Zwischen Widerstand und Repression: Studenten der TU Dresden 1946-1989 9783412213633, 9783412205980

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Zwischen Widerstand und Repression: Studenten der TU Dresden 1946-1989
 9783412213633, 9783412205980

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Matthias Lienert

Zwischen Widerstand und Repression Studenten der TU Dresden 1946–1989

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Herausgeber: Technische Universität Dresden Der Rektor Redaktion: Dr. Matthias Lienert, Universitätsarchiv

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Demonstrationszug der TH Dresden am 1. Mai 1952. Ganz rechts Rektor Prof. Dr. Kurt Koloc, in der Mitte der Prorektor für gesellschaftswissenschaftliches Grundstudium Prof. Dr. Hermann Ley © Universitätsarchiv der TU Dresden.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Impress, d.d., Ivančna Gorica Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Slovenia ISBN 978-3-412-20598-0

Inhaltsverzeichnis Einleitung.......................................................................................................

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1. Aufbruch und Repression (1946 bis 1949)............................................... 1.1. Wiedereröffnung der TH Dresden (1946)..................................... 1.2. Die Studenten................................................................................ 1.3. Politische Urteile gegen Studenten von 1947 bis 1948................... 1.4. Entlassung von Professor Rudolf Schottlaender (1949)................. 1.5. Flugblätter gegen Wahl zum Volkskongress (1949).......................

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2. Widerstand von Studenten der TH Dresden (1950 bis 1958).................. 2.1. Rahmenbedingungen..................................................................... 2.2. Politische Urteile gegen Studenten der TH Dresden . (1950 bis 1952)............................................................................... 2.2.1. Prozess gegen Studenten mitteldeutscher . Hochschulen (1952)....................................................................... 2.3. Vereinzelter Widerstand (1953 bis 1958)....................................... 2.4. Studentenproteste gegen Westreiseverbote (1956).........................

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3. Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte............... 3.1. Politische Richtungskämpfe........................................................... 3.2. Oppositionelle Studentengruppe.................................................... 3.3. Das „16-Punkte-Programm“.......................................................... 3.4. Entwicklung zur konspirativen Widerstandsgruppe...................... 3.5. Im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).................. 3.6. Festnahme der studentischen Widerstandsgruppe......................... 3.7. Vorbereitung der Anklage durch den Bezirksstaatsanwalt.............. 3.8. Untersuchungshaft in der Bezirksdienststelle des MfS . in Dresden...................................................................................... 3.9. Prozessvorbereitung......................................................................... 3.10. Die Anklage.................................................................................... 3.11. Das Urteil....................................................................................... 3.12. Studentische Prozessbeobachter aus Westberlin............................ 3.13. Nationale und internationale Reaktionen auf . den Prozess..................................................................................... 3.14. Pressekonferenz an der TU Berlin.................................................. 3.15. Ein zweiter nichtöffentlicher Prozess............................................... 3.16. Haftjahre in Zuchthäusern der DDR............................................ 3.17. Nach der Haftentlassung................................................................ 3.18. Nachspiel in Westberlin.................................................................

50 69 76 81 91 91 105 109 114 116 119 124 126 132 134 139 143 148 153 153 155 157 158

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Inhalt

4. Politisch motivierte Urteile in Zahlen (1947 bis 1960)............................. 163 5. Formen von Repression von 1961 bis 1989............................................... 5.1. Westflucht und Mauerbau.............................................................. 5.2. Systemkritik und studentische Jugendkultur.................................. 5.3. Reaktionen auf den „Prager Frühling“ 1968................................... 5.4. Repression unter veränderter Weltlage...........................................

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6. Entzug akademischer Grade..................................................................... 203 7. Zusammenfassung.................................................................................... 213 8. Tagung mit Podiumsdiskussion am 30. November 2009.......................... 220 9. Anhang..................................................................................................... 9.1. Quellen- und Literaturverzeichnis................................................. 9.2. Abkürzungsverzeichnis.................................................................. 9.3. Personenindex................................................................................ 9.4. Abbildungsnachweis.......................................................................

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Einleitung Universitäten verfügen traditionell über bedeutende Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft. Die hochgradige Vernetzung, der Abbau von tradierten Hierarchien und die Entwicklung hin zu Wissensgesellschaften räumen in der Gegenwart den Hochschulen als Ausbildungsstätten der künftigen akademischen Eliten einen zentralen Platz ein. Dabei müssen auch Fragen zur politischen und persönlichen Freiheit von Lehrenden und Lernenden unter veränderten Bedingungen immer wieder neu gestellt und beantwortet werden. Professor Ralph Jessen analysierte in einer Monographie die Entwicklung der Hochschullehrerschaft in der UlbrichtÄra1 und Dr. Michael Parak untersuchte den Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen zwischen 1933 und 1952.2 Dr. Waldemar Krönig und Dr. Klaus-Dieter Müller haben bereits 1994 eine informative Studie zu Anpassung, Widerstand und Verfolgung in der DDR herausgebracht.3 Dr. Alexandr Haritonow untersuchte für die Zeit von 1945 bis 1949 wesentliche Aspekte der Studentenpolitik der Sowjetischen Militäradministration im sächsischen Raum.4 Das weite Feld von studentischer Opposition und studentischem Widerstand in der Zeit nach 1945 erfordert aber noch einen erheblichen Forschungsaufwand. So stehen die Universitäten und Hochschulen der neuen Bundesländer vor der Aufgabe, politisch motivierte Repression gegen Hochschulangehörige aufzuklären und im gesellschaftlichen Kontext zu analysieren. Dafür ist es erforderlich, die Geschichte der Universitäten auch als Geschichte der Studenten und Studentinnen unter Berücksichtigung ihres historisch konkreten politischen und sozialen Umfelds zu erforschen. Neben den Archiven müssen vor allem die Zeitzeugen, die

1 Ralph Jessen hat die Entwicklung der Hochschullehrerschaft während der Ulbricht-Ära in ihren Kontinuitäten und Diskontinuitäten sowie in ihrem Verhältnis zwischen diktatorischer Macht und möglichen tradierten oder neuen mehr oder weniger großen Handlungsspielräumen dargestellt, vgl. Ralph Jessen, Akademische Elite und kommunistische Diktatur, Die ostdeutsche Hochschullehrerschaft in der Ulbricht-Ära, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1999, 552 S. 2 Vgl. Michael Parak, Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen. Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1933–1952, Geschichte und Politik in Sachsen Bd. 23, herausgegeben von Ulrich von Hehl, Wieland Held, Günther Heydemann und Hartmut Zwahr, Böhlau Verlag Köln / Weimar / Wien, 2004, 563 S. 3 Vgl. Waldemar Krönig und Klaus-Dieter Müller, Anpassung. Widerstand. Verfolgung. Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945–1961, in memoriam Wolfgang Natonek (1919-1994), Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, 1995, 565 S. 4 Vgl. Alexandr Haritonow, Sowjetische Hochschulpolitik in Sachsen 1945–1949 (Dresdner Historische Studien), Köln / Wien, 1995, 288 S.

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Einleitung

von Repressionen Betroffenen, in diese Forschungen einbezogen werden. Viele von ihnen haben das 80. Lebensjahr bereits überschritten. Aktiver politischer Widerstand wird im Bericht der Enquêtekommission des Deutschen Bundestages als unbedingte Gegnerschaft und konsequenter Einsatz gegen das politische System gewertet, der auf qualitative Veränderungen abzielte, um letztlich den Sturz des Regimes herbeizuführen. Dagegen sollten als Opposition Handlungen bezeichnet werden, die im politischen und rechtlichen Rahmen des Regimes stattfanden und auf graduelle Veränderungen in begrenzten Bereichen abzielten. Dabei waren schwerwiegende Repressionen nicht zu erwarteten.5 Die Übergänge von Opposition und Widerstand oder widerständigem Verhalten sind fließend. Eine klare Abgrenzung ist daher nicht möglich.6 Dabei sollte auch beachtet werden, dass auch oppositionelle Äußerungen und Handlungen, die keineswegs auf den Sturz des Regimes abzielten, von der abhängigen und gesteuerten politischen Justiz als Widerstand geahndet wurden. Dr. Sybille Gerstengarbe und Prof. Dr. Horst Hennig haben für die Zeit von 1945 bis 1961 eine umfassende Dokumentation zu Opposition, Widerstand und Verfolgung für die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vorgelegt.7 Erstmals wurden Ende der 1990er Jahre auch von politischer Repression betroffene Dresdner Studentenschicksale in einer von der Universität Leipzig initiierten und realisierten Wanderausstellung „Von der Universität in den Gulag“ und in der dazugehörigen Begleitpublikation thematisiert.8 Das TU-Archiv hatte vor allem aus dem Bestand der Studentenakten entsprechende Materialien zur Verfügung stellen können. Die vorliegende Publikation untersucht die unterschiedlichen Formen und Dimensionen von Opposition und Widerstand von Studenten der TH / TU Dresden in der Zeit von der Wiedereröffnung der Hochschule 1946 bis zum Fall der Mauer 1989 in Abhängigkeit von der politischen Entwicklung der DDR. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der studentischen Opposition an der TH Dresden in der Zeit von den ersten Verhaftungen 1947 bis zum Dresdner Studentenprozess 5 Vgl. Thomas Ammer, Thesen zum Beitrag „Opposition und Widerstand an den Universitäten und Hochschulen in der SBZ/DDR 1945–1961, Berlin, 10./21.Mai 2010. 6 Vgl. Karl Wilhelm Fricke, Widerstand und Opposition von 1945 bis Ende der fünfziger Jahre, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages), herausgegeben vom Deutschen Bundestag Band VII/1, Baden-Baden, 1995, S. 15 ff. 7 Vgl. Sybille Gerstengarbe und Horst Hennig, Opposition, Widerstand und Verfolgung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 1945–1961: Eine Dokumentation, Universitätsverlag, Leipzig, 2009, 750 S. 8 Vgl. Studentischer Widerstand an den mitteldeutschen Universitäten 1945 bis 1955. Von der Universität in den Gulag. Studentenschicksale in sowjetischen Straflagern 1945 bis 1955, herausgegeben von Jens Blecher und Gerald Wiemers. Mit einem Geleitwort von HansDietrich Genscher, Leipziger Universitätsverlag, 2005, 349 S.

Einleitung

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1959, der als politischer Schauprozess initiiert worden war. Damit hatte der letzte größere Zusammenschluss von oppositionellen Studenten in der DDR sein Ende gefunden. Der Prozess hatte als ein Ereignis des Kalten Krieges in beiden Teilen Deutschlands zu heftigen politischen Kontroversen und zu Bekundungen von Solidarität geführt.9 Im Jahr 1995 verwies Dr. h. c. Karl Wilhelm Fricke in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ dezidiert auf diese studentischen Oppositionsgruppen.10 Ähnlich anderen Angehörigen oppositioneller Schüler- und Studentengruppen, wie dem „Eisenberger Kreis“, einer Gruppe von Anfang 1958 verhafteten und später zu hohen Zuchthausstrafen verurteilten Thüringer Oberschülern, waren auch die Dresdner oppositionellen Studenten von innen- und außenpolitischen Entwicklungen der Ära nach Stalin maßgeblich beeinflusst worden. In einem folgenden Abriss werden Dimensionen und Formen von studentischer Opposition und studentischem Widerstand bis zur politischen Wende dargestellt und analysiert. Für die Publikation sind zeitgenössische Veröffentlichungen ausgewertet worden. Besonders hilfreich waren dabei die vom Amt für Gesamtdeutsche Studentenfragen des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) in Berlin-Dahlem herausgegebenen Bände über die in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR verschleppten Professoren und Studenten. Im Jahre 1955 war bereits der vierte Band erschienen. Bis 1962 wurde diese Reihe fortgesetzt und 1994 als ergänzter und überarbeiteter Reprint vom Verband ehemaliger Rostocker Studenten unter seinem Vorsitzenden Hartwig Bernitt herausgegeben.11 Weiterführende Hinweise brachten Zeitzeugenberichte und Interviews. Besonderer Dank gilt dabei den von politischer Repression betroffenen Zeitzeugen, die zwischen Ende der 1940er und Mitte der 1950er Jahre verhaftet und verurteilt wurden, wie Dipl.-Ing. Waltraud Garrels, Dr. Dietrich Hartwig, Dr. Horst-Günther Schakat, Oberstleutnant (Bundeswehr) a. D. Karl-Heinz Ossenkop, Dipl.-Ing. Karl Winde, Horst Neubert und Dipl.-Ing. Karl-Heinz Münch. 9 Vgl. Martin Schmidt, Der Dresdner Studentenprozess, in: SBZ-Archiv, Heft 9 / 1959, S. 130–134. 10 Vgl. Karl Wilhelm Fricke, a. a. O., S. 25. 11 Der Verband Ehemaliger Rostocker Studenten hat 1994 unter Leitung von Hartwig Bernitt die seit Ende der 1940er Jahre vom Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) dokumentierten Schicksale der von 1945 bis 1962 in der SBZ / DDR verhafteten und verschleppten Professoren und Studenten herausgebracht, vgl. Namen und Schicksale der von 1945 bis 1962 in der SBZ / DDR verhafteten und verschleppten Professoren und Studenten (Erweiterter, ergänzter und überarbeiteter Reprint 1994 der VDS-Dokumentation 1962), herausgegeben vom Verband ehemaliger Rostocker Studenten (VERS) unter Vorsitz von Dr. Hartwig Bernitt, Rostock, 1994, 214 S.

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Einleitung

Prof. Dr. Siegfried Jenkner, der zu einer Leipziger studentischen Widerstandsgruppe gehörte, hat insbesondere in Bezug auf die zeithistorische Einordnung auch des Dresdner studentischen Widerstands wesentliche Anregungen gegeben.12 Herr Min.-Rat a. D. Dietrich Hübner vermittelte als Zeitzeuge und selbst von langer politischer Haft in der DDR Betroffener Einblicke in politische Konstellationen Ende der 1940er Jahre. Förderlich waren Gespräche mit Prof. Dr. Dr. Kurt Reinschke, der gleichfalls zur Thematik publiziert.13 Herr Lutz Utecht hat die Namen einiger ehemaliger Dresdner Studenten ergänzt, die von Repressionen betroffen waren. Herr Dr. Rolf Dietzel gab als langjähriger Angehöriger der TU Dresden und Zeitzeuge Auskunft zu verschiedenen universitätshistorischen Zusammenhängen. Die Durchsicht von relevanten Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)14 ermöglichte detaillierte Einblicke in die operative und repressive Praxis des MfS bei der Verfolgung und Zersetzung von studentischer Opposition in Dresden. Dipl.-Lehrerin Ilona Rau als Sachgebietsleiterin des Archivbereichs in der Dresdner Außenstelle der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) und die Sachbearbeiterin für Akteneinsicht Martina Walther sowie Regine Leichsenring haben mit ihren Recherchen wesentlich dazu beigetragen, dass der Arbeit eine fundierte Quellenbasis zugrunde liegt. Die im Bundesarchiv lagernden Bestände des Staatssekretariats für Hochund Fachschulwesen (bzw. Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen) und der Abteilung Wissenschaft beim ZK der SED dienten der Analyse von politischen Motivationen, strategischen sowie taktischen Überlegungen und Auseinandersetzungen innerhalb der politischen Führung zu Fragen der Studenten- und Professorenschaft. Sehr hilfreich waren gleichfalls Recherchen von Frau Dipl.-Archivarin Risse in der Zentralen Haftkartei des MdI und in der Kartei der SMT- und Waldheim Verurteilten im Bundesarchiv. Herr Dr. Klaus-Dieter Müller und Frau Ute 12 Vgl. Siegfried Jenkner, Vom demokratischen Neubeginn zur sozialistischen Umgestaltung der Universitäten in der SBZ und frühen DDR (Vortrag beim ‚Belter-Dialog‘ der KonradAdenauer-Stiftung am 19. Mai 2009 im Alten Senatssaal der Universität Leipzig), Vortagsmanuskript, 24 S. 13 Vgl. Kurt Reinschke, Verurteilt und erschossen. Erinnerung an deutsche Akademiker, die in der SBZ/DDR Opfer für die akademische Freiheit brachten, Teil 1 und Teil 2, in: Freiheit der Wissenschaft, herausgegeben vom Vorstand des Bundes Freiheit der Wissenschaft, Ausgabe Nr. 3 vom September 2008, S. 4-10 und Ausgabe vom Dezember 2009, Nr. 4 S. 7–13, Düsseldorf, 2008/2009. 14 Das Anfang Februar 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit wurde im Juli 1953 zum Staatssekretariat für Staatssicherheit zurückgestuft. Ab Ende November 1955 erhielt der Geheimdienst wieder die alte Bezeichnung Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Ende November 1989 erfolgte einige Wochen vor der Auflösung die Umbenennung in Amt für Nationale Sicherheit.

Einleitung

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Lange von der Dokumentationsstelle Stiftung Sächsischer Gedenkstätten konnten auf Grundlage ihrer Datenbanken mehrfach biographische Lücken schließen. Ebenfalls hat das Deutsche Rote Kreuz, Generalsekretariat Suchdienst, mit seinen Auskünften zur Aufklärung des Schicksals von ehemaligen Hochschulangehörigen beigetragen. Das Archiv der Freien Universität Berlin bot insbesondere mit seiner Sammlung der Veröffentlichungen des Colloquium-Verlags die Voraussetzung dafür, dass die Kontaktpflege von Dresdner Studenten mit ihren Kommilitonen in Westberlin dargestellt werden konnte. Besondere Unterstützung gewährten dabei Dr. Birgit Rehse, Dr. Michael Engel und Dipl.-Archivar Frank Lehmann. Herangezogen wurde natürlich die Überlieferung des Universitätsarchivs der TU Dresden, insbesondere Akten des Rektorats, des Senats und ausgewählte Studentenakten. Ausgewertet wurde zudem der Bestand der SED-Kreisleitung der TU Dresden im Sächsischen Hauptstaatsarchiv. Im Rahmen eines Projekts des Universitätsarchivs legte Dipl.-Ing. Martina Fischer mit Unterstützung von Dipl.-Archivar Volker Schubert vom Sächsischen Hauptstaatsarchiv zu diesem Bestand ein Spezialinventar an. Ohne die Unterstützung von Dr. Hanns-Lutz Dalpke wäre die umfassende Darstellung über die Entwicklung der studentischen Widerstandsgruppe von 1959 nicht möglich gewesen. Die zu seiner Person vom Staatssicherheitsdienst angelegten Ermittlungs- und Prozessakten stellte er ohne Einschränkung zur Auswertung zur Verfügung. Gleichfalls haben Dipl.-Ing. Armin Schreiter, Dipl.Ing. Jürgen Donnerstag und Karin Ramatschi mit ihren Zeitzeugenberichten und gewährten Interviews wesentlich zum Verständnis der politischen und sozialen Zusammenhänge des Studentenprozesses beigetragen. Senator a. D. Wolfgang Lüder ermöglichte dem Verfasser aufschlussreiche Einblicke in die Beziehungsgeflechte der Studenten zwischen den beiden verfeindeten Teilstaaten während der 1950er Jahre und die besondere Stellung der Freien Universität Berlin in der Zeit des Kalten Krieges. Er gehörte zu den Studentenvertretern Westberlins, die 1959 offiziell als Beobachter des Dresdner Studentenprozesses zugelassen waren und später vor der internationalen Öffentlichkeit über den Prozess berichteten. Dipl.-Ing. Bernhard Wolfram, selbst von 1959 bis 1961 politischer Häftling der DDR, hat den Prozessverlauf vor dem Hintergrund des eigenen Erfahrungshorizonts dokumentiert und kommentiert.15 Für die Zeit von 1961 bis zum Ende der DDR werden in einem Überblick repressive Maßnahmen gegen Studenten der TU Dresden dargestellt. Hilfreich waren dabei die Gespräche mit Dr. Wolfgang Hartmann, Dipl.-Ing. Hartmut Henke und Dipl.-Ing. Günter Knoblauch. Gleichfalls gilt mein Dank Prof. Dr. Sigis15 Vgl. Der Studentenprozess von Dresden. Ein langer Weg zur Freiheit 1959 – 1989–2009, Texte und Kontexte, zusammengestellt von Bernhard Wolfram, Eigenverlag, Berlin, 2009, 44. S.

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Einleitung

mund Kobe, Dipl.-Physiker Rolf Krohn und Dipl.-Physiker Ralf P. Krämer und Dipl.-Ing. Udo Schnabowitz zu subtilen Formen politisch motivierter Repression. Bei der Vorbereitung der Monografie wurde mir vielfach Unterstützung zuteil. Frau Mag. Steffi Eckold hat das Manuskript kritisch durchgesehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Universitätsarchivs haben mit Recherchen in den Beständen vielfach Unterstützung gewährt, das gilt insbesondere für Frau Dipl.Archivarin Angela Buchwald, Frau Dipl.-Archivarin (FH) Veronica Heymann und Frau Dipl.-Archivarin (FH) Jutta Wiese. Karsten Wolf und Natalja Heidt haben im Rahmen einer Arbeitsförderungsmaßnahme Bibliotheksrecherchen ausgeführt. Mike Heubner besorgte die technische Bildbearbeitung und Recherche. Allen genannten Damen und Herren gilt mein besonderer Dank.

1.  Aufbruch und Repression (1946 bis 1949) 1.1.  Wiedereröffnung der TH Dresden (1946) Während die westlichen Besatzungsmächte mit ihren Wertvorstellungen bei den Deutschen relativ schnell nachhaltigen Einfluss gewannen, stieß die sowjetische Besatzungsmacht bei großen Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung. Das war vor allem dem erklärten Vernichtungskrieg der Nationalsozialisten geschuldet, der mit dem Ziel der Versklavung und Auslöschung der Sowjetunion und ihrer Völker geführt worden war. Teile der sowjetischen Besatzungstruppen waren infolge des auf beiden Seiten unbarmherzig geführten Krieges verroht. Dennoch mussten die Deutschen und die Angehörigen der Besatzungsarmeen im täglichen Leben miteinander auskommen. Anfänglich stützte sich die sowjetische Militärverwaltung in weit größerem Umfang auf gemeinsam im Alliierten Kontrollrat gefasste Beschlüsse als in späteren Jahren des Besatzungsregimes. Wie im eigenen Land war ihre Herrschaft repressiv und ihre Machtausübung im besetzten Territorium in wesentlich geringerem Umfang an Gesetzesnormen gebunden als bei den anderen Alliierten. Neben Deutschen, die während der NS-Zeit Verbrechen begangen hatten, waren von der sowjetischen Besatzungsmacht auch Unschuldige und sogar Gegner der Nationalsozialisten inhaftiert worden. In so genannten Speziallagern beispielsweise in Mühlberg an der Elbe und in Sachsenhausen bei Oranienburg oder in Sibirien waren sie einem unmenschlichen Lagersystem mit hoher Sterberate ausgesetzt. Auch das in unmittelbarer Nachbarschaft zur TH Dresden gelegene ehemalige Landgericht, bis Kriegsende Hinrichtungsstätte der NS-Justiz, wurde vom sowjetischen Geheimdienst und der Militärjustiz als Gefängnis und Gerichtsort genutzt. Die Besatzungsmächte nahmen entsprechend ihrer noch gemeinsam im Alliierten Kontrollrat gefassten Beschlüsse maßgeblichen Einfluss auf die Hochschulpolitik in ihren Besatzungszonen. Dafür waren in den westlichen Besatzungszonen spezielle Hochschuloffiziere tätig.1 Die sowjetische Besatzungsmacht setzte ihre Interessen in Bezug auf die Universitäten und Hochschulen insbesondere mit

1 Vgl. Manfred Heinemann, Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Westdeutschland 1945–1952. Teil 1: Die Britische Zone, bearbeitet von David Philips (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B, Bd. 1, Hildesheim, 1990; Teil 2: Die USZone, unter Mitarbeit von Ullrich Schneider (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B, Bd. 2), Hildesheim, 1990; Die Französische Zone, bearbeitet von Jürgen Fischer unter Mitarbeit von Klaus-Dieter Müller, Anne Peters und Peter Hanske (Geschichte von Bildung und Wissenschaft, Reihe B, Bd. 3), Hildesheim, 1991.

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Aufbruch und Repression (1946–1949)

Unterstützung der Abteilung Volksbildung innerhalb der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) durch.2 Einerseits herrschte in weiten Teilen der Bevölkerung noch Lethargie und der Alltag war geprägt vom Kampf um das nackte Überleben. Andererseits bedeutete das Kriegsende für Millionen Deutsche auch einen Neuanfang. Nachdem die TH Dresden am 22. April 1945 Lehre und Forschung hatte einstellen müssen,3 hofften ihre Angehörigen auf eine baldige Wiederaufnahme des regulären Lehrbetriebs. Nach der Besetzung des Hochschulgeländes von einen Truppenverband des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten hatte eine alliierte Kommission mit je einem höheren Offizier der russischen, der amerikanischen und der englischen Besatzungsmächte, die Fortsetzung von Forschung und Lehre bereits für Oktober 1945 in Aussicht gestellt.4 Es sollte aber noch rund ein weiters Jahr vergehen, bevor die Hochschule ihre Pforten wieder öffnen durfte. Die Besetzung des Hochschulgeländes, Reparationen, Personalüberprüfungen, Entlassungen und nicht zuletzt Arbeitseinsätze zur Enttrümmerung und Sicherung der am 13. und 14. Februar 1945 schwer kriegszerstörten Hochschulgebäude prägten den Alltag der folgenden Monate und Jahre. Besonders belastend wirkte sich der allgegenwärtige und Kräfte zehrende Hunger aus. Die Universitäten und Hochschulen waren in den nationalsozialistischen Staat integriert gewesen, ohne dabei im politischen Zentrum zu stehen. Bereits vor der Machtergreifung hatte ein Teil der Professorenschaft die NSDAP unterstützt oder war deren Mitglied gewesen. Die Studentenschaft der TH Dresden hatte bereits vor 1933 ein Studentenparlament gewählt, in dem die Mitglieder des Nationalsozialistischen Studentenbundes die stärkste Vertretung stellten. Mit eigenen Initiativen hatte die Studentenschaft der TH Dresden die am 10. Mai 1933 stattgefundene Bücherverbrennung vor der Bismarcksäule auf der Dresdner Südhöhe vorbereitet und durchgeführt.5 Von 1937 bis Mai 1945 hatte der 1887 in Zwickau geborene Architekturprofessor Wilhelm Jost, seit 1932 Mitglied der NSDAP und später Vertrauensmann des Sicherheitsdienstes der SS (SD), die Hochschule als Führer und Rektor geleitet. Gleichzeitig war der aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie stammende viel2 Vgl. Andrej P. Nikitin, Die Sowjetische Militäradministration und die Sowjetisierung des Volksbildungssystems in Ostdeutschland 1945–1949, in: Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Deutschland 1945–1949. Die Sowjetische Besatzungszone, herausgegeben von Manfred Heinemann, Akademie-Verlag, Berlin, 2000, S. 5–10. 3 Vgl. Sächs. Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden (SHStA), 11.125, Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 15.925, nicht foliiert (n. f.). 4 Universitätsarchiv der TU Dresden (folgend UA der TUD), S II / F. 1 Nr. 310, Bl. 26. 5 Vgl. Matthias Lienert, Bücherverbrennung „Dresden“, in: Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, Eine Publikation des Moses Mendelssohn Zentrums für europäischjüdische Studien, Potsdam, herausgegeben von Julius H. Schoeps und Werner Treß, GeorgOlms-Verlag, Hildesheim, 2008, S. 255–269.

Wiedereröffnung der TH Dresden (1946)

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seitige Architekt maßgeblich an den Planungen für die „Führeruniversität“ Linz beteiligt gewesen. Am 22. Mai 1945 wurde ihm während einer Zusammenkunft der Professoren auf Vorschlag des langjährigen Professors für Maschinenkunde und Fördertechnik Enno Heidebroek nahe gelegt, als Rektor zurückzutreten. Dieser Aufforderung kam er am folgenden Tag nach.6 Er war danach noch rund sieben Monate als Architekt unter anderem im Zusammenhang mit Maßnahmen der Stadtverwaltung für den Wiederaufbau Dresdens beschäftigt. Am 13. Januar 1946 wurde Wilhelm Jost verhaftet und im Speziallager des NKWD / MWD in Mühlberg festgehalten. Die Sterberate im Lager war hoch. Im August 1946 ist der schwer magenkranke Wilhelm Jost ohne rechtsförmliches Verfahren in ein Lager in Saratow gebracht worden. Am 15. August 1948 verstarb er im Lazarett in Wolsk, wo er in einem Massengrab bestattet wurde.7 Ein ähnliches Schicksal teilte Hans Mehlig, der 1936 bereits im Alter von 34 Jahren zum Ordinarius für Thermodynamik und Direktor des Maschinenlaboratoriums berufen wurde. Er hatte das besondere Vertrauen des Personalreferenten im Sächsischen Ministerium für Volksbildung, Werner Studentkowski, und war für die Nachwuchsförderung in der NS-Dozentenschaft der TH Dresden verantwortlich gewesen. Nach dem Zusammenbruch ging Hans Mehlig zu Verwandten nach Erfurt, das zeitweise von den Amerikanern besetzt war. Wenig später folgte er einer Aufforderung der Hochschule zur verantwortlichen Mitwirkung an deren Wiederaufbau. Am 2. Juli 1945 wurde der Professor von der Besatzungsmacht festgenommen.8 Nach einer Mitteilung der Polizeidienststelle in seinem Wohnort wäre er „auf Anordnung der Antifa9 und des Herrn Ortskommandanten zu Cossebaude verhaftet“ worden.10 Am 27. Februar 1946 ist er im Speziallager Mühlberg an der der Elbe an Pneumonie verstorben.11 Später setzten sich Professoren der Hochschule für die Einbeziehung seiner Witwe in die zusätzliche Hinterbliebenenversorgung ein. In der Begründung betonten sie, dass der in Mühlberg zugrunde gegangene Professor stets nach fachlichen Gesichtspunkten entschieden hätte.12

6 Vgl. Geschichte der Technischen Universität Dresden in Dokumenten, Bildern und Erinnerungen, Band 3, herausgegeben von Achim Mehlhorn und Matthias Lienert, Dresden, S. 7. 7 Vgl. Mitteilung des DRK-Suchdienstes München am 7. Juni 2010 zu Wilhelm Jost. 8 Nach anderen Angaben wurde er bereits Ende Juni 1945 festgenommen. 9 Mit „Antifa“ ist der Antifaschistische Ausschuss in Cossebaude gemeint. 10 Vgl. UA der TUD, S II / F. 2 Nr. 630. 11 Vgl. Mitteilung des DRK-Suchdienstes vom 7. Juni 2010 zu Hans Mehlig. 12 Mehrere Professoren bemühten sich 1954 mit einem Gutachten um die Einbeziehung der Witwe von Professor Mehlig in eine zusätzlichen „Hinterbliebenenversorgung der schaffenden Intelligenz“. So hätte Hans Mehlig „sowohl als Direktor des Maschinenlaboratoriums wie als Dekan seine Entscheidungen nach fachlichen Gesichtspunkten getroffen, ohne parteipolitischen Einflüssen nachzugeben.“ In: UA der TUD, Fakultät Maschinenwesen, Nr. 230, n. f.

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Aufbruch und Repression (1946–1949)

Weitere drei nebenamtliche Professoren, darunter zwei Juristen, wurden 1945 und 1946 im Auftrag der Besatzungsmacht festgenommen und im Speziallager Mühlberg und im Zuchthaus Walheim inhaftiert. Der 1883 geborene Herbert Schelcher war bis 1945 Präsident des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts und nebenamtlicher Leiter des Juristischen Seminars gewesen, das Lehrveranstaltungen für verschiedene Studiendisziplinen wie das Bauingenieurwesen durchführte. Noch nach dem Ende des NS-Staates hatte er als Berater für die Sächsische Landesverwaltung gearbeitet. Auch er war von der Besatzungsmacht festgenommen und in Mühlberg inhaftiert worden, wo er am 7. Mai 1946 verstarb.13 Friedrich Scheffler, 1904 geboren, war Oberlandesgerichtsrat und Senatspräsident. An der TH Dresden lehrte er nebenamtlich Rechtswissenschaft. Am 8. Oktober 1945 wurde der Jurist von der Besatzungsmacht in Gera verhaftet. Nach der Internierung im Speziallager Buchenwald wurde er am 9. Februar 1950 den DDR-Behörden übergeben, die ihn bis zum 7. Oktober 1952 im Zuchthaus Waldheim inhaftierten. Er verstarb nach der Entlassung 1954 in Nürnberg.14 Professor Walter Kunze, 1890 in Leipzig geboren, war außerordentlicher Professor für Wasserbau. Am 18. April 1946 wurde er in Chemnitz von der Besatzungsmacht festgenommen und gleichfalls in das Speziallager in Buchenwald eingeliefert. Auch ihn übernahmen im Februar 1950 die DDR-Behörden. Er verstarb am 22. August 1952 im Zuchthaus Waldheim.15 Die genannten Professoren waren aufgrund ihrer hohen Stellungen im Justizapparat des NS-Staates oder wegen ihrer Funktionen in der NSDAP beziehungsweise ihrer Gliederungen inhaftiert worden. Die Anschuldigungen, die zu ihrer Festnahme geführt hatten, entsprechen nicht rechtsstaatlichen Normen. Eine individuelle Schuld wurde diesen Hochschullehrern nicht nachgewiesen. Die Verhaftungen wirkten natürlich auf die Hochschulangehörigen einschüchternd und unterstrichen den repressiven Charakter des Besatzungsregimes, dessen Justizund Geheimdienstorgane sich auch in Bezug auf Festnahmen und Urteile nicht an formale rechtsstaatliche Normen hielten. Nach der Ablösung von Wilhelm Jost übernahm am 22. Mai 1945 Karl Hahn, bisheriger Prorektor und Ordinarius für Strömungslehre und Strömungsmaschinen, die Amtsgeschäfte des Rektors. Der für die Hochschule zuständige sowjetische General Barikow hatte ihn dazu offiziell ermächtigt.16 Der 1899 in Ulm geborene Karl Hahn führte nur bis Anfang August 1945 kommissarisch die Ge13 14 15 16

Vgl. Mitteilung des DRK Suchdienstes vom 7. Juni zu Herbert Schelcher 1946. Vgl. Mitteilung des DRK-Suchdienstes vom 7. Juni 2010 zu Friedrich Scheffler. Vgl. Mitteilung des DRK-Suchdienstes vom 7. Juni 2010 zu Walter Kunze. General Barikow befehligte den Truppenteil des sowjetischen Innenministeriums, der die Hochschule besetzt hatte. Die Zugänge zur Hochschule wurden streng bewacht. Die Hochschulangehörigen hatten von der Besatzungsmacht spezielle Ausweise erhalten, die sie beim Betreten und Verlassen des Hochschulgeländes vorweisen mussten.

Wiedereröffnung der TH Dresden (1946)

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schäfte der Hochschule. Auch er galt als ehemaliger Prorektor und Mitglied der NSDAP als politisch belastet und wurde deshalb Mitte November 1945 entlassen. Trotzdem wollte die Besatzungsmacht auf seine Arbeit nicht verzichten. Sie setzte ihn als Chefkonstrukteur einer Arbeitsgruppe ein, die für das Ministerium für Transportmaschinen der UdSSR tätig war.17 Später folgte er einen Ruf der TH München. Anfang August 1945 übernahm der 1876 in Hannover geborene bald 69jährige Enno Heidebroek die Rektoratsgeschäfte, nachdem sich die Professorenschaft und eine Abordnung der Beschäftigten für ihn entschieden hatten.18 Besatzungsmacht und Landesverwaltung bestätigten die Wahl. Enno Heidebroek hatte sich in den Jahren des NS-Regimes vor allem auf seine wissenschaftliche Arbeit und die Lehrtätigkeit konzentriert.19 Dabei war er keinesfalls der Typus des unpolitischen Wissenschaftlers. Der Hannoveraner Heidebroek war während der Weimarer Republik Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) gewesen, gehörte den Rotariern an und unterhielt ganz offensichtlich ein fast freundschaftliches Verhältnis zu dem letzten frei gewählten sächsischen Ministerpräsidenten und Mitglied der Deutschen Volkspartei Walther Schieck, den die Nationalsozialisten Anfang 1933 aus dem Amt getrieben hatten. Schieck hatte bereits 1931 die Berufung von Enno Heidebroek auf den Lehrstuhl für Maschinenelemente, allgemeine Maschinenkunde und Fördertechnik unterstützt. Enno Heidebroek stand der Weimarer Republik positiv gegenüber. Dass er einer der führenden deutschen Wissenschaftler auf seinem Fachgebiet mit exzellenten Verbindungen zur Industrie war, verstand sich von selbst. Nicht von ungefähr hatten die Nationalsozialisten geflissentlich über seine politische Vergangenheit hinweggesehen, da sie auf den hervorragenden Technikwissenschaftler, der auch in das Raketenprojekt in Peenemünde einbezogen war, nicht verzichten wollten.20 Trotz seines bereits fortgeschrittenen Alters genoss Enno Heidebroek hohe Reputation und verfügte über ausreichend Spannkraft, um den aufreibenden Wiederaufbau der Hochschule zu leiten und die schwierigen Verhandlungen vor allem mit der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) und den neuen deutschen Behörden zu führen. Formell hatte Enno Heidebroek dem NS-Regime einige Zugeständnisse gemacht, indem 17 Vgl. UA der TUD S II / F. 1 Nr. 310. 18 Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E. h. Enno Heidebroek (1876–1955) war ordentlicher Professor für Maschinenkunde und Fördertechnik sowie Direktor des Instituts für allgemeine Maschinenkunde und des Instituts für Maschinenelemente. Die TH Darmstadt hatte ihm im Jahre 1951 ehrenpromoviert. 19 Vgl. Alexandr Haritonow, Sowjetische Hochschulpolitik, a. a. O., S. 174 ff.; Bedeutende Gelehrte der Technischen Universität Dresden, Band 1, Veröffentlichungen der Technischen Universität Dresden, herausgegeben von Siegfried Richter u. a., Dresden, 1988, S. 45–70. 20 Vgl. Ralf Pulla, Raketentechnik in Deutschland. Ein Netzwerk aus Militär, Industrie und Hochschulen 1930 bis 1945, Studien zur Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte Band 14, herausgegeben von Hans-Joachim Braun, Frankfurt am Main, 2004, S. 116.

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er dem NS-Dozentenbund und dem NS-Bund Deutscher Technik beigetreten war und zeitweise in exponierter Stellung am Peenmünde-Projekt mitgearbeitet hatte. Seine organisatorischen, wissenschaftlichen und hochschulpolitische Erfahrungen nutzte er für den Wiederaufbau der TH Dresden. Er war der LDP beigetreten und in den Sächsischen Landtag gewählt worden. Später hatte er ein Mandat der Provisorischen Volkskammer und war Präsident der Kammer der Technik. Bereits 1947 übernahm der 1902 in Stuttgart geborene Werner Straub, seit 1946 Professor für Psychologie und Direktor des Instituts für Psychologie, die Geschäfte Rektors, welche er bis 1949 ausübte. Das Amt des Prorektors wurde Hans Reingruber übertragen, der nach dem Studium des Bauingenieurwesens an der TH Hannover 1927 zum Persönlichen Kommissar für Eisenbahnunfallangelegenheiten beim Reichsverkehrsminister aufgestiegen war. Im Januar 1934 hatte er einen Ruf an die TH Dresden auf den Lehrstuhl für Eisenbahn- und Verkehrswesen angenommen, arbeitete aber auch weiter als Sachverständiger für Eisenbahn- und Straßenbauangelegenheiten sowohl für das Reichsverkehrsministerium als auch für das Sächsische Ministerium des Innern. Wie Enno Heidebroek hatte sich Hans Reingruber während der Zeit des Nationalsozialismus von aktiver parteipolitischer Arbeit ferngehalten. So war er auch nicht in die NSDAP eingetreten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Mitglied des Ratsausschusses für Wiederaufbau der Stadt Dresden sowie Abgeordneter des Sächsischen Landtages und hatte daher als Spitzenkandidat des Kulturbundes vielfältige Kontakte zu den führenden Persönlichkeiten aus Politik und Verwaltung. Sowohl Enno Heidebroek als auch Hans Reingruber galten bei den Angehörigen der Hochschule als integer und durchsetzungsfähig. Sie waren eingebunden in die neuen Netzwerke. In den folgenden Monaten mussten außerordentlich schwierige Verhandlungen, insbesondere mit den Vertretern der Besatzungsmacht, geführt werden. Parallel dazu erfolgten umfangreiche Demontagen und andere Reparationsleistungen. Aber bereits am 19. September 1945 konnte Rektor Heidebroek der Landesverwaltung die grundlegenden Dokumente für die Wiedereröffnung der Hochschule übermitteln, die auf Verlangen der Vertreter der SMAD Major Dragin und Professor Smirnoff ausgearbeitet worden waren. Dabei musste der Rektor aber darauf verweisen, dass „der Bestand des Lehrkörpers durch die politische Bereinigung noch weiter zusammenschrumpft“ und die Entscheidungen darüber noch ausstehen würden.21 Während um die Wiedereröffnung der Dresdner Alma Mater noch zäh gerungen wurde, hatten andere Hochschulen in der Sowjetischen Besatzungszone ihren Lehrbetrieb bereits wieder aufgenommen. So war im Oktober 1945 die Universität Jena als erste Hochschule in der sowjetischen Besatzungszone wiedereröffnet 21 UA der TUD, Rektorat I, Nr. 2, Bd.1, Bl. 92.

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worden. Der Festakt zur Wiedereröffnung der Berliner Universität am 29. Januar 1946 im Admiralspalast in der Friedrichstrasse war ein nationales Ereignis. Im selben Jahr nahmen dreizehn weitere ehemalige Universitäten und Hochschulen auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone begleitet von feierlichen Festveranstaltungen ihren Lehrbetrieb wieder auf. Die TH Dresden feierte unter großer öffentlicher Anteilnahme am 18. September 1946 in der Dresdner Tonhalle (Kleines Haus) ihre offizielle Wiedereröffnung und beschloss damit diesen Reigen. Erschienen waren neben einer großen Abordnung der SMAD, Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten der SBZ, die Leitung der Zentralverwaltung für Volksbildung in Ostberlin, führende Funktionäre der Parteien, die Honoratioren der Dresdner Stadtverwaltung, Vertreter der Kirchen sowie anderer ostdeutscher Hochschulen und weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Nach der Eröffnung durch den Präsidenten der Landesverwaltung Rudolf Friedrichs und den anschließenden Begrüßungsansprachen hielt der Rektor der Universität Leipzig Hans-Georg Gadamer die Festansprache zum Thema „Die neue Hochschule“.22 Die anschließende Ehrenpromotion von Kurt Fischer hatte allen Anwesenden die neuen Machtverhältnisse aufgezeigt. Er war Erster Vizepräsident und Chef des Innenressorts der sächsischen Landesregierung. Danach wurde er Generalinspekteur der DDR-Volkspolizei. Kurt Fischer hatte die Moskauer Militärakademie absolviert und war für den sowjetischen Auslandsnachrichtendienst tätig gewesen. Mit diesem biographischen Hintergrund nahm er wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Hochschule, was auch in der Begründung für die Ehrenpromotion deutlich geworden war.23 Für die späte Wiedereröffnung der TH Dresden waren mehrere Gründe verantwortlich gewesen: Die umfangreichen Enttrümmerungsarbeiten, an denen sich vom Professor über die Sekretärin bis hin zum Institutsgehilfen alle Angehörigen der Hochschule beteiligten, müssen ebenso für die Verzögerung der Wiedereröffnung in Betracht gezogen werden wie die Ausführung der umfangreichen Reparationsleistungen. Diese waren offiziell erst im Sommer 1946 abgeschlossen.24 Weiterhin mussten auf Grundlage von Kontrollratsdirektiven und der speziellen Verordnung der Sächsischen Landesverwaltung vom 17. August 1945, die am 3. November desselben Jahres noch einmal bekräftigt wurde, alle Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen den öffentlichen Dienst verlassen. Das traf Hochschullehrer, Beamte und Angestellte der Verwaltung sowie Arbeiter und 22 UA der TUD, Rektorat I, Nr. 4 n. f. 23 Kurt Fischer war auf Beschluss aller Fakultäten „In dankbarer Würdigung seiner tatkräftigen Unterstützung bei der Wiedereröffnung der TH Dresden und in Ansehung seiner führenden Mitarbeit am Wiederaufbau unseres Heimatlandes Sachsen zu einem Staatswesen sozialer Gerechtigkeit und Demokratie“ ehrenpromoviert worden, vgl. UA der TUD, Verzeichnis der Ehrenpromotionen. 24 Alexander Haritonow, Sowjetische Hochschulpolitik in Sachsen 1945–1949, Böhlau Verlag, Weimar / Köln / Wien, 1995, S. 174 f.

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Hilfskräfte gleichermaßen. Zudem hatten sich mehrere Hochschullehrer und Angestellte in die westlichen Besatzungszonen abgesetzt. Ende 1945 waren von 79 aktiven Professoren nur noch 26 an der Hochschule, von eigentlich 151 Assistenten und Assistentinnen standen gerade noch sieben zur Verfügung.25 Mit diesem geringen Personalbestand waren gerade die technischen und naturwissenschaftlichen Studiengänge, die umfangreiche wissenschaftliche Betreuung und eine solide Laborausstattung erforderten, nur schwer aufrechtzuerhalten. Zudem war der Besatzungsmacht gerade in den ersten Monaten vor allem daran gelegen, deutsche Wissenschaftler für die sowjetische Wirtschaft und Rüstung arbeiten zu lassen sowie moderne Labore und technische Dokumentationen in die Sowjetunion zu verlagern. Erst nach Abschluss dieser Maßnahmen sollte die TH Dresden in kleinem Rahmen und unter strikter Kontrolle der Besatzungsmacht wiedereröffnet werden. Mit dem Befehl Nummer 237 vom 2. August 1946 wurde von Generaloberst Kurotschin in Vertretung des Oberbefehlshabers der Sowjetischen Okkupationsarmee in Deutschland, Marschall Sokolowski, die Wiedereröffnung der TH Dresden befohlen. Die Hochschule sollte „zwecks Ausbildung von qualifizierten Arbeitern auf dem Gebiet der Forstwirtschaft, Kommunalwirtschaft und Lehrer des Gewerkschaftstechnikums“ wiedereröffnet werden.26 Diese Formulierung unterstreicht den bewusst angestrebten Bruch mit der deutschen Hochschultradition. Am 10. August 1946 wurde Rektor Enno Heidebroek von der Sowjetischen Militäradministration detailliert über den Befehl informiert. Ein für die Hochschule zuständiger Oberstleutnant interpretierte den Befehl und besprach mit Heidebroek die nächsten Schritte zur Wiedereröffnung. Dabei machte er auch deutlich, dass die Ausbildung der „Lehrer des Gewerkschaftstechnikums“ so zu verstehen sei, „daß die auszubildenden Lehrer in der Pädagogischen Fakultät nicht allgemein Grundschullehrer sein sollen, sondern Berufslehrer, Gewerbelehrer, Lehrer für industrielle Werkschulen“27. Ausdrücklich war im Befehl die Verantwortung für die Auswahl der Professoren und Dozenten dem Rektor übertragen worden, wobei Listen mit den Namen der Professoren und Dozenten, der wissenschaftlichen Hilfskräfte und des gesamten Hilfspersonals in deutscher und russischer Sprache zu erstellen waren. Durchschläge mussten der Landesverwaltung und der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin übergeben werden. Ebenso hatte die Militäradministration festgelegt, dass „sofort aufklärende Mitteilungen an die Presse gegeben werden mit der Aufforderung, Meldungen zum Studium sofort einzureichen.“28 Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Wiederaufnahme des Lehrbetriebs wurden drei neue Fakultäten gebildet, denen traditionell Dekane und 25 26 27 28

Vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 2, Bl. 140 f. Vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 2, Bd. 1, Bl. 171. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 2, Bd. 2, Bl. 349 f. Ebenda.

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Prodekane vorstanden. Die drei neuen Fakultäten für Pädagogik, Kommunale Wirtschaft und Forstwirtschaft integrierten den traditionell technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinenkanon unter Einbeziehung von Pädagogik, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Philosophie. Die Dekane und Prodekane waren Wissenschaftler, die nicht zu den aktiven Nationalsozialisten gezählt hatten und als politisch integer galten.29 Die übrigen Professoren hatten ebenfalls nicht der NSDAP angehört. Bei der Besetzung der Lehrstühle der Pädagogischen Fakultät waren nach Verhandlungen zwischen dem Rektor, der Landesregierung Sachsen und der SMAD auch Persönlichkeiten wie Victor Klemperer, Karl Trinks, Rudolf Schottlaender und Ludwig Renn berücksichtigt worden, die von den Nationalsozialisten aus rassischen oder politischen Gründen verfolgt worden waren. Damit gelangten Persönlichkeiten an die Hochschule, die eindeutig zu den erklärten Gegnern der Nationalsozialisten gehört hatten. Victor Klemperer und Rudolf Schottlaender, beide jüdischer Herkunft, hatten das Naziregime nur überlebt, weil sie mit „arischen“ Frauen verheiratet waren. Karl Trinks und Ludwig Renn waren während der NS-Zeit emigriert. Die Monate nach der Wiedereröffnung der Hochschule waren gekennzeichnet von Entbehrungen und einem heute kaum noch nachvollziehbaren Überlebenskampf. Hinter den Kulissen spielten sich zunehmend harte politische Auseinandersetzungen ab, die in nicht geringem Umfang auch den Hochschulalltag beeinflussten. So wurde bereits im Juli 1946, wenige Wochen vor der offiziellen Wiedereröffnung der TH Dresden, der Leiter der Abteilung Hochschulen im sächsischen Ministerium für Volksbildung Emil Menke-Glückert abgelöst.30 Der bereits 1934 von den Nationalsozialisten entlassene Ministerialrat und Honorarprofessor für Staatswissenschaften an der TH Dresden hätte angeblich die Entnazifizierung nicht mit dem nötigen Nachdruck vorangetrieben. Stark verunsichert hatten Dresdner Hochschullehrer und Assistenten Angebote aus den westlichen Zonen und besonders Westberlin angenommen, zumal die Technische Hochschule in Berlin-Charlottenburg bereits vor der TH Dresden wiedereröffnet worden war.31 Vor allem aber passte der hoch intelligente und politisch erfahrene Mitbegründer der Liberal Demokratischen Partei (LDP) in Sachsen nicht in das politische Konzept der Besatzungsmacht und der einflussreichen Vertreter der SED in der sächsischen Landesregierung. Sein Nachfolger war Arthur Simon, ein angesehener Ordinarius für anorganische Chemie an der TH Dresden und ebenfalls Mitglied der LDP. Er 29 Pädagogische Fakultät, Dekan: Werner Straub, Prodekan: Karl Trinks; Fakultät für Kommunale Wirtschaft, Dekan: Ludwig Binder, Prodekan: Willy Neuffer; Fakultät für Forstwirtschaft, Dekan: Hans Sachße, Prodekan: Heinrich Prell. 30 Vgl. Michael Parak, Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen. Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1933–1952, Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien, 2004, S. 99. 31 Vgl. Geschichte der Technischen Universität Dresden 1828–1988, Autorenkollektiv unter Leitung von Rolf Sonnemann, 2. Auflage, Berlin, 1988, S.174.

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galt zwar als „deutschnational“ geprägt, aber gleichzeitig als loyal gegenüber der Besatzungsmacht und der Landesregierung. Wie Rektor Heidebroek konnte auch er nicht verhindern, dass führende Wissenschaftler kurz nach der feierlichen Wiedereröffnung der Hochschule als Spezialisten zu mehrjähriger Arbeit in die Sowjetunion zwangsverpflichtet wurden. Andererseits hatte die Hochschule unter Beweis gestellt, dass sie selbst unter schwierigsten Bedingungen in der schwer zerstörten Stadt Dresden überleben und an ihren alten Ruf anknüpfen konnte. Als Erfolg wurde die Bestätigung von Ende Juli 1947 über die Volleröffnung der Hochschule aufgenommen. Mit Zustimmung und Unterstützung der sächsischen Ministerien für Volksbildung und Finanzen, der Deutschen Zentralverwaltung in Berlin und der Zentrale der SMAD in Berlin-Karlshorst waren in einem erweiterten Stellenplan der TH Dresden insgesamt 500 Personalstellen zugebilligt worden.32 Am 10. September 1949 wurden in Sachsen alle Beschränkungen für die Einstellung und Wiedereinstellung ehemaliger nomineller Mitglieder der NSDAP aufgehoben, soweit es sich nicht um Einstellungen im Justiz- und Polizeidienst handelte. Auch damit wurde die personelle Basis für einen schnellen Wiederaufstieg der TH Dresden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges geschaffen. Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass der von Marschall Shukow mit weitestgehender Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ausgestattete Leiter der Abteilung Volksbildung in der SMAD Generalleutnant Pjotr Wassiljewitsch Solotuchin, im Zivilberuf selbst Hochschullehrer, die Dogmen des sowjetischen Hochschulwesens eher moderat vermittelte und die Traditionen der deutschen Universitäten und Hochschulen zumindest teilweise erhalten wollte.33 Nach der Ablösung von Generalleutnant Solotuchin 1948 als Chef der Volksbildungsabteilung der SMAD änderte sich auch die Politik dieser Abteilung gegenüber den Hochschulen und Universitäten, die wenig später auch neue Hochschulverfassungen annehmen mussten.34

1.2.  Die Studenten Während Rektor Heidebroek in Absprache mit den verbliebenen Hochschullehrern auf eine Zahl von 1500 Studierende orientierte, ging die SMAD lediglich von 500 Studenten aus. Kurz vor der Wiedereröffnung der Hochschule wandte sich deshalb Enno Heidebroek am 20. September 1946 an die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin. In diesem Schreiben verwahrte er sich gegen 32 Vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 5, Bl. 49. 33 Vgl. Manfred Heinemann unter Mitarbeit von Aleksander Haritonov, Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Deutschland 1945 – 1949. Die Sowjetische Besatzungszone, Berlin, 2000, S. 168. 34 Vgl. Siegfried Jenkner, Vom demokratischen Neubeginn zur sozialistischen Umgestaltung der Universitäten in der SBZ und frühen DDR (Vortrag beim ‚Belter-Dialog’ der KonradAdenauer-Stiftung am 19. Mai 2009 im Alten Senatssaal der Universität Leipzig), Vortagsmanuskript, S. 6.

Die Studenten

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den Eingriff der SMAD. Besonders gravierend war deren Auflage, dass nur die Aufnahme von „Erstsemestern“ gestattet werden sollten. Lediglich für die Forstliche Fakultät „war dem Rektor rund ein Dutzend von älteren Semestern bewilligt worden.“35 Bevor der SMAD als der damals letztlich entscheidenden Stelle die Verzeichnisse der zu immatrikulierenden Studenten vorgelegt wurden, entschied eine Kommission über die eingegangenen Anträge zur Aufnahme des Studiums. In dieser Kommission waren folgende Persönlichkeiten vertreten: – Rektor als Vorsitzender und Stellvertreter – Dekan der betreffenden Fakultät oder dessen Stellvertreter – ein Vertreter der Landesverwaltung, Abteilung Volksbildung – ein Vertreter des FDGB – zwei Vertreter der FDJ – je drei Vertreter der politischen Parteien – zwei Vertreter des Bundes demokratischer Studenten. Das Zentralkomitee der KPD und der Zentralausschuss der SPD hatten am 18. Oktober 1945 „Grundforderungen einer deutschen Schulreform“ veröffentlicht. Sie sahen unter anderem vor, dass der Zugang zu Universitäten und Hochschulen für Kinder aus bisher eher bildungsfernen Bevölkerungskreisen „mittels Förderkursen und Sonderregelungen“ erleichtert werden solle.36 Am 12. Februar 1946 hatte die Landesverwaltung Sachsen mit den Unterschriften ihres Präsidenten Rudolf Friedrichs und ihres Vizepräsidenten Kurt Fischer eine „Verordnung über die Errichtung von Vorbereitungskursen für das Studium an den Hochschulen“ erlassen.37 Zugelassen wurden „Teilnehmer aus den werktätigen Schichten, die von einer der demokratischen Parteien, den Gewerkschaften, Jugend- und Frauenausschüssen vorgeschlagen werden.“38 Dagegen „nicht zugelassen waren [vorerst] ehemalige Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, HJ-Führer und Offiziere“39. Die Kurse begannen am 1. März 1946 und endeten am 30. September desselben Jahres mit den Prüfungen. Im Land Sachsen waren Vorbereitungskurse zum Hochschulstudium in Chemnitz, Dresden, Görlitz, Leipzig und Plauen eingerichtet worden.40 Damit waren künftig jungen Menschen berufliche Perspekti35 UA der TUD, Rektorat I, Nr. 2, Bl. 18 d. 36 Vgl. Grundforderungen einer demokratischen Schulreform, vgl. Magister und Scholaren, Professoren und Studenten. Geschichte deutscher Universitäten und Hochschulen im Überblick, Urania-Verlag, Leipzig / Jena / Berlin, 1981, S. 200 f. 37 Gesetze / Befehle / Verordnungen / Bekanntmachungen. Veröffentlicht durch die Landesverwaltung Sachsen, Dresden, den 26. Februar 1946, S. 3 ff. 38 Ebenda. 39 Ebenda. 40 Ebenda.

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ven eröffnet worden, die für vorangegangene Generationen undenkbar gewesen waren. Mit feierlicher Umrahmung durch den Kreuzchor erfolgte am 22. März 1946 die Eröffnung des ersten „Kursus für Werktätige zur Vorbereitung auf das Hochschulstudium“ im Festsaal der Berufsschule Dresden-Neustadt auf der Melanchthonstraße. Im selben Monat nahm der „Landesausschuss zur Förderung des Arbeiterstudiums“ unter Trägerschaft des FDGB und Beteiligung aller Parteien und Massenorganisationen seine Tätigkeit auf. Im August 1946, wenige Wochen vor der Wiedereröffnung der TH Dresden, veröffentlichte der Landesausschuss den Aufruf „Arbeiterkinder an die Universität“. In diesem Aufruf war gleichzeitig die Forderung zur Bildung eines Stipendienfonds gestellt worden, um den Lebensunterhalt der Studierenden zu sichern.41 Einige Monate später konnte der erste Vorbereitungskurs abgeschlossen werden. Die Absolventen hatten innerhalb eines halben Jahres die Hochschulreife im Schnellverfahren erworben und wurden mit einer Festveranstaltung geehrt, auf der der Vizepräsident der Landesverwaltung für Wirtschaft und Arbeit Fritz Selbmann die Festrede hielt. Rektor Enno Heidebroek begrüßte während seiner Ansprache die Absolventen des Vorbereitungslehrgangs als Studenten der Technischen Hochschule Dresden. Ein entscheidendes Ziel der Hochschulpolitik von KPD und SED war die bereits im Frühsommer 1945 deklarierte antifaschistisch-demokratische Umgestaltung, die auf einen Elitenwechsel abzielte. Gleichzeitig wurden aus taktischen und pragmatischen Gründen bürgerliche Hochschullehrer und Wissenschaftler hofiert, wenn sie der Politik von Besatzungsmacht und SED nicht gerade offen feindlich begegneten. Die Vorstudienanstalten und die aus ihnen hervorgegangenen Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten (ABF) sollten den Elitewechsel beschleunigen. In seiner Regierungserklärung vom 12. Oktober 1949 hatte Otto Grotewohl ausdrücklich darauf verwiesen, dass sich die Regierung besonders der „Förderung des Arbeiter- und Bauernstudiums“ und der „Erhaltung und Förderung der deutschen Wissenschaft und Kunst“ widmen werde.42 Am 1. Oktober 1949 nahm die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät (ABF) der TH Dresden ihre Tätigkeit auf. Innerhalb eines Zeitrahmens von drei Jahren wurden die so genannten Arbeiter-und-Bauern-Studenten zum Abitur geführt. Die Lehrprogramme waren anspruchsvoll und entsprachen weitgehend den Annforderungen der Gymnasien, die nun in Oberschulen umbenannt worden waren. Wenige Wochen nach Gründung der DDR fand am 29. Oktober 1949 unter Teilnahme des stellvertretenden Ministerpräsidenten Walter Ulbricht, anderen Funktionären und Vertretern der sowjetischen Kontrollkommission der Festakt zur Eröffnung 41 Vgl. Aufruf Landesausschuss zur Förderung des Arbeiterstudiums, in: Ebenda. 42 Antrittsrede des Präsidenten Wilhelm Pieck und Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl auf der gemeinsamen Tagung der Provisorischen Volks- und Länderkammer am 11. Oktober 1949, in: Dokumente der Deutschen Demokratischen Republik Heft 1, herausgegeben vom Amt für Information, Berlin, S. 43.

Die Studenten

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der ABF der TH Dresden statt.43 Die Entwicklung dieser Studienform entsprach auch traditionell demokratischen Forderungen. Andererseits wurde Kindern aus Kreisen des Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums der Zugang zum Hochschulstudium erschwert, mitunter verwehrt und opportunistisches Verhalten gegenüber dem neuen politischen System abverlangt. Die bevorzugte Aufnahme von Kindern aus bisher eher bildungsfernen Bevölkerungsschichten in die universitäre Ausbildung war für die SED ein bedeutender und nicht zu unterschätzender Faktor der Systemstabilisierung. Nach der Wiedereröffnung der TH Dresden waren 435 Studierende eingeschrieben. Im Jahre 1949 zählte die Hochschulstatistik bereits 2180 Studenten. Damit war zwar noch nicht die Zahl der Studierenden am Ende der Weimarer Republik erreicht, aber die Immatrikulationszahlen von 1936 wurden weit überschritten. Während 1946 rund ein Viertel der Studenten nach ihrer sozialen Herkunft zu den Arbeitern und Bauern gezählt wurden, waren es im Jahre 1950 rund 50 Prozent. Der Frauenanteil unter den Kommilitonen hatte mit rund 15 Prozent im Jahre 1947 einen vorläufigen Höchstwert erreicht, der aber bereits 1948 wieder sank und in den 1950er Jahren dann bei etwa 7 Prozent lag.44 Auch mit der Wiederherstellung der im Krieg zerstörten und beschädigten Gebäude ging es zügig voran. Mit viel Enthusiasmus wurden Institutsgebäude und Wohnheime errichtet. Mehrere renommierte Professoren aus der Zeit vor 1945 wie Heinrich Barkhausen, Kurt Beyer und Ludwig Binder lehrten weiter an der Hochschule. Nachdem die Hochschulen in Dresden ihre Tätigkeit wieder aufgenommen hatten, sammelten sich die christlichen Studenten in der evangelischen und in der katholischen Studentengemeinde. Der 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Lehramt der TH Dresden entlassene Studentenseelsorger Dr. Ludwig Baum, dem zudem die weitere Studentenseelsorge verboten wurde, war im Januar 1946 wieder an die Hochschule berufen worden. Nach etwas über zwei Monaten erfolgte bereits im März desselben Jahres der Widerruf der „Wiederberufung“. Damit war von der Landesverwaltung ein deutliches Zeichen gesetzt worden. Im selben Jahr übernahm Ludwig Baum die Leitung der katholischen Studentengemeinde und war ab 1954 bis zu seinem Ruhestand 1966 hauptamtlicher Studentenpfarrer in Dresden.45 Die Gemeinden boten Freiräume von politischer Bevormundung und ermöglichten einen weitgehend freien Informationsaustausch ohne staatliche Kontrolle. 43 Vgl. UA der TUD, Arbeiter-und Bauern-Fakultät / Direktion, Nr. 1, Bl. 16. 44 Vgl. Technische Hochschule Dresden 1945-1960, herausgegeben von der Abt. Planung und Statistik der Technischen Hochschule Dresden im September 1961, Dresden 1961, S. 17, 20. 45 Vgl. Lust am Leben. Die katholische Studentengemeinde Dresden, herausgegeben von Eberhard Prause und Joachim Klose, Leipzig, 2000, S. 34 ff. Adolf Finger / Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Die Vorträge des Dr. Ludwig Baum. Der moderne Mensch zwischen humanistischer Bildung und religiöser Verantwortung, Göttingen, 2009, S. 269.

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So hatte sich die evangelische Studentengemeinde Dresden nach Jahren des Verbots in der Zeit des Nationalsozialismus Anfang 1946 wieder zusammengefunden. Seit Ende 1947 trafen sich ihre 120 Mitglieder regelmäßig im Studentenhaus auf der Mommsenstraße. Nur wenige Monate später wurde der Studentengemeinde der weitere Zutritt zum Studentenhaus untersagt, sie musste sich fortan in den kirchlichen Raum zurückziehen.46 Die wachsende Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen und politischen Situation in der SBZ, die 1948 infolge der erfolgreichen Währungsreform in den Westzonen und Westberlin noch angeheizt wurde, schlug sich auch an der TH Dresden in einer zunehmend kritischen Haltung gegenüber den neuen politischen Institutionen und der sowjetischen Besatzungsmacht nieder. Ein wesentlicher Ansatzpunkt für den Unmut war die Blockpolitik, die vorrangig der Durchsetzung der politischen Vormachtstellung der SED diente. Demokratisch legitimierte Organisationen an der Hochschule, wie der Studentenrat, wurden systematisch ins Abseits gedrängt.47 Diese Entwicklung verlief durchaus ambivalent. An der Hochschule trafen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Trotz tief greifender personalpolitischer Einschnitte durch die Abwanderung nach Westdeutschland und die Entnazifizierungsverfahren waren die Hochschulen in der SBZ immer noch bürgerlich geprägt. Gleichzeitig nahm der Einfluss der SED insbesondere unter den Studenten aber auch in Verwaltung und Lehrkörper zu. Neben der Betriebsgruppe der SED, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Rektorats untergebracht war, arbeiteten bis 1953 Betriebsgruppen der Liberal Demokratischen Partei (LDP), der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Nationaldemokratischen Partei (NDPD). Während der Hochschulgruppe der SED im Wintersemester 1949 / 1950 knapp eintausend Mitglieder angehörten, waren in den jeweiligen Hochschulgruppen der LDP etwa 270 und der CDU cirka 100 Mitglieder organisiert.48 Weiterhin waren der Friedensrat, die Hochschulgemeinschaft „Wissenschaft“, der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, die FDJ, die Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) und die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) an der Hochschule präsent. Besondere Bedeutung erlangte aufgrund ihrer sozialpolitischen Aufgabenstellung die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) für die Integration gerade der bürgerlich geprägten Wissenschaftler. An deren Spitze stand Anfang der 1950er Jahre Walter Ortleb, Professor mit Lehrstuhl an der Fakultät für Bauwesen der TH

46 Vgl. 50 Jahre Evangelische Studentengemeinde Dresden. Chronik, herausgegeben von der Evangelischen Studentengemeinde Dresden, Dresden, 1999, S. 6. 47 Vgl. Ulrike Friedewald, Die studentische Vertretung an der Technischen Hochschule Dresden in den Jahren 1946–1952. Wissenschaftliche Hausarbeit zum Erlangen des Magistergrades (M. A.), Dresden, 2002, S. 60–89. 48 Vgl. Ebenda, S. 21 f.

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Dresden und Mitglied der LDP.49 Maßgeblichen Einfluss auf die Gewerkschaftsarbeit übte die SED aus. So war in der Sitzung der Hochschulparteileitung am 20. Januar 1955 darauf hingewiesen worden, dass zu wenige SED-Mitglieder in den Gewerkschaftsleitungen vertreten wären. Künftig sollte der Anteil der Parteimitglieder in den Führungsgremien der Gewerkschaft mindestens 51 Prozent betragen.50 Seit Ende 1946 hatte eine Entwicklung eingesetzt, die auf eine Rehabilitierung und Wiedereinstellung auch der Hochschulangehörigen abzielte, die der. NSDAP angehört und nicht zu denjenigen gehört hatten, die als besonders aktive NSDAP-Mitglieder hervorgetreten waren. Mit der endgültigen Einstellung der Tätigkeit der Entnazifizierungskommissionen nach einem Befehl der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 26. Februar 1948 konnten auch ehemalige NSDAP-Mitglieder wieder an den Hochschulen in Wissenschaft und Verwaltung tätig werden. Unter diesen neuen Voraussetzungen waren Anfang der 1950er Jahre ehemalige Mitglieder der NSDAP auch an den Universitäten und Hochschulen der DDR wieder zu einem hohen Prozentsatz aktiv. Im Jahre 1950 waren rund 20 Prozent der aktiven sächsischen Hochschullehrer ehemalige Mitglieder der NSDAP.51 Eine gewisse Unsicherheit und Resignation zeigte sich auch bei einem Vertreter des Sächsischen Ministeriums für Volksbildung, der Mitte 1949 vermerkte, dass seine Aufgabe nicht darin bestehen könne, die bei der TH Dresden durchgeführten Maßnahmen der Entnazifizierung wieder rückgängig zu machen. Die verstärkte Rückberufung von entlassenen Professoren und Angestellten war nicht mehr aufzuhalten.52 Besatzungsmacht und SED-Führung behandelten nun die Personalfragen außerordentlich pragmatisch. Im Mittelpunkt standen fachliche Kompetenzen und ein Mindestmaß an Bereitschaft, die neuen politischen Verhältnisse zu akzeptieren.

1.3.  Politische Urteile gegen Studenten von 1947 bis 1948 Die sowjetische Besatzungsmacht nutzte ihren Repressivapparat auch im Kampf gegen Deutsche, die sich der politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung in ihrer Besatzungszone offen, verdeckt oder nur scheinbar widersetzten und politi49 Während in den gedruckt vorliegenden Personal- und Vorlesungsverzeichnissen von 1953 / 54 die bürgerlichen Blockparteien noch aufgeführt sind, werden sie in späteren Ausgaben nicht mehr aufgeführt. 50 Vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, Nr. IV / 4.15.025 und IV / 4.15068. 51 Vgl. Michael Parak, Zwischen politischer Säuberung und akademischer Fluktuation: Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1945–1952, in: Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952, herausgegeben von Rainer Behring und Mike Schmeitzner, Köln / Wien, 2004, S. 320 f. 52 Vgl. Beate Gläser, Entnazifizierung an der Technischen Hochschule Dresden, Wissenschaftliche Arbeit im Fach Geschichte (Lehramt für Gymnasien), Kamenz, 2000, S. 64.

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schen Pluralismus einforderten. Auch innerhalb der SED war es nach ihrer Gründung zu scharfen Kontroversen über den künftigen Kurs der Partei gekommen. Mit Unterstützung der SMAD setzten kommunistische Funktionäre ihren Führungsanspruch durch. Viele Sozialdemokarten stellten sich dieser Entwicklung entgegen. Zu ihnen gehörte Arno Wend, einer der führenden SED-Politiker und zeitweise deren Landessekretär von Sachsen.53 Arno Wend war trotz anfänglicher politischer Zugeständnisse nicht bereit gewesen, den totalitären Anspruch der KPD-Funktionäre und Vertrauten der Besatzungsmacht zu unterstützen und hatte sich deshalb öffentlich und offensiv mit ihnen auseinandergesetzt. Dabei hatte er 1947 Verbindungen zum Ostbüro der SPD aufgenommen.54 Anfang Juli 1948 war er von der deutschen Polizei verhaftet und anschließend vom Sowjetischen Militärtribunal (SMT) am Dresdner Münchner Platz zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden.55 Erst 1955 nach schweren Jahren Haft und Zwangsarbeit im sibirischen Workuta kam er frei. Auch Hochschullehrer und Studierende wurden ohne Bezug zur Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechen aus rein politischen oder scheinpolitischen Gründen von sowjetischen Militärtribunalen abgeurteilt. So war der Theologe und designierte Rektor der Universität Greifswald Ernst Lohmeyer am 15. Februar 1946, dem Abend vor seiner offiziellen Amtseinführung, vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und im September des selben Jahres nach dem Urteil des Militärtribunals erschossen worden. Im Gegensatz zur Besatzungsmacht und Funktionären der KPD wollte Ernst Lohmeyer, der an der kampflosen Übergabe von Greifswald an die Sowjettruppen beteiligt war, die nominellen NSDAP-Mitglieder der Universität weiter beschäftigen.56 Gerade von den Studenten als Angehörige der künftigen Elite wurde Loyalität gegenüber der Besatzungsmacht und der mit ihr verbundenen Führungsschicht in KPD und SED abverlangt. Politischer Widerstand unter Schülern und Studenten wurde von der Besatzungsmacht unter Einsatz ihres Repressivapparates gebrochen. Neben den Prozessen gegen Nazi- und Kriegsverbrecher wurden bis 1947 vor den Militärtribunalen viele Verfahren gegen junge Leute geführt, in denen man so genannte Wehrwölfe vermutete. Jugendliche galten irrtümlich nicht zuletzt aus den Erfahrungen des eigenen Partisanenkampfes als besonderes Gefährdungspotential für die Besatzungsmacht.57 Die Prozessführung war auch nach damaligem 53 Vgl. Mike Schmeitzner, Doppelt verfolgt. Das widerständige Leben des Arno Wend, Berlin, 2009, S. 127. 54 Vgl. ebenda, S. 158 ff. 55 Vgl. ebenda, S. 181. 56 Vgl. Klaus Schroeder (unter Mitarbeit von Steffen Ahlisch), Der SED-Staat. Geschichte und Strukturen der DDR, herausgegeben von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung, München, 1993, S. 68. 57 Vgl. Sowjetische Militärtribunale, Band 2. Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945– 1955, herausgegeben von Andreas Hilger, Mike Schmeitzner und Ute Schmidt (Schriften

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Besatzungsrecht zumeist rechtswidrig und brutal, Geständnisse wurden erpresst. Etwa drei Jahre nach Kriegsende hatten die Militärtribunale einen wesentlichen Bedeutungswandel vollzogen, indem sich die Tätigkeitsfelder zunehmend auf die politische und gesellschaftliche Umgestaltung der SBZ / DDR verlagerten.58 So wurden Oberschüler und Studenten, die sich auch aufgrund ihrer Erfahrungen mit 13 Jahren NS-Diktatur politischer und weltanschaulicher Bevormundung widersetzten, von Militärtribunalen zu langjährigen Haftstrafen und in mehreren Fällen zum Tode verurteilt. Die Verhaftung der Leipziger Gruppe um Werner Ihmels im September 1947 hatte die engen Grenzen für die demokratische Mitwirkung der Studenten aufgezeigt. Am 2. Dezember 1947 war der Theologiestudent und Beauftragte für Gespräche zwischen der Sächsischen Landeskirche und der FDJ vom SMT am Münchner Platz in Dresden zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt worden. Ende Juni 1949 verstarb er im Zuchthaus Bautzen, das der Besatzungsmacht als „Speziallager“ diente.59 Bei den Wahlen zu den Studentenräten im ersten Halbjahr 1947 und im Dezember 1947 blieb die SED sowohl an der Universität Leipzig als auch an der TH Dresden in der Minderheit. So hatte die LDP im Dezember 1947 genauso viele Sitze im Rat wie die SED, die mit etwas über 33 Prozent in der klaren Minderheit gegenüber den Mitgliedern der LDP und CDU sowie den parteilosen Mandatsträgern war.60 Dieses Ergebnis wurde trotz einer gesteuerten Sozialauswahl erzielt und war ein deutliches Zeichen für die relative Schwäche der SED an den Hochschulen. Die Besatzungsmacht reagierte mit einer Verhaftungswelle, als sich im Mai 1948 an der Universität Halle die politische Situation vor Studenten- und Fakultätsratswahlen zuspitzte. Die SED und die FDJ auf der einen und die bürgerlichen Studenten auf der anderen Seite hatten im Vorfeld der Verhaftungen offene und scharfe politische Kontroversen ausgefochten, die auch in der Presse ihren Niederschlag fanden. So hatten die beiden Delegierten des Studentenrates zum Ersten Deutschen Volkskongress in Berlin, der vom 7. bis 8. Dezember 1947 tagte, diesen demonstrativ verlassen. Sie sahen im Volkskongress ein Mittel zur Durchsetzung der Einparteienpolitik. Deshalb weigerte sich der Studentenrat, den Beschluss des Volkskongresses zur Gründung eines „Komitees für Einheit und einen gedes Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Band 17 / 2, herausgegeben von Gerhard Besier), Böhlau Verlag Köln / Weimar / Wien, 2003, S. 570. 58 Vgl. ebenda. 59 Vgl. Studentischer Widerstand an der Universität Leipzig 1945–1955. Erarbeitung der Ausstellung und der Texte von Gerald Wiemers und Jens Blecher, herausgegeben von der Universität Leipzig, Leipzig, 1997, S. 72 ff. 60 Vgl. Mike Schmeitzner, Im Schatten der FDJ. Die „Junge Union“ in Sachsen 1945–1950. Mit einem autobiographischen Essay von Wolfgang Marcus, V&R unipress Göttingen, 2004, S. 94 f.

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rechten Frieden“ an der Universität umzusetzen. Im Zusammenwirken von Organen des sowjetischen Innenministeriums MWD und der deutschen politischen Polizei „K5“ wurden noch im Mai 1948 acht Studenten abgeholt, inhaftiert und von einem sowjetischen Militärtribunal wegen angeblicher Spionage zu 25 Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt. Erst zwischen 1954 und 1956 kamen sie nach Jahren im Gulag oder DDR-Zuchthäusern wieder frei.61 In der zweiten Hälfte des Jahres 1948 hatten nach heftigen Auseinandersetzungen die Studentenräte schrittweise ihre Unabhängigkeit verloren. Aus Protest zogen sich die bürgerlichen Stundeten aus diesen Gremien zurück. Auseinandersetzungen um den Einfluss der FDJ auf studentische Belange führten auch im Studentenrat der TH Dresden zur politischen Polarisation, die allerdings nicht die Schärfe wie an den Universitäten in Leipzig oder Halle erreichte. In der Nacht vom 11. zum 12. November 1948 war eine Gruppe von etwa zwanzig Leipziger Studenten festgenommen worden, unter ihnen der angesehene Vorsitzende des Studentenrates Wolfgang Natonek und Walter Nienhagen, die später von der Besatzungsmacht verurteilt wurden und erst 1956 nach harten Haftjahren in Bautzen und Torgau freikamen. Mit diesem weiteren Exempel waren nicht nur den Studenten und Hochschullehrern der Leipziger Universität von der Besatzungsmacht klare Grenzen für ihr politisches Handeln aufgezeigt worden.62 Solche repressiven Maßnahmen flankierten die hochschulpolitischen Direktiven der SED-Führung. So verlor auch der gewählte Studentenrat der TH Dresden im Laufe des Jahres 1949 – wie die Studentenräte an anderen Universitäten und Hochschulen der DDR – seine Position als Interessenvertreter der Studierenden. Diese Entwicklung widerstrebte vielen Studenten und Studentinnen genauso wie das veränderte Wahlrecht mit Einheitslisten, die erzwungene Uniformität der Gesellschaft und die eingeschränkte Presse- und Redefreiheit. Ihnen drängten sich nun gewisse Ähnlichkeiten zum NS-Regime auf, die sie auch in der Beseitigung einer unabhängigen Studentenschaft sahen. Sie suchten nach Alternativen und nutzten insbesondere den freien Informationsaustausch mit Studenten in Westberlin. Der Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) mit seinem Gesamtdeutschen Referat entwickelte sich dabei zu einer bekannten Kontaktstelle. Zu deren Aufgaben gehörte die Betreuung der aus der Ostzone 61 Vgl. Daniel Bohse, Vom „akademischen Workuta“ zur Kaderschmiede. Die Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg zwischen Neuaufbau und Gleichschaltung (1945–1950), in: Studentischer Widerstand an den mitteldeutschen Universitäten 1945 bis 1955. Von der Universität in den Gulag. Studentenschicksale in sowjetischen Straflagern 1945 bis 1955, Leipzig, 2005, S. 58–102, hier S. 73 ff. 62 Vgl. Kurt J. Reinschke, Bolschewisierung der ostdeutschen Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg, dargestellt am Beispiel der Universität Leipzig und der TH Dresden, in: Die deutsche Universität im 20. Jahrhundert. Die Entwicklung einer Institution zwischen Tradition, Autonomie, historischen und sozialen Rahmenbedingungen, herausgegeben von Karl Strobel, Vierow bei Greifswald, S. 138 f.

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und später der DDR geflohenen Studenten und die namentliche Erfassung der aus politischen Gründen verhafteten und verurteilten Studierenden. Dabei fanden auch junge Menschen Aufnahme, die sich für ein Studium beworben hatten, aber regulär noch nicht von den Hochschulen immatrikuliert waren. So wurden für die Jahre von 1947 bis 1948 in der VDS-Dokumentation auch drei vom SMT in Dresden verurteilte junge Leute als Studierende namentlich erfasst. Sie sind aber als solche nicht in den Studentenverzeichnissen der TH Dresden registriert worden.63 Die Verifizierung mit anderen Überlieferungen ergab, dass es sich um Studienbewerber handelte.64 Am 23. Juli 1947 wurde der Studienbewerber Dietmar Werner, 1924 in Dresden geboren, verhaftet und in das unter sowjetischem Kommando stehende Speziallager in Sachsenhausen gebracht. Nach über zwei Jahren Haft und Ungewissheit verurteilte ihn ein in Moskau tagendes Ferntribunal wegen angeblicher Spionage zu zehn Jahren Zwangsarbeitslager. Erst am 20. Oktober 1955 öffneten sich für ihn die Tore des Lagers im sibirischen Taischet.65 Nach der Entlassung kehrte er kurz nach Dresden zurück, um sich wenig später in Berlin-Charlottenburg niederzulassen. Die Studentin Ruth Grizapka, 1924 in Dresden geboren, stand Anfang 1948 vor dem SMT am Münchner Platz, das sie zu 25 Jahren Zwangsarbeitslager verurteilte. Im November 1949 wurde sie in das Lager Taischet deportiert.66 Wie Dietmar Werner wurde Ruth Grizapka am 20. Oktober 1955 aus dem sowjetischen Lager entlassen.67 Der 1927 geborene kaufmännische Angestellte und politisch in der Dresdner LDP arbeitende Wolfgang Espig hatte sich für ein Studium der Pädagogik an der TH Dresden beworben, als er am 12. Juli 1948 verhaftet wurde.68 Er gehörte zu einer Gruppe von 20 festgenommenen LDP-Mitgliedern um Dietrich Hübner, der als hauptamtlicher Organisationsreferent beim Bezirksverband Dresden der LDP angestellt war. Das SMT in Dresden führte gegen die Verhafteten zwei Pro63 Eingeschriebene Studenten können auf Grundlage der im TU-Archiv vorliegenden Studierendenverzeichnisse eindeutig identifiziert werden. Dagegen liegen über Studienbewerber keine Nachweise vor. Die meisten der vom VDS in Bezug auf die TH Dresden dokumentierten Fälle von repressierten Studenten konnte auf Grundlage der im Universitätsarchiv vorliegenden Unterlagen bestätigt und konkretisiert werden. Darüber hinaus wurden weitere Fälle nachgewiesen. 64 Vgl. BArchiv,Zentrale Gefangenenkartei des MdI und Kartei der SMT- und WaldheimVerurteilten. Dokumentationsstelle Stiftung Sächs. Gedenkstätten, Datenbank, DS 5205/50, Espig Wolfgang, ebenda, DS 21347, Dietmar Werner, Ruth Grizapka.. 65 Vgl. Namen und Schicksale der von 1945 bis 1962 in der SBZ / DDR verhafteten und verschleppten Professoren und Studenten, a. a. O., S. 82 66 Vgl. Mitteilung DRK-Suchdienst vom 7. Juni 2010 zu Ruth Grizapka. 67 Vgl. Namen und Schicksale, a. a. O., S. 79. 68 Vgl. Dokumentationsstelle Stiftung Sächs. Gedenkstätten, Datenbank, a. a. O., Wolfgang Espig.

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zesse. Am 9. März 1950 fand nach langer und aufreibender Untersuchungshaft die Verhandlung gegen Dietrich Hübner und Wolfgang Espig statt. Ihnen wurde Spionage nach Artikel 58-6 des Strafgesetzbuches der RSFSR unterstellt.69 Dietrich Hübner wurde zu 25 Jahren und Wolfgang Espig wegen angeblicher „SpionageMitwisserschaft“ zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt.70 Die Urteile waren rein politisch motiviert. Der Spionagevorwurf war vorgeschoben. Sie hatten sich mit Studenten der Universität Leipzig und der TH Dresden, wie den 1951 verhafteten Karl-Heinz Münch, für die Unabhängigkeit der Studentenräte sowie für freie und unabhängige Wahlen eingesetzt und sich gegen den Führungsanspruch der SED ausgesprochen. Besatzungsmacht und SED-Führung sahen in der Politik und der Jugendarbeit der sächsischen LDP, wie auch der CDU, eine politische Konkurrenz, die es auszuschalten galt. Im Ausschuss Jugend- und Nachwuchsfragen des Parteivorstandes der LDP, dem Dietrich Hübner angehörte, war es mit Manfred Gerlach zu harten Auseinandersetzungen über den künftigen politischen Kurs gekommen. Während er sich dem stalinistischen Kurs anpasste und mit der SMAD zusammenarbeitete, wurden seine Leipziger und Dresdner Opponenten vom Militärtribunal verurteilt. Damit waren die Machtverhältnisse den sächsischen Hochschulangehörigen erneut deutlich vor Augen geführt worden. Widerspruch in politischen Fragen galt fortan als gefährlich. Am 17. Januar 1954 endete für Wolfgang Espig die Haft im Zuchthaus „Roter Ochse“ in Halle.71 Noch im selben Jahr nahm er sich infolge der langen Haft das Leben. Die Haftzeit von Dietrich Hübner währte noch über einen Zeitraum von weiteren zehn Jahren. Am 8. August 1963 wandte sich das Gesamtdeutsche Referat des VDS an die deutsche Sektion von Amnesty International und ersuchte die Menschenrechtsorganisation um Unterstützung für seine Freilassung.72 Erst nach 16 Jahren Haft wurde Dietrich Hübner am 14. August 1964 aus dem Zuchthaus Brandenburg-Görden entlassen und 1994 von der Obersten Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitiert.73 Nach der Entlassung in die Bundesrepublik absolvierte er ein Studium der Volkswirtschaftslehre, wofür er bereits 69 Vgl. Dokumentationsstelle Stiftung Sächs. Gedenkstätten, Datenbank, DS 8165, Dietrich Hübner. Vgl auch Mike Schmeitzner. Mit einem autobiographischen Essay von Wolfgang Marcus, Im Schatten der FDJ – Die „Junge Union“ in Sachsen 1945–1950, V&R unipress Göttingen, S. 165. 70 Vgl. BArchiv, Kartei der SMT-Verurteilten (Dietrich Hübner und Wolfgang Espig). 71 Vgl. Dokumentationsstelle Stiftung Sächs. Gedenkstätten, Datenbank, DS 3643, Wolfgang Espig. 72 Schreiben des VDS an Amnesty International vom 8. August 1963 (Im Besitz von Dietrich Hübner). 73 Dokumentationsstelle Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Datenbank, DS 8165, Hübner, Dietrich.

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1948, kurz nach seiner Festnahme, die Zulassung von der Humboldt-Universität zu Berlin erhalten hatte.

1.4.  Entlassung von Professor Rudolf Schottlaender (1949) Die Auseinandersetzungen um die Entlassung eines streitbaren Philosophen aus dem sächsischen Hochschuldienst demonstriert augenscheinlich die Zuspitzung der politischen Auseinandersetzungen auch an der TH Dresden. Rudolf Schottlaender hatte als Jude unter schweren Bedingungen nur deshalb die Zeit des Nationalsozialismus überlebt, weil seine „arische“ Ehefrau zu ihm gehalten und er dem Terror der Nationalsozialisten mit fast stoischem Gleichmut getrotzt hatte. Seine Vorgeschichte prädestinierte ihn dafür, am 1. Juli 1947 auf den wieder eingerichteten Lehrstuhl für Philosophie berufen zu werden. Gleichzeitig wurde er Mitdirektor des Instituts für Psychologie und Philosophie. Er stand neben Victor Klemperer und Gustav Kafka74, dessen Nachfolge er angetreten hatte, für einen Neuanfang der Geisteswissenschaften an der TH Dresden. Rudolf Schottlaender war Zeit seines Lebens ein Wissenschaftler, der unabhängig und nicht auf persönlichen Vorteil bedacht seine Auffassungen offen vertrat. Nach dem Besuch des humanistischen Mommsen-Gymnasiums in Berlin hatte er in Berlin, Heidelberg, Marburg und in Freiburg im Breisgau Philosophie und Klassische Philologie studiert. Zu seinen akademischen Lehrern gehörte unter anderem Karl Jaspers. Seine Studien schloss Rudolf Schottlaender mit einer Promotion bei dem renommierten Heidelberger Philosophieprofessor Ernst Hoffmann ab. Mit ihm stand Schottlaender auch in Dresden weiter in Verbindung. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass Rudolf Schottlaender in Konfrontation mit der pro kommunistischen und einseitig auf die Sowjetunion orientierten Politik geriet. Die von der SED in Verbindung mit der sowjetischen Besatzungsmacht vorangetriebene Volkskongressbewegung führte auch an der Hochschule zu politischer Polarisation, die aber nicht offen ausgetragen werden konnte. Viele bürgerliche Hochschullehrer und Studenten, die nicht bereit waren, die vorgegebenen politischen Dogmen hinzunehmen, gingen in die Westzonen oder versuchten sich in graduell unterschiedlicher Weise anzupassen. Oft hielten sich Ablehnung und Zustimmung die Waage. Die Auseinandersetzungen um die 74 Der 1883 in Wien geborene Psychologe, Pädagoge und Philosoph Gustav Kafka stellte während der NS-Zeit die Lehrtätigkeit an der TH Dresden ein. Er war Repressalien der Nationalsozialisten ausgesetzt. Nach mehr als einem Jahrzehnt zurückgezogenen Lebens in Dresden wurde er nach Wiedereröffnung der TH Dresden ihr Ordinarius für Philosophie. Er folgte aber bereits 1947 einem Ruf der Universität Würzburg. Vgl. UA der TUD, Personal, Nr. 430.

