischen Ausschreitungen in der Vergangenheit und Gegenwart Ostdeutschlands wurde in den unmittelbaren Nachkriegsjahren durch Interessenvertretungen der NS-Verfolgten wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) sowie die Ausschüsse der Opfer des Faschismus öffentlich forciert.13 Mit der Staatsgründung der DDR verengte die SED den Begriff jedoch schrittweise auf die dominierende Rolle des kommunistischen Widerstands und setzte ihre geschichtspolitischen Vorstellungen als einzig legitime Version zunehmend rigoros durch. Stephan Hermlin, eigentlich Rudolf Leder, wurde 1915 als Sohn eines assimilierten jüdischen Kunstsammlerehepaars in Chemnitz geboren. Aus Protest gegen sein bildungsbürgerliches Elternhaus trat der erst 16-Jährige 1931 dem Kommunistischen Jugendverband bei.14 Aufgrund der jüdischen Herkunft und seiner politischen Überzeugung einer doppelten Verfolgung im Nationalsozialismus ausgesetzt, emigrierte er 1936 nach Palästina und lebte später in Frankreich und der Schweiz. Nach dem Krieg ließ er sich zunächst in Frankfurt am Main nieder, bevor der überzeugte Sozialist 1948 nach Ostberlin in die SBZ übersiedelte.15 Bis zu seinem Tod im Jahr 1997 lebte er in Berlin. Ein Jahr vor der Veröffentlichung des Erzählbandes, im Frühjahr 1948, war Hermlin mit einer Delegation von Intellektuellen der DDR auf Einladung der Sowjetunion nach Polen und Russland gereist und hatte sich die Stätten der nationalsozialistischen Verbrechen, darunter Auschwitz und Warschau, angesehen. Als erste deutsche Delegierte, die nach dem Krieg in die Sowjetunion eingeladen wurden, hatten sie Hermlins Biografin Silvia Schlenstedt zufolge von sowjetischer Seite den Auftrag erhalten, ihre Eindrücke nach der Rückkehr in Presseberichten und Veranstaltungen öffentlich darzulegen. Die Erlebnisse sollten für »eine fortschrittliche Entwicklung« der neu gegründeten Deutschen Demokratischen Republik »nutzbar« gemacht werden.16 Hermlin veröffentlichte noch im selben Jahr die Reportagen Auschwitz ist unvergessen sowie Hier liegen die Gesetzgeber. Letztere handelt, wie auch Die Zeit der Gemeinsamkeit, vom Warschauer Ghettoaufstand. Der Literatur-

11 Angelika Timm, Ein ambivalentes Verhältnis. Juden in der DDR und der Staat Israel, in: Moshe Zuckermann (Hg.), Zwischen Politik und Kultur. Juden in der DDR, Göttingen 2002, 17–33, hier 26. 12 Ebd. 13 Ebd., 21. 14 Silvia Schlenstedt, Stephan Hermlin, Berlin 1985, 53. 15 Andreas Kahlow/Leonore Krenzlin, Art. »Hermlin, Stephan«, in: Helmut Müller-Enbergs u. a. (Hgg.), Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, 2 Bde., Berlin 2006, hier Bd. 1: A–L, 406 f., hier 406. 16 Schlenstedt, Stephan Hermlin, 118.

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wissenschaftler Manfred Schenke hat in einem Quellenabgleich eruiert, dass sich Hermlin in seiner literarischen Auseinandersetzung mit dem Warschauer Ghettoaufstand um äußerste historische Genauigkeit bemühte.17 Hermlin zog sämtliche damals vorliegenden Quellen aus dem Warschauer Ghetto heran  – darunter den Bericht des deutschen Generalleutnants der Waffen-SS Jürgen Stroop über die Räumung des Ghettos, die Chronik des Ghettos von Emanuel Ringelblum und einige wenige Zeitzeugenberichte. Der Text gilt als früheste der ohnehin raren deutschsprachigen literarischen Auseinandersetzungen mit dem Warschauer Ghettoaufstand.18 Die Zeit der Gemeinsamkeit spielt im Nachkriegs-Warschau, kurz nach der Errichtung des von dem polnisch-jüdischen Künstler Nathan Rappaport geschaffenen Denkmals für die Warschauer Ghettokämpfer im Jahr 1948. Ein 34-jähriger, nur ungenau bestimmter Ich-Erzähler durchstreift in der Hitze des Sommers die Ruinenlandschaft des ehemaligen Ghettos. Er kommt auf einen Brief zu sprechen, der ihm angeblich von einem Bekannten zugesteckt wurde und den er nun zu lesen beginnt. Ab dieser Stelle der Erzählung wird der vollständige »Brief« als Binnenhandlung wiedergegeben. Die Rahmenhandlung um den – erkennbar als Sozialist dargestellten – Leser des »Briefes« im Nachkriegs-Warschau schließt sich danach. Verfasser des »Briefes« ist ein Warschauer Ghettokämpfer, der aus seiner Perspektive den Ghettoaufstand in chronologisch detaillierter Abfolge wiedergibt. Die Schilderung erinnert durch konkrete Datums- und Zeitangaben an ein Tagebuch oder eine Chronik. Der namenlose, zunächst unpolitische Jude protokolliert darin sein Zusammentreffen mit dem überzeugten Kommunisten Młotek. Dieser nimmt ihn mit zu Treffen aufständischer kommunistischer Gruppen, denen sich der Ich-Erzähler anschließt. Gemeinsam ziehen die Widerständigen am 19. April 1943 in den Kampf. Hermlin porträtiert mit teils pathetischer Wortwahl den aussichtslosen Aufstand der jüdischen Ghettoinsassen als ein heroisches, kommunistisch angeführtes Märtyrertum. Der »Brief« endet paradoxerweise mit dem Tod des Briefschreibers. Der Autor orientiert sich an dem im Sozialistischen Realismus gängigen Erzählmuster des antifaschistischen beziehungsweise kommunistischen Widerstands, das vor allem durch die Exilliteratur Lion Feuchtwangers, Anna Seghers’, Bertolt Brechts oder Heinrich Manns geprägt wurde19 und später den Antifaschismus-Diskurs in der DDR bestimmte. Hermlin variiert dieses 17 Manfred Frank Schenke, … und nächstes Jahr in Jerusalem? Darstellung von Juden und Judentum in Texten von Peter Edel, Stephan Hermlin und Jurek Becker, Frankfurt a. M. u. a. 2002, 204. 18 Markus Meckl, Helden und Märtyrer. Der Warschauer Ghettoaufstand in der Erinnerung, Berlin 2000, 95. 19 Wolfgang Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, erw. Neuausgabe, Berlin 4 2009, 88.

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Muster aber, weil seine Protagonisten dezidiert jüdische Kommunisten sind. Entgegen dem 1945 im KPD-Zentralorgan Deutsche Volkszeitung veröffentlichten Diktum des Berliner Hauptausschusses der Opfer des Faschismus, das Juden und Jüdinnen als »passive« Opfer aus der Kategorie der »Widerstandskämpfer« ausschloss,20 werden sie hier nicht als Erleidende, sondern als aktiv Kämpfende dargestellt. Frappierend an Hermlins Erzählung ist vor allem, dass die jüdische Erfahrung der Schoah durch die spezielle Erzählkonstruktion eine Stimme erhält: die des jüdischen Ghettokämpfers. Allerdings ist diese Konstruktion erzähllogisch kaum stringent, da der Binnenerzähler in den Flammen des brennenden Ghettos stirbt, dies aber gleichzeitig schriftlich festzuhalten scheint. Während »eine brennende Fassade hohl krachend, mit spritzenden Feuerstücken und langen Staubschleppen« vor ihm niederstürzt, lauten seine letzten Worte: »Mit einem Knie auf dem Boden spürte ich nur das scharfe Stechen der Funken, die mir ins Gesicht flogen. Mich verlangte nach einem Sesam-öffne-Dich, als ob es hinter der Waberlohe, die mich umgab, ein neues Land, ein neues Dasein geben würde […], gefahrlos und ohne Angst …«21

Dann bricht der Text ab. In zahlreichen subtilen Anspielungen signalisiert der Ich-Erzähler der Rahmenhandlung allerdings, dass es sich bei dem vermeintlichen Brief in Wahrheit um seine Imagination handelt. Wieso wählt Hermlin für die Beschreibung des Aufstands eine so uneindeutige Erzählsituation? Weshalb wird der Warschauer Ghettoaufstand nicht einfach in der dritten Person beschrieben, zum Beispiel aus Sicht des unbeteiligten Reisenden? Warum entscheidet sich Hermlin für die Komplexität von Rahmen- und Binnenhandlung? Es liegt nahe, dass er die metaisierende Form nutzt, um den jüdischen Aufständischen, den Ghettokämpfer, unmittelbar sprechen zu lassen. Auf diese Weise kann der jüdischen Erfahrung der Schoah eine eigene Stimme gegeben werden. Obwohl der Ghettoaufstand historisch betrachtet von einer weltanschaulich heterogenen Vielzahl an Personen und Organisationen getragen wurde – darunter die kommunistisch-zionistische Żydowska Organizacja Bojowa (Jüdische Kampforganisation), der rechtszionistische Żydowski Związek Wojskowy (Jüdischer Militärverband) sowie politisch nicht gebundene Kampfgruppen22  –, interpretiert ihn Hermlin als antifaschistischen Wider20 Deutsche Volkszeitung, 3.  Juli 1945, zit.  nach Elke Reuter/Detlef Hansel, Das kurze ­Leben der VVN von 1947 bis 1953. Die Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR, Berlin 1997, 80. 21 Stephan Hermlin, Die Zeit der Gemeinsamkeit, in: ders. (Hg.), Erzählungen, Berlin/Weimar 61983, 131–198, hier 198. 22 Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod! Das Buch vom Widerstand der Juden 1933–1945, Köln 1994, 82.

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standskampf. Das wird durch die Fokussierung auf die Figur des Kommunisten Młotek ersichtlich. In der Binnenhandlung als zentraler Protagonist neben dem Ich-Erzähler eingeführt, werden Młoteks Lebensgeschichte und sein politischer Werdegang, anders als bei den anderen Figuren, ausführlich rekapituliert. Als überzeugter Leninist gerät er für den unpolitischen Erzähler zum Vorbild und politischen Erzieher. Młotek wird jedoch auch als Wort- und Anführer des Kampfes beschrieben: Er ist es, der den Aufstand federführend organisiert, dessen Wort Gesetz ist,23 der als Erster Partisanenlieder zur Motivation anstimmt24 und der zuerst auf die Deutschen schießt.25 Die Identifikation des Ich-Erzählers mit Młotek nimmt immer mehr zu; nach dessen heroischem Tod notiert er: »Es war kein Wunder, dass ich jetzt so sprach, als sei ich Młotek selber.«26 Des Weiteren wird der Ghettoaufstand in der Binnenhandlung als das »erste[…] Kapitel einer aufgeschlagenen Chronik«27 bezeichnet und in einem Atemzug mit den Erfolgen der Roten Armee, insbesondere in Stalingrad, genannt. Hermlins Interpretation des Ghettoaufstands stellt damit zum einen den spezifischen Beitrag von Juden und Jüdinnen im kommunistischen Widerstandskampf heraus. Die Auflehnung gegen die deutsche Übermacht im Warschauer Ghetto wird als »Initialleistung für den Kampf gegen Unterdrückung und Faschismus«28 aufgefasst, der jüdische Anteil am »Sieg über die Faschisten« damit im Sinne der sozialistischen Geschichtsdeutung aufgewertet.29 Zum anderen wird der kommunistisch-antifaschistische Widerstandskampf in einer jüdischen Tradition des Kampfes verortet. Mehrfach und auf verschiedenen Ebenen wird der Ghettoaufstand explizit als Erbe des antiken Makkabäer- und des Bar-Kochba-Aufstands markiert. Bezeichnend ist allein Młoteks programmatischer Name.30 Das polnische młotek bedeutet Hammer und entspricht dem aramäischen Wort makkaba, von dem sich der Name des Judas Makkabäus ableitet, Anführer des Makkabäer-Aufstands gegen die Seleukiden.31 Młotek gerät damit innerhalb der Erzählung zur kommunis23 24 25 26 27 28

Hermlin, Die Zeit der Gemeinsamkeit, 156. Ebd., 166. Ebd., 162. Ebd., 197. Ebd., 152. Janina Bach, Erinnerungsspuren an den Holocaust in der deutschen Nachkriegsliteratur, Wrocław/Dresden 2007, 171. 29 Ebd. 30 Helga Völkening, Die Gottesbezeichnung HaMakom. Topologie eines Topos’ oder ein Topos ohne Topologie?, in: Michal Kümper u.  a. (Hgg.), Makom. Orte und Räume im Judentum. Real. Abstrakt. Imaginär. Essays, Hildesheim/Zürich/New York 2007, 75–86, hier 83. 31 Schenke, … und nächstes Jahr in Jerusalem?, 216.

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tischen Reinkarnation des Judas Makkabäus. Darüber hinaus durchziehen explizite Vergleiche zu Stationen jüdischen Widerstands oder Kampfes, etwa zum Auszug aus Ägypten, zum Bar-Kochba-Aufstand oder zur Golem-Legende, leitmotivisch die gesamte Erzählung. So heißt es: »In diesem gebrechlichen, durch ständiges Bedrohtsein schon fühllosen Körper glaube ich mich manchmal zurückgezerrt in Urzeiten: ich bin so alt wie Babylon, wie die Pyramiden. Bei Lebenden und Toten zeigt sich plötzlich in Antlitz, Haltung und Stimme der Gang der Geschichte: nur muss, dessen bin ich sicher, unter den ganz erstarrten Zügen Hiobs sich das Gesicht des Bar Kochba verbergen.«32

Hier wird nicht nur auf die jüdische Sklavenarbeit zur Errichtung der Pyramiden und die Flucht vor dem Pharao angespielt. In der zitierten Stelle wird Bar Kochba als Symbol der Revolte und des Kampfes dem Hiob als Symbol des erduldenden Leidens gegenübergestellt. Damit wird nicht nur vehement negiert, dass die vorher beschriebene Apathie »ein allgemeiner und dauernder Zustand« des jüdischen Volkes sei, sondern auch ein dem antisemitischen Mythos von den Lämmern, die sich zur Schlachtbank führen lassen, konträres Bild entworfen.33 Diese kontinuierliche Parallelisierung markiert und plausibilisiert den kommunistisch-antifaschistischen Widerstand letztlich als Erbe und legitime Fortsetzung einer jüdischen Tradition des Kampfes. Motivgeschichtlich gesehen ist die Wahl entsprechender Topoi insofern spannungsvoll, weil eine solche Bildsprache auch in zionistischen Kreisen äußerst populär war.34 Die Berufung auf eine Geschichte des jüdischen Kampfes ist in der zionistischen Bewegung eine grundsätzliche Tendenz – man denke etwa an Theodor Herzls Diktum »Die Makkabäer werden wieder aufstehen«.35 Bei Hermlin findet die Synthese von jüdischer Erfahrung und kommunistisch-antifaschistischem Widerstand jedoch nur unter Ausblendung der Leistungen der zionistischen Kampfverbände im Warschauer Ghetto statt. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass die Erzählung auf Weisung der sowjetischen Gastgeber entstand. Das Verhältnis der Sowjetunion zum Zionismus hatte sich seit 1948 zunehmend verschlechtert und gipfelte in der antisemitischen Säuberungswelle, die mit der Auflösung des Jüdischen Antifaschistischen Komitees 1948 durch sowjetische Behörden begann und mit dem Prozess gegen Rudolf Slánský sowie der sogenannten Ärzteverschwörung 1952/53 endete.36 Folgerichtig klammerte der überzeug-

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Hermlin, Die Zeit der Gemeinsamkeit, 148. Ebd., 146. Meckl, Helden und Märtyrer, 50. Theodor Herzl, Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen. Altneuland/Der Judenstaat, hg. von Julius H. Schoeps, Königstein/Ts. 1985, 250. 36 Thomas  C. Fox, Border Crossings. An Introduction to East German Prose, Ann Arbor, Mich., 1993, 31.

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te Kommunist Hermlin hier das hochgradig problematische Verhältnis der Sowjetunion zu den Juden aus. Mit dem Motiv des heldenhaften kommunistischen Widerstands und mit der bedingungslosen Verpflichtung gegenüber der Sowjetunion als ehrenvollem Sieger über Nazi-Deutschland nahm Hermlin die zentralen Merkmale des sich ab 1949 zunehmend institutionalisierenden Verständnisses von Antifaschismus vorweg.37 Spätestens mit der Eröffnung der nationalen Mahnund Gedenkstätte Buchenwald im Jahr 1958 hatte sich die Erzählung vom siegreichen Widerstand der Kommunisten endgültig als zentrale, wenn nicht einzige Lesart durchgesetzt. Literarische Entsprechung und Zementierung fand dieser Mythos im millionenfach verkauften Roman Nackt unter Wölfen von Bruno Apitz aus demselben Jahr. Die hegemoniale Geschichtsdeutung, die den Massenmord an den Juden notwendig marginalisierte, erschwerte ab Beginn der 1950er Jahre die lite­ rarische Bearbeitung des Themas. Hinzu kamen Repressionen gegenüber jüdischen Bürgern und Bürgerinnen nach sowjetischem Vorbild. So wurden zwischen 1949 und 1953 die Kader der SED und ihrer Jugendorganisationen, Funktionäre anderer Parteien und des Staatsapparats sowie Parteibetriebe, Kulturinstitutionen, Verlage und Massenorganisationen mehrfachen Überprüfungen und Säuberungen unterzogen. Zielscheibe dieser Kampagnen wurden jene, denen Kontakte zu »feindlichen Westagenten« oder zionistischen Kreisen unterstellt wurden.38 Die erneute Stigmatisierung, Verhöre, Verhaftungen und Entlassungen aus dem Staatsdienst führten bei Hunderten jüdischen Bürgern und Bürgerinnen zu (Re-)Traumatisierung, viele verließen das Land.39 Die Professionalisierung des Zensursystems ab 1951 tat ein Übriges bei der Kontrolle von Publikationen über die jüdische Erfahrung. Zwar wurden aus der Sowjetunion übernommene Maßnahmen bereits vorher innerhalb der neu gegründeten Verlage und Massenorganisationen angewandt; mit der Etablierung des Amts für Literatur und Verlagswesen im Jahr 1951 wurde das Vorgehen allerdings zentralisiert und effektiviert.40 Im sogenannten Druckgenehmigungsverfahren wurden Publikationen aller Art von internen und externen Lektoren und Lektorinnen auf ihre Qualität und ideologische Korrektheit hin begutachtet – insbesondere hinsichtlich der Darstellung des 37 Siehe Dan Diner, Antifaschistische Weltanschauung. Ein Nachruf, in: ders. (Hg.), Kreisläufe. Nationalsozialismus und Gedächtnis, Berlin 1995, 77–94. 38 Timm, Ein ambivalentes Verhältnis, 27; siehe auch Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2000, 317. 39 Timm, Ein ambivalentes Verhältnis, 27 40 Simone Barck/Martina Langermann/Siegfried Lokatis (Hgg.), »Jedes Buch ein Aben­ teuer«. Zensur-System und literarische Öffentlichkeiten in der DDR bis Ende der sech­ ziger Jahre, Berlin 1997, 21.

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kommunistischen Widerstandskampfes. Der strikte geschichtspolitische Kurs lockerte sich erst wieder mit dem Mauerbau 1961 und einer internationalen Tendenz zur »Vergangenheitsbewältigung«, die ihren Ausgangspunkt im Eichmann-Prozess 1961/62 nahm.41

Aneignung: Fred Wander, Der siebente Brunnen (1971) Die staatliche Lesart des Antifaschismus wurde von Autoren und Autorinnen jüdischer Herkunft gegen Ende der Sechzigerjahre einer kritischen Revision unterzogen. Das zweite Beispiel eines Bezuges zwischen jüdischer Erfahrung der Schoah und vorherrschendem Deutungsmuster des antifaschistischen Widerstandskampfes zeigt die kritische Infragestellung des institutionalisierten Geschichtsbilds und die Aneignung des Widerstandsbegriffs aus einer jüdischen Perspektive. Anders als in Hermlins Text ging es hier nicht darum, die staatlich sanktionierte Erzählung vom kommunistischen Widerstand mit jüdischen Protagonisten zu besetzen. Vielmehr wurde die vorherrschende Definition eines aktiven, kämpferischen Widerstands ab Mitte der Sechzigerjahre selbst angezweifelt und mit Berufung auf jüdische und humanistische Philosophie in alltägliche und ästhetische Strategien umgedeutet. Diese Variante lässt sich beispielhaft an Fred Wanders Der siebente Brunnen aus dem Jahr 1971 aufzeigen. Fred Wander wurde am 5.  Januar 1917 als Fritz Rosenblatt in Wien in ärmlichen Verhältnissen jüdischer Einwanderer aus Galizien geboren. Als die Nationalsozialisten 1938 in Österreich einmarschierten, floh Wander über die Schweiz nach Frankreich, wo er bei Kriegsbeginn als »feindlicher Ausländer« interniert wurde. Aus dem Sammellager Drancy wurde Wander nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Es folgten Aufenthalte und Zwangsarbeit in den Konzentrationslagern Groß-Rosen, Hirschberg, Crawinkel und Buchenwald.42 Während seine Eltern in Auschwitz ermordet wurden, erlebte Wander, gesundheitlich stark angeschlagen, in Buchenwald die Befreiung. Er kehrte zunächst nach Wien zurück, erhielt 1955 aufgrund seiner Mitgliedschaft in der KPÖ eine Einladung an das neu gegründete Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig und siedelte 1957 mit seiner Frau Maxie nach

41 Angelika Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern. Das gestörte Verhältnis der DDR zu Zionismus und Staat Israel, Bonn 1997, 390. 42 Bernd-Rainer Barth, Art. »Wander, Fred«, in: Müller-Enbergs u. a. (Hgg.), Wer war wer in der DDR?, Bd. 2: M–Z, 1056.

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Kleinmachnow in Ostdeutschland über. Maxie Wander, die ebenfalls Schriftstellerin war, erlangte in der DDR größere Bekanntheit als ihr Mann.43 Fred Wander lebte, ohne je die österreichische Staatsbürgerschaft abzulegen, nach dem Tod seiner Frau noch bis 1983 in Kleinmachnow und zog dann wieder nach Wien, wo er 2006 starb. Wander wandte sich erst 25 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges literarisch seiner KZ-Erfahrung zu. Nach eigenen Aussagen waren es allerdings nicht die kultur- und geschichtspolitischen Bedingungen der DDR, die ihn von einer Auseinandersetzung mit dem Thema abhielten. Wander begründete seine späte literarische Verarbeitung vielmehr damit, dass er zunächst das dichterische Handwerk habe erlernen müssen, um eine »künstlerisch adäquate Form« für die unfassbaren Erfahrungen zu finden.44 Die Frage nach einer geeigneten Form der Narrativierung des nationalsozialistischen Genozids ist wiederum konstitutiv für ein Beschreiben des Holocaust – die Debatte darüber wurde sowohl in der Literatur als auch Historiografie extensiv geführt.45 Als zentralen Anlass, mit der Arbeit am Siebenten Brunnen zu beginnen, bezeichnete Wander allerdings den Tod seiner zehnjährigen Tochter Kitty im Jahr 1968.46 In einem Brief an seinen Lektor beim Aufbau-Verlag schrieb er, der Einstieg in den Arbeitsprozess sei seine »einzige Hoffnung«.47 Der siebente Brunnen erschien 1971 und machte den Schriftsteller vor allem in intellektuellen Kreisen der DDR bekannt.48 Das von Wander im Untertitel als »Erzählung« bezeichnete Buch besteht aus zwölf kurzen Erzählungen, denen als roter Faden ein chronologischer, retrospektiver Bericht aus verschiedenen Konzentrationslagern  – Hirschberg, Crawinkel und Buchenwald  – zugrunde liegt. Der Bericht ist unverkennbar an die Autobiografie Wanders angelehnt. Ähnlich wie bei Hermlin gibt es einen nicht näher bestimmten, autobiografisch geprägten Ich-Erzähler, der jedoch – mit einer Ausnahme in der letzten Erzählung – sich selbst und seine Erfahrungen stark zurücknimmt. Stattdessen rekapituliert er durch imaginative Einfühlung die verschiedenen Geschichten jüdischer Häftlinge, denen er in den Lagern begegnete. Der chronologische Bericht wird so 43 Daniela Hessmann, Kanonbildung, Türhüter und Diskursmächte im literarischen Leben Österreichs am Beispiel der Rezeption von Exilliteratur seit 1945, Wien 2005, 226. 44 Wolfgang Trampe, Interview mit Fred Wander zum »Siebenten Brunnen«, in: Sonntag, 16. Mai 1971, 7. 45 Siehe Norbert Frei/Wulf Kansteiner (Hgg.), Den Holocaust erzählen. Historiographie zwischen wissenschaftlicher Empirie und narrativer Kreativität, Göttingen 2013. 46 Ulrike Schneider, Jean Améry und Fred Wander. Erinnerung und Poetologie in der deutsch-deutschen Nachkriegszeit, Berlin/Boston, Mass., 2012, 195. 47 Staatsbibliothek zu Berlin, Handschriftenabteilung (III  A), Archiv des Aufbau-Verlags, Dep. 38-1645, Bl. 68, Fred Wander an G. Caspar, 19. August 1968. 48 Hessmann, Kanonbildung, Türhüter und Diskursmächte im literarischen Leben Österreichs am Beispiel der Rezeption von Exilliteratur seit 1945, 213.

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durch Pro- und Analepsen unterbrochen, in denen der Ich-Erzähler in indirekter oder direkter Rede die Erlebnisse seiner Mithäftlinge oder aus der Zeit vor der Judenverfolgung schildert.49 Die ermordeten jüdischen Mithäftlinge kommen vermittelt durch den Ich-Erzähler, den Überlebenden, zu Wort. Die Bandbreite der jüdischen Figuren ist hinsichtlich Herkunft, Stand, Alter, Beruf und politischer Ausrichtung äußerst heterogen. Zum Ensemble zählen zum Beispiel der jiddisch sprechende osteuropäische Bauer Meir Bernstein, der großbürgerliche Lebemann de Groot aus Amsterdam, der arme türkischstämmige Händler Tschukran, der französische Widerstandskämpfer Jacques, der chassidische Weise Mendel Teichmann und der intellektuelle Päderast Lubitsch. Alle Figuren werden in jeweils einer Erzählung zum Protagonisten der Handlung, wobei sie als ambivalente, gebrochene Antihelden porträtiert werden. Einen zentralen Helden gibt es nicht. Indem die unterschiedlichen jüdischen Stimmen verschiedener Weltanschauung gleichberechtigt zu Wort kommen, entsteht innerhalb der Erzählung eine Polyphonie, die der Forderung nach Parteilichkeit des Sozialistischen Realismus, aber auch dem auf Eindeutigkeit zielenden, unhinterfragbaren Geschichtsbild der SED entgegensteht. Der siebente Brunnen übt explizit Kritik am Interpretament des heldenhaften antifaschistischen Widerstands. Wie die eingangs erwähnte Unterscheidung zwischen Kämpfern und Opfern des Faschismus durch die KPD zeigt, umfasste der offizielle Widerstandsbegriff allein aktive, militante oder parteipolitisch organisierte Formen von Gegenwehr. Wanders jüdische Figuren dagegen leisten auf drei andere Arten Widerstand: erstens durch alltäglich-pragmatische Handlungen, etwa das Besorgen wärmender Kleidung, das Teilen von Lebensmitteln, das Spenden von Trost und die gegenseitige Solidarität, zweitens durch eine lebensbejahende Haltung – »Am Leben blieben die Erfüllten, die das Leben austrinken wollten bis zum letzten Tropfen – und sei es ein Becher Gift!«50 – und drittens durch künstlerische Tätigkeiten. Wanders Widerstandsbegriff, wie er in Der siebente Brunnen entfaltet wird, weist, so die These des vorliegenden Beitrags, deutliche Spuren einer Auseinandersetzung mit Martin Bubers Auslegung des Chassidismus auf. Dieser stellte für Wander, der durch Eltern und Großeltern mit der populärsten Form der jüdischen Mystik in Berührung kam, eine zentrale Quelle der Inspiration dar. Wander wies in Interviews und Selbstzeugnissen mehrfach darauf hin.51 Es ist davon auszugehen, dass er sich in der lesenden Auseinandersetzung nicht auf jiddische Quellen, sondern auf Bubers moderne Interpretationen 49 Schneider, Jean Améry und Fred Wander, 206. 50 Fred Wander, Der siebente Brunnen. Erzählung, Berlin/Weimar 1970, 30. 51 Ders., Nicht jeder braucht eine Heimat. Selbstbefragung, in: Literatur und Kritik 293/294 (1995), 40–43, hier 41.

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der chassidischen Legendentradition stützte, die unter anderem ins Deutsche übersetzt vorlagen – zumal Bubers Neudeutung der chassidischen Legenden unter den deutschsprachigen Juden außerordentliche Popularität genoss und das westeuropäische Verständnis in dieser Frage wesentlich prägte.52 Der Religionsphilosoph Buber – anders als Gershom Scholem nicht um historische Analyse des Chassidismus, sondern um dessen Transformation zur Erneuerung des abendländischen Judentums bemüht – fasste die Grundzüge dieser mystischen Tradition in den Vorbemerkungen zu Nacherzählungen chassidischer Texte sowie in zahlreichen Reden nach seinem Verständnis zusammen.53 In den Geschichten des Rabbi Nachman aus dem Jahr 1906 beschreibt er den Chassidismus als »die Ethos gewordene Kabbala«.54 Buber rekurriert damit auf die Herkunft des traditionellen osteuropäischen Chassidismus aus dem Denken der (lurianischen) Kabbala.55 Laut Buber übernimmt der Chassidismus die kabbalistische Lehre von der Immanenz Gottes in der Welt sowie die Idee, der Mensch trage nach Gottes Willen notwendig zur Erlösung bei. Jeder einzelne Mensch habe teil an der Befreiung der göttlichen Funken, die den weltlichen Dingen innewohnen, damit sie in Gott wieder vereinigt würden und der ideale Ursprungszustand wiederhergestellt werde.56 Diese Idee ist laut Buber im Chassidismus »zu einer ethischen Lehre geworden und hat sich zu einem Auftrag erweitert, der das ganze Leben des Menschen umfasst«.57 Der »Gottesdienst«, so Buber in Die Legende des Baalschem, kann sich daher auch in den kleinsten, unbedeutendsten, profansten Handlungen vollziehen: »Gott will, dass man ihm auf alle Arten diene: Lehre, Gebet, Essen, Schlafen, alles Eins, ein Dienst.«58 Anstelle der theologischen Erkenntnis und des Schriftgelehrtentums stehen alltägliche Tätigkeiten im Mittelpunkt chassidischer Religiosität. Aus der Überzeugung der Allgegenwart Gottes erwächst dem Chassid gleichzeitig »ein umfassender Optimismus in seiner gesamten Lebenshaltung«.59 Wie oben gezeigt, übernimmt Wander sowohl die lebensbejahende und lebensfrohe Grundhaltung zur Welt als auch das Verständnis von Gottesdienst für sein Konzept von Widerstand. In Wanders Erzählung findet eine Parallelisierung von widerständi-

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Susanne Talabardon, Chassidismus, Tübingen 2016, 10. Ebd., 230. Martin Buber, Die Geschichten des Rabbi Nachman, Frankfurt a. M. 1906, 13. Gershom Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Berlin 112015, 361. Katja Pourshirazi, Martin Bubers literarisches Werk zum Chassidismus. Eine textlinguistische Analyse, Frankfurt a. M. u. a. 2008, 62. 57 Martin Buber, Die chassidische Botschaft, in: ders. (Hg.), Werke, 3 Bde, München/Heidelberg 1962–1964, hier Bd. 3: Schriften zum Chassidismus, München/Heidelberg 1963, 739–894, hier 799. 58 Martin Buber, Die Legende des Baalschem, Frankfurt a. M. 1908, 12. 59 Pourshirazi, Martin Bubers literarisches Werk zum Chassidismus, 67.

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gen Handlungen und Gottesdienst statt, wird dem Resistieren eine religiöse Weihe zugesprochen. Paradigmatisch tritt diese Verbindung im Erzählen zutage, das bei Wander ebenfalls ein zentraler Akt des Widerstandes ist,60 weil es Erfahrung und Kultur wachhält, tradiert und deshalb »humanisierend« wirkt.61 In der zweiten Erzählung Wovon der Mensch lebt beschreibt der IchErzähler die »erlösende« Kraft des Wortes: »Wovon lebt der Mensch? Während er Holz schleppt und Läuse knackt, zieht sich seine gedemütigte Seele in tiefe unbekannte Räume zurück. […] Aber er lauscht nach innen, staunt über dem erhabenen Gesicht eines Toten, über einem Eiskristall, atmet eine Nase voll Duft aus den reinen Wäldern und sucht, […] sucht plötzlich einen Kumpel, der zuhören kann, und wenn er ihn gefunden hat, berauscht er sich an Vergangenem, breitet vor dem andern ein Gemälde aus. Weil er es hinausschreien muss: Ich bin ein Mensch! Ich wurde geachtet!«62

Die Rekapitulation der eigenen Lebensgeschichte ist insofern auch Widerstand »gegen die erfahrene systematische Auslöschung jeder Individualität«.63 In Wanders Widerstandskonzept entspricht die besonders hervorgehobene Stellung des Erzählens dessen Exponierung als »heilige« Handlung in der chassidischen Tradition.64 Anknüpfend an die jüdische Tradition, in der Mündlichkeit seit jeher an das »Und Gott sprach« gebunden ist, kommt dem mündlichen Erzählen im buberschen Chassidismus eine göttliche, erzeugende Macht zu.65 Zwar ging Wander nicht so weit, dem Erzählen nach der Schoah Übernatürlichkeit zu attestieren; die erzeugende, handelnde Dimension des Erzählens blieb für ihn dennoch erhalten. Bei Wander gründet Widerstand damit, ebenso wie bei Hermlin, in einer jüdischen Tradition, jedoch nicht in einer des Kampfes, sondern vielmehr in einer spirituell-ästhetischen, nämlich der des chassidischen Geschichtenerzählens. Der inhaltlichen Kritik und Erweiterung des offiziellen Widerstandsbegriffs entspricht schließlich eine intertextuelle Reformulierung der vorherrschenden literarischen Erzählung von Widerstand auf darstellungs­ ästhetischer Ebene. In der letzten Erzählung des Buches, Joschko und seine Brüder, rekurriert Wander auf den kanonischen Roman Nackt unter Wölfen 60 Siehe Yowa, Eine Poetik des Widerstands. 61 Thomas Schmidt, »Unsere Geschichte?« Probleme der Holocaust-Darstellung unter DDR-Bedingungen. Peter Edel, Fred Wander, Jurek Becker (Teil 1), in: Monatshefte 98 (2006), H. 1, 83–109, hier 97. 62 Fred Wander, Der siebente Brunnen, 17. 63 Hans Höller, Erzählen als Erinnern und Widerstand. Fred Wanders »Der siebente Brunnen« im Kontext der Literatur über die Shoa. Vortrag der Tagung »Judentum und Antisemitismus in der Literatur und Germanistik Österreichs – Studien zum 20. Jahrhundert«. Wien, Juni 2001, (1. Dezember 2019), 5. 64 Martin Buber, Die chassidischen Bücher, Berlin 1935, 5. 65 Pourshirazi, Martin Bubers literarisches Werk zum Chassidismus, 71.

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von Bruno Apitz. Auch Wander erzählt die Geschichte der Befreiung Buchenwalds, allerdings aus der Perspektive des jüdischen Ich-Erzählers, der sich in der Kinderbaracke des Kleinen Lagers versteckt, um den letzten Evakuierungstransporten zu entgehen. Die Erzählsituation wirkt wie ein radikaler Perspektivwechsel zu Nackt unter Wölfen: Während das Kleine Lager bei Apitz als ein von der Haupthandlung weit entrückter Hort des Chaos und der Entmenschlichung nur am Rande beschrieben wird, dessen jüdische Insassen weder Namen noch Stimme haben, tritt bei Wander dieser Ort ins Zentrum des Handelns; die dort inhaftierten Juden und Jüdinnen treten als Subjekte auf. Die kontrastierende Referenz auf Apitz tritt in der Haupt­ figur des jüdischen Jungen Joschko besonders markant hervor. Auch Wander stellt ein Kind ins Zentrum seiner Befreiungserzählung, im Gegensatz zu dem stummen, passiven jüdischen Kind Stefan in Apitzʼ Roman ist Joschko jedoch ein aktiver, autonom agierender Widerständiger und Träger des jüdischen Geschlechts: »Joschko war mit seinen zehn Jahren schon Stammesältester. Wie er den kleinen Bruder hütete, ihn niemals aus den Augen ließ, der wilde Ernst seiner Sorge um das kleine Menschenkind, die böse Entschlossenheit, den Jüngsten durchzubringen  – lag darin nicht alle Größe und Würde des Menschengeschlechts?«66

Die Erzählung kann sowohl inhaltlich als auch in einzelnen Motiven als eine kritische Entgegnung auf Nackt unter Wölfen gelesen werden: Sie hält der Perspektive der kommunistischen Aufständischen die jüdische Erfahrung entgegen. Im Umkehrschluss werden die militärischen Befreiungsmaßnahmen der kommunistischen Häftlinge und amerikanischen Truppen bei Wander zur Nebenhandlung, die der Ich-Erzähler in seiner Baracke kaum registriert. Der staatliche Legitimationsmythos von der kommunistischen Selbstbefreiung Buchenwalds, die Apitz in Nackt unter Wölfen literarisch in Szene setzte, wird in der Erzählung durch Konjunktivierung sogar implizit infrage gestellt: »Sie erzählten sich, die Politischen kämpften mit Waffen, die sie jahrelang vergraben hatten, gegen die SS. Häftlinge mit Handgranaten und Gewehren? Viele wollten es nicht glauben.«67 Die »Stunde der Befreiung« wird von den jüdischen Inhaftierten, die ausgezehrt, krank und schwach im Quarantänelager überlebt haben, nicht mit jenem pathetischen Überschwang der Kommunisten gefeiert, den Apitz beschreibt. Im Gegenteil:

66 Wander, Der siebente Brunnen, 141. 67 Ebd., 139.

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»Dass der Krieg für uns zu Ende sei, die Nazis geschlagen, die SS geflohen oder von den Politischen gefangen und dass wir frei sein sollten, das konnte in dieser Stunde keiner fassen. Teilnahmslos hörten die Kinder das Schießen […]. Die Kinder hatten viel gehört und nichts geglaubt. Ihre Wirklichkeit war das Lager.«68

Damit verweist der Text nicht nur auf die qualitative Differenz jüdischer und nichtjüdischer, politischer Lagerrealität. Der subtil mitschwingende Zweifel an der Selbstbefreiung stellt auch das institutionalisierte öffentliche Geschichtsbild der DDR infrage. Dies wurde tragender Grund des Konflikts zwischen Wander und dem Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer (KdAW) nach Veröffentlichung des Buches.69 Das KdAW war 1953 gegründet worden und hatte die VVN ersatzlos abgelöst, die sich bis dahin um die Belange von NS-Verfolgten aller weltanschaulichen Richtungen gekümmert hatte.70 Die Erforschung des Faschismus und Antifaschismus sowie das Deutungsmonopol kamen seither nicht mehr der VVN, sondern dem staatlichen Institut für Marxismus-Leninismus zu. Das Komitee sollte diesem bei der Durchführung der Aufgaben wie etwa der »Traditionspflege des antifaschistischen Widerstands« und der »Popularisierung seiner Helden« lediglich helfen.71 Ein Ziel des KdAW war es, die Durchsetzung des »richtigen« Bildes des kommunistischen Widerstands – gerade in der Literatur – zu überwachen. In dieses Visier geriet Wanders Erzählung Joschko und seine Brüder, die zusammen mit einem Interview in der Zeitschrift Sonntag am 16. Mai 1971 abgedruckt worden war. In einem Brief an Wander stellte das KdAW die »historische Wahrheit« der Erzählung und Wanders Glaubwürdigkeit als adäquater Zeuge infrage.72 Das KdAW sah das staatliche Bild einer solidarischen, widerständigen Häftlingsgemeinschaft angegriffen, die geforderte Rücknahme des Romans konnte jedoch nicht erwirkt werden.73 Diese Episode zeigt, dass bestimmte geschichtspolitische Schlüsselkonzepte der DDR im Jahr 1971 zwar noch immer wirkmächtig, aufgrund historischer Öffnungstendenzen jedoch nicht unhintergehbar waren. Zunehmende 68 69 70 71

Ebd., 140. Schneider, Jean Améry und Fred Wander, 240–257. Hartewig, Zurückgekehrt, 377–379. Simone Barck, »Grundfrage: Antifaschistischer Widerstand«. Zur Widerstandsrezeption in der DDR bis 1970, in: Utopie kreativ 8 (2000), H. 118, 786–796, hier 791. 72 Schneider, Jean Améry und Fred Wander, 240. 73 Über die konkreten Ursachen dafür, dass Wanders Buch letztlich nicht zurückgezogen wurde, kann nur gemutmaßt werden. Das Internationale Fred Wander-Symposium an der TU Dortmund im November 2017 nannte eine Reihe denkbarer Gründe: Zum einen habe Wander die Unterstützung befreundeter hochrangiger Publizisten und Publizistinnen erfahren, darunter von seiner Freundin und Nachbarin Christa Wolf. Zum anderen habe man Fred und Maxie Wander als Ausländer – beide wurden nie Staatsbürger der DDR – nicht verprellen wollen. Drittens sei vorstellbar, dass man dem jüdischen Holocaustüberlebenden Wander aus Gründen der Scham nicht zu nahetreten wollte.

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gesellschaftliche Impulse, die im Zuge einer gesamtgesellschaftlichen Tendenz zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit die Deutungshoheit der SED in Bezug auf den Nationalsozialismus infrage stellten, gaben Anlass für einen geschichtspolitischen Kurswechsel.74 Der Erfolg des zwei Jahre zuvor erschienenen Romans Jakob der Lügner (1969) von Jurek Becker, der in ganz ähnlicher Weise wie Wander den Widerstandsbegriff umdeutet, scheint diese Tendenz zu bestätigen. Auch in diesem Buch – dem einzigen DDR-Roman über die Schoah, der Eingang in den Kanon fand – ist es das »Lügen« beziehungsweise Geschichtenerzählen, das den Menschen Hoffnung zurückgibt und so Widerstand gegen die Unmenschlichkeit der Lager leistet.

Demontage: Jurek Becker, Der Boxer (1976) Ende der 1970er Jahre schließlich taucht eine dritte Möglichkeit der Auseinandersetzung auf, in der nicht nur jede optimistische Fortschrittserzählung der Geschichte, sondern auch Ideale wie »Widerstand«, Sozialismus oder Judentum als sinnstiftende Begriffe gänzlich angezweifelt werden. Beispielhaft dafür ist Jurek Beckers etwas weniger bekannter Roman Der Boxer aus dem Jahr 1976. Jurek Becker wurde vermutlich 1937 als Jerzy Bekker im polnischen Lodz geboren und verbrachte seine ersten sieben Lebensjahre im Ghetto Litzmannstadt und in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen.75 Sowohl seine Mutter als auch seine Geschwister wurden ermordet, nur Jurek Beckers Vater überlebte im KZ-Außenlager Königs Wusterhausen. Durch das American Jewish Joint Distribution Committee (Joint) zusammengeführt, zogen Vater und Sohn nach der Befreiung nach Ostberlin, weil Beckers Vater glaubte, er sei dort am sichersten vor Antisemitismus.76 Becker studierte gegen den Wunsch seines Vaters Philosophie und trat 1957 der SED bei.77 Er kam jedoch schon während seines Studiums mit den Behörden in Konflikt. Nach einem Ausflug in den Film veröffentlichte er 1969 seinen ersten Roman Jakob der Lügner, der auf Anhieb in Ost- und Westdeutschland ein Bestseller wurde. Becker arbeitete daraufhin erfolgreich als 74 Niether, Leipziger Juden und die DDR, 19. 75 Olaf Kutzmutz, Jurek Becker, Frankfurt a. M. 2008, 15. 76 Jurek Becker, Mein Judentum, in: Irène Heidelberger-Leonard (Hg.), Jurek Becker, Frankfurt a. M. 1992, 15–24, hier 17. 77 Andreas Kahlow/Leonore Krenzlin, Art. »Becker, Jurek«, in: Helmut Müller-Enbergs u. a. (Hgg). Wer war wer in der DDR?, Bd. 1, 62.

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Schriftsteller und Drehbuchautor. Obwohl er sich nicht mehr an die Zeit in Ghetto und Konzentrationslager erinnern konnte und zeitlebens ein zwiegespaltenes Verhältnis zum Judentum hatte,78 veröffentlichte er noch zwei Bücher über jüdisches Leben im Nachkriegsdeutschland – Der Boxer (1976) und Bronsteins Kinder (1983). Becker lebte bis 1977 in Ostberlin, bevor er aus Protest gegen den Ausschluss Rainer Kunzes aus dem Schriftstellerverband nach Westberlin zog. Er starb dort 1997. Der Boxer ist aus der Perspektive eines nichtjüdischen, sozialistischen Schriftstellers geschrieben, der über einen Zeitraum von zwei Jahren den jüdischen Schoah-Überlebenden Aron Blank traf, um mit ihm über sein Leben zu sprechen. Der Roman kann als die Verschriftlichung des zwischen 1973 und 1975 geführten Gesprächs gelesen werden. Der Ich-Erzähler gibt darin mittels direkter und indirekter Rede die Lebensgeschichte Aron Blanks wieder, die Aron bezeichnenderweise nicht mit seiner Geburt, sondern mit der Befreiung aus dem Konzentrationslager im Jahr 1945 beginnt. Die Zeit im und vor dem KZ lässt er fast gänzlich aus. Die Nachkriegsgeschichte des jüdischen Schoah-Überlebenden Aron steht in demonstrativem Gegensatz zu den in der SBZ/DDR formulierten Paradigmen im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit sowie den Losungen der unmittelbaren Nachkriegszeit, die auf Widerstand, Heldentum, Aktivismus und Aufbau zielten. Das Porträt zeigt Aron als einen gebrochenen Antihelden, der aufgrund der wiederkehrenden Erinnerungen an das Konzentrationslager und den Tod seiner Familie zunehmend in Alkoholismus und Depression verfällt. Im Zentrum seiner Charakteristik stehen fortschreitende Apathie und Desinteresse  – sowohl an sozialen Kontakten als auch an Möglichkeiten der beruflichen oder persönlichen Selbstverwirklichung. Aron hegt seinen Mitmenschen gegenüber großes Misstrauen, insbesondere, wenn sie in größeren Gruppen auftreten. Neue Beziehungen zu knüpfen ist für ihn fast unmöglich. Während er in allen nichtjüdischen Deutschen ehemalige Nazis sieht, meint er in den Treffen der jüdischen Überlebenden Anzeichen einer erneuten, selbst verschuldeten »Ghettoisierung« zu erkennen. Er identifiziert sich weder mit seinen beiden Jobs als Buchhalter auf dem von Juden und Jüdinnen dominierten Schwarzmarkt beziehungsweise als Übersetzer für die sowjetische Besatzung noch mit politischen oder religiösen Werten und Weltanschauungen, wie etwa Sozialismus oder Zionismus. Die DDR bedeutet ihm lediglich Schutz vor antisemitischen Übergriffen, einziger Lebenssinn scheint Sohn Mark zu sein, der ebenfalls das KZ überlebte und den Aron durch die Arbeit des Joint wiederfand. Doch auch zu ihm hat er ein sehr distanziertes Verhältnis; sie sprechen weder über ihre Vergangenheit

78 Becker, Mein Judentum, 15–24.

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noch über Gefühle. In einer Bilanz charakterisiert sich Aron als geschlagener Boxer, der des Kämpfens, wenn nicht des Lebens müde geworden ist: »Der Kampf gegen die Müdigkeit«, so zitiert ihn der Erzähler, »sei der schwerste seines Lebens gewesen, er habe ihn verloren. Er wisse sehr gut, dass es verdienstvoller sei, in voller Aktion zu sterben, als sein Leben auf eine Weise zu beenden, die man, hart ausgedrückt, inneres Siechtum nennen könnte.«79 Die psychologisch detaillierte Schilderung Arons und seines Verhaltens kann, ohne dass im Roman medizinische Fachbegriffe verwendet werden, als literarisches Psychogramm eines traumatisierten Schoah-Überlebenden gelesen werden. Arons Verhalten weist deutliche Übereinstimmungen mit den Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer Depression auf.80 Bemerkenswert daran ist, dass der Roman in einer Zeit erschien, in der die deutschsprachige Forschung zu Trauma und Posttraumatischer Belastungsstörung Schoah-Überlebender erst ihren Anfang nahm.81 Das Nachkriegsporträt des depressiven, alkoholkranken Schoah-Überlebenden negiert zentrale Maßstäbe der realsozialistischen Geschichtspolitik: das Ideal des heldenhaften antifaschistischen Widerstandskämpfers sowie das Ideal der Erziehung zum Sozialisten beziehungsweise zum »Neuen Menschen«, den eine »allseitig entwickelte Persönlichkeit«82 auszeichnet, und den Fortschrittsoptimismus, der sich auch in der Aufbauliteratur der 1950er Jahre ausdrückte. Arons Lebensgeschichte, die das Gegenteil einer Erfolgsgeschichte ist, offenbart vielmehr die Unmöglichkeit einer positiven Teleologie nach der Schoah. Aus diesem Grund musste Arons Lebenspor­ trät von den sozialistischen Gutachtern Ingrid Prignitz und Konrad Reim im Druckgenehmigungsverfahren notwendigerweise auch als »Sonderfall«, als ausgewiesenes Negativbeispiel eines KZ-Überlebenden konstruiert und gelesen werden.83 Anhand des »pathologischen« Beispiels, so die Gutachter, könne eine »kontrapunktische Wirkung« beim Leser erzielt werden, da ex negativo »die Leistung derer« unterstrichen werde, »die nach 1945 etwa die

79 Becker, Der Boxer, 252. 80 American Psychiatric Association, Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Washington, D. C., 2000. 81 Wulf Kantsteiner, Menschheitstrauma, Holocausttrauma, kulturelles Trauma. Eine kritische Genealogie der philosophischen, psychologischen und kulturwissenschaftlichen Traumaforschung seit 1945, in: Friedrich Jaeger/Jörn Rüsen (Hgg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, 3 Bde., Stuttgart/Weimar 2011, hier Bd. 3: Themen und Tendenzen, 109–138, hier 120; William G. Niederland, Folgen der Verfolgung. Das ÜberlebendenSyndrom: Seelenmord, Frankfurt a. M. 1980. 82 Andreas Gatzemann, Der Jugendwerkhof Torgau. Das Ende der Erziehung, Berlin/Münster 2009, 22. 83 Bundesarchiv (nachfolgend BArch), DR1/2153a, Jurek Becker: Der Boxer, DruckNr. 240/1/76; 1976; Gutachten: Ingrid Prignitz, Konrad Reim, 6.

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gleiche Ausgangsposition wie Aron Blank hatten und auf andere Weise ihr Leben meisterten«.84 Der Roman problematisiert jedoch nicht nur die Identifizierung mit dem Sozialismus, sondern auch die Identifizierung mit dem Judentum nach der Schoah. Das (jüdische) Selbstverständnis Aron Blanks wird im Roman im Wortsinne als eine Leerstelle – französisch blanc – beschrieben. So ist Aron bestrebt, nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager jeglichen Hinweis auf seine jüdische Herkunft zu tilgen. Für seinen neuen Personalausweis gibt er sich den deutschen Namen Arno und den deutschen Geburtsort Leipzig und er macht sich um jene sechs Jahre jünger, die ihm durch die Verfolgung der Nazis geraubt wurden. Er möchte auch von Bezugspersonen nicht als Jude erkannt werden und beschließt, weder mit Partnerinnen noch mit Freunden noch mit seinem Sohn Mark je über die Verfolgungserfahrung zu sprechen. Dass Aron sein Jude-Sein als ein rein äußerliches, aufgezwungenes Stigma empfindet, erklärt sich aus seiner Vorkriegssozialisation: Er hatte zu jenen assimilierten und säkularen Juden und Jüdinnen gehört, die erst durch die Nationalsozialisten zu »Juden gemacht« wurden. Zwei Dimensionen jüdischen Selbstverständnisses nach der Schoah problematisiert Jurek Becker in der titelgebenden Metapher des Boxers, die in einer zentralen Episode des Romans auftaucht: Als Mark zusammengeschlagen aus der Schule heimkommt, vermutet Aron einen antisemitischen Übergriff und möchte seinen Sohn in Zukunft davor schützen. Um ihm Vorbild zu sein, behauptet er, er habe als Kind vor dem Krieg das Boxen erlernt, um sich gegen Diskriminierung wehren zu können. Er schärft seinem Sohn ein, dass ein Boxer keiner sei, »der immerzu boxe, sondern einer, der boxen kann«.85 Boxen ist für Aron eine Form der Selbstverteidigung und kein aggressiver Sport. Der Plan geht auf: Mark ist begeistert und fängt noch am nächsten Tag mit dem Boxunterricht an. Allerdings dauert es nicht lange, da erfährt Aron von der Schulleitung, dass Mark nun auch willkürlich unschuldige Mitschüler schlägt. In der Metapher des Boxens, die den Assoziationsraum des Muskeljudentums aufruft,86 klingt das zionistisch und antifaschistisch konnotierte Ideal des stolzen und wehrhaften Juden und Kämpfers an, der seine Kraft nur defensiv, nicht aber offensiv-aggressiv einsetzt. Die mit dem Boxen verbundene Vorstellung von jüdischer Handlungsfähigkeit und Emanzipation ist nach Aussage des Romans jedoch nur vor der Schoah denkbar  – nicht zufällig spielt Arons fiktive Boxgeschichte in der Vorkriegszeit, als er selbst noch ein Junge war. Nach der Schoah droht dieses Ideal dem Roman zufolge in 84 Ebd. 85 Becker, Der Boxer, 228. 86 Robert Jütte, Leib und Leben im Judentum, Berlin 2016, 105.

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zweierlei Extreme umzukippen: Einerseits schlagen Stolz und überlebenswichtige Wehrhaftigkeit um in (unnötige) Aggression, hier verbildlicht durch Mark. Dieser wird in der Schule zum brutalen Schläger und emigriert später bezeichnenderweise nach Israel, wo er sich einem zionistischen Kibbuz anschließt – und vermutlich im Sechstagekrieg fällt. Dem Roman eignet damit zweifellos eine für den Antiimperialismus der DDR typische Kritik am Zionismus, die mit dem Israelbild des Autors übereinstimmt.87 Auf der anderen Seite, so legt es der Text nahe, bedeutet die Identifizierung mit dem Judentum Opferstatus, was an Aron exemplifiziert wird, der die Schlacht des Lebens durch die Erfahrung von Verfolgung und Vernichtung unrettbar verloren hat. Beide Zuschreibungen werden problematisiert und vor dem Hintergrund der Schoah-Erfahrung plausibilisiert. Allerdings räumt Becker der Möglichkeit gelungener jüdischer Selbstidentifikation  – etwa einem positiv besetzten Zionismus, wie er am Rande in der Figur des Kenik thematisiert wird – im Roman kaum Platz ein, sodass der Eindruck entsteht, jüdische Zugehörigkeit stehe alternativlos vor der Wahl zwischen Opfer- und Täterrolle. Trotz der Dekonstruktion sinnstiftender Werte und Zugehörigkeiten offenbart der Roman eine subtile utopische Perspektive in Bezug auf das Verhältnis von jüdischer Erfahrung, symbolisiert durch Aron, und realsozialistischer Gesellschaft, symbolisiert durch den Erzähler. Diese Perspektive wird auf der Ebene der Romanstruktur kommuniziert. So deutet die vermittelnde, rahmende Interview- beziehungsweise Gesprächssituation an, dass die jüdische Erfahrung in der DDR stets nur geäußert werden konnte, sofern sie in sozialistische Grundüberzeugungen eingebettet blieb. Gleichzeitig wird dieser Rahmen gesprengt und unterlaufen, wenn Aron beispielsweise kontinuierlich stereotypisierende und zum Teil antisemitische Denkmuster des Erzählers vorführt und damit das Interview quantitativ wie qualitativ dominiert. In der subtil aufkeimenden Freundschaft der beiden während der zweijährigen Korrespondenz wird darüber hinaus deutlich, dass nur anhaltendes gegenseitiges Verständnis, geduldiges Zuhören, Einfühlsamkeit sowie das Zurücknehmen eigener Standpunkte und starrer Bewertungskategorien eine langsame Annäherung sozialistischer Politik an die jüdische Erfahrung ermöglichen.

87 Becker, Mein Judentum, 20.

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Zusammenfassung Die drei vorgestellten Autoren versuchten auf unterschiedliche Weise, der Erfahrung der Schoah einen Raum zu geben und sie gleichzeitig in ein Verhältnis zum politischen und literarischen Leitparadigma der DDR, dem Antifaschismus, zu setzen. Sowohl historisch-gesellschaftspolitische als auch individuell-autobiografische Faktoren beeinflussten die jeweilige Gestaltung dieses Verhältnisses. Die drei vorgestellten Texte erweisen sich als Zeugnisse einer jeweils spezifischen historischen Situation in der Geschichte der DDR sowie einer individuellen historisch-sozialisatorischen Erfahrung. Der aus assimiliert-bildungsbürgerlichem Hause kommende überzeugte Sozialist und Emigrant Stephan Hermlin formulierte im Gründungsjahr der DDR eine Heldengeschichte jüdischen Widerstands, die noch euphorisch in zwei Richtungen zu vermitteln suchte: Gegenüber dem (traditionellen) Judentum machte sie den antifaschistischen Widerstand anschlussfähig an die jüdische Tradition, gegenüber dem sozialistischen Milieu hob sie den jüdischen Anteil am Widerstandskampf hervor und entwarf ein Gegenbild zum gängigen Diktum von Passivität und Opferrolle. Während die Erzählung 1949 noch von bemerkenswerter Parteinahme zeugte, wurde der Ghettoaufstand in der Auseinandersetzung der DDR mit der Schoah zunehmend zum dominierenden Topos des Sprechens über die Judenvernichtung, der hervorragend mit dem Deutungsmuster des antifaschistischen Widerstandskampfes verbunden werden konnte.88 Die Einbettung der Schoah in eine antifaschistisch-sozialistische Heldenerzählung schien bis etwa Mitte der 1960er Jahre obligatorisch.89 Andere Formen der jüdischen Erfahrung wurden erst im Zuge einer zunehmenden Konfrontation mit der NS-Vergangenheit in Ost- und Westdeutschland, einsetzend mit dem Eichmann-Prozess 1961/62, und einer damit einhergehenden Öffnung der Geschichtspolitik allgemein sagbar.90 Ein Beispiel dafür ist Fred Wanders Der siebente Brunnen. Als unorthodoxer Kommunist mit ostjüdisch-chassidischer Sozialisation gab Wander anderen als den militantkämpferischen Formen jüdischer Erfahrung literarisch eine Stimme, schloss diese aber dennoch an einen Begriff von Widerstand an, den er sich kritisch aneignete. Sein »performatives« und ästhetisches Widerstandsmodell, mit dem er genau wie Jurek Becker in Jakob der Lügner (1969) das Erzählen zur widerständigen Handlung erklärt, steht konsequenterweise auch formal in Widerspruch zum Sozialistischen Realismus, weil es sich nicht mehr auf Parteilichkeit und Eindeutigkeit, sondern auf die subjektive mündliche jüdi88 Meckl, Helden und Märtyrer. 89 Thiele, »Welch Wort in die Kälte gerufen«, 4; siehe den Film Sterne (1959) von Konrad Wolf. 90 Timm, Hammer, Zirkel, Davidstern, 390.

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sche Erzähltradition beruft. Das geschichtspolitische Deutungsmonopol der SED wurde in den 1970er Jahren der DDR durch gesellschaftliche, künstlerische und vor allem historische und wissenschaftliche Beiträge verstärkt angefochten.91 Die seit Mitte der 1960er Jahre durch verschiedene Autoren und Autorinnen entwickelten neuartigen literarischen Tendenzen der Subjektivität und Individualität wurden 1971 auf dem VIII. Parteitag der SED unter Vorbehalt offiziell lizenziert.92 Tatsächlich stellte sich daraufhin gegen Ende der 1970er Jahre eine gewisse literarische »Erschöpfung« des Themas ein – dies lässt sich an der zurückgehenden Zahl der Veröffentlichungen zum Thema Judenvernichtung im Bereich der Belletristik festmachen.93 Beckers Der Boxer kann nicht als Text über die Schoah im engeren Sinn bezeichnet werden, sondern vielmehr als Roman über den Umgang mit der Schoah in der DDR. Beckers vehementer Einspruch gegen die optimistischen sozialistischen und zionistischen Fortschrittserzählungen sowie seine Infragestellung jedwedes identitätsstiftenden Sinnangebots lassen sich jedoch nicht nur historisch, sondern auch biografisch erklären. Becker, der in Der Boxer seinen Vater respektive seine eigene Lebensgeschichte porträtierte, wuchs als Kind in Ghetto und Konzentrationslager auf und kam, da sein Vater selbst assimilierter Jude war und nie mit ihm über die Vergangenheit sprach, kaum mit jüdischer Tradition in Kontakt.94 Mit diesem Roman plausibilisiert Becker ganz nebenbei entgegen dem heutigen Forschungskanon einen weiteren Beweggrund dafür, dass – unter anderem in der DDR – zahlreiche Überlebende über ihre Vergangenheit schwiegen: Sie taten dies nicht 91 Joachim Käppner, Erstarrte Geschichte. Faschismus und Holocaust im Spiegel der Geschichtswissenschaft und Geschichtspropaganda der DDR, Hamburg 1999, 152. 92 Emmerich, Kleine Literaturgeschichte der DDR, 246. 93 Nach 1976 erschienen nur noch wenige im strengen Sinne belletristische Titel von Autoren der DDR zu dem Thema. Zu den Ausnahmen gehören Jurek Beckers Bronsteins Kinder (1987 in der DDR veröffentlicht) und die Werke dreier nichtjüdischer Autoren: Christa Wolfs Kindheitsmuster (1976), Hermann Kants Der Aufenthalt (1977) und Christoph Heins Stück Passage (1987). Als Erklärung dafür mag die zunehmend in den Vordergrund drängende literarische (Selbst-)Kritik am »real existierenden Sozialismus« und an dessen Umgang mit Mensch und Natur dienen – man denke an die heftigen Kontroversen um die Ausbürgerung Wolf Biermanns am 16.  November 1976. Der Rückgang der Beschäftigung mit der Schoah gilt allerdings nicht für Autobiografien und Sachliteratur, die weiterhin und vor allem ab Mitte der 1980er Jahre im Zuge einer philosemitischen Wende der DDR zahlreich erschienen, darunter etwa Vera Friedländers autobiografische Erzählungen ­Späte Notizen (1982) und Mein polnischer Nachbar (1986), die Dokumentation Sag nie, du gehst den letzten Weg (1986) von Lin Jaldati und Eberhard Rebling, Rosemarie Schuders und Rudolf Hirschs Geschichte des Antisemitismus Der gelbe Fleck (1987) sowie mehrere Gedenk- und Dokumentationsbände anlässlich des 50. Jahrestags der Pogromnacht von 1938, darunter die von den jüdischen Gemeinden der DDR herausgegebene Dokumentation Damit die Nacht nicht wiederkehre (1988) und der Katalog zur Ausstellung »Und lehrt sie: Gedächtnis!« (1988) des neu gegründeten Centrum Judaicum. 94 Kutzmutz, Jurek Becker, 14.

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(ausschließlich), weil sie vom politischen System zum Schweigen gebracht wurden, sondern weil sie aus psychologischen Gründen erst gar nicht darüber sprechen wollten oder konnten.

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Lehrjahre auf dem Weg zum Dissidenten: Stefan Heyms Freundschaft mit Robert Havemann und Wolf Biermann Als fast mittellose Flüchtlinge, mit zerborstenen Illusionen, aber auch mit neuer Hoffnung im Gepäck trafen Stefan Heym und seine amerikanische Ehefrau Gertrude Gelbin 1952 in der DDR ein. Hinter ihnen lag eine fast beispiellose Odyssee durch das zertrümmerte Europa, die sie auf Umwegen und in entgegengesetzter Richtung durch die Stationen von Heyms Flucht vor den Nationalsozialisten geführt hatte: von den Vereinigten Staaten über die Tschechoslowakei zurück nach Deutschland. Vor den beiden lagen Ereignisse, die ihr Bild vom Sozialismus für immer verändern würden: die stalinistischen Slánský-Prozesse in der ČSR 1952, in denen die Mehrzahl der Angeklagten und schließlich Hingerichteten Juden waren; der MerkerProzess in der DDR 1953, der zwar nicht tödlich, doch unter ähnlichen Vorzeichen verlief; der Aufstand vom 17. Juni 1953 in Ost-Berlin; die brutale sowjetische Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn 1956; der Bau der Berliner Mauer 1961; und schließlich, doch nicht endlich, der Einmarsch der sowjetischen Truppen in die ČSSR 1968, der den »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zerschlug. Am Anfang dieser langen Periode der Desillusionierung des Paares hatte die Flucht vor den antikommunistischen Verfolgungen durch Senator ­McCarthy in den USA gestanden; am Ende lag der Tod von Heyms Frau, die meine Großmutter war, im düsteren Ost-Berlin des Januar 1969. Sie war in dem fremden Land an der Unmöglichkeit zerbrochen, angesichts der realpolitischen Umstände ihren sozialistischen Traum zu bewahren. Ihr Tod bewirkte in Heym eine neue Phase des persönlichen und schriftstellerischen Dissenses gegenüber der DDR, der schließlich in seinem Hervortreten als Wortführer der Opposition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 gipfelte.1 Diesen Weg will der folgende Beitrag anhand von lebensgeschicht1

Lutz Niethammer verweist auf die anhaltende Diskussion um adäquate Begriffe für »das abweichende Verhalten von DDR-Bürgern«. Während oppositionelles Verhalten über individuelle Resistenz dem Staat gegenüber hinausgehe und in eine Verständigung bezüglich der politischen Stoßrichtung münde, wie sie meines Erachtens kurzzeitig auf den Protest gegen Biermanns Ausbürgerung zutraf, eröffnen die Begriffe »Dissidenz« und »dissidentisches Verhalten« die Vielfalt der verweigernden Verhaltens- und Handlungsweisen von DDR-Bürgern gegenüber dem SED-Staat. Siehe Lutz Niethammer, Einleitung, in: ders./ JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 237–270.

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lichen Quellen insbesondere über Heyms bislang wenig erforschte Beziehungen zu den beiden Regimekritikern Robert Havemann und Wolf Biermann nachzeichnen, die gemeinsam mit Heym ab Mitte der 1960er Jahre im Fadenkreuz staatlicher Repressionen standen. Stefan Heym (1913–2001), dessen Lebenszeit alle fünf politischen Systeme im Deutschland des 20.  Jahrhunderts  – das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die deutschen Teilstaaten im Kalten Krieg sowie die deutsche und europäische Einheit nach 1990 – umspannt, wurde auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze zu einem der vielseitigsten und meistgelesenen deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit. Wie kein Zweiter im geteilten Deutschland vereinte Heym in sich literarische Bedeutung mit realpolitischem Engagement und wurde so zu einer herausragenden moralischen und politischen Instanz. Gerade in der sich antifaschistisch gerierenden DDR, deren Politik nach 1953 zunehmend diktatorische Züge annahm, bezog Heym seine anhaltende literarische und politische Wirkung aus seiner beispielhaften Verkörperung des »guten Deutschland«, dessen demokratische Traditionen Thomas Mann in seiner berühmten Rede im Mai 1945 in der Library of Congress beschworen hatte. Heym, ursprünglich Helmut Flieg, wurde 1913 als Sohn einer jüdischen Fabrikantenfamilie in Chemnitz geboren. Als Verfasser eines Antikriegsgedichtes musste der Gymnasiast bereits 1932 vor einem braunen Mob aus Chemnitz fliehen. Er ging nach Berlin und emigrierte von dort 1933 nach Prag. Ab 1935 lebte er in den Vereinigten Staaten, wo er sich zunächst als Tellerwäscher und Redakteur der Exilzeitschrift Deutsches Volksecho durchschlug. Im New Yorker Exil lernte er die 13 Jahre ältere Gertrude kennen, die Zeit ihres Lebens unter ihrem ersten Ehenamen Gelbin wirkte. Sie arbeitete in der Werbeabteilung des Hollywoodstudios Metro-Goldwyn-Mayer und half Heym, sich als Schriftsteller zu etablieren und intellektuell zu vernetzen. Inzwischen eingebürgert, diente Heym ab 1943 in der Aufklärungseinheit der Ritchie Boys in der US-Armee und avancierte dort zum Sergeant für psychologische Kriegsführung.2 In der DDR wurde er zunächst mit den materiellen Vergünstigungen für Intellektuelle hofiert. Er erhielt eine Villa in einem eigens für Prominente errichteten Viertel in Berlin-Grünau, in der er bis zu seinem Tod lebte und schrieb. Gertrude Gelbin gründete 1953 den Unterverlag Panther Books beim Paul List Verlag Leipzig, in dem sie die Originalwerke englischsprachiger Autoren herausgab. Ab 1958 erschien die

Roger Engelmann (Hgg.), Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression. Ein Kulturkonflikt in der späten DDR, Göttingen 2014, 7–54, hier 35 und 38. 2 Christian Bauer/Rebekka Göpfert, Die Ritchie Boys. Deutsche Emigranten beim US-­ Geheimdienst, Hamburg 2005.

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Reihe unter dem neuen Titel Seven Seas bei Volk & Welt.3 Hier wurden auch die Frühwerke Stefan Heyms veröffentlicht – er schrieb seine Texte bis zu Gelbins Tod zunächst auf Englisch, um sie dann ins Deutsche zu übersetzen – neben denen von amerikanischen, britischen, australischen und südafrikanischen Autoren. Heyms Selbstdarstellung folgend ist seine Persönlichkeit oftmals im Sinne einer permanenten Dissidenz gegenüber allen politischen Systemen beschrieben worden, in denen er lebte.4 Und tatsächlich stellte sich Heym immer wieder konträr zu den Mächtigen, die die Weltläufe seiner Zeit bestimmten. Dennoch ist sein Werdegang zu einem der wichtigsten Regimekritiker der DDR der 1980er Jahre alles andere als geradlinig. Eine solche Darstellung wäre zu glatt, zu einfach. Sie entspräche eher einer den unversöhnlichen Dichotomien des Nationalsozialismus und des Kalten Krieges geschuldeten Forderung nach klaren Linien, ideologischer Eindeutigkeit und moralischer Vollkommenheit als dem bewegten Leben und auch dem ständigen Ringen ihres Protagonisten. Ziel der folgenden Untersuchung ist es, anhand der Freundschaft mit den beiden herausragenden Dissidenten der DDR Robert Havemann und Wolf Biermann die Bruchstellen in Heyms Entwicklung nachzuvollziehen. Dies erfolgt im Rahmen eines breit angelegten biografischen Projektes, das die Figur Heym vor der Folie seines literarischen Werks auch anhand bislang vernachlässigter lebensgeschichtlicher Zeugnisse neu erschließen will. Neben biografischen Texten und bislang unpublizierten Bildquellen werden dabei auch geheimdienstliche Akten herangezogen,5 die von der ständigen Überwachung Heyms durch Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zeugen. Wie lebensgeschichtliche Zeugnisse allgemein können auch die Akten der Staatssicherheit nur bedingt als historische Quellen genutzt werden. Sie stellen eine textliche Mediation der Realität dar, die vor allem auf die Mentalität des Überwachungsstaates verweist6 und in ständigem Bezug zu anderen historischen Dokumenten und – soweit möglich – zu den autobiografischen Fiktionen der überwachten Subjekte selbst gelesen werden müssen. Diese Herangehensweise soll hier unter besonderer Akzentuierung der jüdischen Aspekte in Heyms Leben und Werk versucht werden, deren Zusammenspiel schließlich sein Hervortreten als einer der wichtigsten Dissidenten der DDR katalysierte.

3 Rebecca Jany, Rewriting as Cultural Politics. The Role and Function of the Publisher Seven Seas (unveröff. Magisterarbeit, Freie Universität Berlin, 2007) ist eine der wenigen Arbeiten, die sich bislang mit der Geschichte von Seven Seas befassten. 4 Peter Hutchinson, Stefan Heym. The Perpetual Dissident, Cambridge 1992. 5 Valentina Glajar/Alison Lewis/Corina  L. Petrescu (Hgg.), Secret Police Files from the Eastern Bloc. Between Surveillance and Life Writing, Rochester, N. Y., 2016. 6 Ebd.

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Eine solche Lesart Heyms lässt neue Rückschlüsse auf die Rolle von Juden in der DDR-Kultur und -Politik zu, indem sie die gängige These von den weitgehend staatstreuen Juden in der DDR infrage stellt. Gleichzeitig liegt abseits hilfreicher Teiluntersuchungen zu Heyms Werk innerhalb des biografischen Kontextes7 sowie einer Reihe von Einzeldarstellungen zu Person und Werk8 bislang keine umfassende intellektuelle Biografie Heyms vor. Diese Perspektiven will der vorliegende Beitrag um die Frage der Privatsphäre erweitern, die neue Schlüsse auf jüdische Befindlichkeiten in der DDR zulässt. So empfanden Heym und seine Frau Deutschland – auch dessen östlichen Teil – aufgrund der Schoah als Feindesland. Sie versammelten um sich einen von der Forschung bislang wenig beachteten internationalen Kreis, in dem sie sich gerade auch als Juden aufgehoben sahen. Unter dem Vorzeichen des Kosmopolitismus schufen sie sich eine Sphäre, die gemäß ihrem Verständnis von jüdischen Werten und jüdischer Geschichte vom Kampf um soziale Gerechtigkeit und gegen rassistische Unterdrückung und Verfolgung geprägt war. Diese Sphäre, die sie auch an ihr familiäres und soziales Umfeld tradierten, kann als Ausdruck ihrer »jüdischen Sensibilität«9 gesehen werden. Bei Heym machten sich zudem Aspekte eines ethnisch-jüdischen Selbstverständnisses bemerkbar, das er in der Emigration bei den mehrheitlich aus dem östlichen Europa eingewanderten amerikanischen Juden beobachtet und für sich zum Teil angenommen hatte, zumal auch seine Frau Gertrude Gelbin diesem Milieu entstammte. Anhand der politischen Freundschaften, die Heym insbesondere in der Phase der Desillusionierung vom Staatssozialismus zwischen 1952 und 1968 schloss, will dieser Beitrag exemplarisch die Herausbildung dieser jüdischen Sensibilitäten in Bezug auf die DDR nachvollziehen und untersuchen, inwieweit sie und Heyms Hervortreten als Dissident sich gegenseitig bedingten.

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Peter Hutchinson/Reinhard K. Zachau (Hgg.), Stefan Heym. Socialist – Dissenter – Jew. Stefan Heym. Sozialist – Dissident – Jude, Oxford 2003; Regina U. Hahn, The Democratic Dream. Stefan Heym in America, Oxford 2003. Stephan Braese, Ahasver im Bauernstaat. Stefan Heyms Bibel-Lektüren, in: Moshe Zuckermann (Hg.), Zwischen Politik und Kultur. Juden in der DDR, Göttingen 2002, 123– 131; Therese Hörnigk (Hg.), Ich habe mich immer eingemischt. Erinnerungen an Stefan Heym, Berlin 2013; Bernadette Malinowski/Ulrike Uhlig (Hgg.), Der Jahrhundertzeuge. Geschichtsschreibung und Geschichtsentwürfe im Werk von Stefan Heym, Würzburg 2016 (Konferenzschrift mit Beiträgen der Internationalen Tagung »Der Jahrhundertzeuge: Geschichtsschreibung und Geschichtsentwürfe im Werk von Stefan Heym«, Chemnitz 2013). Mark Gelber prägte den Begriff der »jüdischen Sensibilität« in Bezug auf den assimiliert jüdischen Schriftsteller Stefan Zweig. Auf Zweig bezogen sieht Gelber eine solche Sensibilität in einem Interesse für kulturell jüdische und kulturzionistische Belange manifestiert sowie im Bewusstsein von Antisemitismus und jüdischem Leid. Ders., Stefan Zweig, Judentum und Zionismus, Innsbruck 2014, 16.

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»Eine Art Notgemeinschaft«: Heym, Havemann, Zuckermann und Hollitscher Spätestens Anfang der 1960er Jahre wurde die Freundschaft mit Robert Havemann (1910–1982) zur bestimmenden politischen und persönlichen Verbindung Heyms außerhalb seiner Ehe und Arbeitsbeziehung mit Gertrude Gelbin. Mit Havemann verband ihn eine enge politische Übereinstimmung bezüglich der grundsätzlichen Bejahung der sozialistischen Idee bei gleichzeitig wachsender Kritik am SED-Staat. Auch in privater Hinsicht gab es tiefe Affinitäten, die ihre Verbindung bis zum abrupten Abbruch durch Heym 1966 intensivierten. In seiner unlängst erschienenen Autobiografie bezichtigt Wolf Biermann (geb.  1936), der sich ab 1963 als Dritter zu dem Freundschaftsbund gesellte, Heym implizit der Feigheit: Heym, den er durchweg als »Angsthase« mit dem gelegentlichen Zusatz »keck« bezeichnet, sei nach dem 11. Plenum des Zentralkomitees (ZK) der SED im Dezember 1965 unter dem Druck des DDR-Regimes eingeknickt. Heyms Erzählung über Havemann im Nachruf beginnt mit einer Distanzierung von dem Bild eines oppositionellen Dreigestirns, mit der Heym gleichzeitig implizit seine eigene Rolle als DDR-Oppositioneller der damaligen Zeit modifiziert: »[N]iemals gab es eine Gruppe Havemann-Biermann-Heym, deren Mitglieder, der eine als Bänkelsänger, der zweite als Publizist, und der dritte als spiritus rector, vorgehabt hätten, die Republik zu unterwandern.«10 Anders als auf dem 11.  Plenum von Parteiführenden behauptet, seien sie keine subversive Zelle gewesen, sondern nur »Symbol und Stimme« der sich unterschwellig bildenden oppositionellen Strömungen in der DDR.11 Über Havemann folgen äußerst abfällige Zeilen. Dennoch sollte Heyms Freundschaft mit Havemann, wenn auch auf Umwegen, ausschlaggebend für seine Entwicklung zum Dissidenten werden. Heyms Beziehung zu dem Freund war von tiefer Bewunderung und wohl auch Dankbarkeit für dessen Rolle im Widerstand geprägt, wo Havemann sein Leben für verfolgte Juden riskiert hatte. Bereits im Sommer 1952, kurz nach seiner Ankunft in der DDR, war Heym dem für ihn bereits damals »legendären Professor Havemann« im Haus von Bertolt Brecht begegnet, wo ihn der »ewig heitere« Wiener Philosoph und Psychoanalytiker Walter Hollitscher eingeführt hatte.12 Doch Havemann war ein ambivalenter politischer Heros und dies in weitaus größerem Maße, als Heym geahnt haben mag. Wie man heute weiß, hatte der junge Kommunist Havemann nach dem

10 Stefan Heym, Nachruf, München 1988, 669. 11 Ebd. 12 Ebd., 547.

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Machtantritt der Nationalsozialisten gelegentlich zweifelhafte Bemerkungen über »die Juden« gemacht, bevor er sich zum Widerständler wandelte. 1943 habilitierte sich Havemann am Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) an der Berliner Universität gar mit einer Giftgas-Forschung für das NS-Heereswaffenamt. Gleichfalls 1943 begründete er dann mit drei weiteren Männern die Widerstandsgruppe Europäische Union, die unter anderem verfolgte Juden mit Verstecken und falschen Papieren versorgte.13 Im Sommer 1943 wurden die vier Gründungsmitglieder der Gruppe vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz Roland Freislers wegen »kommunistische[r] Verschwörung«, »Spionage« und »Unterstützung illegal lebender Juden« angeklagt und zum Tode verurteilt.14 Allein Havemann blieb aufgrund seiner kriegswichtigen Kenntnisse als Chemiker von der Hinrichtung verschont. Noch im Zuchthaus Brandenburg-Görden, wo er ein eigens für ihn eingerichtetes Labor erhalten hatte, schrieb er ein Flugblatt für den Untergrund.15 Nach der Befreiung kehrte Havemann an das nun im Amerikanischen Sektor Berlins gelegene KWI zurück; seit 1946 hatte er gleichzeitig eine Professur für physikalische Chemie an der Humboldt-Universität im Sowjetischen Sektor inne. 1950, nach der fristlosen Entlassung aus dem KWI aufgrund seines Protestes gegen die amerikanische Wasserstoffbombe, war er in die DDR übergesiedelt. Hier wurde er zum Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an der Humboldt-Universität bestellt und erhielt eine Reihe hoher politischer Ämter. Havemanns Interesse an den Überschneidungen zwischen Naturwissenschaft und marxistischer Theorie traf sich aus umgekehrter Perspektive mit den Interessen Walter Hollitschers, über den er mit Heym bekannt geworden war. Hollitscher war als jüdischer Westemigrant wie Heym, jedoch evangelisch konvertiert, in die DDR gekommen.16 Aus dem britischen Exil zunächst nach Wien zurückgekehrt, forschte er seit 1949 als Direktor des Philosophischen Instituts der Humboldt-Universität zum Verhältnis zwischen marxis-

13 Simone Hannemann, Robert Havemann und die Widerstandsgruppe »Europäische Union«. Eine Darstellung der Ereignisse und deren Interpretation nach 1945, Berlin 2001, 152 f. 14 Zit. nach ebd., 82.­ 15 Yad Vashem, The Righteous among the Nations. Havemann Family. Havemann ­Robert ­(1910–1982), (1. Dezember 2019). 16 Dass Hollitscher nach den NS-Gesetzen als Jude galt, geht aus neueren Forschungen zur Zwangsexmatrikulation jüdischer Studenten an der Universität Wien 1938 hervor. Siehe Friedrich Stadler/Bastian Stoppelkamp, Die Universität Wien im Kontext von Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft, in: Katharina Kniefacz u.  a. (Hgg.), Universität  – Forschung  – Lehre. Themen und Perspektiven im langen 20.  Jahrhundert, 203–240, zu Hollitscher siehe 235.

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tischer Theorie und Physik.17 Ebenfalls in die Runde gehörte Leo Zuckermann, den Heym noch aus dem New Yorker Exil kannte, und der nun mit Havemann an der Universität zusammenarbeitete. Zuckermann hatte zuvor zusammen mit Paul Merker ein Wiedergutmachungsgesetz für die jüdisch Verfolgten des NS-Regimes entworfen und war deshalb im Dezember 1950, nachdem ein derartiges Engagement nicht länger statthaft war, von seinem Posten als Leiter der Staatskanzlei bei Präsident Pieck zurückgetreten. In einem Interview von 1978 mit Eckart Boege in Mexiko-Stadt erinnerte sich Zuckermann an den »Kreis«, den Heym, Hollitscher und Havemann gemeinsam mit den Ehefrauen Hollitschers und Heyms gebildet hätten. Dies, so Zuckermann, sei eine Art internationale Notgemeinschaft gewesen, in der man sich im privaten Kreis über die Zustände in der DDR Luft machte. Zuckermann zufolge hatte Heym bereits seit seiner Rückkehr nach Deutschland heftige Kritik am aktuellen Tagesgeschehen in der DDR geäußert. Seine Schilderung vermittelt zugleich etwas von der Atmosphäre jener Treffen: »Wir kamen zusammen und diskutierten über alles Mögliche. Der frechste war natürlich der Stefan Heym, dem war alles egal. Der hat da gewettert. […] Und dann fing der Stefan an, ›da hab ich doch heute was gehört‹ […], das war schrecklich […]. Im Grunde genommen war das schrecklich, dass Leute, die was anderes zu diskutieren haben, so einen Dreck diskutieren. Es war auch eine international gemischte Gesellschaft. Die damalige Frau von Hollitscher war eine Italienerin, […] so hübsch war die und die Frau von Heym war eine Amerikanerin und die Amerikanerinnen können hübsch sein, und wie. Und das war eine ganz nette Gesellschaft, aber die war mehr zusammengebracht, das war mehr eine Art Notgemeinschaft.«18

Doch Heyms früher Kreis zerfiel schon bald aufgrund der anbrechenden politischen und antisemitisch motivierten Säuberungen in der DDR. »Bei Nacht und Nebel (keine Metapher)«, so vermeldete in Februar 1953 Alfred Kantorowicz, auch er jüdischer Westemigrant und seit 1950 Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität, sei Leo Zuckermann mit Frau und Kind aus seiner Niederschönhausener Villa geflohen.19 Nach dem infamen Beschluss des ZK der SED zum Slánský-Prozess,20 der seinerseits starke antisemitische Züge trug, war Zuckermanns Wechsel nach West-Berlin bereits im Dezember 1952 erfolgt. Sein Weg führte von dort 17 Siehe u. a. den Beitrag von Walter Hollitscher, Der dialektische Materialismus und die Physiker, in: Physikalische Blätter 8 (1952), H. 7, 289–297. 18 Interview von Eckart Boege mit Leo Zuckermann (1978), Kassette 4, Minuten 25–28. Ich danke Philipp Graf (Leipzig) für den Hinweis auf das Interview. 19 Alfred Kantorowicz, Deutsches Tagebuch, 2 Teile, Berlin 1978–1979, hier Teil 2, Berlin 1979, 341. 20 Hermann Matern, Über die Durchführung des Beschlusses des ZK der SED »Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky«. 13.  Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 13.–14. Mai 1953, Berlin 1953.

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über Frankreich nach Mexiko, wohin er schon vor den Nationalsozialisten geflohen war. Walter Hollitscher wurde 1953 von der Staatssicherheit verhaftet und tauchte später unter mysteriösen Umständen in seiner Heimatstadt Wien wieder auf. Wie Zuckermann flüchtete schließlich auch Kantorowicz 1957 vor sich anbahnender politischer Verfolgung nach West-Berlin.

Heym und Havemann: eine politische Männerfreundschaft In der Folgezeit bis Ende 1965 wurde Havemann zu Heyms engstem persönlichen Freund und wichtigem politischen Berater. Heyms damalige Bewunderung, aber auch subtile männliche Konkurrenz gegenüber Havemann scheint auch in der Beschreibung von dessen markanter physischer Präsenz auf, die im Nachruf ihresgleichen sucht: »Wären da nicht die zu großen Ohren gewesen, die dazu noch abstehen, und der breitgezogene, dünne Mund, Havemann hätte als schöner Mann gelten können.«21 Dafür habe Havemann »ein schönes, männliches Lachen« gehabt, »das auch die tiefsinnigsten der wortreichen Erklärungen der Mächtigen auf ihr wahres Format reduzieren« konnte.22 Heym fühlte sich offenkundig von Havemanns in seltenem Einklang stehenden Eigenschaften als Widerstandskämpfer und Intellektueller angezogen, in denen er sich als Schriftsteller und siegreicher Kriegsveteran in gewisser Weise wohl auch selbst spiegeln konnte. Für Heym, der nach eigenem Bekunden »stets eine Hinneigung zu Helden gezeigt hat, ist Havemann zunächst einmal genau das. Da ist die Todeszelle, aus der heraus er noch immer das ganze Zuchthaus mit Nachrichten versorgte, […] da ist die Haltung, die er am 17. Juni den Streikenden gegenüber an den Tag gelegt hat, da sind die wissenschaftlichen Leistungen […].«23

Bereits in den frühen Tagen ihrer Freundschaft lässt sich Heym in seiner literarischen Arbeit von Havemann befruchten, etwa bei dem Roman über den Ostberliner Aufstand vom 17. Juni 1953, Der Tag X, an dem er bereits einen Monat später zu arbeiten beginnt und für den ihm Havemann als Insider der DDR-Nomenklatura wichtige Interna liefern kann.24 Gerade dieser Text sollte jedoch entscheidend werden für die Haltung Heyms zur Politik der DDR und für seine Beziehungen zu deren offiziellen Instanzen sowie, in

21 Heym, Nachruf, 670. 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd., 583.

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engem Zusammenhang damit, für seine Freundschaft mit Robert Havemann und deren Ende. Ab 1956, Chruschtschow hat auf dem XX. Parteitag der KPdSU gerade Stalins Verbrechen enthüllt und dann den Ungarn-Aufstand blutig niederschlagen lassen, verschärft sich der Ton der DDR gegen die Intellektuellen. 1957 verliert Heym seine Kolumne in der Berliner Zeitung, »Offen gesagt«, in der er die wirtschaftlichen Missstände, die in den Ostberliner Aufstand 1953 geführt hatten, öffentlich angeprangert hatte. 1960 ist Der Tag X endlich fertig. 1961 verbietet das Ministerium für Kultur endgültig sein Erscheinen, und dies trotz Heyms mehrmaliger Überarbeitung des Romans und seiner Konzessionen an die offizielle DDR-Lesart des Aufstandes. Die Akten der Staatssicherheit belegen Heyms über die 1960er Jahre hinweg währende Versuche, mit Beharrlichkeit, Witz und Tücke doch noch eine DDR-Publikation seines Romans zu erreichen. Er verschickt das Manuskript an eine Reihe hochrangiger Persönlichkeiten der DDR, darunter Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Albert Norden,25 er legt Gedächtnisprotokolle an und schleppt ein Tonbandgerät mit zu Aussprachen und Veranstaltungen, um die Funktionäre an ihr Wort gemahnen zu können. Er schleicht sich in Veranstaltungen der sozialistischen Schriftstellerverbände ein, von denen er ausgeladen bleiben sollte, und ergreift dort das Wort. Und er antwortet auf die Ablehnungen seines Manuskriptes und die öffentlichen Angriffe der Funktionäre mit scharf formulierten Briefen, die er an die Betreffenden persönlich adressiert. Seine Waffe ist die Schreibmaschine, doch kämpft er vergebens: Der Roman darf in der DDR nicht erscheinen. Erst 1974 wird Der Tag X im Westen unter dem Titel 5 Tage im Juni erstmalig publiziert; 1989 erscheint das Buch endlich in der gerade untergehenden DDR. Nahezu parallel verläuft bis Mitte der 1960er Jahre die Wandlung Havemanns zum Dissidenten. Im Herbst 1963, Havemann wird vom MfS mittlerweile als ideologischer Gegner eingeschätzt, beginnt er an der Humboldt-Universität mit seinen öffentlichen Vorlesungen über »Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme«, in denen er zu Fragen der Freiheit und Demokratie im revolutionären Sozialismus referiert. Gemeinsam mit Zuhörern aus der ganzen Republik sitzen in den Vorlesungen Heym und Havemanns neuer Freund Wolf Biermann. Schon bald werden Havemanns Vorlesungen von der Partei als revisionistisch abgestempelt. 1964 wird Havemann aus der SED ausgeschlossen, 1965 verliert er seine Professur. Im selben Jahr,

25 So lässt zumindest ein anonymer, undatierter Bericht des MfS ahnen, der vom Versenden eines Manuskripts berichtet: Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (nachfolgend BStU), Ministerium für Staatssicherheit (MfS), HA XX/1, O[perativer]V[organg] »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr.  25507/91, Bd. 1, Bl. 32, o. T. u. D.

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nach der westdeutschen Publikation seines ersten Gedichtbandes Die Drahtharfe – in der DDR wird er schon weitgehend totgeschwiegen –, erhält auch Biermann Berufsverbot in der DDR. Der Höhepunkt von Heyms und Havemanns Freundschaft fällt in diese Zeit, in der sich die beiden in ihrem Kampf gegen die zunehmende Ausgrenzung moralisch und praktisch unterstützen. Havemann unterhalte »sehr intensive Verbindungen zu Heym«, so fasste die Staatssicherheit Anfang 1966 zusammen.26 »Wahrscheinlich ist Heym sogar der wahre Spiritus rector der politisch-ideologischen Tätigkeit von H[avemann]«,27 räsonieren die Offiziere, schließlich sei »das Geschreibe vom HEYM natürlich im wesentlichen nichts anderes als die von HAVEMANN verkündete Philosophie umgesetzt in die Schriftstellerei«.28 Als Heym im Nachruf ebenfalls zur Wendung vom Spiritus rector greift, konnte er seine Stasi-Akte noch nicht gesehen haben. Es ist erneut Der Tag X, an dem sich die Art der Freundschaft zu Havemann zeigt. So erscheint Havemann im Januar 1961 bei einer Aussprache Heyms mit Alfred Kurella, dem Leiter der Kulturkommission des Politbüros des ZK der SED, um Heyms Bemühungen um eine Publikation des Romans zu unterstützen.29 Im Januar 1964 übergibt Heym Havemann – nur wenige Tage bevor dieser in die Bundesrepublik reist – gar ein weiteres Manuskript, das Havemann zu Gesprächen mit westlichen Interessenten mitnehmen sollte.30 Doch der Roman ist nicht das einzige Thema, das die beiden Männer verbindet. Vielmehr verbringen sie gemeinsam viele ausgelassene Stunden und Tage im Grünen. Die Staatssicherheit vermerkt gegenseitige Besuche der beiden sowie die enge Freundschaft zwischen ihren Ehefrauen Gertrude Gelbin und Karin Havemann, die auch nach der Scheidung der Havemanns 1966 fortbesteht. Im Nachruf erinnert sich Heym an diese Zeit: »Trotzdem waren sie schön, die Stunden in dem Häuschen über dem See in Grünheide hinter Erkner, in denen sie beide, S.H. und der Professor, soviel Subversives redeten; aber was war zu der Zeit nicht subversiv? Manchmal kam S.H. in seinem Motorboot, das am Langen See lag, neben der Fähre von Grünau nach Wendenschloß […].«31

26 BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«, Maßnahmen zur weiteren Bearbeitung des operativen Materials gegen Stefan Heym, 11. Januar 1966; BStU, MfS, AOP Nr. 25507/91, Bd. 3, Bl. 1, o. T. u. D. 27 BStU, MfS, HA XVIII/5, o. T. u. D.; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 6, Bl. 66, o. T. u. D. 28 BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 7, Bl. 3, o. T. u. D. 29 BStU, MfS, HA V/1/4, Bericht, 17. Mai [o. J.]; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 25507/91, Bd. 1, Bl. 80, o. T. u. D. 30 BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant”; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 6, Bl. 50, Bericht III/6/Ref. S, 22. Januar 1964. 31 Heym, Nachruf, 669.

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Auch Wolf Biermann erinnert sich an lustvoll gemeinsam verbrachte Sommertage, an denen Heym »mit einem eleganten Motorboot-Zweisitzer bei Robert angeflitzt [kam]. Immer dabei seine kluge Gattin Gertrude […]. Sie gelangten auf einem Wasserweg von Grünau über Kanäle und märkische Seen bis nach Erkner, schipperten weiter und legten neben Kuddeldaddeldu an Roberts Bootsanleger an. […] In Roberts Datscha fanden gesellige Gespräche statt, Sommerfeste, Sauf-, Venus- und Fressgelage. Streitlust, Übermut, Appetit auf Widerworte, Hunger nach Wahrheit. […] Ich lieferte für diese Freunde frisches Seelenbrot und erotisches Dessert im leckeren Sound der Gitarre.«32

Es ist eine Generation, die nach Verfolgung und Krieg viel nachzuholen hat. Havemann, Heym und Biermann hatten jeder auf seine Weise Entrechtung, Machtlosigkeit und wohl auch beschädigte Männlichkeit erfahren. Sie finden ein Echo bei nichtjüdischen deutschen Frauen, die oftmals eine beschädigte Kindheit und Jugend im Bombenhagel verbracht, ihre Männer, Brüder, Väter entbehrt oder gar verloren hatten und die nun ihrerseits etwas nachholen und vergessen wollen. Nur wenige Jahre nach dem Mauerbau erhebt diese »Boheme des Ostens«, wie Jutta Voigt sie unlängst titulierte,33 mit ihrem ausschweifenden Lebensstil auch Einspruch gegen das zunehmende Gefühl des Eingesperrtseins durch regelstrenge, humorlose Funktionäre.

Beschädigte Vaterbilder im Zeichen der Schoah Die Schilderung der Wunden, die die Schoah in das Verhältnis zum Vater riss, gehört zu den bewegendsten Stellen insbesondere in den Autobiografien Heyms und Biermanns. Bei Havemann dagegen bleibt ein eher flüchtiger Eindruck von den national gesinnten, doch unpolitischen Eltern. Ähnlich dem Altersunterschied zwischen Gertrude Gelbin und Stefan Heym war Havemanns Mutter 13 Jahre älter als sein Vater. Sie, die einer adeligen Offiziersfamilie entstammte, war Malerin und hatte beherrschenden Einfluss auf den Sohn. Havemanns Vater war zuerst Lehrer gewesen, später Feuilletonredakteur, als der er vor 1933 einen großen jüdischen Bekanntenkreis hatte. Von diesem bürgerlichen Umfeld will sich Havemann, nach dem nationalsozialistischen Machtantritt zum radikalen Kommunisten gewandelt, in seiner Autobiografie offensichtlich abheben.34

32 Wolf Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie, Berlin 2016, 136 f. 33 Jutta Voigt, Stierblutjahre. Die Boheme des Ostens, Berlin 2016. 34 Robert Havemann, Ein deutscher Kommunist. Rückblicke und Perspektiven aus der Isolation. Reinbek bei Hamburg 1978, 33 f.

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Heym schildert im Nachruf seine eigenen jungen Jahre ähnlich. Als Einziger der Familie wird er zum Kommunisten und auch bei ihm erscheint der Vater als ein von »Fremdheit«35 gezeichneter Mensch, der von preußischer Pflichterfüllung geprägt war und dem es entsprechend schwerfiel, den beiden Söhnen gegenüber Emotionen und körperliche Zuneigung zu zeigen. Doch im Zuge der NS-Verfolgung findet eine grundsätzliche Wandlung in Heyms Verhältnis zu seinem Vater statt, den der Sohn nun in schmerzlicher Weise als den Schwächeren, Beschützenswerten erlebt. So lässt diese neue Sicht auf den Vater auch bislang ungelebte Facetten von Weichheit und Verletzlichkeit zu. Im Nachruf erinnert sich Heym an die Gefühle von »Mitleid, Liebe, Todesahnung oder die drei in einem«,36 die ihn bei seiner letzten Begegnung mit seinem Vater befallen hatten. Zu diesem Zeitpunkt lebt Heym bereits im Prager Exil. Nach der Flucht des Sohns war der Vater, zu diesem Zeitpunkt 53 Jahre alt, statt seiner in Gestapo-Haft genommen worden, aus der der bereits zuvor depressive Mann gebrochen zurückkehrt. Nach der Entlassung besucht er den Sohn in Prag. Dort entdeckt Heym morgens, als sich der Vater rasiert, an dessen Handgelenken »die weißen Muster der vernarbten Schnitte«,37 Zeichen von Suizidversuchen. Beim Abschied am Zugfenster, er wird endgültig sein, ergreift Daniel Flieg »noch einmal die Hände des Sohnes […], der plötzlich wieder die Narben an den Handgelenken vor Augen hat und aufschluchzt«.38 Wenige Monate später erfährt der mittlerweile nach Chicago gelangte Heym vom gelungenen Suizid des Vaters. »[D]iesmal«, so Heym, »hatte er's zu Ende gebracht.«39 Heym verdeutlicht den tief greifenden Einschnitt dieser Erfahrung stilistisch, indem seine fast durchweg in der Dritten Person geschriebene Autobiografie hier plötzlich in die Ich-Erzählung verfällt: »Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich eine Schuld mittrage am Tod meines Vaters.«40 Auch in Wolf Biermanns Autobiografie mit ihrem zumeist charakteristisch saloppen Erzählton gerät die Erinnerung an den Vater zu einem der anrührendsten Momente. So schreibt er von der Verhaftung des Hamburger Werftarbeiters Dagobert Biermann, der ihm ein »innig vertraute[r] fremde[r] Mann« blieb:41

35 36 37 38 39 40 41

Heym, Nachruf, 6. Ebd., 134. Ebd., 116. Ebd., 118. Ebd., 134. Ebd., 75. Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten!, 23.

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»Weggerissen wurde der Vater mir, als ich vier Monate alt war. […] Der Kummer um den Kommunisten, den Arbeiter, den Juden Biermann ist meine Schicksalsmacht, mein guter Geist, mein böser. Er ist das Gesetz, nach dem ich angetreten bin. […] Dieser polit-genetische Kummer wurde all mein vegetativer Hass, aber auch meine angelernte Lust am Leben. Der Kummer um meinen Vater blieb meine verwüstbare Hoffnung, meine bedrohte Liebe.«42

Als Kind einer »privilegierten Mischehe« verbrachte Wolf Biermann seine Kindheit im Schatten der Nürnberger Gesetze. Sein Vater wurde 1943 als Jude in Auschwitz ermordet; die Eltern des Vaters und weitere Verwandte starben nach der Deportation im Ghetto Minsk. Seine nichtjüdische Mutter, die den Vater in der Kommunistischen Partei kennengelernt hatte, habe ihn durchgebracht, so Biermann, damit er später einmal den Vater rächen und den Kommunismus aufbauen könne.43 Diesem Vermächtnis sieht sich Biermann treu, als er 1953 aus Hamburg in die DDR übersiedelt, wo er Schauspieler und Sänger wird. Doch dann beginnt er, »das geborene Kommunistenkind«,44 aus seinem Gefühl einer rechtmäßigen persönlichen Erbschaft heraus die Herrschenden zu kritisieren. Ab 1964 ist er verstärkten Repressionen ausgesetzt. Biermanns Beschreibung seines wachsenden kritischen Bewusstseins für die Machtstrukturen der DDR steht vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Erfahrung. In »Todesangst« habe er sich neue Freunde gesucht, auch er greift zu prägnanten Attributen, wenn er sie beschreibt: »den furchtlosen Robert Havemann, wie den frechen Angsthasen Stefan Heym und den stalinistischen Antistalinisten Walter Janka«.45 Biermanns öffentliches Bekenntnis zum jüdischen Teil seiner Familiengeschichte, die sich spätestens seit seiner deutschen Übersetzung des jiddischen Schoah-Epos von Jitzchok Lejb Katznelson 1994 (Katznelson starb 1944 in Auschwitz) datieren lässt, muss im Kontext des Mauerfalls gelesen werden, mit der die Ermordung der europäischen Juden ins Zentrum des neuen gesellschaftlichen Diskurses in Deutschland geriet. Das Berliner Mahnmal für die ermordeten Juden Europas mit den ihm vorangehenden großen Debatten steht wohl als eindrücklichstes Beispiel für diesen Prozess, der sich auch in den Biografien der Menschen niederschlug. Im Ostteil des Landes konnten jüdische Narrative erstmalig frei geäußert werden, ohne politischem Druck zu unterliegen. Zudem konnte das Vakuum, das der Untergang des Kommunismus bei einem Großteil der Linken hinterließ, von manchen mit einem wieder- oder neu gefundenen jüdischen Selbstverständnis gefüllt werden. Der 50. Jahrestag des Kriegsendes 1995 schließlich

42 Ebd., 7. 43 Ebd., 50. 44 Ebd., 142. 45 Ebd.

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katalysierte die Suche nach einem Geschichtsnarrativ für das neu geeinte Deutschland, das sich vom Stigma des Täterlandes zu lösen suchte und die deutsch-jüdische Vergangenheit seither neu imaginiert. In diesem Diskurs konnten auch deutsch-jüdische Zwischenräume neu artikuliert werden, wie Biermanns trotzige Selbstbehauptung gegen Ende seiner Autobiografie: »Ich bleibe, was ich immer war: halb Judenbalg und halb ein Goj.«46 Doch das Trauma des ermordeten Vaters war für Biermann sicherlich auch schon zu den Zeiten jener Freundschaft mit Havemann und Heym eine wichtige Triebkraft. Die geteilte Erfahrung des Vaterverlusts schien für Heym, so lässt sich seine oft ungewöhnlich nachsichtige Darstellung des Freundes im Nachruf lesen, eine besondere Nähe zu Biermann zu schaffen. Innerhalb des offiziellen DDR-Diskurses über den Nationalsozialismus, in dem die Verfolgung der Juden ja nicht schlichtweg ausgeklammert blieb, jedoch vom Bild des kommunistischen Widerstandes überlagert wurde und so eine Umdeutung erfuhr, bildete die Erinnerung an die toten Väter einen wenn auch kaum ausgesprochenen, so doch prägenden Teil eines eigenen, eben jüdischen Selbstverständnisses.

»Kampf um Sauberkeit und Moral«: das 11. Plenum des ZK der SED Die DDR-Funktionäre versuchten offenkundig, die Freundschaft Heyms mit Havemann und Biermann zu spalten. Wieder spielt hier Der Tag X eine wichtige Rolle. Im August 1965 lädt der stellvertretende Vorsitzende des Ministerrates Alexander Abusch Heym zu einer Unterredung über seinen Roman. Es sei momentan nicht angebracht, so Abusch, das Buch zu veröffentlichen. Heym weist darauf hin, dass er seit 1956 eingeengt und überwacht werde und dass er die Publikation des Tag X auf Wunsch der Partei bereits seit vier Jahren zurückstelle; damit meint er offensichtlich, dass er das DDR-Verbot nicht mit einer Publikation im Westen umgangen habe. Heym signalisiert, er wäre »bereit, enger mit Ihnen zusammenzuarbeiten, aber es müßte das Buch ›Der Tag X‹ erscheinen«; er sei »überzeugt, dass wir einen modus vivendi finden müssen, aber meine Meinung kann ich nicht ändern«. Abusch antwortet ihn darauf hin, dass die Regierung mit ihm das Gespräch wünsche, aber »sie [sic] müssen in Ihrem Handeln die Regierung unserer Republik wirklich als die Ihre [sic] ansehen«. Andere »wie Prof. Havemann oder Biermann« würden »die Gesetze unserer Republik dauernd verletzen«, indem 46 Ebd., 53.

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sie ihre Werke »ohne Lizenz vervielfältigen und Verfielfältigtes verbreiten«. Heym bietet ihm an, bei Havemann zu vermitteln, was Abusch ablehnt, denn er »habe kein Interesse und keinen Auftrag, mit Havemann zu reden«. Am Ende des Gesprächs, es ist klar, dass Abusch nicht zu einem Entgegenkommen für den Tag X bereit ist, konzediert Heym, er »respektiere« die Gründe hierfür und »warte weiter«. Daraufhin wiederholt Abusch, der Grund für das Gespräch sei, »zu klären, ob der Kontakt zwischen uns […] verbessert werden kann«. Darauf antwortet Heym, er sei »einverstanden und betrachte das Gespräch als einen Beginn. Aber das bedeutet nicht, daß ich vorbehaltlos in alles einstimme.«47 Nach Heyms offensichtlicher Weigerung, sich von Havemann und Biermann spalten zu lassen, kommt es Ende 1965 zur radikalen politischen Ausgrenzung der drei Freunde. Thema ist hier erneut die Haltung zu erotischen Themen. Bei einem Gespräch mit Künstlern und Literaten im Staatsrat der DDR am 25.  November 1965 verweist Walter Ulbricht auf sexuell ausschweifende Darstellungen im Fernsehen und fragt rhetorisch, ob die Partei »bestimmte moralische Maßstäbe« setzen müsse.48 Kurt Hager, Leiter der Ideologischen Kommission des Politbüros, spricht verschärfend von einem »Kampf um Sauberkeit und Moral – und in Literatur und Film werden Grenzen zwischen Literatur und Pornographie überschritten«.49 In seinem Artikel »Braucht unsere Zeit Propheten? Wer spricht das wahre Wort?« im Neuen Deutschland vom 28. November startet der Chefredakteur der Zeitung und Kandidat des Politbüros Hermann Axen, der als jüdischer Kommunist Auschwitz und Buchenwald überlebte, einen indirekten Angriff auf Stefan Heyms Beitrag Die Langeweile von Minsk, der zuerst in der tschechoslowakischen Zeitschrift Kultúrny Život (Kulturelles Leben) erschienen war und dann in der Hamburger Zeit veröffentlicht wurde. In dem Beitrag zitierte Heym aus einem persönlichen Gespräch von 1955, in dem Brecht einen wenn nötig auch kritischen Realismus in der Literatur gefordert habe: »Ich werde Ihnen sagen, wann die in der Sowjetunion wieder eine Literatur haben werden. Wenn dort ein Roman erscheint, der ungefähr mit den Worten beginnt« – er dachte nach – »mit den Worten: Minsk ist eine der langweiligsten Städte der

47 BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 1, Bl. 157, 159 f. (stark verkürzte Niederschrift vom 3. August 1965; Hervorhebung im Original unterstrichen). 48 Zit. nach Günter Agde, Zur Anatomie eines Tests. Das Gespräch Walter Ulbrichts mit Schriftstellern und Künstlern am 25.  November 1965 im Staatsrat der DDR, in: ders. (Hg.), Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente, Berlin 1991, 128–147, hier 136. 49 Ebd., 140.

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Welt.«50 »Jedes Zeitalter hat seine Sprecher, die die Ängste und Hoffnungen der Menschen zum Ausdruck bringen«, konstatiert daraufhin Heym.51 Im Altertum seien dies die Propheten gewesen, so Heym mit offenkundigem Verweis auf die jüdische Bibel; heute »scheinen Schriftsteller und Naturwissenschaftler diese Funktion zu übernehmen«.52 Daher, so Heym, verübten die Regierenden eine »Zensur, die mit ökonomischem Druck oder Furcht oder beidem arbeitet«.53 Doch sei die »Wahrheit […] revolutionär« und nur im Bestehen auf sie könnten die sozialistischen Schriftsteller sich mit ihren westlichen Kollegen messen und »das Recht auf moralische Führung beanspruchen und gewinnen«.54 Auf ebendiesen Anspruch antwortet die Partei nun mit ihrer Verteidigung von »Sauberkeit und Moral« gegen angeblich beschmutzende pornografische Elemente. »Jedes Zeitalter habe seine Sprecher. Im grauen Altertum wären das die Propheten gewesen. Heute […] übernähmen Schriftsteller und Naturwissenschaftler diese Funktion. Derartige Äußerungen machte kürzlich ein Schriftsteller«, so eröffnet Axen seinen Artikel in fast wörtlichem Zitat von Heym, obgleich er den in Ungnade gefallenen Schriftsteller nicht beim Namen nennt. Der biblischen Tradition gegenüber wirkt Axen einen Moment lang fast ausgleichend: »Über die Rolle der alten Propheten wollen wir hier nicht streiten.« Dann geht er zum Angriff über: Ihn interessierten vielmehr die neuen Propheten, die hier aufträten. Axen unterstellt Heyms Worten eine staatsfeindliche Tendenz, denn sie »proklamieren eine führende Rolle der Schriftsteller und der Naturwissenschaftler« und »verneinen die führende Rolle der Arbeiterklasse«, an deren Spitze die SED ja stehe.55 Dies ist der Auftakt zum 11. Plenum des ZK der SED drei Wochen später, vom 16. bis 18. Dezember 1965, auf dem die DDR-Führung einen bislang beispiellosen Angriff auf ihre Kulturschaffenden lanciert. Man könne, so droht dort der spätere Staatsratsvorsitzende der DDR Erich Honecker, »die Arbeitsproduktivität und damit den Lebensstandard« nicht »weiter erhöhen« und gleichzeitig »nihilistische, ausweglose und moralzersetzende Philosophie in Literatur, Film, Theater, Fernsehen und Zeitschriften verbreiten«.56 Angesichts der Tatsache, dass auf dem Plenum mit Heym und Biermann gleich zwei Autoren jüdischer Herkunft exemplarisch angeklagt sind, 50 Stefan Heym, Die Langeweile von Minsk, in: ders., Wege und Umwege. Streitbare Schriften aus fünf Jahrzehnten, hg. von Peter Mallwitz, Berlin 1998, 353–358, hier 353. 51 Ebd., 354. 52 Ebd. 53 Ebd., 356. 54 Ebd., 358. 55 Hermann Axen, Braucht unsere Zeit Propheten? Wer spricht das wahre Wort?, in: Neues Deutschland, 28. November 1965, 3. 56 Agde, Zur Anatomie eines Tests, 141.

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gemahnen diese Worte wohl nicht zufällig an das antisemitische Klischee eines Kultur und Moral zersetzenden jüdischen Intellektes, das im Nationalsozialismus Konjunktur hatte. In seinem Schlusswort spricht Walter Ulbricht auf dem Plenum davon, man habe »also wieder die Positionen klarstellen« müssen bezüglich der »Entwicklung der sozialistischen Ethik und über die Gesetze der sozialistischen Moral«.57 Ulbricht spricht von einer »Schmutzlinie«, in die sich der »Kreis Havemann, Heym, Biermann« hineingeschoben habe, der als »Gruppe […] einen politischen Kampf gegen die Arbeiter- und Bauernmacht zielbewusst geführt hat und führt«.58

Über die Seufzerbrücke: Vorladung ins Innenministerium Der verbalen Kampfansage des Staates auf dem 11.  Plenum folgte kurz darauf die Androhung der Inhaftnahme. Nur wenige Tage später, es ist der 22. Dezember 1965, werden Havemann, Heym und Biermann frühmorgens, ohne Vorwarnung und ohne dass sie es voneinander wissen, zu einer Vorladung noch am selben Morgen bei Innenminister Generalmajor Friedrich Dickel zitiert. An der Pforte, so Biermann, habe ihn »eine prallgefüllte Uniform«59 abgeholt und über eine gläserne Brücke in ein Nebengebäude geführt. Im lichtlosen Flur sei ihm Heym entgegengekommen, »[a]uch er eskortiert von einem Uniformierten«:60 »Heym ging gebeugter als sonst, sein Mantel, sein Jackett offen, er sah aus wie ein gebrochener alter Jude, der seinen Leuten hinterherläuft auf der Rampe. Dieser Anblick machte mir Angst. […] er hielt den Kopf gesenkt, starrte vor seine Füße und murmelte ein Wort, das ich nicht verstand. Nun hatte ich keine Angst mehr, die Angst hatte mich.«61

Den Inhalt der Vorladung, »eine gestelzte Erklärung« und »standardisierte Drohung ins Blaue«, habe Dickel, wie Biermann später erfuhr, wortgenau auch Havemann aufgesagt und, wie er vermutet, wohl auch Heym. Doch wisse er dies nicht genau, »weil Heym sich fortan verbarg«62 vor ihm und Havemann. Havemann zumindest habe nur gelacht über jene Episode: »Die

57 Walter Ulbricht, Schlußwort auf der 11. Tagung des ZK der SED 1965, in: Agde, Kahlschlag, 344–358, hier 349. 58 Ebd. 59 Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten!, 170. 60 Ebd. 61 Ebd. 62 Ebd., 171.

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sind ratlos, die wissen nicht weiter mit uns […].«63 Seiner Autobiografie nach schien sich Biermann diese Reaktion auf den »Sermon des Ministers«64 zu eigen gemacht zu haben. Anders dagegen Heym. Kurz darauf – noch vor Weihnachten, so wird es von Biermann kolportiert – habe Heym Havemann angerufen, um die Freundschaft mit ihm abzubrechen und zukünftige Besuche zu untersagen: »Und ich will auch nicht, dass du Gertrud [sic] und mich zu Hause besuchst, auch nicht unter dem Vorwand eines Weihnachtsgeschenkes.«65 Vieles spricht dafür, dass die Episode der Befragung im Wesentlichen so stattgefunden hat. Dennoch bleibt Biermanns Wiedergabe problematisch, und dies vor allem wegen ihrer Kontrastierung eines ungebeugten Havemanns, Held des Widerstandes, mit dem gebrochenen Heym, der als alter Jude passiv der Gaskammer entgegenläuft. Biermann bedient hier das Repertoire des Antisemitismus nach Auschwitz mit der gerade auch in der DDR geläufigen Darstellung, der zufolge die Juden wie die Lämmer zur Schlachtbank gelaufen seien. Mit diesem Bild desavouiert Biermann in seiner Biografie von 2016 das trotz Wolffsohns diffamierender Studie66 weiterhin bestehende Bild Heyms als herausragendem Regimekritiker der DDR seit spätestens den 1980er Jahren, der sich nie dem Regime gebeugt habe. Damit wertet Biermann gleichzeitig seine eigene regimekritische Rolle und auch die Havemanns auf. Problematisch ist auch Biermanns weitgehende Übernahme von Havemanns Version der weiteren Ereignisse. Die Frage stellt sich, inwiefern die von Biermann vorgenommene Kontrastierung Heyms und Havemanns stimmen mag? Tatsächlich ist die unterschiedliche Bewertung jener Tage bei Havemann und Heym evident. In Havemanns autobiografischem Werk Fragen Antworten Fragen (1970) ist jener 22.  Dezember 1965 nicht erwähnt, dafür ist das Buch jedoch um eine Reihe weiterer Vorladungen strukturiert, die Havemann ab Mai 1966 in die Zentrale der Staatssicherheit in der Magdalenenstraße erhielt. Bei der dritten Vorladung am 18.  Mai 1966 sei das Gespräch mit der Frage nach Havemanns Freundschaft mit Stefan Heym eröffnet worden. Darauf habe er entgegnet, er sei mit Stefan Heym befreundet, »aber Stefan Heym gehört zu den Leuten, bei denen man nie genau weiß, ob sie es auch sind, mit denen man befreundet ist«.67

63 Ebd. 64 Ebd. 65 Ebd. 66 Michael Wolffsohn, Die Deutschland-Akte. Juden und Deutsche in Ost und West. Tatsachen und Legenden, München 1995. 67 Robert Havemann, Fragen Antworten Fragen. Aus der Biographie eines deutschen Marxisten, München 1970, 159.

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Dieser kryptischen Aussage schiebt Havemann die Überlegung nach, »mein Freund Stefan […] dachte fast nur an das, was kommen wird, leider manchmal zu sehr an das, was wirklich auch kam«.68 Dagegen bildet er seine Verhöre in der Staatssicherheitszentrale im Mai 1966 auf dem Hintergrund bereits erfahrener Verhöre und Verhaftungen während des Nationalsozialismus und im West-Berlin der ersten Nachkriegsjahre ab, wo er sich gegen die US-amerikanische Nuklearpolitik engagiert hatte. Diese Erfahrungen, so suggeriert er, hätten ihm das Rüstzeug gegeben, im Staatssicherheitsverhör souverän zu bleiben, denn durch Verrat werde man vom System nur erpressbar. Über die Haft einer DDR-Bekannten räsoniert er: »Haftzeiten sind Zeiten großer psychischer Spannung. Sie gehen an keinem Menschen spurlos vorüber. Manchen wird in der Haft das Rückgrat gebrochen. Besonders gefährdet sind Menschen, die sich unter dem Druck der Verhöre durch die Geheimpolizei verleiten lassen, ihre Freunde zu verraten. Sie genießen dadurch oft Vorteile, werden vorzeitig entlassen und erhalten schnell wieder eine ordentliche Arbeit und andere materielle Vorteile. Aber dafür werden sie von der Geheimpolizei erpreßt, systematische Spitzeldienste für sie zu leisten. Wer diesen Weg geht, bemerkt bald, daß es der Weg in den Untergang ist. Meistens ist es dann aber schon zu spät. Die vermeintlichen Vorteile und Annehmlichkeiten erweisen sich als eine schreckliche Sklavenkette, die das Opfer niederzieht und moralisch zerrüttet.«69

Hatte sich Heym etwa erpressbar gemacht? Dies wohl nicht. Eher liegt nahe, dass er, der im Krieg selbst deutsche Männer von der Feindesseite verhört hatte, ein kalkuliertes Spiel mit den DDR-Geheimdienstbeamten zu spielen versuchte; ein Spiel, in dem seine fantasierte Position der vormaligen Übermacht allerdings zunehmend schwammig geriet. Dass das Verhör am 22.  Dezember 1965 eine Zäsur für ihn bedeutete, wird daraus ersichtlich, dass Heym jenen Morgen gleich viermal (mehr oder weniger) öffentlich verarbeitete: in einer Ansprache vor dem Deutschen Schriftstellerverband im Februar 1966, während eines Gespräches mit dem Kandidaten des Politbüros Werner Lamberz im November 1976, in seinem Nachruf 1988 und in Der Winter unsers Mißvergnügens von 1996. Mit einigen Abwandlungen schildern diese Versionen denselben Hergang. Doch zunächst, so schreibt Heym 1996, sei im Dezember 1965 ein Besuch des Freundes Walter Janka erfolgt, der im Neuen Deutschland die Reden Honeckers und Horst Sindermanns auf dem 11. Plenum gelesen habe. Es sei von einer »Gruppe Havemann-Biermann-Heym« gesprochen worden; dies sei »die Sprache der Prozesse«,70 womit offensichtlich die stalinistischen Schauprozesse gemeint sind. Janka

68 Ebd., 160. 69 Ebd., 203. 70 Stefan Heym, Der Winter unsers Mißvergnügens. Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant, München 1998, 88.

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war ehemaliger Interbrigadist und Insasse des französischen Internierungslagers Le Vernet; die spätere DDR-Haft in Bautzen 1957 bis 1960 hatte er schwer erkrankt überstanden. Nun wolle er Heym »ein paar Tips geben. […] Wie man überlebt, in der Untersuchungshaft, im Zuchthaus.«71 Beim Anhören der Ratschläge, schreibt Heym, sei es ihm »kalt über den Rücken« gelaufen.72 In seiner ersten öffentlichen Fassung der Ereignisse vom 22.  Dezember 1965 berichtet Heym im Februar 1966 vor dem Deutschen Schriftstellerverband, ein Mann in Zivil habe um 7.30 Uhr an seiner Haustür geklingelt und ihn »zwecks Aufklärung eines Tatbestandes« für 9.15 Uhr ins Innenministerium bestellt. Dort sei er vom Innenminister empfangen worden, der ihm die Auflage erteilt habe, seine »Äußerungen […] gegen die Republik und die Arbeiter- und Bauernmacht« einzustellen. Er habe dem Innenminister geantwortet, so Heym 1966, er habe »nie und nirgends« solche Äußerungen getan und es falle ihm daher auch nicht schwer, »Ihre mir erteilte Auflage zu erfüllen. Ich sehe keinen Grund, jetzt anzufangen, Dinge zu sagen, die ich auch vorher nicht gesagt habe.«73 Ein zweites Mal berichtet Heym im Nachruf von jenem Morgen, als ein Mann um 7.30 an seiner Haustür erschienen sei und ihn für 9.15 Uhr ins Innenministerium bestellt habe. Dort hätten ihn, wie er nun erwähnt, im Wachraum »zwei Grünberockte« empfangen, »beide Gardemaß und, nach den Schulterstücken zu schließen, im Majorsrang; sie placieren sich zu seiner Rechten und Linken, so daß er nicht ausbrechen kann«.74 So eingesäumt, sei er über die »Seufzerbrücke«, die er hier erstmals erwähnt, vor das Büro des Ministers gebracht worden, aus dem zwei Uniformierte gerade auf dieselbe Art und Weise Havemann herausführten. Dieser »grinst ihm zu. S.H. überlegt sich, soll er nun stehen bleiben und Havemann begrüßen oder wenigstens Juhu rufen, aber da wird er schon gepackt von seiner Eskorte und weitergeschoben«.75 Am Ende der Unterredung sei er vor der Tür Biermann begegnet, der, von zwei Offizieren eingerahmt, gerade hineingeführt worden sei. Ein drittes Mal schließlich erscheint die Begebenheit in Manfred Krugs erst 1996 verlegtem Abdruck eines inoffiziellen, von Krug heimlich auf Tonband aufgenommenen Gesprächs zwischen Schriftstellern und Künstlern 71 Ebd. 72 Ebd. 73 Stefan Heym, Tatsachen und Dokumente. Rede vor der Vollversammlung des Berliner Schriftstellerverbandes, in: Peter Mallwitz (Hg.), Stefan Heym. Wege und Umwege. Streitbare Schriften aus fünf Jahrzehnten, München 1998, 367–378, hier 367 (Hervorhebungen im Original). 74 Ders., Nachruf, 710. 75 Ebd.

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mit dem Politbüromitglied Werner Lamberz aus dem Jahr 1976. In Heyms Schilderung der Episode während dieses Gesprächs, auf das weiter unten noch eingegangen wird, sind es gleich drei Männer, gar in Ledermänteln, die bereits um 6.00 Uhr bei ihm erscheinen, um ihn für 7.00 Uhr ins Innenministerium zu bestellen. Der weitere Hergang entspricht der Darstellung im Nachruf, nur dass diesmal auch die Begegnung mit Biermann nicht vor, sondern auf der Seufzerbrücke verortet ist.76 Im Winter unsers Mißvergnügens berichtet Heym dann 1996, an einem Dezembertag des Jahres 1965 hätten um 6.00 Uhr früh zwei Männer, »korrekt gekleidet«, energisch an der Tür geklingelt.77 Er sei genau eine Stunde später beim Innenminister vorgeladen. Er habe sich rasiert, bemerkt, dass seine Knie nicht zitterten, und sich dann von Gertrude verabschiedet: »›I’ll be back soon‹, sage ich. ›I hope so‹, sagt sie.« Im Ministerium hätten ihn zwei Polizeioffiziere »in die Mitte« genommen und auf verschlungenen Wegen schließlich über die »Seufzerbrücke« geführt. Nach der Unterredung, die demselben Schema folgt wie zuvor, begegnete er »kurz vor der Seufzerbrücke […] Wolf Biermann, ebenso wie ich eskortiert von zwei Polizeioffizieren. Wir nicken einander zu.«78 In keiner dieser Versionen, auch nicht in Biermanns, spielt Havemann als Thema der Unterredung eine Rolle. Die erstaunliche Proliferation von Heyms Versionen legt vor allem eines nahe: dass in ihnen nicht so sehr Belege für eine faktische Wahrheit zu suchen sind, sondern dass für Heym die Ereignisse vom 22. Dezember ein Schlüsselerlebnis waren, an dem er sich immer wieder abgearbeitet hat. Der Eindruck einer Verhaftung, die gesichtslosen Uniformen und Männer in Ledermänteln legen nahe, dass Heym diesen Gesprächstermin vor der Folie einer Gestapovorladung beschreibt und dass er hier die Verhaftung seines Vaters am eigenen Leib symbolisch nacherlebte. Insbesondere das Wort Seufzerbrücke scheint bedeutungsträchtig, zumal Heyms Nachruf ausdrücklich auf die ikonische Bedeutung des Begriffs verweist: Die Brücke über die Französische Straße im Innenministerium der DDR, von der hier die Rede ist, ähnle »der berühmten Seufzerbrücke in Venedig«,79 die vom Dogenpalast in das Gefängnis der Stadt führt. Über jene historische Brücke wurden die Gefangenen vom Gericht in die Haft oder zur Hinrichtung geführt; hier stießen sie der Vorstellung nach ihre letzten Seufzer in Richtung Freiheit aus. Hinter diesem Assoziationsgeflecht lässt sich Heyms Kummer um seinen Vater vermuten, der an der Gestapohaft zerbrach und an dessen Tod sich Heym schuldig fühlte. 76 77 78 79

Manfred Krug, Abgehauen, Berlin 2003, 40. Heym, Der Winter unsers Mißvergnügens, 89. Ebd., 91. Ders., Nachruf, 710.

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Das 11.  Plenum und die Vorladung bei Innenminister Dickel waren, so viel ist sicher, eine gravierende Zäsur in Heyms Leben. Zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass seine bisherige Strategie einer Trotzhaltung gegenüber den DDR-Oberen nicht ausreichte, um doch noch an sein DDR-Publikum zu gelangen und so die Gesellschaft zu verändern. Die Publikation des Tag X war gescheitert; sein Nachfolgeroman Die Papiere des Andreas Lenz konnte wegen seines Gewands als historischer Roman 1963 erscheinen. Seit 1963 hatte Heym an einem weiteren Roman Die Architekten gearbeitet,80 der nach den Anfeindungen des 11. Plenums in die Schublade verbannt war und erst nach dem Mauerfall erscheinen würde. 1965 hatte Heym zudem mit dem Manuskript von Lassalle begonnen, seinem ersten historischen jüdischen Roman, den er im Sinne von Lion Feuchtwangers Idee des historischen Romans als eine Auseinandersetzung »mit sich selber und mit der Geschichte« konzipierte.81 Heyms Lassalle wurde erst nach Umwegen 1969 nahezu gleichzeitig in beiden deutschen Staaten publiziert. Insofern sind auch die biografischen Schriften der drei Protagonisten Heym, Havemann und Biermann keine historischen Zeugnisse im Sinne ihres möglichen Wahrheitsgehalts, sondern sie müssen als Zeugnisse, eigentlich aber als Experimente der Selbstdarstellung gelten, in denen die Protagonisten ihr Rollenspiel in Bezug auf die historischen Ereignisse und aufeinander überdenken. Teils mögen ihre Biografien das unterschiedliche persönliche Rüstzeug illustrieren, das die drei Freunde in die politische Dissidenz mitbrachten und das sie zu diesem Zweck auch öffentlichkeitswirksam einsetzten. So gelesen, behaupten ihre Schriften den Vorrang jeweils eines Mitglieds des einstigen Trios als wichtigster DDR-Dissident. Die Erzählung von der Seufzerbrücke bildet zumindest bei Heym und Biermann einen Kulminationspunkt auf diesem Weg. In diesem Sinn muss auch Biermanns Beschreibung von Heym als polemische Überspitzung unter Zuhilfenahme der »Auschwitzkeule« gelesen werden, also im Sinne einer durch den Verweis auf die Schoah ins Unermessliche gesteigerten moralischen Beschuldigung, unter der Biermann selbst zeit seines Lebens litt. Bereits in seiner Schulzeit habe seine Mutter ihn für schlechte Noten mit, so wörtlich, einer »Auschwitzkeule« verbal gemaßregelt: »Dafür ist dein Vater in Auschwitz gestorben, dass du jetzt eine Fünf in Mathe hast!«82 Gleichzeitig wird Heyms Seufzerbrücke zur widersprüchlichen Metapher der Themen von Verfolgung, Schuld und Widerstand, die den

80 Stefan Heym, Die Architekten. Literatur, O-Ton, gelesen von Stefan Heym, mit einer Einführung von Peter Hutchinson, Köln 2000 (2 CDs). 81 Lion Feuchtwanger, Was ist Wahrheit?, in: Unterhaltungsblatt der Vossischen Zeitung, 21. Oktober 1932, 1. 82 Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten!, 59.

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Schriftsteller über Nationalsozialismus und DDR-Regime hinweg begleiteten und die er sowohl literarisch als auch politisch fruchtbar machen wird. Insofern wird die Brücke auch zum Symbol einer Transformation, in deren Folge Heym, auf der anderen Seite angelangt, die Parameter seiner Rebellion nun ohne Havemann neu bestimmt.

Bruch mit Havemann Heym brannte die Zeit unter den Nägeln: Er war sich seiner literarischen Bedeutung gewiss, hatte jedoch seit den Kreuzfahrern, seinem großen Werk der Exilliteratur, kein namhaftes Werk mehr publiziert. Doch ein Neuanfang im Westen war für ihn wie auch für seine Frau ausgeschlossen. Anfang 1965 war Gertrude Gelbin für vier Wochen in die USA gereist, um dort Freunde und Verwandte zu besuchen.83 Dabei hatte sie auch die Möglichkeiten einer Rückkehr in ihr Heimatland eruiert. Doch mittlerweile war die zu diesem Zeitpunkt bereits 65-Jährige schwer herzkrank und eine Rückübersiedelung ließ sich daher nicht realisieren. Heyms eigene Brücken dorthin waren abgebrochen. Ein Umzug in die konservative Bundesrepublik der 1960er Jahre mit ihren noch im Nationalsozialismus wurzelnden Eliten kam wohl für beide Ehepartner nicht infrage. Heym wurde zudem auch von der bundesdeutschen Presse als regimetreuer Autor diffamiert. So schrieb Die Welt kurz nach dem Mauerbau 1961 über Heyms »Schreiben in der Zone«, Heym sei »keine Kämpfernatur. Stefan Heym ist kein Rebell. Stefan Heym ist Ehrenbürger der Sowjetzone. So unverfroren Stefan Heym die Wahrheit sagt, so unverfroren lügt Stefan Heym.«84 Insofern blieb dem Autor wohl nur der Weg nach vorn: in den Versuch, sich nochmals mit den DDR-Oberen zu arrangieren, indem er den Kontakt mit Havemann spätestens zum Sommer 1966 beendete. Doch inwieweit kam dies tatsächlich einem Verrat gleich, wie Biermann nahelegt? Aus Sicht der vorliegenden Quellen gestaltet sich die Entscheidung Heyms, die Freundschaft mit Havemann zu beenden, weitaus vielschichtiger als von Biermann zugegeben. Von Heyms Auftritt auf der Vollversammlung des Deutschen Schriftstellerverbandes am 25. Februar 1966 berichtete die Staatssicherheit, es sei dort eine kritische Auseinandersetzung mit Heym und Biermann geführt worden, bei der Heym sämtliche Sympathien der Anwesenden verloren 83 BStU, MfS, HA XX/1/III, OV »Diversant«, AOP Nr. 1066/91, Bd. 8, Bl. 31, Information vom 15. April 1965. 84 Hans-Dietrich Sander, »Der Wein- und Wasserzauber Stefan Heyms«, in: Die Welt, 22. August 1961, o. S.

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habe. Heym habe zunächst mit einer »drastisch-dramatischen Schilderung einer ›Vorladung‹« bei Innenminister Friedrich Dickel am 22.  Dezember 1965 und der Wiedergabe seines Einspruchs gegen die Anschuldigungen begonnen.85 Er habe mit seiner Rede beabsichtigt, die Vorwürfe gegen seine Person als unberechtigt darzustellen, da sie angeblich »auf falschen Informationen oder parteibürokratischen Fehleinschätzungen beruhten« und er im Gegenteil »überzeugter Sozialist sei und auch im Westen immer für die DDR eingetreten sei«.86 Letztere Aussage bezog die Staatssicherheit aus Heyms Verweis auf bundesdeutsche Presseberichte.87 Auf die ablehnende Reaktion der Funktionäre und Schriftstellerkollegen auf seine Darstellung hin habe Heym sowohl den Verband als auch die DDR-Regierung dazu aufgefordert, das an ihm »begangene Unrecht wieder gutzumachen«.88 Offenbar wurde während dieser Versammlung bezüglich Havemann Druck auf Heym ausgeübt. So berichtete der Schriftstellerverband an die Staatssicherheit Ende März 1966, nach der unlängst geführten Diskussion liege es jetzt an Heym, »die Verbindung mit Havemann aufzugeben«.89 Mit seiner Ansprache vor dem Schriftstellerverband, mit der Heym die auf Schweigen und Isolation beruhenden Mittel der Einschüchterung unterlaufen wollte, war das Maß offensichtlich voll. Gemeinsam mit Biermann und Havemann, so schreibt die Staatssicherheit Anfang März 1966, solle Heym »mundtot« gemacht werden.90 Gleichzeitig zeigt Heym im privaten Kreis Verunsicherung. Eine Informantin der Staatssicherheit berichtet Anfang März 1966, Heym zufolge könne Gertrude, die gerade mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus liegt, aufgrund seiner politischen Schwierigkeiten ihre Arbeit verlieren und in eine Minimalrente gezwungen werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Heym seine Überwachung vermutet, denn er betont auch in privaten Treffen, »daß er gegen den Kapitalismus und gegen Westdeutsch-

85 BStU, MfS, HVA/II (300), Mitglieder-Vollversammlung des DSV im Haus der DSF am 25. Februar 1966, o. D.; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 10, Bl. 47, o. T. u. D. 86 Ebd. 87 So berichtete das Darmstädter Tagblatt vom 26. November 1965 über Heyms Ansprache, »Heym […] verteidigte den Sozialismus als seine ureigene Angelegenheit«, während die Hannoversche Presse am 2. Dezember 1965 schrieb: »Er ist ein überzeugter Bürger seines Staates, den er jedoch keineswegs für vollkommen hält.« Siehe Heym, Tatsachen und Dokumente, 372 f. 88 BStU, MfS, HA XX/1/III, Aktenvermerk, 26. Februar 1966; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 10, Bl. 52. 89 BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 10, Bl. 111, Information des Deutschen Schriftstellerverbandes vom 31. März 1966. 90 BStU, MfS, HA XX/1, Bericht, 3. März 1966; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 10, Bl. 64.

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land ist und er für den Sozialismus eintritt«.91 Offensichtlich empfindet er Existenzängste, die für ihn von der Grunderfahrung des Exils geprägt sind: »In diesem Zusammenhang erzählte er mir, daß es ihm nichts ausmachen würde, wenn er alles verlieren würde. In seinem Leben habe er schon oft sehr einfache Arbeiten verrichtet, wie u. a. Tellerwäscher in d. USA.«92 In einem weiteren Privatgespräch beklagt sich Heym im August 1966 da­ rüber, dass er mit Biermann und Havemann gleichgesetzt werde, dabei unterscheide sich doch seine Haltung grundsätzlich von der ihren. Dem Geheimen Informator (GI) zufolge habe er »eine ganz unnormale Vorsicht und auch eine gewisse Angst« an den Tag gelegt; er vermute Abhörgeräte in seiner Wohnung und habe darauf bestanden, das Gespräch beim Spaziergang im Freien zu führen.93 Auch habe sich Heym bei ihm über ein Strafverfahren informieren wollen und male sich die gefahrenvolle Situation aus. »Er spinnt mit dieser übergroßen Vorsicht« und fühle »sich in seinem jetzigen Leben unsicher« und beengt, weil »er nicht das schreiben kann, was er will und somit sieht er sich vollends unfrei«. Gemeint sind damit Heyms Bemühungen um den Tag X.94 Auch in diesem Gespräch äußerte Heym dem GI zufolge gewisse materielle Engpässe. Erst im Juni 1968 vermeldet die Staatssicherheit rückblickend, Heym habe die »guten Verbindungen« zu Havemann gelöst und dies angeblich, »weil HAVEMANN seine feindlichen Thesen in der ausländischen und westdeutschen Presse veröffentlichte. Nach Ansicht des H[eym]. sei das konterrevolutionär. Er sei nur für Auseinandersetzungen im Innern. Diese Haltung des H[eym]. zeigt, daß er mit großer Vorsicht arbeitet; denn in Wirklichkeit publiziert er ja selbst seine negativen Machwerke im Ausland«.95

Die Staatssicherheit wertete Heyms Abbruch der Beziehungen zu Havemann also lediglich als ein Ablenkungsmanöver »aus berechnenden Gründen«96 und »um sich zu decken«.97 Heyms Wertschätzung für Havemann bestehe weiter, er sei ihm »nicht feindlich gesinnt«, sondern »hält ihn für einen klugen Menschen und schätzt dessen Gedanken«.98 Über gemeinsame Bekann-

91 BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 10, Bl. 56 f., Bericht von »Simone« vom 1. März 1966. 92 Ebd. 93 BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 25507/91, Bd. 3, Bl. 23 f., Tonbandabschrift des Berichtes von GI Cube vom 10. August 1966. 94 Ebd. 95 BStU, MfS, HA XX/1, Auskunft, 10. Juni 1968; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 12, Bl. 128. 96 BStU, MfS, HA XX, Protokoll, 27. Juli 1966; BStU, MfS, AOP Nr. 22708, Bl. 88. 97 BStU, MfS, HA XX/1, Anhang, 13. September 1966; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 25507/91, Bd. 3, Bl. 31. 98 Ebd.

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te unter anderem am Urlaubsort Ahrenshoop, so die Staatssicherheit, halte er weiterhin eine »indirekte Beziehung zu Havemann« aufrecht,99 während Gertrude Gelbin mit Havemanns geschiedener Ehefrau Karin »gute Kontakte« habe.100 Wie auch Havemann eher allgemein schreibt, war nach seinem Parteiausschluss und Berufsverbot der Kontakt zu ihm allgemein »riskant« und »die meisten Leute, die mit mir gut befreundet waren, also mir jedenfalls sehr freundlich gesinnt waren, mußten sehr vorsichtig sein«.101 Dafür, dass Heym die Beziehung zu Havemann nicht schlichtweg aus Furcht oder Berechnung abbrach, scheint zu sprechen, dass seine der Staatssicherheit zufolge eher »lose[n] Verbindungen zu Biermann«102 weiter bestehen blieben, auch wenn sie sich fortan sporadischer gestalteten. Ein weiteres Motiv für Heyms Rückzug von Havemann war vermutlich das gestörte Verhältnis zwischen Gertrude Gelbin und Robert Havemann. So berichtet Heym im Nachruf von Gelbins Versuchen, den Kontakt der beiden Männer zu beschränken, denn sie »witterte die Gefahr, die entstehen mochte, wenn zwei seit je aufsässige und von sich eingenommene Charaktere wie S.H. und Havemann einander noch befeuerten«.103 Die Staatssicherheit untersuchte auch diese Beziehung, und obwohl sie Gelbin ebenfalls als politisch unsicher ansah, vermutete sie in ihr sogar die treibende Kraft hinter Heyms Bruch mit Havemann, da sie diesen »als einen moralisch verkommenen Menschen einschätzt und nichts mehr mit ihm zu tun haben will«.104 Berichten zufolge hatte sie den Kontakt zu Havemann spätestens im März 1965 aus persönlicher Antipathie abgebrochen.105 Natürlich war der Moralbegriff der Staatssicherheit, die ohne Bedenken auch sexuell einsatzbereite Informanten nutzte, dubios. Vermutlich sind hiermit Havemanns Beziehungen zu Frauen gemeint, doch möglich ist, dass Gelbin auch weitaus problematischere Aspekte von Havemanns Persönlichkeit zumindest erahnte. Aus dem offensichtlich angespannten Verhältnis heraus ist wohl auch Biermanns Beschreibung von Gelbin als »scharfzüngige alte Schachtel« zu verstehen.106

 99 Ebd. 100 BStU, MfS, HA XX/1, Auskunft, 10. Juni 1968; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 12, Bl. 128. 101 Havemann, Ein deutscher Kommunist, 23. 102 BStU, MfS, HA XX/1, Bericht, 27. Dezember 1965; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 25507/91, Bd. 1, Bl. 174. 103 Heym, Nachruf, 670. 104 BStU, MfS, HA XX/1, Bericht, 27. Juli 1966; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 25507/91, Bd. 3, Bl. 21. 105 Siehe auch BStU, MfS, HA XX/1/III, Information, 15. April 1965; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 8, Bl. 32. 106 Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten!, 136.

