Düstere Aufklärung: Die Detektivliteratur von Conan Doyle bis Cornwell 9783205791072, 9783205786023

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Düstere Aufklärung: Die Detektivliteratur von Conan Doyle bis Cornwell
 9783205791072, 9783205786023

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Literaturgeschichte in Studien und Quellen Band 19 Herausgegeben von Klaus Amann Hubert Lengauer und Karl Wagner

Sonja Osterwalder

Düstere Auf klärung Die Detektivliteratur von Conan Doyle bis Cornwell

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Gedruckt mit Unterstützung durch: Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien Universität Klagenfurt Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im ­Herbstsemester 2008 auf Antrag von Prof. Dr. Barbara Naumann und Prof. Dr. Karl Wagner als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78602-3 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2011 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau-verlag.com Umschlaggestaltung: Michael Haderer Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Gesamtherstellung: Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln

Danksagung

Ich möchte all jenen Menschen (u. ä.) danken, die mich während des Schreibens an diesem Buch gutmütig ertragen haben und die mir, als es ans Korrigieren ging, zur Seite standen: meinen Eltern Erna und Robert Osterwalder, meinen Schwestern Brenda und Pascale, Charlotte H. (those were the days), Philipp Späti, Simon Zumsteg und vor allem Edith Wildmann, die sich mit tapferer Begeisterung durch die einzelnen Kapitel hindurchgelesen hat. Mein besonderer Dank gilt Barbara Naumann für ihre Unterstützung und ihr kühnes Vertrauen und Karl Wagner für seine Großzügigkeit und seine Großartigkeit. Dieses Buch gehört der Erinnerung an Frieda Buob-Ludescher, meine Großmutter.

The world of research has gone berserk – Too much paperwork. (Bob Dylan, Nettie Moore)

Footnotes are real. (Michael Crichton, State of Fear)

Inhalt

Einleitung Am Fe n ste r . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  13

Kapitel 1  : C. Auguste Dupin – der Auftakt Tod de m Zu fal l .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  15

Kapitel 2  : Sherlock Holmes Nichts Neues unter der Sonne .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  44

Kapitel 3  : Holmes, Freud, Amerika Am Anfang war der Mord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  85

Kapitel 4  : Sam Spade, Philip Marlowe Der Schuss ins Blaue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

Kapitel 5  : Lew Archer The Freudian bastard takes over . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

157

Kapitel 6  : Abschied Privatdetektiv, Auftritt Kommissar & Kommissarin Lebwohl, mein Liebling .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

Kapitel 7  : Kay Scarpetta Out there, somewhere, is a man . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nachwort Düstere Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222

Literatur .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Licht ist nicht das geeignetste Medium, die Dinge zu sehen, sondern bestimmte Dinge zu sehen. Jetzt, bei bewölktem Himmel, habe ich vom Balkon aus mehr Einzelheiten der Landschaft gesehen als an den sonnigen Tagen. Sonnentage heben bestimmte Gegenstände auf Kosten anderer hervor, die sie im Schatten lassen. Das halbe Licht eines bewölkten Tages stellt alle auf die gleiche Ebene und rettet die Vergessenen vor dem Halbdunkel. So sehen auch bestimmte mittlere Intelligenzen die Welt mit größerer Genauigkeit und nuancenreicher als die strahlenden Intelligenzen, die nur das Wesentliche sehen. (Julio Ramón Ribeyro, Heimatlose Geschichten)

Einleitung

Am Fenster „Analogien sind tödlich.“ (Thomas Bernhard, Verstörung)

Manchmal, wenn ich spätnachts – auf der Suche nach dem Feuerzeug oder einer Zigarette – in die Küche gehe, muss ich feststellen, dass ich vergessen habe, das Fenster zu schließen. Mit weit geöffneten Flügeln rahmt es einen Teil des gegenüberliegenden Hauses ein, und wenn ich ganz nahe herantrete, kann ich die nächtliche Straße sehen und auch das dicke Rohr, das an meinem Fenster vorbeiführt, um weiter oben in die Dachrinne zu stoßen. Dann, und nur für einen kurzen Augenblick, muss ich an jenen Affen denken, der vor mehr als anderthalb Jahrhunderten im nächtlichen Paris einen Blitzableiter hochkletterte, sich durch ein offenes Fenster schwang und den Damen Espanaye auf entsetzliche Weise das Leben nahm. Rasch schließe ich das Fenster, und die Erleichterung, die mich dann streift, ist ebenso schattenhaft und flüchtig wie die Erinnerung an das mörderische Tier. Der blutrünstige Orang-Utan ist einer Erzählung Edgar Allan Poes entlaufen, die, dem allgemeinen Konsens folgend, die Detektivliteratur begründet. In The Murders in the Rue Morgue (1841) löst der Amateurdetektiv C. Auguste Dupin seinen allerersten Fall anhand einer eher ausführlich geschilderten als streng befolgten Methode. Dass der Untertitel meiner Arbeit die Pionierleistung des großen Südstaatlers verschweigt und die Detektivliteratur mit Conan Doyle beginnen lässt, hat zwei Gründe  : Zum einen wird der berühmte Ästhet Poe schamlos dem Gelingen einer Alliteration geopfert  ; zum anderen sei hier die berühmte Frage  : Was wäre Sherlock Holmes ohne Dupin  ? – mit einer Gegenfrage beantwortet  : Was eigentlich wäre Dupin ohne Sherlock Holmes  ? (Wird der Pariser Chevalier nicht erst mit Hilfe des Londoner Meisterdetektivs, der dem düsteren Vorläufer in einigen Zügen nachgezeichnet ist, zu Dupin, dem ersten privaten Ermittler der Weltliteratur  ?) Diese Arbeit ist ein langer Blick auf eines der inzwischen erfolgreichsten literarischen Genres überhaupt, geworfen an tausend bewölkten Tagen und in ebensovielen undurchdringlichen Nächten. In den gut 150 Jahren, die die Detektivliteratur inzwischen zählt, geschehen augenfällige Entwicklungen wie

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Einleitung

der Wechsel von der short story zum Roman, stete Umarbeitungen und ehrgeizige Neuinterpretationen der Detektivfigur sowie ihrer Gegenspieler und schließlich der Wandel vom Privatdetektiv zum beamteten Ermittlertum. An diesem beiläufig gepflückten Strauß von Veränderungen kann man die möglichen perspektivischen Einfärbungen des Blicks, der die Detektivliteratur betrachtet, bereits ablesen  : Er kann gattungstheoretische Fragen ins Visier nehmen, individuelle Eigenarten bestimmter Autoren in den Vordergrund rücken oder aber eine ideologiekritische Lektüre unternehmen. Mein Blick zielt auf die Detektivfiguren – denn von ihnen erzählen die Geschichten und Romane – und an den Ermittlern vorbei auf die Methoden  ; an den Methoden nämlich hängt die ganze Welt der Detektivliteratur  : Die Ermittler, die Täter, die Verbrechen und die Aufklärung sind durch das detektivische Vorgehen wie durch ein unsichtbares Band miteinander verknüpft. Wer die Methoden betrachtet, dem eröffnet sich der Goldene Schnitt, die verborgenen harmonischen und ästhetischen Gesetzmäßigkeiten des Genres. Keine andere Gattung, mit Ausnahme vielleicht des Märchens, benötigt für den Bau der dargestellten Welt so viele Entsprechungen, Ähnlichkeiten und Vergleichbarkeiten. Aus all den hier versammelten literarischen Schulen und Autoren ragt zweifellos Sigmund Freud als große Fragwürdigkeit hervor. Denn anders als Poe, Conan Doyle, Chandler oder Cornwell gehört der Begründer der Psychoanalyse nicht zu den Vertretern der Detektivliteratur. Um Freuds Platz innerhalb dieser Arbeit dennoch zu rechtfertigen, ist aber nur ein wenig Vertrauen in jene lichte Logik nötig, die Sherlock Holmes in seinen Fällen die Richtung weist und die ihre gewaltige Lebenskraft aus starken Behauptungen zieht.

Kapitel 1  : C. Auguste Dupin – der Auftakt

Tod dem Zufall „Das große Preisen von Dingen erinnert zu oft an Armut von Erfahrungen.“ (Adalbert Stifter, Der Nachsommer)

Als 1841 Charles Dickens’ Roman Barnaby Rudge in Fortsetzungen in einer britischen und nur kurze Zeit später in einer amerikanischen Zeitung erschien, präsentierte im Mai desselben Jahres ein amerikanischer Kritiker den auf die Folter gespannten Lesern genüsslich die weitere Plotentwicklung und im Besonderen die Auflösung des Mordes am Gutsbesitzer Reuben Haredale, auf dessen Mysterium die ganze Spannung der Geschichte gebaut war. „Barnaby, the idiot“, heißt es da mit unverhohlener Schadenfreude, „is the murderer’s own son.“1 Zum Zeitpunkt der Enthüllung waren einzig die ersten Kapitel des Romans veröffentlicht. Dieser amerikanische Kritiker, so das zweideutige Kompliment von Dickens, „muß der Teufel in Person sein“, denn tatsächlich offenbarte der vollständige Roman, dass die Prophezeiungen fast zur Gänze zutrafen.2 1842 unternahm der junge Dickens, aufwendig frisiert, hochberühmt und gefeiert, eine Amerika-Reise und traf im März in Philadelphia ein, wo er den Teufel in Person, der unter dem christlichen Namen Edgar Allan Poe als Redakteur arbeitete, zu zwei kurzen Audienzen lud. Bereits 1836 war Poe zum ersten Mal als Detektiv in Erscheinung getreten, als er in einem Beitrag für den Southern Literary Messenger das Rätsel um Maelzels Schachspielautomaten löste.3 Der „schachspielende Türke“, wie der Automat wegen der orientalisch kostümierten Puppe genannt wurde, hatte seit den 1770er-Jahren in Europa, ab 1826 auch in den Vereinigten Staaten die Fantasie des Publikums beschäftigt. Allerdings war Poe nur einer von vielen, die ihre Mutmaßungen über das Innenleben des wundersamen Automaten in Zeitschriften veröffentlichten  ; seine Enthüllung war weder neu noch originell 1 Saturday Evening Post, 1. Mai 1841, zit. nach Frederick S. Frank u. Anthony Magistrale (Hgg.)  : The Poe Encyclopedia. Westport, London 1997, S. 33. 2 Frank T. Zumbach  : Edgar Allan Poe. Eine Biographie. Düsseldorf 1995, S. 445. 3 Poes Essay erschien in der April-Ausgabe unter dem Titel Maelzel’s Chess Player.

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Kapitel 1  : C. Auguste Dupin – der Auftakt

– dass sich im Gehäuse des Automaten ein kleinwüchsiger Mann befindet, der mit Hilfe einer mechanischen Vorrichtung die Figuren auf dem Schachbrett bewegt, war ein offenes Geheimnis der Zeit. Erst posthum wurde Poe, ganz in der Tradition eines Ödipus, die Ehre zuteil, als scharfsichtiger Entlarver eines übergroßen Rätsels zu gelten, und zwar deshalb, weil die Nachwelt ihn als einen solchen sehen wollte.4 Die Aura der Dupin-Figur war längst auf ihren Schöpfer übergegangen. Der verarmte Adlige C. Auguste Dupin tritt zum ersten Mal 1841 als Detektiv auf. In The Murders in the Rue Morgue löst er einen spektakulären Mordfall, in dem er einen Menschenaffen als Täter ermittelt. Mit The Mystery of Marie Rogêt (1842/43) und The Purloined Letter (1844) erscheinen in den folgenden Jahren noch zwei weitere Dupin-Erzählungen, ehe Poe dem von ihm ins Leben gerufenen Genre bereits wieder den Rücken kehrt. Warum der Südstaatler trotz des vergleichbar großen Erfolges der Detektivgeschichten keine weiteren Versuche unternommen hat, ist eine der Preisfragen der PoeForschung. Als beliebteste Antwort wird gern eine Briefstelle zitiert, in der Poe die engen Möglichkeiten des neuen Genres mit der Attitüde des gelangweilten romantischen Genies, dem seine jüngste Schöpfung bereits wieder verleidet ist, kritisiert.5 Die fraglos kühnste Antwort aber lieferte Joseph Wood Krutch in seiner Monografie mit dem programmatischen Titel Edgar Allan Poe  : A Study in Genius (1926). Poe, so Krutchs Befund, habe den streng rationalen Dupin erfunden, um mit der Figur, letztendlich erfolglos, seinen eigenen Wahnsinn zu tarnen.6 So grotesk diese Erklärung für heutige Ohren klingen mag und so dick die Staubschicht sein muss, die auf einer solchen Begründung liegt – sie ist im Großen und Ganzen für die Gemeinde der Poe-Forscher

4 Vgl. hierzu W. K. Wimsatt, Jr.: Poe and the Chess Automaton. In  : Louis J. Budd u. Edwin H. Cady (Hgg.)  : On Poe. Durham, London 1993, S. 78–91. 5 Es ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, diese eine Briefstelle in einem Aufsatz über Poe nicht anzutreffen. Sie lautet  : „[P]eople think [the tales of ratiocination] are more ingenious than they are – on account of their method and air of method. In The Murders in the Rue Morgue, for instance, where is the ingenuity of unravelling a web which you yourself (the author) have woven for the express purpose of unravelling  ? The reader is made to confound the ingenuity of the supposititious Dupin with that of the writer of the story.“ Poe an Philip Pendelton Cooke, zit. nach Scott Peeples  : Edgar Allan Poe Revisited. New York 1996, S. 126. 6 Joseph Wood Krutch  : Edgar Allan Poe. A Study in Genius. New York 1926. Vgl. hierzu  : J. Gerald Kennedy  : The Limits of Reason. Poe’s Deluded Detectives. In  : Louis J. Budd u. Edwin H. Cady (Hgg.)  : On Poe. Durham, London 1993, S. 172–184. Hier  : S. 173. Noch kühner und haltloser ist allerdings Krutchs These, Poe besitze keinen Humor  ; vgl. Krutch, Edgar Allan Poe, 203ff.

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durchaus repräsentativ. Denn es gibt kaum einen anderen Autor, dessen Werk von der Literaturwissenschaft so notorisch mit der Biografie verknüpft und dessen Seelenleben derart penetrant auf die Couch gebettet wurde wie Poes.7 In Krutchs Deutung der Detektivgeschichte als kunstvolle Maske der geistigen Zerrüttung liegt aber auch der stille Hinweis, dass die Dupin-Erzählungen in einer Art und Weise aus der Umgebung des Poe’schen Werkes herausragen, die Erklärungsbedarf weckt. Poe selbst bezeichnete seine Detektivgeschichten als tales of ratiocination, eigentlich „Schlussfolgerungsgeschichten“, und ihr außergewöhnlicher Status beruht zum einen auf dem Fest des analytischen Denkens, das in den Erzählungen begangen wird, zum anderen aber auf dem Umstand, dass dreimal derselbe Held im Zentrum steht.

Er ist der Mann  ! Dem Autor, der zeitlebens ohne den Schutz, den das Urheberrecht spendet, auch an großen Publikumserfolgen kaum etwas verdiente, wurden nach dessen Tod von der Literaturgeschichtsschreibung hastig eine ganze Reihe von Patenten ausgestellt  : Rasch galt er als Erfinder der science fiction, der short story, der Detektivgeschichte und gar als Gründervater der literarischen Moderne. Für viele mag Poe der einsame Meteorit sein, der vom Himmel fiel und dessen Einschlag neue literarische Genres bescherte  ; doch lässt sich ebenso aus soziologischen, kriminologischen und literarischen Entwicklungslinien ein Knoten knüpfen, in dessen dunklen Schlaufen die Detektivgeschichte entsteht. 7 Mit Ausnahme vielleicht von Franz Kafka. Die düsteren Poe-Legenden – das Bild vom nekrophilen Säufer und perversen Wüstling – wurden bereits von den Zeitgenossen gestrickt. Im 20. Jahrhundert kam die Pathologisierung des Autors hinzu. Den Anfang machte Krutch, gefolgt von Marie Bonaparte, die mit The Life and Works of Edgar Allan Poe. A Psychoanalytic Interpretation die erste psychoanalytisch-orthodoxe Werkmonografie vorlegte, die das unbewusste psychische Leben des Autors zum Schlüssel der Werkinterpretation kürt. In seinem kurzem Vorwort schreibt Freud über die Untersuchung seiner Musterschülerin  : „Thanks to her interpretative effort, we now realise how many of the characteristics of Poe’s works were conditioned by his personality, and can see how the personality derived from intense emotional fixations and painful infantile experiences.“ (XI) Auch die begeisterte Aneignung und tendenziöse Auslegung der Poe’schen Vita durch Baudelaire war nicht dazu angetan, den Südstaatler von pathologischen Diagnosen zu befreien, die auch heute noch gern serviert werden. Eine Kostprobe aus dem Jahr 1988 bietet etwa Dietrich Kerlen  : „Mag Poe lebenspraktisch ein verhinderter Erwachsener gewesen sein – in seiner Poesie hat er sich zu einer eigenen Erwachsenheit durchgearbeitet.“ Dietrich Kerlen  : Edgar Allan Poe. Elixiere der Moderne. München 1988, S. 95.

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Kapitel 1  : C. Auguste Dupin – der Auftakt

Da ist zum einen das Anwachsen der Städte, die das, was man seit Baudelaire lapidar als „Großstadterfahrung“ bezeichnet, den Menschen aufzwingt  : die Erfahrung der Masse, der Anonymität wie auch des sich Verlierens im Menschenbad  ; endlose Straßenfluchten, neue Perspektiven und, daran geknüpft, eine neue Schule der Wahrnehmung  ; die Feier des Nachtlebens, das Nebeneinander von sozialen Gegensätzen auf engstem Raum sowie deren Vermischung und die daraus entstehenden Möglichkeiten  : schneller gesellschaftlicher Aufstieg, schneller Abstieg, dezidiertere Einladungen, potenziertere Gelegenheiten zu kriminellen Machenschaften. In der Kurzgeschichte The Man of the Crowd (1840) berichtet ein Erzähler von seinen Beobachtungen der Menschenmasse  ; er sitzt in einem Londoner Kaffeehaus und betrachtet das „wogende Meer menschlicher Köpfe“8, das an ihm vorüberzieht. Anonymität bedeutet nicht nur den bedrohlichen Verlust der Identität, der für das Lebensgefühl der Moderne so gern konstatiert wird  ; sie ist gleichsam die Voraussetzung für ungestörte Beobachtung auf der einen, für rettendes Untertauchen auf der anderen Seite. Detektiven wie Kriminellen bietet die Uniformität der Masse denselben Schutz, wie es einst für die glücklicheren Helden der Märchen die Tarnkappe tat. Die zweite Entwicklungslinie betrifft die Neuerungen in der zeitgenössischen Kriminalistik. In seiner Studie über den Poe-Verehrer Baudelaire verknüpft Walter Benjamin die Geburt der Detektivgeschichte mit den damals neuen Möglichkeiten der Fotografie. „Am Anfang des Identifikationsverfahrens“, schreibt Benjamin, „dessen derzeitiger Standard durch die Bertillonsche Methode gegeben ist, steht die Personalbestimmung durch Unterschrift. In der Geschichte dieses Verfahrens stellt die Erfindung der Fotografie einen Einschnitt dar. Sie bedeutet für die Kriminalistik nicht weniger als die des Buchdrucks für das Schrifttum bedeutet hat. Die Fotografie ermöglicht zum ersten Mal, für die Dauer und eindeutig Spuren von einem Menschen festzuhalten. Die Detektivgeschichte entsteht in dem Augenblick, da diese einschneidendste aller Eroberungen über das Inkognito des Menschen gesichert war. Seither ist kein Ende der Bemühungen abzusehen, ihn dingfest im Reden und Tun zu machen.“9 Wird die zeitliche Nähe des Anfangs der Detektivge8 Edgar Allan Poe  : The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe. Hertfordshire 2004, S. 208  : „[…] the tumultuous sea of human heads […]“. 9 Walter Benjamin  : Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus. In  : Ders.: Gesammelte Schriften. Hg. v. Rolf Tiedeman u. Hermann Schweppenhäuser. Bd. I.2. Frankfurt a. Main 1991, S. 509–653. Hier  : S. 550.

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schichte zur Erfindung der Fotografie von Benjamin betont, aber nicht bewertet, haben sich vor allem im breiten Windschatten von Foucaults Ablehnung der Kriminalliteratur Stimmen erhoben, die in der Detektivgeschichte eine raffinierte Propaganda der staatlichen Kontrollinstanzen ausmachten.10 Eine solche, der Ideologiekritik verpflichtete Lesart unterschlägt nicht nur die höchst ambivalente Rolle des Privatdetektivs – vor allem immer dort, wo es um Recht und Ordnung geht –, sondern auch die rabenschwarze Sicht auf die Polizeiarbeit. Ebenso muss sie die lustvolle Zertrümmerung von kriminalistischen Identifikationsbemühungen verschweigen, die das Genre in gleichem Maße zum Thema macht wie die Beglaubigung der erkennungsdienstlichen Anstrengungen. Ähnlich wie es Slavoj Žižek für den Untergang der Titanic beschrieben hat, deren Attribut der Unsinkbarkeit die Angst vor dem Schiffbruch stets mit sich führte, blickt hinter der „Unfehlbarkeit“ des Fingerabdrucks und der „todsicheren Beweiskraft“ von DNA-Spuren das Grauen vor dem Irrtum immer schon hervor. Dieses Grauen lassen einige Autoren ab und an in kalte Gewissheit umschlagen, und so wird der Glaube an die kriminalistische Dreifaltigkeit – Fotografie, Fingerabdruck und DNA-Spur – in der Detektivliteratur ebenso gefeiert wie erschüttert.11 In Poes Detektivgeschichten stehen jedoch noch weniger spezifische Identifikationsverfahren auf dem Spiel als vielmehr die Polizeiarbeit im Ganzen, deren Methodik sich einzig als eifrige Geschäftigkeit zeigt. „Die ganze Geistesgeschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Diebstählen“, schreibt Egon Friedell in der Einleitung zu seiner Kulturgeschichte der Neuzeit. „Und wenn einmal eine Stagnation eintritt, so liegt der Grund immer darin, daß zuwenig gestohlen wird.“ 12 In einem solchen Verständnis von Kulturgeschichte erscheinen die innovativsten Geister als die be-

10 Als theoretische Grundlage einer solchen Einordnung der Detektivliteratur gilt Foucaults Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Vgl. etwa Teresa L. Ebert  : Ermittlung des Phallus. Autorität, Ideologie und die Produktion patriarchaler Agenten im Kriminalroman. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. München 1998, S. 461–485. Ebert verlötet darin Foucault, Marxismus und Feminismus zu einem tödlichen Schraubstock für die Detektivliteratur. Eine differenziertere Sichtweise vertritt Martin A. Kayman  : The Short Story from Poe to Chesterton. In  : Martin Priestman (Hg.)  : The Cambridge Companion to Crime Fiction. Cambridge 2003, S. 41–58. Hier  : S. 44. 11 Vgl. Slavoj Žižek  : Liebe Dein Symptom wie Dich selbst  ! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien. Berlin 1991, S. 17ff. 12 Egon Friedell  : Kulturgeschichte der Neuzeit. Bd. 1. München 2003, S. 52f.

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Kapitel 1  : C. Auguste Dupin – der Auftakt

gabtesten Diebe.13 Von allen Schätzen im Poe’schen Werk am deutlichsten als Diebesgut erkennbar ist die gothic novel. Schauerromane und Rätselgeschichten (mystery novels) waren bei der zeitgenössischen amerikanischen Leserschaft äußerst beliebt, und wer seine Geschichten in den Literaturzeitschriften gedruckt sehen wollte, tat gut daran, den Motivschatz der Schauerromantik neu zu verwerten. Galt in der deutschen Romantik ein italienisches Setting als Gruselgarantie, griffen die amerikanischen Autoren für Schauereffekte mit Vorliebe auf deutsche Namen und deutsche Landschaften zurück  ; dass Poe sein erstes Prosastück Metzengerstein (1832) nennt, ist eine berechnende Anbiederung an den Lesergeschmack der Zeit. Die Unterschiede zur zeitgenössischen Konkurrenz liegen nicht in der Themenwahl, sondern in Poes besonderem Interesse für psychische Dispositionen, die er mit ungewöhnlichen Erzählperspektiven verknüpft.14 Häufig lässt er seine Protagonisten die eigenen mysteriösen Handlungen und Erlebnisse im Tonfall ernsthafter Logik kommentieren. Dem Mesmerismus Verfallene, unheimliche Doppelgänger, lebendig Begrabene und vom Wahnsinn Heimgesuchte bevölkern die tales of terror, Schauergeschichten, welche die Überreizt- und Überspanntheit nicht nur zum Thema machen, sondern zum poetologischen Programm  ; die Übertreibung, das entsetzliche Extrem, regiert den Inhalt und die Art und Weise des Erzählens. In The Fall of the House of Usher (1839) begräbt der nervenkranke Roderick Usher seine Schwester bei lebendigem Leibe, um schließlich, als diese blutüberströmt wiederkehrt, tot zu Boden zu stürzen – „ein Opfer der Schrecken, die er vorausgeahnt hatte“.15 Die albtraumhaften Szenerien und Szenarien bleiben für Erklärungsversuche undurchdringlich, sie locken mit einer geheimen Logik der Unentrinnbarkeit und entziehen sich doch der Fassbarkeit. Von den tales of terror führt ein unterirdischer Gang direkt zu den Detektivgeschichten  : Am Eingang dieses Tunnels steht eine Logik, die, wie in The Black Cat (1843), William Wilson (1839) oder The Fall of the House of Usher, direkt in die Arme des Unerklärlichen führt  ; an dessen Ausgang, bei den ta13 Daniel Hoffman nennt die Bestohlenen mit Namen  : E.T.A. Hoffmann, Tieck, Hood, Shelley, Moore, Byron, Milton. Vgl. Daniel Hoffman  : Poe Poe Poe Poe Poe Poe Poe. New York 1972, S. 101. 14 Vgl. Benjamin F. Fisher  : Poe and the Gothic Tradition. In  : Kevin J. Hayes  : The Cambridge Companion to Edgar Allan Poe. Cambridge 2002, S. 72–91. Hier  : S. 78ff. 15 Hier die deutsche Übersetzung von Barbara Cramer-Nauhaus und Erika Gröger, Edgar Allan Poe  : Der Teufel im Glockenturm und andere Erzählungen. Hg. v. Günter Gentsch. Frankfurt a. Main, Leipzig 1993, S. 318. Im Original  : Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 184  : „[…] a victim to the terrors he had anticipated“.

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les of ratiocination, eine Logik, die sich, ungleich bescheidener, das Erklärbare vornimmt.16 Von germanistischer Seite wird gern E.T.A. Hoffmanns Erzählung Das Fräulein von Scuderi (1819) als ein Vorläufermodell zu Poes Detektivgeschichten ins Spiel gebracht, denn darin geht zwar das schauerromantische Grauen um, wird aber durch die Ermittlungen der Scuderi schließlich aufgelöst.17 Am Ende übrig bleibt ein Täter, der – dieses Motiv wird wiederkehren – ein Künstler ist. Mit der Scuderi schickt Hoffmann jedoch selbst eine Künstlerin auf die Jagd, sie ist Romanautorin und damit noch vor dem lesenden Dupin die erste „literarische“ Detektivfigur. Auch die unnütze Vorgehensweise der Polizei kann man bereits hier antreffen, den unschuldigen Hauptverdächtigen, die Jungfräulichkeit als schützende Rüstung und das Panorama einer steil hierarchischen Adelsgesellschaft. Dass aber Poe und nicht Hoffmann als Schöpfer dieses neuen Genres gilt, hat seinen Grund in der Form der detektivischen Methode  ; während bei Hoffmann mütterliche Qualitäten wie Einfühlungsvermögen, Liebe, Verständnis und eine großartige rhetorische Begabung zur Lösung des Falles führen, fußt Dupins Verfahren, zumindest in der Theorie, auf analytischen Fähigkeiten, die nicht ein verständnisvolles Herz, sondern kühle Geistesgröße als Grundlage besitzen.18 Das Interesse der Detektivgeschichte, schreibt Benjamin, liege in einer „logischen Konstruktion“.19 Der „logischen“ Konstruktion wiederum kommt eine „logische“ Vorgehensweise des Detektivs entgegen, welche den Bauplan der Geschichte gleichsam unterstützt und bestimmt. 16 Ein anderes Unterscheidungskriterium zwischen tales of terror und tales of ratiocination bringt Christopher Benfey ins Spiel. In letzteren, schreibt Benfey, gehe es um die Whodunit-Frage  ; in den ersteren jedoch um die Frage nach dem Motiv. „If there is a mystery in these tales, it is the mystery of motive  : not who did it but why.“ Christopher Benfey  : Poe and the Unreadable. The Black Cat and The Tell-Tale Heart. In  : Kenneth Silverman (Hg.)  : New Essay’s on Poe’s Major Tales. Cambridge 1993, S. 27–44. Hier  : S. 29. 17 Für Richard Alewyn beispielsweise beginnt mit Das Fräulein von Scuderi die Geschichte des Detektivromans  ; vgl. Richard Alewyn  : Ursprung des Detektivromans. In  : Ders.: Probleme und Gestalten. Frankfurt a. Main 1974, S. 341–360. Hier  : S. 354. In der Meinung von Friedrich Kittler erringt Das Fräulein von Scuderi einzig wegen der Audienz beim Sonnenkönig den Titel „erste Detektivgeschichte der Weltliteratur“. Im Angesicht Ludwigs XIV. erzähle die Scuderi die Geschichte, so Kittler, „[…] in der Reihenfolge ihrer eigenen Eindrücke und Informationen, Vermutungen und Desinformationen“. Der König lausche der Detektiverzählung „mit immer steigendem und steigendem Interesse“. Friedrich Kittler  : Eine Detektivgeschichte der ersten Detektivgeschichte. In  : Ders.: Dichter – Mutter – Kind. München 1991, S. 197–218. Hier  : S. 215. 18 Vgl. Kittler, Eine Detektivgeschichte der ersten Detektivgeschichte, 212ff. 19 Benjamin, Charles Baudelaire, 544.

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Kapitel 1  : C. Auguste Dupin – der Auftakt

Auf die Spannung, die ein ungelöster Mordfall auf eine Geschichte ausstrahlt, setzen auch die großen Gesellschaftsromane der Zeit, angefangen mit Godwins Caleb Williams (1794) bis hin zu Dickens Barnaby Rudge (1841). Ein weiterer Bezugspunkt dürften für Poe die romantisierten Memoiren von François Eugène Vidocq, dem Begründer der Pariser Sicherheitspolizei, gewesen sein, die zwischen 1828 und 1829 in vier Bänden publiziert werden.20 Vidocq erzählt darin seinen – einem fantastischen Abenteuerroman in nichts nachstehenden – Wandel vom Kriminellen zum Polizeiminister  ; dass ein (geläuterter) Dieb der beste Diebesfänger sei, ist ein auf Vidocq zurückgehendes Diktum, das in der Populärkultur schon häufig verwertet wurde. Eingängiger und in seiner Darstellung verbreiteter allerdings ist der umgekehrte Werdegang  : der Polizist, der sich die Einsicht in die Welt des Verbrechens vergolden lässt. Bis ein Schatten des Zweifels auf die Polizei fällt und der korrupte Gesetzeshüter zu literarischen Ehren kommt, werden jedoch noch lange Jahrzehnte vergehen. Für den Chef der Surêté findet Poe wenig schmeichelhafte Worte. „Vidocq, for example“, heißt es aus Dupins Mund verächtlich, „was a good guesser, and a persevering man. But without educated thought, he erred continually by the very intensity of his investigations.“21 Das offensichtliche Vorbild herbeizuzitieren, um es dann genüsslich zu vernichten, gehört von nun an zum guten Ton  ; Sherlock Holmes wird später scharf mit Dupin („a very inferior fellow“22) abrechnen, dem er doch sein halbes Leben verdankt. Obwohl die Behauptung, Poe sei der Begründer der Detektivgeschichte, literaturwissenschaftliche Konvention ist, bleibt in der Forschung umstritten, wie viele Detektivgeschichten er tatsächlich geschrieben hat. Kürt man die Dupin-Figur nicht zum herausragenden Kriterium des neuen Genres, so finden neben The Murders in the Rue Morgue, The Mystery of Marie Rogêt und The Purloined Letter noch andere Erzählungen Platz, die alle in unmittelbarer Nähe zu den Dupin-Geschichten entstanden sind. Dazu gehören The Gold Bug (1843), in dem ein Kryptogramm entschlüsselt und ein Piratenschatz gehoben wird  ; Thou Art the Man (1844) und The Oblong Box (1844), die eine zynischheitere Seite des Genres betonen  ; und The Man of the Crowd (1840), die sich als frühe Reflexion zu den späteren Geschichten ausnimmt.23 20 Balzac hat seinen Zeitgenossen Vidocq in der Figur des Polizeichefs Vautrin in Père Goriot (1835) porträtiert. 21 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 12. 22 Arthur Conan Doyle  : The Penguin Complete Sherlock Holmes. London 1981, S. 24. 23 Vgl. zu The Gold Bug  : Peter Haining  : The Classic Era of Crime Fiction. London 2002, S. 6.  ; zu

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Die Grenze, die Horrorgeschichte und Detektivgeschichte voneinander scheidet, ist bisweilen bis zur Unkenntlichkeit schmal. Eine der eindringlichsten Erzählungen Poes ist genau an dieser unsicheren Trennlinie angesiedelt. In The Tell-Tale Heart (1843) wird zwar ausführlich ein Mordplan und dessen Ausführung mit der nervösen Stimme des Täters beschrieben, doch bildet die Enthüllung des Verbrechens den eigentlichen Höhepunkt der Geschichte.24 Erzählt wird das Misslingen des scheinbar perfekten Verbrechens, zu dessen Zutaten bereits bei Poe das spurlose Verschwinden der Leiche sowie die vordergründige Motivarmut der Tat gehören. In dieser Geschichte eines Mörders erhält auch die Polizei ihren Auftritt, die institutionellen Ermittler, obwohl an den Rand der Erzählung gedrängt, tragen am Ende den Sieg davon. Weil ihm das „blaßblaue Geierauge“ eines Alten unerträglich ist, beschließt der namenlose Ich-Erzähler, sich von dessen Anblick gewaltsam zu befreien. Den Mordanschlag führt er mitten in der Nacht durch, zerstückelt nach vollbrachter Tat die Leiche und bringt sie unter dem Dielenboden zum Verschwinden. Was für den Mörder eine künstlerische Herausforderung bedeutet, präsentiert sich der Polizei als albtraumhaftes Szenario, da – ohne Leiche, ohne Tatmotiv – die Rekonstruktion des Verbrechens zur Unmöglichkeit wird. Trost spendet hier einzig eine kriminalistische Abwandlung der Binsenwahrheit „Irren ist menschlich“  ; in den Worten der Kriminalisten lautet der Satz  : Jeder Täter macht Fehler. Wenn sich keine verräterischen Spuren der Tat finden, dann bleibt als Hoffnungsstreif am Horizont immer noch der Selbstverrat des Verbrechers. Als Polizisten auf die Meldung eines Nachbarn hin, der nachts einen Schrei gehört hatte, dem Mörder einen Besuch abstatten, spielt er den freundlichen Gastgeber – bis er das ohrenbetäubende Klopfen eines Herzens hört. Um das Geräusch zu übertönen, beginnt er lauter und lauter zu sprechen, die Polizisten aber „plauderten freundlich und lächelten“25. Vom Klopfen und vom „scheinheiligen Lächeln“26 der Beamten gepeinigt, gesteht der Mörder schließlich die Tat  ; da Poe die Geschichte aus Sicht des Mörders erzählen lässt, wird der Selbstverrat als ein inneres Drama dargestellt, als psychischer Thou Art the Man  : Fritz Wölcken  : Der literarische Mord. Eine Untersuchung über die englische und amerikanische Detektivliteratur. Nürnberg 1953, S. 39ff.  ; zu The Oblong Box  : Kennedy, The Limits of Reason, 181  ; zu The Man of the Crowd  : Benjamin, Charles Baudelaire, 550. 24 Tilman Höss unterscheidet Detektiv- und Kriminalgeschichte und schlägt die Erzählung dem Genre der Kriminalgeschichte zu. Vgl. Tilman Höss  : Poe, James, Hitchcock. Die Rationalisierung der Kunst. Heidelberg 2003 (= American Studies  ; 11), S. 142. 25 Ebenda  : „And still the men chatted pleasantly, and smiled.“ 26 Ebenda  : „I could bear those hypocritical smiles no longer  !“

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Konflikt, der im Geständnis  : „I admit the deed  !“27 seine Entladung erfährt. Weil wir einer Ich-Erzählung lauschen, bleibt aber unentscheidbar, wo die Grenze zwischen der dargestellten Wirklichkeit und deren Interpretation durch den Erzähler verläuft. Ob die Polizisten den Mann zum Verdächtigen auserkoren haben, ihn in ein Gespräch verwickeln, ihr Netz auswerfen, um einem Fehler aufzulauern, oder ob sie arglos der Einladung des Erzählers folgen, lässt der Text offen. Deutlich jedoch zeigt sich, wie eng die Strategien von Verbrecher und Detektiv aneinandergebunden sind  : Der Kriminelle stimmt sein Verhalten auf den von ihm vermuteten Wissensstand des Ermittlers ab, der Detektiv verbirgt sein Wissen hinter der Maske harmloser Routine. Das verräterische Klopfen des Herzens liest Ronald R. Thomas als eine Vorwegnahme des Lügendetektors, den Cesare Lombroso fünfzig Jahre später als Erster zum Einsatz bringen wird.28 Eigentliche Aufgabe und Vermögen des Lügendetektors ist es, die Veränderungen des Herzschlages zu registrieren. In Stresssituationen, also im Falle einer Lüge, so die Annahme, erhöht sich die Herzfrequenz. Während der Befragung eines Verdächtigen wird dessen Blutdruck mit Hilfe eines mechanischen Schreibers aufgezeichnet  ; so kann es geschehen, dass die vom Detektor notierte Geschichte eine ganz andere ist als jene, die der Befragte erzählt. Die Kriminalistik schlägt von Anfang an die Wahrheit und Authentizität der Körpergeschichte zu  : der Körper lügt nicht. So ist für Thomas das laut klopfende Herz in The Tell-Tale Heart nicht das des unter den Dielen liegenden Opfers, sondern das Herz des Schuldigen  : mit ohrenbetäubendem Lärm durchkreuzt es die Verstellungskünste und spricht die Wahrheit.29 Zu den verspielten Eigenarten Poes gehört es, dass er Themen, die in seinen Arabesken pathetisch überhöht sind, in seinen Grotesken parodiert und persifliert  ; so geben sich Ernst und Scherz über zwei Geschichten hinweg häufig die Hand.30 Auch innerhalb der Detektivgeschichten lassen sich solche Gegensatzpaare ausmachen. Tatsächlich gibt es ein wenig beliebtes Humor27 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 121. 28 Ronald R. Thomas  : Detective Fiction and the Rise of Forensic Science. Cambridge, New York 1999, S. 21ff. 29 Thomas, Detective Fiction and the Rise of Forensic Science, 23  : „What the culprit imagines to be the still-beating heart of his victim announcing its hidingplace is in fact his own physiological reaction to supressing the truth, a truth his pulse spells out as if it were directing the automatic writing of the gloved hand in Lombroso’s lie detector.“ 30 Vgl. Zumbach, Edgar Allan Poe, 352 u. 396. Zumbach referiert, markiert und unmarkiert, vor allem auf Daniel Hoffmans Studie Poe Poe Poe Poe Poe Poe Poe.

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stück Poes, das The Tell-Tale Heart aus anderer Perspektive erzählt. Thou Art the Man ist im Ton einer makaberen Burleske gehalten, was Fritz Wölcken zu dem Urteil verleitete, die Gestalten seien unglaubwürdig und grotesk, die Handlung eine Mischung aus Ekelhaftem und Banalem, der Stil primitiv.31 Geschildert wird der Mord an Mr. Shuttleworthy und dessen Aufklärung. Das Besondere des Textes liegt auch hier in der Erzählweise  : Mit beißendem Spott berichtet ein Ich-Erzähler vom Verschwinden des reichen Mr. Shuttleworthy und den Bestrebungen von Mr. Goodfellow, seinen engen Freund wiederzufinden und schließlich, als sich die Indizien zu einem Mord verdichten, den Neffen des Verschwundenen als vermeintlichen Täter an den Galgen zu bringen. Süffisant sät er kleine Hinweise, die darauf hindeuten, dass es sich bei „Old Charley Goodfellow“ um einen heimtückischen Heuchler handelt. Am Ende der Geschichte lässt der Erzähler, der inzwischen seine eigenen Nachforschungen angestellt und den Musterbürger als Mörder identifiziert hat, trickreich aus einer Weinkiste Shuttleworthys halbverweste Leiche hochschnellen und zu Mr. Goodfellow die Worte sprechen  : „Thou art the man.“32 Diese Anrufung ist Auflösung des Verbrechens und Richtspruch in einem  : Der Mörder stürzt, von der Wahrheit getroffen, tot zu Boden. Thou Art the Man ist der erste Versuch, eine Detektivgeschichte ausschließlich von der Ermittlerfigur erzählen zu lassen  ; abgesehen von zwei Sherlock-Holmes-Geschichten werden erst die Vertreter der hard-boiled school wieder auf dieses Erzählmodell zurückgreifen.33 Man sieht die motivische Ähnlichkeit der beiden Geschich31 Vgl. Wölcken, Der literarische Mord, 40. Auch Dorothy Sayers strafte die Geschichte mit einem „ungenügend“ ab  ; vgl. Stephen Knight  : Crime Fiction, 1800–2000. Detection, Death, Diversity. London, New York 2004, S. 28  ; Hoffman spricht von der Erzählung als „interesting sort of failure“. Hoffman, Poe Poe Poe Poe Poe Poe Poe, 117. 32 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 226. 33 Für völlig missglückt hält Wölcken an der Geschichte die starke ironische Färbung. „Gerade die Ironie ist auffällig  ; später in der Geschichte der Detektivliteratur finden sich nur selten Beispiele für Ironie und Humor. Es wird sogar deutlich werden, daß Ironie eine Wesenshaltung ist, die die ganze Grundlage zerstört, auf der sich die Detektivliteratur entfalten konnte.“ Wölcken, Der literarische Mord, 41. Wölckens These allerdings wird bereits mit Conan Doyles HolmesGeschichten widerlegt und später, ungleich lustvoller, von Raymond Chandler. Thou Art the Man gehört zu den äußerst seltenen Poe’schen Erzählungen, die den Leser mit einer Moral versorgen. Diese besagt, dass gute Bürger, vertrauenserweckende Personen, sich als Mörder entpuppen können, während scheinbare Taugenichtse wie der unter Mordverdacht stehende Neffe des Opfers, Mr. Pennifeather, sich nicht nur als unschuldig, sondern auch eines großen Erbes würdig erweisen können. Auf den moralischen Untergrund bauend, kann man die Geschichte auch als ironischen Kommentar Poes zum katastrophalen Verhältnis zu seinem

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ten  : der Plan des perfekten Mordes, die Überheblichkeit des Mörders, der körperliche Beweis, der die Wahrheit spricht und den Täter zum Geständnis zwingt. In Thou Art the Man ist der Auftritt der körperlichen Wahrheit zwar inszeniert, auch die Anrufung des Mörders geht schließlich auf „bauchrednerische Fähigkeiten“34 des Erzählers zurück, doch das Ergebnis bleibt dasselbe  : erst die Konfrontation mit der körperlichen Wahrheit führt zum Geständnis, und auch der Ausdruck der Gerechtigkeit, die dem Geständnis auf dem Fuß folgt, ist ein körperlicher – das Herz des Überführten hört auf zu schlagen. Mit seinen bauchrednerischen Fähigkeiten nimmt der Erzähler in einer ironischen Variante bereits die mit Pathos aufgeladene Deutung des Gerichtsmediziners vorweg, der den Toten auf dem Sektionstisch seine Stimme leiht, und ihnen damit ermöglicht, von ihrem gewaltsamen Ende Zeugnis abzulegen. Wer Thou Art the Man aber als bloße Parodie einer Detektivgeschichte liest, dem muss auch ein Handlungselement entgehen, das für die weitere Entwicklung des Genres richtungweisend ist. Die Beschreibung des aufkeimenden Verdachts gegen Mr. Goodfellow bildet die Vorhut zu einem Topos, der von nun an die Detektivliteratur begleiten wird. Während eines Streites beobachtet der Erzähler eine Veränderung in den freundlichen Zügen des Musterbürgers. Sichtbar wird ein „teuflischer Ausdruck“, „wenngleich nur für einen Augenblick“.35 Man wird später in der Kriminalistik das Detail heiligsprechen  ; der Grund dafür liegt nicht einfach darin, dass das Detail per se die Schatzkammer der Wahrheit darstellen würde, sondern in erster Linie in seinem Genügen wissenschaftlichen Ansprüchen gegenüber  ; es lässt sich fassen, festhalten, katalogisieren, archivieren. Weitaus schwerer hat es der Augenblick. Auch er kann, wie das Detail, im Feld der Sichtbarkeit erscheinen, aber er ist, und das nicht erst seit Goethe, flüchtig. Seine Zeitlichkeit macht ihn für kriminalistische Zwecke, und das heißt immer für die Verwendung als Beweismittel, ungeeignet, da das Festhalten des Augenblicks dem bloßen Zufall überlassen werden muss, wie es in Antonionis Blow Up (1966) geschieht.36 Der Aureichen Stiefvater, John Allan, lesen, der ihn in seinem Testament unberücksichtigt ließ. Vgl. Stuart u. Susan Levine  : Comic Satires and Grotesques, 1836–1849. In  : Eric W. Carlson (Hg.)  : A Companion to Poe Studies. Westport 1996, S. 129–148. Hier  : S. 139  : „The plot says most basically that sunny people like Charley Goodfellow may turn out to be liars and murderers, while waxy ne’er-do-wells, misunderstood, maligned, may at heart be worthy and innocent.“ 34 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 228  : „[…] ventriloquial abilities“. 35 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 227  : „[…] the fiendish expression which then arouse upon his countenance, although momentary […].“ 36 Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Julio Cortázar. Ein Fotograf, der in einem Park

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genblick ist nicht weniger aussagekräftig als das Detail, doch die Zufälligkeit seines Festhaltens lässt ihn in den Augen der Wissenschaft als unzuverlässig erscheinen. In der Detektivgeschichte aber erweist sich der verräterische Augenblick häufig als via regia zur Verbrechensaufklärung. Was im 19. Jahrhundert und also auch im Werk Poes einem Trend folgt, nämlich das (Pseudo-) Wissen der Physiognomik und Pathognomik literarisch zur Darstellung zu bringen37, wird in der Geschichte der Detektivliteratur zu einem herausragenden formalen Element, das gleichsam die inhaltliche Entwicklung steuert. Ein teuflischer Gesichtsausdruck, wenngleich nur für einen Augenblick sichtbar, wird zum Bedeutungsträger, das kurze Aufblitzen des wahren Gesichts bringt Licht ins Dunkel und scheint damit als vergänglicher Ort der Wahrheit auf. Zeigen sich in der tarnenden Verstellung Risse, kommt die tatsächliche Entstellung zum Vorschein. Damit erreicht in der Literatur gerade der flüchtige Moment den Rang des hauptsächlichen, ausschlaggebenden Hinweises. In der 1840 entstandenen Erzählung The Man of the Crowd wird die äußere Erscheinung eines Mannes, seine Physiognomie, jedoch zum Problem erklärt. Zwar ist es dem Erzähler und unglücklichen Detektiv möglich, den Mann in der Menge als „die Verkörperung, de[n] Genius tiefdunklen Verbrechens“38 zu identifizieren, aber seine Taten, die „Geschichte, die in dieser Brust niedergeschrieben“39 ist, bleibt unentdeckbar. Nach stundenlanger Verfolgung des Mannes und dem vergeblichen Versuch, das Rätsel der Verbrechen, das ihn umgibt, aufzulösen, setzt der Erzähler zur beinahe elegischen Bemerkung an  : „It will be in vain to follow  ; for I shall learn no more of him, nor of his deeds. The worst heart of the world is a grosser book than the Hortulus Animae, and perhaps it is but one of the great mercies of God that ‚er lasst sich nicht lesen‘.“40 Walter Benjamin hat diese Erzählung „das Röntgenbild einer arglos Aufnahmen eines Liebespaares schießt, entdeckt, als er die Bilder vergrößert, dass auf den Fotos zufällig eine Mordtat festgehalten wird. Als die Negative aus seinem Studio gestohlen werden, bleiben ihm einzig die Vergrößerungen – keine mikroskopisch genauen Beweismittel, sondern, im Gegenteil, unscharfe, schattenhafte Bilder. 37 Vgl. Claudia Schmölders  : Das Vorurteil im Leibe. Eine Einführung in die Physiognomik. Berlin 1997, S. 32. 38 Hier die Übersetzung von Barbara Cramer-Nauhaus und Erika Gröger, Poe, Der Teufel im Glockenturm, 389. Im Original  : Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 213  : „‚This old man‘, I said at length, ‚is the type and the genius of deep crime.‘“ 39 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 209  : „‚How wild a history‘, I said to myself, ‚is written within that bossom.‘“ 40 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 213. Vgl. zu  : „er lasst sich nicht lesen“  :

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Detektivgeschichte“ genannt. „Der umkleidende Stoff, den das Verbrechen darstellt, ist in ihr weggefallen. Die bloße Armatur ist geblieben  : der Verfolger, die Menge, ein Unbekannter, der seinen Weg durch London so einrichtet, daß er immer in deren Mitte bleibt.“41 Dieses Röntgenbild aber zeigt sinnigerweise gerade die Anatomie einer Detektivgeschichte, die erst mit Conan Doyle ihren Durchbruch erleben und ihre geglückte Form der erfolgreichen Jagd erhalten wird.42 Denn die Dupin-Erzählungen zeichnen sich, mit einigen bedeutenden Abstrichen zwar, durch ruhige Reflexion und einen ebenso erfolgreichen wie unverletzbaren Beobachterstatus des Detektivs aus. Aus diesem Grund sind für Thomas die drei berühmten tales of ratiocination die unmittelbare Antwort auf die Problematik der „Unlesbarkeit des Verbrechens“ und des detektivischen Misserfolgs. Mit der Figur Dupins habe Poe im eigentlichen Sinne des Wortes einen literarischen Detektiv (literary detective) geschaffen, dem das gelingt, woran der Erzähler in The Man of the Crowd scheitert  : die Lektüre des verbrecherischen Herzens.43

Stephen Rachman  : „Es lässt sich nicht schreiben“. Plagiarism and The Man of the Crowd. In  : Ders. u. Shawn Rosenheim (Hgg.)  : The American Face of Edgar Allan Poe. Baltimore, London 1995, S. 49–87. Im mysteriösen Schluss der Erzählung sieht Rachman Poes phrenelogisches Interesse am Werk  : „At the moment of decriptive drama, Poe resorts to a typological vocabulary (‚The type and genius of deep crime‘) of such generality that, like the language of astrological prediction, it could mean anything. […] Phrenological vocabulary, because of its typological abstraction, voids itself to be read.“ Hier  : S. 80. Im rätselhaften Verweis auf den Hortulus animae, den Poe – bereits als Vergleich – einem zeitgenössischen Band (Curiosities of Literature) entnommen hat, erkennt Rachman Poes Hang zum Plagiat wie den Willen, durch emphatische Theatralik die eigene Autorschaft zu etablieren  ; vgl. 81f. 41 Benjamin, Charles Baudelaire, 550. Den Unbekannten identifiziert Benjamin als den Flaneur, den er in Baudelaire wiederentdeckt. Elisabeth Bronfen wiederum sieht im Unbekannten den Doppelgänger des Erzählers  ; Elisabeth Bronfen  : Tiefer als die Nacht gedacht. Eine Kulturgeschichte der Nacht. München 2008, S. 398. 42 Dana Brand bezeichnet die Erzählung treffend als „embryo of a detective story“. Dana Brand  : The Spectator in the City in Nineteenth-Century American Literature. Cambridge 1991, S. 79. Dies wiederum ist eine Anleihe bei Carlo Ginzburg, der Voltaires Zadig die „embryonale Form des Detektivromans“ nennt. Carlo Ginzburg  : Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Berlin 2002, S. 37. 43 Thomas, Detective Fiction and the Rise of Forensic Science, 38.

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Leser, Spieler, Täuscher Die erste tale of ratiocination wird im April 1841 veröffentlicht, einen Monat bevor Poe das Barnaby-Rudge-Rätsel löst. Ursprünglich sollte die Erzählung Murders in the Rue Trianon heißen, doch Poe entschied sich schließlich, wohl als Tribut an den Lesergeschmack, der sich am gotischen Schauer labte, die Morde in der Rue Morgue, der Straße der Leichenhalle, geschehen zu lassen.44 Auch die zweite Erzählung, The Mystery of Marie Rogêt, führt noch im Titel das Vermächtnis der unheimlichen Rätselgeschichte mit sich. Mit Dupin, einer Nachtgestalt von höchster Bildung und zweifelhaftem Charakter, schafft Poe eine Figur, die den tales of terror entlaufen zu sein scheint  : Aus bester Familie stammend, den großen Reichtum „durch eine Reihe widriger Umstände“ verloren, lebt er im Faubourg St. Germain zurückgezogen in einem abgelegenen, altersschwachen Haus, das „seinem Einsturz entgegenschwankte“.45 Ganz einem Roderick Usher verwandt, wechseln sich bei Dupin Verdrossenheit und Lebhaftigkeit laufend ab. Ist Usher mit seiner Fähigkeit zu abnormen Sinneswahrnehmungen dem Tode immer schon anheimgegeben, zeigen sich Dupins krankhaftes Erkenntnisvermögen und sein Beobachtungszwang jedoch als Mittel der Welt- und Lebensbewältigung. Diese Wendung ins Positive, die Betonung des praktischen Wertes der krankhaften Auswüchse einer Begabung, macht eine der Besonderheiten der tales of ratiocination aus  ; für einmal jagt der von den eigenen Dämonen heimgesuchte Held nicht dem ebenso unausweichlichen wie fürchterlichen Untergang entgegen, sondern schlägt aus seinen zwanghaften Talenten Kapital und erntet Bewunderung. Die zweite, daran anschließende Eigenart der Poe’schen Detektivgeschichten liegt in der Bannung des Katastrophischen, das nur mehr als Vergangenheit in die Erzählungen hineinwirkt. Das schreckliche Schicksal, vom Protagonisten abgezogen und auf andere Figuren verschoben, steht nicht mehr als Drohung bevor, sondern liegt, gezähmt, in der Zeit festgefroren, im Rücken der Gegenwart. C. Auguste Dupin mag dem Kanon zufolge der erste Detektiv der Weltliteratur sein, für spätere Ausformungen der Detektivfigur selbst liefert er je44 Vgl. Dawn B. Sova  : Edgar Allan Poe A to Z. The Essential Reference to his Life and Work. New York 2001, S. 162. 45 Hier die Übersetzung von Barbara Cramer-Nauhaus u.a.: Edgar Allan Poe  : Die Morde in der Rue Morgue und andere Erzählungen. Hg. v. Günter Gentsch. Frankfurt a. Main, Leipzig 1993, S. 14. Im Original  : Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 4  : „[…] by a variety of untoward events […]“  ; „[…] a time-eaten and grotesque mansion […] tottering to its fall […].“

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doch nur in einer überschaubaren Anzahl von Punkten die Vorlage  ; erst Conan Doyle wird mit Sherlock Holmes literarisch das Feld bereiten, auf dem die kommenden Generationen von Detektiven aus dem Boden schießen. Die, zumal für private Ermittler, richtungsweisenden Eigenschaften Dupins sind rasch skizziert  : Er bewegt sich als Außenseiter am gesellschaftlichen Rand, bleibt fast gänzlich ohne biografische Züge, lebt in sicherem Abstand zum anderen Geschlecht und zeigt sich im Besitz außerordentlicher analytischer Fähigkeiten, anhand derer er seine Fälle zu lösen vermag. Anders als bei seinen Nachfolgern ist Dupins Heldentum jedoch mit einem unheimlichen Zug versehen  ; seinem Charakter, seiner Zurückgezogenheit, seinen Begabungen und Ambitionen wohnt so viel Dunkelheit inne, dass die lichten Eigenschaften, unerkannt, in den Schattenseiten untergehen.46 Die Verliebtheit in die Nacht, die krankhafte Färbung seines Könnens, markieren nur die brüchige Fassade, hinter der sich ein ungenannter Abgrund verbirgt. Er ist kein Gerechtigkeitsfanatiker, dieser Chevalier, seine Attitüden entbehren zur Gänze eines ritterlichen Anstrichs. Seine Motivation für die Verbrechensausklärung, sofern überhaupt zu ergründen, speist sich aus Eigennutz – Geld, Rache und persönliches Vergnügen spielen eine Rolle. Und wenn der Detektiv stolz verkündet  : „My ultimate object is only the truth“47 – dann legt er, der „nicht ein einziges Mal auf ‚falscher Fährte‘ gewesen“48 ist, mit Bedacht eine falsche Spur. Duper heißt an der Nase herumführen, und indem Poe Dupin als eine zwielichtige Figur entwirft, positioniert er ihn nicht als Gegenstück zum Verbrecher, sondern platziert ihn in dessen unmittelbarer Nachbarschaft. Darin ist auch eine Anlehnung an die Biografie Vidocqs zu erkennen  ; was in dessen Memoiren als äußere Handlung, als abenteuerlicher Lebensweg beschrieben wird, nämlich die Wandlung vom Verbrecher zum Polizeichef, findet sich bei Poes Detektiv als innere Disposition – der Erzähler selbst spricht vom „doppelten Dupin“.49 Aber mehr noch als eine Reminiszenz auf die Vita Vidocqs ist die düstere Detektivfigur der Versuch, Unmoral und Kriminalität zu trennen. Denn anders als in der bürgerlich imprägnierten Vorstellung, die Unsittlichkeit und

46 Peter Thoms nennt ihn „a tainted figure“. Peter Thoms  : Poe’s Dupin and the Power of Detection. In  : Kevin J. Hayes (Hg.)  : The Cambridge Companion to Edgar Allan Poe. Cambridge 2002, S. 133–147. Hier  : S. 136. 47 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 18. 48 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 17  : „To use a sporting phrase, I had not been once ‚at fault‘.“ 49 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 5.

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Verbrechertum für Synonyme hält, wird in der Detektivliteratur und vor allem in der Darstellung von Detektiven und ihren Gegenspielern Wert auf klare Unterscheidung gelegt. Bereits mit Sherlock Holmes sündigt der private Ermittler immer wieder vor dem Gesetz, niemals aber gegen Ethik und Moral  ; Dupin hingegen macht sich keines Vergehens schuldig – er bricht keine Türen auf, belügt nicht die Polizei – doch es fehlt die Moral. Schuld und Unschuld sind ihm einerlei, seine emotionale Beteiligung erschöpft sich in einem Rachegefühl, ein Verbrechen ist in erster Linie eine intellektuelle Herausforderung und ein Tatort die willkommene Spielwiese für seinen Beobachtungszwang. Kein anderer Ermittler lebt derart weit entfernt von der Forderung Chandlers, der Detektiv müsse ein Mann von Ehre und der beste Mensch der Welt sein.50 Auch die Herausstellung als Literat und Büchermensch besitzt hier noch eine andere Dimension als bei den nachfolgenden Ermittlern, die an passender Stelle in bildungsbürgerlicher Manier Zitate aus dem Kanon klauben. Bereits die erste Begegnung zwischen Dupin und dem Erzähler in einer „obskuren Bücherei“ schlägt die Literatur der Nachtseite zu  ; beide befinden sich auf der Suche nach demselben „merkwürdigen Band“ und verbringen später die Tage bei geschlossenen Vorhängen träumend und lesend.51 Die ungeheure Belesenheit Dupins ist dunkel eingefärbt, die Wahl seiner Zitate zielt nicht darauf ab, einen Sachverhalt mit einem Bonmot hübsch zu erleuchten, sondern, im Gegenteil, mit bedeutungsschwerer Vieldeutigkeit den Sinn zu verschleiern und verdüstern. Die Crébillon-Verse etwa, die der Detektiv am Ende von The Purloined Letter dem Minister zukommen lässt, verdichten im eigentlichen Sinn des Wortes die Aufklärung des Falles zu einem erneuten Rätsel.52 Und so entfalten weniger der in die Nacht verliebte Chevalier mit seinen extravaganten Fähigkeiten als vielmehr Struktur, Setting und Handlungsmotive die außerordentliche Wirkung, die bis in die heutige Zeit strahlt. Dazu gehören die engen Gassen der Großstadt, die Borniertheit der Vertreter der Polizei und ein den Detektiv bewundernder und in seiner Beschränktheit dem Leser schmeichelnder Erzähler  ; auch mit dem Streifen der höfischen Welt, der Adelsgesellschaft des Second Empire, gibt der Amerikaner die Richtung

50 Raymond Chandler  : The Simple Art of Murder. In  : Ders.: Pearls Are a Nuisance. Harmondsworth 1977, S. 181–199. Hier  : S. 198. 51 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 4  : „[…] at an obscure library […]“  ; „[…] the same very rare and remarkable volume […]“. 52 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 134  : „Un dessin si funeste, / S’il n’est digne d’Atrée, est digne de Thyeste.“

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vor, die später über Emile Gaboriau direkt ins spätviktorianische Großbritannien führt. Die Detektivgeschichte gerät in der Folge vor allem zu einer britischen Angelegenheit, und Richard Alewyn vermutet für dieses lokale Blühen der Gattung sozialgeschichtliche Ursachen  : „Könnte es sein“, so seine Frage, „daß eine Romanspezies, die sich das Abreißen ehrbarer Fassaden und die Entdeckung der sprichwörtlichen Gerippe im Wandschrank angesehener Familien zur Aufgabe gemacht hat, ihr Gedeihen der Doppelbödigkeit der viktorianischen Moral verdankt, und daß sie darum in den angelsächsischen Ländern so gut gediehen ist  ?“53 Auch das Rätsel des verschlossenen Zimmers (locked room mystery) und ein Hauptverdächtiger, der sich als unschuldig herausstellen wird, gehören zu den Motiven, die von nun an als Stammgäste die Detektivliteratur bewohnen werden. Wenn Poes tales of ratiocination aber als Gründungstexte des Detektivgenres fungieren, dann nicht nur wegen der Motive, die als Versatzstücke von den nachrückenden Generationen übernommen werden, sondern auch weil das große Thema des Genres hier als Ausnahme erscheint  : anders als bei späteren Autoren geschehen in den Geschichten keine Morde, ja nicht einmal von Verbrechen im eigentlichen Sinn kann die Rede sein. Das Vorgehen Dupins stützt sich auf ein gewaltiges analytisches Vermögen, das sich aus einer herausragenden Beobachtungsgabe und dem Ziehen von scharfen Schlüssen zusammensetzt  ; Ziel der Schlussfolgerungen ist es, Unwahrscheinliches von Unmöglichem zu scheiden. Das Unmögliche als Unwahrscheinliches und damit Mögliches zu verkaufen, wird von nun an eines der Hauptgeschäfte der Detektivliteratur sein. In allen drei Geschichten sieht sich der Detektiv ungewöhnlichen Gegenspielern gegenüber  : einem Menschenaffen in The Murders in the Rue Morgue, einem dichtenden Minister und „monstrum horrendum“ in The Purloined Letter sowie einem bloßen Phantom in The Mystery of Marie Rogêt. Mit diesen elaborierten Täterfiguren hat Poe den wilden Auswüchsen des Detektivromans im Bau des Plots das Horoskop gestellt. Bereits in seiner ersten Dupin-Geschichte konstruiert er einen Mord, der „bis in die Details unwahrscheinlich“54 ist. Zwar ist das Ende einer

53 Richard Alewyn  : Anatomie des Kriminalromans. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. München 1998, S. 52–72. Hier  : S. 69. 54 Peter Nusser  : Der Kriminalroman. Stuttgart u. Weimar 1992, S. 87. Ebenso ist der Hinweis zu finden, dass es sich bei den Morden in der Rue Morgue um keine Verbrechen handelt, da ein Tier nicht gegen das Gesetz verstoßen kann. Allerdings ereilt auch Tiere ab und an der lange Arm des Gesetzes. So berichtet Alexander Kluge von der Hinrichtung eines Elefanten, der zu-

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Geschichte, das Schließen der Erzählung, wie Lukács schreibt, stets eine Konzession an die Form und inhaltlich ein Aufgeben, oft bleibt der Eindruck einer gewaltsamen (Ab)Rundung, mag er das Eheversprechen von Emma Woodhouse und George Knightley, die wiedergefundene Zeit in Prousts Recherche oder die aufopferungsvolle Judith in der zweiten Fassung des Grünen Heinrichs betreffen.55 Das Ende der Detektivgeschichte aber verlangt neben der Rundung auch eine überraschende Auflösung, eine Überrumpelung des Lesers. Gleichzeitig soll der aufmerksame Leser die Möglichkeit haben, sich während der Lektüre selber als Detektiv zu beweisen. Eine solche Handreichung des Autors an den Leser, die nichts anderes als die Attitüde eines Sportsmannes ist, der einen fairen Wettkampf verspricht, ist interessanterweise zum ersten Mal nicht von einem Engländer, sondern einem Amerikaner formuliert worden. S. S. Van Dine fordert in seinen 20 Regeln für das Schreiben von Detektivgeschichten  : „Die Wahrheit des Falles muß stets offenbar sein – vorausgesetzt, der Leser ist scharfsinnig genug, sie zu sehen. Damit meine ich, daß der Leser – sollte er nach der Aufklärung das Buch noch einmal lesen – sehen würde, wie die Lösung sich ihm gewissermaßen immer schon aufgedrängt hat, wie alle Hinweise tatsächlich auf den Täter deuteten und wie er, wäre er so klug gewesen wie der Detektiv, den Fall selbst hätte lösen können […].“56 Die Detektivgeschichte müsse dem Leser gegenüber ehrlich sein, wird Chandler später als Gebot postulieren.57 Poe aber begeht gerade in der Geburtsstunde der Detektivgeschichte eine „kapriziöse Verletzung“58 dieser damals noch unvor drei Wärter getötet hat, durch Stromschläge. Vgl. Alexander Kluge  : Verdeckte Ermittlung. Ein Gespräch mit Christian Schulte und Rainer Stollmann. Berlin 2001, S. 95f. 55 Georg Lukács, Die Theorie des Romans. Ein geschichtsphilosophischer Versuch über die Formen der großen Epik. München 1994, S. 74. 56 S. S. Van Dine  : Zwanzig Regeln für das Schreiben von Detektivgeschichten. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Bd. I. München 1971, S. 143–147. Hier  : S. 145. 57 Raymond Chandler  : Beiläufige Anmerkungen zum Kriminalroman. In  : Ders.: Die simple Kunst des Mordes. Briefe, Essays, Notizen, eine Geschichte und ein Romanfragment. Hg. v. Dorothy Gardiner und Katherine Sorley Walker. Zürich  : 1975, S. 72–83. Hier  : S. 77. 58 Shawn Rosenheim  : Detective Fiction, Psychoanalysis, and the Analytic Sublime. In  : Ders. u. Stephen Rachman (Hgg.)  : The American Face of Edgar Allan Poe. Baltimore and London 1995, S. 153–176. Hier S. 153. Rachman schreibt  : „Though ‚The Murders in the Rue Morgue‘ may be said to have initiated the genre of detective fiction, many twentieth-century fans have been put off by what seems like Poe’s capricious violation of an implicit narrative convention. The ape, it is alleged, represents an instance of bad faith, since no reader could reansonably be expected to include animals in a list of potential murderers. More generally, we may take Poe’s ape story as an index of a deeper bad faith on the part of the whole genre, in its frequent imbalance between

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ausgesprochenen Regel  ; er missbraucht das Vertrauen des Lesers, dem nichts ferner liegt, als ein Tier auf der geistigen Liste der möglichen Täter mitzuführen. In ihren Anfängen, so scheint es, liegt es nicht in der Absicht der Detektivgeschichte, das Genre mit dem engen Korsett des detektivischen Lesers einzuschnüren. Innerhalb der Erzählung aber besitzt die angestrengt konstruierte Täterschaft eine wichtige Funktion  : die der dramaturgischen Steigerung. Denn vor dem Hintergrund der Unwahrscheinlichkeit hebt sich Dupins gewaltige Verstandesgröße noch deutlicher ab. Zwar zeigt sich die Welt voller Rätsel und Geheimnisse, aber nur für denjenigen, der nicht zu sehen versteht oder mit der Suche nicht am richtigen Ort ansetzt. Die Verkörperung dieser falschen Suche findet sich bei Poe stets in Gestalt der Polizei. „Die Polizei“, so Lacan über die triste Funktion der Gesetzeshüter in The Purloined Letter, „da sie dazu da ist, nichts zu finden, findet nichts.“59 Entwaffnend harmlos und strahlend einfältig erscheint hier der institutionelle Koloss, der doch mit dem Gewaltmonopol und furchteinflößenden Machtbefugnissen hochgerüstet ist. Mit seinen behäbigen Auftritten entlarvt sich der Polizeichef rasch als selbstverliebter Wichtigtuer, seine Untergebenen als ebenso stumpfsinnig wie mechanisch arbeitende fleißige Rädchen in einem sich im Leerlauf befindenden Getriebe.

Die Geisteskräfte, die man die analytischen nennt Überraschenderweise wird die „erste“ Detektivgeschichte der „Weltliteratur“ aus einem l’art-pour-l’art-Anspruch heraus geboren. Mit diesem Anspruch ist nicht nur der Selbstzweck der Dichtung gemeint, die Poe so vehement mit der Verbannung der Moral aus dem Reich der Literatur durchzusetzen suchte  ; die Kunst um der Kunst willen trifft, im Rahmen der tales of terror, auch mit dem Selbstzweck des Bösen und, im Rahmen der tales of ratiocination, mit dem

the detective story’s protracted narrative setup and its often unsatisfying denouement. There is often an embarrassing sense on the part of readers of detective fiction that its typically Gothic relevations are incommensurate with the moral weight suggested by the genre’s narrative form. In this sense, too, Poe’s orangutan is an emblem of readers, who – their attention solicited by an unworthy narrative dilemma – find that the real crime has been practiced on their own sensibility.“ 59 Jacques Lacan  : Der entwendete Brief. In  : Ders.: Das Seminar Buch II (1954–1955). Weinheim, Berlin 1991, S. 243–261. Hier  : S. 248.

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Selbstzweck der Logik zusammen.60 Auch aus diesem Grund ist der erste Detektiv – anders als die meisten seiner entfernten Verwandten – kein Kämpfer im Namen der Gerechtigkeit, sondern ein Spieler, der einen ureigenen Zweck, seinen Lustgewinn, verfolgt. Wenn Dupin seine Fähigkeiten, deren Anwendung ihm Vergnügen61 bereiten, auch in den Dienst der Polizei stellt, so ist das mehr zufällige Nebenwirkung als erhabene Absicht. Anfang der Vierzigerjahre entwickelt Poe eine Dichtungstheorie, die das kalkulierte Kunstwerk der Freiheit der Fantasie vorzieht.62 Vor einem solchen Hintergrund arbeitet Dupin nicht nur als Detektiv, sondern ebenso als ein getarnter Agent dieser ästhetischen Rangordnung, denn seine Methode umfasst exakt die von Poe für die Dichtkunst geforderten Eckpfeiler des schöngeistigen Spiels und der distanzierten Analyse. Auch Dupins Selbstdefinition als Dichter und Mathematiker und die beabsichtigte Zähmung des Zufalls, die durch das Erfassen aller denkbaren Möglichkeiten bewerkstelligt wird, weisen in Richtung des neuen poetologischen Programms. Wird auf der Ebene der Handlung die Beseitigung der Schrecken dadurch erreicht, dass die Katastrophe in die Vergangenheit gebannt wird, erzielt auf der Ebene der bloßen Anschauung und Analyse die Ruhigstellung des Zufalls einen vergleichbar friedvollen Effekt. Das Unerklärliche, Plötzliche und Unberechenbare wird durch planvolles Vorgehen entweder aus der Welt geschafft oder seiner gefährlichen Fratze beraubt. Überall zeigen sich neben den Wirkungen auch die Ursachen, und trumpft für einmal der nicht hintergehbare Zufall auf und lässt in The Murders in the Rue Morgue die bestialischen Morde an den Damen Espanaye ausgerechnet drei Tage, nachdem sie Tausende von Francs von der Bank nach Hause getragen haben, geschehen, beweist Dupin lustvoll die völlige Belanglosigkeit dieser Koinzidenz. Nicht nur die Polizei, auch der Zufall hat in der Detektivliteratur für lange Zeit einen schweren Stand. „Truth“, sagt der streng rationale Chevalier und zieht interessanterweise eine Metapher aus dem Reich der Natur heran, „is not always in a well. In fact, as regards the more important knowledge, I do believe that she is invariably superficial. The depth lies in the valleys where we seek her, and not upon the

60 Kerlen, Edgar Allan Poe, Elixiere der Moderne, 104 und 119. 61 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 13  : „An inquiry will afford us amusement […].“ 62 Vgl. hierzu  : Dietrich Kerlen  : Edgar Allan Poe. Der schwarze Duft der Schwermut. Berlin 1999, S. 198ff.

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mountain-tops where she is found.“63 Wenn die Wahrheit stets an der Oberfläche zu finden ist, bedeutet dies, dass sie nicht verborgen ist, ja nicht einmal gesucht werden muss. Eben diese Grundmaxime wird in The Purloined Letter durchgespielt.64 Die Äußerlichkeit der Wahrheit betrifft aber nicht nur die Spur des Täters, sondern auch die Sichtbarkeit des eigentlich Unsichtbaren, der Seele. Denn das äußere Erscheinungsbild eines Menschen verrät Dupin alles über dessen Innenleben. So berichtet der Erzähler über den Röntgenblick des Detektivs  : „He boasted to me, with a low chuckling laugh, that most men, in respect to himself, wore windows in their bosoms, and was wont to follow up such assertions by direct and very startling proofs of his intimate knowledge of my own.“65 Die berüchtigte Methode des Chevaliers ist ein beliebter Gegenstand der Sekundärliteratur  ; mit diesem Interesse folgt man dem gut markierten Weg, den der Erzähler in The Murders in the Rue Morgue weist, indem er „die Methode – wenn es eine Methode gibt“66 in begeisterter Ausführlichkeit schildert. Für einen Außenstehenden sei die Vorgehensweise nicht von Intuition zu unterscheiden  ; der Grund dafür, so der Erzähler, liege darin, dass die analytischen Geisteskräfte in sich selbst kaum analysierbar seien. „Nur in ihren Auswirkungen vermögen wir sie zu fassen.“67 Die vielgepriesenen analytischen Fähigkeiten lassen sich in einen eher theoretischen und einen praktischen Aspekt unterteilen. Der theoretische zielt auf das gedankliche Erfassen aller Möglichkeiten und Eventualitäten  ; gestützt wird diese geistige Sammel- und Sortierarbeit durch die Vorstellungskraft, die scharf von der Fantasie geschieden wird. Fantasie (fancy) wird dem Genialischen zugeschlagen, Vorstellungskraft (imagination) hingegen sei dem analytischen Denken verpflichtet. Damit ist angedeutet, dass die Vorstellungskraft gerade nicht im schöpferischen Geist 63 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 12. 64 Die Geschichte handelt weniger von Überführung als von der Überlistung eines Täters. Ein Minister hat einen persönlichen, an die Königin gerichteten Brief entwendet. Während die Polizei den gestohlenen Brief in den Räumlichkeiten des Diebes in den verborgensten Winkeln sucht, findet ihn Dupin an offensichtlicher Stelle. Gerade weil er nicht versteckt wurde, blieb der Brief den Augen der Polizisten verborgen. 65 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 5. 66 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 6  : „ […] the method – if method there is […].“ 67 Hier zitiert nach der deutschen Ausgabe  : Edgar Allan Poe  : Die Morde in der Rue Morgue und andere Erzählungen. Frankfurt a. Main, Leipzig 1993, S. 9. Im Original  : Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 2  : „We appreciate them only in their effects.“

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aufgeht, sondern vielmehr die Fähigkeit meint, Ableitungen aus der Realität in der Zeit vorwärts- und zurückzuspinnen. Zur Vorstellungskraft gehört auch das Sich-Hineinversetzen in den Kopf des Gegners. In The Mystery of Marie Rogêt blickt Dupin mit weissagerischem Gestus, der jedoch in die Vergangenheit blickt, in Herz und Hirn des gesuchten Mörders  : „Let us see. An individual has committed the murder. He is alone with the ghost of the departed. He is appalled by what lies motionless before him. The fury of his passion is over, and there is abundant room in his heart for the natural awe of the deed. His is none of that confidence which the presence of numbers inevitably inspires. He is alone with the dead. He trembles and is bewildered.“68 Illustratives Beispiel für eine „verstandesmäßige Identifikation“69 mit dem Kontrahenten bietet der erfahrene Whistspieler. Ganz so als sei eine Ähnlichkeit im Grunde nicht vorhanden, sondern müsse erst hergestellt werden, sind die Vergleiche zwischen dem analytischen Denker und dem Spieler zahlreich und mit penetrantem Nachdruck formuliert. Der Whistspieler, den Poe zum detektivischen Leitbild kürt, ist das exakte Gegenteil eines Hasardeurs  ; als stiller Beobachter seines Gegners verkörpert er die analytische Begabung, die im Besonderen darin besteht zu wissen, was man beobachten soll. Von der Genauigkeit der Beobachtung und vom unauflösbaren und nicht hinterfragbaren Wissen, „was es zu beobachten gilt“70, hängt alles ab. Die Beobachtung am lebendigen Objekt, das Sammeln von Informationen, erinnert an eine Lektüre, an ein Lesen der Oberfläche  ; aus der Fülle der Beobachtungen alle Möglichkeiten des Verlaufs abzuschätzen und sich für die richtige zu entscheiden, macht schließlich den guten Spieler aus. Was den Anschein intuitiven Handelns besitzt, ist das Resultat scharf gezogener Schlüsse. Der Whistspieler, so der Erzähler, „recognizes what is played through feint, by air with which it is thrown upon the table. A casual or inadvertent word  ; the accidental dropping or turning of a card, with the accompanying anxiety or carelessness in regard to its concealment […] – all afford, to his apparently intuitive perception, indications of the true state of affairs. The first two or three rounds having been played, he is in full possession of the contents of each hand, and thenceforward puts down his cards with as absolute a precision of purpose as if the 68 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 55. 69 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 128  : „‚And the identification‘, I said, ‚of the reasoner’s intellect with that of his opponent […].‘“ 70 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 3  : „The necessary knowledge is that of what to observe.“

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rest of the party had turned outward the faces of their own.“71 Die später durch Holmes berühmt gewordenen Nebensächlichkeiten, das durch Freud zu wissenschaftlichen Ehren gelangte Vergreifen finden sich bereits hier. 72 Selbstverrat heißt die kriminalistische Losung, und Selbstverrat wird sie auch in Zukunft heißen. Doch trotz der ausführlichen Schilderungen der detektivischen Vorgehensweise bleibt für den Leser der Eindruck einer gewissen Kluft zwischen der gefeierten Theorie und deren praktischer Umsetzung. „Although we believe both Dupin’s solutions and his theories“, beschreibt David Van Leer dieses Unbehagen, „we are never sure how closely the two relate.“73

Die Banalität des Realen Einen Hinweis darauf, wo Theorie und Praxis auseinanderdriften, liefert die mittlere der Erzählungen, The Mystery of Marie Rogêt. Die Geschichte bildet in zweifacher Hinsicht eine Ausnahme  : zum einen handelt es sich um einen realen, zur Zeit der Niederschrift ungelösten Verbrechensfall, zum anderen kommentiert – zumal in der zweiten, überarbeiteten Version der Erzählung – der Autor selbst das Geschehen und liefert aus der Not heraus bemerkenswerte Hinweise auf die Methode des Detektivs. Bereits mit The Murders in the Rue Morgue griff Poe auf eine tatsächliche Begebenheit zurück, die er allerdings großzügig umänderte und radikalisierte.74 Mit der zweiten Dupin-Geschichte nimmt sich der Autor ein aktuell in den Zeitungen debattiertes Verbrechen nicht nur zum Vorbild, sondern erhebt auch den Anspruch, auf dem Feld der Literatur den realen Mordfall gelöst zu haben. „I believe not only that I have demonstrated the fallacy of the general idea – that the girl was the victim of a gang of ruffians – but have indicated the assassin in a manner which will give renewed impetus to investigation“, schreibt Poe siegessicher an seinen Förde71 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 3f. 72 Ganz ähnlich wie bei Conan Doyle spielen auch in Poes Detektiverzählungen die hochgelobten Details nicht die herausragende Rolle. 73 David Van Leer  : Detecting the Truth. The World of the Dupin Tales. In  : Kenneth Silverman (Hg.)  : New Essays on Poe’s Major Tales, S. 65–91. Hier  : S. 74. 74 Es handelt sich um einen 1834 im Shrewsbury Chronicle erwähnten Kriminalfall  : Eine Gruppe von Schaustellern hatte einen Pavian auf nächtliche Diebstähle abgerichtet. Eines Abends entdeckte eine Bewohnerin der Stadt das Tier in ihrem Schlafzimmer und wurde vom Affen angegriffen  ; glücklicher als Mutter und Tochter Espanaye überlebte sie jedoch die Attacke. Vgl. Zumbach, Edgar Allan Poe, 423.