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vorher festgelegten und politisch einseitigen Losungen anlässlich der Demonstration zum 1. Mai 1949 führten unter den Hochschulangehörigen zu heftigen und kontroversen Diskussionen. Die Hochschule wurde zunehmend in die Tagespolitik hineingezogen, als der Mai-Ausschuss der TH Dresden die Hochschulangehörigen nachdrücklich zur gemeinsamen Demonstration aufrief. Rudolf Schottlaender beschränkte sich im Gegensatz zu mehreren anderen Hochschullehrern nicht darauf, dem Aufmarsch fernzubleiben, sondern teilte dem Mai-Ausschuss in einem Brief mit, dass er mit dem Aufruf der Parteien nicht einverstanden sei. Für ihn war der Aufruf einseitig gegen die Westmächte gerichtet. Deshalb sei er der Demonstration ferngeblieben. Der Brief Schottlaenders war durch einen Vertreter im Mai-Ausschuss der Redaktion der Sächsischen Zeitung zugespielt worden. Daraufhin wurde gegen Schottlaender eine regelrechte Kampagne initiiert. Herausgeber und Redaktion der Sächsischen Zeitung nutzten diese Gelegenheit, um ein Exempel an einem politisch nicht angepassten Professor zu statuieren. So erschienen in den folgenden Tagen mehrere Beiträge, die Schottlaender als einen Professor darstellten, der der amerikanischen Propaganda erlegen sei.75 Es wurde unterstellt, dass die Werktätigen die Ansicht verträten, Menschen wie Schottlaender seien ein Hindernis für die fortschrittliche Entwicklung. „Daher sprächen sie ihnen das Recht ab, weiter als Lehrkräfte an unseren Hochschulen zu wirken“.76 Noch während der Pressekampagne veranlasste der sächsische Volksbildungsminister Helmut Holtzhauer die Kündigung des in Ungnade gefallenen Hochschullehrers zum 31. Juli 1949.77 Dieser parteipolitisch motivierte Affront des Ministers gegen Rudolf Schottlaender sorgte für erhebliche Unsicherheit und Missstimmung unter Angehörigen der Hochschule, zumal Schottlaender nicht die Gelegenheit einer Rechtfertigung gegeben worden war. Den Hochschulangehörigen wurde durch die Pressekampagne und die Entlassung durch den Minister signalisiert, dass Auffassungen, die von der offiziellen politischen Linie abwichen, nicht toleriert würden. Dieser Situation war sich auch die Mehrheit der Dresdner Professoren bewusst. Wie in der Zeit des Nationalsozialismus wurde taktiert. Der angesehene Mathematiker Friedrich Adolf Willers berichtete am 15. Juli 1949 als Dekan dem Rektor und Psychologieprofessor Werner Straub über die wenige Tage vorher stattgefundene Sitzung der Fakultät. Dabei war festgelegt worden, „die zuständigen Stellen zu bitten, Herrn Prof. Dr. Schottlaender die Rücksichtslosigkeit seines Handelns gegenüber der Hochschule klarzumachen und ihn zu belehren, daß er als Professor

75 Vgl. Historische Gerechtigkeit? – Anglo-amerikanische Propaganda! Professor Schottlaender steht nicht „abseits“ und nicht „darüber“, in: Sächsische Zeitung Nr. 121 vom 25. Mai 1949. 76 Vgl. Solche Menschen sind ein Hindernis, in: Sächsische Zeitung Nr. 134 vom 11. Juni 1949. 77 Vgl. Kündigungsschreiben vom 1. Juni 1949, in: UA der TUD, Personalakte Nr. 953.

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der Technischen Hochschule nicht nur für seine Person sprechen kann […].“78 Andererseits brachte die Stellungnahme der Fakultät auch ihr Missfallen darüber zum Ausdruck, dass keine Untersuchung des Falls vorgenommen wurde und „in einem demokratischen Staate keine Verurteilung ohne Verfahren erfolgen [dürfe] und eine Meinungsäußerung nicht ohne weiteres ein Entlassungsgrund sein [könne].“79 Als Dekan forderte Willers den Rektor auf, „den Fall Schottlaender in der nächsten Senatssitzung zu besprechen“.80 Der Senat betrachtete die Angelegenheit genauso und veranlasste den Rektor zu einer Intervention beim sächsischen Ministerpräsidenten Max Seydewitz. Rektor und Senat verwiesen im Schreiben an den Ministerpräsidenten vom 29. Juli 1949 einleitend darauf, dass sie von der Kündigung erst durch einen Aushang von Rudolf Schottlender selbst erfahren hätten. In vier Punkten brachten sie ihre Auffassung zum Ausdruck, wobei sie ausdrücklich nicht Schottlaender im sachlichen Bezug unterstützten, aber couragiert die diktatorische Form der Behandlung des Falls und die Kündigung monierten. Sie erhoben Einspruch gegen das angewandte Verfahren der Kündigung, in dem sie „eine Nichtachtung und beschämende Minderbewertung der Hochschullehrerschaft“ sahen, die im Gegensatz zu der bei ihrer Berufung „durchgeführten sorgfältigen Prüfung auf wissenschaftliche Eignung und menschliche Haltung“ stünde.81 Weiterhin wurde auf Mängel in der vorläufigen Arbeitsordnung der Hochschulen verwiesen, die ein förmliches Verfahren, wie die Einbeziehung der Gewerkschaft und die Möglichkeit der Anrufung des Arbeitsgerichts, nicht vorsah. So schlugen Rektor und Senat die Einrichtung einer Berufungsinstanz „in Gestalt des Gesamtkabinetts oder besser eines bei der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung zu errichtenden besonderen Organs“ vor.82 Das an den Ministerpräsidenten gerichtete Schreiben wurde mit der Begründung, dass dieser sich zurzeit im Urlaub befände, dem in der Sache kritisierten Volksbildungsminister Helmut Holtzhauer vorgelegt, der von seiner Auffassung nicht abwich und die Einwendungen der Hochschule ignorierte.83 Die Amtsenthebung von Rudolf Schottlaender hatte in der Studentenschaft zu einer heftigen Diskussion über die Wahrung der akademischen Freiheit geführt. So wurde der Rektor aufgefordert, eine „allgemeine Studentenversammlung

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Stellungnahme der Fakultät zum Fall Schottlaender, in: Ebenda. Ebenda. Ebenda. Schreiben des Rektors an den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen über den Minister für Volksbildung vom 29. Juni 1949. Stellungnahme von Rektor und Senat der TH Dresden zum Fall Prof. Schottlaender, in: UA der TUD, Nr. 953. 82 Ebenda. 83 Vgl. Schreiben des sächsischen Ministers für Volksbildung Holtzhauer an den Rektor der TH Dresden Straub vom 12. August 1949, in: Ebenda.

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mit dem Thema Akademische Freiheit durchzuführen“.84 Dazu sollten neben Rudolf Schottlaender alle Professoren und Assistenten sowie „darüber hinaus maßgebende Vertreter der demokratischen Parteien und Organisationen“ eingeladen werden.85 Selbst Mitglieder der SED unter den Professoren und Dozenten waren mit der Behandlung der Angelegenheit durch den Minister nicht einverstanden. Mitte Juli 1949 wandten sie sich an den Landesvorstand der SED und gaben ein Stimmungsbild: „Die Angelegenheit Schottlaender schwelt in der gesamten Technischen Hochschule weiter und wird von unserem Gegner benützt, um das Vertrauen zur SED zu untergraben.“86 Die SED-Betriebsgruppe sah sich deshalb gezwungen, im Blockausschuss für die Einberufung einer Studentenversammlung zu stimmen. Sie betrachteten die Form der Kündigung als schweren Fehler des Ministers und sahen sich als Angehörige der SED-Betriebsgruppe übergangen, da sie von Minister Holtzhauer nicht konsultiert worden waren.87 Die Entlassung von Rudolf Schottlaender war ein deutliches Indiz für die weitere Einschränkung der politischen Meinungsfreiheit an der Hochschule. An diesem Beispiel wurde allen Angehörigen der Hochschule der Charakter der neuen Macht augenscheinlich demonstriert. Gleichzeitig riefen solche Maßnahmen Widerspruch und Opposition hervor.

1.5.  Flugblätter gegen Wahl zum Volkskongress (1949) Ein hohes persönliches Risiko waren Studenten der TH Dresden und der ebenfalls in dieser Stadt beheimateten Hochschule für Werkkunst eingegangen, als sie am Vorabend der für den 15. und 16. Mai 1949 angesetzten Wahlen zum Dritten Deutschen Volkskongress88 Flugblätter verteilt hatten. Sie riefen darin zum Boykott der Scheinwahlen auf, denen vorher aufgestellte Einheitslisten zugrunde 84 Schreiben des Studentenrats der TH Dresden an den Rektor vom 11. Juni 1949, in: UA der TUD, Personalakte Rudolf Schottlaender, a. a. O. 85 Ebenda. 86 UA der TUD, Prorektor für Studienangelegenheiten, Nr. 26. 87 Vgl. Ebenda. 88 Für den 15. und 16. Mai 1949 waren in der SBZ und in Ost-Berlin Wahlen angesetzt worden. Sie wurden allerdings nach dem Prinzip der Einheitsliste des „Demokratischen Blocks“ durchgeführt, in dem Parteien und Massenorganisationen zusammengeschlossen waren. 25 Prozent der Listenplätze bekam die SED, jeweils 15 Prozent erhielten CDU und LDP und entsprechend weniger die anderen Parteien und Massenorganisationen. Die Wahl war mit einer Volksabstimmung über die deutsche Einheit verbunden. Wenn vorausgesetzt wird, dass die Auszählung der Stimmen korrekt war (woran ernsthafte Zweifel bestehen), dann stimmten 66,1 Prozent der 13,5 Millionen Wahlberechtigten für die Einheitsliste,

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lagen. Den Kandidaten der SED und ihren Verbündeten war dabei von vornherein die Mehrheit gesichert worden. Dieses Wahlverfahren konnte so nicht mit Wahlen unter den Bedingungen einer pluralistischen Demokratie gleichgesetzt werden. In der Bevölkerung wurde die von der Besatzungsmacht abgesegnete Wahlkampagne heftig und kontrovers diskutiert. Einige Dresdner Studenten wollten sich diesen Entwicklungen widersetzen. Zu ihnen gehörte Karl-Heinz Ossenkop, der seit Frühjahr 1948 an der Hochschule für Werkkunst89 Gebrauchgraphik studierte. Er war befreundet mit dem Architekturstudenten von der TH Dresden Karl Winde. Beide waren zudem verbunden durch weitgehend übereinstimmende politische Auffassungen, die sie in demokratischen Freiheiten verwirklicht sahen. Der 1926 in Dresden geborene Karl Winde war nach Auskunft seiner Studentenakte am 20. Juni 1949 „wegen Nichtbelegung gestrichen“ worden.90 Man sollte meinen, dass es sich um einen normalen, an einer Hochschule alltäglichen Vorgang handelt. Der noch nicht 23-jährige Sohn von Professor Theodor Artur Winde war zunächst an der Hochschule für Werkkunst Dresden eingeschrieben, wo auch sein Vater tätig war, den 1933 die Nationalsozialisten aus politischen Gründen aus dem Lehramt entfernt hatten.91 Karl Winde gehörte zu der dezimierten Generation junger Männer, die den Krieg knapp überlebt hatten. Nach dem Abitur musste er zum Reichsarbeitsdienst und danach zur Kriegsmarine, wo er zuletzt als Fähnrich zur See gedient hatte. Erst 1947 konnte er in Dresden die Hochschulreife nachholen. Der Lebensweg seines etwas älteren Freundes KarlHeinz Ossenkop war zunächst ähnlich verlaufen. Er hatte den Krieg als Pilot an der Westfront mit viel Glück überlebt und wollte sich wie sein Freund ohne politische Bevormundung dem Studium widmen. Dabei wurde er auch mit Werken moderner Künstler, wie Picasso, Pechstein, Nolde, Beckmann und Dix, vertraut. Er vgl. Wolfgang Benz, Vom „Deutschen Volkskongress“ zur DDR (http://www.bpb.de/7PZ 80K,0,0,Vom Dt. Volkskongress zur DDR, Zugriff am 14. Juni 2009). 89 Die Hochschule für Werkkunst wurde 1950 mit der Hochschule für Bildende Künste Dresden fusioniert. 90 UA der TUD, Studentenakte, Nr. 389. 91 Professor Theodor Artur Winde (1886–1965) war Hochschullehrer und Bildhauer. Nach dem Studium an der Kunstgewerbeschule, künstlerischer Tätigkeit im Privatatelier von Professor Karl Groß und Heeresdienst im Ersten Weltkrieg nahm T. A. Winde einen Ruf an die Kunstgewerbeakademie (später Hochschule für Werkkunst) an. 1925 avancierte er zum Professor und leitete die „Arbeitsgemeinschaft Winde“. In den folgenden Jahren entstanden herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der künstlerischen Holzbearbeitung. Er gehörte zu den führenden Mitgliedern des Deutschen Werkbundes und beteiligte sich an internationalen Ausstellungen, bereiste die Sowjetunion und gehörte der „Gesellschaft der Freunde des neuen Russland“ an. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er aus dem Staatsdienst entlassen, die Klasse „Winde“ als politisch „verseucht“ aufgelöst. Von 1946 bis 1949 war Winde Professor an der Hochschule für Werkkunst Dresden, vgl. Barbara Mundt, Theodor Artur Winde, herausgegeben von Claus und Karl Winde, Verlag Aurel Bongers Recklinghausen, 1992, S. 14 f., 135 f.

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sah aber gleichzeitig die politische Entwicklung in der SBZ kritisch und diskutierte mit seiner Kommilitonin Katja Selbmann, der Tochter des Ministers Fritz Selbmann, über politische Fragen, insbesondere über das Demokratieverständnis der SED. Jedenfalls konnte die Tochter des sächsischen Wirtschaftsministers den Kunststudenten Ossenkop nicht im Sinne der „Volksdemokratie“ überzeugen. So war es ihm vollkommen unverständlich, dass der Empfang von BBC London wie während der Zeit des Nationalsozialismus verboten war. Bereits als Pilot in einem Jagdfliegergeschwader an der Westfront hatte er mit einigen Kameraden BBC London gehört.92 Für Karl-Heinz Ossenkop waren dagegen offene Diskussionen bei den künftigen Schwiegereltern von Karl Winde möglich, wo der Student Ossenkop zur Untermiete wohnte. Karl-Heinz Ossenkop nutzte seit Anfang 1949 Reisen nach Westberlin und in die Westzonen, um in Verbindung zur Redaktion der von den Amerikanern herausgegeben „Neuen Zeitung“ zu treten. Geleitet wurde das in großer Auflage erscheinende Blatt von Kurt Ries, der aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt war.93 In der Redaktion ließ sich Karl-Heinz Ossenkop Flugblätter aushändigen, die sich mit der politischen Entwicklung in der SBZ auseinandersetzten. Hunderte vorgefertigte Flugblätter versah er mithilfe eines Druckstocks der Hochschule für Werkkunst mit der Aufforderung, am 15. Mai 1949 bei der Wahl zum 3. Volkskongress mit „Nein“ zu stimmen. Am Morgen des 14. Mai 1949 – einen Tag vor der Wahl – verteilten Karl-Heinz Ossenkop, Karl Winde und dessen Bekannter Horst Neubert, ein Taxifahrer, in der Dresdner Südvorstadt und am Körnerplatz die Flugblätter. Während Karl-Heinz Ossenkop in jenen Morgenstunden dafür sorgte, dass Hunderte Flugblätter insbesondere auf der Chemnitzer Straße lagen, deponierte Karl Winde Flugschriften an der Straßenbahnhaltestelle am Körnerplatz. Die Polizei reagierte nach dem Auffinden der ersten Flugblätter und riegelte mehrere Straßen ab. Zuerst wurde Horst Neubert festgenommen. Er hatte einen Packen Flugblätter in seiner Aktentasche verstaut und wollte diese in DresdenPlauen verteilen. Während einer Routinekontrolle wurde er von einem Volkspolizisten angehalten, da am Fahrrad die Beleuchtung nicht funktionierte. Dabei 92 Das war während der NS-Zeit bekanntlich mit einem erheblichen Risiko verbunden und hätte bei Aufdeckung mit einem Todesurteil enden können. 93 Neben der Lizenzpresse, die, von den Presseoffizieren betreut, als Übungsfeld deutscher demokratischer Publizistik betrachtet wurde, gaben die Alliierten auch eigene Blätter heraus. Die SMAD startete Mitte Mai 1945 in Berlin die „Tägliche Rundschau“, die Amerikaner publizierten seit Mitte Oktober „Die Neue Zeitung“, in der britischen Zone erschien in Hamburg ab Anfang April 1946 „Die Welt“ als „überparteiliche Zeitung für die gesamte britische Zone“ und auch im französischen Besatzungsgebiet gab es mit der zweisprachigen Zeitung „Nouvelle de France“ ein Organ der Militärregierung. Weit über die amerikanische Zone hinaus war „Die Neue Zeitung“ verbreitet. Die Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren war oft nicht ausreichend und schnell vergriffen.

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ließ der Streifenpolizist die Aktentasche öffnen und entdeckte die Flugblätter. Es folgte die sofortige Zuführung und Vernehmung auf der Schießgasse. Seine Freunde hatten natürlich nichts von der raschen Verhaftung erfahren. Die folgenden Maßnahmen waren Routine für die politische Polizei „K 5“. Wenig später waren auch Karl Winde und Karl-Heinz Ossenkop in Haft. Gleichfalls wurden Marga Goller, die Verlobte von Karl Winde, und deren Freundin Christa Oeser, festgenommen. Beide hatten keine Flugblätter verteilt. Die jungen Leute wurden nach Verhören dem sowjetischen Staatssicherheitsdienst MGB ausgeliefert. Im Untersuchungsgefängnis auf der Bautzner Straße fanden die Verhöre unter unwürdigen Bedingungen und Misshandlungen statt. Während Marga Goller nach etwa drei Wochen freikam,94 wurden Karl-Heinz Ossenkop, Karl Winde, Horst Neubert und Christa Oeser am 16. Juni 1949 vom sowjetischen Militärtribunal auf dem Münchner Platz in Dresden nach Artikel 58-10, Absatz 2 des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik zu 25 Jahren Arbeitsbesserungslager verurteilt.95 In dem Karl Winde betreffenden Urteilsauszug wurde die unverhältnismäßig hohe Strafzumessung ausschließlich mit der „Aufbewahrung und Verbreitung von antisowjetischen Flugblättern“ begründet.96 Die Verkündung des Urteils hatte der Militärrichter mit der Formulierung „in Ermangelung der Todesstrafe“ eingeleitet und damit den Psychoterror auf die jungen Leute noch erhöht, die ihrer Deportation nach Sibirien entgegensahen.97 In einer Art Gnadenakt wurden sie im Zusammenhang mit der Gründung der DDR nicht nach Sibirien verschleppt, sondern der Deutschen Volkspolizei zugeführt.98 Als Lehrer später renommierter Künstler, wie Charlotte Sommer-Landgraf schied Professor Winde nach der Verurteilung seines Sohnes noch 1949 aus dem Lehramt der Hochschule für Werkkunst aus, verließ im Oktober 1949 mit seiner Familie die gerade gegründete DDR und nahm einen Ruf der Werkkunstschule in Münster in Westfalen an.99 Nach vier Jahren Haft wurde Karl Winde am 18. Februar 1954 aus dem Zuchthaus Bautzen entlassen. Wenig später siedelte er in die Bundesrepublik über. 94 Marga Goller verlor daraufhin ihre Stelle als Neulehrerin. Sie ging nach Berlin, arbeitete als Trümmerfrau und nahm ein Studium an der Freien Universität Berlin auf. Nach der Haftentlassung heiratete Karl Winde seine Verlobte Marga Goller. 95 Auszug aus der Rehabilitationsbescheinigung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation Militäroberstaatsanwaltschaft (Ausgangsnummer 7425) für Karl Winde vom 10. März 1995. 96 Urteilsauszug von Karl Winde, den er nach der politischen Wende von der BStU erhielt (Original im Besitz von Karl Winde). 97 Vgl. Bericht von Karl-Heinz Ossenkop vom 13. Januar 2006. 98 Vgl. Registrierkarte der Haftanstalt Bautzen (aus der beim MfS geführten Akte zu Karl Winde). 99 Vgl. Barbara Mundt, Theodor Artur Winde, a. a. O., S. 136.

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Christa Oesers Haftzeit endete im Mai 1955. Sie hatte sich in der berüchtigten Frauenhaftanstalt Hoheneck mit dem gefährlichen Hepatitis-C-Virus infiziert. Wenige Jahre später erlag sie dieser schweren Erkrankung. Karl-Heinz Ossenkop war erst am 10. September 1956 aus der Haftanstalt Bautzen entlassen worden und kehrte wie Karl Winde der DDR den Rücken.100 Im Verhältnis zu den noch vor der Gründung der DDR verurteilten Dresdner Studenten waren die Angehörigen der wenige Monate später in Rostock festgenommenen studentischen Widerstandsgruppe einem noch schwereren Schicksal ausgeliefert, als sie am 18. Oktober 1949 vom sowjetischen Geheimdienst inhaftiert wurden. Der Gruppe hatten neben dem an der Universität Rostock eingeschriebenen Jurastudenten und Jungpolitiker Arno Esch 14  weitere junge Mitglieder, vor allem Studenten, angehört. Sie waren für eine unabhängige Entwicklung der LDP jenseits der verordneten Blockpolitik eingetreten. Als politisch führender Repräsentant der LDP-Betriebsgruppe der Universität Rostock sowie des Studentenrates setzte sich Arno Esch für Freiheit und Unabhängigkeit der Universität ein. Bereits im Alter von 21 Jahren war er zum Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes der LDP in der Sowjetischen Besatzungszone gewählt worden. Arno Esch stellte sich offen der damaligen politischen Entwicklung in der SBZ entgegen und verteidigte demokratische Grundwerte. Als überzeugter Pazifist hatte er bereits während der Diskussion im Vorfeld der Verabschiedung der Verfassung der DDR versucht, einen Artikel über das Recht der Kriegsdienstverweigerung einzubringen. Arno Esch und seine Mitstreiter stellten praktisch die Machtfrage und wurden von der SED und der Besatzungsmacht als nicht beeinflussbare oder korrumpierbare Gegner betrachtet. Sie galten als Klassenfeinde.101 Die offene politische Auseinandersetzung in Form einer Konkurrenz der Argumente war ausgeschlossen. So erinnerte sich der damals vor dem Militärtribunal mitangeklagte Chemiestudent Friedrich-Franz Wiese, dass den Angeklagten nur zu Beginn des Prozesses die politischen Aktivitäten vorgehalten wurden. Im weiteren Verlauf spielten sie keine Rolle mehr. Vielmehr wurde ihnen nun Sabotage und Spionage unterstellt. Die am 20. Juli 1950 vom sowjetischen Militärtribunal in Schwerin ausgesprochenen Urteile waren grausam und grotesk zugleich. Nach den §§ 58.2 und 58.6 des sowjetischen Strafgesetzbuches wurden vier Todesurteile ausgesprochen. Der § 58.2 zielte eigentlich auf den „Versuch, mit Waffengewalt eine Unionsrepublik von der UdSSR abzutrennen“. Am 24. Juli 1951 wurde Arno Esch in Moskau erschossen. Das gleiche Schicksal erlitten Gerhard Blankenburg, Heinrich Puchstein und Karl-Heinz Neujahr. Die anderen verurteilten jungen 100 Karl Winde setzte sein durch die langen Jahre der Haft unterbrochenes Studium der Architektur fort und schloss es als Diplom-Ingenieur ab. Er lebt heute in Bad Honnef. KarlHeinz Ossenkop ging zur Bundeswehr und lebt heute als Oberstleutnant a. D. in Kreuzau. 101 Vgl. Friedrich-Franz Wiese / Hartwig Bernitt, Arno Esch, Eine Dokumentation, Berlin, 1994, S. 9 ff.

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Leute waren zu 25 Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt worden. Sie mussten einige Monate Zwangsarbeit in Bautzen verrichten, bevor sie im November 1951 in Berlin-Lichtenberg abermals vor ein Tribunal gestellt wurden. Nach den bereits erwähnten Paragrafen wurden drei weitere Angeklagte zum Tode verurteilt. Zwei von ihnen sind seitdem verschollen. Nur der ebenfalls zum Tode verurteilte Student Friedrich-Franz Wiese kam 1955 nach Jahren entbehrungsreicher Zwangsarbeit in Sibirien frei.102 Studentischer Widerstand sollte mithilfe der politischen Justiz im Keim erstickt werden. Besonders abschreckend wirkten dabei die Urteile der sowjetischen Militärtribunale, die im Verhältnis zu den tatsächlichen oppositionellen Handlungen der Studierenden auch nach den Maßstäben eines diktatorischen Besatzungsregimes völlig überzogen waren und den verurteilten Studenten keinerlei Lebensperspektive einräumten.

102 Vgl. Ebenda.

2.  Widerstand von Studenten der TH Dresden   (1950 bis 1958) 2.1.  Rahmenbedingungen Die SED-Führung hatte in der Bevölkerung nicht den gewünschten Rückhalt. Der Widerspruch zwischen Propaganda und erlebter Realität war offensichtlich. Für den Machterhalt ist der Repressionsapparat weiter ausgebaut worden. Gleichzeitig wurde die Praxis der Repression gegen politische Opposition mit aufwändiger Propaganda verbunden. Beides gehörte zur Herrschaftstechnik diktatorischer Machtausübung und ist ein Charakteristikum moderner Diktaturen.1 Zwischen 150.000 und 250.000 Personen wurden in der SBZ / DDR Opfer politischer Repression. Die meisten politischen Urteile sind in den 1950er Jahren gefällt worden. Mindestens 1.000 Studenten und Studentinnen waren in jenem Jahrzehnt aus politischen Gründen inhaftiert worden.2 Das im Februar 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war für die geheimdienstliche Überwachung der Bevölkerung, die Verhaftung von Oppositionellen und die Vorbereitung der politischen Prozesse verantwortlich. Während anfänglich die Verfolgung von Kriegsverbrechern noch eine Hauptaufgabe des MfS war, verlagerte sich rasch der Schwerpunkt auf die Verfolgung von Oppositionellen, die sich gegen die Politik der SED wandten. Dabei kooperierte das MfS eng mit den sowjetischen Diensten, die ihre deutschen Kollegen instruierten und vor allem in den Anfangsjahren in Abhängigkeit hielten. In den Jahren 1950 und 1951 waren allein 150.000 Mitglieder aus der SED ausgeschlossen worden. Die stalinistische Politik wurde zunehmend selbst innerhalb der staatstragenden Partei abgelehnt. Einen Höhepunkt hatte die Praxis der politischen Verfolgung in der DDR im Jahre 1952 erreicht, als über 1000 wahre und vermeintliche Regimegegner einer Verhaftungswelle zum Opfer fielen. So war der Liberaldemokrat und Minister für Handel und Versorgung Karl Hamann im Dezember 1952 verhaftet worden. Ihm wurde „Sabotage an der Versorgung“ vorgeworfen.3 Wenig später war im Januar 1953 Außenminister und CDU-Mitglied Georg Dertinger festgenommen worden.4 Mit inszenierten Prozessen gegen her1 Vgl. Karl Wilhelm Fricke / Roger Engelmann, „Konzentrierte Schläge“. Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953–1956, herausgegeben von der Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin, 1998, S. 98 ff. 2 Vgl. Falco Werkentin, Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin, 1995, S. 405 ff. 3 Vgl. Rudi Beckert, Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR, Keip Verlag, Goldbach, 1995, S. 114 ff. 4 Vgl. Ebenda, S. 145 ff.

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ausgehobene Persönlichkeiten wurden Mitglieder der bürgerlichen Blockparteien sowie SED-Angehörige, die als Sozialdemokraten galten unter Druck gesetzt und diszipliniert. Die 1950er Jahre waren aber nicht nur durch scharfe innen- und außenpolitische Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Die Entwicklung der Universitäten und Hochschulen, der Bau großer Studentenwohnheime, von Hörsälen und Instituten sowie die rasante Zunahme der Studentenzahlen gehörten zu den gesellschaftlichen Faktoren, die die Dynamik der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in der jungen DDR kennzeichneten. Besonders deutlich zeigte sich dieser Trend an der TH Dresden, deren Studentenzahlen sich von 2180 im Jahre 1949 auf 17.275 im Jahre 1963 entwickelten. Allein die Zahl der Direktstudenten hatte sich in diesem Zeitraum verfünffacht. Für die Entwicklung der Hochschule maßgebend war der Ausbau des Fern- und Abendstudiums als einer modernen Form der Wissensvermittlung, die fähige Mitarbeiter aus der Industrie mit Hochschulreife zum Diplomabschluss führte. Auch ihre Zahl war rasant gestiegen.5 Auf eine Million Einwohner kamen nach einer SED-Analyse 1956 in der DDR 4950 Studenten. In der Bundesrepublik wären dagegen nur 2550 Studierende registriert gewesen.6 Die akademische Forschung der DDR hatte in Verbindung zur Industrie ein beachtliches Niveau erreicht.7 Die Technologiepolitik der Bundesrepublik und der DDR wies vielfach Gemeinsamkeiten auf.8 Dabei war die Entwicklung des Hochschulwesens, namentlich der TH Dresden als einzige technische Hochschule in der DDR, durchaus eine Erfolgsgeschichte, die nationale und internationale Vergleiche nicht zu scheuen brauchte. Parallel dazu wurde seit Anfang der 1950er Jahre die politische Einflussnahme auf die Hochschulen und ihre Studenten verstärkt. Die bisherige Zentralverwaltung für Volksbildung war 1949 nach Gründung der DDR zum Ministerium für Volksbildung der DDR unter Leitung von Paul Wandel aufgewertet worden und Bestandteil der neuen Regierung. Er übte das Weisungs- und Kontrollrecht gegenüber den Volksbildungs- bzw. Kultusministerien der Länder und damit auch gegenüber den Universitäten und Hochschulen der DDR aus. In den folgenden Jahren baute die SED in den Universitäten und Hochschulen ihre Strukturen aus und sicherte so ihren dominierenden politischen Einfluss. Die nach 1945 an den 5 Die Technische Universität in Zahlen 1949–1963, herausgegeben von der Abteilung Planung und Statistik der Technischen Universität Dresden im September 1964, S. 12. 6 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30, IV2, Nr. 904, Bl. 13. 7 Vgl. Manuel Schramm, Wirtschaft und Wissenschaft in DDR und BRD. Die Kategorie Vertrauen in Innovationsprozessen, Böhlau-Verlag, Köln, 2008, S. 132. 8 Vgl. Johannes Abele, Innovation, Fortschritt und Geschichte. Zur Einführung, in: Johannes Abele / Gerhard und Barkleit / Thomas Hänseroth, Innovationskulturen und Forschungserwartung im geteilten Deutschland, Böhlau Verlag, Köln / Weimar/Wien, 2001, S. 18 f.

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Hochschulen stark vertretene LDP wurde wie die CDU weiter zurückgedrängt. Demgegenüber hatten sich im Gefolge der im Januar 1949 stattgefundenen 1. Parteikonferenz der SED auch an den Hochschulen und Universitäten der DDR feste Strukturen mit hauptamtlichen Funktionären etabliert. Mit der Verkündung des Zweijahresplanes wurden Kampagnen zur Erfüllung von Wirtschaftszielen initiiert, denen sich auch die Hochschulen und Universitäten unterordnen mussten. Im Mai 1949 war die für alle Universitäten und Hochschulen verbindliche „Vorläufige Arbeitsordnung der Universitäten und wissenschaftlichen Hochschulen der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“ in Kraft gesetzt geworden, die bis Ende 1952 gültig war.9 Sie schränkte die 1946 gewährte begrenzte Hochschulautonomie wesentlich ein und stärkte die Stellung der Aufsichtsbehörden. So unterstanden die Universitäten und Hochschulen nicht nur den Volksbildungsministerien der Länder, sondern gleichfalls der Deutschen Verwaltung für Volksbildung beziehungsweise dem Ministerium für Volksbildung. Diese Entwicklung ging einher mit einer weiteren Förderung von Studierenden aus Bevölkerungskreisen, die nicht zu den traditionellen Bildungsschichten zu rechnen waren. Die Sozialauswahl wurde aber nicht so weit getrieben, dass ein Studium für den Nachwuchs von Akademikern oder Unternehmern ausgeschlossen war. Mit mehreren Verordnungen wurden im Juli 1951 Angehörige der „Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen“ der DDR finanziell besser gestellt. Einzelverträge enthielten sogar den Passus, dass die Kinder der durch solche Verträge Begünstigten, die von ihnen gewünschten Ausbildungsmöglichkeiten in der DDR wahrnehmen können.10 Ende November 1952 hatte der Ministerrat der DDR diese Entwicklung durch den „Beschluss über den Abschluss von Einzelverträgen“ weiter bekräftigt und gefördert.11 Bei der Vorbereitung des Schuljahres 1951/52 hatte das Ministerium für Volksbildung der DDR erstmals eine zentrale Lenkung für die Aufnahme von Schülern an die Oberschulen festgelegt. Danach war vorgesehen, 60 Prozent der Neuzu 9 Vgl. BArch, DR 2, Ministerium für Volksbildung, Nr. 79, n. f. 10 Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR vom 12. Juli 1951, Verordnung über die Vergütung der Hochschullehrer sowie wissenschaftlichen und künstlerischen Assistenten und über die Emeritierung der Professoren vom 12. Juli 1951 und Verordnung über den Abschluß von Einzelverträgen mit Angehörigen der Intelligenz, die in wissenschaftlichen, medizinischen, pädagogischen und künstlerischen Einrichtungen der DDR tätig sind, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Nummer 85 vom 17. Juli 1951, S. 675-682. Die 1. Durchführungsbestimmung vom 26. September 1951 zur Verordnung über die Vergütung der Hochschullehrer sowie der wissenschaftlichen und künstlerischen Assistenten und über die Emeritierung der Professoren verbesserte erneut die finanzielle Ausstattung dieses Personenkreises, vgl. GBl. der DDR, Nr. 117 vom 4. Oktober 1951, S. 879). 11 Vgl. BArch, DC 20, I / 3-155, 109. Sitzung der Regierung der DDR am 27. November 1952.

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gänge aus Kreisen der „Arbeiter-und-Bauern-Kinder“ zu rekrutieren. Selbst dieser hohe Prozentsatz sollte nach den sächsischen Planungen noch überschritten werden. Gegen die Bevorzugung von Kindern aus diesen sozialen Schichten setzten sich viele Eltern aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten mit Einsprüchen erfolgreich zur Wehr. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde der Zugang zur Oberschule auch davon abhängig gemacht, inwieweit die Schüler und ihre Elternhäuser zur gesellschaftlichen Entwicklung der DDR standen.12 Vor allem Schüler wurden durch die zeitweise regelrecht kirchenfeindliche Politik der SED unter Druck gesetzt. Besonders 1952 wurden Schüler diskriminiert und kriminalisiert, die sich der atheistischen Indoktrination widersetzten. In späteren Jahren war dann neben den entsprechenden schulischen Leistungen die Bereitschaft zum Militärdienst für die DDR ein entscheidendes Auswahlkriterium für weiterführenden Schulbesuch und anschließendes Studium.13 Für die Studenten gab es nur noch sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sich offen zu politischen Fragen zu artikulieren und diese zu diskutieren. Vielmehr wurde verlangt, dass sie die offizielle Partei- und Staatspolitik der DDR kritiklos hinnahmen und referierten. Tatsächliche oder vermeintliche politische Abweichungen – selbst von Hochschulangehörigen, die offensiv den Marxismus-Leninismus vertraten – standen unter Generalverdacht der politischen Abweichung. Politische Auseinandersetzungen mit den Betroffenen standen auf der Tagesordnung. Dabei wurde mit Schlagworten wie „Titoismus“, „Revisionismus“ und „Opportunismus“ operiert. Die Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West erreichte auch nach der Beilegung der Berlin-Krise neue Höhepunkte. Die von Stalin geschürte Agentenhysterie griff im Frühsommer 1949 auch auf die unter sowjetischem Einfluss stehenden Staaten Mittel- und Osteuropas über. Eingeleitet wurde diese Phase durch die Verhaftung von Noel Field und den folgenden Schauprozess gegen den führenden ungarischen kommunistischen Politiker László Rajk. Die Hochschulangehörigen als besonders sensible Schicht reflektierten diese Richtungskämpfe in den Führungseliten intensiver als die Masse der Bevölkerung. Mit dem Beschluss des ZK der SED vom Januar 1951 über grundlegende politisch-ideologische Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Hochschulwesens wurden die Voraussetzungen für die politische Umgestaltung der Universitäten und Hochschulen in der DDR geschaffen. Zur einheitlichen Leitung des Hochschulwesens war das Staatssekretariat für das Hochschulwesen gegründet worden, das im Februar 1951 mit mehreren Verordnungen die Hochschulreform 12 Vgl. Gert Geißler, Auslese im allgemein bildenden Schulwesen, in: Verfolgte Schüler – gebrochene Biographien. Zum Erziehungs- und Bildungssystem der DDR, herausgegeben von Gerhard Barkleit und Tina Kwiatkowski-Celofgia, Dresden, 2008, S. 59–75, hier S. 67 ff. 13 Vgl. Thomas Widera, Wehrdienstgegner im DDR-Bildungssystem. Konflikte von Schülern, Lehrlingen und Studenten infolge der Verweigerung des bewaffneten Wehrdienstes, in: Ebenda, S. 91–112.

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durchsetzte.14 Neben einer Strukturreform wurde das gesellschaftswissenschaftliche Grundlagenstudium eingeführt, das einseitig auf den Marxismus-Leninismus ausgerichtet war. Prorektoren für Gesellschaftswissenschaften standen den Rektoren zur Seite. Außerdem gehörte nun die Aneignung von Kenntnissen der russischen Sprache zum Pflichtprogramm der Studierenden.15 Diese Maßnahmen hatten unmittelbare Auswirkungen auf die Gestaltung des gesamten Studienbetriebs und wurden als zusätzliche Belastungen von den Studierenden abgelehnt. Ein Höhepunkt der Anpassung der DDR an den Stalinismus war die 2. Parteikonferenz der SED im Juni 1952. Entsprechend der stalinschen Ideologie wurde nun mit dem planmäßigen Aufbau des Sozialismus begonnen. Damit verbunden waren beispielsweise der Aufbau von Streitkräften, die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Erhöhung des Drucks auf den nichtstaatlichen Wirtschaftssektor und die Abschaffung der Länderstruktur. Ebenso war eine intensive Beschäftigung mit den Werken Stalins beschlossen worden, die fortan auch an den Hochschulen organisiert studiert werden mussten. Bereits seit Ende der 1940er Jahre hatten verstärkt Studenten noch vor Abschluss des Studiums die Hochschule verlassen, um ihre Ausbildung in Westberlin oder der Bundesrepublik abzuschließen. Auch mehrere Hochschullehrer hatten der TH Dresden den Rücken gekehrt. Allein von 1948 bis 1952 waren in einer Atmosphäre zunehmender Ideologisierung aller Lebensbereiche acht Ordinarien der TH Dresden in den Westen gegangen, ohne formal ihr Arbeitsverhältnis mit ihrer Hochschule zu kündigen.16 Vielfach begründeten sie diesen Schritt später von ihrem Wohnsitz in Westdeutschland aus. So sah Wilhelm Tervooren, vor seinem Weggang Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und Verkehrswissenschaften, in seinem Lehrgebiet der Betriebswirtschaftslehre keine Möglichkeit freier Forschung. Im Jahr nach der Gründung der DDR kritisierten führende Parteifunktionäre die Betriebswirtschaftslehre als eigenständiges Lehrgebiet, das, wie Walter Ulbricht erklärt hätte, „aufgehört habe, eine selbständige Disziplin zu sein und Bestandteil der Wirtschaftsplanung geworden sei.“17 Auch hätten Kollegen in Dresden die Auffassung von Professor Josef Winternitz18 vor Kommilitonen 14 Vgl. Verordnung über die Neuorganisation des Hochschulwesens vom 22. Februar 1951, in: GBl der DDR Nr. 23 vom 26. Februar 1951. 15 Vgl. Geschichte der Technischen Universität Dresden 1828–1988, a. a. O., S. 209 ff. 16 Dazu näher Michael Parak, Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen. Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1933–1952, Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Wien, 2004, S. 479. 17 In einem Schreiben vom 12. Oktober 1950, das als Abschrift vorliegt, begründete Wilhelm Tervooren seinen Weggang von der TH Dresden, vgl. UA der TUD, S II / F 3 Nr. 1013. 18 Der Historiker und Wirtschaftswissenschaftler gehörte zu den frühen Kadern im Apparat der KPD. Er verließ aus politischen Gründen die DDR, vgl. Mario Kessler, Vom KPDApparat zum stillen Weggang aus der DDR. Der Wirtschaftswissenschaftler und Historiker Josef Winternitz (1896–1952), in: Rassismus, Faschismus, Antifaschismus. Forschungen und

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weitergegeben, der in der Betriebswirtschaftslehre die „letzte Rückzugsfestung der bürgerlichen Ökonomie“ sähe. Schließlich hätte ein Student auf der 5. Landesdelegiertenkonferenz der SED vor mehr als 2500 Delegierten Wilhelm Tervooren als Wirtschaftsprofessor öffentlich angegriffen und des „Objektivismus“ bezichtigt. Damit wurde der Betriebswirtschaftler öffentlich diffamiert.19 Im Oktober 1950 verließ er die TH Dresden und arbeitete später als Unternehmensberater in der Bundesrepublik. Aber auch Hochschullehrer, die sich als Technikwissenschaftler eher ideologischer Indoktrination entziehen konnten, gerieten zwischen die Fronten des Kalten Krieges. Die Karriere von Heinz Schönfeld, einem erfolgreichen Schüler des weltweit bekannten Heinrich Barkhausen, schien vorgezeichnet, als er 1947 zum Ordinarius für Allgemeine Elektrotechnik an der TH Dresden berufen wurde. Er zählte zum Kreis der Angehörigen der Intelligenz, mit denen das Ministerium der Schwerindustrie einen Einzelvertrag geschlossen hatte. Seit der Gründung der Fakultät Elektrotechnik im Jahre 1952 versah Heinz Schönfeld die Funktion des Prodekans. Er gehörte zu den renommiertesten Hochschullehrern Dresdens mit umfangreichen internationalen Kontakten. Das hatte ihn offenbar dem Verdacht ausgesetzt, ein Agent der Amerikaner zu sein. So wurde er ohne Angabe von Gründen von einem Volkspolizisten aufgefordert, am Abend des 25. Mai 1952 ein Dienstzimmer im Dresdner Polizeipräsidium in der Schießgasse aufzusuchen. Dem kam er nicht nach, da er seine Verhaftung befürchtete. Selbst nach seinen Vorsprachen beim Rektor und im Ministerium für Schwerindustrie in Berlin konnten seine Befürchtungen nicht entkräftet werden. Einige Tage später floh er mit seiner Familie nach Boppard am Rhein. Am 15. Juni 1952 begründete er gegenüber dem Rektor seinen Weggang von der TH Dresden. Dabei bezog er diesen ausdrücklich in die Kritik ein: „Wie wenig der Rektor auch bemüht war die Wahrheit zu ergründen, beweist, daß er mir vorgab ‚anglo-amerikanische Agenten‘ hätten meinen Fall inszeniert.“20 Anders als Heinz Schönfeld wurde ein halbes Jahr später Walther Pauer vom Staatssicherheitsdienst verhaftet. Der Ordinarius für Thermodynamik, der von 1946 bis 1952 als Wissenschaftler in der Sowjetunion tätig gewesen war, wurde im Februar 1953 als über 65-Jähriger der Militärspionage bezichtigt und mehr als sieben Monate in der Untersuchungshaft festgehalten. Während der Haft erlebte seine Familie Demütigung und Ausgrenzung, aber auch aktive Solidarität und Unterstützung, wie von seinem Professorenkollegen Werner Albring. Erst im September 1953 kam Walter Pauer frei und konnte seine Lehrtätigkeit wieBetrachtungen. Gewidmet Kurt Pätzold zum 70. Geburtstag, herausgegeben von Manfred Weißbecker und Reinhard Kühnl unter Mitwirkung von Erika Schwarz, Papyrossa Verlagsgesellschaft, Köln, 2002, S. 394 ff. 19 Vgl. UA der TUD, S II / F 3 Nr. 1013. 20 UA der TUD, II, Nr. 948.

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der aufnehmen.21 Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen wurden zurückgenommen. Später erhielt er den nur selten vergebenen Eherntitel „Hervorragender Wissenschaftler des Volkes“, und Walter Ulbricht gratulierte dem angesehenen Wissenschaftler 1967 zum 80. Geburtstag.22 Aufschlussreich ist die unspektakuläre Beendigung des Dienstverhältnisses des international ausgewiesenen und in große Wirtschaftsvorhaben eingebundenen Professors Walter Henn Ende des Jahres 1954.23 Der Inhaber des Lehrstuhls für Baukonstruktion und Leiter eines leistungsfähigen Planungsinstituts hatte nach einer Beratung im Staatssekretariat für das Hochschulwesen der DDR offiziell einen Ruf an die Technische Hochschule Braunschweig angenommen, wo er bereits seit mehreren Monaten als Gastprofessor lehrte. Der Rektor der TH Dresden, Horst Peschel, hatte gegenüber Walter Henn sogar die Erwartung ausgedrückt, dass die Verbindungen trotz der Wegberufung unter Wahrnehmung von Gastvorlesungen aufrechterhalten werden sollen.24 Ebenfalls unspektakulär war bereits 1953 der renommierte Architekt Karl Wilhelm Ochs einem Ruf an die TU Berlin-Charlottenburg gefolgt. An diesen Fallbeispielen wird deutlich, dass Anfang der 1950er Jahre renommierte Hochschullehrer noch weitgehend autonom entscheiden konnten. Ganz andere Erwartungen wurden an die Studenten gestellt. Sie engagierten sich oft aktiv in den neuen Parteien und Organisationen. Dabei wurden sie Zeuge oder Beteiligte mitunter hart geführter parteipolitischer Auseinandersetzungen. So hatten sie den Niedergang und das Ende der Studentenräte als angebliche Relikte der bürgerlichen Universitäten und Hochschulen erlebt und zumeist kritisch reflektiert. Während die Studenten Westdeutschlands und Westberlins sich vor allem an tradierten Werten der Universitäten und des Studentenlebens aus der Zeit vor 1933 orientierten, war die Studentenschaft in der DDR einem radikalen politischen und sozialen Wandel ausgesetzt. Die Sozialstruktur der Studenten im Osten Deutschlands unterschied sich nun wesentlich von der des westlichen Teilstaates. Der Anteil der Absolventen der ABF erhöhte sich seit 1949 sprunghaft. So waren 1950 an der ABF der TH Dresden 1171 Studierende immatrikuliert, 1953 waren es 2037.25 Von den 1953 an der TH Dresden immatrikulierten 6631 Studenten hatten 1513 Kommilitonen ihre Vorbildung an der ABF erworben. Im Jahre 1955 21 Vgl. UA der TUD, II, Nr. 7799, Bl. 86; Reinhard Pauer: Laudatio für Prof. em. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Werner Albring zum 80. Geburtstag, in: Jahresbericht Institut für Strömungstechnik, Fakultät Maschinenwesen, TU Dresden, Dresden, 1995. 22 Vgl. Neues Deutschland 17 (1967) vom 1. April 1967. 23 Vgl. UA der TUD, II, Nr. 2279, Bl. 149 f. 24 Vgl. ebenda. 25 Vgl. Technische Hochschule Dresden 1945–1960, herausgegeben von der Abteilung Planung und Statistik der Technischen Hochschule Dresden, Dresden, 1961, S. 76.

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waren von 8217 eingeschriebenen Studenten insgesamt 1735 von der ABF gekommen. Der Anteil der ABF-Absolventen an der Gesamtzahl der eingeschrieben Studenten lag damit in jenen Jahren bei über 20 Prozent.26 Nach der Fertigstellung moderner Studentenwohnheime in Dresden verbesserten sich gleichfalls die Lebensbedingungen für viele Stundeten. Mit diesen Entwicklungen wurden natürlich die Bindekräfte der Studenten an die DDR und ihr politisches System gestärkt. Dem Denken in Kategorien von Pluralismus und bürgerlichen Freiheiten wurde nicht zuletzt auch mit dem Angebot von handfesten Karrierechancen über die Hochschulbildung entgegengewirkt. Die einzigen noch verbliebenen legalen und vom politischen System noch nicht vereinnahmten Institutionen waren die Studentengemeinden der evangelischen und katholischen Konfessionen, die seit Anfang der 1950er Jahre unter besonderer Beobachtung standen und vor allem propagandistisch als reaktionäre Organisationen bekämpft wurden. In den Studentengemeinden besonders aktive Studierende waren Repressionen ausgesetzt. So waren auch ehemalige Mitglieder der katholischen Studentengemeinde Dresdens 1952 in Schauprozessen wegen Verbindungen zum Exilvorstand der CDU in Westberlin, in dem sich ehemalige Mitglieder der Ost-CDU zusammengeschlossen hatten, verurteilt worden.27 Allein im ersten Halbjahr 1953 wurden sechs Studenten und drei Studentinnen wegen ihrer aktiven Mitarbeit in Studentengemeinden exmatrikuliert.28 Erst nachdem die SED im Juni 1953 ihren „Neuen Kurs“ eingeleitet hatte, ließ der politische Druck auch auf die Studentengemeinden nach. Die Dresdner Evangelische Studentengemeinde unterhielt Partnerbeziehungen zu Studentengemeinden in Hannover, Darmstadt und Stuttgart. Den Angehörigen der Studentengemeinden wurde von Funktionären unterstellt, sie wären „Agenten“ des Westens. Dem war nicht so. Vielmehr vertraten sie eigenständige politische Positionen, die klerikal konservativen Kreisen in Westdeutschland und Westberlin widersprachen. Es wurden Kontroversen zwischen den Kommilitonen aus Ost und West ausgetragen, so zu Fragen der Wiederbewaffnung, der Militärseelsorge oder zu Problemen der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Dabei wurden die Besucher aus der DDR von ihren westdeutschen Kommilitonen als „links“ und „sozialistisch“ angesehen.29

26 Vgl. ebenda, S. 42. 27 Vgl. Lust am Leben, a .a .O., S. 45. 28 Vgl. UA der TUD, Studentendatei (Datei der im Jahre 1952 vorzeitig exmatrikulierten Studenten). 29 Vgl. 50 Jahre Evangelische Studentengemeinde Dresden, Chronik, a. a. O., S. 16–21.

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2.2.  Politische Urteile gegen Studenten der TH Dresden   (1950 bis 1952) Im März 1950 wurden an der Universität Halle sechs Medizinstudenten und eine Studentin der Pädagogik verhaftet, die in einer Gesprächsgemeinschaft sich kritisch mit der Politik der SED auseinander gesetzt hatten. Mit dem Hinweis, dass 1947 vom Obersten Sowjet die Todesstrafe aufgehoben wurde, sind vom Militärtribunal in Halle Haftzeiten von 25 bis 10 Jahren ausgesprochen worden. Die Studenten Horst Hennig und Willi Johannes Eckert mussten im sibirischen Workuta unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten.30 Am 2. Mai 1950 wurde Horst-Günther Schakat festgenommen.31 Nachdem er in Berlin das Ostbüro der SPD32 besucht hatte und am Neustädter Bahnhof angekommen war, wurde er bereits von einem Polizeiaufgebot erwartet und festgenommen. In Berlin hatte er das Ostbüro der SPD aufgesucht. Der am 28. Dezember 1928 in Ostpreußen geborene Horst-Günther Schakat war 1947 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden und zu seiner inzwischen in Dresden lebenden Mutter gezogen. Hier absolvierte der Abiturient eine Ausbildung zum Neulehrer, die er mit der ersten Lehrerprüfung abschloss. Neben seiner Arbeit als Lehrer an der Kinderklinik im Stadtkrankenhaus Dresden-Johannstadt war er erst Gasthörer und die letzten Monate vor seiner Festnahme regulärer Student an der TH 30 Vgl. Horst Hennig, Wie kommt ein Student der Martin-Luther Universität nach Workuta, in: Sybille Gerstengarbe und Horst Hennig, Opposition, Widerstand und Verfolgung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg von 1945-1961: Eine Dokumentation, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig, 2009, S. 145 ff. Müller, Klaus-Dieter / Osterloh, Jörg, Die Andere DDR. Eine studentische Widerstandsgruppe und ihr Schicksal im Spiegel persönlicher Erinnerungen und sowjetischer NKWD-Dokumente, Dresden, 1995, S. 11 ff. 31 Vgl. BArchiv, Berlin, Zentrale Kartei der SMT- und Waldheim-Verurteilten (Horst-Günther Schakat). 32 Dem von 1946 bis 1971 direkt dem Parteivorstand der SPD unterstellten Ostbüro waren sechs Hauptaufgaben zugewiesen, die entsprechend der politischen Entwicklung unterschiedlich gewichtet wurden. In den ersten Jahren nach der Gründung der SED war es vor allem eine Kontakt-, Beratungs- und Koordinierungsstelle für Sozialdemokraten in der SBZ bzw. der DDR. Gleichfalls wurden Informationen zu Lage und Entwicklung in der SBZ / DDR unter dem Aspekt des Systemvergleichs gesammelt. Weitere Aufgaben waren Aufklärungsarbeit innerhalb der SED und in anderen politischen und gesellschaftlichen Organisationen, die Publikation von Analysen über die politische Entwicklung, die Beobachtung und Abwehr von gegen die SPD und die Bundesrepublik gerichtete Aktivitäten von Geheimdiensten der Sowjetunion, der DDR und anderer Staaten des östlichen Bündnissystems, die Überprüfung und Betreuung von Flüchtlingen und ihrer Familien und die Unterstützung politischer Häftlinge, einschließlich die Mitwirkung an „Freikaufaktionen“. Auch die Zusammenarbeit mit dem BND und anderen westlichen Geheimdiensten gehörte zum Aufgabenspektrum, vgl. Helmut Bärwald, Das Ostbüro der SPD, 1946–1971 Kampf und Niedergang, Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Hartmut Jäckel, Gegenwart und Zeitgeschichte, Band 14, SINUS-Verlag, Krefeld, 1991, S. 28 ff., S. 53 f.

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Dresden gewesen. Einer seiner Hochschullehrer war Ludwig Renn, der von 1947 bis 1950 einen Lehrstuhl für Anthropologie an der TH Dresden innehatte. Neben dem Studium und seiner weiteren Tätigkeit als Neulehrer beschäftigte sich HorstGünther Schakat, der der LDP beigetreten war, intensiv mit politischen Fragen. Im vertrauten Kreis kritisierte er die innenpolitische Entwicklung der DDR hin zu einer Diktatur und zog Parallelen zum Nationalsozialismus. Gemeinsam mit einigen anderen oppositionellen Studenten hatte Horst-Günther Schakat Plakate mit der Aufschrift „Wir wollen kein kommunistisches Deutschland“ gefertigt und sie an die Baumstämme einer das Dresdner Hochschulviertel querenden Ausfallstraße geheftet.33 Dieser Satz stand nicht einmal im Widerspruch zur Propaganda der SED. So hatte Wilhelm Pieck im März 1949 während einer Rede auf der Großkundgebung des Deutschen Volksrates in Leipzig betont, dass die SED gegenüber den bürgerlichen Parteien keine Vormachtstellung betreibe. Sie wolle vielmehr „die Verantwortung für die Durchführung der notwendigen Maßnahmen in völlig gleicher Weise mit den anderen Parteien teilen.“34 Ebenso richtete sich diese politische Aussage nicht gegen die Sowjetunion. Stalin wollte sich eine gesamtdeutsche Option weiter offen halten und orientierte die SED-Führung auf eine Politik, die auf die Einheit Deutschlands und den Abschluss eines Friedensvertrags gerichtet war.35 Andererseits wollte er die Entwicklung der SED hin zu einer „bolschewistischen“ Partei nicht bremsen. Diese widersprüchliche Situation hatte zu einem gesellschaftspolitischen Zickzackkurs der SED geführt. Nach dem taktischen Verständnis der SED-Führung stand der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft nicht auf der Tagesordnung. Andererseits waren große Teile der Bevölkerung über die reale politische Entwicklung tief verunsichert.36 Die öffentliche Verbreitung der Auffassung, dass Deutschland kein kommunistischer Staat werden dürfe, wurde als politische Straftat gewertet, die gegen die Sowjetunion 33 Die Ausführungen beruhen auf Erinnerungen von Horst-Günther Schakat und die von ihm angelegte Dokumentensammlung. Der Verfasser führte am 22. Mai 2009 mit ihm ein Zeitzeugeninterview. 34 Vgl. Neues Deutschland 5 (1949) vom 4. März 1949 S. 4 . 35 Anfang Mai 1950 war Wilhelm Pieck während einer Unterredung mit Stalin erneut aufgefordert worden, den Fragen des Friedens und der nationalen Einheit oberste Priorität einzuräumen, vgl. Wilhelm Pieck, Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953, herausgegeben von Rolf Badstübner, Berlin, 1993, S. 343. 36 Selbst innerhalb der SED fanden Säuberungen statt, in deren Ergebnis bis 1950 etwa 200.000 Parteimitglieder ausgeschlossen wurden. Eines der prominenten Opfer war das Politbüromitglied Paul Merker, der zeitweise inhaftiert wurde. Auch CDU und LDP standen nicht kompromisslos hinter der SED, die alles daran setzte diese Parteien ihrem politischen Machtanspruch unterzuordnen, vgl .Werner Müller, Entstehung und Transformation des Parteiensystems der SBZ / DDR 1945–1950, vgl. Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“, herausgegeben vom Deutschen Bundestag, Band II/4, Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen im SED-Staat und die Frage der Verantwortung, Baden-Baden., S. 2366.

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gerichtet wäre. Nach Verhören durch das erst wenige Monate vorher gegründete MfS wurde der gerade zweiundzwanzigjährige Student entgegen einer anders lautenden Zusage der Besatzungsmacht überstellt. Das Sowjetische Militärtribunal in Dresden verurteilte ihn am 28.  Juni 1950 wegen „antisowj[etischer] Einstellung“ zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren Strafarbeitslager.37 Am 26. Juli 1950 wurde der verurteilte Student der Volkspolizei überstellt, die ihn in das Zuchthaus Bautzen brachte. Am 18. Januar 1954 öffnete sich im Rahmen einer Amnestie für Horst-Günther Schakat das Zuchthaustor. Im Rahmen einer „Gnadenaktion“ war er freigekommen und hatte Berlin-Wilmersdorf als künftigen Wohnort angegeben. Die Westmächte hatten bei Kontrollratsverhandlungen auch Freilassungen von politischen Gefangenen in der DDR eingefordert. Schwer erkrankt und unterernährt hatte sich Horst-Günther Schakat für ein weiteres Leben in der Bundesrepublik und später den USA entschieden. Er absolvierte in Hamburg ein Studium der Wirtschaftswissenschaften und promovierte. Im Jahre 1999 rehabilitierte ihn die Oberste Militärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation.38 Auch am Beispiel dieser Verurteilung war das Zusammenspiel zwischen deutschen und sowjetischen Repressivorganen deutlich geworden. Es zeigt gleichfalls die beschränkte Souveränität der DDR. Die unter einem aufwändigen Polizeieinsatz vorgenommene Verhaftung des Studenten Schakat und seine Verurteilung durch das Militärtribunal sollten auch innerhalb der Hochschule abschreckend wirken und insbesondere den Studenten deutlich machen, dass von der vorgegebenen Linie unabhängige politische Aktivitäten und Kontakte zum Ostbüro der SPD für die Betreffenden folgenschwere Repressionen nach sich zogen. Ein knappes halbes Jahr nach der Verhaftung von Horst-Günther Schakat verteilten in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober 1950 die Studenten der Chemie Werner Flakus und Jürgen Wilhelm auf den Straßen zwischen der Dresdner Südvorstadt und dem Zentrum am Postplatz etwa fünfhundert Flugblätter mit der Aufschrift „Nieder mit der SED-Zwangs-Herrschaft – dem blutigen Joch unserer Zeit“39 und versahen mit einem selbst gefertigten Gummistempel Häuserwände mit dem Schriftzug „15. Oktober Lügenwahl“.40 Außerdem überstempelten sie mehrere Plakate der Nationalen Front mit der von ihnen entworfenen Aufschrift. Sie nahmen dabei hohe Risiken in Kauf und beschrieben selbst Häuserwände in unmittelbarer Nähe eines Polizeireviers mit politischen Losungen. Nur wenige Stunden nach der Verteilung der Flugblätter wurden die Studenten verhaftet. 37 Dokumentationsstelle Stiftung Sächs. Gedenkstätten, Datenbank Inhaftierter, DS 46627, Schakat, Horst-Günther. 38 Bestätigung über die Rehabilitation von Herrn Dr. Horst-Günther Schakat durch die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 15. Januar 1999 (im Besitz von HorstGünther Schakat). 39 BStU, Außenstelle Dresden, 37 / 52, Bl. 58 ff. 40 Ebenda.

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Der 1929 geborene Werner Flakus stammte aus einer Familie, die bis 1928 in Oberschlesien ansässig war und danach in der Nähe von Torgau lebte. Sein Vater war als Arbeiter und Vorarbeiter in einem Bergwerk tätig gewesen und hatte 1924 ein Studium am Technikum Ilmenau / Thüringen aufgenommen, das er 1927 als Ingenieur beendete. Er hatte sich zum Maschinenmeister, Betriebsassistenten und nach 1945 zum Ingenieur hochgearbeitet. Werner Flakus bestand im Juli 1947 an der Oberschule in Torgau das Abitur, arbeitete danach ein Jahr in verschiedenen Labors der ehemals zum IG-Farben-Konzern gehörenden Farbenfabrik Wolfen und bewarb sich zum Studium an der TH Dresden. Während die erste Bewerbung 1947 noch abgelehnt wurde, konnte er zum Wintersemester 1948 das Pädagogikstudium in einer naturwissenschaftlichen Fachrichtung beginnen. Einem Antrag auf Umschreibung zum Chemiestudium war zum Wintersemester 1949 / 1950 entsprochen worden und so durfte er das Studium in der Fachrichtung Faserstoffchemie fortsetzen.41 Werner Flakus hatte sich seit Dezember 1946 aktiv in der FDJ seines Heimatortes betätigt und war während des Studiums 1948 in die SED eingetreten. Sein Vater war 1946 Mitglied der SPD geworden. Der 1928 in Brandenburg an der Havel geborene Jürgen Wilhelm war der Sohn eines technischen Angestellten und einer Stenotypistin. Als Ausgebombte waren Jürgen Wilhelm und seine Mutter nach Burg bei Magdeburg gezogen. Im März 1947 hatte er das Abitur bestanden. Danach war er als Volontär bei den Vereinigten Lichtspielen in Burg tätig gewesen. In seiner Oberschulzeit hatte er sich der FDJ angeschlossen, deren Kreisleitung er als Fotograf aktiv unterstützte. Diese wiederum setzte sich für seine Zulassung zum Studium ein, das er im September 1948 an der TH Dresden begann. Er studierte vorerst auf Lehramt Chemie und Biologie. Mit Unterstützung des renommierten Dresdner Chemieprofessors Arthur Simon, der sich zu Leistungen und Auftreten von Jürgen Wilhelm positiv geäußert hatte, wechselte er die Fachrichtung und studierte weiter Faserstoffchemie.42 Jürgen Wilhelm engagierte sich gleich nach dem Beginn seines Studiums als Mitglied in der Liberal Demokratischen Partei (LDP). Er leitete die Jugendarbeit dieser Partei in Dresden-Coschütz und wurde als Delegierter zur Bezirksjugendtagung der LDP gesandt. Nach einer im November 1948 verfassten Einschätzung des Jugendreferenten der Stadtgruppe Dresden-Plauen war Jürgen Wilhelm ein „aktiver Mitarbeiter“ der LDP. Diese Beurteilung wurde vom Hochschulreferenten im Landesverband der LDP bestätigt. Ebenso positiv wertete der Kreisjugendreferent die Tätigkeit von Jürgen Wilhelm in der FDJ.43 Nur wenige Monate später stellte ihm die Betriebsgruppe des FDGB eine in ihrer Aussage negative „Gesellschaftliche Beurteilung“ aus.44 41 42 43 44

Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 547. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 741. Vgl. ebenda. Ebenda.

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Zu Beginn des Studiums stimmten beide Studenten mit der politischen Entwicklung überein und engagierten sich. Sie sahen sich aber schon bald in ihrem Optimismus von der gesellschaftlichen Realität getäuscht, stellten sich gegen die Diktatur und betrachteten nun die Demokratie westlicher Prägung als erstrebenswerte Staatsform. Im Gegensatz zu Horst-Günther Schakat waren die Chemiestudenten Werner Flakus und Jürgen Wilhelm nicht vor ein Sowjetisches Militärtribunal, sondern vor ein deutsches Gericht gestellt worden und „wegen Verbrechen nach Art. 6 in Verbindung mit Art. 144 der Verfassung der DDR“ und mehrerer Abschnitte der Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrates vom 20. Oktober 1946 angeklagt und schließlich vom Landgericht Dresden wegen „Boykotthetze“ verurteilt worden. Der Artikel 6 der DDR-Verfassung bot mit dem Begriff der „Boykotthetze“ den Gerichten weitgehend freie Hand bei der Konstruktion politischer Straftatbestände. Mit diesem Artikel konnten sowohl Unmutsäußerungen, unbewusstes und bewusstes Aufbegehren, Opposition als auch offen regimefeindliche Aktivitäten bis hin zur Spionage geahndet werden.45 Letztlich ließ sich unter diesen Verfassungsartikel alles subsumieren, was sich in der Tagespolitik gegen die Interessen der SED-Führung richtete. Die Kontrollratsdirektive Nummer 38 war eigentlich die Rechtsgrundlage zur Bestrafung von Kriegsverbrechern, aktiven Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen, die das NS-Regime gefördert und gestützt hatten. Mit der Heranziehung der Kontrollratsdirektive sollten politische Urteile legitimiert werden, indem suggeriert wurde, dass die Gerichte im Sinne des Alliierten Kontrollrates urteilen würden. Diese Rechtskonstruktion wurde bei politischen Verfahren vor DDR-Gerichten angewendet und in Bezug auf den Artikel 6 der Verfassung weiter verschärft. Werner Flakus wurde zu vier und Jürgen Wilhelm zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.46 Die Vorwürfe waren außerordentlich schwerwiegend. Von einem sowjetischen Militärgericht wären sie wie ihre Kommilitonen möglicherweise ebenso zu 25 Jahren Zwangsarbeit und Deportation in die UdSSR verurteilt worden. Trotzdem waren auch das Verfahren und die Urteile vor dem deutschen Gericht unverhältnismäßig und politisch motiviert. Parteipolitische Gründe dienten der Urteilsbegründung. So führte die Richterin aus: „Mit der Parole, daß im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik eine Zwangsherrschaft der SED bestehe, welche als blutiges Joch unserer Zeit bezeichnet wird, schildern die Angeklagten wider besseren Wissens Zustände, welche an die Nazizeit erinnern und einem Chaos gleichen. Mit diesen Hetzparolen durch Bewohner der Deutschen Demokratischen Republik wird den imperialistischen Machthabern des Auslandes die Hetze gegen die Deutsche Demokratische Republik und gegen die fried45 Vgl. Karl Wilhelm Fricke, Politik und Justiz in der DDR, Köln 1979, S. 168 f. 46 Vgl. Urteil (rechtskräftig am 14. Dezember 1951) gegen Werner Flakus und Jürgen Wilhelm, in: UA der TUD, Studentenakte, Nr.547, Bl. 93 ff.

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liebenden Völker erleichtert und damit der Vorbereitung eines neuen Weltkrieges Vorschub geleistet“.47 Die Urteile entsprachen keinesfalls rechtsstaatlichen Prinzipien. Sie waren aber trotz ihrer Unverhältnismäßigkeit im Gegensatz zu den von den sowjetischen Militärtribunalen verhängten Urteilen in geringerem Maße auf eine exzessive Bestrafung gerichtet. Der Prozess wurde von einer Richterin und einem Beisitzer geführt. Vermutlich hatten sie im Schnellverfahren zu Volksrichtern durchlaufen. Als Schöffen dienten zwei Angestellte und ein Hilfsarbeiter. Sie alle konnten sich nicht vorstellen, dass Studenten, unter ihnen ein Mitglied der SED, sich in dieser Form gegen die DDR gewandt hatten. In der Urteilsbegründung wurde deshalb weiter gefolgert, dass es sich bei „beiden Angeklagten um intelligente junge Menschen handelt, welche auf Kosten der werktätigen Bevölkerung ihr Studium absolvieren und daneben noch einen finanziellen Zuschuß erhalten. Gerade von ihnen war zu verlangen, daß sie das Bestreben des deutschen Volkes, die Folgen des faschistischen Krieges schnell zu überwinden, unterstützen.“48 Die Studenten wurden von der Richterin als in politischer Hinsicht aufgeschlossen bezeichnet. Demgegenüber wertete sie als strafverschärfend, dass die Flugblattaktion einen Tag vor der Volkswahl am 15. Oktober 1950 stattgefunden hatte.49 Der Student Flakus wurde von der Richterin als Initiator bezeichnet, der sich auch die „Hetzparole gegen die SED“ ausgedacht habe. Als strafmildernd wurden die abgelegten Geständnisse gewertet. Interessanterweise betrachtete das Gericht die Kürzung der „Stipendienbeihilfe“ ebenfalls als strafmildernden Umstand und glaubte offenbar den Studenten, dass „die Verteilung der Beihilfe an der Hochschule ungerecht vonstatten gegangen sei.“50 Jürgen Wilhelm wurde Anfang Oktober 1952 aus der Strafvollzugsanstalt Zwickau entlassen. Für Werner Flakus öffneten sich die Tore der Strafvollzugsanstalt Dresden erst im Oktober 1953. Er beendete sein Studium in der Bundesrepublik und promovierte. Private Besuche von Studenten aus den Universitäts- und Hochschulstädten der DDR in Westberlin und Westdeutschland waren an der Tagesordnung. Auch etwas Abenteuerlust war dabei, wenn Studenten aus Dresden oder Leipzig allein oder mit befreundeten Kommilitonen mit dem Motorrad oder dem Zug nach Westberlin reisten. Viele informierten sich über Arbeits- und Studienmöglichkeiten im anderen Teil Deutschlands und nutzten dabei alte Kontakt zu Kommilitonen, die die SBZ beziehungsweise die DDR verlassen hatten. Eine Schlüsselstellung nahm dabei die seit Mai 1947 von Gründungsstudenten der Freien

47 48 49 50

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

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Universität Berlin herausgegebene Zeitschrift „Colloquium“ ein.51 Sie war das zentrale Informations- und in gewissem Sinn Identifikationsblatt der Westberliner Studenten. Gleichzeitig war das „Colloquium“ eine unabhängige Informationsquelle vor allem für Studenten in der DDR, die wiederum als Korrespondenten genutzt wurden, um über die Entwicklung an ihrer Hochschule oder Universität zu berichten.52 So erschienen Beiträge über das politische Umfeld, über Aufnahmebedingungen zum Studium, über strukturelle Entwicklungen sowie über Verhaftungen und Urteile gegen Studierende in der SBZ und der DDR. Beispielsweise wurde Anfang 1949 in einer Mitteilung über die „linientreue Technische Hochschule“ berichtet und dass Professor Christian Janensky als Bibliotheksdirektor aufgefordert worden wäre, ein Buch aus dem Bibliotheksbestand zu entfernen, in dem der Marxismus abgelehnt wurde.53 Der Colloquium-Verlag wurde in der Propaganda der DDR als Spionage- und Propagandaorganisation des Westens angesehen. Erst 1957 erschien die Ostberliner Studentenzeitschrift „tua res“, die wesentlich als Medium der Gegenpropaganda wirksam wurde.54 Befördert wurde die Agentenhysterie von den Aktivitäten der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). In dieser Organisation hatten sich Menschen zusammengefunden, die bereit waren, bewusst und unter hohem persönlichem Risiko die DDR zu bekämpfen und auf einen Sturz ihres Gesellschaftssystems hinzuarbeiten. Zu den Aktivitäten der KgU zählten Flugblattaktionen, die Sammlung von Informationen, Spionage und Sabotageakte. Einschränkend muss berücksichtigt werden, dass die meisten für die KgU tätigen Menschen nicht an Aktionen mit einem Gewalthintergrund beteiligt waren. Die 1948 von dem Historiker und Publizisten Rainer Hildebrand gegründete Organisation war seit Beginn ihrer Tä51 Dieses Publikationsorgan war 1947 (erschien bis 1971) noch vor der Gründung der Freien Universität Berlin unter dem Titel „Colloquium–Zeitschrift für Junge Akademiker“ von den Amerikanern lizenziert worden. Herausgeber waren Otto H. Hess, ein Gründungsstudent der FU Berlin, und Joachim Schwarz, der als Chefredakteur tätig war. Die Zeitschrift behandelte Fragen von Studium und Hochschule. Ausführlich wurde über Entwicklungen an den Universitäten und Hochschulen in der SBZ und der DDR berichtet. Eine enge Zusammenarbeit bestand mit dem Verband Deutscher Studentenschaften (VDS) und seinem Gesamtdeutschen Referat.



Die Studenten der Freien Universität Berlin führten neben den Studiengebühren eine Deutsche Mark pro Semester zur Finanzierung des „Colloquium“ ab. Als Ende der 1950er Jahre die Zwangsabgabe zu Gunsten der Zeitschrift aus rechtlichen Gründen aufgehoben werden musste, entschied sich in einer Urabstimmung die Mehrzahl der Kommilitonen für die weitere Abführung des Betrags und damit für das weitere Erscheinen der Studentenzeitschrift.

52 Vgl. Colloquium – Zeitschrift für Junge Akademiker. 1 (1947) Heft 1, Mai 1947. 53 Vgl. Colloquium – Zeitschrift für junge Akademiker. 3 (1949) Heft 1, S. 10. 54 Vgl. „tua res“ wurde ab 1957 vom Ostberliner Studienkreis für Berliner Hochschulfragen herausgegeben.

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tigkeit ein wichtiges Zielobjekt des sowjetischen Geheimdienstes. Die Initiatoren der KgU hatten zum Umfeld des Geopolitikers Karl Haushofer gehört. Besonders geprägt wurde sie durch den 1908 geborenen Historiker Heinrich von Zur Mühlen, der aus dem Baltikum stammte und einen Suchdienst unter dem Decknamen „Dr. Heinrich Hoffmann“ errichtet hatte. Bereits im Sommer 1946 war er für den britischen Geheimdienst tätig gewesen.55 Im Jahre 1950 stammte etwa die Hälfte der finanziellen Mittel aus Quellen der CIA. In Sachsen betrieb die KgU ein aktives Netzwerk, das nach Verrat vom sowjetischen Geheimdienst im Herbst 1951 weitgehend zerschlagen wurde.56 Das sächsische Netzwerk stand unter Leitung eines aus Sachsen stammenden Theologensohnes, der seit 1947 an der Theologischen Hochschule in Westberlin studierte. Im Jahr 1949 hatte er im Tagesspiegel unter dem Pseudonym „Fred Walter“ Artikel verfasst, die sich kritisch mit dem Verhältnis Staat – Kirche in der DDR auseinandersetzten. Die Aktivitäten der Gruppe konzentrierten sich vor allem auf die Verteilung von Flugblättern. und die Sammlung von Informationen über interne Entwicklungen in der DDR. Im Frühjahr 1951 wechselte „Fred Walter“ zu den Amerikanern. Der sowjetische Geheimdienst war 1951 in Zusammenarbeit mit dem MfS in die von der Bundesrepublik und vor allem aus Westberlin heraus operierenden Organisationen eingedrungen. Am 8. September 1951 wurde „Fred Walter“ in Berlin festgenommen. Wenig später stellte er sich diesem unter Druck und einer „Überwerbung“ als Mitarbeiter zur Verfügung.57 Während der nun folgenden Verhaftungswelle wurden etwa 200 Personen festgenommen. Sowjetische Militärtribunale verhängten mindestens 42 Todesurteile, die in Moskau vollstreckt wurden.58 Bereits Monate vor dieser Verhaftungswelle war vom MfS in einer Atmosphäre von Agentenhysterie eine Gruppe Dresdner Studenten festgenommen worden. Ende März und Anfang April 1951 nahm der Staatssicherheitsdienst drei Dresdner Studenten und eine Studentin fest. Sie waren in der Fachrichtung Architektur eingeschrieben, hatten das Vordiplom bestanden und waren befreundet. Das MfS warf den Studenten Staatsverrat, Spionage und Verbreitung von Hetzschriften vor. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der widerständigen Gruppe von acht Leipziger Studenten um Herbert Belter, Siegfried Jenkner und Werner Gumpel, die Anfang 1951 vom Sowjetischen Militärtribunal am Dresdner 55 Vgl. Enrico Heitzer, „Affäre Walter“, Die vergessene Verhaftungswelle, Metropol-Verlag, Berlin, 2008, S. 20 ff. 56 Vgl. Das Geheimnis des großen Verrats. Im Herbst 1951 wurde die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit in Sachsen zerschlagen. Über 40 Verbindungsleute wurden erschossen (aufgeschrieben von Jörg Marschner nach Recherchen von Enrico Heitzer vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung, in: Sächsische Zeitung 6. / 7. Oktober 2007, Magazin M2–M3. 57 Vgl. Enrico Heitzer, a. a. O., S. 135 ff. 58 Vgl. ebenda, S. 11.

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Münchner Platz zum Tode oder zu langjähriger Lagerhaft verurteilt wurden, sind die Dresdner Studenten von der DDR-Justiz abgeurteilt worden.59 Der Dresdner Architekturstudent Günther Schlage war am 27. März 1951 vom Staatssicherheitsdienst während einer Reise mit dem Auto vom Kyffhäuser nach Berlin verhaftet worden. Am 7. April 1951 wurden Waltraud Niether, Erich Schmidt und Karl-Heinz Münch festgenommen. Rückblickend beschreibt Waltraud Garrels, geborene Niether, ihre Verhaftung: „Früh gegen 5.00 Uhr Festnahme durch zwei Zivilbeamte des Staatssicherheitsdienstes. Als Grund wurde angegeben: Vorführung zu einem Gespräch. Mein Zimmer wurde versiegelt. Fahrt mit einem PKW in das Stasigefängnis Dresden. Nach ca. zwei Stunden wurde ich mit der ‚Grünen Minna‘ ohne Zielangabe abtransportiert. In dem Wagen befanden sich, wie ich an den Stimmen erkannte, die Kommilitonen Erich Schmidt und Karl-Heinz Münch. Die Fahrt endete in Weimar, wie ich dann in einer Zelle der Stasihaftanstalt von Mitgefangenen hörte.“60 Zwei Tage nach der Einlieferung in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Weimar wurde die in Einzelhaft gehaltene Studentin über zwei Monate fast täglich, zumeist nachts, verhört. Anfang Juli wurde sie in ein Gefängnis in Erfurt verlegt, wo sie weiterhin in Einzelhaft – nachts helle Beleuchtung und am Tag abgedunkelt – Verhören ausgesetzt war. Von September bis Dezember 1951 sah sie unter quälender Einzelhaft einem ungewissen Schicksal entgegen. Erst im November durfte sie nach rund sieben Monaten Untersuchungshaft einen Brief an ihre Angehörigen schreiben. Ende des Jahres wurde sie in die Polizeihaftanstalt nach Mühlhausen gebracht, wo sie sich bis nach dem Prozess im September 1952 mit einem oder zwei Mitgefangenen die Zelle teilte. Ihr wurde weder eine Arbeit zugewiesen noch durfte sie lesen.61 Der 26-jährige Günther Schlage wurde als das „Haupt“ der „Agentengruppe“ angesehen, der die Verbindung zu einer Westberliner Studentengruppe aufgenommen hatte, der wiederum unterstellt wurde, eine „Agentengruppe der Westmächte“ zu sein. Es handelte sich dabei um ehemalige Studentenvertreter der Sowjetischen Besatzungszone, die 1949 nach der Beseitigung der demokratisch gewählten studentischen Zonenvertretung in Westberlin den „Studentischen Zonen-Exilrat“ gegründet hatten. Das Ziel dieses Forums bestand in der Aufrechterhaltung der Verbindungen der Hochschulen zwischen Ost und West. Die Studierenden im Osten sollten mit Literatur versorgt und ein freier Meinungsaustausch auf neutralem Gebiet ermöglicht werden. Der ehemalige Vorsitzende des Studentenrates der 59 Vgl. Jens Blecher, Einschüchterungspolitik und Meinungsbildung durch Terror an der Universität Leipzig zwischen 1945 und 1955, in: Studentischer Widerstand an den mitteldeutschen Universitäten , a. a. O., S. 51 ff. 60 Bericht (vom 7. Dezember 2004) von Frau Dipl.-Ing. Waltraud Garrels, geb. Niether über ihre Verhaftung und den Haftverlauf. 61 Vgl. Ebenda.

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TH Dresden und Student der Architektur Günther Lange hatte nach seiner Flucht nach Westberlin dieser eher informellen Organisation angehört für und seine ehemaligen Kommilitonen in Dresden Literatur beschafft.62 Diese Kontakte wurden den inhaftierten Dresdner Studenten als Spionage, Friedensgefährdung und Kriegshetze ausgelegt. So wurden Günther Schlage gleichfalls Verbindungen zur Freien Demokratischen Partei (FDP) und zu einer „Spionageagentur“ vorgeworfen. Dabei hätte er Aufträge zu Berichten über Vorkommnisse an der TH Dresden und „interessante Ereignisse“ in der DDR entgegengenommen. Alle ihm übertragenen Aufgaben hätte er ausgeführt und den Auftrag zur Gründung einer Widerstandsgruppe entgegengenommen.63 Der 1925 in Chemnitz geborene Günther Schlage war der Sohn eines Schneidermeisters und hatte das Reformgymnasium in seiner Heimatstadt besucht. Er hatte der Hitlerjugend (HJ) angehört und war zum Arbeitsdienst und später zur Kriegsmarine eingezogen worden. Während der letzten Kriegsmonate diente er als Feldwebel bei der Infanterie, bevor er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Danach arbeitete er ein Jahr bei einem Bauern im Südharz und kehrte Mitte 1946 nach Chemnitz zurück, wo er bei einer Baufirma arbeitete und an einem Vorbereitungskurs für die Aufnahme zum Hochschulstudium teilnahm. Im September 1947 war er dann zum Architekturstudium immatrikuliert worden. Günther Schlage hatte bereits 1938 seinen Vater verloren, die Mutter war Hausfrau. Deshalb wurde ihm aus dem Fonds zur Förderung des Arbeiterstudiums und unbemittelter Studenten und Schüler im Land Sachsen ein Stipendium gewährt. Günther Schlage gehörte zu den Studenten, die sich in den etablierten Organisationen aktiv betätigten.64 Er war Mitglied des FDGB, der FDJ, der DSF und der Kammer der Technik (KdT). Über die einfache Mitgliedschaft hinaus betätigte er sich aktiv als Verbindungsreferent der Betriebsgewerkschaftsgruppe der Studenten der TH Dresden für Arbeitseinsätze in Betrieben, war Sekretär des Ausschusses der Nationalen Front an der Hochschule und deren Vertreter im Landesausschuss der Nationalen Front. Seine Beurteilung war durchweg positiv und wies ihn als „Organisations-Talent“ aus.65 Erich Schmidt, 1923 als Sohn eines Kellners in Coswig geboren, hatte bis 1938 die Höhere Abteilung der Volksschule in Radebeul besucht. Danach absolvierte er eine Lehre als Maschinenschlosser bei den Planeta-Druckmaschinen-Werken in 62 Vgl. Erklärung von Herrn Dipl.-Ing. Günther Lange vom 9. März 1961 über die Verbindung von Frau Waltraud Niether, verh. Garrels zum Studentischen Zonen-Exilrat vor ihrer Verhaftung (Kopie der Erklärung im Universitätsarchiv). 63 Vgl. SAPMO-BArch, DY 30, IV 2 / Nr. 904, Film 667, Bl. 45 f. 64 Dem Studenten Schlage wurde im März 1948 vom „Antifaschistisch-Demokratischen Block“ in Chemnitz mit Unterschriften der CDU, der LDPD und der SED bestätigt, dass er keine Funktion innerhalb der Hitlerjugend bekleidet hatte und nicht der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen beigetreten war, vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 999. 65 Ebenda.

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Radebeul. In dieser Zeit besuchte er Fachkurse an den Technischen Lehranstalten Dresden. Im Jahr 1941 bestand er die Gesellenprüfung als Maschinenschlosser. Anfang 1942 begann er das Ingenieurstudium in Dresden. Wenig später wurde er zur Wehrmacht eingezogen und diente als Unteroffizier bei der Flak, vor allem an der Ostfront. Nach wenigen Monaten in britischer Kriegsgefangenschaft kehrte er nach Coswig zurück, beteiligte sich einige Wochen am Wiederaufbau der Technischen Lehranstalten Dresden, der späteren Ingenieurschule, und begann im September 1945 als Maurer-Umschüler bei einer Baufirma zu arbeiten. Ende 1946 war er in die SED eingetreten. Im September 1947 wurde er von der TH Dresden als Architekturstudent immatrikuliert. Er hatte durch seine soziale Herkunft und den Eintritt in die SED den besonderen Status eines Arbeiterstudenten und erhielt ein Stipendium. Erich Schmidt war Leiter der Studiengruppe der FDJ. In einer Beurteilung wurde sein besonderes Interesse für Städtebau hervorgehoben. Er galt als „tatkräftig, konsequent und impulsiv“, dabei „kameradschaftlich und aufgeschlossen.“66 Waltraud Niether gehört zu den wenigen aus politischen Gründen verhafteten Studentinnen. Zum einen waren Anfang der 1950er Jahre weibliche Studierende noch in der Minderheit, zum anderen gehörte es damals noch nicht zum typischen Rollenbild der Frau, sich politisch zu betätigen. Waltraud Niether wurde 1927 als Tochter eines selbstständigen Klempnermeisters und einer Fotografin in Altlandsberg geboren und war bei Berlin aufgewachsen. Sie hatte im März 1945 mit der Reifeprüfung erfolgreich die Oberschule in Neuenhagen-Hoppegarten beendet. In den Wochen vor der Kapitulation arbeitete die Abiturientin als Serviererin und begann ab Juli 1945 in einem Architekturbüro in Berlin-Charlottenburg zu arbeiten, um sich auf ihr geplantes Architekturstudium vorzubereiten. Ihr Arbeitgeber, der Architekt und Kunstmaler Walter Labes, gab ihr im September 1946 nach Abschluss der Ausbildung ein hervorragendes Zeugnis und bestätigte, dass sie „das in sie gesetzte Vertrauen voll und ganz gerechtfertigt [habe].“67 Im Wintersemester 1947 konnte sie mit dem Studium der Architektur an der TH Dresden bei so renommierten Hochschullehrern und Architekten wie den Professoren Walter Henn, Karl-Wilhelm Ochs und Oswin Hempel beginnen. Die Diplom-Vorprüfung bestand sie im April 1950. Sie gehörte der FDJ und der Hochschulsportgemeinschaft an und arbeitete als Kultur- und Verwaltungsreferentin der Fachschaft. Gleichfalls war sie im Mensaausschuss des Studentenrats vertreten.68 Karl-Heinz Münch wurde am 14. August 1927 in Dresden als Sohn eines Prokuristen geboren, der sich nach Volksschulabschluss und kaufmännischer Lehre hochgearbeitet hatte und bereits 1943 verstorben war. Die Mutter hatte nach dem Abschluss der Volksschule als Städtische Angestellte gearbeitet. Im Oktober 1944 66 UA der TUD, Studentenakte, Nr. 939. 67 UA der TUD, Studentenakte, Nr. 894. 68 Vgl. Ebenda.

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erhielt Karl-Heinz Münch die Einberufung zum Arbeitsdienst und den so genannten Vorsemestervermerk, der die Gleichstellung mit dem Abitur einschloss. Ab Anfang 1945 absolvierte der Oberschüler Münch die militärische Ausbildung bei einem Grenadierbataillon. Mitte April 1945 wurde er noch an die Ostfront geschickt. Wenig später geriet er kurzfristig in sowjetische Kriegesgefangenschaft, aus der er unmittelbar nach Kriegsende entlassen wurde. Er gehörte mit seiner Mutter zu den Ausgebombten Dresdens, die im Februar 1945 mit ihrer Wohnung fast die gesamte Habe verloren hatten. Karl-Heinz Münch arbeitete nach Kriegsende einige Monate bei einem Dresdner Baumeister. Danach besuchte er einen „Auffrischungskurs“ für Abiturienten an der Oberschule Dresden-West, um sich auf ein Hochschulstudium vorzubereiten. Zum Wintersemester 1946/47 wurde Karl-Heinz Münch im ersten Studienjahrgang nach der Wiedereröffnung der TH Dresden an der Pädagogischen Abteilung zum Fachstudium für Gewerbelehrer für Holzbau immatrikuliert. Wenig später wechselte er die Fachrichtung und studierte Architektur. Im Mai 1949 bestand er die Diplom-Vorprüfung für Architekten und war im April 1951, kurz vor seiner Verhaftung, zur Diplom-Schlussprüfung zugelassen worden.69 Karl-Heinz Münch war seit Juli 1946 Mitglied der LDP und des FDGB. Im Jahr 1948 wurde der Student Münch zum 1. Vorsitzenden der LDP-Betriebsgruppe der TH Dresden gewählt. Der Gruppe gehörten etwa 50 Mitglieder an. Während die studentischen Mitglieder sich aktiv für ihre Partei einsetzten, hielten sich die Hochschullehrer mit dem Parteibuch der LDP eher zurück. Der Student Münch gehörte mehreren Ausschüssen der Parteileitung im Landes- und Bezirksverband an. Zudem war er Mitglied des Studentenrats, dem er seit seiner Gründung an der TH Dresden im Jahre 1946 bis 1949 als stellvertretender Vorsitzender und Außenreferent angehörte. Außerdem arbeitete er in der Landeskommission der Sozialen Studentenhilfe, die über die Stipendien verfügte. Nach der Einschätzung der FDJ-Hochschulgruppe vom Juli 1950 hatte er aktiv den demokratischen Neuaufbau unterstützt. Er galt als „redegewandt, temperamentvoll [und] hilfsbereit.“70 Während des Studiums wohnte er weiterhin bei seiner Mutter, die in der Stadtverwaltung von Dresden arbeitete.71 Nach über einem Jahr Untersuchungshaft in unterschiedlichen Haftanstalten war für den 25. und 26. Juni 1952 der Prozess vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts Mühlhausen angesetzt worden. Unter Anklage standen insgesamt elf Personen, davon vier Studenten der TH Dresden. Die anderen Mitangeklagten waren vor allem Bekannte und Verwandte von Günther Schlage. Der Staatsanwalt übergab ihnen die Anklageschrift, die sie nur für kurze Zeit und un69 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 887. 70 Ebenda. 71 Interview mit Herrn Dipl.-Ing. Karl-Heinz Münch am 3. November 2009 und UA der TUD, Studentenakte Nr. 887.