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Havemann und die Staatssicherheit Biermanns ambivalente Bewertung von Heym scheint im Wesentlichen jener durch Havemann ab den 1970er Jahren zu folgen, die im Zuge von Heyms Bruch mit dem früheren Freund gelesen werden muss. So lancierte Havemann – erneut ist es Der Tag X, an dem die Beziehung der beiden ihre Konturen zeigt  – eine offenkundige Breitseite gegen den früheren Freund, als er in einem 1970 in der Bundesrepublik erschienenen Buch schrieb, Heym solle »der Partei dafür dankbar sein, daß ›Der Tag X‹ nie erschienen ist. Heym übernimmt nämlich die grundfalsche offizielle Leseart, wonach der ›17. Juni‹ ein von westlichen Geheimdiensten organisiertes konterrevolutionäres Unternehmen war.«107 Und in seinem 1978 erschienenen autobiografischen Werk Ein deutscher Kommunist argumentierte Havemann, er selbst und Biermann seien die Einzigen gewesen, die »eine unzweideutige Kritik an der Politik der SED« geäußert hätten. Die »bürgerliche[n] Intellektuellen« der DDR hätten, obwohl sie fast alle mit ihm und Biermann übereinstimmten, bis zu Biermanns Ausbürgerung durchweg versucht, »vor der Kritik der Partei wie unter einem warmen Regen davonzukommen, gerade noch zulässig zu bleiben und die Rolle eines ideologischen Ventils der Opposition in der DDR anzubieten«.108 Dies zielte offensichtlich auch auf Heym ab, den Havemann nur an der einen Stelle des Buches erwähnt, in der es um Biermanns Ausbürgerung geht. Die sich aus solchen Polarisierungen ergebenden historischen Vereinfachungen und Verfälschungen werden auch daraus ersichtlich, dass Havemanns Rolle in der DDR ebenfalls lange ambivalent blieb. So galt bis Anfang der 1960er Jahre auch für Havemann die Strategie Heyms, eine grundlegende Zustimmung zum sozialistischen Projekt mit einem – nach den Entbehrungen der NS-Zeit vermutlich erstarkten – Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zu verbinden. Ähnliches kann für Biermann vermutet werden, der sich 1962 sogar um Aufnahme in die SED bewarb und erst nach seiner Ablehnung, die 1963 wohl aufgrund seiner persönlichen Lebensführung erfolgte, in die Rolle des Dissidenten verfiel. In Bezug auf Havemann beobachtet Harold Hurwitz zum Beispiel eine »Überlebenskunst, und dabei ein außerordentliches Streben nach Selbständigkeit der eigenen Lebenssteuerung durch die zeitlichen Zwänge und Systembedingungen hindurch«.109 Ähnlich wie Heym nutzte auch Havemann die anfänglichen Privilegien des vom Staat hochgeschätzten Intellektuellen zunehmend, um seine kritischen Ansichten zur 107 Robert Havemann, Fragen Antworten Fragen, 142. 108 Ders., Ein deutscher Kommunist, 23 f. 109 Zit. nach Hannemann, Robert Havemann und die Widerstandsgruppe »Europäische Union«, 125.

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DDR-Politik zu popularisieren. Im Zuge dieser Strategie durchliefen beide Männer teilweise parallele Stadien der Desillusionierung vom DDR-Staat. Anders als Heym jedoch hatte Havemann, wie sich nach 1989 herausstellte, auch nicht davor zurückgeschreckt, unter Mithilfe der Staatssicherheit seine persönlichen Konkurrenten auszuschalten. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR wurde bekannt, dass er zwischen 1946 und 1963, also bis weit in die Zeit seiner Freundschaft mit Heym hinein, als Informant des KGB, der Staatssicherheit und der Armeeaufklärung der DDR gedient und dabei insbesondere über andere Wissenschaftler berichtet hatte.110 So fragte bereits der Havemann-Forscher Hurwitz danach, inwieweit sich Havemann nach dem Krieg »schicksalskräftige Entscheidungen über andere Menschen« herausgenommen habe.111 Diese drückten sich unter anderem in seinem Verhalten gegenüber dem bereits erwähnten Walter Hollitscher aus, über den er Heym kennengelernt hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren die einstigen Freunde Havemann und Hollitscher vermutlich bereits verfeindet, dennoch unterhielten sie weiterhin persönlichen Kontakt.112 Havemanns wissenschaftliche Arbeit begann unter der Vielzahl seiner politischen Funktionen in der DDR zu leiden. Nun begann er eine Rufmordkampagne gegen Hollitscher, der die in der DDR unerwünschte Psychoanalyse vertrat. In einer Rezension warf Havemann Hollitscher »eine Sammlung ideologischer Schwächen« sowie »Mangel an Parteilichkeit und Unversöhnlichkeit gegenüber reaktionären Ideologien« vor und bezeichnete Freuds Psychoanalyse selbst als »antihumanistische, barbarische Ideologie«, mit der man – ein nur schwach verhüllter Verweis auf die stalinistischen Säuberungen – bereits in der Sowjetunion der 1930er Jahre abgerechnet habe.113 Durch eine offensichtliche Lüge in einem Bericht an das ZK der SED suggerierte Havemann im Februar 1952 schließlich eine Zusammenarbeit Hollitschers mit dem britischen Geheimdienst, woraus 1953 die Verhaftung Hollitschers resultierte. Unter Todesdrohungen, gerade hatte das ZK die Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky herausgegeben, 110 Arno Polzin, Der Wandel Robert Havemanns vom Inoffiziellen Mitarbeiter zum Dissidenten im Spiegel der MfS-Akten, hg. von der BStU, (1. Dezember 2019). 111 Harold Hurwitz, »Die Widerstandsgruppe ›Neu Beginnen‹ und Robert Havemann in den Jahren von 1933 bis 1948«, Berlin 1994 (Beitrag auf der Robert-Havemann-Tagung der Evangelischen Akademie und der Robert Havemann Gesellschaft [RHG]), zit. nach Hannemann, Robert Havemann und die Widerstandsgruppe »Europäische Union«, 128. 112 Siehe die Havemann-Biografie von Ingeborg Rapoport in dies., Meine ersten drei Leben. Erinnerungen, Berlin 1997, zit. nach Hannemann, Robert Havemann und die Widerstandsgruppe »Europäische Union«, 126. 113 Havemann, Ein deutscher Kommunist, 118 und 122, zit. nach Hannemann, Robert Havemann und die Widerstandsgruppe »Europäische Union«, 131.

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wurde Hollitscher zur Rückkehr nach Wien gezwungen, um von dort für das MfS und später den KGB zu berichten.114 Wohl als zynische Belohnung für die erpresste Zusammenarbeit wurde Hollitscher später mit hohen DDR-­ Ehrungen bedacht und weilte für die letzten zwanzig Jahre seines Lebens regelmäßig als Gastprofessor an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Havemanns oben zitierte Bemerkung über diejenigen, die »unter dem Druck der Verhöre durch die Geheimpolizei« Freunde verrieten, wirkt in diesem Zusammenhang besonders infam. Ob Heym von den Verstrickungen wusste oder sie zumindest geahnt hat? Sein Nachruf zumindest erwähnt sie nicht, obwohl Heym nicht davor zurückscheut, die geheimdienstliche Mitarbeit anderer Freunde und Bekannter offen beim Namen zu nennen, und auch durchaus Kritisches über Havemann schreibt. Einstmals habe er Havemann offen bewundert, doch nach dessen Verlust der Professur »[e]rschreckt« bemerkt, »wie sich die Persönlichkeit des Mannes immer deutlicher verändert. Es beginnt mit wachsendem Desinteresse an physikalischen Dingen. […] ist ihm dieser Boden genommen, spricht er nur noch als Politiker, und zwar einer, dessen Machtbasis die gelegentlichen Besucher einer besseren Gartenlaube in einem Dorf hinter Erkner sind, werden all seine Gedanken, und seien sie noch so richtig, werden all seine Worte zu leerem Gezeter. Damit meint er wohl wirklich, daß die Parties in seinem Häuschen, wo er vor zwei oder drei Dutzend zumeist jungen Leuten sich produzieren kann, von Bedeutung seien.«115

Darin habe wohl, sinniert Heym, Biermanns Bedeutung für Havemann gelegen. Dieser habe gegenüber Biermann die Rolle eines Ersatzvaters teils aufgrund »echte[r] Gefühle« angenommen und teils aus Berechnung, denn er war »klug genug, zugleich die Vorteile zu sehen, die Biermanns gläubige Gefolgschaft ihm bringt«.116 Bis in seine Autobiografie von 2016 hinein vermag Biermann den Übervater Havemann nicht vom Sockel zu stoßen; über dessen verstörende Doppelrolle in der DDR findet sich hier nur beharrliches Schweigen. Stattdessen greift Biermann Heym an, von dessen »erzväterlichen Attacken«117 er sich möglicherweise einst zurückgestoßen fühlte. Heyms ironische Haltung gegenüber Biermann lässt sich im Nachruf erkennen, dem zufolge jeder wisse, Biermann sei »ein veritables Bündel von Talenten, gleich begabt als Dichter und Komponist, als Sänger und Schauspieler, und, auf daß er diese Gaben auch recht zum Ausdruck bringe, total extrovertiert«.118 Dass Heym einer väterlichen Rolle mit Ambivalenz gegen-

114 Ebd., 127. 115 Heym, Nachruf, 672 f. 116 Ebd., 674. 117 Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten!, 318. 118 Heym, Nachruf, 673.

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überstand, lässt sich auch an anderen biografischen Konstellationen seines Lebens erkennen. Denkbar ist jedoch auch, dass sich Heym aus dem Dreiergespann in dem Maße ausgeschlossen fühlte, in dem sich die Freundschaft zwischen Havemann und Biermann vertiefte. Auch dies mag den Abbruch der Freundschaft zu Havemann mit motiviert haben.

Ausbürgerung als NS-Praxis: Heym und der Biermann-Protest Diese persönlichen Konstellationen hielten Heym nicht davon ab, nach 1966 einigen Kontakt mit Biermann zu pflegen und ihn wiederholt zu unterstützen. Wie die Staatssicherheit noch 1968 vermeldete, habe Heym Biermann darin bestärkt, trotz knapper Stimmenmehrheit dem internationalen PEN-Zentrum beizutreten und »eine starke publizistische Propagierung seiner Wahl« zu betreiben.119 Nach dem Tod Gertrude Gelbins kreuzten sich Heyms und Biermanns Wege sporadisch. 1971 vermeldete die Staatssicherheit, Heym habe die persönlichen Verbindungen zu Havemann und Biermann reaktiviert. »Durch eine inoffizielle Quelle«, so der Bericht, »wurde bekannt, daß Wolf Biermann und Robert Havemann im März 1971 Stefan Heym in seiner Wohnung aufsuchten. H[eym]. war sehr überrascht und zugleich darüber erfreut« und habe Biermann gar zu seiner Hochzeit mit der DEFA-Dramaturgin Inge Wüste eingeladen, zu der Biermann jedoch verhindert gewesen sei.120 Biermann unterhielt fortan gute persönliche Beziehungen zu Inge Wüste-Heym, die sein Verhältnis zu Heym vermutlich verbesserten. 1973 setzte sich Heym bei einem Treffen mit dem Leiter der Abteilung Kultur des ZK der SED Hans-Joachim Hoffmann für einen Auftritt Biermanns bei den X.  Weltfestspielen der Jugend in Ost-Berlin ein, doch vergeblich. Zwischenzeitlich hatte Heym zwei weitere Romane in historischem Gewand publizieren können. Die Schmähschrift und Der König David Bericht erschienen fast gleichzeitig 1972. Der König David Bericht wurde zum wohl größten Roman von Heyms DDR-Karriere wie auch der literarischen Regimekritik der DDR. Es war sein zweiter historischer jüdischer Roman, in dem er anhand der Gestalt des biblischen Königs David eine Kritik am stalinistischen Terror formulierte. Mit dem Roman, der zunächst in der Bundesrepublik erschien und erst anschließend in nur kleiner Auflage in der DDR,

119 BStU, MfS, HA XX/1, Auskunft, 10. Juni 1968; BStU, MfS, HA XX/1, OV »Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 12, Bl. 128. 120 BStU, MfS, HA XX/7, Sachstandsbericht, 9. August 1971; BStU, MfS, HA XX/1, »OV Diversant«; BStU, MfS, AOP Nr. 1066/91, Bd. 1, Bl. 135.

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feierte Heym auch seinen ersten gesamtdeutschen Erfolg.121 Das Buch wurde in viele Sprachen übersetzt und ist auch heute noch sein international bekanntester Roman. Mit dem König David Bericht hatte Heym seine eigene Stimme in der DDR gefunden, die nach dem Bruch mit Havemann an Brisanz nur zugenommen hatte. Nach Havemann und Biermann setzte damit auch für ihn das DDR-Berufsverbot ein, das bis 1989 währte. 1974 bildete das Ministerium für Staatssicherheit gar eine eigene Operativgruppe der Hauptabteilung XX, die fortan die drei inneren Hauptfeinde Biermann, Havemann und Heym in gesonderten Operativvorgängen bearbeitete.122 Doch selbst ständige Überwachung, Publikationsverbot und mehrfache Androhung von Strafverfolgung hielten Heym nicht davon ab, weiter in der DDR zu arbeiten. Neben einer Vielzahl von kleineren Stoffen legte er mit Collin (1979) und Ahasver (1983) zwei weitere große Romane nach, die der literarischen DDR-Kritik eine jüdische Stimme verliehen. Auch sein Roman Schwarzenberg (1984) durfte nicht in der DDR erscheinen. Spätestens ab Mitte der 1970er Jahre nimmt Heym eine Rolle als Wortführer der politischen Dissidenz in der DDR ein. Dies wird vor allem im Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns am 16. November 1976 deutlich. Bereits am 17. November versammelt Heym gemeinsam mit Stephan Hermlin hastig eine Schar von zwölf DDR-Schriftstellern und -Künstlern, deren öffentlicher Aufruf gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns noch am selben Tag über die französische Nachrichtenagentur AFP um die Welt geht. Viele weitere Künstler unterschreiben den Aufruf noch in jenen Tagen. Es ist der erste öffentliche Protest in der DDR seit dem 17.  Juni 1953. Am 20.  November 1976, drei Tage nach der Erstveröffentlichung des Aufrufs, finden sich eine Reihe der Unterzeichner im Haus des Sängers und Schauspielers Manfred Krug zu einem inoffiziellen Gespräch mit dem Leiter der Abteilung Agitation und Propaganda des ZK der SED Werner Lamberz zusammen. Dieses Gespräch, das Krug heimlich auf Tonband aufnimmt und 1996 als Transkript publiziert, wird großenteils von Heym geführt, der hier mutige Fürsprache für Biermann hält. Im Gespräch mit Lamberz platziert Heym die oben zitierte Geschichte von der Seufzerbrücke als eines der Kernstücke seiner Argumentation. »Es war das zweite Mal, daß ich ihn in einer solchen Situation traf«, sagt Heym über Biermann. Das erste Mal sei 1956 gewesen, als Biermann, »ein junger Student damals«, zu ihm gekommen sei und ihn um Hilfe gebeten habe, schließlich »tat sich einiges hier ’56«, womit Heym die auf die DDR übergreifenden 121 Hutchinson, Stefan Heym, 161 f. 122 Joachim Walther, Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1996, 84.

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Unruhen in Ungarn meint. Diese habe Biermann gemeinsam mit ihm zu kontern versucht.123 »Das war Biermann«, resümiert Heym gegenüber Lamberz. »Wenn Biermann so geworden ist, wie er heute ist, so kritisch, dann ist es, Genosse Lamberz, nicht die Schuld von Biermann.«124 Den »außerordentlich begabten« Biermann »mit seinen Sachen, die nämlich für uns gemacht sind«,125 habe sich, so Heym gegenüber Lamberz, der Staat fälschlicherweise zum Gegner gemacht. In dem Gespräch mobilisiert Heym durch Verweis auf den jungen Biermann implizit das Bild eines schutzlosen Waisenjungen, dem er selbst sorgsam zur Seite steht. Obwohl er Biermanns in Auschwitz ermordeten Vater nicht explizit erwähnt, stellt er so doch Biermanns jüdische Herkunft als Symbol seiner Opferrolle auch in der DDR implizit in den Raum. Insbesondere nutzt Heym die Erzählung von der Seufzerbrücke, um der DDR in Bezug auf Biermanns Ausbürgerung eine nationalsozialistische Praktik vorzuwerfen. Mit dieser Argumentation will er die DDR-Oberen vermutlich bei ihrem eigenen antifaschistischen Credo packen und sie damit moralisch unter Druck setzen. So verweist Heym auf eine wenige Tage zuvor im Neuen Deutschland erschienene Polemik gegen Biermann, deren Verfasser ehemaliges NSDAP-Mitglied war. Die Terminologie des Verfassers und stellvertretenden Chefredakteurs des Neuen Deutschland Günter Kertzscher sei »wörtlich entnommen […] den Ausbürgerungsdokumenten des nationalsozialistischen Staates«; die Ausbürgerung selbst »ist nämlich eine Nazipraxis«.126 Der Schriftsteller Jurek Becker, der ab den 1970er Jahren gemeinsam mit Krug zu Heyms engstem Kreis gehörte, legt nun noch nach mit der Mitteilung, der westdeutsche Sender SFB habe Kertzschers NSDAP-Mitgliedsnummer gemeldet. »Das ist eine peinliche Sache«, so Becker. »Ich könnte heulen vor Scham.«127 Ohne Zweifel operieren Heym und Becker hier nicht nur strategisch, sondern fühlen sich als jüdische Überlebende des NS-Regimes in höchstem Maße selbst betroffen und erregt: Becker hatte als Kind das Ghetto Lodz überlebt, während Heym als junger Exilant die NS-Ausbürgerungspraxis am eigenen Leib erfahren hatte. In der Tat evoziert Kertzschers Artikel eine Reihe antisemitischer Klischees, so das des Schmarotzers  – »Ein Herr Biermann konnte hier sogar über zehn Jahre leben ohne zu arbeiten« – und des moralisch verkommenen Lügners und Ausbeuters: »Die Arbeiterbewegung hat es immer wieder mit Leuten zu tun gehabt, die innen ganz schwarz waren, sich aber eine rote

123 Krug, Abgehauen, 40. Siehe hierzu auch Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten!, 136. 124 Krug, Abgehauen, 41. 125 Ebd. (Hervorhebung im Original fett). 126 Ebd., 42 (Hervorhebung im Original fett). 127 Ebd.

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Mütze aufgesetzt hatten.«128 Insbesondere Kertzschers Verweis auf eine »Treuepflicht gegenüber dem Staat«, die Biermann »bewußt und ständig grob verletzt«, womit er die Ausbürgerung selbst verschuldet habe, ist dem Staatsbürgerschaftsgesetz der DDR entlehnt, »nach dem«, so der dem Zeitungsartikel vorangestellte Paragraf, »Bürgern wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten die Staatsbürgerschaft der DDR aberkannt werden kann«.129 Auf diesen Passus bezieht sich wohl Heym. Sein Insistieren gegenüber Lamberz, es sei »genau der Wortlaut der Nazikommentare«,130 referiert auf die nahezu wörtliche Übereinstimmung zwischen der DDR- und der NS-Gesetzgebung.131 Pikanterweise war auch Lamberz’ Weste in Bezug auf den National­ sozialismus nicht ganz rein. Wie Der Spiegel bereits im Mai 1976 vermeldete, hatte er die NS-Eliteanstalt Adolf-Hitler-Schule besucht.132 Heym zumindest war eifriger Leser der Westpresse und so mag ihm dies bekannt gewesen sein. Möglicherweise hoffte er auch daher, mit dieser Argumenta­ tion an Lamberz’ Gewissen zu appellieren. Doch Lamberz wiegelte ab mit der Bemerkung, dies sei »das normale Völkerrecht eines jeden Staates«.133 Den besonderen deutschen Traditionslinien der Hatz auf Biermann wollte er sich nicht stellen und auch Heyms Bitte um Milde stieß bei ihm auf taube Ohren. Natürlich durfte er keine allzu großen Sympathien für den Dissidenten Biermann zeigen; selbst mit Heym zu sprechen war ihm deutlich unangenehm. Vermutlich hatte er schon mit diesem inoffiziellen Gespräch eine Grenze überschritten. Nur fünfzehn Monate später, im März 1978, starb Lamberz nach offizieller Meldung bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen, doch seine Leiche wurde nie aufgefunden.134

128 Günter Kertzscher, Angemessene Antwort auf feindseliges Auftreten gegen die DDR, in: Neues Deutschland, 17. November 1976, 2. 129 Ebd. 130 Krug, Abgehauen, 42. 131 Joseph Walk (Hg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien. Inhalt und Bedeutung, Heidelberg u. a. 21996, 36. 132 O.  A., »Der war der geborene Führer«, in: Der Spiegel, 24.  Mai 1976, (1. September 2019). 133 Krug, Abgehauen, 42. 134 Siehe »Wahrheit gibt Zufriedenheit«, in: Focus Magazin, 26.  Juli 2010, (1. September 2019; Interview von Josef Seitz mit dem Gerichtsmediziner Wolfgang Keil, der 1978 die aus Libyen überführten Todesopfer an der Charité untersucht hatte).

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Jüdischer Dissens in der DDR: Ein Ausblick Aus den Erfahrungen der 1960er Jahre heraus hatte sich Heym ab den 1970er Jahren zur wirksamen Stimme der DDR-Regimekritik entwickelt. Angesichts Stefan Heyms, aber auch einer Reihe anderer DDR-Künstler mit jüdischer Familiengeschichte – darunter Jurek Becker, Wolf Biermann, Thomas Brasch, Günter Kunert und Monika Maron – stellt sich nicht nur die Frage der oftmals geäußerten DDR-Affinität dieser Gruppe, sondern auch, wie ihre Bezüge zum Jüdisch-Sein den Konflikt mit dem offiziellen Narrativ katalysierten und wie sie dies selbstbewusst für ihren Dissens mobilisierten. Zu fragen wäre auch, inwieweit Stefan Heyms jüdische Romane wichtige Impulse für jüdisches Gegenwartsschreiben auch unter den jüngeren regimekritischen Autoren in der DDR gaben und inwiefern sich diese Literatur unter dem Vorzeichen eines dezidiert jüdischen Dissenses analog zur jüdischen Dissidenz in der Sowjetunion formierte. Bei Heym zumindest lässt sich dies überzeugend behaupten. Nach den Versuchen einer Positionsbestimmung gegenüber der DDR trat Heym mit Lassalle Ende der 1960er Jahre als dezidiert kritische und jüdische Stimme hervor; in seinem Nachruf, ein Jahr vor dem Mauerfall veröffentlicht, stellte er schließlich seinen Werdegang als Dissident explizit in den Kontext seiner jüdischen Biografie, die mit seiner Beschneidung beginnt. Wie sein »Andenken weiter leben werde«, fragt er sich am Ende; dies zu wissen werde man wohl warten müssen, »bis ich das letzte Stück meines Wegs getragen worden bin«.135 Auch diesbezüglich legte Heym sich quer. Am 16. Dezember 2001 starb er, der jüdische Atheist und Dissident, der sich noch im Nachruf gefragt hatte, was Israel ihn angehe und ob »dieses Land sein Land« sei und »diese Juden sein Volk«,136 bei einem Badeunfall in En Bokek am Toten Meer.

135 Heym, Nachruf, 843 f. 136 Ebd., 448.

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»Dem Gesetzentwurf gibt das Zentralsekretariat seine Zustimmung« – Eine neue Sicht auf die Restitutions­ frage in der Sowjetischen Besatzungszone Die Rückerstattung und Entschädigung jüdischer Vermögenswerte, die wäh­ rend der NS-Zeit auf dem Gebiet der späteren Sowjetischen Besatzungszo­ ne (SBZ) beziehungsweise DDR »arisiert« wurden, gelten gemeinhin als Leerstelle, die das erklärte »bessere Deutschland« trotz oder wegen seines antifaschistischen Anspruchs versäumte, auszufüllen. In materieller Hinsicht ist diesem Befund nur wenig hinzuzufügen. Nicht grundlos bilanzierte das Institute of Jewish Affairs in New York, jene Forschungseinrichtung, die seit Mitte der 1940er Jahre im Auftrag des World Jewish Congress (WJC) feder­ führend unter anderem mit Restitutionsfragen befasst war, 1956 in der Studie European Jewry Ten Years after the War hinsichtlich der DDR: »A number of Jews (and non-Jews) who are recognized as ʻvictims of Nazismʼ are receiving payment for loss of employment, liberty, and health during the Nazi reign. However, these payments are acts of grace by the state and there is no comprehensive compensation and indemnification legislation in existence for victims of Nazism similar to the laws in force in West Germany. […] The hope of Jewish owners to recover identi­ fiable property or assets stolen from them by the Nazis has vanished.«1

Auch in der Forschung wurde dieser Befund einhellig verbreitet. Die von Michael Brenner herausgegebene Gesamtdarstellung zur Geschichte der Ju­ den in Deutschland nach 1945 (2012) widmet dem Phänomen im Osten nur wenige Sätze;2 Constantin Goschlers Abriss der Politik der Wiedergutma­ chung in Deutschland seit 1945 (2005) bilanziert das Thema – nicht zu Un­ recht – als »Liquidierung der Rückerstattung«,3 während sich Jürgen Lilltei­ cher in seiner Studie zur Praxis der Rückerstattung jüdischen Eigentums in der frühen Bundesrepublik (2007) nicht von ungefähr allein auf den Westen

1

Nehemiah Robinson (Hg.), European Jewry Ten Years after the War. An Account of the Development and Present Status of the Decimated Jewish Communities of Europe, New York 1956, 144 f. 2 Michael Brenner (Hg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft, München 2012, 242. 3 Constantin Goschler, Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen 2005, hier 368–372. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 271–295.

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beschränkt.4 Mit Blick darauf, dass der Komplex »Restitution in der SBZ/ DDR« erst 1990 mit der Wiedervereinigung eine juristisch abschließende Regelung fand, die fortan umgesetzt wurde, überraschen diese Einschätzun­ gen nicht sonderlich, erscheint das Thema Wiedergutmachung in der Sowje­ tischen Zone in der Tat als Fußnote der Geschichte.5 Und doch liegt der Fall ein wenig anders. Dadurch, dass die DDR – im Ge­ gensatz zur Bundesrepublik – Zeit ihres Bestehens nie eine dem Luxembur­ ger Abkommen (1952) beziehungsweise dem Bundesentschädigungsgesetz (1956) vergleichbare Regelung zum Umgang mit »arisiertem« jüdischem Besitz verabschiedete, gerät leicht aus dem Blick, dass im Jahr 1948 auf dem Gebiet der SBZ ein entsprechendes Gesetz kurz vor seiner Unterzeichnung gestanden hatte. Verschiedene Kreise innerhalb der SED, der jüdischen Ge­ meinden und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), aus denen der jüdische Jurist und hochrangige Mitarbeiter des Parteiapparats Leo Zuckermann (1908–1985) als treibende Kraft herausragt, hatten sich für eine derartige Regelung verwandt. Und in der Tat hatte das Zentralsekreta­ riat der SED (das formal höchste Machtorgan zwischen den Parteitagen) am 26. Januar 1948 dem Entwurf des von ihm selbst in Auftrag gegebenen Ge­ setzes über die Betreuung der Verfolgten des Naziregimes und die Vorberei­ tung für Wiedergutmachung zugestimmt und ihn an die Länder überwiesen.6 Der Entwurf sah Erstaunliches vor: Jüdische Privatpersonen mit Wohnsitz in der SBZ sollten den politisch Verfolgten rechtlich gleichgestellt werden (§ 3) und in den Genuss zahlreicher sozialfürsorgerischer Leistungen kom­ men (§§ 7–24), wichtiger aber noch: Ihnen sollten ihre während der Nazizeit geraubten Vermögenswerte zurückgegeben werden, sofern sie nicht in volks­ eigenen Besitz übergegangen waren (§ 28). Sollte dies nicht möglich sein,

4

Jürgen Lillteicher, Raub, Recht und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2007. 5 Dies bedeutet nicht, dass es keine Literatur zur Frage der Rückerstattung in der SBZ/ DDR gäbe. Siehe v. a. Thomas Schüler, Das Wiedergutmachungsgesetz vom 14. Septem­ ber 1945 in Thüringen, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 2 (1993), 118–138; Ralf Kessler/Hartmut Rüdiger Peter, Wiedergutmachung im Osten Deutschlands 1933–1953. Grundsätzliche Diskussionen und die Praxis in Sachsen-Anhalt, Frankfurt a. M. u. a. 1996; sowie Jan Philipp Spannuth, Rückerstattung Ost. Der Umgang der DDR mit dem »ari­ sierten« Eigentum der Juden und die Rückerstattung im wiedervereinigten Deutschland, Essen 2007. 6 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (nach­ folgend SAPMO-BArch), DY 30/IV 2/2027/31, Gesetz über die Betreuung der Verfolgten des Naziregimes und die Vorbereitung für Wiedergutmachung, Bl. 23–35. Der Beschluss lautet gemäß Protokoll: »Dem aus Anlage Nr. 7 ersichtlichen Gesetzentwurf gibt das Zen­ tralsekretariat seine Zustimmung.« Vgl. ebd., Bl. 51.

»Dem Gesetzentwurf gibt das Zentralsekretariat seine Zustimmung« 

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wären sie aus einem »Fonds für Wiedergutmachung« entschädigt worden, der auf nicht beanspruchtem Vermögen basiert hätte (§ 54).7 Wie wir heute, dreißig Jahre nach dem Ende der DDR, wissen, wurde aus dem Entwurf kein geltendes Recht. Obwohl noch im Herbst 1948 mit wenigen Änderungen von den Sowjets prinzipiell bestätigt,8 kam er in den Länderparlamenten nie zur Abstimmung. Die Gründe dafür sind nicht mehr en détail zu eruieren; zumindest existiert kein einzelnes Dokument etwa des Zentralsekretariats, in dem das Aus für den Entwurf verfügt worden wäre.9 Vielmehr war dem Gesetzesvorhaben, an dem im Sommer 1949 noch Über­ arbeitungen vorgenommen wurden,10 ein schleichendes Ende beschieden. Wenige Tage vor Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 verabschiedete die Parteiführung dann hastig eine Verordnung, die allein die Renten- und Sozialansprüche von Verfolgten des Naziregimes, einschließlich der rassisch Verfolgten, regelte, während die Bestimmungen zur Rückerstattung schlicht­ weg kassiert worden waren.11 Der Hauptgrund für das Scheitern dürfte in der Kehrtwende sowjetischer Nahostpolitik ab 1949 gelegen haben. Fortan war eine derart prominente Unterstützung jüdischer Anliegen auch in den Satelli­ tenstaaten nicht länger opportun.12 Zudem kollidierte die im Entwurf nieder­ gelegte Rückerstattung jüdischen Vermögens mit den zeitgleich im Frühjahr 1948 endenden Bestimmungen zur Sequestrierung, sprich mit der durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) im April verfügten endgültigen Überantwortung von Tausenden bei Kriegsende unter Treuhand gestellten mittelständischen Unternehmen und Kleinbetrieben in Volkseigentum.13 Und auch innerhalb des Parteiapparats war der Entwurf zunehmend auf Wider­

 7 Ebd.   8 Ebd., DQ 2/3321, Aktennotiz über Gespräch in Karlshorst, 26. November 1948, Bl. ­74–76.   9 In Ulrike Offenberg, »Seid vorsichtig gegen die Machthaber«. Die jüdischen Gemeinden in der SBZ und der DDR 1945 bis 1990, Berlin 1998, 70, wird ein entsprechender Be­ schluss des Parteivorstands vom 12./13. Mai 1948 genannt; dieser ließ sich jedoch nicht verifizieren. Siehe SAPMO-BArch, DY 30/40573 und DY 30/40572. 10 Siehe verschiedene Materialien in ebd., DY 30/IV 2/2.027/32. 11 Anordnung zur Sicherung der rechtlichen Stellung der anerkannten Verfolgten des Nazire­ gimes, in: Zentralverordnungsblatt Teil I, Amtliches Organ der Deutschen Wirtschafts­ kommission und ihrer Hauptverwaltungen sowie der Deutschen Verwaltungen für Inneres, Justiz und Volksbildung, Nr. 89, 14. Oktober 1949, 765 f. 12 Arnold Krammer, The Forgotten Friendship. Israel and the Soviet Bloc 1947–53, Urbana, Ill., u. a. 1974. So auch Spannuth, Rückerstattung Ost, 59; Mario Keßler, Die SED und die Juden – zwischen Repression und Toleranz. Politische Entwicklungen bis 1967, Berlin 1995, 55 f., und Kessler/Peter, Wiedergutmachung im Osten Deutschlands 1933–1953, 175 f. 13 Bundesarchiv (nachfolgend BArch), DX 1, Nr. 64/1948, SMAD-Befehl Nr. 64 über die »Beendigung der Sequesterverfahren in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands«, 17.  April 1948. Siehe hierzu auch Kessler/Peter, Wiedergutmachung im Osten Deutschlands 1933–1953, bes. 162–189.

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stände gestoßen. Insbesondere in der Justizabteilung fürchtete man einen Präzedenzfall, der die nach Kriegsende installierte Eigentumsordnung an­ greifen würde und von dem nicht klar war, wie er zu finanzieren wäre; zu­ dem führte man an, die Rückübertragung an »jüdische Kapitalisten« vertrage sich nicht mit sozialistischen Auffassungen von Eigentum.14 Bekannterma­ ßen blieb diese Haltung bis zum Ende der DDR bestimmend – die Frage der Rückerstattung »arisierten« Vermögens in Ostdeutschland wurde bis auf Ausnahmen, die ehemaligen jüdischen Gemeindebesitz betrafen,15 erst 1990 im Zwei-plus-Vier-Vertrag beziehungsweise im Einigungsvertrag geregelt.16 An dieser Stelle steht indes nicht im Fokus, warum das Gesetz scheiterte; dies ist in der Forschung hinlänglich diskutiert worden.17 Interessant ist viel­ mehr, wie es überhaupt zu seinem Entwurf hatte kommen können und wieso dem Entwurf schließlich sogar zugestimmt wurde. Bei einer gewissen Ver­ trautheit mit der Geschichte der Restitutionsproblematik ist man geneigt auf­ zumerken angesichts verschiedener Bestimmungen, die der Entwurf vorsah: Beabsichtigte das Gesetz tatsächlich die restlose Gleichstellung jüdischer Überlebender mit politisch Verfolgten? Stellte es wirklich die – bis auf Volks­ eigentum18 – weitestgehend vollständige Rückerstattung geraubten jüdischen Vermögens in der Sowjetischen Besatzungszone in Aussicht? Und sah es ernsthaft die Errichtung eines Fonds vor, in den nicht angemeldete – dar­ unter auch erbenlose – Vermögenswerte zugunsten noch lebender Bezugsbe­ rechtigter eingehen sollten? – Bemerkenswert erscheint dies zum einen, weil die Bestimmungen so gar nicht mit dem (Nicht-)Ort übereinstimmen wollen,

14 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/112, Götz Berger, Gesprächsprotokoll, 14. Mai 1948, Bl. 398 RS. 15 Deren Rückgabe wurde bekanntlich durch den SMAD-Befehl Nr. 82 vom 29. April 1948 »Über die Rückgabe des durch den nationalsozialistischen Staat entzogenen Vermögen an die demokratischen Organisationen« geregelt, der Organisationen und Körperschaften, die unter den Nationalsozialisten verfolgt und enteignet worden waren, in ihre alten Ver­ mögensrechte einsetzte (siehe BArch, DX 1, Nr. 82/1948). Da dieser Befehl an politische Bedingungen geknüpft wurde, war seine Handhabung entsprechend restriktiv. Siehe Span­ nuth, Rückerstattung Ost, 85–88. 16 Hans Günter Hockerts, Wiedergutmachung in Deutschland. Eine historische Bilanz 1945– 2000, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), H. 1, 167–214, hier 203–209. 17 Kessler/Peter, Wiedergutmachung im Osten Deutschlands 1933–1953, 162–189; Span­ nuth, Rückerstattung Ost, 62–65. 18 Spannuth spricht von einer sogenannten kleinen Lösung, auf die das Gesetz gemäß Ent­ wurf höchstwahrscheinlich hinausgelaufen wäre: Während die Verstaatlichung von Be­ trieben der Schlüsselindustrien sowie von Banken, Versicherungen und mittelständischen Unternehmen wohl nicht zur Disposition gestanden hätte, wäre die Rückerstattung von Kleinbetrieben, vor allem aber von »arisierten« oder in staatlichem Besitz befindlichen, sprich nicht sequestrierten Immobilien und Grundstücken, denkbar gewesen. Deren Zahl schätzt er für das Gebiet der späteren DDR auf insgesamt 55 000 Objekte (45 000 Immo­ bilien, 10 000 Betriebe). Siehe ders., Rückerstattung Ost, 164–166 und 204.

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der Juden als Opfern des Nationalsozialismus später in der DDR rechtlich wie ideell zugewiesen wurde;19 zum anderen aber auch, weil diese Bestim­ mungen beziehungsweise der ihnen innewohnende Geist wenn nicht unbe­ dingt aus der Zeit, so doch deutlich aus dem geografischen Rahmen fallen. Schließlich bewegen sie sich verdächtig in der Nähe dessen, was gemeinhin als zentraler Teil des Korpus jüdischer Nachkriegsforderungen verstanden wird. Gemeint sind die seit 1944 um Personen wie Nehemiah Robinson in den Vereinigten Staaten und Siegfried Moses in Palästina entstandenen Kon­ zepte, die mithilfe neuartiger kollektivrechtlicher Instrumente die Restitution beziehungsweise Entschädigung von Vermögenswerten vorsahen, die die Nationalsozialisten den Juden in ganz Europa geraubt hatten.20 Im Zentrum derartiger Überlegungen hatte der weitere Verbleib erbenlosen Vermögens gestanden, dessen angestrebte, moralisch gebotene Rückerstattung an die Juden deren nachträgliche Konstruktion als Kollektiv erforderte. Mithin ma­ terialisiert sich in dem SED-Entwurf in gewisser Weise die in der gesamten jüdischen Welt sich einstellende Reaktion auf die Katastrophe, die nach 1945 unter anderem die Ausbildung einer Vorstellung der Juden als Volk nach sich zog – wenngleich bezeichnenderweise im sowjetischen Sektor Berlins. Was aber hatte dazu geführt, dass sich diese Diskussionen überraschend auch im sowjetischen Machtbereich, das heißt unter Kommunisten, niederschlugen? Woher stammt die Nähe zu Konzepten jüdischer Kollektivität? Und was be­ wegte schließlich die SED, eine Partei der Arbeiterklasse, dazu, dem Entwurf zuzustimmen? Diesen Fragen wird im Folgenden anhand einer Betrachtung Leo Zuckermanns nachgegangen, der – wie bereits angedeutet – entschei­ denden Anteil am Zustandekommen des Gesetzentwurfs hatte.

19 Karin Hartewig, Zurückgekehrt. Die Geschichte der jüdischen Kommunisten in der DDR, Köln u. a. 2000, bes. Kap. 3, 431–561; Annette Leo/Peter Reif-Spirek (Hgg.), Vielstim­ miges Schweigen. Neue Studien zum DDR-Antifaschismus, Berlin 2001. Siehe auch die z. T. politisch aufgeladene Literatur wie Volkhard Knigge, Antifaschistischer Widerstand und Holocaust. Zur Geschichte der KZ-Gedenkstätten in der DDR, in: Bernhard Molt­ mann u. a. (Hgg.), Erinnerung. Zur Gegenwart des Holocaust in Deutschland-West und Deutschland-Ost, Frankfurt a. M. 1993, 66–77, oder Herfried Münkler, Das kollektive Gedächtnis der DDR, in: Dieter Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag: Ein neues Deutschland. Bilder, Rituale und Symbole der frühen DDR, Berlin/München 1996, 458–468. 20 Nehemiah Robinson, Indemnification and Reparations. Jewish Aspects, New York 1944; Siegfried Moses, Die jüdischen Nachkriegs-Forderungen, Tel Aviv 1944.

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Vom Verteidiger Georgi Dimitroffs … In den Jahren 1947/48, die hier im Mittelpunkt des Interesses stehen, war Leo Zuckermann Hauptreferent der Abteilung Landespolitik beim Parteivor­ stand der SED in Berlin. Dort koordinierte er die Beziehungen der Partei zu den Verwaltungen der Länder, beriet den starken Mann der Partei, Wal­ ter Ulbricht, in staatsrechtlichen Fragen und war für die Ausarbeitung und Kontrolle verschiedener Gesetzentwürfe verantwortlich.21 Der hohe Partei­ funktionär Paul Merker zog ihn im August 1947 zur Ausformulierung eines »Wiedergutmachungsgesetzes« hinzu. Merker selbst war ein halbes Jahr zuvor gemeinsam mit Helmut Lehmann von der SED-Führung damit beauf­ tragt worden, da der Osten in diesen Fragen den Anschluss an die Westzonen zu verlieren drohte – dort war in der amerikanischen Zone eine Regelung in Vorbereitung, die im November 1947 als Militärregierungsgesetz Nr. 59 veröffentlicht wurde.22 Zugleich schickte sich die Liberal-Demokratische Partei (LDP) in Sachsen, eine Blockpartei, an, ein eigenes Restitutionsge­ setz vorzulegen, das für Sachsen unter anderem vorsah, selbst nach 1945 beschlagnahmtes Vermögen zur Rückerstattung freizugeben.23 Die SED war also unter Zugzwang; neben Merker und Lehmann, denen als Vorsitzenden der Deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge die Verantwortung für die Ausführung oblag, übernahmen Zuckermann und der Mitarbeiter im Zentralsekretariat Kurt Nettball die wesentlichen Arbeiten.24 Zuckermann war 1908 in Lublin, während einer Reise seiner Mutter zu Verwandten, geboren worden, wuchs jedoch in Elberfeld (ab 1930 Wupper­ tal) auf, wohin seine Eltern 1904 übergesiedelt waren. Sein Vater erwarb als Kaufmann einen gewissen Wohlstand, der es erlaubte, die beiden Söhne stu­ dieren zu lassen. Nach dem Abitur nahm Zuckermann 1927 auf Drängen des 21 Siehe exemplarisch die Akten in SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v.5248 (Kaderakte), NY 4182/1090, NY 4182/1104 sowie NY 4182/1127 (Nachlass Walter Ulbricht), DA 4/810 und DA 4/811 (Präsidialkanzlei), DY 30/IV 2/13/109 (Abt. Landespolitik) und DY 30/IV 2/13/244 (Deutscher Volksrat). Zur Person Zuckermanns siehe die biografischen S ­ tudien von Wolfgang Kießling, Absturz in den kalten Krieg. Rudolf und Leo Zuckermanns Le­ben zwischen nazistischer Verfolgung, Emigration und stalinistischer Maßregelung, Berlin 1999, und Andreas Weigelt, »Die Politik hat sich geändert und ich stehe jetzt als jüdi­ scher Nationalist da.« Leo Zuckermann (1908–1985), in: ders./Hermann Simon (Hgg.), Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956. Zehn Biographien, Berlin 2008, 209–238. Zudem Hartewig, Zurückgekehrt, 358–364. 22 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.027/29, Auszug aus Protokoll des Zentralsekretariats, 19. November 1946, Bl. 159. Der amerikanische Alleingang resultierte auch aus der Weigerung der Sowjetunion im Alliierten Kontrollrat, einer gemeinsamen rechtlichen Lösung des Problems in allen Zonen zuzustimmen, da sie strikt ablehnte, dass erbenloses Vermögen Deutschland verlässt. Siehe Goschler, Schuld und Schulden, 107 f. 23 Hartewig, Zurückgekehrt, 287. 24 Siehe die Materialien in SAPMO-BA, DY 30/IV 2/2.027/30 und /31.

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Vaters ein Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn und Berlin auf, das er 1931 mit einer Promotion zur staats- und völkerrechtlichen Stellung des deutschen Reichsaußenministers abschloss.25 Danach trat er ein Referendariat bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal an. Wie sein jüngerer Bruder Rudolf (1910–1995), der 1936 im Pariser Exil ein Medizinstudium abschloss, hatte Zuckermann also den Weg zahlreicher deutscher Juden in die Freien Berufe eingeschlagen.26 Während die Eltern sich als Zionisten ver­ standen, lehnten die Kinder ein solches Bekenntnis strikt ab, wie sie über­ haupt zum Judentum auf Distanz gingen: Für beide ist überliefert, dass sie die erstbeste Gelegenheit, selbstständig den Austritt aus der jüdischen Ge­ meinde zu erklären, selbstbewusst ergriffen – Leo Zuckermann bezeichnen­ derweise einen Tag nach seiner Bar Mitzwa.27 Seit seiner Jugend, mit den sozialen Spannungen Ende des Ersten Welt­ krieges als Katalysator, engagierte sich Leo Zuckermann in sozialistischen Organisationen; nach kurzer Mitgliedschaft in der SAJ (1924) und der SPD (1927) trat er 1928 in die KPD ein und fand endgültig seine politische Hei­ mat. Für die Partei war er als Schulungsleiter in Elberfeld aktiv, einer tra­ ditionellen Hochburg der deutschen Arbeiterbewegung; im nahe gelegenen Ruhrgebiet trat er unter Pseudonym als Redner bei Parteiveranstaltungen auf.28 Wie die Berufswahl teilte Zuckermann auch diese Hinwendung zur sozialistischen Bewegung mit einer ganzen Generation junger (nicht nur) deutscher Juden. Der Eintritt in die KPD kann als radikalster Schritt zu einer Neutralisierung von Herkunft gedeutet werden, die gleichsam transzendiert sowohl die als überlebt geltende bürgerliche Welt des (deutschen) Juden­ tums als auch den Antisemitismus der Umgebungskultur hinter sich lassen wollte – zudem kam er im Grunde einem Austritt aus dem Judentum gleich.29 Nach der Machtübertragung auf die Nationalsozialisten, die ihn veran­ lasste, wegen drohender Verhaftung nach Paris zu emigrieren und dort den Decknamen »Leo Lambert« anzunehmen, stellte Zuckermann seine juristi­ sche Expertise ganz in den Dienst der Partei. In Paris, der »Hauptstadt des 25 Leo Zuckermann, Der Reichsaußenminister. Untersuchungen über die staats- und völker­ rechtliche Stellung des deutschen Reichsaußenministers, Düsseldorf 1932. 26 Monika Richarz, Berufliche und soziale Struktur, in: Michael A. Meyer (Hg.), Deutsch-jü­ dische Geschichte in der Neuzeit, 4 Bde., München 1995–1997, hier Bd. 3: Umstrittene Integration. 1871–1918, München 1997, 39–68. 27 Begegnungsstätte Alte Synagoge Elberfeld, Nachlass Ulrich Föhse, Leo Zuckermann, ­Erinnerungsdaten an Wuppertal-Elberfeld, Oktober 1982, Bl. 4; Kießling, Absturz in den kalten Krieg, 9. 28 Begegnungsstätte Alte Synagoge Elberfeld, Nachlass Ulrich Föhse, Leo Zuckermann, ­Erinnerungsdaten an Wuppertal-Elberfeld, Bl. 5. 29 Dan Diner/Jonathan Frankel, Introduction: Jews and Communism. The Utopian Tempta­ tion, in: dies. (Hgg.), Dark Times, Dire Decisions. Jews and Communism, Oxford 2005, 3–12.

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Antifaschismus« und dem unangefochtenen Zentrum des deutschsprachigen antifaschistischen Exils bis 1940,30 wirkte er als Rechtsberater in verschie­ densten Vorfeldorganisationen der Komintern, darunter anfangs im Verteidi­ gungskomitee für den Angeklagten im Reichstagsbrandprozess Georgi Di­ mitroff, danach im Internationalen Thälmann Befreiungskomitee.31 Ab Mitte der 1930er Jahre verlagerte Zuckermann seinen Schwerpunkt vom Staatshin zum Asyl- und Flüchtlingsrecht, eine Neuorientierung, die der steigen­ den Zahl politischer Flüchtlinge in Europa infolge der politischen Lage in Deutschland, der Februarkrise in Österreich, des Spanischen Bürgerkrieges und anderer Krisen geschuldet war. Ab 1936 war er Sekretär des Internatio­ nalen Büros für Asyl und Hilfe für politische Flüchtlinge, einer von der Inter­ nationalen Roten Hilfe in Paris ins Leben gerufenen Koordinierungsstelle, die im Sinne der Komintern Einfluss auf die Flüchtlingsproblematik nehmen sollte.32 Als Vertreter des Asylrechtsbüros wurde er zudem in den Beirat des Völkerbundkommissars für Flüchtlinge entsandt. Obgleich Zuckermann 1938 als Delegierter des Asylrechtsbüros an der Konferenz von Évian teilnahm, befasste er sich in den Jahren des Pariser Exils nicht explizit mit jüdischen Fragen.33 Diese rangierten Mitte der Drei­ ßigerjahre zumindest aus der Perspektive eines Kommunisten ohnehin außer­ halb des Blickfelds. Vielmehr standen die Funktionäre der KP-Auslandslei­ tung im Pariser Exil noch ganz unter dem Eindruck von 1933 im Sinne einer verlorenen Schlacht darum, wer die Weimarer Republik beerben würde. In Paris verdichtete sich diese Wahrnehmung bald durch eine internationale Dimension: Die politische Großwetterlage Mitte der 1930er Jahre konnte durchaus als Abfolge von Kämpfen im weltumfassenden Widerstand gegen den Faschismus gedeutet werden. Die anhaltende rechtliche und wirtschaft­ liche Drangsalierung der deutschen Juden seit 1933 wurde unter dieser Per­ spektive nur peripher wahrgenommen, zumal sie – von Ausnahmen wie dem Boykott vom 1. April 1933 abgesehen – wenig eruptiv verlief. In der großen Erzählung eines unweigerlich einer Entscheidung zustrebenden Weltbürger­ krieges ging das jüdische Schicksal jedenfalls nicht auf. Dies änderte sich erst 1938, als die KP-Führung angesichts der flächendeckenden Gewalt des Novemberpogroms erstmals wieder eine Stellungnahme zur Verfolgung der 30 Anson Rabinbach, Paris. Capital of Anti-Fascism, in: Warren Breckman u. a. (Hgg.), The Modernist Imagination. Intellectual History and Critical Theory. Essays in Honor of Mar­ tin Jay, Oxford/New York 2009, 183–209. 31 Siehe die Materialien in BArch, SgY 15/V 243/30 und RY 1/I 2/3/242. 32 Ursula Langkau-Alex, Deutsche Volksfront 1932–1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau, 3 Bde., Berlin 2004–2005, hier Bd. 2: Geschichte des Ausschusses zur Vorberei­ tung einer deutschen Volksfront, Berlin 2004, 264–266. 33 Dennis R. Laffer, The Jewish Trail of Tears. The Evian Conference of 1938 (unveröff. Masterarbeit, University of South Florida, 2001), 219 und 390.

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Juden unter Hitler veröffentlichte – die freilich unter ideologischem Vor­ behalt stand, indem sie die Ausschreitungen als Mittel zur Ablenkung der deutschen Arbeiterklasse von ihren wahren Ausbeutern deutete.34 Nicht von ungefähr interpretierte Bruno Frei, ein aus Österreich stammender jüdischer Kommunist, mit dem Leo Zuckermann später das mexikanische Exil teilte, die Novemberpogrome zuvorderst als Mittel zur Bereicherung: »Der nackte Raub des Vermögens der Juden«, schrieb er hinsichtlich der Frage, wem die Gewalt »genützt« habe, »war und ist auch heute wieder ein wesentlicher Grund für die antisemitische Hetze. […] Die ›Arisierung‹ der jüdischen Be­ triebe war und ist eine einzige Räuberei zugunsten der deutschen Trust- und Konzerngewaltigen.«35 Alles in allem war Zuckermann in jenen Jahren ein loyaler Parteisoldat. Beflissen wetterte er gegen den Trotzkismus und unterstützte Maßnahmen gegen dessen (vermeintliche) Anhänger.36 Auch polemisierte er gegen die dem Völkerbund unterstellten russischen Flüchtlinge des Ersten Weltkrieges als von imperialistischen Mächten gelenkte, der Sowjetunion feindlich ge­ sinnte »Spione und Terroristen«.37 Womöglich trifft auf ihn zu, was später der etwa gleichaltrige, in London stationierte, jedoch häufig in Paris Wei­ sungen einholende KPD-Kader Jürgen Kuczynski über diese Jahre und seine Selbstwahrnehmung als »parteitreuer kleiner Funktionär« äußerte: »Nein, ich will kein Urteil über mich in dieser Zeit fällen. Ich war eine bedeutungs­ lose Gestalt, ein kleiner braver Kommunist ohne Konflikte und ohne beson­ dere geistige Leistungen […].«38 Gleichwohl stach Zuckermann, wie andere Kommunisten jüdischer Herkunft auch, aus der grauen Masse der deutschen KP-Funktionäre heraus, die Paris nach 1933 bevölkerten: Er sprach nicht nur fließend Französisch und war mit einer Französin verheiratet; er verfüg­ te auch bald über exzellente Beziehungen ins politische Establishment der französischen Hauptstadt, zu internationalen Organisationen wie überhaupt zum antifaschistischen Pariser Exil, einem Schmelztiegel verschiedenster Nationalitäten. Aufgrund seiner Nähe zur Komintern dürfte er sich zudem wohl primär als Parteigänger der Sowjetunion und ihrer historischen Mission verstanden haben und erst in zweiter Linie als Gefolgsmann der deutschen

34 ZK der KPD, Gegen die Schmach der Judenpogrome!, November 1938, zit. nach Keßler, Die SED und die Juden, 24. 35 Bruno Frei, Das Pogrom der »Braunen Hundert«, in: Rundschau, 17. November 1938, 1925. 36 Leo Lambert, Asylrecht? Jawohl! – Aber für wen?, in: o. A., Faschismus, Trotzkismus und die internationale Solidaritätsbewegung, Paris 1937, 37–41. 37 Leo Lambert, Der Völkerbund und die politischen Flüchtlinge. Weissgardisten, Spione und Terroristen im Schatten des Nansen-Amtes, Paris 1937. 38 Jürgen Kuczynski, Freunde und gute Bekannte. Gespräche mit Thomas Grimm, Berlin 1997, 159.

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KP. Was aber veranlasste einen Musterkommunisten wie Zuckermann, sich 1948 derart für jüdische Positionen einzusetzen?

… zum Anwalt des jüdischen Volkes Den Kern der jüdischen Restitutionsforderungen, wie sie um 1943/44 zeit­ gleich von Siegfried Moses und Nehemiah Robinson entwickelt wurden, bil­ dete ein Verständnis der Juden als Kollektiv, das als solches Anspruch auf Entschädigung habe.39 Dies leitete sich aus dem spezifischen Charakter der nationalsozialistischen Verfolgung ab: Indem diese total war, da die Nazis danach trachteten, aller Juden allein aus dem Grund habhaft zu werden, um sie zu ermorden, hatte sie die Juden nolens volens zu einem quasinationalen Kollektiv erhoben – eine Auffassung, die unter Juden noch in der Zwischen­ kriegszeit, sei es in Palästina oder in den westlichen Demokratien, ja selbst in den neu entstandenen Nationalstaaten des östlichen Europa, wo die Ju­ den stellenweise Minderheitenrechte genossen, nur marginal vertreten ge­ wesen war.40 Gepaart mit dem Entsetzen darüber, dass erbenloses geraubtes Eigentum nach dem sogenannten Heimfallrecht den europäischen Gesell­ schaften – darunter womöglich gar dem deutschen Staat – zufallen würde, folgte daraus die Konstruktion der Juden als völkerrechtliches Subjekt, das die Rückerstattung beziehungsweise Entschädigung erbenlosen Vermögens beanspruchen dürfe – eine völkerrechtliche Revolution insofern, als Repara­ tionen für gewöhnlich nur zwischen Staaten gewährt werden.41 Allein darin, wem genau diese Zahlungen zugutekommen sollten, unterschieden sich die Positionen: Während einem Zionisten wie Siegfried Moses in erster Linie Palästina als Adresse für kollektive Entschädigungszahlungen vorschweb­ te,42 sah Nehemiah Robinson eine internationale Treuhändergesellschaft als bezugsberechtigt vor, die ihre Mittel der Unterstützung und dem (Wieder-) Aufbau jüdischer Gemeinden in der Diaspora (inklusive Palästina, nicht je­ doch Deutschland) widmen sollte.43

39 Moses, Die jüdischen Nachkriegs-Forderungen; Robinson, Indemnification and Repara­ tions. 40 Dan Diner, Zweierlei Emanzipation. Westliche Juden und Ostjuden gegenübergestellt, in: ders., Gedächtniszeiten. Über jüdische und andere Geschichten, München 2003, 125–134. 41 Ders., Art. »Restitution«, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von Dan Diner, Bd. 5, Stutt­ gart 2014, 202–209. 42 Moses, Die jüdischen Nachkriegs-Forderungen, 62–65. 43 Robinson, Indemnification and Reparations, 256–261.

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Zuckermann wurde mit diesen Fragen erstmals im mexikanischen Exil konfrontiert, in dem er sich von Dezember 1941 bis 1947 befand.44 Wie an anderen Exilorten zuvor, wurde er in Mexiko-Stadt für die vor Ort geschaffe­ ne, etwa 75-köpfige Parteigruppe, die unter der Leitung Paul Merkers stand, beziehungsweise für die von diesem gegründete Bewegung Freies Deutsch­ land (BFD) juristisch tätig. Ihrer Größe und den versammelten Namen nach – Mitglieder waren etwa die bekannten kommunistischen Literaten Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn und Anna Seghers, aber auch gestandene Parteikader wie Alexander Abusch, Bruno Frei, Erich Jungmann und Otto Katz – stellte die sogenannte Merker-Gruppe die wichtigste KP-Gruppierung in der westlichen Hemisphäre, wenn nicht jenseits von Moskau dar. Zucker­ mann wirkte, von Merker in die engere Leitung der Parteigruppe berufen, als Sekretär der Sozialvereinigung politischer Flüchtlinge deutscher Sprache in Mexiko, die die deutschsprachigen politischen Flüchtlinge sozial, karitativ und juristisch versorgte.45 Im Frühjahr 1943 trat er in die Anwaltskanzlei von Carmen Otero y Gama ein, einer Schwägerin des einflussreichen mexikani­ schen Gewerkschaftsfunktionärs Vicente Lombardo Toledano, in der er Visaund Aufenthaltsangelegenheiten für Angehörige der Merker-Gruppe regelte. Während er diese unentgeltlich beriet, bestritt er seinen Unterhalt offenbar mit der juristischen Vertretung deutschsprachiger Geschäftsleute.46 Wie sein ebenfalls nach Mexiko emigrierter Bruder, der als Kardiologe (und Kunst­ liebhaber) unter anderem Elektrokardiogramme des mexikanischen Künst­ lerpaars Frida Kahlo und Diego Rivera schrieb,47 war Zuckermann auch in Mexiko-Stadt exzellent vernetzt. Mehr und mehr jedoch wandte sich Zuckermann, und mit ihm Teile der Merker-Gruppe, jüdischen Themen zu. Grund dafür waren die ab Frühjahr 1942 auch in Mexiko mit erstaunlicher Genauigkeit eintreffenden Nach­ richten von der planmäßigen Verfolgung und Ermordung der Juden überall dort, wo die Wehrmacht vorrückte. Im Grunde war die Merker-Gruppe zu jeder Zeit darüber informiert, was im deutschen Herrschaftsbereich gegen die Juden vorging. Dies ist zumindest ihrer wichtigsten Publikation, dem 44 Zum mexikanischen Exil im Allgemeinen siehe u. a. Wolfgang Kießling, Alemania Li­ bre in Mexiko, Berlin 1974; ders., Exil in Lateinamerika, Leipzig 1980; Fritz Pohle, Das mexikanische Exil. Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-kulturellen Emigration aus Deutschland 1937–1946, Stuttgart 1986; Jeffrey Herf, Zweierlei Erinnerung. Die NS-Ver­ gangenheit im geteilten Deutschland, übers. von Klaus-Dieter Schmidt, Berlin 1998 (engl. Ausgabe 1997), bes. 54–86. 45 SAPMO-BArch, NY 4102/6, Paul Merker, Die Bewegung Freies Deutschland in Latein­ amerika. Erinnerungen, Dokumentationen und Berichte (unveröff. Manuskript), Bl. 511. 46 Wie die Anzeige im Freien Deutschland (2 [April 1943], H. 5, 36) nahelegt. 47 Kießling, Absturz in den kalten Krieg, 7. Zu Rudolf Zuckermann siehe Dieter Schwartze, Rudolf Zuckermann: Brückenbauer zwischen Europa und Lateinamerika. Ein Beitrag zur Entwicklung der Kardiologie in Deutschland, Halle 2010.

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monatlich erscheinenden Freien Deutschland, zu entnehmen, das aus meh­ reren Tausend Kilometern Entfernung relativ genau wiedergab, was Juden in ganz Europa seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 erlitten: Über die Massenerschießungen von Minsk, Babyn Jar oder Odessa wurde ebenso berichtet wie über die zeitgleich einsetzenden Deportationen aus Paris, Wien und deutschen Städten in den Osten.48 Historisch erstaun­ lich genau bebildern diese Nachrichten die erste Phase der Vernichtung der europäischen Juden, die vor allem durch Erschießungen der Einsatzgruppen auf dem Gebiet der Sowjetunion gekennzeichnet ist.49 Doch auch der Wan­ del der Vernichtung in industriegleiche Massentötungen fand seinen Nieder­ schlag, prominent etwa mit dem Abdruck einer sowjetischen Broschüre nach der Entdeckung sogenannter Gaswagen im September 194350 oder durch die Wiedergabe des eindrücklichen Berichts über die Befreiung Majdaneks durch die Rote Armee vom November 1944.51 Zuckermann war, wie zahl­ reiche andere jüdische Mitglieder der Merker-Gruppe, für derartige Berichte besonders sensibilisiert. Viele von ihnen mussten befürchten, dass ihren An­ gehörigen in Europa dasselbe Schicksal drohte. Zuckermanns Vater etwa war 1941 von Elberfeld in das Ghetto Litzmannstadt deportiert worden, wo sich seine Spur verlor; hinsichtlich seiner Mutter, mit der Zuckermann die letzten Jahre in Frankreich zusammengelebt hatte, musste er das Schlimmste be­ fürchten, da er wusste, dass sie im Sommer 1941 kurzzeitig von der Gestapo verhaftet worden war.52 In der politischen Analyse der Nachrichten aus Europa stimmte Zucker­ mann mit Paul Merker darin überein, dass die Verfolgung der Juden prä­ zedenzlos sei. In seinem weithin als Höhepunkt der Beschäftigung mit der jüdischen Frage verstandenen Artikel Hitlers Antisemitismus und wir vom November 1942, vor allem aber in einer Erwiderung auf daraufhin einge­ gangene Reaktionen vom März 1943 vertrat Merker die Auffassung, dass die Kommunisten ihrer weltanschaulich begründeten Entscheidung wegen von den Nationalsozialisten bekämpft würden, das Schicksal der Juden sich hin­ gegen deshalb besonders ausnehme, weil diese allein wegen ihrer Herkunft 48 Philipp Graf, Angesichts des Holocaust. Das deutschsprachige kommunistische Exil in Mexiko-Stadt 1941–1946, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow In­ stitute Yearbook 8 (2009), 451–479. 49 Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden, 2 Bde., München 1998–2006, hier Bd. 2: Die Jahre der Vernichtung 1939–1945, München 2006, 225–423. 50 O. A. u. T., in: Freies Deutschland 2 (September 1943), H. 10, 4. 51 Alexander Abusch, Hitlers Todesfabriken und die Verantwortung der Deutschen, in: Freies Deutschland 3 (November 1944), H. 12, 13–15. 52 Hartewig, Zurückgekehrt, 359. Ähnlich auch Anna Seghers, die 1943 in Mexiko erfuhr, dass ihre Mutter im März 1942 in das Durchgangslager Piaski im Generalgouvernement deportiert worden war, wo sich ihre Spur verlor. Siehe Christiane Zehl Romero, Anna Seghers. Eine Biographie 1900–1947, Berlin 2000, 38.

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verfolgt würden – eine Einschätzung, der sich Zuckermann noch 1948 nach­ gerade wörtlich anschloss.53 Mit der Anerkennung einer spezifisch Juden be­ treffenden Verfolgung ging Merker über die innerhalb der kommunistischen Bewegung für gewöhnlich als vernachlässigbar verstandene Rolle der Juden hinaus.54 Zugleich kam das neue Bewusstsein für den Antisemitismus sicht­ bar zum Ausdruck, da Merker den Kreis der an den Verfolgungen Schuldigen über die »reaktionaeren Klassen« hinaus auf all jene erweiterte, die »sich nicht der Schmutzwelle des Antisemitismus entgegen warfen«.55 Wie genau dieses radikale Umdenken einsetzte, ist nur schemenhaft zu rekonstruieren. Womöglich stellten sich zunächst Zweifel an herkömmlichen Erklärungen ein: Weshalb kamen von überall dort, wohin die Wehrmacht vorstieß, Mel­ dungen über die Verfolgung der Juden? Spielten diese in der NS-Ideologie vielleicht doch eine zentralere Rolle als bislang angenommen? Warum aber brachte man sie um, anstatt sich an ihnen zu bereichern, indem man ihre Arbeitskraft ausbeutete? Jedenfalls bildete die gemeinsame Einschätzung über den besonderen Charakter der antijüdischen Verfolgungen die Grund­ lage dafür, mit traditionellen kommunistischen Ansichten über die Juden zu brechen und die Singularität ihrer Verfolgung ernst zu nehmen. Dieser weitreichende Perspektivwechsel zeigte sich in der Wiedergutma­ chungsfrage. Zuckermann wie Merker (von dem es heißt, er wäre von Zu­ ckermann in dieser Frage stark beeinflusst worden)56 teilten bald die Ansicht, dass das den Juden angetane Unrecht »wiedergutgemacht« werden müsse. Dabei ist nicht ganz klar, wann genau sich Zuckermann dieser Problematik zuwandte. Bereits Merker hatte in dem im November 1942 erschienenen Text von »Wiedergutmachung der durch ihn [den Antisemitismus] verursachten moralischen und wirtschaftlichen Schaeden« gesprochen, wenngleich diese »im Rahmen der eingeschlagenen wirtschaftlichen Ordnung« erfolgen müs­ se.57 Zuckermann meldete sich erstmals 1943 persönlich zu Wort, als er die Leser der Demokratischen Post darüber informierte, dass die Alliierten daran gingen, Richtlinien für die Anmeldung von Rechtsansprüchen auszuarbei­

53 Paul Merker, Hitlers Antisemitismus und wir, in: Freies Deutschland 1 (Oktober 1942), H. 12, 9–11, sowie ders., Das Echo. Diskussion ueber »Hitlers Antisemitismus und wir«, in: Freies Deutschland 2 (März 1943), H. 4, 33. Noch 1948 verwendete Zuckermann in seinem nicht minder bedeutenden Artikel für die Weltbühne exakt dieselbe Argumenta­ tion. Siehe ders., Restitution und Wiedergutmachung, in: Die Weltbühne, 27. April 1948, 430–432. 54 So Otto Heller, Der Untergang des Judentums. Die Judenfrage, ihre Kritik, ihre Lösung durch den Sozialismus, Wien/Berlin 1931. 55 Merker, Hitlers Antisemitismus und wir, 9. 56 Pohle, Das mexikanische Exil, 320–338. 57 Merker, Hitlers Antisemitismus und wir, 11.

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ten.58 In ähnlicher Weise begründete er dann im September 1944 konkret einen rechtlichen Anspruch deutscher Juden auf Entschädigung damit, dass die Hitler-Herrschaft ihre Macht aufgrund eines Verfassungsbruchs erlangt habe, »weshalb Personen, die durch sie zu Schaden gekommen sind«,59 ganz selbstverständlich Anspruch auf Rückerstattung beziehungsweise Entschä­ digung hätten. Einen vorläufigen Höhepunkt seiner Argumentation stellt schließlich Zuckermanns Artikel Die Freien Deutschen und der Zionismus vom Dezember 1944 dar, in dem er über eine Ausschusssitzung der BFD in dieser Frage berichtete. Er sprach jetzt nicht nur von sich selbst und den jüdi­ schen Angehörigen der Bewegung als »Verteidigern des juedischen Volkes«; »[in] allen diesen Fragen«, schrieb er weiter, »darf die kommende deutsche Republik nicht feilschen, sondern muss das Prinzip der weitgehendsten Hil­ fe und Entschaedigung anerkennen«.60 Die von Merker noch 1942 geltend gemachte Einschränkung, die Wiedergutmachung müsse auf mögliche Ver­ staatlichungen Rücksicht nehmen,61 ließ er damit zurücktreten. Darüber hin­ aus bekräftigte Zuckermann im selben Artikel sogar das Recht der Juden auf einen eigenen Staat: »Die Bewegung [Freies Deutschland] anerkennt und unterstuetzt die Forderung der zionistischen Bewegung zur Schaffung eines juedischen Staates in Palaestina.«62 Dass sich Zuckermann und Merker der Wiedergutmachung zuwandten, mochte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass dieses Thema in der zah­ lenmäßig großen deutsch-jüdischen Exilgemeinde in Lateinamerika kontro­ vers diskutiert wurde und die Merker-Gruppe dazu Stellung beziehen muss­ te.63 Mit schmerzhaften Erfahrungen aus Deutschland emigriert, stellten die sich vor allem in Mexiko-Stadt konzentrierenden, etwa 1 600 Personen zäh­ lenden deutschsprachigen Juden bohrende Nachfragen, indem sie das von Merker gleich einem Mantra verkündete Credo, Hitler sei nicht Deutsch­ land, herausforderten. Ihre Erfahrungen besagten vielmehr, dass sich die ge­ wöhnlichen Deutschen an der nationalsozialistischen Herrschaft beteiligten, von ihr profitierten und nicht opponierten, kurz: dass Hitler die Mehrheit der Deutschen hinter sich wusste. In Gesprächen, auf Veranstaltungen des Heinrich-Heine-Klubs oder in der Presse mehrten sich jedenfalls Stimmen, die eine Verantwortung der Deutschen insgesamt feststellten, Hitler mit dem 58 Leo Zuckermann, Anmeldung von Entschaedigungsanspruechen, in: Demokratische Post, 15. August 1943, 1. 59 Ders., Der Rechtsanspruch der deutschen Juden auf Wiedergutmachung, in: Freies Deutschland 3 (September 1944), H. 10, 20. 60 Ders., Die Freien Deutschen und der Zionismus, in: Demokratische Post, 31. Dezember 1944, 1. 61 Merker, Hitlers Antisemitismus und wir, 11. 62 Zuckermann, Die Freien Deutschen und der Zionismus. 63 Pohle, Das mexikanische Exil, 320.

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deutschen Volk gleichsetzten oder schlicht angaben, nach dem Krieg auf kei­ nen Fall nach Deutschland zurückkehren zu wollen. In der ersten Ausgabe des Freien Deutschland brachte beispielsweise eine Zuschrift zum Ausdruck: »Hitler ist nichts anderes als die Verkoerperung des deutschen Volkscharak­ ters. An dieser meiner Ueberzeugung werden auch Sie nichts aendern.«64 Gleichwohl erforderte es der selbsterklärte Anspruch des Kreises um Mer­ ker, für alle deutschsprachigen Emigranten Lateinamerikas zu sprechen, auch diese Gruppe für sich zu gewinnen. Und da zwischen den traditionell deutsch-, ja NS-freundlichen, bereits länger ansässigen Auslandsdeutschen und den ab den späten 1930er Jahren eingewanderten mehrheitlich jüdischen Emigranten kaum politischer Konsens möglich war, stellten die deutschspra­ chigen Juden einen natürlichen wie begehrten Bündnispartner dar. Wollte man diese für die Bewegung Freies Deutschland gewinnen, musste man sich mit ihren Themen befassen. Zuckermanns Hinwendung zur jüdischen Frage verdankte sich zudem weiteren Einflüssen. Hierzu zählte, dass die Merker-Gruppe in Mexiko-Stadt von den Weisungen der deutschen Parteileitung um Pieck und Ulbricht in Moskau abgeschnitten war. Zwar empfing man gelegentlich Berichte und Drucksachen aus Moskau, meist über die sowjetische Botschaft, aber keine klare Anweisungen, welche Linie hinsichtlich des Schicksals der Juden ein­ zunehmen sei.65 Von Pieck hieß es, er sei an Kontakten nach Mexiko nicht interessiert gewesen, weshalb sich Merker noch 1946 bei ihm in Berlin be­ klagte, seit Anbeginn seines Exils in Mexiko kein einziges Wort von ihm erhalten zu haben.66 Womöglich hätten Pieck und Ulbricht der Gruppe in Mexiko hinsichtlich der besonderen Bedingungen vor Ort auch wenig Rat­ schläge geben können – zumindest war ihr Kreis in Moskau damit beschäf­ tigt, deutsche Kriegsgefangene – darunter nicht wenige Offiziere – für das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) zu gewinnen.67 Zuckermann und Merker wussten sich in ihrem Engagement für die jü­ dische Sache jedoch in gewisser Weise in Einklang zumindest mit der so­ wjetischen Parteilinie. Der dezidiert projüdischen Haltung der Sowjetunion

64 S. Berger [Zuschrift an die Redaktion], in: Freies Deutschland 1 (Dezember 1941), H. 1, 25. 65 Merker, Die Bewegung Freies Deutschland in Lateinamerika, 150 f. 66 SAPMO-BArch, SgY 14/15, Merker an Pieck, 28. März 1946, Bl. 4–7. Siehe auch Wolfgang Kießling, Im Widerstreit mit Moskau. Paul Merker und die Bewegung Freies Deutschland in Mexiko, in: Karl Kohut/Patrick von zur Mühlen (Hgg.), Alternative Lateinamerika. Das deutsche Exil in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1994, 117–132. 67 Bodo Scheurig, Verräter oder Patrioten. Das Nationalkomitee »Freies Deutschland« und der Bund Deutscher Offiziere in der Sowjetunion 1943–1945, Berlin/Frankfurt a. M. 1993.

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in diesen Jahren mochte man entnehmen, dass es mindestens opportun sei, sich intensiv für die Juden einzusetzen. Schließlich hatte Stalin nach dem deutschen Überfall im Sommer 1941 die Gründung eines Jüdischen Anti­ faschistischen Komitees (JAK) angeregt, das vornehmlich in der westlichen Hemisphäre die Unterstützung für die Rote Armee organisieren sollte und immens zur Renaissance eines kollektiven Selbstverständnisses unter den sowjetischen Juden beitrug.68 Da die Mobilisierung gegen die Deutschen ne­ ben dem Sammeln von Spenden auch den Verweis auf deren Verbrechen um­ fasste, geriet die Beschäftigung mit der Judenvernichtung für geraume Zeit praktisch – wenngleich mit stark instrumentellen Zügen und nur unter be­ stimmten Vorzeichen – zur sowjetischen Staatsräson. Diese Haltung wurde durch den sowjetischen Botschafter in Mexiko-Stadt bekräftigt, Konstantin Umansky, zu dem die Merker-Gruppe enge Beziehungen unterhielt. Er sorg­ te unter anderem dafür, dass die Vertreter des JAK, unter ihnen der bekannte Moskauer Schauspieler Solomon Mikhoels, während ihrer siebenmonatigen Auslandsreise im August 1943 auch in Mexiko-Stadt Station machten.69 Auch von anderer Seite erhielt Zuckermann Anregungen. Mexiko lag im Einflussbereich der amerikanischen Sektion des World Jewish Congress, der sich seit 1941 mit der Konzeption jüdischer Nachkriegsforderungen befass­ te. Für die Merker-Gruppe sind mehrere Kontakte zum WJC belegt. Bereits Ende 1942 waren der Präsident sowie der Geschäftsführer des WJC, Ste­ phen S. Wise und Nahum Goldmann, während einer Mexiko-Reise Gäste einer Veranstaltung der Vereinigung deutschsprachiger Juden Menorah, wo sie unter anderem über die »Frage der Hilfe und Rettung fuer die Juden Mit­ teleuropas« vortrugen.70 Ferner stand Merker im Briefwechsel mit der Re­ präsentantin des Weltkongresses in Mexiko-Stadt, Kate Knopfmacher, und auch die im WJC-Umfeld publizierte Literatur wurde rezipiert.71 Im August 1944 hielt Goldmann dann erneut eine Pressekonferenz in Mexiko-Stadt ab, über die Zuckermann für die Zeitungen der Merker-Gruppe berichtete.72 Die Veranstaltung diente der Ankündigung der War Emergency Conference im 68 Frank Grüner, Patrioten und Kosmopoliten. Juden im Sowjetstaat 1941–1953, Köln/Wei­ mar/Wien 2008; Lutz Fiedler, Drei Geschichten einer Desillusionierung. Wassili Gross­ man, Ilja Ehrenburg und das Jüdische Antifaschistische Komitee, in: Jahrbuch des Si­ mon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 15 (2016), 511–531. 69 Herf, Zweierlei Erinnerung, 77. 70 O. A., FD hoert, in: Freies Deutschland 2 (November/Dezember 1942), H. 1, 36. Zur Vereinigung Menorah, der aufgrund eines Parteibeschlusses zahlreiche jüdische Mitglie­ der der Merker-Gruppe beitraten, siehe Pohle, Das mexikanische Exil, 77–79. 71 So etwa die Studie des Institute of Jewish Affairs Hitlers Ten Year War on the Jews (New York 1943), die im Literaturverzeichnis von Paul Merkers zweibändigem Werk Deutschland, sein oder nicht sein? (Mexiko-Stadt 1944/1945) verzeichnet ist. 72 Leo Zuckermann, Dr. Nahum Goldmann zu den juedischen Problemen, in: Demokratische Post, 1. September 1944, 4.

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November 1944 in Atlantic City, die gemeinhin als Markstein innerhalb der jüdischen Wiedergutmachungsdebatte gilt.73 Der WJC proklamierte hier zum ersten Mal die Kernsätze der jüdischen Nachkriegsforderungen, darunter jene der Restitution erbenlosen Vermögens mittels jüdischer Nachfolgeorga­ nisationen. Die Gründe für Zuckermanns Gesinnungswandel im mexikanischen Exil waren demnach vielgestaltig. Sie reichten von persönlicher Betroffenheit, spezifischen Erfordernissen und Bedingungen vor Ort, dem Fehlen klarer Anweisungen bis hin zu ähnlich gelagerten Diskussionen nicht kommunis­ tischer Kreise. Ob er – oder Merker – im Moskauer Exil, um das er bei Aus­ bruch des Zweiten Weltkrieges für sich und seine Frau gebeten hatte, zu ähn­ lichen Einsichten gekommen wäre, ist mehr als fraglich. In jedem Fall trat zu Zuckermanns bislang primärem Selbstverständnis als Kommunist und Par­ teimitglied im mexikanischen Exil (wieder) eine gewisse Identifikation als Angehöriger des jüdischen Volkes hinzu, wurde die frühere Distanzierung zum Judentum durch den Holocaust wieder aufgehoben. Möglicherweise reichten die Bezugspunkte für diese Verwandlung sogar noch weiter zurück als die frühesten Nachrichten aus Europa. Bereits Anfang der 1930er Jahre, noch in Wuppertal, hatte Zuckermann der politischen Leitung des (von der KPD ins Leben gerufenen) Jüdischen Arbeiterkulturvereins vorgestanden, der sich scharf gegen den Zionismus wandte und stattdessen unter den nicht wenigen in Elberfeld und Barmen lebenden jüdischen Arbeitsmigranten aus dem östlichen Europa für das sowjetisch-jüdische Ansiedlungsprojekt in Bi­ robidschan warb.74 Auch aus den späteren 1930er Jahren war Zuckermann mit kollektivrechtlichen Positionen vertraut, als er in seiner Funktion als Leiter des Asylrechtsbüros in Paris nachweislich Umgang mit Vertretern des WJC und mit jüdischen Fragen hatte. In Wuppertal und erst recht in den Pa­ riser Jahren, einer Periode der allumfassenden Frontstellung gegen den Fa­ schismus, hatte er diesen Fragen noch keine größere Bedeutung beigemessen beziehungsweise sie stets »marxistisch« beantwortet. Im mexikanischen Exil nun, angesichts der Nachrichten aus Europa, stießen sie offenbar auf einen anderen Resonanzraum. Zuckermanns größere Vertrautheit mit Residuen jü­ discher Kollektivität war demnach womöglich ausschlaggebend dafür, dass er – verglichen mit anderen deutschen Kommunisten – für die Verfolgungs­ erfahrung der Juden als Gruppe empfänglicher war.75 Dann erschiene auch 73 World Jewish Congress (Hg.), Resolutions. War Emergency Conference of the World Jew­ ish Congress. Atlantic City, New Jersey, November 26–30, 1944, New York 1944. 74 Stephan Stracke, Die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse. Gewerkschaftlicher Wider­ stand und internationale Solidarität, Bremen/Wuppertal 2012, 110. 75 Philipp Graf, Habsburger Residuen. Bruno Frei und Leo Katz im kommunistischen Exil in Mexiko-Stadt, 1941–1946, in: Nicolas Berg u. a. (Hgg.), Konstellationen. Über Geschichte, Erfahrung und Erkenntnis, Göttingen/Oakville, Conn., 2011, 365–382.

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sein politisches Engagement der 1930er Jahre, als er als Vertreter des Pariser Asylrechtsbüros auf der Konferenz von Évian im Juli 1938 hautnah mit dem Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus dem Reich in Berührung kam, in neuem Licht, und dies ungeachtet der Tatsache, dass er sich hier noch strikt im Sinne der KPD positionierte. Auch dass sich Zuckermann im mexikani­ schen Exil mit seiner Konzeption kollektiver Restitution jüdischen Eigen­ tums Positionen annäherte, ja von ihnen inspiriert wurde, denen im Kern die kollektiv-jüdische Erfahrung des östlichen Europa als politisches Programm zugrunde lag,76 würde dann nicht länger verwundern, sondern einen Hinweis darauf liefern, wovon er in seinen Überlegungen zur Restitution eigentlich angeleitet wurde.

Restitution und Wiedergutmachung in Ost-Berlin Von der sowjetischen Militäradministration aus dem mexikanischen Exil an­ gefordert, kehrte Zuckermann Ende Juni 1947 in die SBZ zurück und stieg im Apparat der neuen Einheitspartei schnell auf. Er hätte es bevorzugt, als juristischer Mitarbeiter Merkers tätig zu werden, der 1946 seinen alten Pos­ ten im Zentralkomitee der Partei, nun der SED, wieder eingenommen hat­ te. Merker hielt es jedoch für wenig ratsam, ehemalige Westemigranten in seinem Ressort, der Deutschen Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge, zu konzentrieren, und brachte ihn bei Walter Ulbricht unter, der ihn 1947 als Leitenden Mitarbeiter der Abteilung Landespolitik installierte, einer von drei Abteilungen des Bereichs Staats- und Rechtsfragen im Parteivorstand der SED.77 Von Ulbricht als loyal, arbeitsam und juristisch äußerst versiert geschätzt, wurden Zuckermann darüber hinaus weitere Aufgaben zuteil wie die Leitung der Kommission für außenpolitische Fragen, die ab 1949 die Gründung der DDR vorbereitete, und die Mitarbeit im Verfassungsausschuss des Deutschen Volksrats, in dem Zuckermann neben drei weiteren Juristen jüdischer Herkunft (Karl Polak, Peter A. Steiniger und Eugen Schiffer) an der Ausarbeitung der ersten Verfassung der DDR beteiligt war.78 Seinen Kar­ rierehöhepunkt erreichte Zuckermann im Oktober 1949 mit der Berufung

76 Oscar Karbach, The Evolution of Jewish Political Thought, in: Institute of Jewish Affairs (Hg.), The Institute Anniversary Volume 1941–1961, New York 1962, 23–48; Gil Rubin, The End of Minority Rights. Jacob Robinson and the »Jewish Question« in World War II, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 11 (2012), 55–71. 77 So Kießling, Absturz in den kalten Krieg, 26. 78 Hartewig, Zurückgekehrt, 217. Siehe ferner den Aktenbestand SAPMO-BArch, DA 1/149–180 (Verfassungsausschuss Deutscher Volksrat).

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zum Kanzleichef des ersten Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck im Rang eines Staatssekretärs.79 Den in Mexiko gewonnenen Überzeugungen und Einsichten blieb Zucker­ mann in seinen neuen Funktionen treu – mit zum Teil spektakulären Ergeb­ nissen. So hielt er gemeinsam mit Merker 1947 jüdische Parteimitglieder der SED dazu an, der jüdischen Gemeinde beizutreten.80 Auch er selbst ging gemeinsam mit seiner Frau diesen Schritt, wobei er ihn nicht als Ausdruck eines neu erwachten religiösen Bekenntnisses verstanden wissen wollte, sondern als »Solidaritätsakt«, die jüdischen Verfolgten beim Wiederaufbau zu unterstützen.81 Am Gemeindeleben nahm Zuckermann wohl nicht teil,82 und überhaupt sollte der Eintritt nicht überbewertet werden. Es kann sich auch um einen wohlüberlegten Schritt gehandelt haben, im Parteisinn auf die jüdischen Gemeinden Einfluss nehmen zu können. Nicht weniger be­ merkenswert war sein Einsatz für einen jüdischen Staat in Palästina. So ver­ wandte er sich im Dezember 1947 bei Wilhelm Pieck für eine Pressemittei­ lung, die die Verabschiedung des UN-Teilungsplans für Palästina im Namen der Parteiführung begrüßte.83 Im April 1948 nahm er gar an einem Treffen zwischen Otto Grotewohl, einem der beiden SED-Parteivorsitzenden, und dem Vertreter der Jewish Agency in Deutschland, Chaim Yahil, in Berlin teil, in dem sowohl Fragen diplomatischer Anerkennung und Reparationen als auch die Möglichkeit diskutiert wurde, die Sowjetunion zu einer positiven Einstellung hinsichtlich der bevorstehenden israelischen Staatsgründung zu bewegen. Laut Yahil gab Grotewohl dabei die bemerkenswerte Zusicherung, dass der sozialistische ostdeutsche Staat, wäre er denn einmal gegründet, selbstverständlich zu kollektiven Zahlungen an Israel, sprich zu Reparatio­ nen bereit sei.84 Augenfälligster Ausdruck von Zuckermanns projüdischem 79 Dr. Leo Zuckermann Chef der Präsidialkanzlei, in: Neues Deutschland, 12. Oktober 1949, 1. 80 Hartewig, Zurückgekehrt, 362. 81 Siehe dazu die Unterlagen in der Stiftung Neue Synagoge Berlin, Centrum Judaicum Ar­ chiv (nachfolgend CJA), 5A1, Nr. 494, und SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/11/v.5248, Leo Zuckermann, Lebensbericht, 18. Juli 1951, Bl. 105–108, hier 108. 82 Telefonische Auskunft von Michel Zuckermann, 23. Februar 2018. 83 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/112, Entwurf einer Presseerklärung für die amerikani­sche Nachrichtenagentur Columbia Broadcasting, 3. Dezember 1947, Bl. 377. Siehe ferner Paul Merker, Der neue Staat des jüdischen Volkes entsteht, in: Die Weltbühne, 1. Februar 1948, 110–116. 84 Es existiert – soweit ersichtlich – kein Protokoll des Treffens in ostdeutschen oder is­ raelischen Archiven; allein Yahiel erinnert sich in einem 1961 geführten Interview an das Gespräch. Siehe The Hebrew University of Jerusalem, Institute of Contemporary Jewry, Oral History Division, Chaim Yahiel Interview, 12 f. Einige Jahre später, auf dem Höhepunkt der spätstalinistischen Parteisäuberungen, fertigte Zuckermann einen Bericht über das Treffen an, in dem er freilich seine Rolle herunterspielte. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/4/124, Leo Zuckermann an Hertha Geffke, 7. Dezember 1952, Bl. 169–171.

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Engagement war jedoch die neuerliche Hinwendung zur Restitutionsfrage, in der er gemeinsam mit Merker jene Überlegungen juristisch zu fixieren suchte, die beide im mexikanischen Exil entwickelt hatten. Dabei kam Zuckermann gelegen, dass er im Juni 1947 just in dem Mo­ ment nach Deutschland zurückgekehrt war, als die Partei Bedarf an einer Regelung zu Versorgung und Wiedergutmachung hatte und die Arbeiten da­ ran voranschritten. Noch nicht richtig angekommen, wenngleich bereits tä­ tig für die Abteilung Landespolitik, wurde er Anfang August sofort zu einer »Besprechung der Wiedergutmachungsfragen« im Parteihaus bei Merker hinzugezogen.85 Im Lauf der nächsten fünf Monate arbeiteten Zuckermann und Merker gemeinsam mit Helmut Lehmann und Kurt Nettball den Gesetz­ entwurf aus. Die Integration der ihnen in Mexiko so ans Herz gewachsenen Frage der Restitution jüdischer Vermögen gelang ihnen deshalb, weil sie die­ se Frage mit dem Anliegen der Parteiführung verknüpften, ein Gesetz über die sozialfürsorgerische Absicherung alter Kader auf den Weg zu bringen.86 Genau genommen bot die Versorgungsregelung für Opfer eine Möglichkeit, die Restitutionsfrage unterzubringen, indem rassisch und politisch Verfolg­ te zunächst gleichgestellt wurden und denselben Bestimmungen unterlagen. Ein ausschließlich die Restitution betreffendes Gesetz wäre höchstwahr­ scheinlich von vornherein auf unüberwindbare Widerstände gestoßen und entsprach am Ende auch nicht ihren Vorstellungen und Erfahrungen: Das Leid politisch Verfolgter kannten Zuckermann und Merker aus eigener An­ schauung und sie wollten es, wie sie bereits in Mexiko dargelegt hatten, in gleichem Maße »wiedergutgemacht« wissen. Aus diesem Grund enthielt der Entwurf einen ersten Teil mit detaillierten Bestimmungen zur Besserstellung von Verfolgten bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzzuteilung, Urlaubsansprüchen, Rentenversorgung und anderem mehr (siehe »Abschnitt II: Betreuung der VdN«); die Frage der Restitution fand unterdessen durch § 28 Eingang in den Entwurf, der vorsah, Personen, »denen das Vermögen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus Gründen der Rasse, Religion, Weltanschauung oder politischen Gegner­ schaft gegen den Nationalsozialismus entzogen worden ist«,87 ihre Vermö­ genswerte zurückzuerstatten. Weitere Paragrafen des zweiten Teils (»Ab­ schnitt III: Sofortmassnahmen zur Durchführung der Wiedergutmachung«) regelten die Rückerstattung betreffende Einzelfragen wie etwa die, dass Personen, die im Besitz »arisierter« Vermögenswerte waren oder dies an­

85 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2.027/30, Abt. Arbeit und Sozialfürsorge, Einladung, 4. Au­ gust 1947, Bl. 101. 86 Goschler, Schuld und Schulden, 96 f. 87 SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2027/31, Gesetz über die Betreuung der Verfolgten des ­Naziregimes und die Vorbereitung für Wiedergutmachung, Bl. 23–35.

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nehmen mussten, diese Vermögenswerte unter Strafandrohung bei Wahrung einer Frist anmelden mussten (§§ 44–46); Rechtsgeschäfte aus der NS-Zeit, von denen vermutet wurde, dass sie unter Zwang zustande gekommen wa­ ren, wurden ebenfalls als »Vermögensentziehung« definiert. In relativ kurzer Zeit kam der Entwurf zur Vorlage beim Zentralsekretariat und fand – soweit ersichtlich ohne Diskussionen – die Zustimmung des höchsten Parteigre­ miums der SED: »Die Genossen Ulbricht und Dahlem sind mit den der Re­ gelung zugrunde liegenden Prinzipien einverstanden«, hatte Merker bereits am 13. Januar Zuckermann zu verstehen gegeben;88 Karl Schirdewan, der als Referent der Abteilung West im Parteivorstand den Entwurf hinsichtlich sei­ nes Propagandanutzens für die westlichen Zonen beurteilte, bekannte einen Tag darauf gegenüber Zuckermann: »Der Gesamteindruck über den Entwurf ist ein guter.«89 Verschiedene Faktoren waren ausschlaggebend für das gleichermaßen er­ staunliche wie geräuschlose Durchwinken des Gesetzentwurfs seitens der SED-Parteiführung. Zum einen wurde das jüdische Schicksal zu jener Zeit schlichtweg noch nicht derart marginalisiert wie in späteren Jahrzehnten der DDR. Sinnfälligster Ausdruck dessen sind wohl die Fotografien, die von der jährlichen Feier des OdF-Gedenktages im Berliner Lustgarten überliefert sind: Sie zeigen etwa für das Jahr 1948 inmitten der Fahnen der Nationen, die Opfer Hitlers geworden waren, ganz selbstverständlich und zentral auch die israelische Flagge – ein aus späterer Perspektive nachgerade unerhör­ tes Signum.90 Für die Berücksichtigung jüdischer Ansprüche standen zudem verschiedene Personen – auch Kommunisten wie Zuckermann und Merker – ein, die aus Krieg, Lagerhaft und Exil zurückgekehrt waren mit der Über­ zeugung, dass das jüdische Schicksal ein besonderes sei und demzufolge eine besondere Berücksichtigung erfordere. Zu ihnen gehörten etwa der ehe­ malige Auschwitz-Häftling Julius Meyer, der als SED-Mitglied und Vorsit­ zender des Verbands der Jüdischen Gemeinden in der SBZ deren Interessen gegenüber der Parteiführung vertrat;91 der Ökonom Siegbert Kahn, der 1948 im Parteiverlag Dietz eine überraschend undogmatische Analyse des Anti­

88 Ebd., Merker an Zuckermann, 13. Januar 1948, Bl. 14. 89 Ebd., Schirdewan an Zuckermann, 14. Januar 1948, Bl. 15 f., hier 15. 90 Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Deutsche Fo­ tothek, Datensatz 88930567, Gedächtnisfeier und Kundgebung für die Opfer des Faschis­ mus im Lustgarten in Berlin-Mitte, sogenannter OdF-Tag (Opfer des Faschismus-Tag), Fotograf: Abraham Pisarek, Aufnahme-Nr. df_pk_0000480_011, 11. September 1948,

(1. Dezember 2019). 91 Siehe Andreas Weigelt, »Der zionistische Agent Julius Meyer und seine Auftraggeber …« Julius Meyer (1909–1979), in: ders./Simon (Hgg.), Zwischen Bleiben und Gehen, 7­ 5–130.

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semitismus vorlegte;92 der ehemalige Buchenwald-Häftling Robert Siewert, der im Frühjahr 1948 als Innenminister Sachsen-Anhalts im dortigen Land­ tag energisch für den Entwurf des Restitutionsgesetzes eintrat;93 und auch der Fotograf Abraham Pisarek, Urheber der erwähnten Bilder, der nicht nur als Fotokorrespondent für die SMAD tätig war, sondern auch das Leben der jüdischen Gemeinde im Berlin der Nachkriegszeit dokumentierte.94 Einen Fürsprecher hatte dieser Personenkreis ferner in der VVN, die zumindest bis 1949/50 noch selbstverständlich auch die Belange der jüdischen Verfolgten vertrat. Dem vierzigköpfigen Vorstand gehörten 1948 nicht weniger als zehn jüdische Vertreter an;95 die Verbandszeitschrift Unser Appell (ab 1949: Die Tat) räumte jüdischen Themen bis zu ihrer erzwungenen Einstellung 1953 in praktisch jeder Ausgabe Platz ein, inklusive der wiederholten Anklage gegenüber grassierendem Antisemitismus, der Nachfrage nach dem Ausblei­ ben von Wiedergutmachung oder Berichten aus dem Staat Israel.96 Zudem war man über die SBZ hinaus vernetzt: Meyer beispielsweise korrespondier­ te intensiv mit dem in Bayern zum Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte bestellten Philipp Auerbach, den er aus der gemeinsamen Haftzeit in Auschwitz kannte.97 Zuckermann hingegen war Mitherausgeber des ab 1949 zonenübergreifend publizierten Handbuchs der Wiedergutmachung, das in loser Folge Neuerungen auf dem Gebiet der Rechtsprechung zu dieser Problematik versammelte.98 Zum anderen konnte sich Zuckermann zur Jahreswende 1947/48 in die­ sen Fragen immer noch der Übereinstimmung mit der sowjetischen Partei­ linie sicher sein. Gehörigen Eindruck dürfte die sowjetische Initiative zum Teilungsplan im Dezember 1947 hinterlassen haben, die nachgerade eine Avantgarderolle der Sowjetunion hinsichtlich der Palästinafrage nahelegte. Auch der Täglichen Rundschau, der offiziellen Tageszeitung der SMAD, 92 Siegbert Kahn, Antisemitismus und Rassenhetze. Eine Übersicht über ihre Entwicklung in Deutschland, Berlin 1948. 93 Helmut Müller-Enbergs/Andreas Herbst, Art. »Siewert, Robert«, in: Helmut Müller-En­ bergs u. a. (Hgg.), Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, Bonn 2000, 799. Siehe ferner Hartewig, Zurückgekehrt, 289. 94 Zur Person Pisareks siehe den Essay Joachim Schlör, Abraham Pisarek. Jüdisches Leben in Berlin 1933–1941. Jewish Life in Berlin 1933–1941, in: ders. (Hg.), Jüdisches Leben in Berlin 1933–1941. Fotografien von Abraham Pisarek, Berlin 2012 (Ausstellungskatalog), 7–33. 95 O. A. u. T., in: Unser Appell, Nr. 5, 20. März 1948, 7. 96 Siehe beispielsweise Hans-Erich Fabian, Israel – die Heimat eines Volkes, in: ebd., Nr. 11/12, 12. September 1948, 23; Hans Mayer, Auschwitz, in: ebd., Nr. 15, 1. Dezem­ ber 1948, 5–7; o. A., Almosen statt Wiedergutmachung, in: Die Tat, Nr. 2, 16. Februar 1949, 7; o. A., Unser Kommentar zum Harlan-Prozeß, in: ebd., Nr. 9, 4. Mai 1949, 3. 97 Siehe die Materialien zu Auerbach in CJA, 5B1, Nr. 121. 98 Marcel Frenkel u. a. (Hgg.), Handbuch der Wiedergutmachung in Deutschland. Lfg. 1–45, Koblenz 1949–1958.

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konnte Zuckermann in der ersten Jahreshälfte 1948 entnehmen, dass die Sowjetunion nichts dringlicher wünschte als ein jüdisches Staatswesen in Palästina – so parteiisch fiel ihre Berichterstattung über den Nahostkonflikt aus.99 Zudem trafen die Akteure im alltäglichen Verkehr mit der sowjetischen Militärbürokratie bisweilen auf Gleichgesinnte, die häufig selbst jüdischer Herkunft waren, was ein unsichtbares Band des Einvernehmens knüpfen konnte.100 Schließlich kam dem Gesetzentwurf auch entgegen, dass die überwiegen­ de Mehrheit der SED-Führung dem Thema mit einer gewissen Indifferenz begegnete. Dies mag man zumindest vermuten, wenn man bedenkt, dass der Großteil des Zentralsekretariats aus linientreuen Kadern bestand, die das Exil in Moskau verbracht hatten. Deren Berührung mit jüdischen Themen war während des Krieges denkbar gering gewesen. War ihnen eventuell also gar nicht bewusst, wozu genau sie da gerade ihre Zustimmung erklärt hat­ ten? Beruhigte es sie, dass die Verfolgten des Naziregimes dem Titel nach die Hauptnutznießer des Gesetzes sein würden? Und machten sich Zucker­ mann und Merker diesen Umstand zunutze, der auch darin bestand, dass das Wort »Jude« oder »jüdisch« nicht prominent im Gesetzentwurf auftauchte,101 sondern dort allein von Vermögensentzug »aus Gründen der Rasse […]« die Rede war? Viele Indizien sprechen dafür, dass Zuckermann und Merker, ge­ deckt durch die sowjetische Haltung, die Zeichen der Zeit und die Gleich­ gültigkeit der Parteiführung nutzten, um die Parteipolitik in ihrem Sinne zu gestalten. Aufgekündigt wurde die sowjetisch-jüdische Allianz freilich im Herbst 1948 durch einen Prawda-Artikel Ilja Ehrenburgs, der am 3. Oktober im Neuen Deutschland nachgedruckt wurde. Darin nahm einer der prominen­ testen sowjetischen Juden, Aushängeschild des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, öffentlich – seine Tochter vermutete: auf Druck Stalins102 – Ab­ schied von den quasizionistischen Avancen der vergangenen Jahre. Er mar­ kierte wieder allein die Sowjetunion als »sozialistisches Vaterland« der sowjetischen Juden – für aufmerksame Beobachter ein deutlicher Hinweis

99 Siehe beispielsweise o. A., USA verursachen Palästinakrise, in: Tägliche Rundschau, 21. März 1948, 1; o. A., Der Verrat an Palästina, in: ebd., 23. März 1948, 1; o. A., Die UdSSR erkennt Israel an, in: ebd., 19. Mai 1948, 1 und o. A., Die Schuldigen am Palästi­ nakrieg, in: ebd., 22. Mai 1948, 3. 100 Norman M. Naimark, Die Russen in Deutschland. Die sowjetische Besatzungszone 1945 bis 1949, übers. aus dem Engl. von Hans-Ulrich Seebohm und Hans-Joachim Maass, Ber­ lin 1997, 54 f. 101 Allein die sogenannte »Judenvermögensabgabe« der Nationalsozialisten fand wörtlich Er­ wähnung. SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/2027/31, Gesetz über die Betreuung der Verfolg­ ten des Naziregimes und die Vorbereitung für Wiedergutmachung, Bl. 23–35 (§ 40). 102 Hartewig, Zurückgekehrt, 530, Anm. 12.

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darauf, dass die Parteilinie in Bewegung geraten war.103 Das lag nicht zuletzt an den Ereignissen des Jahres selbst: Der Februarumsturz in der Tschecho­ slowakei, der Abfall Jugoslawiens vom sowjetischen Block im März, die Berlin-Krise im Juni, aber auch die Verschlechterung der sowjetisch-israe­ lischen Beziehungen nach dem Moskau-Besuch Golda Meirs im September markieren endgültig das Anheben des Kalten Krieges – mit allen Rückwir­ kungen, die das für die Politik zunächst der KPdSU und dann auch der SED zeitigte. Erschwerend kam hinzu, dass die Entnazifizierung in der SBZ mit Geltung vom 10. März für abgeschlossen erklärt wurde,104 was den Blick naturgemäß von der Vergangenheit weg in die Zukunft lenkte, und dass die SED sich unter dem Eindruck der bipolaren Konfrontation im Juli zu einer Partei neuen Typus wandelte – mit allen Konsequenzen für das innerparteili­ che Klima. Für eine Initiative aus der »Zwischenzeit« wie das Restitutions­ gesetz gab es unter diesen Bedingungen keinen Spielraum mehr.

Schluss Zuckermann formulierte, wenn man so will, mit seinem Vorhaben, jüdische Vermögenswerte in der SBZ zu restituieren beziehungsweise zu entschädi­ gen, einen dritten Weg neben Siegfried Moses’ zionistischer und Nehemiah Robinsons diasporischer Position: einen genuin sozialistischen. Sozialistisch insofern, als er sich vehement dagegen aussprach, jüdisches erbenloses Ver­ mögen internationalen Treuhandorganisationen wie der Jewish Restitution Successor Organization zu überantworten und es zum Aufbau jüdischer Ge­ meinden anderswo außer Landes zu bringen. Sowohl Zuckermanns Treffen mit Chaim Yahiel als auch seinem Artikel Restitution und Wiedergutmachung vom April 1948 ist dagegen zu entnehmen, dass er eine über Entschädigung befindende völkerrechtliche Regelung zwischen der SED und dem in Grün­ dung befindlichen jüdischen Staat in Palästina schon eher befürwortete.105 Für einen überzeugten Sozialisten wie ihn war eine Aussöhnung der Juden mit einer sozialistischen deutschen Gesellschaft offenbar denkbar. Die von ihm vorgeschlagenen materiellen Regelungen sollten diesen Prozess begüns­ tigen und in der Tat wären jüdische und politisch Verfolgte durch das Gesetz 103 Konkret hieß es dort: »Sie blicken nicht nach dem Nahen Orient, sie blicken in die Zu­ kunft.« Ilja Ehrenburg, Die Sowjetunion, der Staat Israel und die Lösung der »jüdischen Frage«. Anlässlich eines Briefes, in: Neues Deutschland, 3. Oktober 1948, 3. 104 BArch, DX 1/639, SMAD-Befehl Nr. 35/48, Auflösung der Entnazifizierungskommission in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 26. Februar 1948. 105 Zuckermann, Restitution und Wiedergutmachung.

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gleichgestellt worden; zugleich wäre seitens der SED ein ernst zu nehmen­ des Signal ausgesandt worden, die »Arisierung« rückgängig zu machen oder wenigstens ihre Folgen abzumildern. Es ist kaum zu unterschätzen, was dies langfristig für den Stellenwert des jüdischen Schicksals, die Beziehungen zur jüdischen Gemeinde in der DDR, aber auch zum Staat Israel bedeutet hätte. Damit, dass Zuckermann eine jüdische Zukunft in Deutschland unter diesen Vorzeichen für möglich hielt, gab er sich jedoch auch als Gegner jenes symbolischen »Banns« zu erkennen, den auswärtige jüdische Organisatio­ nen nach 1945 über Deutschland verhängt hatten: Im Land der Täter könne es nach der Katastrophe kein jüdisches Leben mehr geben.106 Dem entge­ gengesetzt betrachtete Zuckermann – ganz Kommunist – den im Aufbau be­ findlichen sozialistischen Staat offenbar als so etwas wie die ideelle jüdische Nachfolgeorganisation. Nicht weniger interessant ist freilich, dass Zuckermanns Engagement noch auf etwas anderes verweist: auf das untergründige Wirken jener »Zwi­ schenzeit« jenseits der west- und mitteleuropäischen Gesellschaften im sow­ jetischen Machtbereich. Dieser galt bislang, abgesehen von Beispielen vor­ nehmlich in Polen, dem Schauplatz der Katastrophe, hinsichtlich eines sich kollektiv äußernden jüdischen Selbstverständnisses nach Auschwitz als Ter­ ra incognita.107 Aber auch in den sich volksdemokratisch homogenisierenden Staaten Ost- und Mitteleuropas – und zwar noch nachdem 1946 Tausende jüdischer Holocaust-Überlebender in Reaktion auf neue Pogrome in Polen und Ungarn gen Westen geflohen waren – lebten Versuche fort, jüdische Er­ fahrungen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges juristisch, politisch und kul­ turell angemessen zu fassen. Ein eindrückliches Beispiel dafür bleiben Leo Zuckermann und die Geschichte der Restitutionsgesetzgebung in der SBZ, auch wenn sie letztlich eine Geschichte des Scheiterns ist.

106 Dan Diner, Im Zeichen des Banns, in: Brenner, Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart, 15–66. 107 Katharina Friedla, Juden in Breslau/Wrocław 1933–1949. Überlebensstrategien, Selbstbe­ hauptung und Verfolgungserfahrungen, Köln/Wien/Weimar 2015.

Schwerpunkt The Return to the Archive: Dispersal, Transmission, and Anticipation in Personal Archives between Germany and Israel Edited by Lina Barouch

Lina Barouch

Introduction The aim of this special section is twofold: to introduce and interpret German-Jewish archival findings, which have been catalogued in Israel in recent years, and to reflect critically on the underlying archival processes. Indeed, unique to the contributions in this section is their multifocal approach, for the authors write simultaneously as young scholars in the humanities, as novice practicing archivists, and as “archivologists,” i.  e. cultural historians, who contemplate the creation, form, and context of the archival document and of the archive as whole.1 This multifocality responds in part to novel approaches in archival science that call for “participatory archives,” or, in other words, for “decentralised curation, radical user orientation, and broader contextualisation of records management.”2 In concrete terms, this integral and participatory approach was fostered by the specific framework in which the authors have worked and researched, namely, the international project “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel: Preserving and Researching German-Jewish Archives in Israel.”3 The project was initiated in 2012 and jointly run by the Franz Rosenzweig Minerva Research Center (FRMRC) at the Hebrew University of Jerusalem and the Deutsches Literaturarchiv

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See Erich Ketelaar, Archival Turns and Returns. Studies of the Archive, in: Anne J. Gilliland/Sue McKemmish/Andrew J. Lau (eds.), Research in the Archival Multiverse, Clayton 2017, 228–268, here 230; Ann Laura Stoler, Colonial Archives and the Arts of Gover­ nance, in: Archival Science 2 (2002), no. 1–2, 87–109, here 90. 2 Isto Huvila, Participatory Archive. Towards Decentralised Curation, Radical User Orientation, and Broader Contextualisation of Records Management, in: Archival Science 8 (2008), no. 1, 15–36. Moreover, a decade ago, Ann Blair and Jennifer Milligan wrote that “Historians and archivists have too rarely […], especially in the Anglo-American tradition, worked together on an area of mutual intellectual interest, viz. the history of archives, archivists and archival practices,” although they recognize that more recently there had been collaboration to improve funding and conditions for collections, and anthropologists as well as literary scholars had already been working more closely with archivists (idem, Introduction, in: Archival Science 7 (2007), no. 4, 289–296, here 289). 3 For a full description and list of catalogued archives, see the project website at (1  December 2019); also the short introductory essay: Joachim Schlör, Heimat auf dem Balkon. Zur Erschließung deutsch-jüdischer Nachlässe in Israel, in: Jüdische Geschichte  & Kultur. Magazin des Dubnow-Instituts 2 (2018), 60 f. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 299–311.

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Marbach (DLA) until the end of 2018.4 Graduate students from Israel and Germany took part in the cataloguing of (mainly) personal archives of German-Jewish scholars, artists, and scientists who migrated to British Mandate Palestine in the 1920s and 1930s, whether voluntarily or following the Nazi rise to power in 1933. By combining archival training with scholarly expertise in relevant fields, the project “Traces and Treasures” has cultivated the interrelationship between archival practice and theory, on the one hand, and academic research in the archive, on the other. The participating young scholars, some of whom present their findings here, have realized that due to the contexts of migration and flight, their knowledge of archival record-keeping can only strive to be complete, and that they would be cataloguing and describing archives defined not just by the sources preserved and transmitted, but also by their fragmentary nature. Their essays thus demonstrate how “studying archives in the context of migration history contributes an additional layer of sophistication by making us aware of the fact that these repositories on which we rely for our research do not provide us with ‘complete’ narratives. On the contrary, they tell stories about absence, fragmentation and loss, challenging researchers from all fields to develop new and creative ways to write history.”5

Explicitly rendering the narratives of migration and loss visible thus complements the task of exploring academic questions like the transfer of knowledge or nascent institution-building in the broader contexts of persecution, migration, exile, war, and nation-building. The archive itself – as plan, material, and process – is discussed in tandem with the incomplete information it makes accessible, or, in other words, both the “production of the archive” and the “mining of the content of the archives” are considered.6 Noteworthy in this respect is the history and historiography of the archives department at the National Library of Israel (formerly the Jewish National and University Library), which holds several of the German-Jewish estates discussed in the individual case studies. Stefan Litt, himself historian, archivist, and curator

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Dr. Caroline Jessen initiated the project and coordinated it for the first three years (2012– 2015). In her doctoral research on libraries of German-Jewish immigrants in Palestine/ Israel, she had come across many uncatalogued and non-accessible archives, and together with Prof. Yfaat Weiss of the FRMRC and the DLA Marbach formulated a project that would trace, preserve, catalogue, and describe these archives for the benefit of future research. James Jordan/Lisa Leff/Joachim Schlör, Jewish Migration and the Archive. Introduction, in: Jewish Culture and History 15 (2014), no. 1–2, 1–5, here 5. Blair and Milligan place a stronger focus on the “production of the archive” than to the “mining of the contents of archives” (idem, Introduction, 292), contrary to Ann Laura Stoler when she speaks similarly about the “extracting” of sources or information (idem, Colonial Archives and the Arts of Governance, 90).

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at this institution, argues that in attempting to reconstruct the history of the archives department, he was faced with an evidentiary bind, which resulted from the fact that the department had been formally established only in 1968, after the receipt of the important estates of Martin Buber and Samuel Yosef Agnon in 1966 and despite much earlier acquisitions of personal estates and other collections by the Library (most notably, a part of the literary estate of Stefan Zweig in 1934).7 The interim lack of a professional archive with a clear acquisition and collecting program resulted in wanting documentation of acquisitions and provenance paths. In fact, as early as 1936 did an internal report of the Hebrew University refer to the archives in the Library and note their poor, or total lack of, cataloguing, as well as plans to transfer some materials to the Central Zionist Archive after its scheduled move from Berlin to Jerusalem.8 The situation did not improve after World War II, as Litt shows: The Hebrew University files from 1948 do not list an employee trusted with the preservation and cataloguing of the archives. The geopolitical volatility following the 1948 Arab-Israeli war, the inaccessibility of Mount Scopus with its university and library, and the transfer of the library to Givat Ram in the Western part of Jerusalem, meant that staff was mainly occupied with the physical conservation of books, archives, and collections. These geopolitical circumstances also explain why and how important estates (with relatively sound provenance) were inaccessible for long periods of time. The still­ sealed containers of Stefan Zweig’s estate were transferred to the Western part of the city only in 1959, and the estates of scholars Moritz Lazarus and Leopold Zunz, which had arrived from Berlin in 1939, likewise remained unopened until the late 1950s.9 Orientalist Gotthold Weil, director of the Jewish National and University Library between 1935 and 1948, described these years as follows: “In jenen Kriegsjahren hatte ich das schwere Amt, eben diese Bibliothek zu leiten, und ich hielt es für das Wichtigste, vor allem die Arbeiten zu fördern, die geeignet waren, den inneren Aufbau der Bibliothek zu stärken […]. So musste, wie immer, das Er­ wünschte vor dem Notwendigen zurückstehen.”10

  7 An independent department for personal estates was formally created only in 2007. See Stefan Litt, Zeugnisse deutsch-jüdischer Kulturgeschichte. Der Erwerb deutschsprachiger Privatnachlässe für die Jewish National and University Library in Jerusalem 1934–1971, in: José Brunner (ed.), Deutsche(s) in Palästina und Israel. Alltag, Kultur, Politik (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 41 [2013]), 195–212, here 196–199.   8 Ibid., 197.   9 Ibid., 198. 10 Gotthold Weil, Das Zunz-Archiv, in: Bulletin für die Mitglieder der „Gesellschaft der Freunde des Leo Baeck Institute“ 7 (1959), 3-16, hier 4. (emphasis spaced in the original); also quoted in Litt, Zeugnisse deutsch-jüdischer Kulturgeschichte, 206.

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Weil’s words demonstrate how the making of the archive was shaped by the turbulent geopolitics of the region, in whose context the Jewish National and University Library first of all struggled to survive and strengthen its infrastructures, unable to formulate clear collecting strategies for the important estates already received. The larger issues of institution-building, of “the making of the archive” as well as the processing of the archival sources themselves, run through all contributions of this special section. Yet it is the individual case studies that help “miniaturize the historical object,”11 giving detail and weight to terms like “traces” and “treasures.” Through specific case studies and the underlying archival practice can we learn about how accidental or designed the transmission of a certain document or collection was, to what extent the preservation and cataloguing of a specific archive was supported at a given period, and how provenance histories can be reconstructed. The dual contribution of this special section lies in the field of archival studies and in diverse disciplines of German-Jewish studies. In the first aspect, the individual essays provide well-nuanced approaches to archival practice and theory where continuing scholarly debates try to balance between the supposedly conflicting views of the archive as epistemological site or metaphor, on the one hand, and the archive as source or end, on the other. Juggling the interrelated roles of archivist, archivologist, and scholar in the humanities, the contributors attempt to bridge between sober theory and forward-looking philology, between viewing the archive as a source and discussing it as an end, and largely understand it as a process.12 Moreover, they look up from the archival document and beyond as part of a “reflexive turn” to understand its creation, provenance, and shifting agency.13 A case in point is Netta Cohen’s article on the archive of pioneer zoologist Heinrich Mendelssohn, who was born in Berlin in 1910 and studied medicine and zoology there between 1928 and 1933. An active Zionist in his youth, Mendelssohn fled to British Mandate Palestine in 1933, completed his zoology studies at the Hebrew University and continued his work at the Biological Pedagogical Institute in Tel Aviv from 1935 onwards, joining the ranks of the newly established Faculty of Natural Sciences at Tel Aviv University in the mid-1950s. Having catalogued and described Mendelssohn’s archive, kept at Tel Aviv University, Cohen argues in her essay that the production of knowl-

11 See Arlette Farge, Allure of the Archives, with a foreword by Natalie Zemon Davis, transl. by Thomas Scott-Railton, New Haven, Conn., 2013, 45. 12 Marcel Lepper/Ulrich Raulff, Idee des Archivs, in: idem (eds.), Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, 1–9, here 5. 13 Ketelaar refers here specifically to Arlette Farge, see idem, Archival Turns and Returns, 236.

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edge and the manufacturing of memory in the archive result from complex power relations between three actors: the creator of the archive, the archivist, and the scholar. In the three respective sections of her article Cohen thus dwells, first, on the overt and covert political connotations in the gathering and archiving of materials by the creator; second, on the mundane constrains that often dictate archival practice more than implicit political motives; third, on how the physical and conceptual experiences of the archive lie at the basis of scholarly production of knowledge. This explicitly decentralized (and non- or post-Derridaen) reading of the archive finds a counterpart in Shira Wilkof’s integrative approach, which consciously explores the archive of geographer and planner Ariel (Anselm) Kahane as a source and as an end. Kahane (Berlin 1907–Jerusalem 1986) attended the Technische Hochschule Berlin-Charlottenburg between 1926 and 1934, when he fled to British Mandate Palestine. Despite his work as a senior draughtsman for the British Mandate chief planner between 1936 and 1946, and his key positions in the Israeli State planning office between 1948 and 1963, Kahane remained for many years a forgotten figure among historians. In her article, Wilkof bridges supposedly irreconcilable notions of the archive in literature, and traces documented steps in the formation of Kahane’s archive to demonstrate how the making of the archive reflects the futuristic aspirations inherent in Kahane’s profession as a regional and national planner, enhanced by the utopian modernism of his German professional training. The latter aspect in Wilkof’s examination encapsulates the second, intertwined, contribution of this special section: It uses the archival sources to examine questions in German-Jewish history pertaining to the migration of knowledge and the interrelated processes of academic institution-building (including libraries and archives themselves), and the ensuing transformations in various scholarly disciplines, in applied sciences such as geography and planning, zoology, and in the arts. The context of migration demands and provides the opportunity for even greater critical engagement with the archival processes and materials in question.14 In our case, the critical examination draws on the unique character of German-Jewish archives in Israel, created, transferred, preserved, 14 Ann Laura Stoler writes that “[w]hat constitutes the archive, what form it takes, and what systems of classification signal at specific times are the very substance of colonial politics” (idem, Colonial Archives and the Arts of Governance, 92). In her often-quoted article from 2002, she refers to many scholars and disciplines increasingly dwelling on the politics of the archives and archives as processes and producers of knowledge. In our context it is important to distinguish between the colonial archives of the colonial administration, as discussed by Stoler, and the personal archives we are concerned with: They are not state archives but are kept in para-state or public institutions in shifting of colonial rule (the British Mandate), and in para-state institutions and institutions of the Israeli State after 1948.

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and catalogued in the volatile contexts of migration or flight, of nascent institution-building within changing political entities and shifting cultural agendas. In a special issue of Jewish Culture and History devoted to Jewish archives and migration, the editors claimed that scholars “must break out of traditional conceptions of the archive and […] realize, conceptually, that the multifold events of migration created new forms of storage, transmission and representation of documentary evidence.”15 In parallel, however, the contributions in this yearbook tell stories of aspiration and anticipation. Arjun Appadurai uses the term aspiration to mark a central element of migrant archives in diasporic communities, which negotiate between collective memory and the “sustainable reproduction of cultural identities in the new society.”16 I would like to supplement the idea of aspiration with the archive’s role in anticipating the concurrent and future production of knowledge in the context of displacement and the migration of knowledge. The interlaced issues of dispersal and loss, of severed transmission and of aspiration and anticipation, will be discussed in the following two sections of the introduction.

Dispersal and Transmission: Predicaments and Possibilities of the Archive The personal archives discussed in this special section contain the papers of German-Jewish immigrants to British Mandate Palestine and later Israel. Most of the archives in question combine sources transferred from Europe under more or less adverse circumstances of migration and flight, with materials created in the immediate aftermath of immigration and the ensuing decades. This special issue provides a platform for the re-examination, revision, and nuanced description of archival processes: their dispersal through migration and exile, as well as their transmission, reconvention, and transformation in the locales of resettlement and integration. Many fundamental questions arise: How do we archive dispersal? Can the centripetal motivation of the archive account for the centrifugal forces of displacement and dispersal? How can archivists and scholars using the archive consciously communicate the trauma of the archive? More specifically, what disruptions, shifts, and transformations occur in the design, structures, and power relations of the archive 15 Jordan/Leff/Schlör, Jewish Migration and the Archive, 3. 16 Arjun Appadurai, Archive and Aspiration, in: Joke Brouwer/Arjen Mulder (eds.), Informa­ tion is Alive. Art and Theory on Archiving and Retrieving Data, Rotterdam 2003, 14–25.

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and in its everyday workings? Is reconstruction sought at the original sites or in the countries of migration and exile? Under what conditions and by whom is preservation sought  – by individuals, communities, the state apparatus? What role do the creators of the archives hold: Are they proactive agents of reclamation or absentees, perhaps already deceased? To what extent do they help refashion the physical, institutional, cataloguing rationales of their archives? In the personal archives discussed we discern a certain “Nachlassbewusstsein” (legacy awareness) which the creators  – scholars, scientists, writers, and artists – imported and maintained with dislocation, and which resulted in the will to rescue and reconvene (and later enlarge) their partly endangered legacy against all odds. Silja Behre’s essay in this volume thus discusses former director of the Jewish National and University Library, Curt Wormann (Berlin 1900–Jerusalem 1991) as an “archivist of his own history” (“Archi­var seiner selbst”17), whose personal archive had been kept at the institution he headed for two decades, between 1947 and 1968. Archiving his own history and that of the institution entailed a certain degree of self-historicizing, as Behre notes. This is true also for the archive of Heinrich Loewe (Wanzleben 1869–Haifa 1951), kept at the Tel Aviv Municipal Library Shaar Zion in Beit Ariela, whose director Loewe became immediately after his immigration in 1934. In her discussion of Loewe’s archive, Judith Siepmann chooses, however, a singular book whose unique provenance path she wishes to reconstruct with the help of physical and documentary traces in the archive itself. She uses this example in order to discuss Loewe’s broader agenda and lifelong activism as a Jewish and Zionist librarian in Berlin and later Tel Aviv. It comes as no surprise, at the same time, that these mostly personal archives18 mirror the predicament of reconstructing the provenance of scattered and only partly preserved materials. Cataloguing and describing the archives of immigrants (often decades after the creator’s decease, as in the cases of Wormann and Loewe) demands increased yet constant awareness among archivists and users in order to make transparent the lacunae and fragmentariness of the archives. Amit Levy’s essay focuses largely on the provenance path of the scholarly legacy of prominent Orientalist Josef ­Horovitz (Lauenburg 1874–Frankfurt am Main 1931). Levy has traced the path of Horovitz’ Zettel (research notes) from Frankfurt to Jerusalem in the early 1930s, including the decades in which the now famous Zettel lay un-

17 Behre uses the term of Jochen Meyer in her article. 18 In some cases, the personal archive is “mixed” with administrative documents pertaining to the archival institution at which it is kept. This is particularly true for the archives of Heinrich Loewe and Curt Wormann, who headed the Tel Aviv Municipal Library and the Jewish National and University Library in Jerusalem, respectively.

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catalogued and probably forgotten until 2016, when he found the envelopes and their index as part of his archival work in the “Traces and Treasures” project.19 Levy reads this provenance narrative as a “refraction” of the migration of Orientalist knowledge from Germany to Palestine and later Israel, a point to which I shall return later on. In the case of immigrant archives, the physical scattering of documents is often acutely supplemented by the archive’s multilingualism. Elena Müller’s article dwells on the translational challenges which creator and archivist faced in the case of Heinz Steinitz’s archive at the National Library of Israel. As Müller demonstrates, the archive as source and form can be read along its movements between German and Hebrew (and ­other languages). They mirror, among others, the biography of Heinz Steinitz (Breslau 1909–Jerusalem 1971) as an immigrant, as well as his pioneering research in local and international marine biology and his professional correspondence and relations with German and international scientists after World War II. Micro-histories of the archives, as told by Levy and Müller, result to a great extent from their own experience as cataloguers of the archives themselves and from their own academic expertise in the fields of German-Jewish history and literature. At the same time, both Levy and Müller draw also on existing literature that discusses ways to expose the lacunae or negatives of documents, records, and entire archives in historiography as well as archive studies. Historians of the Holocaust and of post-war reconstruction have dwelled on the evidential predicaments inherent in their own research, which result from systematic looting, dispersal, and destruction of documentation by the Nazi authorities. In her study A Mortuary of Books, Elisabeth Gallas emphasizes the difficulty posed by the crucial fact that not only archival buildings, artefacts, or scripts were destroyed, but so were their paths and contexts of transmission.20 Migration, and especially forced flight, raise simi­lar problems of severed or interrupted transmission: Manuscripts can no longer find their way to the printer, are left behind or go missing, and may be lost for future generations.21 The question arises whether one way of dealing with the ­lacunae in the materials is Raul Hilberg’s paradigmatic idea of the “density”

19 Horovitz himself did not immigrate to Palestine, although he traveled to Jerusalem on several occasions, yet the provenance story of his scholarly estate after his death in 1931 is embedded in the migration and flight stories of colleagues and family members in the 1920s and 1930s. 20 See Elisabeth Gallas, A Mortuary of Books. The Rescue of Jewish Culture after the ­Holocaust, New York 2019 (Germ.: “Das Leichenhaus der Bücher.” Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945, Göttingen/Bristol, Conn., 2013). See especially the introduction. 21 See Nicolas Berg, Geschichte des Archivs im 20. Jahrhundert, in: Lepper/Raulff (eds.), Handbuch Archiv, 57–76, here 64 f.

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(Dichte) of the archival document. Hilberg, it must be noted, dealt with sources of the Nazi perpetrators, namely with documents that were consciously manipulative and disingenuous. Yet Hilberg suggests that, as such, they contain the entire Nazi culture and could be read as artefacts of their murderous intentions.22 The “density” of the archival document Hilberg thus defines as the insistence that each page of a source contains the entire culture of a society, even when one is confronted with the “bureaucratic ignorance” of documents, for lacunae and “nothings” also contain statements about intentions, motives, and even concrete actions and inactions of agents. How can the idea of the density of the document and the exposure of a record’s “negative,” as suggested by Arlette Farge,23 be applied to entire archives marked by fragmentariness and lacunae? Can one indeed seek to describe the density of an entire archive and the way in which its sources, gaps, and arrangement record acts of displacement? Moreover, in the context of displacement other forms of archival manipulation may be found too. An important case study in this respect is Shelly Zer-Zion’s essay on Margot Klausner (Berlin 1905–Herzliya 1975), pro bono manager of the Habima theater secretariat in Germany between 1927 and 1935, and promoter of theater and cinema in Israel in the decades thereafter. Zer-Zion claims how, in tandem with the general neglect of women active in mainstream or commercial theater in scholarly research, Margot Klausner, too, has been absent from the history of the Hebrew National theater Habima. This effected the poor handling of her archive, which in turn contributed to continued historiographic neglect. Zer-Zion uses this particular archival corpus, written mostly in German and dated from the years 1927 to 1935, in order to challenge and revise our understanding of the history of Habima. In archival studies of recent years, scholars have generally recognized that “besides destruction, archivists have to confront dispersal and disorder, prompting the question whether the history of archives should follow a linear model, that of centralization, or a cyclical model of dispersal, collection, and once again dispersal,”24 thereby acknowledging an inherent state of disorder in the archive, out of which archivists are expected to produce order. Breaking away from a linear model may indeed capture the relative chaos and frag22 Nicolas Berg discusses Raul Hilberg’s method in his article Geschichte des Archivs, 66. See Raul Hilberg, Der Holocaust war für mich Gegenwart, in: Harald Welzer (ed.), Auf den Trümmern der Geschichte. Gespräche mit Raul Hilberg, Hans Mommsen und Zygmunt Bauman, Tübingen 1999, 13–48, here 43. See also Raul Hilberg, Die Quellen des Holocaust. Entschlüsseln und Interpretieren, transl. by Udo Rennert, Frankfurt a. M. 2002. I thank Nicolas Berg for pointing out to me the predicament of applying Hilberg’s method to other types of documents. 23 Farge, Allure of the Archives, 41. 24 Peter Burke, Commentary, in: Archival Science 7 (2007), no. 4, 391–397, here 393.

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mentariness of archives of migrants and exiles. However, a cyclical model suggests a form of completion and order as well, which we would impose upon an archive. Even the substitution of one classification system (before migration) with a new one (in the new setting) denotes the “destruction of evidence about the provenance of documents” where “the archaeologist of the archive needs to follow surviving traces of what has been semi-obliterated in order to reconstruct earlier systems […], distinguishing the different strata produced by successive reorganisations.”25

Archive and Anticipation: Knowledge Production and Knowledge Transfer The decentralized, integral perspectives of the contributors in this section, which claim the archive as a subject and as a source, enables us to explore knowledge production in the archive in tandem with issues pertaining to the transfer of knowledge in the context of migration. This means that the authors attempt to balance philological examinations of archival documents, which generate microscopic histories of knowledge transfer, with an understanding of the procedural, institutional, and disciplinary aspects of the archives in which the very same documents were preserved and catalogued. On a grander scale, and with the help of second literature in the fields of intellectual and cultural history as well as “archivistics” (i. e. a cultural history of the idea and the practice of the archive as a cultural institution of memory-building), a comparative perspective emerges on the transfer, revision, and exchange of knowledge between Germany, British Mandate Palestine and later Israel, as well as other countries in the varied fields of geography and planning, ­librarianship, theater, zoology, marine biology, and Middle Eastern (Oriental) studies. Questions on the transfer of knowledge are not examined only in relation to the trauma of migration or exile, but also in relation to the opportunities that arise in the new local, regional, and international arenas or when ties to past institutions and schools of thought are severed.26 Moreover, it is recognized that dislocation and the transfer of knowledge did, at the same time, entail a self-reflective element on the epistemological and normative aspects 25 Ibid. 26 See Arie M. Dubnov, Hagut be-nedidah. Beyn ḥadash le-yashan ba-ktiva al intelektu’alim gulim [Theory on the Move. Between New and Old in the Historiography of Intellec­ tual Exiles], in: Historia. Journal of the Historical Society of Israel 39–40 (2017), no. 2, 147–173.

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of humanistic knowledge, its origin, and transformation.27 It would thus be inaccurate to describe the processes as simple transplantations from one locality to another.28 To Appadurai’s above-mentioned idea of aspiration I add the idea of anticipation in an attempt to accentuate the ways in which the personal archives in question were created by scholars and professionals who sought to (re-)establish their professional careers following migration and its hardships, while also participating in the foundation and development of the respective institutions, academic disciplines, or professional departments: libraries, universities, governmental planning offices, academic departments, and laboratories. Work and research in and on the archive should help avoid the pitfalls inherent in discussing the migration of intellectuals and scholars: Their fates and professional paths following migration are neither romanticized nor are the opportunities of dislocation overlooked. The material, intellectual, and cultural challenges are laid bare by reading the sources (and their fragmentary nature) to show different ways of coping with the crisis of migration: sticking to imported disciplinary methods in Oriental studies, or the search for new, more relevant and timely research projects; the application of modernist European planning vision in the context of a growing Jewish community under the British Mandate administration and a nascent Israeli State; the gradual abandonment of Prussian library systems in favor of internationalized cataloguing systems in the post-war decades; and more. Shira Wilkof’s already mentioned essay demonstrates how Ariel (Anselm) Kahane’s archive uncovers the conceptual and concrete aspects of the utopian, modernist ideas that underlay his training as geographer and planner, including the transformation of these ideas in the context of migration, in the frameworks of his work as regional and national planner in the British Mandate administration and the nascent Israeli State. She also shows how Kahane, in the 1960s, exported this (transformed) knowledge as an aid expert and UN advisor to Kemalist Turkey. Kahane’s future-oriented thrust is responsible, as Wilkof argues, also for the creation of his archive and its path of transmission. With his archive, Kahane ensured that future generations of scholars would immerse themselves in the history of their own scholarly profession, its European heritage, its migration and further export, including the utopian ideas informing several projects that were never implemented. Wilkof thus joins the important trend of “critically reflecting on the making

27 See Rivka Feldhay, The Humanities through the Lens of Migration. Richard Koebner’s Transition from Germany to Jerusalem, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/Journal of German-Jewish Literature and Culture History 11 (2017), no. 1–2, 13–23. 28 See Dubnov, Hagut be-nedidah [Theory on the Move].

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of documents and how we choose to use them, on archives not as sites of knowledge retrieval but of knowledge production.”29 Amit Levy’s article focuses on the transplantation of Orientalist ideas, methods, and conceptions from German universities to the newly founded Hebrew University of Jerusalem. Levy defines this as a shift from a textual encounter to a “live, physical, everyday” engagement with the Orient. The article aims to complement existing secondary literature on the migration of Orientalist knowledge with a so-called material perspective, which considers the history of the relevant archives. The path of Joseph Horovitz’ archive from Frankfurt am Main to Jerusalem Levy deems “emblematic of the path of German-Jewish Orientalism from German universities to the Hebrew University,” although he argues, with the help of Peter Burke, that the provenance path of the archive “refracts” rather than mirrors the trajectories of knowledge migration. Particularly telling is Horovitz’ status as director in absentia of the embryonic School of Oriental Studies in Jerusalem, which he helped establish. His physical absence from the institute (apart from a series of visits) and his early death in 1931 help underscore the migration of his scholarship via institutional structures, the migration of his students, and the transfer of his scholarly archive, while they also show the diversions taken in the face of local politics and institutional considerations. The estates of Curt Wormann and Heinrich Loewe, in turn, contribute to a better understanding of the history of librarianship and library infrastructure in British Mandate Palestine and early decades of the State of Israel. While Judith Siepmann’s essay traces the provenance path of a particular book in Loewe’s archive in order to discuss forms and aims of the collection and donation of books under Loewe as Zionist in Germany and director of the Tel Aviv Municipal Library after his immigration, Silja Behre’s article delineates the professionalization and internationalization of the Jewish National Library under the directorship of Curt Wormann in a Cold War era that saw the rise of ideas like “cultural internationalism” and the “internationalization of science.” These ideas encouraged Wormann, trained in the Prussian library system, not only to participate in the Jewish cultural reconstruction efforts of the early 1950s, but to introduce the American library system in Jerusalem, in close correspondence and exchange with German, American, and UNESCO colleagues. Equipped with a vision of “world librarianship,” Wormann attempted both to overcome local obstacles (e.  g. the necessary transfer of the library from Mount Scopus to Givat Ram) and to partake in international conferences (US, Manila, and Colombo). Wormann’s belief in the possible roles of librarians in facilitating prosperity and peace worldwide

29 Stoler, Colonial Archives and the Arts of Governance, 90.

Introduction

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may perhaps be compared to Kahane’s work as a UN aid expert to Turkey in the field of regional planning. The transfer of knowledge in marine biology from Germany to British Mandate Palestine, its institutionalization in the early decades of the Israeli State under adverse conditions of regional wars, and its internationalization is discussed in Meirav Reuveny’s article on the estates of father and son zoologists Walter and Heinz Steinitz. Reuveny’s article, which supplements Müller’s on the same archive, discusses, inter alia, a generational transfer, where the scientific aspirations of the father, interlaced with ideological visions, are implemented yet transformed by the son in the face of concrete institutional, geopolitical, and financial considerations in Israel. “[E]very document comes layered with the received account of earlier events and the cultural semantics of a political moment makes one point clear. What constitutes the archive, what form it takes, and what systems of classification signal at specific times are the very substance of colonial politics,”

writes Ann Laura Stoler based on her own archival research in colonial archives.30 However, while Stoler states that “it is obvious that colonial archives are products of state machines,” then in our case the state is a set of shifting and elusive apparatuses, beginning with the dislocation from ­Weimarian infrastructures through the heritage of Ottoman systems in Palestine, the interim period of British Mandate rule, para-state institutions of the Yishuv, and the full-fledged State of Israel. The “contextual envelopes”31 of the single document and of the entire archive that are discussed in this section are ­multi-layered, of course, and must take into account the latest contextual ­layer provided by “Traces and Treasures of German-Jewish History in I­srael”: the project’s definition, funding, the acting partner institutions as well as cooperating archives and academic institutes, the scholarly frameworks and ensuing publications to date. Readers of this section are thus invited to ponder about the long way a document and archival record has made, as source and subject, as repository or producer of knowledge and as transmitter.32

30 Stoler, Colonial Archives and the Arts of Governance, 92. 31 A term by Barbara L. Craig quoted in Ketelaar, Archival Turns and Returns, 256. 32 I would like to thank Nicolas Berg and Elisabeth Gallas for their contributions to reading and commenting on earlier versions of this text.

Netta Cohen

Memories of a Zoologist: Reflections on the Role of the Archive in the Production of Knowledge and Memory Heinrich Mendelssohn was born in Berlin in 1910 to an assimilated bourgeois German-Jewish family that was related to the famous Jewish philosopher Moses Mendelssohn and the composer Felix Mendelssohn. Already during his early childhood, Mendelssohn demonstrated great interest in ­nature and displayed a special passion for the study of animals. At the age of twelve, he joined the Zionist youth movement Blau-Weiß, which drew upon youth hiking organizations such as the German Wandervögel, and promoted outdoor recreation influenced by romantic and national ideals. In 1928, he began to study zoology and medicine at the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. However, soon after the Nazi rise to power in Germany in 1933, he decided to immigrate to Palestine and completed his studies at the newly founded ­Hebrew University of Jerusalem. He joined the Tel Aviv Biological-­ Pedagogical Institute in 1935, and, in 1947, he became its official manager. In 1956, the Biological-Pedagogical Institute transformed into the Nature Sciences Faculty of the emerging Tel Aviv University, a formal process which made Mendelssohn the first Chairman of the Department of Zoology. Five years later, he was nominated Dean of the Nature Sciences Faculty, and, in 1966, he was appointed Vice President of the Tel Aviv University. Besides devoting his life to research and academia, Mendelssohn was also engaged in numerous environmental campaigns, and he is often considered to be the first to raise awareness of environmental issues in the Israeli public sphere. During the 1950s, Mendelssohn helped establish the nation’s first nongovernmental organization, the Society for the Protection of Nature in ­Israel (SPNI), and served as its first chairman. In 1963, he was involved in the foundation of the Israel Nature Authority (INA), a governmental agency that established and managed nature reserves in Israel. In addition, he assisted in formulating the first Israeli laws for nature protection and animal rights. During his lifetime, he received numerous prizes and honors, including the

JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 313–334.

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Weizmann Prize, the Israel Prize, and the German Federal Cross of Merit (Bundesverdienstkreuz). He died in 2002 at the age of 92.1 Apart from delineating the zoologist’s life trajectory, the papers of Heinrich Mendelssohn can serve as a gateway to broader historical and political developments of his time, including, for example, the rise of National Socialism to power in Germany and the displacement of German Jews starting from the 1930s, or the emergence of Jewish national ideology in Europe and the ensuing violent confrontations between Jews and Arabs in the Middle East. However, as it will be demonstrated on the following pages, Mendelssohn’s professional records can also provide information on contemporary zoological and ethological research methodologies and practices, and these could potentially contribute to a better understanding of processes of knowledge production in natural sciences as well as help reveal the social and cultural contexts in which this kind of knowledge was embedded. Much of archival theory in the last decades has been devoted to discussions on the inherent political aspect of the archive as a powerful institution in the production of memory, identity, and knowledge. In 1995, French philosopher Jacques Derrida published a seminal essay titled Mal d’archive (Archive Fever).2 Derrida defined the archive as a site of violence and emphasized the power of the archive and the archivist in determining past, present and future realities.3 Derrida’s essay contributed to the emergence of a prolific discourse on the political role of the archive and bolstered a large literature that presented the archivist as an active agent in the making of national identity and consciousness in the modern

1

Archives for the History of Tel Aviv University (henceforth AHTAU), Heinrich Mendelssohn Collection (henceforth HMC), Finding Aid. The Papers of Heinrich Mendelssohn 1910–2002, 4–6. 2 Jacques Derrida, Archive Fever. A Freudian Impression, transl. by Eric Prenowitz, in: Diacritics 25 (1995), no. 2, 9–63. 3 However, as historian Carolyn Steedman argues, the work of Derrida in Archive Fever has much less to do with the archive itself and its political implications than with psychoanalysis, deconstruction, and Freud. Richard J. Matthews also claims that postmodern archival theory understands deconstruction wrong by misreading Derrida’s work. According to Matthews, it cannot be about power and injustice since Derrida’s approach is inherently inconclusive as deconstruction in general provides no specific guidelines and certainly is incapable of generating a definite ethical or political stance. See Carolyn Steedman, Something She Called a Fever. Michelet, Derrida, and Dust, in: The American Historical Review 106 (2001), no. 4, 1159–1180, here 1159 f.; Richard J. Matthews, Is the Archivist a “Radical Atheist” Now? Deconstruction, Its New Wave, and Archival Activism, in: Archival Science 16 (2016), no. 3, 213–260, here 213.

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state.4 Derrida’s essay and the scholarly work of many of his commentators serve this article as a theoretical backdrop for examining the political aspects of Heinrich Mendelssohn’s archival collection. Yet, unlike general statements on non-specific archives, the careful examination of this specific collection and the active participation of the author in its inception will also enable questioning some of the ideas and conventions that have been rooted in recent archival theory. One of the main arguments of this article is that the production of knowledge and the manufacturing of memory in the archive cannot be subjected to only one authoritative power, namely to the archivist alone. Instead, it is a result of a complex power relation between three main agents: the creator of the archival records, the archivist, and the scholar. This decentralized approach to power relations in the archive illuminates how different agents often compete and, at times, complement each other in the immediate interpretation of archival records and their broader historical implications while unfolding constant processes of construction, reconstruction, and deconstruction of the content and form of the archive. The first section of this article analyzes the role of the creator of the records in the process of knowledge production at the archive – in this case Heinrich Mendelssohn himself – and focuses on his conscious and unconscious attempts to construct a coherent and meaningful story of his life while concurrently loading his personal documents with the most immediate and obvious political connotation. While utilizing Derrida’s notion of the archival “death wish,” this article also argues that the archive is in fact already shaped during the lifetime of its creator as he begins to be aware of his temporality and aspires to leave his mark on both the present and the future. The second section of this article focuses on the role of archivists and their part in the production of knowledge at the archive. While accepting the axiom of archivists’ powerful position, this article aims to problematize the exclusiveness often attributed to their authoritative role in archival theory. This approach is largely based on the practical limitations that dictate the daily work of archivists, and which are often much more significant than any hidden political motive. In addition, since archivists are responsible for the physical preservation of archival records, and because of their position 4

In 1998 and 1999, the Journal History of the Human Sciences published two special issues devoted to archival theory which consisted of many important interpretations of Derrida’s essay. Other noteworthy articles and books published as a response to Archive Fever include, among others: Marlene Manoff, Theories of the Archive from across the Disciplines, in: Libraries and the Academy 4 (2004), no. 1, 9–25; Jonathan Boulter, Melancholy and the Archive. Trauma, History, and Memory in the Contemporary Novel, London 2011; Steedman, Something She Called a Fever; Matthews, Is the Archivist a “Radical Atheist” Now?.

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as mediators between two other powerful agents of knowledge production at the archive, their capability to influence the political content of the archive is usually limited. The third section in this article discusses the role of scholars as agents of knowledge production at the archive. It claims that scholars enjoy the greatest independence and freedom in comparison to the other agents as the narrative they produce is not restricted to one kind of source or one archival institute. Scholars are encouraged to utilize a larger variety of literary sources, yet they are also expected to approach their sources carefully and critically, a practice which enhances their latitude and opens them to a broader discussion on the records. Because of the freedom they enjoy in the archive, different scholars can also produce different kinds of knowledge. To demonstrate the utilization of the same archival records for the construction of distinct narratives, this section also presents two historical accounts of Heinrich Mendelssohn’s archival collection. The first account summarizes the work of historian Ray Schrire5 in his article Ökologische Kommunikation.6 The second account is suggested by the author of this article and focuses on the intersection between Jewish national ideology and nature education in Palestine (later the State of Israel) as it is reflected in Mendelssohn’s work. When discussing the politics of the archive, archival theory usually refers to the Foucauldian notion of power/knowledge. Yet, the content of archives and the knowledge produced in them are often also intertwined with “real” political notions and events. Emphasizing these ideas in an archival collection of a zoologist is perhaps not the most obvious choice, and yet political aspects are not absent from the archive nor are they difficult to find in it. Thus, besides deliberating power/knowledge processes in Mendelssohn’s archival collection, this article also aims to present its concrete political content. Since different political dimensions  – “within” the records and “outside” of them – are often interlaced in the archive, they will serve this article alternately as a common thread.7

5

Ray Schrire was one of the three archivist-scholars who participated in the archival processing of Heinrich Mendelssohn’s private estate at the Archives for the History of Tel Aviv University. 6 Ray Schrire, Ökologische Kommunikation. Heinrich Mendelssohns Nachlass, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2017), no. 1, 95–106. 7 It is also being recognized that by discussing knowledge production at the archive, this article is subjected to the inevitable tautological paradox that often occurs in accounts of history and sociology of science, as it produces meta-knowledge on similar processes of knowledge production.