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rer J. E. Snodgrass.75 Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung des ersten Teils der Erzählung meldete die New York Tribune die Auflösung des Falles  : Die junge Mary Cecilia Rogers war nicht, wie Poe beweisen wollte, das Opfer eines Verbrechens aus Leidenschaft, sondern einer missglückten Abtreibung, die sie mit dem Tod bezahlte. In der 1845 veröffentlichten Version der Geschichte fügte Poe einige wenige Fußnoten bei, in denen ein Unfall als mögliche Todesursache leise mitbedacht wird. Anders als in den beiden Erzählungen, die The Mystery of Marie Rogêt flankieren, gelingt es Dupin am Ende nur halb, das Verbrechen aufzuklären. Der Grund dafür liegt weniger darin, dass hier die Fiktion gegen die vermeintliche Wirklichkeit antritt und verliert – denn das ist nicht der Fall –, sondern dass der Autor selbst mehr schlecht als recht mit der Maske Dupins auftritt  : nicht der Chevalier ermittelt, sondern Poe. Weil ihm daran gelegen ist, recht zu haben, opfert Poe die klare Konstruktion des Falles und damit auch die in The Murders in the Rue Morgue präsentierte Vorgehensweise. Der maskierte Autor liefert am Ende keine Lösung, sondern Möglichkeiten  ; anstatt sich an seinem Triumph zu laben, bleibt ihm schließlich nur die bescheidene Rolle als Ratgeber an die Adresse der Polizei. Einem in der Nähe der Leiche gefundenen Boot fällt die Aufgabe zu, Licht ins Dunkel der Täterschaft zu bringen. „This boat“, prophezeit der Detektiv, „shall guide us, with a rapidity which will surprise even ourselves, to whom who employed it in the midnight of the fatal Sabbath. Corroboration will rise upon corroboration, and the murderer will be traced.“76 Als kleiner Nachtrag und in seiner Wirkung ähnlich einer Stimme aus dem Off ist dem Text ein fiktiver Kommentar der Herausgeber angefügt, in welchem die frohe Botschaft verkündet wird, dass, wie weitere Nachforschungen der Polizei ergeben hätten, Dupin mit seinen „Schlussfolgerungen“ richtig lag  ; anders als in der Sekundärliteratur so gern behauptet, ist das Rätsel um Marie Rogêt damit gelöst. Doch weil Poe mit der Hoffnung angetreten war, den Mörder von Mary Cecilia Rogers zu ermitteln, muss er in einem Nachwort diesen kühnen Anspruch wieder verschleiern. Von bloßen „Koinzidenzen“ ist da die Rede, eine „Ausweitung der Parallelen“ und damit die Aufklärung des New Yorker Kriminalfalls, beteuert der Autor, habe nie in seiner Absicht gelegen.77 Die Kommentatoren der Erzählung ließ das unbeeindruckt. Einen Umschlag 75 Sova, Edgar Allan Poe A to Z, 164. 76 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 60. 77 Ebenda  : „It will be understood that I speak of coincidences and no more.“ „[…] it is my covert design to hint at an extension of the parallel […].“

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von rationalistischer Aufklärung in dunkle Mystifizierung wurde ausgemacht, weil Poe die tödliche gesellschaftliche Situation der Frau (Abtreibung) in ein mit romantischen Versatzstücken geschmücktes Verbrechen aus Leidenschaft umwandelte. „In such a history“, schreibt Van Leer, „detection works not to illumine but to mystify.“78 Was aber in der zweiten, gern als missglückt bezeichneten Dupin-Geschichte umso deutlicher zutage tritt, ist die dunklere Seite des Begriffs Methode  : auf deren Vorderseite strahlt zwar das allseits bekannte systematische Untersuchungsverfahren und planmäßige Vorgehen, auf deren Rückseite jedoch prangt in düsteren Farben das zeitliche Nachhinken hinter den Ereignissen, die uneinholbar im Reich der Vergangenheit liegen. Eine großzügige Einsicht, wenngleich als Negativbeispiel, bietet die Geschichte auch in das Verhältnis von detektivischem Wissen und Plotkonstruktion. In The Mystery of Marie Rogêt sieht sich Dupin ob der begrenzten Informationen gezwungen, jeden Gedanken, jede Beobachtung, jede Schlussfolgerung auszusprechen. Das bewährte Muster der anderen beiden Geschichten – das Sammeln von Informationen, das Streuen von Hinweisen im ersten Teil, das schrittweise Aufklären im zweiten – wird hier durch langatmige Wiederholungen und umständliche Ableitungen sowie das schmerzliche Fehlen von überraschenden Geistesblitzen zunichte gemacht  : Dupin erleidet das Schicksal eines Whist-Spielers, der unabsichtlich alle in seine Karten blicken lässt. Wenn Poe unter Anwendung der Dupin’schen Methode im Fall der Mary Cecilia Rogers scheitert, dann kann dies Scheitern mit gestreckten Zeigefingern auch auf gewisse (fehlende) Voraussetzungen in der detektivischen Vorgehensweise hindeuten. Tatsächlich liefert Poe selbst in einer Fußnote einen Hinweis. „The Mystery of Marie Rogêt “, schreibt er entschuldigend, „was composed at a distance from the scene of the atrocity, and with no other means of investigation than the newspaper afforded. Thus much escaped the writer of which he could have availed himself had he been upon the spot and visited the localities.“79 Diese Bemerkung macht den Blick frei auf das Fundament der Dupin’schen Methode, das weniger aus dem analytischen Vermögen, als vielmehr aus der Beobachtung am konkreten Objekt gebaut ist. Damit ruht die theoria als geistige Betrachtung und abstraktes Gerüst mit ihrem ganzen Gewicht auf den Schultern des Empirismus. Man wird diesen Stützbau in Variationen in der späteren Detektivliteratur immer wieder antreffen. Dupin ist alles andere als ein Lehnstuhldetektiv, und bleibt ihm die mit eigenen Augen 78 Van Leer, Detecting the Truth, 88. 79 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 27, Fußnote.

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vorgenommene kriminalistische Tatortuntersuchung verwehrt, wird auch die Wirkung seiner induktiven Meisterschaft empfindlich beschnitten. Die persönliche Tatortanalyse ist umso wichtiger, als es der Pariser Polizei beliebt, Haarbüschel in der zur Faust geballten Hand eines Mordopfers zu übersehen.80 Auch in The Purloined Letter verhilft die Empirie im wahrsten Sinne des Wortes dem Detektiv zum fröhlichen Sieg. Zwar muss Dupin nicht einen derart großen Anlauf nehmen, wie der von ihm beschriebene Junge, der beim Murmelspiel immerzu gewinnt  ; was wie schieres Glück ausschaut, beruht einzig auf der gelungenen Identifikation mit dem Gegner  : „When I wish to find out“, so der Junge, „how wise, or how stupid, or how good, or how wicked is any one, or what are his thoughts at the moment, I fashion the expression of my face, as accurately as possible, in accordance with the expression of his, and then wait to see what thoughts or sentiments arise in my mind or heart, as if to match or correspond with the expression.“81 Bei Dupin ist dieses durch äußere Nachahmung gewonnene Wissen bereits verinnerlichte Gewissheit. Der beobachtende Blick genügt, um den Geist des Gegners mit allen seinen Fähigkeiten und Absichten zu durchmessen. Der im Dunkeln tappende Polizeichef nimmt seine eigene Geistesgröße zum Vorbild und sucht den Brief überall dort, wo er ihn, wäre das seine Aufgabe, versteckt hätte  ; Dupin aber nimmt am Minister Maß, schätzt dessen Denkvermögen und damit auch dessen Handlungsmöglichkeiten ab und richtet seine Suche, seine Recherche, die immer schon ein Finden ist, danach aus. In der Geschichte um den entwendeten Brief kommt die Empirie aber weniger als wissenschaftliche Methode, denn allgemein als Erfahrung im eigentlichen Sinne zum Durchschlag  : Dupin und der Minister D– sind alte Bekannte. Es gibt nur eine winzige Anzahl literarischer Texte, der die zweifelhafte Ehre zuteil wird, sich als Schlachtfeld für Fehden zwischen Theoretikern zu verdingen  ; Poes The Purloined Letter gehört zu den auserwählten. Lacan und Derrida haben mit ihren Lektüren den Wettstreit entfacht, nicht minder klingende Namen wie Barbara Johnson und Shoshana Felman haben die Auseinandersetzung kommentiert und ihre eigenen theoretischen Standpunkte anhand der Erzählung pointiert.82 Dieser Streit, in dessen erster Runde Der80 Wie etwa in The Murders in the Rue Morgue. 81 Poe, The Collected Tales and Poems of Edgar Allan Poe, 128. 82 Vgl. Jacques Lacan  : Das Seminar über E. A. Poes Der entwendete Brief. In  : Ders.: Schriften I. Olten 1973, S. 7–60  ; Jacques Derrida  : Die Postkarte. Von Sokrates bis Freud und Jenseits. Berlin

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rida gegen Lacans Sprachtheorie und Dreiecke seine Theorie der Schrift und Vierecke antreten ließ, gleicht, wie John T. Irwin süffisant bemerkt hat, der in Poes Erzählung dargestellten Rivalität zwischen Dupin und dem Minister D–.83 Jeder neue Interpret trumpft in der Rolle des Detektivs auf und teilt seinem Vorgänger den unseligen Part des Ministers zu. Die bereits von Lacan in seinem Seminar zu Poes Erzählung ausgemachten und für eigene Zwecke funktionalisierten Wiederholungen, Entsprechungen und Spiegelungen sind jedoch Bestandteil aller drei Dupin-Geschichten. In The Purloined Letter strahlt die Ähnlichkeit zwischen dem Jäger und dem Gejagten am deutlichsten  : sowohl in ihrem Wesen als auch in ihrer Vorgehensweise ähneln sich die Gegenspieler wie Zwillinge, beide verfügen über vergleichbare Fähigkeiten, sind Mathematiker und Dichter in Personalunion, beide greifen bei ihrem Diebstahl auf dieselbe Methode zurück.84 Eine solche Konstellation zeigt der künftigen Detektivliteratur die Richtung an  : Das Vorgehen des Verbrechers schmiegt sich, wie von unsichtbarer Hand eingepasst, eng an das Vorgehen des Privatdetektivs oder der Polizei an. Doch unausgesprochene wie bekräftigte Verwandtschaften regieren die Erzählungen bis ins Detail  : In The Murders in the Rue Morgue ist das Doppelgängermotiv noch penetranter in Szene gesetzt als in den Erzählungen E.T.A. Hoffmanns  ; der Erzähler und der Detektiv leben so zurückgezogen und abgeschieden wie die ermordeten Frauen  ; Mutter und 1987, S. 193–281. Barbara Johnson  : The Frame of Reference  : Poe, Lacan, Derrida. In  : Geoffrey Hartman (Hg.)  : Psychoanalysis and the Question of the Text. Baltimore 1978, S. 149–171  ; Shoshana Felman  : On Reading Poetry. Reflections on the Limits and Possibilites of the Psychoanalytic Approaches. In  : John P. Muller u. William J. Richardson (Hgg.)  : The Purloined Poe. Lacan, Derrida and Psychoanalytic Reading. Baltimore 1988, S. 133–156. In letzterem Band finden sich die wichtigsten Texte der Debatte versammelt. Von allen Diskussionsteilnehmern unbeachtet bleibt die Tatsache, dass Dupins zumeist nur als Initiale auftretender Vorname César lautet  ; mit diesem Namen aber deutet Dupin seine Überlegenheit nicht nur gegenüber dem Minister, sondern auch gegenüber dem Königspaar elegant an. 83 Irwin nimmt Johnson als Gegenspielerin Derridas noch hinzu  : „For if the structure created by the repeated scenes in the tale involves doubling the thought processes of one’s opponent in order to use his own methods against him – as Dupin does with the minister, as Derrida does with Lacan, and as Johnson does with Derrida – then the very method by which one outwits one’s opponent is the same method that will be used against oneself by the next player in the game, the next interpreter in the series, in order to leave the preceding interpreter one down.“ John T. Irwin  : The Mystery to a Solution. Poe, Borges, and the Analytic Detective Story. Baltimore, London 1994, S. 7. 84 Zu den Verdoppelungen in The Purloined Letter siehe auch Hoffman, Poe Poe Poe Poe Poe Poe Poe, 125.

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Tochter Espanaye erleiden dasselbe Schicksal  ; der Orang-Utan imitiert vor dem Spiegel (!) das Rasierritual des Matrosen.85 Auch The Mystery of Marie Rogêt stützt sich mit der Parallelität zwischen der Pariser grisette und Mary Cecilia Rogers auf ein ganzes Reich von Wiederholungen, Vergleichen und Spiegelungen.86 Ein solches System von inhaltlichen Entsprechungen reflektiert nicht nur die „logische Konstruktion“ der Detektivgeschichte, sondern beliefert den Detektiv gleichsam mit der nötigen Kulisse für das erfolgreiche Anwenden seiner Methode. Sich auf Ähnlichkeiten stützend und Vergleiche verlassend, auf Ableitungen bauend ebenso wie auf Wiederholungen, arbeitet der Ermittler sich durch die Fälle, und er triumphiert am Ende, weil ihm und seiner Methode die ihn umgebende, aus Entsprechungen gezimmerte Welt auf halbem Wege mit weit geöffneten Armen entgegeneilt. Auch deutet die großzügige Harmonie der Parallelen bereits auf dasjenige Attribut voraus, das Poes berühmtesten Nachfolger und schließlich die Detektivliteratur allgemein zieren wird  : die Serialität. Sind in Poes Geschichten die Handlungsabläufe noch nicht verschwistert, wird bereits mit Conan Doyle die fast zwanghafte Ähnlichkeit der Fälle zum literarischen Programm.87

85 Vgl. Leo Lemay  : The Psychology of The Murders in the Rue Morgue. In  : Louis J. Budd u. Edwin H. Cady (Hgg.)  : On Poe. Durham, London 1993, S. 223–246. Hier  : S. 227ff. Rosenheim erwähnt die Doppelungen zwischen Kopf und Körper als durchgängiges Motiv in der Erzählung. Shawn Rosenheim  : Detective Fiction, Psychoanalysis, and the Sublime, 163. 86 Vgl. Thoms, Dupin and the Power of Detection, 142. 87 Poe wird gern als der kreativste Exponent der Detektivgeschichte dargestellt  ; nach dem Amerikaner, so die weitverbreitete Meinung, erfolgt der kontinuierliche Abstieg in Richtung Trivialität und Stereotypie. Vgl. Hermann Joseph Schnackertz  : E. A. Poe und die Wissenschaften seiner Zeit. Wolnzach 1999 (= Eichstätter Universitätsreden  ; 101), S. 15.

Kapitel 2  : Sherlock Holmes

Nichts Neues unter der Sonne „Details are vulgar.“ (Oscar Wilde, The Picture of Dorian Gray)

„L’homme n’est rien – l’œuvre tout“, dieses hochberühmte Diktum, einst von Gustave Flaubert an George Sand geschrieben, legt Conan Doyle an exponierter Stelle seinem Meisterdetektiv in den Mund.88 Am Ende des ziemlich burlesken Abenteuers The Red-Headed League (1891), als Watson nach vollbrachter Überführung der Verbrecher Holmes als „Wohltäter des Menschengeschlechts“89 feiern möchte, zuckt dieser nur mit den Schultern und unterbindet die Beweihräucherung, indem er Flaubert zitiert. Dass der Mensch nichts bedeutet, das Werk jedoch alles, ist ironischerweise genau die Umkehrung dessen, wofür Holmes in den Geschichten steht  : Tatsächlich thront er in der Mitte der Erzählungen, die um ihn herum kunstvoll errichtet werden. Die Abenteuer des Meisterdetektivs gehören damit zu jenen glücklichen Volltreffern, die entstehen, wenn man ein Loch in den Zaun schießt, um dann im Nachhinein die Zielscheibe um den Einschlag herumzuzeichnen.90 Das Verblassen des Urhebers angesichts der Größe des Werks trifft jedoch bei Conan Doyle selbst ins Schwarze. So kann man das Flaubert-Zitat als einen beinahe prophetischen Kommentar zum Schicksal lesen, das ihn als Schriftsteller ereilt  : Der Pfeife rauchende Detektiv ist ungleich berühmter als sein Schöpfer. Die erste Holmes-Biografie erscheint 16 Jahre vor der ersten Conan Doyle-Biografie, und die Anzahl der Lebensbeschreibungen des Detektivs übertreffen die Veröffentlichungen zur Vita des Autors bis zum heutigen Tag um ein Vielfaches.91 88 Das Flaubert-Zitat ist der deutschen Übersetzung von Gisbert Haefs entnommen  ; Arthur Conan Doyle  : Die Abenteuer des Sherlock Holmes. Zürich 1984, S. 66. Im englischen Original lautet es abenteuerlich  : „L’homme c’est rien – l’œuvre c’est tout.“ Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 190. Dieser Satz wird später in seiner Umkehrung noch einmal begegnen. 89 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 30  : „And you are a benefactor of the race […].“ 90 Vgl. Clifford Geertz  : Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. Main 1987, S. 38. 91 Vgl. Wölcken, Der literarische Mord, 102. Neueste Zahlen zu eruieren, ist geradezu unmöglich  ;

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Hinzu kommt die Identifizierung der literarischen Figuren mit lebendigen Vorbildern. Weil Conan Doyle selbst verlauten ließ, dass Holmes nach den Umrissen seines ehemaligen Professors Dr. Joseph Bell entworfen sei, blieb nach Meinung eines findigen Biografen für den Autor selbst nur die Gleichsetzung mit Watson übrig.92 Diese Gleichsetzung hat Conan Doyle selbst unterstützt, indem er Watson als gelangweilten und wenig erfolgreichen Arzt porträtierte und ihn auch äußerlich in groben Zügen dem eigenen Aussehen anpasste. Zwar ist nach Conan Doyles eigener Auskunft Watson nach dem Bild seines Freundes und langjährigen Sekretärs Major Alfred Herbert Wood gezeichnet, und dennoch – betrachtet man das Foto des jungen Arztes, der, an seinem Schreibtisch in Southsea sitzend, sich effektvoll in schriftstellerischer Pose übt, schaut man im Grunde einzig dem gutmütigen Watson bei seiner schriftlichen Glorifizierung der Holmes’schen Taten zu. „Sherlock Holmes after all“, schreibt Raymond Chandler, „is mostly an attitude and a few dozen lines of unforgettable dialogue.“93 Was einige der Dialoge unvergesslich macht, ist nicht zuletzt der großartige Ton der Ironie, der viele der Wortwechsel durchzieht. Als Holmes anhand eines Hutes Aussehen, Persönlichkeit und Gewohnheiten des Trägers deduziert, fragt ihn der staunende Watson  : „‚For example, how did you deduce that this man was intellectual  ?‘ For answer Holmes clapped the hat upon his head. It came right over the forehead and settled upon the bridge of his nose. ‚It is a question of cubic capacity,‘ said he  ; ‚a man with so large a brain must have something in it.‘“94 Diese Geste, mit der die Begründung des deduktiven Schlusses ins Widersinnige und Komische gewendet wird, weil der kleine Kopf von Holmes ja auf ein Holmes und auch Watson führen seit 100 Jahren ein Eigenleben, das sich in Lawinen von Fortschreibungen, Parodien und Sekundärliteratur manifestiert. Einige konkrete Zahlen aus dem Jahr 1992  : 150 Filme, 120 TV-Produktionen, 55 Theaterstücke, 162 Radio-Bearbeitungen, zwei Musicals, ein Ballett und über 700 Parodien. Vgl. hierzu  : Kim Herzinger  : Inside and Outside Sherlock Holmes. A Rhapsody. In  : Harold Orel (Hg.)  : Critical Essays on Sir Arthur Conan ­Doyle. New York 1992, S. 103–116. Hier  : S. 103. Aus dem Jahr 2005 stammt etwa Nick Rennison  : Sherlock Holmes. The Unauthorized Biography. London 2005. Noch aktueller, diesmal über den Schöpfer  : Andrew Lycett  : The Man Who Created Sherlock Holmes. The Life and Times of Sir Arthur Conan Doyle. New York, London u.a. 2007. 92 Der Biograf hier  : Hesketh Pearson, erwähnt von Pierre Nordon  : Conan Doyle. A Biography. New York, Chicago, San Francisco 1967, S. 274. 93 Chandler, The Simple Art of Murder, 185. 94 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 246 (The Adventure of the Blue Carbuncle).

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beschränktes Denkvermögen hindeuten muss, enthält genau jene Art von augenzwinkernder Ironie, die nötig ist, um sich den schließlich geadelten Schriftsteller in seiner Rolle als gutmütigen Kleingeist Dr. Watson vorzustellen. Das Gros der Biografen allerdings legt Wert auf eine enge Verwandtschaft zwischen Conan Doyle und dem Meisterdetektiv – für die Annahme, der Autor habe sich selbst in der Figur Watsons porträtiert, hat man nur ein beleidigtes Kopfschütteln übrig. „It is surely clear“, schreibt Pierre Nordon ein wenig pikiert, „that no writer, even one with a robust sense of humour, would deliberately try to paint his own portrait in the only character designed to make the reader smile.“95 Weil sich für die Beweisführung, die auf das Resultat Sherlock Holmes = Conan Doyle abzielt, weder die Kokainsucht des Detektivs noch dessen entschiedene Aversion gegen Frauen empfehlen, muss Nordon auf bescheidenere Gemeinsamkeiten wie robuste Gesundheit, Vorliebe für gewisse Speisen oder Großzügigkeit in Geldangelegenheiten zurückgreifen.96 Einleuchtender gewesen wäre an dieser Stelle der Hinweis auf Conan Doyles ausgeprägte Neigung, die in den Holmes-Geschichten ausgeführten detektivischen Methoden auch auf reale Verbrechensfälle anzuwenden.97 In der Tat hat Conan Doyle selbst sich mit unterschiedlichem Erfolg immer wieder als Detektiv versucht. 1904 erlag er der Versuchung, einen Artikel über seine Mutmaßungen im Fall Jack the Ripper zu veröffentlichen, ganze sechzehn Jahre nach der berühmten Mordserie und in einer Art und Weise, die, wie Zeus Weinstein schreibt, „Holmes sicherlich nicht befriedigt hätte“.98 Und als der schnurrbärtige Bestsellerautor ein Jahr später die Tatorte der Ripper-Morde persönlich und ohne Erfolg in Augenschein nahm, hätte man den hageren Detektiv mit der „falkenhaften Nase“99 als Unterstützer und Begleiter gern an seine Seite gewünscht. Von Erfolg gekrönt hingegen waren seine hartnäckigen Bemühungen in zwei Fällen von Justizirrtum. Der deutsche Jude Oscar Slater, wegen Raubmordes zum Tode verurteilt, kam nicht zuletzt dank Conan Doyles kämpferischen Schriften nach siebzehn Jahren Haft frei.100 Im   95 Nordon, Conan Doyle, 274.   96 Vgl. Nordon, Conan Doyle, 277ff.   97 Vgl. hierzu  : Arthur Conan Doyle  : The True Crime Files of Sir Arthur Conan Doyle. Entdeckt von Stephen Hines. Eingeleitet von Steven Womack. New York 2001.   98 Zeus Weinstein  : Kleine Conan Doyle Chronik. In  : Ders. (Hg.)  : Sherlock Holmes Companion 1. Zürich 1984, S. 41–69. Hier  : S. 49.   99 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 20 (A Study in Scarlet)  : „[…] his thin, hawk-like nose […]“. 100 Oscar Slater verkörperte als Deutscher, Jude und Zuhälter gleich drei Eigenschaften, die ihn,

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Falle des jungen Anwalts George Edalji, der in den Mühlen des Polizei- und Justizapparats seine Reputation verschwinden sah, als er mit einer Anklage wegen anonymer Drohbriefe sowie des Verstümmelns von Tieren konfrontiert wurde, schlüpfte der renommierte Autor in eine Rolle, die er selbst wohl am besten kannte. Wer die elaborierten Gutachten über anonyme Briefe liest, die Conan Doyle zur Verteidigung Edaljis verfasste, kann deutlich eine von Gewissheit vibrierende Stimme vernehmen, die keine andere als die Stimme Holmes’ ist.101

Mr Sherlock Holmes Hat die Detektiverzählung mit Poe ihre Grundlegung erfahren und gleichsam ihren formalen Höhepunkt erklommen, erreicht die Detektivfigur in den Geschichten Arthur Conan Doyles ihren Zenit.102 Alle folgenden Detektivgestalten, von Hercule Poirot bis Father Brown, von Sam Spade bis Mike Hammer, sind bloße Abwandlungen des spätviktorianischen Privatdetektivs, sie heben einzig den einen Charakterzug, die eine Eigenart mehr hervor als die anderen. mit viktorianischen Augen betrachtet, verdächtig machten. Er wurde 1909 in Glasgow des Mordes an einer 82-jährigen Frau für schuldig befunden und zum Tod durch Erhängen verurteilt. Conan Doyle war nur einer von vielen, die gegen den Schuldspruch protestierten, aber zweifellos der bekannteste. Er stellte eigene Nachforschungen an und veröffentlichte mehrere Artikel, in denen er den Justizirrtum offenlegte. Den Fall des Halbinders George Edalji hat Julian Barnes in seinem 2006 erschienenen Roman Arthur & George zu Literatur verarbeitet. 101 Über die anonymen Briefeschreiber, die er für einen Jungen und zwei Jugendliche hält, stellt Conan Doyle fest  : „Of the boy, it may definitely stated that he could not have been less than twelve or more than sixteen. I find no exact evidence as to the age of the others, save that the mischief which characterises the whole proceeding, and the fact that they could devote so very much time and attention to it – some of the letters are of great length – would seem to indicate that they were still youths, and that they had no settled occupation. It is fairly certain that they must have lived within the radius of a mile or two of the vicarage, since many of the missives were left by hand.“ Conan Doyle, The True Crime Files of Sir Arthur Conan Doyle, 202f. 102 Unterschlagen wird hier der Einfluss Emile Gaboriaus auf Conan Doyle. In dessen erstem Roman L’affaire Lerouge (1866) tritt der Amateurdetektiv Tabaret der Polizei in einem Mordfall unterstützend zur Seite. Ganz am Rande der Geschichte taucht der dunkle Lecoq auf, ein ehemaliger Krimineller, der 1869 im Roman Monsieur Lecoq Ermittlungen führt  ; Lecoqs Vorgehensweise, zu großen Teilen von Vidocq inspiriert, zeichnet die berühmten Holmes’schen Deduktionen sowie dessen Verkleidungs- und Verstellungskünste bereits vor. Vgl. Sita A. Schütt  : French Crime Fiction. In  : Martin Priestman (Hg.)  : The Cambridge Companion to Crime Fiction. Cambridge 2003, S. 59–76. Hier  : S. 63–69.

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Mit der Betonung einer bestimmten Holmes’schen Seite entstehen so neue Typen, die man gerne auf andere Traditionsstränge zurückführt  ; bündelt man jedoch alle späteren Detektivfiguren und nimmt man die früheren, Dupin und Lecoq, noch hinzu, so kommt keine unüberschaubare Masse zum Vorschein, sondern eine große hagere Figur mit stechendem Blick und einer Vorliebe für Tabak und Kokain. Diese knochige Gestalt nimmt den fettbauchigen Poirot mit seinen Allüren der wissenden Voraussicht vorweg („The time has come. You will now be present at the last scene of a remarkable little drama.“103), wie auch dessen galant arrogante Art, die Ironie und darunterliegende Aversionen nur schlecht verdecken. Der so häufig von der Präsenz Father Browns ausgelöste Geständniszwang findet sich ebenso bei Holmes („‚I have only a little time here,‘ she said, ‚but I would have you to know the whole truth.‘“104) wie die klinischen Diagnosen, mit denen Lew Archer in den Sechzigerjahren kriminelle Jugendliche bedenkt  : „[…] But, first, I would give you an insight into this man’s mentality“, verkündet Holmes. „It is a very unusual one – so much so that I think his destination is more likely to be Broadmoor than the scaffold.“105 Selbst die stets zu großen Teilen vom frontier man hergeleitete Tradition des kaltschnäuzigen hard-boiled detective ist bereits bei Holmes angelegt, der den fehlenden Hausdurchsuchungsbefehl mit dem Zücken des Revolvers kompensiert, desselben Revolvers, den er zärtlich „meinen alten Liebling“ zu nennen pflegt.106 Aber auch schon die schnoddrigen Bemerkungen, die dreißig Jahre später das Markenzeichen von Chandlers Philip Marlowe sein werden, sind aus Holmes’ Mund zu hören. Als er ein Dienstmädchen beim heimlichen Lauschen an der Tür erwischt, heißt es in bester Marlowe-Manier  : „Just a 103 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 647 (The Adventure of Abbey Grange). 104 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 619 (The Adventure of the Golden Pince-Nez). 105 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1120 (The Adventure of the Retired Colourman). Broadmoor ist ein Gefängnis für geisteskranke Kriminelle. Ähnlich sieht es auch Michael Atkinson, der über die Sherlock-Holmes-Geschichten schreibt  : „Reading these stories we sense we are near the fountainhead of detective fiction, the source that Nero Wolfe mimes, Hercule Poirot parodies, and the hard-boiled shamuses revise. But if the detective tradition stretches forward to this day, it also reaches backward in time, toward romance.“ Michael Atkinson  : The Secret Marriage of Sherlock Holmes and Other Eccentric Readings. Ann Arbor 1996, S. 40. 106 Vgl. hierzu  : Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1052 (The Problem of Thor Bridge)  : „I have my old favorite with me.“

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little wheezy, Susan, are you not  ? You breathe too heavily for that kind of work.“107 Auch der Privatdetektiv als ein notorischer Gesetzesübertreter im Dienste der Gerechtigkeit sowie Schlägereien und wilde Verfolgungsjagden sind bereits bei Conan Doyle zu finden. Mit Professor Moriarty als dem Detektiv fast ebenbürtigen und das intelligente Böse verkörpernden Intimfeind weisen die Holmes-Geschichten bereits auf die gegenwärtig im Kriminalroman und -film so beliebte Grundkonstellation mit Kommissar(in) und raffiniertem Psychokiller voraus  ; das in großer Gefahr schwebende Staatsgeheimnis und ein Meisterdetektiv, der durch seinen Einsatz im Auftrag der Majestät drohende Kriege verhindert, zeigt wiederum dem Agenten-Thriller die Richtung an. Der berühmteste Detektiv der Weltliteratur ist mit einem bunten Kranz von Attributen geschmückt, die ihn als gesellschaftlichen Außenseiter ausweisen und die Einzigartigkeit seiner Fähigkeiten betonen. Der Superlativ, so scheint es, ist, zumal aus der Perspektive des bieder-bürgerlichen Dr. Watson, die einzig genehme Form, um die Holmessche Person und Persönlichkeit zu skizzieren. Von allen Eigenheiten und Absonderlichkeiten des Detektivs steht zweifellos die Kokain- und Morphiumsucht gutbürgerlichen Werten am steilsten entgegen. Warum aber greift Holmes zur Kokainspritze  ? Die dem Zeitgeist entlehnte Begründung lautet  : Langeweile. „My mind“, erklärt er dem besorgten Watson, „rebels at stagnation. Give me problems, give me work […]. I can dispense then with artificial stimulants. But I abhor the dull routine of existence.“108 Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, zeigt sich die Flucht vor der Langeweile aber als Flucht vor sich selber, denn was Holmes implizit unter Langeweile subsumiert, ist nicht weniger als die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben.109 Der dandy- und bohemienhafte Zug im Bilde Holmes’ strahlt nur als exzentrischer Schein, der die Augen, die in die eigenen Abgründe blicken sollten, vorsätzlich blendet. Allerdings hat Conan Doyle die antisozialen Tendenzen seines Helden nach den ersten beiden Romanen deutlich abgemildert  ; so kann man den Erfolg der Sherlock HolmesAbenteuer nicht nur mit dem Wechsel vom Roman zur Kurzgeschichte erklären, sondern ebenso mit der zum selben Zeitpunkt einsetzenden Retusche 107 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1026 (The Adventure of the Three Gables). 108 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 89f. (The Sign of Four). 109 Man wird in Kapitel 3 sehen, wie Nicholas Meyer eine solche Lesart zum Kern seines Detektivromans The Seven-Percent Solution macht.

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an den dunklen Seiten der Detektivfigur  ; das mitleidlose, frostige Auftreten gegenüber den Mitmenschen wird von nun an mit Andeutungen auf ein Gefühlsleben gebrochen, die Drogensucht durch Watsons Fürsorge geheilt.110 Der Umstand, dass Holmes seine ungewöhnlichen Anlagen auch zum Zweck einer vielversprechenden kriminellen Laufbahn einsetzen könnte, scheint in The Sign of Four (1890) zumindest noch als schlechte Möglichkeit auf, als der Detektiv zur Selbstcharakterisierung auf einen Spruch Goethes zurückgreift  : „Schade daß die Natur nur einen Menschen aus dir schuf, Denn zum würdigen Mann war und zum Schelmen [sic] der Stoff.“111 Weil der Detektiv in der Folge seiner dunklen Dimension verlustig geht, wird ein genialer Widerpart, ein „Napoleon des Bösen“, in der Figur Professor Moriartys notwendig, die nichts weiter ist als eine Verkörperung der Holmes’schen Fähigkeiten unter negativem Vorzeichen. Moriarty wird in den Reichenbach-Fällen zu Tode stürzen, Holmes jedoch ein ruhiger Lebensabend als Bienenzüchter im geliebten Cornwall gegönnt – nach seiner „Pensionierung“, so scheint es, bricht im exzentrischen Detektiv schließlich der Normalbürger durch. Während seiner gesamten Laufbahn wird Holmes allerdings von dandyhaften Anwandlungen der Langeweile begleitet, von der elegischen Sehnsucht nach Herausforderung und damit nach geistreichen und begabten Verbrechern. „[…] the days of the great cases are past“, heißt es nostalgisch. „Man, or at least criminal man, has lost all enterprise and originality. As to my own little practice, it seems to be degenerating into an agency for recovering lost lead pencils and giving advice to young ladies from boarding schools.“112 Auf seinen treuen Begleiter Watson macht Holmes den Eindruck einer Denkmaschine, die Pfeife rauchend, im Lehnsessel sitzend, die an sie herangetragenen Fälle löst. Man gewinnt leicht den Eindruck, als sei es stets nur der Verstand, der unermüdlich arbeitet, während der Körper den hochgeistigen Ermittlungen eher im Wege steht. In The Hound of the Baskervilles (1901) wird in ein paar Zeilen unvergesslichen Dialogs eine strenge Arbeitsteilung zwischen 110 Kayman, The Short Story from Poe to Chesterton, 49  : „Altough an intellectual, he has no cultural pretensions, and is always eager for action. He remains intimidating, frequently brusque, arrogant and aloof, but he is never morally repulsive. Furthermore, Holmes frequently displays a sympathetic concern about the outcome, particularly in family matters, and lets his own mask slip often enough to persuade us of the, albeit eccentric, humanity within.“ 111 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 158 (The Sign of Four). 112 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 325 (The Adventure of the Copper Beeches).

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Geist und Körper entworfen. Als Watson nach einem Abend im Club in die Baker Street zurückkehrt, findet er Holmes im verrauchten Wohnzimmer sitzend und wird mit der Frage konfrontiert  : „Where do you think that I have been  ?“ „A fixture also.“ „On the contrary, I have been to Devonshire.“ „In spirit  ?“ „Exactly. My body has remained in this armchair and has, I regret to observe, consumed in my absence two large pots of coffee and an incredible amount of tobacco.“113 Trotzdem begegnet uns im Meisterdetektiv nicht nur die Größe, sondern auch die Grenze des menschlichen Verstandes. Das bei Dupin intakte Vertrauen in die Überlegenheit der Ratio ist in Conan Doyles Geschichten brüchig geworden und erfordert Handlungsbedarf im eigentlichen Sinne des Wortes  ; die berühmten Illustrationen von Sidney Paget legen alles Gewicht auf den tätigen, sich in Bewegung befindenden Holmes, indem er stets mit einem Jagdhut bekleidet abgebildet wird. Und tatsächlich liefert sich der Detektiv Verfolgungsjagden mit Verbrechern, führt in seinem Labor wissenschaftliche Experimente durch, um seine Vermutungen zu überprüfen, prügelt sich, verkleidet sich und schauspielert, um an Informationen zu gelangen. Der größte Unterschied zu Dupin findet sich jedoch im Umstand, dass Holmes oftmals in Fällen ermittelt, in welchen das eigentliche Verbrechen noch nicht ausgeführt worden ist. Dies versetzt den Detektiv zum einen in die Lage des Retters, immer dann, wenn er ein Unglück zu verhindern vermag  ; zum anderen findet sich Holmes oft genug in der undankbaren Rolle dessen, der zu spät kommt und im Angesicht der Tragödie nur noch Auflösung und Täter präsentieren kann. Immer wieder überschreitet der Detektiv auf diese Weise die Schwelle zum tragischen Heldentum. Schließlich bleibt noch das Verhältnis zum anderen Geschlecht  ; auch hier liefert Conan Doyle die Vorgabe, die von nun an zur Verpflichtung wird  : Fast alle Nachfolger entscheiden sich entweder für die Freuden der Jungfräulichkeit oder die impliziten oder expliziten Formen der Misogynie, die Holmes in seiner Person vereint. Father Browns zölibatäres Leben und Mike Hammers bis zur Gewalttätigkeit reichende Frauenfeindlichkeit bilden die beiden Pole, zwischen denen die unzähligen Nuancen aufgefächert werden. Frauen bedeuten für den Privatdetektiv in erster Linie Gefahr. Faszination gegenüber 113 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 683 (The Hound of the Baskervilles).

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dem weiblichen Geschlecht führt zu Verstrickung, und Verstrickung meint im besten Fall die Beeinträchtigung des Denkvermögens und der Urteilskraft, wie sie Holmes im Falle einer Heirat befürchtet, da Liebe ein Gefühl und damit „der reinen, kühlen Vernunft, die mir das höchste aller Dinge ist, entgegengesetzt“114 sei. Was Holmes jedoch nur Rufschädigung und Lächerlichkeit einbringen kann – denn ein Detektiv, der auf die rationalistische Methode schwört, wird bei einer Beeinträchtigung seiner Geistesgaben auch eine Beeinträchtigung des gewohnten Erfolges in Kauf nehmen müssen – bedeutet für die Nachfolger oft Gefahr für Leib und Leben. Beinahe sinnbildlich verkörpert wird das äußerste Gefahrenpotenzial von Brigid O’Shaughnessy in The Maltese Falcon, die nicht nur, wie es der prototypischen femme fatale eigen ist, als eine Art schicksalhafte Begleitung den Tod mit sich führt, sondern auch vorsätzlich Hand an die Waffe legt und einen privaten Ermittler niederstreckt. Holmes mag sich in einigen seiner Fälle getäuscht haben, sei es, dass die Auflösung zu banal, zu naheliegend war wie in The Adventure of the Yellow Face (1894), sei es, dass er nur Zaungast des Verbrechens sein durfte, da er zu lange Zeit eine falsche Richtung verfolgte wie in The Adventure of the Dancing Men (1903) oder The Five Orange Pips (1891) – geradezu buchstäblich an seiner Spürnase herumgeführt wird er jedoch nur ein einziges Mal  : von einer Frau. Irene Adler überwindet in A Scandal in Bohemia (1891) den Detektiv mit List, Schauspielkunst und Klugheit – Holmes wird mit den gleichen Eigenschaften, denselben Waffen geschlagen, die ihm normalerweise den Sieg bringen. Unter weiblichem Vorzeichen sind diese gleichen Waffen aber nicht nur eine beinahe ebenbürtige Gegnerschaft, wie sie Holmes in der Person Professor Moriartys begegnet, sondern eine Übermacht, die ihn am Ende zu Hochachtung und Anerkennung zwingt. „He used to make merry over the cleverness of women“, so Watson über den Geschlagenen, „but I have not heard him do it of late.“115 Die weibliche Überlegenheit zeigt sich nicht nur in der schauspielerischen Darbietung der beiden  : Während Holmes’ übermütiger Auftritt als Geistlicher von Irene durchschaut wird, erkennt der Detektiv die als Mann verkleidete Schauspielerin nicht. Deutlicher zeichnet sich die gleiche Vorgehensweise am Ende der Geschichte ab, als Holmes sich in genau der Rolle 114 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 157 (The Sign of Four)  : „But love is an emotional thing, and whatever is emotional is opposed to that true cold reason which I place above all things.“ 115 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 175 (A Scandal in Bohemia).

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wiederfindet, die er in seinen übrigen Abenteuern jeweils für Kriminelle, Klienten wie auch Kommissare vorsieht  : in der Position des Unwissenden, dem schließlich in lehrmeisterlicher Weise die Fakten dargelegt werden. Wie radikal die Umkehrung der Positionen in dieser Erzählung ist, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, in welch triumphaler Manier Holmes jeweils zum spektakulären Abschluss eines Falles schreitet. „Come, friend Watson“, heißt es dann in ruhiger Siegesgewissheit, „the curtain rings up for the last act.“116 Der letzte Akt in A Scandal in Bohemia gerät aber nicht, wie üblich, zur selbstgerechten Feier der eigenen Geistesgröße, sondern zu deren eindrücklichsten Niederlage.117

Die letzte Frucht der Romantik Der Vergleich mit einer Theatervorstellung ist mehr als ein Bonmot. Tatsächlich folgen viele Erzählungen Conan Doyles der Struktur des klassischen Dramas. Diesen Aufbau, beginnend mit der Darlegung des Falles, einer sich steigernden Spannung, die sich entweder in einer Katastrophe oder, weitaus öfter, in einer verhinderten Katastrophe entlädt, und einer abschließenden Lösung des Falles, werden auch die Nachfolger übernehmen. Ebenso können Watsons Einführungen und abrundende Bemerkungen als Prologe und Epiloge gelesen werden, wobei der Klang seiner Stimme, die abwechselnd Bescheidenheit, Traurigkeit und Jubel zum Ausdruck bringt, mit derjenigen des Chores vergleichbar ist. Das Wohnzimmer in der Baker Street dient stets als Ausgangskulisse des Dramas, in welchem Figuren ihren Auftritt feiern, die aus einer griechischen Tragödie entsprungen zu sein scheinen  : „I am nearly mad. Mr Holmes, I am the unhappy John Hector McFarlane.“118 Dem Drama verwandt ist auch die Personencharakterisierung, obgleich sie mit anderen Mitteln bewerkstelligt wird  : Zieht im Drama die Charakterisierung aus den Kontrasten zwischen den Figuren sowie aus der Figurenrede, die innerliche Konflikte äußerlich macht, ihre Kraft, erzielen Watsons Fragen sowie seine

116 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 662 (The Adventure of the Second Stain). 117 A Scandal in Bohemia ist einer der vielen Fälle, in denen Deduktion tatsächlich kaum praktiziert wird. 118 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 497 (The Adventure of the Norwood Builder).

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Personenbeschreibungen dieselbe Wirkung  ; das Resultat zeigt sich als Schablonenhaftigkeit, Übersteigerung und Typisierung. Gemeinhin wird die Detektivgeschichte – zumal die von Poe geprägte rationale Ausformung – der Gattung der analytischen Erzählung zugeschlagen  ; tatsächlich wird auch in den Holmes-Geschichten die Vorgeschichte der Ausgangssituation ermittelt und damit das zu Beginn der Erzählung präsentierte Rätsel am Ende aufgelöst. Und doch zeigt sich gerade nicht das erzählerische Pendant zum analytischen Drama, sondern das analytische Drama selbst als die zum Vergleich geeignete Kategorie. Denn zum einen ereignet sich die große Katastrophe zuweilen erst vor den Augen Holmes’  ; die Erzählung wird dann nicht vom Endzustand her aufgerollt, sondern die letzten Auswirkungen drängen sich erst zum dramatischen Höhepunkt zusammen. Dieses Handlungselement, das man als Action-Element im heutigen Sinn bezeichnen könnte und das erzähltechnisch als Steigerung der Spannung dient, trifft sich mit der Zuspitzung des Konflikts und dem Eintreten der Katastrophe im analytischen Drama. Die Verhinderung der Katastrophe, die Holmes immer wieder gelingt, wäre vor der Folie des analytischen Dramas als Komödie zu lesen  : Die Auflösung fällt zusammen mit der glücklichen Entwirrung des dramatischen Knotens, die Attribute Schuld und Unschuld werden definitiv verteilt, die Bösen werden bestraft, die Guten atmen auf.119 Doch gibt es eine weitere Transformation, die schwerer wiegt und der Verschiebung der Tragik auf die Nebenfiguren geschuldet ist. Fallen im analytischen Drama Katastrophe und Auflösung, die sich im Tode (Braut von Messina) oder im Wissen (Ödipus Rex) umarmen, zusammen, so werden sie in Conan Doyles Geschichten scharf voneinander geschieden, weil die Auflösung, das Wissen dem Detektiv als dem Helden zuteil wird, während die tödliche Katastrophe andere, Täter oder Opfer, trifft. „It may have been a comedy, or it may have been a tragedy“120 heißt es zu Beginn des Abenteuers The Adventure of the Three Garridebs (1924). Und diese unsichere Zuordnung trifft auf das Gros der Geschichten zu, denn es gehört zur Eigenart der Erzählweise Conan Doyles, dass sich Tragik und Komik immer wieder in die Arme fallen. Für die komischen Effekte zuständig ist 119 Vgl. Barrie Hayne  : The Comic in the Canon  : What’s Funny about Sherlock Holmes. In  : Harold Orel (Hg.)  : Critical Essays on Sir Arthur Conan Doyle. New York 1992, S. 138–159. Hayne verbucht in ihrem Aufsatz alle dramatischen und theatralischen Effekte unter Komik. 120 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1044 (The Adventures of the Three Garridebs).

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nicht nur das steile intellektuelle Gefälle zwischen dem Detektiv und seinen Mitmenschen, sondern zu großen Teilen auch der Holmessche Hang zur Travestie und Verkleidung. Als Höhepunkt dieser Neigung muss seine Darbietung als Todkranker in The Adventure of the Dying Detective (1913) gelten, die den armen Watson in Verzweiflung stürzt und an deren Ende ausführliche Ratschläge auf dem Gebiet der Schminkkunst erteilt werden. „With vaseline upon one’s fore-head, belladonna in one’s eyes, rouge over the cheek bones, and crusts of beeswax round one’s lips, a very satisfying effect can be produced.“121 Den Eintritt in die Detektivliteratur wagt Conan Doyle mit der Großform der novel. Die beiden frühen Romane A Study in Scarlet (1887) und The Sign of Four (1890) gewinnen keine große Leserschaft. Im Grunde sind nur ihre Rahmenerzählungen Detektivgeschichten, die Binnengeschichten folgen in fast reinster Ausprägung der Gattung der Abenteuererzählung. Aber auch die späteren Detektivgeschichten Conan Doyles können bei genauer Betrachtung entgegen ihrem Klischee nicht den streng vernünftelnden detection stories zugeschlagen werden. Sämtliche Fälle des Meisterdetektivs sind durchsetzt mit Elementen des Schauerromans, der Abenteuergeschichte und nicht zuletzt der romantic novel. Weil die story ihrer Kürze wegen nur Andeutungen der verschiedenen Versatzstücke und literarischen Traditionen zulässt, zeigen sich die Anleihen und die generöse Selbstbedienung aus den Schubladen der Gattungs- und Motivgeschichte, die Conan Doyle vornimmt, im Besonderen in den Romanen. So geht es in The Sign of Four – ganz in der Tradition der Schatzsuche – um ein geheim gehortetes Vermögen im kolonialen Indien, The Hound of the Baskervilles (1901) wiederum ist ganz in der Manier von Schauerromanen in einem nebligen Moor angesiedelt und von einem alten Familienfluch durchzogen. Eine interessante Ausnahme stellt Conan Doyles letzter Holmes-Roman The Valley of Fear (1914) dar  ; zwar findet man auch hier dasselbe Muster einer detektivischen Rahmenerzählung mit Holmes als Protagonisten und einer Binnenerzählung, einer Geschichte in der Geschichte, welche den Hintergrund schildert, vor dem sich das von Holmes aufzuklärende Verbrechen abspielt. Doch gerade die Binnenerzählung legt den Grundstein

121 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 941 (The Adventure of the Dying Detective). Seine Vorliebe für die Schauspielkunst stellt Holmes selbst als eine Folge von Watsons Schriftstellerei dar  : „You see, a good many of the criminal classes begin to know me – especially since our friend here took to publishing some of my cases  : so I can only go on the war-path under some simple disguise like this.“ Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 133 (The Sign of Four).

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für eine spätere Ausformung der Detektivgeschichte. In dieser säubert der Pinkerton-Detektiv Birdy Edwards eine amerikanische Kleinstadt im Alleingang vom organisierten Verbrechen. Conan Doyle ist damit ironischerweise eine der ersten hard-boiled Geschichten gelungen  ;122 Dashiell Hammett, ein ehemaliger Pinkerton-Agent, wird in seinem Roman Red Harvest (1929) Plot und Struktur der Binnenerzählung übernehmen.123 Doch wenn Conan Doyle an dieser Stelle als ein (Mit-)Begründer der hardboiled detective story seinen Auftritt feiert, darf ein Hinweis auf die Unterschiede zwischen der Birdy-Edwards-Geschichte und den Erzählungen späterer hardboiled-Autoren, allen voran Hammett, nicht fehlen. Eine scharfe Trennlinie zwischen den Traditionen zieht hier die Liebesthematik. Conan Doyle ist ein Autor, der sich in der Darstellung der Liebe an einer platten Version des romantischen Liebesideals orientiert  : das Liebespaar, das gegen die widrigsten Umstände um seine Liebe kämpft, und die fraglose Erhabenheit der Liebe sind feste Versatzstücke vieler Geschichten. Die hard-boiled Tradition jedoch begräbt dieses Liebesideal unter Sarkasmus und höhnischem Gelächter. Liebe taucht unter positivem Vorzeichen nur noch auf als Flirt oder Versuchung, unter negativem Vorzeichen als Lüge und Betrug und, in Form von Sex, als – relativ wertloses – Konsumgut auf. Bei Conan Doyle triumphiert die reine Liebe, aber es ist nicht zu übersehen, dass dieser Triumph am Ende häufig im Tode endet  : Das Verbrechen und noch öfter die Schuld eines Verbrechens erweisen sich in den Holmes-Geschichten als stärkere Macht denn die als „ewig“ proklamierten Liebesbanden. Darin liegt eine leichte Melancholie verborgen, die sich auch in der Figur des allzu früh verwitweten Watson zeigt  ; diese Melancholie wiederum, der weniger als Wissen denn als Ahnung ein Liebesverlust innewohnt, wird in stärkerer Ausprägung den Charakter des hard-boiled detective bestimmen. Tatsächlich gibt es eine frappante thematische Gemeinsamkeit zwischen Chandler, Macdonald und den frühen Erzählungen Conan Doyles  : Denn in diesen präsentiert sich die Familie als bevorzugter Schauplatz des Verbrechens, wobei die bürgerliche Familie keinem äußeren Feind gegenübersteht, sondern ihren Untergang durch innere, eigene Bedrohung besiegelt. 122 Die Ironie dieser Feststellung speist sich vor allem aus der Tatsache, dass die hard-boiled school ganz bewusst eine Gegentradition zur englischen, von Conan Doyle begründeten Detektivgeschichte in die Wege leiten wollte, was ihr in Ansätzen auch gelang. 123 Der Italo-Western eines Sergio Leone wird später die Struktur der Binnengeschichte zum Filmplot adeln.

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Während der Niedergang der viktorianischen Familie stillschweigend vor sich geht, wird der großzügige Rückgriff auf romantische Elemente in den Geschichten thematisiert und vom Autor geschickt den Vorlieben des etwas beschränkten Watson zugeschlagen. In The Sign of Four lästert Holmes über A Study in Scarlet, seinen ersten dokumentierten Fall, den Watson nachträglich zu Papier gebracht hat. „‚I glanced over [the study]‘, said he. ‚Honestly, I cannot congratulate you upon it. Detection is, or ought to be, an exact science and should be treated in the same cold and unemotional manner. You have attempted to tinge it with romanticism, which produces much the same effect as if you worked a love-story or an elopement into the fifth proposition of Euclid.‘“124 Es gibt nun zwei Geschichten, in denen Holmes selbst als Erzähler fungiert. In der ersten, The Adventure of the Blanched Soldier (1903), sieht er sich mit den Schwierigkeiten des Genres konfrontiert, als er bemerkt, „daß der Stoff auf eine Weise präsentiert werden muß, die das Interesse des Lesers zu wecken vermag“.125 Diesen konventionellen Vorgaben der Gattung fällt in der Folge Holmes’ Anspruch, die detektivische Vorgehensweise als exakte Wissenschaftsarbeit darzustellen, zum Opfer. Die Art und Weise, wie er sein Abenteuer erzählt, orientiert sich bis ins kleinste Detail am einst geschmähten Vorbild Watson und verfehlt es doch um Längen, weil die naive Sichtweise des bescheidenen Chronisten, die die Extravaganz des Detektivs scharf kontrastiert, schmerzlich vermisst wird. Die bloßen Erläuterungen Holmes’ sind über die Maßen langweilig, der eigentliche Höhepunkt, die Präsentation der Lösung, gerät zum langatmigen Monolog, und der abwesende Watson wird nicht nur vom Leser, sondern auch von Holmes selbst sehnsüchtig herbeigewünscht. „And here“, schreibt der Detektiv, „it is that I miss my Watson. By cunning questions and ejaculations of wonder he could elevate my simple art, which is but systematized common sense, into a prodigy.“126 Die Bloßlegung der narrativen Funktion Watsons, die Conan Doyle hier betreibt, zeigt jedoch nur eine der vielen Möglichkeiten, wie das Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Detektiv zu fassen ist. 124 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 90 (The Sign of Four). 125 Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung von Hans Wolf  : Arthur Conan Doyle  : Sherlock Holmes’ Buch der Fälle. Zürich 1987, S. 45. Im Original  : Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1000 (The Adventure of the Blanched Soldier)  : „[…] I do begin to realize that the matter must be presented in such a way as may interest the reader.“ 126 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1011 (The Adventure of the Blanched Soldier).

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Denn zuallererst sind die Holmes-Erzählungen ein anthropologisches Projekt. Nachdem der Afghanistan-Heimkehrer Watson von Stamford, seinem alten Studienkollegen, dem vor merkwürdigen Eigenheiten strotzenden Sherlock Holmes vorgestellt wurde und den Sonderling – weniger aus Geldnot, sondern aus neugierigem Interesse heraus – als seinen Mitbewohner akzeptiert, verkündet er Stamford  : „‚The proper study of mankind is man, you know.‘ – ‚You must study him, then‘“127, erwidert dieser, und genau das unternimmt Watson in der Folge. So kann man die Erzählungen des treuen Begleiters als Detektivgeschichten im doppelten Sinn verstehen  : zum einen – wie der Gattungsname es vorgibt – als Geschichten der Aufklärung eines Verbrechens  ; zum anderen aber als Studien über Holmes. Auf diese Weise erhielte Watson eine andere Funktion als die ihm gemeinhin zugeschriebene des naiven Chronisten und Fragestellers, der als Anbiederung an den Leser dient und die Geistesgröße des Detektivs umso gewaltiger erscheinen lässt. Der praktische Arzt Watson würde dann selbst in die scheinbar für Holmes reservierte Rolle des Untersuchers und Forschers schlüpfen  ; aus den Fällen des Detektivs entstünden so Fallgeschichten über den Detektiv. Und tatsächlich werden von Watson ja nicht nur die Geistesgröße und die Sonderbarkeiten Holmes’ geschildert, sondern das gesamte sichtbare Verhalten. Dabei bleiben Watsons Blicke jedoch an der Oberfläche haften, er schaut Holmes bei der Arbeit zu und beobachtet den Detektiv wie eine sensorische Kamera, die Bewegungen und Veränderungen registriert.128 In der berühmten Geschichte The Adventure of the Cardboard Box (1892)129 besucht Holmes eine Frau, die ein Paket mit zwei abgeschnittenen Ohren erhalten hat. Der Detektiv unterhält sich mit der Dame und, so Watson, verstummt plötzlich  : „[…] he paused, and I was surprised, on glancing round to see that he was staring with singular intentness at the lady’s profile. Surprise and satisfaction were both for an instant to be read upon his eager face, though when she glanced round to find out the cause of his silence he had become as demure as ever. I stared hard myself at her flat, grizzled hair, her trim cap, her little

127 „The proper study of mankind is man.“ – Watson zitiert an dieser Stelle Alexander Pope. Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 19 (A Study in Scarlet). 128 Ironischerweise besitzt – bis auf ganz wenige Ausnahmen – ausgerechnet der praktische und praktizierende Arzt Watson den von Michel Foucault in Die Geburt der Klinik ermittelten „ärztlichen Blick“ nicht. Vgl. dazu Fussnote 160 in diesem Kapitel. 129 Sowohl Carlo Ginzburg als auch Slavoj Žižek benutzen diese Erzählung als Anschauungsmaterial für ihre Annahmen und Theorien.

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gilt earrings, her placid features  ; but I could see nothing which could account from my companion’s evident excitement.“130 Watson beobachtet sein Objekt emsig, doch gerät seine Beobachtung nie zur sinnstiftenden Lektüre  ; einzig dem Mienenspiel vermag er Bedeutung abzuringen und Gesichtsausdrücken Gemütszustände zuzuordnen. Den Ursachen der Gefühle, die sich auf dem Gesicht des Detektivs spiegeln, kommt er jedoch nicht auf die Spur. Mit den Figuren Watson und Holmes stehen auch die Konzepte „Gefühl“ und „Verstand“ und damit die stereotypen Verkörperungen der Geschlechterrollen einander gegenüber. Ganz eindeutig ist Watson, wenngleich nicht mit weiblichen Vorzügen (Stiernacken, Schnauzbart), so doch mit weiblichen Zügen ausgestattet. Das zeigt sich nicht zuletzt an seiner maßlosen Bewunderung der Holmes’schen Geisteskraft, seinen sorgenvollen Bemühungen, ihn von der Drogensucht abzubringen und seiner Rückkehr in die Baker Street nach dem Tode seiner Frau. Als deutlichstes Zeichen der Weiblichkeit aber strahlt die Ohnmacht, in die Watson fällt, als der totgeglaubte Detektiv zurückkehrt. Holmes hingegen steht für ein männliches Ideal, das in der Lebensführung den Widerspruch zwischen Askese und Dekadenz aufhebt, in seiner Sicht auf die Welt jedoch, zumindest bei flüchtigem Hinsehen, einzig die frostigkalte Vernunft gelten lässt. „Not one of your cases, Watson“, heißt es programmatisch, „– mental, not physical.“131 Wieviel romantische Spannung tatsächlich in einer solchen Konstellation liegt, wird deutlich, als Watson sich bei einem Einsatz im Dienste Holmes’ verletzt und der Detektiv um das Leben seines getreuen Freundes bangt. „It was worth a wound“, bekennt Watson später, „– it was worth many wounds to know the depth of loyalty, and love which lay behind that cold mask. The clear, hard eyes were dimmed for a moment, and the firm lips were shaking. For the one and only time I caught a glimpse of a great heart as well as of a great brain.“132 Die romantischen Versatzstücke der Detektivgeschichte können aber besser noch als bloße Neigungen des Erzählers oder des Autors aus der Gattungsgeschichte heraus erklärt werden. Einen solchen Versuch unternimmt Fritz Wölcken, wenn er schreibt  : „Die Detektivgeschichte ist die letzte

130 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 893 (The Adventure of the Cardboard Box). 131 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 598 (The Adventure of the Three Students). Zum Thema „Ehegemeinschaft“, vgl. Hayne, The Comic in the Canon, 143ff. 132 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1053 (The Adventure of the Three Garridebs).

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Frucht der Romantik. Sie ist darum so besonders unwirklich, weil der Stoff, mit dem sie arbeitet, scheinbar so besonders rational ist. In dem Maße, wie die romantische Bewegung zunehmend innerlich verarmte, gelangte die Literatur – am Ende des 19. Jahrhunderts – an den Punkt, an dem die Detektivgeschichte erschien.“133 In einer solchen Sichtweise trägt die Detektivgeschichte die Spuren ihrer Genese als eine Art Negativabzug ihrer Abstammung mit sich  ; gleichzeitig verweist sie gerade der Wille zur rationalen Welterklärung in den Bereich des Unwirklichen und Fantastischen. Wenn auch der Romantik entlaufen, so sind die frühen Privatdetektive fantastische Figuren und bleiben es bis weit in die hard-boiled school hinein. Für G. K. Chesterton, den Schöpfer der Father-Brown-Geschichten, ist der Detektiv eine romantische und „poetische Figur“, weil er „Träger der sozialen Gerechtigkeit“ ist, während die Kriminellen „friedliche, alte kosmische Konservative sind, glücklich mit den uralten Anstandsbegriffen der Affen und Wölfe“134. Die Romantik des Detektivs liegt so in seinem Sinn und seinem Streiten für Gerechtigkeit, in seiner Verkörperung des moralischen Ideals – auch hierin liegt ein Grund für das Fehlen jeglichen sexuellen Charakters  : Moralische Integrität wird in den frühen Jahren der Detektivliteratur mit Jungfräulichkeit bezahlt. Das Fantastische als Erbe der Romantik findet sich aber nicht nur im Setting der Romane oder in der hyperbolischen Askese der Detektivfigur, son133 Wölcken, Der literarische Mord, 104. Diese Sichtweise teilt auch Richard Alewyn. „Der Hunger nach dem Wunderbaren wurde umso stärker, je mehr der Glaube daran geschwunden war. So wurden die aus dem Leben verbannten Wunder in eine Literatur abgedrängt, die es dem Leser gestattete, die verbotenen Früchte zu genießen, ohne seinem Unglauben untreu zu werden. (Dies und nichts anderes ist die sogenannte Romantik.) So erklärt sich die Hochflut von Geheimnis- und Schauerroman am Abend der Aufklärung. Ihr säkularisierter Abkömmling ist der Detektivroman. Was ihm noch heute Millionen zivilisierter Leser zuführt, ist das Bedürfnis nicht nach einer Bestätigung der trivialen Wirklichkeit, sondern nach ihrer Verfremdung […].“ Alewyn, Anatomie des Detektivromans, 71f. 134 Das vollständige Zitat  : „Wenn der Detektiv in einem Kriminalroman allein und wahnwitzig furchtlos dasteht unter den Messern und Fäusten einer Diebesküche, dient es sicherlich dazu, uns daran zu erinnern, daß der Träger der sozialen Gerechtigkeit die eigentlich originelle und poetische Figur ist, während die Einbrecher und Wegelagerer bloß friedliche, alte, kosmische Konservative sind, glücklich mit den uralten Anstandsbegriffen der Affen und Wölfe. Die Romantik der Polizeimacht ist demnach die ganze Romantik des Menschen. Sie ruht in der Tatsache, daß Rechtschaffenheit die dunkelste und gewagteste aller Verschwörungen ist.“ G. K. Chesterton  : Verteidigung des Kriminalromans. In  : Ders.: Verteidigung des Unsinns, der Demut, des Schundromans und anderer mißachteter Dinge. Zürich 1969, S. 167–173. Hier  : S. 173.

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dern auch in den zentralen Elementen der Geschichten. Die Fantastik jedoch wird nur aufgeboten, damit die rationale Deduktion ihr den Garaus machen kann. Auf diese Weise lassen sich zwei Arten von Geschichten unterscheiden  : zum einen Geschichten, in denen durch die Holmessche Detektivkunst hinter einem unheimlichen Vorkommnis eine elaborierte kriminelle Handlung sichtbar wird, wie in The Hound of the Baskervilles, wo sich ein feuerspeiender Höllenhund als aggressive Dogge herausstellt  ; oder in The Yellow Face, wo die hässliche, grauenvolle Fratze am Fenster sich als eine Maske entpuppt, die helfen sollte, die dunkle Hautfarbe zu verbergen. Ebenso häufig aber sind Geschichten, die in der genau umgekehrten Richtung verlaufen  : Hier wandeln sich unter der Deduktion Holmes’ Orangenkerne oder lustig tanzende Männchen zu mörderischen Prophezeiungen oder ein gesprenkeltes Band zu einer monströsen Giftschlange. Diese Geschichten, die Freuds anhand einer Erzählung von E.T.A. Hoffmann veranschaulichten Begriff des Unheimlichen umkehren, indem nicht das als unheimlich erscheint, was einst vertraut war, sondern, im Gegenteil, gerade das vermeintlich Vertraute sich als das Grauenvollste offenbart, sind die unheimlichsten überhaupt. An The Adventure of the Speckled Band (1892), einer der Lieblingserzählungen Conan Doyles, die als Lösung eben eine solche Verwandlung einer Harmlosigkeit in etwas Verteufeltes präsentiert, lässt sich die Fantastik der einzelnen Elemente, die letztendlich eine Fantastik der rationalistischen Welterklärung ist, aufzeigen.135 Diese Art des Fantastischen trifft sich mit der Auflösung der Morde in der Rue Morgue, wo mit einem Menschenaffen als Mörder die Unwahrscheinlichste aller Möglichkeiten die zutreffende ist  ; indem das Unwahrscheinlichste zur bewiesenen Wahrheit wird, bewahrt sich die Detektivgeschichte einen breiten Zugang zum gesammelten Motivschatz der gothic novel und dem Märchen. In diesem frühen Abenteuer wird Holmes von Helen Stoner beauftragt, Licht ins Dunkel von seltsamen Vorkommnissen zu bringen. In ihrem Schlafzimmer hörte die junge Frau, die einer Heirat entgegensieht, nachts ein sonderbares Pfeifen. Dieses Pfeifen weckte in ihr eine umso größere Angst, als ihre Schwester Julia vor zwei Jahren im selben Zimmer geschlafen hatte und unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen war. Den einzigen Hinweis auf ihr geheimnisvolles Sterben liefert ihr letzter Aus135 Obwohl Conan Doyle das Abenteuer zu seinen Lieblingsgeschichten zählte, konnte er sich später nicht mehr an den exakten Titel erinnern und nannte die Geschichte schlicht und aussagekräftig „the one about the snake“. Vgl. Atkinson, The Secret Marriage of Sherlock Holmes, 23.

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ruf  : „It was the band  ! The speckled band  !“136 Holmes nimmt mit Watson die Ermittlungen auf, und schon bald stellen sich die Familien- und Vermögensverhältnisse als die richtige Spur heraus  : Helen bewohnt mit dem einzigen noch lebenden Familienmitglied, ihrem Stiefvater Dr. Roylott, ein altes Gutshaus  ; die Mutter hatte testamentarisch festgelegt, dass Dr. Roylott jährlich ein großer Geldbetrag ausbezahlt wird, solange die Töchter bei ihm leben. Sollten die Mädchen jedoch heiraten, würde die Summe aufgeteilt. Weil Julia ihre Hochzeit plante, ehe sie starb, kommt sowohl für Holmes als auch für den Leser, dem cui-bono-Prinzip Folge leistend, nur der alte Roylott als Täter in Frage.137 Holmes und Watson reisen sofort auf das Gut, sorgen heimlich dafür, dass Miss Stoner in einem anderen Zimmer nächtigt, und richten sich ebenso heimlich im unheimlichen Schlafzimmer ein  ; das angrenzende Zimmer wird, wenig überraschend, von Dr. Roylott bewohnt. Als in der Dunkelheit plötzlich ein Zischen und Pfeifen zu vernehmen ist, entzündet Holmes ein Streichholz und schlägt mit einem Stock eine riesige, an der Schnur des Klingelzuges hängende Schlange in die Flucht  ; die Schlange wiederum schlüpft durch eine kleine Luke in Roylotts Zimmer zurück und beißt – ganz im Sinne einer transzendentalen Gerechtigkeit – den Übeltäter zu Tode. Roylott, so steht nun am glücklichen Ende der Geschichte fest, hat die gesprenkelte, halbdressierte Schlange als Mordinstrument eingesetzt und damit schließlich seinen eigenen Tod heraufbeschworen. Wer nun, wie das Michael Atkinson getan hat, die grauenerregende Schlange etwas genauer betrachtet, erkennt, auf welches fantastische Arsenal zurückgegriffen werden musste, wenn man, wie Conan Doyle, eine Schlange als raffinierte Mordwaffe präsentiert, die sowohl den Gesetzen der Moral als auch der Logik gehorcht. Denn tatsächlich handelt es sich, so Atkinson, um eine Schlange, „that responds to a whistle (snakes are deaf ), drinks milk (at the very bottom of a serpent’s dietary choices), climbs both up and down ropes (!), and produces a venom that kills in ten seconds if the victim is male and immoral, several minutes if she is female and innocent (whereas the fastest death caused by any known species of snake is measured in hours, no matter what your mother told you) […].“138 136 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 262 (The Adventure of the Speckled Band). 137 Tatsächlich ist The Adventure of the Speckled Band eine der seltenen Holmes-Geschichten, in denen bei der Ermittlungsarbeit das Motiv im Vordergrund steht. 138 Atkinson, The Secret Marriage of Sherlock Holmes, 28.

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Diese gesprenkelte Schlange, indische Kobra genannt, ist auch bekannt unter dem Namen Naja Naja Naja  ; unter Berücksichtigung der obigen Tatsachen schlägt Atkinson jedoch vor, die Schlange nada nada nada zu nennen – „an airy nothing, a fino hippogriff, a worthy entry in imagination’s bestiary“.139

Sie kennen meine Methode Watson und Holmes, schreibt Vincent Starrett, leben „in a nostalgic country of the mind  : where it is always 1895“.140 Die stillgelegte Zeit, in die man beim Lesen der Abenteuer eintritt, enthält Straßen voller Droschken, gemütliche Eisenbahnfahrten, reich gewordene Kolonialisten, Horden fröhlicher Gassenjungen und einen altehrwürdigen Adel, der fast zur Gänze ohne die perversen Darbietungen auskommt, die ihn während mehr als hundert Jahren durch die Literatur begleiteten  ; Klassenkämpfe werden, wenn überhaupt, nur in ganz indirekter Weise sichtbar. Zwar steht hinter den Verbrechen, die der Detektiv zur Aufklärung bringt, in den meisten Fällen Habgier, doch braucht, wer hier Ansätze zur Sozialkritik erkennen möchte, eine viel stärkere Lupe als Holmes sie für seine Nachforschungen benutzt. Denn zum einen trifft man in Conan Doyles Geschichten die Habgier in allen gesellschaftlichen Schichten an – mit Ausnahme jedoch des Proletariats, dessen Existenz eisern verschwiegen wird  ; zum anderen interessieren Motive jenseits der schablonenhaften cui-bonoFrage weder den Autor noch den Detektiv – für sozial-psychologische Spekulationen bleibt kein Platz.141 Gleichzeitig wird Raffgier stets mit genuiner Boshaftigkeit verknüpft, sodass sich vor eine allfällige Gesellschaftskritik rasch das Konzept des „geborenen Verbrechers“ schiebt. So finden sich in den Holmes-Geschichten neben der schöngemalten viktorianischen Kulisse auch die wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Diskurse und Phantasmen der Zeit konserviert. Wenn Holmes seinen Rivalen Moriarty als einen Menschen bezeichnet, dem ein Hang zum Verbrechen im Blut liege, gibt er eine gelungene Vorstellung als Bauchredner des Italieners

139 Atkinson, The Secret Marriage of Sherlock Holmes, 29. 140 Vincent Starrett  : The Private Life of Sherlock Holmes. New York 1993, S. 93. 141 Anders sieht das Marcello Truzzi  : Sherlock Holmes. Praktischer Sozialpsychologe. In  : Umberto Eco u. Thomas A. Sebeok (Hgg.)  : Der Zirkel oder Im Zeichen der Drei. Dupin, Holmes, Peirce. München 1985, S. 88–124.

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Cesare Lombroso.142 „There are some trees, Watson, which grow to a certain height, and then suddenly develop some unsightly eccentricity“, erklärt der Detektiv. „You will see it often in humans. I have a theory that the individual represents in his development the whole procession of his ancestors, and that such a sudden turn to good or evil stands for some strong influence which came into the line of his pedigree. The person becomes, as it were, the epitome of the history of his own family.“143 Diese Theorie, als deren Begründer Holmes sich hier präsentiert, ist nichts als eine poetische Umschreibung der Atavismus-These Lombrosos, die besagt, dass der kriminelle Mensch in eine frühere Entwicklungsstufe der Menschheit zurückfällt. Die Atavismus-Theorie liefert eine Antwort auf die Frage, wie in einer dem (zivilisatorischen) Fortschrittsglauben verfallenen Gesellschaft Verbrechen zu erklären sind und wie Verbrecher an äußeren Merkmalen identifiziert werden können.144 Sichtbar wird dieser Rückfall an körperlichen Eigenschaften wie einer fliehenden Stirn, einer krummen Nase oder einem stark ausgeprägten Unterkiefer  ; die körperlichen Auffälligkeiten und Abnormitäten wiederum sind nur die äußeren Zeichen einer fehlenden Moral. Anstatt Kriminalität mit der sozialen Frage zu verknüpfen, wird das Verbrechen an eine rigide Vererbungslehre gekoppelt.145 Ein anderes kriminalistisches Verfahren mit demselben Ziel schlägt zur gleichen Zeit Francis Galton vor. Mit seiner Methode der Composite Photography, die auf eine aufwendige Belichtungstechnik setzte, glaubte er, das „typische“ in den Gesichtszügen von Verbrechern herauszustellen.146 Auch für Galton geben sich Verbrechen und biologische Vorbestimmtheit die Hand. Den Hintergrund dieser physiognomischen Ereiferung liefert ebenfalls eine Vererbungslehre, die darauf baut, dass die Zugehörigkeit zu einer sozialen Klasse 142 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 471 (The Final Problem)  : „A criminal strain ran in his blood […].“ 143 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 494 (The Adventure of the Empty House). 144 Vgl. hierzu  : Peter Becker  : Physiognomie des Bösen. Cesare Lombrosos Bemühungen um eine präventive Entzifferung des Kriminellen. In  : Claudia Schmölders (Hg.)  : Der exzentrische Blick. Gespräch über Physiognomik. Berlin 1996, S. 163–186. Hier  : 166f. 145 Eine zur Figur gewordene Anspielung auf die Atavismus-Theorie findet sich auch in der Gestalt von Mycroft, dem Bruder von Sherlock Holmes  ; dieser ist im gleichen Maß mit einer analytischen Begabung geschlagen wie der Meisterdetektiv. 146 Dieser wissenschaftlich bemühte Glauben, dass Verbrecher an sichtbaren Merkmalen erkennbar seien, führte gar zu präventiven Verhaftungen potenzieller Straftäter. Eben diese Fantasie, die Welt mit prophylaktischen Verhaftungen vom Verbrechen zu reinigen, ist alptraumhaft im Science-Fiction-Film Minority Report in Szene gesetzt. USA 2000, Regie  : Steven Spielberg.

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rein biologisch festgelegt ist und soziale Defizite und kriminelle Energie von Generation zu Generation weitervererbt werden. In der Conan Doyle’schen Darstellung von Verbrechern findet sich ein Niederschlag von Lombrosos und Galtons Lehren, allerdings handelt es sich eher um Anleihen als um orthodoxe Nachbetereien, wenn bösartige Kriminelle mit wuchtigen Kinnladen durch die Geschichten schleichen. Eine andere Frage der zeitgenössischen Kriminalistik betrifft den sicheren Identitätsbeweis. Wie können rückfällige Verbrecher zweifelsfrei und eindeutig identifiziert werden  ? Welche Stelle des Körpers legt die Einzigartigkeit eines Menschen offen  ? In den frühen Erzählungen Conan Doyles versprechen noch Fotografien, Briefe oder Wäschezeichen Hinweise auf Identität.147 Auch Alphonse Bertillons anthropometrische Methode, die am Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich und Großbritannien eingeführt wurde, findet ihren Niederschlag. Für den Detailfanatiker Bertillon bringt Holmes wenig überraschend „enthusiastische Bewunderung“ zum Ausdruck.148 Der Methode war allerdings ein kurzes wissenschaftliches Leben beschieden  : Sie gestaltete sich in der Erfassung der Daten ebenso mühsam und zeitaufwendig wie in deren Auswertung. In einem langwierigen Verfahren mussten alle Körperteile ausgemessen und nach einer Unzahl von Kriterien katalogisiert werden  ; der praktische Wert der Daten zeigte sich bald als vernachlässigbar. Fast zur gleichen Zeit wie Bertillons System erreicht der Fingerabdruck als Instrument des Identitätsbeweises das Königreich.149 Er war zuvor in den Kolonien erfolgreich angewendet worden als ein Mittel, das es ermöglichte, die Einheimischen, die in den Augen der Briten alle gleich aussahen, unterscheiden zu können. Ab 1900 wurden die Fingerabdruckdaten von Kriminellen von der Polizei gesam-

147 Vgl. Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 804 (The Valley of Fear). 148 Vgl. Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 460. In The Hound of the Baskervilles wird Holmes von einem Klienten „nur“ als der zweitbeste Verbrechensexperte Europas bezeichnet  ; der erste Platz gebührt nach Meinung von Dr. James Mortimer Monsieur Bertillon. Allerdings wird Holmes als der größere Praktiker geschätzt. Vgl. Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 672f. Interessanterweise folgen die Darstellungen der Verbrecher trotz der Verneigungen vor Bertillon nicht dessen individuellem Porträt, sondern den plakativen Typisierungen eines Francis Galton. 149 Die Einführung des Fingerabdrucks geht unter anderem auf die Bemühungen von Galton, einem Cousin Darwins, zurück. Er versprach sich von den Linien der Fingerkuppen jedoch weit mehr  : eine Art Mikrogramm des individuellen Charakters. Seine feste Überzeugung, dass Psyche und Moral an äußeren körperlichen Merkmalen abzulesen seien, hoffte er auch an den Fingerabdrücken beweisen zu können.