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ter Aufsicht lesen durften. Danach fanden Gespräche zwischen den Angeklagten und ihren Rechtsanwälten statt. Der Verteidigung war die Vorladung von Zeugen untersagt.72 Von den elf vor Gericht gestellten Angeklagten wurden drei, davon der Dresdner Student Karl-Heinz Münch, aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die anderen Dresdner Studenten wurden „wegen Verbrechens nach Art. 6 Abs. II der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik und der KontrollratsDirektive 38 Abschn. II Art. II A III“ zu Zuchthausstrafen verurteilt, Günther Schlage zu zehn und Erich Schmidt zu sieben Jahren. Ihnen war neben Spionage und Boykotthetze noch „illegale Gruppenbildung“ zur Last gelegt worden. Waltraud Niether wurden fünf Jahre Zuchthaus auferlegt. Die Medien der DDR stellten die parteipolitischen Urteilsbegründungen in den Zusammenhang mit der Systemauseinandersetzung, wie die Sächsische Zeitung am 27. Juni 1952, die ihre Leser auf die Urteile mit der folgenden Ankündigung aufmerksam gemacht hatte: „Hohe Zuchtausstrafen für Boykott- und Kriegshetze. Eine Studentengruppe der Technischen Hochschule arbeitete im Auftrag der Imperialisten“.73 Der Anwalt von Günther Schlage und Waltraud Niether hatte die Urteile angefochten und die Verletzungen des materiellen und formalen Rechts gerügt.74 So war Günther Schlage vorgeworfen worden, dass er im Auftrag einer Westberliner Organisation Nachrichten über alle Vorkommnisse an der TH Dresden gesammelt und weitergeleitet hätte. Dabei hätte er über den Streit zwischen zwei Professoren über Bauten an der Hochschule und über Vorlesungen an der Arbeiter-undBauern-Fakultät berichtet. Weiter hätte er ein Rundschreiben des Ministeriums für Industrie, das Anweisungen über Vorlesungen enthielt, an eine Institution in Westberlin übergeben. Damit wäre für das Gericht der Tatbestand der Spionage nach Artikel 6 der Verfassung der DDR erfüllt gewesen. Der Rechtsanwalt verwies in der Anfechtung des Urteils auch darauf, dass es das Gericht unterlassen hätte „sich damit auseinanderzusetzen, ob diese Punkte wirklich gegen Artikel 6 verstoßen. So wie es im Urteil erwähnt wird, kann man diese Frage weder bejahen, noch verneinen. […] All das, was hier erwähnt ist, sind Sachen, die für die Auseinandersetzung zwischen Ost und West praktisch ohne Bedeutung sind. Mindestens handelt es sich um solche Sachen, die jederzeit jedem Interessierten bekannt werden können, und deren Mitteilung weder einen Verstoß gegen die Verfassung, noch militaristische oder neofaschistische Hetze enthalten“75. Der Anwalt betrachtete das Urteil als „mindestens tatbestandsfalsch“, weiter sah er den § 264 I der Strafprozessordnung als verletzt an. Abschließend analysierte er ein weiteres Beispiel aus der Urteilsbegründung. So rügte er, dass die „Verbreitung von 72 Vgl. Ebenda. 73 Sächsische Zeitung vom 27. Juni 1952. 74 Vgl. Kopie der Abschriften der Anfechtungen der Urteile gegen Günther Schlage und Waltraud Niether vom 21. Juli 1952 (Kopie im Universitätsarchiv). 75 Ebenda.

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Adenauers [deutschlandpolitischer] Erklärung als Hetze angesehen [wurde].“ Es handelt sich hier in der Begründung des Anwalts „um ein Flugblatt, das auf der einen Seite die Ausführungen des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, auf der anderen die des Bundeskanzlers Adenauer enthält. Die Tägliche Rundschau hat beides gebracht. Auch hier fehlt es also am Tatbestande.“76 Gleichfalls betrachtete der Anwalt das gegen Waltraud Niether ausgesprochene Urteil als „Verletzung materiellen und formalen Rechts“. So war ihr vorgeworfen worden, sie hätte „Hetzmaterial“ vom Dresdner Hauptbahnhof abgeholt. Das war ihr während der Verhandlung nicht bewiesen worden, da sie erklärte, sie wäre „an dem fraglichen Tage mit anderen Kommilitonen zum Bahnhof gegangen […], um im dortigen HO-Kiosk eine Flasche Wein für eine kleine Abendfeier zu kaufen. Sie habe sich am Bahnhof von den anderen getrennt, habe den Wein geholt und wisse nicht, was geschehen sei.“77 Diese Einlassungen waren vom Gericht ebenso wenig gewürdigt worden wie die Feststellung von Waltraud Niether und den anderen, dass sie „Fachliteratur erwartet“ hätten. Ende 1950 habe die Studentin „Reader’s Digest“, „Der Monat“ und „Colloquium“ erhalten. Im Februar 1951 wären dann die „Erklärung Adenauers“, „Deutschlands Stimme“, „Osalin“ und „Klebezettel“ in ihre Hände gelangt.78 Weiter hätte das Gericht beispielsweise nicht geprüft, ob Orwells Erfolgstitel „1984“ oder „Reader’s Digest“ Hetzschriften seien. Der Rechtsanwalt bestritt auch die Behauptung des Gerichts, dass Waltraud Niether von den „Verbindungen des Schl[age] zur Westberliner Spionagezentrale etwas gewußt hätte.“79 Die Anfechtungsgründe und der Antrag auf eine nochmalige Verhandlung vor einem Gericht erster Instanz wurden vom Gericht wie bei den anderen verurteilten Studenten abgewiesen. Nach dem Ende der Revisionsfrist – die Einsprüche der Anwälte wurden verworfen – begannen die Jahre der Haft. Waltraud Niether musste in der Strafvollzugsanstalt Zwickau mit mehreren hundert weiblichen Gefangenen, vor allem Kriminellen, die Haft bei Schichtarbeit in der Näherei ertragen. Bevor sie in den Strafvollzug nach Halle verlegt wurde, war sie für zwei Monate wegen des Verdachts auf Tuberkulose in das Arbeitslager „Himmelsmühle“ bei Schneeberg gebracht worden. In der Haftanstalt in Halle arbeitete sie abermals im Schichtbetrieb in der Näherei.80 Da ihre Arbeitsleistungen über dem Durchschnitt lagen, sie gegenüber dem Wachpersonal als „korrekt und diszipliniert“ auftrat und sich gegenüber den Mitgefangenen als „kameradschaftlich und hilfsbereit“ erwies, wurde auf Beschluss des Bezirksgerichts Erfurt eine „bedingte Strafaussetzung ab 76 77 78 79 80

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Vgl. Ebenda. Vgl. Bericht über den Haftverlauf von Frau Dipl.-Ing. Waltraud Garrels, geb. Niether, 2004.

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1.12.1954 mit dem Ziel des Straferlasses gewährt“ und die Bewährungsfrist auf vier Jahre festgesetzt.81 Erich Schmidt kam Ende September 1956 frei und Günther Schlage wurde im Oktober 1956 entlassen.82 Die 1952 in Mühlhausen angeklagten und verurteilten Studenten waren vom Gericht als gefährliche Staatsfeinde eingestuft worden, als Gegner, die verurteilt und „umerzogen“ werden sollten. Die Urteile waren auch nach den Intentionen der DDR-Verfassung von 1949 alles andere als gesetzeskonform. Die Urteile sollten abschreckend wirken und waren Ausdruck der „revolutionär-demokratischen“ Machtausübung nach den Intentionen der Justizministerin Hilde Benjamin und des Generalstaatsanwalts Alfred Melsheimer. Während der folgenden Monate wurden weitere Studenten und Studienbewerber vor allem mit dem Vorwurf der Boykotthetze und der Spionage konfrontiert. Am 26. Juli 1951 nahm das MfS einen 21-jährigen Studienbewerber und seine dreiundzwanzigjährige Schwester fest. Beide waren gerade von einem Jugendtreffen in Westberlin zurückgekehrt und mit anderen Teilnehmern dieser Veranstaltung verhaftet worden. Beide hielt das MfS fast 15 Monate in der Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen fest. Während dieser Zeit wurden sie in den Haftzellen im fensterlosen Keller, bei elektrischer Beleuchtung überwiegend nachts verhört. Am 6. Oktober 1952, dem Vorabend des Gründungsjubiläums der DDR, wurden beide aus der U-Haft entlassen. Den Grund der Verhaftung haben sie bis heute nicht in Erfahrung bringen können. Vermutlich waren sie vom MfS nur unter einem wagen Verdacht festgenommen worden, der nicht erhärtet werden konnte. Dieses Schicksal macht deutlich, dass auch private Kontakte zu Jugendgruppen in Westberlin den Verdacht der „Boykotthetze“ nach sich ziehen konnten. Im Jahre 1994 wurden beide vom Landgericht Berlin politisch rehabilitiert.83 Am 30. Juli 1951 wurde in Dresden der Student des Bauingenieurwesens Rolf Bimmermann vom Staatssicherheitsdienst verhaftet. Dem am 20. März 1921 in Naumburg an der Saale geborenen Studenten waren die Beteiligung an der Organisation eines Widerstandskreises, die Abfassung und Weiterleitung von Berichten nach Westberlin, die Einführung von Flugblättern und die Verfassung einer politischen Resolution im „Sachsenparlament“ zur Last gelegt worden.84 Nach langer Untersuchungshaft in Berlin-Hohenschönhausen wurde er am 20. Februar 1952 vom Obersten Gericht der DDR aufgrund des Artikels 6 der Verfassung der 81 Vgl. Kopie des Beschlusses des Bezirksgerichts Erfurt, 1. Strafsenat, vom 8. November 1954 und Entlassungsschein der Strafvollzugsanstalt Halle. 82 Vgl. Namen und Schicksale der von 1945 bis 1962 in der SBZ / DDR verhafteten und verschleppten Professoren und Studenten, a .a .O., S. 81 f. 83 Vgl. Zeitzeugeninterview mit einem ehemaligen Studenten und Absolventen der TH Dresden am 23. Januar 2009; Urkunden des Landgerichts Berlin über die Rehabilitation, 1994. 84 Vgl. SAPMO-BArch, Berlin, DY 30 / IV 2 / Nr. 904, Film 667, Bl. 47.

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DDR und der Direktive des Alliierten Kontrollrates Nummer 38 zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt.85 Die später auf acht Jahre herabgesetzte Haftzeit musste er in den Zuchthäusern Brandenburg, Luckau, Magdeburg, Berlin-Rummelsburg und Waldheim verbringen. Erst im Februar 1960 wurde er in die Freiheit entlassen.86 Internationale studentische Organisationen wandten sich mit Resolutionen und Protestschreiben gegen Verhaftungen von Professoren und Studenten in der DDR, wie beispielsweise der britische studentische Nationalverband. In einem Antwortbrief bezeichnete Erich Honecker diese Festnahmen ausdrücklich als rechtens. Für ihn waren diese Studenten Agenten. So wäre Rolf Bimmermann als ehemaliger Leutnant der Wehrmacht „Mitglied der faschistisch-terroristischen Organisation ‚Bund deutscher Jugend’“ gewesen, hätte Spionageberichte geliefert und „im Auftrage der Westberliner Terroristenzentrale eine umfangreiche Kriegskampagne“ durchgeführt.87 Einen knappen Monat nach der Inhaftierung von Rolf Bimmermann wurde am 24. August 1951 Gerhard Liebscher festgenommen. Unter konspirativen Umständen war er aus seiner Wohnung gelockt und von der Staatssicherheit verhaftet worden. Seine Angehörigen wurden mehrere Wochen im Unklaren über seinen Verbleib gelassen, so dass sich sein Onkel gezwungen sah, in einem Schreiben an den Rektor eine Vermisstenanzeige aufzugeben.88 Bis zu seiner Verhaftung zählte Gerhard Liebscher als Mitglied der SED, der FDJ und der KdT zu den gesellschaftlich aktiven Studenten, deren Lebenserfahrung wesentlich durch den Krieg geprägt war. Nach dem Notabitur an der Dresdner Annenschule im Jahre 1944 war er zum Arbeitsdienst und wenig später zur Marine eingezogen worden. Als Mitglied der Besatzung des Kreuzers Köln geriet er kurz vor der Kapitulation Deutschlands schwer verwundet in britische Kriegsgefangenschaft, die er in Eutin verbrachte. Nach der Entlassung arbeitete er kurzzeitig in einem Krankenhaus in Schleswig und kehrte Anfang Mai 1946 nach Dresden zurück, wo er einen Vorbereitungskurs für das Hochschulstudium besuchte und in Dresdner Firmen als Praktikant und technischer Angestellter arbeitete. Nach seiner Immatrikulation an der TH Dresden im Wintersemester 1949 beteiligte er sich aktiv an der Jugendarbeit, hatte wesentlichen Anteil am Aufbau des FDJ-Funkstudios und förderte die Zusammenarbeit der Studiengruppe mit den Assistenten. Vor seiner 85 Vgl. BArchiv, Berlin, Zentrale Gefangenenkartei des MdI (Rolf Bimmermann) 86 Vgl. Namen und Schicksale, a. a. O., S. 78. 87 Müller, Marianne und Müller, Egeon Erwin, „ … stürmt die Festung Wissenschaft!“. Die Sowjetisierung der mitteldeutschen Universitäten seit 1945, herausgegeben vom Amt für gesamtdeutsche Studentenfragen des Verbandes Deutscher Studentenschaften und „Colloquium“ Zeitschrift der freien Studenten Berlins, als Reprint herausgegeben von der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (mit Unterstützung des Bundesministeriums des Innern), Berlin, 1994, S. 380 ff. 88 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 870.

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Verhaftung hatte er alle erforderlichen Abschlüsse für die Diplom-Vorprüfung erfolgreich absolviert.89 Nach mehrmonatiger Untersuchungshaft bei der Dresdner Staatssicherheit wurde im Dezember 1951 gegen ihn und vier weitere Angeklagte der Prozess vor dem Landgericht Dresden „wegen Verbrechen nach Artikel 6 der Verfassung der DDR, in Verbindung mit [der Kontrollratsdirektive] 38“ eröffnet.90 Am 13. Dezember 1951 wurde er vom Landgericht Dresden zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Neben ihm waren die 1930 geborene Dresdner Oberschülerin Gisela Göpfert zu sechs Jahren, die gleichfalls in Dresden beheimatete technische Assistentin Ursula Lötzsch zu zwei Jahren und der Dresdner Redakteur Johannes Christoph zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Eine zehnjährige Zuchthausstrafe erwartete den 1924 in Hamburg geborenen Journalisten Otto Petersen.91 Gerhard Liebscher wurde nach drei Jahren Haft im Dezember 1954 vorzeitig aus dem Zuchthaus Bautzen entlassen.92 Als der Physikstudent Dietrich Hartwig am 4. September 1951 im Studentensekretariat der TH Dresden seine Umschreibung von der Leipziger Universität nach Dresden vollzogen und das Büro verlassen hatte, wurde er vom MfS verhaftet. Nach tagelangen Verhören im Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit auf der Königsbrücker Straße wurde er am 13. September vom sowjetischen Geheimdienst abgeholt, der ihn in das MGB-Gefängnis auf der Bautzner Straße in Dresden brachte. Dietrich Hartwig gehörte zu den Verhafteten, die in Kontakt zur KgU standen. Er hatte von der KgU Flugblätter erhalten und nach Sachsen gebracht. Wie viele der aus politischen Gründen verurteilten Jugendlichen stand er der neuen politischen Entwicklung zunächst positiv gegenüber. So war er 1946 in die FDJ eingetreten und hatte in seinem Heimatort in Rammenau ehrenamtliche Wahlfunktionen in der FDJ ausgeübt. Zudem war er Mitglied der Demokratischen Bauernpartei. Von der weiteren politischen Entwicklung in der SBZ und der jungen DDR war er aber bald desillusioniert. Deshalb hatte er mit einer Gruppe Gleichgesinnter bereits als Abiturient Kontakte zum RIAS hergestellt, dessen Mitarbeiter ihn an die KgU weitervermittelte. Ab 1950 war er dann für die in Rammenau agierende und unter der Regie von „Fred Walter“ geführte Gruppe „Theoderich“ aktiv, der etwa 40 Mitglieder angehörten.93 Über diese Kontakte sammelte er Informationsmaterialien über politische Entwicklungen und verteilte gegen die politische Entwicklung der DDR gerichtete Flugblätter.

89 Vgl. ebenda. 90 Vgl. Beglaubigte Abschrift (28. Februar 1952) des Urteils, in: UA der TUD, Studentenakte, Nr. 870. 91 Vgl. Ebenda. 92 Vgl. Namen und Schicksale, a. a. O., S. 80. 93 Vgl. Enrico Heitzer, a. a. O., S. 80 f., 8

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Am 28. und 29. Januar 1952 standen acht junge Männer wegen ihrer Zugehörigkeit zur so genannten „Walter-Gruppe Theoderich“ vor dem Sowjetischen Militärtribunal in Dresden, das sie wegen Spionage und der Verteilung „konterrevolutionärer“ Flugblätter zu 25 bzw. 15 Jahren Arbeitslager und in einem Fall zum „Tod durch Erschießen“ verurteilte.94 Dietrich Hartwig sollte insgesamt 25 Jahre Arbeitslager verbüßen. Über Berlin-Lichtenberg wurde er nach Moskau gebracht und von dort in das sibirische Workuta, wo er bis zu seiner Entlassung im März 1955 in einem Kohlebergwerk arbeitete, bevor er nach Reschoti gebracht und im Dezember 1955 entlassen wurde. Danach ging er nach Westdeutschland und setzte in Karlsruhe sein Studium fort, wo er auch promovierte.95 Ein noch schwereres Schicksal ereilte den am 2. Januar 1929 in Dresden geborenen Studenten Heinz Just. Der aus einer Arbeiterfamilie stammende Student der Technischen Lehranstalten Dresden war Mitglied der LDP.96 Das MfS nahm ihn am 6. September 1951 fest. Obwohl kein Haftbefehl vorlag, wurde Heinz Just an das MGB übergeben. Nach fast vier Monaten Untersuchungshaft und in völliger Ungewissheit fand am 24. Dezember 1951 vor dem Sowjetischen Militärtribunal in Dresden am Münchner Platz der Prozess statt. Er wurde gemeinsam mit Friedrich Prautsch, einem 1929 bei Tetschen (ĆSR) geborenen Sudetendeutschen verurteilt. Vermutlich kannten sich beide vom Studium her. Friedrich Prautsch arbeitete ab 1948 zunächst als Aspirant bei der Revisions- und Treuhandanstalt für die Sowjetische Besatzungszone, bevor er von Ende 1949 bis Mai 1950 im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR tätig war. Danach nahm er ein Studium an der Deutschen Hochschule für Politik in West-Berlin auf. Friedrich Prautsch und Heinz Just wurden vom Militärtribunal Spionage vorgeworfen. Beide mussten am Heiligen Abend 1951 das Todesurteil durch Erschießen entgegennehmen. Beide wurden zuletzt Ende Februar auf dem Transport nach Moskau in Brest-Litowsk gesehen. Ihre Gnadengesuche lehnte das Präsidium des Obersten Sowjets am 18. März 1952 ab. Die Urteile wurden zwei Tage später am 20. März 1952 von einem Erschießungskommando in Moskau vollstreckt.97 Ein reichliches Jahr später wurde am 30. Dezember 1952 abermals ein Dresdner Student vom Sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt. Wolfgang Heinrich war Ende August 1952 während der Bahnfahrt auf der Strecke von 94 Vgl. Ebenda, S. 184 ff. 95 Vgl. Studentischer Widerstand an den mitteldeutschen Universitäten 1945 bis 1955. Von der Universität in den Gulag. Studentenschicksale in sowjetischen Straflagern 1945 bis 1955, herausgegeben von Jens Blecher und Gerald Wiemers. Mit einem Geleitwort von HansDietrich Genscher, Leipziger Universitätsverlag, 2005, S. 124 ff. 96 Vgl. UA der TUD, TLA 2 / Nr. 68, Bd. 6. 97 Vgl. „Erschossen in Moskau …“. Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953, herausgegeben von Arsenij Roginskij, Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Anne Kaminskky, Memorial International, Fact & Files, Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Metropol Verlag, Berlin, 2005, S. 222, 249.

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Berlin nach Dresden festgenommen worden. Während einer Personenkontrolle hatten die Kontrolleure Flugblätter mit antisowjetischem Inhalt in russischer Sprache und Aufzeichnungen über sowjetische Kasernen entdeckt. Während der anschließenden Durchsuchung seiner Wohnung fanden MfS-Angehörige weitere Schriften des politischen Widerstands. Wenige Tage nach seiner Festnahme lieferte die Dresdner MfS-Bezirksverwaltung Wolfgang Heinrich der sowjetischen Militärjustiz aus. Das Sowjetische Militärtribunal in Dresden verurteilte ihn am 30. Dezember 1952 wegen angeblicher Spionage, Vorbereitung zum Aufstand, antisowjetischer Tätigkeit und Propaganda sowie Mitgliedschaft in konterrevolutionären Organisationen zum Tode durch Erschießen. Am 31. März 1953 wurde nach der Ablehnung des Gnadengesuchs durch den Obersten Sowjet das Todesurteil in Moskau vollstreckt.98 Einige Wochen vorher war Stalin gestorben. Die Studentenakte gibt Auskunft über den Werdegang des zum Tode verurteilten Studenten der Hochschule. Der am 10. März 1932 im sudentendeutschen Bodenbach in der ČSR geborene Wolfgang Heinrich hatte nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Eltern im sächsischen Königstein eine neue Heimat gefunden. Er absolvierte 1951 die Oberschule mit der Reifeprüfung und begann im September desselben Jahres ein Studium der Ingenieurökonomie. Er war Mitglied der FDJ, der DSF und des FDGB. Er beteiligte sich besonders aktiv in der FDJ, so war Ende März 1951 seine Tätigkeit als Schulungsleiter von der Zentralen Schulungsgruppe der FDJ „Reiner Fetscher“ in Pirna lobend erwähnt. Sein Vater arbeitete als Angestellter der Versicherungs-Anstalt des Landes Sachsen. Die Mutter war Haufrau. Da das Einkommen der Eltern gering war, erhielt Wolfgang Heinrich ein Stipendium. Er hatte eine kleine Wohnung in Dresden und hatte sich für sein drittes Semester am 25. August 1952 nach den Sommerferien zurückgemeldet. Zwei Tage später wurde er festgenommen. Seine Eltern waren nach dem vorliegenden Schriftwechsel des Vaters mit dem Dekanat der Fakultät Wirtschaftswissenschaften, dem Rektor und dem Prorektorat für Studentenangelegenheiten nicht über die Verhaftung und die Verurteilung ihres einzigen Sohnes informiert worden. Sie lebten in völliger Ungewissheit und vermuteten, dass ihr Sohn verunglückt oder er Opfer eines Verbrechens geworden sei. Auch eine Abgängigkeitsanzeige beim Kriminalamt Dresden und eine weiter Anzeige beim Volkspolizeipräsidium Dresden blieben erfolglos. Die verzweifelten Eltern baten auch das Rektorat und die Fakultät erfolglos um Unterstützung bei der Suche nach ihrem Sohn. So sollte eine „Rundfrage unter seinen Studienkollegen“ über den Verbleib des Sohnes Aufschluss geben. Am 30. November 1952 wurde Wolfgang Heinrich exmatrikuliert, da er nicht zum Studium erschienen und angestellte Ermittlungen über seinen Verbleib ergebnislos geblieben waren.99 98 Vgl. Ebenda, S. 191. 99 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, F. 6 Nr. 814.

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2.2.1.  Prozess gegen Studenten mitteldeutscher Hochschulen (1952) Die Geheimdienste der Sowjetunion und der DDR waren zu Beginn der 1950er Jahre auch in die Strukturen von Westberliner Institutionen und Organisationen eingedrungen. Das soll am Beispiel der folgend geschilderten Verhaftungsaktion und des anschließenden politischen Prozesses gegen Studenten mit Kontakten zur Studentenzeitschrift „Colloquium“ deutlich gemacht werden. Zwischen dem 29. März und dem 1. April 1952 nahm das MfS eine Gruppe von Studenten der TH Dresden, der Universität Leipzig und der Friedrich-Schiller-Universität Jena fest, die Kontakte zur Westberliner Studentenzeitschrift „Colloquium“ unterhielten. Am 29. Mai 1952 informierte die Verwaltung Sachsen des Ministeriums für Staatssicherheit die Abteilung IX des MfS in Berlin-Orankesee über einen abgeschlossenen Vorgang gegen neun Studenten dieser Hochschulen. Dabei vermerkte die sächsische Verwaltung des MfS ausdrücklich: „Der Vorgang selbst wurde operativ durch unsere Freunde bearbeitet und nach erfolgter Festnahme uns übergeben.“100 Die Vorgehensweise zur Vorbereitung der Anklage war in einem Arbeitsplan des Untersuchungsorgans des MfS vom 13. Mai 1952 festgelegt worden. Dabei betrachteten die Vernehmer den Kontakt von Studenten zur Redaktion der Studentenzeitschrift „Colloquium“ als Verbrechen und gingen davon aus, dass die Kommilitonen „Spionagematerial über die Hochschulen in Dresden, Leipzig und Jena [geliefert hätten], welches an ausländische Geheimdienste weitergeleitet [worden sei].“101 Das MfS plante, die Untersuchung nach sieben Punkten durchzuführen und die beschuldigten Studenten bis zum 31. Mai 1952 „ihrer Verbrechen“ zu überführen. Die Vernehmung sollte bereits am 14. Mai abgeschlossen sein und die Protokolle der Wohnungsdurchsuchungen sowie die Vermögensaufstellungen bis Ende Mai vorliegen.102 Die Rolle des Hauptangeklagten war einem Dresdner Chemiestudenten zugedacht.103 Der 1928 als Sohn eines Studienrates geborene Götz Koerner hatte im Herbst 1947 mit dem Studium der Chemie an der TH Dresden begonnen. Zu seinen Professoren gehörten Arthur Simon und Max Boëtius, die dem neuen Staat distanziert bis ablehnend gegenüberstanden, was sie auch vor den Studenten nicht verheimlichten. Im November 1950 absolvierte Götz Koerner erfolgreich die Diplom-Vorprüfung. Neben dem Studium interessierte er sich insbesondere für Politik und philosophische Fragen. Er las Werke von Karl Jaspers, Martin Heidegger Søren Kiekegaard und Jean-Paul Satre. Im Gegensatz dazu war er wie 100 Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit, Verwaltung Sachsen, Untersuchungsorgan an das Ministerium für Staatssicherheit Abteilung IX in Berlin-Orankesee vom 29. Mai 1952, in: BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 260 / 54, Bl. 131 ff. 101 Arbeitsplan des Untersuchungsorgans, in: BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 260 / 54, Bl. 2. 102 Ebenda. 103 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 260 / 54, Bl. 11.

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seine Kommilitonen gezwungen, die Schriften Stalins zu studieren, die als höchste Stufen der Wissenschaft im gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht propagiert wurden. Offen wandte er sich gegen stalinistische Führungsmethoden in der FDJ und den ausgeübten Gruppenzwang zur kollektiven Verurteilung von politisch unangepassten Kommilitonen mit dem Ziel ihrer Exmatrikulation. Götz Koerner war mit anderen Dresdner Studenten im August 1951 zu den Ostberliner Weltfestspielen der Jugend und Studenten gereist, an denen 2 Millionen junge Leute aus Deutschland und Gäste aus mehr als 100 Staaten teilnahmen. Er nutzte diese Gelegenheit und besuchte ein deutsch-französisches Studententreffen an der Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf. Dabei traf er einen langjährigen Freund, der an der FU Berlin Medizin studierte und ihn mit dem verantwortlichen Mitarbeiter der Studentenzeitschrift „Colloquium“ bekannt machte. Götz Koerner ging auf das Angebot ein, diese Zeitschrift mit Informationen aus der Dresdner Hochschulszene zu beliefern. Seine Korrespondententätigkeit währte bis März 1952 und war mit mehreren Reisen nach Westberlin verbunden. Am 28. März wurde Götz Koerner von seinem Westberliner Freund in Dresden besucht und über die vorübergehende Festnahme des Colloquium-Mitarbeiters in Ostberlin informierte. Dabei hätte dieser auch die Namen der DDR-Studenten genannt, die Kontakt zur Zeitschrift hatten. Der Mitarbeiter wäre aber wieder frei gelassen worden. Nach Einschätzung des Leiters der Zeitschrift „Colloquium“ wäre eine Flucht nach Westberlin weder nötig noch vernünftig, da zudem die Anerkennung als politischer Flüchtling in Westberlin wenig aussichtsreich sei. Stark verunsichert begleitete Götz Koerner seinen Freund zum Dresdner Hauptbahnhof. An der Bahnsteigsperre wurden beide Studenten vom MfS verhaftet. Daraufhin wurde Götz Koerner dem sowjetischen Geheimdienst übergeben. Nach mehrtägigen Verhören und der Unterzeichnung einer Erklärung über „Stillschweigen“ erfolgte seine Rückführung zur Dresdner Staatssicherheit, die den Schauprozess „gegen Koerner und 8 Andere“ vorbereitete.104 Nach zwei Verhandlungstagen wurden am 2. August 1952 von der Großen Strafkammer des Landgerichts Dresden neun Studenten der TH Dresden, der Universität Leipzig, der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Freien Universität Berlin zu Zuchthausstrafen zwischen zwei und zehn Jahren verurteilt. Grundlage für die drakonische Bestrafung war wiederum der Artikel 6 der Verfassung der DDR in Verbindung mit der Kontrollratsdirektive 38.105 Der Staatsanwalt

104 Vgl. Götz Koerner, Erinnerungen „Knastologie“, Essen, 1997, S. 2 ff. 105 Vgl. Urteil des Landgerichts Dresden vom 2. August 1952, in: BStU, Außenstelle Dresden, a.a.0., Bl. 26–28.

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hatte auf Zuchthausstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren plädiert.106 Die Urteilsbegründung stützte sich wesentlich auf den Spionagevorwurf: „Im vorliegenden Falle handelt es sich um 9 Personen, die dem Studentenzeitschriftenverlag, der gleichzeitig eine getarnte Spionagezentrale ist, Material lieferten, wovon 8 der Angeklagten Berichte und andere Unterlagen aus der DDR dieser Zentrale zuführten und ein Teil davon an eine ‚andere Stelle‘ ging. Für diese ‚andere Stelle‘ nahm der Agent die Berichte entgegen und bezahlte mit Carepaketen oder mit Westmark. Die Berichte, die an den Verlag gelangten, erschienen dann in Form von Hetzartikeln in der Westberliner Studentenzeitschrift ‚Colloquium‘, welche wegen ihres Inhalts im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verboten ist.“107 Weiter hätte die Aufgabe bestanden „Nachrichten und Informationen zu sammeln und […] zu überbringen.“108 Für jeden Beitrag für die Zeitschrift „Colloquium“ waren Götz Koerner zwanzig Deutsche Mark in Aussicht gestellt worden, die weitgehend für die Fahrkosten verbraucht wurden. Zu seiner Sicherheit hatte er einen Decknamen erhalten. Im September 1951 soll Götz Koerner Charakteristiken von zwei Dresdner Professoren geliefert haben, die er gleich im Verlag in die Maschine getippt hätte. Nur einen Monat später wäre er erneut zum Verlag gereist und hätte dabei wiederum über seine Hochschule berichtet. Für den November 1951 konstatierte die Urteilsbegründung einen weiteren Aufenthalt in Westberlin.109 Kurios mutete der Vorwurf an, dass er bei seinen Besuchen in Westberlin die Zeitschrift „Colloquium“ gelesen habe. Im Februar 1952 hätte Götz Koerner „seine 7. Kurierfahrt“ durchgeführt und dabei „über den Besuch des Staatssekretärs Prof. Harig in der Technischen Hochschule Dresden [und] über weitere Einzelheiten [berichtet]“110. Während seiner letzten Reise nach Westberlin wurde der Dresdner Student von seinem zuständigen Ansprechpartner im Verlag informiert, dass er beobachtet würde und dass künftige Treffen in seiner Westberliner Wohnung stattfinden sollten.111 Im Anschluss daran wären Verhaltensmuster bei einer Festnahme durchgesprochen worden.112 Nach der Verhandlung suchten die Eltern von Götz Koerner das Gespräch mit dem Staatsanwalt, dem sie ihr Unverständnis über das hohe Strafmaß von 10 Jahren Haft zum Ausdruck brachten. Der Staatsanwalt versuchte den Eltern klarzumachen, dass die Entscheidung wissenschaftlich begründet sei und auf der 106 Sachstandsbericht des Staatsanwalts des Bezirkes Dresden an den Generalstaatsanwalt der DDR, Abt. 1 vom 7. August 1952, in: Ebenda, Bl. 11. 107 Urteilsbegründung (Auszug) , in: Ebenda, Bl. 30. 108 Urteilsbegründung, in: BStU, Außenstelle Dresden, a .a. O., Bl. 33 ff. 109 Vgl. Ebenda, Bl. 34. 110 Ebenda. 111 Vgl. Ebenda. 112 Vgl. Ebenda, Bl. 35.

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Kenntnis des „Dialektischen Materialismus“ beruhe. Da sich der Klassenkampf verschärft habe, hätten die Urteile in dieser Höhe ausfallen müssen.113 Götz Koerner wurde nach fast 5 Jahren Haft am 29. Februar 1957 aus dem Zuchthaus in Waldheim entlassen. Wenig später ging er in die Bundesrepublik und beendete sein Chemiestudium an der TH Stuttgart mit dem Diplom, an das sich noch die Promotion anschloss. Er hat seine Geschichte, die sich mit der Aktenüberlieferung deckt, in einem Essay 1997 niedergeschrieben.114 Zu den Opfern dieser Verhaftungsaktion gehörte auch der an der TH Dresden eingeschriebene Psychologiestudent Helmut Scheidt. Der aus dem thüringischen Mühlhausen stammende Student war in seinem Wohnort Jena verhaftet worden. Er hatte ebenfalls Verbindungen zum „Colloquium-Verlag“ unterhalten.115 Der Staatsanwalt hatte für Helmut Scheidt sieben Jahre Zuchthaus gefordert. Das Urteil war dann auf sechs Jahre Zuchthaus herabgesetzt worden.116 Nach der Untersuchungshaft in Dresden war Helmut Scheidt in den Zuchthäusern Bautzen, Waldheim und Torgau inhaftiert. Im Dezember 1956 wurde er entlassen.117 Auch Helmut Scheidt hatte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der neuen politischen Entwicklung in der SBZ / DDR anfangs aufgeschlossen gegenübergestanden. Sein bereits 1931 verstorbener Vater war Steindrucker und als Sozialdemokrat nach dem Ersten Weltkrieg als Angestellter der Ortskrankenkasse im thüringischen Mühlhausen tätig gewesen. Seine Mutter war Näherin. Nach dem Besuch der Volksschule begann Helmut Scheidt 1939 eine Lehre zum Werkzeugmacher, die er 1942 mit einem Facharbeiterabschluss beendete. Wenig später wurde er eingezogen. In den Jahren 1944 und 1945 nahm er an den Rückzugsgefechten der Wehrmacht in Polen und Ungarn teil. Nach kurzer Gefangenschaft bei der Roten Armee kehrte er im Juli 1945 nach Thüringen zurück und arbeitete bei verschiedenen Firmen, zuletzt bei Carl Zeiss Jena. Helmut Scheidt gehörte zu den jungen Menschen, die die Bildungschancen in der SBZ aktiv wahrnahmen. So hatte er an der Vorstudienanstalt der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Hochschulreife erworben. Im Anschluss daran begann Helmut Scheidt, der bereits verheiratet und Vater eines Kindes war, als Arbeiter-und-Bauern-Student ein Pädagogikstudium an der Universität in Jena. Das Vordiplom absolvierte er erfolgreich, erhielt Grund- und Leistungsstipendien in Höhe von 220 DM, dazu 70 DM Verheiratetenzuschlag. Anfang 1952 wechselte er an die TH Dresden und studierte Psychologie.118

113 114 115 116 117 118

Vgl. Götz Koerner, a. a .O., S. 12. Vgl. Götz Koerner, Erinnerungen „Knastologie“, Essen, 1997, 24 S. Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 260 / 54, Bl. 2. Vgl. ebenda, Bl. 11. Vgl. Namen und Schicksale, a. a. O., S. 81. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 1228.

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In der Verhandlung gegen Helmut Scheidt kam im Gegensatz zu der Tatsache, dass er als Mitglied der NSDAP geführt worden war, sein Beitritt zur SED im Jahr 1946 zur Sprache.119 So fand Erwähnung, dass er bei der Parteiüberprüfung 1951 durch „Streichung“ seine Mitgliedschaft verloren hatte. Vermutlich war der Arbeiterstudent Scheidt nach Jahren der Desillusionierung nicht mehr bereit gewesen, dem politischen Kurs der SED zu folgen. Wie die anderen verurteilten Studenten hatte auch er Kontakt zum „Colloquium-Verlag“ aufgenommen und über Vorgänge und Entwicklungen im Hochschulwesen der DDR berichtet. Das war ausreichend für eine Verurteilung zu vier Jahren Zuchthaus.120 Am 11. Dezember 1956 wurde Helmut Scheidt nach harten Haftjahren in Bautzen, Waldheim und Torgau entlassen.121 Zusammenfassend kann resümiert werden, dass auch dieser Prozess als politischer Prozess arbeitsteilig zwischen der Staatssicherheit und dem Gericht geführt wurde. Die Kontakte zur Studentenzeitschrift „Colloquium“ waren riskant. Die Westberliner Partner verhielten sich zudem unvorsichtig und fahrlässig, zumal sie um das hohe Risiko der Studenten aus den DDR-Hochschulen wussten. Die Urteile entsprachen keinesfalls rechtsstaatlichen Prinzipien. Der politische Schauprozess war als solcher von den als Zuschauer anwesenden Studenten erkannt worden. Die ausgesprochenen Haftstrafen sollten abschreckend wirken und den Informationsaustausch zwischen den Studenten der DDR-Hochschulen und Westberliner studentischen Organisationen unterbinden. Der Prozess fand in anderer Form an der Hochschule seine Fortsetzung. Studenten hatten während der Gerichtsverhandlung ihren Unmut über die Verhandlungsführung geäußert und mehrfach Bekundungen der Solidarität mit ihren Kommilitonen gegeben. Das hatte ein Nachspiel. Damit war der Prorektor für studentische Angelegenheiten Werner Turski,122 ein ausgesprochen schneidiger 119 Vgl. Erklärung von Helmut Scheidt vom 27. Mai 1946, in: UA der TUD, Studentenakte, a. a. O. 120 Vgl. Urteil vom 2. August 1952, in: BStU, Außenstelle Dresden Nr. 260 / 54, Bl. 26–28. 121 Vgl. Namen und Schicksale, a. a. O., S. 81. 122 Werner Turski wurde 1918 als Sohn eines Berghauers im schlesischen Weißstein geboren. Von 1928 bis 1937 besuchte er die Oberrealschule Breslau, wo er die Reifeprüfung ablegte. Danach war er Praktikant im Reichsbahnausbesserungswerk in Breslau. 1932 war er Mitglied der Roten Falken, einer sozialdemokratischen Kinder- und Jugendorganisation. Im April 1933 trat er in die Hitlerjugend ein und avancierte zum Führer einer Nachrichtenschar. Ab Oktober 1938 diente er bei der Wehrmacht und absolvierte die Feuerwerkerschule in Berlin. Während des Zweiten Weltkrieges war Werner Turski an verschiedenen Frontabschnitten in Afrika, Sizilien, Frankreich, Holland und an der Ostfront eingesetzt. Sein letzter Dienstgrad war Oberfähnrich (Offiziersanwärter) Er erhielt hohe Auszeichnungen, unter anderem das Eiserne Kreuz 1. Klasse und das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern. Nach seiner eigenen Darstellung waren diese Auszeichnungen mit seinen Leistungen bei der Entschärfung von Blingängern begründet. In den ersten Maitagen 1945 geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft aus der er als Arbeitsunfähiger bereits

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und durchsetzungsstarker Funktionär, befasst. Der Prorektor hatte ohne vorherige Konsultation des Dekans in der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften gegen insgesamt 33 Studierende Exmatrikulationen verfügt. Von der Fakultät wurde daraufhin am 12. September 1952 eine Beratung mit dem Prorektor erzwungen. Während sich die Professoren Walter König, Ordinarius für Farben- und Textilchemie, und Kurt Schwabe, Ordinarius für Elektrochemie und Physikalische Chemie, für ein Verbleiben dieser Studierenden an der Hochschule einsetzten, begründete Prorektor Turski die von ihm veranlassten Exmatrikulationen mit der mangelnden Beteiligung der betroffenen Studierenden an den obligatorischen gesellschaftswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen. Prorektor Turski parierte weitere Einwände der Professoren mit der angeblich besonderen Situation der Hochschulen der DDR. So wären „an fast allen Hochschulen Gruppen festgestellt worden, die von ausländischen Stellen zur Spionage benutzt werden.“123 Es hätte sich zudem „herausgestellt, daß zwischen mangelnder Studiendisziplin und mangelnder Leistung eine gewisse Verbindung [bestünde], und daß diese [Studenten] einen Nährboden für solche Machenschaften bieten.“124 Vom Staatssekretariat wäre angewiesen worden, „den Nährboden für solche Machenschaften zu beseitigen“.125 Dabei erwähnte er auch den bereits dargestellten Prozess gegen den Dresdner Studenten Götz Koerner, der an der Chemischen Abteilung studiert hatte. Gleichfalls in diesem Bereich hätte der Student Heinz Brocke126 als Mit-

123 124 125 126

Ende Juli 1945 aus dem Kriegsgefangenenlazarett Potsdam entlassen wurde. Im September 1945 wird er Bergarbeiter in Domsdorf. Anfang 1946 war er der SPD beigetreten und als ehrenamtlicher Schulungsreferent der Partei tätig. Ende des Jahres wurde er Organisationsleiter der Gesamtbetriebsgruppe der SED. Parallel dazu hatte er eine Vielzahl weiterer Funktionen in gesellschaftlichen Organisationen übernommen. Im November 1946 wurde er für das Studium an der Bergakademie Freiberg freigestellt. Der Student Turski war unter anderem Mitglied der Landes- und Kreiskommission der Sozialen Studienhilfe. 1947 bis 1949 war er Mitglied der Zonenkonferenz bzw. des Zonenrates der Vorsitzenden der Studentenräte, seit Juli 1948 ist er Sekretär und später einer der Vorsitzenden dieser Organisation gewesen. Im September 1950 unterbrach er das Studium in Freiberg, um an der Universität Leipzig als Dipl.-Lehrer für Gesellschaftswissenschaften abzuschließen. Von 1951 bis 1958 war er Prorektor für studentische Angelegenheiten (bzw. für Studienangelegenheiten). Außerdem war er seit 1951 Dozent für Marxismus-Leninismus, vgl. TU Bergakademie Freiberg, Universitätsarchiv, Nr. I Kd 1504 / 3. UA der TUD, Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften (Dekanat), Nr. 28 n. f. Ebenda. Ebenda. Heinz Brocke, Sohn eines 1938 in die Tschechoslowakei emigrierten SPD-Funktionärs und vor seinem Studium hauptamtlicher Funktionär der SED, galt als Initiator des gesellschaftlichen Lebens an der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften. Seine gesellschaftliche Tätigkeit wäre nach einer Beurteilung bedeutend gewesen für die gesamte Universität. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, IX, Nr. 769.

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glied der SED „einen großen Teil der Chemiker auf seine Seite gezogen“, bevor er die DDR verlassen hatte.127 Dem Einwand Professor Schwabes, dass durch die Exmatrikulationen doch der Industrie und dem 5-Jahr-Plan dringend benötigte Chemiker entzogen würden, stellte der Prorektor die Auffassung entgegen, dass größerer Schaden entstünde, „wenn diese Elemente an führenden Stellen in der Industrie tätig werden.“128 Der Prorektor beharrte weiter auf der Exmatrikulation von 28 Chemiestudenten sowie von fünf weiteren Kommilitonen, die für die Fachgebiete Physik beziehungsweise Biologie eingeschrieben waren. In der Mehrzahl waren seine Vorschläge politisch motiviert. Selbst SED-Mitglieder unter den Studenten waren vor der Exmatrikulation aus politischen Gründen nicht sicher. Professor Schwabe ließ im Protokoll festhalten, dass zwischen der Fakultät und dem Prorektor „eine schwere Divergenz“ bestehe. Nachdem Walter König festgestellt hatte, dass nach Auffassung des Prorektors die Disziplinarordnung der Hochschule in diesen Fällen nicht maßgebend sei, wurde auf Vorschlag von Karl Jordan, Professor für Zoologie, ein Beschluss in der Form herbeigeführt, dass die Fakultät die Exmatrikulationen in Form eines „fait accompli“, eines nicht mehr rückgängig zu machenden Sachverhalts, zur Kenntnis nimmt. Gegen den Willen der Fakultät wurden die Exmatrikulationen vom Prorektor durchgesetzt, ohne dass den Professoren ihre gegenteiligen Auffassungen angelastet wurden.129 Einige der exmatrikulierten Studenten kehrten wenig später an die Hochschule zurück und schlossen erfolgreich ihr Studium ab, andere verließen die DDR.130 Es wird deutlich, dass die politischen Prozesse gegen die Studenten nur die Spitze des Eisberges waren. Die Auswirkungen der Ost-West-Konfrontation waren auch an der TH Dresden allgegenwärtig. Vielfach waren Studenten, Assistenten und Hochschullehrer verunsichert und fürchteten die Verhaftung, wie Sibylle v. Schieszl, Oberassistentin bei Kurt Schwabe. Sie verließ mit Ehemann und Kind 1952 die DDR, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen.131 Die inneruniversitären Auseinandersetzungen entzündeten sich vor allem an den Forderungen zur obligatorischen Teilnahme an den gesellschaftswissenschaft127 128 129 130

UA der TUD, Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften (Dekanat), Nr. 28. Ebenda. Ebenda. So enthielt die Liste der zu exmatrikulierenden Studenten auch den Namen von HansHeinz Emons, später Professor in Freiberg und in der Modrow-Regierung Minister für Hoch- und Fachschulwesen der DDR. In einigen Fällen reichte schon die Begründung der gesellschaftlichen Inaktivität, das Hören von „RIAS-Meldungen“ oder die Note 4 im gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht für die Exmatrikulation. 131 So verließ Dr. Sibylle v. Schieszl, Oberassistentin bei Professor Kurt Schwabe, mit ihrer Familie die DDR. Nach ihrem Bericht hatte sie 1952 von Kurt Schwabe eine Liste mit den Namen von Studenten erhalten, die sie vor drohender Verhaftung durch das MfS warnen sollte. Vgl. Universitätsjournal 11 (2001) Nr. 8 vom 24. April 2001, S. 9.

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lichen Pflichtveranstaltungen. Das Staatssekretariat beeinflusste insbesondere über den mit großen Vollmachten ausgestatteten Prorektor für studentische Angelegenheiten die politische Ausrichtung der Hochschule. Dabei waren Androhung und Durchführung von Exmatrikulationen seit Anfang der 1950er Jahre probate Mittel der Disziplinierung und Selbstdisziplinierung von Studierenden.

2.3.  Vereinzelter Widerstand (1953 bis 1958) Die SED und die Regierung hatten ihre Macht nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 nur mit Unterstützung sowjetischer Truppen stabilisieren können. Dresden als industrielles Zentrum gehörte zu den Städten, deren Infrastruktur durch Streiks und andere Formen von Massenprotesten besonders betroffen waren. Im Gegensatz dazu blieb es an der TH Dresden in den dramatischen Tagen um den 17. Juni 1953 eher ruhig. Selbst in Bereichen wie der Chemischen Abteilung, in denen Studenten, Assistenten und Professoren der Politik der SEDFührung kritisch oder sogar ablehnend gegenüberstanden, wurde der normale Dienstbetrieb aufrechterhalten. So konnte die Hochschulparteileitung in ihrem Bericht an die SED-Kreisleitung Dresden resümieren, dass die 4000 Angehörigen der Hochschule ihrer normalen Tätigkeit nachgegangen wären und beispielsweise Professor Arthur Simon die Belegschaft der Chemischen Laboratorien erfolgreich zum Weiterarbeiten aufgefordert hätte.132 Zudem hätten Studenten, die in Dresdner Betrieben ihr Berufspraktikum absolvierten, „positiv diskutiert“, nur in einzelnen Fällen hätten sie sich den „Provokateuren angeschlossen“.133 Im Gegensatz dazu vermerkt der Bericht gegenläufige Entwicklungen beim Mensapersonal und besonders auf den Baustellen im Hochschulgelände, wo offenbar die Bauarbeiter die Arbeit niedergelegt, aber die Baustellen nicht verlassen hatten. Studierende hätten mit ihnen diskutiert.134 Anders sah es in der Außenstelle der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät der TH Dresden in Görlitz aus. Hier widersetzten sich Studenten und Lehrkräfte den Aufständischen und verhinderten, dass sie in das Gebäude der Schule eindrangen. Darüber hinaus hatten sich Studenten der ABF gegenüber dem 1. Sekretär der Kreisleitung der SED in Görlitz-Stadt Karl Weichold bereit erklärt, das Parteihaus zu schützen, was dieser abgelehnt hatte. Der auf Dialog setzende SED-

132 Vgl. SHStA, SED-Kreisleitung, Nr. IV / 4.15 / 055 (Informationsberichte vom 17. Juni 1953). 133 Vgl. Ebenda. 134 Vgl. Ebenda.

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Sekretär wurde deshalb später von seiner Funktion entbunden und aus der SED ausgeschlossen.135 Görlitz war am 17. Juni 1953 bekanntlich mit rund 30.000 Demonstranten und einem überbetrieblichen Streikkomitee ein Zentrum der Masseproteste.136 Mehrere Gebäude der Staatsmacht und der SED waren von aufgebrachten Demonstranten gestürmt worden.137 Die konsequente Unterstützung der SED-Führung von Seiten der Studenten der ABF war symptomatisch für deren enge politische Bindung an den Staat. Zu erheblicher Verunsicherung unter den Hochschulangehörigen hatte am 18. Juni 1953 die Besetzung von Dresdner Großbetrieben durch sowjetische Panzer geführt. Einen Tag später stand sowjetisches Militär auch auf dem Hochschulcampus. Besonders bei den Professoren Enno Heidebroek und Walter Ortleb wären politische Schwankungen aufgetreten, obwohl sie vor dem 17. Juni positive schriftliche Stellungnahmen zu den Beschlüssen des Ministerrates abgegeben hätten, die Fehler der Partei- und Staatsführung eingeräumt hatten.138 Unter dem Einfluss der Parteimitglieder hätten zudem acht Professoren persönliche Stellungnahmen abgegeben, die der SED-Bezirksleitung zugeleitet wurden.139 Insgesamt blieb die Lage an der TH Dresden im Vergleich zu den Dresdner Großbetrieben entspannt. Die Masse der Hochschulangehörigen, einschließlich der Studenten, verhielt sich abwartend und beteiligte sich nicht an Arbeitsniederlegungen und offenen Protesten. Die Hochschulgruppe der SED hatte ihre Mitglieder mobilisiert und Agitationsgruppen gebildet, die in den Instituten, der Verwaltung, in den Studentenwohnheimen und auf den Baustellen mit den Leuten diskutierten und sie offenbar von Kampfmaßnahmen und Solidarisierungen mit den Arbeitern und Angestellten aus den Dresdner Großbetrieben abhielten. Nur vereinzelt hatten sich Studenten aktiv an Aktionen im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 beteiligt, wie Siegfried Henkies, Student des Maschinenbaus im 3. Semester. Aufgrund fehlender Beweise war er aber wieder freigelassen worden. Danach verließ er die DDR.140 Härter traf es den in Berlin wohnhaften Studenten der Elektrotechnik Richard Höpfner, den das Ostberliner Stadtgericht am 14. Oktober 1953 auf der Grund135 Vgl. Bericht der SED-Kreisleitung Bautzen an die SED-Bezirksleitung vom 9. Juli 1953, in: SHStA, SED-Bezirksleitung Dresden, Bezirksparteikontrollkommission, IV / 2 / 4060, 104 ff. 136 Vgl. Heidi Roth, der 17. Juni 1953 in Sachsen. Mit einem Vorwort von Karl Wilhelm Fricke, herausgegeben von Klaus-Dieter Henke und Clemens Vollnhals, Böhlau Verlag, Köln, 1999, S. 598 f. 137 Vgl. ebenda, S. 257 ff. 138 Vgl. SHStA, SED-Bezirksleitung, a .a. O. 139 Vgl. ebenda. 140 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 6650.

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lage der Kontrollratsdirektive 38 verurteilte.141 Wegen angeblich „friedensgefährdender faschistischer Propaganda“ war er zu zwei Jahren Haft verurteilt worden.142 Bereits vor seiner Verurteilung wurde ihm am 31. August 1953 vom Prorektorat für studentische Angelegenheiten die Studienzulassung entzogen.143 Ebenfalls auf Grundlage der Kontrollratsdirektive Nummer 38 wurde der am 18. September 1953 in Berlin festgenommene 19-jährige Student der Elektrotechnik Erhard Buchau vom „1a Strafsenat“ des Stadtgerichts von Berlin zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Ende September 1953 hatte ihn die Staatssicherheit in Berlin verhaftet, als er sein Betriebspraktikum im VEB RFT-Werk Köpenick ableistete. Am 15. November berichtete das „Neue Deutschland“ über den Prozess unter der Schlagzeile „Gerüchtemacher, Dieb und Schieber in einer Person“.144 Ihm waren Beschimpfung von Mitgliedern der Regierung sowie der Weiterverkauf von 30 Radioröhren vorgeworfen worden, die er aus dem Radiofachgeschäft seines Vaters stammten. Gleichfalls fand Erwähnung, dass ihm, dem Empfänger eines Stipendiums, in Westberlin ein „Bettelpaket“ ausgehändigt worden wäre.145 Nach der Verurteilung wurden ihm rückwirkend sowohl die Studienerlaubnis als auch das Stipendium entzogen.146 Im März 1955 endete seine Haft in der Strafvollzugsanstalt in Berlin-Rummelsburg.147 Etwa zwei Wochen nach der Inhaftierung von Erhard Buchau wurde am 1. Oktober 1953 Herbert Dreyer festgenommen. Der in 1933 in Berlin geborene junge Mann war an der TH Dresden in der Fachrichtung Chemie eingeschrieben. Nach fast neun Monaten Untersuchungshaft war er vom „1b Strafsenat“ des Stadtgerichts Berlin auf Grundlage der Kontrollratsdirektive Nummer 38 zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus wegen unterstellter „friedensgefährdender faschistischer Propaganda“ verurteilt worden.148 Am 7. April 1955 wurde er aus der Strafvollzugsanstalt Berlin-Rummelsburg entlassen.149 Am 10. Juni 1954 verhaftete das MfS den in Dresden immatrikulierten und aus Berlin stammenden Physikstudenten Arno Neumann, der wegen angeblicher faschistischer Propaganda vom Stadtgericht Berlin zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Erst im April 1957 kam er nach mehrjähriger Haft in den Strafvollzugsanstalten Berlin-Rummelsburg und Stalinstadt, später Eisenhüttenstadt, 141 Die Kontrollratsdirektive Nummer 38 sah bekanntlich die Bestrafung von Kriegsverbrechern, aktiven Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen vor, die das NS-Regime gefördert und gestützt hatten. 142 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 1331. 143 Ebenda. 144 Neues Deutschland 9 (1953) vom 15. November 1953. 145 Ebenda. 146 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 1010. 147 Vgl. Namen und Schicksale, a. a. O., S. 78. 148 Ebenda, S. 79. 149 Vgl. BArchiv, Zentrale Gefangenenkartei des MdI (Herbert Dreyer).

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frei.150 Am 19. Oktober 1954 nahm der Staatssicherheitsdienst mit Eberhard Rooch einen ehemaligen Studenten der TH Dresden fest.151 Er hatte bereits im November 1952 nach fünf Semestern Bauingenieurstudium auf eigenen Wunsch die Hochschule verlassen.152 Der am 2. Februar 1931 in Königsberg geborene Eberhard Rooch wurde am 2. März 1955 vom Bezirksgericht Cottbus auf Grund des Artikels 6 der Verfassung der DDR und der Kontrollratsdirektive Nummer 38 zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.153 Der Fall dieses ehemaligen Studenten war offenbar für den Staat von hoher Brisanz, da auf dem als erstes Blatt in der Studentenakte abgelegten Bewerbungsantrag mit Rotstift und unterstrichen „Persönlich verschlossen beim Stud[ien]-Dekan!!“ vermerkt wurde.154 Am 29. Juni 1955 wurde der gelernte Maschinenschlosser und Student der TH Dresden Harald Wirth vom Staatssicherheitsdienst festgenommen. Der am 2. Mai 1930 in Altlandsberg geborene Harald Wirt war vom Bezirksgericht Halle am 23. November 1955 nach Artikel 6 der Verfassung der DDR zu neun Jahren Zuchthaus wegen angeblicher Spionage worden. 155 Nach Haftjahren in Brandenburg, Berlin und Torgau kam er nach einem „Gnadenerweis“ von DDR-Präsident Wilhelm Pieck am 28. Juni 1960 frei.156 Der Staatssicherheitsdienst verhaftete am 14. September 1955 den am 16. Juni 1928 geborenen Dresdner Architekturstudenten Günter Bähnk. Er war von der Volksschule auf das renommierte König-Georg-Gymnasium gewechselt, das nach 1945 schlicht Oberschule Dresden Ost hieß. Hier bestand Günter Bähnk das Abitur. Nach einem Betriebspraktikum arbeitete er als Lehrer für Kunsterziehung und bestand erfolgreich auch die so genannte zweite Lehrerprüfung an der TH Dresden. Bereits vor seiner Festnahme stand Günter Bähnk unter Beobachtung des MfS.157 In seiner Studentenakte war vermerkt worden, dass sein „Radio sehr laut“ gestellt gewesen und er natürlich den „RIAS“ gehört hätte. Zudem würde Bähnks Vater unter den „§ 51, ehemals Wehrmachtsbeamter“ fallen.158 Dieser Vermerk gelangte vermutlich in die Hände der Staatssicherheit, die ihn am 14. September in Dresden verhaftete. Am 16. Januar 1956 wurde der 28-jährige Günter Bähnk gemeinsam mit einem 1907 geborenen kaufmännischen Angestellten aus Dresden vor Gericht gestellt. Der für politische Verfahren zuständige Strafsenat des Bezirksgerichts verurteilte den Studenten und den kaufmännischen Angestell150 151 152 153 154 155 156 157 158

Vgl. Namen und Schicksale, a. a. O., S. 80. Vgl. BArchiv, Zentrale Gefangenenkartei des MdI (Eberhard Rooch). Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 923. Vgl. BArchiv, Zentrale Gefangenenkartei des MdI (Eberhard Rooch). Vgl. Anmerkung 152. Vgl. Namen und Schicksale, a. a .O. S. 82. Vgl. BArchiv, Zentrale Gefangenenkartei des MdI (Harald Wirth). Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 7445. Vgl. Ebenda.

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ten wegen „Verbrechens“ aufgrund des Artikels 6 der Verfassung in Verbindung mit § 74 des Strafgesetzbuches der DDR. Während der Angestellte zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, erhielt Günter Bähnk eine Zuchthausstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, da ihm zusätzlich ein Verstoß gegen das Gesetz zum Schutz des innerdeutschen Handels angelastet wurde. In der Urteilsbegründung fand Erwähnung, dass der Student Günter Bähnk Mitglied der NDPD, des FDGB, der FDJ und des Kulturbundes war. In dieser Organisation war er bis 1954 Stadtteilgruppenleiter.159 Ausschlaggebend für die Verurteilung waren seine Kontakte zum Ostbüro der SPD in Westberlin, die laut Urteilsbegründung von einer zwischenzeitlich in Westberlin ansässigen ehemals „republikflüchtig“ gewordenen Familie angebahnt worden wären. Die Urteilsbegründung unterstellte auch, dass er während eines Gesprächs im Ostbüro der SPD Auskunft über drei Lehrkräfte der Technischen Hochschule Dresden gegeben hätte.160 Ebenfalls wurde Günter Bähnk eine Zusammenkunft mit einem Westberliner Bekannten im Frühjahr 1953 vorgeworfen. Dabei hätte der Student Publikationen erhalten und „etwa 20 Hetzschriften wie Tarantel, Stern, Telegraf in das Gebiet der DDR eingeschleust“.161 Die Zeitschriften hätten dann offen in der Wohnung ausgelegen, sodass der Vater von Günter Bähnk und auch andere die Zeitschriften hätten lesen können. Auch wäre von ihm eine spätere Zeugin aufgefordert worden, anlässlich der Volksbefragung im Jahr 1954 „gegen den Frieden zu stimmen“, obwohl er „als Beauftragter für die Wahlhandlungen“ tätig gewesen sei.162 Er selbst hätte zugegeben, „immer gegen den Frieden gestimmt“ zu haben. Tatsächlich hatte er nach eigener Aussage die Wähler aufgefordert, die bereitstehende Kabine zur Wahrung der Anonymität der Wahlhandlung zu nutzen.163 Weiter hätte er „auch laufend die westlichen Hetzsender, insbesondere den NWDR abgehört.“164 Zudem wäre von ihm am 23. August 1955 ein Brief an diesen Sender geschrieben worden. Dessen Inhalt wäre „derart abscheulich“, dass es dem Senat des Gerichts versagt sei, „auch nur einige Auszüge wortwörtlich“ wiederzugeben. Ebenso wären von ihm weitere schwerwiegende Handlungen „gegen die fortschrittliche Entwicklung“ begangen worden, wie die Veräußerung eines Bildes und eines Fernglases sowie die Über-

159 Er war im März 1949 in den Kulturbund eingetreten. Im Juni 1950 übernahm er die Funktion des stellvertretenden Stadtgruppenleiters und Hauptkassierers von Dresden-Striesen und Dresden-Blasewitz. Im März 1952 wurde er zum Stadtgruppenleiter gewählt, in: UA der TUD, Studentenakte, Nr. 7445. 160 Urteilsbegründung des 1a Strafsenats des Bezirksgerichts Dresden vom 16. Januar 1956, in: BStU, Dresden, Staatsanwalt des Bezirks Dresden, Nr. 279, Bl. 204 ff. 161 Ebenda. 162 Ebenda. 163 Mitteilung von Günter Bähnk vom 15. Dezember 2008. 164 Urteilsbegründung des 1a Strafsenats des Bezirksgerichts Dresden vom 16. Januar 1956, a. a. O.

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gabe einer zerlegten Nähmaschine an eine „republikflüchtig gewordenen Familie“ in Westberlin. Dafür hätte er einen Sommermantel erhalten.165 Obwohl Günter Bähnk am 16. Januar 1956 zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, wurde er am 3. September 1956 entlassen. Von Mitte Februar 1956 arbeitete er bis zu seiner Entlassung für das Entwurfsbüro der Bezirksbehörde der Volkspolizei. Der Leiter der Haftanstalt teilte der Hochschule mit, dass „der Strafzweck der Umerziehung bei B. durch seine verbüßte Strafzeit als erfüllt angesehen werden konnte.“166 Das Studium der Architektur hat Günter Bähnk in der DDR nicht wieder aufgenommen. Er ging in die Bundesrepublik, wo er sein Studium erfolgreich abschloss. Von 1953 bis 1955 können vereinzelte widerständige Aktionen und Prozesse gegen Studenten nachgewiesen werden. Während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 hatte die Mehrzahl der Dresdner Studierenden sich zurückgehalten und eine abwartende Haltung eingenommen. Vereinzelt solidarisierten Studierende sich mit streikenden Arbeitern, teilweise stellten sie sich auch gegen die Forderungen der Streikenden und unterstützten die DDR-Regierung. Besonders offensichtlich war diese Haltung bei den Studenten der Außenstelle der ABF der TH Dresden in Görlitz.

2.4.  Studentenproteste gegen Westreiseverbote (1956) Im Jahr 1956 wurden die Angehörigen der TH Dresden mit politischen Entwicklungen konfrontiert, die dem propagierten Weltbild eklatant widersprachen. Der XX. Parteitag der KPdSU hatte überraschend mit dem Personenkult um Josef W. Stalin abgerechnet. Drei Wochen nach dem Parteitag war am 16. März 1956 die sensationelle und das sowjetische System entlarvende Geheimrede von Nikita S. Chruschtschow in der New York Times erschienen und hatte ein weltweites Echo ausgelöst. Die von ihm eingeleitete Entstalinisierung hatte zwar nicht die Einführung der Demokratie in der Sowjetunion zum Ziel, doch mit den ersten Schritten, wie der Rehabilitierung der Opfer des stalinistischen Terrors, der Abschaffung der Sondergerichte, der Lockerung der Zensur sowie Änderungen in der Außenpolitik und im Verhältnis zu anderen kommunistischen Parteien, verbanden die Menschen in der dipolar gespaltenen Welt große Hoffnungen. Die Stagnation nach dem 17. Juni 1953 schien überwunden zu sein. Deshalb setzten die Menschen in der DDR große Hoffnungen auf die 3. Parteikonferenz der SED, die Ende März 1956 in Berlin tagte, jedoch nach dem Willen von 165 Ebenda. 166 Vermerk des Leiters des Entwurfsbüros vom 5. November 1956 und Schreiben des Leiters der Untersuchungshaftanstalt I Dresden an die TH Dresden, Prorektorat für Studienangelegenheiten vom 12. November 1956, in: UA der TUD, Studentenakte, Nr. 7445.

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Walter Ulbricht nicht zu einer Generalabrechnung mit dem Stalinismus führte. Vielmehr wurden Staatssicherheit und Justiz auf einen schärferen strafpolitischen Kurs und Klassenkampf orientiert. Der Hauptstoß sollte sich danach gegen so genannte westliche Agenturen, Spione, Abwerber und Saboteure richten.167 Andererseits formierte sich in der SED-Führung Widerspruch zum autoritären und selbstherrlichen Führungsstil von Walter Ulbricht. Sein prominentester Gegner war ZK-Sekretär und Mitglied des Politbüros Karl Schirdewan, den die sowjetische Führungsriege als Vertreter des „Neuen Kurses“ besonders unterstützte und der von ihr als Nachfolger Walter Ulbrichts gehandelt wurde.168 Diese politischen Entwicklungen hatten nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Universitäten und Hochschulen der DDR, namentlich die TH Dresden. Die SED-Führung war zunehmend verunsichert und geriet weiter in die Defensive. Ihre Propaganda zeigte selbst unter den Anhängern und Sympathisanten des DDR-Sozialismus nur noch wenig Wirkung. Im Staatssekretariat für das Hochschulwesen der DDR und in den weitgehend zentralistisch geführten Universitäten und Hochschulen mussten sich immer öfter so genannte Revisionisten vor den Parteiorganisationen verantworten, die in Diskussionen oft nur in Details von der offiziellen Parteilinie abgewichen waren. Gleichzeitig sah sich die SED-Führung mit fundamentaler Kritik insbesondere ihres wirtschaftspolitischen Kurses konfrontiert. Die Widersprüche waren zu offensichtlich. Bereits im Juni 1955 war es zu einer Konfrontation zwischen der Hochschule und der Berliner Parteiführung gekommen, weil Walter Ulbricht in seiner Rede auf der 24. Tagung des ZK der SED das Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie öffentlich kritisiert hatte. Die Wissensvermittlung seitens des von Kurt Schwabe geleiteten Instituts war ebenso wie die angewandten Untersuchungsmethoden als veraltet bezeichnet worden. Daraufhin hatten sich die Assistenten und Mitarbeiter des Instituts in einem Brief an Walter Ulbricht gegen diese Vorwürfe entschieden verwahrt.169 Ebenso hatte Kurt Schwabe eine Aussprache von Wissenschaftlern der Hochschule mit Kurt Hager durchgesetzt. Diese energischen Schritte führten dazu, dass die Unterstellungen öffentlich in einer im Zentralorgan der SED, dem Neuen Deutschland abgedruckten Mitteilung des Sekretariats des ZK der SED, zurückgenommen 167 Karl Wilhelm Fricke, Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945–1968, Köln, 1990, S. 319 ff. 168 Vgl. Kommunismus in der Krise. Die Entstalinisierung 1956 und die Folgen. Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Analysen und Dokumente, Band 32, herausgegeben von Roger Engelmann, Thomas Großbölting und Hermann Wentker, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2008, S. 151. 169 Vgl. Schreiben der Assistenten, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Studenten des Instituts für Elektrochemie und physikalische Chemie der TH Dresden an Walter Ulbricht vom 15. Juni 1955. (Kopie im Besitz des ehemaligen Assistenten und Mitunterzeichners Herrn Dr. Manfred Röder, Dresden)

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wurden. Ebenso wurde dem Institut besonderer Respekt gezollt. Der für die Veröffentlichung der herabsetzenden Informationen verantwortliche Referent war nach der Mitteilung des Zentralorgans der SED aus dem Apparat des ZK der SED entfernt worden.170 Die zentralistische Führung der Hochschulen war im Laufe des Jahres 1956 auf massive Kritik gestoßen. Das brachte unter anderem ein Bericht der obersten Parteileitung der TH Dresden vom 10. Februar 1956 deutlich zum Ausdruck. Danach musste sich die Bezirksleitung der SED mehrfach mit von der offiziellen politischen Linie abweichenden Auffassungen beispielsweise in der Parteigruppe der Organischen Chemie auseinandersetzen. So hatten die Mitglieder dieser Parteigruppe nach Auffassung der Bezirksleitung den Klassenstandpunkt verlassen, als sie konstatierten, dass die Aufstellung der NVA nicht wie im Neuen Deutschland behauptet, eine Forderung der Werktätigen, sondern des ZK der SED gewesen sei. Von dieser Auffassung ließen sich die Mitglieder der Parteigruppe von den Angehörigen der Bezirksleitung nicht abbringen. Die hauptamtlichen Funktionäre sind nach dem Protokoll mit Fehlern des ZK der SED konfrontiert worden, wie der „Volkswahl, [dem] 17. Juni [und der] Normenerhöhung.“171 Es wurde deutlich, dass die Parteileitung der Hochschule keineswegs in der Lage war, sich eine Meinungsführerschaft zu erarbeiten. Die Unterstützung durch Angehörige der Bezirks- und Kreisleitungen Dresden der SED wirkte eher kontraproduktiv. Die Verkündung des Westreiseverbots für Studierende spitzte die Situation weiter zu. Während einer abendlichen Versammlung am 23. Mai 1956 mit den etwa 300 Seminargruppensekretären hatte Prorektor Werner Turski über die Feriengestaltung in der vorlesungsfreien Zeit gesprochen und angekündigt, dass ab sofort kein Student nach Westdeutschland und Westberlin reisen dürfe. Dabei berief er sich auf eine Direktive des Staatssekretariats für das Hochschulwesen und begründete das Reiseverbot mit der hohen Zahl von Studenten, die bereits 1955 in den Westen gereist seien, mit den dortigen Abwerbungsaktivitäten und mit der Verabschiedung des Wehrgesetzes im Bundestag. Die Vertreter der Seminargruppen setzten sich mit seiner Argumentation auseinander und fragten unter anderem, weshalb dennoch junge Arbeiter in den Westen reisen dürften. Zudem verwiesen sie auf ein Interview des Dresdner Oberbürgermeisters, der eine gesetzliche Grundlage verneint hätte, die Westreisen für bestimmte Personengruppen verbieten würde. Die frustrierten Studierenden forderten nach dieser offiziellen Mitteilung mit Nachdruck eine offizielle Gegenreaktion. So riefen am 24. Mai 1956 im Hochschulgelände Chemiestudenten mit Plakaten für denselben Tag zu einer öffentlichen Diskussion „Warum dürfen wir nicht nach Westdeutschland fahren?“ auf. 170 Vgl. Neues Deutschland 11 (1955) Nr. 159 vom 10. Juli 1955. 171 Protokoll der Sitzung der Zentralen Parteileitung am 10. Februar 1956, in: SHStA, SEDKreisleitung Dresden, IV / 4.15.026, n. f.

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Auch der Hochschulfunk verbreitete diese Mitteilung. Gleichzeitig hatte der Student Horst Zehlicke, Seminargruppensekretär im 8. Semester, eine so genannte Berichterstattungsversammlung einberufen. Mehrere Studenten und Studentinnen hatten ihn dazu im Wissen um die allgemeine Unterstützung der Kommilitonen gedrängt. Während der Vorbereitung der Versammlung forderten einzelne Chemiestudenten gezielt Kommilitonen aus anderen Fakultäten auf, unter anderem aus der Pädagogischen Fakultät, gleichfalls an der Versammlung teilzunehmen. Die Studenten nutzten auch dazu den Hochschulfunk. Am Nachmittag des 24. Mai 1956 gegen 16.00 Uhr wurde die Versammlung im großen Chemiehörsaal eröffnet, obwohl sie kurz vorher von der SED-Hochschulleitung für illegal erklärt und für den 25. Mai um 14.00 Uhr eine Versammlung mit einem kompetenten Gesprächspartner angekündigt worden war. Während der lautstarken Debatte, in der sich alle Diskussionsredner vehement gegen das ausgesprochene Verbot wandten, kam es zu tumultartigen Szenen unter den mehr als 500 Versammlungsteilnehmern, von denen einige das Verbot mit Plakaten karikierten. Entgegen der Aufforderungen von Angehörigen der Hochschulleitung trafen sich anschließend die Versammlungsteilnehmer, deren Zahl auf über 1000 protestierende Studenten angestiegen war, vor den Chemischen Instituten. Dabei verabschiedeten sie eine Protestresolution, in der die sofortige Rücknahme des Reiseverbots gefordert wurde. Nur achtzehn Kommilitonen unterstützten das von Prorektor Werner Turski propagierte Reiseverbot.172 Zudem hatten die Studenten der Fakultät Berufspädagogik einen Brief an Otto Grotewohl verfasst, in dem sie sich gegen das Reiseverbot aussprachen und darin eine „Bevormundung der gesamten Studentenschaft“ sahen.173 Unterzeichnet war das Schreiben von der studentischen Parteisekretärin sowie dem studentischen Leiter für Gesamtdeutsche Arbeit und dem Semesterleiter des Studienjahres. Der Dekan Karl Trinks unterschrieb gleichfalls.174 Am selben Tag hatte die Bezirksleitung Dresden der SED das Zentralkomitee in Berlin über das Politikum informiert, das als bewusste Provokation galt. Dabei wurde in Absprache mit dem 1. Sekretär der Bezirksleitung Dresden, Hans Riesner, festgelegt, dass der Sekretär für Propaganda und die 1. Sekretäre der FDJBezirks- und Stadtleitung sowie der Leiter der Bezirksverwaltung des MfS, Rolf Markert, für den sofortigen Einsatz an der TH Dresden beurlaubt wurden. Alle Abteilungsleiter mussten sich als Diskussionsredner in den Studentenwohnheimen zur Verfügung stellen.175 172 Vgl. Protokoll über die Leitungssitzung der Hochschulparteileitung am 31. Mai 1956, in: SHStA, SED-Kreisleitung, Nr. IV/4.15 026, Bd. 6, n. f. 173 Vgl. Schreiben der Fakultät Berufspädagogik, 1. Studienjahr, an die Präsidialkanzlei des Ministerpräsidenten der DDR Otto Grotewohl vom 24. Mai 1956, vgl. SAPMO-BArch, DY 30, IV2, 904, Bl. 85 f. 174 Vgl. Ebenda. 175 Ebenda, Bl. 82 f.

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Die für den folgenden Tag von der Hochschul- und der Parteileitung angekündigte Versammlung mit kompetenten Gesprächspartnern erschien den Funktionären als zu gefährlich und wurde abgesagt. Trotz des über den Hochschulfunk wiederholt ausgesprochenen Verbots war die Mensa zum ursprünglich angekündigten Versammlungsbeginn bereits überfüllt. Nach einem Zeitzeugenbericht zogen wenig später bis zu 2000 Kommilitonen vor das Rektorat und forderten die Rücknahme des Reiseverbots. Erst nach weiteren Kontroversen mit dem stellvertretenden Rektor Hermann Ley löste sich die Ansammlung unter dem Eindruck eines heranziehenden Gewitters auf. Um die angespannte Situation zu beruhigen, verkündete in den folgenden Tagen Prorektor Turski offiziell per Aushang, dass Reiseerlaubnisse in Sonderfällen und nach persönlichen Rücksprachen erteilt würden.176 Die Studentendemonstration hatte das Rektorat, mehr noch die Hochschulparteileitung, in helle Aufregung versetzt. Am 28. Mai 1956 musste sie sich mit dieser „Provokation“ beschäftigen. In der Sitzung, zu der auch Parteifunktionäre übergeordneter Parteigremien, wie der Bezirksleitung der SED, zugezogen worden waren, sollten die Lage analysiert und Gegenmaßnahmen beschlossen werden.177 Einleitend gab der Sekretär der Hochschulparteileitung, Hoffmann, einen Überblick zur allgemeinen politischen Lage aus der Sicht der Parteiführung. Er ging davon aus, dass die Studenten aus der DDR von der westdeutschen Regierung gezielt korrumpiert würden, um sie für Westdeutschland zu gewinnen. Konrad Adenauer hätte auf dem CDU-Parteitag offen die Meinung vertreten, „daß die Ingenieure und Techniker für die westdeutsche Wirtschaft in der DDR ausgebildet werden.“178 Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hätte daraufhin im Hinblick auf die bevorstehenden Semesterferien gezielte Maßnahmen eingeleitet, um Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure aus der DDR abzuwerben und so die Wirtschaft der DDR zu schädigen. Weiterhin erwähnte er die Diskussionen im Zusammenhang mit dem XX. Parteitag der KPdSU und der 3. Parteikonferenz der SED. Nach den an Hochschulen und Universitäten der DDR sehr intensiv und kontrovers geführten Diskussionen wären die Angehörigen der TH Dresden sehr schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen. Die „gewaltigen Perspektiven [wären] sehr schnell in den Vordergrund“ gerückt worden.179 Weiter wurde festgehalten, dass die Studentendemonstration eine gezielte

176 Ausführlich dazu: Ulf Richter, Studentenproteste im Mai 1956, in: Mit dem Motorrad durch den Zeuner-Bau. Erinnerungen ehemaliger TU-Studenten, Bautzen, 2006, S. 146– 154. 177 Vgl. Protokoll über die Leitungssitzung der Hochschulparteileitung am 28. Mai 1956, in: Ebenda. 178 Ebenda. 179 Ebenda.

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Provokation des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen gewesen wäre.180 Nach der Auffassung des Parteisekretärs würde seine These von dem Fund einer Waffe und einer „schwarz-weiß-roten Fahne“ in der Nähe der Hochschule gestützt. Weiterhin analysierte er das Verhalten der SED-Organisation und stellte fest, dass in der angespannten Situation bis auf die Professoren Karl Trinks, Alfred Recknagel und Artur Bordag keine weiteren Parteimitglieder aus der Gruppe der Hochschullehrer präsent gewesen wären. Gleichfalls hätten 15 Genossen des Instituts für Gesellschaftswissenschaften gefehlt und selbst der 1. Sekretär der Hochschulparteileitung wäre nicht zur Stelle gewesen. Im Wesentlichen wurden vier Punkte festgemacht, die die „Provokation“ ermöglicht hätten: – Mit den Diskussionen über die Westreisen wäre zu spät begonnen worden. Es hätten zwar Aussprachen mit den Studenten stattgefunden, die in den Westen gereist waren, aber die Diskussionen wären nicht kontrolliert und gelenkt worden. Zudem hätte eine „Richtlinie des Staatssekretariats“ für die Diskussionsführung gefehlt. – Die studentischen Seminargruppensekretäre wären ohne eine vorherige Auseinandersetzung in der SED zur Problematik der „Westreisen“ angeleitet worden. In keiner Grundorganisation der SED in der Hochschule wäre über dieses Problem gesprochen worden. Gleichfalls war die Einbeziehung des Parteiaktivs der SED unterlassen worden. – Das Problem der „Westreisen“ wäre generell von der SED an der Hochschule unterschätzt worden. – Die Argumentation von Prorektor Werner Turski gegenüber den Seminargruppensekretären wurde als „überspitzte Darstellung“ gewertet und bekräftigt, dass eine Anweisung des Staatssekretariats vorläge, „daß grundsätzlich kein Student nach Westdeutschland fahren [dürfe].“ Ein Fehler des Prorektors Turski wäre es gewesen, dass er „die Dinge auf sich selbst [bezogen hätte], deshalb [wäre] auch der Hauptsturm gegen ihn“ gerichtet worden.181 Für den Sekretär der Hochschulparteileitung Hoffmann stellte sich die Situation der SED an der TH Dresden dennoch positiv dar, da „innerhalb kurzer Zeit eine ganze Reihe von aktiven Genossen sich ohne Bedenken für die Interessen der Partei einsetzten.“182 Diese Bedingungslosigkeit und Disziplin hätte „den guten Kern“ der Hochschulparteiorganisation bewiesen. So hätte der Einsatz von Parteimitgliedern als Wachdienst, für Kurier- und Meldetätigkeit funktioniert. Hervorgehoben wurden die Einsätze der Parteimitglieder des Industrie-Instituts sowie der 120 Genossen der Verkehrshochschule, die mit den demonstrierenden Stu180 Vgl. Ebenda. 181 Ebenda. 182 Ebenda.

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denten diskutiert hatten. Andererseits stellte der Parteisekretär Erscheinungen des Schwankens von Parteileitung und Genossen fest, die „an entscheidender Stelle versagten“. Dazu zählte er den Dekan der Pädagogischen Fakultät Karl Trinks und weitere „Gen[ossen] Funktionäre“, die die Protestresolution an Otto Grotewohl gleichfalls unterschrieben hatten. Sie begründeten dies mit ihrem Recht als DDR-Bürger zur Beschwerde.183 Der Vertreter der Kreisleitung der SED brachte offen sein Misstrauen gegenüber Karl Trinks zum Ausdruck, der aus der Sozialdemokratie kommend auch Vorsitzender des Sozialdemokratischen Lehrervereins war. Er hätte zudem bis 1953 engste Verbindung zum ehemaligen stellvertretenden Direktor der Kreuzschule unterhalten, der sich als „Agent des Ostbüros“ der Verhaftung durch Westflucht entzogen hätte. Zudem wäre durch Karl Trinks „auf einer Senatssitzung die Ablösung sämtlicher Außenminister [gefordert worden], da sie nicht imstande wären, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen.“184 Ein weiterer Abgesandter der SED Kreisleitung resümierte, dass die Stellungnahme von Karl Trinks zu den Westreisen „eine typische Argumentation des Ostbüros“ wäre.185 Prorektor Turski gab zu bedenken, dass Professor Trinks unter den nichtmarxistischen Professoren „eine breite Anhängerschaft“ besäße und nur von der Hochschule entfernt werden könnte ,,wenn es gelänge, ihn in einem Disziplinarverfahren unter Vorsitz des Rektors eines unakademischen Verhaltens [zu] überführen.“186 Fürsprecher fand Karl Trinks in der Sitzung vom 28.  Mai 1956 weder bei Parteifunktionären der Bezirks- und Kreisleitung noch bei den Funktionären der Hochschulparteileitung. In einem Resümee stellte der Sekretär der Hochschulparteileitung fest, dass das Verfahren gegen Karl Trinks durch die Bezirksleitung mit Unterstützung der Kreisleitung der SED durchzuführen sei. Diese Äußerungen unterstrichen wiederum die Ablehnung und das Misstrauen von SED-Funktionären gegenüber alten Sozialdemokraten, die nicht den Weg zur leninistischen Partei „neuen Typus“ mitzugehen bereit waren. Die hauptamtlichen SED-Funktionäre konnten sich auch auf Hochschullehrer wie Hermann Ley stützen. Der Philosophieprofessor Hermann Ley war von 1951 bis 1956 Prorektor für Gesellschaftswissenschaften der TH Dresden. Bereits 1930 hatte er sich für den Beitritt zur KPD entschieden. Davor hatte er als Leipziger Gymnasiast der SPD angehört. Nach dem Ende des NS-Regimes wurden dem inzwischen promovierten Zahnmediziner leitende Parteifunktionen in der Leipziger KPD- beziehungsweise SED-Führung übertragen. Hermann Ley galt als intelligenter Dialektiker, der konsequent die Parteilinie vertrat und Abweichungen von ihr unter den Hochschullehrern und den Studenten bekämpfte. Im Gegensatz zu den hauptamtlichen Funktionären hatte er sich in der Diskussion über die Studentendemonstration 183 184 185 186

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

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zurückgehalten und die Auffassung vertreten, „in wenigstens zwei bis drei Fällen gegen beteiligte Studenten ein Disziplinarverfahren durchzuführen.“187 Am 31. Mai 1956 fand die nächste Sitzung der Hochschulparteileitung statt. Abermals war die „Studentenrebellion“ einziger Beratungsgegenstand. Von nachmittags um 17.00 Uhr bis Mitternacht diskutierten die Parteileitungsmitglieder gemeinsam mit den anwesenden Abgesandten der Bezirks- und Kreisleitung der SED, deren Parteikontrollkommission sowie der Parteileitung der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften. Der Sekretär der Hochschulparteileitung verkündete einleitend, dass der Vertreter vom ZK der SED Johannes Hörnig die Annahme der Parteileitung bestätigt habe, wonach „die Provokation an der TH im Zusammenhang zu sehen ist mit der gegenwärtigen Krise, in der sich das Bonner System befindet.“188 Dazu führte er weiter aus, dass „schlagartig in sämtlichen Westzeitungen Artikel und Schlagzeilen über die ‚Studentenrebellion’ in Dresden“ erschienen sind. Obwohl bereits einige Tage seit der Studentendemonstration vergangen waren, hätten die Presse und der westliche Rundfunk erst am 31. Mai massiv über das Ereignis berichtet. Ganz gezielt hätten die Medien die anstehende Bundestagsdebatte abgewartet, um diese widerständige Aktion politisch zu verwerten. Während der Sitzung wurde deutlich, dass auch die Mitglieder der SED in der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften sich nicht kompromisslos hinter das Reiseverbot gestellt hatten. Weder von den Genossen noch von den Parteilosen wäre die Fakultätsparteileitung darüber informiert worden, dass die einberufene studentische Versammlung sich nicht im üblichen Rahmen einer Berichtsversammlung bewegen sollte. Deswegen war die Fakultätsparteileitung von einem Parteifunktionär beschuldigt worden, dass sie selbst keine klare „Stellung zu den Westfahrten“ der Studenten vertreten hätte und so dem Anspruch, „die Provokateure zu entlarven“ nicht gerecht werden konnte.189 Beispielsweise hätte der Student Horn als Mitglied der Fakultätsparteileitung über die geplante Aktion der Studenten informieren müssen. Selbst nach der Studentendemonstration wäre von diesem Studenten eine von der Parteilinie abweichende Auffassung vertreten worden, indem er die Mehrheitsmeinung vertrat: „Wenn 140 Genossen der PO [Parteiorganisation] die Meinung vertreten, daß Gen. Turski sich verantworten muß, dann könnte man sich nicht darüber hinwegsetzen.“190 Der Verlauf der Versammlung machte deutlich, dass die hauptamtlichen Funktionäre prinzipiell nicht vom ausgesprochenen Reiseverbot abwichen, vielmehr dessen Durchsetzung genauso forderten, wie die Entfernung der „Provokateure“ unter den Studenten. So unterstellte der Vertreter der SED-Bezirksleitung, „daß ganze Seminargruppen fordern, daß die Organisatoren dieses Studentenmobs von 187 188 189 190

Ebenda. Ebenda. Redebeitrag des Genossen Kremp, in: Ebenda. Redebeitrag des Genossen Drobig, in: Ebenda.

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der Hochschule entfernt werden […]“ und dass nicht geduldet werden könne, „daß solche Kräfte weiter an unserer Hochschule studieren.“191 Auf der Leitungssitzung wurde unter einem weitern Tagesordnungspunkt die Auseinandersetzung mit der Parteileitung der Fakultät Pädagogik fortgesetzt. Nach der Begrüßung von Karl Trinks und weiterer Mitglieder der Fakultätsparteileitung wurden diese über die Beschlüsse der Hochschulparteileitung informiert, die unter anderem die Untersuchung der Handlungsweise von Karl Trinks durch übergeordnete Parteiorgane vorsahen. Gleichfalls entzog die Hochschulparteileitung Karl Trinks das Vertrauen und schloss ihn aus der Fakultätsparteileitung aus. Alle Mitglieder der Hochschulparteileitung stimmten dem zu.192 Weiterhin verständigte sich die Hochschulparteileitung darauf, disziplinarische Maßnahmen gegen die Studierenden einzuleiten, die sich bei den Protesten besonders exponiert hatten. Dabei ging sie durchaus differenziert vor. So sollte beispielsweise der Student Eberhard Schmid, der die Abstimmung zur Annahme einer Protestresolution gegen das Verbot der Westreisen geleitet hatte, mit weiteren Studenten, wie dem Seminargruppensekretär Zelicke, exmatrikuliert werden. Irmgard Pauer wurde als die „größte Schreierin“ während der Versammlung ausgemacht, die zudem jede gesellschaftliche Arbeit ablehne und deren Freund Mitglied der „Jungen Gemeinde“ sei.193 Interessanterweise war in ihrem Fall von der Hochschulparteileitung nicht die Exmatrikulation vorgesehen, sondern nur eine „Verwarnung“ und eine Aussprache des Rektors mit ihrem Vater, dem bereits erwähnten Professor Walther Pauer. Die an den Studentenprotesten beteiligten Parteimitglieder unter den Studenten sollten durch Parteiverfahren und den Entzug von Stipendien abgestraft werden. Auch in der Fakultät Ingenieurökonomie wurden Parteimitglieder politisch zur Räson gerufen, die sich an den Studentenprotesten beteiligt hatten. Dazu wurde eine Parteiaktivtagung anberaumt, in deren Folge noch Aussprachen geführt werden sollten, um dann die festgehaltenen Ergebnisse der Kreisparteikontrollkommission zu übergeben.194 Weiterhin wurde im Studentenwohnheim Bergstraße von der SED eine Versammlung einberufen, um die Studenten zu beruhigen und zu disziplinieren. Der Abgesandte der Bezirksleitung und Professor Hermann Ley brachten die Auffassung des hauptamtlichen Apparats der SED auf den Punkt, als sie entsprechend Protokoll feststellten: „Illegal einberufene Versammlungen werden von uns nicht besucht. Die Taktik, ob wir sie dann auseinanderjagen oder nicht, hängt von der Situation ab.“195 Von den einfachen SED-Mitgliedern wurde verlangt, dass sie bedingungslos der Parteidisziplin Folge leisten. Die Fakultätsparteileitung der Che191 192 193 194 195

Diskussionsbeitrag des Vertreters der SED-Bezirksleitung, in: Ebenda. Vgl. Mitteilung der Beschlüsse durch den Sekretär der Hochschulparteileitung, in: Ebenda. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda. Ebenda.