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The Creator Heinrich Mendelssohn’s papers were transferred from his office and his home to the Archives for the History of Tel Aviv University in 2002. The collection mainly reflects Mendelssohn’s academic work and consists of professional letter exchanges, scientific notes and observations, articles and publications, as well as images and audio-visual material of the various species he studied. Although most of this archival material could be described as scientific and academic, the aim of this section is to reveal the overt and covert political connotations within processes of knowledge production at the archive by focusing on the formation and gathering of material by the creator himself. As we shall see on the following pages, Mendelssohn’s environmental ­ideas were often realized within the political sphere. However, his documents also express non-environmental political views. This is perhaps best demonstrated in his interviews with various newspapers throughout the years, in which he often voiced his political opinions. For example, in an interview for Haaretz from 7 January 2000, he revealed his abiding animosity towards his sister, which formed after he realized that she was not only disinterested in nature but also an anti-Zionist. In the same interview, he disclosed his support of the Israeli Labour Party while concurrently expressing his detestation of Israel’s Arab and Jewish Oriental population.8 Mendelssohn’s records also document his good rapport with prominent public and political figures, such as Yigal Alon (1918–1980), Reuma Weizman (b. 1925), Haim Levanon (1899–1986), and Shimon Peres (1923–2016).9 Yet, most significant of all was his friendship with the latter, who changed his name from Perski to Peres after meeting Mendelssohn in the Um-Rashrash expedition to the Negev during the 1940s (fig. 1). The expedition members recounted that during the journey they had observed a Gypaetus barbatus (bearded vulture), whose name in Hebrew is Peres. Fascinated by its majestic impression and following Mendelssohn’s scientific explanation about the species, Perski decided to adopt the bird’s name.10 This event was not only the beginning of a long-term relationship between the politician and the zoologist but, on a more symbolic note, it was also understood as the metamorphosis of a diasporic Jew into a native Sabra by virtue of his “renewed” personal connection to nature and landscape in his chosen homeland.

  8 Dalia Karpel, Death to Cats, in: Haaretz, 7 January 2000, 42.   9 AHTAU, HMC, 902.0127/01. 10 AHTAU, HMC, 902.0163/02.

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Fig. 1:  Shimon Peres, Heinrich Mendelssohn, and Azaria Alon (left to right). The picture has been taken at 17 March 1987 by the Zoom 77 company from Jerusalem. Source: The Archives for the History of Tel Aviv University.

Mendelssohn’s environmental activism also manifested itself in political environmental activity. His efforts in promoting legislation for the protection of nature in the Israeli parliament were often successful, including a campaign that led to the passing of the Wildlife Animals Protection Law in 1955.11 This law was meant to replace the old Mandate Law from 1924, which Mendelssohn considered to be an inefficient instrument for saving endangered species. The new law took a novel approach that has since been adopted in other countries around the world. Rather than making lists of animals that are off-limits to hunters, the law banned hunting in general but allowed for licenses to permit the hunting of certain species which could sustain losses. Another important law that Mendelssohn helped formulate was the National Parks and Nature Reserves Act of 1963, which established the legal status of INA and the Israel Park Authority (IPA).12 Yet Mendelssohn’s powerful position as a producer of knowledge at the archival collection also contains a deeply formalistic aspect. Long before

11 AHTAU, HMC, 902.173/016. 12 AHTAU, HMC, 902.173/016.

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postcards, notes, letters, journals, and books became hallowed archival relics shielded in acid-free, lignin-free, pH-neutral boxes, folders, and tissues for future generations, they served as common and even trivial objects of daily life. They were used, reused, impaired, forgotten, and thrown away. Individuals usually discard records and objects much more frequently than they preserve them. Besides in the case of special documents and artifacts that have specific importance or personal value, consciousness for preservation usually only appears simultaneously with the realization of one’s temporality and mortality. Derrida described this principle as the archival “death wish.” With this concept, he followed Freud’s understanding of loss as an event that defines the subject. In his essay Mourning and Melancholy, Freud suggested that only through the experience of radical departure from a previous condition of narcissistic self-sufficiency the subject becomes aware of his or her finitude.13 Or, as Carolyn Steedman puts it, the “fever” of the archive is a feverish desire, a sickness unto death. This fever is not so much to enter the archive but to hold and have it – “to find, or locate, or to possess that moment, as a way of possessing the beginning of things.”14 Indeed, the notion of “death wish” can help explain why records of Mendelssohn’s early life in Germany are scarce and do not include almost any literary sources, whereas his later life and work, especially from the 1960s onward, is documented feverishly. On the other hand, James Jordan, Lisa Leff, and Joachim Schlör suggest that persecution and migration ought to be considered as key elements for understanding the constitution of Jewish memory, history and even historiography. They ask “When people migrate, what happens to their documents?” and argue that studying archives through the prism of migration, compels researchers to accept incomplete historical narratives and complex non-linear memories.15 Nonetheless, while migration might be an important framework for explaining and examining Mendelssohn’s limited records from his early life in Germany, it cannot be utilized to discuss Mendelssohn’s scarce records from the Mandate period and the first decade of the State of Israel. One of the most important episodes which were left out of the archive was the campaign for the preservation of the Hula Valley (1950–1954), which was also Israel’s first environmental campaign. The Hula is one of the many valleys that compose the Great Rift Valley. It is located in Northern Israel and

13 See Sigmund Freud et al., Mourning and Melancholia, in: The Standard Edition of the Complete Psychological Works of Sigmund Freud, transl. from the German under the general editorship of James Strachey, vol. 14: 1914–1916, London 1999, 243–258. 14 Steedman, Something She Called a Fever, 1160. 15 James Jordan/Lisa Moses Leff/Joachim Schlör, Jewish Migration and the Archive. Introduction, in: Jewish Culture and History 15 (May 2014), no. 1–2, 2 and 5.

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covers an area of approximately 177 km2. Until the 1950s, this area included 31 km2 of wetland and 14 km2 of a sweet water lake. In view of the land’s hot and dry climate and the scarcity of sweet water reservoirs, starting from the 1930s the Hula gained the attention of various natural scientists. Botanists considered it a rare habitat for plants, and zoologists had vast interest in exploring the fauna of one of Israel’s only wetlands. In 1940, Mendelssohn and zoologist Heinz Steinitz (1909–1971) discovered the Latonia nigriventer and published a scientific article on this endemic frog. Amotz Zahavi (1928–2017), Mendelssohn’s student who would later become one of the main forces behind the SPNI, dedicated his master’s thesis to a thorough survey of the birds of the Hula wetland. Zahavi’s research was published in Saliit, an ornithological journal edited by Mendelssohn and produced in collaboration with the Zoological Society of Israel.16 However, in the eyes of state institutions, the Hula was mainly a habitat for mosquitos and thus understood as a disseminator of malaria. According to the legal owner of the land, the Jewish National Fund (JNF), the swamp was to be drained and the land used for agriculture. The Hula Development Company Inc., which was founded for this specific project, stated in its business registration ordinance that its aim was “to establish, implement, equip, train, improve, manage and supervise this agricultural and industrial enterprise.”17 From a Zionist perspective, the drainage of the Hula was considered one of the state’s most important ventures of the time, a battle against the hostile nature and an example for the Zionist ideal of “prevailing over the wilderness” (kibush ha-shmama).18 The clash between these two worldviews was inevitable. In response to the state’s aspiration to develop the Hula, two scholarly societies – the Zoological society and the Botanical Society – decided to unite, and created the first official environmental organization in Israel, the Joint Committee for the Protection of Nature, which would, in 1953, become the SPNI. Hoping to protect at least part of the Hula, members of the Committee published leaflets and arranged meetings with policy makers. Eventually, the first nature reserve in Israel was founded, stretching 4 km2 out of the 33 km2 that the Committee wished to protect. Indeed, efforts to prevent development schemes at the Hula were partial, nevertheless, they assisted in creating a

16 See Heinrich Mendelssohn/Heinz Steinitz, A New Frog from Palestine, in: Copeia 1943 (1943), no. 4, 231–233; Amotz Zahavi, Observations of Birds in the Hula (1951–1953), in: Saliit 1 (December 1954), no. 1. 17 Central Zionist Archives (henceforth CZA), KKL5/23123. 18 See Sandra M. Sufian, Healing the Land and the Nation. Malaria and the Zionist Project in Palestine, 1920–1947, Chicago, Ill./Bristol 2007.

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community of dedicated nature lovers that would become the core of Israel’s environmental movement in the next decades. The Hula campaign was also a milestone in Mendelssohn’s personal biography. In a lecture he held in the National Academy of Sciences in Jerusalem in 1970, he portrayed himself as one of the leading members of the Committee and the one put in charge of negotiations with the JNF.19 Unfortunately, this episode is almost entirely absent from the archival collection, presum­ ably a result of young Mendelssohn’s lack of awareness as to his temporality and mortality. On the other hand, records from Mendelssohn’s last decade (1990s–2000s) are abundant and often much less significant. During these years Mendelssohn preserved and stored printed emails together with other random paperwork and post. This archival material includes bills, women’s magazines (“they contain simple things that do not bother my mind”),20 shopping lists and advertisements for plumbing services in his neighborhood in the town of Ramat Gan. By gathering and collating his own documents, Mendelssohn becomes the first agent in the process of knowledge production at the archive. This commencing and commending power, whether conscious or unconscious, determines the basic structure of the archival collection and fills it with its primary content.

The Archivist The second agent in the production of knowledge at the archive is the archivist. Derrida emphasized his power in constituting the interplay between records that are made public and those that remain private, records that are made transparent and those that remain secret or forgotten.21 According to him, the archivist’s “archontic power” is manifested in the practices of unification, identification, classification, and consignation (in the meaning of gathering of signs) of archival records.22 Sociologist Richard Harvey Brown and librarian Beth Davis-Brown utilize Derrida’s terminology to provoke the archival convention as they raise questions on daily practices carried out by archivists: 19 Records concerning this episode in the archival collection are usually from later years. See, for example: AHTAU, HMC, 10.08.1970. 902.0145/02, Mendelssohn’s lecture paper on the history of nature protection in Israel. 20 Karpel, Death to Cats, 44. 21 Derrida, Archive Fever, 12. 22 See ibid., 10.

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“Which materials are preserved in the archive and which are excluded? As the documents and artefacts selected for the archive are ordered and classified, how do the schemas and structures applied include, exclude, foreground or marginalize those materials? [And] to what extent do the logical hierarchies for classification and arrangement reflect social or political hierarchies?”23

These kinds of questions and the decisions that follow them differ from one archive to the other. As personal estates are often deposited at archival institutions by individuals or families, their re-organization by archivists tends to be more flexible and is sometimes even adjusted to the personal requests of the creator himself.24 For Mendelssohn’s collection, the archivists were not given direct instruction by the creator or his family, however, they decided to preserve the original order of Mendelssohn’s files whenever possible. This decision cohered with the fact that Mendelssohn himself frequently organized his documents and files according to nearly archival categories. For example, he arranged his letters in distinct files according to geographical, institutional and chronological order, and collated his observation records, notes, articles, and photographs in organized files according to the type of species they described. The archivists’ decision to preserve Mendelssohn’s sometimes meticulous organization also stemmed from their intention to make his research epistemology and methodology accessible as well as to reflect his vast research interests and encyclopedic knowledge of zoological species. Yet the intervention of archivists in the arrangement of records can contain more than one meaning and can also be a result of an institutional decision. Three institutions were involved in the establishment of Mendelssohn’s collection: the German Literature Archive Marbach, the Franz Rosenzweig Minerva Research Center at the Hebrew University of Jerusalem, and Tel Aviv University. These institutions were essentially interested in the cultural aspects of the archival estate and especially in its German-Jewish connotation. This special emphasis did not change the general character of the archive and its records, yet it did highlight fundamental aspects in Mendelssohn’s life which were in fact less prevalent in the archive. As mentioned earlier, scarcity of records on certain life events (especially from an early age) and a lack of introspective personal writing do not necessarily imply the absence or unimportance of these moments.

23 Richard Harvey Brown/Beth Brown-Davis, The Making of Memory. The Politics of ­Archives, Libraries, and Museums in the Construction of National Consciousness, in: History of the Human Sciences 11 (1998), no. 4, 17–32, here 17. 24 See Catherine Hobbs, s. v. “Personal Records,” in: Luciana Duranti/Patricia C. Franks, Encyclopedia of Archival Science, London 2015, 266–270.

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Besides a few records from Mendelssohn’s early life which indicate his German-Jewish cultural background, the archival collection also contains some documents that illustrate Mendelssohn’s own definition of his cultural identity as an adult. These include an article he wrote for the Medizinhisto­ risches Journal (Journal for the History of Medicine) titled My Experiences at the Berlin University between the Years 1928 and 1933,25 as well as an interview with historians on his experience as a Jewish child and youngster in the Weimar Republic.26 In an interview with Haaretz, Mendelssohn described himself as a proud Yekke. Yet, not less important were his profuse professional contacts with colleagues in West and East Germany starting from the 1960s, and his decision to continue using German in his notes and observation cards long after he left Germany. In other words, although various types of records can reflect Mendelssohn’s cultural identity, it would be impossible to organize them into a distinct archival category. Thus, as in many other cases, it is the responsibility of the archivist to bring to attention to what could have easily been marginalized at the archive. However, the institutions that guided and supported the archival processing in Mendelssohn’s collection also aimed at enhancing German-Jewish memory in a broader Israeli context, as the purpose of the project was described as contributing to the preservation of a “threatened” cultural heritage. To understand the fear of a lost collective heritage in social and cultural terms (perhaps indeed another form of “death wish”), it might be useful to mention the seminal theoretical work on memory and commemoration by historian Pierre Nora, Les Lieux de Mémoire (Sites of Memory). In this compendium, Nora makes an important distinction between what he terms as primitive civilizations who perceive their past through memory and modern civilizations who perceive their past through history. According to Nora, so-called primitive civilizations have a notion of a living past which is unconscious and in constant evolution. It is spontaneous, open to dialectic remembering and forgetting, and, at the same time, it is also commanding, powerful and brimming with heroes and myths. Nora gives the example of the Jewish diaspora as a people of memory: “[B]ound in daily devotion to the rituals of tradition […] [they] found little use of historians until [their] forced exposure to the modern world.”27

25 Heinrich Mendelssohn, Meine Erfahrungen an der Berliner Universität in den Jahren 1928 bis 1933, in: Medizinhistorisches Journal 29 (1994), no. 2, 183–188. 26 Anne Betten/Miryam Du-Nour, Wir sind die Letzten. Fragt uns aus. Gespräche mit den Emigranten der dreißiger Jahre in Israel, Gerlingen 1995, 41 f. 27 Pierre Nora, Between Memory and History. Les Lieux de Mémoire, in: Representations 26 (1989), Special Issue: Memory and Counter Memory, 7–24, here 8.

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On the contrary, according to Nora, modern civilizations suffer from forgetfulness and are remote from their own past. This remoteness, Nora argues, is also why they produce organized, disciplined, secular and intellectual accounts of their past, which are in fact reconstructions and representations, always problematic, critical, and incomplete. Nora summarizes modern civilization’s notion of the past as he concludes, “[W]e speak so much of memory because there is so little of it left.”28 To him, the establishment of modern archives (as well as museums, monuments and other repositories of relics from the past) evince the lack of spontaneous memory which marks the rituals of a society without rituals. Thus, whereas Derrida stresses the creator’s “death wish,” Nora highlights the gradual death of people and their cultural heritage. Other important elements in the production of knowledge at the archive are the disciplinary orientation, personal interests, and general knowledge of the archivists themselves and hence what they might view as important or unimportant in a specific historical, cultural, and political context. In addition, the role of archivists in providing a myriad of documents with physical structure is indeed a function that enables them to reveal  – as well as to conceal – historical moments that might contain specific political meanings. Mendelssohn’s collection includes, for example, several records which could have been left aside and forgotten unless the archivists had identified the broader historical and political context in which they were embedded. One such record is a letter sent to Mendelssohn by an official in the INA on 14  June 1967 requesting a systematic survey of the fauna and flora in the newly occupied territories. The Six-Day War began on 5 June 1967 and changed the geopolitical power relations of the Middle East overnight. In less than one week, Israel had seized the Gaza Strip and the Sinai Peninsula from Egypt, the West Bank and East Jerusalem from Jordan, and the Golan Heights from Syria. Beyond changing the political landscape in the region, the war had immense economic, political, geopolitical, social, and cultural implications for both its Jewish and Arab populations. Among other things, it boosted the ties between some civil organizations and the military administration in the occupied territories  – a process which was usually in the interest of both parties. Since its establishment in 1963, the INA continuously aspired to increase the size and amount of its reserves. Thus, when Moshe Dayan (1915–1981), the Minister of Defense, himself contacted the INA to conduct a survey in the occupied territories only a few days after the end of the war, it was clear that this organization was facing a new era of novel possibilities.

28 Ibid., 7.

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“The Minister of Defense, Lieutenant General Moshe Dayan, has turned to the INA in request to look after nature protected values in the Golan Heights and the Hermon slopes. For this purpose, we need to conduct a basic survey encompassing all the available information regarding natural phenomena in the area. We would appreciate it if you could conduct a fauna survey with the assistance of your employees as soon as possible.”29

Dayan’s urgency was not a result of his devoted commitment to nature values. He was known among environmentalists as a person who had neither understanding nor interest in nature values since the days he had served as Minister of Agriculture. The act of announcing an area as a nature reserve in the occupied territories merely served as a political and territorial means. The National Parks and Nature Reserves Act of 1963, mentioned earlier, clearly stated that once a land had been announced as a national park or a nature reserve, the announcement was to supersede any prior use. The act also affirmed that once such a plan was approved, no other form of planning or construction was to be allowed for the same territory unless it was given special permission by the authority itself. And finally, the authority was to be given the right to use any legal mean to evacuate intruders from such land.30 Following the 1967 War, nature reserves and national parks became means in the hands of the Israeli government and the military rule to control the territories. At the same time, this development presented a meteoric achievement for the INA. Indeed, on 10 July 1968, the organization published its first newsletter which stated: “Due to our precedence in the region [Golan Heights], we have greater power than anywhere else in the country to influence the planning of this area while considering its natural values and establishing our adequate status in it.”31 In terms of its scope at the archive, this episode seems almost insignificant. It consists of a few letters and a survey of the Golan Heights’ fauna conducted by Mendelssohn himself. Yet due to its historical and political implications, the archivists of Mendelssohn’s collection decided to call for its attention in the archive’s finding aid. Since finding aids are used by researchers to determine whether information within a collection is relevant to their research or not, the decision of archivists to highlight a certain episode has great potential to influence the ways in which knowledge is produced at the archive.32 However, it should be stressed that such decisions are not only inevitable but that their gravity often actually makes archivists much more conscious

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AHTAU, HMC, 902.0171/07. See AHTAU, HMC, 902.0173/016. AHTAU, HMC, 902.0171/07. AHTAU, HMC, Finding Aid, 7.

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and cautious towards their work in comparison to the other agents at the archive. This is not the only weakness of archivists and archives. According to Derrida, archives remember only what is documented. This usually means the written and photographed record as anything else – spoken words, sounds, and silences – is annihilated. On the one hand, this annihilation can serve as the epitome of the archives’ violence. Yet, on the other hand, it also demonstrates its fragility, its internal contradictions, and its inability to capture and classify the chaotic human existence into neatly organized categories. Derrida thus asserted that the structure of the archive itself determines what can be archived. He pointed out, for example, that most of Freud’s heritage lies in letters to his colleagues and friends. Had he owned a telephone, a fax machine or an email, the knowledge we would have had today about Freud’s professional work and personal life would have probably been very different.33 Yet, tempting as it is to theorize practices of archivists, most of their resolutions – political as they may be – depend on technical considerations such as budget, size of physical storage, and staff resources. Mendelssohn’s estate, for example, consisted of many copies of his published articles. During the archival processing, the archivists had to decide what to do with this abundance of printed material. Some article copies contained notes and marks by the author himself, yet other copies were not unique in any way. Preserving all the copies of Mendelssohn’s articles might have reflected Mendelssohn’s methodology but it would also have taken up precious space in the archive. In this case, the archivists had to dispose of some of the material. Another relevant example from this collection would be the abundance of 8mm films on various animal species preserved by Mendelssohn in his office. The archivists decided to keep the films due to their potential historical and zoological value even though the Archives for the History of Tel Aviv University do not possess equipment for the preservation of this type of archival material, nor do they own a projector.34 Hence, although maintaining considerable authority in the archive, the simultaneous attention and awareness expected from archivists in relation to the archive’s scope and content put them in a vulnerable position. While the creator of the archival records and the scholar are almost entirely free to utilize records according to their own view, the archivist is bound to respect the legacy of the creator while simultaneously enabling accessibility and comprehensibility for the scholar. Rather than being “violent” authorities, they are expected to mediate between different agents who pull knowledge in different directions at the archive. 33 See Derrida, Archive Fever, 17. 34 AHTAU, HMC, 902.0201/01–902.0213/02.

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In some ways, it can even be said that archivists often leave more open ends, gaps, disorder, idiosyncrasies, and question marks than any other agent of knowledge production at the archive. As Nora points out, in contemporary historiography, it has become difficult to assess what type of information should be remembered, kept, and preserved because of the unpredictable or arbitrary nature of the definition of historical value and its potential meanings in the future.35 Furthermore, the abundance of the archive is not only limited to textual material. Indeed, already in 1930, Paul Otlet (1868–1944), the founder of the documentation movement, redefined the term “document” and included in it a wide range of objects and artifacts that, according to him, conveyed information.36 The growth of academic study of popular culture has also led scholars to research posters, advertisements, and objects. In Mendelssohn’s archive, it was often hard to decide whether an advertisement for a local plumber or a videotape of a movie he recorded on television should be preserved or not.

The Scholar The third agent in the chain of knowledge production at the archive is the scholar. According to political scientist Thomas Osborne, to historians the archive is what the laboratory is to the scientist in Bruno Latour’s work: a center of calculation  – or, better said, a center for interpretation.37 Yet, unlike scientists in the lab and certainly unlike creators of archival records and archivists, who are bound to one specific site of knowledge production, scholars are allowed and are even expected and encouraged to utilize more than one archive in their pursuit of knowledge production. For scholars, one archive alone provides partial, incomplete, and fragmented information and can thus only serve as a single component in the construction of a broader, richer, and more comprehensive narrative. Yet, at the same time, the abundance of records in one single archive is infinitely more than what scholars necessitate for their investigation. The reason for this ambiguous relation between scholars and archives is also related to the essence of scholars’ professional practice, which requires gathering, organizing, and making sense of diffused data while, at the same time, calling for critical analysis of the very same data. 35 See Nora, Between Memory and History, 16 f. 36 See Manoff, Theories of the Archive from across the Disciplines, 10. 37 See Thomas Osborne, The Ordinariness of the Archive, in: Historical Studies in the Natural Sciences 12 (1999), no. 2, 51–64, here 52.

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In many ways, it is the scholar and not the archivist who aims to make sense of historical data at the archive, who fears the silence of myriad equivocal records, who is urged to explain, organize, connect, and chronologize while simultaneously violating the peacefulness of a “chaotic human existence” which is reflected at the archive. It is the scholar who transforms the nearly “flat” information of the archive into a hierarchical one as he or she is not only the last and final agent in the chain of knowledge production but also the one who is encouraged to communicate this knowledge to a larger audience, and hence has greater influence on determining its predominant interpretation. Yet, since there is never only one scholar interpreting a historical period or event, since the interpretation of two or more scholars is never similar, and since each scholar utilizes slightly different literature, different archives, and different archival sources, the knowledge they produce remains relatively heterogeneous, flexible, and open to debate. Moreover, according to historian Carolyn Steedman, even passing the threshold of the archive is in itself an event that is experienced differently by each and every scholar: “As might be expected of an experience that is an important professional rite of passage, no one historian’s archive is ever like another’s; each account of his or her experience within them will always produce counterexamples, of different kinds of discomfort.”38

For Steedman, the relation between scholars and archives should not only be understood in conceptual terms but also physical ones. In her article, she sarcastically describes the fever of the archive not as a metaphor but as a real experience. To her, archival fever is the endless dust, the sleepless nights and unrest in quest of original sources, the myriad data and the time spend on often useless information, the expenses on hotels and restaurant meals that must be sacrificed for the time spent in the archive, and the fear of not having enough time to find sufficient or relevant material (“Archive Fever, indeed? I can tell you all about archive fever.”39) To demonstrate the ideas mentioned above, this section suggests two scholarly accounts based on Mendelssohn’s archival collection. While both accounts draw on the same collection, each of them focuses on different aspects and relies on a distinct body of secondary literature to support its arguments. The first account is a synopsis of Ray Schrire’s article Ökologische Kommunikation. Schrire opens his article by stating that the link between natural sciences and environmental activism, as it is manifested in Mendelssohn’s work, is not an obvious one. Hence, unlike the emergence of Western environmental movements in the late nineteenth century, which were 38 Steedman, Something She Called a Fever, 1163. 39 Ibid., 1164 (emphases in the original).

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generally alien to natural sciences (at least until the second environmental wave in the 1960s and the publication of Rachel Carson’s Silent Spring40), the Israeli environmental movement was intertwined with scientific agendas from its inception, and this tendency was largely a result of Mendelssohn’s own scientific practice. Schrire bases this argument on a careful analysis of Mendelssohn’s field observation cards, file organization, and everyday research practices which, according to him, reflect both Mendelssohn’s unique methodology as well as his environmental activism.41 Within this context, Schrire highlights two main disciplinary approaches which guided Mendelssohn in his work: ecology and ethology. Their importance is in the concrete link they create between species and their immediate environment. In other words, unlike notions of evolution which stress the dimension of time in the process of species’ development, ecology and ethology highlight the dimension of space (the requirement of specific physical conditions in a certain habitat) for development. In addition, Schrire argues that the organization of Mendelssohn’s files reflected the principle of diversity and variety in his work, according to which the more species exist in an ecosystem, the better chances it has to flourish. To conclude, according to Schrire, only by including Mendelssohn’s scientific methodology and research practices can his motivation for environmental activism be understood.42 The second scholarly account of Mendelssohn’s archival records displays the author’s interpretation of Mendelssohn’s role in advocating national ideology through nature education and environmental sentiments. As historians of nationalism have demonstrated, territories, landscapes, and natural environments were essential components in the construction of modern national identities. They provided nations not only with boundaries, but were also perceived as their habitats, and served as a backdrop for their real and imaginary historical roots.43 One example for such a relation can be found in the case study of late nineteenth and early twentieth century Germany. According to historian Thomas Lekan, the environmental movement in Germany “participated actively in the cultural construction of nationhood by envisioning natural landmarks as touchstones of emotional identification, symbols of

40 Rachel Carson, Silent Spring, London 1999 (reprint with a new afterword; first edition 1962). 41 See Schrire, Ökologische Kommunikation, 97 f. 42 See ibid., 100–103. 43 To mention only the most renown historians of nationalism who view nature and landscapes as an integral part of nation-building: Benedict R. O’Gorman Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1983; Anthony D. Smith, Nationalism. Theory, Ideology, History, Cambridge 22010.

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national longevity, and signs of a new form of environmental stewardship.”44 The utilization of nature for national causes in Germany is also interesting since it serves as the scenery for Mendelssohn’s early ideological development. As mentioned earlier, during his childhood and youth Mendelssohn was a member of the Zionist Blau-Weiß youth movement which drew upon German youth hiking organizations and emphasized the love of nature and the nation. Zionist ideology in general was influenced by European romantic nationalism while also reflecting a long Jewish tradition of longing to “return” to the Land of Israel. However, the arrival of Jewish settlers in Palestine (later the State of Israel) often stimulated feelings of alienation and estrangement towards the country. The way to surmount these feelings required pursuing knowledge and becoming familiar with local nature and landscape. The ideo­ logical link between nation and nature was by no means vague or abstract. Already starting in the late 1920s, Jewish schools in Palestine began to teach Yediaat ha-aretz, a school subject which literally meant “knowing the land.” The purpose of this class was to acquaint children and adolescents with the geography, geology, topology, climate, fauna, and flora of their new homeland.45 After arriving in Palestine in 1933, Mendelssohn traveled through the country with the intention of familiarizing himself with it. At the same time, he wrote his doctoral dissertation at the Hebrew University of Jerusalem on the bird population in Palestine and went on to pursue an academic career, in which he continued to focus primarily on local and endemic wildlife. While he often insisted on scientific rigor, he did not restrict himself to academic teaching alone. Mendelssohn was an active agent in the utilization of natural sciences for national-educational purposes. For example, in 1935, he joined the Biological-Pedagogical Institute, an organization that had been founded twelve years earlier by Jehosha Margolin (1877–1947), an influential teacher and a natural scientist. The Institute’s official ideology was to educate and inspire Jewish children to a love for the nation and its nature. Margolin wrote “We, a people that was detached from soil and nature for 2000 years, […] need to search and find the way to the natural environment that surrounds us, to learn it and be well familiar with it.”46

44 Thomas M. Lekan, Imagining the Nation in Nature. Landscape Preservation and German Identity, 1885–1945, Cambridge, Mass./London 2004, 4 f. 45 See Noga Kadman, Erased from Space and Consciousness. Israel and the Depopulated Palestinian Villages of 1948, foreword by Oren Yiftachel, transl. from the Heb. by Dimi Reider, Bloomington, Ind., 2015, 50. 46 Jehosha Margolin, cit. in Oz Almog, Ha-Tzabar. Dyukan [The Sabra. A Profile], Tel Aviv 1997, 260.

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Indeed, Mendelssohn eventually transformed the Biological-Pedagogical Institute into the Faculty of Nature Sciences at Tel Aviv University, yet he continued to admire Margolin’s pedagogical approach for many years to come. In 1974, Mendelssohn stated that Margolin’s approach to teaching and his emphasis on field observations and excursions was one of the reasons that had led him to join the Biological-Pedagogical Institute instead of taking a highly respected teaching position at the Hebrew Reali School in Haifa.47 Mendelssohn’s contribution to Jewish nation-building through nature education is evident in more than one aspect of the archival collection. Another common way to emphasize the intimate relation between the Jewish people and the Land of Israel was by alluding to the Tanakh. This tendency becomes especially obvious when considering the history of zoos and zoological research among Jews in Mandate Palestine. As historian Eliya Etkin demonstrates, the first modern zoo to open in Palestine was established in Tel Aviv in 1938 with the intention to reintroduce biblical animals to the country. In 1940, another zoo opened in Jerusalem, this time under the official title of a Biblical Zoo, which was meant to encourage national education, scientific research, and recreation.48 The scientific challenge of proving the biological link between existing species (defined by binomial Latin names) and their scriptural references in biblical Hebrew occupied renowned zoologists such as Shimon Fritz Bodenheimer (1897–1959), who in 1949 published a book titled Fauna in the Bible Lands.49 It is worth mentioning that Bodenhei­mer was Mendelssohn’s admired teacher and supervisor at the Hebrew University. Moreover, during the 1960s, Mendelssohn himself was involved in the establishment of a nature reserve in the Arabah which aimed to recreate biblical wildlife. In fact, he was the one who composed the list of biblical animals which were to be “reintroduced” to the reserve.50 The relation between local nature and the scriptures clearly had a strong political dimension. Not only did it reflect the settlers’ aspiration to construct a national identity, but it also served to emphasize the “civilizing mission” of Jews in a “backward” environment whose moral obligation was to transform the land back to its “original” fruitfulness. This tendency is also prevalent in Mendelssohn’s approach towards Arabic culture and its so-called role in deteriorating nature. In a letter he sent to a hunting inspector at the INA in 1960, Mendelssohn expressed this view lucidly:

47 See AHTAU, HMC, 902.0181/03. 48 See Elia Etkin, The Ingathering of (Non-Human) Exiles. The Creation of the Tel Aviv Zoo­logical Garden Animal Collection, 1938–1948, in: Journal of Israeli History  35 (2016), no. 1, 57–74, here 58. 49 Shimon Fritz Bodenheimer, Fauna in the Bible Lands, Jerusalem 1949. 50 See AHTAU, HMC, 902.0173/011.

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“The civilized countries of Europe and North America are known for a meticulous protection of their wildlife. […] Nature’s worst condition is probably in Muslim countries. […] with modern ammunition they [Middle Easterners and North Africans] have destructed in rapid pace all wildlife animals. Since the Second World War almost all gazelle and Oryx have been exterminated […].”51

As Noga Kadman points out, even though the usual enemies of biodiversity, in Israel as elsewhere, were industrialization, technological development, and “progress” in general, the common notion in Israel was also that Palestinian Arabs had neglected the land in the years prior to the “return” of the Jewish people, while the State of Israel alone possessed the scientific means and the environmental awareness to fix this damage.52 Also, according to geographer Naama Meishar, the basis for environmental protection in Israel was and remains ethnocentric, and Israeli Jews are not only aiming to gain control over land through nature protection strategies, but also by trying to establish their positive local identity through a negative local Palestinian identity – all while destroying Palestinian links to the environment and giving priority to the Jewish national landscape, environmental development, and visitor convenience.53 The interpretation of some of Mendelssohn’s records in the context of national ideology is not meant to undermine the importance of his general scientific enterprise nor is it supposed to devalue his environmental activity. Above all, its purpose is to assert that Mendelssohn’s scientific approach ought to be also understood and considered in the political context of its era. In addition, both scholarly narratives presented above rely on records from the same archival collection. While these parallel accounts are by no means contradictory, each of them illuminates distinct aspects in Heinrich Mendelssohn’s life and work, and utilizes them to portray larger historical, cultural, political, and scientific developments. The ability to read (and write) more than one narrative into the archival collection reflects both the openness, fluidity, and flexibility of the archive itself, as well as the scholarly desire to provide it with new perspectives on current debates.

51 Uri Tzon, Ḥalom she-hitgashem. Olam ha-ḥai shel ereẓ ha-tanakh, “ḥai-bar”. Meḥkar ve-taẓpiyot. Odot shikum edrey ḥayot ha-bar ha-tanakhiyot ba-shmorot “ḥai-bar” be-Yisra’el [A Dream that Came True. The Living World of the Bible Land, “Chai Bar.” Research and Observations. On the Preservation of Biblical Wildlife in the Chai Bar-Reserve in Israel], Tel Aviv 1990, 175. 52 Kadman, Erased from Space and Consciousness, 46. 53 See ibid.

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Conclusions As mentioned earlier, most contemporary archival theory is focused on the unparalleled powerful position of the archivist in the production of knowledge and memory at the archive. While this article recognized the power of archivists in determining some of the knowledge produced at the archive, it also aimed to present a more complex power relation between various authoritative and influential agents at the archive who often compete and, at times, complement distinct views and narratives on the same material data. The first component in the chain of knowledge production is the owner and producer of the archival records who charges the documents with their most immediate and obvious meanings. According to this idea, the archive is, in fact, already being formed during the lifetime of the creator when he or she begins to be aware of his or her own temporality while wishing to leave his mark on both the present and the future. The second component in the chain of knowledge production in the archive is the archivist. Yet, as demonstrated above, even this so-called simple category consists of more than one archivist-agent, as it usually refers both to the institutions that initiate, fund, and support the archive, as well as to the individuals who physically arrange and preserve the records. These different archivist-agents, too, are guided by various material and ideological motivations. This article has also argued that of all three agents, archivists are situated in the most vulnerable position. While both the creator of the archival records and the scholar can utilize archival records according to their own views, the archivist is bound to respect the legacy of the creator while simultaneously aiming to enable accessibility and comprehensibility of the records for the scholar. Thus, while producing knowledge at the archive, archivists often also serve as mediators between other agents of knowledge production in the archive. The third agent at the archive that was discussed in this article is the scholar who, in comparison to the other agents, enjoys the greatest extent of independence and freedom in relation to the archival records. This alleged freedom is embedded in the scholar’s professional practice which requires gathering, organizing, and making sense of diffused data, yet at the same time calls for critical analysis of the very same data. The creator of the archive, the archivist, and the scholar thus maintain a dialectic relation in the process of knowledge production at the archive. All three are bound to each other while each of them has a different immediate relation to the archival records and a different approach to their interpretation. As a result, they also generate different perspectives and meanings in their interaction with the archival records.

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While discussing various strategies of knowledge production at the archive, this article has also aimed to display central episodes in the biography of Heinrich Mendelssohn and the different ways in which they can be rendered from the agents’ distinct standpoints. These episodes mostly focused on political aspects of Mendelssohn’s life and work while thus demonstrating the political potential embedded in sites of knowledge production.

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City, Utopia, and Migrant Displacement: The Archive of Urban Planner Ariel Kahane In 1962, an architectural commentator introduced Kahane to his readers: “Kahane can perhaps serve as an example – uncommon in our country – of a public servant devoted to his work far from the bright light of self-promotion […].” He continued, wondering whether “there will be found in the next generation those who will follow [in the footsteps of] such public servants, whose importance to the development of planning in the country is invaluable?”1 This quote can be seen as indicative of Kahane’s career. By 1962, Berlin-born Ariel (Anselm) Kahane (1907–1986) was already twenty-five years in public service: first as a high-ranking planning officer in the British Mandate, and later as a senior Israeli planner. Yet, despite his key positions, he has remained largely unknown both to his contemporaries and later-day scholars; his work almost entirely forgotten.2 In the early 1980s, Kahane deposited his papers with the Geography Department at the Hebrew University. For nearly thirty-five years, his papers were stacked in an unmarked metal closet, uncatalogued and inaccessible. In 2014, they were rediscovered, and then incorporated into the project “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel.” They are currently held at the Central Archive of the Hebrew University.3 1

Architecture and Engineering Editorial Board, Introduction to Ariel Kahane, Twenty-Five Years of National Planning in Israel, in: Engineering and Architecture 20 (1962), no. 1, 255 f., here 255 (Heb.). 2 Initial steps towards exploring Kahane and his work were taken recently by Joachim Nicolas Trezib. See idem, Die Theorie der zentralen Orte in Israel und Deutschland. Zur Rezeption Walter Christallers im Kontext von Sharonplan und “Generalplan Ost,” Berlin/Boston, Mass., 2014, 110–125; idem, Transnationale Wege der Raumplanung. Der israelische Nationalplan von 1951 und seine Rezeption der Theorie “zentraler Orte,” in: Zeithistorische Forschungen. Studies in Contemporary History 11 (2014), no. 1, 11–35, (1 December 2019). 3 The Hebrew University of Jerusalem, Central Archive, The Papers of Professor Shalom Reich man and the Crypto Collection of Ariel (Anselm) Kahane (henceforth HUJI CA, Kahane Collection). The team of cataloguers consisted of Yodan Fleitman and Michael Cidor. The author, who initially located the collection as part of her dissertation research, assisted their work. The finding aid is accessible online at Franz Rosenzweig Minerva Research Center, Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel, (1 December 2019). JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 335–364.

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Kahane’s papers span his entire professional life, containing rich textual and visual documentation from his five-decade career in Palestine/Israel.4 As the cataloguing progressed, it became clear that the collection included a remarkable depository of untapped materials concerning Kahane’s utopian blueprints for Palestine/Israel, from the 1940s through the 1970s. Complementary documents revealed the extent to which Kahane had been involved in the making of the collection and the selection of its irregular setting.5 Kahane himself had carefully curated this collection and specifically donated it to the Geography Department at the Hebrew University. His goal was that his papers would be consulted by the students, planners-to-be, not only as a historical source for planning history in Israel and “the memory of my personal role” within it, but also as a reservoir of high-order planning ideas for the future physical construction of the country.6 Seen in this light, what can we make of this purposeful deposit of utopias in waiting? Anthropologist Ann Stoler has suggested to “move from archive-as-source to archive-as-subject.”7 Archives, she argues, are not just “sites of knowledge retrieval” but also “sites of knowledge production.”8 As such, important insights are gained from focusing on “archiving as a process” rather than merely “archives as things.”9 The “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel” project provided a rare opportunity to access archives from the vantage points of both a researcher and an archivist, thereby paying close attention to it as both source and subject, and the interplay between them. What emerged in treating Kahane’s collection is the interconnectedness between these two aspects: between the archive as a thing, namely, its highly utopian materials, and as a process (the trajectory of archival formation, cultivation, preservation, and reception). The latter, rather than being exogenous to the historical repository, is a key to understanding the materials and their wider context. The

4 The general terms “collection” or “papers” rather than “archive” will be used to refer to this repository. As a private repository, cultivated and maintained for decades by the creator for his own use, it differs from a formal, standard “archive,” defined as “an organic whole of documents received, produced, and set aside in the transaction of public or private business, as instruments and by-products of such activity.” Nonetheless, whenever the context relates to Kahane’s intention, as he considered this repository an “archive,” I will follow his terminology. See Eric Ketelaar, Archival Turns and Returns. Studies of the Archive, in: Anne J. Gilliland/Sue McKemmish/Andrew J. Lau (eds.), Research in the Archival Multiverse, Clayton 2016, 228–268, here 230. 5 These documents are kept by Kahane’s son, Josiah. For the article’s purpose, this collection is named Josiah and Dolly Kahane Collection (henceforth JDK). 6 JDK, Ariel Kahane, The Establishment of the A. Kahane Archive, 1 August 1981. 7 Ann Laura Stoler, Colonial Archives and the Arts of Governance, in: Archival Science 2 (2002), no. 1–2, 87–109, here 87. 8 Ibid. 9 Ibid.

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point of departure of this essay, therefore, is an integrative approach to the archive as content and making, both a “thing” and a “process.” In this way, new meanings unfold regarding Kahane’s personal odyssey as well as the context in which he operated, linking post-1933 German-Jewish intellectual migration, Zionist nation-building, and architectural modernist utopism. A diverse range of scholars from Derrida to Appadurai has addressed the open-endedness and dynamic nature of archives.10 The archive, we know, is “never about the past alone.”11 From the perspective of the creator of the collection, Kahane’s intention and his choice of an unusual archival setting signal an openness, a future anticipation of a unique kind. They reflect not only Kahane’s desire to claim his share in the collective past but also a concrete intervention in the future, an act that must be understood in the context of his professional vocation as a modernist architect-planner. Kahane’s thought is rooted within twentieth-century planning and architectural modernism. His formative period was the interwar years, a uniquely intense time in which the Modern Movement in architecture and planning, epitomized by the work of the Bauhaus School, became highly influential in the field of urbanism. Much has been written about utopia and architectural modernism. Imbued with a desire to break with the past, avant-garde architects believed in the transformative power of design and spatial ordering as a means for human betterment. They shared a strong confidence in the ability of the expert, namely, the architect-planner, to carry out this task. Like many of his contemporaries, Kahane was steeped in these beliefs. And, like many of them, he participated in the global quest for a new urban and social order, passionately grappling, and experimenting, with innovative urbanist ideas as the key for a better future. When opportunities arose in the postwar period of accelerated nation-building and decolonization, Kahane, like many of his colleagues elsewhere, jumped on the bandwagon. With the backing of the State, he became an advocate of what James Scott termed “high modernism”: a supreme confidence in the ability of science and technical expertise to promote human progress through the deployment of State mechanisms.12 Kahane’s utopian thrust, verging on “tech-

10 Arjun Appadurai, Archive and Aspiration, in: Joke Brouwer/Arjen Mulder (eds.), Information is Alive. Art and Theory on Archiving and Retrieving Data, Rotterdam 2003, 14– 25, (1  December 2019); Jacques Derrida, Archive Fever. A Freudian Impression, Chicago, Ill., 1996. 11 Pramod K. Nayar, Writing Wrongs. The Cultural Construction of Human Rights in India, New Delhi 2012, 146. 12 The classic study on mid-twentieth century high modernist ideology remains James Scott, Seeing Like a State. How Certain Schemes to Improve the Human Condition Failed, New Haven, Conn., 1998, esp. 87–102, and 376–381. See also Christopher Klemek, The Transatlantic Collapse of Urban Renewal. Postwar Urbanism from New York to Berlin, Chicago, Ill., 2011.

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nocratic utopia,” was the basis for his life-long professional quest.13 Long after the passing of the high modernist “golden age,” its shortcomings apparent to all by the 1960s, Kahane remained faithful to its tenets.14 Donating his collection in the 1980s, when he was well into his sixties, was his ultimate statement in this regard. While his plans receded in the face of the imperfect realities, the utopian core of his work nonetheless remained intact. A practical utopist, depositing this bank of visionary ideas into the very heart of the academic training center of future planners was his strategy – tacit, yet deliberate – to carve for himself a place as an active agent in the future. More broadly, the circumstances of this collection are inextricably bound up with Kahane’s cultural position as a Jecke, a German-speaking émigré in Jewish Palestine/Israel. Kahane was part of a distinct wave of Central-European immigration arriving in the 1930s following the National Socialists’ rise to power in 1933.15 Characterized by a dominant educated urban class, their accumulative capital, professional skills, and high cultural sensibilities transformed the economic and social realities in Jewish Palestine. However, according to cultural scholar Rakefet Sela-Sheffy, despite being a “high-status immigrant group,” they were paradoxically also culturally “marginal,” alienated in many respects from the broader Zionist community in Palestine.16 They were “specifically marked out as a foreign, culturally incompatible element,” characterized as “‘European aliens in the Levant,’ that is, highly cultured people, deeply attached to their fatherland culture, who had [a] hard time adapting to the local life.”17 Thus, while Jeckeness was associated with positive traits, such as “self-discipline, integrity, perfectionism, diligence, efficiency and civilized good manners,” it also conveyed “dogmatism, pedantry and obedience,” virtually resulting in “a unifying stereotype of Prussian-like order freaks and cultural snobs.”18 13 See Trezib, Transnationale Wege der Raumplanung, 29. 14 The demolition of the Pruitt-Igoe housing project in St. Louis, Missouri, in 1972 is regarded as the moment of death of modernist architecture and its utopism. Built at a time of postwar prosperity in the early 1950s, it became a notorious symbol of architectural hubris and failure. See, e. g., Katharine G. Bristol, The Pruitt-Igoe Myth, in: Journal of Architectural Education 44 (1991), no. 3, 163–171. 15 Around 60,000 immigrants from Central Europe arrived in Palestine between 1933 and 1939 (Fifth Aliyah). For the wide-ranging impact of the German-speaking immigration on Palestine Jewry, see Yoav Gelber, Moledet ḥadasha. Aliyat yehudey merkaz Eropa ­u-­klitatam, 1933–1948 [A New Homeland. The Immigration from Central Europe and Its Absorption in Eretz Israel, 1933–1948], Jerusalem 1990. 16 Rakefet Sela-Sheffy, High Status Immigration Group and Culture Retention. German Jewish Immigrants in British-Ruled Palestine, in: idem/Gideon Toury (eds.), Culture Contacts and the Making of Cultures. Papers in Homage to Itamar Even-Zohar, Tel Aviv 2011, 79–100, here 79. 17 Ibid., 80. 18 Ibid., 82.

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Kahane embodied the Jecke stereotype: “precise and meticulous, even prim, in his speech and mannerism,” as a journalist described him in the 1960s. His son, Josiah Kahane, recalls three personal traits that characterized his father and “his generation of the 1930s [Jecke] immigrants”: his vast “interdisciplinary knowledge,” especially in the humanities, his meticulous “tendency to document” and put processes in their larger “historical context,” and his uncompromising “loyalty to his internal truth.”19 Kahane, for his part, remained loyal to his distinct German-Jewish identity: He surrounded himself with German-speaking friends and colleagues, continued to publish in German throughout his life, and maintained extensive connections with German institutions, publishers, and academia.20 In Israel, his cultural estrangement seems to have been a defining part of his identity: Indeed, in referring to himself as a Jecke, as late as the 1980s, he attributed the broad dismissal of his professional ideas by the Jewish community in Palestine to his émigré identity.21 In his discussion on Jewish migration and the archive, Joachim Schlör focuses on the émigré “suitcase” as “a central symbol and metaphor for the migration process.”22 He argues that this single material object, and its contents, can be viewed as a “memory container,” as “archive.”23 Carefully curated and selected to fit its contents into limited space, the suitcase is “a shell, an envelope, a cover that contains things but also meaning.”24 It represents displacement and rupture embedded in the experience of migration (and especially forced migration), but also the possibility for change, the “alchemical process of transformation that is involved in migration.”25 Kahane’s collection, by extension, serves as a metaphoric “suitcase.” Its contents, having been produced entirely in Mandate Palestine/Israel, is a carefully curated container which attests to the persistent lived experience of migration, cultural displacement, and duality, but also to the possibilities for transforma-

19 Josiah Kahane’s contribution to the symposium “In the Field and in the Archive. A Look into the Planning History of Jerusalem and Israel,” Ben-Zvi Institute, Jerusalem, March 2017 (Heb.). The symposium is accessible online at >https://www.youtube.com/ watch?v=hgT7h_-Tbis&t=78s> (1 December 2019). 20 Interview with Elisha Efrat (Kahane’s former employee) by the author, Jerusalem, 28 January 2014; interview with Tamar Oestreich (Kahane’s niece) by the author, 18 October 2015. 21 See JDK, Interview with Ariel Kahane by Mira Yehudai (transcript of interview no.  1, unpublished), 14 May 1981, 3. 22 Joachim Schlör, Means of Transport and Storage. Suitcases and Other Containers for the Memory of Migration and Displacement, in: Jewish Culture and History 15 (2014), no. 1–2, 76–92, here 76. 23 Ibid. 24 Ibid., 78. 25 Ibid.

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tion resulting from movement. Kahane’s tale points to the next stage in the migration process, picking up from the moment the suitcase and its owner have landed on safe shores. It opens a window into processes of intellectual migration, the encounter between the old and new, and the possibility of creating novel kinds of archives and knowledge in this “alchemical process.” In Kahane’s “(suit)case,” this process reveals a distinct trajectory of knowledge importation, reformulation, and exportation: from interwar Europe to Israeli nation-building and to the “developing” world in the postwar period. Kahane’s collection includes testimony to a large number of unrealized plans alongside his quotidian professional work. Drawing on a combined perspective of the collection as both a “thing” and a “process,” this article traces these unrealized plans and explores their meaning within the context of Kahane’s personal biography and against the broader historical circumstances. It begins with a biographical sketch and a description of the making of the collection. It then proceeds to explore Kahane’s utopian line of thought: from his hardly known 1945 planning exhibition in the pre-state period, through his unrealized plan for the New Town of Oshrat as an early statehood planner, to his work in Turkey as a UN expert in the 1960s. The donation of these papers, it will be argued, was the final attempt in this chain, the ultimate act of keeping his ideas in the realm of “aspiration, rather than recollection.”26

From Max Reinhardt’s Berlin to Palestine Anselm (later Hebraized to Ariel) Kahane was born in 1907 in Berlin into a family active in avant-garde artistic circles. His father, Arthur Kahane (1872–1932), was the chief dramaturge of expressionist Max Reinhardt (1873–1943) at the Deutsches Theater for three decades (1902–1932).27 Anselm Kahane’s maternal uncle was Richard Oswald (1880–1963), a pioneer of the silent film, who was active in Berlin during the interwar period. The family’s life revolved around the father’s work at the theater. Anselm’s 26 Appadurai, Archive and Aspiration. 27 Arthur Kahane was also a friend of the composer Arnold Schönberg and the poet Hugo von Hofmannsthal, both of whom he befriended during his youth as a member of the artistic community of 1890s Vienna. The son, Henry Kahane, provides a vivid account of Arthur’s social and political life, describing, inter alia, the first encounter between his father and von Hofmannsthal in 1890 at the Viennese literary café, the Griensteidl. See Henry Kahane, Arthur Kahane, Reinhardt’s Dramaturge, in: Theatre Research International 4 (1978–1979), no. 1, 59–65. Anselm also published an article on his father’s legacy in honor of his centennial birthday. See Ariel Kahane, In memoriam Arthur Kahane. Zu seinem hundertsten Geburtstag 1972, in: Maske und Kothurn 19 (1973), no. 3, 243–246.

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older brother Henry describes growing up “in the world of the Deutsches Theater,” with “the exciting atmosphere of a dress rehearsal; the metropolitan, cosmopolitan glamour of a Reinhardt premiere,” as well as “many evenings with endless telephone discussions between Max Reinhardt and my father” over the plays (fig. 1).28

Fig. 1: Ariel (Anselm) Kahane, 1960s. Courtesy of Josiah and Dolly Kahane Collection.

Anselm turned to architecture as a field of study. Between 1926 and 1934, he attended the Technische Hochschule Berlin, where he studied under two distinguished teachers: Hermann Jansen (1869–1945), known for his innovative 1910 Greater Berlin Competition, and Hans Poelzig (1869–1936), one of Germany’s leading architects at the time and an idol of avant-garde.29 One of his notable projects was the design of Max Reinhardt’s Großes Schau­ spielhaus, the former Zirkus Schumann, in 1919, where many of his biggest productions were staged. Following the transfer of power to the National Socialists in 1933, Kahane emigrated to Palestine. Other family members fled to the United States, assisted by the modernist composer Arnold Schönberg (1874–1951), a close family friend, and the author Thomas Mann (1875–1955).30 The 27-year-old 28 Kahane, Arthur Kahane, Reinhardt’s Dramaturge, 59. 29 Universitätsarchiv der Technischen Universität Berlin, Matrikel Bd.  VIII (1923–1928), 351, achte Zeile (über die Doppelseite), Eintrag zu Anselm Kahane; HUJI CA, Kahane Collection, 17/3, Ariel Kahane, Curriculum Vitae, n. d. 30 Telephone interview with Tamar Oestreich by the author, 18 October 2015.

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Kahane arrived in Palestine with “19 pounds in his pocket, without knowing anybody.”31 In August 1936, after spending some time in private practice, he joined the British colonial administration.32 He was hired as the senior draughtsman for the British Chief Planner Henry Kendall (1903–1983, formally the Town Planning Advisor to Palestine), in the newly founded Office of the Town Planning Adviser, which oversaw all planning activities in Palestine. Kahane remained in this position, perhaps the highest-ranking role held by a Jewish planner in Palestine at the time, until 1946. Upon Israeli independence in 1948, Kahane joined the founding team of the National Planning Department, where he served as a senior planner until 1963. His different capacities included chief planner of the Western Galilee (1948–1953), where he made his most significant contribution to national planning, and head of the Division of Regional and National Plans (1953–1963). In his first capacity, he orchestrated the transformation of the Northern border area of the Western Galilee from a depopulated Palestinian area to a Jewish, mixed urban-rural region, with new urban and agricultural communities inhabited by Jewish immigrants. After twenty-five years in public service, Kahane turned to the international arena. In 1963, he was appointed UN advisor to Turkey for regional planning, a position for which he showcased his experience in Israeli nation-building.33 He then served for a brief period as the city engineer of Jerusalem in the mid-1960s, before moving to the private sector. A prolific writer, Kahane published extensively in professional journals in both German and English.34 From the 1970s until his death in 1986 in Jerusalem, he worked on his magnum opus, Erlebte Raumplanung, gegründet auf den Erfahrungen im Raum Israel, an over 1,000-page volume that sets out an extensive theory of planning. Four out of eight planned volumes were ultimately published before his death.35 The unpublished parts of this manuscript, in which he expanded his planning ideas into a more general philosophy (including a section on “Futurologie”), await scholarly attention (fig. 2).

31 JDK, Interview with Ariel Kahane by Mira Yehudai (transcript of interview no. 3, unpublished), 10 May 1981, 1. 32 Philip Gillon, Planning for Living, in: The Jerusalem Post, [c. 1961], 2. 33 This commission was preceded by a study tour in Belgium, Italy, and Switzerland, conducted on a UN fellowship 1955–1956. The move from an observer to a UN expert reflects the change in the status of Israeli professionals in the 1960s from being importers to exporters of nation-building expertise, as described below. 34 A selection of these publications can be found in the family collection (JDK). 35 Ariel Kahane, Erlebte Raumplanung, gegründet auf den Erfahrungen im Raum Israel, 4 vols., Hannover 1981–1986.

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Fig. 2: Erlebte Raumplanung, gegründet auf den Erfahrungen im Raum Israel, the complete project plan. Four volumes were published (1981–1986, the fourth postmortem), and three additional manuscripts were found among Kahane’s papers. Courtesy of Josiah and Dolly Kahane Collection.

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An Archive without a Home Throughout his career, Kahane assiduously maintained a private collection of his work-related materials, saving virtually every piece of paper.36 In 1982, he donated portions of his papers to the Department of Geography at the Hebrew University in Jerusalem. Kahane was approached by Professor Shalom Reichman (1935–1992), a leading geography scholar and of German origin, and Mira Yehudai, Reichman’s then-Master-degree student. Reich­man was a pioneer in the study of planning history in Israel, in which capacity he collected materials from members of the founding team of the National Planning Department, such as Eliezer Brutzkus (1907–1987) and Zion Hashimshoni (1905–1989).37 Realizing the significance of Kahane’s materials, Yehudai suggested to Kahane that he donate his collection.38 Kahane agreed, explaining that he saw great importance in “contributing to the understanding, research and teaching” of “spatial (physical) planning of Israel,” and his distinct role within it.39 According to Yehudai, Kahane expressed his “concerns that after his death, there will remain no trace of his planning work and private archive.”40 Indeed, it seems that he even funded the closets holding his collection.41 On 3 February 1982, a modest event was held on campus marking the donation of the collection. Kahane gave the keynote lecture, entitled “On the History of Physical Planning in Israel.”42 Since the Geography Department had no suitable archival facilities, both sides agreed that the collection would be stored in a closet in a specific “locked room” within the department.43 Kahane insisted on organizing the materials himself, with the goal of “elevating the level of the archive, its aesthetic value and its usability by researchers and students.”44 However, uncatalogued and with no real institutional resources to accommodate this irregular archival arrangement, the collection, stacked in an unmarked closet, fell into oblivion for over three decades.45 36 Conversations between Josiah Kahane and the author, 2014. 37 For background information on Reichman and his work, see HUJI CA, Kahane Collection, (1 December 2019). 38 Mira Yehudai to author, 26 February 2017 (email correspondence). 39 JDK, Ariel Kahane, The Establishment of the A. Kahane Archive, 1 August 1981. 40 Mira Yehudai to author, 26 February 2017 (email correspondence). 41 JDK, Ariel Kahane, The Establishment of the A. Kahane Archive, 1 August 1981. 42 JDK, Department Colloquium, n. d. 43 JDK, Amiram Gonen/Joshua Cohen to Ariel Kahane, 10 July 1981. 44 JDK, Ariel Kahane, The Establishment of the A. Kahane Archive, 1 August 1981. 45 When found in 2014, the collection also included Reichman’s papers. It seems that, at some point, perhaps after Reichman’s untimely death, the collections were combined. As a result, we have treated Kahane’s archive as a crypto collection within the papers of Reichman.

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In 2014, when it was rediscovered and incorporated into the “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel” project, a question arose as to its proper archival home. Kahane’s relative obscurity made it especially difficult to explain to other archives the potential value of the collection. Eventually, the Director of the Central Archives of the Hebrew University, Ofer Zemach, could be convinced of such, and a special arrangement was made: The private papers were to be incorporated into this otherwise internal institutional archive. Coming full circle, on 5 March 2017, thirty-five years after the earlier event marking the donation of the collection, another one took place.46 This time, it marked the transfer of the collection to its permanent archival home at the Central Archive of the Hebrew University; it was held in the presence of Kahane’s family, scholars, students, and members of the dwindling community of elderly Jerusalemite Jeckes. At last, with the collection catalogued and accessible, we are finally able to trace the oeuvre of Kahane and its entanglement within the wider flows and currents of his time.

The Planning Exhibition, 1945 Kahane began producing an original body of planning ideas in the early 1940s. Unsatisfied by his work at the British colonial planning office, the high-minded Kahane turned his creative forces inward, towards Palestine Jewry. He first circulated his ideas within the Jewish professional community.47 In 1945, he made his most ambitious attempt, organizing a public exhibition, “Contributions to Planning in Palestine,” arguably the first planning exhibition in Zionist Palestine. A close circle of his German-Jewish network assisted him in putting the exhibition together. His brother, Peter (Penuel) Kahane (1904–1974), who at the time was the archeological curator at the Bezalel School of Arts & Crafts in Jerusalem, provided him with the exhibition hall at the institution, while three German-émigré colleagues, Rudolf Tröstler (1908–1998), Hans Witt (1908–1988) and the Bauhaus-graduate

46 Symposium “In the Field and in the Archive. A Look into the Planning History of Jerusalem and Israel” (Heb.), (1 December 2019). 47 See Ariel Kahane, Clarification of Basic Problems in Town Planning, in: Engineering Survey. Essays and Articles, The Engineers’, Architects’ and Surveyors’ Union of Palestine (March 1944), 14–16 (Heb.).

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Chanan Frenkel (1905–1957), assisted him in preparing the materials.48 The exhibition was open to the public for a brief three weeks, from 6 January to 27 January 1945. It provided an overview of the emergent field of planning and its national importance, introducing model plans at both the regional and urban levels (fig. 3).

Fig. 3: The “Contributions to Planning in Palestine” exhibition; left: exhibition hall; right: invitation to the exhibition opening. Courtesy of Josiah and Dolly Kahane Collection.

Kahane’s hope was to make urban planning a topic of “public discussion” in both the “professional milieu as well as circles of laymen with executive power.”49 Stakes were high, and timing was crucial. Only several months before the end of World War II, debates within the Zionist community over the proper postwar strategy were intensifying, with the anticipated arrival 48 These four founded an association, the United Jerusalem Architects, which seems to have been short-lived. Frenkel’s work has recently been reconsidered in the exhibition “From Bauhaus to Palestine. Chanan Frenkel, Ricarda and Heinz Schwerin,” held in Bauhaus Dessau in 2013. See Bauhaus Dessau, Bauhaus Biographies. From Bauhaus to Palestine. Chanan Frenkel, Ricarda and Heinz Schwerin – Exhibition 2013, (1  December 2019). On Trostler, see Adina Meyer-Maril, The Architect Rudolf Reuven Trostler (1908–1998). Life and Work (forthcoming). 49 JDK, Ariel Kahane, Planning in Palestine (unpublished manuscript), Vorwort, Jerusalem 1945, 4 (Germ. and Engl.).

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of Jewish immigrants and the desire to mobilize this inflow in the service of nation-building.50 Kahane was eager to carve out a space for his ideas within this growing discourse. Rather than seeking to exert influence through the primary corridors of Zionist decision-making or his official position, Kahane, the Jecke outsider, turned to the time-honored cultural bastions in which he was well-versed: the museum and the exhibition hall. By and large, exhibitions were not unusual within the landscape of Jewish life in interwar Palestine. However, this was the first exhibition in Palestine dedicated to the emerging field of planning.51 From the inception of the field in fin-de-siècle Europe, planning exhibitions were an especially popular and effective tool in the institutionalization and dissemination of the planning idea to the public.52 Kahane’s initiative was a pioneering attempt at importing this tradition into Palestine, with the hope of achieving a similar effect within the Jewish public. Despite its novelty and timeliness, however, the exhibition was largely overlooked both by Kahane’s contemporaries and, later, by scholars. Except for a few positive mentions in the Jewish press, the exhibition left no lasting impression on either the professional community or the wider public.53 According to Kahane, the only positive reaction came from Richard Kaufmann (1887–1958), the chief architect of the Zionist movement

50 Economic planning was a central topic within these debates. See Arie Krampf, The National Origins of the Market Economy. Economic Developmentalism during the Formation of the Israeli Capitalism, Jerusalem 2015 (Heb.); Ilan Troen, Calculating the “Economic Absorptive Capacity” of Palestine. A Study of the Political Uses of Scientific Research, in: Contemporary Jewry 10 (1989), no. 2, 19–38. 51 Exhibitions were being held regularly as a means for showcasing the Zionist community’s cultural, agricultural, and technological achievements. The most notable example was the international Levant Fair, which took place during the 1920s and 1930s in Tel Aviv. See Sigal Davidi Kunda/Robert Oxman, The Flight of the Camel. The Levant Fair of 1934 and the Creation of a Situated Modernism, in: Haim Yacobi (ed.), Constructing a Sense of Place. Architecture and the Zionist Discourse, Aldershot 2004, 52–75. Zionist institutions also made a special effort to participate in international fairs, such as the World Exhibitions in Paris (1937) and New York (1939). Kahane’s exhibition prefigured the famous 1950 national planning exhibition, organized by the National Planning Department, which is commonly considered as the first planning exhibition in Jewish Palestine/Israel. On the 1950 exhibition, see Zvi Efrat, The Israeli Project. Building and Architecture, 1948–1973, Tel Aviv 2004, 989–1018 (Heb.). 52 On the centrality of public planning exhibitions to the evolution of the field, see Robert Freestone/Marco Amati (eds.), Exhibitions and the Development of Modern Planning Culture, Farnham/Burlington, Vt., 2014. 53 Critics emphasized the contribution of the exhibition in highlighting the urgent need to control urban sprawl through public planning. See, e. g., An Exhibition of the Planning of Construction in the Country, in: Ha’aretz, 15 January 1945, 2 (Heb.); Special Correspon­ dent, Organic Town Planning Exhibition, in: The Palestine Post, 8 January 1945, 3.

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in Palestine at that time, who “was impressed” and “visited my exhibition several times.”54 A typewritten manuscript of over 300 pages, drawn up in German by Kahane, accompanied the exhibition. Two (known) copies of the manuscript exist, one of which Kahane chose to include in the collection.55 The manuscript embodies the most comprehensive layout of Kahane’s early theory of planning. It is a highly optimistic text, which captures the worldwide anticipation for building a better society after the war. Kahane emphatically argued that “people all over the world expect out of this war more than the downfall of tyrants. They expect the planning for a better life. The enormous technical and scientific possibilities of today open a bright prospect for this undertaking.”56 With the help of the manuscript, we are able to reconstruct the contents of the exhibition and its utopian premises, serving, as it were, as a practical roadmap for this ambitious endeavor.

“The Scattered Town”: A Universal Urban Model In the exhibition, Kahane presented an array of original planning ideas, ranging from purely conceptual models to actual planning schemes at both the urban (for the city of Jerusalem) and the regional (for the Tel Aviv area) levels. His “Scattered Town,” a universally applicable urban model, was particularly interesting. An idiosyncratic interpretation of the period’s leading urban ideas, it presented a careful synthesis between Garden City principles, the Neighborhood Unit, and the modernist Functional City.57 In the spirit of his time, Kahane’s city constituted a “clean slate,” marking a radical departure from the industrial city of the past. The nineteenth-century “Concentric Town,” dominated by congestion, chaos, and incremental outward growth, was to be replaced by the “Scattered Town”: a pre-planned

54 JDK, Interview with Ariel Kahane by Mira Yehudai (transcript of interview no. 4, unpublished), 18 May 1981, 1. 55 Kahane, Planning in Palestine. 56 HUJI CA, Kahane Collection, 13/4, Ariel Kahane, Outline for the Constitution of a Department of Housing and Planning, August 1942, 1. 57 The Garden Cities idea, originally conceived in 1898 by Ebenezer Howard in Britain, quickly spread around the world as a leading urban idea. The Neighborhood Unit emerged in the United States in the 1920s, and shortly thereafter became one of the most influential ideas in modern residential planning. The Functional City, a key concept referring to the four basic urban functions – housing, work, recreation, and transportation – was consolidated as part of the fourth conference of the Congrès internationaux d’architecture modern (CIAM) in 1933, and came to define the modernist city.

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city, comprised of bounded, single-use built units, and surrounded by large tracts of open areas. These built-up areas, functionally separated into residential, commercial, and industrial sections, were to be placed around the city’s “zenith,” the economic, cultural and civic core, located at the geometric center of the circular city (fig. 4).58

Fig. 4: “The Scattered Town,” prepared by Kahane, 1943. Courtesy of Josiah and Dolly Kahane Collection, Ariel Kahane, Planning in Palestine (unpublished manuscript), Jerusalem 1945.

Rationally ordered, visually legible, and with strict separation of uses, Kahane’s urban ideal epitomized the utopia of the Functional City, as articulated by the Modern Movement in the early 1930s. By the 1950s, these princi-

58 Kahane, Planning in Palestine, 4–9; this section is called “Ein Plan für Jerusalem.” The notion of the “Scattered Town” was first presented in 1944 in an essay published in a leading professional journal of the Histradrut (Labor Zionism’s powerful trade union). See Kahane, Clarification of Basic Problems in Town Planning.

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ples would reach full expression in the construction of the city of Brasília, the “most complete example” of the modernist utopism.59 Another salient feature in Kahane’s plan was his treatment of open areas. In order to green the city, Kahane’s model reversed the typical relationship between built-up and open areas (fig.  5). Instead of a continuous built-up area, peppered with green patches, the city was envisioned as a mostly open landscape, interspersed with bounded built-up nuclei. Since these publicly owned, open areas were to dominate the cityscape and constitute “most of the urban land,” Kahane accorded them a central role, locating within them key urban functions.60 No longer would there be “in-between” green zones reserved for recreation, health, and hygienic purposes. Instead, these open stretches – forests, agriculture, and parks – were to become an essential part of urban life. Important civic facilities, such as schools, hospitals, sports clubs, and even military training grounds, were all to be located in these large green tracts. Access to these areas would be no more than ten minutes from any given point in town. The residential districts were conceived as Neighborhood Units, one of the most advanced planning concepts at the time: semi-autonomous, contained residential communities of 5,000 to 10,000 inhabitants, with schools, places of worship, and recreational areas at its center.61 The use of Neighborhood Units allowed Kahane to challenge contemporary dominant patterns of both urban growth and suburbanization. In contrast to the then standard “Satellite Settlements,” “Garden Cities,” and “Suburbs” – all forms of outward growth towards the region – in his model, the built-up nuclei “are city parts of equal standing. They [in and of] themselves constitute the city”.62 Growth would take form by adding more “city parts,” namely, Neighborhood Units, within pre-defined urban perimeters. In this way, otherwise outward growth to the broader region was contained, rendering the familiar pattern of urban expansion superfluous. Sprawl was turned back into the city, dissolving the city from within to create a new urban order. 59 James Holston, The Modernist City. An Anthropological Critique of Brasília, Chicago, Ill., 1989, 31. On the Functional City, see Eric Mumford, The CIAM Discourse on Urbanism, 1928–1960, Cambridge, Mass., 2000, esp. 59–130. 60 See Kahane, Clarification of Basic Problems in Town Planning, 13. 61 See ibid., 15. During those years, Kahane was directly exposed to the idea of the Neighborhood Unit, having worked with Kendall on the latter’s master plan for Jerusalem. Kendall planned the future expansion of the city in the form of Neighborhood Units. See Henry Kendall, Jerusalem. The City Plan. Preservation and Development during the British Mandate 1918–1948, London 1948, 39–50. On the Neighborhood Unit concept, see Nicholas N. Patricios, Urban Design Principles of the Original Neighbourhood Concepts, in: Urban Morphology 6 (2002), no. 1, 21–32. 62 Ibid., 15 (emphasis added). The Satellite Concept guided key planning schemes from ­Ernst May’s Neues Frankfurt to Patrick Abercrombie’s 1944 Greater London Plan.

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Fig. 5: Functions of Green Tracts within “The Scattered Town,” prepared by Kahane, 1943. Courtesy of Josiah and Dolly Kahane Collection, Ariel Kahane, Planning in Palestine (unpublished manuscript), Jerusalem 1945.

Whatever hopes Kahane had for the acceptance of these high-order utopian ideas, they were soon shattered in the face of the poor reception of the exhibition. Kahane bitterly reminisced in the early 1980s that even though the exhibition “was groundbreaking […] we received only negative feedback.”63 While the reasons for this disregard remain unclear, for Kahane, they were to be found in the organizers’ identity as outsider immigrants: As “four Jeckes,” he explained, they were not taken seriously by the Zionist “institutions.”64 In the following decades, he would forego abstract modeling in favor of seeking more practical outlets for his utopian fervor.

63 JDK, Interview with Ariel Kahane by Mira Yehudai (transcript of interview no. 1, unpublished), 14 May 1981, 3. 64 Ibid.

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“The City of Tomorrow”: The New Town of Oshrat, 1950 The establishment of the State of Israel in May 1948 changed the situation entirely for Kahane. Within two months, in July 1948, he found himself a founding member of the newly established National Planning Department. Arieh Sharon (1900–1984), the prominent Bauhaus-graduate architect, was appointed head of the Department and recruited Kahane as a team member.65 With the backing of the domineering Prime Minister, David Ben-Gurion (1886–1973), the Department embarked upon an ambitious project: to plan a chain of New Towns (later known as Development Towns, Ayarot Pituaḥ) to be located throughout the newly founded country.66 These new urban centers were meant to respond to the profound demographic and territorial transformation that ensued from the war. Some 700,000 Palestinians were expelled or fled from their homes, while about the same number of Jewish immigrants flooded into the country within the first three and one-half years.67 The extensive Palestinian-owned lands that were left behind were nationalized, and a remarkable 93 percent of all the land in the country was now controlled by the State.68 As a result, the New Towns were to provide a solution for two of the most pressing needs of the nascent country: inner colonization and mass immigration. Their establishment was to secure Jewish settlement on former Palestinian lands while also providing immediate housing for the arriving immigrants (fig. 6).

65 Arieh Sharon was one of the leading pioneers of architectural modernism in Israel. For ­biographical background on Sharon, see Myra Warhaftig, They Laid the Foundation. Lives and Works of German-Speaking Jewish Architects in Palestine 1918–1948, 2nd, revised and enlarged edition, Tübingen/New York 2007, 122–125; Arieh Sharon Foundation, Arieh Sharon. Architect, (1 December 2019). 66 The Israel endeavor was part of the New Towns movement that had swept the immediate postwar world. The term “New Towns,” used by the Israeli planners in the early years, conjuring up images of modernity, progress, and worldliness, was, however, quickly replaced by the local designation “Development Towns,” associated with backwardness and poverty. I will employ New Towns as the original term used by the planners. On the international New Towns movement, see Rosemary Wakeman, Practicing Utopia. An Intellectual History of the New Town Movement, Chicago, Ill., 2016. 67 Benny Morris, The Birth of the Palestinian Refugee Problem Revisited, 2nd, revised edition, Cambridge/New York 2004 (1st edition 1989), 382 and 589. 68 On the demographic and territorial consequences of the war in 1948, see ibid.; Arnon Golan, Jewish Settlement of Former Arab Towns and Their Incorporation into the Israeli Urban System (1948–50), in: Israel Affairs 9 (2002/03), no. 1–2, 149–164.

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Fig. 6: “New Towns and their Areas of Influence.” Source: State of Israel, Planning Department, c. 1950.

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According to Sharon’s deputy, Zion Hashimshoni, Kahane, having worked in the office of the Town Planning Adviser, was an especially good fit for the team since he “had great knowledge of planning theory and information on Israel” and he “always aspired to proactive planning,” from which he “had been prevented” during the Mandate period.69 For Kahane, hopes could not have been higher: The new situation provided “ideal conditions” in which “land was allocated with a generous hand,” and there was an “unlimited abundance of problems, relatively fast decision-making, and a confidence in their implementation.”70 Indeed, between the years 1948 and 1951, Israel established fifteen New Towns, more than half of the twenty-seven New Towns that were created in total. The settlement campaign was guided by the “National Master Plan for Dispersal of the Population” (the “Sharon Plan”), prepared by the National Planning Department.71 As the regional planner of the Western Galilee (1948–1953), Kahane’s main task was to plan Jewish New Towns in his district. A predominantly Palestinian region prior to the 1948 Palestinian exodus, this mountainous, Northern border area was originally meant to be part of the Palestinian state called for in the 1947 United Nations partition plan. During the war, the region had been significantly depopulated, but it nonetheless remained the largest concentration of Palestinians within the newly founded State, interspersed by only a few Jewish agricultural communities.72 The Palestinian population was put under military rule and the region became the focus of a campaign for the “Judaization of the Galilee,” a joint 69 Zion Hashimshoni, Ba-shevil bo halakhti. Zikhronot, 1904–1972 [The Path which I Trodded. Memories, 1904–1972], Herzliya 1997, 137. 70 Kahane, Twenty-Five Years of National Planning in Israel, 256. Kahane was not alone in this sentiment. For the planners, the establishment of the State of Israel had provided optimal conditions for realizing their long-advocated ideas. Sociologist Smadar Sharon has provided a compelling analysis of the alliance between Israeli planners and the young State, in the context of mid-twentieth century high modernism. She pointed to the homology between the modernist planning models and the national project, especially in colonial situations and in times of nation-building, as both professionals and the State were united in their desire to transform, and control, social order. See Smadar Sharon, Ha-metakhne­ nim, ha-medina ve-iẓuv ha-merḥav ha-le’umi be-re’shit shnot ha-ḥamishim [Planners, the State, and the Shaping of National Space in the Beginning of the 1950s], in: Theory and Criticism 29 (Autumn 2006), 31–57. 71 The plan is the principal policy document produced by the National Planning Department in early statehood. See Arieh Sharon, Tikhnun fizi be-Yisra’el [Physical Planning in Israel], Tel Aviv 1952. 72 According to State statistics, at the end of 1953, there were 97,000 Palestinians, as opposed to only 34,500 Jews, residing in his planning district, see HUJI CA, Kahane Collection, 13/9, Ariel Kahane, Memorandum Regarding the Jewish Development of Western Galilee, 17  August 1954,  2. For the authoritative study on the depopulated Palestinian communities, see Walid Khalidi, All That Remains. The Palestinian Villages Occupied and Depopulated by Israel in 1948, Washington, D. C., 2006.

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military and civilian effort to block the Palestinian refugees from returning to their homes and to create an irreversible settlement reality.73 Kahane, like the other state planners, adhered to this ideological dictum. If there were any reservations, they are not reflected in his papers. He argued that “Judaization of the Galilee was the need of the hour,” and stressed the “danger posed by the return of the Arab refugees.”74 With ample land and immigrants to mobilize, he was free to reinvent Western Galilee as a Jewish region. By 1950, Kahane had already formulated a concrete settlement plan.75 It included a chain of six New Towns located in two parallel axes, three in each axis. Running East-West, they were situated carefully in accordance with the changing topography, from the Mediterranean coast to the hills, and reaching deep into the Galilee mountains (fig. 7).76

Fig. 7: The Western Galilee Urban Chain, prepared by Kahane, c. 1950 (redrawn in 1969). Courtesy of the Hebrew University of Jerusalem, Central Archive, The Papers of Professor Shalom Reichman and the Crypto Collection of Ariel (Anselm) Kahane, 13/16.

73 See the materials in HUJI CA, Kahane Collection, 13/9, esp. Yuval Ne’eman, The Problem of Developing the Galilee, n.  d. This settlement policy has been carried out in various forms until the present and it remains a topic of ongoing debate. See, e. g., Zafrir Rinat, Ha-ḥativa la-hityashvut meḥadeshet et tukhnit yahud ha-Galil [The Settlement Unit to Renew the Judaization of the Galilee Plan], in: Ha’aretz, 1 December 2013. 74 HUJI CA, Kahane Collection, 16/3, Ariel Kahane, Oshrat. A Perspective on Urban Populating in Western Galilee, in: Elisha Efrat/Moshe Yedaya (eds.), Tikhnun ezori ba-Galil ha-ma’aravi. Koveẓ meḥkarim [Regional Planning in Western Galilee. Anthology], Haifa 1975, 37–43, here 37 f. 75 See ibid., 38. 76 Ibid., 38 f. This regional structure resembles Patrick Geddes’ famous Valley Section, an ideal concept of regional planning. Kahane was well aware of this idea at least as early as the 1940s, as evident from his writings. See idem, Planning in Palestine, section “Aufga­ ben der Biotechnik in der städtebaulichen Planung.”

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In the center of this chain, Kahane placed the town of Oshrat. Ultimately never built, the town was conceived of as the “star” settlement of the region, serving as its civic tourist, scientific, and cultural center.77 The name Oshrat was chosen to evoke the Biblical tribe of Asher, which was associated with the Galilee, thereby seeking to reinforce the Zionist historic claim to the national territory.78 Kahane had found a suitable site for the town, chosen deliberately for its natural beauty and pleasant climate. It was located about seven kilometers East of the beach town of Nahariya, on the slopes of the lower Galilee, and offered spectacular open vistas to the West, while the background of the Eastern side was dominated by the thirteenth-century Crusader fortress of Yehiam (Qala’at Jiddin) (fig. 8).79

Fig. 8: Oshrat and Its Environs, Land-Use Plan, 1:10,000, prepared by Kahane, 1950. Courtesy of the Hebrew University of Jerusalem, Central Archive, The Papers of Professor Shalom Reichman and the Crypto Collection of Ariel (Anselm) Kahane, 13/16. 77 See ibid., 41. 78 See ibid., 37. Oshrat also derives from the Hebrew word Osher, meaning happiness. This toponymical choice was a common practice in early statehood. On the Hebraization of the landscape, see Meron Benvenisti, Sacred Landscape. The Buried History of the Holy Land since 1948, transl. by Maxine Kaufman-Lacusta, Berkeley, Calif., 2000, esp. chap. 1: The Hebrew Map, 11–54. 79 HUJI CA, Kahane Collection, 13/16, Ariel Kahane, A Proposal for Establishing the Town of Oshrat in Western Galilee, 21 August 1957, 2.

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Oshrat’s urban layout gave concrete expression to the principles articulated in the “Scattered Town”: low-density Neighborhood Units interspersed with vast green stretches, a strict separation of uses, and with its civic, commercial center located at the heart of the town. In addition, it embodied a close consideration of the natural surroundings: The built-up areas were well-integrated into the hilly landscape, the road system followed the contours of the terrain, and industrial zones were reserved only for the lower slopes. Indeed, the town’s urban design also resembles many of the other New Towns built at the time across the country by Kahane’s colleagues at the National Planning Department.80 Yet Oshrat was also a project Kahane particularly cherished, viewing it as his professional peak, an opportunity to implement his particular urban vision.81 For the rest of his life, Oshrat remained a personal passion. The recent uncovering of his archive reveals much about this unrealized, and altogether forgotten, regional utopia, as well as about Kahane’s persistent attempts to implement his plans, even as late as the 1970s. Kahane envisioned Oshrat as an exclusive mountain vacation town, redolent of such towns in Europe. Taking full advantage of its natural setting, it was to become a “modern recreational center” for the region of Western Galilee, “the most European landscape in Israel.” As such, it would serve as the departure point both for hiking in the mountains in the East and relaxation on the beach in the West.82 To reinforce the image of prestige, Kahane further pictured Oshrat as an educational and scientific center, with special appeal for the Jewish diaspora. In this vein, his different proposals ranged from a scientific research center that would make the town the “Rehovot of the North” (referring by this to the Weizmann Institute of Science), to international boarding schools for Jewish diaspora youth, and retirement facilities for domestic senior citizens “and even wealthy Jews” from the diaspora.83 This elitist urban vision, however, came together with certain biases and a disregard for uncomfortable realities that did not fit into this image of modernity and progress. Kahane’s archival silence regarding the scores of Palestin80 Compare with other New Towns in the “Sharon Plan,” see Sharon, Tikhnun fizi be-Yisra’el, 33–61. 81 It seems that the last official mention of Oshrat was in the “Sharon Plan.” Ibid., 48 f. Four out of the six proposed towns were eventually realized, albeit in a manner that differed from Kahane’s plan: The two coastal towns (Nahariya and Acre), already existing settlements, were expanded significantly (the latter, originally a Palestinian town, was mostly depopulated in 1948 and was repopulated by Jewish immigrants); two new mountainous towns were built de novo (Ma’alot and Karmiel, the latter only in the 1960s and on a different site). The two intermediate towns proposed by Kahane, Upper Acre and Oshrat, were never built. In addition, the Jewish town of Nazareth Illit (Upper Nazareth) was built in the region during this period. 82 HUJI CA, Kahane Collection, 16/3, Ariel Kahane, Oshrat, 38 and 41. 83 Ibid., 41.

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ian settlements in his planning district is glaring. These communities appear only in connection with the Judaization of the region and the demogra­phic threat that they posed to the national project. Nazareth, for instance, the ­largest Palestinian city in the Galilee, was to be contained by creating a new contiguous Jewish town, while in the Northern border village of Tarshiha, there were already concerned expressions of creeping “Arab expansion.”84 Moreover, regarding the Jewish community itself, Kahane made a clear distinction between high- and low-status immigrants who would inhabit Oshrat. Given Oshrat’s explicit aspiration towards “Europeanness,” Kahane urged the absorption of immigrants of “European backgrounds” in addition to the “usual manpower [needed for] industry and development,” referring by this to the low-status “Mizrahi” immigrants from Asian and North African countries who were directed to New Towns in the periphery to serve mainly as manual laborers.85 Signs for the plan’s feasibility were propitious, he contended, pointing to Rassco, the German-Jewish settlement company, which had given its initial consent to “participate in the establishment and organization of the new town.”86 Kahane’s attitude towards the Mizrahi newcomers reflects the complex paternalistic approach of the Ashkenazi elites towards Mizrahi mass immigration. Sociologist Smadar Sharon has termed this approach “limited inclusion”: on the one hand, adhering to the paradigm of the “melting pot,” namely, the ingathering of the exiles and their ideal homogenization into a single new national society; while, at the same time, fostering an orientalist approach towards these newcomers, based on their supposed “primitiveness,” thereby creating patterns of ethnic and class-based segregation, proletarianization, and social stratification.87 Furthermore, according to this analysis, the State’s treatment of the Mizrahi Jews was inextricably related to that of the Palestinian minority. Both groups were viewed as part of a hierarchical continuum: Palestinians, as non-Jewish “Arabs,” were subject to military rule, exclusion, and segregation, while Mizrahi immigrants, as “Arab-Jews,” were entitled to inclusion, albeit “conditional and hierarchical.”88 This interpretation serves to explain

84 Ibid., 13/9, Ariel Kahane, Memorandum regarding the Jewish Development of Western Galilee, 17 August 1954, 2. 85 Ibid., 13/16, Ariel Kahane, A Proposal for Establishing the Town of Oshrat in Western Galilee, 21 August 1957, 2. 86 Ibid. 87 See Smadar Sharon, Not Settlers but Settled. Immigration, Planning and Settlement Patterns in the Lakhish Region in the 1950s (unpubl. PhD thesis, Tel Aviv University, 2012), 21 (Heb.). 88 Ibid., 13–23; Yehouda Shenhav, The Arab Jews. A Postcolonial Reading of Nationalism, Religion, and Ethnicity, Stanford, Calif., 2006.

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Kahane’s treatment of these two groups within his planning district: Future Mizrahi residents of Oshrat were designated for manual labor, crucial for the construction of the town, but inferior to its elitist “European” image; while the nearby Palestinian communities were excluded altogether from Oshrat’s regional vision, despite their physical proximity. In this sense, Kahane’s regional concept testifies to the “cracks in the utopia” of modernist planning; its blind spots, internal contradictions, and limitations.89 A profession espousing human betterment and universal progress in the service of the broader “public good,” it nonetheless was circumscribed by territorial-national interests and ethnic biases. In nascent Israel, this planning rationale for the Galilee was indicative of planning throughout the country, serving to form enduring patterns of social inequality and discrimination that remain a focus for heated public and scholarly debates.90 Kahane, however, never gave up his regional vision; indeed, he kept updating his plans during the following years. His continuous engagement with the plan led him to declare as late as 1975, that while the six-town plan “had only been partially realized,” it did not “put into question its basic notions nor the possibility that one day it could be fully implemented.”91 He argued that the plan  – with necessary updates  – remained the “optimal solution” for the region now as much as in the 1950s. Indeed, he urged the residents in the region to promote the construction of the town: “Oshrat is the challenge of planning and designing of ‘the city of tomorrow,’ a city of suitable human scale, and distinctive landscape.”92 The ample professional materials on Oshrat that were deposited in his collection reverberate with this call for action. From hand-drawn sketches to maps, scribbles, calculations, and surveys, variously in German, Hebrew and English – all seem to await future planners who would heed to Kahane’s call and assume this task.

89 Oren Yiftachel, Sedekim ba-utopia. Al “ẓado ha-afel” shel ha-tikhnun [Cracks in the Utopia. On the “Dark Side” of Planning], in: Block 3 (2006), 78–90. 90 A recent example is the documentary film “The Ancestral Sin” released in May 2017, (1 December 2019), and the fierce ongoing public discussion that it has evoked, leading to a governmental initiative in March 2018 to make accessible arguably classified archival records regarding early statehood mass settlement. 91 HUJI CA, Kahane Collection, 16/3, Ariel Kahane, Oshrat, 37. 92 Ibid., 43.

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Exporting Nation-Building to Turkey, 1963 Three hefty, hand-bound volumes disclose the latest, and least known, chapter of Kahane’s professional life: his international work in the 1950s and 1960s as a UN commissioner. For high modernist Kahane, these foreign commissions were a full-blown, final attempt at participating in the creation of a better world. The care with which he prepared these volumes is evident in their fine detail, from the untypically sturdy bindings to his elegantly handwritten title pages. The first two volumes reflect, separately, his two major commissions abroad: first, his extensive study tour of Europe (Switzerland, Belgium, and Italy) as a UN fellow in 1955/56, and his work in Turkey as a UN expert in 1963/64.93 A third volume, an over 300-page unpublished manuscript, Übernationale Planung in Europa: Die Lotharingia Region, Problem, Programm und Methodik (1958), offers a unique perspective on cross-national regional planning.94 These volumes were supplemented by various loose professional articles, reports, and publications by Kahane reflecting on these activities. Kahane’s international engagement was set against the increasingly intense global flows of technical knowledge and expertise in the first decades after 1945, including in the field of planning.95 The transmission was typically directed from the developed countries in the West to the so-called developing and decolonizing world and was facilitated by the UN, as well as international professional organizations and various aid agencies. From the Israeli perspective, the 1960s saw the emergence of the “Israeli aid expert.” During that time, a shift occurred in the status of Israeli settlement experts, from being principally importers to becoming exporters of knowledge to developing nations in the decolonizing territories in Africa, Asia and beyond.96 Drawing on their nation-building experience, Israeli experts in engineering, agriculture, architecture and planning effectively utilized the successful reputation 93 They are, respectively: HUJI CA, Kahane Collection, 17/1, Ariel Kahane, Reports to International Organizations, 1956–1959, 1981; and ibid., 16/19, Ariel Kahane, Advices and Reports to the Ministry for Regional Planning in the Government of Turkey, 1963/4. 94 Ibid., 17/2. 95 See Stephen V. Ward, Searching for Effective and Democratic Town Planning. The International Travels of Sir Ernest Simon, 1936–1943, in: Planning Perspectives 32 (2017), no. 3, 353–371; Carola Hein, The Exchange of Planning Ideas from Europe to the USA after the Second World War. Introductory Thoughts and a Call for Further Research, in: Planning Perspectives 29 (2014), no. 2, 143–151. 96 The export of knowledge by Israelis to decolonizing nations in Asia and Africa has become a topic of increasing scholarly attention. See, e. g., Haim Yacobi, Israel and Africa. A Genealogy of Moral Geography, Abingdon/New York 2016; Neta Feniger/Rachel Kallus, Building a “New Middle East.” Israeli Architects in Iran in the 1970s, in: The Journal of Architecture 18 (2013), no. 3, 381–401.

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of Israel as a young country able to create high-level modern infrastructure.97 According to architectural historian Ayala Levin, the Zionist socialist ethos gave Israeli aid a unique character.98 Less endowed financially than many other nations, Israel – itself dependent on the United Nations and the United States – nonetheless emphasized its unique experience of accelerated development and helped to “portray an alluring national image of development in the making, an acceleration of history from ‘backwardness’ to modernity.”99 Kahane was part of this trend of Israeli exportation of nation-building expertise.100 His expert work in Turkey, however, adds another layer to this trajectory. It marks an intricate path of knowledge migration, originating in his training in interwar Germany, imported and reformulated within the context of Israeli nation-building, and then exported to Turkey in the 1960s. In Turkey, as an expert on behalf of the United Nations Technical Assistance Board (UNTAB), he was assigned to consult the Department of Regional Planning in the Ministry of Reconstruction and Settlement in Ankara. In this capacity, he advised on a variety of topics ranging from the regional (town development within a regional context, the structure of planning administration, and a regional plan for Antalya) to the national level (including a physical national plan and a national plan for tourism, recreation and landscape preservation, arguably the first of its kind). During his one-year commission, between October 1963 and October 1964, he produced a dozen interim reports in addition to a final report at the end of his term. These reports, written alternatively in German or English, also included detailed accounts from his study tours across Turkey, from Antalya to Izmir and Istanbul.101

 97 See Eran Tamir Tawil, Introduction, in: idem et al. (eds.), Shliḥut. Adrikhalut, tikhnun ve-pituaḥ me-Yisra’el le-Afrika [Mission. Architecture, Planning and Development from Israel to Africa] (exhibition catalogue), Tel Aviv 2016, 3  f., here  3; Inbal Ben-Asher Gitler, Campus Architecture as Nation Building. Israeli Architect Arieh Sharon’s Obafemi Awolowo University Campus, Ile-Ife, Nigeria, in: Duanfang Lu (ed.), Third World ­Modernism. Architecture, Development and Identity, Oxon/New York 2011, 113–140.  98 See Ayala Levin, Lislol et ha-derekh le-Afrika. Solel boneh ve-ḥaluẓiyut be-yaḥasey Yisra’el-Afrika 1958–1964 [Paving the Road to Africa. Solel Boneh and “Halutziut” in Israeli-African Relations], in: Tamir Tawil et al. (eds.), Shliḥut, 12 f.  99 Ibid., 12. 100 Another member of the National Planning Department who embarked upon an international career during those years was Kahane’s colleague Artur Glikson (1911–1966). Both trained as architects at the TU Berlin-Charlottenburg a few years apart, Glikson’s trajectory took him to the United States regionalist movement, to which he was introduced by the movement’s leading intellectual and Glikson’s close interlocutor, Lewis Mumford. See Shira Wilkof, Urban Arcadias. Émigré Experts, Spatial Knowledge, and the Rise of Zionist-Israeli Planning 1933–1953 (unpubl. PhD thesis, University of California, Berkeley, Calif., 2017), 99–129. 101 Ample materials are located in HUJI CA, Kahane Collection, 16/19–22, and 15/12.

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For Kahane, the commission in Turkey marked the leap forward from the circumscribed national arena to the international one, and from a local planner to a full-fledged international expert. It was an opportunity to join a global elite cadre of technical experts committed to creating a new world order, and the gravitas that Kahane ascribed to this endeavor was notable. His copious (almost-compulsive) writing, meticulous (at times cumbersome) methodological discussions, and enthusiastic descriptions of his encounter with Turkey are hard to miss. After “27 years of [service in] regional offices in Israel,” he considered himself perfectly apt for the task; especially since foreign experts with experience “in such a comprehensive field […] are not often available.”102 Planning, as he emphatically argued, “is not a profession [Beruf], but a calling [Berufung].”103 The planner-cum-architect was primus inter pares amongst other experts, assuming a leading role in facilitating peace and prosperity for all.104 He contrasted his rigor, dedication, and close working relationship to the local Turkish planners with “international showmen” who produce “reports of superficiality as [if] they were white gods vis-à-vis naked bushmen.”105 Therefore, the planner, he argued, “must have a deep feeling of responsibility,” and “ought to be a man of initiative, courage and humanity.”106 Leaving behind the failures and partial realizations in Israel, Kahane as a foreign adviser was in a position to create a perfect, self-contained world of “ought to,” at least on paper, exempt from the burden of execution. As these hopes also seemed to have faded away, Kahane carefully added these volumes to the collection. It was the last of his would-be plans, lingering in anticipation of a more receptive future.

102 Ibid., 16/19, Ariel Kahane, Advices and Reports to the Ministry for Regional Planning in the Government of Turkey, 1963/4; ibid., Report to the Director of the Regional Planning Department, Ministry of Reconstruction and Resettlement Concerning the Formation of Regional Planning Offices in the Provinces of Turkey, 19 January 1964, 2; ibid., Report No. 2 to the UNTAB Headquarters, 13 March 1964, 3. 103 Kahane, Planning in Palestine, section “Vorwort,” 1. 104 Ibid., section “Regionale Planung,”  1; ibid., section “Inhalt und Ziele der Gesamtplanung,” 2. 105 HUJI CA, Kahane Collection, 16/19, Ariel Kahane, Advices and Reports to the Ministry for Regional Planning in the Government of Turkey, 1963/4. Report No. 1 to the UNTAB Headquarters, January 1964, 6. 106 Ibid., 13/4, Ariel Kahane, Outline for the Constitution of a Department of Housing and Planning, August 1942, 6.

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Conclusions In the circuitous routes by which history often unfolds, Kahane’s work now draws attention as a subject of historical interest, a testimony to twentieth-century visionary imaginations and paths not taken; quite the contrary to what Kahane intended. Kahane’s work in Palestine/Israel highlights the intellectual exodus from Central Europe and its aftermath; the persisting émigré experience of cultural displacement and estrangement as well as the utopian possibilities arising from the encounter with the new local context and its various international outlets. Jewish studies, built environment disciplines, area studies spanning Germany, Israel and Turkey, as well as transnational and migration studies, are just a few of the fields to which his work is of interest. Seen in this way, the making of the archive is revealed as an integral part of Kahane’s tale. During Kahane’s decades-long career in Palestine/Israel, he tried various strategies to draw public and professional attention to his ideas, the donation of his collection being the final and ultimate attempt. A direct line can be drawn from the 1945 planning exhibition to the archival endeavor of the early 1980s. As his efforts to affect the immediate present ultimately failed, he turned to an imagined community of future planners. This act, taken by him well into his sixties, was more than about preserving his legacy. By the virtue of its distinct content, it also embodied a tacit aspiration for future realization. Thus, examined in tandem, the archive-as-subject and archive-as-source allow for a nuanced, holistic understanding regarding the complexities of the cultural negotiations of the Jeckes in Palestine/Israel, negotiations that were inherently connected to their distinct position as bearers of high-order knowledge and sensibilities. Ironically, the very fact that Kahane regarded as the main obstacle to the reception of his ideas, namely, his German-émigré origins, is what now, thanks to the “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel” project, rescued the collection from an uncertain future, at last giving it a permanent home. With the same commitment that he showed to his cultural identity, Kahane also regarded his professional credo, never losing his faith in the utopian spirit of architectural modernism long after it had faltered. As architectural and planning historians are increasingly moving beyond the pantheon of the “great men” of modernism to explore the “second-tier” modernists, namely, the “ordinary” professionals who gave form to the modernist vision, the cataloguing of this archive is especially timely.107 It is hoped that further research into Kahane’s work will provide a better understanding of his contribution 107 See, e. g., Hein, The Exchange of Planning Ideas from Europe to the USA after the Second World War, 146.

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to the national planning canon as well as to twentieth century cross-cultural exchange. Far from being the end of the story, the cataloguing of the archive lays open the possibility of unexpected turns. In the constant process of interpretation and re-interpretation that constitutes an archive, will Kahane’s bank of utopian blueprints ever become a source of practical inspiration, for a society, now, as then, still in search of the “good city”?

Silja Behre

Der Bücherdiplomat: Curt Wormanns Nachlass als Quelle für eine globale Bibliotheksgeschichte Als der im Januar 1900 in Berlin geborene Bibliothekar Curt Wormann 1991 in Jerusalem stirbt, gelangt sein Nachlass in das Archiv der Jewish National and University Library, jener Bibliothek also, deren Direktor er von 1947 bis 1968 gewesen war und deren Entwicklung er in den ersten zwanzig Jahren nach der Gründung des Staates Israel prägte. Nun hat das Projekt »Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel« die Erschließung des umfangreichen, rund vierzig Kisten umfassenden Wormann-Nachlasses ermöglicht. Welche Geschichten sind darin verborgen? Zum Beispiel diese: Von der Geburtsurkunde an ließe sich die Biografie eines Berliner Jungen aus jüdischem Hause erzählen, der, in den ersten Tagen des 20. Jahrhunderts geboren, sich freiwillig zum militärischen Hilfsdienst im Ersten Weltkrieg meldet, der, von Friedrich Gundolf geprägt, in Freiburg und Berlin Germanistik studiert, aber eine akademische Laufbahn ausschlägt und sich in seiner Heimatstadt als Bibliothekar dem Arbeiter- und Volksbildungswesen der Weimarer Republik verschreibt, bevor er als Stadtbibliotheksrat der Kreuzberger Bibliothek im Rahmen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 vorzeitig in den Ruhestand versetzt wird. Gemeinsam mit seiner Frau, der Ärztin Carola Wormann-Gottheil (1894–1978), emigriert er 1934 nach Palästina und ist in Tel Aviv ab 1937 Stadtbibliothekar, bevor er von 1947 bis 1968 als Direktor der Nationalbibliothek in Jerusalem fungiert. Seine Vorgänger im Amt waren Samuel Hugo Bergman (1883–1975), zuvor Bibliothekar an der Prager Karls-Universität, und Gotthold Weil (1882–1960), ehemaliger Bibliothekar der Preußischen Staatsbibliothek. Diese Genealogie von aus dem deutsch-jüdischen Kulturkreis stammenden Bibliothekaren ist charakteristisch für die Buch- und ­Bibliotheksgeschichte Palästinas und Israels, die vor allem als eine Geschichte des Wissenstransfers aus Deutschland, als »Germany in the

JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 365–393.

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Holy Land« geschrieben wurde.1 Zuweilen wurden auch typische Erzählungen wie jene vom ordnungsliebenden »Jecken« übernommen, so kommt Felicitas Grützmann zu dem Schluss, dass die »Archiv- und Bibliotheksgeschichte Israels […] zugleich eine Migrationsgeschichte des preußischen Ordnungssinns« sei.2 Auf den ersten Blick fügt sich Curt Wormanns Werdegang vom Berliner Bibliothekar zum Jerusalemer Bibliotheksdirektor in diese Geschichte ein. Doch je mehr Kisten seines Nachlasses geöffnet, je mehr Dokumente sortiert und katalogisiert wurden, umso mehr zeigte sich auch, dass ein großer Teil des Materials über eine deutsch-jüdische Geschichte des Wissenstransfers als Folge der Emi­ gration hinausgeht. Vielmehr wurde deutlich: Curt Wormanns Nachlass verweist noch auf einen anderen Prozess. Die Bibliotheksgeschichte Israels ab der Staatsgründung – und damit ab Beginn seines Direktorats in Jerusalem – entwickelte sich vor allem jenseits der deutschen Bibliothekstraditionen. Wormanns durch die Rockefeller Foundation geförderte Forschungs- und Studienaufenthalte in den Vereinigten Staaten sowie sein Engagement innerhalb der israelischen Delegation der UNESCO führten dazu, dass sich während seiner Amtszeit in den 1950er und 1960er Jahren das israelische Bibliothekswesen internationalisierte und professionalisierte. So ermöglicht der Wormann-Nachlass, über den Tellerrand der deutsch-jüdischen Bibliotheksgeschichte zu schauen, und dies auf mehreren Ebenen. Im Folgenden seien vier mögliche Forschungsperspektiven skizziert, die sich aus dem Bestand ergeben. Zuerst wird gefragt: Wie ist der Wormann-Nachlass beschaffen? Orientiert an Fragestellungen der jüngsten Nachlassforschung wird der Bestand beschrieben und seine Entwicklungsgeschichte rekonstruiert. Anschließend werden ausgehend von Beispielen aus der Korrespondenz Wormanns seine frühen Nachkriegskontakte mit Deutschland im Rahmen einer deutsch-israelischen Beziehungsgeschichte auf dem Gebiet des Bibliothekswesens verortet. Schließlich wird anhand der Studienreisen Wormanns in die Vereinigten Staaten sowie seines UNESCO-Engagements aufgezeigt, wie sich das Wirken des ehemaligen Direktors der Nationalbibliothek auf das Bibliothekswesen Israels nach 1948 auswirkte. Dass er Teil eines weltumspannenden Netzwerks von Bibliothekaren war, davon zeugen bereits

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Siehe hierzu den Aufsatz des selbst aus Deutschland stammenden ehemaligen Bibliothekars der Nationalbibliothek Dov Schidorsky, Germany in the Holy Land. Its Involvement and Impact on Library Development in Palestine and Israel, in: Libri 49 (1999), H.  1, 26–42; Judith Siepmann, Ein Mikrokosmos der deutschsprachigen Emigration. Heinrich Loewe und die Sammlung des Beit Ariela, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/Journal of German-Jewish Literature and Culture History 7 (2013), H. 1–2, 217–238. 2 Felicitas Grützmann, Jüdische Bibliophilie und deutscher Ordnungssinn. Der Beitrag deutsch-jüdischer Emigranten zum Aufbau eines Archiv- und Bibliothekswesens in Palästina/Israel, in: Elke-Vera Kotowski (Hg.), Das Kulturerbe deutschsprachiger Juden. Eine Spurensuche in den Ursprungs-, Transit- und Emigrationsländern, Berlin 2015, 328–336.

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die Beiträge in der ihm gewidmeten und 1975 erschienenen Festschrift.3 Die Erschließung seines umfangreichen Korrespondenznetzwerks erlaubt es, die Rolle des ehemaligen Direktors der Nationalbibliothek und die Entwicklung des israelischen Bibliothekswesens nach 1948 aus einem globalgeschichtlichen Blickwinkel zu betrachten und die Internationalisierung der Wissenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg im Spannungsfeld zwischen universalistischem Fortschrittsoptimismus und Kaltem Krieg näher zu beleuchten.

Der Bibliothekar als »Archivar seiner selbst?« – Überlieferungssituation und Archivierungspraxis Archive und Bibliotheken betreiben Nachlasspolitik. In den Nachlässen, die die Nationalbibliothek in Jerusalem unter den Direktoren Samuel Hugo Bergman (1920–1935) und Gotthold Weil (1935–1946) erwarb  – darunter die Dokumente von Stefan Zweig sowie die Nachlässe des Psychologen Moritz Lazarus und des Gelehrten Leopold Zunz – spiegeln sich nicht nur die Forschungsinteressen der jeweiligen Direktoren wider, sondern auch deren deutschsprachiger und deutsch-jüdischer Hintergrund.4 Doch während sie zahlreiche Nachlässe für die Nationalbibliothek akquirierten, kann für ihren Nachfolger Curt Wormann festgehalten werden: Der Erwerb literarischer Nachlässe war unter seinem Direktorat kein Hauptanliegen. Vielmehr ging es um die Sicherung der Buch- und Bibliotheksbestände aus Europa nach dem Holocaust sowie aus den seit der Teilung Jerusalems 1948 nahezu unzugänglichen Räumlichkeiten der Bibliothek auf dem Gelände der Hebräischen Universität auf dem Mount Scopus. Mit dem 1960 eingeweihten Gebäude der Nationalbibliothek auf dem Campus Givat Ram im Westen Jerusalems hatte Wormann als Direktor einen Ort geschaffen, der nicht nur die Buchbestände zusammenführte, sondern bis heute auch jenes Archiv beherbergt, in dem sich sein eigener Nachlass befindet. Die von ihm zwanzig Jahre lang geleitete Nationalbibliothek archivierte mit der Aufnahme des Nachlasses auch einen Teil ihrer eigenen Geschichte, denn persönlicher Nachlass und Institutionenarchiv greifen in Wormanns Fall ineinander. Doch wie war er, der Literaturwissenschaftler und Bibliothekar, mit jener »Summe aller Materialien« umgegangen, die sich bei ihm »zu Leb3 4

Mordechai Nadav/Jacob Rothschild (Hgg.), Essays and Studies in Librarianship. Presented to Curt David Wormann on His Seventy-Fifth Birthday, Jerusalem 1975. Stefan Litt, Zeugnisse deutsch-jüdischer Kulturgeschichte. Der Erwerb deutschsprachiger Privatnachlässe für die Jewish National and University Library in Jerusalem 1934–1971, in: José Brunner (Hg.), Deutsche(s) in Palästina und Israel. Alltag, Kultur, Politik, Göttingen 2013, 195–212.

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zeiten« angesammelt hatten und seinen späteren Nachlass bilden sollten?5 Inwiefern lassen sich »Strategien der Vorsorge« erkennen und auf ein spezifisches »Nachlassbewusstsein« des Bibliothekars schließen?6 Diese Fragen, zuerst für Schriftstellernachlässe gestellt, bieten sich auch für die Beschreibung eines Gelehrtennachlasses an. Wie also präsentierte sich der Wormann-Nachlass vor der Sortierung? Auf den ersten Blick vermittelt er den Eindruck eines ungeordneten Sammelsuriums und umfasst in seiner ursprünglichen Form sämtliche Dokumente, die sich im Laufe eines Lebens ansammeln können, und das sind neben Korres­ pondenzen eben auch: lose Notizzettel zu Lektüren und Vorträgen, dazwischen Rechnungen für Bücher und Steuerunterlagen, immer wieder Flugtickets und Fahrscheine aus seinem Schweizer Feriendomizil, Taschenkalender, Einladungskarten, UNESCO-Bulletins, Fotografien, die aus Briefumschlägen fallen, unzählige Kunstpostkarten, Sonderdrucke wissenschaftlicher Artikel, die ihm mit einem Gruß versehen geschickt wurden, immer wieder Zeitungsausschnitte, Verlagsprogramme, Tourismusbroschüren und Landkarten. Man ist versucht, Curt Wormann anhand der von Jochen Meyer entworfenen Nachlassertypologie erst einmal nicht zu den »Pedanten« zu zählen.7 Der Eindruck des Ungeordneten verstärkte sich mit Blick auf den zeitlich parallel sortierten Nachlass des Zoologen Heinz Steinitz (1909–1971), der sich durch eine konsequente Systematik auszeichnet, sodass sich den Bestandserfassern immer wieder die Frage nach Unterschieden zwischen Geistes- und Naturwissenschaftlern in der Wissensorganisation stellte, ohne dass jedoch jenseits des Diktums der »zwei Kulturen« (C.  P. Snow) darauf eine Antwort gefunden wurde.8 Indes, im Laufe des Sortierungs- und Katalogisierungsprozesses offenbarte sich eine eigene wormannsche Nachlasspoetik, die Aufschluss über 5

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Regeln zur Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA), betreut von der Staatsbibliothek zu Berlin und der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, 4. Februar 2010, (1. Dezember 2019). Siehe hierzu Kai Sina/Carlos Spoerhase, Nachlassbewusstsein. Zur literaturwissenschaftlichen Erforschung seiner Entstehung und Entwicklung, in: Zeitschrift für Germanistik 23 (2013), H. 3, 607–623, hier 620; dies. (Hgg.), Nachlassbewusstsein. Literatur, Archiv, Philologie 1750–2000, Göttingen 2017. Jochen Meyer, Pedanten und Chaoten. Notizen zu einer Nachlass- und Nachlasser-Typologie, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 49 (2002), 52–58. Siehe hierzu den Beitrag von Elena Müller in diesem Band: dies., Zoology in Translation. Archiving Heinz Steinitz’ Life in Science. An dieser Stelle sei den anderen Bestandserfassern – Liad Levy-Mousan, Camilla Herrmann, Lisa Sophie Gebhard und zeitweise auch Elena Müller – für den Austausch und die gemeinsame Arbeit gedankt. Es war eine Freude, Curt Wormann und seinen Nachlass mit ihnen zusammen zu erschließen. Ebenso gedankt sei den Mitarbeitern des Archivs der Jewish National and University Library Jerusalem, insbesondere Dr. Stefan Litt und Matan Barzilai, für ihre Unterstützung und kompetente Hilfe im Erschließungsprozess.

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Konstitutions- und Formierungsbedingungen des Nachlasses gibt und dessen Entwicklungsgeschichte schreibt. Wie andere Gelehrtennachlässe, die im Rahmen des Projekts »Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel« katalogisiert wurden, teilt Wormanns Nachlass die Erfahrung der Emigration als einen externen Faktor, der sich potenziell auf seinen späteren Umfang auswirken konnte.9 Was konnte, was sollte mitgenommen werden? Der Platz in den Schiffscontainern, den sogenannten Lifts, die das Hab und Gut der Emigranten über den Seeweg nach Palästina brachten, war begrenzt und musste bezahlt werden. Eine Broschüre der Transportfirma Silberstein’s Orient Transport Co. Ltd Tel Aviv, gefunden im Nachlass, wirbt mit ihrer »long european experience« und auch mit Wormann selbst, von dem ein Brief an die Firma neben anderen Schreiben zufriedener Kunden die Broschüre illustriert. Was hatte Curt Wormann eingepackt? Aufgrund des Umfangs ist davon auszugehen, dass die in die Emigration mitgenommenen Materialien einem überlegten Auswahlprozess unterlagen. Denn Wormann hatte Deutschland 1934 nicht überstürzt verlassen, sondern sich nach einer ersten mehrwöchigen Palästina-Reise im Februar und März 1934 auf die Situation im Land und den Emigrationsprozess einstellen können. Davon zeugen drei Rechnungen, ausgestellt von der Berliner Buchhandlung Hans Levin im November 1933. In Vorbereitung auf die Reise hatte er das 1929 erschienene Buch Palästina von Gerhard Holdheim sowie Wir Juden von Joachim Prinz erstanden und vermutlich auch gelesen. Er gehörte also zu jener Einwanderungswelle vor 1938, die, wie er später in seinem Aufsatz Kulturelle Probleme und Aufgaben der Juden aus Deutsch­ land in Israel seit 1933 schrieb, »sich auch ›kulturell‹, wenn sie die Möglichkeit dazu hatte[n], auf die Einwanderung« vorbereiten konnten.10 In den bis 1934 datierten Unterlagen finden sich Zeugnisse, Studienbescheinigungen, die Promotionsurkunde sowie Empfehlungsschreiben seiner Berliner Kollegen und Vorgesetzten: Dokumente, die für den beruflichen Neuanfang in Palästina von Nutzen waren. Zudem dokumentierte Curt Wormann seine Entlassung aus dem Bibliotheksdienst infolge des wenige Wochen nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten erlassenen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Auf ihn war nicht nur Paragraf 3 des Gesetzes – die Entlassung aus »rassischen Gründen« –, sondern aufgrund seiner SPD-Mitgliedschaft auch Paragraf  4  – aus »politischen Gründen«  – angewandt worden. In einem Schreiben vom 17.  Juni

  9 Ulrich von Bülow, Nachlässe, in: Marcel Lepper/Ulrich Raulff (Hgg.), Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, 143–152. 10 Curt Wormann, Kulturelle Probleme und Aufgaben der Juden aus Deutschland in Israel seit 1933, in: Hans Tramer (Hg.), In zwei Welten. Siegfried Moses zum fünfundsiebzigsten Geburtstag, Tel Aviv 1962, 280–329, hier 285.

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1933 an den Bürgermeister des Bezirksamtes Kreuzberg legte er gegen die Anwendung des Paragrafen 4 Widerspruch ein, argumentierte, dass er sich stets »von parteipolitischer Einseitigkeit frei gehalten habe«.11 Er berief sich auch auf mögliche Gutachten der Bibliothekarskollegen Wilhelm Schuster (1888–1971), Vorsitzender des Verbandes deutscher Volksbibliothekare, der als NSDAP-Mitglied in der Folge Direktor der Berliner Stadtbibliothek sowie der Bibliotheksschule wurde, und Wolfgang Herrmann (1904–1945), der als Parteimitglied später ebenfalls leitende Verbands- und Bibliotheksfunktionen übernehmen sollte.12 Es half nicht. Wormann gehört zu jenen mindestens 88 Bibliothekaren, die infolge der nationalsozialistischen Politik in Deutschland allein im Jahr 1933 ihre Anstellung verloren.13 Neben praktischen Lebens- und Arbeitszeugnissen finden sich in den bis 1934 gesammelten Unterlagen aber auch eher persönliche Erinnerungsstücke, wie etwa Notizbücher aus seiner Studienzeit, Familienbriefe, ihm von Freunden gewidmete Schriften und kleine Basteleien, Briefe und Würdigungen der Studenten aus seinen Kursen zur Erwachsenenbildung. Wie ein Symbol für das Berlin der Weimarer Republik erscheint das Programmheft eines Auftritts der französischen Chansonnière Yvette Guilbert im Theater am Kurfürstendamm am 14. Februar 1926 »nachmittags 4¾ Uhr«. Noch aus der Kaiserzeit stammt dagegen ein anderes Dokument: In dem Jahr, in dem der Erste Weltkrieg beginnt, legt der 14-jährige Curt Wormann, Schüler des Berliner Dorotheenstädtischen Realgymnasiums, in einem schwarzen Schulheft eine Zitatsammlung an: in Sütterlin geschrieben, alphabetisch geordnet. Das von Hand geschriebene Verzeichnis kann als frühes Interesse für Wissensorganisation gedeutet werden. Es erzählt aber auch etwas über die Bestandsbildung durch den Nachlasser als »Archivar seiner selbst« (Jochen Meyer).14 Denn: Das kleine Büchlein war dem Bibliothekar Wormann so wichtig, dass es ihn, wie andere »Dinge der Emigration« (Joachim Schlör) zwanzig Jahre später nach Palästina begleitete.15 11 National Library of Israel, Archives (nachfolgend NLI), Arc. 4°1682/01/87, Sammlung Curt Wormann, Persönliche Dokumente von Curt Wormann, Curt Wormann an den Bürgermeister des Bezirksamtes Kreuzberg, 17. Juni 1933. 12 Siehe hierzu Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im NS-Staat. Von der »Gleichschaltung« bis zum Ruin, Frankfurt a. M. 2010, 434 f. 13 Die Zahlen beziehen sich auf: Ulrich Hohoff, Wissenschaftliche Bibliothekarinnen und Bibliothekare als Opfer der NS-Diktatur. Eine Übersicht über 250 Lebensläufe seit dem Jahr 1933. Teil 1. Die Entlassungen, in: o-bib. Das offene Bibliotheksjournal 2 (2015), H. 2, (1. Dezember 2019). 14 Meyer, Pedanten und Chaoten, 55. 15 Joachim Schlör, Dinge der Emigration. Eine Projektskizze, in: Autobiografie und wissenschaftliche Biografik. Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, hg. im Auftrag der Gesellschaft für Exilforschung von Claus-Dieter Krohn u.  a., Bd. 23, München 2005, 222–238.

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Jenseits dieser Lebenszeugnisse und persönlichen Erinnerungsstücke besteht ein Großteil des Nachlasses aus Korrespondenzen und Dokumenten, die aus der Zeit nach der Emigration stammen. Sie zeichnen sich durch unterschiedliche Ordnungs- und Organisationsgrade aus und reichen von alphabetisierten Korrespondenzmappen bis zu losen Briefen, die sich unsystematisch zwischen anderen Dokumenten oder in größeren Umschlägen fanden. Jene Korrespondenzen, die Wormann noch während seiner Zeit als Stadtbibliothekar in Kreuzberg sowie später auf Forschungsreisen und im Kontext von internationalen Tagungen anlegte – oder von Mitarbeitern anlegen ließ – sind durch systematisches Abheften sehr gut dokumentiert. Außerdem fertigte er, wenn ihm die technischen Möglichkeiten zur Verfügung standen, auch von seinen Briefen meist mehrere Kopien auf Durchschlagpapier an, sodass sich ganze Briefwechsel rekonstruieren lassen. Insbesondere der briefliche Austausch mit anderen Bibliothekaren und Kulturschaffenden im Rahmen seiner Tätigkeit für die UNESCO sowie in der Internationalen Vereinigung bibliothekarischer Verbände und Einrichtungen (International Federation of Library Associations, IFLA) lässt sich nahezu vollständig über Jahre hinweg nachvollziehen. Briefausschnitte, die ihm besonders wichtig erschienen, wurden noch einmal unter dem Titel »Extracts from Letters to Curt Wormann« maschinenschriftlich dokumentiert. Exzerpiert wurden auf diese Weise auch Ausschnitte aus Fachzeitschriften, in denen Wormann selbst oder die Nationalbibliothek erwähnt wurden, wie etwa das Echo in bibliothekarischen Fachzeitschriften auf eine Protestnote der IFLA an die UNESCO zeigt. Als die UNESCO 1966 das Wort »Libraries« aus dem Namen ihrer für Bibliotheken und Dokumentation zuständigen Abteilung strich, legte auf Initiative Wormanns die IFLA, die mit der Streichung einen Bedeutungsverlust der Bibliotheken bei Regierungen und internationalen Organisationen befürchtete, erfolgreich ihr Veto ein. Dass Curt Wormann daran lag, die Außenwahrnehmung seiner Tätigkeit als Direktor der Nationalbibliothek durch (Selbst)exzerpte zu dokumentieren, zeigen auch die einzelnen Papierbögen, auf denen mit Klebestreifen nicht nur längere Zeitungsartikel oder würdigende Porträts zu seiner Person, sondern auch die nur wenige Zeilen langen Zeitungsnotizen über seine Auslandsreisen oder Ehrungen fixiert wurden. Diese Selbstdokumentation sowie der über Jahre geführte und meist offizielle briefliche Austausch, wie etwa die Briefe in Berichtsform an den Verwaltungsdirektor der Hebräischen Universität, David Werner Senator (1896–1953), zeichnen sich durch ihre vermutlich auch mithilfe von Mitarbeitern angelegte und für die Katalogisierung beibehaltene Struktur aus. Sie unterscheiden sich damit von vereinzelten Briefen und der privaten Korrespondenz, die sich ohne erkennbare Systematik zwischen anderen Dokumenten fanden und erst im Sortierungsprozess zusammengeführt wurden.

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Neben den vor allem während seiner Zeit als Direktor der Nationalbibliothek gepflegten zahlreichen Briefkontakten mit internationalen Bibliothekaren hatte Wormann auch zu emigrierten Kollegen, wie etwa dem ehemaligen Bürgermeister von Berlin-Kreuzberg, Carl Herz (1877–1951), oder dem Bibliothekar Hans Margolius (1902–1984), die Verbindung aufrecht­ erhalten. Mit in Deutschland verbliebenen Kollegen aus seiner Kreuzberger Zeit war er ab Ende der 1940er Jahre wieder in Kontakt. Sie informierten ihn über den Verbleib und das Schicksal anderer ehemaliger Bibliotheksmitarbeiter und unterstützten ihn auch in seinem Antrag auf Entschädigung. Eine Brieffreundschaft über fast vierzig Jahre mit Hunderten Briefen verband ihn zum Beispiel mit der ehemaligen Bibliotheksmitarbeiterin in Berlin Annelies Molkenthin, die ihre Briefe an Curt Wormann – manchmal auch an seine Frau Carola  – nummerierte und so den späteren Archivaren den Sortierungsprozess erleichterte. Wormann selbst hatte diese und andere private Korrespondenz nicht geordnet. Aus den unterschiedlichen Organisationsgraden seiner Korrespondenz lässt sich jedoch kaum auf eine innere Bedeutungshierarchie schließen. Vielmehr vermittelt die Korrespondenz den Eindruck, dass er jede Grußkarte, jeden Brief, jedes Telegramm aufbewahrte. Auch die Familienkorrespondenz mit seinen in die Vereinigten Staaten emigrierten Schwestern und der Mutter sowie Hunderte eng beschriebene Luftpostbriefe, die sich das Paar Wormann während seiner Reisen schrieb, unterlagen, das legt die Überlieferungssituation nahe, keiner Vorsortierung, wenn sie auch in wenigen Fällen eine grobe Ordnung (»Reisebriefe«) aufweisen, die allerdings die Handschrift seiner bereits 1978 verstorbenen Frau Carola trägt. Jenseits dieses familiären, kollegialen und freundschaftlichen Korrespondenznetzwerks führt die Liste der Briefpartner Wormanns Namen von über Fachkreise hinaus bekannten Persönlichkeiten, was in der Erschließung und Beschreibung gemeinhin als Indikator einer gewissen Bekanntheit und des »Wertes« eines Nachlasses gilt.16 Aus Genf erreichte Curt Wormann im Juni 1934, noch in Berlin, ein Schreiben des Institut de recherches sociales, des exilierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung. In französischer Sprache bat Leo Löwenthal (1900–1993) um einen literaturwissenschaftlichen Beitrag für die kollektive Studie Autorität und Familie,17 Wormann, im Sommer 16 Siehe hierzu die Vorstellung des Projekts »Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel«: Caroline Jessen, Der Kanon im Archiv. Deutsch-jüdische Geschichte an der Schnittstelle von Archiv, Erinnerung und Forschung, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/Journal of German-Jewish Literature and Culture History 7 (2013), H. 1–2, 202–216. 17 Die Studie erschien unter dem Titel »Autorität und Familie«. Die von Wormann angelegte Korrespondenzmappe mit den Schreiben von Leo Löwenthal ist allerdings »Familie und Autorität« betitelt und wurde so auch in die Katalogisierung aufgenommen.

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bereits »Stadtbibliotheksrat i. R.« und kurz vor der Emigration nach Palästina, nahm gerne an, vor allem »nach unseren Unterhaltungen in Genf im Februar«.18 Von Hannah Arendt (1906–1975), mit der er 1952 an der Rückführung jüdischer Kulturgüter aus Deutschland arbeitete, ist ein maschinenschriftlicher, mit »Hannah« unterschriebener Brief überliefert, während der Brief Wormanns, auf den Arendt Bezug nimmt, nicht im Nachlass erhalten ist.19 Von Katia Mann (1883–1980) findet sich ein handschriftlicher Brief aus dem Jahr 1960, in dem sie Wormann für ihren Besuch in der Bibliothek dankt und ihm versichert, »wie sehr mich die Liebe und Verehrung bewegt, mit der das Andenken Thomas Manns gewahrt wird, in Ihrem Institut und, wie mir scheint, mehr oder weniger überall in Israel«.20 Wertschätzung spricht aus den Zeilen, die Max Brod (1884–1968) zwischen 1946 und 1967 an Curt Wormann richtete, beispielsweise dankte er ihm 1954 für die »immer treffenden bibliothekarischen Hinweise«.21 Noch aus Wormanns Studienzeiten stammen zehn Briefe und einige Grußkarten von Friedrich Gundolf (1880–1931), einem einflussreichen Germanisten der Weimarer Zeit und dem Kreis um Stefan George zugehörig. Zwar gilt der Freiburger Literaturwissenschaftler Philipp Witkop (1880–1942) als akademischer Lehrer Curt Wormanns, doch war Friedrich Gundolf, der an Wormanns nie veröffentlichter Dissertation über den Bauernroman gerade das »nicht witkopische« schätzte, intellektuelles Vorbild.22 Zugleich, und dies zeigt die Ambivalenzen des Namedroppings im Rahmen einer »Kanonrhetorik« (Caroline Jessen) in der Nachlassbeschreibung, lässt sich aus dem bloßen Briefbestand nicht immer auf die tatsächliche Beziehung schließen.23 Von Martin Buber (1878–1965) findet sich im Wormann-Nachlass mit zwei Briefdokumenten vergleichsweise wenig Material, doch waren der Philosoph und der Bibliothekar durch ihr gemeinsames Interesse an Fragen der Erwachsenenbildung eng verbunden, sodass Curt Wormann auch maßgeblich an der Etablierung des Buber-Archivs in der Nationalbibliothek beteiligt war.

18 Der Beitrag Wormanns erschien unter folgendem Titel: ders., Autorität und Familie in der deutschen Belletristik nach dem Weltkrieg, in: Max Horkheimer u. a., Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung, Paris 1936, 726–734. 19 Weitere Korrespondenz zwischen Hannah Arendt und Curt Wormann findet sich in NLI, Arc. 4°793/05. 20 NLI, Arc. 4°1682/02/179, Sammlung Curt Wormann, Katia Mann an Curt Wormann, 27. April 1960. 21 NLI, Arc. 4°1682/02/350, Sammlung Curt Wormann, Max Brod an Curt Wormann, 5. September 1954. 22 NLI, Arc. 4°1682/02/517, Sammlung Curt Wormann, Friedrich Gundolf an Curt Wormann, vermutlich Dezember 1924. 23 Siehe hierzu Jessen, Der Kanon im Archiv, 215.

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Doch zurück zu Wormanns eigenem Nachlass: Allein die Korrespondenz umfasst Tausende Briefe, die nicht nur für das weltumspannende briefliche Netzwerk des Bibliothekars stehen, sondern in ihrer Materialität – von eng beschriebenen Briefen in Sütterlinschrift auf rauem Papier über dünnseitige Luftpostbriefe, maschinenschriftliche Berichte auf Durchschlagpapier bis hin zu den ersten am Computer erstellten Textdokumenten – ebenso ein Jahrhundert Kommunikations-, Papier- und Schriftgeschichte erzählt. Mit der Emigration stellte sich für den Büchermenschen Wormann zudem die Herausforderung des Hebräischen. Vokabellisten zeugen von der Aneignung der neuen Sprache. Mappen und Taschenkalender, die dem Hebräischen entsprechend aufgebaut sind, erzählen von diesem sprachlichen und kulturellen Richtungswechsel. Deutsch, Hebräisch, Englisch: Welche Sprache Curt Wormann wählte, gibt Aufschluss über die Funktion der Korrespondenz, aber auch über soziale Nähe – und Distanz. Manchmal war die Sprachwahl jedoch schlicht praktischen Umständen geschuldet: Da Wormann während eines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten keine Schreibmaschine mit hebräischen Lettern zur Verfügung stand, formulierte er seine Berichte in englischer Sprache, zum Beispiel im März 1952 an seinen Kollegen in der Nationalbibliothek Shlomo Shunami (1897–1984): »I am writing to you in English because I would like to have copies for myself and the facilities here in the office are such that I cannot dictate in Hebrew.«24

Bibliotheksbeziehungen zwischen Deutschland und Israel Mit Curt Wormanns Nachlass ist eine Quelle par excellence für Fragestellungen und Forschungsprojekte zur deutsch-jüdischen Geschichte erschlossen: Die Erforschung seines Lebensweges vom Berliner Stadtbibliothekar zum Direktor der Jerusalemer Nationalbibliothek erfordert einen analytischen Zugriff, der Methoden und Konzepte berücksichtigt, die sich für Themen der deutsch-jüdischen Geschichte anbieten – etwa Fragen des Kulturtransfers und der Zugehörigkeit sowie migrationshistorische Fragestellungen.25 24 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an Shlomo Shunami, 19. März 1952. Zur Rolle Shlomo Shunamis beim Auffinden und der Rückführung jüdischer Kulturgüter in ganz Europa siehe Dov Schidorsky, Shunamis Suche nach Schätzen im europäischen Exil und die Problematik der Restitution im Staat Israel, in: Stefan Alker/Christina Köstner/Markus Stumpf (Hgg.), Bibliotheken in der NS-Zeit. Provenienzforschung und Bibliotheksgeschichte, Wien 2008, 329–340. 25 Zu Fragestellungen und Methoden der deutsch-jüdischen Geschichte siehe Thomas Brechenmacher/Michał Szulc, Neuere deutsch-jüdische Geschichte. Konzepte, Narrative, Methoden, Stuttgart 2017.

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Diese, seine eigene Geschichte, so klingt es in Curt Wormanns bis heute in der Forschung zitiertem Aufsatz über Kulturelle Probleme und Aufgaben der Juden aus Deutschland in Israel seit 1933 an, hatte er selbst schreiben wollen.26 Der Text, erschienen 1962 in der Festschrift für den Direktor des Leo-Baeck-Instituts, Siegfried Moses (1887–1974), war verfasst aus »der Unmittelbarkeit des Miterlebens« und »der positiven und aktiven Teilnahme an der Entwicklung, des Aufbaus im Übergang« heraus und als »›Vorläufer‹ einer grösseren Arbeit« geplant; das Quellenmaterial hatte Wormann bereits gesammelt.27 Sein Nachlass legt von dieser Selbsthistorisierung Zeugnis ab. Curt Wormann stand nicht nur in engem Kontakt und war freundschaftlich verbunden mit zentralen Akteuren der deutschen Alija, zu nennen wären beispielsweise Ernst A. Simon (1899–1988), Robert Weltsch (1891–1982) und Felix Weltsch (1884–1964), Hans Tramer (1905–1979) und Siegfried Moses. Er war ebenso regelmäßiger Beiträger des Mitteilungsblatts, der vom Irgun Olej Merkas Europa, des Verbandes der mitteleuropäischen Einwanderer, herausgegebenen Zeitung. Außerdem hielt er im Rahmen der vom Verband organisierten zionistischen Erwachsenenbildung Vorträge zu literaturwissenschaftlichen und aktuellen Themen.28 Schließlich gehörte er zu den Beiräten des 1955 gegründeten Leo-Baeck-Instituts Jerusalem. Neben der Korrespondenz dieses Netzwerks deutschsprachiger Intellektueller, Journalisten und Wissenschaftler finden sich im Nachlass also auch Manuskripte für Seminare und Vorträge über Entwicklungen in der zeitgenössischen Literatur, die Wormann im Rahmen von Erwachsenenbildungskursen angeboten hatte, Programmankündigungen für Kulturveranstaltungen des Verbandes, aber auch die von ihm verfassten Zeitungsartikel und andere Berichte über deutsch-jüdisches Leben im Jischuw. In seinem Aufsatz über die Geschichte der deutschsprachigen Juden in Israel beschränkte sich Curt Wormann auf die »kulturelle Situation, die Probleme und Aufgaben der deutschen Alija« in der Zeit bis zur Staatsgründung 1948, sah er doch in der Entwicklung des deutschsprachigen Judentums im Jischuw bis zu diesem Zeitpunkt eine Konsolidierung und einen vorerst abgeschlossenen, also historisch gewordenen Vorgang, der durch neue Entwicklungen und einen neuen Zustrom von Einwanderern aus arabischen Ländern

26 Der Text erschien später auch in englischer Fassung: Wormann, German Jews in Israel. Their Cultural Situation since 1933, in: Leo Baeck Institute Yearbook 15 (1970), 73–103. 27 Ders., Kulturelle Probleme und Aufgaben der Juden aus Deutschland in Israel seit 1933, 283 f. 28 Zu Entwicklung und Selbstverständnis der Kultur- und Bildungsarbeit des Irgun Olej Merkas Europa siehe Katharina Hoba, Generation im Übergang. Beheimatungsprozesse deutscher Juden in Israel, Köln 2017, 105–142.

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abgelöst worden war.29 Daran anschließend – und weil die Geschichte der Emigration der deutschsprachigen Juden nach Palästina/Israel bereits ein etabliertes Forschungsfeld ist  – will dieser Beitrag den Wormann-Nachlass daher im Rahmen einer deutsch-israelischen Wissenschaftsgeschichte verorten, die seit einiger Zeit, insbesondere anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums der deutsch-israelischen diplomatischen Beziehungen, einen Aufschwung erfahren hat.30 Den Fokus auf die Jahre nach 1948 und Wormanns Ernennung zum Direktor der Nationalbibliothek richtend, bietet der Nachlass auch Quellen für ebendiese bilaterale Wissenschaftsgeschichte. Curt Wormanns Amtszeit als Direktor der Nationalbibliothek fällt größtenteils in die vordiplomatische Zeit der deutsch-israelischen Beziehungen, deren frühe Jahre im Folgenden im Mittelpunkt stehen. Doch sei schon hier gesagt: Mit der Offizialisierung und Institutionalisierung der deutsch-israelischen Beziehungen 1965 wurde Wormann zu einem wichtigen Kontakt für die Deutsche Botschaft und mit dem ersten, umstrittenen Botschafter der Bundesrepublik in Israel, Rolf Pauls (1915–2002), beispielsweise verband ihn ein freundschaftliches Verhältnis. Doch zurück in die frühe Nachkriegszeit: Wie blickte Wormann auf die Entwicklungen in Deutschland nach 1945? Inwiefern konnte er an berufliche Beziehungen aus der Zeit vor 1933 anknüpfen? Mit welchen Wissenschafts- und Kulturinstitutionen arbeitete er zusammen? Diese Fragen lenken den Blick auf das deutsche Bibliothekswesen der frühen Nachkriegszeit. Folgt man Wilfried Enderle, dann hatten die deutschen Bibliothekare nach 1945 »nicht nur das Thema Bücherraub […] verdrängt«, es sei »auch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte im Dritten Reich […] in den Nachkriegsjahren« ausgeblieben.31 Doch beide Themen, die Restitution jüdischer Kulturgüter sowie die Auseinandersetzung mit der Rolle der deutschen Bibliothekare im Nationalsozialismus, bestimmten die

29 Wormann, Kulturelle Probleme und Aufgaben der Juden aus Deutschland in Israel seit 1933, 283. 30 Siehe hierzu beispielsweise die Studien, die im Rahmen des vom Van Leer Jerusalem Institute, des Franz Rosenzweig Minerva Research Centers for German-Jewish Literature and Cultural History und des Fritz Bauer Instituts getragenen Forschungsprojekts zu »German-Israeli Research Cooperation in the Humanities (1970–2000) Studies on Scholarship and Bilaterality« realisiert werden, (15. April 2018), sowie die Beiträge des Schwerpunkts »Bruchlinien. Deutsch-israelische Wissenschaftsbeziehungen seit 1959«, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 15 (2016), 309–444. 31 Wilfried Enderle, Kontinuität der Krise, Krise der Kontinuität? Zur Geschichte wissenschaftlicher Bibliotheken im Nationalsozialismus, in: Bibliothek. Forschung und Praxis 41 (2017), H. 3, 330–352. Das Zitat bezieht sich auf , 1–32, hier 26 (1. Dezember 2019).

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beruflichen Beziehungen Curt Wormanns mit Deutschland in den Anfängen seines Direktorats. Von Jerusalem aus verfolgte er aufmerksam die Entwicklung des Bücherei- und Bibliothekswesens im Deutschland der Nachkriegszeit, sowohl in der frühen Bundesrepublik als auch in der DDR. Er hatte mit ehemaligen Kollegen aus seiner Berliner Bibliothekszeit freundschaftlichen Briefkontakt, in dem es immer wieder auch um Entwicklungen der Berliner Bibliotheken nach Kriegsende ging. Außerdem las Curt Wormann regelmäßig Fachzeitschriften. Durch persönliche Vermittlung war er 1951 an ein älteres, aus dem Jahr 1947 stammendes Exemplar der Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Er­ ziehung gelangt, in dem Rudolf Joerden (1901–1985), der damalige Direktor der Hamburger Bücherhallen, in einem Aufsatz Die Lage im Volks­ büchereiwesen beschrieben hatte.32 Für den ehemaligen Stadtbibliotheksrat Wormann war der Aufsatz von besonderem Interesse. Joerden war darin auf die Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft für das Büchereiwesen eingegangen, hatte jedoch nicht explizit an das Schicksal der jüdischen Bibliothekare erinnert.33 Curt Wormann reagierte. Zwar lag der Artikel des ihm aus der Weimarer Zeit auch persönlich bekannten Rudolf Joerden schon fast vier Jahre zurück, doch war es Wormann »ein Bedürfnis, Ihnen persönlich mein tiefes Erstaunen und auch meine Empörung über die Haltung, die Sie in diesem Aufsatz zum Schicksal der jüdischen Bibliothekare einnehmen, auszudrücken«.34 Was hatte Rudolf Joerden, der später im Hinblick auf seine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle deutscher Bib­ liothekare im Nationalsozialismus gleichwohl als positive »Ausnahme« gelten sollte, geschrieben?35 Er hatte auf die Verbannung jüdischer Autoren und die Entlassung der jüdischen Bibliothekare hingewiesen, es jedoch »keineswegs für notwendig [­befunden,] auch nur einige Worte der Sympathie für das Schicksal Ihrer ehemaligen jüdischen Kollegen zu sagen«.36 Exemplarisch nannte Wormann die Namen zweier jüdischer Berliner Bibliothekarinnen – Else Simon und Helene Goldberg (1897–1942) – die von den Nationalsozialisten umgebracht worden waren. Außerdem erinnerte er an die ehemalige Neuköllner Stadtbibliotheksrätin Helene Nathan, der es 32 Die Zeitschrift Die Sammlung. Zeitschrift für Kultur und Erziehung wurde 1945 von dem Pädagogen Herman Nohl gegründet und erschien bis 1960. 33 Rudolf Joerden, Zur Situation im Volksbüchereiwesen, in: Die Sammlung  2 (1947), 182–197. 34 NLI, Arc. 4°1682/02/575, Sammlung Curt Wormann, Joerden, Rudolf (Hamburger Öffentliche Bücherhallen), Curt Wormann an Rudolf Joerden, 9. März 1951. 35 Siehe hierzu Barbian, Literaturpolitik im NS-Staat, 444. 36 NLI, Arc. 4°1682/02/575, Sammlung Curt Wormann, Joerden, Rudolf (Hamburger ­Öffentliche Bücherhallen), Curt Wormann an Rudolf Joerden, 9. März 1951.

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nicht mehr gelungen war, Deutschland rechtzeitig zu verlassen, und die sich 1940 das Leben genommen hatte. Bereits wenige Tage später antwortete Rudolf Joerden »betroffen«: »Ihr Vorwurf bezieht sich weniger auf das, was ich gesagt habe, als auf die Tatsache, dass ich bestimmte Dinge nicht gesagt habe. Dieses Schweigen ist nicht begründet darin, dass ich diese schmerzlichen Dinge nicht sähe, sondern dass ich vielmehr von ihnen ganz innerlich und persönlich berührt bin.«37

Tatsächlich hatte Rudolf Joerden, wie Curt Wormann durch seine ehemaligen Berliner Bibliothekskollegen erfuhr, bereits den Zeitgenossen als eine Ausnahme gegolten in seinem Berufsstand, der sich ansonsten als »williger Erfüllungsgehilfe des NS-Staates« gezeigt hatte.38 Doch auch jenseits dieser Korrespondenz zwischen zwei Bibliothekaren hatte Wormanns ganz persönlich formulierter Brief an Joerden Folgen: Die Zeitschrift Bücherei und Bil­ dung, das 1948 gegründete Organ des Vereins Deutscher Volksbibliothekare, reagierte auf die Kritik. Mit einem Text und kurzen biografischen Porträts, bei denen Wormann beratend zur Seite gestanden hatte, gedachte sie in ihrer Ausgabe vom September 1952 Unseren jüdischen Kollegen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten und das Leben verloren haben.39 Nach Erscheinen des Nachrufs schrieb Wormann im Januar 1953 noch einmal an Joerden. In seinem Brief begrüßte er die Form des Gedenkens an die jüdischen Bibliothekare, doch mahnte er zugleich an, »die Stimme des Gedenkens [hätte] nicht erst jetzt öffentlich vernehmbar werden sollen«.40 Für den Bibliothekar Jürgen Babendreier sind die Gedenktexte in Bücherei und Bildung ein Beispiel dafür, »dass zumindest die Volksbibliothekare willens und zum Teil fähig gewesen« waren, sich früh nicht nur den Folgen nationalsozialistischer Herrschaft im Hinblick auf Kriegsschäden der Bibliotheken, sondern auch der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten gegenüber den Juden zu stellen.41 Angemahnt und angestoßen hatte dieses öffentliche Gedenken an die jüdischen Bibliothekare Curt Wormann aus Israel, lange bevor sich Bibliothekare selbstkritisch – beispielsweise in den 1980er Jahren im Rahmen

37 NLI, Arc. 4°1682/02/575, Sammlung Curt Wormann, Joerden, Rudolf (Hamburger ­Öffentliche Bücherhallen), Rudolf Joerden an Curt Wormann, 15. März 1951. 38 Barbian, Literaturpolitik im NS-Staat, 433. 39 Siehe hierzu die Ausgabe: Bücherei und Bildung 4 (1952), H. 9. 40 NLI, Arc. 4°1682/02/575, Sammlung Curt Wormann, Joerden, Rudolf (Hamburger ­Öffentliche Bücherhallen), Curt Wormann an Rudolf Joerden, 6. Januar 1953. 41 Jürgen Babendreier, Kollektives Schweigen? Die Aufarbeitung der NS-Geschichte im deutschen Bibliothekswesen, in: Sven Kuttner/Bernd Reifenberg (Hgg.), Das bibliothekarische Gedächtnis. Aspekte der Erinnerungskultur an braune Zeiten im deutschen Bibliothekswesen, Marburg 2004, 23–53, hier 31 f.