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melt, 1905 wurde erstmals anhand eines am Tatort gewonnenen Fingerabdrucks ein Mordfall aufgeklärt.150 Zwei Jahre vor diesem kriminalistischen Erfolg wird der neue todsichere Identitätsbeweis in der Erzählung The Adventure of the Norwood Builder (1903) von Holmes bereits ad absurdum geführt und als anfällig für Fälschungen ausgewiesen.151 Geradezu frenetisch gefeiert wird in Conan Doyles Geschichten die Physiognomik, wenngleich die expliziten Erwähnungen des Wissenschaftszweiges unterbleiben  ; doch dass ein enger Zusammenhang zwischen Aussehen und charakterlicher Anlage besteht, scheint auf fast jeder Seite auf. Auch die Phrenologie feiert immer wieder Auftritte, zum Beispiel in Gestalt eines Arztes, der sich vom Anblick des Holmes’schen Schädels enttäuscht zeigt  : „You have less frontal development than I should have expected.“152 Auch die obligate, wenngleich ironische, Verneigung vor Darwin darf nicht fehlen  ; in The Adventure of the Creeping Man (1923), in dem es um die grotesken Folgen eines Verjüngungsserums geht, entwirft Holmes am Schluss ein Horrorszenario, das er mit der Wendung „the survival of the least fit“153 zusammenfasst. Sammelt man die in die Geschichten gestreuten Gemeinplätze der Wissenschaftsdiskurse, werden gemeinsame Nenner sichtbar, die zu weiten Teilen auch Conan Doyles Erzählungen bestimmen  : der Glaube an den Siegeszug der Wissenschaft im Kampf gegen die Kriminalität, die Überzeugung, dass die Wahrheit auf der sichtbaren Seite des Körperlichen liegt, das Desinteresse an Motiven, der großzügige Verzicht auf Geständnisse. Die Holmes-Geschichten erscheinen zwischen 1887 und 1927 und der Autor, Conan Doyle, entwickelt sich in diesen 40 Jahren nicht nur von einem von Nöten geplagten Arzt zum reichen Bestsellerautor, sondern ebenso vom scheinbaren Rationalisten zum eifrigen und missionarischen Spiritisten.154 Dieser Umschlag wird gern als ein nachvollziehbares Kippen beschrieben, als müsste jemand, der sich so streng dem Rationalismus/Positivismus verschrie150 Vgl. hierzu  : Colin Beavan  : Fingerprints. The Origins of Crime Detection and the Murder Case that Launched Forensic Science. New York 2001. 151 In diesem Abenteuer wird nachträglich ein gefälschter Fingerabdruck am Tatort platziert. Was für die Polizei als untrügliches Beweismittel gilt, wird von Holmes als falsche Spur erkannt. 152 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 472 (The Final Problem). 153 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1083 (The Adventure of the Lion’s Mane). 154 1916 bekennt sich Conan Doyle erstmals zum Spiritismus. Das Interesse für den Spiritismus und das Bemühen, die Geistererscheinungen wissenschaftlich zu beweisen, teilt er mit Lombroso.

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ben hat, nach einer gewissen Weile als Kompensation unweigerlich das Gespräch mit verstorbenen Seelen suchen. „Conan Doyles Spiritismus“, schreibt Fritz Wölcken, „ist nichts anderes als das Gegenstück, die Rückseite zu dem rationalistischen Materialismus, durch den allein die Formel der Detektivgeschichte möglich wurde.“155 Entscheidet man sich aber dafür, im Spiritismus eine neue Ausformung, eines der vielen Gesichter des Rationalismus zu sehen, so bringt einen ein solches Verständnis in die Nähe dessen, was sich für die Methode von Sherlock Holmes als wichtig herausstellen wird.156

Sehen Was aber ist die Holmessche Methode  ? Der Meisterdetektiv selbst hat eine zarte Schwäche für die Beschreibung seines Vorgehens. „You know my method“, verkündet er in einem seiner frühen Abenteuer. „It is founded upon the observation of trifles.“157 Mit Nichtigkeiten, kaum sichtbaren Indizien, sind Dinge gemeint, die das ungeschulte und unbegabte Auge beim Betrachten anderer Personen oder Gegenstände zur Vernachlässigung einladen. „It has long been an axiom of mine“, so Holmes zu einer Klientin, „that the little things are infinitely the most important.“158 Die kleinen Dinge sind nicht nur die wichtigsten, sondern auch diejenigen, in denen die Wahrheit liegt. Hier ist der gleiche Blick am Werk, der in den winzigen Linien der Fingerkuppen den Identitätsbeweis entdecken konnte. 155 Wölcken, Der literarische Mord, 112. 156 Es gibt eine großartige Anekdote, welche die Wesensverwandtschaft von detektivischer Rhetorik und spiritistischer Mission zeigt, auch wenn in diesem Fall die Überzeugungsarbeit keine Früchte trägt. Als Conan Doyle den berühmten Entfesselungskünstler Houdini sieht, ist er überzeugt, dass sich der Artist bei seinen Kunststücken auf übernatürliche, spirituelle Kräfte stützt. Houdini ist skeptisch, besucht aber aus Freundlichkeit eine Séance bei den Conan Doyles. In der Sitzung wird mittels Arthurs Ehefrau Jean, die als Medium fungiert, Kontakt zu Houdinis verstorbener Mutter aufgenommen. Diese diktiert einen 15-seitigen Brief, den Jean niederschreibt. Als Houdini feststellt, dass der Brief auf Englisch verfasst ist, äußert er Zweifel. Obwohl seine Mutter 50 Jahre lang in den USA lebte, habe sie weder englisch sprechen noch schreiben können. Conan Doyle weiß jedoch des Rätsels Lösung. Sie habe, so der Autor, im Himmel die englische Sprache erlernt. „Houdini was not convinced.“ Chris Willis  : Spiritualism and Detective Fiction. In  : Warren Chernaik u. a. (Hg.)  : The Art of Detective Fiction. Houndmills, London 2000, S. 60–74. Hier  : S. 62. 157 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 214 (The Boscombe Valley Mystery). 158 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 194 (A Case of Identity).

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„You see, but you do not observe“159, herrscht Holmes den unglücklichen Watson an, der sehenden Auges ist und doch als Blinder erscheint. Beobachten, so das anschauliche Beispiel, bedeutet nicht nur, die Treppe zu sehen, sondern ihre Stufen immer schon gezählt zu haben.160 Was aber geschieht mit dem Beobachteten  ? „I can see nothing“, erklärt Watson mutlos beim Anblick eines Deduktionsobjekts. „On the contrary, Watson“, heißt es dann unerbittlich, „you can see everything. You fail, however, to reason from what you see.“161 Der Detektiv also teilt seine Methode in zwei Schritte auf  : den der Beobachtung und den der Deduktion. Die Beobachtung umfasst die Suche, die Deduktion das Finden  ; das Auge leistet die Vorarbeit, die der Verstand schließlich vollendet. Weil aber immer schon der erkennende Blick auf die Suche geschickt wird, sind die beiden Teilschritte kaum voneinander zu trennen. Das Auge ist damit nicht nur Erkenntnismedium, sondern gleichsam körperliches Pendant zur unsichtbaren Verstandesgröße. Sehen bedeutet, ganz im Sinn der Antike, erkennen  ; während jedoch der Seher des Altertums vorzugsweise mit Blindheit geschlagen ist, um den Unterschied zwischen physischem und metaphysischem Sehen zu markieren, verweist der Adlerblick Holmes’ sowie der Einsatz der Lupe auf das neue Attribut der Wahrsagekunst  : Wissenschaftlichkeit. Aus der Prophezeiung wird weniger eine Prognose als eine Diagnose.162 159 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 162 (A Scandal in Bohemia). 160 An diesen Augen, die das Nebensächliche als das Hauptsächliche sehen, lässt sich das festmachen, was Michel Foucault den „ärztlichen Blick“ nennt. Foucault unternimmt in Die Geburt der Klinik den Versuch, das Sichtbarwerden und die Analyse von Krankheiten ideengeschichtlich zu deuten. Dieser ärztliche Blick, dessen Entstehung Foucault im 18. Jahrhundert verortet, ist einer Neuziehung der Grenze zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem geschuldet. Die bislang im und vom Körper verborgene Krankheit wird ans taghelle Licht gezogen  ; das Hauptinstrument dieser Sichtbarmachung ist die Sprache, zwischen Sichtbarem und Aussagbarem wird eine enge Korrelation geknüpft  : „[M]an macht sichtbar, indem man sagt, was man sieht.“ (207) Am deutlichsten wird dieses neue Sehen an der Praxis der Leichenöffnung, die es erlaubt, das Innere des Körpers und die Ursache des Todes zu schauen. Resultat dieser Entwicklung ist die klinische Diagnose, die durch einen „geduldigen Blick“ und „durch maßvolles Hinzufügen von Verstandestätigkeit“ gewonnen wird und auf diese Weise wissenschaftliche Qualität erreicht (13). Michel Foucault  : Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. München 2002. 161 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 246 (The Adventure of the Blue Carbuncle). 162 Diese Form der Wahrsagekunst wird man im Profiling, dem Erstellen von Täterprofilen, wieder antreffen.

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Deduzieren Holmes selbst bezeichnet als Deduktionen logische Ableitungen aus gewonnenen Beobachtungen. So deduziert der Detektiv, Dupin ähnlich, aus dem Mienenspiel eines Menschen dessen geheimste Gedanken, aus dem Studium der Hände oder Ärmel eines Klienten dessen Beruf. Seine Schlussfolgerungen, so Holmes, seien „ebenso unfehlbar wie die Beweisführungen von Euklid.“163 Als der Detektiv und sein Bruder Mycroft, der in gleichem Maße und mit ebenso großer Begabung der Deduktion frönt, einen dunkelgekleideten Mann mit einigen Päckchen unter dem Arm beobachten, verkünden die beiden dem verdutzten Watson, dass es sich bei dieser Person um einen Witwer mit Kindern handeln müsse. Da für Watson die Anhaltspunkte für die gezogenen Schlüsse im Verborgenen bleiben, erklärt Holmes die deduktive Denkarbeit, die die dunkle Kleidung und die unter den Arm geklemmten Päckchen miteinander in Verbindung und damit das Mittel der Kombination ins Spiel bringt. „His complete mourning shows“, so Holmes, „that he has lost someone very dear. The fact that he is doing his own shopping looks as though it were his wife. He has been buying things for children, you perceive. There is a rattle, which shows that one of them is very young. The wife probably died in childbed. The fact that he has a picture-book under his arm shows that there is another child to be thought of.“164 Unter Holmes’ Blicken verwandelt sich so eine unbekannte Gestalt in eine biographische Episode, äußere Zeichen werden zu einer Geschichte zusammengesetzt. Dabei ist die Kombination von Beobachtung und den aus ihnen gezogenen Schlüssen jedoch eine äußerst willkürliche. Der Begriff der Deduktion, auf den sich Holmes in seinen Ausführungen beruft, hat in der Forschungsliteratur zu vielerlei Kritik Anlass gegeben. Auf der einen Seite wollte man die Bezeichnung „Deduktion“ für das Verfahren nicht gelten lassen, sondern schlug stattdessen die Termini Induktion und Abduktion vor  ; auf der anderen Seite ging der Ehrgeiz dahin, den spekulativen und damit wenig wissenschaftlichen Charakter der Methode herauszustreichen. Kathleen Gregory Klein und Joseph Keller stellen etwas entnervt fest, dass das, was man in Kriminalromanen als Deduktion betreibt, nämlich das Nachdenken über beobachtete Fakten, „von allen außer Kriminalautoren als Induktion bezeichnet 163 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 23 (A Study in Scarlet)  : „His conclusions were as infallible as so many propositions of Euclid.“ 164 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 437 (The Greek Interpreter).

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wird“.165 Weil die Erkenntnisse der Detektive aber ihrer Untersuchung zufolge nicht auf aus scharfer Beobachtung gezogenen Schlüssen, sondern auf Spekulationen und undurchschaubaren Prämissen fußen, habe die Vorgehensweise der literarischen Ermittler nicht das Mindeste mit Induktion zu tun. „Was Sherlock Holmes’ Nachforschungen so erfolgreich gestaltet“, schreiben sie, „ist nicht sein Verzicht auf das Raten, sondern die Tatsache, daß er das Raten so vortrefflich beherrscht.“166 Eine solche Sichtweise unterstützt – trotz aller Beteuerung der ­L ogik – auch der Detektiv, wenn er auf die verdutzte Äußerung eines ­Inspektors  : „Even now I do not understand how you attained this result“, ­antwortet  : „Simply by having the good fortune to get the right clue from the beginning.“167 So steht für Gregory Klein und Keller fest, dass die Aufklärungsarbeit weder deduktiv noch induktiv noch abduktiv zu nennen sei, sondern dass die Vorgehensweise des Meisterdetektivs letztlich vor allem eine intuitive sei.168 Von der Intuition ist es jedoch nur ein kleiner Schritt zur Abduktion. Dieser auf den Semiotiker Charles S. Peirce zurückgehende Terminus meint eine zutreffende Mutmaßung, die nicht logisch hergeleitet wird. Für Peirce stellt sie den „ersten Schritt im wissenschaftlichen Denken“169 dar  ; abduktive Schlüsse führen zu Hypothesen, die sich am Ende durch Überprüfung beweisen lassen. Somit setzt Peirce der strengen Logik ein kreatives Moment im wahrsten Sinne des Wortes entgegen  : einen mit den Mitteln des Verstandes nicht auslotbaren Ursprungsort des Denkens, eine Art sinnliches Wissen, das man auch als Instinkt beschreiben könnte. Peirce selbst illustriert seine Theorie der Abduktion mit einer persönlichen Fallgeschichte, in deren Verlauf er sich als Meisterdetektiv auszeichnet und einen Pinkerton-Mann um den guten Ruf bringt. Als ihm auf einer Schiffsreise die Uhr und ein Überzieher gestohlen werden, hegt er nach der Befragung aller als Diebe in Frage kommenden 165 Kathleen Gregory Klein u. Joseph Keller  : Der deduktive Detektivroman. Ein Genre, das sich selbst zerstört. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. München 1998, S. 428–443. Hier  : S. 429. 166 Thomas A. Sebeok u. Jean Umiker-Sebeok  : „Sie kennen meine Methode.“ Ein Vergleich von Charles S. Peirce und Sherlock Holmes. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. München 1998, S. 297–321. Hier  : S. 305. 167 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 571 (The Adventure of Black Peter). 168 Gregory Klein/ Keller, Der deduktive Detektivroman, 431  : „Unsere Detektive reflektieren oftmals da, wo sie am wenigsten deduktiv vorgehen, solche ganzheitlichen Intuitionen, die dann unerklärlicherweise zur Problemlösung führen.“ 169 Sebeok, Sie kennen meine Methode, 302.

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Angestellten einen Verdacht. Da der von ihm mit der Aufdeckung des Falles beauftragte Pinkerton-Detektiv eine andere Spur verfolgt, nimmt Peirce selbst die Verbrecherjagd auf und findet schließlich heraus, dass seine anfängliche Vermutung die richtige war. In der Wohnung des Verdächtigen kann er dank weiterer abduktiver Schlüsse sogar das genaue Versteck des Diebesgutes ersinnen. Diese als Detektivgeschichte dargebrachte Peircesche Methode schreit geradezu nach einem Vergleich mit der Vorgehensweise von Holmes. Thomas A. Sebeok und Jean Umiker-Sebeok sind dem Ruf gefolgt und haben nicht nur in Holmes den Semiotiker und in Peirce den Arzt entdeckt, sondern ebenso für Holmes als Grundlage seiner Methode die Abduktion, auch Retroduktion genannt, ausgemacht. Tatsächlich ist die Arbeitsweise eine vergleichbare, und die Rede von einer „Juxtaposition der Methoden“170 scheint gerechtfertigt.

Kunst Mit Peirce und zum scheinbaren Nachteil Holmes’ beweisen zu wollen, dass die Methode des Detektivs nicht auf reine Logik gebaut ist, bedeutet aber für denjenigen, der das unternimmt, nur bedingt den Triumph der Entlarvung und Überführung. Denn zwar legt Holmes den größten Wert auf die Logik als wichtigste Waffe seiner Methode und seines Denkens  ; gleichwohl wird er nie müde zu betonen, dass Logik allein zu wenig Erfolg führt. Ebenso wichtig sind Fantasie, Instinkt und Intuition. Das wird immer wieder in den Klagen über die Beschränktheit der Polizeikommissare deutlich, denen es fast ausnahmslos an der „Gabe der Fantasie“171 mangelt. Fritz Wölcken hat festgestellt, dass bei Conan Doyle die Vertreter der Polizei die Funktion des „dummen August“ innehaben, und es habe, so Wölcken, „lange gedauert, ehe auch Polizisten wieder Intelligenz haben durften“.172 Tatsächlich beruht die Dummheit der Kommissare nicht, wie zu erwarten wäre, auf einer Missachtung der Logik, sondern auf dem Fehlen von Vorstellungskraft und Kreativität. Fantasie

170 Sebeok, Sie kennen meine Methode, 312. 171 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 339 (Silver Blaze)  : „Inspector Gregory, to whom the case has been committed, is an extremely competent officer. Were he but gifted with imagination he might rise to great heights in his profession.“ 172 Wölcken, Der literarische Mord, 109.

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und Instinkt173 sind notwendige Eigenschaften, ohne die das streng rationale Denken knöchern bleibt und in die Irre geht. Der Instinkt des Detektivs, das Einsetzen all seiner sechs Sinne, zeigt sich immer dort, wo Holmes – im wahrsten Sinne des Wortes – die Fährte aufnimmt. Denn beim praktischen Spurenlesen begegnet uns nicht die kühle Denkmaschine, sondern der fleischgewordene Instinkt in der Gestalt eines Bluthundes  : „He whipped out his lens and a tape measure and hurried about the room on his knees, measuring, comparing, examining, with his long thin nose only a few inches from the planks and his beady eyes gleaming and deep-set like those of a bird. So swift, silent, and furtive were his movements, like those of a trained bloodhound picking out a scent, that I could not but think what a terrible criminal he would have made had he turned his energy and sagacity against the law instead of exerting them in its defence. As he hunted about, he kept muttering to himself, and finally he broke out into a loud crow of delight.“174 Dieses atavistische Moment der Holmes’schen Methode zeigt sich jedoch nur bei der Tatortuntersuchung  ; in der Studierstube und Denkwerkstatt weicht der Instinkt der Intuition. Als Holmes sich Watson am Anfang ihrer Freundschaft durch einen Zeitungsartikel als beratender Detektiv zu erkennen gibt, behauptet er, nicht nur auf einen Blick die Biografie und den Berufsstand seiner Klienten feststellen zu können, sondern ebenso im Sitzen Verbrechensfälle zu lösen, indem er sich Geschichten anhöre, dann Kommentare von sich gebe, um schließlich das Honorar einzustreichen. Auf Watsons Frage hin, wie er denn, ohne das Zimmer zu verlassen, imstande sei, Licht ins Dunkel zu bringen, antwortet Holmes trocken  : „I have a kind of intuition that way.“175 Diese „Art Intuition“ macht einen großen Teil der „Kunst der Detektion“ aus. Denn wo es um Kunst geht, so zumindest in der abendländischen Kultur, reichen Fleiß und Ehrgeiz nicht aus, wenn es an Talent fehlt. Aus diesem Grunde spricht Holmes von der „Gabe der Fantasie“  ; wer sie besitzt, genießt eine freiere Sicht auf die Wahrheit. „Simply as a mental exercise, without any assertion that it is true“, sagt Holmes, „let me indicate a possible line of thought. It is, I admit, mere imagination  ; but how often is imagination the mother of truth  ?“176 173 Vgl. Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 884 (The Adventure of Wisteria Lodge)  : „‚You will rise high in your profession. You have instinct and intuition‘, said he.“ 174 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 112 (The Sign of Four). 175 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 24 (A Study in Scarlet). 176 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 802 (The Valley of Fear).

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Der Meisterdetektiv ist ein Wissenschaftler, ausgestattet mit einer Künstlernatur, und dank dieser seltenen Kombination ist sein Denken so messerscharf. Gelingt ihm die Lösung eines Falles nicht auf Anhieb, so liegt das Versagen in einer Formschwäche der Geisteskraft begründet  : „I have been sluggish in mind and wanting in that mixture of imagination and reality which is the basis of my art.“177 Auch in Holmes’ Alter Ego Professor Moriarty finden sich beide Eigenschaften – die Geistesgröße und die künstlerische Begabung, die seinem Namen eingeschrieben ist – noch vereint. Er ist als meisterhafter Mathematiker zugleich als großer Denker ausgewiesen  ; die geniale Begabung wiederum zeigt sich in der einzigartigen Umsetzung seines Werkes. Allerdings braucht es für die Erkennung und Wertschätzung der verbrecherischen Genialität das geschulte Auge eines Kunstliebhabers. „There is a master hand here“, verkündet Holmes auf die Nachricht eines mysteriösen Todesfalles hin. „It is no case of sawed-off shotguns and clumsy six-shooters. You can tell an old master by the sweep of his brush. I can tell a Moriarty when I see one.“178 Man wird sehen, wie sich in der weiteren Geschichte der Detektivliteratur und des Kriminalfilmes diese Eigenschaften fast nur mehr auf der Verbrecherseite finden  ; während sich der Detektiv immer mehr in Richtung eines grau bemantelten Beamten entwickelt, zeigen sich die Auswüchse der Genialität fast nur noch auf der Gegenseite  : die gefährlichsten Verbrecher werden boshafte Wissenschaftler oder geisteskranke Künstler sein.179 Wissenschaftlichkeit Dass die Holmessche analytische Methode, so streng rational, so logisch und genial sie sich auch präsentieren mag, ihre Rationalität vor allem aus den Behauptungen Holmes’ und weniger aus der scheinbar logischen Stringenz der Aufklärungsarbeit zieht, ist häufig beobachtet worden.180 So genügt das 177 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1070 (The Adventure of the Creeping Man). 178 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 866 (The Valley of Fear). Hier kann man Holmes bereits in der Pose der späteren Profiler und Kriminalpsychologen, die die Handschrift eines Serienmörders erkennen, bewundern. 179 Man denke hier an die Bösewichte der James-Bond-Filme. Ebenfalls symptomatisch ist Patricia Cornwells Buch Portrait of a Killer. Jack the Ripper. Case Closed, in welchem sie mit neuen wissenschaftlichen Methoden den Maler Walter Sickert als Frauenmörder „überführt“. 180 Vgl. hierzu auch Knight, der die Holmessche Methode als simplen common sense entlarvt. Knight, Crime Fiction, 57.

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Ausschlussverfahren, in welchem Unwahrscheinliches von Unmöglichem geschieden wird, auch kaum objektiven, transparenten Kriterien, sondern fußt im Besonderen auf dem rhetorisch gekonnten Außerachtlassen von alternativen Erklärungen. Die Plausibilität, die in der Lösung des Falles zum Vorschein kommt, ist somit häufig eine rhetorisch erkaufte.181 Doch bereits die so leicht aus dem Ärmel geschüttelten Deduktionen zu Beginn eines Abenteuers, so zum Beispiel wenn Holmes aus dem unordentlichen Äußeren eines Klienten schließt, dass es sich um einen Junggesellen handeln muss, da eine Ehefrau ein sauberes Auftreten des Gatten garantiert, sind stets eine mögliche Erklärung von unzähligen. Zur richtigen Erklärung geadelt wird sie, ganz wie bei Dupin, einzig durch die verdutzte Bestätigung des deduzierten Objekts. Die auf diese Weise erzwungene Logik ist jedoch nicht die kühle Logik des deduktiven Denkens, sondern einzig die Logik der Erzählung, zumal die Logik der Detektivgeschichte, denn ein Holmes, der bereits zu Beginn eines Auftrags scheitert, bedeutet gleichsam das Ende der Geschichte und das Verstummen des Erzählers. „Some [cases], too“, schreibt Watson, „have baffled his analytical skill, and would be, as narratives, beginnings without an ending, while others have been but partially cleared up, and have their explanations founded rather upon conjecture and surmise than on that absolute logical proof which was so dear to him.“182 Geschichten ohne Schluss lassen sich, als konventionelle Detektivgeschichten, schlecht erzählen und wer, wie Watson, seine Aufgabe als Chronist darin festgelegt sieht, die deduktive Meisterschaft des Meisterdetektivs zu feiern, muss Mutmaßung und bloße Annahme als unerhörte Wege zum Ziel zur Ausnahme erklären. „Nicht die Kunst der Deduktion selbst, sondern die Leidenschaft zur Deduktion, nicht die Logik, sondern die Überzeugung von der Ausschließlichkeit der Logik begründen also die Gattung der Detektivgeschichten.“183 Diese Feststellung von Fritz Wölcken über die Detektiverzählungen Edgar Allan Poes gilt nicht weniger für die Sherlock-Holmes-Geschichten Conan Doyles. Was dem frenetischen Bekenntnis zur analytischen Methode jedoch wissenschaftliches Leben einzuhauchen vermag, ist die stete Überprüfung der Theorien an der dargestellten Wirklichkeit, das Erbringen von handfesten Be-

181 Hier trifft sich Holmes mit der Logik der Rechtssprechung  : es geht, mehr als um Wahrheit, um den Grundsatz der Plausibilität. 182 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 217 (The Five Orange Pips). 183 Wölcken, Der literarische Mord, 37.

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weisen. Sowohl Dupin wie auch Holmes untersuchen den Tatort184, machen sich vor Ort ein Bild, und letzterer legt sich immer wieder gerne auf die Lauer, um Kriminelle in flagranti zu ertappen und den lebendigen Beweis der im Lehnsessel erdachten These schließlich in Händen zu halten. Dieses wissenschaftliche Moment, das sich bei Holmes auch im Gebrauch des Mikroskops, der legendären Lupe, zahlreichen chemischen Versuchen und extravaganten Monografien, beispielsweise über die Asche von 140 verschiedenen Arten von Pfeifen-, Zigarren- und Zigarettentabak, offenbart, beliefert die Deduktionen im Nachhinein mit einer Logik, die auf wissenschaftlichen Ergebnissen beruht und sie damit – und dies ist die Bedingung allen logischen Denkens – nachvollziehbar, weil überprüfbar macht. „That process“, sagt Holmes, „starts upon the supposition that when you have eliminated all which is impossible, then whatever remains, however improbable, must be the truth. It may well be that several explanations remain, in which case one tries test after test until one or other of them has a convincing amount of support.“185 Es ist einzig dieser zweite Schritt in der Holmes’schen Vorgehensweise, der sich am Kriterium der Wissenschaftlichkeit orientiert  ; gleichzeitig umfasst dieser zweite Schritt das oberste kriminalistische Prinzip  : Beweise zum Vorschein zu bringen  ; denn nur anhand einer überprüfbaren, stichhaltigen Sammlung von Beweisen ist eine Anklage vor Gericht erfolgversprechend.186

Logik Allerdings kümmern den Detektiv die Gepflogenheiten des Justiz- und Polizeiapparats nur wenig. Zwar inszeniert er sich gern als unerschrockener Ritter im Namen der Gerechtigkeit, doch das eigentliche Ziel Holmes’ ist es – mehr noch als der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen – die subjektive Erkenntnis zu objektivieren und damit den Triumph dessen, was er als das logische 184 Dupin allerdings einzig in den Morden in The Murders in the Rue Morgue. 185 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1011 (The Adventure of the Blanched Soldier). 186 Die Anklage betont vor Gericht die Stichhaltigkeit, die Eindeutigkeit des Beweises, die Verteidigung wiederum die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten. Die Schuldigen in den Holmes-Geschichten sehen sich aber oft weniger mit der vom Gesetzbuch verordneten als mit einer transzendentalen Gerechtigkeit konfrontiert  ; wem vor der Auflösung des Falles per Schiff die Flucht gelingt, wird, als Opfer eines wilden Sturmes, seine „gerechte“ Strafe auf dem Meeresgrund finden.

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oder analytische Denken bezeichnet, zu feiern. Nicht der Verbrecher ist der eigentliche Kontrahent des Detektivs, sondern die Unvernunft, das Unlogische, Unlesbare, das Nicht-Auflösbare dieser Welt  ; auf dem Spiel steht damit mehr als der gute Ruf und mehr als die Liebe zu Justitia  : eine Weltsicht. Diese Sicht der Welt besagt, dass mit an der Vernunft orientiertem Denken allem beizukommen ist und dass das, was bewiesen werden kann, die Wahrheit sein muss. Ganz auf dieses Primat der Logik abgestimmt ist auch die Sicht auf den Menschen, allem voran auf den verbrecherischen Menschen  : dieser entpuppt sich, zumindest am Ende eines jeden Falles, als ein vernünftiges Wesen, das logisch handelt. Denn nur auf diese Weise lässt sich erklären, warum Holmes’ analytische Kunst am Ende fast immer den Sieg davonträgt  : in der Welt Conan Doyles wohnt dem Verbrechen stets Logik inne. „Crime is common. Logic is rare. Therefore it is upon the logic rather than upon the crime that you should dwell.“187 Diese Aufforderung Holmes’ an die Adresse des Chronisten Watson tarnt den eigentlichen Sachverhalt nur schlecht  ; zwar ist das Verbrechen im spätviktorianischen England weit verbreitet, aber die Logik – und sei sie deduktiv, induktiv oder abduktiv – ist es mindestens in gleichem Maße. Denn dort, wo nicht ein technischer Vorsprung, sondern einzig logisches Denken den Täter zur Strecke bringen kann, ist der Detektiv darauf angewiesen, dass auch das Verbrechen auf Logik aufgebaut ist. Der Kriminelle handelt logisch, der Detektiv denkt logisch und kann auf diese Weise die verbrecherischen Handlungen nachvollziehen. Als Ausgangspunkt dient diesem Denken nicht selten der gesunde Menschenverstand. Als er von einem Vampir hört, der in Sussex sein Unwesen treibt, und sich dieser schließlich als liebende Mutter entpuppt, die ihrem Kinde das tödliche Gift aus der Wunde saugt, verkündet Holmes  : „The idea of a vampire was to me absurd. Such things do not happen in criminal practice in England.“188

Wiederholung (Nichts Neues I) Häufiger als der gesunde Menschenverstand jedoch hilft ein Vergleich mit der Verbrechensliteratur, die Holmes auswendig kennt. „Sensational Litera187 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 317 (The Adventure of the Copper Beeches). 188 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1043 (The Adventure of the Sussex Vampire).

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ture. – Immense“, notiert Watson in seiner Liste mit dem Titel  : Sherlock Holmes – his limits, in der der Wissensstand des Detektivs festgehalten wird. „He appears to know every detail of every horror perpetrated in the century.“ 189 Die Verbrechen ähneln einander, und kennt man alle vergangenen Fälle, so kennt man auch die gegenwärtigen und wahrscheinlich auch die künftigen. „There is nothing new under the sun. It has all been done before.“190 Die ewige Wiederkehr des Immergleichen, die auch andere Zeitgenossen langweilt, dient gleichermaßen zur Unterstreichung des dandyhaften ennui, wie auch als sicheres Mittel der Verbrechensaufklärung. Die von Nietzsche gegeißelte Wiederkehr bringt so nicht nur die gähnende Langeweile, sondern auch ein Wissen um die Abläufe, das Funktionieren der menschlichen Machenschaften hervor, weil das Erkennen der Regelhaftigkeit zu einem Katalog von Regeln führt. Das Diktum, dass das Begreifen der Geschichte vor der Wiederholung schütze, erfährt hier eine komplizierte Drehung. Denn oftmals ist es gerade die genaue Kenntnis der (Kriminal)-Geschichte, die den Verbrecher zur kriminellen Tat inspiriert191, und damit ist das Wissen um die Geschichte gerade auf Nachahmung und Wiederholung angelegt. Der Detektiv braucht in der ihm bereits bekannten Tat nur noch den Täter zu entdecken. „Mr. Mac“, rät Holmes einem Polizisten, „the most practical thing that you ever did in your life would be to shut yourself up for three months and read twelve hours a day at the annals of crime. Everything comes in circles – even Professor Moriarty. Jonathan Wild was the hidden force of the London criminals, to whom he sold his brains and his organization on a fifteen per cent commission. The old wheel turns, and the same spoke comes up. It’s all been done before, and will be again.“192 Auch hier zeigt sich die Vorwegnahme des Profiling und die Vorliebe der Polizei wie auch der forensischen Gutachten, sich auf Statistiken zu stützen. Was bei Holmes jedoch noch die Attitüde des großen Gelehrten besitzt, wird später zum grauen Attribut der Bürokraten. Dass der Täter der Tat immer nur hinzugedichtet sei, wie Nietzsche dies allgemein für das Verhältnis von Ursache und Wirkung bemerkte, erhält so eine sehr praktische Bedeutung  :193 189 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 21f. (A Study in Scarlet). 190 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 29 (A Study in Scarlet). 191 Der Mörder, der nach einer literarischen (oder filmischen) Vorlage handelt, ist vor allem ein Phantasma von Film und Literatur  ; allerdings bricht dieses Phänomen immer wieder in die Realität herein, um dann wiederum als Vorlage für Literatur und Film Verwendung zu finden, so zum Beispiel in der schattenhaften Gestalt des Zodiac-Mörders. 192 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 777 (The Valley of Fear). 193 Friedrich Nietzsche  : Jenseits von Gut und Böse/ Zur Genealogie der Moral. Kritische Aus-

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man hat ein frisches Verbrechen, wählt ein altes Verbrechen als Bezugssystem und überträgt die Erkenntnisse des einen auf die Leerstellen des anderen, bis sich am Ende die Identität des Täters in Form eines Namens ergibt. „There is a strong family resemblance about misdeeds“, sagt Holmes zu Watson, „and if you have all the details of a thousand at your finger ends, it is odd if you can’t unravel the thousand and first.“194 Die Herleitung der Lösung mittels eines vergleichbaren Verbrechens ist jedoch nur ein unterstützendes Element in der Detektionsarbeit von Holmes. Sie erscheint manchmal, in Form einer Zurechtweisung an die Adresse eines unfähigen Polizeibeamten oder am Ende eines Falles, wie ein deus ex machina, wenn der Meisterdetektiv auf die nur ihm bekannten Daten der Vorlage verweist  : „I have notes of several similar cases“, heißt es dann lapidar.195

Rückwärts denken (Nichts Neues II) In A Study in Scarlet, seinem ersten Roman über den Meisterdetektiv, lässt Conan Doyle Holmes nach vollbrachter Arbeit zu einer ausufernden Belehrung Watsons ansetzten. „I have already explained to you that what is out of the common is usually a guide rather than a hindrance“, erklärt der Detektiv. „In solving a problem of this sort, the grand thing is to be able to reason backward. That is a very useful accomplishment, and a very easy one, but people do not practise it much. In the everyday affairs of life it is more useful to reason forward, and so the other comes to be neglected. […] Let me see if I can make it clearer. Most people, if you describe a train of events to them, will tell you what the result would be. They can put those events together in their minds, and argue from them that something will come to pass. There are few people, however, who, if you told them a result, would be able to evolve from their own inner consciousness what the steps were which led up to that result. This power is what I mean when I talk of reasoning backward, or analytically.“196

gabe, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. Neuausgabe. München 1999, S. 279  : „‚der Thäter‘ ist zum Thun bloß hinzugedichtet, – das Thun ist Alles.“ 194 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 24 (A Study in Scarlet). 195 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 294 (The Adventure of the Noble Bachelor). 196 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 83f. (A Study in Scarlet).

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Analytisches, logisches Denken bedeutet, sich auf der Zeitachse der Ereignisse rückwärts zu hangeln – das Denken verabschiedet sich aus der Jetztzeit, sogar aus Zeit und Raum  ; aus diesem Grund kann Holmes behaupten, in Devonshire gewesen zu sein, während sein Körper im Fauteuil saß. Die Reise führt in die Vergangenheit bis zum Zeitpunkt des Verbrechens resp. der Vorgeschichte des Verbrechens. Dort trifft Holmes’ Geist auf den Täter als den, der die Tat begangen haben wird. Die Vorzukunft ist nicht nur, wie Lacan festgestellt hat, die Zeitform des Unbewussten, sondern auch die Zeit, die am Ende des Rückwärts-Denkens steht. „The ideal reasoner“, und damit ist niemand anderer als Holmes selbst gemeint, „would, when he had once been shown a single fact in all its bearings, deduce from it not only all the chain of events which led up to it but also all the results which would follow from it.“197 Wer aber quer durch alle Zeiten Ereignisketten deduzieren, alte Verbrechen in vermeintlich neuen entdecken kann, wer die Logik seines Denkens in der Logik des Verbrechens wiederzuerkennen vermag, wer die Menschen durchschaut, als würden sie nicht nur, wie Dupin bemerkte, Fenster in ihrer Brust, sondern auch ihre geheimsten Gedanken gut lesbar auf der Stirn tragen, ist auf weitaus mehr angewiesen als seine Beobachtungsgabe, profunde Menschenkenntnis und einen scharfen Verstand, nämlich auf etwas, das man die Analogie, ja sogar die Entsprechung von Körper und Geist resp. Körper und Seele nennen könnte. Was ist damit gemeint  ? „What one man can invent another can discover“198, verkündet Holmes und entwirft hier noch einmal in nuce das Fundament, auf dem die Conan-DoyleGeschichten gebaut sind. Die Vorgehensweise des Detektivs ist aber nicht deshalb so erfolgreich, weil Holmes den größten Unwahrscheinlichkeiten auf die Schliche kommt, sondern weil er sich auf großartige Entsprechungen und eine ganze Welt von Ähnlichkeiten verlassen kann. So vermag er sich stets darauf zu stützen, dass den Menschen ihre Seele (und ihre Taten) ins Gesicht geschrieben stehen. Was hier begegnet, ist eine interessante Kreuzung aus den Lehren des Spiritismus, des Atavismus und der Physiognomik, die auch die Koordinaten der Narration, die Art und Weise der dargestellten Welt, bestimmt. Taucht „ein merkwürdiger, kleiner, frettchenhafter Mann mit weißen Wimpern“199 auf, so zielt diese Beschreibung nicht nur auf seine äu197 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 224f. (The Five Orange Pips). 198 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 525 (The Adventure of the Dancing Men). 199 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 499 (The Adventure of the Norwood Builder)  : „He was a strange little ferret-like man, with white eyelashes […].“

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ßere Erscheinung ab, sondern enthält eine große Aussagekraft auch für die inneren Werte der Figur. Damit ist die Lehre der Physiognomik angerissen. Wie die Holmessche Methode ist auch die Physiognomik eine „Beobachtungslehre“  ;200 wie der berühmteste Detektiv erhebt auch der berühmteste Physiognomiker Anspruch auf die Attribute der Wissenschaftlichkeit und der Kunst  : Intuition wird von Lavater für erfolgreiche Gelehrte des menschlichen Gesichts als natürliche Gabe vorausgesetzt.201 Eine Verwandtschaft zur Physiognomik zeigt sich auch in der bereits erwähnten Typenhaftigkeit der Conan Doyle’schen Charaktere. Man kann die Schablonenhaftigkeit der Figuren, wie weiter oben geschehen, der Nähe zum (analytischen) Drama zuschlagen oder darin eine Linie der Tradition der literarischen Physiognomik erkennen. Anders als in der Lavater’schen Ausprägung der Lehre besitzt die körperliche Aussage bei Conan Doyle aber nicht Verweischarakter, sie ist nicht als Indiz zu lesen, sondern der sichtbare Ausdruck der Aussage selbst  ; weisen beim Zürcher Pastor grüne Augen wie ein gestreckter Zeigefinger auf eine Boshaftigkeit des Gemüts hin, ist in der Holmes’schen Welt ein bösartiger Mensch immer schon mit dem gut sichtbaren Kainsmal eines „abscheulichen Mundes“202 versehen. Claudia Schmölders spricht vom Körperbild des „Grotesken“, das „keinen Unterschied zwischen Innen und Außen“203 macht. Die Figuren verkörpern, als fleischgewordene Allegorien, was sie sind  : „His tall, gaunt, craggy figure had a suggestion of hunger and rapacity.“204 Wie auch in Lavaters Physiognomik wird das Gesicht zum Haupterkenntnisgebiet des Gegenübers. Der Verrat oder – je nach Perspektive – die Wahrheit zeigt sich hier jedoch nicht in der Form der Augenlider oder der Höhe der Wangenknochen, sondern im Gesichtsausdruck. Eindruck und Ausdruck geben sich die Hand, die Psychologisierung wird im wahrsten Sinne des Wortes „veräußert“. In vielen Gesichtern muss Holmes gar nicht erst lesen – es sind sprechende Gesichter. „Die Menschen“, schreibt Richard Alewyn in seiner Anatomie des Detektivromans, „sind nicht, was sie scheinen. Sie leben unter 200 Schmölders, Das Vorurteil im Leibe, 45. 201 Vgl. Schmölders, Das Vorurteil im Leibe, 97. 202 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1100 (The Adventure of the Veiled Lodger)  : „It was a dreadful face – a human pig, or rather a human wild boar, for it was formidable in its bestiality. One could imagine that vile mouth chamoing and foaming in its rage, and one could conceive those small, vicious eyes darting pure malignancy as they looked forth upon the world.“ 203 Schmölders, Das Vorurteil im Leibe, 93. 204 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1058 (The Problem of Thor Bridge).

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falschem Namen, spielen eine fremde Rolle, sie verstellen ihr Gesicht oder ihre Stimme. In keiner Romanform ist das Studium von Mimik oder Gestik des Gegenübers so entwickelt. Ein unbeherrschtes Zucken im Gesicht, ein nervöses Spiel der Hände sagt offenbar mehr – und etwas anderes – als Worte.“205 Dieses Moment des Selbstverrats findet man auch in den Geschichten Conan Doyles  ; zuweilen geschieht es, dass die Klienten unter einem Pseudonym vorsprechen und ihre Identität verschleiern, doch bleibt die Täuschung den Holmes’schen Augen, die sich darauf verlassen können, dass die wahre Natur ihr Recht einfordert und an die Oberfläche durchbricht, nicht verborgen. „Das Studium der Mimik“, wie Alewyn es nennt, verdankt seine außerordentliche Berücksichtigung einer einfachen Gleichung  : „Man vergesse ja nie“, schreibt Lavater, „daß äußerer Ausdruck ja deswegen da ist, daß das Innere daraus erkannt werde  !“206 „The features“, sagt Holmes, „are given to man as the means by which he shall express his emotions.“207 Und die Gefühle finden in geradezu expressionistischer Manier ihren Ausdruck im Mienenspiel der Figuren  : Wer überrascht ist, reißt die Augen auf, wer sich fürchtet, klappert effektvoll mit den Zähnen, wer Schuld empfindet, braucht, auch wenn er die Tat leugnet, kein Geständnis abzulegen – die sichtbare Emotion spricht für sich selbst und überführt die Täter gegen ihren Willen. „Tut, man, look at their faces  !“ rät Holmes einem Inspektor, der an der Täterschaft seine Zweifel hat  ; doch genügt ein Blick – und auch Watson ist eines Besseren belehrt  : „Never certainly have I seen a plainer confession of guilt upon human countenances.“208 Eindruck und Ausdruck treffen sich jedoch nicht immer. Wer sich bei der Menschenbetrachtung von Gefühlen leiten lässt, wer an das beobachtete Objekt Emotionen knüpft, dem bleibt die „Wahrheit“ der Person verborgen  : „The emotional qualities are antagonistic to clear reasoning. I assure you that the most winning woman I ever knew was hanged for poisoning three little children for their insurance-money, and the most repellent man of my acquaintance is a philanthropist who has spent nearly a quarter of a million upon the London poor.“209 Dieser Einwurf Holmes’, der vor allem darauf angelegt ist, Emotionslosigkeit als Objektiviät und damit als Wissenschaftlichkeit zu verkaufen, zielt je-

205 Alewyn, Anatomie des Kriminalromans, 65. 206 Zit. nach Becker, Physiognomie des Bösen, 181f. 207 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 889 (The Adventure of the Cardboard Box). 208 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 406 (The Reigate Puzzle). 209 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 96 (The Sign of Four).

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doch auf einen Ausnahmefall, während die aus den Geschichten ableitbare Regel besagt, dass die Menschen genau das im Herzen tragen, was ihr Körper sichtbar macht. Der Leib ist dann nicht die Hülle und auch nicht das Kleid der Seele und am wenigsten deren Verkleidung, sondern deren materialisierte Verdoppelung. Mit der Annahme der Doppeltheit und gleichen Beschaffenheit von Körper und Seele bewegt man sich aber schon tief in den Gefilden der spiritistischen Lehre. „The physical basis of all psychic belief “, schreibt Conan Doyle in seiner missionarischen Schrift The Vital Message, „is that the soul is a complete duplicate of the body, resembling it in the smallest particular, although constructed in some far more tenuous material. In ordinary conditions these two bodies are intermingled so that the identity of the finer one entirely obscured. At death, however, and under certain conditions in the course of life, the two divide and can be seen separately.“210 Die später so exzessiv proklamierte Anhängerschaft an den Spiritismus findet ihren frühen Niederschlag in der Personenschilderung des Conan Doyle’schen Figurenpersonals, die mit der Beschreibung der Doublette der Seele, dem Körper, Psyche und Charakter der Person mitliefert. So gleicht der Geist des Verstorbenen, auch der „psychische Körper“ genannt, der sich bei spiritistischen Sitzungen zeigt, der äußeren Erscheinung des Toten aufs Haar  ; während der psychische Körper die Physiognomie des Toten besitzt, tragen in Conan Doyles Geschichten die Figuren die Seele in Gesicht, Körperhaltung und Körperbau zur Schau. Eine Entstellung des Körpers muss so immer auch eine der Seele sein.211

Atavismus (Nichts Neues III) Neben der Analogie zwischen Seele und Körper, zwischen Gefühl und Gesichtsausdruck, zwischen Physiognomie und Charakter gibt es noch ein weiteres Ähnlichkeitsverhältnis, das die Beziehung zwischen dem Innenleben einer Person und ihrem Verhalten betrifft. Bei Conan Doyle zielt Julio Cortázars Beobachtung, dass bei allen Wesen das Denken weniger nobel als das Tun 210 Arthur Conan Doyle  : The Vital Message. London, New York, Toronto, o. J., S. 75. 211 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1119 (The Adventure of the Retired Colourman)  : „His mouth was open, and for the instant he looked like some horrible bird of prey. In a flash we got a glimpse of the real Josiah Amberley, a misshapen demon with a soul as distorted as his body.“

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sei212, ins Leere, denn in der Welt des Sherlock Holmes handeln die Menschen so unverstellt wie Kinder. Zwar zeigen sie, zumal als Verbrecher, einen Willen zu Tarnung und Verstellung, allein, es fehlt ihnen an Talent. Das Conan Doylesche Roman- und Geschichtenpersonal vermag – abgesehen von Holmes – in seinem Auftreten die eigenen Wünsche und Absichten so wenig zu kaschieren wie bettelnde Hunde. Da treten Menschen auf mit einer „äußerst auffällige[n] Aversion gegen Männer mit einem Holzbein“  ;213 andere rammen, unter dem Diktat der Verzweiflung, ihren Kopf mit voller Wucht gegen eine Wand  ;214 wieder andere lassen ihre Handschuhe fallen, wenn sie mit einem unangenehmen Gedanken konfrontiert werden.215 Und in The Adventure of the Creeping Man turnt ein älterer Herr, der sich zum Zwecke einer Verjüngungskur das Serum eines Langur-Affen gespritzt hat, behende die Hauswände hoch. Was hier auf der Ebene der Handlung zur Geltung kommt, sind die langen Arme einer atavistischen Weltsicht, die in die Narration eingreifen und sie mitorganisieren. Der Einfluss des Atavismus zeigt sich nicht nur im Auftritt eines affenähnlichen Mannes „mit scharfen Zügen, dichten Augenbrauen und einer sehr eigenartig vorstehenden unteren Gesichtshälfte – wie die Schnauze eines Pavians“, der Lombrosos geborenen Verbrecher markiert, sondern, allgemeiner, in der gradlinigen Entsprechung von Handeln und Innenleben einer Figur.216 In der Welt des Epos, schreibt Georg Lukács, sei „jede Tat nur ein gutsitzendes Gewand der Seele“  ;217 in den Holmes-Geschichten erscheint jede Handlung als maßgeschneidertes Kleid der Befindlichkeit und des Charakters. Was hier begegnet, ist die traumhafte Ordnung einer vernunftmäßigen Welt  ;218 die Menschen tragen zuverlässig ihre Seele in Ge212 Julio Cortázar  : Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen. Bd. I. Frankfurt a. Main 1998, S. 20 (Der Sohn des Vampirs). 213 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 102 (The Sign of Four)  : „[…] he had a most marked aversion to men with wooden legs.“ 214 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 301 (The Adventure of the Beryl Coronet)  : „Then, suddenly springing to his feet, he bet his head against the wall with such force that we both rushed upon him and tore him away to the centre of the room.“ 215 Vgl. Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 199 (A Case of Identity). 216 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 586 (The Adventure of the Six Napoleons)  : „It represented an alert, sharp-featured simian man, with thick eyebrows and a very peculiar projection of the lower part of the face, like the muzzle of a baboon.“ 217 Lukács, Theorie des Romans, 22. 218 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 1071 (The Adventure of the Creeping Man)  : „A dog reflects the family life. Whoever saw a frisky dog in a loomy family, or a

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sicht und Körperbau zur Schau und drücken in ihrem Benehmen das Seelenleben, zum Mitschreiben, noch einmal aus. Die stolzen Holmes’schen Deduktionen hangeln sich den fantastischen Entsprechungen entlang  ; in dieser durch endlose Vergleichbarkeiten und Verdoppelungen über- und durchschaubaren Welt vermag das Verbrechen die harmonische Ordnung nicht zu stören  ; denn es ist darin gleichsam eingebettet und strahlt, nachdem es bis zu seinem Anfangspunkt zurückverfolgt wurde, mit derselben lichten Logik wie seine gutmütige Umgebung.

sad dog in a happy one  ? Snarling people have snarling dogs, dangerous people have dangerous ones. And their passing moods may reflect the passing moods of the others.“

Kapitel 3  : Holmes, Freud, Amerika

Am Anfang war der Mord Ike  : Uh, do you – do you honestly think that I tried to run you over  ? Connie  : You just happened to hit the gas as I walked in front of the car. Ike (To Jill)  : Gee, I-I – did I do it on purpose  ? Jill  : Well, what would Freud say  ? Ike  : Freud would say I really wanted to run her over. That’s why he was a genius. (Woody Allen, Manhattan) „Mir schien oft, zum Amerikaner passe die Analyse wie zum Raben ein weißes Hemd.“ (Freud in einem Brief an Otto Rank)

The Strange Case of Dr Freud and Mr Holmes „‚I’m not a detective.‘ Freud shook his head, smiling his sad, wise smile. ‚I’m a physician whose province is the troubled mind.‘“219 Diese entschiedene Absage an den beliebten Vergleich zwischen psychoanalytischer Praxis und Detektivkunst ist eine kostbare Seltenheit. Ironischerweise wird sie ausgerechnet in einem Roman geäußert, der alles daran setzt, die Verwandtschaft zwischen der Freud’schen und der Holmes’schen Methode herauszustellen. In Nicholas Meyers Bestseller The Seven-Per-Cent Solution (1974) sucht, auf Drängen des besorgten Watson, der kokainabhängige, an Zwangsvorstellungen leidende Holmes den berühmten Psychoanalytiker in Wien auf, um sich mit dessen Hilfe von seiner Sucht zu befreien und, en passant, die Donaumonarchie, ja ganz Europa, vor einem vernichtenden Krieg zu retten. Der Clou des Romans liegt jedoch weniger im Aufdecken einer beispiellosen politischen Intrige, sondern vielmehr in der von Freud ans Licht gebrachten psychischen Biografie des Meisterdetektivs  : Holmes’ Kokainsucht und auch sein Hass auf Professor Moriarty, so das Ergebnis einer Hypnosesitzung, sind einzig die Symptome eines Kindheitstraumas. Das verdrängte Erlebnis des kleinen Sherlock liest sich wie ein der griechischen Tragödie abgelauschter Familienroman  : Weil sie eine Affäre mit dem schüchternen Hauslehrer Moriarty unterhielt, tötete Holmes’ 219 Nicholas Meyer  : The Seven-Per-Cent Solution. New York, London 1993, S. 218.

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Vater die geliebte Mutter im Affekt und brachte sich anschließend selbst um. Der exzentrische Charakter des Privatdetektivs lässt sich so als Produkt der traumatischen Erfahrung begreifen  : die Berufswahl als Wunsch nach Gerechtigkeit und Rache für den Mord an der Mutter, die Aversion gegen Frauen als Abwehr des mütterlichen Ehebruchs, den in Moriarty zur Figur geronnenen Verfolgungswahn als grellstes Symptom der psychischen Erkrankung. Für die Ähnlichkeit der Vorgehensweisen serviert Meyer in seinem Roman eine abenteuerliche Erklärung. Durch die Bekanntschaft mit dem Detektiv wird Freud sozusagen mit dessen Methode infiziert  ; er übernimmt die genaue Beobachtung und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen und wendet sie fortan auf die Erforschung des Seelenlebens an. „In any event your methods – as you refer to them –“, spricht da der Epigone Freud zu seinem Meister, „are not covered by a patent, I trust  ?“220 Bevor der Psychoanalytiker jedoch die Holmessche Vorgehensweise übernehmen und modifizieren kann, muss er den unseligen Part eines Watson spielen, dessen Blick trotz einer veritablen Sehstärke mit Blindheit geschlagen ist. „You saw“, heißt es belehrend an die Adresse Freuds, „but you did not observe. The distinction is an important one and sometimes makes a critical difference.“221 Erst nach einem rasanten Lehrgang, in welchem er dem Detektiv bei der Weltrettung assistiert, besitzt Freud jenen Blick, der ihm fortan das Rätsel der Seele zu entschlüsseln hilft. Weil The Seven-Per-Cent Solution die Ähnlichkeit der Methoden in ein direktes Einflussmodell kleidet, ist Meyer gezwungen, ein hohes, lottriges Gerüst zu bauen, das eine Begegnung der beiden Protagonisten überhaupt ermöglicht. So ist die Geschichte zu Beginn der 1890er-Jahre angesiedelt, als der historische Freud etwa 33 Jahre alt und noch weit von der theoretischen Grundlegung der Psychoanalyse entfernt war. Meyers Freud aber verkehrt nicht nur schöngeistig im Literaten-Café Griensteidl und spielt ebenso leidenschaftlich wie begabt Tennis, sondern trumpft bereits als jener umstrittene Seelenarzt auf, der seine berüchtigsten Patienten – Anna O., Rattenmann und Wolfsmann – längst schon behandelt hat. In halsbrecherischem Widerspruch zur Berühmtheit Freuds erschöpft sich die psychoanalytische Praxis in der An-

220 Meyer, The Seven-Percent Solution, 174. Auf derselben Seite übt sich Holmes in bescheidener Prophetie  : „You know, Doctor, I shouldn’t be surprised if your application of my methods proves in the long run far more important than the mechanical uses I make of them. But always remember the physical details. No matter how far into the mind you may travel, they are of supreme importance.“ 221 Meyer, The Seven-Percent Solution, 143.

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wendung der Hypnose, von der sich Freud Mitte der Neunzigerjahre bereits wieder verabschiedet hat. Grandioser Höhepunkt dieser augenzwinkernden Retuschen aber bildet die zarte Bekanntschaft mit Hugo von Hofmannsthal, der 1892 realiter erfolgreich die Maturitätsprüfung ablegte, hier aber als „nicht mehr junger Mann“ seinen Auftritt hat. 222 Die Überblendung tatsächlicher Zeitebenen und die Knüpfung fantastischer Beziehungen gehören fraglos zu den wundersamen Mitteln der Literatur, doch das ehrgeizige Herausstellen der Gemeinsamkeiten des Freud’schen und des Holmes’schen Verfahrens verlangt stets nach dem Einsatz kunstvoller Handgriffe. Dies gilt auch für theoretische Texte. In der Sekundärliteratur ist die Eingemeindung Freuds in die Holmessche Methode bereits zum Topos verkommen. Die wirkungsmächtigste Zwangsverheiratung des Wiener Psychoanalytikers mit der Detektivfigur stammt von Carlo Ginzburg. In seinem inzwischen zum kulturwissenschaftlichen Klassiker avancierten Text Spurensicherung (1979) diagnostiziert er für das späte 19. Jahrhundert in den Humanwissenschaften den Durchschlag der Indizienforschung, zu deren Theoretikern und Praktikern er Giovanni Morelli, Sherlock Holmes (resp. dessen Erfinder Sir Arthur Conan Doyle) und schließlich auch Freud zählt. In den Aufsätzen des Kunsthistorikers Morelli findet Ginzburg zum ersten Mal jenes Fundament benannt, auf dem das Indizienparadigma gebaut ist  : die Nebensächlichkeit, das Unauffällige, die winzige Kleinigkeit. Die Morelli-Methode rückt, um die unsichere Autorschaft von alten Gemälden zu identifizieren, das triviale malerische Detail in den Mittelpunkt der Untersuchung. Damit steht sie der zeitgenössischen kunstwissenschaftlichen Tradition entgegen, die Gemälde mittels der Analyse von ins Auge fallenden Merkmalen den großen Meistern zuordnet  ; dazu gehören etwa die exponierten Augen- und Mundpartien. Nach Morelli jedoch geben die Krümmung einer Hand, die Rundung eines Ohres oder die Form der Fingernägel mehr Auskunft über die Urheberschaft als besonders auffällige und deshalb leicht zu kopierende Motive – gerade weil diese von den Malern selbst mit weniger Aufmerksamkeit bedacht wurden  ; im unscheinbaren Detail, so die Überzeugung, ist die Wahrheit über die künstlerische Täterschaft zu finden. Die Methode von Sherlock Holmes ist für Ginzburg eine durchaus vergleichbare. Als Ausgangspunkt seiner „Deduktionen“ wählt der Detektiv Dinge, die unwichtig erscheinen und zur Vernachlässigung einladen. Wie formulierte es Holmes in A Case of Identity  ? – „It has long been an axiom of mine, 222 Meyer, The Seven-Percent Solution, 154  : „The grave, middle-aged man […].“

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that the little things are infinitely the most important.“223 Mit sicherer Hand wählt Ginzburg The Adventure of the Cardboard Box als illustratives Beispiel und zitiert jene Stelle, in welcher der Detektiv bei der Betrachtung von Miss Clushings Ohr die Ähnlichkeit zu den beiden in einem unheimlichen Paket zugeschickten Ohren entdeckt. „There was the same shortening of the pinna, the same broad curve of the upper lobe, the same convolution of the inner cartilage. In all essentials it was the same ear.“224 In der Tat findet Holmes hier den ersten und wichtigsten Hinweis zur Auflösung des Falls in einem winzigen Detail, das zwischen Miss Clushing und dem nicht identifizierten Mordopfer das Band der Verwandtschaft knüpft. Mag die Deutung der für andere Augen vernachlässigbaren Kleinigkeit zuweilen ein Bestandteil der Holmes’­ schen Methode sein – sie bildet nicht den Kern der berüchtigten Vorgehensweise, sondern zeigt sich vielmehr als eine exzentrische Attitüde. Und doch wird bei Conan Doyle, wenn auch zumeist auf einer rein rhetorischen Ebene, das Detail zum Einfallstor in die Wahrheit geadelt. Freud kannte die Schriften Morellis, in welcher dieser seine Methode vorstellte. In der 1914 veröffentlichten Studie Der Moses des Michelangelo erwähnt er den Kunsthistoriker als jemanden, dessen „Verfahren […] mit der Technik der ärztlichen Psychoanalyse nahe verwandt“ sei.225 Gleichzeitig, so will es die Überlieferung des Wolfsmannes, war Freud ein begeisterter Leser der Abenteuer von Sherlock Holmes.226 Nicht zuletzt auf diese beiden direkten Bezüge stützt Ginzburg seine Argumentation, wenn er den Wiener Psychoanalytiker in das Indizienparadigma einreiht. Die oberflächlichen Ähnlichkeiten mit Morelli und Holmes sind jedoch auch ohne die Hinweise auf die persönliche Rezeption augenfällig. „Und wenn Sie als Kriminalbeamter an der Untersuchung einer Mordtat beteiligt sind“, fragt Freud in der Vorlesung seine Studenten, „erwarten Sie dann wirklich zu finden, daß der Mörder seine Photographie 223 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 194. 224 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 896. 225 Sigmund Freud  : Der Moses des Michelangelo. SA, Bd. X. Frankfurt a. Main. 2000, S. 195–222. Hier  : S. 207. 226 Vgl. hierzu  : Muriel Gardiner (Hg.)  : Der Wolfsmann vom Wolfsmann. Sigmund Freuds berühmtester Fall. Erinnerungen, Berichte, Diagnosen. Frankfurt a. Main 1989, S. 182. Der Wolfsmann selbst weist auf die Ähnlichkeit des Verfahrens zwischen Psychoanalyse und Detektivarbeit hin  : „Da ja auch in der Psychoanalyse die Rekonstruktion einer Kindheitsgeschichte ‚Indizienbeweise‘ heranziehen muß, interessierte sich Freud offenbar auch für diese Art Literatur.“ Ob Freud tatsächlich aus diesem Grund Conan Doyles Geschichten gelesen hat, bleibe dahingestellt.

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samt beigefügter Adresse an dem Tatorte zurückgelassen hat, oder werden Sie sich nicht notwendigerweise mit schwächeren und undeutlicheren Spuren der gesuchten Persönlichkeit begnügen  ? Lassen Sie uns also die kleinen Anzeichen nicht unterschätzen  ; vielleicht gelingt es, von ihnen aus Größerem auf die Spur zu kommen.“227 Bei diesen schwächeren und undeutlicheren Spuren handelt es sich um Symptome, die als die sichtbare und hörbare „Wiederkehr des Verdrängten“ dem Analytiker einen ersten Hinweis auf die Ursache der Krankheit des Patienten geben. Damit sind weniger die sensationellen Zuckungen, Lähmungserscheinungen und Konvulsionen gemeint, die Freud und Breuer in ihren Studien über Hysterie (1895) so ausführlich beschrieben haben, sondern die alltäglichen Fehlleistungen wie Vergessen, Versprecher und Verwechslungen, der „Abhub der Erscheinungswelt“.228 „Die Symptomhandlungen“, schreibt Freud, „die man in fast unerschöpflicher Reichhaltigkeit bei Gesunden wie bei Kranken beobachten kann, verdienen unser Interesse aus mehr als einem Grunde. Dem Arzt dienen sie oft als wertvolle Hinweise zur Orientierung in neuen oder ihm wenig bekannten Verhältnissen, dem Menschenbeobachter verraten sie oft alles – mitunter selbst mehr, als er zu wissen wünscht. Wer mit ihrer Würdigung vertraut ist, darf sich gelegentlich wie der König Salomo vorkommen, der nach der orientalischen Sage die Sprache der Tiere verstand.“229 Freuds Symptome, Holmes‘ Indizien und Morellis malerische Details sind für Ginzburg nur verschiedene Begriffe für dieselbe unauffällige Spur, an welcher wiederum ein analoges Verfahren angeheftet ist, das sich das „Modell der medizinischen Semiotik“ zum Vorbild nimmt, „einer Wissenschaft, die es erlaubt, die durch direkte Beobachtung nicht erreichbaren Krankheiten anhand von Oberflächensymptomen zu diagnostizieren“ und „eine tiefere, sonst nicht erreichbare Realität einzufangen“.230 Dieser gemeinsame Rückgriff hat auch mit einer biografischen Übereinstimmung zu tun  : Morelli, Conan Doyle und Freud waren ursprünglich Ärzte. Darüber hinaus stand hinter dem Durchbruch des Indizienparadigmas um 1900 eine längere Entwicklung. Vor allem die Suche nach immer subtileren und genaueren Formen sozialer Kontrolle im 19.

227 Sigmund Freud  : Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Und Neue Folge. SA, Bd. I. Frankfurt a. Main 2000, S. 52. 228 Sigmund Freud  : Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum. Frankfurt a. Main 2000, S. 262. 229 Ebenda. 230 Ginzburg, Spurensicherung, 17.

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Jahrhundert, die ihre gelungenste Leistung in einem Detail des menschlichen Körpers, dem Fingerabdruck, fand, wurde bereits von Augen unternommen, die hinter einem banalen äußeren Zeichen das Geheimnis der Individualität und, kriminologisch gesprochen, der eindeutigen Identifizierung erblickten.231 Weil Ginzburg im zweiten Teil des Textes den bescheidenen Ausgangspunkt des Indizienparadigmas in tief prähistorische Zeiten verlegt und die Praxis der Spurensuche ins Unendliche weitet, verschwimmen die von ihm zuvor herausgearbeiteten Charakteristika wieder in großartiger Allgemeinheit und Vagheit  ; gleichzeitig zeitigt die Weitung des Paradigmas Ähnlichkeiten an anderen Stellen. In der Figur des Jägers findet Ginzburg zum ersten Mal einen Hauch jenes Wissens vor, das in elaborierter Form Tausende Jahre später Holmes und Freud in ihren Fällen zu Hilfe eilen wird. „Charakteristisch für dieses [Wissen]“, schreibt er, „ist die Fähigkeit, in scheinbar nebensächlichen empirischen Daten eine komplexe Realität aufzuspüren, die nicht direkt erfahrbar ist. Man kann hinzufügen  : Der Beobachter organisiert diese Daten so, daß Anlaß für eine erzählende Sequenz entsteht, deren einfachste Formulierung sein könnte  : ‚Jemand ist dort vorbeigekommen.‘“232 Vielleicht ist gerade dieser Verweis auf das Narrativ – das Ordnen der Informationen, die Umsetzung von Beobachtungen in eine Erzählung – seiner Vagheit zum Trotz das wichtigste Bindeglied zwischen dem Meisterdetektiv und dem Vater der Psychoanalyse. Denn die Ähnlichkeit des Blickes und der Methoden ist in der Tat weniger einer unverbrüchlichen Wesensgleichheit geschuldet als vielmehr der Ähnlichkeit in der Beschreibung des Vorgehens und der Darstellung der Fälle. „Holmes“, ruft eines Morgens Watson, als er von der Wohnung auf die Baker Street hinunterschaut, „here is a madman coming along. It seems rather sad that his relatives should allow him to come out alone.“ „I rather think“, so die knappe Antwort von Holmes, „he is coming to consult me professionally. I think that I recognize the symptoms.“233 Die Symptome – hastige Sprünge, fahrige Handbewegungen, wilde Grimassen – werden vom Detektiv in die Form von Erklärungen gegossen und in ein Narrativ gepresst. „Symptome“, schreibt Michael Rohrwasser über Freuds Vorgehen, „werden eingebettet in Lebensgeschichten.“234 In den

231 Vgl. hierzu  : Ginzburg, Spurensicherung, 40–47. 232 Ginzburg, Spurensicherung, 19. 233 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 301 (The Adventure of the Beryl Coronet). 234 Michael Rohrwasser  : Freuds Lektüren. Von Arthur Conan Doyle bis Arthur Schnitzler. Gießen 2005, S. 70.

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von Holmes erkannten Symptomen schlummert aber noch eine weitere Verwandtschaft, welche die Betonung des Indizienparadigmas gemeinhin verdeckt. Denn sowohl in den Sherlock-Holmes-Geschichten als auch in der psychoanalytischen Theorie und Praxis spielen neben den aufwendig in Szene gesetzten Details die penetranten Auffälligkeiten eine tragende Rolle  ; hartnäckiger Wiederholungszwang, lautstarke Bezichtigungen und grelle Phobien finden ihre Entsprechung in Conan Doyles Hang zu übertriebenen Grimassen, nervösem Zittern oder wilden Sprüngen. Der Königsweg zur Aufklärung eines Verbrechens- oder Krankheitsfalls führt nicht nur über Winzigkeiten, sondern verläuft mindestens ebenso häufig entlang von aufdringlichen Auffälligkeiten. Ganz am Ende seines Essays, nachdem er die halbe Welt und schließlich auch Prousts Recherche dem Indizienparadigma einverleibt hat, zaubert Ginzburg in der Manier eines gewieften Kartenspielers seinen letzten großen Trumpf hervor. „Niemand“, schreibt er, „erlernt den Beruf des Kenners oder Diagnostikers, wenn er sich darauf beschränkt, schon vorformulierte Regeln in der Praxis anzuwenden. Bei diesem Wissenstyp spielen unwägbare Elemente, spielen Imponderabilien eine Rolle  : Spürsinn, Augenmaß und Intuition.“235 Mit der unergründbaren Eingebung, dem nicht hinterfragbaren richtigen Vorgehen schmiedet Ginzburg die zweite wichtige Klammer, welche die Verwandtschaft zwischen dem Meisterdetektiv und dem Psychoanalytiker in unverbrüchliches Eisen fasst. Auf einen zweiten Blick hin geschieht die Eingemeindung von Freud und Holmes als idealisierten Exponenten der spätviktorianischen Kriminalistik in das Indizienparadigma jedoch auf Kosten einiger gewichtiger Unterschiede.236 235 Ginzburg, Spurensicherung, 49. 236 Denn die von Ginzburg ausgemachte Methode der Oberflächendiagnostik fordert im Text zuweilen selbst ihr Recht  : Der Wissenschaftshistoriker bleibt mit seinen Blicken, die auf Ähnlichkeit aus sind, an der Oberfläche haften. So auch Michael Shepherd mit seiner in Buchform publizierten Vorlesung Sherlock Holmes and the Case of Dr Freud. London, New York 1985. Den plattesten Unterschied zwischen dem Wiener Arzt und dem Londoner Detektiv formuliert der niederländische Essayist Karel van het Reve, der Freud mit Vorliebe als „Quacksalber“ oder „Betrüger“ bezeichnet. Im Gegensatz zu Freud, schreibt er, habe Conan Doyle seine Fallgeschichten als Fiktionen ausgewiesen  ; darüber hinaus besitze „selbst innerhalb dieser Fiktion Sherlock Holmes […] soviel Redlichkeit“, einzugestehen, dass es sich bei den Ergebnissen der Deduktionen um Wahrscheinlichkeiten handle. „Freud hingegen“, heißt es spitz, „tut gerade so, als ob alles tatsächlich so geschehen sei wie behauptet, und läßt darüber hinaus keine andere Erklärung als die seine zu.“ Vgl. Karel van het Reve  : Dr. Freud und Sherlock Holmes. Frankfurt a. Main 1994, S. 24. Man kann diesem abenteuerlichen Vorwurf am elegantesten mit dem Hinweis auf Freuds 1937 entstandene Schrift Konstruktionen in der Psychoanalyse begegnen.

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Dazu gehört die fragwürdige Übertragung von visuellen Details auf sprachliche Spuren, die Gleichschaltung von faktischer und psychischer Realität sowie eine grobe Vereinfachung der Bedeutung von Symptomen in der Freud’schen Theorie  : Anders als in der Kriminalistik besitzen sie keinen eindeutigen Referenzcharakter, ihr verschütteter Sinn wird konstruiert, nicht, wie es das Gebot der Kriminalistik verlangt, deren Beweise der juristischen Prüfung standhalten müssen, rekonstruiert.237 Der deutlichste Unterschied jedoch liegt im angestrebten Ziel der Indizienforschung  ; während Holmes die Frage nach dem Täter umtreibt, sucht Freud Antworten auf die schwierige und verwickelte Frage nach dem Warum. Doch auch wenn all die großen und kleinen Unterschiede in der Methodik von Holmes und Freud in regelmäßigen Abständen immer wieder aufs Neue moniert und ausgeleuchtet werden, vermögen sie die Suggestionskraft des Ginz­ burg’­schen Indizienparadigmas nicht zu mindern. Der Grund dafür liegt nicht 237 Die Differenz zwischen sprachlichem und visuellem Paradigma lässt etwa Michael Rohrwasser nicht gelten. „Denn“, so Rohrwasser, „Sherlock Holmes geht nicht auf in der Rolle einer perfekten und teilnahmslosen ‚Beobachtungsmaschine‘, mit der er die Klienten oder Watson beeindruckt. Wenn er den Erzählungen seiner Klienten lauschte, ähnelte er dem Analytiker […]. Die Quellen seiner Inspiration sind (wie später für Simenons Kommissar Maigret) Träume und Dämmerzustände […].“ Rohrwasser, Freuds Lektüren, 63. Für eine Unterscheidung in der Absicht der Vorgehensweisen plädiert Sigrid Weigel. „In Ginzburgs Vergleich […]“, so Weigel, „verschwinden die differenten Verfahrensweisen in der Betrachtung der Spuren zwischen (De-)Codierung, Klassifizierung, Identifizierung einerseits und der Lektüre von Gedächtnisspuren andererseits, zwischen der erkennungsdienstlichen Operation der Identifizierung mit Hilfe des Details und der erkenntnistheoretischen Bedeutung des Details für die Kulturtheorien der Moderne.“ Auf die Seite der Erkenntnistheorie wird Freud geschlagen (und Warburg und Benjamin), als zuständig für den Erkennungsdienst werden Morelli und Sherlock Holmes resp. die Kriminalistik ausgemacht. Ob man alle erkenntnistheoretische Bedeutung von der Kriminalistik abziehen muss, bleibt allerdings eine ebenso offene wie berechtigte Frage. Sigrid Weigel  : „Nichts weiter als …“ Das Detail in den Kulturtheorien der Moderne  : Warburg, Freud, Benjamin. In  : Wolfgang Schäffner u.a. (Hgg.)  : „Der liebe Gott steckt im Detail.“ Mikrostrukturen des Wissens. München 2003, S. 91–111. Hier  : S. 96. Eine ähnliche Trennlinie wie Weigel zieht Elisabeth Strowick. In ihrem Text Comparative Epistemology of Suspicion betont sie die „Desavouierung von Referenz“ durch das Freudsche Konzept des Unbewussten  ; lebt die Kriminalistik vom Glauben an den direkten Verweischarakter von Indizien, betreibe die Psychoanalyse eine „Spurenentsicherung“. „The traces or indices of the unconsious“, so Strowick, „do not refer to an extra-linguistic fact but perform acts  ; they have an effect in acts of translation which at once suspend an original.“ Elisabeth Strowick  : Comparative Epistemology of Suspicion  : Psychoanalysis, Literature, and the Human Sciences. In  : Science in Context 18 (2005), S. 649–669. Hier  : S. 657.

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zuletzt in der Auseinandersetzung Freuds und anderer bekannter Psychoanalytiker mit der Kriminalistik, ja mit dem Detektivroman, die, jenseits der Oberflächendiagnostik, nebst scharfen Abgrenzungen auch die Affinitäten offenlegt.

Verbergen und Entschleiern Mag Freud selber hin und wieder zur bescheidenen Inszenierung als Detektiv geneigt haben – es waren im Besonderen seine Gefolgsleute, die ihn in negativer oder positiver Färbung als Sherlock-Holmes-Epigonen verewigten. So porträtiert ihn Erich Fromm, stets rachsüchtig auf das Vokabular der Psychopathologie zurückgreifend, als einen „zwanghaften Rationalisten“. „Oft gründete er seine Konstruktionen“, heißt es weiter in der Manier einer gnadenlosen Holmes-Kritik, „auf kleine Beweisstückchen, die ihn zu Schlüssen führen, welche fast absurd sind.“238 Von Hanns Sachs ist jene berühmte Episode überliefert, in der Freud einen ihm unbekannten Redner nach dessen kurzen wissenschaftlichen Ausführungen mit der Mitteilung überrascht  : „Wenn ich mich nicht irre, sind Sie ehemaliger Kavallerieoffizier und haben ein Buch über die Psychologie des Pferdes geschrieben  ?“239 Der fanatischste Komparatist auf den Feldern der Psychoanalyse und Detektion ist jedoch fraglos Theodor Reik, ein Literaturwissenschaftler und der wohl anhänglichste Schüler Freuds. Mit seiner Dissertation Flaubert und seine „Versuchung des heiligen Antonius“ (1912) und der 1913 erschienenen Monografie Arthur Schnitzler als Psycholog hauchte er der psychoanalytischen Literaturwissenschaft Leben ein.240 Als Analytiker zu Berühmtheit gelangte Reik aber vor allem als Stein des Anstoßes im Streit zwischen Freud und der amerikanischen psychoanalytischen Vereinigung um die Laienanalyse. Trotz dieser transatlantischen Feindschaft war er wie viele Berufskollegen gezwungen, 1938 in die Vereinigten Staaten zu emigrieren. Die später in Reiks amerikanischer Heimat veröffentlichten Schriften zu Praxis und Technik der Psychoanalyse sind im deutschsprachigen Raum wenig rezipiert. In ihrer Autobiografie Selbstkonfrontation bekennt Helene Deutsch

238 Erich Fromm  : Sigmund Freuds Psychoanalyse. Größe und Grenzen. Gießen 2006, S. 28. 239 Hanns Sachs  : Freud. Meister und Freund. Frankfurt a. Main, Berlin 1982, S. 41. Das amerikanische Original erschien 1973 unter dem Titel Conversations with Myself. Vgl. auch Rohrwasser, Freuds Lektüren, 60. 240 1929 veröffentlichte Reik in der Zeitschrift Imago die langatmige Untersuchung zur gewichtigen Frage  : Warum verließ Goethe Friederike  ?

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freimütig, dass sie „kein Vertrauen zu Reiks therapeutischen Fähigkeiten“ besessen habe. „Als er über seine Erfahrungen als Analytiker ein Buch mit dem Titel Hören mit dem dritten Ohr veröffentlichte, dachte ich mir  : ‚Er muß auf den beiden anderen taub gewesen sein.‘“241 Tatsächlich springt einem bei der Lektüre von Reiks Texten nebst der maßlosen Bewunderung gegenüber Freud eine bekenntnishafte Allüre entgegen  ; der Geständniszwang, den er zum großen Thema seiner theoretischen Arbeiten lancierte, begleitet ihn selbst als treuester Gefährte durch jede Äußerung. In ähnlicher Häufigkeit wird von Reik der Vergleich zwischen detektivischer und psychoanalytischer Methode bei jeder sich bietenden Gelegenheit gezogen  ; „Spurensicherung“, „Deduktion“ und „logische Beweisführung“ gehören hier zum fixen Instrumentarium des Analytikers. Auch die berüchtigte Intuition darf nicht fehlen. Als Vor- und Idealbild dient stets der Übervater. „Freud“, schreibt Reik, „stellte immer wieder fest, daß er seine besten Einsichten dadurch gewann, daß er seinen plötzlichen Eingebungen vertraute.“242 Und so fällt für Reik der Auftakt der Psychoanalyse nicht mit der Erkenntnis zusammen, dass das Unbewusste zwischen Wirklichkeit und Wunsch nicht unterscheidet, sondern mit der Entdeckung des Prinzips „Selbstverrat“, das bei ihm zum Programm wird. „Die uns heute bekannte Technik der Psychoanalyse entstand aus einer intuitiven Erkenntnis der Natur des Traums und der Neurosen. Der einfache und durchgehende Gedanke, der jetzt so nahezuliegen scheint und der dem Denken der Zeitgenossen Freuds so fern stand, ist der, daß die Menschen sich offenbaren – alle ihre emotionalen Geheimnisse offenbaren –, wenn sie frei über alles sprechen, was sie betrifft. Sie sprechen aus, was sie bedrückt, stört und quält, alles, woran sie denken müssen und was in ihnen Emotionen hervorruft – sogar dann, wenn sie am wenigsten willens sind, direkt über diese Dinge zu sprechen.“ 243 Neurosen sind im Reik’schen Vokabular Tarnungen, Fehlleistungen Geständnisse, der Analytiker tritt auf als der gnadenlose Entlarver, der sich sowohl auf seine Detektivkünste als auch auf die stets herbeieilende Intuition verlassen kann. Reik selbst wird nicht müde, immer wieder, wie Poe es formulieren 241 Helene Deutsch  : Selbstkonfrontation. Die Autobiographie einer Psychoanalytikerin. München 1975, S. 131f. Deutsch weiter  : „Er interessierte sich einfach nicht für neurotische Erkrankungen. (In dieser Hinsicht war er Hanns Sachs nicht unähnlich.) Verschiedene Fälle, von denen ich hörte, bewiesen mir, daß sich Reik wesentlich mehr für Anatole France und für Probleme der Religionspsychologie interessierte als für das Schicksal seiner Patienten.“ (Ebenda). 242 Theodor Reik  : Hören mit dem dritten Ohr. Die innere Erfahrung eines Psychoanalytikers. Hamburg 1976, S. 54. 243 Reik, Hören mit dem dritten Ohr, 55.