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mie hatte in den Augen der hauptamtlichen Funktionäre versagt. Sie hätte sich „kapitulantenhaft“ verhalten. Ihr wurde vorgeworfen, dass sie sich vom politischen Gegner „das Gesetz des Handelns“ hätten aufzwingen lassen, weil in „prinzipiellen Fragen Unklarheiten“ bestünden.196 Letztlich zeigte sich, dass die Parteiführung an Grenzen ihrer Macht stieß und dass die studentischen Parteimitglieder ebenso wie die Hochschullehrer unter den SED-Mitgliedern den Parteidirektiven nicht bedingungslos folgten, sondern sich selbst mit widerständigen Studenten solidarisierten und darüber hinaus eigene Aktivitäten entwickelten, die der Parteilinie widersprachen. Obwohl gerade die hauptamtlichen Funktionäre übergeordneter Parteiorgane Repressionen gegen die Studenten forderten, die besonders aktiv den Studentenprotest gegen das Reiseverbot unterstützt hatten, waren von der Hochschulleitung keine Exmatrikulationen ausgesprochen worden. Stipendien wurden weiter gezahlt. Während am 17. Juni 1953 die Masse der Dresdner Studierenden politisch nicht in Erscheinung trat und dem Aufstand bis auf einige Ausnahmen indifferent gegenüberstand, hatten vor allem die veränderten politischen Rahmenbedingungen und der direkte Eingriff in das bisher doch weitgehend als sicher geglaubte, wenn auch eingeschränkte Recht auf Reisefreiheit zu diesen offenen Protesten geführt. Prorektor Werner Turski musste in den Wochen nach dem Studentenprotest klein beigeben und beantragte Reisen in den Westen „großzügig“ genehmigen. An der Hochschule galt er als angeschlagen und „Stalinist“, seine Macht schrumpfte zusehends, zumal er für die SED als Sündenbock herhalten musste. Als überzeugter SED-Funktionär hatte er Festlegungen des Staatssekretariats für das Hochschulwesen und des ZK der SED konsequent umgesetzt, den Zorn der Studenten auf sich gelenkt und sich nicht hinter den Berliner Funktionären versteckt. Er wurde später gänzlich von seiner Partei fallen gelassen.

196 Ebenda.

3.  Der Dresdner Studentenprozess 1959 und   seine Vorgeschichte 3.1.  Politische Richtungskämpfe In Polen und besonders in Ungarn waren die Stalinisten aus führenden Regierungsämtern verdrängt worden. In Ungarn hatten freie Wahlen stattgefunden. Die Lösung dieses Staates aus dem östlichen Bündnissystem schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Mit der Massendemonstration am 23. Oktober 1956 in Budapest hatten wesentlich die Studenten die Entwicklung in Richtung Demokratisierung vorangetrieben. So hatten sie auch der politischen Instrumentalisierung von Lehre und Forschung ein jähes Ende bereitet. An den Hochschulen der DDR wandten sich unter dem Eindruck der politischen Entwicklungen in Polen und Ungarn Teile der Studentenschaft gegen Reglementierung und orthodoxen Marxismus. Im Einverständnis mit der FDJ und teilweise mit Unterstützung der Professoren wurden umfangreiche Forderungen gestellt, die auf eine Reform des Hochschulbetriebs und die Gründung von unabhängigen studentischen Organisationen hinausliefen. Mitunter wurde sogar der Rücktritt der Führungsriege um Walter Ulbricht gefordert. Das MfS hatte Ende Oktober 1956 an fast allen Hochschulen solche Diskussionen registriert.1 Der Aufstand gegen die Parteidiktatur in Ungarn war von vielen Hochschulangehörigen sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR mit Sympathie aufgenommen worden. Umso mehr waren sie über die blutige Niederschlagung der ungarischen Demokratiebewegung durch sowjetische Truppen erschüttert. Gleichfalls waren viele Studenten im geteilten Deutschland besorgt über das militärische Engagement von Frankreich und England in Ägypten während der Krise um die Zukunft des Suez-Kanals. Ein offener Brief von Tübinger Studenten an den indischen Ministerpräsidenten Pandit Nehru widerspiegelt die zunehmende politische Teilhabe und Positionierung der westdeutschen Studierenden.2 Fast 1000 Tübinger Studierende distanzierten sich mit ihren Unterschriften sowohl von der militärischen Invasion Frankreichs und Großbritanniens in Ägypten als auch „von der barbarischen und heimtückischen Unterjochung des ungarischen Volkes durch die Sowjetunion.“3 Sie schlossen ihren Brief mit der folgenden nachdrücklichen Aufforderung an Nehru zum politischen Handeln: „Wir bitten Sie um Hilfe auch für Ungarn und 1 Vgl. Guntolf Herzberg, Anpassung und Aufbegehren. Die Intelligenz der DDR in den Krisenjahren 1956 / 58, Ch. Links Verlag, Berlin, 2006, S. 341. 2 Vgl. „Offener Brief an Nehru“, in: Tübinger Studentenzeitung Heft 1 von November 1956 , S. 2. 3 Ebenda.

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unterstützen unsererseits den schweren Kampf um Recht und Freiheit für Ägypten und Ungarn.“4 Anfang November 1956 solidarisierten sich Studenten der TH Dresden während spontaner Zusammenkünfte offen mit der niedergeschlagenen ungarischen Demokratiebewegung. Sie trafen sich an verschiedenen Orten der Hochschule, beispielsweise im Barkhausen-Bau, zu Schweigeminuten. Mindestens 30 Studenten aus dem Bereich der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften hätten sich an einer Solidaritätskundgebung beteiligt. Außerdem wären Schweigemärsche vorbereitet worden. Das Protokoll der SED-Hochschulleitung vermerkte auch Vorbereitungen zur Gründung eines unabhängigen Studentenverbandes.5 Repressionen gegen die beteiligten Studenten erfolgten offenbar nicht. Die offiziellen Kontakte zwischen Hochschulen und Universitäten in den beiden deutschen Staaten waren auch während der 1950er Jahre nie ganz abgebrochen. So fanden mitunter Besuche und Gegenbesuche von studentischen Delegationen statt, die in beiden Staaten umstritten waren und zu parteipolitischen Kontroversen führten. In der DDR wurde versucht, diese Kontakte politisch zu instrumentalisieren. Die 1955 unter Walter Hallstein proklamierten Grundsätze zur Isolation der DDR hatten gleichfalls gravierende Folgen auf die deutsch-deutschen Kontakte zwischen den Hochschulen und den Studierenden. Trotzdem besuchte Anfang Dezember 1956 eine elfköpfige Studentendelegation der Universität Göttingen die TH Dresden.6 Eigentlich war eine gemeinsame Diskussion zwischen Studenten aus beiden Teilen Deutschlands und aus Polen geplant. Das wurde aber von den Dresdner Gastgebern verhindert. Die Göttinger Studenten sollten vielmehr am „Vierten Jugendforum der FDJ-Kreisleitung in Dresden“ als Gäste teilnehmen. Sie nutzten diese Gelegenheit und traten als kritische Disputanten auf der Bühne des überfüllten Dresdner Stadthauses auf. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Deutschlandpolitik. Dabei empfahl der Göttinger Student Gunnar Clasen einen „gemeinsamen Weg zur Wiedervereinigung“ durch freie Wahlen unter internationaler Kontrolle, Zulassung der SPD sowie Verzicht auf die Einheitslisten bei Wahlen in Mitteldeutschland und Aufhebung des KPD-Verbots sowie der Fünf-Prozent-Klausel im Westen. Weiter setzte er sich für einen freien Presse- und Redneraustausch und freien Reiseverkehr ein. Zur Göttinger Studentendelegation gehörte auch ein Student aus den USA, der sich nachdrücklich für Reisefreiheit einsetzte und sich vehement gegen das in der DDR verbreitete USA-Bild aussprach. Danach war die Atmosphäre im Dresdner Stadthaus ideologisch aufgeheizt und der amerikanische Student wurde aufge-

4 Ebenda. 5 Vgl. Protokoll der Sitzung der Hochschulparteileitung vom 9. November 1956, in: SHStA, SED-Kreisleitung, Nr. IV / 4.15 / 026, n. f. 6 Vgl. Der Spiegel 10 (1956), Nr. 52 vom 26. Dezember 1956, S. 24 ff.

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fordert, zum Bombenangriff der USA auf Dresden Stellung zu nehmen.7 Ein Zwischenrufer bezeichnete ihn als „Kriegshetzer“. Als Diskussionsleiter reagierte der stellvertretende Dresdner Oberbürgermeister Paul Meuter auf die Kontroverse mit der Auffassung, dass der amerikanische Student auch nur „ein einfacher Amerikaner“ sei. Die Diskussionen, die vom Dresdner Rundfunkstudio aufgenommen wurden, zogen sich noch bis in den späten Abend hin. Der Rundfunkmitschnitt wurde vom Studio redaktionell so bearbeitet, dass die kritischen Passagen der Göttinger Studenten gelöscht wurden. Die Sächsische Zeitung beschimpfte in ihrer Ausgabe vom 8. Dezember 1956 unverhohlen die Studenten der TH Dresden und sparte auch nicht mit Kritik an der Hochschulparteiorganisation: „Vielen Dresdner Studenten mag gar nicht zum Bewußtsein gekommen sein, daß sie ein ideologisches Trommelfeuer überschüttete. Das klang doch so gut und so schön: Seht Euch Westdeutschland an. Empfangt Delegationen – aber solche wie aus Göttingen, die unverblümt zum Sturz der Regierung der DDR hetzte und die Liquidierung unserer volkseigenen Betriebe sowie der Bodenreform propagierte. Wußten die Genossen der TH Dresden diesen massiven Angriffen stets überlegen zu begegnen? Nein, nicht immer [...]“8 Das Organ der Bezirksleitung der SED stellte weiter künftige Studententreffen mit „prinzipienlosem Einander-um-den-Hals-Fallen“ infrage.9 Die Göttinger Studenten wurden in Dresden förmlich als offizielle Delegation behandelt, private Kontakte der Studenten untereinander waren nicht erwünscht. Ebenfalls waren die Funktionäre darauf bedacht, dass die westdeutschen Studenten möglichst nicht in Kontakt mit den polnischen Kommilitonen kamen. Ein verabredetes Treffen in der Mensa war diskret unterbunden worden. Sie konnten aber nicht verhindern, dass Adressen ausgetauscht wurden und die Göttinger Studenten nach ihrer Rückkehr einstimmig für die Kontaktaufnahme zu einer polnischen Hochschule stimmten. Die politischen Auseinandersetzungen waren Ende 1956 von den Funktionären der Hochschule und der Kreis- und Bezirksebenen nicht mehr in ihrem Sinne steuerbar. Prorektor Werner Turski und der Kommissarische Leiter des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Professor Hans Joachim Kelm mussten sich auf harte Diskussionen mit den Studenten einlassen und waren offenbar ihren Argumenten weitgehend machtlos ausgeliefert. Diskussionsgegenstände waren polnische und jugoslawische Sozialismusmodelle. Dabei vertraten die Studierenden auch in offenen Diskussionen so genannte national-kommunistische Theorien. Anfang Dezember 1956 diskutierte Karl Schirdewan auf einer von der Hochschulleitung der FDJ einberufenen Versammlung über das politische Geschehen in Ägypten, Ungarn und Polen. Mehrere Studenten verlangten unter dem Beifall ihrer Kommilitonen Diskussionsfreiheit und die Genehmigung 7 Vgl. Ebenda, S. 25. 8 Sächsische Zeitung vom 8. Dezember 1956. 9 Ebenda.

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zur Gründung von Studentenklubs. Karl Schirdewan stimmte der Gründung zu. Auch Fritz Selbmann soll sich gegenüber dem Hochschulsenat bereiterklärt haben, die Anträge der Studierenden zu unterstützen und mit ihnen über ökonomische Fragen zu diskutieren. Schließlich hatten die Studenten die Gründung von zwölf vorerst unabhängigen Studentenklubs durchgesetzt. Die dogmatischen Kader in der regionalen und zentralen Parteiführung um Walter Ulbricht sahen in dieser Entwicklung ein Zurückweichen vor liberalistischen Tendenzen, das für sie gleichbedeutend war mit politischem Revisionismus. Das Staatssekretariat für das Hochschulwesen als unmittelbar vorgesetzte Behörde auch der TH Dresden zeigte sich verunsichert in der Beurteilung der politischen Situation an den Universitäten und Hochschulen der DDR. So wurde auch im Senat der TH Dresden die Rektorenkonferenz vom 17. November 1956 ausgewertet, die sich mit studentischen Demonstrationen an der Humboldt-Universität, an der Universität Jena und an der Technischen Hochschule Ilmenau beschäftigt hatte.10 Am 11. Dezember 1956 unterbreitete Staatssekretär Gerhard Harig in einem Schreiben an ZK-Sekretär Kurt Hager Vorschläge zur Verstärkung der parteipolitischen Arbeit an den Hochschulen, wobei er deutlich die politische Führungstätigkeit in den Mittelpunkt stellte: „Der Auftrag, sozialistische Kader auszubilden, und das Zurückbleiben des politisch-ideologischen Bewußtseins bei einem Teil der Professoren und der Studentenschaft hinter der gesellschaftlichen Entwicklung, wie es sich zuletzt im Zusammenhang mit den Ereignissen in Ägypten, Polen und besonders in Ungarn wieder gezeigt hat, weisen auf die dringende Notwendigkeit hin, die Aufgabe der politisch-ideologischen Erziehung als vordringlichste Aufgabe im gesamten Hochschulwesen zu stellen.“11 Selbst der international renommierte Berliner Wirtschaftshistoriker und Kommunist Jürgen Kuczynski blieb von harten Angriffen wegen angeblich revisionistischer Abweichungen und einer Parteistrafe nicht verschont.12 Die SED-Führung reagierte auf unabhängige und von ihr nicht beeinflusste Gesprächskreise außerordentlich allergisch, wie im Falle des im Frühjahr 1957 von den Geschichtsstudenten der Hallenser Universität Arno Seifert und Heinrich Blobner initiierten Diskussionskreises, dem 8 bis 10 Kommilitonen ange10 Mitteilung aus der Senatssitzung am 30. November 1956, in der über die Auswertung der Rektorenberatung beim Staatssekretär berichtet worden war. Insbesondere hatten die Studierenden gegen den Russischunterricht und das gesellschaftswissenschaftliche Grundlagenstudium demonstriert, vgl. UA der TUD, Fakultät Maschinenwesen, Institut für allgemeine Maschinenlehre, Nr. 116. 11 BArch, Berlin, DR 3 (1. Schicht), Staatsekretariat für das Hochschulwesen, Sekretariat Dr. Wohlgemuth, Stellvertreter, Nr. 292. 12 Vgl. Horst Haun, Kommunist und „Revisionist“. Die SED-Kampagne gegen Jürgen Kuczynski (1956–1959), herausgegeben vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden (Berichte und Studien Nr. 21), Dresden, 1999, S. 14 ff.

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hörten. Sie debattierten über den Bolschewismus, über Fragen der sowjetischen Geschichtsschreibung, die Perspektiven des Sozialismus im Weltmaßstab und über Vorschläge zur Wiedervereinigung Deutschlands. Dabei werteten sie auch das „Neue Deutschland“ aus, dem sie die im Prozess gegen Wolfgang Harich untergeschobenen Thesen entnahmen. Im September 1957 verhaftete die Staatssicherheit Heinrich Blobner, dem „Einfuhr und Verbreitung von Westliteratur“ vorgeworfen wurde, und den Leipziger Studenten Peter Rehfeldt, der ebenfalls im Kontakt zum Hallenser Diskussionskreis stand. Arno Seifert wurde als dessen Mitbegründer im Dezember 1957 festgenommen. Nach langer Untersuchungshaft in Leipzig fand im September 1958 gegen die Kommilitonen Blobner und Seifert vor dem Bezirksgericht Halle die dreitägige Hauptverhandlung statt. Nach Auffassung des Gerichts hätten die Studenten „Staatsverrat“ begangen und versucht, die Gesellschaftsordnung der DDR zu beseitigen. Das Strafmaß in Höhe von sieben Jahren Zuchthaus und Vermögenseinzug war vorher zwischen dem MfS in Halle und Leipzig sowie der Staatsanwaltschaft, der SED-Bezirksleitung Halle sowie der SED-Grundorganisation der Universität abgestimmt worden. Nach einem halben Jahr Einzelhaft in Naumburg wurden Arno Seifert und Heinrich Blobner in das Zuchthaus Bautzen verlegt, wo sie bis zum 1. August 1964 blieben, ehe sie freigekauft werden konnten. Danach setzten sie ihr Studium in der Bundesrepublik fort. Das hohe Strafmaß gegen die Hallenser Studenten Seifert und Blobner sollte ihren Kommilitonen das hohe persönliche Risiko der Beteiligung an politisch unabhängigen Diskussionsforen deutlich machen, die nicht unter Anleitung, Aufsicht und Kontrolle der offiziellen staatlichen, gesellschaftlichen und universitären Institutionen standen.13 Im Wettstreit der politischen Systeme waren gerade von den Eliten eindeutige politische Positionierungen zum jeweiligen Lager gefragt. Dabei war der Zwang zur Abgrenzung in der DDR ungleich stärker ausgeprägt als in der Bundesrepublik. Dem Druck der Anpassung konnten sich die Studenten und Studentinnen in der DDR nur schwer entziehen, zumal die sozialen Studienbedingungen in der DDR gerade für Kinder aus den nichtbürgerlichen Schichten oft günstiger waren als in der Bundesrepublik. Auch die Mehrzahl der Studierenden, die die DDR verlassen hatte, war nicht offen gegen die Staatsmacht der DDR aufgetreten. Die meisten Studenten und Studentinnen der TH Dresden waren in Disziplinen der Ingenieur- und Naturwissenschaften eingeschrieben. Das bedeutete aber keinesfalls politische Abstinenz von Studenten dieser Disziplinen. Gerade das Fachwissen der Ingenieure und Chemiker war für den forcierten Aufbau der Schwerindustrie und der Petrolchemie in der DDR besonders gefragt. Unter den Studenten der ingenieurwissenschaftlichen Richtungen waren daher das Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Kritik insbesondere an den wirtschaftspolitischen 13 Vgl. Claus Peter Müller, „Gewaltsamer Umsturz und Untergrabung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Oktober 2008, Nummer 232 (Beilage Politik), S. 4.

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Rahmenbedingungen des Staates ausgeprägt, was wiederum zu Konflikten mit den Dozenten für das gesellschaftswissenschaftliche Grundlagenstudium führte. Diese Dozenten standen unter Dauerkritik. Auch die Parteileitung lastete es den Lehrkräften der Gesellschaftswissenschaften an, wenn die Studenten den offiziellen politischen und ökonomischen Verlautbarungen der DDR-Führung nur wenig Glauben schenkten. Immer weniger war auch die FDJ in der Lage, die Interessen der Studenten zu vertreten. Der Einfluss dieser politischen Jugendorganisation auf die Studenten war trotz hohem Organisationsgrad gering. Prorektor Werner Turski konnte sich der Kritik aus der Studentenschaft immer weniger entziehen und erkannte, dass die Rahmenbedingungen für das studentische Leben einer grundlegenden Änderung bedurften. Er versuchte sogar, dafür ein öffentliches Diskussionsforum zu schaffen. So hatte er bereits im August 1956 in der Zeitschrift „Das Hochschulwesen“ einen Beitrag über „die Arbeit mit der Jugend im Studienprozeß“ veröffentlicht. Dabei gelangte er zu dem Ergebnis, dass die FDJ nicht in der Lage wäre, die Mehrzahl der Studierenden zu vertreten. Auch aufgrund seiner Erfahrungen als ehemaliger Studentenrats- und Zonenratsvorsitzender forderte er die Wiedereinführung der Studentenräte, da „trotz aller Bemühungen weder vom Zentralrat der Freien Deutschen Jugend noch von den Bezirks- und Kreisleitungen des Jugendverbandes [die studentischen Interessen] genügend berücksichtigt [würden]“.14 Es wären zwar 90 Prozent der Studierenden in der FDJ organisiert, aber als Interessenvertretung würde die Jugendorganisation nicht anerkannt und in der praktischen Arbeit keine Wirkung zeigen.15 Wenige Monate vorher wollte Turski noch ein generelles Westreiseverbot für Studenten durchsetzen und hatte es deshalb auf eine Kraftprobe ankommen lassen. Die neue politische Situation hatte offenbar auch bei ihm ein Umdenken hervorgerufen. Auch innerhalb der SED-Führung verstärkten sich die internen politischen Auseinandersetzungen über den künftigen Kurs der Partei. Während Walter Ulbricht für einen autoritären Kurs stand, orientierte das Politbüromitglied Karl Schirdewan mit Fritz Selbmann, Ernst Wollweber und anderen zumindest auf eine teilweise Reform des Systems. Sie wurden deshalb von Walter Ulbricht als Revisionisten bezeichnet und aus allen politischen Ämtern verjagt. In den so genannten Revisionisten sahen die einen harten und repressiven politischen Kurs verfolgenden Funktionäre besonders gefährliche Feinde, da sie sich auf Marx und Engels beriefen. In Wirklichkeit waren diese Kritiker keineswegs Reformer und Repräsentanten eines demokratischen Sozialismus. Selbst Karl Schirdewan

14 Das Hochschulwesen. Monatsschrift für Fragen der Hochschulpolitik. Lehrmethodik und Hochschulorganisation. Herausgegeben vom Staatssekretariat für das Hochschulwesen 4 (1956), Heft 8 / 9, S. 379-386. 15 Vgl. Ebenda, S. 385.

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hatte noch vor seinem Sturz den harten politischen Urteilen im Jahre 1957 zugestimmt.16 Der Bericht des Politbüros an das 35. Plenum des ZK der SED, das vom 3. bis 6. Februar 1958 stattgefunden hatte, zeigt exemplarisch die Härte der Auseinandersetzungen in der Parteiführung, die mit einem vollständigen Sieg der Gruppe um Walter Ulbricht und Erich Honecker endete. Gleichzeitig nahm die SEDFührung Kurs auf eine stärkere Reglementierung der Universitäten und Hochschulen. Die folgenden im Bericht des Politbüros an das 35. Plenum des ZK der SED gemachten Ausführungen waren richtungweisend für die SED-Politik gegenüber akademischen Einrichtungen des Landes und gaben die politische Orientierung für die bevorstehende 3. Hochschulkonferenz der SED: „In den letzten zwei Jahren wurde offenkundig, daß an den meisten Fakultäten die bürgerliche Ideologie noch vorherrscht und die marxistisch-leninistische Erziehung der Studenten vernachlässigt wird, so daß unwissenschaftliche und rückständige Auffassungen Verbreitung finden. Viele Genossen unterlagen dem ständigen Druck des Gegners und vertraten revisionistische Auffassungen in den Grundfragen unserer Politik. Jenen Kräften, die im Auftrag westlicher Agenturen an den Hochschulen versuchten, Unruhe zu stiften, wurde nicht überall mit Entschlossenheit das Handwerk gelegt. Zum anderen wurde offenkundig, daß die mangelnde Produktionserfahrung für die Ausbildung der Studenten einen großen Nachteil bedeutet, und daß die Forschung und Lehre noch nicht überall mit der sozialistischen Praxis verbunden ist. Daher ist das Politbüro der Meinung, daß an den Universitäten und Hochschulen ein grundlegender Umschwung im Inhalt und den Methoden der Forschung, Lehre und Erziehung herbeigeführt werden muß, um das wissenschaftliche Niveau zu erhöhen und eine völlige Übereinstimmung mit den Erfordernissen des sozialistischen Aufbaues zu erreichen. Dies bedeutet erstens, daß ein entschiedener Kampf für die Durchsetzung der sozialistischen Ideologie an allen Hochschulen geführt werden muß. Unsere Universitäten und Hochschulen haben die Aufgabe, der Arbeiter-und-Bauern-Macht zu dienen und wissenschaftlich-technische, pädagogische und künstlerische Fachkräfte für den Aufbau des Sozialismus auszubilden. Diese Aufgabe kann jedoch nur erfolgreich gelöst werden, wenn das Fachstudium unlösbar mit dem Studium der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus, dem dialektischen Materialismus verbunden wird. Die Aneignung des dialektischen Materialismus, der Wissenschaft von den allgemeinen Entwicklungsgesetzen der Natur, der Gesellschaft und des Denkens ist die Grundlage für eine klare sozialistische Orientierung, für die sozialistische Erziehung der heranwachsenden Intelligenz und für die Überwindung der bürgerlichen Ideologie. Daher müssen die Parteiorganisationen und 16 Vgl. Deutsche Zeitgeschichte von 1945 bis 2000. Gesellschaft – Staat –Politik. Ein Handbuch, herausgegeben von Clemens Burrichter / Detelef Nakath / Gerd-Rüdiger Stephan, Karl Dietz Verlag Berlin, Berlin, 2006, S. 380.

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FDJ-Gruppen, die staatlichen Organe und Hochschulleitungen dafür sorgen, daß sich Lehrkräfte und Studenten in Vorlesungen, Aussprachen, Seminaren und im Selbststudium mit dem dialektischen Materialismus vertraut machen.“17 Auf demselben Plenum hatte Walter Ulbricht sich seiner politischen Gegner „entledigt“. Gemeinsam mit Erich Honecker warf er Karl Schirdewan, Gerhard Ziller, Ernst Wollweber und Fritz Selbmann „fraktionelle Tätigkeit“ vor. In einer offenbar feucht-fröhlichen Runde in der Gebietsparteiorganisation Wismut hatten sie Ulbrichts politischen und persönlichen Stil massiv kritisiert, was wiederum Ulbricht von einem MfS-Funktionär hintertragen wurde.18 Damit war der Vorwand zu einer Generalabrechnung geliefert. Schirdewan und seinen Mitstreitern wurde Versagen auf allen Politikfeldern und ein falsches „revisionistisches“ Herangehen, nicht zuletzt in Bezug auf die Akademiker und Studenten, unterstellt. Fritz Selbmann, der zu dieser Zeit das Ministerium für Schwermaschinenbau leitete und besonders enge Beziehungen zur TH Dresden unterhielt, hätte während der Zusammenkunft im Gebäude der Gebietsparteiorganisation der Wismut versucht, „durch sein Auftreten den Eindruck zu erwecken, daß die auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet erzielten Erfolge im Grunde genommen das Verdienst seiner Person seien. In Unterhaltungen und Trinksprüchen pries er lautstark seine Arbeit mit den Wissenschaftlern. Auf den Einwurf, daß auch andere Genossen sich um unsere Wissenschaftler gekümmert haben, winkte Genosse Selbmann ab. In seinen weiteren Ausführungen erwähnte Genosse Selbmann nicht ein einziges Mal die Rolle der Partei bei der Gewinnung der Wissenschaftler […]19 Karl Schirdewan wiederum wurde vorgeworfen, dass er zu zögerlich mit den Studenten der Veterinärmedizinischen Fakultät der Humboldt-Universität umgegangen wäre, die von westlichen Geheimdiensten gesteuerte Gruppen gebildet hätten. Dabei wäre von ihm die Ansicht vertreten worden, „daß man allein mit den Mitteln 17 SAPMO-BArch, DY 30, Nr. 2059, Bl. 59 ff. 18 „Es gehe jetzt auf Biegen und Brechen, aufs Ganze. Wir lassen uns nicht einen nach dem anderen abschießen. Entweder wir gehen vor die Hunde, dann wird man uns als Lumpen bezeichnen, oder wir gehen als Sieger hervor. Es wird auf der 35. ZK-Tagung zu Auseinandersetzungen kommen, wie sie noch nie erlebt wurden. Im Zusammenhang damit brachte Genosse Ziller zum Ausdruck, daß maßgebliche Stellen darüber informiert seien, was sich hier abspielen wird. Genosse Selbmann machte auch Ausführungen über seine Haltung zu Stalin. Er versuchte eine Kluft zwischen den Genossen aufzureißen, die in der Zeit des barbarischen Hitlerfaschismus in Zuchthäusern und Konzentrationslagern saßen und jenen Genossen, die auf Beschluß der Partei zeitweise vom Ausland aus, insbesondere von der Sowjetunion her die Arbeit in Deutschland leiteten und organisierten. Im Ergebnis der sehr ruhig und sachlich geführten Befragung aller Genossen gelangte das Politbüro, mit Ausnahme der Genossen Schirdewan und Oelßner, zu der Schlußfolgerung, daß die außerordentlich ernsten Vorgänge auf dieser Zusammenkunft auf eine fraktionelle Tätigkeit hinwiesen, die im Herbst 1956 und später auftraten, zu gruppenmäßigen Bindungen geführt hatten, an deren Spitze Genosse Schirdewan als treibende Kraft stand.“ Vgl. Ebenda, Bl. 59. 19 Ebenda, Bl. 60.

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der ideologischen Überzeugung durchkommt.“20 Ihm wurde unterstellt, dass er die Aktivitäten der amerikanischen und britischen Geheimdienste nicht erkannt hätte. Selbst der parteilose Rektor der Humboldt-Universität hätte Sicherungsmaßnahmen angeordnet und wäre „weitsichtiger“ gewesen als Karl Schirdewan. In der Zusammenfassung versetzte Erich Honecker den für Kaderfragen in der SED zuständigen Karl Schirdewan, der bereits als Nachfolger von Ulbricht gehandelt wurde, den politischen Todesstoß: „Inzwischen haben der Harich-Prozess und andere Tatsachen gezeigt, wie richtig es war, die Gefahren nicht zu unterschätzen, und wer die Lage richtig und wer die Lage falsch eingeschätzt hat. Damals schätzte Genosse Schirdewan die Lage falsch ein und wenn wir seinen Auffassungen gefolgt wären, hätte man sehr wahrscheinlich mit Waffengewalt konterrevolutionäre Aktionen niederschlagen müssen“.21 Wenig später wurde Karl Schirdewan aus allen politischen Führungsämtern entfernt und als Leiter der Staatlichen Archivverwaltung der DDR eingesetzt. Die SED-Organisationen der Universitäten und Hochschulen stimmten dieser Einschätzung zu und verurteilten „die Fraktionstätigkeit der Gruppe Schirdewan, Wollweber u.a.“, so beispielsweise die Grundorganisation Rektorat und Hauptverwaltung der Humboldt-Universität zu Berlin.22 Während Karl Schirdewan und Fritz Selbmann sich den kritischen Fragen der Studenten an der Humboldt-Universität und der TH Dresden gestellt hatten, verfolgten Walter Ulbricht und Erich Honecker gegenüber den Hochschulen und auf den anderen Politikfeldern zumeist eine dogmatische und unflexible Politik. Mit der politischen Kaltstellung Karl Schirdewans war die Machtfrage zugunsten einer zunehmend unflexiblen und dogmatischen politischen Linie gegenüber den Hochschulen verbunden. Die Möglichkeiten der freien Diskussion und politischen Auseinandersetzung wurden weiter eingeschränkt. Diese Entwicklung ging einher mit pragmatischen Entscheidungen der politischen Führung zu einer verstärkten Förderung der Hochschulen und Universitäten. Gleichzeitig sollten sich die Studenten, Assistenten und Professoren intensiv mit dem MarxismusLeninismus beschäftigen. Bereits im Frühjahr 1958 hatte die Hochschule unter Federführung der Parteileitung marxistische Zirkel und Kolloquien ins Leben gerufen, um eine engere Verbindung zwischen dem Marxismus und den jeweiligen Fachwissenschaften herzustellen. Damit waren neben dem bereits Anfang der 1950er Jahre obligatorisch eingerichteten gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagenstudium weitere Strukturen geschaffen worden, um politisch auf die Hochschulangehörigen und besonders die Studierenden Einfluss zu nehmen und sie für den Aufbau des propagierten Sozialismus entsprechend der Entschließung der 3. Hochschulkonferenz zu gewinnen. Als beispielhaft wurde der Entwurf für die „weiteren Schritte zur sozialistischen Umgestaltung der TH Dresden“ angesehen, 20 Ebenda, Bl. 65 f. 21 Ebenda. 22 SAPMO-BArchiv, Berlin, DY 30, N 2, 9.04, 703, Bl. 294.

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der ein Anforderungsprofil von Professoren, Assistenten und Studenten aufstellte und auf eine sozialistische Intelligenz orientierte. Sie sollte mit hohem Fachwissen den sozialistischen Aufbau vorantreiben.23 Gleichzeitig wurde offensiv auf neue Lebensformen, auf eine materialistische Weltanschauung und insbesondere auf ein enges Zusammengehen zwischen den Arbeitern und den Angehörigen der Intelligenz orientiert. Die steigenden Studentenzahlen – an der TH Dresden waren Ende der 1950er Jahre etwa 10.000 Studenten eingeschrieben – waren mit zunehmenden Arbeitsleistungen von Professoren und Assistenten verbunden. Seit Mai 1957 war ein weiterer Prorektor für wissenschaftlichen Nachwuchs für die fachliche, soziale und politische Entwicklung einer ausgewählten Gruppe künftiger Wissenschaftler verantwortlich. Abweichendes politisches Verhalten von Studenten und Nachwuchswissenschaftlern wurde nicht toleriert. Dabei darf gleichfalls die politische Kontrolle innerhalb der FDJ und der Seminargruppen nicht unterschätzt werden. Typisch für politische Maßregelungen war bis zum Ende der DDR der Versuch, erzieherisch auf Studenten einzuwirken, die nicht die vorgegebene Linie vertraten. So wurde dem Studenten Erhard Rehn im Mai 1958 vom Prorektorat für studentische Angelegenheiten in Übereinstimmung mit der FDJ-Fachrichtungsleitung und der FDJ-Vollversammlung nach mehrstündiger Diskussion die Studienerlaubnis für einen Zeitraum von zwei Jahren entzogen. Der Absolvent der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät „Walter Ulbricht“ in Halle und Student für Luftfahrtwesen der TH Dresden hatte als Christ die Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus in Zweifel gezogen. Außerdem war ihm vorgeworfen worden, dass er bereits im Vorpraktikum Ende 1956 die Meinung vertreten hatte, dass es Arbeitern erlaubt werden müsste, gegen „Mißstände“ mit Streiks vorgehen zu dürfen. Zudem hätte er sich kritisch zur Kirchenpolitik und zu Fragen der militärischen Ausbildung in der DDR geäußert. Andererseits wurde ihm die Rückkehr an die Hochschule nicht nur in Aussicht gestellt. Die Wiederaufnahme des Studiums wurde von Seiten der Hochschule ausdrücklich erwartet.24 Die instabile politische und wirtschaftliche Situation der DDR hatte zu einer zunehmenden Verunsicherung nicht nur unter den Studierenden aus bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten, sondern auch in Kreisen der Arbeiter-und-Bauern-Studenten geführt. Selbst am bisher linientreuen Institut für Gesellschaftswissenschaften der TH Dresden regten sich 1958 Zweifel am offiziellen Kurs der „Partei- und Staatsführung“. 23 Vgl. Guntolf Herzberg, Anpassung und Aufbegehren. Die Intelligenz der DDR in den Krisenjahren 1956 / 58, Ch. Links Verlag, Berlin, 2006, S. 359. 24 Niederschrift des Prorektors für studentische Angelegenheiten Werner Turski vom 14. Mai 1958 über die Aussprache mit FDJ-Vertretern der Fakultät für Luftfahrtwesen und dem Studenten Erhard Rehn und Schreiben der FDJ-Fachrichtungsleitung an den Prorektor für Studienangelegenheiten vom 27. Mai 1958, vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 3571.

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Die Bezirksparteikontrollkommission der SED und eine von der Organisationsabteilung beim ZK der SED eingesetzte Gruppe von Parteihochschülern unterstellten im Juni 1958 die Existenz einer „parteifeindlichen Plattform“ am Institut für Gesellschaftswissenschaften. Sie hätte sich bereits nach dem XX. Parteitag der KPdSU und der 3. Parteikonferenz der SED herausgebildet. Am Institut wären in Diskussionen Zweifel an der Richtigkeit des politischen Kurses der KPdSU und der SED geäußert und der Weg Jugoslawiens als „3. Hauptform der Diktatur des Proletariats“ bezeichnet worden.25 Angehörige des Instituts wurden deshalb wegen angeblicher Abweichungen vom Kurs der SED erst beurlaubt und wenig später entlassen. Zum Kopf der „parteifeindlichen, revisionistisch-opportunistischen Gruppierung“, die angeblich um politische und staatliche Schlüsselpositionen an der Hochschule kämpfte, gehörten nach Auffassung der SED-Hochschulparteileitung der Prorektor für studentische Angelegenheiten Werner Turski und die Oberassistenten des Instituts Dr. Hans Bozenhard26 und Egon Necke27. Weiter wurden dem Institutschef Professor Hans Joachim Kelm, dem Lehrbeauftragten für die Grundlagen des Marxismus-Leninismus Werner Friedrich sowie den Oberassistenten Egon Stein, Gerhard Scheibner und Theodor Schwedler vorgeworfen, „eine einheitliche parteifeindliche Linie“ zu verfolgen.28 Während Egon Stein und Gerhard Scheibner im Institut weiterarbeiten durften, wurden Hans Joachim Kelm an die Martin-Luther-Universität Halle und Theodor Schwedler auf einen unbedeutenden Posten in der Verwaltung der Hochschule abgeschoben. Das Verfahren gegen die Mitglieder der angeblichen parteifeindlichen Plattform war geprägt von Paranoia und trug in hohem Maße stalinistische Züge. Sie wurden nicht nur in parteipolitischen Fragen abqualifiziert, sondern auch in charakterlicher Hinsicht herabgesetzt. Dem langjährigen Prorektor und Verfechter der Parteilinie Werner Turski wurden sogar nationalistische und teilweise faschistische Auffassungen unterstellt. Selbst seine wissenschaftliche Arbeit zu einem mittelalterlichen Thema stand in der Kritik. So wurde ihm die Zusammenarbeit 25 Aussprache mit den in Dresden eingesetzten Parteihochschülern am 13. Juni 1958, vgl. SAPMO-BArchiv, DY 30, Nr. 704, Bl. 160 ff. 26 Das gegen ihn eingeleitete Parteiverfahren war die Grundlage für diese Repression, die vom Rektor „im Einvernehmen mit dem Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen“ vollzogen wurde. Er musste sich im VEB Dampfkesselbau Dresden – Übigau „bewähren“, vgl. UA der TUD, S II F 4 Nr. 1947, Bl. 7. 27 Der Rektor der TH Dresden beurlaubte Egon Necke ab 28. Mai 1958 im Einvernehmen mit dem Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen und teilte ihm gleichzeitig mit, dass bis zum Abschluss des Parteiverfahrens alle staatlichen Funktionen und Aufträge innerhalb des Hochschulbereichs ruhen. Im Oktober 1958 musste Necke die Hochschule verlassen und eine Tätigkeit in der Wirtschaft aufnehmen. Vgl. UA der TUD, S II F 4 Nr. 2768. 28 Entwurf einer Stellungnahme zur Aufdeckung einer parteifeindlichen Gruppierung und zur politischen Situation im Institut für Gesellschaftswissenschaften, vgl. SAPMO-BArchiv, DY 30, Nr. 704, Bl. 156 ff.

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mit einem Pfarrer vorgeworfen, der gegen die DDR wäre. Mit einem solchen Verhalten würde Werner Turski zudem der Weitergabe der Forschungsarbeit an das Ostbüro der SPD Vorschub leisten. Die Auseinandersetzungen offenbarten eine hochgradige Verunsicherung der Angehörigen eines Instituts, das den Auftrag hatte, die Linie der SED-Führung offensiv gegenüber den Hochschulangehörigen, insbesondere den Studierenden, zu vertreten und in Einklang mit den Schriften von Karl Marx, Friedrich Engels und W. I. Lenin zu bringen. Dabei mussten sich die Hochschullehrer und Assistenten des Instituts den Diskussionen und Fragen der Studierenden stellen, die in den gesellschaftswissenschaftlichen Seminaren mitunter schonungslos die Widersprüche der DDR-Realität offen legten. Mitunter konnte gar nicht genau festgestellt werden, wie die momentane Parteilinie zu interpretieren sei. Endlose Diskussionen waren die Folge. Dabei waren die Institutsmitarbeiter untereinander auch wechselnde Bündnisse eingegangen, wobei politische, private und charakterliche Aspekte und Animositäten ineinander flossen.29 Die innere Zerrissenheit des Instituts für Gesellschaftswissenschaften und die Entmachtung des charismatischen Prorektors Werner Turski 30 waren äußeres Anzeichen dafür, dass die Politik der SED-Führung und des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen gegenüber der TH Dresden eher kontraproduktiv wirkte. Für das Verständnis der politischen Situation an der Hochschule war gleichfalls die schrittweise Einführung der militärischen Ausbildung von Studenten insbesondere nach Gründung der NVA 1956 von Bedeutung. Die Studenten waren nach der Aufnahme des Studiums genötigt worden, Mitglied der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) zu werden. Für sie bestand aber praktisch keine Möglichkeit, die paramilitärische GST zu verlassen, ohne die Fortsetzung des Studiums zu gefährden. Anderenfalls war ein solcher Schritt mit der Exmatrikulation und einer folgenden „Bewährung“ in der betrieblichen Praxis verbunden. Ein Student hatte Ende 1958 sogar versucht, unter Mitnahme einer GST-Personalkartei nach Westberlin zu flüchten, war aber vorher festgenommen worden.31 Berlin war 29 Zusammenfassendes Material der Brigade des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen über die Entwicklung am Institut für Gesellschaftswissenschaften der TH Dresden, vgl. BArchiv, Berlin, DY 30, Nr. 704, Bl. 1–13; Bericht der SED-Bezirksleitung Dresden über das Institut für Gesellschaftswissenschaften der TH Dresden, in: Ebenda, Bl. 164 ff.; Entwurf einer Stellungnahme der Hochschulparteileitung zur Aufdeckung einer parteifeindlichen Gruppierung und zur politischen Situation im Institut für Gesellschaftswissenschaften, in: Ebenda, Bl. 156 ff. 30 Werner Turski, Prorektor für Studienangelegenheiten der TH Dresden und Vorsitzender des Operativstabes zur Werbung von Arbeiterkindern für das Hoch- und Fachschulstudium im Bezirk Dresden wurde im Mai 1958 von seinen Funktionen entbunden. Ende des Jahres folgte nach einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung auch die formale Entlassung. 31 Vgl. Ein Student wird zum Verräter, in: Hochschulzeitung, Nr. 23 vom 1. Dezember 1959, S. 2.

Politische Richtungskämpfe (1956–1958)

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bekanntlich von den Geheimdiensten beider Seiten durchsetzt.32 In einem anderen Fall hatte sich bereits im März 1958 der Student der Elektrotechnik Christian Schubert offiziell an den Vorsitzenden der GST der Hochschule gewandt und seinen Austritt erklärt. Als Mitglied der evangelischen Studentengemeinde hatte er diesen Schritt mit seiner christlichen Überzeugung begründet, die sich nicht mit der militärischen und vormilitärischen Ausbildung vereinbaren ließe. Der Vorstand der GST empfahl daraufhin die Exmatrikulation von Christian Schubert. In Abstimmung mit der Semesterleitung der FDJ empfahl die FDJ-Fakultätsleitung gegenüber dem Prorektorat für Studienangelegenheiten, Christian Schubert für ein Jahr vom Studium zu beurlauben und ihn für ein Jahr in die betriebliche Praxis zu schicken. Kurz nachdem der Student die Arbeit auf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar aufgenommen hatte, verließ er die DDR mit der Absicht, in der Bundesrepublik sein Studium fortzusetzen.33 Andererseits bestand gerade bei einem Teil der männlichen Studenten durchaus ein Interesse für Schießübungen, Fahrtraining mit Kraftfahrzeugen und die Funkausbildung. Bei der Organisation der vormilitärischen Ausbildung kooperierte die Hochschule auch mit der Kasernierten Volkspolizei und ab 1956 mit der Nationale Volksarmee (NVA). Hier konnten sich Studenten unter dosierter politischer Einflussnahme durch die Ausbilder, deren Aufgaben schon bald interessierte Studenten übernommen hatten, an kleinkalibrigen Waffen ausbilden lassen. Sie hatten die Möglichkeit, sich mit moderner Funktechnik zu befassen oder die Fahrerlaubnis zu erwerben. Ab 1958 wurde die militärische Ausbildung Bestandteil des Studiums.34 Danach musste ein Teil der männlichen Studenten an vierwöchigen militärischen Lehrgängen teilnehmen. Die Bereitschaft dazu wurde ebenfalls von den männlichen Assistenten bis zum Alter von 35 Jahren erwartet. Auch für die an der ABF eingeschriebenen wehrtauglichen Studenten war die Teilnahme an zwei vierwöchigen Reservistenausbildungen im mecklenburgischen Torgelow Pflicht. In den Folgejahren entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit zwischen der TU Dresden und der NVA sowohl auf der politischen als auch auf der militärfachlichen Ebene. Seit Anfang 1959 fanden zweiwöchige Luftschutzlehrgänge für die Studentinnen und die nicht wehrdiensttauglichen Studenten statt. Studierende, die bereits als Freiwillige in der NVA, beim Ministerium des Innern oder beim Ministerium für Staatssicherheit gedient hatten, wurden bevorzugt zum Studium aufgenommen und erhielten Sonderstipendien. Die Zusam32 Offenbar hatte die CIA in jenen Jahren viele Agenten in Berlin im Einsatz, war aber nicht sehr erfolgreich bei der Infiltrierung von Schlüsselpositionen im Ostteil der Stadt, vgl. Tim Weiner, CIA. Die ganze Geschichte, 4. Auflage, Frankfurt a. M., 2008, S. 253. 33 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 3620. 34 Vgl. Anweisung Nr. 113 des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen über die militärische Ausbildung an den Universitäten, Hoch- und Fachschulen vom 4. Juli 1958, in: UA der TUD, Prorektor für Studienangelegenheiten, Nr. 51, n. f.

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menarbeit erstreckte sich auch auf die Wahrnehmung von Forschungsaufgaben und die Ausbildung von Angehörigen der NVA. So war bereits 1958 eine „Vereinbarung zwischen dem Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen und dem Ministerium für Nationale Verteidigung zur Delegierung von Offiziershörern als Gasthörer der Fakultät für Maschinenwesen der Technischen Hochschule Dresden“ geschlossen worden.35 Es bleibt festzuhalten, dass die TH Dresden in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zu den bedeutendsten Institutionen der DDR gehörte. Sie nahm aufgrund ihrer technisch-naturwissenschaftlichen Ausrichtung eine führende Position innerhalb des Hochschulwesens der DDR ein. Die Machtstellung der SED innerhalb der Hochschule galt Ende der 50er Jahre als gesichert. So präzisierte die Hochschulparteileitung mit einem Beschluss vom 20. September 1958 ihr Mitsprache- und letztlich ihr Einspruchsrecht bei Entscheidungen über Kaderfragen. Selbst die Berufungen von Professoren waren von den Bestätigungen der zentralen Parteileitung der Hochschule abhängig. Die Oberassistenten, die Abteilungsleiter der Prorektorate und die Verwaltungsleiter der Fakultäten mussten in ihren Funktionen durch die der Hochschulparteileitung unterstellten Parteileitungen bestätigt werden.36 Die TH / TU Dresden gehörte auch in Bezug auf die Immatrikulationszahlen zu den größten Hochschule der DDR, zeitweise war sie sogar die Hochschule mit den meisten Studenten. Als besonders problematisch erwies sich die steigende Zahl von Studenten, die der DDR den Rücken kehrten und vor allem in Westdeutschland und Westberlin ihre künftigen Chancen für ein Leben in persönlicher Freiheit und materiellem Wohlstand sahen. Die Kaderleitung der TH Dresden geriet wegen der ausufernden Berichtspflicht über „Republikfluchten“ dermaßen unter Druck, dass das vorgesetzte Staatssekretariat in Berlin gebeten wurde, auf die geforderte monatlich zweimalige Berichterstattung und damit auf „überflüssige Schreibarbeiten“ zu verzichten.37 Allein während des Studienjahres 1958 / 1959 verließen insgesamt 812 Studenten und Studentinnen die Universitäten und Hochschulen der DDR. In dieser Zeit kehrten 250 von ihnen der HumboldtUniversität den Rücken, 155 verließen die Karl-Marx-Universität Leipzig. Die TH Dresden verlor im selben Zeitabschnitt 126 Studenten und Studentinnen.38 Das war ein auch ökonomisch nicht zu vernachlässigender Aderlass für die DDR, 35 Vgl. UA der TUD, Prorektor für Studienangelegenheiten, Nr. 51, n. f. 36 Vgl. Beschluss vom 20. September 1958 (Anlage zum Protokoll vom 31. Oktober 1958), vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, Nr. IV / 4.15.028 n. f. 37 Vgl. Damian van Melis, „Republikflucht”. Flucht und Abwanderung aus der SBZ / DDR 1945–1961 (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte), Oldenburg Wissenschaftsverlag, Oldenburg, 2006, S. 55. 38 Vgl. Statistik über die „Republikfluchten“ von Studierenden der DDR im Studienjahr 1958/59, in: BArch, Berlin, DR 3, Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, Nr. 5900 n. f.

Oppositionelle Studentengruppe

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die sich offensichtlich nur sehr begrenzt auf ihre heranwachsende Elite verlassen konnte. Dabei lobten viele der nach Westdeutschland übergesiedelten ehemaligen DDR-Studenten die „Errungenschaften“ der DDR, wie die vom Staat gewährten Stipendien.39 Gleichzeitig wurde deutlich, dass die sozialen Maßnahmen, wie kostengünstige Plätze in den Studentenwohnheimen, Erhöhung der Stipendien sowie vor allem die gezielte Bevorzugung von Arbeiter- und Bauernkindern bei der Vergabe von Studienplätzen, nur begrenzt dazu beitrugen, dass der akademische Nachwuchs vorbehaltlos das politische System der DDR unterstützte. Auch die obligatorischen gesellschaftswissenschaftlichen Vorlesungen und Seminare hatten nicht dazu geführt, dass die studentische Jugend sich in ihrer breiten Masse mit der Politik der SED-Führung identifizierte. Im Gegenteil: Die Zahlen der „republikflüchtigen“ Studierenden und der jungen Absolventen stiegen bis zum Bau der Berliner Mauer weiter dramatisch an. Insgesamt zeigte sich die SEDFührung politisch uneinsichtig und unflexibel in ihren Bemühungen die Westfluchten einzudämmen. Die 1957 für alle Hochschulen und Universitäten verbindlich gewordene Assistentenordnung wurde vor allem von den Ordinarien der naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen abgelehnt, da sie dezidiert ein politisches Bekenntnis für die DDR abverlangte. Solche auf politischen Druck abzielende Maßnahmen verstärkten den Trend zur Abwanderung gerade jüngerer Wissenschaftler und Studenten.40

3.2.  Oppositionelle Studentengruppe Als Spitze des Eisberges studentischer Oppositionshaltung hatte sich an der TH Dresden in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre eine Gruppe von Studenten zusammengefunden, die vorerst im Freundes- und Bekanntenkreis allgemein politische und speziell Hochschulfragen diskutierte und sich mit der zeitgenössischen Literatur zu Politik und Zeitgeschehen auseinandersetzte. Ihren Anfang nahm die Gruppe Mitte der 1950er Jahre in geselligen Freundeskreisen von Oberschülern in Pirna und Grimma bei Leipzig. Die Schüler der Rainer-Fetscher-Oberschule in Pirna Gerhard Bauer und Christian Ramatschi waren übereingekommen, eine Gruppe zu gründen, der sie den Namen „Jugendbund für gegenseitige Unterstützung“ gaben. Dazu hatte sie vor allem die antikirchlichen Repressionen an den Schulen bewogen. So erinnert sich der ehemalige Schüler der Pirnaer Oberschule Jürgen Donnerstag an Schulappelle, während der die Mitarbeit von Oberschülern in der „Jungen Gemeinde“ vom Schuldirektor und einem Teil der Lehrerschaft scharf angegriffen wurde. Die Mitglieder der Gruppe, zu der auch der Mitschüler 39 Vgl. Gerhard Schröder: Jugendliche Flüchtlinge aus der Sowjetzone. Schriftenreihe zur empirischen Sozialforschung, Infratest-Verlag, München, 1958, S. 35 f. 40 Vgl. Ralph Jessen, a. a .O., S. 92.

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Konrad Hill gehörte, trafen sich regelmäßig in den elterlichen Wohnungen. In geselliger Runde sprachen die Schüler auch über Politik und lasen aus Westberlin „geschmuggelte“ Literatur.41 Ihre Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der DDR konzentrierte sich insbesondere auf Einschränkungen in Bezug auf die Reisefreiheit und den Hochschulzugang. Außerdem lehnten sie den Russischunterricht als Pflichtfach ab und wünschten die Zulassung unabhängiger Jugendund Studentenorganisationen. Ihre Forderungen erfassten sie auf Informationsblättern, die sie im Freundeskreis verbreiteten. Die Schüler waren natürlich zu Vorsicht gezwungen und hatten für ihre Zusammenkünfte Verhaltensregeln aufgestellt. Selbst ein Mitgliedsbeitrag wurde erhoben. Ostern 1956 besuchte Armin Schreiter, der Schüler an der Oberschule im sächsischen Grimma war, seinen Freund Christian Ramatschi in Pirna. Beide hatten sich auf der Oberschule Grimma kennen gelernt, die Christian Ramatschi einige Jahre vor dem Umzug der Familie nach Pirna besucht hatte. Während dieser Zusammenkunft stellte Christian Ramatschi auch den Kontakt zwischen seinen Pirnaer Freunden und Armin Schreiter her, der die politischen Verhältnisse in der DDR gleichfalls ablehnte und nach Alternativen suchte. Christian Ramatschi hatte im September 1956 das Studium der Papiertechnik an der TH Dresden aufgenommen42 und sich mit Jürgen Donnerstag43 angefreundet, der gleichfalls Schüler des Rainer-Fetscher-Gymnasiums gewesen war. Gerhard Bauer44 studierte Schwachstromtechnik und der ebenso dem Freundeskreis angehörende Tilo Willkommen hatte das Studium des Maschinenwesens aufgenommen.45 Ab September 1957 studierte auch Konrad Hill an der TH Dresden. Nach einem Berufspraktikum in dem damals hochmodernen und innovativen VEB Cyklop-Maschinenbau Pirna hatte er sich für das Physikstudium an der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften eingeschrieben.46 Ebenfalls nach einem Vorpraktikum hatte Armin Schreiter47 Anfang 1957 mit dem Maschinenbaustudium begonnen und den Kontakt zu seinen alten Freunden wieder aufgenommen. Auf diesem Weg hatte sich eine Gruppe junger Leute zusammengefunden, die von der Parteipolitik unabhängige Antworten auf Fragen der Zeit suchte. Ihre Vorstellungen waren zu Beginn eher schwärmerisch und unscharf. Sie träumten wie viele der SED-Führung kritisch gegenüberstehende junge Menschen von einem demokratischen Sozialismus und idealisierten das jugoslawische Vorbild.

41 42 43 44 45 46 47

Gespräch des Verfassers mit dem Zeitzeugen Jürgen Donnerstag am 18. Februar 2009. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr.19.024. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr.14.277. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 3954. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 6606. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 4393. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 4185.

Oppositionelle Studentengruppe

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Die ehemaligen Schüler hatten sich nun an der TH Dresden zu einer vorerst informellen Vereinigung oppositioneller Studenten zusammengefunden. Bereits nach einigen Monaten entschlossen sich die Mitglieder der Gruppe zu einer ersten Aktion politischen Widerstands. Den Anlass dafür sahen sie in restriktiven Maßnahmen der Hochschulleitung gegen Reisen von Studenten in NATO-Staaten und nach Westberlin. Solche Reisen sollten nach einer Anweisung des Staatssekretärs für das Hochschulwesen künftig nur noch im Zusammenhang mit Besuchen bei engen Verwandten genehmigt werden. Propagandistisch begleitet wurde die Vorbereitung dieser Maßnahme von einer am 16. Mai 1957 stattgefundenen Pressekonferenz an der hauptstädtischen Humboldt-Universität, auf der die Behauptung aufgestellt worden war, dass der amerikanische und französische Geheimdienst und das Amt für gesamtdeutsche Studentenfragen ein Komplott gegen Studenten der DDR vorbereiten würde.48 Das geplante Reiseverbot hatte zu großer Unruhe, zu Missfallen und zu Unmut unter den Kommilitonen geführt. Mitglieder der Gruppe entschieden sich deshalb zur Herstellung und Verteilung von Flugblättern, um auf die Einschränkung der Reisefreiheit aufmerksam zu machen und Widerstand zu organisieren. So forderten sie ihre Kommilitonen auf, sich am 28. Mai 1957 zu einer Protestdemonstration vor der Mensa einzufinden, um die Rücknahme des Reiseverbots für Studenten zu erzwingen. 49 Im Gegensatz zu der bereits ein Jahr zurückliegenden Demonstration waren Staatssicherheitsdienst und Parteileitung über die Vorbereitungen zur Protestdemonstration informiert und ließen Kampfgruppen des Stadtbezirks Süd in der Mommsenstraße aufmarschieren. Trotzdem hatten sich nach Angaben des MfS etwa 400 Studenten in der Nähe der Mensa eingefunden. Ihre Haltung wäre abwartend gewesen und nach Einschätzung des Offiziers fehlte es zur Eskalation nur am „Funken aus der Menge“. Da dieser ausblieb, hätten sich die Versammelten nach einer Dreiviertelstunde zerstreut. Die Parteileitung hatte zu den Versammelten zuverlässige Genossen geschickt, die „die Rädelsführer feststellen sollten“. Die vom MfS „eingeleiteten Maßnahmen erbrachten vorerst keine wesentlichen Anhaltspunkte auf die Organisatoren des studentischen Widerstands.“50 Diese er48 Vgl. Sybille Gerstengarbe und Horst Hennig, a .a. O., S. 471 ff. 49 Anklageschrift mit Ermittlungsergebnis, vgl. BStU, Außenstelle Magdeburg, Nr. 4553 / 73, Bl. 106. 50 Das MfS, Bezirksverwaltung Dresden, observierte nach der Studentendemonstration 1956 intensiv die TH Dresden. Das Informantennetz war ausgebaut worden. In der Vorbereitung des Prozesses von 1959 gegen die studentische Widerstandsgruppe wurde auch auf die Ermittlungen gegen die zweite Studentendemonstration von 1957 zurückgegriffen. Die dazu angelegten Akten waren aber in der Zwischenzeit vom MfS vernichtet worden. Aus dem Gedächtnis beschrieb ein MfS-Offizier im Zuge des Ermittlungsverfahrens den Einsatz und protokollierte über „aufgefundene Hetzflugblätter im Gelände der TH Dresden im Mai 1957“, vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 30 / 59, Bl. 347.

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neute Protesthaltung von Hunderten Studierenden hatte deutlich gemacht, dass doch ein erheblicher Teil der Studentenschaft nicht der offiziellen Partei- und Staatspolitik folgte und sich zumindest partiell gegen politische Entscheidungen der Führung der SED zur Wehr setzte. Die Mitglieder der oppositionellen Studentengruppe machten die Erfahrung, dass es noch viele andere Kommilitonen gab, die nicht nur im eher vertrauten Kreis Kritik an den politischen Verhältnissen übten, sondern auch zum öffentlichen Protest bereit waren. Erst 18 Monate später stellten die Ermittler des MfS einen Zusammenhang zwischen den im Mai 1957 verteilten Flugblättern und der studentischen Oppositionsgruppe her. Später kauften die Studenten von gesparten Mitgliedsbeiträgen einen Vervielfältigungsapparat der Marke „Polygraph“. Während der folgenden Monate trafen sich die Studenten Bauer und Schreiter bei Christian Ramatschi. In der Wohnung seiner Eltern in Pirna besprachen sie ihre Vorhaben zum weiteren Aufbau der studentischen Gruppe. Sie diskutierten dabei auch über Möglichkeiten der Einbeziehung anderer Kommilitonen und sogar von Hochschullehrern. So warb Armin Schreiter einen Dresdner Kommilitonen, der Elektrotechnik studierte, und den Studenten Hanns-Lutz Dalpke, der seit September 1956 an der Fakultät Technologie für die Fachrichtung Papiertechnik eingeschrieben war.51 Gerhard Bauer gewann seinen Kommilitonen Dieter Brendel zur Mitarbeit. Er studierte seit September 1956 an der Fakultät Elektrotechnik die Fachrichtung Hochfrequenztechnik.52 Ende Mai 1958 hatte Hanns-Lutz Dalpke seinen Kommilitonen Fritz Kaul53 und den in Berlin beheimateten Studenten der Technologie Jürgen Klandt für die Mitarbeit in der Gruppe geworben, nachdem er bereits im Herbst 1957 die Übereinstimmung der politischen Auffassung festgestellt hatte. Ab September 1958 wurde ein Maschinenbaustudent54, wiederum nach einer Fürsprache von Hanns-Lutz Dalpke, zur Gruppe gezählt.55 Die Mitglieder waren darauf bedacht, die Kontakte an der Hochschule systematisch auszubauen. So wurde über den ebenfalls zur Mitarbeit gewonnen Architekturstudenten Dieter Blanek56 der Kontakt zu Studenten der Fakultät Architektur hergestellt. Im Herbst 1958 gehörten 14 Studenten zur Gruppe. Dieter Blanek verließ Ende 1958 die Hochschule und ging nach Westberlin. Alle Mitglieder der Gruppe waren bemüht, Verbindungen zu Kommilitonen weiterer Hochschulen in der DDR herzustellen, um den überregionalen organisierten politischen Widerstand zu fördern. So sollten die gebürtigen Berliner 51 52 53 54 55 56

Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 4028. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 3960. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 4047. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 11.240 Vgl. BStU, Zentralarchiv, Nr. 4553 / 73, Bl. 78 ff. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 3871.

Das „16-Punkte-Programm“

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Hanns-Lutz Dalpke und Jürgen Klandt ihre Kontakte zu Studenten der Humboldt-Universität nutzen. Dieter Brendel hatte den ABF-Studenten an der KarlMarx-Universität Leipzig Peter Schubert für eine Mitarbeit gewonnen. Er sollte nach Aufnahme des Studiums mit politisch Gleichgesinnten eine Oppositionsgruppe formieren. Auch Fritz Kaul sollte nach dem Wechsel an die Ingenieurschule für Maschinenbau in Karl-Marx-Stadt an seinem neuen Studienort im Sinne der Gruppe weiterarbeiten. Die Mitglieder waren bestrebt, den eingeweihten Personenkreis durch Neuaufnahmen zu erweitern. Dabei wirkte eine Eigendynamik, die verbunden war mit Ungeduld und der zunehmenden Bereitschaft, große persönliche Risiken einzugehen. Gerhard Bauer galt bereits in der oppositionellen Schülergruppe am Rainer-Fetscher-Gymnasium in Pirna als politischer Kopf. Als gewählter Leiter der Gruppe drängte er auf die Verbreiterung der Basis und orientierte auf die Anbahnung von Verbindungen zu Arbeitern. Dazu sollten gezielt studentische Praktika genutzt werden.

3.3.  Das „16-Punkte-Programm“ Im Frühjahr 1958 wurde der politische Kurs an den Hochschulen und Universitäten weiter verschärft. Die 3. Hochschulkonferenz der SED, die im März in Berlin tagte, und die 19. Tagung des Zentralrats der FDJ hatten dafür die Weichen gestellt. Ganz offen wurden nun tradierte Werte wie „Hochschulautonomie“ und „Freiheit der Forschung und Lehre“ als zu beseitigende Reste des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs kritisiert. Damit wurde bürgerlichen Positionen und Auffassungen von Wissenschaftlern und Studenten offen der Kampf angesagt. Unter Beifall hatte Kurt Hager auf der Hochschulkonferenz verkündet, dass im Falle von „Westflucht“ der akademische Grad aberkannt werden müsste. Mit besonderem Eifer setzte am 23. April 1958 die Hochschulgruppenleitung der FDJ diese neuen radikalen Forderungen um und verschärfte sie noch mit ihrem Beschluss eines „5-Punkte-Programms“57, das ohne demokratische Legitimation verabschiedet worden war. Danach wurde beschlossen, dass klar definierte parteipolitische Anforderungen von den Studenten zu erfüllen waren. Die folgenden Auszüge spiegeln den geforderten politischen Verhaltenskodex wider: – Studium des Marxismus-Leninismus in der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie mit dem Ziel der Aneignung eines atheistischen Weltbildes. – Verantwortung für die sozialistische Erziehung aller Mitglieder der Seminargruppen. – Tragen des Abzeichens der FDJ und bei besonderen Anlässen des Blauhemdes. 57 Vgl. Abschrift des Beschlusses der FDJ-Hochschulgruppenleitung vom 23. April 1958, in: BStU, Staatssekretariat für Staatssicherheit, F 30 / 59, Bl. 205 f.

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– Teilnahme an der vormilitärischen und militärischen Ausbildung, einschließlich der Lehrgänge der Nationalen Volksarmee. – gemeinsames Arbeiten der Seminargruppe in der Industrie und der Landwirtschaft. – Aufnahme der Berufstätigkeit entsprechend der Forderungen der SED und des Staates. Der politische Druck auf kirchlich gebundene Studenten war ähnlich wie zu Beginn der 1950er Jahre erneut verstärkt worden. Unter diesen Bedingungen mahnte die verunsicherte FDJ-Hochschulgruppenleitung zur Mäßigung. So wären „in einigen Fällen religiös gebundenen Freunden ultimative Forderungen gestellt [worden]“58. Diese Einschätzung wurde aber relativiert, indem sie nicht so verstanden werden sollte, dass sich die FDJler „mit den religiösen Auffassungen dieser Freunde einverstanden erklären“.59 Gleichzeitig stand die Aufgabe, die „Studenten an das Studium des dialektischen Materialismus heranzuführen, damit sie sich leichter von ihren religiösen Anschauungen lösen können.“60 Aber bereits am 30. Mai 1958 musste das „5-Punkte-Programm“ auf der Ständigen Delegiertenkonferenz der FDJ zurückgezogen werden. Das Programm wurde mit seinen dogmatischen Aussagen von einem Großteil der Studierenden vehement abgelehnt und trug nicht zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen der studentischen Jugend und dem Staat bei. Deshalb sah sich der 1. Sekretär der Hochschulgruppenleitung der FDJ gezwungen, die Rücknahme des „5-Punkte-Programms“ offen einzugestehen, da es „sektiererische Tendenzen hinsichtlich der Betonung des wissenschaftlichen atheistischen Weltbildes“ enthalte.61 Demgegenüber hatte „die 19. Zentralratstagung von allen FDJlern ein konsequentes parteiliches Auftreten gefordert.“62 Den Assistenten und Lehrbeauftragten für das gesellschaftswissenschaftliche Grundlagenstudium fiel es in dieser Situation zunehmend schwer, die offizielle Politik der SED-Führung zu erklären. Sie waren dabei angehalten, die in der Presse, vor allem im Neuen Deutschland, verkündeten Auffassungen und Losungen wiederzugeben und entsprechend der jeweiligen politischen Linie zu erklären. Diese Seminare wurden von den Studenten widerwillig und nur unregelmäßig besucht, obwohl es sich um obligatorische Lehrveranstaltungen handelte. Daraufhin war die Registrierung der Teilnahme an diesen Veranstaltungen festgelegt worden. In der studentischen Oppositionsgruppe waren die mangelnde Qualität und die Einseitigkeit des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichts immer wieder 58 59 60 61 62

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda, Bl. 213. Ebenda.

Das „16-Punkte-Programm“

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Stoff für angeregte Diskussionen über Philosophie, Wirtschaftspolitik und die innen- und außenpolitische Stellung der DDR. Gerhard Bauer hatte als Seminargruppensekretär der FDJ kurz vor Ende des Semesters im Mai 1958 dafür gesorgt, dass die Studenten seines Studienjahres der Fachrichtung Elektrotechnik in großer Zahl zur Lehrveranstaltung im Fach Gesellschaftswissenschaften erschienen waren, so dass nicht 15 sondern etwa 60 Kommilitonen am Seminar teilnahmen und sich gegen die naiven und einseitigen Argumentationen des Lehrbeauftragten wandten. Wenig später, im Mai und Juni 1958, waren Studenten des Studienjahres der Fachrichtung Elektrotechnik im Braunkohlentagebau „John Scheer“ in Laubusch / Lausitz eingesetzt worden, um in harter körperlicher Arbeit Unterstützung bei der Planerfüllung zu leisten. Diese Einsätze wurden von der SED und der FDJ auch genutzt, um gemeinsam mit der Parteileitung des Werkes politische Veranstaltungen durchzuführen. Im Mittelpunkt dieser Zusammenkünfte standen internationale Fragestellungen, insbesondere die Außenpolitik der Sowjetunion. Die Moderation hatten Assistenten des Instituts für Gesellschaftswissenschaften übernommen, die nicht bereit waren, abweichende und oft nur differenzierende Auffassungen der Studenten zu tolerieren. Damit wirkten sie auf die anwesenden Studenten des 4. Semesters der Fachrichtung Elektrotechnik provozierend. Die Debatten nahmen einen hitzigen, zuweilen scharfen Verlauf, wobei sich die Assistenten des Instituts, offenbar zur Verwunderung der Arbeiter, in der Diskussion nicht durchsetzen konnten.63 Diese Diskussionen führten schließlich zum Eklat. Die Hochschulparteileitung der TH Dresden wurde umgehend informiert. Sie schaltete wiederum die SED-Bezirksleitung ein. Am 11. Juni 1958 reisten der 1. Sekretär der Bezirksparteischule Dresden sowie die Mitglieder der Hochschulparteileitung in Laubusch an, um gemeinsam mit dem 1. Sekretär der SED-Betriebsorganisationsleitung vom Braunkohlewerk, weiteren Abgesandten der SED-Kreisleitung und ausgewählten Betriebsangehörigen die politische Auseinandersetzung mit den Studenten zu führen. Die Versammlung hatte nach einem Aktenvermerk der Bezirksverwaltung des MfS vom 12. Juni 1958 einen für die Parteifunktionäre ungünstigen Verlauf genommen. Die Studenten hätten ihr Missfallen zum Ausdruck gebracht, als ihre Argumentationen von den Funktionären interpretiert wurden. Später wären die Studenten aber „ruhiger“ geworden, „als die geladenen Werksangehörigen, vor allem die jugendlichen Facharbeiter sprachen, und diese feindlichen Einstellungen anprangerten.“64 63 Vgl. „Arbeiter erteilen unseren Studenten eine Lektion. Wie es zu der FDJ-Versammlung im BKW ‚John Scheer’ kam und welche Lehren daraus zu ziehen sind“, in: Hochschulzeitung. Technische Hochschule Dresden. Organ der SED-Parteiorganisation 1958, Nr. 10 vom 4. September 1958. 64 BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 9978 / 71, Bl. 6.

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Nach der anklagenden Einführung durch die Vertreter der Hochschulparteileitung mussten sechs Studenten Stellungnahmen zu ihren als „feindlich“ eingestuften Argumenten abgeben. Sie verteidigten daraufhin ihre Auffassungen und wiesen die Angriffe als Unterstellungen zurück. Die gegen die Studenten erhobenen Beschuldigungen wurden nach der fünfstündigen Diskussion nicht aufgehoben. Der Prorektor für Studienangelegenheiten beurlaubte sie daraufhin vom weiteren Studium. Im Ergebnis war die Auseinandersetzung mit den Studenten für die Hochschulparteileitung eher ungünstig verlaufen. Sie vermutete, dass die gemaßregelten Studenten die DDR verlassen werden.65 Obwohl Gerhard Bauer gar nicht am Arbeitseinsatz in Laubusch teilgenommen hatte, war auch er vom Studium beurlaubt worden. Die disziplinarische Maßnahme der Beurlaubung der betroffenen Studierenden wurde von der Hochschule als Forderung der Arbeiter vom Braunkohlenwerk in Laubusch dargestellt. Die anfänglich angestrebten Exmatrikulationen der Wortführer in den als konterrevolutionär eingeschätzten Diskussionen wurden letztlich von der Hochschulleitung nicht vollzogen. Die beurlaubten Kommilitonen konnten ihr Studium fortsetzen. Die Auseinandersetzungen in Laubusch verstärkten zu Beginn des neuen Semesters die politischen Auseinandersetzungen an der Hochschule und führten zu Polarisationen. Am 10. September 1958 trafen sich nach einer Aufforderung von Gerhard Bauer die neben ihm aktivsten Gruppenmitglieder Hanns-Lutz Dalpke, Armin Schreiter, Dieter Brendel und Christian Ramatschi. Während dieser Zusammenkunft in Pirna vereinbarten sie, dass die Ziele der Gruppe festgelegt und den Mitgliedern ein Entwurf zur Diskussion vorgelegt werden solle.66 Wenige Tage später erarbeitete Gerhard Bauer mit Unterstützung von Armin Schreiter und Dieter Brendel ein „16-Punkte-Programm“, das in den folgenden Wochen in der Gruppe intensiv diskutiert wurde. Am 9. November 1958 trafen sich die Mitglieder der Gruppe in der Wohnung von Hanns-Lutz Dalpke. Während dieser Zusammenkunft wurde die Gruppenleitung gewählt und ihr der Auftrag erteilt, entsprechend des ebenfalls verabschiedeten „16-Punkte-Programms“ eine Konzeption zur Umsetzung der Ziele zu erarbeiten.67 Zur Leitung gehörten Gerhard Bauer, Hanns-Lutz Dalpke, Armin Schreiter und Christian Ramatschi. Über die einzelnen Programmpunkte hatten die Kommilitonen kontrovers diskutiert und sich nach längeren inhaltlichen Auseinandersetzungen bei der Endredaktion des Programms auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Die „16 Punkte“ waren das politische Grundsatzprogramm der Gruppe, die sich fortan „Nationalkommunistischer Studentenbund“ (NKS) nannte. Wie diese Dresdner 65 Vgl. Ebenda. 66 Vgl. BStU, Außenstelle Magdeburg, Nr. 4553 / 73, Bl. 103. 67 Vgl. Ebenda.

Das „16-Punkte-Programm“

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Studenten hatten bereits 1956 Studenten der Technischen Universität Budapest ihre Forderungen in einem „16-Punkte-Programm“ festgehalten, in dem sie unter anderem den vollständigen Abzug der sowjetischen Truppen, den Rücktritt der stalinistischen Regierung und KP-Führung unter Mátyás Rákosi, die Einberufung eines Parteikongresses, die bürgerlichen Grundfreiheiten, Parteienpluralismus, die Neutralität Ungarns und die Abschaffung der Geheimpolizei gefordert hatten.68 Zwei Jahre später bekannten sich die Dresdner Studenten gleichfalls zu den demokratischen Grundrechten, wie Gewaltenteilung sowie Unabhängigkeit der Justiz von Parteien und politischen Institutionen. Die Wirtschaft sollte sowohl nach planwirtschaftlichen als auch nach Prinzipien der freien Konkurrenz organisiert sein.69 Es waren bürgerlich-demokratische Forderungen und Gegenentwürfe zu totalitären und dogmatischen Konzeptionen der Führungsgremien der gesellschaftlichen Organisationen an der Hochschule. Das Programm stützte sich auf die Weimarer Verfassung, das Grundgesetz der BRD und die Verfassung der DDR. Die „16 Punkte“ der oppositionellen Studenten waren gleichzeitig als Gegenentwurf zum „5-Punkte-Programm“ der FDJ der TH Dresden gedacht. Das „16-Punkte-Programm“ umfasste folgende Schwerpunkte: Politische Forderungen – Meinungs- und Pressefreiheit – Freie gesamtdeutsche Wahlen – Planwirtschaft mit freier Konkurrenz – Reduzierung der Nationalen Volksarmee auf Grenzschutz und Raketenabwehr – Justizreform (Beseitigung harter politischer Strafen) – Zulassung weiterer Parteien – Pluralismus der Ideologien – Auflösung des MfS – Aufhebung der Beschränkungen des Reiseverkehrs nach Westdeutschland und Westberlin sowie den westlichen Staaten. Forderungen auf dem Gebiet der Hochschulpolitik – Verzicht auf die Umsetzung des Programms zur Umwandlung der Hochschule zu einer sozialistischen Institution – Abschaffung der vormilitärischen Ausbildung für Studenten Einschränkung des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichts. 68 Vgl. www.zeitgeschichte-online.de/portals/_ungarn1956/documents/litvan_passage.pdf (Zugriff 4. April 2008) 69 In der Handakte des MfS liegt das „16-Punkte-Programm“ vor, das mit den Worten „Der Nationalkommunistische Studentenbund (NKS) bekennt sich zu folgendem Programm“ eingeleitet wurde. Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOp 146 / 59, Bd. 1, Bl. 149.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

Meinungsvielfalt – Zulassung unterschiedlicher philosophischer Richtungen – Demokratisierung der Zulassungsordnung: Freizügigkeit bei der Auswahl der Hochschule und der Studienfächer – Zulassung von nicht schlagenden studentischen Verbindungen – Stipendienvergabe nach Einkommen der Eltern und nicht nach sozialer Zuordnung.

3.4.  Entwicklung zur konspirativen Widerstandsgruppe Im zweiten Halbjahr 1958 zeichnete sich eine gewisse Radikalisierung der Gruppe ab. So wurde auch über die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel der Selbstverteidigung gesprochen. Diskutiert wurden auch mögliche Verhaltenweisen der Gruppe in bürgerkriegsähnlichen Situationen. Einige Gruppenmitglieder kauften sich in Westberlin Gaspistolen. Auch eine aus dem Zweiten Weltkrieg stammende verrostete Pistole hatte sich ein Student beschafft. Dabei dachten die Studenten an den Ausnahmezustand am 17. Juni 1953, den sie als Schüler bewusst erlebt hatten. Am 20. September 1958 hatte Hanns-Lutz Dalpke in Absprache mit Gerhard Bauer bei einem Mitarbeiter der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) in Westberlin vorgesprochen und vergeblich um Unterstützung für die Aktivitäten der Gruppe gebeten. Mit dem gleichen Ziel und gleichfalls erfolglos war er gemeinsam mit Gerhard Bauer am 4. November 1958 in der Westberliner Außenstelle des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen vorstellig geworden. Sie wollten Minister Ernst Lemmer sprechen, der in der SBZ die CDU mitbegründet hatte. Ein weiterer am 24. November 1958 von Hanns-Lutz Dalpke unternommener Versuch zur Kontaktaufnahme mit der KgU war ebenso gescheitert wie der Anfang Januar 1959 von ihm und Gerhard Bauer nochmals unternommene Versuch zu einem Gespräch im Ministerium für gesamtdeutsche Fragen.70 Die Westberliner Gesprächspartner waren sich offenbar bewusst, dass die Studenten ein außerordentlich hohes Risiko eingingen und sich selbst und andere in existenzielle Gefahr brachten. Möglicherweise wurde eine vom MfS gesteuerte Provokation vermutet, zumal die KgU insbesondere vom sowjetischen Geheimdienst beobachtet wurde. Gerhard Bauer erinnert sich zudem an das Gespräch bei der KgU, während dem dessen Mitarbeiter die baldige Auflösung der Organisation in Aussicht stellte.71 Die Struktur der Gruppe entsprach seit Herbst 1958 den verstärkt konspirativ ausgerichteten Planungen. Die einzelnen Gruppenmitglieder sollten aus Gründen 70 Vgl. BStU, Außenstelle Magdeburg, Nr. 4553 / 73, Bl. 149. 71 Interview mit Gerhard Bauer am 27. Februar 2009.

Entwicklung zur konspirativen Widerstandsgruppe

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der Sicherheit nicht über die gesamte Mitgliederzahl informiert sein. Im Falle einer Verhaftungsaktion war vorgesehen, dass nach einem Benachrichtigungssystem die noch in Freiheit befindlichen Mitglieder informiert und zur Flucht aufgefordert wurden. Mit der Verstärkung der Konspiration wuchsen nervliche Anspannung und Nervosität. Seit Jahren führten diese Kommilitonen in gewisser Weise ein Doppelleben. Vierzehn Gruppenmitglieder waren nur schwer zu koordinieren und ihre politischen Positionen waren keinesfalls kongruent. Im Unterschied zu anderen studentischen Oppositionsgruppen der DDR während der 1950er Jahre war diese Gruppe durch die Existenz einer weitgehend ausgebildeten inneren Führungsstruktur gekennzeichnet zu der seit November 1958 eine so genannte Sicherheitsgruppe gehörte. Dabei war ihnen die brutale Niederschlagung der ungarischen Demokratiebewegung in Erinnerung, als russische Panzer auch gegen Tausende demonstrierende Budapester Kommilitonen vorgerückt waren und viele von ihnen im Kugelhagel starben. Erst bei erwarteten Aufständen und bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht wurden auch Sabotageakte in Erwägung gezogen. Diese Diskussionen erreichten niemals das Stadium konkreter Planungen. Sie waren vielmehr der Ausdruck jugendlicher Revolutionsromantik. Zu Beginn des Jahres 1959 berieten die Mitglieder der Gruppenleitung die politische Situation und entschieden sich zu einer Flugblattaktion. Im Mittelpunkt standen dabei Gespräche, deren Themen um die Forderung nach freien Wahlen sowie um die Deutschlandpolitik Walter Ulbrichts und der Sowjetunion kreisten. Ein überliefertes handschriftlich gefertigtes Flugblatt forderte beispielsweise den „Abzug aller Besatzungsmächte aus West und Ost“ sowie „gesamtdeutsche, geheime und demokratische Wahlen ohne Vormundschaft der SED“. Im Entwurf für die geplante Flugblattaktion wurden „alle Arbeiter, Intellektuellen, Hausfrauen, Angestellten, Studenten und Schüler, das ganze deutsche Volk“ zur Gründung illegaler Gruppen aufgerufen, die „für Rede- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, politische und rechtliche Gleichheit“ kämpfen sollten. Mit dem Abschlusssatz „Wir wollen Sozialismus – aber keinen Bolschewismus! Wir sind Deutsche!“72 bekannten sie sich zu einem dritten Weg zwischen den beiden Machtblöcken. Ihre politischen Vorstellungen wollten die Mitglieder der Gruppe auch auf „legalem“ Weg durch den Eintritt und die aktive Mitarbeit in der Blockpartei CDU verbreiten. So sollten ihre Zusammenkünfte fortan als CDU-Versammlungen getarnt werden. Alle Gruppenmitglieder wollten aktiv in den gesellschaftlichen Organisationen der Hochschule arbeiten. Ausdrücklich wurden Armin Schreiter und Hanns-Lutz Dalpke zur weiteren Mitarbeit in der Hochschulleitung der FDJ und der Fakultätsleitung der GST aufgefordert. Dieter Brendel war als GST-Ausbilder seiner Seminargruppe aktiv und Christian Ramatschi nahm die Funktion eines GST-Hundertschaftsleiters wahr. 72 BStU, Außenstelle Dresden, AOp , Nr. 146 / 59, Bd. 1, Bl. 91.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

3.5.  Im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Seit der politischen Kontroverse im Braunkohlenwerk Laubusch hatte das MfS im Umfeld der Oppositionsgruppe einen Geheimen Informanten positioniert. Einige Tage nach dem „politischen Tribunal“ in Laubusch holten Angehörige der Abteilung V / 6 der Dresdner Bezirksverwaltung des MfS einen Studenten zum Verhör, dem politisch feindliche Auffassungen unterstellt worden waren. Er gehörte zu den Studenten, die von der Hochschule beurlaubt waren und die förmliche Exmatrikulation erwarteten. In seiner Unsicherheit nahm er das Angebot des MfS für die die inoffizielle Mitarbeit an. So berichtete er nach einem Vermerk des MfS freimütig über seine frühere Verlobte, eine Studentin am Dresdner Pädagogischen Institut, die wiederum zeitweise mit einem Mitglied der studentischen Oppositionsgruppe liiert war. Nachdem die Pädagogikstudentin mitbekommen hatte, dass sich ihr neuer Freund einer anderen Frau zugewendet hatte, suchte sie Trost bei ihrem früheren Verlobten. Sie hätte ihm berichtet, dass ihr ehemaliger Freund Verbindung zur CIA habe, oft nach Berlin führe und im Besitz einer Pistole sei. Weiter notierte das MfS, dass ihr Informant dann seiner ehemaligen Verlobten geraten habe, diese Angelegenheit der Berliner Kriminalpolizei zu melden. Aber seine ehemalige Verlobte hätte bereits in Berlin eine Schweigeverpflichtung gegenüber dem MfS unterschrieben und die Verbindung gegenüber dem Direktor des Dresdner Pädagogischen Instituts offenbart.73 Nach dem für das MfS aufschlussreichen Bericht war auch für den Leiter der Abteilung 6 der Bezirksverwaltung des Staatssicherheitsdienstes die Anwerbung des mitteilsamen Studenten beschlossene Sache. Dieser war gegenüber der Staatssicherheit nicht zuletzt deshalb so aufgeschlossen, weil ihm die Abwendung der bevorstehenden Exmatrikulation nach der politischen Kontroverse in Laubusch in Aussicht gestellt wurde. Der Staatssicherheitsdienst hatte ihn zur Vernehmung auf seine Dienststelle geholt, um sich „ein tatsächliches Bild über die Einstellungen der Studenten zu unserem Staat“ zu verschaffen.74 Das Ergebnis der Ausführungen des jungen Mannes muss aber die Erwartungen seiner Vernehmer weit übertroffen haben, denn sie hatten nun nicht nur einen Informanten in der Nähe der „Plattform der NATO-Politik“, sondern auch einen Perspektivagenten, der in Berlin wohnhaft war, die dortigen Verhältnisse, zumal in Westberlin, kannte und der zudem in Verbindung zu einem Studenten stand, der bereits von der Hauptverwaltung Aufklärung in Berlin observiert wurde.75 Am 25. Juni 1958 verpflichtete sich der Student der Elektrotechnik in der Dresdner konspirativen Wohnung „Augustin“ zum Geheimen Informanten. Er 73 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 9978 / 71, Bl. 7. 74 Vgl ebenda, Bl. 16. 75 Vgl. ebenda.

Im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS)

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wählte den Decknamen „Freddy“ und stand nun als geheimer Mitarbeiter der Abteilung V der Dresdner Bezirksveraltung des MFS zur Verfügung.76 Das MfS bezog systematisch junge Intellektuelle und Studenten in seinen Dienst ein. Dabei war es im Gegensatz zu den westlichen Diensten für den DDRGeheimdienst von Vorteil, dass Inlands- und Auslandsgeheimdienst unter einem Dach zusammenarbeiteten. Ende Juli 1958 teilte Oberst Josef Kiefel, Leiter der Hauptabteilung II (Spionageabwehr) des MfS der Dresdner Bezirksverwaltung mit, dass der unter dem Decknamen „Freddy“ geworbene Student bereits im Arbeitsplan der Berliner Hauptverwaltung erfasst und als Inoffizieller Mitarbeiter angeworben werden sollte. Zwischenzeitlich hatte sich bereits Oberleutnant Günther Kratsch77 über die weitere Verwendung von „Freddy“ mit den Dresdner Kollegen konsultiert. Auslands- und Inlandsgeheimdienst waren übereingekommen, dass die Führung von „Freddy“ wegen der besseren „Perspektive zur Bearbeitung dieser Gruppe“ an die Dresdner Kollegen abgegeben werden soll.78 Mitte Dezember 1958 zog der Leiter der Abteilung 6 der Bezirksverwaltung Dresden des MfS gemeinsam mit seinem Referenten ein positives Fazit über den Einsatz des Geheimen Informanten, dem sie auch Eigeninitiative und Dankbarkeit gegenüber dem MfS bescheinigten. So hätte „Freddy“ das „Vertrauen“ von Bauer und einem weiteren Mitglied der studentischen Oppositionsgruppe gewonnen. Weiter hätte „Freddy“ in Westberlin das Referat Mitteldeutschland der FALKEN aufgesucht und bei dessen Leiter Otto Köppen, der zwischenzeitlich als Repräsentant gesamtdeutscher Arbeit vom MfS angeworben worden war, einen positiven Eindruck hinterlassen79. Überhaupt hätte „Freddy“ in Westberlin den Eindruck hinterlassen, dass er ein ehrlicher Gegner der DDR sei.80 Diese Information erhielt das MfS von einem Geheimen Mitarbeiter (GM), der direkt in der Zentrale des Referats Mitteldeutschland saß und die Aktivitäten „Freddys“ in Westberlin überprüfte, um seine mögliche „Überwerbung“ auszuschließen. In diesem Zusammenhang war dem MfS auch die Existenz der Oppositionsgruppe unter dem Namen „Bund der Nationalkommunisten“ bekannt geworden. Der Geheimdienst wäre bereits Ende 1958 in der Lage gewesen, die Mitglieder der Gruppe festzunehmen. Das MfS ließ sich aber Zeit, um den eigenen Informanten nicht bloßzustellen und weiteres Belastungsmaterial zu sammeln.

76 77 78 79

Vgl. ebenda, Bl. 17. Der damalige Oberleutnant stieg später in den Generalsrang auf. Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 9978 / 71, Bl. 19. Vgl. Selbstbehauptung, Widerstand und Verfolgung, „Die sozialistische Jugend Deutschlands – Die FALKEN“ in Berlin 1945 bis 1961, Ausstellungskatalog, Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Band 28, herausgegeben von Falco Werkentin, Berlin, 2008, S. 64. 80 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, a .a. O., Bl. 32.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

Während der letzten Zusammenkunft aller Gruppenmitglieder Anfang 1959 entschieden die Studenten in geheimer Abstimmung über die weitere Existenz der Gruppe. Die Studenten forderten bis auf eine Gegenstimme die Fortsetzung und Intensivierung der Aktivitäten. Konkrete Aktionen wurden angemahnt. Daraufhin verweigerte ein Mitglied die weitere Mitarbeit und erklärte den Austritt. Damit war eine nur schwer beherrschbare Situation entstanden. Der Führungskern der Gruppe traf sich zur Krisensitzung und entschied, dass der Aussteiger zur Flucht aus der DDR genötigt werden sollte. Dazu war dieser aber nicht bereit, weil er weiter in Dresden studieren und bei seiner Familie bleiben wollte. Die anderen Mitglieder der Gruppe verstärkten daraufhin den Druck auf ihn. Sie forderten ihn auch schriftlich ultimativ auf, sich nach Westberlin abzusetzen. Gerhard Bauer und ein weiteres Mitglied des Führungskerns suchten am 18. Januar 1959 den Vater des Studenten auf und unterrichteten ihn über die Mitarbeit seines Sohnes in der Gruppe und die damit verbundenen Risiken für ihn und die anderen für den Fall, dass er in der DDR bliebe. Dabei wäre der Vater auch über die Möglichkeit informiert worden, dass sein Sohn gemeinsam mit Gerhard Bauer an der Technischen Hochschule in Aachen das Studium hätte fortsetzen können. Diese mündliche Zusicherung hatte zwischenzeitlich Gerhard Bauer von einem Mitarbeiter der Außenstelle des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen in Berlin erhalten. Vater und Sohn standen unter einem hohen psychischen Druck und sahen für sich die Lösung darin, dass sich der Sohn dem MfS stellte und den Geheimdienst über die Existenz der Gruppe unterrichtete. Damit stand ein offizieller Kronzeuge gegen die studentische Oppositionsgruppe zur Verfügung. 81 Die Haftbefehle gegen die 14 mutmaßlichen Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe, davon elf Studenten der TH Dresden, konnten ausgefertigt werden. Dafür musste der Geheime Informant „Freddy“ nicht enttarnt werden, der bereits am 21. Januar 1959, also reichlich eine Woche vor der Verhaftung, ausführlich vom MfS als Zeuge vernommen wurde. „Freddy“ hatte während der vergangenen Monate die Kontakte zur Gruppe unter der Legende, selbst eine Widerstandsgruppe zu führen, ausgebaut. So wären im November 1958 von ihm mehrere vertrauliche Gespräche mit der Gruppenleitung geführt worden. Dabei hätte er den Eindruck erweckt, als würde er über Verbindungen zum Ostbüro der SPD und zur Jugendorganisation „FALKEN“ verfügen. Seine Gruppe würde zudem „im Sinne der rechten SPD“ agieren.82 Weiter hätte er erwähnt, dass er über Kontakte verfüge, um Waffen von Westberlin nach Dresden zu schleusen.83

81 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOp Bd. 1 Nr. 146 / 59, Bl. 52. Interview mit Gerhard Bauer am 27. Februar 2009. 82 Vgl. Vernehmungsprotokoll vom 21. Januar 1959, in: BStU, Akte des Inoffiziellen Mitarbeiters Freddy Nr. 9978 / 71, Bl. 46–55. 83 Vgl. Ebenda.