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des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheksgeschichte – mit Rolle und Funktion ihres Berufsstandes im Nationalsozialismus auseinandersetzten.42 1952 konnte sich Curt Wormann schließlich ein erstes persönliches Bild von der Entwicklung des deutschen Büchereiwesens der Nachkriegszeit machen. Doch führte ihn seine erste Reise nach Deutschland seit seiner Emigration 1934 über einen Umweg. In den Vereinigten Staaten studierte er im Winter 1951/52 mit Unterstützung der Rockefeller Foundation das amerikanische Bibliothekswesen und lernte in New York Salo Baron (1895–1989) und Hannah Arendt kennen. Der Historiker und die Philosophin engagierten sich als Direktoren für das 1947 gegründete Jewish Cultural Reconstruction Committee (JCR), das »den institutionellen Mittelpunkt der Kulturrestitutionsgeschichte in der frühen Nachkriegszeit«43 bildete. Sie konnten Wormann für ihr Anliegen gewinnen. Aus New York schrieb er an David Werner Senator im Dezember 1951: »I participated in the meeting of the Jewish Cultural Reconstruction Committee, under the Chairmanship of Prof. Salo Baron. Before the meeting I had a very interesting talk with Dr. Channa Arendt and with Prof. Baron who was very kind and was anxious to hear about the situation at the University now. […] It seems that Dr. Arendt and I will be in Germany at the same time and we can work together for salvaging more Jewish books.«44

So geschah es. Im Frühjahr 1952 arbeitete Curt Wormann gemeinsam mit Hannah Arendt und Gershom Scholem (1897–1982) in Deutschland für die JCR und verhandelte mit Berliner Politikern über einen Erlass zur Regelung der Rückgabe jüdischer Kulturgüter durch Bibliotheken, Archive und Museen in Deutschland, wie es angesichts der unklaren Rechtslage von Hannah Arendt vorgeschlagen worden war.45 Mehr noch: Die Institutionen sollten gesetzlich verpflichtet werden, ihre Bestände im Hinblick auf Raubgut zu prüfen und entsprechende Fälle zu melden. Auch Scholem und Wormann setzten sich für diese Regelung ein. Sie versuchten zudem, Fragen der kulturellen Restitution als Thema in die Reparationsverhandlungen zwischen Israel und Deutschland einzubringen, die 1952 aufgenommen wurden und zum Luxemburger Abkommen führten:46

42 Siehe hierzu beispielsweise Peter Vodosek/Manfred Komorowski (Hgg.), Bibliotheken während des Nationalsozialismus, 2 Teile, Wiesbaden 1989–1992 (Konferenzschrift). 43 Elisabeth Gallas, »Das Leichenhaus der Bücher«. Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945, Göttingen/Bristol, Conn., 2013, 14. 44 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 18. Dezember 1951. 45 Siehe hierzu Gallas, »Das Leichenhaus der Bücher«, 168 f. 46 Zu den Verhandlungen siehe Dan Diner, Rituelle Distanz. Israels deutsche Frage, München 2015.

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»As a result of our last conversation a few days ago, Professor Baron is sending a letter to all members of the Committee, and to the representatives to our Government who will negotiate with the Germans in Brussels. Mr. Kagan47 whom you know (IRSO)48 is opposed to mentioning reparations in respect to this. The letter stresses the need for an active sign of goodwill from the side of the Germans by rendering to the Jewish Cultural Reconstruction, Inc. for Israel and other countries, valuable books from German libraries. It seems to us that it is better to do it in the name JCR, than in the name of the Government of Israel.«49

Als Nichtregierungsorganisation suchte die JRC Einfluss auf die staatspolitische Diplomatie zu nehmen. Zugleich ging es darum, andere nicht staatliche Akteure für das Anliegen der JCR zu gewinnen, etwa die 1951 in Hamburg von den Journalisten Erich Lüth (1902–1989) und Rudolf Küstermeier (1903–1977) begründete Initiative Friede mit Israel. Beide hatten angesichts der Weigerung Israels, einer Beendigung des formalen Kriegszustands mit Deutschland zuzustimmen, Presseaufrufe gestartet, die öffentlichkeitswirksam über Hamburg hinausgingen: »Wir bitten Israel um Frieden.«50 Auf diese Situation Bezug nehmend schrieb Wormann aus den Vereinigten Staaten an den Bibliothekar Shlomo Shunami: »All our friends here believe that we can use the movement ›Friede mit Israel‹ which is especially strong in academic circles, for our endeavors to get valuable books from German Collections. Therefore, I was very disappointed to hear during the past days that our Foreign Ministry is opposed to negotiations with this organisation. We shall have to do it in the name of Jewish Cultural Reconstruction, Inc.«51

Curt Wormann unterstützte die Kooperation mit deutschen Initiativen und zeigte sich in dem Brief an Shunami entsprechend enttäuscht über die Weigerung des israelischen Außenministeriums, mit der Friede-mit-Israel-­Initiative zusammenzuarbeiten. Doch da sich die offizielle Politik diesem Weg versperrte, gewannen individuelle und überstaatliche Initiativen an Freiraum: »I agreed with Professor Baron and Dr. Arendt about my work in Germany which will be primarily a tour of information and personal meetings with German librarians. I have the full support of JCR and also of IRSO.«52 47 Saul Kagan (1922–2013) war für die Jewish Restitution Successor Organization (IRSO/ JRSO) tätig und gehörte zu den Gründern der daraus hervorgegangenen Conference on Jewish Material Claims Against Germany (Claims Conference). 48 Zur Zusammenarbeit zwischen IRSO/JRSO und JCR siehe Gallas, »Das Leichenhaus der Bücher«. 49 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an Shlomo Shunami, 19. März 1952. 50 Zur Initiative Friede mit Israel siehe Yeshayahu A. Jelinek, Deutschland und Israel 1945– 1965. Ein neurotisches Verhältnis, München 2004, 127 f. 51 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an Shlomo Shunami, 19. März 1952. 52 Ebd.

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Mit der Mission, für die JCR und die Hebrew University den Transfer jüdischer Sammlungen nach Israel zu verhandeln und zu organisieren sowie Kontakte zu deutschen Bibliotheken zu knüpfen, kehrte Curt Wormann also im Mai 1952 zum ersten Mal seit 1934 in seine Heimatstadt Berlin zurück. Außerdem standen Frankfurt am Main, Nürnberg und München auf seinem Reiseplan. In München besuchte er auf Anraten von Edward F. D’Arms von der Rockefeller Foundation auch die von der Stiftung geförderte International Youth Library, die auf Initiative der Journalistin und Emigrantin Jella Lepman (1891–1970) nach dem Zweiten Weltkrieg in München gegründet worden und assoziiertes UNESCO-Projekt war.53 Mit Jella Lepman befreundet war zudem Erich Kästner (1899–1974), ein prominenter Unterstützer der Jugendbibliothek, den Wormann ebenfalls in diesem Kontext traf. In einem Brief, den er nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten über seine Europareise an D’Arms formulierte, schildert Wormann Stationen seiner Reise in die deutsche Bibliothekslandschaft der Nachkriegszeit.54 Auf die Begegnungen mit Bibliotheksdirektoren, die ihm zum Teil noch aus der Weimarer Republik bekannt waren, sowie auf seine Eindrücke wollte er jedoch brieflich nicht weiter eingehen, sondern mit D’Arms persönlich darüber sprechen, sobald sich die Gelegenheit böte. Wer waren diese deutschen Bibliothekare? Jene Direktoren, die das deutsche Bibliothekswesen der Nachkriegszeit prägten, gehörten, so Wilfried Enderle, zu einer »neue[n] bibliothekarischen Führungsgruppe«, die sich – und dies teilte sie mit Curt Wormann – dadurch auszeichnete, »um 1900 geboren« und »noch in den 1920er oder 1930er Jahren bibliothekarisch sozialisiert« worden zu sein.55 Die Folge: Diskontinuität auf der generationellen Ebene bedeutete nicht unbedingt auch einen Traditionsbruch, sondern sie ging einher mit einer »Kontinuität der das wissenschaftliche Bibliothekswesen seit den 1920er Jahren prägenden krisenhaften Momente«: bibliothekspolitische Strukturen blieben bestehen, die Stellung der Universitätsbibliothek innerhalb der Bibliothek blieb unklar.56 Wormann gehörte zu dieser Generation, teilte ihre bibliothekarische Ausbildungstradition, doch blickte der gerade von einem Studienaufenthalt in Amerika zurückgekommene einstige Emigrant bereits mit einem anderen, einem amerikanisch geprägten Blick auf das deutsche Bibliothekswesen. Um ein Beispiel zu nennen: Im Gegensatz zu deutschen Universitätsbibliotheken 53 Zu Jella Lepman und der Gründung der International Youth Library siehe Anna Becchi, Jella Lepman. Die Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek, in: Libreas. Library Ideas (25) 2014, H. 2, (1. Dezember 2019). 54 NLI, Arc. 4°1682/02/589, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (I), Curt Wormann an Edward F. D’Arms (Rockefeller Foundation), 5. September 1952. 55 Enderle, Kontinuität der Krise, Krise der Kontinuität?, 29. 56 Ebd., 26.

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zeichneten sich die amerikanischen durch die benutzerfreundliche Freihandaufstellung sowie Zentralkataloge aus.57 In Berlin verfolgte Curt Wormann die Planungen für die Amerikanische Gedenkbibliothek und versuchte, wie er an die Rockefeller Foundation schrieb, der Skepsis der deutschen Bibliothekare gegenüber Entwicklungen aus dem amerikanischen Bibliothekssystem entgegenzuwirken.58 Dieses Anliegen teilte er mit Gisela von Busse (1899–1987) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Von Busse war als Leiterin des DFG-­ Bibliotheksreferats für Wormann auf der Ebene deutscher Wissenschaftsinstitutionen ab der Mitte der 1950er Jahre ein wichtiger Kontakt. Zwar wurzelten auch ihre beruflichen Erfahrungen in den Traditionen der Weimarer Republik, doch setzte sie sich für eine Orientierung an der Funktionsweise amerikanischer Bibliotheken ein.59 Wenige Wochen nach seiner Rückkehr aus Deutschland erhielt Curt Wormann einen Brief von Willy Kressmann (1907–1986), Bürgermeister seines einstigen Heimatbezirks Berlin-Kreuzberg. Kressmann, selbst ein ehemaliger Emigrant, wies Curt Wormann auf die baldige »Errichtung einer amerikanischen Gedenkbibliothek« hin, »welche im gewissen Umfang die Stellung der Preuß. Staatsbibliothek in den Westsektoren Berlins übernehmen soll«, und stellte Wormann »ergebendst [sic] anheim, sich um die Stelle des Leiters dieser Bibliothek zu bewerben«.60 Auf diese Weise informierte er Wormann unter Verweis auf die »besondere Bindung zu unserem Bezirk« bereits vor der offiziellen Stellenausschreibung. Doch Wormann lehnte ab. Zwar schätzte er Kressmanns freundliche Aufforderung, doch konnte und wollte er das »grosse bibliothekarische und kulturelle Wirkungsgebiet«, nämlich die »Ausgestaltung und Vervollkommnung« der Jewish National and University Library, nicht im Stich lassen.61

57 Zur Entwicklung der amerikanischen Universitätsbibliotheken gegenüber ihren deutschen Pendants siehe Stefan Paulus, Vorbild USA? Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945–1976, München 2010, 449–460. 58 NLI, Arc. 4°1682/02/589, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (I), Curt Wormann an Edward F. D’Arms (Rockefeller Foundation), 5. September 1952. 59 Zur Rolle der DFG und Gisela von Busses in der Entwicklung des deutschen Bibliothekswesens der Nachkriegszeit siehe Enderle, Kontinuität der Krise, Krise der Kontinuität?. 60 NLI, Arc. 4°1682/02/144, Sammlung Curt Wormann, Kressmann, Willy (Mayor of Berlin-Kreuzberg), Willy Kressmann an Curt Wormann, 11. Juni 1952. 61 Ebd., Curt Wormann an Willy Kressmann, 23. Juni 1952.

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Amerikanische Impressionen – Studienaufenthalte in den Vereinigten Staaten »Dr Wormann Tours U.S.« schrieb das Bulletin der American Friends of the Hebrew University, als Curt Wormann im Dezember 1951 zum ersten Mal nach Amerika reiste, in jenes Land also, in das seine Schwestern Käthe und Ruth sowie seine Mutter Sophie in den 1930er Jahren emigriert waren. Doch für Familienbesuche blieb während seines vier Monate dauernden und von der Rockefeller Foundation geförderten Aufenthaltes wenig Zeit, wie die an David Werner Senator geschriebenen Zeilen nahelegen: »I have a most crowded itinerary and I have no private life because I must fulfill two functions: to study, and to work together with the friends [American Friends of the Hebrew University] in various fields of public relations and personal contacts for the sake of our library.«62

Die Reise 1951/52 bildete den Auftakt für eine Reihe von Aufenthalten in Amerika – 1957/58 an der University of California, 1964/65 und 1968/69 an der Columbia University in New York –, bei denen er sich intensiv mit der amerikanischen Bibliothekstradition, mit technischen Neuerungen und Bibliotheksarchitektur befasste. Davon zeugt das umfangreiche Material: Wormann hatte nicht nur Korrespondenzmappen angelegt, sondern auch zahlreiche Informationsbroschüren zu Aufbau und Struktur der von ihm besuchten Universitäten und Bibliotheken aufbewahrt, Notizen gemacht und Kontakte geknüpft, die sich über die Jahre zu Freundschaften entwickelten und zeigen, wie sehr der Direktor der Nationalbibliothek Teil eines sich als transnational verstehenden Netzwerks von Bibliothekaren war. So sind die von der Rockefeller und von der Ford Foundation finanziell unterstützten Aufenthalte Curt Wormanns in den Vereinigten Staaten Ausdruck einer Internationalisierung der Bibliothekswissenschaft unter amerikanischen Vorzeichen. Im Kontext des Kalten Krieges wurde Wissen zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil: »Improved scientific knowledge and understanding, embedded in a tissue of social relations that tied centre to periphery, became a preferred instrument for exporting American ideas and models abroad with the purpose of improving the human condition and warding off rival ideologies.«63 62 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 18. Dezember 1951. 63 John Krige/Helke Rausch, Introduction: Tracing the Knowledge. Power Nexus of American Philanthropy, in: dies. (Hgg.), American Foundations and the Coproduction of World Order in the Twentieth Century, Göttingen 2012, 7–34, hier 7 f. Zur Internationalisierung der Wissenschaften im Kontext des Kalten Krieges siehe die Beiträge in folgendem Band: Corine Defrance/Anne Kwaschik (Hgg.), La guerre froide et l’internationalisation des sciences. Acteurs, réseaux et institutions, Paris 2016.

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Doch wie kam es zu diesen Reisen? Eine vermittelnde Rolle spielte Anne M. Davis, Direktorin der Bibliothek der Amerikanischen Botschaft in Tel Aviv. Die Korrespondenz, die sich zwischen der amerikanischen Kulturdiplomatin und Wormann ab 1950 zu einer langjährigen Freundschaft entwickelte, gehört mit etwa siebzig  Briefen zu den umfangreicheren Briefwechseln des Nachlasses und ist charakteristisch für sein Netzwerk. Davis hatte Edward F. D’Arms von der Rockefeller Foundation auf die Notwendigkeit einer professionalisierten Bibliothekarsausbildung in Israel hingewiesen. Auch David Werner Senator hatte Kontakt zur Rockefeller Foundation und berief sich in seinem Brief auf Davis: »The need for such a school in this country is urgent in view of the expansion of existing libraries and the continuous addition of new ones requiring trained personnel. In this connection Dr. Wormann also indicated that he would consider it essential to make a thorough study of American schools of this kind. He would wish to acquaint himself with American University and College libraries and visit modern library buildings with a view to our plans for a new building for the Jewish National and University Library in town. We heard that Miss Anne M. Davis, Director of U.S. Library Services, Tel Aviv, talked with you in this direction as well.64

Und schließlich betonte Curt Wormann zwei Wochen später in einem eigenen Schreiben an die Rockefeller Foundation seinen Wunsch, das israelische Bibliothekssystem am amerikanischen Modell zu orientieren, auch und vor allem auf dem Gebiet der Ausbildung: »[…] and I myself want American ­methods to be sued in the libraries of this country and in particular in training young librarians.«65 Er hatte da bereits Erfahrung in der Ausbildung des bibliothekarischen Nachwuchses: Zu Beginn der 1930er Jahre war er Dozent an der Berliner Bibliotheksschule gewesen. Die Lehrtätigkeit verband zwei seiner Leidenschaften: Erwachsenenbildung und Bibliothekskunde. Bis in die 1970er Jahre sollte er dann an jener Institution lehren, die er, beeinflusst von den amerikanischen Library Schools, 1956 gegründet hatte: die Grad­uate Library School an der Hebräischen Universität, das erste Graduiertenprogramm zur Bibliothekarsausbildung in Israel. Mit dem Ziel, auch in Israel ein Ausbildungswesen zu institutionalisieren, das sich an den Bedingungen und Notwendigkeiten des gerade gegründeten Staates orientierte, hatte Wormann im Winter 1951/52 zahlreiche amerikanische Bibliotheken und Library Schools besucht. Seine Eindrücke formulierte er für einen Artikel des Library of Con­ gress Information Bulletin.66 Obgleich er es aus Europa gewohnt war, dass 64 NLI, Arc. 4°1682/02/589, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (I), David Werner Senator an die Rockefeller Foundation (Edward F. D’Arms), 1. April 1951. 65 Ebd., 15. April 1951. 66 NLI, Arc. 4°1682/05/223, Sammlung Curt Wormann, Curt Wormann, Impressions on American Libraries (Appendix to the Library of Congress Information Bulletin), 25. August 1952 (Typoskript, vier unpaginierte Seiten).

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mehr Wert auf die praktische Erfahrung der Bibliotheksschüler gelegt wurde, zeigte er sich dennoch sehr beeindruckt vom »spirit«, den er nicht nur an den Library Schools angetroffen hatte, nämlich dem Streben, die gesellschaftliche Funktion von Bibliotheken zu valorisieren und zu entwickeln, eine Haltung, die er als soziales Bewusstsein und soziale Verantwortung67 beschrieb. Ausschlaggebend für die Gründung der Graduate Library School an der Hebräischen Universität war aber vor allem der Bericht über die Bibliothekssituation in Israel, den Leon Carnovsky (1903–1975), Professor an der Library School der University of Chicago, im Auftrag der UNESCO 1954/55 erstellt hatte. Zu Beginn des Jahres 1954 verbrachte Carnovsky drei Monate in Israel, um das dortige Bibliothekswesen zu studieren. Ausgehend von dieser Analyse entwarf er Curricula einer möglichen Graduiertenschule zur Bibliothekarsausbildung. Die Einrichtung einer Ausbildungsstätte hielt er angesichts der zahlreichen Bibliotheken, des großen Interesses am kulturellen und intellektuellen Leben sowie aufgrund der politischen Situation des Landes für unerlässlich. Zudem gelte es, bibliothekarischen Nachwuchs auszubilden, um die Schätze der Nationalbibliothek angemessen zu verwahren.68 Nach der Rückkehr Leon Carnovskys nach Amerika entwickelte sich zwischen ihm und Curt Wormann ein regelmäßiger Briefwechsel. Carnovsky verfolgte mit Interesse die Entwicklung der 1956 eröffneten Library School an der Hebräischen Universität: »It is good to know that the library school has gotten well started though I can readily understand that many of its problems become your own. I believe, its success is due not so much to my own report but rather to the competence and interest of yourself and your colleagues. As you perhaps know, the Ford Foundation has financed a library school at the University of Ankara, but I have no doubt that your own school will do a far superior job.«69

Nach sieben Jahren als Direktor der Graduate Library School zog Wormann in einem Beitrag für die Zeitschrift Library Trends ein Resümee und schilderte die Geschichte und Entwicklung der Graduate Library School, als deren Herausforderung er die Integration spezifisch jüdischen Wissens in die Anforderungen moderner westlicher Lehrpläne und -strukturen begriff.70 Neben der Professionalisierung der Ausbildung in Israel nutzte Worman seine erste Amerikareise auch dazu, um sich über Bibliotheksgebäude zu informieren. Nicht zuletzt benötigten die vielen Buchspenden für die Nationalbibliothek, die ihm in Amerika seitens zahlreicher Bibliotheken und Privatleute zugesprochen 67 »[S]ocial consciousness and responsibility.« Ebd. 68 Leon Carnovsky, Report on a Programme of Library Education in Israel, Paris 1956. 69 NLI, Arc. 4°1682/02/370, Sammlung Curt Wormann, Carnovsky, Leon, Leon Carnovsky an Curt Wormann, 25. März 1957. 70 Curt Wormann, Israel, in: Library Trends 12 (1963), H.  2: Education for Librarianship Abroad in Selected Countries, 211–226.

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wurden, ein neues Zuhause: »It is most difficult here to explain again and again the people who are ready to help, that we haven’t got enough space for valuable gifts.«71 Architektur und Organisation amerikanischer Bibliotheken sollten analysiert werden, um daraus Schlüsse für die infolge der Teilung Jerusalems prekäre Raumsituation zu ziehen. Wie konnten die Sammlungen der Nationalbibliothek räumlich konzentriert werden? Dass ein neues Gebäude errichtet werden musste, stand für Wormann außer Frage. Aber wie sollte eine moderne Bibliothek aussehen? Er sammelte unter anderem Bauunterlagen verschiedener neuer Bibliotheksgebäude.72 Die Errichtung eines Neubaus war nicht nur eine praktische Raumfrage, sie war eine politische Raumfrage im doppelten Sinne. Zum einen sollten in Reaktion auf die politische Teilungssituation Bestände zusammengeführt werden. In der umstrittenen Enklave auf dem Skopusberg befanden sich noch Teile der Universitätsbibliothek, und während für die israelische Regierung die Frage nach dem Status der Skopusenklave der Frage nach der politischen Situation Gesamt-Jerusalems nachgeordnet wurde, hielten die Universitätsvertreter an dem Ort als geistigem Zentrum fest und setzten auf internationale Vermittlung.73 Die Situation kommt auch in einem Brief Wormanns an David Werner Senator zum Ausdruck: »Sie fragen, ob unsere Regierung Schritte bezüglich der Bücher auf dem Skopus unternommen hat. Ich kann ihnen leider darauf keine positive Antwort geben. […] Ich habe trotzdem gerade vor wenigen Tagen in einer Unterredung mit Professor Mazar74 sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, dass meiner Meinung nach die Universität das ganze Problem des Skopus im internationalen Raum […] aufrollen müsste und ebenso die Bemühungen, eine grössere Anzahl Bücher in die Stadt zu bringen, fortzusetzen hätte.«75

Zum anderen unterstrich die geplante Zentralisierung aller Bestände in einem neuen Bibliotheksgebäude die Legitimation der Nationalbibliothek im sozialen Raum des israelischen Bibliothekswesens, »nämlich dass unsere Bibliothek auch im Rahmen des Staates wirklich als zentrale, also wirklich als nationale Bibliothek funktioniert und fungiert«, so Curt Wormann in demselben Schreiben.76

71 NLI, Arc. 4° 1682/02/209, Sammlung Curt Wormann, Senator, David Werner (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 2. September 1953. 72 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 21. Februar 1952. 73 Siehe hierzu ausführlich Yfaat Weiss, »Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist«. Die Hebräische Universität in der Skopusberg-Enklave, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 14 (2015), 59–90. 74 Benjamin Mazar (1906–1995), Archäologe, war ab 1952 Rektor der Hebräischen Universität Jerusalem. 75 NLI, Arc. 4°1682/02/209, Sammlung Curt Wormann, Senator, David Werner (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 2. September 1953. 76 Ebd.

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Anhand der Briefe in Berichtsform, die Wormann über seine Eindrücke und Erfahrungen während seiner Reise in die Vereinigten Staaten an die Rockefeller Foundation und an Senator verfasste, lässt sich nicht nur Wormanns Tour durch die amerikanische Bibliothekslandschaft rekonstruieren. Seine Schilderungen von persönlichen Treffen mit führenden Bibliothekaren, mit Wissenschaftlern, Mäzenen, Philanthropen und potenziellen Buchspendern offenbaren Wormanns Sinn für die Praxis des Netzwerkens, war es ihm doch bewusst, dass der Bibliothek persönliche Kontakte und Beziehungen nützlicher seien als schriftliche Aufrufe.77 Aus Begegnungen dieser Reise entwickelten sich für Curt Wormann langjährige berufliche (Brief) freundschaften. Schließlich bereiteten seine amerikanischen Beziehungen, etwa zu Leon Carnovsky von der Library School der University of Chicago, auch den Weg zu seinem wachsenden Engagement innerhalb der UNESCO. Dass sich Wormanns amerikanische Kontakte und die UNESCO-Netzwerke überschnitten, verwundert nicht, war die UNESCO doch nicht nur Ausdruck einer »Nachkriegshoffnung auf eine friedvolle, vereinte und humane Welt«, sondern auch »ein Projekt, das […] nicht unwesentlich durch die (hegemonialen) Interessen der westlichen Alliierten, allen voran der USA, geprägt wurde, welche die Gründung der UNESCO als Teil der Pax Americana vorantrieben«.78 Als Luther H. Evans (1902–1988), Direktor der Library of Congress, 1953 zum Generaldirektor der UNESCO ernannt wurde, setzte Wormann darauf, »unsere Beziehungen zur UNESCO zu unseren Gunsten sehr fördern« zu können, wie er im September 1953 an David Werner Senator schrieb.79 Noch während seiner ersten Reise nach Amerika 1952 hatte Curt Wormann die Einladung der UNESCO erhalten, an einer Sitzung des International Committee on Bibliography in Paris teilzunehmen, was die amerikanischen Bibliothekare sehr beeindruckt habe: »This invitation impressed much the librarians here. They think it would be most worth­ while for us if I could take part in this meeting. This Committee is composed only of the heads of large central libraries (National and University libraries) and personal contact with UNESCO people would be very useful for us.«80

Mit dieser Einladung trat Wormann in den Kreis jener Bibliothekare ein, die im Rahmen der UNESCO in der Hochzeit des Kalten Krieges die Vorstel77 »[T]hat by personal contact and approach one can get much more help for our Library than by writing letters and memoranda«. NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 26. März 1952. 78 Christina Lembrecht, Bücher für alle. Die UNESCO und die weltweite Förderung des Buches 1946–1982, Berlin/Boston, Mass., 2013, 54 f. 79 NLI, Arc. 4°1682/02/209, Sammlung Curt Wormann, Senator, David Werner (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 2. September 1953. 80 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 27. Februar 1952.

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lung von einer durch »Bücher, Bibliotheken und Wissen verbundenen Welt« entwarfen.81 Dass die Ernennung des Bibliothekars Evans für Wormann auch eine Anerkennung der Rolle von Bibliotheken in den internationalen Beziehungen bedeutete – er mithin seinem Berufsstand eine politische Rolle zuschrieb – teilte er dem neuen UNESCO-Generaldirektor in einem Brief mit: »[T]hat it is also a recognition of the role libraries play in international cultural affairs. I am of the opinion that not even the largest research library can live in an ivory tower nowadays since it has to discharge very important functions within the framework of international cooperation.«82

Buchdiplomatie – Israels Bibliothekswesen und die UNESCO Eine Schwarz-Weiß-Fotografie aus dem Jahr 1961, gefunden im Nachlass Curt Wormanns, zeigt den für die Diplomaten der Welt reservierten Plenarsaal der Vereinten Nationen in New York. Doch auf den Stühlen haben Bibliothekare Platz genommen, als seien es diese Büchermenschen, die über Krieg und Frieden berieten und die Weltgeschicke lenkten. Als sich im November Bibliotheksdirektoren aus der ganzen Welt in New York treffen, um den Neubau der Bibliothek der Vereinten Nationen einzuweihen, ist auch Wormann unter ihnen. Für ihn zeigte sich in dieser Zusammenkunft der globale Charakter des Bibliothekswesens und dessen bedeutende Rolle in der Entwicklung internationaler Kooperationen, wie er wenig später an seinen Freund Josef Stummvoll (1902–1982) schrieb, den ehemaligen Generaldirektor der Österreichischen Staatsbibliothek und mittlerweile Direktor der UN-Bibliothek.83 Mit dem Begriff »world librarianship« hat Curt Wormann die Entwicklung des internationalen Bibliothekswesens in der Nachkriegszeit, für dessen Globalisierung das anlässlich der Einweihung des neuen UN-Bibliotheksgebäudes organisierte Symposium nur ein Beispiel ist, auf den Punkt gebracht. Die zahlreichen Dokumente aus seinem Nachlass, die von seiner 81 Amanda Laugesen, UNESCO and the Globalization of the Public Library Idea, 1948 to 1965, in: Library & Information History 30 (2014), H. 1, 1–19, hier 8. 82 NLI, Arc. 4°1682/02/258, Sammlung Curt Wormann, Curt Wormann an UNESCO (­Luther H. Evans), 29. Juli 1953. 83 »[A] demonstration of world librarianship and a really important event in the development of international cooperation in our profession.« NLI, Arc. 4°1682/03/151, Sammlung Curt Wormann, United Nations Library Symposium, Dag Hammarskjoeld Library, November 1961, New York (sorted by Curt Wormann), Curt Wormann an Josef Stummvoll, 19. Dezember 1961.

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Tätigkeit für die UNESCO sowie für die IFLA zeugen – Korrespondenzen, Tagungsprogramme und -beiträge, Jahresberichte und Bulletins – lenken den Blick auf die Bibliotheksgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. An seinem Nachlass lassen sich jene Entwicklungen ablesen, die Amanda Laugesen am Beispiel des internationalen Diskurses über Public Libraries als zentral für das Bibliothekswesens nach 1945 beschrieben hat: Professionalisierung und Globalisierung des Bibliothekarsberufs sowie das Denken in Kategorien der Moderne, also die Vorstellung, durch Zugang zu Büchern, Bibliotheken und Bildung die Welt zu einem besseren Ort zu machen.84 Seit September 1949 war Israel Mitglied der UNESCO, die drei Jahre zuvor mit dem Ziel gegründet worden war, »durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Völkern in Bildung, Wissenschaft und Kultur zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit beizutragen […]«.85 Wenige Wochen nach dem Beitritt Israels betonte David Werner Senator in einem Brief an Wormann, dass die Bibliothek darauf bestehen müsse, in die gerade begonnenen Beziehungen zu der internationalen Organisation einbezogen zu werden: »[T]he University must insist on proper representation in any Israeli delegation to UNESCO; and the University means also the Library.«86 Für die Bibliothek unter der Direktion Curt Wormanns bedeuteten die Beziehungen zur UNESCO auch eine Legitimation als Nationalbibliothek des gerade gegründeten Staates. Dass diese Position in Israel keineswegs selbstverständlich war, geht aus einem Brief Wormanns aus den Vereinigten Staaten an David Werner Senator hervor, in dem er auf die Konkurrenz zu den 1949 gegründeten und von Sophie A. Udin87 geleiteten Israel State Archives and Library eingeht: »The only difficutly I had here was the overlapping between the Governmental library88 in the Kirjah (Miss Udin), since the treaty between our Government and that of the United States says that all Governmental documents will go to this library. All the librarians

84 Siehe hierzu Laugesen, UNESCO and the Globalization of the Public Library Idea, 1–19. 85 Deutschsprachige Version der Verfassung der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO), 2001, (1. Dezember 2019). 86 NLI, Arc. 4°1682/02/209, Sammlung Curt Wormann, Senator, David Werner (II), David Werner Senator an Curt Wormann, 16. Oktober 1949. 87 Sophie A. Udin (1896–1960) war Mitbegründerin der Pioneer Women in den Vereinigten Staaten, Bibliothekarin und ab 1949 Direktorin der Israel State Archives and Library. In den 1920er Jahren machte sie die Mitarbeiter der Nationalbibliothek in Jerusalem mit den organisatorischen Grundzügen des amerikanischen Bibliothekssystems vertraut. In den 1930er Jahren wirkte sie als Mitglied des American Library Committee an der Sicherung und Übersendung von Buchbeständen an die Nationalbibliothek in Jerusalem mit. 88 Gemeint sind die Israel State Archives, die sich zu diesem Zeitpunkt im Tel Aviver Stadtviertel Ha-Kirja, der ehemaligen Templersiedlung und heutigen Geschäfts- und Freizeitanlage Sarona, befanden.

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of top rank of the Library of Congress were ›amazed‹ by this regulation. I knew about it and talked with you and Professor Schwabe89 about the need of our Government to change their attitude toward our Libray. The Library of Congress regards our Library as the only central library with modern lay-out and proceedings as UNESCO also regards us.«90

Wormann zufolge musste der Status, den die Nationalbibliothek international genoss, auch im Innern anerkannt werden. Damit verband er zugleich ein Überdenken der Position des Bibliotheksdirektors. Während in den Vereinigten Staaten der Direktor der Library of Congress zugleich den Vorsitz im nationalen UNESCO-Komitee innehatte, reagierte Wormann verärgert auf die israelische Haltung: »[O]ur Government was not ready to give the Director of our Library as the central Library of the country, ex officio, a seat in the National Committee of UNESCO.«91 Die Stellung der Nationalbibliothek im nationalen und internationalen Bibliothekswesen stärken, die Direktorenrolle aufwerten sowie die Bibliothekarsausbildung institutionalisieren: Diese Aspekte der Professionalisierung gewannen im Rahmen der Kooperation mit der UNESCO an Bedeutung. Zudem eröffnete der Beitritt zur UNESCO diplomatische Möglichkeiten. In einem wahrscheinlich aus dem Herbst/Winter 1949/50 stammenden undatierten, maschinenschriftlichen Protokoll einer Sitzung des israelischen UNESCO-Komitees forderte der Vorsitzende Senator, den Wert der UNESCO-Mitgliedschaft nicht zu unterschätzen: »We might through contacts with it establish relations with outside states.«92 Für die Universität mit ihrer Bibliothek bot sich zudem die Chance, über die UNESCO ihre Interessen im eigenen Land nachdrücklicher zu vertreten. Als Luther Evans zum UNESCO-Generaldirektor ernannt wurde, bezogen sich Wormanns Hoffnungen keinesfalls nur auf bibliothekarische Beziehungen, sondern er meinte, dass »auch hinsichtlich der Skopus-Situation […] Dr. Luther Evans zum mindesten ein guter Berater sein [könnte]«.93 Doch zeigte sich die offizielle israelische Politik generell kritisch gegenüber Versuchen der Universität, mit Unterstützung der UNESCO eigenen Interessen – etwa hinsichtlich

89 Der Altphilologe Moshe Schwabe (1889–1956) war von 1950 bis 1952 Rektor der Hebräischen Universität. 90 NLI, Arc. 4°1682/02/590, Sammlung Curt Wormann, Journeys 1951–1952 (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 27. Februar 1952. 91 Ebd., Curt Wormann an David Werner Senator, 17. März 1952. 92 NLI, Arc. 4°1682/03/119, Sammlung Curt Wormann, Unesco – Correspondence and Committee Work, Note on the Meeting of the UNESCO Committee, undatiert (Typoskript, zwei unpaginierte Seiten). 93 NLI, Arc. 4°1682/02/209, Sammlung Curt Wormann, Senator, David Werner (II), Curt Wormann an David Werner Senator, 2. September 1953.

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der »Skopus-Frage« – Nachdruck zu verleihen, wie Yfaat Weiss an einem anderen Beispiel gezeigt hat.94 Als die UNESCO 1958 in Wien ein Symposium zur Rolle der Nationalbibliotheken in Europa plante, geriet Curt Wormann in die Ambivalenzen einer sich als überstaatlich verstehenden Kulturdiplomatie, denn das Symposium richtete sich ausschließlich an europäische Teilnehmer, wenn es auch möglich war, externe »Berater« und »Experten« einzuladen. Als Repräsentant eines aus UNESCO-Sicht zu Asien gehörenden Landes war er als Gast zunächst ausgeschlossen. Seinem guten Freund Stummvoll erklärte Curt Wormann im Mai 1958: »Die Hauptschwierigkeit liegt in der besonderen politischen Situation Israels, das geographisch zu Asien gehört, aber durch die Konflikte mit den arabischen Ländern an keiner Unesco Konferenz im Near oder Middle East teilnehmen kann. Die Israel Regierung ist nicht bereit, mich als Observer zu schicken, dies aus prinzipiellen Gründen. Auf der andern Seite stösst mein Vorschlag in diesem Falle eine offizielle Einladung zu erbitten, auf grundsätzlichen Widerstand. Es scheint auch sehr fraglich, ob die Unesco von sich aus eine offizielle Einladung an Israel wiederum aus grundsätzlichen Erwägungen (Präzedenzfall) ergehen lassen würde.« 95

Doch zeigt Wormanns Korrespondenzmappe zum Wiener Symposium, wie ein Briefwechsel zwischen Bibliothekaren und Kulturdiplomaten aus Amerika, Frankreich, Österreich und Israel seine Reise nach Wien ermöglichte. Während seines zweiten Aufenthalts in den Vereinigten Staaten 1957/58 wandte sich Curt Wormann schriftlich an Everett  N. Petersen, den Leiter der UNESCO-Bibliotheksabteilung, und bekundete sein Interesse, an dem Symposium teilzunehmen. Er verwies nicht nur auf seine wissenschaftliche Expertise zu Aufgaben von Nationalbibliotheken, die zugleich als Universitätsbibliothek fungieren, sondern er zählte auch die Namen seiner Gesprächspartner und wissenschaftlichen Kollegen Jack Dalton (Columbia University) und Leon Carnovsky (University of Chicago) auf und brachte so zwei führende amerikanische Bibliothekare gleichsam als soziales Kapital ins Spiel.96 Mit demselben Argument richtete sich Curt Wormann auch an Josef Stummvoll, der zu dieser Zeit Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek war. Dieser wiederum hatte sich als einer der Organisatoren des Symposiums an Luther Evans gewandt. Gegen das Argument des ausschließlich europäischen Teilnehmerkreises verwies Stummvoll auf die dem Generaldirektor vorbehaltene Möglichkeit, »Experten« von außerhalb einzuladen, und er ar-

94 Weiss, »Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist«, 76 f. 95 NLI, Arc. 4°1682/02/232, Sammlung Curt Wormann, Stummvoll, Josef (Österreichische Nationalbibliothek), Curt Wormann an Josef Stummvoll, 28. Mai 1958. 96 NLI, Arc. 4°1682/03/125, Sammlung Curt Wormann, Unesco Symposium on National Libraries in Europe, Vienna 1958, Curt Wormann an Everett N. Petersen, 26. Februar 1958.

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gumentierte mit Wormanns Biografie: »As a former German librarian Mr. Wormann absolutely belongs to the European cultural s­ phere.«97 Curt Wormann nahm schließlich als »Experte« teil: Zeitungsartikel, Notizen zu Vorträgen, Fotografien und persönliche Postkarten zeugen von drei intensiven Wochen und zahlreichen Begegnungen. Sein viel beachteter Tagungsbericht, dessen Typoskript sich ebenfalls in den Unterlagen befindet, erschien 1959 in Libri.98 Am Ende seines Berichts verortete er die Entwicklung der europäischen Nationalbibliotheken nach dem Zweiten Weltkrieg in einer von Fortschritt geprägten Entwicklung, und dies in der zeittypischen Rhetorik, die von der gesellschaftsgestaltenden Kraft des Buches ausgeht: »The development of national libraries after World War  II, at which this article has hinted, is a positive one which spells progress. This progress is of significance to the cultural development of all countries and to the genuine understanding between peoples by means of exchange of humanistic, cultural and scientific values.«99

Das Wiener UNESCO-Symposium bildete den Auftakt der Reisen ­Wormanns für die Organisation sowie seines wachsenden Renommees im interna­tio­ nalen Bibliothekswesen. 1961 lud UN-Generalsekretär Dag ­Hammarskjöld ­(1905–1961) ihn zur Einweihung der neuen UN-Bibliothek in New York ein, die schließlich den Namen des schwedischen Diplomaten tragen sollte, der bei einem Flugzeugabsturz in Afrika kurz vor der Zeremonie ums Leben gekommen war. In seiner New Yorker Rede wies Wormann darauf hin, dass Hammarskjöld Martin Bubers Ich und Du bei sich getragen habe, an dessen Übersetzung ins Schwedische er gearbeitet hatte. Die Thematik von Bubers Schrift  – »the relationship between man and man, communication among peoples and the unity of mankind« – begriff Wormann auch als Aufgabe der Bibliothekare.100 War Curt Wormann 1958 aufgrund seiner nicht europäischen Staatsangehörigkeit als externer »Experte« zum UNESCO-Symposium nach Wien gereist, so kam er 1964 als Teilnehmer eines aus UNESCO-Sicht asiatischen Landes nach Manila, um an einer UNESCO-Konferenz zur Entwicklung von Nationalbibliotheken in Asien und im Pazifikraum teilzunehmen. »I was surprised to see my old friend Curt Wormann from Jerusalem in Manila. I told him that I did not know that he was an Asian«, erinnert sich Herman Liebaers

 97 NLI, Arc. 4°1682/02/232, Sammlung Curt Wormann, Stummvoll, Josef (Österreichische Nationalbibliothek), Josef Stummvoll an Luther Evans, 22. Mai 1958.  98 Curt D. Wormann, National Libraries in Our Time. The UNESCO Symposium on N ­ ational Libraries in Europe, in: Libri 9 (1959), H. 4, 273–307.  99 Ebd., 307. 100 NLI, Arc. 4°1682/03/151, Sammlung Curt Wormann, United Nations Library Symposium, Dag Hammarskjoeld Library, November 1961, New York (sorted by Curt Wormann; Typoskript, sieben unpaginierte Seiten).

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(1919–2010), ehemaliger Direktor der Könglichen Bibliothek Belgiens und zeitweise Präsident der IFLA, in seinen Memoiren an das Wiedersehen mit Wormann.101 Aus Libaers Erinnerungen spricht die Irritation, seinen Kollegen  – neben Vertretern asiatischer Staaten von Afghanistan bis Vietnam  – unter den Teilnehmern und nicht auf der Seite der Beobachter oder Berater zu sehen. Libaers rhetorisch-ironische Frage offenbart, was sich auch am Programm und der Teilnehmerliste der Konferenz in Manila ablesen lässt: Zwar nahmen Bibliothekare aus Entwicklungsländern an den UNESCOKonferenzen teil, doch war der Beobachter-, Berater- oder Expertenstatus fast ausnahmslos den Bibliothekaren aus den westlichen Industrienationen vorbehalten.102 In seinen Briefen an die bei der UNESCO zuständigen Organisatoren zeigte sich Wormann zufrieden mit den Ergebnissen der Konferenz in Manila. Der Aufenthalt auf den Philippinen blieb nicht seine letzte Asienreise: 1967 brach er – wieder im Auftrag der UNESCO – nach Ceylon (seit 1972 Sri Lanka) auf, in dessen Hauptstadt Colombo sich internationale Bibliotheksexperten trafen, um Richtlinien für die Entwicklung des Bibliothekswesens in verschiedenen asiatischen Ländern zu erarbeiten. Ende der 1960er Jahre ging nicht nur Curt Wormanns Amtszeit als Direktor der Nationalbibliothek in Jerusalem zu Ende, sondern auch die Epoche des Fortschrittsglaubens. Die Vorstellung, mithilfe von Büchern die Welt zu verbessern, verlor an gestalterischer Kraft. Für Curt Wormann, der hier auf der Basis englisch- und deutschsprachiger Dokumente aus seinem Nachlass auf verschiedenen Ebenen als Akteur des »cultural internationalism« (­Akira  Iriye) vorgestellt wurde, war jedoch das bibliothekarische Engagement mit dem Ende seiner Amtszeit 1968 keineswegs vorbei.103 Er widmete sich weiterhin der Entwicklung der öffentlichen Büchereien in Israel, engagierte sich in internationalen Bibliothekarsverbänden und Gremien, etwa des Leo-­Baeck-Instituts und der Hebräischen Universität, und trat für den Bibliothekarsstand in Israel ein. So bergen auch die hebräischsprachigen Dokumente, die rund die Hälfte des Nachlasses ausmachen, noch viele und ganz andere Geschichten, die im Archiv der Jewish National and University Library darauf warten, erzählt zu werden.

101 Herman Liebaers, Mostly in the Line of Duty. Thirty Years with Books, Den Haag 1980, 211. 102 Siehe hierzu ausführlich Laugesen, UNESCO and the Globalization of the Public Library Idea, bes. 9. 103 Akira Iriye, Cultural Internationalism and World Order, Baltimore, Md., 1997.

Judith Siepmann

Büchergeschichten, Ordnungskonzepte und die Vielschichtigkeit der Erinnerung: Heinrich Loewe und die Sha’ar-Zion-Bibliothek in Tel Aviv In die Sammlung der Stadtbibliothek von Tel Aviv Sha’ar Zion ist ein Büchlein mit einer besonderen Geschichte eingegangen, die  – obwohl nur in groben Zügen rekonstruierbar – selbst durch den Nebel vager Vermutungen hindurch ein Bild aufscheinen lässt, das über die Geschichte eines einzelnen Gegenstandes weit hinausreicht und eine erstaunliche Tiefendimension entwickelt.1 Es handelt sich dabei um ein schmales, hübsch aufgemachtes blaues Bändchen über »jüdischen Volkshumor« mit dem Titel Schelme und Narren mit jüdischen Kappen aus dem Berliner Welt-Verlag, erschienen im Frühjahr 1920. Verfasser ist der Bibliothekar, Zionist, Journalist und »Volkskundler« Heinrich Loewe. Es ist mit einer knappen, aber doch herzlichen handschriftlichen Widmung des Autors an den Komponisten, Dirigenten, Maler und Dichter Arno Nadel (1878–1943) versehen, mit Hinweis auf »den großen Genuß am vergangenen Mittwoch«. Vermutlich wurde es ein paar Tage nach einer Veranstaltung in den so lebendigen kulturzionistischen Kreisen Berlins, denen sie beide angehörten, als Dank übergeben, vielleicht nach einem Vortrag über jüdische Volksweisen, hatte Nadel doch im selben Jahr seine Jüdischen Volkslieder herausgebracht, oder im Anschluss an ein Konzert – Nadel führte immer wieder eigene Kompositionen an der Orgel oder mit dem von ihm geleiteten Chor der Synagoge am Kottbusser Ufer auf. Zwischen Loewe und Nadel bestand trotz mancher Unterschiede – Nadel etwa war nicht in politisch-zionistischen Kreisen aktiv  – ein durchaus enges Band: Beide waren nicht unbedeutende Vertreter der »jüdischen Renaissance«, standen in engerem Kontakt mit Martin Buber und waren bemüht um Wiederentdeckung, Bewahrung, Erneuerung und Fortführung einer eigenständigen jüdischen Kultur. Beider Interesse galt der »jüdischen Volkskunde«, etwa der Volksmusik, dem »Volkshumor« oder jüdischen Sprachen und

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Das Büchlein gehört zu der zumindest in Teilen erhaltenen Privatsammlung Heinrich Loewes (1869–1951), zwischen 1933 und 1948 Leiter der Sha’ar-Zion-Bibliothek, in deren Besitz sie nach seinem Tod überging. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 395–424.

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Namen.2 Sie verstanden sich als Sammler im Auftrag des jüdischen Volkes, in Loewes Fall auch im Auftrag der zionistischen Organisation. Nadel sammelte über Jahre hinweg systematisch traditionelle jüdische Gesänge, die in Ausschnitten veröffentlich wurden, und entwarf als Komponist und Erneuerer jüdischer Musik eigene liturgische Melodien und Gesänge.3 Loewe, Verfechter der Idee einer jüdischen Nationalbibliothek, setzte sich während seiner Berliner Zeit als Bibliothekar für die Einrichtung einer Büchersammelstelle ein. Als Leiter der Sha’ar-Zion-Bibliothek ab 1933 fiel ihm die Aufgabe der Erweiterung der dortigen Bücherbestände zu. Arno Nadel muss also das Büchlein – vielleicht mit ein paar dankenden Worten seinerseits  – in seine »großen Büchersammlungen«, sein »kleines Museum«4 aufgenommen haben. Diese sorgsam sortierte Bibliothek – von der Nadels Tochter Detta mutmaßt, sie sei ein Grund für die zu lange hinausgezögerte Auswanderung gewesen5 – blieb wohl bis in seine letzten Lebensjahre hinein, zumindest in Bruchstücken, in seinem Besitz. Erst im Zuge seiner Deportation in den Osten im Jahr 1943 und der Ermordung in Auschwitz kurz darauf muss sie endgültig zerstreut worden sein  – teils gerettet von Nachbarn, an die Nadel rechtzeitig einiges weitergegeben hatte, teils verloren oder verbrannt, teils nach dem Krieg an die Erben zurückerstattet oder eben – wie zumindest im Falle dieses einzelnen Buches – verteilt an alte Weggefährten.

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Nadels Interesse galt vor allem der jüdischen Kunst und insbesondere der jüdischen Musik, worüber er auch ausführlich publizierte. Loewe veröffentlichte zahlreiche Artikel und kleinere Abhandlungen über »jüdischen Volkshumor«. Neben Schelme und Narren erschienen u. a. Reste von altem jüdischen Volkshumor (1922) und Alter jüdischer Volkshumor aus Talmud und Midrasch (1931). Über jüdische Sprachen veröffentlichte er u. a. Die Sprachen der Juden (1911); über jüdische Namen – ein Gebiet, für das er vor allem in späteren Jahren Interesse entwickelte – erschien u. a. Geschichten von jüdischen Namen (1929). Loewe hatte als langjähriger Herausgeber der Jüdischen Rundschau eine ebenso wichtige Plattform für seine Forschungen wie Nadel als Mitarbeiter der Zeitschriften Ost und West und Der Jude. 3 Weitere Veröffentlichungen zu traditionellen jüdischen Liedern stellen Jontefflieder (1919), Ha-Haggada le-jiladim. Die Haggadah des Kindes (1933), an deren Herausgabe er maßgeblich beteiligt war, und Semirot Schabbat. Die häuslichen Sabbatgesänge (1937) dar. Sein Kompendium Hallelujah, das neben eigenen Synagogengesängen eine systematische Auswahl von Kompositionen anderer bedeutender Komponisten enthielt und das er 1938 abschloss, wurde niemals veröffentlicht (siehe Jascha Nemtsov, Deutsch-jüdische Identität und Überlebenskampf. Jüdische Komponisten im Berlin der NS-Zeit, Wiesbaden 2010, 37–125, hier 68–78). 4 Der Freund Erich Mendel erinnert sich an Nadels Wohnung als »ein kleines Museum. Ich erinnere mich lebhaft der Kunstwerke und großen Büchersammlungen. Da war der Raum mit der Literatur aller Völker und Zeiten. Ein anderes Zimmer beherbergte viele Kunstbücher, eingeschlossen Werke über jüdische und orientalische Kunst.« (zit. nach ebd., 78) 5 Detta Okun, zit. nach ebd.

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Aber darin erschöpft sich die Geschichte hinter dieser Ausgabe der Schelme und Narren nicht. Sie trägt neben besagter Widmung und dem Stempel der Sha’ar-Zion-Bibliothek als neuer Besitzerin auch den Aufkleber der Jewish Cultural Reconstruction (JCR), die sich nach dem Zweiten Weltkrieg für die Rettung der von den Nationalsozialisten geraubten Bücher, für deren Rückgabe an die ursprünglichen Besitzer beziehungsweise, wenn Besitzer und Erben ermordet oder nicht ermittelbar waren, für die Verteilung an jüdische Institutionen einsetzte. Die Schelme und Narren gingen also durch weitere Hände und so mag die Widmung beim Einfügen des JCR-Aufklebers jemandem ins Auge gefallen sein. Vielleicht kannte er oder sie Loewe persönlich und hatte das Bedürfnis, das Büchlein nicht an Nadels Erben in den Vereinigten Staaten, sondern an den Schenker selbst zurückzugeben. Vielleicht bestand auch keine direkte Verbindung, jedoch die Kenntnis von seiner Institution in Palästina. Aber hier beginnt die Spekulation, verschwindet die Erzählung im Nebel, bevor sie als Teil der Geschichte der Stadtbibliothek in Tel Aviv wieder an Kontur gewinnt und lesbarer wird. Das Büchlein erzählt eine individuelle Geschichte und erinnert an ein sehr persönliches Schicksal. Die deutsche Widmung Loewes, der zweisprachige Aufkleber der JCR, der hebräische Stempel der Sha’ar-Zion-Bibliothek geben Hinweis auf eine schicksalhafte, traurige Reise, die mit der Schenkung des Bibliothekars Loewe in Berlin beginnt und mit der Rückkehr in den Besitz des Bibliothekdirektors Loewe in Tel Aviv endet. Das Büchlein, das einst Gabe war, wird hier durch die Rückkehr in die Hände des Schenkenden zum eindrücklichen Symbol des Todes eines Menschen. Zugleich aber spiegelt das Büchlein exemplarisch einen Teil der Geschichte der Bibliothek in Tel Aviv, die Loewe im Winter 1933/34 in katastrophalem Zustand übernahm und mehr oder weniger von Grund auf neu aufbaute. Es erinnert daran, dass diese Bibliothek in ganz besonderem Maße nicht durch Ankäufe, sondern durch Spenden und Schenkungen konstituiert wurde. Loewe wollte für die so rasant wachsende Stadt am Mittelmeer eine Bibliothek schaffen, die neben der Erfüllung praktischer Bedürfnisse vor allem im Sinne einer national ausgerichteten Bibliothek Jüdisches sammeln und zur Erinnerung bewahren sollte. So fügt sich das Büchlein mit seiner Sammlung und Wiedergabe jüdisch-folkloristischer Geschichten thematisch sinnvoll in die Bestände der Sha’ar-Zion-Bibliothek ein. Der Band verweist jedoch noch auf eine weitere Bedeutung von Loewes jüdischer Bibliothek: Diese wird mit ihren Büchern und den in ihnen enthaltenen Stempeln, Exlibris, Markierungen, Aufklebern und anderen Gebrauchsspuren zu einem Erinnerungsort, in den ein Stück europäisch-jüdischer Geschichte sichtbar eingedrungen ist. Der Ort der Aufbewahrung des Reichtums jüdischer Kultur wird zugleich Ort der tragischen Erinnerung, der den Tod und Verlust durch den Holocaust in ganz besondere Weise sichtbar werden lässt.

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Im Folgenden soll ein genauerer Blick auf die Realitäten geworfen werden, denen Loewe sich als Leiter der Sha’ar-Zion-Bibliothek ausgesetzt sah. Wie entwickelte sich die Bibliothek dieser »ersten hebräischen Stadt der Neuzeit«6 und welche Rolle spielten dabei vor allem die Bücherspenden, von denen die Entwicklung der Bibliothek so entscheidend abhing? Gerade in den 1930er Jahren, als mit dem immer radikaleren Ausschluss der Juden aus der deutschen Gesellschaft auch Loewe seine Position in Berlin verlor, sich zur Emigration entschloss und die Leitung der Bibliothek in Tel Aviv übernahm, erhielt die Institution zahlreiche Spenden aus Deutschland beziehungsweise von bereits nach Palästina ausgewanderten deutschen Juden. Viele waren gezwungen, sich räumlich zu verkleinern und mussten sich daher von ihren Sammlungen trennen – eine Option stellte die Weitergabe an die Tel Aviver Bibliothek dar. Dies spiegelt sich in Artikeln Loewes, aber auch in zahlreichen Korrespondenzen mit Spendern. Interessant sind sowohl die Bedeutung der eingetroffenen Bücherspenden für die Formung der Bibliothek als auch das, was hinter den verwirklichten oder auch nicht verwirklichten Spendenangeboten häufig aufscheint: Die Spender hatten oft eine eigene Vorstellung vom Sammeln, von der Rolle ihrer Zuwendung für die Bibliothek beziehungsweise der Rolle der Bibliothek für die Spende. Diese Vorstellungen unterschieden sich zumindest in Teilen von denen Loewes beziehungsweise von seinem Bibliothekskonzept. Für viele Spender erhielt die Bibliothek über ihre Funktion als Wissensspeicher und Ort der Begegnung, des Austauschs, der Forschung hinaus eine spezifischere Bedeutung. Besonders das Moment der Erinnerung, das in Loewes Konzept einer jüdischen Bibliothek von Beginn an eine Rolle spielt, gewinnt hier im Kontext der historischen Entwicklungen an Zentralität und Komplexität. Neben den Nutzern der Stadtbibliothek und ihren Bedürfnissen sowie den Umständen, unter denen Loewe zu arbeiten hatte, nahmen die Spenden also Einfluss auf die Gestaltung der Bibliothek. Dies verlangte von Loewe, sein über Jahre entwickeltes Konzept einer jüdischen Bibliothek für Palästina immer wieder neu zu justieren. Es sorgte aber auch dafür, dass ihm die Kontrolle bisweilen entglitt, sich Bedeutung und Funktion über das Intendierte hinaus erweiterten und sich die Sammlung bis zu einem gewissen Grad unabhängig formierte. Der besondere Charakter dieser Bibliothek, aber auch der Einfluss der Spenden und die Vielschichtigkeit der Bedeutungsebenen, die sie durch ihre besondere Sammlungsgeschichte erhielt, sind daher nur vor dem Hintergrund von Loewes Konzept jüdischer Bibliotheken in Palästina – insbesondere der Nationalbibliothek und der Tel Aviver Stadtbibliothek – zu verstehen, das zunächst skizziert werden soll. Loewe entwickelte, wie Markus 6

Sha’ar Zion Public Library Beit Ariela (nachfolgend SZPL), Papers of Heinrich Loewe, 23/2, Heinrich Loewe, Eine Stadtbibliothek in Erez-Jisrael (Manuskript), ca. 1934, 3.

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Kirchhoff anmerkt, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine regelrechte »Bibliotheksphilosophie«,7 in deren Mittelpunkt die Idee einer jüdischen Nationalbibliothek stand. Er sah die Relevanz einer solchen Einrichtung für die Festigung eines nationalen Selbstverständnisses noch vor Gründung einer politischen Heimstätte, hob die aus seiner Sicht der jüdischen Geschichte inhärente Bedeutung einer solchen Bibliothek hervor und schärfte so die Konzeption von ihr als Ort des kulturellen Gedächtnisses. Sein Verständnis von der Stadtbibliothek Tel Aviv, die für ihn mit der Übernahme des Direktorenamts an Wichtigkeit gewann und mit der er sich ab diesem Moment gezielter konzeptionell beschäftigte, weist zwar einige spezifische Unterschiede zu seiner Auffassung von einer jüdischen Nationalbibliothek auf – die in seinen Schriften über die Stadtbibliothek als Bezugspunkt weiterhin zentral bleibt –, jedoch behält er die zentrale Grundidee bei: Beiden Institutionen schreibt Loewe eine klare Bedeutung für die Selbstfindung und Selbstbehauptung des jüdischen Volkes in seiner nationalen »Eigenart« zu. In beiden Fällen stellt er in seinem Sammlungskonzept das Jüdische in den Vordergrund, integriert aber zugleich die Idee einer darüber hinausreichenden, umfassenden »Weltbibliothek«. Dabei reflektierte Loewe seine utopisch anmutende Vision durchaus und behielt in seinem Konzept auch die Realität im Blick. Die Bibliothek sollte mit ihren Büchern Hilfestellung beim praktischen Aufbau leisten und schrittweise bestückt werden. Diesen Pragmatismus spiegelt nicht zuletzt der hohe Wert, den er dem Spendensystem in seinem Konzept von Anfang an beimaß. Dennoch: Von der Vision einer dezidiert jüdischen Bibliothek als grundsätzlicher Leitlinie rückte er nicht ab und dies führte gelegentlich zu Konflikten und Widersprüchen.

Ordnungskonzepte – die Nationalbibliothek in Jerusalem und die Sha’ar-Zion-Stadtbibliothek in Tel Aviv Eines von Loewes Exlibris aus seinem Teilnachlass in der Bibliothek Sha’arZion gibt sein Selbstverständnis und Bibliothekskonzept komprimiert wieder. Es zeigt neben Loewes Namen in deutscher und hebräischer Fassung einen hebräischen Spruch aus dem Buch Nehemia: »Kommt und lasst uns die Mauern Jerusalems wieder aufrichten!«8 Umrahmt ist der Satz von zwei Löwen,

7 Markus Kirchhoff, Häuser des Buches. Bilder jüdischer Bibliotheken, hg. vom Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, Leipzig 2002, 68. 8 Neh 2,17.

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die jeweils ein Buch in ihren Armen halten. Diese symbolisieren die Stadt Jerusalem und Loewe als Person, spiegeln also Loewes Vorstellung von der Bedeutung einer Nationalbibliothek ebenso wie seine Rolle als »Baumeister«: Die Mauern des neuen Zion, so die Botschaft, werden auf dem Fundament des Buches beziehungsweise der Bücher wiederaufgerichtet. Die Erneuerung des jüdischen Staates beginnt also mit dem Wiederaufbau jüdischer Kultur. Loewe war nicht der Erste, der sich mit der Schaffung einer jüdischen Nationalbibliothek beschäftige, aber er war der Erste, der sich mit vorausschauendem Blick und vor allem mit dem nötigen Hintergrundwissen – von 1899 bis zu seiner Emigration im Jahr 1933 arbeitete er an der Berliner Universitätsbibliothek als Leiter der Abteilung für Orientalia und Judaica – ein Konzept entwarf, unermüdlich in zahllosen Schriften für dieses warb und sich um eine Umsetzung bemühte.9 Er war es auch, der mit dem offiziellen Auftrag, den die zionistische Organisation ihm zum 7.  Zionistenkongress 1905 erteilte, konkrete Schritte zur systematischen Sammlung einleitete.10

  9 Zur ideellen Geschichte der Nationalbibliothek sowie zur Rolle Loewes und seiner Vorgänger siehe u. a. Dov Schidorsky, Jewish Nationalism and the Concept of a Jewish National Library, in: ders. (Hg.), Library Archives and Information Studies, Jerusalem 1989, 45–74. Loewes Vorgänger vertrat in vielerlei Hinsicht ein etwas enger gefasstes Konzept einer Nationalbibliothek, wogegen Loewe ab einem bestimmten Zeitpunkt die Idee eines Bibliothekssystems für ganz Palästina entwickelte, in dessen Mittelpunkt die Nationalbibliothek stehen sollte. Auch machte sich Loewe Gedanken über die unterschiedlichen Funktionen, die eine solche Bibliothek (aber auch die kleineren Einrichtungen) erfüllen sollte, thematisierte u. a. das Konzept einer »Weltbibliothek« und orientierte sich damit an den großen europäischen bzw. westlichen Nationalbibliotheken seiner Zeit (siehe ebd., 64 f.). Loewe war insbesondere von Entwicklungen des Bibliothekswesens in Deutschland und den dort geführten Diskussionen beeinflusst (siehe Dov Schidorsky, Germany in the Holy Land. Its Involvement and Impact on Library Development in Palestine and Israel, in: Libri 49 [1999], H. 1, 26–42, hier 30–32), einem Land, das zudem selbst nicht nur spät zur Nation geworden war, sondern in dem auch die Frage der Nationalbibliothek anders als in vielen anderen europäischen Ländern noch ungeklärt und damit weiterhin präsent war (siehe Jörn Leonhard, Bücher der Nation. Die Entstehung europäischer Nationalbibliotheken als Orte lokalisierter Erinnerung, in: Kirstin Buchinger/Claire Gantet/Jakob Vogel [Hgg.], Europäische Erinnerungsräume, Frankfurt a. M. 2009, 72–87, hier 76 f. und 81–85). 10 Dov Schidorsky ist derjenige, der Loewes Bedeutung für die Entstehung des Bibliothekswesens  – auch über seine Rolle für die Nationalbibliothek hinaus  – in Palästina wohl bisher am genauesten beleuchtet hat. Siehe neben den bereits erwähnten Artikeln u. a.: Libraries in Late Ottoman Palestine between the Orient and the Occident, in: Libraries & Culture 33 (1998), H. 3, 260–76; The Municipal Libraries of Tel Aviv during the British Mandate, 1920–1948, in: Libraries & Culture 31 (1996), H. 3/4, 540–556; Ha-sifrija haẓiburit be-Ereẓ Jisraʼel lefi tfisato schel Heinrich Loewe [Heinrich Loewes Konzept der öffentlichen Bibliothek in Eretz Israel], in: Yad la-Kore. Ketav et le-sefranut, le-bibliografia we-le-archiona‘ut 18 (1979), H.  1/2, 90–101. Ein umfangreicheres Bild Loewes einschließlich seines Hintergrunds als Bibliothekar an der königlich-preußischen bzw. Universitäts-Bibliothek in Berlin gibt außerdem Frank Schlöffel, Heinrich Loewe. Zionistische Netzwerke und Räume, Berlin 2018.

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Seine Ideen weisen über die Jahrzehnte hinweg in ihren Grundprinzipen große Konstanz auf, konkretisieren und erweitern sich aber mit der Zeit – befeuert auch durch das Engagement der zionistischen Organisation für eine Hebräische Universität, die ihrerseits eine Bibliothek verlangte. Zudem entwickelte er aus der Idee einer einzelnen Nationalbibliothek das Konzept eines ganzen Bibliothekswesens für Palästina, das schließlich auch die Stadtbibliothek in Tel Aviv mit einschloss, die allerdings für Loewe erst mit der Übernahme des Direktorats in den Mittelpunkt rückte. Zunächst schenkte er der Nationalbibliothek, daran angeknüpft auch einem weiter gefassten, jedoch weniger auf individuelle Institutionen eingehenden Bibliothekswesen seine Aufmerksamkeit. In Loewes Vision gehörten die Nationalbibliothek und ein Bibliothekswesen in der neuen »Heimstätte« Palästina zum Kern des nationalen Aufbaus. Er teilte die Auffassung derjenigen, die eine »jüdische Heimstätte« zuvorderst unter dem Aspekt der Wiederherstellung einer kulturellen und geistigen Eigenständigkeit sahen. Nationale Unabhängigkeit und »politische Freiheit« sollten dabei vorrangig einer »geistigen Befreiung«11 dienen, die aus seiner Sicht vor allem aus der (Rück)besinnung auf jüdisches Wissen, der (Wieder) aneignung jüdischer Kultur sowie deren Fortführung und Weiterentwicklung bestand. Bildung und die Bibliothek als deren Fundament, »als der von einem Volke sichtbar aufgespeicherte Wissensschatz«,12 als »Grundlage alles kulturellen Lebens«13 standen dabei im Zentrum seiner Begründung. Dieser Gedanke verband sich mit dem in Loewes Schriften zum jüdischen Bibliothekswesen in Palästina wiederkehrenden Topos vom jüdischen Volk als dem »Volk des Buches«.14 In einem Artikelentwurf von 1936 mit dem Titel Eine neue Kulturstätte in altem Lande etwa greift er diesen Topos in erweiterter Form auf und fügt ihn seiner eigenen Argumentation ein: »Keine Nation hat von Alters her bis auf den heutigen Tag, das geschriebene Wort und das gedruckte Wort so hoch geschätzt als das jüdische […]. Und als dieses Volk zum ersten Mal […] in die Verbannung wandern musste, da nahm es dieses eine Buch, das ein Buch der Bücher war, das den Rest der alten heiligen Litteratur umfasste, mit sich, gewissermaßen zugleich eine erste Nationalbibliothek.«15

11 Heinrich Loewe, Eine jüdische Nationalbibliothek, Berlin 1905, 5. 12 Ebd., 15. 13 Ders., Gesellschaft der Freunde der Jerusalem-Bibliothek in Deutschland, in: Jüdische Rundschau, 3. November 1922, 578 f., hier 578. 14 Siehe dazu Andreas B. Kilcher, »Volk des Buches«. Zur kulturpolitischen Aktualisierung eines alten Topos in der jüdischen Moderne, in: Münchner Beiträge zur jüdischen Geschichte und Kultur (2009), H. 2, 43–58. 15 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 23/2, Heinrich Loewe, Eine neue Kulturstätte im alten Lande (Manuskript), 1936, 1 (Hervorhebung im Original unterstrichen).

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Er betont nicht nur die enge Bindung der Juden an das Buch, sondern an die Literatur als solche, versetzt das Bild aus dem ursprünglich religiösen in einen säkularen Kontext und beschreibt die Bibel selbst als komprimierte Form einer ursprünglich umfangreicheren Bibliothek. Das »Volk des Buches« wird zu einem »Volk der Bücher«, dieses zu einem »Volk der Bibliothek« und letztlich zu einem »Volk der Bildung«.16 Die Bibel wird so zum ersten Kanon jüdischer Literatur und damit zur Bewahrerin, ja zum inhärenten Teil jüdischer Geschichte und Zugehörigkeit. Aus den historischen Ursprüngen des jüdischen Volkes begründet Loewe damit die Notwendigkeit des (Wieder)aufbaus einer Nationalbibliothek, einer neuen »Tempelbibliothek«,17 beinahe als Ersatz für den Wiederaufbau des Tempels selbst. Die Nationalbibliothek übernimmt damit nach Loewes Auffassung ganz im Sinne einer »Tempelbibliothek« vor allem die Aufgabe, eine möglichst umfassende jüdische Sammlung zu schaffen, die allerdings über das religiöse hinausreichend die gesamten letzten Jahrhunderte in der »Verbannung« berücksichtigt: »Die nationale Bibliothek der Juden muss die grösste Sammlung der Litteratur sein, welche die Juden in ihrer Eigenschaft als Juden hervorgebracht haben. Sie muss ein möglichst getreues Spiegelbild der jüdischen Kultur und Litteratur in allen Zeiten und in allen Ländern geben.«18

Das viel verwendete Bild des »portativen Vaterlandes« aufgreifend betont er auch die symbolische Funktion der Nationalbibliothek: »Und eine jüdische Bibliothek sollte um so mehr Wert auf die Vollständigkeit ihrer Sammlungen legen, als das Buch gewissermassen die Heimat des vertriebenen Volkes war und leider noch ist. Das jüdische Moment wird daher das vorwaltende sein, wenn man eine Nationalbibliothek gründet.«19

Diesen Gedanken einer umfassenden Sammlung aller jüdischen Literatur und die Idee eines spirituellen Zentrums, das einen physischen Ort in Gestalt einer solchen Nationalbibliothek erhält, hatte Loewe von Joseph Chazanovicz (1844–1920) übernommen, einem Arzt aus Białystok, der schon vor ihm begonnen hatte, Bücher für ein solches Unternehmen nach Jerusalem zu

16 Loewe betont in vielen seiner Artikel den überdurchschnittlichen Bildungsstandard des jüdischen Volkes und bringt dies u. a. in Verbindung mit dessen »riesenhafte[r] und fast unübersehbare[r] Literatur«. Siehe ders., Jüdisches Bibliothekswesen im Lande Israel, Jerusalem 1922, 8. 17 Ders., Bemerkungen über die Nationalbibliothek, in: Jüdische Rundschau, 15.  Oktober 1902, 19–21, hier 19. 18 Ebd., 19. 19 Ebd., 20.

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schicken.20 In einem Artikel von 1899 brachte Chazanovicz die Aufgabe der Bibliothek auf den Punkt: »In Jerusalem will be built a great house, in a commanding and elevated place, where shall be stored the entire Jewish spiritual heritage from the day Israel became a people: all the books written in Hebrew and all the books in other languages which speak of the Jews and their Torah.«21

Die Idee des »Denkmal[s] jüdischer Kultur«,22 eines »Spiegelbilds«, in dem das jüdische Volk sich verewigen und selbst erkennen kann, macht die Bib­ liothek zugleich zum Ort des Erinnerns und Loewes Bibliothekskonzept, so Markus Kirchhoff, zur »Theorie eines kollektiven Gedächtnisses«:23 Die Nationalbibliothek, die alle jüdische Literatur und Literatur über Juden vereinen soll, wird zum Erinnerungsort für ein ganzes Volk, zu einem Ort gegen das kollektive Vergessen angesichts der aus der damaligen Sicht des Zionisten Loewe gefährlich fortschreitenden Assimilation, aber auch zum Ausgangspunkt für die Fortschreibung jüdischer Kultur, die auf den bestehenden intellektuellen Besitztümern aufbauend sich weiterentwickeln kann. »Um eigene jüdische Gedanken zu denken, um wieder Dichtung in jüdischer Gefühlswelt zu haben, um in hebräischer Sprache wieder Wertvolles zur allgemeinen menschlichen Entwicklung in kulturellem Sinne zu schaffen«,24 brauche es einen eigenen Staat, aber vor allen Dingen jüdische Bildung und eine Bibliothek, die den neuen Dichtern und Denkern das nötige »Rüstzeug« biete. Wichtig für Loewe ist aber auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der bisher geschaffenen jüdischen Literatur in Form von Jüdischen 20 Loewe hegte für Chazanovicz große Bewunderung, die in seinen Texten immer wieder zum Ausdruck kommt. Chazanovicz war auch derjenige, dessen Vortrag in Berlin im Jahr 1890 Loewe mit der Idee der Nationalbibliothek in Berührung brachte und in mancherlei Hinsicht das intensive Engagement für eine solche Einrichtung bei ihm auslöste. In den kurz vor seinem Tod verfassten Erinnerungen äußert er sich bei aller vorhandenen Hochachtung allerdings auch kritisch über Chazanovicz und moniert dessen unprofessionellen Umgang mit dem seltenen Büchermaterial (siehe Schlöffel, Heinrich Loewe, 241–245). 21 Joseph Chazanovicz, Merkaz ruḥani be-Jiruschalajim [Ein geistiges Zentrum in Jerusalem], in: Ha-Maggid He-Ḥadasch, 12. November 1899, zit. nach Schidorsky, Jewish Nationalism and the Concept of a Jewish National Library, 57. 22 Loewe, Gesellschaft der Freunde der Jerusalem-Bibliothek in Deutschland, 578. 23 Kirchhoff, Häuser des Buches, 69. 24 Loewe, Jüdisches Bibliothekswesen im Lande Israel, 5. Mit der Bedeutung, die Loewe der hebräischen Sprache und Literatur für die Entstehung einer jüdischen Nation beimaß, stellt er sich in einen größeren (kultur)zionistischen Kontext, dessen wichtigster Vertreter, Achad Ha’am, einen unübersehbaren Einfluss auf ihn hatte. Zur Geschichte der Wiederbelebung des Hebräischen siehe u. a. Benjamin Harshav, Language in Time of Revolution, Stanford, Calif., 1993, 81–176; zu Loewes Bemühungen um die hebräische Sprache siehe u. a. Schlöffel, Heinrich Loewe, 276–295. In diesem Text von 1922 sind Loewes Überlegungen in vielerlei Hinsicht noch eine Zukunftsvision. 1933 in Tel Aviv (der »hebräischen Stadt«), nun mit konkreten Anschaffungsvorhaben konfrontiert, stellten sich diese Fragen für Loewe noch einmal anders.

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Studien. Das bisher vernachlässigte oder in »fremde« Hände gegebene Fach solle wieder zu einem zentralen Forschungsgebiet unter den Juden werden. Auch und vielleicht gerade dafür sei eine umfassende Sammlung der jüdischen Literatur vonnöten.25 Jedoch ist damit Loewes Konzept von einer jüdischen Nationalbibliothek noch nicht erschöpft. Ihre Aufgabe in Palästina dürfe sich, wenngleich diese im Mittelpunkt stehe, nicht auf die Sammlung von jüdischen Materialien reduzieren. Sie müsse – und hier greift Loewe weit über Chazanovicz’ Idee hinaus  – genauso »Welt-Bibliothek«26 sein, um im Vergleich mit anderen Nationalbibliotheken bestehen zu können. Seine Vorstellung von Bildung ist nicht begrenzt auf das Jüdische, die »allgemeinmenschliche« Bildung sei ebenso vonnöten. In diesem Zusammenhang ist Loewes Hinweis bezeichnend, dass es sich bei der Bibel, »den Überbleibseln einer alten National­ bibliothek«, um die Grundlage »alle[r] ethische[r] Kultur der abendländischen Welt« handle.27 Die erste jüdische Nationalbibliothek ist also nicht nur Teil jüdischer Geschichte, sondern genuiner Teil der Weltgeschichte und nicht nur der Literatur, sondern der gesamten westlichen Kultur und Bildung. Anders als von Loewe erwartet, wurde nach dem Ersten Weltkrieg nicht ihm, sondern dem Prager Hugo Bergman (1883–1975) von der Zionistischen Organisation die Leitung der Nationalbibliothek übertragen.28 Er blieb in Berlin und emigrierte erst 1933 nach Palästina, als ihm im Rahmen des 25 Siehe Loewe, Jüdisches Bibliothekswesen im Lande Israel, 32–34. 26 Ders., Jüdische Bibliotheken im Lande Israel, in: Neue jüdische Monatshefte. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Literatur in Ost und West 4 (1919), H. 2, 42–52, hier 50. 27 Loewe, Bemerkungen über die Nationalbibliothek, 19. 28 Die Gründe für die Entscheidung der Zionistischen Organisation, Bergman die Position zu überlassen und damit Loewe zu brüskieren, sind aus den vorhandenen Quellen nicht eindeutig zu erschließen. Loewe wurde anfangs der Eindruck vermittelt, ihm sei der Direktorenposten sicher. Erst im letzten Moment wurde der Prager Bibliothekar berufen. Die Erklärung, die Vereinbarung sei daran gescheitert, dass Loewes deutsche Staatsbürgerschaft so unmittelbar nach dem Weltkrieg die Einreise nach Palästina erschwerte, ist nicht ausreichend. »Auch persönliche Differenzen zwischen Loewe und dem der Leitung der WZO enger verbundenen Bergman sowie dessen Urteil über Loewes Eignung als Direktor der am amerikanischen ­Bibliothekssystem orientierten Nationalbibliothek in Jerusalem dürften hier eine Rolle gespielt haben.« (Schlöffel, Heinrich Loewe, 364, Anm. 260). Loewe reichte daraufhin Klage ein. Siehe SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 6/1–4, Direktorenstreit (Briefkonvolut). Dies führte zu einem Konflikt, der sich über Jahre hinziehen sollte. Dennoch blieb Loewe dem Projekt der Nationalbibliothek insofern verbunden, als er sich u. a. intensiv für den Bau eines Bibliotheksgebäudes einsetzte (siehe Schlöffel, Heinrich Loewe, 366–374). Auch hielt er den professionellen Kontakt mit Bergman aufrecht, v. a. nachdem Loewe die Leitung der Tel Aviver Bibliothek übernommen hatte. Dies machte die Absprache und Korrespondenz zwischen den Direktoren beider Institutionen notwendig, bis Bergman seinen Posten 1935 an den Frankfurter Orientalisten Gotthold Weil übergab. Interessant wäre die Betrachtung der Verbindung zwischen Bergman und Loewe, aber auch zwischen Weil und Loewe und ihre Form der Zusammenarbeit als Leiter der zwei wichtigsten Bibliotheken im Land.

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nationalsozialistischen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums seine Anstellung an der Universitätsbibliothek entzogen wurde und er zeitgleich von der Stadt Tel Aviv das Angebot erhielt, die Leitung der Stadtbibliothek Sha’ar Zion zu übernehmen.29 Obwohl ein kleiner Grundstock bereits vorhanden war, formte sich die Bibliothek, die Loewe bis 1947 leitete, letztlich erst unter ihm zu einer wirklich nutzbaren Institution, erhielt Richtung und Konzept.30 Dieses Konzept verlangte zweifellos einen etwas anderen Ansatz als den der Nationalbibliothek, zumal Loewe hier mit den praktischen Details des Bibliotheksaufbaus unmittelbar konfrontiert war.31 Jedoch blieb die Nationalbibliothek als Bezugs- und Vergleichspunkt von unübersehbarer Bedeutung. Im Januar 1934, zu Beginn seiner Tätigkeit, verfasste Loewe einen Bericht, in dem er den Zustand der Stadtbibliothek beschrieb und dabei zugleich seine Vorstellungen entwarf. Diesen Bericht ergänzten im Laufe der Jahre Artikel, in denen sich seine Ideen weiter konturierten. Ziel der Bibliothek sei es, »der Stadt Tel-Aviv ein wertvolles Mittel [zu] geben, die hebräische, jüdische und allgemein menschliche Kulturarbeit in Ereẓ Jisra’el zu heben und wertvoll zu machen«.32 Eine solche Grundaufgabe definiert Loewe sowohl für die National- wie für die Stadtbibliothek. Zugleich hebt er 29 Die späte Emigration Loewes trotz früherer Pläne einer Auswanderung und mehrerer Besuche in Palästina ist nicht einfach zu erklären und spiegelt ein unter deutschen Zionisten nicht ungewöhnliches Phänomen wider. Sicher spielten praktische Überlegungen eine Rolle: Der Posten an der Berliner Bibliothek bedeutete eine finanzielle Sicherheit, die vielleicht die Pläne einer Alija zunächst in den Hintergrund drängte. Erst nach der Machtübertragung auf die Nationalsozialisten im Januar 1933, seiner Entlassung und dem Entzug der bürgerlichen Existenzgrundlage kam die Frage der Auswanderung mit neuer Dringlichkeit auf. Der Bürgermeister Tel Avivs, Meir Dizengoff (1861–1936), und Sho­shana Persitz (1893–1969), Abgeordnete im Tel Aviver Stadtrat, waren wohl die wichtigsten Unterstützer der Berufung Loewes. Persitz leistete zudem praktische Hilfestellung bei der Emigration. 30 Siehe Schidorsky, The Municipal Libraries of Tel Aviv during the British Mandate, 1920– 1948, 547. Leider existiert keine detaillierte Darstellung der institutionellen und personellen Strukturen der Bibliothek in dieser Zeit: Loewe scharte eine kleine Anzahl von Mitarbeitern um sich, es scheint aber, als sei er in Fragen der Konzeption zumindest zu Beginn weitgehend unabhängig gewesen. Rechenschaft in Form von Berichten legte er zu dieser Zeit direkt gegenüber Meir Dizengoff ab. Das Fehlen einer genauen Darstellung mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass viele Materialien, die möglicherweise über solche Fragen Aufschluss geben könnten, erst seit Kurzem im Beit Ariela als Teil des LoeweNachlasses zugänglich sind. Die Darstellung in Frank Schlöffels Biografie ist in Bezug auf Loewes Rolle für die Sha’ar-Zion-Bibliothek knapp gehalten – der Schwerpunkt liegt auf Loewes Berliner Jahren – und die wertvollen Beiträge Schidorskys zum Bibliothekswesen in Palästina und zur Sha’ar-Zion-Bibliothek setzen ebenfalls andere Schwerpunkte. 31 Siehe hierzu auch Schidorsky, Ha-sifrija ha-ẓiburit be-ereẓ jisrael lefi tfisato schel Heinrich Loewe [Heinrich Loewes Konzept der öffentlichen Bibliothek in Eretz Israel]. 32 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 23/15, Heinrich Loewe, Bericht über den Stand der Stadtbibliothek Tel-Aviv nach dem Stande vom 1. Januar 1934 (Manuskript), o. S. (Hervorhebung im Original hebr.).

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in seinen Texten die Unterschiede hervor, betont, dass die Bibliotheken sich dem jeweiligen Charakter ihrer Städte anpassen und entsprechend unterschiedliche Funktionen übernehmen müssten. Jerusalem, so schreibt Loewe 1933 in einem Artikel für die Jüdische Rundschau, sei die Stadt des Heiligen und der Geschichte, ihre Bibliothek müsse entsprechend die Aufgabe einer »Archivbibliothek« erfüllen, Ort des kulturellen Gedächtnisses sein.33 Für Tel Aviv, die rasant wachsende junge hebräische Stadt,34 in der »Juden aus aller Welt, die hier durch die hebräische Sprache zu einer Nation mit hebräischer Kultur zusammenwachsen, die modernen Kulturerrungenschaften mit den uralten historischen Werten zu unzerstörbarer Einheit verbinden«, sieht er dagegen eine Bibliothek vor, die sehr viel unmittelbarer an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst ist. Eine »lebendige und lebenspendende Bibliothek« und kein »Büchermuseum« müsse sie sein. Sie solle einerseits die Bereiche abdecken, die diese im Aufbau befindliche Stadt und die Landbevölkerung des Umlands aus seiner Sicht speziell benötigten: Literatur zu naturwissenschaftlichen Themen, zu Technik, Medizin, Landwirtschaft, Gartenbau usw.;35 zugleich solle sie aber auch »wissenschaftliche Bibliothek« sein und so allen Schichten dienen, dem Landarbeiter nicht weniger als dem Wissenschaftler. Sie müsse Lehr- und Handbücher in allen Bereichen zur Verfügung stellen und dürfe auch andere Literaturen nicht vernachlässigen. »Kurzum«, schreibt Loewe, »wenn auch die Auswahl der Bücher letzten Endes eine vorsichtige sein muss, so ist doch kein Gebiet der Litteratur und Wissenschaft von der Bibliothek ausgeschlossen.«36 Absolute Priorität kommt jedoch auch in Tel Aviv der jüdischen Literatur zu: ein Schwerpunkt habe etwa auf der Palästina-Literatur, »Orientalia«, der Geschichte des Zionismus, der »Kolonisation«, und »des neuen Erez Israel« zu liegen. Es gehe vor allem darum, »das lebende jüdische Volk zur Darstellung [zu] bringen. Das heißt, die Volkskunde der Juden in allen ihren Zweigen und Abwandlungen muß hier gepflegt werden und zwar als Ethnographie, als Stammeskunde, Demographie, Statistik und allgemeine jüdische Kulturkunde.«37

33 Heinrich Loewe, Eine Stadtbibliothek in Tel-Awiw, in: Jüdische Rundschau, 27. Oktober 1933, 709. 34 Tel Aviv, erst 1909 gegründet, wuchs tatsächlich mit enormer Geschwindigkeit: von etwa 10 000 Menschen 1920/21 auf etwa 80 000 in den Jahren 1932/33, als Loewe seinen Artikel schrieb, und die Bevölkerung stieg in den folgenden Jahren durch die Flüchtlinge, auch aus Deutschland, weiter an (siehe Schidorsky, The Municipal Libraries of Tel Aviv during the British Mandate, 1920–1948, 542). 35 Siehe SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 23/2, Loewe, Eine Stadtbibliothek in Erez-Jisrael, ca. 1934, 3. 36 Ebd., Loewe, Eine neue Kulturstätte im alten Lande, 1936, 4. 37 Loewe, Eine Stadtbibliothek in Tel-Awiw, 709.

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In seinem Bericht von 1934 schreibt er fast ausschließlich über die jüdischen Materialien, die anzuschaffen seien: »Es ist selbstverständliche Pflicht der Bibliothek Sha’ar Zion in erster Linie alles das zu sammeln, was über Juden und Judentum geschrieben. Dazu gehört in einem gewissen Sinne auch die von Juden verfasste Litteratur. Natürlich steht hierbei die hebräische Sprache und Litteratur im Vordergrunde.«38

Interessant ist, dass sich Loewes Verhältnis zur Nationalbibliothek über die Jahre hinweg verändert, sich die Hierarchie der Bibliotheken als Spiegel ihrer Städte verschiebt und der Unterschied ihrer jeweiligen Aufgaben zu verwischen beginnt. Während er 1934 noch betont, es gebe »nur eine große Bibliothek«39 und dies sei die Nationalbibliothek in Jerusalem, heißt es in einem Artikel von 1938, Tel Aviv sei das eigentliche, »bewegteste und beweglichste geistige Zentrum im Lande«.40 Sein Artikel sei zwar »nicht der Platz, irgendwelche politischen Ansichten zu erörtern. Aber schon jetzt ist Tel-Aviv der geistige Mittelpunkt des werdenden Landes Israel. Ob nun ein jüdischer Staat in absehbarer Zeit gegründet wird oder nicht, in jedem Fall wird doch Tel-Aviv noch mehr als bisher dieses Zentrum sein.«41

Für Loewe ist Tel Aviv der eigentliche Ort der »jüdischen Renaissance«: »›Sha’ar Zion‹ heisst Eingangspforte nach Zion. Als wir vor vier Jahrzehnten und mehr in Jaffa die erste hebräische Kulturarbeit leisteten, war Jaffa (jetzt Tel-Aviv) im Gegensatz zu dem noch unbeweglichen Jerusalem, die Eingangspforte der neuen Idee jüdischer Renaissance, hebräischer Kulturarbeit und des allgemeinen menschlichen Fortschrittes.«42

38 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 23/15, Loewe, Bericht über den Stand der Stadtbibliothek Tel-Aviv nach dem Stande vom 1. Januar 1934, 29 f. 39 Ebd., 27 (Hervorhebung im Original unterstrichen). 40 Heinrich Loewe, Die Stadtbibliothek in Tel-Aviv, in: Mitteilungsblatt für den Jüdischen Buchhandel 2 (1938), o. S. [1–3], [hier 1]. 41 Ebd., [2]. 42 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 23/2, Loewe, Eine neue Kulturstätte im alten Lande, 1936, 4. Interessant ist auch die Aufgabe, die die Gründer der Sha’ar-Zion-Bibliothek, die Loge B’nei Moshe, für sie vorgesehen hatten: »[They] designated the Sha’ar Zion library as Palestine’s central public library, assigning to it the role of being a national library for the Jewish people.« Siehe Schidorsky, The Municipal Libraries of Tel Aviv during the British Mandate, 1920–1948, 546. Zu den Anfängen der Stadtbibliothek Tel Aviv siehe u. a. ders., He’arot le-reschita schel ha-sifrija Sha’ar Ẓijon be-Jafo [Anmerkungen zu den Anfängen der Sha’ar-Zion-Bibliothek in Jaffa], in: Mordechai Nadav/Jacob Rothschild (Hgg.), Essays and Studies in Librarianship. Presented to Curt David Wormann on His Seventy-Fifth Birthday. Hebrew Part, Jerusalem 1975, 108–113; ders., The Emergence of Jewish Public Libraries in Ninetheenth-Century Palestine, in: Libri 32 (1982), 1–40.

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Eine neue Hierarchie zwischen beiden Städten wird hier deutlich. Tel Aviv als eigentliches »geistiges Zentrum«, so Loewes indirekte Botschaft, brauche eine mindestens ebenso bedeutsame Bibliothek wie Jerusalem. Während Loewe zunächst die Möglichkeit eines Austauschs zwischen Jerusalemer und Tel Aviver Bibliothek sowie die Nutzung der Nationalbibliothek durch die Bevölkerung seiner Stadt ausdrücklich unterstützt,43 stellt er dies später infrage:44 Letztlich müsse Tel Aviv sich zu einer »Landesbibliothek«45 entwickeln und in vielerlei Hinsicht nicht weniger schlecht bestückt sein als die Nationalbibliothek in Jerusalem. Interessant ist auch seine Beschreibung des neuen Standortes, den die Tel Aviver Bibliothek erhalten solle: Es müsse »am Ehrenplatze der Stadt neben der Municipalität« an »hervorragendster Stelle« erbaut werden und damit als Gebäude auch die symbolische Funktion einer »sichtbare[n] Stätte jüdischer und allgemeiner menschlicher Kultur und Gesittung«46 erfüllen. Ähnlich hatte sich Loewe bereits – auch dem Vorbild Chazanovicz’ folgend – zum Gebäude der Nationalbibliothek geäußert: Sie solle neben der Erfüllung praktischer Funktionen »monumentale Würde« ausstrahlen und »de[n] schönste[n] und idealste[n] Schmuck«47 des Landes Israel darstellen. Das Konkurrenzverhältnis zwischen der Nationalbibliothek in Jerusalem und der Stadtbibliothek ist unübersehbar. In ihrer Bedeutung als jüdische Institutionen stehen sie einander in nichts nach. Zwar akzeptiert Loewe die Funktion der Jerusalemer Institution als »jüdisches Gedächtnis«, er scheint jedoch in Tel Aviv eine neue, moderne Form und gewissermaßen Fortsetzung der Nationalbibliothek schaffen zu wollen, die ebenfalls die Aufgabe des Erinnerns übernimmt. Auch die Tel Aviver Bibliothek hat zu sammeln und zu bewahren – zumindest die Dokumente und Materialien der jüngeren Geschichte. Sowohl die Nationalbibliothek als auch die Sha’ar-Zion-Bibliothek erfüllen also in Loewes Konzept eine über die unmittelbare Nützlichkeit hinausgehende Funktion, übernehmen beide eine Aufgabe in der Bildung und Bewahrung einer gemeinsamen nationalen jüdischen Zugehörigkeit und besitzen jeweils Symbolcharakter. Sie sind Institutionen, in denen das Jüdische und Palästinische im absoluten Zentrum stehen.

43 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 23/15, Loewe, Bericht über den Stand der Stadtbibliothek Tel-Aviv nach dem Stande vom 1. Januar 1934, 27. 44 Loewe, Die Stadtbibliothek in Tel-Aviv, [1]. 45 Ebd., [3]. 46 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 23/2, Loewe, Eine Stadtbibliothek in Erez-Jisrael, ca. 1934, 5. 47 Loewe, Jüdisches Bibliothekswesen im Lande Israel, 56 und 62.

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Büchergeschichten – Spenden an die Stadtbibliothek Für die praktische Umsetzung seiner Pläne einer Nationalbibliothek war für Loewe – neben dem Wunsch nach Einführung von Pflichtexemplaren48 aller jüdischen Schriftsteller, Buchdrucker und Verleger – vor allem die Idee der Bücherspenden an eigens dafür weltweit eingerichtete Büchersammelstellen zentral. Dies war Teil seines Planes der kleinen Schritte.49 Er warb einerseits für testamentarisch verfügte Schenkungen von Privatbibliotheken, andererseits für die Sammlung kleinerer Bestände und Einzelbände, indem er an das (nationale) Gewissen der Juden appellierte, die Aufbauarbeit in Palästina zu unterstützen und jüdische Kulturgüter zu bewahren. Von der Zionistischen Exekutive beauftragt, setzte Loewe die Idee als erster Direktor einer Büchersammelstelle bereits ab 1914 in Berlin um. Dort sollten die gespendeten Bücher in Empfang genommen, von professioneller Hand sortiert, sorgfältig nach den Bedürfnissen der Bibliothek ausgewählt und nach Palästina verschickt werden. 1921 waren (unter den erschwerten Bedingungen des erst vor drei Jahren beendeten Krieges) laut Loewe 10 000 Bücher zusammengekommen, die damit die Bestände um circa ein Viertel erweiterten.50 Neben der zentralen Sammelstelle in Berlin gab es –auch in Verbindung mit den Freunden der Hebräischen Universität – Ableger in zahlreichen anderen Städten inner- und außerhalb Deutschlands, die allesamt vorrangig dem Aufbau der Nationalbibliothek dienten. Die Situation der Tel Aviver Einrichtung, die mit dem Amtsantritt 1933 in Loewes Fokus stand, stellte sich dagegen anders dar. Auch diese hatte, schon vor Loewe, durchaus wichtige und größere Spenden erhalten51 und auch über die Sammelstelle in Berlin erlangte sie gelegentlich Materialien – unter anderem vermutlich aufgrund von Loewes Verbindungen. Letztlich aber war ihre Lage sehr viel schwieriger. Von den 55 Kisten etwa, die im Sommer 1935 von der Zentralsammelstelle nach Palästina geschickt wurden, gelangten lediglich neun ausschließlich mit für die Nationalbibliothek uninteressanten Dubletten bestückte an die Sha’ar-Zion-Bibliothek.52 Das Gefühl tendenzieller Benachteiligung ist in der Korrespondenz Loewes nicht zu übersehen. An seinen ehemaligen Berliner Kollegen Arthur Spanier schreibt Loewe im August 1935 von den großen Unterschieden in der finanziellen Unterstützung: 48 49 50 51

Siehe z. B. ebd., 55. Siehe ebd., 62: »Wir fangen klein an. Aber wir haben uns ein großes Ziel gesetzt.« Ebd., 25. Siehe Schidorsky, The Municipal Libraries of Tel Aviv during the British Mandate, 1920– 1948, 543. 52 O. A., Büchersammelstelle für die Nationalbibliothek, in: Jüdische Rundschau, 13. August 1935, 4.

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»Jerusalem dürfte, abgesehen davon, dass man ihm aus aller Welt dauernd Bücher in Hülle und Fülle spendet, abgesehen von stetigen grossen Stiftungen für Sonderzwecke der Bibliothek, rund 3 000 £P nur für den Kauf von Büchern haben. Unser Etat kennt für Buchbinderei, Kauf und Transport im ganzen etwa 70 £P.«53

Loewe war für seine Bibliothek also in ganz besonderem Maße auf Spenden angewiesen. In seinem Bibliotheksbericht hebt er entsprechend in dem eigens der »Propaganda« gewidmeten Kapitel die Notwendigkeit hervor, durch Beiträge in Zeitungen und Zeitschriften für solche Spenden zu werben. Und dies tat Loewe durchaus mit Erfolg: 1936 spricht er von »reichlichen Schenkungen namentlich in den letzten anderthalb Jahren«.54 Dass viele dieser Spenden aus Deutschland55 beziehungsweise von emigrierten deutschen Juden stammten, belegen zahlreiche Briefe an und von Loewe aus dieser Zeit  – Grund sind die politischen Entwicklungen in Europa, insbesondere der Beginn der deutsch-jüdischen Emigration 1933, der mit Loewes Amtsantritt in Tel Aviv zusammenfiel. Viele zwang die Situation zum Verkauf von Bibliotheken, die Emigration verbot großes Gepäck und die Verhältnisse im Ankunftsland, nicht zuletzt in Palästina, verhinderten häufig die dauerhafte Aufbewahrung großer Sammlungen im privaten Haushalt.56 Loewe war sich dieses Umstands früh bewusst und richtete danach seine Werbeartikel aus. In der Jüdischen Rundschau schrieb er im Oktober 1933: »Augenblicklich werden durch die völlige Umstellung zahlloser Juden in europäischen Ländern, die an anderen Stellen sich eine neue Heimat und eine neue materielle Existenz bauen müssen, Privatbibliotheken, große und kleine, eine Last für die bisherigen Besitzer.«

Diese seien zweifellos »zufrieden, wenn sie wüßten, daß sie zu einem guten Zwecke, zu einem den Juden und dem Judentum fördernden [sic] Ziele verwendet werden könnten«57  – als Spende an die jüdische Bibliothek in Tel Aviv. In dieser Phase gewannen die Büchergeschenke an die Bibliothek, denen, wie Loewe richtig bemerkt, vielfach eine erzwungene Trennung zugrunde lag, für die Spender gerade aus Deutschland eine zusätzliche Bedeutung. Während vor 1933 die Gaben noch vorrangig einem zionistischen Aufbaugedanken entsprangen, spielte nach 1933 auch der Wunsch eine Rolle, die 53 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 25/9, Heinrich Loewe an Arthur Spanier, 7.  August 1935. 54 Ebd., 23/2, Loewe, Eine neue Kulturstätte im alten Lande, 1936, 4. 55 Ebd., 25/9, Heinrich Loewe an Chaim Tschernowitz, 28. März 1935. 56 Die Mitnahme von Büchern nach Palästina war zumindest in den ersten Jahren der NSHerrschaft noch möglich (siehe Werner Feilchenfeld/Dolf Michaelis/Ludwig Pinner, Haavara-Transfer nach Palästina und Einwanderung deutscher Juden 1933–1939, eingeleitet von Siegfried Moses, Tübingen 1972). 57 Loewe, Eine Stadtbibliothek in Tel-Awiw, 709.

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Bücher zu retten. Briefe zeigen, dass dies oft mit der Hoffnung auf die eigene Rettung verbunden war: Nicht selten wurden Spendenangebote mit der Bitte um Hilfe bei der Emigration, beim Erhalt von Zertifikaten oder bei der Suche nach Verdienstmöglichkeiten in Palästina, etwa durch eine Anstellung in der Bibliothek oder eine Empfehlung, verknüpft. Die angebotenen Bibliotheken wurden zur Verhandlungsmasse. Nicht alle Angebote wurden realisiert und längst nicht alle Bücher erreichten die Sha’ar-Zion-Bibliothek, aber die Briefe spiegeln die unterschiedlichen Auffassungen, die mit der Spende einhergingen und teils mit Loewes Ideen übereinstimmten, sich teils aber auch von ihnen abhoben. Außerdem geben sie Aufschluss über die Vorstellungen von der Aufgabe der Bibliothek sowie über das Verhältnis zur eigenen Sammlung, die nun in die öffentliche Hand der Stadtbibliothek übergehen sollte. Herrmann Meyer (1901–1972), Jurist und mit Loewe über die bibliophile Soncino-Gesellschaft bekannt und befreundet, schrieb im Jahr 1935 aus dem holländischen Exil: »Ich habe hier versucht, meine Bibliothek zu veräussern, da ich einerseits dringend Geld brauche und andererseits mir nicht mehr einen derartigen Luxus in räumlicher und geistiger Beziehung gestatten darf. Uebrig geblieben [ist] vor allem meine einzigartige Moses Mendelssohn-Sammlung, die Du ja genau kennst […].«58

Sie lag ihm sichtlich am Herzen: Andere Bücher hatte er bereits verkauft, von ihr aber hatte er sich noch nicht trennen können. Diese Sammlung sei »ja auch ein schönes Objekt« und »das Produkt einer jahrelangen erfolgreichen Sammlertätigkeit«, wie Meyer in der Beschreibung im Anhang hervorhebt. Sie stelle in ihrem »Druckschriften-Stock die grösste auf der Welt vorhandene Moses-Mendelssohn-Sammlung dar«. Zwar mochte er sie Loewe nicht unentgeltlich überlassen  – die Emigration erzwinge es  –, er sei aber doch bemüht, der Tel Aviver Bibliothek hinsichtlich des Preises entgegenzukommen. Eine Übergabe in Privathand, wo die Sammlung ihre Zugänglichkeit auch für ihn selbst verlieren würde, erscheint zwar als Option, doch zog Meyer letztlich die Bibliothek vor: »An sich gehört ja eine solche Sammlung in öffentlichen Besitz.« Daneben erscheint ihm dies wohl als Chance, die Sammlung, die ihn »jahrelang« begleitete, nicht der Zerstreuung preiszugeben, sondern als Einheit zu erhalten. Loewes Antwortbrief belegt, dass ihm das Konvolut durchaus interessant erschien, passte es doch zu seinem Sammlungsschwerpunkt Jüdische Studien. Dennoch scheiterte die Weitergabe letztlich an den finanziellen Möglichkeiten seiner Bibliothek. Ein anderes Spendenangebot, ebenfalls von einem Mitglied der SoncinoGesellschaft, stellt ein Brief des Journalisten Franz Goldstein (­1898–1982) 58 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 24/6, Herrmann Meyer an Heinrich Loewe, 28. August 1935.

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dar, der auf der Flucht im April 1938 von Prag aus an Loewe schreibt und seine Bibliothek unter der Bedingung einer kleinen Position an Loewes Ins­ titution schweren Herzens abzugeben bereit sei. Bei ihr handle es sich, so Goldstein, um eine bedeutende Sammlung: »Als einziger Besitz verblieb mir meine 5 000  Bücher umfassende, herrliche in 25  Jahren mit größter Liebe zusammengetragene, überaus gepflegte Bibliothek, die überwiegend schöne Literatur des 20. Jahrhunderts enthält.«59 In ihrer Zusammenstellung – Goldstein hängt eine ausführliche Beschreibung an – spiegelt sie geradezu paradigmatisch klassische deutsche Bildung: Lessing, Goethe, Schiller, Heine, Hölderlin, Mörike. Außerdem hebt er den hohen materiellen Wert hervor und berichtet von Widmungsexemplaren, Ledereinbänden und Büttenpapier. Loewe antwortet Goldstein einfühlsam, aber abschlägig.60 Er habe keine Möglichkeit, weiteres Personal anzustellen. Außerdem betont er, dass die angebotenen Bücher nicht im Fokus der Sammlungsbemühungen stünden, handle es sich doch bei ihnen nicht um eine jüdische Bibliothek. Hier treffen zwei unterschiedliche, ja konträre Sammlungskonzepte aufeinander: Während Goldsteins Bibliothek vorrangig schöne Literatur umfasst und nach bibliophilen Kriterien entstand, hat Loewe den pragmatischeren Blick eines Bibliothekars und zugleich die zionistische Vision von einer Bibliothek, die vorrangig jüdisches Material sammelt und archiviert. Bezeichnend ist nicht zuletzt der persönliche Wert, den der Sammler herausstellt und der für eine öffentliche Bibliothek zwangsläufig nicht von Interesse sein kann. Goldsteins Bibliothek wird zum Symbol seiner tiefen Verbundenheit mit der deutschen bürgerlichen Kultur gerade in dem Moment, in dem die Nationalsozialisten ihn aus ebendieser Welt vertreiben, ihm die Zugehörigkeit zur deutschen Kultur aberkennen und er Flucht und Verlust erlebt. Die Sammlung wird zum Spiegel seines nun gefährdeten Selbst.61 Auch wenn Meyer nicht denselben emotionalen Ton anschlägt und die Trennung von seiner Bibliothek nüchterner bewertet als Goldstein: Beide Sammler sind stolze Besitzer. Ihre Bibliotheken sind, das heben beide als Wert 59 Ebd., 24/2, Franz Goldstein an Heinrich Loewe, 13. April 1938. 60 Ebd., 25/3, Heinrich Loewe an Franz Goldstein, 1. Mai 1938. 61 Justin Stagl hebt die Funktion des Sammelns für die Herausbildung von Zugehörigkeit hervor, für die Erschließung des Raumes und der Zeit (siehe ders., Homo Collector. Zur Anthropologie und Soziologie des Sammelns, in: Aleida Assmann/Monika Gomille/Gabriele Rippl (Hgg.), Sammler, Bibliophile, Exzentriker, Tübingen 1998, 37–54, hier 38– 41). Zur Bedeutung der »emigrierten Bücher« und zurückgebliebenen Privatsammlungen siehe u. a. Caroline Jessen, Bücher als Dinge. Funktionen emigrierter Bücher und Büchersammlungen für deutsch-jüdische Einwanderer in Palästina/Israel nach 1933 aus Perspektive der Kanonforschung, in: Claus-Dieter Krohn/Lutz Winckler (Hgg.), Bibliotheken und Sammlungen im Exil, München 2011, 12–27; Ernst Fischer, Zerstörung einer Buchkultur. Die Emigration jüdischer Büchersammler aus Deutschland nach 1933 und ihre Folgen, in: Imprimatur. Jahrbuch für Bücherfreunde, Neue Folge XVII (2002), 176–195.

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hervor, über Jahre hinweg gewachsen und so Teil ihrer Lebensgeschichte. Zwar haben die Bücher auch individuelle Bedeutung, besonders im Falle von Goldsteins Widmungsexemplaren, aber letztlich machen doch die Vielfalt, der Umfang und die von Meyer beziehungsweise Goldstein hergestellte Ordnung den Wert der Sammlung aus. Für beide ist deshalb die Abgabe der Sammlung als unzerstörtes Ganzes von besonderer Wichtigkeit. Meyer hatte in dieser Hinsicht Glück: Er konnte nicht nur sich selbst, sondern auch seine Sammlung retten. 1935 nach Jerusalem emigriert, gründete er dort ein Antiquariat und seine Mendelssohn-Sammlung wurde nicht wie andere seiner Bücher als Grundstock dem Unternehmen geopfert, sondern blieb als Sammlung intakt und bis 1959, als er sie der Internationalen FelixMendelssohn-Gesellschaft in Basel überließ (eine Weitergabe an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin folgte 1964), in seinem persönlichen Besitz.62 Meyer starb 1972 in Jerusalem. Die Geschichte von Goldstein und seiner Bibliothek endete dagegen tragisch. Zwar kann auch er sich nach Palästina retten und wieder eine Anstellung als Journalist finden. Und auch die geliebte Bibliothek bleibt zunächst in ihrer Ordnung erhalten, indem sie zur Leihbibliothek wird. Doch verkraftet Goldstein die Emigration nicht, Palästina beziehungsweise Israel bleiben ihm fremd. Als er in den 1960er Jahren in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird, wird auch seine Bibliothek in Kisten verpackt. Sie »verschwindet« zunächst auf einem Jerusalemer Dachboden. Nach seinem Tod im Jahr 1982 werden die Bücher zu großen Teilen – bezeichnenderweise vorrangig in Deutschland – versteigert, die Sammlung zerstreut, ihre ursprüngliche Ordnung zerstört.63 Es liegt zweifellos eine tragische Ironie darin, dass die Sammlung, die Meyer mit viel Mühe aus Berlin gerettet hatte, letztlich genau an diesem Ort wieder Aufnahme fand und die Bestände der Berliner Staatsbibliothek nicht unbeträchtlich erweiterte, und Goldsteins mit ebenso großem Aufwand gerettete Bibliothek in Bruchstücken wohl ebenfalls Eingang in deutsche Einrichtungen und Privatbibliotheken fand. Im Falle dieser beiden und vieler ähnlicher Sammlungen liegt in der »Rückkehr« nach Deutschland – neben erwähnter persönlicher Tragik – an62 Siehe Roland Dieter Schmidt-Hensel, 50 Jahre Mendelssohn-Archiv der Staatsbibliothek zu Berlin. Geschichte und Bestände 1965–2015, in: ders./Christoph Schulte (Hgg.), Mendelssohn-Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kulturgeschichte 19 (2015), 295–329. 63 Siehe Klaus Täubert, Die Welt des Franz Goldstein. Von der Odyssee eines deutsch-polnischen Journalisten, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums 25 (1986), H. 98, 174–176. Die Bücher wurden im Auktionshaus Hauswedell & Nolte versteigert, das einige andere bedeutende Exilsammlungen veräußerte, einschließlich derjenigen Salman Schockens, der seinerseits 1937 die Bibliothek des Dichters Karl Wolfskehl gekauft hatte. Siehe hierzu Caroline Jessen, Der Sammler Karl Wolfskehl, Berlin 2018, 291.

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gesichts der deutschen Geschichte von Vertreibung und Ermordung, von systematischer Zerstörung und Raub von Kulturgütern europäischer Juden auch eine bittere Note.64 Goldsteins und Meyers Bücher fanden also nicht ihren Weg in die Tel Aviver Einrichtung, andere Spenden aus Deutschland kamen aber durchaus an. Josef Meisl (1882–1958) etwa, der spätere Direktor der Central ­Archives for the History of the Jewish People in Jerusalem, spendete 1933 kurz vor der Emi­ gration nach Palästina als aufrechter Zionist viele seiner »sehr gute[n] hebräische[n] Bücher«,65 und die Büchersendung des Mannheimers Franz Noether, der sich ebenfalls »im Umzug« befand und dessen Schicksal sich im Dunkeln verliert, enthielt »Gesamtausgaben Schiller, Lessing, Goethe, Heine, englische und französische Romane, verschiedenste Bücher für Luftschiffahrt, Fliegerei und Segelsport«.66 Diese wenigen Beispiele lassen schon erkennen, dass die Spenden ihrem Charakter nach sehr unterschiedlich waren, obgleich sich ein Schwerpunkt im klassischen deutschen Bildungskanon erkennen lässt. Für Loewe war das eine Schwierigkeit, wie er in seinem Bericht von 1934 darlegt: »Da nur ganz geringe Geldmittel für den Kauf von Büchern zur Verfügung standen, so ist die Bibliothek auf Zufälligkeiten und Geschenke angewiesen. […] Außerdem ist der Bücherschatz auf diese Weise ganz unsystematisch. Wichtige und wichtigste Werke fehlen. Dagegen sind ganz entbehrliche Bücher vorhanden, die man niemals erworben hätte, wenn man sie hätte kaufen müssen.«67

Hier wird nicht nur deutlich, dass die Büchergaben ganz entscheidend waren, um den Bestand der Bibliothek überhaupt zu vermehren. Loewe gesteht hier ein, dass er auch als Leiter über die inhaltliche Gestaltung der Bibliothek nicht vollständig verfügen konnte: Der Mangel an Systematik der Spenden, die »Zufälligkeiten« entwickelten ihre eigene Dynamik. Obgleich der Direktor genaue Vorstellungen von der Gestaltung einer jüdischen Bibliothek, insbesondere seiner Institution in der »hebräischen Stadt« Tel Aviv, hatte – ein Fokus auf jüdischen Themen und hebräischer Literatur trotz grundsätzlicher

64 Die im Kontext von Restitutionsdebatten relevante Frage einer häufig die Herkunft verschleiernden »Rückkehr« (oder »Weiterwanderung«) bedeutender von Emigranten stammender Sammlungen und Einzelbände deutscher Literatur aus Israel in deutsche Institutionen nach 1945 hat Caroline Jessen unter anderem thematisiert. Siehe dies., Affirming Ownership, Obscuring Provenance? Émigré Collections in Israel and Germany after 1945, in: Elisabeth Gallas/Anna Holzer-Kawalko/Caroline Jessen/Yfaat Weiss (Hgg.), Contested Heritage. Jewish Cultural Property after 1945, Göttingen 2020, 27–41, DOI: 10.13109/9783666310836. 65 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 24/6, Josef Meisl an Heinrich Loewe, 14. September 1933. 66 Ebd., Franz Noether an Heinrich Loewe, o. D. [3. Juni 1936?]. 67 Ebd., 23/15, Loewe, Bericht über den Stand der Stadtbibliothek Tel-Aviv nach dem Stande vom 1. Januar 1934, 31 f.

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Offenheit für alle Bereiche –, so stellten gespendete Sammlungen vielfach einen Eingriff in die Sammlungspolitik der Bibliothek dar. Zwar war Loewe bemüht, die Kontrolle zu wahren  – die Sammlung Goldstein etwa lehnte er ab, für Meyers Mendelssohn-Sammlung wollte er sich um Finanzierung durch einen »Wohltäter« bemühen68 – aber letztlich war er doch angewiesen auf das, was er erhalten konnte – waren es Abhandlungen zum Segelsport, englische Romane oder doch die bevorzugten hebräischen Bücher. Von Anfang an war sich Loewe bei seinen Bemühungen um Büchergaben der Notwendigkeit eines Anreizes für den Spender bewusst. Er verband daher seine Bitte mit dem Versprechen der Erinnerung. In seinem Bibliotheksbericht etwa hebt er dieses Element ausdrücklich hervor: »Zur Propaganda gehört auch der Druck eines künstlerischen geschmückten Exlibris, das jedem Leser erzählt, wer das Buch geschenkt hat oder zu wessen Andenken es gestiftet worden ist.«69 Schon in einem Artikel von 1914 hatte Loewe im Zusammenhang mit der Nationalbibliothek ein mit der Spende verbundenes »ewiges Andenken in Jerusalem«70 versprochen. Der Spender erhält also einen Ort in der öffentlichen Erinnerungskultur, innerhalb des Raumes, der wiederum selbst der Bewahrung und Erinnerung jüdischer Kultur dient. Ein besonderes Beispiel für den Umgang mit Erinnerung wie auch für deren Bedeutung scheint im Briefwechsel Loewes mit der Witwe Luba Netter vom Frühjahr 1938 auf. Ihr Mann, der Rechtsanwalt Oscar Netter (1878–1937), der mit ihr 1935 aus Berlin nach Palästina emigriert war und bereits zwei Jahre später verstarb,71 hinterließ ihr unter anderem eine größere, aus Deutschland mitgebrachte Sammlung zur Philosophie, die sie nun – durchaus im Sinne des Verstorbenen  – vor dem Umzug in eine kleinere Wohnung an Loewes Bibliothek weitergeben wollte. Nach Durchsicht der von Netter erstellten Liste nahm Loewe die Sammlung als Ganzes dankend an: Die Bücher kämen »alle für unsere Bibliothek als wertvolle Bereicherung«72 infrage. In den folgenden Briefen wird dann recht ausführlich die Erstellung eines Exlibris thematisiert, dessen Gestaltung offensichtlich für Luba Netter von Bedeutung ist: »[I]ch möchte gern, dass ›Rechtsanwalt‹ auch dabei ist, weil m. E. dieser Beruf wirk-

68 Ebd., Papers of Heinrich Loewe, 25/7, Heinrich Loewe an Herrmann Meyer, 24. September 1935. 69 Ebd., Papers of Heinrich Loewe, 23/15, Loewe, Bericht über den Stand der Stadtbibliothek Tel-Aviv nach dem Stande vom 1. Januar 1934, 41. 70 Ders., Eine Vorbedingung der Universität, in: Die Welt, 3. April 1914, 328 f., hier 329. 71 Während Luba Netter auf Wunsch Loewes für die Bibliothek einen knappen, eine Seite umfassenden Lebenslauf ihres Mannes verfasste, ließ sich über ihre eigene Lebensgeschichte leider nichts in Erfahrung bringen. 72 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 25/7, Heinrich Loewe an Luba Netter, 18. Januar 1938 (Hervorhebung im Original).

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lich zu meinem Mann gepasst hat.«73 Ihr sei bewusst, dass er den Beruf zwar nur in Deutschland ausgeübt habe – hier folgt eine umständliche Passage über die mögliche Einfügung eines »a. D.« –, aber auf das »Dr. iur.« wolle sie aus genanntem Grund nur ungern verzichten. Die Endfassung, in der Sha’ar-­ZionBibliothek noch vorhanden, trägt im Deutschen wie im Hebräischen Oscar Netters vollen Titel und – im Sinne der Witwe – kein »a. D.«. Das Exlibris erinnert also nicht nur an den Verstorbenen, sondern auch an dessen nicht mehr existierende Berliner Welt und seine darin verankerte soziale Zugehörigkeit. Darüber hinaus bewahrt es aber noch mehr, Loewe selbst verweist darauf: »Die Bücher in dieser Zusammenstellung geben einen sehr interessanten Beitrag zur Würdigung des feinen und feinsinnigen Menschen, der sie verständnisvoll gesammelt und benutzt hat.« In der individuellen Ordnung scheint der in der Sammlung »wohnende«74 ursprüngliche Besitzer auf. »Auch aus diesem Grunde«, so Loewe weiter, »halte ich es für wichtig, dass die Bände ein entsprechendes Exlibris bekommen, ehe sie in der Bibliothek eingestellt werden.«75 Zwar wird die persönliche Ordnung der Sammlung, die selbst Teil einer durch die Emigration ohnehin fragmentierten und beschädigten Bibliothek war,76 durch die letztlich pragmatischen Kriterien folgende Einfügung in den philosophischen Bestand der Stadtbibliothek aufgelöst, aber das Exlibris lässt die alte Ordnung, in der diese Bücher ihren Ort hatten, zumindest durchscheinen und verweist auf die ursprüngliche Instanz dieser Ordnung, Oscar Netter. Die Bücher sind auf diese Weise weiterhin zugänglich, auch wenn sie die Bedeutung als persönlicher Besitz und in ihrer vollständigen Repräsentanz als Symbol bürgerlicher Existenz verlieren. Zwei andere Exlibris lassen ebenfalls Aussagen und Mutmaßungen über Spender und Spende zu, wenn auch der Kontext hier nicht über eine Korrespondenz erschlossen werden kann. Während das Bücherzeichen von Netter äußerlich schlicht gehalten und der Name nur durch Titel und Berufsbezeichnung »geschmückt« ist, sind die von Max Goldreich77 und Siegfried

73 Ebd., 24/6, Luba Netter an Heinrich Loewe, 21. Januar 1938. 74 Der Besitz der Bücher ist für den Sammler, so Walter Benjamin in Ich packe meine Bibliothek aus. Eine Rede über das Sammeln, »das allertiefste Verhältnis […], das man zu Dingen überhaupt haben kann: nicht daß sie in ihm lebendig wären, er selber ist es, der in ihnen wohnt.« (in: ders., Angelus Novus. Ausgewählte Schriften, Teil 2, Frankfurt a. M. 1988, 169–178, hier 177 f.). 75 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 25/7, Heinrich Loewe an Luba Netter, 18. Januar 1938. 76 Siehe edb., 24/6, Luba Netter an Heinrich Loewe, 21. Januar 1938. 77 Es handelt sich vermutlich um den Möbelfabrikanten Max Goldreich (1875–?) aus Beuel bei Bonn, der 1934 nach Palästina emigrierte. Siehe Erhard Stang, »Ihr weiterer Aufenthalt im Reichsgebiet ist unerwünscht.« Schicksale Beueler Juden und Jüdinnen, o.  D., (1. Dezember 2019).

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Kaiser78 aufwendiger gestaltet und wohl von ihnen persönlich ausgewählt worden. Gerade in der Gegenüberstellung sind sie interessant. Sie lassen ein anderes Selbstverständnis und unterschiedliche Motive für die Abgabe der Bücher an die Sha’ar-Zion-Bibliothek vermuten. Max Goldreichs Exlibris erinnert an das Bücherzeichen Loewes, spiegelt es doch eine durchaus ähnliche Idee: Im Zentrum des Bildes steht der Jerusalemer Tempel, oben und unten begrenzt von seinem hebräischen Namen (der deutsche befindet sich unterhalb des Bildes), umrahmt von Schmuckgirlanden und gekrönt von den beiden gespreizten Händen, dem Symbol der Kohanim, auf die sich Goldreich offensichtlich stolz zurückführt. Der Tempel, flankiert von zwei Palmen, die auf den Orient und den Ort Jerusalem verweisen, ruht hier auf einem Buch. Das Motiv des Buches – gemeint ist wohl nicht nur die Bibel  – lässt sich wie bei Loewe wohl als Grundstein deuten für den daraus wiederzuerrichtenden Tempel für den Aufbau einer neuen Heimstätte auf der Basis jüdischer Kultur. Auch wenn sich Goldreichs Lebensgeschichte nicht rekonstruieren ließ, so lässt sich hinter dem Exlibris durchaus ein Zionist vermuten, der seine Bücher ganz bewusst der Tel Aviver Bibliothek als Beitrag zum kulturellen Aufbau Eretz Israels überließ. Auch das Exlibris Siegfried Kaisers zeigt einen konkreten Ort: Hinter dem Namen erhebt sich das Matterhorn, eingerahmt von den Spitzhacken des Wanderers. Ein Kranz aus Enzian und Edelweiß windet sich zur Rechten, linker Hand ragen Zweige einer Fichte hervor. Wie bei Goldreich Palmen und Tempel auf Jerusalem und eine Verbindung zum Heiligen Land verweisen, stehen hier Fichte und schneebedeckter Berg als Attribute europäischer Landschaft nicht nur für Kaisers Verbundenheit zu seiner Heimat Europa, sondern – zumal sich das Motiv in einem Buch befindet – ebenso zu deren Kultur. Zwar ist keine Korrespondenz von Kaiser mit Loewe bekannt, aber ein Brief von Hans Steinitz79 aus Haifa, der Loewe und seiner Bibliothek offensichtlich Hilfestellung leistete bei der Weiterleitung von Bücherspenden aus Deutschland, verweist im September 1935 auf eine »letzte Sendung Kaiser«. Ein früherer Transport enthielt für Tel Aviv »immerhin 46 Bände, darunter Bodmers Noachide von 1705, Gesamtausgaben von Hebbel, Angelus Silesius und der Ebner-Eschenbach, und mehrere Erstausgaben des 19. Jahrhunderts«.80 Dieser Blick auf einen vermutlich nur kleinen Ausschnitt der kaiserschen Bibliothek deutet nicht nur auf einen bibliophilen Sammler hin, sondern spiegelt in der Auswahl der Bände gewissermaßen die im Motiv des Exlibris verankerte Botschaft: die

78 Über Siegfried Kaiser ließ sich leider nichts weiter ermitteln. 79 Vermutlich handelt es sich um Hans Steinitz (1872–1954), der 1934 nach Palästina emigrierte und sich in Haifa niederließ. Siehe Renate Steinitz, Eine deutsche jüdische Familie wird zerstreut. Die Geschichte eines Steinitz-Zweiges, Norderstedt 2008, 68 f. 80 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 24/8, Hans Steinitz an Heinrich Loewe, 10. September 1935.

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Verbundenheit mit der europäischen beziehungsweise deutschen Kultur. Über die explizite Intention der Spende lässt sich zwar wenig sagen, zumal auch Kaisers Schicksal unklar ist. Da es sich aber zweifellos um eine große Sammlung gehandelt haben muss (das Exlibris trägt die Nummer 3634), die vermutlich nicht freiwillig aufgegeben wurde, dürften auch hier die Umstände den Besitzer zu der Spende gezwungen haben. Vor einigen Jahren – der genaue Zeitpunkt bleibt unklar – muss die Sha’arZion-Bibliothek allerdings viele dieser Herkunftsvermerke aus gespendeten Büchern entfernt haben. Auch wenn sie damit nicht ganz verloren sind, sondern in einem im Achad-Ha’am-Lesesaal der Bibliothek verwahrten Ordner zugänglich bleiben, wurde damit doch die Erinnerung an die Spender sowie deren Bücher verwischt und die ursprüngliche Funktion dieser Exlibris zerstört. Was aus diesen Büchern geworden ist, scheint nicht schriftlich dokumentiert worden zu sein. Wurden sie aus der Bibliothek entfernt, weil sie dem Sammlungskonzept nicht mehr entsprachen, überflüssig erschienen, veraltet und platzraubend? Wollte man sie im Interesse eines vermeintlich dadurch gestörten Lesepublikums »neutralisieren«? Wurden zu viele Bücher mit edlen Exlibris Opfer von Diebstahl? Was von der ursprünglichen Ordnung einer privaten Bibliothek noch erkennbar war, wurde hier in eine vielleicht sterilere und »organisierte« Form der Erinnerung überführt: das Album. Der Sammler, der in den Büchern »gewohnt« hat, ist damit auf den im Exlibris selbst verankerten Namen reduziert. Auch die Zeichen Goldreichs und Kaisers tauchen in dem alphabetisch geordneten Konvolut auf, ebenso das von Oscar Netter, dessen »feinsinnig« zusammengestellte Ordnung damit unwiederbringlich verloren ist, selbst wenn einzelne Bücher ihr Exlibris behalten haben sollten.81

81 Dass viele deutsche Bücher gegen Ende des 20. Jahrhunderts, d. h. mit dem Aussterben einer selbst noch im deutschsprachigen Raum aufgewachsenen Generation, auf der Straße und in Papiercontainern landeten  – wie auch in diesem Falle zumindest zu befürchten ist – dürfte im Zusammenhang stehen mit dem Verhältnis der israelischen Gesellschaft zur deutschen Sprache, die von vielen lange Zeit als Sprache der Mörder angesehen wurde: Kinder der zweiten Generation etwa wuchsen vielfach nicht mehr mit der Muttersprache ihrer Eltern auf, sondern folgten dem zionistischen Ideal einer ausschließlich Hebräisch sprechenden Bevölkerung. Das Verwischen der Erinnerung und der Zusammenhänge, die hier in der Trennung von Exlibris und Büchern zu beobachten ist, spiegelt demnach auch das verbleichende Erbe der deutsch-jüdischen Einwanderer.  – Das Schicksal deutscher Bücher in Palästina/Israel thematisiert nicht zuletzt Caroline Jessen in ihrer Dissertationsschrift Kanon im Exil. Lektüren deutsch-jüdischer Emigranten in Palästina/Israel (Göttingen 2019). Auch Ernst Fischers Artikel Zerstörung einer Buchkultur von 2002 ist hier zu erwähnen sowie einige Texte Joachim Schlörs, wie z. B. Heinrich Loewe und die jeckische Bibliophilie (in: Gisela Dachs [Hg.], Die Jeckes, Frankfurt a. M. 2005, 53–59) und Tel Aviv. Vom Traum zur Stadt. Reise durch Kultur und Geschichte (Gerlingen 1996).

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Spenden wurden Loewe vielfach direkt angeboten. Sie erreichten seine Bibliothek zum Teil über die Sammelstelle, aber er bemühte sich auch aktiv um den Erwerb von Sammlungen. Den Vorstandsvorsitzenden der Gemeinde in Dessau, Erich Sonder (1896–?), schrieb Loewe etwa mit der Bitte um Weitergabe von Sach- und Bibliotheksbeständen an. Bezeichnenderweise steht auch hier das Element der Erinnerung im Vordergrund: »[I]ch möchte, dass die Stadt Philippsons, der Moses Mendelssohns usw. nicht aus dem historischen Gedächtnis der Judenheit schwindet«, betont Loewe. Viele kleine Gemeinden im Umfeld seien bereits aufgelöst und auch »Dessau hält nur noch mit Mühe das Ganze für kurze Zeit. Die alten Synagogen usw. verfallen, verschwinden oder werden Turnhallen.« Er wolle »die Heiligtümer, die darin sind, und die historischen Erinnerungen retten«, ebenso »die vielen Bücher, die in den alten Synagogen liegen, zum Teil auch in den Familien übrig geblieben sind«. Diese Bücher hätten nicht nur »historischen Wert als Druckwerke«, sondern seien auch deshalb bedeutsam, weil sie »regelmässig zu familiengeschichtlichen Notizen benutzt worden« seien. Für die Bücher und »anderen Kulturdenkmäler« sei die Stadtbibliothek Tel Aviv »die würdigste Aufbewahrungsstelle«.82 Loewe bezeichnet seine Bibliothek als »Ort des kollektiven Gedächtnisses« und »Ort der Erinnerung« und er hat einen Blick für die Vielschichtigkeit der Erinnerung der Dessauer Bücher: Sie sind inhaltlich für die Bibliothek interessant, denn sie stocken die »jüdischen« Bestände auf, daneben sind sie mit ihren handschriftlichen Einträgen bedeutsam als individuelle ­Exemplare. Das Interesse für diese zweite Ebene entspringt allerdings auch hier wohl weniger dem Bewusstsein für die individuelle Erinnerung als vielmehr dem Blick des Historikers und »Volkskundlers«. Und obwohl Loewe zweifellos einen Blick für die immer prekärere Situation der Juden in Deutschland hatte – nicht zuletzt wohl über die in Palästina eintreffenden deutschen Emigranten und die eigene bittere Erfahrung –, wird er sich im Frühsommer des Jahres 1936 kaum der Dimension bewusst gewesen sein, die sein Appell an das Bewahren, Retten und Erinnern letztlich enthalten sollte. Auch in diesem Fall handelt es sich um die Geschichte eines Scheiterns. Die Dessauer Bestände haben Palästina nicht mehr erreicht – höchstens in Fragmenten und nach der Zerstörung im Prozess der Restitution. Am 9. November 1938 wurde auch diese Gemeinde heimgesucht, wurden Synagoge und Gemeindehaus verbrannt, das Archiv, die Bibliothek und Kultgegenstände geplündert und zerstört.83

82 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 25/9, Heinrich Loewe an Erich Sonder, 8. Juni 1936. 83 Klaus-Dieter Alicke, Dessau (Sachsen-Anhalt), in: ders., Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, 3 Bde., hier Bd. 1, Gütersloh 2008, Sp. 886–892, hier 889.

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Wie die Spenden, so hatten auch die Nutzer der Stadtbibliothek einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf deren Gestaltung.84 »In der ganzen weiten Stadtgegend, in der wir wohnen«, so Loewe in einem Brief von 1934 an den Königsberger Bibliothekar Otto Vanselow (1880 bis ca. 1945), »hört man überhaupt fast nur deutsch, und zwar gutes litterarisches Deutsch. So etwas wirkt natürlich auf die Bibliothek zurück.«85 Der Lesesaal der Bibliothek sei, betont Loewe in verschiedenen Briefen und Artikeln, fast immer voll besetzt. Bei den Besuchern handelte es sich zu einem bedeutenden Teil um ein deutschsprachiges Publikum, das den Wunsch nach Literatur in der eigenen Sprache einforderte.86 Es gebe »Hunderte von Akademikern«, so Loewe 1938, »die größtenteils ihre reichen Privatbibliotheken zurückgelassen haben, als sie eine neue Heimat im alten Heimatlande suchten«, und nun auf eine öffentliche Bibliothek angewiesen seien.87 Viele dieser Akademiker waren, so zeigt die Statistik, aus dem deutschsprachigen Raum.88 Wenig überraschend bedingten Spenden und Nutzer sich gegenseitig: Diejenigen, die spenden konnten und im Besitz von Privatbibliotheken gewesen waren, gehörten auch zu denjenigen, die als Emigranten ein Bedürfnis nach Literatur hatten. Zahl und Herkunft der Bibliotheksnutzer und ihre Lesegewohnheiten genau zu rekonstruieren, erfordert nähere Untersuchungen und ist schwierig, aber Briefe und Berichte geben Hinweise darauf, dass die Interessen breit gefächert waren. Curt Wormann (1900–1991), Mitarbeiter an der Bibliothek und mit der Betreuung der deutschen Leser äußerst beschäftigt, deutet 1937 Loewe gegenüber in einem Brief an, die Jüdischen Studien stünden offensichtlich bei den Lesern nicht im Fokus.89 Dagegen stieg die Nachfrage nach belletristischer Literatur in europäischen Sprachen, ganz besonders der deutschen.90 Nachfrage und Angebot bedingten also einander, und so hatte die loewesche Vision eines großen hebräischen Bestandes das

84 Dieses Thema kann hier nur angedeutet werden. Die Bedeutung deutscher Bibliothekare, aber auch deutschsprachiger Nutzer, vor allem der deutschen Emigranten der 1930er Jahre, für die Entwicklung der Bibliotheken in Palästina hebt Dov Schidorsky hervor (ders., Germany in the Holy Land, 26–42). 85 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 25/10, Heinrich Loewe an Otto Vanselow, 28. August 1934. 86 Das Deutsche habe bei den Nutzern dem Russischen »den Rang abgelaufen«. Siehe ebd., 23/2, Loewe, Eine neue Kulturstätte im alten Lande, 1936, 3. Siehe auch Schidorsky, The Municipal Libraries of Tel Aviv during the British Mandate, 1920–1948, 552. 87 Loewe, Die Stadtbibliothek in Tel-Aviv, [1]. 88 Schidorsky, Germany in the Holy Land, 35. 89 SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 24/10, Curt Wormann an Heinrich Loewe, 2. August 1937. Curt Wormann sollte 1948 der dritte Direktor der Nationalbibliothek in Jerusalem werden. 90 Ebd., 23/2, Loewe, Eine neue Kulturstätte im alten Lande, 1936, 3.

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Nachsehen, denn viele dieser deutschsprachigen Emigranten beherrschten das Hebräische nicht. Auch Loewe selbst weist in dieser Hinsicht eine Ambivalenz auf, die für eine gewisse Spannung zwischen seiner Vision und der Umsetzung gesorgt haben dürfte. Die von ihm so vehement propagierte hebräische Bibliothek geriet auch seinetwegen gelegentlich in den Hintergrund. Ihm lag in ganz besonderem Maße daran, die Verbindung »mit den deutschen Juden hier im Lande und in Deutschland lebendig zu erhalten« und seine Bibliothek entsprechend zu bestücken.91 Seine Bevorzugung des Deutschen als Wissenschaftssprache und damit vor allem der deutschen und gebildeten Besucher tritt in seiner Arbeitsweise und Korrespondenz deutlich hervor.92 Sein großes bibliophiles Interesse, das auch in Palästina weiter bestand,93 steht zudem in gewissem Widerspruch zu der Pragmatik eines Bibliothekars und rückt ihn etwas näher an Personen wie Franz Goldstein heran, dessen Sammlung abzulehnen er sich gezwungen sah. Auch kontrastiert das immer wieder in Artikeln geschilderte Bild einer kulturell lebendigen »hebräischen Stadt«, des Zentrums der »jüdischen Renaissance«, mit einer Perspektive in manchen seiner Briefe, in denen er die Kulturlosigkeit eines größeren Teils der Tel Aviver Bevölkerung moniert.94 Glücklich war Loewe bis zuletzt nicht mit dem Zustand seiner Bibliothek. »Ich habe dauernd mit den denkbar größten Schwierigkeiten kämpfen müssen«, bemerkt er in den kurz vor seinem Tod verfassten Erinnerungen. »Und heute […] ist von allen Lesern und Besuchern niemand so unzufrieden wie der bisherige Direktor.«95 Während Loewe in Tel Aviv mit dem Aufbau seiner jüdischen Bibliothek Mühe hatte, begann in Berlin unter radikal anderen Umständen eine Person für die Ordnung und Sortierung einer »jüdischen« Bibliothek tätig zu werden: Im Oktober 1941 wurde der Empfänger des kleinen blauen Büchleins von Loewe, Arno Nadel, als Experte für hebräische und jüdische Literatur gezielt ausgewählt und in der Bibliothek des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) zu Katalogisierungsarbeiten zwangsverpflichtet.96 Das RSHA raubte ähnlich dem mit ihm rivalisierenden rosenbergschen Institut zur Erforschung der Ju-

91 Ebd., 25/7, Heinrich Loewe an den Philo-Verlag (Berlin), 9. Januar 1934. 92 Siehe Schidorsky, Germany in the Holy Land, 32. 93 In einem Brief an Herrmann Meyer erwähnt er etwa die Gründung einer Soncino-Gesellschaft in Palästina (SZPL, Papers of Heinrich Loewe, 25/7, Heinrich Loewe an Herrmann Meyer, 22. September 1935). 94 Siehe ebd., 25/9, Heinrich Loewe an Chaim Tschernowitz, 28. März 1935). 95 Zit. nach Schlöffel, Heinrich Loewe, 399. 96 Zur Geschichte der »jüdischen« Bibliothek des RSHA siehe u. a. Dov Schidorsky, The Library of the Reich Security Main Office and Its Looted Jewish Book Collections, in: Libraries & the Cultural Record 42 (2007), H. 1, 21–47; Regine Dehnel (Hg.), Jüdischer Buchbesitz als Raubgut. Zweites Hannoversches Symposium, Frankfurt a. M. 2006.

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denfrage systematisch Bücher aus jüdischem Besitz in Ost- wie Westeuropa, Bibliotheken jüdischer Einrichtungen ebenso wie Privatbestände.97 Auch vor Kriegsbeginn fiel diesem (beziehungsweise seiner Vorgängerinstitution) bereits solches Raubgut zu, etwa zahlreiche Bücher aus den im November 1938 zerstörten Synagogen und Gemeindehäusern98 und im Frühjahr 1939 die noch in Berlin verbliebenen Bestände der Gesellschaft der Freunde der hebräischen Universität und Bibliothek Jerusalem, die zuvor auch Loewes Einrichtung mit Spenden versorgt hatte.99 Das RSHA häufte geschätzte 2 bis 3 Millionen Bücher an, darunter viele wertvolle hebräische Drucke und Handschriften, »sodass hier eine jüdische Bibliothek von einem Umfang und einer Vollständigkeit zusammengetragen war, wie wohl bisher an keiner anderen Stelle der Welt«.100 Als »Bibliothekare« waren Loewe und Nadel also für »jüdische« Bibliotheken tätig, die trotz ähnlicher Sammelschwerpunkte mit komplett unterschiedlichen Intentionen geführt wurden. Das RSHA »bewahrte« und katalogisierte zwar eine jüdische Sammlung  – ebenfalls als Grundlage von »Forschung« –, die aber nicht als »Spiegel« einer Kultur, nicht als »Wissensspeicher« eines kulturell reichen Volkes, sondern letztlich der Zerstörung, Verzerrung und Verfälschung dienen sollte. Während die Bestände der Sha’ar-Zion-Bibliothek sich ironischerweise mit den Spenden deutscher Juden mehr und mehr zu einer »gemischten« und weniger »jüdischen« Bibliothek zu entwickeln schienen, erreichte das RSHA mit geraubten Büchern, auch aus deutsch-jüdischen Beständen, eine Sammlung von einem Umfang und einer Bedeutung, von der Loewe als ­Bibliotheksdirektor nur träumen konnte. Ein Teil der Bücher des RSHA wurde während des Krieges zerstört oder ging verloren, manches konnte jedoch später mithilfe der JCR restituiert  97 Der systematische Raub jüdischen Kulturguts und Kulturguts aus jüdischem Besitz beschränkte sich nicht auf Bücher; Kunstobjekte und Ritualgegenstände wurden ebenfalls systematisch geplündert und vielfach vernichtet. Auch die pseudowissenschaftliche, in ihrer Verfälschung einer (versuchten) Zerstörung gleichkommende Beschäftigung mit jüdischer Kultur beschränkte sich nicht auf die Literatur. Ziel war die vollständige Auslöschung nicht nur der jüdischen Bevölkerung Europas, sondern auch ihrer Kultur.   98 Ob sich darunter auch Teile der Dessauer Synagogenbibliothek befanden, konnte von der Verfasserin nicht mehr ermittelt werden.  99 Werner Schroeder, Beschlagnahme und Verbleib jüdischer Bibliotheken in Deutschland vor und nach dem Novemberpogrom 1938, in: Dehnel (Hg.), Jüdischer Buchbesitz als Raubgut, 27–36, hier 33. 100 So der Leiter des Kommandos zur Sortierung der Bibliothek, Ernst Grumach (1902–1967), der als einer von wenigen überlebte (zit. nach Dov Schidorsky, Confiscation of Libraries and Assignments to Forced Labor. Two Documents of the Holocaust, in: Libraries & Culture 33 (1998), H. 4, 347–388, hier 358). Trotz der umfangreichen Sammlung kann nicht von einer besonderen Sorgfalt gesprochen werden: Viele wertvolle Bücher wurden in diesem Prozess der Plünderung auch zerstört.

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werden, besonders auch an Bibliotheken in Palästina/Israel.101 Bücher, die vielleicht durch Nadels Hände gewandert waren, die er sortiert und katalogisiert hatte, landeten womöglich auf den Schreibtischen Loewes und seiner Mitarbeiter, um in die Bestände der Tel Aviver Einrichtung einzugehen. Auch Loewes Schelme und Narren aus Nadels Besitz fanden über die JCR ihren Weg nach Tel Aviv – nicht als Teil einer Sammlung, nicht auf Nadels ausdrücklichen Wunsch hin, sondern als nachträgliche, einzelne, unvorhergesehene Spende. Das in die Stadtbibliothek eingegangene Büchlein dient auf mehrfache Weise der Erinnerung. So sind die von Loewe recherchierten, gesammelten und nacherzählten Geschichten bereits vom Autor als volkskundlicher Beitrag zur Bewahrung jüdischer Kultur intendiert. Aber der Band enthält auch als physisches Objekt Erinnerung.102 Die Widmung Loewes, der Aufkleber der JCR und der Stempel der Sha’ar-Zion-Bibliothek machen es zu einem Gegenstand mit besonderer Geschichte. In seiner Rede Ich packe meine Bibliothek aus (1931) betont Walter Benjamin (1892–1940), eine Sammlung büße ohne den Besitzer ihren Sinn ein – nicht zuletzt aufgrund der durch seine Abwesenheit verschwundenen Erinnerungen: an die Orte, an denen die einzelnen Exemplare erstanden wurden, an die Reisen, die sie überlebt, und an die privaten Räume, deren Bücherregale sie geschmückt hatten. In einer öffentlichen Sammlung, so Benjamin, gehe die Bedeutung der Gegenstände unter, das Buch als Exemplar verliere hier sein Recht.103 Tatsächlich ist die persönliche Erinnerung des Sammlers mit seinem Tod und dem Eingang in die Bibliothek verloren. Was die Schelme und Narren für Nadel bedeuteten, zumal als Teil seiner ihm so wertvollen Büchersammlung, ist nicht rekonstruierbar, aber die Erinnerung an den Sammler, seine Welt und sein Schicksal ist in dieses Exemplar des Büchleins doch eingeschrieben. Die Widmung Loewes an Nadel trägt die Erinnerung an ein

101 Innerhalb der JCR bzw. auf jüdisch-palästinischer Seite, vertreten durch die Hebräische Universität und deren Ausschuss zur Rettung der Schätze der Diaspora (Oẓrot ha-Gola), spielten zwei aus Deutschland ausgewanderte bzw. geflohene Personen eine wichtige Rolle: auf amerikanischer Seite Hannah Arendt und auf palästinischer/israelischer Seite Gershom Scholem, der etwa in Offenbach, einem zentralen Sammelpunkt der nach dem Krieg geretteten jüdischen Bücher und Ritualgegenstände, eine Sichtung und Sortierung vornahm und durch dessen Hände zahllose Bände gingen. Zur Arbeit der JCR siehe u.  a. Elisabeth Gallas, »Das Leichenhaus der Bücher.« Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945, Göttingen/Bristol, Conn., 2013. Zu weiteren Rettungsbemühungen insbesondere der Hebräischen Universität siehe u. a. Dov Schidorsky, Gwilim nisrafim ve-otiot porḥot. Toldoteihem schel osfei sfarim ve-sefrijot be-Ereẓ Jisra’el unisionot le-haẓalat srideihem le-aḥar ha-scho’a [Burning Scrolls and Flying Letters. A History of Book Collections and Libraries in Mandatory Palestine and of Book Salvaging Efforts in Europe after the Shoah], Jerusalem 2008. 102 Siehe Jessen, Bücher als Dinge, 21. 103 Benjamin, Ich packe meine Bibliothek aus, 177.