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würde, „geradezu bestürzende Proben“ seiner Fähigkeiten vorzulegen. In einer seiner Analysesitzungen, so eine persönliche Anekdote, wusste eine Patientin nichts zu sagen und schwieg. „Nach einiger Zeit klagte sie über Zahnweh. Sie erzählte mir, daß sie gestern beim Zahnarzt gewesen sei. Er hatte ihr eine Injektion gegeben und dann einen Weisheitszahn gezogen. Die Stelle fing wieder an weh zu tun. Erneutes und längeres Schweigen. Sie zeigte auf meinen Bücherschrank in der Ecke und sagte  : ‚Dort steht ein Buch auf dem Kopf.‘ Ohne das geringste Zögern und mit vorwurfsvoller Stimme fragte ich sie  : ‚Warum haben Sie mir nicht erzählt, daß Sie eine Abtreibung hatten  ?‘ Ich hatte dies völlig spontan gesagt. Es war mir, als ob nicht ich, sondern etwas in mir geredet hätte. Die Patientin sprang auf und sah mich wie einen Geist an. Niemand wußte oder konnte wissen, daß ihr Liebhaber, ein Arzt, eine Abtreibung an ihr vorgenommen hatte.“244 Die Bemerkung, dass das Buch auf dem Kopf stehe, diktiert der unbewusste Geständniszwang. Den Geständniszwang wiederum verknüpft Reik in seinen Schriften aufs Engste mit dem Bedürfnis nach Strafe und erkennt diese beiden psychischen Dispositionen auch bei Kriminellen am Werk. Mit dem Brückenschlag zur Kriminalistik folgt er bis zu einem gewissen Grad dem Vorbild seines Meisters. Freud selbst hat auf die Nähe des Neurotikers zum Verbrecher und des psychoanalytischen Verfahrens zur kriminalistischen Untersuchung im Besonderen in seinem frühen Text Tatbestandsdiagnostik und Psychoanalyse, 1906 als Vortrag vor einem juristischen Publikum gehalten, immer wieder hingewiesen  ; im selben Vortrag jedoch zeigt er auch die Grenzen der Verwandtschaft auf. Zwar bedient sich Freud gern des Jargons und Tonfalls eines gewissenhaften Polizeibeamten  ; über die Deutungen von Symptomhandlungen heißt es in der Psychopathologie des Alltagslebens  : „Sie bringen zum Ausdruck, was der Täter selbst nicht in ihnen vermutet und was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern für sich zu behalten beabsichtigt.“ 245 Doch in Tatbestandsdiagnostik und Psychoanalyse wird der Gestus des Detektivs für einmal verworfen. Denn den Selbstverrat, den Freud für Neurotiker, ja, im Grunde für alle Menschen, so gern herausstreicht, sieht er ausgerechnet auf dem Feld der Kriminalistik in Frage gestellt. Als eine gelungene captatio benevolentiae wird im ersten Teil des Vortrags zunächst die Ähnlichkeit zwischen psychoanalytischem und kriminalistischem Verfahren durch einen Vergleich zwischen einer 244 Reik, Hören mit dem dritten Ohr, 317f. 245 Freud, Psychopathologie des Alltagslebens, 254.

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Analysesitzung und einem Polizeiverhör herausgestrichen  : In beiden Situationen geht es um die Ent-deckung eines Geheimnisses. Doch, so Freud mit Nachdruck, besteht zwischen dem Neurotiker und dem Verbrecher ein erheblicher Unterschied  : Der Verbrecher kennt sein Geheimnis, das er verschweigt, der psychisch Kranke hingegen verbirgt ein Geheimnis, um das er selbst nicht weiß. Das prompte Ende der Analogie betrifft aber nicht nur die Verwandtschaft zwischen Neurotiker und Verbrecher, sondern auch diejenige zwischen Analytiker und Polizeibeamten. „Wie zur Ausgleichung“, wendet sich Freud an die versammelte Kriminalistenschaft, „kommt es bei Ihrer Untersuchung nur darauf an, daß Sie eine objektive Überzeugung gewinnen, während bei der Therapie gefordert wird, daß der Kranke selbst sich die gleiche Überzeugung schaffe.“246 Diese elegante Wendung besagt nichts anderes, als dass die Psychoanalyse auf Zusammenarbeit setzt, die Kriminalistik jedoch einzig auf Entlarvung. Den Widerstand in der Therapie zu überwinden, verspricht dem Neurotiker die Heilung, beim Durchbrechen des Widerstandes des Verbrechers winkt diesem jedoch die Strafe. Würde der Verbrecher mit der Polizei kooperieren, so Freud, „würde [er] gegen sein ganzes Ich arbeiten.“247 Die von Freud sorgfältig gebaute Grenze zwischen Neurotikern und Kriminellen bringt Reik in seiner Vorlesungsreihe Geständniszwang und Strafbedürfnis wieder zum Einsturz. „Freud wußte natürlich besser als wir“, heißt es in ebenso fröhlicher wie eigenmächtiger Deutung, „daß er diese Unterschiede absichtlich scharf formulierte, weil er in einem kurzen Vortrag nicht auf die feineren Übereinstimmungen und Differenzen eingehen konnte. Tatsächlich sind diese Unterschiede nur im gröbsten richtig […].“248 Indem Reik auch den Kriminellen mit einem unbewussten Geständniszwang und Strafbedürfnis ausrüstet und damit in einer geheimen Gleichung Neurose und Verbrechen gleichschaltet, öffnet er nicht nur die Tore der Kriminalistik weit für die Psychoanalyse, sondern installiert den Analytiker gleichsam als entlarvende Ordnungsmacht und hohes Gericht.249 246 Sigmund Freud  : Tatbestanddiagnostik und Psychoanalyse. In  : Gesammelte Werke. Hg. v. Anna Freud. Bd. 7  : Werke aus den Jahren 1906–1909. Frankfurt a. Main 1999, S. 3–15. Hier  : S. 12. 247 Ebenda. 248 Theodor Reik  : Geständniszwang und Strafbedürfnis. Probleme der Psychoanalyse und der Kriminologie. In  : Tilman Moser (Hg.)  : Psychoanalyse und Justiz. Frankfurt a. Main 1974, S. 31– 223. Hier  : S. 123. 249 Franz Alexander und Hugo Staub führen die Analogie zwischen Verbrecher und Neurotiker schließlich zur Vollendung  : „Der Angelpunkt eines jeden Verhörs, ‚warum hast Du dies oder jenes getan‘, kann von dem Befragten nur zu einem Teil beantwortet werden, und zwar nur für

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Das Detektivische der Psychoanalyse findet sich jedoch nicht nur, von Reik auf die Spitze getrieben, in der therapeutischen Praxis wieder, sondern ist vielen Konzepten des Freud’schen Denkens bereits eingeschrieben. Nach Hans Blumenberg ist „das psychische Ineinander von Verbergung und Entschleierung“ das, was „Freuds theoretische Neugierde ein Leben lang reizen sollte“.250 Dieses Ineinander von Verbergen und Entschleiern wiederum findet er in der Dynamik des psychischen Apparats bereits enthalten. Die seltsame Beziehung zwischen Spurenlegen und Spurenverwischen begreift Freud als fundamentales Prinzip der seelischen Tätigkeit. In der Notiz über den „Wunderblock“ (1925) unternimmt er den Versuch, den psychischen Apparat als einen Erinnerungsspeicher zu versinnbildlichen. Erklärt werden soll das Rätsel, warum der seelische Apparat für immer neue Wahrnehmungen unbegrenzt aufnahmefähig ist, ohne jedoch die alten Eindrücke zu vernichten. Um diese wundersame Ökonomie fassbar zu machen, zieht Freud als illustrativen Vergleich ein ganz besonderes Aufschreibsystem heran – den sogenannten „Wunderblock“.251 Der Wunderblock besteht aus einem Zellophandeckblatt und einem darunterliegenden Wachsblatt  ; unter dem Wachsblatt wiederum befindet sich eine Wachstafel. Wenn man mit einem spitzen Gegenstand auf die Plastikoberfläche kritzelt, werden in der Schreibspur Zellophan- und Wachsblatt gegen jene Motive, die dem bewußten Teil seiner Persönlichkeit zugänglich sind. Die oft dynamisch viel wirksameren unbewußten Motivationen sind ihm unbekannt. Demnach kann er selbst eine kausal vollgültige Erklärung seiner Tat nicht geben. […] Die ganze Technik des Verhörs, das Suchen nach eindeutigen, bewußten Motivationen, das Aufspüren von Widersprüchen, das Bestreben, dem Täter diese Widersprüche als Unwahrhaftigkeit auszulegen und die moralische Bewertung seiner Persönlichkeit davon abhängig zu machen, ist, im Lichte der Psychologie gesehen, unzulässig, weil unwahr. Nicht der Richter, der die Widersprüche in der Aussage feststellt, sondern meistens der Täter, der sich in Widerspruch verwickelt, hat recht, weil ja die meisten menschlichen Handlungen tatsächlich aus widerspruchsvollen Motiven begangen werden. Nicht das ‚entweder-oder‘, sondern das ‚sowohl-als-auch‘ ist geltend im Seelenleben. Wenn der Täter beim Verhör imstande wäre, die volle Wahrheit zu sagen, d.h. wenn er selbst alle seine Motive kennen würde, so müßte er bei jedem Verhör in Widerspruch geraten.“ Franz Alexander u. Hugo Staub  : Der Verbrecher und seine Richter. Ein psychoanalytischer Einblick in die Welt der Paragraphen. In  : Tilman Moser (Hg.)  : Psychoanalyse und Justiz. Frankfurt a. Main 1974, S. 227–433. Hier  : S. 248. 250 Hans Blumenberg  : Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt a. Main 1999, S. 337. 251 Der Wunderblock, damals ein Novum auf dem Markt, ist auch heute noch in leicht abgewandelter Form in Spielwarengeschäften erhältlich.

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die Wachstafel gedrückt und damit die Schrift oder Kritzelei sichtbar. Trennt man aber die beiden Blätter – bei den heutigen Tafeln geschieht das mittels eines Schiebers, der zwischen Wachsblatt und Wachstafel durchgezogen wird – verschwindet das Geschriebene, und der Schreibblock ist für neue Aufzeichnungen bereit. Würden jedoch die beiden Blätter von der Wachstafel entfernt, könnte man feststellen, dass auf der Wachstafel selbst alles je Geschriebene erhalten geblieben ist, dass sich, in der Freud’schen Terminologie, Dauerspuren gebildet haben. Mit der Konservierung der Spuren ist die Analogie zum Wahrnehmungsapparat hergestellt, der alle Eindrücke in der inneren Schicht der Psyche aufbewahrt  ; und wie beim Wunderblock, so Freud, kann dieser geheime Erinnerungsspeicher in der therapeutischen Behandlung bei „geeigneter Belichtung lesbar“ gemacht werden.252 Am Ende des Textes wird die Dynamik des psychischen Apparats mit der Tätigkeit von Händen verglichen. „Denkt man sich, daß während eine Hand die Oberfläche des Wunderblocks beschreibt, eine andere periodisch das Deckblatt desselben von der Wachstafel abhebt, so wäre das eine Versinnlichung der Art, wie ich mir die Funktion unseres seelischen Wahrnehmungsapparats vorstellen wollte.“253 Mit dem Bild der fleißig arbeitenden Hände ist aber auch eine kriminelle Strategie angezeigt. In einem solch verbrecherischen Szenario markiert das Spuren-Schreiben und Spuren-Verwischen das kriminelle Vorgehen, während die Aufgabe des Analytikers auch hier mit der Arbeit des Detektivs zusammenfällt  : er sichert, als eine Art dritte Hand, die (Dauer)Spuren, macht sie lesbar und bringt sie, ganz kriminalistische Entschleierung, ans Licht. Damit ist die menschliche Psyche schließlich als enge Verwandte des Tatorts ausgewiesen  : Erfahrungen, Eindrücke finden sich wieder in Form von Abdrücken und Spuren.

The Killer Inside Me „Freud“, schreibt Erich Fromm in einer seiner Abrechnungen mit dem Übervater, „sah […] im Kind etwas ganz Schlechtes  : Das Kind sei so gierig, daß es am liebsten darüber fantasiere, wie es den Vater oder die Mutter verfüh-

252 Sigmund Freud  : Notiz über den „Wunderblock“. SA, Bd. III. Frankfurt a. Main 2000, S. 363– 369. Hier  : S. 368. 253 Freud, Notiz über den Wunderblock, 369.

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ren könne, um mit ihnen zu schlafen.“254 Und er fügt, ganz der dramatischen Steigerung verpflichtet, hinzu  : „Das Kind mit seinen inzesthaften Fantasien ist nicht nur inzestuös, es will auch den Vater umbringen und die Mutter vergewaltigen. Für Freud war das Kind ein kleiner Krimineller.“255 Zwar ist der letzte Satz eine ebenso großartige wie beabsichtigte Fehldeutung Fromms, dennoch  : Zieht man die moralische Entrüstung, welche die Beschreibung begleitet, von der Aussage ab, bleibt das eigentliche Skandalon der Freud’schen Psychoanalyse, das düstere Menschenbild, in aller Eindrücklichkeit bestehen. Wie viele Vertreter der Detektivliteratur arbeitet auch Freud an einer negativen Anthropologie mit  ; die von ihm während vierzig Jahren immer wieder aufs neue ausformulierte conditio humana erstreckt sich im finsteren Land zwischen sexueller Triebhaftigkeit und Mordlust. Zivilisation und Kultur sind mit Gewaltakten, Moral und Sittlichkeit mit einer rigiden Triebunterdrückung erkauft, die, in einem unsicheren, künstlichen Gleichgewicht gehalten, sich immer wieder in Aggression entladen kann. „Was keines Menschen Seele begehrt“, schreibt Freud angesichts des Ersten Weltkrieges, „braucht man nicht zu verbieten, es schließt sich von selbst aus. Gerade die Betonung des Gebotes  : Du sollst nicht töten, macht uns sicher, daß wir von einer unendlich langen Generationsreihe von Mördern abstammen, denen die Mordlust, wie vielleicht noch in uns selbst, im Blute lag.“256 Ein Großteil der Theoriegeschichte der Freud’schen Lehre lässt sich am Thema des Vatermordes und der Erfahrung des Todes festmachen. Als Geburtsstunde der Psychoanalyse gilt gemeinhin die Entdeckung des Ödipuskomplexes. Da diese Entdeckung zeitlich mit der Trauerarbeit Freuds um den Verlust seines Vaters Jacob zusammenfällt, haben viele Kritiker den Ödipuskomplex stets als Freudsche Eigenart interpretiert, die der Begründer der Psychoanalyse, auf einem Auge blind, zur universellen Regel hat ausrufen lassen. In der Tat ist dem Sohn Sigmund die eigene Gefühlsambivalenz dem Vater gegenüber im Zuge der Selbstanalyse, die nach Jacobs Tod ihren Anfang genommen hatte, bewusst geworden. Der Vater als Problem war für ihn bis anhin in den Erzählungen seiner Neurotiker beheimatet gewesen. Sie alle beschuldigten das Familienoberhaupt perverser Handlungen, was ihn dazu einlud, 254 Vgl. Erich Fromm  : Von der Kunst des Zuhörens. Therapeutische Aspekte der Psychoanalyse. Weinheim, Basel 1991, S. 56. 255 Fromm, Von der Kunst des Zuhörens, 57. 256 Sigmund Freud  : Zeitgemäßes über Krieg und Tod. SA, Bd. IX. Frankfurt a. Main 2000, S. 33– 60. Hier  : S. 56.

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den sexuellen Missbrauch, den er „Verführungstheorie“ taufte, als Ursache der Neurosen anzusehen. Freud geht zunächst von einer Tat und einem Täter aus, den er als Vater identifiziert – der galante Begriff der Verführung verdeckt die eigentliche Schärfe dieser Annahme.257 Einfacher, als sich selbst als Neurotiker zu sehen und viel einfacher noch, als den eigenen geschätzten Vater in die Liste der perversen Väter einzufügen, fällt da der Abschied von der Verführungstheorie. Für die erinnerte Verliebtheit in die Mutter und die in Form von Beschuldigungen artikulierte Aggression gegen den Vater, die alle Neurotiker teilen, muss eine andere Erklärung gefunden werden. Das Verwerfen der Verführungstheorie wie die Gewinnung einer neuen Deutung lassen sich in dem berühmten Brief an Fließ nachlesen. Er habe, schreibt Freud am 21. September 1897, „die sichere Einsicht“ gewonnen, „daß es im Unbewußten ein Realitätszeichen nicht gibt, so daß man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann. (Demnach blieb die Lösung übrig, daß die sexuelle Fantasie sich regelmäßig des Themas der Eltern bemächtigt.)“258 Und obwohl die Erinnerung von nun an nicht mehr unbedingt die Stimme der faktischen Wahrheit spricht, deutet Freud die von vielen Analysanden erinnerte Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht gegen den Vater als tatsächlich – er entdeckt sie auch bei sich selbst  : „Ich habe“, schreibt er an Fließ, „die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht gegen den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit, wenn auch nicht immer so früher wie bei den hysterisch gemachten Kindern.“259 Das Muster für diese psychische Verfasstheit findet Freud in der Literatur – in der Tragödie des Sophokles. Der tragische Held Ödipus ist fortan auch der tragische Held der Psychoanalyse. Damit Ödipus zum neuen Heldentum taugt, muss Freud das Stück jedoch erst interpretieren. In der Traumdeutung (1899), dem Produkt seiner Selbstanalyse, unternimmt er den ausführlichsten Versuch. Freud erzählt zunächst die Vorgeschichte der Tragödienhandlung, den Ausbruch der Pest und die Orakelbefragung. An diesem Punkt setze die Tragödie ein  : „Die Boten bringen den Bescheid, daß die Pest aufhören werde, wenn der Mörder des Laïos aus dem Land getrieben sei. Wo aber weilt der  ? 257 Vgl. hierzu auch Peter Gay  : Freud. Eine Biographie für unsere Zeit. Frankfurt a. Main 2000, S. 104–153. 258 Sigmund Freud  : Briefe an Wilhelm Fließ 1887–1904. Hg. von Jeffrey Moussaieff Masson u. Michael Schröter. Frankfurt a. Main 1999, S. 284. 259 Freud, Briefe an Wilhelm Fließ, 293.

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‚Wo findet sich die schwer erkennbar dunkle Spur der alten Schuld  ?‘ […] Die Handlung des Stückes besteht nun in nichts anderem als in der schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten Enthüllung – der Arbeit einer Psychoanalyse vergleichbar –, daß Ödipus selbst der Mörder des Laïos, aber auch der Sohn des Ermordeten und der Jokaste ist.“260 Mit dem Hinweis auf den artifiziellen Bau der Enthüllung, einer „schrittweise gesteigerten und kunstvoll verzögerten“, ist nicht nur eine Ähnlichkeit der Psychoanalyse zur Ödipus-Tragödie angesprochen, sondern ebenso zum Kriminal- und Detektivroman. Auf einen vergleichbaren künstlichen Spannungsaufbau greift Freud selbst in seinen Fallgeschichten zurück, wenn er, an ein „detektivisches Darstellungsmuster“261 angelehnt, dem Publikum den von ihm wahrgenommenen Behandlungsverlauf mit der schließlichen Auflösung des Falls am Ende der Erzählung beschreibt. Mit Ödipus Rex wählt Freud jedoch nicht nur jenes Werk der Weltliteratur, das später, vor allem dank seiner berühmten Lektüre, als die erste Detektivgeschichte der Weltliteratur bezeichnet werden wird, sondern er liest die Tragödie auch wie ein Detektiv  : er betreibt Motivforschung.262 Aus der Schicksalstragödie wird so ein Kriminalstück. Freud stattet Ödipus, die Weisung der Götter beiseitelassend, mit einem Motiv aus  : jener habe seinen Vater umgebracht, weil er die Mutter begehrte. Interessanterweise wird diese Interpretation nicht am Text festgemacht, sondern an der Wirkung des Stückes, die „den modernen Menschen nicht minder zu erschüttern weiß als den zeitgenössischen Griechen“.263 Aus diesem Grund, so Freuds Folgerung, muss die Tragödie in den Zuschauern etwas bereits Vorhandenes aufrühren. Das Schicksal des Ödipus, heißt es weiter im Tonfall der persuasio, „ergreift uns nur darum, weil es auch das unsrige hätte werden können, weil das Orakel vor unserer Geburt denselben Fluch 260 Sigmund Freud  : Die Traumdeutung. SA Bd. II. Frankfurt a. Main 2000, S. 266. 261 Rolf Haubl u. Wolfgang Mertens  : Der Psychoanalytiker als Detektiv. Eine Einführung in die psychoanalytische Erkenntnistheorie. Stuttgart 1996, S. 40. 262 Vgl. hierzu  : Jochen Schmidt  : Gangster, Opfer, Detektive. Eine Typengeschichte des Kriminalromans. Frankfurt a. Main u. Berlin 1989, S. 26  : „Sophokles’ Geschichte vom Ödipus, der sein eigenes, ihm unbewußtes Verbrechen herausfand und sich selbst mit der eigenhändigen Blendung bestrafte, genügt sämtlichen nur denkbaren Definitionen des Kriminal- wie des Detektivromans.“ Anders sieht es Richard Alewyn  : „[…] das Enthüllungsdrama von König Ödipus, und es gilt ausnahmslos für sämtliche Mythen- und Sagenstoffe. Sie eignen sich nicht, als Detektivromane erzählt zu werden, weil der Leser den Ausgang schon kennt. Auf den Leser kommt aber alles an, genauer  : auf den Lesenden.“ Alewyn, Anatomie des Detektivromans, 54. 263 Freud, Die Traumdeutung, 266.

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über uns verhängt hat wie über ihn. Uns allen vielleicht war es beschieden, die erste sexuelle Regung auf die Mutter, den ersten Haß und gewalttätigen Wunsch gegen den Vater zu richten  ; unsere Träume überzeugen uns davon. König Ödipus, der seinen Vater Laïos erschlagen und seine Mutter geheiratet hat, ist nur die Wunscherfüllung unserer Kindheit. Aber glücklicher als er, ist es uns seitdem, sofern wir nicht Psychoneurotiker geworden sind, gelungen, unsere sexuellen Regungen von unseren Müttern abzulösen, unsere Eifersucht gegen unsere Väter zu vergessen. Vor der Person, an welcher sich jener urzeitliche Kinderwunsch erfüllt hat, schaudern wir zurück mit dem ganzen Betrag der Verdrängung, welche diese Wünsche in unserem Innern seither erlitten haben. Während der Dichter in jener Untersuchung die Schuld des Ödipus ans Licht bringt, nötigt er uns zur Erkenntnis unseres eigenen Innern, in dem jene Impulse, wenn auch unterdrückt, noch immer vorhanden sind.“264 Die fraglos bekanntesten Analysen Freuds auf dem Feld der Literatur sind neben der Ödipus-Tragödie Shakespeares Hamlet und Dostojewskis Die Brüder Karamasow. Die drei Texte galten ihm als die größten dichterischen Leistungen der Weltliteratur. Die Begeisterung, die in der Verwendung des Superlativs mitschwingt, lässt sich leicht am Inhalt festmachen  : alle drei Texte handeln vom Vatermord, einem der, zumal in der Variante des unbewussten Wunsches, wichtigsten Versatzstücke der psychoanalytischen Theorie. Neben dem Motiv der Vatertötung verbindet die Texte jedoch noch eine weitere Gemeinsamkeit. „Zunächst sind weder die genauen Umstände des Verbrechens noch die Verbrecher selbst bekannt“, schreibt Reik. „Sie müssen aufgespürt und aufgedeckt werden. Wir haben es also mit ‚Detektivgeschichten‘ zu tun […].“265 Auch Der Familienroman des Neurotikers liest sich wie ein Kriminalroman, wenngleich in den Formulierungen die mörderische Dimension, die dem theoretischen Wurf innewohnt, kunstvoll verschleiert wird. Dem Familienroman liegt nicht nur eine Lektüre von C. F. Meyers Novelle Die Richterin, sondern auch ein bekannter Märchenstoff zugrunde  : der wundersame Aufstieg vom Bettelknaben zum Königssohn, der – fasst man die Besteigung des thebanischen Thrones durch den Hirtenjungen ins Auge – bereits im Ödipusmythos enthalten ist. Warum, fragt Freud, wünscht man sich als Kind andere Eltern  ? Der Tatbestand, der hier verhandelt wird, ist der in einen Wunsch verpackte Akt der Aggression. Dies ist in der psychoanalytischen Theorie ein häufi264 Freud, Die Traumdeutung, 267. 265 Vgl. Theodor Reik  : In Gedanken töten. Bewußte und unbewußte Todeswünsche in psychoanalytischer Sicht. München 1981, S. 29f.

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ges Phänomen. Auf Zurückweisungen oder Behinderungen seiner Gefühle reagiert der Mensch mit Rachefantasien, die bis zum Todeswunsch reichen können. Die bekannteste Racheaktion der Psyche richtet sich beim Durchlaufen des Ödipuskomplexes gegen den Vater  : ihm, der dem (männlichen) Kind auf seinem Weg zur Mutter ein unüberbrückbares Hindernis ist, wird der Tod gewünscht. Die Kehrseite dieser inneren Freiheit ist die Kastrationsangst. Sie nistet sich dort ein, wo sich gleich darauf das Über-Ich niederlässt  ; es sorgt fortan dafür, dass jeder Wunsch, der zu weit geht, die Strafe in Form von Gewissensbissen auf dem Fuß folgen lässt. Gleichzeitig stellt es sich, das Ich schützend, dem Es entgegen. Unbewusste Wünsche haben es nun schwer, an die Oberfläche des Bewusstseins aufzusteigen. Man weiß, wie das dennoch möglich ist  : durch Fehlleistungen und durch Verdichtung und Verschiebung, die beiden Achsen der Traumarbeit. Das Kind, das sich andere Eltern wünscht, träumt am hellichten Tag. Die Aggression, die der Eindruck von nicht ausreichend erwiderter Liebe hervorbringt, setzt die Fantasie in Gang  : neue Eltern werden kreiert, schönere, bessere, reichere. Kommt später das Wissen über die Zeugung und die sexuelle Verschiedenheit von Mann und Frau hinzu, dreht die Fantasie in eine neue Richtung. Auf dem Glaubenssatz, dass „pater semper incertus est, während die Mutter certissima ist“266, wird eine neue Vorstellung aufgebaut, die wiederum den Vater neu erfindet, die Mutter aber, um das traumhafte Gebäude nicht zum Einsturz zu bringen, mit einem Hang zur Untreue ausstattet. Was sich jedoch, so Freud, derart offensichtlich als Rachefantasie präsentiert, ist in erster Linie als eine verhüllte Beteuerung der Liebe zu verstehen  : „Wer sich von dieser Verderbtheit des kindlichen Gemüts mit Schaudern abwendete, ja selbst die Möglichkeit solcher Dinge bestreiten wollte, dem sei bemerkt, daß alle diese anscheinend so feindseligen Dichtungen eigentlich nicht so böse gemeint sind und unter leichter Verkleidung die erhalten gebliebene ursprüngliche Zärtlichkeit des Kindes für seine Eltern bewahren.“267 Diese „ursprüngliche Zärtlichkeit“ lässt sich ablesen an bestimmten Attributen der wirklichen Eltern, die sich auch bei den erträumten wiederfinden. Das schöne Gesicht der Mutter, die tiefe Stimme des Vaters schmücken auch das neue Elternbild und fungieren als eine Art Liebesbeweis. So entpuppt sich dieser Tagtraum sonderbarerweise als der Familienroman eines Romantikers  : 266 Freud, Der Familienroman des Neurotikers. SA Bd. IV. Frankfurt a. Main 2000, S. 221–226. Hier  : S. 225. 267 Freud, Der Familienroman des Neurotikers, 225f.

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„Ja“, schreibt Freud, „das ganze Bestreben, den wirklichen Vater durch einen vornehmeren zu ersetzen, ist nur der Ausdruck der Sehnsucht des Kindes nach der verlorenen glücklichen Zeit, in der ihm sein Vater als der vornehmste und stärkste Mann, seine Mutter als die liebste und schönste Frau erschienen ist.“268 Das ist auf die Gesamtheit von Freuds Texten gesehen die außergewöhnlichste Handhabung des Begriffes der Ambivalenz überhaupt. Wo normalerweise das Doppelgesichtige der Gefühle betont wird, ist in diesem Fall die Kehrseite einzig dazu da, um durch ihre Dunkelheit hindurch das helle Licht der Liebe scheinen zu lassen. Man kann aber den Freud’schen Familienroman mit Freud selbst anders lesen und damit den Sieg der Liebe vereiteln. An dieser Stelle muss man sich die von Freud ausgemachten Wünsche vor Augen halten, welche in der Fantasie ihre Erfüllung finden  : Es werden stets „ehrgeizige“ oder „erotische“ Ziele verfolgt. Um diese Ziele, die ihm in der Wirklichkeit verwehrt bleiben, in der Fantasie glaubhaft erreichen zu können, erhöht sich der Tagträumer selbst und stattet sich mit den herausragendsten Eigenschaften aus. Doch ist der (kitschige) Aufstieg der eigenen Person wiederum nur die strahlende Vorderseite einer Umgestaltung der Wirklichkeit, die, bei genauer Ansicht, eine finstere Rückseite besitzt. Denn mit der Selbsterhöhung Hand in Hand geht stets der tiefe Fall der Umwelt, die, in scharfer Abgrenzung zum eigenen glorreichen Schicksal, erfolglos bleiben, krank werden oder gar sterben muss.269 Wenn im Familienroman neue Eltern herbeifantasiert werden, bedeutet dies unweigerlich, dass die richtigen Eltern aus der Welt des Kindes eliminiert werden – und was ist das anderes als ein kaum verhüllter Todeswunsch  ? Den Text hat Freud vermutlich 1908 niedergeschrieben, der Sachverhalt aber war ihm schon zehn Jahre lang bekannt.270 Am 20. Juni 1898 berichtet er Fließ im Rahmen seiner Analyse von Meyers Novelle Die Richterin  : „Alle Neurotiker bilden den sogenannten Familienroman (der in der Paranoia bewußt wird), der einerseits dem Größenbedürfnis dient, andererseits der Abwehr des Inzestes. Wenn die Schwester nicht das Kind der Mutter ist, so ist man ja des Vorwurfs ledig. (Ebenso wenn man selbst das Kind anderer Leute ist.)“271 Hier versucht also der Wunsch nach anderen El-

268 Freud, Der Familienroman des Neurotikers, 226. 269 Man vergleiche hierzu die Romane und Erzählungen von Thomas Mann, der ein Meister darin ist, den Helden innerhalb von zwei Sätzen verwaisen zu lassen. (Zum Beispiel Tonio Kröger oder Doktor Faustus.) 270 1909 wird er in Otto Ranks Der Mythus von der Geburt des Helden publiziert. 271 Freud, Briefe an Wilhelm Fließ, 347.

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tern das Inzestverbot gegenüber den Geschwistern auszuhebeln. Freud geht aber noch einen Schritt weiter und spricht vom Vater, „den der Familienroman regelmäßig beseitigt, weil er dem Sohn im Weg steht. (Wunschtraum vom Tod des Vaters.)“272 In dieser allerersten Erwähnung des Familienromans zeigt sich das wahre Gesicht der „feindseligen Dichtungen, die eigentlich nicht so böse gemeint sind“  : Es sind gezielte Todeswünsche.273 Steht im Frühwerk Freuds der Wunsch, die psychische Realität im Vordergrund, verschiebt sich der Fokus um 1910 herum  ; die Tat rückt nun in den Mittelpunkt der Überlegungen. 1913 veröffentlicht er seinen Essay Totem und Tabu, in welchem er „einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker“274 sowie eine Leerstelle der ethnologischen Forschung, die Errichtung des Inzest-Verbots, zu erklären versucht. War das Verbrechen bisher ein Produkt der Fantasie von Neurotikern, ändert sich das mit diesem Text, der mit dem ebenso pathosbeladenen wie programmatischen Faust-Zitat endet  : „Im Anfang war die Tat.“275 „Freuds Schluß mit dem Faust-Zitat“, schreibt der Biograph Peter Gay, „ist so glücklich gewählt, daß man versucht ist, sich zu fragen, ob er nicht die ganze Strecke zurückgelegt habe, um seinen Text mit Goethes berühmtem Wort abschließen zu können […].“276 Freud beginnt seine Ausführungen auf der anderen Seite des Globus, bei den Ureinwohnern Polynesiens. Skizziert wird zunächst das Phänomen des Totemismus, an den ein ganzes Netz von Tabus geknüpft ist, die das Leben eines Stammes organisieren und reglementieren. Für Freud am interessantesten ist das Inzestverbot  ; Angehörige desselben Stammes sind für einander sexuell tabu, eine Verletzung dieses Tabu wird mit dem Tode bestraft. Die Errichtung eines solchen Verbots, so Freuds bekannte These, mache aber nur Sinn, wenn eine starke Neigung bestehe, die verbotenen Tätigkeiten auch auszuführen. In besonderem Maß von den Tabuvorschriften betroffen ist auch der Umgang mit den Verstorbenen. „Wir wissen, daß die Toten mächtige Herrscher sind“, schreibt Freud  ; „wir werden vielleicht erstaunt sein zu erfahren, daß sie als Feinde betrachtet werden.“ Diese feindliche Einstellung findet ihre Erklärung in der unbewussten Ambivalenz der Gefühle, die man geliebten Menschen

272 Freud, Briefe an Wilhelm Fließ, 348. 273 Freud, Der Familienroman des Neurotikers, 226. 274 So der Wortlaut des Untertitels. 275 Sigmund Freud  : Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. SA IX. Frankfurt a. Main 2000, S. 287–444. Hier  : S. 444. 276 Gay, Freud, 374.

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gegenüber besitzt und deren Spannung der Ureinwohner mittels Projektion löst  : Die eigene feindselige Einstellung gegenüber dem Toten wird auf diesen verschoben  ; jetzt ist der Tote feindselig gegen die Lebenden. An diesem Punkt angelangt, wirft Freud die anfangs gestellten Fragen noch einmal auf  : Woher stammt das Phänomen des Totemismus  ? Wie kam das Inzestverbot in die Welt  ? Weil die Erklärungsversuche der zeitgenössischen Ethnologie Freud nicht befriedigen, schreibt er eine eigene Genesis, die sich am Ursprung der Darwin’schen Evolutionstheorie inspiriert  : Freud schildert die Ermordung des Urvaters durch die Urhorde. Weil, so seine Annahme, der Urvater uneingeschränkte Autorität besaß, die vor allem das Sexualmonopol über die Weibchen betraf, schlossen sich die Brüder zusammen, töteten den Vater und verzehrten ihn. Das Verspeisen des Vaters versteht Freud als im wahrsten Sinne des Wortes leiblichen Akt der Aneignung und Identifizierung. In dieser Verspeisung liege gleichsam die Geburtsstunde von Religion und sozialer Organisation. Denn der Mord am Urvater brachte nicht die erhoffte sexuelle Freiheit, sondern das genaue Gegenteil. Man brauche, schreibt Freud, „nur anzunehmen, daß die sich zusammenrottende Brüderschar von denselben einander widersprechenden Gefühlen gegen den Vater beherrscht war, die wir als Inhalt der Ambivalenz des Vaterkomplexes bei jedem unserer Kinder und unserer Neurotiker nachweisen können. Sie haßten den Vater, der ihrem Machtbedürfnis und ihren sexuellen Ansprüchen so mächtig im Wege stand, aber sie liebten und bewunderten ihn auch. Nachdem sie ihn beseitigt, ihren Haß befriedigt und ihren Wunsch nach Identifizierung mit ihm durchgesetzt hatten, mußten sich die dabei überwältigten zärtlichen Regungen zur Geltung bringen. Es geschah in der Form der Reue, es entstand ein Schuldbewußtsein, welches hier mit der gemeinsam empfundenen Reue zusammenfällt. Der Tote wurde nun stärker, als der Lebende gewesen war.“277 Von Schuldgefühlen beladen, richten die Söhne die Autorität des toten Vaters aufs neue auf, indem sie sich die Frauen der Horde für verboten erklären, und bringen damit das Inzesttabu in die Welt  ; ein zweites Verbot richtet sich gegen die Tötung des Totem-Tiers, das unbewusst als Vaterersatz fungiert. Weil kein literarisches Vorbild zur Verfügung steht, schreibt Freud seinen eigenen Mythos, eine familiäre Tragödie und Mordgeschichte in einem. In seiner Aussage kommt dem Urvatermythos die Funktion einer „asymmetrischen Version“ des Ödipuskomplexes zu, die besagt, dass der ersehnte Tod des Va-

277 Freud, Totem und Tabu, 427.

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ters keinen Genuss, sondern einzig Schuld und Verzicht bringt.278 Zum Ärger vieler Kritiker hat Freud stets auf der Realität der historischen Tat bestanden  : Der fantasierte Mord des Neurotikers war in Urzeiten der tatsächliche.279 „Gewiß“, schreibt er am Ende von Totem und Tabu, „sind bei beiden, Wilden wie Neurotikern, die scharfen Scheidungen zwischen Denken und Tun, wie wir sie ziehen, nicht vorhanden. Allein der Neurotiker ist vor allem im Handeln gehemmt, bei ihm ist der Gedanke der volle Ersatz für die Tat. Der Primitive ist umgehemmt, der Gedanke setzt sich ohneweiters in Tat um, die Tat ist ihm sozusagen eher ein Ersatz des Gedankens, und darum meine ich, ohne selbst für die letzte Sicherheit der Entscheidung einzutreten, man darf in dem Falle, den wir diskutieren, wohl annehmen  : ‚Im Anfang war die Tat.‘“280 Die dunkle, mörderische Dimension des psychoanalytischen Menschenbildes ist damit in ihrer vollen Länge und Tiefe ausgemessen  : Den zivilisatorischen Gründungsakt der Menschheit bildet ein Mord – und dessen Verdrängung  ; der Eintritt in die gesellschaftliche Ordnung wiederum, der mit der Herausbildung der psychischen Instanz des Über-Ichs zusammenfällt, wird mit einer Mordfantasie sowie deren „glücklicher“ Überwindung bezahlt.281 Der Weg von der Mordtat hin zum unbewussten Mordwunsch hat jedoch nichts mit dem steilen Pfad des Fortschritts zu tun. Noch 1908 (Die kulturelle Sexualmoral und die moderne Nervosität) hat Freud die Triebsublimierung als die eigentliche Kulturleistung betrachtet. In den beiden 1915 unter dem Titel Zeitgemäßes über Krieg und Tod publizierten Essays, in denen er den blutrünstigen Rückfall in die Barbarei psychologisch zu fassen versucht, wird der sogenannte Kulturmensch ganz als Triebmensch ausgewiesen, Triebsublimierung als bloße Heuchelei, Kultur als ein Gewand beschrieben, das man bei Bedarf auch wieder ablegen kann. Über seine kriegsbegeisterten Mitbürger schreibt Freud lakonisch  : „In Wirklichkeit sind sie nicht so tief gesunken, wie wir fürchten, weil sie gar nicht so hoch gestiegen waren, wie wir’s von ihnen glaubten.“282 Totem und Tabu liefert für diese harsche Feststellung das genealogische Fundament.

278 So zum Beispiel bei Žižek  : Liebe Dein Symptom wie Dich selbst  !, 107f. Und vom selben Autor  : Die Tücke des Subjekts. Frankfurt a. Main 2001, S. 431f. 279 Etwa Gay, Freud, 377. 280 Freud, Totem und Tabu, 443f. 281 Vgl. noch einmal  : Freud, Die Traumdeutung, 267  : „Aber glücklicher als er […].“ 282 Freud, Zeitgemäßes über Krieg und Tod, 44. Die Kulturanthropologie Freuds macht auch vorsichtige Anleihen am Atavismus-Konzept.

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Freud in Amerika „‚Wir bringen ihnen die Pest und sie wissen es nicht‘, hörte Jung seinen Meister sagen, als Freuds Schiff in Amerika Anker warf.“283 Diese Bemerkung, welche das Bild von Vampiren auf dem verseuchten Rattenschiff heranzitiert, fällt im Jahre 1909 im New Yorker Hafenbecken.284 Freud und Jung waren vom Rektor der Clark University in Worcester (Massachusetts) eingeladen worden, um ihr Wissen in öffentlichen Vorträgen zu verbreiten. Jung sprach über das freie Assoziieren, die Bedeutung der Familienkonstellation und über psychische Konflikte in der Kindheit. Freuds fünf Vorträge machten die Zuhörer mit den Grundbegriffen und Grundannahmen der Psychoanalyse bekannt. Beide erhielten als ehrenvolles Dankeszeichen den akademischen Titel „Doctor of Laws, honoris causa“. Vor allem die akademische Anerkennung verwandelte die Reise für Freud in einen Erfolg. Zurück in Wien, fällt er über seine Eroberung der Neuen Welt allerdings ein negatives Urteil. Noch Jahre später macht er das amerikanische Essen für gesundheitliche Probleme und für die Verschlechterung seiner Handschrift verantwortlich. In der Folge entwickelt Freud einen immer offensichtlicheren Antiamerikanismus, der sich vordergründig auf die vermeintliche Geldgier der Amerikaner stützt. Sie scheinen ihm oberflächlich, prüde und ausschließlich auf den Dollar und dessen Vermehrung fixiert zu sein, eine Neigung, die er mit dem Fluchwort der „analen Adlerei“ belegt.285 Als Otto Rank 1924 von einer Vortragsreise aus den Vereinigten Staaten zurückkehrt, äußert Freud seine Freude darüber, dass Rank an seinen Lesungen sehr gut verdient und 283 Jacques Lacan  : La chose freudienne, zit. nach Friedrich Kittler  : Über die Kunst mit Vögeln zu jagen. Der Malteser Falke von Dashiell Hammett. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. München 1998, S. 416–427. Hier  : 425. 284 Man vergleiche hierzu die Filme Nosferatu  : 1922 von F. W. Murnau mit Max Schreck, 1979 von Werner Herzog mit Klaus Kinski. Der Vampir fährt auf einem Schiff voller Ratten in den Hafen ein und bringt die Pest. 285 Freud an Rank, 23. Mai 1924, zit. nach Gay, Freud, 638. Adler war, mehr noch als Jung, Freuds Intimfeind. Lange Zeit ein Zögling Freuds, erwarb sich Adler innerhalb der psychoanalytischen Bewegung eine große Anhängerschaft. Zum endgültigen Bruch der beiden kam es im Jahr 1911. Hauptstreitpunkt war die Neurosenlehre. Adler erklärte Vererbung und Minderwertigkeitsgefühl zur Hauptursache von Neurosen, was in Freuds Augen einer Verwerfung der Rolle der Libido und des Unbewussten gleichkam. Vgl. hierzu Gay, Freud, 244ff. Und  : Russell Jacoby  : Soziale Amnesie. Eine Kritik der konformistischen Psychologie von Adler bis Laing. Frankfurt 1978, S. 42ff. Vgl. allgemein zur Haltung Freuds gegenüber Amerika  : Gay, Freud, 622–641.

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somit „die einzige vernünftige Art des Benehmens gefunden“ habe, „die dem Aufenthalt unter diesen Wilden entspricht  : sein Leben möglichst teuer zu verkaufen“.286 Diese sehr dunkle Sicht auf Amerika findet ihre Ursache weniger in einer genauen Analyse Freuds über „Dollaria“287, sondern in einem tiefen Unbehagen und Ärger über die Entwicklung der amerikanischen Psychoanalyse, in welcher er konformistische Tendenzen ausmacht, vor allem dann, wenn es um das Thema und den Stellenwert der Sexualität geht. Doch auch der Abfall von Carl Gustav Jung, seinem Kronprinzen, der auf der gemeinsamen Amerika-Reise zum ersten Mal als Drohung spürbar und 1912 Wirklichkeit wurde, musste für Freud die Vereinigten Staaten nachträglich in ein immer düstereres Licht tauchen. In seinem Detektivroman (!) The Interpretation of Murder (2006) verknüpft Jed Rubenfeld Jungs Abkehr von der Freud’schen Psychoanalyse und den amerikanischen Widerstand gegen die Gewichtung der Sexualität in der Ätiologie der Neurosen zu einer bösartigen Verschwörung. Als sich die europäischen Psychoanalytiker vor ihrer Weiterfahrt nach Worcester in New York aufhalten, assistiert Freud, aufs neue als Detektiv herausgestellt, bei der Aufklärung schauerlicher Verbrechensfälle, während Jung die Zeit nützt, den Meister zu verleumden. Seine Rolle als Judas geht so weit, dass er, von einer puritanischen Liga angeheuert und angefeuert, Freud in der Presse als perversen Schwerenöter, als hedonistischer Bewohner einer unmoralischen Stadt charakterisiert. „His scientific theory, if that is what it should be called“, heißt es in einem Interview Jungs mit der New York Times über den Vater der Psychoanalyse, „is the result of this saturnalian environment and the peculiar life he led there.“288 Im Roman, dessen Autor die meisten Äußerungen Freuds, Jungs, Jones’ oder Ferenczis den Briefwechseln entnommen hat, scheitert die Verschwörung  ; in der Wirklichkeit aber triumphiert, wenngleich erst einige Jahre später, der saubere Konformismus über die „Freudian obscenities“.289 Der offene Streit zwischen Freud und den Amerikanern entzündet sich jedoch an der Frage der Laienanalyse. 1925 wird in Wien Anklage gegen Reik erhoben, der, als Laienanalytiker praktizierend, ausgerechnet von einem amerikanischen Patienten der Kurpfuscherei beschuldigt wurde. Zur gleichen Zeit beschließt die New York Psychoanalytic Society, die Laienanalyse zu verbieten 286 Freud an Otto Rank, 23. Mai 1924, zit. nach Gay, Freud, 633. 287 Vgl. Gay, Freud, 638. 288 Jed Rubenfeld  : The Interpretation of Murder. New York 2006, S. 289. 289 Rubenfeld, The Interpretation of Murder, 150.

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und fortan ausschließlich professionelle Mediziner als Analytiker zuzulassen. In seinem 1926 veröffentlichten Text Die Frage der Laienanalyse setzt sich Freud gegen die Amerikaner zur Wehr. Als Hauptargument führt er an, dass die sich mit dem ärztlichen Bemühen deckende Behandlung von Kranken nur ein Aspekt der Psychoanalyse sei  : „Der Gebrauch der Analyse zur Therapie der Neurosen ist nur eine ihrer Anwendungen“, heißt es vorsichtig  ; „vielleicht wird die Zukunft zeigen, daß sie nicht die wichtigste ist.“290 Die Zukunft der Psychoanalyse sieht Freud vor allem auf dem Gebiet der Kultur- und Gesellschaftskritik. Als „Lehre vom seelisch Unbewußten“, schreibt er, „kann sie all den Wissenschaften unentbehrlich werden, die sich mit der Entstehungsgeschichte der menschlichen Kultur und ihrer großen Institutionen wie Kunst, Religion und Gesellschaftsordnung beschäftigen“.291 Zwar wird Reik schließlich vom Vorwurf der Kurpfuscherei freigesprochen, die New Yorker jedoch bleiben bei ihrem Beschluss, Chicago und Kalifornien folgen diesem Beispiel. Dies führt rasch zur Medizinalisierung der amerikanischen Psychoanalyse und sorgt dafür, dass sie, als praktische Wissenschaft, bereits nach dem Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen in das Gebiet der Psychiatrie integriert ist.292 Auf theoretischer Ebene entwickelt sich in den dreißiger und Vierzigerjahren aus einer Gruppe von Emigranten eine neue Richtung  : der Neofreudianismus, zu dessen bekanntesten und einflußreichsten Denkern Erich Fromm und Karen Horney gehören.293 Sie retten die psychoanalytische Kultur- und Gesellschaftstheorie vor dem medizinischen Establishment, doch geschieht dies auf Kosten eines großen Teiles des kritischen Gehalts  ; davon betroffen ist in erster Linie die Stellung des Unbewussten in der Freud’schen Theorie. Anstatt die Wünsche, die das Es diktiert, bewusst zu machen, erklären sie

290 Sigmund Freud  : Die Frage der Laienanalyse. SA, Ergänzungsband. Frankfurt a. Main 2000, S. 271–349. Hier  : S. 339. 291 Ebenda. 292 Vgl. hierzu  : Russell Jacoby  : Die Verdrängung der Psychoanalyse oder der Triumph des Konformismus. Frankfurt a. Main 1985, S. 33f. Andere verknüpfen Ursache und Wirkung anders und sehen eine „Psychoanalysierung der Psychiatrie“, etwa Eli Zaretsky, wenn er darüber schreibt, wie „die Psychoanalyse die Medizin eroberte“. Eli Zaretsky  : Freuds Jahrhundert. Die Geschichte der Psychoanalyse. Wien 2006, S. 410. 293 Horney war nach ihrer Migration in die Vereinigten Staaten zunächst Franz Alexanders Assistentin in Chicago und besuchte später mit Fromm in New York sozialwissenschaftliche Seminare. Als sie dort ihre eigene psychonanalytische Gesellschaft gründete, schloss sie schließlich Fromm aus, da dieser kein Medizinstudium vorweisen konnte. Vgl. Zaretsky, Freuds Jahrhundert, 410.

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das Ich zum Feld der therapeutischen Arbeit.294 Neurosen sind nicht länger Symptome eines unbewussten psychischen Konflikts, der seine Ursache in der frühen Kindheit hat, sondern Symptome eines moralischen Versagens, dessen Wurzeln in unmittelbarer zeitlicher Umgebung, im Erwachsenenalter, zu finden sind. Mit der Einführung einer moralischen Dimension wird gleichsam die Kategorie der Schuld miteingeführt und implizit dem Kranken zugeschoben, ein Umstand, der sich in Horneys Terminologie als „dürftige Ziele“ und „falsche Werte“ äußert.295 Freuds theoretische Vorgaben werden bis zur allgemeinen Verträglichkeit abgeschwächt, seine Positionen historisiert, sodass er, je nach Laune der Exegeten, bald als Opfer einer viktorianischen Sexualmoral, bald als artige Stütze des bürgerlichen Establishment seinen Auftritt hat.296 Was in unverbesserlicher Weise den ethischen Maßstäben entgegensteht, wird als Fehler herausgestellt und korrigiert. So auch die Sexualtheorie. 297 Bar jeder Triebhaftigkeit wandelt sich der Ödipuskomplex in der Fromm’schen Lesart zur bloßen Rebellion gegen die väterliche Autorität  ; die Mutterbindung wird als Sehnsucht nach dem paradiesischen Zustand erklärt. Mit seiner Annahme, dass als Hauptursache der Verdrängung nicht die Kastrationsangst zu gelten habe, sondern „die Angst vor der Isolation und vor der Ächtung“298, streicht 294 Die Hinwendung zum Ich ist eine Folge der Annahme, dass sich Freuds wenig schmeichelhafte Charakterisierung des Ich auf ein geschwächtes neurotisches Ich gründet. „Wenn wir Freuds Theorie vom ‚Ich‘ aufgeben“, schreibt Karen Horney und formuliert damit die Grundsätze einer Ich-stärkenden Therapie, „eröffnet sich für die psychoanalytische Therapie eine neue Möglichkeit. Solange das ‚Ich‘ seiner Natur nach nur als Diener und als Aufseher des ‚Es‘ aufgefaßt wird, kann es nicht selbst Gegenstand der Therapie sein. Therapeutisch muß man sich damit abfinden, zu erreichen, daß sich die ‚ungezähmten Leidenschaften‘ der ‚Vernunft‘ besser anpassen. Wenn dieses ‚Ich‘ in seiner Schwäche jedoch als wesentlicher Teil der Neurose betrachtet wird, dann muß es eine Aufgabe der Therapie werden, es zu ändern.“ Karen Horney  : Neue Wege in der Psychoanalyse. München 1977, S. 155. Als Begründer der Ich-Psychologie gilt Heinz Hartmann. 295 Jacoby, Soziale Amnesie, 67. 296 Bis zur Groteske treibt es Erich Fromm, der Freud als kriegsbegeisterten Deutschland-Fanatiker charakterisiert. Vgl. Fromm, Von der Kunst des Zuhörens, 55f. 297 Gegen das Kernstück der psychoanalytischen Lehre, den Ödipuskomplex, führt Fromm nicht nur scharfe Angriffe, sondern bringt gar die von Freud verworfene „Verführungstheorie“ wieder ins Spiel. „Als Freud in Berichten von Patienten hörte, daß diese verführt wurden – die Mädchen von ihren Vätern, die Jungen von ihren Müttern –, glaubte er zunächst, daß diesen Berichten wirkliche Vorkommnisse entsprachen“, schreibt Fromm und fügt süffisant hinzu  : „Und nach allem, was ich weiß, war dies vermutlich auch so.“ Fromm, Von der Kunst des Zuhörens, 56. 298 Erich Fromm  : Schriften über Sigmund Freud. Ausgew. v. Rainer Funk. Stuttgart 1989, S. 81.

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Fromm nicht nur die sexuelle Dimension des Unbewussten, sondern gleichsam die Psychoanalyse als gesellschaftskritische Theorie. Denn wenn das „Bedürfnis, mit anderen Menschen eins zu sein“, die „stärkste Leidenschaft“ des Menschen ist, muss gleichsam die Gemeinschaft, das in-die-Gesellschafteingebettet-Sein, das größte Glück bedeuten.299 In den meisten der Abmilderungen, Verwerfungen und Umwertungen treffen sich die Neofreudianer mit den Konzeptionen von Freuds Erzfeinden, vor allem mit der Individualpsychologie Alfred Adlers. Bei Adler ist das Es für tot erklärt, das Ich hingegen alles, die Neurose zeigt die Angst des Ichs vor der Gesellschaft an, die Sexualität ist für die Ätiologie der Neurosen nicht länger zuständig. Statt tief in die Vergangenheit zu blicken, kümmert man sich in der Therapie um die Gegenwart oder gar um die Zukunft  ; aus dem Neurotiker wird ein antisozialer Freak, und, die vielleicht einschneidendste Veränderung, aus der Gesellschaft, für deren Kritik Freud die Theorie bereitgestellt hat, wird eine ebenso angenehme wie schöne Gemeinschaft.300 Man kann behaupten, dass all das, was die gängigen Klischees als „amerikanisch“ präsentieren, vom Neofreudianismus aufs Positivste hin bedient wird  : das Versprechen auf Veränderung, Heilung und Erfolg, das Lob der Gemeinschaft, die Prüderie, die Annexion der Vergangenheit, der Blick in die Zukunft. In den Schriften der Neofreudianer vollzieht sich, so die zusammenfassende Feststellung von Russell Jacoby, ein „Wandel von einer Psychologie des Unbewußten zu einer des Bewußtseins, vom Es zum Ich, von der Sexualität zur Moral“.301 Der eigene Weg der amerikanischen Psychoanalyse schlägt einerseits eine Richtung ein, die sie zur medizinischen Sonderdisziplin werden lässt und gleichsam in den Schoß der Psychiatrie bettet  ; die Nähe zur Medizin verspricht erfolgreichere Heilung, die Nähe zur Psychiatrie wiederum führt zu einer verschärften Kontrolle über den Patienten. Andererseits zeigt der Neofreudianismus, der zwar weite Teile der Freud’schen Lehre übernimmt, andere jedoch stark vereinfacht oder als veraltet betrachtet, die Tendenz, eine psychische Erkrankung als soziales und moralisches Defizit zu begreifen sowie die Schuldfrage zur Hauptsache zu machen.302 299 Ebenda. Mit Fromms Charakterisierung von Freud („Freud war kein Mensch, der liebte.“ Und  : „Freud war ein einsamer Mensch.“) zeichnet er genau das Bild eines am Mensch-Sein Gescheiterten. Vgl. Fromm, Schriften über Sigmund Freud, 207f. 300 Das Gemeinschaftsgefühl ist der wichtigste Pfeiler von Adlers Individualpsychologie  ; vgl. Josef Rattner  : Alfred Adler  : Reinbek b. Hamburg 1972, S. 32–52. 301 Vgl. Jacoby, Soziale Amnesie, 51. 302 Spätestens seit den Sechzigerjahren ist in Europa, wenngleich nicht in der psychoanalytischen, so doch in der therapeutischen Praxis, der Einfluss der Neofreudianer größer als der Freuds.

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Die amerikanische Neudefinition der psychoanalytischen Theorie und Praxis ermöglichte eine Eingliederung in die soziale Organisation  ; vor allem die Mittelschicht der Nachkriegszeit wurde mit diesem Geist der Psychoanalyse gesättigt und von Heerscharen von neuen Berufszweigen wie Sozialarbeitern, Sozialtherapeuten, Eheberatern, Fachleuten für Sexualerziehung kontrollierend umsorgt. „Für das Selbstverständnis dieser neuen Schicht“, schreibt Eli Zaretsky, „war die Psychoanalyse ebenso bedeutend wie der Kalvinismus für die Pioniere des Kapitalismus.“303 Mit ihrem Bild des unbefriedigten, von tausend Wünschen erfüllten Menschen lieferte die Psychoanalyse auch die ideale seelische Disposition für die Massenkultur, die sich wiederum am psychoanalytischen Motivschatz – ödipalen Konstellationen, Schuldkomplexen, Trauma und Amnesie – fleißig bediente.304 Die Pest, die Freud einst nach New York schiffte, ist mutiert und bricht, am eindringlichsten, in den Vierzigerjahren an der Westküste aus.

Alptraumfabrik Hollywood Mit der Verfilmung von Hammetts The Maltese Falcon durch John Houston im Jahr 1941 beginnt das Phänomen dessen, was französische Kritiker 1946, als die Hollywoodfilme der vergangenen Jahre endlich Europa erreichen, als film noir bezeichnen. Im film noir, der mehr als eine Gattung einen Stil beschreibt, trifft eine Vielzahl von Strömungen zusammen. Den sichtbarsten Einfluss bringen deutsche und österreichische Filmschaffende, die vor den Restriktionen und Verfolgungen durch die Nationalsozialisten ins amerikanische Exil flüchten und in Hollywood Arbeit finden. Zu den bekanntesten gehören Otto Preminger, Max Ophüls, Fritz Lang, Robert Siodmak und Billy Wilder. Was sie aus Europa mitführen und in ihren Filmen umsetzen, ist das Erbe des Expressionismus  : das Spiel mit Licht und Schatten und überraschenden (Kamera) Perspektiven.305 Ein weiterer Einflussbereich stellt die hard-boiled school dar  ; sie liefert mit den Romanen Dashiell Hammetts, James M. Cains und vor allem Raymond Chandlers nicht nur Filmvorlagen, sondern auch einen Großteil der Themen und Motive  : die Großstadt, Korruption und Verbrechen, Gewalt und 303 Zaretsky, Freuds Jahrhundert, 205. 304 Vgl. Zaretsky, Freuds Jahrhundert, 207. 305 Vgl. hierzu  : Robert G. Porfirio  : No Way Out  : Existential Motifs in the Film Noir. In  : Alain Silver u. James Ursini (Hgg.)  : Film Noir Reader. New York 1996, S. 77–93. Hier  : S. 77.

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Einsamkeit. Den nachhaltigsten Einfluss allerdings übt die unmittelbare geschichtliche Situation, der Zweite Weltkrieg, aus. Das Gefühl von existentieller Unsicherheit und Bedrohung durch fremde Mächte bahnt sich seinen Weg in die Drehbücher und von dort auf die Leinwände.306 Hinzukommt die Traumatisierung und Identitätskrise der Kriegsheimkehrer, denen Heimat und Alltag unheimlich geworden sind und noch unheimlicher die Frauen. Weil sich der Staat, um die Wirtschaft funktionstüchtig zu halten, in Kriegszeiten gezwungen sieht, an die von Soldaten verlassenen Arbeitsplätze Frauen zu setzen, ist das Geschlechterverhältnis für die Heimgekehrten ein dumpfes Unbehagen. Hollywood nimmt diese Atmosphäre auf und setzt die männlichen Protagonisten Gefährdung und Unheil aus, einem Unheil, das nicht selten als personifizierte Weiblichkeit über sie hereinbricht.307 Vor der Taufe durch die Franzosen hießen die Filme realistic melodramas.308 Der Realismus bezieht sich vor allem auf die Darstellung der Nachtseite Amerikas. Wurden vor dem Krieg, während der Zeit der Depression, von den großen Studios mit wenigen Ausnahmen entweder Komödien oder pathosschwere Dramen produziert – Metro Goldwyn Mayer bringt mit der Formel Crime does not pay die Erwartungen des Vorkriegs-Publikums auf den Punkt – ändern die Studios noch während des Krieges ihre Strategie und produzieren vermehrt Filme, die von Verbrechen

306 Der Kalte Krieg wird diese Atmosphäre bis in die Achtzigerjahre hinein verlängern. 307 Elisabeth Bronfen schreibt dazu  : „Particularly central to noir’s sober view of American culture, trying to reassert a lost patriarchal order in peacetime are, of course, the veterans returning both to the workplace and the family they have left behind  ; not only because they found themselves confronted with women as the alleged ‚internal enemy‘, whom they had sought to escape from in the battle field in the first place. Rather, the impossibility of restituting the lost patriarchal order painted by film noir cinematically refigures the fact that the women to whom the war heroes were returning had become economically independent during the war.“ Eisabeth Bronfen  : Noir Hysteria. Figures of Masculinity in Crisis in Contemporary Hollywood Cinema. In  : Figurationen. Hg. v. Ines Kappert u. Barbara Naumann. Heft 1 (2002), S. 65–80. Hier  : S. 68. 308 „Spielfilmgenre, das auf triviale Handlung setzt, die Schicksalshaftigkeit des Lebens betont und den Zuschauer bis zur Gefühlsmanipulation emotional bewegt.“ Thomas Koebner  : Sachlexikon des Films. Stuttgart 2002, S. 377ff. Eine andere, differenzierte Definition bietet Žižek „[…] im Gegensatz zur Tragödie, die auf einem Verkennen oder Nichtwissen basiert, impliziert das Melodrama immer ein unerwartetes und exzessives Wissen, das nicht nur der Held besitzt, sondern sein/ihr anderer, das Wissen, das dem Helden ganz zum Schluss zuteil wird, in der finalen melodramatischen Umkehrung.“ Slavoj Žižek  : Die gnadenlose Liebe. Frankfurt a. Main 2000, S. 13.

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handeln.309 Neben düsteren Settings und zwielichtigen Gestalten setzt die Handschrift des film noir auf Psychologisierung  ; die dunklen Motivationen, welche die Menschen ins Unglück treiben, werden ausgeleuchtet, die Nachtseite der Seele, ihre Abgründe zum Vorschein gebracht. Mit The Maltese Falcon steht, inhaltlich gesehen, am Anfang der schwarzen Reihe gleich der untypischste film noir  : Spade ist zu sehr Held, und die Verbrecher sind als professionelle Gangster wenig charakteristisch, denn das beunruhigende Moment des Genres wohnt gerade dem Umstand inne, dass nicht nur der Mordanschlag normale Bürger trifft, sondern auch die Tat von Vertretern der Mittelklasse begangen wird.310 Als der herausragende Klassiker des film noir gilt Double Indemnity (1944).311 Raymond Chandler schrieb gemeinsam mit Billy Wilder, der auch Regie führt, das Drehbuch.312 Der Versicherungsangestellte Walter Neff aus Los Angeles verfällt den Lockungen der verheirateten Phyllis Dietrichson und wird zum Mörder ihres Ehemannes.

309 Zu den Ausnahmen gehörten Gangsterfilme, die das organisierte Verbrechen in den Mittelpunkt stellten, wie etwa Little Cesar (1931). Auch The Maltese Falcon wurde bereits 1931 ein erstes Mal verfilmt, jedoch ohne bleibenden Eindruck  ; die spätere Verfilmung durch John Houston hat die Erinnerung an die erste gänzlich ausgelöscht. 310 Charakteristisch aber ist der Rückgriff auf die Figur des Privatdetektivs. Weil auch die ermittelnde Instanz mitunter entweder machtlos gegenüber Verbrechern ist oder aber über die Maßen korrupt, scheint es, um Integrität und Absichten der Polizei nicht über Gebühr anzweifeln zu müssen, für viele Studios sinnvoll, auf einen Privatdetektiv als Verkörperung des fragwürdig gewordenen Gesetzes zurückzugreifen. Der lizensierte Schnüffler ist keine Institution, ist er brutal, wirkt der Verbrecher umso sympathischer  ; ist er unfähig, fällt kein Schatten auf die Polizei. Vgl. Raymond Durgant  : Paint It Black  : The Family Tree of the Film Noir. In  : Alain Silver u. James Ursini (Hgg.)  : Film Noir Reader. New York 1996, S. 37–51. Hier  : S. 45f. 311 Als Vorlage dient der gleichnamige Roman des hard-boiled Vertreters James M. Cain. Dem Buch zugrunde liegt ein tatsächlicher Mordfall. 1927 wurden Ruth Snyder und Henry Judd Gray wegen Mordes an Snyders Ehemann zum Tode verurteilt. Der Prozess war ein Medienereignis. Das Liebespaar stammte aus der Mittelklasse und bediente mit ihrem Auftreten alle einschlägigen Fantasien. Snyder wurde als femme fatale, als Tiger Woman beschrieben, Grey als sexuell höriger, verführter Mörder. Vgl. hierzu  : William Marling  : The American Roman Noir. Hammett, Cain, and Chandler. Athens 1995, S. 148–157. Auch Cains späterer Roman The Postman Always Rings Twice basiert auf dem Snyder-Gray-Fall. 312 Die erste Fassung des Drehbuchs, die Chandler innert kurzer Zeit allein niederschrieb, erntete von Wilder kein Lob. „This is shit, Mr Chandler“, lautete sein Urteil  ; die zweite Version verfassten der Schriftsteller und der Regisseur unter schwierigsten zwischenmenschlichen Bedingungen schließlich gemeinsam. Philip Kiszely  : Hollywood Through Private Eyes. The Screen Adaptation of the Hard-Boiled Private Detective Novel in the Studio Era. Oxford, Bern u.a. 2006, S. 136.

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Weil eine hohe Lebensversicherung mit im Spiel ist, wird ein Versicherungsdetektiv, der gleichsam Walters väterlicher Vorgesetzter ist, auf den als Unfall getarnten Mord angesetzt. Dem Druck der Ermittlung nicht gewachsen, entwickeln Walter und Phyllis immer mehr Misstrauen gegeneinander, das schließlich zu weiteren Morden führt  : Walter erschießt Phyllis, und Phyllis schießt auf Walter, der, tödlich verletzt, zu seinem Büro fährt und, ganz der bürokratischen Genauigkeit seines Berufsstandes verpflichtet, die Geschichte seines Verbrechens auf ein Diktafon spricht. Da die Filmhandlung als Rückblende vom sterbenden Walter erzählt wird, identifiziert sich das Publikum mit dem Mörder, die Unmoral wird verziehen und in Tragik umgewandelt. Die verhängnisvolle Objektwahl der männlichen Protagonisten, die Liebe zur Unglück bringenden Frau, ist die psychische Antwort auf neue gesellschaftliche Tatsachen  : Die durch die kriegsbedingte Abwesenheit der Männer erfolgte Erstarkung des weiblichen Selbstbewusstseins führt zu einer Krise des männlichen Ichs. Für das Bild der Frau, das der unsicher gewordene männliche Blick nun formt, sind die Konsequenzen im Wortsinne fatal. Geschaffen wird die personifizierte Verführung  : eine Frau, die mit Schönheit lockt und mit dem Tod belohnt. Mit dem bekanntesten Typus des weiblichen Verbrechers, dem Vamp, wird endlich auch das fleischgewordene Zeichen der Pest, die Freud über das Land gebracht hat, sichtbar.313 Die blutsaugerische femme fatale mit kaltem Herzen, die für ihre dunklen Ziele die Schwäche willenloser Männer ausnützt, ist das personifizierte Lustprinzip  ; unmoralisch, triebgesteuert, schwemmt sie die männliche Selbstkontrolle weg und installiert stattdessen sexuelle Hörigkeit. Die Nachtseite des Begehrens, die dunklen Wünsche, die ganze Unterwelt der Gefühle und die monströse Fratze, die erfüllte Fantasien in der Wirklichkeit zu zeigen pflegen – all die Düsternis der menschlichen Abgründe wird auf die Leinwand gebannt. Es sind Geschichten von Übertretungen, Verbotsverletzungen, von unerträglichen Anziehungen und brutalem Scheitern. Am Anfang der Handlung befindet sich die Welt im scheinbaren Gleichgewicht, und etwas, das aussieht wie das pure Glück, hat seinen Auftritt  ; dann beginnen die tödlichen Verwicklungen und mörderischen Verstrickungen, und die Verdunkelung des Lebens, die einsetzt, um ins Katastrophische anzuwachsen, erkennt der Held am Ende als die schreckliche Ausgeburt seines eigenen Ichs. Hier bohrt sich der Todestrieb seinen Weg, hier regiert das Lustprinzip, hier zeigt sich die Brüchigkeit der dünnen Zivilisationsdecke, 313 Vamp ist eine „Verniedlichung“ von Vampir. Vgl. hierzu  : Otto Hügel (Hg.)  : Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien, Diskussionen. Stuttgart, Weimar 2003, S. 457–460.

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die die mörderischen Impulse schmuckvoll verhüllt. Der tragische Ausgang der Geschichten führt die von der konventionellen Moral diktierte Bestrafung zwar mit sich, doch mag sie die Faszination, die der weit geöffnete Abgrund ausstrahlt, nicht zu bändigen. All die mörderischen Dimensionen der Kultur, die tödliche Kehrseite der menschlichen Beziehungen, die die Neofreudianer aus der psychoanalytischen Theorie verbannten, finden sich im film noir in einer unheimlichen Dichte versammelt. Von ödipalen Konstellationen geht eine dunkle Gefahr aus, für ehrgeizige Ziele werden Menschen aus dem Weg geräumt, und hinter der Erfüllung der sexuellen Triebe warten Aggression und Gewalt. Trotz der fröhlichen Weltbejahung der amerikanisierten Psychoanalyse ist deren Darstellung in den Hollywood-Filmen ab den Vierzigerjahren dunkel eingefärbt. Die Institution, berufen, kranke Menschen zu heilen, geht in vielen Filmen eine enge Beziehung mit dem Verbrechen ein. Dies ist weniger der negativen Anthropologie Freuds geschuldet als vielmehr dem unheimlichen Geschäft der Hypnose, über das die Psychoanalyse mit dem Mesmerismus verknüpft ist.314 Als Abkömmling dieser schwarzen Genealogie fällt dem Psychoanalytiker die Rolle eines heimtückischen Zauberers zu, der dem Patienten den eigenen Willen aufzwingt.315 Das eindringlichste Beispiel dieses dunklen Erbes liefert Maxwell Shanes Nightmare aus dem Jahr 1956.316 Stan Grayson, Musiker einer Big Band in New Orleans, träumt, dass er einen ihm unbekannten Mann umbringt. Als er aufwacht, bemerkt er Blut an seinen Händen sowie einen Schlüssel, der in seinem Traum eine Rolle spielt. Über das Unerklärliche entsetzt, sucht er seinen Schwager Rene, einen Polizeikommissar, auf, der Grayson jedoch nicht Ernst nimmt. Als ein gemeinsamer Picknickausflug mit ihren Frauen sie zufällig zu jenem unheimlichen Haus führt, das in Graysons Traum Schauplatz des Mordes ist, nimmt Rene, endlich überzeugt, die Ermittlungen auf. Die Auflösung des Falles ergibt schließlich, dass Bellknap, ein Bekannter von Grayson, diesen hypnotisiert und zu seinem Haus gefahren hat und ihn dort den Liebhaber seiner Frau ermorden ließ. Der Schlüssel zur Lösung findet sich im Bücherregal Bellknaps  ; als Rene in der Sammlung von 314 Vgl. hierzu  : Henri F. Ellenberger  : Die Entdeckung des Unbewußten. Geschichte und Entwicklung der dynamischen Psychiatrie von den Anfängen bis zu Janet, Freud, Adler und Jung. Zürich 2005, S. 89ff. 315 Das eingängigste Porträt eines Psychiaters, der seine hypnotischen Fähigkeiten missbraucht, liefert Fritz Langs Dr. Mabuse (1922). 316 Regie  : Maxwell Shane. Der Film basiert auf der gleichnamigen Geschichte von Cornell Woolrich. Shane hat bereits 1947 denselben Stoff unter dem Titel Fear in the Night verfilmt.

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Kapitel 3  : Holmes, Freud, Amerika

Bänden Freuds Studien über Hysterie317 entdeckt und ein wenig darin blättert, wird ihm klar, dass dies das Lehrbuch des Verbrechers gewesen sein muss  ; denn in den Studien über Hysterie wird im Rahmen der Behandlung von Hysterikerinnen die Hypnosetechnik beschrieben. Und obwohl Freud selbst kurz darauf die Hypnose verworfen und die Gesprächsanalyse entwickelt hat, steht sein Name gleichsam als Chiffre für Seelenmanipulation  ; der Vater der Psychoanalyse trumpft hier, ganz in der Tradition eines Cagliostro oder Mesmer, als Hypnose-Lehrmeister auf und stellt ein Werk bereit, das als Leitfaden für Verbrecher dient.318 In Fritz Langs The Woman in the Window (1944) lernt ein Psychologe die ihm in der Theorie bekannten Abgründe der Seele als persönliche Erfahrung kennen. Professor Wanley, der an der Universität eine Vorlesungsreihe über das Schuldbewusstsein von Mördern hält, eröffnet sich unerwartet die Möglichkeit einer außerehelichen Affäre mit der attraktiven Alice. Als sich die beiden mit eindeutigen Absichten in das Appartement von Alice zurückziehen, kommt es mit dem plötzlich auftauchenden cholerischen Rivalen zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, welche diesen das Leben kostet. Anstatt die Polizei zu verständigen, entschließt sich Wanley, die Leiche verschwinden zu lassen und muss in der Folge erleben, wie ein mit ihm befreundeter Kommissar immer tiefer in sein Geheimnis dringt. Hier zeigt sich nicht der geschulte Psychologe, sondern der Polizist als begabter Seelenforscher. Zwar stellt sich die Mordgeschichte am Ende als ein von einer rechtschaffenen Seele geträumter Traum heraus  ; doch die Beruhigung, die sich aus dieser Tatsache ergibt, ist nur eine oberflächliche. Denn, so Slavoj Žižek, „[w]enn wir in der Realität aufgewacht sind, meinen wir, ‚es seien doch nur Träume gewesen‘, und machen uns damit […] für die Tatsache blind, daß wir ja im Wachzustand nichts anderes sind als genau das ‚Bewußtsein dieser Träume.“ � Genau diese Einsicht macht der Film am Ende auf ironische Weise deutlich, wenn Wanley, ähnlich wie in seinem mörderischen Traum, von einer schönen Unbekannten um Feuer gebeten wird und mit einem Ausruf des Entsetzens die Flucht ergreift.

317 Freud hat die Studien 1895 gemeinsam mit Breuer herausgegeben. 318 Freud als Chiffre für Psychiatrie zu verwenden, ist immer noch ein gängiges Mittel. Im ActionThriller Color of Night, in dem Bruce Willis einen Psychiater spielt, greift der Held ins Regal, um in einem Buch zu blättern, auf dessen Umschlag dem Zuschauer ein Porträt Freuds entgegenblickt. USA 1994. Regie  : Richard Rush.

Am Anfang war der Mord

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Während im film noir die gemeinsame verbrecherische Tat Mann und Frau als Paar verbindet, ist es im klassischen Melodram das romantische Gefühl. Zu letzterem Genre zählt Hitchcocks Spellbound (1945), ein Film, in dem Psychoanalyse, Verbrechen, Schuldkomplex und Amnesie kunstvoll miteinander verbunden sind.319 Als Setting dient eine psychiatrische Anstalt, die Handlung rankt sich um einen Mord, um Identitätsverlust und um ein junges Liebespaar auf der Flucht. Die Darstellung der Psychoanalyse ist ambivalent  : Zum einen stellt sich der gesuchte Mörder am Ende als der Leiter der Psychiatrischen Klinik heraus, zum anderen leistet gerade die Psychoanalyse in Form von Gesprächstherapie und Traumdeutung einen großen Teil der Aufklärungsarbeit. Allerdings trägt den triumphalen Sieg über Trauma und Verbrechen am Ende die Liebe davon  ; der von Ingrid Bergmann gespielten Dr. Peterson gelingt paradoxerweise die Auflösung des Falles nicht unbedingt, weil sie Psychoanalytikerin ist, sondern weil sie eine verliebte Psychoanalytikerin ist. Einen gewaltigen Niederschlag findet die Psychoanalyse auch in der hardboiled detective school. Der Einfluss, den sie ausübt, zeigt sich dort am deutlichsten, wo man ihn, den Klischees die Treue haltend, am wenigsten vermutet  : in der detektivischen Methode.

319 Žižek, Liebe Dein Symptom wie Dich selbst  !, 115.

Kapitel 4  : Sam Spade, Philip Marlowe

Der Schuss ins Blaue „Ich glaube gar nichts. Das war nie meine Schwäche.“ (Walter Serner, Die Tigerin) „A little less conversation, a little more action, please.“ (Elvis Presley, A Little Less Conversation)

„Perhaps“, schreibt Edward Margolies in seiner Arbeit über die hard-boiled Detektive, „we should begin by saying that the detective story is one of the most ‚American‘ of literary forms.“320 Den wohl amerikanischsten aller Beiträge zum mörderischen Genre stellt die hard-boiled detective school dar. Auf den ersten Blick hin ganz gegen die angelsächsische Clou-Puzzle-Tradition gebaut, welcher Conan Doyle den fruchtbarsten Boden bereitet hat, reichen ihre Wurzeln bis tief in das ur-amerikanische Genre der Western-Saga hinein, in der individuelles Abenteuer und persönliche Freiheit gefeiert und das gespannte Verhältnis zwischen Außenseitertum und Gemeinschaft verhandelt werden. Mit seiner Eigenschaft als einsamer Kämpfer, der vom Rand der Gesellschaft in deren Ordnung hineinwirkt, ist der Detektiv der hard-boiled school nach den Umrissen des frontier man gezeichnet.321 Als ein begnadeter Fährtenleser und Kenner der Wildnis und der Wilden lebt dieser an der ausgefransten Siedlungsgrenze, hält sich, aus persönlicher Freiheitsliebe und weil er die Kehrseite der Zivilisation kennt und fürchtet, von Menschen und Städten fern und sieht sich, um den Abstand zu den Siedlern halten zu können, gezwungen, immer tiefer in die Wildnis vorzudringen. Auf diese Weise aber bereitet er der Zivilisation erst den Weg und hilft den nachrückenden Massen, die Siedlungsgrenze immer weiter nach Westen zu schieben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht dem einsamen Jäger schließlich die Beute aus. In Kalifornien, wo der Pazifik den Westen enden lässt, steigt er vom 320 Spellbound gilt als der erste „Psychoanalysefilm“. Vgl. hierzu  : François Truffaut  : Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht  ? München 2003, S. 154ff. 321 Edward Margolies  : Which Way Did He Go  ? The Private Eye in Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Chester Himes, and Ross Macdonald. New York, London 1982, S. 4.