Festnahme der studentischen Widerstandsgruppe

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Der Staatssicherheitsdienst hatte mithilfe des Geheimen Mitarbeiters „Freddy“ die studentische Oppositionsgruppe intensiv beobachtet und manipuliert. Durch den Agent Provokateur „Freddy“ hatte sich unter den Mitgliedern der Gruppe der Eindruck verfestigt, dass es eine weitere Organisation mit ähnlichem politischem Ziel gäbe. Sicher wirkte der Eindruck des Nicht-Allein-Agierens anspornend bei der Verfolgung der Ziele und der Wahl der Mittel. Die Auftraggeber von „Freddy“ wussten also im Wesentlichen Bescheid und warteten ab. Im Sachstandsbericht der MfS-Abteilung V / 6 vom 27. Januar 1959 war dann auch festgelegt worden, dass der Geheime Mitarbeiter „Freddy“ aus „dem Vorgang“ herausgehalten werden könne, da sich der Student, der sich auf Anraten seines Vaters gestellt hatte, in seinem Bericht für das MfS den Informanten „Freddy“ als nicht zur Gruppe gehörig bezeichnet hätte.84

3.6.  Festnahme der studentischen Widerstandsgruppe Am 28. und 29. Januar 1959 nahm das MfS 14 Studenten fest. Ein inhaftierter Student hatte vor der Festnahme den Studienplatz von der TH Dresden zur Ingenieurfachschule für Maschinenbau in Karl-Marx-Stadt gewechselt. Weiter waren die Ehefrau eines Kommilitonen der TH Dresden und ein Student der ABF in Leipzig in Haft genommen worden. Nur wenige Tage nach den Festnahmen war der Senat der TH Dresden mit diesem Politikum konfrontiert worden. Der Rektor informierte die Senatoren, dass die Hochschulleitung durch Beauftragte des Ministeriums für Staatssicherheit über die Aktivitäten dieser Studenten in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Gruppe hätte vorgehabt „durch Propaganda, Herstellung von Flugblättern und durch Terrorakte“ gegen die Regierung zu arbeiten.85 Weiter hätte sie „in engster Verbindung mit dem westdeutschen Lemmer-Ministerium und der KgU in Westberlin gestanden. Nach kurzer Diskussion hatte der Senat einer vorgeschlagenen Erklärung zum Vorfall zugestimmt und beschlossen, dass „die Dekane für die Vorbereitung der Erklärung durch entsprechende Kommentierung der Professoren ihrer Fakultät[en] in den Vorlesungen Sorge tragen.“86 Mit dieser Erklärung distanzierte sich der Senat entschieden von den verhafteten Studenten, die einer Agentenorganisation ins Netz gegangen wären. Gleichzeitig wurde die Erklärung genutzt, um die Politik und Propaganda der DDR-Regierung gegenüber der Bundesrepublik zu unterstützen.87

84 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOp Bd. 1 Nr. 146 / 59, Bl. 52. 85 Senatsprotokoll vom 31. Januar 1959, in: UA der TUD, ABF-Direktion / Senatsprotokolle und Mitteilungen, Nr.5, n. f. 86 Ebenda. 87 Anlage 4 der Senatssitzung vom 31.8.1959, vgl. Ebenda.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

Die mehrjährige Existenz dieser strukturierten Gruppe, die mit einem politischen Konzept ausgerüstet war, sorgte selbst in der Führungsriege der SED für erhebliche Verunsicherung. Angesichts der hohen politischen Brisanz informierte der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke am 7. Februar 1959 den SEDGeneralsekretär Walter Ulbricht und seinen Sicherheitsbeauftragten im Politbüro Erich Honecker in einem ausführlichen und streng vertraulichen „Bericht über die staatsverräterische Gruppe an der Technischen Hochschule Dresden.“88 Bereits in diesem Schreiben, das nur eine Woche nach der Verhaftung der Studenten gefertigt wurde, orientierte Erich Mielke auf eine politische Instrumentalisierung, indem er in Aussicht stellte: „Weiterhin ist vorgesehen, die Verbrechen der staatsverräterischen Gruppe vor den Studenten der Technischen Hochschule propagandistisch auszuwerten und dabei die beiden Selbststeller auftreten zu lassen.“89 Ministerpräsident Grotewohl war als Regierungschef der DDR erst mehrere Tage später über das Geschehen informiert worden.90 Die Abteilung IX der Bezirksverwaltung Dresden des MfS leitete federführend das Verfahren gegen die Studenten und bezog mehrere Abteilungen seiner Verwaltung und die Kreisdienststelle Dresden in das Ermittlungsverfahren ein. So wurde am 3. Februar 1959 die Abteilung V der Bezirksverwaltung angewiesen, eine Aufstellung sämtlicher Flugblattfunde im Stadtgebiet, vor allem in der Nähe der TH Dresden, anzufertigen. Weiter sollte diese Abteilung „über sämtliche Vorkommnisse an der TH Dresden [informiert werden], die auf Feindtätigkeit schließen lassen und in [dem] Zeitraum von 1956 bis jetzt liegen“.91 Ebenfalls mussten Beurteilungen der Studenten durch die Hochschule und durch die Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei aus den Wohnorten der beschuldigten Studenten eingeholt werden. Zudem sollten Einschätzungen der Massenorganisationen geliefert werden, in denen die verhafteten Studenten Mitglieder waren.92 Zwei Tage später präzisierte der Leiter der Abteilung  IX der Dresdner Bezirksverwaltung seine Aufgabenstellung, indem er eine Analyse „über den politischen Zustand der Seminargruppen, denen die Beschuldigten angehörten“, anforderte.93 Dabei sollte die soziale Zusammensetzung ebenso ersichtlich werden, wie die in den studentischen Kollektiven geführten Diskussionen. Gleichfalls sollten Personen namhaft gemacht werden, die „negative Diskussionen führen.“94 Abschließend benötigte das MfS ein Exemplar des „5-Punkte-Programms der FDJ“ und die Lehrpläne „im Unterrichtsfach Gesellschaftswissenschaft“ sowie die Prüfungsergebnisse und 88 89 90 91 92 93 94

BStU, Zentralarchiv Berlin, Z 169, Bl. 1–5. Ebenda, Bl. 5. Ebenda, Bl. 6–8. BStU, Außenstelle Dresden, F 30 / 59, Bl. 279. Ebenda, Bl. 279 f. Ebenda, Bl. 281. Ebenda.

Festnahme der studentischen Widerstandsgruppe

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die Klausuren der inzwischen in Untersuchungshaft befindlichen Studenten. Ausdrücklich wies das MfS darauf hin, dass diese Unterlagen auf offiziellem Weg von der Hochschule zu beschaffen seien.95 Der Informationsfluss von der TH Dresden zur Bezirksverwaltung des MfS war schnell. Bereits am 15. Februar 1959 konnte differenziert über das Prüfungsgeschehen im Studienfach Gesellschaftswissenschaften berichtet werden. Dabei wurde eingeschätzt, dass das Fach Gesellschaftswissenschaften mangelhaft strukturiert und die Lehre eher lasch durchgeführt worden wäre.96 Am 11. Februar 1959 fasste die Abteilung V / 6 nach Aufforderung der Abteilung IX die politischen „Vorkommnisse“ im Zeitraum von September 1956 bis 1959 wie in einem Zeitraffer zusammen.97 Dabei wurde konstatiert, dass sich am 24. Oktober 1956 in der Fakultät Bauingenieurwesen ein Organisationskomitee zusammengefunden hätte, das eine „freie Studentenorganisation“ unabhängig von SED, FDJ und Hochschulleitung gründen wollte. Die geplante Organisation hätte das Ziel verfolgt, auch mit Studentenorganisationen in Westdeutschland zu kooperieren. Weiter wäre gefordert worden, dass künftig die Auszahlung des monatlichen Stipendiums in DM erfolgen solle, damit Studenten unter erleichterten Bedingungen in den Westen reisen könnten. Für den 6. November 1956 hielt der Bericht des MfS die Zusammenkunft von etwa 30 Studierenden der Chemie fest, die sich in einer „Schweigeminute“ für die Demokratiebewegung in Ungarn eingesetzt hätten. Im Bericht wurde dazu festgehalten, dass „die Rädelsführer nicht bekannt [wurden].“98 Ende Mai 1957 war vom MfS weiter festgehalten worden, dass „ausgehend von einigen Studenten der Fakultät Maschinenwesen eine Wiederholung der Demonstration gegen das Verbot der Westreisen versucht [wurde].“99 Im selben Jahr hätten Studenten bei der Rückkehr vom Ernteeinsatz aus Mecklenburg Waggons der Reichsbahn mit „provozierenden Losungen versehen“.100 Derartige Vorkommnisse hätte es 1958 nicht gegeben, dafür „gab es heftige ideologische Kämpfe in Beziehung zum „5-Punkte-Programm [der FDJ].“101 Besonders wären die „Reservisten-Ausbildung und die Aneignung einer atheistischen Weltanschauung“ attackiert worden, wobei „es aber zu keiner geschlossenen offenen Ablehnung“ gekommen sei.102 95 Ebenda. 96 So wurde festgestellt, dass die Themenpläne zum großen Teil nur Entwürfe und für die Hochschullehrer nicht bindend waren. Lehrpläne existierten offenbar nicht. Prüfungsbefreiung war möglich, wenn sich der Student oder die Studentin zur Zufriedenheit des Lehrenden am Seminar beteiligte, vgl. ebenda. 97 BStU, Außenstelle Dresden, F 30 / 59, Bl. 277. 98 Ebenda. 99 Ebenda. 100 Ebenda. 101 Ebenda. 102 Ebenda, Bl. 278.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

Dieser komprimierte Bericht verdeutlicht erneut die intensive Beobachtung der nicht konformen Aktivitäten von Studenten. Der folgende Bericht vom 16.  Februar 1959 führte aus, dass die „Verhaftung einer Untergrundgruppe an der TH Dresden“ bei den Hochschullehrern zu einer großen „Überraschung“ geführt hätte. In der Fakultät Technologie waren auf einer außerordentlichen FDJVersammlung in einer Resolution „die Machenschaften der Untergrundgruppe“ verurteilt worden. Der Vorschlag des Dekans für einen Dank an das MfS fand Zustimmung.103 Hierbei handelte es sich um eine offizielle Ergebenheitsadresse. Die von einem Hochschullehrer aus dem Bereich der Gesellschaftswissenschaften ausgesprochene Forderung, die Verhaftung der Studenten propagandistisch mithilfe einer Pressekonferenz auszunutzen, zielt auf eine politische Instrumentalisierung. Er erinnerte dabei auch daran, dass solche Pressekonferenzen in Ost-Berlin bereits durchgeführt wurden. Aufnahme fanden aber auch ganz andere Meinungen, wie die eines Professors, der in der „Zerschlagung der Widerstandsgruppe“ „einen großen Bluff“ des MfS gesehen hätte. Ein Geheimer Mitarbeiter berichtete weiter, dass dieser Hochschullehrer abgelehnt hätte, Spitzel des MfS zu werden und „die Kerle hinausschmeißen wollte.“104 Auch unter den Studenten herrschte keinesfalls euphorische Zustimmung nach der Verhaftung ihrer Kommilitonen. Vielmehr kann aus den wiedergegebenen Stimmungsbildern bei einem Teil der Studierenden von einer Solidarisierung mit den Verhafteten ausgegangen werden.105 Dagegen hätten die Angestellten der Hochschule sich offen gegen die verhafteten Studenten gestellt. Beispielsweise wären die Mitarbeiter eines Wohnheims während „der Versammlung zu der Einsicht gekommen, daß diese Studenten mit Faschisten gleichzusetzen sind.“106 Weiter wären die Führungskräfte der GST darüber „verwundert“ gewesen, dass „einige Mitglieder der konterrevolutionären Gruppe Funktionen in der GST begleiteten“ und darüber hinaus Waffenkammern an der Hochschule eingerichtet hatten und „durch Waffentransporte die Waffenkammer der Bezirksleitung der GST“ kannten. 107

103 Ebenda, Bl. 285. 104 Ebenda, Bl. 285. 105 In Bezug auf die älteren Semester wurde festgehalten: „Unter den Studenten ist am meisten die Meinung verbreitet, daß die verhafteten Studenten mit ihrer Untergrundtätigkeit eine große Dummheit begangen haben, denn sie hätten doch wissen müssen, daß die Sache einmal herauskommt und sie bestraft werden.“ Auch „jüngere Semester“ „distanzieren sich von der Gruppe, jedoch vorwiegend deshalb, weil die festgenommenen Studenten ein schlechtes Licht auf die betreffende Seminargruppe oder die Fakultät werfen. Eine Abscheu von den verbrecherischen Handlungen der Verhafteten kommt in den Diskussionen nur von den Genossen zum Ausdruck.“ Vgl. ebenda, Bl. 286. 106 Ebenda. 107 Ebenda.

Festnahme der studentischen Widerstandsgruppe

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Das MfS ließ sich umfassend von der Abteilung Information des „Staatlichen Komitees für Rundfunk“ der DDR über vom RIAS gesendete Kommentare zum Dresdner Studentenprozess informieren. Überliefert sind Mitschnitte vom 12., 13. und 17. Februar 1959, die ausführlich über die Verhaftungen der Studenten berichteten und sie im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung an der TH Dresden betrachteten. Dabei ging der Kommentator, der offenbar über gute Quellen unter den Studenten der TH Dresden verfügte, auch auf die Aussprache zwischen Karl Schirdewan und Studenten der TH Dresden von Anfang Dezember 1956 ein. Auch der damalige Minister für Schwermaschinenbau Fritz Selbmann hätte sich beim Senat der Hochschule für die Genehmigung der Anträge der Studierenden eingesetzt und sich bereit erklärt, mit den Studenten über Fragen des Sozialismus und der Ökonomie zu diskutieren. Wie Karl Schirdewan und Fritz Selbmann waren Prorektor Werner Turski und der Direktor des Instituts für Gesellschaftswissenschaften, Professor Hans Joachim Kelm, 1958 von ihren Funktionen entbunden worden. Dem Mitschnitt der RIAS-Aufnahme war weiter zu entnehmen, dass die von Karl Schirdewan zugelassenen zwölf unabhängigen Studentenklubs hätten wieder schließen müssen.108 Weiter ließ sich der Leiter der Abteilung IX der Dresdner Bezirksverwaltung des MfS mit der Unterstützung der Berliner Zentrale des MfS vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte (DIZ) über Bücher von Karl Jaspers informieren, die während der Verhaftungen vom MfS bei den Studenten beschlagnahmt worden waren.109 Das Institut referierte in einem Schreiben vom 25. März 1959 die wissenschaftliche und biographische Entwicklung von Karl Jaspers. Der Rezensent betrachtete Jaspers als „Vertreter einer Ideologie der Menschenverachtung, der Verachtung echter Wissenschaft, des Volksbetruges und der eindeutigen Rechtfertigung militaristischer Politik.“110 Dabei stützt er sich auf die Einschätzung des Neuen Deutschland vom 2. Oktober 1958. Er resümiert, dass dieses Buch „nicht in die Hand von werktätigen Menschen unseres Arbeiter- und Bauernstaates [gehört], weil es geeignet [sei], die Hirne mit Vorstellungen zu verkleistern, die der sozialistischen Weltanschauung widersprechen. Es [gehöre] auch nicht in die Hand junger Historiker, Studenten und junger werktätiger Menschen, die sich auf den Bildungsanstalten unseres Staates ein Wissen aneignen wollen, das sie befähigen soll, Funktionen in diesem unserem Staat auszuüben.“111 Weiter will

108 Mitschnitte der Abteilung Information des „Staatlichen Komitees für Rundfunk“ von RIAS II, vgl. ebenda, Bl. 363. 109 Es handelte sich dabei um: Karl Jaspers: „Die großen Philosophen“ I. München, 1957, 968 S. und Karl Jaspers: Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, in: Bücher des Wissens, Bd. 91, Frankfurt am Main / Hamburg, 1955 / 1956 / 1957, 272 S. 110 BStU, Außenstelle Dresden, F 30 / 59, Bl. 430. 111 Ebenda, Bl. 431.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

der Rezensent das Buch nur in Verschlussabteilungen bestimmter Institutionen aufbewahrt wissen, da es im Gegensatz zu „unserem Staat“ stünde.112 Ende März 1959 waren die Recherchen des MfS und die Verhörprotokolle so weit abgeschlossen, dass der Strafsenat des Bezirksgerichts Dresden die Vorbereitungen zum Prozess beenden konnte. Die politische Zielsetzung war im „Vorschlag für die Durchführung eines Prozesses gegen Angehörige der staatsverräterischen Gruppe an der Technischen Hochschule Dresden“113 ausformuliert und vom Leiter der Abteilung IX, Hauptmann Günter Simon, sowie vom Leiter der Bezirksverwaltung, Oberst Rolf Markert, abgezeichnet worden. Selbst auf den Verhandlungstermin nahm das MfS Einfluss und orientierte auf den 15. April 1959.114

3.7.  Vorbereitung der Anklage durch den Bezirksstaatsanwalt Am 30. Januar 1959 unterrichtete der für politische Verfahren zuständige Staatsanwalt des Bezirkes Dresden die Oberste Staatsanwaltschaft der DDR in Berlin über die vollzogene Verhaftung der studentischen Gruppe, die nach seiner Diktion unter dringendem Verdacht stand, ein Verbrechen nach §  13 des Strafrechtsergänzungsgesetzes der DDR begangen zu haben.115 Nur einen Tag nach der Festnahme schilderte der Staatsanwalt seiner vorgesetzten Berliner Behörde die Ermittlungsergebnisse der Dresdner Bezirksverwaltung des MfS, das nun auch auf die Ergebnisse der ersten Verhöre der Studenten unmittelbar nach ihrer Verhaftung zurückgreifen konnte. Danach bestand die „illegale Studentenorganisation“ seit Herbst 1956. Zunächst gehörten ihr nur wenige Mitglieder an. Durch gezielte Werbung war die Organisation, die sich aus Sicherheitsgründen in Vierergruppen aufteilte, dann auf 14 Mitglieder angewachsen. Die Gruppenmitglieder wählten in geheimen Abstimmungen ihre Leiter. In festgelegten Zeitabständen trafen sich die Gruppen in Privatwohnungen. Das Ziel der Organisation sah der Staatsanwalt in der Herbeiführung einer „Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik durch Schaffung eines ‚Nationalen Kommunismus‘ nach jugoslawischem Vorbild.“116 Die einzelnen Punkte fasste die Anklage wie folgt zusammen: – freie Wahlen entsprechend Wahlsystem der Bundesrepublik – Abzug aller Besatzungstruppen

112 113 114 115 116

Ebenda. Ebenda, Bl. 436–443. Vgl. Ebenda, Bl. 443. Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 4523, Bl. 91 f. Ebenda.

Vorbereitung der Anklage durch den Bezirksstaatsanwalt

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– Abschluss eines Friedensvertrages mit einer aus ‚freien Wahlen‘ hervorgegangenen Regierung – keinerlei militärische Bündnisse – Recht auf freie Meinungsäußerung – freier Reiseverkehr – freie Entscheidung für Interessengemeinschaften – Einschränkung des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichts – Presse- und Rundfunkfreiheit – Abschaffung der vormilitärischen Ausbildung an Hochschulen.117 Nach den Ermittlungsergebnissen des Staatsanwalts hatte sich die Gruppe intensiv bemüht, ihre Auffassungen vor allem unter den Kommilitonen zu verbreiten, was von ihm wie folgt kommentiert wurde: „Zur Propagierung ihrer Plattform hatte sich die illegale Organisation einen Vervielfältigungsapparat und 1000 Blatt Papier angeschafft, um Flugblätter herzustellen, die insbesondere unter den Studenten verteilt werden sollten.“118 Dazu wäre es aber nach der Festnahme der Studenten nicht mehr gekommen. In den weiteren Ausführungen referierte der Staatsanwalt detailliert über Struktur und Entwicklung der Gruppe von ihren Anfängen bis zur Verhaftung. Ausführlich berichtete der Staatsanwalt seiner vorgesetzten Behörde über die beschlagnahmten Handfeuerwaffen, die die Mitglieder der Gruppe sich seit November 1958 beschafft hätten.119 Für die Waffen wäre aber nur unzureichend Munition vorhanden gewesen. Deshalb hätten die Studenten, wenn auch erfolglos, in der Dresdner Heide Munition gesucht. Ein Mitglied der Gruppe wäre zudem mit der Herstellung von Sprengstoff beschäftigt gewesen. Ende 1958 hätten sich dann „innerhalb der illegalen Organisation bestimmte Zersetzungserscheinungen [gezeigt].“120 Es wäre um die Alternativen Auflösung oder Weiterarbeit der Gruppe gegangen. In geheimer Abstimmung hätten sich die Mitglieder bei zwei Gegenstimmen „für verstärkte, intensive Weiterarbeit“ entschieden.121 Abschließend wurde die Selbstanzeige des Studenten referiert, der die Gruppe verlassen wollte.122 Im Bericht kommt deutlich zum Ausdruck, dass das MfS umfassend über die studentische Gruppe informiert war und so der Staatsanwaltschaft detaillierte Ermittlungsergebnisse vorlagen.

117 Ebenda. 118 Ebenda. 119 Beschlagnahmt wurden: Ein Trommelrevolver, eine Pistole 6,35, drei Gaspistolen Westberliner Herkunft und eine Pistole P 38, vgl. ebenda. 120 Ebenda. 121 Ebenda. 122 Ebenda.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

3.8.  Untersuchungshaft in der Bezirksdienststelle des MfS   in Dresden Nach den Festnahmen wurden die Studenten in das Untersuchungsgefängnis der Bezirksverwaltung Dresden des MfS gebracht. Danach begannen die Verhöre, die auch nachts fortgesetzt wurden. Die Vernehmer waren von Anfang an über die Hintergründe und das Innenleben der oppositionellen Studentengruppe informiert. Ihnen war bekannt, dass sie sich vergeblich um Kontakte zu Institutionen in Westberlin bemüht hatten. Das MfS verfolgte mit den intensiven und zeitlich ausgedehnten Verhören das Ziel, die Mitglieder der Studentengruppe zu kriminalisieren und ihren Willen zu brechen. Dem Untersuchungsführer des MfS fiel es aber schwer, greifbare Tatbestände zu ermitteln, die in einem öffentlichen Prozess verwertbar waren. Insbesondere sollte in der Bevölkerung Unterstützung für eine abschreckende Verurteilung der Studenten erreicht werden. Das MfS unterstellte in den Verhören auch eine direkte Einflussnahme durch die in Ungnade gefallenen ehemals führenden SED-Funktionäre Karl Schirdewan und Fred Oelßner sowie den Philosophen Ernst Bloch von der Universität Leipzig, der nach dem Aufstand in Ungarn eine politisch kritische Position einnahm und deshalb seinen Lehrstuhl aufgeben musste.123 Nach den Festnahmen wurden die Studenten von der Außenwelt abgeschottet und in strenge Einzelhaft genommen. Nur über Klopfzeichen war eine mühsame Verständigung zwischen den Mitgefangenen möglich. Über Monate herrschte Ungewissheit. So erfuhr Hanns-Lutz Dalpke auch nicht, dass seine Eltern nach seiner Festnahme in Westberlin Zuflucht gefunden hatten. Seit ihrer Verhaftung waren die Studenten intensiven Verhören ausgesetzt. In der Regel wurden sie vom selben Vernehmer verhört. Die MfS-Offiziere gaben sich während der Verhöre formal korrekt. Nach der Erinnerung von Hanns-Lutz Dalpke standen in der Dresdner Bezirksverwaltung der Staatssicherheit nicht genügend Vernehmer zur Verfügung. Deshalb mussten andere MfS-Verwaltungen Vernehmungsoffiziere nach Dresden abkommandieren. Das Weltbild der Offiziere war nach dem Eindruck der Verhafteten schablonenhaft verfestigt. Die Studenten waren für die Angehörigen der Staatssicherheit Feinde der DDR, die es hart zu bestrafen und deren Hintermänner im Westen es zu entlarven galt. Dass es systemimmanente innere Probleme und Widersprüche der DDR waren, die zu Opposition und Widerstand der Studenten geführt hatten, kam den Vernehmern, deren Vorbilder sowjetische Tschekisten waren, nicht in den Sinn. Die Praxis der Untersuchungsführung war dadurch gekennzeichnet, dass der vernehmende MfS-Offizier Hanns-Lutz Dalpke mit vorbereiteten Fragen und Aussagen der anderen Gruppenmitglieder konfrontierte. Nach Abschluss der 123 Interview mit Herrn Gerhard Bauer am 27. Februar 2009.

Untersuchungshaft in der Bezirksdienststelle des MfS in Dresden

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oft mehrstündigen Verhöre musste er dann die vom Vernehmer handgeschriebenen Protokolle gegenzeichnen. Beim nächsten Verhör legte der Offizier ein mit Schreibmaschine gefertigtes und von ihm redigiertes Protokoll der vorangegangenen Vernehmung vor. Hanns-Lutz Dalpke musste auch diese vom MfS bearbeiteten Protokolle abzeichnen. Im Weigerungsfall wartete der Vernehmungsbeamte so lange, bis der Student unterzeichnet hatte. Die Vernehmungsprotokolle widerspiegeln das Ziel des MfS, die Mitglieder der Gruppe als von der Bundesrepublik verführte junge Leute darzustellen und sie für den geplanten politischen Prozess zu präparieren. Hanns-Lutz Dalpke wiederum war bemüht, die Motivation für das politische Handeln der Gruppe zu erklären und dabei sich selbst und andere möglichst nicht zu belasten. Die Vernehmungspraxis wird folgend auszugsweise am Beispiel von HannsLutz Dalpke analysiert. Hanns-Lutz Dalpke stellte eine Kopie der vom MfS geführten Vernehmungs- und Prozessakte zur Verfügung, die eine weitgehende Rekonstruktion der Vorbereitung und Durchführung des Prozesses ermöglicht.124 Die Untersuchungen gegen die anderen Mitglieder der studentischen Widerstandsgruppe verliefen in ähnlicher Weise. Am 29. Januar 1959 wurde Hanns-Lutz Dalpke gegen 8.45 Uhr in ein Verhörzimmer des MfS geholt. Die Vernehmung war um 13.00 Uhr unterbrochen worden, um sie dann von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr fortzusetzen. Nach einer zweistündigen Pause wurde das Verhör des vollkommen übermüdeten und erschöpften Studenten die Nacht hindurch bis zum folgenden Morgen gegen 7.30 Uhr weitergeführt. Während dieser Zeit musste der Student zu seiner Biografie, zu seinen Kontakten nach Westberlin, zu seiner Aufnahme in die Gruppe und deren Struktur und zu anderen Fragen aussagen. So blieb dem Studenten nichts anderes übrig als zuzugeben, dass er im zweiten Halbjahr 1958 die Dienststelle der KgU in Berlin-Nikolassee und das Büro der Außenstelle des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen auf dem Kurfürstendamm aufgesucht hatte. Weiter musste sich der Student zum Benachrichtigungssystem im Falle der Verhaftung eines Gruppenmitglieds und zu Diskussionen über den theoretischen Einsatz von Gewalt äußern. Am 5. und 6. Februar fanden die Vernehmungen ihre Fortsetzung. Dabei wurde Hanns.-Lutz Dalpke zu seiner Tätigkeit als Chef der GST in der Fakultät befragt. Es folgten weitere Vernehmungen, die vom 10. bis 12. Februar stattfanden. Das Protokoll vom 12. Februar gibt eine erste Zusammenfassung zu den politischen Vorstellungen und Absichten der Gruppe. Die Vernehmung begann 10.00 Uhr und endete, unterbrochen von der eineinhalbstündigen Mittagspause, gegen 16.30 Uhr. HannsLutz Dalpke war nach dem Ziel der Gruppe befragt worden, das er folgendermaßen zusammenfasste: „Es war das Ziel unserer Gruppe, die gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse in der DDR zu verändern. Unsere Vorstellungen, die wir als großes Ziel erstrebten, umfaßten zwar auch den Sozialismus und Kommunismus, 124 Vgl. BStU, Außenstelle Magdeburg, Zentral-Archiv Nr. 4553 / 73, Bl. 1 ff.

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jedoch sollte der Weg zur Erreichung dieses Ziels ein anderer sein. Der Sozialismus sollte nicht auf der Basis einer Diktatur des Proletariats, sondern der gleichberechtigten Mitarbeit aller Bürger unter Berücksichtigung derer Anschauungen geschaffen werden. Dadurch hofften wir, gemäßigtere Formen für den Aufbau des Sozialismus zu erreichen. Weiterhin sollte der Aufbau des Sozialismus ausschließlich unter Beachtung der nationalen Erfordernisse erfolgen, da wir die Beachtung der Grundsätze des Internationalismus, d.h. besonders der Unterstützung der weniger entwickelten Volksdemokratien in Europa und Asien, als bremsende Faktoren für das Entwicklungstempo in der DDR einschätzten.“125 Diese Zielrichtung wurde im Wesentlichen von allen Gruppenmitgliedern gebilligt. In den Novemberversammlungen wären jedoch von mehreren Mitgliedern Gedanken geäußert worden, die in der Konsequenz zur Restauration kapitalistischer Verhältnisse in der DDR geführt hätten.126 Danach wollte der Vernehmer wissen, wie die Gruppenmitglieder die Verhältnisse in der DDR eingeschätzt und welche Konsequenzen sie daraus gezogen hätten. Der Student gab wiederum eine umfassende Wertung: „Die Form der Diktatur des Proletariats, wie sie in der DDR existierte, wurde abgelehnt. Wir waren der Meinung, daß die Macht nur von der SED mit ihrem Funktionärskörper und einem Teil der Mitglieder ausgeübt wird. Hieraus und aufgrund weiterer Gesichtspunkte innen- und außenpolitischer Art, sehen wir nur die Konsequenzen der Ablösung der jetzigen Regierung. Gedanken personeller Veränderungen waren noch nicht aufgetreten.“127 Weiter äußerte sich Hanns-Lutz Dalpke zur Innenpolitik: „Auf innenpolitische[m] Gebiet schätzen wir die tatsächliche Beschränkung der individuellen Freiheiten der Bürger als zu groß ein. Aufgrund dessen befaßten sich mehrere Punkte des Programms der Gruppe mit der Durchsetzung dieser Freiheiten. Die bisherige Blockpolitik unter Führung der SED wurde abgelehnt und sollte ersetzt werden durch das Prinzip der völligen Gleichberechtigung aller Parteien, damit unterbunden wird, daß die anderen Parteien Anhängsel der SED darstellen, wie wir es so bezeichneten. Weiterhin sollte das Ministerium für Staatssicherheit, in der Form wie es bestand, aufgelöst werden. Seine Tätigkeit sollte sich nur gegen feindliche Tätigkeit von außen richten, wobei jegliche Gestapomethoden, die unserer Ansicht nach noch vorhanden sind, hätten beseitigt werden müssen. Die Volksarmee sollte nur die Größe eines bewaffneten Grenzschutzes umfassen. Hierzu ist zu bemerken, daß im Zusammenhang mit der vormilitärischen Ausbildung auch der Gedanke der Einführung einer Wehrpflicht geäußert wurde. Die Gesetzgebung wurde hinsichtlich der Bestrafung von Staatsverbrechen als zu hart eingeschätzt. Es wurde in diesem Zusammenhang eine Milderung bei der Bestrafung derartiger Verbrechen gefordert.“ Folgend äußerte sich der Student zu den wirtschafts- und hochschulpolitischen Vorstellungen der Gruppe 125 BStU, Außenstelle Magdeburg, Zentral-Archiv Nr. 4533 / 73, Bl. 31 – 35. 126 Ebenda, Bl. 44. 127 Ebenda.

1 Der Präsident der Landesverwaltung Sachsen Rudolf Friedrichs gratulierte am 18. September 1946 Rektor Enno Heidebroek zur Wiedereröffnung der TH Dresden.

2 Das Hauptgebäude der TH Dresden am ehemaligen Bismarckplatz nach der Bombardierung Dresdens am 13./14. Februar 1945. Die Ruine wurde 1951 abgerissen.

3 Die Institutsgebäude waren von teilweise schweren Zerstörungen betroffen (links Gebäude der Chemischen Abteilung).

4 Provisorische Schule in der Kinderklinik des Johannstädter Stadtkrankenhauses (heute Universitätsklinikum). Zeitweise war hier der Pädagogikstudent Horst-Günther Schakat tätig, bevor er 1950 verhaftet wurde.

5 Gebäude des ehemaligen Landgerichts. Es diente insbesondere in der NS-Zeit, aber auch noch bis 1956 als Ort für politische Prozesse und Hinrichtungsstätte, bevor der Gebäudekomplex für die TH Dresden umgebaut wurde (Aufnahme ca. 1959).

6 Demonstrationszug von FDJ-Studenten durch Dresden.

7 Festveranstaltung am 29. Oktober 1949 anlässlich der Eröffnung der Arbeiterund-Bauern-Fakultät der TH Dresden. Auf der Ehrentribüne präsentieren sich führende Funktionäre (links Walter Ulbricht neben Rektor Werner Straub).

8 Studenten der ABF während der Eröffnungsfeier, Oktober 1949.

9 Neubauten von Wohnheimen für Studenten der ABF Anfang der 1950er Jahre.

10 Großzügiger Neubau für die Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften am Zelleschen Weg (Mitte der 1950er Jahre).

11 Studentenwohnheim "Rainer Fetscher" an der heutigen Fritz-Löffler-Straße (eröffnet 1954).

12 Rektorat mit Verwaltung in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre.

13 Urkunde zum Nationalpreis für den langjährigen Ordinarius für Anorganischtechnische Chemie und Leiter der Abteilung Hochschule und Wissenschaft im Sächsischen Ministerium für Volksbildung Arthur Simon.

14 Vom MfS gefertigte Abschrift des 16-Punkte-Programms der studentischen Widerstandsgruppe von 1958.

15 Im ersten Prozess (13. bis 15. April 1959) angeklagte und verurteilte Studenten. Am 18. April 1959 wurde das Urteil verkündet.

16 Gebäudekomplex der ehemaligen Bezirksverwaltung Dresden des Ministeriums für Staatssicherheit an der Bautzner Straße.

17 Vernehmung eines angeklagten Studenten durch den Staatsanwalt im ersten Prozess am 15. April 1959.

18 Im zweiten Prozess angeklagte und verurteilte Studenten der TH Dresden (Hauptverhandlung am 23. April 1959).

19 Gebäude des ehemaligen Bezirksgerichts Dresden am Sachsenplatz um 1960, seit 1993 Sitz des sächsischen Landgerichts.

20 Pressekonferenz am 21. April 1959 an der TU Berlin (West) zum Dresdner ­Studentenprozess.

21 Strafvollzugsanstalt Bützow-Dreibergen des Ministeriums des Innern der DDR (um 1960).

22 Haftarbeitslager am Dresdner Flugplatz, 1959.

23 Willy Brandt sprach am 1. Mai 1959 vor Tausenden Berlinern. Er forderte in seiner Rede auch „die Freilassung der Studenten von Dresden und aller anderen politischen Gefangenen“.

24 Staats- und Parteichef Walter Ulbricht besuchte Ende September 1962 mit seiner Frau Lotte die TU Dresden. Rektor Kurt Schwabe begleitete die Gäste ins Rektorat.

25 Der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Werner Krolikowski auf einer Konferenz der FDJ der TU Dresden zur Vorbereitung der X. Weltfestspiele 1973 in Berlin. Im Präsidium neben FDJ-Funktionären Rektor und Sekretär der SED-Kreisleitung der Universität.

26 Die Minister für Nationale Verteidigung Heinz Hoffmann und für das Hoch- und Fachschulwesen Hans-Joachim Böhme beim Besuch der militärischen Ausbildungseinrichtung "Peter Göring" im thüringischen Seelingstädt.

27 Im Jahr 1981 fertig gestellte Neue Mensa der TU Dresden mit der markanten Stele von Hermann Glöckner, einem Mitbegründer des Konstruktivismus.

28 Ansprache des Rektors Professor Hermann Kokenge auf der Tagung am 30. November 2009.

Untersuchungshaft in der Bezirksdienststelle des MfS in Dresden

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„Auf ökonomische[m] Gebiet sollte eine elastische, nicht so weit ins Detail gehende Planung der Produktion erfolgen. Die SED-Mitglieder, die keine wissenschaftliche Qualifikation besitzen, sollten durch Fachleute ersetzt werden, um die vielen Mißstände, die unserer Meinung [nach] vorhanden waren, einzuschränken. Inhaber kleinerer kapitalistischer Betriebe, die enteignet wurden, sollten in angemessener Weise – nicht in voller Höhe des Wertes der Fabriken – entschädigt werden. Wir dachten dabei besonders auch an Geschäftsinhaber. Die Hochschulpolitik schätzten wir als unfrei – d[as] h[eißt] nur den Anschauungen und Grundsätzen der einseitigen Regierungspolitik und dem Sinne der SED entsprechend – und dogmatisch ein. Wir stellten eine Reihe von Forderungen auf, die zum Teil in dem schriftlich ausgearbeiteten Programm128 enthalten sind, jedoch darüber hinausgehen. Die Änderung der Hochschulpolitik war eine der wesentlichen Ursachen für die Herausbildung der Gruppe überhaupt“.129 Die einzelnen Forderungen bezogen sich auf die Zulassungs- und Stipendienfragen, die vormilitärische Ausbildung, den Reiseverkehr nach Westdeutschland, den gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht und die Genehmigung freier studentischer Organisationen. Die größten Probleme der DDR resultierten nach Auffassung der Gruppe aus dem Demokratiedefizit und der einseitigen Bindung an die Sowjetunion.130 Abschließend gab Hanns-Lutz Dalpke eine Wertung des Verhältnisses der beiden deutschen Staaten. Zur Frage der Wiedervereinigung Deutschlands gab es nach seinen Ausführungen offenbar „die größten Unklarheiten“. Einige Gruppenmitglieder „traten für ‚freie gesamtdeutsche Wahlen‘ ein, die letzten Endes eine Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik bedeutet hätten.“131 Als einzige Bedingung wäre die Verstaatlichung der großen Konzerne, der Banken und der Verkehrsbetriebe gefordert worden. Lediglich der „Monopolkapitalismus“ wäre von allen Gruppenmitgliedern abgelehnt worden. Aber zu den Wegen und den Formen der Wiedervereinigung Deutschlands hätte es in der Gruppe keine übereinstimmende Auffassung gegeben.132 Weiter bezog er internationale Aspekte ein und fuhr wörtlich fort: „Im Zusammenhang mit dem Friedensvertragsentwurf der Sowjetunion wurde auch die Frage der abgetrennten ehemaligen deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße diskutiert. Die Forderungen der einzelnen Gruppenmitglieder reichten von völliger Rückgabe bis zur teilweisen Rückgabe dieser Gebiete an das wiedervereinigte Deutschland.“133 Dieses Problem wäre jedoch noch nicht innerhalb der gesamten Gruppe beraten worden. In einem Resümee ging 128 129 130 131 132 133

Gemeint ist das „16-Punkte-Programm“ der Gruppe. BStU, Außenstelle Magdeburg, Zentral-Archiv, Nr. 4553 / 73, Bl. 45. Ebenda, Bl. 46. Ebenda. Ebenda. Ebenda, Bl. 347.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

Hanns-Lutz Dalpke auf die Strategie und Taktik der Gruppe ein: „Zusammenfassend zu dieser Konzeption der Studentengruppe möchte ich feststellen, daß wir neben diesen großen Zielen der Veränderung der Staats- und Regierungsform der DDR eine Reihe von gegenwärtigen Programmpunkten besaßen, die Teilfragen der Gesamtkonzeption darstellten. Einen Teil dieser Programmpunkte stellte das im September 1958 verfaßte Programm dar. Bereits Ende 1958 kritisierte ich dieses Programm, da es mir zu allgemein und nichtssagend erschien. Die von mir dargelegten Konzeptionen waren zum Zeitpunkt meiner Aufnahme zur Gruppe noch nicht vorhanden. […]“134 Mit dieser umfassenden Aussage hatte Hanns-Lutz Dalpke den politischen Charakter der Gruppe klar und nachvollziehbar umrissen. Er war, wie auch die anderen verhafteten Studenten, einem die psychische Belastbarkeit weit überschreitenden Vernehmungsmarathon ausgeliefert. Nach abermaliger Einzelhaft von über einer Woche fand am 20. Februar 1959 die nächste Vernehmung statt, die um 11.00 Uhr begann nach 20.00 Uhr endete. Hanns-Lutz Dalpke musste sich nun zu den von der Gruppe aufgestellten konkreten politischen Zielen äußern. Dabei begründete er die Forderungen nach Auflösung des Staatssicherheitsdienstes, der als „gefährlichster Feind“ der Gruppe eine „freie Meinungsäußerung“ nicht dulden würde.135 Nur ein Auslandsnachrichtendienst wurde akzeptiert. Weiter sollte die Armee „auf die Größe eines verstärkten Grenzschutzes mit Zubilligung von Raketenabwehrwaffen“ reduziert werden.136 Ebenfalls forderte die Gruppe die Abschaffung des politischen Strafrechts. Dabei ging er auch auf die Auswertung der Urteile gegen eine oppositionelle Studentengruppe in Jena und die Verurteilung von Wolfgang Harich ein. Im maschinenschriftlichen Protokoll ist von „der staatsverbrecherischen Gruppe an der Universität Jena“ und der „Harichgruppe“ die Rede.137 Weiter sagte Hanns-Lutz Dalpke zu wirtschaftspolitischen Forderungen aus. Dabei äußerte er sich differenziert zum jugoslawischen Wirtschaftsmodell und kritisierte die Möglichkeit, dass unter diesen Bedingungen Betriebe „bankrott“ gehen könnten. Er forderte aber eine Lockerung der als zu starr wahrgenommenen staatlichen Wirtschaftsplanung in der DDR. Deutlich lehnte er die Führungsrolle der SED ab. Das Protokoll hielt weitere Forderungen der Studenten fest: – Zulassung von zum Marxismus alternativen Philosophien – Ablehnung der FDJ – Zulassung von unabhängigen studentischen Organisationen.138

134 135 136 137 138

Ebenda. Ebenda, Bl. 48. Ebenda, Bl. 49 ff. Ebenda. Vgl. Ebenda.

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Am 24. Februar 1959 wurde die Vernehmung erneut aufgenommen. Die Fragen waren nun auf die politischen Forderungen sowie die Konzeption zur Verwirklichung der Ziele und auf Verbindungen zu Personen außerhalb der Gruppe gerichtet. So musste Hanns-Lutz Dalpke die Frage nach dem Weg zur Verwirklichung der Ziele der Gruppe beantworten. Dabei wurde er mit folgender Fragestellung konfrontiert: „Wie sollten die konterrevolutionären Ziele verwirklicht werden?“139 Hanns-Lutz Dalpke schilderte wiederum sachlich die Absichten und Planungen der Gruppe, ohne dass er sich persönlich davon distanzierte. Er verdeutlichte in seiner Antwort, dass es in der Gruppe hinsichtlich der einzelnen Schritte zur Verwirklichung der Ziele „noch keine endgültige Klarheit und Übereinstimmung“140 gegeben hätte. Dagegen hätte Konsens bestanden für die Herstellung einer Massenbasis mit Flugblattaktionen, der Ausnutzung der Blockpartei CDU für die Ziele der Gruppe und die Einflussnahme auf die Hochschulpolitik. Hanns-Lutz Dalpke schilderte ausführlich konzeptionelle Überlegungen zur Werbung weiterer Mitglieder für die studentische Widerstandsgruppe, wobei er sich selbst belastete, indem er deutlich machte, dass er seine Stellung als Angehöriger der GST-Fakultätsleitung ausnutzen wollte, um mithilfe der ihm zugänglichen Adresslisten von 700 Studenten geeignete Mitglieder für die Gruppe zu werben. In weiteren acht Vernehmungen, die in gleicher Form stattgefunden hatten, musste Hanns-Lutz Dalpke zu den Vorstellungen der Gruppe zu hochschulpolitischen Fragen, insbesondere zur Ablehnung der militärischen Ausbildung, zum „16-Punkte-Programm“ zu Verbindungen der Gruppe zu anderen Bevölkerungskreisen, zu westlichen Medien und Organisationen, zum Waffenbesitz und zu Aspekten der inneren Organisation der Gruppe, einschließlich des Umgangs mit solchen Mitgliedern, die die Gruppe verlassen wollten, aussagen. Insbesondere die letzten drei Vernehmungen vom 23. bis 25. März 1959 dienten der Zusammenfassung des Belastungsmaterials, der Festschreibung der Chronologie und der politischen Wertungen. Über Monate hatte die Bezirksverwaltung Dresden des MfS insgesamt 184 Seiten redigierte Vernehmungsprotokolle gefertigt, die auf jeder Seite von Hanns-Lutz Dalpke abgezeichnet werden mussten.141 Nicht überliefert ist eine intensive und harte Vernehmung, die ein im Februar 1959 aus Berlin angereister Oberst des MfS geführt hatte. Er hatte Hannns-Lutz Dalpke zu seinen Eltern befragt, die, was ihm damals verschwiegen wurde, inzwischen in der Bundesrepublik lebten.142 Die Protokolle widerspiegeln eine Vernehmungspraxis, die auf die psychologische Zermürbung des 21-jährigen Studenten ausgerichtet war. Systematischer Schlafentzug, Isolationshaft, existentielle Drohungen, ständige Wiederholung 139 140 141 142

Ebenda, Bl. 55. Ebenda, Bl. 56. Ebenda, Bl. 55–184. Interview mit Hanns-Lutz Dalpke am 4. März 2009.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

gleicher Fragestellungen sowie die Konfrontation mit Aussagen der anderen inhaftierten Studenten waren typisch für die Vorbereitung eines politischen Prozesses. Eine anwaltliche Beratung war während der Zeit der Vernehmungen ausgeschlossen. Am 17. März 1959 hatte das MfS einen Antrag auf Verlängerung der Frist zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens gegen die 14 Mitglieder der „staatsfeindlichen Gruppe an der Technischen Hochschule Dresden“ gestellt.143 Der Untersuchungsführer sah sich „wegen des Umfangs der zu überprüfenden Materie“ außer Stande, die Ermittlungen wie von seinen Vorgesetzten gefordert bis zum 28. März 1959 zum Abschluss zu bringen, und bat deshalb um einen Monat Verlängerung für die Ermittlungen.144 Aus der Untersuchungshaft war Hannelore Klandt, die Ehefrau von Jürgen Klandt, aus Mangel an Beweisen freigekommen. Auch bei zwei Studenten des Maschinenbaus und bei einem weiteren Kommilitonen wurde von der Anklageerhebung abgesehen. Diese Studenten waren nur deshalb über mehr als zwei Monate in Untersuchungshaft gekommen, weil sie auf einer Namensliste vermerkt waren, die während der Haussuchung bei einem Gruppenmitglied nach dessen Festnahme gefunden worden war. Sie sollten künftig für eine Mitarbeit in der studentischen Widerstandsgruppe gewonnen werden. Obwohl sie aus der Untersuchungshaft ohne Urteil entlassen worden waren, mussten sie sich zunächst für ein bis zwei Jahre in der Industrie „bewähren“. Danach konnten sie ihr Studium fortsetzen. Ein Betroffener war beispielsweise später als promovierter Wissenschaftler an der TU Dresden tätig.

3.9.  Prozessvorbereitung Das MfS bereitete federführend und in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, den Medien und den gesellschaftlichen Organisationen, insbesondere der SED, der FDJ und der TH Dresden, den Prozess gegen zehn Studenten vor. Die Abteilung IX der Dresdner Bezirksverwaltung des MfS hatte am 13. März 1959, noch während der Vernehmungen der Studenten in der Untersuchungshaft, dem Chef der Bezirksverwaltung vorgeschlagen, den Prozess vor der „erweiterten Öffentlichkeit“ durchzuführen.145 Nach seiner Zustimmung und dem Einverständnis des Ministers lag nun die organisatorische Vorbereitung aller mit dem Prozess zusammenhängenden Fragen bei der Abteilung IX der Dresdner Bezirksverwaltung.

143 BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 4523, Bl. 91 ff. 144 Ebenda. 145 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOp Bd. 1, Nr. 146 / 59, Bl. 82 f.

Prozessvorbereitung

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Selbst bei der propagandistischen Planung gab das MfS den Ton an. So wurde „in Anbetracht der politischen Situation und der bereits erfolgten Publikationen in dieser Angelegenheit“146 eine Auswertung vor einem großen Teilnehmerkreis der Hochschule vorgeschlagen. Nach Abstimmung mit der Hochschule war dann für den 26. März 1959 die „agitatorische Auswertung der Festnahme einer staatsfeindlichen Gruppierung an der Technischen Hochschule Dresden“ anberaumt worden.147 Der Rektor und international renommierte Professor für Landmaschinentechnik Werner Gruner oder ein von ihm beauftragter Vertreter sollte mit wenigen Worten einleitend auf die Vorkommnisse eingehen. Danach war die „Erklärung eines Vertreters des Ministeriums für Staatssicherheit“148 mit der längsten Redezeit vorgesehen. Folgend sollten ehemalige Gruppenmitglieder als Zeugen auftreten. Schließlich war der Auftritt der Staatsanwaltschaft geplant. Weiter war vorgesehen, dass der Beauftragte des Rektors in einem zusammenfassenden Schlusswort die Studenten als Angehörige einer „staatsfeindlichen Gruppe“ verurteilt und ihre Handlungen als vom Westen „infiltriert“ und basierend auf „verbrecherischen Ideologien“ darstellt und schärfstens verurteilt Insbesondere sollte klar zum Ausdruck kommen, dass es sich bei diesen Studenten „um kriminelle Verbrecher handelt“149 Das zusammenfassende Schlusswort des Rektors sollte „als Antwort auf den offenen Brief der Studenten der Westberliner Freien Universität verwertet werden.“150 Entsprechend dieser Planungen fand die agitatorische Veranstaltung in Vorbereitung des Prozesses an der TH Dresden statt. Der Prozess war gleichfalls als Podium für eine politische Propagandaveranstaltung geplant worden. So war vorgesehen, dass 70 bis 80 Studenten, Dozenten und Professoren, Vertreter der SED, der FDJ und Delegationen von anderen Hochschulen der DDR den Prozess beobachten. Gleichfalls war die Teilnahme der Medien wie ADN, Neues Deutschland, Funk und Fernsehen und anderer Presseorgane eingeplant worden. Insgesamt bestätigte am 11. April 1959 die Abteilung V / 6 der Dresdner Bezirksverwaltung des MfS die Ausgabe von 90 Karten an ausgewählte Personen. Darunter Studenten der TH Dresden, Abgesandte von FDJ und SED-Organisationen anderer Hochschulen, der Leiter der Abteilung Hochschulen im ZK der SED, Arbeiter aus Großbetrieben, die Eltern der angeklagten Studenten, Mitarbeiter der MfS-Zentrale in Berlin und Westberliner Studentenvertreter.151

146 147 148 149 150 151

Ebenda, Bl. 64 f. Ebenda, Bl. 60 f. Ebenda. Ebenda, Bl. 60 f. Ebenda. Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOp 146 / 59, Bl. 84.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

3.10.  Die Anklage Der Prozess gegen die fünf hauptangeklagten Studenten vor dem „1a Strafsenat“ des Bezirksgerichts Dresden begann am Vormittag des 13. April und endete am 18. April 1959 nachmittags mit der Urteilsverkündung Dem Gericht stand mit dem Erlass des Gesetzes zur Ergänzung des Strafgesetzbuches ein neues schärferes politisches Strafrecht zur Verfügung, das vom Kalten Krieg und der politischen Systemauseinandersetzung gezeichnet war.152 Das Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Dezember 1957 war ein parteipolitisch ausgerichtetes Recht, das als „das Strafrecht der sozialistischen Demokratie“ auf Grundlage von Parteibeschlüssen von der Volkskammer verabschiedet worden war und die Führung von politischen Prozessen erleichterte. Bis dahin hatte sich die politische Repression in der DDR ganz wesentlich auf den § 6 ihrer Verfassung gestützt. Für Justizministerin Hilde Benjamin war das Recht vor allem ein Instrument des Klassenkampfes. So begründete sie es auch vor der Volkskammer. Während nach ihrer Auffassung die Gesetzlichkeit in der Bundesrepublik zerstört würde, wären mit dem Erlass des neuen Gesetzes in der DDR die „Tatbestände der Staatsverbrechen konkretisiert“ worden.153 Im „Staatsverrat“ sah sie „das schwerste Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik“154 Weiter ging sie auf Gruppen von Tatbeständen ein, wie Terror, „Angriffe […] gegen die örtlichen Organe der Staatsmacht sowie Propaganda und Hetze gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht“155 und gelangte zu der Schlussfolgerung, dass die „NATO-Politik dazu [zwinge], die Androhung der Todesstrafe beizubehalten. Ihre Androhung [stünde] jedoch stets wahlweise neben der Möglichkeit, auch in diesen schwersten Fällen auf lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen.“156 Die Beantragung der Todesstrafe gegen die angeklagten Studenten stand durchaus im Ermessen des Staatsanwalts. Dem Dresdner Gericht gehörte die Oberrichterin Stefan als Vorsitzende an, Schöffen waren eine Arbeiterin aus Dresden und ein Maschinenschlosser aus Radebeul. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Leim als Vertreter der Bezirksstaatsanwaltschaft. Den angeklagten Studenten waren Pflichtverteidiger gestellt worden, die sich aber nur in sehr eng gesetzten Grenzen für die Angeklagten einsetzen konnten und zumeist nur auf Milde des Gerichts plädierten.157 152 Strafrechtsänderungsgesetz und andere Strafgesetze. Textausgabe mit Anmerkungen und Sachregister, Berlin, 1958, S. 13. 153 Das Strafrecht der sozialistischen Demokratie. Zum Erlaß des Gesetzes zur Ergänzung des Strafgesetzbuches – Strafrechtsergänzungsgesetz – vom 11. Dezember 1957, Berlin, 1957, S. 13. 154 Ebenda, S. 15. 155 Ebenda, S. 17. 156 Ebenda, S. 17 f. 157 Die Mandanten von Rechtsanwalt Ploemacher waren Hanns-Lutz Dalpke und Armin Schreiter, für Gerhard Bauer war Rechtsanwalt Eckardt zuständig, die Mandantschaften

Die Anklage

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Die etwa 150 zur Beobachtung des Prozesses zugelassenen Personen waren vorher einer Personenkontrolle des MfS unterzogen worden. Zu Beginn des Prozesses verlas der Staatsanwalt des Bezirkes Dresden Leim einen Teil der 80 Seiten umfassenden Anklageschrift gegen die Hauptangeklagten Armin Schreiter, Gerhard Bauer, Hanns-Lutz Dalpke, Christian Ramatschi und Dieter Brendel. Dabei konzentrierte er sich – wie in Strafverfahren üblich – auf die Personalien, den Anklagesatz und das Ermittlungsergebnis. Der politische Charakter des Verfahrens wurde beim Verlesen der Anklageschrift deutlich: „Die Beschuldigten haben gemeinschaftlich handelnd, zum Teil schon seit 1956 an der Oberschule Pirna, später an der Technischen Hochschule Dresden, einer illegalen staatsfeindlichen Organisation angehört, der sie den Namen ‚Nationalkommunistischer Studentenbund‘ (NKS) gaben. Für diese illegale Vereinigung, die zuletzt 14 Mitglieder umfaßte, arbeiteten die Beschuldigten BAUER, SCHREITER und BRENDEL ein 16-Punkte-Programm aus. Mit Billigung der Gruppe nahm der Beschuldigte DALPKE Verbindungen zu der ‚KgU‘ auf. Aus dem gleichen Grund versuchte er, gemeinsam mit dem Beschuldigten BAUER, zweimal eine Unterredung mit dem Spionageminister Lemmer zu erreichen. Bereits vor Aufnahme des Hochschulstudiums bildeten die Beschuldigten BAUER und RAMATSCHI Anfang 1956 an der Oberschule in Pirna eine illegale Gruppe unter dem Namen ‚Jugendbund für gegenseitige Unterstützung‘. Besonders während der konterrevolutionären Ereignisse in Ungarn entwickelten sich bereits umfassendere Forderungen, und es wurde im Herbst 1956 geplant, durch eine Flugblattaktion die Bevölkerung gegen die bestehende Ordnung in der Deutschen Demokratischen Republik aufzuwiegeln. Vor Abschluß der Oberschule in Pirna beschlossen die Angehörigen der Gruppe, ihre illegale Tätigkeit an der Technischen Hochschule Dresden fortzusetzen. Zu diesem Zweck sollten die Gruppenmitglieder Funktionen in gesellschaftlichen Organisationen an der Technischen Hochschule erwerben, um die Gruppe rechtzeitig über Absichten der Leitung der Hochschule zu informieren und die Funktionen, falls erforderlich, im Sinne der staatsfeindlichen Gruppe zu feindlichen Aktionen und Sabotagemaßnahmen zu mißbrauchen“.158 Der Staatsanwalt unterstellte den angeklagten Studenten weiter die Absicht zur Tötung ihres Kommilitonen, der die weitere Mitarbeit in der Gruppe aufgeben wollte.159 Sein Plädoyer beschloss der Staatsanwalt mit der Feststellung, dass die fünf beschuldigten Studenten den aktiven Teil der Gruppe bildeten und dass sie gleichzeitig als ihre ideologischen und organisatorischen Leiter anzusehen sei-

für Christian Ramatschi und Dieter Brendel hatten die Anwälte Schapke und Dr. Roth übernommen. 158 Ermittlungsergebnis des MfS, vgl. BStU, Außenstelle Magdeburg, Nr. 4553 / 73, Bl. 105. 159 Vgl. Ebenda.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

en.160 Er klagte wegen Verbrechen nach § 13 Ziffer 1 in Verbindung mit dem § 24 Strafrechtsänderungsgesetzes (StEG) an. Es handelte sich um den schweren Vorwurf des Staatsverbrechens in Verbindung mit der Vorbereitung eines gewaltsamen politischen Umsturzes. Nach dieser Einführung verlas der Staatsanwalt das Ermittlungsergebnis, das mit parteipolitischen Einführungen zur weltpolitischen Lage und zur Innenpolitik der SED begann. Danach leitete der Staatsanwalt zu den Hochschulen der DDR über und konstatierte: „Auch an unseren Hochschulen ist das Erstarken dieses vorwärts drängenden Geistes zu verspüren.“161 Er schränkte dies später wieder ein und glaubte zu erkennen, dass sich „einzelne Studenten, zumeist kleinbürgerlicher Herkunft, die alles Fortschrittliche an unseren Hochschulen bekämpfen, zu illegalen staatsfeindlichen Gruppen zusammenschließen, die sich dann durch Abhören von Westsendern und beeinflußt von westlicher Literatur immer mehr in staatsverräterische Bestrebungen verstricken und somit die staatsschützenden Gesetze der Arbeiter- und Bauernmacht durchbrechen“.162 Diese Voraussetzungen trafen nach Auffassung des Staatsanwalts auf die von ihm angeklagte studentische Widerstandsgruppe zu. Die weiteren Aktivitäten und Gedankenspiele innerhalb der Gruppe und die in den Vernehmungen aufgebauten und konstruierten Versionen möglicher Handlungsabläufe wurden vom Staatsanwalt rekapituliert. So entwickelte sich die Gruppe nach seinen Ausführungen in engem Zusammenhang mit der Beeinflussung durch westliche Medien. Er verwies dabei auf den Aufstand in Ungarn und den Beginn der Aktivitäten der Studenten am Rainer-Fetscher-Gymnasium in Pirna, wo sie bereits im Herbst 1956 umfassende Forderungen gestellt und eine Flugblattaktion geplant hätten.163 Der Staatsanwalt sah darin die ideologische Vorbereitung für die spätere Aktivität der Gruppe an der TH Dresden.164 So hätten die angeklagten Studenten nach der Aufnahme des Direktstudiums ihre staatsfeindliche Tätigkeit bereits am 28. Mai 1957 mit einer Flugblattaktion an der TH Dresden fortgeführt, die die Hochschulleitung zur Aufhebung der Einschränkung des Reiseverbots für Studenten nach Westdeutschland und Westberlin zwingen sollte. Tatsächlich hätten dann auch über 300 Studenten an einer Demonstration teilgenommen. Diese Aktion wäre ein Test für spätere umfassendere Maßnahmen der Gruppe gewesen. Für geplante spätere Flugblattaktionen wäre dann von den Mitgliedsbeiträgen der einzelnen Gruppenmitglieder der Vervielfältigungsapparat „Polygraph“ gekauft worden.165 160 161 162 163 164 165

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Vgl. Ebenda, Bl. 105. Vgl. Ebenda, Bl. 106. Vgl. Ebenda.

Die Anklage

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Während der weiteren Verlesung der Anklageschrift listete der Staatsanwalt Anklagepunkte aus der Entwicklung der Gruppe bis zu ihrer Verhaftung im Januar 1959 auf. Dabei verzichtete er auf die Benennung einzelner Paragraphen. In seinen folgenden Ausführungen untermauerte er den politischen Charakter des Prozesses: – Herbst 1957: Verstärkung der Tätigkeit durch die Einbeziehung weiterer Mitglieder – Planung zur Nutzung der GST-Kartei für die Anwerbung neuer Mitglieder – Aufnahme von Verbindungen zu anderen Fakultäten und Hochschulen – Frühjahr 1958: Argumentation gegen das 5-Punkte-Programm der FDJHochschulleitung und Versuch zur Gewinnung von Funktionären der CDU zur Unterstützung von Maßnahmen gegen das Programm – Sommer 1958: Politische Provokation im „gesellschaftswissenschaftlichen Seminar“ während des Arbeitseinsatzes im Braunkohlenrevier Laubusch – 10. / 14. September 1958: Festlegung von Zielen der Gruppe mit Ausarbeitung des „16-Punkte-Programms“ und Diskussion in der Gruppe – September / Oktober 1958: Kontakte zur KgU und zum Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen in Westberlin – Oktober 1958: Argumentation gegen die Verpflichtungsbewegung zur Teilnahme an der militärischen Ausbildung – Januar 1959: Kontakte zum BBC mit Übergabe einer Stellungnahme zum Westberliner Studentenkongress – Januar 1959: Festlegungen in der Gruppe zur Verteilung von Flugblättern, die sich inhaltlich gegen die Außenpolitik der DDR wenden sollten – Konzeptionelle Überlegungen mit dem Ziel des Eindringens in die Blockpartei CDU, um deren Mitglieder für die Ziele der Gruppe zu gewinnen und ihre Tätigkeit zu legalisieren – Wahrnehmung von Funktionen in den gesellschaftlichen Organisationen, um die politischen Maßnahmen der Hochschulleitung zu durchkreuzen. In seinen weiteren Ausführungen konzentrierte sich der Staatsanwalt auf die von Gruppenmitgliedern in Westberliner Geschäften gekauften Gaspistolen.166 Weiterhin hätten Beschuldigte Sprengstoffversuche unter Nutzung von „ehemaligen Beständen der faschistischen Wehrmacht“ durchgeführt. So warf der Staatsanwalt den Studenten vor, dass sie beschlossen hätten, die Gruppe mit Pistolen und Maschinenpistolen auszurüsten, die illegal in der DDR mit Unterstützung der KgU und ganz allgemein durch andere Westberliner Geheimdienststellen beschafft werden sollten. Schriftliche Unterlagen der studentischen Gruppe standen dem Staatsanwalt nicht zur Verfügung. Er stützte sich ausschließlich auf die „Untersuchungsergebnisse“ des MfS, die, wie bereits ausgeführt, wesentlich durch psychischen Druck und Gehirnwäsche zustande gekommen waren. Auch wurde die Aufforderung des 166 Vgl. Ebenda, Bl. 113.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

Rechtsanwalts von Dieter Brendel, die Funktionsfähigkeit der angeblich schussfähigen Pistole durch einen Schießversuch nachzuweisen, vom Gericht abgelehnt.167 Letztlich konnte das Gericht nur unterstellen, dass Ende 1958 innerhalb der Gruppe gedanklich mit dem Einsatz von Waffengewalt gespielt wurde. Zur Konzeption führte der Staatsanwalt aus, dass die Gruppe geplant hätte, „bei Putschversuchen führend in die Geschehnisse einzugreifen, besonders durch verstärkte Flugblattaktionen unverzüglich auf größere Bevölkerungskreise einzuwirken und diese für die staatsfeindliche Konzeption zu gewinnen.“168 Deshalb wäre dann Mitte November 1958 auch festgelegt worden, den in Pirna stehenden Kopierer nach Dresden zu holen, um schnellstens Flugblätter herstellen zu können.169 Letztlich konnte der Staatsanwalt nur die Absicht zum Staatsverbrechen im Sinne der Strafprozessordnung der DDR unterstellen. Das war auch aus seinen Ausführungen zu entnehmen, die sich auf die am 4. Mai 1958 stattgefundene Geburtstagsfeier von Gerhard Bauer bezogen. An jenem Tag wären die konspirativen Regeln der Gruppe aufgestellt worden. Folgend sprach der Staatsanwalt über Gespräche innerhalb der Gruppe zu Fragen des Austritts von Mitgliedern und des Verrats. Dabei unterstellte er von vornherein eine Tötungsabsicht, obwohl diese in der Gruppe bei Verrat höchst umstritten und nur hypothetisch diskutiert wurde. Tatsache war, dass im Januar ein Gruppenmitglied seine Mitarbeit beenden wollte, weil sich die Mehrzahl für eine Aktivierung der politischen Aktionen der Gruppe ausgesprochen hatte. Alle Gruppenmitglieder hatten sich dahingehend geeinigt, dass Mitglieder zwar aus der aktiven Gruppenarbeit ausscheiden dürften, aber dann aus Gründen der Sicherheit der übrigen Mitglieder gezwungen werden sollten, ihren Wohnsitz nach Westberlin oder Westdeutschland zu verlegen. Der von der Staatsanwaltschaft genutzte Kronzeuge war – wie bereits dargestellt – von einigen Mitgliedern der Gruppe gedrängt worden, die DDR zu verlassen. So konnte der Staatsanwalt nur unterstellen, dass das Vorgehen gegen den Kronzeugen detailliert in der Gruppe durchgesprochen worden wäre.170 Seine Anklage bettete der Staatsanwalt in die übliche Propaganda zur politischen Systemauseinandersetzung ein und hielt den Studenten vor, dass sie ihre staatsfeindliche Tätigkeit gerade in einer Zeit aktiviert hätten, als die DDR besondere Friedensanstrengungen unternommen hätte. Auf den folgenden Seiten der Anklageschrift setzte er sich mit den einzelnen Beschuldigten auseinander. Er analysierte umfassend ihre gesellschaftliche Herkunft, ihre Aktivitäten in verschiedenen Organisationen und ihre konkreten Betätigungsfelder in der Gruppe. Dabei wurde deutlich, dass die fünf angeklagten Studenten von ihrer sozialen Herkunft dem Durchschnitt der Dresdner Studentenschaft entsprachen. Zwei 167 168 169 170

Erinnerungen von Wolfgang Lüder (Bericht vom 23. Februar 2009) BStU, Außenstelle Magdeburg, a a .O. Vgl. Ebenda. Vgl. Ebenda, Bl. 116.

Das Urteil

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waren der Schicht der Intelligenz zuzurechnen. Der Vater von Christian Ramatschi war Zahnarzt. Gerhard Bauers Vater arbeitete als Flugzeugingenieur. Die Familie hatte nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahre in der Sowjetunion gelebt. Die Väter von Dieter Brendel und Armin Schreiter gehörten zur Arbeiterklasse. Hanns-Lutz Dalpkes Vater war kaufmännischer Angestellter und zählte zum Kleinbürgertum.

3.11.  Das Urteil Nach dem Plädoyer des Staatsanwalts vernahm die Richterin die beschuldigten Studenten zu den einzelnen Anklagepunkten. Wie in zahlreichen vergleichbaren Schauprozessen waren auch hier die angeklagten Studenten geständig und bekannten sich schuldig in allen Punkten der Anklage. In der Urteilsbegründung folgte das Gericht den Einlassungen des Staatsanwalts und ging noch intensiver als dieser auf die im „16-Punkte-Programm“ aufgeführten politischen Forderungen der Gruppe ein. Das Programm betrachtete die Richterin als Grundkonzeption, die Gegenstand der Beweisaufnahme und Bestandteil der Strafakte war. Die Richterin gab die einzelnen Punkte inhaltlich in Kurzfassung richtig wieder, kommentierte sie aber im Sinne der stalinistischen Auffassung von Demokratie: „1. Unantastbarkeit der Würde des Menschen, wobei die Verfasser der Konzeption der Ansicht waren, auf Grund ihrer Verhetzung durch die westlichen Sender, daß diese nicht in der Deutschen Demokratischen Republik bestehe, insbesondere durch die Existenz des Ministeriums für Staatssicherheit. 2. Unverletzlichkeit der Freiheit der Person, wobei sie die Meinung vertraten, daß jeder Mensch berechtigt sein sollte, seine eigenen Ansichten, seine Weltanschauung und politische Einstellung uneingeschränkt verbreiten zu können, auch dann, wenn sie zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in der Deutschen Demokratischen Republik im Gegensatz stehen. Sie wollten also die Zulassung von Organisationen militaristischen und faschistischen Charakters und befürworteten in dieser Hinsicht die Entwicklung in Westdeutschland. 3. In diesem Zusammenhang forderten sie auch in einem der Punkte das Recht der uneingeschränkten Meinungsäußerung. Hierbei hatten sie unter anderem auch die Zulassung von literarischen Schriften und Presseerzeugnissen, in denen gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht gehetzt wurde, im Auge. 4. Sie forderten weiterhin das Recht uneingeschränkter Partei- und Vereinsgründung, also unabhängig von der Zielstellung der Organisationen, und wollten damit der Bildung von oppositionellen Gruppen Vorschub leisten.“171 171 BStU, Außenstelle Magdeburg, Nr. 4553 / 73, Bl. 227–253.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

In weiteren Punkten kommentierte die Richterin die Forderungen nach Freiheit in Kunst und Wissenschaft sowie nach Einschränkung der Planwirtschaft. Persönlich fühlte sie sich offenbar angegriffen von der Forderung, „daß die rechtsprechende Gewalt solchen Richtern, die von Parteien und politischen Institutionen jeder Art unabhängig sind, anzuvertrauen sei.“172 Die Richterin differenzierte folgend zwischen zwei Tendenzen innerhalb der Gruppe. Einmal glaubte sie zu erkennen, dass einige Mitglieder mehr auf eine „planmäßige, systematische Arbeit auf ideologischem Gebiet [orientierten], um erst einmal eine Massenbasis zu haben und dann das Endziel durch Überzeugungsarbeit zu erreichen.“173 Auf der anderen Seite sah sie Mitglieder, die „mehr für die Durchsetzung der Ziele der illegalen Gruppe auf terroristischem Weg und nicht durch planmäßige, systematische Arbeit auf ideologischem Gebiet eintraten. Übereinstimmung herrschte nach Auffassung der Richterin bei allen Gruppenmitgliedern darüber, „daß als Endziel die Beseitigung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik angestrebt wurde.“174 Die Richterin folgte weiter den Vorgaben des Staatsanwalts und stellte die Überlegungen der Gruppenmitglieder zur Aktivierung des Widerstands vor. Als besonders gravierend sah sie die Wahrnehmung von herausgehobenen gesellschaftlichen Funktionen an, wie beispielsweise die des 1. Sekretärs der FDJ-Semesterleitung. Ebenso erfasste die Richterin die Bemühungen von Gruppenmitgliedern, den Aktionsradius auf Studenten anderer Universitäten auszudehnen und selbst Vertreter des Lehrkörpers sowie Arbeiter aus den volkseigenen Betrieben einzubeziehen. Breiten Raum nahmen die im Wesentlichen erfolglosen Kontakte zur KgU und zur Berliner Dienststelle des Ministeriums für gesamtdeutsche Beziehungen ein.175 Ein Mitglied der Gruppe hätte zudem Kontakte zum amerikanischen CIC unterhalten, was den übrigen Mitgliedern während einer Zusammenkunft zur Kenntnis gegeben worden wäre.176 Als weiteren belastenden Aspekt führte die Richterin einen Medienkontakt an. Gerhard Bauer und Christian Ramatschi hatten sich an den Londoner Rundfunk BBC gewandt und eine Stellungnahme an die Redaktion der Sendung „Briefe ohne Unterschrift“ gesandt. In einer Erklärung, die sie am 8. Januar 1959 an eine Westberliner Deckadresse gesandt hatten, waren sie als Angehörige einer „Freie[n] Studentenschaft der Deutschen Demokratischen Republik“ aufgetreten. Ausdrücklich lehnten die beschuldigten Studenten in ihrer Erklärung die Resolution der westdeutschen und Westberliner Studenten ab, in der 172 173 174 175 176

Ebenda, Bl. 233. Ebenda. Ebenda. Vgl. Ebenda, Bl. 236 f. Vgl. Ebenda, Bl. 237.

Das Urteil

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sie sich gegen die atomare Aufrüstung Westdeutschlands gewandt hatten. In der Stellungnahme bezeichneten die Dresdner Studenten die Resolution „als verantwortungslos gegenüber der westlichen Politik.“177 Weiter wären die angeklagten Studenten der Auffassung gewesen, „daß durch derartige Beschlüsse der [Westberliner] Studenten vielen Bewohnern der Deutschen Demokratischen Republik, die mit der bestehenden Diktatur nicht einverstanden sind, ein ‚Schlag versetzt worden wäre‘“.178 Die Richterin vermerkte ausdrücklich, dass die Studenten zugeben mussten, dass ihr Brief wiederholt in den Sendungen des Londoner Rundfunks BBC verlesen wurde und geplant war, weitere Briefe an diesen Sender zu schreiben.179 Daran anschließend ging die Urteilsbegründung auf die im Mai 1957 durchgeführte Flugblattaktion gegen die Einschränkung von Westreisen ein. Auch die geplante, aber niemals durchgeführte Verteilung von Flugblättern gegen das „5-PunkteProgramm der FDJ“ der TH Dresden kam ebenso zur Sprache wie der Entwurf eines weiteren Flugblattes mit dem Titel „So geht es nicht weiter“. Flugblätter mit diesem Inhalt sollten am 9. Februar 1959 verteilt werden.180 Umfassend widmete sich die Urteilsbegründung dem Komplex Schusswaffen und Gaspistolen, die öffentlichkeitswirksam im Gerichtssaal ausgestellt waren. Ein Student hatte geringe Mengen Sprengstoff aus in der Dresdner Heide zurückgebliebenen Patronenhülsen beschafft. Wie bereits dargelegt, war in der Gruppe theoretisch über Gewaltanwendung unter bestimmten Bedingungen gesprochen worden. Diese während der Verhöre bei der Staatsicherheit durch die Studenten zugegebenen oder erst nachträglich provozierten Gedankenspiele sowie der Besitz der Gaspistolen ließen für das nach politischen Vorgaben urteilende Gericht nur den Schluss zu, dass die Gruppe Diversionsakte geplant hätte.181 Ein Strafverteidiger versuchte diese Vorwürfe mit dem Hinweis zu entkräften, dass Gewaltanwendungen in revolutionären Gruppierungen unter bestimmten historischen Umständen durchaus legitim seien. Ebenso unterstellte die Urteilsbegründung Fememordabsichten, obwohl vom Gericht nur die Ausübung von psychischem Druck auf das abtrünnige Gruppenmitglied, das nach Westberlin flüchten sollte, nachgewiesen werden konnte. Für den „1a Strafsenat“ des Bezirksgerichts Dresden waren die Tatbestände des §  13 Ziffer 1 des Strafgesetzbuches objektiv und subjektiv verwirklicht. Es wurde sogar durch das gemeinsame Handeln eine besondere Schwere des Staatsverrats konstatiert:

177 178 179 180 181

Ebenda, Bl. 237. Ebenda, Bl. 237 f. Ebenda. Ebenda, Bl. 238 ff. Vgl. Ebenda, Bl. 239 ff.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

„Da die Angeklagten gemeinsam handelten und sich zusammengeschlossen hatten, um ihr Ziel zur Beseitigung der verfassungsgemäßen Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik durch gewaltsamen Umsturz oder planmäßige Untergrabung zu erreichen, liegt ein schwerer Fall des Staatsverrats gem. § 24 Abs. 2 Buchstabe a StEG vor. Jedoch verwirklicht das objektive Verhalten der Angeklagten auch den Tatbestand des § 24 Abs. 2 Buchstabe b StEG, da sie für das Verbrechen gemeingefährliche Mittel bereitstellten.“182 In der Begründung zum Urteil wurden nochmals soziale Herkunft sowie die bisherigen Lebenswege der beschuldigten Studenten abgehandelt und ihre „Schuldanteile“ gewertet. Dabei wurde konstatiert, dass „allen Angeklagten eine mehr oder weniger stark ausgeprägte feindliche Einstellung“ zur DDR attestiert werden konnte.183 Gerhard Bauer wurde als der „geistige Kopf der Gruppe“ bezeichnet, dem folgende Tatbestände angelastet wurden: – Abhören des Nordwestdeutschen Rundfunks bereits während seines Aufenthalts in der Sowjetunion – Eintritt in die FDJ und GST aus karrieristischen Gründen und um konspirativ wirken zu können – Wirksamkeit als Vorsitzender der oppositionellen Schülergruppe in Pirna – Verbindungen zum Landesjugendring Niedersachsen in Hannover und Rezeption, Auswertung und Verbreitung von dessen Informationsdienst – Beschaffung und Verbreitung westlicher Literatur – Politische Provokationen in gesellschaftswissenschaftlichen Seminaren. Bei der Strafzumessung „hielt der Senat die vom Staatsanwalt beantragte Zuchthausstrafe von neun Jahren nicht für ausreichend, um dieser Gefährlichkeit des verbrecherischen Tuns und der Persönlichkeit des Täters gerecht zu werden. Aus diesen Gründen wurde eine Zuchthausstrafe von zehn Jahren unter Beachtung aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat festgesetzt.“184 Gerhard Bauer war zum Zeitpunkt seiner Verurteilung 20 Jahre alt. Ebenso war dem Senat die vom Staatsanwalt für Christian Ramatschi beantragte Zuchthausstrafe von sechs Jahren zu niedrig. Das Gericht erhöhte sie auf sieben Jahre für den aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden 21-jährigen Studenten, dem es laut Urteilsbegründung „an einer fortschrittlichen Erziehung im Elternhaus [mangelte]“ und der zudem „westliche Literatur gelesen“ hätte.“185 Die anderen in diesem Verfahren angeklagten Studenten wurden gleichfalls zu Zucht-

182 183 184 185

Ebenda, Bl. 248. Ebenda. Ebenda, Bl. 250. Ebenda, Bl. 251.

Studentische Prozessbeobachter aus Westberlin

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hausstrafen verurteilt: Armin Schreiter zu acht Jahren, Hanns-Lutz Dalpke zu siebeneinhalb Jahren und Dieter Brendel zu fünf Jahren.186

3.12.  Studentische Prozessbeobachter aus Westberlin Viele Westberliner Studenten setzten sich aktiv für demokratische Verhältnisse ein und engagierten sich in den studentischen Organisationen. In großer Zahl hatten Kommilitonen Ostberlin und andere Hochschulstädte der DDR verlassen, um an der Freien Universität oder der TU Berlin zu studieren. Ihre Situation wird anschaulich in dem 1954 erschienen Roman „Die Studenten von Berlin” von Dieter Meichsner geschildert.187 Die Romanhelden stammten aus Dresden und Leipzig. Sie hatten sich vor allem aus politischen Gründen bewusst für ein Studium in Westberlin entschieden. Das politische Engagement der Westberliner Studentenschaft war gesamtdeutsch orientiert. Die Mehrheit der Westberliner Studenten war demokratisch orientiert. Der Innenpolitik der Kabinette unter Konrad Adenauer standen viele Studenten kritisch gegenüber, wie die liberalen Studenten und ihre sozialdemokratischen Kommilitonen. Sie unterstellten ein mangelndes Verständnis für die besondere Stellung Westberlins und befanden sich dabei weitgehend in Übereinstimmung mit dem Regierenden Bürgermeister Ernst Reuther. Ebenso kritisierten sie die Planungen von Konrad Adenauer zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr, was die Mitglieder der Dresdner studentischen Widerstandsgruppe nicht nachvollziehen konnten, die wiederum aus mangelnder Erfahrung mit einer pluralistischen Gesellschaft eine Aufwertung der DDR und eine Demoralisierung der ihr oppositionell gesinnten Menschen sahen. Das hinderte aber die Westberliner Studenten nicht, sich für ihre Kommilitonen in Dresden einzusetzen. Dabei gaben sie sich keinerlei Illusionen über den totalitären Charakter der politischen Strafjustiz in der DDR hin. So hatten die Studentenvertretungen der beiden Westberliner Universitäten im Vorfeld des von ihnen befürchteten Schauprozesses eine Protestresolution vorbereitet, die auch in Form eines offenen Briefes dem Rektor der TH Dresden zugesandt wurde. FDJ-Studenten der Humboldt-Universität hatten sich in Diskussionen gegen die Meinung der Westberliner Kommilitonen verwahrt und die Auffassung vertreten, dass diese ja gar nicht wüssten, wie der Prozess verlaufen würde und was dabei noch ans Licht käme. Auf den Hinweis der Westberliner Studenten, dass sie keinen Zutritt zum Gerichtsverfahren erhalten würden, wurden die Westberliner Kommilitonen wenig später vom Dresdner Rektor Werner Gruner offiziell zur Beobachtung

186 Vgl. Ebenda, Bl. 251 ff. 187 Vgl. Dieter Meichsner, Die Studenten von Berlin, Rowohlt, Berlin, 1954, 620 S.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

des Prozesses eingeladen.188 Zur Westberliner Delegation gehörten Martin Schmidt als 2. AStA-Vorsitzender der Freien Universität Berlin, der 2. Konventsvorsitzende und Sprecher der Studentenschaft im akademischen Senat Wolfgang Lüder und der Vorsitzende des Fakultätsrats der TU Berlin-Charlottenburg Wolfram Kleiner. Die personelle Zusammensetzung der Delegation war intensiv in den studentischen Gremien der Westberliner Universitäten beraten worden. Beide Studentenparlamente hatten der politisch brisanten Reise zugestimmt. Die Einladung konnte nur deshalb angenommen werden, weil sie vom Rektor der TH Dresden und nicht von der DDR oder der FDJ ausgesprochen worden war. Um die völlige Unabhängigkeit der Delegation zu sichern, war vor der Reise die Übernahme aller Kosten, einschließlich der Unterkunft im Hotel, durch die Westberliner Universitäten sichergestellt worden. In den frühen Morgenstunden des 13. April 1959 passierte die Westberliner studentische Abordnung in einem VW-Käfer die Sektorengrenze von West- nach Ostberlin, um pünktlich ihr Ziel in Dresden zu erreichen. Als sie über die Grenze fuhren, hörten sie im Autoradio eine Informationssendung vom RIAS über den bevorstehenden Dresdner Studentenprozess. Das Rektorat der TH Dresden hatte für die Westberliner im Hotel „Astoria“ Zimmer reservieren lassen. Das MfS überwachte die kleine Studentendelegation lückenlos. Mehrere Angehörige der Abteilung VIII / Referat I der Dresdner Bezirksbehörde des MfS blieben den Studenten und ihren Gesprächspartnern auf den Fersen. Im Bericht wurden die Beobachtungsergebnisse minutiös zusammengefasst. So hatten die Westberliner gegen 19.02 Uhr das Bezirksgericht verlassen, waren in ihren VW eingestiegen und auf dem kürzesten Weg zum Hotel gefahren, wo sie ihren Wagen auf dem bewachten Parkplatz abstellten.189 Der Staatssicherheitsdienst setzte seine Informanten auch im Hotel ein, die beispielsweise festhielten, dass sich die Studenten während des Essens „über den Verlauf der Verhandlung“ Notizen fertigten, die sie dann „in eine hellblaue Mappe DIN A4“ einfügten, in der bereits mehrere mit Schreibmaschine getippte Bögen gelegen hätten. Dabei wäre dann auch die Bemerkung „das diktieren wir in Berlin in die Maschine, da geht es viel schneller“ gefallen.190 Danach hätte einer der Studenten zwei Aktentaschen in das Hotelzimmer gebracht, während ein anderer seine Kollegtasche mit den Aufzeichnungen über den Prozess bei sich behielt. Später hätten die drei Studenten das Hotel in Richtung Parkplatz verlassen, wo sie sich mit zwei zwischen 30 und 35 Jahre alten Personen trafen und dann in die Gaststätte des Hotels „Astoria“ gegangen seien. Die zwei DDR-Bürger wurden nach körperlichen und parteipolitischen Merkmalen klassi-

188 Vgl. Wolfgang Lüder, Dresdner Studentenprozess, in: Gegen Vergessen 50 / 2006, S. 20– 22. 189 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOp 146 / 59, Bl. 156. 190 Ebenda, Bl. 163.

Studentische Prozessbeobachter aus Westberlin

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fiziert. Einer war Mitglied der SED und hatte „Geheimratsecken“ und wurde im Bericht nur mit dem Buchstaben „(A)“ bezeichnet. Die zwei Westberliner Studenten seien mit den DDR-Bürgern (A) und (B) in die Gaststätte gegangen, die sie gegen 20.00 Uhr verlassen hätten. Nach einem daran anschließenden fünfminütigen Gespräch seien die Westberliner Studenten zu Fuß in Richtung TH Dresden gegangen. Während die Person (A) einen vor dem Hotel stehenden grauen PKW der Marke EMW mit dem Berliner Kennzeichen IA 83-07 bestiegen habe und in Richtung Parkstraße weggefahren wäre, hätte sich die mit (B) bezeichnete Person auf einem Motorrad vom Typ RT 125 mit dem Kenzeichen IP 09-51 gleichfalls in Richtung Parkstraße entfernt. Gegen 21.15 Uhr wären die beiden Westberliner Studenten in das Hotel zurückgekehrt und hätten die Hotelbar aufgesucht.191 Einen Tag später, am 14. April um 20.20 Uhr, verließen die Westberliner Studenten nach den Erkenntnissen des MfS das Hotel und fuhren auf die Autobahn in Richtung Berlin. Dreißig Minuten danach beendete die Abteilung VIII die Beobachtung.192 Nach der Erinnerung von Wolfgang Lüder kehrten die Westberliner Studentenvertreter erst am 18. April wieder nach Dresden zurück, um den letzten Prozesstag mit der Verkündung der Urteile verfolgen zu können. Den Westberliner Studenten war es wie den anderen Zuschauern ausdrücklich verboten worden, sich während der Verhandlung Aufzeichnungen anzufertigen. So waren sie gezwungen, den Verlauf des Prozesses und ihre persönlichen Eindrücke am Abend nach der Verhandlung in einem Gedächtnisprotokoll festzuhalten. Zu Beginn des ersten Verhandlungstages protestierten die Westberliner gegen die Anordnung der fadenscheinigen Beweismittel in einem Schaukasten, der neben dem Platz des Staatsanwalts stand. Dabei war vordergründig beabsichtigt worden, nationalsozialistische Veröffentlichungen und Publikationen einer pluralistischen Gesellschaft als gleich verwerflich und gefährlich hinzustellen. So wurden in gemeinsamer Auslage präsentiert: „Reader’s Digest“, „Der Spiegel“, „Der Sozialdemokrat“, Karl Jaspers’ Buch „Vom Ursprung und Ziel der Geschichte“, mehrere nationalsozialistische Publikationen, wie „Der Mythos des 20. Jahrhunderts“ von Alfred Rosenberg, und die Einführungsbroschüre der Studentenvertretung der TU Berlin. Erst nach Protest der Westberliner Studenten und der Androhung, dass sie den Gerichtssaal verlassen würden, wenn selbst diese offizielle und völlig unpolitische Publikation im Prozess als strafrechtlich relevant gewertet würde, wurde diese Broschüre aus dem Schaukasten entfernt. In einem am Abend nach der Verhandlung niedergeschriebenen Gedächtnisprotokoll dokumentierten die Westberliner Kommilitonen den Prozessverlauf.193 191 Vgl. Ebenda, Bl. 163 f. 192 Vgl. Ebenda, Bl. 156. 193 Vgl. Studentenprozess in Dresden 13. bis 18. April 1959. Bericht der Beobachter der Studentenschaften der Technischen Universität Berlin und der Freien Universität Berlin, 23 S. (Im Besitz von Wolfgang Lüder).