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lebendiges jüdisches kulturelles Leben im Berlin der 1920er Jahre in sich, zu dem beide nicht unwesentlich beigetragen hatten. Zudem ist darin die Erinnerung an eine – in ihren Hintergründen tragische – »Reise« verborgen: nicht die des Sammlers, sondern die des Büchleins selbst, sein Transfer von Berlin nach Tel Aviv, erschlossen durch die kleinen Zeichen Widmung, Aufkleber und Stempel. Der neue Ort, dessen Bücherregale es nun »schmückt« oder doch eher bestückt, sorgt für eine weitere Ebene der Erinnerung. Die Tatsache, dass das Büchlein, ein Geschenk Loewes an den Freund Nadel, wieder in die Obhut des Bibliothekars gelangte, ist augenfällig nicht natürlich und lässt den Betrachter des Bändchens auch heute noch ein Stück weit betroffen zurück. Die Rückgabe an den Schenker ist deutliches Zeichen eines Bruchs und bedeutet gewissermaßen die Annullierung der Gabe selbst. Letztlich ist das Bändchen ein Fremdkörper in der Sammlung, einem Ort, an dem es eigentlich nicht sein sollte. Das Buch erhält durch die Spannung, die sein Aufbewahrungsort erzeugt, eben auch diese zusätzliche tragische Bedeutung und wird zur Mahnung und Erinnerung an das Schicksal eines Menschen. Obwohl das nadelsche Büchlein aus Loewes Feder seine ganz individuelle, vielleicht besonders berührende Geschichte besitzt, so steht es doch auch exemplarisch für den besonderen Charakter der Stadtbibliothek Tel Aviv, die, indem sie so entscheidend mit Bücherspenden aufgebaut wurde, immer auch die Geschichten ihrer Provenienzen miterzählt. Wie bei einem Palimpsest scheinen die alten Lebens- und Sammlergeschichten der Spender unter dem »Text« der konzeptuell bestimmten Zwecke dieser neuen Bibliothek in einem neu entstehenden Land hervor, auf dessen Subtext die Stempel, Exlibris, Widmungen, Anstreichungen und andere Gebrauchsspuren der ermordeten oder zur Emigration gezwungenen ehemaligen Besitzer verweisen.

Amit Levy The Archive as Storyteller: Refractions of German-Jewish Oriental Studies Migration in Personal Archives

“[A]rchives are not more – or less – than historical, which is to say, subject to or, more exactly, products of the vagaries of circumstance, accident, and interest. This truth is one of the most obvious and paradoxical about archives.”1

In recent years, the history of German Orientalism has become the subject of increased scholarly inquiry. This development occurred years after Edward Said’s dismissal of the importance of the German branch of Orientalism to his critique of Orientalism, claiming that “at no time in German scholarship during the first two-thirds of the nineteenth century could a close partnership have developed between Orientalists and a protracted, sustained national interest in the Orient […] the German Orient was almost exclusively a scholarly, or at least a classical, Orient.”2

His claim was used by some of his critics to undermine his paradigm, but also created an opportunity for the historiography of German Orientalism: If there was no direct colonial interest on the part of nineteenth-century Germany, it is possible that Oriental studies in Germany – which encompassed studies of the Middle East, Semitic languages, and Islam (among other things) – were driven by scholarly interest and not by state imperatives. Historians who shared this view have suggested that, in Germany, the discipline was perhaps encouraged or discouraged by the political establishment, but the contents and research were not intended to serve political objectives.3 This growing scholarly interest in the history of German Orientalism sparked an interest in German-Jewish Orientalism; indeed, the latter was 1 2 3

Randolph Starn, Truths in the Archives, in: Common Knowledge 8 (2002), no. 2, 387– 401, here 393. Edward W. Said, Orientalism, New York 1978, 19 (italics in the original). See Baber Johansen, Politics and Scholarship. The Development of Islamic Studies in the Federal Republic of Germany, in: Tareq Y. Ismael (ed.), Middle East Studies. International Perspectives on the State of the Art, New York 1990, 71–130; Sabine Mangold, Eine “weltbürgerliche Wissenschaft.” Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004; Ursula Wokoeck, German Orientalism. The Study of the Middle East and Islam from 1800 to 1945, London/New York 2009; Suzanne L. Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship, Cambridge 2009. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 425–446.

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viewed as a sub-discipline of German Orientalism. However, this interest was focused more on the social and cultural motives of prominent figures in the field, leaving the historiographical approach towards the question of utilization of German Orientalism in the universities largely unchallenged.4 The impact of German and German-Jewish Orientalism outside of Europe has also been examined.5 As for the context of Palestine/Israel, there has been a relatively consensual idea of Oriental studies being, at least in their beginnings, “German to the core.”6 The renewed interest in this field came at a time of renewed interest in archives of German-Jewish intellectuals in Israel. The “Traces and Trea­ sures of German-Jewish History in Israel” project – a German/Israeli collaboration – traced archival papers of German-Jewish intellectuals and public figures in various locations, including collections at the National Library of Israel in Jerusalem, which for various reasons had been forgotten, were considered missing, or had not been thoroughly classified and catalogued. Some of these were research and personal papers that belonged to several prominent German-Jewish Orientalists who lived and worked in Palestine/ Israel during the twentieth century.7 These scholars were all linked by the part they took in establishing and developing the School of Oriental Studies, the first – and for many years, the only – academic Orientalist institute in Palestine/Israel. Inaugurated in 1926 as one of the first institutes at the Hebrew University of Jerusalem, which was opened a year earlier, the School of Oriental Studies has been considered a German-Jewish stronghold in terms of personnel and research topics: Of its first eight staff members, seven were at least educated in German-speaking Europe, if not born there, and its first

4

See Susannah Heschel, German Jewish Scholarship on Islam as a Tool for De-Orientalizing Judaism, in: New German Critique 39 (2012), no. 3, 91–107; John M. Efron, Orientalism and the Jewish Historical Gaze, in: Ivan Davidson Kalmar/Derek J. Penslar (eds.), Orientalism and the Jews, Waltham, Mass., 2005, 80–93. 5 See, e. g., Ruchama Jerusha Johnston-Bloom, Oriental Studies and Jewish Questions. German-Jewish Encounters with Muhammad, the Qur’an, and Islamic Modernities (unpubl. PhD thesis, University of Chicago, Ill., 2013). 6 Shaul Katz, The Scion and Its Tree. The Hebrew University of Jerusalem and Its German Epistemological and Organizational Origins, in: Marcel Herbst (ed.), The Institution of Science and the Science of Institutions. The Legacy of Joseph Ben-David, Dordrecht 2014, 103–144, here 120. 7 For a full account on these archives, see Amit Levy, Israel. Orientalist Collections at the National Library of Israel, in: Geschichte der Germanistik. Historische Zeitschrift für die Philologien 49/50 (2016), 147 f.

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major research projects were a direct continuation of projects that were initiated in Germany.8 Discovering (or rather, rediscovering) these papers of German-Jewish Orientalists paved the way for a wider inquiry into the history of Islamic and Arabic studies in Palestine/Israel, a field which until recently had only seen limited scholarly contributions.9 This new source material – which, as it shall be demonstrated, was produced both in Germany and Israel – allows light to be shed on questions of knowledge migration, as they revolve around the transplantation, since the 1920s, of Orientalist ideas, methods, and conceptions from Germany, where the encounter with the Orient was essentially textual, into Palestine/Israel – the Orient itself, where this acquaintance was transformed into a live, physical, and daily encounter. This transformation raises a whole set of questions, among them: What happens to a discipline, shaped in Germany and deeply rooted in the German linguistic and philological scholarly tradition, when it is relocated to a place with different traditions, and even more importantly, different needs and goals? How does the tendency to study Classical Arabic and early Islamic writings and history cope with the dominance of local Colloquial Arabic and with contemporary developments in the region, specifically an intensifying Arab-Jewish conflict? In which ways was the academic Orientalistik knowledge used, or aimed to be used, in relation with political agendas? With the help of previously unexplored archival materials, some initial attempts to answer these questions and others have already been published.10

  8 Menachem Milson, The Beginnings of Arabic and Islamic Studies at the Hebrew University of Jerusalem, in: Shaul Katz/Michael Heyd (eds.), The History of the Hebrew University of Jerusalem. Origins and Beginnings, Jerusalem 1997, 575–588, here 579 and 584 (Heb.).  9 These include Milson, The Beginnings of Arabic and Islamic Studies at the Hebrew University of Jerusalem, and Hava Lazarus-Yafeh, The Transplantation of Islamic Studies from  ­Europe  to  the  Yishuv and Israel, in: Martin Kramer (ed.), The Jewish Discovery of ­Islam. Studies in Honor of Bernard Lewis, Tel Aviv 1999, 249–260. Both authors were ­themselves  ­students  (and later professors) at the School of Oriental Studies. Another con­ tribution is a sub-chapter in Gil Eyal, The Disenchantment of the Orient. Expertise in Arab Affairs and the Israeli State, Stanford, Calif., 2006, 62–73. However, in his discussion on the School of Oriental Studies in the bigger picture of Jewish Orientalism before 1948, Eyal did not use archival materials and relied mainly upon Milson and Lazarus-Yafeh’s a­ rticles. 10 Publications using materials from Orientalist archives at the National Library of Israel include Sabine Mangold-Will, Gotthold Weil, die Orientalische Philologie und die deutsche Wissenschaft an der Hebräischen Universität, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdi­ sche Literatur und Kulturgeschichte 8 (2014), no. 1, 74–90; Amit Levy, A Man of Contention. Martin Plessner (1900–1973) and His Encounters with the Orient, in: ibid. 10 (2016), no. 1, 79–100; Hanan Harif, The Orient between Arab and Jewish National Revivals. Josef Horovitz, Shelomo Dov Goitein and Oriental Studies in Jerusalem, in: Ottfried Fraisse/ Christian Wiese (eds.), Modern Jewish Scholarship on Islam in Context. Rationality, European Borders, and the Search for Belonging, Berlin/Boston, Mass., 2018, 319–336.

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A conclusion common to all of them was that transferring Orientalist knowledge from Germany to Palestine indeed forced these intellectuals to reevaluate their research interests, some of them moving towards completely different research territories – topics and methods which they had little to no interest in while studying and working in Germany – and others responding by zealously sticking to their German research, perhaps as an act of defiance against growing demands to harness the Orientalist expertise to national Zionist goals. The current contribution aims at examining the same process of Orientalist knowledge migration, albeit from a slightly different, material perspective: the history of these archives and collections, and how and why they were formed the way they were. In other words, it moves from the archive as a source to the archive as a subject.11 After all, archives have been characterized “as sites in which to examine conceptions about knowledge, its order and management.”12 Considering archival arrangement as a representational act and thus asking whether and how the archival history of the papers represents the histories that they encapsulate, the following will focus on two personal archival collections at the National Library of Israel.13 The first is the scholarly estate of Josef Horovitz, the founder of the School of Oriental Studies, a forgotten collection the arrival of which in Jerusalem was unexpected. The second is the scholarly and political estate of Martin Meir Plessner which, just like its bequeather, was strictly separated between public activity and academic work. Using documents from these archives and other related collections in the National Library of Israel, from other archives in Israel and Germany, as well as observations based on the cataloguing process of the two archival collections, this article will explore the story told by the archive as a whole, which may be greater than the sum of its parts.

Oriental Studies on the Move: Josef Horovitz’s Zettel The untimely death of Josef Horovitz, Chair of Semitic Languages at the University of Frankfurt and simultaneously director of the School of Oriental Studies at the Hebrew University of Jerusalem, dealt a devastating blow to both institutions. In March 1931, a month after his demise in Frankfurt, the Orientalist Martin Meir Plessner, Horovitz’s junior colleague there, put this 11 Ann Laura Stoler, Colonial Archives and the Arts of Governance, in: Archival Science 2 (2002), no. 1, 87–109, here 92. 12 Ann Blair/Jennifer Milligan, Introduction, in: ibid. 7 (2007), no. 4, 289–296, here 290. 13 Elizabeth Yakel, Archival Representation, in: ibid. 3 (2003), no. 1, 1–25, here 2.

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feeling into words in a letter to Shelomo Dov (Fritz) Goitein, another student of Horovitz, then working in Jerusalem: “Even if I could not gauge the losses suffered by Horovitz’s students, never mind Jerusalem’s losses, my own loss is painful enough to engender empathy with them.”14 Plessner’s words spoke to Horovitz’s importance and influence in the academic worlds of Germany and Palestine alike. The following section offers a glimpse into this ancestral connection between Frankfurt and Jerusalem as it was materially represented in Horovitz’s scholarly estate, which was transferred from Frankfurt to Jerusalem in 1934. The path of the suitcase that contained the Zettel – tens of thousands of densely handwritten research notes  – was emblematic of the path of German-Jewish Orientalism from German universities to the Hebrew University, at least inasmuch as Horovitz represented it. In many ways, so was the archival fate of these Zettel.

Establishing a New Oriental Institute: Josef Horovitz in Germany and Palestine Born in 1874 in Lauenberg (today Lębork in Poland) to a German-Jewish orthodox rabbinical family, Josef Horovitz grew up in Frankfurt and later studied in Berlin, where he wrote his PhD dissertation on early Muslim historiography under the supervision of Eduard Sachau (1845–1930). He had broad research interests, which included early Arabic poetry and Qur’anic studies. He spent seven years from 1907 to 1914 in India as an Arabic teacher at the Muhammedan Anglo-Oriental College of Aligarh and as the curator of Islamic inscriptions for the Indian government, which had a crucial impact on his political views, spurring a strong anti-colonial sentiment.15 Upon returning to Germany, Horovitz became Professor of Semitic Languages, heading the Oriental Seminar (Orientalisches Seminar) in Frankfurt. He held this position until his death, supporting many students who over the years became prominent Orientalists.

14 National Library of Israel, Archives (henceforth NLI), Arc. 4°1911/03/18, Shelomo Dov Goitein Archive, Martin Plessner to Fritz Goitein, 4 March 1931. 15 For a biography of Horovitz, see Baruch Horovitz, art. “Horovitz, Josef”, in: Neue Deutsche Biographie, 26 vols., Berlin 1971–2016, here vol. 9, Berlin 1972, 641. On Horo­ vitz as a scholar and on his political views and actions, see Lazarus-Yafeh, The Transplantation of Islamic Studies from Europe to the Yishuv and Israel; Sabine Mangold-Will, Josef Horovitz und die Gründung des Instituts für Arabische und Islamische Studien an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Ein Orientalisches Seminar für Palästina, in: Naharaim 10 (2016), no. 1, 7–37.

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Despite his family’s anti-Zionist background, Horovitz was profoundly involved in the establishment of the Hebrew University of Jerusalem. He was a member of its Board of Governors and visited Jerusalem for the opening ceremonies in 1925, where he was also one of the speakers. That same year, Horovitz was asked by the university’s chancellor, Judah L. Magnes (1877– 1948), to draft a memorandum with suggestions for the establishment of an Institute of Arabic and Islamic studies. This document became the founding memorandum of the School of Oriental Studies at the Hebrew University, which was opened in 1926 and headed by Horovitz himself, who once again came to Jerusalem and gave a condensed seminar.16 Maintaining his position in Frankfurt, Horovitz was director in absentia. Nevertheless, he controlled every possible aspect of the school’s management and activities, receiving updates and delivering instructions via daily correspondence with Magnes and the school’s first staff members: Leo Aryeh Mayer (1895–1959), David Zvi (Hartwig) Baneth (1893–1973), Levi Billig (1897–1936), Yosef Yoel Rivlin (1889–1971), and Shelomo Dov (Fritz) Goitein (1900–1985), the last two having previously been Horovitz’s doctoral students in Frankfurt.17 It is thus not surprising that the school’s first two research projects were dictated by Horovitz, owing to his personal research interests: preparing a concordance of classical Arabic poetry, which was classified in index cards, and editing and publishing the Arabic manuscript of the seminal work of the famed ninth-century historian Al-Balādhurī, Ansāb al-Ashrāf (Genealogies of the Nobles). The latter was done in collaboration with the Prussian State Library (Preußische Staatsbibliothek) in Berlin, which had delivered photos and copies of the original manuscript to Jerusalem. This all underlines the fact – often mentioned by the School of Oriental Studies’ critics in British Mandatory Palestine  – that by and large this new institute maintained its German-Jewish scholarly legacy during the first years of its existence, both in terms of research interests (classical Arabic and early Islamic history) and scholarly methods (meticulous philology and version comparison).18

16 On the memorandum, see ibid.; Milson, The Beginnings of Arabic and Islamic Studies at the Hebrew University of Jerusalem, 578 f. 17 On Rivlin’s time in Frankfurt with Horovitz, see Hanan Harif, Islam in Zion? Yosef Yo’el Rivlin’s Translation of the Qur’an and Its Place within the New Hebrew Culture, in: Naharaim 10 (2016), no. 1, 39–55; idem, Between Arab Revival and Zionism. 18 On the German-Jewish interest in Oriental Studies and its characteristics, see Heschel, German Jewish Scholarship on Islam as a Tool for De-Orientalizing Judaism; Efron, Orientalism and the Jewish Historical Gaze.

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The Material Legacy of Horovitz The sudden death of Horovitz in 1931 following no known illness  – “he died on the street from a heart attack,” wrote Plessner – forced the Oriental institutes in Frankfurt and Jerusalem to regroup.19 A familiar successor was brought to Frankfurt  – Gotthold Eljakim Weil (1882–1960), who had until then been director of the Oriental Department at the Prussian State Library, which he had founded in 1918.20 Weil also inherited from Horovitz the School of Oriental Studies, becoming its new director. But things were not the same: With Horovitz gone, and Weil’s epistolary involvement less frequent, the scholars in Jerusalem grew more independent. Having passed away at the age of 56, Horovitz left behind a lot of research projects which never came to fruition. His wife, Laura Horovitz (née Scheier, 1881–1933), knew this very well and was willing to provide information on her late husband’s finished and unfinished work. With the help of Horovitz’s former student, Ilse Lichtenstädter (1907–1991), an index of his research notes (which was either created by Horovitz himself or perhaps more likely by Lichtenstädter) was sent to Goitein who, as previously mentioned, was another former student of his and a staff member at the School of Oriental Studies in Jerusalem.21 The latter was informed that if he wished to see research materials related to one of the topics in the index, the relevant packet of research notes would be sent to him upon his request. This probably had to do with Goitein’s work on his obituary for Horovitz, which was published in 1934, as at the same time he was also corresponding with Horovitz’s brother, Rabbi Jacob Horovitz, asking him for biographical documents of his late brother.22 While the index itself is rather laconic, it is also an excellent and infor­ mative testimony of Horovitz’s research interests and projects. It was divided into more than a dozen listed categories, among them Eschatologie (Eschatology), Sprachgebrauch (Language Use), and Altarabische Poesie (Old Ar-

19 NLI, Arc. 4°1911/03/18, Shelomo Dov Goitein Archive, Plessner to Goitein, 4  March 1931. 20 On Weil as director of the School of Oriental Studies, his immigration to Palestine in 1935, and his new role in Palestine as director of the Jewish National and University Library, see Mangold-Will, Gotthold Weil, die Orientalische Philologie und die deutsche Wissenschaft an der Hebräischen Universität. 21 Lichtenstädter later immigrated to the United States and changed her last name to Lichtenstadter. See Ruchama Johnston-Bloom, Symbiosis Relocated. The German-Jewish Orientalist Ilse Lichtenstadter in America, in: Leo Baeck Institute Year Book 58 (2013), 95–110. 22 S. D. F. Goitein, Josef Horovitz, in: Der Islam. Zeitschrift für Geschichte und Kultur des islamischen Orients 22 (1934), no. 2, 122–127; NLI, Arc. 4°1510/16, Josef Horovitz Archive, Jacob Horovitz to Shelomo Dov Goitein, 25 October 1933.

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abic Poetry). Each category included several enumerated items representing the different topics entailed therein.23 For example, the category Eschatologie included sixteen items, such as “6. Paradies” (Paradise), “27. Himmel” (Heaven), “26.  Erde” (Earth), and “17.  Gericht” (Judgment  – the lists are not sorted numerically). Next to some of the items, it was noted that another person was working on the material: In the case of the category Gebet, Lithurgie u. religiöse Dichtung (Prayer, Liturgy, and Religious Literature), the index mentioned that both of its items were “Von Dr. Billig mitgenommen” (collaborated on by Dr. Billig). Not all categories, however, represented unfinished work: The category Vorlesungen u. Referate (Lectures and Pre­ sentations) included thirteen items, with various themes – not only those at the core of his academic work – that Horovitz studied, including “Die poli­ t­[ischen] Aussichten des Zionismus” (The Political Prospects of Zionism). Whatever Goitein’s dealings were with the index, the materials remained in the possession of Laura Horovitz. Yet, before long, in February 1933, the latter had herself passed away. Since the couple did not have children, in her last will from November 1932 she asked that her late husband’s scholarly estate be handed over to the Oriental Seminar in Frankfurt, under the condition that “my husband’s successor to the Chair for Oriental Languages, and especially Professor Gotthold Weil, assumes responsibility for ensuring that the estate will be further investigated and evaluated, as far as possible in collaboration with my husband’s students, who are anyway working on other aspects of his scholarly estate. It should especially be ensured that the scholarly estate and the documentation is only handed out to individuals where it is clear that the evaluation of the materials will occur only with reference to those materials and as appropriate within the general framework of evaluation of the remaining scholarly materials from the estate.”24

Under these conditions – supervision by Weil, cooperation with Josef Horo­ vitz’s students, and use of the material only by persons who would make it known that it was taken from the estate – it was up to the executor of the will, Josef’s younger brother, the lawyer Abraham Horovitz (1880–1953), to deliver the estate to the university in Frankfurt. By that time, however, the political and intellectual climate in Germany had changed: The NSDAP has risen to power. While Gotthold Weil could maintain his professorship for another year, other Jewish scholars were immediately dismissed. Weil was asked by the Faculty of Philosophy (to which the Oriental Seminar belonged) to assess the estate and determine whether 23 Ibid., untitled index. 24 Hebrew University of Jerusalem, Central Archive (henceforth HUA), 226/1934, School of Oriental Studies, Rechtsanwalt [Abraham] Horovitz to the Hebrew University, 19 April 1934.

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the university in Frankfurt should accept it or not. He explained that, although the university might be able to secure the relevant funding for executing Laura Horovitz’s will, she had already given away (to her husband’s former students) the most valuable materials, and therefore he recommended that the faculty refuse. It may also be assumed that Weil, in view of the political circumstances in Germany, did not want the materials to fall into the Nazis’ hands and that this was the basis of his negative assessment.25 It was probably founded on this review that in early 1934 the Board of Directors (Kuratorium) of the university in Frankfurt let Abraham Horovitz know that “the Oriental seminar does not see itself in a position to meet the stipulated requirements and therefore cannot accept the inheritance.”26 Abraham Horovitz therefore had to find another home for the scholarly estate of his brother. On these grounds, and following a conversation on the subject with Gott­ hold Weil, Abraham decided to turn to the Hebrew University, acknowledging his brother’s strong connection to this institution. Citing Laura Horovitz’s will and explaining the refusal of the university in Frankfurt, he wrote a letter on 10 April 1934 asking whether the Hebrew University would agree to take the estate “under the stipulated requirements.”27 He explained that he needed a prompt answer, since, like many other German Jews, his sister Sofie Bermann (or Sophie in other letters; 1891–1964) was about to travel to Palestine, probably not just visiting, but emigrating;28 Abraham hoped she could bring “the suitcase containing the scholarly estate” with her. At the Hebrew University, the response to this letter was mixed. L.  A. Mayer, who became a prominent figure in the School of Oriental Studies in the years following Horovitz’s death, sent a short note to the Hebrew University’s administrator, Moshe Ben-David (1898–1948), stressing the fact that the school had never taken the “handling of the estate” upon itself. The note was written in Hebrew, but these words were kept in German (“Behandlung dieses Nachlasses”), emphasizing that this request originated in Frankfurt.29

25 Gudrun Jäger, Der jüdische Islamwissenschaftler Josef Horovitz und der Lehrstuhl für semitische Philologie an der Universität Frankfurt am Main 1915–1949, in: Jörn Kobes/ Jan-Otmar Hesse (eds.), Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945, Göttingen 2008, 61–79, here 70. 26 HUA, 226/1934, School of Oriental Studies, Rechtsanwalt Horovitz to the Hebrew University, 10 April 1934. 27 Ibid. 28 It would be impossible to list here all research literature on Jewish migration from Germany to Palestine and elsewhere after 1933. For a recent comprehensive demographic and social account, see Hagit Lavsky, The Creation of the German-Jewish Diaspora. Interwar German-Jewish Immigration to Palestine, the USA, and England, Berlin/Boston, Mass., 2017, esp. 41–66. 29 HUA, 226/1934, School of Oriental Studies, L. A. Mayer to [Moshe] Ben-David, n. d.

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The official response to Frankfurt, though polite, nonetheless expressed this exact point. The university’s vice-chancellor, Max Schloessinger (1877– 1944), did thank Abraham Horovitz, going as far as saying that the latter “could not find a place where the memory of [his] brother and his wife would be more cherished and beloved than in the School of Oriental Studies of the Hebrew University in Jerusalem.” But he did make it very clear that the school would not necessarily do anything with the material: “We cannot promise, however, that we will publish this material, be it for lack of scholars who will have the time to work it up to a point that it can be published, be it for lack of funds to publish it, or for any other reason.” (It is worth mentioning here that in 1933/34 the university was already starting to recover from the economic crisis that had erupted in 1929, causing a steep decline in donations from the United States.30) Nevertheless, the university – represented by Schloessinger – agreed to the other terms in Laura Horovitz’s will, promising not to “give out this material to scholars who would not comply with the terms mentioned in your letter, and Professor Weil’s general supervision may serve as an additional guarantee for our conscientious compliance with the regulations laid down in your letter.”31 Apparently, that was good enough for the Horovitz siblings. Perhaps it was the turbulent present – and the uncertain future – for Jews in Germany that made them deliver the estate anyway, knowing that it might not be handled as Laura Horovitz wanted; leaving it with Josef Horovitz’s former students was still a relatively safe option. And so, on 5 September 1934, S ­ ofie Bermann wrote to the Hebrew University, notifying them that the material “has now arrived here at Haifa.”32 She apologized that she would not be able to come to Jerusalem from the northern port city of Haifa to hand it over, and very soon it was arranged that someone would be sent from Jerusalem to receive it. In early October 1934, the suitcase was already in the possession of the Hebrew University.33 The process of knowledge transfer, which started when Josef Horovitz founded the School of Oriental Studies, was now reinforced by a material transfer, by a suitcase carrying his scholarly heritage from Frankfurt to Jerusalem.

30 Ruth Klinov, Governance and Finances of the Hebrew University, 1923–1947. Aims and Fulfillment (Heb.), in: Hagit Lavsky (ed.), The History of the Hebrew University of Jerusalem. A Period of Consolidation and Growth, Jerusalem 2005 (Heb.), 71–112, here 85 f. Schloessinger wrote in English. 31 HUA, 226/1934, School of Oriental Studies, Max Schloessinger to Rechtstanwalt Horovitz, 21 May 1934. 32 Ibid., Sophie Bermann to the Hebrew University, 5 September 1934. 33 Ibid., M[oshe] Ben-David to Sofie Bermann-Horovitz, 8 October 1934.

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The Horovitz Estate from 1934 to 2016 1934 is the point where the archive becomes silent. It is unknown what exactly happened to the estate over the years, or how well the documents it contained survived when the Hebrew University had to leave Mount Scopus in 1948, scattering its departments and personnel around West Jerusalem, and later building a new, substitutional campus on Givat Ram.34 The estate eventually ended up as a collection (Arc. 4°1510) in the Jewish National and University Library (which later changed its name to the National Library of Israel). In an inventory entry from December 1976, it was merely mentioned that this was the collection of “the Orientalist, Prof. Josef Horovitz (Frankfurt). Includes only notes and lists in German and Arabic.”35 For years, this collection was virtually unusable for research purposes: The Orientalists who knew the research materials first hand, meaning Horovitz’s students, had either left the school, retired, or died, and the collection had no index attached to it. The packets of handwritten notes, in yellowing envelopes – some of whose topics were unidentifiable – were simply forgotten. Researchers who did want to look at this collection, the origins of which were (as the inventory note indicated) uncertain, could not achieve much without a finding aid. In Germany, the scholarly estate was considered lost; a 2008 study speculated that Weil and some of Horovitz’s former students took some of the materials with them when they emigrated and that the rest of the documents were destroyed during the war.36 Luckily, a change of fortune occurred in 2016. In the framework of the joint German/Israeli project, “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel,” archival papers of German-Jewish Orientalists at the National Library of Israel were sorted and catalogued. Among the documents which were found and reevaluated was the previously discussed list that Laura Horo­vitz and Ilse Lichtenstädter had sent to Shelomo Dov Goitein back in 1932. Their notes and the topics in the list made clear that the list could be used as an index for the Horovitz estate. It was then only a matter of matching the entries from the list and the actual packets. Some packets remained missing, whether because they were lost during the journey, were handed out to Horovitz’s students in Frankfurt, or were used in Jerusalem at some point; yet large parts of the collection remained intact. With the index, it was pos34 On these spatial changes and the challenges for the Hebrew University after leaving Mount Scopus, see Yfaat Weiss, “Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist.” Die Hebräische Universität in der Skopusberg-Enklave, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 14 (2015), 59–90. 35 A copy of this entry is in the possession of the author. 36 Jäger, Der jüdische Islamwissenschaftler Josef Horovitz und der Lehrstuhl für semitische Philologie an der Universität Frankfurt am Main 1915–1949, 71.

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sible to create a catalogue of the estate, a task which was completed in 2016. More than eighty years after they were shipped to Jerusalem in a suitcase, the research notes of Josef Horovitz became usable once more. As was noted in the introduction, the topic of German-Jewish Oriental studies and their transplantation to Palestine/Israel has received increased scholarly attention in recent years, with studies on different aspects of this multilayered case study of knowledge transfer being contemplated nowadays. One of the main questions that emerge here is the extent of the influence that German scholarly themes, methods, and habitus had on the development of Israeli Orientalism, inside and outside Israeli academia; the School of Oriental Studies (today’s Institute of Asian and African Studies), the oldest Oriental institute in Palestine/Israel, is obviously one of the focal points in the attempts to answer the question of influence and other questions related to this research subject. While the spatial and chronological path of the Horovitz estate should not be considered analogous to this disciplinary transplantation, since it was only one possibility of transference among many, it is hard to refrain from drawing some parallels. It was imperative that the estate should leave Germany, just as German-Jewish scholars, among them Orientalists, had to leave – some of them also ended up in Jerusalem, and while other German-Jewish Orientalists had already arrived at an earlier point, after 1933 the hypothetical possibility of returning to Germany was off the table for them, too. With the influence of Horovitz fading away after his demise, some of the scholars at the School of Oriental Studies began looking for other research projects, and so his research materials – just like his scholarly heritage – were not considered a top research priority, to say the least. Eventually, in light of contesting Orientalist traditions and political and security needs in Mandatory Palestine and the State of Israel, the estate was buried in closed, relatively inaccessible storage rooms – much like his legacy, which has been largely confined to the realm of the academic subconscious in Israel. However, in recent years, Horovitz and his estate have resurfaced as an important component in the reconstruction of the history of Oriental studies in Palestine/Israel. Perhaps more than anything, this intriguing story of knowledge – manifested in his Zettel  – being physically transferred illustrates the point that this was not a one-way transfer. From the very beginning, the Orientalists in Jerusalem saw some things differently than Horovitz, most of the time a present absentee. Accepting the Horovitz estate without building much of their new research projects upon it, respecting his legacy without committing to it, were stepping stones in the process of forging a new disciplinary amalgam: Israeli Orientalism.

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Academy and Politics: The German Scientific Ethos in Martin Plessner’s Divided Archive In the case of Martin Plessner  – who habilitated in the Oriental Seminar under Horovitz’s guidance – emigration was not only symbolic. For him, it entailed a live encounter with the Orient and with the Arab-Jewish conflict, replacing the mostly textual acquaintance he had had with them until April 1933. Moreover, for him it was an emigration crisis that cast a shadow over his life. It spawned changes in his personal life and separated him from his vocation for almost twenty years. An Orientalist migrating from Germany to Palestine, Plessner found himself in a position where, with his particular expertise, his academic commitment and public activism were prone to collide. The spatial arrangement of his estate reveals his attempts to avoid this collision.

From Frankfurt to Haifa: A Dual Exile Martin Meir Plessner was born in 1900 to a Zionist family in Posen (today Poznań in Poland). He studied Semitic Languages, Islamic studies, and ­Philosophy in Breslau (today Wrocław in Poland) and Berlin, where he worked as an assistant librarian at the Oriental Department of the Prussian State Library, and where he was supervised by its founder, Gotthold Weil. In 1925, Plessner received his PhD from the University of Breslau. He wrote his dissertation under the supervision of Gotthelf Bergsträsser (1886–1933), in which he explored the hidden Greek source of the Arabic “Tadbir al-Manzil” (Household management).37 He subsequently worked as a research assistant and librarian in Hamburg, Berlin, and Bonn, aiding well-known scholars such as Hellmut Ritter (1892–1971), Julius Ruska (1867–1949), and Paul Kahle (1875–1964). Plessner also spent six months as Ritter’s assistant in Istanbul. In the fall of 1930, Plessner was invited to the University of Frankfurt am Main by Josef Horovitz and became one of his protégés. In early 1931, he was the last doctor to habilitate under Horovitz; the 56-year-old Horovitz 37 Gotthelf Bergsträsser was a linguist of Semitic languages who studied Arabic, the Qur’an, and Hebrew grammar. A vocal critic of National Socialism who helped persecuted Jews, he died while hiking in the mountains of Bavaria in an accident the circumstances of which remain unclear and that left its mark on Plessner as he himself was facing the dangers of National Socialism. See Max Meyerhof/G. S., Gotthelf Bergsträsser (1886–1933), in: Isis 25 (1936), no. 1, 60–62.

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died only three days later. Plessner filled in for Horovitz’s teaching duties temporarily following Weil’s succession of Horovitz’s chair and, with Weil’s help, Plessner became a private lecturer for Semitic languages and Islamic studies. Following the Law for the Restoration of the Professional Civil Service (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums) of April 1933, Plessner was immediately dismissed from his position in Frankfurt. Realizing that he had no academic prospects in Germany and fearing future developments, he thought about moving to the Netherlands and pursuing an academic career there, with the idea of emigrating to Palestine at a later stage. But Plessner’s wife Eva insisted that the couple emigrates to Palestine directly. Hence, Plessner went to Palestine that same month. His wife and father joined him six months later.38 Naturally, Plessner hoped to join the School of Oriental Studies at the Hebrew University of Jerusalem, which was at that time the only western academic Orientalist institute in Palestine. However, his good relations with Weil in Frankfurt were not sufficient for securing a position at the small and rather poor institute. Seeing no future for his career in Jerusalem at that time, Plessner accepted a proposal from the northern city of Haifa. Shelomo Dov Goitein, a member of the School of Oriental Studies, had put forward his name as a possible Arabic and Bible studies teacher at the Hebrew Reali School, where he had previously been a teacher. In September 1933, Plessner started teaching there. Over the following years, he lived with his family in Haifa, but never stopped longing for the academic center in Jerusalem, which he visited whenever possible. In the meantime, he did some important pedagogic work, publishing the first Arabic grammar textbook in Modern Hebrew.39 Twelve years later, Plessner’s dream of living in Jerusalem was finally fulfilled: He started teaching Arabic at the Ma’aleh School and joined several encyclopedic projects in the city.40 Consequently, the Plessner family – now with two children who were born in Haifa – moved to Jerusalem. Although

38 Lavsky, The Creation of the German-Jewish Diaspora, 52. 39 On the textbook and its importance for Arabic teaching in British Mandatory Palestine, see Yonatan Mendel, German Orientalism, Arabic Grammar and the Jewish Education System. The Origins and Effect of Martin Plessner’s “Theory of Arabic Grammar,” in: Naharaim 10 (2016), no. 1, 57–77. 40 In his correspondence with his Jerusalem colleagues from the 1930s, Plessner indicated more than once that he would like to move to Jerusalem, even as a high school teacher. In a letter to Ernst Simon from 26 April 1937, he reported on a conversation with Alexander Duschkin, the principal of the Beit-Hakerem High School in Jerusalem, in which the two discussed the possibility of hiring Plessner as a teacher in Duschkin’s school, an idea that was never realized (Central Zionist Archives, A530/15, Martin Plessner Archive).

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Plessner still could not find a way to become a part of the School of Oriental Studies at the Hebrew University, he enjoyed the proximity of the university and its library, and this reignited his scholarly efforts. However, Plessner never ceased looking for an opportunity to join the School and, following the 1948 war, he found it: He was hired to sort and catalogue books collected from private Palestinian libraries found in abandoned houses in West Jerusalem.41 This project was an important turning point in his career: Hired for this role in 1949, he then became a librarian at the School of Oriental Studies in 1951 and an Arabic teacher at the institute in 1952. Finally, in April 1955 Plessner was appointed Associate Professor at the Department of Arabic Language and Literature, part of the School of Oriental Studies. In 1963, he obtained a full professorship and in that same year was made Head of the Department of Muslim (later: Islamic) Culture, a position he held until his retirement in 1969. When discussing immigration and knowledge transfer, one central question is how knowledge was changed or translated in the process.42 Yet in Plessner’s case, it became evident that emigration did not cause a significant transformation either in his scholarly work or in his political views. In the academic, professional sphere, there was a substantial continuity. A clear line can be drawn from his 1924 PhD dissertation to his latest works, published posthumously. His method was always similar: meticulous philolo­ gical analysis, based on translation and comparison, in accordance with the German-Jewish Orientalist tradition. One clear example for this continuity is Plessner’s work on a scholarly edition of the Turba Philosophorum (Assembly of the Philosophers), a medieval Arabic text on alchemy.43 Plessner first encountered and began working on the text in the early 1930s, but his work was halted by his emigration to Palestine and would be renewed only by the end of that decade. He managed to complete a draft in 1940, but because of the war the British censorship refused to examine such a long text in German, and Plessner was unable to send it abroad.44 He kept encountering problems with publishing this manuscript, but he never stopped

41 On the “Abandoned Books” project, a contested topic in Israeli historical discourse of recent years, see Gish Amit, Ex-Libris. Chronicles of Theft, Preservation, and Appropriating at the Jewish National Library, Jerusalem 2014, esp. chap. 2 (Heb.). 42 Veronika Lipphardt/David Ludwig, Wissens- und Wissenschaftstransfer, Europäische Geschichte Online (EGO), 28  September 2011, 40, (1 December 2019). 43 Martin Plessner, Vorsokratische Philosophie und griechische Alchemie in arabisch-lateinischer Überlieferung. Studien zu Text und Inhalt der Turba philosophorum, Wiesbaden 1975. 44 Ibid., x.

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trying, and never revised his methodology. Finally, in 1975, two years after his death, this work – perhaps his magnum opus – was finally published. A similar continuity can be found in the political sphere, in which Plessner was deeply involved, despite his commitment to his scholarly career. In Germany until 1933 and in Palestine until 1948, Plessner was an enthusiastic supporter of Arab-Jewish binationalism, opposing the mainstream Zionist agenda. Among other activities, he was an active member of the Iḥud association, which sought to promote a federal solution to the Arab-Jewish conflict, emphasizing the role of the world powers therein.45 After 1948, when bina­ tionalism was off the table, Plessner continued to criticize Israel’s policy toward its neighbors and Arab citizens and hoped for a peaceful solution to the conflict. He attended an international intellectual peace conference in Florence in 1958, opposed an Israeli annexation of the territories occupied in 1967, and shortly after the 1973 war, only weeks before his death, he expressed his wish that “the energies of the great powers will this time finally lead to peace.”46 Thus, immigration did not fundamentally alter Plessner’s ideology. Living in Haifa and Jerusalem, and through the Arab-Jewish conflict, the wars, and the diplomatic disappointments, these experiences did not affect, so it seems, the continuum of Plessner’s thought. The spatial duality of his own estate sheds an interesting light on this continuum.

Two Archives, Two Plessners? It is not uncommon, especially in the case of emigrants, to find the archival documents of a certain person scattered between several archives. In some instances, an archive might be so scattered that it has to be artificially reconstructed from several places.47 In Plessner’s case, however, it was discovered – during the archival work done in the framework of the aforementioned “Traces and Treasures” project – that his estate in Israel is divided between two institutions: the National Library of Israel and the Central Zionist Archives, both situated in Jerusalem, where Plessner lived and worked from

45 Joseph Heller, From Brit Shalom to Ichud. Judah Leib Magnes and the Struggle for a Binational State in Palestine, Jerusalem 2003, 5 (Heb.). 46 NLI, Arc. 4°1593/04/1, Martin Plessner Archive, Martin Plessner to Hilde Gaul, 13 November 1973. 47 See e. g. Otto Dov Kulka/Esriel Hildesheimer, The Central Organisation of German Jews in the Third Reich and Its Archives (On the Completion of the Reconstruction Project), in: Leo Baeck Institute Year Book 34 (1989), 187–203.

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1945 until his death. Interestingly, the materials in each archive differed greatly from one another with regard to the subject. In both archives, one can find Plessner’s personal notes and correspon­ dence. Yet the papers at the National Library, it turns out, were all profession-oriented: The personal notes were mainly research notes while the correspondence – with publishers, colleagues, and students – were on matters related to Plessner’s scholarly work. Accordingly, there were not many indications regarding Plessner’s political activity. These, however, could be easily found in the Plessner collection in the Central Zionist Archives. Here one finds the “juicy” politics: pamphlets and protocols of and correspondence related to the Iḥud association; letters to his partner on confrontations related to the participation at the Florence peace conference; and other personal letters, discussing political issues, to friends, colleagues, and adversaries. Thus, scholarship and politics constituted two separate realms in Plessner’s estate, and that was not by coincidence. In the National Library’s inventory, a (once again) laconic note explains that the collection was delivered to the archival department there in 1984, presumably after Plessner’s life partner, Thea Buki, had passed away, “as decreed in Plessner’s will,” and Plessner himself sorted the materials which were to be included in that clearly professional estate. As for the “political” estate, Plessner’s daughter sorted meticulously through his papers after he passed away, as also requested in his will, and handed those papers related to his public political activities to the Central Zionist Archives.48 Indeed, this archival division has a logic to it, but browsing through the names in the catalogues of both archival institutions, and checking the files included in these public figures’ collections, one could hardly say this division was necessary. By dividing his own estate, Plessner was ensuring that scholarship and politics in his life would remain separate, even beyond his death. Criticizing a fellow Israeli Orientalist in 1970 for publishing polemical reviews in a semi-scholarly journal, Plessner insisted that he himself “rigorously maintain the genuinely scholarly field; if I want to write something which is not aimed at proving objective facts, I use other forums.”49 This statement is emblematic of Plessner’s devotion to the German scholarly ethos, perhaps best formulated in Max Weber’s 1918 speech, Wissenschaft als Beruf (Science as Vocation).50 Wissenschaft symbolized scientific objectivity and disciplinary methodology, which were highly important to German-Jewish

48 As confirmed by his daughter, Hagit Lavsky, in private correspondence with the author. 49 NLI, Arc. 4°1593/02/17, Meir Martin Plessner Archive, Martin Plessner to Yehoshua ­Porat, 7 December 1970. 50 Max Weber, Wissenschaft als Beruf. Mit einem Nachwort von Immanuel Birnbaum, ­Munich/Leipzig 1919.

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scholars who wanted to legitimize Judaism as a topic of scientific study.51 German-Jewish Orientalism was part of this effort, and Plessner tried to preserve and promote these values in Palestine.52 Therefore, when Weber discussed the relations between science and politics in the classroom and unequivocally stated: “Politics is out of place in the lecture-room”, Plessner agreed.53 However, this was no simple task. Once Plessner’s work was removed from Germany and relocated to the Orient  – the place he was studying  – the conditions changed and he could no longer easily maintain the detached ethos he had adopted in Germany. Keeping politics separate from work was hard for an Orientalist in Palestine/Israel – and all the more so in the case of a politically involved figure such as Plessner. His intense endeavor to maintain such a separation was the result of his emigration to Palestine/Israel. In Germany, the Orient was not immediate, and it was not necessary to fight to maintain such a separation. This constant effort took a toll on Plessner. Unwilling to break the separation, he found himself in conflict on several occasions. For example, when asked to teach “living” Arabic, meaning the daily spoken language and not the classical, grammatically-oriented one, he vehemently refused, even considering resigning from his position as an Arabic high school teacher.54 Years later, as a professor at the Hebrew University of Jerusalem, he was very resentful about teaching Arab students, constantly expressing his disappointment at their skills in their own mother tongue.55 Being a political dove who expressed time and again his wish to see a rapprochement between Arabs and Jews in the intellectual, cultural, and also economic spheres, Plessner’s 51 David  N. Myers, Re-Inventing the Jewish Past. European Jewish Intellectuals and the Zionist Return to History, New York 1995, 18. 52 Heschel, German Jewish Scholarship on Islam as a Tool for De-Orientalizing Judaism, 106. 53 Weber, Wissenschaft als Beruf, 23. 54 Interestingly, Plessner’s attitude towards teaching Arabic was somewhat opposed to that of his professor in Frankfurt, Josef Horovitz, who in 1925 wished for the School of Oriental Studies to teach modern Arabic and literature and even colloquial Arabic (see Mangold-Will, Josef Horovitz und die Gründung des Instituts für Arabische und Islamische Studien an der Hebräischen Universität in Jerusalem, 28). However, it should be emphasized that, while Horovitz promoted this goal, the School of Oriental Studies which he headed did not include in its curriculum Arabic studies of this kind until 1937, long after Horovitz’s death. Other needs, such as a preparatory program for local students, whose command of Arabic grammar was not sufficient in the eyes of German-Jewish Orienta­ lists, were considered more urgent by the Jerusalem staff and Horovitz alike. 55 On these events and their implications on Plessner’s life, see Levy, A Man of Contention, 91–98. For a further detailed account, see idem, “A Complete Personal Revolution.” Martin Meir Plessner (1900–1973) and German-Jewish Orientalism, Between Textual and Physical Encounters (unpubl. MA thesis, Hebrew University of Jerusalem, 2016; Heb.).

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insistence to keep Arabic closer to his German training than to his Oriental reality might seem irreconcilable with his views. Yet this is exactly where the depth of his loyalty to the German scientific ethos was revealed: science had to remain “pure.”56

Other Archival Legacies: Shelomo Dov Goitein and David Zvi Baneth Two comparable archival cases further illuminate the interrelatedness of Plessner’s life and estate.57 The National Library of Israel also holds an extensive collection of papers that belonged to the previously mentioned German-Jewish Orientalist Shelomo Dov Goitein. Goitein was born in Burgkunstadt, Germany, to a rabbinic family of Hungarian descent. He studied Islamic history in Frankfurt and, under Horovitz’s instruction, wrote a PhD dissertation on prayer in the Qur’an. Up to this point, his and Plessner’s lives share some similarities; however, unlike Plessner, in 1923 – just after receiving his PhD – Goitein left Germany and went to Palestine, fulfilling his Zionist dream. He became a Hebrew teacher in Haifa and in 1928 joined the School of Oriental Studies, teaching Islamic history in its preparatory program. By that time, however, Goitein also started taking an interest in a research topic very different from his original one: Yemenite Jews, their language, and their folklore, which he came to know after immigrating to Palestine. This became a primary research topic for him during the 1930s and 1940s. By the end of the 1940s, now a professor in the influential director’s position at the School of Oriental Studies, Goitein’s research took yet another turn, the last one in his prolific career: He started working on the Cairo Geniza papers, which eventually resulted in his magnum opus, the five-volume A Mediterranean Society.58 His interest in the Geniza also led him to 56 Whether science could ever be pure and scientific objectivity could  – or should  – be achieved is naturally a highly contested topic in many ongoing debates. In the framework of this article, it might suffice to refer to the exhaustive discussion in Julian Reiss/Jan Sprenger, Scientific Objectivity, in: Edward N. Zalta (ed.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy Archive. Winter 2017 Edition, 25  August 2014, (1 December 2019). 57 These cases, while deserving to be the focal point of a separate study, will only be discussed here briefly, vis-à-vis the archival narrative of Plessner. 58 On the Geniza and Goitein’s important role in its research, see Lazarus-Yafeh, The Transplantation of Islamic Studies from Europe to the Yishuv and Israel, 254–256; Jessica L. Goldberg, On Reading Goitein’s “A Mediterranean Society.” A View from Economic History, in: Mediterranean Historical Review 26 (2011), no. 2, 171–186.

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emigrate again, this time to the United States, where he lived from 1957 until his death in 1985. Changes also occurred in Goitein’s political perspective, as over the years he grew closer to mainstream Zionism, unlike some of his German-Jewish colleagues in the Hebrew University, who remained loyal to the ideological spirit of leftist organizations such as Brit Shalom and Iḥud.59 Unlike with Plessner, it seems that in Goitein’s case his experiences of emigrating to – and later from – the Orient altered both his scholarly and political worlds. After his death in the United States in 1985, his papers were shipped to his family in Israel, who donated them to the National Library in 2012. This new Goitein collection – 34 containers with scores of files – is the main Goitein archive in Israel. In contrast to Plessner’s estate, Goitein’s papers were not divided according to his various fields of activity, with two exceptions. First, the papers related to the study of Yemenite Jews he had bequeathed to the Ben Zvi Institute in Jerusalem.60 Founded for the purpose of studying the history and culture of Jewish communities in the Middle East and Asia, the Ben Zvi Institute seemed a natural destination for these particular materials, a place where their study could continue. Second, Goitein had similarly bequeathed copies (and seemingly some originals) of his research papers on the Cairo Geniza (also known as the “Geniza Lab”) to Princeton University, where he had lived and worked from 1970 until his death. This was to ensure that the project he started there of making the entire Geniza corpus available would be continued after his passing.61 However, most of the original research papers on the Cairo Geniza and some research papers on Yemenite Jews do exist in the main Goitein collection at the National Library of Israel. Thus, other than two exceptions made for very practical reasons, it seems that for Goitein, as far as his main archive tells us, continuity with German methodology and typical research, and perhaps also with the German scientific ethos, was not as crucial in life – and also in death. Perhaps for Plessner – with his ill-timed emigration and a well-known short-tempered character – it was this continuity that brought him some comfort in the face of a political and personal rupture.

59 On Goitein’s changing political perceptions, see Harif, The Orient between Arab and Jewish National Revivals. For a historiographic analysis of Goitein’s work on Yemenite Jews and the Geniza, see Miriam Frenkel, The Historiography of the Jews in Muslim Countries in the Middle Ages. Landmarks and Prospects, in: Pe’amim. Studies in Oriental Jewry 92 (2002), 23–61, here 48–55 (Heb.). 60 This collection was recently catalogued by Tom Fogel from the Hebrew University of Jerusalem. 61 Princeton University, The Princeton Geniza Lab. About the Geniza Lab, 2015, (1 December 2019).

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Another prominent figure in the early history of the School of Oriental Studies and Israeli Orientalism, who was only briefly mentioned in this article, is David Zvi (Hartwig) Baneth. Born in 1893 in Krotoschin (today Krotoszyn in Poland), Baneth grew up in Berlin, where his father, Rabbi Eduard Baneth, taught at the Higher Institute for Jewish Studies (Hochschule für die Wissenschaft des Judentums). In his PhD dissertation, he wrote about the letters of Muhammad, but this study was never published, a fact deriving from what would become a recurring issue in his life. His student at the School of Oriental Studies, Israeli Orientalist Hava Lazarus-Yafeh (1930–1998), recounted how Baneth, her supervisor, “was shy and insecure to an incredible degree, and held himself in very low esteem.”62 Following his immigration to Palestine in 1924, Baneth became first a librarian at the Jewish National and University Library and then a staff member at the School of Oriental Studies, although it took a lot of persuasion from Horovitz and Magnes for Baneth to agree to teach.63 The latter simply believed he, and his work, were not good enough. It is thus hardly surprising that Baneth left behind no official estate. Only recently was it discovered, during the work on the “Traces and Treasures” archival project, that some of his research papers found their way into a relatively small collection of papers from the School of Oriental Studies at the National Library of Israel. According to their register, these papers, with Baneth’s materials among them, were handed to the library in 1981. Baneth’s papers were so few that there was no justification to form a separate collection. Like Plessner, Baneth’s archival status correlates with his biography. His estate was no less bashful than him.

Conclusion Horovitz, Plessner, Goitein, and Baneth, among other German and Central European Jews, were part of the same story of knowledge transfer: the transplantation of Oriental Studies from Germany to Palestine. The stories of their archives, their estates, are related to the processes of transforming and translating migrant academic knowledge. Be that as it may, could these individual narratives of German-Jewish Orientalist archives reflect a broader historical phenomenon? Concluding a 2002 special issue of the journal Archival Sci62 Lazarus-Yafeh, The Transplantation of Islamic Studies from Europe to the Yishuv and Israel, 257. 63 HUA, 91-alef/1928, The School of Oriental Studies, Judah  L. Magnes to David Zvi Baneth, 12 December 1928.

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ence entitled Toward a Cultural History of Archives, cultural historian Peter Burke expressed his “distrust” in the notion that an archive could be portrayed as “a ‘reflection’ of the society in which it was produced,” preferring the metaphor “refraction,” which implies a historical awareness not only of the archive, but also of the archivist.64 In other words, one should always be aware of the inaccurate nature of the archive in terms of its ability to reflect the time of its creation, since not all events are documented, and some papers are always excluded, whether deliberately or by chance. While the context of this current article is different, in that it deals with the archives of individuals who were to some extent their own archivists, the story of German-Jewish Orientalism and its immigration to Palestine/Israel is indeed refracted, it may be argued, through the history of the archives of its agents of transfer. In Horovitz’s case, the fate of his forgotten Zettel archive was also to a certain degree the fate of his entire legacy, which lost some of its relevance once German-Jewish Oriental studies encountered Oriental reality. When it comes to Plessner’s papers, his insistence to keep politics and academia separate – a Sisyphean task for an Orientalist in Palestine/Israel – was not limited to his life only, but also to his archival legacy. Goitein and Baneth’s archives also refract some aspects of their personal migration of knowledge. These archives tell us, from an intellectual and material point of view, what it meant to be rejected in one’s habitat. They tell us how, in exile, knowledge and its agents had to change – and in the Zionist context, Orientalist expertise had to be utilized. Otherwise, this knowledge was doomed to either constant struggle or neglect. With ever more Orientalist archives in Israel being discovered, restored, and made public, more narratives of this type of knowledge migration will continue to resurface. These archives, a rare research opportunity, should be studied both as sources and as subjects.

64 Peter Burke, Commentary, in: Archival Science 7 (2007), no. 4, 391–397, here 395.

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Zoology in Translation: Archiving Heinz Steinitz’ Life in Science In 1956, Heinz Steinitz wrote a letter to the newly founded Leo Baeck Institute (LBI) in Jerusalem, outlining a research project on the German-Jewish zoologist Marcus Elieser Bloch (1723–1799).1 Although Bloch’s scientific achievements had been widely acknowledged, little information about his life, such as the role of Judaism in it, was known or had ever been published. For this reason, Steinitz suggested to add a few weeks to his planned research trip to Europe over the summer and make biographical enquiries about Bloch in archives in Hamburg and Berlin. Such information, Steinitz argued, could provide the basis for an overall assessment (Gesamtbeurteilung) of Bloch that included his personal development and life. There are a few additional letters and the protocol of a conversation with the secretary-general of the LBI, Selmar Spier, but nothing indicates that the Institute supported his research financially or that a publication resulted from Steinitz’ efforts. The material he collected and the notes he made over the following decade were gathered together in a medium-sized file.2 Tracing Steinitz’ historiographical-biographical efforts replicated the relationship between the researcher and his subject Bloch, while cataloguing the researcher’s own materials unlocked the potential for a Gesamtbeurteilung, the importance of which Steinitz had asserted for Bloch. Whereas information and material on the eighteenth-century zoologist were more elusive, the National Library of Israel now holds over two hundred files containing letters, research notes, administrative documents, photographs, and even glass slides, chronicling the professional life of twentieth-century zoologist Heinz Steinitz. Despite the volume of the archive, its nature as indeed a professional one also limits this potential for an overall assessment. References to personal views or emotions are rare, to political opinions almost non-existent. For one thing a missing piece, yet it also conveys how Steinitz approached his work and profession, the question now is how much we are able to read between the lines. For those interested in the early history of zoology and 1 2

National Library of Israel, Archives (henceforth NLI), Heinz Steinitz Archive (henceforth Steinitz Archive), Arc.  4°1626/02/45, Heinz Steinitz to Leo Baeck Institute Jerusalem, 30 April 1956 (Germ.). Ibid., Arc. 4°1626/03/34. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 447–472.

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marine biology in Palestine/Israel and the Department of Zoology at the Hebrew University of Jerusalem, as well as the development of a marine biological laboratory and research station in Eilat, the archive holds crucial documentation. At the same time, and on a broader scale, the collection adds to our understanding of the experience of German-Jewish immigrant academics during the mandate period and the first two decades of statehood. The intent of this article is to bring into focus some of the themes and features of this archive, particularly as it concerns linguistic developments and international-level scientific networks, combined with a discussion of the cataloguing process itself. Born in Breslau in 1909, Steinitz studied medicine and zoology at the universities of Breslau, Freiburg, and Berlin, where he took his medical state examination in 1933. That same year, he immigrated to Palestine after he and his wife Ruth had been forced out of the required practical training. Although they inquired from several foreign embassies whether they would be able to continue their training and get certified in those countries, the decision for Palestine was in the end most likely ideologically and personally motivated, following the Aliyah of Steinitz’ parents, but nonetheless considered a permanent one already after several months in the country.3 Until 1936, when he joined the Hebrew University’s Department of Zoology, Steinitz worked in agricultural entomology, particularly pest control, in Reḥovot and Petaḥ Tikva. He had already studied towards a doctorate in zoology in Breslau under the supervision of Paul Buchner (1886–1978), but never finished his thesis due to the demands of his medical studies.4 On the basis of his entomological work, and supervised by entomologist Shimon Fritz Bodenheimer (1897–1959), he received his PhD in 1938 – the first doctorate awarded in zoology at the Hebrew University.5 Steinitz remained there until his sudden death in 1971, with an academic trajectory from temporary assistant to full professor in 1968. His research centered on oceanography and marine biology, specifically the study of fish; geographically he focused on Palestine/Israel, especially the Red Sea, but also the Kinneret and Mediterranean region. Various study trips and expeditions led him to the United States and Europe, including a two-year fellowship at Yale University and a visiting professorship for one semester at the University of Hamburg.6 3 4 5 6

Ibid., Arc. 4°1626/02/1, Heinz Steinitz to Mich. J. Ass, 16 December 1933. Ibid., Arc. 4°1626/03/40, n. t., copy dated to 15 October 1933 (letter of reference by Paul Buchner regarding Heinz Steinitz’ zoological training in Breslau). Dvorah Boschwitz, Professor Heinz Steinitz on His Sixtieth Birthday, in: Israel Journal of Zoology 18 (1969), 27–130, here 127. For biographical information, see F[rancis] D[ov] Por, Heinz Steinitz in Memoriam, in: Marine Biology 19 (1973), no. 4, 271 f.; see the curriculum vitae in NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/99.

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Archiving and examining the records of Steinitz’ professional life meant tracing a path of linguistic, relational, academic, and scientific translation; a path common to any other migrating academic and, in its specificity, shared with other Central European immigrant scientists in Palestine. It included the challenge of working in a new language that was still developing and could not yet provide all the vocabulary necessary for research fields such as zoology. The academic environment was unfamiliar, despite the obvious German influence at the Hebrew University, specifically in the sciences,7 and did not provide existing structures to fall back on. Although medicine would have been a safe professional choice in Germany, the events of 1933 put an end to this career option for him. In Palestine, Steinitz returned to zoology – a route also taken by colleagues like Heinrich Mendelssohn (1910–2002) and Elisabeth Goldschmidt (1912–1970) – which he had abandoned for the practical reasons of securing a livelihood as a physician. Due to the large influx of medically trained immigrants by the end of the 1930s, that reason likely lost much of its relevance in Palestine.8 Within zoology, in turn, Steinitz adapted to the local conditions as they impacted the direction of his research geographically and in its specialization. In terms of collaboration, crucial in the sciences generally, but even more imperative in a country where resources were scant compared to what had been available to graduates from Breslau, Heidelberg or Berlin, the threefold relational challenge that presented itself was a linguistically new professional circle, the renegotiation of relationships with former colleagues after emigration, and the highly contentious question of scientific collaboration after 1945. How Steinitz responded to and dealt with the first and last of these issues – language and collaboration – is a distinctive feature of the archive in terms of translation and immigration experience. First, the speed with which he transitioned to Hebrew in his work defies conventional assumptions of German Jews’ attitude towards the new language; moreover, he supported Hebraization of zoological terminology by contributing his expertise to the Academy of the Hebrew Language. At the same time, he continued to write in German with German-speaking colleagues in Israel and correspondents in Germany. Second, not only did he maintain this contact after his emigration, presumably until the end of 1938, but he renewed the dialogue and collab7

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See Sason Shaik, A Tale of Two Mounts. The History of Chemistry at the Hebrew University of Jerusalem, in: Israel Journal of Chemistry 55 (2015), no. 6–7, 781–825, here 785 and 789; Ute Deichmann/Anthony S. Travis, A German Influence on Science in Mandate Palestine and Israel. Chemistry and Biochemistry, in: Israel Studies 9 (2004), no. 2, 34–70. On the inability of doctors to find employment in Palestine, see Doron Niederland, The Emigration of Jewish Academics and Professionals from Germany in the First Years of Nazi Rule, in: Leo Baeck Institute Year Book 33 (1988), 285–300, here 298.

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oration with former and new German colleagues not long after 1945, which was highly unusual and, in its timing, possibly unique among his colleagues. It is in Steinitz’ strikingly productive, multilingual correspondence with individuals and organizations all over the world, including Germany, that different modes of translation and scientific internationalism over four de­ cades come to the fore.

Cataloguing an Immigrant Scientist’s Multilingual Archive Heinz Steinitz’ correspondence was certainly the most straightforward part to catalogue in his archive. He had organized his correspondence meticulously, dividing it into two categories (individuals and organizations), each one subdivided into “old” and “new.” He added alphabetically sorted indices listing each correspondent, written in English with the additional Hebrew name behind Israeli organizations. There are approximately 500  contacts recorded in the “old” correspondence with individuals, in the “new” correspondence about 450, though addressees naturally overlap. Correspondence with organizations made up about half of that amount. During most of the 1950s and 1960s, Steinitz was part of committees and held administrative roles in addition to his academic appointment, which could explain the professionalism and conscientiousness with which he approached his own archive. His organizational system was preserved, merely divided into equally sized files, in what is now the second series in the archive.9 As the aspect of systematization in this particular archival process was copying an already existing code, the concrete work lay in the description of the files under Steinitz’ titles. In total, there are well over twenty-four thousand letters written mostly between 1933 and 1971, including many copies of Steinitz’ own letters. With an average of two hundred letters per file, a varying number of people and organizations, frequency and languages, the question for the archivist was how to maximize “information potentials” (Aussagepotenziale)10 without limiting these potentials by privileging a certain direction for research. For example, one could have listed correspondents in Germany more comprehensively than those in the US, which would have been unrepresen­ tative but convenient for those interested more in the former. As it is, those correspondents with the highest volume in any given file have been listed in

  9 NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/1 to 02/103. 10 Angelika Menne-Haritz, Erschließung, in: Marcel Lepper/Ulrich Raulff (eds.), Handbuch Archiv. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, Stuttgart 2016, 207–217, here 207.

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the catalogue by name and institution, preceded by a description of the most basic common topics.11 A question that emerged was the criterion for the division into “old” and “new,” which was put in place only for his correspondence. When did old exchange turn into new exchange? There is no uniform line neatly dividing both parts, which generally overlap in the late 1950s and early 1960s.12 Although there are occasional letters written a few months before and during the journey to Palestine, taking 1933 as a cut-off would have made little sense. The lack of such a division between the former and the present is nonetheless conspicuous and noticeable in the entire archive. Needless to say, the lack of correspondence before his emigration means that Steinitz’ German years can only be reconstructed through letters with former colleagues written in Palestine/Israel,13 research notes he brought with him,14 and certificates and diplomas issued in Germany.15 The aspect of a German past is pervasive but not tangible, the incompleteness of the archive exemplifying a dislocated life with a paper trail of emigration that is evident, but discernible only after the disruption. Unlike his correspondence, Steinitz’ scientific research progress can be traced over a longer period. The earliest documentation we have consists of notes, drawings, index cards, and notebooks dating from 1929, which was two years into his university studies. We understand that he was studying Siricidae (wood wasps), specifically Sirex, which was what he worked on for his dissertation with Buchner.16 With his move to Palestine he also moved on to different fields of research. He initially worked in the control of citrus pests (Lepidosaphes beckii),17 the research on which resulted in a first publication in 193718 and became the basis for his PhD thesis. Although he still tried to get a license to practice medicine in Palestine in the late 1930s,19 he

11 Thus e. g. NLI, Steinitz Archive, Arc.  4°1626/02/1: “The file contains academic correspondence relating to research and scientific cooperation generally, publications, and transport of specimens.” 12 E. g. ibid., Arc. 4°1626/02/17, Correspondents’ surnames starting with R (old) has a date range from 1936 to 1964; ibid., Arc.  4°1626/02/39, Correspondents’ surnames starting with R (old) ranges from 1953 to 1971. 13 Here esp. the correspondence with Paul Buchner. 14 Esp. NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/01/47, 01/51, 01/52. 15 Ibid., Arc. 4°1626/03/40. 16 Ibid., Arc. 4°1626/01/47 and Arc. 4°1626/03/40. 17 Ibid., Arc. 4°1626/01/44. 18 Friedrich Simon (Shimon Fritz) Bodenheimer/Heinz Steinitz, Studies in the Life History of the Citrus Mussel Scale Lepidosaphes pinnaeformis Bché. in Palestine, in: Hadar 10 (1937), no. 7–8, 3–19. 19 E. g. NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/96, Senior Medical Officer to Heinz Steinitz, regarding Licence to Practice Medicine in Palestine, 4 March 1937.

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continued with zoology at the Hebrew University, albeit not with entomology. He first researched newts (Triturus vittatus, Triturus cristatus) and frogs (Pelobates, Discoglossus) – discovering the Hula painted frog (Discoglossus nigriventer) with Heinrich Mendelssohn, who was also a graduate student of Bodenheimer and taught at the Biological-Pedagogical Institute in Tel Aviv (later the Department of Zoology), on their expedition to the Hula region in 1940.20 Eventually, though, Steinitz established himself as an ichthyologist. Papers documenting fish and oceanic research are indeed dominant in the archive, including a variety of records from short notes, “Fish Diaries,”21 committee protocols,22 to publication matters.23 Whereas some papers were already roughly collected together under one subject (for example, “Newts Experiments, 1968”), there was a plethora of single index cards, notes, and drawings that could not be categorized definitively. This in turn tells us something about the way Steinitz worked, which was probably more on paper rather than as a “brainworker.” The majority of these notes was dated and spans almost the entirety of the archive (1929 to 1971), signifying their importance for the working process. The exact role of these notes and scribbles is thereby not self-evident. Either they were part of his functional memory (Funktionsgedächtnis) or his storage memory (Speichergedächtnis), that is, either they were kept for a purpose and used continually, or they accumulated at random.24 Appreciating these research traces in their entirety would have to be the work of a zoologist, but the productiveness and success they provided are evident. Steinitz published fifty-six scientific papers; the first of his ichthyologic publications was also the first he published in Nature, the most prestigious journal in the sciences.25 For both parts – correspondence and research – the technical feature of language classifies the archive as an internationally active scientist’s, as well as that of an immigrant. This was naturally an ever-present, yet underlying issue during the cataloguing process in terms of readability, categorization, 20 Heinrich Mendelssohn/Heinz Steinitz, A New Frog from Palestine, in: Copeia (1943), 231–233. The relevant file for Steinitz’ travels to the Hula Valley in the North of Israel is NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/01/37. 21 Ibid., Arc. 4°1626/01/18. 22 Heinz Steinitz was involved in SCOR (Scientific Committee on Oceanic Research), MAMBO (Mediterranean Association for Marine Biology and Oceanology), and other associations. 23 His editorial work included the Bulletin of the Sea Fisheries Research Station in Haifa, Bamigdeh (Journal of Fish Breeding Research), and the Israel South Red Sea Expedition Scientific Reports. 24 Ulrich von Bülow, Nachlässe, in: Lepper/Raulff (eds.), Handbuch Archiv, 143–152, here 149. 25 Georg Haas/Heinz Steinitz, Erythrean Fishes on the Mediterranean Coast of Palestine, in: Nature 160 (1947), 28.

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and appraisal. The network Steinitz cultivated meant that particularly his correspondence does not reveal linguistic linearity, but remains truly multilingual, featuring Hebrew, English, and German, occasionally also French. The alphabetical order instead of a chronological one enhances this overall impression. It seems that Steinitz succeeded with the transition to Hebrew in his work during the 1930s, but he continued to switch to German. Whereas series one (research and publications) contains documents in all three languages, with German becoming less frequent over time, the presence of German in series three (academic activity and university matters) is negligible, while Hebrew is predominant, and English more frequent. The gradual establishment of English as the main language of research worldwide is reflected in the archive as a whole, becoming more dominant over the years and featuring in the majority of his publications. His own research was likewise increasingly recorded in English, making his archive a genuinely trilingual collection. Letters written entirely in Hebrew start to appear comparably early after 1933, becoming more frequent and elaborate over time. Despite his rapid and comprehensive transition to Hebrew, there is no perceivable definite shift from German to Hebrew, and much of the correspondence with ­German-speaking colleagues in Palestine/Israel switches between both lan­ guages. Thus he continued to correspond in German with scientists in I­ srael, among them Mendelssohn and his colleague at the Hebrew University, Georg Haas (1905–1981).26 Yet with both Steinitz also corresponded in Hebrew over the years. An exchange with Mendelssohn in 1963, for example, started with a German letter to Steinitz, who answered Mendelssohn in Hebrew and received a Hebrew letter back, followed by a letter in German back to Mendelssohn. Each letter is monolingual, except where publications are quoted.27 Although he acquired excellent English writing skills, Steinitz’ correspondence with scientists in Germany was exclusively in German. His research, too, continued to contain German elements, though on a much smaller scale than his correspondence, and with a more clearly discernible change. In 1935, for example, he wrote to Buchner about his plans for a paper he wished to publish in German,28 then three years later submitted a doctoral thesis in Hebrew and would never publish a scientific paper in his mother tongue. This is unsurprising given the new linguistic environment, but it is also evidence of the changing politics towards the German

26 Haas was born in Vienna, studied zoology at the university there and received his doctorate in 1928. He joined the staff of the Hebrew University shortly after his emigration in 1932. 27 NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/37. 28 Ibid., Arc. 4°1626/02/2, Heinz Steinitz to Paul Buchner, 15 June 1935.

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language in Palestine, and specifically at the Hebrew University, during the 1930s. In 1936, University President Judah L. Magnes (1877–1948) reprimanded a German immigrant classicist at the University for having published an article in a German journal.29 Remarkable therefore is Steinitz’ publication of a paper in Bonner Zoologische Beiträge (Bonn Zoological Contributions) in 1951.30 Even if not in the language, at that time it was still highly unusual for an Israeli to publish in a German journal. The fact underscores on the one hand Steinitz’ efforts for strengthening scientific networks while at the same time working towards rapprochement and on the other hand the image of a professionally minded scientist unencumbered by the past or personal feelings. While Steinitz appears to have continued using German confidently and without reservations – other than, for example, Elisabeth Goldschmidt, who refused to speak or correspond in German31 – and actively advanced his English language skills,32 he nonetheless adhered to Hebraization and took part in the task of establishing Hebrew as the language also of the sciences in Israel.

“Between Isaiah and Microbiology”: Translating Science In his speech at the inauguration of the Hebrew University in April 1925, Lord Balfour (1848–1930), though deeming the “experiment” of “adapting Western methods and a Western form of university to an Asiatic site […] predestined to an inevitable success,”33 spoke of the problems facing the leaders of the new university:

29 Yfaat Weiss, Rückkehr in den Elfenbeinturm. Deutsch an der Hebräischen Universität, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/Journal of German-Jewish Literature and Culture History 8 (2014), 227–245, here 230. 30 Heinz Steinitz, On the Distribution and Evolution of the Cyprinodont Fishes of the Mediterranean Region and the Near East, in: Bonner Zoologische Beiträge 2 (1951), no. 1–2, 113–124. My thanks to Dr. Benjamin Steinitz, Heinz Steinitz’ son, for drawing my attention to this publication. 31 Nurit Kirsh, Geneticist Elisabeth Goldschmidt. A Two-Fold Pioneering Story, in: Israel Studies 9 (2004), no. 2, 71–105, here 90. 32 According to Dr. Benjamin Steinitz, his father took English lessons during the mandate years and read the English-language newspaper The Jerusalem Post. 33 Arthur James Balfour, Speeches on Zionism, ed. by Israel Cohen, London 1928, 77 f.

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“One which would actually strike every person facing this problem is the problem of language. […] There is a great difference between Isaiah and micro-biology [sic]. Is the poetry and imagery of the language of Isaiah fitted to deal with all the laboratory work that is going to render that spot illustrious?”34

Through the efforts of Chaim Weizmann, who had laid the foundation stone for the University in 1918, the first institutes, namely for microbiology, biochemistry, as well as Jewish studies, were opened between 1923 and 1924.35 In the year of the inauguration, the pioneering zoologist in Palestine, Israel Aharoni (1882–1946), founded a zoological museum in Jerusalem,36 and a zoology department was established under the supervision of Bodenhei­ mer.37 Developing a strong science faculty was a priority for Weizmann, also in view of the development of Palestine as a whole.38 By 1934 the faculty naturally could not yet be a strong competitor to its counterparts in Europe, which Steinitz mentioned in a letter to Buchner: “At the university in Jerusalem the matter of my acceptance has not yet been resolved […]; the standards that are applied here are completely different than in Europe, and I became aware of this even more when, wholly against my expectations, my previous botanical experience, which unfortunately I have completely neglected and actually do not really possess, was not objected to.”39

When Steinitz was able to join the department as a senior scholar in 1936, he became part of the first generation of zoologists in the country. The limitations in terms of equipment, books, and number of students were exacerbated by the lack of qualified teaching and research staff. From mid-1934 onwards, however, the “refugee scholars”40 from Europe contributed to an upturn in this situation.41 The first rector of the Hebrew University, Hugo Bergman (1883–1975), went so far to say that “the development of the Hebrew University in Jerusalem was largely the work of the Aliyah from Cen-

34 Ibid., 79 f. 35 Roy MacLeod, Balfour’s Mission to Palestine. Science, Strategy, and the Inauguration of the Hebrew University in Jerusalem, in: Minerva. A Review of Science, Learning and Policy 46 (2008), 53–76, here 65. 36 Oded Shay, Zoological Museums and Collections in Jerusalem during the Late Ottoman Period, in: CLS Journal of Museum Studies 5 (2011), no. 1, 1–19, here 11. 37 The Alexander Silberman Institute of Life Sciences, (1 December 2019). 38 Shaik, A Tale of Two Mounts, 781 and 787. 39 NLI, Steinitz Archive, Arc.  4°1626/02/2, Heinz Steinitz to Paul Buchner, 1  April 1934 (Germ.). 40 Norman Bentwich, The Rescue and Achievement of Refugee Scholars. The Story of Displaced Scholars and Scientists 1933–1952, The Hague 1953, 56 f. 41 E. g. Niederland, The Emigration of Jewish Academics and Professionals from Germany in the First Years of Nazi Rule, 300.

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tral Europe”;42 Benjamin Mazar (1906–1995), later rector of the University, called the year 1933 the “turning point in the history of science and learning in Israel.”43 Although one has to take into account their respective biases, the “brain drain” in Central Europe during that same time supports their view. The difficulty of integrating these scholars into academic life at the Hebrew University lay in its very name, which reflected the objective of building up a secular institution of higher education for a Zionist community whose language should be Hebrew.44 Although this “commitment […] was quickly entrenched in the university’s constitution and regulations,”45 the assumption that they were rigorously implemented has been challenged.46 After all, it was certainly true for other spheres of the Yishuv that linguistic policy and reality did not always coincide.47 In its first decades, the Hebrew University was heavily influenced by German culture and language, both in research and administration.48 Only a minority among the teaching staff and student body had grown up with Hebrew as their mother tongue,49 and by 1948, there was still no professor at the University who was also its graduate.50 Those who dominated the University for several decades after its founding were scholars from German-speaking countries and/or universities – “de-facto acknowledged as the most privileged and promoted group

42 Mitteilungsblatt (MB) der Irgun Olej Merkas Europa, 5 May 1961, cit. in Curt D. Wormann, German Jews in Israel. Their Cultural Situation since 1933, in: Leo Baeck Institute Year Book 15 (1970), 73–103, here 86. 43 Aufbau, 25 July 1958, cit. in Wormann, German Jews in Israel, 85. 44 Liora R. Halperin, Other Tongues. The Place of “Lo’azit” in Hebrew Culture, in: Bruno De Nicola/Yonatan Mendel/Husain Qutbuddin (eds.), Reflections on Knowledge and Language in Middle Eastern Societies, Newcastle upon Tyne 2010, 228–247, here 236. 45 Bernard Spolsky/Elana Shohamy, The Penetration of English as Language of Science and Technology into the Israeli Linguistic Repertoire: A Preliminary Enquiry, in: Ulrich Ammon (ed.), The Dominance of English as a Language of Science. Effects on Other Languages and Language Communities, Berlin/New York 2001, 167–176, here 169. 46 Nina G. Kheimets/Alek D. Epstein, Languages of Science in the Era of Nation-State Formation. The Israeli Universities and Their (non)Participation in the Revival of Hebrew, in: Journal of Multilingual and Multicultural Development 26 (2005), no. 1, 12–36, here 21. 47 On the ambivalence between Zionist policy towards a uniform Hebrew society and the multilingual reality in the Yishuv, see especially Liora Halperin, Babel in Zion. Jews, Nationalism, and Language Diversity in Palestine, 1920–1948, New Haven, Conn., 2015; Zohar Shavit, “Can It Be that Our Dormant Language Has Been Wholly Revived?” Vision, Propaganda, and Linguistic Reality in the Yishuv under the British Mandate, in: Israel Studies 22 (2017), no. 1, 101–138. 48 Weiss, Rückkehr in den Elfenbeinturm, 231. 49 Kheimets/Epstein, Languages of Science in the Era of Nation-State Formation, 21. 50 Ibid., 33. Steinitz at that time had the status of an instructor and became professor only in 1968. In 1948, he was the only graduate of the Hebrew University among the zoology department’s academic staff; see table 2 in ibid., 23.

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of scientists”51 – who often lacked proficiency not only in Hebrew but also in English.52 At least in its early days, German was thus widely used among scholars for research and communication, although the language of instruction needed to be Hebrew.53 Therefore it was surprising to find a notebook in the archive containing a lecture on dyeing (Färbung) for the winter semester of 1945/46, entirely in German.54 At the time, Steinitz was teaching at the Teachers Seminar of the Kibbutz Movement in Tel Aviv and had become an instructor at the Hebrew University. It is very unlikely that he taught anywhere in Palestine in German, which means these notes might have served as a basis for a lecture in Hebrew. As he was proficient both in Hebrew and English relatively quickly, had written his thesis in Hebrew (with a native German supervisor), and, on paper at least, had significantly less difficulty with the linguistic challenge than many, if not most of his compatriots, the German lecture suggests that he did not go entirely without translation in his oral and written work. Moreover, it might also reveal the limitations that the application of Hebrew still had at the time. When Balfour mentioned the disparity between biblical language and that “fitted to deal with all the laboratory work,” he had made a valid point. The linguistic challenge posed to new immigrants was not only that their mother tongues provided them with more possibilities for expression than the language they needed to adopt, Modern Hebrew; they were also “required […] to become active participants in its creation.”55 Through his contributions to the Committee for Zoological Terms at the Academy of the Hebrew Language, the existence of which exemplified that the road from “Isaiah to microbiology” was still being paved in the first decades of statehood, Steinitz left traces of such active participation in his archive, even if his own use of Hebrew terminology was limited. The Academy of the Hebrew Language was established in 1953 as an “officially recognized institute of Hebrew language,”56 and successor to the Language Committee, which had its origins in the nineteenth century. One of the missions of the Academy even today is the creation of new Hebrew words and terms, including professional terminology. This is done through committees assembled from the various professions as well as members of the Academy, who compile lists of the relevant terms and submit them to the Academy for approv51 52 53 54 55 56

Ibid., 33. Wormann, German Jews in Israel, 76. Kheimets/Epstein, Languages of Science in the Era of Nation-State Formation, 33. NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/03/30. Shavit, “Can It Be that Our Dormant Language Has Been Wholly Revived?”, 102. The Academy of the Hebrew Language, Foundation of the Academy of the Hebrew Language, (1 December 2019).

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al.57 The Committee for Zoological Terms was established in 1957 by the Zoo­logical Society of Israel, which Steinitz had founded in 1936 together with colleagues Georg Haas and Otto Hecht (1900–1973).58 One year later, in 1958, the Committee agreed to bring to the Academy all their proposals for discussion and approval.59 Although Steinitz did not take part in the inaugural meetings, he was considered part of the Committee, whose members had been proposed by Menahem Dor (1901–1998).60 Stei­nitz’ main correspon­ dent concerning work with the Academy was Eli Eitan (1908–1993). Born Ernst Eisen in Munich, Eitan had received his doctorate from the University of Leipzig, and immigrated to Palestine in 1934. He was appointed scientific secretary of the Hebrew Language Committee in 1945 and continued his work in the Academy when it was founded.61 The first piece of correspondence is a postcard from October 1959, when Steinitz was invited to attend a Committee meeting in Tel Aviv the following month. There is no evidence that he joined the meeting, but he was invited again in May 1960, where the Hebrew names for Eilat fishes were to be discussed.62 In his reply, Steinitz let Eitan know that he had given his notes on the matter to Dor, who would pass them on to Eitan.63 After the meeting in May, there was another one in June,64 followed by a third one later that same year, the invitation for which came together with the request to invite along a colleague working on fish (“I do not remember […] Dr. [Jacob] Warman or Mr. [Yehudah] Werner”), who would be interested to join.65 The approval of names for Eilat fishes thus required a number of meetings and multiple reviews by way of circulating the proposals to the members of the Committee. Another invitation Steinitz received was for a discussion of names of chordates, based on a proposal by Dor and already discussed at another, smaller 57 Yehudah L. Werner, A Rational System of Vernacular Animal Names, as Exemplified by Hebrew Amphibian and Reptile Names, in: Applied Herpetology 2 (2005), no. 2, 187– 200, here 188 f. 58 Boschwitz, Professor Heinz Steinitz on His Sixtieth Birthday, 127. Otto Hecht was born in Germany, studied in Munich and emigrated to Palestine in 1933. Like Steinitz, he was also working as an entomologist in Reḥovot and studying in Jerusalem, from where he moved on to Mexico in 1945. 59 NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/45, Eli Eitan to the Members of the Academy of the Hebrew Language and Professionals, 9 June 1960. 60 Werner, A Rational System of Vernacular Animal Names, as Exemplified by Hebrew Amphibian and Reptile Names, 189. 61 The Academy of the Hebrew Language, Eli Eitan, 21 April 2016 (Heb.), (1 December 2019). 62 NLI, Steinitz Archive, Arc.  4°1626/02/45, Eli Eitan to Dr.  Barash, Dr.  Ben-Tuviah, Dr. Dor, Fishelson, Prof. Steinitz, 10 April 1960. 63 Ibid., Heinz Steinitz to Eli Eitan, 13 April 1960. 64 Ibid., Eli Eitan to the Members of the Committee for Zoological Terms, 7 June 1960. 65 Ibid., Eli Eitan to Heinz Steinitz, [postcard stamped to 29 June 1960] (Heb.).

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meeting.66 Steinitz was asked to review the accompanying list and contribute his suggestions. On this list he made handwritten notes, replacing for example the suggested translation for Chordata (ba’aley meiter, meitranyim) with meitranim, the term under which it is known today. Another example from this list are Urochordata, a subgroup of Chordata, which on the list were translated with ba’aley meiter znav, crossed out by Steinitz, and replaced with meitraney znav.67 Steinitz also seems to have been involved in the terminology for mammals, on the proposal for which he was to comment.68 The attached list not only indicates the binomial nomenclature (the scientific name), but also the German, English, French, and Russian terms, followed by suggestions for a Hebrew equivalent.69 Steinitz’ work on terminology for Eilat fishes was probably his last with the Academy. He declined a request to join the Committee to decide on names for freshwater fish in 1964 because of other commitments.70 Steinitz’ participation in the development of zoological terminology in Hebrew was limited compared to that of colleagues like Dor. Though he submitted his suggestions and revisions, he probably did not attend the meetings themselves. To his involvement in the Committee testify continuous invitations as a member, and the lists he received. Although neither a priority nor a lengthy engagement, this context renders the titles and descriptions he himself gave for notebooks, files, and related papers more significant: Did he use their (new) Hebrew name for the species, the German or English one, or their scientific name? To that end, by using the system and labels already in place, rather than assuming, for example, a disciplinary interest, the archivist kept the process of term formation traceable: As far as possible they keep titles, add descriptions in the majority language, and record that a file is, for instance, on molluscs rather than on rakikhot. By following this trace, one could investigate whether terminology changed once a name was approved by the Academy and published by the Ministry of Education.71 Steinitz’ attitude towards Hebraization was not absolute – unlike Eitan, he did not He-

66 Ibid., Eli Eitan to Heinz Steinitz, 15 May 1960. 67 Ibid., Haẓa’at shemot le-kvuẓot ba-aley ḥayim [Proposal of Names for Animal Groups]. 68 Ibid., Eli Eitan to the Members of the Academy of the Hebrew Language and Professionals, 9 June 1960. 69 Ibid., Yonkim. Mammalia [Mammals] (list of names in the appendix to the letter from 9 June 1960). 70 Ibid., Eli Eitan to Heinz Steinitz, 5  February 1964; ibid., Heinz Steinitz to Eli Eitan, 12 February 1964. 71 For a detailed description of the process of coinage and approval, see Werner, A Rational System of Vernacular Animal Names, as Exemplified by Hebrew Amphibian and Reptile Names.

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braize his own name – but he did favor Hebraized terms in the scientific and professional sphere, especially so in a country of immigrants.72 Beyond Steinitz’ own active involvement, his scientific papers document a process of (literal) translation more than a decade after the establishment of the State. If, in Liora Halperin’s words, “to find a Hebrew word for a foreign concept was to give it a Hebrew cultural existence,”73 then Steinitz participated in giving a Hebrew existence to zoology. The importance of the Academy’s linguistic work in fully reviving and consolidating Hebrew in all spheres of the community was heightened when English replaced German as the scientific lingua franca after 1945, becoming an essential medium of academic life at a quick pace. Thus, not only were universities in Israel no agents in the revival of Hebrew,74 the networks forged by their academics with colleagues all over the world provided a pathway for English terminology into Hebrew.75 Although Steinitz was clearly supporting the development of Hebrew vocabulary, actively until 1964, he was a prime example of successful international collaboration. He adapted to the changing scientific developments quickly, spending the years from 1951 to 1953 on sabbatical at Yale University and publishing in English early on. At the same time, however, he also looked “backwards” to re-establishing a network with German colleagues, likely as one of the first scientists at the Hebrew University to do so.

“Contact despite All that Happened”: Heinz Steinitz’ Scientific Connection to Germany Although much can be gleaned from co-authored publications, travel diaries, and photographs in order to unravel a network involving several countries, the benefit of a correspondence as vast as Steinitz’ is unrivalled for a thorough understanding of how a connection came about, how it progressed, and whether it had an “ending.” Concerning Steinitz’ biography in general, the archive reveals the “before and after” of 1933 less explicitly than implicitly by way of changes of letterheads (Berlin to Petaḥ Tikwa), professional field (medicine to zoology), and papers that document Stei­ 72 Steinitz’ rapid acquisition of Hebrew testifies to such an attitude, as does his work with the Academy, but it was Benjamin Steinitz who confirmed this. 73 Halperin, Other Tongues, 238. 74 Kheimets/Epstein refer to Anita Shapira, The Zionist Labor Movement and the Hebrew University, in: Judaism. A Quarterly Journal of Jewish Life and Thought 45 (1996), no. 2, 183–198. 75 Halperin, Other Tongues, 246.

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nitz’ German origin in a birth certificate or diploma. Although there are letters by which he sought out other opportunities for continuing his training abroad, among them Iran, there are no papers relating to the practical matters of relocation (such as tickets). It is his correspondence, specifically with colleagues in Breslau and Berlin, that bridges this time on the one hand in its back reference, on the other hand in a continuation of contact that covers the very period of emigration. This continuation also softens the rupture, making it seem as though the translation was merely geographical. There is no such bridge discernible in the rupture from the second half of 1938 to 1946. The scientific collaboration Steinitz cultivated with German colleagues and institutions during the 1930s came to a complete standstill. And although it was picked up again soon after the war, issues that would fall between 1938 and 1945 were rarely discussed.

Old Contacts Steinitz’ correspondence with Germans during the 1930s was predominantly concerned with the procurement of information and determination (e. g. bibliographies, classification), materials (e. g. chemicals), and other resources. This was due to the fact that the availability in Palestine of what he required for his work and research, including research literature, was very limited. In a letter to Walter Arndt of the Berlin Zoological Museum, he described how the shortage of literature was so severe that it was impossible for them to identify specimens of a number of animal groups.76 In exchange for the classification of insects, he would happily, and as far as possible, “fulfil any wishes regarding Palestinian specimens of any group of insects.”77 Arndt replied with a referral to specialists at the museum and indeed asked a number of questions concerning sponge fishing in Palestine. The correspondence continued until mid-1936 and included Arndt sending books from the museum’s library and photocopies to Steinitz.78 This correspondence serves as an example for the way Steinitz collaborated with colleagues in Germany to alleviate the shortages he experienced, but it also illustrates how location was a factor that affected zoological research at the time. This is even more evident in an exchange with “Mich. J. Ass,” assistant at the Military Medical

76 NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/1, Heinz Steinitz to W[alter] Arndt, 21 April 1935 (Germ.). 77 Ibid. 78 The last letter in the file is W[alter] Arndt to Heinz Steinitz, 5 June 1936.

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Academy in Leningrad.79 In May 1933, still based in Berlin,80 Steinitz wrote with an inquiry on Siricidae, which Ass answered the following month.81 In the meantime, however, Steinitz had already moved. He wrote that in the foreseeable future he would not be able to work on Siricidae, although his interest in the subject was by no means diminished. He had decided to remain in Palestine and had managed to find work (unlike many other immigrants) in pest control.82 In both these cases it seems as though there was some form of prior acquaintance, which points to a well-connected zoological community. It would probably have been difficult to contact a colleague without an introduction by someone else, including the provision of an address. In the cases of Buchner and Anton Koch (1901–1978), Steinitz had a documented history of working with both. Buchner, as mentioned, was his first doctoral supervisor in Breslau; Koch was another Schüler83 of Buchner’s. Both these exchanges are interesting because they continue until quite late in the 1930s, and Koch’s is probably the first letter Steinitz received from a German colleague in Germany after the war, in January 1946. Both also knew and corresponded with Steinitz’ parents. A letter to Koch written from Berlin, with which he takes his leave, is one of the rare instances in which he mentioned reasons for his departure: “You may have heard from my mother that in a very short time I will go to Palestine with my wife in order to build my future there. After they forced us to give up our positions following a very short internship time, we obviously did not find any new job opportunities. The chances for that to happen are still so small that we want to try to finish our training in Palestine.”84

Koch replied a month later, wishing him all the best and hoping Steinitz would get used to the conditions in Palestine quickly.85 The correspondence continued until December 1937, though not all letters have been transmitted, as Koch’s last letter shows.86 It also reveals an exiled Breslau circle in Pales79 In a letter to Anton Koch, Steinitz mentions this “Russian zoologist,” who was having trouble himself finding off-prints of Paul Buchner’s papers. See NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/8, Heinz Steinitz to Anton Koch, 19 May 1933 (Germ.). Further information on Ass could not be found. 80 Ibid., Arc. 4°1626/02/1, Heinz Steinitz to Mich. J. Ass, 2 May 1933. 81 Ibid., Mich. J. Ass to Heinz Steinitz, 14 June 1933. 82 Ibid., Heinz Steinitz to Mich. J. Ass, 16 December 1933. 83 Literally “pupil,” but it refers to the graduate student of a professor who often belongs to a specific school. The institute in Breslau, for example, was apparently known as the “symbiosis school,” though to Steinitz this was the “Buchner school.” See ibid., Arc. 4°1626/02/2, Heinz Steinitz to Paul Buchner, 19 August 1951 (Germ.). 84 Ibid., Arc. 4°1626/02/8, Heinz Steinitz to Anton Koch, 19 May 1933 (Germ.). 85 Ibid., Anton Koch to Heinz Steinitz, 14 June 1933. 86 Ibid., Anton Koch to Heinz Steinitz, 31 December 1937.

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tine that was still interested in what was going on in their former academic home, but whose link became weaker over time, to be severed completely around 1938. When, after the war, Koch wrote again, he fell back on this network and inquired in a curiously eager way after the addresses of their colleagues in Palestine and the United States.87 He opened the letter saying that he had learned of Steinitz’ address “only now” from a Ms. Hanna Schüller, most likely another colleague from Breslau, and hoped that after such a long time he could again correspond with Steinitz and his father. Apparently, Steinitz had been in touch with Schüller and had inquired after Buchner, who, Koch informed him, was “still sitting on Ischia (Napoli).” He continued by recounting the past few years and his current situation: “During the two years before the end of the war, I was in Danzig, where I directed the Zoological Institute of the T[echnische] H[ochschule] u[nd] Med[izinische] Akademie as successor to Weber. We had a lovely time there, we lived in Zopot and unfortunately had to abandon everything when the Russians came. Currently, I am without employment and have to wait for my political purge [politische Säuberung] before I am worthy again to hold a public office. […] Everything is just really difficult under the current circumstances! Is Mr. Aschner still in Jerusalem? I would like his address. If you see him, tell him that the poor Ries was killed on Crimea […]. Also convey greetings to the Priebatschens and Mr. Hecht, my old friend from university. Hopefully, they are all still alive. May I also ask for your father’s address?”88

The letter is peculiar for various reasons, not least for the language Koch employs. It is likely that he was trying to contact former colleagues in order to hasten his political acquittal, for which he uses a somewhat decontextualized term. The names and places (Palestine, the United States, England) he mentioned illustrate the widespread emigration from what must have been a vibrant academic circle in Breslau. There is no copy of a reply to Koch in the file, and it is likely Steinitz never wrote one. Although there are gaps in his correspondence, Steinitz usually filed copies of his own letters, even handwritten ones. In a letter from Buchner, however, we can see that he had expressed concerns about Koch’s past to their mutual advisor. Here we know that the letter Steinitz wrote has not been transmitted, but Buchner apparently responded to something Steinitz had brought up: “With regard to Koch, his former Nazism [Nazitum] should not be taken so tragically. As a [?] he

87 Ibid., Anton Koch to Heinz Steinitz, 13 January 1946 (Germ.). 88 Ibid.

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after all had to be in the party – only we old fellows were not coerced, thank God – and to get a professorship, it was indispensable.”89 Here, too, it was not Steinitz who had initiated the renewed correspon­ dence after their last exchange in 1937. Buchner wrote in January 1947 that he had heard from Schüller and Koch about Steinitz’ inquiries and saw this as an opportunity to write to his former student: “Gradually all the threads are being tied again, as far as death has not severed them forever.”90 There are no letters from Steinitz to Buchner in the file until 1949, so either they were not copied for the folder, or they were left out on purpose, which may be the case for Koch as well. The 1948 War and Steinitz’ military service also explain a break in his correspondence. Buchner remained a regular correspondent and the renewed relationship included a visit by Steinitz in the late 1950s. The Buchner Schüler in Israel also tried to get their former mentor and colleague to come to Israel for a lecture, which Buchner was uneasy about. He thought his English not good enough and was aware of the boycott of the German language at the time.91 Steinitz responded that he did not think “the German language a really decisive obstacle to a lecture on your part. Exceptions have been made before!”92 Buchner was not convinced. The topic came up again, and in 1955 Buchner wrote to Manfred Aschner that he would still be glad to come to Israel, “only after what you write, I have serious concerns whether it is not better, considering the for me all too comprehensible mood, to abstain from it after all. You will understand that I do not like to expose myself to unfriendliness, and I do not want you to be seen in a bad light, either.”93

Buchner was obviously pleased that the threads with his former students, as well as colleagues like Walter Steinitz, had been tied again. Yet he wrote to Heinz Steinitz only after learning that the latter had inquired about him, which could suggest unease he felt not only about visiting Israel, but also about contacting his student. His attempt at exculpating Koch may have stemmed from embarrassment, and it is not entirely clear that it worked. Steinitz and Koch continued to correspond only with regards to publications in honor of Buchner, which Koch organized. Yet many years later, Steinitz wrote on the occasion of his father’s death, telling Koch that, during his last visit to him, they had spoken much about Koch and his family: “You know how valuable your friendship was to him. The Breslau circle of colleagues was so much 89 Ibid., Arc. 4°1626/02/2, Paul Buchner to Walter Steinitz, Heinz Steinitz, n. d. [1947], 1 (Germ.; emphasis underlined in original). 90 Ibid., Paul Buchner to Heinz Steinitz, 24 January 1947 (Germ.). 91 Ibid., Paul Buchner to Heinz Steinitz, 10 August 1950. 92 Ibid., Heinz Steinitz to Paul Buchner, 20 September 1950 (Germ.). 93 Ibid., Paul Buchner to [Manfred] Aschner, 19 December 1955 (Germ.).

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to his liking because he found in it intellectual support and enrichment of thought.”94 This, of course, was eighteen years after the war had ended and Steinitz was probably reaching out for the sake of his father. Yet the very positive Breslau memories he evokes, how important this had been to his father, leaves a void in which one cannot but recall the way it had ended.

New Contacts The correspondence with Buchner was based on a shared past in Breslau and the reason for the renewal in their acquaintance was not for scientific purposes. Their respective research paths had diverged – Buchner was still working on symbiosis while Steinitz had left that field behind – but they continued corresponding over the years to exchange scientific knowledge, help out with manuscripts and resources, and write about their work.95 But since Steinitz’ research direction had changed, he needed to extend his network beyond the Breslau circle in order to collaborate. He wrote to Buchner about one of his earliest new connections: “[Curt] Kosswig is coming to visit us over the next days. After several years of correspondence on zoogeographic problems, which concern us both equally owing to our shared geography, and following multiple exchanges of animal material, we thought that a continuation of our discussion would better be done in person. We, therefore, had our rector invite Kosswig […].”96

In 1950, collaborating with a German colleague was exceptional for an Israeli scientist  – and moreover, to have done so already for several years. Curt Kosswig (1903–1982) had emigrated from Germany in 1937 and joined the University of Istanbul. In 1955, he took up the chair in zoology at the University of Hamburg and became the director of its Zoological Institute.97 The scientific collaboration between Steinitz and Kosswig progressed into a friendship that extended beyond Kosswig’s retirement in 1969, documented in a correspondence which to examine in-depth would go beyond the scope of this article. The first transmitted note from Steinitz to Kosswig in Istanbul is from April 1946 and concerned the determination of fish and histological work. Previously Steinitz had published a paper in the Revue de la Facul-

94 Ibid., Arc. 4°1626/02/8, Heinz Steinitz to Anton Koch, 19 December 1963 (Germ.). 95 Buchner was also a point of contact for confirmations regarding Steinitz’ restitution matters. 96 Ibid., Arc. 4°1626/02/2, Heinz Steinitz to Paul Buchner, 15 April 1950, 2 (Germ.). 97 Ute Deichmann, Biologists under Hitler, transl. by Thomas Dunlap, London/Cambridge, Mass., 1996, 49.

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té des sciences de l’Université d’Istanbul in 1944 (with Mendelssohn), and again in 1949 and 1950;98 about the acceptance of the third publication he heard from Kosswig himself.99 Whether, as Steinitz had mentioned to Buchner, Kosswig really visited in 1950 could not be verified in the archive. However, Kosswig did relate having come in 1951 at the invitation of the Hebrew University, represented by Steinitz, Haas, and [Karl] Reich, in order to give lectures at the Department of Zoology, tour the Galilee, and visit the “Station in Eylath”100 – which was not established until 1968, but Steinitz at the time was already working on the plans and trying to secure funding at home and abroad. Kosswig was invited again in the spring of 1956, this time by the vice president of the Hebrew University.101 By then, he was already full professor at Hamburg University. Kosswig’s background as a pre-1938 German emigrant and his introduction to Steinitz as a professor in Turkey must have eased initiating collaboration and may even have established commonality in their background. Maybe Steinitz did not know at the time that Kosswig had been a member of the SS from 1933 to 1936,102 or if he did, considered his emigration to upstage this fact. It could not have been easy to know about people’s backgrounds so shortly after the war, however, without the information of mutual contacts or their own witness. The fact that not only individual scientists at the University but the institution itself invited Kosswig already at the beginning of the 1950s is remarkable. Considering Israel’s cultural boycott of Germany after the war – what Steinitz called a “slightly unfortunate official cultural policy”103  – Israeli scientists who invited or collaborated with German colleagues had to brace themselves for strong criticism,104 which is what Buchner predicted in his letter to Aschner mentioned earlier. Yet that “German tourists or visitors did

 98 Heinrich Mendelssohn/Heinz Steinitz, Contributions to the Ecological Zoogeography of the Amphibians in Palestine, in: Revue de la Faculté des sciences de l’Université d’Istanbul. Série  B: Sciences naturelles  9 (1944), no.  4, 289–298; idem., Contributions to the Knowledge of the Blenniidae of the Eastern Mediterranean, in: ibid., 14 (1949), no. 2, 129–152; 14 (1949), no. 3, 170–179; 15 (1950), no. 1, 60–87.  99 NLI, Steinitz Archive, Arc.  4°1626/02/2, Heinz Steinitz to Paul Buchner, 9  April 1949 (Germ.). 100 Ibid., Arc. 4°1626/02/9, Curt Kosswig to the Consulate of the Federal Republic of Germany in Cologne, 9 July 1956. 101 Ibid. 102 Deichmann, Biologists under Hitler, 25. 103 NLI, Steinitz Archive, Arc.  4°1626/02/18, Heinz Steinitz to Carl Schlieper, 5  February 1962 (Germ.). 104 Ute Deichmann, Collaborations between Israel and Germany in Chemistry and the Other Sciences. A Sign of Normalization?, in: Israel Journal of Chemistry 55 (2015), no. 11–12, 1181–1218, here 1201.

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not come to Israel,”105 even after the Luxemburg Agreement was signed in 1952, cannot be stated as a categorical fact. With regard to the opposite direction – visiting Germany as an Israeli national – the Steinitz archive again reveals a different narrative than that “visits by Israeli nationals to Germany […] were unheard of.”106 Through the initiative of Kosswig, Steinitz was invited in June 1960 to be a visiting professor of zoology at the University of Hamburg for the winter semester of 1960/61, focusing on developmental physiology. Travel costs were covered by the German Academic Exchange Service (DAAD), which Kosswig had already settled.107 Steinitz accepted the invitation shortly thereafter, provided the Hebrew University grant him a sabbatical.108 The relatively unusual nature of this undertaking is not illustrated by the exchange between Steinitz and Dean Erich Otremba, but in Steinitz’ request for an Einreisegenehmigungs-Zusicherung (guarantee for an entry permit) issued by the police headquarters in Hamburg.109 This was necessary for the British Consulate in Haifa, which was serving as consular authority for the Federal Republic in Israel until the establishment of diplomatic relations in 1965. Beyond the fact that a lengthy exchange took place even before the respective countries connected again officially, Steinitz was now returning as an Israeli national without German citizenship, to be a visiting professor. His transition had come full circle, and for a short time frame, his archive thereby documents Israeli history in Germany. Steinitz’ semester in Hamburg opened up new opportunities for scientific cooperation with Germans, despite his verdict to a German-speaking colleague in Israel that “a pleasant bunch they are not, the Germans, but industrious they still are” (“Ein sympathisches Völkchen sind sie nicht, die Deutschen, aber tüchtig sind sie immernoch”). His most notable and long-lasting110 new contact was Hennig Stieve (1930–2018), from a younger generation, who was working on his habilitation at the Institute in Hamburg during Steinitz’ stay there, before he moved on to build up a zoology department in Aachen. The correspondence that followed seems less concerned with science than with their lives and work, and often it was Stieve’s wife Britta (Brigitte) who wrote for the family. The children were obviously quite

105 Hanan Bar-On of the Weizmann Institute of Science, 1998, cit. in Ari Barrell/Ute Deichmann, Internationality as Moral Challenge and Practical Success. The Origin and Early Development of the Israeli-German Collaboration in the Sciences, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 15 (2016), 341–369, here 343. 106 Ibid. 107 NLI, Steinitz Archive, Arc.  4°1626/02/47, [Erich] Otremba to Heinz Steinitz, 15  June 1960. 108 Ibid., Heinz Steinitz to [Erich] Otremba, 24 June 1960. 109 Ibid., Heinz Steinitz to His Spektabilität [Dean Erich Otremba], 27 September 1960. 110 The Steinitz family has been in contact with the Stieve family until today.

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taken with their Israeli friends, as their attempts at words written in Hebrew show.111 Steinitz took up their vocabulary exercises in the next letter, writing their names, animals, and “shalom” in Hebrew letters at the bottom of the page.112 The relationship between the families also included visits, with Steinitz coming to Aachen in 1968113 and Hennig Stieve visiting Israel in 1971, shortly before Steinitz’ death.114 The autumn of 1960 was not the first time Steinitz had been back in Germany, or Hamburg, after the war. As mentioned at the beginning of this article, he was planning to spend the summer in Europe in 1956, which in the end was postponed to 1957. In order to organize a research visit to Berlin he wrote to Heinz Wermuth (1918–2002) of the Department of Amphibians and Reptiles at the Zoological Museum, outlining his intention to re-examine amphibians and fish at the Museum. Wermuth was the only address he had, since he neither knew the director nor the curator of the fish collection.115 Although a previous acquaintance between Steinitz and Wermuth is unlikely, the latter responded as to an old friend: He heard “with great joy” that Steinitz “wanted to give [him] the pleasure of a visit,” and welcomed him as a “dear guest.”116 He would organize everything for Steinitz’ research at the museum, which was “unfortunately situated in the part of Berlin occupied by the Russians.” He continued by explaining that this, however, required no formalities, no special passport, or the like. He assured him that he would “guarantee for [Steinitz’] personal safety.” Wermuth’s letters continue in a similar, exuberant manner at the prospect of Steinitz’ visit, and afterwards at the memory of it. Although the correspondence between Steinitz and Wermuth (and his wife) continued until the early 1960s, it gives the impression of being prompted more by Wermuth. Yet this exchange actually provides some of the most profound insights into what Steinitz experienced on his first visit back to Berlin since leaving in 1933. In a letter from Stuttgart, thanking the Wermuth couple for their hospitality, he wrote: “I came, after so much inhumanity in Berlin, in order to objectively devote myself to scientific questions. I am infinitely grateful to also have found humanity again.”117 Wermuth’s immediate reply expresses his own gratitude:

111 NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/41, Britta and Hennig Stieve to Ruth and Heinz Steinitz, n. d. [between 1967 and 1968]. 112 Ibid., Heinz Steinitz to Stieve Family, 29 December 1968. 113 Ibid., Arc. 4°1626/01/38, Travel. International Travel 1957–1970. 114 Ibid., Arc. 4°1626/01/39, Visitors from Abroad, 1961–1971. 115 Ibid., Arc. 4°1626/02/22, Heinz Steinitz to Heinz Wermuth, 4 May 1957. 116 Ibid., Heinz Wermuth to Heinz Steinitz, 24 May 1957 (Germ.). 117 Ibid., Heinz Steinitz to Heinz Wermuth, 4 August 1957 (Germ.).

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“Our very special thanks, however, belong to your gift, which is one of the most precious [köstlichsten] of human life, because the giver had to bring himself to it and the receiver could not hope to get it: The all conventional surpassing human contact despite all that happened.”118

The Wermuth correspondence is surprising in its directness about past events, the current political situation in Berlin, and the perception of a collective German guilt – or rather a lack thereof.119 Possibly a more widespread assertion made by Germans to their Israeli colleagues was that of their own victimhood,120 although Wermuth’s letters – after Steinitz’ visit – acknowledge that this extended to his correspondent, something that Koch’s letter in 1946 failed to do. Wermuth, in fact, could not quite believe that Steinitz would willingly and happily return to Germany when he wondered whether Steinitz would accept an invitation from Wermuth and his colleagues if they asked.121 Certain unease is noticeable, not only in Wermuth’s enthusiasm and reminiscences of Steinitz’ short visit, but also in his qualms about Steinitz’ attitude towards Germany. In his reply, Steinitz reminded Wermuth that it was he who had taken the initiative the previous year to come to Berlin, and that Wermuth’s concerns were unfounded.122 The invitation did not come about for different reasons, and neither did another meeting probably. The existing correspondence, despite an unequal and maybe not entirely comfortable relationship, gives a rare hint of his “non-scientific” experience with Germany. When it came to visits by German nationals to Israel, Steinitz’ letters to Carl Schlieper (1903–1989) of the University of Kiel give evidence of his views. He tried several times to get Schlieper, as well as his colleagues and students, to come to Israel, “so that problems in common fields of interest are worked on, so that old contacts can be sustained, and new ones initiated.”123 He continues saying that such contacts should not be fostered only in one direction: “Complete success can only be expected if both travel directions are taken advantage of.” Schlieper’s reservations were obviously connected to the past. In a previous letter, expressing his hope that both Schlieper and his wife Edith would come to visit at the first opportunity, Steinitz emphasized 118 Ibid., Heinz Wermuth to Heinz Steinitz, 9 August 1957 (Germ.). 119 Ibid., Heinz Wermuth to Heinz Steinitz, 18 March 1958. 120 In his article on the correspondence between Jacob Wahrman, German-born Israeli geneticist, and German scientists after the war, Amos Morris-Reich describes that “Wahrman’s interlocutors present themselves to him as docile victims of current harsh realities.” See idem., The “First Letters” of Jacob Wahrman, in: Leo Baeck Institute Year Book 61 (2016), 199–218, here 208. 121 NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/22, Heinz Wermuth to Heinz Steinitz, 21 October 1958. 122 Ibid., Heinz Steinitz to Heinz Wermuth, 1 November 1958. 123 NLI, Steinitz Archive, Arc. 4°1626/02/18, Heinz Steinitz to Carl Schlieper, 24 November 1968 (Germ.).

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that they also had “some good and faithful” friends among the older generation who deserved recognition – he would be sorry to miss the opportunity to demonstrate this fact to his fellow countrymen, he writes.124 Steinitz’ German contacts examined here are not the only ones he corresponded with; yet these examples are by no means representative of his correspondence as a whole. Especially following his sabbatical at Yale, his international collaboration centered around the United States, which illustrates the changes both in the dominant language and the most important hubs for the sciences – in Steinitz’ case marine biology – after 1945. The early renewal of correspondence with Germans, however, stands out for political-historical reasons, rather than scientific ones. His colleague Francis Dov Por (1927–2014) wrote in his obituary that “Steinitz did not distinguish between friend or foe when it came to science,” and “searched for possibilities of across-the-border scientific cooperation” until his death.125 Steinitz was keen to collaborate again very early, although he factored in background and attitude. He translated scientific necessity into action by reaching out after 1933, to develop the curriculum at the Hebrew University he asked for syllabi from the University of Hamburg,126 and, most importantly, he secured funding (notably from the DFG) and support (e. g. Kosswig) for the research station in Eilat, his life’s project.

Concluding Remarks The duality of an archivist’s capacity and a researcher’s interests entails a similar aim but a different method. A truism, yet the practical application requires constant carefulness not to delve into documents more than necessary, but still understand context, links, and significance. Although the process of cataloguing such an extensive and varied correspondence as that of Steinitz was no different, already a first superficial engagement with it revealed clues and tendencies based on properties such as language, tone, frequency, volume, and date range. Thus, even without reading every letter, a difference in tone was noticeable, for example, between the letters to Curt Kosswig and those to other colleagues. The correspondence with Kosswig exposed that there was indeed a long-standing connection that started with overlapping research interests, involved visits, and institutional cooperation, 124 Ibid., Heinz Steinitz to Carl Schlieper, 20 January 1968 (Germ.). 125 Por, Heinz Steinitz in Memoriam, 272. 126 NLI, Steinitz Archive, Arc.  4°1626/02/47, Heinz Steinitz to Friedrich-Karl Zechlin, 12 July 1961.

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becoming much less formal over time. The perception of Kosswig’s having been a close acquaintance, or even a friend, based on the material extant in the archive was confirmed by Steinitz’ son, who in turn had his personal experience to support him, rather than an archive. This example reveals the layers that are involved in locating knowledge, and how the recording of information influences expectations and therefore the direction of a research question. This article has followed the path of translation in the archive of Heinz Steinitz with a focus on the particular way this manifested itself in terms of language and in bridging contact and cooperation before and after the war. Guiding these various transfers in Steinitz’ life were on the one hand his occupation and research, on the other hand the historical events of the twentieth century. Beyond the person, therefore, Heinz Steinitz’ archive is part of larger contexts, such as German-Jewish history or the history of science in Palestine/Israel. Whereas the history of chemistry at the Hebrew University, and even that of anthropology and physics, has been the subject of academic studies, the history of zoology as a discipline in Israel has hitherto been neglected. Heinz Steinitz’ archive, and that of Heinrich Mendelssohn, provide enough resources to gain ground. This extends also to the question of scientific collaboration on an international level. The correspondence between Steinitz and German scientists after 1945 has many parallels to that of German-born Israeli geneticist Jacob Wahrman, who was initially affiliated with the Zoology Department. In their article on his early contacts, Amos Morris-Reich and Sharon Livne argue that “the semi-official narrative that implies that the [Wolfgang] Gentner delegation [of the Max Planck Society in 1959] initiated scientific relations must be modified.”127 The Steinitz archive contains enough evidence to support this argument. Although Morris-Reich cautions not to take the Wahrman correspondence as typical for relations between Israeli and German scientists,128 which is true also for the Steinitz correspondence, its tendency could adjust a particular historical narrative. Returning to Steinitz’ quest for a Gesamtbeurteilung of Marcus Elieser Bloch that would include his life and his personality, what is the potential for such an assessment of Heinz Steinitz through his archive, beyond his scientific legacy? The archive is an abundant biographical source, but as an exclusive one, it is limited. “The prosaic truth of ‘estates’” – of Nachlässe, of what someone has left behind – is that “archival memory does not contain a per-

127 Sharon Livne/Amos Morris-Reich, Early Contacts in Genetics, 1949–1965. A Historical-Sociological Perspective, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/Simon Dubnow Institute Yearbook 15 (2016), 371–398, here 397. 128 Morris-Reich, The “First Letters” of Jacob Wahrman, 213.

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son, only forms.”129 The meticulousness with which Steinitz archived professional, scientific, or academic matters renders the near absence of emotional, personal, or political expression all the more conspicuous. The references that were made (or transmitted at least) in his correspondence with Germans are especially astonishing in their restraint and make the unusually revealing remark to Wermuth about his feelings regarding his return to Berlin even more informative. Steinitz’ pragmatic and seemingly unemotional approach to his professional life as it manifests itself in his archive, however, leaves the assessment incomplete. The archive is formed by the documentation of this life as “a sort of cosmos,”130 in which traces of historical, scientific, and linguistic developments are discovered.

129 Wolfgang Ernst, Das Archiv als Gedächtnisort, in: Knut Ebeling/Stephan Günzel (eds.), Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künsten, Berlin 2009, 177–200, here 179. 130 Von Bülow, Nachlässe, 148.

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The Heinz Steinitz Marine Biology Laboratory in Eilat: Science and Politics between Father and Son When one deals with the history of science, the biography of a scientist generally provides a rich source of the beliefs, standards, and transformations of his or her time, not to mention its groundbreaking discoveries and inventions. The history of scientists’ laboratories would, however, seem to be less fascinating. One may reasonably assume that scholars are closely connected to their laboratories, but rarely does one find that a single laboratory illuminates the life of not one but two scientists, and at the same time embodies the changes in the geopolitical history of an entire region.1 This, however, is the case with the Eilat Marine Biology Laboratory (also known as the Eilat Sea Station) and its founders Walter and Heinz Steinitz. The establishment of the laboratory on the shore of the narrow gulf of the Red Sea at Israel’s southernmost point represents an interesting case of German-Jewish migration to Mandatory Palestine and illustrates the story of Israel’s emergence as a recognized scientific center in the international scientific world. The close connection between science and technology and the Zionist movement was suggested in the early writings of Theodor Herzl and can be traced back to the maskilim of the nineteenth century. The mission of creating a “new Jew” alongside the aspiration of reviving the ancient Jewish homeland as a modern Western country implied the need to promote scientific development in every field.2 However, given its mission to advance the Jewish people both as individuals and as a collective and to realize and sustain the national project, Zionist science was constantly suspected of being biased or at least motivated by external factors. The deep involvement of scientists such as Chaim Weizmann and Arthur Ruppin in the Zionist movement made it particularly difficult to distinguish between “pure” and politically oriented scientific motivation at a time of nation-building, if such a distinction can be

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An interesting source of comparison would be Aaron Aaronson and his Agronomic Experimental Station in Atlit, established in 1910. See Saul Katz, Aharon Aharonson. The Beginnings of Agricultural Science and Research in Eretz-Israel, in: Cathedra. For the History of Eretz Israel and Its Yishuv 3 (1977), 3–29 (Heb.). Noah Efron, Zionism and the Eros of Science and Technology, in: Zygon 46 (2011), no. 2, 413–428. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 16 (2017), 473–496.

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made at all.3 This dual commitment toward “Zionist” and “Israeli” science produced a number of interesting cases and conclusions. What is historically of the greatest interest about the Eilat Laboratory derives from the fact that neither its location nor the nature of the research conducted there can be detached from the world outside. This claim is supported by the two main idiosyncratic features of the laboratory that make it unique in the field of research and science: First, the specific discipline of marine zoology conducted at the laboratory, which is largely dependent on the physical location of study with its water and soil, means that the research is greatly impacted by the geopolitical environment in which its scholars operate. Contrary to most fields in the humanities or even to physics or chemistry, one cannot explore the sea fauna of a particular locale solely within the four walls of a laboratory. Second, four different states border on the Gulf of Eilat/Aqaba, and during much of the period addressed here three of those were in a state of war with Israel. The use of either the term “Gulf of Aqaba” or “Gulf of Eilat” in the research literature to this day exemplifies the complex nature of this region.4 Moreover, with regard to the changing political geography of the region, the differences ­between Mandatory Palestine, Israel before the Six-Day War, and Israel after 1967 have dramatically influenced the potential and development of scien­ tific research in the area. Therefore, the initial question raised by the case of the Eilat laboratory is not how ideological and political motives guided the scientific research conducted there but rather in which ways, given the inherent scientific value of the specific location, the political and ideological developments enabled and shaped the research. This article covers a period of fifty years that witnessed many twists and turns in Zionist history. It seeks to demonstrate how changing goals and the endeavors to achieve them shaped the process of establishing the Eilat ­Marine Laboratory. In addition, the story of the station that began as the idea of a young and enthusiastic Zionist scholar in 1919 and was later realized by his son in 1968 enables an exploration of what a determined individual can achieve in the midst of world-changing events. The personal aspect looms large here, since the principal source for this article is the archive of Heinz Steinitz and his father Walter. The Marine Biology Laboratory in Eilat features prominently in this archive, from Wal-

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Ari Barell, Engineer-King. David Ben-Gurion, Science and Nation Building, Beer Sheva 2014, 3 f. (Heb.). 4 Francis Dov Por, A Portrait of the Gulf of Aqaba-Eilat. Introduction, in: idem (ed.), ­Aqaba-Eilat, the Improbable Gulf. Environment, Biodiversity and Preservation, Jerusalem 2008, 1–13, here 13.

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ter Steinitz’s early writings up to the most recent documents pertaining to Heinz Steinitz, which were added years after his death. The wide-ranging and diverse archive covers almost the entire story of the station’s establishment, and of its personal and international aspects. The relationship between Walter and Heinz Steinitz can be deduced not only from the content of the documents but also from the way they are arranged, the different genres of the archival materials, and the gaps in the timeline they reveal. Heinz Steinitz’s archive provides an opportunity to examine the history of the Eilat Station as a case study in the history of science, and to explore how the laboratory’s establishment was facilitated and influenced by c­ hanges in the political, geographical, diplomatic, and economic situation in the region.

Walter and Heinz Steinitz: Their Lives and Estates Heinz Steinitz was born in Breslau, Germany (today Wrocław, Poland) on 26 April 1909 to Walter Steinitz (1882–1963) and Marta Schindler Steinitz (1885–1924).5 Walter Steinitz, a cardiologist and zoologist in Breslau, received an MD degree from the University of Rostock in 1905 and a doctorate in zoology from the Friedrich-Wilhelms-Universität of Breslau in 1918. He was also an active Zionist who attended the Zionist Congresses of 1903 in Basel and 1920 in London as well as the laying of the foundation stone of the Hebrew University in 1925.6 Following the death of Marta, his wife and the mother of their three sons, Walter married Alma Friedländer (1887–1977) and they migrated together to Palestine in 1933. Heinz Steinitz was influenced by his father’s Zionism and followed in his professional footsteps as well. After graduating from the Johannesgymnasium in Breslau, he studied medicine at the Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, the University of Breslau, and the Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin.7 In 1927 he attended the Zionist Congress in Basel. In January 1933 he passed the medical board examination and, following the political developments at the time, he left Germany in May of the same year with his

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National Library of Israel, Archives (henceforth NLI), Arc. 4°1626/01/091, Heinz Steinitz Archive (henceforth HSA), Dvorah Boschwitz, Professor Heinz Steinitz on His Sixtieth Birthday, in: Israel Journal of Zoology 18 (1969), no. 1–2, 127–130. 6 NLI, Arc.  4°1626/02/102, HSA, Hans Bytinski-Salz, Dr.  med. Dr.  phil. Walter Steinitz 1882–1963, in: Israel Journal of Zoology 13 (1964), no. 4, 143 f. 7 NLI, Arc. 4°1626/03/40, HSA, Diplome. Notar im Bezirk des Preußischen Kammerge­ richts zu Berlin, Beglaubigte auszugsweise Abschrift, 3 May 1933.

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wife Ruth Aber Steinitz (1907–1995), a fellow medical student.8 Unable to practice medicine in Palestine, he began working at the Agricultural Experimental Station in Reḥovot, where he later wrote his doctoral dissertation on citrus pests under the supervision of Shimon Bodenheimer in Petaḥ Tikva.9 This direction led him to join the Hebrew University in 1936 and to establish de facto its Zoology Department, with which he was affiliated throughout his career.10 During the War of Independence in 1948/49, Heinz Steinitz served in the Israeli army’s medical corps and thereafter reestablished the Zoology Department in the new university buildings in midtown Jerusalem. During the following two decades Steinitz divided his time between research and teaching in the field of marine zoology in Israel and abroad (including Yale University and the Smithsonian Institute). Since 1940, in cooperation with scholars such as Heinrich Mendelssohn (1910–2002) and Georg Haas (1905–1981), Steinitz’s work was dedicated to exploring the marine fauna of the Mediterranean Basin, including the Mediterranean shore, the Sea of Galilee, Lake Hula, the Red Sea, and unique ecological niches such as Ein Feshkha (by the Dead Sea). He also examined the hypothesis raised by his father regarding the migration of various species from the Indian Ocean to the Mediterranean Sea through the Suez Canal, laying the foundations for wide research conducted on this subject after his death. One of the most significant examples of Steinitz’s academic collaborations was the Israeli South Red Sea Research Expedition (ISRSE), which he led in 1962 to the islands of the Dahlak Archipelago off the coast of Eritrea. This was an interdisciplinary expedition that pioneered the exploration of this region. He also established a rich fish collection for parallel and future research by scholars in Israel and aboard.11 Besides contributing significantly to knowledge of the biology and ecology of Israel and its region, Steinitz pursued semi-academic activities in various governmental and civic institutions in Israel. Most of these activities are not addressed in this article, but one cannot review Steinitz’s scientific   8 Boschwitz, Professor Heinz Steinitz on His Sixtieth Birthday, 127.   9 NLI, Arc. 4°1626/01/91, HSA, Heinz Steinitz/Fritz Shimon Bodenheimer, Studies in the Life History of the Citrus Mussel Scale (Lepidosaphes pinnaeformis Bché) in Palestine, in: Hadar 10 (1937), no. 7–8, 153–159. 10 On Bodenheimer and the early years of the Zoology department, see Nurit Kirsh, The Beginning of Genetics at the Hebrew University, 1935–1961, in: Hagit Lavsky/Shaul Katz/Michael Heyd (eds.), The History of the Hebrew University, 3  vols., Jerusalem 1997–2009, here vol. 3: Academic Progression in a Period of National Struggle, ed. by Hagit Lavsky, Jerusalem 2009, 163–187 (Heb.). On its later years, see Kirsh, Geneticist Elisabeth Goldschmidt. A Two-Fold Pioneering Story, in: Israel Studies 9 (2004), no. 2, 71–105. 11 See correspondence regarding the collection in NLI, Arc. 4°1626/02/78, HSA.

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biography without mentioning a few examples. Worth mentioning here are his valuable contributions to the Kinneret research project conducted by Mekorot, Israel’s national water company; his extensive connections with the Fishery Department of Israel’s Ministry of Agriculture; and his role in the founding of the Society for Protection of Nature in Israel. Heinz Steinitz’s untimely death in 1971 put an end to his energetic and productive activity and left his diverse and multifaceted archive to testify to his contribution to Israel’s scientific output. The Marine Biological Laboratory is named after him and continues to function as part of the Interuniversity Institute for Marine Sciences in Eilat.

The Heinz Steinitz Archive: Scope and Content The Heinz Steinitz Archive comprises 250 files arranged in three series, extending from 1905 to 2009. While the bulk of the estate contains documents pertaining exclusively to Heinz Steinitz himself and covers his career from its early steps until his death, some additional files contain material from the 1930s pertaining to Walter Steinitz as well as to Ruth Steinitz from the years after her husband’s death. As demonstrated below, these additional files, which were not an integral part of the archive, are of considerable value to the study of the case of the Eilat Station. The first series of the archive is titled “Research and Publications,” and contains mainly materials from the 1950s and 1960s, during which Steinitz was a highly active scholar. The documents in this series consist of research proposals and reports; travel and diary notes; hydrological, biological, and meteorological data; illustrations and drawings of various marine species; minutes and correspondence from advisory committees; and manuscripts and publications by Steinitz and others. This series also includes Walter Steinitz’s publications in Germany and some off-prints of publications dedicated to Heinz Steinitz’s memory and sent to his widow. The second series bears the title “Correspondence” and is arranged according to Steinitz’s own method. He punctiliously sorted the letters he sent and received in alphabetical and chronological order and divided them by category: colleagues in Israel and abroad, organizations and agencies, Israeli ministries and authorities, and the Hebrew University. The ISRSE, the Sea Fishery Research Station in Haifa (SFRS), and other major projects are included in this internal organization. Thus, the correspondence series is the most important and informative source regarding Steinitz’s activities as a scientist, demonstrating his multitude of connections with scholars in well-

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known institutions all over Europe and the USA. It likewise provides an insight into his work as a teacher and mentor of young scholars and as an initiator of academic projects, and shows him to have been influential in the shaping of Israel’s environmental policy as well as a generous man, prepared to reply to inquiries from individuals about zoological phenomena. The correspondence series also contains some of Walter’s and Ruth’s materials: The correspondence conducted by Walter Steinitz is extremely pertinent to our discussion of the Eilat Station, while Ruth Steinitz’s correspondence pertains primarily to the commemoration of her husband and illuminates the personal side of the story that features very little in the professional letters. The third and final series, titled “Academic Activities and University Affairs,” is the most diverse. It contains administrative and pedagogic documents along with photographs and slides of Steinitz’s research objectives, press clippings, passports, diplomas, and so forth. Eighteen of the folders in this series pertain to all aspects of the establishment of the Eilat Station, from piping plans to inauguration speeches. All three series contain folders with photographs, including photos of Steinitz the father and the son, scholars and visitors, as well as professional materials. From an archivist’s point of view, the material was found in good physical condition, and thanks to Steinitz’s pedantic nature the work of cataloguing was relatively simple. Nevertheless, the archive does possess some distinctive features that impacted both its arrangement and researching its content. First, contrary to the typical (or at least the stereotypical) German-Jewish immigrant of the 1930s, Heinz Steinitz worked in an “exact” science, rather than in the humanities or in Jewish studies. This field of research and Stei­ nitz’s expertise as reflected in his archive make it difficult at times to fathom the specific topic of a certain letter or a research proposal, not to mention the challenge of identifying the subject of the illustrations, freehand drawings, slides, and photographs of zoological species. Furthermore, for a researcher not well versed in maritime zoology, it is difficult to judge the importance of Steinitz’s research or its degree of innovation, and to what extent it constitutes a continuation of former German or other scientific conceptions, paradigms, or traditions. Second, as mentioned, the materials contained in the archive are highly diverse and extend beyond the conventional correspondence/manuscripts/ minutes content of most academic archives. Besides the technical problems the archivist faces in such a case, the researcher must bear in mind that maps, graphs, anatomical drawings, and observations form an integral part

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of ­marine zoology research, and he or she must include them in the review of the source material and the conclusions drawn. Finally, almost all the items in Heinz Steinitz’s archive relate to his professional work. To gain any idea of how Steinitz experienced, for example, his migration to Palestine, his medical service during the War of Independence, or his reminiscences of the Six-Day War, one can only try to follow up brief and random references in his letters. Thus, the intriguing question of how the relationship between father and son shaped the development of the marine station envisaged by Walter and realized by Heinz Steinitz will have to remain unanswered.

Walter Steinitz and the Marine Research Station From 1924 to 1925 Walter Steinitz traveled to Palestine to conduct research on the local marine fauna, the results of which he published as Beiträge zur Kenntnis der Küstenfauna Palästinas,12 which won him the position of Do­ zent (lecturer) at Breslau University.13 These trips were supported by the Zionist Office in Jerusalem and by such figures as Albert Einstein, Leo Baeck, and Carl Neuberg, with the aim of finding a suitable location for the establishment of a marine biological research station on the Mediterranean coast, following an initial proposal submitted by Steinitz in 1919.14 This proposal, titled Denkschrift zur Begründung einer zoologischen Meeresstation an der Küste Palästinas, appeared in the form of a brochure issued by the Kartell Jüdischer Verbindungen, an association of Zionist-leaning German-Jewish students formed on the eve of World War I.15 The booklet is not to be found in Heinz Steinitz’s archive nor in his father’s files.16 In the brochure, Steinitz laid out his innovative hypothesis about the migration of marine fauna (fish, mollusks, algae, etc.) from the Indian Ocean to

12 NLI, Arc.  4°1626/01/95, HSA, Walter Steinitz, Beiträge zur Kenntnis der Küstenfauna Palästinas (Teil 1), in: Pubblicazioni della stazione zoologica di Napoli 8 (1927), no. 3–4, 311–353; idem, Beiträge zur Kenntnis der Küstenfauna Palästinas (Teil 2), in: Pubblicazioni della stazione zoologica di Napoli 13 (1933), no. 1, 143–154. 13 Bytinski-Salz, Dr. med. Dr. phil. Walter Steinitz 1882–1963, 143. 14 NLI, Arc. 4°1626/02/102, HSA, Ishim be-toldot meḥkar ḥofei EreẓIsra’el [Influential Figures in the History of Research on the Shores of Eretz Israel], in: Fishermen’s Bulletin 12 (1957; Heb.). 15 Jehuda Reinharz, Ideology and Structure in German Zionism, 1882–1933, in: Jewish Social Studies 42 (1980), no. 2, 119–146, here 123. 16 Walter Steinitz, Denkschrift zur Begründung einer zoologischen Meeresstation an der Küste Palästinas, Breslau 1919.

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the Mediterranean Sea via the Suez Canal, which he would elaborate in his research on the marine fauna of the Palestinian coast a few years later. His theory remained influential for several decades thereafter.17 In his proposal, Steinitz stressed the need to establish an adequate base from which to examine his hypothesis on both the Mediterranean and the Red Sea shores. In his subsequent essay he reviewed the history of marine stations from the inauguration of the first station in Naples in 1872, clarifying their contribution to scientific knowledge and drawing a connection between zoological and medical discoveries based on his expertise in both these fields. In Palestine, Steinitz explained, these connections would enrich scientific knowledge regarding diseases and infections typical of the “so-called Orient,” which had yet to be explored.18 This approach is a classic example of the form of German Orientalism that characterized German Zionists and the population of Mandatory Palestine in general. The overall view of the Orient at that time as a physically degenerate place fits the paradigm of Orientalism as defined by Edward Said.19 Recent research has shown how this orientation affected Zionist physicians who migrated to Palestine with a sense of mission to correct the flawed hygienic conditions and habits of the natives.20 Nevertheless, the proposed laboratory was not intended to serve as a colonial-style medical institute. First of all, the Pasteur Institute in Palestine, which functioned both as a research institute and a public health bureau, had been operating in Jerusalem since 1913 with the support of the World Zionist Organization and non-Zionist German-Jewish scientists. Steinitz would very probably have known about it and would have had no intention of competing with it.21 Second, and more important, a close reading of the essay suggests that Steinitz was far less concerned with improving the condition of the population than in advancing his genuine interest in zoology. This is not to claim that non-scientific motives played no part in his initiative: As a man of his time he most likely did hold some sort of orientalist views and would have employed them to gain support for his idea. In his concluding argument, Steinitz maintained that as a base for exploring this unique biological phe-

17 Bytinski-Salz, Dr.  med. Dr.  phil. Walter Steinitz 1882–1963, 143. The phenomenon is nowadays known as Lessepsian migration, named after Ferdinand de Lesseps. 18 Steinitz, Denkschrift zur Begründung einer zoologischen Meeresstation an der Küste Palästinas, 6. 19 Edward W. Said, Orientalism, London 2003 (first publ. 1978), 45–49. 20 Dafna Hirsch, “We Are Here to Bring the West, Not Only to Ourselves.” Zionist Occidentalism and the Discourse of Hygiene in Mandate Palestine, in: International Journal of Middle East Studies 41 (2009), no. 4, 577–594. 21 Nadav Davidovitch/Rakefet Zalashik, Pasteur in Palestine. The Politics of the Laboratory, in: Science in Context 23 (2010), no. 4, 401–425.

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nomenon, the marine station would gain proper recognition for Hebrew University scientists and the Jewish people in general within the scientific world: “der Schluß: die günstige Lage der Station sichert ihr von vornherein eine Fülle hochinteressanter Aufgaben auf einem bisher noch nicht genügend durchforschten Arbeitsfelde. Es wäre daher, wie bei allen günstig gelegenen und gut ausgestatteten Stationen, mit einem internationalen Besuch der Anstalt zu rechnen. Hier bietet sich dem jüdischen Volke zum ersten und bei dem Hebräischen Charakter der Universität vielleicht einzigen Male Gelegenheit, die Gastlichkeit fremder Nationen, die bisher der jüdische Forscher in Anspruch zu nehmen gezwungen war, im eigenen Heime zu erwidern, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der internationalen Bedeutung der geplanten Station die internationale Anerkennung einer solchen Leistung des jüdischen Volkes entsprechen würde.”22

These words tell us that the idea of the marine station cannot be labeled simply a “scientific” or a “political” project: On the one hand, the proposal emerged from research that Walter Steinitz had undertaken on his own initia­ tive. On the other hand, this research was supported by political bodies and possessed the potential to become a valuable national project. Given how far-sighted this idea was in 1919 (as Steinitz noted himself), when both the Technion in Haifa and the Hebrew University had yet to become properly operative, it is not surprising that potential external benefits were taken into account. The proposed station, therefore, was for Steinitz above all a means for promoting his own research, although grounded in the political beliefs and values of his time. Steinitz estimated the cost of building the station at 250,000 marks, and the annual operating cost at approximately 50,000 marks (about a third of the cost of the Naples station), and meticulously listed every detail of the staffing, the equipment, and the building itself.23 He did not specify a site for the station, nor did he state his preference for the Mediterranean or for the Red Sea in order to examine his hypothesis. This is understandable, considering that the Jewish settlements founded during the interwar period were mainly concentrated along the Mediterranean shore, whereas on the site where Eilat would be established in 1952, only a small Bedouin village named Umm AlRashrash stood during the British Mandate, alongside a British police station and a meteorological station. The Zionist leanings of the Steinitz family probably eased their migration to Palestine a few months after the Nazi rise to power at the beginning of 1933. In line with the principles that dictated the development of the Jewish 22 Steinitz, Denkschrift zur Begründung einer zoologischen Meeresstation an der Küste Palästinas, 12. 23 Ibid., 16–21.

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Yishuv in Palestine, the local Zionist leadership sought to direct the wave of immigrants from Germany in the 1930s, known as the Fifth Aliyah, to agricultural settlements. While most of these immigrants belonged to Germany’s urban middle class and had no relevant experience in agriculture, some of them were prepared to change their way of life in the new country, as did the group that in November 1933 founded the moshav (agricultural village) Ramot HaShavim in the southern Sharon region, built according to the plans of the agronomist Davis Trietsch.24 Walter Steinitz joined the founding group and made his living for the next three decades from poultry farming and breeding. The archive contains no mention of the foundation of Ramot HaShavim and Steinitz’s turn to agriculture; the next document that testifies to his activity is a sheet of stationery of the Aquarium and Marine Station Tel-Aviv Society Ltd., dated August 1937, on which Steinitz’s name appears as scientific director on the letterhead (along with that of the honorary president Albert Einstein).25 Little is known about this institution and its activity; it is likely that the society was formed as a legal and administrative basis for a future institute. The aquarium is first mentioned in the 1919 proposal as a public educational institute, as well as a source of income for the research station.26 In 1933, a request for permission to build an aquarium on the shorefront was approved by a Tel Aviv municipal committee.27 During the 1930s and 1940s, various museums and nature collections open to the public were established in Tel Aviv as part of the general development of the city and the Yishuv – a development attributed, among other factors, to migration from Germany. The demand on the part of the German immigrants for a sophisticated and modern cultural life, alongside their financial resources, contributed greatly to the promotion of this field. The museums in particular benefited from the combination of motivated individuals and the German tradition of public education through natural history and art museums.28 It is furthermore possible that the opening of the Tel Aviv port in late 1936 following the Arab strike in April and the closure of the Jaffa port

24 Yoav Gelber, New Homeland. Immigration and Absorption of Central European Jews, 1933–1948, Jerusalem 1990, 359–362 (Heb.). 25 NLI, Arc. 4°1626/02/103, HAS, The Aquarium and Marine Station Tel-Aviv Society Ltd. to Walter Steinitz, 5 August 1937. 26 Steinitz, Denkschrift zur Begründung einer zoologischen Meeresstation an der Küste Palästinas, 13. 27 Binyan, Mischar, Charoshetʼ, in: Yedioth Tel Aviv, 15 March 1933 (Heb.). 28 Gelber, New Homeland, 469; Oded Shay, “A City Like This Cannot Be without a Museum.” The First Museums and Other Collections in Tel Aviv in the Mandatory Period, in: Cathedra. For the History of Eretz Israel and Its Yishuv 138 (2010), 111–138 (Heb.). There is no mention in Shay’s article of Steinitz or of the aquarium.

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inspired the plans for an aquarium and a marine station.29 Theoretically, these plans would have fit well with the cultural milieu of Tel Aviv as a first step toward founding a fully-fledged research station once the required resources had been obtained. Having laid out the plan, Walter Steinitz set about finding these re­sources, and his correspondence kept in the archive relates almost entirely to his trip to London to raise funds for the marine research station. Equipped with ­reference letters from the mayor of Tel Aviv, Israel Rokach (1896–1959),30 the Jewish Agency,31 and other bodies, he arrived in London in October 1937 and met with prominent figures in the local Jewish community. The timing of the visit, however, was inauspicious. The crisis in Germany and the increasing stream of refugees on the one hand and the riots in Palestine on the other weighed heavily on Jewish philanthropy, especially in the United Kingdom. As the Jewish-British botanist Redcliffe N. Salaman (1874–1955) responded to Steinitz in his letter, zoology research was a luxury given these circumstances: “I should find it almost impossible to support the expenditure of money for the establishment of a Marine Station at this particular time. There are so many more immediate and important claims on the community and the lovers of Palestine than this, and a Marine Station, however desirable, seems to me hardly to come into the realm of discussion when the country is almost on the verge of war.”32

Yet Steinitz was not to be deterred. Chaim Weizmann wrote him a letter of reference addressed to Nathaniel Mayer Victor Rothschild (1910–1990), the third Baron Rothschild, who was himself a biologist at Trinity College, Cambridge.33 Victor Rothschild viewed Steinitz’s proposal favorably and referred him to Captain Vivian Bulkeley-Johnson (1891–1968), an employee of the family’s investment bank, and the two men met regularly over the following months.34 Victor Rothschild also appears to have made the connection between Steinitz and James de Rothschild (1878–1957), the head of the Palestine Jewish Colonization Association (PICA), who was known for his generous support of Zionist enterprises.35 The further correspondence found in the archive indicates that Steinitz continued to discuss the matter 29 Shimon Stern, Tel-Aviv Port. An Episode in the History of Eretz-Israel, in: Cathedra. For the History of Eretz Israel and Its Yishuv 25 (1982), 113–134 (Heb.). 30 NLI, Arc. 4°1626/02/103, HSA, Israel Rokach to Walter Steinitz, 8 September 1937 (reference letter). 31 Ibid., Jewish Agency to Walter Steinitz, 22 October 1937 (reference letter). 32 Ibid., Redcliffe N. Salaman to Walter Steinitz, 16 October 1937. 33 Ibid., Chaim Weizmann to the Right Honourable The Lord Rothschild, 22 October 1937 (draft). 34 Ibid., Victor Rothschild to Walter Steinitz, 10 November 1937. 35 Ibid., Walter Steinitz to James de Rothschild, 24 November 1937.