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Pferd und tauscht es gegen ein Auto ein.322 Der Großstadtdschungel wird nun zu seinem Revier. „With fewer and fewer animals to hunt and rustlers and Indians to shoot“, schreibt Margolies, „the western hero turned to the city to pursue other prey. No longer a lone ranger of sorts, he became a private eye – still outside organized society, but curiously trapped inside as well.“323 Seine Haltung gegenüber der Stadt, die er früher gemieden hat, bleibt ambivalent, sein Status als Außenseiter erhalten. Zwar lebt er nun unter Menschen, aber doch nicht wie andere Menschen  ; er verliebt sich nicht kopflos, heiratet nicht, hat keine Kinder, kaum Eltern, keine Cousinen, keine Freunde  : es fehlt nicht nur zur Gänze die Familie, sondern, ganz allgemein, das soziale Netz. Seinen Lebensunterhalt verdient er, indem er die in der Prärie geschliffenen Fähigkeiten zu Geld macht  : als Privatdetektiv nimmt er die Fährte vermisster Personen auf, verfolgt Ehebrecher und jagt Kriminelle. Mit diesem alten, wilden Erbe tritt der hard-boiled detective gegen die geistreichen englischen Ermittlerfiguren von Agatha Christie, G. K. Chesterton oder Dorothy Sayers an, die auch den zeitgenössischen amerikanischen Autor S. S. Van Dine zu seinen akrobatischen Philo-Vance-Romanen inspirierten. Zwar verdankt der neue detektivische Typus mit seiner ironischen Attitüde und seinem persönlichen Gerechtigkeitsverständnis den Briten, allen voran Conan Doyle, ebenso viel Lebenskraft wie dem einsamen Westerner, doch spätestens seit Raymond Chandlers Essay The Simple Art of Murder (1944) wird er als kaltschnäuziger Totengräber der „britischen Schule“ gefeiert. Tatsächlich konstruiert Chandler die Ermittlerfiguren der hard-boiled school als amerikanische Antwort auf die kopflastigen und skurrilen Detektive des Vereinigten Königreiches, die in seiner Lesart zur personifizierten Lächerlichkeit schrumpfen  ; bemängelt wird das stete Zurückgreifen auf das immergleiche, ausgebleichte Muster, das aus scheinbarer Logik und toter Deduktion geschneidert ist. Dass es gerade mit der Logik nicht weit her ist, demonstriert Chandler ironischerweise dadurch, dass er selbst in die Rolle eines Detektivs schlüpft und mit einer von Poirot geborgten, besserwisserischen Attitüde, die sich der Logik (!) verpflichtet fühlt, den Autoren mit gestrecktem Zeigefinger die Widersprüche und Unmöglichkeiten in der Plotkonstruktion vorrechnet. In seiner scharfzüngigen 322 Der frontier man gilt auch als Vorbild für den Italo-Western der Sechzigerjahre wie auch für den Action-Helden des New Hollywood Cinema in den Siebzigerjahren. 323 Dies allerdings nur, sofern es sich nicht um den unglücklichen Westerner handelt, der auf seinem Weg durch die Wüste von einem der ersten Automobile überfahren wird. Vgl. The Ballad of Cable Hogue. USA 1970. Regie  : Sam Peckinpah.

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Kritik feuert er vor allem gegen die Künstlichkeit der dargestellten Verbrechen, die wahrscheinlich mit Agatha Christie nicht nur ihren höchsten Gipfel, sondern ebenso ihren toten Punkt, den endgültigen Leerlauf, erreicht hat. „But fundamentally“, heißt es mit effektvoll unterdrücktem Gähnen, „it is the same careful grouping of suspects, the same utterly incomprehensible trick of how somebody stabbed Mrs Pottington Postlethwaite III with the solid platinum poniard just as she flatted on the top note of the Bell Song from Lakmé in the presence of fifteen ill-assorted guests.“324 Solch elaborierte Mordszenarien siedeln für Chandler in der größtmöglichen Entfernung zu jedwedem Plausibilitäts- und Wirklichkeitsbegriff, und so überrascht es nicht, dass die Scheidewand, die er zwischen der angelsächsischen Tradition und der hard-boiled detective school hochzieht, die unsichtbare Grenze zwischen unwirklicher, gekünstelter und realistischer Darstellung markiert. Bemerkenswerterweise betrachtet ausgerechnet der literarischste unter den Krimiautoren seinen Realismusbegriff nicht durch das Spektralglas der Fiktion, sondern entlehnt ihn der sogenannten Wirklichkeit. Chandlers Essay mit seinen grotesken Übertreibungen dient der Rezeption in der Folge als Richtschnur. Es handelt sich, wie Stephen Knight feststellt, um den seltenen Fall, dass die Literaturwissenschaft die Eigensicht eines Autors vorbehaltlos zur Gänze übernimmt.325 Das Schlagwort „Realismus“ und das stereotyp herausgestellte Charakteristikum der Männlichkeit, das die hartgesottenen Detektive so vorteilhaft von ihren vermeintlich effeminierten europäischen Kollegen abhebt, gehört fortan zur Wesensbestimmung der amerikanischen Schule. „He must be a complete man“, schreibt Chandler über den neuen detektivischen Helden, der seine prägendste Verkörperung nicht in der literarischen Figurenzeichnung, sondern in Humphrey Bogart gefunden hat, der die beiden berühmtesten Ermittler der neuen Ära, Sam Spade und Philip Marlowe, mit der ihm eigenen melancholischen Coolness spielte. Über Bogarts Schauspielkunst schreibt Chandler in einem Brief  : „[…] Bogart can be tough without a gun. Also he has a sense of humor that contains that grating undertone of contempt.“ 326 Trotz ihrer Beschwörung wohnt die Wirklichkeitsnähe weniger der Gestalt des hartgesottenen Privatdetektivs als vielmehr der Darstellung der Polizei inne. Den ausgeklügelten Mordmethoden in den Sayers- oder Christie-Romanen hält Chandler die „realistische“ Arbeit der Gesetzeshüter entgegen  : 324 Margolies, Which Way Did He Go  ?, 6. 325 Chandler, The Simple Art of Murder, 190. 326 Knight  : Crime Fiction, 1800–2000, 111.

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„The boys with their feet on the desks know that the easiest murder case in the world to break is the one somebody tried to get very cute with  ; the one that really bothers them is the murder somebody only thought of two minutes before he pulled it off. But if the writers of this fiction wrote about the kind of murders that happen, they would also have to write about the authentic flavour of life as it is lived. And since they cannot do that, they pretend that what they do is what should be done.“327 Tatsächlich setzt die hard-boiled detective school der demütigenden Rolle der Polizei als „dummer August“328 ein Ende  ; die institutionellen Ermittler dürfen, wenngleich in zuweilen bescheidenem Maße, Intelligenz und Schlagkraft besitzen und ab und an einen Erfolg verbuchen. Der ausführliche Rekurs auf die Tätigkeit der Polizei ist auch einer neuen Verwandtschaft geschuldet, denn der hartgesottene Typus des Privatdetektivs ist dem institutionellen Vertreter auf den ersten Blick wie aus dem Gesicht geschnitten. Indem die Autoren der hard-boiled school die Unterschiede zusammenstreichen, verabschieden sie sich von den Extremen der Stumpfsinnigkeit und des Genialischen  ; es gibt keine weitschweifigen Belehrungen mehr, keine geschwungenen Backpfeifen, keinen gezwirbelten Schnurrbart, keine effektvollen Auftritte, sondern nur mehr den schlichten Anzug und dieselbe wortkarge, trockene Art. Aus diesem Grund hört der Privatdetektiv die Frage  : „You’re a policeman, aren’t you  ?“329 häufig  ; der Unterschied zwischen dem „Schnüffler“ und der Institution ist kein ins Auge fallender mehr – der verbeulte Buick eifert dem Dienstwagen nach, die Lizenz ähnelt der Dienstmarke. Während die Oppositionen äußerlich abgebaut werden, wird der innere Gegensatz jedoch radikal intensiviert. „I have a licence to operate as a private detective,“ erörtert Marlowe seine Position gegenüber der Polizei. „I suppose that word ‚private‘ has some meaning.“330 Aber welche Bedeutung  ? „Privat“ 327 Chandler, The Simple Art of Murder, 198. Humphrey Bogart ist in John Houstons Verfilmung von The Maltese Falcon (1941) als Sam Spade zu bewundern und als Philip Marlowe in Howard Hawks The Big Sleep (1946). Raymond Chandler  : Selected Letters of Raymond Chandler. Hg. v. Frank MacShane. New York 1987, S. 75. 328 Chandler, The Simple Art of Murder, 191. Die heftigsten Angriffe führt Chandler gegen Dorothy L. Sayers, die im (ebenso selbstgebastelten) Rufe steht, mit ihrem Spätwerk den britischen Detektivroman von Marionettenfiguren befreit und mit wahrhaftigen, lebensechten Protagonisten beschenkt zu haben. Sie hat, folgt man Wölcken, den Schritt von der nur konstruierenden zur „psychologischen Erzählung“ getan. Wölcken, Der literarische Mord, 282. 329 Wölcken, Der literarische Mord, 131. 330 Ross Macdonald  : The Goodbye Look. New York 1984, S. 12.

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begegnet hier in seiner gesamten semantischen Spannbreite  : als Vereinzelung, als Absage an repräsentative Zwecke, als Verweis auf Persönliches und Vertrautes, nicht nur im Umgang zwischen Ermittler und Klienten, sondern vor allem in der Behandlung des Auftrags und Ermittlungsgegenstandes. An diesem Punkt grenzt „privat“ an die dunklen Bezirke des Geheimen und Diskreten. Die Auftraggeber sind, anders als bei Conan Doyle, keine verzweifelten Seelen, die der Polizei Unterstützung und Aufklärung nicht zutrauen und in Holmes ihren einzigen Retter und Rächer sehen, sondern Menschen mit Geheimnissen, denen aus urpersönlichen Motiven daran gelegen ist, dass der Mantel des Schweigens sich nicht lüftet. Genau diese Eigenschaft der Verschwiegenheit verbürgt der Privatdetektiv mit seiner Berufsbezeichnung, denn „privat“ bedeutet auch  : nicht offiziell, nicht öffentlich und damit der staatlichen Kontrolle entzogen. Es ist dieser Aspekt der Bedeutung, der den privaten Ermittler zum Gegenpol der Polizei werden lässt – nicht weil er eine Überlegenheit gegenüber der Polizei verkörpert, sondern weil er in seine Verschwiegenheit sein Verhältnis zu den Behörden mit einschließt  ; die Loyalität zu seiner Klientel, hinter welcher der Privatdetektiv seinen eigenen Feldzug verbirgt, gerät der Polizei zum permanenten Ärgernis. Ein letztes Bedeutungsfeld verbindet das Private schließlich mit dem Familiären und Häuslichen  ; im Laufe der Jahrzehnte werden sich die Nachforschungen immer mehr von der organisierten Kriminalität ab- und den sozialen Beziehungen zuwenden, bis die Familie endlich zum Hauptermittlungsfeld wird. Die Außenseiterposition des Detektivs bleibt als altes Erbe erhalten. Doch auch hier klafft ein entscheidender Unterschied zu den Vorgängern  : Während die Meisterdetektive zumeist ungefährdet vom geistig erhöhten Rand aus die Gesellschaft überschauen, befindet sich der hard-boiled Ermittler in der Gesellschaft, in deren Lockungen und Abgründe verstrickt. Die permanente Gefährdung der detektivischen Integrität, die rabenschwarze Sicht auf den Preis des gesellschaftlichen Aufstiegs, die sarkastischen Ausführungen über Macht und Gesetz versehen die Romane der amerikanischen Schule mit dem Etikett der Sozialkritik. Der Kriminelle tritt nicht mehr als eine Abart des braven Bürgers auf, nicht als zivilisatorischer Rückschritt, nicht als geborener Verbrecher, sondern als gezielt hergestelltes Produkt der gesellschaftlichen Zustände. Fern von atavistischen Rückfällen und in sicherem Abstand zum Konzept des absoluten Bösen illustrieren die Kriminellen sowohl die Nachtseite als auch die gewaltsame, tödliche Bedingtheit der gesellschaftlichen Ordnung.

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Sam Spade  : Jedermann, knallhart Der hard-boiled detective taucht in den Pulp-Magazinen der frühen Zwanzigerjahre zum ersten Mal auf.331 Als eine Kreation der Prohibitionszeit leuchtet er als deren strahlende Kehrseite. Er ist, in einer großzügigen Deutung, die Antwort auf die Frage, wie ein Held beschaffen sein muss, damit er gegen eine korrupte Gesellschaft bestehen und dem Lockruf des großen und schmierigen Geldes widerstehen kann. Die Historie möchte, dass Dashiell Hammett als Begründer der hard-boiled school gilt  ; es gab andere vor und neben ihm, aber er ist der bekannteste, und der Kanon sagt  : der beste.332 Auch diese prägnante Setzung Hammetts als Ausgangs- und zugleich Höhepunkt der Entwicklung geht auf Chandler zurück. „Hammett“, schreibt er in The Simple Art of Murder, „took murder out of the Venetian vase and dropped it into the alley  ; […]. [He] gave murder back to the kind of people that commit it for reasons, not just to provide a corpse  ; and with the means at hand, not hand-wrought dueling pistols, curare and tropical fish. He put these people down on paper as they were, and he made them talk and think in the language they customarily used for these purposes.“333 Tatsächlich ist der gepriesene Realismus Hammetts vor allem einer der Sprache  : die Dialoge sind in der Umgangssprache geschrieben, durchsetzt mit hartem Gaunerjargon, der der Darstellung des Verbrechens, das ganz den Geist der Prohibition atmet, geschuldet ist. In seinen frühen Romanen wird ein finsteres Machtsystem gezeichnet, an dessen Schalthebeln Berufsgangster, korrupte Politiker und Schwerreiche sitzen, die das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ganzer Städte kontrollieren. Von einer solchen Stadt,

331 Raymond Chandler  : The Big Sleep. Harmondsworth 1976, S. 110. 332 Die hard-boiled school verdankt ihre Verbreitung vor allem der Zeitschrift Black Mask, die 1920 in San Francisco gegründet und unter der Leitung des späteren Herausgebers Joseph Straw zum Hauptorgan der hard-boiled Autoren wurde. Vgl. hierzu  : Margolies, Which Way Did He Go  ?, 11–13. 333 Vor Hammett hat Carroll John Daly mit Terry Mack und Race Williams zwei hartgesottene Detektive geschaffen. Vgl. Schmidt  : Gangster, Opfer, Detektive, 113. Alexander N. Howe erklärt den Triumph von Hammetts Detektiven über Race Williams mit zwei Neigungen, die sich in der hard-boiled school nicht durchzusetzen vermochten  : „He enjoys both violence and women“, schreibt er über Williams. Wenig überraschend gehört Mickey Spillane zu den großen Bewunderern Dalys. Alexander N. Howe  : It Didn’t Mean Anything. A Psychoanalytic Reading of American Detective Fiction. Jefferson, London 2008, S. 67.

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Personville334, und dem Feldzug eines Detektivs gegen ihre Besitzer handelt Hammetts gewalttätigster Roman Red Harvest (1929).335 Um gegen den neuen Typus des Verbrechers bestehen zu können, muss die neue Ermittlerfigur aus einem ähnlichen Holz geschnitzt sein. Dies bedeutet gleichsam den Tod des detektivischen Bildungsbürgers, des schöngeistigen Amateurs sowie den Tod des fantasievollen und geistreichen Verbrechers, die in der angelsächsischen Schule zum festen Inventar gehörten. Auch diese Veränderung wird unter dem Schlagwort des Realismus verbucht. Was in den Holmes-Geschichten bereits angedeutet wird – die Brüchigkeit des Rationalitätsglaubens, der einzig durch handfesten Aktionismus wieder gekittet werden kann – tritt hier als Scherbenhaufen zutage  : Nicht der Geistvollere, sondern der Kaltblütigere, Durchtriebenere gewinnt. Beide, Rechtsbrecher und Detektiv, haben bei ihrem Auftauchen in Hammetts Geschichten den Wandel vom idealistischen Rationalisten zum wertearmen Arbeiter zur Gänze vollzogen. In ihrem Vorgehen unterscheiden sie sich kaum voneinander  : Der Gebrauch von Fäusten, Revolvern und sarkastischen Bemerkungen wird für beide Seiten zur Verpflichtung. Und doch muss es Unterschiede geben, die dem Detektiv schließlich die Überlegenheit gegenüber Polizei und Verbrechern sichern. Diese neue Überlegenheit äußert sich zum einen als Unerschrockenheit, die ein Mann aufzubringen hat, an dessen Beruf die ganze Existenz hängt. So ist das Ethos des detektivischen Helden ein im eigentlichen Sinn des Wortes professionelles. Er ist Alleinunternehmer  : verliert er seine Lizenz, verliert er sein Einkommen, verliert er alles. Auch aus diesem Grunde schaut er dem Tod oft und tief in die Augen, wenn er einen Fall zur Auflösung bringt. Zur Unerschrockenheit gesellt sich die Tugend der Unbestechlichkeit, die als innerer Schutzschild gegen die Lockungen des Geldes fungiert und den Detektiv, trotz seiner gewalttätigen Seite, zum Gesetzestreuen adelt. Doch auch mit dieser tugendhaften Rüstung taugen Hammetts Privatdetektive wenig als Stützbau für die geläufige Interpretation des hard-boiled detective als ehrgeizige Personifikation des Traumes vom rechtschaffenen Kämpfer gegen die Schlechtigkeit der Welt.336

334 Chandler, The Simple Art of Murder, 194f. 335 Der Detektiv wie auch die Bewohner nennen die Stadt „Poisonville“. 336 Bezeichnenderweise berufen sich auf Hammett nicht nur die Großen der Gilde, sondern auch die Anhänger der violence-is-fun-technique, allen voran Mickey Spillane. Dies ist deshalb möglich, weil Hammett vor allem in seinen frühen Werken das Blut hat fließen lassen. In Red Harvest zum Beispiel, der Titel lässt es bereits erahnen, kommt, wer mitzählt, am Ende auf 26 explizit erwähnte Leichen.

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Bereits 1974 hat William Ruehlmann in seiner eleganten Studie Saint with a Gun die vermeintliche Superman-Attitüde der hartgesottenen Ermittler verworfen und an deren Stelle eine widersprüchliche Persönlichkeit entdeckt, die sich zwischen Heldentum und „moralischem Horror“337 erstreckt. Aus Sicht des Lesers trifft auf den frühen hard-boiled detective zu, was Patricia Highsmith einst generell über männliche Ermittlerfiguren äußerte, nämlich dass sie skrupellos und brutal sein können und dennoch als Helden beliebt sind, „weil sie nach etwas auf der Jagd sind, das vermutlich noch übler ist als sie selbst“.338 Ganz in der Tradition der herkömmlichen Detektivgeschichte führt Hammett in seinen Romanen einen biografielosen, beziehungsarmen Ermittler ein, der dem Leser jedoch nicht als exzentrischer Außenseiter, sondern als Durchschnittsmensch präsentiert wird. „His sloppy physique (he is five feet six, 190 pounds) and quotidian habits (he drinks, counts his pennies, uses slang, likes women, boxing, and cigarettes)“, schreibt William Marling, „signal an Everyman.“339 Die Anonymität, das Durchschnittsdasein, ermöglicht dem Detektiv aber gerade das Knüpfen von sozialen Beziehungen  ; weil er als ein „Niemand“ erscheint, kann er seine Rolle innerhalb eines Falles stets verändern, ohne sie zu definieren. Was bei Sherlock Holmes aufwendige Verkleidung und Verstellung war, begegnet in Hammetts Romanen als Leerstelle, die einzig der Handlungsverlauf mit vager Bedeutung anzufüllen vermag. Trotz der herausgestrichenen Durchschnittlichkeit ist der hard-boiled Ermittler aber vom grauen Mittelmaß, das Jahrzehnte später in die Detektivliteratur hereinbrechen wird, weit entfernt. Hammett, später überzeugter Marxist, hat selbst einige Jahre lang für das berüchtigte Detektivbüro Pinkerton gearbeitet.340 Der Legende nach verlässt er 337 Vgl. etwa Nusser, Der Kriminalroman, 127  : „[…] Dies war die Grundlage für den Wunsch nach moralisch sauberen ‚tough guys‘, die sich wirkungsvoll gegen die herrschende Korruption auflehnen würden. Das ‚Black Mask‘-Magazin reagierte darauf und schuf genau diesen Typ des Helden, den ‚hartgesottenen‘ Privatdetektiv, eine Transformation des Superman […] in einen realistisch [!] gezeichneten Kämpfer für Recht und Ordnung.“ 338 William Ruehlmann  : Saint with a Gun. The Unlawful American Private Eye. New York 1974, S. XVI (Vorwort). 339 Patricia Highsmith, zit. nach Tintenfaß. Das Magazin für den überforderten Intellektuellen. Nr. 24  : Verbrechen, die sich lohnen. Zürich 2000, S. 112. 340 Vgl. hierzu  : William Marling  : The American Roman Noir. Hammett, Cain, and Chandler, Athens 1995, S. 107. Marling versteht den Durchschnittsmenschen als nostalgische Fantasie  : „His commonness and anonymity are a nostalgic assertion that America is still homogeneous

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die Agentur, als er den Auftrag erhält, einen Gewerkschaftsführer umzubringen und beginnt zu schreiben. Was er bei Pinkerton gesehen und gelernt hat, schlägt sich in der Hammett’schen Prosa als Härte und Lakonie nieder. „A bullet kissed a hole in the door-frame close to my noodle“, heißt es mit zynischer Poesie im Angesicht des Todes.341 In Red Harvest arbeitet der PinkertonErmittler nicht nur gegen die Interessen der eigenen Organisation, sondern verwandelt seine Mission im Laufe der Geschichte von einer beruflichen Aufgabe in einen persönlichen Rachefeldzug.342 Um die Stadt vom Verbrechen zu reinigen, inszeniert der Detektiv einen Streit unter Gangsterbossen und bezieht dann, von kleinen aktionistischen Ausnahmen abgesehen, die allesamt unter Gesetzesbruch zu verbuchen sind, den Posten eines Beobachters, der mit Vergnügen die blutigen Fehden betrachtet, die er selbst angerichtet hat. Die lakonische Bemerkung  : „Somebody’s got to stay here to count the dead“343, bietet die gelungene Illustration der detektivischen Tätigkeit. Obwohl in der Charakterisierung des hartgesottenen Ermittlers gern Aktivität, Handlungsfähigkeit und Schlagkraft herausgestrichen werden, fassen diese Attribute nur die plakative Oberfläche des frühen hard-boiled Heldentums. Die Bezeichnung private eye, eine Ableitung des berühmten Pinkerton-Slogans We never sleep, weist den tieferen Merkmalen die Richtung. „A private eye“, schreibt Dennis Porter, „suggests among other things  : a solitary eye, and the (forbidden) pleasures associated with Freud’s scopic drive  ; a non-organisation man’s eye, like the frontier scout’s or the cowboy’s  ; an eye that trusts no other  ; an eye enough to throw up a representative of its standards, some of which are easily seen.“ (Ebd.). Zur Durchschnittlichkeit des neuen Helden vgl. auch  : Lee Horsley  : Twentieth-Century Crime Fiction. Oxford, New York 2005, S. 67. 341 Die Pinkerton National Detective Agency wurde 1850 in Chicago von Allan Pinkerton gegründet. Die Haupttätigkeit der Agency bestand zunächst darin, die Eisenbahnlinien zu sichern. In den folgenden Jahren wurden in allen größeren amerikanischen Städten Pinkerton-Büros eröffnet. Die Agentur verfügte über die umfangreichste Kartei von Verbrecherphotos. 1861 vereitelten Pinkerton-Detektive einen Anschlag auf Abraham Lincoln. Berühmt wurden die Pinkertons auch als Verfolger der Gangster-Legenden Jesse James, Sundance Kid und Butch Cassidy. Allan Pinkerton war in den 1870er-Jahren Mitbegründer des staatlichen Secret Service. Vgl. zu den Pinkertons allgemein  : James D. Horan  : Pinkerton’s in the Twentieth Century. In  : Richard Layman (Hg.)  : Dashiell Hammetts The Maltese Falcon. A Documentary Volume. Detroit u.a. 2003 (= Dictionary of Literary Biography  ; 280), S. 14–24. 342 Dashiell Hammett  : Red Harvest. London 1980, S. 60. 343 Ruehlmann, Saint with a Gun, 67  : „What ensues is the story of how the Op’s mission changes from a professional one to a personal one […]. What has begun as a job of work ends up a vendetta, and the Op becomes less and less sure of his motives as the story proceeds.“

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that’s licensed to look  ; and even, by extrapolation, an eye for hire.“344 Mit der metonymischen Betonung des Auges, mit der Herausstreichung von Schauen und Beobachten und dem Status als Mietobjekt wird die Passivität hervorgehoben, welche die innere Wahrheit des neuen Detektivtypus’ genauer fasst als der tatkräftige Gang durch gefahrenvolle Abenteuer. Denn auch die Kette von Taten, die der private Ermittler Glied für Glied abläuft, zeigt sich vor allem als Verkettung mit dem Verbrechen selbst. Diese Verstrickung ist zum einen dem Umstand geschuldet, dass das Verbrechen während der Ermittlung noch im Gange ist, zum anderen, dass der Detektiv durch seine Nachforschungen weitere Morde geradezu heraufbeschwört. Er fungiert als Katalysator der Katastrophe und ist, bildlich gesprochen, der Mann, der in ein Wespennest sticht. Berichtet in Red Harvest ein namenloser Ich-Erzähler von seiner blutigen Mission, erzählt Hammett The Glass Key (1931) in der dritten Person und führt als Protagonisten mit Ned Beaumont einen professionellen Spieler ein, der sich, um einen Mord aufzuklären, den Posten eines Hilfssheriffs verschaffen lässt. Auch hier wüten Machtmissbrauch und Korruption, die jedoch dem Mord eines Vaters an seinem Sohn nurmehr die düstere Kulisse liefern. In seinem 1934 erschienenen Roman The Thin Man schickt Hammett gar ein Ehepaar auf Verbrecherjagd  ; Nick und Nora Charles machen sich mit einem Hund und viel Heiterkeit auf die Suche nach dem vermissten „dünnen Mann“ und markieren nicht nur den komischen Schlusspunkt von Hammetts hartgesottenen Schnüfflern, sondern gleichsam das Ende seines Schaffens. Mit Ausnahme einiger weniger Erzählungen schreibt der Autor, aufgerieben von ­McCarthys Kommunistenjagd, die er mit einem halben Jahr Gefängnis bezahlt, bis zu seinem Tod 1961 nichts mehr. Wahrscheinlich ist Hammett mit seinem schmalen Werk für die Entwicklung der Detektivliteratur ebenso prägend wie Poe. Beide durchmaßen die Möglichkeiten des Genres mit Siebenmeilenstiefeln  : Sie loteten die verschiedenen Erzählperspektiven aus, sie ließen ihre Detektive allein auftreten oder schmückten sie mit einem Partner  ; beide arbeiteten gegen die Serie, und, dies ist die wohl wichtigste Gemeinsamkeit, beide schufen Heldenfiguren, die in der Literaturgeschichte zwar ­einen langen Schatten werfen, aber in so große Dunkelheit getaucht sind, dass sie fast nur in aufgehellten Varianten rezipiert werden. Als wirkungsmächtigster und später unerreichter Höhepunkt der hard-boiled Detektive gilt Sam Spade, der in Hammetts berühmtesten Roman The Mal344 Dennis Porter  : The Private Eye. In  : Martin Priestman (Hg.)  : The Cambridge Companion to Crime Fiction. Cambridge 2003, S. 95–113. Hier  : S. 95.

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tese Falcon (1930) Ermittlungen führt. Mit diesem Roman gelingt Hammett ein Stück Literatur, das ein Hohelied der verräterischen Liebe ist und gleichzeitig ein zynischer Abgesang auf den Detektiv als ehrlichen Wahrheitssucher. Im Zentrum der Geschichte steht die Jagd nach einer mit Edelsteinen besetzten Falkenfigur, die sich, in diesem raffinierten Spiel aus Heuchelei und Täuschungen, schließlich als Fälschung herausstellt. Im Dunkel der Falkenjagd entspinnt sich eine Affäre zwischen dem Detektiv und seiner Mandantin, die, so wird am Ende der Geschichte ans Licht gebracht, die Mörderin seines Partners Archer ist. Mit der sexuellen Beziehung Spades zur verbrecherischen Brigid O’Shaughnessy wird der Detektivroman gleichsam zum Feld, auf dem der Kampf der Geschlechter ausgetragen wird. „Seitdem der Kriminalroman das Phantasma Frauenunschuld verabschiedet hat“, bemerkt Friedrich Kittler zu The Maltese Falcon, „fallen Gerechtigkeit und Geschlechterkrieg zusammen.“345 An genau dieser Stelle, mit der Verabschiedung des einen Phantasmas, dreht der in der Darstellung des Verbrechens angestrebte Realismus wiederum scharf ins Fantastische  ; denn von nun an werden, in größtmöglicher Entfernung zur Wirklichkeit, in der überwältigenden Mehrheit der Fälle Frauen zu den favorisierten Tätern der hard-boiled Autoren. Die sogenannte „Vermännlichung“ der amerikanischen Detektive zieht einen Großteil ihrer Lebenskraft aus dem Kontrast, der von den ungeheuer weiblichen Gegenspielern gespendet wird. Den Status als hartgesottenes Ideal erreicht Spade jedoch erst am Ende des Romans. Auf dem Weg dorthin muss er von seinem Partner Archer Abschied nehmen, zum Alleinunternehmer werden und der Liebe entsagen. Als seine mörderische Geliebte ihn bittet, sie nicht der Polizei auszuliefern, erklärt ihr Spade, warum er das nicht tun wird, auch wenn Archers Tod für ihn in keiner Weise einen Verlust bedeutet. „When a man’s partner is killed he’s supposed to do something about it. It doesn’t make any difference what you thought of him. He was your partner and you’re supposed to do something about it. Then it happens we were in the detective business. Well, when one of your organization gets killed it’s bad business to let the killer get away with it. It’s bad all around – bad for that one organization, bad for every detective everywhere. Third, I’m a detective and expecting me to run criminals down and then let them go free is like asking a dog to catch a rabbit and let it go.“346 Die 345 Friedrich Kittler  : Über die Kunst mit Vögeln zu jagen. ‚Der Malteser Falke‘ von Dashiell Hammett. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Poetik, Theorie, Geschichte. München 1998, S. 416–427. Hier  : S. 425. 346 Dashiell Hammett  : The Maltese Falcon. New York 1972, S. 226. In Hammetts Kurzge-

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Berufspflicht ist die oberste Pflicht und auch die einzige, ein gelöster Fall wichtiger als eine liebende Frau an der Seite, auch dann, wenn die Gegenseitigkeit der Gefühle durchaus gegeben scheint  : „‚I’m going to send you over. The chances are you’ll get off with life. That means you’ll be out again in twenty years. You’re an angel. I’ll wait for you.‘ He cleared his throat. ,If they hang you I’ll always remember you.‘“347 Auch die Methode Spades bietet die Illustration der existentiell kapitalistischen Orientierung  : der Detektiv versucht ununterbrochen, „ins Geschäft zu kommen“.348 Er drückt dem Portier einen Dollar in die Hand, er spricht mit dem Hoteldetektiv, er klimpert, wenn es die Situation verlangt, effektvoll mit den Pistolen.349 Auf der Suche nach Informationen fährt er mit dem Taxi von A nach B und schließlich mit der Straßenbahn nach C  ; er beobachtet, befragt und deutet immer wieder Wissen an. Im Gespräch mit den Gangstern blufft er, im Angesicht der Polizei schweigt er und mit seiner Sekretärin Effie Perrine flirtet er  : „You’re a damned good man, sister […].“350 Instinkt und Intuition, die treuen Begleiter einer jeden Detektivfigur, flankieren auch Spade bei seinen Ermittlungen. Er ist ein guter Zuhörer, achtet scharf auf die Zwischentöne und spricht ab und an mit den Fäusten  ; er ist gewalttätig, aber nicht gewalttätiger als die Leute, mit denen er zu tun hat. Den zweifelhaften Sieg, den Spade am Ende erlangt, verdankt er zu großen Teilen seinem Unternehmergeist, aber auch dem Misstrauen, das ihn vor gefährlichen Anhänglichkeiten schützt.351 In Hammetts Amerika bildet es zusammen mit der Unerschrockenheit und Unbestechlichkeit das Dreigestirn, das verinnerlicht haben muss, wer es mit einer Umgebung aufnehmen möchte, die auf der Basis von Korruption und Mord operiert.

schichte The Gutting of Couffignal wird derselbe Sachverhalt noch pointierter ausgedrückt  : „You think I’m a man and you’re a woman. That’s wrong. I’m a manhunter and you’re something that has been running in front of me.“ Dashiell Hammett  : The Big Knockover. New York 1972, S. 34. Peter Wolfe allerdings sieht in Spade einen großen Romantiker  ; vgl. Peter Wolfe  : Beams Falling  : The Art of Dashiell Hammett. Bowling Green 1980, S. 111. 347 Hammett, The Maltese Falcon, 223. 348 Etwa mit Gutman  ; Hammett, The Maltese Falcon, 115  : „You’ll come in or you’ll get out – and you’ll do it today  !“ 349 Hammett, The Maltese Falcon, 207  : „‚Yes,‘ said Spade, jingling the pistols in his hand.“ 350 Hammett, The Maltese Falcon, 167. 351 Für Ruehlmann enthält Spades Triumph am Schluss alle Zeichen einer Niederlage  : „The story is one of losses, among which the greatest are Spade’s own.“ Ruehlmann, Saint with a Gun, 73.

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In The Maltese Falcon zeigt sich die Position des Detektivs im schärfsten Gegensatz zu jener eines Dupin oder Holmes im Verhältnis zum Wissen  : Während seine Vorgänger mit ihren Nachforschungen ihre bereits zu Anfang gewonnene Erkenntnis dank einer Welt aus Ähnlichkeiten und Entsprechungen „beweisen“, wird Spade das Wissen erst am Ende zuteil. Hier liegt die Annäherung des Detektivromans zum Entwicklungsroman und, auf der Ebene des Films, zum Melodram.352 Weil der Detektiv selbst die Rolle des Suchenden einnimmt, braucht es keinen Watson mehr, der ahnungslos durch die Abenteuer stolpert. Indem Spade jedoch durch das Wissen keine Veränderung erfährt, sondern sich an Professionalität und Lizenz klammert, bleibt der Abstand zu beiden Gattungen gewahrt. Diese veränderte Beziehung zum Wissen findet ihren heftigsten Niederschlag im Verhältnis zur Klientel. Der Detektiv, der, mit dem nötigen Misstrauen ausgerüstet, einen Fall annimmt, muss im Verlauf seiner Nachforschungen stets herausfinden, dass er belogen wurde. „[A]ll of a sudden“, schreibt Žižek, „it becomes evident that he has been ‚played for a sucker‘. What looked at first like an easy job turns into an intricate game of criss-cross, and all his effort is directed toward clarifying the contours of the trap into which he has fallen.“353 Die Mordaufklärung ist nur die Bedingung der viel umfassenderen Aufklärungsanstrengung, die den Detektiv umtreibt  : Er muss herausfinden, welch zynisches Spiel mit ihm gespielt wird. So sind Spades Abschiedsworte an Brigid O’Shaughnessy nicht als Absage an die unheilvolle Liebe zu verstehen und auch nicht Ausdruck der Enttäuschung darüber, dass sie eine Mörderin ist, sondern als Quittung, als Abrechnung mit der leidigen Position des Unwissenden, der fremdbestimmten Marionette  : „I won’t play the sap for you.“354

352 Vgl. hier noch einmal die Žižeksche Definition des Melodrams  : „[…] im Gegensatz zur Tragödie, die auf einem Verkennen oder Nichtwissen basiert, impliziert das Melodrama immer ein unerwartetes und exzessives Wissen, das nicht nur der Held besitzt, sondern sein/ihr anderer, das Wissen, das dem Helden zum Schluß zuteil wird, in der finalen melodramatischen Umkehrung.“ Žižek, Die gnadenlose Liebe, 13. 353 Slavoj Žižek, Looking Awry. An Introduction to Jacques Lacan through Popular Culture. Cambrigde (MA) 1991. S. 62f. Die umgekehrte Situation erkennt Žižek für Sherlock Holmes  : „The point is rather that he [the detective] will literally catch the murderer in his deception, i.e., that he will trap him by taking into account his cunning. The very deceit the murderer invents to save himself is the cause of his downfall.“ Žižek, Looking Awry, 57. 354 Hammett, The Maltese Falcon, 228.

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Philip Marlowe  : no hyperactive hero Was Conan Doyle einst mit Dupin gelang, nämlich eine ins Positive, Komische und Moralische zielende Ummodellierung der Figur, die er schließlich Sherlock Holmes nannte, glückt Raymond Chandler mit dem Vorbild Sam Spade. Er nimmt am zynischen Ermittler Maß, stattet ihn großzügig mit Witz, Melancholie und einer Handvoll Idealen aus und tauft ihn auf den Namen Philip Marlowe. Chandler, in Chicago geboren und in England erzogen, ist älter als Hammett und beginnt mit dem Schreiben erst, als jener bereits am Verstummen ist. Über sein Vorbild schreibt er in einem Brief aus dem Jahr 1951  : „I only met him once. He had at that time a shocking capacity for liquor, which I am frank to say I envied as I was never much of a drinker myself.“355 Zwei Jahre bevor Hammett an Lungenkrebs stirbt, trinkt sich Chandler, nach vielen Anläufen und erfolglosen Versuchen, 1959 zu Tode und hinterlässt der Nachwelt die launigste Ermittlerfigur der Weltliteratur. Der heute bekannteste Detektiv der hard-boiled school feiert seinen ersten Auftritt 1934 in einer Kurzgeschichte. Berühmt werden Chandler und sein Ermittler aber durch die sieben Romane, die zwischen 1939 und 1958 erscheinen. Philip Marlowe, der in Los Angeles und Umgebung nach Erpressern und Mördern sucht, gerät, im Vergleich zu Spade, zu einem Wunder an Charakter  : Er ist geistreicher, einsamer und verletzlicher und verficht, mit wohlwollenden Augen betrachtet, „einen moralischen Standard, der dem der Artusrunde Konkurrenz machen könnte“356 und die Frauenwelt betört. „You’re so marvellous“, schwärmt eine Bewunderin. „So brave, so determined, and you work for so little money. Everybody bats you over the head and chokes you and smacks your jaw and fills you with morphine, but you just keep right on hitting between tackle and end until they’re all worn out.“357 Tatsächlich lässt sich ein Großteil von Marlowes Heldentum mit dem begrifflichen Monstrum des Idealismus fassen. Besonders deutlich zeigt sich die mit erhabenen Werten bestückte Vollkommenheit im Vergleich mit den Vertretern der Polizei. „The law“, so ein humanistisch angehauchter Kriminalbeamter, „isn’t justice. It’s a very imperfect mechanism. If you press exactly the right buttons and are also lucky, justice may show up in the answer. A mechanism

355 Chandler, Selected Letters of Raymond Chandler, 295. 356 Gregory Klein/Keller, Der deduktive Detektivroman, 437. 357 Raymond Chandler  : Farewell My Lovely. Harmondsworth 1975, S. 250.

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is all the law ever intended to be.“358 Das weite Auseinanderklaffen von Gesetz und Gerechtigkeit beschreibt exakt die Differenz der unterschiedlichen Anliegen  : Während es der Polizei – mit allen Mitteln – um Verteidigung und Durchsetzung des Gesetzes geht, macht es sich der Detektiv zur Aufgabe, die verschlungenen Wege der Gerechtigkeit zu verfolgen und übertritt in dieser Absicht immer wieder die Schranken des Gesetzes. Marlowes Heldenhaftigkeit liegt in dieser Suche nach Gerechtigkeit, die im Verständnis des melancholischen Detektivs zur Charakterfrage und damit zur individuellen Eigen- und Seltenheit wird. „I’m a romantic, Bernie“, heißt es an die Adresse eines Polizisten. „I hear voices crying in the night and I go see what’s the matter. You don’t make a dime that way. You got sense, you shut your windows and turn up more sound on the TV set. Or you shove down on the gas and get far away from there.“359 In gewaltiger Entfernung zum kühlen Berufsethos der Ham­ mett’­schen Detektive, vor deren geistigem Auge so häufig Gewinn- und Verlustrechnungen vorüberziehen, legt Marlowes professionelle Einstellung das enge Korsett des Ökonomiedenkens ab und öffnet sich in Richtung eines unbezahlten und unbezahlbaren Idealismus. „Of course, Marlowe is a failure and knows it“, schreibt Chandler. „He is a failure because he hasn’t any money.“360 Trotz dieses ansehnlichen Edelmuts sind Marlowes Charakter und Moral so ritterlich, wie sie gern gepriesen werden, bei weitem nicht. Seiner herzhaften Schwäche für soziale Verlierer, tyrannisierte Bedienstete und trunksüchtige Rentner sind gewaltige Ressentiments gegenüber Homosexuellen und Frauen beigesellt.361 Die Spade’sche Angst, für eine Frau „den Dummen zu spielen“, potenziert sich in Marlowe zu ausgewachsenen Phobien. Seinem Freund Terry Lennox, der in The Long Good-Bye (1953) unter Mordverdacht gerät, kündigt er am Ende des Falles die Freundschaft auf, nicht weil dieser einen Selbstmord vorgetäuscht und eine Mörderin geschützt hat, sondern weil nach dessen Rückkehr aus Mexiko eine homosexuelle Veranlagung offenkundig wird.362 Die 358 Raymond Chandler  : The Long Good-Bye. Harmondsworth 1976, S. 49. 359 Chandler, The Long Good-Bye, 237. 360 Chandler, Selected Letters of Raymond Chandler, 294. 361 Vgl. Rosemary Herbert (Hg.)  : Whodunit  ? Who’s Who in Crime & Mystery Writing. Oxford, New York 2003, S. 124  ; zum vermeintlichen Rassismus vgl. Sean McCann  : Gumshoe America. Hard-Boiled Crime Fiction and the Rise and Fall of New Deal Liberalism. Durham, London 2000, S. 158–163  ; zum vermeintlichen Sexismus vgl. Gabriele Dietze  : Hardboiled Woman. Geschlechterkrieg im amerikanischen Kriminalroman. Hamburg 1997, S. 65–70. Hier wird das Verhältnis Marlowes zu seinen Antagonistinnen als das eines Freiers zu Prostituierten beschrieben. 362 Vgl. hierzu  : Margolies, Which Way Did He Go  ?, 49.

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Verschränkung von moralischen Defekten mit Abweichungen von der sexuellen Norm, die in den Romanen exzessiv ihren Auftritt feiert, ist das eigentliche Skandalon in Chandlers Werk. Es zeigt sich nicht nur in den schrill überzeichneten Porträts von Homosexuellen, sondern in noch penetranterem Ausmaß in der Darstellung einer Vielzahl von Frauenfiguren, deren Sexualität so häufig in Richtung Nymphomanie oder Frigidität ausschlägt. Mit den Ängsten Marlowes, die stets als Aggression ihren Ausdruck finden, ist grell die Gefährdung des Chandler’schen Helden angezeigt  : Weil er in der Welt lebt, in ihre Versuchungen und Abgründe verstrickt ist, muss er als Preis immer wieder die feindselige, bittere Abgrenzung entrichten. Als personifizierte Gefahr belauert den Detektiv die faszinierende verbrecherische Schönheit, „wegen der ein Bischof “, wie es an einer Stelle heißt, „ein Loch ins Kirchenfenster getreten hätte.“363 Mit Ausnahme von Playback (1958) bevölkern in allen Romanen Mörderinnen die Seiten. Chandler interpretiert den Typus der femme fatale neu, und damit einher geht eine kühne Verschiebung des Verbrechens. Genau in dieser Verschiebung verbirgt sich, wenngleich nicht erzählerische, so zumindest von der Literaturgeschichte diktierte Ironie. Denn es war Chandler, der an Hammetts Geschichten das mannigfache Auftreten der Berufsverbrecher als Epiphanie des Realismus feierte. In seinen Marlowe-Romanen aber wandert die Kriminalität von den Gangstern hinauf zu den verwöhnten Töchtern und reichen Ehefrauen. Die nackte Gewalt und bare Aggression, die bei Hammett die Städte regiert, verbirgt sich in Chandlers Los Angeles hinter schönen Villen „with twelve feet walls and wrought iron gates and ornamental hedges  ; and inside, if you could get inside, a special brand of sunshine, very quiet, put up in noise-proof containers just for the upper classes“. 364 Ende der Dreißigerjahre, als Marlowe seinen ersten berühmten Fall löst, ist die Wirtschaftskrise vorbei, das Alkoholverbot aufgehoben, und während sich auf den Hügeln über Los Angeles der obszöne Reichtum einrichtet, macht es sich auch das Verbrechen bequem. Zwar sind das Syndikat und Gangsterbanden nach wie vor präsent, aber nur am schmutzigen Rand der Geschichten. 363 Hier die deutsche Übersetzung von Wulf Teichmann  : Raymond Chandler  : Lebwohl, mein Liebling. Zürich 1976, S. 97. Das Original lautet  : „A blonde to make a bishop kick a hole in a stained-glass window.“ Chandler, Farewell, My Lovely, 84. Die scheinbare Misogynie in Chandlers Frauenporträts kann man zum Teil auch der Übertreibung zuschlagen, die ein herausragendes Merkmal seines Stils ist. Gleichzeitig gibt es kaum einen zweiten Autor, der Frauenfiguren so großartig in Szene zu setzen vermag  ; wer wird Vivien Regan, Dolores Gonzales oder Mrs. Grayle je wieder vergessen können, nachdem sie ihm in den Marlowe-Romanen begegnet sind  ? 364 Chandler, Farewell, My Lovely, 106.

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In Farewell, My Lovely (1940) wird die Millionärsgattin Mrs. Grayle, um ihre dunkle Vergangenheit im Verborgenen zu halten und ihre gesellschaftliche Stellung zu bewahren, zur kaltblütigen Mörderin. Hier zeigt sich das paradoxe Verhalten, das die Verzweiflung einflüstert  : Um einen gesellschaftlichen Abstieg zu verhindern, wird ein Kapitalverbrechen begangen, das wiederum den gefürchteten gesellschaftlichen Abstieg zum Sturz vergrößert. Der zweite Aspekt des Paradoxons bezieht sich auf die Ausdehnung des Geheimnisses  : An die geheime zwielichtige Vergangenheit wird ein noch größeres Geheimnis, ein Mord, angefügt  ; die dramatisch gesteigerte Heimlichkeit führt schließlich zur Entdeckung, die immer im Gewand einer Katastrophe auftritt. Die Logik eines solch paradoxen Verhaltens orientiert sich an der Fassade. Hier taucht in abgewandelter Form wieder auf, was Alewyn für das Gedeihen des angelsächsischen Detektivromans verantwortlich gemacht hat  : die viktorianische Fassade, die Doppelbödigkeit der Moral. Dass gerade die kalifornische Gesellschaft die Wahrung der Oberfläche zur allerwichtigsten Angelegenheit erklärt, findet seine Gründe in der eigentümlichen Mischung von wirtschaftlicher Prosperität und amerikanischem Traum, aus welcher der Mythos des Sonnenstaates gebaut ist. Nach dem Ruf der Freiheit, dem Ruf des Goldes und später des Öls erklingt von der Pazifikküste der Ruf der Traumfabrik, die die Äußerlichkeit zu ihrem Merkmal und Anspruch erhebt. Den potenzierten Ausdruck der Fassadenhaftigkeit liefern Chandlers dunkle Porträts der Hollywood-Sternchen, für die Aussehen und Name das ganze Kapital bedeuten. Die Filmstadt fungiert dabei nicht nur als Verteilungsort neuer Identitäten, sondern ebenso als eine dunkle Zaubermacht, die innert kürzester Zeit die schlechten Anlagen eines Menschen zur Formvollendung bringt. „Wonderful what Hollywood will do to a nobody“, höhnt Marlowe. „It will make a radiant glamour queen out of a drab little wench who ought to be ironing a truck driver’s shirts, a he-man hero with shining eyes and brilliant smile reeking of sexual charm out of some overgrown kid who was meant to go to work with a lunch-box. Out of a Texas car hop with the literacy of a character in a comic strip it will make an international courtesan, married six times to six millionaires and so blasé and decadent at the end of it that her idea of a thrill is to seduce a furniture-mover in a sweaty undershirt. And by remote control it might even take a small town prig […] and make an ice-pick murderer out of him in a matter of months, elevating his simple meanness into the classic sadism of the multiple killer.“365 365 Raymond Chandler  : The Little Sister. Harmondsworth 1977, S. 155f. Eine noch zynischere Abrechnung mit Hollywood findet sich einzig in Evelyn Waughs The Loved One (1948). In

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Die Traumfabrik, die „zu den blassen Sternen, die wissen, warum sie so weit von Hollywood weg sind“366, die größtmögliche Entfernung aufweist, wird zur herausragenden Metapher für Dekadenz und Käuflichkeit, die in Marlowes Unbestechlichkeit ihren einzigen Gegner findet. Die deutlichste Änderung, die Chandler gegenüber seinem verehrten Vorbild Hammett vornimmt, ist neben der Beibehaltung der immergleichen Form, der gleichen Detektivfigur und der frappanten Ähnlichkeit der Plots, der Wechsel von der dritten in die erste Person. Zwar hat Hammett in zweien seiner fünf Romane einen Ich-Erzähler eingesetzt, aber das für die hard-boiled detective school wichtigste Abenteuer, die Suche Spades nach dem Mörder seines Kollegen Archer, wird mit einer kühlen, neutralen Stimme erzählt. Jede Geste, jeder Gesichtsausdruck des Detektivs wird aufs Genauste geschildert, doch erfährt der Leser nie, was Spade fühlt oder denkt  ; er bleibt undurchschaubar. Chandler hingegen setzt Marlowe als Erzähler ein.367 Durch den Wechsel der Erzählperspektive gewinnt der Detektiv an Reflexion und Innenleben  ; jede Laune, jedes Gefühl des Helden wird nicht nur mitgeteilt, sondern rückt in den Chandler’schen Romanen in den Mittelpunkt des Geschehens. Weil aber die detektivische Ich-Erzählung sich ständig der Gefahr ausgesetzt dem Roman erläutert ein Filmproduzent das harte Schicksal der Schauspielerin Juanita del Pablo  : „Miss del Pablo has been a protégée of mine from the first. I remember the day she arrived. Poor Leo bought her for her eyes. She was called Baby Aaronson then – splendid eyes and a fine head of black hair. So Leo made her Spanish. He had most of her nose cut off and sent her to Mexico for six weeks to learn Flamenco singing. Then he handed her over to me. I named her. I made her an antifascist refugee. I said she hated men because of her treatment by Franco’s Moors.“ Als sich durch den Einfluss der Sittlichkeitsbewegung die Filmpolitik der Studios ändert, wird die Schauspielerin wieder mit einer neuen Identität bedacht  : „So poor Juanita has to start at the beginning as an Irish colleen. They’ve bleached her hair and dyed it vermilion. I told them colleens were dark but the technicolor men insisted. She’s working ten hours a day learning the brogue and to make it harder for the poor girl they’ve pulled all her teeth out. She never had to smile before and her own set was good enough for a snarl. Now she’ll have to laugh roguishly all the time. That means dentures.“ Evelyn Waugh  : The Loved One. An Anglo-American Tragedy. London 1969, S. 12f. 366 Hier  : die Übersetzung von Walter E. Richartz. Raymond Chandler  : Die kleine Schwester. Zürich 1975, S. 77. Der Originaltext lautet  : „He was smoking and looking up at the pale stars which know enough to keep their distance from Hollywood.“ Chandler, The Little Sister, 67. Vor allem dieser Roman ist Ausdruck von Chandlers Hassliebe zu Hollywood. In den Vierzigerjahren hat er immer wieder, mit unterschiedlichem Erfolg, als Drehbuchautor in der Filmmetropole gearbeitet. Vgl. hierzu  : Ruehlmann, Saint with a Gun, 84–89. 367 Die Verfilmung von Chandlers Roman The Lady in the Lake durch Robert Montgomery (USA 1946) ist der erste Film mit rein personaler Kameraperspektive.

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sieht, die Auflösung des Falles auf halben Weg zu verraten, da sie sich in der Pflicht fühlt, jede Idee, jeden Verdacht, jedes kleinste Stückchen Wissen des Detektivs auszuplaudern, muss sie gewisse Kunstgriffe zum Einsatz bringen. Vor allem im letzten Viertel der Romane spricht Marlowe gern in sanften Andeutungen oder übt sich plötzlich in elegantem Verschweigen. Wenn er nach einem unangenehmen Polizeiverhör stolz bekennt  : „All of it was true. The truth and nothing but the truth. But not quite all the truth. What I left out was my business.“368 – dann gibt der Detektiv nicht nur eine Demonstration seiner Kundenloyalität, sondern liefert auch das Programm seiner Erzählstrategie. Die Stimme Marlowes ist, obwohl immer wieder ironisch heiter und wütend kläffend, eine zutiefst melancholische. Geschuldet ist die Melancholie der Einsicht in den Lauf der Welt und der eigenen zwiespältigen und bescheidenen Rolle darin. Denn durch seine delikaten Nachforschungen wird der Detektiv immer wieder zum Todesengel  : Geschwätzige Seelen in Marlowes Nähe werden vorsorglich mundtot gemacht. Auf diese Weise gerät der Vorsprung gegenüber der Polizei, den Spade seiner Unerschrockenheit zu verdanken hat, bei Marlowe zu einem zeitlichen  : Der Detektiv ist der erste am Tatort, weil er auf der richtigen Fährte ist  ; wo er sich neue Informationen erhofft, trifft er auf frische Tote. „Nobody yelled or ran out of the door. Nobody blew a police whistle. Everything was quiet and sunny and calm. No cause for excitement whatever. It’s only Marlowe finding another body. He does it rather well by now. Murder-a-day-Marlowe, they call him. They have the meat wagon following him around to follow up on the business he finds.“369 Die drückende Schicksalsschwere zu ertragen hilft die ironische Färbung der Marlowe’schen Sprechweise, die ihr Heil stets in der komischen Übertreibung sucht  ; durch den souveränen Gebrauch der Ironie schafft es der Detektiv, einen Abstand zwischen sich und die düstere Welt zu legen. Ähnlich dem Seemann Charlie Marlow, der in Joseph Conrads Heart of Darkness das Grauen in der Beschreibung zu zähmen versucht, bietet die nachträgliche Fallerzählung dem Detektiv die Gelegenheit, die Ereignisse, mit Ironie gewappnet, in schützende Distanz zu bannen.370 Zuweilen löst sich der Sprachwitz jedoch in der Erfahrung des Katastrophischen in Luft auf. Dann greift Marlowe mit derselben Handbewegung, mit der Holmes am Ende eines Abenteuers die Kokainspritze ansetzt, zur Flasche  ; wenn die tröstende Ironie versagt und das Geschehene 368 Chandler, The Long Good-Bye, 228. 369 Raymond Chandler  : The Lady in the Lake. Harmondsworth 1976, S. 106. 370 Vgl. Horsley, Twentieth-Century Crime Fiction, 84.

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seine schwere Hand auf Marlowes Schulter legt, bricht jene Melancholie herein, die den Romanen so häufig die Titel einflüstert und nur mit Alkohol ertränkt werden kann.371 Weil Chandler in seinem theoretischen Manifest der hard-boiled school den dort herausgestellten Typus des tough guy nach dem Schattenriss seines Detektivs zeichnet, treten all die genannten Charakteristika in den Marlowe-Romanen auf. Der enge Bezug zur außertextuellen Wirklichkeit wird durch elegante Bonmots beglaubigt  : „‚So you’re a private detective,‘ she said. ‚I didn’t know they really existed, except in books. Or else they were greasy little men snooping around hotels.‘“372 Durch den bewährten Fingerzeig auf die Polizeiarbeit wird das Realistische der eigenen Methode herausgestrichen  : „I’m not Sherlock Holmes or Philo Vance. I don’t expect to go over ground the police have covered and pick up a broken pen point and build a case from it. If you think there is anybody in the detective business making a living doing that sort of thing, you don’t know much about cops. It’s not things like that they overlook if they overlook anything.“373 Auch die lakonisch beschworene Männlichkeit („He must be a complete man“) darf nicht fehlen. „I wouldn’t carry that tough-guy manner too far, if I were you, Mr Marlowe“, so ein Einwurf von weiblicher Seite. „I’m not tough“, lautet die programmatische Antwort. „Just virile.“374 Als schlagendstes Zeichen von Männlichkeit dienen aber weder der Gebrauch der Fäuste noch der gezückte Revolver. Tatsächlich gibt es in der Detektivliteratur kaum einen zweiten Ermittler, der mit einer derart penetranten Häufigkeit zusammengeschlagen wird und das Bewusstsein verliert wie Marlowe. Nicht die körperliche Schlagfertigkeit verbürgt die sagenhafte Männlichkeit, sondern die sprachliche. Der sogenannte tough talk ist die schärfste Waffe des Detektivs, stets ungesichert und zum Abfeuern bereit. „Voice is crucial to hard-boiled fiction, and the verbal armoury of the private eye“, schreibt Lee Horsley, „– slang and tough talk, laconic wit of the wisecrack, the hard-boiled simile – affords him an aura of mastery, however illusory his control might be. The private eye is, in his most familiar incarnations, 371 Die Buchtitel  : The Big Sleep  ; Farewell, My Lovely  ; The Long Good-Bye. Vgl. zur Rolle des Alkohols in The Long Good-Bye  : S. O.: „Alcohol is like love.“ Chandler, Marlowe und The Long Good-Bye. In  : Thomas Strässle u. Simon Zumsteg (Hgg.)  : Trunkenheit. Kulturen des Rausches. Amsterdam, New York 2008, S. 205–221, und  : Rita Elizabeth Rippetoe  : Booze and the Private Eye. Alcohol in the Hard-Boiled Novel. Jefferson, London 2004, S. 60–85. 372 Chandler, The Big Sleep, 22. 373 Chandler, The Big Sleep, 204. 374 Raymond Chandler  : The High Window. Harmondsworth 1977, S. 21.

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aging, bruised, booze-sodden, and betrayed, but his gift of streetwise slang enables him to project a coherent self in the face of the chaos that threatens to engulf him, and in defiance of his own manifest weakness.“ 375 Eine solche Sichtweise unterschlägt jedoch, dass ein Großteil des Figurenpersonals auch hartgesottene Reden schwingt und sich „verbale[r] Aggressivitäten“376 bedient  ; dazu gehören nicht zuletzt Frauen. Was Marlowes Sprachstil als besonders kaltschnäuzig herausstellt, ist weniger die harte Gussform der Formulierung, sondern vielmehr der so häufig gespendete Applaus durch die Redepartner  ; erst die Bekräftigung durch das Gegenüber beweist die Einzigartigkeit jener Hartgesottenheit, über die im Grunde jede zweite Romanfigur verfügt. „You’re as cold-blooded a beast as I ever met, Marlowe“377, bemerkt die schöne Millionärstochter Vivien Regan und erbringt mit diesem Superlativ den rhetorischen Beweis, den die Sekundärliteratur gern für die Wahrheit nimmt. In allen seinen Fällen erweist sich der Detektiv als großartiger Chronist jener Katastrophen, die ihm die gesellschaftlichen Abgründe in die Hand diktieren. Doch Marlowe ist nicht nur auf die Aufklärung dramatischer Mordserien abonniert  ; in den retardierenden Handlungspausen der großen Dramen bricht das alltägliche Berufselend herein, in dem das Vorurteil, bei privaten Ermittlern handle es sich um „greasy little men snooping around hotels“378, seine halbherzige Rechtfertigung findet. Ein Tag im Leben eines Privatdetektivs, „[n]ot exactly a typical day but not totally untypical either“379, besitzt die Umrisse professioneller Trostlosigkeit. In Marlowes Büro sprechen kleine Existenzen vor und breiten ihre Sorgen aus. Ein Baggerführer vermutet, dass die Nachbarin versucht, seinen Hund zu vergiften und möchte den Detektiv engagieren, um sie auf frischer Tat zu ertappen  ; eine Frau, die ihre Zimmergenossin verdächtigt, regelmäßig Geld aus ihrem Portemonnaie zu klauben, erwartet von Marlowe gegen Bares, dass er der vermeintlichen Diebin per 375 Horsley, Twentieth-Century Crime Fiction, 73. Die fantastische Kaltschnäuzigkeit Marlowes, der tough talk, wird mit viel postmoderner Anschauung gern als Ersatz für die einst vom Phallus ausgesandte männliche Macht begriffen sowie als Hinweis auf die Performanz und damit auch auf die Konstruiertheit der Geschlechterrolle. Vgl. Horsley, Twentieth-Century Crime Fiction, 74. Dietze spricht von der „Feier einer Sprache der Maskulinität als universelle Ersatzbefriedigung“. Dietze, Hardboiled Women, 57. 376 Nusser, Der Kriminalroman, 131. 377 Chandler, The Big Sleep, 63. 378 Chandler, The Big Sleep, 22. 379 Chandler, The Long Good-Bye, 135.

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Telefon einen Schrecken einjagt. Nur die Bitten des traurigen Mr. Edelweiss werden vom Detektiv erhört  ; dessen junge Frau ist mit dem Geliebten nach Honolulu durchgebrannt, der Ehemann aber möchte die herumstreunende Gattin zurückhaben. Für Marlowe bedeutet dies reine Routinearbeit  : Ein Telegramm und einen an eine Agentur in Honolulu adressierten Luftpostbrief später ist der Fall erledigt und der Detektiv um zwanzig Dollar reicher. Diese sparsame Tätigkeit – Zuhören, Nicken, Briefeschreiben – zeigt eindrücklich die Aktionsarmut in Marlowes Vorgehen. Das vermeintlich tatkräftige, Mannhaftigkeit markierende Draufgängertum ist nicht zu erblicken. Auch vom Attribut der schlaflosen Wachsamkeit, das den hartgesottenen Detektiven anhaftet, muss hier Abschied genommen werden. Das berühmte Versprechen der Pinkerton-Agentur380, in deren mythischem Schatten die hard-boiled detective school herangewachsen ist, wird von Marlowe grundsätzlich verworfen  ; keine andere Detektivfigur, auch nicht die altersschwache Jane Marple, legt mehr Wert auf eine angemessene Stundenzahl an Schlaf. „But even the Pinkertons have to sleep“, heißt es verständnisheischend, „and Marlowe needed far, far more sleep than the Pinkertons. I went to bed.“381 Über die Rolle seines Detektivs in The High Window schreibt Chandler an Blanche Knopf, die Gattin seines Verlegers  : „[T]he detective does nothing.“382 Etwas nachsichtiger formuliert es Russell Davies  : „He is not, after all, a hyperactive hero. His influence on events is not often great, despite his talent for being on the spot when they occur.“383 Weil sich Marlowes größtes Talent aber im Aufspüren von Leichen zeigt, haftet auch dem tätigen Marlowe, als Leichensammler, stets die Trägheit des zu spät Gekommenen an. Die Passivität des Detektivs arbeitet jedoch zuweilen aktiv an der Produktion von Morden mit. Am Ende von The Little Sister greift Marlowe nicht ein, als er den verzweifelten Dr. Lagardie zur Wohnung von Dolores Gonzales hochschleichen sieht und nimmt den Tod der freizügigen Schönheit in Kauf. „Perhaps I ought to have stopped him“, lautet die blasse Verteidigung. „Perhaps I had a hunch what he would do, and deliberately let him go. Sometimes when I’m low I try to reason it out.“384 Trotz dieses beredten Nichtstuns gibt es eine Mar­

380 „We never sleep“. 381 Chandler, The High Window, 129. 382 Russell Davies  : Omnes me impune lacessunt. In  : Miriam Gross (Hg.)  : The World of Raymond Chandler. New York 1977, S. 31–42. Hier  : S. 33. 383 Davies, Omnes me impune lacessunt, 33. 384 Chandler, The Little Sister, 247.

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lowe’sche Methode, die weit mehr umfasst als markige Sprüche und zur falschen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Just a great guy to snoop around In Farewell, My Lovely, jenem Roman, den Chandler stets für sein gelungenstes Buch hielt, sitzt Marlowe auf dem Polizeirevier dem Beamten des Morddezernats, Randall, gegenüber.385 Der Polizist und der Privatdetektiv hatten kurz zuvor die brutal zugerichtete Leiche einer älteren Frau gefunden. Im stoischen Angesicht Marlowes analysiert Randall das Vorgehen des Täters. „‚Now why did he start to smack her head around  ? […] He probably didn’t know he’d broken her neck. He was sour at her,‘ he said. ‚Deduction.‘ He smiled sourly.“386 Das einst magische Signalwort der Goldenen Zeit der Detektiv­ literatur erscheint hier nur noch als ironisches Zitat  ; die Deduktion führt nicht mehr zur Auflösung eines Verbrechens, sondern fristet ein Dasein als leere Geste. So bleibt Marlowe von den Schlussfolgerungen Randalls denn auch unbeeindruckt. „Maybe you know enough to know what’s important. And what isn’t“, lautet die wenig huldvolle Antwort. „I don’t.“387 Dass die Deduktion, wenngleich in Begleitung eines säuerlichen Lächelns, auf seiten der Polizei platziert wird, ist kein Zufall. Denn obwohl die Institution mit den Farben des Realismus gemalt ist, erweckt sie im direkten Vergleich mit dem Privatdetetkiv den Eindruck des Verkrusteten und Verstaubten. Aus diesem Grund erkennen Marlowes Augen in Randalls durchdringenden Adlerblicken jene Attitüde, die fünfzig Jahre früher in London für Furore gesorgt hat  : „His eyes were going over my face line by line, corpuscule by corpuscule, like Sherlock Holmes with his magnifying glass […]“.388 Trotz der bemühten Abgrenzung wirkt das Erbe der britischen Schule auch tief in die Marlowesche Methode hinein. Der bewährte Einsatz der Physiognomik weist mit gestreckten Zeigefingern auf Sherlock Holmes zurück. Chandlers Romane verfügen, wie die Geschichten Conan Doyles, über ein fixes, in zarten Variationen immer wieder auftretendes Figurenpersonal. Dazu 385 Vgl. Clive James  : The Country behind the Hill. In  : Miriam Gross (Hg.)  : The World of Raymond Chandler. New York 1978, S. 115–126. Hier  : S. 119. 386 Chandler, Farewell, My Lovely, 185. 387 Chandler, Farewell, My Lovely, 186. 388 Chandler, Farewell, My Lovely, 170.

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gehören die femme fatale mit der anfänglich magischen, schließlich eingebüßten Anziehungskraft, der verweichlichte Schönling, der korrupte Polizist ebenso wie der frustrierte und korrekte Gesetzeshüter  ; der sadistische Homosexuelle, das traumatisierte Mauerblümchen und die frigide Schönheit  ; die tyrannische Alte, der gutmütige, gehörnte Ehemann, der höflich kühle Gangsterboss und die unverbesserlichen Trinker. Weil aber die der Nähe zu Hollywood geschuldete Fassade bei fast jeder Gelegenheit aufrechterhalten wird, muss Marlowe die charakterlichen Abgründe der Personen immer erst entdecken. Die Chandler’sche physiognomische Lehre ist komplexer gebaut als jene Conan Doyles – körperliche Ungestalt und abgrundtiefe Hässlichkeit sind nicht identisch mit dem Außenleben des Charakters, aber die genaue Beobachtung vermag, einige Schattenseiten der Persönlichkeit offenzulegen. Allerdings ist der Marlowe’sche Blick von der jeweiligen Laune des Helden bestimmt, sodass er zuweilen mehr über die Stimmung des Detektivs als über die charakterlichen Auswüchse des Gegenübers verrät. Ein Kellner mit ­einem „Gesicht wie ein abgenagter Knochen“389 und ein Partygast mit einem „Gesicht wie eine kollabierte Lunge“390 sind eher als Spiegel von Marlowes Innenleben zu lesen denn als greller Hinweis auf einen schlechten Charakter. Wenn Marlowes Augen sich daran machen, das Gegenüber zu prüfen, geschieht dies mit einem Blick, der die Gesamterscheinung in Angriff nimmt und langsam über die Oberfläche wandert, bis er an einer Besonderheit – einer langen Nase, einer Kette um den Hals oder einer Kornblume im Knopfloch – ins Stolpern kommt. An diesem Stolpern beginnt die Interpretationsarbeit des Detektivs, der die Eigenheit schließlich im Gesamtbild unterzubringen sucht  ; der Auffälligkeit kommt dabei häufig die Funktion des herausragenden Charakteristikums der Person, einer mise en abyme der Persönlichkeit, zu. Was aber bei Sherlock Holmes einfache Entsprechung von Eindruck und Ausdruck ist, zeigt sich bei Marlowe als Deutungsverfahren, das sich nicht an Entsprechungen, sondern an Vergleichen entlanghangelt und als grammatisches Zeichen der Vorstellungskraft die Möglichkeitsform ins Feld führt. Die Gesichter sind keine sprechenden, doch sie sind wie geschriebene Sprache  : man kann sie lesen. Seine zukünftige Klientin Mrs. Murdock erscheint in Marlowes Augen zunächst als kühle Tyrannin  : „She had a lot of face and chin. She had pewtercoloured hair set in a ruthless permanent, a hard beak and large moist eyes 389 Chandler, The Lady in the Lake, 178  : „A wizened waiter with evil eyes and a face like a gnawed bone […]. 390 Chandler, The Long Good-Bye, 153  : „He had short red hair and a face like a collapsed lung.“

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with the sympathetic expression of wet stones.“ Dann bleibt der Blick am Hals, den eine Kette ziert, haften und erkennt die Entstellung, indem er sich das „richtige Bild“ vorstellt  : „There was a lace at her throat, but it was the kind of throat that would have looked better in a football sweater.“391 Mit would wird die Vorstellungskraft angedeutet, die das Bild geraderückt. Bei der physiognomischen Charakterisierung arbeiten stets die Chandler’schen (Marlowe’schen) Ressentiments mit, deren Lebensaufgabe es ist, die Geschlechter mit großartigen Stereotypen zu schmücken und die Geschlechtergrenze mit dem Lineal zu ziehen. So zeigt sich der Hinweis auf charakterliche Devianz gern als Störung der äußeren, ebenso vertrauten wie klischierten Geschlechterordnung  ; an Mrs. Murdocks männlichem Hals prangt gleichsam das Etikett der Charakterschwäche. Der Hals eines anderen Klienten schlägt hingegen zu sehr in Richtung Weiblichkeit aus. „There was a cornflower in the lapel of his white coat and his pale blue eyes faded out by comparison. The violet scarf was loose enough to show that he wore no tie and that he had a thick, soft brown neck, like the neck of a strong woman. His features were a little on the heavy side, but handsome.“392 Auch hier zeigt sich die kleine Störung der Geschlechterstereotypie als stilles Indiz für kriminelle Machenschaften. Mit diesem physiognomischen Kompass in der Hand kämpft sich Marlowe durch das Dickicht der Fälle. Dabei zeigt er weder große Geschäftigkeit noch die Umtriebigkeit eines Alleinunternehmers. „The detective does nothing“, behauptet Chandler, doch zieht man von dieser Aussage die Übertreibung ab, bleibt eine überschaubare Anzahl von Aktivitäten übrig, die alle der Informationsbeschaffung dienen. Sein eigenes Vorgehen stellt Marlowe, dem Understatement verpflichtet, gern als zielloses Suchen dar. „What were you looking for – in his pockets  ?“ fragt ihn ein Polizist, nachdem Marlowe wieder einmal, wo er einen Zeugen erhoffte, auf einen Toten traf. „Nothing in particular“, lautet die vage Antwort. „I’m just a great guy to snoop around.“393 Diese knappe Selbstbeschreibung enthält den Unterbau der Marlowe’schen Methode, der aus der Kultivierung des chancenlosen Außenseitertums und einer großartigen Begabung zum Bluff zusammengesetzt ist. Tatsächlich besitzen die Recherchen des Privatdetektivs zunächst den hilflosen Charme der Harmlosigkeit  : Marlowe greift zum Telefon, schlägt im Grundbuchregister nach und beobachtet aus dem Auto heraus Hauseingänge  ; vor allem aber spricht er mit 391 Chandler, The High Window, 10 (Hervorh. von mir). 392 Chandler, Farewell, My Lovely, 45 (Hervorh. von mir). 393 Chandler, Farewell, My Lovely, 68.

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Personen, von denen er sich Hinweise erhofft. Um sie zum Reden zu bringen, werden in kleinen Portionen diejenigen Mittel eingesetzt, die den Befragten entsprechen  : Geldscheine oder Alkohol bei Hausangestellten und sozial Gestrandeten, Bluff und plakatives Unbeeindrucktsein bei den oberen Zehntausend. Das Verteilen von Dollarscheinen und Drinks illustriert noch einmal die Stellung des Detektivs als eine zwischen der Polizei und den Gangstern liegende  : weil er sich auf kein Gesetz berufen kann, das ihm zu Aussagen verhilft, muss er Strategien zum Einsatz bringen, die wie ein sanfter Schatten der Korruption aussehen. Die Gaben, die er auf dem Altar der Information niederlegt, sind tief in Hoffnung getaucht – doch ob sich die Investitionen lohnen, bleibt stets ungewiss. Damit ist die Grenze zum Gangster gezogen, dessen Großzügigkeit auf einer Rechnung beruht, die ihn am Ende stets zum Gewinner erklärt. Die beschränktere Auswahl der Mittel, die engeren Möglichkeiten in ihrer Handhabung liefern den Detektiv dem Wohlwollen seiner Umgebung aus und verwandeln die scheinbare Freiheit in drückende Abhängigkeit, die einzig Ironie und kläffende Bemerkungen ein wenig zu lindern vermögen. In Farewell, My Lovely stattet Marlowe der heruntergekommenen Witwe Florian einen Besuch ab, in der Hoffnung, etwas über dem Verbleib der Nachtclubsängerin Velma zu erfahren. Als Mrs. Florian im Detektiv einen Polizisten erkennt („Cops, huh  ?“394), belässt er sie in dem Glauben, weil die Fragen von institutionellen Gesetzesvertretern von Ferne an bürgerliche Pflichten gemahnen, während die gleichen Fragen aus dem Mund eines Detektivs als schmierige Belästigung empfunden werden. Im Laufe des Gesprächs bemerkt Marlowe einen „alkoholischen Oberton“ im Gekicher der Witwe und macht es sich auf dem Sofa bequem. „I leaned back against something hard, felt for it and brought up an empty quart gin bottle.“395 Auf diese Weise auf die eindeutigen Vorlieben der Witwe gestoßen, schlägt der Detektiv eine erfolgsversprechende Strategie ein, indem er seinen Flachmann als großzügige Belohnung für eventuelle Informationen zum Vorschein bringt. „I held up the dead soldier and shook it. Then I threw it to one side and reached back on my hip for the pint of bond bourbon […]. I held it out on my knee. The woman’s eyes became fixed in an incredulous stare. Then suspicion climbed all over her face, like a kitten, but not so playfully. ‚You ain’t no copper‘, she said softly. ‚No copper ever bought a drink of that stuff. What’s the gag, mister  ?‘ […]. 394 Chandler, Farewell, My Lovely, 27. 395 „Her titter contained a loose alcoholic overtone.“ Chandler, Farewell, My Lovely, 27.

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I poured her a slug that would have made me float over a wall. She reached for it hungrily and put it down her throat like an aspirin tablet and looked at the bottle.“396 Der Detektiv mit dem goldenen Herzen offeriert Mrs. Florian noch mehrere Drinks, stiehlt der inzwischen Betrunkenen eine Fotografie (die sich am Ende des Falls als falsche Spur herausstellen wird) und erhält eine Handvoll nutzloser Auskünfte. Es wäre dieser Besuch nicht weniger als eine vollständige Niederlage gewesen, würde dem Detektiv nicht das zu Hilfe eilen, was bei Sherlock Holmes als Intuition auftrumpfte, nämlich eine aus dem Nichts geborene Ahnung, die sich schließlich als richtig erweisen wird. Intuition, wie sie bei Marlowe begegnet, lässt sich in drei Arten aufteilen  : als Schuss ins Blaue, als plötzlicher Schlag der Erkenntnis und als körperliches Wissen, das sich seinen Weg ins Bewusstsein erst bahnen muss. Der Schuss ins Blaue ist eine Strategie Marlowes, die zum Einsatz gebracht wird, wenn alle wichtigen Fragen gestellt und alle Antworten unbefriedigend ausgefallen sind. Er wirkt wie das allerletzte Mittel, wie die schiere Verzweiflung  ; weil aber der Detektiv allzu häufig ins Schwarze trifft, muss dieses blinde Schießen als Intuition verbucht werden. Was Gregory Klein und Keller ärgerlich für Holmes herausgestrichen haben, nämlich dass nicht sein Verzicht auf das Raten, sondern die Tatsache, dass er das Raten so gut beherrscht, sein Vorgehen mit Erfolgen verwöhnt, dient auch zur Charakterisierung der Mar­ lowe’­schen Methode.397 Über den Besuch bei Mrs. Florian berichtet der Detektiv  : „I sat down and rolled a cigarette around in my fingers and waited. She either knew something or she didn’t. If she knew something, she either would tell me or she wouldn’t. It was that simple.“398 Um das Warten etwas abzukürzen, ändert Marlowe seine Strategie  : er wird grob, fährt die Betrunkene an und bringt einen Namen ins Spiel, von dessen Klang er sich in dunkler Ahnung eine gewisse Wirkung erhofft. „‚Sit down‘, I snarled at her deliberately. ‚You’re not dealing with a simpleminded lug like Moose Malloy this time.‘ It was a shot more or less in the dark, and it didn’t hit anything. She blinked twice and tried to lift her nose with her upper lip. Some dirty teeth showed in a rabbit leer.

396 Chandler, Farewell, My Lovely, 28. 397 Vgl. Gregory Klein/ Keller, Der deduktive Kriminalroman, 429. 398 Chandler, Farewell, My Lovely, 29.