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

So würdigten sie das Plädoyer des Staatsanwalts, die Vernehmungen der Angeklagten zur Person sowie zum Sachverhalt, den sie vorsichtig mit „wahrscheinlicher Sachverhalt“ beschrieben.194 Anschließend dokumentierten sie das Plädoyer des Staatsanwalts und der Pflichtverteidiger sowie die Schlussworte der angeklagten Studenten und die Urteilsverkündung.195 In einem mehrseitigen Kommentar zum Prozess beschrieben sie die „ideologischen Suggestivfragen“, mit denen die angeklagten Studenten konfrontiert wurden. Ebenso merkten sie an, dass die Richterin sich mehrfach durch Blickkontakt mit dem Staatsanwalt verständigte und dass sie die Antworten der angeklagten Studenten als Geständnisse auslegte und selbst interpretierte. Weiter stellten sie fest, dass die Richterin die angeklagten Studenten nötigte, Geständnisse abzulegen. Resümierend kamen die Studenten zu dem Schluss, dass es sich um einen politischen Prozess handelte. Sie stellten eklatante Bildungslücken bei der Richterin fest und bezweifelten ihre volljuristische Ausbildung. Die beisitzenden Schöffen hätten sich weitestgehend zurückgehalten. So hielten die Studenten fest, dass die Richterin sich gezwungen sah, die Verlesung des Urteils durch den beisitzenden Schöffen zu unterbrechen, da er aufgrund seiner mangelnden Lesefertigkeit dazu nicht in der Lage war.196 Ebenso sahen sie grobe fachliche Mängel bei Staatsanwalt Leim, der nach ihrer Auffassung „alle Schwächen der Vorsitzenden in höherer Potenz“ gehabt hätte.197 Während der Beweisaufnahme habe er sich keinerlei Notizen gefertigt, das Plädoyer hätte sich durch große Unsachlichkeit ausgezeichnet und sogar Angaben über Aussagen enthalten, die so von den angeklagten Studenten während des Prozesses nicht gemacht worden wären. Sachverhalte wären einseitig ausgelegt oder als bewiesen betrachtet worden, obwohl sich Aussagen widersprochen hätten. Dazu wurden Beispiele aufgezählt.198 Zur Bewertung des Plädoyers hielten die Westberliner Studenten einige besonders widersinnige Feststellungen des Staatsanwalts fest. So hätte beispielsweise der Umstand, „daß Hanns-Lutz Dalpke in Westberlin keine echte Pistole bekommen habe, nicht daran [gelegen], dass solche in Westberlin nicht käuflich zu erwerben seien, sondern daran, dass man ihm in dem Waffengeschäft sofort angesehen habe, daß er sie nicht bezahlen könne.“199 Der Vater eines anderen Angeklagten „sei zwar ein Arbeiter, aber er sei ein ewiger ‚Nein-Sager‘. Er habe bei den Nazis nein gesagt und sage jetzt wieder nein.“200

194 195 196 197 198 199 200

Vgl. Ebenda, S. 5–11. Vgl. Ebenda, S. 11–18. Vgl. Ebenda, S. 19. Ebenda. Vgl. Ebenda, S. 20. Ebenda, S. 21. Ebenda.

Studentische Prozessbeobachter aus Westberlin

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Die Verteidiger wurden mit ihren Aktivitäten als „sehr lahm“ eingeschätzt.201 Zwei Pflicht- und drei Wahlverteidiger agierten in engen Grenzen, so hatte beispielsweise der Rechtsanwalt von Hanns-Lutz Dalpke die Schuld seines Mandanten eingeräumt.202 Als ideologischer Kopf der Gruppe wurde Gerhard Bauer angesehen. Er hatte sich vehement gegen Formen der Gewaltanwendung und Nötigung gegen Gruppenmitglieder ausgesprochen.203 Gleichfalls war festgehalten worden, dass ihm sein am 9. November 1958 unterbreiter Vorschlag zur Auflösung der Gruppe und der Selbstanzeige beim MfS nicht strafmildernd angerechnet wurde. Christian Ramatschi, der sich als nicht schuldig im Sinne der Anklage bekannte, war deswegen zu einer höheren als vom Staatsanwalt beantragten Haftstrafe verurteilt worden. Im Bericht wird weiter auf die „Regie des Prozesses“ verwiesen. Während das Gericht bei drei angeklagten Studenten dem Strafmaß des Staatsanwalts folgte, ging das Urteil des Gerichts für die am stärksten politisch involvierten Studenten Gerhard Bauer über das beantragte Strafmaß des Staatsanwalts hinaus. Das ließ für die Westberliner Studenten nur „den Schluß zu, daß der Prozeß den Eindruck erwecken sollte, die Gefährlichkeit der Angeklagten liege in den ihnen zur Last gelegten sog. Verbrechen und eine hohe Bestrafung sei deswegen notwendig, daß aber der wahre Zweck des Prozesses Strafe für kritisches Denken und Abschreckung gewesen ist.“204 Im Bericht wird das Urteil im Gegensatz zur Anklageschrift des Staatsanwalts „in unklaren Dingen“ als „sehr viel vorsichtiger“ bewertet. Deshalb wäre es auch als „sachlicher“ erschienen. Folgend vermerkten die Prozessbeobachter mehrere inhaltliche Fehler im Urteil und ideologische Schlagworte, mit denen die Publizistik der DDR den Prozess begleitete.205 Das Protokoll war von den drei Westberliner Studentenvertretern gemeinsam unterzeichnet worden. Die Aufzeichnungen verdeutlichten die Farce des Prozesses und waren die Grundlage für die angekündigte Pressekonferenz. Auf der Grundlage des Protokolls gab am 3. Mai 1959 das Gesamtdeutsche Referat des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) in den Hochschul-Informationen auf sechzehn Seiten eine ausführliche Zusammenfassung des Studentenprozesses und über das politische Umfeld.206

201 202 203 204 205 206

Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 23. Ebenda. Vgl. Hochschul-Informationen Heft 3, herausgegeben vom Verband Deutscher Studentenschaften (VDS), Berlin Dahlem, 1959.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

3.13.  Nationale und internationale Reaktionen auf den Prozess Die regionalen und überregionalen Medien in Westberlin und in Westdeutschland hatten die Öffentlichkeit ausführlich über die Verhaftung der Studenten, die Vorbereitung des Schauprozesses und die Urteile informiert.207 Die Boulevardblätter berichteten zugespitzt und in Form der Sensationsberichterstattung. Von der auflagenstarken BZ wurden die Westberliner Studentenvertreter für ihre Zusage kritisiert, als Prozessbeobachter nach Dresden zu fahren.208 Politiker und Gewerkschaftsvertreter Westberlins und der Bundesrepublik verurteilten den Dresdner Studentenprozess. Für sie war der Prozess ein Kontrapunkt zu den von ihnen vertretenen Prinzipien der westlichen Demokratie und Munition in der politischen Auseinandersetzung der Systeme. So hatte am 1. Mai 1959 der Regierende Bürgermeister Willy Brandt in seiner Rede während der bis dahin größten Freiheitsdemonstration auf dem Berliner Platz der Republik auch die Freilassung der verurteilten Dresdner Studenten angemahnt: „Wir fordern die persönliche und politische Freiheit, wir fordern die Freiheit des Gewissens und des Glaubens jenseits des Brandenburger Tores. Wir fordern die Freilassung der Studenten von Dresden und aller anderen politischen Gefangenen.“209 Über den Schauprozess gegen die Studenten wurde auch in den DDR-Medien mit großen Beiträgen berichtet. Sie waren auf die Ideologie und Politik der DDR ausgerichtet. Die angeklagten Studenten wurden ganz im Zeichen des Kalten Krieges als Verräter, als undankbar gegenüber dem Staat und als Staatsverbrecher, die der westlichen Propaganda erlegen wären, dargestellt. Im Rundfunk und im damals modernsten Massenmedium dem Fernsehen wurde in der Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera“ über den Prozess kommentierend berichtet.210

207 Vgl. Die Welt vom 10. Februar 1959, Der Tag vom 10. Februar 1959, Der Tagesspiegel vom 10. Februar 1959, Neue Züricher Zeitung vom 12. Februar 1959, Neue Rhein Zeitung vom 12. Februar 1959, Der Kurier vom 12. Februar 1959, Berliner Morgenpost vom 10. und 14. Februar 1959, Neue Rhein Zeitung vom 12. Februar 1959, Die Welt vom 12. Februar 1959, Der Kurier vom 12. Februar 1959, Der Abend vom 12. und 14. Februar 1959, Der Nordschleswiger vom 11. April 1959, Die Welt vom 12. April 1959, Der Tagesspiegel vom 12. April 1959, Rheinische Post vom 12. April 1959, Telegraf vom 12. Februar 1959, Bild vom 21. und 22. April 1959, Telegraf vom 22. und 27. Februar und 14. April 1959. 208 Die BZ berichtete bereits am 11. April 1959 über den bevorstehenden Studentenprozess und die Teilnahme Westberliner Studentenvertreter als Prozessbeobachter. Sie wurden dafür von der BZ kritisiert, zumal Westberliner Pressevertreter von den DDR-Behörden nicht zugelassen wurden. Am 16. April 1959 titelte dieselbe Zeitung: „Schauprozeß in Dresden. 36 Jahre Zuchthaus gefordert“. 209 Der Tagesspiegel vom 3. Mai 1959. 210 Agitatorische Auswertung der Festnahme einer staatsfeindlichen Gruppierung an der Technischen Hochschule Dresden, vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOP Nr.146/59, Bl. 75 ff. Deutsches Rundfunkarchiv, Bestand DDR, Programmablaufplan 1959.

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Der vom MfS arbeitsteilig inszenierte und vermarktete Schauprozess sollte die Studentenschaft in der DDR disziplinieren und latente sowie offene Gegner der politischen Verhältnisse in der DDR abschrecken. Deshalb wurde ein großes Aufgebot von Publizisten und Journalisten zum Prozess geschickt und vom MfS auf einer separaten Presseliste erfasst. Das „Neue Deutschland“ entsandte seinen Chefreporter Harald Wessel, der Berliner Rundfunk war durch seine Chefreporter Hans Jacobus und Peter Neuhof vertreten. Ebenso waren Pressevertreter vom Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienst (ADN), von der „Sächsischen Zeitung“, von der „Jungen Welt“, von „Zeit im Bild“ und den Zeitungen der Blockparteien als Berichterstatter beim Prozess zugegen. Der Deutsche Fernsehfunk BerlinAdlershof unterrichtete das Presseamt beim Ministerpräsidenten, dass zur Berichterstattung ein ganzer Stab von Fachleuten nach Dresden abgeordnet wurde. Dazu gehörten Redakteur, Kameramann, Tonmeister, Tonassistent, Beleuchter und Kraftfahrer. Auch über diese ausgewählten Mitarbeiter wurde das MfS informiert. Mit diesem konzentrierten Medieneinsatz wollte die Führungsspitze der DDR die Bevölkerung zielgerichtet beeinflussen und aus dem Prozess Kapital für die politische Auseinandersetzung schlagen. Das publizistische Zentralorgan der SED „Neues Deutschland“, die „Berliner Zeitung“ und die Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ berichteten ausführlich und politisch tendenziös über den Prozess.211 Auch das Zentralorgan der Blockpartei CDU, „Neue Zeit“, unterstützte gleichfalls ganz auf der politischen Linie der SED-Führung die Propagandakampagne.212 Ähnlich hielt es die Zeitung der Liberal Demokratischen Partei „Der Morgen“, die in etwas kleinerer Aufmachung berichtete.213 Das Fernsehen zeigte Bilder der psychisch gebrochenen und „geständigen“ Studenten, die angeblich der westlichen Ideologie verfallen waren und sich deshalb zu Staatsverbrechern und Unterstützern der NATO-Politik entwickelt hatten. Der Rundfunk hatte Auszüge des Prozesses aufnehmen und versehen mit politischen Kommentaren gesendet. Das „Neue Deutschland“ forderte am 16. April 1959: „NATO-Verschwörer hinter Schloß und Riegel. Verbrecherische Anschläge imperialistischer Geheimdienste auf die Studenten der DDR“. Im Beitrag wurden selbst die Einlassungen des Staatsanwalts weit überboten und ganz im Sinne einer politischen Kriminalstory behauptet: 211 Beispielsweise Neues Deutschland 15 (1959) vom 14. April 1959, vom 15. April 1959, vom 16. April 1959, vom 19. April 1959. Auch die in großer Auflage erscheinende Berliner Zeitung berichtete entsprechend der propagandistischen Vorgaben, vgl. dazu: Staatsanwalt stellte Strafanträge. Zuchthausstrafen gegen staatsfeindliche Studentengruppe beantragt, in: Berliner Zeitung (Ost-Berlin) vom 16. April 1959. Staatsfeindliche Gruppe vor Gericht. Strafanträge im Dresdner Prozess, in: Tribüne vom 16. April 1959. 212 Die Unterstützung des Staates mißbraucht. Konterrevolutionäre Studentengruppe vor Gericht – Kontakte mit der KgU, vgl. Neue Zeit vom 15. April 1959. 213 Hetze, Sabotage, Mordabsichten, vgl. Der Morgen vom 15. April 1959.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

„Der Prozeß in Dresden enthüllte den ganzen Umfang der verbrecherischen Umtriebe dieser staatsfeindlichen Gruppe, die mit der planmäßigen Zersetzungsarbeit und der Schaffung einer ideologischen Basis für konterrevolutionäre Aktionen begann und in der Folgezeit zahlreiche Maßnahmen zur Durchsetzung ihrer staatsverräterischen Pläne in Angriff nahm.“ Der Gruppe war weiter die Aufnahme von Verbindungen zu „Westberliner Agentenzentralen und dem Bonner Spionageministerium“ angelastet worden. Dabei wurde Unterstützung bei der Verbreitung von Flugblättern, bei der „Beschaffung von Waffen, Spreng- und Giftstoffen“ unterstellt.“214 Ministerpräsident Otto Grotewohl ging während seiner Anfang Mai 1959 auf der 5. Tagung des Nationalrates der Nationalen Front gehaltenen Rede ausführlich auf den Studentenprozess ein. Er bezog sich dabei auf die im „Neuen Deutschland“ abgedruckte Stellungnahme einer Dresdner Chemiestudentin, die, wie der Senat der Hochschule, die Auffassung vertrat, dass westliche Medien und Agentenorganisationen daran schuld seien, „dass diese Menschen vor Gericht gestellt und verurteilt werden mußen.“215 Der Prozess hatte keineswegs dazu beigetragen, das Ansehen der DDR bei den eigenen Bürgern, in Westdeutschland und im Ausland zu erhöhen. In seiner Wirkung war er kontraproduktiv zu dem von seinen Initiatoren anvisierten Ziel, die Studenten als politische Parteigänger des Westens vorzuführen und zu kriminalisieren. Vielmehr hat der Prozess den parteipolitischen Charakter des Verfahrens deutlich werden lassen. Unter den Kommilitonen der TH Dresden, die den Prozess beobachteten, war Wolfgang Jakobs, damals Physikstudent im zweiten Studienjahr. Die Argumentationsführung von Staatsanwalt und Richterin wirkten auf ihn abstoßend und schockierend. Rückblickend war für ihn der Studentenprozess ein Schlüsselereignis für seine Haltung zur DDR.216 Auch die archivierten Unterlagen des MfS spiegeln keineswegs das Bild einhelliger Zustimmung zur Bestrafung der Studenten wider. Vielmehr drücken anonyme Briefe auch von DDR-Bürgern Ablehnung und teilweise Hass auf das Gericht aus. In den Studenten sahen sie mitunter Helden, die sich für politische Freiheiten engagierten.217 In den Akten des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes sind die offiziellen Protestschreiben aus Westdeutschland zumindest teilweise überliefert, da sowohl das Dresdner Bezirksgericht als auch das Rektorat der TH Dresden diese Schreiben

214 215 216 217

Neues Deutschland 15 (1959) vom 16. April 1959. Neues Deutschland 15 (1959) vom 4. Mai 1959. Erinnerungen von Dipl.-Physiker Wolfgang Jakobs, 2007. Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, AOp 146 / 59, Bl. 25.

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an die Bezirksverwaltung weiterleiteten.218 Neben den Studentenorganisationen219 protestierten auch Hamburger Arbeiter scharf gegen die Urteile, die im Widerspruch zur DDR-Verfassung stünden und Freiheits- und Menschenrechtsverletzungen wären, „für die schon viele Sozialisten seit Marx ihre Freiheit opferten.“220 In weiteren Protestschreiben auch von kulturellen Organisationen221 und Einzelpersonen222 aus Westberlin und Westdeutschland wurde gegen den Studentenprozess protestiert. Gleichzeitig wurden Gründe aufgezählt, die ursächlich für den Prozess waren. Ein Student aus Frankfurt am Main schrieb am 27. April 1959 einen die Form wahrenden mehrseitigen Brief an das Dresdner Bezirksgericht und stellte die eklatanten Widersprüche im Prozessverlauf dar. Gleichfalls verglich er die Situation mit Polen und Russland, wo solche harten Strafen nicht mehr üblich seien und „in Polen sogar ein Mann an der Spitze [stünde], der vorher im Gefängnis saß.“223 Bereits Wochen vor dem Prozess hatte der stellvertretende Minister für Staatssicherheit, Bruno Beater, Flugblätter der „Nationalkommunistischen Studenten zu Berlin“ zur Kenntnis genommen, die die Entlassung der verhafteten Dresdener Studenten forderten und darüber hinaus Freiheit und Freizügigkeit an den Universitäten, insbesondere in Jena und Leipzig, anmahnten. Bruno Beater forderte in einem streng geheimen Fernschreiben „alle Stellvertreter Operativ“ der Bezirksverwaltungen auf, „Gruppen und Personen“ festzustellen, die solche Forderungen erheben.224 Dem MfS lag ein an das Rektorat der TH Dresden gerichtetes Schreiben vom 17. April 1959 vor, das von oppositionellen Studenten der Humboldt-Universität verfasst worden war.225 Entsprechend der einleitenden Bemerkungen waren sie als „Berliner Studenten der Humboldt-Universität in mehreren kleinen Zirkeln zu einer ersten Auswertung dieser Vorgänge zusammen[gekommen].“226 In sechs Punkten äußerten diese Studenten ihre Gedanken, die mit den politischen Überlegun218 Der 1. Sekretär der SED-Leitung der TH Dresden reichte das Protestschreiben der Studentenschaft der TH Hannover am 4. Mai 1959 weiter an die Abteilung Wissenschaft des ZK der SED, die wiederum den Vorgang an das MfS schickte. Vgl. ebenda, Bl. 8.) 219 So richtete am 8. Mai 1959 der Präsident des Studentenparlaments der TU Berlin, Manfred Weyer, offizielle Protestschreiben an den 1. Strafsenat beim Bezirksgericht Dresden, an den Staatsanwalt und den Rektor der TH Dresden. Vgl. Ebenda, Bl. 13. 220 Ebenda, Bl. 6. 221 So beispielsweise die Gesellschaft der Schillerfreunde in Nürnberg. 222 BStU, Außenstelle Dresden, AOp 146 / 59, Bl. 29 ff. 223 Ebenda. 224 Ebenda. 225 In der Akte liegt nur die Abschrift des Schreibens mit dem Vermerk „Gen[osse] das Original ist zur Auswert[ung] an MfS gegangen.“ Unterzeichnet war das Schreiben mit „ASW der Humboldt-Universität“ Vgl. ebenda, Bl. 15. 226 Ebenda.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

gen der vor Gericht stehenden Dresdner Studenten übereinstimmten und eine Art Manifest darstellten. Die Hauptursache für das Entstehen von studentischen Widerstandsgruppen in der DDR war „das Fehlen einer frei gewählten studentischen Vertretung und der Anspruch des Staates, alle Belange der Studentenschaft auf dem Wege kurzfristigen Administrierens zu regeln.“227 Es wäre „ein Irrglaube des Staates, daß junge Menschen bereit sein könnten, für ein monatliches Stipendium auf Jahre hinaus auf selbständiges Denken zu verzichten.“228 Ausgehend von der Schilderung dieser allgemeinen politischen Rahmenbedingungen wurde gefolgert, dass „der bisherige Verlauf des Prozesses lediglich gezeigt [hätte], daß die Dresdner Kommilitonen die Zwangsmaßnahmen eines diktatorisch geführten Staates ablehnen, nicht aber die an sich großen Ziele eines demokratischen Sozialismus“.229 Die Absicht der Initiatoren des Prozesses, die angeklagten Dresdner Studenten zu kriminalisieren, wurde auch von Kommilitonen an der Humboldt-Universität erkannt, die herausstellten, dass „die schweren Vorwürfe der Anklagevertretung, wie Mordhetze […] nicht hätten glaubhaft gemacht werden können“.230 Die Unsinnigkeit der durch die Anklagevertretung vorgebrachten Vorwürfe, wie der angeblich geplante „Einsatz von Panzern und Flugzeugen“, wurde mit folgender rhetorischer Frage ad absurdum geführt: „Wie und wo sollten Flugzeuge und Panzer, die sich nicht leicht in der Aktentasche aus Westberlin transportieren lassen, beschafft werden!?“231 Auch diese anonym gebliebenen Berliner Studenten waren offenbar zumindest theoretisch bereit gewesen, der Diktatur gewaltsam entgegenzutreten. Sicher hatte die Schulung im Marxismus-Leninismus dazu beigetragen, dass die Auffassung von der Anwendung von Gewalt im politischen Kampf legitim sei. So schlussfolgerten sie: „Was innerhalb einer Widerstandsgruppe gegen Denunzianten […] zu tun ist, darauf werden wir aus dem Studium des zypriotischen und algerischen Freiheitskampfes eine Antwort zu finden suchen. Auch die Kampfesweise der Bolschewiki, als sie noch für Recht und Wahrheit kämpften, wird uns Hinweise geben.“232 Sie schlossen ihren Brief mit der Aufforderung, dass die Höhe der beantragten Zuchthausstrafen für „uns Studenten nur ein Grund mehr sein [kann] dahin zu wirken, daß die Bevölkerung der DDR in den Stand gesetzt wird, sich in freier Entscheidung eine ihr gemäße politische Ordnung zu geben.“233

227 228 229 230 231 232 233

Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

Ein zweiter nichtöffentlicher Prozess

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3.14.  Pressekonferenz an der TU Berlin Am 20. April 1959 gaben die Studentenvertretungen der Freien Universität Berlin sowie der Vorstand und der Fakultätsrat der TU Berlin eine gemeinsame Presseerklärung zum Studentenprozess in Dresden heraus. Sie war die Grundlage für die am 21. April 1959 in der TU Berlin stattgefundenen Pressekonferenz. An ihr nahmen etwa 100 Korrespondenten von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen Westberlins, der Bundesrepublik, der DDR und einiger westlicher Staaten teil. Die Pressekonferenz stand unter Leitung des AStA-Vorsitzenden der Freien Universität Berlin. Die drei studentischen Prozessbeobachter charakterisierten dabei den Dresdner Studentenprozess als „Schauprozess“ und beantworteten sachlich die Fragen der Journalisten und ließen sich auch von einigen Westberliner Presseleuten nicht provozieren, die von den Studentenvertretern eine Gleichsetzung des Dresdner Studentenprozesses mit dem „Freisler-Prozess“ forderten.234 Während der dreistündigen Pressekonferenz waren die wesentlichen Punkte des Prozesses nochmals zur Sprache gekommen. Dabei hatten sich Medienvertreter aus Ost und West heftige Wortgefechte geliefert. Ausführlich war in den großen überregionalen Tageszeitungen, wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Süddeutschen Zeitung“ über die Pressekonferenz berichtet worden.235 Die Mehrzahl der Medien in Deutschland hatte die Stellungnahmen der Westberliner Kommilitonen positiv gewürdigt. Im Gegensatz dazu verurteilte der Landesverband des Ringes Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) die Haltung der Westberliner Studentenvertreter, die „einer klaren Stellungnahme zu den Terrorurteilen ausgewichen“ wären.236

3.15.  Ein zweiter nichtöffentlicher Prozess Am 20. April 1959 teilte der Leiter der Abteilung IX der Bezirksverwaltung des MfS der Abteilung V mit, dass am 23. April um 8.15 Uhr die Hauptverhandlung gegen die zweite Gruppe der Studenten der TH Dresden wegen Staatsverrats beginnen wird. Offenbar wollten die Regisseure der Prozesse nicht, dass das gesamte Ausmaß der studentischen Oppositionsgruppe in der Öffentlichkeit bekannt wird. Die vom MfS geführte Regie des Prozesses sah darum vor, den zweiten Prozess in „nichtöffentlicher Sitzung“ durchzuführen. Im Klartext wurde die Bewachungs234 Der Tagesspiegel vom 22. April 1959 (Nr. 4139), S. 3. 235 „Reader’s Digest“ und Jaspers als Beweismaterial. West-Berliner Studenten berichten über ihre Beobachtungen im Dresdner Schauprozeß, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. April 1959 und Der Dresdner „Gesinnungsprozeß“. Westberliner Beobachter berichten über das Verfahren gegen fünf Studenten, in: Süddeutsche Zeitung vom 22. April 1959. 236 Der Tag vom 23. April 1959.

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

mannschaft des MfS angewiesen, „die Absicherung des Saales [zu organisieren] und dafür Sorge zu tragen, daß keine Zivilpersonen oder Presseleute den Saal betreten können.“237 Weiter sollte der Gerichtssaal durch ein Schild mit der Aufschrift „nichtöffentliche Sitzung“ gekennzeichnet werden. Wie vom MfS geplant, begann am 23. April 1959 abermals vor dem „1a Strafsenat“ des Dresdner Bezirksgerichts die Hauptverhandlung gegen die anderen sechs angeklagten Studenten der TH Dresden. Diesmal wurde die Öffentlichkeit mit Beginn der Verhandlung vom Prozess ausgeschlossen. Der Richter begründete diese Maßnahme damit, dass durch den vorangegangenen Prozess Meinungen in der Öffentlichkeit entstanden seien, die nicht dem staatlichen Interesse der DDR entsprächen.238 Wie bereits während des ersten Prozesses stand auch im nachfolgenden Verfahren die Schuldfrage von vornherein fest. Oberrichterin Stefan, die bereits den ersten Prozess geführt hatte, leitete auch das zweite Verfahren. Die Schöffen hielten sich abermals mit Wortmeldungen zurück und überließen Staatsanwalt und Richterin den Prozess, der mit Verurteilungen wegen Staatsverrats beziehungsweise wegen Beihilfe zum Staatsverrat nach §  13 des Strafrechtsänderungsgesetzes endete. Die festgelegten Haftstrafen gegen die sechs Studenten waren geringer als im ersten Prozess, lagen aber immer noch zwischen drei und sechs Jahren Zuchthaus. Fritz Kaul wurde zu sechs Jahren verurteilt.239 Jürgen Klandt erhielt fünfeinhalb Jahre240 und Peter Schubert, der an der ABF in Leipzig studierte, war zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Gegen Jürgen Donnerstag, Konrad Hill und Tilo Willkommen waren Haftstrafen von über 3 bis fast 4  Jahren ausgesprochen worden. Abermals war im Urteil die Einziehung ihres Vermögens festgelegt worden.241 In den Monaten nach dem Studentenprozess wurden weitere Studenten aus politischen Gründen verhaftet, verurteilt und exmatrikuliert. So hatte der Dresdner Student Hans Joachim das Hamburger Magazin „Der Spiegel“ an Kommilitonen der Karl-Marx-Universität Leipzig verteilt und war deswegen am 4. Dezember 1959 zu neun Monaten Gefängnis verurteilt worden. Nach der Entlassung sollte er sich im VEB Waggonbau Görlitz bewähren, ehe ihm die Fortsetzung des Studiums an der TH Dresden in Aussicht gestellt wurde.242 Am 25. November 1960 verurteilte das Bezirksgericht Dresden den aus Thüringen stammenden Stu-

237 BStU, Außenstelle Dresden, AOp 146 / 59, Bl. 175. 238 Zeitzeugeninterview mit Jürgen Donnerstag am 13. Januar 2009. 239 Fritz Kaul studierte zwischenzeitlich an der Ingenieurschule für Maschinenbau Karl-

Marx-Stadt (heute Chemnitz).

240 Mitteilung des Bundesministeriums des Innern für Dr. J. Klandt, Außenstelle Berlin, vom 2. April 1991. 241 Ausfertigung des Urteils im Besitz von Jürgen Donnerstag. 242 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 3834.

Haftjahre in Zuchthäusern der DDR

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denten der Elektrotechnik Hans-Josef Jünemann wegen Staatsverleumdung zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus.243

3.16.  Haftjahre in Zuchthäusern der DDR Die im ersten Dresdner Prozess verurteilten Studenten wurden im April 1959 in die Haftanstalten in Bautzen, Brandenburg, Bützow, Torgau und Cottbus gebracht. Hanns-Lutz Dalpke, Christian Ramatschi und Armin Schreiter waren nach zwei Jahren Zuchthaus in verschiedenen Strafanstalten im Zusammenhang mit einer Umorganisation des Strafvollzugs gemeinsam in die Haftanstalt Torgau überstellt worden, wo sie vor allem für das „Kombinat VEB Carl Zeiss Jena” als Teilkonstrukteure arbeiten mussten. Die Gemeinschaft der Freunde und die ihnen übertragenen anspruchsvollen Aufgaben erleichterten etwas die tristen Haftbedingungen. Das Vollzugspersonal zollte den Leistungen der inhaftierten Studenten, die auch im Gefängnisalltag selbstbewusst auftraten, Anerkennung. Gerhard Bauer als der politische Kopf der Gruppe ins Zuchthaus Brandenburg verbracht, wo er rund ein Jahr in strenger Einzelhaft verbringen musste, ehe er in eine Gemeinschaftszelle verlegt wurde. Mitgefangene waren beispielsweise wegen Kriegsverbrechen verurteilte SS-Offiziere und Mitglieder der Glaubensgemeinschaft „Zeugen Jehovas“. Mögliche Kontakte von Gerhard Bauer zu aus politischen Gründen verurteilten DDR-Oppositionellen waren damit von vornherein unterbunden. Die im zweiten Prozess verurteilten Studenten Jürgen Donnerstag, Konrad Hill, Fritz Kaul, Jürgen Klandt, Peter Schubert und Tilo Willkommen saßen in Zuchthäusern der DDR ein oder mussten in so genannten Straflagern harte Arbeit verrichten. In einem solchen Lager begegnete Jürgen Donnerstag erneut dem ehemaligen Studenten der Hochschule für Verkehrswesen, Jürgen Goldmann, der bereits während der Untersuchungshaft sein Zellennachbar war und den das Bezirksgericht Dresden zu 16 Monaten wegen Spionage verurteilt hatte.244 Diese Studenten gehörten zu einer Kolonne von Strafgefangenen, unter ihnen eine größere Zahl politischer Häftlinge, die zum Bau einer Start- und Landebahn auf dem Flugplatz Dresden-Klotzsche eingesetzt wurden, wo sich auch das Gefangenenlager befand. Später mussten sie Schwerstarbeit in Eisleben verrichten. Die Familien hatten sich teilweise intensiv und mit Unterstützung von Rechtsanwälten um die vorzeitige Haftentlassung ihrer Angehörigen bemüht. So hatte im Februar 1963 der weiter in der DDR lebende Onkel von HannsLutz Dalpke einen Antrag auf eine bedingte Strafaussetzung nach § 346 des Strafgesetzbuches der DDR beim Staatsanwalt des Bezirkes Dresden gestellt. 243 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 4661. 244 Vgl. Namen und Schicksale der von 1945 bis 1962 in der SBZ / DDR verhafteten und verschleppten Professoren und Studenten, a. a. O. S. 83.

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Daraufhin teilte der Bezirksstaatsanwalt mit, dass unabhängig von der Antragstellung eine Überprüfung der Strafsache erfolgen würde. Aus diesem Grund hatte der Staatsanwalt einen Führungsbericht vom Leiter der Haftanstalt angefordert. Darin wurde Hanns-Lutz Dalpke zwar zugebilligt, dass er „gut mit den Problemen der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR vertraut sei und keine Beispiele bekannt [wären], wo er während der Haft gegenüber Mitgefangenen feindlich aufgetreten [sei].“245 Abschließend äußerte sich der Gefängnischef aber ablehnend auf eine Strafaussetzung für den Studenten und verwies auf „die besondere Gesellschaftsgefährlichkeit seiner Straftat“.246 Der Staatsanwalt folgte der Empfehlung des Gefängnisleiters und teilte dem Onkel von HannsLutz Dalpke die Ablehnung der Strafaussetzung mit, stellte aber für Ende 1963 eine nochmalige Prüfung in Aussicht.247 Auch im Dezember des Jahres lehnte der Gefängnischef trotz der von ihm unterzeichneten positiven Beurteilung die vorzeitige Haftentlassung ab. Diesmal hatte das Schreiben des Gefängnischefs und Repräsentanten des MfS weniger empfehlenden und vielmehr entscheidenden Charakter. So beschied er gegenüber dem Staatsanwalt: „Die Schwere seiner [Hanns-Lutz Dalpkes] strafbaren Handlungen sowie die außerordentliche Gesellschaftsgefährlichkeit derselben lassen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine vorzeitige Haftentlassung zu.“248 Erst die Schreiben und Beurteilungen der Leitung der Strafvollzugsanstalt Torgau von Mitte 1964 stellten die Weichen für eine vorzeitige Haftentlassung von Hanns-Lutz Dalpke und Christian Ramatschi. Der Gefängnischef und Major der Volkspolizei sah den parteipolitischen Erziehungsauftrag der Strafvollzugsanstalt verwirklicht und unterstellte eine ideologische Wandlung bei den verurteilten Studenten.249 Der Staatsanwalt des Bezirkes Dresden leitete die Anträge befürwortend weiter an den „1a Strafsenat“ des Bezirksgerichts.250

245 246 247 248 249

BStU, Außenstelle Dresden, AOp 146 / 59, Bl. 11 f. Ebenda. Ebenda, Bl. 13. Ebenda, Bl. 14 f. „Der Strafgefangene Dalpke befindet sich seit September 1960 zur Strafverbüßung in der Strafvollzugsanstalt Torgau. Anfangs gab es mit ihm insofern bestimmte Erziehungsschwierigkeiten, weil er im Zusammenhang mit seiner Allgemeinbildung sowohl im Umgang mit Strafgefangenen als auch im Auftreten gegenüber den Genossen des Strafvollzuges zur Überheblichkeit neigte. Auf Grund der positiven Entwicklung wurde Dalpke vor einiger Zeit als Gruppenleiter eingesetzt. Er ist in seiner Arbeit sehr gewissenhaft, gibt den anderen Strafgefangenen Hilfe und Anleitung und führt darüber hinaus in der arbeitsfreien Zeit einen Zirkel über Plastizitätslehre durch.“ Vgl. Ebenda, Bl. 17. 250 Vgl. Ebenda, Bl. 19 f.

Nach der Haftentlassung

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3.17.  Nach der Haftentlassung Nach dem Tod von Staatspräsident Wilhelm Pieck im Jahre 1960 wurden Jürgen Donnerstag, Konrad Hill und Tilo Willkommen im Rahmen einer allgemeinen Amnestie vorzeitig aus der Haft entlassen. Peter Schubert war bereits ein Jahr vorher freigekommen. Jürgen Klandt kam Ende Juli 1962 nach drei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus im Zuge eines „Gnadenerweises“ frei. Fritz Kaul wurde erst im März 1963 entlassen. Im Sommer 1964 waren alle im ersten Prozess verurteilten Studenten im Rahmen einer allgemeinen Amnestie freigekommen. Für Gerhard Bauer öffneten sich am 17. August 1964 die Tore vom Zuchthaus Brandenburg. Ende August 1964 wurden auch Hanns-Lutz Dalpke, Christian Ramatschi und Armin Schreiter aus dem Zuchthaus Torgau entlassen. Ebenfalls kam Dieter Brendel frei. Nach der Haftentlassung arbeitete Hanns-Dieter Dalpke einige Monate in einem Berliner Großbetrieb. Bereits im Oktober 1964 hatte er über den Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel den Antrag auf Ausreise aus der DDR gestellt, dem im April 1965 stattgegeben wurde. Er beendete in der Bundesrepublik sein Studium, promovierte und war bis zu seiner Pensionierung im höheren Management der Papier verarbeitenden Industrie tätig. Dagegen hatten sich die anderen verurteilten Studenten aus familiären Gründen für ein Verbleiben in der DDR entschieden, ohne sich mit dem politischen System zu identifizieren. Auch sie hatten sich in der Folgezeit beruflich etabliert, teilweise gesellschaftlich arrangiert und weitgehend integriert. Ein Teil der damals verurteilten Studenten hat später in der DDR Hoch- und Fachschulabschlüsse erworben. Obwohl sich die TH Dresden und vermutlich viele Studierende zunächst auch von den im Nachfolgeprozess verurteilten Studenten klar distanziert hatten, gab es unter Studenten, Hochschullehrern und Assistenten Zeichen von Solidarität und Anteilnahme. So konnte Jürgen Donnerstag fünf Jahre nach Verbüßung der Haftstrafe im Jahre 1965 sein Diplom im Direktstudium in der ursprünglich gewählten Fachrichtung Papiertechnik verteidigen. Auch Christian Ramatschi setzte Jahre nach der Haftentlassung sein Studium fort und beendete es mit dem Diplom. Besonders unterstützt wurden sie dabei von Professor Ernst Unger, Direktor des Instituts für Papiertechnik und 1964 Dekan der Fakultät für Technologie. Gerhard Bauer war langjährig im VEB Strömungsmaschinenbau tätig. Seinen Abschluss hatte er im Fernstudium erworben. Er gehört zu den Dresdner Persönlichkeiten, die sich während der friedlichen Revolution am „Runden Tisch“ für gesellschaftliche Veränderungen einsetzten. Größere Karrieren, leitende Stellungen oder der Einsatz als Reisekader in das so genannte „nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ waren den im April 1959 im Dresdner Studentenprozess abgeurteilten ehemaligen Studenten der TH Dresden in der DDR verwehrt geblieben. Über den Studentenprozess durften sie erst nach

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Der Dresdner Studentenprozess 1959 und seine Vorgeschichte

der politischen Wende 1989 / 90 offen sprechen. Bis heute ist der Prozess aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt.

3.18.  Nachspiel in Westberlin Es wurde deutlich, dass das MfS seit den politischen Auseinandersetzungen der Dresdner Studenten im Braunkohlenwerk Laubusch über die Existenz der studentischen Oppositionsgruppe informiert war. Der am 24. Juni 1958 aus dem Umfeld der Gruppe vom MfS geworbene Student und Geheime Informant „Freddy“ hatte seine Auftraggeber nicht enttäuscht. Er war für sie wichtig geworden und musste geschützt werden. Für die Zeit des Prozesses hatte das MfS seinen Informanten „Freddy“ angewiesen, sich außerhalb Dresdens aufzuhalten. Ihm war vom 3. April bis 2. Mai 1959 Unterkunft bei einer dem MfS verpflichteten Familie zugewiesen worden. Selbst sein privater Briefverkehr musste über einen Mitarbeiter des MfS abgewickelt werden. Damit der Studienerfolg des Informanten sichergestellt war, hatte das MfS für ihn eine fachliche Konsultation organisiert, die unter Einhaltung von konspirativen Regeln stattfand. Selbst für das an einem Wochenende geplante Treffen mit der Freundin war gesorgt worden, indem der Informant mit dem PKW zur Verabredung gebracht und wieder abgeholt wurde. So war er nicht nur einem möglichen Zugriff durch die Justiz entzogen worden. Vor allem sollte verhindert werden, dass der Perspektivagent durch eine Zeugenaussage „verbrannt“ wird.251 Ein Jahr später wertete das MfS die erbrachten Leistungen des Agenten für den Geheimdienst aus. So konnte „durch seine Arbeit an der TH Dresden eine Studentengruppe operat[iv] bearbeitet werden, die in der Zwischenzeit abgeurteilt werden konnte. An diesem Erfolg hat der GI einen wesentlichen Anteil.“252 Darüber hinaus erfüllte er einen Auftrag in Westberlin, den er gleichfalls „gut gelöst“ hätte.253 Das MfS hatte frühzeitig auf eine künftige Arbeit des geworbenen Informanten orientiert, die über die Ausforschung der studentischen Oppositionsgruppe weit hinausging. So sollte er nach einem in der Dresdner Bezirksverwaltung aufgestellten „Perspektivplan“ beispielsweise die „Verbindung [zum] Referat Mitteldeutschland“254 in Westberlin herstellen. Gleichfalls sollte er zu so genannten Kombinationen eingesetzt werden und Kontakte von Personen zwischen Ostund Westberlin ausforschen.255 Es bleibt offen, inwieweit die Zusammenarbeit mit 251 252 253 254

BStU, Zentralarchiv, Nr. 9978 / 71, Bl. 86, 90, 95. BStU, Zentralarchiv, Nr. 9978 / 71, Bl. 56. Ebenda. Die FALKEN als Jugendorganisation der SPD unterhielten in Westberlin das Referat Mitteldeutschland. 255 Vgl. BStU, Zentralarchiv, Nr. 9978 / 71, Bl. 8.

Nachspiel in Westberlin

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diesem Perspektivagenten vom MfS während der folgenden Jahrzehnte ausbaut wurde. Als Desaster endete der weitere geheimdienstliche Einsatz einer Geheimen Mitarbeiterin, die am Pädagogischen Institut, der späteren Pädagogischen Hochschule in Dresden studiert hatte. Sie wohnte in Berlin-Weißensee und pendelte an den Wochenenden zwischen ihrem Wohn- und Studienort. Wie bereits erwähnt hatte sie sich ihrem früheren Verlobten, dem späteren Geheimen Informanten „Freddy“, anvertraut und ihm dabei mitgeteilt, dass ihr ehemaliger Freund Verbindungen zum CIA unterhalte und eine Waffe besitze. Dem Ratschlag ihres ehemaligen Verlobten folgend, hatte sie sich Anfang April 1958 auf der VP-Inspektion Berlin-Weißensee gemeldet und Anzeige erstattet. Daraufhin wurde sie an das MfS weitergereicht. Am 4. Juli 1958 bestätigte Major Luxem von der Hauptabteilung II / 1A den Vorschlag von Oberleutnant Kratsch zu ihrer Anwerbung als Geheime Mitarbeiterin. Am 28. Juni 1958 hatte sie sich zur Zusammenarbeit mit dem MfS unter dem Decknamen „Claudia Deege“ verpflichtet. Ihr Führungsoffizier Günther Kratsch sah ihre weitere Perspektive im „Ausbau der Verbindung zu den vermutlichen Agenten des CIA“. Weiter könne sie „auch in anderer Hinsicht zur Aufnahme von Kontakten im Kreis unter den Studenten eingesetzt werden.“256 Ihre weitere geheimdienstliche Verwendung lag ab November 1958 dann bei der Abteilung V der Dresdner Bezirksverwaltung. Der erwähnte Oberleutnant Günther Kratsch aus der Berliner Zentrale des MfS berichtete am 9. Dezember 1958, knapp zwei Monate vor der Verhaftung der studentischen Oppositionsgruppe, dass die Geheime Mitarbeiterin „in diesem Monat von dem Beschuldigten zurückgezogen werden“ musste, da sie nun ständig in Berlin ansässig wurde.257 Sie hatte mit Unterstützung des MfS ein Medizinstudium an der Berliner Humboldt-Universität aufgenommen. Über die Motive für ihre MfS-Mitarbeit war sich ihr Berliner Führungsoffizier unsicher und musste feststellen, dass „in politischer Hinsichte der GM noch nicht gefestigt [sei]“.258 Das hinderte ihre Auftraggeber aber nicht, sie ähnlich wie ihren ehemaligen Verlobten „Freddy“ für Spionage in Westberlin einzusetzen. Sie sollte in eine geheimdienstliche „Verbindung zu amerikanischen Dienststellen“ treten.259 Bis Ende 1959 war sie für das MfS in Westberlin aktiv. Im Schlussbericht vom 1. März 1960 resümierte das MfS die geheimdienstliche Zusammenarbeit mit der Studentin, die nach der Verhaftung der studentischen Widerstandsgruppe intensiviert worden war. Vor dem weiteren Einsatz in Westberlin unterzog das MfS die Geheime Mitarbeiterin einer „Überprüfung der Abdeckungsmöglichkeiten“.260 Danach erfolgte ein 256 257 258 259 260

BStU, Zentralarchiv, Nr. 2007 / 61, Bl. 70–75. Ebenda, Bl. 52. Ebenda. Ebenda. Ebenda, Bl. 122 f.

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gezielter Spionageeinsatz: „Ihre Aufträge bezogen sich in der Hauptsache auf das Tippen von Personen und zum Teil auf den Einsatz zur Überprüfung anderer IM.“261 Sie hatte die Aufgabe, im Vorfeld geeignete Personen zu ermitteln, die für eine spätere Agententätigkeit für das MfS in Frage kämen.262 Ihren letzten Auftrag hatte sie am 9. November 1959 ausgeführt. Ihr Vater teilte schließlich der Humboldt-Universität mit, „daß seine Tochter nach Westberlin republikflüchtig und festgenommen worden sei.“263 Eine Kontaktperson in der Stadtverwaltung von Groß-Berlin brachte dem MfS letzte Gewissheit, dass am 9. Dezember 1959 um 16.00 Uhr die für die Spionageabwehr zuständige Abteilung der Westberliner Kriminalpolizei die Geheime Mitarbeiterin wegen Landesverrats verhaftet habe.264 Nach ihrer eigenen Aussage vor dem Zweiten Strafsenat des Berliner Kammergerichts hatte sie sich nach Gewissenskonflikten den Westberliner Behörden selbst gestellt. Überregionale und Westberliner Zeitungen berichteten ausführlich über den Prozess.265 Ihr war vor allem die Denunziation des Studenten zur Last gelegt worden, der sich ihr gegenüber als Agent des amerikanischen Geheimdienstes ausgegeben hatte und der neun Monate später zu fünfeinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Dabei wirkte sich strafmildernd auf die Urteilsfindung aus, dass das Gericht nicht sicher feststellen konnte, dass der Studentenprozess auf die Anzeige von „Claudia Deege“ zurückzuführen war.266 Das Westberliner Gericht stellte weiter fest, dass sie vom MfS den Auftrag erhalten hatte, „geflüchtete Kommilitonen in Westberlin zu beschatten, zu bespitzeln und auszuhorchen.“267 Während sie sich auf dieses Spiel noch eingelassen hatte, war sie offenbar vor der Direktive des MfS zur Ausforschung des amerikanischen Klubs in der Westberliner Clayallee, wo sie Kontakt mit den Amerikanern aufnehmen sollte, zurückgeschreckt. Das Gericht hatte ihr umfassend strafmildernde Umstände zugutegehalten, die vor allem im politischen Umfeld und ihrer persönlichen Situation zu suchen waren: So wäre sie durch Elterhaus, Lehrer und Jugendfunktionäre „rein kommunistisch erzogen worden.“268 Ein medizinischer Sachverständiger hatte „Claudia Deege“ bei aller Intelligenz jugendliche Unreife zur Tatzeit bescheinigt. Am 18. August 1960 261 Ebenda. 262 Das MfS bediente sich so genannter „Tipper“, die aufgrund ihrer beruflichen, politischen oder gesellschaftlichen Stellung in der Lage waren, Hinweise über solche Personen zu geben, die in die operative Arbeit des Geheimdienstes mit dem Ziel einer künftigen Anwerbung einbezogen werden sollten. 263 BStU, Zentralarchiv, Nr. 2007 / 61, Bl. 122. 264 BStU, Zentralarchiv, a. a. O., Bl. 122 f. 265 Vgl. Die Welt vom 19. August 1960; Der Kurier vom 19. August 1960; Der Tagesspiegel vom 19. August 1960; BZ vom 19. August 1960. 266 Dies kann auch durch die in der BStU überlieferten Akten bestätigt werden. 267 Studentin wurde SD-Spitzel, in: Die Welt vom 19. August 1960 268 Ebenda.

Nachspiel in Westberlin

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wurde sie wegen politischer Denunziation in Tateinheit mit landesverräterischen Beziehungen zu einer auf 18 Monate festgesetzten Jugendstrafe verurteilt. Die vom MfS gezahlten Spesengelder in Höhe von 50 DM West und 150 DM Ost wurden für verfallen erklärt. Das Urteil war mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden.269 Die Anwerbung dieser Studentin durch das MfS war kein Einzelfall. Gerade Studenten waren unter Ausnutzung der noch offenen Grenzen und der Massenabwanderung aus der DDR für das MfS als Perspektivagenten besonders geeignet. Im Gegensatz zum dargestellten Fall „bewährten“ sich andere ehemalige Studenten der Hochschule tatsächlich im Westeinsatz und lieferten dem von Markus Wolf geleiteten und in der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) zusammengefassten Auslandsnachrichtendienst wertvolle Informationen. So war das MfS auf den Studenten Harald Gottfried (geb.1935) aufmerksam geworden, der an der TH Dresden Pädagogik studierte. Eigentlich war der Student wegen seiner Familie ins Visier des MfS geraten, die wiederum vom Geheimdienst als staatsfeindlich klassifiziert wurde. Sein Vater war in einem der Waldheimer Prozesse zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe wegen abfälliger Bemerkungen über die sowjetische Besatzungsmacht verurteilt und 1955 in der Haft an Tuberkulose gestorben, woraufhin seine Witwe mit der Tochter die DDR verließ. Um seinen Studienplatz nach dem Schritt seiner Mutter, der als „Verrat“ galt, nicht zu verlieren, engagierte sich ihr Sohn Harald aktiv in der FDJ. Er empfand offenbar auch tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Staat, der ihm den Besuch der Oberschule und das Studium an der TH Dresden ermöglicht hatte. Das MfS war sich offenbar unsicher, ob Harald Gottfried als Agent für einen westlichen Geheimdienst arbeitete und nur deshalb in der DDR geblieben war. Diese Bedenken zerstreute der Student in Gesprächen mit den Geheimdienstmitarbeitern, die von ihm sogar die Zusage erhielten, dass er Berichte über Kommilitonen zu verfassen bereit sei. Seine künftige Laufbahn war vorgezeichnet. Er absolvierte den Verwandtenbesuch und verband ihn auftragsgemäß mit einem Besuch beim Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen in Westberlin, der dem Studenten wegen des Schicksals seines Vaters die Anerkennung als politischer Flüchtling in Aussicht stellte. Diese vom CIA unterstützte deutsche Organisation sammelte seit 1949 Informationen über Menschenrechtsverletzungen in der DDR und gab Betroffenen rechtliche Unterstützung beispielsweise in Verfahren zur Anerkennung als politischer Flüchtling. Das MfS reagierte mit Infiltration und der Vorbereitung von Schauprozessen. Der Dresdner Student Harald Gottfried war für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) im MfS ein interessanter Perspektivagent. Sein Führungsoffizier verpflichtete ihn zum Inoffiziellen Mitarbeiter und gab ihm den Decknamen „Gärtner“. Zwischenzeitlich war er zudem Mitglied der SED geworden, was er 269 Vgl. Der Tagesspiegel vom 19. August 1960.

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auch beim Notaufnahmeverfahren in Westberlin nicht verschweigen und mit dem möglichen Verlust seines Studienplatzes begründen sollte. Auftragsgemäß wechselte er Studienrichtung und Studienort. Ab 1956 war er Student der Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Sein Studium wurde fortan mit 150 DM vom MfS unterstützt. Er blieb auch in den Folgejahren am Band des MfS, das ihn 1959 auch als „Romeo“ nutzte, um einsame Sekretärinnen nachrichtendienstlich abzuschöpfen. Nach dem Abschluss als Diplom-Ingenieur gelang es ihm entsprechend der Wünsche seiner Auftraggeber, eine Tätigkeit im Kernforschungszentrum Karlsruhe aufzunehmen. Damit hatte die HVA ihren Agenten im Zentrum der westdeutschen Kernforschung platziert.270 Im Jahr 1968 wurde Harald Gottfried enttarnt und verhaftet. Bereits 1969, kurz nach seiner Verurteilung, kam er im Austausch gegen westliche Agenten frei und arbeitete bis 1990 als Direktor für wissenschaftlichen Gerätebau der Humboldt-Universität zu Berlin, 1993 ging er in den Vorruhestand. 271

270 Im Jahr 1968 wurde der Atomspion von den westdeutschen Sicherheitsbehörden enttarnt und vor Gericht gestellt. Er lieferte ein umfangreiches Geständnis und wurde deswegen nur zu 18 Monaten Freiheitsentzug verurteilt und bereits sechs Wochen nach dem Prozess in die DDR entlassen, wo er propagandistisch unter anderem für Fernsehauftritte genutzt wurde, vgl. Werner Stiller, Im Zentrum der Spionage. Mit einem Nachwort von Karl Wilhelm Fricke, 2. Auflage, Mainz, 1986, S. 79 ff. 271 Vgl. Top-Spione im Westen, Spitzenquellen der DDR-Aufklärung erinnern sich. Mit einem Vorwort von Markus Wolf und Werner Großmann, edition ost, Berlin, 2008, S. 115– 118.

4.  Politisch motivierte Urteile in Zahlen (1947 bis 1960) In der Zeit zwischen der Wiedereröffnung der Hochschule und 1960 wurden 35 immatrikulierte Studierende aus politischen Gründen festgenommen und in Untersuchungshaft überführt. Von Sowjetischen Militärtribunalen oder Gerichten der DDR wurden 28 Studenten, davon eine Studentin, verurteilt. In den Jahren 1951 und 1959 fanden die meisten politischen Verfahren gegen Studenten der TH Dresden statt. 1948 bis 1952 sind vier Studenten von Militärtribunalen verurteilt worden, davon ein Kommilitone zum Tode. Weiterhin sind zehn Bewerber für ein Studium an der TH Dresden Opfer von politischer Justiz geworden. Aus dieser Personengruppe wurden vier Männer und eine Frau von Militärtribunalen verurteilt. Von anderen Dresdner Hoch- und Fachschulen waren während der 1950er Jahre nach bisherigem Erkenntnisstand 9 Studenten aus politischen Gründen verurteilt worden, davon einer 1953 zum Tode. Die folgende Übersicht erfasst die bisher ermittelten politisch motivierten Festnahmen und Verurteilungen von immatrikulierten Studenten der TH Dresden in der Zeit von 1947 bis 1960.1 2

Politische Justiz gegen immatrikulierte Studenten der   TH Dresden von 1947 bis 1960 Jahr der Verhaftung 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956

Festnahmen

Urteile

– 1 – 3 8 3 4 2 1 –

– 1 – 3 6 3 2 2 1 –

davon Urteile der Sowjet. Militärtribunale – 1 – 1 1 1 (Todesurteil)2 – – – –

1 Erstellt auf der Grundlage von Studentenakten, die teilweise Gerichtsurteile enthalten, den Immatrikulationslisten, der Dokumentation des Verbandes Ehemaliger Rostocker Studenten e.V. und von Zeitzeugenberichten. 2 1953 in Moskau vollstreckt.

164 Jahr der Verhaftung 1957 1958 1959 1960

Politisch motivierte Urteile in Zahlen (1947 bis 1960)

Festnahmen

Urteile

davon Urteile der Sowjet. Militärtribunale

– – 13 –

– – 103 –

– – – –

3

3 Ein Student hatte vor der Verhaftung den Studienort gewechselt.

5.  Formen von Repression von 1961 bis 1989 5.1.  Westflucht und Mauerbau Die Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen beiden deutschen Teilstaaten hatte in den Monaten vor dem Bau der Berliner Mauer neue Dimensionen erreicht. Das war auch während der über weite Strecken hilflosen Rede von Johannes Dieckmann deutlich geworden, die er am 13. Januar 1961 vor Studenten in Marbach gehalten hatte. Der ehemalige Mitarbeiter von Gustav Stresemann, nun Präsident der Volkskammer der DDR und Vorsitzende der Blockpartei LDPD war auf Initiative und Einladung des Studenten Klaus Horn von der Hochschulgruppe Marburg des Liberalen Studentenbundes angereist. Johannes Dieckmann sollte seine Positionen zu Möglichkeiten der Wiedervereinigung in offener Diskussion darzustellen. Damit hatten die liberalen Studenten nach den Vorstellungen des bürgerlichen Parteienestablishments, auch ihres Vorsitzenden Erich Mende einen Tabubruch begangen. Vor Hunderten Studenten musste Johannes Dieckmann die Politik der DDRStaatsführung, einschließlich ihrer Ideologie, verteidigen. Dabei kam es während der von Klaus Horn geleiteten Podiumsdiskussion zu tumultartigen Szenen, wobei auch Fensterscheiben im Gebäude der Veranstaltung zu Bruch gingen.1 Es war abermals deutlich geworden, dass die Positionen der DDR-Führung auch in der westdeutschen Studentenschaft nicht vermittelbar waren. Nur einen Tag nach der Rede von Johannes Dieckmann vor den westdeutschen Studenten stellte das MfS dem Ostreferenten des Liberalen Studentenbundes Deutschlands Dieter Koniecki eine Falle, indem er unter dem Vorwand eines Treffens mit einem Bekannten in den Ostteil der Stadt gelockt und anschließend verhaftet wurde. Danach entführte ihn das MfS an die Grenze zur Tschechoslowakei, wo er vom Geheimdienst des Nachbarlandes in Empfang genommen wurde. In Prag wurde er in einem Geheimprozess wegen seiner politischen Tätigkeit zu einer langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Erst 1966 wurde er nach Interventionen der Frau des damaligen Bundespräsidenten, Wilhelmine Lübke, und des langjährigen Chefs der FDP-Fraktion und Bundstagsvizepräsidenten, Thomas Dehler, begnadigt. Die außerordentlichen Steigerungsraten der westdeutschen Industrie und der damit einhergehende Bedarf an gut ausgebildeten Ingenieuren und Technikern hatte eine verstärkte Abwanderung von Absolventen gerade technischer Studienrichtungen nach sich gezogen. Ab 1960 stiegen erneut die Zahlen der nach Westberlin und in die Bundesrepublik geflohenen DDR-Bürger, unter ihnen gut ausgebildete Facharbeiter und Akademiker. Die Dresdener Professorenschaft de1 Vgl. SAPMO-BArchiv, DY 30, IV 2, Nr. 904, Film 665, Bl. 1–69.

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battierte über die Auswirkungen der Massenabwanderung unter Akademikern und besonders unter den Studierenden. So hatte Werner Albring, Ordinarius für angewandte Strömungslehre der TH Dresden, während der Senatssitzung am 4. September 1960 darauf verwiesen, „dass ein großer Prozentsatz unserer Absolventen nach dem Westen gegangen ist.2 Die DDR war unter den gegebnen politischen Bedingungen nicht zu halten. Auch hochrangige westliche Politiker waren bereit, die Schließung der Grenzen hinzunehmen, wenn die Freiheit von Westberlin und Alliiertenrechte in Bezug auf die Stadt nicht angetastet würden. Das hatte John F. Kennedy mit seinen drei Essentials klargestellt. Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des amerikanischen Senats William Fulbright hatte der DDR sogar ein gewisses Recht zur Grenzschließung koinzidiert.3 Das politische Risiko für Walter Ulbricht war also durchaus überschaubar. Der 13. August 1961 hatte auf die Hochschulen und Universitäten der DDR einschneidende Auswirkungen, die erst nach den revolutionären Veränderungen 1989 korrigiert werden konnten. Zunächst wurden die „Maßnahmen“ von der Universität, ihren Gremien und Kollektiven offiziell begrüßt. Dazu gehörte auch eine Kampagne zur Gewinnung von Studenten zum freiwilligen Dienst in der NVA. Hinter einer Fassade organisierter offizieller Zustimmung sah die Realität auch an der TU Dresden anders aus. Allein im zweiten Halbjahr 1961 hatten 124 Direktstudenten die Hochschule durch „Westflucht“ verlassen. Damals waren an der TH Dresden fast 11.000 Direkt- und knapp 5300 Fernstudenten eingeschrieben. Nur die Berliner Universität verzeichnete mit 232 geflüchteten Kommilitonen bei 10.360 eingeschriebenen Direktstudenten einen höheren Abwanderungsverlust. Insgesamt kehrten in jenen Monaten 686 Studierende an Universitäten und Hochschulen der DDR den Rücken.4 Nach Schätzungen sollen für die Jahre von der Gründung der DDR bis zum Bau der Mauer etwa 32.000 bis 35.000 Studierende und Abiturienten nach Westdeutschland bzw. nach Berlin gegangen sein.5 In den Monaten vor dem Mauerbau wurde deutlich, dass vielfach Meinungen vertreten wurden, die der offiziellen Politik zuwiderliefen. So wurden Forderungen nach freien Wahlen vertreten und Unterschriften unter offizielle Resolutionen verweigert. Eine besonders kritische Stimmung herrschte in der Fakultät für Bau2 Vgl. UA der TUD, Rektorat I / Nr. 127, n. f. 3 Beate Ihme-Tuchel, Kontroversen um die Geschichte. Die DDR, Darmstadt, 2002, S. 51 f. 4 Vgl. Statistik über Republikfluchten für die Monate Juli bis November 1961, in: BA, Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen (Bestand DR 3), Nr. 5900, n. f. 5 Vgl. Waldemar Krönig und Klaus-Dieter Müller stützen sich auf die Forschungsergebnisse von Anke Huschner, vgl. Waldemar Krönig und Klaus-Dieter Müller: Anpassung. Widerstand. Verfolgung. Hochschule und Studenten in der SBZ und DDR 1945–1961, Köln, 1995, S. 400.

Westflucht und Mauerbau

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wesen.6 Anfang August 1961 wurden begleitet von massiver Propaganda an der Hochschule so genannte Komitees gegen den Menschenhandel gegründet, die in allen Fakultäten wirksam werden und der steigenden „Republikflucht“ entgegenwirken sollten. 7 Bereits Ende März 1961 war der TH Dresden vom Ministerrat der DDR der Status einer Universität zuerkannt worden. Der Festakt zur offiziellen Umbenennung fand nach dem Semesterbeginn am 5. Oktober 1961 statt.8 Zu den Gästen gehörten die SED-Politbüromitglieder Kurt Hager und Bruno Leuschner. Der Festakt war der Höhepunkt einer ganzen Festwoche mit vielen Veranstaltungen. Zu den Besuchern zählte auch Graf von Wedel aus Wiesbaden, der vor dem Ersten Weltkrieg an der TH Dresden studiert hatte. Überschattet war die Festwoche von den Folgen des Mauerbaus. Das in das persönliche Leben von Millionen Deutschen einschneidende Ereignis hatte vielfach auch unter Studierenden der DDR erheblichen Widerspruch bis hin zu Protesten hervorgerufen. So wurde in einer vertraulichen Kollegiumsvorlage des Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen von Ende Oktober 1961 festgestellt, dass „bei einem großen Teil der Studierenden zu den Maßnahmen der Partei und Regierung vom 13.8.1961 erhebliche ideologische Unklarheiten [aufgetreten] wären.“9 Etwa 150 Kommilitonen wurden wegen ihrer ablehnenden Bekundungen nach Einschätzung des Staatssekretariats vom weiteren Studium ausgeschlossen.10 Die Opposition unter den Assistenten und Studenten gegen den Mauerbau war an der hauptstädtischen Humboldt-Universität, wo immerhin elf Kommilitonen wegen „provozierende[r] Äußerungen gegen den Staatsrat“ in Haft kamen, viel stärker ausgeprägt als in Dresden.11 Aber auch in den Fakultäten der TU Dresden war teilweise heftig über die von der SED-Führung veranlasste Maßnahme der Abschottung und Isolation diskutiert worden, die nicht zuletzt dem grenzüberschreitenden Wissenschaftsaustausch einen schweren Schlag versetzte. Die Mitarbeiter der Universität wurden aufgefordert, eine Entschließung zu unterzeichenen, in der sie mit ihrer Unterschrift dem Mauerbau ausdrücklich ihre Zustimmung geben sollten. Vereinzelt wurde kritisch und ablehnend über diese alternativlose Aufforderung diskutiert. So hatte der Dozent im Institut für Or 6 Vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, IV/4.15033, IV/4.15069, IV/4.15075, n. f. 7 Ebenda, IV/4.15069 und IV/4.15075, n. f. 8 Tagesordnungspunkt Nummer 9a während der Sitzung des Präsidiums des Ministerrates der DDR am 23. März 1961, vgl. BA Berlin, Büro des Ministerrates, Archiv für Staatsdokumente, I / 4 , Nr. 438, Bl. 66 (Film-Nr. 66 / 6.). 9 Analyse der politisch-ideologischen Situation unter den Studierenden an den Hoch- und Fachschulen. Vorlage für die Kollegiumssitzung für die Besprechung am 30. Oktober 1961, in: BA, R 3 Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, Nr. 165, n. f. 10 Vgl. Ebenda. 11 BA, R 3, Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, Nr. 165, n. f.

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ganische Chemie, Gottfried Ulbricht, seine Unterschrift verweigert. Verunsichert wurde registriert, dass nicht einmal von Mitgliedern der SED dieser Vorfall der Hochschulparteileitung gemeldet worden war. In einem in der Universitätszeitung veröffentlichten „Offenen Brief“ war Gottfried Ulbricht als „Sprecher der Todfeinde unserer Republik und der ganzen friedliebenden Menschheit“ denunziert worden.12 Anfänglich versuchte der Institutsdirektor eine Entlassung von Gottfried Ulbricht abzuwenden. Nach einem Gespräch beim Rektor stimmte auch der Institutsdirektor der Entfernung des Wissenschaftlers von der Hochschule zu. Dem Unmut unter den Institutsangehörigen wurde mit einer politischen Maßnahme der Hochschulparteileitung begegnet. Sie veranlasste, dass 50 Industriestudenten zur Sitzung der Gewerkschaftsgruppe des Instituts geladen wurden. In der so angeheizten Atmosphäre und unter hohem psychischem Druck stimmten alle Institutsangehörigen der Einleitung eines Disziplinarverfahrens mit dem Ziel der Entfernung Gottfried Ulbrichts von der Universität zu. Mit solchen Maßnahmen wurden den Universitätsangehörigen die Konsequenzen aufgezeigt, die eine offene Kritik am Mauerbau zur Folge hatten.13 Auf die ihm in Aussicht gestellte Hochschullehrerlaufbahn musste er als politisch Gemaßregelter verzichten. Daraufhin nahm er eine Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arzneimittelwerk Dresden an. Im Jahre 1990 wurde Gottfried Ulbricht von der TU Dresden rehabilitiert.14 Am nachhaltigsten ausgeprägt war die kritische Stimmung unter den Angehörigen in der Fakultät für Bauwesen. Ende August 1961 wurde ein Parteiverfahren gegen mehrere SED-Mitglieder dieser Fakultät wegen „feindlicher Auffassungen“ durchgeführt.15 Zusätzlich verschärft wurde diese Situation von Kontroversen vor allem zu städtebaulichen Problemen mit dem Rat der Stadt Dresden. Am 12. September 1961, einem Sonnabend, unterrichtete der Hochschulparteisekretär die Mitglieder des Rates der Fakultät für Bauwesen über die Aufdeckung einer angeblich „parteiund staatsfeindlichen Gruppe“ und legte dar, dass zwei Oberassistenten und zwei Assistenten aus dem Hochschuldienst entfernt werden müssten. Weiter schilderte er die politischen Gründe, die zur Verhaftung des Assistenten Oswald Möhner geführt hatten. Dabei berichtete ein Vertreter der Bezirksparteileitung von Dresden über den angeblich erfolgreichen Kampf der Bezirksparteiorganisation „ge12 Das erfordert eine Antwort. Offener Brief an die Angehörigen der Gewerkschaftsgruppe am Institut für Organische Chemie, in: Hochschulzeitung der Technischen Hochschule Dresden Nr. 18 vom 2. September 1990, S. 1. 13 Protokoll der Sitzung der Hochschulparteileitung vom 14. September 1961, vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, Nr. IV / 4.15 / 033, Bd. 13, n. f. 14 Dr. G. Ulbricht voll rehabilitiert, vgl. Universitätsjournal Nr.15 vom 1. Oktober 1990, S. 5. 15 Protokoll der Sitzung der Hochschulparteileitung vom 29. August 1961, vgl. SHStA, SEDKreisleitung der TU Dresden, Nr. IV/4.15.033 u. IV/4.15.070 n. f.

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gen konterrevolutionäre Umtriebe“.16 Er verwies gleichzeitig auf die „Spannungen zwischen Rat der Stadt und Fakultät“, die aufmerksam von den „Feinden“ der DDR beobachtet würden.17 Die Professoren hatten offensichtlich, aber erfolglos versucht, die Entlassungen vor allem mit fachlichen Begründungen abzuwenden. Dem vorsichtigen Einwand Professor Günther Grünings, dass das Problem der „Freiheit“ zu berücksichtigen und nicht „zuviel Lippenbekenntnisse“ gefordert werden dürften, wurde die marxistische Auslegung von Freiheit als „Einsicht in die Notwendigkeit entgegengesetzt.18 Nur einer der vier für die Entlassung vorgesehenen Assistenten durfte seine Tätigkeit fortsetzen. Gegen acht Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen leitete im September 1961 das Prorektorat für Studienangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Mauerbau und mangelnder Leistungen im Ernteeinsatz Disziplinarverfahren ein.19 Fünf Studenten der TU Dresden wurden durch Disziplinarverfahren die Studienzulassungen entzogen. Der Rektor begründete die erzwungene Exmatrikulation unter anderem mit folgender Beschuldigung: „Sie haben in einer Diskussion in der Seminargruppe über die Maßnahmen unserer Regierung vom 13.8.1961 und den Kampfauftrag des Zentralrates der FDJ eine staatsfeindliche Haltung gezeigt.20 Die von diesen politisch motivierten Disziplinarverfahren betroffenen Studenten haben nach einer zumeist zweisemestrigen Unterbrechung des Studiums und praktischer Arbeit in verschiedenen Industriebetrieben, in einem Fall hatte sich ein von der erzwungenen Exmatrikulation betroffener Student freiwillig zur NVA gemeldet, ihr Studium wieder aufgenommen und später erfolgreich mit dem Diplom abgeschlossen. Zwei Studenten der Hochschule waren wegen ihres offenen Auftretens gegen den Mauerbau verhaftet worden. 21 Ein Student der Fakultät Technologie der TU Dresden war zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, aber vorzeitig im Mai 1963 mit Bewährungsfrist entlassen worden. Danach hatte er eine Tätigkeit in einem Industrielabor aufgenommen und 1964 sein Studium an der Universität mit dem Erwerb des Diploms erfolgreich beendet.22 Auch an der benachbarten Hochschule für Verkehrswesen Dresden war ein Student wegen „Mißtrauen ge16 SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, Nr. IV / 4.15 / 052, n. f. und ebenda, SEDBezirksleitung Dresden, BPKK, Nr. IV / 2 / 4 / 066, n. f. (Ermittelt im Rahmen eines Dissertationsprojektes von Frau Anita Krätzner, Rostock). 17 Vgl. Ebenda. 18 Vgl. Ebenda. 19 Schreiben des Prorektorats für Studienangelegenheiten an den Rektor der TH Dresden vom 19. September 1961, in: UA der TUD, Rektorat I, Nr. 675 n. f. 20 Disziplinarverfahren vom 20. September 1961, vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 5531. 21 Protokoll der Sitzung der Hochschulparteileitung vom 14. September 1961, vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, Nr. IV / 4.15 / 033, Bd. 13 n. f. 22 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 13324.

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gen die Politik der DDR“ nach dem 13. August 1961 festgenommen worden.23 In den folgenden Wochen brachten vereinzelt weitere Studenten ihren Unmut über den politischen Kurs der DDR zum Ausdruck. So wurden nach einem Beitrag in der Universitätszeitung kritische Äußerungen eines Kommilitonen im Betriebspraktikum von Arbeitern zum Anlass genommen, um seine Entfernung von der Hochschule zu fordern.24 In der Sitzung der Hochschulparteileitung am 4. September 1961 wurden neben der Zustimmung des Senats zum Mauerbau auch Gegenreaktionen registriert, wie ablehnende Diskussionen in der Fakultät für Kerntechnik zur Wiederaufnahme der Kernwaffenversuche in der Sowjetunion sowie die Festnahme eines Fahrers der Fahrbereitschaft „wegen Staatsverleumdung“.25 Es sollte stets der Eindruck vermittelt werden, dass die Masse der Universitätsangehörigen hinter den Maßnahmen der Regierung und SED-Führung stünde. Repression und Propaganda ergänzten einander. So hatte das Prorektorat für wissenschaftlichen Nachwuchs gemeinsam mit der Hochschulgewerkschaftsleitung für die jungen Wissenschaftler eine Beratung angesetzt, auf der Horst Sindermann, damals Sekretär für Agitation und Propaganda des ZK der SED, zu grundsätzlichen politischen Fragen referierte. Am 15. September 1961 sprachen das Politbüromitglied Kurt Hager, der parteilose Rektor Werner Gruner und der Kernphysiker Heinz Pose auf einer Großveranstaltung, die von 10.000 Studenten und Universitätsmitarbeitern besucht worden war.26 Nach der Abschottung der DDR wurden die Studenten in weit höherem Maße in militärische Strukturen einbezogen als in den Jahren davor. Wenige Wochen nach dem Mauerbau waren am 20. September 1961 das Verteidigungsgesetz der DDR und am 24. Januar 1962 das Wehrdienstgesetz verabschiedet worden. Auf dieser Grundlage und eines Befehls des Ministers für Nationale Verteidigung erarbeitete im November 1963 das Kollegium des Staatssekretariats für das Hochund Fachschulwesen eine Anweisung „für alle Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR über die Durchführung der militärischen, vormilitärischen und Luftschutzausbildung der Studierenden“. Die Teilnahme an der Ausbildung wurde Pflicht und Bestandteil des Studiums. Verantwortlich war der Rektor, dem eine Arbeitsgruppe „Studentenausbildung“, die später in Arbeitsgruppe „Sozialistische Wehrerziehung“ umbenannt wurde, zur Seite gestellt war. Einbezogen waren unter anderem Hochschullehrer aus den Fakultäten, das DRK und der Chefarzt der Betriebspoliklinik. Die Dresdner Hochschulen kooperierten bei der Organisation der Lager, die erst in Schirgiswalde in der Oberlausitz und seit 1967 im thüringischen Seelingstädt stattfanden. In jenem Jahr wurden über 6000 DDR-Studenten 23 Vgl. Protokoll der Sitzung der Hochschulparteileitung vom 14. September 1961, a. a. O. 24 Universitätszeitung der TH Dresden vom 1. September 1961, S. 25 Protokoll der Sitzung der Hochschulparteileitung am 4. September 1961, vgl. SHStA, SEDKreisleitung der TU Dresden, Nr. IV/4.15033, IV/4.15070, IV/415.075. 26 Vgl. Protokoll der Sitzung der Hochschulparteileitung vom 14. September 1961, a .a. O.

Westflucht und Mauerbau

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auf einem Gelände, das vorher von der Wismut genutzt wurde, in mehrwöchigen Lehrgängen militärisch ausgebildet. Die TU Dresden hatte wesentlich die verwaltungstechnische Verantwortung für die Übernahme und den Ausbau des Objekts zu einer zentralen militärischen Ausbildungsstätte für DDR-Studenten übernommen. Für die praktische Umsetzung der militärischen Ausbildung der Dresdner Studenten war an der TU Dresden eine Militärische Abteilung eingerichtet worden, deren Angehörige NVA-Offiziere waren.27 Auch nach der fast hermetischen Abriegelung der DDR und dem weiteren Ausbau der Überwachung sind vereinzelte, mit hohen persönlichen Risiken verbundene Widerstandsaktionen unter Studenten nachweisbar. Etwa ein Jahr nach dem Bau der Mauer war im August 1962 Alfred Ewald, der an der TU Dresden an der Fakultät Technologie Plastverarbeitung studierte, vom MfS festgenommen worden. Wenig später exmatrikulierte die TU Dresden den in MfS-Untersuchungshaft einsitzenden Studenten.28 Seit September 1961 hatte er gemeinsam mit seinem Freund, einem Dresdner Elektromechaniker, in mehreren Dresdner Stadtteilen Häuserwände mit regimekritischen Losungen beschrieben und Flugschriften verteilt. Dabei richtete sich ihr Widerstand nicht gegen sozialistische Ideale. Alfred Ewald empfand sich damals selbst als Anhänger des „dialektischen Materialismus“. Die beiden jungen Leute waren sich aber einig in ihrer Ablehnung von Unfreiheit und Totalitarismus. Mit ihren Aktionen wollten sie in der Bevölkerung Zeichen für Opposition und Widerstand zu den bestehenden Verhältnissen in der DDR setzen. Gleichzeitig lehnten sie alle Formen von Gewalt ab. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit fand am 22. November 1962 der Prozess gegen Alfred Ewald und seinen Freund vor dem Ia Strafsenat des Bezirksgerichts Dresden statt. Wegen „staatsgefährdender Propaganda und Hetze“ wurde Alfred Ewald zu 4 Jahren und sein Freund zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt.29 Nach einem Häftlingsfreikauf wurde Alfred Ewald im Oktober 1965 in die Bundesrepublik entlassen. Zu den spektakulärsten Ereignissen in der mehr als 28 Jahre währenden Geschichte der Berliner Mauer zählt der im Spätsommer 1962 von etwa 30 Personen, vor allem Studenten, im „Schichtbetrieb“ von West- nach Ostberlin gebaute Tunnel, über den immerhin 29 Personen von Ost- nach Westberlin flüchteten. Nach rund zwei Monaten Bauzeit war der Verbindungstunnel von der Schönholzer- zur Bernauer Straße mit einer Länge von 135 Metern fertig.30 Zu den Initiatoren und maßgeblich an der Ausführung des Projekts beteiligten Studenten gehörte Ulrich Pfeifer, der 1960 an der Fakultät für Bauingenieurwesen der TH 27 28 29 30

Vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 580, n. f.

Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 5855. Vgl. Erinnerungsbericht von Alfred Ewald S. 119 ff.

Vgl. Spiegel–TV. Der Tunnel, Eine wahre Geschichte. VHS, erschienen am 1. Februar 2001 (Spieldauer 90 Minuten).

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Dresden sein Studium beendet hatte31 und für die Statik des Baus verantwortlich war. Er ermöglichte so beispielsweise die gemeinsame Flucht seines Mitstudenten Hans-Georg Möller32 mit Frau und Kind. Ein Student der TU Berlin, der im Fach Stahlbau eingeschrieben war, leitete gemeinsam mit zwei italienischen Studenten das Projekt. Die erheblichen Baukosten finanzierten die jungen Leute durch den Verkauf der Filmrechte am Tunnelbau an den amerikanischen Rundfunk- und Fernsehsender NBC. Dieser Fluchttunnel ging als erfolgreiches Projekt der Fluchthilfe in die Geschichte ein. Im Gegensatz zu anderen ähnlichen Vorhaben war dessen Ausführung nicht von tragischen Ereignissen überschattet worden.33 Wenn Fluchtversuche von Studenten scheiterten und sie zu Haftstrafen verurteilt wurden, führte das gleichzeitig zur Exmatrikulation. So hatte am 8. Januar 1962 der Staatsanwalt des Kreises Erfurt-Land das Prorektorat für Studienangelegenheiten der TU Dresden über den fehlgeschlagenen Fluchtversuch eines Studenten informiert, der versucht hatte, die DDR über die Ostsee zu verlassen und nun angeklagt wurde. Der Staatsanwalt empfahl die Exmatrikulation des Studenten der Ingenieurökonomie. Dem Studenten sollte aber nach der Haftentlassung und Bewährung in der Produktion, eine erneute Immatrikulation in Aussicht gestellt werden.34 Die Mehrzahl der Kommilitonen an den Universitäten und Hochschulen der DDR verhielt sich auch nach dem Bau der Mauer überwiegend angepasst und zumeist loyal. Studienplätze, zumal an der TU Dresden, waren begehrt. Die TU Dresden blieb auch unter den Bedingungen zunehmender Abschottung weiterhin eine national und international angesehene Institution. Als Rektor der Universität fungierte von Herbst 1961 bis 1965 der bereits mehrfach erwähnte Kurt Schwabe. Ordinarius für Elektrochemie und Physikalische Chemie. Als herausragende Wissenschaftlerpersönlichkeit von internationalem Rang wurde er von Walter Ulbricht, der sich mit Kurt Schwabe in Fragen von Wissenschaft und Wirtschaft beriet, hoch geschätzt. Das stärkte den neuen Rektor innerhalb und außerhalb der Universität. So konnte Kurt Schwabe zumindest teilweise wissenschaftsfremde politische und staatliche Einflussnahme auf die Universität abschwächen.35 Selbst 31 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 8004. 32 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 7979. 33 Vgl. Detjen, Marion, Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961 – 1989, Berlin, 2005, S. 130 ff. 34 Vgl. UA der TUD, Studentenakten, Nr. 6236. 35 Nach dem Bau der Mauer hatte das Präsidium des Ministerrats der DDR die Ordnung über die Arbeit mit den Kadern im Staatsapparat vom 6. September 1961 beschlossen. Kurt Schwabe stimmte dieser Ordnung zwar zu, teilte aber am 22. Februar 1962 dem Staatssekretariat mit, dass die Universität nur im „Allgemeinen“ davon betroffen wäre und sie deswegen nicht „zum Gegenstand einer besonderen Beratung im Senat“ gemacht werden müsse. Vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 70, Bl. 31.

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Medien in der Bundesrepublik, wie das Düsseldorfer Handelsblatt, zollten der TU Dresden hohen Respekt. Insbesondere wurden dabei die guten Studienbedingungen und die Sozialleistungen, wie die Zahlung von Stipendien, hervorgehoben.36 Neben entsprechenden fachlichen Leistungen wurde von den Studierenden ein Mindestmaß an gesellschaftspolitischem Engagement erwartet und zunehmend auch verlangt. Maßgeblich war die FDJ-Kreisleitung für die politische Arbeit und die Organisation der Freizeitgestaltung der Kommilitonen verantwortlich. Ihr unterstanden die Grundorganisationsleitungen in den Fakultäten beziehungsweise seit 1968 in den Sektionen und diesen wiederum die Seminargruppenleitungen. Die Studenten waren so eingebunden in ein hierarchisches System, das Einfluss nahm auf die politisch-ideologische Erziehung, die kulturelle Betreuung und die Unterstützung beim Studium. Der SED-Kreisleitung oblag die Anleitung und Kontrolle der FDJ an der Universität. Neben der FDJ nahmen auch die paramilitärische GST und weitere Organisationen wie beispielsweise die Deutsch Sowjetische Freundschaft (DSF), der Kulturbund und der Deutsche Turn- und Sportverband (DTSB) Einfluss auf das Freizeitverhalten der Studenten. Sie waren so in ein feinmaschiges Netz von gesellschaftlichen und staatlichen Organisationen eingebunden. Innerhalb der FDJ-Gruppen wurde teilweise sehr offen vor allem über Fragen der Innen- und Wirtschaftspolitik der SED und der Blockparteien diskutiert. Unter den Kommilitonen war insbesondere nach dem Bau der Mauer und der Beilegung der Kubakrise die Meinung verbreitet, dass nun offener und kritischer auch über Fragen des Politikstils gesprochen werden könne.

5.2.  Systemkritik und studentische Jugendkultur Auch in den Jahren nach dem Mauerbau wurde von der DDR-Führung weiter repressiv auf die Diskussion politischer Alternativen zur Politik der SED reagiert. Wenige Wochen nach dem Mauerbau war der Mainzer Student Bernhard Bilke nach Leipzig gereist, um in Absprache mit dem wenige Jahre zuvor aus der DDR geflohenen Schriftsteller Gerhard Zwerenz über den seit 1958 im Zuchthaus Bautzen einsitzenden Schriftstellerkollegen Erich Loest zu recherchieren. Bernhard Bilke hatte sich intensiv mit der DDR-Opposition beschäftigt und für die Mainzer Studentenzeitschrift „nobis“ bereits sieben Beiträge veröffentlicht, die sich kritisch mit der DDR auseinandersetzten. Während seiner Recherchetour war auch Literaturprofessor Hans Mayer von Bernhard Bilke besucht worden. Am Tag seiner geplanten Rückreise wurde er vom MfS verhaftet und Ende 1961 vom Leipziger Bezirksgericht zu einer dreieinhalbjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

36 Vgl. Handelsblatt Düsseldorf von Juni 1962.

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Bernhard Bilkes Haftzeit endete im Sommer 1964 im Zusammenhang mit einem Häftlingsfreikauf durch die Bundesrepublik.37 Dieses rein politisch motivierte Urteil sollte auf Bürger beider deutscher Staaten abschreckend wirken und Begegnungen mit diesem Hintergrund unterbinden. Andererseits verbreitete sich nach dem Mauerbau auch an den Hochschulen die Hoffnung, dass unter den Bedingungen des „ungestörten Aufbaus des Sozialismus“ nun offener über Probleme der Wirtschaft und der Innenpolitik in der DDR gesprochen werden könne. Diese Erwartungen erwiesen sich jedoch als Illusionen. So beschäftigte sich die Universitätsparteileitung im April 1962 mit dem „unparteimäßigen“ Verhalten von SED-Mitgliedern der Fakultät Kerntechnik, die auf Beschluss des Sekretariats des SED-Politbüros aufgelöst worden war. In den Dienstberatungen hatten die SED-Mitglieder diesen Politbürobeschluss nicht wie erwartet vor den parteilosen Kollegen verteidigt.38 Zwei Monate später wurden die Aktivitäten der Jungen Gemeinde von der Universitätsparteileitung diskutiert und Gegenmaßnahmen eingeleitet.39 Erstmals 1991 wurde durch Sigismund Kobe eine über fast drei Jahrzehnte verdrängte und vergessene politische Diskussion innerhalb der Leitungen der FDJ und der SED am damaligen Physikalischen Institut der TU Dresden öffentlich gemacht.40 In der Vorbereitung auf den VI. Parteitag der SED, der im Januar 1963 stattfand, hatte Walter Ulbricht zu offenen Diskussionen über Probleme der „sozialistischen Gesellschaft“ aufgefordert. Insbesondere junge Wissenschaftler und Studenten des Physikalischen Instituts hatten Ulbricht beim Wort genommen, kritische Fragen aufgeworfen und Alternativen angeboten. Mehrere Assistenten vom Institut für Marxismus-Leninismus, die das Lehrgebiet Politische Ökonomie vertraten, unterstützen die Kritik. Seit Juli 1962 setzte sich die Universitätsparteileitung mit den von ihr als abweichend bewerteten Auffassungen auseinander.41 Die Diskussion zielte auf eine Demokratisierung und Öffnung der DDR-Gesellschaft. Anfangs war vorsichtige Kritik an den starren Leitungsstrukturen geübt worden. Entsprechend der Parteidisziplin waren die vorgesetzten SED- und FDJ-Organisationen informiert und zu den Diskussionen eingeladen worden. Die während der Diskussionen geäußerten Überlegungen sind dann von dem Studenten und FDJ-Leitungsmitglied Frank Rieger in einer umfangreichen Niederschrift festgehalten worden. Auf deren Grundlage verfasste Ernst-Joachim Donth, Assistent 37 Vgl. Bericht von Dr. Jörg Bernhard Bilke, Bad Rodach, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Oktober 2008, S. 11. 38 Vgl. SHStA, SED-Kreisleitung, IV / 4. 15.035 n. f. 39 Vgl. Ebenda, IV / 4. 15.035. 40 Vgl. Sigismund Kobe, TU Dresden 1963. Parteifeindliche Plattform an der Physik – Versuch einer Analyse, in: Universitätsjournal der TU Dresden 1991, Nr. 14, S. 2. 41 Vgl. SHStA, SED-Kreisleitung, IV / 4. 15.035 / 036 n. f.

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am Physikalischen Institut, zwölf prägnante Thesen und eine Zusammenfassung der kritisierten Punkte. Anfang Januar 1963 wurden diese Papiere der SED-Leitung des Physikalischen Instituts übergeben, die diese in der folgenden Parteiversammlung den Parteimitgliedern zur Diskussion stellen sollte, was wiederum von der Hochschulparteileitung strikt untersagt wurde. Obwohl alle Beteiligten sich an die Vereinbarung hielten und diese kritischen Papiere nur in internen Zirkeln der SED- und FDJ-Leitung der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften zirkulieren ließen, gelangten sie in die Hände des Vorsitzenden der FDJ, Horst Schumann, der wiederum Walter Ulbricht informierte. Daraufhin wurde von ihm umgehend eine Kommission des ZK der SED eingesetzt, die in den Inhalten der geführten Diskussionen und Niederschriften eine parteifeindliche Plattform sah, die es zu zerschlagen galt.42 Dabei wurde den an der Universität tätigen Parteifunktionären mangelnde Wachsamkeit vorgeworfen, wobei sie offenen Angriffen auf die Partei und den Genossen Walter Ulbricht nicht entschieden entgegengetreten wären. Der Sekretär der Hochschulparteileitung, Willy Ehrlich, hatte sich an die Vereinbarung zur internen Diskussion der aufgeworfenen Probleme gehalten und nicht die übergeordneten Parteiorgane Bezirksleitung und ZK der SED informiert, was wenig später seine Absetzung als Chef der Hochschulparteileitung zur Folge hatte.43 Er wurde durch einen ideologisch hart durchgreifenden kommissarischen Sekretär ersetzt, der als Dozent im Hauptamt Politische Ökonomie lehrte. Neben Willy Ehrlich musste auch der Sekretär der Fakultätsparteileitung Werner Winkler seine Parteifunktion abgeben. Immerhin sieben Assistenten und Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus der TU verloren ihre Stellen. Sie waren gezwungen, die Universität zu verlassen, weil sie mit den kritischen Studenten und Assistenten diskutiert und sie zumindest teilweise in ihrer Kritik bestärkt hatten.44 Der FDJ-Sekretär des Physikalischen Instituts Georg Köhler wurde von seiner Funktion entbunden und exmatrikuliert. Gleichfalls musste Frank Rieger, damals Mitglied der FDJ-Leitung und Student im 4. Studienjahr, die Hochschule verlassen. Beide erhielten Parteistrafen. Der parteilose wissenschaftliche Assistent Ernst-Joachim Donth musste gleichfalls die Universität verlassen. Seine wissenschaftliche Kariere wurde dadurch nachhaltig behindert. Wiederum war deutlich geworden, dass offene Kritik, zumal an führenden Parteifunktionären, konsequent mit Verlust der Funktion, der Entlassung und der Exmatrikulation unterdrückt wurde. Die Mechanismen der Machtausübung der SED-Führung hatten schnell 42 Bisher konnte kein Exemplar der kritischen Papiere, insbesondere der Thesen ermittelt werden. Nach Berichten der Zeitzeugen mussten alle Aufzeichnungen vernichtet werden. 43 Willy Ehrlich übernahm später die Funktion des Vorsitzenden der BGL bzw. des Kreisvorstandes der Gewerkschaft Wissenschaft der TU Dresden. 44 Martin Schwedler, Günter Ludwig, Ulrich Bause, Dr. Werner Döhler, Dr. Wolfgang Wetzel, Dr. Horst Dohle und Werner Ragozat mussten das Institut verlassen.