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mainly with James de Rothschild, but not for long. After the Anschluss – the annexation of Austria by Nazi Germany in March 1938 – which impacted the Rothschild family’s Austrian business, Steinitz was informed that the family could no longer offer financial support to the marine station.36 The promised contribution of 500  pounds was reduced to 25  pounds, on condition that Steinitz raises 300 pounds himself.37 This financial target was reached in mid-1939 and allocated to found a ­fishery school in Nahariyah, another settlement of German Jews on the northern coast of the country.38 A few months later the situation changed dramatically with the outbreak of World War II, and the funding from ­England apparently failed to materialize. Steinitz next approached the British High Commissioner with a request for an annual grant of 300 pounds for the station in Nahariyah, citing a previous positive appraisal of the project by the fisheries advisor for the Government of Palestine Hornell.39 This request, which is not contained in the Steinitz archive, was apparently rejected. The last evidence of Walter Steinitz’s attempts to establish a marine station is a letter assuring him that the budget for the Aquarium Society was still avail­ able to him.40 The political climate that had encouraged enthusiastic scientific initiatives dissipated due to the war, and a strict dedication of resources was practiced instead. Marine zoology was stripped back to the status of a “pure” scientific interest, valueless under the new conditions.

Heinz Steinitz and the Eilat Marine Biology Laboratory “The first proposal to initiate marine biological research on a systematic and permanent basis in what was then Palestine was submitted as early as 1919 (W. Steinitz).”41 This simple statement opened the formal proposal to establish a marine research station in Eilat submitted by Heinz Steinitz in July 1962. This proposal did not represent a new initiative but was rather an intermediate stage in a lengthy process of trying to convince the relevant bodies of the necessity of the station and of bringing the idea to fruition. To fully 36 37 38 39

Ibid., Walter Steinitz to Lord Patterson, 24 March 1938. Ibid., Captain Bulkeley-Johnson to Walter Steinitz, 21 April 1938. Ibid., Walter Steinitz to Captain Bulkeley-Johnson, 20 June 1939. Israel State Archives, Mandatory Organizations, MandateEcon, 000q3nj, Proposals by Dr. Walter Steinitz for a Grant of 300 LP, 3 May 1940 (Heb.). 40 NLI, Arc. 4°1626/02/103, HSA, The Directorate of the Aquarium and Marine Station Tel Aviv Society to Walter Steinitz, 28 October 1940. 41 Ibid., Heinz Steinitz, Haẓa’a le-hakamat taḥanat meḥkar yami be-Eilat [Proposal for the Establishment of a Marine Research Station in Eilat], Red Sea, July 1962, 1.

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understand this process, let us view the revival of the marine station idea within the context of Israel’s marine research during the 1950s and 1960s and examine Steinitz’s prominent role therein.

First Steps Eilat was chosen as the site most suitable for a marine station for several reasons. First, the Gulf of Eilat/Aqaba possesses a number of unique features: It is 180  km long and 20  km across at its widest point; its average depth is 900 meters, the deepest point being 1,830 meters, and its water remains warm all year round (never less than 21.6 degrees Celsius). It has a rich coral reef and other geological features, all of which render it a highly interesting site in geographical and biological terms.42 Second, the narrow bay at the southernmost tip of the country is Israel’s gateway to a tropical area sporting rich fauna that differs markedly from the zoological and botanical life in other parts of the country, something that clearly attracts Israeli scientists. Finally, as Walter Steinitz had demonstrated, the relative proximity of Eilat’s shoreline to that of the Mediterranean, by virtue of the unique case of zoological migration from the Indian Ocean to the Mediterranean Sea through the Suez Canal, provided the perfect platform for research that could not be conducted anywhere else in the world. Before moving on to the Eilat Station itself, it should be noted that scholars from Jerusalem, Tel Aviv, and Haifa had been conducting research in Eilat since at least 1951.43 In some cases, a project would be supported by institutions such as the Office of Naval Research of the US Navy, pointing out that Israel was already on the international scientific map.44 Steinitz was involved in this research from its inception and had been conducting research trips since at least 1956, as the archive indicates.45 However, given the prac-

42 Por, A Portrait of the Gulf of Aqaba-Eilat, 2 f. 43 NLI, Arc.  4°1626/01/50, HSA, Hannan Levinson, Din ve-ḥeshbon rishon al avodat ha-makhon ha-biologi-pedagogi Tel-Aviv be-Eilat [First Report on the Work of the Tel Aviv Biological Pedagogical Institute in Eilat]. 44 NLI, Arc.  4°1626/01/25, HSA, Heinrich Mendelssohn to Sidney  R. Galler, 10  October 1960. This document signifies earlier cooperation. 45 See Steinitz’s correspondence with Ben Tuvia from 1952 onward (NLI, Arc. 4°1626/02/87, HSA); see NLI, Arc.  4°1626/01/50, HSA, for various documents pertaining to a trip made in June 1956 that clearly demonstrate the complexity of this kind of research trip. ­Boschwitz (in: idem, Professor Heinz Steinitz on His Sixtieth Birthday, 128) stated that Steinitz’s first research trip to Eilat was in 1947, but I could not find any document in the archive to support this claim.

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tical obstacles to conducting research in an isolated town lying 247 km from Jerusalem, these trips were rather infrequent. Three initiatives and events in the field of Israeli marine research that preceded the station in Eilat should be mentioned briefly. The first is the founding of the SFRS in Haifa, located on the northern Mediterranean coast 23 km south of Nahariyah, where Walter Steinitz had failed to establish his station some years earlier. The SFRS was founded by the Jewish Agency and the Palestine Maritime League (subsequently the Israel Maritime League) in 1947 and, after the establishment of the State of Israel, it became a part of the Fisheries Department of the Agriculture Ministry. Steinitz conducted a lively correspondence with the SFRS scholars as well as with the ministry itself, and they collaborated frequently.46 The SFRS reflects the interest of the Israeli government in marine research as an instrument for promoting this agricultural field, but can also be viewed as a preliminary stage in the fulfillment of Walter Steinitz’s aspiration to explore the Mediterranean Sea on a permanent and systematic basis. The second event demonstrates the complex relationship between Israel’s marine research and the political situation in the Middle East during this era, a relationship that did not pertain to other research fields. One of the major outcomes of the Suez Crisis of October/November 1956 and the tripartite military operation conducted by the United Kingdom, France, and Israel was the occupation of the Sinai Peninsula by Israeli forces in late October. On 8 November 1956, Israel agreed to withdraw from the occupied territories as part of the ceasefire agreement, which it did on 7 March 1957.47 During the few months that the area was under Israeli control, Steinitz led a research expedition to examine the marine fauna of the Red Sea, mostly around Sharm El Sheikh, under the aegis of the Israeli Ministry of Defense. While the archive does not reveal much about the expedition apart from a few letters of a technical nature and a great number of photographs, some inkling of its motives can be gained.48 The fact that Steinitz and the SFRS staff jumped at the opportunity to explore new parts of the region they were

46 Steinitz’s correspondence with Helmut Lissner began already in 1946. See NLI, Arc. 4°1626/02/91, HSA. Oren and Ben-Tuvia were protégés of Steinitz and collaborated with him on Red Sea research over many years. See NLI, Arc. 4°1626/02/90, HSA and Arc. 4°1626/02/87, HSA respectively. 47 On the Israeli perspective on the war, see Motti Golani, Israel in Search of a War. The Sinai Campaign 1955–1956, Brighton 1998. On Israel’s withdrawal, see ibid., 191 f. 48 For the correspondence between Steinitz and Ben-Tuvia, see the documents from 6  to 15  December 1956, in NLI, Arc.  4°1626/02/87, HSA; for the photographs, see NLI, Arc. 4 1626/03/51, HSA and Arc. 4°1626/03/52, HSA.

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already researching while they had access to it is not surprising.49 Rather, it is the official sanctioning and support of a civilian expedition into a military-occupied area that Israel had already agreed to vacate that requires clarification. A possible explanation is to be found in the general enthusiasm generated by the outcome of the war among the Israeli public and in government circles, fueled in part by what was perceived to be a return to ancestral lands. This phenomenon is well documented in historical research on the Sinai Campaign, and perhaps it was this sentiment that facilitated an expedition regarded as a further expression of Israel’s control over the Sinai.50 Whether the authorities regarded the expedition as a politically useful undertaking or not, they did not support it all the way. In fact, the expedition was not funded sufficiently to publish its findings, although these were clearly of interest to the international scientific community and beneficial to Israel’s scientific reputation. Moreover, while he was generally loath to mix politics with his scientific work, Steinitz felt compelled to approach Prime Minister David Ben-Gurion himself and to exploit the rivalry with Egypt in this field in order to obtain the necessary funding for the publication of the expedition’s findings.51 Toward the end of 1962, Steinitz led his most ambitious project yet – the Israeli South Red Sea Research Expedition (ISRSE) that explored the Dah­ lak Archipelago (today in Eritrea, then in Ethiopia). The expedition included 18 scientists and was a complex project, both in technical and academic terms. Belying its title, American and Dutch scholars were among those who took part in the expedition (which helped it gain funding), but Steinitz bore overall responsibility. Characteristically, Steinitz involved himself in every detail, from applications for financial support from American institutions to letters of gratitude to the suppliers of the special bread suitable to the field

49 NLI, Arc. 4°1626/02/67, HSA, Heinz Steinitz to A. D. Bergmann at the Ministry of Defense, 5 December 1956 (letter and ensuing proposal). 50 On the public reaction to the war, see Yona Hadari, Messiah Rides a Tank. Public Thought between the Sinai Campaign and the Yom Kippur War 1955–1975, Jerusalem 2002, 82–94 (Heb.). 51 NLI, Arc. 4°1626/02/66, HAS, Heinz Steinitz to David Ben-Gurion, 9 December 1959. See also Steinitz’s letter to the director of the Prime Minister’s office in: ibid., 24 August 1957. Ben-Gurion himself strongly believed in the importance of scientific research for the nation’s development. Israeli scientific bodies were highly centralized during his time in office and the Scientific Council remained a part of the Prime Minister’s office for years. However, during much of the 1950s, the Scientific Council was virtually paralyzed, perhaps precisely because of this centralization. On Ben-Gurion’s perception of science and technology and especially on the Scientific Council, see Barell, Engineer-King, chap. 5.

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conditions. The archive offers a broad picture of all stages of the expedition, a description of which exceeds the scope of this article.52 Nonetheless, within the context of the geopolitical conditions in Israel prior to the Six-Day War, an interesting episode emerges from the correspon­ dence. Steinitz argued that the ISRSE’s candidacy for the Haile Selassie I Prize Trust Award for Ethiopian Studies was being ignored because of the delicate position adopted by Ethiopia between Israel and other African countries.53 The African Department of the Foreign Ministry promised to look into the matter, but nothing came of this.54 This episode demonstrates how scientific interest had to maneuver in a complicated political map, seeking both to profit from a possible consolidation of interests and to avoid unnecessary damage in case of contradiction. One way or the other, the expedition clearly contributed significantly to the body of knowledge on the southern Red Sea and enhanced the international reputation of Steinitz and his colleagues in the field of marine biology in general and the biology of the Red Sea in particular. This proved most beneficial for the endeavor to promote the idea of the Eilat Station.

The Eilat Marine Laboratory In 1960, the Friends of the Israel Maritime League, Southern Africa donated 40,000 dollars for a maritime center and sailors’ house in Eilat.55 Plans were drawn up that included the aquarium envisaged in the past.56 The cost of the aquarium was beyond the means of the Israel Maritime League and it was decided that Steinitz and the Hebrew University, Heinrich Mendelssohn of Tel Aviv University, and Haim (Otto) Oren (1921–1983) from the Haifa Station should seek funding from Israeli sources and international scientific funds.57 Lev Fishelson (1923–2013) and Chanan Lewinsohn (1927–1987) of Tel Aviv University were also involved in the project.

52 For further information on the ISRSE see NLI, Arc. 4°1626/01/73–75, HSA; for the edited version of the ISRSE diary (on a CD) see NLI, Arc.  4°1626/02/79–82, HSA and NLI, Arc. 4°1626/03/46, HSA. As in the Sinai expedition, Steinitz here also conducted lengthy negotiations with various ministries to obtain funding for a project that would significantly enhance Israel’s reputation. 53 NLI, Arc. 4°1626/02/65, HSA, Heinz Steinitz to the Foreign Ministry, 19 December 1966. 54 NLI, Arc. 4°1626/01/65, HSA, Moshe Leshem to Heinz Steinitz, 25 December 1966. 55 NLI, Arc. 4°1626/01/50, HSA, Ha-yam [The Sea], October 1959. 56 See ibid., Proposed Plan for a Public Aquarium in Eilat, Israel, 8 January 1960, and the attached photographs. 57 Ibid., Ḥevel yami le-Isra’el [Costal Regions], May 1960 (Heb.).

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The archival materials show that Steinitz proceeded along two parallel paths to advance his mission: First, he consulted colleagues abroad to learn from their experience and to ensure that the proposed Israeli station would become part of the network of similar facilities all over the world. Second, he drew up a detailed proposal for the station and approached various institutes with a request for funding, citing the positive reviews of his colleagues in support of his appeal. The first path is illustrated by some rather fragmented but informative correspondence from the archive. In August 1956, two months prior to the Sinai Campaign, Steinitz approached Jacques Simon Zaneveld (1909–2001), director of the new Marine Station of the Caribbean Marine Biological Institute in the Dutch Antilles, enquiring about various aspects of the station’s establishment and management.58 He received a warm reply but was unable to take up the invitation to visit the distant institution owing to financial constraints.59 Three years later, once Steinitz had elicited a vague approval of the idea of founding a scientific station and a public aquarium in Eilat, he again wrote to Zaneveld asking for his advice on technical issues.60 In June 1962, Steinitz once again wrote to the Caribbean institute informing it that “plans are being seriously considered in this country to have a Marine Research Station erected at [sic] Eilat.”61 From the reply of the new director, Ingvar Kristensen (1918–1996), it becomes apparent that the ISRSE had made a significant impression in the field. Kristensen also mentioned his colleague Eugenie Clark, with whom Steinitz had worked and corresponded frequently.62 On top of his desire to exchange ideas and findings, Steinitz’s original interest in this station derived from its location in a tropical climate similar to that in Eilat.63 Besides its scientific value, the ISRSE taught Steinitz something about the links between research, money, and authorities. His endeavor to gain funding for the expedition from various governmental and academic bodies was a prolonged and exhausting business, and once he had succeeded in this he had

58 NLI, Arc.  4°1626/02/46, HSA, Heinz Steinitz to Jacques Simon Zaneveld, 28  August 1956. 59 Ibid., Heinz Steinitz to Jacques Simon Zaneveld, 23 December 1956. Steinitz mentioned the prevailing “political conditions” but did not elaborate on how they affected his work. 60 Ibid., Heinz Steinitz to Jacques Simon Zaneveld, 11 August 1959. 61 Ibid., Heinz Steinitz to the Director of the Caraïbisch Marien Biologisch Instituut, 17 June 1962. 62 Ibid., Ingvar Kristensen to Heinz Steinitz, 4 July 1962. See the correspondence between Heinz Steinitz and Eugenie Clark, in NLI, Arc. 4°1626/02/28, HSA. 63 An example of the former is Steinitz’s letter to Kristensen, informing him about the dispatch of publications of SFRS Haifa to the Caribbean Institute’s library.

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to find additional money to finance the publication of the findings. He made use of some of his ISRSE connections again to raise funds for the Eilat Station. First and foremost among them was the National Science Foundation (NSF) in Washington D. C., which had sponsored the participation of American scholars in the expedition.64 Steinitz exchanged letters with members of the foundation who were interested in his work, and some of them visited Israel.65 As a result of these contacts, in late 1963, Steinitz embarked on a study tour during which he visited 40 marine stations and institutions in the US, Scandinavia, and Germany, some of which he had visited previously.66 The scope of this tour demonstrates Steinitz’s devotion to the project and the importance of the close professional relationships he had cultivated to the final project; the archive holds several interesting accounts of these relationships. During his trip to the US, an official request for support of the marine station was submitted to the NSF.67 The proposal was the culmination of several previous proposals and plans for Red Sea research and constituted part of Steinitz’s second avenue to promote the station. An early Hebrew language proposal drafted in 1958 focused on the need for a station that would cater to fishery scholars coming from the center of Israel who sought an appropriate place in which to conduct their research.68 A further Hebrew language proposal drawn up in 1963 relied on a similar rationale.69 The above-mentioned 1962 proposal detailed the unique features of the Eilat/Aqaba Gulf and listed the fields that could be researched at the station, namely geology, meteorology, hydrology, physical oceanography, and of course marine biology.70 A different proposal, authorized by the Hebrew University’s Authority for Research and Development, reviewed the history of the research of the Red Sea and the scientific potential of the Gulf of Eilat/Aqaba.71 The final proposal estimated the total cost of the project at 250,000 dollars, 150,000

64 NLI, Arc. 4°1626/02/49, HSA, David D. Keck to Heinz Steinitz, 9 November 1961. 65 See ibid. for the correspondence between Steinitz, Jack T. Spencer, and others between April and November 1963. 66 Ibid., Heinz Steinitz to [Jack T. Spencer], 18 November 1963. 67 Ibid., Jack T. Spencer to Heinz Steinitz, 9 September 1963. 68 NLI, Arc. 4°1626/03/37, HSA, Taḥana le-meḥkar ha-dayig ha-yami be-Eilat [Eilat Marine Fishery Research Station]. 69 NLI, Arc. 4°1626/03/38, HSA, Heinz Steinitz, Haẓa’a le-hakamat taḥanat meḥkar yami be-Eilat [A Proposal for the Establishment of a Marine Research Station in Eilat], 31 December 1961. 70 NLI, Arc. 4°1626/03/31, HSA, Heinz Steinitz, Proposal for the Establishment of a Marine Research Station in Eilat, Red Sea, July 1962. 71 NLI, Arc. 4°1626/03/37, HSA, The Research and Development Authority of the Hebrew University of Jerusalem, Proposal for the Establishment of a Marine Research Station in Eilat, Red Sea, n. d.

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of which it requested from the NSF.72 Other important collaborators on the project were the UNESCO forums SCOR (Scientific Committee on Oceanic Research) and IOC (Intergovernmental Oceanographic Committee), whose conferences Steinitz had attended since 1960.73 Thanks to Steinitz and other Israeli scholars, Israel became a respected member state of these ­committees, and in February 1967, SCOR held a meeting of its executive in Israel, which included a tour to the construction site of the station in Eilat.74 In addition, the Deutsche Forschungsgemeinschaft sponsored the station’s library.75 Contrary to the original proposal submitted by Walter Steinitz, no external factors were cited in support of the proposed scientific station; it appears that neither international prestige nor geopolitical influence were invoked to persuade the decision-makers. The only mention of these issues is found in an early Hebrew memorandum, which claimed that: “We cannot remain dependent on research by foreign bodies and especially not on research stipulated by Egypt. Internationally speaking, it is important that Israel should link up on this international research with all scientific bodies, especially with [those in] friendly countries […] similar issues could be of interest to Asian and African countries – as well as the opportunity to train their young generation in these areas.”76

The fact that these claims appear in an internal text but were not retained in the final and formal proposal suggests a dilemma generated by the dual nature of the project: The Hebrew University needed to convince the Israeli authorities that the station would be “a valuable pioneering step” for the developing country, but at the same time had to present the project to international institutes as an initiative that was derived from apolitical scientific motives. This outward appearance, however, was soon dented. The geopolitical issue was soon raised by Peter Dohrn, one of the evaluators of the application to the NSF, who was unconvinced of the academic value of the proposal and of the station’s ability to welcome scholars from all over the world. Furthermore, he maintained that providing an American grant to an Israeli institute without offering parallel support to Arab institutes would be

72 Ibid., Heinz Steinitz et al., The Establishment of a Marine Research Station in Eilat (Gulf of Eilat, Red Sea), Israel, n. d. The proposal carries the signature of Steinitz and other scientists and includes the CVs of the respective scholars. 73 See the documents of the Copenhagen Conference of July 1960 and the foundation of the IOC, in NLI, Arc. 4 1626/01/02, HSA. 74 See programs, correspondence, and photographs, in NLI, Arc. 4°1626/01/01, HSA. 75 NLI, Arc. 4°1626/03/39, HSA, Untitled draft of Heinz Steinitz’s speech, n. d., 2. 76 NLI, Arc. 4°1626/03/38, HSA, Research and Development Authority of the Hebrew University of Jerusalem, Tazkir mekuẓar be-iniyan hakamat taḥanat meḥkar yami be-Eilat [A Short Memorandum on the Matter of the Establishment of a Marine Research Station in Eilat], 18 January 1962 (Heb.).

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tantamount to taking sides in the Arab/Israeli conflict.77 Other evaluations were far more positive and noted Israel’s involvement in the development of Afro-Asian countries as proof of the potential contribution of scientific work in this area.78 This apparently became a strong argument, and the university subsequently promised to provide “a valuable teaching and training facility for people from those countries” at the station.79 Walter Steinitz passed away in Bad Nauheim, Germany, on 14  December 1963 and was buried in Ramot HaShavim. Symbolically, 1963 marked the shift of the Eilat Station from a one-man idea to an official project, a transition reflected both in documents found in Steinitz’s archive and others that are not. Thus, the final response of the NSF to the application to support the station’s establishment is not kept in the archive, although subsequent documents show that the initial funding was guaranteed. For example, a highly supportive report on the importance of the station submitted to the Israeli Academy of Sciences and Humanities by an external expert in March 1965 was aimed at assuring the ongoing operational costs of the station rather than its construction cost, meaning that the latter had already been guaranteed, apparently jointly by SCOR and the NSF.80 In 1964, the station’s plans reached the drawing board and in the ensuing years underwent constant revisions and alterations.81 While the Hebrew University and the Israeli government had assumed responsibility for the project, the archive demonstrates that Steinitz involved himself in the construction down to the smallest detail: Drafts of architectural plans, drawings of furniture, and correspondence with suppliers of scientific equipment are all kept in the archive, along with his handwritten notes.82 On 5 June 1967, a few months before the laboratory was due to open, the Six-Day War broke out. This time Israel prepared to hold on to the Sinai Peninsula, as demonstrated clearly in Steinitz’s archive. Initially, before the political dust had settled, Israeli scientific institutes responded in much the same way as they had following the Sinai Campaign eleven years earlier. On

77 NLI, Arc. 4°1626/03/3, HSA, Peter Dohrn to Jack T. Spencer, 30 November 1964. It is worth mentioning here that Israel’s Foreign Ministry approved the sharing of biological findings with Arab countries (via the Smithsonian Institute), although it remains unclear whether this actually occurred; see NLI, Arc.  4°1626/02/65, HSA, Zvi Gabai to Heinz Steinitz, 10 July 1966. 78 NLI, Arc. 4°1626/03/37, HSA, J. W. Hastings’ and John E. Bardach’s evaluations, n. d. 79 Ibid., Summary of Additional Material and Information Requested by Drs. Günther Bohnecke and Arwed Hugo Meyl during their visit to Israel from 21 to 27 June 1965. 80 Ibid., Gunnar Thorson to Aharon Katzir-Katchalsky, 13 March 1965. 81 See NLI, Arc. 4°1626/4/03, HSA to Arc. 4°1626/11/03, HSA. 82 See, e. g., NLI, Arc. 4°1626/03/39, HSA.

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19 June, only eleven days after the occupation of the peninsula, the first of three survey teams traveled to the Suez Canal and Lake Bardawil. Steinitz participated in these surveys, which were conducted by the Oceanographic and Limnological Research Company of the National Council for Research and Development, a governmental body that was already deeply involved in the Eilat Station project.83 The relevant documents in the archive clearly show that within a few months the study of the Sinai became a part of ongoing academic research, alongside that of the Sea of Galilee and the Mediterranean Sea.84 The marine laboratory in Eilat subsequently became even more valuable to Israel’s research of its geography and biology, and thereby served to strengthen Israel’s hold over the newly acquired territories. From a more practical point of view, the radically changed geopolitical situation assured the scholars and other employees at the station of a safer working environment in a place that had, before the war, been a frontier area, an isolated town bordering directly on two hostile countries. The war did not significantly delay construction and the Eilat Marine Laboratory was finally inaugurated on 20 August 1968. The entire station took up an area of 20,000 square meters and comprised six laboratories, a photography lab, a library, and a fully equipped research ship. In his inauguration speech, Steinitz thanked all the collaborators and focused on future research. On a personal level, he merely remarked that “it is also a great day for my family.”85 Almost fifty years before this speech, in his initial proposal for a marine research station in Palestine, Walter Steinitz had felt obliged to explain its potential contribution to Jewish national aspirations; decades later, Heinz Steinitz had to do likewise to gain the necessary approval and financial support. While the nature of the envisaged benefit had changed over the years, no scientific plan could ignore it. Yet it appears that neither father nor son were drawn to that kind of discourse and only reluctantly resigned themselves to the necessity of convincing non-academic elements of what they

83 NLI, Arc. 4°1626/02/65, HSA, Ada Klein to Heinz Steinitz, 23 August 1967. 84 See, e.  g., a letter from the Oceanography and Limnology Research Company asking Steinitz to take part in a symposium dedicated to “long-term research in the new territories,” in: ibid., Oceanography and Limnology Research Company to Heinz Steinitz, 3 November 1967 (Heb.). Although the occupation of the old city of Jerusalem in the war shifted pubic enthusiasm from Sinai to the holy sites of Jerusalem, the overall euphoria was palpable. See, e.  g., the speech by Yitzhak Rabin, commander in chief of the IDF during the war, on 28 June 1967 on the relation between military men and intellectuals on the occasion of receiving an honorary doctorate from the Hebrew University, in Hadari, Messiah Rides a Tank, 97–99. 85 NLI, Arc. 4°1626/03/39, HSA, Untitled draft of Heinz Steinitz’s Speech, 4 f.

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could expect to gain from the proposed scientific endeavor. At the station’s inauguration, once the dream had come true, Steinitz was finally able to set such lobbying aside and to speak about his scientific mission, which he saw himself carrying out as a representative of Israel’s scientific community. Speaking of the aims of the station as an international research center, he said: “The monopoly of Israel’s geographic position, meaning on two different oceans, is a privilege and by this, a responsibility. That means we have to go and investigate that very sea which is before us. The Red Sea is full of problems. Many of them are specific to the Red Sea alone. They cannot be investigated but here. Thus, what better could we do than provide a facility for its study?”86

These words suggest that it was the purity of the nature and the clear features of the environment that the State of Israel was administering that called for research at its best. With these words, Steinitz appointed the government, the university, and the other academic funding bodies as custodians of a treasure which they were obligated to maintain and to explore. In establishing the station, Israel was merely fulfilling its elementary duty, a commitment that Steinitz and his colleagues intended to pursue.87

Epilog: The Steinitz Family and the Heinz Steinitz Marine Biology Laboratory On 27 April 1971, Heinz Steinitz delivered a lecture at an international seminar in Eilat on the role of a marine biology laboratory. The following day he passed away suddenly following a stroke, less than three years after the station’s inauguration and his appointment as professor in the Zoology Department of the Hebrew University, and in the midst of his various ongoing activities.88 His untimely death left his family and friends shocked, and they resolved to commemorate him and his impressive contribution to the field of marine biology. As noted above, Heinz Steinitz’s archive primarily contains materials pertaining directly to him and far less material pertaining to his father and to his commemoration. While the documents relating to Walter Steinitz kept in the 86 Ibid. 87 In this context, it is worth examining Steinitz’s part in founding the Society for the Protection of Nature in Israel. See the documents in NLI, Arc. 4°1626/01/66/HSA. 88 NLI, Arc. 4°1626/02/99, HSA, Baruch Kimor, Professor Heinz Steinitz (in memoriam), June 1971.

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archive are arranged in a coherent manner, the documents added during the years after Heinz’s death are fairly random, and do not provide a full picture of the activities designed to perpetuate his memory. Nevertheless, given the importance of the Eilat Station to his legacy, the archive indicates several ways in which Steinitz’s family and colleagues endeavored to maintain the connection between the scientist and the laboratory. In April 1972, the Hebrew University announced that the marine biology laboratory would be named after Heinz Steinitz and that an annual Steinitz Memorial Lecture was to be established.89 That same month, Steinitz’s ­widow Ruth, who was herself a physician and worked in the statistics department of the Health Ministry, was invited to join the station’s international advisory committee.90 It is difficult to ascertain to what extent she involved herself in the committee’s work, but she remained a member of the committee at least until 1979 and witnessed the development of the station itself and the diverse research projects undertaken there, the work of its scientific committees, and the academic events held there, all by virtue of her late husband’s indefatigable activity.91 The most recent item in the archive is a movie prepared for the event that marked the fortieth anniversary of the foundation of the Heinz Steinitz Marine Biology Laboratory held in June 2009. It relates the story of the station since Walter Steinitz’s tour of Palestine.92 This form of documentation is generally not found in historical archives, but in this case it seems just the right closure to what was then already a ninety-year-old family project.

Conclusion The story of the Heinz Steinitz Marine Biology Laboratory proceeded along two parallel paths, one public and the other personal, each of which shows how, over a fifty-year period, the relations between these two spheres have changed. More broadly, the very nature of marine biology generates an inherent connection between science and politics, which grew particularly close

89 NLI, Arc.  4°1626/02/98, HSA, Hebrew University Marine Biology Laboratory to Be Named in Memory of Heinz Steinitz, April 1972 (press release). 90 NLI, Arc. 4°1626/02/97, HSA, Avraham Herman to Ruth Steinitz, 3 April 1972. 91 The last letter updating Steinitz on the committee’s meeting was dated 1979. See ibid., Moshe Shilo to Ruth Steinitz, 7 June 1979. Some later documents referred to a conference to mark the tenth anniversary of Steinitz’s death in 1981, initiated by Steinitz’s colleagues. See NLI, Arc. 4°1626/02/99, HSA. 92 NLI, Arc. 4°1626/03/46, HSA, Forty Years of the Eilat Marine Station (CD), n. d.

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in the complex situation in Palestine/Israel during the first half of the twentieth century. Walter Steinitz based his zoological hypothesis on the specific conditions of the Red Sea, the Mediterranean Sea, and the Suez Canal that connected them, but failed to foresee the impact of this geopolitical setup on his proposal to found a local marine station. He was perhaps adept at exploiting the Zionist desire to promote Western science in the country to render his initiative more attractive, but could not have predicted the political crises of the 1930s in Palestine and Germany, and was forced to see his innovative idea rendered unrealistic and even absurd amid the new circumstances. Unlike his father, Heinz Steinitz could call on the resources of a young country enthusiastic about its scientific research and willing to establish a recognized presence in the precise regions that Heinz Steinitz wished to explore. In fact, the two wars that took place within ten years of each other in those specific regions provided Steinitz a greater opportunity to explore the Red Sea and enhanced the government’s motivation to establish an Israeli research center there. The personal aspect should not be disconnected from the geopolitical situation: Walter Steinitz was, after all, a recent migrant to a country ruled by foreign forces, whose academic work relied on individual initiative and philanthropy. Contrary to his colleagues at the Hebrew University, when he embarked on a fundraising tour he represented no institute besides the one he himself had founded. One cannot tell whether his persistent endeavors would have succeeded had the refugee crisis on the one hand and the Arab revolt on the other not dried up the potential resources, but one may conclude that for this kind of project, determination is just not sufficient. It is easier to discern the individual influence of his son Heinz. Almost every document in his archive speaks to his remarkable scientific work and his international reputation. Whether it be a letter from a colleague abroad or an invitation to join an international committee, Steinitz’s work was the best business card to present to Israeli and international authorities alike. Much still needs to be done to determine how and to what extent Stei­ nitz’s standing reflected Israel’s general status in the contemporary scientific world; and the evolution of zoology in Israel, considering the environmental conditions, remains to be examined. As this article suggests, the Heinz Stei­ nitz archive may help answer some of these questions.93

93 I would like to thank Prof. Richard I. Cohen for his considerable help in writing this article.

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The Archive of the Habima Secretariat: Margot Klausner and the Making of a National Stage In 1935, the relationship between Margot Klausner and Habima, which at the time was still no more than a prestigious Hebrew troupe operating as a collective of actors, ran into a severe crisis. Klausner and her husband, Yehoshua Brandstatter, had been working as volunteers for Habima since 1927. They were among the founders of the Habima secretariat in Berlin in January 1928, and they organized and operated a widespread philanthropic organization that raised funds for the troupe and facilitated its contractual engagements with various theater artists and Zionist organizations. Moreover, they ran publicity campaigns that constructed the troupe as a flagship Zionist theater. In 1931, the Habima members decided to settle permanently in Tel Aviv. Klausner and Brandstatter, who resided in Vienna at the time, followed the troupe and moved to Tel Aviv in order to continue serving it. As time went by, Klausner felt more and more exploited by the troupe. She felt that the company members showed no gratitude for her continuous endeavors to support the troupe and broaden its activity. Because the troupe operated as a collective, she had no vote in its meetings, excluding her from the decision-making process. Eventually, she demanded from the management of the collective to get paid for her work and to receive the right to vote in its meetings. The assembly in which the actors discussed her demands was a humiliating scene; after years of unremitting work, the troupe’s members even considered asking Klausner for a report detailing her activities for the Theater: “[Baruch] Tchemerinsky: We do not need to ask Margot for a report, because we are all aware of Margot’s doings in all areas of our lives and daily work. Aharon [Meskin]: Among other things, I would like to say that Margot is important for us not necessarily as a ‘clerk’ – when she follows this order or the other. She is more important for us when she takes part in our lives and in our excitement in a premiere or other significant moments in life – her closeness is important to us.”1

The rhetoric of the entire meeting revealed the Habima members’ total lack of understanding of the contribution made by Klausner and Brandstatter over 1 The Israeli Documentation Center for the Perfoming Arts (henceforth IDCPA), File 244555, Protocol of Habima’s General Meeting, 6 December 1934 (Heb.). All quotations were translated by the author. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 497–514.

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the years. In addition, Klausner continued to be denied the right to vote. This was unbearable for her and Brandstatter. They left the meeting, slamming the door on eight years of close working relationship with the Theater. As Klausner explained at the time: It was not due to a specific criticism regarding this issue or the other; it was rather a conclusion, an outcome of the attitude members had shown towards them – for a long time.2 This contentious termination of collaboration with Habima marked the disappearance of Klausner from the history of Hebrew theater. And her fate was not unique. Theater scholar Susan Bennett argues that the absence of female artists and managers from the history of theater is a widespread phenomenon. Indeed, in the past, historians excluded women from the historiography of world theater. While one would expect this situation to have changed in recent years along with the growing awareness for women’s issues and interest in women’s creativity, Bennet argues that scholars continue to discuss professional theater women almost entirely within a narrow political-feminist framework. Thus, women who were active in mainstream or commercial theater are still being neglected by scholarly research. Especially problematic is the fate of women theater artists and managers who, instead of building their own public personae, devoted their energies to contributing to larger theatrical institutions.3 The absence of these women from the collective memory of world theater has also affected the handling of the archival corpora they left behind. These collections are often poorly preserved and rarely open to the public, which has further contributed to the ongoing historiographic neglect.4 Such was the fate of the archival corpus that documented the managerial activity of Klausner at the Habima secretariat. The documents, written mostly in German and dated from the years 1927 to 1935, remained uncatalogued and closed to the wider public and researchers for decades. Only recently was this collection rediscovered, thanks to a joint research project “­Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel,” led by the German ­Literature Archive Marbach and the Rosenzweig Minerva Research Center at the Hebrew University, which focuses on lost German-language archival collections in Israel. In this article, this archival corpus is examined to restore Klausner and her deeds into the history of Hebrew theater, and to understand

2 Ibid., Protocol of Habima’s General Meeting, 28 April 1935 (Heb.). 3 See Susan Bennett, Decomposing History (Why Are There So Few Women in Theatre History?), in: William B. Worthen/Peter David Holland (eds.), Theorizing Practice. Redefining Theatre History, Basingstoke/New York 2003, 71–87. 4 See Susan Bennett, The Making of Theatre History, in: Charlotte  M. Canning/Thomas Postlewait (eds.), Representing the Past. Essays in Performance Historiography, Iowa City, Ia., 2010, 63–83.

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how this archival corpus challenges and reshapes our understanding of the history of Habima.

The Archive of the National Theater and its Negative Image Following the influential archive theories of Jacques Derrida and Michel Foucault,5 theater historians agree that the archive is a dynamic space in which archivists construct cultural memory and influence further historical research through the methods by which they gather, arrange, and preserve the documents.6 Moreover, the documents themselves capture and reflect the symbolic social power relations in which they were created, revealing not only their explicit content, but the cultural context that determined their significance in the first place.7 The archive touches upon explicit questions of identity and theatrical aesthetics. It is an arena in which the memory of national theaters is being curated, while calling into attention the persistent gap between the documents available in the archive on the one hand, and the historical narratives already produced on the other.8 Despite the fact that Habima was established in Moscow in 1918, the creation of the “National Archive” of the Theater began in the early 1930s, after Habima had settled in Mandatory Palestine, and was a byproduct of the consolidation of Habima’s identity as the national stage of the Yishuv.9 Since the early 1930s, the Theater kept detailed records of its artistic production 5 See Jacques Derrida, Archive Fever. A Freudian Impression, transl. by Eric Prenowitz, Chicago, Ill., 1996; Michel Foucault, The Archeology of Knowledge, transl. by A.  M. Sheridan Smith, London/New York 1989. 6 See Bennett, The Making of Theatre History; idem., Decomposing History; Maggie B.  Gale/Ann Featherstone, The Imperative of the Archive. Creative Archive Research, in: Baz Kershaw/Helen Nicholson (eds.), Research Methods in Theatre and Performance, Edinburgh 2012, 17–40 (reprint); Helen Freshwater, The Allure of the Archive, in: Poetics Today 24 (2003), no. 4, 729–758; Christopher Balme, Playbills and the Theatrical Public Sphere, in: Canning/Postlewait (eds.), Representing the Past, 37–62; Shannon Jackson, When “Everything Counts.” Experimental Performance and Performance Historiography, in: ibid., 240–261. 7 See Freshwater, The Allure of the Archive, 729–758. 8 See Gale/Featherstone, The Imperative of the Archive; Erika Fischer-Lichte, Some Critical Remarks on Theatre Historiography, in: S. E. Wilmer (ed.), Writing and Rewriting National Theatre Histories, Iowa City, Ia., 2004, 1–16; Thomas Postlewait, The Cambridge Introduction to Theatre Historiography, Cambridge 2009. 9 See Gad Kaynar-Kissinger, Ha-bima memateget et atẓma ke-te’atron le’umi 1931–1958 [Habima Markets Itself as a National Theater 1931–1958], in: idem/Dorit Yerushalmi/ Shelly Zer-Zion (eds.), Ha-bima. Iyunim ḥadashim be-te’atron le’umi [Habima. New Studies on National Theater], Tel Aviv 2017, 83–104.

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through which it conveyed its institutional and national value. For example, the graphic design of the programs expressed the symbolic value of Habima as a Hebrew institution. On the front page of the programs appeared a large logo of the Theater, its name lettered in Hebrew in a shape that illustrates a theater stage. The names of the various performances were always identical and smaller. Thus, the graphic design of the programs constructed the presence of Habima as the main artistic event10 of which the actual performances were but a minor souvenir. A similar attitude is reflected in the photographic documentation of the performances. The photographs were mostly close-ups that celebrated the presence of the actors in various costumes.11 Photography and other visual documents, argues Barbara Hodgdon, serve as a visual tool that interprets theater and its cultural value.12 In addition, images exist also as artifacts in their own account, which construct historical memory and power relations.13 These images, therefore, constructed the actors as flesh-and-blood memory sites that capture a performative repertoire, while disregarding their active artistic labor on the stage, within the mise-en-scènes. During the 1970s, the Habima documents were transferred to the Israeli Documentation Center for the Performing Arts (IDCPA) at Tel Aviv University, where they were arranged, catalogued, and stored. The theater journal Bama (Stage), published by Friends of Habima Circle continuously from 1933 to 1949, has made a highly significant contribution to the archiving of Habima. Although the journal aimed to deal with various aspects of the art of theater in general, it focused almost entirely on the performances and performers of Habima. The first issue of the journal, for example, was about sixty-three pages long, nineteen of which were dedicated to the various Habima productions, with a further eighteen pages

10 Christopher Balme argues that theater programs construct the identity of the theatrical institution in the public sphere, see idem, Playbills and the Theatrical Public Sphere. Gad Kaynar-Kissinger analyzes the role of the theater programs in the construction of Habima’s national identity. See idem., Ha-bima memateget et aẓma ke-te’atron le’umi 1931–1958 [Habima Markets Itself as a National Theater 1931–1958], 83–104. 11 The photography of the Habima performances from the 1930s and 1940s is accessible at the IDCPA and in the Habima online archive: (1 December 2019). 12 On theater photography as a tool for reading theater, see Barbara Hodgdon, The Visual Record. The Case of Hamlet, in: David Wiles/Christine Dymkowski (eds.), The Cambridge Companion to Theatre History, Cambridge 2013, 246–266. 13 On images and their power, see Horst Bredekamp, Image Acts. A Systematic Approach to Visual Agency, transl., ed. and adapted by Elizabeth Clegg, Berlin/Boston, Mass., 2018, 1–10.

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dedicated to the organizational structure of Habima and its history. Among these pages was an article by Gershon Hanoch – the first in a series of more than ten a­ rticles that introduced readers to the biographies of the Habima actors and their heroic years in Moscow. Thirteen pages were dedicated to world the­ater, and only four pages mentioned the theatrical activity of other Erez-Israeli troupes performing at the time in Palestine.14 The journal turned Habima into a single cultural prism that generated an intellectual Hebrew discourse about the performing arts, cultural memory, and national identity. This well-accessible Habima archive dated from the 1930s created a sharp hierarchy between Habima and other theater institutions active in Palestine; between the Hebrew discourse of the theater and references to Jewish the­ ater in other languages; and, eventually, between this well-arranged archive and the earlier, more fragmentary archival corpus of the Theater from the late 1910s and the 1920s. It created what theater scholar Erika Fischer-­ Lichte conceptualizes as a selective perspective that focuses on a single phe­ nomenon, while overshadowing a more comprehensive view of the field of theater.15 The archival corpus of the Habima secretariat was, in many respects, the negative image of Habima’s accessible record. It belonged to the majority of archives, which, as Freshwater stresses, contain unorganized corpora of documents that are only partially registered and hidden from the awareness of scholars as well as the public.16 Derrida refers to these archival corpora as the unconsciousness of the archive, which according to him follows two organizational principles. First, the commencement  – namely, the archive captures the physical and historical flow of everyday life. The second principle is commandment and describes the authoritative power of social order that is reflected and embodied in the archive. The commencing archive, that has no reference to the authoritative narrative, exists in the twilight, between physical existence and historical oblivion.17 With this in mind, the archival corpus of the Habima secretariat can be easily identified as the unconscious memory of Habima. The administrative archive of the Habima secretariat began to accumulate in 1926, after the company left Moscow and embarked on a world tour. In October 1926 it sojourned in Berlin, warmly received by Jewish theater critics and intellectuals interested in its Muscovite plays. At the end of 1926, Habima left Berlin for the United States. During the tour, the troupe split up: About one-third of the members remained in America, including the troupe’s found14 15 16 17

Bama 1 (May 1933). See Fischer-Lichte, Some Critical Remarks on Theatre Historiography, 1–16. See Freshwater, The Allure of the Archive, 729–758. See Derrida, Archive Fever, 7–24.

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er and manager, Nahum Zemach. The rest returned to Berlin in August 1927, feeling demoralized and lost. They toured all over Germany, performing their Muscovite repertoire over and over again while trying to make a living. At that point, 22-year-old Margot Klausner, a young Jewish woman from a well-established family of merchants, along with her first husband and a close circle of friends, who were also members of the German-Jewish economic elite, came to the aid of the theater. They collaborated in translating Habima’s warm reception by the Berlin audience into a philanthropic tool that would benefit the Theater and ensure its financial future. In January 1928, Margot Klausner and her friends founded the Habima secretariat: Its task was the development and coordination of Habima’s philanthropic affairs in their entirety.18 Klausner acted as the manager of this body during all those years, although she never held any official position nor received any payment or recognition for her work.19 The secretariat was never officially dismantled, yet it stopped being a central player in the management upon the settlement of the Theater in Palestine, and lost its influence completely in 1933, as the Nazis rose to power. The archive of the secretariat comprises approximately two meters of shelves of documents, dated from 1926 till the mid-1930s, and constitutes the antithesis of Habima’s main national archive: First, this archive of Habima, a troupe so identified with the project of Hebrew revival, is almost entirely in German. Second, whereas the main, known archive of the Theater delineates its peak artistic events, this archive reveals routine work, including daily correspondences between Klausner and outstanding German-Jewish businessmen, writers, and intellectuals, such as Wilfrid Israel, Max Warburg, Martin Buber, Franz Werfel, Sammy Gronemann, Thomas Mann, and Ri­ chard Beer-Hofmann; budget calculations; meeting protocols and planning of fundraising events. Third, it contains no visual documents or any documents of graphic value, just thousands of thin silk pages printed with German in typewriting. The IDCPA’s founder and director for forty years, Shimon Lev-Ari, recalled that the archive arrived in the documentation center in 1984.20 The­ ater director Yossi Yizraeli, an emeritus professor of Tel Aviv University who worked at that time both in Habima and at the University, remembers that Habima wished to get rid of the archive. Only in the last minute did Lev-Ari

18 See Shelly Zer-Zion, Habima. Eine hebräische Bühne in der Weimarer Republik, transl. by Markus Lemke, Paderborn 2016, 151–246. 19 See Margot Klausner, Yoman Ha-bima [Habima Diary], Tel Aviv 1971, passim. 20 See Shimon Lev-Ari, Le-toldot ha-sifriyot, ha-arkhiyonim ve-ha-muze’onim la-te’atron ha-ivri [A Historical Survey of Libraries, Archives, and Museums on the Hebrew Theater], in: Arkhiyon 9 (1998), 17–30.

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succeed in rescuing this archive and depositing it safely in the documentation center.21 The administrative archive was stored, yet it remained uncatalogued and closed to the public. Physically it existed, yet it remained sealed and utterly forgotten, pushed aside beyond the scope of the memory of Hebrew theater. Only in 2011 did IDCPA archivists begin working on this archive for the first time, initiating the lengthy process of arranging the documents, indexing, and cataloguing them. How does this corpus of documents enable us to integrate the activity of Klausner into the history of Habima?

A Theater of the Jewish People The archive of the Habima secretariat reveals the intensive and systematic efforts of Klausner and her colleagues to turn Habima into a national project. Immediately after the founding of the secretariat, they began to approach potential donors to secure philanthropic aid for the Theater. In her memoir, Klausner recalls that it was a demanding task, offering frequent disappointment: “Yehoshua, Ben-Chaim and I went to see Alfred Tietz, the owner of ten large department stores spread across Germany. We breathlessly climbed the stairs to his office on the sixth floor. […] up there, a strange welcome awaited us, if this is the way to refer to the flood of curses falling on our heads. He, Mr. Tietz, rubbed the following in our faces: He has more urgent worries than Hebrew theater! […] after the performance, we all went to the Rolmans. There was a gathering of amiable Jews […]. […] spontaneously they accepted our offer and founded a committee of the ‘Friends of Habima’ straightaway. In high spirits I sat at the round, ancient table and dined, as suddenly I was introduced to my neighbor – Mr. Tietz. We were both slightly embarrassed. […] he apologized for his abusive behavior […]. The show had left him full of admiration, and he is willing to participate, like the host, in the fund-raising.”22

Philanthropy was an accepted norm among German Jewry. Being one of the wealthiest families in Germany, the Tietzes presumably received frequent philanthropic requests,23 and recruiting them in favor of Habima was a genuine achievement in establishing the philanthropic framework of the Theater. This anecdote reveals the difficulty of attracting committed donors from among the Jewish economic elite, willing and able to raise generous funds for the project of Hebrew theater. Dozens of documents in the Habima secre21 Yossi Yizraeli recalled this matter in a conversation we held at the IDCPA in 2012. 22 Klausner, Yoman Ha-bima, 18 f. 23 See Werner E. Mosse, The German-Jewish Economic Élite, 1820–1935. A Socio-Cultural Profile, Oxford 1989, 100–160.

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tariat archive show that Tietz was just one of many potential donors who were approached by Klausner, some mentioned by their names and some not. To several letters a statement declaring the objectives of Habima’s philanthropic organization was attached. This statement exists in many variations in the secretariat archive; the one referred to here is from a letter to Isaac Neiditsch, a wealthy Russian Jew who had assisted Habima earlier, in Moscow: “The Friends of Habima Circle has taken it upon itself to promote and to support Habima as a Hebrew theatre. This mission is divided into three parts: •  Raising funds through advertisement, in order to enable work on a new repertory. •  Creating an independent director’s board for Habima. •  Establishing a Jewish international People’s Stage [Volksbühne].”24

The continuous efforts of Klausner and other secretariat members eventually led to the stabilization of the philanthropic organization of the Theater. In an elegant brochure that publicized the artistic activity of Habima, the secretariat presented its structure. It was composed of four organizations: the Habima secretariat, the patrons organization, individual members of the Friends of Habima Circle, and organized groups active in the Friends’ Circle. 25 The Habima secretariat, centered in Berlin, functioned as the board of directors of the Theater. It was in charge of the strategic planning of the financial policy and of routine financial management, and included Klausner herself, Wilfrid Israel, and Lola Hahn-Warburg, with Dr. Wenzel Goldbaum serving as the legal counselor. Shortly after the establishment of the secretariat, Erna Michael Sondheimer, the wife of industrialist Jakob Michael, also joined.26 Yehoshua Brandstatter and Yoseph Baratz represented the Erez-Israeli perspective. Brandstatter was, indeed, a pioneer who had arrived in the Land during the immigration wave of the Second Aliya.27 Nonetheless, in those years he was training Zionists in the Netherlands and spent a considerable amount of time with Klausner, his future wife, in Berlin. Thus, his strong affiliation with the Theater was woven into his romantic relationship with Klausner.28 Baratz, an Eastern European Zionist from the Ukraine, was among the founders of the Degania Group. He represented the Erez-Israeli 24 The documents that describe the philanthropic layout of the Theater and its objectives appear in many variations in the archive of the Habima secretariat, see IDCPA, File 235309. This quotation is taken from a letter sent to the Russian Jewish donor Isaac Neiditsch, who was close to Chaim Weizmann and the Zionist movement. The letter is dated 19 September 1928. Central Zionist Archive (henceforth CZA), File A79/2/2 (Germ.). 25 See Kreis der Freunde der Habimah (ed.), Habimah, n. d. Berlin, n. p. 26 See Hans Jaeger, s. v. “Michael, Jakob”, in: Neue Deutsche Biographie, 26 vols., Berlin 1971–2016, here vol. 17: Melander–Moller, Berlin 1994, 425. 27 Moti Zeira, Ish Ahavot. Sipur ḥaiyav shel Yehoshu’a Brandshteter [A Man of Loves. The Life Story of Yehoshua Brandstatter], Jerusalem 2006, 9–119. 28 Ibid.

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pioneer voice in the secretariat, though he was barely involved in the routine management of the Theater. 29 The patrons’ organization had a symbiotic connection to the secretariat, as most of its members were first-degree relatives of the members of the secretariat. Julius Klausner was Margot’s father, industrialist Jakob Michael was the husband of Erna Sondheimer, and the banker Max Warburg, in charge of the family’s banking empire, was Lola Hahn-Warburg’s father.30 In addition, Eugen Landau, a senior banker of the German National Bank, partook in the patrons organization,31 together with Otto Hermann Kahn, an American Jewish banker of German origin. Kahn was a central figure in American economy and diplomacy, as well as a donor for the arts and member of the New York Metropolitan Opera board of directors.32 Last but not least, German-Jewish industrialist Leo Simon joined in.33 Wilfrid Israel was in charge of coordinating the needs of the Theater with the secretariat and the donors in the patrons’ organization. The establishment of the patrons’ organization was the greatest achievement of the Habima secretariat, as this organization breathed life into the starving Theater and its penniless actors. The patrons personally funded the Theater and widened the circle of donors through their professional networks. During the years 1928 to 1932, this was almost the only source of income that allowed paying the actors’ salaries, producing new plays, and hiring directors and designers. The high profile of the members of the secretariat and the patrons’ organization indicates the great recognition that Hebrew theater had gained among the German-Jewish established bourgeoisie. Members of both organizations turned their support of Habima into a public identification with the Zionist cultural agenda. An additional philanthropic branch was the Friends of Habima Circle, which comprised two sections. The first consisted of organized groups in various European states, which collectively raised modest donations for Habima. In return, the group members received the Theater’s publications, activity updates, and discounted theater tickets to Habima plays whenever 29 David Tidhar, s. v. “Baraẓ, Yosef,” in: Enẓiklopedia le-ḥaluẓei ha-Yishuv u-bonaw [Encyclopedia of the Founders and Builders of Israel], 19 vols., Tel Aviv 1947–1971, here vol. 3., Tel Aviv 1949, 1402. 30 The Warburg family was one of the main case studies in the research of Werner E. Mosse. See idem, The German-Jewish Economic Élite, 1820–1935. 31 On Eugen Landau and his public Jewish activity, see Isaiah Friedman, The Hilfsverein der deutschen Juden, the German Foreign Ministry and the Controversy with the Zionists, 1901–1918, in: The Leo Baeck Institute Yearbook 24 (1979), 291–319. 32 See Mary Jane Phillips-Matz, The Many Lives of Otto Kahn, New York 1963, 55–92. 33 S. v. “Simon, Leo,” in: Walther Killy/Rudolf Vierhaus (eds.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, 10 vols., Munich 1995–1999, here vol. 9: Schmidt–Theyer, Munich 1999, 333 (reprint of the first edition published in 1998).

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Habima performed in their vicinity. Such groups were active in Yugoslavia, the Netherlands, Germany, and Palestine. Klausner mentions that the model of the German Volksbühne inspired the establishment of these groups.34 The Volksbühne was a German socialist theater movement, set up as a cooperative society. Its members paid annual membership fees, thus securing the income of the Volksbühne. This freed the theater from commercial considerations, the harassment of censorship, or dependency on a political party.35 In fact, the Volksbühne was not an original socialist model, but an offshoot of the Berlin Freie Bühne (Free Stage), founded in 1889 by a group of around twenty intellectuals, most of them Jewish, and now led by co-founder Otto Brahm. The group participated in funding Habima while promoting liberal German theater culture free of censorship restrictions and the aesthetic obligations of conservative court the­ aters.36 The Habima secretariat, therefore, implemented the same managerial model as the Berlin Freie Bühne about thirty years earlier. Whereas the latter used this model to promote German liberal culture, the former used it to promote a performative scene of Hebrew-Zionist culture. The second section of the Friends of Habima Circle was composed of individual members who identified with the cultural agenda of the Theater. They were all public figures, members of the artistic and intellectual elite of German and Eastern European Jewry, and their assembly under the cultural umbrella of Habima was not accidental. As the secretariat’s archive indicates, Klausner and her colleagues had approached each of them personally to gain their public support for the Habima project.37 Among these individuals, a large group of German-Jewish theater people from Berlin stands out. They included the theater directors Leopold Jessner,38 Viktor Barnowsky,39 and Max Reinhardt;40 actors Elisabeth Bergner41 and Ernst Deutsch;42 the

34 For the organizational structure of the Habima philanthropic organizations, see Kreis der Freunde der Habimah (ed.), Habimah. 35 See Andrew G. Bonnell, The People’s Stage in Imperial Germany. Social Democracy and Culture 1890–1914, London/New York 2005, 120–202. 36 See Peter Jelavich, How “Jewish” Was Theatre in Imperial Berlin?, in: Jeanette R. Malkin/ Freddie Rokem (eds.), Jews and the Making of Modern German Theatre, Iowa City, Ia., 2010, 39–58. 37 Kreis der Freunde der Habimah (ed.), Habimah. 38 See Anat Feinberg, The Unknown Leopold Jessner. German Theatre and Jewish Identity, in: Malkin/Rokem (eds.), Jews and the Making of Modern German Theatre, 232–260. 39 See Julius Berstl (ed.), 25 Jahre Berliner Theater und Viktor Barnowsky, Berlin 1930. 40 See John L. Styan, Max Reinhardt, Cambridge 1982. 41 See Arthur Eloesser, Elisabeth Bergner, Berlin 1926. 42 See Georg Zivier, Ernst Deutsch und das deutsche Theater, Berlin 1964, 46–56.

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Yiddish playwright and author Osip Dymov;43 the expressionist playwrights Fritz von Unruh44 and Walter Hasenclever;45 and the dramaturges Leo Lania,46 who worked alongside Erwin Piscator, and Otto Zarek, who collaborated with Reinhardt.47 Two journalists of the Frankfurter Zeitung also joined the Friends’ Circle: The newspaper’s theater critic Bernhard Diebold, and its publisher and chief editor Heinrich Simon.48 Members of the publishing and literary milieu also participated in the organization, including the ­publisher Samuel Fischer49 and the novelists Thomas Mann, Franz Werfel, Alfred ­Döblin, and Lion Feuchtwanger. Other members such as the painter Max Liebermann,50 the musician Leo Kestenberg,51 and the conductor Bruno Walter;52 as well as members of the economic elite, including Margaret Tietz, the wife of Alfred Tietz, and Rachel Goldberg from Tel Aviv who was, together with her husband, one of the outstanding philanthropists in Palestine.53 Surprisingly, not as many particularly Zionist leaders were part of the Friends’ Circle, among them, most notably, the philosopher Martin Buber, the lawyer and author Sammy Gronemann, and the author Arnold Zweig. Hayim Nahman Bialik, who enjoyed the prestige of a national poet, was among the outstanding representatives of the Yishuv’s intellectual elite, together with two central Zionist leaders, Chaim Weizmann, President of the World Zionist Organization (WZO; then called Zionist Organization), and Menahem Ussishkin.

43 See Nahma Sandrow, Vagabond Stars. A World History of Yiddish Theater, Syracuse, N. Y., 1996, 193. 44 See Friedrich Rasche, Fritz von Unruh. Rebell und Verkünder, Hannover 1960, 5–22. 45 See Christa Spreizer, From Expressionism to Exile. The Works of Walter Hasenclever (1890–1940), Rochester, N. Y., 1999, 1–27. 46 On Leo Lania and his collaboration with Erwin Piscator, see Erwin Piscator, Zeittheater. “Das Politische Theater” und weitere Schriften von 1915 bis 1966, Reinbek bei Hamburg 1986, 53–56, and 87–102. 47 See Otto Zarek/James Eastwood, Splendor and Shame. My German Odyssey, Indianapolis, Ind./New York 1941, 119–151. 48 On Heinrich Simon, see Mosse, The German-Jewish Economic Élite, 1820–1935, 134– 160; and Klausner, Yoman Ha-bima, 47. 49 See s.  v. “Fischer, Samuel,” in: Killy/Vierhaus (eds.), Deutsche Biographische Enzyklopädie, here vol. 3: Ebinger–Gierke, Munich 1999, 327 (unrevised reprint of the original edition published in 1996). 50 Max Lieberman was among the Jewish artists highly regarded by the German-Jewish economic elite. See Mosse, The German-Jewish Economic Élite, 1820–1935, 279–330. 51 See Ann-Kathrin Seidel, Leo Kestenberg in Israel (unpublished MA thesis, Leipzig University, 2009), 4–29. 52 See Erik Ryding/Rebecca Pechefsky, Bruno Walter. A World Elsewhere, New Haven, Conn., 2001. 53 See Gershon Gera, Ha-nadiv ha-lo yadu’a [The Unknown Benefactor], Tel Aviv 1984, 163–219.

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Klausner and the members of the secretariat managed to transform Habima from an isolated and esoteric Hebrew theater studio originating in Moscow into a joint project of European Jewry, a theater that was attended, discussed, and supported by the collective of the Jewish people. The list of members indicates that, at the time, prominent Zionist figures were underrepresented in the organizations committed to the troupe. Consequently, connecting the Theater to the Zionist-Erez Israeli enterprise was another goal pursued by the secretariat.

The Theater of the Yishuv At the beginning of 1928, right after the establishment of the Habima secretariat, Margot Klausner, her then husband Jacques Rosner, Wilfrid Israel, and her future husband Yehoshua Brandstatter took active steps in order to enable the Habima members to fulfill their dream and immigrate to Palestine. Klausner and Rosner personally donated the sum needed for the troupe to travel to the Land. However, Klausner quickly realized that, despite their official agenda, the Habima members were highly ambivalent about settling in Palestine. She recalled her shock after confronting Habima actor Shabtai Prudkin, who rudely demanded to know whether the secretariat had also secured the journey back from Palestine to Europe, as the actors were afraid of getting stuck in the Land.54 Paradoxically, the Zionist desire to settle in Erez Israel reflected the Palestino-centrist agenda of the secretariat members more than it reflected the authentic desire of the actors.55 After accomplishing the task of bringing Habima to Palestine, even though for a tour only, the secretariat applied itself to establishing the status of the troupe in the Land in order to deepen its affiliation with Zionist organizations. The first event organized by the secretariat was the celebration of the ten-year jubilee of Habima, set for 15 December 1928 in Tel Aviv. The hustle and bustle around the production for the event began in September that year. The secretariat set up a public committee in charge of arranging the celebrations, whose members included two members of the Friends of Habima Circle, Nahman Bialik and Rachel Goldberg. The attempt to recruit official representatives of Zionist organizations for the committee failed. Nevertheless, the public preoccupation with Habima contributed to raising its status 54 See Klausner, Yoman Ha-bima, 24 f. 55 See Yehuda Eloni, Zionismus in Deutschland. Von den Anfängen bis 1914, Gerlingen 1987, 250–376; Hagit Lavsky, Before Catastrophe. The Distinctive Path of German Zionism, Detroit, Mich., 1996, 88–125.

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among Zionist leaders who were hitherto unaware of the enterprise of Hebrew theater. The jubilee celebrations opened in Berlin two months before the main event in Tel Aviv, with the aim of promoting the Friends’ Circle and expanding the number of donors involved in philanthropic organizations. On 12 October 1928, the culture section of the Zionist Jüdische Rundschau published a segment titled Ten Years of Habima.56 The entire segment looked like a public relations column dedicated to the Theater. Two articles with no author, presumably written by Klausner or one of her colleagues at the secretariat, detailed the history of the Theater and the structure of its philanthropic organizations. Yosef Baratz published a short essay in which he described the performances of Habima in Emek Yisrael, stressing its affinity with the Kibbutzim in the valley and the theater. The Habima banquet took place at the Kaiserhof Hotel two days later. The main speakers were Arnold Zweig and Leopold Jessner, both stressing how important it was for Habima to build a stable home in Palestine. Only then, they argued, would the Theater be able to express authentically the strong spirit of Erez Israel and to publicize it among the Jews of the diaspora.57 The message emerging from the newspaper articles as well as the speeches held at the banquet was sharp and clear: Habima would strive to establish itself as a leading theatrical institution of Jewish Palestine, and the philanthropic organizations would assist it in achieving this goal. This message was also proclaimed at the jubilee event in Tel Aviv, where the organizers embedded speeches and greetings from renowned Hebrew and Jewish personae in between the performances. The speeches from the Berlin banquet were read aloud from the stage for the audience, which was comprised of the political and intellectual Zionist elite of the Yishuv.58 The secretariat planned to leverage the jubilee events in order to raise more money for the troupe. Their aim was to enable the actors to reduce the number of performances and spend more time working on new plays, which could be achieved by turning Habima into the official troupe of the WZO, thus making it more attractive for donors. Negotiations between the organization and the secretariat had begun prior to the jubilee celebrations,

56 Zehn Jahre Habimah, in: Jüdische Rundschau, 12 October 1928, 569 f. 57 See Habimah-Bankett, Jüdische Rundschau, 16 October 1928, 576. 58 See Ḥag he-asor shel Ha-bima [Ten-Year Celebration of Habima), in: Davar, 16 December 1928; Ḥag he-asor shel Ha-bima [Ten-Year Celebration of Habima], in: Haaretz, 16 December 1928. A formal invitation to the celebration of the ten-year jubilee is accessible at IDCPA, Habima Administrative Archive, 1925–1933, section no. 235260.

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though they ended inconclusively.59 In early 1929, Max Warburg personally contacted Siegfried van Vriesland, the financial consultant of the Executive Committee of the WZO in Jerusalem, and asked him to assess the financial conduct of Habima in order to identify the reasons for its problematic financial situation. After receiving from van Vriesland a detailed report, he conditioned his support of the troupe and that of other patrons upon the WZO recognizing it as the official theater of the organization: “Once the conditions that I set are accepted, I will be willing to donate to Habima 1,000 £ a year for the duration of three years, on behalf of my friends and myself. Thus, under the condition that 2,000 £ will be received from a third party, and that it will be expected that the flow of 3,000 £ will cover the deficit. An additional condition is that Habima will be recognized as the official theatre of the Zionist organization. This condition is needed, as we have already seen before how harmful the quitting of individuals from the troupe can be, and how easily Habima can lose its advantage in the competition with other (parallel) organizations.”60

Warburg was worried about the turbulent relationships among the Habima members. He felt that the Theater’s recognition by the WZO would stabilize the troupe and deepen the commitment of the actors to the Theater. Consequently, the Theater would attract additional donors that would secure its future, regardless of the support of the WZO. The mutual relationship between Habima and the WZO, Warburg believed, would benefit both parties. On the one hand, the Theater would lose its controversial avant-gardist aura and find stability; on the other hand, the WZO would be able to use Habima as a prestigious and highly acclaimed propaganda outlet. At first, the Habima members were willing to cooperate with this initiative and to open up their ledgers for van Vriesland. In return, Warburg and the secretariat put heavy pressure on the delegates of the WZO to proceed with the plan of bestowing upon Habima the desired recognition. The lobbying reached its peak in the summer of 1929, as the Zionist Congress was about to convene in Zurich and make a decision. With the due date approaching, the troupe members felt increasingly threatened by this move. On the one hand, it seemed that the recognition by the Zionist Congress was in accordance with their desire to stabilize the Theater. On the other hand, however, the troupe members feared that affiliation with the WZO as well as the Habima secretariat and the patrons’ organization would inhibit their independence

59 Correspondence regarding the celebration of the ten-year jubilee of Habima is accessible at the CZA, Files S2/115 and S25/6749. The reporter of Haaretz mentioned the disappointment during the celebration, as the representative of the WZO announced on stage that it cannot recognize nor support Habima. See Ḥag he-asor shel Ha-bima, in: Haaretz, 16 December 1928. 60 CZA, File S1/2112, Max Warburg to Siegfried van Vriesland, 9 June 1929 (Germ.).

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and artistic freedom.61 The troupe members – who were residing in Tel Aviv at that time and were busy making final arrangements before embarking on a long European tour about to begin in September – decided to send Habima actors Hanna Rovina and Zvi Ben-Haim to the Congress to protect their interests. Margot Klausner was somewhat empathetic toward the actors’ resentment, yet other secretariat colleagues were hurt and disappointed by the utter lack of confidence the Theater members expressed. Wilfrid Israel referred to the matter in a letter to the Habima management: “I am convinced that [the cooperation with] the Congress will open up a new era for you. However, one should reexamine the organizational issue from the internal perspective as well as with regard to the secretariat. For a while already, the general development of your collective, as well as your artistic development, has not been clear to me […]. Deep interest and friendly feelings are not sufficient for a justification for working together in the secretariat.”62

Despite these hard feelings, the secretariat did all in its power to assist the Theater in receiving the desired recognition. The first objective was to receive a formal declaration of support from the Congress, which was achieved through the secretariat’s collaboration with the lobby for Habima, chaired by Shmaryahu Levin, and with the support of WZO President Weizmann.63 Subsequently, the parties began intense negotiations regarding the amount of financial support to be provided. One of the negotiators, Sammy Gronemann, suggested that, in exchange for ensuring salaries and training funds for the Habima actors for the duration of three years, the patrons would receive certain rights of supervision. Rovina and Ben-Haim opposed this offer so fiercely, that there was an actual risk of dismissing the negotiations altogether.64 Yosef Baratz tried to reconcile the parties. In a letter to the Habima management in Tel Aviv, he justified this concessive offer: “I understood the attitude of Rovina, who was particularly resentful regarding those proposals. I knew that they were preceded by a bad relationship and mutual misunderstanding. For this reason, the negotiation in Zurich was full of unpleasant and difficult moments. And after all that, after attending the Habima affairs over the past month and after handling and getting to know the secretariat people in Berlin, it became clear to me that these people are devoted to Habima with all their heart and soul, they have no intention of taking over, not even of intervening. They fear for the fate of this enterprise

61 This issue was evident in the protocols of the general meetings of the Habima members. See IDCPA, File 244073, Protocol of the Theater General Meeting, 31  January 1929; Protocols of General Meeting, 19 June 1929, 20 June 1929, and 16 July 1929. 62 IDCPA, File 240798, Wilfrid Israel to the Habima Management in Tel Aviv, 11 July 1929 (Germ.). 63 See ibid., Correspondence between Hanna Rovina, Zvi Ben-Haim, Margot Klausner and the Habima Management in Tel Aviv. 64 See Klausner, Yoman Ha-bima, 45–60.

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so dear to them and share one concern, its well-being. It became clear to me that these people are not merely philanthropists but are worthy of carrying the burden of Habima, not only of the financial but also of the social and cultural issues that will emerge in the future development of Habima.”65

Ultimately, the secretariat’s efforts bore fruit. On 26 August 1929, Klausner wrote enthusiastically in her diary: “I can barely believe it myself, but we have succeeded! For the first time, Habima won recognition as a national institution and received a tiny allowance – 300 EI£.” 66 I wish to end this survey of Klausner and the Habima secretariat not with this peak event, but rather with a glance at the routine work that followed and at the way the secretariat orchestrated the purchase of the first real-estate asset for the Theater in Palestine. When Habima stayed in Palestine between March 1928 and August 1929, it accepted the actor Menahem Gnessin into the troupe. Gnessin was well known to the Habima members, as he was among the three founders of the troupe in Moscow, together with Rovina and Nahum Zemach. He had left the troupe in 1923, and was, from 1924 onward, the head of a theater troupe located in Tel Aviv, named Erez Israeli Theater (TAI).67 This theater was not a collective, like Habima, but a company with shareholders among the inhabitants of the Yishuv. Rachel Goldberg and the municipality of the city even donated to TAI a small theater hall located on Rothschild Boulevard. But despite satisfactory material conditions, the troupe broke up, and, from 1926, TAI functioned merely as an acting studio directed by Gnessin. The philanthropists supporting either TAI or Habima initiated the merger between the two theaters. In early 1928, about three months before Habima arrived in Tel Aviv, Rachel Goldberg (representing TAI) approached Sammy Gronemann (representing Habima) and offered him a financial merger between the two institutions. Moreover, she invited Habima to use the TAI theater hall while staying in Palestine. Eventually, Gnassin rejoined Habima, but no records exist addressing his return to the troupe and if it was part of the merger initiated by Goldberg.68 The settlement of the administrative and financial aspects of the merger matured in the early 1930s, when Habima was back in Europe. The TAI company offered the Habima secretariat to purchase the company along with its entire assets, including the theater 65 IDCPA, File 240798, Yosef Baratz to the Habima Management in Tel Aviv, 24  August 1929 (Heb.). 66 Klausner, Yoman Ha-bima, 63. 67 See Zer-Zion, Habima, 151–246. 68 We do not have any record on the return of Gnessin to Habima. However, already in November 1928, he participated as a member in a general meeting of the troupe. From October 1929, he was registered as an elected friend in the Theater’s internal management, see IDCPA, Files 244073 and 244537.

The Archive of the Habima Secretariat

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hall on Rothschild Boulevard, for the overall sum of 1,300 EI£. After the troupe members confirmed the general outline of the deal, the secretariat took charge and finalized its legal and financial aspects. In addition, the secretariat managed to receive a promise from the WZO that, if the secretariat purchased the TAI company and the theater hall, the WZO would cover TAI’s financial deficits. 69 The continuous, unglamorous routine activity of the secretariat bestowed upon Habima its first substantial anchor in Palestine. Several years later, during the first half of the 1930s, with the Berlin secretariat already losing its power and influence, Klausner herself, the former coordinator and living spirit of the secretariat, initiated the building of Beit Habima, which functions to this day as the home of Habima.70 The construction of the Habima house was the last major project that Klausner led in her role within Habima. The rehearsal studio on Rothschild Boulevard was sold, and from its money the actors purchased their houses in Tel Aviv.71

Conclusion In 1971, Margot Klausner, by then 66 years old, founder and head of the Herzliya studios and one of the cornerstones of the Israeli film industry, published Habima Diary, her memoir about Habima, written in Hebrew. The book consists of Klausner’s diary from the 1920s and 1930s, in which she describes her work for the troupe, day by day. In addition to the translated and edited diary, Klausner inserted a closing chapter that was written in the present, in which she re-examines her activity for the Theater in retrospect. More than thirty years after the break-up with Habima, she confesses that this chapter in her life remains an open wound: “As I go through my diary and the dozens and hundreds of letters and lists that are in my possession […], as I recheck anew each day and each hour, each deed, each conversation, each thought, each dialogue or monologue regarding Habima, I can honestly

69 See IDCPA, File 250171, Protocol of the Meeting of the Habima Secretariat, 17 January 1930. 70 See Daphna Ben-Shaul, Ha-mishkan ha-ri’shon. Ha-vnayat zehutam ha-tarbutit shel mivnei Ha-bima [The First House. The Construction of the Cultural Identity of the Habima Halls], in: Kaynar-Kissinger/Yerushalmi/Zer-Zion (eds.), Ha-bima, 105–142. 71 See Klausner, Yoman Ha-bima, 160–215.

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and with clear conscious declare […]: Never have I done any wrong to Habima, and even unintentionally I did not cause any harm, physical or moral, to its reputation or enterprise.”72

In her memoir, Klausner reclaimed her place in the history of Habima. However, the authority of Klausner as the protagonist of her memoir is absent from the archive of the Habima secretariat. Most of the correspondence coming out of the Berlin secretariat consisted of copies of letters printed with a typewriting machine, many of them without a signature. Judging from Klausner’s memoir, she served as the living spirit and chief manager of the secretariat, and was involved in all aspects of its activity. This becomes evident also in light of her extraordinary entrepreneurial and directorial achievement that surfaced later on, during her life’s work in the film industry. From an analysis of the secretariat’s archival corpus, we may conclude that the lack of a protagonist in this collection was an integral part of the secretariat’s agenda. Klausner and the secretariat perceived the specific actors in the Habima ensemble as the flesh and blood of this Hebrew theatrical institution. In addition, they worked to turn this institution into a possession of the national collective: of the Jewish people living in Europe and Palestine, and of the WZO. The secretariat perceived itself merely as a mediator spreading the artistic message of Habima; not as a board of directors expected to leave an imprint on the institution it runs. Despite this self-effacing attitude, one can learn from this archive how it constructed, step by step, the Zionism of Habima. Zionism became a directorial strategy that was designed to lead not only to the survival of the organization, but its prosperity. During the 1920s, it became clear that the secretariat was imposing a Zionist-Erez Israeli agenda upon the Theater, whereas the actors themselves, who were devoted mainly to the idea of producing theater in Hebrew, were reluctant to adopt such a position. As far as results are concerned, we can see that the secretariat and Klausner shaped the construction of Habima’s national identity during the decades that followed. The Friends of Habima Circle of Palestine was in charge of publishing the Bama journal, the journal that established the centrality of Habima in the historiography of Hebrew theater to this day. Moreover, the documentation of the performances from the 1930s and 1940s celebrated the presence of the actors as the core of the Habima institution, rather than their artistic deeds – following the institutionalizing patterns of the secretariat.73

72 Ibid., 214 f. 73 This study was supported by the Israeli Science Foundation, grant no. 953/17.

Gelehrtenporträt

Ernst Müller

Latenz und Explikation: Lazar Gulkowitsch und seine Begriffsgeschichte des jüdischen Geistes Lange Zeit erschien die »German Begriffsgeschichte«, die in große begriffsgeschichtliche Wörterbücher wie die Geschichtlichen Grundbegriffe oder das Historische Wörterbuch der Philosophie mündete, in ihrem theoretischen Rückgriff auf Carl Schmitt, Otto Brunner oder Werner Conze als eine Tradition nicht nur konservativer, sondern auch eher deutschnationaler Intellektueller.1 Doch neben dieser Linie gibt es auch eine andere oftmals ins Exil getriebener, in der Diskussion erst schrittweise ins Gedächtnis zurückgerufener und bestenfalls untergründig wirkender jüdischer oder aus dem Judentum stammender Intellektueller: Sie lässt sich zurückführen bis zu Moritz Lazarus und reicht über die wirkungsvollen Theoretiker Fritz Mauthner, Ernst Cassirer und Karl Mannheim bis zu den explizit begriffsgeschichtlich arbeitenden Romanisten Leo Spitzer und Erich Auerbach, dem polnischen Bakteriologen und Wissenschaftshistoriker Ludwik Fleck sowie dem Mediävisten und Begründer der Geschichtswissenschaft an der Jerusalemer Universität Richard Koebner. Unter Einbezug dieser Intellektuellen, die unabhängig  – und meist in wechselseitiger Unkenntnis  – voneinander ihre Schriften zur Begriffsgeschichte um die Mitte der 1930er Jahre nahezu gleichzeitig veröffentlichten, erscheint diese Zeit – um Reinhart Kosellecks Begriff umzumünzen – geradezu als Sattelzeit der Begriffsgeschichte. Doch derjenige, der überhaupt erstmals eine deutschsprachige Monografie veröffentlichte, die sich ausdrücklich und titelgebend mit der »begriffsgeschichtlichen Methode« befasste, ist kaum Fachleuten dieser geisteswissenschaftlichen Methode bewusst: Das Privileg kommt Lazar Gulkowitsch zu, der 1937 und damit vier Jahre vor seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten seine Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft im estnischen Exil in Tartu veröffentlichte.2 Gulkowitsch entwickelt 1

Siehe zum Gesamtüberblick Ernst Müller/Falko Schmieder, Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin 2016. 2 Lazar Gulkowitsch, Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, Tartu 1937. – Siehe Ernst Müller, Latenz und Explikation. Die Sprache ist immer die letzte Zuflucht. Der Talmudforscher Lazar Gulkowitsch entwickelte die Methode einer Begriffsgeschichte, mit der er die progressiven Vorurteile der Religionsgeschichte korrigierte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Juli 2017, N 8. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 517–536.

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dort die Begriffsgeschichte zu einer emphatischen universalistischen Metatheorie der Geistesgeschichte als Kulturgeschichte. Die Begriffsgeschichte ist für ihn das methodische Zentrum für die jüdische Geistesgeschichte und für die Beantwortung einer ganzen Reihe jüdisch-theologischer Fragen. Gleich im Vorwort seiner Grundlegung bezeichnet er den historischen Ort seiner Schrift. Gulkowitsch sieht zeitgenössisch »den Anbruch einer neuen Epoche in der Geschichte der Sprachen«, gekennzeichnet dadurch, »daß die Sprachentwicklung bewußt in den Dienst aktiver Geschichtsgestaltung gestellt worden« sei.3 Deutlich wird, dass Gulkowitsch, der die »gegenwärtigen Bestrebungen zur Ausgestaltung des modernen Hebräisch« im Blick hat,4 über die Begriffsgeschichte auch nach Antworten sucht, um die Zukunft eines geistigen Judentums zwischen Assimilation und Zionismus zu bestimmen. Sein hochambitionierter Versuch, im offenen Feld der 1930er Jahre eine Begriffsgeschichte von der oder für die jüdische Geschichte zu entwerfen, ist in Kenntnis wichtiger sprachwissenschaftlicher und sprachphilosophischer Strömungen der Zeit verfasst. Dabei verwendet Gulkowitsch eine Reihe von methodischen Begriffen, die für das Jahr 1937 erstaunlich modern klingen: Latenz, Spur, Emergenz, Sprechakt, Begriff des Unbegrifflichen. Er kommt aber auch zu Ergebnissen, die mit Begriffsgeschichte im gängigen Verständnis mitunter nur wenig zu tun zu haben scheinen. Diese zunächst irritierende Spannung ist ohne die biografischen Hintergründe kaum verständlich.

Von der Talmudschule zum Lehrstuhl für Jüdische Studien Lazar Gulkowitsch wurde am 20. Dezember 1898 in Žirin im heutigen Weißrussland geboren und besuchte zwischen dem zwölften und siebzehnten Lebensjahr die renommierte Jeschiwa im südwestlich von Minsk gelegenen Mir.5 In den Wirren des Ersten Weltkrieges fand er zunächst Zuflucht in Süd3 Ebd., S 6. 4 Ebd., N 8. 5 Akribisch gesammelte und verlässliche biografische Angaben bei Anu Põldsam, Lazar Gulkowitsch – eine vergessene Stimme der Wissenschaft des Judentums. Seine Tätigkeit, sein Werk und seine Wirkung im zeitgeschichtlichen Kontext (Dissertation, Universität Tartu, 2011), (1.  Dezember 2019); dies., Von Leipzig nach Dorpat. Lazar Gulkowitsch und die deutschsprachige Wissenschaft des Judentums, in: Arndt Engelhardt/Susanne Zepp (Hgg.), Sprache, Erkenntnis und Bedeutung. Deutsch in der jüdischen Wissenskultur, Leipzig 2015, 87–102.

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russland, wurde dann 1918 im litauischen Virbalis für zwei Jahre Leiter einer hebräischen Volksschule und gehörte dort dem örtlichen Rabbinat an. Mit dem Wunsch, Mediziner zu werden, begann er 1919/20 ein Studium in Königsberg. Parallel studierte er auch Altes Testament (unter anderem bei Max Löhr, der sich für Juden und die Wissenschaft des Judentums engagierte) und Philosophie. 1922 promovierte er mit einer Arbeit zu Wesen und Entstehung der Kabbala zum Dr.  phil., setzte danach aber sein Medizinstudium fort. Im März 1924 reichte Gulkowitsch noch eine augenärztliche Dissertation ein, doch nahezu gleichzeitig wurde er an der Theologischen Fakultät der Leipziger Universität zum Lektor für späthebräische, jüdisch-aramäische und talmudische Wissenschaft ernannt. Die Stelle war vom Ministerium für Volksbildung des Freistaats Sachsen eingerichtet worden, um durch wissenschaftliche Untersuchungen zur jüdischen Religion den Gegensatz zwischen liberalen Juden und aus dem östlichen Europa zugewanderten, zum Teil dem Chassidismus anhängenden Juden zu entschärfen.6 Gulkowitsch wurde bereits 1924 deutscher Staatsbürger. 1927 habilitierte er sich im zweiten Anlauf an der Philosophischen Fakultät für die »Wissenschaft des späten Judentums« mit einer Arbeit, die sich mit einem zeitgenössisch (etwa von Simon Dubnow, Martin Buber, dann von Gershom Scholem) stark diskutierten Thema beschäftigt: Die Religionsphilosophie des Chassidismus innerhalb der vergleichenden Religionsgeschichte.7 Seine Probevorlesung von 1927 behandelt dann ein weiteres seiner Hauptarbeitsthemen: rationale und mystische Elemente in der jüdischen Religion.8 In derselben Zeit arbeitete Gulkowitsch auch zur Geschichte der Kabbala. Im August 1932 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt, womit er den seltenen Fall eines ostjüdischen Talmudschülers verkörpert, der ohne großen Bruch in kurzer Zeit – hier nur neun Jahre – höchste akademische Weihen einer deutschen Universität errang. Natürlich war auch Gulkowitschs Universitätskarriere in einer christlich dominierten Institution strukturell Zwängen unterworfen; doch das Religionswissenschaftliche Seminar verfolgte explizit keine theologischen Zielsetzungen. Durchaus in der Tradition der Altorientalistik sowie der sprachwissenschaftlich orientierten und innerhalb der Philosophie angesiedelten Religionswissenschaften legte Gulkowitsch in Leipzig den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die philologisch fundierte Erforschung der jüdischen Religionsgeschichte. Die jüdische Wissenschaft geht für Gulkowitsch von der hebräi-

6 Siehe Siegfried Hoyer, Lazar Gulkowitsch an den Universitäten in Leipzig und Dorpat (Tartu), in: Ephraim-Carlebach-Stiftung (Hg.), Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, Leipzig 1994, 123–131, hier 125. 7 Lazar Gulkowitsch, Der Hasidismus religionsgeschichtlich untersucht, Leipzig 1927. 8 Ders., Rationale und mystische Elemente in der jüdischen Lehre, Tartu 1935.

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schen Sprache als der grundlegenden Disziplin aus. In Leipzig entstanden Schriften, die auch als Vorarbeiten für sein Begriffsgeschichtsbuch angesehen werden können. 1931 erschien als Beitrag zur Formgeschichte der Sprache eine Arbeit über Die Bildung von Abstraktbegriffen in der hebräischen Sprachgeschichte.9 Darin entwickelt er die auch für seine Begriffsgeschichtstheorie fundamentale These, dass Veränderungen auf der Wort- und auf der Begriffsebene untrennbar miteinander verbunden sind: -ȗt-Abstrakta etwa gehören aus seiner Sicht der »höheren« Sprache an, liefern die Termini für Religionsgesetz, Moral und Literatur und verdrängen die alte Volkssprache. Damit diente diese Arbeit wohl auch dem Nachweis, dass die Sprache selbst eine Tendenz zur Begrifflichkeit hat, deren Untersuchung dann eine kulturgeschichtliche Dimension annehmen kann. Die Nationalsozialisten entzogen Gulkowitsch 1933 die Lehrerlaubnis und widerriefen seine Einbürgerung. Martin Buber setzte sich bei der Reichsvertretung der deutschen Juden dafür ein, dass Gulkowitsch neben ihm an einer von ihm geplanten deutsch-jüdischen Lehrerbildungsanstalt in Mannheim lehren konnte. Dieser Versuch scheiterte, aber Gulkowitsch hatte das Glück, auf Vermittlung des Leipziger Rabbiners Felix Goldmann 1934 an der Universität des estnischen Tartu (Dorpat) einen – damals in Europa einzigartigen, in der Gründung von vielen prominenten europäischen Juden wie Simon Dubnow, Martin Buber, Julius Guttmann, Leo Baeck, Leo Motzkin oder Albert Einstein unterstützten und international finanzierten – Lehrstuhl für Jüdische Studien zu übernehmen.10 Zu seinem kleinen, sogar Frauen umfassenden Hörerkreis gehörten sowohl Mitglieder der einheimischen jüdischen Gemeinde als auch emigrierte deutsche Juden. Für Gulkowitsch begannen produktive sechs Jahre, in denen er die meisten seiner Schriften veröffentlichte, fast alle in deutscher Sprache und viele davon – auch die über die begriffsgeschichtliche Methode – in einem Periodikum der Universität Tartu. Dazu zählt neben mehreren religionsund kulturgeschichtlichen Arbeiten zum Begriff Ḥasid (der Fromme) und den offenbar als Trilogie konzipierten drei Schriften zum Chassidismus11

  9 Ders., Die Bildung von Abstraktbegriffen in der hebräischen Sprachgeschichte, Leipzig 1931. 10 Urmas Nõmmik, Lazar Gulkowitsch und das Seminar für jüdische Wissenschaft an der Universität Tartu (Dorpat) (Teil I), in: Judaica. Beiträge zum Verstehen des Judentums 61 (2005), H. 4, 351–372, sowie ders., Lazar Gulkowitsch und das Seminar für jüdische Wissenschaft an der Universität Tartu (Dorpat) (Teil II), in: Judaica. Beiträge zum Verstehen des Judentums 62 (2006), H. 1, 1–42. 11 Lazar Gulkowitsch, Das kulturhistorische Bild des Chassidismus, Tartu 1938; ders., Die Grundgedanken des Chassidismus als Quelle seines Schicksals. Ein Beitrag zum Problem Idee und Leben, Tartu 1938; ders., Der Chassidismus als kulturphilosophisches Problem, Tartu 1940.

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eine Abhandlung über die Philosophie des Maimonides, den Gulkowitsch als Vermittler zwischen rationalem und mystischem Judentum feiert.12 Der Einmarsch der Roten Armee im August 1940 beendete die estnische Unabhängigkeit. Wie die meisten Fremdphilologien wurde das Seminar für Jüdische Studien mit der gesamten Fakultät für Religionswissenschaften geschlossen. Als ein Jahr später die Wehrmacht in Tartu einrückte, wurde der gerade 41-jährige Gulkowitsch mit seiner Familie und circa 800 anderen Juden im Juli 1941 ermordet. Sein Tod hat die weitere Entfaltung seines geplanten Werkes verhindert. Gulkowitsch wurde in seiner Tartuer Zeit international durchaus zur Kenntnis genommen, es gibt Briefwechsel mit dem deutsch-amerikanischen Ethnologen Franz Boas oder Martin Buber.13 Er hielt Gastvorträge außerhalb Estlands, 1938 an der Universität Uppsala und an der Columbia University, 1939 in Cambridge.14 1938 besuchte er Dubnow in Riga, auch um über diesen Kontakt neue jüdische Studenten zu gewinnen. Als die sowjetische Besetzung Estlands schon abzusehen war, bat Gulkowitsch den an der Hebräischen Universität Jerusalem tätigen Buber vergeblich, ihm ein Zertifikat oder eine Einladung nach Palästina zu besorgen.15 Gulkowitsch, der als einer der wenigen rassisch verfolgten Wissenschaftler in Richtung Osten exiliert war, wurde nach dem Krieg weithin vergessen. Dass fast alle seine Schüler und Schülerinnen ihre akademische Tätigkeit abbrechen mussten und in hoher Zahl Opfer des Holocaust wurden, trug dazu bei. Auch seine aus Lettland stammende Lieblingsschülerin Dina Michelssohn wurde 1941 ermordet.16 Von seinen Schülern überlebte unter anderem Isidor Levin.17

12 Ders., Das Wesen der maimonideischen Lehre, Tartu 1935. 13 Siehe dazu Anu Põldsam, Lazar Gulkowitschs Streben nach dem Ideal der Wissenschaft des Judentums (geschichtlich betrachtet im Lichte seines Briefwechsels mit Franz Boas und Martin Buber), in: Judaica. Beiträge zum Verstehen des Judentums 66 (2010), H. 4, 348–365. 14 Lazar Gulkowitsch, History as the History of Ideas, with Special Reference to O[ld]. ­T[estament]. and Jewish History, London 1939. 15 Põldsam, Lazar Gulkowitsch – eine vergessene Stimme der Wissenschaft des Judentums, 90. 16 Siehe ebd., 77. Michelssohn verfasste 1940 ihre Magisterarbeit über [schalom] im Alten Testament, sprachgeschichtlich untersucht. 17 Siehe dessen Zeitzeugenbericht als wichtige Quelle für Gulkowitschs Wirken an der Universität in Tartu. Isidor Levin, Jüdische Wissenschaft in Ehstland. Vortrag in Tel Aviv am 10. April 2014 auf Einladung der dortigen Botschaft der Republik Ehstland, (1. Dezember 2019).

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Die Chance, Gulkowitsch historisch Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, wurde noch in jüngerer Zeit verpasst.18 Zwar hat der Historiker Siegfried Hoyer 1994 erstmals wieder an Gulkowitschs Leipziger Zeit erinnert,19 doch ein Urteil von Henry Wassermann, 2006 publiziert in dem Band Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig und beruhend auf Berufungsklatsch und Bemerkungen in Gershom Scholems Exemplar des frühen Chassidismus-Buches, war ebenso vernichtend wie dessen Einschätzung der Jüdischen Studien in Leipzig insgesamt: »Von den Vertretern Jüdischer Studien an der Universität Leipzig in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Gulkowitsch vielleicht der Verachtenswerteste.«20 Offenbar hat vor allem Wassermanns Urteil, Gulkowitschs Leistungen als Wissenschaftler seien zu vernachlässigen und er habe Plattitüden verbreitet, Person und Werk im deutschsprachigen Raum nachhaltig in Misskredit gebracht. Wassermann, der nur die beiden Qualifikationsschriften aus den Königsberger und Leipziger Jahren im Blick hatte, nimmt auch Gershom Scholems Arbeiten über jüdische Mystik und Chassidismus als Maßstab, um sein harsches Urteil zu treffen. Wie schmal die Text- und Kontextkenntnis ist, auf der dieses Urteil basiert, haben vor allem die seit etwa 2010 entstandenen hervorragenden Forschungen estnischer Wissenschaftler gezeigt.21

18 Erwähnt werden muss, dass Gulkowitschs Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft in dem von Helmut Gipper und Hans Schwarz verfassten Bibliographischen Handbuch zur Sprachinhaltsforschung früh einen anerkennenden Eintrag erhielt. Siehe dies., (Hgg.), Bibliographisches Handbuch zur Sprachinhaltsforschung. Teil 1: Schrifttum zur Sprachinhaltsforschung in alphabetischer Folge nach Verfassern mit Besprechungen und Inhaltshinweisen. 4 Bde., Opladen 1966–1985, hier Bd. 1: Buchstabe A–G, Köln 1966, 768 f. 19 Siehe Hoyer, Lazar Gulkowitsch an den Universitäten in Leipzig und Dorpat (Tartu). 20 Henry Wassermann, Fehlstart. Die »Wissenschaft vom späteren Judentum« an der Universität Leipzig (1912–1941), in: Stephan Wendehorst (Hg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, hg. im Auftrag des Simon-Dubnow-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, Leipzig 2006, 321–345, hier 340; Henry Wassermann, False Start. Jewish Studies at German Universities during the Weimar Republic, Amherst, N. Y., 2003. Siehe die Kritik von Heidemarie Petersen, H. Wassermann. False Start. Jewish Studies at German Universities during the Weimar Republic. Amherst 2003 (Rezension), in: H-Soz-Kult, 27. Februar 2004, (1. Dezember 2019). 21 Siehe Anu Põldsam, Lazar Gulkowitsch – eine vergessene Stimme der Wissenschaft des Judentums.  – Die Begriffsgeschichtsschrift wird explizit in zwei estnischen Aufsätzen behandelt: Urmas Nõmmik, Lazar Gulkowitschi mõistelooline meetod [Lazar Gulkowitschs begriffsgeschichtliche Methode], in: Usuteaduslik Ajakiri [Theological Journal] 58 (2009), H.  1, 111–120; ders., Mõiste saddiq/arengust. Katse rakendada Lazar Gulkowitschi mõisteloolist meetodit algkristluse uurimisel [Zur Gleichstellung von saddiq/ dikaios. Der Versuch, Gulkowitschs Methode der Ideengeschichte auf das Studium des frühen Christentums anzuwenden], in: Usuteaduslik Ajakiri 58 (2009), H. 1, 121–137.

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Begriffsgeschichte als Geistes- und Kulturgeschichte: Sprache und Begriff Gulkowitsch hat der Begriffsgeschichte eine kaum zu unterschätzende Funktion bei der Erforschung von Kulturen zugeschrieben. »Wir behaupten […], daß es eine Geschichte außerhalb der Geschichte von Begriffen gar nicht gibt, daß alles historische Geschehen notwendige Konsequenz aus der jeweiligen Situation der Begriffsgeschichte ist.«22 Sprach-, Geistes-, Kulturund Begriffsgeschichte sind für Gulkowitsch geradezu identisch oder nur je verschiedene Seiten ein und desselben Prozesses. Die Denkstruktur ist für ihn mit der Seinsstruktur identisch. Und auch Wort und Begriff bilden eine Einheit, das heißt ihr Verhältnis ist keinesfalls arbiträr. Umgekehrt sind Begriffe und Sprache seinem Verständnis nach nur in der Geschichte, in der Zeit gegeben. Damit schreibt er der Sprache und Begriffen eine so zentrale Position zu, wie es vielleicht erst wieder zwanzig Jahre später Hans-Georg Gadamer in Wahrheit und Methode tat.23 Es ist erstaunlich, wie viele wissenschaftliche Disziplinen und geistige Strömungen Gulkowitsch für die Entwicklung seiner Begriffsgeschichtstheorie sichtet und prüft, modern gesprochen: wie interdisziplinär er agiert. Sprachwissenschaft, Philosophie, Geschichtswissenschaft, Psychologie und Psychoanalyse, Religionswissenschaft und Wissenschaft vom Judentum, Soziologie; selbst Biologie und Medizin zieht er heran und versucht sie kritisch zu synthetisieren. Gulkowitsch versteht die begriffsgeschichtliche Arbeit weniger als eine positivistische Aneinanderreihung von bedeutungsgeschichtlichen Befunden und einzelnen Verwendungen. Explizit und kritisch knüpft er an die in der Fachphilosophie (Gustav Teichmüller) gewonnene begriffsgeschichtliche Methode an und überträgt sie auf die Geistesgeschichte des Judentums.24 Ihm geht es dabei (wie der philosophischen Begriffsgeschichte, etwa bei Rudolf Eucken25) um die Logik übergreifender Veränderungen. Sehr oft sind es jüdische Autoren, die seine Aufmerksamkeit finden. Das Spektrum reicht von Husserls Phänomenologie, Cassirers Sprachphilosophie, über Georg Simmels und Franz Rosenzweigs philosophische Werke bis zu Simon Dubnows Arbeiten zum Chassidismus. Er referiert ebenso den 22 Gulkowitsch, Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 29. 23 Hans-Georg Gadamer, Gesammelte Werke, 10 Bde, hier Bd. 1: Hermeneutik. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 5., durchges. und erw. Auflage, Tübingen 1986. 24 Siehe z. B. Gustav Teichmüller, Studien zur Geschichte der Begriffe, Hildesheim 1966 (reprografischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1874). 25 Siehe Rudolf Eucken, Geschichte der philosophischen Terminologie. Im Umriß dargestellt, Hildesheim 1964 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1879).

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Kulturhistoriker Karl Lamprecht, Sprachwissenschaftler wie Anton Marty, Hermann Güntert, Karl Vossler, Hans Sperber, Ferdinand de Saussure, Psychoanalytiker wie Sigmund Freud und C. G. Jung, aber auch den Biologen Hans Driesch, den Emergenztheoretiker Conwy Lloyd Morgans und den Erforscher finnischer Märchen Walter Anderson. Unter den Soziologen sind es eher konservative wie Hans Freier und Ottmar Spann, an denen er sich orientiert. Aber die zentrale methodische Disziplin ist die titelgebende Sprachwissenschaft. Seine Schrift ist auch deswegen interessant, weil sie sich aus sprachwissenschaftlicher Perspektive der Begriffsgeschichte zuwendet. Sie versucht damit eine Lücke zu schließen, die eigentlich bis heute klafft: Die Sprachwissenschaft kann oft wenig mit Begriffen und ihrer Geschichte anfangen, die Historiker aber tun sich schwer, die sprachwissenschaftlichen Grundlagen ihres Tuns zu reflektieren. Gulkowitsch geht mit seinem Sprachbegriff auf den antipsychologischen Sprachbegriff, insbesondere auf den Strukturbegriff Saussures zurück, er rezipiert ihn aber vor allem in der für Deutschland seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre üblichen geistesgeschichtlich-synthetischen und holistischen Form.26 Zwischen Wort und Begriff, Sprache und Denken, Kultur und Sprache will er keinen Gegensatz aufkommen lassen, sondern versteht sie als Parallelismen. Dieser synthetische, identitätstheoretische Ansatz, der in der zeitgenössischen Sprachwissenschaft seit Ende der 1920er Jahre auftaucht, etwa im Bild von den zwei Seiten einer Münze, erscheint mitunter irritierend. Denn Gulkowitsch verwendet  – etwa in der Formulierung, die Geschichte der Begriffe sei mit der Geschichte der Sprache identisch – die Kopula »ist« beziehungsweise »ist identisch mit«, wobei der Leser sich mitunter eher fragt, was denn zunächst die semantische Differenz des dann identisch Gesetzten ist. Indem er Sprache nicht als Instrument oder ergon, sondern mit Humboldt als energeia versteht, knüpft er extrapolierend an die deutsche zeitgenössische Sprachtheorie an: zuvorderst an Karl Vossler, dann Walter Porzig,27 wohl auch an Leo Weisgerber und Jost Trier (die er, vielleicht aus politischen Gründen, nicht namentlich nennt), vor allem aber an Cassirer, den er

26 Siehe Clemens Knobloch, Begriffspolitik und Wissenschaftsrhetorik bei Leo Weisgerber, in: Klaus  D. Dutz (Hg.), Interpretation und Re-Interpretation. Aus Anlaß des 100.  Geburtstages von Johann Leo Weisgerber (1899–1985). Mit einem historiographischen Anhang und dem Schriftenverzeichnis Weisgerbers, Münster 2000, 145–174; Klaas-Hinrich Ehlers, Strukturalismus in der deutschen Sprachwissenschaft. Die Rezeption der Prager Schule zwischen 1926 und 1945, Berlin/New York 2005. 27 Gulkowitsch, Die Bildung von Abstraktbegriffen in der hebräischen Sprachgeschichte, 12.

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kompetent analysiert und kritisiert.28 Damit bezieht sich Gulkowitsch auf diejenigen Neuerer in der Sprachwissenschaft, von denen Helmut Meyer in seinem begriffsgeschichtlichen Abriss der Begriffsgeschichte meinte, sie würden sich als maßgeblich auch für die deutsche Begriffsgeschichte der Nachkriegszeit erweisen. Meyer hatte von einer zukünftigen Theorie der Begriffsgeschichte gefordert, »den Einfluß sichtbar zu machen, der gerade von der Entwicklung der modernen Sprachwissenschaft auf die B[egriffsgeschichte] ausgegangen ist. Sie wird aufzeigen, daß dabei die Wendung von der linearen historischen Erfassung einzelner sprachlicher Phänomene zur strukturell orientierten Sprachforschung, wie sie im Anschluß an Saussure vollzogen wurde, die entscheidenden Anstöße geliefert hat.«29

Gulkowitsch schließt zugleich an die Hinwendung der lange Zeit sehr formal agierenden Sprachwissenschaft zur Sprachinhaltsforschung an. Mit dem Strukturalismus und der Wortfeldtheorie hat auch er das »System von Begriffen«, »die gegliederte Struktur des Begriffssystems« im Blick. Jeder Begriff ist unlösbar mit seinen Gegen- und Nebenbegriffen verbunden.30 Dem Wissenschaftler bleibe nur der Weg, einzelne der »organisch ineinander verwebten Begriffe«,31 die er »Kraftzentren« nennt, aus dem Gesamtkomplex loszulösen und Art und Gesetz ihrer Entwicklung darzustellen. »Der Charakter jeder Epoche wird bestimmt durch den Charakter des jeweilig zentralen Begriffes.«32 Wenn die gesamte Lebenslage eines Volkes sich ändere (zum Beispiel beim Übergang vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit), ändere sich auch das Begriffssystem. Innerhalb eines Volkes entscheide die Explikation der Begriffe darüber, welche Gruppe (wie etwa die Propheten) die jeweils führende in der Geschichte ist. Begriffe sind für Gulkowitsch »aktiv geschichtsbildend« und wirklichkeitskonstituierend.33 »Das gemeinsame Gut an Begriffen ist die stärkste gemeinschaftsbildende Macht, die die Geschichte kennt.«34 Welche zentrale Bedeutung Gulkowitsch dem zumisst, wird nicht zuletzt an den extensiven Registern deutlich, die er sowohl der

28 Etwa wenn er konstatiert, Cassirer gestehe der Sprache in der Begriffsbildung nur eine vorbereitende Rolle zu. Siehe Gulkowitsch, Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 107. 29 Helmut Günter Meier, Art. »Begriffsgeschichte«, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, 13 Bde., hg. von Joachim Ritter u. a., Basel 1971–2007, hier Bd. 1: A–C, Basel 1971, Sp. 788–808, hier Sp. 789. 30 Gulkowitsch, Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 52. 31 Ebd. 32 Ebd., 50. 33 Ders., Die Entwicklung des Begriffs Hāsīd im Alten Testament, Tartu 1934, 7. 34 Ebd., 61.

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Begriffsgeschichtsschrift wie auch seiner Trilogie über den Chassidismus angefügt hat.35 Diachron zu untersuchende Gegenstände solcher Begriffsgeschichten sind wechselseitig voneinander abgeschlossene, sich organisch entwickelnde Einzelkulturen beziehungsweise Einzelsprachen, Nationalkulturen. Den zeitgenössischen Begriffsgegensatz aufgreifend, sieht Gulkowitsch im Judentum eine Entwicklung zur Kultur, nicht zur Zivilisation. Er kennt Beeinflussungen unterschiedlicher Kulturen, sein Ausgangspunkt aber sind organisch und intrinsisch sich entwickelnde Sprachtypen, die durch den Einfluss anderer Kulturentwicklungen nicht zerstört werden können. Diese Begriffseinheiten und ihre Struktur will Gulkowitsch zugleich soziologisch untersuchen, also in Bezug auf bestimmte soziale Gruppen oder Generationen betrachten.

Latenz und Explikation Die beiden wohl interessantesten methodischen Begriffe in Gulkowitschs Schrift zur Begriffsgeschichte, die als Gegensatzpaar wie auch einzeln von ihm verwendet wurden, sind Latenz und Explikation. An diesen Begriffen, die ihm zur Beschreibung der Geschichtlichkeit und Prozesshaftigkeit von Begriffen dienen, wird auch deutlich, wie komplex sein theoretischer Entwurf ist, weil er einerseits jede philologische oder begriffsgeschichtliche Denkfigur zugleich universalistisch entwirft und andererseits ihre Besonderheit für die jüdische Theologie und Geschichte herausstellt. Latenz und Explikation äußern sich in der nichtjüdischen und in der jüdischen Geschichte unterschiedlich. Latenz und Explikation bezeichnen Modi im Umgang mit Sprache und Begriffen, vor allem aber nutzt Gulkowitsch sie dazu, Zeiten und Zäsuren in der Geschichte zu bestimmen. Der »Begriff« ist für ihn wesentlich durch den Prozess seiner Explikation, der Auslegung in Sätzen bestimmt; darin besteht seine Historizität. Das dem Begriff Entgegengesetzte, sein punktueller Zustand, das Vorbegriffliche, ist nur nachträglich und als Abstraktion fassbar. Wir können nur »das, was als Fertiges vor uns steht, auf die Spuren seines Ursprungs hin betrachten – während wir niemals in der Lage sind, das Ent-

35 Die Begriffsgeschichtsschrift umfasst über sechzig Seiten Register (ders,. Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 235–298), Der Chassidismus als kulturphilosophisches Problem umfasst fünfzig Seiten Register ­(­68–118).

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stehen selbst zu beobachten«.36 Für Gulkowitsch ist – und damit hebt er sich von der zeitgenössischen Religionsgeschichte des Alten Testaments ab, die von einer Höherentwicklung ausgeht – »Entwicklung nur Entfaltung eines von vornherein implizit Gegebenen«: »[E]ine solche Entwicklung kann nur Explikation eines Gegebenen sein, d. h. alle ihre einzelnen Phasen bedeuten nichts prinzipiell Neues, das von außen her in die Entwicklung hineingetragen wird, sondern nur immer neue Daseinsformen eines immer identischen Soseins.«37

Die Begriffe Latenz beziehungsweise Latenzzeiten hätte Gulkowitsch, der sich in Tartu mit Freud beschäftigte,38 schon dessen Abhandlung Der Untergang des Ödipuskomplexes (1924) entnehmen können; zwei Jahre nach Erscheinen von Gulkowitschs Schrift zur Begriffsgeschichte hat Freud in Der Mann Moses den Begriff der Latenz auch zur psychoanalytischen Erklärung der Geschichte des Judentums herangezogen.39 Gulkowitsch versteht den Begriff Latenz nicht psychologisch, sondern geistesgeschichtlich und strukturell, Latenz hat aber auch bei ihm mit einem überindividuellen Bewussten und dem Unbewussten zu tun. Möglicherweise überträgt Gulkowitsch (der häufig medizinische Metaphern heranzieht) dabei den physiologischen Begriff der Latenz als Verzögerung beziehungsweise Inkubation auf die Geistesgeschichte. Beide Begriffe, Latenz und Explikation (mitunter verwendet Gulkowitsch als Antonym zu Latenz »Manifestation«),40 sind entfernteste Punkte im Kreislaufmodell der Begriffsgeschichte. Vor allem dienen sie Gulkowitsch dazu, Unterdrückungen, Verzögerungen, Rückzüge des Geistes zu markieren, zugleich aber auch zur Beschreibung etwa des Zustands religiöser Unmittelbarkeit und Erneuerung: »Wenn wir die Geschichte als den Verlauf der Explikation von Begriffen erfassen und die einzelne Kultur als Manifestation eines eigenständigen Begriffssystems ansehen, so erweisen sich die großen Zäsuren der Geschichte, der Untergang ganzer Kulturen, als Latenzzeiten der begrifflichen Explikation.«41

36 Ders., Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 19. 37 Ebd., 13. 38 »An der Theologischen Fakultät, vielleicht ausnahmsweise, wurden 1938 von [Uku] Masing der ›Psychoanalyse‹ Seminare gewidmet, sie hatten Erfolg. Diese Problematik, wie aus Zitaten hervorgeht, lag Gulk[owitsch] vorsichtig am Herzen.« Levin, Jüdische Wissenschaft in Ehstland, 9. Auf Freud bezieht sich Gulkowitsch in seiner Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 82 und 137 f. 39 Sigmund Freud, Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Drei Abhandlungen, Amsterdam 1939. 40 Gulkowitsch, Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 17 und 49. 41 Ebd., 49.

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In profaner, wohl ebenso in politischer Hinsicht sind Latenzzeiten für Gulkowitsch Stillstands-, Verfalls- und Niedergangszeiten  – und es ist unverkennbar, dass er seine eigene Gegenwart als Latenzzeit in düstersten kulturkritischen Farben zeichnet: »So versuchen sich in Latenzzeiten politische Bewegungen mit religiösen Namen zu decken. Asoziale und antisoziale Tendenzen treten als soziale Programme auf. Ausgesprochen destruktive Erscheinungen werden dadurch getarnt, daß man gerade die Vollendung des Menschentums als ihr Ziel bezeichnet. Neben der Identifikation von Begriffen mit Tatsachen, die ihnen gar nicht entsprechen, ist für Systeme aus Scheinbegriffen die bewußt oder unbewußt falsche Kombination heterogener oder konträrer Begriffe typisch, die nach dem Prinzip ›dieser runde Tisch ist dreieckig‹ erfolgt.«42

Latenzzeiten weisen einen »überraschend schnelle[n] Ablauf der Ereignisse« auf und stehen »in striktem Gegensatz zu dem unmerklich langsamen Ablauf der Explikation positiver Ideen«.43 In weltlicher und kultureller Hinsicht sind Latenzzeiten zwar Zeiten des Verfalls, in religiöser Hinsicht können sie aber auch Blütezeiten sein. Schließlich setzt Gulkowitsch das Paradigma des begriffshistorischen Modells von Latenz und Explikation offenbar zugleich zur Erklärung des Verhältnisses zweier wesentlicher Strömungen innerhalb und außerhalb des Judentums ein: der mystischen Richtung (mit Kabbala und Chassidismus) und der jüdischen Aufklärung, die er in ein dialektisches Verhältnis rückt. Die Unterscheidung lässt sich aber auch auf den zeitgenössischen Gegensatz zwischen Marburger Religionsphilosophie (wie Rudolf Otto) und rational-ethischer Interpretationen der Religion (wie sie auch die Leipziger Religionsgeschichte vertrat) beziehen. Die mystische Betrachtung der Welt, die über nur wenige Zentralbegriffe verfüge, schalte den Zeitbegriff aus, indem sie allen Nachdruck auf das ursprünglich Gegebene setze und in der Explikation nur eine Zufälligkeit sehe. Das Verhältnis der Begriffsgeschichte zu den beiden Polen Mystik und Rationalismus sei nicht symmetrisch, denn die Mystik verfüge nicht nur über wenige und nicht explizierte Begriffe, diese seien zudem unhistorischer, die rationalistischen dagegen dynamischer. Gulkowitsch kennzeichnet das von ihm favorisierte mosaische Judentum zwar als rational und ethisch, sieht aber die Gefahr, dass diese Rationalität zum Dogma erstarrt, wenn nicht mystische Strömungen ihr entgegenwirken. Vor allem aber habe die Mystik, die in Latenzzeiten an Stärke gewinne, dem Rationalismus gegenüber in Bezug auf einen Begriff Priorität: den Gottesbegriff als Zentralbegriff des Judentums, der sich seinem Wesen nach jeder Explikation entziehe. Paradox erscheint, dass Gulkowitsch zwar seine begriffsgeschichtliche Methode an der Geistesgeschichte des Judentums ent42 Ebd., 37. 43 Ebd.

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wickeln will, gerade aber der Religion und Gott als ihrem Kern den Status der Begrifflichkeit abspricht. »Nur auf dem Gebiete der Religion ist eine unbegriffliche Geistigkeit möglich, da ihr Zentralbegriff, der Gottesbegriff, letzten Endes seinem Wesen nach ein Unbegriff ist.«44 »Das konstituierende Element am Gottesbegriff ist der Begriff der Unbegrifflichkeit, des Absoluten, des Losgelöstseins aus dem Begriffssystem und damit aus dem geistigen Entwicklungsprozeß.«45 Ohne es explizit zu machen, wird damit aber auch die aufschließende Kraft der Begriffsgeschichte weniger auf den Kern der jüdischen Religion, sondern vor allem auf die aus ihr entspringende, mit ihr verbundene Kultur gelenkt. Die Konsequenz für die Sprache der Diasporajuden ist eindeutig: »Für das Diasporajudentum muß das Hebräische notwendig Sprache der geistigen Kultur bleiben, eine Verwendung des Hebräischen in Politik, Wirtschaft etc. verbietet sich hier von selbst.«46 Gulkowitsch spiegelt Elemente des jüdischen Denkens und der modernen Begriffsgeschichte ineinander. Denn wenn die Geschichte der Begriffe in ihren Phasen der Latenz und Explikation wie ein »Zurückziehen« und »Auseinanderfalten« (explicare) gedacht wird, dann sind Analogien zu mystischen Denkfiguren erkennbar; zur Mystik gehört auch die Idee der Identität von Wort und Begriff. Insgesamt dient die Begriffsgeschichte Gulkowitsch dazu, das Judentum in die Universalgeschichte einzubetten, die zeitgenössischen Pole in der Interpretation des Judentums, den Gegensatz zwischen dessen mystisch-kabbalistischer und rational-ethischer Interpretation sowie die jüdische Tradition und Moderne, prozesshaft miteinander zu verbinden und damit gleichzeitig die gefährdete Einheit des geistigen Judentums zu bewahren. Das Exempel (im doppelten Sinne: als Vorbild und Beispiel) für Gulkowitschs begriffsgeschichtliche Theorie, auf das hier nicht genauer eingegangen werden kann, ist die in verschiedenen Abhandlungen entwickelte Geschichte des Begriffs Ḥasid sowie der mit ihm – nach Gulkowitsch sowohl sprachlich wie begrifflich  – zusammenhängenden Strömungen des Chassidismus. Dazu hat er immer weiter ausgreifende Abhandlungen verfasst: Die Grundgedanken des Chassidismus als Quelle seines Schicksals, Das kulturhistorische Bild des Chassidismus und Der Chassidismus als kulturphilosophisches Problem. In Die Entwicklung des Begriffs Hāsīd im Alten Testament (1934) konstatiert Gulkowitsch, dass die Wörterbücher zwar fünf bis sechs Bedeutungen anführen, auf den Bedeutungswandel, auf die Verschiedenheit der Bedeutung im Lauf der Geschichte jedoch nicht achteten.47 44 Ebd., 44. 45 Ebd., 50 (Hervorhebungen im Original). 46 Ebd., 152. 47 Gulkowitsch, Die Entwicklung des Begriffs Hāsīd im Alten Testament, 8.

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Der Text enthält eine ganze Reihe von Exkursen (Heiligkeit, Bund, Gebet, Lehre, Verfehlung, Reinheitsbegriffe). Gulkowitsch glaubt am Begriff Ḥasid nachweisen zu können, dass sich dieser, von der Bedeutung »Zugehöriger einer kultischen Gemeinde« ausgehend, zunehmend ethisierte. Als die Kultgemeinschaft aufhörte zu existieren, blieb das Wort Ḥasid an der sekundären ethischen Seite haften. 48

Prager Strukturalismus und Leopold Silberstein Ende der 1930er Jahre stellte Gulkowitsch sein Konzept auf Vortragsreisen vor. Seinen Oxforder Vortrag über »History as the History of Ideas, with special References to O. T. and Jewish History« konnte er in London publizieren. Dennoch arbeitete er in Tartu weithin isoliert, mit nur wenigen, ihn aber verehrenden Studenten.49 Umso interessanter sind seine Verbindungen zu Leopold Silberstein, einem aufgrund rassistischer Verfolgung aus Berlin in die Tschechoslowakei exilierten Slawisten, der dort nicht nur linguistisch, soziologisch und politisch über die russisch-sowjetische und tschechische Geschichte und Gegenwart arbeitete, sondern auch Mitglied im Prager linguistischen Kreis (Pražský lingvistický kroužek, PLK) war, also zum Prager Strukturalismus gehörte.50 Den Dokumenten über den PLK zufolge ist die Teilnahme von Silberstein (beziehungsweise seiner Frau) an 28 Sitzungen im Zeitraum von Oktober 1935 bis April 1938 belegt. In der Prager Presse finden sich von ihnen 25 Kurzberichte über diese Sitzungen. Gulkowitsch hatte Silberstein 1936 zu Vorträgen nach Tartu eingeladen. Im Anschluss an diese Reise bewarb er sich an der Universität Tartu auf die Stelle des Lektors für tschechoslowakische Sprache und Literatur. Gegen antisemitische Widerstände wurde er Gulkowitschs Kollege. Zwischen dem liberalen Silberstein und dem eher in jüdischer Tradition denkenden Gulkowitsch erwuchs bis zu beider Ermordung durch die Nationalsozialisten ein enger Kontakt. Und für einen Moment bildete sich in Estland ein fruchtbares europäisches (estnischtschechisch-deutsch-jüdisches) intellektuelles Netzwerk, dessen Brisanz von den verschiedenen nationalistischen Parteien misstrauisch beobachtet und hintertrieben wurde: »Dr. S. ist aus esthnischer Sicht ein deutscher Jude, der

48 Ders., Das kulturhistorische Bild des Chassidismus, 25 f. 49 Ders., History as the History of Ideas, with Special Reference to O. T. and Jewish History. 50 Siehe die Arbeiten von Konrad Herrmann, v. a. Leopold Silberstein. Slawist und Philosoph, Berlin 2015.

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gekommen ist, um die unbeliebte Gruppe um Prof. L. Gulkowitsch zu vergrößern – und das dank der Tschechoslowakei.«51 Theoriegeschichtlich interessant ist, dass sich durch die Zusammenarbeit zwischen Gulkowitsch und Silberstein früh ein außergewöhnliches Zusammentreffen von Sprachstrukturalismus und Begriffsgeschichte ergab, die ja bis in die 1960er Jahre weithin voneinander isoliert blieben. Im Anschluss an seine Reise nach Tartu hielt Silberstein am 18. Januar 1937 im PLK den Vortrag »Begriffsgeschichte, Soziologie des Wissens und Semantik«, über den die von T. G. Masaryk gegründete und deutsch publizierende Prager Presse berichtete.52 Gulkowitsch selbst teilte in einem Brief an Franz Boas mit, dass seine begriffsgeschichtliche Schrift im PLK und der Historischen Gesellschaft zum Thema gewählt worden war, und knüpfte daran die Hoffnung, zu einer Vortragsreise nach Amerika eingeladen zu werden.53 Unter dem Kürzel »jhs« referierte wahrscheinlich die ebenfalls an den PLK-Runden teilnehmende Ehefrau Silbersteins, Jenny Hermann-Silberstein, in einem inhaltlich sehr dichten Artikel das gerade publizierte Buch von Gulkowitsch und betont, dass dessen begriffsgeschichtliche Methode der strukturell-funktionellen Grundhaltung der Prager Schule nahestehe, ohne doch von ihr beeinflusst zu sein. Silbersteins Rede über Gulkowitschs Schrift fasst der Artikel folgendermaßen zusammen: »Redner untersuchte eingehend die philosophischen Voraussetzungen von Gulkowitschs Auffassung der Begriffe als zu Systemen zusammengeschlossener, dynamisch sich nach vorgegebener Eigengesetzlichkeit in ständigem aktiv-passivem Wechselspiel entwickelnder (›explizierender‹) Kraftzentren und wies auf das eigenartige Ineinander platonischer, aristotelischer, hegelscher und nicht zuletzt auch mystisch-theologisch gefärbter Elemente hin, aus dem diese Theorie herauswächst.«54

Tatsächlich gab es Affinitäten der Begriffsgeschichte Gulkowitschs und des Strukturalismus gerade in seiner Prager Ausprägung. So korrespondierte dessen These von der Einheit von Wort und Begriff, die Silberstein als Moment jüdischer Mystik interpretierte, mit der von den Pragern vertretenen Ablehnung der saussureschen These von der Arbitrarität der Zeichen. Auch sie gingen – anders als de Saussure – von einem Strukturbegriff aus, bei dem Synchronie und Diachronie eine dynamische Einheit bilden sollten. 51 Bericht der Gesandtschaft der ČSR in Tallinn an das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Prag vom 30. März 1938, zit. nach ebd., 264. 52 jhs, Ueber »Begriffsgeschichte«, Wissenssoziologie und Semantik, in: Prager Presse, 21.  Januar 1937.  – Klaas-Hinrich Ehlers lagen Herrmanns Recherchen noch nicht vor, weshalb sich in seinem Standardwerk teilweise fehlerhafte Angaben finden. Siehe ders., Strukturalismus in der deutschen Sprachwissenschaft. 53 Lazar Gulkowitsch an Franz Boas, 22. September 1937, zit. nach Põldsam, Lazar Gulkowitsch – eine vergessene Stimme der Wissenschaft des Judentums, 86. 54 jhs, Ueber »Begriffsgeschichte«, Wissenssoziologie und Semantik.

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Führt Silberstein also Strukturalismus und Begriffsgeschichte zusammen, so benennt und überbrückt er in seinem Vortrag, indem er Gulkowitschs stark an der deutschen Geistesgeschichte orientierte Begriffsgeschichte und Karl Mannheims Wissenssoziologie zueinander ins Verhältnis setzt, auch noch einen anderen theoretischen Hiatus der Zeit. »Die Wissenssoziologie glaubt zwar gleich der ›Begriffsgeschichte‹ an die ständige dynamische Entwicklung der Begriffe, stellt aber nicht das Axiom der Eigengesetzlichkeit auf, sondern betont gerade die Bedingtheit der Begriffe, sie ist gegenüber der spekulativ-strukturellen ›Begriffsgeschichte‹ mehr empirisch funktionell. Beide Methoden können zusammenwirken, eine empirisch-wissenssoziologisch begonnene Analyse in eine begriffsgeschichtlich-synthetische Zusammenfassung eines Explikationsprozesses ausmünden – zum größten Nutzen der speziell-linguistischen Bedeutungslehre, der Semantik.«55

Silberstein interpretiert Gulkowitschs These, »dass die steten Neu- und Umbildungen der Begriffe nach ihrer materiellen Seite hin immer neue Anforderungen an die formale Sprachbildung stellen«, als Fragestellungen, »deren Berechtigung und Tragweite von der heutigen Wissenssoziologie, namentlich in den grundlegenden Arbeiten Karl Mannheims, theoretisch nachgewiesen worden sind«.56 Ohne die wissenssoziologische beziehungsweise begriffsgeschichtliche Analyse, so Silberstein 1936 in seinem Bericht über Gulkowitsch in der Jüdischen Revue, wäre man in Versuchung, entweder die Vergangenheit nach den Vorstellungen der Gegenwart zu deuten oder umgekehrt eine Vergangenheit »mit all ihren erstarrten, lebensunfähig gewordenen Begriffsinhalten künstlich in der Gegenwart konservieren zu wollen«.57 Silberstein selbst hatte schon auf dem Warschauer Slawistenkongress 1934 einen tschechischsprachigen Vortrag über »Wissenssoziologie und die Analyse der Ideologie« gehalten und an Worten wie »Slawophil«, »Romantik« oder »Sozialismus« gezeigt, wie ein und dasselbe Begriffswort bei Russen, Polen und Tschechen aufgrund unterschiedlicher historischer, kultureller und sozialer Verhältnisse verschiedene Bedeutungen angenommen hatte. Er stellte die Wissenssoziologie als eine geeignete Methode vor, um den Einfluss, den fremde Ideologien auf einzelne slawische Völker ausübten, zu vergleichen.58 Silberstein plädierte für eine Synthese von Begriffsgeschichte und Wissenssoziologie und wollte die für die politisch-soziale Sprache entwickelte Methode auch auf andere Gebiete ausweiten. Silbersteins wenige Bemerkungen zum Verhältnis der Begriffsgeschichte zum Strukturalismus

55 Ebd. 56 Ebd. 57 Leopold Silberstein, Lazar Gulkowitsch’s judaistische Aufbauarbeit, Jüdische Revue (1936), H. 8, 36–38, hier 37. 58 Siehe die Arbeiten von Konrad Herrmann, v. a. ders., Leopold Silberstein, 95.

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einerseits, der Wissenssoziologie zur Begriffsgeschichte andererseits machen besonders deutlich, welcher theoretische Verlust auch gerade mit seinem frühen gewaltsamen Tod verbunden ist. In den späten 1930er Jahren widmete er sich eher politischen Aufgaben, etwa der Verteidigung demokratischer Ansätze in der Tschechoslowakei, als sprachwissenschaftlichen Themen. Gulkowitsch, dessen begriffliche Gegensatzpaare – Kultur vs. Zivilisation, Gemeinschaft vs. Gesellschaft, organisches Wachstum vs. tote Mechanik, Kreislauf vs. Fortschritt – zunächst eher dem konservativen Denken zugehörten, wurde durch Silberstein mit der historisch-sozialen Funktion von Begriffen und einer liberalen Soziologie konfrontiert.

Gulkowitschs Begriffsgeschichte im historischen Kontext Gulkowitsch, der immer wieder die Wissenschaftssprache wechseln musste und erst mit dem Königsberger Studium vollständig in den deutschen Sprachraum gelangte, hat in seinen Schriften nicht die sprachliche Eleganz erreicht, die die Wirkung anderer jüdischer Intellektueller beförderte. Der eigentliche Reiz liegt im synthetischen, an Maimonides orientierten Charakter seines Denkens und insbesondere seines Konzepts der Begriffsgeschichte. Das gilt für seinen Versuch, rationalistische und mystische Strömungen im Judentum zu vermitteln, aber auch für seine Begriffsgeschichte, die Sprache und Kultur, Sprachform und Sprachinhalt zu vermitteln sucht. Vielleicht führte dieser Denkansatz dazu, dass Gulkowitsch zwischen die geistigen Frontlinien geriet. Und wenn er biografisch überhaupt erst ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre im Zuge verstärkter judaistischer Forschungen und eines intensiveren Blicks auch auf osteuropäische Staaten wieder wahrgenommen wurde, dann traf seine »Entdeckung« auf einen Zeitgeist, der mit geistesgeschichtlichen Synthesen nur wenig anfangen konnte. Die Geschichte der Begriffsgeschichte weist mehrere »heiße Phasen« auf. Für den deutschen Raum erscheint zunächst die Zeit um 1960 entscheidend, in der Gadamer sein Werk Wahrheit und Methode publizierte und etwa gleichzeitig die großen Konzepte der Begriffsgeschichte entworfen wurden, die dann etwa im von Joachim Ritter initiierten Historischen Wörterbuch der Philosophie oder in den Geschichtlichen Grundbegriffen von Brunner, Conze und Koselleck realisiert wurden. Doch bilden die mittleren 1930er Jahre eine nicht minder wichtige, vielleicht sogar entscheidende, jedoch unvollendete Epoche. In dieser Zeit werden die radikaleren Konsequenzen des historistischen Denkens in wichtigen Schriften auf die tragenden sozialen, rechtlichen und wissenschaftlichen Grundbegriffe bezogen.

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Die profane historiografische und philosophische Begriffsgeschichtsforschung von Otto Brunner über Joachim Ritter bis Reinhart Koselleck hat ihr Forschungsinteresse gerade aus semantischen Brüchen an einer Epochenschwelle gezogen. Bei Gulkowitsch richten sich die interessierten Beobachtungen auf die longue durée der Begriffe. Während aber fast zur gleichen Zeit die mit diesem Terminus meist assoziierten französischen Sozialhistoriker der Annales-Schule die longue durée an konstante Räume und Praktiken gebunden haben, dient bei Gulkowitsch die Begriffsgeschichte der Herstellung einer Kontinuität, die sich für das Diasporajudentum gerade nicht über Räume, sondern über die Sprache realisiert. Der nach begriffsgeschichtlichem state of the art heute in Teilen fremd erscheinende Zugang zur Begriffsgeschichte bei Gulkowitsch könnte also auch in der Eigenart der jüdischen Geschichte gründen. Gewisse Analogien zu seiner Theorie lassen sich im neukantianischen Ansatz der Problemgeschichte Nikolai Hartmanns erkennen, bei dem sich hinter den Wirren der Systemwelten die Probleme zu immer größerer Klarheit herausarbeiten, ähnlich den Begriffen bei Gulkowitsch, der aber den Erkenntnisoptimismus Hartmanns nicht teilt. Während es sich bei Letzterem jedoch um eine partielle philosophische Fachgeschichte handelt, intendiert Gulkowitsch eine umfassende Geistes-, Kultur- und Gesellschaftsgeschichte, in ihren Dimensionen vergleichbar mit dem Projekt der Geschichtlichen Grundbegriffe. Auch wenn Gulkowitschs Position, es gebe eine kontinuierliche Morphologie in den grundlegenden Texten als Fundament der Sprache, durch neuere Arbeiten zur hebräischen Sprachgeschichte (etwa Benjamin Harshav) gestützt wird,59 inhäriert seiner Begriffstheorie, bei der die Explikation wieder in ihren Ursprung mündet, einen Hegelianismus, der als Kreislaufprozess ohne Fortschritt gedacht ist. Anu Põldsam verweist zu Recht auf eine Verwandtschaft zwischen Gulkowitschs Geschichte als Explikation der Begriffe und Hegels Verständnis der Geschichte als »Zusichselbstkommen« des Geistes.60 Geschichte ist ein Kreislauf zwischen Explikation und Rückkehr in den Ursprung. Der kontraintuitiv aufscheinende Ahistorismus seiner Begriffsgeschichtstheorie, der man doch einen konsequenten Historismus unterstellen würde, ist jedoch in zeitgenössischen Begriffsgeschichtstheorien gar nicht ungewöhnlich. Aus der Historizität der Begriffe werden nur selten radikale Konsequenzen gezogen, weswegen der Historiker Oexle für eine lange Zeit

59 Siehe Benjamin Harshav, Hebräisch. Sprache in Zeiten der Revolution, übers. von Christian Wiese, Frankfurt a. M. 1995. 60 Põldsam, Lazar Gulkowitsch – eine vergessene Stimme der Wissenschaft des Judentums, 172.

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von »halbierter Begriffsgeschichte« gesprochen hat.61 Dieser Befund gilt für ganz unterschiedliche geistige Richtungen. Der Philosophie (Friedrich Adolf Trendelenburg, Teichmüller) etwa geht es zunächst darum, die in der Moderne verschütteten Begriffe der Antike durch Abtragung von Begriffsschichten wieder freizulegen. Und selbst Walter Benjamins erkenntnistheoretische Vorrede des Trauerspielbuchs zielt auf zeitlose Ideen der Philosophie.62 Dem Historiker Otto Brunner diente in den 1930er Jahren die Begriffsgeschichte dazu, hinter der liberalen staatsrechtlichen Begrifflichkeit des 19. Jahrhunderts auf mittelalterliche und eigentlich zeitlose Grundbegriffe zu stoßen, die dann mit völkischen identifiziert wurden. Warum aber interessieren sich jüdische Intellektuelle für die Begriffsgeschichte? Warum werden die Begriffs- und auch die Ideengeschichte zu Favoriten ihrer Narration? Gulkowitsch spezifiziert seine begriffsgeschichtliche Methode an Besonderheiten der jüdischen und hebräischen Sprachgeschichte (ein Urtext, eine allein durch Sprache zusammengehaltene Diasporaexistenz etc.). »Die Sprache ist immer die letzte Zuflucht einer von außen her bedrängten eigenständigen Kultur.«63 Das Ereignis der »letzten Zerstörung des Tempels in Jerusalem« erscheint bei Gulkowitsch wie ein Gleichnis auf die unmittelbare Gegenwart und die erneute Vertreibung und Verfolgung der Juden. Die Schrift zur Begriffsgeschichte lässt sich damit auch als Gulkowitschs unmittelbare Antwort auf die jüdische Gegenwartssituation verstehen; Begriffsgeschichte – als eine schwache Form der Säkularisierung – erscheint als Fortsetzung der jüdischen Geschichte mit anderen Mitteln: »Einem künstlichen Ersatz des Tempelkultes wäre es niemals gelungen, Wirkungen in der Geschichte hervorzubringen. Nur dadurch, daß der Eingriff von außen her die Explikation der Begriffe nicht radikal abschneiden konnte, sondern ihr bloß eine andere, aber dem Wesen dieser Kultur durchaus adäquate Richtung gab, wurde der Fortbestand der jüdischen Kultur als solcher garantiert, fand ihre Geschichte nicht etwa ein Ende, wie dies von der Geschichtsforschung des Öfteren behauptet worden ist. Es ist für das Wesen eines solchen Eingriffes von außen her ohne Belang, ob ein sichtbares Symbol, wie ein Tempel, zerstört wird. Jeder Eingriff gegen geistige Werte ist eine solche Tempelzerstörung. In solchen Fällen ist es von entscheidender Bedeutung, ob das in Frage gestellte geistige Prinzip stark genug ist, um in neuen Formen anstelle der zerstörten einen adäquaten Ausdruck zu finden.«64

Die Diasporasituation legt es nahe, Geschichte vor allem als Geschichte der Sprache und Auslegung zu fassen. Dan Diners Beschreibung der Zeitlosig61 Otto Gerhard Oexle, »Begriffsgeschichte«. Eine noch nicht begriffene Geschichte, in: Philosophisches Jahrbuch 116 (2009), H. 2, 381–400, hier 396. 62 Siehe Müller/Schmieder, Begriffsgeschichte und historische Semantik, 661. 63 Gulkowitsch, Zur Grundlegung einer begriffsgeschichtlichen Methode in der Sprachwissenschaft, 117. 64 Ebd., 36 f.

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keit des göttlichen Gesetzes, die im Zentrum alles Jüdischen stehe und um die herum sich konzentrisch profanere Gebiete erkennen lassen, trifft ziemlich genau auch die Voraussetzungen, unter denen Gulkowitsch denkt: »Die das Judentum tragenden, sakral durchdrungenen Begriffswelten gelten zu allen Zeiten und über alle Räume jüdischer Existenzerfahrung hinweg. Dabei sind sie religionsgesetzlich begründeten Anpassungen unterworfen.«65 Aus dieser Perspektive wird deutlich, warum in Gulkowitschs Schriften mitunter eine merkwürdige Raum- und Ortslosigkeit herrscht, in der er das »Kontinuum der Entwicklung von der Entstehung des Judentums an bis zum heutigen Tage« ansiedelt.66 Unter Berufung auf den Historiker Karl Lamprecht sieht Gulkowitsch die jüdische Geschichte nicht primär als eine National- und Staatsgeschichte: »Die Identifizierung der Geschichte mit der Staatengeschichte ist eine durchaus unjüdische Auffassung«, das jüdische Volk habe gerade durch seine Geschichte unter Beweis gestellt, wie eine Kultur ohne Staatswesen sich entwickeln kann.67 Im zeitgenössischen Streit zwischen politischem und kulturellem Judentum ergreift Gulkowitsch Partei für die Strömung, die sich gegen eine Staatsbildung ausspricht, und beruft sich indirekt auf Achad Ha’am. »Die innere Geschichte der Begriffsexplikationen ist die wirkliche Geschichte des Judentums. Ihre Phasen sind epochebildend.«68 Die Begriffsgeschichte zehrt natürlich auch von der christlich-hermeneutischen Tradition. Bei Gulkowitsch wird die Geschichte der jüdischen Auslegungspraxis geradezu als Begriffsgeschichte interpretiert. Der weit ausgreifende Begriff der Explikation erscheint mitunter so, als würde die Auslegungstätigkeit des Talmudschülers mithilfe des – eigentlich vor allem im logischen Neopositivismus prominent gewordenen – Begriffs der Explikation geradezu zur entsubjektivierten geschichtlichen Logik des jüdischen Volkes überhaupt stilisiert. Silberstein formulierte in einem für die Jüdische Revue verfassten Artikel über Gulkowitschs »judaistische Aufbauarbeit«, dieser habe mit modernen Methoden ein altjüdisches Ideal verfolgt: »Erst die begriffsgeschichtliche Methode ermöglicht ein adäquates Verständnis der jüdischen Tradition und auf dieser Grundlage ihre wahrhaft lebendige Bewahrung und Weiterentwicklung.«69

65 Siehe Dan Diner, Einführung, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von dems., 7  Bde., Stuttgart 2011–2017, hier Bd. 1, Stuttgart 2011, VII–XVIII, hier X. 66 Gulkowitsch, Die Entwicklung des Begriffs Hāsīd im Alten Testament, 7. 67 Ebd., 60. 68 Ebd. 69 Silberstein, Lazar Gulkowitsch’s judaistische Aufbauarbeit, 37.

Dubnowiana

Markus Krah

The Americanization of Simon Dubnow: Reception and Interpretation in Postwar Discourse on American Jewry In August 1958, Oscar Handlin (1915–2011), the preeminent American historian of immigration, reviewed a newly published English-language edition of major writings by Simon Dubnow. The book, Nationalism and History. Essays on Old and New Judaism, by Simon Dubnow, edited by Lithuanian-born historian Koppel  S. Pinson (1904–1961), contained Dubnow’s (1860–1941) most important texts on diaspora nationalism and his approach to Jewish history. Although generally appreciative of the book, Handlin nevertheless concluded that Dubnow’s work was too bound up with the situa­tion of its origin to be of current relevance: “[Dubnow] could not surmount the parochial limitations of the culture in which he worked,” Handlin wrote in the American Jewish intellectual journal Commentary. “He lacked adequate contact with the ideas of the social scientists of Western Europe.” Dubnow’s ideas for Jewish autonomy within multinational states were born out of a crisis of East European Jewry at the turn of the century: “He retains interest for Americans as the embodiment of one of the dreams evoked by that crisis,” a dream that recent events had shown to be illusory.1 Respectful as it was in tone and argument, the review caused a verbal brawl among two intellectuals that was unusual for its pungency. Pinson, editor of the volume under review, forcefully countered Handlin’s assessment in a letter to the editor of Commentary, which was printed in the October 1958 issue. “I am inclined to believe that Professor Handlin here gives evidence of a stereotyped view which Americans have of Russian scholarship and especially which American Jews have of Russian Jews,” Pinson fumed, certainly aware that Handlin was himself born to Russian Jewish immigrants. Pinson defended Dubnow’s ideas of multinational states, suggesting that Handlin was out of sync with current debates on the future political order.2

1 2

Oscar Handlin, A Jewish Historian (review of Simon Dubnow, Nationalism and History. Essays on Old and New Judaism, ed. with an introductory essay by Koppel  S. Pinson, Philadelphia, Pa., 1958), in: Commentary 26 (1958), no. 8, 175 f., here 176. Koppel S. Pinson, Dubnow’s History, in: Commentary 26 (1958), no. 10, 349 f. (readers’ letters). JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 539–566.

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Handlin’s backlash was even more acerbic: “I confess that Professor Pinson’s tirade makes no sense to me.” Rebutting Pinson point by point, he condescendingly granted: “I do not ascribe my antagonist’s errors either to ignorance, to malice, or to a pact with the devil – only to defects in logic, which I trust are remediable.” With regard to the overall subject of his tussle with Pinson, Handlin stated his conviction “that it is I rather than he who have the better understanding of Dubnow’s genuine achievements.”3 This exchange between two academic historians (Handlin taught at Harvard, Pinson at Queens College, New York) was the most dramatic expression of a larger process: a contest over who, to paraphrase Handlin, had the better understanding of Dubnow and the larger issues he addressed. Exile and home, religion and culture, continuity and newness were all questions that concerned Jews in a changing American society and in the Jewish world after the Holocaust and the founding of the State of Israel. A 1946 essay by the Russian-born, leftist intellectual Israel Knox illus­ trates both the sense of a historical crossroads and the turn to Dubnow as a guide for American Jews. Its title raised the question: Is America Exile or Home?, to which Knox responded: “If Dubnow is right, the American Jewish community is now on the threshold of history. It is confronted by a fateful opportunity to shape here, in an atmosphere of tolerance and freedom, the good Jewish life on the highest level,” he wrote in Commentary. “If Amer­ ica’s Jewish community is to come of age, it must acknowledge itself, in Dubnow’s terms, as a Jewish center.”4 Knox’s impassioned call, expressed in the subtitle We Must Begin to B ­ uild for Permanence, can serve as a starting point to analyze the reception of Dubnow in the United States. Knox’s appropriation of Dubnow for a program embracing America marked one influential position among many that were advanced in a broad discourse about the historical role, present situation, and future perspectives of American Jewry in the middle of the last century.5 This article analyzes Dubnow’s selective reception and creative appropriation in the postwar American Jewish discourse from the 1940s, or around the time of Dubnow’s brutal death in 1941, to the 1960s. His theories on the diaspora and Jewish peoplehood were invoked in the service of various understandings of American Jewry: as a diaspora community vis-à-vis Israel; 3 4 5

Oscar Handlin, Dubnow’s History, in: Commentary 26 (1958), no. 10, 350 f. (response to Koppel Pinson’s letter). Both Pinson’s letter and Handlin’s response were printed in the same issue under the headline “Dubnow’s History.” Israel Knox, Is America Exile or Home?, in: Commentary 2 (1946), no. 11, 401–408, here 402 and 406. For a book-length version of this argument, see Markus Krah, American Jewry and the Re-Invention of the East European Jewish Past, Berlin/New York 2018.

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the new center of Jewry; heirs to East European Judaism; and a model of a historico-cultural group transcending the category of a religious community. The analysis traces Dubnow’s reception across a broad spectrum of posi­ t­ions. It draws on writings by Jewish intellectuals in journals of different institutions and movements. Many of them were founded in the middle of the last century by a community whose socio-economic ascent into the middle class, increased level of formal education, and changing role in society provided the means and the need for such vehicles of self-expression and self-reflection. The spectrum of journals – religious and secular, Yiddishist and Zionist, political and cultural – reflects the breadth of subgroups within American Jewry that invoked Dubnow for their different interests. They variously engaged Dubnow, the person and his work, the historian, philosopher of history, engaged scholar, political writer, and activist. As historian Jonathan Frankel has shown, Dubnow tried through his lifetime and under changing political circumstances to make the tensions between these roles productive. It was the constant interplay between his roles as historian and ideologist that led to his interest in Jewish autonomy as a historical phenomenon and political program.6 Dubnow contained the tensions in his intellectual persona and tried to harmonize them. Dubnow’s influence on the self-understanding and historical consciousness of formative American Jewish thinkers has sometimes been stated, but not fully analyzed. This article engages research by, among others, Evyatar Friesel, James Loeffler, Simon Rabinovitch, and Robert Seltzer on the influence of Dubnow’s thought in the American Jewish political consciousness. Rabinovitch raised the question “why the political forms of diaspora nation­ alism failed to migrate westward [from Eastern Europe], even when its advocates did.” His explanation for the US is that, in countries with republican self-perceptions, peoplehood in the diaspora was generally seen as a matter of religion, not of nationhood.7 Loeffler traced the development of American diaspora nationalism until shortly after World War II in the writings and reception of its leading advocate, Oscar Janowsky (on whom Dubnow had a strong influence). Janowsky had to concede that diaspora nationalism as a program for Eastern Europe was doomed, but “still sought to preserve a model of tangible Jewish nationhood compatible with political liberalism”

6 Regarding these tensions between Dubnow’s different roles as well as the changes his positions underwent over his lifetime, see Jonathan Frankel, S.  M. Dubnov. Historian and Ideologist, in: Sophie Dubnov-Erlich, The Life and Work of S. M. Dubnov. Diaspora Nationalism and Jewish History, ed. by Jeffrey Shandler, transl. by Judith Vowels, Bloomington, Ind., 1991, 1–33, here 12 f. and 17. 7 Simon Rabinovitch, Diaspora, Nation, and Messiah. An Introductory Essay, in: idem (ed.), Jews and Diaspora Nationalism. Writings on Jewish Peoplehood in Europe and the United States, Waltham, Mass., 2012, xv–xli, here xxxii.