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‚Moose  ? The Moose  ? What about him  ?‘ she gulped.“399 Dass dieser Schuss ins Leere sein Ziel dennoch nicht verfehlt hat, wird offensichtlich, als Marlowe bemerkt, dass Mrs. Florian sich vor Moose fürchtet. Sein Gegenüber überraschend mit einem Namen zu konfrontieren, gehört, zumal im Verhör, auch zu den Methoden der Polizei. Dennoch besitzt der Detektiv in solchen Situationen mehr Ähnlichkeit mit einem Kartenspieler, der seine letzte Möglichkeit nutzt und noch eine Karte zieht, als mit einem abgebrühten Polizeibeamten. Namen en passant fallen zu lassen und die Reaktion der Zuhörer zu beobachten, stellt Marlowe häufig jene Zauberschuhe bereit, die ihn aus dem toten Winkel hinausbefördern und zu einer Stelle tragen, von der aus er einen Teil des Falles zu überblicken vermag. Als er in The Long Good-Bye beiläufig den Namen einer Toten erwähnt, zeigen sich beim Schriftsteller Richard Wade eindeutige Symptome, die die intuitive Bemerkung als „Volltreffer“ entlarven. „It was a wild pitch in a sense but it happened to split the plate. His eyes snapped wide open. A bubble of saliva showed on his lips.“400 Manchmal allerdings verschießt der Detektiv sein Pulver. „I was a two-gun cowpoke fresh out of bullets. Three shots, three misses,“401 heißt es dann in alter Westerner-Manier. Marlowe hat jedoch nicht stets ein leibhaftiges Gegenüber nötig, in dessen Gesichtsausdruck er wie auf einem Thermostat ablesen kann, ob er auf der richtigen Fährte ist – zuweilen springt ihn das sichere Wissen unverwandt an. „I was half-way to the elevator before the thought hit me. It hit me without any reason or sense, like a dropped brick.“402 Es ist dies nicht jene Intuition, die dem begabten Pokerspieler zum Sieg verhilft, sondern die harte, schlagende und sichere Erkenntnis, die Marlowe ohne Grund und ohne Sinn trifft. Dieses absolut überraschende und nicht herleitbare Wissen wird nicht mehr dem Leuchtkreis der Logik zugeschlagen, der angestrengte rhetorische Aufwand, den Holmes unternimmt, um die Intuition wie Deduktion aussehen zu lassen, fällt zur Gänze weg. Weil die rhetorische Verknüpfung fehlt, gleicht auf der Ebene der Handlung dieser Geistesblitz einem deus ex machina  ; doch auf der Ebene der Ermittlungsmethode ist das überfallsartige plötzliche Wissen die einzige Möglichkeit, das Dickicht der Zusammenhänge etwas zu lichten, die Unübersichtlichkeit der Verstrickungen und Beziehungsgeflechte 399 Chandler, Farewell, My Lovely, 32. 400 Chandler, The Long Good-Bye, 179. 401 Chandler, The Long Good-Bye, 116. 402 Chandler, Farewell, My Lovely, 94.

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zumindest im Ansatz offenzulegen. Tatsächlich sind es diese Anfälle von Intuition, die es Marlowe erlauben, den Vorsprung gegenüber den polizeilichen Ermittlungen immer weiter herauszuarbeiten, sodass er am Ende die Lösung präsentieren kann. Das Wissen, das den Detektiv in Farewell, My Lovely wie ein fallender Dachziegel trifft, besagt, dass zwei verschiedene Fälle, zu denen er Nachforschungen betreibt, in Wirklichkeit einen einzigen bilden  ; das Mittel der Intuition schafft eine Querverbindung, für die Marlowe keinerlei Indizien besitzt. Da Chandler mit der Methode der „cannibalisation“ für seine Romane stets alte Kurzgeschichten ausgeschlachtet hat, ist das Verschmelzen zweier Ermittlungsstränge zu einem einzigen auch der Eigenart des Autors geschuldet. Das Zusammenfügen loser, weit auseinander liegender Teilchen macht hier jedoch keine Anleihe an der Vorliebe der Clue-Puzzle-Autoren, aus kleinen Bruchstücken ein Gesamtbild ohne weiße Flecken zusammenzutragen, sondern ist, auf der Ebene der Form, das Spiegelbild der schauerlichen Verstrickungen und Verkettungen des Inhalts. Am Ende ergibt sich statt eines vollständigen Panoramas ein dunkles Netz aus vagen Zusammenhängen mit einigen für kurze Zeit erleuchteten Fäden darin.403 Schließlich existiert noch eine dritte Ausformung der Intuition, die dem Detektiv in seinen Fällen zuarbeitet. Diese dritte Art flüstert Marlowe zu, dass er zu spät kommt, dass der Tod sein Geschäft bereits vollendet hat. Als Medium dieser melancholischen Erkenntnis fungiert der Körper. Zuweilen, wenn Marlowe Personen aufsucht, um ihnen weitere Informationen zu entlocken, warten auf der anderen Seite der Türe Tote. Doch bevor er diesen Umstand gedanklich zu fassen vermag, vermeldet dem Detektiv diese Nachricht bereits der Körper. „My nose twitched and I could feel my lips stiffen and I smelled the harsh, sharp bitter smell from beyond the door.“ 404 Der „scharfe, bittere Geruch hinter der Tür“ ist der beißende Geruch eines abgefeuerten Schusses, 403 Chandler wird gern als ein Autor beschrieben, der der Atmosphäre seiner Romane die Stringenz der Plots opfert  ; als Beweis wird gern die berühmte Anekdote heranzitiert, in der Chandler vom Regisseur Howard Hawks daraufhin befragt, wer denn in seinem Roman den Chauffeur getötet habe, keine Antwort wusste. Gegen eine solche Sichtweise wehrt sich Knight, Crime Fiction, 1800–2000, 118  : „Obviously he was not as focused on plot as the clue-puzzle writers, but scepticism is recommended about the story so loved by unreflective journalists  : that when Hawks asked him during the filming of The Big Sleep, he did not know who kills Owen Taylor. It is perfectly clear in the novel, when carefully read, and if Chandler chose not to tell Faulkner and Hawks, perhaps it was because he felt they might read the novel and find out in return for their huge Hollywood incomes.“ 404 Chandler, The High Window, 62.

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der sein lebendiges Ziel getroffen hat. Doch auf den Detektiv wartet schon der nächste Tote. In diesem Fall ist es das Schweigen, dessen Bedeutung der Körper zuerst erkennt. Als Marlowe den Münzenhändler Morningstar besucht, um sich mit ihm über eine gestohlene Dublone zu unterhalten, werden seine Begrüßungsworte nicht erwidert  : „No answer. Silence. Not even a sound of breathing. The hair moved on the back of my neck.“405 Was der Körper bereits weiß, sehen gleich darauf die Augen  : „He lay crumpled on his back. Very lonely, very dead.“406 Zur körperlichen Dimension der Intuition kann auch die stets sich ohne Verzug einstellende Zuneigung oder Abneigung gerechnet werden, die Marlowe, sobald er auf einen Menschen trifft, empfindet  ; denn die Verteilung von Sympathie und Antipathie zeigt sich, das wird im Laufe des Geschehens ersichtlich, stets als gerechtfertigt. Hier kommt der vom Westerner geerbte scharfe Instinkt am stärksten zum Durchschlag. Doch wie der Glaube an Logik und Vernunft bei Holmes die Sonne ist, welche die Fälle bescheint, folgt auch Chandlers Detektiv unsichtbaren Koordinaten, die ihm die Richtung weisen.

Müssen wir darüber reden  ? Das Ein-Mann-Unternehmen Philip Marlowe hat weder für die kühle Logik noch für die Errungenschaften der Kriminalistik viel übrig. Dieser Umstand aber ist weniger der Tatsache geschuldet, dass der Detektiv den Typus des stillen Arbeiters verkörpert und auf den ersten Blick – anders als Holmes – keinerlei wissenschaftliches Interesse hegt. Die größere Hälfte der Erklärung ist komplexer und besteht nicht zuletzt in dem, was Marlowe der Kriminalistik entgegenhält. Denn zwar nimmt er die gerichtsmedizinischen Berichte, soweit sie ihm kolportiert werden, zur Kenntnis  ; auch die Tatortuntersuchungen und Zeugenbefragungen durch die Polizei gehören für ihn zu nicht gänzlich vernachlässigbaren Hilfen. Doch dass diese Art von Untersuchungen in die Arme der Wahrheit führen, bezweifelt der Detektiv. „[He] has no implicit faith in the authority of science or technology to reveal the truth“407, schreibt Thomas und führt als Beleg für diese Behauptung die exponierte Rolle von Fotografien in Farewell, My Lovely an. Während die Fotografie der zeitgenössischen 405 Chandler, The High Window, 92. 406 Chandler, The High Window, 92. 407 Thomas, The Rise of Forensic Science, 191.

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Kriminalistik als Identitätsbeweis gilt, zeigt der zweite Roman Chandlers auf verschiedenen Ebenen, dass an Fotoaufnahmen Identität nicht festgemacht werden kann. Der mit bescheidener Begabung für seinen Beruf und einem umso sprechenderem Namen ausgestattete Kommissar Nulty jubiliert, als er erfährt, dass sich in den Karteikarten der Polizei die Fingerabdrücke und ein Porträt des gesuchten Moose Malloy befinden  : „Hell, they got him. That was Records. Got his prints, mug, and everything.“408 Diese frohe Zuversicht, Malloy damit eigentlich schon gefasst zu haben, stellt sich bald als Trugschluss heraus  : Im Kühlfach, wie es nach einem missglückten Verhaftungsversuch in bissigem Polizeijargon heißt, landet der Falsche.409 Auch der Augenzeugenbericht als Wahrheitsquell wird im Roman lustvoll demontiert. Als Marlowe sich zum Austausch von Informationen auf dem Kommissariat aufhält, lauscht er mit gespitzten Ohren den Meldungen des Polizeifunks  : „The police loudspeaker box on the wall put out a bulletin about a hold-up on San Pedro south of Forty-fourth. The hold-up was a middle-aged man wearing a dark grey suit and grey felt hat. […] ‚Approach carefully,‘ the announcer said. ‚This suspect is armed with a .32 caliber revolver and has just held up the proprietor of a Greek restaurant at Number 3966 South San Pedro.‘“410 So klingen die Fakten  ; wenig später verkündet die Stimme aus dem Off, die gleichsam die blecherne Stimme des Gesetzes ist, dass der Täter nun in Gewahrsam sei. „It turned out later“, bemerkt Marlowe süffisant über den gefassten Schwerverbrecher, „that he was a fourteen-year-old Mexican armed with a water-pistol. So much for eye-witnesses.“411 In The High Window entlarvt jedoch ausgerechnet eine Fotografie die tyrannische Mörderin  ; die dramatische Momentaufnahme zeigt, wie die mitleidlose Mrs. Murdock ihren Ehemann aus dem Fenster stößt. Allerdings bringt Marlowe, lange bevor ihm das Foto in die Hände fällt, auf anderen Wegen Licht ins dunkle Familiengeheimnis – mittels Psychologie. In einem Brief an seinen Verleger rechnet Chandler, im wahrsten Sinn des Wortes, flächendeckend mit dem Mode-Boom der Psychoanalyse ab, in der die Unterschiede zwischen Freudscher und neofreudianischer Theorie, Vulgärpsychologie und medizinischer Psychiatrie vollständig verschwimmen. „[…] I regard psychiatry as fifty per cent bunk, thirty per cent fraud“, heißt es 408 Chandler, Farewell, My Lovely, 20. 409 Chandler, Farewell, My Lovely, 78  : „We got him in the icebox now […] It was the wrong guy […].“ 410 Chandler, Farewell, My Lovely, 184. 411 Chandler, Farewell, My Lovely, 186.

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gehässig, „ten per cent parrot talk, and the remaining ten per cent just a fancy lingo for the common sense we have had for hundreds and perhaps thousands of years, if we ever had the guts to read it.“412 Kreuzzüge gegen die Psychoanalyse führt Chandler auch in seinem Privatleben. Als Natasha Spender, seine Sekretärin, bei einem Mittagessen die von Freud verfochtene These wagt, dass Neurosen gemeinhin in der Kindheit wurzeln, erwidert Chandler mit angriffslustiger Herablassung  : „Oh, I don’t know – I pick mine up as I go along.“413 In der Aversion Chandlers gegen die Psychoanalyse und eine grobschlächtige Anwendung ihrer Deutungsmuster lässt sich auch die wehrhafte Verteidigung desjenigen erkennen, dessen Leben und Werk von fanatisierten Literaturkritikern gern als psychopathologisches Fallbeispiel herhalten musste  ; die zarte Schwäche seines Detektivs für hartgesottene, verschwiegene Kerle und seine, eine ödipale Fixierung bis zur Perfektion nachstellende, gleich nach dem Tod seiner geliebten Mutter eingegangene Ehe mit der um zwanzig Jahre älteren Cissy werden auch heute noch als Beweise für eine latente Homosexualität des Autors heranzitiert.414 Trotz der massiven Ablehnung Chandlers feiert die geschmähte Psychoanalyse in allen Marlowe-Romanen auf ganz verschiedenen Bühnen und in ganz unterschiedlicher Besetzung ihre Auftritte. Die düsterste Vorstellung stammt von Jules Amthor, einem unheimlichen Cagliostro, der in Farewell, My Lovely mit „psychologischer Beratung“ die weibliche Kundschaft um ihr Vermögen bringt. „I think you are a very stupid person. You look stupid“, eröffnet er Marlowe, ehe er den Detektiv unter Drogen setzen und von korrupten Polizisten in eine Suchtklinik einliefern lässt.415 Mit den halblegalen Spezialkliniken eine enge Verwandtschaft im Geiste unterhalten die geldgierigen Ärzte, deren trübe Porträts Chandler in vielen der Romane zeichnet. Sie verkörpern die pervertierten Ausläufer einer bis zum Extrem medizinalisierten amerikanischen Psychoanalyse. Ihre Arztpraxen fungieren ausschließlich als Umschlagplätze 412 Raymond Chandler  : The Raymond Chandler Papers. Selected Letters and Nonfiction, 1909– 1959. Hg. v. Tom Hiney u. Frank MacShane. New York 2000, S. 174. 413 Natasha Spender  : His Own Long Goodbye. In  : Miriam Gross (Hg.)  : The World of Raymond Chandler. New York 1978, S. 127–158. Hier  : S. 150. 414 Zur Homosexualität Chandlers/Marlowes, vgl. etwa Spender, His Own Long Goodbye, 131. Für Tom Hiney hingegen ist das hard-boiled Genre allgemein auf ein Fundament latenter Homosexualität gebaut  ; vgl. Tom Hiney  : Raymond Chandler. A Biography. New York 1997, S. 246f. Plain baut diesen Ansatz in ihrer Studie aus  ; vgl. Gill Plain  : Twentieth Century Crime Fiction. Gender, Sexuality and the Body. Chicago, London 2001, S. 62–78. 415 Chandler, Farewell, My Lovely, 132.

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für Drogen und Narkotika  ; Süchte und Krankheiten werden gewinnbringend am Leben gehalten und nur die lästigen Symptome aus der Welt geschafft.416 Als zweites Extrem zeigt sich der Hang zum vulgärfreudianischen Jargon und psychologischer Erklärungswut. Oft als primitiver Schlägertrupp ausgewiesen, zeigt sich in The Long Good-Bye gar die Polizei unter dem drückenden Einfluss der Psychoanalyse. So beklagt sich Bernie Ohls, ein Polizeikommissar, bei Marlowe  : „This ain’t police business any more. It’s getting to be a branch of the medical racket. They’re [i.e. psychiatrists] in and out of jail, the courts, the interrogation rooms. They write reports fifteen pages long on why some punk of a juvenile held up a liquor store or raped a schoolgirl or peddled tea to the senior class. Ten years from now guys like […] me will be doing Rorschach tests and word associations instead of chin-ups and target practice.“417 Den prägnantesten literarischen Niederschlag der Chandler’schen Abneigung gegen psychoanalytische Schnellschlüsse findet sich im selben Roman, mit der Psychoanalyse hart ins Gericht geht nicht gerade zufällig ein Schriftsteller. Um zu verhindern, dass sich der alkoholkranke Trivialautor Richard Wade zu Tode trinkt, wird Marlowe zu dessen Überwachung engagiert. In einem Gespräch mit dem Detektiv beklagt sich Wade bitter über den Psychologisierungsfanatismus seiner Mitmenschen  : „Every damn one of them knows I’m an alcoholic“, ärgert sich der Schriftsteller. „So they wonder what I’m running away from. Some Freudian bastard has made that a commonplace. Every ten-year-old knows it by now. If I had a ten-year-old kid, which God forbid, the brat would be asking me, ‚What are you running away from when you get drunk, daddy  ?‘“418 Der hier in Form einer Tirade vorgebrachte Vorwurf an die Adresse der Psychoanalyse zielt auf deren Eifer, für individuelle Motive und Motivationen die immergleichen schablonenhaften Erklärungen hervorzuzaubern  ; damit findet sich die Freudsche Theorie in derselben Ecke, in die Chandler in The Simple Art of Murder die britische Schule verbannt hat  : An einem leblosen Ort, an dem die bloße Mechanik, der ebenso langweilige wie penetrante Schematismus herrscht.

416 Vgl. hierzu auch  : Alexander N. Howe  : The Detective and the Analyst. Truth, Knowledge, and Psychoanalysis in the Hard-Boiled Fiction of Raymond Chandler. In  : Clues. A Journal of Detection 4 (2006), S. 15–29. Hier  : S. 22–24. 417 Chandler, The Long Good-Bye, 275f. Die Polizisten der alten Schule lösen Verbrechen jedoch „with the bright light, the soft sap, the kick to the kidneys, the knee to the groin, the fist to the solar plexus, the night stick to the base of the spine“ (39). 418 Chandler, The Long Good-Bye, 148.

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Doch nicht nur die Personen, die den Detektiv durch die Fälle begleiten, bewegen sich in den Untiefen der Psychoanalyse, auch Marlowe gibt hin und wieder Kostproben angewandter Seelenkunde. Ausgerechnet für den Schriftsteller Wade, der sich so scharf gegen die Kolonialisierung durch freudianische Deutungen wehrt, besteht der Detektiv auf psychologische Betreuung. „He needs a psychiatrist, Mrs Wade“, rät er dessen Frau und fügt, ganz Laienanalytiker, hinzu  : „If you want an amateur opinion, here it is. He thinks he has a secret buried in his mind and he can’t get at it. It may be a guilty secret about himself, it may be about someone else.“419 Was Marlowe hier anskizziert, sind die Umrisse des Freud’schen Traumabegriffs  : ein vergangenes Ereignis, das im Seelenleben nicht verarbeitet werden konnte, verschafft sich als pathologische Störung Ausdruck. Wades strategische Besäufnisse deutet der Detektiv als Wiederholungszwang, dessen Motor die Verfehlung der traumatischen Erinnerung ist.420 „He thinks“, so die Umschreibung des Krankheitsbildes, „that’s what makes him drink, because he can’t get at this thing. He probably thinks that whatever happened, happened while he was drunk“– und deshalb versuche Wade, dieselben Umstände wiederherzustellen, ohne jedoch in dieser aufreibenden Selbsttherapie das traumatische Erlebnis selbst in Erinnerung rufen zu können.421 Auch in anderen Romanen lässt sich der Detektiv zu Diagnosen hinreißen. Bereits in The Big Sleep überführt Marlowe zwar die Mörderin  ; weil er aber ihre psychische Krankheit und geistige Zurückgebliebenheit erkennt, liefert er sie nicht der Justiz aus, sondern sorgt dafür, dass sie sich in psychiatrische Obhut begibt. In The High Window erklärt der Detektiv, nachdem er bei einem jüdischen Arzt eine kurze Einführung in Psychoanalyse erhalten hat, der mit einem Schuldkomplex beladenen Merle ihr Leben und Leiden  : „I think, maybe, you think you killed Horace Bright. You had a motive and an opportunity and just for a second I think you might have had the impulse to take advantage of the opportunity. But it wouldn’t be in your nature. At the last minute you would hold back. But at the last minute probably something 419 Chandler, The Long Good-Bye, 155. 420 Vgl. Sigmund Freud  : Jenseits des Lustprinzips. SA Bd. III. Frankfurt a. Main 2000, S. 213–272  ; hier vor allem S. 244–252. 421 Chandler, The Long Good-Bye, 155. Eine noch schönere Version einer Trauma-Definition, diesmal auf Wades Schreiben angewandt, stammt aus dem Mund eines Polizeibeamten  : „He wrote and wrote and wrote. Drunk or sober he hit that Typewriter. Some of it is wild, some of it kind of funny, and some of it is sad. The guy had something on his mind. He wrote all around it but he never quite touched it.“ (235)

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snapped and you pulled a faint. He did actually fall, of course, but you were not the one that pushed him. […] You were made to think you had pushed him […]. It was done with care deliberation and the sort of quiet ruthlessness you only find in a certain kind of woman dealing with another woman. You wouldn’t think of jealousy to look at Mrs Murdock now – but if that was the motive, she had it. […] She had the strange wild possessive love for her son such women have. She’s cold, bitter, unscrupulous, and she used you without mercy or pity, as insurance, in case Vannier ever blew his top. You were just a scapegoat to her.“422 Nach dem Blick in die Vergangenheit, wagt sich der Therapeut an die Gegenwart heran  : „If you want to come out of this pallid subemotional life you have been living“, lautet der Ratschlag an die Patientin, „you have got to realize and believe what I am telling you. I know it’s tough.“423 Die Analysesitzung schlägt allerdings fehl  ; auch als Marlowe als Beweis seines Vortrags die Fotografie, die zeigt, wie Mrs. Murdock ihren Gatten aus dem Fenster stößt, ins Spiel bringt, bleibt Merle in ihrem alten, falschen Leben zurück. „Mrs Murdock has always been lovely to me“, lautet die gegen Einwände resistente Antwort.424 Die therapeutische Wahrheit, die durch Marlowe spricht, kommt aber nicht nur im Angesicht psychisch kranker Figuren zum Einsatz, sondern allgemein an den Romanenden, wenn der Detektiv den Täterinnen und Tätern ein letztes Mal gegenübersteht. Auch hier schlüpft Marlowe regelmäßig in die Rolle eines Freud’schen Bastards. Tatsächlich gibt es keinen einzigen Fall, in welchem der Detektiv am Schluss die Täter an die Polizei überstellt. Die Auffälligkeit hat System  : beinahe alle Mörder sterben, ehe sie der Justiz überantwortet werden  ; sie finden entweder durch eine fremde Hand den Tod oder bringen sich, viel häufiger, selbst um. Dieses schuldbewusste Sterben ist nicht zuletzt eine indirekte Folge des Marlowe’schen Mottos  : „All I did was nothing.“425 Dem angewandten Leitspruch voraus aber geht stets die Konfrontation des Täters mit seinen Taten, in den Schlussszenen der Romane wird der Schuldige mit seinen Verbrechen bekannt gemacht. Dass Detektive oder Kommissare den Überführten ihre Taten und Motive schließlich vorbuchstabieren, ist ein allgemein verbreitetes Unternehmen. Am Ende von Marlowes Fällen aber 422 Chandler, The High Window, 216f. 423 Chandler, The High Window, 217. 424 Chandler, The High Window, 217. 425 Chandler, Farewell, My Lovely, 244.

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werden die Schuldigen mit einem Wissen bekannt gemacht, von dem sie bis anhin verschont geblieben sind. „Wir kennen alle“, schreibt Žižek, „aus Zeichentrickfilmen folgende klassische, archetypische Szenen  : Eine Katze nähert sich einem Abgrund, aber sie bleibt nicht stehen, sie geht ruhig weiter, obwohl sie schon, ohne Grund unter ihren Füßen zu haben, in der Luft hängt. Sie fällt erst in dem Moment, in dem sie hinunterblickt und erkennt, daß sie in der Luft schwebt.“426 Die Komik in der von Žižek beschriebenen Szene erscheint in Chandlers Romanen jedoch als Tragik  : nachdem sie aus Marlowes Mund erfahren haben, was sie sind, gehen die Mörder, als wäre nichts geschehen, noch ein Stück weiter, doch der Boden unter ihren Füßen trägt sie nicht mehr. „She went up the stairs slowly, moving with calm elegance. She disappeared into her room and the door closed softly but firmly behind her. Silence.“427 Hinter dieser Tür wird sich Eileen Wade das Leben nehmen. „A murderer“, sagt Marlowe, „is always unreal once you know he is a murderer.“428 Und als hätten sie ihr literarisches Leben verwirkt, laufen die Täter, einmal mit ihrer mörderischen Vergangenheit konfrontiert, dem Tod in die Arme. „I want to get out of here“, erklärt der überführte Degarmo am Ende von The Lady in the Lake. „Not very far, maybe, but no hick cop is going to put the arm on me. Any objections  ?“429 Zwei Seiten später ist er bereits in einem Auto über einen Damm gestürzt. „There were three men down there. They had moved the car enough to lift something out. Something that had been a man.“430 Obwohl Marlowe bei vielen Gelegenheiten, die von Ferne an therapeutische Sitzungen erinnern, gern sein Unbehagen kundtut („Do we have to go into that stuff  ?“431), ist der Detektiv seit Chandler genau auf die Rolle desjenigen abonniert, der die Fälle nicht mit analytischem Denkvermögen löst, sondern anhand einer Analytik, die auf das Verstehen des Seelenlebens zielt. Nicht mit der altjüngferlichen Miss Marple, die durch bloße Kunst der Analogie Morde aufklärt, indem sie die Schar der Verdächtigen mit den Bewohnern von St. Mary Mead vergleicht, sondern mit der hard-boiled detective school hält die Psychologie, die, den Zeitgeist atmend, immer schon als Psychoana-

426 Žižek, Liebe Dein Symptom wie Dich selbst  !, 69. 427 Chandler, The Long Good-Bye, 266. 428 Chandler, The Long Good-Bye, 269. 429 Chandler, The Lady in the Lake, 234. 430 Chandler, The Lady in the Lake, 237. 431 Chandler, The High Window, 173.

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lyse ausgewiesen ist, Eingang in die Detektivliteratur. Im desolaten Setting aus lädierten Familien, erloschenen und lodernden Liebschaften, gekränkten Eitelkeiten und erkrankten Gemütern begleitet sie den Detektiv als blasser Leitstern durch die Dunkelheit der Fälle. Nicht Wahrheit, auch nicht die gesuchte Gerechtigkeit, sondern ein Erahnen der menschlichen Abgründe, das sich dem sicheren Wissen immer wieder entzieht, ist das neue Geschäft des Detektivs.432 „There are people who kill out of hate or fear or greed“, lautet die Handvoll Erkenntnis nach Abschluss eines Falles. „There are cunning killers who plan and expect to get away with it. There are angry killers who do not think at all. And there are the killers who are in love with death, to whom murder is a remote kind of suicide. In a sense they are all insane […].“433

432 Auch Howe sieht Marlowes analytisches Talent, allerdings eines mit Lacanschem Einschlag  ; die Ähnlichkeit zwischen dem Detektiv und einem (lacanianischen) Analytiker liegen, so Howe, im Verfehlen einer eindeutigen Interpretation. Vgl. Howe, The Detective and the Analyst, 27. 433 Chandler, The Long Good-Bye, 269.

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The Freudian bastard takes over „There’s a stake in your fat black heart And the villagers never liked you. They are dancing and stamping on you. They always knew it was you. Daddy, daddy, you bastard, I’m through.“ (Sylvia Plath, Father)

„Hemingway says somewhere that the good writer competes only with the dead“, schreibt Chandler in The Simple Art of Murder und fügt weise hinzu  : „The good detective story writer (there must after all be a few) competes not only with all the unburied dead but with all the hosts of the living as well.“434 Einer aus der Riesenschar der Lebenden, die in den Vierzigerjahren in Chandlers Rücken heranwächst, ist Ross Macdonald. Sein Roman The Moving Target, in dem der Privatdetektiv Lew Archer seinen ersten Fall aufklärt, erscheint 1949. Chandler liest das Buch mit Argusaugen und fällt ein gnadenloses Urteil. In einem Brief an den bekannten Literaturkritiker James Sandoe verliert er, ehe er zum groben Schlag ausholt, über den Roman zunächst einige nette Worte. Manche Elemente des Plots erinnern ihn an seinen Erstling The Big Sleep, andere an Hammetts The Thin Man, und, so Chandler, das störe ihn nicht, da jeder Schriftsteller, um überhaupt einen Anfang zu finden, beim Imitieren seiner Vorgänger ansetzen müsse. Als abstoßend hingegen empfände er den prätentiösen Stil  ; „here is a man“, heißt es mit scharf gespitzter Feder, „who wants the public for the mystery story in its primitive violence and also wants it to be clear that he, individually, is a highly literate and sophisticated character.“435 Die Beispiele, die Chandler als Beweise vorlegt, sind mindestens ebenso gesucht wie Macdonalds Wortwahl. Und weil er wohl selbst an der Beweis- und Aussagekraft der mühsam herbeigezogenen Kostproben schriftstellerischen Versagens zweifelt, lässt er eine allgemeine Diagnose folgen, der er Macdonald elegant einverleibt. „[…] I think that certain writers are under 434 Chandler, The Simple Art of Murder, 183. 435 Chandler, Selected Letters, 164.

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a compulsion to write in recherché phrases as a compensation for a lack of some kind of natural animal emotion“, lautet das Diktat gewitzter Boshaftigkeit. „They feel nothing, they are literary eunuchs, and therefore they fall back on oblique terminology to prove their distinction. It is the sort of mind that keeps avant garde magazines alive […].“436 Die scharfzüngig formulierte Ablehnung wird Macdonald nicht entgangen sein. Auch der ewigen Vergleiche mit Chandler müde, unternimmt er 1952 in einem Brief an Alfred A. Knopf, der später unter dem Titel Farewell, Chandler publiziert wird, den wehrhaften Versuch, sich gegen seinen älteren, übermächtigen Konkurrenten abzugrenzen. Er respektiere den berühmten Schriftsteller, dem er viel verdanke, aber, fährt Macdonald mit Bestimmtheit fort  : „I can’t accept Chandler’s vision of good and evil. It seems to me that it is conventional to the point of old-maidishness, that it is anti-human to the point of sadism (Chandler hates all women, and really likes only old men, boys, and his Marlowe [sic  !] persona), and that the mind behind it, for all its tremendous imaginative force, is both uncultivated and second-rate.“437 Nach diesem kräftigen Rundumschlag besitzt Macdonald aber immer noch genug Kraft, um Chandler gar zum Totengräber der hard-boiled detective school auszurufen  : „The old-line hardboiled mystery, with many guns and fists and fornications, has been ruined by its own practitioners, including Chandler.“438 Jahre später wird Macdonald in seinem Essay The Writer As Detective Hero (1965) mit Chandler, der gefangen gewesen sei wie der alte Hemingway „in an unnecessarily limiting idea of self, hero, and language“, noch einmal abrechnen.439 Das Duell zwischen dem gestrengen Vater und dem nach Abgrenzung dürstenden Sohn wird aber nicht nur in theoretischen Kampfschriften, sondern auch auf dem Feld der Literatur ausgetragen. Als eigentlichen Adressaten von Roger Wades unbestimmter Beschimpfung „some Freudian bastard“ in The Long Good-Bye haben viele Interpreten Ross Macdonald ausgemacht.440 Tatsächlich gehört es zu dessen herausragender Eigenart, den Detektivgeschichten tief in Psychoanalyse getauchte Erklärungsmuster zu Grunde zu 436 Chandler, Selected Letters, 164. Ein Beispiel für Macdonalds „prätentiöse Wortwahl“  : „A car is ‚acned with rust‘“  ; weitaus besser und passender gewesen wäre  : „spotted“. (Ebenda). 437 Ross Macdonald  : Farewell, Chandler  : In  : Ralph B. Sipper (Hg.)  : Ross Macdonald’s Inward Journey. Santa Barbara 1987, S. 37–42. Hier  : S. 38. 438 Macdonald, Farewell, Chandler, 39. 439 Ross Macdonald  : The Writer as Detective Hero. In  : Ders.: Selfportrait. Ceaselessly into the Past. Hg. v. Ralph B. Sipper. Santa Barbara 1981, S. 113–122. Hier  : S. 121. 440 So etwa Michael Kreyling  : The Novels of Ross Macdonald. Columbia 2005, S. 82.

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legen. Macdonald, schreibt ein Rezensent emphatisch, habe Freud mit der Detektivstory verheiratet.441 Die in einen Plot verpackte Rache folgt erst nach Chandlers Tod. In seinem 1964 erschienenem Roman The Chill lässt Macdonald mit Roy Bradshaw einen tragischen College-Dekan auftreten, der, trotz fortgeschrittenen Alters, noch immer mit seiner Mutter zusammenlebt  ; am Ende der schauerlichen, mit vielen Leichen befrachteten Geschichte stellt sich, in einer kühnen Umdrehung des ödipalen Szenarios, heraus, dass die tyrannische Alte nicht Bradshaws Mutter, sondern dessen mörderische Ehefrau ist. Mit dem in einer fatalen Lebensgemeinschaft gefangenen EnglischProfessor und seiner um zwanzig Jahre älteren Gattin hat Macdonald unverhohlen an Chandlers schwieriger Ehe Maß genommen und sie als tödliche Verstrickung gezeichnet.442 In seinen 18 Archer-Romanen setzt Macdonald das um, was Chandler immer wieder als Ziel vorgeschwebt haben muss und nur am Rande gelungen ist  : ein gnadenloses Sittenbild, ein gesellschaftliches Panorama Südkaliforniens zu entwerfen. Weil Lew Archer vom Ende der Vierzigerjahre bis in die Siebzigerjahre hinein Ermittlungen durchführt, werden in den einzelnen Fällen die sich verändernden sozialen Realitäten Kaliforniens – die traumatisierten Kriegshelden des Zweiten Weltkrieges, fanatische Sektierer, die Beat-, Surfund Hippie-Bewegung – ablesbar. Hollywood fungiert auch bei Macdonald als Metapher für die „Kehrseite des Dollars“443, gleichzeitig wird die dunkle Bedeutung auf ganz Kalifornien ausgedehnt, das nunmehr für das apokalyp441 Rust Hills im Esquire  ; zu finden auf der Rückseite des Buchumschlages von Die Küste der Barbaren, der Diogenes-Augabe von The Barbarous Coast. Eine andere Formulierung findet der Autor für seine Unternehmung. Freud, erklärt Macdonald in einem Interview, „made myth into psychiatry, and I’ve been trying to turn it back into myth again in my own small way“. Zit. nach Jerry Speir  : Ross Macdonald. New York 1978, S. 7. 442 Zu den Lesern, die The Chill als Referenz auf Chandlers Privatleben verstehen, gehört nach Tom Nolan auch Joyce Carol Oates. Vgl. Tom Nolan  : Ross Macdonald. A Biography. Scottsdale 2001, S. 231. Macdonald schreibt auch nach Chandlers Tod noch lange Jahre in dessen Schatten  ; große Bekanntheit und kommerzieller Erfolg ereilen ihn erst spät. Als 1969 The Goodbye Look erscheint, beschließen mehrere führende New Yorker Kritiker, die seit ihrer College-Zeit begeisterte Machdonald-Leser sind, dem alternden Autor endlich zum verdienten Durchbruch zu verhelfen  : Sie schreiben alle ausführliche und hymnische Rezensionen, die in den wichtigsten Blättern erscheinen. Der Erfolg dieser Aktion, die als „the benign conspiracy“ in die Annalen des New Yorker Feuilleton eingeht, ist gewaltig  : The Goodbye Look schafft den Sprung auf die Bestsellerlisten wie auch alle folgenden Romane. Vgl. Nolan, Ross Macdonald, 282ff. 443 So die Übersetzung des Titels von Macdonalds Roman The Far Side of the Dollar.

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tische Ende des amerikanischen Traumes steht  : Der Sonnenstaat zeigt sich als dem Untergang geweihtes Katastrophengebiet. In The Underground Man (1971) dient als bedrohliche Kulisse für das Verbrechen ein Waldbrand, in Sleeping Beauty (1973) rahmt eine verheerende Ölpest vor der kalifornischen Küste eine familiäre Tragödie ein. Die Schlussszene von The Instant Enemy (1968) wiederum zeigt eine beklemmende Momentaufnahme kurz vor dem Eintreffen des Jüngsten Gerichts  ; zu sehen ist Lew Archer, der einen mit ­einer obszön hohen Summe gezierten Scheck zerreißt und die Papierfetzen auf eine unendliche Schar von Verweifelten, Verrückten und Verlorenen niederregnen lässt  : „I tore it into small pieces and tossed the yellow confetti out the window. I drifted down on the short hairs and the long hairs, the potheads and the acid heads, draft dodgers and dollar chasers, swingers and walking wounded, idiot saints, hard cases, foolish virgins.“444 Chandlers bei seinem ersten Angriff gegen Macdonald platzierte Bemerkung, dass dessen Debüt die ganze Lebenskraft aus seinen eigenen und Hammetts Romanen ziehe, trifft zur Gänze ins Schwarze  ; mit den ersten sechs Archer-Fällen lehnt sich der junge Autor mit einer kräftigen und schweren Schulter an seine Vorbilder an und versucht sich erfolgreich als Epigone, der fleißig beiden Herren dient. In The Drowning Pool (1950) und The Way Some People Die (1951) spricht er mit der harten Stimme Hammetts, The Ivory Grin (1952) und The Barbarous Coast (1956) hingegen sind eher im Tone Chandlers gehalten  ; auch das Setting – Hollywood, die oberen Zehntausend und traurige, der unterprivilgierten Klasse entwachsene Einzelschicksale – ist mit beiden Händen Chandler abgeschrieben.445 Das von Chandler übergelaufene Romanpersonal verabschiedet sich zum Teil vom fantastischen Reichtum und legt einige der mondänen Allüren ab, ehe es sich in der Macdonald’schen Welt niederlässt und im Gewand bürgerlicher Biederkeit erscheint  : die verführerische femme fatale zeigt sich als verwelkte alkoholkranke Schönheit  ; als ihr Gegenpol tritt die puritanische mittelalterliche Ehefrau und überforderte Mutter auf. Gesellschaft leisten ihnen der selbstverliebte und untreue Ehemann und verstörte, rebellische Jugendliche, die mit den in der Ehehölle kämpfenden Eltern brechen und in der Weite Kaliforniens verschwinden. Topographisches Zentrum der meisten Romane bildet nicht der Dschungel von Los Angeles, sondern die fiktive Kleinstadt Santa Teresa, in der viele von Ar444 Ross Macdonald  : The Instant Enemy. New York 1970, S. 201. 445 Zum Verhältnis Macdonalds zu Hammett und Chandler, vgl. Kreyling, The Novels of Ross Macdonald, 54–81.

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chers Klienten wohnen  ; auch an diesem Wechsel kann man die Verschiebung in Richtung Bürgerlichkeit erkennen. Im Gegensatz zu Chandlers Figuren, schreibt Macdonald, seien seine Charaktere zwar nicht außergewöhnlich, dafür jedoch lebensechter.446 Die Beweisführung dieser Behauptung ist eigenwillig  : „My main villains“, so die Begründung, „are a pathetic old psychoneurotic and a trapped housewife.“447 Die beschworene Lebensechtheit aber fällt, wie Gabriele Dietze es formuliert, in der Folge der „Hausfrauenparanoia“ zum Opfer  ; in vierzehn der achtzehn Archer-Fälle werden an der Mutter- und Gattinnenrolle krankende Frauen als Mörderinnen entlarvt.448 Der bereits in den frühen Romanen deutlichste Unterschied zum übermächtigen Konkurrenten, der im Laufe der Zeit immer klarer zu Tage tritt, liegt im Einsatz der Moral, die sich bereits am Vorwurf, Chandlers Trennung zwischen Gut und Böse sei „altmädchenhaft“, „sadistisch“ und „zweitklassig“, ablesen lässt. Tatsächlich wird in den Fällen Archers der strenge Gegensatz stetig abgebaut, denn ihn, schreibt Macdonald, interessiere diese strikte Grenzziehung nicht, mit seinen Büchern verfolge er ein anderes Ziel  : „My subject is human error“, heißt es politisch korrekt. „My interest is the exploration of lives.“449 Weniger das Verbrechen als Schuld in allen Abstufungen und Tonlagen wird in fast epischer Breite zum eigentlichen Thema der Romane. Chandler ähnlich, beschreibt Macdonald sexuelle Perversionen und von Besitzgier diktierte Machenschaften, doch gelten sie ihm weniger als beredte Zeichen charakterlicher Devianz oder allgemeiner Dekadenz, sondern vielmehr als Folge einer schwierigen Kindheit, psychischer Krankheiten und emotionaler Krisen  ; Nachvollziehbarkeit und Erklärbarkeit werden, wenngleich stets die Psychopathologie bemühend, zum Hauptgeschäft erhoben. The Doomsters (1958) und, noch deutlicher, The Galton Case (1959) markiert eine Wende in Macdonalds Schaffen, die sowohl die Detektivfigur als auch den Plot der Fälle mit einschließt.450 Die immergleiche Geschichte, die Archer 446 Macdonald, Farewell, Chandler, 40  : „The characters are less remarkable but more lifelike […].“ 447 Macdonald, Farewell, Chandler, 39. 448 Vgl. Dietze, Hardboiled Woman, 117. 449 Macdonald, Farewell, Chandler, 39. 450 Biographisch wird die Wende in Macdonalds Werk mit der Tragödie seiner Tochter Linda erklärt. 1956 fährt die 17-jährige in betrunkenem Zustand Auto und verursacht einen Unfall. Unter Schock stehend begeht sie Fahrerflucht und überfährt wenig später einen Elfjährigen, der an seinen Verletzungen stirbt  ; wieder begeht sie Fahrerflucht. Nach einigen Tagen wird sie verhaftet und in psychiatrische Behandlung übergeben. 1958 verschwindet Linda von Zu-

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fortan, bis zu seinem letzten Fall im Jahr 1976, erzählt, ist eine mit Tragödien befrachtete Chronik über den Untergang der kalifornischen Kleinfamilie  ; wohin der Detektiv blickt, wohin er auch geht, überall treten ihm Menschen in ihrem Elend als Familienangehörige entgegen. Das Verbrechen, das bei Hammett als das Symptom einer korrupten Gesellschaft erscheint und bei Chandler das wahre Gesicht von Reichtum und Geldgier ist, wird bei Macdonald zu einem ausschließlich familiären Problem, zu einer privaten Angelegenheit, die missratene Söhne, selbstverliebte Väter, hysterische Töchter und Rabenmütter betrifft. Damit ist der Privatdetektiv mit Archer endgültig im Ur-Privaten angekommen.

Mama, Papa Aus genügend weiter Entfernung betrachtet, gleichen sich Marlowe und Archer wie Zwillinge. Wie sein ungeliebtes Vorbild stattet auch Macdonald seinen Detektiv mit den bewährten Tugenden und Gewohnheiten aus  : Archer ist unbestechlich („Money costs too much“)451, mehr an der Gerechtigkeit als am Gesetz interessiert, er lebt allein, besitzt ein spartanisch möbliertes Büro am Sunset Boulevard, beherrscht den tough talk und setzt ihn als Wunderwaffe in gefährlichen Situationen ein. Als ein ältlicher Gangster den Revolver auf ihn richtet, heißt es ungerührt  : „Do you use bluing when you wash your hair  ? I had an aunt who said it was very effective.“452 Wie Marlowe übt er eine gewisse Wirkung auf Frauen aus  : „With the second tonic she let me look down her dress. She was smooth and brown as far as I could see. She arranged herself on the chaise with one hip up, so that I could admire the curve.“453 Und auch ihn begleitet die tragische Aura eines Unglücksboten und Leichensammlers  : „You smell like trouble to me“, lautet die treffsichere Antwort, als Archer sich als Beschützer vor drohendem Unheil anbietet.454 Eine Steigerung erfährt die detektivische Passivität, die hier in ihrer eigentlichen Bedeu-

hause und taucht drei Wochen später in Reno auf, ohne je Angaben über ihren Verbleib in den letzten Wochen machen zu wollen oder zu können  ; vgl. Nolan, Ross Macdonald, 163–176  ; 207–213. 451 Macdonald, The Goodbye Look, 168. 452 Ross Macdonald  : The Moving Target. New York 1970, S. 50. 453 Ross Macdonald  : The Chill. New York 1990, S.  35. 454 Ross Macdonald  : The Underground Man. New York 1992, S. 77.

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tung, als schmerzhafter Ausdruck des Erleidens, begegnet  ; wie sein Vorgänger wird auch Macdonalds Detektiv immer wieder durch brutale Schläge um das Bewusstsein gebracht, doch reicht die Passion Archers noch einen peinvollen Schritt weiter. In The Drowning Pool wird er von Wassermassen beinahe verschlungen, in The Goodbye Look erleidet er einen Schulterschuss, und The Galton Case beschert ihm einen Kieferbruch, der ihn zwingt, zwei Wochen lang das Krankenhausbett zu hüten. Dort ernährt er sich von pürierter Säuglingsnahrung, und diese grandiose Szene der Regression besitzt Symbolcharakter  : Die Detektivfigur wird von der gewaltigen Wucht der Handlung in den Hintergrund gedrängt, sie ist, obwohl als Ich-Erzähler eingesetzt und im markanten Gegensatz zu den Romanen Chandlers, nicht länger das emotionale Zentrum der Fälle.455 Besonders deutlich machen die Romanenden die diskrete Rolle Archers sichtbar, in denen der Blick stets auf die Opfer und Täter gerichtet ist, die nicht selten beide Rollen gleichzeitig besetzen  ; ihnen gehört, ehe der Vorhang fällt, der finale Auftritt. Anders als Marlowe, der Schlüssellochspähen für unwürdig erachtet, ermittelt der junge Archer in Scheidungsangelegenheiten. „Most of my work is divorce. I’m a jackal, you see“, heißt die wenig schmeichelhafte Selbstbeschreibung.456 Das schwierige Verhältnis zu den institutionellen Ermittlern hingegen erfährt eine leichte Entspannung  ; Archer arbeitet öfters und mit weniger Ressentiments mit der Polizei zusammen. Diese sanften Abweichungen sind den beiden markantesten Veränderungen in der Charakterisierung der Detektivfigur geschuldet  : Der Privatdetektiv selbst ist ehemaliger Polizist und geschiedener Ehemann. Aus diesem Grund sind seine Besuche auf dem Kommissariat eher Reisen in die Vergangenheit als wilde Konfrontationen. Die missglückte Ehe aber besitzt den Rang einer gelungenen Feuerprobe – fortan ist Archer für seine Expeditionen an die Front des Geschlechterkriegs gerüstet. Die obligatorische Melancholie beschreibt hier nicht nur die Einstellung gegenüber der Arbeit und die Sicht auf eine trostlose Welt, sondern auch den Blick zurück auf das eigene Leben und die „aschblonde Erinnerung an eine Frau“457, mit welcher Archer einst verheiratet war. Mit Macdonalds Privat­detektiv wird die Biografie eines hard-boiled Ermittlers, wenngleich mit 455 Vgl. Macdonald, The Writer as Detective Hero, 121  : „[…] and Archer or a narrator like him is indispensable to the kind of books I write. But he is not their emotional center.“ 456 Macdonald, The Moving Target, 3. 457 Ross Macdonald  : The Doomsters. London 1976, S. 94  : „[…] the ash-blonde memory of a woman I’d once been married to.“

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großartigen Auslassungen, zum ersten Mal plastisch  ; nicht nur die gescheiterte Ehe und die frühere berufliche Karriere werden in Andeutungen skizziert, sondern immer wieder auch, als ein Memento, die schwierige, trostlose Jugend, die ihn beinahe zum Kriminellen bestimmt hätte. Auch aus diesem Grund spendet Archer der jungen, rebellischen Generation Verständnis und Empathie und unternimmt, als ernster Cicerone, immer wieder den Versuch, sie in ein einfacheres Leben zu führen. Bei seinen ersten Auftritten gefällt sich Archer noch in hard-boiled Posen und schießt scharf mit Sprüchen. „Oscar Ferdinand Schmidt is a very euphonious name“, bemerkt er im unverblümten Tonfall der Erpressung. „It will go well in a murder indictment.“458 Im Laufe der Jahre aber legt er die raue Schale ab, häutet sich und wächst in die Rolle einer Ruhe verströmenden Vertrauensperson hinein  ; aus dem hartgesottenen Ermittler wird ein sensibler Vermittler, der nun Aufträge in Scheidungsangelegenheiten von sich weist.459 Der Beginn der Wandlung lässt sich exakt bestimmen. Im 1958 erschienenen Roman The Doomsters sucht der junge Carl Hillman nach seiner Flucht aus einer psychiatrischen Anstalt den Detektiv in aller Frühe in dessen Wohnung auf. Diese Verletzung von Archers Privatsphäre bildet gleichsam den Auftakt und die Voraussetzung für eine Entwicklung, an deren Ende ein Familienchronist mit therapeutischen Fähigkeiten steht. Als würde die frühmorgendliche Heimsuchung die Richtung weisen, ermittelt Archer fortan nur noch im privaten Kreis von Familien, wo er zum Augenzeugen des Generationenkrieges wird. Zwar hat der Detektiv auch in den frühen Fällen Familientragödien beobachtet, aber dies vor allem als Zuschauer, mit dem sicheren Abstand des Unbeteiligten. Von nun an jedoch wird er beim Herzen gepackt, wenn er vor seinen Augen „junge Menschen hinter der Erdkrümmung“ verschwinden sieht.460 Scharfe Fragen und sarkastische Bemerkungen kommen kaum noch zum Einsatz  ; an seine Stelle rückt ein Zuhören, das ganz dem Erzählten lauscht und so den eigentlichen Erzähler, Archer, fast zum Verschwinden bringt. In einem fast zwanghaften Ausmaß weisen die Romane Macdonalds in Plot und Figurenkonstellationen großartige Konstanten auf  ; dazu gehören eine penetrant inszenierte Vatersuche, ein junges Pärchen auf der Flucht und verständnislose Eltern, die verzweifelt die dunklen Familiengeheimnisse 458 Ross Macdonald  : The Drowning Pool. New York 1988, S. 148. 459 Macdonald, The Chill, 2  : „I don’t ordinarily do divorce work […].“ 460 Macdonald, The Underground Man, 148  : „[…] and three young people had slipped away over the curve of the world.“

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zu hüten versuchen. Einen Fall aufzuklären, bedeutet für Archer stets zehn, zwanzig oder dreißig Jahre in die Vergangenheit zu graben, Stammbäume neu zu schreiben und die Schuld großzügig auf viele Schultern zu verteilen. In The Underground Man wird das Schicksal von vier Familien und drei Generationen zu einem tödlichen Knoten gebunden. Trotz der immer wieder heranzitierten Hippie-Bewegung erscheint auch in diesem späten Roman Kalifornien einzig als ein Ort der permanenten Heimsuchung. Ein Taxifahrer, der den Detektiv in ein Gespräch verwickelt, redet nur „von Bränden und Hochwassern, von Erdbeben und Ölüberflutungen. Warum, wollte er wissen, möchte überhaupt jemand in Kalifornien leben“.461 Ein Waldbrand wütet, die Vögel verstummen, dunkle Früchte, die in den Zweigen hängen, sehen aus wie Handgranaten, und als Archer in einem Restaurant eine wohlverdiente Mahlzeit zu sich nimmt, erblicken seine müden Augen ein Amerika der grellen Künstlichkeit und Verfremdung  : „Behind the semielliptical bar“, heißt es mit sanftem Zynismus, „four cowboys who had never been near a cow sang western songs which sounded as if they had originated in the far east.“462 Vor dieser apokalyptischen Kulisse versucht Archer den Mord an Stanley Broadhurst aufzuklären, der, besessen von der Suche nach seinem 15 Jahre zuvor verschwundenen Vater, sein Ende in einem Erdloch findet. Der Schlüssel zur Auflösung des gewaltsamen Todes liegt tief in der Vergangenheit. Indem der Detektiv das einstige Verschwinden von Stanleys Vater aufklärt, bringt er auch Licht ins aktuelle Verbrechen. An der Tragödie der Broadhursts arbeiten noch drei andere Familien mit  : die Crandalls und die Kilpatricks, deren Kinder nach San Francisco verschwinden, und die Familie Snow, aus der die schließlich von Archer überführte Mörderin stammt. Mit der resoluten Mrs. Snow, der ehemaligen Haushälterin der Broadhursts, rekrutiert Macdonald die Täterin wie gewohnt aus dem tristen Milieu der prüden, frustrierten Ehefrau und tyrannischen Mutter. Es sind kalte Frauen, die aus einem ins Wahnhafte zielenden moralischen Überlegenheitsgefühl mit dem Messer in der Hand heiße Morde begehen  ; dass sie die fadenscheinige Intaktheit ihrer schauerlich biederen Welt mit fremden Blut erkaufen, ficht sie kaum an. Als

461 Hier die deutsche Übersetzung von Hubert Deymann  ; Ross Macdonald  : Der Untergrundmann. Zürich 1976, S. 90  : im Original  : Macdonald, The Underground Man, 73  : „He talked about fires and floods, earthquakes and oil spills. Why, he wanted to know, would anyone want to live in California  ?“ 462 Macdonald, The Underground Man, 164. Die Handgranaten  : „Darkening fruit hung down from their branches like green hand grenades.“ (27).

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Archer am Ende Mrs. Snow festhält, um sie der Polizei zu übergeben, gehört das Bestreben der Mehrfachmörderin auch dann, als die kranke heile Welt längst ihr Ende gefunden hat, der Wahrung der Fassade. „You’ll shame me in front of the neighbors“, heißt es vorwurfsvoll an die Adresse des Privatdetektivs.463 Auch mit den vier Leichen – drei Mordfällen und einem Freitod – bewegt sich der Roman im Rahmen der Macdonald’schen Konvention. Wichtiger jedoch als einen einzelnen Täter der Gerechtigkeit zuzuführen, ist es für Archer, das Ausmaß der Schuld und die Menge der Schuldigen zu überblicken. „The circuit of guilty time was too much like a snake with its tail in its mouth“464, bemerkt der Detektiv am Ende von The Doomsters und fügt sich selbst in den geschlossenen Kreis mit ein. Um diesen Kreislauf auszumachen, ist Archer, das besagt auch sein Name, genau der Richtige. Er spannt den Bogen so weit, bis er alle Schuldigen mit einnimmt und Verbrechen und Schuld keine einfache Gleichung mehr ergeben. Als sichtbarstes Zeichen weisen Lücken und Fehlbesetzungen innerhalb der Kleinfamilien auf die verborgene Schuld hin  : fast alle Familien zeigen sich als Rest- oder Schrumpffamilien, in denen häufig der Vater und zuweilen auch die Mutter das Leben der Kinder mit ihrer Abwesenheit verdunkeln. Und trumpft eine Familie als komplette Einheit auf, stellt sich, ganz auf den Leitspruch pater semper incertus est bauend, stets heraus, dass eine Position „falsch“ besetzt ist. Schon diese kurze Skizzierung der familiären Zustände weist mit grell gemalten Pfeilen in die Richtung Freuds. Als Kriminalgeschichten nach psychoanalytischem Muster konstruiert, fördern Macdonalds Romane jene mörderische Dimension zutage, die Freuds Theorie innewohnt  : Die ödipale Suche tritt nicht nur als Suche nach dem Vater, sondern immer auch als Suche nach dem Mörder auf  ; der Familienroman, der in der englischen Übersetzung als family romance die Verklärung gar in der Bezeichnung mitführt, zeigt sich als tödlicher Weg. Seinem Ruf als Freudian bastard gehorchend, lässt Macdonald das Romanpersonal fortwährend, in eine Art Dauergespräch vertieft, über die Familienbeziehungen sinnieren. Ist der Vater abwesend, verzehrt sich der Sohn oder die Tochter vor Sehnsucht nach ihm  ; ist er anwesend, wird seine Präsenz als quälend empfunden. Selbst Väter, Mütter und sogar Grossmütter sind ihren Vaterfantasien hilflos ausgesetzt, die jedoch, wo der Versuch unternommen wird, sie in die Tat umzusetzen, den Tod heraufbeschwören. „I’m going to 463 Macdonald, The Underground Man, 243. 464 Macdonald, The Doomsters, 251.

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find my Daddy“, verkündet die knapp vierzigjährige Jean Trask wenige Stunden, ehe sie ermordet wird, „I’ll find him dead or alive. If he’s alive I’ll cook and keep house for him. And I’ll be happier than I ever was in my born days. If he’s dead I’ll find his grave and do you know what I’ll do then  ? I’ll crawl in with him and go to sleep.“465 Auf jeder Seite treten Figuren aus der von Deleuze und Guattari in ihrem Anti-Ödipus beschriebenen Welt der „ödipalisierten Wunschmaschine“ entgegen, die auf alle Fragen nur mit „Mama, Papa“ zu antworten weiß.466 Wie eine Magnetnadel im Kompass stets nach Norden weist, ordnet das Macdonaldsche Romanpersonal seine Beziehungen immer nach dem familiären Vorbild. Muss, um das Familiengeheimnis zu wahren, die Art und Weise der Verbindung im Dunkeln belassen werden, bleibt als einzig mögliche Antwort auf Archers konkrete Frage  : „You also have a boyfriend  ?“ nur, alle denkbaren Verhältnisse durchzukombinieren. „I call him my boyfriend,“ heißt es dann mit verlegenem Lächeln. „Actually we’re more like brother and sister, or father and daughter – I mean mother and son.“467 Die Anleihen an der Freud’schen Theorie dienen dem Autor jedoch nicht nur als Strickmuster seiner Plots, sondern auch den Romanfiguren als tragfähige Krücken für die Selbst- oder Fremdanalyse  ; alle sprechen gleichsam, in einer unendlichen Therapiesitzung verweilend, von der Couch aus. So empört sich in The Instant Enemy (1968) Mrs. Hackett bei Archer über das allzu enge Verhältnis zwischen ihrem Ehemann und dessen Mutter  : „‚Do you know what they’re doing  ? She’s on the bed beside him feeding him soft-boiled eggs with a spoon.‘ ‚That sounds like an innocent pastime.‘ 465 Macdonald, The Goodbye Look, 57. 466 Gilles Deleuze u. Félix Guattari  : Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Frankfurt am Main 1977, S. 65–351. Hier  : S. 119. Deleuze und Guattari machen in ihrer Studie eine „fanatische Ödipalisierung“ (143) des Unbewussten sowie einen „unheilbaren Familialismus der Psychoanalyse“ (119) aus, dem sie ihr positiv besetztes Modell einer Wunschmaschine gegenüberstellen, die sich nicht aus einem Mangel speist, sondern eine Art Netz aus Strömen und Flüssen der Bejahung meint. Der Ödipuskomplex wird diesem Verständnis nach dem Analysanden vom Analytiker verordnet  : „Am Eingang des Analytikerzimmers steht geschrieben  : laß deine Wunschmaschinen draußen vor der Tür, verzichte auf deine elternlosen und zölibatären Maschinen, auf dein Tonband und dein kleines Fahrrad, tritt ein und laß dich ödipalisieren.“ (70). Vgl. hierzu auch Freuds Beschreibung der therapeutischen Praxis in Die Verneinung  : „‚Sie fragen, wer diese Person im Traum sein kann. Die Mutter ist es nicht.‘ Wir berichtigen  : ‚Also ist es die Mutter.‘“ Freud  : Die Verneinung. SA, Bd. III. Frankfurt a. Main 2000, S. 371–377. Hier  : S. 373. 467 Macdonald, The Goodbye Look, 22.

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‚It’s no joke  ! She is his mother. He has an Oedipus fixation on her, and she encourages it.‘ ‚Who told you that  ?‘ ‚I can see it with my own eyes. She is the seductive mother. The soft-boiled eggs are symbolic. Everything is symbolic  !‘“468 Wenn Lew Archer einen jungen Mann aufsucht, kann es vorkommen, dass er auf dessen Bücherregal die Psychopathologie des Alltagslebens entdeckt.469 „‚She’s even using‘“, beklagt sich ein verzweifelter Vater über seine Tochter, „‚this crude Freudian jargon.‘ His face was red now and his voice was choked. ‚She actually accused me of taking an unhealthy interest in her.‘“470 Die Psychoanalyse trumpft in Macdonalds Romanen aber auch in ihrer Leibhaftigkeit auf  ; Heerscharen von Psychiatern, Sozialpsychologinnen und Ärzten mit einer Schwäche für die Laienanalyse bevölkern die Fälle. Psychiatrische Diagnosen werden am Laufmeter erstellt, besonders beliebt sind verschiedene Varianten eines Schuldkomplexes. „She may well have fantasized her mother’s death, her father’s imprisonment“, erklärt ein Psychiater Archer die Mordgeständnisse einer Patientin, „before those things emerged into reality. When the poor child’s vengeful dreams came true, how else could she feel but guilty  ?“471 Überall werden ödipale Fantasien, Traumata, soziopathische Tendenzen, Gotteskomplexe, Schizophrenie und psychotische Schübe entdeckt  ; in The Goodbye Look (1969) brät und isst Archer gar ein „schizoides Steak“.472

Von der Kunst der Zuhörens In diese morbide Familienlandschaft fügt sich der Detektiv bei seinen Ermittlungen heilsam ein. Er sorgt sich um die Kinder und fühlt mit den Eltern  : „I had no children, but I had given up envying people who had“473  ; er wird als potentieller Liebhaber mit weit offenen Armen empfangen  : „You can make love to me if you want“474, oder als Eindringling empfunden  : „What are you 468 Macdonald, The Instant Enemy, 138. 469 Ross Macdonald  : The Blue Hammer. New York 1977, S. 37. 470 Macdonald, The Goodbye Look, 121. 471 Macdonald, The Chill, 77. 472 Macdonald, The Goodbye Look, 151  : „I went out to the kitchen and turned my steak. It was hot and sizzling on one side, frozen solid on the other, like schizophrenic people I had known.“ 473 Macdonald, The Underground Man, 120. 474 Macdonald, The Underground Man, 107.

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trying to do  ?“ heißt es dann. „Break up my marriage  ?“475 Für die junge Generation nimmt Archer stets die Position des Vaters ein, auf den sie als ideale Zielscheibe ihre Liebe oder ihren Hass projiziert – das Verhältnis zu den Jugendlichen erhält so alle Züge einer Übertragung  : „You sound exactly like Father“, lautet der ärgerliche Widerstand476  ; „I wish you were my father“, bekennt ein sehnsüchtiger Sohn.477 Die mit Ironie durchsetzten Liebhaberallüren eines Philip Marlowe legt Archer immer mehr ab und wird zum väterlichen Berater im Generationenkonflikt und Ehekrieg. Die altbekannte Frage  : „Are you a policeman  ?“478, wird gegen die Frage  : „Are you a shrink  ?“479 ausgetauscht, und tatsächlich folgt die Methode des Detektivs über weite Strecken der Vorgehensweise eines Psychoanalytikers. Geduldiges Zuhören ist sein Geschäft  ; nur wenn der Redefluss, der Ausflüchte, Bekenntnisse und Bruchstücke der Biografie mit sich führt, zu versiegen droht, greift Archer in den Ablauf der Sitzung ein und versucht, durch kurze hartnäckige Einwürfe neue Ergüsse anzureizen. „Why  ?“ heißt es dann, und  : „Is that good  ?“480 Als sei der berüchtigte psychoanalytische Vertrag geschlossen worden, der dem Patienten auferlegt, alles zu sagen, was ihm in den Sinn kommt, auch das Nebensächlichste und Peinlichste, erzählen die Menschen im Angesicht des Detektivs von der Kehrseite ihrer Gedanken und Erfahrungen. „I don’t know why I’m telling you all this. I’ve never told a living soul in my life,“ stellt Mrs. Matheson in The Galton Case erstaunt fest.481 Die Bekenntniswut der Befragten wird unterstützt durch die Diskretion des Detektivs und seine Vertrauen einflößende Erscheinung  ; „a talk-at-able face“, nennt eine Redselige Archers Gesicht.482 „He invites confession“, beschreibt denselben Sachverhalt Mary S. Weinkauf, deren „Studie“ über Macdonalds Romane darauf abzielt, den Ermittler als säkularen Priester darzustellen.483 475 Macdonald, The Underground Man, 172. 476 Ross Macdonald  : The Zebra-Striped Hearse. New York 1998, S. 29. 477 Ross Macdonald  : The Far Side of the Dollar. New York 1977, S. 149. 478 Macdonald, The Blue Hammer, 19. 479 Macdonald, The Blue Hammer, 25. 480 Macdonald, The Far Side of the Dollar, 126. 481 Ross Macdonald  : The Galton Case. New York 1980, S. 40. 482 Macdonald, The Galton Case, 73. 483 Mary S. Weinkauf  : Hard-Boiled Heretic. The Lew Archer Novels of Ross Macdonald. San Bernardino 1994, S. 109. Weinkauf, selbst Pastorin, geht in ihrem Vergleich bis zum Äußersten und wandelt Macdonalds trostlose Romanenden in paradiesische Persepektiven um. „When the crimes are solved“, heißt es am Schluss ihres Werks, „it is as if they had never

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Als treue Begleiterin der therapeutischen Tätigkeit stellt sich häufig jene Wirkung ein, die eine erfolgreiche Analyse als bittere Frucht hervorbringt  : Die „Heilung“ der Familie geschieht auf Kosten ihres Untergangs. „Es kommt zwar alle Tage vor“, schreibt Freud, „daß sich ein Ehemann an den Arzt mit der Information wendet  : ‚Meine Frau ist nervös, sie verträgt sich darum schlecht mit mir  ; machen Sie sie gesund, so daß wir wieder eine glückliche Ehe führen können.‘ Aber es stellt sich oft genug heraus, daß ein solcher Auftrag unausführbar ist, das heißt, daß der Arzt nicht das Ergebnis herstellen kann, wegen dessen der Mann die Behandlung wünschte. Sowie die Frau von ihren neurotischen Hemmungen befreit ist, setzt sie die Trennung der Ehe durch, deren Erhaltung nur unter der Voraussetzung ihrer Neurose möglich war.“484 Häufig muss ausgerechnet Archers Auftraggeber, der den Detektiv zur Rettung der Familie engagierte, zusehen, wie dessen Arbeit die familiären Bande vernichtet. In der Art und Weise seiner Interventionen, in seiner „Kunst des Zuhörens“ wie in seinem Einfühlungsvermögen, eifert der Detektiv jedoch ­einem Psychoanalytiker Fromm’schen Formats nach. Am deutlichsten wird die neofreudianische Orientierung in der ausgeprägt anklägerischen Haltung gegenüber der Elterngeneration. „Freud machte den Analytiker zum Verteidiger der Eltern“, schreibt Fromm. „Der Analytiker sollte aber eine objektive Betrachtungsweise haben und deshalb die Eltern anklagen.“485 Diesem Pfad folgt der Detektiv, indem er das Schuldgefühl der jungen Generation, sei es bewusst oder unbewusst, stets in Zusammenhang mit einer tatsächlichen Schuld der Eltern bringt. Ein Gleiches unternehmen die professionellen Seelenforscher, die durch ihre stramme Präsenz die bedrückend „psychiatrische Atmosphäre“, in der sich die Leute „ungewöhnlich bereit“ zeigen, „ihre Probleme darzulegen“, weiter verdichten.486 „But you can’t treat a child without treating the parents“, lautet die Losung aus ihrem Mund.487 Ihre jungen Patienten stets wehrhaft vor dem langen Arm der Justiz schützend, versorgen sie Archer mit klinischen Dibeen. The case has ended and moral harmony has returned to the family or social unit. People may start their lives over, free from past blame and guilt. Thus Archer the detective has fulfilled many of the obligations and duties of a humanist priest within the framework of a secular society.“ (115). 484 Sigmund Freud  : Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität. SA, Bd. VII. Frankfurt a. Main 2000, S. 255–281. Hier  : S. 260. 485 Fromm, Über die Kunst des Zuhörens, 60. 486 Macdonald, The Far Side of the Dollar, 12  : „People around here are extraordinarily ready to spill their problems.“ – „It’s the psychiatric atmosphere.“ 487 Macdonald, The Chill, 121.

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agnosen, die es ihm erlauben, zwischen eingebildeten und tatsächlich Schuldigen zu unterscheiden  ; weil aber selbst die Psychiater im Gespräch mit dem Detektiv immer wieder dem Redezwang verfallen, beliefern sie ihn mit familiären Hintergrundinformationen, mit deren Hilfe es ihm gelingt, innerhalb weniger Tage zehn- oder zwanzigjährige Familienchroniken zusammenzustellen. Gleichzeitig betont Archer mit Nachdruck die Grenzen seiner Tätigkeit  ; wo das eigene Vermögen nicht ausreicht, rät er zu professioneller Hilfe, welche nur die Spezialisten bereitstellen. „Anyone who even threatens suicide needs counseling“, versichert er der Mutter einer selbstmordgefährdeten Jugendlichen. „I mean professional counseling from a psychiatrist.“488 Liegt bereits in der Geburtsstunde der hard-boiled school auf dem Detektiv der dunkle Schatten, der diejenigen begleitet, die Katastrophen beschleunigen und heraufbeschwören, begegnet diese schicksalsschwere Rolle in Macdonalds Romanen als weise Selbstbeschränkung  ; nach seinen trotz der oft angedeuteten Ahnungslosigkeit zielsicheren Interventionen und Mediationen und seinen verheißungsvollen Konfrontationen, die die mörderischen Familiengeheimnisse ans Tageslicht heben, übergibt Archer das Geschäft an die Institutionen. Wenn die gestellten Täter nicht, wie es die Chandlersche Tradition verlangt, Hand an sich legen, treibt Archer seine traurige Beute in die Arme der Polizei. Die mit Schuldgefühlen beladenen Jugendlichen hingegen werden den Ärzten und Psychologen überantwortet. Damit tritt Archer nicht nur als Mediator in Familienangelegenheiten auf, sondern auch als Vermittler im permanenten Konflikt zwischen Psychiatern und Polizisten  : Während erstere psychisch angeschlagene Personen, die in Mordfälle verstrickt sind, in ihren Kliniken vor dem Zugriff durch die Polizei bewahren, fordern letztere stets (vergeblich) deren Auslieferung. „I do not love the law in its current primitive state“, erklärt in The Chill der Psychiater Godwin, „where sick people are trapped into betraying themselves in their sickness and then treated by the courts as if they were well.“489 Mit seiner Vermittlerrolle im unversöhnlichen Grabenkrieg zwischen Psychiatrie und Gesetz wird das langsame Verschwinden des Privatdetektivs leise eingeläutet. Denn der Anschein von Unabhängigkeit ist gänzlich aufgezehrt, die Aura des einsamen Ermittlers verloren  ; Archer übt sich von Fall zu Fall im Spagat zwischen den Institutionen. Für den allmählichen Abschied des Privatdetektivs gibt es aber auch andere Auspizien. Dazu gehört nicht zuletzt das stete Zuhören. Dem ausdauernden 488 Macdonald, The Underground Man, 197. 489 Macdonald, The Chill, 72.

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Lauschen nebst Mitgefühl und der Hoffnung auf Information mag auch eine eigennützige Lust am Zuhören beigesellt sein, die sich an den Geheimnissen anderer Leute labt.490 „I’ve always known about voyeurs. But you’re an auditeur, aren’t you  ?“491 stellt Ellen Strome in The Underground Man fest und veranschaulicht in diesem Bonmot noch einmal das Verschwinden des private eye, der, im eigentlichen Sinn des Wortes, nun ganz Ohr ist. Die in Macdonalds Romanen zum Extrem gesteigerte Beschäftigung mit dem abgründigen Leben fremder Leute ist gleichzeitig als Hinweis auf das fehlende eigene Leben zu lesen  ; anstatt sich mit den eigenen Wünschen und Problemen auseinanderzusetzen, versteckt sich der Detektiv hinter den Biografien anderer Menschen. „I know your type“, empört sich eine Befragte. „You’re one of those self-elected experts who can’t keep his sharp little nose out of other people’s business. You just can’t bear to see them live their life without you horning in, can you  ?“492 Zwar ist Archer der erste Privatermittler, der die wenigen Stationen und Brüche seiner Vita als Skizze vorlegt. Weil er den weit ausgebreiteten Lebenstragödien jedoch nur die Umrisse der eigenen Biografie entgegenzuhalten vermag, wird er gleichsam aus der Geschichte, die er selbst erzählt, verjagt. Als weiteres Zeichen seines nahen Untergangs präsentiert sich die Auflösung der Grenze zwischen Schuld und Unschuld  ; denn obwohl am Ende mit dem Finger auf die Mörder gezeigt werden kann, verteilt Archer die Verantwortung für die Verbrechen auf eine unübersichtliche Schar von Menschen  ; dies bedeutet für den Ermittler den schmerzlichen Verlust eines direkten Gegenspielers und für die Detektivliteratur die Opferung lebenswichtiger Konturen. Auch ist mit der Familie als ausschließlichem Ermittlungsgebiet das Extrem des Intimen und Privaten erreicht und ausgeschöpft, sodass von nun an wie490 Diese Lust kann man nicht nur für den Zuhörer, sondern ebenso für den Sprechenden vermuten. Über das Verhältnis von Zuhören und Bekennen schreibt Foucault  : „Lust, eine Macht auszuüben, die ausfragt, überwacht, belauert, erspäht, durchwühlt, betastet, an den Tag bringt  ; […] Macht, die sich von der Lust, der sie nachstellt, überwältigen läßt  ; und ihr gegenüber eine Macht, die ihre Bestätigung in der Lust, sich zu zeigen, einen Skandal auszulösen oder Widerstand zu leisten, findet. […] seit dem 19. Jahrhundert haben Eltern und Kinder, Erwachsene und Jugendliche, Erzieher und Schüler, Ärzte und Kranke, der Psychiater mit seiner hysterischen und seinen Perversen nicht aufgehört, dieses Spiel zu spielen.“ Michel Foucault  : Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt a. Main 1997, S. 61 491 Macdonald, The Underground Man, 138. 492 Macdonald, The Blue Hammer, 202. Das Paradebeispiel eines leibhaftigen Schnüfflers liefert Jack Nicholson als Detektiv Jack Gittes in Roman Polanskis Chinatown (USA 1974). Als er bei geheimen Nachforschungen entdeckt wird, schlitzt ein Gangster, gespielt von Polanski selbst, mit einem Messer Gittes’ neugierige Nase auf.

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der andere Felder des Mörderisch-Tragischen zur Detektion freigegeben werden müssen. In The Blue Hammer (1976), seinem letzten Fall, lernt der gealterte Archer die Journalistin Betty Jo Siddon kennen und lieben und verfügt nun, kurz bevor der Vorhang fällt, über jenes Stück Leben, das den Ermittler wieder in einen Privatmenschen verwandelt. „I knew you’d find me,“493 freut sich Betty in aller Zweideutigkeit, als Archer sie, sich für einmal in Aktivität stürzend, aus der Gewalt eines mörderischen Malers befreit. Die Suche des letzten großen Detektivs der hard-boiled school ist damit an ihrem glücklichen Ende angelangt.

493 Macdonald, The Blue Hammer, 250.

Kapitel 6  : Abschied Privatdetektiv, Auftritt Kommissar & Kommissarin

Lebwohl, mein Liebling „And then things changed.“ (LeRoy L. Panek, Post-War American Police Fiction)

Als 1976 der müde und ergraute Archer abtritt, drängen keine eifrigen Nachfolger mehr nach. Mit einer jungen Frau an der Seite dem wohlverdienten Ruhestand entgegenfahrend, verlässt der letzte große Privatdetektiv der hardboiled school eine Welt, die ihn bereits in den Sechzigerjahren, zur Hälfte noch lebend, begraben hat. Zwar arbeiten sich einige unermüdliche Privatermittler bis in die heutigen Tage hinein, doch der Preis, den sie dem neuen Zeitgeist für die Gnade ihres Überlebens zu entrichten haben, ist hoch. Zu den wenigen großartigen Ausnahmen gehören Manuel Vázquez Montalbáns PepeCarvalho-Romane, in denen ein halbes Jahrhundert spanische Geschichte von einer weitab vom Gesetz lebenden Außenseiterfigur aufgearbeitet wird. Vielleicht lässt sich das langsame Sterben des Privatdetektivs sowie die traurigen Unterformen seines Fortexistierens am besten an Film und Fernsehen zeigen. In seinen beiden Auftritten als Philip Marlowe verkörpert der sechzigjährige Robert Mitchum eindrücklich das Ableben des Genres und der hartgesottenen Heldenfigur  : zynisch, alt, mit lebensmüden Augen steht Marlowe ebenso ratlos wie verloren in einer bereits verstaubten Kulisse herum  ; die markigen Sprüche zielen ins Nirgendwo – als bloße Attitüde längst vergangener Zeiten verhallen sie im Dickicht von Gewalt und Verbrechen.494 Wie altmodisch abgelebt die Rolle des einsamen Privatermittlers dem zeitgenössischen Publikum erscheinen musste, zeigt sich auch in der Tendenz der Filmstudios, die konservierten Heiligen der Detektivliteratur auf der Leinwand wiederauferstehen zu lassen. Eine ganze Reihe neuer Sherlock-Holmes-Filme wird in den Sechzigerjahren für Kino und Fernsehen produziert  ; in den Achtzigerjahren werden mit Jeremy Brett in der Hauptrolle 41 TV-Filme realisiert. Auch Miss Marple und Hercule Poirot kommen zu Bildschirm- und Leinwand-Ehren  ; die großen Auftritte von Peter Ustinov als belgischer Meisterdetektiv finden 494 Robert Mitchum verkörpert Marlowe in Farewell, My Lovely (1975  ; Regie  : Dick Richards) und in The Big Sleep (1978  ; Regie  : Michael Winner), dessen Handlung nach London verlegt wurde.

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zwischen 1978 und 1988 statt, eine erfolgreiche TV-Serie mit David Suchet in der Rolle Poirots geht nun bereits ins neunzehnte Jahr. In den Sechzigerjahren verkörpert Margaret Rutherford die berühmteste Bewohnerin von St. Mary Mead, in den Achtzigerjahren ist es Joan Hickson, die in der BBC-Serie als Miss Marple Verbrechensfälle löst. Es scheint, als könne nur durch die nostalgische Wiederbelebung das Überleben des Privatermittlers gewährleistet werden. Gleichzeitig wird mit der zeitlichen Distanz, die zwischen der „Wirklichkeit“ der dargestellten Welt und den Erscheinungsjahren der Filme und Serien liegt, das ohnehin bis zum Extrem künstliche Verbrechen in das Reich der totalen Verfremdung verbannt  ; nicht nur die Ermittlerfiguren besitzen den Charme von liebevollen Parodien, auch die Verbrechen selbst, mit Vorliebe kaltblütige Morde, strahlen ganz im Glanze britischen Humors. Mit dem Begriff der Parodie ist im Grunde das gesamte Leben des Privat­ ermittlers ab den Siebzigerjahren in ein passendes Wort gefasst. Denn auch die wenigen neu geschaffenen Detektivserien wie Magnum (1980–1988), Remington Steele (1982–1987) oder Moonlightning (1985–1989) machen Parodie und Selbstironie zur Strategie  : Kapitalverbrechen, persönliche Bedrohung, ja sogar Lebensgefahr werden mit witzigen Dialogen aus der Welt gelacht  ; der omnipräsente, aber mit spöttischem Elan in Szene gesetzte Geschlechterkampf bereitet der Ironie ein weiteres Darstellungsfeld. Schließlich gibt es mit Mike Hammer einen einzigen hard-boiled Detektiv, der in den Achtzigerjahren zum TV-Serienheld avanciert. Doch auch hier trifft die Bezeichnung Parodie, wenngleich in ihrer unfreiwilligen Variante, ins Schwarze. In Mike Hammer begegnet die sich zur Figur verfestigte Übertreibung der Männlichkeit  : brutal, gewalttätig, schießwütig und sadistisch, treu begleitet von seinem geliebten Revolver („Betsy“) und der immer wieder in die Tat umgesetzten Ansicht, dass die aktive Produktion von Leichen zum sinnvollen Tagewerk gehört.495 Zwar sind die Drehbücher im Vergleich zu Mickey Spillanes Vorlagen deutlich abgeschwächt  ; erscheint in den Romanen Hammer wie ein „wahnsinnig gewordener Bruder“496 von Spade und Marlowe, umweht ihn in der TV-Serie ein Hauch von Melancholie, doch für eine eindrückliche Vorstellung potenzierter Männlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes bleiben immer 495 Vgl. hierzu auch  : Georg Seeßlen  : Detektive. Mord im Kino. Überarb. u. aktualisierte Neuaufl. Marburg 1981, S. 42. Mickey Spillane schrieb die Mike-Hammer-Romane zwischen 1947 und 1997  ; die TV-Serie mit Stacy Keach in der Hauptrolle wurde zwischen 1984 und 1998 produziert. 496 Seeßlen, Detektive, 140.