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Wirkung gezeigt. Unter dem übergeordneten Druck hatten sich alle Beteiligten nach den politischen Auseinandersetzungen in den Fakultäts- und Institutsparteileitungen sowie der FDJ-Leitung von der „parteifeindlichen Plattform“ distanziert. Mit schriftlichen Stellungnahmen mussten Angehörige der SED-Organisation des Physikalischen Instituts und des Instituts für Marxismus-Leninismus sich für die Entstehung der „Plattform“ verantworten und Schlussfolgerungen für künftiges Verhalten ziehen.45 Im Jahr 1990 resümierte Georg Köhler zu den damaligen Ereignissen rückblickend: „Aus heutiger Sicht möchte ich sagen, es war eine Abrechnung stalinistischer Methoden in der DDR mit Ausblick auf einen demokratischen Sozialismus. Es wurden auch die Privilegien höchster Parteifunktionäre angemahnt.“46 Mit der Herabsetzung und Zerschlagung der offen geführten Diskussionen war den Universitätsangehörigen erneut deutlich vor Augen geführt worden, dass ein Abweichen von der vorgegebenen politischen Linie oder gar ein Infragestellen der Kompetenz und der moralischen Autorität von führenden Funktionären unmöglich war. Eine Solidarisierung mit den Gemaßregelten hatte in gewisser Weise eine gesellschaftliche Ausgrenzung zur Folge, was tendenziell zu verstärkter Anpassung und Selbstzensur bei den Universitätsangehörigen führte. Im Frühjahr 1963 waren zwei Studenten der Chemie und ein Student aus der Fakultät Bauwesen an der Ostsee festgenommen worden. Die Verhaftung erfolgte, nachdem sie bereits den Fluchtversuch abgebrochen hatten. Daraufhin wurde von einer gerichtlichen Verurteilung abgesehen. Auch der Disziplinarausschuss der Universität47 verzichtete auf die Exmatrikulation der Studenten und beließ es bei einem „strengen Verweis“. Während sich die Angehörigen der Seminargruppe des Bauingenieurstudenten für ein Weiterstudium ihres Kommilitonen eingesetzt hatten, forderten die Mitglieder der Seminargruppe der beschuldigten Chemiestudenten deren Exmatrikulation. In einem Schreiben an den Rektor hatten sie zudem ihr Unverständnis über die Entscheidung des Disziplinarausschusses zum Ausdruck gebracht, zumal ein beschuldigter Student keine Reue gezeigt hätte. Während der Kollegiumssitzung des Rektorats am 3. Mai 1963 verwies Prorektor Hans Frühauf auf den Vorrang von „Erziehung“ gegenüber der „Sühne“. Zudem wäre es besser gewesen, wenn die Seminargruppe bessere Erziehungsarbeit ge-

45 Vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, IV / A 4. 15.005. 46 Schreiben von Dipl.-Phys. Georg Köhler an den Rektor der TU Dresden Prof. Dr. Günther Landgraf vom 21. April 1990. 47 Dem Disziplinarausschuss gehörten neben dem Rektor folgende Mitglieder an: Ein Professor als Stellvertreter, der Prorektor für Studienangelegenheiten, ein Vertreter der Gewerkschaft, ein Vertreter der FDJ-Hochschulgruppe, der jeweils zuständige Dekan bzw. Fachrichtungsleiter sowie der verantwortliche Seminargruppensekretär.

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leistet hätte.48 Der Prorektor versuchte, mit seiner Argumentation ein erneutes verschärftes Disziplinarverfahren abzuwenden. Im Gegensatz dazu als zu „weich“ bezichtigte sich der ebenfalls anwesende FDJ-Kreissekretär. Im Ergebnis der Kollegiumssitzung wurde beschlossen, dass der Rektor gemeinsam mit der Seminargruppe und dem beschuldigten Kommilitonen eine Aussprache führen wird.49 Damit war diese Angelegenheit im Sande verlaufen. Bei einer gerichtlichen Verurteilung nach gescheiterter „Republikflucht“ blieb der Universitätsleitung kein Ermessensspielraum. So wurde am 10. Dezember 1963 ein Student der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften „wegen versuchter Republikflucht zeitweilig vom Studium an allen Universitäten und Hochschulen der DDR ausgeschlossen.“50 Die Unzufriedenheit innerhalb der Dresdner Studentenschaft mit der Reglementierung des Lebens in der DDR und speziell an der Universität wurde besonders bei der folgenden kollektiven Aktion von Studenten deutlich. So hatten sich während des Ernteeinsatzes im Herbst 1965 acht Studenten, die im ersten Semester Chemie studierten, zu einer Gruppe zusammengefunden, der sie den Namen „Studentische Nationale Oppositionspartei“ (SNOP) gegeben hatten. Sie wollten damit ein Forum für freie und unabhängige Diskussionen schaffen. Die Kommilitonen hatten Statuten aufgestellt, Mitgliedskarten ausgegeben, Beiträge erhoben und Funktionen festgelegt. Nicht zu Unrecht sahen Funktionäre und Hochschullehrer in den Aktivitäten der jungen Studenten oppositionelles Potenzial. Anfang Dezember 1965 eröffnete die Universität gegen die Studenten ein Disziplinarverfahren. Die Studenten wurden beschuldigt, eine „illegale Organisation“ gegründet zu haben, die gegen den Staat DDR gerichtet sei. Die FDJ-Kreisleitung hatte in ihrer Sitzung im Dezember 1965 den Ausschluss der vier Initiatoren der Gruppe aus der Jugendorganisation beschlossen und ihre Exmatrikulation gefordert. Im Ergebnis des Disziplinarverfahrens wurden vier Studenten entsprechend der Disziplinarordnung für Studierende der Universitäten und Hochschulen vom 26. April 1957 für einen Zeitraum von zwei Jahren vom Studium ausgeschlossen.51 Ihre ebenfalls der eher imaginären Organisation angehörenden Kommilitonen durften das Studium fortsetzen.

48 Auszug aus dem Protokoll der 9. Kollegiumssitzung des Rektorats vom 3. Mai 1963, vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 144, n. f. 49 Vgl. Ebenda. 50 Disziplinarverfahren am 10. Dezember 1963, vgl. ebenda 51 Schreiben des Direktors des Instituts für Anorganisch-Technische Chemie an den Prorektor für Studienangelegenheiten vom 9. Dezember 1965, Schreiben der FDJ-Kreisleitung vom 11. Dezember 1965 und Disziplinarverfahren vom 14. Dezember 1965, vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 675, n. f.

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Dieser Fall hatte erneut gezeigt, dass ein Teil der Studentenschaft das politische und wirtschaftliche System der DDR kritisch betrachtete und nach Alternativen suchte. Während im westdeutschen Teilstaat ab Mitte der 1960er Jahre Studenten tradierte Verhältnisse in der Gesellschaft und insbesondere an den Universitäten und Hochschulen durch Fundamentalkritik, Aufruhr und alternative Lebensformen infrage stellten, blieb es an den Universitäten und Hochschulen der DDR, anders als in Polen und der ČSSR, weitestgehend ruhig. Nur vereinzelt flackerte Widerstand gegen die dogmatische Kulturpolitik auf, wie im Oktober 1965, als Hunderte Oberschüler, Lehrlinge und Studenten in Leipzig gegen das Verbot von Beatgruppen protestierten und von den Sicherheitskräften unter Einsatz von Bajonetten, Wasserwerfern und Hunden auseinandergetrieben wurden. Viele Demonstranten wurden festgenommen. Es war die seit dem 17. Juni 1953 größte gegen staatliche Maßnahmen gerichtete Demonstration in der DDR. Eigentlich waren die DDRBeatgruppen, deren Musik auch vom Jugendsender DT 64 ausgestrahlt wurde, seit Anfang der 60er Jahre sogar von der SED gefördert worden, um den Jugendlichen eine Alternative zu den westlichen Bands zu bieten. In der SED-Führung hatten sich aber schon bald die Hardliner um Walter Ulbricht durchgesetzt, die diese Gruppen als subversiv und konterrevolutionär einschätzten. Die Möglichkeiten für kritische Äußerungen waren sehr begrenzt. Begrenzte Kritik an den realen politischen Verhältnissen der DDR war in Form der Kleinkunst der Kabaretts, wie sie von den Leipziger Academixern und der Dresdner Herculeskeule praktiziert wurde, durchaus möglich. Zu Foren begrenzter Kritik hatten sich die in den 1960er Jahren die Studienjahresabschlussfeste entwickelt. Dabei entwickelten die Kommilitonen viel Phantasie und zelebrierten ihre Feste weitestgehend unabhängig von Genehmigungen der Universitätsleitung und der gesellschaftlichen Organisationen. So war es seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre bei den Studenten der Fakultät Elektrotechnik zur Tradition geworden, das Studienjahr mit Umzügen und humoristischen Festreden unter dem Motto der „ET-Fine“ (Elektrotechnik zu Ende) mit viel Klamauk zu beschließen. Dieser Anlass wurde von den Absolventen jedes Jahr wiederkehrend im Juni mit dem Hissen einer gelben Fahne mit einem passenden Jahressymbol auf dem Turm des Barkhausenbaus, dem Domizil der Elektrotechniker, eröffnet. Während der unabhängig von den Organisationen durchgeführten Veranstaltungen fehlte es auch nicht an Bezügen auf die Tagespolitik. So hatte im Juni 1962 ein Absolvent die Vorlesung von Nikolaus Joachim Lehmann, einem bekannten Professor für Rechentechnik, imitiert und dabei mit Bezug auf die „Grenzwert-Berechnung“ und die Geschichte der chinesischen Mauer das Grenzregime der DDR aufs Korn genommen.52 Während solche Anspielungen unter Rektor Kurt Schwabe 1962 noch folgenlos blieben, untersagte seine Amtsnachfolgerin 1967 die „ET-Fine52 Vgl. Der Spiegel 21 (1967) Nr. 28 vom 3. Juli 1967, S. 24 f.

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Feiern“ in der traditionellen Form. Allenfalls wurde den Studenten die Erlaubnis für eine geschlossene Veranstaltung unter der Beteiligung des Professorenkollegiums in Aussicht gestellt. Dabei sollte unter Androhung der Exmatrikulation das Programm vor der Aufführung zur Zensur vorgelegt werden. Nach diesem Verbot erschienen am 10. Juni 1967 die Absolventen nicht wie üblich in Monteuranzügen sondern in Trauerkleidung zur großen Vorlesung des bereits erwähnten Hochschullehrers. Am Ende der Vorlesung verkündete ein in Schwarz gekleideter Absolvent vom Katheder herab das von der Rektorin ausgesprochene Verbot von „ET-Fine“.53 Trotzdem fuhren wie jedes Jahr die Absolventen der Elektrotechnik mit einem festlich geschmückten und mit Losungen beschrifteten alten Straßenbahn-Triebwagen durch die Stadt und unterhielten die an den Haltestellen Wartenden mit humorvollen Gesängen. Obwohl die Studenten von den Dresdner Straßenbahnern unterstützt wurden, kam es zum Eklat mit der Universitätsleitung. Nur dem Einsatz des Dekans der Fakultät Elektrotechnik Werner Lunze war es zu verdanken, dass die Exmatrikulation der für das Fest verantwortlichen Studenten verhindert wurde. Damit hatte die Tradition der „ETFine“ ihr Ende gefunden.54 Überkommene Moralvorstellungen und politisches Misstrauen lagen einem Ende 1966 gegen 14 Studenten der Fakultät Technologie geführten Disziplinarverfahrens zugrunde. Die SED-Mitglieder unter den Kommilitonen mussten sich zusätzlich einem Parteiverfahren stellen. Der Anlass für die rigide Disziplinierung lag außerhalb der Universität. Die betroffenen Studenten hatten gemeinsam mit zwei Angehörigen des Forschungsinstituts „Manfred von Ardenne“, sieben Studentinnen der Medizinischen Fachschule Dresden und dem Busfahrer in der Nacht vom 12. zum 13. November 1966 ausgelassen ihr Bergfest in einem Hotel in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge gefeiert. Mehrere Kommilitonen hatten sich dabei unter Einfluss von Alkohol nicht entsprechend der Normen der „sozialistischen Moral“ verhalten. Daraufhin beschwerten sich die Wirtsleute und ein weiblicher Hotelgast beim Forschungsinstitut „Manfred von Ardenne“, das den Brief an die Universität weiterleitete. Von den mit der Untersuchung des Falls beauftragten Assistenten des Instituts für Betriebswissenschaften und Normung wurden wie in einem längeren Gerichtsverfahren Zeugen vernommen und schriftliche und mündliche Einlassungen protokolliert. Gleichzeitig sollte der „negative Kern“ der Gruppe isoliert werden. Im Ergebnis des Verfahrens beantragte der Institutsdirektor Kurt Koloc beim Disziplinarausschuss der Universität gegen drei Studenten die Exmatrikulation, gegen zwei weitere sollte ein „strenger Verweis“ und gegen die restlichen neun Studenten ein „schriftlicher Verweis“ ausgesprochen werden. 53 Ebenda. 54 Vgl. Enzo Schütze: Das letzte „ET-Fine“, in: Kontakt Magazin der TU Dresden, Heft 2, Dresden, 1996, S. 20.

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Das Verfahren gegen die Studenten wurde genutzt, um ein Exempel zu statuieren. Der Bericht des Institutsdirektors an den Disziplinarausschuss verdeutlicht diese Absicht: „Die gegenwärtige Häufung disziplinarischer und politischer Verfehlungen der Studenten der TU allgemein und die seit langem in der Seminargruppe 7 / 2 beobachteten und auch vom IBM [Institut für Betriebswissenschaft und Normung] bekämpften negativen Tendenzen zwingen zu einer konsequenten Untersuchung des Falles Annaberg mit dem Ziel einer harten, aber gerechten Bestrafung der Schuldigen.“55 Der Bericht war die Grundlage für das weitere Verfahren durch den Disziplinarausschuss, der verschärfend den Inhalt der Bergfestzeitung als zentralen Belastungspunkt einbezog. Die Studenten hatten sich kritisch mit der Wirtschaft der DDR auseinandergesetzt und insbesondere den Widerspruch zwischen Propaganda und Realität aufgezeigt. So griff der Disziplinarausschuss die eher humorvolle Aussage „Vortrupp aller sozialistischen Kader ist die Radeberger Bierbrauerei“ auf, um den Mangel an politischem Bewusstsein der Studenten aufzuzeigen. Die Rektorin der Universität Lieselott Herforth, die gleichzeitig Mitglied des Staatsrates der DDR war, hatte die Studenten in ihr Dienstzimmer zitiert, um ihr Missfallen sowohl in moralischer als auch politischer Hinsicht über das Bergfest auszudrücken. Im Ergebnis seiner weiteren Verhandlungen verschärfte der Disziplinarausschuss das vorgesehene Strafmaß. Eigentlich sollte der Student Udo Schnabowitz sein Studium fortsetzen dürfen. Er war selbst von den Beschwerdeführern als derjenige eingeschätzt worden, der mäßigend auf seine Kommilitonen eingewirkt und sich um Verständigung zwischen den Wirtsleuten und den Studenten bemüht hatte. Als wesentlicher Belastungspunkt gegen Udo Schnabowitz wurde nun „verschärfend“ seine Beteiligung an der Erstellung der Bergfestzeitung hervorgehoben.56 Udo Schnabowitz und drei weitere Studenten der Seminargruppe mussten nach den Beschlüssen des Disziplinarausschusses vom 22. Dezember 1966 ihr Studium an der TU Dresden unterbrechen.57 Sie sollten sich in der Dresdner Industrie und den Verkehrsbetrieben „bewähren“, wobei ihnen die Wiederaufnahme des Studiums nach einem Jahr praktischer Tätigkeit in Aussicht gestellt wurde.58 Der ebenfalls exmatrikulierte Student Michael Borstel hat seine Erinne55 UA der TUD, Fakultät Mathematik / Naturwissenschaften, Nr. 258, n. f. 56 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 23190. 57 Neben Udo Schnabowitz wurden seine Kommilitonen Michael Borstel, Egon Hesse und Hans-Stefan Peterlowitz mit einem Beschluss des Disziplinarausschusses der TU Dresden zeitweilig vom Studium an allen Universitäten und Hochschulen der DDR ausgeschlossen. 58 Udo Schnabowitz musste das Studium für ein Jahr unterbrechen und sich in beruflicher „Praxis“ bewähren. Danach konnte er das Studium fortsetzen und Anfang 1970 als Diplom-Ingenieur erfolgreich beenden. Später war er als Ingenieur in leitenden Positionen im Kombinat Robotron tätig. Nach 1991 gründete er die Firma Multitec GmbH, die Blindenschreibmaschinen produziert (Interview am 30. November 2007). Sein Kommilitone Michael

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rungen an die Vorgänge um das Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit seiner Rehabilitierung niedergeschrieben. Er bestätigt darin, dass nur die Studenten zeitweise vom Studium ausgeschlossen wurden, die die Bergfestzeitung verfasst, vervielfältigt und verteilt hatten. Obwohl er während der so genannten „Vorfälle“ gar nicht anwesend war, da er zwischenzeitlich mit einigen anderen Kommilitonen eine andere Gaststätte aufgesucht hatte, wurde er wie die Studenten Udo Schnabowitz und Stefan Peterlowitz als Mitverfasser der Bergfestzeitung exmatrikuliert. Mit solchen Disziplinarmaßnahmen wurden den Studenten Grenzen aufgezeigt, deren Überschreitung zumindest zeitweise den Verlust des Studienplatzes zur Folge haben konnte. Im Gegensatz zu moralischen Abweichungen wurde das Überschreiten parteipolitischer Normen nicht toleriert. In den folgenden Jahren standen mehrfach die Bergfestfeiern in der Kritik. So wurde im November 1972 vom Sekretariat der SED-Kreisleitung der TU Dresden die Bergfestzeitung eines Studienjahres als „politische Provokation“ kritisiert und der Vorwurf des „Sozialdemokratismus“ erhoben.59

5.3.  Reaktionen auf den „Prager Frühling“ 1968 In San Francisco, Paris, Westberlin und in anderen Universitätsstädten protestierten die Studenten gegen das Establishment, verurteilten den Vietnamkrieg der Amerikaner, forderten überfällige gesellschaftliche Reformen ein und zelebrierten eine Lebensweise, die sich ganz bewusst gegen bürgerliche Vorstellungen von Familie und Moral wandte.60 In diesen Monaten drängten auch die Studenten in der Tschechoslowakei und in Polen auf überfällige Reformen in ihren Staaten. Die Prager Studenten trieben den Demokratisierungsprozess in ihrem Land mit besonderem Nachdruck voran. Die Universitäten und Hochschulen der DDR waren in dieser Zeit mit internen Auseinandersetzungen beschäftigt. Die Beschlüsse der III. Hochschulreform mussten entsprechend der zentralen Weisungen zum Teil gegen erbitterten Widerstand von Hochschullehrern durchgesetzt werden. Die Strukturen mit Fakultäten und Instituten wurden auch der TU Dresden radikal verändert. Die Fakultäten verloren ihre Bedeutung und wurden auf ausgewählte Funktionen des akademischen Alltags begrenzt. Die neu gegründeten Sektionen unterstanden nach dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ der Universitätsleitung, deren Stellung weiter gestärkt wurde. Wesentliche Ziele der Hochschulreform waren Borstel wurde gleichfalls nach der einjährigen „Bewährungsphase“ als Hilfsarbeiter reimmatrikuliert und konnte 1969 sein Studium als Diplom-Ingenieur abschließen. 59 SHStA, SED-Kreisleitung, IV / C 4.15.021. 60 Vgl. Norbert Frei: 1968. Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008, 285 S.

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die Effizienzsteigerung im Ausbildungs- und Erziehungsprozess und nicht zuletzt der forcierte Ausbau der Wirtschaftskontakte. Die Studienrichtungen erfuhren mit der Einführung von Regelstudienzeiten eine Straffung. Gleichfalls führte die Hochschulreform zu einer Aufwertung der Technikwissenschaften und damit einhergehend zur Gründung von ingenieurwissenschaftlichen Sektionen an den traditionellen Universitäten. Diese Entwicklung wurde von Wissenschaftlern der TU Dresden beispielsweise auf dem Gebiet der Fertigungstechnik nachhaltig unterstützt 61 Mit der Hochschulreform war aber auch eine weitere Verschulung der Studienrichtungen verbunden. Politische und fachliche Aufgaben mussten nun als Einheit betrachtet werden. Das wurde deutlich in der Förderung der marxistischleninistischen Organisationswissenschaft und der Kybernetik.62 Die TU Dresden war wie die anderen Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR für die folgenden rund zwei Jahrzehnte von diesem einschneidenden, wesentlich von der SED- und Staatsführung gesteuerten Prozess geprägt worden, der von Ambivalenz gezeichnet war. Neben seinem politisch-ideologischen Impetus war er gleichfalls durch bildungsökonomische Grundsatzentscheidungen gekennzeichnet, deren Zielstellungen auch heute unter völlig anderen gesellschaftspolitischen Voraussetzungen zur hochschulpolitischen Agenda gehören: die permanente Anpassung der Hochschulbildung an die Arbeitswelt, die Notwendigkeit einer ständigen Weiterbildung und die Profilbildungen zur Effizienzsteigerung in Lehre und Forschung. Insgesamt stellte die III. Hochschulreform eine autoritäre, wesentlich von „oben“ oktroyierte Antwort der SED-Führung auf einen Modernisierungsstau an den Hochschulen und Universitäten dar, der weltweit deutlich geworden war.63 Gleichzeitig brachte die Hochschulreform den Studenten wirtschaftliche Vorteile durch Stipendien, die unabhängig vom Einkommen der Eltern gewährt wurden. Dieses System bot differenzierte Leistungsanreize. Insgesamt verbesserte die Hochschulreform die Entwicklungschancen der akademischen Jugend, von der wiederum eine entsprechende Disziplin in fachlicher und politischer Hinsicht erwartet wurde. Die strengen Auswahlkriterien vor der Aufnahme des Studiums 61 Vgl. Dresdner Schule der Fertigungstechnik, herausgegeben vom Lehrstuhl für Produktionsautomatisierung, Zerspan- und Abtragetechnik des Instituts für Produktionstechnik der TU Dresden und vom Freundeskreis der Dresdner Zerspan- und Abtragetechnik (FDZAT) e.V., Dresden, 2003, S. 58 f. 62 Vgl. Die Verwirklichung der Hochschulreform auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Konferenz am 3. Juli 1968 an der Technischen Universität Dresden. Mit einem Vorwort des Direktors der Sektion Sozialistische Betriebswirtschaft der Technischen Universität Dresden (als Manuskript gedruckt), Dresden, 1968, 237 S. 63 Vgl. Wolfgang Lambrecht, Wissenschaftspolitik zwischen Ideologie und Pragmatismus. Die  III. Hochschulreform (1965–71) am Beispiel der TH Karl-Marx-Stadt, Waxmann, Münster / New York / München / Berlin, 2007, S. 346 f.

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trugen wesentlich dazu bei, dass die meisten Studenten sehr wohl darauf bedacht waren, ihr Studienziel zu erreichen und es nicht durch mangelnde Leistungsbereitschaft zu gefährden. Letztlich befanden sich die Studierenden in der DDR in einem Spannungsfeld zwischen Privilegierung und Disziplinierung.64 So war die TU Dresden ein Vorreiter bei der Durchsetzung der gezielten Absolventenlenkung, wonach der gesellschaftliche Bedarf als Kriterium für den künftigen Tätigkeitsbereich entscheidend wurde. Während in der westlichen Welt die studentische Jugend überkommene gesellschaftliche Strukturen infrage stellte, waren die Studenten in der DDR weitgehend in die Organisationsstrukturen des autoritären Staates eingebunden und konnten nur in den vom politischen System vorgegebenen Bahnen agieren. Diese autoritären Rahmenbedingungen wurden von der Generation der Eltern der Studenten durchaus positiv gesehen, die, wie die Elterngeneration in der Bundesrepublik der Radikalisierung der Studentenbewegung ausgesprochen kritisch gegenüberstanden. Der Hochschulpolitiker Peter Glotz hat 1998 in einem Resümee die Auswirkungen der Studentenproteste auf die Geschichte der Bundesrepublik treffend zusammengefasst: „Habituell hat 1968 die deutsche Gesellschaft aber verwandelt, vielleicht nicht ins Positive, wohl aber ins Kommende. Das zeigt nichts deutlicher als ein Vergleich der West- und Ostdeutschen. Die einen haben dieses als ‚mystisches’ Jahr durchlaufen, die anderen nicht. In der Beziehung zwischen Kindern und Eltern, Vorgesetzten und Untergebenen, Männern und Frauen, haben sich jahrhundertealte Stereotype gelöst.“65 Die mit einem gesellschaftlichen Aufbruch verbundenen politischen Entwicklungen vor allem in der ČSSR trugen wesentlich dazu bei, dass an den Universitäten und Hochschulen der DDR zunehmend kritisch über Entscheidungen der SED-Führung und der Regierung der DDR diskutiert wurde. Die Hochschulreform war für sie ein Versuch, diese Kritik namentlich aus Kreisen der Intelligenz zu kanalisieren und Reformbereitschaft zu signalisieren. Diese Wirkung wurde allerdings aufgrund der parteipolitischen Überfrachtung und die Methoden des Diktierens zunichte gemacht. Bereits im März 1968 registrierte das MfS angesichts der Entwicklungen in Polen und der ČSSR Anzeichen von Protest an den Universitäten und Hochschulen der DDR. Namentlich aufgeführt wurden die Humboldt-Universität zu 64 Vgl. Stefan Wolle, Fröhliche Lieder, westdeutscher Quatsch und Prager Frühling. Die DDRUniversitäten im Jahre 1968, in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat, Ausgabe Nr. 22 / 2007, herausgegeben vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, Berlin, 2007, S. 18–33, hier S. 19. 65 Peter Klotz, Unter Schmerzen die Zukunft geboren, vgl. Rheinischer Merkur vom 28. August 1998, zitiert in: Die Studentenproteste der 60er Jahre. Archivführer – Chronik – Bibliographie, herausgegeben von Thomas P. Becker und Ute Schröder, Köln / Weimar / Wien, S. 11.

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Berlin, die TU Dresden, die Karl-Marx-Universität Leipzig, die Universität Halle, die Technische Hochschule Ilmenau und die Ingenieurschule Köthen. In Dresden hatte ein Hochschullehrer die Studenten aufgefordert, Radio Prag zu hören und die Meinung vertreten, dass die Zeit des „doktrinären Sozialismus“ abgelaufen sei.66 Der Einfluss des Prager Frühlings auf die Studenten der DDR sollte nicht unterschätzt werden. So registrierte das MfS im Juli 1968 den Auftritt von tschechoslowakischen Gastrednern in der Ostberliner evangelischen Studentengemeinde.67 In der Mehrzahl waren es aber jüngere Arbeiter, die, nach einer im Oktober 1968 von der Generalstaatsanwaltschaft der DDR angefertigten Statistik, ihre Sympathien für die politische Entwicklung unter Alexander Dubček bekundet hatten und deshalb unter Anklage gestellt wurden. Während der Anteil bei der „Intelligenz“ bei 1,7 Prozent lag, waren Schüler und Studenten mit immerhin 8,5 Prozent in dieser Statistik erfasst worden.68 Das MfS zählte bis zum 29. August 1968 sogar 1742 Straftatbestände, die im Zusammenhang mit der Niederschlagung der Prager Demokratiebewegung standen.69 Als im August 1968 die Truppen des Warschauer Vertrags in die ČSSR einmarschierten, wurde an den Universitäten und Hochschulen der DDR teilweise heftig und kritisch über die Invasion diskutiert. Vereinzelt bekundeten Studenten ihre Solidarität und protestierten mit Flugblättern gegen die Okkupation. Obwohl die Truppen der NVA nicht unmittelbar an der Invasion beteiligt waren, hatte die SED-Führung in der Öffentlichkeit den Eindruck einer „gleichberechtigten“ Teilnahme von DDR-Militär erweckt. Die an der Humboldt-Universität immatrikulierten Studenten Rainer Schottlaender, Sohn des 1949 entlassenen Dresdner Philosophieprofessors Rudolf Schottlaender, und Michael Müller hatten ihre Sommerferien in Prag verbracht und waren begeistert von der dortigen politischen Entwicklung nach Berlin zurückgekehrt. Die Perspektive eines demokratischen Sozialismus oder eines Sozialismus mit „menschlichem Antlitz“ entsprach auch ihren Vorstellungen. Sie wollten dazu beitragen, dass ähnlich wie in der Tschechoslowakei auch in der DDR Reformen eingeleitet werden. Deshalb entwarfen und schrieben sie einprägsame Texte für Hunderte Flugblätter, wobei sie die dogmatische Auslegung des Marxismus und den Repressivapparat der DDR infrage stellten und Reformen einforderten. Die regimekritischen Flugblätter hinterlegten sie im November 1968 im großen Hörsaal Nummer 2002, dem Auditorium Maximum der Humboldt-Uni66 67 68 69

Stefan Wolle, a. a. O., S. 25. Ebenda. Vgl. Norbert Frei, a. a. O. S. 206. Vgl. Konstantin Hermann, Der Prager Frühling und die sächsische Landesgeschichte, in: Mitteilungen des Vereins für sächsische Landesgeschichte e. V., Neue Folge, 7(2009), herausgegeben vom Vorstand für sächsische Landesgeschichte e.V., Dresden, 2009, S. 45.

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versität. Einige Wochen später deponierten sie mehrere Packen mit Flugschriften im Physikhörsaal. Das MfS leitete daraufhin eine groß angelegte Fahndungsaktion ein und beobachtete die Universität rund um die Uhr.70 Die geografische Nähe Dresdens zur böhmischen Grenze, die traditionell intensiven Kontakte zum Nachbarland ČSSR und die Tatsache, dass viele Einwohner der ehemaligen Bezirke Dresden und Karl-Marx-Stadt Zeugen des militärischen Einmarschs von Truppen des Warschauer Vertrags geworden waren, hatte nicht zuletzt bei vielen Angehörigen der TU Dresden politische Fragen nach der Rechtmäßigkeit des militärischen Eingreifens aufgeworfen. An der Universität Leipzig, der Bergakademie Freiberg und der TU Dresden protestierten mehrere Hochschulangehörige, vor allem Studenten, gegen die Invasion. Neben der Propaganda setzte der Staat auf repressive Maßnahmen, um diese Proteste zu unterdrücken. Darauf reagierten Staat und Hochschulen mit Verhaftungen, Disziplinarstrafen und politischen Prozessen. So wurde eine Bibliotheksmitarbeiterin der TU Dresden, die den Einmarsch als Touristin in Prag erlebt hatte und die Invasion im größeren Kollegenkreis kritisierte wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt.71 Wie diese Bibliotheksangestellte sowie die Berliner Kommilitonen Rainer Schottlaender und Michael Müller hatten viele Dresdner Studenten einen Teil ihrer Semesterferien im Nachbarland Tschechoslowakei verbracht und waren dabei unmittelbare Zeugen der Demokratisierung und der nachfolgenden Okkupation geworden. So erlebte Wilfried Schneider, Student an der Sektion Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, die Invasion und die dadurch hervorgerufene Entrüstung und Verzweiflung der Menschen im Nachbarland. Dieses politisch einschneidende Erlebnis hatte ihn zutiefst erschüttert und in seiner Protesthaltung gegen die Okkupation bestärkt, die er auch gegenüber seinen Kollegen im Praktikumsbetrieb VEB Pentacon Dresden zum Ausdruck brachte. Deshalb wurde er am 10. September 1968 vom MfS in Untersuchungshaft genommen.72 Nachdem die Staatsanwaltschaft Dresden die Universität darüber informiert hatte, wurde Wilfried Schneider exmatrikuliert und aus der FDJ ausgeschlossen. Monate später kaufte ihn die Bundesrepublik frei.73 Auch anderer Studenten der Universität wollten sich mit der Invasion nicht abfinden. Die befreundeten Studenten der Sektion Verarbeitungs- und Verfahrens70 Vgl. Rainer Schottlaender. Allein gegen die Stasi oder das teuerste Flugblatt der Welt. Eine Dokumentation von ARTE / RBB, Deutschland, 2008. Ausgestrahlt am 30. Juli 2008, 21.55 Uhr von ARTE. 71 Vgl. Konstantin Hermann, a . a. O., S. 45. 72 Vgl. UA der TUD, IX 9986. 73 Rechtsanwalt Wolfgang Vogel forderte im August 1969 die Universität auf, dem inzwischen in der BRD lebenden ehemaligen Studenten der TU Dresden das Vordiplom-Zeugnis auszuhändigen. (Schreiben von Rechtsanwalt Jochen Vogel vom 14. August 1969, vgl. ebenda.)

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technik Peter Ziesecke, Peter Hellmund und Klaus Elle hatten sich unmittelbar nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Vertrages in der Tschechoslowakei zu einer gemeinsamen widerständigen Aktion entschlossen. Die Initiative ging dabei von Peter Ziesecke aus, der mit 28 Lebensjahren rund fünf Jahre älter als seine beiden Kommilitonen war. Er wohnte zur Untermiete bei seinem Freund Klaus Elle in Radebeul, der sich das bescheidene Appartement mit Frau und Kind teilte. Hier diskutierten und fertigten die drei Studenten Flugblätter, in denen sie die Dresdner Bevölkerung aufforderten, offen über den Charakter der Invasion zu sprechen. Dabei stritten die Studenten kontrovers über die Textentwürfe. So wollte Peter Ziesecke im ersten Entwurf mit scharfen Formulierungen umfassende politische Reformen einfordern und die Staatsmacht der DDR infrage stellen. Diese Formulierungen waren seinen Kommilitonen zu aggressiv. Letztlich verständigten sie sich auf einprägsame Formulierungen, in denen die Auffassungen der Studenten und die offizielle Propaganda als Antipoden gegenübergestellt wurden: „Dresdner – Wo stehst Du? Brüderliche Hilfe? – Invasion! 4 Marionetten? – 13 Millionen Brüder! Kremldiktatur? – Soz.[ialistische] Demokratie! Über 60 Tote klagen an! Bist Du Parteibuch oder Mensch? Ferien in der ČSSR! – Wo bleibt Dein Gewissen! Habt Mut zur Wahrheit! – Fordert die Diskussion! Dresdner wie Du – Aug[ust] 68 – weitergeben.“74 Für die Herstellung der Flugblätter nutzten sie einen Druckkasten für Kinder, den sie in einem Radebeuler Spielwarengeschäft erworben hatten. In den späten Abend- und Nachtstunden des 23. August verteilten sie etwa 1200 Flugblätter im Dresdner Stadtgebiet, so am Terrassenufer, am Postplatz, auf der Prager Straße und im Universitätsgelände. Als gegen Mitternacht vom 23. zum 24. August 1968 die Studenten ihr Ziel fast erreicht hatten und ihre Flugblätter weiträumig über das Stadtgebiet verteilt waren, wurde als erster Peter Hellmund von einem Volkspolizisten verhaftet, der den Studenten gerade in dem Moment beobachtete, als er die restlichen Flugblätter in der Nähe eines Studentenwohnheims ablegte.75 Am 24. August wurden Peter Ziesecke und Klaus Elle festgenommen. Noch am gleichen Tag begannen die Verhöre, die bis in den Oktober 1968 fortgesetzt wurden. Peter Ziesecke galt als Hauptbeschuldigter und Initiator. Von seinen politischen Positionen rückte er auch während der Verhöre nicht ab. Er bekannte 74 BStU, Außenstelle Dresden, Vorgang zu Peter Ziesecke (Vernehmungs- und Gerichtsprotokolle, im Besitz von Herrn Peter Ziesecke), Bl. 351. 75 Vgl. ebenda, Bl. 289.

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sich auch zu seiner kritischen Stellungnahme zum Aufruf zum Volksentscheid über die neue Verfassung vom 6. April 1968. So hatte er Handzettel anonym im Universitätsgelände hinterlegt und ein Exemplar an einen Baumstamm auf der George-Bähr-Straße geheftet.76 Peter Ziesecke hatte mit dieser Stellungnahme auf die gravierenden Widersprüche in der Gesellschaft aufmerksam machen und dabei das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit sowie Demokratiedefizite offenlegen wollen. So stellte er einleitend die Frage: „Was nützt uns ein fast 100%iges ‚Ja’ [zum Verfassungsentwurf ], wenn davon mindestens 50% der Stimmen nicht der inneren Überzeugung entsprechen. Die Partei sollte ihre Politik der Meinungsumbildung überprüfen. Dieser ständige Beschuß durch Funk und Fernsehen, die Sichtwerbung durch Losungen und Transparente an jeder Ecke, in jedem Schaufenster entspricht wirklich nicht mehr den modernen Anforderungen der technischen Revolution, die sich auch in der Meinungsbildung niederschlägt.“77 Gleichzeitig stellte er die Perspektive des „Sozialismus“ nicht zur Disposition: „Man soll uns Studenten nicht nachsagen, daß wir gegen den gesellschaftlichen Fortschritt sind!! Unsere Zukunft ist der Sozialismus und wir sind durchaus nicht einverstanden mit den Praktiken des Bonner Staates. Trägt man diesen Hinweisen mehr Rechnung, [dann] dürfte ein von Herzen kommendes ‚Ja’ keinem mehr schwer fallen. Doch leider ist es noch nicht so weit. Versucht darum Eure wahre Meinung darzulegen. Habt den Mut zum Fortschritt! Ein Student mit seinen Gedanken zum Volksentscheid.“78 Die Hauptverhandlung gegen die Studenten fand nach fünfmonatiger Untersuchungshaft am 28. und 31. Januar 1969 vor dem „1a Strafsenat“ des Bezirksgerichts Dresden statt. Die Anklage wurde vom Bezirksstaatsanwalt erhoben. Das Verfahren leitete ein Oberrichter, der von zwei Schöffen und einem so genannten gesellschaftlichen Ankläger aus dem Kreis der Mitarbeiter der Sektion Verarbeitungs- und Verfahrenstechnik unterstützt wurde.79 Das Verfahren war ein Politikum, da es die Propaganda von einer einmütigen Zustimmung der Bevölkerung zur Niederschlagung der angeblichen Konterrevolution in der ČSSR konterkarierte. Deshalb wurde die Öffentlichkeit entsprechend der Vorgabe des MfS vom Prozess ausgeschlossen. Gleichfalls hatte der Leiter der Abteilung IX der Bezirksverwaltung des MfS, Major Simon, die Kreisdienststelle Dresden-Stadt des MfS ausdrücklich angewiesen, dass keine Personen zur Verhandlung geladen werden solle und die Auswertung des Prozesses in der Presse zu unterbleiben habe.80 Diese Anweisung verdeutlicht die Unsicherheit des

76 77 78 79 80

Vgl. ebenda, Bl. 109. Ebenda. Ebenda. Vgl. Ebenda, Bl. 342 ff. Vgl. Ebenda, Bl. 166.

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MfS bezüglich möglicher Sympathiebekundungen der Bevölkerung mit den angeklagten Studenten. Die Vorwürfe des Bezirksstaatsanwalts waren rein parteipolitisch formuliert und widerspiegelten die in der Propaganda verbreiteten Auffassungen der Führung von SED und Regierung der DDR zur Innen- und Außenpolitik. Selbst der persönliche briefliche Kontakt von Peter Hellmund zu einer tschechischen Studentin wurde ihm zur Last gelegt. Er hatte sie gebeten, über die Entwicklung in der ČSSR zu berichten und seine Sympathie für den „Liberalisierungskurs“ bekundet.81 Die Demokratiebewegung in der ČSSR war vom MfS, von Staatsanwaltschaft und Gericht als „Konterrevolution“ abgewertet worden, die die angeklagten Studenten durch „Diversion“ unterstützt hätten. Andererseits war der DDR-Führung daran gelegen, die DDR nach innen und außen als stabil und politisch homogen darzustellen. Ein politischer Schauprozess analog der Studentenprozesse in den 1950er Jahren hätte dieses Bild getrübt. So hatte das Oberste Gericht der DDR die Bezirksstaatsanwaltschaft in ihrem Eifer gebremst und auf eine Abschwächung der Schwere der Anklage hingewirkt. Die Bezirksstaatsanwaltschaft wurde darauf aufmerksam gemacht, dass der Vorwurf der „staatsfeindlichen Gruppenbildung“ nach § 107 des Strafgesetzbuches der DDR nicht erhoben werden könne.82 Vermutlich hat Friedrich Karl Kaul, den die Eltern von Klaus Elle als Verteidiger ihres Sohnes bestellt hatten, diese Intervention des Obersten Gerichts erreicht. Peter Ziesecke wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. In der Urteilsbegründung war ihm als „Verbrechen“ „staatsfeindliche Hetze“ vorgeworfen worden, die er „teils allein, teils mehrfach gemeinschaftlich handelnd“ begangen habe.83 Zusätzlich wurde ihm die selbstverfasste und in einem Exemplar verbreitete Stellungnahme zum Entwurf der neuen DDR-Verfassung vorgehalten. Peter Hellmund und Klaus Elle waren mit im Wesentlichen gleichen Begründungen zu geringeren Haftstrafen von zwei Jahren und vier Monaten bzw. von zwei Jahren Haft verurteilt worden.84 Der Rektor der TU Dresden, Fritz Liebscher, teilte den verurteilten Studenten auf Grundlage der Disziplinarordnung rückwirkend ihre Exmatrikulation mit.85 Nicht alle Studenten unterstützten die Verurteilung und die Exmatrikulation. So vermerkte der Chef der Abteilung IX der Bezirksverwaltung des MfS, Major Simon, dass seine Abteilung „operativ“ in Erfahrung gebracht hatte, dass Peter Ziesecke einen Mitstudenten aufgefordert habe, eine Sammlung von Unterschriften 81 82 83 84 85

Vgl. Ebenda, Bl. 255. Vgl. Ebenda, Bl. 27. Ebenda, Bl. 342. Vgl. Ebenda, Bl. 343. Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 9859.

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mit dem Ziel der Freilassung der verurteilten Kommilitonen zu erreichen. Außerdem sei Peter Ziesecke der Auffassung, „daß viele Studenten über die Hilfsmaßnahmen der 5 sozialistischen Länder vom 21.8.1968 in der ČSSR die gleiche feindliche Auffassung wie er vertreten.“86 Ausdrücklich forderte Major Simon die Abteilung XX der Bezirksverwaltung des MfS auf, durch eine „operative Auswertung“ die Unterschriftensammlung zu unterbinden.87 Etwa ein Jahr nach der Überführung in die Strafvollzugsanstalt Cottbus wurden Peter Hellmund und Klaus Elle nach dem „Häftlingsfreikauf“ in die Bundesrepublik abgeschoben. Dagegen blieb Peter Ziesecke aus familiären Gründen in der DDR.88 Er nahm in seiner ursprünglichen Fachrichtung mit Unterstützung seines alten Hochschullehrers Professor Gottfried Tränkner ein Fernstudium an der TU Dresden auf. Vom Prorektor für Erziehung und Ausbildung wurde der Hochschullehrer im Dezember 1970 ausdrücklich angewiesen, den inzwischen in Westdeutschland lebenden ehemaligen Studenten die Vordiplomzeugnisse nicht zuzusenden. Der Prorektor hatte vorher der Zustellung der Zeugnisse in der irrigen Annahme zugestimmt, „daß diese ehemaligen Studenten nach Haftentlassung sich in unserer Republik weiter zu bewähren gedenken und dazu diese Unterlagen benötigen.“89 Auch Studenten der Landmaschinentechnik verfolgten die Demokratiebewegung in der ČSSR mit viel Sympathie. Sie hatten mit ihren Kommilitonen über mehrere Jahre intensive offizielle Kontakte zu Studenten der Technischen Hochschule Prag unterhalten. Fachlicher Austausch, gemeinsame Wanderungen, aber auch Fragen der Hochschulorganisation und der allgemeinen politischen Entwicklung waren erörtert worden. Umso größer war der Schock, als der Prager Frühling gewaltsam niedergeschlagen worden war und auch Dresdner studentische Hoffnungen zu Grabe getragen werden mussten. Der Student Hartmut Henke gehörte zu den Studenten, die begeistert an den Treffen mit den Studierenden der Partnerhochschule teilgenommen hatten. Sein Studium der Landtechnik hatte er erst im April 1968 erfolgreich als Diplom-Ingenieur abgeschlossen.90 Wenig später arbeitete der Absolvent als Konstrukteur im VEB Kombinat Fortschritt Landmaschinen, Werk Singwitz, unweit der Grenze zur Tschechoslowakei und zu Polen. Er hatte sich schnell in sein Fachgebiet eingearbeitet. Während einerseits seine Arbeitsleistungen anerkannt wurden, galt er andererseits als politisch unzu86 BStU, Außenstelle Dresden, Vorgang zu Peter Ziesecke, Bl. 189. 87 Vgl. Ebenda. 88 Am 6. Juni 1991 wurde die vom Bezirksgericht Dresden gegen Peter Hellmund, Peter Ziesecke und Klaus Elle am 31. Januar 1969 verhängten politischen Urteile durch den 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Dresden aufgehoben. Damit verbunden war ihre vollständige Rehabilitierung. 89 UA der TUD, Studentenakte, Nr. 9859. 90 Vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 18.668.

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verlässig. Bereits als Student an der TU Dresden war er auf Weisung der Bezirksverwaltung Dresden vom MfS überprüft worden. Das MfS ließ ihn auch nach der Arbeitsaufnahme im Kombinat „Fortschritt“ weiter überwachen.91 Über die gewaltsame Niederschlagung der Demokratiebewegung in der ČSSR war Hartmut Henke aufs Äußerste empört, zumal seine Kommilitonen im Nachbarland die Demokratisierung ihres Staates nachhaltig vorangetrieben hatten. So sprach er sich in seinem Arbeitskollektiv am 21. August 1968 mit deutlichen Worten gegen die Invasion durch die Truppen des Warschauer Vertrags aus, was wenige Tage später von der Kreisdienststelle des MfS in Sebnitz festgehalten wurde.92 Diese Einstellung verhehlte er auch nicht am 26. August 1968, als er zum Dienst bei der Nationalen Volksarmee gemustert wurde. Dabei lehnte er den Wehrdienst mit der Begründung ab, dass er nicht in einer Armee dienen könne, die an einer Invasion beteiligt sei. Am 11. September 1968 wurde Hartmut Henke von jugoslawischen Polizeiorganen verhaftet, als er versuchte, die jugoslawisch-italienische Grenze bei Koper zu überwinden. Seinen Antrag auf politisches Asyl beachteten die jugoslawischen Sicherheitsorgane nicht und lieferten ihn den DDR-Behörden aus. Das MfS leitete die Untersuchung und übergab die Ermittlungsakten der Strafkammer des Kreisgerichts Dresden-Ost, die Hartmut Henke nach der nichtöffentlichen Verhandlung am 19. und 20. Dezember 1968 wegen „Vergehens des ungesetzlichen Grenzübertritts“ nach § 213 des Strafgesetzbuches der DDR zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilte. In die Urteilsbegründung flossen sowohl die kritischen Auffassungen Hartmut Henkes zur Invasion von Truppen des Warschauer Vertrags in der ČSSR als auch seine Verweigerung des Wehrdienstes ein. Gleichzeitig hoffte das Gericht auf eine Änderung der politischen Überzeugung durch den erzieherischen Einfluss in der Haft. So enthält die Urteilsbegründung auch folgenden Passus: „Diese Strafe ist aber auch notwendig, um beim Angeklagten einen gewissen Umerziehungsprozess herbeizuführen, denn er ist für die sozialistische Gesellschaftsordnung noch nicht verloren.“93 Hartmut Henke wurde nach einem Jahr und fünf Monaten Gefängnis in Cottbus von der Bundesrepublik freigekauft.94 Es bleibt festzuhalten, dass vier Studenten und ein erst wenige Monate in der Industrie tätiger Absolvent der TU Dresden wegen ihrer Proteste gegen die Nie91 Vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Vorlauf – Operativ Hartmuth Henke, Nr. 2400 / 68, Bl. 31 ff., Bl. 57. 92 Vgl. Ebenda, Bl. 67. 93 Urteil des Kreisgerichts Dresden-Ost gegen Hartmut Henke vom 20. Dezember 1969, in BStU, Außenstelle Dresden, a. a. O., Bl. 200 ff. 94 Seit 1970 lebt Hartmut Henke in der Bundesrepublik Deutschland. Bis zu seiner Pensionierung war er u. a. als Spezialist für Landtechnik tätig. Er betreute vor allem in Entwicklungsund Schwellenländern landtechnische Projekte. Hartmut Henke wohnt in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart.

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derschlagung der Demokratiebewegung in der ČSSR aus rein politischen Gründen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Diese Kommilitonen hatten sich auf unterschiedliche Weise an die Öffentlichkeit gewandt und eindeutig gegen die Invasion von Truppen des Warschauer Vertrags protestiert und damit gleichzeitig auf die Notwendigkeit politischer Reformen in der DDR aufmerksam gemacht. Insgesamt waren die Proteste nicht nachhaltig. Der Repressivapparat des Staates arbeitete auch in dieser Situation effizient. Die oppositionellen Kommilitonen hatten jedoch deutlich gemacht, dass die Studentenschaft der DDR keineswegs völlig politisch gleichgeschaltet war.

5.4.  Repression unter veränderter Weltlage Ende der 1960er Jahre zeichneten sich infolge der Auseinandersetzungen um den Vietnamkrieg und der mächtigen Studentenbewegung tiefgreifende gesellschaftliche und politische Veränderungen ab. Dabei war die weitere Entwicklung auch in der Auseinandersetzung der politischen Systeme nicht absehbar. Das Treffen zwischen Bundeskanzler Willy Brandt und DDR-Ministerpräsident Willy Stoph im März 1970 in Erfurt war Ausdruck eines entspannteren Umgangs der beiden deutschen Teilstaaten. Dabei stellte die maßgeblich von der Regierung unter Willy Brandt eingeleitete und von Egon Bahr konzipierte Entspannungspolitik die Führung der DDR vor neue politische und ideologische Herausforderungen. Während die sozial-liberale Koalition auf einen „Wandel durch Annäherung“ setzte, orientierte Erich Honecker bis zum Ende der DDR auf strikte Abgrenzung. Gleichzeitig wurde die DDR seit Anfang der 1970er Jahre von einer Vielzahl westlicher Staaten und Entwicklungsländern völkerrechtlich anerkannt. Der auf der Hallstein-Doktrin beruhende Alleinvertretungsanspruch durch den westdeutschen Teilstaat war gescheitert. Unter diesen Bedingungen fanden theoretische Gedankenspiele einer Annäherung zwischen den bisher verfeindeten politischen Systemen, wie sie in der so genannten Konvergenztheorie zum Ausdruck kamen, gerade unter Intellektuellen neue Nahrung. Der bekannte Studentenclub der TU Dresden „Bärenzwinger“ bot partielle politische Freiräume. Es trafen sich zum Beispiel interessierte Studenten zu einer Reihe von Lyrikabenden, die unter dem Titel „Riesenrad“ standen und in den Monaten März, Mai und Oktober 1969 stattfanden. Neben Gedichten beispielsweise von Heinrich Heine trugen Studenten auch selbst verfasste Gedichte vor. Das während dieser Rezitationen ausgedrückte Lebensgefühl stimmte dabei nicht immer mit den Kunstvorstellungen der Funktionäre überein, die in solchen gut besuchten Veranstaltungen politische Provokationen vermuteten.95 Zu den Vor95 Aktennotiz der Abteilung sozialistische Wehrerziehung vom 31. Oktober 1969, vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 9917.

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tragenden gehörte ein exmatrikulierter Student aus Leipzig, der unter dem Pseudonym „Faust“ auftrat. An den Lyrikabenden nahmen neben zahlreichen Dresdner Studenten auch Interessierte aus anderen Bevölkerungskreisen teil.96 Diese Veranstaltungen waren heftig umstritten. Erstmals im März 1969 wurde die SED-Bezirksleitung Dresden über die Lyrikabende informiert. Vorerst reagierte sie nicht. Erst Monate später und nach erneuten Informationen über angebliche politische Abweichungen während der Lyrikabende ergriff die Bezirksleitung Maßnahmen gegen den von der FDJ geleiteten Studentenclub. Ende 1969 wurde unter Beaufsichtigung der SED-Kreisleitung der Vorstand des Studentenclubs ausgetauscht, eine neue Clubordnung erarbeitet und ein Regime der politischen Kontrolle durch SED-Kreisleitung und Rektorat installiert. Die SED-Kreisleitung der TU Dresden forderte die befristete Exmatrikulation des für die Lyrikabende verantwortlichen Architekturstudenten Rudolf Koloc, Sohn des 1967 verstorbenen ehemaligen Rektors Kurt Koloc. Ihm wurde politisches Fehlverhalten während der Lyrikabende vorgeworfen.97 Die Mutter von Rudolf Koloc musste sich wegen der Aktivitäten ihres Sohnes mehreren Aussprachen in der SED-Kreisleitung stellen.98 Das Sekretariat der Kreisleitung hatte sich in immerhin vier Sitzungen mit den politischen Abweichungen im Studentenclub „Bärenzwinger“ befasst. Ein Protokoll vom 3. Dezember 1969 hielt die „Vorfälle Bärenzwinger“ mit folgenden Stichworten fest: „Demonstration bürgerlicher Ideologie“, „unkontrollierbares Publikum“, „Beatles“, „Pornographie“ und „Kennedy“.99 Die Kommilitonen von Rudolf Koloc verwahrten sich gegen den „gesellschaftlichen Vertreter“, der die vorgetragenen Gedichte willkürlich interpretierte und als politisch negativ bewertete. Dabei verwiesen sie darauf, dass die „literarisch-musikalische Veranstaltung“ unter der Leitung der FDJ gestanden habe.100 Auch weitere unterstützende Stellungnahmen von Gästen und Mitwirkenden an den Lyrikabenden, wie der „gruppe pasaremos“ und einer Kunststudentin, konnten die Exmatrikulation von Rudolf Koloc nicht abwenden. 96 Protokoll des Sekretariats der SED-Kreisleitung der TU Dresden vom 29. Oktober 1969, vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, IV / B 4.15.015. 97 So soll folgender Vers aufgesagt worden sein: „Sozialismus bringt Wohlstand, Chemie bringt Wohlstand und Brot, heute rot und morgen tot.“ Vgl. Schreiben des Direktors für Erziehung und Ausbildung an den Direktor der Sektion Architektur vom 31. Oktober 1969, in: UA der TUD, Studentenakte, Nr. 9917. 98 Vgl. Protokoll des Sekretariats der SED-Kreisleitung vom 26. November 1969, vgl. a. a. O., IV / B 4.15.015. 99 Protokoll des Sekretariats der SED-Kreisleitung der TU Dresden vom 3. Dezember 1969, vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, IV / B 4.15.004. 100 Stellungnahme der FDJ-Gruppe 2 / 68 zum Vorkommnis im Studentenclub „Bärenzwinger“ anlässlich der Veranstaltung „Riesenrad“ vom 7. November 1969, vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 9917.

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Pflichtgemäß berichtete der Direktor für Erziehung und Ausbildung dem 1.  Sekretär der SED-Kreisleitung der TU Dresden über den Fortgang der Untersuchung. Dabei waren die positiven Stellungnahmen zur Arbeit des Studentenclubs als beschönigend abgetan worden. Am 1. Dezember 1969 wurde Rudolf Koloc vom Disziplinarausschuss auf der Grundlage der Disziplinarordnung für Studierende der Universitäten und Hochschulen der DDR vom 26. April 1957 exmatrikuliert.101 Die Kommilitonen solidarisierten sich mit Rudolf Koloc, was in den Stellungnahmen der FDJ und der Seminargruppe deutlich wurde. Ein Gutachter von der Sektion Philosophie und Kulturwissenschaften kritisierte ausgehend vom Parteistandpunkt zwar auch die Gedichtmanuskripte, die den „Skeptizismus“ einkalkulieren würden, betonte aber gleichzeitig, dass die Gedichte nicht bewusst „klassenfeindlich“ wären. Zudem solle sich der Student „der Kritik eines Zirkels schreibender Arbeiter“ stellen. Die von Rudolf Koloc unter der Schirmherrschaft der FDJ organisierten und wesentlich durch eigene Beiträge gestalteten Lyrikabende hatten eine große Resonanz gefunden, der Saal war stets überfüllt und die zahlreichen Gäste waren von den nicht vordergründig parteipolitisch ausgerichteten Veranstaltungen begeistert. Kritische Texte, unabhängige und freie Diskussionen jenseits des Postulats vom „sozialistischen Realismus“ passten nicht in das offizielle Kulturkonzept der Hochschule. Die rigiden Reaktionen auf die Lyrikabende der FDJ-Studenten führten den Studierenden deutlich vor Augen, dass auch geringfügige Abweichungen vom offiziellen politischen Kurs mit Karriereverzicht bestraft wurden. Es war ein Politikum, dass 1969 Rudolf Koloc exmatrikuliert wurde. Bereits im Jahre 1933 war sein Vater, der spätere Rektor Kurt Koloc, von der Hochschule verwiesen worden, weil er aktiv im Sozialistischen Studentenbund tätig gewesen war. Rudolf Koloc gehörte zu den gemaßregelten Studenten, die nach diesem erzwungenen Karriereknick nicht resignierten.102 Ende 1969 musste sich das Sekretariat der SED-Kreisleitung mit Dresdner Studenten beschäftigen, die im internationalen Studentenlager in Bulgarien politisch auffällig geworden waren. Die Kreisleitung war vom MfS informiert worden, dass sechs Studenten aus den Sektionen Informationstechnik, Elektrotechnik und Wasserwesen ihren Aufenthalt abbrechen und das Land auf Weisung der bulgarischen Staatssicherheitsorgane hatten verlassen müssen. Im Vorfeld der Ausweisung hatte ein deutscher Reiseleiter das als politisch negativ eingeschätzte 101 Protokoll Disziplinarverhandlung gegen den Studenten der Sektion Architektur am 29. November 1969, vgl. Ebenda. 102 Nach der Tätigkeit als Bühnenarbeiter absolvierte er von 1971 bis 1974 ein Schauspielstudium in Rostock, war mehrere Spielzeiten am Theater in Senftenberg engagiert und konzentrierte sich seit Ende 70er Jahre auf die Arbeit als Regisseur, so vor allem an der Volksbühne Berlin und am Staatstheater Rostock. Seit 2005 lehrt er in Rostock und Bern das Fach Schauspiel.

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Verhalten der Dresdner Studenten gemeldet. So hätten diese Kommilitonen sich „negativ provozierend benommen“, „sich als westdeutsche / englische Studenten“ ausgegeben und „westliche Freiheiten“ gepriesen. Der Rektor sollte nach Rückversicherung beim MfS die Studenten mit sofortiger Wirkung zu exmatrikulieren.103 Im folgenden Disziplinarverfahren an der Universität bestritten die beschuldigten Studenten die erhobenen Vorwürfe. Der unter Leitung des Prorektors für Studienangelegenheiten stehende Disziplinarausschuss folgte nach Abschluss des Verfahrens der Aufforderung der SED-Kreisleitung nicht und erteilte den Studenten einen auf der Grundlage von § 3 der Disziplinarordnung für Studierende der Universitäten und Hochschulen vom 26. April 1957 „strengen Verweis, verbunden mit der Androhung der Verweisung, weil Sie das Ansehen der Techn[ischen] Universität in der Öffentlichkeit, im sozialistischen Ausland, geschädigt haben.“104 Die Studenten suchten trotz permanenter Reglementierung nach geistigen und politischen Freiräumen. Vor allem die Erfolge der Supermächte in der Raumfahrt hatte bei Physikstudenten der TU Dresden das Interesse an der ScienceFiction-Literatur geweckt. 1969 fanden sie sich in der Interessengemeinschaft „Wissenschaftlich-phantastische Literatur“ um den Physikstudenten Ralf-Peter Krämer zusammen, die der Hochschulgruppe Dresden des Deutschen Kulturbundes angegliedert war. Im August 1970 gab Stanisław-Lem sein Einverständnis, dass sich die Interessengemeinschaft fortan Stanisław-Lem-Klub nennen durfte. Die Zahl der Mitglieder war in jenem Jahr bereits auf 150 gestiegen. Der Klub nahm eine dynamische Entwicklung mit gut besuchten Vortragsveranstaltungen und Diskussionsrunden mit Wissenschaftlern. Der unter dem Dach des Kulturbundes an der TU Dresden tätige Staninsław-Lem-Klub bot den Studenten zumindest für einige Jahre ein Forum, in dem sie sich über Science-Fiction-Literatur austauschten und selbst Schreibversuche unternahmen, aus denen auch erfolgreiche Science-Fiction-Geschichten hervorgingen.105 Die Veranstaltungen fanden oft in den Räumen des Dresdner Klubs der Intelligenz statt. Nach Auffassung von Ralf-Peter Krämer stimmte das Konzept mit den am Ende der Ulbricht-Ära vertretenen Wissenschafts- und Wirtschaftsauffassungen und der allgemeinen Zukunftsgläubigkeit überein. Während im Westen die Futurologie in hohem Ansehen stand, hatte in der DDR die Prognostik Konjunktur. Der freie Gedankenaustausch im Stanisław-Lem-Klub mit naturwissen103 Protokoll des Sekretariats der SED-Kreisleitung der TU Dresden vom 3. Dezember 1969, vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, IV / B 4.15.004. 104 Zusatz zum Protokoll der Disziplinarverhandlung, vgl. UA der TUD, VIII Studentenakten, Nr. 26192. 105 Vgl. Erik Simon, Vierzig Jahre danach, in: Andromeda SF Magazin 150. Zeitkristalle, herausgegeben von Erik Simon für den URANIA-Science-Fiction-Club TERRAsse Dresden, Verlag Science Fiction Club Deutschland e.V., Duisburg, 2009, S. 4.

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schaftlich-technischen und philosophischen Spekulationen wurde von orthodoxen Funktionären in den übergeordneten SED-Leitungen zunehmend kritisch betrachtet. So wurde missbilligend angemerkt, dass unter den Klubmitgliedern in der Sowjetunion erschienene Übersetzungen von westlicher Science-FictionLiteratur kursierten. Im Februar 1973 eröffnete der Disziplinarausschuss gegen den Physikstudenten Rolf Krohn ein Disziplinarverfahren. Ihm wurde „destruktives, politischprovokatorisches Auftreten in mehreren Fällen“ unterstellt.106 Insbesondere war ihm als Mitglied der Leitung des Stanisław-Lem-Klubs die Weitergabe von utopischen Erzählungen vorgeworfen worden, die er selbst verfasst hatte. Seine Manuskripte waren von Hochschullehrern und der SED-Leitung der Universität geprüft worden. Sie gelangten zu der Auffassung, dass die Erzählungen „ein typisches Beispiel für seine feindliche objektivistische Haltung sind.“ Er hätte unterschiedliche Meinungen „kommentarlos nebeneinander“ gestellt und es dem Leser überlassen „sich der sozialistischen oder der imperialistischen Meinung anzuschließen.“107 Krohn hätte in der Art der westdeutschen utopischen Literatur geschrieben und damit eine „negative Stimmung“ übertragen. Weiter wurden ihm politische Gegenpositionen und provokative Bemerkungen zu politischen Themen in Seminaren des Marxismus-Leninismus unterstellt. Die vom Disziplinarausschuss der Universität erhobenen Vorwürfe entsprachen Argumentationslinien, wie sie bereits Anfang der 1950er Jahre gebraucht wurden, zum Beispiel der Vorwurf des „Objektivismus“, der dem „Klassenstandpunkt“ entgegenstünde. Im Ergebnis des Verfahrens entschied der Disziplinarausschuss auf „dauerhafte[n] Ausschluß vom Studium an allen Universitäten und Hochschulen der DDR.“108 Damit war Rolf Krohn ein weiteres Studium in der DDR verwehrt.109 Sein Kommilitone und Initiator des Stanisław-Lem-Klubs, Ralf-Peter Krämer, der nach dem erfolgreichen Abschluss des Physikstudiums ein Forschungsstudium am Wissenschaftsbereich Geschichte der Produktivkräfte aufgenommen hatte, wurde gegen den Willen des Wissenschaftsbereichsleiters als Forschungsstudent zwangsexmatrikuliert. Auch auf andere Klubmitglieder und Hochschullehrer wurde mit Disziplinar- und Parteistrafen sowie dem Zwang zur Selbstkritik Druck ausgeübt. Nach einer von Funktionären des Kulturbundes und der Universität einberufenen Versammlung stellte der Klub im März 1973 fak106 Protokoll des Disziplinarausschusses gegen den Studenten Rolf Krohn vom 2. Februar 1973. 107 Sitzung des Sekretariats der Kreisleitung am 7. Februar 1973, vgl. SHStA, IV / C 4.15.022. 108 Ebenda. 109 Nach seiner Relegierung vom Studium arbeitete Rolf Krohn als Chemiefacharbeiter und Nachtwächter. Ab 1975 war er als freier Schriftsteller tätig. Er schrieb historische Romane und Bücher des Science-Fiction-Genres. Rolf Krohn wurde nach der politischen Wende rehabilitiert und hat von 1990 bis 1992 sein Studium der Physik an der TU Dresden beendet. In den Jahren 2003 / 04 war er Stadtschreiber von Halle.

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tisch seine Tätigkeit ein. Erst im Herbst 1973 wurde die Klubarbeit zaghaft bis 1977 fortgesetzt.110 Die von Rolf Krohn im Klub vorgestellten Manuskripte waren keinesfalls oppositionelle Texte, wie es ihm im Disziplinarverfahren unterstellt worden war. Bereits Mitte der 1970er Jahre waren mehrere während seiner Studentenzeit geschriebenen, im Klub diskutierten und dann beanstandeten Geschichten in Sammelbänden erschienen, die von DDR-Verlagen herausgebracht wurden.111 Als exmatrikulierter Student war er trotz Verbots durch die SED-Kreisleitung der TU Dresden zur Vorstellung seiner Texte in den Klub eingeladen worden. Diese Einladung von Rolf Krohn in den Klub führte erneut zu Kontroversen. Im März 1977 entschieden sich die verbliebenen Mitglieder wegen der fortdauernden Behinderung der Arbeit zur Auflösung des Klubs. Die Vorgänge um den Stanisław-Lem-Klub und seine Auflösung machen deutlich, dass auch innerhalb der gesellschaftlichen Organisationen der TU Dresden bis hinein in die SEDGruppen unkonventionelles Denken verbreitet war, das wiederum auf den erbitterten Widerstand orthodoxer Funktionäre stieß, die Liberalismus und Opposition unterstellten und fürchteten. Die 1975 unterzeichnete Schlussakte von Helsinki und der Beitritt zur UNO hatten nachhaltige Auswirkungen auf die Innenpolitik der DDR. Einerseits wurde mit mehreren Strafrechtsänderungsgesetzen politischer Widerstand kriminalisiert, andererseits waren Grundrechte wie Niederlassungs- und Informationsfreiheit verbrieft und von der DDR in einem internationalen Vertragswerk anerkannt worden. Diese im so genannten Korb III festgeschriebenen Normen wurden zwar nicht in DDR-Recht umgesetzt, sie boten aber eine Grundlage, auf die sich die Bürger berufen konnten. Letztlich wurden aber die von der DDR-Führung auf internationaler Ebene gewährten Zugeständnisse innerstaatlich nicht umgesetzt. In Folgekonferenzen der KSZE der 1970er und 1980er Jahre sind die Prinzipien der Menschenrechte weiter konkretisiert worden. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International forderten von der DDR-Führung immer wieder eine Einbeziehung der Menschenrechte in die nationale Gesetzgebung, dem sie bis zur friedlichen Revolution nicht nachkam.112 So wurde bis Ende 1989 die Ver110 Vgl. Ralf P. Krämer, in: Andromeda SF Magazin 150. Zeitkristalle, a. a. O., S. 7 ff. 111 Vgl. Rolf Krohn, Das Mädchen von Ninive, in: Der Mann vom Anti. Utopische Erzählungen, herausgegeben von Ekkehard Redlin, Verlag Das Neue Leben, Berlin, 1975, S. 51–88 und Rolf Krohn, Cora, in: ebenda, S. 176–203. Rolf Krohn, Die Sitzung (1), in: Begegnung im Licht. Phantastische Geschichten, Redaktion Helmut Fickelscherer, Verlag Neues Leben, Berlin, 1976, S. 237–244. Rolf Krohn, Billard, in: Begegnung im Licht, a. a. O., 291–299. Rolf Krohn, Der Hellseher, in: Begegnung im Licht, a. a. O., S. 316–321. Rolf Krohn, Der Haltepunkt, in: Begegnung im Licht, a. a. O., S. 329–339. Rolf Krohn, Der Jäger, in: Begegnung im Licht, a. a. O., S. 346–350. Rolf Krohn, Dornröschen, in: ebenda, S. 358–371. 112 Vgl. Anja Mihr, Was tun gegen Menschenrechtsverletzungen in der DDR? Amnesty International und die SED-Staatsmacht, in: Die demokratische Revolution 1989 in der DDR,

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öffentlichung der KSZE-Schlussakte von 1975 mit dem Abschnitt zu den Menschenrechten unterbunden. Die SED-Führung fürchtete unter diesen veränderten internationalen Bedingungen um ihren Einfluss auf die Jugend, namentlich auf die Studenten. Tendenzen der Liberalisierung sollte energisch entgegengewirkt werden. So zeichnete eine im Mai 1976 vom Zentralrat der FDJ erstellte vertrauliche „Analyse der politisch-ideologischen Situation unter den Studenten“ ein anderes als das offiziell propagierte Bild.113 Im Mittelpunkt stand die Frage, inwieweit die studentische Jugend auch unter Belastungen in der Systemauseinandersetzung zur SED-Führung steht. Die folgend ausgewählten Zitate ließen daran Zweifel aufkommen: „In der Volksaussprache wurde aber auch ersichtlich, daß sich der ideologische Klassenkampf in der Überzeugungsbildung der Studenten besonders widerspiegelt. Der Mehrzahl der Studenten und auch weiten Teilen des FDJ-Aktivs ist diese potentielle Angriffsfläche für gegnerische Aktivitäten nicht bewußt.“ An der Sektion Physik der Universität Jena hätten eine Zeitlang nicht die FDJ-Mitglieder, sondern Angehörige der evangelischen Studentengemeinde die politische Diskussion bestimmt.114 Danach war es zwar gelungen „[…] das Interesse der Studenten für spezielle weltanschauliche Probleme besser zu befriedigen, was sich in einer größeren Zahl von Diskussionen zum Atheismus, zum Maoismus, zu Fragen der Ethik und Moral zeigt, oft dominiert in der weltanschaulichen Debatte aber nicht die Position der FDJ.“ 115 [im Original hervorgehoben] Der große Zulauf von Studenten zu Veranstaltungen der Schriftsteller Volker Braun und Rainer Kunze war gleichfalls mit Sorge registriert worden.116 Weiter beklagt wurde, dass „aus mitunter berechtigter Kritik Angriffe gegen die FDJ und vor allem gegen das marxistisch-leninistische Grundlagenstudium“ hervorgegangen wären.117 Selbst „gegenüber offensichtlich feindlichen Angriffen [gäbe] es keine oder nur eine geringe Reaktion.“118 So wäre an der Verkehrshochschule Dresden ein „illegaler Sender“ betrieben worden und an der TU Dresden hätte die Studentenbühne im Programmheft „Originalzitate von Faschisten“ verwendet.119 Diese Analyse verdeutlicht, dass die Studentenschaft der DDR keinesfalls politisch gleichgeschaltet war, sich teilweise nonkonform und aufgeschlossen gegen-

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herausgegeben von Eckart Conze, Katharina Gajdukowa und Sigrid Koch-Baumgarten, Böhlau Verlag Köln / Weimar / Wien, 2009, S. 55. Für den Leiter der Abteilung Wissenschaften beim ZK der SED Hannes Hörnig persönlich bestimmtes Exemplar (mit Anschreiben vom 11. Mai 1976) der Analyse der politisch-ideologischen Situation unter den Studenten, vgl. SAPMO-BArchiv, DY 30, Nr. 7548, 11 Bl. Ebenda, Bl. 6 Ebenda. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, Bl. 7. Vgl. ebenda. Vgl. ebenda, Bl. 7

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über anderen Philosophien als dem Marxismus-Leninismus zeigte. Viele Studenten nutzten Spielräume zu freierem Meinungsaustausch und Information. Dazu gehörten Veranstaltungen mit kritischen Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern. Am 6. Mai 1976 hatte eine als „vertrauliche Verschlusssache“ eingestufte Gesamteinschätzung der SED-Kreisleitung der TU Dresden zum Einfluss der Kirchen auf die Studenten darauf verwiesen, dass nach Helsinki unter den Universitätsangehörigen offener und rückhaltlos über bürgerliche Ideologien, über Pluralismus, über individuelle Freiheit und Fragen der Selbstverwirklichung diskutiert würde. Dabei würden „gegnerische Argumente Boden“ finden. Eine Anzahl von Studenten wäre zudem aus religiösen Gründen nicht bereit, Reserveoffizier zu werden. Etwa 300 Kommilitonen von 10.000 Direktstudenten der Universität würden von Kirchen und Religionsgemeinschaften beeinflusst.120 Einerseits nahm in den 1970er Jahren die Zahl der ausländischen Studenten, vor allem aus pro sowjetischen Entwicklungsländern aus Afrika, Asien und Lateinamerika weiter zu. Internationale Hochschulkontakte wurden ausgebaut. Andererseits wurde die Reglementierung und Überwachung der Studenten und Mitarbeiter vorangetrieben. Tatsächliche oder vermeintliche regimekritische Entwicklungen wurden mit Unterstützung des weit verzweigten Überwachungsapparates des MfS schon im Vorfeld geheimdienstlich aufgeklärt und zum Teil auf sehr subtile Weise bekämpft. Die TU Dresden als führende technische und naturwissenschaftliche Universität der DDR war infiltriert vom MfS und wurde insbesondere von der Abteilung 20 der Bezirksdienststelle Dresden, aber auch von der HVA und anderen Strukturen bearbeitet und observiert. Seit 1975 unterhielt das MfS auf dem Hochschulcampus eine eigene Objektdienststelle (ODT), der bis zu 40 hauptamtliche Mitarbeiter angehörten, die offizielle und inoffizielle Kontakte zu den Strukturen der Universität und der an ihr tätigen Mitarbeitern unterhielt. Dabei konnten sich die Strukturen des MfS unterschiedlicher Ebenen gleichfalls auf eine Vielzahl von inoffiziellen Mitarbeitern stützen. Diese Entwicklung wurde detailliert von Hans Joachim Fiedler, seit 1959 Professor für Standortlehre und Bodenkunde, für den von ihm geleiteten Wissenschaftsbereich dargestellt.121 Die Dimensionen und Formen der Aktivitäten des MfS an der TU Dresden waren dem Bundesnachrichtendienst (BND) spätestens seit Ende der 70er Jahre bekannt. Der für die TU Dresden zuständige Offizier der Hauptverwaltung Auf120 Vgl. Lust am Leben. Die katholische Studentengemeinde Dresden, herausgegeben von Eberhard Prause und Joachim Klose, St. Benno Buch- und Zeitschriftenverlagsgesellschaft m.b.H. Leipzig, 2000, S. 149. 121 Vgl. Hans Joachim Fiedler, Informationen von und zu Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes an der Sektion Forstwissenschaft in Tharandt, in: Forst und Holz 51(1996), S. 759–765.

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klärung (HVA) des MfS, Werner Stiller, arbeitete als Doppelagent für den Nachrichtendienst der Bundesrepublik, in die er 1979 mit einer Fülle geheimer Akten flüchtete.122 Die Tätigkeit des MfS an der Universität war umfassend. Es gab keinen Bereich, der für den Geheimdienst tabu gewesen wäre. Neben den üblichen Aktivitäten des MfS wies dessen Tätigkeit an der TU Dresden einige Besonderheiten auf. Diese bezogen sich beispielsweise auf die Ausforschung westlicher Hochtechnologie, die Überprüfung von so genannten Reisekadern und die Beobachtung von Aktivitäten der in- und ausländischen Studierenden. Nachdem eine größere Zahl von Kommilitonen aus arabischen Staaten an der TU Dresden studierte, gehörten auch Fragen der Terrorabwehr zum Aufgabenspektrum des MfS an der Universität. Seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre war auch die TU Dresden mit Ausreiseanträgen von Universitätsangehörigen konfrontiert. Studenten, die Anträge zur Ausreise aus der DDR gestellt hatten, beendeten in der Regel ihr Studium oder wurden zur Exmatrikulation genötigt. Solche Anträge vertrugen sich nach Auffassung von politischer und staatlicher Leitung nicht mit der Studienordnung. Von den Leitern, der SED, der Gewerkschaft und der FDJ wurden Gespräche mit dem Ziel der Rücknahme des Ausreiseantrags geführt. Bezogen auf die Gesamtzahl von ausreisewilligen Angehörigen der TU Dresden bildeten die Studenten in dieser Gruppe eine Minderheit. Im Jahr 1977 hatten offenbar sieben TU-Angehörige einen Ausreiseantrag gestellt. Eine „tabellarische Aufstellung der Ersuchenden auf Übersiedlung 1975–1989“ erfasst für den Zeitraum von 1975 bis 1986 insgesamt 271 Namen, davon ca. zehn Prozent Studenten und Studentinnen.123 Zahlen über gestellte Ausreiseanträge wurden in der Öffentlichkeit nicht genannt, sie blieben geheim. Die Mehrzahl der Studenten war wie die gesamte Bevölkerung in unterschiedlichem Grad in das politische System der DDR integriert. Sie waren „loyale“ Staatsbürger. Diese Loyalität war aber auch bei vielen Studenten zumindest teilweise erzwungen. Die Chance auf ein Hochschulstudium wollte sich auch die Mehrzahl der Abiturienten und jungen Facharbeiter mit Abitur nicht durch fundamentale Systemkritik und Verweigerungshaltung verbauen. Die Studienbedingungen in der DDR wurden – abgesehen von der fehlenden Internationalität – gerade in den technischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen auch im internationalen Vergleich als konkurrenzfähig bewertet. Gegenüber den jungen Arbeitern und Angestellten in der Industrie oder der Verwaltung der DDR standen die Studenten vor der Herausforderung, einen erfolgreichen Studienabschluss zu erzielen. Ein Antrag auf Ausreise lag den meisten Studenten aufgrund ihrer im Wesentlichen komfortablen sozialen Lage fern. Sie waren zudem in einem weit 122 Vgl. Werner Stiller, Im Zentrum der Spionage. Mit einem Nachwort von Karl Wilhelm Fricke, 2. Auflage, Mainz, 1986, 373 S. 123 UA der TUD, Direktorat, Kader und Qualifizierung, Nr. 4427 / 9.

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höheren Maß in die Organisationsstrukturen des Staates eingebunden als andere gesellschaftliche Gruppen. Vor allem seit den 1970er Jahren hatte sich ein Großteil der Abiturienten nach oft aufreibenden Diskussionen in den Erweiterten Oberschulen verpflichtet, drei Jahre bei der NVA, den Grenztruppen, beim Wachregiment „Feliks Dziezyński“ oder bei den Polizeibereitschaften zu dienen. Der Nachweise des dreijährigen Wehrdienstes war ein wichtiges Kriterium für die Zulassung zum Studium, insbesondere für besonders attraktive Studiengänge. Während mehrere Jahre nach Einführung der gesetzlichen Wehrpflicht die Hochschulstudenten vom Grundwehrdienst ausgenommen waren und als Ersatz die militärische Ausbildung im Studiums absolvieren mussten, wurden Ende der 1960er Jahre auch die Abiturienten nach der Vorimmatrikulation zum Wehrdienst gezogen. Die Aufnahme des Studiums erfolgte dann erst nach Ableistung der Armeezeit. Die gedienten studentischen Reservisten wurden in der Regel während des zweiten Studienjahres in der bereits beschriebenen Ausbildungsstätte Seelingstädt nochmals für rund sechs Wochen militärisch geschult.124 Vor allem Studenten, die drei Jahre bei den „Bewaffneten Organen“ gedient hatten, wurden in mitunter aufreibenden Auseinandersetzungen an der Hochschule genötigt, sich als Reserveoffizier zu verpflichten. Innerhalb der Studentengemeinden wurde die militärische Ausbildung der Studenten hinterfragt und kritisiert. Viele Studenten fügten sich nur widerwillig der erneuten militärischen Ausbildung während des Studiums, wohl wissend, dass eine Verweigerung zur Exmatrikulation führte.125 Auch während der 1980er Jahre erfolgten politisch motivierte Reglementierungen bis hin zu Exmatrikulationen. Weiterhin konnte politisch nicht angepasstes oder gar kritisches Verhalten zum Ausschluss vom Studium führen. So wurde 1981 ein Student zwangsexmatrikuliert, weil er ein „politisch provokatorisches Transparent“ gestaltet hatte. Im selben Jahr musste ein weiterer Student die Universität verlassen, weil er sich negativ über die DDR und die veraltete Rechentechnik geäußert hatte. 1984 wurde gegen einen Studenten der Informationstechnik ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er im Rahmen des Kulturwettstreits ein kabarettistisches Theaterstück verfasst und zur Aufführung gebracht hatte, das als politische Provokation gewertet und die Einbeziehung der SED-Kreisleitung zur Folge hatte. Die Disziplinarkommission erteilte ihm einen „strengen Verweis“ und drohte ihm mit dem Ausschluss vom Studium. Im Juli 1985 wurde die Exmatri124 Studentinnen und aus gesundheitlichen Gründen nicht wehrtaugliche Studenten wurden parallel in Lehrgängen der Zivilverteidigung beispielsweise im märkischen Hindenburg geschult. 125 So wurde beispielsweise 1970 ein Student der TU Dresden und Mitglied der Dresdner Evangelischen Studentengemeinde exmatrikuliert, weil er es nach einem Lehrgang im studentischen Militärlager Seelingstädt abgelehnt hatte, den Fahneneid zu leisten, vgl. Archiv der Evangelischen Landeskirche Sachsen, Evangelische Studentengemeinde Dresden, Bestand 2, Nr. 934.

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kulation ausgesprochen, nachdem ein Student aus politischen Gründen zu fünf Monaten Haft verurteilt worden war. Noch 1989 erhielten mehrere Studenten einen „strengen Verweis“ mit der Androhung der Exmatrikulation, nur weil sie das von der Bevölkerungsmehrheit mit Spott und Hohn aufgenommene Verbot des sowjetischen Magazins „Sputnik“ auf Wandzeitungen thematisiert hatten. Im Februar 1989 hatte ein Student sich auf einer Wandzeitung kritisch mit der DDR und der Nationalitätenpolitik der UdSSR auseinandergesetzt. Er wurde daraufhin zeitweilig vom Studium ausgeschlossen. Ein probates Erziehungsmittel bei nicht angepasstem Verhalten war die Forderung an die Betreffenden, sich in Selbstkritik zu üben. Neben den repressiven Maßnahmen waren Auseinandersetzungen in den FDJ-Gruppen und selbst die Einbeziehung der Eltern in den politischen Erziehungsprozess von Studenten übliche Verfahren der Disziplinierung, die Doppelzüngigkeit förderten.126 Gerade in den 1970er und 1980er Jahre waren kritische Diskussionen über die realen Verhältnissen in der DDR selbst innerhalb der politischen Organisationen verbreitet. Nicht toleriert wurden dagegen weiter Fundamentalkritik am politischen System und Forderungen nach grundlegenden Reformen. In der Mehrzahl der Fälle musste sich die Disziplinarkommission der Universität mit Vorfällen nichtpolitischer Art beschäftigen, wie Diebstahl, Verletzungen der Studiendisziplin, „ungebührliches Verhalten“ in den Wohnheimen und Verkehrsdelikten. Die Studenten waren zumeist in mehreren staatstragenden Organisationen erfasst und mit unterschiedlicher Ausprägung aktiv. Im Mittelpunkt standen dabei die FDJ und die SED, der insbesondere in den 80er Jahren viele Studenten als Mitglieder und Kandidaten angehörten. Unverkennbar waren die Sympathien unter den Studenten für die Reformpolitik unter Michail Gorbatschow, die Hoffnungen auf einen besseren Sozialismus mit mehr Demokratie und Reisefreiheit keimen ließen. Als Zeichen einer gewissen Liberalisierung an der TU Dresden wurde im Mai 1988 der Empfang einer westdeutschen Delegation von Hochschulpolitikern und Wissenschaftlern unter Leitung des damaligen Wissenschaftsministers der Bundesrepublik Jürgen Möllemann an der TU Dresden gesehen.127 Eine eigenständige politische Bewegung der Dresdner Studenten hat sich wie auch in anderen Universitäts- und Hochschulstädten der DDR in den Jahren vor der politischen Wende nicht herausgebildet. Die feste Einbindung der Kommilitonen in das System der DDR hatte zu einem hohen Grad der Einbindung in die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse geführt.

126 Vgl. UA der TUD, Dez. 3 Nr. 5146 Disziplinarkommission und Disziplinarverfahren 1982-1990

und Sektion Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen, Prorektor für Studienangelegenheiten Nr. 5085 / 22. 127 Bundesminister Möllemann an unserer Universität, vgl. Universitätszeitung der TU Dresden. Organ der Kreisleitung der SED vom 1. Juni 1988, S. 3.

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Auch Studenten der TU Dresden engagierten sich in Umwelt- und Friedensinitiativen vor allem im geschützten Raum der Kirchen. Sie setzten sich mit existenziellen Problemen von Rüstung und Nachrüstung auseinander und hinterfragten innen- und wirtschaftspolitische Entscheidungen der DDR-Führung kritisch. Insbesondere drückten sie ihre Sorgen aus über den mangelnden Umweltschutz und die Vergeudung von Ressourcen der Wirtschaft. Im Mittelpunkt stand dabei seit etwa 1986 die Kritik am geplanten Bau des Reinstsiliziumwerkes in DresdenGittersee. Sie blieben aber bis in die Monate der Wende hinein von der Masse der Studierenden isoliert. Auch Studenten hatten an den Massendemonstrationen im Herbst 1989 teilgenommen. Im Verhältnis zu anderen an den Demonstrationen beteiligten sozialen Gruppen stellten sie aber nur eine Minderheit dar.128 Dresdner Studenten nutzten im Spätsommer 1989 die Öffnung der ungarischen Grenze zu Österreich, um die DDR zu verlassen. Sie wurden exmatrikuliert. Von 1988 bis Oktober 1989 hatten insgesamt 95 Studierende, darunter fünf Forschungsstudenten der TU Dresden, die DDR verlassen. Im November 1989 nahm der Rektor der TU Dresden die aus diesen Gründen erfolgten Exmatrikulationen zurück.129 Noch innerhalb der Strukturen der FDJ stellten Studenten in den Wochen der demokratischen Revolution Forderungen zur Erneuerung der Gesellschaft und zu Veränderungen im Studienprozess, wie die Abschaffung des obligatorischen marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums und der Russischausbildung. Dabei stießen diese studentischen Forderungen nur auf geringen Widerstand. Selbst die noch amtierende alte Universitätsleitung unterstützte schon bald die Anliegen der Studierenden. Am 9. November 1989, dem Tag des Mauerfalls, gründeten die Vertreter der Sektionsstudentenräte den „Provisorischen Universitätsstudentenrat“.130 Damit wurde der Weg für eine politisch unabhängige und demokratisch verfasste Studentenvertretung geebnet. Die zumeist fachlich solide ausgebildete Studentengeneration integrierte sich zum großen Teil schnell in die neue von Demokratie und Marktwirtschaft geprägte Gesellschaft.

128 Diskussionsbeitrag von Pfarrer Christian Führer während der Podiumsdiskussion am 3. Oktober 2008 auf dem 47. Deutschen Historikertag in Dresden.

129 UA der TUD, Dez. 3 Nr. 5146 Disziplinarkommission und Disziplinarverfahren 1982-1990. 130 Reiner Pommerin, Geschichte der TU Dresden 1828 - 2003, Köln / Weimar / Wien, 2003, S. 328 f.

6.  Entzug akademischer Grade Seit den 1950er Jahren war die Flucht von Hochschullehrern und Studenten über die noch offenen Grenzen zu einem existenziellen Problem für die DDR und ihre Hochschulen geworden. Diese Situation hatte sich im Zusammenhang mit der innenpolitischen Krise der DDR im Jahre 1958 weiter verschärft. Die SED-Führung reagierte darauf mit der 3. Hochschulkonferenz im März 1958. Auf der Tagesordnung dieser Konferenz stand neben der angestrebten sozialistischen Umgestaltung der Hochschulen und Universitäten die Forderung auf Aberkennung der akademischen Grade bei den Wissenschaftlern, die die DDR „illegal“ verlassen hatten.1 Bereits am 31. Januar 1958, mehrere Wochen vor der Hochschulkonferenz, hatte sich der Senat der TH Dresden mit der „Republikflucht“ von Heinrich Röcke beschäftigt, der als Professor für Freihandzeichnen und Elementares Gestalten an der Fakultät für Bauwesen tätig gewesen war. Im Senat wurde festgestellt, dass in der Zeit zwischen 1951 und 1958 kein Angehöriger des „hauptamtlichen Lehrkörpers“ die Hochschule durch die Flucht in den Westen verlassen habe.2 Mit dem Ziel, weitere Fluchten von Hochschullehrern zu unterbinden, wurde das Verhalten von Heinrich Röcke moralisch kritisiert und in der Weise geahndet, dass ihm der Senat der Hochschule im Zusammenwirken mit Staatssekretär Wilhelm Girnus den Professorentitel entzog. Die Universitäten und Hochschulen, die Bauakademie der DDR und der Bund Deutscher Architekten waren über diese Maßnahme informiert worden. Auch Universitäten und Hochschulen in Westdeutschland wurden davon in Kenntnis gesetzt.3 Im gleichen Jahr hatte ein Kollege Röckes, der renommierte Ordinarius für Wohnungsbau und Entwerfen Wolfgang Rauda die DDR verlassen und seinen Wirkungskreis nach Hannover verlegt.4 Im Sommer 1960 blieb Karl-Heinz Kübler nach einem Ferienaufenthalt gemeinsam mit seiner Familie in Schweden. Diese Entscheidung für den Westen war für die Hochschule ein besonders herber Verlust, da er als Dekan der Fakultät Technologie und Direktor des Instituts für Messtechnik und Austauschbau der TH Dresden besonders intensive Industriebeziehungen unterhielt und Mitglied bedeutender nationaler und internationaler wissenschaftlicher Organisationen war. Diese Flucht nahm Prorektor Kurt Schwabe, der später das Amt des Rektors übernommen hatte, zum Anlass, den Sekretär der Hochschulparteileitung zu unterrichten, dass die Schweiz ihm „ein 1 Vgl. Ilko-Sascha Kowalczuk, Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ / DDR 1945 bis 1961, Berlin, 1997, S. 274 f. 2 Vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 125, Senatsprotokoll vom 31. Januar 1958. 3 Vgl. UA der TUD, Fakultät für Bauwesen, Nr. 79. 4 Wieder Wissenschaftler geflüchtet, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Juli 1958.