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for postwar American Jewry. In Loeffler’s analysis, however, his efforts were limited by an American Jewish exceptionalism that after the defeat of Jewish nationalism in Eastern Europe and its success in Palestine saw no need for a national understanding of American Jewry.8 Friesel and Seltzer asserted the importance of Dubnow in American Jewish political thought. Friesel saw as much of Dubnow in American cultural Zionism as he did of Ahad Ha’am (1856–1927). While American Jewish thinkers paid allegiance much more to the latter, Dubnow’s concept of shift­ ing centers of Jews as a spiritual nation had crucially shaped the American Jewish self-perception in world Jewish history.9 The present article seeks to spell out Seltzer’s assertion that “America became the home of something close to the spirit of Dubnovism, the place where his central ideas found their main constituency and most real applicability in Jewish history.”10 To explore and nuance this assertion, this article starts with an analytical overview of how American Jews in the middle of the twentieth century encountered Dubnow’s historical writings, but particularly his political theories and his biography. It then describes the social, spiritual, and intellectual constellation of post-World War II American Jewry that made it particularly receptive to Dubnow. An exploration of texts on Dubnow shows how intellectuals applied his thought: the role of religion for their constitution as a group; the importance of the East European past for their American present; and their legitimacy as a diaspora community in the face of Zionist claims to the contrary. The article argues that they turned to Dubnow in their efforts to synthesize a new type of American Jewishness, adapting his views on history, nationality, and the diaspora to their American perspective. As they refracted Dubnow’s life and work through an American lens, it was the East European dimension in particular that helped them integrate various components into a new, Dubnow-inspired American Jewish self-understanding.

  8 James Loeffler, Between Zionism and Liberalism. Oscar Janowsky and Diaspora Nationalism in America, in: AJS Review 34 (2010), no. 2, 289–308, here 304–308.   9 Evyatar Friesel, Ahad Ha-Amism in American Zionist Thought, in: Jacques Kornberg (ed.), At the Crossroads. Essays on Ahad Ha-Am, Albany, N.  Y, 1983, 133–141, here 139–141. 10 Robert M. Seltzer, From Graetz to Dubnow. The Impact of the East European Milieu on the Writing of Jewish History, in: David Berger (ed.), The Legacy of Jewish Migration. 1881 and Its Impact, New York 1983, 49–60, here 57 f.

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Translating and Transferring East European Jewish History to America Simon Dubnow never came to the US during his life, but America was quite present in his work. In turn, Dubnow through his work was present in the minds of many historians and other intellectuals in America from the early twentieth century on. His historiography was absorbed by fellow academic historians in the US while his political writings on the nature of the Jews as a nation and on their position in the diaspora were discussed and reinterpreted by a broader stratum of thinkers in America. Both sets of texts were in many cases perceived as distinct, yet related, and were often integrated in one history-based political philosophy for Jewish life. Since Dubnow’s writings (in Russian, Hebrew, Yiddish, and German) were not easily accessible to many American readers, it took mediators and translators, linguistic and cultural, to bring Dubnow’s writings on Jewish history and his texts on Jewish nationalism and autonomy to English-language audiences. The most dedicated of these mediators of Dubnow’s historiographical writ­ ing was Israel Friedlaender (1876–1920), Polish-born educator, rabbi, and himself a biblical scholar at the Jewish Theological Seminary in New York. His translation of a Russian-language essay into German served as the basis for its English translation, by Henrietta Szold, which was published in 1903 as Jewish History. An Essay in the Philosophy of History. Even though the two never met in person, Dubnow felt a spiritual kinship with Fried­laender, regarding him as his “intermediary between the west and me.”11 Their close intellectual relationship is tangible in their correspondence between 1910 and 1916.12 Friedlaender was also the driving force behind, and translator of, Dubnow’s History of the Jews in Russia and Poland, published in three volum­es between 1916 and 1920 by the Jewish Publication Society (JPS). Dubnow was attracted by the underlying plan “to connect the American branch of Jewry, which is continually developing and occupying an important place in the future of our people, to its ancient root in the east of Europe.” Friedlaender, in turn, argued that the History of the Jews in Russia and 11 Cit. in Moshe Davis, Jewry, East and West (The Correspondence of Israel Friedlaender and Simon Dubnow), in: YIVO Annual of Jewish Social Science 9 (1954), 9–62, here 13. The quotes are from Dubnow’s obituary of Friedlaender in Haaretz (8 Elul, 5682/1 September 1922) and from Dubnow’s memoir, Book of Life. There is no complete English version of the memoir. This article uses the German translation: Buch des Lebens. Erinnerungen und Gedanken. Materialien zur Geschichte meiner Zeit, 3 vols., Göttingen 2004–2005, here vol. 2: 1903–1922, Göttingen 2005, 354. Dubnow had recommended Friedlaender as a translator to Ahad Ha’am, too (see Friesel, Ahad Ha-Amism in American Zionist Thought, 198, n. 35). 12 Davis, Jewry, East and West, 9–62.

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Poland would raise the status of Russian Jews in the US, a sentiment that Pinson echoed in his attack on Handlin.13 While a number of Dubnow’s historical writings were translated into English during his lifetime, there has been no comprehensive translation of his magnum opus, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, first published in German (1925–1930) and subsequently in Russian (1936–1939).14 His influence as a historian was also channeled through students and disciples, whose perspectives on Jewish history he shaped, some of the most important of whom were Elias Tcherikower, Simon Rawidowicz, Zalman Shazar (Rubachev), Iulii Gessen, and Ben-Zion Dinur (Dinaburg).15 More indirectly, he was a formative influence on important American Jewish intellectuals such as Salo W. Baron, Mordecai Kaplan, Oscar Janowsky, and others.16 Institutionally, a Dubnowian historiographical tradition was transmitted through the YIVO Institute for Jewish Research, first in Eastern Europe, where Dubnow was involved in its founding in 1925, and later in the US, to which the institute relocated in 1940, a year before Dubnow was killed during a roundup of Jews in Riga on 8 December 1941.17 Dubnow’s death was only confirmed and commemorated with great delay. YIVO in New York held a memorial service for him on 17 October 1943. Dubnow had been rumored to have died before, to the willful disbelief of his admirers, as an obituary in the American journal Historia Judaica illustrated: “Reports of Simon M. Dubnow’s death had spread in this country during the 13 Davis, Jewry, East and West, 15 and 17. 14 Simon Dubnow, An Outline of Jewish History, 3 vols., New York 1925. In 1928, the journal Menorah also published “A Sociological Conception of Jewish History,” an abbreviated selection from the introduction to the Weltgeschichte. In 1936, an English translation of his Yiddish Jewish history for children was published in England: Simon Dubnow, A Short History of the Jewish People, London 1936. For bibliographical information on texts by and about Dubnow, the Oxford Bibliography prepared by Simon Rabinovitch is an invaluable source: idem., s. v. “Simon Dubnov,” (1 December 2019). 15 Kristi A. Groberg, The Life and Influence of Simon Dubnov (1860–1941). An Appreciation, in: Modern Judaism 13 (1993), no. 1, 71–93, here 78. 16 Jewish History and the Yiddish Language. A Report on the 35th Annual Yivo Conference, in: News of the YIVO 78 (April 1961), 1*–2* and 6*, here 6*. The bilingual newsletter used an asterisk to distinguish its English-language pages from the Yiddish ones. Articles were anonymous. 17 Cecile Esther Kuznitz, YIVO and the Making of Modern Jewish Culture. Scholarship for the Yiddish Nation, New York 2014, 85–90. Dubnow has been called the “intellectual god-father” of YIVO’s historical section. See also Philip Friedman, Polish Jewish Historiography between the Two Wars (1918–1939), in: Jewish Social Studies 11 (1949), no. 4, 373–408, here 375; Koppel S. Pinson, Simon Dubnow. Historian and Political Philosopher, in: Simon Dubnow, Nationalism and History. Essays on Old and New Judaism, ed. by Koppel S. Pinson, Philadelphia, Pa., 1958, 1–65, here 60.

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war so often that, when in the end the news of his death was true, few be­ lieved it, as if this man past eighty was not made to die.”18 Many American Jews may have learned about Dubnow by way of obit­ uaries, which by their very nature focused on the life of the deceased. But it was not just this genre that made Dubnow’s life a central part of his role in the postwar American Jewish discourse on Jewish history. Rather, it was the combination of a post-Holocaust American Jewish urge to come to terms with the East European past and the fact that Dubnow’s biography touched on crucial events, places, and persons that became emblematic of this past as it was being historicized and Americanized. The fact that he perished in the Holocaust added a tragic dimension to appreciations in which life and work were conflated or integrated into a comprehensive picture or even message that Dubnow held for American Jewry. Pinson set this tone in his preface to the YIVO Annual of 1954. That year, as American Jewry celebrated 300 years of Jewish life on the North American continent, the YIVO Annual was dedicated to the shift in Jewish history from Eastern Europe to America: “Simon Dubnow, the great historian of east-European Jewry, and Israel Friedlaender, his translator and interpreter to the English-speaking world – both also sainted martyrs – exemplify this movement of Jewish life and thought from the old world to the new.”19

Again, it was YIVO that illustrated the integration of life and work that was characteristic of Dubnow’s reception in postwar America (Fig. 1–3). An exhibition in 1961 entitled “The Life and Work of a Jewish Historian” may have shaped the view of many visitors, given the important role YIVO played at that time in the Yiddish-speaking milieu and broader Jewish intellectual community in New York City. As the bilingual Yiddish and English catalogue showed, the exhibition chronicled Dubnow’s life leading up to his major writings and communal leadership roles, ending with the destruction of Jewish life in Latvia.20 Following the YIVO approach of engaged scholarship, it emphasized that Dubnow saw his intellectual work as being in the service of Jewish life and continuity. This was a motif of many appreciations of Dubnow that were published in the middle of the last century. His obituary in Historia ­Judaica was one of the most hagiographic, calling Dubnow “a leader and lover of his people, and one of the representative Jews of Eastern Europe.”21 18 Groberg, Life and Influence of Simon Dubnov (1860–1941), 78; Jacob  S. Minkin, ­Simon  M. Dubnow, 1860–1941 (necrologues), in: Historia Judaica VI (1944), 91–95, here 91. 19 Koppel S. Pinson, Editor’s Preface, in: YIVO Annual of Jewish Social Science 9 (1954), 5. 20 YIVO Institute for Jewish Research (ed.), Simon Dubnow (1860–1941). The Life and Work of a Jewish Historian, New York 1961 (exhibition catalogue). See also Opening of the Dubnow Exhibition at YIVO, in: News of the YIVO 78 (April 1961), 5*. 21 Minkin, Simon M. Dubnow, 1860–1941, 91.

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Fig. 1: The 1961 exhibition on Dubnow at the YIVO Institute for Jewish Research in New York shaped the image and understanding of Dubnow’s biography and scholarship as relevant beyond his death twenty years before. The cover of the accompanying exhibition catalogue shows a portrait of Simon Dubnow. Source: Exhibition catalogue Simon Dubnow (1860–1941). The Life and Work of a Jewish Historian (New York 1961).

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Fig. 2: The introduction to the YIVO exhibition emphasized that Dubnow’s life and work integrated scholarship and communal and political activism. Source: Exhibition catalogue Simon ­Dubnow (1860–1941). The Life and Work of a Jewish Historian (New York 1961).

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Fig. 3: In the section on Dubnow’s genealogy, the YIVO exhibition portrayed the historian as an heir to intellectual and spiritual forefathers who shaped Judaism in Eastern Europe and, for twentieth-century American Jews, bestowed their cachet on Dubnow. Source: Exhibition catalogue Simon Dubnow (1860–1941). The Life and Work of a Jewish Historian (New York 1961).

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The YIVO exhibit was much soberer in tone, but it shared the notion of Dubnow’s rootedness in East European Jewry and its tradition. Its opening section provided a genealogy that linked Dubnow to Judah Loew ben Be­ zalel, the famed Maharal of Prague, a rabbi, Talmudist, mystic, and philosopher who lived in the sixteenth and early seventeenth centuries and who is popularly associated with the legend of the golem of Prague. Showing documents dating from the seventeenth century, the exhibit placed Dubnow firmly into the rich, venerable, and centuries-long tradition of East European Jewry. The second section was devoted to his family, including his grandfa­ ther Bentsion, who had a formative influence on young Simon. His birth­ place, Mstislav in Russia, was portrayed with a wide historical lens, tracing its origins back to the twelfth century. From these beginnings, the exhibit followed Dubnow’s wanderings that may have had visitors think that he had a talent for being in crucial places when they became hotspots in the cultural and political modernization of East European Jewry. The section on Dubnow’s time in Odessa (1890–1903) showed him as deeply involved in the cultural life of the city, before the exhibit moved on to Vilna, where Dubnow experienced the revolution of 1905. Dubnow’s work on the commission to study the history of the blood libel, formed after the 1903 pogroms in Kishinev, was described in a special section. His years in St.  Petersburg (1906–1922), which encompassed the revolutionary year 1917, were depicted with a focus on the struggle for civil equality and on his political activities with the Folkspartey (People’s Party). The final image of this section showed Dubnow packing up his library and archive before leaving St. Petersburg. Dubnow then lived in Berlin until 1933, during which time he published the Weltgeschichte. The section on this work opened with Dubnow’s famous diary entry of early 1892: “I became a missionary for history.”22 Throughout the exhibition, Dubnow could be seen as writing, witnessing, and shaping history in his different roles and through his far-flung network of contacts, which placed him, time and again, in the middle of East European Jewish cultural and political life. Photos, correspondence, and cooperative projects linked him with important and divergent figures, including intellectuals such as Ahad Ha’am, Emanuel Ringelblum, and Jacob Lestchinsky; literary writers as different as Mendele Mokher Sforim, Hayim Nahman Bialik, Sholem Asch, and Judah Leib Gordon; and politicians such as Nahum Sokolow and Meir Dizengoff.

22 YIVO Institute for Jewish Research (ed.), Simon Dubnow (1860–1941), 36.

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Dialectic Progress: Bringing Dubnow’s “New Judaism” to America If American Jews sensed that Dubnow’s life reflected key modernization processes of (East European) Jewish life, Dubnow himself would have found himself confirmed. In his memoir Book of Life published in Russian between 1934 and 1940, he described his own intellectual development as a tripartite dialectic of thesis/antithesis/synthesis.23 He grew up in a strictly orthodox milieu and would have been destined to become a traditional rabbi, had he not rebelled against this intellectually stifling environment. In his own depiction, he followed up on the thesis of traditional Judaism with the antithesis of an assimilationist position, when in the 1880s he advocated religious reforms in the service of a religious mission. The progress in his own development as well as in Jewish history came through the synthesis of Jewish nationalism, which is most often associated with the year 1897, when Dubnow began publishing his Letters on Old and New Judaism. In this series of letters, which ran until 1906 in the Russian Jewish journal Voskhod, Dubnow expressed the understanding of different national types that evolved in three stages, from the tribal to the political-territorial to the highest form as represented by the Jews: a “cultural-historical” or “spiritual” type.24 In this role as a “model” for other nations, the idea of a Jewish mission that Dubnow had espoused in an earlier stage of his own thinking returned in a different guise.25 Jews developed toward this elevated type of nationhood after the destruction of their ancient state; as a minority nation in multinational states, they had a right to national autonomy. Their will to survive was realized in cultural and social rather than political forms of autonomy that constituted the thread running through Jewish history; religious practices and beliefs no longer constituted them as a nation. Separating the national idea from religion, he considered Judaism a “system of culture,” which qualified his thinking as secular. He saw religion as an important ingredient contributing to a secularized folk culture that urged toward its own perpetuation. In Dubnow’s reading, Jewish history was shaped by successive “hegemonic 23 The major sources for Dubnow’s biography, beside his Book of Life, are his daughter’s account: Dubnov-Erlich, The Life and Work of S. M. Dubnov, with Frankel’s masterful, analytic introductory essay, S. M. Dubnov; and the biography by Viktor E. Kelner, Simon Dubnow. Eine Biographie, transl. from the Russian by Martin Arndt, Göttingen 2010. 24 On Dubnow’s understanding of Judaism, see Robert M. Seltzer, Simon Dubnow’s “New Judaism.” Diaspora Nationalism and the World History of the Jews, Leiden 2014; Groberg, Life and Influence of Simon Dubnov (1860–1941), passim; David H. Weinberg, Between Tradition and Modernity. Haim Zhitlowski, Simon Dubnow, Ahad Ha’am, and the Shaping of Modern Jewish Identity, New York 1996, 145–216. 25 Frankel, S. M. Dubnov, 18.

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centers.” While over time he warmed to the perspective of a center in Palestine, his focus remained on protecting Jewish life in the diaspora against outside pressure and assimilation.26 In this focus on the diaspora, he differed from his close friend Ahad Ha’am, who ascribed the greatest importance for Jewish national survival to a cultural enclave in Palestine radiating out to a diaspora depending on it.27 Some American readers could have encountered this set of ideas soon after their emergence in Eastern Europe.28 Yet it was only in the middle of the last century that a broader American reception of Dubnow set in, driven by new questions American Jews and their intellectuals were asking of Dubnow. Labor thinker Nathan Goldberg in the early 1940s invoked the concept of the Jews as a historico-cultural nation in a discussion about Jewish cultural autonomy in Eastern Europe, but also in the US, as did others in the follow­ ing years.29 As YIVO redirected its mission – preserving a cultural heritage and strengthening a historical consciousness in support of a positive Jewish identity – towards America, Dubnow served once again as a guiding light.30 First and foremost, however, it was Koppel Pinson, who introduced postwar America to Dubnow’s national theories, first with a 1948 article in the journal Jewish Social Studies and, more exhaustively, with the edited volume of Dubnow’s writings that in 1958 triggered the academic spat with Oscar

26 Dubnow, Nationalism and History, 80–99, 118–121, 136–142, 344, and 348. 27 On the relationship between Dubnow and Ahad Ha’am, see Robert M. Seltzer, Ahad HaAm and Dubnow. Friends and Adversaries, in: Kornberg (ed.), At the Crossroads, 60–72. See also Dubnow, Nationalism and History, 239. 28 Israel Friedlaender provided early introductions to Dubnow’s thought in speech, published as idem, Dubnov’s Theory of Jewish Nationalism, in: The Maccabean 8 (1905), 243 ff. and in his essay collection: idem, Past and Present. A Collection of Jewish Essays, Cincinnati, Oh., 1919, 371–398. 29 Nathan Goldberg, S.  M. Dubnow, in: Workmen’s Circle Call  9 (1941), no.  4,  6; idem, Solutions for the Jewish Problem/Simon  M. Dubnow, in: Workmen’s Circle Call 11 (1943), no. 9, 6 f. See also Abraham Goldberg, Simon M. Dubnow, in: idem, Pioneers and Builders. Biographical Studies and Essays, New York 1943, 208–216; Kurt Stillschweig, Nationalism and Autonomy among Eastern European Jewry. Origin and Development up to 1939, in: Historia Judaica VI (1944), 27–68; Milton R. Konvitz, Yivo Comes to Morningside, in: Commentary 3 (1947), no. 1, 48–54. 30 Fifty Years of Jewish Social Thought and Action, in: News of the YIVO 23 (November 1947), 1*–2* and 8*; Stages in the Spiritual Growth of the Jewish People Traced at YIVO Jubilee Conference, in: News of the YIVO 40 (March 1951), 3* and 6*; YIVO Symposium on the Dubnov Centenary, in: News of the YIVO 75 (July 1960), 5*; Variety of Scholarly Topics Discussed at the 38th YIVO Conference, in: News of the YIVO 89 (February 1964), 1*–2* and 6*.

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Handlin.31 The volume presented the Letters on Old and New Judaism and several of Dubnow’s writings on the philosophy of Jewish history in translation. Pinson provided a lengthy introduction, a learned yet hagiographic depiction that related Dubnow’s work to the historical and political constellation of its genesis. Pinson and others established Dubnow’s diaspora autonomism as one of at least four responses to the modern “Jewish question,” all of which, at least symbolically, had entered the historical stage in 1897. The founding of the Jewish Labor Bund that year embodied Socialism, the first Zionist Congress in Basle represented Zionism, and the first of Dubnow’s Letters signaled the emergence of diaspora nationalism.32 As to the fourth response, it was once again Israel Knox who introduced “America” or immigration as yet another response, pointing out that the Yiddish daily Forverts had been founded in 1897, too.33 While critics like Handlin relegated Dubnow’s political theories to that particular moment in history, more thinkers agreed with Pinson, who asserted his relevance for contemporary Jewry. Yiddishist educator Yudel Mark stated in a Yiddish-language essay: “Only now do we see how impor­ tant the ideas that Dubnow formulated sixty years ago are for the second half of the twentieth century.”34 Many thinkers emphasized that Dubnow’s ideas were relevant specifically for contemporary American Jewry. They argued that he had foretold crucial developments that were relevant to a community searching for its role in a fundamentally transformed Jewish world and in a gradually changing American society and polity. Dubnow had encouraged emigration as part of the historical forces that shifted the center of Jewish life from one country to another. He advocated for organized emigration to the US and found his idealized image of the country disappointed when (Jewish) immigration was

31 Koppel S. Pinson, The National Theories of Simon Dubnow, in: Jewish Social Studies 10 (1948), no. 4, 335–358; idem., Simon Dubnow. On Pinson, see Arndt Engelhardt, Koppel S. Pinson (1904–1961). Eine jüdische Intellektuellenbiografie in Amerika, in: Nicolas Berg et al. (eds.), Konstellationen. Über Geschichte, Erfahrung und Erkenntnis. Festschrift für Dan Diner zum 65. Geburtstag, Göttingen 2011, 81–101. 32 Fifty Years of Jewish Social Thought and Action,  1*; see also Konvitz, Yivo Comes to Morningside, 49. 33 Israel Knox, A Memorable Year (In the Jewish World), in: Workmen’s Circle Call 26 (1957), no. 5, 6 f. Dubnow wrote articles for the Forverts and the newspaper Der Tog, see Dubnow, Buch des Lebens, vol. 3: 1922–1933, Göttingen 2005, 94; see also Frankel, S. M. Dubnov, 11. 34 Yudel Mark, Shimon Dubnov, New York 1962, 42 (Yidd.). The book is a collection of Yiddish-language articles written in the early 1960s.

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severely restricted by the 1924 Johnson-Reed Act.35 He expected the realization of national autonomy to take place in the US, if American Jewry was to constitute itself as a national minority rather than as a religious group. With Judaism unfolding its rich cultural and spiritual potential there, America was destined to become one of the “hegemonic centers.” Dubnow formulated his perspective on America in the Jewish present and future succinctly in the thirteenth of his Letters, originally published in 1907 and included in the 1958 collection edited by Pinson: “[We] have the right to believe that in the course of time America will become the major center of Judaism alongside of Russia and, under certain conditions, may even surpass it. We must take this movement [emigration] in hand and organize it as far as possible. […] There as well as here we must concentrate all our forces so that our brethren will organize themselves in the free country on a broad basis of national autonomy which will protect them against cultural assimilation – the greatest danger in the United States. … The Jewish settlement in America is from its birth an offshoot of our great center in Russia, and when the old mother is in bad and difficult circumstances she is drawn hopefully to her young daughter in the land of the free. We are strongly bound to that part of our family that has moved across the sea. It is bone of our bone and flesh of our flesh.”36

What Dubnow had written about American Jewry, its roots, potential, and role in the future resonated in the postwar discourse of a community in transition. Pinson’s introduction to Dubnow’s writings ended with a section entitled “Dubnow and American Jewry,” in which he asserted a “parallelism of cultural and emotional conditions of American Jewish life and the national theories of Dubnow. The secularization of American Jewish life as well as the coming into their own of the east-European Jewish immigrants helped to create a receptivity to Dubnow’s ideas.”37 However, as American Jewry entered a new stage in its existence in the 1940s, secularization and the grip of the East European past were but two of several factors that made the recently deceased historian, who had never set foot on American soil, and his work a source of inspiration and raw material for a community undergoing profound transformations.

35 Dubnow himself refused several offers to immigrate to the US, as he saw his place within East European Jewry. “I move easily in time, but not in space” was his explanation. See Groberg, Life and Influence of Simon Dubnov (1860–1941), 72 f.; Frankel, S. M. Dubnov, 26; Leo Shpall, Shimon Dubnow and His Letters to Elias Tcherikower, in: Jewish Forum 40 (June 1957), 99. Dubnow’s daughter Sophie Dubnov-Erlich settled in New York in 1942. 36 Dubnow, Nationalism and History, 239 f. See also Dubnov-Erlich, The Life and Work of S. M. Dubnov, 71, 84, 123, 158, 240, and 244. 37 Pinson, Simon Dubnow, 61.

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Ambivalence in Postwar America and a New Role in the Jewish World The 1940s to 1960s are increasingly recognized as a period in which the meaning of Jewishness in America was highly ambivalent and uncertain, as historian Riv-Ellen Prell argued: “The postwar period, then, is best understood as a dynamic moment when the fundamental definitions of what it meant to be an American Jew were worked out in the new synagogues, living rooms, organizations, and political debates of the time.”38 The composition of the people who in these living rooms, synagogues, and organizations led such debates changed significantly in the middle decades of the century. Due to the end of mass immigration from Eastern Europe in 1924, which Dubnow had decried, sometime in the 1930s the majority of Jews living in the US had been born in the country. Those old enough to remember the interwar years likely noticed the chang­ es on the American social scene associated with the war and the Holocaust. The 1930s in particular had been a period of pervasive antisemitism and little appreciation for religion. Religion was seen as a factor exacerbating group conflicts, and observance and other markers of religious commitment were low. Secularism was a strong force, both as a lived reality and as an ideology advocating an ethnically Jewish life. Many American Jews lived in urban neighborhoods, where physical proximity, social ties, and dense webs of Jewish institutions made for an osmotically transmitted ethnic Jewishness.39 While such forms of relative autonomy may have pleased Dubnow, the more problematic aspects of Jewish life in America did not figure much in his writings. The American experience of World War II is seen as ushering in large-scale changes in the social and intellectual climate. Patriotic propaganda empha­ sized American unity among previously conflicting social groups. Information about the persecution and murder of the Jews in Europe increasingly stigmatized antisemitism in America. Religion was revalued as a positive force and began to be appreciated as an “American” value, by contrast to the god-

38 Riv-Ellen Prell, Triumph, Accommodation, and Resistance. American Jewish Life from the End of World War II to the Six-Day War, in: Marc Lee Raphael (ed.), The Columbia History of Jews and Judaism in America, New York 2008, 114–141, here 115; see also idem, Community and the Discourse of Elegy. The Postwar Suburban Debate, in: Jack Wertheimer (ed.), Imagining the American Jewish Community, Waltham, Mass., 2007, 67–90; Lila Corwin Berman, Speaking of Jews. Rabbis, Intellectuals, and the Creation of an American Public Identity, Berkeley, Calif., 2009. 39 See Deborah Dash Moore, At Home in America. Second Generation New York Jews, New York 1981.

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lessness first of the Nazis and later of Soviet Communism.40 The new notion of a “Judeo-Christian tradition” marked the inclusion of Judaism into the civil religious pantheon of white America. For America’s Jews, about three percent of the population, this meant unprecedented social acceptance.41 The revaluation of Judaism – as a venerable religion providing a re­spected source of wisdom and practical guidance – had important consequences for the understanding of Jewishness as an identity. Judaism as a religion became the primary way to publicly express Jewishness. This phenomenon was particularly salient in the Jewish move to the suburbs – Jewishly uncharted territory. Here, with religion being the one socially acceptable form of expression, the synagogue became the single most important institution of postwar suburban Jewishness.42 Yet the postwar boom of joining synagogues did not mean a return to greater religious observance or creedal commitment. Jews affiliated with synagogues out of a need for community: immediate community realized in social relations, and more abstractly as a historical community. Synagogues served as “ethnic churches”: a protected space where an ethnic Jewishness could be realized that was disdained by an intellectual climate that reduced Jewishness to Judaism.43 Many American Jews were willing to discard ethnic traits, such as Yiddish speech inflection or conspicuously Jewish names at the price of sometimes painful breaks with the milieu of their immigrant parents. Contemporary and later observers of American Jewry in this period have found indicators that the identity resulting from these processes, particularly the construct of “Jewishness through Judaism,” was somewhat unstable. If these developments on the domestic scene made for a fluid and unsettled concept of Jewishness and Judaism in America, other factors further contrib­ uted to a need by American Jews to understand their new role in the Jewish world. First and foremost, it was the Holocaust and the founding of the State of Israel that raised questions, the answers to which thinkers sought from Dubnow: the representative of a culturally autonomous Eastern European diaspora community. The Holocaust affected American Jews’ self-understanding within the Jew­ish world in innumerable ways. For many American Jews in the 1940s, it 40 Martin  E. Marty, Modern American Religion, 3  vols., Chicago, Ill., 1987–1996, here vol. 2: The Noise of Conflict, 1919–1941, Chicago, Ill., 1991, 2–5 and vol. 3: Under God, Indivisible, 1941–1960, Chicago, Ill., 1996, 54–64 and 115–129. 41 Will Herberg, Protestant – Catholic – Jew. An Essay in American Religious Sociology, Garden City, N. Y., 1955. 42 See Marshall Sklare/Joseph Greenblum, Jewish Identity on the Suburban Frontier. A Study of Group Survival in the Open Society, New York 1967. 43 Marshall Sklare, Conservative Judaism. An American Religious Movement, Glencoe, Ill., 1955, 35. See also Prell, Community and the Discourse of Elegy, 70–73.

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meant the loss of close relatives and of emotional reference points. It made America the new and undisputed hegemonic center of world Jewry, even after the State of Israel was founded. Many commentators pointed to the chasm between the new responsibilities incumbent on American Jewry and its questionable spiritual and cultural readiness to accept and own the heritage of the former center in Eastern Europe.44 The spiritual barrenness, low cultural level, underdeveloped intellectual production, and general disorientation of American Jewry formed a common trope among thinkers of different stripes. To use Dubnow’s metaphor: With the old mother dead, was the young daughter able to shoulder the new responsibility? Or was she too young? And was she even willing to accept this heritage? This willingness was not self-evident. The readiness or unreadiness of American Jewry to take on the heritage of the Old World was also a question of its self-perception within Jewish history. Important parts of the American Jewish leadership had partaken in the American exceptionalism through which the US defined itself against the Old World, which was seen to be characterized by a lack of freedom, religious intolerance, and intellectual backwardness – including the cultural parochialism and tribal particularism of East European Jewry. Would the young daughter reject this heritage or accept it and make it her own? In the face of the Holocaust, a self-understand­ ing based on an essential break with the stream of Jewish history, particularly with the East European past, had become questionable. Rather, American Jewry engaged with this past in unprecedented ways, hinting at a revision of the American Jewish exceptionalism and aiming at reconstructing the past in a way that made it usable for divergent visions of their future. Religious think­ers, Yiddishists, secular Jewish leftists, and literary intellectuals all ­invoked this past in the service of their visions for the American Jewish ­future.45 Divergent as these visions were, they were united by a common goal: to help American Jewry become – and become accepted as – a vital, authentic, and legitimate diaspora community. The authenticity and legitimacy of the American Jewish diaspora were fundamentally questioned by the new State of Israel and its underlying ideol­ ogy. These attacks affected American Jews on two levels: In the postwar years, when a recently Americanized immigrant community feared questions about their political loyalty, the existence of a state demanding political and financial support could not feel like anything other than a mixed blessing.46

44 For an incisive example, see Robert Gordis, The Task before Us. A Preface to Our Journal, in: Conservative Judaism 1 (1945), 1–8, here 1. 45 See Krah, American Jewry and the Re-Invention of the East European Jewish Past, passim. 46 See Charles S. Liebman, Diaspora Influence on Israel. The Ben Gurion-Blaustein “Exchange” and Its Aftermath, in: Jewish Social Studies 36 (1974), no. 3/4, 271–280.

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Beyond their acceptance in the American context, American Jewry’s stand­ ing in the Jewish world was also at stake, as Israel claimed to be the single hope for a safe and comprehensive – hence authentic and legitimate – Jewish existence. The postwar American Jewish engagement with the East European past was also a response to this claim. In contrast to Israel’s political, financial, and ideological demands, the “old home” of Eastern Europe made no such claims. It was tragically and safely part of the past, whose meaning for the present and future of Jewishness could be reconstructed to suit the needs of American Jews searching for meaning amid a disorienting American present. As they rediscovered or reinvented continuities with this past, American Jews claimed the mantle of spiritual leadership of world Jewry, implicitly (and sometimes explicitly) deflecting Israel’s assertion of a monopoly on Jewish legitimacy. The daughter in Dubnow’s metaphor embraced the heritage of the mother and the alte heym, making it her own and refusing the demands to give it up made by more distant relatives in a farther away Altneuland. To make these decisions, many intellectual leaders of American Jewry ­looked for guidance. As late as 1959, a year after the publication of Pinson’s edition of Dubnow’s writings and shortly before the YIVO exhibit, the Jewish Publication Society (JPS) pointed to the need to ground American diaspora Jewry in a philosophy for the future. Judge Louis E. Levinthal, chairman of the JPS publication committee, stated: “We Jews of the diaspora have for the past two centuries been in search for a philosophy underlying Jewish life and of a method of ensuring Jewish survival. It is well for discussion on these fundamental questions to be based on historic facts.” He pointed specifically to Dubnow (and Ahad Ha’am) as JPS authors who offered such guidance.47

An American Synthesis of Religion and Secularism In Dubnow more than in other thinkers, American Jews found answers to their concerns about their role as the center of the diaspora vis-à-vis a Jewish state; their role in Jewish history and as heirs of the East European center; and the role of religion in a modern conception of Jewishness. The debate about Dubnow’s ideas paid little attention to the fact that the idea of national

47 Jewish Publication Society (ed.), Report on the Seventieth Year, in: American Jewish Year Book 60 (1959), 370–385, here 375.

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autonomy in multinational states had failed during his lifetime and seemed unlikely to shape the postwar political order in Europe.48 Rather, the debate proceeded from the recognition that America had become the new center of world Jewry and urgently needed a philosophy to ground this role that in its newness questioned established categories such as national and religious group identities. Leftist thinker Israel Knox in 1946 formulated the program of the debate. Accepting the role as the new center, he called for an exploration of its nature: “It is regrettable that American Jewry’s new status and self-consciousness have been left unexplored and unexamined,” he wrote in his seminal Commentary article entitled Is America Exile or Home? He continued: “It requires an understanding of the American Jew in terms of the American scene, as well as in relation to Jews abroad, an analysis of his institutional and communal experience as a Jew, and a redefinition of values, an appraisal of the content of Jewishness.”49 Similarly, Pinson argued that contemporary “groping, unaffiliated Jewish intellectuals” could find assistance in Dubnow in leading the American Jew, who needed “theoretical formulation and philosophical grounding to help him clarify his position as a Jew in the United States.”50 For that, Dubnow promised a phil­ osophical, historical, and political basis – if he was properly applied to the needs and circumstances of American Jewry. Pinson identified what he saw as a large segment of the community in need of guidance: “those American Jews, who even when adherents of either Conservative or Reform Judaism come fully under the category of secularized Jews as Dubnow saw them, who continue to feel a deep attachment to Jewish history, to Jewish culture and to Jewish life, and who, even when they are Zionists, feel themselves to be an integral part of the American scene.”51

In other words, what was required was something of an American synthesis between religious and secular, Zionist and diaspora identities. Like Dubnow himself, particularly in Pinson’s depiction, his Americanizers applied dialectics to arrive at such a synthesis.52 Those who did so in the vexed field of

48 Handlin and Baron were among those who focused on the fate of Dubnow’s political program during his lifetime and historicized it rather than interpreting it for the different, postwar American context. See Handlin, A Jewish Historian, 176, and Salo  W. Baron, European Jewry before and after Hitler, in: American Jewish Year Book 63 (1962), 3–53, here 16. 49 Knox, Is America Exile or Home?, 402. 50 Pinson, Simon Dubnow, 62. Friedlaender had similarly diagnosed American Jewry to be “rudderless” in 1905, sensing a “burning need for a doctrine which will reconcile the Jew to his present position among the nations.” In his assessment, Dubnow was the first to have tried to satisfy this need, see Friedlaender, Dubnov’s Theory of Jewish Nationalism, 255. 51 Pinson, Simon Dubnow, 62. 52 Ibid., 10 f., 30 f., and 64.

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religion versus secularism could point to Dubnow’s own urge not to forfeit American freedom by self-imposed conceptual limitations: “especially in the United States of America, Jews could enjoy even now a large measure of self-administration if they were only willing to advance beyond the confines of the ‘religious community,’” he wrote in the fourth of his Letters, originally published in 1901.53 Some fifty years later, a whole generation of religious and secular thinkers struggled with the antithetical nature of affirmative religion and ideological secularism. It was the journal Judaism, founded in 1952 with a focus on Jew­ ish religion and philosophy, that sought to expand the concept of religion beyond the notion of beliefs only in the private sphere. In a programmatic essay opening the first issue, founding editor Robert Gordis warned that “in the past, protagonists of Judaism as a ‘religion’ have all too often been advocates of a minimal, scarcely identifiable Jewish content in their lives,” and called such a narrow concept “un-Jewish.” Therefore, the understanding of religion should be expanded so that Judaism could be conceived more broadly and in distinctly Jewish terms. Religious thinkers drew on the broad, spiritually infused Jewishness of the East European past as a model for this ideal. Crucially, they sought to protect Judaism as the defining center of Jewishness, and therefore rejected calls to consider Jewishness as a category in a framework of cultural pluralism. “Cultural pluralism is little more than a retarding factor, useful in making the process of assimilation more gradual and thus reducing the tension between immigrant and native generations,” Gordis declared. “The only enduring type of pluralism which the structure of American life envisages lies in the field of religion.”54 In their fight against cultural pluralism, Gordis and many other religious thinkers riding the Zeitgeist, dismissed ideological secularism as a one-generation phenomenon that would die out with the immigrant generation as they were foreign to America.55 Some sought to disprove Dubnow in particular, like the Conservative rabbi and theologian Jacob Agus: “Dubnow persists in treating the religious motivation of Jewish life as only a peripheral and conventional expression of subterranean ethnical forces,” he wrote in a critique of nationalistic philosophies of Jewish history. “It is simply not true 53 Dubnow, Nationalism and History, 139. 54 Robert Gordis, Toward a Renascence of Judaism, in: Judaism 1 (1952), no. 1, 3–10, here 7 and 8. 55 Examples include Ben Zion Bokser, Religion and Secularism, in: Judaism 1 (1952), no. 2, 150–157; Will Herberg, Religious Trends in American Jewry, in: Judaism 3 (1954), no. 3, 229–240; Harold M. Schulweis, Horace Kallen, Secularism Is the Will of God (review), in: Judaism 4 (1955), no. 4, 367–371; Herbert Parzen, The Passing of Jewish Secularism in the United States, in: Judaism 8 (1959), no. 3, 195–205; Melvin M. Tumin, Conservative Trends in American Jewish Life, in: Judaism 13 (1964), no. 2, 131–142.

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that Jews strove to preserve their cultural identity, apart from their religious concern.” According to Agus, Dubnow was guilty of ahistorically applying modern secular thinking to pre-modern Jewish history.56 The attacks by religious thinkers on cultural pluralism reflected their alarm over a trend toward such cultural conceptions of Jewishness that sought to recalibrate the balance of religious and other aspects of a broadly understood identity. In this debate, the lines between advocates of an extended conception of religious Judaism, like Gordis, and of a secularism that would encompass a Jewish identity beyond the synagogue could become blurry. “[Religion] and secularism are not mutually exclusive in the thinking of the American Jew,” argued C. Bezalel Sherman, a left-wing Zionist, in Judaism. Religious life provided the framework in which secular life could flourish. “There is nothing in this kind of organization that is violative of the nationalist principles of the secularist Jew since he can observe Jewish holidays and follow certain traditional practices not as religious institutions but as expressions of Jewish culture and part of Jewish folkways,” Sherman concluded, bending Dubnow according to the American social environment.57 Other authors explicitly invoked Dubnow as they walked conceptual tightropes between religion and secularism. Saul Goodman, director of New York’s secular Sholem Aleichem Schools, may have been the most creative secularist who tried to find a new rationale for this ideology that acknowledged American realities. He discussed contemporary reinterpretations of Dubnowian secularism, which retained the basic tenet of modern Jewish secularism that membership in the community does not presuppose any religious faith, but took into account the return of many American Jews to religion. The result could be, in Goodman’s view, a conceptual synthesis expressed in a linguistic juxtaposition: “Were we to give an American twist to the concept of Jewish secularity we could designate it religious secularism,” Goodman wrote in the fall 1960 issue of Judaism.58 In December of the same year, he struck a slightly different note in Commentary, which gave a forum to thinkers who collectively pointed toward a cultural understanding of American Jewishness. In this text, Goodman embraced secularism à la Dubnow, which provided a rationale for the free-thinking Jew’s impulse to remain Jewish. The key to this perspective was a distinctly cultural self-conception, which Goodman saw even in the supposedly religious boom in postwar America. 56 Jacob B. Agus, Nationalistic Philosophies of Jewish History, in: Judaism 5 (1956), no. 3, 256–271, here 264  f. (emphasis in the original). See also Ephraim Shmueli, Dubnow’s History Revisited, in: Judaism 6 (1957), no. 3, 210–218. 57 C. Bezalel Sherman, Secularism in a Religious Framework, in: Judaism 1 (1952), no. 1, 36–43, here 42 f. 58 Saul Goodman, Jewish Secularism in America. Permanence and Change, in: Judaism 9 (1960), no. 4, 319–330, here 320 and 330 (emphasis in the original).

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“Surely the much heralded religious revival of recent years has less to do with religion (as many observers agree) than with cultural identification.”59

Accepting the East European Legacy – Legitimizing the American Diaspora This cultural identification inextricably tied in with the other vexing issue which American Jewish thinkers debated during the middle decades of the last century: the ostensible antithesis between Zionism and diaspora Judaism. Strong voices in this debate asserted the American community’s legitimacy by a double argument, for which an Americanized Dubnow again served as an inspiration. Knox’s call to consider America “home” and to “build for permanence” sparked a lively debate, but little objection to his fundamental argument; some commentators even went further in their assertion of a new, unique, and promising American Jewishness.60 The motif of a new type of Jewishness, sui generis and reflecting the beneficial circumstances of America, was a thread running through many comments on the American Jewish future. The founding statement of Commentary in 1945 was a case in point. The magazine itself was “an act of faith in our possibilities in America,” wrote the editor Elliot Cohen. “[We] have faith that, out of the opportunities of our experience here, there will evolve new patterns of living, new modes of thought, which will harmonize heritage and country into a true sense of athome-ness in the modern world.”61 In his attempt to describe the relationship of the new American Jewishness to past forms, Cohen took to dialectics: “It will be similar, it will be different. It will be old, it will be new. It will be real, and it will have a fresh identity never seen before.”62 The newness of American Jewishness (which in the related discourse also included the synthesis of religion and secularism) formed one part of the double argument for its legitimacy. Its advocates could point to Dubnow’s 59 Idem., Simon Dubnow. A Revaluation, in: Commentary 30 (1960), no. 12, 511–515, here 515. 60 Knox, Is America Exile or Home? For comments on his article, see Moses Lasky, Jewish Culture for America? A Golden Age?, in: Commentary 3 (1947), no. 3, 250–253 and Herbert B. Ehrmann, Jewish Culture for America? Against Separatist Culture, in: ibid., 253–255; see also Rabinovitch, Jews and Diaspora Nationalism, 203 f. 61 Elliot E. Cohen, An Act of Affirmation, in: Commentary 1 (1945), no. 1, 1–3, here 2. 62 Idem., Jewish Culture in America. Some Speculations by an Editor, in: Commentary 3 (1947), no. 5, 412–420, here 414; see also S. Niger, The Amalgam Which Is Jewish Life, in: Workmen’s Circle Call 19 (1951), no. 3, 4 f.

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view that each of the succeeding historical centers of Jewish life would develop differently.63 Crucially, the newness part of the argument echoed an exceptionalism that removed the American Jewish experience from the general stream of Jewish history. Cohen’s statement, however, pointed to the second half of the double argument, which balanced the exceptionalism by linking the American community to the larger experience. It would be old and new, just like the young daughter who bore the past of her old mother in her identity. American Jewish writers who otherwise differed on the American Jewish future, religious thinkers and secularists, Yiddishists and Zionists, shared the approach that the daughter needed to know about her past. The mission to create an American Jewish historical consciousness of the East European past for the sake of a stable identity was part and parcel of the mission of YIVO, inspired as it was by the “missionary for history.” Dubnow himself illustrated the shift from religion to history as a source of meaning, stability, and comfort in a letter in which he stated: “I am trying to heal the wounds of my soul with Torah. The last three volumes of my history (Eastern period) are off the press.”64 Replacing Torah with history – which Dubnow wrote – post-traditional American Jews found a new way to understand their Jewishness: “Secularist Jews find Dubnov’s work appealing because for him ‘doing’ history replaced Torah as the praxis of Jewish identity,” stated historian and Dubnow scholar Kristi A. Groberg.65 By engaging the East European past, accepting, appropriating, and adapting its heritage, postwar American Jewry located itself in Jewish history and thereby asserted its legitimacy in the face of Zionist doubts and attacks. To do so, it simultaneously accepted, appropriated, and adapted Dubnow’s life and thought. “We are strongly bound to that part of our family,” he had written from Russia about America in 1907. Two generations later, American Jewish thinkers wrote back. In 1954, Pinson emphasized the need for “creating the bridge between the great and now tragically decimated centers of Jewish life in eastern Europe and the mighty Jewish community in the United States.”66 Published in the 1954 volume of the YIVO Annual of Jewish Social Sciences, this statement reflected a program for American Jewry. Similarly, what Davis wrote in the same volume about Friedlaender’s assessment of American Jewry in the 1910s was meant for readers in 1954: “eastern Jewry was indispensable to American Jewry.”67 63 Simon Dubnow, The Survival of the Jewish People, in: idem., Nationalism and History, 325–335, here 330 f. 64 Simon Dubnow to Elias Tcherikower, 8 October 1939, cit. in Shpall, Shimon Dubnow and His Letters to Tcherikower, 99. 65 Groberg, Life and Influence of Simon Dubnov (1860–1941), 79. 66 Pinson, Editor’s Preface, 5. 67 Davis, Jewry, East and West, 9.

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Eastern Jewry was indispensable for the cultural identity American Jewish thinkers constructed as a basis for distinctiveness. From Eastern Europe, they took a sense of Jewish nationalism that was transformed into the American concept of peoplehood, expressed in an ethnic identity. The demand of national rights for Jews in Russia (granted by the authoritarian government) was transformed into the ideal of cultural distinctiveness (self-fashioned in an open society) of an ethnic group in the US. This ethnic Jewishness transcended the dichotomy of religion and secularism. Together, the newness of this American Jewishness and the renewed identification with the East European past provided conceptual space for an identity that balanced American Jewish exceptionalism with an ethnic identification with the Jewish people across time and space – in the past and present, in Eastern Europe and Israel. This identity was a form of Jewish nationalism compatible with America. It could claim inspiration from Dubnow in its sympathy for the development of a Jewish center in the ancestral homeland, and it shared the notion of peoplehood with Zionism. Yet it was the affirmation of the diaspora, the East European diaspora in the past as much as the present American one, that defined this postwar American Jewish identity – and the importance of Dubnow in American Jewish thought. The origin of his work in Eastern Europe as much as his biography, which evoked key moments, places, and persons of this past, including its tragic ending, bestowed authenticity and legitimacy to its Americanized version, too. Pinson’s reaction to Handlin’s critique of Dubnow’s limitations may have been meant to protect the historical person as much as his Americanized persona, which represented a philosophy to ground American Jewry in the East European Jewish past and the American present.68 As much as Dubnow had been Americanized by application to the needs of the Jewish community in the US, American Jewry had followed Dubnow’s development and thereby confirmed his view of Jewish history. Joining Friedlaender and Pinson, Saul Goodman interpreted his relevance to American Jewry and its self-understanding in Jewish history: “If we adapt Dubnow’s conception of the three national types to the American Jewish community, we might say that it has passed through the first two stages of American­ ization and integration and is now entering the third stage – the search for its ancestral roots and its authentic ‘self.’ And in this search, Dubnow deserves to be considered one of the best and most helpful guides.”69

68 Pinson, Dubnow’s History, 349 f. For the larger argument of East European Jewry’s importance for American Jews, see also Michael Galchinsky, Scattered Seeds. A Dialogue of Diasporas, in: David Biale/Michael Galchinsky/Susannah Heschel (eds.), Insider/Outsider. American Jews and Multiculturalism, Berkeley, Calif., 1998, 185–211, here 201 f. 69 Goodman, Simon Dubnow, 515.

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Dubnow had been a guide for postwar American Jews, who redefined his concept of diaspora autonomy for their own needs. In both its original and its American versions, it was a Jewish response to modernity, offering an alternative to assimilation and Zionism in particular. At its inception, it had asserted the vitality and legitimacy of Russia as a Jewish homeland, an alternative to Palestine. After the Holocaust, Eastern Europe remained an alternative homeland for postwar American Jews – in the past and imagined, yet powerful enough to sustain a sense of cultural distinctiveness in the US. Diaspora nationalism took on a new meaning for American Jews. After immigration and the Holocaust, many felt in the diaspora from the East European alte heym at least as much as in relation to Israel.

Conclusion: From Dubnow to Dubnowism What, then, does this adaptation of Dubnow’s ideas tell us about the current relevance of diaspora nationalism and about the self-perception of American Jews in the US and in the Jewish world? Do their self-perception as an ethnic group, their postwar identification with East European Jewry, and their affirmation of the diaspora reveal an American exception to the patterns of modern Jewish identity? The American Jewish, Dubnow-inspired understanding of ethno-cultural Jewish difference gives a twist to Rabinovitch’s diagnosis that political diaspora nationalism did not migrate westward. Even though the US fits Rabinovitch’s category of a republican polity, which should in theory call for religious expressions of difference, the postwar American Jewish identification with the East European past suggests an urge to a broader category of Jewish difference.70 If ethno-cultural distinctiveness is a conceptual heir to Dubnow’s national autonomy, its adaptation to the political and social conditions of postwar America may have refashioned it almost beyond recognition – or its adequately far-reaching adjustment to American conditions were not and could not have been foreseen by Dubnow. The unique role of American Jewry after the Holocaust and the founding of a Jewish state is at the core of the question of the relevance of diaspora nationalism in the postwar period. If, as in Loeffler’s analysis of Janowsky, Jewish nationalism was for American Jews defined by its applicability to Eastern Europe and Palestine, there was no longer a need for it after 1945 or 1948 respectively. In this reading, the reduction of Dubnow’s concept of a 70 See Rabinovitch, Diaspora, Nation, and Messiah, xxxii.

The Americanization of Simon Dubnow

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historico-cultural Jewish nation to mere cultural distinctiveness as an ethnic group in America also meant surrendering a national identity for American Jews. It was then incompatible with an American Jewish exceptionalism that declared Dubnow’s concepts as foreign to the essentially different historical circumstances shaping the community.71 The analysis of the postwar adaptation of Dubnow offered here, however, suggests a different development. The irrelevance of diaspora nationalism in post-World War II Europe did not mean that Eastern Europe lost its role as an alternative homeland for American Jews. East European Jewry remained crucial to a diaspora nationalism adapted to new circumstances: an ideology no longer aiming at the political goal of national rights for Jews there, but underlying the construction of an imaginary place that remained central in the American Jewish geography of home and exile, past, present, and future. This development can be seen as part of broader processes by which traditionally religious and political concepts such as exile or peoplehood were spiritualized to create new understandings in line with the American and post-traditional needs of Jews.72 The new American Jewish self-understanding is a product of large-scale processes of synthesizing a variety of ingredients, chiefly East European. Therefore, contemporary and later observers could see a transformative appropriation of Jewish nationalists as apparently different as Dubnow and Ahad Ha’am in an American cultural Zionism. Journalist Abraham Goldberg as early as 1943 pointed to the “spiritual kinship” of the two, and Knox also saw a coalescence of both thinkers in the idea of America as the new cultural and spiritual center of the Jewish world.73 If Ahad Ha’am became the thinker more often invoked by American Zionists, his thought had undergone an adaptation similar to Dubnow’s, as Friesel

71 See Loeffler, Between Zionism and Liberalism, 304–308. 72 For two specific examples see Arnold M. Eisen’s analysis of the concepts of Jewish chosenness and exile: idem., The Chosen People in America. A Study in Jewish Religious Ideology, Bloomington, Ind., 1983; idem, Galut. Modern Jewish Reflection on Homelessness and Homecoming. Bloomington, Ind., 1986. For an analysis of these developments in modern Jewish self-reflection and religious theory respectively, see Andrew Bush, Jewish Studies. A Theoretical Introduction, New Brunswick, N. J., 2011, 2–5, and Danièle Hervieu-Léger, Religion as a Chain of Memory, New Brunswick, N. J., 2000, 26. Both pointed to additional examples of these processes, e. g. to Mordecai Kaplan, with regard to American Jewish religious ideology. 73 Goldberg, Simon  M. Dubnow, 208; Knox, Is America Exile or Home?, 405. See also idem, Exile and Redemption. Der Yiddisher Gedank in der Neier Tzeit (Jewish Thought in Modern Times), ed. by Abraham Menes. Congress for Jewish Culture (review), in: Commentary 24 (1957), no. 11, 467–469; Goodman, Simon Dubnow, 514 f.; Leon Simon, Ezra Spicehandler, A Jewish Humanist. Ahad Ha-Am – Asher Ginzberg (review), in: Commentary 32 (1961), no. 9, 266–268, and, of course, Pinson, Simon Dubnow, 56 and 64.

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stated: It was “not the original Ahad Ha-am but the version of his thought developed by his American adherents.”74 Seltzer captured several crucial aspects of Dubnow’s reception in America, arguing that “Dubnovism is closer to the civic Jewishness of the leadership of twentieth-century American Jewry than is any other modern East European ideology.”75 The Americanization of Simon Dubnow meant that an intellectual elite transformed a unified perception of his life and work into “Dubnovism,” a distinctly American ideology, for which their East European origins were crucial in responding to the postwar predicament of American Jewry.

74 Friesel, Ahad Ha-Amism in American Zionist Thought, 141. 75 Seltzer, From Graetz to Dubnow, 57. Dubnow’s diaspora autonomy was invoked in debates about contemporary advocates of Jewish diaspora ideologies. See Allan Arkush, From Diaspora Nationalism to Radical Diasporism, in: Modern Judaism 29 (2009), no. 3, 326–350. Arkush took Dubnow as the “gold standard” of his critique of, among others, the approach of Daniel and Jonathan Boyarin.

Aus der Forschung

Ulrike Huhn

Parallele Wissenschaft: Die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission und die judaistischen Forschungen in der späten Sowjetunion Welche Möglichkeiten gab es für judaistische Forschungen in der späten Sowjetunion?1 Vor dieser Frage standen jüdische Wissenschaftler wie auch Vertreter der unabhängigen jüdischen Bewegung, die Ausreiseanträge nach Israel gestellt hatten, wenn sie sich mit Geschichte und Lebensformen der verschiedenen sowjetischen Judenheiten auseinandersetzen wollten. Nach den antisemitischen Kampagnen des Spätstalinismus war bei Stalins Tod 1953 von der einstigen Blüte der Judaistik faktisch nichts mehr übrig.2 Ihre Vertreter waren den verschiedenen Terrorwellen zum Opfer gefallen oder hatten den Holocaust nicht überlebt. Nur wenige waren nach 1953 noch wissenschaftlich tätig, zumeist dann jenseits der Judaistik. Erst unter den Bedingungen des »Tauwetters« ab Mitte der 1950er Jahre waren judaistische Forschungen wieder möglich, wenngleich thematisch eng begrenzt auf die antike und mittelalterliche Geschichte im Rahmen der akademischen Orient­ wissenschaften sowie auf sprachwissenschaftliche Fragestellungen. Die jüngere Geschichte, insbesondere die Situation von Juden im späten Zarenreich und der Sowjetunion, blieb jedoch an den sowjetischen Forschungseinrichtungen tabu. Nach dem Sechstagekrieg 1967 zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarländern brachte der Staats- und Parteiapparat zu-

1 Mein Dank für zahlreiche wertvolle Hinweise und Kommentare zu früheren Fassungen geht an Benjamin Beuerle, Katja Bruisch, Alexandra Oberländer, Miriam Schulz sowie an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops an der Petersburger Europäischen Universität im Rahmen des FRRESH Spring Seminar 2018, insbesondere an Jane Burbank und Sanna Turoma. 2 Siehe die beiden jüngst erschienenen Sammelbände Jeffrey Veidlinger (Hg.), Going to the People. Jews and the Ethnographic Impulse, Bloomington, Ind., 2016; Mark Kupoveckij (Hg.), Sovetskaja iudaika. Istorija, problematika, personalii [Sowjetische Judaistik. Geschichte, Problemstellungen, Personen], Moskau 2017, sowie Kerstin Armborst-Weihs, Wegbereiter der Geschichtsforschung. Über den Vorstand der Jüdischen Historisch-Ethnographischen Gesellschaft in St. Petersburg, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts/ Simon Dubnow Institute Yearbook 6 (2007), 411–440. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 569–598.

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dem eine ganz anders gelagerte »offiziell-propagandistische«3 Ausrichtung hervor. Deren Vertreter waren zum Teil direkt an die Parteihochschule angebunden und richteten ihre wissenschaftliche Tätigkeit an der ideologischen Aus­einandersetzung mit Israel aus. Mitunter trugen ihre Publikationen offen antisemitische Züge.4 Jenseits der Akademien und Universitäten begannen Vertreter der unabhängigen jüdischen Bewegung, die sich ab Ende der 1960er Jahre mit dem Ziel der Ausreise nach Israel herausgebildet hatte, vor allem in Moskau und Leningrad, sich in kleinen inoffiziellen Zirkeln mit Themen der jüngeren jüdischen Geschichte und Ethnografie zu beschäftigen. Diese Kreise bildeten neben der »offiziellen« akademischen, thematisch stark eingeschränkten Judaistik und der ideologisierten »propagandistischen« Auseinandersetzung mit Israel eine dritte Strömung in der Beschäftigung mit jüdischen Themen. Zugleich litten sie aber an begrenzten Ressourcen und ihrer eingeschränkten Reichweite.5 In dieser von Igor’ Krupnik (geb.  1951), einem Gründungsmitglied der Kommission, nachträglich als »Wüste«6 beschriebenen Situation verstand es eine kleine Gruppe wagemutiger Enthusiasten Anfang der 1980er Jahre, eine wenn nicht blühende, so doch zart grünende Oase zu schaffen: die 1982 gegründete Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission in Moskau. Sie war ein mutiges Unterfangen zwischen allen Stühlen, der es unter sehr schwierigen Bedingungen gelang, sich als Netzwerk von Forscherinnen und Forschern bis zum Ende der 1980er Jahre zu etablieren und zu halten. Mit der Namensgebung bezogen sich deren Gründer bewusst auf Anspruch und Erbe der vorrevolutionären Jüdischen Historisch-Ethnografischen Gesellschaft in St. Petersburg. Wie ihre Vorgänger strebten sie danach, einen Ort für eine wissenschaftlich fundierte und zugleich verschiedenen Akteuren zugängliche und in der Öffentlichkeit sichtbare Judaistik zu schaffen. 3 Semen Čarnyj, Pozdnesovetskaja i postsovetskaja iudaika [Spätsowjetische und postsowjetische Judaistik], in: Rašid  M. Kaplanov (Hg.), Materialy odinadcatoj ežegodnoj meždunarodnoj meždisciplinarnoj konferencii po iudaike [Materialien der XI. jährlichen internationalen interdisziplinären Konferenz zur Judaistik], 2  Bde., hier Bd.  2, Moskau 2004, 133–162, hier 133. 4 Siehe z. B. die auch auf Englisch erschienene Publikation von Yuri S. Ivanov, Caution: Zionism! Essays on the Ideology, Organisation and Practise of Zionism, Moskau 1970 (zuerst russ. 1969). 5 Čarnyj, Pozdnesovetskaja i postsovetskaja iudaika, 133–136; Igor’ Krupnik, Problemy ėtnografičeskogo izučenija evreev v SSSR. Vosem’ let spustja (1982–1989) [Probleme ethnografischer Erforschung der Juden in der Sowjetunion. Acht Jahre später (1982–1989)], in: ders. (Hg.), Istoričeskie sud’by evreev v Rossii i SSSR. Načalo dialoga. Sbornik Statej [Historische Schicksale der Juden in Russland und der UdSSR. Beginn des Dialogs. Artikelsammlung], Moskau 1992, 28–40, hier 29. 6 Ebd., 28.

Parallele Wissenschaft

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Initiatoren der Kommission waren mit Michail Členov (geb.  1940) und Igor’ Krupnik etablierte Ethnologen an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, die offiziell zu ganz anderen Themen arbeiteten. Andere Mitstreiter hatten bereits einen Ausreiseantrag nach Israel gestellt, lebten aber, oft über Jahre, im unsicheren Status der »Abgelehnten« (russ. otkazniki, auch amerikanisierend refuseniks) und waren zahlreichen Schikanen ausgesetzt.7 Den Vordenkern der Kommission gelang es Ende 1981, mit der einzigen sowjetischen jiddischsprachigen Zeitschrift Sovetish Heymland (Sowjetische Heimat) die Aufnahme einer Rubrik »Jüdische Ethnografie« in die Zeitschrift auszuhandeln und anschließend einige Forschungsergebnisse zu publizieren. Zugleich erhielten sie als Autoren der Zeitschrift die für Recherchen in Museen und Archiven notwendige offizielle Beauftragung. Die Literaturzeitschrift Sovetish Heymland unterstand dem sowjetischen Schriftstellerverband. Geschaffen 1961 im Kontext des sowjetischen Tauwetters, sollte sie einerseits gegenüber dem westlichen Ausland als Ausweis einer vorgeblich liberalen sowjetischen Nationalitätenpolitik dienen; vor allem ab 1969 polemisierte sie aber auch gegen den Staat Israel als »Handlanger der USA«.8 Ihre Redakteure gehörten noch der Generation an, die durch die staatlichen antisemitischen Repressionen und die »Kosmopolitismus-Kampagne« der Nachkriegsjahre geprägt war. Sie sahen trotz der propagandistischen Erwartungshaltungen, die sie bedienen mussten, daher vor allem die Chancen, die eine eigene Zeitschrift bot, um jüdische Themen zu verhandeln. Aron Vergelis (1918–1999), einziger Chefredakteur der Zeitschrift während des dreißigjährigen Erscheinungszeitraums, hatte angesichts der Nischenexistenz des Jiddischen die in der Sowjetunion einzigartige Rolle inne, zugleich sein eigener Zensor zu sein.9 Das Ausbalancieren von Möglichkeiten und Zugeständnissen hatte diese Generation also in besonderer Weise verinnerlicht. Die unabhängige jüdische Bewegung, die das Recht auf die Ausreise nach Israel erkämpfen wollte, war mit ihrem Eintreten für eine neue Sichtbarkeit und ihrer Auflehnung gegen das Schweigen und die Zugeständnisse ihrer Vorgänger auch Ausdruck eines Generationenwechsels. Die Zusammenarbeit der

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Siehe Yuliya von Saal, KSZE-Prozess und Perestroika in der Sowjetunion. Demokratisierung, Werteumbruch und Auflösung 1985–1991, München 2014, 151; Gal Beckerman, When They Come For Us, We’ll Be Gone. The Epic Struggle to Save Soviet Jewry, Boston, Mass., 2010. Gennady Estraikh (Gennadij Ėstrajch), The Portrayal of Palestinian Arabs in the Moscow Yiddish Monthly »Sovetish Heymland«, in: Tudor Parfitt/Yulia Egorova (Hgg.), Jews, Muslims, and Mass Media. Mediating the »Other«, London 2004, 133–143, hier 133. Zu Vergelis’ Doppelrolle siehe Gennady Estraikh (Gennadij Ėstrajch), Yiddish in the Cold War, London 2008, 82, sowie zu seinen Prägungen und seinem Selbstverständnis Mark Kupovetsky (Kupoveckij), Aron Vergelis. Survivor of the Destruction of Soviet Yiddish Culture, 1949–1953, in: Jews in Russia and Eastern Europe 58 (2007), H. 1, 40–94.

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Redakteure von Sovetish Heymland mit Akteuren der jüdischen Bewegung war also für alle Beteiligten alles andere als selbstverständlich. Dieser Mut, etwas Neues zu wagen, war jedoch Voraussetzung für die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission. Ihre Existenz bewegte sich im Spannungsfeld von jüdischer (Ausreise)bewegung, dem staatlich gesteuerten Schriftstellerverband und wissenschaftlichen Institutionen. Ihre Mitglieder trafen sich privat in sogenannten Wohnungsseminaren, oft unter misstrauischer Überwachung durch den KGB, konnten aber dank Sovetish Heymland sowie der Akademie der Wissenschaften einige staatliche Strukturen für sich nutzen. Viele Akteure gerade aufseiten der jüdischen Ausreisebewegung nahmen ihr Engagement für Freizügigkeit und für gesellschaftliche Sichtbarkeit und Akzeptanz ihrer jüdischen Identität sehr stark in der Dichotomie von repressivem Staat vs. Dissens und Opposition wahr. Sie bestimmen auch den Forschungsstand: Die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission wie auch die Entwicklung der judaistischen Forschung in der späten Sowjetunion insgesamt sind bislang fast ausschließlich von den Protagonisten selbst beschrieben worden – teils in Interviews und Erinnerungen, teils in ausführlichen Darstellungen.10 Es ist daher nicht verwunderlich, dass hier das Narrativ vom gewitzten David und dem scheinbar allmächtigen, aber tumben Goliath dominiert. Die Geschichte der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission zeigt aber, dass sich – wie auch in anderen Bereichen der spätsowjetischen Gesellschaft – gerade jenseits der Erklärungsmuster von performativer, aber inhaltsleerer Zustimmung einerseits und radikal dissidentischer Ablehnung andererseits die Handlungsspielräume im Spätsozialismus erweitern ließen, sofern die Binnenlogiken und Interessen staatlicher Institutionen und ihrer Vertreter berücksichtigt blieben und nach Übereinstimmungen mit eigenen Interessen gesucht wurde.11 10 Siehe Yuli Kosharovsky (Julij Košarovskij), »We Are Jews Again«. Jewish Activism in the Soviet Union, hg. von Ann Komaromi, Syracuse, N. Y., 2017, 293–295, sowie u. a. die Sammlung von Interviews mit den Wiederbegründerinnen und -begründern der Judaistik in der späten Sowjetunion von Galina Zelenina (Hg.), Iudaika dva. Renessans v licach [Judaika Zwei. Eine Renaissance in Personen], Moskau 2015, hier insbesondere die Interviews mit Michail Členov und Mark Kupoveckij; Igor’ Krupnik, Kak my zanimalis’ istoriej … i ėtnografiej. K 35-letiju Evrejskoj istoriko-ėtnografičeskoj komissii, 1981–1990 gg. [Wie wir uns mit Geschichte beschäftigt haben … und mit Ethnografie. Zum 35-jährigen Jubiläum der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission, 1981–1990], in: Kupoveckij (Hg.), Sovetskaja iudaika, 286–360, sowie Victoria Mochalova, Jewish Studies in Russia in the Post-Communist Era, in: Journal of Modern Jewish Studies 10 (2011), H. 1, 119–133, hier 121. 11 Siehe Alexei Yurchak, Everything Was Forever, Until. It Was No More. The Last Soviet Generation, Princeton, N. J., 2006, sowie kritisch dazu Kevin M. F. Platt/Benjamin Nathans, Socialist in Form, Indeterminate in Content. The Ins and Outs of Late Soviet Culture, in: Ab Imperio (2011), H.  2, 301–324; Neringa Klumbytė/Gulnaz Sharafutdinova (Hgg.), Soviet Society in the Era of Late Socialism, 1964–1985, Lanham, Md., 2013.

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Der Artikel fragt daher am Beispiel der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission unter den Bedingungen der späten Sowjetunion nach den Möglichkeiten für eine wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Betätigung und öffentliche Sichtbarkeit, die sich im Dreieck von Wissenschaftseinrichtungen, einer Literaturzeitschrift  – die nicht zuletzt als Instrument sowjetischer Außenpolitik diente – und der unabhängigen jüdischen Bewegung im Feld judaistischer Forschungen ergaben. Den unterschiedlichen an der Kommission beteiligten Akteuren gelang es, gemeinsame Interessen und nicht das (offensichtlich) Trennende in den Vordergrund zu stellen, auf dieser Grundlage Bündnisse einzugehen und so ihre jeweiligen Möglichkeiten zu erweitern. Eine Herausforderung für diesen Beitrag ist, dass die früheren Protagonisten der jüdischen Bewegung heute viel sichtbarer sind als die Vertreter der früheren staatlichen Instanzen.12 So kann sich der Artikel auf teils veröffentlichte, teils von der Verfasserin im Herbst 2017 in Moskau geführte Interviews mit ehemaligen Mitgliedern der Kommission sowie die Publikationen und unveröffentlichtes Material der Kommission aus dem Archiv der Föderation jüdischer Organisationen und Gemeinden Russlands (Vaad) in Moskau stützen. Das Archiv der Redaktion von Sovetish Heymland dagegen ist leider nicht erhalten.13 Die unmittelbar an der Zusammenarbeit mit der Kommission beteiligten Redaktionsmitglieder sind nicht mehr am Leben, vom Nachlass Aron Vergelis’ existieren nur noch Fragmente. Zugänglich sind die Bestände des Archivs der Russischen Akademie der Wissenschaften sowie des Wissenschaftlichen Archivs des Instituts für Ethnologie der Akademie, sodass hier eine Analyse der institutionellen Logiken des Wissenschaftsbetriebs möglich ist. Für die Oral History gilt es herauszuarbeiten, wo in den heute geführten Interviews Jahrzehnte zurückliegende Wahrnehmungen und Motivationen von späteren Erfahrungen überformt beziehungsweise wo heutige Einschätzungen und Beurteilungen von der Persistenz damaliger Perspektiven geprägt sind.14

12 Siehe auch Benjamin Nathans, Talking Fish. On Soviet Dissident Memoirs, in: Journal of Modern History 87 (2015), H. 3, 579–614. 13 So die Aussage der letzten noch lebenden Redaktionsmitarbeiterin von Sovetish Heym­ land, Sof’ja Černjak, im Interview mit der Verfasserin, das am 14.  September 2017 in Moskau geführt wurde. Die Unterlagen der Redaktion wurden nach Übernahme der Räumlichkeiten durch eine private Firma Anfang der 1990er Jahre weggeworfen. 14 Julia Obertreis/Anke Stephan, Erinnerung, Identität und »Fakten«. Die Methodik der Oral History und die Erforschung (post)sozialistischer Gesellschaften (Einleitung), in: dies. (Hgg.), Erinnerungen nach der Wende. Oral History und (post)sozialistische Gesellschaften/Remembering after the Fall of Communism. Oral History and (Post-) Socialist Societies, Essen 2009, 9–36.

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Enttäuschte Hoffnungen: Das verhinderte Symposium 1976 Keine Wüstenwanderung ohne einen visionären und zugleich umstrittenen Propheten: Ideengeber und Arrangeur des komplizierten Geflechts, in dem die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission existierte, war der promovierte Ethnologe Michail Členov, der ab 1965 am Moskauer Institut für Ethnografie an der Akademie der Wissenschaften tätig war. Členov, der aus einer gebildeten und gut vernetzten Moskauer Familie stammte (der Großvater war in den 1930er Jahren Redakteur der Literaturzeitschrift Novyj mir), hatte beeindruckende Auslandserfahrungen und Sprachkenntnisse vorzuweisen. Gemeinsam mit dem Vater hatte er als Kind zwei Jahre in der Sowjetischen Besatzungszone gelebt und Deutsch gelernt. Noch in der Schulzeit hatte er sich dann in der Moskauer Staatsbibliothek selbstständig Niederländischkenntnisse angelesen. Dies half ihm, sich 1958 an der renommierten Moskauer Staatlichen Universität (MGU) im Institut für Länder Asiens und Afrikas zu immatrikulieren, wo er Indonesien als Interessengebiet angab. Zwar war bereits zu diesem Zeitpunkt der Eintrag »Jude« in der Kategorie »Nationalität« im sowjetischen Pass von Nachteil, um an den prestigeträchtigen Universitäten angenommen zu werden. Für die jüngeren Mitglieder der Kommission aber, deren Studienbeginn in die Jahre antiisraelischer Propaganda nach dem Sechstagekrieg 1967 und der Verschlechterung der sowjetisch-israelischen Beziehungen fiel, war ein Studium an angesehenen akademischen Einrichtungen so gut wie ausgeschlossen. Ihnen blieben oft nur die pädagogischen Hochschulen.15 Dem sprachbegabten Michail Členov dagegen standen zunächst noch viele Wege offen: Aufgrund seiner sehr guten Indonesischkenntnisse war er bereits während des Studiums Anfang der 1960er Jahre als Übersetzer für Gruppen indonesischer Kommunisten an der Moskauer Parteihochschule tätig, bevor er 1963 für zwei Jahre als Übersetzer nach Indonesien delegiert wurde. Die Zeit dort bescherte ihm nicht nur Erfahrungen im Umgang mit dem KGB und einen Anwerbeversuch, sondern auch inte­ ressante Lektüren: In Indonesien konnte er Boris Pasternaks in der Sowjetunion nicht verlegten Doktor Schiwago und Trotzkis Memoiren lesen sowie eine hebräische Fibel erwerben. Dennoch konnte er sich zunächst sogar noch eine Tätigkeit im diplomatischen Dienst der Sowjetunion vor15 Dass es für »Pass-Juden« immer schwerer wurde, sich an den prestigeträchtigen Universitäten des Landes zu immatrikulieren, lässt sich nicht mit Dokumenten belegen. Wie bei anderen als heikel wahrgenommenen Vorgaben, die (vor allem im Westen) nicht publik werden sollten, vermied die Staats- und Parteiführung schriftliche Anweisungen. Ablesbar ist es vor allem an den Biografien der Betroffenen.

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stellen. Die Rückkehr 1965 in das als »stickig« empfundene Moskau ein Jahr nach Nikita Chruschtschows Absetzung und dem endgültigen Ende der Tauwetterperiode, die Desillusionierung angesichts der sowjetischen Position zu Israel sowie schließlich die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 – all dies brachte Členov in die Kreise der jüdischen Ausreiseund Bürgerrechtsbewegung. Ab 1972 unterrichtete er das autodidaktisch erlernte Hebräisch in selbst organisierten Seminaren für Ausreisewillige, den sogenannten Ulpanim, stellte aber aus familiären Gründen selbst keinen Ausreiseantrag.16 Die Sprachschülerinnen und -schüler in diesen Seminaren bildeten gleichsam die Schnittmenge zweier Strömungen innerhalb der jüdischen Ausreise- und Bürgerrechtsbewegung. Während die als Politiki Bezeichneten auf ihr Recht auf Freizügigkeit und damit auch auf Ausreise aus der Sowjetunion drängten, bemühten sich die Kulturniki um die Bewahrung beziehungsweise Neuaneignung der jüdischen Kultur und Zugehörigkeit. Die Zahl jüdischer Ausreiseantragsteller war nach dem Sechstagekrieg nach oben geschnellt. Nach der Schlussakte von Helsinki 1975, in der sich auch die sowjetische Staatsführung zur Einhaltung der Bürgerrechte (da­ runter das Recht auf Freizügigkeit) verpflichtet hatte, erhielt diese Ausreisebewegung weiteren Zulauf. Zu den Strategien des politischen Flügels der Ausreisebewegung gehörte es in dieser Phase, in Anwesenheit westlicher Journalisten Kundgebungen zu organisieren und Plakate mit ihren Forderungen zu zeigen. Üblicherweise dauerten solche Demonstrationen nicht länger als ein paar Minuten, bevor ihre Akteure überwältigt und wegen »Störung der öffentlichen Ordnung« für fünfzehn Tage ohne Anklage in Administrativhaft genommen wurden.17 Zu den Hebräischschülern Michail Členovs gehörte ab Anfang der 1970er Jahre einer der wichtigsten und bekanntesten Akteure der jüdischen Ausreisebewegung, Anatolij (Natan) Ščaranskij (geb.  1948), der zugleich das Bindeglied zur sowjetischen Bürgerrechtsbewegung und insbesondere zur 1976 gegründeten Moskauer Helsinki-Gruppe war.18 Allerdings fühlte sich

16 Julij Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004), (1.  Dezember 2019), sowie Michail Členov, »Menja vsegda privlekala ėkzotika« [»Mich hat das Exotische immer angezogen«], in: Zelenina (Hg.), Iudaika dva, 65–96, hier 76. 17 Beckerman, When They Come For Us, We’ll Be Gone, 315 f. 18 Ebd., Kap. 9: Politiki and Kulturniki, 1975–1977, 311–344. Zu Ščaranskij als Schüler von Členov siehe Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004), sowie Natan Sharansky (Ščaranskij), Fear No Evil. The Classic Memoir of One Man’s Triumph over a Police State, transl. by Stefani Hoffman, New York 1998, 49 f.

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Členov von dem »endlosen Gerenne zu Kundgebungen und Demonstrationen« und dem »kopflosen, nicht analytischen Antisowjetismus« zunehmend abgestoßen.19 Eine schmerzhafte Zäsur für Členov und andere Aktivisten der Ausreisebewegung war die wachsende Kenntnis darüber, dass ein erheblicher Teil der Ausgereisten statt nach Israel in die USA oder nach Kanada emigrierte. Vor allem die Politiki innerhalb der jüdischen Ausreisebewegung erlebten diese Abkehr von Israel als tief verletzenden Verrat an ihrem Engagement. Die Einsicht, dass eine Alija nach Israel nicht einfach alle Fragen jüdischen Selbstverständnisses beantwortete, führte in den Kreisen der jüdischen Bewegung dazu, sich mehr für die Selbstbildung sowjetischer Juden zu engagieren.20 Auch Michail Členov, der mit seinem Hebräischkurs Auswanderungswillige gezielt auf das Leben in Israel vorbereitete, kam zu dem Schluss, dass man etwas für die Juden tun müsse, die, aus welchen Gründen auch immer, im Land blieben. Dafür sei es notwendig gewesen, so sein rückblickendes Fazit, den Spielraum des Möglichen zu weiten, also »nicht mit der Sowjetmacht [zu kämpfen], sondern [zu] versuchen, etwas mit ihr auszuhandeln«.21 Diese Position vertrat Členov dann auch prominent in einem der Moskauer Wohnungsseminare im Dezember 1975. Angesichts der restriktiven staatlichen Ausreisebestimmungen sprach er sich hier für die Einsicht aus, dass auf absehbare Zeit eine große Zahl von Juden in der Sowjetunion bleiben würde und dass Gehende und Bleibende nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Stattdessen gelte es, in der Sowjetunion bessere »Bedingungen für die künftige Alija« zu schaffen, indem die Möglichkeiten für ein jüdisches Leben und die Ausbildung eines jüdischen Selbstverständnisses ausgeweitet würden  – angefangen von russischsprachigen Publikationen über jüdische Geschichte und Kultur bis zu populärwissenschaftlichen judaistischen Forschungen. Auch »die unwahrscheinlichste Forderung«, so Členov optimis-

19 So erinnert sich Členov im Jahr 2004 in einem Interview mit einem früheren Moskauer Mitstreiter der Ausreisebewegung und Autor einer mehrbändigen Studie zur »Geschichte der zionistischen Bewegung in der Sowjetunion«, Julij Košarovskij (1941–2014). Siehe Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004). 20 Ebd., sowie Beckerman, When They Come For Us, We’ll Be Gone, 336 f. 21 Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31.  Januar 2004). In diesem Zusammenhang steht auch die von Členov als »unangenehm« erinnerte Geschichte seines Kontakts zu einem KGB-Mann am Institut für Ethnografie, der ihm versprach, einen direkten Gesprächskontakt zur Staatsführung zu vermitteln, der natürlich nicht zustande kam. Ebd.

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tisch, könne verwirklicht werden, wenn man sie nur lange genug artikuliere und sich der Staat in einem günstigen Moment zu Zugeständnissen genötigt sehe.22 Einen solchen Versuch sowohl der eigenen Artikulation als auch eines Dialogs mit dem Staat stellte das für Dezember 1976 geplante, aber letztendlich verhinderte Symposium »Jüdische Kultur in der Sowjetunion. Stand und Perspektiven« dar. Es sollte zugleich im Hinblick auf die Chancen und Grenzen judaistischer Forschungen in der Sowjetunion zu einem Wendepunkt werden. Konzipiert und organisiert von den Kulturniki, zielte es noch in der Atmosphäre der Helsinki-Jahre darauf ab, sowohl staatliche Akteure als auch die jüdische Bewegung und westliche Forscher zusammenzubringen.23 Die Idee zu diesem Unterfangen entstand im Kreis um das Wohnungsseminar von Feliks Kandel’, in dem Politiki wie Kulturniki verkehrten und an dem auch Členov teilnahm. Dieser stieß bald zum Orgkomitet (Vorbereitungskreis) des Symposiums. Aus Rücksicht auf seine berufliche Position bat Členov allerdings darum, nicht offiziell als Mitorganisator genannt zu werden; seinen Vortrag reichte er unter Pseudonym ein.24 Das Misstrauen war berechtigt. Die seit März 1976 laufenden Vorbereitungen zum Symposium glichen einem seltsamen Balanceakt: Einerseits bemühten sich die Organisatoren darum, staatliche Akteure zu beteiligen. Andererseits waren sie aber auch von den bisherigen – und sich erneut bestätigenden – Erfahrungen staatlicher Repression geprägt und bemühten sich um Absicherung. Tatsächlich gab es seit Beginn der Planungen Hausdurchsuchungen bei den Organisatoren, bei denen der KGB gezielt nach Materialien des Symposiums fahndete. Dies waren Anzeichen dafür, dass der Staatsapparat sich auf einen Dialog kaum einlassen würde. Dennoch hielten 22 Michail A. Členov, Doklad na gumanitarnom evrejskom seminare na kvartire F. Kandelja w dekabre 1975g. [Vortrag auf dem geisteswissenschaftlichen jüdischen Seminar in der Wohnung von F. Kandel’ im Dezember 1975], in: ders./Artёm K. Fedorčuk (Hgg.), Klalʼ Israėlʼ. Evrejskaja ėtničnost’ i nacionalizm v prošlom i nastojaščem. K tridcatiletiju Moskovskogo simpoziuma »Evrejskaja kul’tura v SSSR«, dekabr’ 1976 g. Materialy meždunarodnogo kollokviuma [Klal Israel. Jüdische Ethnizität und Nationalismus in Vergangenheit und Gegenwart. Zum 30-jährigen Jahrestag des Moskauer Symposiums »Jüdische Kultur in der UdSSR«, Dezember 1976. Materialien des internationalen Kolloquiums], Moskau 2007, 53–68, hier 56, 63 und 65. 23 Beckerman, When They Come For Us, We’ll Be Gone, 337–339. 24 Chronika [Chronik], in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 5–15, hier  6. Hier wird explizit um Verständnis darum gebeten, dass nicht alle Beteiligten namentlich genannt werden könnten. Siehe auch die Liste des Organisationskomitees in: ebd., 20, sowie das Interview von Julij Košarovskij mit Michail Členov. Der Vortrag von Michail Členov erschien unter dem Pseudonym M. Zubin, Nekotorye perspektivy razvitija evrejskoj nacional’noj kul’tury v SSSR [Einige Perspektiven der Entwicklung einer jüdischen nationalen Kultur in der UdSSR], in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 222–235.

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die Organisatoren an ihrer Strategie fest, mit offenen Karten zu spielen und nicht im Untergrund zu arbeiten. Dies entsprach ganz der Überzeugung der sich seit Helsinki formierenden sowjetischen Bürgerrechtsbewegung, dass Glasnost (Transparenz) nicht nur Forderung und Ziel, sondern selbst geübte Praxis sein müsse, ganz so, als funktioniere die Sowjetunion bereits nach rechtsstaatlichen Prinzipien.25 In diesem Sinne formulierte der Vorsitzende des Orgkomitet, Veniamin Fajn, bei der Pressekonferenz einen Monat vor Beginn der geplanten Veranstaltung, »dass die gesamte Vorbereitung zum Symposium nicht nur in voller Übereinstimmung mit dem Geist und den Buchstaben des Abkommens von Helsinki […], sondern auch in voller Übereinstimmung mit sowjetischen Gesetzen«26 stattfinde. Im Weißbuch über das Symposium, das nach Verhinderung des Symposiums im Tamisdat (Veröffentlichung im Ausland) erschien, hielten die Autoren akribisch fest, welche staatlichen Instanzen die Organisatoren eingeladen hatten: Darunter waren die Ministerien für Bildung sowie Kultur, das ZK der KPdSU, der Rat für Religionsangelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR sowie die Zeitschrift Sovetish Heymland und die Sektionsvorsitzenden für »nationale Literatur« beim Schriftstellerverband.27 Dieses Bemühen um Dialog lief auf Grund. Ab Ende November 1976, also in den letzten vier Wochen vor dem geplanten Symposium, wurden die Organisatoren mehrfach vom KGB vorgeladen und ihre Wohnungen durchsucht. Die Nachrichtenagentur TASS teilte mit, die konfiszierten Dokumente bewiesen, dass die Organisatoren auf die »Entfachung nationaler Feindschaft« in der Sowjetunion abzielten und Kontakte zu »zionistischen Zentren« unterhielten.28 Ab dem Vorabend des geplanten Symposiums standen die Organisatoren unter ständiger, sichtbarer Überwachung und schließlich unter Hausarrest; ihre Telefone waren abgeschaltet, während die Anreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus anderen Städten nach Moskau verhindert wurde. Den ausländischen Gästen waren bereits im Vorfeld die Visa verweigert worden. Am ersten Tag des geplanten Symposiums, dem 24.  Dezember 1976, kamen statt der eingeladenen 77 Vortragenden nur einige wenige

25 Wolfgang Eichwede, »Entspannung mit menschlichem Antlitz«. KSZE, Menschenrechte, Samizdat, in: Osteuropa 60 (2010), H. 11, 59–84, hier 81, sowie Nathans, Talking Fish, 603. 26 Chronika, in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 7. 27 Adresa, v kotorye byli napravleny priglašenija na Simpozium po evrejskoj kul’ture [Adressen, an die Einladungen zum Symposium zur jüdischen Kultur verschickt wurden], in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 32; Vyderžki iz perepiski s gosudarstvennymi učreždenijami [Auszüge aus der Korrespondenz mit staatlichen Einrichtungen], in: ebd., 32 f. Angeschrieben wurden die Sektionen für »nationale Literatur« sowohl auf Ebene der UdSSR als auch der RSFSR. 28 Chronika, in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 9.

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jüdische Aktivisten, die als Zuhörer hatten teilnehmen wollen, sowie einige ausländische Korrespondenten. Anstatt Vorträge zu diskutieren, verfassten die Anwesenden eine Protestnote an das ZK der KPdSU.29 Einige Redemanuskripte konnten zumindest verlesen werden, sodass der kleine Triumph blieb, dass das Symposium stattgefunden hatte  – trotz Polizeibewachung rund ums Haus.30 Auch wenn somit die Hoffnungen auf einen Dialogprozess mit dem Staatsapparat massiv enttäuscht worden waren, zeigten sich hier erstmals Strategien und Überzeugungen, die fünf Jahre später auch die Gründung der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission prägen sollten. Dazu gehörte die Einsicht, dass wissenschaftlicher Austausch nicht unter den Bedingungen von »verdächtigen Wohnzimmerseminaren« stattfinden konnte, sondern ein offizielles Dach benötigte.

»Stille Juden«? Auf der Suche nach einer sichtbaren jüdischen Identität In den Kämpfen um das Symposium ging es in doppelter Hinsicht um Ort, Sichtbarkeit und Selbstbestimmung von Juden in der späten Sowjetunion: Dass genau darüber diskutiert wurde, ob und unter welchen Bedingungen das Symposium stattfinden (beziehungsweise nicht stattfinden) konnte, gab bereits eine Antwort auf diese Fragen. Daher wurde im Weißbuch über das Symposium auch penibel aufgelistet, welche staatlichen Institutionen angeschrieben und nach ihrem möglichen Beitrag zur Beschäftigung mit jüdischen Themen gefragt wurden. Darunter waren verschiedene Forschungseinrichtungen der Akademie der Wissenschaften. Oft reagierten diese allerdings nicht auf die Anfragen.31 Die Zeitschrift Sovetish Heymland war eine der wenigen Einrichtungen, die im Vorfeld des Symposiums überhaupt zu einem Gespräch mit Vertretern des Orgkomitets des Symposiums bereit war. Chefredakteur Vergelis unterstrich bei diesem Treffen die Bedeutung des Jiddischen als einer Sprache der sowjetischen Juden, die sich dank der Zeitschrift entfalten könne. Er ließ keine Einwände der Art gelten, dass 80 Prozent der sowjetischen Juden gar kein 29 Ebd., 8–14, sowie Beckerman, When They Come For Us, We’ll Be Gone, 338 f. 30 Beckermann, When They Come For Us, We‘ll Be Gone, 339. 31 Nicht reagiert hatten das Institut für Sprachwissenschaften (hinsichtlich möglicher Forschungen zur hebräischen Sprache) sowie das Institut für Orientwissenschaften [Institut vostokovedenija] bezüglich Arbeiten zur Geschichte, Kultur und Religion Israels, siehe Vyderžki iz perepiski s gosudarstvennymi učreždenijami, 32 f.

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Jiddisch sprächen. Die Existenz einer jüdischen Kultur in russischer Sprache stritt er glattweg ab. Zugleich sah er die Assimilation als »natürlichen Prozess«, den man nicht verhindern könne, obwohl ihm klar sein musste, dass er mit der Zeit immer weniger Leser würde ansprechen können. Vergelis ging es in dieser staatsloyalen Abgrenzung wohl primär darum, den Spielraum oder gar die Existenz seiner Zeitschrift nicht zu gefährden.32 So hielten die Vertreter der unabhängigen jüdischen Bewegung in ihrem Gesprächsprotokoll Vergelis’ halb ängstlichen, halb drohenden Satz fest: »Mit Ihrer Tätigkeit schaden Sie uns!«33 Die Ambivalenz von Sovetish Heymland war auch Gegenstand eines der geplanten Vorträge in der ersten Sektion zur »Lage der jüdischen Kultur in der UdSSR«.34 Darin wurde angesichts der sonstigen Tabuisierung der Schoah in der sowjetischen Presse die wichtige Rolle gewürdigt, die die Zeitschrift mit dem Abdruck von Erzählungen und Erinnerungen über den Holocaust spielte.35 Zugleich wies der Referent darauf hin, dass die Zeitschrift als »Sprachrohr der antiisraelischen Propaganda« diene und dabei »die Verleumdungen anderer sowjetischer Presseorgane« bisweilen sogar übertreffe, ohne auch nur in Ansätzen über die Diskriminierung von Juden in der Sowjetunion zu berichten. Während die Zeitschrift »eine gewisse kulturelle Funktion bei der Bewahrung von Resten jüdischer Literatur und Sprache in der UdSSR« er-

32 Nach dem Sechstagekrieg sah sich Vergelis genötigt, sich mit der Zeitschrift an der sowjetischen Anti-Israel-Kampagne zu beteiligen. Siehe Estraikh (Ėstrajch), Yiddish in the Cold War, 76. 33 Beseda v redakcii žurnala »Sovetiš Gejmland« členov orgkomiteta po provedeniju Simpoziuma s glavnym redaktorom žurnala A.  Vergelisom [Gespräch von Mitgliedern des Orgkomitets zur Durchführung des Symposiums mit dem Chefredakteur der Zeitschrift A. Vergelis in der Redaktion der Zeitschrift »Sovetish Heymland«], in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 47–49. Vergelis zeigte sich bei dem Gespräch allerdings erstaunt, als er erfuhr, dass bei Hausdurchsuchungen auch die Schriften Simon Dubnows bei den Organisatoren des Symposiums konfisziert worden waren. Siehe Veniamin Fajn (Benjamin Fain), Rasskaz o Moskovskom simpoziume 1976 goda [Bericht über das Moskauer Symposium 1976], in: Členov/Fedorchuk (Hgg.), Klalʼ Israėlʼ, 10–52, hier 22. 34 Programma simpoziuma (sostojanie na 15 dekabrja 1976 g.)/Agenda (Situation as of December 15, 1976), in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 20–23 bzw. 24–27, hier 21. 35 Siehe dazu auch Miriam Schulz, »We Pledge, as if It Was the Highest Sanctum, to Preserve the Memory.« »Sovetish Heymland«, Facets of Holocaust Commemoration in the Soviet Union, and the Cold War, in: Kata Bohus/Peter Hallama/Stephan Stach (Hgg.), Growing out of Antifascism’s Shadow. Holocaust Memory in Socialist Eastern Europe since the 1950s (im Erscheinen). In ihrem Dissertationsprojekt untersucht sie den sowjetischen Holocaustdiskurs in jiddischer Sprache.

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fülle, habe sie zugleich mit dem Wegbrechen der Leserschaft zu kämpfen, da Jiddisch vor allem von der älteren Generation gelesen werde.36 Um die Bedürfnisse und die Selbstwahrnehmung von Juden in der Sowjetunion besser zu verstehen, führten die Organisatoren im Vorfeld des Symposiums eine soziologische Befragung durch. Bei der Entwicklung des Fragebogens konnte Michail Členov auf die Expertise seiner Kollegen am Institut für Ethnografie zurückgreifen, an dem zu diesem Zeitpunkt noch eine eigene Abteilung für soziologische Forschungen angesiedelt war.37 Eine zentrale Bedingung für ihn war, dass unter den Befragten kein Ausreiseantragsteller sein sollte. Členov und seine Mitstreiter interessierten in erster Linie die sogenannten stillen (tichie), also nicht sichtbaren Juden. Im Kern ging es um die Frage, ob und wie sie ihre jüdische Identität leben wollten und konnten, wenn sie nicht nach Israel ausreisen wollten.38 In der Umfrage wurde daher der Bedarf nach Ausdrucksformen jüdischen Lebens etwa durch hebräischen Sprachunterricht oder russischsprachige Medien zu jüdischen Themen erfasst.39 Insgesamt konnten im Laufe des Jahres 1976 mehr als 1 500 Fragebögen gesammelt und ausgewertet werden. Zwar ließ der KGB bei zahlreichen Hausdurchsuchungen gezielt nach den Bögen fahnden, die Ergebnisse aber konnten gesichert und 1984 in Jerusalem publiziert werden.40 Auf der Grundlage der Umfrage arbeitete Michail Členov für das Symposium seinen Vortrag aus, den er zwar nicht halten konnte, aber im Weiß­ buch (unter dem Pseudonym M. Zubin) veröffentlichte. Er reflektierte hier die Veränderungen innerhalb des sowjetischen Judentums seit Beginn der Emigrationswelle nach Israel und hielt paradigmatisch fest, dass »die Alija offenkundig nicht die einzige Form eines nationalen Selbstausdrucks« von Juden in der Sowjetunion sei. Členov forderte einen legalen Hebräischunter36 A. Ėli Ben Ėmet, Žurnal »SovetiŠ Gejmland« (Tezisy doklada) [Die Zeitschrift »Sovetish Heymland« (Thesen des Vortrags)], in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 366–368. 37 Zur wechselvollen Geschichte der Soziologie in der Sowjetunion siehe G. V. Osipov, The Rebirth of Sociology in Russia. How It Actually Developed, in: Russian Social Science Review 50 (2009), H. 6, 80–108. Členov stützte sich u. a. auf die Expertise seines Kollegen Igorʼ Kon, eines renommierten Soziologen und Sexualwissenschaftlers. Siehe Fajn (Fain), Rasskaz o Moskovskom simpoziume 1976 goda, 13, sowie Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004). 38 KoŠarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004). Zur maßgeblichen Rolle von Členov bei der Ausarbeitung der Befragung siehe auch Fajn (Fain), Rasskaz o Moskovskom simpoziume 1976 goda, 13. Den Terminus »stille Juden« hatte der spätere Nobelpreisträger Elie Wiesel in einer Reportage über seine Reise in die Sowjetunion 1965 geprägt. Elie Wiesel, The Jews of Silence. A Personal Report on Soviet Jewry, London 1968. 39 Voprosnik [Fragebogen], in: Evrejskij Samizdat. Jewish Samizdat 15 (1978), 27–32. 40 Benjamin Fain/Mervin  F. Verbit (Hgg.), Jewishness in the Soviet Union. Report of an Empirical Survey, Jerusalem/Philadelphia, Pa., 1984.

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richt, die Ausweitung wissenschaftlicher Forschung zu jüdischen Themen und die Präsenz jüdischer Kultur im sowjetischen Alltag, und zwar auch in russischer Sprache. In Vorwegnahme des späteren Forschungsprogramms der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission rief er auch dazu auf, das verschüttete Erbe der judaistischen Forschung vom Anfang des 20. Jahrhunderts in den Archiven und Bibliotheken zu bergen.41

Langsam an die Oberfläche: Von der Geografischen Gesellschaft zur Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission Waren die Anstöße für das verhinderte Symposium von 1976 aus dem Kreis der jüdischen Ausreisebewegung hervorgegangen, entwickelte sich die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission fünf Jahre später, Ende 1981, aus den akademischen Strukturen heraus. Selbstverständlich gab es  – vor allem in der Person Michail Členovs – personelle Überschneidungen mit der jüdischen Bewegung. Die Verankerung der Kommission in den offiziellen Wissenschaftsstrukturen war jedoch die entscheidende Voraussetzung für ihre Existenz.42 Ausgangspunkt der späteren Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission war eine Vortragsreihe der Geografischen Gesellschaft der UdSSR zur »Geografie und Kultur ethnografischer Gruppen von Tataren in der UdSSR«, die von Kollegen aus dem Institut für Ethnografie zwischen 1980 und 1982 ausgerichtet wurde. Mitglieder des Instituts waren mit einer eigenen Ethnografischen Kommission in der Geografischen Gesellschaft vertreten. Erstere wurde seit Ende der 1960er Jahre von Michail Členov koordiniert.43 Ihm zur Seite stand sein jüngerer Kollege Igor’ Krupnik, der in der Veranstaltungsreihe die Chance sah, jüdische Themen aufzunehmen.44 Zwar waren auch Tataren, insbesondere die Krimtataren, angesichts ihrer kollektiven Deportation nach Zentralasien im Mai 1944 ein heikles Thema, umso mehr, als deren Forderungen nach Rückkehr in ihre historische Heimat seit den späten 1960er Jahren verstärkt von der Bürgerrechtsbewegung

41 Zubin (Členov), Nekotorye perspektivy razvitija evrejskoj nacional’noj kul’tury v SSSR, 230–233. 42 Členov, »Menja vsegda privlekala ėkzotika«, 77. 43 Ebd. 44 Ebd., sowie das Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11.  September 2017.

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aufgegriffen wurden.45 Dennoch bot die Vortragsreihe Raum zur Auseinandersetzung mit den Krimtschaken, einer auf der Krim siedelnden turksprachigen ethnischen Gruppe jüdischen Glaubens.46 Über private Verbindungen entstand um das Jahr 1980 der Kontakt zu Mark Kupoveckij (geb.  1955), der damals bereits im otkaz lebte, nach seinem abgelehnten Ausreiseantrag exmatrikuliert worden war und sich neben seiner Lohnarbeit als Aushilfskraft eigenständig mit Judaika beschäftigte.47 Mit Igor’ Krupnik verabredete Kupoveckij einen Vortrag über turksprachige jüdische Minderheiten. Auch Vevl Černin (geb.  1958), ebenfalls ein späterer Akteur der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission und Verbindungsperson zu Sovetish Heymland, beschäftigte sich in seinem Beitrag mit den Krimtschaken und ihrer Sprache.48 Alle Vorträge wurden in der Publikationsreihe der Moskauer Filiale der Geografischen Gesellschaft publiziert und gelangten trotz der kleinen Auflage von 500 Stück sogar ins Ausland. Diese Vortragsreihe innerhalb der Geografischen Gesellschaft brachte, so erinnert sich Mark Kupoveckij, Menschen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen zusammen, die sich in der Logik der staatlichen akademischen Strukturen nicht hätten begegnen können. Diese Offenheit lässt sich damit erklären, dass die noch auf die Zarenzeit zurückgehende Geografische Gesellschaft keine staatliche Institution war und die stalinistische Zentralisierung des sowjetischen Wissenschaftsbetriebs überstanden hatte.49 Die für den sowjetischen Kontext ungewöhnliche Interdisziplinarität eröffnete zugleich den Freiraum für Themen, die sonst nicht möglich waren. Parallel erforderte 45 Siehe Greta Lynn Uehling, Beyond Memory. The Crimean Tatars’ Deportation and Return, New York 2004. 46 Siehe Ken Blady, Jewish Communities in Exotic Places, Northvale, N.  J., 2000, 115– 130 (chap. 4: The Krimchaks of the Crimea). Während der deutschen Besatzung wurden Krimtschaken als Juden verfolgt. Siehe Sebastian Cwiklinski, Die Panturkismus-Politik der SS. Angehörige sowjetischer Turkvölker als Objekte und Subjekte der SS-Politik, in: Gerhard Höpp/Brigitte Reinwald (Hgg.), Fremdeinsätze. Afrikaner und Asiaten in europäischen Kriegen, 1914–1945, Berlin 2000, 149–166. 47 Mark Kupoveckij, »Ja kak byl romantikom, tak i ostalsja« [»So wie ich ein Romantiker gewesen war, bin ich es auch geblieben.«], in: Zelenina (Hg.), Iudaika dva, 183–220, hier 204. 48 Mark S. Kupoveckij, Dinamika čislennosti i rasselenie karaimov i krymčakov za poslednie dvesti let [Dynamik der Verbreitung und Siedlungsgebiete der Karäer und Krimtschaken in den letzten zweihundert Jahren], in: Igor I. Krupnik (Hg.), Geografija i kulʼtura ėtnografičeskich grupp tatar v SSSR [Geografie und Kultur der ethnografischen Gruppen der Tataren in der UdSSR], Moskau 1983, 76–93; Vevl Ju. Černin, O pojavlenii ėtnonima »krymčak« i ponjatija »krymčakskij jazyk« [Über die Entstehung des Ethnonyms »Krim­ tschak« und des Begriffs »krimtschakische Sprache«], in: Igor I. Krupnik (Hg.), Geografija i kulʼtura, 93–104. 49 Zur Stalinisierung der Geografie als Fach siehe Jonathan D. Oldfield/Denis J. B. Shaw, A Russian Geographical Tradition? The Contested Canon of Russian and Soviet Geography, 1884–1953, in: Journal of Historical Geography 49 (2015), 75–84.

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die professionelle und soziale Heterogenität der Wissenschaftler, ein gewisses Misstrauen zu überwinden. So war Kupoveckij zwar davon fasziniert, in Vevl Černin einen Mitstreiter zu finden, der von den Krimtschaken wusste. Andererseits befremdete ihn, dass Černin bei Sovetish Heymland angestellt war.50 Die Verbindung zu Sovetish Heymland, aber auch die bunte Mischung sehr unterschiedlicher Personen unter dem Dach der Moskauer Geografischen Gesellschaft wurde zum Ausgangspunkt für die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission. Vevl Černin stellte den entscheidenden Kontakt zu Sovetish Heymland her. Als einer der Jiddischübersetzer der Zeitschrift besaß er das Vertrauen von Aron Vergelis und schlug ihm im Sommer 1981 die Zusammenarbeit mit angesehenen Wissenschaftlern aus dem Institut für Ethnografie der Akademie der Wissenschaften vor. Erstaunlicherweise, so Igor’ Krupnik im Rückblick, stimmte Aron Vergelis einer Zusammenarbeit mit den ihm nicht näher bekannten und zudem nicht jiddischsprachigen künftigen Autoren zu. Offenkundig wusste er nichts über deren Verbindungen in die Kreise der unabhängigen jüdischen Bewegung und hielt sie aufgrund ihrer Anstellung an der Akademie der Wissenschaften für zuverlässig und »politisch bewährt« – in jedem Fall konnte er sich später darauf berufen, sie als solche kennengelernt zu haben.51 Zeitgleich bemühte sich Vergelis um die Verjüngung seines Redaktionsteams. So war es ihm gelungen, in Kooperation mit dem renommierten Gorki-Literaturinstitut 1981 einen eigenen Jiddischkurs anzubieten, an dem unter anderem Vevl Černin teilnahm.52 Seine Offenheit gegenüber den jungen Ethnologen ist daher wohl auch als Versuch zu werten, neue Autoren- und damit Leserkreise zu gewinnen. Der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission dagegen ging es um die Legalisierung judaistischer Studien als Gegengewicht zur offiziellen akademischen, inhaltlich sehr begrenzten Orientforschung wie auch zur politisierten »antizionistischen« Propaganda.53 Im Herbst 1981 kam es zu einem ersten Treffen Aron Vergelis’ und weiterer Redakteure mit den künftigen Mitgliedern der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission. Igor’ Krupnik erinnert sich an eine für ihn un50 Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11. September 2017. Siehe auch Estraikh (Ėstrajch), Yiddish in the Cold War, 137. 51 Členov war zwar an der Vorbereitung des Symposiums 1976 beteiligt gewesen, war aber bewusst nicht Mitglied des Orgkomitets geworden und auch nicht bei dem Treffen mit Vergelis 1976 dabei, sodass Vergelis tatsächlich keinen Anlass hatte, ihn mit der unabhängigen jüdischen Bewegung in Verbindung zu bringen. Siehe Interview der Autorin mit Michail Členov, Moskau, 6. September 2017. 52 Estraikh (Ėstrajch), Yiddish in the Cold War, 134. 53 Ebd., 289.

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erwartet schnelle und weitgehende Einigung: Die Wissenschaftler erhielten einen Raum für Arbeitstreffen sowie die Möglichkeit, in der Redaktion zu Vorträgen einzuladen. Die Redaktion erklärte sich zudem zur Ausstellung von Empfehlungsschreiben für die Arbeit in Archiven, Bibliotheken sowie für Feldforschungen bereit und gewährte Platz für das von der Kommission zusammengetragene Archivmaterial. Deren Mitglieder erhielten darüber hinaus die Möglichkeit, ihre Texte in der Zeitschrift selbst zu redigieren und abzudrucken. »Für die Situation 1981«, so Krupnik im Rückblick »waren dies fantastisch gute Bedingungen.«54 Die Verbindung der so geschaffenen Kommission mit einer Zeitschrift, die für ihre antizionistische und antiisraelische Ausrichtung bekannt war, konnte nur als Experiment mit unbekanntem Ausgang gesehen werden. Beide Seiten gingen Risiken ein, teilten aber bei aller Unterschiedlichkeit das gemeinsame Ziel, jüdische Themen in der sowjetischen Öffentlichkeit zu verhandeln.

Real existierend: Die Tätigkeit der Kommission Bei den ersten drei öffentlichen Vorträgen, die Anfang 1982 von der neu geschaffenen Kommission in den Räumen der Redaktion von Sovetish Heym­ land organisiert wurden, drängten sich die Zuhörer bis auf den Korridor. Den einführenden Vortrag zu »Juden in der Sowjetunion« hielt Michail Členov. Igorʼ Krupnik stellte anschließend die Ziele und Aufgaben der Kommission vor.55 Im Februar referierte Krupnik, im März sprachen Vevl Černin, der Historiker Rašid Kaplanov (1949–2007) sowie Mark Kupoveckij. Die Veranstaltungen brachten ein bunt gemischtes Publikum aus Mitgliedern der Redaktion und Akteuren der unabhängigen jüdischen Bewegung zusammen.56 Vergelis mochte am ersten Vortragsabend darüber erschrocken sein, wen er da ins Haus geholt hatte. Möglicherweise wurde ihm nur langsam klar, dass er bei seinem Treffen mit den Mitarbeitern der Akademie der Wissenschaften nur einen Teil der Wahrheit über die neue Kommission erfahren hat54 Krupnik, Kak my zanimalisʼ istoriej, 289 f. 55 Ebd., 291 f. und Anm. 31 mit den Erinnerungen von Igorʼ Kotler zu diesem ersten Vortrag am 28. Januar 1982. Siehe auch das Faksimile der zweisprachigen Einladung unter dem Briefkopf von Sovetish Heymland zur ersten Sitzung am 28. Januar 1982, in: ebd., 357 f. 56 Igorʼ Krupniks Erinnerungen an den Abend spiegeln das Misstrauen und die Abwehr gegen Aron Vergelis wider. Demnach hielt Vergelis eine »verworrene Rede«, in der er den Bau eines künftigen »Instituts für jüdische Studien« im Hof der Redaktion ankündigte, aber zugleich einschränkte, dass es der Kommission nur um die Ethnografie, nicht aber um die Geschichte von Juden ginge, und verschwand anschließend sofort. Siehe Krupnik, ebd., 291.

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te. Es zeugt von seiner Mission für die Verjüngung von Sovetish Heymland und auch von Mut, dass es überhaupt drei Vortragsabende in der Redaktion gab. Noch vor dem dritten Vortrag im März erklärte Vergelis dann das Ende der öffentlichen Vorträge: Die Redaktion sei kein Klub.57 Noch drastischer erinnerte Michail Členov den Rückzug Vergelis’, der ihnen erklärte, das Zentralkomitee der KPdSU sei ihn hart angegangen: »Aron, bist du ein Idiot? Verstehst du nicht, mit wem du dich eingelassen hast?«58 Dennoch hielt Vergelis an seiner Zusage fest, die Vorträge in seiner Zeitschrift zu publizieren und die Kommission mit Empfehlungsschreiben für ihre Recherchen zu unterstützen.59 Noch im gleichen Jahr wurden auch die Vorträge von Členov und Krupnik in Sovetish Heymland abgedruckt.60 Nach ihrer »Vertreibung« aus der Redaktion kam die Kommission als gewöhnliches, monatlich stattfindendes »Wohnungsseminar«61 zusammen. Sie diskutierte unter diesen Bedingungen Anfang 1983 ein Statut, in dem sie sich als »Autorenvereinigung« zur Erforschung der Ethnografie und Kulturgeschichte der jüdischen Bevölkerung in der Sowjetunion definierte. Ihre Hauptaufgabe sah sie in der »Vorbereitung wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Artikel und Vorträge, ihrer Diskussion und Begutachtung [und der] Unterstützung bei ihrer Publikation«. Das Statut betonte dabei Offenheit für alle Personen ungeachtet ihres fachlichen oder beruflichen Hintergrunds: Ausschlaggebend sei die wissenschaftliche Bedeutung des Materials. Zugleich sah man sich als Plattform für junge Forscher und Forscherinnen.62 Besonderes Interesse galt der Geschichte und kulturellen Traditionen verschiedener jüdischer Gruppen in der Sowjetunion, aber auch

57 Ebd., 292, mit Verweis auf eine Notiz zu diesem Gespräch in seinem Privatarchiv. 58 Členov, »Menja vsegda privlekala ėkzotika«, 81. 59 Siehe z.  B. das Faksimile des offiziellen Empfehlungsschreibens für Igorʼ Krupnik als Autor von Sovetish Heymland während seiner Reise nach Aserbaidschan im Herbst 1983, in: ders., Kak my zanimalisʼ istoriej, 360. 60 Michail  A. Členov, Yidn in der sovetnfarband [Juden in der Sowjetunion], in: Sovetish Heymland (1982), H.  7, 99–103, sowie in russischer Sprache: ders., Evrei Sovetskogo Sojuza, in: ebd., II–VII, sowie Igor I. Krupnik, Problemen fun etnografisher forshung ba di yidn in FSSR [Probleme der ethnografischen Erforschung der Juden in der UdSSR], in: ebd., H. 8, 137–145. 61 Krupnik, Kak my zanimalisʼ istoriej, 293 f. In der Regel kamen dabei nicht mehr als 12 bis 15 Menschen zusammen. 62 Diese Offenheit mochte sich auch auf die Verwurzelung der Akteure der Vorgängerkommission in der Bewegung der Narodniki um die Jahrhundertwende und auf deren Überzeugung stützen, dass Wissenschaft auch einen Beitrag zu einer egalitären Gesellschaft leisten müsse. Siehe Simon Rabinovich, Positivism, Populism and Politics. The Intellectual Foundations of Jewish Ethnography in Late Imperial Russia, in: Ab Imperio (2005), H. 3, 227–256.

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der Historiografie und Museologie.63 Ende des Jahres formulierte die Kommission eine englischsprachige Präsentation ihrer Tätigkeit, verbunden mit dem Wunsch nach wissenschaftlichem Austausch auch außerhalb der Sowjetunion.64 Die Kommission entwickelte sich so zu einem wichtigen Austauschforum. Um die Spannbreite der professionellen Hintergründe, der geografischen Vernetzungen, aber auch der Alterskohorten zu verdeutlichen, sollen die wichtigsten Mitglieder hier genannt werden: Zum festen Moskauer Kern zählten weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Institut für Ethnografie – neben Michail Členov und Igor’ Krupnik waren das Anatolij Chazanov (geb. 1937), Ėster Godiner (geb. 1937) und Natal’ja Maj. Außerdem in Moskau verortet waren die Linguistin Aleksandra Ajchenval’d (geb. 1957), die Historiker Aleksandr Lokšin und Rašid Kaplanov, der Archäologe Semёn Koljakov (geb. 1947) und die Mathematiker Jurij Rodnyj und Michail Krutikov (geb. 1957), der Philologe Abram Torpusman (geb. 1940) sowie natürlich Vevl Černin. Zu den Treffen in Moskau kamen regelmäßig auch »korres­pondierende Mitglieder« aus anderen Städten, darunter aus Leningrad der Hebraist Semёn Jakerson (geb. 1956), zwei Kolleginnen der Leningrader Abteilung des ­Instituts für Ethnografie der Akademie der Wissenschaften, Natalja Juchneva (1930–2013) und Galina Starovojtova (1946–1998). Aus L’viv war der Historiker und Archäograf Jaroslav Daškevič (1926–2010) vertreten, aus Simferopol ein Kulturaktivist der Krimtschaken, Lev Kaja (1912–1988), Sohn des Krimtschaken-Historikers Isaak Kaja (1887–1956). Kontakte bestanden ferner zu dem Hebraisten Nisan Babalikašvili (1938–1986) in Tiflis sowie zu Ėmanuėlis Zingeris (geb.  1957) in Vilnius. Außerdem kamen Sprachschülerinnen und -schüler aus Členovs Hebräischgruppe zu den Treffen. Mit den Jahren wuchs auch die Zahl der Ausreiseantragsteller innerhalb der Kommission. Die große Ausreisewelle der Jahre 1987/88 bedeutete daher das faktische Ende ihrer Tätigkeit.65

63 Archiv Vaada Rossii [Archiv des Vaad Russlands] (nachfolgend AVR), Moskau, Mappe Evrejskaja istoriko-ėtnografičeskaja komissija. Statʼi i materialy, Evrejsko-istoričeskaja komissija. Položenie [Jüdisch-Historische Kommission. Statut], 30. Januar 1983. 64 AVR, Mappe Evrejskaja istoriko-ėtnografičeskaja komissija. Statʼi i materialy, The Jewish Ethnographic and Historical Commission, 10. November 1983. 65 Zu den otkazniki in der Kommission gehörten Anatolij Chazanov, Mark Kupoveckij, Gennadij Ėstrajch, Dmitrij Jakirevič, Igor’ Kotler, Natal’ja Maj, Jurij Rodnyj, später auch Ėster Godiner, Abram Torpusman, Aleksandr Razgon und Semёn Koljakov. Siehe Krup­ nik, Kak my zanimalisʼ istoriej, 294 und 315, Anm. 29.

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Die Profile und Hintergründe der Kommissionsmitglieder prägten ihre ­jeweiligen Forschungsinteressen. Michail Členov bemühte sich besonders darum, das zerstreute Erbe der Vorgängerkommission ausfindig zu machen. Im Leningrader Staatlichen Museum der Ethnografie der Völker der Sowjetunion, dem heutigen Russischen Ethnografischen Museum, gelang es ihm 1982 dank des Empfehlungsschreibens von Sovetish Heymland, Zugang zu den im Magazin verwahrten, völlig ungeordneten jüdischen Beständen zu erhalten. Dort fand er die Materialien der Vorläufer-Kommission, der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Gesellschaft, darunter die Fotografien der von S. An-Ski (geb. als Solomon Rappoport, 1863–1920) geleiteten ethnografischen Expeditionen aus den Jahren 1912 bis 1914 in das jüdische Ansiedlungsgebiet. Über das eingesehene Material erstellte Členov Annotationen.66 Zwar konnten die geretteten Archivalien und Objekte, insbesondere die Fotografien von An-Skis Expeditionen der Jahre 1912 bis 1914, erst nach dem Ende der Sowjetunion in zwei großen Ausstellungen am Ethnografischen Museum gezeigt werden,67 doch dass dieses Erbe bekannt werden konnte, verdankte sich auch den Bemühungen der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission in den 1980er Jahren. Im Rahmen der Geografischen Gesellschaft begann 1983 ein neuer Vortragszyklus zu »Kleinen und zerstreuten ethnischen Gruppen im Europä­ ischen Teil der Sowjetunion«, in dem ebenfalls vereinzelt judaistische Themen Raum fanden. 1985 und 1987 erschienen entsprechend weitere

66 Fotoarchiv Gosudarstvennogo muzeja ėtnografii narodov SSSR (evrejskie kollekcii) [Fotoarchiv des Staatlichen Museums für die Ethnografie der Völker der UdSSR (Jüdische Kollektionen)], o. A. u. D. 1982 (2 Seiten); M[ichail] Členov, Gos[udarstvennyj]. istorikoėtnografičeskij muzej evreev Gruzii (spravka) [Staatliches Historisch-Ethnografisches Museum der Juden Georgiens (Auskunft)] (9 Seiten); Tuzemno-evrejskij muzej, kratkaja spravka [Museum der einheimischen Juden, kurze Auskunft] (7 Seiten); Informacii o evrejskich fondach byvšego Bakinskogo muzeja istorii, religii i ateizma/iz pisem P.  A. Kaliki [Informationen zu jüdischen Beständen des ehemaligen Museums für Geschichte, Religion und Atheismus Bakus/aus den Briefen von P. A. Kaliki]; Fond iudaizma v gos[udarstvennom]. muzee istorii, religii i ateizma (Leningrad, Kazanskij sobor) [Bestand des Judaismus im staatlichen Museum für Geschichte, Religion und Atheismus (Leningrad, Kasaner Kathedrale), in: AVR, Mappe Stat’i i zametki po iudaike. Rukopisi. Mašinopisʼ s spravkoj 3. Siehe auch Členov, »Menja vsegda privlekala ėkzotika«, 79 f., sowie Krupnik, Kak my zanimalisʼ istoriej, 295 f. 67 Die Ausstellungen Tracing An-ski (1992–1994) sowie Jewish Life in Tsarist Russia. A World Rediscovered (1994–1995). Siehe Shimon Iakerson (Semёn Jakerson)/Marina Shcherbakova, »Inside the Museum«. A Museum in a Museum. The Experience of Exhibiting Jewish Collections in the Russian Museum of Ethnography, St. Petersburg, in: East European Jewish Affairs 45 (2015), H. 2–3, 326–329.

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Bände in der Herausgeberschaft der Geografischen Gesellschaft.68 Einige Forschungsergebnisse der Kommissionsmitglieder konnten weiterhin in ­Sovetish ­Heymland erscheinen. Unter den Bedingungen der Perestroika erhielten Igor’ Krupnik und Mark Kupoveckij schließlich 1988 nach langem Vorlauf die Möglichkeit, ihre Forschungen zu den kurdischen Juden auf dem Gebiet der UdSSR in der zentralen ethnologischen Fachzeitschrift ­Sowjetische Ethnografie herauszubringen.69 Es gelang also selbst unter den Bedingungen eines Wohnungsseminars, wissenschaftlich sichtbar zu werden. Trotz ihrer semilegalen Existenz konnte die Kommission vorhandene staatliche Strukturen nutzen und so in die sowjetische Öffentlichkeit hineinwirken.

Ein ungleichseitiges Dreieck: Judaistik zwischen Wissenschaft, Dissens und Dialogbemühen Die Zusammenarbeit mit Sovetish Heymland blieb umstritten. Gerade in der Anfangszeit wurde innerhalb der jüdischen Bewegung heftig diskutiert, ob die Kooperation mit dem als staatliches Sprachrohr wahrgenommenen Organ statthaft sei; manche sprachen sogar scharf von »Kollaboration«.70 Mark Kupoveckij entschied für sich, das offizielle Schutzdach durch Sovetish ­Heymland, darunter die offiziellen Empfehlungsschreiben, anzunehmen, und war auch einverstanden, dort vorzutragen, aber in der Zeitschrift publizieren 68 Igor  I. Krupnik (Hg.), Malye i dispersnye ėtničeskie gruppy v evropejskoj časti SSSR. Geografija rasselenija i kulʼturnye tradicii [Kleine und zerstreute ethnische Gruppen im europäischen Teil der UdSSR. Geografie der Ansiedlung und kulturelle Traditionen], Moskau 1985. Der Band umfasste neben Beiträgen zur Geschichte und Kultur russischer Sinti und Roma, der Armenier in Abchasien und zu kurdischen Jesiden auch Artikel von Mark Kupoveckij und Igorʼ Kotler zur demografischen Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Baltikum bzw. zu den Krimtschaken sowie von Rašid (Rashid) Kaplanov zur Geschichte der karäischen Literatursprache. 1987 erschien der nächste Band, siehe E. M. Pospelov (Hg.), Ėtničeskie gruppy v gorodach evropejskoj časti SSSR. Formirovanie, rasselenie, dinamika kulʼtury [Ethnische Gruppen in den Städten des europäischen Teils der UdSSR. Formierung, Siedlung und Dynamik der Kultur], Moskau 1987. Siehe auch die umfangreiche Bibliografie bei Krupnik, Kak my zanimalisʼ istoriei, 328–336. 69 Igor I. Krupnik/Mark S. Kupoveckij, »Lachluchi«. Kurdistanskie evrei v SSSR [»Lachluchi«. Kurdische Juden in der UdSSR], in: Sovetskaja ėtnografija (1988), H. 2, 102–111. 70 Siehe Krupnik, Kak my zanimalisʼ istoriej, 291, sowie Mark Kupoveckij, Rašid Kaplanov i Evrejskaja istoriko-ėtnografičeskaja komissija v Moskve 80-ch gg. [Rašid Kaplanov und die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission in Moskau in den 80er Jahren], in: Rašid Muradovič Kaplanov, Trudy, intervʼju, vospominanija/Rashid Muradovich Kaplanov, Works, Interviews, Memoirs, hg. von Viktorija Močalova, Moskau 2011, 294–299, hier 297, (1. Dezember 2019).

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wollte er nicht. Das änderte sich erst während der Perestroika. Für ihn wurde die Öffnung der Zeitschrift greifbar, als dort Ende der 1980er Jahre erstmals Arbeiten des in der Sowjetunion ignorierten Pioniers der Geschichtsschreibung des osteuropäischen Judentums Simon Dubnow erschienen.71 Entscheidend für den Fortbestand der Kommission war aber neben dem Prestige einiger Kommissionsmitglieder als anerkannte, professionelle Ethnografen, dass selbst die otkazniki, die abgelehnten Antragsteller, die zu den Treffen der Kommission kamen, nicht zu den sichtbaren Aktivisten der Ausreisebewegung gehörten. Manche von ihnen provozierten mit ihren Aktionen bewusst eine Verhaftung, um ihre Ausreise zu beschleunigen. Oft hatten sie und ihre Familien sich bereits so weit vom sowjetischen Alltagsleben abgewandt, dass sie nichts zu verlieren glaubten. Andere dagegen mussten Rücksicht auf ihre Familien nehmen. So fürchtete Mark Kupoveckij, dass seine Frau, die ihr Studium abschließen wollte, seinetwegen exmatrikuliert werden könnte. Daher war für ihn rückblickend die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission die am wenigsten riskante und damit perfekte Verbindung zur jüdischen Bewegung: »Einerseits konnte ich mich mit dem beschäftigen, was mich interessierte, andererseits konnte ich mir sagen: Jetzt bin ich in der jüdischen Bewegung, in genau der Nische, die für mich absolut optimal ist.«72 Dazu gehörten für ihn die Freiheit seiner Forschungen, seine Unabhängigkeit, das hohe intellektuelle Niveau des wissenschaftlichen Austauschs, die Möglichkeit zu publizieren und Wissen weiterzugeben. Aus der Perspektive des heute viel beschäftigten Professors erscheinen ihm diese sogar als »seine besten Jahre«.73 Anderen Akteuren in der jüdischen Bewegung war jedoch genau dieser akademische Anspruch zu unbedeutend und unpolitisch. Členov, der als Hebräischlehrer in den Ausreisezirkeln das Bindeglied zur jüdischen Ausreisebewegung darstellte, kannte diese Stimmen und eine gewisse abschätzige Haltung gegenüber der Kommission. Für ihn mochte die Kommission nicht primär aus wissenschaftlichen Gründen interessant sein, sondern an erster Stelle als Versuchsfeld, um die Grenzen des Möglichen zu testen. Er wusste wiederum auch um die Selbstwahrnehmung seiner Mitstreiter, die sich mit ihren judaistischen Forschungen »auf den Barrikaden« wähnten.74 Hingegen 71 Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11. September 2017. Kupoveckijs erster Artikel erschien 1989, siehe ders., Di hoypt-etapn fun der etnisher geshikhte fun di yidn af der hayntzaytiker teritorie fun Ukraine [Die Hauptetappen der ethnischen Geschichte der Juden auf dem Territorium der heutigen Ukraine], in: Sovetish Heymland (1989), H. 7, 119–128. 72 Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11. September 2017. 73 Ebd. 74 Michail Členov, Vospominanija o Rašide Kaplanove, in: Rašid Muradovič Kaplanov. Trudy, intervʼju, vospominanija, 282–293, hier 287.

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nahm er die Kommissionsmitglieder als »stille Juden« wahr. Im Gegensatz zu Kupoveckij war für Členov die Kommission nicht Teil der jüdischen Bewegung, sondern eine »akademische Gruppe«.75 Diese Ambivalenz erlebte auch Kupoveckij, als er in einem der viel stärker politisierten Wohnungsseminare in Leningrad von seinen Forschungen berichtete: »Ich kann mich nicht erinnern, dass sie davon leuchtende Augen bekommen hätten.«76 Auch für den Samisdat waren diese Forschungen nicht interessant. Ein Text über die Siedlungsgebiete der Krimtschaken, so Kupoveckij lakonisch, »das war viel zu exotisch«.77 Mark Kupoveckij sieht in Členovs damaliger Intention noch einen weiteren Aspekt: »Das war auch ein Trampolin, um zu versuchen, einen Dialog mit dem Staat [vlastʼ] zu starten. Denn Sovetish Heymland  – das war der Staat, oder wenigstens dessen Vorzimmer.«78 Členov berichtet in mehreren Interviews von seinen Bemühungen um einen Dialog mit staatlichen Vertretern, darunter auch von einem für ihn heute unangenehmen Versuch, über einen KGB-Mitarbeiter, den er als Kollegen am Institut kannte, an die Spitze des Staatsapparats heranzutreten.79 Kupoveckij wiederum interpretiert die Kommission heute als Dreieck zwischen jüdischer Ausreisebewegung, Wissenschaft und Versuch eines Dialogs mit dem Staat: »[…] jeder konnte in diesem Projekt etwas Eigenes sehen. Und etwas Eigenes suchen. Und finden. Und kann es jetzt unterschiedlich einschätzen.«80 Welche Ziele die Kommission verfolgte und was sie für wen bedeutete, lässt sich also gewissermaßen als Polyfonie einer Wüstenwanderung imaginieren, in der jede und jeder ein eigenes Instrument spielt.

75 Interview der Autorin mit Michail Členov, Moskau, 6. September 2017. 76 Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11. September 2017. Zu den Seminaren um Michail Bejzer und dem von ihm herausgegebenen Leningrader Jüdischen Almanach siehe ders., Evrejskij samizdat v Leningrade v 1980-ch godach. »Leningradskij evrejskij alʼmanach« [Jüdischer Samisdat in Leningrad in den 1980er Jahren. »Leningrader Jüdischer Almanach«], in: Oleg V. Budnickij (Hg.), Rossijskij sionizm. Istorija i kulʼtura [Russländischer Zionismus. Geschichte und Kultur], Moskau 2002, 292–299. 77 Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11. September 2017. 78 Ebd. 79 Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004). 80 Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11. September 2017.

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Geduldete an der Akademie der Wissenschaften: Vielerlei Agreements Galten Michail Členov und Igor’ Krupnik gegenüber Sovetish Heymland als Garanten für die Seriosität des gemeinsamen Unterfangens, war ihre Position innerhalb des Instituts für Ethnografie an der Akademie der Wissenschaften eine ganz andere. Der Direktor des Instituts, Julian Bromlej, hatte sehr genaue Kenntnis über Členovs Engagement in der jüdischen Bewegung. Als 1974 ein diffamierender Artikel über Členov und weitere Hebräischlehrer erschien, bestellte ihn Bromlej zu sich ein und beschied: »Verbleiben wir so: Wenn man mir sagt, dass ich Sie rauswerfen soll, werde ich Sie sofort entlassen. Wenn man mir nichts sagt – dann arbeiten Sie, ich habe nichts dagegen, aber Sie verstehen selbst, dass es Schwierigkeiten geben wird.«81 Zu den inneren Widersprüchen des Instituts für Ethnografie gehörte, dass es sich mit den verschiedenen Ethnien innerhalb und außerhalb der Sowjetunion beschäftigte – mit Ausnahme einer einzigen: der jüdischen. Zugleich war es ein wohlgehütetes Geheimnis, wie viele seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst jüdischer Herkunft waren. In den Personalfragebögen an der Akademie wurde jedoch die »Nationalität« gemäß der Angaben im Pass standardmäßig erfasst. Ein interner Bericht für eine Evaluation des Instituts durch das Moskauer Parteikomitee listete auf, dass Juden nach ethnischen Russen die mit Abstand am stärksten vertretene ethnische Gruppe am Institut waren.82 Členov war durch sein wissenschaftliches Renommee tatsächlich etwas geschützt, zumal er selbst keinen Ausreiseantrag gestellt hatte.83 Angesichts 81 Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004). Zu den Hebräischlehrern Anfang der 1970er Jahre siehe die Erinnerungen von einigen Akteuren in Lija F. Prestina, Slovarʼ zapreščennogo jazyka. K 125-letiju F.  L. Šapiro [Wörterbuch einer verbotenen Sprache. Zum 125-jährigen Jubiläum von F. L. Schapiro], Minsk 2005, 221–278, sowie auch Kosharovsky (Košarovskij), »We Are Jews Again«. 82 Archiv Rossijskoj Akademii Nauk [Archiv der Russischen Akademie der Wissenschaften], Moskau (nachfolgend ARAN), F. (Fond) 142, O. (Opis) 11, D.  (Dokument) 1447, Spravka po istorii i dejatel’nosti Instituta, podgotovlennaja dlja komissii MGK KPSS po proverke dejatelnosti Instituta ėtnografii im[eni]. N.  N. Miklucho-Maklaja AN SSSR, 1984 [Auskunft über die Geschichte und die Tätigkeit des Instituts, vorbereitet für die Kommission des MGK KPSS zur Überprüfung der Tätigkeit des N. N. Miklucho-Maklaja-Instituts für Ethnografie der AN der UdSSR, 1984], l und 31. Demnach waren unter den »älteren wissenschaftlichen Mitarbeitern« 49 Russen, 12 Juden, 2 Armenier, 2 Ukrainer, 1  Usbeke u. a. sowie unter den »jüngeren wissenschaftlichen Mitarbeitern« 79  Russen, 16 Juden, 1 Armenier, 1 Ukrainer, 1 Usbeke, 1 Belarusse u. a. 83 Košarovskij, Michail Členov (Interview vom 31. Januar 2004).

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der Hausdurchsuchungen und Verhöre im Dezember 1976 im Kontext des verhinderten Symposiums hätte aber Bromlej ihm nicht helfen können. Hier rettete Členov die Entscheidung der sowjetischen Führung, zunächst den politischen Flügel der jüdischen Bewegung zu zerschlagen und den »kultu­ralistischen« zurückzustellen. Dennoch gehörte zum Arrangement mit Bromlej, dass Členov weitsichtig für die Woche vor dem Symposium Urlaub genommen hatte. So konnte die Institutsleitung den Anschein erwecken, nichts davon zu wissen, dass Členov in jener Woche unter Hausarrest stand beziehungsweise verhört wurde und nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Aufsteigen konnte Členov an seinem Institut freilich nicht mehr.84 In den Status eines »älteren wissenschaftlichen Mitarbeiters«, der ihm aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen zugestanden hätte, wurde er nicht befördert.85 Dass ein Ausreiseantrag ein point of no return war, hatte Členov bereits sehr unmittelbar im Frühjahr 1981 bei seinem Kollegen und Mitstreiter in der jüdischen Bewegung wie auch später in der Jüdischen HistorischEthnografischen Kommission, Anatolij Chazanov, erfahren. Der angesehene Spezialist für Ethnoarchäologie sowie Ur- und Frühgeschichte, der sich mit zahlreichen Veröffentlichungen unter anderem zum Reitervolk der Skythen auch im Ausland einen Namen gemacht hatte, hatte 1980 einen Ausreiseantrag nach Israel gestellt.86 Daraufhin war er im Institut zu Hilfstätigkeiten und Recherchearbeiten degradiert worden. Als im April 1981 turnusgemäß die Überprüfung auf seine Eignung als »älterer wissenschaftlicher Mitarbeiter« anstand, kam es im Institutsrat darüber zu einer heftigen Debatte. Chazanovs Abteilungsleitung lehnte eine Bestätigung seiner Position trotz seiner wissenschaftlichen Leistungen ab, da sie den Ausreiseantrag als »antipatriotisches Verhalten« (antipatriotičeskij postupok) wertete. Chazanov bat darum, dass hier ausschließlich beurteilt werde, ob seine wissenschaftlichen Leistungen seiner Position entsprächen. Auf 84 Členov, »Menja vsegda privekala ėkzotika.«, 91. 85 Die Zuerkennung neuer wissenschaftlicher Dienstgrade und Gehaltsklassen erfolgte bei den Sitzungen des Institutsrats. Zu Členovs Kandidaturen siehe ARAN, F.  142, O.  11, D. 1347, Protokoll der Sitzung des Wissenschaftlichen Rats Nr. 5 vom 27. April 1982, 34– 40, hier 35–37, sowie ARAN, F. 142, O. 11, D. 1448, Protokoll der Sitzung des Wissenschaftlichen Rats Nr. 14 vom 18. Dezember 1984, 123–128. Hier konnte Členov immerhin beachtliche elf Stimmen auf sich vereinen, während auf die gewählte Mitbewerberin (trotz einer weniger umfangreichen Publikationsliste) zwanzig Stimmen entfielen. 86 Anatolij M. Chazanov, Socialʼnaja istorija skifov. Osnovnye problemy razvitija drevnich kočevnikov evrazijskich stepej [Sozialgeschichte der Skythen. Hauptprobleme der Entwicklung der frühesten Nomaden der eurasischen Steppen], Moskau 1975; ders., Zoloto skifov [Das Gold der Skythen], Moskau 1975. Als einziger Doktor der Wissenschaft (entspricht einer Habilitation) wäre Chazanov für den Vorsitz der Kommission prädestiniert gewesen, er war aber wegen seines sozialen Status als otkaznik nicht geeignet.

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Bromlejs Frage, welche Arbeit Chazanov denn gerade ausübe, musste dieser wahrheitsgemäß erklären: »Recherchearbeiten«. Bromlej konstatierte: »Also keine selbstständige und keine wissenschaftliche, schöpferische [Arbeit]« und fügte hinzu: »Ich möchte noch einmal die [enge] Verbindung unserer Wissenschaft mit der Ideologie unterstreichen.« Členov versuchte, Chazanov zu verteidigen, und fragte, warum der von Chazanov rein familiär und privat begründete Ausreiseantrag als antipatriotisch gewertet werde. Außerdem stehe der Antrag – auch im Sinne der Schlussakte von Helsinki – in Übereinstimmung mit der sowjetischen Verfassung. Bromlej erklärte darauf apodiktisch: »Die Tatsache eines [angestrebten] Wechsels der Staatsangehörigkeit von einer sozialistischen in eine kapitalistische, besonders in die israelische, spricht für sich selbst.« In der folgenden Abstimmung erhielt Chazanov keine einzige Stimme; neben den zwanzig Gegenstimmen fanden sich nur zwei ungültige, vermutlich von ihm selbst und Michail Členov.87 1985 konnte Chazanov schließlich ausreisen und wurde Professor für Soziologie und Sozialanthropologie an der Hebräischen Universität Jerusalem, wo er sich unter anderem der Erforschung der Krimtschaken widmete.88 Členov blieb am Institut, und mit den Jahren erwies sich, dass das mit Bromlej erreichte Arrangement, das sich auf die wissenschaftlichen Erfolge von ihm und Igor’ Krupnik stützte, trug. Beide waren mittlerweile an der Abteilung für die Erforschung des Nordens angestellt. Von Reisen ins Ausland, auch ins sozialistische, konnte allerdings keine Rede mehr sein. 1982 erschien jedoch das sogar im Ausland rezipierte Werk über die »Walknochenallee«, eine jahrhundertealte bedeutende Kultstätte der indigenen Punuk-Kultur im hohen Norden, auf der Halbinsel Tschukotka.89 Zugleich waren beide bei ihren Expeditionen in die sowjetische Peripherie angehalten, für die staatlichen Institutionen Memoranden zu Problemen der dortigen Bevölkerung sowie Empfehlungen zu ihrer »Überwindung« zu verfassen. Diese wurden als wissenschaftliche Leistung anerkannt und in den institutsinternen Tätigkeitsberichten in der Rubrik Publikationen erfasst, auch wenn sie selbstver-

87 ARAN, F. 142, O. 11, D. 1292, Protokoll der Sitzung des Wissenschaftlichen Rats des Instituts für Ethnografie Nr. 6 vom 14. April 1981, 43–48, hier 43–46. 88 Anatoly M. Khazanov (Anatolij Chazanov), The Krymchaks. A Vanishing Group in the Soviet Union. To the Memory of L. I. Kaia, Jerusalem 1989. 89 Sergej A. Arutjunov/Igor’ I. Krupnik/Michail A. Členov (Hgg.), Kitovaja alleja. Drevnosti ostrovov proliva Senjavina [Walknochenallee. Altertümer der Inseln der Meerenge von Senjavin], Moskau 1982.

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ständlich nicht veröffentlicht wurden.90 Diese Konstellation führte zu der paradoxen Situation, dass Členov in Moskau als »schlechter Mensch und Zionist« galt, »hinter dem der KGB her war«, wie er im Rückblick lakonisch formuliert. Auf ihren Reisen nach Tschukotka und Magadan wurden er und Krupnik dagegen von den lokalen Behörden als Experten aus der Hauptstadt empfangen, ihre Ratschläge und Memoranden erbeten.91 Dieses Wechselspiel unterschiedlicher Rollen beziehungsweise Rollenzuschreibungen im Zentrum und in der Peripherie war ein Phänomen, das die späte Sowjetunion als Imperium kennzeichnete. Zu dieser Ambivalenz und den Spielregeln des Spätsozialismus gehörte, dass Členov in seinem Tätigkeitsbericht Ende 1983 sein Engagement sowie die Publikationen im Rahmen der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission angab, zu einem Zeitpunkt also, in dem die Kommission längst wieder zu einem Wohnungsseminar geworden war. Offensiv verwies er in seinem Bericht in der Kategorie »Gesellschaftliche Arbeit« auf seine Funktion als »wissenschaftlicher Kurator der Jüdischen Historisch-Ethnografischen Kommission der Zeitschrift Sovetish Heymland«.92 Zu seinen Publikationen zählte er auch die unveröffentlichten Arbeiten zu den vernachlässigten jüdischen Sammlungen in Leningrader und georgischen Mu-

90 Naučnyj archiv instituta ėtnologii i antropologii im[eni]. N. N. Miklucho-Maklaja Rossijskoi akademii nauk [Wissenschaftsarchiv des Instituts für Ethnologie und Anthropologie N. N. Miklucho-Maklaj der Russischen Akademie der Wissenschaften] (nachfolgend NA IEA RAN), Personalakte M. A. Členov [ohne Signatur], Tätigkeitsbericht für November 1976 bis Dezember 1979, 77–80, hier 78: M. A. Členov/I. I. Krupnik, Dokladnaja zapiska »O chode jazykogo stroitel’stva sredi aziatskich ėskimosov Čukotskogo avtonomnogo okruga« [Memorandum »Über die sprachliche Entwicklung der asiatischen Eskimo des Autonomen Bezirks Tschukotka«], sowie ebd., Personalakte M. A. Členov [ohne Signatur], Tätigkeitsbericht M. A. Členov für Dezember 1979 bis Dezember 1982, 10. Dezember 1983, 89–93, hier 92: M. A. Členov/L. S. Bogoslovskaja/I. I. Krupnik, Dokladnaja zapiska v SM RSFSR. »O sostojanii i perspektivach razvitija morskogo zverobojnogo promysla na Čukotke« [Memorandum an den Ministerrat der RSFSR. »Über den Stand und die Perspektiven der Entwicklung der Seerobbenjagd auf Tschukotka«]. Auch Igor’ Krupnik gab in seiner Publikationsliste den 1982 erschienenen Artikel in Sovetish Heym­ land an; ein Tätigkeitsbericht für diese Jahre ist in seiner Akte aber nicht abgelegt. Siehe NA IEA RAN, Personalakte I. I. Krupnik [ohne Signatur]. 91 Členov, »Menja vsegda privlekala ėkzotika«, 73 f. 92 NA IEA RAN, Personalakte M.  A. Členov [ohne Signatur], Tätigkeitsbericht M.  A. Členov für Dezember 1979 bis Dezember 1982, 10. Dezember 1983, 89–93, hier 93.