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Kapitel 6  : Abschied Privatdetektiv, Auftritt Kommissar & Kommissarin

noch genügend schlechte Eigenschaften erhalten. Als letzter hard-boiled Held wird endlich Lew Archer auf die Leinwand gebannt. 1965 und 1974 gefällt sich Paul Newman in der Rolle des private eye Lew Harper, wie Archer in der Filmversion heißt.497 Newmans Interpretation des Titelhelden gehört zu den wenigen vollendeten Fehldeutungen des großen Kinos. Indem er den Privatdetektiv als zynischen, selbstverliebten Misanthropen anlegt, winken die Filme nostalgisch den Noir-Klassikern der Vierzigerjahre zu – die Kraft für ein Eigenleben allerdings besitzen sie nicht. Die Rettung der Welt im Großen, wie sie seit den Sechzigerjahren in der Populärkultur immer wieder eingefordert wurde, legt man in die ebenso flinken wie technisch hochgerüsteten Fäuste der Geheimagenten und, als der Eiserne Vorhang fällt, der furchtlosen Actionhelden. Aber auch die elegische, vergebliche Rettung der Welt im Kleinen wird nicht mehr den Privatdetektiven überantwortet  ; einzig in Filmen, die in längst vergangenen Zeiten spielen, darf der private Ermittler in dem altbekannten bescheidenen Rahmen, der einer Niederlage eng verwandt ist, noch einmal auftrumpfen. In Roman Polanskis Chinatown (1974), dessen Handlung im Los Angeles der Dreißigerjahre angesiedelt ist, erlebt der Privatdetektiv J. J. Gittes noch einmal für kurze Zeit die selbstverliebten Freuden seiner geliehenen Allmacht, ehe er am Ende, auf eine tragische Winzigkeit zurechtgestutzt, hilflos vor dem in Entsetzen aufgelösten Fall steht.498 Die neuen Helden der Großstadt stammen aus den Reihen derjenigen Institution, die stets ein äußerst gespanntes, von Kränkungen belastetes Verhältnis zum Privatdetektiv unterhalten hat und nun seinen Untergang besiegelt  : der Polizei. Seit dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten sich die Kommissare, Sergeants und Inspektoren still und leise an die Heldenrolle heran, um sie Ende der Sechzigerjahre langsam zu erobern und schließlich seit den Achtzigerjahren fast konkurrenzlos zu dominieren. Die Rache, die die Polizei am Privatdetektiv nimmt, ist schrecklich. Zunächst wird er zur persona non grata erklärt und aus dem neuen Genre des Polizeifilms verbannt. Dann, in 497 Für den Wechsel von Archer zu Harper gibt es zwei Erklärungen  ; die plausiblere der beiden lautet  : Durch die Ersetzung des Namens konnte das Filmstudio die von Macdonald geforderte Honorarsumme umgehen. Der zweite Erklärungsversuch  : Joanne Woodward, die Ehefrau Paul Newmans, bestand darauf, dass der Detektiv Harper getauft wurde, weil Newman bereits zwei große Erfolge mit dem Anfangsbuchstaben H verbuchen konnte (Hud, The Hustler)  : Vgl. Nolan, Ross Macdonald, 261. 498 Eine der wenigen Filme, in denen ein Privatdetektiv einen Fall in der Jetztzeit der Sechzigerjahre zur Aufklärung bringen darf, ist Klute (1970  ; Regie  : Alan J. Pakula), mit Donald Sutherland in der Hauptrolle.

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den Achtzigerjahren, darf er unter grausamen Bedingungen wiederkehren  : in den wenigen Auftritten, die ihm zugestanden werden, fristet er als Witzfigur ein vielbelächeltes Dasein  ; im Blockbuster Lethal Weapon 4 (1998) fährt er als exotische Lächerlichkeit mit grotesker Kopfbedeckung, altmodischem Anzug und einem feuerroten Automobil einzig zur Belustigung von Polizei und Publikum vor. Sein bis zur Schrillheit deplaziertes Auftreten, seine clowneske Harmlosigkeit ist nichts als eine aufwendig ausagierte Botschaft, die besagt, dass der Privatdetektiv in der Verbrechensaufklärung ausgedient hat und fantastischen, längst vergangenen Zeiten angehört. Wer die spärliche Literatur studiert, die den heroischen Aufstieg der Polizei in der Detektivliteratur zu erklären sucht, wird nicht glücklich. Der Zweite Weltkrieg wird als Grund ausgemacht, der wachsende Einfluss des Fernsehens  ; und schließlich wird derjenige Begriff ins Feld geführt, der bei so vielen literarischen „Neuerungen“ und emphatischen Abgrenzungen Pate stehen muss  : der Realismus. Angesichts der neuartigen Verbrechenstypen, welche das Amerika der Sechzigerjahre heimsuchten, heißt es da, seien auch neue Formen der Verbrechensbekämpfung erforderlich geworden  ; an die Stelle des abgewirtschafteten Individualismus sei die Beschwörung des Kollektivs getreten.499 Umgeben von Drogendelikten, Serienmorden, Amokläufen und politischen Morden habe der Privatdetektiv die gesamte Aura seines Heldentums eingebüßt, während die Polizei endlich mit ihren früher verlachten Eigenheiten – dem bürokratischen Vorgehen, den Spezialeinheiten, der Teamarbeit, der technischen Ausrüstung – das Ideal der Verbrechensbekämpfung verkörpern dürfe.500 „[P]rivate detectives“, schreibt Joyce Carol Oates, „are rarely involved in authentic crime cases, and would have no access, in contemporary times, to the findings of forensic experts.“501 Die im Film als Witz herausge499 Ernst Mandel, der die Entwicklung der Detektivliteratur, aus marxistischer Perspektive, sozialgeschichtlich analysiert hat, vergleicht den Wechsel vom Privatdetektiv zur Polizei mit jenem vom Einzel- zum Großunternehmen. Vgl. John Scaggs  : Crime Fiction. London, New York 2007, S. 86. 500 Die Auflistung dieser Gründe, die praktisch jeder Erklärung fast zur Gänze entbehren, sind nachzulesen in  : Leroy L. Panek  : Post-War American Police Fiction. In  : Martin Priestman (Hg.)  : The Cambridge Companion to Crime Fiction. Cambridge 2003, S. 155–171  ; und  : Peter Messent  : From Private Eye to Police Procedural – The Logic of Contemporary Crime Fiction (Introduction). In  : Ders. (Hg.)  : Criminal Proceedings. The Contemporary American Crime Novel. London, Chicago 1997, S. 1–21. 501 Joyce Carol Oates  : The Simple Art of Murder, zit. nach Messent, From Private Eye to Police Procedural, 12.

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stellte Unzeitgemäßheit des privaten Ermittlers streicht diese unrealistische Note seiner Existenz und seiner Methoden grell heraus. Man erinnert sich  : Der Detektiv der hard-boiled school ist in den Zwanzigerjahren mit dem Anspruch angetreten, die Detektivgeschichte aus den Fängen derjenigen Autoren zu befreien, „bei denen die Morde nach Magnolienblüten duften müssen und die um keinen Preis daran erinnert werden wollen, daß der Mord ein Akt von unendlicher Grausamkeit ist, selbst wenn die Täter manchmal wie Playboys aussehen oder wie College-Professoren oder nette mütterliche Frauen mit zart gewelltem grauem Haar“.502 Ein knappes Jahrhundert später wird dem Privatdetektiv die Tür gewiesen mit der Begründung, dass seine Ermittlungsmethoden nicht mehr zeitgemäß seien.503 Nun, das sind sie nie gewesen.

Freunde und Helfer Eine literarische Entwicklungslinie, die zur Ersetzung des privaten Ermittlers durch den Kommissar führt, wurde bereits skizziert  : das zunehmend graue Auftreten des hard-boiled detective, jeder Holmes’schen Exzentrik bar, bereitet dem beamteten Detektiv bereits sorgfältig den Boden. Zwar treten in den Romanen Hammetts, Chandlers und Macdonalds die Privatdetektive immer wieder als erfolgreiche Widersacher der Polizei auf – doch oft auch als willige Informanten und ebenso dankbare wie bärbeißige Zuarbeiter. Weil die Gesetzeshüter, geschmückt mit der hellen Seite der Rechtschaffenheit und der dunklen Seite der Käuflichkeit, Marlowe und Archer durch das Dickicht der Fälle stetig begleiten, erhält die Polizeiarbeit schon hier eine überaus großzügig bemessene Aufmerksamkeit. Den Beginn der zweiten Entwicklungslinie markiert Edgar Wallace. Der Brite verfasste zwischen 1905 und 1932 eine unübersichtlich große Anzahl von Kriminalromanen, in welchen Scotland-Yard-Beamte Verbrechen zur Aufklärung bringen. Die Installierung von ebenso unscheinbaren wie fleißigen Helden aus den Reihen der Polizei war in erster Linie eine harsche Antwort auf die von Conan Doyle mit Humor betriebene Sabotage von Scotland 502 Chandler, Die simple Kunst des Mordes, 339  ; im Original  : „[…] who like their murders scented with magnolia blossoms and do not care to be reminded that murder is an act of infinite cruelty, even if the perpetrators sometimes look like playboys or college professors or nice motherly women with softly greying hair.“ Chandler, The Simple Art of Murder, 196. 503 Vgl. hierzu auch  : Scaggs, Crime Fiction, 89f.

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Yard, das im Schatten von Holmes’ Geistesgröße zu einer lächerlichen Ansammlung von hilflosen Beamten verkam. „Wallace“, schreibt George Orwell, „opponierte heftig gegen diese Untergrabung der Polizeiautorität und schrieb sogar Zeitungsartikel, in denen er Sherlock Holmes angriff. Sein Ideal war der Kriminalinspektor, der sich des Verbrechens nicht auf Grund seiner intellektuellen Überlegenheit bemächtigt, sondern weil er ein Teil eines allmächtigen Apparates ist.“504 Tatsächlich ist die Ersetzung von Qualität durch Quantität eine der großen Veränderungen, die der Polizeiroman mit sich bringt  : von nun an führt der Weg zum Erfolg über Teamarbeit  ; individualistische Allüren und egomanische Anwandlungen ereilt unter dem Druck des Gruppenzwangs der schnelle Tod. 1931, ein Jahr vor Edgar Wallaces Tod, veröffentlicht Georges Simenon mit Pietr le Letton seinen ersten Maigret-Roman. Mehr als 80 Romane mit dem Pariser Commissaire werden in den nächsten Jahrzehnten folgen. Mit Maigret triumphiert aber weniger die bürokratische Maschinerie als vielmehr eine penetrant in Szene gesetzte angestaubte Bürgerlichkeit. Der stille Kommissar ist seit 1912 verheiratet, liebt seine Pfeife, seine Weißweine und seinen antiquierten Kohleofen. Neueste kriminalistische Errungenschaften wecken sein Interesse nicht, seine Vorgehensweise setzt sich aus Intuition, Instinkt und einer raffinierten Verhörmethode zusammen, die durch dunkles Schweigen und vertrauenheischende Ruhe den Widerstand der Verdächtigen bricht. Wie Marlowe und Archer liegt die Meisterschaft Maigrets in der leisen Beobachtung und der geduldigen Bereitschaft zuzuhören, doch anders als die kalifornischen Detektive erweckt der Pariser Kommissar, auch in seinen jungen Jahren, immer schon den Eindruck des Gesetzten, Ältlichen. Von Madame Maigret, die am Herd ernste Arbeiten verrichtet, bis zu den gemütlichen abendlichen Bieren, von der Backpfeife bis zur Wertschätzung der hübschen Natur erstreckt sich die pralle Bürgerlichkeit des Kommissars. Gern wird von der Kritik das psychologische Moment gelobt  ; für Maigret, so heißt es dann, bedeute, einen Fall zu lösen, nicht, am Ende einen Schuldigen zu präsentieren, sondern den Täter zu verstehen.505 Das Mitgefühl mit den Überführten bewegt sich jedoch in den engen, dem Gesetzbuch entlang verlaufenden Grenzen, die gleichsam die kommissarische Integrität vor Angriffen der Nachsichtigkeit schützen. Trotz des vordergründigen Interesses am menschlichen 504 George Orwell, Critical Essays, zit. nach Karl Anders  : Der Kriminalroman. Versuch einer Einordnung. In  : Jochen Vogt (Hg.)  : Der Kriminalroman. Zur Theorie und Geschichte einer Gattung. Bd. II. München 1971, S. 533–545. Hier  : S. 541. 505 Vgl. Jochen Schmidt  : Gangster, Opfer, Detektive. 179  ; Schütt, French Crime Fiction, 73.

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Makel und dem brummigen Auftreten des Chefs der Pariser Mordkommission herrscht in Simenons Romanen jene eisige Kälte, die sich einstellt, wenn die staatlich verordnete Gerechtigkeit, begleitet vom pseudo-objektiven Tonfall des Erzählers, durch den treuen Dienst eines kleinbürgerlichen Biedermannes den Sieg erringt.506 In den Vereinigten Staaten beginnt der literarische Aufstieg der Polizei in den Fünfzigerjahren. Als Geburtshelfer dienen jedoch weniger europäische Erfolgsautoren wie Simenon oder Wallace, sondern Radio- und Fernsehsendungen. Vor allem Jack Webbs Dragnet (1949–1959  ; 1967–1970) gibt die Richtung vor  : Zuerst als eine Art Radiohörspiel ausgestrahlt, dann als Serie auf den Bildschirm gebannt, weisen die dort ausgebreiteten Fälle dem sogenannten police procedural den Weg. Der erste Satz, mit dem die Zuhörerschaft begrüßt wird, ist programmatischer Natur. „The story you are about to hear“, heißt es in ernstem Tonfall, „is true  ; only the names have been changed to protect the innocent.“ Wahrheit und Wirklichkeit der Darstellung werden von den Akten des Los Angeles Police Department bezeugt, an die die (nach)gespielten Fälle angelehnt sind. Vom direkten Verweis auf die Realität betroffen ist nicht nur der Plot, sondern vor allem auch die Vorgehensweise der Polizei. Hier begegnet, so die Botschaft, die alltägliche Polizeiarbeit, direkt dem Leben abgezeichnet, in ihrer Wahrhaftigkeit. In den kurzen Romanen von Ed McBain, die ab 1956 veröffentlicht werden, erschafft die Absicht, die Dinge der Wirklichkeit gemäß darzustellen, ein ganzes Paralleluniversum. Das 87. Polizeirevier der Großstadt Isola ist ein kriminalistischer Mikrokosmos, der 16 Beamten als berufliches Zuhause dient. Teamarbeit, das Zusammenspiel der verschiedenen Ermittler wird hier auf jeder Seite gefeiert. Lakonische Beschreibungen der Tätigkeit der Spurensicherung, Schilderungen bedrohlicher Schießereien und anderer heimtückischer Gefahren wechseln sich ab mit Gesprächen der Polizisten untereinander, die das Allzumenschliche herausstellen. Auch bei der Zusammenstellung seines Ermittlerteams ist es McBain darum getan, eine Welt im Kleinen abzubilden  ; es finden sich Protestanten und Juden, irischund italienischstämmige Detektive, Schwarze, Weiße und Hispanics, Helden und Versager, aufrichtige Gesetzeshüter und ein paar wenige korrupte schwarze Schafe. Trotz einiger Vorbehalte und seltener Ausnahmen schlägt die Charakterzeichnung der Ermittler stark ins Positive aus  ; sie repräsentieren mit ihrem Pflichtbewusstsein, ihrem ernsthaften Fleiß, ihren hübschen kleinen 506 Diese Kälte ist auch Julian Symons aufgefallen, vgl. Symons  : Bloody Murder. From the Detective Story to the Crime Novel. Harmondsworth 1985, S. 137.

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Fehlern, ihrer Wertschätzung von Gruppenarbeit und Familienwerten die Tugenden der Mittelklasse.507 Auch hier trumpft, wie bei Simenon, der biedere Bürger als siegreicher Hauptdarsteller auf, diesmal in seiner amerikanischen Variante, lauter und effektvoller, aber noch immer graues Mittelmaß, einzig mit Hilfe staatlicher Legitimation an die Spitze des Heldentums befördert. Im Schweden der Sechzigerjahre liest und übersetzt ein Ehepaar einige Romane McBains und beginnt gleichzeitig selbst mit der Produktion von Polizeiromanen. Maj Sjöwall und Per Wahlöö übernehmen das Konzept des Amerikaners und machen das Ermittlerteam eines Stockholmer Kommissariats zu ihren Protagonisten. Im Zentrum der Polizistengruppe leuchtet dunkel Kommissar Martin Beck. Mit Beck wird die Schraube noch einmal weitergedreht  : er ist brummig wie Maigret, aber ungleich sensibler  ; er ist umkränzt von der immergleichen Mitarbeiterschar, die jedoch nicht aus bloßen Stereotypen gebaut ist wie bei McBain, sondern mit feinerem Strich gezeichnet. Und auch wenn sie den 87th-Precinct-Romanen einen Teil ihres literarischen Lebens verdanken, so ist die Absicht von Sjöwalls und Wahlöös Unternehmen in keiner Weise dem Geiste McBains verwandt. In ihrer von vornherein auf zehn Bände angelegten Reihe sollten zwar die Polizeiarbeit und Becks Wirken im Vordergrund stehen, doch einzig um im Hintergrund, in der Tiefe des Bildes, eine am Kapitalismus krankende schwedische Gesellschaft erstehen zu lassen. Hier taucht in Ansätzen auf, was bereits den hard-boiled Autoren als ehrenvoller Plan vorschwebte  : die Darstellung des Verbrechens als Symptom eines desolaten Gesellschaftssystems.508 Sjöwall und Wahlöö, so das beinahe einhellige Lob der Literaturwissenschaft, „bewiesen auch, dass Kriminalliteratur dazu benutzt werden konnte, die schwedische Gesellschaft mit scharfer Kritik an Politikern und Bürokraten zu sezieren“.509 Das schmeichelhafte Attribut der Sozialkritik ist inzwischen an jüngere skandinavische Krimiautoren wie Anne Holt oder, ungleich berühmter, Henning Mankell übergegangen.510 Vor allem Letzterer gefällt sich gern in der Pose des Anklägers der westlichen barbarischen Zivilisation und verdeckt damit, dass er seine Gesellschaftskritik im Kielwasser der perversen Sensation mitfahren lässt. Tatsächlich gibt es kaum eine Schule der Detektivliteratur, die mit einer derartigen Liebe zum Detail 507 Vgl. LeRoy L. Panek  : The American Police Novel. A History. Jefferson, London 2003, S. 59. 508 Vgl. hierzu  : Schmidt, Gangster, Opfer, Detektive, 213. 509 Johan Wopenka  : Die schwedische Polizei sichert den Tatort. In  : Jost Hindersmann (Hg.)  : Fjorde, Elche, Mörder. Wuppertal 2006, S. 73–110. Hier  : S. 82. 510 Wopenka, Die schwedische Polizei sichert den Tatort, 95.

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rasende Gewalt und blutige Brutalität beschreibt wie die unter der Flagge des Humanismus segelnde skandinavische. Bombenexplosionen, Maschinengewehrsalven, Kinderschänder und Lustmörder gehören bereits in den Romanen von Sjöwall und Wahlöö zum fixen Inventar, der Beschreibung des blutverschmierten Tatorts und der zerschundenen Leichen wird großzügig Platz eingeräumt  : „Schon ein oberflächlicher Blick auf diese Wunden ließ erkennen, daß jemand mit einem einzigen Hieb Leber, Gallengänge, Magen, Milz und Bauchspeicheldrüse zerfetzt hatte. Außerdem die Hauptschlagader. […] Die Wunde am Zwerchfell war zirka 25 Zentimeter lang und klaffte weit auseinander. Die verletzten Organe waren zwischen den Rändern der aufgeschlitzten Bauchdecke herausgepresst worden. Der Mann war praktisch in der Mitte halb durchgeschnitten worden.“511 Die objektivierende Erzählperspektive, die am selben Kältegrad angesiedelt ist wie die Maigret-Romane, registriert ausgesucht demokratisch die Grausamkeiten ebenso kühl und nüchtern wie die mühsame, oft zur Geduldsprobe erwachsende Polizeiarbeit. Tatsächlich prasseln in den Martin-Beck-Romanen scharfe, von der linken Seite abgeschossene Pfeile der Kritik auf den schwedischen Staat nieder, der zuweilen seine kapitalistische Fratze zeigt, doch die so oft konstatierte Infragestellung von Bürokratie und Polizei fehlt zur Gänze.512 Der geneigte Leser mag bereits die zumeist an die Romananfänge gestellten kurzen Fokussierungen auf den Verbrecher als gesellschaftskritisches Moment missverstehen  ; der exponierte Auftritt des Täters aber ist weniger einem abgründigen psychologischen Interesse der Autoren geschuldet als vielmehr wichtiges Bauelement in der Architektur der Spannung  : wie ein Phantombild huscht der Mörder zu Beginn über die Seiten, um dann von der Polizei gejagt, identifiziert und schließlich gefasst zu werden. Handfeste Gesellschaftskritik scheint dort auf, wo das Verbrechen sich als soziales oder politisches Produkt zeigt  : Terrorismus und Drogengeschäfte, ja überhaupt die düstere Unterwelt gehören zu diesem Panorama einer schwedischen Apokalypse, aber auch Serien- oder Lustmörder, die in den Neunzigerjahren zu den beliebtesten Kriminellen avancieren, geben hier ihren Einstand. Die gefeierte Kritik an der Polizei jedoch muss sich in der Darstellung einzelner ewiggestriger Polizeibeamter, die Bärte bei Kollegen für den Ausdruck von Liederlichkeit halten, und einiger gleichsam von der Kanzel 511 Maj Sjöwall u. Per Wahlöö  : Das Ekel aus Säffle. Reinbek b. Hamburg 2005, S. 34f. 512 Vgl. etwa  : Alexandra Hagenguth  : Der Mord, der aus der Kälte kommt. Was macht skandinavische Krimis so erfolgreich  ? In  : Jost Hindersmann (Hg.)  : Fjorde, Elche, Mörder. Der skandinavische Kriminalroman. Wuppertal 2006, S. 22–49. Hier  : S. 30.

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gepredigter Anschauungen über das „notwendige Übel“ Polizei beschränken. 513 Denn ein gutherziges und erfolgreiches Polizistenteam als David gegen den Goliath des Justiz- und Polizeiapparats antreten zu lassen, bedeutet am Ende immer nur das eine  : den sicheren Sieg der Polizei. Martin Beck ist kein Übermensch, keine Karikatur, kein kaltschnäuziger Ritter, sondern die Verkörperung einer fantastischen Normalität. Aus der beeindruckenden Durchschnittlichkeit ragt einzig die überdurchschnittliche Begabung bei der Erledigung der Polizeiarbeit hervor. Beck ist neugierig, intelligent, an Psychologie interessiert, und mit dem Talent gesegnet, ein guter Gesprächspartner zu sein. „Wenn ihn jemand gefragt hätte, was das wichtigste in seinem Beruf sei, würde er mit größter Wahrscheinlichkeit Systematik, gesunder Menschenverstand und Pflichttreue in der hier angeführten Reihenfolge genannt haben.“514 All diese Eigenschaften finden sich in Beck vereint  ; dazu gesellt sich die Unterstützung durch ein kompetentes Team, in welchem jedes Mitglied wiederum mit zumindest einer hervorstechenden Eigenschaft, sei es die großartige Loyalität oder die besondere Gedächtnisleistung, aufwarten kann. Im Rücken der beschaulichen Gruppe aber thront der riesige Justizund Polizeiapparat, dessen Monstrosität Beck und sein Team ein menschliches Antlitz verleihen. Aus diesem Grund zielt die von Sjöwall und Wahlöö angestrebte Kritik an der Polizei nicht nur ins Leere – mehr noch  : die Autoren arbeiten an der Zementierung der Polizei als Wahrheitsfinderin mit Monopolanspruch fleißig mit. Mit jedem Fall, den der Kommissar zur Auflösung bringt, wird die fragwürdige Institution aufs neue bestätigt, wenngleich, wie es das Gesetz der Serie diktiert, die Bestätigung eine kurzlebige und vorläufige ist. „Herrgott, Lennart“, seufzt Beck nach der Ergreifung des Kinderschänders erleichtert seinen Kollegen Kollberg an, „es ist vorbei.“ – „Ja“, antwortet dieser. „Für dieses Mal.“515 Die das Gesetz immer wieder übertretenden „Schwellenleute“516, wie Peter Handke die Privatdetektive Spade und Marlowe nennt, sind verschwunden und mit ihnen der vage Ort, von dem aus die Legitimation des Justiz- und Polizeiapparats in einem fragwürdigen Licht erscheint.

513 Zum Thema Gesichtsbehaarung vgl. Maj Sjöwall u. Per Wahlöö  : Endstation für neun. Reinbek b. Hamburg 2003. S. 83  ; ein Vortrag über die schwierige Stellung der Polizei, diesmal aus dem Mund Melanders, findet sich im gleichen Roman auf S. 128. 514 Maj Sjöwall u. Per Wahlöö  : Die Terroristen. Reinbek b. Hamburg 2004, S. 278. 515 Maj Sjöwall u. Per Wahlöö  : Der Mann auf dem Balkon. Reinbek b. Hamburg 2003, S. 223. 516 Peter Handke  : Rund um das Große Tribunal. Frankfurt a. Main 2003, S. 15.

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Kleinbürgerliche Fantastik Eine der wenigen Ausnahmen steht ganz am Anfang des Polizeiromans  ; der Autor ist ein Abkömmling der Schwarzen Schule und gehört, zusammen mit Cornell Woolrich, zu den großen Stiefkindern der amerikanischen Literatur. In seinem 1952 erschienenen Roman The Killer Inside Me lässt Jim Thompson einen Hilfssheriff in einer kleinen texanischen Stadt aus dessen innerem und äußerem Leben erzählen. Lou Ford, mit allen Kennzeichen eines Durchschnittsmenschen ausgestattet, lüftet nach einem harmlosen Auftakt seine Maske der Normalität und zeigt sein mörderisches Gesicht. „I killed Amy Stanton on Saturday night on the fifth of April, 1952, at a few minutes before nine o’clock“, heißt es im Tonfall grotesker Nüchternheit. „It had been a bright, crisp spring day, just warm enough so’s you’d know that summer was coming, and the night was just tolerably cool. And she fixed her folks an early dinner, and got them off to a picture show about seven. Then, at eight-thirty, she came over to my place, and …“517 Obwohl – ganz Opfer von Thompsons Hang zur Übertreibung – als Psychopath herausgestellt, besitzt Ford jene beunruhigende Wirkung, die von Figuren ausgeht, die, als Ausnahmen, auf etwas Allgemeines verweisen. „Thompson uses Lou’s schizophrenic personality as an image of the psychosis of an entire society“, schreibt Lee Horsley und bringt das Unbehagen auf den Punkt.518 Der brave Hilfssheriff und brutale Serienmörder verkörpert aber nicht nur, ganz dem Trend der Populärpsychoanalyse folgend, eine kranke, janusköpfige Gesellschaft, sondern, weitaus beunruhigender, die dunkle menschliche Seite seines stets so positiv in Szene gesetzten Berufs.519 Zwar gerät Ford schließlich unter Verdacht und wird von seinen Kollegen gefangengesetzt, aber weil Thompson die IchErzählung im Kugelhagel enden lässt, bleibt das Schicksal des Mörders offen und der Polizei der Triumph verwehrt. Dieses Szenario – der mörderische, korrupte Polizist, der von seinen integren Kollegen auf milde oder radikale Weise eliminiert wird – bildet in der Folge das prominente Muster der institu517 Jim Thompson  : The Killer Inside Me. New York 1983, S. 132. 518 Horsley, Twentieth-Century Crime Fiction, 130. 519 Das pop-psychoanalytische Fundament des Romans zeigt sich in Fords schwieriger Beziehung zu seinem (verstorbenen) Vater und einem Bücherregal voller einschlägiger Literatur  : „I got up and walked along the bookcases, and endless files of psychiatric literature, the bulky volumes of morbid psychology. … Krafft-Ebing, Jung, Freud, Bleuler, Adolf Meyer, Kretschmer, Kraepelin … All the answers were there, out in the open where you could look at them.“ Thompson, The Killer Inside Me, 25.

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tionellen Selbstreinigung. Um der Legitimation zur Aura der Unantastbarkeit zu verhelfen, werden immer wieder einige schwarze Schafe zur Schlachtbank getrieben, die große Herde jedoch erstrahlt umso weißer und in noch schönerem Licht. Diese bequeme Antwort auf die beunruhigende Juvenalsche Frage Quis custodiet ipsos custodes  ? ist unter der Bezeichnung „polizeiinterne Ermittlung“ immer häufiger in Kriminalromanen und Krimi-Serien zu Gast.520 Nicht zuletzt an der Einführung dieser polizeiinternen Kontrollinstanz, die in Wirklichkeit auch, wenngleich in weitaus bescheidenerem Maße, zum Einsatz kommt, ist der Anspruch des Polizeiromans auf eine „realistische“ Darstellung einer tatsächlichen Welt abzulesen. Tatsächlich aber knüpft das enge Band, das den neuen Ermittlertypus an die Wirklichkeit bindet, nicht die Beschreibung der Polizeiarbeit. Zwar zitieren der Kommissar als Detektivfigur und die minutiös geschilderten Methoden der Polizei immer wieder den Vergleich mit der Wirklichkeit herbei, doch betrachtet man die Bedingungen, auf denen die Fälle gebaut sind, wird die großzügige Teilhabe an der Fantastik sichtbar. In zwanghafter Häufigkeit etwa wird der Kommissar aus einem bunten Strauß von Gründen von einem Fall abgezogen, vom Dienst suspendiert und ermittelt, seiner Dienstmarke ledig, dennoch weiter  ; gern auch weilt er in den seltenen und wohlverdienten Ferien, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft ein grausiger Mord geschieht. Mehrfachmörder und Serienkiller zu jagen, gehört zum Alltagsgeschäft, das hinterhältig und kaltblütig ausgeheckte oder von einem langatmigen Rachegefühl diktierte Töten tritt inflationär auf, während das ungeplante, im Affekt begangene Verbrechen, das die wirklichen Ermittler vor die größten Probleme stellt, aus den Polizeiromanen praktisch verbannt ist. Die Krone der Fantastik aber bildet eine Aufklärungsquote von nahezu hundert Prozent.521 520 Eine der klugen Ausnahmen bildet die deutsche TV-Serie Unter Verdacht mit Senta Berger in der Rolle der polizeinternen Ermittlerin Eva Maria Prohacek, weil ihre Untersuchungen in Ansätzen immer wieder die filz- und korruptionsbegabte Umtriebigkeit des Münchener Polizeichefs herausstellen. 521 Es ist vor allem dieser der Realität so steil entgegenstehende wundersame Erfolg bei der Auflösung der Verbrechen, der dem Argument, beim police procedural handle es sich um eine Strategie der gesellschaftlichen Selbstversicherung und Beruhigung, entgegenkommt. Als „social placebo“ bezeichnet John Scaggs die Polizeiliteratur, weil sie das Versprechen, die Verbrecher ihrer „gerechten“ Strafe zuzuführen, unermüdlich einlöst  ; Scaggs, Crime Fiction, 98. Neben der Verteidigung der bürgerlichen Ordnung wird das Genre gern zum Ort erklärt, an dem die berüchtigte Foucaultsche Disziplinierung stattfindet, weil die Stationen der Befragung, der Untersuchung und der Verurteilung immer wieder durchlaufen und auf diese Weise „eingeübt“

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Der Bezug zur außertextuellen Wirklichkeit wird vielmehr durch die Ausbeutung des kommissarischen Privatlebens, das sich am kolportierten Schicksal eines Durchschnittsbürgers orientiert und auf diese Weise den Eindruck von Lebensechtheit erweckt, erreicht. Geht in der klassischen Detektivgeschichte und auch noch in den hard-boiled detective-Romanen das Privatleben der Ermittler ganz in der Ausübung des Berufes auf, wird in den Polizeiromanen das penetrant in Szene gesetzte Glück und Unglück der Kommissare jenseits der Fälle zum wichtigen Bestandteil der Erzählung. Ihre Unschuld verliert die Detektivgeschichte nicht nur dadurch, dass sie den staatlichen Repräsentanten das alleinige Monopol der Wahrheitsfindung in die rechtschaffenen Hände drückt, sondern auch durch ihr träumerisches Schwelgen im Kleinbürgertum. Wallanders schmerzender Hals, die Unzufriedenheit seiner lettischen Geliebten mit seinem dicken Bauch, der morgendliche Blick in das Zimmer seiner Tochter Linda, die vielen netten kleinen Gesten, wenn überarbeitete Kommissare, „hohläugig und matt“ 522, einander kollegial mit einem frischen Hemd aushelfen – all die bürgerliche Behübschung zeigt die Gesetzeshüter, die „die Legalität verkörpern und aus deren Zentrum heraus agieren“ als „kumpelhafte, menschliche und auch allzumenschliche Gruppe, in der ein jeder ein gerade in der Zwiespältigkeit warmhumanes Eigenleben […] führt“.523 Seit den Achtzigerjahren ist das Heer der Polizeidetektive praktisch unüberschaubar  ; hinzu kommt eine undifferenzierte Masse von Krimi-Serien im Fernsehen, die ihrem quantitativen Höhepunkt immer noch entgegenrasen. In diesem Meer der Gleichförmigkeit lassen sich grob zwei Ahnenreihen unterscheiden  ; die eine leitet sich von Maigret her und führt über Wachtmeister Studer und die britischen Chefermittler Commander Adam Dalgliesh und Inspektor Reginald Wexford direkt zum venezianischen Kommissar Guido Brunetti  ; die zweite besitzt als Ausgangspunkt Kommissar Beck und schlägt ihren Weg ein über John Rebus bis zu Kurt Wallander. Die Aufteilung dieser zwei Gruppen erfolgt wenig überraschend nicht der Grenzlinie zwischen zwei je verschiedenen Methoden entlang. Denn die Vorgehensweise der Polizeibeamten ist immer die gleiche  : ein wenig Intuition, ein wenig Hartnäckigkeit, ein wenig Klugheit und ein wenig Teamarbeit. Alle zeichnen sich als begabte Zuwerden  ; vgl. Robert P. Winston u. Nancy C. Mellerski  : The Public Eye. Ideology and the Police Procedural. New York 1992, S. 7f. 522 Henning Mankell  : Die falsche Fährte. München 2003, S. 476. 523 Handke, Rund um das Große Tribunal, 16f.

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hörer, tiefe Menschenkenner und ernste Wahrheitssucher aus. Darüber hinaus ist das Vorgehen der Ermittlerfiguren mit jenem Realismus imprägniert, den die Leser gern mit der Wirklichkeit verwechseln  : etwas Fachjargon, der sich aus Laborergebnissen und verstaubten Polizeiakten speist, gehört ebenso dazu wie das obligate Scharmützel mit der Staatsanwaltschaft oder einem missratenen Vorgesetzten oder Kollegen. Was die beiden Gruppen von einander unterscheidet, was Jules Maigret von Martin Beck trennt, sind Variationen des bürgerlichen Lebenswandels und Lebenslaufes. Maigret und seine Abkömmlinge verkörpern das glückliche, selbstzufriedene Bürgertum  ; da sitzen der Kommissar und seine Gattin abends in der behüteten Stube vor dem mit Liebe gekochten Mahl  ; da plaudert Inspektor Wexford, flankiert von Ehefrau und Töchtern, vor dem Kaminfeuer über Gott und die Welt  ; da regiert das tiefe Einverständnis zwischen Commissario Brunetti und seiner Paola, die trotz beruflichem Dauerdruck und pubertierenden Kindern immer noch Zeit für jene wohldosierte romantische Leidenschaft finden, welche in der bürgerlichen Traumwelt die Tücken des Alltags übersteht. Die außerhalb des Ehe- und Familientempels angelegte Welt mag grausam und schlecht sein, innerhalb der bürgerlichen Grundbastionen aber blüht das dem Ideal abgezeichnete Biedermannleben. Die zweite, von Kommissar Beck begründete Ahnenreihe präsentiert den Polizeibeamten als unglückliche Variante des Mittelklasse-Bürgers  : Martin Beck trennt sich nach duldsam ertragenen Jahren in der Ehehölle von seiner Frau  ; Rebus und Wallander fristen ihr Dasein im Zivilstand der Geschiedenen, das Verhältnis zu den Kindern ist spannungsgeladen und schwierig, Rebus flüchtet in den Alkohol, Wallander plagt sich mit Diabetes  ; die nebst dem Verbrechen treueste Begleiterin dieser Beamten ist die midlife crisis.

From thirty feet away Ist in den siebziger und Achtzigerjahren der Kommissar als die herausragende Ermittlerinstanz etabliert, erhält er in den Neunzigerjahren Konkurrenz aus den eigenen Reihen  : dem weiblichen Detektiv, der Kommissarin, gelingt der Aufstieg an die Ermittlungsfront in der Kriminalliteratur. Zwar feiert die erste Privatdetektivin bereits Anfang der Siebzigerjahre ihren Einstand. In P. D. James’ Roman mit dem sprechenden Titel An Unsuitable Job for a Woman (1972) löst die blutjunge Privatdetektivin Cordelia Gray etwas unbeholfen ihren ersten Fall. Die Koordinaten, nach denen die Geschichte ausgerichtet

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ist, folgen, wenngleich mit viel angelsächsischem Kolorit angereichert, dem hartgesottenen Muster  ; in einer delikaten Familienangelegenheit ermittelnd, muss Gray am Ende herausfinden, dass ihr adliger Auftraggeber der gesuchte Mörder ist. Zu den Abkömmlingen der hard-boiled school gehören auch die ungleich erfolgreicheren Privatdetektivinnen V. I. Warshawski von Sara Paretsky und Kinsey Millhone von Sue Grafton  ; beide Serien starten 1982 und reichen bis in die heutige Zeit. Grafton verneigt sich tief vor Ross Macdonald und weist ihrer Ermittlerin eine Detektei in Santa Teresa zu, jener fiktiven kalifornischen Kleinstadt, in der Macdonald soviele seiner Tragödien zur Aufführung brachte. Das Erbe, das Paretsky antritt, lässt sich bereits am ersten Romantitel Indemnity Only ablesen. Trotz ihrer Verwandtschaft mit Marlowe und Archer sind die Detektivinnen, ganz in der Tradition des Polizeiromans, mit einer dichten Vita und einem warmen sozialen Umfeld ausgestattet  ; auch hier erfolgt die Anbiederung an die Leserschaft über die Schilderung des (schwierigen) Privatlebens. Im Vergleich zur Privatdetektivin nehmen sich die sozialen Möglichkeiten der Kommissarin etwas karger aus, doch der Kampf gegen das Verbrechen, der gleich in zweifacher Weise zum Geschlechterkampf stilisiert wird, erweist sich für letztere als aufreibender und anstrengender. Zum einen setzt man auf die altbewährte Spannung, die bereits beim hard-boiled detective und der mörderischen femme fatale ihre Ausprägung fand. Das Verhältnis zwischen der Kommissarin und dem Täter wird auf der emotionalen Ebene intensiviert  : Entweder muss sie gegen eine gewisse Anziehung, die von Täter ausgeht, ankämpfen, oder aber – und dies ist häufiger der Fall – sie wird vom Täter verfolgt und bedroht  ; es scheint, als müsste jeder neue Detektivtypus (man denke an Holmes, an Spade) in einer rabenschwarzen Form der Initiation die problematische Anziehung der Geschlechter meistern, um in der langwierigen Schlacht gegen das Verbrechen bestehen zu können.524 Allerdings wird diese Probe für die weiblichen Ermittler zur allgemeinen Regel geweitet, sodass persönliche Involviertheit, trotz der strengen, harten und übersachlichen Herangehensweise, die viele in ihren Untersuchungen an den Tag legen, stets zu den Hauptcharakteristika der Detektivinnen gehört. Die zweite Art des Geschlechterkampfes wird innerhalb der Institution ausgetragen  ; hier dient die Kommissarin als eindrückliche Verkörperung des Schicksals, das Frauen ereilt, 524 Dietze spricht gar von einem homme fatal, der für die patriarchale Bedrohung steht, aber, indem er immer wieder gewaltsam aus der Welt geschafft wird, auch für deren Überwindung. Vgl. Dietze, Hardboiled Women, 244.

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die sich in einer männlichen Domäne hochzuarbeiten und durchzusetzen versuchen. Jede Auseinandersetzung mit dem Staatsanwalt, dem Polizeichef, mit neidischen Untergebenen oder chauvinistischen Kollegen ist nur eine weitere Runde im endlosen Geschlechterkampf. Werden die männlichen Kollegen wie Maigret oder Rebus vergeblich mit einigen eigenbrötlerischen Attributen geschmückt, um ihren Außenseiterstatus, der durch ihre biedere Durchschnittlichkeit und ihre Zugehörigkeit zum Machtapparat immer schon eingeebnet ist, doch noch kenntlich zu machen, so ist allein durch ihr Geschlecht, trotz des institutionellen Mittuns, die Kommissarin stets als Außenseiterin herausgestellt. Denn das Stigma der Weiblichkeit macht es unmöglich, dass sie zur Gänze als Repräsentantin des institutionellen Kolosses, als Vertreterin des Gesetzes gelten kann, auch wenn genau dies ihr Berufsauftrag zu sein scheint. Die in Beton gegossenen Strukturen, in denen sie sich bewegt, müssen ihr in vielen Teilen fremd bleiben, zum Ehrgeiz, Verbrecher zur Strecke zu bringen, gesellt sich die Ambition, die institutionelle Umgebung, die sich als eine patriarchale präsentiert, zu beeindrucken. Aus diesem Grund ist der Idealismus, der die Kommissarin zur Berufswahl angetrieben hat und durch die Fälle trägt, ein im Vergleich zu ihren literarischen männlichen Kollegen potenzierter. Professionalität, die bedeutet  : Unnachgiebigkeit, Sachlichkeit, Härte in schwierigen Entscheidungen, wird größer und in grelleren Farben geschrieben. Man denke an die von Helen Mirren gespielte Superintendant Jane Tennison, die, so überragend ihre beruflichen Qualifikationen und Qualitäten auch sind, mit jedem Fall immer wieder aufs neue beweisen muss, dass das Vertrauen, das ihr Chef in sie setzt, gerechtfertigt ist  ; ständig droht die Entziehung des Falles, die Intrige durch Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen, jeder Fall wird zur persönlichen Bewährungsprobe.525 Wie ihre männlichen Kollegen werden auch die Kommissarinnen mit äußeren und inneren Eigenschaften verziert, um die Sonderstellung im System noch deutlicher herauszustreichen  ; weil für ermittlerische Eigenarten, wie sie bei Conan Doyle ihre Blüten treiben, der Spielraum äußerst begrenzt ist, muss aus Persönlichkeit und Charakter, aus der Hautfarbe oder der sexuellen Neigung die Besonderheit gezimmert werden. Ein Extrembeispiel ist die lesbische Kommissarin, weil sie, so die Botschaft, mit ihrer sexuellen Orientierung für Nonkonformismus steht und allein durch ihre Existenz als Kritikerin, ja

525 Die mehrfach prämierte Serie Prime Suspect des britischen Senders ITV wurde, mit jahrelangen Unterbrüchen, zwischen 1991 und 2006 ausgestrahlt.

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Kapitel 6  : Abschied Privatdetektiv, Auftritt Kommissar & Kommissarin

Widersacherin der patriarchalen Strukturen ausgewiesen ist.526 Bei genauerem Hinsehen allerdings ereilt sie dasselbe Schicksal, das Marlowe in The High Window für Mrs. Morny bestimmt. „From thirty feet away“, heißt es süffisant, „she looked like a lot of class. From ten feet away she looked like something made up to be seen from thirty feet away.“527 Denn der kritische Abstand der lesbischen Ermittlerin zum männlich dominierten Machtapparat schrumpft bei näherer Betrachtung auf ein Minimum zusammen  ; übrig bleibt eine Kommissarin, die, wenngleich mit gewichtigen Vorbehalten, dem Bestand der gesellschaftlichen Ordnung fleißig zuarbeitet.528 Mit der weiblichen Ermittlerin, die eine Institution repräsentiert, ohne sie repräsentieren zu können, wird einer der letzten Versuche unternommen, dem monströsen Polizeiapparat – platt, der Sache gemäß ausgedrückt – ein menschlicheres Gesicht zu verleihen sowie eine Figur zu entwerfen, mit deren Hilfe die Institution in ein etwas dunkleres Licht gerückt wird, begleitet von der hehren, aber unerfüllten Hoffnung, sie noch einmal, zumindest in Ansätzen, in Frage stellen.

526 Etwa die Polizeikommissarin Kate Delafield in den Romanen von Katherine Forrest oder Anne Holts Osloer Ermittlerin Hanne Wilhelmsen. 527 Chandler, The High Window, 38. 528 Am härtesten ins Gericht geht mit der Kommissarin eine Lektüre, die sich auf Foucaults Disziplinierungskonzept stützt, wie etwa Teresa L. Ebert in ihrem Text Ermittlung des Phallus. Über die ambivalente Rolle der weiblichen Detektivfigur schreibt sie  : „Ihre Ermittlung endet damit, daß sie die patriarchale Ordnung wiederherstellt und ihre Widersprüche auflöst. Das bedeutet keineswegs, daß manche Detektivinnen die patriarchalen Institutionen nicht substantiell kritisieren würden, sondern nur, daß die Detektion eine ideologisch verschlüsselte Praxis darstellt, die auch ihre weiblichen Adepten in eine disziplinierende Autorität einbindet, die dem patriarchalen Kapitalismus nützt.“ Die Detektion entlarvt Ebert als „panoptisches Instrument“, den Blick des Detektivs und der Detektivin als Kontrollinstanz der Disziplinargesellschaft. Ebert, Ermittlung des Phallus, 469 u. 472.

Kapitel 7  : Kay Scarpetta

Out there, somewhere, is a man … „Laß uns doch für einen Moment einfach mal mit dem Gedanken spielen“, sagte sie dann. „Daß wir es mit einem Psychopathen zu tun haben. Ganz einfach, weil er so grausame Taten begeht, daß er einer sein muß. Was suchen wir dann eigentlich  ?“ „Einen Psychopathen“, murmelte Yngvar. (Anne Holt, In kalter Absicht)

Im Mai 2000, 95 Jahre nach Conan Doyle und 112 lange Jahre nach der mysteriösen Verbrechensserie, besucht Patricia Cornwell, eine der erfolgreichsten amerikanischen Krimiautorinnen, die Schauplätze der Londoner Ripper-Morde.529 Die Führung übernimmt ein altgedienter Kriminalist und selbsternannter Jack-the-Ripper-Experte. „Has anyone ever tried to use modern forensic science to solve these crimes  ?“ will Cornwell, zunehmend fasziniert, von ihrem Begleiter wissen.530 Dieser verneint, liefert aber, in weiser Voraussicht, einen gezielten Hinweis. „There’s one […] interesting chap you might want to check out, as long as you’re going to look into it. An artist named Walter Sickert. He painted some murder pictures.“531 Auf den deutschstämmigen Maler gestoßen, beginnt Cornwell mit ihrer teuren und aufwendigen Recherche  ; das angestrebte Ziel ist kein bescheidenes  : sie will die Identität des berühmtesten Mörders der Kriminalgeschichte entschlüsseln. Ein Dutzend Sickert-Gemälde und einige Briefe, erworben für mehr als vier Millionen Dollar, gelangen in ihren Besitz. Sie lässt sie, dem gegenwärtigen Stand der Kriminalistik gemäß, auf DNA-Spuren hin untersuchen und interpretiert die vagen Ergebnisse ebenso effektheischend wie sektiererisch. Aus dem bekannten Maler, dessen Kunst sich, als frühe Vorwegnahme später weit verbreiteten popkulturellen Gebarens, auch an den brutalen Morden inspirierte, wird in der rigiden Lesart der Amerikanerin ein psychopathischer 529 Zu diesem Kapitel und zur Rolle der Gerichtsmedizin allgemein, vgl.: S. O.: Vita post mortem. Der Mythos „Gerichtsmedizin“ in der Populärkultur. In  : Figurationen. Gender, Literatur, Kultur. 2008, Jg. 9, Nr. 1, S. 91–108. 530 Patricia Cornwell  : Portrait of a Killer. Jack the Ripper. Case Closed. New York 2006, S. 13. 531 Cornwell, Portrait of a Killer, 14.

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Serienmörder, der in seinen düsteren Bildern die selbst verübten Bluttaten noch einmal zur Aufführung bringt. „No doubt“, schreibt Cornwell an die Adresse ihrer Kritiker, „there will always be sceptics, Ripperologists, and Sickert devotees who will refuse to believe that Sickert was Jack the Ripper – a damaged, diabolical man driven by megalomania, hate and a sexual compulsion to kill and mutilate. There will be those who will argue“, heißt es weiter, den unberechenbarsten Feind der Kriminalistik herbeizitierend, „that all the evidence is coincidence.“532 Als wissenschaftlicher Beweis der Thesen sind im Anhang des dicken Buches, das 2002 unter dem apodiktischen Titel Portrait of a Killer. Jack the Ripper. Case Closed erschien, die Ergebnisse der mitochondrialen DNA-Proben aufgelistet  ; „James McNeill Whistler, envelope flap (single donor, poor data)“, ist etwa zu lesen, „16311 T-C 93 A-G“.533 Diese fragwürdige, von Ripper-Forschern mit Abscheu verworfene Veröffentlichung Cornwells führt, gut sichtbar, eine beeindruckende Anzahl von Klischees mit sich, welche die heutige Darstellung von Verbrechern und kriminalistischen Methoden in Romanen, Filmen und TV-Serien über weite Strecken bestimmen. Zu den Obligatorien gehören die bösartige, teuflische Intelligenz und die an Künstlertum gemahnende Kreativität des Täters, seine krankhafte Psyche, die ihre eigentliche Ursache in der Schmach findet, die ein verkümmertes Geschlechtsorgan anzurichten pflegt  ; die DNA, beweihräuchert von einer seligen Wissenschaftsgläubigkeit, als Ort der letzten Wahrheit, die auch viele Jahrzehnte nach dem Verbrechen noch Gerechtigkeit verbürgt, und schließlich die Heiligsprechung der Teamarbeit. Cornwells Danksagung an ihre namentlich genannten Helfer und Zuarbeiter umfasst vier dichtgedrängte Seiten, die mit den stolzen, abgehobenen Worten enden  : „He is caught. We have done it together.“534 Die Berühmtheit Cornwells stützt sich jedoch nicht auf das mit „Tat­s a­ chen­beweisen“535 jonglierende Ripper-Buch, sondern ist dem großen Erfolg geschuldet, den sie seit 1990 mit ihrer Roman-Serie über die forensische Patho­ login Kay Scarpetta feiert. Als eine der ersten rückte die Autorin Kriminaltechnik und forensische Wissenschaften, die stets im Schatten der Polizeikommissare ihr Dasein fristeten, ins helle Zentrum der Detektion. Obwohl, trotz zahlloser Bemühungen, bislang keiner ihrer Romane verfilmt werden durfte, 532 Cornwell, Portrait of a Killer, 18. 533 Cornwell, Portrait of a Killer, 454. 534 Cornwell, Portrait of a Killer, 451. 535 Cornwell, Portrait of a Killer, 16  : „There is far more convincing evidence that points to Sickert.“

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ist ihr Einfluss auf die heutige Inszenierung der Forensik auf den abendlichen Bildschirmen prägend.536 Die erfolgreichste Serie der Fernsehgeschichte, CSI (Crime Scene Investigation), wäre ohne die eigentümliche Darstellung neuester kriminalistischer Errungenschaften in den Romanen der Amerikanerin undenkbar.537 Denn neben den genauen Tatortuntersuchungen und der Arbeit am Sektionstisch verbringt Scarpetta endlose Stunden in den Laboren der Kriminaltechnik. „A long sloping hallway always polished bright led to series of glass-enclosed laboratories. Inside, scientists were prepossessed with pipettes and gels and radioactive probes as they coaxed sequences of genetic code to unravel their identities.“538 Flankiert von Computerspezialisten sitzt sie vor farbigen Bildschirmen, auf denen per Mausklick Unsichtbares abgebildet wird. „Lapointe worked the keyboard and the mouse“, heißt es über die Arbeit eines Vergrößerungsfachmannes, „going in and out of windows, and using contrast, brightness, and enlarging, shrinking and adjusting. He eliminated background noise, or trash, as he called it, and we began to see hair pores, and then the stippling made by a tattoo needle.“539 Auch der Blick durch das Polarisationsmikroskop, das „störende Reflexe reduziert und Licht in verschiedene Wellen mit unterschiedlichem Brechungsindex aufspaltet“, darf nicht fehlen.540 Dann wird die untersuchte Stoffaser chemisch bearbeitet. „He opened a bottle of liquid solvent used for temporary mountings, and with tweezers, removed the cover slide and carefully turned the fragment over. Dripping xylene, he covered the slide again and motioned for me to bend close. ‚What do you see  ?‘ he asked […].“541 Zu sehen sind dann jene makroskopischen Farbenspiele, die die unterkühlte Ästhetik der CSI-Serien bestimmen.

536 Seit es der Autorin in den Neunzigerjahren nicht gelungen war, Jodie Foster für die Hauptrolle zu gewinnen, hütete sie die Filmrechte wie ihren Augapfel. Inzwischen jedoch scheinen die Rechte vergeben und Angelina Jolie in der Rolle als Kay Scarpetta festzustehen. 537 CSI, von CBS Paramount Television produziert, wird seit 2000 ausgestrahlt und ist inzwischen zu drei eigenständigen Serien angewachsen (CSI  : Miami, seit 2002 und CSI  : NY, seit 2004)  ; die Mutterserie spielt in Las Vegas. 538 Patricia Cornwell  : Unnatural Exposure. London 2008, S. 274. 539 Patricia Cornwell  : Black Notice. London 2006, S. 198. 540 Hier die Übersetzung von Tina Hohl  ; Patricia Cornwell  : Der Keim des Verderbens. München 2003, S. 95. Im Original  : Cornwell, Unnatural Exposure, 96  : „[…] a polarizing microscope, which, like Ray-Ban sunglasses, reduce glare, splitting light in different waves with different refractive index […].“ 541 Cornwell, Unnatural Exposure, 97.

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Kapitel 7  : Kay Scarpetta

Zwar beginnt mit der Amerikanerin der Aufstieg der Gerichtsmedizin zur ermittelnden Instanz in der Detektivliteratur.542 Für die steile Beförderung der forensischen Pathologie innerhalb der Populärkultur zeichnet jedoch eine dunkle Größe verantwortlich, die die Rechtsmediziner in der Folge unermüdlich mit Arbeit eindeckt  : der Serienmörder. Hier setzen Thomas Harris’ Roman The Silence of the Lambs (1988) und die Verfilmung durch Jonathan Demme (1990) gleichsam den Anfangs- und Höhepunkt. Mit dem schöngeistigen Kannibalen Hannibal Lecter erschafft Harris eine jener Figuren, die, ähnlich wie Holmes, einmal zu Papier gebracht, fortan ein Eigenleben führen. Einer seiner Gegenspieler, der FBI-Chef Jack Crawford, ist grob nach lebenden Vorbildern – den berühmten FBI-Profilern Robert K. Ressler und John E. Douglas – gezeichnet.543 Als begabtester Profiler jedoch trumpft in Harris’ Roman nicht der FBI-Agent, sondern Hannibal Lecter auf, der in einer ironischen Personalunion die Wissenschaft der Seelenzergliederung und die Kunst des Tötens auf sich vereint. In der Folge werden in der Populärkultur die Talente Lecters aufgeteilt und den beiden Seiten einer erbitterten Feindesfront zugeordnet. Im tiefen Jenseits des Gesetzes steht von nun an der psychopathische Serienmörder, ihm gegenüber finden sich, im gemeinsamen Kampf verbunden, Profiler und Gerichtsmediziner, das „gespaltene[…] Bruderpaar der Aufklärung“, wie Thomas Hettche die ungleichen Partner nennt.544 Weil bei den Morden des Serienkillers die übliche Vorbeziehung des Täters zum Opfer fehlt und auch kein greifbares Motiv vorhanden ist, müssen die kriminalistischen Methoden modifiziert und erweitert werden. Neben der Spurensicherung und den Tatortanalytikern vermag einzig die Gerichtsmedizin anhand der Zurichtung der

542 Im TV wurde mit der US-amerikanischen Serie Quincy, M.E. (1976–1983) bereits Ende der Siebzigerjahre ein Gerichtsmediziner zum Mörderjäger  ; Medical Examiner Quincy löst seine Fälle jedoch weniger mit Hilfe der Forensik als mit sozialpsychologischem Gespür. 543 Vgl. Horsley, Twentieth-Century Crime Fiction, 138. Ressler und Douglas, gern als Gründerväter des Profiling gefeiert, veröffentlichen, von der Woge der Hannibal-Begeisterung getragen, in den Neunzigerjahren zahlreiche Bücher, in denen sie sich selbstverliebt als „Monster-Jäger“ herausstellen, etwa Resslers Whoever Fights Monsters. My Twenty Years Tracking Serial Killers for the FBI (1992, mit Tom Shachtman), I Have Lived in the Monsters. A Report from the Abyss (1997) oder Douglas’ Mindhunter. Inside the FBI’s Elite Serial Crime Unit (1995), Journey into Darkness (1997, gemeinsam mit Mark Olshaker). 544 Thomas Hettche  : Was uns von unserem Fleisch unterscheidet. Pathologin als Anwältin der Wunden. Die Krimiautorin Patricia Cornwell und das Universum des Bösen. In  : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. 2. 2002, S. 51.

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Leichen den Tathergang zu rekonstruieren und stellt auf diese Weise einen Tatsachenkatalog bereit, der als Grundlage für die Profilerstellung dient. Medizin und ein Anschein von Psychologie werden zu den schärfsten Waffen im Kampf gegen das Verbrechen stilisiert, die Kommissarinnen und Kommissare, wieder strafversetzt, besetzen häufig nur noch die unspektakuläre Rolle derer, die, von den Wissenschaftlern bei der Hand genommen und auf die richtige Spur gebracht, zum Finale mit dem Haftbefehl vorfahren. An dieser Stelle drängt sich, in neuer, modischer Kleidung, wieder der Realismus in die Geschichte der Detektivliteratur  ; denn tatsächlich gehört in der kriminalistischen Wirklichkeit die Rolle der Gerichtsmedizin im Szenario einer Mordermittlung zu den tragenden. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen sind für die Ausstellung des Haftbefehls und vor allem für Anklage und Verteidigung im Gerichtsverfahren entscheidend. Zu den Hauptaufgaben der Rechtsmedizin gehören die Ermittlung der Todesursache und des Todeszeitpunkts  ; Ersteres ist von elementarer Wichtigkeit, weil nur nach Feststellung einer unnatürlichen Todesursache eine polizeiliche Untersuchung ins Leben gerufen werden kann  ; Letzteres, weil mit der Bestimmung des Todeszeitpunktes die Alibiüberprüfung und damit die Eingrenzung der Verdächtigen beginnt. In neuerer Zeit fällt der Gerichtsmedizin auch die beinahe magische Aufgabe zu, Material für den genetischen Fingerabdruck zu gewinnen und auszuwerten. Es ist im Besonderen ihre Zuständigkeit für die DNA, die der forensischen Pathologie jenen Bedeutungszuwachs verschafft hat, der sie seit Mitte der Neunzigerjahre ins mediale Scheinwerferlicht stellt.545

The Killer Behind Me Zu literarischem Leben aber verhilft der Gerichtsmedizin einzig der Serienkiller, auch in den Romanen Cornwells stellt er der forensischen Pathologie die Daseinsberechtigung aus  ; er ist der heimtückische Gegenspieler, auf den 545 Eine zweite Erklärung für das neue Heldentum liegt im medial immer greller aufbereiteten Katastropheneinsatz der Rechtsmediziner. Nach Flugzeugabstürzen, Umweltkatastrophen und der Hebung von Massengräbern in kriegsversehrten Gebieten fällt ihnen die Aufgabe zu, die Leichenteile zu untersuchen und Identitäten zuzuordnen. Vor allem im Krieg in Ex-Jugoslawien spielten Gerichtsmediziner eine Schlüsselrolle  : Ihre Untersuchungen von Massengräbern sollten nicht zuletzt Auskunft darüber geben, ob es sich bei den Toten um Zivilisten oder Armeeangehörige handelte – oder, präziser ausgedrückt  : ob der Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt war.

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Kapitel 7  : Kay Scarpetta

nicht nur das professionelle, sondern immer wieder auch das private Leben der Gerichtsmedizinerin ausgerichtet ist. Kay Scarpetta bringt in inzwischen sechzehn Romanen Cornwells Verbrechen zur Aufklärung.546 Innerhalb der Serie gibt es markante Zuspitzungen und Veränderungen, doch bis zum elften Fall ist die Rechtsmedizinerin fest in den mächtigen Polizei- und Staatsapparat eingebunden. Als Chief Medical Examiner von Virginia steht sie dem Gerichtsmedizinischen Institut in Richmond vor und besitzt eine eindrückliche berufliche Biografie  : Sie hat ein Medizin- und ein Jurastudium absolviert, ist die erste Leichenbeschauerin des Südstaates und mit einem Ruf gesegnet, der das FBI veranlasste, sie als Beraterin zu gewinnen. In Scarpetta, mit ihren beiden Universitätsabschlüssen, ihrer Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe und ihren weiblichen Attributen der Schönheit und Eleganz, zeigt sich ein Extrem an Übertreibung und Überdeterminierung, das der Trivialliteratur entlehnt ist und den vordergründigen Realismus der Arbeitsmethoden mit märchenhaften Elementen durchkreuzt. Mit all ihren Vorzügen ist die Figur der Gerichtsmedizinerin auch maßgeschneidert für die Rolle der kämpferischen, hochqualifizierten Frau, die in einem endlosen Parcours durch die Institutionen patriarchale Strukturen überwinden muss, um schließlich doch immer wieder vor einem neuen männlichen Hindernis zu stehen.547 Betroffenheit und Mitgefühl, die treuen Begleiter weiblicher Ermittler, die nach Möglichkeit mit sachlicher Härte überspielt werden, gelangen hier zu ihrer Teilentfaltung. Denn ihre berufliche Tätigkeit, die tägliche Arbeit mit Toten, fordert einen Teil jener emotionalen Wärme und aufgestauten Trauer, die in der Detetektivliteratur so kategorisch ausgeschlossen werden. Wenig zufällig sind die bekanntesten Gerichtsmediziner der Literatur Frauen  : Dazu gehören neben Scarpetta Tempe Brennan, die in den geschwätzigen Romanen von Kathy Reichs elaborierten Mördern auf der Spur ist und die in Westeuropa durch die BBC-Serie Silent Witness populär gewordene Ermittlerin Samantha Ryan, die sich bis vor kurzem als spröde Pietà um britische 546 Der sechzehnte Band mit dem bedeutungsschwangeren Titel Scarpetta hielten pessimistische Cornwell-Anhänger für das Ende der Serie. Das ist nicht der Fall  ; der siebzehnte Roman mit dem Titel The Scarpetta Factor ist Ende 2009 erschienen. 547 Sabine Vanacker versteht die Scarpetta-Reihe allgemein als weibliche Auseinandersetzung mit dem leibhaftigen Patriarchat. „Cornwell’s novels contain the clearest discussion of the position of the successful but lonely woman in a large male organisation, where female solidarity has yet no signifant oppositional power.“ Sabine Vanacker  : V.I. Warshawski, Kinsey Millhone and Kay Scarpetta  : Creating a Feminist Detective Hero. In  : Peter Messent (Hg.)  : Criminal Proceedings. The Contemporary American Crime Novel. London, Chicago 1997, S. 62–86. Hier  : S. 77.

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Leichen gekümmert hat.548 Im unerträglich langen Anblick der geschundenen Leichen breitet sich jeweils die Trauer über die Unfassbarkeit der Gewalt und des Leids aus, von der die auf dem Sektionstisch liegenden Toten Zeugnis ablegen  ; die mitfühlende Dokumentation dieses Grauens, so scheint es, entspricht dem Klischee des Weiblichen. In Cornwells Romanen wird der Einbruch von wuchtiger Betroffenheit und Trauer jedoch über weite Strecken durch den Ausbruch kalten Hasses neutralisiert, dessen Aggressivität an Spillane erinnert und sich gegen die psychopathischen Täter richtet. „I wanted to blow a hole in his heart“, heißt es in tiefster Feindseligkeit, „the size of the moon.“549 Weil die Gefühlsausbrüche der gepflegten Professionalität entgegenstehen, wird das stoische Ideal ermittlerischen Innenlebens immer wieder heranzitiert. „No competent investigator“, lautet dann die Weisung, „can give in to emotions, or judgement is obscured, even deadly.“550 Dieses Echo der Holmes’schen Vorgaben dringt aber kaum bis zum Bewusstsein der Corn­ well’schen Ermittlerfiguren vor  ; emotionale Aufladung, affektive Besetzung wird hier zum radikalen Programm. Weil die Ausbreitung des Privatlebens bei beamteten Ermittlerfiguren sich als anbiedernde Notwendigkeit zeigt, findet eine kleine Synopsis des bisherigen Lebens Scarpettas – das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter, die traurige Kindheit, die gescheiterte Ehe, die kleinen und großen Affären – zwischen den dichtgedrängten Handlungsfolgen Platz. Mit privaten Einsprengseln, die der Repräsentantin von Ordnung und Gesetz allzu oberflächlich Tiefe verleihen, geht Cornwell haushälterisch um, denn die ganz privaten Bande sind bei Scarpetta von Anfang mit ihren Ermittlungen verkettet, sodass die Autorin ohne anstrengende Spagate zwischen Schlafzimmer und Büro die privaten Veränderungen entlang der Fallentwicklung aufzeigen kann. „A medical examiner“, erklärt Scarpetta, „is not an enforcement officer of the law, but an objective presenter of evidence, an intellectual detective whose witnesses are dead.“551 Dennoch besitzt dieser Berufsstand – im großen Unterschied zum Heer anderer fiktiver Gerichtsmediziner – ein bescheidenes Maß an aktiven Ermittlungskompetenzen, sodass jene dichtgesäten Zufälle, 548 Temperance Brennan ist, wie ihre Schöpferin Kathy Reichs, eine forensische Anthropologin, die seit 1997 Verbrechen zur Aufklärung bringt  ; die TV-Serie Bones ist schwach an die literarische Vorlage angelehnt. Silent Witness wird seit 1996 in unterschiedlicher Besetzung von BBC One ausgestrahlt. 549 Patricia Cornwell  : Postmortem. London 2007, S. 387. 550 Patricia Cornwell  : Blow Fly. New York 2004, S. 258. 551 Cornwell, Point of Origin, 231.

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die die eigentlich unbefugten Forensiker dennoch in die tatkräftige Mördersuche mit einbinden, für einmal wegfallen. Bei ihren Recherchen wird Scarpetta, neben stets abwechselnden Mitarbeitern des Instituts, von Pete Marino unterstützt, einem Polizeikommissar der alten Schule, hässlich, chauvinistisch, sexistisch und beleidigend und damit als Kontrapunkt zur politisch korrekten Gerichtsmedizinerin ausgewiesen. Marino, schreibt Thomas Hettche, ist „die bauchgewordene Vergangenheit“552  ; er zückt schnell die Waffe, verfügt über den sicheren Instinkt der hard-boiled Detektive und betrachtet die Wunder der Wissenschaft mit dem Argwohn des Überforderten. Zur Hilfe eilen Scarpetta auch stets der FBI-Profiler Benton Wesley, ein wohlsituierter ehemaliger Undercover-Agent, der im Laufe der Zeit Scarpettas Geliebter und schließlich Lebensgefährte wird, sowie Lucy Farinelli, Scarpettas Nichte – eine kurzzeitige FBI-Agentin und begnadete Computerspezialistin, die nicht nur Scarpettas Jugend verkörpert, sondern mit ihrem Hang zur Selbstzerstörung auch die dunkle Seite des strebsamen Erfolges.553 Mit diesem Viergespann sind auf elegante Weise alle wichtigen Bereiche der zeitgenössischen Kriminalistik abgesteckt und gleichzeitig die familiären Positionen Mutter, Vater, Kind besetzt  ; durch die engen privaten Banden zeigt sich auch die Teamarbeit immer wieder von der emotionalen Aufladung betroffen. Cornwells Welt ist eine Welt der Extreme, die sich nicht nur in den mit großzügiger Hyperbolik hochgerüsteten Ermittlerfiguren spiegelt, sondern, ganz den inneren, harmonischen Gesetzen der Detektivliteratur gehorchend, auch in deren Gegenspielern. „Be careful who you choose for an enemy because that is who you become most like“, warnt, sich bei Nietzsche bedienend, eine befreundete Psychoanalytikerin Scarpetta  ;554 die Feindschaft zwi552 Hettche, Was uns von unserem Fleisch unterscheidet, 51. 553 Lucy, die erste Frau im Geiselbefreiungsteam des FBI, erscheint als der unglücklichste Mensch auf Erden, dies nicht zuletzt deshalb, weil Cornwell sie als Homosexuelle zeichnet und die sexuelle Neigung trotz wohlmeinender Aufklärungsarbeit und bemühmter Klischeezertrümmerung als Stigma behandelt. Homosexualität bedeutet auf der beruflichen Ebene, die Intoleranz der Kollegen herauszufordern und, in die Sprache der Behörden übersetzt, das Karriereende zu erbetteln  ; auch auf der privaten Ebene wartet nie Erfüllung, sondern nur Verhängnis und Bedrohung. Vgl. hierzu auch  : Peter Messent  : Authority, Social Anxiety, and the Body in Crime Fiction  : Patricia Cornwell’s Unnatural Exposure. In  : The Art of Detective Fiction, S. 124–137. Hier  : S. 131f. Messents Kritik zielt weniger auf die Darstellung der Homosexualität im allgemeinen, als auf die implizite Einstellung der Autorin gegenüber Aids, da auf der Ebene der Erzählstimme Mitleid und Empathie dominieren, auf der Ebene der Handlung die Autorin jedoch einen aidskranken Mitarbeiter Scarpettas in den gewaltsamen Tod schickt. 554 Cornwell, The Last Precinct, 38.

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schen der Gerichtsmedizinerin und dem Serienmörder allerdings ist immer schon auf Ähnlichkeit angelegt. Mit seinem umfassenden Expertenwissen, seiner Intelligenz und seinen dunklen Begabungen verkörpert dieser die Nachtseite der Detektive und der kriminalistischen Möglichkeiten. Neben dem unheimlichen Doppelgängertum steht der Serienmörder mit seinem Attribut des Psychopathischen gleichzeitig für das Unerklärliche und Unfassbare. Der Serienmörder, so ein beliebter Topos, tötet um des Tötens willen, ohne erkennbares, ohne nachvollziehbares Motiv  ; es ist nicht zuletzt diese fragwürdige Eigenschaft, die ihn, als einen radikalen Vertreter des l’art-pour-l’art, in die Nähe genialischen Künstlertums rückt. Zwar hat sich die Fachliteratur längst schon von der Mär des „motiveless murder“ verabschiedet, doch die Populärkultur, auch Cornwell, hat diese leere Zuschreibung zum herausragenden Merkmal des Serienkillers und ihn damit zum leibhaftigen Gefäß des Bösen erkoren.555 Mit seinen kaltblütig geplanten, grausamen Morden verleiht er der Detektivliteratur jene grellen Konturen, die sie in der hard-boiled school verloren hat. Das Verbrechen wird aus dem komplizierten Geflecht der menschlichen Beziehungen herausgelöst, von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Ursachen getrennt und tritt als bedrohliche, unnatürliche Ausnahme auf.556 Nachvollziehbarkeit und Verstehen werden weitgehend abgeschafft. „If you work in these professions, when people do things which are this heinous“, erklärt die Autorin in einem Interview, „you’re not interested in their good qualities. You just want to figure out enough about them so that you can catch them, or at least give them a name so you can find them.“557 So stehen bei Cornwell die unterschiedlichen Namen der zahlreichen Täter immer nur für das eine  : die Unfassbarkeit des Bösen. In den frühen Romanen allerdings, in Postmortem (1990) und All That Remains (1992), zeichnet die Amerikanerin die unheimlichen Serienmörder als biedere, unauffällige Normalbürger. Von diesen blassen Durchschnittstypen der frühen Jahre geht die weitaus größere Beunruhigung aus als von den später mit allen verfügbaren Klischees verzierten, auch vom geringsten Begriff der Menschlichkeit so weit entfernten Bestien. „Out there, somewhere, is a man

555 Vgl. Harald Dern  : Serienmord und Polizeiarbeit. In  : Frank J. Robertz u. Alexandra Thomas (Hgg.)  : Serienmord. Kriminologische und kulturwissenschaftliche Skizzierungen einer ungeheuerlichen Phänomens. München 2004, S. 214–229. Hier  : S. 222f. 556 Vgl. Messent, Authority, Social Anxiety and the Body in Crime Fiction, 131. 557 Cornwell, zit. nach George Beahm  : The Unofficial Patricia Cornwell Companion. New York 2002, S. 68.

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[…]“, lautet das vage Suchbild in Postmortem. „He could be anybody, walks upright, sleeps with a roof over his head, and has the usual number of fingers and toes. He is probably white and much younger than my forty years. He is ordinary by most standards, and probably doesn’t drive a BMW or grace the bars in the Slip or the finer clothing stores along Main Street. But, then again, he could. He could be anybody and he was nobody. Mr. Nobody. The kind of guy you don’t remember after riding up twenty floors alone with him inside the elevator.“558 Hier greift in radikalisierter Gestalt und von anderer Seite her jene Verunsicherung ein, die in den Agatha-Christie-Romanen in der harmlosen Form des Spiels auftritt  : jeder ist verdächtig, alle besitzen ein Mordmotiv. Die in Poirots und Miss Marples Fällen übersichtliche Zahl der Verdächtigen wird in Cornwells Romanen ins Unendliche geweitet, nicht nur alle Verwandten des Opfers, sondern Tausende kommen für die Täterschaft in Frage. Die extreme Dehnung der möglichen Täterschaft folgt jedoch nicht der (Freud’schen) Annahme, dass in jedem von uns ein Mörder schläft, sondern speist sich aus der beunruhigenden These, dass der Serienkiller, als perfekte Tarnung, den Normalbürger imitiert  : Weil sein äußeres Leben das eines Durchschnittsbürgers in Perfektion nachstellt, wird der Verdacht auf alle Durchschnittsmenschen übertragen.559 Scheint der psychopathische Serienmörder auf den ersten Blick als krankhafte Monstrosität in Scarpettas Welt hereinzubrechen, zeigt sich auf den zweiten Blick, dass er sich mustergültig in diese einfügt  ; bereits am Eingang wird er von tausend Ängsten willkommengeheißen, die durch das Auftauchen des mörderischen Psychopathen, im nachhinein, endlich ihre Lebensberechtigung erhalten. Die Beunruhigung, von der Cornwells Romane durchstrahlt sind, geht nicht nur von den Verbrechern, sondern in gleichem Maße von 558 Cornwell, Postmortem, 5. Die frühen Romane Cornwells wurden mit Preisen überhäuft. Ab dem sechsten Roman From Potter’s Field (1995) lässt sich nicht nur eine zunehmende Radikalisierung der dargestellten Welt, sondern auch ein Hang zu blumigen Metaphern ausmachen. Ein Grund dafür mag im Starstatus der Autorin und den daran geknüpften Konsequenzen liegen. „I get the final cut“, so die Autorin in einem Interview. „Nobody changes what I’m doing without my consent.“ Zit. nach Beahm, The Unoffical Patricia Cornwell Companion, 62. 559 Zur beunruhingenden Zahl von Verdächtigen bei Agatha Christie, vgl. Warren Chernaik  : Mean Streets and English Gardens. In  : Ders., Martin Swales u. Robert Vilain (Hgg.)  : The Art of Detective Fiction. London, New York 2000, S. 104–123. Hier  : S. 105. Zum Serienmörder als Imitator des braven Durchschnittsbürgers, vgl. Peter Fink  : Immer wieder töten. Serienmörder und das Erstellen von Täterprofilen. Hilden 2001, S. 76.

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der Protagonistin aus. Gehörte es 150 Jahre lang zu den Aufgaben der literarischen Ermittler, mit ihrer Aufklärungsarbeit das Grauen, wenngleich in bescheidenem Umfang, zu zähmen und die Unruhe, die ein ungelöstes Verbrechen in die Welt trägt, abzumildern, wird mit Scarpetta diese Bestimmung aus der Detektivliteratur verabschiedet  ; als Magnet von Katastrophen, unter dem Dauerfeuer von Heimsuchungen und Sorgen und mit ihrem hastigen, rastlosen Kampf gegen das Böse, hält die Gerichtsmedizinerin selbst die Unruhe auf jeder Seite der Romane wach. Durch Scarpettas Leben spannt sich ein enges Netz aus unsichtbaren Fäden und unerklärlichen Zusammenhängen.560 Was sich am Beginn einer Ermittlung noch als eine eindrückliche Sammlung von bedeutungslosen Zufällen und vagen Andeutungen präsentiert, artet schließlich stets in tödliche Intrigen und Verfolgungen aus. Es ist diese wilde, unzähmbare Paranoia, die Cornwells herausragendes Markenzeichen ist und, sich immer weiter verdichtend, im Verlauf der Serie stets neue Höhepunkte erreicht. „Paranoia is healthy if there really is someone after you […]“, verkündet Scarpetta tapfer.561 Zu Teilen sind die permanenten Heimsuchungen bereits in der Figurenkonstellation angelegt. Da Scarpetta sich in einer Männerdomäne ganz nach oben gearbeitet hat und, als erste Leichenbeschauerin des Staates, an exponierter Stelle steht, ist die Teilnahme am Geschlechterkrieg strukturell vorgegeben  ; aufsässige Angestellte versuchen unablässig, die Autorität der Chefin zu untergraben und ihren Ruf zu schädigen. Mutwillig werden Scarpettas edle Bemühungen hintertrieben, ihr Leben durch Botschaften voller boshafter Andeutungen bedroht, es werden hässliche Gerüchte gestreut, Beweismittel zum Verschwinden gebracht, Waffen auf sie gerichtet und zahllose Versuche unternommen, ihre Karriere zum Scheitern zu bringen. „I can’t help but think“, lautet die trostlose Diagnose, „I’m an easy mark because I’m a woman.“562 Die Schraube wird von Cornwell aber noch weitergedreht – der Kampf der Geschlechter, so brutal er auch geführt wird, ist nur ein Element der dicht gebauten Paranoia. Eine ebenso hartnäckige wie bösartige Gegnerschaft stellen für Scarpetta Frauen dar – seien es Polizeichefinnen, Politikerinnen oder FBI-Agentinnen  ; weiblicher Neid, gepaart mit der Absicht, die erfolgreiche Rechtsmedizinerin 560 Patricia Cornwell  : The Last Precinct. New York 2001, S. 181  : „I am a small creature caught in a web, an evil web spun of threads that seem to wrap around the entire globe like lines of latitude and longitude.“ 561 Patricia Cornwell  : Cause of Death. London 2007, S. 116. 562 Cornwell, Postmortem, 302.