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außerordentlich lukratives Angebot“ in der Industrie unterbreitet habe.5 Hochschulsekretär Ehrlich berichtete dem Leiter der Abteilung Wissenschaft des ZK der SED, dass Kurt Schwabe ihm gegenüber zum Ausdruck gebracht habe, dass „er lediglich aus Pflichtbewusstsein“ hier bliebe, keinesfalls aber, weil er von der Richtigkeit aller Maßnahmen überzeugt sei.6 Im Senat wurde auf den „hohen Prozentsatz“ von Absolventen verwiesen, die nach Abschluss des Studiums die DDR verlassen hätten. Die „Republikfluchten“ der Professoren Rauda und Kübler wurden sowohl politisch als auch moralisch verurteilt. Förmliche Verfahren zur Aberkennung der Lehrbefähigung und des Professorentitels sind nicht nachweisbar. Bereits im Zusammenhang mit dem Aberkennungsverfahren im Falle von Heinrich Röcke war während einer Beratung der Prorektoren im März 1958 darauf verwiesen worden, dass das Verfahren nur deshalb stattgefunden hätte, „weil die Westflucht vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Bestrafung bei Republikflucht“ gelegen hätte.7 Damit war die neue Fassung des Passgesetzes gemeint, dass ein nicht genehmigtes Verlassen der DDR unter Strafe stellte.8 Im Ergebnis der III. Hochschulkonferenz forderte im April 1958 das Staatssekretariat die Universitäten, Hoch- und Fachschulen auf, nicht nur die Zahlen von „republikflüchtig“ gewordenen Studenten und Studentinnen zu melden, sondern darüber hinaus auch die Verfahren zur förmlichen Aberkennungen des Diploms oder des Staatsexamens zu erfassen. So unterrichtete das Prorektorat für Studienangelegenheiten der TH Dresden das Staatssekretariat, dass am 26. April 1958 die Diplome und Staatsexamina von fünf Absolventen der Fakultät Ingenieurökonomie aberkannt wurden.9 Eindeutige Vorgaben für entsprechende Aberkennungsverfahren gab es nicht. In gewissem Sinne herrschte in dieser Frage ein rechtsfreier Raum. Es stand letztlich im Ermessen der Fakultäten, ob sie sich der Mühe unterzogen, den nach dem Westen gegangenen Kommilitonen das Diplom förmlich zu entziehen. Der politische Nutzen für das Hochschulwesen der DDR war dabei von Anfang an fraglich. Um Rechtssicherheit zu gewinnen wandte sich im Mai 1958 der Dekan der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften an das Staatssekretariat und forderte eine zentrale Regelung für die entsprechenden Verfahren. Der Dekan legte die Auffassung des Senats und seiner Fakultät zugrunde, wonach „ein 5 SAPMO-BArchiv, DY 30, IV 2, Nr. 904, Film 668, Bl. 82, 86. 6 Ebenda, Bl. 82. 7 Protokoll der 5. Prorektoren-Besprechung am 29. März 1958, vgl. UA der TUD, Rektorat, I, Nr. 139, n. f. 8 Gesetz zur Änderung des Passgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik vom 11. Dezember 1957, GBL Teil I Nr. 78 (Ausgabetag 23. Dezember 1957), in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Teil I Jahrgang 1957, S. 650. 9 Vgl. BArch, Berlin, DR 3, Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, Nr. 5884 n. f.

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akademischer Titel (Professor, Doktor habilitus, Doktor, Diplomierter) nur von derjenigen Fakultät aberkannt werden [kann], welche diesen Titel seinerzeit an den Betreffenden verliehen hat.“10 Im Schreiben wird deutlich, dass sich diese eher politikferne Fakultät keinesfalls gegen entsprechende Vorgaben gewehrt hat. Der Dekan orientierte vielmehr auf eine einheitliche Verfahrensweise, wohl wissend, dass solche Maßnahmen die „Republikflüchtlinge“ sogar begünstigen: „Bei Aberkennung der akademischen Titel unsererseits erhält jedoch der Republikflüchtige gewissermaßen eine amtliche Bestätigung von uns, daß er als ‚politischer Flüchtling‘ zu gelten habe.“11 Auf diese Weise würde ein so Gemaßregelter beispielsweise in der Bundesrepublik bevorzugt einen Arbeitsplatz erhalten.12 Um das Problem zu lösen, war eine vom stellvertretenden Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen, Franz Dahlem, geleitete Kommission berufen worden, der mehrere Professoren angehörten, um eine generelle Regelung zur formalen Aberkennung akademischer Grade bei so genannten Republikfluchten herbeizuführen. Sie gelangte Anfang 1959 zu dem Ergebnis, dass der § 14 der Anordnung über die Verleihung akademischer Grade vom 6. September 195613 die Aberkennung bei „Republikflucht“ erlaube, wenn die Geflohenen „eine besonders verwerfliche Handlungsweise“ erkennen ließen.14 Ausdrücklich musste dabei auch die Frage der erzieherischen Wirkung einer solchen Maßnahme auf die Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses geprüft werden.15 Im Gegensatz dazu sollte „das Diplom in diesem Zusammenhang nicht als akademischer Grad, sondern als akademische Berufsbezeichnung betrachtet werden“.16 Die Führung des Titels „Diplom“ könne nur im Zusammenhang mit einem Berufsverbot untersagt werden.17 Dabei bezog sich das Staatssekretariat auf Anfragen aus „volkseigenen Betrieben in der gleichen Angelegenheit“. Dagegen wurde seit 1958 die Studienzulassung bei „republikflüchtig“ gewordenen Studenten entzogen. Dabei handelte es sich um einen bürokratischen Akt ohne weitere Bedeutung für den ehemaligen Studenten der TH Dresden, wenn man davon absieht, dass bereits erreichte Studi10 Schreiben des Dekans der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften an das Staatssekretariat für das Hochschulwesen vom 9. Mai 1958, vgl. UA der TUD, Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Dekanat, XI / 70. 11 Ebenda. 12 Ebenda. 13 Anordnung über die Verleihung akademischer Grade vom 6. September 1956 (GBl. I Nr. 83, S. 745). 14 Staatssekretariat (Stellvertreter des Staatssekretärs Franz Dahlem) für das Hoch- und Fachschulwesen an den Rektor der TH Dresen am 7. Januar 1959, vgl. UA der TUD, Prorektor für Gesellschaftswissenschaften, Nr. 1. 15 Ebenda. 16 Ebenda. 17 Vgl. Ebenda.

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enleistungen und in die Studentenakte aufgenommene Reifezeugnisse auch nach entsprechenden Aufforderungen der Betreffenden oder durch Firmen, Behörden und Institutionen der Bundesrepublik und Westberlins nicht ausgehändigt wurden. Diese Praxis änderte sich erst in den 1970er Jahren. Nach dem 13. August 1961 wurden bei missglückten und erfolgreichen „Republikfluchten“ bei Universitäts- und Hochschulangehörigen Doktorgrade, Professorentitel und die Lehrbefähigung entzogen. Auch bei anderen politischen Verfahren, insbesondere wenn der Vorwurf der Spionage für westliche Institutionen und Organisationen erhoben wurde, forderten die Staatsanwaltschaften die Universitäten und Hochschulen auf, die formale Aberkennung von akademischen Graden und weiteren Rechten durchzuführen. Die Entziehung von akademischen Graden war ein probates Mittel, um politische Gegner über das politische Strafrecht hinaus zu diskriminieren und einzuschüchtern. So teilte am 28. Februar 1968 die Rektorin der TU Dresden dem Dekan der Fakultät für Elektrotechnik mit, dass die 1957 von Dipl.-Ing. Herbert Henniger an der Fakultät erworbene Promotion18 auf der Grundlage der Verordnung über die Verleihung akademischer Grade vom 6. September 1956 zu entziehen sei. Der 1911 geborene Henniger war Ende 1965 vom „1a Strafsenat“ des Bezirksgerichts Potsdam wegen Spionage und „versuchtem illegalen Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik zu einer Zuchthausstrafe von 15 Jahren verurteilt worden.“19 Nach mehrmaliger Aufforderung hat die Fakultät den Titel entzogen. Im Juli 1967 hatte der Minister für Hoch- und Fachschulwesen die Rektorin der TU Dresden aufgefordert, Horst Jochmann, Professor mit vollem Lehrauftrag für Photogrammetrie an der TU Dresden, rückwirkend mit dem Tage seiner Verhaftung aus seiner Dienststellung zu entfernen und ihm den Professorentitel zu entziehen.20 Angeblich war Horst Jochmann von Otto Hofmann, der gleichfalls an der Dresdner Fakultät Bauwesen zum „Dr.-Ing.“ promoviert wurde und zwischenzeitlich in München lebte, als Agent angeworben worden. Der Informationsfluss über die Staatsanwaltschaft zum Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen war auch in seinem Fall gesichert, sodass die Fakultät für Bauwesen Horst Jochmann den verliehenen Grad eines „Dr.-Ing.“ im Januar 1968 wiederum auf der Grundlage der Verordnung über die Verleihung akademischer Grade aus dem Jahr 1956 entzog.21 Die Angehörigen der Universität nahmen häufig mit Häme zu Kenntnis, wenn Wissenschaftler mit dem Privileg des Reisekaders für das „nichtsozialistische 18 Vgl. UA der TUD, Promotionsakte, Nr. 221. 19 Schreiben der Rektorin an den Dekan der Fakultät für Elektrotechnik vom 28. Februar 1968, vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 527. 20 Schreiben des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen, Gießmann, an die Rektorin Herforth vom 14. Juli 1967, vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 811, n. f. 21 Schreiben des Dekans der Fakultät für Bauwesen an den Minister für Hoch- und Fachschulwesen vom 9. Februar 1968, vgl. UA der TUD, Rektorat I, Nr. 811.

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Wirtschaftsgebiet“ es vorgezogen hatten, nicht mehr in die DDR zurückzukehren. So hatte 1967 der international renommierte Kernforscher Heinz Barwich eine Dienstreise in die Schweiz genutzt, um die DDR zu verlassen.22 Ab 6. November 1968 galt die Verordnung über die akademischen Grade als juristische Legitimation für die Entziehung der akademischen Grade. Dabei stützten sich der Rat für akademische Grade beim Minister für Hoch- und Fachschulwesen, die Senate sowie die Fakultäten der Universitäten und Hochschulen auf den § 13 der genannten Verordnung.23 Während der 1970er und 1980er Jahre nutzten mehrere Wissenschaftler dienstliche Aufenthalte im westlichen Ausland, um die DDR zu verlassen. In diesen Fällen wurden ihre an den Universitäten und Hochschulen der DDR erworbenen Doktortitel, die Habilitationen und die Lehrbefugnis (Facultas docendi) entzogen. Die zuständigen Fakultäten schlugen die Aberkennungsverfahren vor. Der Wissenschaftliche Rat des Senats fasste dann einen formalen Beschluss zur Aberkennung.24 Dieser Beschluss musste dann vom Rat für akademische Grade beim Minister für Hoch- und Fachschulwesen mit einem weiteren Beschluss bestätigt werden. Im Gegensatz dazu blieb das Diplom unberührt. So wurde dieses Verfahren 1973 gegen den langjährigen Inhaber des Lehrstuhls für Theoretische Physik der TU Dresden und Sektionsdirektor eingeleitet, der eine Dienstreise nach Frankreich genutzt hatte, um die DDR zu verlassen.25 Ein Promovend der TU Dresden arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter im VEB Jenaer Glaswerk Schott und Genossen. Ihm wurde Anfang 1975 nach einem fehlgeschlagenen Fluchtversuch und der Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe vom Senat der TU Dresden sein akademischer Grad entzogen.26 Aus dem gleichen Grund wurde 1978 das Verfahren zum Entzug des Doktortitels gegen einen wissenschaftlichen Oberassistenten der Sektion Arbeitswissenschaften abgeschlossen. Im Jahre 1975 war die TU Dresden vom Staatsanwalt des Bezirkes Dresden und vom Rektor der Bergakademie Freiberg aufgefordert worden, einem Mitarbeiter dieser Hochschule den an der TH Dresden erworbenen akademischen Grad „Dr. rer. nat.“ zu entziehen, nachdem ihn das Bezirksgericht zu 22 Vgl. Barwich, Heinz / Barwich, Elke, Das rote Atom, München / Bern, 1967. 23 Verordnung vom 6. November 1968 über die akademischen Grade, vgl. GBl. II, Nr. 127, S. 1022. 24 Vgl. UA der TUD, Rektorat II, Nr. 491, n. f. 25 Vgl. UA der TUD, Prorektor für Naturwissenschaften, Nr. 15 n. f. 26 So forderte der Rektor der TU Dresden am 13. Januar 1975 die Mitglieder des Senats des Wissenschaftlichen Rates auf, dem Diplom-Physiker mit Wirkung vom 1. Januar 1975 den akademischen Grad „Dr. rer. nat“ zu entziehen. Die Aberkennung war zwingend „wenn sich der Inhaber durch sein Verhalten der Führung des akademischen Grades unwürdig erweist.“ Vgl. UA der TUD, Rektorat II (Wissenschaftlicher Rat), Nr. 473 n. f. Die folgende einstimmige Bestätigung durch den Senat in seiner 39. Sitzung am 13. Januar 1975 war dann nur noch eine Formalie.

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einer Haftstrafe von 15 Jahren wegen angeblicher Spionage verurteilt hatte. Der Senat der Universität folgte dieser Aufforderung und entzog in seiner Sitzung am 21. Juni 1976 den 1962 erworbenen akademischen Titel.27 Wenn mit Lehraufgaben betraute Hochschulangehörige Ausreiseanträge stellten, wurden sie von der Universität entfernt oder intern in Bereiche versetzt, die nicht in die Lehre und sensible Forschung einbezogen waren. Ihre Lehrbefugnis wurde mit Beschlüssen der jeweiligen Fakultäten und des Senats entzogen, wie beispielsweise im Fall eines Chemiedozenten, dessen Antrag „auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und Übersiedlung in die BRD“ als „unvereinbar […] mit den Pflichten eines sozialistischen Hochschullehrers“ angesehen wurde. Der Senat bestätigte am 24. April 1984 einen Beschluss der Fakultät auf Aberkennung seiner Venia legendi.28 Wie bereits dargestellt, wurde bereits Ende der 1950er Jahre auf den formalen Entzug des Diploms bei „Republikflucht“ und politischen Verfahren verzichtet. Bekannt ist eine Ausnahme von dieser Regel. Gegen Studenten, die bei Fluchtversuchen nach dem 13. August 1961 gefasst und zu Haftstrafen verurteilt worden waren, wurde von den Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR die Exmatrikulation ausgesprochen. So erging es den Studenten der TU Dresden Günter Knoblauch und Günter Lück, die in der Fachrichtung Elektrotechnik eingeschrieben waren. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch von Günter Lück waren sie im August 1966 verhaftet und dem MfS überstellt worden.29 Neben Kontakten zu Westberliner Organisationen wurde ihnen auch der Besitz von DDR-kritischer Literatur vorgeworfen. Im Mittelpunkt standen dabei die Monografien von Wolfgang Leonhard „Die Revolution entläßt ihre Kinder“30 und von Fritz Schenk „Im Vorzimmer der Diktatur“.31 Neben Mitgliedern seiner Seminargruppe verhörte das MfS auch einen Dresdner Buchhändler, der mit Günter Knoblauch bekannt war.32

27 UA der TUD, Rektorat II (Wissenschaftlicher Rat), Nr. 474 u. 306 n. f. 28 Beschluss des Senats des Wissenschaftlichen Rates der Technischen Universität Dresden vom 24. April 1984, UA der TUD, Rektorat II, Nr. 490. Als rechtliche Grundlage für die Aberkennung der Lehrbefugnis diente die Anordnung über die Erteilung und den Entzug der Facultas docendi vom 1. Dezember 1968 (GBl. II Nr. 127, S. 1004). 29 Beschluß des 1. Strafsenats des Bezirksgerichts Dresden vom 15. März 1967, in: BStU, Außenstelle Dresden, Nr. 006103 / 93 D, Aktenkonvolut des MfS zu Günter Knoblauch (Aktenkopie im Besitz von G. Knoblauch), Bl. 702. 30 Wolfgang Leonhard, Die Revolution entlässt ihre Kinder, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1955, 557 S. 31 Fritz Schenk, Im Vorzimmer der Diktatur. 12 Jahre Pankow, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 1962, 412 S. 32 Protokoll des MfS über das Verhör und die Gegenüberstellung von Günter Knoblauch mit dem Dresdner Buchhändler vom 1. Dezember 1966, vgl. a. a. O, Bl. 183 ff.

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Nach neunmonatiger Untersuchungshaft fand vor dem Bezirksgerichts Dresden unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Hauptverhandlung statt.33 Das Urteil war politisch motiviert und begründet.34 Günter Lück war zu zwei Jahren und sechs Monaten und Günter Knoblauch zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis verurteilt worden.35 Während Günter Knoblauch trotz vielfältiger persönlicher Interventionen erst nach Ablauf der vollen Haftzeit im März 1968 in die DDR entlassen wurde, war Günter Lück im Zusammenhang mit einem Häftlingsfreikauf in die Bundesrepublik abgeschoben worden. Günter Knoblauch wurde nach der Haftentlassung ein Arbeitsplatz im VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Dresden zugewiesen, wo er weiterhin unter Kontrolle stand. In den folgenden Monaten hatte er bei den Staatsorganen der DDR mehrfach und nachdrücklich die Genehmigung zur Ausreise eingefordert. Sein Antrag auf Fortsetzung des Direktstudiums war von der Universität abschlägig beschieden worden. Dafür durfte er ab September 1968 ein Fernstudium in der Hauptfachrichtung Elektrotechnik aufnehmen.36 Diesen Studiengang beendete er im Februar 1970 erfolgreich mit dem Diplom. In der Zwischenzeit hatte Günter Knoblauch mehrfach die Abteilung Inneres aufgesucht, um die Genehmigung zur Übersiedlung in die Bundesrepublik zu erhalten. Diesen Initiativen folgten Vorladungen bei der Bezirksstaatsanwaltschaft.37 Ende Juni 1970 kündigte der Betriebsdirektor das Arbeitsverhältnis von Günter Knoblauch fristlos, weil er seinen Personalausweis an Innenminister Friedrich Dickel mit dem Ziel der Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR gesandt hatte.38 Die Klagen von Günter Knoblauch „wegen fristloser Entlassung und Schadenersatzforderung“ wurde sowohl vom Kreisgericht als auch vom 2. Senat des Bezirksgerichts Dresden abgewiesen.39 In den folgenden Monaten verschärfte sich die Konfrontation des inzwischen beschäftigungslosen Günter Knoblauch mit dem Staat. Es folgten Aussprachen beim Bezirksstaatsanwalt, der den Gene33 Schreiben der Abteilung IX an die Abteilung XX der Bezirksverwaltung des MfS vom 22. März 1967, vgl. a. a. O. 34 Urteil des Bezirksgerichts Dresden (1. Strafsenat) in der Strafsache gegen Günter Knoblauch und Günter Lück in der Hauptverhandlung vom 7. und 11. April 1967, Original im Besitz von G. Knoblauch. 35 Urteil des Bezirksgerichts, in: a a. O., Bl. 631. UA der TUD, Studentenakte Nr. 8691. 36 Schreiben der Hauptabteilung Fern- und Abendstudium der TU Dresden vom 19. September 1968, Original im Besitz von G. Knoblauch. 37 Dazu Schreiben des Staatsanwalts des Bezirkes Dresden vom 23. Juli und vom 22. Oktober 1968, Originale im Besitz von G. Knoblauch. 38 Schreiben des VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Dresden vom 26. Juni 1970, Original im Besitz von Günter Knoblauch. 39 Urteil vom Kreisgericht und Berufung vom 13. November 1970 sowie Urteil und Urteilsbegründung vom 2. Senat des Bezirksgerichts für Arbeitsrechtssachen vom 12. Januar 1971, Ausfertigungen im Besitz von G. Knoblauch.

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ralstaatsanwalt Josef Streit über die Forderungen von Günter Knoblauch informierte.40 Parallel stand Günter Knoblauch in Kontakt zu seinen Verwandten in der Bundesrepublik, die er über seine Aktivitäten informierte. Da mehrere Briefe die Adressaten in der Bundesrepublik nicht erreicht hatten, beschwerte sich Günter Knoblauch bei der Bezirksstaatsanwaltschaft.41 Er ließ sich nicht verunsichern und provozierte in einer Zeit der beginnenden Entspannungspolitik den Repressivapparat der DDR. Hauptmann Seibt von operativen Abteilung XX / 5 der Dresdner Bezirksdienststelle des MfS hatte bereits Anfang September 1970 veranlasst, dass Günter Knoblauch in der „Vorbeugekartei“ als „Feind“ registriert wurde. Es wurde vermutet, dass er versuchen werde, die DDR „illegal“ zu verlassen.42 Ende August 1970 hatte Günter Knoblauch an den Generalstaatsanwalt der DDR ein Schreiben gerichtet, in dem er von Günter Knoblauch nachdrücklich aufgefordert wurde, ihn aus der Staatsbürgerschaft der DDR zu entlassen. Anderenfalls kündigte er an, „die DDR nächstens illegal zu verlassen“, da er sich „mit der Rolle eines Menschen zweiter Klasse niemals (!) abfinden werde“ und vorerst nur so eine Möglichkeit sehe, sich eine Existenz in einer Gesellschaftsform aufzubauen, wo er als ein gleichberechtigtes Mitglied leben könne und nicht diskriminiert werde.43 Günter Knoblauch berief sich dabei auf die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 und ihre Anerkennung durch eine Erklärung der Regierung der DDR vor der UN-Menschenrechtskonferenz im Mai 1968 in Teheran.44 Eine Antwort erhielt er nicht, unternahm aber weitere Schritte, um seine Ausreise zu erzwingen. So setzte er sich brieflich 1971 mit dem Präsidenten der Internationalen Juristenvereinigung in Brüssel in Verbindung und informierte darüber den DDR-Generalstaatsanwalt Josef Streit.45 Beratung und moralischen Beistand erfuhr Günter Knoblauch von dem in Dresden tätigen Rechtsanwalt Dr. Heinz Melies, der sich der besonderen

40 Schreiben des Bezirksstaatsanwalts an den Generalstaatsanwalt der DDR vom 5. August 1970, in: BStU, Außenstelle Dresden, Akte Günter Knoblauch, Bl. 239 f. 41 Schreiben von Günter Knoblauch an die Staatsanwaltschaft des Bezirksgerichts Dresden vom 1. Mai 1970 sowie Schreiben des Staatsanwalts des Bezirks Dresden vom 1. Juni 1970 und vom 2. Juli 1970, Durchschriften im Besitz von Günter Knoblauch. 42 BStU, Außenstelle Dresden, Akte Günter Knoblauch, Bl. 176. 43 Diese Erklärung hätte zu seiner Verhaftung führen müssen, da er praktisch ein „Staatsverbrechen“ ankündigte. Durch seine Argumentation machte er aber deutlich, dass die staatlichen Stellen ihn zu einer solchen provozierenden Einlassung gezwungen hatten, da die innerstaatlichen Stellen der DDR ihre internationalen Erklärungen ständig unterliefen und konterkarierten. Vgl. UA der TUD, Dokumentation. Schreiben von Günter Knoblauch an den Generalstaatsanwalt vom 29. August 1970 (Kopie im Besitz von G. Knoblauch). 44 Ebenda. 45 Abschriften vom 5. Januar und vom 12. April 1971, im Besitz von G. Knoblauch.

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Situation von Günter Knoblauch sehr wohl bewusst war.46 Auch die TU Dresden wurde in den Fall einbezogen. Direktor und Parteisekretär vom VEB Wasserwirtschaft und Abwasserbehandlung forderten den Rektor auf, das Verfahren zur Aberkennung des Diploms von Günter Knoblauch einzuleiten. Am 22. Oktober 1970 sollte er während eines Gesprächs mit dem Sektionsdirektor und dem ebenfalls anwesenden Parteisekretär den Ausreiseantrag zurückziehen, was Günter Knoblauch ablehnte. Daraufhin hatte am 15. März 1971 der Rat der Sektion47 beschlossen, Günter Knoblauch den akademischen Grad des Diplom-Ingenieurs zu entziehen.48 Er stützte sich dabei auf die Verordnung über die akademischen Grade vom 6. November 1968.49 Die Aberkennung des Diploms durch den Rat der Sektion Informationstechnik, dem etwa 30 Mitglieder angehörten, war ausschließlich politisch motiviert und unter rechtsstaatlichen Voraussetzungen irrelevant. So wurde Günter Knoblauch im Aberkennungsbeschluss vorgeworfen, dass er die Gesellschaftsordnung der DDR ablehne, die Bildungsmöglichkeiten aus egoistischen Motiven genutzt habe und nun beabsichtige in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach Auffassung des Rates der Sektion wäre Günter Knoblauch nicht zum Fernstudium immatrikuliert worden, wenn der TU Dresden der bereits laufende Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft bekannt gewesen wäre.50 Dieses Vorgehen entsprach dem damaligen Staatsverständnis der handelnden Personen. Sie hatten unter den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen kaum Ermessensspielraum. Eine Solidarisierung mit Günter Knoblauch wäre gleichbedeutend mit dem Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere gewesen. Der Sektionsdirektor war sich offenbar über das moralische Unrecht des Verfahrens bewusst und hatte deshalb in der Vorbereitung der entscheidenden Sitzung mit mehreren Mitgliedern des Sektionsrates gesprochen, um das Aberkennungsverfahren zu verhindern und Zeit zu gewinnen. Wohl wissend, dass der Rektor die Aberkennung nicht rückgängig machen werde, wies ihn Günter Knoblauch mit einem Schreiben vom 18. April 1971 darauf hin, dass einzig und allein sein „Ansuchen auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik“

46 Dr. Heinz Melies war Mitglied des Kollegiums der Rechtsanwälte im Bezirk Dresden. Dieser Vereinigung mussten alle selbstständigen Anwälte in der DDR angehören. 47 Dem Rat der Sektion gehörten neben den Hochschullehrern Vertreter der SED und der gesellschaftlichen Organisationen wie FDGB und FDJ an. Mitglieder waren auch der Sekretär des Sektionsdirektors, ein Vertreter der Sektion Marxismus-Leninismus und ein Praxisvertreter. Den Vorsitz führte der Sektionsdirektor. 48 Beschluss des Rates der Sektion Informationstechnik vom 15. März 1971 (ausgefertigt am 25. März 1971), vgl. UA der TUD, Studentenakte, Nr. 5742. 49 Verordnung über die akademischen Grade vom 6. November 1968 (GBl. II Nr. 127, S. 1022). 50 UA der TUD, Studentenakte, Nr. 5742, Bl. 90.

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ursächlich für die Aberkennung des akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ war.51 In den Unterlagen der SED-Kreisleitung fand das Verfahren keinen Niederschlag. Vermutlich sollte es nicht weiter publik gemacht werden.52 Für den bürokratischen Akt der Aberkennung zeichnete letztlich der Sektionsdirektor verantwortlich, der Günter Knoblauch vor die Alternative der Rücknahme des Ausreiseantrags oder den Verlust des Diploms gestellt hatte. Nur eine bereits im Rentenalter stehende Mitarbeiterin des Prüfungsamtes distanzierte sich von dieser Verfahrensweise, indem sie auf den Empfang des Originals der Diplomurkunde mit dem Kommentar „eine solche Schweinerei mache ich nicht mit“ verzichtete.53 Die rechtswidrige Aberkennung des von Günter Knoblauch im Fernstudium erworbenen akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ bleibt ein Sonderfall, da, wie bereits dargestellt, seit Ende der 1950er Jahre die Auffassung vertreten wurde, dass es sich beim „Diplom“ um eine akademische Berufsbezeichnung handele, die nicht aberkannt werden könne. 1971 flüchtete Günter Knoblauch in die Bundesrepublik, wo die Aberkennung des Diploms als nicht rechtswirksam erklärt wurde.54 Er musste sich dort in der Industrie beruflich neu orientieren und war später in leitender Stellung bei der Siemens AG tätig. In den folgenden Jahren stand Günter Knoblauch auch in der Bundesrepublik unter Beobachtung des MfS.55 Im Jahr 2007 ist auf der Grundlage einer Initiative von Günter Knoblauch von der TU Dresden der Beschluss zur Aberkennung des Diploms auch formal aufgehoben worden.56

51 Schreiben von Günter Knoblauch an den Rektor vom 18. April 1971, Durchschrift im Besitz von Günter Knoblauch. 52 Durchgesehen wurden die Protokolle des Sekretariats der SED-Kreisleitung der TU Dresden vom 3. März 1971 sowie vom 17. und vom 31. März 1971. Während der Sitzung am 31. März stand explizit die politisch-ideologische Arbeit des Parteisekretärs auf der Tagesordnung, vgl. SHStA, SED-Kreisleitung der TU Dresden, Sitzungen des Sekretariats, IV / B 4.15.020. 53 Erinnerung von Günter Knoblauch im Interview am 10. Dezember 2007. Die ehemalige Sekretärin von Heinrich Barkhausen arbeitete, damals bereits im Rentenalter stehend, stundenweise im Prüfungsamt. 54 Erklärung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 7. Februar 1972. 55 Dazu beispielsweise Beobachtungsauftrag der Abteilung XX / 5 vom 5. Juni 1973, vgl. BStU, Außenstelle Dresden, Akte Günter Knoblauch, Bl. 213 ff. 56 Schreiben des Rektors der TU Dresden an Günter Knoblauch vom 21. August 2007, vgl. UA der TUD, Registratur zu Günter Knoblauch.

7.  Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten, dass die Hochschulen als Institutionen eingebunden waren in die gesellschaftlichen Strukturen der SBZ und der DDR. Die Auseinandersetzungen um politische Machtfragen wurden an den „Kaderschmieden“ zur Heranbildung künftiger Eliten in einer „neuen Gesellschaft“ mit besonderer Härte geführt. Bis zum Bau der Berliner Mauer wurden in der SBZ und der DDR über 1000 Hochschulangehörige, vorrangig Studierende, aus politischen Gründen verhaftet. Die TH / TU Dresden erfuhr insbesondere während der 1950er und 1960er Jahre eine im Vergleich zu anderen Bereichen der Gesellschaft großzügige Förderung durch den Staat. Sie war neben der Humboldt-Universität zu Berlin die Hochschule mit den meisten Studierenden. Millionenschwere Investitionen in Neubauten für Institute und Studentenwohnheime sorgten für einen Wachstumsschub. Hier wurde ein großer Teil der technisch-wissenschaftlichen Elite der Industrie der DDR herangebildet. Ein Studium an dieser Ausbildungsstätte galt als besonders anspruchsvoll. Sie war in gewisser Weise auch ein Prestigeobjekt mit internationaler Ausstrahlung und einer beachtlichen Tradition. Diese Voraussetzungen sorgten für nicht zu unterschätzende Bindekräfte der Hochschulangehörigen, insbesondere der Studierenden, an ihre Alma Mater und an die DDR. Trotzdem gab es auch an dieser Einrichtung Opposition und Widerstand unter der Studentenschaft. In den Jahren zwischen 1946 und 1960 wurden 35 immatrikulierte Studierende der TH Dresden aus politischen Gründen festgenommen und in Untersuchungshaft überführt. Zu Strafen mit zumeist mehrjährigem Freiheitsentzug sind 27 Studenten und eine Studentin verurteilt worden. Besonders hoch waren die Zahlen mit 8 Verhafteten im Jahr 1951 und mit 13 festgenommenen Studenten im Jahr 1959. Vom Sowjetischen Militärtribunal in Dresden sind von 1948 bis 1952 insgesamt 4 Studenten verurteilt worden, davon ein Kommilitone zum Tode. Das Urteil wurde 1953 in Moskau vollstreckt. Insgesamt 10 Studienbewerber kamen aus politischen Gründen in Haft. Von dieser Gruppe wurden vier Männer und eine Frau von Militärtribunalen verurteilt. In Relation zu den anderen Universitäten in der DDR hatte die TH Dresden auch unter Einbeziehung weiterer Dresdner Hoch- und Fachschulen1 mit weitern 9 verurteilten Studenten, darunter ein zum Tode verurteilter Kommilitone – abgesehen von der kleinen Universität 1 Unter Berücksichtigung der Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“, der Hochschule für Bildende Künste, der Hochschule für Musik „Carl Maria v. Weber“, der Medizinischen Akademie „Carl Gustav Carus“, des Pädagogischen Instituts „Friedrich Wilhelm Wander“ und der Technischen Lehranstalten Dresden (ab 1953 Ingenieurschule Dresden, ab 1968 Ingenieurhochschule).

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Greifswald – die niedrigste Zahl an verhafteten und verurteilten Studenten aufzuweisen.2 Die Mehrzahl der politischen Urteile entfällt auf die 1950er Jahre, wobei sich Anfang jenes Jahrzehnts unter den Bedingungen des Hochstalinismus die Urteile häuften und das Strafmaß besonders hoch und unverhältnismäßig ausfiel. Großes Aufsehen erregte der als Schauprozess initiierte Dresdner Studentenprozess. In jenem Jahr wurden allein 10 Studenten der TH Dresden verurteilt. Auch in den Jahren zwischen 1961 und 1989 wurden Gerichtsurteile mit politischem Hintergrund gegen Studenten verhängt, wie die Verurteilungen mit Bezug auf die Proteste von 1968 gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Im Verhältnis zu Zehntausenden Absolventen und Absolventinnen muten die Dimensionen politischer Justiz gegen Studierende eher gering an. Andererseits haben politische Haftstrafen das spätere Leben vieler Betroffener in psychischer und physischer Hinsicht nachhaltig beeinflusst. Bis zum Ende der DDR war dieses Kapitel der Universitätsgeschichte nicht existent. Im orwellschen Sinne war es aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen. So war es den Betroffenen vom MfS verboten worden, über ihre Schicksale zu sprechen. Es wird deutlich, dass politische Justiz gegen Studenten die Spitze des Eisberges darstellte und vor allem bis Ende der 1950er unter den Bedingungen des Kalten Krieges und noch offener Grenzen ein probates Mittel zur Abschreckung in der politischen Auseinandersetzung war. Seit den 1960er Jahren dominierten andere Formen der Disziplinierung wie befristeter oder unbefristeter Entzug der Studienerlaubnis, die Erteilung von Disziplinarstrafen, kollektive Aussprachen und nicht zuletzt die Formen der Selbstdisziplinierung. Es war eine Minderheit von Studenten die sich in unterschiedlicher Weise mit einem politischen System auseinandersetzte, das Pluralismus und Individualismus ablehnte und bekämpfte. Vor allem die schrittweise Beseitigung von Formen der studentischen Selbstverwaltung und die einseitige politische Indoktrination führten seit Ende der 1940er Jahre zu erheblichen Konflikten. Die Studenten waren dabei einer ständig weiterentwickelten Kontrolle einer Vielzahl staatlicher Institutionen und Organisationen unterworfen. Repressive Maßnahmen erzeugten Unsicherheit und Angst vor allem unter den Studierenden, die mit der politischen Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR nicht einverstanden waren, sich der Diktaturdurchsetzung widersetzten, und alternative politische Konzepte vertraten. Die sowjetische Geheimpolizei und die sowjetischen Militärtribunale überwachten, verhafteten und verurteilten auch Dresdner Studenten, deren politische Auffassungen vermeintlich oder tatsächlich im Gegensatz zur stalinistischen Diktatur standen. Widerständige Aktionen in Form von Flugblattaktionen, Verteilung von Litera2 Vgl. Namen und Schicksale der von 1945 bis 1962 in der SBZ / DDR verhafteten und verschleppten Professoren und Studenten, a. a. O. S. 202 f.

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tur und Presseerzeugnissen, Verbindungen zu antikommunistischen Institutionen und Organisationen wurden verfolgt und in abschreckender Absicht geahndet. Der Überwachungs- und Repressionsapparat der Besatzungsmacht richtete von Anfang an das Augenmerk dezidiert auch auf die Hochschulen, die einerseits maßgeblich Eliten für alle Bereiche der Gesellschaft stellten, andererseits aber immer auch ein Hort von kritischem Geist und Widerspruch waren. Seit Anfang der 1950er Jahre war das MfS in Zusammenarbeit mit verschiedenen Leitungsebenen, der SED und einer Vielzahl von offiziellen und inoffiziellen Kontakten auch an der TH / TU Dresden verankert und vernetzt. Der Ausbau der Strukturen des MfS auch im Bereich des Hochschulwesens führte dazu, dass oppositionelle und widerständige Diskussionen, Absichten oder Handlungen bereits in frühen Stadien erkannt und mit den Mitteln des Geheimdienstes bekämpft wurden. Studentischer politischer Widerstand war bis zur Mitte der 1950er Jahre des 20. Jahrhunderts an der TH Dresden schwächer ausgeprägt als an den Universitäten der DDR. Ein Studienplatz an der TH Dresden galt als Auszeichnung, der sich der Student in jeder Hinsicht als würdig und dankbar zu erweisen hatte. Die Aussicht auf eine Tätigkeit als Ingenieur oder Chemiker in der aufstrebenden Wirtschaft war verlockend. Der hohe Organisationsgrad von Studierenden in der FDJ, der DSF, der GST und teilweise der SED war zumindest partiell Ausdruck von Anpassung an die realen politischen Verhältnisse, aber keinesfalls Ausdruck festgelegter politischer Überzeugungen. Von einer vollzogenen politischen Gleichschaltung der Studenten kann gerade für die Zeit der 1950er Jahre nicht gesprochen werden. Die Dresdner Studentenproteste insbesondere im Jahre 1956 gegen die verkündeten Reiseverbote nach Westberlin, Westdeutschland und das übrige kapitalistische Ausland verdeutlichten den politischen Unmut unter den Studenten. Ebenso sind die spontanen Solidaritätsbekundungen von 1956 mit den aufständischen Ungarn ein Indiz für unabhängiges Denken. Viele Studentinnen und Studenten hatten sich in kleinen privaten Gruppen zusammengefunden und sich eine eigene Meinung zu den zeitpolitischen Fragen gebildet. Bis zum Bau der Mauer unterhielten Studenten der TH Dresden vielfältige informelle Beziehungen zu Kommilitonen vor allem in Westberlin. Zumeist hatten die aus politischen Gründen verhafteten und verurteilten Studenten Verbindungen zu Westberliner Institutionen und Organisationen aufgenommen, die die oppositionellen Bestrebungen in der DDR unterstützten und förderten. Dazu gehörten studentische Kontaktstellen in Westberlin, wie der Verband Deutscher Studentenschaften und die Westberliner Studentenzeitschrift „Colloquium“. Kontakte bestanden auch zum RIAS, zum Ostbüro der SPD, zur KgU, zur Außenstelle des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen und zu anderen Organisationen. Der Austausch mit diesen Institutionen beschränkte sich nach Auswertung der Prozessunterlagen weitgehend auf die Bereitstellung von Literatur und gegen die Staatsform der DDR gerichtetem Propagandamaterial.

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Mit dem Abschluss des Dresdner Studentenprozesses im Frühjahr 1959 war organisierter studentischer Widerstand an der TH Dresden gebrochen worden. Der staatliche Repressivapparat hatte mit dem Prozess eine Drohkulisse aufgebaut. Gleichzeitig sollte der politisch aufgeladene Prozess einen Beitrag zur Systemauseinandersetzung liefern. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Der Prozess offenbarte den hohen Grad der institutionellen Vernetzung und Zusammenarbeit unter der Federführung des Staatssicherheitsdienstes, wobei dieser stets die Fäden in der Hand behielt. Deutlich wurden aber auch die Grenzen von Steuerungen und Manipulationen. Es war nun auch international offensichtlich geworden, dass es innerhalb der akademischen Jugend der DDR politische Entwicklungen gab, die sich keinesfalls durch Partizipation und Konformismus mit dem offiziellen Staatssozialismus der DDR auszeichneten. Der Studentenprozess offenbarte das Dilemma der DDR-Führung, die sich auch auf die von ihr besonders geförderte und teilweise privilegierte akademische Jugend nicht im vollen Umfang verlassen konnte. Bis zum 13. August 1961 verließen aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründen Hunderte Studenten und Absolventen der TH Dresden die DDR und studierten weiter an Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik und Westberlins oder stärkten den aufnahmebereiten prosperierenden Arbeitsmarkt im anderen deutschen Teilstaat. Der Bau der Berliner Mauer war nicht nur ein prekäres weltpolitisches Ereignis, das die DDR und den gesamten Bereich des sowjetischen Einflussgebietes zumindest zeitweise stabilisierte und über Jahrzehnte die Politik zwischen Ost und West prägte. Es war auch ein Ereignis, das Millionen DDR-Bürgern die Entscheidung über das „Hierbleiben“ oder das „Weggehen“ abnahm. Es galt nun, sich einzurichten und das Beste aus dieser Situation zu machen. Das Prestige der TH Dresden war nach der Verleihung des Status einer Technischen Universität 1961 nicht zuletzt bei den Studenten weiter gestärkt worden. Sie blieb die einzige auf die Technikwissenschaften orientierte Universität in der DDR und nahm schon deshalb eine privilegierte Stellung innerhalb des Hochschulwesens ein. Studienrichtungen wurden weiter ausgebaut und die Verbindungen mit der Industrie intensiviert. Sie war eine moderne Universität, deren Leistungen in Lehre und Forschung weiter international Beachtung fanden. Andererseits hatte der 13. August 1961 auch deutlich gemacht, dass die DDR-Führung in Bezug auf das Hochschulwesen nicht in der Lage war, die akademische Jugend nach ihren Vorstellungen zu disziplinieren und zu einer ergebenen Elite heranzubilden. Die Abgrenzungspolitik der DDR führte durch weitgehende Unterbindung deutsch-deutscher und internationaler wissenschaftlicher und nicht zuletzt studentischer Kontakte, zu Isolation und zunehmender Abkoppelung von internationalen Entwicklungen vor allem in der Forschung. In den folgenden Jahrzehnten sind nur vereinzelte oppositionelle Aktionen des Aufbegehrens unter der studentischen Jugend nachweisbar, so 1963 der Ver-

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such von Studenten der Physik. Sie wollten mithilfe eines Problemkatalogs eine Diskussion über offensichtliche Mängel im Sozialismus der DDR, insbesondere über mangelnde Führungsqualitäten der Funktionäre, entfachen. Diese Studenten und Assistenten, darunter Mitglieder der SED und Angehörige des Instituts für Gesellschaftswissenschaften der Universität, waren an den realen politischen Verhältnissen gescheitert. Auf Geheiß übergeordneter Funktionäre, bis hin zu Walter Ulbricht, wurden diese Diskussionen unterbunden und das Diskussionspapier eingezogen. Parteiverfahren, Entlassungen und Behinderung von akademischen Karrieren waren die Folge. Damit war abermals deutlich geworden, dass auch auf Versuche zur partiellen Demokratisierung stalinistischer Strukturen mit Repression geantwortet wurde. Oppositionelle Studentengruppen mit eigenen Programmen hat es nach dem Dresdner Studentenprozess im Jahre 1959 nicht mehr gegeben. Der Versuch von acht Chemiestudenten, im Jahre 1965 eine unabhängige Organisation als Forum für kritische Diskussionen zur Wirtschaftspolitik zu etablieren, war bereits auf der Ebene des Instituts und unter Einschaltung des Disziplinarausschusses der Universität unterdrückt worden. Mit mehrjährigen Haftstrafen reagierte der Staat auf eine Aktion von TUStudenten, die im August 1968 mit Flugblättern gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrags in der Tschechoslowakei protestierten und zur Solidarität mit den Menschen im Nachbarland aufriefen. Während vor dem Bau der Mauer repressive Elemente des Staates auch gegen politisch oppositionelle Studenten wesentlich ausgeprägter waren, wurden seit den 1960er Jahren beispielsweise Haftstrafen mit politischem Hintergrund seltener und mit geringerem Strafmaß ausgesprochen. Die Macht der SED war in dieser Zeit größer als in der Zeit davor, so dass zunehmend repressive Instrumente, wie die Verhängung von Zuchthausstrafen, durch „weichere“ Disziplinierungsmethoden ersetzt wurden.3 Während der 1970er und 1980er Jahre stellten vereinzelt auch Studenten Anträge auf Ausreise aus der DDR. Damit waren der Entzug der Studienzulassung und die Exmatrikulation verbunden. Es gehörte in den 1970er und 1980er Jahren zum Erfahrungsschatz der Studenten, dass sich politisch widerständiges Verhalten nicht auszahlt, vielmehr einen erfolgreichen Studienabschluss und eine spätere Karriere in der Regel erschwert oder gar unmöglich macht. Andererseits zeigten die teilweise sehr differenzierte politische Einflussnahme sowie die Teilhabe der Studenten am politischen System und natürlich die überwiegend guten Studienbedingungen nicht zu unterschätzende Wirkung. Den Studenten dieser Jahre war die Härte und Schärfe der politischen Auseinandersetzungen in den 1950er Jahren nicht bekannt. Sie wurden 3 Den Zusammenhang zwischen Macht und Gewalt bei Hannah Arendt, vgl. Hannah Arendt, Macht und Gewalt, 13. Auflage, München, 1998, S. 36 f.

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in einer Zeit der politischen Abgrenzung und Entspannung zu Akademikerinnen und Akademikern herangebildet. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die weitgehende politische Integration der Studierenden in das politische System der DDR war nicht zuletzt die Legitimations- und Strukturkrise der westlichen Staaten, insbesondere der USA. Besonders nachhaltig waren dabei die Auseinandersetzungen um den als ungerecht und schmutzig empfundenen Krieg in Vietnam, gegen den weltweit insbesondere die Studenten demonstrierten. Dabei richteten sich die Studentenproteste unter der Doktrin des „Antiimperialismus“ auch zunehmend gegen das kapitalistische Gesellschaftsmodell. Die politischen Verhältnisse in Frankreich und Italien sowie in mehreren Entwicklungsländern schienen den Voraussagen der politischen Elite und der Gesellschaftswissenschaftler der DDR Recht zu geben, dass das so genannte sozialistische Weltsystem sich weiter ausdehnen werde. Selbst in einflussreichen Organisationen der marktwirtschaftlich verfassten Staaten wie dem Internationalen Währungsfonds herrschte bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts keinesfalls Einigkeit darüber, welches Wirtschaftssystem sich letztlich durchsetzen würde.4 Vielfach trugen insbesondere innenpolitische Entwicklungen in der Bundesrepublik, wie die Auseinandersetzungen um die Studentenunruhen, der „Radikalenerlass“ und nicht zuletzt das Phänomen des brutalen Terrorismus durch die RAF dazu bei, dass die offensichtlichen Mängel der DDR, wie die eklatanten Demokratiedefizite, die stark eingeschränkte Reisefreiheit und die gravierenden wirtschaftlichen Probleme, zumeist relativiert wurden. Der Kalte Krieg zwischen den Systemen war nach dem Grundlagenvertrag, den Ostverträgen und dem Helsinkiprozess über politische und ideologische Grenzen hinweg einer partiellen Zusammenarbeit gewichen, die maßgeblich auch von Professoren in Ost und West geführt wurde. Vereinzelt äußerten sich Studenten in Studentenclubs, während Faschingsveranstaltungen und anderen studentischen Geselligkeiten wie Bergfestfeiern kritisch zur Politik des Staatssozialismus der DDR. Fundamentale Kritiken am politischen System der DDR zogen Repressionen und Disziplinierungen in unterschiedlichen Graden nach sich. Vielfach erfolgte die Disziplinierung intern in Form von Aussprachen, während der den Studenten von Hochschullehrern Konsequenzen bis hin zur vorzeitigen Exmatrikulation angedroht wurden. Die Androhung und der Vollzug des befristeten oder auch dauernden Ausschlusses vom Studium an den Universitäten und Hochschulen der DDR war ein probates Mittel zur Disziplinierung.

4 Diskussionsbeitrag vom ehemaligen Bundesbankpräsidenten Dr. Hans Tiedtmeyer während der Podiumsdiskussion am 3. Oktober 2008 auf dem 47. Deutschen Historikertag in Dresden: „Die friedliche Revolution und die deutsche Vereinigung 1989 / 90: das Volk, die Volkswirtschaft“.

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Dem widerspricht nicht, dass andererseits auch innerhalb der studentischen „Kollektive“ Kritiken beispielsweise in Bezug auf die Studienbedingungen sehr wohl möglich waren. Die Seminargruppen wirkten einer Anonymisierung im Massenbetrieb der Universität entgegen. Sie sollten natürlich auch eine gegenseitige Kontrolle und Selbstkontrolle im Studienprozess, in den Wohnheimen, in der Freizeit und nicht zuletzt bei politischen Aktivitäten gewährleisten. Das in sich geschlossene System der DDR erschwerte ein Ausbrechen aus den vorgegebenen Bahnen des verschulten Studienbetriebs der DDR, der hohe fachliche Anforderungen stellte. Zumeist unter den Dächern von Kirchgemeinden hatten vor allem in den 1980er Jahren auch Studenten beispielsweise im Rahmen der Friedens- und Umweltbewegung grundlegende politische Veränderungen eingefordert. Mit der von Michail Gorbatschow initiierten Politik von „Perestrojka“ und „Glasnost“ wurden auch an den Universitäten der DDR Diskussionen über Realität und propagierten Anspruch des „Realsozialismus“ zunehmend offener geführt. Die Universitäten und Hochschulen waren aber mehrheitlich nicht an den revolutionären Veränderungen der Jahre 1989 und 1990 beteiligt. Andererseits dürfen die dargestellten oppositionellen und widerständigen Aktionen gerade von Studierenden in der SBZ und der DDR nicht vergessen werden, die gegen die Diktatur gerichtet waren und Demokratie einforderten. Diese ehemaligen Studenten und Studentinnen haben mit Zuchthausstrafen und anderen Formen von Repressionen einen hohen Preis gezahlt, der ihr künftiges Leben maßgeblich beeinflusst und nicht selten beeinträchtigt hat.

8.  Tagung mit Podiumsdiskussion am 30. November 2009 Politisch motivierte Urteile und andere Formen von   Repressionen gegen Studenten der TU Dresden Am 30. November 2009 hatten Rektor und Universitätsarchiv zu einer Tagung mit anschließender Podiumsdiskussion unter der Thematik „Politisch motivierte Urteile und andere Formen von Repression gegen Studenten der TH/TU Dresden in der DDR“ in den Festsaal des Rektorats geladen. Mit einleitenden Worten betonte der Rektor gerade im Hinblick auf das zwanzigjährige Jubiläum des Falls der Mauer und der demokratischen Revolution die Bedeutung der Thematik für die Universität. In den folgenden Beiträgen skizzierten Dr. Jochen Staadt vom Berliner Forschungsverbund SED-Staat, Dr. Klaus-Dieter Müller, kommissarischer Direktor der Stiftung Sächsische Gedenkstätten e.V., und Dr. Matthias Lienert, Direktor des Universitätsarchivs der TU Dresden, Formen und Dimensionen staatlicher Repression gegen Studenten in der SBZ und der DDR. Anschließend berichteten Zeitzeugen aus dem Zeitraum von den 50er bis zu den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts über widerständige Handlungen und deren Folgen für die Akteure. Dr. Hanns-Lutz Dalpke charakterisierte die politischen Beweggründe der Angehörigen der oppositionellen Studentengruppe der TH Dresden, analysierte den Dresdner Studentenprozess von 1959 und arbeitete die abgestimmte politische Steuerung des Prozesses im Zusammenwirken von SED-Führung, Justiz, MfS und Medien heraus. Die von der Gruppe in einem 16-Punkte-Programm festgehaltene politische Konzeption zielte auf eine Demokratisierung der Gesellschaft und die Beseitigung der Vorherrschaft der führenden SED. Die Gruppe war sich bewusst, dass die von ihr verfolgten Ziele mit den Vorstellungen der Mehrheit der Bevölkerung übereinstimmten. Andererseits offenbarte die harte Reaktion des DDR-Regimes auf jede Form von Opposition und Widerstand in gewissem Sinne auch die Unsicherheit der Diktatur. Selbst im Prozess geäußerte ironische Bemerkungen wurden von der Propaganda gegen die Studentengruppe aufgegriffen. Wolfgang Lüder als damaliges Mitglied einer dreiköpfigen studentischen Gruppe von Westberliner Prozessbeobachtern verdeutlichte, dass der Versuch der Initiatoren des Studentenprozesses, die angeklagten Kommilitonen als skrupellose Kriminelle dazustellen, letztlich gescheitert war und das folgende zweite Verfahren nicht als Schauprozess, sondern hinter verschlossenen Türen geführt wurde. Gleichfalls machte Wolfgang Lüder darauf aufmerksam, dass der Prozess die SEDFührung unmittelbar beschäftigte und weit über den nationalen Rahmen hinaus registriert wurde. Nachdrücklich verwies er als Mitglied des „Vereins gegen das Vergessen“ auf Tendenzen zur Verharmlosung und Umdeutung der Geschichte.

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Prof. Dr. Sigismund Kobe stellte am Beispiel eines 1963 von jungen FDJund SED-Mitgliedern des Physikalischen Instituts entworfenen und diskutierten Thesenpapiers dar, dass offene Kritik an Fehlentwicklungen selbst innerhalb der staatstragenden Organisationen nicht möglich war und von übergeordneten Funktionären rücksichtslos bekämpft wurde. Die Betroffen mussten teilweise schwere berufliche Benachteiligungen in Kauf nehmen. Diese Erfahrungen hätten maßgeblich zur politischen Desillusionierung und zu der Einsicht beigetragen, dass SED und DDR auch von innen nicht reformfähig sind. Hartmut Henke, Sohn einer alteingesessenen Lausitzer Bauernfamilie und 1968 Absolvent der Landtechnik der TU Dresden, berichtete aus persönlicher Sicht über seine Motivation zur Ablehnung des Wehrdienstes nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Vertrags in Prag sowie über die Festnahmen von Kommilitonen, die gegen diese Invasion mit Flugblättern protestiert hatten. Für ihn gehörten die Sozialisation auf einem intakten Bauernhof, die Kollektivierung, solide wissenschaftliche und praktische Bildung an der TU Dresden sowie seine freundschaftlichen Kontakten zu Kommilitonen in der ČSSR zu wichtigen Aspekten seiner Biographie. Der Einmarsch von Truppen des Warschauer Vertrags in das benachbarte Land im Jahre 1968 hatte bei ihm und bei einigen Direktstudenten der Universität zu spontanen Protesthandlungen geführt. Er beschrieb Motivation und Gefühlslage der nach einer Flugblattaktion von Verhaftungen und politischen Urteilen betroffenen Studenten. Günter Knoblauch, ehemaliger Student der ABF und Absolvent des Fernstudiums der Elektrotechnik der TH Dresden, schilderte die Umstände und Hintergründe eines gegen ihn von der Universität eingeleiteten Verfahrens zur Aberkennung des Diploms, nachdem er 1970 einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Er analysierte Strukturen des Gehorsams gegenüber parteipolitischen Vorgaben, denen sich auch anerkannte Wissenschaftler nicht entzogen. Ideologisch bedingte Vorgaben wurden in einer Art Gruppenzwang auch ohne innere Überzeugung von deren Notwendigkeit oder Angemessenheit umgesetzt. Dr. Wolfgang Hartmann, Absolvent der Mathematik der TU Dresden, zeigte die Grenzen auf, die einem politisch nicht angepassten, mitunter politisch opponierenden Akademiker im Wissenschaftsbetrieb der DDR der 80er Jahre gesetzt waren. Er berichtete weiter über Werbungsversuche des MfS, das ihn auf amerikanische Wissenschaftler ansetzen wollte, und über die Schikanen, denen er sich ausgesetzt sah, nachdem er einen Ausreiseantrag gestellt und die Akademie der Wissenschaften der DDR verlassen hatte. Hartmann hatte Anfang der 80er Jahre versucht, seine Ausreise durch öffentliche Bekundungen seines Willens zu erzwingen. Daraufhin wurde er inhaftiert, verurteilt und später von der Bundesrepublik freigekauft. Dr. Joachim Klose, ehemaliger Physikstudent der TU Dresden, erläuterte unter Einbeziehung seiner eigenen Erfahrung an der TU Dresden, dass die Hochschulpolitik der DDR stets auf ein Zurückdrängen von kirchlichen Einflüssen gerichtet

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war und christliche Studenten bis zum Ende der DDR bei aktivem Eintreten für Positionen von Kirche und Religion Benachteiligungen in der akademischen Karriere in Kauf nehmen mussten. Insbesondere 1952/53, aber auch 1956 waren engagierte Mitglieder der evangelischen und der katholischen Studentengemeinden von der Hochschule verwiesen worden. Weiter bezog er sich auf eine Analyse der SED-Kreisleitung der TU Dresden von 1977, nach der der Einfluss der Kirchen auf die Universität zwar zurückgedrängt, aber andererseits im Zusammenhang mit der Entspannungspolitik offener diskutiert worden sei. Sehr wohl wurde registriert, dass christliche Studenten erheblichen Einfluss in den Seminargruppen hatten. Eine Studentin hatte während der Zivilverteidigungsausbildung einen improvisierten Gottesdienst für christliche Studentinnen organisiert und musste sich deswegen verantworten. Nachdem die FDJ-Gruppen sich von ihrer Handlung distanziert hatten, ließ sie sich auf eigenen Wunsch exmatrikulieren. Die Studentengemeinden boten Frei- und Schutzräume unabhängig von den staatlichen Vorgaben. Die Ablehnung von Gemeindemitgliedern, eine Verpflichtungserklärung zum Reserveoffizier abzugeben, verstärkte die Konfrontation. Das MfS versuchte vergeblich, Einfluss auf die Katholische Studentengemeinde zu nehmen und Mitglieder anzuwerben. Die Doktorandin Anita Krätzner, Universität Rostock, sprach über Repressionen gegen Angehörige der Universitäten und Hochschulen nach dem Mauerbau. Sie wies anhand von Quellen des Bundesarchivs und des Archivs der TU Dresden nach, dass auch Studenten und Mitarbeiter dieser Universität gemaßregelt und in Einzelfällen verhaftet oder verurteilt wurden. Diese Repressionen sollten auf die Masse der Universitätsangehörigen abschreckend wirken und sie von offener Kritik am Bau der Mauer abhalten. Gleichzeitig war mit der Propagierung von Feindbildern beispielsweise in der Universitätszeitung und mit verstärkter ideologischer Arbeit auf die Hochschulangehörigen eingewirkt worden. Dr. László Szögi, Eötvös Lóránd Universität, Budapest referierte zum bedeutenden Beitrag der ungarischen Studenten für den Aufstand gegen das stalinistische Regime 1956. Zuerst setzten sich die Studenten im südungarischen Szegend für die Demokratisierung ein. Im Oktober 1956 wurde ein von Partei und Staat unabhängiger ungarischer Studentenverband gegründet, der in den folgenden Wochen nicht nur für die Wiederherstellung der Hochschulautonomie kämpfte, sondern auch politische Forderungen, wie den Abzug der sowjetischen Truppen, stellte. Auf Großkundgebungen und Flugblättern verkündeten die Studenten in Budapest und anderen Städten ihre Forderungen und nahmen Kontakt zu den Arbeitern auf. Nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes verließen etwa 3000 Studenten und mehr als 330 Hochschullehrer das Land. 1957 wurden auch an den Universitäten die Reformen zurückgenommen. Allein in Budapest waren etwa 100 Studenten und Dozenten zeitweise oder endgültig von der Universität entfernt worden. Dr. Jindrich Schwippel, Tschechische Akademie der Wissenschaften Prag, berichtete über den bedeutenden Einfluss der Studenten auf die Demokratiebewe-

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gung 1968 und ihre Situation nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“. Dabei wurde die Prager Universität nicht sofort personell den neuen Machtverhältnissen angepasst. Diese Entwicklung verlief schleichend. Ein größerer politischer Prozess wurde gegen Angehörige der linksradikalen so genannten Revolutionären Jugend geführt, die Kontakte zu maoistischen Gruppierungen in anderen europäischen Staaten unterhielten. Aus ideologischen Gründen wurde die Universität des 17. November aufgelöst, die ausländische Studenten auf ein Studium in der Tschechoslowakei vorbereitet hatte. In der von Jürgen Engert geleiteten Podiumsdiskussion konzentrierte sich die Debatte auf das nachlassende Interesse in der Bundesrepublik an Fragen, die Hochschule und Studium in der DDR betrafen. Auch hier muss wohl die abrupte Trennung durch die Mauer, verbunden mit der separaten Entwicklung in beiden deutschen Teilstaaten, als entscheidendes Kriterium angenommen werden. Gleichfalls darf der Zwang gerade der in der DDR verurteilten und später in die Bundesrepublik übergesiedelten oder freigekauften ehemaligen Studenten nicht unterschätzt werden, sich beruflich neu zu orientieren und zu etablieren. Diejenigen Studenten, die nach politischer Haft in der DDR blieben, wurden nach der Haftentlassung zum Schweigen über die Umstände ihrer Verurteilung und Haft verpflichtet. Es wurde deutlich, dass die verschiedenen Formen politischer Repression, teilweise tiefe seelische Verletzungen bei den Betroffenen nach sich gezogen haben, die heute noch nicht überwunden sind. Während einige Betroffene eine detaillierte Aufarbeitung durchaus in Frage stellen, wurde von einer Mehrheit eine größere gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber den Schicksalen derer gefordert, die mitunter um die besten Jahre ihres Lebens gebracht wurden. Jürgen Engert äußerte abschließend den Wunsch, dass es nun darauf ankomme, die Geschichte der Repression gegen Studenten zusammenfassend und Universitäten übergreifend aufzuarbeiten. Rektor Professor Hermann Kokenge betonte die Notwendigkeit einer vertiefenden Aufarbeitung der Geschichte der Universität im gesamten 20. Jahrhundert. Dabei dürften die Einzelschicksale nicht vergessen werden.

9.  Anhang 9.1.  Quellen- und Literaturverzeichnis Ungedruckte Quellen: Bundesarchiv Berlin (BArch) BArch, DC 20, I / 3-155. BArch, DR 2, Ministerium für Volksbildung, Nr. 79. BArchiv, DR 3, Staatssekretariat für das Hochschulwesen, Nr. 147, 158, 165, 292, 5884, 5900. BArchiv, Büro des Ministerrates, Archiv für Staatsdokumente, I / 4, Nr. 438. BArchiv, DO 1 Zentrale Gefangenenkartei des MdI und Kartei der SMT- und Walheim-Verurteilten. SAPMO-BArchiv, DY 30, Nr.703, 704, 904, 2059, 7548. Universitätsarchiv der TU Dresden (UA der TUD) Rektorat I, Nr. 2-5, 70, 125, 127, 144, 580, 675, 811; Rektorat, II, Nr. 306, 474, 490; Prorektor für Gesellschaftswissenschaften, Nr. 1; Prorektor für Studienangelegenheiten, Nr. 51; Prorektor für Naturwissenschaften, Nr. 15; Direktorat für Kader und Qualifizierung, Nr. 4427/9; Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften, Nr. 28, 70, 258; Fakultät Maschinenwesen, Nr. 116, 230; Fakultät für Bauwesen, Nr. 79; Fakultät Maschinenwesen, Nr.116; Arbeiter-und-Bauern-Fakultät / Direktion, Nr. 1–3; Direktorat für Kader und Qualifizierung, Nr.4.427 / 9; Dezernat 3, Nr. 5.146 / 1, 4, 10, 5085/22; Personalaktenbestand, S II F 1-4, Nr. 310, 630, 792, 953, 1331, 1.108, 1.947, 2.768, 4.396; Prorektor für Studienangelegenheiten, Nr.2, 26; Studentenaktenbestand, VIII u. IX, Nr.86, 149, 389, 547, 741, 769, 812, 814, 853, 870, 887, 894, 923, 939, 948, 999, 1.010, 1.013, 1.228, 1.947, 2.279, 3.500, 3.571, 3.620, 3.834, 3.871, 3.954, 3.960, 4.028, 4.047, 4.185, 4.277, 4.393, 4.661, 5.399, 5.442, 5.531, 5.742, 6.236, 6.606, 6.650, 7.211, 7.445, 7.979, 8.004, 8.691, 8.908, 9.859, 9.917, 9.986, 11.240, 12.272, 13.324, 14.277, 18.668, 19.024, 20.377, 23.190, 26.192; Promotionsaktenbestand, Nr. 221, 325; Technische Lehranstalten Nr. 2 / 68; Arbeiter-und-Bauern-Fakultät, Nr. 5. Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden (SHStA) Ministerium des Kultus und Öffentlichen Unterrichts, 11.871, Nr.15.925. SED-Kreisleitung der TU Dresden, 11.871, Nr. IV / 4. 5.005, IV / 4.15.028, IV / 4.15.033, IV / 4.15.035, IV / 4.15.036, IV / 4.15 055, IV. / 4.15.070, IV. / 415.075, IV / B 4. 15.004, 15.015, 15.020, 15 / 033, IV / C 4. 15.021 / 22, IV / 4. 15.025, IV / 4.15026, IV / 4. 15068. Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU): BStU, Außenstelle Dresden, Nr. F 30 / 59, 37 / 52, 260 / 54, 279/ 54, 260; AOp 146 / 59, 279, 9978 / 71, 4523 / 006103/93 D / XII 910/68 / AOp 2400/68.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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BStU, Außenstelle Magdeburg, Nr. 4553 / 73. BStU, Zentralarchiv, Nr. Z 169, 2007 / 61, 4553 / 73, 9978 / 71. Archiv der Evangelischen Landeskirche Sachsen Evangelische Studentengemeinde Dresden, Bestand 2, Nr. 934. TU Bergakademie Freiberg, Universitätsarchiv Studentenakten Nr. I Kd 1504 / 3. Dokumentationsstelle Stiftung Sächsischer Gedenkstätten Datenbanken der Dokumentationsstelle. Deutsches Rotes Kreuz, Generalsekretariat Suchdienst Auskünfte zu ehemaligen Angehörigen und Studenten der TH Dresden.

Gedruckte Quellen Antrittsrede des Präsidenten Wilhelm Pieck und Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl auf der gemeinsamen Tagung der Provisorischen Volksund Länderkammer am 11. Oktober 1949, Dokumente der Deutschen Demokratischen Republik Heft 1, herausgegeben vom Amt für Information, Berlin, Landesdruckerei Sachsen, 1949, 45 S. Das Strafrecht der sozialistischen Demokratie, Zum Erlaß des Gesetzes zur Ergänzung des Strafgesetzbuches – Strafrechtsergänzungsgesetz – vom 11. Dezember 1957, Berlin, 1957, 53 S. Die Technische Universität in Zahlen 1949–1963, herausgegeben von der Abteilung Planung und Statistik der Technischen Universität Dresden im September 1964. Strafrechtsänderungsgesetz und andere Strafgesetze. Textausgabe mit Anmerkungen und Sachregister, Berlin, 1958. Disziplinarordnung für Studierende der Universitäten und Hochschulen der DDR vom 26. April 1957. Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Sachsen, herausgegeben von der Landesverwaltung / Landesregierung Sachsen, Dresden, 1948. Mitteilungsblatt der Technischen Hochschule Dresden, herausgegeben vom Rektor, Jahrgang 1952 bis Jahrgang 1958, Dresden, 1952 ff. SBZ-Archiv, Dokumente. Berichte. Kommentare zu Gesamtdeutschen Fragen, Köln, 1(1950)–19(1968). Technische Hochschule Dresden 1945–1960, herausgegeben von der Abteilung Planung und Statistik der Technischen Hochschule Dresden, Dresden, 1961, 122 S. Fernsehdokumentation Spiegel-TV, Der Tunnel. Eine wahre Geschichte. VHS, erschienen am 1. Februar 2001 (Spieldauer 90 Minuten).

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Anhang

Erinnerungsberichte Dipl.-Ing. Günter Bähnk, Frankfurt a. M.-Schwanheim-West, 15. Dezember 2008. Dr.-Ing. Hanns-Lutz Dalpke, Alfeld, 24. August 2003. Dipl.-Ing. Waltraud Garrels (geborene Niether), Bad Nauheim, 7. Dezember 2004. Dr. Götz Koerner, Essen, im Herbst 1977. Oberstleutnant a. D. (Bundeswehr) Karl-Heinz Ossenkop, Kreuzau, 13. Januar 2006 und 10. September 2006. Dipl.-Ing. Armin Schreiter, Alfeld, 16. Juni 2003. Dipl.-Ing. Karl Winde, Bad Honnef, 22. Januar 2006. Dipl.-Ing. Bernhard Wolfram, Berlin, 2009. Dipl.-Ing. Peter Ziesecke, Kyritz, 11. August 2008. Private Dokumentationen Dipl.-Ing. Jürgen Donnerstag, Pirna. Dipl.-Ing. Hartmuth Henke, Leinfelden. Dr. rer. nat. Dr. sc. nat. Wolfgang Hartmann, Heidelberg. Dr.-Ing. Jürgen Klandt, Berlin. Dipl.-Ing. Günter Knoblauch, Neuried Kreis München. Dipl.-Ing. Bernhard Wolfram, Berlin. Interviews Dipl.-Ing. (FH) Gerhard Bauer, Dresden, 2009. Dr. Hartwig Bernitt, Verband Ehemaliger Rostocker Studenten (VERS), 2006. Min.-Rat a. D. Dietrich Hübner, Königswinter, 2010. Dr. Hanns-Lutz Dalpke, Alfeld, 2009. Dr. Rolf Dietzel, Dresden, 2009. Dr. Werner Flakus, Recklinghausen, 2008. Dipl.-Ing. Jürgen Donnerstag, Pirna , 2006 und 2009. Prof. Dr. Martin Eberhardt, Dresden, 2009. Dr. Michael Engel, FU Berlin, 2007. Dipl.-Ing. Hartmut Henke, Leinfelden, 2008. Dr. Wolfgang Hartmann, Heidelberg, 2009. Dipl.-Physiker Wolfgang Jakobs, 2007. Friedrich Kaul, Dresden 2009. Prof. Dr. Sigismund Kobe, Dresden, 2009. Dipl.-Physiker Ralf-Peter Krämer, Dresden 2010. Dipl.-Physiker Rolf Krohn, Halle, 2010. RA Wolfgang Lüder, Senator und Bundestagsabgeordneter a. D., Berlin, 2005, 2009. Karin Ramatschi, Pirna, 2006. Dr. Horst-Günther Schakat, Berlin, 2009. Dipl.-Ing. Udo Schnabowitz, Radebeul, 2007.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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9.2.  Abkürzungsverzeichnis a. D. ABF ABV ADN AG AoP AStA BArchiv BBC BND BRD BStU CAD/CAM CDU CIA CIC ČSSR DDP

außer Dienst Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Abschnittsbevollmächtigter der Deutschen Volkspolizei Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Aktiengesellschaft Archivierter operativer Vorgang Allgemeiner Studentenausschuss Bundesarchiv British Broadcasting Corporation (Britische Nachrichtenagentur) Bundesnachrichtendienst Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Computer Aided Manufacturing Christlich Demokratische Union Central Intelligence Agency (US-amerikanischer Geheimdienst) Counter Intelligence Corps (US-amerikanischer Geheimdienst) Tschechoslowakische Sozialistische Republik Deutsche Demokratische Partei

Abkürzungsverzeichnis

235

Der Nordschleswiger, Deutsche Tageszeitung in Dänemark,1959. Der Tagesspiegel, Berlin, 1959. Die Welt, Berlin, 1959. Forst und Holz. Fachzeitschrift für Forstwirtschaft, Waldökologie, Holzwirtschaft, Umwelt- und Jagdmanagement 51(1996), Hannover, 1996. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt a. M., 2008. FU Spiegel, herausgegeben vom Allgemeinen Studenten-Ausschuß der Freien Universität Berlin, Berlin, 1959. Handelsblatt, Düsseldorf, 1962. Kontakt-Magazin TU Dresden, Dresden, 1996. Neue Züricher Zeitung, 1959. Neues Deutschland, Zentralorgan der SED, Berlin, 1946 ff. Rheinische Post, Düsseldorf, 1959. Sächsische Zeitung, Organ der SED, Dresden, 1946 ff. SBZ-Archiv, Heft 9 / 1959, Verlag Wissenschaft und Politik, Köln, 1959. Süddeutsche Zeitung, 1959. Telegraf, Berlin, 1959. „tua res“, Studentenzeitschrift Ost-Berlin, 1957. Tübinger Studentenzeitung, Universität Tübingen, 1956. Universitätszeitung der Technischen Hochschule Dresden / Technischen Universität Dresden, Dresden, 1958–1990. Zeitschrift des Forschungsverbundes SED - Staat, herausgegeben vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, Redaktion Berlin, 1996 ff.

9.2.  Abkürzungsverzeichnis a. D. ABF ABV ADN AG AoP AStA BArchiv BBC BND BRD BStU CAD/CAM CDU CIA CIC ČSSR DDP

außer Dienst Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Abschnittsbevollmächtigter der Deutschen Volkspolizei Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Aktiengesellschaft Archivierter operativer Vorgang Allgemeiner Studentenausschuss Bundesarchiv British Broadcasting Corporation (Britische Nachrichtenagentur) Bundesnachrichtendienst Bundesrepublik Deutschland Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Computer Aided Manufacturing Christlich Demokratische Union Central Intelligence Agency (US-amerikanischer Geheimdienst) Counter Intelligence Corps (US-amerikanischer Geheimdienst) Tschechoslowakische Sozialistische Republik Deutsche Demokratische Partei

236 DDR Dipl.-Ing. DIZ DM DPA Dr. DSF EMW FDGB FDJ FU Berlin Gbl. Gen. GI GM GST HJ HVA IBM IG K 5 KdT KGB KgU KPD KPdSU KSZE KZ LDP MdI MfS MGB Min.-Rat MWD NATO NBC n. f. NDPD NKS NKWD NS NSDAP

Anhang

Deutsche Demokratische Republik Diplom-Ingenieur Deutsches Institut für Zeitgeschichte Deutsche Mark Deutsche Presse Agentur Doktor Deutsch Sowjetische Freundschaft Eisenacher Motorenwerke Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freie Universität Berlin Gesetzblatt [der DDR] Genosse Geheimer Informant des MfS Geheimer Mitarbeiter des MfS Gesellschaft für Sport und Technik Hitlerjugend Hauptverwaltung Aufklärung im MfS International Business Corporation Interessengemeinschaft Politische Abteilung der Kriminalpolizei in der Sowjetischen Besatzungszone Kammer der Technik Komitet Gosudarstwenno Bespopastnosti (Sowjetischer Geheimdienst) Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei der Sowjetunion Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Konzentrationslager Liberal Demokratische Partei Ministerium des Innern Ministerium für Staatssicherheit Ministerstwo gossudarstwennoj besopasnosti (Ministerium für Staatssicherheit 1946 bis 1953) Ministerialrat Ministerstwo wrutrennych del (Ministerium für Inneres / bis 1946: NKWD) North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikvertrag) National Broadcasting Company (US-amerikanische Rundfunk- und Fernsehanstalt) nicht foliiert National Demokratische Partei Deutschland Nationalkommunistischer Studentenbund Narodnyi Kommissariat wnutrennych del (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR / ab 1946: MWD) Nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

237

Personenindex

NVA NWDR ODT RAF RIAS SAPMO SBZ SHStA SD SED SMAD SMT SPD StEG TH TLA

Nationale Volksarmee Nordwestdeutscher Rundfunk Objektdienststelle des MfS Rote Armee Fraktion Rundfunk im amerikanischen Sektor Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv Sowjetische Besatzungszone Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden Sicherheitsdienst der SS Sozialistische Einheitspartei Deutschland Sowjetische Militäradministration Deutschland Sowjetisches Militärtribunal Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafrechtsänderungsgesetz Technische Hochschule Technische Lehranstalten Dresden (ab 1953 Ingenieurschule Dresden) TU Dresden Technische Universität Dresden UA der TUD Universitätsarchiv der TU Dresden UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UNO United Nations Organization USA United States of America VDS Verband der Studenten VEB Volkseigener Betrieb VW Volkswagen ZK Zentralkomitee

9.3.  Personenindex Adenauer, Konrad 63, 85, 143 Albring, Werner 47 Bähnk, Günter 79–81 Bahr, Egon 191 Barikow 16 Barkhausen, Heinrich 25, 47 Barwich, Heinz 207 Bauer, Gerhard 105f., 108f., 112, . 114, 118, 126, 135, 138–140, . 142, 147, 155, 157 Baum, Ludwig 25 Bause, Ulrich 175 Beater, Bruno 151 Beckmann, Max 37 Belter, Herbert 57

Benjamin, Hilde 64, 134 Bernitt, Hartwig 9 Beyer, Kurt 25 Bilke, Bernhard 173f. Bimmermann, Rolf 64f. Binder, Ludwig 21, 25 Blanek, Dieter 108 Blankenburg, Gerhard 40 Blobner, Heinrich 94f. Bloch, Ernst 126 Boëtius, Max 69 Böhme, Hans-Joachim 222 Bordag, Artur 86 Borstel, Michael 180f. Bozenhard, Hans 101 Brandt, Willy 148, 191

237

Personenindex

NVA NWDR ODT RAF RIAS SAPMO SBZ SHStA SD SED SMAD SMT SPD StEG TH TLA

Nationale Volksarmee Nordwestdeutscher Rundfunk Objektdienststelle des MfS Rote Armee Fraktion Rundfunk im amerikanischen Sektor Stiftung Archiv Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv Sowjetische Besatzungszone Sächsisches Staatsarchiv, Hauptstaatsarchiv Dresden Sicherheitsdienst der SS Sozialistische Einheitspartei Deutschland Sowjetische Militäradministration Deutschland Sowjetisches Militärtribunal Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafrechtsänderungsgesetz Technische Hochschule Technische Lehranstalten Dresden (ab 1953 Ingenieurschule Dresden) TU Dresden Technische Universität Dresden UA der TUD Universitätsarchiv der TU Dresden UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UNO United Nations Organization USA United States of America VDS Verband der Studenten VEB Volkseigener Betrieb VW Volkswagen ZK Zentralkomitee

9.3.  Personenindex Adenauer, Konrad 63, 85, 143 Albring, Werner 47 Bähnk, Günter 79–81 Bahr, Egon 191 Barikow 16 Barkhausen, Heinrich 25, 47 Barwich, Heinz 207 Bauer, Gerhard 105f., 108f., 112, . 114, 118, 126, 135, 138–140, . 142, 147, 155, 157 Baum, Ludwig 25 Bause, Ulrich 175 Beater, Bruno 151 Beckmann, Max 37 Belter, Herbert 57

Benjamin, Hilde 64, 134 Bernitt, Hartwig 9 Beyer, Kurt 25 Bilke, Bernhard 173f. Bimmermann, Rolf 64f. Binder, Ludwig 21, 25 Blanek, Dieter 108 Blankenburg, Gerhard 40 Blobner, Heinrich 94f. Bloch, Ernst 126 Boëtius, Max 69 Böhme, Hans-Joachim 222 Bordag, Artur 86 Borstel, Michael 180f. Bozenhard, Hans 101 Brandt, Willy 148, 191

238 Braun, Volker 197 Brendel, Dieter 108f., 112, 115, 135, 138f., 143, 157 Brocke, Heinz 74 Buchau, Erhard 78 Christoph, Johannes 66 Chruschtschow, Nikita 81 Clasen, Gunnar 92 Dahlem, Franz 205 Dalpke, Hanns-Lutz 108f., 112, 114f., 126–131, 134f., 139, 143, 146f., 155–157, 220 Deege, Claudia 159f. Dehler, Thomas 165 Dertinger, Georg 42 Dieckmann, Johannes 165 Dix, Otto 37 Dohle, Horst 175 Döhler, Werner 175 Donnerstag, Jürgen 105f., 154f., 157, 175 Donth, Ernst-Joachim 174f. Dragin 18 Dreyer, Herbert 78 Eckardt 134 Eckert, Willi Johannes 50 Ehrlich, Willy 175 Elle, Klaus 186, 188, 189 Engels, Friedrich 96, 102 Engert, Jürgen 223 Esch, Arno 40 Espig, Wolfgang 31 f. Ewald, Alfred 171 Fiedler, Hans-Joachim 198 Field, Noel 45 Fischer, Kurt 19, 23 Flakus, Werner 52–55 Freddy 117–119, 158 f. Friedrich, Werner 101 Friedrichs, Rudolf 19, 23 Frühauf, Hans 176

Anhang

Führer, Christian 202 Fulbright, William 166 Gadamer, Hans-Georg 19 Garrels, Waltraud 58f., 63 Gerlach, Manfred 32 Girnus, Wilhelm 203 Glotz, Peter 183 Goldmann, Jürgen 155 Goller, Marga 39 Göpfert, Gisela 66 Gorbatschow, Michael 201, 219 Gottfried, Harald 161f. Grizapka, Ruth 31 Grotewohl, Otto 24, 63, 84, 87, 120, 150 Gruner, Werner 133, 143, 170 Grüning, Günther 169 Gumpel, Werner 57 Hager, Kurt 82, 94, 109, 167, 170 Hahn, Karl 16 Hallstein, Walter 92, 191 Hamann, Karl 42 Harich, Wolfgang 95, 99, 130 Harig, Gerhard 71, 94 Hartmann, Wolfgang 221 Hartwig, Dietrich 40, 66f. Haushofer, Karl 57 Heidebroek, Enno 15, 17f., 20, 22, 24, 77 Heidegger, Martin 69 Heinrich, Wolfgang 67f. Hellmund, Peter 186, 188f. Hempel, Oswin 60 Henke, Hartmut 189f., 221 Henkies, Siegfried 77 Henn, Walter 48, 60 Hennig, Horst 50 Henniger, Herbert 206 Herforth, Lieselott 180, 206 Hildebrand, Rainer 56 Hill, Konrad 106, 154f., 157 Hoffmann 85 Hoffmann, Ernst 33

239

Personenindex

Hoffmann, Heinz 222 Hofmann, Otto 206 Holtzhauer, Helmut 34, 36 Honecker, Erich 65, 97–99, 120, 191 Höpfner, Richard 77 Horn, Klaus 165 Hörnig, Johannes 88, 197 Hübner, Dietrich 31f.

Kratsch, Günther 117, 159 Krätzner, Anita 169, 222 Krohn, Rolf 195f. Kübler, Karl-Heinz 203f. Kuczynski, Jürgen 94 Kunze, Rainer 197 Kunze, Walter 16 Kurotschin 20

Ihmels, Werner 29

Labes, Walter 60 Landgraf, Charlotte 39 Landgraf, Günther 176 Lange, Günther 59 Lehmann, Nikolaus Joachim 178 Leim 134f., 146 Lemmer, Ernst 114f., 135 Lenin, W. I. 102 Leonhard, Wolfgang 208 Leuschner, Bruno 167 Ley, Hermann 85, 87, 89 Liebscher, Fritz 188 Liebscher, Gerhard 65f. Lienert, Matthias 220 Loest, Erich 173 Lohmeyer, Ernst 28 Lötzsch, Ursula 66 Lübke, Wilhelmine 165 Lück, Günter 208f. Lüder, Wolfgang 138, 144f., 220 Ludwig, Günter 175 Lunze, Werner 179 Luxem 159

Jacobus, Hans 149 Jakobs, Wolfgang 150 Janensky, Christian 56 Jaspers, Karl 33, 69, 123, 145, 153 Jenkner, Siegfried 57 Jochmann, Horst 206 Jordan, Karl 75 Jost, Wilhelm 14–16 Jünemann, Hans-Josef 155 Just, Heinz 67 Kafka, Gustav 33 Kaul, Friedrich Karl 188 Kaul, Fritz 108f., 154f., 157 Kelm, Hans Joachim 93, 101, 123 Kennedy, John F. 166, 192 Kiefel, Josef 117 Kiekegaard, Søren 69 Klandt, Hannelore 132 Klandt, Jürgen 154f., 157 Kleiner, Wolfram 144 Klemperer, Victor 21, 33 Klose, Joachim 198, 221 Knoblauch, Günter 208–212, 221 Kobe, Sigismund 174, 221 Koerner, Götz 69–73 Köhler, Georg 175f. Kokenge, Hermann 223 Koloc, Kurt 179, 192f. Koloc, Rudolf 192f. Koniecki, Dieter 165 König, Walter 74f. Köppen, Otto 117 Krämer, Ralf-Peter 194–196

Markert, Rolf 84, 124 Marx, Karl 96, 102 Mayer, Hans 173 Mehlig, Hans 15 Meichsner, Dieter 143 Melies, Heinz 210f. Melsheimer, Alfred 64 Mende, Erich 165 Menke-Glückert, Emil 21 Merker, Paul 51 Meuter, Paul 93 Mielke, Erich 120

240 Möhner, Oswald 168 Möllemann, Jürgen 201 Möller, Hans-Georg 172 Müller, Michael 184 Münch, Karl-Heinz 32, 58, 60–62 Natonek, Wolfgang 30 Necke, Egon 101 Nehru, Pandit 91 Neubert, Horst 38f. Neuffer, Willy 21 Neuhof, Peter 149 Neujahr, Karl-Heinz 40 Neumann, Arno 78 Nienhagen, Walter 30 Niether, Waltraud 58–60, 62f. Nolde, Emil 37 Ochs, Karl-Wilhelm 60 Oelßner, Fred 98, 126 Oeser, Christa 39f. Ortleb, Walter 26, 77 Orwell, George 63, 214 Ossenkop, Karl-Heinz 37–41 Pauer, Irmgard 89 Pauer, Walther 47f., 89 Pechstein, Max 37 Peschel, Horst 48 Peterlowitz, Stefan 180f. Petersen, Otto 66 Pfeifer, Ulrich 171 Picasso, Pablo 37 Pieck, Wilhelm 24, 51, 79, 157 Ploemacher 134 Pose, Heinz 170 Prautsch, Friedrich 67 Prell, Heinrich 21 Puchstein, Heinrich 40 Ragozat, Werner 175 Rajk, Laszlo 45 Rákosi, Matyas 113 Ramatschi, Christian 105f., 108, 112, 115, 135, 139f., 142, 147, 155–157

Anhang

Rauda, Wolfgang 203f. Recknagel, Alfred 86 Rehfeldt, Peter 95 Rehn, Erhard 100 Reingruber, Hans 18 Renn, Ludwig 21, 51 Reuther, Ernst 143 Rieger, Frank 174f. Ries, Kurt 38 Riesner, Hans 84 Röcke, Heinrich 203, 204 Röder, Manfred 82 Rooch, Eberhard 79 Roth 135 Sachße, Hans 21 Satre, Jean-Paul 69 Schakat, Horst-Günther 50–54 Schapke 135 Scheffler, Friedrich 16 Scheibner, Gerhard 101 Scheidt, Helmut 72f. Schelcher, Herbert 16 Schenk, Fritz 208 Schieck, Walter 17 Schieszl, Sibylle v. 75 Schirdewan, Karl 82, 93f., 96, 98f., 123, 126 Schlage, Günther 58f., 61f., 64 Schmidt, Erich 58–60, 62, 64 Schmidt, Martin 144 Schnabowitz, Udo 180f. Schneider, Wilfried 185 Schönfeld, Heinz 47 Schottlaender, Rainer 184f. Schottlaender, Rudolf 21, 33–36, . 184 Schreiter, Armin 106, 108, 112, . 115, 134f., 139, 143, 155, 157 Schubert, Christian 103 Schubert, Peter 109, 154f., 157 Schumann, Horst 175 Schwabe, Kurt 74f., 82, 172, 178, 203f. Schwedler, Martin 175

241

Personenindex

Schwedler, Theodor 101 Schwippel, Jindrich 222 Seibt 210 Seifert, Arno 94f. Selbmann, Fritz 24, 38, 94, 96, 98f., 123 Selbmann, Katja 38 Seydewitz, Max 35 Shukow, Georgi Konstantinowitsch 22 Simon, Arthur 21, 53, 69, 76 Simon, Günter 124, 187–189, 194 Sindermann, Horst 170 Smirnoff 18 Sokolowski, Wassili Danilowitsch . 20 Solotuchin, Pjotr Wassiljewitsch 22 Sommer-Landgraf, Charlotte 39 Staadt, Jochen 220 Stalin, Josef W. 45f., 51, 67f., 70, . 81, 98 Stefan 134, 154 Stein, Egon 101 Stiller, Werner 162, 199 Straub, Werner 18, 21, 34 f. Streit, Josef 210 Stresemann, Gustav 165 Studentkowski, Werner 15 Szögi, Laszlo 222 Tervooren, Wilhelm 46f. Tiedtmeyer, Hans 218 Tränkner, Gottfried 189 Trinks, Karl 21, 84, 86f., 89

Turski, Werner 73f., 83–88, 90, 93, . 96, 100–102, 123 Ulbricht, Gottfried 168 Ulbricht, Walter 24, 46, 48, 82, 91, 96–100, 115, 120, 166, 172, 174f., 178, 217 Unger, Ernst 157 Vogel, Wolfgang 157, 185 Walter, Fred 57, 66 Wandel, Paul 43 Wedel, Graf von 167 Weichold, Karl 76 Wend, Arno 28 Werner, Dietmar 31 Wessel, Harald 149 Wetzel, Wolfgang 175 Wiese, Friedrich-Franz 40f. Wilhelm, Jürgen 52–55 Willers, Friedrich-Adolf 34 f. Willkommen, Tilo 106, 154f., 157 Winde, Karl 37–40 Winde, Theodor Arthur 37 Winternitz, Josef 46 Wirth, Harald 79 Wolfram, Bernhard 11 Wollweber, Ernst 96, 98f. Zehlicke, Horst 84 Ziesecke, Peter 186–189 Ziller, Gerhard 98 Zur Mühlen, Heinrich von 57 Zwerenz, Gerhard 173

242

Anhang

9.4.  Abbildungsnachweis 1–3 4 5–13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24–25 26 27 28

UA der TUD, Fotoarchiv TU Dresden, Medizinische Fakultät, Institut für Geschichte der Medizin UA der TUD, Fotoarchiv BStU, Außenstelle Dresden UA der TUD, Fotoarchiv SLUB, Deutsche Fotothek, Aufnahme Steffen Giersch BStU, Außenstelle Dresden, ADN-Zentralbild / Löwe / Bild 183 / 63438 / 1 IV UA der TUD, Fotoarchiv / Jürgen Klandt privat SLUB, Deutsche Fotothek Ullstein bild (Foto-Nr. 00257463) DIZ Torgau / Bibliothek Bützow Foto privat Jürgen Donnerstag / Pirna dpa Picture-Alliance GmbH (Foto-Nr. 7126322) UA der TUD, Fotoarchiv Bundesarchiv, ADN-Zentralbild, P Liebers, Foto: 183-N0505-0038. UA der TUD, Fotoarchiv UA der TUD, Fotoarchiv, Aufnahme M. Heubner