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seen.93 Zugleich konnte Členov seine Recherchen zum Erbe der Vorgängerkommission in Leningrader Bibliotheken und Archiven, die er Anfang 1982 aufnahm, auch offiziell als Dienstreisen durchführen – begründet als »Planthemen«, obwohl sie mit seinen Forschungen zu den Völkern des Nordens nichts zu tun hatten.94 Im Ethnografischen Museum in Leningrad wiederum zeigte er die Empfehlungsschreiben von Sovetish Heymland. Sie verschafften ihm Zugang zu den jüdischen Sammlungen, die er mit seinem eigentlichen Forschungsprofil zu den indigenen Völkern des Nordens sonst nicht zu sehen bekommen hätte.95 In diesem geschickten Bedienen und Ausspielen verschiedener institutioneller Logiken erweisen sich wiederum die erweiterten Handlungsspielräume in der späten Sowjetunion, in der es möglich war, selbst scheinbar Unerreichbares umzusetzen, solange man die Spielregeln beherrschte. Auch Julijan Bromlej spielte dieses Spiel: In seinem Rechenschaftsbericht über die Planerfüllung des Instituts listete er Krupniks und Členovs Artikel in Sovetish Heymland auf, obwohl judaistische Forschungen kein Gegenstand des Instituts waren.96

Schluss Die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission löste sich erst mit der Ausreise vieler ihrer Mitglieder um das Jahr 1988 langsam auf. Zugleich eröffnete die Perestroika neue Möglichkeiten. Viele Kommissionsmitglieder gingen in den Jahren des Umbruchs beim Aufbau neuer judaistischer For93 So listete Členov seinen Artikel Juden in der Sowjetunion in Sovetish Heymland als populärwissenschaftliche Arbeit auf, gefolgt von Manuskripten, darunter sowohl die Memoranden an die Staatsorgane wie auch die Übersichten über die jüdischen Sammlungen der verschiedenen ethnografischen Museen sowie zu »Problemen der Ethnogenese der Karäer«. Siehe NA IEA RAN, Personalakte M. A. Členov [ohne Signatur], Tätigkeitsbericht M. A. Členov für Dezember 1979 bis Dezember 1982, 10. Dezember 1983, 89–93, hier 90 und 92. 94 ARAN, F. 142, O. 11, D. 1345, Anordnung Nr. 1252-7 vom 15. Januar 1982 über eine Dienstreise von M.  A. Členov nach Leningrad vom 21.  Januar bis 5.  Februar 1982,  7, sowie ebd., Anordnung Nr. 1252-54 vom 30. März 1982 über eine Reise nach Leningrad vom 6.  bis 17.  April 1982, 47 und ebd., Anordnung Nr.  1252-91 vom 26.  April 1982 über die Verlängerung des Aufenthalts in Leningrad um eine Woche vom 17. bis 24. April 1982, 82 (mit Unterschrift des Direktors des Museums für die Ethnografie der Völker der UdSSR). 95 Interview der Autorin mit Michail Členov, Moskau, 6. September 2017. 96 ARAN, F. 142, O. 11, D. 1350, Bericht von Ju. Bromlej und A. Ter-Sarkisjanc über die Erfüllung der Pläne der wissenschaftlichen Arbeiten des Miklucho-Maklaja-Instituts der AN UdSSR für das Jahr 1982, 1–79, hier 58.

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schungseinrichtungen voran: Michail Členov engagierte sich für den Aufbau der Staatlichen Klassischen Jüdischen Maimonides-Akademie in Moskau und wurde dort Professor für Judaistik und Hebraistik; parallel erfolgte seine Ernennung zum Generalsekretär des Euroasiatischen Jüdischen Kongresses. Mark Kupoveckij wurde Professor und Direktor des Zentrums für Biblische und Jüdische Studien an der ebenfalls neu gegründeten Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität (RGGU) in Moskau. Die Kommission (und für die jüngeren Redaktionsmitglieder auch die Zeitschrift Sovetish Heym­ land) erwies sich damit als Sprungbrett und Netzwerk für den Aufbau neuer Strukturen, sobald der Zerfall der Sowjetunion dies ermöglichte. Allerdings verstellt diese Perspektive auf die späteren akademischen Erfolgsgeschichten ihrer Protagonisten den Blick auf die Arbeitsbedingungen der Kommission in der ersten Hälfte der 1980er Jahre: War das Glas hier halb leer, weil sich die Kommission nach einem kurzen Intermezzo in den Redaktionsräumen von Sovetish Heymland wieder nur in privaten Räumen treffen konnte, oder doch halb voll, weil die von der Zeitschrift ausgestellten Empfehlungsschreiben Archivzugang und Publikationsmöglichkeiten eröffneten? Oder lassen sich mit Blick auf die privaten Wohnzimmertreffen sogar Parallelen zu den Aufbrüchen hin zu einer egalitären historischen Forschung sehen, wie sie zeitgleich etwa im bundesdeutschen Kontext bei Geschichtswerkstätten zu finden sind, die (unter anderen Vorzeichen und Bedingungen) ebenfalls von dem Impetus getragen waren, vernachlässigte Themen – dort etwa Alltagsgeschichte und Fragen von Anpassung und Widerstand im Nationalsozialismus  – zu verhandeln, die außerhalb des universitären Mainstreams standen?97 Die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission, so lässt sich kon­ statieren, agierte in einer Sphäre des Sowjetischen, die eben keinen dritten Raum einer oft postulierten Gegenöffentlichkeit aufmachte, sondern entgegen den herrschenden dichotomischen Vorstellungen (hier: Staat vs. dissidentische jüdische Ausreisebewegung) die Binnenlogiken der verschiedenen beteiligten Institutionen bediente und gegeneinander ausspielte. Den Vordenkern der Kommission war es gelungen, dort den Rahmen für eine eigenständige legale wissenschaftliche Beschäftigung mit Judaika zu schaffen, wo ihn zunächst keiner vermuten würde: in einem prekären, von den einzelnen Mitstreiterinnen und Mitstreitern immer wieder aufs Neue auszubalancierenden Dreieck zwischen der unabhängigen jüdischen Bewegung, der Zeitschrift Sovetish Heymland (in ihrem schwierigen Fahrwasser zwischen propagandistischen Erwartungen und eigenem Selbstverständnis als Nische für 97 Siehe exemplarisch Jenny Wüstenberg, Vom alternativen Laden zum Dienstleistungsbetrieb. The »Berliner Geschichtswerkstatt«. A Case Study in Activist Memory Politics, in: German Studies Review 32 (2009), H. 3, 590–618.

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jüdische Themen) sowie der Akademie der Wissenschaften, an der es keine judaistische Forschung gab. Notwendig war es dafür auf allen Seiten, Feindbilder und Stereotype zu überwinden und die gemeinsamen Interessen zu sehen: Sovetish Heymland und seine Redakteure hofften, durch die Kooperation mit der Kommission neue, jüngere Autoren wie auch Leser zu gewinnen. Die an judaistischen Forschungen interessierten Vertreter der unabhängigen jüdischen Bewegung wiederum konnten durch den institutionellen Rahmen die Möglichkeiten ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit erweitern. Den Akademie-Ethnologen Michail Členov und Igor’ Krupnik schließlich gelang es, an ihrem Institut einen Modus Vivendi zu erreichen, der sich auf wissenschaftliche Erfolge im Bereich ihrer »Planthemen« stützte. Schließlich erweist sich die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission als Generationenprojekt: Ihre aktivsten Mitglieder waren in den 1940er und 1950er Jahren geboren und beherrschten  – im Sinne von Alexei Yurchak – das sowjetische Spiel, Erwartungen performativ zu erfüllen, aber mit eigenen Inhalten zu füllen und,98 wie etwa Michail Členov, ihr Engagement für die Kommission als »gesellschaftliche Tätigkeit« darzustellen. Nicht zufällig war es gerade die Sphäre der Wissenschaft, in der sich unter den Bedingungen des Spätsozialismus ein so kompliziertes Geflecht wie die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission überhaupt herausbilden konnte, in der ganz unterschiedliche Akteure ihre jeweiligen Interessen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner brachten. So ergab sich aus den im privaten Raum stattfindenden »Wohnungsseminaren« und den akademischen oder populärwissenschaftlichen Publikationen eine Öffentlichkeit für den Diskurs um die Sichtbarkeit von Jüdinnen und Juden in der späten Sowjetunion.99 Im Feld der judaistischen Forschung gelang hier, was auch sowjetische Bürgerrechtler als Anspruch wie Forderung lebten und artikulierten: Öffentlichkeit zu schaffen. »Wissenschaft«, so formulierte Mark Kupoveckij seine Erfahrung mit der Kommission, »kann parallel laufen, aber nicht illegal sein«.100

 98 Yurchak, Everything Was Forever, Until It Was No More.  99 Siehe dazu Ann Komaromi, Jenseits von Gutenberg. Die Dynamik der dissidentischen Öffentlichkeit, in: Osteuropa 60 (2010), H. 11, 43–58, hier 55 f. 100 Interview der Autorin mit Mark Kupoveckij, Moskau, 11. September 2017. – Dieser Beitrag erscheint in leicht veränderter Fassung in der Zeitschrift Ėtnografičeskoe obozrenie in russischer Sprache: Ulrike Huhn, Parallel’naja nauka? Evrejskaja istoriko-ėtnografičeskaja komissija i iudaika v pozdnesovetskij period, in: Ėtnografičeskoe obozrenie (2019), no. 3, 166–182, DOI: 10.31857/S086954150005288-6. Ich danke der Jahrbuch-Redaktion und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Publikationsgenehmigung.

Literaturbericht

Tim Friedrich Meier

Vom Messmakler zum Pelzhändler: Zur Wirtschaftsgeschichte der Leipziger Juden im 19. und frühen 20. Jahrhundert Jede Stadt hat ihre historischen Mythen, Anekdoten und Selbstbilder. Sie stiften Vertrauen und Zuversicht in die Zukunft. Die Stadt Leipzig ist reich an solchen gelebten Identitäten: Messestadt, Sportstadt, Buchstadt, Musikstadt. Eines der früher einmal bedeutsamen Selbstbilder ist jedoch aus dem heutigen Stadtleben nahezu verschwunden: die Pelzstadt.1 Seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich Leipzig zu einem der wichtigsten internationalen Handelsplätze für Rauchwaren entwickelt.2 Über den Leipziger Brühl, die Hauptgeschäftsstraße für den Handel mit dem »weichen Gold«,3 liefen kurz vor dem Ersten Weltkrieg fast der gesamte Pelzexport Russlands wie auch der russische Import amerikanischer Pelze. In der Zwischenkriegszeit konnte sich Leipzig dank der leistungsstarken Kombination aus Pelzhandel, Pelzsortierung und -manipulation erneut als internationaler Dreh- und An-

1 Dies zeigt sich besonders gut in populären Veröffentlichungen wie Leipziger Messe GmbH (Hg.), Märkte, Muster, Menschen. 850 Jahre Leipziger Messen, Leipzig 2014 oder dem Bildband Doris Mundus u. a. (Hgg.), Pelze aus Leipzig – Pelze vom Brühl. Rainer Dorndeck. Fotografien 1970 bis 1990, Beucha/Markkleeberg 2015. 2 Rauchware, abgeleitet von mittelhochdeutsch und althochdeutsch rûch  – rau, also raue Ware, bezeichnet ursprünglich unverarbeitetes Pelzwerk und hat sich heute als Überbegriff für alle nicht konfektionierten (also noch nicht zu fertigen Pelzwaren wie Mänteln, Muffs, Decken etc. verarbeiteten) Produkte aus tierischen Haarkleidern etabliert. Rauchwarenwirtschaft wiederum meint in diesem Text die Gesamtheit der Gewerbezweige, die mit Pelzwerk und seiner Verarbeitung zu tun haben. Sie gliedert sich in die Rauchwarenproduktion (Pelztierjagd, Pelztierfarmen), den Rauchwarenhandel und die Rauchwarenindustrie. Letztere umfasst die Veredelung (Sortierung, Manipulation) sowie die Herstellung der Pelzendprodukte durch die Konfektionsindustrie oder einen Kürschner. Siehe Bruno Schier, Zur Geschichte des Wortes Rauchware, in: Technologisches Pelzfach-Wörterbuch, 6  Teile, Leipzig/Berlin 1949–1950, hier Teil 6, Leipzig/Berlin 1950. Nicht inbegriffen sind Häute und Fellen als Ausgangsprodukte für Leder. Siehe Georg Jungheinrich, Die Entwicklung des internationalen Handels mit Häuten und Fellen, Berlin 1932. Dennoch konnte es in der Praxis zu Überschneidungen von Rauchwaren- und Lederbranche kommen. 3 Steffen Held, Art. »Leipzig«, in: Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (nachfolgend EJGK). Im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig hg. von Dan Diner, 7 Bde., Stuttgart 2011–2017, hier Bd. 3, 2012, 491–496 hier 491. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 601–628.

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gelpunkt der Branche etablieren, um dann zwischen 1933 und 1945 einen rasanten Niedergang zu erleben. Für die heutige deutsche Rauchwarenbranche mit ihrem Schwerpunkt in Frankfurt am Main ist Leipzig von keinerlei Bedeutung mehr. Was bleibt, ist der Mythos der Pelzstadt. Dieser ist weiterhin im öffentlichen Geschichtsbewusstsein und der Erinnerungskultur Leipzigs präsent. Populäre stadthistorische Publikationen thematisieren ihn,4 Erinnerungsbände schwärmen vom geschäftigen Treiben der Pelzmagnaten5 und Bildbände feiern die Ästhetik des Pelzes.6 Seit 1998 erinnert eine bronzene Gedenkplatte an der Kreuzung von Brühl und Nikolaistraße, der sogenannten Pelzecke, an die Geschichte des Straßenzuges. Gestiftet zum 575. Jubiläum der Leipziger Kürschnerinnung, verkündet sie: »Der Brühl war jahrhundertelang Zentrum des internationalen Rauchwarenhandels, geprägt auch durch jüdische Händler.« Die Widmung ehrt den Brühl als uraltes Zentrum des Pelzhandels – mit einer nicht weiter bezifferten, jedoch bedeutenden jüdischen Komponente. Die Erinnerung an die Pelzstadt verbindet sich hier mit der Gedächtniskultur Deutschlands und erhält dadurch zusätzliches Gewicht. Dennoch bleibt der Text der Gedenktafel auffällig vage. Ein Blick auf die Forschungsliteratur lässt schnell erahnen, warum: Das in der Bevölkerung weit verbreitete Bild der Pelzstadt spiegelt sich auch in den wissenschaftlichen Publikationen. Aufbauend auf den stolzen Selbstzeugnissen der Branche aus den 1920er Jahren, gelangt die Forschung nur selten über Allgemeinplätze hinaus, die sich zu einer Art »Standard« verfestigt haben. Die Entwicklung dieser Meistererzählung aufzuzeigen, soll Aufgabe dieses Literaturberichts sein. Dabei wird nach einer kurzen Einführung zunächst auf einige Schlüsseltexte der bisher wenig erschlossenen Rauchwarenliteratur eingegangen, die einen Eindruck der Interessenlage und Selbstwahrnehmung der Branche vermitteln. Anschließend wird gezeigt, wie aus dieser Tradition die historiografischen Texte über die jüdischen Pelzhändler Leipzigs hervorgingen. Auf die Darstellung kontextualisierender Themen  – etwa der jü-

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Klaus Metscher/Walter Fellmann, Lipsia und Merkur. Leipzig und seine Messen, Leipzig 1990. 5 Bernd-Lutz Lange, Davidstern und Weihnachtsbaum. Erinnerungen von Überlebenden, Leipzig 1992; Simson Jakob Kreutner, Mein Leipzig. Gedenken an die Juden meiner Stadt, Leipzig 1992. 6 Mundus u. a. (Hgg.), Pelze aus Leipzig – Pelze vom Brühl.

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dischen Geschichte der Stadt7 oder der Messegeschichte  – wird hier aus Platzgründen ebenso verzichtet wie auf diejenige nicht publizierter wissenschaftlicher Werke und der unüberschaubaren Anzahl populärwissenschaftlicher Arbeiten.

Von kleinen Maklern und großen Firmen – ein historischer Abriss jüdischer Handelstätigkeit Die jüdische Siedlungsgeschichte Leipzigs begann bereits kurz nach der Verleihung des Stadtrechts 1165 mit dem Zuzug von Hallenser und Merseburger Juden,8 endete jedoch zunächst spätestens 1543 mit der Ausweisung aller Juden aus Sachsen durch Herzog Moritz. Dennoch kamen zahlreiche jüdische Händler weiterhin Jahr für Jahr zu den Leipziger Messen an Ostern, Michaelis (29.  September) und Neujahr. Ein bunter Tross von Kaufleuten samt Familie, Rabbinern, Köchen und Musikanten belebte das allgemeine

7 Zur jüdischen Geschichte Leipzigs siehe Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und Jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Manfred Unger (Hg.), Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, Leipzig 1994; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Leipzig. Aufstieg, Vernichtung und Neuanfang, Chemnitz/Leipzig 1993; o. A., Jüdisches Jahrbuch für Sachsen und Adressbuch der Gemeindebehörden, Organisationen und Vereine 1931/32. Ausgabe Leipzig, Berlin/Leipzig 1931 (Nachdruck mit einem Vorw. von Hardy Fraenkel, hg. von der Ephraim Carlebach Stiftung, Berlin 1994). Zum Judentum in Sachsen siehe Gunda Ulbricht/ Olaf Glöckner (Hgg.), Juden in Sachsen, Dresden/Leipzig 2013; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen – jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700– 1914, Hannover 2006. Zur Messegeschichte siehe Markus A. Denzel, »Sachsen und die Welt«. Die Rolle der Leipziger Messen 1763–1894, in: Michael Schäfer/Veronique Toepel (Hgg.), Sachsen und die Welt. Eine Exportregion im Vergleich, Leipzig 2014, 19–28; Hartmut Zwahr/Thomas Topfstedt/Günter Bentele (Hgg.), Leipzigs Messen 1497–1997. Gestaltwandel – Umbrüche – Neubeginn, Köln/Weimar/Wien 1997, 2 Teilbde.; Ernst Kroker, Handelsgeschichte der Stadt Leipzig. Die Entwicklung des Leipziger Handels und der Leipziger Messen von der Gründung der Stadt bis auf die Gegenwart, Leipzig 1925; Ernst Hasse, Geschichte der Leipziger Messen, Leipzig 1885. Zur jüdischen Messegeschichte siehe neben den oben Genannten Manfred Straube, Wirtschaftliche Frequenzen der Leipziger Großen Märkte/Messen. Statistische Zeugnisse aus den Leipziger Stadtrechnungen 1471/72 bis 1814/15, Leipzig 2015; Friedrich Klötzsch, Kursachsen und die Juden in der Zeit Brühls, Engelsdorf-Leipzig 1928; Max Freudenthal, Leipziger Messegäste. Die jüdischen Besucher der Leipziger Messen in den Jahren 1675–1764, Frankfurt a. M. 1928; Richard Markgraf, Zur Geschichte der Juden auf den Messen in Leipzig von 1664–1839. Ein Beitrag zur Geschichte Leipzigs, Bischofswerda 1894. 8 Zur Geschichte der ersten jüdischen Gemeinde Leipzigs siehe Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 1–3.

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wirtschaftliche Treiben, stellte aber auch eigene Ansprüche an die Stadt.9 Jüdische Geschichte in Leipzig war somit bis zur Neuansiedlung Ende des 18. Jahrhunderts vor allen Dingen eins: Handelsgeschichte. Hier lag entsprechend auch die Keimzelle der späteren Pelzmetropole. Zu Beginn des Aufstiegs der Pleißestadt zum internationalen Handelsplatz ab 1650 waren die Juden allerorten sowohl in ihrer Wirtschaftstätigkeit als auch in ihrem privaten Lebensumfeld einer Vielzahl von Repressalien ausgesetzt. Von Geleitbriefen, Leibzoll und einer erhöhten Umsatzsteuer (Akzise) konnten sich nur jene befreien, die gegen Zahlung großer Summen vom sächsischen Kurfürsten spezielle Freipässe (auch Kammerpässe oder Einkaufspässe genannt) erhielten.10 Die fiskalischen Interessen des Kurfürsten kollidierten dabei oft mit den wirtschaftlichen Interessen der Stadt Leipzig beziehungsweise ihrer Kaufmannschaft, und beide wiederum gerieten mit den geschäftlichen und privaten Bedürfnissen der Juden in Konflikt. Dennoch stieg die Zahl der jüdischen Messebesucher stetig: von insgesamt 500 im Jahre 1675 auf über 1 000 im Jahr 1700 und über 2 000 im Jahre 1800.11 Ab 1687 bezogen die jüdischen Messgäste vornehmlich auf dem Brühl, einer Straße im nördlichen Stadtzentrum, Quartier und Lager.12 Ihren Stammsitz hatten die Kaufleute meist in Brody, Lissa (poln. Leszno) und Šklov (weißruss. Škloŭ), von wo aus sie bedeutende Handelsnetzwerke in Osteuropa und Teilen Asiens unterhielten. Besonders das galizische Brody mit seiner westeuropäisch geprägten jüdischen Mehrheitsbevölkerung erfüllte eine wichtige Scharnierfunktion im Osteuropahandel und schon bald hing der Erfolg der Leipziger Messen geradezu von den Kaufleuten aus Brody ab.13 Einen besonderen Aufschwung erlebte Leipzig ab 1772, als der Preußenkönig Friedrich II. seinen eigenen Messen in Frankfurt an der Oder, Breslau und Groß-Glogau – allesamt bedeutende Pelzhandelsplätze – durch eine erhöhte  9 Wilhelm Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, in: Tradition. Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie 11 (1966), H. 6, 249–282, hier 249; ähnlich Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 4 f. und 46. 10 Eine streng quellenbasierte, wenn auch episodenhafte Darstellung der Reglements und einiger sich aus ihnen ergebender Streitigkeiten findet sich in Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 4–45. Zu den Freipässen siehe ebd., 7–9. Zum Leibzoll siehe ebd., 36 f. 11 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 250. 12 Siehe ebd., 251–253. 13 Ebd., 251 f.; Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 41 und 59 f. Zu Brody siehe Börries Kuzmany, Brody. Eine galizische Grenzstadt im langen 19. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 2011; Hans Horch, Art. »Brody«, in: EJGK, Bd. 1, Stuttgart 2011, 431–435. Zur Bedeutung Brodys für die Leipziger Messe und Rauchwarenwirtschaft siehe Wilhelm Harmelin, Brody, die alte Pelzstadt in Galizien, in: Das Pelzgewerbe. Schriften für Pelz- und Säugetierkunde XVII (1966), H. 4, 179–183; Mark Wischnitzer, Die Stellung der Brodyer Juden im internationalen Handel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Ismar Elbogen/Josef Meisl/Mark Wischnitzer (Hgg.), Festschrift zu Simon Dubnows siebzigstem Geburtstag (2. Tischri 5691), Berlin 1930, 113–123.

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Akzise das Geschäft erschwerte, wohingegen Sachsen die jüdischen Kaufleute durch die bereitwillige Erteilung von Freipässen an die Pleiße zog.14 In dieser Phase war der Pelzhandel noch nicht vom allgemeinen Messehandel zu trennen. Die strengen Behörden von Stadt und Staat überwachten zwar das bunte Messetreiben und legten für fiskalische Zwecke Verzeichnisse der jüdischen Messebesucher an.15 Jedoch lassen diese Quellen keine Aussagen über die verschiedenen Handelszweige der jüdischen Kaufleute zu.16 Betrachtet man aber die Stellung Leipzigs im internationalen Pelzhandel jener Zeit, erscheint diese Unschärfe nicht allzu tragisch. Zwar begann der Aufstieg der Leipziger Messe bereits kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, die Schwerpunkte des Pelzhandels lagen jedoch noch bis Mitte des 18. Jahrhunderts eher in Lübeck und Hamburg für die skandinavischen und sibirischen Märkte sowie in Groß-Glogau und Breslau für den osteuropäischen Raum.17 So gab es denn 1784 lediglich neun Rauchwaren- und Lederhändler in Leipzig, von denen nach Ende der Napoleonischen Kriege nur noch zwei existierten.18 Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts begann Leipzigs Aufstieg zur Pelzmetropole und verschränkte sich dabei aufs Engste mit der Judenemanzipation in Sachsen. In dieser Zeit wurden die jüdischen Kaufleute für die Leipziger Messe immer bedeutender. Fast der gesamte Messehandel nach Nord- und Südost-Europa wurde durch sie organisiert. Seit Gerd Levi,19 seines Zeichens Münzjude Augusts des Starken, sich 1710 das Recht auf einen dauerhaften Aufenthalt in Leipzig gesichert hatte, gelang es mehreren jüdischen Familien, dieses Ausnahmeprivileg zu erlangen. Von der christlichen Kaufmannschaft wurde dies nicht mit Wohlwollen gesehen.20 Nach den Verwüstungen 14 Siehe Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 57. 15 Siehe Straube, Wirtschaftliche Frequenzen der Leipziger Großen Märkte/Messen; Freudenthal, Leipziger Messegäste; Markgraf, Zur Geschichte der Juden auf den Messen in Leipzig von 1664–1839. 16 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 251. 17 Heinrich Lomer, Der Rauchwaaren-Handel. Geschichte, Betriebsweise nebst Waarenkunde, Leipzig 1864, 12. Brass hingegen argumentiert für eine Verlagerung des internationalen Handels nach Frankreich und England bereits während des Dreißigjährigen Krieges. Die oben genannten Städte hätten nach 1648 die zentrale Position im Pelzhandel, die sie vor dem Krieg innehatten, nicht wiedererlangen können. In dieses merkantile Vakuum sei dann 100 Jahre später, als sich die Handelsströme erneut verlagerten, Leipzig eingetreten. Siehe Emil Brass, Aus dem Reiche der Pelze, 2., verb. Auflage, Berlin 1925, 278 (2 Bde. in einem Bd., 1. Aufl. 1911, hier Bd. 1). 18 Siehe Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 253 f. 19 Zu Gerd Levi und anderen Münzjuden siehe Josef Reinhold, Jüdischer Messebesuch und Wiederansiedlung von Juden in Leipzig im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Unger (Hg.), Judaica Lipsiensia, 12–27, hier 12–16; Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 20–29. 20 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 253.

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der Napoleonischen Kriege strebte der Leipziger Rat eine Belebung des örtlichen Handels an. Zwischen 1813 und 1818 richtete er daher ein städtisches Maklerwesen ein. Mehrere Kaufleute wurden zu munizipalen Beamten bestallt, die entweder ganzjährig als ordentliche Makler oder nur zu den Messezeiten als Messmakler Geschäfte zwischen Leipziger Kaufleuten und auswärtigen Häusern vermitteln sollten. Dabei wurde das Messmakleramt auch für Juden geöffnet und so standen 1818 den 34 (christlichen) ordentlichen Maklern 35 Messmakler gegenüber, darunter 28 Juden. Da das Messmakleramt mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung in der Stadt verbunden war, setzte sich die Tendenz zur Ansiedlung jüdischer Kaufleute weiter fort.21 Die offizielle Beschränkung der jüdischen Handelstätigkeit außerhalb der Messen auf Klein- und Hausierhandel wurde 1835 aufgehoben. 1838 gewährte man den Juden das unbeschränkte Wohnrecht in Leipzig und Dresden (1868 auf ganz Sachsen ausgedehnt). Jüdische Kaufleute konnten nun – nach Erwerb des Ortsbürgerrechts  – eigenständige Groß- und Einzelhandelsbetriebe aufbauen. Hatten die meisten Firmen ihren Sitz bisher notgedrungen in Brody und anderen osteuropäischen Städten gehabt, so konnten sie diesen nun nach Leipzig verlegen und somit direkt am Ort ihrer Hauptgeschäftstätigkeit sein. Das städtische Maklerwesen geriet ab Mitte des Jahrhunderts allmählich aus der Mode und wurde durch private Geschäftsvermittlungen ersetzt. 1849 erfolgte die formelle staatsbürgerliche Gleichstellung der sächsischen Juden und 1861 fielen mit der Einführung der Gewerbefreiheit auch noch die letzten wirtschaftsrechtlichen Diskriminierungen.22 Von Beginn des 19. Jahrhunderts an bestimmten jüdische Pelzhandelsfirmen die Entwicklung der Branche am Leipziger Handelsplatz entscheidend mit. Die erste von ihnen, die zu besonderer Bedeutung gelangte, war »J. B. Oppenheimer & Comp.« (gegr. 1834), die jedoch bereits um 1869 wieder liquidiert wurde. Einige wenige Firmen, wie »Marcus Harmelin« (gegr. 1830), bestanden hingegen bis in die NS-Zeit fort. Sie siedelten sich am altbekannten Platz um den Brühl und seine Nebenstraßen (vor allem Nikolai- und Ritterstraße) an und wurden durch deutsche und griechische Rauchwarenfirmen ergänzt. Auswärtige Häuser gründeten Filialen in Leipzig, Kommissionäre vertraten die Nicht-Leipziger in der Stadt und beerbten in gewisser Weise die Makler. Sie erweiterten den Wirkungskreis der Händler beträchtlich und verflochten die Stadt mehr und mehr mit den internationalen Warenströmen. Somit stieg Leipzig zum Hauptumschlagplatz für Pelze aus Osteuropa auf.23

21 Ebd., 254–256; Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 46–48. 22 Siehe Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 256–259; Diamant, Chronik der Juden in Leipzig, 34 f.; Walter Fellmann, Der Leipziger Brühl. Geschichte und Geschichten des Rauchwarenhandels, illustriert von Lutz-Erich Müller, Leipzig 1989, 65. 23 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 258.

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Jedoch blieb in jener Zeit das Pelzgeschäft immer noch ein Messegeschäft, dessen Blüte in den 1860er und 1870er Jahren lag.24 Außerhalb der Messezeiten ruhte die Branche weitestgehend. Bald begann sich dies im Zeichen wachsender Warenströme und einer steigenden Zahl ortsansässiger Firmen aber zu ändern und die Geschäftstätigkeit dauerte bald das ganze Jahr hindurch an. Die Reichsgründung 1871 schuf neue Geschäftsmöglichkeiten und die Prosperität der Wirtschaft zog weitere Handelspartner aus der ganzen Welt an. Erste böhmische, elsässische und einzelne amerikanische Firmen tauchten in Leipzig auf und banden die Stadt an den Amerikahandel an. Der daraus resultierende Ost-West-Handel zwischen Russland und Kanada beziehungsweise den Vereinigten Staaten erlangte besondere Bedeutung: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde fast die gesamte russische Pelzproduktion über Leipzig abgesetzt und fast der gesamte russische Import an amerikanischen Pelzen über Leipzig eingekauft.25 Diese Entwicklung fand selbstverständlich auch vor dem Hintergrund der Industrialisierung statt. Bereits in den 1840er Jahren begann sich das Sortieren, Färben und Manipulieren von Pelzen aus dem Kürschnerhandwerk auszugliedern und zum selbstständigen Gewerbezweig zu entwickeln.26 Eine solche Veredelungsindustrie siedelte sich jedoch erst ab den 1870er Jahren in und um Leipzig an und arbeitete eng mit dem Handel, ihrem Hauptauftraggeber, zusammen. Das mannigfaltige Warenangebot, die hohe Qualität der Sortierung, die kunstvolle Manipulation und nicht zuletzt das aus diesen Vorzügen hervorgegangene Prestige waren laut Walter Fellmann die vier Trümpfe Leipzigs.27 Innovationsfreude sowie eine enge Zusammenarbeit der einzelnen Firmen untereinander prägten den Geschäftsstil. Jüdische Unternehmer stiegen jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts und in geringer Zahl in das Veredlungsgeschäft ein. Die israelitische Gemeinde wuchs dennoch von 162 Seelen im Jahre 1837 auf 6 171 im Jahre 1900.28 Ihr prozentualer Anteil an der Leipziger Gesamtbevölkerung blieb jedoch unter 1,5 Prozent.29 24 Brass, Aus dem Reiche der Pelze, 279 (Bd. 1). 25 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 260–262. 26 Sortieren meint hier die Zusammenstellung farblich und qualitativ passender Pelze zu einer festen Partie (»Los« genannt), die dann zur Endfertigung eines Pelzproduktes an die Kürschner oder die Konfektionsindustrie verkauft wurde. Färben und Manipulieren bedeutet die chemische oder physikalische Veränderung des Pelzes zur Imitation höherwertiger Pelzsorten oder der Erzeugung nicht natürlicher Farbschattierungen und Muster. 27 Fellmann, Der Leipziger Brühl, 8. 28 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 260 und 262. 29 Kurt Weiland, Die Juden und der Leipziger Rauchwarenhandel, in: Der Rauchwarenmarkt, o. D. [1929–1933], zit. in Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, Bestand Nr. 21098: Hermelin-Verlag Dr. Paul Schöps, Nr. 0457; Philipp Manes, Die deutsche Pelzindustrie und ihre Verbände 1900–1940. Versuch einer Geschichte, Bd. 4, Berlin 1941 (Typoskript), 267–281, hier 273.

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Der Aufstieg Leipzigs zur Pelzmetropole im langen 19. Jahrhundert war signifikant: Waren 1815 gerade einmal zwei Firmen in der Stadt ansässig, so stieg die Zahl bis 1875 auf 77 und bis 1914 auf 388 Unternehmen an. In diese Prosperität brach 1914 die »Urkatastrophe« des 20.  Jahrhunderts ein, der Erste Weltkrieg. Er brachte die Geschäfte zeitweise zum völligen Erliegen.30 Nach dem Versailler Vertrag von 1919 hatte sich die Lage der deutschen Rauchwarenwirtschaft im Vergleich zur Vorkriegszeit grundlegend verändert. Die Oktoberrevolution hatte den totalen Wegbruch der altbewährten privaten Lieferanten für Pelze aus Russland und die Etablierung eines staatlichen Handelsmonopols gezeitigt. Von den ausländischen Märkten war Leipzig verdrängt und nur langsam und mit großem Misstrauen wieder aufgenommen worden. Dennoch gelang es nach und nach, die alten Verbindungen zu reaktivieren und neue zu knüpfen. Die Monopolstellung im Russland-Amerika-Handel konnte Leipzig jedoch nicht wiedererlangen.31 Im Nachgang des Krieges und der Umwälzungen im östlichen Europa setzte eine neue jüdische Immigrationsbewegung nach Leipzig ein. Die Anzahl der Pelzhandelsunternehmen stieg beträchtlich, ebenso die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde (laut israelitischer Gemeindeverwaltung auf 14 135 im September 1928, was 2,04 Prozent der Gesamtbevölkerung Leipzigs entsprach).32 Eine bereitwillige Kreditvergabe verhalf auch jungen Unternehmen schnell zum Aufstieg. Die Firmen gründeten nun ihrerseits Filialen und Tochterfirmen im Ausland und flochten die Stadt erneut in das Gewebe des internationalen Handels ein. So erlebte die Leipziger Rauchwarenwirtschaft gemeinsam mit der gesamten Stadt in der Weimarer Republik eine erneute Blüte, deren Höhepunkt sicherlich die Internationale Pelzfachausstellung (IPA) und der angeschlossene Weltpelzkongress von 1930 waren, in deren Gremien auch jüdische Pelzhändler wirkten.33 Allerdings war dieser Glanz Leipzigs, wie Wilhelm Harmelin es formulierte, ein »Zwielicht«.34 Die Inflation hatte die Branche noch verhältnismäßig gut verkraftet, vor allem dank der gegenseitigen Unterstützung.35 Bald nach dem Jahre 1930 zeigten sich aber immer deutlicher die Nachwirkungen der Weltwirtschaftskrise. Banken gewährten keine Kredite mehr, Marktveränderungen führten zu enormen Verlusten. Einige Firmen mussten den Leipziger Handelsplatz verlassen oder gar Konkurs anmelden. Die Auswirkungen der Großen Depression machten sich allerdings nur kurz bemerkbar und wurden 30 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 263–265. Siehe Brass, Aus dem Reiche der Pelze, 281–283 (Bd. 1). 31 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 265. 32 Weiland, Die Juden und der Leipziger Rauchwarenhandel, 273. 33 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 268. 34 Ebd., 271. 35 Brass, Aus dem Reiche der Pelze, 284 f. (Bd. 1).

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von der Vernichtung der Rauchwarenwirtschaft durch die Nationalsozialisten ab 1933 überschattet. Judenverfolgung, Abschnürung von den Weltmärkten und Devisenmangel bedeuteten das Aus für die Pelzmetropole Leipzig. Einigen jüdischen Rauchwarenhändlern gelang die Flucht und sie konnten ihre ausländischen Firmenzweige weiterführen beziehungsweise neue Firmen gründen. Andere scheiterten dabei, ihre Familie und ihr Kapital ins Ausland zu bringen, und fielen der Schoah zum Opfer. Ihre Firmen wurden meist liquidiert, seltener von deutschen Geschäftsleuten übernommen.36 Nach dem Krieg wurden die leisen Hoffnungen auf Wiederaufbau durch die Verstaatlichungspolitik der DDR bereits im Keim erstickt. Viele Rauchwarenhändler wanderten nach Frankfurt am Main ab. Das planwirtschaftliche Pelzzentrum, das die DDR in Leipzig aufbaute, hatte nur noch entfernt mit der privatwirtschaftlich organisierten Pelzmetropole der Vorkriegszeit zu tun. Die Folgen dieser Umstrukturierung sind bisher kaum untersucht. Daher lässt sich nicht genau sagen, was den endgültigen Zusammenbruch der Leipziger Rauchwarenwirtschaft nach der Wiedervereinigung auslöste. Die politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen in den zuvor belieferten Ostblockstaaten und der allgemeine Niedergang der westlichen Pelzmärkte durch eine pelzkritische Öffentlichkeit könnten ebenso eine Rolle gespielt haben wie Kapitalmangel und ineffektive Betriebsstrukturen. Die Hoffnungen auf einen Wiederaufbau der Pelzstadt wurden jedenfalls erneut enttäuscht. So endete spätestens in den 1990er Jahren ein Mythos, der trotz seines Niedergangs bis heute Identität für Leipzig stiftet.

Der Ursprung der Rauchwarenliteratur Die großen Klassiker Das große Korpus der Rauchwarenliteratur besteht hauptsächlich aus Handund Lehrbüchern, hoch spezialisierten Aufsätzen und Zeitungsartikeln, welche die Vielfalt der Geschäftszweige widerspiegeln und sich vor allem an Berufspraktiker richten. Daneben sind die für diesen Literaturbericht bedeutsamen historiografischen Abhandlungen nicht sehr zahlreich. Zwei Monumentalwerke, die beide versuchen, die Gesamtheit der Pelzwirtschaft zwischen zwei Buchdeckeln zusammenzufassen, bilden den Grundstock dieser Literatur. Zunächst erschien 1864 Der Rauchwaaren-Handel. Geschichte, Betriebsweise nebst Waarenkunde von Heinrich Lomer, der erstmals kein Lehrbuch 36 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 271–273.

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verfasste, sondern die Branche gleichsam von einer höheren Warte aus beschrieb. Lomer war ab 1835 einer der erfolgreichsten Pelzhändler Leipzigs. In einer aufwendigen Prunkausgabe wird mit großem Stolz ein bedeutender Wirtschaftszweig in all seinen Facetten dargestellt, von der Warenkunde bis hin zum Charakter des Pelzhändlers. Der Autor bietet ein Bild des Handels im Prozess der Differenzierung: Kleine und große Kürschner handeln neben den Pelzhändlern mannigfaltige Waren in verschiedenem Umfang, ohne dass sich bereits eine klare Arbeitsteilung ergeben hätte. Einzelne Pelzstädte bilden langsam ihre Funktion als Zwischenhändler, Modemacher oder Versorger des Umlands aus. Leipzig wird durch seine Pelzmessen (bei deren Darstellung Lomer wohl etwas übertreibt37) immer stärker in den internationalen Handel integriert und wandelt sich zunehmend zum Gravitationszentrum der Branche. Lomers Erkenntnisse fußen dabei in Ermangelung von Literatur auf eigenen Erfahrungen und Erinnerungen.38 Im Stil des Buches spiegelt sich auch deutlich der Zeitgeist, jene romantisierende Ehrfurcht eines Kaufmanns vor seinem Berufsstand, seiner Familie und vor Gott, die stark an Passagen aus Thomas Manns Hauptwerk Buddenbrooks (1901) erinnert. Auffällig ist zudem Lomers Befürwortung des Handels als Triebfeder einer ganzheitlichen zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit. Damit verpflichtet er sich implizit einem spätaufklärerischen Verbesserungsideal, in das die Wirtschaft eingebettet ist. Dies erklärt die vielseitige Darstellung des Rauchwarengeschäfts, auch seiner nicht ökonomischen Teile. Genau genommen handelt es sich bei Lomers Rauchwaaren-Handel um eine Momentaufnahme des deutschen Pelzhandels um 1860 und nicht um ein historiografisches Werk. In der Rezeption wurde es jedoch zunehmend wie eine Chronik behandelt, die die Geschichte der Branche erstmals gedruckt greifbar macht. Seine Schilderungen zum praktischen Handel sind dabei zwar oft recht knapp, können der heutigen Forschung aber dennoch Impulse geben, zumal der Pelzhandel der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch relativ wenig erschlossen ist.

37 Lomer spricht davon, dass zur Ostermesse alle (!) in Deutschland und den umliegenden Ländern im Winter angefallenen Felle nach Leipzig gebracht werden, zuzüglich der russischen Exportware und der nahezu kompletten Ware aus Nordamerika. Es entsteht der Eindruck, als sei Leipzig der weltweit einzige große Pelzhandelsplatz. Siehe ders., Der Rauchwaaren-Handel, 41 f. 38 Ebd., V.

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Das zweite große Standardwerk ist Emil Brass’ Aus dem Reiche der Pelze.39 Jahrzehntelange Recherchen in Paris, Berlin, London, Montreal und Schanghai bilden zusammen mit eigenen beruflichen Erfahrungen und privaten Kontakten zu den Handelshäusern die Grundlage des zweibändigen Werks. Der erste Band enthält die Geschichte des Rauchwarenhandels seit dem Altertum. Der zweite, zoologische Band beinhaltet die Naturgeschichte der Pelztiere. So wie Lomer einen Einblick in den sich differenzierenden deutschen Rauchwarenhandel um die Mitte des 19. Jahrhunderts bietet, gibt Brass eine Momentaufnahme des reiferen und arbeitsteiligen Handelsgeschäfts der 1910er und 1920er Jahre. Sein Augenmerk richtet sich neben dem Pelzhandel auch auf die Veredelungsindustrie und die Kürschnerei beziehungsweise die Konfektionsindustrie. Den historischen Schwerpunkt des Buches bilden allerdings die Eroberung, Kontrolle und ökonomische Nutzbarmachung der Lebensräume der Pelztiere in Nordamerika und Russland vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Brass gilt mit diesem Opus magnum bis heute als Koryphäe sowohl auf dem Gebiet der Rauchwarenhistoriografie als auch der Pelztierkunde. Seine Ausführungen finden sich – positiv oder kritisch rezipiert – in fast jeder nach ihm erscheinenden Publikation wieder und sind in ihrer Detailliertheit bis heute unübertroffen.40 Die beiden Schriften von Emil Brass und Heinrich Lomer legten den Grundstein der Rauchwarenhistoriografie und gelten bis heute als die umfassendsten Werke ihrer Art. Mit Lomer beginnt die Rauchwarenwirtschaft sich in zunehmendem Maße für sich selbst zu interessieren, wofür Brass mit seiner Aufarbeitung der Rauchwarengeschichte den wichtigsten historiografischen Referenzpunkt stiftet. Dank dieser Autoren verbreiteten sich geschichtliche Darstellungen erstmals über die mündliche und handschriftliche Überlieferung der Innungen und Firmen hinaus und begründeten so einen Diskurs der historisch fundierten Selbstverortung. Beide Autoren legen jedoch wenig Wert auf Quellennachweise und pflegen bisweilen eine unorthodoxe Darstellung des historischen Kontextes.

39 Emil Brass, Aus dem Reiche der Pelze, 2 Bde, Berlin 1911. Hier wird die zweite, verbesserte Auflage (Berlin 1925) verwendet. Brass publizierte außerdem sowohl seine Vorarbeiten als auch spätere Exzerpte des Buches in einer Vielzahl von Aufsätzen in verschiedenen Zeitschriften, z. B. ders., Die wirtschaftliche Bedeutung des Pelzhandels, in: Weltwirtschaftliches Archiv 4 (1914), 215–223; ders., Aus der Geschichte des deutschen Rauchwarenhandels, in: Präsidium der Internationalen Pelzfachausstellung und der Internationalen Jagdausstellung (Hg.), Amtlicher Katalog. IPA, Leipzig 1930, 238–252, die jedoch lediglich bestimmte Inhalte des Buches vorwegnehmen bzw. zusammenfassen und deshalb hier nicht einzeln behandelt werden. 40 Siehe Fellmann, Der Leipziger Brühl, 66.

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Diskurs und Selbstdarstellung Dieser Diskurs der Identitätsstiftung wird innerhalb mehrerer Literaturgattungen geführt, die hier nur exemplarisch vorgestellt werden können. Zunächst sind dies die Dissertationsschriften zum Thema Rauchwarenwirtschaft, meist Struktur- und Funktionsanalysen des Leipziger Handelsplatzes mit hohem Aktualitätsbezug. Sie tauchen am Ende des 19. Jahrhunderts auf, gelangen in der Zwischenkriegszeit zu ihrer Blüte und enden 1971 im Zeichen des Niedergangs der Pelzbranche.41 Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg bezweckten diese Arbeiten eine umfassende Analyse der aktuellen, oft als krisenhaft empfundenen Situation der Branche, stets verbunden mit praktischen Vorschlägen zur Sicherung der Zukunft des Leipziger Standortes. Die Historie fungierte dabei als wichtigster Referenzpunkt, als selbstvergewissernde Rückschau, die die Zukunft meistern half. Die Autoren stammten allesamt aus der Pelzbranche und begriffen ihre akademischen Werke als Resultat ihres praktischen Wirkens. Sie gaben der Arbeit im Handelsgeschäft den Vorzug und legten wenig Wert auf die Zugehörigkeit zum Kreis der Akademiker, weshalb sie meist keine weiteren Werke publizierten.42 Das erste Schlüsselwerk dieser Entwicklung war Karl Buddëus’ 1891 veröffentlichte Dissertation Leipzigs Rauchwarenhandel und -industrie. Beginnend mit den geografischen und rechtlichen Standortbedingungen, geht der Historiker und Volkswirt Buddëus zu einer detaillierten Analyse des Handelsgeschäfts in Leipzig sowie zu den Messen über, um mit der Betrachtung der ortsansässigen Rauchwarenindustrie abzuschließen. Diese historisch ausgerichtete Standortanalyse bildet die Grundlage für alle nachfolgenden Promotionsschriften.43 1902 folgte der Volkswirt Fritz Pabst mit seiner Doktorarbeit Der Rauchwarenhandel.44 Pabst verengt seine Analyse auf die aktuelle Situation des Rauchwarenhandels ohne große historische Bezüge. Von den Produktionsumständen der Pelze ausgehend, erläutert er die Ansprüche und Eigenheiten des globalen Pelzhandels mit Leipzig als Knotenpunkt. Mit Pabsts Funktions- und Strukturanalyse beginnt die dezidierte Ökonomisie-

41 Die populären Monografien und Aufsätze werden hier bewusst ausgelassen. Sie tragen zwar sicherlich zur Selbstvergewisserung der Branche bei, da sie die Kardinalpunkte von deren Entwicklung und ihre zeitgenössische Bedeutung ständig wiederholen, hervorheben und öffentlich verbreiten. Andererseits sind sie in der Mehrheit thematisch ausgerichtete Exzerpte aus Brass und anderen maßgebenden Autoren und dazu gedacht, das Laienpublikum überblickshaft zu informieren oder Branchenkennern ihren Berufszweig nochmals identitätsstiftend vor Augen zu führen. 42 Einige Autoren verfassten später noch einzelne Artikel in den verschiedenen Branchenzeitschriften, die jedoch bisher kaum erschlossen sind. 43 Karl Buddeus, Leipzigs Rauchwarenhandel und -industrie, Leipzig 1891. 44 Fritz Pabst, Der Rauchwarenhandel, Berlin 1902.

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rung des Themas Rauchwarenhandel. Ganzheitliche Betrachtungsweisen, wie sie noch Heinrich Lomer pflegte, verschwinden zugunsten einer betriebs- oder volkswirtschaftlichen Sicht auf die Branche. Der Erste Weltkrieg zeitigte diverse Veränderungen auf den Rauchwarenmärkten und Leipzig musste sich auf dem internationalen Parkett neu etablieren. Den »Brühlianern« wurde die Anfälligkeit ihres Handelsplatzes nun schmerzlich bewusst und so waren Krisenanalysen und zukunftsorientierte Lösungsvorschläge ein gefragtes geistiges Gut. An Pabst anknüpfend, setzte hier der Königsberger Kaufmannssohn Max Malbin mit seiner Dissertation Der internationale Rauchwarenhandel vor und nach dem Weltkriege unter besonderer Berücksichtigung Leipzigs (1927) wichtige Akzente.45 Er wählte einen historisch-vergleichenden Ansatz, um sich über die neue Situation in Russland umfänglich klar zu werden. Nachfolgende Autoren griffen diese Methode auf und bauten sie weiter aus. Die Gegenüberstellung der Vor- und Nachkriegssituation machte dabei die problematischen Marktveränderungen besonders deutlich. Die Große Depression verstärkte diesen Trend der Krisenanalysen ab 1929 nochmals. 1938 ergründete Karl-Heinz Ehler ebendiesen Abschwung in seiner Doktorarbeit Der Leipziger Rauchwarengroßhandel im letzten Jahrzehnt.46 Er begreift die aktuelle Situation als großen Transformationsprozess des vormals auf Freihandel basierenden globalen Zwischenhandelssystems hin zu einem Direkthandelssystem von einzelnen, auf größtmögliche Autarkie bedachten Nationalwirtschaften. Angesichts dieser Parzellierung des globalen Wirtschaftsraums habe Leipzig als globaler Umschlagsort einen herben Rückgang des Pelzhandels zu erleiden, der jedoch einen nötigen Anpassungsprozess des Handelsplatzes darstelle. In diesem Lichte sieht er auch die Autarkiepolitik NS-Deutschlands als durchaus ökonomisch rational an.47 Ehler spiegelt so den ökonomischen Zeitgeist des NS-Staates wider. Der Zweite Weltkrieg brachte die Zerstörung Leipzigs als Zentrum des privatwirtschaftlichen Rauchwarenhandels mit sich. In den ersten Jahren 45 Max Malbin, Der internationale Rauchwarenhandel vor und nach dem Weltkriege unter besonderer Berücksichtigung Leipzigs, Oschatz 1927. 46 Karl-Heinz Ehler, Der Leipziger Rauchwarengroßhandel im letzten Jahrzehnt, Leipzig 1938. 47 Auffällig ist, dass für den Autor die Machergreifung Hitlers 1933 kein besonderes Ereignis zu sein scheint. Die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben wird zwar erwähnt, jedoch stark verharmlost und nicht als essenzieller Bestandteil des Rückgangs der Rauchwarenbranche thematisiert. Siehe ebd., 148 f. Ehler erwähnt lediglich, dass die Abwanderung der jüdischen Firmen als »nützlicher Reinigungsprozess aufgefasst werden [kann], da sich gleichzeitig […] eine Zurückdrängung der spekulativen Basis des Rauchwarenhandels sowie des ausschließlich privatwirtschaftlich orientierten, teilweise skrupellosen Geschäftsgebarens vollzog«. (ebd., 148) Dabei bezieht sich der Autor häufig auf das bereits nationalsozialistisch orientierte Hauptjournal der Branche, den Rauchwarenmarkt.

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nach dem Krieg ruhte die Publikationstätigkeit der Branche und setzte erst wieder in den Fünfzigerjahren ein. Die Anzahl der Dissertationen nahm zwar im Vergleich zu den 1930er Jahren stark ab, Umfang und Gründlichkeit hingegen nahmen in Ost- wie Westdeutschland zu. Den Schlusspunkt in der Tradition der Strukturanalysen und gleichsam die gründlichste und umfangreichste Studie zum Thema Rauchwarenhandel lieferte 1971 Gerhard Dieter Wieland mit seiner Promotionsschrift Organisation des Rauchwarenmarkts.48 Der in Westdeutschland lebende Wieland strebte wie Malbin einen historischen Vergleich des bereits angeschlagenen privatwirtschaftlichen Rauchwarenmarkts der späten Sechzigerjahre mit seinen Vorgängern an. Aufgrund von Veränderungen sowohl auf der Angebots- (Rückgang der wilden Pelztiere) als auch auf der Nachfrageseite (Abwendung der Mode vom Pelz) prognostiziert Wieland den Niedergang des Rauchwarenhandels in seiner zeitgenössischen Form. Mit dem tatsächlichen Niedergang der Branche endeten auch die akademischen Publikationen. Die Dissertationen, die Pabst und seine Epigonen der Nachwelt hinterließen, antworteten stets auf ein aktuelles Bedürfnis der Branche, obgleich oft zwischen dem bearbeiteten Zeitraum und dem Abschluss der Arbeit einige Zeit lag. Aus dem stolzen Interesse an sich selbst entwickelte sich nach 1918 eine planende Vorausschau für die Zukunft, die zunehmend wirtschaftswissenschaftliche Züge annahm, sich aber weiterhin historischer Rückblicke bediente. Dabei blieb die Anzahl der Dissertationen erstaunlich überschaubar. Auffällig ist, wie stark sich die Autoren in ihrer Forschung auf Zeitschriften stützten. Die hochgradige Volatilität des Rauchwarengeschäftes brachte es mit sich, dass eine große Menge an Marktinformationen zeitnah und zuverlässig an möglichst viele Personen gelangen musste. Das Hauptmedium der Branchenkommunikation waren daher nicht die in langjähriger Forschung erstellten akademischen Schriften, sondern tagesaktuelle Journale. Hier fand der eigentliche Diskurs der Rauchwarenbranche über aktuelle Entwicklungen und das eigene Selbstverständnis statt. Die zumeist in den Pelzstädten Leipzig und Berlin verlegten Zeitschriften deckten eine große Bandbreite an Themen und Textgattungen ab. Viele spezialisierten sich auf einzelne Berufsgruppen oder Branchenteile und publizierten zunehmend wissenschaftliche Texte. Einige blieben jedoch bewusst breit aufgestellt und boten auch unterhaltsam-humoristischen Inhalt. Anzahl und Bandbreite schwankten mit den Hochs und Tiefs des Geschäfts. Das für die Zeitgenossen wichtigste Organ der Leipziger Rauchwarenbranche war die von 1913 bis 1944 bis zu dreimal wöchentlich erscheinende Zeitschrift

48 Gerhard Wieland, Organisation des Rauchwarenmarkts, Berlin/Frankfurt a. M. 1972.

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Der Rauchwarenmarkt. Ihre Artikel gingen auf tagesaktuelle Marktentwicklungen im In- und Ausland sowie juristische Fragen und Usancen des Geschäftslebens ein und wurden durch einige historiografische Folgereihen, humoristische Aufsätze und Sonderdrucke ergänzt. Das Journal scheint vornehmlich dem Informations- und Meinungsaustausch unter den Brühlianern gedient zu haben. Die Texte geben eine Vielzahl von mehr oder minder subjektiven zeitgenössischen Stimmen wieder, die das tagesaktuelle Geschehen kommentierten und damit den Branchendiskurs entscheidend mitprägten. Anders die Zeitschrift Das Pelzgewerbe (1950–1974), die ausschließlich Fachartikel veröffentlichte. In ihr finden sich kleinere, aber detailreiche historiografische Arbeiten wie etwa Friedrich Lübstorffs Deutschlands Außenhandel in Rauchwaren und Pelzwaren mit der Sowjet-Union vor dem Kriege (1955), Erich Rosenbaums Die Pelzstraßen nach Leipzig (1959) und Wilhelm Harmelins Brody. Die alte Pelzstadt in Galizien (1966)49 sowie Paul Schöps’ ganze Aufsatzreihe über die Leipziger Pelzauktionen (1961/62).50 In den Zeitschriften der jungen Bundesrepublik tauchen ab den 1960er Jahren die ersten Erinnerungsberichte über die goldenen Zeiten des Leipziger Brühl auf. So etwa Friedrich Jäkels Fortsetzungsreihe Der Brühl von 1900 bis zum 2. Weltkrieg (1965/66).51 Leider sind diese Zeugnisse der Pelzbranche bisher nur wenig erschlossen, weshalb kein abschließendes Urteil über ihre Bedeutung gefällt werden kann. Es wird jedoch deutlich, dass die Zeitschriften als größte Quelle für Marktinformationen eine Pflichtlektüre waren, die den Mitgliedern der Rauchwarenwirtschaft als Kommunikationsraum diente. Als Forum des täglichen Meinungsaustausches prägten sie den Prozess der Identitätsstiftung wesentlich. Neben Monografien, Dissertationen und Zeitschriften gab es unzählige Kataloge, Werbebroschüren und Sonderdrucke einzelner Firmen oder Korporationen, die ebenfalls zum Diskurs der Rauchwarenbranche beitrugen. Von 49 Harmelin, Brody, die alte Pelzstadt in Galizien. 50 Friedrich Lübstorff, Deutschlands Außenhandel in Rauchwaren und Pelzwaren mit der Sowjet-Union vor dem Kriege, in: Das Pelzgewerbe VI (1955), H. 4, 17–20 (eine kleine Übersicht über Lübstorffs Werke findet sich im Literaturverzeichnis von Fellmann, Der Leipziger Brühl, 218.); Erich Rosenbaum, Die Pelzstraßen nach Leipzig, in: Das Pelzgewerbe X (1959), H. 6, 243–251; Paul Schöps, Die Rauchwaren-Auktionen, in: Das Pelzgewerbe XII (1961), H. 4, 159–168, H. 5, 208–212 sowie H. 6, 264–268; ders., Leipziger Auktionen. Lomer, Dodel & Co., in: Das Pelzgewerbe XIII (1962), H. 1, 12–14; ders., Leipziger Auktionen. Preisbericht Joseph Finkelstein &  Co., in: Das Pelzgewerbe XIII (1962), H. 3, 112–116. 51 Friedrich Jäkel, Der Brühl von 1900 bis zum 2. Weltkrieg, in: Rund um den Pelz (1965), H. 11, 72–75 und H. 12, 64–66; ibid., (1966), H. 3, 200–208, H. 6, 53–55, H. 8, 80–85 und H. 11, 76–79.

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ganz besonderem Wert für die Historiografie sind dabei Festschriften einzelner Handelshäuser zu diversen Jubiläen. Leider sind nur wenige dieser Schriften überliefert, weshalb hier nur zwei Firmen exemplarisch vorgestellt werden können. Eine ganze Reihe von Jubiläumsschriften veröffentlichte die prestigeträchtige Firma Theodor Thorer von 1912 bis 1988. Den Auftakt bildete das prunkvolle Werk 300 Jahre Familie Thorer. 50 Jahre Theodor Thorer (1912),52 das 193753 und 196254 nochmals in ergänzter Form herausgegeben wurde. Neben der Geschichte des Unternehmens und der deutschen Rauchwarenwirtschaft wurde hier auch die als Besonderheit geltende hauseigene Karakulschafzucht dargestellt. 1988 gab eine Tochterfirma eine Jubiläumsbroschüre zu ihrem 125.  Bestehen heraus.55 An dieser Festschriftenreihe lässt sich einerseits die lange Geschäftstradition der Firma ablesen, die sich in jedem Text auf das redliche Kaufmannsethos und die Qualität der Produkte beruft. Andererseits zeigen die Schriften auch, wie sich diese Mentalität den Zeitströmungen anpasste: Die pathetische Schwärmerei für den Kaufmannsstand, die noch 1912 die Texte prägte, wich in der Ergänzung von 1937 einem strengen ökonomisch-statistischen Stil mit deutlich deutsch-nationalistischem Einschlag. Diese Passagen wurden 1962 stillschweigend wieder gestrichen. Der ökonomische Stil wurde jedoch in den neuen Texten beibehalten. Die Darstellung der eigenen historischen Rolle wandelte sich dabei vom tapferen Kämpfer für die nationale Aufgabe (1937) hin zum Leidtragenden der NS-Wirtschaftspolitik (1962). Die Broschüre von 1987 bricht dann vollständig mit den detaillierten Geschichtsdarstellungen und bringt im Stil einer PR-Kampagne den Stolz auf ein integres Geschäftsgebaren und die Produktqualität zu Papier. Als eines der wenigen Zeugnisse jüdischer Handelshäuser erschien 1930 die Festschrift Marcus Harmelin Rauchwaren und Borstenkommission Leipzig 1830–1930 zum hundertjährigen Firmenjubiläum.56 Verfasser des Werks war der Jurist und spätere Historiker Wilhelm Harmelin, der Bruder des damaligen Geschäftsinhabers Max. Ausgehend von einem kurzen quellenbasierten Abriss der jüdischen Messegeschichte, aus welcher die Firma hervor-

52 Paul Albert Thorer/Carl Praetorius/Paul Hollender, 300 Jahre Familie Thorer. 50 Jahre Theodor Thorer. 1612–1912, Leipzig 1912. 53 Paul Hollender/Arndt Thorer/Gerhard Hollender (Hgg.), 1612–1937. 325 Jahre Familie Thorer. 75 Jahre Theodor Thorer, Leipzig 1937. 54 350 Jahre Thorer, zusammengestellt von Otto Nauen, Frankfurt a. M. 1962. 55 Jürgen Thorer, Thorer und Hollender. 125 Jahre weltumspannender Handel, Frankfurt a. M. 1987. 56 Wilhelm Harmelin, Marcus Harmelin Rauchwaren und Borstenkommission Leipzig 1830–1930. Zum hundertjährigen Bestehen, Leipzig 1930; siehe ders., Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 249.

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ging, rekapitulierte er die Geschichte des Hauses und der Familie. Weniger auf eine genaue Wiedergabe der historischen Ereignisse bedacht, würdigte er die persönlichen Qualitäten und das Wirken der Firmeninhaber, die das Unternehmen auch in schweren Zeiten vorangebracht hätten. Seine Erzählung bleibt dabei streng unternehmensgeschichtlich, auf private Aspekte, etwa die Zugehörigkeit zum liberalen Judentum oder die Rolle in der Gemeinde, wird nicht eingegangen. Auch hier wird der Stolz auf die eigene Firma sichtbar, jedoch eng verbunden mit der Aufstiegsgeschichte einer jüdischen Familie in Leipzig. In den Jubiläumsschriften kommt – um mit Thomas Mann zu sprechen – erneut jener Respekt einer Familie vor sich selbst, vor Überlieferung zum Tragen, der bereits bei Lomer aufschien. Sie zeigen, wie sich die Identitätssuche der Rauchwarenbranche im Spiegel der historischen Entwicklung auf die einzelnen Familien und Firmen ausdehnte. Rekapituliert man das vorliegende allgemeine Schrifttum zur Rauchwarenwirtschaft, kristallisieren sich drei Grundfragen heraus – »Wer sind wir? Wo stehen wir? Wohin gehen wir?« –, um die sich der Diskurs der Branche drehte. Die Antwort darauf wurde oft in einer historischen Rückschau gesucht, die jedoch selten eine kritisch-wissenschaftliche Untersuchung darstellte. Die konstruierten Narrative waren stets auf das Hier und Jetzt ausgerichtet und dienten – gerade in Krisenzeiten – der Orientierung in der Gegenwart sowie, nach 1918, der Vorsorge für die Zukunft. Nachdem Emil Brass sein Werk niedergeschrieben hatte, das sich zum wichtigsten Referenzpunkt entwickelte, blieb eine wirkliche wissenschaftlich-historiografische Aufarbeitung aus. Diese Tendenzen bildeten auch den Ausgangspunkt der nachfolgenden Werke, die sich den jüdischen Unternehmern in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft zuwenden. Sie unterliegen jedoch, wie sich zeigen wird, im Laufe der Zeit einer gewissen Transformation.

»Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft« Der Zweite Weltkrieg – eine Zäsur Angesichts der Bedeutung der jüdischen Rauchwarenhändler ist es erstaunlich, dass die diesbezügliche Forschung noch relativ jung ist. Bis in die Zwischenkriegszeit spielte das Thema keine große Rolle. Es finden sich weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in Zeitzeugenberichten Hinweise auf eine Sonderstellung der jüdischen Rauchwarenhändler oder Antisemitismus in der Branche. So kam die Anregung, jüdische Rauchwarenhändler

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zum eigenständigen Thema einer Publikation zu erheben, auch von außen. Zwischen 1929 und 1933 erschien Kurt Weilands umfangreicher Artikel Die Juden und der Leipziger Rauchwarenhandel im Rauchwarenmarkt.57 Der Autor selbst stammte zwar aus dem Pelzgewerbe, bezog seine Denkanstöße jedoch aus Werner Sombarts Werk Die Juden und das Wirtschaftsleben (1911).58 Laut Weiland gelang es den wenigen dauerhaft in Leipzig lebenden Juden am Beginn des 19. Jahrhunderts, sich als Kommissionäre und Makler auch zwischen den Messen fest am Ort zu etablieren.59 Damit sei das Pelzhandelsmonopol der Kürschner in der Zwischenmessezeit unterlaufen und anscheinend auch die gesetzliche Beschränkung auf den Klein- und Hausierhandel umgangen worden. Mit ihrer Finanzkraft und ihren kaufmännischen Talenten hätten die jüdischen Pelzhändler Geschäfte größeren Stils abwickeln können, die den Kürschnern unmöglich waren. Auf der Basis zeitgenössischer Statistiken konstatiert Weiland zudem eine starke Überrepräsentation der Juden im Pelzgewerbe seiner Zeit und versucht (unter Bezug auf Sombart), die Ursachen dafür zu ergründen. Wohlmeinend könnte man Weilands Aussagen noch dahingehend interpretieren, dass familiäre und merkantile Netzwerke der jüdischen Kaufleute, Kapitalstärke und kaufmännische Erfahrung ihnen im hochgradig volatilen Rauchwarenhandel zu großem Erfolg verhalfen. Jedoch wird seine Sprache zunehmend tendenziös und seine Äußerungen suggerieren immer wieder das antisemitische Bild des »Eindringens« einer fremden Gruppe in diesen bedeutenden Wirtschafts57 Weiland, Die Juden und der Leipziger Rauchwarenhandel. Das Erscheinungsdatum lässt sich bisher nicht eindeutig feststellen. Manes gibt keine Datumsangabe. Harmelin gibt den Zeitraum 1929–1933 an (siehe ders., Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 250 f., Fn. 9). Held bezieht sich kurz auf einen nicht betitelten Artikel im Rauchwarenmarkt von 1931, bei dem es sich um Weilands Beitrag handeln könnte: ders., Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft 1830 bis 1938, in: Susanne Schötz (Hg.), Leipzigs Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Akteure, Handlungsspielräume, Wirkungen (1400–2011), Leipzig 2012, 269–284, hier 278, Fn. 31. Jedoch waren die Exemplare der entsprechenden Jahrgänge im Bestand der DNB und der Staatsbibliothek Berlin aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes für die Benutzung gesperrt. Weitere Exemplare konnten nicht ermittelt werden. 58 Werner Sombart, Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911. Zur Rezeption des Werks siehe Friedrich Lenger, Werner Sombarts »Die Juden und das Wirtschaftsleben« (1911). Inhalt, Kontext und zeitgenössische Rezeption, in: Nicolas Berg (Hg.), Kapitalismusdebatten um 1900. Über antisemitisierende Semantik des Jüdischen, Leipzig 2011, 239–253; Tobias Metzler, Werner Sombart im Ausland. »Die Juden und das Wirtschaftsleben« in England, Amerika und Frankreich, in: ebd., 255–292. Zur Person Sombarts siehe Friedrich Lenger, Werner Sombart 1863–1941. Eine Biographie, München 32012. 59 Es sei hier auf das Werk von Siegfried Moltke verwiesen, der dieses Kommissions- und Maklerwesen in seiner stark quellenbasierten Geschichte der Leipziger Maklerschaft etwas genauer beleuchtet. Er bleibt jedoch in seinen Ausführungen stark der Ereignisgeschichte und einem offen antisemitischen Weltbild verhaftet. Ders., Geschichte der Leipziger Maklerschaft, Leipzig 1939.

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zweig. Eine konkrete Explikation dieses »An-sich-Ziehens« des Pelzhandels auf der Basis historischer Tatsachen bleibt jedoch aus. Andererseits lobt Weiland immer wieder die große volkswirtschaftliche Bedeutung der jüdischen Handelsaktivität und bringt sie mit Prosperität und Fortschritt in Verbindung. Insofern spiegelt sein Werk auch die Widersprüchlichkeit seines geistigen Vorbilds Sombart. Trotz Weilands Artikel wurde das Thema Rauchwarenwirtschaft nicht von der Judenforschung des NS-Regimes aufgegriffen. Werke wie Johannes G. Hartensteins Die Juden in der Geschichte Leipzigs von der Entstehung der Stadt an bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts60 (1938) und andere nationalsozialistisch beeinflusste Schriften konzentrierten sich eher auf die Messe- und Münzjuden. Nach 1945 war es dann nicht mehr denkbar, sich antisemitischer Stereotype und Vorurteile als »erkenntnisleitendes Prinzip« (Dirk Rupnow) zu bedienen.61 Eine neue Grundlage musste gefunden werden, auf der zukünftige Forschung aufbauen konnte. Bemerkenswerterweise war es gerade der Spross einer der bedeutendsten jüdischen Pelzhändlerdynastien, der den bis heute gültigen Standardtext über die jüdischen Händler vom Brühl schrieb. Der Jurist, Kaufmann und Historiker Wilhelm Harmelin floh 1938 vor den Nationalsozialisten von Leipzig nach London und veröffentlichte hier 1964 seinen Artikel Jews in the Leipzig Fur Industry im Leo ­Baeck Institute Year Book. Zwei Jahre später erschien eine erweiterte deutsche Übersetzung, die hier verwendet wird.62 In jahrelanger Arbeit hatte Harmelin ein Werk zusammengestellt, das an Detailliertheit bis heute unübertroffen ist. Der Autor entfaltet umfassend die oben beschriebene Meistererzählung und bindet die jüdische Historie eng an die Handelsgeschichte Leipzigs. Entlang der ökonomischen Entwicklungslinien beleuchtet er die jüdische Siedlungsgeschichte und die Ausdifferenzierung der Gemeinde, mit der Gründung der ersten Synagoge um 1763, des ersten jüdischen Friedhofs 1811 und dem Bau der großen Gemeindesynagoge 1854 als Meilensteinen.63 Alle wichtigen Ereignisse stehen dabei für ihn mit den jüdischen Kaufleuten in Verbindung. Aus eigener Erinnerung entwirft der Autor zudem ein kurzes, aber buntes Panorama der verschiedensten Gestalten der Rauchwarenwirtschaft um 1930, das vom scheuen Geschäftsmann Chaim Eitingon über den orthodoxen Gelehrten Isidor Feilstein bis hin zum passionierten Violinisten David Dubiner reicht. Abschließend wird eine Vielzahl jüdischer Firmen 60 Johannes G. Hartenstein, Die Juden in der Geschichte Leipzigs. Von der Entstehung der Stadt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1938. 61 Dirk Rupnow, Art. »Judenforschung«, in: EJGK, Bd. 3, Stuttgart/Weimar 2012, 224–228, hier 227. 62 Wilhelm Harmelin, Jews in the Leipzig Fur Industry, in: Leo Baeck Institute Year Book 9 (1964), 239–266 (dt.: ders., Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft). 63 Siehe ebd., 252 f. und 258.

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in je einem kurzen Abschnitt vorgestellt.64 Der Schwerpunkt von Harmelins Text liegt auf der Glanzzeit des Pelzhandels zwischen 1830 und 1930. Die Messegeschichte und der Untergang im »Dritten Reich« erscheinen eher als Vorspiel beziehungsweise Epilog der eigentlichen Erzählung. Der Autor geht bedauerlicherweise wenig auf die Vernichtung der jüdischen Rauchwarenhändler in der NS-Zeit ein. Hier sind seine Ausführungen eher von persönlichen Erinnerungen und dem tragischen Schicksal der Protagonisten geprägt. Trotz dieser persönlichen Note ist der Text weitgehend sachlich gehalten. Harmelin enthält sich wertender Stellungnahmen und bezieht die Geschichte der jüdischen Rauchwarenhändler hauptsächlich auf die Handelsgeschichte Leipzigs und die israelitische Gemeinde. Auch wenn er das gesamte Potenzial des Themas nicht ausschöpft, ist sein Werk ein Meilenstein in der Historiografie des Rauchwarenhandels, denn er war es, der den Themenkomplex Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft eigentlich erst erschuf und in Abgrenzung zu Weiland auf einen tragfähigen wissenschaftlichen Boden stellte. Nach ihm konnte – mit einer Ausnahme – keiner der modernen Autoren das Forschungsobjekt Rauchwarenwirtschaft mehr getrennt von der jüdischen Geschichte denken.

Stadtgeschichte und Erinnerungskultur Allerdings zeigten sich umfassendere Ansätze einer historischen Aufarbeitung des Rauchwarenhandels aus stadtgeschichtlicher und biografischer Perspektive erst ab den späten 1980er Jahren, nahmen dann aber in den 1990ern stark zu. Dies hatte mit zwei Entwicklungen zu tun: Bis in die 1970er Jahre hatte in der DDR eine starke Ablehnung der eigenen kapitalistischen und feudalen Vergangenheit vorgeherrscht. Nun begann man jedoch, sich diesem Erbe zuzuwenden und es zur Formung eines historischen Selbstverständnisses heranzuziehen. Diese Rückbesinnung barg einigen Zündstoff, da überwunden geglaubte Zeiten und Gesellschaftsmodelle als Bezugspunkt dienten. Auf diesem schmalen Grat zwischen Identitätsstiftung und Sozialismus wandelten die ersten Publikationen zur Leipziger Rauchwarenwirtschaft. Die zweite große Entwicklung, die die historiografische Literatur prägte, war die deutsche Wiedervereinigung. Nach 1989 verstärkte sich die Suche vieler Leipziger Bürger nach historischer Verortung nochmals unter dem Eindruck eines umfassenden Auf- und Umbruchs. Dieser Wunsch nach Orientierung verband sich zudem mit der Erinnerung an das jüdische Leben vor und nach 64 Ebd., 270 f.

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der Schoah, die sich nun auch in den neuen Bundesländern stärker entfaltete. Entsprechend rückten die Grundlagenforschung zur jüdischen Geschichte Leipzigs und der biografische Ansatz vermehrt in den Fokus des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses. Den Auftakt zu beiden Entwicklungen bildete Walter Fellmanns Standardwerk Der Leipziger Brühl (1989).65 In einer Gesamtschau der Leipziger Pelzgeschichte von den Messen bis hin zur DDR-Zeit deckt Fellmann alle Bereiche der Rauchwarenwirtschaft von der Pelztierzucht bis zur Kürschnerei ab. Als Erster greift er Harmelins Ideen auf und würdigt die Messejuden als essenziellen Baustein der Leipziger Rauchwarengeschichte mit einem eigenen Kapitel. Akribisch und quellenbasiert wird dabei versucht, die rechtlichen und praktischen Umstände nachzuzeichnen, denen das jüdische Leben während der Messe, aus der sich das Pelzgeschäft entwickelte, unterworfen war. Aus dem Interessensdreieck Stadt – Juden – Kurfürst entspannen sich immer wieder diverse Konflikte, die Fellmann durchaus als wechselseitig betrachtet: Auch die Juden duldeten nicht alle Anordnungen der Obrigkeit widerstandslos. Der Autor sieht dabei die Entwicklung des Messejudentums deutlich pessimistischer als Harmelin. Leipzig habe mit seinen antijüdischen Reglements über Jahrzehnte hinweg Handelspotenzial verschenkt. Die Stadt sei für jüdische Händler im Vergleich zu den preußischen Messen eher unattraktiv gewesen. Erst als Friedrich II. dort die Steuerschraube fester anzog, seien die Juden gewissermaßen nach Leipzig gedrängt worden. In diesem düsteren Licht erscheint auch die Zulassung der Juden als Messmakler nicht als Zeichen eines liberaleren Geistes, sondern lediglich als Resultat der absoluten ökonomischen Not nach den Verwüstungen der Völkerschlacht. Mit seinem Brühl wagte Fellmann den heiklen Spagat zwischen einer identitätsstiftenden, kapitalismusdominierten Stadtgeschichte und dem Sozialismus, der die Lokalgeschichtsforschung in der DDR so prägte. Dieser Zwiespalt erklärt auch den streckenweise polemischen und pessimistischen Ton der Schrift, in dem die klare Ablehnung besitzbürgerlicher und feudaler Obrigkeiten wie Stadtrat oder kurfürstlicher Regierung zum Ausdruck kommt. Fellmanns Ausführungen enden mit der Einführung der allgemeinen Gewerbefreiheit 1861, die für ihn die 1813 eingeleitete Gleichstellung der Juden praktisch abschloss. Weitere Ausführungen zu jüdischen Firmen und Protagonisten verlieren sich in der allgemeinen Geschichte der Rauchwarenwirtschaft. Nur im kurzen Abschnitt Die »Endlösung«, einem Schnelldurchlauf durch die Geschichte der Schoah, tauchen jüdische Rauchwarenhändler noch einmal als eigenständiges Thema auf. Auf Basis des Buches erstellte Fellmann in den kommenden Jahren noch weitere wissenschaftliche und

65 Fellmann, Der Leipziger Brühl.

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populäre Texte wie Pelze vom Brühl (1990) und Schlaufüchse und Blaufüchse vom Brühl (1997).66 Sein stadtgeschichtlicher Ansatz, der in allen Texten vorherrscht, legte den Grundstein für die heute herrschende Erinnerungskultur, auch im Sinne eines jüdischen Gedenkens. In Adolf Diamants Chronik der Juden in Leipzig (1993)67 finden wir in Ergänzung zu Fellmann die Integration der Rauchwarengeschichte in die jüdische Geschichte Leipzigs. Der Autor geht dabei sehr quellenorientiert vor, wodurch die Konflikte von Stadt, Kurfürst und Juden besonders gut illustriert werden. So finden sich bei ihm immer wieder Hinweise auf jüdisches Eigenengagement, etwa durch Beschwerden bei Stadt und Kurfürst, die den Prozess der Emanzipation deutlich vorangetrieben haben.68 Im Kapitel Die Bedeutung der Juden für die Entwicklung des Leipziger Rauchwarenhandels allerdings wird im Kern nur der gekürzte Harmelin-Text wiedergegeben, umschlossen von einem episodenhaften Einblick in den Rauchwarenhandel des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sowie einem kurzen Abriss der Nachkriegsgeschichte bis 1993. Die Bevorzugung quellennaher, anekdotenhafter Ausschnitte gegenüber einer stringenten abstrakten Darstellung ist dabei zugleich Stärke und Schwäche des Buches. Es ist eher ein Kompendium historischer Episoden als eine konzise wissenschaftliche Abhandlung. Bei seinen Recherchen vor 1989 waren dem in Frankfurt am Main lebenden Diamant die Archive in der DDR nicht oder nur erschwert zugänglich, weshalb eine profunde Erforschung unmöglich war.69 Einerseits bringt Diamant dadurch wenig Neues über den Rauchwarenhandel selbst hervor. Andererseits eröffnen seine archivalisch fundierten Schilderungen der Konflikte während der Messezeiten einen tiefen Einblick in die allgemeinen Handelspraktiken und Reglements, denen jüdische und nichtjüdische Händler unterworfen waren. In diesem Standardwerk finden sich, wenn auch sehr verstreut, hochinteressante Aspekte, die dem bisherigen Forschungskonsens zu widersprechen scheinen. Zudem ist die Chronik eines jener Grundlagenwerke, die die Leipziger Erinnerungskultur nachhaltig prägten.

66 Ders., Pelze vom Brühl, in: Metscher/Fellmann, Lipsia und Merkur, 93–104; ders., Schlaufüchse und Blaufüchse vom Brühl, in: Zwahr/Topfstedt/Bentele (Hgg.), Leipzigs Messen 1497–1997, 439–447. 67 Diamant, Chronik der Juden in Leipzig. 68 Siehe ebd., 41 und 48. 69 Siehe Hendrik Niether, Leipziger Juden und die DDR. Eine Existenzerfahrung im kalten Krieg, Göttingen/Bristol, Conn., 2015, 269.

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Der biografische Ansatz 1994 setzte dann eine personenbezogene Erinnerungskultur ein. In den Jahren zuvor wurden der Brühl und seine Vertreter lediglich summarisch gewürdigt, so etwa in Simson Jakob Kreutners Mein Leipzig. Gedenken an die Juden meiner Stadt oder in Davidstern und Weihnachtsbaum. Erinnerungen von Überlebenden von Bernd-Lutz Lange (beide 1992).70 Mit Walter Fellmanns Beitrag Juden vom Brühl: Ariowitsch, Eitingon, Harmelin, Fränkel und Weiss erscheinen jedoch erstmals selbstständige Biografien.71 Publiziert wurde der Artikel in den bis heute als Einstiegswerk wertvollen Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig (1994) von Manfred Unger (Hg.). Fellmann gibt einen kleinen Überblick über das Leben der Rauchwarenhändler Max Ariowitsch, Chaim Eitingon und der Familie Harmelin sowie über die Buchautoren Jury Fränkel und Francis Weiss, allesamt ehemalige Brühlianer. Die Texte bleiben noch recht allgemein, verweisen aber auf personenbezogene Archivbestände in Leipzig. 1997 wurde dieser Trend mit gleich zwei Artikeln fortgeführt. Zunächst erschien Rosemary Harmelin-Preiskels Seßhaft am Brühl. Die Harmelins – eine Kaufmannsfamilie in zwei Jahrhunderten in den Leipziger Blättern (Nr.  31).72 Die Nichte von Wilhelm Harmelin gibt hier aus der familiären Überlieferung heraus einen wichtigen Einblick in die Geschichte des Handelshauses. Das Leben der Familienmitglieder, ihre Verfolgung, Flucht und das neue Leben in Großbritannien werden beleuchtet. Harmelin-Preiskels Schrift ist mit Sicherheit der persönlichste Erinnerungsbericht einer jüdischen Pelzhändlerdynastie, auch wenn die Autorin erst nach dem Krieg geboren wurde. Parallel zu diesem sehr familiären Text und auf ihn verweisend erschien im gleichen Jahr Josef Reinholds nüchtern-sachlicher Artikel Vom Meßmakler zum etablierten Kaufmann.73 Im Rahmen des Sammelbandes Leipzigs Messen 1497–1997 gibt der Autor eine Rekapitulation der Firmengeschichte von »Marcus Harmelin Rauchwaren und Borstenkommission Leipzig« auf Basis der bereits erörterten Festschrift zur Hundert70 Kreutner, Mein Leipzig; Lange, Davidstern und Weihnachtsbaum. 71 Walter Fellmann, Juden vom Brühl. Ariowitsch, Eitingon, Harmelin, Fränkel und Weiss, in: Unger (Hg.), Judaica Lipsiensia, 268–275. Harmelin (Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft) und in seiner Nachfolge Diamant hatten einige kurze Abrisse zu einzelnen Firmen verfasst, Fellmann lieferte in seinem Leipziger Brühl bereits einige persönliche Kurzbiografien. In den Judaica Lipsiensia erscheinen jedoch erstmals umfänglichere Biografieartikel als unabhängiges Sujet und eigenständige Herangehensweise an das Thema Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft. 72 Rosemary Harmelin-Preiskel, Seßhaft am Brühl. Die Harmelins – eine Kaufmannsfamilie in zwei Jahrhunderten, in: Leipziger Blätter 31 (1997), 41–45. 73 Josef Reinhold, Vom Meßmakler zum etablierten Kaufmann, in: Zwahr/Topfstedt/Bentele (Hg.), Leipzigs Messen 1497–1997, Teilbd. 1, 431–438.

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jahrfeier 1930.74 Dabei bleibt der Text rein ereignisgeschichtlich und dient der Illustration der Messegeschichte an einem konkreten Beispiel. Dennoch ist Reinhold eine wichtige Ergänzung zur Jubiläumsschrift, weist er doch jene Quellen im Leipziger Stadtarchiv nach, die Wilhelm Harmelin seinerzeit anzugeben versäumte. Erste Ansätze zu einer umfassenden Familiengeschichte zeigte 2009 die Eitingon-Nachfahrin Mary-Kay Wilmers, die in ihrer sehr persönlichen Familienbiografie The Eitingons. A Twentieth-Century Story75 nicht nur den internationalen Familienzweig um Chaim Eitingon behandelt, sondern auch den russischen um den KGB-Mitarbeiter Leonid Eitingon. Die Erzählung auf Basis der familieninternen Überlieferung ist lebhaft, humorvoll bis zynisch und von einer Direktheit und Offenheit, die bei familienbiografischen Autoren nicht selbstverständlich ist. Die Arbeit mag strengen wissenschaftlichen Ansprüchen lediglich eingeschränkt genügen. Quellen wurden nur sporadisch gesammelt und selten belegt, die Darstellungen sind eher locker verbunden und wechseln oftmals Ort und Zeit. Jedoch erhält der Leser gerade dadurch besondere und wertvolle Einblicke in das Innenleben einer der bedeutendsten Rauchwarendynastien Leipzigs. The Eitingons ist kein wissenschaftliches Werk, aber es eignet sich zur wissenschaftlichen Aufarbeitung und liefert familieninterne Informationen, die den harten Fakten aus Formularen und Akten Lebendigkeit verleihen.

Eine Renaissance des Themas? 2012 erschienen neben den genannten Biografien zwei neue Überblicksartikel, die der breiten Öffentlichkeit die Tätigkeit jüdischer Pelzunternehmer erneut ins Bewusstsein riefen. Der Historiker Steffen Held unternahm mit seinem Text Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft eine ergänzende Rezeption des Harmelin-Texts.76 Er geht wenig auf die Aktivität der Messejuden ein, sondern widmet sich eher der Phase der Verstetigung des Rauchwarenhandels in Form von sesshaften Firmen ab 1800, wobei er die jüdische Komponente immer wieder an die allgemeine Geschichte der Rauchwarenwirtschaft zurückbindet. Helds moderner Überblick bricht mit der Meistererzählung der Pelzmetropole. Er hebt die Krisenmomente deutlich hervor und 74 Harmelin, Marcus Harmelin Rauchwaren und Borstenkommission Leipzig 1830–1930. 75 Mary-Kay Wilmers, The Eitingons. A Twentieth-Century Story, London 2009. 76 Held, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft 1830 bis 1938, 269–284. Dieser Text ähnelt stark Helds Artikel »Leipzig« in der EJGK (Bd. 3, 491–496), weshalb er hier nicht gesondert behandelt wird.

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setzt damit den vollmundigen Selbstzeugnissen der Zwanziger- und Dreißigerjahre, die die bescheidene Anfangszeit oft zu überstrahlen drohen, etwas entgegen. Zudem ergänzt er Harmelins Darstellung mit einer historisch-wissenschaftlichen Analyse der NS-Zeit. Parallel dazu erschien im dritten Band der Enzyklopädie zur jüdischen Geschichte und Kultur (EJGK) der ebenfalls von Steffen Held verfasste Artikel Leipzig, der sich hauptsächlich mit dem Rauchwarenhandel als dem bestimmenden ökonomischen Moment jüdischen Lebens in der Stadt befasst. Kurz und bündig werden die wichtigsten Aspekte der Entwicklung des Leipziger Standortes und der jüdischen Handelsaktivität rekapituliert. Dabei wird dem Leser dankenswerterweise auch das heute so fremde Rauchwarengeschäft allgemeinverständlich erklärt, sodass ein tieferes Verständnis der Branche entstehen kann. Wo es möglich war, wurde statistisches Material integriert, das jedoch mangels Vergleichsgrößen für wirtschaftshistorische Laien recht enigmatisch bleibt. Gleichwohl liefert Held mit seinem Artikel den besten Einstieg in den Themenkomplex, den er, im Gegensatz zu Harmelin, bis zu seinem Ende in den 1990er Jahren überblicken konnte. 2017 erschien mit Robrecht Declercqs World Market Transformation. Inside the German Fur Capital Leipzig 1870–1939 das erste im engen Sinn wirtschaftshistorische Werk über die Leipziger Rauchwarenwirtschaft.77 Hatte die bisherige Forschung eher die international agierenden Großunternehmen untersucht, betrachtet der belgische Historiker die gesamte Rauchwarenwirtschaft im Großraum Leipzig als Cluster von mehrheitlich kleinen und mittleren Spezialunternehmen, deren Zusammenarbeit ihnen den gemeinsamen Auftritt auf der internationalen Bühne ermöglichte. Der Autor untersucht die Reaktion dieses erstaunlich stabilen Netzes auf die vielseitigen Veränderungen der Gesamtwirtschaft durch die frühe Globalisierung. Insofern verbindet er Ansätze der vornehmlich selbstbezogenen lokalen Wirtschaftsgeschichte mit der globalen beziehungsweise transnationalen Perspektive. Mit dieser Strukturanalyse steht er sicherlich auch in der Tradition von Pabst und anderen, auf die er sich auch bezieht. Trotz einiger Schwächen in der Quellenarbeit ist Declercq nach 153 Jahren einerseits der Erste, der die Rauchwarenbranche wirtschaftsgeschichtlich nutzbar macht. Er liefert damit neben der jüdischen Historie und der Stadtgeschichte einen neuen vielversprechenden Ansatz für die Aufarbeitung des Themas. Andererseits ist er seit Harmelin ebenfalls der Erste, der gerade aufgrund seines streng wirtschaftshistorischen Ansatzes die jüdischen Unternehmer nicht gesondert behandelt, sondern sie in der Gesamtheit der Branche aufgehen lässt.

77 Robrecht Declercq, World Market Transformation. Inside the German Fur Capital Leipzig 1870–1939, London 2017.

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Schlussbetrachtungen Der Blick auf das Thema Rauchwarenhandel hat gezeigt, dass die diesbezügliche Quellen- und Literaturlage sehr heterogen ausfällt. Sie umfasst historiografische Abhandlungen und wirtschaftswissenschaftliche Analysen ebenso wie firmengeschichtliche Selbstdarstellungen und persönliche Stellungnahmen zur aktuellen Lage der Branche. In dieser Vielstimmigkeit gilt es, historische Fakten und subjektive Meinungsäußerungen zu unterscheiden. Rückblickend ließe sich die Geschichte dieser Schriften vielleicht wie folgt zusammenfassen: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt mit Heinrich Lomer die Rauchwarenwirtschaft, sich ihrer selbst in Form beschreibender, also nicht allein auf die Praxis abzielender Schriften bewusst zu werden. Die eigene Geschichte, für die Emil Brass 1911 das bis heute gültige Standardwerk schuf, spielte dabei eine stark identitätsstiftende Rolle, sowohl für einzelne Firmen wie auch für die Branche insgesamt. Mit Fritz Pabst begann 1900 zudem eine dezidierte Ökonomisierung (Verwissenschaftlichung), die sich nach dem Ersten Weltkrieg nochmals verstärkte und die historisch fundierte Selbstvergewisserung der Branche zu einer planenden Vorausschau für die Zukunft weiterentwickelte. Nach diesen Verschiebungen fand eine profunde historiografische Aufarbeitung des Themas Rauchwarenwirtschaft nicht mehr statt. Stattdessen erfreute sich Brass einer äußerst breiten Rezeption in populären wie wissenschaftlichen Schriften. Infolgedessen trat eine gewisse Standardisierung der historischen Erzählung ein, die vor allem durch Zeitschriften verbreitet wurde. Mit dem Untergang der privatwirtschaftlich organisierten Pelzmetropole Leipzig setzte ein neues, zunächst rein andenkendes Interesse an ihrer Geschichte ein. Im Frankfurter, Londoner und New Yorker Exil entstanden unter den ehemaligen Brühlianern zunächst die Erinnerungsberichte. In dieser Kultur stehend und gleichzeitig aus ihr heraustretend erschien 1964 Wilhelm Harmelins Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft. Obgleich selbst Branchenmitglied, löste sich Harmelin sowohl von der Identitätsstiftung wie von der planenden Vorausschau seiner Vorgänger und folgte seinem historischen Interesse, an dem eine persönliche Reminiszenz an den Brühl und an das eigene Schicksal als Leipziger Jude sicherlich auch Anteil hatte. Er historisierte das Thema stringent und hob es auf ein wissenschaftliches Niveau, wobei er gleichzeitig Juden als bisher wenig beachtete Protagonisten der Leipziger Rauchwarenwirtschaft seine Aufmerksamkeit schenkte. Damit begründete er die bis heute wirksame Forschungstradition, die die Leipziger Rauchwarenwirtschaft nicht mehr getrennt von der jüdischen Geschichte wahrnimmt. Harmelin, zugleich Branchenvertreter und Historiker, öffnete das Themenfeld somit für die Geschichtswissenschaft. Vor ihm schrieben

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fast ausschließlich Branchenvertreter für ihre Berufsgenossen, was die Texte einerseits hochgradig authentisch machte, andererseits aber meist zur Vernachlässigung der wissenschaftlichen Ansprüche führte. Nach Harmelin begannen Historiker, das Thema für die breite Öffentlichkeit aufzubereiten. Dass diese Aufarbeitung zumeist unter dem Aspekt der Stadtgeschichte erfolgte, geht auf Walter Fellmann zurück. Er veröffentlichte 1989 das bislang umfassendste Standardwerk zur Leipziger Pelzwirtschaft. Zusammen mit Adolf Diamant und Manfred Unger schuf er die Grundlage der heutigen Erinnerungskultur an das jüdische Leipzig, in der der historische Nexus zwischen Juden und Pelzhandel zu einer feststehenden Erzählung wurde. Seit den 1990er Jahren stoßen die persönlichen Schicksale der jüdischen Händler auf ein verstärktes öffentliches Interesse und vielleicht deuten auch die in den letzten Jahren erschienenen Texte von Steffen Held und Robrecht Declercq auf eine kleine Renaissance des Themas hin. Diese verspricht durchaus neue Ansätze, wenngleich sicherlich nicht mehr alle mit der jüdischen Geschichte in Verbindung stehen werden. Allerdings sind dies nur Vermutungen. Jenes vage »auch« des Widmungsspruchs auf der Gedenkplatte am Brühl konnte bisher nicht konkretisiert werden. Der Wissensstand über die jüdischen Rauchwarenhändler reicht auch heute nur wenig über Wilhelm Harmelin hinaus. Auf den ersten Blick scheint dies am Mangel an Quellen zu liegen, da fast alle Firmenunterlagen nach der Liquidierung durch das NS-Regime vernichtet wurden. Harmelin schätzt zwar, dass kurz vor dem Ersten Weltkrieg circa 50 Prozent der Pelzhändler aus jüdischen Familien stammten,78 allerdings ist dies nur eine statistische Momentaufnahme. Die vielschichtige Rolle jüdischer Unternehmer in der dynamischen Entwicklung der Leipziger Rauchwarenwirtschaft ist damit noch nicht ausreichend beleuchtet. Neueste Recherchen legen nahe, dass das eigentliche Problem der Forschung jedoch nicht unbedingt der Mangel an Quellen ist, sondern das Fehlen methodischer Konzepte zu ihrer Erschließung und Auswertung. 2017 gewann die Dresdner Historikerin Nancy Walter im Rahmen ihrer Archivarbeit neue Erkenntnisse zum prozentualen Anteil jüdischer Firmen.79 Im Zuge der Recherchen zum vorliegenden Literaturbericht tauchten zudem Hinweise auf diverse Sammlungen zur Pelzgeschichte auf, die bisher nicht zugänglich sind oder deren Verbleib ungewiss ist. Auf das große Potenzial der bisher unerschlossenen Zeitschriften wurde bereits

78 Harmelin, Juden in der Leipziger Rauchwarenwirtschaft, 264. 79 Laut Walter stammten 1929 73 Prozent der Rauchwarenhändler, 25 Prozent der Veredler und 10 Prozent der Pelzkonfektionäre aus jüdischen Familien. Siehe Nancy Walter, Pelzhandel und jüdisches Leben um den Leipziger Brühl 1830–1933 (Arbeitstitel). Vortrag auf der »Fifth Conference for Young Researchers in Jewish Studies«, Potsdam 3.–5. Juli 2017 (Zitat mit freundlicher Genehmigung der Autorin).

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hingewiesen. Insofern drängt sich die Frage auf, mit welchen Ansätzen und methodischen Konzepten diese Quellen fruchtbar gemacht werden können. Die Branche selbst ersann im langen 19. Jahrhundert ein historisches Narrativ, um sich die eigene Kontinuität zu vergegenwärtigen und sich als soziale Gruppe zu konstituieren. Damit ermöglichte sie einzelnen Firmen und Individuen nicht nur die Identifikation mit ihr, sondern auch die Verortung aktueller Probleme in einem historischen Kontext. Die Geschichtswissenschaft übernahm bei ihrer Beschäftigung mit dem Thema Teile dieser identitätsstiftenden Erzählung, machte sie für die Stadt nutzbar und verlieh ihnen mit Bezug auf die jüdische Geschichte erinnerungspolitisches Gewicht. Künftige Forschungen sollten dieses Narrativ kritisch hinterfragen und mithilfe neuer Quellen und Ansätze eine breitere Auseinandersetzung anstoßen. Die meisten erhaltenen Pelzhandelshäuser auf dem Brühl, stolze Zeugnisse der Macht und Herrlichkeit ihrer Erbauer, sind mittlerweile aufwendig saniert. Die umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Erbes bleibt jedoch eine Aufgabe auch für die Zukunft.

Abstracts Silja Behre Der Bücherdiplomat: Curt Wormanns Nachlass als Quelle für eine globale Bibliotheksgeschichte This article deals with the personal archives of the librarian Curt Wormann (1900–1991), who began his career at the municipal library in Berlin-Kreuzberg in the 1920s, emigrated to Palestine in 1934, and became the director of the Jewish National and University Library in Jerusalem in 1948. At first glance, his biography seems to fit into a given narrative of the history of the influence of German librarianship on the development of libraries in Palestine/Israel. However, his extensive collection of correspondence and other sources allow us to go beyond this German-Jewish perspective and to locate Curt Wormann’s work at the National Library within a global history of librarianship after World War II. From his first study trip to the United States, which was funded by the Rockefeller Foundation in 1951/52, to his role as a leading expert for librarianship within UNESCO’s educational politics in the 1960s, this article explores how he became an agent of “cultural internationalism” (Akira Iriye) and thus contributed to the process of professionalization and internationalization of librarianship in Israel’s early years. Dina Berdichevsky High Exposure: The Poetics and Politics of Y. Ḥ. Brenner’s “Ocular Modernist Turn” This article addresses the revolutionary first modernist chapter in the history of Hebrew literature as reflected and shaped in the prose of the Hebrew writer Yosef Ḥayim Brenner during the first decade of the twentieth century. These turbulent years, which were marked by violent atrocities, massive population movements across borders, and increasing economic distress, brought about the rise of the earliest form of Hebrew literary modernism within Eastern European Jewish society. This article approaches this development as a crisis of spectatorship. Being the prior condition for any act of representation of reality, spectatorship was problematized in times when the Hebrew narrator was looking for, and could not find, a vantage point from which he could observe this reality. For Brenner, the problem of gaze and vision appeared as the most acute kinship to the political-aesthetic form of Jewish modern experience. Thus, through his ongoing debate on the status of vision – imbued JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 629–639.

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with a strong impulse of criticism of sovereign power – he sketched the new contours of Hebrew modernist aesthetics. Michael Casper “Principled Diasporism”: Folkists, Zionists, and the Meaning of Doikayt This paper analyzes the history and uses of the term doikayt, which means “hereness” in Yiddish. The term is, despite a lack of evidence, frequently associated with the prewar non-Zionist ideology of the Bund. Relying on the Lithuanian Yiddish press, published oral histories, and archival sources, I historicize the term doikayt by looking closely at several concrete examples of its prewar usage and related phraseology. I pay special attention to a 1926 exchange over the meaning of doikayt that took place between Yudl Mark (1897–1975), a leader of the Yidishe Folkspartey (Jewish People’s Party) in Lithuania, and Jacob Robinson (1889–1977), a Zionist activist. It shows how the term was evoked in the context of the conflict between Lithuanian Jewish parties over issues of language, the system of autonomy, and perspectives on the Lithuanian national project. While emigration to Palestine, or the “spec­ ter of emigration,” motivated the language of “here” and “there” that led to the coinage of doikayt, the term was employed in interwar Lithuania, I argue, in response to Zionist successes in diaspora politics and not, as has been suggested in scholarly literature, to a Zionist abandonment of the diaspora, nor in relation to the Bund. Netta Cohen Memories of a Zoologist: Reflections on the Role of the Archive in the Production of Knowledge and Memory In 2014/15, the private estate of the renowned zoologist and environmentalist professor Heinrich Mendelssohn was catalogued and arranged at the Archives for the History of Tel Aviv University. The project was guided and supported by the Deutsches Literaturarchiv Marbach and the Franz Rosen­ zweig Minerva Research Center at the Hebrew University of Jerusalem. This article presents some of the reflections, contemplations, and thoughts of the archivists and scholars who performed the archival processing of Mendelssohn’s collection in relation to recent archival theory. In addition, the article introduces biographical information on the life and work of Mendelssohn himself in both a local and a transnational historical context.

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Oskar Czendze Between Loss and Invention: Landsmanshaftn and American Jewish Memory in the Interwar Period This article examines the memory practices of Jewish immigrants from Eastern Europe in America in the period between World War I and World War II, specifically the forms in which they remembered their former homelands in Eastern Europe. Through the lens of Jewish hometown associations, socalled landsmanshaftn, this study shows that American Jewish memory operated in distinct modalities, namely nostalgia, trauma, and invention. The idea of loss that shaped nostalgic and traumatic forms of memory resulted from a sense of uprootedness due to the migration experience, an increasing cultural alienation from Eastern Europe as a Jewish homeland, and the disruptive blows of World War I and the pogroms in its aftermath. As the study argues, American Jews in the interwar period created the foundations for a memory that we usually associate with Holocaust memory. This form of diasporic memory stood in a dialectic relationship with the idea of invention, which symbolized the productive encounter of imagination and reality of Eastern Europe as homeland. It is this dialectic between loss and invention that shaped American Jewish collective memory and identity in the interwar period. Eastern Europe, as a result, became both a place of Jewish life and death. Ludwig Decke Ungleiche Weggefährten: Hannah Arendt, Melvin Lasky und der Antitotalitarismus im Kalten Krieg This article focuses on the ambivalent relationship between two crucial protagonists of the cultural Cold War: the political theorist Hannah Arendt and the less known editor and networker Melvin Lasky. It thereby scrutinizes for the first time the common path taken by the famous scholar of totalitarianism and the American-born Cold War liberal. Besides illustrating a hitherto less studied facet of Arendt’s biography, the paper seeks to determine her role in the anti-communist struggle in general. Although Arendt supported Lasky’s ardent struggle against the Soviet Union in principle, her understanding of the Holocaust as an unprecedented crime as well as her distrust of Cold War liberalism led her to a unique political position. By examining three contexts of encounter – the common milieu of the New York intellectuals, their collaboration in the liberal highbrow magazine Der Monat, and their work as public intellectuals in the Congress for Cultural Freedom – the similarities and differences of their anti-totalitarianism are here made visible.

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Cathy S. Gelbin Lehrjahre auf dem Weg zum Dissidenten: Stefan Heyms Freundschaft mit Robert Havemann und Wolf Biermann Stefan Heym, whose life spanned all five political systems in Germany through the twentieth century, was regarded in both the Federal Republic and the German Democratic Republic as one of the most versatile and widely read authors of the postwar period. He was also understood as a moral and political symbol of the opposition in the GDR – as well as its most influential voice following the expatriation of Wolf Biermann in 1976. This article examines Heym’s by no means straightforward development, focusing on his friendships with Robert Havemann and Wolf Biermann. On the basis of autobiographical texts authored by the three former friends as well as the state security files on Heym, it reveals the various attitudes adopted towards the GDR as well as the state’s reactions. In its 11th Assembly, which took place in 1965, the Central Commission of the SED marked Havemann, Heym, and Biermann as the greatest interior public enemies of the GDR, whereupon Heym distanced himself from his friends. It is in this context that the three protagonists’ references to Nazi persecution and the Shoah will here be evaluated for the first time, with particular regard to potential parallels and intersections. By looking especially at the private sphere, beyond community and government politics, the article elucidates important aspects of a secular Jewish self-understanding in the GDR. Philipp Graf »Dem Gesetzentwurf gibt das Zentralsekretariat seine Zustimmung« – Eine neue Sicht auf die Restitutionsfrage in der Sowjetischen Besatzung­s­ zone This article explores the background of the draft law on compensation and restitution that was developed in the Soviet zone of occupation in 1947/48 and surprisingly found the support of the ruling communist party, the SED. While the existence of the projected bill was widely noted in scholarship after 1989, its ideological background remained rather unclear. In fact, the leading personality behind the initiative, the high-ranking party official and Jewish lawyer Leo Zuckermann (1908–1985), devised the draft in astounding proximity to concepts of restitution as they had been conceived some years earlier by Jewish intellectuals like Nehemiah Robinson in the United States or Siegfried Moses in Palestine. The proposed law, even though it ultimately never passed legislation due to changing Soviet prerogatives in late 1948, thus demonstrates something of a manifestation of the widespread

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reaction in the Jewish world toward the Holocaust, specifically the developing notion of the Jews as a distinct collective – albeit surprisingly appearing in the Soviet zone of Berlin. Ulrike Huhn Parallele Wissenschaft: Die Jüdische Historisch-Ethnografische Kommission und die judaistischen Forschungen in der späten Sowjetunion After years of difficult conditions for Jewish studies in the Soviet Union, a new Jewish Historical-Ethnographic Commission was founded in 1982, intentionally named after its late imperial predecessor. It was a daring undertaking, especially considering the fact that some of its members had applied for emigration to Israel and took part in the movement for Jewish self-determination. However, other founding members were reputable colleagues at the Institute of Ethnography of the Academy of Sciences of the USSR who, besides their commitment to the Commission, worked on other ethnographic subjects. In 1982, despite the initial reservations of its managing editor Aron Vergelis, the Commission convinced the only Soviet Yiddish-language journal Sovetish Heymland, which was originally tasked to propagate a liberal Soviet attitude towards its Jewish readership, to launch a special section on Jewish ethnography. This cooperation with the journal allowed the Commission to publish some of its results and provided access to libraries and archival material on Jewish topics. Despite distrust and surveillance by the state, the Commission’s members who supported the movement for Jewish self-determination used the state’s official structures, such as the Sovetish Heymland and the Academy of Sciences, to recover the heritage of its predecessor organization in archives and museums, but also to conduct field research in remote areas of the Soviet Union. In doing so, it served both as a platform for exchange and a starting point for research by future professionals in Jewish studies. Markus Krah The Americanization of Simon Dubnow: Reception and Interpretation in Postwar Discourse on American Jewry Simon Dubnow was received in American Jewish thought particularly in the 1940s to 1960s, when the Jewish community was in profound transition and uncertain in its identity. Leading intellectuals invoked Dubnow’s life and work in support of competing understandings of American Jewry as a dias-

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pora community in the Jewish world and as an ethnic group in the United States. Through this appropriation, Dubnow and his ideas were Americanized. They offered a sense of spiritual continuity with an East European past that became central to a new American Jewishness, as it synthesized diaspora nationalism and American exceptionalism. Jeannette van Laak Eine Erfahrungsgeschichte der Rückkehr: Jüdische Emigranten-Ehepaare über ihre ersten Jahre in der SBZ/DDR This article focuses on German Jewish women who were born around 1905 into middle-class households. In the 1920s and 1930s, they experienced a lot of emancipatory potential, but the Nazi regime forced them and their families to leave Germany. The article investigates how they managed to cope with the loss of status associated with exile and how they were able to preserve their emancipatory experiences in their various waystations as emigrants and after their arrival at the Soviet occupation zone/GDR. Although some of them sympathized with the communist idea, a closer examination of the circumstances of their return shows that their motives were much more complex than has previously been assumed. Furthermore, it is evident that although the returnees were granted a number of privileges, these did not protect them from renewed persecution. Amit Levy The Archive as Storyteller: Refractions of German-Jewish Oriental Studies Migration in Personal ­Archives The School of Oriental Studies was established at the newly founded Hebrew University of Jerusalem in 1926 by scholars of Oriental studies who had been trained at German universities and immigrated to Palestine, transforming their textual encounter with the Orient into a physical one. In recent years, their archival collections at the National Library of Israel – many of them previously unknown or forgotten – were discovered, restored, and catalogued. This personal and scholarly transformation left its mark on the scholars’ estates, whose provenance and arrangement are a representation – or rather, a refraction – of the Orientalist knowledge migration process, especially after the Nazi rise to power in 1933. The scholarly estate of the Frankfurt-based professor of Semitic languages Josef Horovitz (1874–1931), founder and first director of the School of Oriental Studies in Jerusalem in

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absentia, was rejected by the University of Frankfurt, and consequently sent to Jerusalem, where it was somewhat reluctantly accepted and then forgotten for many years. The Arabic teacher and historian of science in Islam Martin Meir Plessner (1900–1973), who found the separation of science and politics utterly crucial (and difficult for an Arabic and Islam expert at the heart of the Arab-Jewish conflict), had his estate divided between two archival institutions for this reason. The stories of these archives are stories of rejection, exile, struggle, and neglect – and possibly, eventual redemption. Tim Friedrich Meier Vom Messmakler zum Pelzhändler: Zur Wirtschaftsgeschichte der Leipziger Juden im 19. und frühen 20. Jahr­hundert Up until World War II, the fur trade was one of Leipzig’s most prosperous economic sectors, integrating the city into a global production and trading network and establishing it as a major trading place for this “soft gold” alongside London and New York. In this context, Jewish entrepreneurs played a significant role, for it is estimated that up to 75 percent of the fur trading houses in Leipzig were owned by Jewish families. Consequently, this industry suffered severely under the Nazi regime, was later nationalized under communist rule, and dissolved completely after the reunification of Germany in 1990. Nevertheless, the memory of the fur city is still cherished today and has become inseparably linked to the memory of Jewish life, both in Leipzig’s commemorative culture and scholarly research. This literature survey tries to reconstruct the development of this close nexus by showing how research on the Jewish protagonists evolved out of the fur industry’s own prewar publications, which tried to establish a common self-concept based on historical narratives. It also illuminates how some key publications shaped Leipzig’s culture of remembrance after 1990 and how this standardization of a historical narrative might today be misleading. Elena Müller Zoology in Translation: Archiving Heinz Steinitz’ Life in Science The archive of Heinz Steinitz (1909–1971) provides a rare insight into the early days of zoology and marine biology in Israel. At the same time, it is the multilingual archive of a German-Jewish immigrant that reflects the linguistic changes not only he himself experienced, but that were taking place in

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Israel and the scientific world at large. Through his correspondence, one can trace a network that also included German scientists after 1945. This article seeks to unravel Steinitz’ translated life in its linguistic, relational, and collaborative forms from the perspective of both a researcher and an archivist, taking into account the cataloguing process itself. Ernst Müller Latenz und Explikation: Lazar Gulkowitsch und seine Begriffsgeschichte des jüdischen Geistes Lazar Gulkowitsch, who taught Wissenschaft des Judentums first in Leipzig and then, following his expulsion, in the Estonian town of Tartu, published the first monograph on the methodology of conceptual history in 1937, yet he remains totally unknown in this field of research. This article sketches his work on the history of Judaism and contextualizes it alongside approaches to conceptual history that were developed especially by Jewish intellectuals. A particular emphasis is here placed on Gulkowitsch’s categories of latency and explication. Meirav Reuveny The Heinz Steinitz Marine Biology Laboratory in Eilat: Science and Politics between Father and Son When Walter Steinitz (1882–1963) proposed the establishment of a marine research station to explore the unique geographic and biological conditions of the Red Sea at the Gulf of Eilat/Aqaba in Germany in 1919, he could not have predicted how the new political situation both in Germany and in Mandatory Palestine would later affect these efforts. The idea would be fulfilled by his son Heinz Steinitz (1909–1971), one of Israel’s leading zoologists, who had to struggle with the complicated situation of the Gulf of Eilat/Aqaba through the Sinai Campaign and the Six-Day War. The Heinz Steinitz archive illuminates the relations between a scientific discipline rooted deeply in the geography of a particular country and the ever-changing political situation of the region as well the varying concept of science and its benefits for nation-building between German Zionism and Israeli foreign politics.

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Judith Siepmann Büchergeschichten, Ordnungskonzepte und die Vielschichtigkeit der Erinnerung: Heinrich Loewe und die Sha’ar-Zion-Bibliothek in Tel Aviv This article examines the impact of book donations by German Jews during the 1930s on the Tel Aviv Municipal Library Sha’ar Zion under the direction of Heinrich Loewe. Against the background of Loewe’s elaborate concept of Jewish libraries in Palestine as institutions essential to preserving Jewish identity, intended to serve as places of “collective memory” through the formation of a primarily Jewish collection, this article analyzes how the municipal library was altered by the character of the donations, the donators’ own ideas of collecting, and the perceptions of the library’s function and meaning. The element of “memory” attached to the donations gains an additional centrality and complexity in the historical context of the 1930s. Anja Thiele »Ich erzähl dir nicht die Nachkriegsgeschichte, ich erzähl dir, was mir ­passiert ist« – Jüdische Erinnerung an die Schoah in Erzähltexten von Stephan Hermlin, Fred Wander und Jurek Becker This article analyzes how writers of Jewish origin living in the GDR tried to articulate the Jewish experience of the Holocaust in their literary works, while at the same time correlating it to the predominant interpretative scheme of the antifascist resistance struggle. Examining texts by Stephan Hermlin (Die Zeit der Gemeinsamkeit [The Time of Togetherness], 1949), Fred Wander (Der siebente Brunnen [The Seventh Well], 1971), and Jurek Becker (Der Boxer [The Boxer], 1976), three ways to do so will be identified: In the formative years of the GDR, Stephan Hermlin advocated a synthesis and argued that the antifascist resistance struggle was the continuation of an ancient Jewish tradition of protest. Fred Wander, by contrast, extended the official interpretive scheme of the antifascist resistance struggle, augmenting it with a concept of everyday artistic forms of opposition that has its roots in Hasidism. Finally, Jurek Becker questioned both postwar socialist and Jewish interpretive schemes of resistance altogether due to the very experience of the Holocaust.

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Alexander Walther Der Gerichtsreporter als Zeuge: Rudolf Hirsch und die Erinnerung an die Schoah in der DDR Though the Shoah was hardly at the core of the GDR’s memory practices, it was regularly addressed by a few individuals, despite all obstacles. This paper analyzes the works of Rudolf Hirsch, the most prominent and widely read legal correspondent of the GDR, focusing on the way the Shoah was represented therein. While Hirsch often wrote polemically about alleged West German neo-Fascism, thus contributing actively to the Party’s campaigns against the Federal Republic, he never fully adopted a Marxist view. Rather, his personal experiences forced him to write more empathically and to analyze the Shoah by merging Marxism with a Jewish perspective. Daniel Weidner Epochenbruch, Hinterlassenschaft und Geschichte des Denkens: Georg Simmels Nachleben This article examines the posthumous impact and readings of Georg Simmel during the interwar period. Aside from his not inconsiderable impact within his discipline, the readings often move in the gray area between different discourses, with the work and person of Simmel repeatedly being employed to interpret the times. In his obituaries, an extremely ambivalent image of Simmel was already being constructed as the apex and culmination point of an era. In numerous recollections, Simmel moreover increasingly acquired a pronounced physiognomy of thought in which his “Jewishness” played a central role. Precisely because he is regarded as a typical representative of German Jewry, the portrait of Simmel after 1945 can serve to describe this Jewry. Shira Wilkof City, Utopia, and Migrant Displacement: The Archive of Urban Planner Ariel Kahane This article explores the collection of the planner and architect Ariel (Anselm) Kahane (1907–1986), which is held at the Central Archive of the Hebrew University, as a “deliberate site” of utopian intention. Despite his high-ranking positions both within the British colonial and Israeli planning systems, Kahane has remained under the scholarly and professional radar, his work being almost entirely forgotten. Against this background, the article

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argues that the story of the making of the archive is linked to its utopian content, and that both of these aspects are rooted in Kahane’s cultural position as a Jecke, a German-trained planner operating within the context of Zionist nation-building. The article provides a first attempt at exploring this virtually unknown planner’s work and assessing his contribution to the field. It traces his attempts to call attention to his utopian blueprints drawn throughout his five-decade career: from his virtually unnoticed planning exhibition in Jerusalem in 1945 – arguably the first to be held in Palestine – to his work as a state planner in the 1950s and the unrealized New Town of Oshrat, through to his international activity as a UN expert in Turkey in the 1960s. The article charts Kahane’s development from being principally an importer, a producer, and later exporter of distinct professional knowledge. In doing so, it argues that Kahane’s story serves as a powerful platform from which to explore the encounter between German-Jewish intellectual migration, Zionist nation-building, and transnational circulation of knowledge and expertise. Shelly Zer-Zion The Archive of the Habima Secretariat: Margot Klausner and the Making of a National Stage In 1935, the relationship between Margot Klausner and Habima, now the National Theater of Israel, and at the time a prestigious Hebrew troupe operating as a collective of actors, ran into a severe crisis. The contentious termination of Klausner’s collaboration with Habima marked her disappearance from the history of Hebrew theater. Klausner left a large archival corpus that documents her managerial activity at the Habima secretariat and at the theater’s philanthropic organizations, yet her absence from the history of the National Theater of Israel also affected the poor handling of her archive. These documents, written mostly in German and dating from the years 1927 to 1935, remained uncatalogued and closed to researchers and the wider public for decades, until the inauguration of the project “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel,”, a joint project of the Franz Rosenzweig Minerva Research Center and the Deutsches Literaturarchiv Marbach. This article examines the rediscovered archival corpus, aiming to restore Klausner and her deeds to the history of Hebrew theater and to understand how this archival corpus challenges and reshapes our understanding of Habima’s history.

Contributors Lina Barouch received her PhD in German-Jewish literature from the University of Oxford. Until 2019, she was an associate researcher at the Franz Rosenzweig Minerva Research Center (FRMRC) at the Hebrew University of Jerusalem and academic coordinator of the international project “­Traces of German-Jewish History. Preserving and Researching German-Jewish ­Archives in Israel,” a collaboration between FRMRC and the Deutsches Literaturarchiv Marbach. Publications: Between German and Hebrew. The Counterlanguages of Gershom Scholem, Werner Kraft and Ludwig Strauss, Berlin/Boston, Mass./Jerusalem 2016; Hölderlin in Jerusalem. Buber and Strauss on Poetry and the Limits of Dialogue, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/Journal of German-Jewish Literature and Cultural History 8 (2014), no. 2, 289–307; Anti-Purismus und Parodie. Die mehrsprachigen Gedichte von Ludwig Strauss in Palästina 1936–37, in: Jahrbuch für Exilforschung 32 (2014), 259–275; The Erasure and Endurance of Lament. Gershom Scholem’s Early Critique of Zionism and Its Language, in: Jewish Studies Quarterly 21 (2014), no. 1, 13–26. Silja Behre received her PhD from Bielefeld University and the École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris in 2014. She was a research assistant at the Collaborative Research Center at Bielefeld University (“The Political as Communicative Space in History,” 2008–2012) and a lecturer for the DAAD in Paris (2012–2014). Her work focuses on questions of transnational intellectual history and on the sociology and theory of memory studies. Following a postdoctoral fellowship at the Franz Rosenzweig Minerva Research Center at the Hebrew University of Jerusalem, she is currently a postdoctoral fellow at the Minerva Institute for German History at Tel Aviv University (2017–2019), where she pursues her work on the intellectual biography of the German-Israeli religious scholar Jochanan Bloch (1919–1979) as well as on the general history of academic and intellectual relations between Israel and postwar Germany. Publications: Bewegte Erinnerung. Deutungskämpfe um “1968” in deutsch-französischer Perspektive, Tübingen 2016; Wo liegt “1968”? Die historische Einordnung der 68er Bewegung in Deutschland und Frankreich, in: Sonja Levsen/Cornelius Torp (eds.), Wo liegt die Bundesrepublik? Vergleichende Perspektiven auf die westdeutsche Geschichte, Göttingen 2016, 68–86; Simone de Beauvoirs Engagement für das Russell-Tribunal – Die Intellektuelle im Kollektiv?, in: Ingrid Gilcher-Holtey (ed.), Eingreifende Denkerinnen. Weibliche Intellektuelle im 20. und 21. Jahrhundert, Tübingen 2015, 123–135. JBDI / DIYB • Dubnow Institute Yearbook 17 (2018), 641–650.

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Dina Berdichevsky is a lecturer at the Department of Literature at Tel Aviv University, Israel. She received her PhD from the Hebrew University of Jerusalem in 2017, where she wrote her dissertation on the essayistic poetry of the early-twentieth-century Hebrew writer Yosef Ḥayim Brenner (1881– 1921). Between 2017 and 2019, she was a postdoctoral fellow at the Dubnow Institute. Berdichevsky’s current project discusses the rise of Hebrew literary modernism at the beginning of the twentieth century. Publications: Jews, Essayists, and the Rest of the Genre-Less. Brenner and His Literary Times, in: Mi-ka’n. Ketav et le-ḥeker ha-sifrut ve-ha-tarbut ha-yehudit ha-yisra’elit [Mikan. Journal for Hebrew and Israeli Literature and Culture Studies] (Heb., forthcoming); Hide and Seek. Brenner’s London as a Crossroads in the Story of Early Hebrew Modernism (Heb.), in: Meḥkare Yerushalayim be-sifrut ivrit [Jerusalem Studies in Hebrew Literature] 30 (2019), 57–80; Not from Here, Not from Here. Brenner’s Essayistic Novel beyond the Realist Paradigm (Heb.), in: Ot. Ketav et le-sifrut ve-le-te’oria [Ot. A Journal for Literature and Theory] 8 (2018), 59–85; Measuring Distances. Hebrew Essayists Reading World Literature, in: Prooftexts. A Journal of Jewish Literary History 36 (2017), no. 1–2, 27–52. Michael Casper is a Shvidler Visiting Research Fellow at the New York Public Library and Fordham University. In 2019, he received his PhD in History from the University of California, Los Angeles, where his dissertation was entitled “Strangers and Sojourners. The Politics of Jewish Belonging in Interwar Lithuania, 1914–1940.” His work focuses on the cultural, political, and intellectual history of the Yiddish-speaking world. With Nathaniel Deutsch, he is coauthor of A Fortress in Brooklyn, forthcoming with Yale University Press. Netta Cohen is a Junior Research Fellow at Christ Church College at the University of Oxford. She completed her PhD there in 2019 at the Wellcome Unit for the History of Medicine. In 2018/19, she was a doctoral fellow at the Center for Jewish History in New York City and a research affiliate at the Taub Center for Israel Studies at New York University. She also participated in the Leo Baeck Fellowship Programme. Between 2014 and 2015, she was a fellow at the Franz Rosenzweig Minerva Research Center at the Hebrew University of Jerusalem, where she took part in two of the Center’s projects: “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel” and “Placing the Irreplaceable. Cultural Property and Restitution Documentation after 1945.” Her research focuses on modern Jewish environmental history.

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Oskar Czendze is a PhD candidate in the History Department at the University of North Carolina at Chapel Hill and a TEP fellow at the Carolina Center for Jewish Studies. He received his MA in Modern and Contemporary History and his BA in German Studies and History from the University of Augsburg. In 2015/16, he spent a graduate exchange year in the Department of History at Emory University. His doctoral research traces the dynamics of memory and identity by examining Jewish immigrant communities from the Habsburg crownland of Galicia in New York. Specifically, he focuses on the transnational evolution of the figure of the Galitsyaner between Europe and the United States from the late nineteenth century until the outbreak of World War II. Publications: Rekonstruktionen eines Erinnerungsraums: Bukowina und “Bukowinismus” in den Lebensgeschichten deutscher und polnischer Umsiedler, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung/Journal of East Central European Studies 68 (2019), no. 1, 57–81 (with Maren Röger); Old Homes Made New. American Jews Travelling to Eastern Europe from 1920 until the Present, in: Sabine Marschall (ed.), Memory, Migration and Travel, London/New York 2018, 146–169 (with Jason Francisco). Ludwig Decke studied contemporary history at the Friedrich Schiller University Jena, the Hebrew University of Jerusalem, and the University of Wisconsin-Madison. From 2012 to 2016 he studied philosophy and social sciences at Leipzig University, where he completed his BA in 2016. From 2013 to 2018, he worked as a student and research assistant at the Dubnow Institute. He has received scholarships from the Rosa Luxemburg Foundation and the Fulbright Commission and was awarded the Matthias Erzberger Price in 2017. Publications: Illiberale Demokratie “avant la lettre”. Zu Carl Schmitts demokratietheoretischen Überlegungen in der Weimarer Republik, in: Sebastian Elsbach/Ronny Noak/Andreas Braune (eds.), Konsens und Konflikt. Demokratische Transformation in der Weimarer und Bonner Republik, Stuttgart 2019, 279–293; Art. “Schmitt, Carl,” in: Michael Fahlbusch/Ingo Haar/ Alexander Pinwinkel (eds.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Akteure, Netzwerke, Forschungsprogramme, second extended and revised ed., Berlin/Boston, Mass., 2017, 732–736 (with Raphael Gross). Cathy S. Gelbin is Professor of Film and German Studies at the University of Manchester. She received her PhD and MA from Cornell University, Ithaca, N. Y. A film historian and cultural studies scholar, she has worked on Ho­ locaust representations and modern German-Jewish culture with a particular interest in issues of gender, sexuality, and race. She is co-editor of the Leo Baeck Institute Year Book and serves on the Executive Board of the Leo Baeck Institute London. She is currently working on Jewish dissidence in the Eastern bloc. Publications: From Sexual Enlightenment to Racial Anti-

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semitism. Gender, Sex, and Jewishness in Weimar Cinema’s Monsters, in: Iris Idelson-Shein/Christian Wiese (eds.), Monsters and Monstrosity in Jewish History. From the Middle Ages to Modernity, London 2019, 118–133; Cosmopolitanisms and the Jews, Ann Arbor, Mich., 2017 (with Sander L. Gilman); Nomadic Cosmopolitanism. Jewish Prototypes of the Cosmopolitan in the Writings of Stefan Zweig, Joseph Roth and Lion Feuchtwanger, 1918–1933, in: Jewish Culture and History 16 (2015), no. 2, 157–177; Jewish Culture in the Age of Globalisation, London 2014 (ed. with Sander L. Gilman); Cinematic Representations of the Holocaust, in: Jean-Marc Dreyfus/Daniel Langton (eds.), Writing the Holocaust, London/New York 2011, 26–40; The Golem Returns. From German Romantic Literature to Global Jewish Culture, 1808–2008, Ann Arbor, Mich., 2011. Philipp Graf studied history and German literature at Leipzig University. He was a doctoral candidate at the Dubnow Institute from 2003 to 2006 and Ernst C. Stiefel Global Fellow at New York Law School in 2006/07. From 2007 to 2015, he was a research associate within the Academy Project “European Traditions – Encyclopedia of Jewish Cultures” at the Dubnow Institute. Since 2016, he holds a position as a research associate at the Dubnow Institute. His current research project deals with the political biography of the communist lawyer Leo Zuckermann (1908–1985). Publications: Forced Migration and Flight. New Approaches to the Year 1938, thematic focus in: Dubnow Institute Yearbook 16 (2017) [2019], 149–288 (ed. with Elisabeth Gallas and Frank Mecklenburg); Ein Paradigma der Moderne. Jüdische Geschichte in Schlüsselbegriffen. Festschrift für Dan Diner zum 70. Geburtstag, Göttingen/Bristol, Conn., 2016 (ed. with Arndt Engelhardt, Lutz Fiedler, Elisabeth Gallas, and Natasha Gordinsky); Die Bernheim-Petition 1933. Jüdische Politik in der Zwischenkriegszeit, Göttingen 2008. Ulrike Huhn studied history and German literature at the Humboldt University of Berlin and the University of Leicester. From 2011 to 2018, she was a research assistant at the Research Centre for East European Studies in Bremen. She has been working at the University of Bremen since 2018. She received her PhD in Eastern European History at the Humboldt University of Berlin in 2014. Her current research focuses on the history of science, especially in the field of ethnology, in the late Soviet Union. Publications: The Adventure of Individuality. Visual Representation of the Post-War Soviet Village and the Ambivalences of Ethnographic Photography during Late Stalinism and the “Thaw,” in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 65 (2017), no. 3, 362–400; Die Wiedergeburt der Ethnologie aus dem Geist des Atheismus. Zur Erforschung des “zeitgenössischen Sektierertums” im Rahmen von Chruščevs antireligiöser Kampagne, in: Jahrbücher für Geschichte

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Osteuropas 64 (2016), no. 2, 260–298; Glaube und Eigensinn. Volksfrömmigkeit zwischen orthodoxer Kirche und sowjetischem Staat, 1941 bis 1960, Wiesbaden 2014. Markus Krah studied American Studies at the Ludwig Maximilian University of Munich and received his PhD in Modern Jewish Studies from the Jewish Theological Seminary in New York. Since 2013, he has been a lecturer in Jewish religious and intellectual history at the University of Potsdam (School of Jewish Theology). In 2019/20, he is a visiting research fellow at Vanderbilt University in Nashville, Tenn., sponsored by the Alexander von Humboldt Foundation. He is an editor of PaRDeS, the journal of the German Association for Jewish Studies, and the initiator of a network of scholars working on transnational topics in American Jewish history. His research focuses on transnational relationships among American and European Jewries. His current project examines the transnational history of the American publishing house Schocken Books and its cultural influence among American Jews after 1945. Publications: American Jewry and the Re-Invention of the East European Jewish Past, Berlin/Boston, Mass., 2018; Partisan Reviews and Commentaries on Eastern European Judaism, in: Eliyana R. Adler/Sheila E. Jelen (eds.), Reconstructing the Old Country. American Jewry in the Post-Holocaust Decades, Detroit, Mich., 2017, 87–110; Clinging to Borders and Boundaries? The (Sorry) State of Transnational American Jewish Studies, in: American Jewish History 101 (2017), no. 4, 519–533; Further Forward through the Past. Postwar American Jews Reconfigure the East European Tradition in Cultural Terms, in: Shofar. An Interdisciplinary Journal of Jewish Studies 35 (2017), no. 4, 111–131; Jewish Studies in Germany, in: AJS News, January 2017. Jeannette van Laak studied history, German, and philosophy at the Friedrich Schiller University Jena, where she finished her PhD in 2001. She completed her habilitation in 2016 at the Justus Liebig University of Giessen and became an associate at the Martin Luther University of Halle-Wittenberg in 2019. From 2017 to 2020, she was a research associate at the Dubnow Institute. Her academic interests include European contemporary history with a focus on migration experiences as well as the history of Jews in the GDR. She is currently working on the life and work of Lea Grundig (1906–1977). Publications: Aufbruch ins Morgen. Zum Werk Lea Grundigs in Palästina (1940–1948), in: Zeitschrift für Museum und Bildung 86/87 (2019), 1­ 02–114; Practical Knowledge and Inner-German Migration, 11  ­ February  2019, (30  January 2020); Einrichten im Übergang. Das Aufnahmelager Gießen (1946–1990), Frankfurt a. M. 2017; Bühne der Dissidenz. Kulturpolitische Konflikte in der

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Provinzhauptstadt Gera in den 1980er Jahren, in: Lutz Niethammer/Roger Engelmann (eds.), Bühne der Dissidenz und Dramaturgie der Repression. Ein Kulturkonflikt in der späten DDR, Göttingen, Bristol, Conn., 2014, 55–119; Aktivisten der ersten Stunde. Die Antifa in der Sowjetischen Besatzungszone, Cologne/Weimar/Vienna 2002. Amit Levy studied history and political science at the Hebrew University of Jerusalem, where he received his MA in 2016. He is currently writing his PhD thesis there, which focuses on the transplantation of Oriental studies from Germany to Palestine/Israel and the role of the School of Oriental Studies and its scholars in that process. He was a PhD fellow of the Leo Baeck Fellowship Program 2017/18 and is currently a PhD Honors Program member at the Jack, Joseph and Morton Mandel School for Advanced Studies in the Humanities at the Hebrew University. He is research coordinator of “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel”, a joint project of the Franz Rosenzweig Minerva Research Center and the Deutsches Lite­raturarchiv Marbach. Publications: A Discipline in a Suitcase. The Scientific “Nachlass” of Josef Horovitz, in: Elisabeth Gallas/Anna Holzer-Kawalko/Caroline ­Jessen/ Yfaat Weiss (eds.), Contested Heritage. Jewish Cultural Property after 1945, Göttingen 2020, 113–123; Israel. Orientalist Collections at the National Library of Israel, in: Geschichte der Germanistik. Historische Zeitschrift für die Philologien 49/50 (2016), 147 f.; A Man of Contention. Martin Plessner ­(1900–1973) and His Encounters with the Orient, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-­jüdische Literatur- und Kulturgeschichte 10 (2016), no. 1, ­79–100; “The Sheik.” Understanding American Orientalism through Visual and Narrative Differences in Three Decades of Discussion (Heb.), in: Slil. Online Journal for History, Film and Television 10 (2016), 40–58, (30 January 2020); “Ma’alesh, nistader.” Aravit ba-folklor ha-palmaḥ shel shenot ha-arba’im [“Ma’alesh, nistader.” Arabic in the Folklore of the Palmach during the 1940s], in: Hayo Haya. Bama ze’irah le-historia [Hayo Haya. A Young Forum for History] 11 (2015), 46–66. Tim Friedrich Meier studied medieval and modern history as well as philosophy at Leipzig University. He completed his diploma in 2017 with a thesis on the Russian-German economist Heinrich Friedrich von Storch (Russ.: Andrey Karlovich Shtorkh, 1766–1835) and his concepts of trade and economic development. His research focuses on commerce and economic thinking in the nineteenth and twentieth centuries. He is also engaged in the history of modern philosophy and political thought (especially Karl Jaspers). He is currently preparing a PhD thesis on Jewish merchants in Saxony in the eigh­ teenth and nineteenth centuries.

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Elena Müller studied history, Hebrew, and politics at Freie Universität Berlin and University College London, obtaining her BA in 2013. In 2015, she received her MPhil in Modern Jewish Studies from the University of Oxford. She participated in the project “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel” (a cooperation between the Franz Rosenzweig Minerva Research Center and the Deutsches Literaturarchiv Marbach) in 2016, cataloguing the archive of Heinz Steinitz. She currently works in Tübingen. Publications: A Room of Her Own. Jenny Aloni zwischen Deutsch und Hebräisch, in: Norbert Otto Eke/Stephanie Willeke (eds.), Zwischen den Sprachen – Mit der Sprache? Deutschsprachige Literatur in Palästina und Israel, Bielefeld 2019, 147–163; Demokratisches Gedenken. Die Erinnerung an Matthias Erzberger in Reutlingen, in: Reutlinger Geschichtsblätter N. F. 57 (2018), 175–199. Ernst Müller studied philosophy and received his PhD from the Humboldt University of Berlin in 1987. From 1987 to 1990, he worked at the Institute of Literary History at the Academy of Sciences of the GDR. After a two-year stay as a postgraduate at the Graduate College “Kommunikationsformen als Lebensformen” (University of Siegen), he taught at the Institute of Philosophy at Humboldt University, where he has been an Associate Professor (Privatdozent) since 2003. Since 2001, he has been working on different projects at the Leibniz Center for Literary and Cultural Research (ZfL) in Berlin. He specializes among other things on the history of concepts. Publications: Ästhetische Religiosität und Kunstreligion in den Philosophien von der Aufklärung bis zum Ausgang des deutschen Idealismus, Berlin 2003 (reprint Berlin/Boston, Mass., 2015); Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin 2016 (with Falko Schmieder). Meirav Reuveny is a PhD candidate in the Department of Jewish History and Contemporary Jewry at the Hebrew University of Jerusalem and an archivist at the Leo Baeck Institute Jerusalem for the Study of German-Jewish History and Culture. Her research focuses on the cultural history of Central and Eastern European Jewry and the relationship between Jews and language in the modern era. Her PhD dissertation, written under the supervision of Prof. Richard I. Cohen and Dr. Aya Elyada, explores discourse about the Hebrew language in the Jewish press in Hebrew, Yiddish, and German during the period 1856–1914. Publications: Hebraist in Berlin. Shai Ish Hurwitz, Historical Consciousness and the Hebrew Language Revival, 1903–1914 (Heb.), in: Zion. A Journal of Jewish History 83 (2018), no. 1, 71–105.

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Judith Siepmann studied theater studies, German literature, and history with a focus on Jewish history at the universities of Munich and Tel Aviv. She received her MA (Magister) from the Ludwig Maximilian University of Munich in 2012. From 2012 to 2015, she organized and catalogued the papers of Heinrich Loewe at the Tel Aviv Municipal Library (with Lina Barouch) as well as a larger section of the archive in the Leo Baeck Institute Jerusalem within the framework of the project “Traces and Treasures of German-Jewish History in Israel” led by the Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA) and the Franz Rosenzweig Minerva Research Center at the Hebrew University of Jerusalem. From 2015 to 2018, she contributed to a project of Guy Miron at the Open University of Israel/Yad Vashem on the Jewish perception of time and space in Nazi Germany, funded by the Israel Science Foundation. In 2018, she joined the Dubnow Institute as a doctoral candidate in the framework of the research project “Material Traces of German-Speaking Jews. Book Collections and Libraries in Eastern Europe after World War II.” Publications: Ein Mikrokosmos der deutschsprachigen Emigration. Heinrich Loewe und die Sammlung des Beit Ariela, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/Journal of German-Jewish Literature and Cultural History 7 (2013), no. 1–2, 217–238. Anja Thiele studied German literature, art history, philosophy, and communication science at the Universities of Erfurt and Jena. From 2015 to 2018, she was a PhD candidate and research associate at the Europäisches Kolleg Jena “Representing the 20th Century” at the Friedrich Schiller University of Jena. Since 2019, she has been a research associate at the Institute for Democracy and Civil Society in Jena. Her PhD focuses on representations of the Holocaust in GDR literature. Publications: Chassidische Konstellationen. Fred Wander und Martin Buber, in: Walter Grünzweig/Ute Gerhard/Hannes Krauss (eds.), Erzählen zum Überleben. Ein Fred Wander Handbuch, Wien 2019, 104–113; “Wenn wir alles andere vorher vergessen wollten, würden wir nie mehr zum Leben kommen.” Die literarische Auseinandersetzung mit (vererbten) Shoah-Traumata in der DDR am Beispiel Jurek Beckers, in: Freie Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie 20 (2017), no. 2, 84–87; “Welch Wort in die Kälte gerufen” – eine Lyrikanthologie über die Shoah im Kontext der DDR-Erinnerungskultur, in: Medaon. Magazin für jüdisches Leben in Forschung und Bildung 10 (2016), no. 19, 1–15 (30 January 2020). Alexander Walther studied history and English in a teacher training course at the Friedrich Schiller University of Jena, passing the first state examination in 2014. From 2010 to 2015, he worked as a student and research assistant at the Imre Kertész Kolleg Jena. Since 2015, he has been a doctoral candidate

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at the Friedrich Schiller University of Jena and currently works as a research associate at the Europäisches Kolleg Jena “Representing the 20th Century”. His dissertation project investigates the multifaceted forms of commemoration practices and representations of the Shoah within the GDR’s culture of remembrance. Publications: Keine Erinnerung, nirgends? Die Shoah und die DDR, in: Deutschland-Archiv, 6 August 2019, (30 January 2020); Zur Rolle der Familie in den Erinnerungen jugoslawischer Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland, in: Meike Sophia Baader/ Petra Götte/Wolfgang Gippert (eds.), Migration und Familie. Historische und aktuelle Analysen, Wiesbaden 2018, 101–112; Kulmhof/Chełmno nad Nerem, in: Jörg Ganzenmüller/Raphael Utz (eds.), Orte der Shoah in Polen. Gedenkstätten zwischen Mahnmal und Museum, Cologne/Weimar/Vienna 2016, 67–98 (with Christian Jänsch); Zur Würde von Menschen an Orten nationalsozialistischer Massenverbrechen, in: ibid., 329–348 (with Christian Jänsch). Daniel Weidner is a professor in the Department of Cultural History and Theory at the Humboldt University of Berlin and head of the research area “World Literature” at the Leibniz Center for Literary and Cultural Research in Berlin (ZfL). His research focuses on the relationship between religion and literature, the history of philology and literary theory, and German-Jewish literature. Among other things, he is also a co-editor of Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften and of Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/ Journal of German-Jewish Literature and Cultural History. Publications: Handbuch Literatur und Religion, Stuttgart 2016 (ed.); ­Blumenberg lesen. Ein Glossar, Berlin 2014 (ed. with Robert Buch); Sakramentale Repräsentation. Substanz, Zeichen und Präsenz in der Frühen Neuzeit, Munich 2012 (ed. with Stefanie Ertz and Heike Schlie); Bibel und Literatur um 1800, Munich 2011; Gershom Scholem. Politisches, esoterisches und historiographi­ sches Schreiben, Munich 2003. Shira Wilkof is a historian of modern urbanism and spatial disciplines, specializing in knowledge migration from Central Europe to the Middle East. She studied architectural history at the University of California, Berkeley, where she completed her doctoral degree in 2017. She is currently the Spinoza Postdoctoral Fellow at the University of Haifa. From 2017 to 2018, she was working as a postdoctoral researcher on the project “The Historical Archives of the Hebrew University 1918–1948. German-Jewish Knowledge and Cultural Transfer” (a cooperation between the Deutsches Literaturarchiv Marbach and the Franz Rosenzweig Minerva Research Center). In 2018/19, she was a Thomas Arnold Postdoctoral Fellow at The Zvi Yavetz School of

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Historical Studies at Tel Aviv University. She is a recipient of the Dan David Postdoctoral Prize (2019/20). Publications: An “Ordinary Modernist”? Empire and Nation in Ariel Kahane’s Large-Scale Planning, in: Planning Perspectives, 24 May 2019, DOI: 10.1080/02665433.2019.1614972; “Hizdamnut historit.” Nof, memlakhtiyut ve-taḥarut be-hakamat ha-gan ha-le’umi sovev ḥomot Yerushalayim, 1967–1969 [“A Historical Opportunity.” Landscape, Statism, and Competition in the Creation of the Walls of Jerusalem National Park, 1967–1969], in: Katedra. Le-toldot Ereẓ Yisra’el ve-yishuva [Cathedra. For the History of Eretz Israel and Its Yishuv] 163 (2017), 163–190 (with Alona Nitzan-Shiftan); New Towns, New Nation. Europe and the Emergence of Zionist-Israeli National Planning between the Wars, in: Helen Meller/Heleni Porfyriou (eds.), Planting New Towns in Europe in the Interwar Period. Experiments and Dreams for Future Societies, Cambridge 2016, 195–227. Shelly Zer-Zion is a lecturer in the Department of Theatre at the University of Haifa. She studied theater, literature and history at the Hebrew University of Jerusalem, Tel Aviv University, and Ludwig Maximilian University of Munich, and received her PhD from the Hebrew University. She was a Fulbright postdoctoral fellow at the Skirball Department of Hebrew and Judaic Studies at New York University, a research fellow at the University of California, Santa Cruz, and served as the director of the Israeli Center for the Documentation of the Performing Arts (ICDPA) at Tel Aviv University. Her fields of interest are Jewish and Hebrew theater, European modernism and theater historiography. Publications: Ha-bima. Iyunim ḥadashim be-te’atron le’umi [Habima. New Studies on National Theatre], Tel Aviv 2017 (ed. with D ­ orit Yerushalmi and Gad Kaynar-Kissinger); Ester Rokhl Kaminska and the Legitimization of Yiddish Theatre, in: Journal of Modern Jewish Studies 16 (2017), no. 3, 465–480; Habima. Eine hebräische Bühne in der Weimarer Republik, transl. by Markus Lemke, Paderborn 2016; Ha-bima be-Berlin. Misudo shel te’atron ẓiyoni [Habima in Berlin. The Institutionalization of a Zionist Theater], Jerusalem 2015; Sholem Aleichem in Weimar Berlin. The Cultural Semiotics of Eastern European Jewish Performances, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 24 (2014), no. 2, 261–278; The German Archive of the Hebrew Habima. Bureaucracy and Identity, in: Naharaim. Zeitschrift für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte/ Journal of German-Jewish Literature and Cultural History 7 (2013), no. 1–2, 239–260 (with Jan Kühne).