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zu Fall zu bringen, gehören ebenso zu den zwanghaften Versatzstücken der Romane wie die penibel beschriebenen Obduktionen. Wenn es ein treues Schicksal gibt, das Scarpetta ereilt, dann das, eine leuchtende, lebendige Zielscheibe für die Hassgefühle der anderen zu sein. Im Richmond der Jahrtausendwende scheinen der gesellschaftliche Vertrag, die sozialen Konventionen, die vor mörderischen Nachstellungen schützen sollten, außer Kraft gesetzt. Die bitterböse Absicht ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel, die Bedrohten verhungern am ausgestreckten langen Arm des Gesetzes, der Justiz- und Polizeiapparat selbst dient nicht selten als Brutstätte mörderischer Intrigen, und die Nachtschattengewächse FBI und ATF563 treten als düstere Geheimbünde in Erscheinung. Aber auch die engsten Vertrauten Scarpettas geben sich immer wieder Heimlichkeiten und Undurchsichtigkeiten hin, die als Unsicherheit in das Leben der Erfolgsfrau strahlen  ; so täuschen zwei ihrer Lebenspartner den eigenen Tod vor – zwar im hehren Dienst der Verbrechensbekämpfung, doch für die ahnungslose Gerichtsmedizinerin ist das fingierte Ableben der Liebsten nichts als der Einbruch von Angst und Schrecken. Und vor allem der Polizist Marino, der Scarpetta doch wehrhaft und treu durch soviele Fälle begleitet, zeigt immer wieder die unheimliche Tendenz, aus dem gemeinsamen Kampf auszuscheren und, aus den niedrigsten Beweggründen, zur Feindesseite überzulaufen. Freundschaft und Liebe, so scheint es, strömen die gleiche schwelende Beunruhigung aus wie mörderische Nachstellungen. In diese aus permanenter Bedrohung gezimmerte Welt fügt sich der psychopathische Killer wie eingegossen ein. Sein grell inszeniertes Töten ist nur die Entsprechung zu den lauten Ängsten Scarpettas. Die zwanghaft wiederholte Erwähnung des Ein- und Ausschaltens der Alarmanlagen, die stolzen Detailbeschreibungen neuester technischer Errungenschaften und das Frohlocken über Sicherheitsvorkehrungen, die, der Cornwell’schen Hyperbolik gemäß, die erdenklich besten sind, bilden nur den ausgerollten roten Teppich, auf dem der psychopatische Mörder in die Geschichten hereinspaziert. „I have helped Virginia“, heißt es mit vergeblichem Eifer, „design the best disaster plan of any state in the country.“564 Denn auch die Serienkiller zeigen sich als begabte Planer und Strategen und setzen immer wieder auf konspirative, manipulative Teamarbeit. Nicht selten rekrutieren sie die willfährigen Hand563 ATF steht für „Alcohol, Tabacoo, Fireweapons“  ; fallen Delikte in diese Bereiche, kommen ATF-Spezialisten zum Einsatz. 564 Cornwell, The Last Precinct, 5.

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langer aus Scarpettas Angestelltenschar  ; das Gerichtsmedizinische Institut, die heilige Arbeitsstätte der Starpathologin, ist immer schon vom Bösen infiltriert. Ihre bis zum Sektionstisch verlängerten Arme verschränken die Serienmörder im Verlaufe eines Falles zur tödlichen Umarmung. Tatsächlich ziehen sie ihr Netz immer enger zusammen, die Tatorte der Verbrechen rücken immer näher an Scarpetta heran. Auch weil sie durch die Obduktion der Opfer das Vorgehen der Täter in Erfahrung bringt, wird sie häufig in den Rang einer begehrten Trophäe gehoben. „I was“, so Scarpetta über einen Serienmörder, „the only real link between him and his victims. I was the only living witness.“565 Schon am Ende des ersten Romans schlüpft der Mörder durch ein offenes Fenster in Scarpettas Privathaus  ; nur Marino kann im letzten Augenblick das Schlimmste verhindern. Die Schlagzeile einer Richmonder Tageszeitung  : „str angler slain by detective inside chief medical ex aminer’s bedroom“566 – bringt die paranoide Verdichtung in plakativen Großbuchstaben auf den Punkt  : weder an ihrer Arbeitsstelle, noch in ihrem Haus, noch in ihrem Schlafzimmer ist die Gerichtsmedizinerin sicher. Ein ähnliches Finale findet sich in The Last Precinct (2000), als der Täter im Garten Scarpettas überwältigt wird. Temple Gault, Bösewicht in den frühen Scarpetta-Romanen, stirbt gar durch die mit einer Glock bewaffnete Hand der Gerichtsmedizinerin. Weil die Mörder statt einer Seele, statt einer Persönlichkeit mit komplexen Motiven, nur einen dunklen Fleck besitzen, muss das Verhältnis zum Täter ein persönliches sein  ; durch die enge Beziehung zu Scarpetta, durch die ganz persönliche Mordabsicht und die emotionale Involviertheit der Protagonistin, wird den Tätern, trotz der Annexion ihres Innenlebens, gleichsam Leben eingehaucht. Mit der völligen Ent-Sicherung des öffentlichen und privaten Raumes entwirft Cornwell nicht zuletzt ein Panorama des amerikanischen Justiz- und Polizeiapparats nach dem Trauma des O.-J.-Simpson-Prozesses, in welchem sich in der Rhetorik der Verteidigung die hieb- und stichfeste Ermittlungsarbeit der Behörden, die unter anderem einen genetischen Fingerabdruck Simpsons, gewonnen am Tatort, als Beweis vorlegen konnte, in Luft auflöste.567 „We have 565 Cornwell, Postmortem, 311. 566 Cornwell, Postmortem, 389. 567 Dass Anwälte die Arbeit der Polizei und der Staatsanwaltschaft und damit den Sieg der Gerechtigkeit zunichte machen, gehört zu den angstvollen Klagen in Cornwells Romanen. Noch radikaler beschreibt Michael Crichton in seinem Thriller State of Fear (2004) die in jedem Sinne wachsende Macht der Anwälte, welche im Roman, vielleicht zu recht, als weitaus größere Gefahr als die Erderwärmung herausgestellt wird  : „Extrapolating the statistical growth of the legal

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a mountain of evidence“, verkündet eine desillusionierte Staatsanwältin in The Last Precinct, „but then so did the prosecution in the O.J. case.“568 Jeder Beweis muss nicht nur gesichert, sondern auch sicher verwahrt werden, denn die Gefahr der Manipulation lauert überall. „The body is evidence“, erörtert Scarpetta. „I never left an investigator alone with an unexamined body, certainly not since the badly botched O. J. Simpson trail, when it became the vogue for everyone except the defendant to be impeached in court.“569 Diese „verkehrte Welt“ findet sich auch im Rollentausch zwischen den Serienmördern und der Gerichtsmedizinerin abgebildet  : Der Täter ist nicht länger die flüchtige Beute, die gnadenlos verfolgt wird, sondern der Verbrecher wird zum Jäger, die Ermittlerin zur Gejagten. Die Haupstadt Virginias, in der die Mehrzahl der Fälle angesiedelt ist, erscheint als trüber Slum, eingeschneit in einen ewigen Winter. Richmond aber ist auch jene Stadt, in der Poe einen großen Teil seiner Jugend verbracht hat, und Cornwell deutet in ihren Romanen das Erbe, das sie anzutreten meint, immer wieder vage an. In Trace (2004) allerdings widerfährt dem berühmten Südstaatler die zweifelhafte Ehre, für die Taufe eines Serienmörder Pate zu stehen  : Edgar Allan Pogue mordet, indem er mit dem ganzen Gewicht auf den Brustkorb seiner Opfer kniet, bis diese qualvoll ersticken. Damit ist nicht nur auf bedenkliche Weise der dunkle Poe als Gothic-Autor heranzitiert, sondern die lange verriegelte Tür zum Motivschatz der Schauerliteratur wieder aufgebrochen. Denn Pogues Mordmethode inspiriert sich deutlich am Nachtmahr, der als Albdruck den Schlafenden die Atemluft raubt. Tatsächlich versorgt sich Cornwell großzügig mit bewährten Versatzstücken des Schauerlichen  ; dazu gehören die Werwolf-Legende, die Lehre vom tierischen Magnetismus und ein kurzes Streifen des Vampirmotivs  : der aus Paris stammende psychopathische Mörder Jean-Baptiste Chandonne überquert als mörderische Fracht im Laderaum eines Schiffes den Atlantik, um über Richmond Tod und Schrecken zu bringen. Auch mit der Achse Paris–Richmond ist noch einmal eine zweifelhafte Verbeugung vor Poe und seinem Helden Dupin vollbracht. Dieser Aufmarsch von Motiven der Schauerliteratur in Detektivgeschichten geht Hand in Hand mit der strengen Tendenz zur Rationalisierung und profession, by the year 2035 every single person of the United States will be a lawyer, including newborn infants. They will be born lawyers.“ Michael Crichton  : State of Fear New York 2004, S. 449. 568 Cornwell, The Last Precinct, 312. 569 Cornwell, Black Notice, 89.

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Technisierung der Ermittlungsmethoden. Wie bei Dupin und vor allem bei Holmes, die sich ganz der Logik und Wissenschaftlichkeit verschrieben haben, wird der Einbruch des Grauens – seien es die zerfleischten Leichen in der Rue Morgue oder sei es das mörderische gesprenkelte Band und der feuerspeiende Höllenhund in den Holmes’schen Abenteuern – mit rationalen Erklärungen zurückgeschlagen. Je größer der technische und logische Aufwand in der Verbrechensaufklärung ist, so scheint es, desto penetranter wird sie von Schrecken und Aberglauben begleitet. Damit aber ist weniger die gern konstatierte Unterminierung der rationalen Welterklärung angezeigt, als vielmehr die uralte Gegnerschaft aufs neue herausgestellt  :570 Um ihre Daseinsberechtigung und ihren Sinn zu beweisen, werden Wissenschaft und Technik immer wieder in den Kampf gegen den unerklärlichen Horror geschickt  ; der kalte Glaube an den technischen Fortschritt und neue wissenschaftliche Errungenschaften benötigt seit jeher den grauenvollen Schauer, an dem er sich aufrichtet und wärmt. Auch Cornwell lässt einen furchterregenden Werwolf auftreten, um den Schrecken, der von ihm ausgeht, schließlich als medizinische Monstrosität zu entlarven. „Hypertrichose“ lautet die Fachbezeichnung für die fellähnliche Ganzkörperbehaarung Chandonnes, sein nächtliches Zuschlagen wird mit dem Terminus der „Photophobie“, der Lichtüberempfindlichkeit bedeutet, ins Reich der Erklärbarkeit hinübergerettet. Wissenschaft und Technik, so die Cornwellsche Botschaft, sind per definitionem gut und verwandeln sich nur, wo sie in die falschen Hände fallen, in jene übergroßen Schrecken, die zu bannen ihre eigentliche Aufgabe wäre. In Unnatural Exposure (1997) etwa werden in Laboratorien gezüchtete Pockenviren als erfolgreiche Mordwaffe eingesetzt und hochgerüstete Computersoftware für feindselige Angriffe genutzt. Mit der technizistischen Einfärbung der Welt einher geht der wahnwitzige Gebrauch von medizinischen Fachausdrücken, Abkürzungen und polizeiinternen Codes, die immer wieder aufgeboten werden, um die exzessive Gewalt und das wild fließende Blut zu zähmen.571 Doch in Cornwells Romanen treten Wissenschaft und Technik nicht nur gegen mysteriöse Auswüchse und Ausnahmen, sondern im Besonderen gegen die größte Angst des Menschen an  : die Angst vor dem Tod und dem Sterben. 570 Vgl. Horsley, Twentieth-Century Crime Fiction, 143. 571 Allein das von George Beahm sorfältig zusammengestellte Abkürzungsverzeichnis der ersten elf Romane umfasst 13 Seiten  ; vgl. Beahm, The Unofficial Patricia Cornwell Companion, 240– 252.

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Historikerin des Schmerzes Obwohl die Gerichtsmedizin in der Detetkivliteratur lange Jahrzehnte ein unbeachtetes Dasein fristet, kann sie doch einige markante Auftritte verzeichnen. Der erste findet Anfang der 1880er-Jahre in London statt. Gleich bei ihrer ersten Begegnung präsentiert sich Holmes dem erstaunten Watson als Held der Gerichtsmedizin. Auf der Suche nach einem Mitbewohner wird der Afghanistan-Veteran von seinem ehemaligen Studienkollegen Stamford Sherlock Holmes vorgestellt. Das Treffen findet im chemischen Labor eines Krankenhauses statt. Auf dem Weg dorthin bereitet Stamford Watson auf das kauzige Verhalten des zukünftigen Meisterdetektivs vor. Holmes, so die wenig schmeichelhafte Charakterisierung, verbringe viel Zeit in Sezierräumen, um mit einem Stock auf Leichen einzuschlagen. Er tue dies jedoch, so die nachfolgende Beschwichtigung, im Dienst der Wissenschaft, „to verify how far bruises may be produced after death“.572 Endlich im Labor angelangt, springt Holmes den beiden Besuchern mit einem Freudenschrei und einem Reagenzglas in der Hand entgegen. „I’ve found it  ! I’ve found it“, ruft er begeistert. „I have found a re-agent which is precipitated by hæmoglobin, and by nothing else.“573 Um sich den Beifall seiner verdutzten Zuhörerschaft zu sichern, fügt er in der bekannt arroganten Art hinzu  : „Why, man, it is the most practical medio-legal discovery for years.“574 Mit Hilfe dieser bahnbrechenden Entdeckung sei es von nun an möglich festzustellen, ob es sich bei alten Flecken um Blutflecke handelt. Damit wird sowohl dem Gesetz als auch der Gerechtigkeit zu einem sichereren Stand verholfen. „Criminal cases are continually hinging upon that one point. A man is suspected of a crime months perhaps after it has been committed. His linen or clothes are examined and brownish stains discovered upon them. Are they blood stains, or mud stains, or rust stains, or fruit stains, or what are they  ? […] Now we have the Sherlock Holmes’s test, and there will no longer be any difficulty.“ 575 Die Sherlock-Holmes-Probe fällt damit nicht nur Hämoglobin aus, sondern, so das Versprechen, auch wissenschaftlich verbürgte Gerechtigkeit. „Had this test been invented, there are hundreds of men now walking the earth who would long ago have paid the penalty of their crimes.“576 572 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 17. 573 Ebenda. 574 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 18. 575 Ebenda. 576 Ebenda.

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Springt man gut achtzig Jahre in der Zeit in Richtung Gegenwart, kann man Lew Archer bei einem Gespräch mit dem Gerichtsmediziner Silcox belauschen. Von diesem erhofft sich der Detektiv in The Underground Man Auskunft über die Todesursache von Leo Broadhurst. „You should look for gunshot wounds, particulary in the head“, rät Archer. „I’ve talked to a couple of witnesses who think he was shot there. But my witnesses aren’t entirely dependable. We need concrete evidence.“ „That’s what I’m here for“, lautet die beruhigende Antwort. „I tend to learn more form dead people than I do from the living ones.“577 Diese körperliche und, im wahrsten Sinne des Wortes, todsichere Zeugenschaft beeindruckt den Detektiv, auch weil in ihr die Schrecknisse des Lebens ausgelöscht zu sein scheinen. „Going to the elevator to the forth floor, I almost envied Silcox his unliving witnesses. They were past lying, past hurting and being hurt.“578 Ganz anders empfindet Scarpetta die Arbeit mit den Toten  ; an einen Tatort gerufen, um eine vergewaltigte und ermordete Frau zu untersuchen, sieht sie nicht nur das vergangene Leid, sondern auch den Gewaltakt, der dem Opfer noch bevorsteht  : „The dead are defenseless, and the violation of this woman […] had only begun. I knew it would not end until Lori Petersen was turned inside out, every inch of her photographed, and all of it on display for experts, the police, attorneys, judges and members of a jury to see.“579 Ein Mord, so Scarpetta, ist ein öffentliches Ereignis580, und die Autopsie als Öffnung der Leiche stellt dieses Faktum in extremis nach  : jeder Zentimeter Haut wird untersucht, jeder Bluterguss, jeder Kratzer grell ausgeleuchtet, jede Wunde fotografiert. Dann folgt die Ausweidung und Zerstückelung des Körpers. Obwohl im Dienste der hehren Wissenschaft und streng der Wahrheitsfindung verpflichtet, bricht hier ein Teil des Grauens, das durch Logik und faktenreiche Beweisführung gebannt werden soll, wieder in die Detektivgeschichte herein. Mit der Zerlegung der Leiche, dem Zersägen der Knochen, dem Zerschneiden des Gewebes und dem Auskochen der Gebeine setzt die Gerichtsmedizin alptraumhafte Horrorszenarien im Rahmen kühler Spurensicherung noch einmal um.581 Nach dem berühmten Y-Schnitt werden die inneren Organe 577 Macdonald, The Underground Man, 222. 578 Macdonald, The Underground Man, 223. 579 Cornwell, Postmortem, 10. 580 Vgl. Cornwell, Postmortem, 11  : „A violent death is a public event […].“ 581 Um die Todesursache eines nicht identifizierten Brandofpers feststellen zu können, muss Scarpetta, wie es heißt, „die nackten, sauberen Knochen“ der Toten sehen  ; aus diesem Grund werden die Gebeine mit einer Bleichmittellösung ausgekocht. „I gently placed femurs and tibias

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ans Licht gehoben, untersucht, zu Scheiben verarbeitet und in formalinhaltige Behälter gelegt. Und weder Kopf noch Gesicht bleiben verschont. Ist die Totenstarre bereits eingetreten, müssen Ober- und Unterkiefer mit dem Meißel geöffnet werden  ; misslingt dies brachiale Handwerk, werden die Kaumuskeln durchtrennt. Das Gebiss, das dann endlich sichtbar wird, spendet, sofern Zahnarztunterlagen zugänglich sind, eindeutige Identität. Vor der abschließenden Schädelöffnung wird mit zwei, drei kurzen Handbewegungen das Gesicht entfernt  : „Turk picks up a scalpel and makes an incision around the back of the head ear to ear. She reflects back the scalp and pulls it forward, and the face goes slack, collapsing into tragic protest before it is inside out like a folded-down sock. The exposed dome of the skull glistens pristinely white, and I take a good look at it. No hematomas. No indentations or fractures.“582 Aus diesem blutigen Haufen aus Fleisch und Knochen zieht Scarpetta ihre Informationen  ; kleine Details werden, wie bei Holmes, unter ihren mit Lupen und Mikroskopen bewehrten Blicken zu Bruchstücken einer vagen Lebensgeschichte. Das Narrativ, das Scarpetta lose zusammenfügt, gleicht damit in der Form den vor ihr auf dem Sektionstisch liegenden fragmentierten Körpern.583 Die Eigenheiten der Muskulatur, der Zustand der Haut oder der Zähne, Drogenmissbrauch, schlechte Ernährung, Vorlieben für Gymnastik oder langwierige Krankengeschichten bringen ans Licht. „Teeth have their own stories. […] Teeth tell me about your hygiene. They whisper secrets about drug abuse, early childhood antibiotics, desease, injury and how important your appearance was to you.“584 Da sind körperliche Details, welche Bruchstücke der Biografie der Toten enthalten  ; und es gibt Spuren, Verletzungen, welche die Geschichte des Sterbens dokumentieren. „It is my job“, erklärt Scarpetta lakonisch, „to reconstruct pain […]“.585 Ein solches Verständnis ihrer Tätigkeit macht aus der Gerichtsmedizinerin eine Historikerin des Grauens, die das Leid für die Nachwelt der Ermordeten in Worte fasst. Die prosaische Version dieser Rekonstruktion wird auf ein Diktiergerät gesprochen. „The skin under the chin and superficial muscle are burned away“, heißt es dann. „Heat-cointo the pot, then the pelvis and parts of the skull. Vertebrae and ribs followed […]. Water heated up, and what was left of a woman I believed had been murdered began to process in the pot, in what seemed one more indignity and callous slight to who she was.“ Cornwell, Point of Origin, 139. 582 Cornwell, The Last Precinct, 116. 583 Vgl. Horsley, Twentieth-Century Crime Fiction, 153. 584 Cornwell, The Last Precinct, 257. 585 Cornwell, The Last Precinct, 144.

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agulated blood in the distal trachea, primary, secondary, and tertiary bronchi. Hemoaspiration, and blood in the esophagus.“586 Die zweite Version der Leiddarstellung verabschiedet sich vom klinischen Vokabular und beschreibt das Grauen aus der Opferperspektive. Dies ist eine weitere Einbruchstelle, durch die die Schrecken wieder in die Detektivliteratur hereinmarschieren. In ihrer Genauigkeit schmerzhaft und in ihrer Dringlichkeit bedrückend liest Scarpetta aus den einzelnen Verletzungen das langsame Sterben ab, sie bestimmt die Handlungselemente, die Chronologie und lässt sie, lückenlos rekonstruiert, als Szenenfolge vor ihrem geistigen Auge ablaufen. „Her autopsy revealed something else to add to the horror“, lautet der Text des im Nachhinein verfassten Drehbuchs. „The bullet that had entered Kim Luong’s neck and hit her carotid had also bruised her spinal cord between the fifth and sixth cervical disk, instantly paralyzing her. She could breathe and talk but not move as he dragged her down the aisle, her blood sweeping shelves, her less arms spread wide, limp, unable to clutch the wound in her neck. In my mind I saw the terror in her eyes. I heard her whimper as she wondered what he was going to do her next, as she watched herself die.“587 In der eigentümlichen Rhetorik Cornwells, die heute zum festen Bestandteil der populärkulturellen Darstellung der Gerichtsmedizin gehört, wird die Funktion Scarpettas immer wieder als die einer letzten Zeugin, einer Anwältin und „Dolmetscherin der Toten“588 beschrieben  ; die verheerende Arbeit am toten Körper diene dem Ziel, so heißt es mit Nachdruck, ihn zum Sprechen zu bringen. In dieser Wendung finden, dichtgedrängt, drei Vorstellungen Platz, die, so scheint es, in unterschiedlichen Ausformungen die Detektivliteratur begleiten  : eine spiritistische, eine psychoanalytische und eine physiognomische. Die Verwandtschaft zum spiritistischen Glauben liegt auf der Hand  ; Tote, so lautet sie, sprechen zu uns mittels eines ausgesuchten Mediums. Was zu Conan Doyles Zeiten, trotz zahlloser „Fotobeweise“, der Meinung des wissenschaftlichen Establishments entgegen stand, zeigt sich hier mit allen Attributen der abgesegneten, geweihten Wissenschaftlichkeit. In einem solchen spiritistischen Szenario besetzt Scarpetta die Rolle eines Mediums, das Kontakt mit den Toten herstellt und die für die Nachwelt bestimmte Nachricht überbringt. Doch auch die Leiche, die sterbliche Hülle selbst, kann man als Medium verstehen, das die Botschaft der Seele, des psychischen Körpers, 586 Cornwell, Point of Origin, 118. 587 Cornwell, Black Notice, 252f. 588 Cornwell, The Last Precinct, 154  : „I return to my role of interpreter for the dead.“

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übermittelt  ; der Gerichtsmedizinerin fiele dann die Rolle der Zuhörerin und Protokollantin zu, die die Aussage aufnimmt. Auf den Sektionstisch gebettet, wird die Leiche aufgeschnitten und zersägt, nicht durch Konzentration und Trance, sondern durch zerstörerisches Handwerk versucht man die Botschaft zu empfangen. In der Form der Narration und der Art und Weise der Übermittlung aber gleichen sich die Kontaktaufnahmen, denn erstere muss erst in allgemein verständliche Rede oder Schrift übersetzt werden, und letztere geht, über das Medium, über den Körper, über gerichtsmedizinisches Wissen, stets den indirekten Weg. Wie im spiritistischen Frage- und Antwortspiel kann auch Scarpetta bei ihrer Untersuchung der Leiche auf beklemmendes Schweigen stoßen  : „What happened to you  ? Why did you die  ?“ will sie vom Toten wissen. „He remains silent.“589 Auch die Ähnlichkeit der Obduktion mit einer Analysesitzung ist rasch herausgestellt, da die forensische Pathologin, dem Analytiker gleich, der das zeichenhafte Sprechen interpretiert, die körperlichen Symptome deutet und zu einer Geschichte zusammenfügt. In dieser schauerlichen Therapie ersetzt der Sektionstisch die Couch, die chirurgischen Handgriffe die freischwebende Aufmerksamkeit. Die ausgefeilte Liebe zum Detail – ein winziger Bluterguss hier, ein kleiner Versprecher dort – gibt Hinweis auf etwas Vergangenes, das in der Gegenwart nurmehr als Spur erhalten ist  ; dort ist es das Unbewusste, Vorbewusste, das das Geschehene konserviert hat, hier der tote Körper, auf dem die Male des qualvollen Untergangs zu erkennen sind. Dort ist es das psychische Trauma, um das das Reden und die Assoziationen kreisen, hier das körperliche Trauma, das gleichbedeutend mit dem Tod ist und auf dem Körper seinen Abdruck hinterlassen hat. Werden in der psychoanalytischen Kur verdrängte Affekte in Wissen verwandelt, wird mit den Ergebnissen der Obduktion die Vergangenheit zurückgeholt, sowohl als Leiden des Opfers als auch als Vorgehen des Täters. Der geschundene Körper ist die leibhaftige, stumme, bruchstückhafte Geschichte des Verbrechens, die sich als Erinnerung in der Gerichtsmedizinerin zusammensetzt. „I knew everything about her“, kann Scarpetta nach getaner Arbeit verkünden. „I had total recall.“590

589 Cornwell, The Last Precinct, 259. 590 Cornwell, Postmortem, 37. So viele Parallelen sich zwischen den beiden Praxen auch ziehen lassen, das Ende des Vergleichs ist rasch erreicht. Die Trennlinie erfolgt bei der Unterscheidung zwischen Fantasie und Realität sowie zwischen Konstruktion und Rekonstruktion. Weil das Unbewusste nicht zwischen Wunsch und Ereignis unterscheidet, geht es in der Freudschen Analyse weniger darum, das äußere Leben, eine tatsächliche Situation in Erinnerung

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Wenn man den Begriff der Physiognomik weitet und ganz allgemein als Verhältnis zwischen Körper und Seele, zwischen äußerem Erscheinungsbild und emphatischen Begriffen wie Wesen und Charakter fasst, findet sich auch ein physiognomischer Niederschlag im Verständnis der gerichtsmedizinischen Arbeit wieder. Doch werden die körperlichen Eigenheiten nicht auf die seelische Verfasstheit ihres Trägers bezogen, sondern auf das Innenleben eines anderen Menschen. Zwar malt Scarpetta, wenn sie das Sterben der Opfer nachvollzieht, auch stets einen Schattenriss des Täters an die Wand („He must have deliberately broken her fingers one by one after she was bound“591), doch fällt diese Aufgabe im Grunde dem Profiler zu. Scarpetta schließt von den Verletzungen der Ermordeten auf den Tathergang, der Kriminalpsychologe Benton Wesley wiederum zieht von den gerichtsmedizinischen Gutachten dicke Verbindungen zu Psyche, Gewohnheiten und Vorlieben des Täters. Damit ist die physiognomische Klammer bestehend aus Leib und Seele, wenngleich verschoben, so doch vorhanden und umarmt zugleich Opfer und Täterschaft. Während die Gerichtsmedizinerin sich den Toten zuwendet und sie obduziert, ist es die Aufgabe des Profilers, die mörderische Seele zu analysieren, oder, wie es effektvoll in The Last Precinct heißt, „die Psyche von Monstern zu sezieren, ihr Verhalten zu deuten und vorherzusagen“.592 „Profilers“, erklärt Scarpetta begeistert, „are academicians, thinkers, analysts. Sometimes I think they are magicians.“593 Das ebenso magische wie unheimliche Moment ihres Heldentums besteht darin, dass sie sich bis zu einem bestimmten Grad in den Täter hineinversetzen  ; weil sie im Geiste in das Innenleben des Mörders eintauchen, färbt sich, zumal für die Dauer der Analyse, ein Teil ihrer Seele dunkel ein.594 Auch bei der Aufteilung der Zeiten wird die Teamarbeit großzu holen, sondern das psychische Leben, die verdrängten Wünsche ins Bewusstsein zu rücken  ; das Ziel muss stets die Konstruktion des Wunsches, der Urszene des Traumas sein, nicht dessen dogmatischer Wiederaufbau, weil sich die psychoanalytische Arbeit, zumindest im theoretischen Ideal, immer nur Annahmen, keinen Wahrheiten, entlanghangelt. Die Annahmen der Gerichtsmedizin jedoch müssen sich auf handfeste Beweise stützen, werden erst vor Gericht eingesetzt und im Falle eines Schuldspruches zu Rekonstruktionen der Wirklichkeit geadelt. 591 Ebenda. 592 Cornwell, The Last Precinct, 18  : „[…] an expert in dissecting the psyches of monsters and interpreting and predicting their behavior.“ 593 Cornwell, Postmortem, 91f. 594 Das Inszenierungsgehabe der bekannten Profiler kennt kaum Grenzen  ; neben Ressler und Douglas pflegt vor allem der Österreicher Thomas Müller seine Auftritte in der Öffentlichkeit. Vgl. hierzu  : Joachim Linder  : Der Serienkiller als Kunstproduzent. Zu den populären Repräsen-

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geschrieben  : Die Gerichtsmedizin rekonstruiert das Vergangene, das Geschäft des Profilers hingegen sind vor allem Gegenwart und Zukunft. Hier trifft man schemenhaft auf die Figur des antiken Haruspex, der in den Eingeweiden des „Opfers“ die Zukunft liest. In scharfem Kontrast zur Überhöhung, die seiner Tätigkeit anhaftet, sind die Profilskizzen der Kriminalpsychologen äußerst grob gezeichnet. „I’m betting“, so Wesley mit der Allüre eines Sehers über den gesuchten Mörder, „he’s white. […] He’s probably between twenty-five and thirty-five. […] His car’s an older model, probably American, dark or plain in color, such as beige or gray. […] He’s a loner […] and has a difficult time with close relationships, though he may be considered pleasant or even charming to acquaintances.“595 Und so sind Wesleys Verbrecherporträts trotz des großzügig bemessenen Raumes, den sie einnehmen, für die Tätersuche weder hilfreich noch relevant. Zuweilen eilt dem Ermittlungsteam gnädig der Zufall entgegen, der, auch wenn er die kühle Logik und aufwendige Technik der Ermittlungsmethoden ad absurdum führt, freudig begrüßt wird. „Luck“, heißt es dann schlicht. „We were lucky.“596 Handfeste Hinweise jedoch liefern bei den Obduktionen gewonnene Spuren, die in den forensischen Laboren ausgewertet und in Indizien umgewandelt werden  ; tatsächlich führt der Weg zur Aufklärung zumeist über kleine Fasern, winzige Flüssigkeitsreste, über genetische Fingerabdrücke und Knochenstückchen, sodass man sich in Cornwells Romanen, mehr noch als in Conan Doyles Geschichten, in der Welt von Sherlock Holmes wiederfindet, in der dem Detail alle Aufmerksamkeit und Verehrung zuteil wird.597 Auch die Beweggründe des Täters stoßen auf wenig Interesse, und fällt, nach vollbrachter Identifizierung und Vernichtung des Mörders, doch einmal schüchtern die Frage nach dem Motiv, vernimmt man eine jener holzschnittartigen Erklärungen, die wie die Schwestern einer umfassenden Kapitulation aussehen. „Why did he kill  ?“ möchte Scarpetta von Wesley wissen. „I can’t answer that satisfactorily, Kay“, lautet die für einmal ehrliche Antwort. „But I’ve talked tationen multipler Tötungen. In  : Frank J. Robertz u. Alexandra Thomas (Hgg.)  : Serienmord. Kriminologische und kulturwissenschaftliche Skizzierungen eines ungeheuerlichen Phänomens. München 2004, S. 461–488. Hier  : v.a. S. 480–485. Müllers groteskes Buch Bestie Mensch. Tarnung, Lüge, Strategie (2004) kürt Schiller und vor allem Shakespeare zu den Vorbildern der modernen Kriminalpsychologie. 595 Cornwell, Postmortem, 93ff. 596 Cornwell, All That Remains, 435. 597 Vgl. hierzu auch  : Vanacker, I. V. Warshawski, Kinsey Millhone and Kay Scarpetta, 82.

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to his former roommate at WA, who indicated that Spurrier’s relationship with his mother was unhealthy. She was very critical and controlling, belittled him constantly. He was dependent on her and the same time probably hated her.“598

Abschiede ohne Ende Bildet die Gerichtsmedizin in der Kay-Scarpetta-Reihe den Knotenpunkt, den die seltsame Verknüpfung von Wissenschafts- und Gerechtigkeitsbegriff darstellt, so ist es vor allem der Glaube an die Wunderwaffe des genetischen Fingerabdrucks, der diese einzigartige Stellung bekräftigt und gewährleistet. „Hey, Eggleston“, ruft Marino in zynischer Übertreibung einem Kriminaltechniker zu, „see if you can find the guy’s DNA somewhere. Put it in a little bottle and maybe we can grow his clone in the lab […]. Then we’ll know who the hell he is.“599 Cornwell wird nicht müde, die neue kriminalistische Errungenschaft zu loben und zu preisen. „As recent as two years earlier“, heißt es im ersten Roman feierlich, „the killer’s nonsecreter status would have been a crushing blow to the forensic investigation. But now there was DNA profiling, newly introduced and potentially significant enough to indentify an assailant to the exclusion of all other human beings, provided the police caught him first and obtained biological samples and he didn’t have an identical twin.“600 Die Demontage dieser für den Einsatz der DNA-Analyse wichtigen Voraussetzungen wird in der Folge in verschiedenen kriminalistischen Horrorszenarien betrieben. In The Last Precinct etwa ist die DNA gesichert und kann dem verhafteten Jean-Baptiste Chandonne zugeordnet werden, doch weil kein behördliches Dokument die Identität stützt und belegt, zeigt sich der genetische Fingerabdruck als nutzlos. „In fact“, klagt die Staatsanwältin Berger frustriert, „we have nothing to prove who he is. No driver’s license. No passport or birth certificate. No record this bizarre man even exists. Only his DNA […].“601 Bis in die Grundfesten erschüttert wird der Glaube an den heiligen Identitätsbeweis in All That Remains (1992). Weil nur Leichen in skelettiertem Zustand auf Scarpettas Sektionstisch landen, ist die Gewinnung der Täter-DNA 598 Cornwell, All That Remains, 434. 599 Cornwell, Black Notice, 233. 600 Cornwell, Postmortem, 16. 601 Cornwell, The Last Precinct, 158.

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Kapitel 7  : Kay Scarpetta

für die Gerichtsmedizinerin eine Unmöglichkeit. Als sich Querverbindungen zu einem viele Jahre zurückliegenden Mordfall ergeben, in dem Blutspuren des Täters sichergestellt worden waren, hofft Scarpetta, mit Hilfe der alten Probe den Verdächtigen Spurrier überführen zu können. Doch als die Resultate der Proben endlich vorliegen, beweisen sie nicht Spurriers Verbrechen, sondern dessen Unschuld. „The DNA don’t match“, verkündet Marino. „Legally, Spurrier was no longer a suspect. […] And the FBI had backed off.“602 Dennoch schafft es Scarpetta am Ende, die „Wahrheit“ und damit Spurriers Schuld zutage zu fördern. Nachdem eine resolute Politikerin, um den Tod ihrer Tochter zu rächen, den Verdächtigen erschossen hat, führt die Rechtsmedizinerin die Obduktion durch  ; alte Operationsnarben an der Wirbelsäule, die auf eine Knochenmarkentnahme hindeuten, weisen Scarpetta den Weg. Weitere Abklärungen ergeben, dass Spurrier vor Jahren an Krebs litt und nur durch die Knochenmarkspende seines Bruders gerettet werden konnte. Dieser Eingriff veränderte Spurriers Blutbild, sodass die alte DNA-Probe ihm nicht mehr zugeordnet werden kann. Trotz der im Roman ausgeschlachteten Schwachstellen des DNA-Beweises ist es ihm schließlich vorbehalten, Spurrier post mortem einwandfrei als Mörder zu identifizieren. „Marrow produces blood cells, so if you’ve had a marrow transplant you take on the blood cells of the donor“, erörtert Scarpetta und fügt triumphierend hinzu  : „But brain, spleen, sperm cells don’t change.“603 Eine Probe des Gehirns wird den Mörder endlich überführen. Damit ist, nach einem kurzen Abfall, der Glaube an die DNA als Lieferantin des eindeutigen Identitätsbeweises gleichsam erneuert und gestärkt. Lässt sich im Fortschreiten der Scarpetta-Serie eine zunehmende Verdüsterung der Welt ausmachen, bricht in The Last Precinct (2000) die finstere Nacht herein. In diesem Roman finden die mutwilligen Heimsuchungen und mörderischen Intrigen, die seit jeher das Leben der Gerichtsmedizinerin bedrohen, ihren schaurigen Höhepunkt. Haben bereits die vorangegangenen Fälle das Verhältnis zwischen Jäger und Gejagten umgedreht, werden die Rollen nun zur Gänze vertauscht  : Scarpetta selbst wird das Objekt behördlicher Ermittlung – sie gerät unter Mordverdacht. Zwar wird sie, wenig überraschend, von den falschen Verdächtigungen, sie habe die Polizeichefin Diane Bray umgebracht, entlastet, doch die steten Verleumdungen und Angriffe zeitigen endlich die angestrebte Wirkung  : Scarpetta wird als Leiterin des Gerichtsme602 Cornwell, All That Remains, 424f. 603 Cornwell, All That Remains, 432.

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dizinischen Instituts in Richmond entlassen. Damit ist die Abkehr von den Behörden vollzogen, der Weg in die „Unabhängigkeit“ vorskizziert. Tatsächlich geht dem Abschied von den staatlichen Institutionen die Geschichte einer langwierigen Ablösung voran. Vor allem das FBI wird, nach anfänglichem Wohlwollen, nurmehr als machtversessene Geheimpolizei gezeichnet, die ihre Krakenarme in alle Angelegenheiten mischt und den ohnehin dauergefährdeten privaten Raum zusätzlich vergiftet. „They can get hold of pretty much anything they want – and are. Even if it requires a court order […].“604 Aus dem Federal Bureau of Investigation wird ausgerechnet in Point of Origin (1998), jenem Roman, den Cornwell „in Liebe“ Barbara Bush widmet, das „Fucking Bureau of Investigation“.605 Aber es sind die institutionellen Männerbündeleien im Allgemeinen, die Scarpettas halsstarriges Festhalten an einer Karriere innerhalb der Behörden mürbe gemacht hat. Um die Struktur und die Protagonisten der Romane in das neue Leben der Gerichtsmedizinerin hinüberzuretten, ist Cornwell gezwungen, das ganze Team in die „Unabhängigkeit“ zu entlassen. Lucy Farinelli kehrt dem ATF den Rücken und gründet, durch eine Softwareerfindung zur Multimillionärin geworden, eine international operierende Detektei, die sie The Last Precinct, das letzte Revier, tauft  ; einer ihrer engsten Mitarbeiter wird Pete Marino, der den Polizeidienst in Richmond quittiert. Und schließlich folgt auch Benton Wesley dem Beispiel und wendet sich vom FBI ab und der neurobiologischen Forschung in Harvard zu. Scarpetta wiederum ruft nach dem Verlust ihrer Richmonder Arbeitsstelle die National Forensic Academy ins Leben, der sie standesgemäß als Leiterin vorsteht. Gespeist wird das Ausbildungszentrum vom unerhörten Reichtum Lucys. Neben ihrer Arbeit als Dozentin fungiert Scarpetta auch als beratende forensische Pathologin. Von Ferne erinnert dieses Jenseits der Behörden an jenen Ort, den der Privatdetektiv soviele Jahrzehnte lang tapfer verteidigt hat. Wie lautete einst die Holmessche Selbstbezeichnung  ? – „The only unofficial consulting detective […]. I am the highest court of appeal in detection. When [inspector] Gregson, or Lestrade, or Athelney Jones are out of their depths – which, by the way, is their normal state – the matter is laid before me. I examine the data, as an expert, and pronounce a specialist’s opinion.“606 Einen ähnlichen Weg schlägt 604 Cornwell, Predator, 327. 605 Cornwell, Point of Origin, 152. Die dem Roman vorangestellte Widmung im Originalwortlaut  : „With Love to Barbara Bush (for the difference you make).“ 606 Conan Doyle, The Penguin Complete Sherlock Holmes, 90 (The Sign of Four).

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Kapitel 7  : Kay Scarpetta

Scarpetta ein, sie berät ehemalige Berufskollegen und Behörden und bearbeitet, als Garantie der Unabhängigkeit, die an sie herangetragenen Fälle gratis. Der Weg, den sie zurücklegt, führt weg von Staat und Behörden und damit in die unternehmerische Privatheit  ; es ist dies aber nicht dieselbe Privatheit, von der sich der Detektiv vor langer Zeit verabschiedet hat, um zum Polizeikommissar zu werden. Denn das Wissen auf den unterschiedlichsten kriminalistischen Gebieten, die tausend Talente, die Holmes auf sich vereint und die ihn damit, trotz seiner hageren Gestalt, auf die Größe einer mächtigen Institution anwachsen lassen, stellt für Scarpetta weiterhin ein enges Netzwerk aus spezialisierten Helfern, das „letzte Revier“, bereit. Nicht das Bild des exzentrischen Genies und auch nicht jenes des einsamen Jägers wird hier als Vorbild heranzitiert, sondern eine Organisation vom Ausmaß der Pinkertons, ein lichtes, für das Gute streitende Gegen-FBI entworfen. In den letzten Romanen der Scarpetta-Reihe werden neben der Unabhängigkeit noch weitere Abschiede gefeiert. Denn Benton Wesley kehrt nicht nur der Bundesbehörde in Quantico, sondern auch der Theorie und Praxis des Profiling den Rücken. Vielleicht ist die Verwerfung dieser in der Detektivliteratur inzwischen so beliebten Methode der Tätersuche die radikalste Veränderung überhaupt. Cornwell hat mit Wesley, dem Leiter der TätertypologieAbteilung des FBI, lange Zeit am Mythos des Profiling mitgearbeitet. Immer wieder durfte Wesley grobe Skizzen der gesuchten Mörder anfertigen, deren Richtigkeit weniger in den Aussagen, sondern vielmehr in der ungeheuren Vagheit der Aussagen begründet war. „Danny was killed by a psychopathic individual who blends well enough with normal society that he did not draw any attention to himself as he waited outside the Hill Café“, lautet das Referat grandioser Allgemeinheit. „I’d profile this individual as a white male, early thirties to early forties, experienced in hunting and in guns, in general.“607 Weil das Profiling eine „Erfindung“ des FBI ist, muss es, so die schlichte Logik, nach dem unversöhnlichen Abschied von Quantico verworfen werden. Die Kritik, die der ehemalige Chef-Profiler äußert, zielt nicht nur auf die Mode und Popularität der Methode, sondern vor allem auf ihr fehlendes wissenschaftliches Fundament  : „Benton is fifty and has reached the bitter belief that psychological profiling isn’t psychological in the least, but is nothing more than forms and assumptions based on decades-old data. […] Modern profiling is not inductive. It is as specious and misleading as physiognomy and anthropometry – or the dangerous and ridiculous beliefs from centuries past that 607 Cornwell, Cause of Death, 293.

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murderers looked like cavemen and could be unequivocally identified by the circumference of their heads or the length of their arms.“608 Diese Charakterisierung des Profiling – mechanisches Vorgehen, das Fehlen von logischen Schlussfolgerungen – erinnert stark an jene Attribute, mit denen Dupin und zu Teilen auch Holmes das stumpfsinnige Vorgehen der Polizei schmückte. Anstatt sich in den Täter hineinzuversetzen und somit die individuellen Züge herauszustreichen, folgt das Erstellen von Profilen jenem bornierten Schematismus, der der Pariser Polizei in The Purloined Letter die Suche in den verborgensten Winkeln diktiert.609 Die grobschlächtigen Entwürfe der Mörderexistenzen werden nun auch von den übrigen Protagonisten aufgegeben. Täterprofile, höhnt Marino, sind „ungefähr so zuverlässig […] wie Glückskekse beim Chinesen“.610 „Most serial killers stalk their victims“, erklärt Scarpetta und fügt höflich hinzu  : „But there’s no set rule, despite what most profilers would like to think.“611 Das Verneinen der Regelhaftigkeit, der Gesetzesmäßigkeit deutet das Übersehen der Individualität noch einmal an. Auch der Ausdruck „Serienkiller“ wird nun nach langen Jahren des treuen Gebrauchs über Bord geworfen, „denn“, so Wesley, „[i]t has been overused, it means nothing helpful and never did except to loosely imply that a perpetrator has murdered three or more people over a certain period of time. The word serial suggests something that occurs in succession. It suggests nothing about violent offenders motives or state of mind […]“.612 Die Lücke, welche die Zertrümmerung des Glaubens an das Profiling hinterlässt, muss mit einem neuen Evangelium gefüllt werden. Weil die Abklärung von Motivationen und Geisteszuständen seit jeher zu den Geschäften der Psychologie/Psychiatrie gehört, tritt sie hier, ganz dem technizistischen Zeitgeist verpflichtet, im Kleid der Neurowissenschaft auf und besetzt jene offene Stelle, die das abgewirtschaftete Profiling hinterlassen hat. Von nun an verspricht nicht mehr der über alle exakte Wissenschaft hin608 Cornwell, Blow Fly, 64. 609 Ironischerweise beruft sich mit John E. Douglas einer der Gründerväter des Profiling ausgerechnet auf den Detektiv in The Murders in the Rue Morgue als ersten Profiler. Vgl. Peter Thoms  : Detection & Its Designs. Narrative & Power in the 19th-Century Detective Fiction. Athens 1998, S. 55. 610 Hier die deutsche Übersetzung von Karin Dufner  ; Patricia Cornwell  : Staub. Hamburg 2005, S. 222. Im Original  : „[…] profiling’s about as reliable as fortune cookies […].“ Cornwell, Trace, 247. 611 Cornwell, Blow Fly, 27. 612 Cornwell, Predator, 7.

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wegsehende Blick in die Seele des Täters Aufschluss über das Innenleben des Verbrechers, sondern der mit Tomographen unternommene Griff in das Verbrecherhirn. „During the Stroop interference task“, heißt es dann in bewährter wissenschaftlicher Unverständlichkeit, „[…] he has decreased activity of the anterior cingulate in both dorsal and subgenual regions, accompanied by increased dorsolateral prefrontal activity.“613 Diese beeindruckende Fülle von Fachtermini besagt, dass der Proband außerstande ist, sein Verhalten zu steuern  ; eine psychische Krankheit, so der Befund, zwingt den Mann zu morden. Damit zeigt sich die dritte große Veränderung in der Scarpetta-Serie  : Das Täterbild, stets streng nach dem psychopathischen Serienkiller konstruiert, wird verworfen. „There are people“, verkündet die Gerichtsmedizinerin in ihrem ersten Fall, „that are evil […]. Sometimes there isn’t a reason. In a way, it doesn’t matter. People make choices. Some people would rather be bad, would rather be cruel. It’s just an ugly, unfortunate part of life.“614 Wenn das Verbrechen auf der Entscheidung beruht, „böse“ sein zu wollen, wird die Psychologie nicht nur überflüssig, sondern geradezu eliminiert. Der sich über mehrere Romane hinstreckende Kampf der Gerichtsmedizinerin gegen ihre Intimfeinde Temple Gault und Carrie Grethen ist gleichsam ein Kampf gegen die nackte Boshaftigkeit. In den späteren Romanen wird eine derart ausschließliche Sichtweise relativiert, die Mörderinnen und Mörder bleiben zwar in sexuellen Perversionen gefangen, doch in Trace (2004) ist der Mörder Edgar Allan Pogue in Lucys Worten „ein Spinner“, von dem sie nicht sicher ist, ob sie ihm „logische Motive unterstellen kann“.615 Predator (2005) geht noch einen Schritt weiter und präsentiert als Mörderin eine Frau, die an dissoziativer Identitätsstörung leidet  ; Motivlosigkeit und Boshaftigkeit wird durch Krankheit ersetzt, und die Mörderin erntet am Ende Verständnis und Mitleid. „A dramatic transformation when one alter becomes another, each dominant, each determining behavior“, erklärt Scarpetta. „Facial changes, changes in posture, gait, mannerisms, even dramatic alternations of pitch, voice, speech.“616 Die Ursache für die multiple Persönlichkeitsstörung, die zu mörderischen Exzessen führt, liegt in einem unerträglichen Kindheitstrauma begründet  ; die Täterin, der damit zugleich die Rolle des Opfers zu613 Cornwell, Predator, 210. 614 Cornwell, Postmortem, 49. 615 Hier die Übersetzung von Karin Dufner  ; Cornwell, Staub, 422. Im Original  : Cornwell, Trace, 480  : „As much as one can assign logic to a nutcase like him.“ 616 Cornwell, Predator, 457.

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gewiesen wird, ist zwar als identifizierbarer Körper, aber nicht als greifbare Persönlichkeit vorhanden. Unzurechnungsfähigkeit bezeichnet als juristischer Fachbegriff dieses Auseinanderklaffen von Leib und Psyche, von Handeln und Bewusstsein. Gegen die junge mehrfache Mörderin in Predator wird nie Anklage erhoben werden, weil sie als juristische Person gar nicht mehr am Leben ist  : „I suspect, figuratively speaking“, so die Gerichtsmedizinerin, „Helen Quincy stopped existing when she was twelve […].“617 Hier sprechen nicht mehr die Ermordeten durch ihre Verletzungen zu Scarpetta, sondern die Mörderin selbst ist längst ausgelöscht und begeht ihre Taten als lebende Tote. Mit der Ersetzung des psychopathischen durch den psychotischen Täter entfernt sich Cornwell weit von den Mordopfern  ; deren Leidensgeschichte wird aus dem Zentrum der Romane verbannt, während die traurige Zwanghaftigkeit der Mörder die Seiten erobert. Und so wendet sich Cornwell in der Predator vorangestellten Danksagung nicht mehr an Politiker und Kriminalisten als Kämpfer gegen das Verbrechen. „The most challenging and significant frontier isn’t outer space“, schreibt sie an die Adresse von Psychiatern und Wissenschaftlern. „It is the human brain and its biological role in mental illness.“618 Wenn die Feststellung der Krankheit der Täter zur allergrößten Wichtigkeit wird, lösen sich auch die bislang markanten Konturen des Gerechtigkeitsbegriffs auf  ; die Mörder verschwinden nicht mehr im Todestrakt, sondern in psychiatrischen Kliniken, das Böse erhält den Nimbus der Unschuld und erscheint damit mit allen Insignien des Tragischen. Weil Cornwell in den letzten Romanen die Täterschaft in den Mittelpunkt stellt, läutet sie gleichsam das leise Ende des gerichtsmedizinischen Höhenflugs ein  ; nicht mehr die Arbeit am Sektionstisch bildet den Königsweg der Ermittlung – denn die Verbrechensaufklärung hat sich zur Verbrechenserklärung gewandelt –, sondern der neurowissenschaftliche Blick in das Gehirn der Täters. Die schrittweise Abschaffung der Rechtsmedizin lässt sich auch an der Erzählperspektive ablesen. Zunächst wählt Cornwell für ihre Romane die persönlichste aller Perspektiven  : Sie setzt Scarpetta als Erzählerin ein. Auf diese Weise erlebt der Leser das Grauen, das die Rekonstruktion des Tathergangs begleitet, mit und sieht, durch Scarpettas Augen, eine Welt, die nur aus Gefahren, Ängsten und Aggressionen besteht. Die erfolgreiche Gerichtsmedizinerin ist das emotionale Zentrum der Geschichten, und nicht zuletzt der Tonfall ihrer Erzählstimme rückt die Detektivromane in die unmittelbare Nachbarschaft 617 Cornwell, Predator, 458. 618 Cornwell, Predator, Special Thanks (Danksagung), o.S.

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von Thrillern. Der Nachteil der Ich-Perspektive liegt in ihrer Beschränktheit, die dort zum Problem wird, wo mehrere Personen auf verschiedenen Ebenen an der Aufklärung des Falles beteiligt sind. Lange Zeit war Cornwell deshalb gezwungen, Scarpetta an jedem noch so kleinen Schritt in der Ermittlung, jedem Verhör, jedem Gespräch mit Fachleuten, jeder Verfolgungsjagd, teilnehmen zu lassen. Irgendwann muss dieses Korsett sie gestört haben und auch die mühsame Aufgabe, Scarpetta – mit dem Gestus einer Bandleaderin – stets ihr Team vorstellen zu lassen. In The Last Precinct, der in direktester Weise an den vorherigen Roman Black Notice (1999) anschließt, wechselt Cornwell das Tempus  ; anstatt die Fälle wie bislang in der Vergangenheitsform, als Rückblick, zu erzählen, wählt die Autorin nun das Präsens, mit dem Effekt, dass die stets dichtgedrängte, sich beschleunigende Handlung in reine Atemlosigkeit umschlägt. In Blow Fly (2003) schließlich spielt die Geschichte aufs Neue in der Gegenwart, doch die Ich-Perspektive ist einer unpersönlichen Erzählweise gewichen. Von nun an wird allen Mitgliedern des familiären Ermittlungsteams gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt  ; Scarpetta ist nur mehr eine Protago­ nistin unter anderen und erscheint, von außen betrachtet, als überharte, frostig-kühle Frau. Ihr Beitrag bei der Aufklärung eines Falles wird auf ein bescheidenes Maß zusammengestrichen, die hauptsächliche Ermittlungsarbeit von Lucy und Marino verrichtet. Doch dieser neue panoptische Blick wird nicht nur auf die Ermittler, sondern auch auf die Täter geworfen  ; sie verfügen nun über ein grob dargestelltes (Innen)-Leben, das von einer allwissenden Erzählstimme immer wieder gestreift wird. Trotz dieser kleinen Lebensspende erwecken die Täterfiguren noch immer den Eindruck von ferngesteuerten, seelenlosen Robotern. Mit einer solchen Erzählweise der schnellen Schnitte, die die Ermittler und Täter abwechslungsweise in den Mittelpunkt rückt, greift Cornwell auf jene Tradition zurück, die die skandinavische Kriminalliteratur seit langen Jahren pflegt. Die unzähligen Perspektivenwechsel während der Menschenjagd heucheln Objektivität vor und stellen gleichzeitig die einzige Möglichkeit bereit, die Kolonne von Ermittlern und Tätern von Beginn weg in der Geschichte auftreten zu lassen. Resistent gegen dieses Heer von Veränderungen zeigt sich jedoch die Cornwell’sche Paranoia, die in ihrem ganzen unerträglichen Ausmaß erhalten bleibt  ; obwohl der höchsten Ämter ledig, wird Scarpetta auch weiterhin zum Ziel mörderischer Pläne bestimmt, Lucy von falschen Freunden betrogen und Marino für die Sache des Bösen gewonnen. Die Atmosphäre permanenter Bedrohung, totaler Unruhe und Entsicherung regiert auch die neuen Fälle, der Angriff der Serienmörder auf Karriere und Leben der Ermittler ist

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Konvention, auch der bittere Kampf gegen den tödlichen Ehrgeiz übereifriger Berufskollegen findet weiterhin statt. In The Book of the Dead (2007) gründet Scarpetta die Coastal Forensic Pathology Associates, eine gerichtsmedizinische Firma, die, in Charleston beheimatet, den Behören gleichsam zu Hilfe eilt und Konkurrenz macht. Nach dem Berg von Abschieden häufen sich nun in immer kürzeren Abständen die ziellosen Neuanfänge. Es scheint, als neige sich die Kay-Scarpetta-Reihe dem sicheren Ende zu  ; am Horizont werden irgendwann andere Detektivfiguren sichtbar werden. Keine Gerichtsmedizinerinnen, keine Kommissare, keine Kriminalpsychologen, keine Tatortspezialisten, keine Agenten. Wer wird nachfolgen  ? Fragen wir Benton Wesley, als er noch als Seher in Quantico sein Geld verdiente. Wie lautet die Antwort  ? – „We try to predict. But we can’t always. It isn’t always predictable.“619

619 Cornwell, Postmortem, 103.

Nachwort

Düstere Auf klärung „Belano, sagte ich, der Kern der Sache ist doch die Frage, ob das Böse, das Delikt, das Verbrechen, wie Sie wollen, kausal oder zufällig ist. Ist es kausal, dann können wir es bekämpfen, es steht zwar nicht fest, daß wir siegen, aber wir können es versuchen, wie wenn zwei vom Gewicht her gleichwertige Boxer miteinander kämpfen. Ist es dagegen zufällig, dann sind wir geliefert.“ (Roberto Bolaño, Die wilden Detektive)

Weil alles seinen Anfang finden muss, beginnt in dieser Arbeit die Vorhut der Detektivliteratur im April des Jahres 1841. Poe beschert der Literaturgeschichte den ersten Privatdetektiv. César Auguste Dupin ist ein Amateur im eigentlichen Sinn des Wortes – er geht der Detektivarbeit nach, weil sie ihm „Vergnügen“ bereitet  ; weder Gesetz noch Gerechtigkeit interessieren ihn, sondern einzig der selbstsüchtige Genuss, den ihm das Anwenden seiner Fähigkeiten verschafft. Er ist ein in die Nacht verliebter Künstler und Ästhet und, wie der Erzähler bemerkt, von einer „krankhaften Zwanghaftigkeit“, die seine herausragenden Geistesgaben dunkel einfärbt. Wie ein einsamer Schatten taucht hier der Detektiv zum erstenmal auf, aber seelenlos und geisterhaft. Ein Teil seiner Methode, die er in den drei Geschichten langatmig entwirft, wird Schule machen  : das mit Nachdruck vorgetragene Beharren auf einer rein analytischen Vorgehensweise, die den Zufall mitdenkt und damit ausschaltet. Es sind vor allem die ausführlichen methodischen Erläuterungen, die Dupin den Ruf eines Lehnstuhldetektivs eingetragen haben  ; die Aufklärungsarbeit allerdings verlangt nach Umtriebigkeit und Handlung, am deutlichsten sichtbar in The Purloined Letter, als der Detektiv, begleitet von einem Pistolenschuss und getarnt mit einer dunklen Brille, den Brief aus den Gemächern des Minister D – entwendet. Auch Sherlock Holmes, dessen mit Ironie durchsetzte Exzentrik nach dem kurzen Vorspiel des Pariser Chevaliers die Detektivliteratur mit einem bis heute tragfähigen Fundament begründet, wird gern als tabakrauchende Denkmaschine rezipiert, die vom Studierzimmer der Baker Street 221B aus die an sie herangetragenen Fälle löst. In steilem Gegensatz zu diesem vertrauten Bild deduktiver Größe betritt mit Holmes nicht nur der berühmteste und prä-

Düstere Auf klärung

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gendste, sondern auch der aktivste und tatkräftigste Detektiv die Bühne. Kein anderer Ermittler treibt sich so häufig spätnachts in den finstersten Stadtvierteln umher, niemand verfügt über so viele Identitäten, schauspielert so meisterlich und legt sich so unermüdlich auf die Lauer – die körperlichen Anstrengungen, die unternommen werden müssen, damit die Logik am Ende den Sieg erringt, sind enorm. In den großartigen Fähigkeiten des Meisterdetektivs drängen sich bereits all jene kriminalistischen Disziplinen, die später, im Laufe der Jahrzehnte, in der Detektivliteratur zur ermittelnden Instanz aufsteigen. Mit Holmes als Karikatur spätviktorianischer Wissenschaftsgläubigkeit findet nicht nur die Komik, sondern auch die Tragik Eingang in die Detektivliteratur. Immer wieder kommt die rettende Hilfe des Detektivs zu spät  ; zwar werden die Täter stets der Gerechtigkeit zugeführt, doch allzu häufig bleiben unschuldige Opfer zu beklagen. Vom Meisterdetektiv führt ein vielbegangener Weg zu Sigmund Freud  ; beide, Detektiv wie Psychoanalytiker, stellen das Detail ins Zentrum ihrer Methode und fügen vermeintliche Nebensächlichkeiten zu bewussten oder unbewussten biographischen Episoden zusammen. Bei genauerem Hinsehen öffnet sich zwar ein Abgrund von Unterschieden, doch sind die Ähnlichkeiten zwischen psychoanalytischer Theorie und kriminalistischen Szenarien so zahlreich, dass das Detail, mit all den berechtigten Vorbehalten, nur eines der vielen Verbindungsglieder darstellt. Vor allem Freuds Kulturtheorie ist dem Geist der Detektivliteratur aufs Engste verwandt, weil er als Untergrund, auf dem das scheinbar friedliche Zusammenleben ruht, heißen Hass und rohe Gewalt ausmacht. Der markante Einfluss der Psychoanalyse auf die amerikanische Populärkultur der vierziger und Fünfzigerjahre schlägt sich auch in der hard-boiled detective school nieder  ; nicht nur die Figurenkonstellationen sind von der Freud’schen Theorie inspiriert, sondern die Ermittlerfiguren, allen voran Philip Marlowe und Lew Archer, schlüpfen selbst immer wieder in die Rolle von Analytikern. Weil es, als Anspruch, um das Verstehen geht, ist erstmals das Zurücklegen des Weges wichtiger als die eindeutige kriminalistische Aufklärung. Der Einsatz der Psychologie drängt auch das Grauen und das Böse, das noch bei Conan Doyle sein Unwesen treibt, aus der Detektivgeschichte hinaus. Mit Hammett, Chandler und Macdonald verabschiedet sich der Privatdetektiv von exzentrischen Allüren und genialischem Gehabe  ; er wird zum Alleinunternehmer und nähert sich einem Durchschnittsmenschen an, ohne jedoch dessen Mittelmäßigkeit nur annähernd zu erreichen. Obwohl dem hartgesottenen Ermittlertypus der Ruf der rastlosen Tätigkeit vorauseilt, zeigt

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Nachwort

sich sein Vorgehen, im Vergleich zur unermüdlichen Aktivität eines Holmes, als beredtes Nichtstun  : Er stellt ein paar Fragen und übt sich in der Kunst des Zuhörens. Dem Treiben der Privatdetektive, Amateuren wie Professionellen, setzt der Kommissar ein Ende. Viele Jahrzehnte lang als beschränkte Harmlosigkeit verlacht, erobert der beamtete Ermittler ab den Sechzigerjahren langsam die Heldenrolle in der Detektivliteratur  ; Heldentum bedeutet von nun an nicht mehr tapferes Einzelkämpfertum, sondern loyale Teamarbeit  ; jeder Beamte zeigt sich als kleiner Experte auf einem bestimmten Gebiet, besitzt eine herausragende Fähigkeit, die im Zusammenspiel mit den anderen schließlich den Sieg einbringt. Um die grauen, langweiligen Repräsentanten der gesellschaftlichen Ordnung für die Leserschaft zu gewinnen, wird die penetrante Ausbreitung des ermittlerischen Privatlebens zum anbiedernden Programm. Bis in die heutige Zeit hinein besitzt die Polizei in der Detektivliteratur das alleinige Monopol der Wahrheitsfindung  ; verloren ist jener Ort, von dem aus der private Ermittler seine Untersuchungen führte und der institutionelle Koloss in einem fragwürdigen Licht erscheint. Dies ändert sich auch nicht mit dem Auftritt der Kommissarin, die, wenngleich als systematische Außenseiterin herausgestellt, als Angehörige des Polizeiapparats doch immer nur für dessen triumphale Bestätigung mitstreitet. Schließlich werden seit den Neunzigerjahren forensische Experten zum neuen, zeitgemäßen Ermittlertypus ausgerufen. Die Gerichtsmedizinerin Kay Scarpetta ist nicht nur die Verkörperung des äußersten Extrems einer Karrierefrau, sondern auch die Inkarnation des einst von Holmes geträumten Wissenschaftstraumes  ; mit einem ungeheuren Aufwand an Technik und elitärem Spezialistentum werden psychopathische ebenso wie psychotische Serienmörder zur Strecke gebracht. Mit Cornwell wird endlich auch das große verborgene Thema der Detektivliteratur für alle Augen sichtbar ausgebreitet  : der (gewaltsame) Tod, das (qualvolle) Sterben. Vielleicht liegt in dieser stets angedeuteten, aber kaum eingelösten Auseinandersetzung mit dem Tod eine der großen stillen Funktionen der Detektivliteratur. Denn die tausend Tode und grausamen Morde treten hier ohne jene komplexe und schmerzliche Begleitung der emotionalen Bewältigung auf  ; die Trauer ist beinahe gänzlich aus dem Genre verbannt. Nicht die von Foucault ausgemachte Disziplinierung und Einübung des Glaubens an System und Gerechtigkeit wäre dann das geheime Versprechen, mit dem die Detektivgeschichte die Leserschaft lockt, sondern eine Darstellung des Todes, von der alle Trauer abgezogen ist.

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Literatur

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Literatur

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Personenregister

Adler, Alfred  108, 112 Alexander, Franz  96, 110 Allan, John  26 Alewyn, Richard  36, 80, 81, 136 Antonioni, Michelangelo  26 Atkinson, Michael  62, 63 Balzac, Honoré de  22 Barnes, Julian  47 Baudelaire, Charles  17, 18, 28, 41 Bell, Joseph  45 Benjamin, Walter  18, 19, 21, 27, 28, 92 Berger, Senta  185 Bergmann, Ingrid  119 Bertillon, Alphonse  18, 65 Bleuler, Eugen  184 Blumenberg, Hans  97 Bogart, Humphrey  122, 123 Bonaparte, Marie  17 Brett, Jeremy  174 Breuer, Josef  89, 118 Bush, Barbara  215 Byron, George Gordon  20 Cain, James M.  113, 115 Cagliostro, Alessandro di  118, 151 Cassidy, Butch (i.e. Robert Leroy Parker)  128 Chandler, Cissy  151 Chandler, Raymond  14, 25, 31, 33, 45, 48, 56, 113, 115, 120–156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 171, 178, 223 Chesterton, G. K.  60, 121 Christie, Agatha  121, 122, 200 Conan Doyle, Arthur  13, 14, 25, 28, 30, 38, 43, 44–84, 87, 88, 89, 91, 120, 121, 124, 133, 142, 143, 178, 189, 191, 209, 212, 223 Conan Doyle, Jean  67 Conrad, Joseph  138 Cornwell, Patricia  14, 73, 191–221, 224 Cortázar, Julio  26, 82,

Crébillon, Prosper Jolyot de  31 Crichton, Michael  203 Daly, Carroll John  125 Darwin, Charles  65, 66, 106 Davies, Russell  141 Deleuze, Gilles  167 Demme, Jonathan  194 Derrida, Jacques  41, 42 Deutsch, Helene  93 Dickens, Charles  15, 22 Dietze, Gabriele  161 Dostojewski, Fjodor  102 Douglas, John E.  194, 211, 217 Edalji, George  47 Euklid  57, 69 Faulkner, William  148 Felman, Shoshana  41 Ferenczi, Sándor  109 Flaubert, Gustave  44, Fließ, Wilhelm  100, 104 Foster, Jodie  193 Foucault, Michel  19, 58, 68, 172, 185, 190 Forrest, Katherine  190 France, Anatole  94 Freud, Jacob  99 Freud, Sigmund  14, 17, 38, 61, 85–119, 128, 150, 151, 152, 153, 154, 157, 158, 159, 166, 167, 168, 170, 184, 200, 210, 223 Friedell, Egon  19 Fromm, Erich  93, 98, 99, 110, 111, 112, 170 Gaboriau, Emile  32, 47 Galton, Francis  64, 65 Gay, Peter  105 Ginzburg, Carlo  28, 58, 87, 88, 89, 90, 91, 92 Godwin, William  22 Goethe, Johann Wolfgang von  26, 50, 105

242

Personenregister

Grafton, Sue  188 Guattari, Félix  167

Kretschmer, Ernst  184 Krutch, Joseph Wood  16, 17

Hammett, Dashiell  65, 113, 125–132, 133, 135, 137, 157, 160, 162, 178, 223 Handke, Peter  183 Harris, Thomas  194 Hartmann, Heinz  111 Hawks, Howard  123, 148 Hemingway, Ernest  157, 158 Hettche, Thomas  194, 198 Hickson, Joan  175 Highsmith, Patricia  127 Hitchcock, Alfred  119 Hoffmann, E.T.A.  20, 21, 42, 61 Hofmannsthal, Hugo von  87 Holt, Anne  181, 190 Hood, Thomas  20 Horney, Karen  110, 111 Horsley, Lee  139, 184 Houdini, Harry  61 Houston, John  113, 115, 123

Lacan, Jacques  34, 41, 42, 79, 156 Lang, Fritz  113, 117, 118 Lavater, Johann Caspar  80, 81 Leone, Sergio  56 Lincoln, Abraham  128 Lombroso, Cesare  24, 64, 65, 66, 83 Lukács, Georg  33, 83

Irwin, John T.  42 Jack the Ripper  46, 191, 192 Jacoby, Russell  112 James, Jesse  128 James, P. D.  187 Johnson, Barbara  41, 42 Jolie, Angelina  193 Judd, Henry  115 Jung, Carl Gustav  108, 109, 184 Kafka, Franz  17 Keach, Stacy  175 Keller, Joseph  69, 70, 146 Kittler, Friedrich  130 Klein, Kathleen Gregory  69, 70, 146 Kluge, Alexander  32 Knight, Stephen  122 Knopf, Alfred A.  158 Knopf, Blanche  141 Krafft-Ebing, Richard von  184 Kraepelin, Emil  184

Macdonald, Ross (i.e. Kenneth Millar)  56, 157–173, 176, 178, 188, 223 Maelzel, Johann Nepomuk  15 Mankell, Henning  181 Mann, Thomas  104 Margolies, Edward  120, 121 Marling, William  127 McCarthy, Joseph  129 McBain, Ed  180, 181 Mesmer, Franz Anton  20, 117, 118 Meyer, Adolf  184 Meyer, Conrad Ferdinand  102, 104 Meyer, Nicolas  49, 85, 86 Millar, Linda  161 Milton, John  20 Mirren, Helen  189 Mitchum, Robert  174 Moore, Christopher  20 Morelli, Giovanni  87, 88, 89, 92 Müller, Thomas  211 Newman, Paul  176 Nicholson, Jack  172 Nietzsche, Friedrich  77, 198 Nordon, Pierre  46 O., Anna (i.e. Bertha Pappenheim)  86 Oates, Joyce Carol  177 Ophüls, Max  113 Orwell, George  179 Paget, Sidney  51 Pakula, Alan J.  176 Paretsky, Sara  188

243

Personenregister

Peckinpah, Sam  121 Peirce, Charles S.  70, 71 Pinkerton, Allan  128 Poe, Edgar Allen  13, 14, 15–43, 47, 54, 74, 94, 129, 204, 222 Polanski, Roman  172, 176 Pope, Alexander  58 Porter, Dennis  128 Preminger, Otto  113 Proust, Marcel  33, 91 Rank, Otto  104, 108, 109 Rattenmann (i.e. Ernst Lanzer)  86 Reichs, Kathy  196, 197 Reik, Theodor  93, 94, 95, 96, 102, 109, 110 Ressler, Robert K.  194, 211 Richards, Dick  174 Rogers, Mary Cecilia  39, 40, 43 Rohrwasser, Michael  90 Rubenfeld, Jed  109 Ruehlmann, William  127 Rush, Richard  118 Rutherford, Margaret  175 Sachs, Hanns  93 Sand, George  44 Sandoe, James  157 Sayers, Dorothy L.  25, 121, 122, 123 Schiller, Friedrich von  212 Schmölders, Claudia  80 Sebeok, Thomas A.  71 Sebeok-Umiker, Jean  71 Shakespeare, William  102, 212 Shane, Maxwell  117 Shelley, Percy Bysshe  20 Sickert, Walter  73, 191, 192 Simenon, Georges  92, 179, 180, 181 Simpson, O. J.  203, 204 Siodmak, Robert  113 Sjöwall, Maj  181, 182, 183 Slater, Oscar  46 Snodgrass, J. E.  39 Snyder, Ruth  115 Sophokles  100, 101 Spender, Natasha  151

Spielberg, Steven  64 Spillane, Mickey  125, 126, 175 Starrett, Vincent  63 Straw, Joseph  125 Suchet, David  175 Sundance Kid (i.e. Harry Alonzo Longabaugh)  128 Sutherland, Donald  176 Thomas, Ronald R.  24, 28, 149 Thompson, Jim  184 Tieck, Ludwig  20 Ustinov, Peter  174 Van Dine, S. S. (i.e. Willard Huntington Wright)  33, 121 Van Leer, David  38, 40 Vázquez Montalbán, Manuel  174 Vidocq, François Eugène  22, 30, 47 Voltaire (i.e. François Marie Arouet)  28 Wahlöö, Per  181, 182, 183 Wallace, Edgar  178, 179, 180 Warburg, Abby  92 Waugh, Evelyn  136 Webb, Jack  180 Weinkauf, Mary S.  169 Weinstein, Zeus  46 Wild, Jonathan  77 Wilder, Billy  113, 115 Willis, Bruce  118 Winner, Michael  174 Wölcken, Fritz  25, 59, 67, 71 Wolfsmann (i.e. Sergej Pankejeff )  86, 88 Wood, Alfred Herbert  45 Woodward, Joanne  176 Woolrich, Cornell  117, 184 Zaretsky, Eli  113 Žižek, Slavoj  19, 58, 118, 132, 155

LITER ATURGESCHICHTE IN STUDIEN UND QUELLEN HG. V. KLAUS AMANN, HUBERT LENGAUER, KARL WAGNER

BD. 1: KLAUS AMANN, HUBERT LENGAUER, KARL WAGNER (HG.) LITERARISCHES LEBEN IN ÖSTERREICH 1848–1890 2000. 155 X 235 MM. 920 S., GEB. ISBN 978-3-205-99028-4 BD. 2: WERNER MICHLER DARWINISMUS UND LITERATUR NATURWISSENSCHAFTLICHE UND LITERARISCHE INTELLIGENZ IN ÖSTERREICH 1859–1914 1999. 155 X 235 MM. 560 S. BR. ISBN 978-3-205-98945-5 BD. 3 (VERGRIFFEN): CHRISTIANE ZINTZEN (HG.) DIE ÖSTERREICHISCH-UNGARISCHE MONARCHIE IN WORT UND BILD AUS DEM KRONPRINZENWERK DES ERZHERZOG RUDOLF 1999. 210 X 270 MM. 312 S., 149 S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-99102-1 BD. 4: EBERHARD SAUERMANN LITERARISCHE KRIEGSFÜRSORGE ÖSTERREICHISCHE DICHTER UND PUBLIZISTEN IM ERSTEN WELTKRIEG 2000. 155 X 235 MM. 403 S. 3 S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-99210-3 BD. 5: HUBERT LENGAUER, PRIMUS HEINZ KUCHER (HG.) BEWEGUNG IM REICH DER IMMOBILITÄT REVOLUTIONEN IN DER HABSBURGERMONARCHIE 1848-49. LITERARISCH-PUBLIZISTISCHE AUSEINANDERSETZUNGEN. 2001. 155 X 235 MM. 558 S., GEB. ISBN 978-3-205-99312-4 BD. 6: KARL WAGNER, MAX KAISER, WERNER MICHLER (HG.) PETER ROSEGGER – GUSTAV HECKENAST BRIEFWECHSEL 1869–1878 2003. 155 X 235 MM. 739 S. 16 S. S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-99482-4

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, 1010 wien. t : + 43(0)1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau.at | wien köln weimar

LITER ATURGESCHICHTE IN STUDIEN UND QUELLEN HG. V. KLAUS AMANN, HUBERT LENGAUER, KARL WAGNER

BD. 7: WENDELIN SCHMIDT-DENGLER OHNE NOSTALGIE ZUR ÖSTERREICHISCHEN LITERATUR DER Z WISCHENKRIEGSZEIT 2002. 155 X 235 MM. 216 S., GEB. ISBN 978-3-205-77016-9 BD. 8: ALEX ANDER PECHMANN HERMAN MELVILLE LEBEN UND WERK 2003. 155 X 235 MM. 336 + 12 S. 24 S/W-ABB., GEB. ISBN 978-3-205-77091-6 BD. 9: DORIS MOSER DER INGEBORG-BACHMANN-PREIS BÖRSE, SHOW, EVENT 1999. 155 X 235 MM. 550 S., 65 DIAGR., 6 TAB., GEB. ISBN 978-3-205-77188-3 BD. 10: IRENE RANZMAIER GERMANISTIK AN DER UNIVERSITÄT WIEN ZUR ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS KARRIEREN, KONFLIKTE UND DIE WISSENSCHAFT 2005. 155 X 235 MM. 215 S. BR. ISBN 978-3-205-77332-0 BD. 11: KLAUS AMANN, FABJAN HAFNER, KARL WAGNER (HG.) PETER HANDKE POESIE DER RÄNDER MIT EINER REDE PETER HANDKES 2006. 155 X 235 MM. CA. 208 S., GEB. ISBN 978-3-205-77379-5 BD. 13: PRIMUS HEINZ KUCHER (HG.) ADOLPH RIT TER VON TSCHABUSCHNIGG (1809–1877) LITERATUR UND POLITIK Z WISCHEN VORMÄRZ UND NEOABSOLUTISMUS 2006. 155 X 235 MM. 304 S. 355 S. 25 S. FAKS. BR. ISBN 978-3-205-77491-4

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BD. 14: ROBERT LEUCHT EXPERIMENT UND ERINNERUNG DER SCHRIFTSTELLER WALTER ABISH 2006. 155 X 235 MM. 348 S. BR. ISBN 978-3-205-77512-6 BD. 15: ANJA POMPE PETER HANDKE POP ALS POETISCHES PRINZIP 2009. 155 X 235 MM. 249 S. 6 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-412-20386-3 BD. 16: ALEX ANDRA KLEINLERCHER Z WISCHEN WAHRHEIT UND DICHTUNG ANTISEMITISMUS UND NATIONALSOZIALISMUS BEI HEIMITO VON DODERER 2011. 155 X 235 MM. 466 S. 13 S/W-ABB. BR. ISBN 978-3-205-78605-4 BD. 17: IRINA DJASSEMY DIE VERFOLGENDE UNSCHULD ZUR GESCHICHTE DES AUTORITÄREN CHARAKTERS IN DER DARSTELLUNG VON KARL KRAUS 2011. 155 X 235 MM. 266 S. BR. ISBN 978-3-205-78615-3 BD. 19: SONJA OSTERWALDER DÜSTERE AUFKLÄRUNG DIE DETEKTIVLITERATUR VON CONAN DOYLE BIS CORNWELL 2011. 155 X 235 MM. 243 S. BR. ISBN 978-3-205-78602-3

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